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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
beb30147-7336-4077-93f9-7aefa5f24fd4 | Urteilskopf
91 III 7
2. Entscheid vom 18. Januar 1965 i.S. de Ry. | Regeste
Eintritt eines Zessionars in die bereits bis zum Pfändungsvollzug fortgeschrittene Betreibung.
Der Eintritt ist grundsätzlich zulässig unter Vorbehalt eines vom Richter dem Schuldner gemäss
Art. 77 SchKG
bewilligten nachträglichen Rechtsvorschlages. Die Betreibungsbehörden haben bloss summarisch zu prüfen, ob der Eintritt des Zessionars von vornherein abzulehnen sei wegen offenkundiger Formfehler der Zession oder wegen offenkundig begründeter materieller Einwendungen des Schuldners gegen den Zessionar.
Wie hat das Betreibungsamt im Fall eines richterlich bewilligten Rechtsvorschlages vorzugehen? Kreisschreiben Nr. 7 vom 15. November 1899. | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 91 III 7 S. 8
A.-
A. Krieg hob am 3. Juli 1964 gegen Jean de Ry, Bern, die Betreibung Nr. 33862 an. Er erhielt für Fr. 6886.25 definitive und für Fr. 39.80 provisorische Rechtsöffnung und ver langte alsdann die Fortsetzung der Betreibung, worauf es am 11. September 1964 zum Pfändungsvollzuge kam. Gepfändet wurde unter anderem ein Anspruch auf Fr. 50'000.-- aus dem Verkaufserlös einer dem Michelangelo zugeschriebenen Bronzebüste, ferner das Vorkaufsrecht des Schuldners am nämlichen Kunstgegenstand. Jean de Ry hatte die Bronzebüste im Jahre 1956 an Jean Zanchi in Lausanne verkauft und sich dabei gewisse Rechte vorbehalten, die jene Ansprüche umfassen. Diese waren bereits provisorisch für einen andern Gläubiger gepfändet, mit dem der Schuldner noch im Aberkennungsprozesse steht.
B.-
Indessen hatte A. Krieg die in Betreibung stehende Forderung am 29. Juni 1964 der Firma Zanchi SA in Lausanne abgetreten, mit folgender Klausel:
BGE 91 III 7 S. 9
"Der Zessionar ist berechtigt, das Datum des Inkrafttretens dieser Zession zu bestimmen."
Am 11. September teilte nun der Anwalt des A. Krieg und zugleich der Zessionarin jenem das Inkrafttreten der Zession mit. Gleichzeitig zeigte er die Zession dem Schuldner und dem Betreibungsamte an, das er ersuchte, die Betreibung auf den Namen der Zessionarin fortzusetzen.
C.-
Am 12. Oktober 1964 zog A. Krieg die Betreibung zurück und widerrief die Zession wegen Täuschung. Dem Anwalt, der ihn bisher vertreten hatte, entzog er die Vollmacht.
D.-
Mit Berufung auf die Zession hatte der Schuldner gegenüber A. Krieg gestützt auf
Art. 85 SchKG
die Aufhebung oder eventuell Einstellung der Betreibung verlangt. Dieses Gesuch wurde dann aber durch den Rückzug der Betreibung gegenstandslos. Der Richter schrieb daher die Angelegenheit als erledigt ab, jedoch ohne Präjudiz gegenüber der Zessionarin.
E.-
Die Zanchi SA beharrte ihrerseits auf ihren Rechten als Zessionarin. Das Betreibungsamt nahm in der Pfändungsurkunde Vormerk vom Wechsel des Gläubigers und stellte sie dem Schuldner am 23. November 1964 zu. Dessen Antrag, dem Verwertungsbegehren der Zessionarin sei keine Folge zu geben, wies es ab.
Am 3. Dezember 1964 führte der Schuldner Beschwerde mit dem Antrag, die Pfändungsurkunde sei aufzuheben und das Betreibungsamt anzuweisen, weiteren Begehren der angeblichen Zessionarin keine Folge zu geben. Er machte geltend, die Zession sei darauf angelegt, ihn um die gepfändeten Ansprüche zu bringen. Der bedingte Anspruch der Zessionarin sei nach
Art. 157 OR
nichtig; ausserdem liege offenkundiger Rechtsmissbrauch vor. Im übrigen sei die Zession unverbindlich und die von A. Krieg behauptete Täuschung zu bejahen.
Die Zessionarin wies demgegenüber auf das widerspruchsvolle Verhalten des Schuldners hin, der sich zuerst selber auf die ihm bekannt gewordene Zession berufen habe, und nun (im Einverständnis mit dem Zedenten, der die Betreibung zurückzog) Ungültigkeit der Zession geltend mache. Diese sei ordnungsmässig erfolgt, und die übrigen Einreden des Schuldners könne das Betreibungsamt gar nicht beurteilen. A. Krieg habe vom Inkrafttreten der Zession an nicht mehr in die Betreibung eingreifen können, nach
Art. 152 OR
schon vorher nicht mehr.
BGE 91 III 7 S. 10
F.-
Mit Entscheid vom 28. Dezember 1964 hat die kantonale Aufsichtsbehörde die Beschwerde abgewiesen.
G.-
Gegen diesen Entscheid richtet sich der vorliegende Rekurs des Schuldners, der an der Beschwerde festhält.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt und auch der Rekurrent nicht verkennt, tritt der Zessionar einer in Betreibung stehenden Forderung in die betreibungsrechtliche Stellung des Zedenten ein; er erwirbt dessen "Legitimation zum Verfahren" und kann daher die Betreibung in dem Stadium, in das sie getreten war, nun in eigenem Namen fortsetzen (BGE 22 S. 669, 32 I 772 ff. = Sep.-Ausg. 9 S. 354, 49 III 25, 68 III 39 ff.; FRITZSCHE, SchK Bd. I S. 57 und dort angeführte Autoren). Freilich muss der Schuldner Gelegenheit erhalten, die ihm allenfalls gegenüber dem Zessionar zustehenden Einreden zu erheben und namentlich die Gültigkeit der Zession zu bestreiten. Zu diesem Zwecke stellt ihm die Rechtsprechung den Behelf des nachträglichen Rechtsvorschlages in analoger Anwendung des
Art. 77 SchKG
zur Verfügung (JAEGER, N. 2 zu Art. 77; BLUMENSTEIN, Handbuch, S. 255; FRITZSCHE, Sch K I S. 113, BGE 22 S. 670).
Der Rekurrent wendet sich gegen die Heranziehung des
Art. 77 SchKG
im Fall einer Zession. Die erwähnte Gesetzesnorm habe diesen Fall nicht im Auge, was denn auch kantonale Gerichte mehrmals ausgesprochen hätten (SJZ 28 S. 316 Nr. 69 und SJZ 60 S. 339 Nr. 223). Das Bundesgericht habe sich seit jenem Entscheid aus dem Jahre 1896 nicht mehr ausführlich mit der Frage befasst, sondern sie nur noch in
BGE 32 I 771
ff. (= Sep.-Ausg. 9 S. 353 ff.) gestreift. Es liege dem Betreibungsamt, und dementsprechend im Beschwerdeverfahren den Aufsichtsbehörden, ob, die vom Schuldner aufgeworfene Frage der Gültigkeit der Zession nicht bloss summarisch, sondern einlässlich, wenn auch nur im Sinn einer Vorfrage, mit Wirkung auf die vorliegende Betreibung, zu prüfen.
Indessen haben auch neuere als die soeben angeführten Entscheidungen des Bundesgerichts den Schuldner gegenüber einem in die Betreibung eingetretenen Zessionar auf den Weg
BGE 91 III 7 S. 11
des nachträglichen Rechtsvorschlages verwiesen und, daran anknüpfend, denselben Rechtsbehelf Platz greifen lassen, wenn einer von mehreren gemeinsam betreibenden Gläubigern erst nach Ablauf der Rechtsvorschlagsfrist (durch Verzicht oder Tod) ausscheidet und der Schuldner nicht gelten lassen will, dass die verbleibenden Gläubiger die Betreibung fortsetzen können (
BGE 58 III 115
ff.,
BGE 76 III 90
ff.).
An dieser Betrachtungsweise ist festzuhalten. Grundsätzlich soll einem Zessionar nicht verwehrt sein, in die vom Zedenten angehobene Betreibung einzutreten und sich die von diesem erworbene Stellung im Verfahren zunutze zu machen (statt eine neue Betreibung anheben zu müssen und damit ein Gruppenvorrecht zu verlieren). Anderseits muss der Schuldner - worauf auch der Rekurrent ausgeht- Gelegenheit erhalten, ihm allfällig gegen den Zessionar zustehende Einreden geltend zu machen (statt der Betreibung den Lauf lassen zu müssen und auf eine betreibungsrechtliche Rückforderung nach
Art. 86 SchKG
angewiesen zu sein). Hiezu steht aber nach Ablauf der Rechtsvorschlagsfrist kein anderer Rechtsbehelf zu Gebote als eben der nachträgliche Rechtsvorschlag. Zuzugeben ist, dass sich bei einem solchen erst hinterher auf Gläubigerseite eingetretenen Rechtsvorschlagsgrund besondere Fragen erheben mögen, wie etwa hinsichtlich des Beginns der Frist von drei Tagen nach
Art. 77 SchKG
zur Anrufung des Richters. Es muss jedoch der gerichtlichen Entscheidung anheimgegeben bleiben, über die Wahrung dieser Frist zu entscheiden.
Eine Frage für sich ist, ob und inwiefern es dem Betreibungsamt (und den im Beschwerdeverfahren angerufenen Aufsichtsbehörden) zustehe, vorerst selber über das Vorliegen einer zur Fortsetzung der Betreibung geeigneten Zession zu entscheiden und bei Verneinung dieser Frage den Eintritt des Zessionars abzulehnen. Entgegen der Ansicht des Rekurrenten kann diese Prüfung durch die Betreibungsbehörden nur eine summarische sein. Sie bezieht sich einerseits auf die Formgültigkeit der Zession, worüber sich der in die Betreibung eintretende Zessionar auszuweisen hat, anderseits auf die Frage, ob erhebliche Zweifel über die materielle Gültigkeit der Zession offenkundig bestehen. Das Betreibungsamt hat also die Zession nicht unbesehen zu berücksichtigen, sondern zu prüfen, ob sie den gesetzlichen Formvorschriften entspricht, und im übrigen auf offenkundige Mängel materiellrechtlicher Art zu
BGE 91 III 7 S. 12
achten. So wurde in BGE 22 S. 669 ausgeführt, das Amt habe die Betreibung auf Begehren des Zessionars fortzusetzen; "il ne pourrait s'y refuser que si, en la forme, la cession apparaissait comme irrégulière ou que si d'autres circonstances, notamment le dire du débiteur cédé, l'autorisaient à douter de sa validité... en particulier si la cession se trouve entachée d'erreur manifeste ou si le débiteur soulève contre sa validité une exception de portée décisive et évidente...". Man kann sich fragen, ob das Betreibungsamt, um dem Schuldner Gelegenheit zur Geltendmachung solcher Mängel zu geben, ihm das Begehren des Zessionars jeweilen zur Vernehmlassung zu unterbreiten habe, um sich erst nachher darüber schlüssig zu machen, ob ihm Folge zu geben sei. Im vorliegenden Fall konnte sich der Schuldner, bevor eine massgebliche Verfügung des Betreibungsamtes über die Zulassung des Gläubigerwechsels erging, hiezu äussern, weil das Amt voreilig (vor Zustellung der Pfändungsurkunde) eine (hernach als ungültig widerrufene) Mitteilung des Verwertungsbegehrens erlassen hatte. Seine Einwendungen sind vom Betreibungsamt und von der Vorinstanz mit Recht nicht in dem von ihm beantragten Sinne geschützt, sondern auf den (von ihm denn auch gleichfalls beschrittenen) Weg eines nachträglichen Rechtsvorschlages gewiesen worden. In der Tat entspricht die Zessionsurkunde der vorgeschriebenen Schriftform, und es erweckt auch keine grundsätzlichen Bedenken, dass dem Zessionar anheimgegeben wurde, die Zession an einem ihm passenden Zeitpunkt in Kraft zu setzen (vgl.
BGE 84 II 363
/64 mit Hinweisen). Was aber die übrigen Einwendungen des Schuldners betrifft, so handelt es sich um verwickelte, keineswegs liquide tatsächliche Zusammenhänge. Um der gerichtlichen Entscheidung nicht vorzugreifen (vgl.
BGE 73 III 20
/21, Ende des ersten Absatzes), haben sich die Betreibungsbehörden auf eine summarische Prüfung zu beschränken und, wenn deren Ergebnis ungewiss bleibt, den Eintritt des formell einwandfrei ausgewiesenen Zessionars unter dem Vorbehalt eines nachträglichen Rechtsvorschlages des Schuldners zuzulassen.
Sollte der Richter den Rechtsvorschlag bewilligen, so wird die bereits vollzogene Pfändung aufrecht bleiben, jedoch bloss als provisorische, und es wird dem neuen Gläubiger gemäss dem Kreisschreiben Nr. 7 vom 15. November 1899 Frist zur
BGE 91 III 7 S. 13
Anrufung des Richters anzusetzen sein (vgl. auch
BGE 82 III 18
/19).
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr. u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
beb66ab0-288f-4ff8-bf18-8aeb255eee4b | Urteilskopf
116 Ia 1
1. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. März 1990 i.S. W. gegen Kantonsrat des Kantons Zug (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 85 lit. a OG
; kantonales Finanzreferendum; Ausgabenbewilligung für Computertomographen für das Kantonsspital.
1. Begriff der gebundenen und der neuen Ausgabe (E. 3).
2. § 8 Abs. 2 lit. b Finanzhaushaltsgesetz ZG. Die Anschaffung eines Computertomographen ist durch das gesetzliche Leistungsprogramm für das Kantonsspital Zug vorgegeben; der entsprechende Kantonsbeitrag stellt eine gebundene Ausgabe dar (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 116 Ia 1 S. 2
Der Kantonsrat des Kantons Zug bewilligte dem Kantonsspital Zug am 23. Februar 1989 die Anschaffung eines Computertomographen. Er gewährte dafür den entsprechenden Kantonsbeitrag von 60% der Investitionskosten von insgesamt Fr. 2,8 Mio., also Fr. 1,68 Mio. Die jährlichen Betriebskosten für den Computertomographen veranschlagte er auf Fr. 870'000.--. Diesen Beschluss unterstellte er nicht dem Referendum.
Gegen den Kantonsratsbeschluss erhob W. am 3. April 1989 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Stimmrechts. Er beantragte, der Kantonsratsbeschluss sei aufzuheben und das Geschäft sei dem Referendum zu unterstellen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Erwägungen:
3.
a) (Begriff der gebundenen Ausgabe nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung; vgl.
BGE 115 Ia 142
f. E. 2c und 3a.)
b) Indessen besteht kein für die Kantone verbindlicher bundesrechtlicher Begriff der neuen oder gebundenen Ausgabe. Von der vorstehend umschriebenen bundesgerichtlichen Begriffsbestimmung darf deshalb dort abgewichen werden, wo sich nach Auslegung des kantonalen Rechts oder aufgrund einer feststehenden und unangefochtenen Rechtsauffassung und Praxis der zuständigen kantonalen Organe eine andere Betrachtungsweise aufdrängt. Denn das Finanzreferendum ist ein Institut des kantonalen Verfassungsrechts und das Bundesgericht als Verfassungsgericht hat lediglich über die Einhaltung der dem Bürger durch die Verfassung zugesicherten Mitwirkungsrechte zu wachen (
BGE 113 Ia 397
E. b). Für den Kanton Zug sind die Begriffe der neuen und der gebundenen Ausgabe in § 8 des Gesetzes über den Finanzhaushalt des Kantons und der Gemeinden (Finanzhaushaltsgesetz) vom 28. Februar 1985 umschrieben:
"Eine Ausgabe ist die dauernde Bindung öffentlicher Mittel an einen
bestimmten öffentlichen Zweck. Sie bewirkt eine Verminderung des
Finanzvermögens und hat einen Verzehr der Mittel (laufende Rechnung) oder
eine Vermehrung des Verwaltungsvermögens (Investitionsrechnung) zur Folge.
Als gebundene Ausgabe gelten:
a) Ausgaben, die durch einen Rechtssatz grundsätzlich und dem Umfang nach
vorgeschrieben sind;
b) Ausgaben, die nicht dem Umfang nach vorgeschrieben, aber zur
BGE 116 Ia 1 S. 3
Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt
erforderlich sind, wenn anzunehmen ist, der Gesetzgeber habe mit dem
Grunderlass auch die sich daraus ergebenden Aufwendungen gebilligt.
Im Gegensatz zu den gebundenen Ausgaben muss für neue Ausgaben zuerst
eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden."
c) Der Beschwerdeführer räumt ein, dass sich § 8 Abs. 2 Finanzhaushaltsgesetz an die bundesgerichtliche Definition der gebundenen Ausgabe anlehnt. ...
Das kantonale Recht weicht jedoch insofern von der bundesgerichtlichen Definition ab, als es die Mitsprache des Volkes nicht vorbehält für den Fall, wo eine Ausgabe zwar weitgehend durch den Grunderlass präjudiziert ist, bezüglich ihrer Modalitäten jedoch eine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit besteht. Da keine weiteren Unterschiede und auch keine andere kantonale Praxis geltend gemacht werden, kann abgesehen von dieser Abweichung im folgenden vom bundesgerichtlichen Begriff ausgegangen werden.
4.
Unbestrittenermassen ist die Anschaffung eines Computertomographen durch keinen Rechtssatz prinzipiell und dem Umfang nach vorgeschrieben. Zu prüfen ist daher allein, ob die Ausgabe für die Anschaffung eines Computertomographen für das Kantonsspital Zug "unbedingt erforderlich" sei (§ 8 Abs. 2 lit. b Finanzhaushaltsgesetz).
a) Mit dieser Frage haben sich der Regierungsrat und die zuständige Fachkommission eingehend auseinandergesetzt. Entscheidgrundlage für beide war im wesentlichen eine Bedarfsstudie vom August 1988, die der Regierungsrat vom Schweizerischen Institut für Gesundheits- und Krankenhauswesen (Aarau) erstellen liess (Bedarfsstudie). Sie kommt zum Schluss, dass unter Berücksichtigung aller nichtfinanziellen Aspekte der Bedarf nach einem Computertomographen für das Röntgeninstitut des Kantonsspitals Zug adäquat sei.
b) Der Beschwerdeführer bestreitet, dass die Ausgabe für den Computertomographen unbedingt erforderlich sei. Zwar wendet er sich nicht generell gegen die Feststellungen in der erwähnten Bedarfsstudie. Er anerkennt auch, dass die Computertomographie vielen Patienten erhebliche Erleichterungen verschafft. Hingegen gewichtet er das Bedürfnis anders als die Studie. Er bringt vor, ... die Anschaffung eines solchen Geräts werde durch das gesetzliche Leistungsprogramm nicht abgedeckt; sie sei weder medizinisch
BGE 116 Ia 1 S. 4
noch wirtschaftlich zu verantworten. Die Patienten hätten auch bisher behandelt werden können; die wenigen Fälle, bei denen eine computertomographische Untersuchung unabdingbar gewesen sei, seien an das Universitätsspital Zürich überwiesen worden. Aus medizinischer Sicht sei die Anschaffung des Computertomographen daher bestenfalls "überaus wünschenswert". Der Regierungsrat führe selber aus, dass sich der Kauf nicht wirtschaftlich begründen lasse. Die Tatsache, dass die Anschaffung neben einer einmaligen auch jährlich wiederkehrende Ausgaben verursache, zeige, dass es sich um eine neue Dimension der medizinischen Versorgung handle, die nicht unter den Begriff der gebundenen Ausgabe falle. Ferner bestehe in bezug auf den Umfang der Ausgabe und den Standort der Anlage ein erheblicher Handlungsspielraum; es bestünden mehrere Leistungsklassen von Computertomographen mit unterschiedlichen Preisen. Auch hätten die Stimmbürger beim Erlass des Kantonsspitalgesetzes das Bedürfnis nach der Anschaffung eines Computertomographen nicht vorausgesehen und eine solche somit nicht stillschweigend gebilligt.
c) Das Kantonsspital ist das Hauptspital des Kantons Zug (§ 2 Abs. 2 Kantonsspitalgesetz). Es unterliegt einem medizinischen Leistungsprogramm. Danach muss es neben der Grundversorgung auch eine stationäre spezialisierte Versorgung gewährleisten (§ 3 Kantonsspitalgesetz). Unter anderem hat es eine röntgen- und nuklearmedizinische Abteilung zu führen (§ 5 Abs. 1 lit. e Kantonsspitalgesetz). Jedoch hat das Kantonsspital nur jene Versorgung anzubieten, die wirtschaftlich und medizinisch verantwortet werden kann (§ 3 Abs. 3 Kantonsspitalgesetz).
d) Der Beschwerdeführer behauptet, das Kantonsspital Zug könne seinen gesetzlichen Leistungsauftrag auch ohne Computertomographen erfüllen, weshalb die beantragte Ausgabe nicht unbedingt erforderlich sei.
aa) Der Beschwerdeführer verkennt die medizinische Bedeutung der Computertomographie. Nach der Bedarfsstudie ist sie lediglich die Fortführung einer bisherigen Technik, die Weiterentwicklung und Verfeinerung der bestehenden diagnostischen Mittel. Sie ersetzt beinahe keine herkömmlichen Untersuchungsmethoden, bietet aber gegenüber diesen häufig Vorteile. Die Anschaffung eines Geräts verbessert auch die Behandlung von Unfallpatienten. Ferner ist ihr Anwendungsbereich sehr breit; die Computertomographie ist heute fester und notwendiger Bestandteil der täglichen Röntgendiagnostik. Zumindest ist der Kantonsrat nicht
BGE 116 Ia 1 S. 5
in Willkür verfallen, als er von diesen Feststellungen der Bedarfsstudie ausging. Im Gegenteil durfte er schliessen, die Abteilung für Röntgendiagnostik und Nuklearmedizin des Kantonsspitals Zug entspreche ohne Computertomographen den modernen diagnostischen Anforderungen der Klinik und der zuweisenden Ärzte nicht. Es ist verfassungsrechtlich haltbar zu folgern, der Kauf dränge sich geradezu auf, um das röntgendiagnostische Angebot des Kantonsspitals wieder den modernen Erfordernissen anzupassen und das Untersuchungs- und Therapierisiko zugunsten der Patienten zu senken.
Ebenso einleuchtend ist, dass Grösse, Lage und Bedeutung des Kantonsspitals Zug die Anschaffung eines Computertomographen erfordern. Das Einzugsgebiet für sein computertomographisches Angebot erstreckt sich über den Kanton Zug hinaus und ist erfahrungsgemäss von der Bevölkerungszahl her genügend gross, um die Anschaffung des Geräts zu rechtfertigen. Auch seitens der Ärzte, die Patienten zuweisen, ist eine starke und steigende Nachfrage vorhanden. Zudem ist das Kantonsspital Zug das einzige Akutspital des Kantons, das einen durchgehenden Notfalldienst betreibt. Die rasche Zunahme von Computertomographen in der Schweiz und die weite Verbreitung zeigen das Bedürfnis nach dieser Einrichtung.
bb) Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Anschaffung eines Computertomographen sei wirtschaftlich nicht verantwortbar. Der Regierungsrat führe selber aus, der Kauf lasse sich nicht wirtschaftlich begründen. Die Ausführungen des Regierungsrats sind aber dahingehend zu verstehen, dass mit dem Computertomographen kein Gewinn erwirtschaftet werden könne; wirtschaftlich verantwortbar erscheint ihm die Anschaffung trotzdem. Auch die Staatswirtschaftskommission kommt aufgrund der umfassenden Abklärungen über die Auslastung des Geräts zum Schluss, die Anschaffung könne wirtschaftlich gerechtfertigt werden. Im Rahmen der gesamten Aufwendungen für das Kantonsspital sind die einmaligen Anschaffungskosten und die Verschlechterung der Jahresrechnung vertretbar; der Beschwerdeführer zieht das grundsätzlich nicht in Zweifel. Dass jährlich wiederkehrende Ausgaben entstehen, ist kein Kriterium für die Frage, ob eine gebundene oder neue Ausgabe für die Investition vorliegt.
cc) Somit verlangt das Leistungsprogramm für das Kantonsspital die Anschaffung eines Computertomographen. Die Ausgabe dafür ist zur Erfüllung der gesetzlich geordneten
BGE 116 Ia 1 S. 6
Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich. Das heisst nicht, dass die Ausgaben für alle Anlagen und Einrichtungen der modernen medizinischen Technik damit vom Ausgabenreferendum ausgenommen sind. Allein aufgrund der rasanten Entwicklung eines Geräts und seiner grossen Verbreitung darf nicht auf die Notwendigkeit seiner Anschaffung geschlossen werden. Entscheidend sind im vorliegenden Fall der spezifische gesetzliche Auftrag, das breite Anwendungsgebiet des Computertomographen, die intensive Nutzung und die für die Betroffenen erzielten Erleichterungen. Für ein Hauptspital von der Bedeutung des Kantonsspitals Zug gehört ein Computertomograph der heutigen Generation zur Grundausstattung.
d) Das Finanzhaushaltsgesetz verlangt nicht, dass die Stimmbürger die Anschaffung eines Computertomographen hätten voraussehen müssen, als das Kantonsspitalgesetz erlassen wurde. Hingegen ist aufgrund des gesetzlichen Leistungsprogramms des Kantonsspitals "anzunehmen", "der Gesetzgeber habe mit dem Grunderlass auch die sich daraus ergebenden Aufwendungen gebilligt" (§ 8 Abs. 2 lit. b Finanzhaushaltsgesetz). Die Stimmbürger haben das Leistungsprogramm des Kantonsspitals festgelegt und die zu dessen Erfüllung notwendigen Befugnisse an die Behörden delegiert. Jedermann musste sich damals bewusst sein, dass auch die Medizinaltechnik Fortschritte machen wird und dass das Leistungsprogramm unter Umständen auch Methoden abdeckt, welche damals noch nicht bekannt oder noch nicht stark verbreitet waren. Damit wurde aber die Anschaffung von Geräten wie den Computertomographen gebilligt, weil er - wie dargelegt - heute für die Erfüllung des Leistungsprogramms unbedingt erforderlich ist.
e) Es kann offenbleiben, ob nach der zugerischen Ordnung ein den Behörden zustehender Handlungsspielraum für die Natur einer Ausgabe von Bedeutung sei. Denn entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers stellt sich die Frage des "Wie" nur sehr eingeschränkt. Die Auswahl an Computertomographen, welche tatsächlich für die konkreten Bedürfnisse in Frage kommen, ist nicht gross. Namentlich aufgrund des Entwicklungsstandes der Geräte ist es für das Kantonsspital Zug angezeigt, einen Computertomographen der jetzigen Generation anzuschaffen; das zu erwartende Patientenvolumen, die bestehende Infrastruktur des Spitals und der gesetzliche Versorgungsauftrag schränken die Typenwahl stark ein. Ein Computertomograph der mittleren Leistungsklasse kostet Fr. 1,2 bis 1,4 Mio.; der mittlere Gerätepreis der
BGE 116 Ia 1 S. 7
beantragten höheren Leistungsklasse wird auf Fr. 1,6 Mio. beziffert. Zu berücksichtigen ist, dass die Typenwahl auf die Kosten für Installation, Zusatzeinrichtungen und Betrieb keinen Einfluss hat. Zudem ist Gegenstand des angefochtenen Kantonsratsbeschlusses lediglich ein Beitrag von 60% der Investitionskosten. Die Typenwahl hat daher im Rahmen des ganzen Geschäfts keinen grossen Einfluss auf die Höhe des Kantonsbeitrags. Die Einsetzung des mittleren Preises eines Computertomographen der höheren Klasse erlaubt es, im Zeitpunkt der Kreditfreigabe den technischen Stand der Geräte und die Bedürfnisse des Kantonsspitals zeitgerecht zu berücksichtigen. Nach dem Gesagten ist der sachliche Spielraum derart stark eingeschränkt, dass in bezug auf die Ausgabe keine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit besteht. Auch bezüglich der Standortfrage sind die Möglichkeiten begrenzt: Obwohl verschiedene Varianten studiert wurden, eignet sich aufgrund der vielfältigen Anforderungen an den Standort des Computertomographen nur ein einziger Raum. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
beb72d89-bc18-4af8-81bd-83e0ca47395e | Urteilskopf
94 I 52
9. Urteil vom 24. Januar 1968 i.S. Benninger und Isler gegen Regierungsrat des Kantons Zürich. | Regeste
Natur- und Heimatschutz.
1. Erfordernis der gesetzlichen Grundlage.
a) Wann stellt das Verbot anderer als landwirtschaftlicher Bauten einen besonders schweren Eingriff in das Eigentum dar und prüft deshalb das Bundesgericht frei, ob die gesetzliche Grundlage genüge? (Erw. 2 a).
b) Begriff der (schutzwürdigen) Landschaft im Sinne von § 182 Abs. 1 zürch. EG zum ZGB (Erw. 2 b).
2. Erfordernis des öffentlichen Interesses.
Erhaltung der noch unberührten Umgebung eines Naturschutzreservates im Kanton Zürich als im öffentlichen Interesse liegend. Abwägung dieses öffentlichen Interesses mit den entgegenstehenden privaten Interessen der betroffenen Grundeigentümer (Erw. 3).
3. Tragweite und Bedeutung des Verbots anderer Bauten als solcher, die für die Ausübung der "herkömmlichen" Land- und Waldwirtschaft notwendig sind (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 94 I 52 S. 53
A.-
Das Zürcher EG/ZGB bestimmt in § 182 Abs. 1:
Der Regierungsrat ist berechtigt, auf dem Verordnungsweg zum Schutz und zur Erhaltung von Altertümern, Naturdenkmälern und seltenen Pflanzen, zur Sicherung der Landschaften, Ortschaftsbilder und Aussichtspunkte vor Verunstaltung und zum Schutze von Heilquellen die nötigen Verfügungen zu treffen und Strafbestimmungen aufzustellen.
Gestützt auf diese Bestimmung erliess der Regierungsrat des Kantons Zürich am 16. März 1967 eine "Verordnung zum Schutze des Eigentales", welche dieses im Gebiet der Gemeinden Bassersdorf, Kloten, Nürensdorf und Oberembrach gelegene Tal als geschütztes Gebiet erklärt. Das Eigental ist ein nicht ganz 3 km langes Tal, durch dessen meist schmale Sohle eine Strasse II. Klasse führt. Im obern Talende befindet sich ein Weiher, der durch Aufstau entstanden ist. Von den beiden ziemlich steilen Talhängen ist der westliche gänzlich bewaldet. Der östliche Hang weist in der Mitte des Tales eine grössere Lichtung mit dem Weiler Eigental auf; am obern Talende befindet sich eine weitere Lichtung mit einer etwa 50 m über der Talsohle gelegenen Geländeterrasse, auf welcher der aus drei Gehöften bestehende Weiler Obholz liegt.
Das Schutzgebiet umfasst die Talsohle und die beiden Hänge mit Einschluss der Weiler Eigental und Obholz. Es wird durch die Verordnung in drei Zonen eingeteilt. In die Zone I (Naturschutzgebiet) fällt (neben zwei kleineren Grundstücken im obern Teil des Westhanges) der Weiher in der Talsohle mit seiner unmittelbaren Umgebung; hier sind alle Vorkehren verboten, welche Pflanzen oder Tiere schädigen, gefährden oder stören oder die Beschaffenheit des Bodens verändern könnten. Zur Zone III gehört aller Wald. Das übrige, nicht bewaldete Schutzgebiet ist der Zone II (Landschaftsschutzgebiet) zugewiesen. Für diese Zone bestimmt die Verordnung in § 7 Abs. 2:
BGE 94 I 52 S. 54
"Bauten sind nur zulässig, soweit sie für die Ausübung der herkömmlichen Land- und Waldwirtschaft notwendig sind und sich zudem gut in das Landschaftsbild einfügen."
Ferner ist nach § 8 eine Bewilligung der Direktion der öffentlichen Bauten erforderlich "für alle Vorkehren und Einrichtungen, die im Landschaftsbild in Erscheinung treten", und diese Bewilligung darf nur erteilt werden, wenn "die beabsichtigten Vorkehren weder das Landschaftsbild beeinträchtigen noch in anderer Weise den Wert des Schutzgebietes vermindern". Nicht bewilligungspflichtig sind nach § 9 "die für die herkömmliche Bestellung von Wald, Feld und Garten nötigen Vorkehren".
B.-
Mit Eingabe vom 6. Mai 1967 haben die drei Grundeigentümer des Weilers Obholz staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie und des
Art. 4 BV
erhoben. Sie beantragen, die Verordnung sei insoweit aufzuheben, als darin ihre Grundstücke, eventuell die über der Höhenkurve 550 liegenden, der Zone II zugeteilt wurden; ferner beantragen sie für den Fall, dass die Zone II ganz oder teilweise belassen werden sollte, Streichung des Ausdrucks "herkömmlich" in § 7 Abs. 2 und § 9 der Verordnung. Sie anerkennen die Schutzwürdigkeit der Zone I (Naturschutzgebiet), bestreiten aber die Verfassungsmässigkeit der Vorschriften über das Landschaftsschutzgebiet, indem sie geltend machen, es fehle an einer gesetzlichen Grundlage und an einem hinreichenden öffentlichen Interesse für eine so schwere Beschränkung des Eigentums. Das Landschaftsschutzgebiet stehe weder in einem Zusammenhang mit dem Naturschutzgebiet noch sei es für sich allein schutzwürdig, da das Eigental und insbesondere das Gebiet von Obholz keinen höheren Schönheitswert als die nähere und weitere Umgebung aufwiesen und wegen der schlechten Wege und der Entfernung von grossen Städten auch nicht als Erholungsraum für einen grösseren Kreis von Personen zu dienen vermöchten. Eventuell sei das über 550 m gelegene Gebiet um den Weiler Obholz von der Schutzzone auszunehmen, weil von dort keine Sichtverbindung mit dem Naturschutzgebiet in der Talsohle bestehe. Einen besonders schweren und unzulässigen Eingriff in das Eigentum stelle das erstmals in einer Naturschutzverordnung enthaltene Verbot anderer als der für die "herkömmliche" Land- und Waldwirtschaft nötigen Bauten dar, da die Landwirtschaft
BGE 94 I 52 S. 55
ohnehin mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen habe und für ihre Existenz eine intensivere und hauptsächlich spezialisiertere Bewirtschaftung des Bodens als bisher von ausschlaggebender Bedeutung sein werde.
C.-
Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt die Abweisung der Beschwerde. Der Schutz des Eigentals dränge sich auf, da es sich um eine am Rande der Siedlungsgebiete der Städte Zürich und Winterthur verbliebene, noch unberührte Geländekammer von unverkennbarem Reiz handle, die als Erholungslandschaft zu erhalten sei. Das Naturschutzreservat in der Talsohle, dessen Berechtigung auch von den Beschwerdeführern anerkannt werde, benötige einen Schutz der angrenzenden Talhänge; seine Schönheit und wissenschaftliche Bedeutung seien nur zu erhalten, wenn die Überbauung und auch eine besonders intensive landwirtschaftliche Bodennutzung in einer genügenden Entfernung Halt machten.
D. - In Replik und Duplik halten die Parteien an ihren Anträgen und deren Begründung fest.
E.-
Eine Instruktionskommission des Bundesgerichts hat am 16. Oktober 1967 mit den Parteien einen Augenschein durchgeführt. Für dessen Ergebnis wird auf die nachstehenden Erwägungen verwiesen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Einbeziehung der Grundstücke der Beschwerdeführer in eine Schutzzone, für welche die in den §§ 7-11 der Verordnung enthaltenen Vorschriften gelten, stellt eine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung dar. Eine solche ist mit der Eigentumsgarantie nur dann und soweit vereinbar, als sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und, sofern sie in der Wirkung einer Enteignung gleichkommt, gegen Entschädigung erfolgt (
BGE 91 I 332
mit Hinweisen auf frühere Urteile).
Die Entschädigungsfrage wird mit der vorliegenden Beschwerde mit Recht nicht aufgeworfen, da vom Gemeinwesen bestrittene Entschädigungsansprüche wegen materieller Enteignung gemäss § 183ter zürch. EG/ZGB in dem in den §§ 32 ff. des Abtretungsgesetzes vorgesehenen Verfahren zu beurteilen sind und die Eigentumsgarantie nicht verletzt ist, solange dieser Rechtsweg offen steht (
BGE 93 I 250
Erw. 2 mit Verweisungen).
2.
Nach Auffassung der Beschwerdeführer ermangeln die
BGE 94 I 52 S. 56
für die Zone II aufgestellten Eigentumsbeschränkungen der gesetzlichen Grundlage, weil nach § 182 EG/ZGB nur Landschaften von bedeutendem Schönheitswert unter Schutz gestellt werden dürfen und diese Voraussetzung für den Weiler Obholz und seine nähere Umgebung nicht erfüllt sei.
a) Die Frage, ob die von der kantonalen Behörde angerufene gesetzliche Grundlage genüge, kann das Bundesgericht dann, wenn der Eingriff besonders schwer ist, frei, andernfalls nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür prüfen (
BGE 91 I 332
Erw. 1,
BGE 93 I 341
Erw. 5). Auf den der Zone II zugewiesenen Grundstücken der Beschwerdeführer ist nach §§ 8 und 9 für alle Vorkehren und Einrichtungen., die im Landschaftsbild in Erscheinung treten und nicht für die herkömmliche Bestellung von Wald, Feld und Garten nötig sind, eine Bewilligung der kantonalen Baudirektion erforderlich. Neben dieser Beschränkung, deren Tragweite sich erst bei der Behandlung von Bewilligungsgesuchen genau abschätzen lässt, bestimmt § 7 Abs. 2, dass auf diesen Grundstücken Bauten nur zulässig sind, soweit sie "für die Ausübung der herkömmlichen Land- und Waldwirtschaft notwendig sind". Ein so weitgehendes und auf unbegrenzte Zeit erlassenes Bauverbot würde nur dann keinen besonders schweren Eingriff in das Eigentum darstellen, wenn in diesem Gebiet die Erstellung anderer als der verbotenen Bauten in absehbarer Zeit ohnehin nicht in Frage käme. Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar dürfte sich der Bau von Ferien- und andern Wohnhäusern zur Zeit schon auf Grund der für die Beseitigung der Abwasser geltenden Vorschriften verhindern lassen. Immerhin ist, wie der Augenschein gezeigt hat, im heutigen Schutzgebiet unweit des Weilers Obholz vor offenbar nicht langer Zeit ein Ferienhäuschen erstellt worden. Sodann erstreckt sich das Baugebiet der benachbarten, zur Gemeinde Nürensdorfgehörenden Ortschaft Birchwil bis auf eine Entfernung von nur etwa 300 m gegen den Weiler Obholz. Es erscheint nicht als ausgeschlossen, dass das Gebiet von Obholz oder ein Teil davon in einem späteren Zeitpunkt an das für Birchwil geplante Kanalisationsnetz angeschlossen werden kann. Unter diesen Umständen liegt in dem in Frage stehenden Bauverbot ein besonders schwerer Eingriff, zumal den Beschwerdeführern damit auch verwehrt wird, in der Nähe ihrer Gehöfte Wohnungen zu erstellen für nahe Angehörige, die nicht mehr in der dortigen Landwirtschaft tätig sind,
BGE 94 I 52 S. 57
sondern auswärts ihrem Verdienst nachgehen. Es ist somit frei zu prüfen, ob sich die Verordnung auf § 182 Abs. 1 EG/ZGB stützen lässt.
b) Nach dieser Bestimmung ist der Regierungsrat u.a. berechtigt, zur Sicherung von Landschaften, Ortschaftsbildern und Aussichtspunkten vor Verunstaltung auf dem Verordnungswege die nötigen Verfügungen zu treffen. Von dieser Ermächtigung hat der Regierungsrat zunächst in allgemeiner Weise Gebrauch gemacht durch Erlass der Natur- und Heimatschutzverordnung vom 9. Mai 1912, nach deren §§ 1-4 die "in der freien Natur befindlichen Gegenstände, denen für sich allein oder in ihrem Zusammenhang ein wissenschaftliches Interesse oder ein bedeutender Schönheitswert zukommt", einen dort näher umschriebenen Schutz geniessen. Neben dieser allgemeinen Verordnung hat der Regierungsrat im Laufe der Zeit eine Reihe besonderer Verordnungen zum Schutze bestimmter Gebiete wie des Greifensees, des Türlersees, des Pfäffikersees, des Neeracherriedes, der Katzenseen usw. erlassen. Diese Schutzverordnungen, von denen mehrere beim Bundesgericht angefochten worden sind (vgl.
BGE 81 I 340
; ZBl 51/1950 S. 308, 58/1957 S. 460, 60/1959 S. 100), stützten sich nicht auf die Natur- und Heimatschutzverordnung, sondern - wie diese selber - unmittelbar auf § 182 EG/ZGB. Es ist daher sowohl denkbar, dass sie den Schutz an weniger strenge Voraussetzungen knüpfen als diese allgemeine Verordnung, wie auch, dass sie auf der Annahme beruhen, es handle sich bei jenen Landschaften um solche von "bedeutendem Schönheitswert".
Das Bundesgericht hat in dem den Schutz des Neeracherriedes betreffenden Urteil vom 12. Juni 1957 (ZBl 58/1957 S. 463) "aus Sinn und Zweck des Rechtssatzes" geschlossen, dass unter Landschaft im Sinne des § 182 EG/ZGB nicht jede beliebige Gegend zu verstehen sei; diese Bestimmung sei vorwiegend programmatischer Natur und überlasse die Umschreibung des Inhalts des Heimatschutzes der vom Regierungsrat zu erlassenden Verordnung (
BGE 41 I 486
), weshalb auch unmittelbar auf § 182 nur Massnahmen zum Schutze von Landschaften mit bedeutendem Schönheitswert gegründet werden könnten. Von dieser Auffassung ist das Bundesgericht jedoch in
BGE 93 I 263
Erw. 3 b abgegangen. Dort wurde ausgeführt, wenn § 182 von der "Sicherung der Landschaften" spreche, so sei nicht einzusehen, weshalb als Schutzobjekt nur
BGE 94 I 52 S. 58
Landschaften mit bedeutendem Schönheitswert in Betracht kämen und es dem Regierungsrat verwehrt wäre, auch andere Landschaften vor Verunstaltung zu bewahren. Hieran ist festzuhalten. Die in § 182 EG/ZGB enthaltene Delegation erschöpft sich nicht in der Ermächtigung, zum Schutz einzelner, ausnahmsweise und besonders schöner Landschaften Vorschriften zu erlassen; vielmehr hat sie den Schutz der Landschaft überhaupt zum Inhalt (vgl. auch
BGE 90 I 341
/2). Sie erlaubt esdaher, zum Schutzjedes natürlichen Landschaftsbildesvor gewissen schweren Beeinträchtigungen, z.B. durch die Anlage von Kiesgruben, einschränkende Vorschriften aufzustellen (
BGE 93 I 264
). Ferner gestattet sie auch den Erlass von Vorschriften, die ein durch bestimmte Vorzüge ausgezeichnetes, eine Einheit bildendes Gebiet in seiner natürlichen Beschaffenheit und Schönheit erhalten sollen, sei es als Erholungsraum für den Menschen in einem Kanton mit immer stärker zunehmender Verstädterung, sei es als Freistätte für seltener werdende Tiere und Pflanzen. Diese weite Auslegung des Begriffs der "Landschaft" in § 182 EG/ZGB hat nicht etwa zur Folge, dass jede beliebige Gegend geschützt werden dürfte und jede denkbare Schutzmassnahme zulässig wäre. Einmal sind nach § 182 Abs. 1 nur Massnahmen zulässig, die dazu bestimmt sind, eine Verunstaltung, d.h. eine schwere Beeinträchtigung der Landschaft zu verhindern, nicht auch solche zu andern Zwecken, z.B. zur Sicherung der für öffentliche Bauten nötigen Flächen. Sodann folgt unmittelbar aus der bundesrechtlichen Eigentumsgarantie, dass ein hinreichendes öffentliches Interesse vorliegen muss sowohl für den Schutz der in Frage stehenden Landschaft als auch für die zu diesem Zwecke getroffenen Massnahmen.
c) Geht man hievon aus, so gehen die §§ 7-11 der Verordnung zum Schutze des Eigentals nicht über die in § 182 EG/ZGB umschriebene Ermächtigung hinaus, denn sie dienen der Erhaltung einer bisher unberührten Landschaft von begrenztem Umfange (das ganze Schutzgebiet umfasst nur 185 ha). Auch sind die hiefür getroffenen Massnahmen aus diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere für die in § 8 vorgesehene Bewilligungspflicht für alle im Landschaftsbild in Erscheinung tretenden Vorkehren und Einrichtungen. Dass auch das Verbot anderer Bauten als solcher, die für die Ausübung der Land- und Waldwirtschaft dienen und sich zudem gut in das Landschaftsbild einfügen, eine nach § 182 EG/ZGB
BGE 94 I 52 S. 59
zulässige Massnahme des Landschaftsschutzes ist, hat das Bundesgericht schon wiederholt erkannt (ZBl 51/1950 S. 315/6, 58/1957 S. 464/5, 60/1959 S. 105). Nicht anders verhält es sich mit der hier angeordneten Beschränkung auf die "herkömmliche" Bewirtschaftung. Alle diese Mittel sind geeignet, das gesetzte Ziel der Bewahrung der Landschaft im heutigen Zustand zu sichern.
3.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts vermag nicht jedes beliebige öffentliche Interesse einen Eingriff in das Privateigentum zu rechtfertigen. Es muss sich um ein erhebliches öffentliches Interesse handeln, das bei der Abwägung mit dem ihm gegenüberstehenden privaten Interesse überwiegt, und es darf der Eingriff in das Privateigentum nicht weiter gehen, als es dieses öffentliche Interesse erheischt (
BGE 91 I 335
Erw. 2,
BGE 93 I 250
Erw. 3). Beim Entscheid darüber, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hat sich das Bundesgericht von jeher Zurückhaltung auferlegt, da den kantonalen Behörden bei der Würdigung der für die Interessenabwägung massgebenden tatsächlichen Verhältnisse ein erheblicher Ermessensspielraum einzuräumen ist (vgl. in bezug auf den Landschaftsschutz
BGE 87 I 517
, in bezug auf öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen im allgemeinen
BGE 91 I 335
Erw. 2,
BGE 92 I 283
Erw. 3,
BGE 93 I 251
).
a) Das Schutzgebiet Eigental weist, wie der Augenschein gezeigt hat, keinen "bedeutenden Schönheitswert" im Sinne einer besondern landschaftlichen Attraktion auf. Doch handelt es sich unbestreitbar um eine harmonische und ansprechende Landschaft, deren besonderer Reiz in ihrer Unberührtheit liegt und jeden aufgeschlossenen Betrachter erfreut. Zur Zeit scheint das Eigental zwar noch nicht allgemein bekannt zu sein und noch von verhältnismässig wenig Wanderern aufgesucht zu werden. Die Behörden dürfen indes auch die sich schon heute abzeichnende zukünftige Entwicklung in Betracht ziehen, die im Kanton Zürich in der Richtung einer starken Zunahme der Bevölkerung und damit der Überbauung und Verstädterung geht. Schon im Hinblick hierauf und auf die geringe Entfernung des Eigentals von den grossen Städten Zürich und Winterthur darf ein beachtliches Interesse daran angenommen werden, dass dieses Tal in seiner Unberührtheit erhalten und nicht mit Ferien- und andern Wohnhäusern überbaut wird (vgl.
BGE 91 I 336
).
BGE 94 I 52 S. 60
Dazu kommt, dass sich in der Talsohle ein Naturschutzreservat befindet, das aus einem nicht sehr grossen Weiher sowie aus Sumpf- und Riedland besteht, nach Mitteilung von Fachleuten eine reiche und interessante Fauna und Flora aufweist und zum grossen Teil Eigentum des Zürcher Kantonalverbandes für Vogelschutz ist, der für den Erwerb des Landes bereits mehr als Fr. 180'000.-- aufgewendet hat. Der Weiher beherbergt zahlreiche Wasservögel und dient auch Zugvögeln als Aufenthaltsort. An der Erhaltung dieses Reservates besteht, wie die Beschwerdeführer mit Recht nicht bestreiten, neben dem allgemeinen naturschützlerischen auch ein wissenschaftliches Interesse. Zum Gedeihen eines solchen Reservates aber bedarf dieses auch des Schutzes vor Störungen seiner Ruhe durch zu nahe Siedelungen. Diesen Schutz gewährleistet gegen Westen der Wald und gegen Osten die für den unbewaldeten Teil vorgesehene Landschaftsschutzzone, welche die ganze Talflanke und die Talschulter mit dem Weiler Obholz umfasst und offenbar vor allem verhindern soll, dass in diesem Gebiet Wochenend- und Ferienhäuschen und andere Bauten entstehen.
b) Diesen öffentlichen Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes an der Erhaltung des Eigentals im bisherigen Zustand ist das private Interesse der Beschwerdeführer daran gegenüberzustellen, dass ihre Grundstücke nicht mit dem von der Verordnung vorgesehenen weitgehenden Bauverbot belegt werden.
aa) Soweit es sich um Land unterhalb des Weilers Obholz am verhältnismässig steilen Talhang handelt, erscheint das Interesse der Beschwerdeführer nicht als sehr gewichtig, da die Überbauung dieses Gebiets mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre. Insbesondere liesse sich das Gebiet jetzt und auch in absehbarer Zeit kaum an ein Kanalisationsnetz anschliessen, und auf andere Weise ist die Abwasserfrage erfahrungsgemäss nur für vereinzelte Bauten zu lösen. Mit dem Verbot wird also den Eigentümern ein Gebrauch des Landes untersagt, den sie auch sonst, zum mindesten in erheblichem Umfange, nicht ausüben können. Unter diesen Umständen kann aber ohne weiteres angenommen werden, bei dem unmittelbar an das Naturschutzreservat angrenzenden Land am Talhang wiege das öffentliche Interesse schwerer als das ihm entgegenstehende private.
bb) Anders liegen die Verhältnisse auf der Höhe des Weilers
BGE 94 I 52 S. 61
Obholz. Die bauliche Erschliessung dieser Geländeterrasse in absehbarer Zeit erscheint nicht als ausgeschlossen, da das Land im Süden an das Lorenhölzli und das daneben bzw. dahinter liegende Baugebiet von Birchwil grenzt, das in voller Überbauung begriffen ist und wo eine Kanalisation entweder schon vorhanden ist oder bald erstellt werden wird. Ob und wann in dieses zu einer Nachbargemeinde gehörende Kanalisationsnetz später allfällige Abwässer aus Häusern im Gebiet von Obholz aufgenommen werden, ist freilich noch ungewiss. Abgesehen von einer umfangreichen Überbauung der Geländeterrasse von Obholz ist indes auch an die Möglichkeit zu denken, dass sich beim einen oder andern Grundeigentümer das Bedürfnis einstellt, dort für auswärts arbeitende Angehörige ein Wohnhaus zu erstellen, wobei sich die Abwasserfrage für eine solche Einzelbaute unter Umständen auch ohne Kanalisationsanschluss lösen lässt. Die privaten Interessen, die durch das Bauverbot betroffen werden, erscheinen demnach auf der Höhe des Weilers Obholz erheblich grösser als am Talhang, wogegen das öffentliche Schutzinteresse hier offensichtlich wesentlich geringer ist. Nicht nur fehlt teilweise die Sichtverbindung mit dem Tal, sondern es ist auch die Entfernung von diesem gross genug, dass eine Störung der Ruhe des Reservates nicht mehr zu befürchten ist. Die Höhe von Obholz ist vor allem von der Strasse Gerlisberg-Nürensdorf, d.h. von der Höhe auf der andern Talseite aus einzusehen. Der Blick von dort auf die ursprüngliche Häusergruppe ausschliesslich landwirtschaftlichen Charakters ist zwar erfreulich, doch wird die in Gang befindliche Überbauung des unmittelbar angrenzenden Gebiets von Birchwil das Bild völlig verändern und Obholz nicht mehr als einsamen Weiler, sondern eher als einen Teil oder eine Fortsetzung der halbstädtischen Ortschaft Birchwil erscheinen lassen.
Unter diesen Umständen ist jedenfalls für einen Teil der Geländeterrasse von Obholz ein eigentliches Missverhältnis zwischen den gegeneinander abzuwägenden öffentlichen und privaten Interessen anzunehmen. Das Ziel des Schutzes des Eigentals wird auch erreicht, wenn die Grenze des Schutzgebietes an das von Birchwil nach Obholz führende Strässchen hinab verlegt wird, da die südöstlich dieses Strässchens errichteten Bauten vom Tal aus nicht sichtbar sein werden und von der gegenüberliegenden Talseite, wie bereits ausgeführt, als
BGE 94 I 52 S. 62
Teil oder Fortsetzung des angrenzenden Baugebiets von Birchwil erscheinen werden. Dagegen besteht für das Land nördlich von Obholz sowie südlich vom Strässchen bis zu der von den Beschwerdeführern eventuell als Grenze beantragten Kote 550 m über Meer kein Anlass, den Schutz fallen zu lassen, da Bauten in diesem Gebiet vom Tal aus eingesehen werden könnten und auch sonst geeignet wären, das ursprüngliche Bild des Eigentals erheblich zu beeinträchtigen.
4.
Für den Fall, dass ihr Land ganz oder teilweise in der Zone II belassen werden sollte, beantragen die Beschwerdeführer die Streichung des Ausdrucks "herkömmlich" in § 7 Abs. 2 und § 9 der Verordnung, d.h. die Aufhebung der Beschränkung auch der landwirtschaftlichen Bauten und Vorkehren auf solche für die "herkömmliche" Bewirtschaftung. Nach den Erklärungen, welche die Vertreter des Regierungsrates am Augenschein abgegeben haben und bei denen dieser zu behaften ist, wollen diese Bestimmungen nicht eine Änderung der Kulturen oder eine rationellere Bewirtschaftung des Landes ausschliessen, sondern nur eine eigentliche Industrialisierung, z.B. den Betrieb einer Grossgärtnerei oder einer Grossmästerei, verhindern. Angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit, dass gerade die Eigentümer der Höhe von Obholz in absehbarer Zeit zu solchen Betriebsformen übergehen wollen, kann nicht gesagt werden, das öffentliche Interesse sei nicht gewichtig genug, sie im Hinblick auf die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes, die sie zur Folge hätten, zu verbieten. Sollten die zuständigen Behörden von den fraglichen Bestimmungen einen übermässigen Gebrauch machen, so stünde den Betroffenen hiegegen immer noch die Beschwerde an das Bundesgericht offen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden teilweise gutgeheissen und die Verordnung zum Schutz des Eigentals vom 16. März 1967 wird mit Bezug auf die südöstlich des Strässchens Birchwil-Obholz liegenden Parzellen als nicht anwendbar erklärt. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
beb84a11-57b2-425c-89ca-946ed266faff | Urteilskopf
137 IV 145
20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
1B_417/2010 vom 1. April 2011 | Regeste
Art. 79 i.V.m.
Art. 81 Abs. 1 und 2 BGG
; Art. 169 f. und
Art. 191 Abs. 1 DBG
;
Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR
;
Art. 333 Abs. 1 StGB
; Zulässigkeit von Einziehungsbeschlagnahmen im Rahmen von besonderen Fiskaluntersuchungen wegen des Verdachts von schweren Steuerwiderhandlungen.
Anwendbarkeit des VStrR nach Inkrafttreten der Eidg. StPO; Übergangsrecht (E. 1.1). Beschwerdelegitimation der Eidg. Steuerverwaltung (E. 1.2). Massgebliches Fiskalstrafrecht; anwendbare Verfahrensvorschriften (E. 5). Dass die Fiskalbehörden im Rahmen eines allfälligen Hinterziehungs- bzw. Nachsteuerverfahrens auf verwaltungsrechtliche Instrumente der Steuersicherung zurückgreifen können, schliesst die vorsorgliche Anordnung von strafprozessualen Einziehungsbeschlagnahmen durch die Eidg. Steuerverwaltung im Verfahren der besonderen Fiskaluntersuchung nicht aus. Ebenso wenig ergibt sich in diesen Fällen aus
Art. 333 Abs. 1 StGB
ein Beschlagnahmehindernis (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 146
BGE 137 IV 145 S. 146
A.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV) führt gegen X. und dessen Ehefrau eine fiskalstrafrechtliche besondere Untersuchung wegen des Verdachts von schweren Steuerwiderhandlungen. Am 17. bzw. 18. August 2010 erliess die EStV bei verschiedenen Banken Beschlagnahmeverfügungen (Konten- und Depotsperren), in denen diese aufgefordert wurden, Vermögenswerte, welche dem Beschuldigten gehören oder an denen er wirtschaftlich berechtigt ist, zu blockieren. Eine vom Beschuldigten dagegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesstrafgericht, I. Beschwerdekammer, mit Entscheid
BGE 137 IV 145 S. 147
vom 1. Dezember 2010 gut, indem es die Beschlagnahmeverfügungen aufhob.
B.
Dagegen gelangte die EStV mit Beschwerde vom 21. Dezember 2010 an das Bundesgericht. Sie beantragt im Hauptstandpunkt die Aufhebung des Entscheides des Bundesstrafgerichtes vom 1. Dezember 2010.
X. beantragt mit Beschwerdeantwort vom 14. Januar 2011 die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesstrafgericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Auch nach Inkrafttreten der StPO (SR 312.0) und des StBOG (SR 173.71) am 1. Januar 2011 ist das VStrR (SR 313.0) auf Fälle der Bundesgerichtsbarkeit in Verwaltungsstrafsachen weiterhin anwendbar. Zwar wurde das VStrR per 1. Januar 2011 durch die StPO (Anhang 1 Ziff. II/11) und das StBOG (Anhang Ziff. II/9) teilweise geändert. Die fraglichen neuen VStrR-Bestimmungen sind auf den vorliegenden (altrechtlichen) Fall jedoch noch nicht anwendbar, zumal der streitige erstinstanzliche Entscheid vor dem 1. Januar 2011 gefällt wurde (vgl.
Art. 453 Abs. 1 und
Art. 454 Abs. 1 StPO
; Urteile des Bundesgerichtes 1B_411/2010 vom 7. Februar 2011 E. 1.3; 1B_224/2010 vom 11. Januar 2011 E. 2).
1.2
Die EStV ist (gemäss Art. 79 i.V.m. Art. 81 Abs. 1-2, insb. Abs. 1 lit. b Ziff. 7 BGG) beschwerdelegitimiert (vgl.
BGE 130 IV 156
E. 1.1 S. 158; AEMISEGGER/FORSTER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 10 Fn. 42 zu
Art. 79 BGG
; s. auch
BGE 130 I 234
E. 3.1 S. 237;
BGE 130 IV 154
E. 1.2 S. 155 f., sowie Art. 28 Abs. 1 lit. d i.V.m.
Art. 30 SGG
und
Art. 26 Abs. 1 VStrR
).
1.3
Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen von
Art. 79 ff. BGG
sind erfüllt und geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass.
(...)
5.
5.1
Der Bund erhebt gemäss dem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) namentlich eine Einkommenssteuer von den natürlichen Personen (
Art. 1 lit. a DBG
). Die Steuerpflichtigen müssen die Steuererklärung für die Erhebung der
BGE 137 IV 145 S. 148
direkten Bundessteuer wahrheitsgemäss und vollständig ausfüllen (
Art. 124 Abs. 2 DBG
). Die Veranlagungsbehörde prüft die Steuererklärung und nimmt die erforderlichen Untersuchungen vor (
Art. 130 Abs. 1 DBG
). Ergibt sich aufgrund von Tatsachen oder Beweismitteln, die der Steuerbehörde nicht bekannt waren, dass eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist, oder ist eine unvollständige Veranlagung auf ein Verbrechen oder Vergehen gegen die Steuerbehörde zurückzuführen, so wird die nicht erhobene Steuer samt Zins als Nachsteuer eingefordert (
Art. 151 Abs. 1 DBG
). Die Eröffnung der Strafverfolgung wegen Steuerhinterziehung (
Art. 175-180 DBG
) oder Steuervergehens (
Art. 186-189 DBG
) gilt zugleich als Einleitung des Nachsteuerverfahrens (
Art. 152 Abs. 2 DBG
).
5.2
Im Sechsten Teil ("Steuerstrafrecht") unterscheidet das DBG folgende Arten von Steuerdelikten:
5.2.1
Im
Ersten Titel
werden die
Fiskalübertretungen
behandelt (nämlich die Verletzung von Verfahrenspflichten und die Steuerhinterziehung). Die Verletzung von fiskalischen Verfahrenspflichten (etwa betreffend Einreichung der Steuererklärung) wird im 1. Kapitel mit Busse bedroht (
Art. 174 DBG
). Das 2. Kapitel (
Art. 175-180 DBG
) regelt die Steuerhinterziehung. Vollendete Steuerhinterziehung liegt namentlich vor, wenn der Steuerpflichtige vorsätzlich oder fahrlässig bewirkt, dass eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ausfällt. Die Steuerhinterziehung stellt ebenfalls eine Übertretung dar und wird mit Busse bestraft (
Art. 175 DBG
).
5.2.2
Im
Zweiten Titel
(
Art. 186-189 DBG
) werden die
Steuervergehen
unter Kriminalstrafe gestellt. Steuerbetrug nach
Art. 186 DBG
begeht, wer zum Zwecke einer Steuerhinterziehung gefälschte, verfälschte oder inhaltlich unwahre Urkunden wie Geschäftsbücher, Bilanzen, Erfolgsrechnungen oder Lohnausweise und andere Bescheinigungen Dritter zur Täuschung gebraucht. Die Strafdrohung beträgt "Gefängnis" (bzw. Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren) oder Busse bis zu Fr. 30'000.-. Ebenfalls als Vergehen (
Art. 10 Abs. 3 StGB
, s. auch aArt. 9 Abs. 2 StGB) mit "Gefängnis" als Höchststrafe bedroht, ist die Veruntreuung von Quellensteuern (
Art. 187 DBG
). Vermutet die kantonale Fiskalbehörde ein Fiskalvergehen im Sinne des DBG, so erstattet sie der für die Verfolgung des kantonalen Steuervergehens zuständigen Behörde Strafanzeige; diese Behörde verfolgt dann ebenfalls das Vergehen nach DBG (
Art. 188 Abs. 1 DBG
). Das betreffende Verfahren bei Fiskalvergehen richtet sich nach den Vorschriften der Eidg. StPO (
Art. 188 Abs. 2 DBG
). Wird
BGE 137 IV 145 S. 149
der Täter für das kantonale Steuervergehen vom Strafrichter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, so erfolgt für das Vergehen nach DBG eine Zusatzstrafe (
Art. 188 Abs. 3 DBG
); auch die EStV kann die Strafverfolgung wegen Steuervergehen durch die zuständigen Strafjustizbehörden verlangen (
Art. 188 Abs. 4 DBG
).
5.2.3
Schliesslich unterscheidet das DBG im
Dritten Titel
noch zwischen schweren und minder schweren Steuerwiderhandlungen. Bei begründetem Verdacht von schweren Steuerwiderhandlungen sind besondere Untersuchungsmassnahmen durch die EStV zulässig. Als schwere Steuerwiderhandlungen kommen (gemäss
Art. 190 Abs. 2 DBG
) sowohl Fiskalübertretungen als auch Fiskalvergehen in Frage, nämlich (in nicht abschliessender Aufzählung) sowohl die fortgesetzte Hinterziehung grosser Steuerbeträge (
Art. 175 und 176 DBG
), als auch die Steuervergehen (
Art. 186 und 187 DBG
). Die gesetzliche Unterscheidung zwischen schweren und minder schweren Steuerwiderhandlungen ist verfahrensrechtlicher Natur: Bei Verdacht eines schweren Falles kann die EStV in Zusammenarbeit mit den kantonalen Steuerverwaltungen eine besondere Untersuchung durchführen (
Art. 190 Abs. 1 DBG
). Hingegen sieht das DBG auch für die "schwere" Steuerhinterziehung (nämlich für die fortgesetzte Hinterziehung grosser Steuerbeträge) keine qualifizierte Strafe vor, insbesondere keine Vergehensstrafe (StGB-Geldstrafe bzw. Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren). Für die (quantitativ) schwere Steuerhinterziehung gelten vielmehr die Bussendrohungen von
Art. 175-178 DBG
. Auch die (quantitativ) schwere Steuerhinterziehung (im Sinne von
Art. 190 Abs. 2 DBG
) stellt somit eine Fiskalübertretung dar, für die keine Kriminalstrafe angedroht ist. Ebenso wenig fällt sie in die Zuständigkeit der Strafjustizbehörden. Zuständig zur Verfolgung und Beurteilung der schweren Steuerhinterziehung sind ausschliesslich Verwaltungsbehörden, nämlich die EStV und die kantonalen Steuerverwaltungen (
Art. 190 Abs. 1,
Art. 193 und
Art. 194 Abs. 1 DBG
; vgl. Urteile des Bundesgerichtes 1S.8/2006 vom 12. Dezember 2006 E. 4.2.3; 1S.5/2005 vom 26. September 2005 E. 6.2.3).
5.3
Ist die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen einer Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen, so findet das VStrR Anwendung (
Art. 1 VStrR
).
Art. 191 Abs. 1 DBG
schreibt ausdrücklich vor, welche Zwangsmassnahmen die EStV gestützt auf das VStrR im Rahmen der Untersuchung von "schweren Steuerwiderhandlungen" anordnen darf: Im Verfahren gegen die mutmasslichen Täter und Teilnehmer können Massnahmen gemäss
Art. 19-50 VStrR
BGE 137 IV 145 S. 150
verfügt werden; die vorläufige Festnahme (nach
Art. 19 Abs. 3 VStrR
) ist ausgeschlossen.
Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR
erlaubt die strafprozessuale Beschlagnahme von Gegenständen und anderen Vermögenswerten, die voraussichtlich der
Einziehung
unterliegen. Die besondere Untersuchung von schweren Steuerwiderhandlungen liegt in den Händen der Verwaltungsbehörden. Die EStV führt die Untersuchung in Zusammenarbeit mit den kantonalen Steuerverwaltungen durch (
Art. 190 Abs. 2 DBG
). Die EStV erstellt nach Abschluss der Untersuchung einen Bericht (
Art. 193 DBG
). Kommt die EStV zum Ergebnis, dass eine (quantitativ) schwere Steuerhinterziehung (
Art. 175 und 176 DBG
) begangen wurde, so verlangt sie von der zuständigen kantonalen Verwaltung die Durchführung eines Hinterziehungsverfahrens (
Art. 194 Abs. 1 DBG
). Kommt sie zum Schluss, es liege ein Steuervergehen vor (
Art. 186 und 187 DBG
), so erstattet sie bei der zuständigen kantonalen Strafverfolgungsbehörde Anzeige (
Art. 194 Abs. 2 DBG
).
6.
6.1
Die im angefochtenen Entscheid vertretene Ansicht der Vorinstanz würde dazu führen, dass im Rahmen von besonderen Fiskaluntersuchungen wegen des Verdachts von schweren Steuerwiderhandlungen (insbesondere von fortgesetzten Hinterziehungen grosser Steuerbeträge) entgegen der bundesgerichtlichen Praxis keine sichernden Vermögensbeschlagnahmen bei mutmasslichen Tätern und Teilnehmern (sowie Dritten) mehr möglich wären.
6.2
Falls nach Abschluss der besonderen Fiskaluntersuchung gemäss
Art. 190 ff. DBG
ein Verdacht auf
Steuervergehen
(namentlich Steuerbetrug) resultiert, wird ein Fiskalstrafverfahren vor den kantonalen Strafverfolgungsbehörden eingeleitet. Bei Verdacht auf
Steuerhinterziehung
erfolgt ein Hinterziehungsverfahren (Strafsteuerverfahren) sowie ein separates Nachsteuerverfahren vor den Verwaltungsbehörden. Ob eine strafrechtliche Einziehung (oder allenfalls die Deckung einer Strafbusse, von Verfahrenskosten oder von Nachsteuern) in Frage kommt, hängt vom Ergebnis des hängigen Untersuchungsverfahrens wegen mutmasslichen schweren Steuerwiderhandlungen ab. Selbst wenn eine (abgeschlossene) besondere Fiskaluntersuchung der EStV "lediglich" Anhaltspunkte für eine (allenfalls qualifizierte) Steuerhinterziehung ergäbe, wären mit der zuvor verfügten Beschlagnahme als provisorische Sicherungsmassnahme grundsätzlich auch mögliche Nach- und Strafsteuern vorläufig (verwaltungsstrafprozessual) sichergestellt worden:
BGE 137 IV 145 S. 151
6.3
Art. 191 Abs. 1 Satz 1 DBG
bestimmt ausdrücklich, dass sich Untersuchungsmassnahmen (gegenüber den mutmasslichen Tätern oder Teilnehmern bei Verfahren wegen des Verdachts schwerer Steuerwiderhandlungen) nach den Vorschriften von
Art. 19-50 VStrR
richten. Dazu gehört insbesondere
Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR
betreffend die Einziehungsbeschlagnahme. Im Gegensatz zur vorläufigen Festnahme (
Art. 19 Abs. 3 VStrR
) wird diese Zwangsmassnahme von
Art. 191 Abs. 1 Satz 2 DBG
nicht ausgeschlossen. Anders wäre zu entscheiden, wenn im hängigen Untersuchungsverfahren bereits absehbar wäre, dass eine spätere strafrechtliche Einziehung (von mutmasslichem Steuersubstrat bzw. illegaler "Steuerersparnis") oder eine Sicherung von gesetzlichen Pfandrechten (
Art. 46 Abs. 2 VStrR
i.V.m.
Art. 169 und 170 DBG
) von vornherein ausgeschlossen wäre. Es liefe sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften zuwider, wenn die EStV zwar bereits schwerwiegende Verdachtsfälle fiskalstrafrechtlich zu untersuchen hätte, wirksame sichernde Zwangsmassnahmen aber - wenn überhaupt - frühestens im Rahmen eines allfällig sich anschliessenden Fiskalstrafverfahrens bzw. Hinterziehungs- und Nachsteuerverfahrens verfügt werden könnten. Da die betroffenen mutmasslichen Täter oder Teilnehmer gewarnt wären, würden (verspätete) Sicherungsmassnahmen bei schweren Verdachtsfällen regelmässig ins Leere laufen. Auch die verwaltungsrechtlichen Instrumente der Steuersicherung (gemäss Art. 169 f. DBG) würden nach der Konzeption des Gesetzgebers - während der besonderen Fiskaluntersuchung durch die EStV - nicht ohne Weiteres genügen, soweit sie (vor Eröffnung eines allfälligen Hinterziehungs- bzw. Nachsteuerverfahrens durch die zuständige Behörde) überhaupt schon anwendbar wären. Dementsprechend verweist
Art. 191 Abs. 1 DBG
für zulässige besondere Untersuchungsmassnahmen wegen des Verdachts schwerer Steuerwiderhandlungen ausdrücklich auf
Art. 19-50 VStrR
.
6.4
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ergibt sich auch aus
Art. 333 Abs. 1 StGB
keine Unzulässigkeit verwaltungsstrafprozessualer Vermögensbeschlagnahmen im Rahmen der besonderen Untersuchung von mutmasslichen schweren Steuerwiderhandlungen, insbesondere von fortgesetzten Hinterziehungen grosser Steuerbeträge (oder von Steuervergehen). Die spezialgesetzliche Grundlage für die provisorische Sicherungsmassnahme findet sich in
Art. 46 Abs. 1 und 2 VStrR
i.V.m.
Art. 191 Abs. 1 DBG
. Bei der Prüfung der Rechtmässigkeit von Einziehungsbeschlagnahmen im besonderen
BGE 137 IV 145 S. 152
Untersuchungsverfahren ist im Einzelfall namentlich abzuklären, ob eine fiskalstrafrechtliche Einziehung grundsätzlich möglich erscheint oder nicht (vgl.
BGE 135 I 257
E. 1.5 S. 260 mit Hinweisen;
BGE 129 I 103
E. 2.1 S. 105 f.;
BGE 120 IV 365
E. 1c S. 366 f.; Urteile 1S.8/2006 vom 12. Dezember 2006 E. 4-6; 1S.9/2005 vom 6. Oktober 2005 E. 7; 1S.5/2005 vom 26. September 2005 E. 7). Dabei sind (gestützt auf
Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR
und nach der Praxis des Bundesgerichtes) die
Art. 70 und 71 StGB
vorfrageweise anzuwenden ("voraussichtlich der Einziehung unterliegen"). Dass das VStrR oder das DBG eine provisorische Vermögensbeschlagnahme (bzw. eine allfällige fiskalstrafrechtliche Einziehung bzw. Herausgabe an den Fiskus) spezialgesetzlich ausschlössen, trifft nicht zu.
6.5
Der angefochtene Entscheid erweist sich als bundesrechtswidrig. Die Vorinstanz wird zu prüfen haben, ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen der streitigen Beschlagnahmen erfüllt sind.
Die Frage, ob (und gegebenenfalls in welchem Umfang) die hier streitigen strafprozessualen Zwangsmassnahmen in einem allfälligen anschliessenden Hinterziehungs- und Nachsteuerverfahren (oder Fiskalstrafverfahren)
aufrechterhalten
werden könnten, bildet nicht Gegenstand des streitigen Beschlagnahmeentscheides. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
beb9a574-8a82-4356-ab3b-9163f3f7a5a1 | Urteilskopf
83 III 129
34. Auszug aus dem Entscheid vom 13. November 1957 i.S. Witschi und Konsorten. | Regeste
Allgemeine Pflicht der schweizerischen Betreibungs- und Konkursämter zu gegenseitiger Rechtshilfe auch im Verwertungsstadium. | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 83 III 129 S. 129
Aus dem Tatbestand:
In dem vom Konkursamt Bern verwalteten Konkurs S. sind zahlreiche in St. Gallen eingelagerte Möbel zu verwerten. Einem Auftrag jenes Konkursamtes, die Verwertung durchzuführen, gab das Konkursamt St. Gallen aus verschiedenen Gründen nicht statt. Darüber beschwerten sich einige Konkursgläubiger wie auch das ersuchende Amt namens der Masse. Den abweisenden kantonalen Entscheid zogen sie an das Bundesgericht weiter.
BGE 83 III 129 S. 130
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Eme allgemeine Pflicht der Betreibungs- und Konkursämter zu gegenseitiger Rechtshilfe ist im Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz nicht vorgesehen. Dieses begnügt sich mit dahingehenden Einzelvorschriften wie namentlich Art. 89, wonach ausserhalb des Betreibungskreises befindliche Gegenstände requisitionsweise durch das Betreibungsamt der Ortslage zu pfänden sind, und Art. 221, wonach bei der Inventaraufnahme im Konkurs die Ämter anderer Kreise, in denen sich Vermögensstücke des Schuldners befinden, mitzuwirken haben. Wie jedoch längst anerkannt ist, bildet die Schweiz ein einheitliches Rechtsgebiet für die Schuldvollstreckung, was unabweislich die allgemeine Rechtshilfepflicht der Betreibungs- und Konkursbehörden untereinander mit sich bringt (
BGE 54 I 174
). Insbesondere steht dem mit einer Betreibung befassten Amte zu, auch die Verwertung durch ein anderes Amt vornehmen zu lassen, wenn sich die Gegenstände in dessen Kreis befinden. Das ist für Grundstücke in
Art. 74 ff. VZG
ausdrücklich vorgeschrieben und näher geordnet. Analoges gilt für die Verwertung von Fahrnis (
BGE 75 III 54
), wobei der Auftrag natürlich statt auf Durchführung der Verwertung auch bloss auf Zusendung der Gegenstände zur Verwertung durch das ersuchende Amt selbst gehen kann. Im Konkurs verhält es sich grundsätzlich gleich. Die Wahl des Steigerungsortes steht im Ermessen der Konkursverwaltung, die daher ausserhalb ihres Kreises befindliche Gegenstände, auch Fahrnis, durch ein anderes Amt verwerten lassen darf, wie bereits in
BGE 31 I 761
/2 = Sep.-Ausg. 8 S. 307/8 entschieden wurde (vgl. auch BLUMENSTEIN, Handbuch, S. 795 mit Fussnote; JAEGER, N. 1 zu
Art. 257 SchKG
). Somit war das Konkursamt St. Gallen im vorliegenden Falle gehalten, dem Ersuchen des Konkursamtes Bern zu entsprechen, und zwar tunlichst rasch. Sein Standpunkt, das ersuchende Amt hätte, um die Verwertung zu beschleunigen, gut
BGE 83 III 129 S. 131
getan, die Möbel mit Hilfe des ersuchten Amtes, das dazu gern Hand geboten hätte, nach Bern zu dislozieren, ist nicht zu billigen. Im Unterschied zu dem in der Vernehmlassung zur Beschwerde erwähnten Konkursfall, wo Uhren zu verwerten waren, galt es hier, erhebliche Transportkosten zu vermeiden. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
beba9c16-4b2b-4bf2-b6d1-b92009829f95 | Urteilskopf
84 I 98
15. Urteil vom 2. April 1958 i.S. Konsumgenossenschaft Reichenbach und Umgebung gegen Bern, Kanton und Verwaltungsgericht. | Regeste
Besteuerung des Ertrags der Selbsthilfegenossenschaften.
Art. 4 und 31 BV
.
Bestimmung eines kantonalen Steuergesetzes, wonach ein Teil der Rückvergütungen, Rabatte und ähnlichen Leistungen, welche eine Selbsthilfegenossenschaft ihren Mitgliedern auf deren Bezügen gewährt, zum steuerbaren Ertrag zu rechnen ist. Anwendung dieser Bestimmung im Falle, wo die Genossenschaft den Mitgliedern und Nichtmitgliedern die gleichen Vergünstigungen gewährt. | Sachverhalt
ab Seite 99
BGE 84 I 98 S. 99
A.-
Nach dem bernischen Steuergesetz vom 29. Oktober 1944 (StG) wird von den Genossenschaften, die auf gemeinsamer Selbsthilfe beruhen und ihre Tätigkeit nicht auf Gewinnerzielung richten, neben der Vermögensauch eine Ertragssteuer erhoben (Art. 72). Gegenstand derselben ist der Reinertrag, der grundsätzlich dem Reingewinn gemäss dem für die Kapitalgesellschaften und die andern Genossenschaften geltenden
Art. 64 StG
entspricht (Art. 73 Abs. 1). Eine Sondervorschrift enthält jedoch Art. 73 Abs. 2 Satz 2, welcher lautet:
"Rückvergütungen, Rabatte und ähnliche Leistungen, welche Genossenschaften ihren Mitgliedern auf den Bezügen oder Leistungen gewähren, können bis zur Höhe von fünf Prozent vom Ertrag abgezogen werden."
B.-
Die beschwerdeführende "Konsumgenossenschaft Reichenbach und Umgebung" betreibt in den Gemeinden Reichenbach und Aeschi mehrere Verkaufsläden. Ihre Statuten bestimmen in
Art. 3: Die Mitgliedschaft wird erworben auf Grund einer schriftlichen Beitrittserklärung gegen Bezahlung eines Eintrittsgeldes von Fr. 2.-. Die Mitgliedschaft ist an keine weiteren Geld- oder andere Leistungen geknüpft. Dagegen sind die Mitglieder verpflichtet, ihren Warenbedarf nach Möglichkeit bei der Genossenschaft zu decken, wobei das System der Barzahlung zu beobachten ist.
Art. 11: Vom Reinüberschuss sollen mindestens 20% dem Reservefonds zugewiesen werden. Der Rest wird unter die Mitglieder nach Massgabe ihrer Bezüge in Form von Rückvergütung verteilt. Der Generalversammlmmlung bleibt es vorbehalten, an Stelle der Rückvergütung oder neben der Rückvergütung das Rabattsystem einzuführen.
Die Beschwerdeführerin hat an Stelle der Rückvergütung das Rabattsystem eingeführt und gewährt sowohl
BGE 84 I 98 S. 100
den Mitgliedern als auch den übrigen Kunden auf ihren Einkäufen einen auf 7% festgesetzten Rabatt, indem sie Einkaufsmarken in der Höhe des Warenpreises abgibt und für solche Marken im Nennwert von Fr. 50.- den Betrag von Fr. 3.50 ausbezahlt.
Bei der Steuereinschätzung für 1957/58 auf Grund des Ergebnisses der Geschäftsjahre 1954/55 und 1955/56 zog die Beschwerdeführerin die gesamten in diesen Geschäftsjahren ausbezahlten Rabatte als Geschäftsunkosten ab und gab demgemäss in ihrer Steuererklärung den steuerbaren Reinertrag mit Fr. 4242.-- an. Die kantonale Steuerverwaltung rechnete die an die Mitglieder ausbezahlten, 5% übersteigenden Rabatte hinzu und setzte den steuerbaren Reinertrag auf Fr. 9752.-- fest. Die Beschwerdeführerin rekurrierte gegen diese Veranlagung, indem sie geltend machte, dass ein den Mitgliedern gewährter Rabatt als Reinertrag nur besteuert werden dürfe, wenn und soweit er den allgemeinen, auch Nichtmitgliedern gewährten Kundenrabatt übersteige. Die Kantonale Rekurskommission wies den Rekurs ab und bestätigte die angefochtene Einschätzung. Eine Beschwerde hiegegen wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Bern am 9. Dezember 1957 abgewiesen. Die Erwägungen der Rekurskommission und des Verwaltungsgerichts lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Da
Art. 73 Abs. 2 StG
nur von Leistungen der Genossenschaft an ihre Mitglieder spreche und die Frage, wie es sich mit entsprechenden Leistungen an Nichtmitglieder verhalte, mit keinem Worte berühre, stimme die der angefochtenen Veranlagung zugrunde liegende Gesetzesauslegung mit dem Wortlaut überein. Dass sie dem Sinn der Bestimmung nicht entspreche und zu einem unvernünftigen Ergebnis führe, sei nicht dargetan. Das bern. StG habe, wie die Steuergesetze anderer Kantone, für die Besteuerung der Genossenschaften ein besonderes System gewählt und gehe von der wissenschaftlich umstrittenen, aber heute in der Schweiz mehrheitlich vertretenen
BGE 84 I 98 S. 101
Auffassung aus, dass die Rückvergütungen Gewinnausschüttungen darstellen und eine sogenannte Genossenschaftsrente bilden. Sie wären daher grundsätzlich dem steuerbaren Ertrag voll zuzurechnen, doch habe der Gesetzgeber 5% steuerfrei gelassen. Ob er damit den wirtschaftlichen Gegebenheiten hinreichend Rechnung getragen habe, könne der Richter nicht prüfen. Die Berufung der Beschwerdeführerin aufBGE 53 I 1ff. gehe fehl; einmal sei dort nur entschieden worden, dass es nicht angehe, Nichtmitglieder der Genossenschaft wie Mitglieder und den an Nichtmitglieder gewährten Rabatt als Ertrag zu behandeln; sodann habe es dort an einer gesetzlichen Grundlage für die Besteuerung der Rabatte gefehlt, während hier in
Art. 73 Abs. 2 StG
eine ausdrückliche und eindeutige gesetzliche Umschreibung des steuerbaren Genossenschaftsertrages bestehe. Diese Bestimmung verstosse nicht gegen
Art. 4 BV
. Wenn Leistungen an Mitglieder steuerrechtlich anders behandelt würden als Rabatte an Nichtmitglieder, so liege darin keine rechtsungleiche Behandlung, da diesen Rabatten nicht der gleiche rechtliche Charakter zukomme wie den Rückvergütungen an die Mitglieder, die mit der Genossenschaft weitgehend identisch seien, einen Einfluss auf die Geschäftsgebarung hätten und insbesondere auch am Geschäftsgewinn partizipierten.
C.-
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt die Konsumgenossenschaft Reichenbach und Umgebung, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 9. Dezember 1957 wegen Verletzung der
Art. 4 und 31 BV
aufzuheben. Sie bezeichnet die im angefochtenen Entscheid vertretene Auslegung von
Art. 73 Abs. 2 StG
als willkürlich, da es mit Sinn und Zweck dieser Bestimmung unvereinbar sei, den den Genossenschaftsmitgliedern gewährten Rabatt auch dann als Ertrag der Genossenschaft zu besteuern, wenn den Nichtmitgliedern ein gleich hoher Rabatt gewährt werde; bei einem solchen allgemeinen Kundenrabatt handle es sich um gewöhnliche
BGE 84 I 98 S. 102
Geschäftsunkosten (
BGE 53 I 1
ff.). Die angefochtene Auslegung habe zur Folge, dass sich für die Genossenschaft aus der Bedienung der Mitglieder eine stärkere Steuerbelastung ergebe als aus der Bedienung der Nichtmitglieder, was sich vernünftigerweise nicht rechtfertigen lasse und eine Rechtsungleichheit darstelle. Die Besteuerung der den Mitgliedern gewährten Rabatte laufe auch auf eine rechtsungleiche Behandlung der Genossenschaft im Vergleich zu andern Detailhandelsgeschäften hinaus, die sämtliche Rabatte als Unkosten abziehen dürften. Dass anders als im FalleBGE 53 I 1ff. eine gesetzliche Ausnahmebestimmung bestehe, sei unerheblich, da Art. 73 Abs. 2 im Falle der Beschwerdeführerin schon an sich gegen
Art. 4 BV
verstosse und daher unbeachtlich sei. Ferner verstosse die Bestimmung gegen
Art. 31 BV
, da der Handel der Beschwerdeführerin mit ihren Mitgliedern dadurch in ungerechtfertigter Weise beschränkt werde, dass er einer steuerlichen Belastung unterworfen werde, von der die übrigen Detailhandelsgeschäfte mit andern Rechtsformen nicht betroffen würden.
D.-
Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin beanstandet in erster Linie die Auslegung, welche die Bestimmung von
Art. 73 Abs. 2 Satz 2 StG
im angefochtenen Entscheid erfahren hat. Sie ist der Auffassung, es gehe nicht an, einen für alle Käufer von vorneherein festgesetzten Rabatt insoweit, als er den Mitgliedern gewährt werde, teilweise als Ertrag der Beschwerdeführerin zu behandeln.
a) Nach der streitigen Bestimmung können Rückvergütungen, Rabatte und ähnliche Leistungen, welche Genossenschaften ihren Mitgliedern auf den Bezügen oder Leistungen gewähren, bis zur Höhe von 5% vom Ertrag abgezogen werden. Das heisst mit andern Worten, dass
BGE 84 I 98 S. 103
die den Mitgliedern gewährten Rückvergütungen, Rabatte und ähnlichen Leistungen grundsätzlich zum steuerbaren Genossenschaftsertrag gehören, dass jedoch hievon, im Sinne einer Ausnahme, ein Teil abgezogen werden kann. Wie derartige Leistungen an Nichtmitglieder zu behandeln sind, ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Leistungen an Nichtmitglieder ausser Betracht fallen für die Bestimmung des steuerbaren Genossenschaftsertrages und zu diesem nur der 5% übersteigende Teil der Leistungen an die Mitglieder zu rechnen sei, entspricht somit durchaus dem Wortlaut von
Art. 73 Abs. 2 StG
. Die dem Wortlaut entsprechende Auslegung einer Vorschrift kann aber, wie das Bundesgericht von jeher entschieden hat, nicht als willkürlich bezeichnet werden (vgl.
BGE 31 I 19
,
BGE 73 I 373
,
BGE 80 I 322
), es sei denn, sie widerspreche dem Sinn und Zweck der Vorschrift offensichtlich und führe zu einem vom Gesetzgeber unmöglich gewollten Ergebnis. Das ist jedoch im vorliegenden Falle nicht dargetan. Angesichts der wirtschaftlichen Eigenart der Selbshilfegenossenschaften hat der bernische Gesetzgeber für ihre Besteuerung ein besonderes System gewählt. Er rechnet einen Teil der den Mitgliedern gewährten Rückvergütungen zum Genossenschaftsertrag und stellt, zur Verhinderung der Steuerumgehung (vgl.
BGE 48 I 145
/6), den Rückvergütungen die Rabatte und ähnliche Leistungen an die Mitglieder gleich. Dagegen hat er keine Regelung getroffen für den Fall, dass eine Genossenschaft - in einem gewissen Widerspruch zu ihrem Zweck der Selbsthilfe, d.h. der Förderung der Interessen der Mitglieder (vgl.
Art. 828 OR
) - dazu übergeht, die zunächst für die Mitglieder bestimmten Vergünstigungen jedem beliebigen Dritten zu gewähren. Der Standpunkt, dass sich eine Genossenschaft dadurch der ihr vom Gesetzgeber zugedachten Besteuerung nicht soll entziehen können, lässt sich sehr wohl vertreten. Darauf läuft aber der angefochtene Entscheid hinaus, wenn er die Rabatte an Mitglieder ungeachtet der gleichen Vergünstigungen an Nichtmitglieder zum steuerbaren Genossenschaftsertrag
BGE 84 I 98 S. 104
rechnet. Es kann daher nicht gesagt werden, diese Besteuerung sei mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar und führe zu einem vom Gesetzgeber unmöglich gewollten Ergebnis. Die Berufung der Beschwerdeführerin auf das UrteilBGE 53 I 1ff., das übrigens kritisiert worden ist (AMMANN, Die Frage der Bevorzugung der Konsumenten-Genossenschaften in der Besteuerung S. 64/5), ist schon deshalb nicht schlüssig, weil im vorliegenden Falle, anders als dort, eine besondere gesetzliche Bestimmung über die Besteuerung der Selbsthilfegenossenschaften besteht, auf die sich die angefochtene Auslegung stützen kann.
b) Dass in dieser Auslegung keine rechtsungleiche Behandlung liegt, ist ohne weiteres klar. Das Gebot rechtsgleicher Behandlung (
Art. 4 BV
) verlangt, dass eine Vorschrift gegenüber allen, an die sie sich richtet, angewendet und in gleicher Weise ausgelegt wird. Das ist hier offenbar der Fall, da die Beschwerdeführerin nicht behauptet, dass der für Selbsthilfegenossenschaften aufgestellte
Art. 73 Abs. 2 StG
gegenüber andern gleichartigen Körperschaften anders als gegenüber der Beschwerdeführerin angewendet oder ausgelegt werde. Sie macht nur geltend, dass diese Bestimmung eine Rechtsungleichheit zwischen Selbsthilfegenossenschaften und andern Detailhandelsgeschäften schaffe. Das ist jedoch keine Frage der Auslegung von
Art. 73 Abs. 2 StG
. Vielmehr wird damit die Frage der Verfassungsmässigkeit von
Art. 73 Abs. 2 StG
aufgeworfen.
2.
Die Beschwerdeführerin macht denn auch ausdrücklich geltend, dass diese Bestimmung schon an sich verfassungswidrig sei, und zwar behauptet sie, sie verstosse gegen
Art. 4 und 31 BV
. Diese Rüge ist zulässig. Eine Aufhebung der Bestimmung kommt zwar nicht mehr in Frage. Das hindert aber das Bundesgericht nicht, in jedem einzelnen Anwendungsfall vorfrageweise zu prüfen, ob
Art. 73 Abs. 2 StG
die Verfassung verletze (
BGE 83 I 113
/14 mit Zitaten).
BGE 84 I 98 S. 105
a) Gegen
Art. 4 BV
verstösst ein allgemein verbindlicher Erlass nur dann, wenn er sich nicht auf ernsthafte, sachliche Gründe stützen lässt, sinn- und zwecklos ist oder rechtliche Unterscheidungen trifft, die sich durch keine vernünftigen Gründe rechtfertigen lassen (
BGE 81 I 184
und
BGE 82 I 286
sowie dort angeführte frühere Urteile). Das trifft bei
Art. 73 Abs. 2 StG
nicht zu. Angesichts der Eigenart der Selbsthilfegenossenschaften hat der bernische Gesetzgeber, wie bereits bemerkt, für deren Besteuerung em besonderes System gewählt. Es besteht in der Hinzurechnung eines Teils der Rückvergütungen und Rabatte zum Genossenschaftsertrag. Diese Ordnung herrscht im schweizerischen Recht vor (Zum Problem der gleichmässigen Besteuerung der Erwerbsunternehmungen, Bericht der Expertenkommission für die Motion Piller, 1955, S. 75). Sie lässt sich durch die wirtschaftlichen Gegebenheiten rechtfertigen und wird als solche von der Beschwerdeführerin auch nicht angefochten. Die Verletzung von
Art. 4 BV
soll darin liegen, dass Rabatte an Mitglieder auch dann zum Genossenschaftsertrag gerechnet werden, wenn den Kunden, die keine Mitglieder sind, gleich hohe Rabatte wie den Mitgliedern gewährt werden. Das ist jedoch nicht zu beanstanden. Wenn die einen gewissen Prozentsatz übersteigenden Rückvergütungen und Rabatte zum steuerbaren Genossenschaftsertrag gerechnet werden, dürfte es freilich folgerichtig sein, dabei sowohl die an die Mitglieder als auch die an Dritte gewährten Vergünstigungen zu erfassen (vgl. die im Bericht der Expertenkommission für die Motion Piller S. 134 ff. und 166 enthaltenen Vorschläge, bei denen für die von den Genossenschaften im Detailverkauf von Waren gewährten Rückvergütungen und Rabatte kein Unterschied zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern gemacht wird). Die weniger weitgehende Ordnung, die nur einen Teil der den Mitgliedern gewährten Rückvergütungen und Rabatte erfasst, mag nicht ohne weiteres einleuchten. Doch kann nicht gesagt werden, dass sie Unterscheidungen treffe,
BGE 84 I 98 S. 106
die sich durch keine vernünftigen Gründen rechtfertigen lasse. Die Mitglieder nehmen als solche am Gewinn der Genossenschaft teil und haben insbesondere ein Mitspracherecht bei der Beschlussfassung über die Verteilung des Reinertrages (
Art. 879 Ziff. 3 OR
). Im Hinblick hierauf kann dem ihnen als Rückvergütung oder in anderer Form überlassenen Gewinn jedenfalls aus dem Gesichtspunkt des
Art. 4 BV
die Eigenschaft eines tauglichen Kriteriums zur Bestimmung des steuerbaren Genossenschaftsertrages auch dann nicht abgesprochen werden, wenn eine Genossenschaft ausnahmsweise den Nichtmitgliedern die gleichen Vergünstigungen gewährt.
b) Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass damit eine Rechtsungleichheit zwischen den Selbsthilfegenossenschaften und den übrigen Detailhandelsgeschäften geschaffen werde, geht fehl. Nachdem der Gesetzgeber für die Besteuerung der Selbsthilfegenossenschaften ein besonderes System gewählt hat, das von dem der Besteuerung anderer Unternehmungen abweicht und an sich nicht zu beanstanden ist, geht es nicht an, Einzelheiten der Besteuerung, denen im einen System eine ganz andere Bedeutung zukommt als im andern, miteinander zu vergleichen. Offensichtlich unbegründet ist schliesslich auch der Vorwurf,
Art. 73 Abs. 2 StG
verstosse gegen
Art. 31 BV
. Bei der von der Beschwerdeführerin erhobenen Ertragssteuer handelt es sich nicht um eine Gewerbesteuer, mit der ein besonderes Gewerbe (Warenhandel) oder eine besondere Betriebsart (Hausieren, Ausverkauf) belastet wird, sondern um eine Steuer, welche einer bestimmten Gruppe von Rechtssubjekten im Hinblick auf ihre besondere rechtliche Organisation auferlegt wird (vgl.
BGE 61 I 324
ff.). Eine solche Steuer verstösst so wenig gegen
Art. 31 BV
wie die allgemein übliche Verschiedenheit der Besteuerung natürrlicher und juristischer Personen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
bebdfe82-c9fb-4cbd-8a83-a938fe433d1d | Urteilskopf
99 Ib 211
25. Urteil vom 3. August 1973 i.S. Gemeinde Sent gegen Neuhaus und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. | Regeste
Gewässerschutz. Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Kosten des kantonalen Beschwerdeverfahrens.
1. Begriff des schutzwürdigen Interesses im Sinne von
Art. 103 lit. a OG
(Erw. 3).
2. Ist nach dieser Bestimmung eine Gemeinde, deren Vorstand die von einem Privaten nachgesuchte Baubewilligung auf Grund des Gewässerschutzgesetzes verweigert hat, zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den diese Verfügung aufhebenden Entscheid der kantonalen Rekursinstanz berechtigt? (Erw. 4).
3. Der auf kantonales Recht gestützte Entscheid der kantonalen Rekursinstanz über Verfahrenskosten und Parteientschädigung kann nicht selbständig mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (Erw. 5). | Erwägungen
ab Seite 212
BGE 99 Ib 211 S. 212
1.
Domenic Neuhaus will auf seinem in der Gemeinde Sent (Fraktion Sur En) liegenden Grundstück ein Doppelwohnhaus bauen. Der Gemeindevorstand Sent verweigerte mit Verfügung vom 18. Dezember 1972 die nachgesuchte Baubewilligung auf Grund der Art. 19 und 20 des Gewässerschutzgesetzes vom 8. Oktober 1971 (GSchG). Auf Rekurs des Gesuchstellers hin hob das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 27. März 1973 diese Verfügung auf und wies die Gemeinde an, die Baubewilligung unter den üblichen Auflagen zu erteilen. Es verpflichtete die Gemeinde, die Gerichtskosten von Fr. 252.-- zu zahlen und den Rekurrenten mit Fr. 300.-- zu entschädigen. Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Gemeinde dem Bundesgericht, den Entscheid des kantonalen Gerichts aufzuheben und die Verfügung vom 18. Dezember 1972 zu schützen, unter Kostenfolge zu Lasten des Gesuchstellers Neuhaus. Es wird geltend gemacht, die Baubewilligung könne nach den bundesrechtlichen Bestimmungen über den Gewässerschutz nicht erteilt werden. Da das Grundstück des Gesuchstellers ausserhalb des erschlossenen und des vor der Erschliessung stehenden Baulandes liege, lasse sich die Bewilligung nicht auf
Art. 19 GSchG
und Art. 28 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972 stützen. Ein sachlich begründetes Bedürfnis im Sinne des
Art. 20 GSchG
bestehe nicht und werde auch nicht behauptet. Die Belastung der Gemeinde mit Gerichtskosten und Parteientschädigung sei "für Laien völlig unverständlich".
2.
Der Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts über die Streitsache selbst stützt sich auf die eidgenössische Gesetzgebung
BGE 99 Ib 211 S. 213
über den Gewässerschutz, d.h. auf öffentliches Recht des Bundes. Er stellt eine Verfügung im Sinne des Art. 5 VwG dar und ist von der letzten kantonalen Instanz gefällt worden. Gegen ihn ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an sich zulässig (
Art. 97 Abs. 1,
Art. 98 lit. g,
Art. 10 GSchG
). Er ist dieser Beschwerde durch keine Ausschlussbestimmung entzogen. Indessen fragt sich, ob die Gemeinde Sent zur Beschwerde gegen den Sachentscheid der kantonalen Behörde legitimiert sei.
3.
Nach
Art. 103 OG
ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt:
"a) wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat;
b) das in der Sache zuständige Departement oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die in der Sache zuständige Dienstabteilung der Bundesverwaltung gegen die Verfügung einer eidgenössischen Rekurskommission, einer eidgenössischen Schiedskommission, einer letzten kantonalen Instanz oder einer Vorinstanz im Sinne von Artikel 98 Buchstabe h ...;
c) jede andere Person, Organisation oder Behörde, die das Bundesrecht zur Beschwerde ermächtigt."
Es ist klar, dass die Legitimation der Gemeinde Sent weder aus lit. b noch aus lit. c abgeleitet werden kann. Lit. b betrifft nur das Beschwerderecht von Behörden des Bundes, und eine die Gemeinde zur Beschwerde ermächtigende bundesrechtliche Bestimmung im Sinne der lit. c fehlt. Zu prüfen bleibt, ob die Gemeinde nach lit. a legitimiert sei. Auf diese Bestimmung können sich nicht nur Privatpersonen berufen, sondern auch Organisationen des öffentlichen Rechts, sofern sie durch die angefochtene Verfügung gleich oder ähnlich wie Private benachteiligt werden (
BGE 97 I 607
, 98 I b Erw. 2 a). Das Interesse des Beschwerdeführers ist im Sinne des Gesetzes schutzwürdig, wenn er durch die Verfügung unmittelbar in seiner rechtlichen oder tatsächlichen Stellung betroffen wird. Erforderlich ist eine beachtenswerte, nahe Beziehung des Beschwerdeführers zur Streitsache. Er muss durch die Verfügung in höherem Masse als irgend jemand oder die Allgemeinheit berührt sein (BGE 98 I b 70, 74; 99 I b 105 Erw. 1).
4.
Das Bundesgericht hat auf dem Gebiete des Gewässerschutzes einer Gemeinde die Beschwerdebefugnis nach
Art. 103
BGE 99 Ib 211 S. 214
lit. a OG
deshalb zuerkannt, weil damit zu rechnen war, dass das in Frage stehende Grundwasservorkommen für die kommunale Wasserversorgung herangezogen werden könnte (BGE 98 I b 16 Erw. 2 a). Hier hat man es aber nicht mit einem Fall dieser Art zu tun. Es wird nicht behauptet und ist nicht anzunehmen, dass infolge der Zulassung der streitigen Baute Gewässer, die für die Wasserversorgung der Gemeinde Sent in Betracht kommen, verunreinigt werden könnten. Die Beschwerdeführerin bringt auch sonst nichts vor, was darauf schliessen liesse, dass sie ein schutzwürdiges Interesse an der Anfechtung des Sachentscheids des kantonalen Gerichtes habe. Sie macht geltend, sie müsste im Falle der Bewilligung des umstrittenen Bauvorhabens einen Beitrag an die Kosten der Einrichtung eines Luftschutzkellers leisten und zudem eine elektrische Primärleitung früher als vorgesehen verstärken lassen. Das sind jedoch Folgen, die mit dem Gewässerschutz nichts zu tun haben. Es sind also keine Nachteile, die eine beachtenswerte, nahe Beziehung der Gemeinde zu der Streitigkeit über den Gewässerschutz zu begründen vermöchten. Auch daraus, dass die Beschwerdeführerin im Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichtes mit Kosten belastet worden ist, kann nicht geschlossen werden, dass sie ein schutzwürdiges Interesse in der Sache selbst hat.
Was die Gemeinde mit der Beschwerde gegen den Sachentscheid der kantonalen Behörde verteidigen will, ist nichts anderes als das Interesse der Allgemeinheit im weitesten Sinne - nicht nur der Dorfgemeinschaft - daran, dass die bundesrechtlichen Bestimmungen über den Gewässerschutz richtig angewendet werden. Eben dieses Interesse hatte der Gemeindevorstand, der für die Gemeinde Beschwerde führt, als zuständige Behörde erster Instanz zu wahren. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Beschwerde dieser Amtsstelle gegen den ihre Verfügung aufhebenden Entscheid der ihr übergeordneten kantonalen Rekursinstanz. Zu einer solchen Beschwerde ist aber die untere Instanz nicht befugt; ihr Interesse an der Anfechtung des Rekursentscheids ist nicht schutzwürdig (A. GRISEL, Droit administratif suisse, S. 504; vgl.
BGE 61 I 146
,
BGE 65 I 272
,
BGE 72 I 55
).
Nach der gesetzlichen Ordnung wäre zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Sachentscheid der kantonalen Rekursinstanz die zuständige Bundesbehörde berechtigt gewesen
BGE 99 Ib 211 S. 215
(
Art. 103 lit. b OG
). Dagegen fehlt der Gemeinde Sent nach dem Gesagten diese Befugnis.
5.
Der Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts über Gerichtskosten und Parteientschädigung gründet sich ausschliesslich auf kantonales Recht. Er ist somit nicht eine auf öffentliches Recht des Bundes gestützte Verfügung im Sinne des Art. 5 VwG und konnte deshalb nicht selbständig mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (
BGE 98 V 121
, 125, 272). Da das Bundesgericht auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Sachentscheid der Vorinstanz nicht eintreten, also diesen Entscheid selbst nicht ändern kann, ist auch eine Änderung des angefochtenen Kostenentscheids auf Grund von
Art. 157 und
Art. 159 Abs. 6 OG
ausgeschlossen (
BGE 91 II 150
Erw. 3).
Wird die Beschwerde gegen den Kostenentscheid als staatsrechtliche Beschwerde betrachtet, so kann auf sie ebenfalls nicht eingetseten werden, weil sie nicht in einer den Anforderungen des
Art. 90 OG
genügenden Weise begründet ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
bec3a79d-a2c7-4610-bef3-a6d527461774 | Urteilskopf
107 III 40
10. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Januar 1981 i.S. Schuler gegen Ausseramtliche Konkursverwaltung, Gläubigerausschuss, Schweizerischer Bankverein sowie Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Nachlassvertrag;
Art. 305 Abs. 2 SchKG
.
Bei der Schätzung des Pfandausfalls, um den sich der Gesamtbetrag der für die Berechnung des Summenmehrs in Betracht fallenden Forderungen erhöht, ist nicht auf den sogenannten Fortführungswert, sondern auf den Verkehrswert der Pfandgegenstände abzustellen, d.h. auf den Wert, der bei einer Veräusserung dieser Gegenstände mutmasslich erzielt werden kann. | Sachverhalt
ab Seite 40
BGE 107 III 40 S. 40
Der im Konkurs befindliche Walter Schuler unterbreitete seinen Gläubigern am 11. September 1979 einen Entwurf für einen Nachlassvertrag. Mit Entscheid vom 3. Juli 1980 verwarf das Bezirksgericht Hinwil diesen Vertrag. Das Obergericht des
BGE 107 III 40 S. 41
Kantons Zürich wies am 23. September 1980 einen Rekurs des Schuldners gegen den Entscheid des Bezirksgerichts ab. Dabei prüfte es unter anderem die Frage, ob infolge ungenügender Deckung der pfandgesicherten Forderung mit einem Pfandausfall zu rechnen sei, um welchen sich nach
Art. 305 Abs. 2 SchKG
der Gesamtbetrag der für die Berechnung des Summenmehrs in Betracht fallenden Forderungen erhöht. Es gelangte zur Bejahung dieser Frage, wobei es insbesondere der Auffassung des Schuldners entgegentrat, dass für die Beurteilung des Umfangs der Pfanddeckung auf den sogenannten Fortführungswert der Aktiven statt auf deren Verkehrswert abzustellen sei.
Gegen den Entscheid des Obergerichts führt der Schuldner staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
... Der Beschwerdeführer bestreitet mit Recht nicht, dass die qualifizierte Summenmehrheit für den von ihm vorgeschlagenen Nachlassvertrag nicht erreicht ist, wenn die Aktiven nicht aufgrund ihres sogenannten Fortführungswertes, sondern, wie es das Obergericht als richtig erachtet hat, nach ihrem Verkehrswert bewertet werden. Diesfalls ist für die pfandgesicherte Forderung des Schweizerischen Bankvereins mit einem entsprechend grossen Pfandausfall zu rechnen. Nach Art. 305 Abs. 2 (letzter Satzteil) SchKG zählen pfandversicherte Forderungen bei der Berechnung des für die Ermittlung der qualifizierten Summenmehrheit massgebenden Gesamtforderungsbetrages (nur) zu demjenigen Betrage mit, welcher nach der Schätzung des Sachwalters - an dessen Stelle tritt beim Nachlassvertrag im Konkurs die Konkursverwaltung (
Art. 317 Abs. 2 SchKG
) - ungedeckt ist. Der ungedeckte Forderungsbetrag wäre hier, wenn nicht vom sogenannten Fortführungswert der Pfandgegenstände ausgegangen wird, unbestrittenermassen so hoch, dass die gesetzliche Mehrheit von zwei Dritteln des gesamten Forderungsbetrages, wie auch immer gerechnet würde, keinesfalls erreicht wäre. Entscheidend ist somit, ob das Obergericht, wie der Beschwerdeführer geltend macht, in Willkür verfiel, indem es bei der Bewertung der Aktiven nicht deren Fortführungswert, sondern den Verkehrswert als massgebend
BGE 107 III 40 S. 42
betrachtete. Diese Frage ist im folgenden näher zu prüfen.
3.
Der Beschwerdeführer beruft sich für seine Auffassung, dass allein der Fortführungswert massgebend sein könne, auf FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Band II, S. 320 (insbes. Fussnote 411), sowie auf HILDEBRANDT/GLARNER, Leitfaden zum Gebrauch für Sachwalter in gerichtlichen Nachlassvertragsverfahren, S. 18. Mit Zitaten aus den angeführten Werken versucht er zu belegen, dass die Bewertung der Aktiven nach einem andern Massstab geradezu willkürlich sei.
Zwingende rechtliche Gründe sprechen indessen für die Schätzung der Pfandgegenstände zu ihrem Verkehrswert, d.h. zu demjenigen Wert, der sich bei einer Veräusserung dieser Gegenstände nach der Marktlage mutmasslich erzielen lässt (
BGE 49 III 111
). Das Pfandrecht verleiht dem Gläubiger den Anspruch, den Pfandgegenstand zur Sicherung der Erfüllung einer bestimmten Forderung verwerten zu lassen (OFTINGER, Das Fahrnispfand, N. 22 des Systematischen Teils). In welchem Umfang ein Pfand für die dadurch gesicherte Forderung Deckung bietet, kann somit zum voraus nur durch Schätzung des mutmasslichen Verwertungserlöses ermittelt werden. Das Abstellen auf den Fortführungswert, d.h. den Wert, den der Pfandgegenstand für den Pfandeigentümer hat, falls dieser ihn weiter benützen kann, steht im Widerspruch zum Wesen des Pfandrechts. Es trägt dem Umstand nicht Rechnung, dass das Pfand dazu dient, bei Nichtbezahlung der Pfandforderung verwertet zu werden, worauf es dem Pfandeigentümer nicht mehr zur Benützung zur Verfügung steht.
Eine andere Betrachtungsweise hat auch im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Nachlassvertrages keinen Platz. Nach
Art. 311 SchKG
ist der bestätigte Nachlassvertrag für alle Gläubiger rechtsverbindlich, ausgenommen die Pfandgläubiger für den durch das Pfand gedeckten Forderungsbetrag. Für die pfandgesicherten Forderungen kann somit auch nach dem Zustandekommen eines Nachlassvertrags ungehindert Betreibung auf Pfandverwertung durchgeführt werden (
BGE 84 III 105
ff.,
BGE 59 III 197
ff.). Die einzige zeitliche Beschränkung der Pfandverwertung ist in
Art. 301a SchKG
vorgesehen (Möglichkeit der Nachlassbehörde, die Pfandverwertung auf höchstens ein Jahr nach Bestätigung des Nachlassvertrages einzustellen). Diese Bestimmung gilt indessen, wie aufgrund der Verweisung in
BGE 107 III 40 S. 43
Art. 317 SchKG
geschlossen werden muss, gerade nicht für den Nachlassvertrag im Konkurs. Können die Pfandgläubiger aber ungeachtet der Bestätigung eines Nachlassvertrages die Verwertung der Pfänder herbeiführen, ergibt sich daraus zwingend, dass bei der Schätzung des Wertes eines Pfandes zum Zwecke der Ermittlung des Deckungsumfanges gemäss
Art. 305 Abs. 2 SchKG
auf jenen Wert abgestellt werden muss, der im Falle der Pfandverwertung voraussichtlich realisiert werden kann. Das Obergericht ist deshalb mit Recht der Auffassung des Beschwerdeführers nicht gefolgt und hat bei der Beurteilung der Frage, mit welchem Pfandausfall hinsichtlich der Forderung des Schweizerischen Bankvereins gerechnet werden muss, nicht auf den Fortführungswert abgestellt.
Die vom Beschwerdeführer angeführten Zitate aus den Arbeiten von FRITZSCHE sowie HILDEBRANDT/GLARNER können nicht zu einer andern Beurteilung führen. Sie beziehen sich bei genauerer Betrachtung auf die Bewertung der Aktiven in Fällen, wo diese nicht liquidiert, sondern dem Schuldner zur Fortsetzung des Unternehmens erhalten werden sollen. Diese Voraussetzung trifft jedoch für Pfandgegenstände aus den bereits dargelegten Gründen nicht zu. Für die Ermittlung des mutmasslichen Pfandausfalls können die betreffenden Ausführungen daher nicht massgebend sein. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
bec80c41-3673-48af-8a71-b914573e1118 | Urteilskopf
116 III 15
5. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 20. April 1990 i.S. A.X. und B.Y. (Rekurs) | Regeste
Verarrestierung oder Pfändung des künftigen Erwerbseinkommens (
Art. 93, 275 SchKG
).
Die einjährige Höchstdauer beginnt mit dem Vollzug des Beschlages; kommt es aber zur fruchtlosen Pfändung oder zum erfolglosen Arrestvollzug, weil die pfändbare Quote in gesetzeswidriger oder unangemessener Weise bestimmt worden ist, beginnt die Jahresfrist mit der im Anschluss an den Entscheid der Aufsichtsbehörde erfolgenden Neuaufnahme der Pfändungs- bzw. Arresturkunde. In den übrigen Fällen bleibt der erste Vollzug massgebend (Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 116 III 15 S. 16
A.-
Zur Sicherung einer Forderung von Fr. 22'875.-- nebst Zins erwirkten A.X. und B.Y. am 27. Juni 1989 bei der Arrestbehörde Basel-Stadt einen Arrestbefehl gegen den in Sierentz (Frankreich) wohnenden P.F. Der auf
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG
gestützte Arrestbefehl nannte als Arrestgegenstand einzig das Lohnguthaben des Arrestschuldners gegenüber seiner Arbeitgeberin in Basel.
In der am 4. August 1989 erstellten Arresturkunde bezeichnete das Betreibungsamt Basel-Stadt den Arrest als erfolglos, weil das Einkommen des Schuldners von monatlich netto Fr. 5'130.-- das ihm zustehende Existenzminimum von Fr. 5'568.-- bei weitem nicht erreiche; der Schuldner müsse allein für die Hypothek und Amortisation seines Hauses Fr. 3'208.-- und für Unterhaltsbeiträge an seine Tochter Sonja und seine zweite von ihm geschiedene Ehefrau Fr. 1'425.-- leisten.
Hierüber beschwerten sich die Arrestgläubiger bei der Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt, welche die Beschwerde am 5. Oktober 1989 abwies. Dagegen rekurrierten sie schliesslich erfolgreich an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Diese wies die Aufsichtsbehörde des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 30. November 1989 an, die Berechnung des Notbedarfs neu vorzunehmen.
BGE 116 III 15 S. 17
B.-
Im Rahmen der neuen Notbedarfsrechnung billigte das Betreibungsamt Basel-Stadt dem Arrestschuldner mit Wirkung ab dem 1. Juli 1990 nur mehr die Kosten einer durchschnittlichen Einzimmerwohnung von monatlich Fr. 500.-- zu; als Existenzminimum errechnete das Betreibungsamt Fr. 3'055.--, was eine pfändbare Lohnquote von Fr. 2'075.-- pro Monat ergab. Dieser Nachtrag wurde von der Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt am 13. Februar 1990 zum Entscheid erhoben.
C.-
Mit einer am 22. Februar 1990 eingereichten Rekursschrift gelangen die Arrestgläubiger an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Nebst der Aufhebung des Entscheides der kantonalen Aufsichtsbehörde vom 13. Februar 1990 verlangen sie deren Anweisung, den Lohn des Arrestschuldners im Umfang von monatlich Fr. 2'075.-- ab dem 1. Juli 1990 für die Dauer eines vollen Jahres zu verarrestieren.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Art. 93 SchKG
, wonach Lohnguthaben, Gehälter und Diensteinkommen nur soweit gepfändet werden können, als sie nicht nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie unumgänglich notwendig sind, ist gemäss
Art. 275 SchKG
auch auf den Arrest von Lohnforderungen anwendbar. In der Rechtsprechung zu
Art. 93 SchKG
ist dabei sehr früh schon festgehalten worden, dass der Pfändung und Verarrestierung des zukünftigen Erwerbseinkommens auch in zeitlicher Hinsicht Schranken zu setzen sind. Diese im Interesse von Schuldner und Gläubiger liegende zeitliche Grenze wurde auf ein Jahr festgelegt und als "absolute", um der öffentlichen Ordnung willen aufgestellte Regel bezeichnet (vgl.
BGE 112 III 20
E. 1;
BGE 98 III 14
f.;
BGE 94 III 13
, letztere je mit Hinweisen auf die ganz frühe Rechtsprechung).
Die Arrestgläubiger wenden sich mit ihrem Rekurs nicht grundsätzlich gegen diese Rechtsprechung, wollen doch auch sie das künftige Lohnguthaben des Arrestschuldners nur für die Dauer eines Jahres mit Beschlag belegt haben. Sie werfen indessen die Frage auf, wie der Beginn dieser Frist bei der Verarrestierung des künftigen Erwerbseinkommens festzulegen sei, wenn der Vollzug des Arrests zunächst erfolglos bleibt und erst nachträglich - aufgrund eines Beschwerdeverfahrens - Vermögenswerte
BGE 116 III 15 S. 18
verfügbar werden. Die Vorinstanz vertritt im angefochtenen Entscheid offenbar die Auffassung, es sei auch in diesem Fall das Datum des erfolglosen Arrestvollzugs massgebend. In Anlehnung an das Betreibungsamt hat sie überdies ausgeführt, die Herabsetzung der Wohnkosten in der Notbedarfsrechnung des Arrestschuldners dürfe aufgrund der erforderlichen Umgestaltung seiner Wohnverhältnisse erst nach Ablauf eines halben Jahres wirksam werden. Diese Frist sowie die Anfechtung der ursprünglichen Notbedarfsrechnung haben zu einer solchen zeitlichen Verzögerung des Arrestvollzugs geführt, dass die erfolgreiche Verarrestierung des Lohnes nur mehr während eines einzigen Monats möglich bleiben soll. Ob diese Sichtweise in Einklang mit Bundesrecht steht, ist im folgenden zu prüfen.
2.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichts hat die bei der Pfändung und Arrestierung des künftigen Lohnes zu beachtende Jahresfrist mit dem Vollzug des Beschlages beginnen lassen. Die Frage der Dauer der in erster Linie mit Rücksicht auf die Gläubigerinteressen eingeführten zeitlichen Begrenzung und deren Rechtfertigung ist wiederholt erörtert und in Anlehnung an
Art. 116, 121 und 88 SchKG
- wenn auch ohne inneren Zusammenhang mit diesen Bestimmungen - auf ein Jahr festgelegt worden (
BGE 98 III 12
ff., mit Hinweisen; a.A. noch JAEGER in SJZ 32/1935, S. 54, der die Frist zwingend aus Art. 116/121 SchKG ableiten wollte). Demgegenüber gab der Beginn dieser Frist nicht zu höchstrichterlichen Entscheidungen Anlass. Das Bundesgericht hat lediglich zu der speziellen Frage des Pfändungsanschlusses klärend festhalten müssen, dass die Pfändung künftigen Lohns auch im Falle der Teilnahme weiterer Gläubiger auf ein Jahr ab dem die Teilnahmefristen von Art. 110/111 SchKG in Gang setzenden Pfändungsvollzuge beschränkt bleibt (
BGE 98 III 21
). Dass zur Problematik des Fristbeginns nur vereinzelte Entscheidungen ergangen sind, mag nicht erstaunen, geht es doch um die zeitliche Begrenzung der eigentlichen Beschlagswirkung, die für den Schuldner naturgemäss erst mit dem Vollzug spürbar wird. In der Tat lässt sich denn ein anderer, mit hinreichender Klarheit bestimmbarer Zeitpunkt nicht ausmachen, weshalb für den Beginn des Fristenlaufs - ob Pfändung, ob Arrest - auch inskünftig der Zeitpunkt des Vollzuges massgebend bleiben muss. Fraglich bleibt indessen zunächst, was unter Pfändungsvollzug zu verstehen ist.
a) Es gilt vorab an den Fall zu denken, wo die durch das Betreibungsamt vorzunehmende Festlegung der pfändbaren
BGE 116 III 15 S. 19
Quote zu einem negativen Ergebnis geführt hat und der Gläubiger deshalb gänzlich leer ausgeht. Es versteht sich von selbst, dass dem Schuldner auch diese fruchtlose Pfändung mitzuteilen und desgleichen beim erfolglosen Arrestvollzug zu verfahren ist (
Art. 275 SchKG
); damit muss es jedoch bereits sein Bewenden haben, zumal weiterführende Vollzugshandlungen gemäss
Art. 96 Abs. 1 SchKG
nicht stattfinden können (vgl. zum Pfändungsvollzug
BGE 110 III 59
;
BGE 94 II 80
und insb.
BGE 93 III 36
). Unter diesen Umständen kann freilich von einem eigentlichen Pfändungsvollzug, der nach der Rechtsprechung die den Beschlag künftigen Erwerbseinkommens begrenzende Jahresfrist in Gang setzen müsste, nicht die Rede sein. So vermag eine gänzlich erfolglose Pfändung auch nicht die Anschlussmöglichkeit im Sinne von
Art. 110 SchKG
auszulösen (JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, N. 2 zu Art. 110). Wenn sich aber im Beschwerdeverfahren herausstellen sollte, dass bei der ergebnislos verlaufenen Bestimmung der pfändbaren Quote ursprünglich in gesetzeswidriger oder unangemessener Weise verfahren worden ist, muss dies Folgen zeitigen. Dabei gilt es zu bedenken, dass die sich im Beschwerdeverfahren ergebende, für den Schuldner ungünstig verlaufende Abänderung der pfändbaren Quote über den Zeitpunkt des Beschwerdeentscheides zurück keine Wirkung zu entfalten vermag. Dies rührt nicht nur vom Grundsatz, dass Berichtigungen von angefochtenen Verfügungen durch die Aufsichtsbehörde erst mit deren Entscheidung wirksam werden (JAEGER, a.a.O., N. 2 zu Art. 21; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 4. A. 1988, § 6, Rz. 52), sondern auch von der praktischen Überlegung her, dass die gebotene Wahrung des neu festgesetzten Notbedarfs durch die Anordnung von Nachzahlungen illusorisch würde (vgl. dazu
BGE 85 III 36
f.). Folgerichtig muss dies dazu führen, dass die Jahresfrist nach dem bereinigenden Entscheid der Aufsichtsbehörde mit der Neuaufnahme der Pfändungs- bzw. Arresturkunde von neuem ausgelöst wird, darf doch der Gläubiger hier nicht schlechter gestellt werden als er es wäre, wenn die pfändbare Quote ab Beginn richtig festgesetzt worden wäre (zum Zeitpunkt des Pfändungsvollzuges bei der Pfändung von Forderungen, vgl. JAEGER, a.a.O., N. 2 zu Art. 110).
b) Davon ist der Fall zu unterscheiden, wo sich die Verhältnisse auf seiten des Schuldners im nachhinein tatsächlich verbessert haben, so dass zu einer Anpassung der pfändbaren Quote geschritten und erstmals ein positives Pfändungsergebnis erzielt werden
BGE 116 III 15 S. 20
könnte. Hier ist die Anpassung an die veränderten Verhältnisse mittels Revision der Einkommenspfändung vorzunehmen, sei es auf entsprechendes Begehren des Gläubigers, sei es von Amtes wegen, sofern das Betreibungsamt auf irgendeine Weise erfährt, dass seine Anordnungen den Verhältnissen nicht mehr entsprechen (
BGE 108 III 13
;
BGE 93 III 37
E. 2, mit weiteren Hinweisen). Wenn diese Revision zu einem pfändbaren Ergebnis führt, liegt es nahe, den Beginn der Frist auch hier mit dem Vollzug des angepassten Pfändungsergebnisses neu anzusetzen. Immerhin haben auch in diesem Fall eigentliche Vollzugshandlungen bislang nicht stattgefunden. Dennoch geht eine Gleichbehandlung der beiden verschiedenen Sachverhalte nicht an. So liegt im Unterschied zum vorhergehenden Fall keine behördliche Fehlentscheidung vor, die zu einem gesetzeswidrigen Nachteil des betroffenen Gläubigers geführt hätte und ein besonderes Entgegenkommen zu dessen Gunsten rechtfertigen würde. Hinzu käme, dass sich der Beginn der Jahresfrist in einer Art und Weise in der Schwebe befände, die namentlich für den Schuldner kaum mehr zumutbar schiene. Sollte sich somit erst im Laufe der Zeit ergeben, dass Vermögenswerte des Schuldners mit Beschlag belegt werden können, müsste dessen Befristung gleichwohl bereits mit der anfänglichen fruchtlosen Vollstreckung einsetzen. Andernfalls ergäbe sich eine Benachteiligung nicht nur des Schuldners, sondern insbesondere auch der übrigen Gläubiger, denen die Möglichkeit, ebenfalls auf den Lohn des Schuldners zu greifen, nicht allzulange vorenthalten werden darf (
BGE 112 III 20
).
Hier ist auch der Sachverhalt einzureihen, in dem zum Zeitpunkt des Pfändungsvollzuges bereits eine Lohnpfändung zugunsten einer anderen Betreibung besteht, die die gesamte pfändbare Quote für sich in Anspruch nimmt und an welcher der später hinzutretende Gläubiger zufolge Versäumnisses der Anschlussfrist nicht mehr teilnehmen kann. Die Rechtsprechung hat dazu früh schon festgehalten, dass der Beginn der Wirksamkeit der zweiten Pfändung nicht auf das Ende des Jahres hinausgeschoben werden dürfe, währenddem die erste Pfändung noch in Kraft steht. An der zeitlichen Beschränkung der Lohnpfändung wird demnach festgehalten, wenn der Lohn des (von einem späteren Pfändungsvollzug aus betrachtet) kommenden Jahres teilweise oder gar vollumfänglich zugunsten eines früher pfändenden Gläubigers vorweggepfändet worden ist, so dass für den nachgehenden Gläubiger nur mehr wenig oder kaum noch etwas verbleibt (
BGE 55 III 103
; 60 III
BGE 116 III 15 S. 21
74 f.; vgl. bereits
BGE 30 I 853
, sowie die Bestätigung in
BGE 98 III 15
unten).
c) Denkbar ist auch, dass die Pfändung oder Arrestlegung tatsächlich vollzogen werden konnte, im nachhinein indessen zutage tritt, dass die pfändbare Quote ursprünglich nicht dem Gesetz entsprechend bemessen worden ist oder den massgebenden Verhältnissen nicht bzw. nicht mehr entspricht. Durch das Beschwerdeverfahren, in dem der Gläubiger die Abänderung der pfändbaren Quote zu seinen Gunsten durchsetzen will, wird der Vollzug der bestehenden Lohnpfändung indessen nicht aufgeschoben; dies, weil zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung (
Art. 36 SchKG
) in aller Regel kein Anlass besteht. Gleich verhält es sich - jedenfalls was den Fortgang der Vollstreckung anbelangt - mit der Anpassung auf dem Wege der Revision. Im Gegensatz zu den vorerwähnten Sachlagen hat hier der Vollzug des Beschlages ab Beginn zu einem positiven Ergebnis geführt. Dieser Umstand muss für den Beginn der Jahresfrist entscheidend bleiben, auch wenn dies dazu führen mag, dass dem Gläubiger ein Teil der ihm nach Gesetz und den Verhältnissen tatsächlich zustehenden Quote vorenthalten wird.
d) Als Besonderheit des vorliegenden Falles ist endlich zu verzeichnen, dass dem Schuldner die Senkung seiner unverhältnismässig hohen Wohnkosten zugemutet werden muss. Bei der Festlegung des Notbedarfs ist den Interessen des Gläubigers Rechnung zu tragen, indem ein den wirtschaftlichen Verhältnissen und persönlichen Bedürfnissen des Schuldners nicht angemessener Mietzins nach Ablauf des nächsten Kündigungstermins auf ein Normalmass herabgesetzt werden kann (
BGE 114 III 16
f. E. 4, mit Hinweisen); in sinngemässer Weise ist beim Schuldner zu verfahren, der sich als Hauseigentümer einer unangemessenen Hypothekarzinsbelastung ausgesetzt sieht (vgl. dazu die im Kanton Bern geltenden Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums, in ZBJV 124/1988, S. 162 f.).
Vorliegend hat die Aufsichtsbehörde dem Schuldner eine rund halbjährige Frist eingeräumt, um die zur Senkung seiner Wohnkosten nötigen Vorkehren zu treffen. Dass sie damit ihr Ermessen missbraucht oder überschritten haben sollte, machen die Rekurrenten mit Recht nicht geltend. Weshalb indessen diese zur Anpassung eingeräumte Zeitspanne bei der die Geltung der Lohnpfändung oder -arrestierung einschränkenden Jahresfrist ausser Betracht fallen soll - wie die Rekurrenten dies sinngemäss geltend
BGE 116 III 15 S. 22
machen -, ist nicht einzusehen. Die Zulassung einer derartigen Ausnahme führte zu einer Vorzugsbehandlung, die aus Sicht der Rekurrenten zwar gerechtfertigt sein mag, sich gegenüber anderen Gläubigern jedoch nicht halten liesse. In Betracht zu ziehen ist etwa jener Gläubiger, der zufolge einer tief angesetzten pfändbaren Quote während eines Jahres nur einen Bruchteil seiner Forderung pfänden bzw. sicherstellen kann. Zu denken ist aber nebst dem Fall, wo die greifbaren Mittel bereits von einer vorgehenden Pfändung erfasst werden, auch an denjenigen des Schuldners, der im Laufe der Pfändung stellenlos wird und keinen pfändbaren Verdienst mehr hat; selbst hier bleibt die Lohnpfändung dennoch in Kraft, während ihre Wirkungen zwangsläufig aussetzen, bis wieder greifbare Mittel vorhanden sind, ohne dass die Rechtsprechung je eine entsprechende Ausdehnung der Jahresfrist erwogen hätte (
BGE 78 III 128
f.).
3.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass von der Regel, wonach die Dauer der zeitlichen Beschränkung der Einkommenspfändung oder -arrestierung ab deren Vollzug zu laufen habe, nur ganz ausnahmsweise abgewichen werden kann. Dies soll namentlich dort möglich sein, wo der Vollzug des Beschlags fruchtlos verlaufen ist und diese Folge auf einer gesetzeswidrigen oder unangemessenen Einschätzung des Betreibungsamtes beruht. In den übrigen Fällen werden die Gläubiger nach Ablauf der Jahresfrist nicht umhin können, erneut die Arrestlegung zu beantragen oder die Betreibung einzuleiten bzw. fortzusetzen (
Art. 149 Abs. 3 SchKG
, dazu
BGE 98 III 16
).
Vorliegend bedeutet dies, dass der Rekurs wenigstens teilweise gutzuheissen ist. Die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt Basel-Stadt wird folglich angewiesen, den Beginn der Jahresfrist auf den 13. Februar 1990, den Tag des kantonalen letztinstanzlichen Entscheides und damit den Zeitpunkt des hier massgebenden Beschlagsvollzugs, neu anzusetzen. Ab dem 1. Juli 1990 bis zum 12. Februar 1991 kann somit ein monatlicher Lohnabzug von Fr. 2'075.-- vorgenommen werden. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
bec8f892-e8e7-4418-b32f-c3a76a45186b | Urteilskopf
138 III 781
116. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Bank Z. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_295/2012 vom 21. November 2012 | Regeste
Art. 8 ZGB
; Art. 437 i.V.m. 436 Abs. 1 OR; Kommissionsvertrag; Vermutung des Selbsteintritts.
Bezeichnet sich ein zur Beschaffung von Wertschriften beauftragter Kommissionär in der Abrechnung als Selbstkontrahent, ohne eine andere Person als Verkäuferin zu nennen, so wird vermutet, er habe aus Eigenbeständen geliefert (E. 3.3-3.5). Die Beweislast der Widerlegung trägt der Kommissionär (E. 3.5.3). | Erwägungen
ab Seite 781
BGE 138 III 781 S. 781
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt willkürlich und in Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften, insbesondere
Art. 8 ZGB
, insofern unrichtig festgestellt, als sie davon ausging, die Beschwerdegegnerin habe die dem Beschwerdeführer verkauften Aktien über die Börse beschafft.
3.1
Die erste Instanz hat dem Kläger (Beschwerdeführer) den Beweis dafür auferlegt, dass er 4'500 Namenaktien der W. AG aus
BGE 138 III 781 S. 782
Eigenbeständen der damaligen Y. erworben habe. Als einziges Beweismittel hat der Kläger eine von der Y. erstellte Wertschriftenabrechnung vom 28. Juni 1996 eingereicht. In dieser erklärte die Y., sie habe die Aktien dem Beschwerdeführer "aufgrund der Statuten und Usanzen der Zürcher Effektenbörse als Selbstkontrahent" verkauft. Beide kantonalen Instanzen hielten diese Urkunde nicht für geeignet, die Herkunft der Aktien zu beweisen. Die Vorinstanz erwog, die Wertschriftenabrechnung besage lediglich, dass die Y. den Auftrag aufgrund der Statuten und Usanzen der Zürcher Effektenbörse als "Selbstkontrahent" ausgeführt habe. Das genüge angesichts der Bestreitungen der Beklagten nicht für den Nachweis, dass die Y. die an den Kläger verkauften Aktien der W. AG aus den Eigenbeständen bezogen habe. Bezüglich dieser Frage ging die Vorinstanz mithin zulasten des Klägers von Beweislosigkeit aus.
3.2
Demgegenüber vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, die Beschwerdegegnerin trage die Beweislast für ihre Behauptung, wonach die an den Kläger verkauften Aktien über die Börse gekauft worden seien, weil sie aus diesem Umstand für sich Rechte im Sinne von
Art. 8 ZGB
ableiten wolle.
3.3
Nach
Art. 8 ZGB
hat, wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Beim Kommissionsvertrag wird die Beweislastgrundregel des
Art. 8 ZGB
durch eine gesetzliche Vermutung ergänzt: Bei Kommissionen zum Einkauf von Wertpapieren, die einen Börsenpreis haben, ist die Kommissionärin, wenn der Kommittent nicht etwas anderes bestimmt hat, befugt, die Wertpapiere, die sie einkaufen soll, als Verkäuferin selbst zu liefern (
Art. 436 Abs. 1 OR
). Meldet die Kommissionärin in den Fällen, wo der Eintritt als Eigenhändlerin zugestanden ist, die Ausführung des Auftrages, ohne eine andere Person als Verkäuferin namhaft zu machen, so ist anzunehmen, dass sie selbst die Verpflichtung einer Verkäuferin auf sich genommen habe (
Art. 437 OR
).
3.4
Die Vorinstanz erwog, es sei in Wertschriftenabrechnungen häufig auch dann von einem Selbsteintritt, von "Selbstkontrahent" die Rede, wenn der Auftrag über die Börse abgewickelt wurde. Die Behauptung der Beklagten, dass von einem unechten Selbsteintritt auszugehen sei und die fraglichen Aktien an der Börse erworben wurden, sei daher mit der vom Kläger eingereichten Wertschriftenabrechnung nicht widerlegt.
BGE 138 III 781 S. 783
3.5
Der Beschwerdeführer rügt, es könne nicht Sache des Klägers sein, die Entlastungsbehauptung der Beklagten, wonach von einem unechten Selbsteintritt auszugehen sei, zu widerlegen.
3.5.1
Der Gesetzeswortlaut von
Art. 437 OR
unterscheidet nicht zwischen einem echten und einem unechten Selbsteintritt, sondern knüpft schlicht an den Inhalt der Ausführungsmeldung des Kommissionärs an. Teilt dieser die Ausführung des Auftrages mit, ohne eine andere Person als Verkäufer zu nennen, so ist der Eintritt als Eigenhändler i.S. von
Art. 436 Abs. 1 OR
anzunehmen bzw. - ausweislich des Randtitels zu
Art. 437 OR
- zu vermuten. Dies gilt in den Fällen, wo der Eintritt als Eigenhändler zugestanden ist, was gemäss
Art. 436 Abs. 1 OR
u.a. zutrifft, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Auftrag den Einkauf von Wertpapieren betrifft, die einen Börsenpreis haben, und der Kommittent nicht etwas anderes bestimmt hat. Diesfalls ist der Kommissionär befugt, statt die Wertpapiere bei einem Dritten einzukaufen, diese selbst als Verkäufer zu liefern.
3.5.2
In der Lehre ist die Ansicht anzutreffen, dass zu unterscheiden sei, ob der Kommissionär dem Kommittenten die Ausführung des Geschäfts ohne Bezeichnung der Gegenpartei meldet, bevor er überhaupt ein Drittgeschäft abgeschlossen (VON PLANTA/LENZ, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 2a zu
Art. 437 OR
sowie VON PLANTA/FLEGBO-BERNEY, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2. Aufl. 2012, N. 2a zu
Art. 437 OR
) oder aber nachdem er mit einem Dritten das Erwerbsgeschäft abgeschlossen hat (VON PLANTA/LENZ, a.a.O., N. 2b zu
Art. 437 OR
sowie VON PLANTA/FLEGBO-BERNEY, a.a.O., N. 2b zu
Art. 437 OR
). Im zweiten Fall soll
Art. 437 OR
nicht zur Anwendung kommen, weil mit dem Abschluss des Drittgeschäfts das Selbsteintrittsrecht des Kommissionärs untergegangen sei. Wäre dem nicht so, könnte der Kommissionär je nach Marktpreisentwicklung den Selbsteintritt erklären bzw. darauf verzichten und so die guten Geschäfte für sich behalten, die schlechten jedoch an den Kommittenten weitergeben (HOFSTETTER, Der Auftrag [...], in: Obligationenrecht, SPR Bd. VII/6, 2. Aufl. 2000, S. 211 f. Ziff. 2d).
3.5.3
Der Gesetzeswortlaut bietet für eine solche Unterscheidung keine Stütze. In jedem Falle aber hätte diese den Zweck, den Kommittenten vor der Auswirkung des latenten Interessenkonflikts des Eigenhändlers zu schützen. Auf den vorliegenden Fall übertragen, würde sie das Gegenteil bewirken: Dem Kommittenten würde in der Frage, ob überhaupt ein Selbsteintritt vorliege, das Beweisrisiko zugeschoben.
BGE 138 III 781 S. 784
Die Frage kann indessen offenbleiben, weil im vorliegenden Fall nicht die Preisgestaltung strittig ist, sondern die Herkunft der von der Beschwerdegegnerin gelieferten Aktien. Indem sich die Beschwerdegegnerin in ihrer Wertschriftenabrechnung bezüglich der Ausführung des Auftrages als Selbstkontrahentin bezeichnete, ohne eine andere Person als Verkäuferin zu nennen, löste sie die Vermutung aus, sie habe als Kommissionärin im Sinne von Art. 437 i.V.m. 436 Abs. 1 OR von der Befugnis Gebrauch gemacht, auf den Einkauf der Aktien, die sie einkaufen sollte, bei einem Dritten zu verzichten, weil sie entsprechende Wertpapiere bereits in ihrem Eigentum hatte (GAUTSCHI, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1962, N. 1b zu
Art. 437 OR
). Die Vermutung ist widerlegbar (GAUTSCHI, a.a.O.; TERCIER/FAVRE/PEDRAZZINI, Les contrats spéciaux, 4. Aufl. 2009, N. 5878); die Beweislast der Widerlegung durch Nachweis eines Börsenkaufs trägt aber die Beschwerdegegnerin als Kommissionärin (HANS PETER WALTER, in: Berner Kommentar, 2012, N. 412, 418 zu
Art. 8 ZGB
). Indem die Vorinstanz die Beweislast bezüglich der Beschaffungsweise der Aktien dem Beschwerdeführer auferlegte, verletzte sie
Art. 436 Abs. 1 und 437 OR
i.V.m.
Art. 8 ZGB
. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
bece4ef1-5eb5-4565-af50-e84bcabfa302 | Urteilskopf
116 Ia 321
49. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. November 1990 i.S. X. und Y. gegen Steueramt und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Rechtsgleichheit bei der Besteuerung des Eigenmietwertes.
Art. 4 BV
; § 20 des zürcherischen Gesetzes vom 8. Juli 1951 über die direkten Steuern (Steuergesetz, StG).
1. Nach
§ 20 Abs. 1 und Abs. 2 StG
ist es zulässig, bei der Festsetzung des Eigenmietwertes der Stockwerkeigentümer vom marktüblichen Mietzins 30% abzuziehen (E. 2).
2. Die vollständige Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung ohne ausgleichende Massnahmen würde
Art. 4 BV
verletzen. Es steht den Kantonen aber frei, bei der Festsetzung des Eigenmietwertes vom Marktmietwert abzuweichen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 321
BGE 116 Ia 321 S. 321
X. und Y. fügten in ihrer Steuererklärung 1987 einerseits den Ertrag aus der Nutzung der gemieteten Wohnung dem Einkommen
BGE 116 Ia 321 S. 322
unter Abzug von 30% hinzu; anderseits zogen sie die Mietzinse vom Einkommen ab. Per Saldo zogen sie damit 30% der Miete ab.
Die Steuerbehörde rechnete in der ausserordentlichen Haupteinschätzung 1986 und in der Einschätzung 1987 den Abzug bei der Staats- und Gemeindesteuer wieder auf. X. und Y. erhoben dagegen erfolglos Einsprache bei der Steuerkommission Oetwil am See und Rekurs bei der Steuerrekurskommission des Kantons Zürich. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies die gegen den Entscheid der Steuerrekurskommission erhobene Beschwerde am 3. Oktober 1989 ab.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 13. November 1989 beantragen X. und Y. sinngemäss, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
2.
a) Nach
§ 20 Abs. 1 StG
gehören auch Naturaleinkünfte mit Einschluss der Eigennutzung von Liegenschaften zu den steuerbaren Einkünften.
§ 20 Abs. 2 StG
verpflichtet den Regierungsrat, die für eine durchschnittlich gleichmässige Bemessung des Eigenmietwertes selbstgenutzter Liegenschaften und Wohnungen notwendigen Dienstanweisungen zu erlassen. Der Regierungsrat erliess am 8. September 1982 diese Dienstanweisungen und publizierte sie in der Zürcher Gesetzessammlung.
Nach den Dienstanweisungen sind die Mietwerte von Eigentumswohnungen durch Vergleich mit für ähnliche Objekte erzielten Mietzinsen zu schätzen. Von den so ermittelten Ausgangswerten sind 30% abzuziehen, damit Stockwerkeigentümer gegenüber den Eigentümern ganzer Liegenschaften nicht benachteiligt werden. Die gleiche Berechnungsart gilt auch für die vom Eigentümer selbst benützten Wohnungen in Mehrfamilienhäusern ohne Stockwerkeigentum.
b)
§ 20 Abs. 1 StG
schreibt nicht vor, dass die Eigennutzung von Liegenschaften entsprechend dem marktüblichen Mietzins zu bewerten wäre. Der Regierungsrat darf auch eine vom Marktwert abweichende Festsetzung des Eigenmietwertes vorsehen. Der in den Dienstanweisungen gewährte Abzug von 30% gegenüber dem marktüblichen Mietzins und die damit verbundene unterschiedliche Behandlung von Wohnungsmietern und Wohnungseigentümern widerspricht nicht dem Wortlaut des Gesetzes. Das angefochtene
BGE 116 Ia 321 S. 323
Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt somit die Bestimmungen des Steuergesetzes nicht.
3.
a) Die Beschwerdeführer machen auch gar nicht geltend, das Verwaltungsgericht habe mit seinem Urteil das Steuergesetz verletzt. Sie berufen sich vielmehr auf die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit der Steuerbelastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Diese Grundsätze würden im Kanton Zürich gemäss den Dienstanweisungen des Regierungsrates verletzt, weil bei der Festsetzung des massgeblichen Eigenmietwertes vom marktüblichen Mietzins ein Abzug von 30% gemacht werden müsse. Die Praxis der Steuerbehörden gehe noch darüber hinaus.
b) Die erwähnten Grundsätze folgen zunächst aus Art. 19 Abs. 1 und 4 KV. Diese Bestimmung enthält den Grundsatz der Allgemeinheit und der Verhältnismässigkeit der Steuern, welcher auch aus
Art. 4 BV
folgt. Die Regel der Zürcher Kantonsverfassung geht daher nicht weiter als die Bundesverfassung, auch wenn sie ein verfassungsmässiges Recht einräumt (vgl.
BGE 105 Ia 358
E. 3c; ASA 53, 16 f.).
c) Ein Erlass verstösst gegen das Gebot der Rechtsgleichheit, wenn er rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen, wenn also Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird, wobei sich dies auf wesentliche Tatsachen beziehen muss. Die Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann zu verschiedenen Zeiten verschieden beantwortet werden, je nach den herrschenden Anschauungen und Zeitverhältnissen. Dem Gesetzgeber bleibt damit im Rahmen der aufgeführten Grundsätze ein weiter Spielraum der Gestaltung, in den das Bundesgericht nicht eingreift (
BGE 115 Ia 287
E. 6, mit Hinweisen).
d) Wie die Beschwerdeführer zutreffend ausführen, wird
Art. 4 BV
auf dem Gebiet der Steuern konkretisiert durch die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit der Steuerbelastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der Gesetzgeber hat aber auch im Abgaberecht weitgehende Gestaltungsfreiheit. Nach dem
BGE 116 Ia 321 S. 324
Prinzip der Allgemeinheit der Besteuerung ist allerdings eine sachlich unbegründete Ausnahme einzelner Personen oder Personengruppen von der Besteuerung unzulässig, da der Finanzaufwand des Gemeinwesens für die allgemeinen öffentlichen Aufgaben grundsätzlich von der Gesamtheit der Bürger getragen werden soll (
BGE 112 Ia 244
E. 4c, mit Hinweisen).
Nach diesen Grundsätzen würde die vollständige und undifferenzierte Abschaffung der Besteuerung des Eigenmietwertes ohne ausgleichende Massnahmen den Wohnungseigentümer mit hohem Selbstfinanzierungsgrad gegenüber andern Steuerpflichtigen mit gleicher finanzieller Leistungsfähigkeit in einer Weise begünstigen, welche vor
Art. 4 BV
nicht standhält (
BGE 112 Ia 244
E. 5a). Die genaue Bestimmung des Eigenmietwertes lässt sich hingegen nicht unmittelbar aus
Art. 4 BV
ableiten. Das ist Sache des Gesetzgebers (vgl. das Urteil des Bundesgerichts vom 9. November 1990 i.S. S. c. Staat Bern); bei dessen Stillschweigen steht den Vollzugsbehörden ein entsprechender Spielraum zu.
e) Beim marktüblichen Mietzins handelt es sich um einen Durchschnittswert, von dem in einzelnen Fällen die tatsächlich bezahlte Miete weit, unter Umständen auch nach unten, abweichen kann. Die Beschwerdeführer führen aber nicht aus, dass die Mietwerte für ähnliche Wohnungen in der Gemeinde Oetwil von der Miete, welche sie selbst bezahlen müssen, abweichen. Es genügt nicht, dass die Beschwerdeführer mit Durchschnittswerten für den ganzen Kanton Zürich darlegen, dass die Mieter benachteiligt werden; sie müssen das vielmehr für ihre eigene Situation anhand der Zahlen in ihrer Wohngemeinde tun. Die Beschwerde ist schon aus diesem Grunde nicht genügend begründet.
f) Die Besteuerung des Mietwertes verletzt im übrigen
Art. 4 BV
noch nicht, wenn der Gesetzgeber Lösungen trifft oder zulässt, die Fragen aufwerfen oder nicht in jeder Hinsicht der wirtschaftlichen oder juristischen Überlegung folgen, nach welcher der Eigenmietwert dem Marktwert entspricht.
Art. 4 BV
und damit das Rechtsgleichheitsgebot sind nur dann verletzt, wenn die Unterscheidungen offensichtlich sinnlos sind (
BGE 115 Ia 287
E. 6, mit Hinweisen). Das Steuerrecht folgt oft nicht strengen wirtschaftlichen oder juristischen Überlegungen. So werden beispielsweise Schuldzinse regelmässig zum Abzug zugelassen, auch wenn sie nicht Gewinnungskosten sind. Oft werden auch Wertsteigerungen auf Privatvermögen nicht besteuert. Ebenso wird die Eigennutzung von Fahrnis nicht besteuert, obschon sie wirtschaftlich ins
BGE 116 Ia 321 S. 325
Gewicht fällt. Eine Ausnahme macht nur die Nutzung des Grundeigentums. Das wird damit begründet, dass jeder ein Dach über dem Kopf braucht.
g) Die Nutzung des eigenen Vermögens wird im allgemeinen nur dann besteuert, wenn es sich dabei um die selbst genutzte Wohnung handelt. Die Eigennutzung einer Wohnung ist grundsätzlich kein Einkommen in Geld. Auch ist ein Mieter bei der Auswahl einer Wohnung freier als ein Eigentümer, der mit seiner Wohnung enger verbunden ist. Unter diesen Umständen mag es ohne Verletzung von
Art. 4 BV
noch angehen, der kleineren Disponibilität des Nutzens einer eigenen Wohnung bei der Festsetzung des Mietwertes Rechnung zu tragen.
Damit verstösst es nicht gegen
Art. 4 BV
, den steuerbaren Eigenmietwert gegenüber dem marktüblichen Mietzins herabzusetzen und in diesem Sinne Wohnungseigentümer und Wohnungsmieter zahlenmässig nicht gleich zu behandeln, soweit die pauschale Herabsetzung des Eigenmietwertes mässig bleibt. Ob die Differenzen, welche sich bei der zürcherischen Praxis ergeben, noch verfassungsmässig sind, muss jedoch nicht überprüft werden; in jedem Falle liegt die Grenze nicht bei 10%, und sie ist auch nicht durch administrative Bedürfnisse allein bedingt, wie die Beschwerdeführer rügen.
h) Die Beschwerdeführer äussern sich nicht näher zur Frage, ob, inwieweit und warum das Ermessen des Gesetzgebers beschränkt ist. Das dürfte, was zum Beispiel die Förderung des Wohneigentums angeht, auch von den konkreten Gegebenheiten in einem Kanton abhängen. Auf die Frage ist daher nicht einzutreten, da die Rügen in dieser Beziehung nicht genügend begründet sind (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
). | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
bed16730-4c9e-4769-9cd8-835259a399fd | Urteilskopf
136 II 78
8. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause A.X. contre Service de la population du canton de Vaud (recours en matière de droit public)
2C_270/2009 du 15 janvier 2010 | Regeste
Art. 42 Abs. 1,
Art. 43, 47 und 126 Abs. 3 AuG
; partieller Familiennachzug.
Altrechtliche Bestimmungen zum Nachzug eines im Ausland lebenden Kindes durch einen sich in der Schweiz aufhaltenden Elternteil - partieller Familiennachzug - (E. 4.1). Neues Recht: Wortlaut, Entwicklungsgeschichte, Praxis und Rechtsprechung der Bundesbehörden, Auslegung durch die Lehre (E. 4.2-4.6). Das neue Recht mit seiner fristbezogenen Regelung stellt eine Abkehr von den restriktiven Bedingungen dar, welche unter der Herrschaft der altrechtlichen Ordnung von der Rechtsprechung aufgestellt wurden; gleichwohl bedeutet die Einhaltung der für das Einreichen eines Familiennachzugsgesuches festgesetzten Fristen nicht, dass diesem automatisch zu entsprechen wäre; weitere zu berücksichtigende Gesichtspunkte (E. 4.7 und 4.8). | Sachverhalt
ab Seite 78
BGE 136 II 78 S. 78
A.X., ressortissant de la République démocratique du Congo, vit en Suisse depuis 1983. Il est au bénéfice d'un permis d'établissement. De son premier mariage avec B., il a deux fils nés en 1982 et 1997. Remarié avec C., il est père d'un autre garçon né en 2007, qui vit à ses côtés.
BGE 136 II 78 S. 79
Par jugement du Tribunal de paix de Kinshasa/Assosa du 17 décembre 2007, A.X. s'est vu attribuer la garde de sa fille D.X., née en 1999 d'une relation avec E. et qui vit en République démocratique du Congo avec sa mère.
Le 19 février 2008, une autorisation d'entrée et de séjour en Suisse a été requise pour l'enfant D.X., afin de lui permettre d'y rejoindre son père.
Dans son préavis du 18 mars 2008, l'Ambassade de Suisse en République démocratique du Congo a émis toutes réserves sur les documents d'état civil congolais produits, le seul moyen efficace de démontrer la paternité de A.X. était selon elle de procéder à un test ADN. Elle a relevé en outre que le père et la fille ne s'étaient pas revus depuis 2003. La mère n'ayant pas les moyens de subvenir à l'entretien de cette dernière, c'était A.X. qui s'en chargeait, en envoyant de l'argent chaque mois. L'enfant parlait difficilement le français et avait toutes ses attaches en République démocratique du Congo, de sorte que, si elle venait en Suisse, ses difficultés d'adaptation et le risque de marginalisation seraient bien réels. En restant en revanche dans son pays, elle avait la possibilité de vivre chez des amis ou de la famille et une assistance modeste de son père lui permettrait de rester "dans un environnement familier et dans de bonnes conditions matérielles".
Par décision du 29 octobre 2008, le Service de la population du canton de Vaud a rejeté la demande d'autorisation d'entrée et de séjour.
A.X. a déféré ce prononcé au Tribunal cantonal vaudois, qui a rejeté le recours par arrêt du 16 mars 2009. En se référant à la jurisprudence en matière de regroupement familial partiel rendue sous l'ancien droit, cette autorité a considéré qu'il n'était pas établi que le recourant - dont la paternité était du reste douteuse - avait entretenu avec sa fille une relation parentale prépondérante. Il apparaissait en effet que c'était la mère de l'enfant qui avait eu la garde de sa fille de façon exclusive et ininterrompue et qui avait pris en charge l'essentiel de son éducation. En outre, le fait que l'enfant vienne séjourner en Suisse auprès de son père aurait représenté pour elle un déracinement très problématique; l'intérêt de l'enfant commandait qu'elle demeure en République démocratique du Congo auprès de sa mère, voire de sa parenté élargie.
A l'encontre de cet arrêt et de la décision du 29 octobre 2008, A.X. forme un recours en matière de droit public et un recours constitutionnel subsidiaire.
BGE 136 II 78 S. 80
L'autorité précédente ainsi que l'Office fédéral des migrations proposent de rejeter les recours. Le Service de la population renonce à se déterminer.
Le Tribunal fédéral a déclaré irrecevable le recours constitutionnel subsidiaire et rejeté le recours en matière de droit public.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Le litige revient à se demander si le recourant, qui vit en Suisse depuis 1983, peut obtenir une autorisation de séjour pour l'enfant D.X., née en 1999 et qui a toujours vécu en République démocratique du Congo auprès de sa mère. Le Tribunal cantonal a nié ce droit, en appliquant les exigences posées par la jurisprudence rendue sous l'empire de la loi sur le séjour et l'établissement des étrangers en matière de regroupement familial partiel. Il s'agit donc, dans un premier temps, de se demander si ces exigences demeurent applicables sous le nouveau droit.
4.1
Sous l'ancien droit, l'
art. 17 al. 2 3
e
phrase LSEE avait la teneur suivante:
"Les enfants célibataires âgés de moins de 18 ans ont le droit d'être inclus dans l'autorisation d'établissement aussi longtemps qu'ils vivent auprès de leurs parents".
Au vu notamment de la lettre de la loi, qui exigeait que les enfants vivent auprès de "leurs parents" (au pluriel), la jurisprudence considérait que le but de cette disposition était de permettre le maintien ou la reconstitution d'une communauté familiale complète entre les deux parents et leurs enfants communs encore mineurs. Elle distinguait ainsi selon que les parents faisaient ménage commun ou qu'ils étaient séparés ou divorcés, l'un d'eux se trouvant en Suisse et l'autre à l'étranger avec les enfants (regroupement familial partiel). Le droit au regroupement familial en vertu de la disposition précitée valait, sous réserve d'abus, pour les cas où les parents faisaient ménage commun. Il n'existait, en revanche, pas un droit inconditionnel de faire venir auprès du parent établi en Suisse des enfants qui avaient grandi à l'étranger dans le giron de l'autre parent. La reconnaissance d'un droit au regroupement familial supposait alors que des circonstances importantes d'ordre familial rendent nécessaire la venue des enfants en Suisse, comme par exemple une modification des possibilités de leur prise en charge à l'étranger (
ATF 133 II 6
consid. 3.1 p. 9 s.;
ATF 129 II 11
consid. 3.1.1 à 3.1.3 p. 14 s. et les références).
BGE 136 II 78 S. 81
4.2
Intitulé "Membres étrangers de la famille d'un ressortissant suisse", l'
art. 42 LEtr
(RS 142.20) dispose ce qui suit:
"
1
Le conjoint d'un ressortissant suisse ainsi que ses enfants célibataires de moins de 18 ans ont droit à l'octroi d'une autorisation de séjour et à la prolongation de sa durée de validité à condition de vivre en ménage commun avec lui.
2
(...)
3
(...)
4
Les enfants de moins de douze ans ont droit à l'octroi d'une autorisation d'établissement."
Sous le titre "Conjoint et enfants étrangers du titulaire d'une autorisation d'établissement", l'
art. 43 LEtr
a la teneur suivante:
"
1
Le conjoint étranger du titulaire d'une autorisation d'établissement ainsi que ses enfants célibataires étrangers de moins de 18 ans ont droit à l'octroi d'une autorisation de séjour et à la prolongation de sa durée de validité, à condition de vivre en ménage commun avec lui.
2
(...)
3
Les enfants de moins de douze ans ont droit à l'octroi d'une autorisation d'établissement."
La loi sur les étrangers a parallèlement introduit des délais pour requérir le regroupement familial. L'
art. 47 al. 1 1
re
phrase LEtr pose le principe selon lequel le regroupement familial doit être demandé dans les cinq ans. Pour les enfants de plus de 12 ans, le regroupement doit intervenir dans un délai de 12 mois (
art. 47 al. 1 2
e
phrase LEtr). S'agissant de membres de la famille d'étrangers, le délai commence à courir lors de l'octroi de l'autorisation de séjour ou d'établissement ou lors de l'établissement du lien familial (
art. 47 al. 3 let. b LEtr
). Passé ce délai, le regroupement familial différé n'est autorisé que pour des raisons familiales majeures; si nécessaire, les enfants de plus de 14 ans sont entendus (
art. 47 al. 4 LEtr
). Selon la disposition transitoire de l'
art. 126 al. 3 LEtr
, les délais prévus à l'
art. 47 al. 1 LEtr
commencent à courir à l'entrée en vigueur de la loi sur les étrangers, dans la mesure où l'entrée en Suisse ou l'établissement du lien familial sont antérieurs à cette date.
Enfin, l'
art. 51 LEtr
. prévoit que les droits figurant notamment aux
art. 42 et 43 LEtr
s'éteignent s'ils sont invoqués abusivement pour éluder les dispositions de la loi sur les étrangers ou ses dispositions d'exécution ou s'il existe des motifs de révocation.
BGE 136 II 78 S. 82
4.3
Sous réserve de la limite d'âge pour obtenir une autorisation d'établissement, l'
art. 43 LEtr
correspond à l'art. 42 du projet du Conseil fédéral, dont la teneur était la suivante (FF 2002 3614):
"
1
Le conjoint du titulaire d'une autorisation d'établissement, ainsi que ses enfants célibataires de moins de 18 ans ont droit à l'octroi d'une autorisation de séjour et à la prolongation de sa durée de validité, à condition d'habiter avec lui.
2
(...)
3
Les enfants de moins de 14 ans ont droit à l'octroi d'une autorisation d'établissement."
Selon le Message du 8 mars 2002 concernant la loi sur les étrangers, cette réglementation était censée correspondre en principe à celle de l'
art. 17 al. 2 LSEE
(FF 2002 p. 3509 ch. 1.3.7.3 et p. 3548 ad art. 42).
L'
art. 47 LEtr
, qui institue des délais pour demander le regroupement familial, est issu de l'art. 46 du projet. La seconde phrase de l'alinéa 1, qui prévoit un délai de 12 mois pour demander le regroupement avec des enfants de plus de 12 ans, a été ajoutée par les Chambres fédérales. Il en va de même de la seconde phrase de l'alinéa 3, aux termes de laquelle les enfants de plus de 14 ans sont entendus si nécessaire. L'idée du législateur, en introduisant ces délais, était de favoriser la venue en Suisse des enfants le plus tôt possible, dans le but de faciliter leur intégration. En suivant une formation scolaire suffisamment longue dans notre pays, ils acquièrent en effet les aptitudes linguistiques indispensables à leur intégration. Les délais en question doivent en outre éviter que des demandes de regroupement familial soient déposées de manière abusive, en faveur d'enfants qui sont sur le point d'atteindre l'âge de travailler (FF 2002 3511 ch. 1.3.7.7).
Les dispositions sur le regroupement familial ont été abondamment discutées lors des délibérations au Parlement, en particulier au Conseil national (cf. BO 2004 CN 739 ss; BO 2005 CE 303 ss; BO 2005 CN 1233 ss). Les parlementaires ont envisagé la situation où des parents faisant ménage commun en Suisse demandent le regroupement pour leurs enfants vivant à l'étranger (cf. p. ex. BO 2005 CN 1235, intervention Bühlmann: "Bei Artikel 42 geht es um Kinder von ausländischen Eltern mit Niederlassungsbewilligung"). En revanche, le cas de parents divorcés ou séparés, dont l'un se trouvant en Suisse voudrait faire venir ses enfants de l'étranger, ne semble pas avoir été expressément évoqué. Dans la motivation de l'une de ses
BGE 136 II 78 S. 83
propositions, le Conseiller national Philipp Müller s'est certes référé à l'
ATF 129 II 11
consid. 3.4 p. 16 s., arrêt où la situation d'un père qui avait laissé son fils alors âgé de 16 ans durant de nombreuses années sous la garde de ses grands-parents en Turquie - la mère de l'enfant étant décédée - a été assimilée à celle d'un parent séparé ou divorcé du point de vue du regroupement familial. La proposition - qui n'a du reste pas été suivie - concernait toutefois le regroupement familial différé (actuel
art. 47 al. 4 LEtr
) et tendait à ce que seules des circonstances imprévisibles puissent être invoquées à cette fin (BO 2004 CN 759 et 764). La question du regroupement familial partiel n'a en revanche pas été abordée.
4.4
Dans ses directives (version du 1
er
juillet 2009; <
http://www.bfm.admin.ch/bfm/fr/home/dokumentation/rechtsgrundlagen/weisungen_und_kreisschreiben/auslaenderbereich/familiennachzug.html
), l'Office fédéral des migrations considère que les dispositions en matière de regroupement familial des art. 42 s. LEtr ont été conçues dans l'optique d'une vie commune des enfants avec leurs deux parents. Par conséquent, la jurisprudence rendue sous l'ancien droit (cf. consid. 4.1) demeurerait valable sous le régime de la loi sur les étrangers (ch. 6.1.2). Lorsque les parents sont divorcés ou séparés et que seul un des deux vit en Suisse, les enfants ne disposeraient ainsi pas d'un droit inconditionnel à rejoindre le parent en question, quand bien même ils rempliraient les conditions d'âge et de délais (
art. 47 LEtr
) pour demander le regroupement (ch. 6.8).
4.5
La doctrine est partagée.
SPESCHA est d'avis que la réglementation selon laquelle les enfants d'un ressortissant suisse (
art. 42 al. 1 LEtr
) ou du titulaire d'une autorisation d'établissement (
art. 43 LEtr
) ont droit à une autorisation de séjour s'ils remplissent les conditions d'âge et de délais de l'
art. 47 LEtr
vaut également lorsque les parents sont séparés ou divorcés (MARC SPESCHA, in Migrationsrecht, 2
e
éd. 2009, n
o
2 ad
art. 43 LEtr
, n
os
3 et 3a ad
art. 47 LEtr
, n° 2 ad
art. 126 LEtr
). Selon cet auteur, il n'y a pas lieu de reprendre les conditions strictes posées par la jurisprudence relative au regroupement familial partiel rendue sous l'ancien droit. A l'appui de son opinion, il fait valoir que l'
art. 43 al. 1 LEtr
accorde un droit à une autorisation de séjour aux enfants célibataires étrangers de moins de 18 ans "du titulaire d'une autorisation d'établissement", sans plus évoquer les deux parents, comme le faisait l'
art. 17 al. 2 LSEE
. En outre, le droit des migrations devrait
BGE 136 II 78 S. 84
tenir compte de l'existence des familles recomposées, qui constitue un fait sociologique (op. cit., n° 2 ad
art. 43 LEtr
). Par ailleurs, le cas d'application le plus fréquent de l'
art. 42 al. 1 LEtr
serait celui où une personne étrangère ayant des enfants épouse un ressortissant suisse et acquiert - mais non ses enfants - la nationalité suisse par la voie de la naturalisation facilitée. Lorsque cette personne fait venir en Suisse ses enfants en vertu de l'
art. 42 al. 1 LEtr
, le regroupement a lieu à l'initiative d'un seul parent. Dans des cas de ce genre, il serait exclu de soumettre le regroupement à d'autres conditions que celles des
art. 42 al. 1 et 47 LEtr
, car si le législateur avait voulu poser des exigences supplémentaires, il aurait dû les prévoir expressément (op. cit., n° 3a ad
art. 47 LEtr
). Cet auteur précise toutefois qu'il faut que le parent se trouvant en Suisse et qui demande le regroupement familial détienne seul l'autorité parentale. En cas d'autorité parentale conjointe, il faudrait obtenir le consentement exprès de l'autre parent vivant à l'étranger. Si ce consentement ne peut être obtenu, par exemple parce que l'autre parent séjourne en un lieu inconnu, le regroupement devrait être autorisé pour autant que l'intérêt de l'enfant le commande (op. cit., n° 2 ad art. 43, n° 3 ad
art. 47 LEtr
).
CARONI et BOLZLI estiment également qu'un seul des parents peut demander le regroupement familial, à condition de respecter les délais prévus par la loi et d'être au bénéfice de l'autorité parentale (CARONI/BOLZLI, Die Familie im Ausländerrecht, in Vierte Schweizer FamilienrechtsTage, 2008, p. 125).
D'autres auteurs relèvent que la jurisprudence rendue sous l'empire de l'ancien droit en matière de regroupement familial partiel se fondait sur la lettre de l'
art. 17 al. 2 LSEE
, qui envisageait le regroupement des enfants avec leurs deux parents. Ils observent que bon nombre des familles actuelles ne correspondent plus à ce modèle et qu'au demeurant la loi sur les étrangers ne se sert plus de l'expression "les parents"(RASELLI/HAUSAMMANN/MÖCKLI/URWYLER, Ausländerrecht, 2
e
éd. 2009, n° 16.6). Ces auteurs n'en concluent pas pour autant que les conditions de l'ancienne jurisprudence ne seraient plus applicables; ils considèrent seulement que, lorsque l'un des parents vit à l'étranger avec l'enfant, le droit au regroupement familial partiel pour le parent résidant en Suisse au bénéfice d'une autorisation d'établissement suppose l'existence de motifs particuliers, tels qu'un changement en relation avec l'autorité parentale ou l'entretien de la famille (op. cit., n° 16.39).
BGE 136 II 78 S. 85
Pour sa part, NGUYEN affirme, sur la base des premières décisions judiciaires vaudoises, que "la jurisprudence du Tribunal fédéral relative au regroupement différé (voir notamment
ATF 133 II 6
) reste valable en droit de la LEtr", mais sans autre développement (MINH SON NGUYEN, Le regroupement familial selon la LEtr: questions fréquentes et réponses tirées de la jurisprudence, RDAF 2009 I p. 312).
4.6
Dans un arrêt du 13 juillet 2009, le Tribunal administratif fédéral a considéré que le droit à une autorisation de séjour découlant de l'
art. 43 al. 1 LEtr
vaut aussi bien pour le regroupement des enfants avec un seul parent que dans les cas où ceux-ci rejoignent leurs deux parents. Il a ainsi annulé la décision par laquelle l'Office fédéral des migrations avait refusé d'approuver l'octroi d'une autorisation de séjour au fils né en 1991 d'un ressortissant macédonien titulaire d'une autorisation d'établissement en Suisse et divorcé. Il a en effet considéré, contrairement à l'Office fédéral, qu'à partir du moment où les délais des
art. 47 et 126 al. 3 LEtr
étaient respectés, l'intéressé avait droit à une autorisation de séjour, sans que celui-ci doive démontrer que des circonstances importantes d'ordre familial - au sens de la jurisprudence fédérale rendue sous l'ancien droit - rendent nécessaire sa venue en Suisse (arrêt C-237/2009 du 13 juillet 2009 consid. 9).
4.7
En résumé, il apparaît que, lors de l'élaboration des dispositions concernant le regroupement familial figurant aux
art. 42 ss LEtr
, les
art. 42 al. 1 et 43 LEtr
ont été rédigés de telle sorte qu'il ne soit plus nécessaire que les enfants vivent avec leurs deux parents, comme le prévoyait l'
art. 17 al. 2 3
e
phrase LSEE. Même si la question du regroupement familial partiel n'a pas été évoquée expressément lors des débats parlementaires, cette situation est également envisagée par les
art. 42 al. 1 et 43 LEtr
. La preuve en est que les cas d'application de l'
art. 42 al. 1 LEtr
sont typiquement et essentiellement des situations de regroupement familial partiel, où une personne naturalisée suisse à la suite de son mariage demande une autorisation de séjour afin que ses enfants de nationalité étrangère puissent la rejoindre en Suisse. Un seul des parents peut donc se prévaloir des
art. 42 al. 1 ou 43 LEtr
pour obtenir l'octroi d'un titre de séjour pour son ou ses enfants de moins de 18 ans. Selon le système tel qu'il ressort du texte des dispositions applicables, si les délais prévus à l'
art. 47 LEtr
ou le délai transitoire de l'
art. 126 al. 3 LEtr
sont respectés, le titre de séjour est en principe accordé, à moins que le droit ne soit invoqué abusivement ou qu'il existe des motifs de
BGE 136 II 78 S. 86
révocation (cf.
art. 51 LEtr
). Le nouveau droit ne permet donc plus de justifier l'application des conditions restrictives posées par la jurisprudence en cas de regroupement familial partiel, qui se fondaient surle fait que l'
art. 17 LSEE
exigeait que l'enfant vive auprès de "ses parents". Par contre, ces conditions peuvent jouer un rôle en relation avec les "raisons familiales majeures" au sens de l'
art. 47 al. 4 LEtr
, qui régit le regroupement familial différé, qui est requis après l'échéancedes délais de l'
art. 47 al. 1 LEtr
.
En ce sens, la décision attaquée, qui s'est fondée sur les arrêts rendus sous le régime de la loi sur le séjour et l'établissement des étrangers pour confirmer le refus de la demande d'autorisation de séjour du recourant pour sa fille, ne peut être suivie.
4.8
L'abandon de l'ancienne jurisprudence ne signifie pas pour autant que les autorités doivent appliquer les articles 42 al. 1 et 43 LEtr de manière automatique en cas de regroupement familial partiel. Cette forme de regroupement familial peut en effet poser des problèmes spécifiques, surtout lorsque l'enfant pour lequel une autorisation de séjour en Suisse est requise vit à l'étranger avec l'autre parent ou dans sa famille. L'évolution de la société, en particulier l'augmentation des divorces et des familles recomposées, entraîne pourtant un accroissement de demandes formées par l'un des parents résidant en Suisse, qui tendent à obtenir une autorisation de séjour en faveur d'un ou plusieurs de ses enfants célibataires de moins de 18 ans vivant à l'étranger.
En premier lieu, la loi prévoit de manière générale que le droit au regroupement familial s'éteint notamment lorsqu'il est invoqué de manière abusive (art. 51 al. 1 let. a et al. 2 let. a LEtr). Il appartient dès lors aux autorités compétentes en matière de droit des étrangers de vérifier que tel ne soit pas le cas.
En deuxième lieu, les auteurs s'accordent à dire que le parent qui demande une autorisation de séjour pour son enfant au titre du regroupement familial doit disposer (seul) de l'autorité parentale, même si cette exigence ne ressort pas des
art. 42 al. 1 et 43 LEtr
. Le risque est en effet que le parent résidant en Suisse utilise ces dispositions pour faire venir un enfant auprès de lui, alors qu'il n'a pas l'autorité parentale sur celui-ci ou, en cas d'autorité parentale conjointe, lorsque la venue en Suisse de l'enfant revient de facto à priver l'autre parent de toute possibilité de contact avec lui. Or, le regroupement familial doit être réalisé en conformité avec les règles du droit civil
BGE 136 II 78 S. 87
régissant les rapports entre parents et enfants et il appartient aux autorités compétentes en matière de droit des étrangers de s'en assurer.
En troisième lieu, le regroupement familial partiel suppose également de tenir compte de l'intérêt supérieur de l'enfant, comme l'exige l'art. 3 par. 1 de la Convention du 20 novembre 1989 relative aux droits de l'enfant (RS 0.107; ci-après: CDE). En matière de garde par exemple, "l'intérêt supérieur de l'enfant" peut avoir un double objet: d'une part, lui garantir une évolution dans un environnement sain et, d'autre part, maintenir ses liens avec sa famille, sauf dans les cas où celle-ci s'est montrée particulièrement indigne, car briser ce lien revient à couper l'enfant de ses racines (arrêt CourEDH
Neulinger et Shuruk contre Suisse
du 8 janvier 2009 § 75 et les arrêts cités). Selon l'
art. 9 par. 1 CDE
, les Etats parties veillent à ce que l'enfant ne soit pas séparé de ses parents contre leur gré. Quant à l'
art. 12 CDE
, qui garantit à l'enfant capable de discernement le droit d'exprimer librement son opinion sur toute question l'intéressant, il ne lui confère pas le droit inconditionnel d'être entendu oralement et personnellement dans toute procédure judiciaire ou administrative le concernant. Il garantit seulement qu'il puisse faire valoir d'une manière appropriée son point de vue, par exemple dans une prise de position écrite de son représentant (
ATF 124 II 361
consid. 3c p. 368 et les références citées; cf. aussi arrêt 6B_133/2007 du 29 mai 2008 consid. 3.3.1). La Convention relative aux droits de l'enfant requiert donc de se demander si la venue en Suisse d'un enfant au titre du regroupement familial partiel n'entraînerait pas un déracinement traumatisant, ne reviendrait pas de facto à le couper de tout contact avec la famille résidant dans son pays d'origine et n'interviendrait pas contre la volonté de celui-ci.
Certes, déterminer l'intérêt de l'enfant est très délicat. Les autorités ne doivent pas perdre de vue qu'il appartient en priorité aux parents de décider du lieu de séjour de leur enfant, en prenant en considération l'intérêt de celui-ci. En raison de l'écart de niveau de vie par rapport au pays d'origine, il est certes possible que les parents décident de la venue de l'enfant en Suisse sur la base de considérations avant tout économiques. Pour autant, les autorités compétentes en matière de droit des étrangers ne sauraient, en ce qui concerne l'intérêt de l'enfant, substituer leur appréciation à celle des parents, comme une autorité tutélaire peut être amenée à le faire. Leur pouvoir d'examen est bien plutôt limité à cet égard: elles ne doivent
BGE 136 II 78 S. 88
intervenir et refuser le regroupement familial que si celui-ci est
manifestement
contraire à l'intérêt de l'enfant (cf.
ATF 136 II 65
consid. 5.2 p. 76 s., s'agissant d'un regroupement familial sous l'égide de l'accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse, d'une part, et la Communauté européenne et ses Etats membres, d'autre part, sur la libre circulation des personnes [ALCP; RS 0.142.112.681]). | public_law | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bed279a3-086b-478a-b6e7-d1beb881128a | Urteilskopf
110 III 65
18. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 19. Dezember 1984 i.S. Betreibungsamt Y. (Rekurs) | Regeste
Schätzung eines Gemäldes in einer Betreibung auf Faustpfandverwertung (Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 155 SchKG
).
Ergibt sich aus einem technischen Gutachten, dass die Urheberschaft eines Leonardo da Vinci zugeschriebenen Gemäldes zweifelhaft und der Zustand des Bildes schlecht ist, darf das Betreibungsamt nicht ohne weiteres ein umfassendes zusätzliches Gutachten eines Kunstwissenschaftlers einholen. Lässt die kantonale Aufsichtsbehörde den Betreibungsgläubiger nur denjenigen Teil des Expertenhonorars tragen, der nach ihrer Ansicht für ein unter den gegebenen Umständen angemessenes Ergänzungsgutachten aufzuwenden gewesen wäre, verstösst sie nicht gegen Bundesrecht. | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 110 III 65 S. 65
Pfandgegenstand in der von A. gegen B. eingeleiteten Betreibung auf Faustpfandverwertung war ein Leonardo da Vinci zugeschriebenes Gemälde "Madonna mit Kind". Im Hinblick auf eine Schätzung des Pfandgegenstandes im Sinne von Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 155 SchKG
wurde das Gemälde von Dr. X., Universitätsprofessor für Kunstwissenschaft, besichtigt. Prof. X. schlug vor, das Bild vorerst einer Untersuchung durch das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft (SIK) zu unterziehen. Mit Verfügung vom 17. März 1982 verlangte das Betreibungsamt Y. von A. einen Kostenvorschuss von Fr. 15'000.--, wobei es die
BGE 110 III 65 S. 66
mutmasslichen Auslagen für die Schätzung durch Prof. X. mit ca. Fr. 10'000.-- angab. A. leistete den Kostenvorschuss am 26. März 1982. Mit Schreiben vom 31. März 1982 liess er das Betreibungsamt dann allerdings wissen, dass er den Vorschuss unter Protest leiste, da der verlangte Betrag und insbesondere die für die Schätzung vorgesehenen Kosten als übersetzt erschienen; er ersuchte das Betreibungsamt, den Auftrag an Prof. X. einzuschränken; es sei davon abzusehen, von ihm ein auf den letzten wissenschaftlichen Möglichkeiten und Erkenntnissen beruhendes Gutachten einzuholen.
Am 4. Mai 1982 erstattete das SIK einen Befund. Danach liegt die Malerei auf einer rotbraunen Grundierung, wie sie am häufigsten im 17. Jahrhundert in Italien anzutreffen gewesen seien; farbige Grundierungen seien überhaupt erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts angewendet worden. Weiter wird im Gutachten festgehalten, dass die Malschicht in sehr schlechtem Zustand sei, dass sich unzählige Farbfehlstellen nachweisen liessen und dass die Malerei deshalb zum grössten Teil übermalt worden sei. An den wenigen Stellen, an denen die Originalfarbe überhaupt sichtbar sei, liessen sich im Mikroskop die groben Farbpigmente eines alten Gemäldes feststellen; chemische Analysen wären jedoch von zweifelhafter Aussagekraft, da immer die Gefahr bestehe, die Übermalungen und Retuschen mitzuanalysieren. Der wissenschaftliche Befund ergab abschliessend, dass es sich beim fraglichen Gemälde vermutlich um eine Arbeit handle, die frühestens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden sei und sich in derart schlechtem Erhaltungszustand befinde, dass grössere Partien übermalt worden seien.
Für das Gutachten verlangte das SIK ein Honorar von Fr. 600.--.
Am 31. Mai 1982 erstellte Prof. X., der vom Befund des SIK Kenntnis genommen hatte, seine Expertise. Diese enthält Ausführungen über die Herkunft und das Motiv des Gemäldes. Der Experte gelangt alsdann zum Schluss, dass es sich beim Bild nicht um das Original handeln könne, was eindeutig und unbezweifelbar aus dem Befund des SIK hervorgehe; das Ergebnis dieses Befundes decke sich weitgehend mit dem, was man von blossem Auge erkenne; das Bild sei eine zum grossen Teil verrestaurierte, retuschierte, übermalte Ruine; in Anbetracht seines katastrophalen Erhaltungszustandes sei das Gemälde im professionellen Kunsthandel praktisch unverkäuflich. Prof. X. hält abschliessend fest, dass er es
BGE 110 III 65 S. 67
nicht verantworten könnte, einem Interessenten zu raten, für das Bild mehr zu bezahlen als das, was um 1950 dafür anscheinend entrichtet worden sei, d.h. Fr. 15'000.--.
Für das Gutachten hat das Betreibungsamt Prof. X. Fr. 8'000.-- bezahlt.
Gestützt auf den wissenschaftlichen Befund des SIK und die Expertise von Prof. X. legte das Betreibungsamt den Schätzungswert für das Gemälde auf Fr. 15'000.-- fest. Bei der Verwertung wurde das Bild von A. für Fr. 30'000.-- ersteigert.
Gemäss Verwertungsprotokoll des Betreibungsamtes vom 14. Oktober 1982 betrugen die Verwertungskosten insgesamt Fr. 10'474.60. A., der Fr. 16'000.-- vorgeschossen hatte, erhielt somit Fr. 5'525.40 zurückerstattet. Nachdem ihm das Verwertungsprotokoll am 18. Oktober 1982 zugestellt worden war, reichte er mit Eingabe vom 28. Oktober 1982 bei der unteren Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen Beschwerde ein, wobei er folgenden Antrag stellte:
"Es seien in der Kostenrechnung des Betreibungsamtes die Auslagen für
Schätzung mit lediglich Fr. 1'600.-- statt Fr. 8'600.-- aufzunehmen, und es
seien demgemäss dem Beschwerdeführer Fr. 12'525.40 in Abrechnung der von
ihm geleisteten Kostenvorschüsse von Fr. 16'000.-- zurückzuerstatten."
Durch Beschluss vom 26. Januar 1983 entschied die untere Aufsichtsbehörde, dass auf die Beschwerde nicht eingetreten werde.
In Gutheissung eines von A. hiergegen erhobenen Rekurses entsprach die obere kantonale Aufsichtsbehörde am 23. November 1984 dessen Beschwerdeantrag.
Gegen diesen Beschluss hat das Betreibungsamt an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts rekurriert.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Vorinstanz weist darauf hin, dass in Pfandverwertungsverfahren der Schätzung nur untergeordnete Bedeutung zukomme. Ihre Hauptfunktionen - Bestimmung des Deckungsumfanges und Orientierung der Gläubiger über das voraussichtliche Ergebnis der Verwertung - entfielen hier weitgehend. Allerdings diene die Schätzung auch zur Aufklärung allfälliger Steigerungsinteressenten, doch habe dieser Zweck dort zurückzutreten, wo eine zuverlässige Schätzung nur mit einem unverhältnismässigen
BGE 110 III 65 S. 68
und dem betreibenden Gläubiger nicht zumutbaren Zeitaufwand erreicht werden könne. Diese Überlegung müsse allgemein gelten, und zwar in dem Sinne, dass jeder unverhältnismässige und dem betreibenden Gläubiger nicht zumutbare Aufwand für eine Schätzung im Pfandverwertungsverfahren vermieden werden müsse.
Was den vorliegenden Fall im besonderen betrifft, so teilt die Vorinstanz zunächst die Auffassung der unteren Aufsichtsbehörde, wonach es dem Betreibungsamt allein aufgrund des Befundes des SIK, der lediglich eine Vermutung aufgestellt habe, nicht möglich gewesen sei, über die Echtheit des Bildes zu befinden oder dessen ungefähren Wert zu schätzen. Anders als Prof. X. es in seinem nachfolgenden Gutachten getan habe, habe das Betreibungsamt nicht von sich aus sagen können, aus den technischen Untersuchungen ergebe sich "eindeutig und unbezweifelbar", dass das fragliche Gemälde kein Original sei. Indessen hält die obere kantonale Aufsichtsbehörde fest, dass das Betreibungsamt aufgrund des erwähnten Befundes (Feststellungen über den Zeitpunkt der Entstehung des Gemäldes) und der Lebensdaten Leonardo da Vincis den dringenden Verdacht hätte haben müssen, das Bild sei unecht; da dem Gemälde ein sehr schlechter Erhaltungszustand bescheinigt worden sei, hätte sich das Betreibungsamt vor allem auch fragen müssen, ob nicht allenfalls die Kosten der Schätzung in einem nicht mehr vertretbaren Verhältnis zum Wert des Bildes stehen könnten. Nach Auffassung der Vorinstanz hätte das Betreibungsamt Prof. X. nicht das ursprünglich vorgesehene Gutachten erstellen lassen dürfen, ohne zuvor beispielsweise den Chefrestaurator des SIK anzufragen, was er vom Wert des Bildes halte und ob er ihn bestimmen könne. Einen anderen Weg zur Vermeidung unnötiger Kosten sieht die obere kantonale Aufsichtsbehörde darin, dass mit Prof. X. hätte besprochen werden können, ob seine Expertise in Anbetracht des Ergebnisses des Befundes des SIK noch notwendig und sinnvoll sei. Auf jeden Fall sei angesichts der mit dem Vorliegen der Abklärungen durch das SIK eingetretenen Änderung der Verhältnisse das Einholen des vollständigen ursprünglich ins Auge gefassten Gutachtens eine unangemessene und nicht notwendige Vorkehr gewesen; der Auftrag an Prof. X. hätte zunächst entsprechend eingeschränkt werden müssen. Den Aufwand, der als Ergänzung zu den technischen Untersuchungen nach Ansicht der Vorinstanz angemessen gewesen wäre, beziffert diese auf Fr. 1'000.--.
BGE 110 III 65 S. 69
b) Was das rekurrierende Amt vorbringt, ist nicht geeignet, den angefochtenen Entscheid als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Dass der Befund des SIK lediglich eine Vermutung dafür ergebe, dass das Gemälde nicht von Leonardo da Vinci stamme, hat die Vorinstanz nicht übersehen. Die obere kantonale Aufsichtsbehörde anerkennt denn auch durchaus, dass ergänzende Abklärungen notwendig gewesen seien. Sie durfte jedoch ohne Verletzung von Bundesrecht annehmen, die Einholung eines umfassenden Gutachtens von Prof. X. sei in Anbetracht der im erwähnten Befund zum Ausdruck gebrachten Zweifel betreffend die Urheberschaft des Gemäldes und angesichts der Feststellungen über den Zustand des Bildes unangemessen gewesen. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
bed33114-8e11-48fd-9aed-8cd66c7f4dc9 | Urteilskopf
133 IV 222
33. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Schweizerisches Heilmittelinstitut Swissmedic und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_147/2007 vom 9. Juli 2007 | Regeste
Art. 32 Abs. 2 lit. a sowie
Art. 87 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 HMG
; Publikumswerbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel: ratio legis und subjektiver Tatbestand.
Das Publikumswerbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel wird damit begründet, dass das öffentliche Interesse des Gesundheitsschutzes das Bedürfnis der Pharmaindustrie nach Vermarktungsmöglichkeiten von Arzneimitteln überwiegt (E. 3.1).
Mit Blick auf die objektiv eindeutige Werbewirkung der Zeitschriften- und Zeitungsartikel, die überaus hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung und die schwere Sorgfaltspflichtverletzung ist vorliegend der Eventualvorsatz zu bejahen (E. 5.5). | Erwägungen
ab Seite 223
BGE 133 IV 222 S. 223
Aus den Erwägungen:
2.
Die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen eventualvorsätzlich begangener Widerhandlung gegen das Verbot der Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Sinne von Art. 32 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) i.V.m. Art. 14 der Verordnung vom 17. Oktober 2001 über die Arzneimittelwerbung (Arzneimittel-Werbeverordnung, AWV; SR 812.212.5) und
Art. 87 Abs. 1 lit. b HMG
basiert auf folgendem Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin erteilte als bei der A. AG für die Werbung verantwortliche Person einer Kommunikationsfachfrau den Auftrag, für die Laienpresse verschiedene Artikel über die Hautkrankheit Neurodermitis zu verfassen. Die erstellten Texte wurden von der Beschwerdeführerin genehmigt und anschliessend an verschiedene Zeitschriften und Zeitungen zur Veröffentlichung herangetragen. In der Folge erschienen in einem Gesundheitsmagazin und in drei Tageszeitungen von Mai bis Juni 2003 redaktionelle Artikel zum Thema Neurodermitis. In den Artikeln wurde der Markenname eines von der A. AG vertriebenen verschreibungspflichtigen Neurodermitis-Medikaments ausdrücklich genannt.
3.
3.1
Für Arzneimittel, die nur auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden dürfen, ist sog. Publikumswerbung gemäss
Art. 32 Abs. 2 lit. a HMG
unzulässig. Verstösse gegen diese Bestimmung sind gemäss
Art. 87 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 HMG
sowohl bei Vorsatz als auch bei Fahrlässigkeit strafbar.
In
Art. 4 Abs. 2 HMG
wird der Bundesrat ermächtigt (vgl.
Art. 164 Abs. 2 und
Art. 182 BV
), durch Verordnung die im Gesetz verwendeten Begriffe näher auszuführen. Die Botschaft zum Heilmittelgesetz nennt hierfür den Begriff der Publikumswerbung als Beispiel (Botschaft HMG, BBl 1999 S. 3492). Gestützt darauf hat der
BGE 133 IV 222 S. 224
Bundesrat die Verordnung über die Arzneimittelwerbung erlassen, welche die Fach- und Publikumswerbung für verwendungsfertige Arzneimittel der Human- und Veterinärmedizin regelt (
Art. 1 Abs. 1 AWV
). Als Arzneimittelwerbung definiert werden alle Massnahmen zur Information, Marktbearbeitung und Schaffung von Anreizen, welche zum Ziel haben, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf, den Verbrauch oder die Anwendung von Arzneimitteln zu fördern (
Art. 2 lit. a AWV
). Publikumswerbung ist Arzneimittelwerbung, welche sich an das Publikum richtet (
Art. 2 lit. b AWV
). Als Fachwerbung gilt Arzneimittelwerbung, die sich an zur Verschreibung, Abgabe oder zur eigenverantwortlichen beruflichen Anwendung von Arzneimitteln berechtigte Personen richtet (
Art. 2 lit. c AWV
).
Art. 15 AWV
listet verschiedene Arten von Publikumswerbung auf. Erwähnt werden namentlich Anzeigen in Zeitschriften und Zeitungen (
Art. 15 lit. a AWV
).
Das Publikumswerbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel wird mit dem Argument begründet, dass Patienten aufgrund der Werbebotschaften die für die Verschreibung und Abgabe verantwortlichen Fachpersonen derart beeinflussen könnten, dass diese ihren Entscheid nicht mehr gestützt auf ihr Fachwissen, sondern gemäss den durch die Werbung bei den Patienten erzeugten Erwartungen fällen würden (Botschaft HMG, BBl 1999 S. 3518). Der Arzt soll mithin nicht als Folge der Publikumswerbung irgendeinem Druck seiner Patienten, das beworbene Präparat zu verschreiben, ausgesetzt werden (URS JAISLI, in: Thomas Eichenberger/Urs Jaisli/Paul Richli, Heilmittelgesetz, Basel 2006, N. 43 zu
Art. 32 HMG
). Zudem soll vermieden werden, dass Laien gestützt auf Aussagen aus der Werbung Krankheiten, die einer ärztlichen Diagnose und Therapie bedürfen, selber mit rezeptpflichtigen Medikamenten behandeln, die sie ohne Arzt - etwa im Ausland oder aus Restbeständen bei Bekannten - erlangen (vgl. URSULA EGGENBERGER STÖCKLI, Arzneimittel-Werbeverordnung, Bern 2006, N. 5 zu
Art. 14 AWV
). Das aus Sicht der Pharmaindustrie berechtigte Bedürfnis nach Vermarktungsmöglichkeiten für Arzneimittel wird somit insoweit dem öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes hintangestellt (THOMAS EICHENBERGER, Das Verhältnis zwischen dem HMG und dem UWG, in: Thomas Eichenberger/Tomas Poledna, Das neue Heilmittelgesetz, Zürich/Basel/Genf 2004, S. 15 f.).
3.2
Vorliegend steht fest, dass es sich bei dem von der Arbeitgeberin der Beschwerdeführerin vertriebenen Präparat "B." um ein
BGE 133 IV 222 S. 225
verschreibungspflichtiges Arzneimittel zur Behandlung von Neurodermitis handelt. Erstellt ist des Weiteren, dass die veröffentlichten Texte insbesondere durch die ausdrückliche Nennung des Markennamens und die Beschreibung der positiven Wirkungen des Medikaments werbende Elemente enthalten. Der objektive Tatbestand von
Art. 32 Abs. 2 lit. a HMG
ist damit erfüllt.
Demgegenüber bestreitet die Beschwerdeführerin, eventualvorsätzlich gehandelt zu haben; vielmehr habe sie aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit die Folgen ihres Handelns nicht bedacht und sich deshalb einzig der fahrlässigen Tatbegehung schuldig gemacht.
(...)
5.
5.
5.1
Die Vorinstanz hat den Eventualvorsatz bejaht. Sie hat namentlich erwogen, in Anbetracht der konkreten Umstände und des Fachwissens der Beschwerdeführerin sei davon auszugehen, dass diese die Verletzung der Werbevorschriften zumindest in Kauf genommen habe.
5.2
Die Beschwerdeführerin wendet hiergegen ein, ihr könne einzig ein pflichtwidrig unvorsichtiges Verhalten angelastet werden, beruhe doch die Erwähnung der Marke B. in den Zeitschriften- bzw. Zeitungsartikeln auf einem blossen Versehen. Die Vorinstanz habe fälschlicherweise vom Vorliegen werbender Elemente, d.h. des objektiven Tatbestands, auf eine Werbeabsicht, d.h. auf die vorsätzliche Begehungsweise, geschlossen. Hierdurch statuiere sie eine unzulässige Erfolgshaftung.
5.3
Gemäss Art. 18 Abs. 2 aStGB verübt ein Verbrechen oder ein Vergehen vorsätzlich, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Diese Bestimmung erfasst auch den Eventualvorsatz. Ein solcher genügt bei
Art. 87 Abs. 1 lit. b HMG
(JAISLI, a.a.O., N. 46 zu
Art. 87 HMG
).
Eventualvorsatz liegt vor, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs bzw. die Verwirklichung des Tatbestands für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (
BGE 133 IV 1
E. 4.1,
BGE 133 IV 9
E. 4.1;
BGE 131 IV 1
E. 2.2). Nicht erforderlich ist, dass der Täter den Erfolg "billigt" (eingehend
BGE 96 IV 99
;
BGE 130 IV 58
E. 8.3 mit Hinweisen).
Ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen hat, muss das Gericht - bei Fehlen eines Geständnisses der
BGE 133 IV 222 S. 226
beschuldigten Person - aufgrund der Umstände entscheiden. Dazu gehören die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Das Gericht darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (
BGE 130 IV 58
E. 8.4;
BGE 125 IV 242
E. 3c, je mit Hinweisen).
5.4
Die Beschwerdeführerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie kam 1999 in die Schweiz, wo sie zunächst während drei Jahren als Marketingmanagerin für ein bekanntes Pharmaunternehmen arbeitete und mit Fachwerbung beschäftigt war. Anschliessend wechselte sie zur A. AG, bei welcher sie unter anderem für die Werbung, den Verkauf und den Vertrieb des Medikaments B. zuständig war.
Dieses mehrjährige Befassen mit Fachwerbung für pharmazeutische Produkte hat der Beschwerdeführerin ein vertieftes Fachwissen in den Bereichen Marketing und Arzneimittelwerbung verschafft. Des Weiteren hat die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Tatbegehung um die Verschreibungspflicht von B. gewusst und die Wirkungen des Präparats gekannt hat. Ferner war sich die Beschwerdeführerin gemäss den Ausführungen im angefochtenen Entscheid bewusst, dass bei verschreibungspflichtigen Medikamenten Publikumswerbung verboten ist. Schliesslich hat die Beschwerdeführerin die Artikel wissentlich zuhanden eines Laienpublikums abfassen und in Zeitschriften bzw. Zeitungen publizieren lassen.
In den veröffentlichten Artikeln wird der Markenname B. mehrmals ausdrücklich erwähnt und das Präparat namentlich als der "neue Stern am Neurodermitis-Himmel" bezeichnet bzw. der Wirkstoff des Medikaments als "die neue kortisonfreie Wunderwaffe gegen Neurodermitis" angepriesen. Weiter werden im Zusammenhang mit B. die Begriffe "neue Hoffnung", "bahnbrechende Wirkung" und "Lichtblick für Patienten" verwendet. Die Texte sind
BGE 133 IV 222 S. 227
mithin eindeutig subjektiv gefärbt und geeignet, bei der Leserschaft Anreize zum Kauf des Produkts zu schaffen. Auch werden als Nebenwirkungen von B. lediglich ein anfängliches Brennen und Jucken beschrieben. Andere bekannte Nebenwirkungen wie Akne, Alkoholunverträglichkeit sowie das gelegentliche Auftreten von Neubildungen von Körpergewebe (sog. Neoplasmen) bleiben dagegen unerwähnt. Verschwiegen wird ebenso, dass es sich bei B. um ein Reservemedikament handelt, welches nur eingesetzt werden sollte, wenn die herkömmliche Behandlung nicht genügend wirksam ist oder Beschwerden verursacht.
5.5
Der Vorsatz als innerer Vorgang ist keines direkten Beweises zugänglich. Wie erörtert darf das Gericht vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs aufgrund der konkreten Umstände als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann.
Die veröffentlichten Zeitschriften- und Zeitungsartikel enthalten unmissverständliche Werbebotschaften, indem sie B. als "Wunderwaffe" umschreiben und auf gewisse Nebenwirkungen des Präparats nicht hinweisen. Zudem war die Tatbestandsverwirklichung, d.h. die Publikumswerbung für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, mit der Genehmigung der Artikel so gut wie sicher, und schliesslich wiegt auch die Pflichtverletzung der Beschwerdeführerin schwer.
Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe den Markennamen mehrmals überlesen, obwohl dieser in den Artikeln an prominenter Stelle erschien, nicht glaubhaft. Ebenso wenig ist plausibel, dass die Beschwerdeführerin als Vertreterin eines gewinnorientierten Unternehmens die objektiv als Werbung für ein von ihrer Arbeitgeberin vertriebenes Präparat einzustufenden Artikel aus rein altruistischen Gründen verfassen liess und mit der Publikation keinerlei Absatzförderung bezweckt hat.
In Anbetracht der gesamten Umstände - d.h. namentlich der objektiv eindeutigen Werbewirkung der Artikel, der überaus hohen Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung und der schweren Sorgfaltspflichtverletzung - ist die Schlussfolgerung der Vorinstanz, der Beschwerdeführerin hätten sich spätestens bei der Durchsicht der Artikel deren Werbecharakter und -wirkung als
BGE 133 IV 222 S. 228
derart wahrscheinlich aufdrängen müssen, dass die Genehmigung der Artikel zwecks Veröffentlichung in Publikumszeitschriften bzw. -zeitungen vernünftigerweise nur als Inkaufnahme einer Verletzung des Verbots der Publikumswerbung ausgelegt werden könne, nicht zu beanstanden. Hierdurch wird entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin weder die Unschuldsvermutung verletzt noch eine unzulässige Erfolgshaftung statuiert. | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bed86137-d5ff-448c-b865-0af2b8fd617b | Urteilskopf
119 Ib 154
18. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 28 mai 1993 dans la cause Office fédéral de la police c. O. (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 16 Abs. 3 lit. a und
Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG
; obligatorischer Führerausweisentzug, Mindestdauer.
Dem Fahrzeuglenker, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit um deutlich mehr als 30 km/h überschritten hat, muss der Führerausweis entzogen werden (E. 2a). Wird diese Massnahme wegen einer Widerhandlung ausgesprochen, die der Fahrzeuglenker innert 2 Jahren seit Ablauf des letzten Entzuges begangen hat, darf die Entzugsdauer nicht weniger als 6 Monate betragen (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 154
BGE 119 Ib 154 S. 154
Le 1er octobre 1992, O. qui circulait à Genève, a été suivi par une patrouille de police sur 850 m, à une distance de l'ordre de 100 m. Les gendarmes ont constaté que le tachymètre de la voiture suiveuse
BGE 119 Ib 154 S. 155
indiquait une vitesse constante de 120 km/h, alors que la vitesse maximale autorisée à cet endroit est de 50 km/h. Ils ont également relevé que O. avait poursuivi sa route nonobstant un signal lumineux qui était à la phase rouge pour son sens de marche.
S'agissant de la vitesse à laquelle circulait O., les gendarmes ont déduit de la vitesse constatée 12 km/h pour tenir compte de l'étalonnage de leur véhicule suiveur ainsi qu'une marge de sécurité de 11 km/h. Ils ont ainsi retenu que l'intéressé avait circulé à la vitesse de 97 km/h et donc dépassé de 47 km/h le maximum autorisé.
O., qui est titulaire du permis de conduire depuis mars 1981, a fait l'objet de deux retraits de permis. Le premier, portant sur la période du 20 septembre au 22 novembre 1981, a été prononcé en raison d'une perte de maîtrise consécutive à une vitesse inadaptée. Le second, pour conduite en état d'ébriété, a déployé ses effets du 15 juin au 11 septembre 1991.
Par arrêté du 5 novembre 1992, le Département de justice et police du canton de Genève a retiré le permis de conduire de O. pour une durée de deux mois.
Le 23 février 1993, la 1re section du Tribunal administratif genevois a rejeté le recours déposé par O. contre cette décision.
L'Office fédéral de la police a formé un recours de droit administratif contre cette décision. Il conclut à ce que l'arrêt attaqué soit annulé et la durée du retrait portée à six mois en application de l'
art. 17 al. 1 let
. c LCR.
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
a) Le retrait de permis litigieux n'est pas un retrait de sécurité, tel qu'il est défini par l'
art. 16 al. 1 LCR
, mais un retrait d'admonestation.
Conformément à l'
art. 16 al. 2 LCR
, "le permis de conduire peut être retiré au conducteur qui, par des infractions aux règles de la circulation, a compromis la sécurité de la route ou incommodé le public. Un simple avertissement pourra être donné dans les cas de peu de gravité". L'
art. 16 al. 3 let. a LCR
prévoit que le permis de conduire doit être retiré si le conducteur a compromis gravement la sécurité de la route.
Il a été constaté que l'intimé a circulé à la vitesse de 97 km/h à un endroit où la vitesse maximale autorisée est de 50 km/h. L'intimé cherche certes à remettre en question cette constatation de fait.
BGE 119 Ib 154 S. 156
Celle-ci ne saurait toutefois pas être qualifiée de manifestement inexacte; elle n'a pas non plus été établie au mépris de règles essentielles de procédure. En effet, l'autorité cantonale a examiné de manière circonstanciée comment elle a été établie. Elle a relevé que le contrôle de vitesse avait été effectué dans le respect des instructions édictées par le Département fédéral de justice et police. Dès lors, conformément à l'
art. 105 al. 2 OJ
, la Cour de cassation est liée par cette constatation et doit fonder sa décision sur le fait que l'intimé a dépassé de 47 km/h la vitesse maximale autorisée.
Un excès de vitesse est en soi de nature à compromettre la sécurité de la route au sens de l'
art. 16 al. 2 LCR
. Selon la jurisprudence constante, un dépassement de vitesse de plus de 30 km/h, même si les conditions de circulation sont favorables et les antécédents bons, doit entraîner un retrait de permis, et non pas une simple mesure d'avertissement (
ATF 118 IV 190
consid. b,
ATF 113 Ib 146
consid. c,
ATF 108 Ib 67
consid. 1,
ATF 104 Ib 51
ss).
S'agissant de l'application de l'
art. 16 al. 3 let. a LCR
, la jurisprudence a admis que pour dire si le conducteur a gravement compromis la sécurité de la route, au sens de cette disposition, il faut procéder à un examen des circonstances concrètes lorsque la limite des 30 km/h de dépassement n'est excédée que de peu (
ATF 104 Ib 49
ss). Selon une jurisprudence récente, il en résulte a contrario qu'il n'y a pas de raison d'en douter lorsque ce seuil est largement dépassé (
ATF 118 IV 190
consid. b).
Tel est le cas en l'espèce. Conformément à la jurisprudence qui vient d'être rappelée, l'intimé ayant dépassé de 47 km/h la vitesse maximale autorisée, on doit admettre qu'il a gravement compromis la sécurité de la route, au sens de l'
art. 16 al. 3 let. a LCR
, quelles qu'aient été les circonstances concrètes dans lesquelles il a agi. On peut toutefois relever qu'en l'espèce, la mise en danger causée par l'excès de vitesse commis par l'intimé a encore été aggravée par le fait que celui-ci ne s'est pas conformé à la signalisation lumineuse. Son permis de conduire devait donc lui être retiré en application de l'
art. 16 al. 3 let. a LCR
et l'autorité cantonale a violé le droit fédéral en prononçant une mesure fondée sur l'
art. 16 al. 2 LCR
.
b) Conformément à l'
art. 17 al. 1 let
. c LCR, la durée du retrait sera de six mois au minimum si le permis doit être retiré pour cause d'infraction commise dans les deux ans depuis l'expiration du dernier retrait. Selon la jurisprudence, cette disposition ne trouve application que si le nouveau retrait est obligatoire, au sens de l'
art. 16 al. 3 LCR
(
ATF 105 Ib 260
consid. 3,
ATF 104 Ib 52
consid. 2a et 102 Ib
BGE 119 Ib 154 S. 157
286 consid. 1b). Dès lors qu'il a été constaté que tel est bien le cas en l'espèce, il ne reste qu'à examiner si l'infraction à raison de laquelle il est prononcé a été commise dans le délai de deux ans prévu à l'
art. 17 al. 1 let
. c LCR. Il ressort du texte de cette disposition que le délai de deux ans court à compter de la fin de l'exécution du retrait précédent (voir PERRIN, Délivrance et retrait du permis de conduire, Fribourg 1982, p. 198 i.f. s.).
En l'espèce, l'autorité cantonale a constaté que l'intimé avait fait l'objet d'un précédent retrait de permis dont l'exécution a pris fin le 11 septembre 1991. Commise le 1er octobre 1992, l'infraction à raison de laquelle est prononcée cette nouvelle mesure est manifestement intervenue dans le délai de deux ans de l'
art. 17 al. 1 let
. c LCR. L'arrêt attaqué viole donc le droit fédéral en fixant une durée du retrait inférieure au minimum prévu par cette disposition.
Saisi d'un recours d'une autorité fédérale habilitée à intervenir afin d'assurer l'application uniforme du droit fédéral, le Tribunal fédéral peut, sans égard aux règles cantonales sur la reformatio in pejus, modifier la décision attaquée au détriment de l'intimé (
ATF 113 Ib 222
consid. 1c, 102 Ib 286 ss consid. 2 et 3).
Lorsque le Tribunal fédéral, saisi d'un recours de droit administratif, annule la décision attaquée, il peut soit statuer lui-même sur le fond, soit renvoyer l'affaire pour nouvelle décision à l'autorité inférieure, voire à l'autorité qui a statué en première instance (
art. 114 al. 2 OJ
).
La détermination de la durée d'un retrait d'admonestation étant une question d'appréciation, le Tribunal fédéral a pour habitude, en cas d'admission du recours, de renvoyer la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle fixe la durée du retrait du permis en exerçant le pouvoir d'appréciation qui lui appartient. Dans le cas d'espèce cependant, il a déjà été relevé que la durée du retrait ne pourrait pas être inférieure à six mois, conformément à l'
art. 17 al. 1 let
. c LCR. En outre, le recourant a conclu à ce que le retrait soit ordonné pour une durée de six mois. Ces conclusions lient le Tribunal fédéral qui ne saurait aller au-delà (
art. 114 al. 1 OJ
). Dès lors que la durée maximale qui peut être prononcée en application de l'
art. 114 al. 1 OJ
correspond à la durée minimale qui doit être infligée conformément à l'
art. 17 al. 1 let
. c LCR, il ne reste plus à l'autorité aucune marge d'appréciation et il se justifie de renoncer à un renvoi qui constituerait un inutile détour procédural et de prononcer immédiatement le retrait du permis de conduire de l'intimé pour une durée de six mois. | public_law | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
bedabc22-c49d-4f12-b46e-4a8b5411d455 | Urteilskopf
94 II 122
19. Arrêt de la Ire Cour civile du 7 mai 1968 dans la cause Herren contre Poncet. | Regeste
Klage auf Auflösung einer einfachen Gesellschaft.
Art. 530 ff. OR
.
Bestreitet der Beklagte das Bestehen einer einfachen Gesellschaft, so beläuft sich der Streitwert auf den Gesamtwert des gemeinsamen Vermögens (Erw. 1).
Ein bloss eventuelles rechtliches Interesse des Berufungsklägers rechtfertigt das Eintreten auf die Berufung (Erw. 2).
Liegt ein Gesellschaftsvertrag vor, wenn jemand sich verpflichtet, von einem andern herausgegebene Bücher zu verkaufen gegen Bezahlung einer nach Massgabe des erzielten Umsatzes berechneten Vergütung? Verneinung dieser Frage für den vorliegenden Fall (Erw. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 122
BGE 94 II 122 S. 122
A.-
La demanderesse Suzanne Herren exploite au Montsur-Lausanne une entreprise de diffusion et d'édition de livres de luxe. La défenderesse, Anne-Marie Poncet, exploite à Yverdon une entreprise d'édition d'ouvrages de luxe sous la raison individuelle "La Rose des Vents".
Dame Poncet a pris contact avec dame Herren en vue d'une collaboration dans l'édition et la vente de livres de luxe. Elle lui a soumis un projet de convention intitulé "contrat de société simple", rédigé par son neveu, avocat à Genève. Dame
BGE 94 II 122 S. 123
Herren a fait des annotations sur le projet et biffé notamment le titre et les articles où figure le terme de "société". Faisant part à son neveu du point de vue de dame Herren, dame Poncet lui exposait, dans une lettre du 25 octobre 1959, que celle-ci n'était pas d'accord avec ce projet d'association, étant déjà associée avec un tiers, François Daulte - lequel était en fait commanditaire d'une société Herren et Cie, qui fut dissoute en automne 1959. Selon dame Poncet, dame Herren désirait limiter le contrat à ceci: elle diffuserait tous les livres édités par dame Poncet, moyennant une commission, sans s'engager à les acheter ferme.
B.-
Le 1er avril 1960, dame Herren a rédigé un projet de contrat. Le 14 du même mois, les parties ont signé une convention reprenant les clauses principales de ce projet. Dame Herren s'engageait à diffuser un ouvrage de grand luxe édité par dame Poncet moyennant une commission d'un tiers du produit des ventes, une fois les frais d'édition couverts.
C.-
Dame Poncet a édité un livre de luxe de Jean Arp, puis trois autres ouvrages. Les parties ont reconnu en procédure la reconduction tacite de leur contrat pour ces livres. Jusqu'en 1965, dame Herren a remis à dame Poncet des décomptes mentionnant le nombre d'ouvrages qu'elle conservait "en dépôt" ou "en stock".
La défenderesse a confié encore à dame Herren pour la vente divers objets d'art, tels que sculptures, peintures et dessins.
D.-
En 1965, dame Poncet a constaté que dame Herren avait vendu des ouvrages ou des objets d'art qui lui étaient confiés, conservant par devers elle la totalité du produit de ces ventes. Le 22 décembre 1965, les parties ont signé une "convention" par laquelle dame Herren reconnaît devoir un solde de 25 443 fr. "correspondant à des comptes arrêtés... ou au prix d'oeuvres confiées à elle pour la vente et dont elle a disposé". Ces oeuvres sont énumérées et comprennent des livres confiés en vertu du contrat et d'autres objets d'art.
Le 9 mars 1966, par l'entremise de son avocat, relevant que les mensualités prévues par l'accord du 22 décembre 1965 n'étaient pas payées, dame Poncet a mis dame Herren en demeure de lui délivrer tous les livres et objets encore en sa possession et de régler compte.
La collaboration entre parties a cessé à fin 1965 et le stock des ouvrages remis à dame Herren a été restitué à dame Poncet.
BGE 94 II 122 S. 124
E.-
Par demande du 17 février 1967, dame Herren a assigné dame Poncet devant le Président du Tribunal du district de Lausanne, aux fins de faire prononcer que la société simple formée entre parties par le contrat du 14 avril 1960 est dissoute en application de l'art. 545 CO.
La défenderesse a conclu au rejet de la demande, contestant qu'il s'agît d'un contrat de société.
Par jugement du 5 juillet 1967, admettant en principe la thèse de la demanderesse, le Président du Tribunal civil du district de Lausanne a ordonné la liquidation de la société.
Le 14 novembre 1967, statuant sur recours de dame Poncet, le Tribunal cantonal vaudois a adopté l'argumentation du premier juge et admis l'existence d'une société. Il a toutefois réformé le jugement en ce sens que, vu les conclusions de la demande, il a prononcé la dissolution de la société.
F.-
Dame Poncet recourt en réforme contre cet arrêt et conclut au rejet de la demande. Elle conteste l'existence d'un contrat de société.
L'intimée conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'action tend à la dissolution d'une société simple. La défenderesse et recourante conteste l'existence même d'un contrat de société. Par analogie avec la solution de l'arrêt Steiner (RO 86 II 455), où le droit au partage d'une succession était contesté, c'est la valeur totale des biens communs qui représente la valeur litigieuse. Il ressort du dossier que cette valeur atteint au moins 8000 fr.
2.
Conclue pour la diffusion d'un livre de luxe, la convention du 14 avril 1960 a été étendue ultérieurement à trois autres ouvrages. En revanche, ainsi que l'a constaté souverainement le premier juge, elle ne vise pas les peintures, dessins, sculptures et autres objets confiés à la demanderesse pour être vendus. En tant qu'ils concernent ces objets, les rapports entre les parties sont en dehors du présent procès.
Dame Poncet est rentrée en possession des ouvrages invendus. La convention définit de façon précise les modalités du règlement de comptes entre les parties. On peut dès lors se demander si la recourante a un intérêt juridique à faire juger que la convention n'est pas un contrat de société. Il n'est pas exclu toutefois
BGE 94 II 122 S. 125
qu'au cours du règlement de comptes, la qualification du contrat revête une certaine importance. Or il suffit d'un intérêt éventuel pour justifier l'entrée en matière.
Le recours est ainsi recevable.
3.
Les parties sont en désaccord sur la qualification du contrat. Vu l'art. 18 CO, il convient de rechercher leur réelle et commune intention, sans s'arrêter aux expressions inexactes dont elles ont pu se servir. Ainsi que le relève le jugement de première instance, auquel le Tribunal cantonal se réfère, le fait que dame Herren a biffé, dans le projet Poncet, l'intitulé et les clauses contenant le terme de société n'est pas en soi déterminant. Il se peut en effet que, ce faisant, elle n'ait pas altéré le sens du projet, dont les clauses principales ont passé en grande partie dans la convention du 14 avril 1960. Néanmoins, la comparaison du projet et du contrat met en évidence ce que les parties, délibérément, ont voulu exclure. C'est là un élément d'appréciation qui paraît avoir échappé aux juridictions cantonales.
4.
Il y a contrat de société lorsque les parties conviennent d'unir leurs efforts ou leurs ressources en vue d'atteindre un but commun (art. 530 CO).
a) Dans le projet, la mise en commun des moyens était prévue de manière non équivoque. Selon l'ensemble du texte et notamment l'art. 10, dame Poncet se chargeait de l'édition et en avançait les frais, mais pour le compte des deux associées, qui devenaient propriétaires en main commune du stock de livres qu'en cas de mévente elles devaient se partager dans la même proportion que le bénéfice ou le déficit. S'il y avait une répartition des attributions des sociétaires, eu égard aux connaissances différentes dont elles faisaient apport à la société, le but commun était lui aussi clairement défini. Selon l'art. 1 en effet, les parties convenaient de créer entre elles une société simple "en vue de l'édition de livres de luxe".
b) Ces éléments - caractéristiques de la société - font défaut dans le contrat du 14 avril 1960. Celui-ci commence par constater un fait: dame Poncet édite un ouvrage de grand luxe dans sa collection "La Rose des Vents". Elle n'assume pas l'obligation de procéder à cette édition, ni celle de faire apport à un fonds commun des exemplaires du livre édité. La clause 2, qui suit immédiatement, prévoit que dame Poncet "cède à Madame Herren, qui accepte, la diffusion de ce livre". Viennent
BGE 94 II 122 S. 126
ensuite des dispositions fixant les modalités selon lesquelles dame Herren se charge de chercher des amateurs et déterminant les conditions de sa rémunération.
Il apparaît ainsi que l'objet du contrat n'est plus que la "diffusion", soit la vente d'un stock de livres édités par dame Poncet seule. L'édition elle-même est en dehors de l'accord des parties. Celles-ci ne conviennent plus de mettre en commun ressources ou efforts. Au contraire, dame Herren seule s'oblige à réaliser le but du contrat, la diffusion du livre, contre rémunération. Sans doute, les parties ont-elles toutes deux intérêt à vendre le plus grand nombre d'exemplaires possible au prix le plus élevé. Cette convergence des intérêts n'est cependant pas un but commun et n'est au reste nullement propre au contrat de société.
c) Certes, il y a dans l'accord des parties deux éléments qui le rapprochent d'un contrat de société. La rémunération de dame Herren est aléatoire et lui fait partager dans une large mesure les risques et les profits de l'entreprise. Cet élément, caractéristique de tous les contrats partiaires, ne suffit cependant pas pour qu'il y ait société. Un agent (RO 83 II 38), un courtier (RO 23 II 1063 consid. 3) peuvent être rémunérés par une participation au gain sans entrer en société avec leur commettant (cf. SIEGWART, Vorb. 74 ad art. 530-551 CO; CROME, Die Partiarischen Rechtsgeschäfte, Fribourg-en-B. 1897, p. 406, 438, 454). Le contrat d'édition fixant les honoraires de l'auteur en pour-cent de la vente n'est pas davantage un contrat de société (art. 389 al. 2 CO).
Les parties sont convenues que les prix à demander seraient fixés entre elles. Cet accord n'implique pas, comme le pense le juge de première instance, que dame Poncet ait abandonné partiellement ses attributions d'éditeur. S'il est vrai qu'en vertu de l'art. 384 CO, l'éditeur fixe le prix de vente, cette disposition légale vise uniquement les relations contractuelles entre l'éditeur et l'auteur, qui ne sont pas en cause ici.
Même réunis, ces deux éléments qui pourraient rapprocher le contrat d'une société ne sauraient l'emporter sur le fait, décisif, que seule dame Herren s'est engagée à mettre son activité au service du but visé par la convention, à savoir la vente des livres contre rémunération. Les parties n'ont pas mis en commun des biens ni joint leurs efforts, ni adopté une organisation commune. Dame Herren organisait librement son activité.
BGE 94 II 122 S. 127
La convention prévoit un échange de prestations. Elle revêt le caractère d'un contrat synallagmatique et non celui d'une société.
d) Cette solution est confirmée par la manière dont le contrat a été exécuté. Tant qu'a duré la collaboration des parties, dame Herren a remis à dame Poncet des reçus et des décomptes mentionnant les ouvrages conservés par elle "en consignation", "en dépôt" ou "en stock". La convention du 22 décembre 1965 ne fait aucune distinction entre les livres objet du contrat litigieux et les oeuvres d'art qu'en dehors de ce contrat, dame Poncet a confiées à dame Herren pour la vente. Enfin, les invendus ont été restitués à dame Poncet.
Au demeurant, c'est dame Herren elle-même qui, après avoir refusé de constituer une société et exigé la modification du projet de convention, plaide aujourd'hui l'existence d'une société. Si les expressions dont usent les parties dans leur contrat ne sont pas déterminantes, elles jouissent néanmoins d'une certaine présomption d'exactitude (SIEGWART, Vorb. 66 et 71 ad art. 530-551 CO). Le refus clairement manifesté par dame Herren est donc un élément de plus à l'encontre de sa thèse.
5.
La cour de céans n'a pas à qualifier le contrat en cause. L'inexistence d'un contrat de société justifie à elle seule l'admission du recours et le rejet de la demande.
Dispositiv
Par ces motifs le Tribunal fédéral:
Admet le recours et réforme l'arrêt attaqué en ce sens que la demande est rejetée. | public_law | nan | fr | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bedaf40a-acae-4a31-a563-781a3a414233 | Urteilskopf
141 V 51
9. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Sicherheitsfonds BVG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_263/2014 vom 18. Dezember 2014 | Regeste
Art. 51 Abs. 1 BVG
(in Kraft ab 1. April 2004);
Art. 52 Abs. 1 und
Art. 56a Abs. 1 BVG
(jeweils in den bis Ende 2011 gültigen Fassungen);
Art. 49a Abs. 1 BVV 2
(in der bis Ende 2008 gültigen Fassung);
Art. 759 Abs. 1 OR
; Verantwortlichkeit des Stiftungsrats.
Die im Zeitpunkt der effektiven Begründung der Organstellung unmittelbar einsetzende Haftung des Stiftungsrats bedingt, dass dieser sich vor der Mandatsübernahme ein genügend umfassendes Bild der Einrichtung verschafft (E. 6.1).
Die Sorgfaltspflicht bestimmt sich nicht nach den Fachkenntnissen, sondern nach objektiven Kriterien (E. 6.1).
Die unübertragbare Verantwortung für die Anlagestrategie obliegt dem Stiftungsrat als Ganzes. Pflichten der (übrigen) Stiftungsratsmitglieder im Falle der Übertragung der Umsetzung der Anlagestrategie an ein einzelnes Mitglied (E. 6.2.3).
Offengelassen, ob die differenzierte Solidarität gemäss
Art. 759 Abs. 1 OR
auch in Bezug auf die berufsvorsorgerechtliche Schadenersatzpflicht gelten soll (E. 9.2). | Sachverhalt
ab Seite 52
BGE 141 V 51 S. 52
A.
A.a
Die am 1. Mai 2003 errichtete Stiftung N. (ab 21. Oktober 2005: BVG-Sammelstiftung der N.; nachfolgend: Stiftung) wurde 2003 im Handelsregister des Kantons Zug eingetragen und bezweckte die Durchführung jeglicher Form der beruflichen Vorsorge. A. trat ihr am 5. September 2005 (Handelsregistereintrag) als Stiftungsrat bei und war befugt, kollektiv zu zweien zu zeichnen.
A.b
Am 14. Juli bzw. 2. August 2006 verfügte das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) als Aufsichtsbehörde die Suspendierung aller acht amtierenden Stiftungsräte und bestimmte O. und P. als interimistische Stiftungsräte. P. erstattete am 17. August 2006 beim Untersuchungsrichteramt Zug Strafanzeige gegen B. (seit der Gründung Stiftungsratspräsident) und E. (Stiftungsrat seit 15. April 2004) sowie allenfalls weitere Personen wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und Veruntreuung von Vermögenswerten. Mit Verfügung vom 1. September 2006 ordnete das BSV die Aufhebung der Stiftung sowie die Amtsenthebung der suspendierten Stiftungsräte an und setzte die interimistischen Stiftungsräte als Liquidatoren ein.
Auf Gesuch der Stiftung hin richtete der Sicherheitsfonds BVG (nachfolgend: Sicherheitsfonds) zur Sicherstellung gesetzlicher Leistungen
BGE 141 V 51 S. 53
einen Vorschuss von Fr. 33'000'000.- aus (Verfügung vom 26. Dezember 2006). In der Folge trat der Sicherheitsfonds in die Ansprüche gegenüber 13 (natürlichen und juristischen) Personen ein - darunter A. - und liess sich von der Stiftung sämtliche Ansprüche, die dieser gegenüber denselben 13 Personen allenfalls noch zustanden, abtreten (Erklärung vom 13. Dezember 2010 und Abtretungsvereinbarung vom 14./16. Dezember 2010). Am 15. August 2007 reichte die Stiftung in Liquidation beim Eidgenössischen Finanzdepartement gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft ein Schadenersatzbegehren in der Höhe von Fr. 33'000'000.- zuzüglich Zins seit 28. Dezember 2006 und unter Vorbehalt der Nachklage für weiteren Schaden ein.
B.
B.a
Am 17. Dezember 2010 erhob der Sicherheitsfonds beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug Klage gegen folgende 13 Personen: B. (Stiftungsratspräsident, Beklagter 1), C. (Stiftungsrat, Beklagter 2), D. (Stiftungsrätin, Beklagte 3), E. (Stiftungsrat, Beklagter 4), F. (Stiftungsrat, Beklagter 5), G. (Stiftungsrat, Beklagter 6), A. (Stiftungsrat, Beklagter 7), H. (Stiftungsrat, Beklagter 8), I. AG (Kontrollstelle, Beklagte 9), J. (BVG-Experte, Beklagter 10), K. GmbH (Buchhaltung, Beklagte 11), L. AG (Finanzdienstleisterin, Beklagte 12) und M. (alleiniger Verwaltungsrat der L. AG, Beklagter 13); mit folgenden Anträgen:
1. Die Beklagten 1-12 seien unter solidarischer Haftung je einzeln bis zur nachfolgend aufgeführten Höhe zu verpflichten, der Klägerin den Gesamtbetrag von CHF 30'000'000.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen;
2. Die Beklagten 1-4 seien unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor je einzeln zu verpflichten, der Klägerin CHF 30'000'000.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
3. Die Beklagten 5-8 seien unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor je einzeln zu verpflichten, der Klägerin CHF 6'401'254.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
4. Die Beklagte 9 sei unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor zu verpflichten, der Klägerin CHF 9'571'254.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
5. Der Beklagte 10 sei unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor zu verpflichten, der Klägerin CHF 9'571'254.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
6. Die Beklagte 11 sei unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor zu verpflichten, der Klägerin CHF 9'571'254.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
BGE 141 V 51 S. 54
7. Die Beklagte 12 sei unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor zu verpflichten, der Klägerin CHF 20'399'230.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
8. Der Beklagte 13 sei unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor zu verpflichten, der Klägerin CHF 30'000'000.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
9. (Kostenfolgen)
Dabei wies der Sicherheitsfonds darauf hin, dass mit der Klage lediglich ein Teilschaden geltend gemacht werde. Die Nachklage über den restlichen Schaden bleibe ausdrücklich vorbehalten. Im Prozessverlauf passte er sodann seine Klageanträge insoweit an, als er in Ziffer 1 (und betreffend die Kostenfolgen) neu die Beklagten 1-13 aufführte.
B.b
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, hiess die Klage mit Entscheid vom 21. Januar 2014 gut und verpflichtete die Beklagten zu folgenden Zahlungen:
a) Die Beklagten 1-13 haben der Klägerin unter solidarischer Haftung je einzeln bis zur nachfolgend aufgeführten Höhe in den Buchstaben b) bis h) den Gesamtbetrag von CHF 30'000'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
b) Die Beklagten 1, 2, 3 und 4 haben, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin je einzeln CHF 30'000'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
c) Der Beklagte 5 hat, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin CHF 4'600'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
d) Der Beklagte 6 hat, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin CHF 3'600'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
e) Der Beklagte 7 hat, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin CHF 6'401'254.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
f) Der Beklagte 8 hat, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin CHF 3'900'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
g) Die Beklagten 9, 10 und 11 haben, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin je einzeln CHF 9'130'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
h) Die Beklagten 12 und 13 haben, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin je einzeln CHF 19'034'230.39 nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
BGE 141 V 51 S. 55
C.
Hiegegen reicht A. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein und beantragt in der Hauptsache, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 21. Januar 2014, eventualiter Ziff. 1 lit. a und e, sei(en) aufzuheben. Demzufolge sei die Klage gegen ihn vom 17. Dezember 2010 abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht verlangt A., der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Im Weiteren seien die Akten der strafrechtlichen Berufungsverfahren vom Obergericht des Kantons Zug sowie diejenigen des Schadenersatzverfahrens der Stiftung in Liquidation gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft vom Eidgenössischen Finanzdepartement beizuziehen. Ausserdem sei das Beschwerdeverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss der vor dem Obergericht des Kantons Zug bzw. dem Eidgenössischen Finanzdepartement hängigen Verfahren, eventualiter bis nach dem erfolgten Aktenbeizug, zu sistieren. Ferner sei ein zweiter Schriftenwechsel durchzuführen und ihm Gelegenheit zu geben, seine Beschwerdebegründung zu ergänzen.
D.
Mit Verfügung vom 26. Mai 2014 hat die Instruktionsrichterin der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Auf die Durchführung eines Schriftenwechsels wurde verzichtet.
Das Bundesgericht weist das Sistierungsgesuch ab, ebenso die Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
3.1.1
Nach
Art. 52 BVG
in der bis Ende Dezember 2004 gültigen Fassung sind alle mit der Verwaltung, Geschäftsführung oder Kontrolle der Vorsorgeeinrichtung betrauten Personen für den Schaden verantwortlich, den sie ihr absichtlich oder fahrlässig zufügen. Diese Bestimmung findet sich auch heute noch im Gesetz, nur wurde sie per 1. Januar 2005 bzw. 1. Januar 2012 durch verschiedene - hier nicht relevante - Absätze erweitert (heute also
Art. 52 Abs. 1 BVG
und nachfolgend nurmehr diese Norm zitierend).
3.1.2
Art. 52 Abs. 1 BVG
, dessen Anwendungsbereich sich auch auf die weitergehende Vorsorge erstreckt (
Art. 49 Abs. 2 Ziff. 8 BVG
;
Art. 89
bis
Abs. 6 Ziff. 6 ZGB
[in der bis 31. Dezember 2012 geltenden Fassung]), kommt unabhängig von der Rechtsform der
BGE 141 V 51 S. 56
Vorsorgeeinrichtung zum Tragen. Er räumt der geschädigten Vorsorgeeinrichtung einen direkten Anspruch gegenüber dem näher umschriebenen Kreis der haftpflichtigen Personen ein. Darunter fallen insbesondere die Organe der Vorsorgeeinrichtung, im vorliegenden Fall der Stiftungsrat (vgl.
Art. 51 BVG
). Diese Organeigenschaft kann wie im Rahmen der Verantwortlichkeitsvorschrift von
Art. 52 AHVG
auch eine bloss faktische sein. Neben der Zugehörigkeit zum Kreis der in
Art. 52 BVG
erwähnten Personen setzt die vermögensrechtliche Verantwortlichkeit als weitere kumulative Erfordernisse den Eintritt eines Schadens, die Missachtung einer einschlägigen berufsvorsorgerechtlichen Vorschrift, ein Verschulden sowie einen Kausalzusammenhang zwischen Schaden und haftungsbegründendem Verhalten voraus (
BGE 128 V 124
E. 4a S. 127 f.; SVR 2010 BVG Nr. 5 S. 17, 9C_421/2009 E. 5.2). Es genügt jedes Verschulden, also auch leichte Fahrlässigkeit (
BGE 128 V 124
E. 4e S. 132).
3.2
3.2.1
Gemäss
Art. 56a Abs. 1 BVG
, ebenfalls in der bis Ende 2004 gültig gewesenen Fassung, hat der Sicherheitsfonds gegenüber Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung oder des Versichertenkollektivs ein Verschulden trifft, ein Rückgriffsrecht im Umfang der sichergestellten Leistungen.
Nach dieser Regelung subrogiert der Sicherheitsfonds nicht in die Ansprüche, die der Vorsorgeeinrichtung nach
Art. 52 BVG
zustehen, sondern hat einen eigenen Anspruch, der sich im Unterschied zur Haftung nach
Art. 52 BVG
nicht nur gegen Organe der Stiftung richtet, sondern auch gegen andere Personen, die an der Zahlungsunfähigkeit der Stiftung ein Verschulden trifft. Dass
Art. 56a BVG
nicht von Haftung im engeren Sinn (für ungedeckte Schäden), sondern von Rückgriffsrecht spricht, hängt nicht mit der fehlenden Verantwortlichkeit dieses Personenkreises für die eingetretene Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung und den daraus dem Sicherheitsfonds entstandenen Reflexschaden zusammen. Vielmehr ist diese Terminologie Ausdruck des gesetzlichen Aufgabenbereichs des Sicherheitsfonds, der zunächst im Schadensfall die Leistungen, welche die zahlungsunfähige Vorsorgeeinrichtung nicht mehr erbringen kann, im Aussenverhältnis sicherstellen muss und alsdann als Haftender für den ihm durch die Sicherstellung entstandenen Schaden die Verantwortlichen direkt regressweise belangen kann (Innenverhältnis), ohne dass vorgängig ein separater verwaltungs- oder zivilrechtlicher Prozess zwecks Feststellung der Haftung der Verantwortlichen angestrengt werden
BGE 141 V 51 S. 57
müsste. Damit ist
Art. 56a BVG
für die vom Sicherheitsfonds belangten, nicht schon von
Art. 52 BVG
erfassten Verantwortlichen als massgebliche Haftungsnorm zu verstehen. Obwohl im Wortlaut nicht erwähnt, setzt die Haftung nach
Art. 56a BVG
nebst dem Verschulden auch das Vorhandensein der anderen üblichen Haftungselemente (Schaden; Widerrechtlichkeit bzw. Pflichtwidrigkeit; natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden) voraus (
BGE 135 V 373
E. 2.2 und 2.3 S. 375 f.; Urteil 9C_754/2011 vom 5. März 2012 E. 1.2 mit Hinweis auf
BGE 130 V 277
E. 2.1 S. 280 und SVR 2008 BVG Nr. 33 S. 135, 9C_92/2007 E. 1.3).
3.2.2
Im Rahmen der 1. BVG-Revision erfuhr
Art. 56a Abs. 1 BVG
- auf Antrag der nationalrätlichen Kommission - eine Änderung. Seit 1. Januar 2005 sieht er vor, dass der Sicherheitsfonds gegenüber Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung oder des Versichertenkollektivs ein Verschulden trifft, im Zeitpunkt der Sicherstellung im Umfang der sichergestellten Leistungen in die Ansprüche der Vorsorgeeinrichtung eintreten kann. Mit dieser Anpassung wurde eine schnellere Geltendmachung von Ansprüchen durch den Sicherheitsfonds und die Erweiterung von dessen Handlungsspielraum bezweckt. Die Umschreibung des (persönlichen und sachlichen) Geltungsbereichs war zu keinem Zeitpunkt Thema (Protokoll der Sitzung der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 21./22. Februar 2002 S. 44; Protokoll der Sitzung der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 4./5. November 2002 S. 22). Diesbezüglich kann somit weiterhin auf die zur früheren Regelung ergangene Rechtsprechung (vgl. E. 3.2.1) abgestellt werden.
3.2.3
Zur Neureglung von
Art. 56a BVG
auf das Jahr 2005 wurde kein Übergangsrecht erlassen. Nach den allgemeinen Grundsätzen kommt eine neue Bestimmung nur auf Sachverhalte zur Anwendung, die sich nach dem Inkrafttreten verwirklicht haben. Bezogen auf die Sicherstellungsleistungen des Sicherheitsfonds heisst dies, dass die neue Bestimmung erst für Fälle zur Anwendung kommt, in denen die Sicherstellung nach dem 1. Januar 2005 erfolgte.
In concreto hat der Sicherheitsfonds Ende Dezember 2006 Insolvenzleistungen für die Destinatäre der Stiftung in der Höhe von Fr. 33'000'000.- erbracht. Damit ist die neue, bis Ende 2011 gültige Fassung von
Art. 56a Abs. 1 BVG
anzuwenden.
BGE 141 V 51 S. 58
3.3
Art. 52 Abs. 1 und
Art. 56a Abs. 1 BVG
haben wohl zwei verschiedene "Schadensarten" zum Inhalt, einerseits den Schaden, der bei der Stiftung eingetreten ist (
Art. 52 BVG
), anderseits denjenigen, der beim Beschwerdegegner selber angefallen ist (
Art. 56a BVG
). Dessen ungeachtet ist insofern grundsätzlich
ein
Schaden gegeben, als bei beiden Anspruchsnormen der gleiche Sachverhalt zu Grunde liegt, aus dem in Wechselwirkung der zitierten Gesetzesbestimmungen - Sicherstellung des bei der Vorsorgeeinrichtung entstandenen Schadens durch den Beschwerdegegner - eine kongruente Geldforderung resultiert (Urteil 9C_322/2012 vom 29. November 2012 E. 2.1.1).
Davon zu unterscheiden ist die Frage, unter welchem Rechtstitel gegen wen vorgegangen bzw. wer für welchen Schadensbetrag belangt werden kann. Ersterer Punkt wird nachfolgend angegangen. Auf den zweiten Punkt wird weiter hinten zurückgekommen (vgl. E. 9).
4.
Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich und richtig festgestellt (nicht publ. E. 1), dass die Stiftung alle ihre Ansprüche, die sie gegen die Beklagten 1-13 zu haben glaubt, somit auch den aus
Art. 52 BVG
fliessenden Verantwortlichkeitsanspruch, formell korrekt an den Beschwerdegegner abgetreten hat. Mit Erklärung vom 13. Dezember 2010 trat dieser zudem gestützt auf
Art. 56a Abs. 1 BVG
in die Verantwortlichkeitsansprüche der Stiftung gegenüber den Beklagten 1-13 ein. In Anbetracht der materiellen Organstellung des Beschwerdeführers als Stiftungsrat steht hier
Art. 52 Abs. 1 BVG
als Anspruchsgrundlage im Vordergrund (vgl. E. 3.1.2 vorne). Der Beschwerdeführer wird aber auch gestützt auf
Art. 56a BVG
ins Recht gefasst. Nachdem es dabei um ein und denselben Schaden geht (vgl. E. 3.3 vorne), sind mit der Erfüllung der Haftungsvoraussetzungen von
Art. 52 Abs. 1 BVG
(Schaden, Sorgfaltspflichtverletzung, Verschulden, adäquater Kausalzusammenhang) selbstredend auch diejenigen von
Art. 56a Abs. 1 BVG
erfüllt (vgl. E. 3.2.1 Abs. 2 vorne).
5.
Was den Schaden betrifft, so hat das kantonale Gericht erwogen, die Abflüsse der Stiftung bis zur Höhe von Fr. 30'553'230.39 seien ausreichend substanziiert und würden vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Dieser habe keine Bemerkungen zum Schaden gemacht und insbesondere nicht geltend gemacht, dass die Abflüsse rechtmässig gewesen sind. Der Beschwerdeführer widerspricht diesen Feststellungen nicht, sondern erörtert, weshalb der Schaden nicht genügend substanziiert sei. Damit stellt er neue tatsächliche Behauptungen auf
BGE 141 V 51 S. 59
(vgl. Urteil 4A_229/2010 vom 7. Oktober 2010 E. 5.1.3, nicht publ. in:
BGE 136 III 518
), die unzulässig sind, zumal nicht erst der angefochtene Entscheid zu denselben Anlass gegeben hat (
Art. 99 Abs. 1 BGG
). Gleich verhält es sich in Bezug auf das erstmalige Vorbringen, die Höhe des Schadens stehe noch gar nicht fest, weil sich ein Teil der abgeflossenen Gelder wieder zurückführen lasse resp. bei sorgfältiger Liquidation hätte zurückführen lassen.
Im Übrigen kann der Sicherheitsfonds, wenn das Ausmass des Schadens im Zeitpunkt der Klageanhebung weder exakt noch annähernd bestimmbar ist, weil die Höhe des Erlöses aus der Liquidation der Vorsorgeeinrichtung noch nicht feststeht, gleichwohl den gesamten Schaden geltend machen, sofern der Liquidationserlös an den Schadensverursacher abgetreten wird (
BGE 139 V 176
E. 9.2 S. 191 f.).
6.
6.1
Hinsichtlich der stiftungsrätlichen Sorgfaltspflicht hat die Vorinstanz vorab deren Facetten dargelegt (allgemeine Sorgfaltspflichten, Sorgfaltspflichten bei der Delegation, Sorgfalt in der Führung, Informationsrechte und -pflichten, Pflichten bei der Vermögensverwendung, allgemeine Sorgfaltspflichten in der Vermögensanlage, besondere Überwachungspflichten in der Vermögensanlage, Meldepflichten, Treuepflicht). Sodann hat sie für die eigentliche Prüfung, ob eine Pflichtverletzung vorliegt, die Stiftungsräte in drei Gruppen zusammengefasst. Der Beschwerdeführer wurde dabei mit den Beklagten 5, 6 und 8 beurteilt, was nicht zu beanstanden ist, zumal in den Erwägungen zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern klar differenziert wird.
Den allgemeinen Ausführungen der Vorinstanz zu den einzelnen Sorgfaltspflichten, auf die vollumfänglich verwiesen werden kann, ist anzufügen, dass die Haftung eines Stiftungsrates keiner Karenzfrist unterliegt. Dieser steht ab dem Tag der effektiven Begründung der Organstellung - hier unbestritten ab 1. Oktober 2005 - in der vollen Pflicht (
BGE 128 V 124
E. 4b S. 128). Dies bedingt, dass er sich ein genügend umfassendes Bild der Einrichtung verschafft, bevor das Mandat übernommen wird. Die wichtigsten Bereiche, wozu u.a. die Organisation und die Anlagen sowie das Risikomanagement gehören, sind vor der Annahme des Stiftungsratsmandats zu prüfen (vgl. MÜLLER/LIPP/PLÜSS, Der Verwaltungsrat, Ein Handbuch für Theorie und Praxis, 4. Aufl. 2014, S. 21 f. Ziff. 1.2.7). Das heisst nicht, dass der Stiftungsrat schon bei Amtsantritt Verdacht schöpfen
BGE 141 V 51 S. 60
muss oder Nachforschungen zu betreiben hat, ohne dass ein begründeter Anlass besteht. Indes hat er sich von Anfang an aktiv um das Geschehen zu kümmern. Damit geht nicht eine Vorwirkung der Haftung einher. Deren Beginn, der sich, wie soeben dargelegt, nach der tatsächlichen Mandatsübernahme richtet, bleibt sich gleich. Daran ändert auch nichts, dass die Vorsorgeeinrichtung die Aus- und Weiterbildung der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter im obersten paritätischen Organ auf eine Weise zu gewährleisten hat, dass diese ihre Führungsaufgaben wahrnehmen können (
Art. 51 Abs. 6 BVG
in der hier massgebenden, bis Ende 2011 gültigen Fassung; ab 1. Januar 2012:
Art. 51a Abs. 2 lit. i BVG
). Abgesehen davon, dass das Gesetz nicht gebietet, sich erst nach Amtsantritt (erstmals) ausbilden zu lassen, bestimmt sich die Sorgfaltspflicht nicht nach dem Stand der Fachkenntnisse, sondern nach objektiven Kriterien. Dies ist auch der klare Wille des Gesetzgebers (vgl. dazu den im Nationalrat klar verworfenen Antrag, - zumindest - das Mass der Sorgfalt nach den Fachkenntnissen zu bestimmen [Protokoll der Sitzung der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 21./22. Februar 2002 S. 37 unten; AB 2002 N 551 f.]).
Eine andere Frage ist, ob die Mandatsdauer ein rechtzeitiges Handeln zugelassen hätte (vgl. dazu E. 6.2.3 Abs. 2 hinten).
6.2
Die Beklagten 5-8 sind erst in einem späteren Zeitpunkt dem Stiftungsrat beigetreten und sehen sich allesamt dem Vorwurf ausgesetzt, sich nach dem Eintritt zu passiv verhalten zu haben, womit sie eine Vergrösserung des Schadens billigend in Kauf genommen hätten. Dass der Beschwerdegegner kaum auf das individuelle Verhalten der vier Beklagten eingegangen ist, heisst nicht, dass er seiner Substanziierungspflicht nicht nachgekommen ist, wie der Beschwerdeführer meint. Es können sich durchaus mehrere Stiftungsräte gleich passiv verhalten haben.
6.2.1
Für die Geschäftsorganisation der Stiftung war der Umstand charakteristisch, dass zahlreiche Aufgaben an Dritte delegiert wurden:
Bereits in der Stiftungsurkunde wurde die Q. AG als technische Verwalterin bezeichnet. Bei dieser am 24. März 2003 gegründeten Gesellschaft mit Sitz an der gleichen Adresse wie die Stiftung sassen die Beklagten 1-3 von Beginn weg im Verwaltungsrat. Am 22. Dezember 2003 stiess der Beklagte 4 dazu. Mit Leistungsauftrag 1.0 vom 15. Juni 2004 - rückwirkend per 1. Januar 2004 - übertrug die
BGE 141 V 51 S. 61
Stiftung die vollständige unternehmerische und fachliche Führung, inkl. derjenigen der in ihr zusammengeschlossenen Vorsorgewerke, auf die Q. AG. Die übertragenen Aufgaben umfassten die fachliche, organisatorische und technische Betreuung der bestehenden Kunden, das ordnungsgemässe administrative und buchhalterische Führen der einzelnen Versicherten- und Rentnerbestände sowie die Führung der dazugehörenden Kassen (Vorsorgewerke), das ordnungsgemässe administrative und buchhalterische Führen der Stiftung und der Stiftungsbuchhaltung inklusive aller notwendigen periodischen Abschlussarbeiten sowie die Kommunikation mit den Aufsichtsorganen und den staatlichen Stellen. Noch am gleichen Tag, d.h. am 15. Juni 2004, übertrug die Q. AG mit Leistungsauftrag 1.1 - ebenfalls rückwirkend auf den 1. Januar 2004 - die unternehmerische und fachliche Führung der Stiftung vollständig weiter an die R. AG, mit Sitz an der identischen Adresse wie die Stiftung und die Q. AG. Als Verwaltungsräte der R. AG amteten u.a. die Beklagten 1 (ab 15. Dezember 2000), 2 (ab 25. Januar 2002) und 4 (ab 18. Mai 2005). Der von ihr zu erfüllende Aufgabenkatalog entsprach dabei praktisch wörtlich demjenigen, der zuvor der Q. AG übertragen worden war.
Die Buchhaltung der Stiftung wurde indessen weder von der Q. AG noch von der R. AG ausgeführt. Diese Aufgabe übernahm die Beklagte 11.
Ebenfalls am 15. Juni 2004 unterzeichnete die Stiftung zwei Agenturverträge mit der R. AG. Diese wurde darin - rückwirkend auf den 1. Januar 2004 - mit der Akquisition von Neukunden beauftragt.
Am 8. Januar 2004 schloss die Stiftung mit der S. Ltd., ansässig in T., einen Vermögensverwaltungsauftrag - rückwirkend auf den 1. November 2003 - ab. Dieser unterlag folgenden Einschränkungen: Die Verwaltungshandlungen waren im Rahmen des vorhandenen Anlagereglements der Stiftung vom 7. April 2003 vorzunehmen. Die S. Ltd. durfte keine Vermögensverwaltungsaktivitäten entfalten, ohne dass das Deckungskapital jederzeit zu 100 % abgesichert war, bzw. nur solche Geschäfte abschliessen, welche eine Wertverminderung des Deckungskapitals ausschlossen. Dazu wurde ausdrücklich festgehalten, dass das Deckungskapital jederzeit im Besitz der Stiftung verblieb. Die beauftragte Vermögensverwalterin war auch nicht berechtigt, zur Verwaltung anvertraute Vermögenswerte an sich selbst oder an Dritte zu überweisen bzw. ausliefern zu lassen. Schliesslich wurde
BGE 141 V 51 S. 62
klar gestellt, dass auf das noch zu definierende Bankkonto, auf welchem das Deckungskapital zu deponieren war, ausschliesslich Organe der Stiftung Zugriff haben durften. Der S. Ltd. wurden über die im Vertrag eingeräumten Rechte hinaus keine weiteren Rechte an den Vermögenswerten auf dem Bankkonto eingeräumt.
Anfang Juni 2004 schloss die Stiftung einen (weiteren) umfassenden Vermögensverwaltungsauftrag - ebenfalls rückwirkend auf den 1. November 2003 - mit der U. AG ab, welcher die Beklagten 4 und 13 als Verwaltungsräte angehörten. Der Auftrag war mit Blick auf das weitgehende freie Ermessen und die zu beachtenden Einschränkungen identisch abgefasst wie der zuvor erwähnte Vertrag mit der S. Ltd. Ein wesentlicher Unterschied bestand darin, dass im Vertrag ein Bankkonto (Haupt-Nr. ...) bei der V. AG vordefiniert wurde. Am 16. Juni 2005 verlegte die U. AG ihren Sitz von Basel an die gleiche Adresse wie die Stiftung, die Q. AG und die R. AG.
Mit einer Verwaltungsvollmacht für Finanzintermediäre vom 19. September 2003 räumte die Stiftung der Beklagten 12 das Recht ein, die unter der Stammnummer ... bei der V. AG deponierten Vermögenswerte ohne jede Einschränkung zu verwalten.
Am 12. Februar 2004 räumte die Stiftung der Beklagten 12 erneut eine umfassende Verwaltungsvollmacht für Finanzintermediäre ein. Diesmal betraf es die Konti unter der Stammnummer ... bei der V. AG. Die Kontogruppe wurde auf dem Formular näher mit "Rubrik: R. AG" bezeichnet.
6.2.2
Dem Beschwerdeführer war bekannt, dass die Stiftung die Anlagetätigkeit an einen Dritten delegiert hatte; er hatte sowohl von der S. Ltd. als auch der U. AG Kenntnis. Dazu kommt, dass er selber zweimal Verwaltungsrat der R. AG war, die von der Stiftung mit über 15 Mio. Fr. alimentiert wurde (allein nach dem 28. Dezember 2005 mit rund 2 Mio. Fr.). Das erste Mal amtete er von Januar bis November 2002 und das zweite Mal ab Dezember 2005. Mit Darlehensvertrag vom 27. Januar 2005 erhielt die W. AG, welcher der Beschwerdeführer damals als Vizepräsident des Verwaltungsrats angehörte, von der Stiftung ein Darlehen in der Höhe von Fr. 180'000.-. Im Weiteren verpflichtete sich die Q. AG am 28. Juli 2005, Fr. 1'150'000.- in die X. AG zu investieren. Diese war bei der Stiftung als Arbeitgeberfirma angeschlossen und wurde verwaltungsratsmässig vom Beschwerdeführer geleitet. Aus der Vereinbarung vom 28. Juli 2005 geht ferner hervor, dass der Darlehensvertrag vom 27. Januar 2005 von der
BGE 141 V 51 S. 63
W. AG auf die X. AG übertragen werden sollte. Insgesamt flossen dieser dadurch im August 2005 1,2 Mio. Fr. zu.
6.2.3
Bei dieser - von der Vorinstanz festgestellten und für das Bundesgericht verbindlichen (nicht publ. E. 1.1) - Sachlage (vgl. E. 6.2.1 und 6.2.2 vorne) kann dem Beschwerdeführer bei der hier fraglichen Mandatsübernahme nicht die Rolle eines unbedarften Stiftungsrats zugeschrieben werden, soweit er sich überhaupt darauf berufen kann (vgl. E. 6.1 vorne). Gerade die Interessenkonflikte, welche die Stiftung mit dem rund um sie aufgebauten Firmenkonglomerat hervorgerufen hat, welches vom Beschwerdeführer auf Grund seiner eigenen Verbandelung zumindest teilweise überblickbar war, hätten ihn bei der Übernahme des Stiftungsratsmandats umso aufmerksamer machen sollen. Aber auch als durchschnittlich sorgfältiger Stiftungsrat hätte er vordringlich die - konkrete - Anlagestrategie und das Risikoprofil der Stiftung sowie das Verhältnis zwischen der S. Ltd. und der U. AG erfragen müssen. Das bei den Akten liegende Anlagereglement, Version vom 7. April 2003, weist nämlich kein Genehmigungsdatum auf. Den Stiftungsratsprotokollen lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen.
Der Beschwerdeführer kann sich nicht mit dem Vorbringen begnügen, er habe sich auf die Aussagen der anderen involvierten Stiftungsräte, bei denen es sich um ausgewiesene Fachexperten handle, verlassen dürfen. Vordergründig wurde(n) wohl ein positiver Eindruck, vor allem positive Zahlen, vermittelt, wie der Beschwerdeführer geltend macht (z.B. provisorischer Jahresabschluss 2003/2004 mit einem Gewinn, Deckungsgrad per Ende 2004 von 101,1 % bzw. per Ende 2005 von 105,5 %). Der Stiftungsrat kann sich jedoch nicht allein am Ergebnis orientieren; insbesondere reicht der Deckungsgrad als Momentaufnahme nicht aus, um die finanzielle Lage einer Vorsorgeeinrichtung zu beurteilen. Er trägt die Verantwortung für ein gesetzlich und reglementarisch korrektes Handeln (Stiftungsstatut vom 1. Mai 2003 S. 3 oben Ziff. 6), weshalb er sich (auch) um die Gegebenheiten hinter den Zahlen kümmern muss. Dazu gehört die - dem Stiftungsrat als Ganzes zugewiesene (Stiftungsstatut vom 1. Mai 2003 S. 2 f. Punkt 6) - Anlagestrategie, die nicht an einen Dritten übertragbar ist, andernfalls der Grundsatz der Parität und die damit gewährten Mitentscheidungsrechte der Arbeitnehmenden illusorisch gemacht werden (
Art. 51 Abs. 1 BVG
, in Kraft seit 1. April 2004; Art. 49a Abs. 1 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2;
BGE 141 V 51 S. 64
SR 831.441.1] in der bis Ende 2008 gültigen Fassung; GÄCHTER/GECKELER HUNZIKER, in: Handkommentar zum BVG und FZG, Schneider/Geiser/Gächter [Hrsg.], 2010, N. 55 f. zu
Art. 51 BVG
; seit 1. Januar 2012:
Art. 51a Abs. 2 lit. m BVG
). Entscheid und Verantwortung verharren diesbezüglich - und verharrten auch in concreto (Stiftungsstatut vom 1. Mai 2003 S. 2-5 Punkte 5-7) - ungeteilt beim Stiftungsrat. Soweit die Durchführung des Anlageprozesses in den Aufgabenbereich eines anderen Stiftungsrates fiel, wie schon vor Vorinstanz argumentiert wurde, so entbindet dieser Umstand nicht davon, sicherzustellen, dass der andere Stiftungsrat die Vermögensverwaltungsgesellschaft regelmässig auf die Anlageziele und -grundsätze kontrolliert (DOMENICO GULLO, Die Verantwortlichkeit des Stiftungsrats in der Vorsorgeeinrichtung und die Delegation von Aufgaben, SZS 2001 S. 48 f. unten). Wird die Umsetzung der Anlagestrategie an einen anderen Stiftungsrat übertragen, so handelt es sich nicht um eine Delegation von Aufgaben und Verantwortung im herkömmlichen Sinne, sondern lediglich um eine Massnahme, die organisatorischer Natur ist und einer effizienten Stiftungsratstätigkeit dient (ERICH PETER, Leitfaden für Stiftungsräte, Führungsaufgaben und -prozesse in Vorsorgeeinrichtungen, 2014, S. 32 und 35). Dabei steht - in für das Bundesgericht verbindlicher Weise (nicht publ. E. 1.1) - fest, dass der Beschwerdeführer zu keiner Zeit für eine Berichterstattung des anderen Stiftungsrats betreffend dessen Kontrolltätigkeit zur Übereinstimmung von Ist und Soll sorgte. Die Berichterstattung erfolgt in der Regel quartalsweise und soll insbesondere Aufschluss über die getätigten Anlagen, den Anlageerfolg (je Anlagekategorie in Relation zum eingegangenen Risiko und im Vergleich mit dem Benchmark) sowie über die Einhaltung von Anlagestrategie und Anlagevorschriften geben (GULLO, a.a.O., S. 49). Ausserdem hat die Vorinstanz - ebenfalls verbindlich (nicht publ. E. 1.1) - festgestellt, dass der Beschwerdeführer niemals der Frage nachgegangen ist, ob die Stiftung dem Vermögensverwalter überhaupt eine Anlagestrategie vorgegeben hatte, wie er auch nie vertieft hinterfragt hat, welche Vermögensverwalterin denn nun für die Vermögensverwaltung der Stiftung verantwortlich war. Damit liegt die Verletzung einer elementaren Sorgfaltspflicht vor, die seit Amtsantritt des rund 10-monatigen Mandats aktuell war und deren Wahrnehmung kein Zuwarten erlaubte. Ein promptes Handeln drängte sich umso mehr auf, als sich die Aufgabenverteilung im Stiftungsrat auf keine reglementarische Grundlage resp. ordentliche Beschlussfassung mit klar
BGE 141 V 51 S. 65
umschriebenen Kompetenzen abstützen liess, sondern Folge gelebter Verhältnisse war, die nicht weiter definiert waren, wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat (nicht publ. E. 1.1). Damit war von vornherein ein grosses Fragezeichen hinter die Rechtmässigkeit der Delegation zu setzen (vgl. Stiftungsstatut vom 1. Mai 2003 S. 3 Ziff. 5 und 6).
Im Übrigen wird der Stiftungsrat auch im Rahmen der Delegation an einen Dritten nicht ohne weiteres von seiner Verantwortung entbunden. Auch diesfalls bleibt er für eine sorgfältige Überwachung zuständig (vgl. dazu PETER, a.a.O., S. 33 f.; ISABELLE VETTER-SCHREIBER, BVG, FZG: Kommentar, 3. Aufl. 2013, N. 26 zu
Art. 52 BVG
; GULLO, a.a.O., S. 59-62).
6.3
Dem Beschwerdeführer wird im Weiteren vorgeworfen, mit der Annahme des Stiftungsratsmandats den unrechtmässigen (vgl. E. 5 vorne) Mittelabfluss von Fr. 1'200'000.- an die X. AG im August 2005 implizit gebilligt zu haben. Er habe es unterlassen, anlässlich der Übernahme des Stiftungsratsmandats abzuklären, ob die Stiftung derartige Finanzierungen überhaupt vornehmen durfte. Damit habe er verhindert, dass der vor seinem Amtsantritt entstandene Schaden rechtzeitig rückgängig gemacht werden konnte.
6.3.1
Die Übertragung von Fr. 1'200'000.- an die X. AG basiert auf folgenden - vorinstanzlich verbindlich festgestellten (nicht publ. E. 1.1) - Gegebenheiten: Die Y. AG war Softwarelieferantin der Q. AG. Nachdem sie vor dem Konkurs stand, hätte die Q. AG eine kostspielige Umstellung ihrer Software vornehmen müssen. In der Folge übernahm die X. AG die Vermögenswerte der Y. AG. Der Beschwerdeführer benötigte jedoch für den Kauf des Softwareunternehmens einen auswärtigen Investor. Dieser wurde in der U. AG gefunden - nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz handelte es sich um die S. Ltd. -, als deren Vertreter gemäss Beschwerdeführer der Beklagte 4 fungierte. Die U. AG tätigte in der Folge das Investment via die Q. AG.
6.3.2
Es trifft wohl zu, dass der Mittelabfluss (von Fr. 1'200'000.-) bei Amtsantritt des Beschwerdeführers bereits vonstatten gegangen war. Das heisst jedoch nicht, dass er dafür nicht verantwortlich gemacht werden kann. Das besagte und dem Beschwerdeführer - auch gemäss eigenen Angaben - bekannte Investment der U. AG blieb ein aktuelles resp. laufendes Geschäft, das gleichermassen wie die Neuanlagen ab Übernahme des Mandats der soeben dargelegten
BGE 141 V 51 S. 66
Überprüfungspflicht (vgl. E. 6.2.3 vorne) unterlag. Dies war erst recht geboten, als sich der Beschwerdeführer - für das Bundesgericht verbindlich festgestellt (nicht publ. E. 1.1) - zu keinem Zeitpunkt Klarheit darüber verschafft hatte, dass es sich bei den Mitteln, die der X. AG zur Verfügung gestellt worden waren, nicht um Pensionskassengelder handelte. Zu dieser Abklärung bestand zwingend Anlass, weil beim Teilbetrag von Fr. 180'000.- (Darlehensübergang) eindeutig Stiftungsmittel im Spiel waren.
7.
Vor dem Hintergrund des in E. 6 Gesagten stellt die Passivität des Beschwerdeführers ein grobfahrlässiges und schuldhaftes Verhalten dar. Allein sein Versäumnis auf der Kontrollebene (vgl. E. 6.2 und 6.3 vorne) ist als besonders gravierend anzusehen. Die entsprechende Unterlassung - der Beschwerdeführer hat keine Dokumente angefordert, aus denen hervorgegangen wäre, dass die Tätigkeit der Vermögensverwaltungsgesellschaften in regelmässigen Abständen auf die Anlageziele und -grundsätze kontrolliert wird - hat Raum für ein freies Agieren und einen fortgesetzten Abfluss der Stiftungsmittel geschaffen. Weiterungen bezüglich allfällig anderer Pflichtverletzungen bedarf es nicht.
8.
8.1
Zwischen der pflichtwidrigen Handlung und dem eingetretenen Erfolg muss ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang bestehen. Die natürliche Kausalität ist gegeben, wenn ein Handeln Ursache im Sinn einer condicio sine qua non für den Eintritt eines Erfolgs ist. Dies ist eine Tatfrage. Rechtsfrage ist demgegenüber, ob zwischen der Ursache und dem Erfolgseintritt ein adäquater Kausalzusammenhang besteht (
BGE 132 III 715
E. 2.2 S. 718 mit Hinweisen).
Im Fall einer Unterlassung bestimmt sich der Kausalzusammenhang danach, ob der Erfolg auch bei Vornahme der unterlassenen Handlung eingetreten wäre. Es geht um einen hypothetischen Kausalverlauf, für den nach den Erfahrungen des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine überwiegende Wahrscheinlichkeit sprechen muss (
BGE 124 III 155
E. 3d S. 165 f.). Grundsätzlich unterscheidet die Rechtsprechung auch bei Unterlassungen zwischen natürlichem und adäquatem Kausalzusammenhang. Während bei Handlungen die wertenden Gesichtspunkte erst bei der Beurteilung der Adäquanz zum Tragen kommen, spielen diese Gesichtspunkte bei Unterlassungen in der Regel schon bei der Feststellung des hypothetischen
BGE 141 V 51 S. 67
Kausalverlaufs eine Rolle. Es ist daher bei Unterlassungen in der Regel nicht sinnvoll, den festgestellten oder angenommenen hypothetischen Geschehensablauf auch noch auf seine Adäquanz zu prüfen. Die Feststellungen des Sachrichters im Zusammenhang mit Unterlassungen sind daher entsprechend der allgemeinen Regel über die Verbindlichkeit der Feststellungen zum natürlichen Kausalzusammenhang für das Bundesgericht bindend (nicht publ. E. 1.1). Nur wenn die hypothetische Kausalität ausschliesslich gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung - und nicht gestützt auf Beweismittel - festgestellt wird, unterliegt sie der freien Überprüfung durch das Bundesgericht (
BGE 132 III 305
E. 3.5 S. 311,
BGE 132 III 715
E. 2.3 S. 718 f.;
BGE 115 II 440
E. 5a S. 447 f.; je mit Hinweisen; im Strafrecht: Urteil 6B_779/2009 vom 12. April 2010 E. 3.3.2).
8.2
Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, die Vorinstanz habe sich zur Begründung des (hypothetischen und gleichzeitig adäquaten) Kausalzusammenhangs ausschliesslich auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützt. Dessen ungeachtet kann - auch bei einer freien Prüfung - seiner Sicht der Dinge nicht gefolgt werden.
Der Beschwerdeführer hält den Erwägungen des kantonalen Gerichts vorab entgegen, dieses gehe fälschlicherweise davon aus, dass er sich passiv verhalten habe. Die konkrete Verhaltensweise des Beschwerdeführers ist in der vorliegenden Erwägung allein Ausgangspunkt und nicht (mehr) Prüfungsobjekt (vgl. E. 8.1 vorne). Sie war bereits Untersuchungsgegenstand, nämlich bei der Frage nach der Sorgfaltspflichtverletzung (vgl. E. 6 vorne). Ferner beruft sich der Beschwerdeführer darauf, er hätte auch bei weiterem hartnäckigen Nachfragen bei den übrigen Beklagten nichts erfahren, das dienlich gewesen wäre, um eine Vergrösserung des Schadens zu vermeiden. Er wäre weiterhin mit falschen Informationen versorgt und die Zahlen wären weiterhin positiv dargestellt worden. Dazu ist zu wiederholen, dass sich die unterlassene Überwachung auf die Fakten hinter den Zahlen bezieht (vgl. E. 6.2.3 vorne). Die Wahrnehmung der in jener Erwägung aufgezeigten Sorgfaltspflicht - Vergewisserung, dass die Anlageziele und -grundsätze bei der Umsetzung eingehalten werden - setzt belegte Kenntnisse über den Soll-Zustand (als Massstab und Ausgang der Kontrolle) voraus. Die diesbezügliche Informationsbeschaffung durch "Hörensagen" wird ihr nicht gerecht. Die Überwachung der Vermögensanlage resp. Vermögensbewirtschaftung hat seit jeher "nachvollziehbar" zu erfolgen (vgl.
Art. 49a Abs. 1 BVV 2
in den
BGE 141 V 51 S. 68
seit 1. Juli 1996 gültigen Fassungen), was schriftliche und verständliche Informationen bedingt. Wäre der Beschwerdeführer seiner Aufgabe nachgekommen, hätte er den dafür erforderlichen Grundlagen substanziiert nachgehen müssen. Dabei wäre er unweigerlich auf Diskrepanzen (bezüglich der Risikofähigkeit), auf Ungereimtheiten ("parallele" Vermögensverwaltung [U. AG plus L. AG]) sowie auf Lücken (fehlende Vorgaben [in der Anlage] und fehlende Reglemente resp. Beschlüsse [v.a. hinsichtlich der Organisation]) gestossen. Da diese Missstände das (finanzielle) Fundament der Stiftung betreffen, ist nach den Erfahrungen des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge überwiegend wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer schon wegen der besagten Lücken (fehlende Vorgaben [in der Anlage] und fehlende Reglemente resp. Beschlüsse [v.a. hinsichtlich der Organisation]), die leicht und rasch auszumachen gewesen wären, umgehend eingegriffen hätte, und damit der Abfluss weiterer Stiftungsmittel verhindert worden wäre. Von Anfang an demonstrierte Aufmerksamkeit und beharrliches Pochen auf Reglements- und Gesetzesmässigkeit hätten den bestehenden Freiraum (vgl. E. 7 vorne) prompt geschlossen. Im äussersten Fall hätte der Beschwerdeführer die Stiftung bei der Aufsichtsbehörde verzeigt, die unverzüglich eingeschritten wäre (vgl. SZS 2012 S. 374, 9C_823/2011 E. 2.2). Denn es standen offensichtlich, anders als in anderer (fallbezogener) Angelegenheit, in der die Aufsichtsbehörde scheinbar eine abwartende Haltung eingenommen hatte, die vitalen Interessen der Stiftung auf dem Spiel.
Mit der Schlussfolgerung der Vorinstanz, dass die Mittel, die unrechtmässig an die X. AG geflossen sind, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusätzlich wieder in die Stiftung hätten zurückgeholt werden können, setzt sich der Beschwerdeführer mit keinem Wort auseinander. Dabei hat es sein Bewenden (nicht publ. E. 1.2).
8.3
Eine Haftungsbeschränkung wegen mitwirkenden Drittverschuldens zieht das Bundesgericht bloss als eher theoretische Möglichkeit in Betracht, die, wenn überhaupt, nur bei einer ausgesprochen exzeptionellen Sachlage von praktischer Bedeutung sein kann; so etwa, wenn das Verschulden des in Anspruch genommenen Haftpflichtigen als so leicht erscheint und in einem derartigen Missverhältnis zum Verschulden des Dritten steht, dass es offensichtlich ungerecht wäre, wenn jener den ganzen Schaden tragen müsste (z.B.
BGE 140 V 405
E. 6.1 S. 417; Urteil 9C_328/2012 vom 11. Dezember 2012 E. 2.3). Von einer solchen Konstellation kann hier nicht gesprochen werden.
BGE 141 V 51 S. 69
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, er habe wegen des "komplexen Lügengebäudes" keinen Handlungsbedarf erkennen können, lässt er ausser Acht, dass dieser "zweitrangig" ist und sich erst nach Ausübung der obliegenden Sorgfaltspflicht resp. nach Analyse der sich dabei präsentierenden Sachlage stellt. Abgesehen davon kann hinsichtlich des hier fraglichen Aufgabenbereichs (vgl. E. 6.2.3 vorne) eine Irreführung durch deliktisches Handeln ausgeschlossen werden (nicht publ. E. 2.1). Zudem erweist sich die Sorgfaltspflichtverletzung, die der Beschwerdeführer begangen hat und ausschliesslich in seinem Verantwortungsbereich anzusiedeln ist, als derart grundlegend (vgl. E. 6.2.3 und 8.2 vorne), dass sie selbst bei - ebenfalls (vgl. E. 7 vorne) - grobem pflichtwidrigem Verhalten weiterer Protagonisten nicht komplett in den Hintergrund gedrängt resp. zur absoluten Bedeutungslosigkeit degradiert wird.
9.
Zusammenfassend sind sämtliche Haftungsvoraussetzungen von Art. 52 Abs. 1 bzw.
Art. 56a BVG
erfüllt. Es ist sowohl ein Schaden (E. 5) als auch eine Sorgfaltspflichtverletzung (E. 6) sowie ein Verschulden (E. 7) und ein adäquater Kausalzusammenhang (E. 8) gegeben. Zu prüfen bleibt, für welchen Schadensbetrag der Beschwerdeführer vom Sicherheitsfonds belangt werden kann.
9.1
Die Personen, für welche die Haftungsvoraussetzungen von adäquater Verursachung, Pflichtwidrigkeit und Verschulden gegeben sind, haften untereinander solidarisch. Haben sie den Schaden gemeinsam verursacht und gemeinsam verschuldet, besteht echte Solidarität mit der Folge, dass jede einzelne Person für den ganzen Schaden einzustehen hat. Haben sie unabhängig voneinander gehandelt, haftet jeder Einzelne nur in dem Umfang, in dem er den Schaden verursacht hat (unechte Solidarität). Mit anderen Worten ist Solidarität nur im Ausmass des von der einzelnen Person zu Verantwortenden gegeben. Diese allgemeine Regel gilt auch bezüglich
Art. 56a BVG
(
BGE 139 V 176
E. 8.5 S. 190 f. mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung; vgl. auch VETTER-SCHREIBER, a.a.O., N. 3 zu
Art. 56a BVG
), welche Bestimmung im vorliegend zu erörternden Punkt vor allem interessiert, da sie - was den haftpflichtigen Personenkreis betrifft - über die Organhaftung hinausgeht (vgl. E. 3.2.1 Abs. 2 vorne).
9.2
Die mit
Art. 759 Abs. 1 OR
eingeführte differenzierte Solidarität bedeutet, dass der Umfang der Ersatzpflicht eines solidarisch Haftenden im Aussenverhältnis individuell bestimmt wird. Der Haftpflichtige kann demnach den Geschädigten gegenüber geltend
BGE 141 V 51 S. 70
machen, dass ihn kein oder nur ein geringes Verschulden treffe oder für ihn allenfalls ein anderer Herabsetzungsgrund nach
Art. 43 Abs. 1 und
Art. 44 OR
gelte (Urteil 6B_54/2008 vom 9. Mai 2008 E. 10.4 m.H. auf
BGE 132 III 564
E. 7 S. 577 f.; GERICKE/WALLER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2012, N. 4 zu
Art. 759 OR
).
Es kann (weiterhin) offenbleiben (vgl.
BGE 128 V 124
E. 4g S. 133 hinsichtlich
Art. 52 BVG
), ob die im Aktienrecht beheimatete differenzierte Solidarität auch in Bezug auf die berufsvorsorgerechtliche Schadenersatzpflicht gelten soll (vgl. dazu immerhin RITA TRIGO TRINDADE, Fondations de prévoyance et responsabilité: développements récents, in: Institutions de prévoyance: devoirs et responsabilité civile, Trigo Trindade/Anderson [Hrsg.], 2006, S. 161 f.). Das kantonale Gericht hat einlässlich dargelegt, dass kein Herabsetzungsgrund nach
Art. 43 Abs. 1 OR
und dem hier in Frage kommenden
Art. 44 Abs. 2 OR
besteht. Ihm kommt dabei ein weites Ermessen zu (
BGE 131 III 12
E. 4.2 S. 15 mit Hinweis), bei dessen Überprüfung das Bundesgericht Zurückhaltung übt. Es schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die zwingend hätten beachtet werden müssen. Ausserdem greift das Bundesgericht in Ermessensentscheide ein, falls sich diese als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (
BGE 135 III 121
E. 2 S. 123 f.;
BGE 131 III 12
E. 4.2 S. 15). Davon kann hier - insbesondere in Anbetracht von E. 7 vorne - nicht die Rede sein.
9.3
Die Vorinstanz beziffert den Schaden, für den der Beschwerdeführer in zeitlicher Hinsicht verantwortlich zeichnet (vgl. E. 6.2 und 6.3 vorne), auf Fr. 6'401'254.-. Diese Summe ist rechnerisch unbestritten. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
beddf62c-fbf1-4812-8164-3ef23b79b656 | Urteilskopf
141 V 191
22. Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Sozialversicherungen gegen Genossenschaft A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_660/2014 vom 5. März 2015 | Regeste
Art. 64 Abs. 6 AHVG
;
Art. 203 AHVV
, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2006;
Art. 52 und 55 Abs. 2 ATSG
;
Art. 5 Abs. 1 und
Art. 44 VwVG
; Entscheid über die Zugehörigkeit zu einer Ausgleichskasse.
Das Verfahren vor dem BSV bei Streitigkeiten über die Kassenzugehörigkeit richtet sich nach dem VwVG. Es ist somit kein Einspracheverfahren durchzuführen. Die Verfügungen des Bundesamtes unterliegen der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 192
BGE 141 V 191 S. 192
A.
Die Genossenschaft A. war Mitglied des Vereins für Sozialversicherungsfragen von öffentlichen Institutionen des Kantons Bern. Als Arbeitgeberin war sie der Ausgleichskasse des Kantons Bern angeschlossen. Am 22. Juni 2012 trat die Genossenschaft A. auf den 1. Januar 2013 dem Bernischen Geschäftsinhaberverband bei. Auf denselben Zeitpunkt beabsichtigte sie, zur Ausgleichskasse Geschäftsinhaber Bern des Verbandes zu wechseln, wogegen die kantonale Ausgleichskasse Einspruch erhob. Das von der Verbandsausgleichskasse und der Genossenschaft A. angerufene Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) lehnte mit Verfügung vom 20. März 2013 den streitigen Kassenwechsel ab.
B.
Dagegen reichte die Genossenschaft A. am 3. April 2013 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein, welches mit Entscheid vom 27. Juni 2014 darauf nicht eintrat und die Sache zur Durchführung des Einspracheverfahrens zuständigkeitshalber an das BSV überwies.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt das BSV, der Entscheid vom 27. Juni 2014 sei aufzuheben und die Sache an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen, damit es materiell entscheide.
Die Ausgleichskasse des Kantons Bern ersucht um Gutheissung der Beschwerde. Die Genossenschaft A. äussert ihr Interesse an einem materiellen Entscheid, ohne einen Antrag zu stellen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
BGE 141 V 191 S. 193
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Die von Amtes wegen zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzungen (
Art. 29 Abs. 1 BGG
;
BGE 139 III 133
E. 1 S. 133;
BGE 139 V 42
E. 1 S. 44) sind erfüllt: Streitigkeiten betreffend die Kassenzugehörigkeit nach
Art. 64 AHVG
sind Angelegenheiten des öffentlichen Rechts im Sinne von
Art. 82 lit. a BGG
. Ein Unzulässigkeitsgrund nach
Art. 83 BGG
ist nicht gegeben. Gemäss
Art. 86 lit. a BGG
ist die Beschwerde (in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) zulässig gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts. Das BSV ist nach
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
i.V.m. Art. 201 zweiter Satz AHVV (SR 831.101) zur Beschwerde berechtigt. Schliesslich ist auch die Zulässigkeit der Beschwerde nach
Art. 90-93 BGG
gegeben. Dabei kann offenbleiben, ob ein Endentscheid (
Art. 90 BGG
), ein Teilentscheid (
Art. 91 BGG
), ein Vor- oder Zwischenentscheid über die Zuständigkeit (
Art. 92 BGG
) oder ein anderer Vor- oder Zwischenentscheid (
Art. 93 BGG
) vorliegt. Im letzten Fall könnte bei Nichteintreten auf die Beschwerde die streitige Frage, ob gegen Verfügungen des BSV über die Kassenzugehörigkeit nach
Art. 64 Abs. 6 AHVG
zwingend Einsprache zu erheben, der direkte Beschwerdeweg somit ausgeschlossen ist, im weiteren Verfahren vom Bundesamt nicht mehr angefochten und höchstinstanzlich überprüft werden. Das stellt einen im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
nicht wieder gutzumachenden Nachteil, der rechtlicher Natur sein muss (
BGE 133 V 645
E. 2.1 S. 647), dar (vgl. auch Urteil 8C_121/2009 vom 26. Juni 2009 E. 1, in: SVR 2009 UV Nr. 60 S. 212).
2.
Der angefochtene Nichteintretensentscheid stützt sich in erster Linie auf
Art. 32 Abs. 2 lit. a VGG
(SR 173.32). Gemäss dieser Bestimmung ist die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht unzulässig u.a. gegen Verfügungen, die nach einem anderen Bundesgesetz durch Einsprache anfechtbar sind. Wie dieses Gericht richtig erkannt hat, erging die Verfügung vom 20. März 2013 über den von der Beschwerdegegnerin beantragten Kassenwechsel nach
Art. 121 Abs. 2 AHVV
gestützt auf
Art. 64 Abs. 6 AHVG
. Danach entscheidet bei Streitigkeiten über die Kassenzugehörigkeit das zuständige Bundesamt. Sein Entscheid kann von den beteiligten Ausgleichskassen und vom Betroffenen angerufen werden. Auf das Verfahren sind mangels einer Regelung im AHVG grundsätzlich die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) anwendbar (
Art. 1 Abs. 1 AHVG
). Einschlägig ist
Art. 55 Abs. 2 ATSG
.
BGE 141 V 191 S. 194
Danach richtet sich das Verfahren vor einer Bundesbehörde nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968 (VwVG; SR 172.021), ausser wenn sie über sozialversicherungsrechtliche Leistungen, Forderungen und Anordnungen entscheidet. Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus gefolgert, dass auf das Verfahren vor dem BSV bei einem Streit über die Kassenzugehörigkeit nach
Art. 64 Abs. 6 AHVG
das ATSG anwendbar ist. Es sei somit zwingend ein Einspracheverfahren nach
Art. 52 ATSG
durchzuführen. Entgegen Rz. 3005 der Wegleitung des BSV über die Kassenzugehörigkeit der Beitragspflichtigen (WKB) könne gegen die Verfügung des zuständigen Bundesamtes nicht direkt Beschwerde erhoben werden.
Das Beschwerde führende Bundesamt bestreitet die Gesetzesauslegung des Bundesverwaltungsgerichts. Seine Entscheide betreffend die Kassenzugehörigkeit nach
Art. 64 Abs. 6 AHVG
seien keine sozialversicherungsrechtliche Anordnungen im Sinne von
Art. 55 Abs. 2 ATSG
. Wäre der Allgemeine Teil des Sozialversicherungsrechts anwendbar und damit nach
Art. 52 ATSG
ein Einspracheverfahren durchzuführen, würde der Rechtsmittelweg nicht über das Bundesverwaltungsgericht, sondern über die kantonalen Versicherungsgerichte (
Art. 58 ATSG
) führen, was nicht im Interesse einer raschen Klärung der Kassenzugehörigkeit liege. Im Übrigen habe das Bundesgericht im Urteil 9C_883/2012 vom 12. Februar 2013 (auszugsweise publ. in:
BGE 139 V 58
) nicht beanstandet, dass gegen seine Verfügung, die einen Kassenwechsel betroffen habe, direkt Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht worden sei.
3.
Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut. Ist der Text nicht klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Abzustellen ist dabei namentlich auf die Entstehungsgeschichte, auf den Zweck der Norm, die ihr zugrunde liegenden Wertungen und ihre Bedeutung im Kontext mit anderen Bestimmungen (
BGE 140 V 15
E. 5.3.2 S. 18). Die Materialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen (
BGE 138 V 17
E. 4.2 S. 20). Bei der Auslegung neuerer Bestimmungen kommt den Materialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahelegen (
BGE 140 III 206
E. 3.5.4 S. 214). Eine Gesetzesinterpretation lege artis kann ergeben, dass ein an sich klarer Wortlaut zu weit gefasst
BGE 141 V 191 S. 195
und auf einen an sich davon erfassten Sachverhalt nicht anzuwenden ist (teleologische Reduktion;
BGE 140 I 305
E. 6.2 S. 311;
BGE 137 III 487
E. 4.5 S. 495;
BGE 131 V 242
E. 5.2 S. 247).
3.1
Das Bundesverwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass der Entscheid des BSV über die Kassenzugehörigkeit nach
Art. 64 Abs. 6 AHVG
eine (sozialversicherungsrechtliche) "Anordnung" im Sinne von
Art. 55 Abs. 2 ATSG
ist. Dabei handelt es sich grundsätzlich um denselben Begriff wie der in
Art. 5 Abs. 1 VwVG
verwendete (vgl.
BGE 101 V 22
E. 1b in fine S. 26 zu aArt. 127 AHVV, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002, der inhaltlich gleichen Vorgängerbestimmung von
Art. 64 Abs. 6 AHVG
; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 18 zu
Art. 35 ATSG
). Gemäss diesem Autor (a.a.O., N. 19 zu
Art. 55 ATSG
) bezieht sich der Ausdruck (sozialversicherungsrechtliche) "Leistungen, Forderungen und Anordnungen" im Sinne von
Art. 55 Abs. 2 ATSG
auf die Umschreibung in
Art. 49 Abs. 1 ATSG
. Nach dieser Bestimmung hat der Versicherungsträger über Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit denen die betroffene Person nicht einverstanden ist, schriftlich Verfügungen zu erlassen. KIESER (a.a.O., N. 18 zu
Art. 35 ATSG
) geht davon aus, dass sich das Verfahren vor dem BSV betreffend die Kassenzugehörigkeit nach
Art. 64 Abs. 6 AHVG
nach dem ATSG richtet, wobei er dies nicht weiter begründet.
3.2
Art. 55 Abs. 2 ATSG
(= Art. 61 Abs. 2 E-ATSG) wurde auf Antrag der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit ins Gesetz eingefügt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Bundesbehörden mit Ausnahme der Militärversicherung nicht direkt über sozialversicherungsrechtliche Leistungen entscheiden würden. Wenn sie jedoch solche Entscheide fällen würden, sollen sie das ATSG anwenden. Hingegen kämen ihnen - vorab im Bereich der Aufsicht - vielfältige erstinstanzliche Entscheidbefugnisse zu. Hier solle nach wie vor das VwVG zur Anwendung gelangen. Das müsse verdeutlicht und insoweit müsse Klarheit geschaffen werden (Parlamentarische Initiative Sozialversicherungsrecht, Bericht der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999, BBl 1999 4523 ff., 4617 zu
Art. 61 ATSG
). Die neue Bestimmung wurde vom Nationalrat diskussionslos angenommen (AB 2000 N 1247). Bei der Beratung im Ständerat erläuterte dessen Kommissionssprecher den neuen Art. 61 Abs. 2 E-ATSG im Sinne der nationalrätlichen Kommission. Dabei wies er darauf hin, dass mit dem neuen Absatz 2 gemäss Fassung des Nationalrates
BGE 141 V 191 S. 196
die notwendige Transparenz und Rechtssicherheit gewährleistet werden könne (AB 2000 S 183 [Votum Schiesser]). Dementsprechend wurde der damalige
Art. 203 AHVV
, wonach - von einer hier nicht interessierenden Ausnahme abgesehen - gegen Verfügungen des Bundesamtes unmittelbar die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht zulässig war (vgl. etwa Urteil H 221/98 vom 21. Juli 2000 E. 1a), nicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts am 1. Januar 2003 aufgehoben (vgl. UELI KIESER, Alters- und Hinterlassenenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1355 Rz. 470). aArt. 203 AHVV wurde im Rahmen der Totalrevision der Bundesrechtspflege ersatzlos gestrichen (AS 2006 4732).
3.3
Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus den Materialien ergibt, sollen somit lediglich dann, wenn das BSV als erstinstanzliche Behörde über sozialversicherungsrechtliche Leistungen entscheidet, die Verfahrensbestimmungen des Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts (und subsidiär das VwVG;
Art. 55 Abs. 1 ATSG
) zur Anwendung gelangen. In den übrigen Fällen, namentlich im aufsichtsrechtlichen Bereich, soll sich das Verfahren dagegen wie bisher nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes richten. In diesem Sinne ist der Ausdruck "sozialversicherungsrechtliche Leistungen, Forderungen und Anordnungen" in
Art. 55 Abs. 2 ATSG
einschränkend auszulegen. Daraus folgt, dass Verfügungen des BSV über die Kassenzugehörigkeit nach
Art. 64 Abs. 6 AHVG
der Beschwerde unterliegen (
Art. 44 VwVG
; ebenso Rz. 3005 WKB; PHILIPPE GERBER, Les relations entre la loi fédérale sur la partie générale du droit des assurances sociales et la loi fédérale sur la procedure administrative, AJP 2002 S. 1311). Der angefochtene Nichteintretensentscheid verletzt somit Bundesrecht (
Art. 95 lit. a BGG
). | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
beee1692-a4a8-4594-b466-df616b88ed6f | Urteilskopf
106 IV 205
57. Urteil des Kassationshofes vom 19. Juni 1980 i.S. N. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 397 StGB
; Bundesgesetz über Ordnungsbussen im Strassenverkehr.
Gegenüber rechtskräftigen Bussen, die im vereinfachten Verfahren gemäss Bundesgesetz über Ordnungsbussen im Strassenverkehr ausgefällt worden sind, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neuer Tatsachen und Beweismittel ausgeschlossen. | Sachverhalt
ab Seite 206
BGE 106 IV 205 S. 206
A.-
N. wurde am 21. Juli 1979 von der Stadtpolizei Zürich im Ordnungsbussenverfahren mit Fr. 60.-- gebüsst, weil er mit übersetzter Geschwindigkeit gefahren sei. Er bezahlte die Busse an Ort und Stelle.
Am 17. Oktober 1979 stellte N. ein Wiederaufnahmegesuch mit der Begründung, er habe im Zeitpunkt der Bussenzahlung wesentliche Tatsachen nicht gekannt. Hätte er von ihnen Kenntnis gehabt, so hätte er das ordentliche Strafverfahren beantragt.
Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich trat am 1. Februar 1980 auf das Gesuch nicht ein, weil das Ordnungsbussenverfahren einer nachträglichen Revision nicht zugänglich sei.
B.-
N. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie auf das Wiederaufnahmegesuch eintrete.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 397 StGB
. Er macht geltend, die Vorinstanz habe das fundamentale Postulat der Gerechtigkeit und objektiven Wahrheit, das dieser Bestimmung zugrunde liege, aufgrund einer Überbewertung von pragmatischen Zweckmässigkeitsgründen völlig ausser Acht gelassen.
Gemäss
Art. 397 StGB
haben die Kantone gegenüber Urteilen, die aufgrund dieses oder eines andern Bundesgesetzes ergangen sind, wegen erheblicher Tatsachen oder Beweismittel, die dem Gerichte zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren, die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten
BGE 106 IV 205 S. 207
des Verurteilten zu gestatten.
Art. 397 StGB
verpflichtet somit die Kantone, das ausserordentliche Rechtsmittel der Revision in ihre Strafprozessordnungen einzuführen und näher zu regeln. Kommt ein Kanton dieser Verpflichtung nicht nach, so kann unmittelbar gestützt auf Art. 397 die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten verlangt werden.
Art. 397 StGB
wendet sich einzig an die Kantone, nicht an den Bund. Die Bestimmung verpflichtet den eidgenössischen Gesetzgeber mithin nicht, in seine Strafprozessordnungen das Rechtsmittel der Revision einzuführen. Ist in Strafprozessgesetzen des Bundes die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten nicht vorgesehen, so kann sie auch nicht unmittelbar gestützt auf
Art. 397 StGB
verlangt werden.
2.
Das bei der Anwendung der Strafbestimmungen des eidgenössischen Strassenverkehrsrechts von den kantonalen Behörden einzuhaltende Verfahren ist zur Hauptsache in kantonalen Erlassen (Strafprozessordnungen, Gerichtsorganisationsgesetzen) geregelt.
Der Bund sieht indessen im Bundesgesetz über Ordnungsbussen im Strassenverkehr vom 24. Juni 1970 (OBG; SR 741.03) für verschiedene genau bezeichnete Übertretungen von eidgenössischen Strassenverkehrsvorschriften ein vereinfachtes Verfahren mit Ordnungsbussen bis zu Fr. 100.-- vor (
Art. 1 Abs. 1 OBG
). Sind die im Ordnungsbussengesetz und in der dazugehörigen Verordnung vom 22. März 1972 umschriebenen Voraussetzungen erfüllt, so muss die Strafverfolgung nach diesem vereinfachten Verfahren erfolgen (
BGE 105 IV 138
f.). Insoweit tritt das Ordnungsbussengesetz als Verfahrensrecht des Bundes (vgl. dazu Botschaft des Bundesrates BBl 1969 I S. 1 093; Amtl. Bull. N 1969 S. 759 Votum Schürmann, S. 762 Votum Cevey; S 1969 S. 300 Voten Munz und Grosjean;
BGE 103 IV 54
) an die Stelle der kantonalen Strafverfahrensrechte. Das vereinfachte Ordnungsbussenverfahren bestimmt sich dabei "nach diesem Gesetz" (
Art. 1 Abs. 1 OBG
). Es fehlen im OBG jegliche Hinweise und Anhaltspunkte dafür, dass, soweit das Gesetz keine Bestimmungen enthält, ergänzend die kantonalen Strafprozessrechte anwendbar seien und dass somit, falls das kantonale Recht die Revision nicht zulassen sollte, unmittelbar aufgrund von
Art. 397 StGB
ein Anspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens bestehe. Das Gesetz regelt im Gegenteil ausdrücklich und
BGE 106 IV 205 S. 208
abschliessend die Fälle, in denen das ordentliche kantonale Strafverfahren Anwendung findet, obschon die Voraussetzungen des Ordnungsbussenverfahrens an sich erfüllt wären; das ordentliche Verfahren gemäss kantonalem Prozessrecht wird demnach dann durchgeführt, wenn der Täter die Busse nicht spätestens innert 10 Tagen bezahlt (Art. 6 Abs. 2 und 7 Abs. 2 OBG), sowie wenn der Täter von der ihm mitzuteilenden (
Art. 10 Abs. 1 OBG
) Möglichkeit Gebrauch macht, das vereinfachte Verfahren abzulehnen (
Art. 10 Abs. 2 OBG
) und schliesslich, wenn anzunehmen ist, dass der Täter wegen mehrfacher Wiederholung der Widerhandlung einer strengeren Strafe bedarf (
Art. 10 Abs. 3 OBG
). Gegen die solchermassen im kantonalen Verfahren ausgefällten Bussen können dann gegebenenfalls auch die in der kantonalen Strafprozessordnung vorgesehenen Rechtsmittel ergriffen werden. Sind hingegen die Voraussetzungen des Ordnungsbussenverfahrens erfüllt, wird dieses vom Täter nicht (innert 10 Tagen) abgelehnt (was ohne Angabe von Gründen geschehen kann), und hat er die Busse innert 10 Tagen bezahlt, so bleibt für die Anwendung des kantonalen Strafprozessrechts kein Raum. Da das Ordnungsbussengesetz, auch wenn es an die Stelle des kantonalen Strafprozessrechts tritt, Bundesrecht darstellt, kann wie eingangs erwähnt auch nicht unmittelbar aus
Art. 397 StGB
, der sich lediglich an den kantonalen Gesetzgeber wendet, ein Anspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten abgeleitet werden.
3.
Gewiss kann unter Umständen ein Bedürfnis nach Überprüfung rechtskräftiger Ordnungsbussen bestehen, obschon oder gerade weil sie in einem vereinfachten Verfahren ausgefällt werden. Die Tatsache, dass die Bussenverfügung in einem vereinfachten Verfahren ergangen ist, schliesst die Möglichkeit einer Revision an sich nicht aus (vgl.
BGE 100 IV 250
E. 2b mit Hinweisen). Aus Sinn und Zweck sowie aus der Entstehungsgeschichte des Ordnungsbussengesetzes ergibt sich aber die Richtigkeit der Auffassung des Obergerichts, wonach gegen im Ordnungsbussenverfahren ergangene Entscheide die Revision nicht gegeben ist. So folgt aus
Art. 1 OBG
und der Verordnung über Ordnungsbussen im Strassenverkehr (OBV; SR 741.031) mit ihrem Anhang 1 als erstes, dass bestimmte Kategorien leichter Verkehrswidrigkeiten, deren Feststellung ihrer Natur nach mühelos möglich ist, in einem einfachen
BGE 106 IV 205 S. 209
Verfahren geahndet werden sollen (s.
BGE 105 IV 141
). Zu diesem Zweck wird nicht nur auf die Anwendung der ordentlichen Strafzumessungsnormen (
Art. 48 und 63 StGB
) verzichtet, die zwangsläufig Erhebungen über das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Täters notwendig machen würden (
Art. 1 Abs. 2 OBG
; Amtl.Bull. S 1969 S. 300 Votum Munz), sondern es wird auch mit Einwilligung des Betroffenen das Verfahren ausschliesslich in die Hand der Polizei gegeben (
Art. 4 OBG
) und allein deren Feststellungen zur Grundlage des dem Täter gemachten Vorhalts und des Strafentscheides gemacht, unter Verzicht auf ein Beweisverfahren. Zudem wird die Sache mit der Bezahlung der Geldstrafe rechtskräftig beendet (
Art. 8 OBG
). Daraus erhellt, dass der Gesetzgeber mit Einführung dieses Verfahrens den Strafentscheid praktisch auf einen mechanischen Vorgang reduziert hat (Botschaft des Bundesrates, BBl 1969 I, 2 S. 1 091), und dies u.a. mit dem erklärten Ziele, den Richter von der Vielzahl leichter Übertretungen von Verkehrsregeln zu entlasten (Botschaft des Bundesrates, loc. cit.; Amtl.Bull. N 1969 S. 761 Votum Cevey, S. 763 Votum Bratschi; S 1969 S. 300 Votum Grosjean).
Die Zulassung der Revision würde diesem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck zuwiderlaufen, da auf diesem Weg jeder im Verfahren nach OBG Gebüsste nachträglich unter Geltendmachung neuer Tatsachen und Beweismittel die Angelegenheit vor den Richter bringen könnte. Das aber kann nicht der Sinn des Gesetzes sein. Der Umstand, dass
Art. 8 OBG
schon jeden ordentlichen Rechtsmittelweg ausschliesst, stünde zwar der Zulassung der Revision nicht entgegen, ist aber doch ein Indiz für den Willen des Gesetzgebers, den Richter nicht mit solchen Bagatellfällen zu befassen. Schliesslich macht auch die Ausnahmebestimmung des
Art. 11 Abs. 2 OBG
, welche die nachträgliche Anrufung des Richters ausdrücklich nur bei Missachtung von
Art. 2 OBG
zulässt, deutlich, dass für den Regelfall die Angelegenheit mit der Bezahlung der Busse endgültig erledigt sein soll und nachher nicht erneut soll aufgegriffen werden können (s. Botschaft des Bundesrates, loc. cit.), auch nicht auf dem Weg der Revision.
Art. 11 Abs. 1 OBG
, wonach eine Ordnungsbusse auch im ordentlichen Verfahren ausgefällt werden kann, bietet ebenfalls keine Grundlage für die Zulassung der Revision von Ordnungsbussen, die im vereinfachten Verfahren gemäss OBG ergangen
BGE 106 IV 205 S. 210
sind. Diese Bestimmung hat einzig die Bedeutung, dass auch dann, wenn aus den umschriebenen Gründen eine grundsätzlich dem Ordnungsbussenrecht unterstehende Übertretung im ordentlichen Verfahren zu beurteilen ist, die Möglichkeit bestehen soll, ohne Abklärung des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse eine (kostenfreie) Ordnungsbusse auszufällen (
BGE 105 IV 139
E. 3).
4.
Die Auffassung der Vorinstanz, die im vereinfachten Verfahren gemäss OBG ausgefällte Ordnungsbusse sei nicht revisionsfähig, weshalb auf das Revisionsgesuch nicht eingetreten werden könne, verstösst somit weder gegen
Art. 397 StGB
noch gegen eine andere Bestimmung des Bundesrechts.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bef1c29b-a1e8-4003-a556-045ab8c16ccd | Urteilskopf
136 III 474
68. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. Gesellschaft für Schutzmarkenverwertung gegen Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (IGE) (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_302/2010 vom 22. September 2010 | Regeste
Art. 2 lit. d MSchG
; Schutzverweigerung gegenüber der international registrierten Wort-/Bildmarke "Madonna" wegen Sittenwidrigkeit.
Tatbestand der Sittenwidrigkeit bei Benutzung eines religiösen Namens oder Symbols als Marke (E. 3). Bestimmung des massgeblichen Verkehrskreises, aus dessen Sicht die Beurteilung zu erfolgen hat, und Berücksichtigung ausländischer Registrierungen des Zeichens (E. 4 und 6.3). Das Zeichen "Madonna" ist vom Markenschutz auszuschliessen, weil seine markenmässige Kommerzialisierung geeignet ist, die religiösen Gefühle der katholischen Christen im italienischsprachigen Teil der Schweiz zu verletzen (E. 5 und 6). | Sachverhalt
ab Seite 475
BGE 136 III 474 S. 475
A.
Gestützt auf eine deutsche Basiseintragung vom 22. April 2004 wurde die Wort-/Bildmarke IR 123 456 "Madonna" (fig.) am 15. Dezember 2004 unter anderem mit Schutzanspruch für die Schweiz im internationalen Register eingetragen und am 25. August 2005 von der Organisation Mondiale de la Propriété Intellectuelle dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) mitgeteilt. Die Marke hat folgendes Erscheinungsbild mit dem Farbanspruch dunkelrot und silbergrau:
Sie ist für folgende Waren registriert:
Klasse 3:
Savons; parfumerie, huiles essentielles, cosmétiques, lotions pour les cheveux.
Klasse 9:
Appareils et instruments de conduction, de commutation, de transformation, de stockage, de régulation ou de commande de l'électricité; appareils d'enregistrement, de transmission ou de reproduction du son ou des images; machines à calculer, équipements de traitement de données et ordinateurs; lunettes et lunettes de soleil, étuis à lunettes.
Klasse 14:
Métaux précieux et leurs alliages et produits en ces matières ou en plaqué non compris dans d'autres classes; joaillerie, bijouterie, pierres précieuses; horlogerie et instruments chronométriques.
BGE 136 III 474 S. 476
Klasse 18:
Cuir et imitations du cuir et produits en ces matières, non compris dans d'autres classes; malles et sacs de voyage; parapluies; parasols et cannes; sacs de plage.
Klasse 20:
Meubles, miroirs, cadres; produits (non compris dans d'autres classes) en bois, liège, roseau, jonc, osier, corne, os, ivoire, baleine, écaille, ambre, nacre, écume de mer, succédanés de toutes ces matières ou en matières plastiques.
Klasse 21:
Ustensiles et récipients pour le ménage ou la cuisine (ni en métaux précieux, ni en plaqué); peignes et éponges; brosses (à l'exception des pinceaux); verre brut ou mi-ouvré (à l'exception du verre de construction); verrerie, porcelaine et faïence non comprises dans d'autres classes.
Klasse 24:
Tissus et produits textiles non compris dans d'autres classes; couvertures de lit et de table.
Klasse 25:
Vêtements pour hommes, femmes et enfants; chaussures, couvre-chefs, tricots (vêtements); ceintures (vêtements).
Klasse 26:
Dentelles et broderies, rubans et lacets; boutons, crochets et oeillets, épingles et aiguilles; fleurs artificielles; articles décoratifs pour la chevelure.
Klasse 28:
Jeux et jouets; articles de gymnastique et de sport non compris dans d'autres classes; décorations pour arbres de Noël.
Am 24. August 2006 eröffnete das IGE der X. Gesellschaft für Schutzmarkenverwertung (Beschwerdeführerin) einen Refus provisoire total (sur motifs absolus). Zur Begründung führte es an, dass das Zeichen "Madonna" als italienisches Wort die Jungfrau Maria und Mutter Jesu bezeichne und daher geeignet sei, die religiösen Gefühle der Konsumenten zu verletzen, die einer christlichen Glaubensgemeinschaft angehören. Aufgrund dieses Umstandes sei das Zeichen als gegen die guten Sitten verstossend einzustufen und die Schutzgewährung daher zu verweigern.
B.
Dem folgte ein eingehender Schriftenwechsel, in dem die Beschwerdeführerin verschiedene Argumente ins Feld führte, namentlich dass das Wort "Madonna" vielfältige andere Bedeutungen habe (zum Beispiel als Vorname oder als Bezeichnung von Maria mit dem Jesuskind in der darstellenden und bildenden Kunst), dass im
BGE 136 III 474 S. 477
schweizerischen Markenregister diverse Eintragungen für vergleichbare Waren bestünden, welche die Worte "Madonna", "Christ", "Maria" oder "Mönch" enthielten, und dass sich die schweizerischen Konsumenten an die Verknüpfung von Mode mit dem Wort "Madonna" gewöhnt hätten.
Mit Verfügung vom 13. März 2008 bestätigte das IGE seinen Refus provisoire total, da die Verwendung des Wortes "Madonna" als Marke einen Teil der christlichen Bevölkerung der Schweiz in ihren religiösen Gefühlen verletzen könne.
Eine von der Beschwerdeführerin dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 12. April 2010 ab.
C.
Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. April 2010 aufzuheben und das IGE anzuweisen, der internationalen Registrierung Nr. 123 456 den Schutz in der Schweiz für sämtliche beanspruchten Waren zu erteilen und gegenüber der internationalen Behörde WIPO die Aufhebung des Schutzverweigerungsbescheides mitzuteilen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
(...)
2.2
Gemäss der Pariser Übereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 (PVUe; SR 0.232.04) ist eine Schutzverweigerung unter anderem dann statthaft, wenn die Marke gegen die guten Sitten oder gegen die öffentliche Ordnung verstösst, wobei eine Marke nicht schon deshalb als gegen die öffentliche Ordnung verstossend angesehen werden kann, weil sie einer Vorschrift des Markenrechts nicht entspricht, es sei denn, dass diese Bestimmung selbst die öffentliche Ordnung betrifft (
Art. 6
quinquies
lit. B Ziff. 3 PVUe
). Nach
Art. 2 lit. d MSchG
(SR 232.11) sind Zeichen, die gegen die öffentliche Ordnung, die guten Sitten oder geltendes Recht verstossen, vom Markenschutz ausgeschlossen.
3.
Sittenwidrigkeit liegt nach der Rechtsprechung zu
Art. 20 OR
vor, wenn gegen die herrschende Moral, d.h. gegen das allgemeine Anstandsgefühl oder die der Gesamtrechtsordnung immanenten ethischen Prinzipien und Wertmassstäbe verstossen wird (
BGE 132 III 455
BGE 136 III 474 S. 478
E. 4.1 S. 458). Als sittenwidrig gelten Zeichen, die geeignet sind, das sozialethische, moralische, religiöse oder kulturelle Empfinden breiter Bevölkerungskreise zu verletzen, wobei auch auf in der Schweiz lebende Minoritäten Rücksicht zu nehmen ist. Sittenwidrig sind zum Beispiel Zeichen mit rassistischem, religionsfeindlichem oder das religiöse Empfinden verletzendem oder sexuell anstössigem Inhalt (MICHAEL NOTH, in: Markenschutzgesetz, Noth/Bühler/Thouvenin [Hrsg.], 2009, N. 24 zu
Art. 2 lit. d MSchG
; EUGEN MARBACH, Markenrecht, in: SIWR Bd. III/1, 2. Aufl. 2009, Rz. 666 ff.; LUCAS DAVID, in: Basler Kommentar, Markenschutzgesetz, Muster- und Modellgesetz, 2. Aufl. 1999, N. 73 zu
Art. 2 MSchG
; MATHIS BERGER, Sittenwidrige Zeichen sind nicht schutzfähig, in: sic! Sondernummer 2005, 125 Jahre Markenhinterlegung, S. 41 ff., 43; CHRISTOPH WILLI, MSchG, Kommentar [...] 2002, N. 262 zu
Art. 2 MSchG
).
Die Anstössigkeit kann dabei nicht nur im Inhalt des Zeichens liegen (so aber BERGER, a.a.O., S. 43). Insbesondere bei Zeichen mit religiöser Bedeutung ist der Aussagegehalt des Zeichens an sich nicht anstössig. Im Gegenteil, religiöse Namen und Symbole sind regelmässig ethisch hoch besetzt. Sittenwidrig ist hier nicht der Inhalt, sondern die Wahl des Zeichens zur kommerziellen Nutzung (MARBACH, a.a.O., Rz. 663 und Fn. 869; NOTH, a.a.O., N. 24 zu
Art. 2 lit. d MSchG
). Der Grund für den Ausschluss vom Markenschutz solcher Zeichen liegt darin, dass ihre markenmässige Kommerzialisierung eine Verletzung des religiösen Empfindens der betroffenen Religionsangehörigen bewirken kann. Insofern ist der Beschwerdeführerin zwar zuzustimmen, dass von einer Verletzung des religiösen Empfindens nicht abstrahiert werden kann. Dies hat aber entgegen dem Vorwurf der Beschwerdeführerin auch die Vorinstanz nicht verkannt, hielt sie doch fest, dass es darauf ankomme, ob die Angehörigen der betroffenen Religion in ihren religiösen Gefühlen verletzt werden können, und prüfte sie in der Folge, ob die konkret streitbetroffene Bezeichnung "Madonna" bei einer markenmässigen Verwendung geeignet ist, das religiöse Empfinden zu verletzen.
4.
Die Vorinstanz untersuchte zunächst, aus der Sicht welchen massgeblichen Adressatenkreises das Vorliegen des absoluten Ausschlussgrundes nach
Art. 2 lit. d MSchG
zu beurteilen sei. Dabei erwog sie, im Rahmen von
Art. 2 lit. d MSchG
sei nicht auf das Verständnis der Abnehmer im Sinne eines Verkehrskreises, sondern auf dasjenige der allgemeinen Öffentlichkeit bzw. "weiter Volkskreise" abzustellen. Zu berücksichtigen seien auch Minderheiten. Allerdings könne
BGE 136 III 474 S. 479
das Empfinden übertrieben empfindlicher Randgruppen, beispielsweise religiöser Fanatiker, nicht massgebend sein. Vielmehr komme es auf die Sichtweise des Durchschnittsangehörigen der entsprechenden Bevölkerungsgruppe (bzw. Minderheit) an.
4.1
Die Beschwerdeführerin wendet ein, die massgebenden Verkehrskreise seien aufgrund der beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu bestimmen. Die Beurteilung eines Zeichens aus der Sicht "weiter Volkskreise" sei unzulässig, denn das Markenrecht verbiete sittenwidrige Zeichen nur im Zusammenhang mit spezifischen Waren und Dienstleistungen, nicht aber abstrakt ohne Bezug zu irgendwelchen Produkten. Auch
Art. 2 lit. d MSchG
müsse produktespezifisch angewendet werden, was die Tatsache belege, dass gewisse Produkte wie alkoholische Getränke oder sogar Körper- und Schönheitspflegemittel mit Heiligennamen bezeichnet werden könnten, ohne dass die Zeichen als sittenwidrig qualifiziert würden. Weiter rügt sie, ein absoluter Ausschlussgrund müsse sich bei einem "erheblichen Teil" der massgebenden Verkehrskreise manifestieren. Die Registrierung dürfe nur versagt werden, wenn das Zeichen von erheblichen Teilen der breiten Bevölkerung, die "Madonna" als religiöses Symbol für die Mutter Jesu verstehen, als sittenwidrig aufgefasst werde, weil es sie in ihren religiösen Gefühlen verletze. Das sei in casu zu verneinen. Die Anzahl Katholiken, welche die Bedeutung von "Madonna" kenne, entspreche nicht "erheblichen Teilen" der schweizerischen Bevölkerung.
4.2
Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Sie lässt den unterschiedlichen Normzweck der Ausschlussgründe nach
Art. 2 lit. a und
Art. 2 lit. d MSchG
ausser Acht. Der Ausschluss von Zeichen mit Gemeingutcharakter will verhindern, dass Zeichen eingetragen werden, denen die erforderliche Kennzeichnungs- und Unterscheidungskraft abgeht, und ferner, dass Zeichen monopolisiert werden, die für den Wirtschaftsverkehr unentbehrlich sind. Diesem Zweck entsprechend ist der Ausschlussgrund nach
Art. 2 lit. a MSchG
im Hinblick auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu beurteilen (
BGE 134 III 314
E. 2.3.3 S. 321,
BGE 131 III 547
E. 2.3 S. 551;
BGE 131 III 121
E. 4.4 S. 130,
BGE 131 III 495
E. 5 S. 503). Demgegenüber bezweckt
Art. 2 lit. d MSchG
, den politischen und sozialen Frieden zu gewährleisten, indem Zeichen vom Markenschutz ausgeschlossen werden, die gegen die Rechtsordnung - d.h. die öffentliche Ordnung, die guten Sitten oder geltendes Recht - verstossen (NOTH, a.a.O., N. 1 zu
Art. 2 lit. d MSchG
; BERGER, a.a.O., S. 42).
BGE 136 III 474 S. 480
Zu den ethischen Grundwerten, die zur Vermeidung von Sittenwidrigkeit zu respektieren sind (
BGE 132 III 455
E. 4.1 S. 458), zählt insbesondere auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit nach
Art. 15 BV
. Unter deren Schutz stehen nicht nur die traditionellen Glaubensformen der christlich-abendländischen Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern alle Religionen, unabhängig von ihrer quantitativen Verbreitung in der Schweiz (
BGE 134 I 49
E. 2.3 S. 51). Daraus ergibt sich, dass entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin nicht verlangt werden kann, dass ein "erheblicher Teil" der Bevölkerung betroffen ist, ansonsten der Respekt vor dem religiösen Empfinden von Minderheiten unterlaufen würde. Andererseits hat die Vorinstanz den massgebenden Adressatenkreis zutreffend dahingehend eingeschränkt, dass es auf die Sicht des durchschnittlichen Angehörigen der entsprechenden Religionsgemeinschaft ankommt, womit extreme Sensibilitäten unberücksichtigt bleiben (NOTH, a.a.O., N. 7 f. zu
Art. 2 lit. d MSchG
; WILLI, a.a.O., N. 263 zu
Art. 2 MSchG
; teilweise abweichend BERGER, a.a.O., S. 44 f.).
Unzutreffend ist die Ansicht der Beschwerdeführerin auch, soweit sie meint, die Beurteilung der Sittenwidrigkeit müsse stets im Hinblick auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen erfolgen. Aus dem dargestellten Schutzzweck von
Art. 2 lit. d MSchG
ergibt sich, dass Zeichen, denen nach dem Verständnis der betroffenen Religionsgemeinschaft ein wichtiger religiöser Sinngehalt zukommt, unabhängig von den beanspruchten Waren und Dienstleistungen vom Markenschutz auszuschliessen sind, bzw. sie sind in Bezug auf alle Waren und Dienstleistungen als sittenwidrig zu beurteilen. Denn allein schon die Zuerkennung eines Ausschliesslichkeitsrechts für die kommerzielle Verwendung des Zeichens ist geeignet, das religiöse Empfinden der Angehörigen der betroffenen Religionsgemeinschaft zu verletzen und den sozialen Frieden zu gefährden (so auch NOTH, a.a.O., N. 13 zu
Art. 2 lit. d MSchG
). Ausnahmsweise können die beanspruchten Waren und Dienstleistungen berücksichtigt werden, wenn geltend gemacht wird, die kommerzielle Verwendung des Zeichens sei durch Gewöhnung allgemein akzeptiert, wie dies im von der Beschwerdeführerin genannten Beispiel der (historisch begründeten) Verwendung von Heiligennamen für alkoholische Getränke zutrifft (vgl. dazu BERGER, a.a.O., S. 45). Als weitere mögliche Ausnahme führt das IGE die Situation an, dass das Zeichen ausschliesslich für Waren oder Dienstleistungen mit klarem religiösem Bezug verwendet werden soll (Richtlinien in Markensachen des IGE
BGE 136 III 474 S. 481
vom 1. Januar 2010, Ziff. 6 S. 102). Beide Ausnahmekonstellationen sind vorliegend nicht gegeben.
4.3
Demnach ergibt sich, dass die Vorinstanz zutreffend auf die katholischen Christen als massgebenden Adressatenkreis abstellte und auch zu Recht unabhängig von den beanspruchten Waren und Dienstleistungen prüfte, ob das Zeichen "Madonna" für diese eine derart wichtige religiöse Bedeutung hat, dass es vom Markenschutz auszuschliessen ist. Dabei durfte sie sich auf die Katholiken im italienischsprachigen Teil der Schweiz beschränken, da es genügt, wenn ein Zeichen in einem einzigen Sprachgebiet der Schweiz als gegen die guten Sitten verstossend empfunden wird (DAVID, a.a.O., N. 76 zu
Art. 2 MSchG
; BERGER, a.a.O., S. 44; betreffend den beschreibenden Charakter eines Zeichens:
BGE 131 III 495
E. 5 S. 503).
5.
Weiter befasste sich die Vorinstanz mit dem Sinngehalt des Zeichens "Madonna" in den Landessprachen Italienisch, Französisch und Deutsch. Sie wies anhand verschiedener Wörterbücher und Quellen nach, dass das Wort "Madonna" im Italienischen primär Maria von Nazareth, also die Mutter Jesu, bezeichnet. Ebenso steht im Deutschen "Madonna" für Maria, die Mutter Jesu. In zweiter Linie ist darunter eine künstlerische Mariendarstellung zu verstehen. Französisch sprechende Konsumenten verstehen unter "madone" die Darstellung der Jungfrau Maria in der Kunst. Zur Bezeichnung bzw. Anrufung Marias ist im Französischen der Begriff "la sainte vierge" gebräuchlich. Jedenfalls die schweizerischen Konsumenten italienischer Muttersprache würden das Wort "Madonna" in erster Linie als religiöse Bezeichnung, nämlich als Anrufung der Mutter Jesu, verwenden.
Weiter stellte die Vorinstanz fest, dass die Marienverehrung für die Angehörigen der römisch-katholischen Kirche einen besonderen Stellenwert besitzt. Im italienischen Sprachgebiet der Schweiz seien nach der Volkszählung 2000 75 % Katholiken. Auch in den deutschsprechenden Teilen der Schweiz fänden sich Orte, an denen Maria in Gestalt einer Madonna verehrt werde (so zum Beispiel die Schwarze Madonna von Einsiedeln, die Schwarze Madonna von Iddaberg im Toggenburg, die Schwarze Madonna von Pelagiberg und die Madonna von Balm in der Wallfahrtskirche Oberdorf/SO).
Der Umstand, dass Maria nicht Teil der im Christentum zentralen Trinität sei, ändere nichts an der Schutzwürdigkeit. Madonna werde täglich in Gebeten von Tausenden angerufen, weshalb ihr in den
BGE 136 III 474 S. 482
katholischen Kirchen durch spezielle Altäre ein besonderer Platz eingeräumt werde. Die intensive Madonnenverehrung, die über die Verehrung gewisser Heiliger deutlich hinausgehe, lege eine zentrale Rolle der Madonna für die Mehrheit der der katholischen Kirche zugehörigen Christen nahe.
Mit Blick auf ihre bedeutende Rolle in der Religionsausübung der Katholiken sei eine markenmässige Kommerzialisierung der Bezeichnung "Madonna" geeignet, die religiösen Gefühle der katholischen Christen zu verletzen. Ihre Eintragung in das Markenregister müsse daher wegen Sittenwidrigkeit verweigert werden.
6.
Dieser Beurteilung der Vorinstanz ist beizupflichten. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, verfängt nicht:
6.1
Zunächst ist unerheblich, ob es sich bei "Madonna", was die Beschwerdeführerin bestreitet, um ein Symbol handelt. Denn nicht allein die markenmässige Kommerzialisierung eines religiösen Symbols kann sittenwidrig sein, sondern auch eine Bezeichnung für eine religiös verehrte Persönlichkeit oder Gottheit. Die Vorinstanz hat zutreffend dargelegt, dass Maria, die Mutter Jesu, jedenfalls bei den italienischsprachigen Angehörigen der katholischen Kirche unter der Bezeichnung "Madonna" eine intensive religiöse Verehrung erfährt und im täglichen Gebet angerufen wird. Das Wort "Madonna" wird mithin von einem überwiegenden Teil der katholischen Christen in der italienischsprachigen Schweiz für die Invokation (religiös-ehrerbietige Anrufung) der Mutter Jesu verwendet. Zu Recht hielt die Vorinstanz fest, dass solche Ausdrücke zur Invokation zentraler religiöser Figuren vom Markenschutz auszuschliessen sind. Dass das Wort "Madonna" in der Bibel nicht vorkommt und auch kein Begriff der katholischen Glaubenslehre ist, ändert nichts an der Schutzwürdigkeit dieser im praktizierten religiösen Leben verwendeten Bezeichnung.
6.2
Ebenso wenig drängt sich eine andere Beurteilung auf, weil das Wort "Madonna" auch in nicht religiösem Zusammenhang verwendet wird und noch weitere Bedeutungen aufweist, wie namentlich in der Kunst die Bedeutung von Mariendarstellungen oder als Name und insbesondere als Name einer weltberühmten amerikanischen Popsängerin. Für den Ausschlussgrund der Sittenwidrigkeit genügt es, wenn dem Zeichen in einem von mehreren Sinngehalten, der nicht geradezu im Hintergrund steht, religiöse Bedeutung zukommt und es in dieser Bedeutung geeignet ist, bei einer markenmässigen
BGE 136 III 474 S. 483
Kommerzialisierung das religiöse Empfinden der betroffenen Religionsangehörigen zu verletzen. Die weiteren Sinngehalte des Wortes "Madonna" sind zu schwach, als dass sie die primäre Bedeutung als Anrufung der Mutter Jesu verdrängen würden. Wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat, kommt "Madonna" als Name in der Schweiz nur selten vor. Der Sinngehalt in der Kunst ist eng mit dem religiösen verknüpft, so dass er jedenfalls in der italienischen Sprache kaum als eigenständiger Sinngehalt wahrgenommen wird. Die Bedeutung als Benennung der bekannten Pop-Sängerin Madonna mag zwar - gegenwärtig - bei zahlreichen Personen relativ naheliegen, besitzt aber dennoch keinen derartigen Stellenwert, dass sie den religiösen Sinngehalt, insbesondere in der italienischsprachigen Schweiz, in den Hintergrund treten liesse.
6.3
Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit durch die Verletzung des religiösen Empfindens müsse die betroffene Religionsgemeinschaft und deren Empfinden im Ganzen betrachtet werden. Es dürfe nicht nur eine isolierte Schweizer Sichtweise greifen. In anderen Ländern mit wesentlich höherem Anteil der katholischen Bevölkerung als in der Schweiz, wie Italien, Spanien und Portugal, sei die Marke eingetragen worden. Überdies seien die Katholiken in diesen Ländern strenggläubiger als die Schweizer Katholiken. Die Sittenwidrigkeit des Zeichens "Madonna" sei dort offenbar nicht empfunden worden, was als Indiz bei der Beurteilung nach dem MSchG zu berücksichtigen sei. Die Vorinstanz habe sich mit der Rechtsfrage der heranzuziehenden Verkehrskreise und mit den Eintragungen und der Benutzung in anderen Ländern fehlerhaft auseinandergesetzt.
Dem kann nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts besteht aufgrund einer ausländischen Eintragung kein Anspruch auf Eintragung in der Schweiz und haben ausländische Entscheide keine präjudizielle Wirkung. Immerhin darf der Umstand, dass ein Zeichen im Ausland eingetragen wurde, mitberücksichtigt werden (so betreffend Beurteilung des Gemeingutcharakters eines Zeichens). Jedes Land prüft die Schutzfähigkeit einer Marke nach seiner eigenen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verkehrsanschauung. Dabei verfügen die einzelnen Länder über einen grossen Ermessensspielraum und ihre Beurteilung kann demnach unterschiedlich ausfallen (
BGE 135 III 416
E. 2.1;
BGE 130 III 113
E. 3.2 S. 118 f.;
BGE 129 III 225
E. 5.5 S. 229). Letzteres gilt namentlich auch für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Zeichens. Die
BGE 136 III 474 S. 484
Beschwerdeführerin beruft sich auf die Auffassung von MICHAEL NOTH, wonach die Eintragung und Benutzung des fraglichen Zeichens in einem anderen Land für die Beurteilung nach dem MSchG Indizwirkung haben kann, wenn zu erwarten ist, dass jener ausländische Verkehr die Sittenwidrigkeit ähnlich oder sogar stärker empfindet (NOTH, a.a.O., N. 16 zu
Art. 2 lit. d MSchG
). Auch dieser Autor räumt aber ein, dass die besonderen Umstände im Ausland zu berücksichtigen seien. Das religiöse Empfinden des in der Schweiz lebenden Anteils einer bestimmten Religionsgruppe muss angesichts der verschiedenen Verhältnisse nicht mit demjenigen des in anderen Ländern lebenden Anteils übereinstimmen. Bei Wortmarken spielt überdies das unterschiedliche Sprachverständnis eine Rolle. Auch kann die Beurteilungspraxis der ausländischen Markenbehörden im Rahmen des den einzelnen Ländern zustehenden grossen Ermessensspielraums erheblich differieren. Es ist daher äusserst heikel, von ausländischen Eintragungen auf die angebliche Toleranz der ausländischen Religionsangehörigen zu schliessen und daraus wiederum Rückschlüsse in Bezug auf das religiöse Empfinden in der Schweiz ziehen zu wollen. Ausländischen Eintragungen kann daher im Bereich der Sittenwidrigkeit kaum Indizwirkung zugestanden werden. Abzustellen ist vielmehr allein auf das Empfinden der betroffenen Kreise in der Schweiz (DAVID, a.a.O., N. 76 zu
Art. 2 MSchG
; vgl. auch Richtlinien in Markensache des IGE vom 1. Januar 2010, Ziff. 3.9 S. 64, wonach betreffend das Schutzhindernis des Verstosses gegen die guten Sitten ausländische Eintragungen gänzlich unbeachtlich sind, auch als Indiz). Im Übrigen ist es eine blosse, durch nichts belegte Behauptung, dass die Katholiken in Italien, Spanien und Portugal strenggläubiger seien als die Schweizer Katholiken.
Die Vorinstanz hat daher kein Recht verletzt, indem sie dafürhielt, die Beschwerdeführerin könne aus den ausländischen Voreintragungen nichts zu ihren Gunsten ableiten.
6.4
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz sodann vor, ihre Ausführungen zu den in der Schweiz registrierten "Christ"-Marken rechtsfehlerhaft gewürdigt zu haben, indem sie diese nicht zur Beurteilung des religiösen Empfindens herangezogen, sondern eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes geprüft habe. Eine solche habe die Beschwerdeführerin indes nicht geltend gemacht. Auch in Bezug auf die schweizerische Eintragung Nr. 573 405 des Wort-/Bildzeichens "Madonna" habe sie sich nicht auf Gleichbehandlung berufen, sondern auf diese Markeneintragung lediglich
BGE 136 III 474 S. 485
hingewiesen, damit sie als Indiz bei der Beurteilung des religiösen Empfindens berücksichtigt werde.
Ob die Beschwerdeführerin die besagten Schweizer Markeneintragungen bloss als Hinweis für die Beurteilung des religiösen Empfindens erwähnte oder Gleichbehandlung verlangte, kann dahingestellt bleiben. Die Vorinstanz hat jedenfalls die entscheidenden - und von der Beschwerdeführerin nicht widerlegten - Unterschiede jener Eintragungen zum vorliegend streitigen Zeichen herausgearbeitet und damit klargestellt, dass jene Eintragungen keine andere Bewertung der Sittenwidrigkeit des vorliegend streitigen Zeichens erheischen. Insofern ist dem Anliegen der Beschwerdeführerin, jene Eintragungen seien bei der Beurteilung des religiösen Empfindens zu berücksichtigen, Genüge getan. Die Vorinstanz hat jene Eintragungen gewürdigt, wenn sie auch materiell nicht die gleichen Schlüsse daraus zog wie die Beschwerdeführerin.
6.5
Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich als rechtsfehlerhaft, dass die Vorinstanz die Regel, dass Zweifelsfälle einzutragen sind (vgl. dazu
BGE 135 III 359
E. 2.5.3 mit Hinweisen), bei öffentlichen Interessen - wie Irreführungsgefahr oder Sittenwidrigkeit - für nicht anwendbar hält.
Die Rüge ist unbegründet. Die Auffassung der Vorinstanz stützt sich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach der Zivilprozess für die Durchsetzung öffentlicher Interessen - wie Schutz des Publikums vor Täuschung - wenig geeignet ist, weshalb ihnen auch in Grenzfällen bereits im Eintragungsverfahren Nachachtung zu verschaffen ist (Urteil 4A.5/1994 vom 2. August 1994 E. 5, in: PMMBl 1994 I S. 76). Dies gilt nicht nur bei Irreführungsgefahr, sondern auch wenn die Rechts-, Sitten- oder Ordnungswidrigkeit eines Zeichens in Frage steht, da es auch hier um öffentliche Interessen geht. Die Zweifelsfallregel greift daher in diesen Fällen nicht (entsprechend lauten die Richtlinien in Markensachen des IGE vom 1. Januar 2010, Ziff. 3.7 S. 62; ebenso MARBACH, a.a.O., Rz. 240; a.M. NOTH, a.a.O., N. 17 zu
Art. 2 lit. d MSchG
).
Im Übrigen teilt das Bundesgericht die Beurteilung der Vorinstanz, dass kein Grenzfall vorliegt, weshalb ohnehin kein Raum für eine Eintragung im Zweifelsfall bestanden hätte.
6.6
Zusammenfassend hat die Vorinstanz
Art. 2 lit. d MSchG
nicht verletzt, indem sie die Wort-/Bildmarke IR 123 456 "Madonna" als sittenwidrig im Sinne dieser Bestimmung beurteilte und der Marke daher den Schutz in der Schweiz versagte. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
befb12a5-f88c-421c-a431-2cea0e025b7d | Urteilskopf
87 II 129
18. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. September 1961 i.S. H. | Regeste
Entmündigungsverfahren.
1. Ein Ehegatte kann sich der Entmündigung des andern nicht in seinem eigenen Namen widersetzen und ist gemäss
Art. 29 Abs. 2 OG
grundsätzlich auch nicht befugt, den andern im Verfahren vor Bundesgericht zu vertreten.
2. Aufhebung eines Entmündigungsbeschlusses wegen Verletzung der Vorschriften über die vorgängige Anhörung (
Art. 374 ZGB
). Wird dieser Verfahrensmangel erst vor Bundesgericht gerügt, so liegt darin nicht ein neues Vorbringen, das nach
Art. 55 lit. c OG
unzulässig wäre. | Sachverhalt
ab Seite 130
BGE 87 II 129 S. 130
Am 12. Januar 1961 stellte der Gemeinderat von Emmen Frau H. gemäss
Art. 369 und 370 ZGB
unter Vormundschaft. Er stützte sich dabei auf ein Gutachten der Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Königsfelden vom 1. Dezember 1960, das zum Schlusse kam, Frau H. sei eine infantile Psychopathin, die an chronischem Alkoholismus leide.
Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat diesen an ihn weitergezogenen Entscheid am 18. Mai 1961 bestätigt.
Gegen den regierungsrätlichen Entscheid hat der Ehemann der zu Entmündigenden in deren Namen die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Neben ihm hat auch die zu Entmündigende selber die Berufungsschrift unterzeichnet. Darin wird in erster Linie geltend gemacht, die Entmündigung sei ungesetzlich, weil Frau H. im kantonalen Verfahren nie angehört worden sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 29 Abs. 2 OG
können in Zivil- und Strafsachen unter einem hier nicht zutreffenden Vorbehalt nur patentierte Anwälte sowie die Rechtslehrer an schweizerischen Hochschulen als Parteivertreter vor Bundesgericht auftreten. Der Ehemann der zu Entmündigenden war daher nicht befugt, als deren Vertreter gegen den Entscheid des Regierungsrates die Berufung an das Bundesgericht zu erklären. Er ist aber auch nicht berechtigt, sich ihrer Entmündigung in seinem eigenen Namen zu widersetzen.
Art. 433 Abs. 3 ZGB
, wonach ausser dem Bevormundeten jedermann, der ein Interesse hat, die Aufhebung der (rechtskräftig angeordneten) Vormundschaft beantragen kann, darf nicht ausdehnend ausgelegt werden (
BGE 64 II 181
). Soweit die vorliegende Berufung vom Ehemann der zu Entmündigenden ausgeht, ist also darauf nicht einzutreten (wogegen der Regierungsrat durch das Bundesrecht nicht gehindert war, auf den an ihn gerichteten Rekurs einzutreten, soweit der Ehemann ihn gemäss dem letzten Absatz der Rekursschrift im Namen
BGE 87 II 129 S. 131
der Ehefrau eingereicht hatte). Die Berufung ist jedoch, da Frau H. die Berufungsschrift mitunterzeichnet hat, als von ihr persönlich eingelegte Berufung wirksam.
2.
Wegen Verschwendung, Trunksucht, lasterhaften Lebenswandels oder der Art und Weise ihrer Vermögensverwaltung darf eine Person nach
Art. 374 Abs. 1 ZGB
nicht entmündigt werden, ohne dass sie vorher angehört worden ist. Soll eine Person nach
Art. 370 ZGB
entmündigt werden, ist ihre Anhörung (vgl. hiezuBGE 40 II 182ff.,
BGE 84 II 146
ff.) also unerlässlich.
Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche darf gemäss
Art. 374 Abs. 2 ZGB
nur nach Einholung des Gutachtens von Sachverständigen erfolgen, das sich auch über die Zulässigkeit einer vorgängigen Anhörung des zu Entmündigenden auszusprechen hat. Hieraus folgt, dass die Anhörung einer Person, die nach
Art. 369 ZGB
entmündigt werden soll, ohne vorherige Befragung des Sachverständigen über deren Zulässigkeit nicht verweigert werden darf (
BGE 70 II 75
).
Nach den vorliegenden Akten ist die Berufungsklägerin gemäss
Art. 369 und 370 ZGB
entmündigt worden, ohne dass die kantonalen Behörden sie angehört hätten und ohne dass der Sachverständige befragt worden wäre, ob ihre Anhörung zulässig sei. Die kantonalen Instanzen haben sich also bei der Entmündigung der Berufungsklägerin über
Art. 374 ZGB
(und die in Ausführung dieser Vorschrift erlassenen §§ 48/49 des kantonalen Einführungsgesetzes zum ZGB) hinweggesetzt.
Der Regierungsrat bestreitet dies nicht, macht aber geltend, dieser "Einwand" sei vor ihm nicht erhoben worden und könne daher im Berufungsverfahren vor Bundesgericht nicht gehört werden. Diese Auffassung ist unrichtig. Indem sich die Berufungsklägerin vor Bundesgericht darauf beruft, dass im kantonalen Verfahren die Vorschrift von
Art. 374 ZGB
ausseracht gelassen worden sei, bringt sie nicht neue Tatsachen oder Einreden vor, was nach
Art. 55 lit. c OG
unzulässig wäre. Vielmehr
BGE 87 II 129 S. 132
macht sie damit die Verletzung einer bundesrechtlichen Verfahrensvorschrift geltend, die vor Bundesgericht unabhängig davon gerügt werden kann, ob schon vor der obern kantonalen Instanz darauf hingewiesen worden sei oder nicht.
Haben die kantonalen Behörden eineEntmündigung unter Verletzung von
Art. 374 ZGB
angeordnet, so ist der angefochtene Entscheid aufzuheben, ohne dass anhand der vorliegenden Akten das Vorhandensein eines Entmündigungsgrundes zu prüfen wäre. Die luzernischen Behörden sind aber immerhin darauf hinzuweisen, dass sie bei der neuen Entscheidung, die auf die gebotene Aktenergänzung folgen muss,
BGE 85 II 457
ff. (Erw. 4 und 5, S. 462/63) zu beachten haben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Soweit auf die Berufung einzutreten ist, wird sie dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
befd7140-d74f-4440-9760-db0f1043717a | Urteilskopf
99 II 152
21. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 15 mars 1973 dans la cause Excoffier contre Geneux | Regeste
Fensterdienstbarkeit;
Art. 738 ZGB
.
Vorbehalt des kantonalen Rechts,
Art. 686 ZGB
(Erw. II).
Bestimmung des Inhalts der Dienstbarkeit nach dem Eintrag (Erw. III 1-3), nach dem Errichtungsakt (Erw. III 4) und nach der Art der Ausübung (Erw. III 5). | Sachverhalt
ab Seite 152
BGE 99 II 152 S. 152
A.-
En 1948, Paul Geneux était propriétaire avec Mlle Altorfer d'un bâtiment très ancien situé à la rue de Chausse-Coq, dans la commune de Genève, section Cité. Celui-ci était contigu d'un bâtiment non moins ancien, propriété de la S.I. Marcar. Par acte notarié du 28 avril 1948, ces deux voisins, se déclarant désireux de "consacrer un état de fait" et de préciser par la constitution de servitudes la situation de leurs parcelles respectives, ont constitué trois servitudes, deux au profit du fonds Marcar et une au profit du fonds Geneux-Altorfer. Cette dernière est seule litigieuse; elle est "une servitude de vue et dejours selon les deux plans d'exécution susvisés". Cette mise au net de la situation des deux fonds était rendue nécessaire par le fait que Geneux reconstruisait son bâtiment.
Le 1er mars 1949, Francis Excoffier a acquis l'immeuble de la S.I. Marcar. Geneux est aujourd'hui seul propriétaire de l'autre bâtiment.
B.-
En 1967, Excoffier a entrepris d'exhausser son bâtiment. Ayant obtenu l'autorisation administrative, il a commencé à transformer ses combles pour y créer des bureaux. Il a, pour cela, surélevé le toit de son immeuble de telle façon qu'il masquait en partie la vue depuis les fenêtres du deuxième étage du bâtiment Geneux. Un terrasson métallique avait été aménagé devant ces fenêtres, à quelques centimètres des tablettes. On pouvait néanmoins utiliser les volets.
BGE 99 II 152 S. 153
Geneux a obtenu par mesures provisionnelles l'ordre d'arrêter les travaux, à l'exception de ceux entrepris aux étages inférieurs. Les deux propriétaires ont ouvert action:
- Geneux exigeait le rétablissement du bätiment en l'état au 28 avril 1948, plus 13 000 fr. de dommages-intérêts;
- Excoffier exigeait la suppression d'empiétements - qui ne sont plus en cause - et des dommages-intérêts de 8000 fr.
C.-
Par jugement du 12 octobre 1971, le Tribunal de première instance de Genève a admis la demande de Geneux, fixé les dommages-intérêts à 3000 fr. et rejeté les conclusions d'Excoffier. Ce dernier a appelé de ce jugement, reprenant ses conclusions de première instance auxquelles il a ajouté une demande d'indemnité complémentaire de 42 000 fr. Par arrêt du 1er décembre 1972, la Cour de justice de Genève a confirmé le jugement de première instance, en interprétant la servitude de 1948 comme une servitude non altius tollendi grevant la totalité du fonds Excoffier.
Excoffier a formé un recours en réforme contre cet arrêt, renonçant toutefois à ses conclusions en paiement d'une indemnité.
Geneux propose le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
II.
Dans les législations cantonales issues du code civil français, on entend par "vue" toute ouverture dans le mur d'un bâtiment permettant de regarder habituellement et commodément le fonds voisin. On désigne par "jours" des ouvertures destinées uniquement à l'aération et à l'éclairage, qui ne permettent pas la vue sur le fonds voisin. Les vues sont dites "droites" lorsqu'elles sont pratiquées dans un mur parallèle à la limite des fonds; elles sont dites "par côté" ou "obliques" quand ce mur est perpendiculaire.
L'arrêt déféré constate que, selon l'ancien droit cantonal genevois, le propriétaire ne peut ouvrir des vues droites que si le mur dans lequel elles sont pratiquées est à 19 décimètres (6 pieds) du fonds voisin. Cette règle est reprise à l'art. 67 de la loi genevoise d'application du code civil du 3 mai 1911 (LACC). Une dérogation peut résulter d'une servitude de vue. La loi cantonale ne prévoit pas les effets d'une telle servitude quant au droit de bâtir du propriétaire du fonds servant. Mais l'arrêt constate que
BGE 99 II 152 S. 154
la jurisprudence genevoise, sous l'empire du droit cantonal, s'est prononcée en ce sens que, à défaut d'indication dans le titre constitutif, le droit de vue ne peut s'étendre indéfiniment sur le fonds voisin. Il est restreint à la distance légale de 6 pieds, pour les vues droites. Le voisin peut dès lors construire à cette distance.
Aux termes de l'arrêt, cette réglementation subsiste encore sans grand changement. Pour le quartier en cause, il faut se référer à la loi sur les dispositions applicables aux constructions dans le quartier de la Haute-Ville du 27 avril 1940, en vigueur au moment de la constitution de la servitude litigieuse et qui a été incorporée dans la loi sur les constructions du 25 mars 1961. L'art. 37 de cette dernière dispose que la longueur des vues droites est de 4 mètres au moins, perpendiculairement à la façade. Le propriétaire du fonds servant doit donc, s'il construit, reculer son bâtiment de 4 mètres.
Bien que ces lois relèvent du droit administratif et ne coïncident pas avec la règle de droit privé de l'art. 67 LACC, qui maintient l'ancienne limite de 1,9 mètre pour la longueur des vues droites, la cour cantonale admet que celle-ci est de 4 mètres, selon le droit cantonal.
La juridiction fédérale de réforme ne peut revoir cette question d'interprétation du droit cantonal dans un domaine qui lui est réservé par l'art. 686 CC; le recourant admet d'ailleurs qu'on ne peut l'obliger "à démolir une construction tant et aussi longtemps qu'il respecte la servitude de jour (recte: de vue) de 4 mètres".
Le Tribunal fédéral n'a donc à se prononcer que sur la question de savoir si, en l'espèce, la servitude de vue impose au propriétaire du fonds servant de reculer ses constructions audelà de la distance légale de 4 mètres.
III.
1.
La cour cantonale a constaté que ni l'inscription, ni les plans d'exécution auxquels se réfère l'acte constitutif ne sont explicites, et s'est dès lors reportée au contrat. Bien que celui-ci ne prévoie pas l'étendue illimitée de la servitude de vue, la cour estime qu'on peut en l'espèce déduire cet effet étendu des éléments suivants:
a) la volonté exprimée de consacrer un état de fait, soit l'encorbellement d'un immeuble dominant sur une petite construction et bénéficiant, par prescription acquisitive, d'un droit de vue au profit des étages supérieurs;
BGE 99 II 152 S. 155
b) les dimensions réduites du fonds servant qui ne permettent, si l'on respecte la distance de 4 mètres, de surélever l'immeuble du fonds grevé que sur une largeur de 3 mètres, hypothèse qui paraît absurde;
c) le fait que la loi de 1940 relative aux constructions de la vieille ville, alors en vigueur, ne permettait pas de surélever les bâtiments existants.
2.
Les vues ouvertes sur le fonds Geneux existent depuis des siècles. Les parties auraient donc pu reconnaître l'existence d'une servitude acquise par prescription, antérieure à l'entrée en vigueur du code civil.
Elles ne l'ont pas fait et, tout en déclarant vouloir "préciser la situation" de leurs parcelles respectives, elles ont constitué une servitude, et ceci après l'entrée en vigueur du code civil. Cette servitude est donc régie par le droit fédéral et le Tribunal fédéral peut revoir l'interprétation qu'en a donnée la Cour de justice de Genève.
3.
Celle-ci a constaté que l'inscription de la servitude ne donne pas d'indication précise sur l'étendue qu'il faut lui donner, mais que l'examen de l'ancien droit genevois et des dispositions en vigueur au moment de sa constitution révèle que la servitude ne peut s'étendre d'une manière illimitée sur le fonds voisin. Selon le sens qu'elle a ordinairement, une telle servitude ne comporte pas interdiction de bâtir sur le fonds servant. Le droit cantonal fixe d'autre part la limite des constructions sur ce fonds à 4 mètres des limites du fonds dominant.
Lorsqu'on se trouve en présence d'un type de servitude appartenant notoirement à l'ancien droit ou au droit cantonal - servitude de type courant dérogeant aux règles sur les distances à observer dans les constructions - l'inscription au registre foncier doit être comprise dans le sens où l'entend le droit cantonal (cf. RO 86 II 251 consid. 5).
En l'espèce, la notion de "droit de vue" a un sens précis en droit genevois, soit celui de permettre au propriétaire du fonds dominant d'ouvrir des vues à sa limite et d'obliger dès lors le propriétaire du fonds servant à construire à 4 mètres de cette limite. Elle ne comporte pas une obligation de non altius tollendi, car elle ne suppose pas d'interdiction générale de construire (cf. RO 83 II 122, notamment p. 126). L'inscription fait donc ici règle en vertu de l'art. 738 CC.
4.
Si l'on refusait d'admettre que l'inscription est claire, il faudrait préciser l'étendue de la servitude soit par son origine,
BGE 99 II 152 S. 156
soit par la manière dont elle a été exercée pendant longtemps, paisiblement et de bonne foi (art. 738 al. 2 CC).
a) Du titre constitutif, soit la convention du 28 avril 1948 et les plans auxquels elle se réfère, on ne peut tirer qu'un élément, soit la volonté de "consacrer un état de fait" et de "préciser" la situation des parcelles. La cour cantonale estime que, contrairement à la règle, il faut déduire de circonstances particulières - non précisées - que la servitude constituée vaut droit dejour sur toute la parcelle Excoffier.
Mais la servitude avait pour but et objet essentiel de déterminer exactement les droits des parties; elle voulait préciser la situation des biens-fonds et consacrer un état de fait. C'est donc la servitude qui doit dire quelle était la situation, et l'on ne peut se servir d'éléments relatifs à cette même situation - à ce moment-là imprécise - pour donner à la servitude une portée qui ne résulte pas de son contenu. Or celui-ci est celui d'un simple droit de vue et non une servitude non altius tollendi.
D'ailleurs, il n'est nullement établi qu'au moment de la constitution de servitude, ou auparavant, la situation comportait autre chose qu'un droit de vue au sens où l'entendait l'ancien droit. Rien dans la situation antérieure ne justifie de l'existence d'une restriction plus ample que l'interdiction de bâtir à moins de 1,9 m (aujourd'hui 4 m) des limites du fonds dominant. Pour qu'une telle restriction apparût, il aurait fallu qu'au moment de la constitution de la servitude, on instituât - ou consacrât - une interdiction de surélever.
b) D'après la cour cantonale, la restriction du droit de bâtir qu'implique le droit de vue ne laissant au propriétaire du fonds grevé qu'une possibilité de surélévation sur une largeur de 3 m, il faut considérer qu'une telle solution absurde ne peut avoir été voulue par les parties. S'il s'agit d'une interprétation subjective de la convention, elle n'est pas opposable au tiers acquéreur (cf. LIVER, n. 94 ad art. 738).
Si l'on veut voir là une réglementation qui serait objectivement absurde, de sorte que le droit de vue ne peut avoir comme contenu raisonnable que celui d'une interdiction de surélever, cela ne s'impose pas à l'évidence. Le recourant fait valoir que cette largeur de 3 m sur une longueur de 7 m lui permet d'aménager un local de 21 m2 dont il affirme qu'il est approuvé par l'autorité administrative. Cette hypothèse n'est pas absurde. D'autre part, la cour réserve elle-même le cas où, le fonds
BGE 99 II 152 S. 157
Excoffier étant par exemple réuni au fonds contigu, à l'opposé du fonds Geneux, une construction plus importante pourrait être édifiée. On ne peut, comme l'envisage la cour, adopter une autre solution dans ce cas et assigner un autre contenu à la servitude, car les servitudes sont des droits permanents, dont le contenu ne saurait varier au gré des réunions parcellaires.
c) Lorsque la servitude a été constituée, il était interdit, par la loi de 1940 sur la vieille ville, de surélever les immeubles de ce quartier. L'existence de cette réglementation est toutefois sans effet sur la portée de la servitude.
Si elle a influencé les parties, il s'agit d'un processus interne, qui, une fois de plus, n'est pas opposable au tiers acquéreur, tant qu'il n'apparaît pas dans l'acte constitutif.
S'il faut en déduire que c'est la raison pour laquelle les parties n'ont pas constitué de servitude plus ample, cela ne permet pas de donner à cette servitude un contenu étendu qui n'aurait précisément pas été voulu, puisque le propriétaire s'estimait suffisamment protégé par la loi.
On ne peut admettre que des restrictions de droit public qui ont un tout autre but que celui poursuivi par les parties sont insérées tacitement dans un acte constitutif de servitude. En l'espèce, les règles sur les constructions avaient pour seul but de protéger le cachet de la vieille ville et elles ont d'ailleurs varié depuis. On ne saurait donc les traiter comme des éléments définitivement incorporés dans la servitude pour lui donner un contenu plus étendu, qu'elles ont elles-mêmes perdu, et qu'il était loisible aux parties de prévoir expressément si elles l'avaient voulu.
Il n'y a donc pas lieu de voir ici une modification de la règle générale dans le sens d'une étendue particulière de la servitude.
Il n'y a pas non plus lieu de lier la servitude convenue aux réglementations en vigueur sur les constructions en se basant sur le fait que l'acte constitutif contient la clause suivante:
"Ces servitudes ne pourront être radiées ou modifiées sans l'accord du Département des travaux publics."
En effet, la radiation ou la modification de la servitude ne dépend que de l'accord des parties et celles-ci peuvent d'un commun accord renoncer à cette condition. Cette compétence conférée pour le futur au Département des travaux publics ne rattache d'ailleurs pas la convention au droit administratif en vigueur au moment de sa signature.
BGE 99 II 152 S. 158
5.
Reste à examiner si la manière dont la servitude a été exercée pendant longtemps, paisiblement et de bonne foi, peut conduire à une autre conclusion.
Certes, il est constant que le fonds Geneux a bénéficié longtemps et paisiblement d'un droit de vue sur l'ensemble de la parcelle Excoffier. Quelle que soit la retenue manifestée par l'arrêt RO 86 II 252 consid. 6 - critiquée en doctrine: cf. LIVER, n. 40 à 46 ad art. 738 - il ne peut être fait entièrement abstraction de l'intérêt et des besoins du fonds dominant. Or, en l'espèce, l'édification d'un mur à 4 m des fenêtres de l'immeuble Geneux compromet certainement l'utilisation des locaux.
Mais ce dernier résultat est voulu par la loi: la loi genevoise a fixé, par une décision générale et abstraite, le contenu du "droit de vue", appréciant ainsi et de façon plus généreuse que ne le faisait l'ancien droit les besoins du fonds dominant. Les raisons invoquées par la cour cantonale pour déroger à ces normes et donner un contenu plus étendu à la servitude n'ayant pas été retenues, il y a lieu de s'en tenir à la loi, quels qu'en soient les inconvenients pour le fonds dominant. Il y a d'ailleurs lieu de noter que si le propriétaire d'un fonds peut, de par la loi, ouvrir des vues sur son fonds à 4 m de la limite, il ne peut s'opposer à ce que son voisin élève un mur à la limite même, soit à 4 m.
D'autre part, si le propriétaire du fonds dominant a joui paisiblement de la vue sur l'ensemble du fonds Excoffier, ce n'est pas - comme dans le cas d'une servitude active - par un exercice de son droit, mais seulement par le fait que le propriétaire du fonds servant n'a pas, pendant une très longue période, tiré tout le parti possible de son terrain. Geneux n'a bénéficié que d'une situation de fait, comme c'est le cas lorsque les vues d'une propriété s'ouvrent sur une propriété non bâtie. En 1948, lorsqu'il s'est agi de préciser la situation, il n'a été question, en dépit de l'état de fait, que d'un simple droit de vue. Une extension de l'interdiction de bâtir à l'ensemble de la parcelle sort du cadre d'un droit de vue. Celui-ci doit être interprété, comme toute servitude, restrictivement (LIVER, n. 18 ad art. 738) et sans intervention d'éléments subjectifs considérés par les parties à l'acte constitutif. La servitude ne doit limiter les droits du propriétaire du fonds servant que dans la mesure nécessaire à son exercice normal.
BGE 99 II 152 S. 159
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et réforme l'arrêt attaqué en ce sens que le recourant Excoffier est condamné à supprimer l'élévation de son immeuble sur une distance de 4 mètres à compter du parement extérieur du mur de l'immeuble Geneux, la demande de Geneux étant rejetée pour le surplus; dit que la condamnation au paiement d'une indemnité de 3000 fr. et aux astreintes est maintenue. | public_law | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
befe7433-6de9-4823-bfaf-31411bf0c0c0 | Urteilskopf
80 IV 137
27. Urteil des Kassationshofes vom 2. April 1954 i.S. von Burg gegen Meyer. | Regeste
Art. 268 Abs. 2 BStP
.
Einem in Abwesenheit Verurteilten steht die Nichtigkeitsbeschwerde jedenfalls dann nicht zu, wenn er die Wiedereinsetzung verlangen kann, ohne nachweisen zu müssen, dass er sein Nichterscheinen zur Verhandlung nicht verschuldet habe. | Sachverhalt
ab Seite 137
BGE 80 IV 137 S. 137
A.-
Am 14. Dezember 1953 verurteilte das Amtsgericht Solothurn-Lebern den in den Vereinigten Staaten von Nordamerika wohnenden Georg von Burg, der zur Hauptverhandlung nicht erschienen, jedoch verteidigt war, wegen Betrugsversuchs zu anderthalb Jahren Gefängnis und wegen Übertretung der Art. 14 und 15 des Bundesratsbeschlusses vom 23. Dezember 1948 zum Schutze der schweizerischen Uhrenindustrie zu Fr. 1000.-- Busse. Auf die kantonalen Rechtsmittel der Appellation und der Kassation, die der Verteidiger ergriff, trat das Obergericht des Kantons Solothurn durch Entscheid vom 8. Januar 1954 nicht ein, weil nach § 404 in Verbindung mit
§ 327 StPO
ein Kontumazialurteil auf Verlangen des Verurteilten dahinfalle, wenn er sich freiwillig stelle oder verhaftet werde, worauf das ordentliche Verfahren durchzuführen sei; neben diesem einfachen Einspruchsrecht gebe es kein anderes Rechtsmittel.
B.-
Mit rechtzeitig erklärter und begründeter Nichtigkeitsbeschwerde ficht von Burg das Urteil des Amtsgerichts auch beim Kassationshof des Bundesgerichts an, soweit es die Verurteilung wegen Betrugsversuches betrifft. Er beantragt, es sei aufzuheben und das Amtsgericht anzuweisen, ihn in diesem Punkte freizusprechen.
BGE 80 IV 137 S. 138
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Gemäss
Art. 268 Abs. 2 BStP
ist die Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts gegen Urteile der Gerichte nur zulässig, wenn sie "nicht durch ein kantonales Rechtsmittel wegen Verletzung eidgenössischen Rechts angefochten werden können".
Diese Bestimmung beruht auf dem Gedanken, dass die Verletzung eidgenössischen Rechts nicht beim Bundesgericht geltend zu machen ist, wenn sie auf einem vom kantonalen Prozessrecht vorgesehenen Wege gerügt werden kann. Ein kantonales "Rechtsmittel" im Sinne des
Art. 268 Abs. 2 BStP
hat daher nicht nur zur Verfügung, wer eine obere kantonale Instanz anrufen kann, sondern auch der in Abwesenheit Verurteilte, dem das Recht zusteht, die nochmalige Beurteilung durch das gleiche Gericht zu verlangen (für den entsprechenden Fall des
Art. 48 OG
vgl.
BGE 79 II 109
f.). Das gilt jedenfalls dann, wenn das kantonale Recht, wie hier, die Wiedereinsetzung nicht vom Nachweis abhängig macht, dass der Verurteilte sein Nichterscheinen zur Verhandlung nicht verschuldet habe. Ob es, wie § 327 soloth. StPO, eine neue Verhandlung nur zulässt, wenn er sich dem Gerichte stellt oder ergriffen wird, und ob er diese Voraussetzung nur mit grossen Opfern erfüllen kann, ist unerheblich.
Art. 268 Abs. 2 BStP
frägt nicht darnach, an welche Voraussetzungen das kantonale Prozessrecht die Einlegung des Rechtsmittels knüpft und ob der Partei im einzelnen Falle zugemutet werden kann, sie zu erfüllen; die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist jeder Partei verschlossen, die das Recht hat (oder hatte), die Rüge der Verletzung eidgenössischen Rechts mit einem kantonalen Rechtsmittel zu erheben. Es kommt auch nichts darauf an, ob eine neue Beweisführung überflüssig ist, weil der vom Kläger behauptete Sachverhalt gar nicht Strafe nach sich ziehen kann. Die Auffassung des Beschwerdeführers, in einem solchen Falle müsse die Nichtigkeitsbeschwerde zugelassen
BGE 80 IV 137 S. 139
werden, weil der Weg über ein Wiedereinsetzungsbegehren ein "unnötig kompliziertes Procedere" wäre, hält nicht stand. Damit hinge die Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde von ihrer materiellen Begründetheit ab, sodass der Kassationshof, um die Eintretensfrage zu entscheiden, prüfen müsste, ob die Beschwerde materiell begründet sei. Es wäre dann auch nicht einzusehen, weshalb nicht auch in anderen Fällen, in denen der Ankläger einen Sachverhalt behauptet hat, der Strafe nicht nach sich ziehen kann, die Nichtigkeitsbeschwerde ohne Erschöpfung der kantonalen Rechtsmittel zuzulassen wäre; denn hier wäre eine andere Lösung nicht weniger unnötige Weitläufigkeit.
Art. 268 Abs. 2 BStP
, der die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde nur als letzten und damit im Verhältnis zu den kantonalen Rechtsmitteln subsidiären Rechtsbehelf kennt - ein Gedanke, der übrigens auch in
Art. 275 BStP
zum Ausdruck kommt -, lässt indes die vom Beschwerdeführer befürwortete und weitere Ausnahmen nicht zu. Ein in Abwesenheit Verurteilter hat von der Möglichkeit, die Wiedereinsetzung zu verlangen, nicht nur Gebrauch zu machen, wenn er den vom Kläger behaupteten oder im Urteil festgestellten Sachverhalt bestreitet, sondern auch, wenn er geltend machen will, dieser Tatbestand könne Strafe nicht nach sich ziehen. Erst wenn er das getan und alle weiteren kantonalen Rechtsmittel, mit denen die Verletzung eidgenössischen Rechts gerügt werden kann, erschöpft hat, steht ihm die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde zu. Diesen Sinn hatten schon Art. 160 und 162 des Organisationsgesetzes von 1893 (
BGE 34 I 797
).
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
befeaf39-ec21-4914-be48-9be03850c86d | Urteilskopf
102 II 81
14. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Juni 1976 i.S. Vanoli Betonwerk gegen Thomas Domenig und Mitbeteiligte. | Regeste
Art. 24 Abs. 3 OR
.
Diese Bestimmung gilt nur für Rechnungsfehler, die in den übereinstimmenden Willensäusserungen beider Parteien zutage treten (Erw. 1).
Culpa in contrahendo setzt voraus, dass der Gegenpartei etwas verschwiegen wird, das sie nicht kennt und nicht zu kennen verpflichtet ist (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 102 II 81 S. 81
A.-
Die aus Architekt Domenig jun., Guido Caviezel und Johann Georg Walt bestehende Baugesellschaft Hohenrätien (einfache Gesellschaft) holte auf Formularen Angebote ein für die Herstellung und Lieferung vorfabrizierter Betonelemente zu einem Mehrfamilienhaus und vergab diese Arbeiten durch Werkvertrag vom 3./11. Januar 1972 der Vanoli Betonwerk AG zu dem von ihr verlangten Preis von Fr. 93'191.--, abzüglich 2% Skonto. Die Firmen AG für Baurationalisierung,
BGE 102 II 81 S. 82
Caluori AG und Baustoff AG hatten auf Fr. 130'420.--, bzw. Fr. 141'109.--, bzw. Fr. 162'451.-- lautende Angebote gemacht. Die interne Berechnung der Baugesellschaft Hohenrätien hatte einen Richtpreis von Fr. 125'000.-- ergeben.
Am 23. Mai 1972 - die Ablieferung der Elemente hatte laut Werkvertrag im April zu beginnen - teilte die Vanoli Betonwerk AG dem Bauführer des Architekturbüros Domenig, Werner Bruckhaus, mit, sie habe die zu Position 6 von Angebot und Werkvertrag genannten Stückpreise der Fassadenplatten versehentlich auf Grund einer Höhe der Elemente von 0,53 m statt von 2,32 m berechnet. Am 26. Mai 1972 bestätigte sie dies dem Architekturbüro schriftlich und verlangte die Erhöhung der Preise für die Platten der Positionen 6a-6f von Fr. 16'695.-- auf Fr. 69'975.--. Ihrer Schlussrechnung vom 18. September 1972 legte sie die höheren Preise zugrunde. Die Baugesellschaft Hohenrätien lehnte das verlangte Entgegenkommen mit Schreiben vom 30. Mai 1972 und dadurch ab, dass sie die Schlussrechnung nur teilweise beglich. Die Vanoli Betonwerk AG klagte daher gegen sie auf Nachzahlung von Fr. 51'153.-- nebst Zins.
B.-
Während das Bezirksgericht Plessur der Klägerin entsprechend dem Unterschied zwischen ihrem Angebot und jenem der AG für Baurationalisierung Fr. 36'512.-- nebst Zins zusprach, wies das Kantonsgericht von Graubünden am 18. Dezember 1975 die Klage ab.
C.-
Die Klägerin beantragt mit der Berufung, das Urteil des Kantonsgerichtes aufzuheben und die Beklagten solidarisch zu verpflichten, ihr Fr. 36'512.-- nebst 5% Zins seit dem 18. Oktober 1972 zu zahlen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klägerin hält das Versehen, das ihr bei der Ausarbeitung des Angebotes zu den Positionen 6a-6f unterlief, für einen Rechnungsfehler, der gemäss
Art. 24 Abs. 3 OR
zu berichtigen sei.
Art. 24 Abs. 3 OR
gilt nur für Rechnungsfehler, die in den übereinstimmenden Willensäusserungen beider Parteien zutage treten, d.h. für Versehen, die den Parteien bei der Umrechnung vertraglicher Grundlagen gemeinsam unterlaufen. Versehen bei der Ausarbeitung eines Angebotes, welche die
BGE 102 II 81 S. 83
Gegenpartei nicht als Rechnungsfehler erkennen kann, fallen nicht unter diese Bestimmung. Sie sind blosse Irrtümer im Beweggrund, die unter der Voraussetzung des Art. 24 Abs. 1 Ziffer 4 OR den Vertrag allenfalls einseitig unverbindlich machen können, nie aber dem Irrenden Anspruch auf Berichtigung desselben geben (
BGE 30 II 65
,
BGE 71 II 243
).
Im vorliegenden Falle trifft
Art. 24 Abs. 3 OR
nicht zu. Die Ausmasse der Fassadenplatten der Positionen 6a-6f sind freilich im Angebot angegeben, besonders auch die Höhe von 2,32 m. Sie sind also Grundlagen des Vertrages. Solche bilden z.B. auch die im Angebot genannten Kubikinhalte des zu verwendenden Betons, die Gewichte der Stahlarmierung und der Anschlusseisen, die Stückzahlen der zu liefernden Platten und deren Einheitspreise. Mit Hilfe dieser und der übrigen zu Grundlagen des Vertrages erhobenen Angaben des Angebotes lässt sich aber nicht erkennen, wie die Klägerin die Einheitspreise bestimmt hat und dass sie dabei versehentlich mit einer Plattenhöhe von 0,53 m statt 2,32 m rechnete. Dieses Versehen wird selbst für den, der die Einheitspreise der Balkonbrüstungen (Positionen 5) mit jenen der Fassadenplatten (Positionen 6) miteinander vergleicht, nicht als Rechnungsfehler erkennbar, denn auch aus den Positionen 5 ist nicht zu ersehen, wie die Klägerin diese Preise ermittelt hat. Der Fachmann kann vielleicht auf Grund dieses Vergleichs mutmassen, die Klägerin habe die Preise der beiden Positionen nicht nach den gleichen Grundsätzen bestimmt. Nach welcher Methode sie bei der einen und nach welcher Methode sie bei der anderen kalkuliert haben mag, ist aber nicht erkennbar. Selbst wenn ein Rechnungsfehler zu vermuten wäre, bliebe unklar, bei welcher der beiden Positionen er unterlaufen und wie er zu berichtigen sei. Auch die Vergleichung der Einheitspreise der Position 6 mit denen aller anderen Positionen hilft der Klägerin nicht. Ihre Behauptung, die einfache Teilung des Stückpreises der Betonelemente durch den Kubikinhalt ergebe für alle Positionen ausser Position 6 einen Kalkulationspreis von Fr. 150.-- je Kubikmeter, trifft nicht zu. Zudem kommt es nicht darauf an, wie die Klägerin kalkuliert hat. Der Preis je Kubikmeter ist nicht Bestandteil übereinstimmender Willensäusserungen der Parteien und damit des Vertrages.
2.
Soweit die Klägerin den Vorwurf der culpa in contrahendo damit begründet, Domenig als Vertreter der Beklagten
BGE 102 II 81 S. 84
habe ihren Irrtum erkannt, ist sie nicht zu hören. Das Bundesgericht ist an die gegenteilige tatsächliche Feststellung des Kantonsgerichtes gebunden, da sie weder offensichtlich auf Versehen beruht noch unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen ist (Art. 43 Abs. 3, 55 Abs. 1 lit. c, 63 Abs. 2 OG). Die Beweiswürdigung, die von der Klägerin besonders unter Hinweis auf die Aussage des Zeugen Bruckhaus beanstandet wird, kann mit der Berufung nicht angefochten werden (
BGE 95 II 452
,
BGE 98 II 330
).
Nicht beizupflichten ist der Klägerin sodann in der Auffassung, die Beklagten seien verpflichtet gewesen, den Unterschieden zwischen den Einheitspreisen der Positionen 5 und 6 ihres Angebotes sowie den Unterschieden zwischen den Angeboten der vier Bewerber genau nachzugehen, und sie hätten gegen Treu und Glauben verstossen, indem sie es nicht taten und die Klägerin nicht auf den Irrtum aufmerksam machten. Dabei ist unerheblich, ob Domenig oder dessen Bauführer bei näherer Prüfung wirklich hätten Verdacht schöpfen können, das Angebot beruhe auf einem Versehen. Wer bei Vertragsverhandlungen nicht nach Irrtümern des Gegners forscht, die dieser bei gehöriger Aufmerksamkeit selber wahrnehmen könnte, handelt nicht gegen Treu und Glauben. Culpa in contrahendo setzt voraus, dass der Gegenpartei etwas verschwiegen wird, das sie nicht kennt und nicht zu kennen verpflichtet ist (
BGE 68 II 303
,
BGE 90 II 456
,
BGE 92 II 333
Erw. 4b). Niemand ist gehalten, im Interesse des Gegners umsichtiger zu sein, als dieser ist und sein kann. Die Klägerin war selber in der Lage, den ihr unterlaufenen Fehler aufzudecken. Ja sie konnte dies besser als die Beklagten, da sie im Gegensatz zu diesen ihre eigenen Grundsätze der Kalkulation, besonders der Berechnung der Einheitspreise, kannte. Sie war auch fachkundig. Ihr Angebot mit den Angeboten der Mitbewerber zu vergleichen, war ihr allerdings nicht möglich. Aber der Unterschied zwischen dem Gesamtbetrag ihres Angebotes und dem nächsthöheren der AG für Baurationalisierung überstieg das im Baugewerbe vorkommende übliche Mass nicht und verpflichtete die Beklagten unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht, Mutmassungen über die Ursachen der Abweichung zu treffen und die Klägerin zu benachrichtigen. Dem Besteller eines Werkes kann nicht zugemutet werden, den Unternehmer vor dem Abschluss des Vertrages auf Preisunterschiede zwischen den erhaltenen
BGE 102 II 81 S. 85
Angeboten aufmerksam zu machen und ihm damit zu ermöglichen, das seine unter Behauptung von Irrtümern zu erhöhen. Er darf gegenteils erwarten, dass der Unternehmer das Angebot mit aller Sorgfalt ausarbeite und sich selbst dann dabei behaften lasse, wenn er nach dem Vertragsschluss Fehler entdeckt. Anders entscheiden, hiesse den Sinn der gesetzlichen Bestimmungen über Irrtum (
Art. 23 ff. OR
) und über die Berichtigung von Rechnungsfehlern (
Art. 24 Abs. 3 OR
) missachten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 18. Dezember 1975 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
beff0879-af0e-4bf6-9e5f-8607e5114ed9 | Urteilskopf
102 II 420
61. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. November 1976 i.S. C.J. Bucher AG gegen Max Frey | Regeste
Vorvertrag über den Zusammenschluss von Aktiengesellschaften; Konventionalstrafe.
1.
Art. 637 und 638 OR
. Diese Bestimmungen verlangen die öffentliche Beurkundung nicht zum Schutze der Gründer. Die Verpflichtung, zwei Aktiengesellschaften in einer Holding zusammenzuschliessen, kann daher gemäss
Art. 22 Abs. 2 OR
auch formlos vereinbart werden (Erw. 2).
2. Art. 161 Abs. 1 und 163 Abs. 1 OR. Angemessenheit einer Konventionalstrafe, die für den Fall eines Vertragsbruches durch eine Partei zum Ausgleich eines ideellen Schadens der anderen vereinbart worden ist (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 420
BGE 102 II 420 S. 420
Im Frühjahr 1972 begannen Beauftragte der C.J. Bucher AG und der Jean Frey AG über eine wirtschaftliche Verbindung der beiden Gesellschaften zu verhandeln. Die erste war vertreten durch Frau Alice Bucher, Präsidentin des Verwaltungsrates und zusammen mit Charles Bucher Mitinhaberin aller Aktien der Bucher AG, die zweite durch Max Frey; dieser gehörte zur Erbengemeinschaft Frey-Massino, welche die Aktienmehrheit der Jean Frey AG besass. Man nahm die Gründung einer Holdinggesellschaft in Aussicht, liess bereits
BGE 102 II 420 S. 421
im Herbst 1972 Vertrags- und Statutenentwürfe ausarbeiten und die beiden Unternehmen durch Fachleute bewerten. Nach deren Berichten wurden die Substanzwerte für die Mehrheitsbeteiligung der Erbengemeinschaft Frey-Massino an der Jean Frey AG mit rund Fr. 108 Mio. und für das gesamte Aktienkapital der Bucher AG mit etwa Fr. 73 Mio. angegeben. Die Ertragsberechnungen lauteten bei der Jean Frey AG auf einen "durchschnittlichen Zukunftsgewinn" von Fr. 9,1 Mio., bei der Bucher AG dagegen auf einen "nachhaltigen Zukunftsverlust" von etwa Fr. 180'000.--.
Am 20./21. März 1973 unterzeichneten Alice und Charles Bucher als Aktionärgruppe I und Max Frey als Vertreter der Erbengemeinschaft Frey-Massino oder Aktionärgruppe II einen "Vorvertrag". Sie beschlossen, die beiden Unternehmen samt deren Tochtergesellschaften zu einer wirtschaftlichen Einheit unter einer Führung zusammenzuschliessen, die rechtliche Selbständigkeit der Gesellschaften aber zu wahren. Die von der Erbengemeinschaft Frey-Massino einzubringenden Vermögenswerte sollten 55%, diejenigen der Bucher AG 45% der neuen Gesellschaft ausmachen.
In der gleichen Eigenschaft unterzeichneten Alice und Charles Bucher sowie Max Frey am 10. Mai 1973 nach stundenlangen Besprechungen mit ihren Beratern einen "Zusammenschlussvertrag". Ausgehend vom "Vorvertrag", dessen Inhalt sie sinngemäss wiederholten, verpflichteten die Vertragspartner sich unwiderruflich, bis spätestens 7. Juni 1973 eine Holding gemäss den bereits angenommenen Statuten zu gründen (Ziff. 1), den raschen Zusammenschluss durch alle Vorkehren zu fördern und alle Behinderungen zu vermeiden (Ziff. 2). Sie versicherten einander, dass sie seit dem 31. Dezember 1971 keine Handlungen vornahmen, welche die finanzielle Lage ihrer Unternehmen negativ beeinflussten, und dass sie solche Handlungen bis zur Gründung der Holding unterlassen wollten (Ziff. 5). Falls eine Vertragspartei die Gründung der Holding verhinderte, sollte "sie im Hinblick auf den der Gegenpartei daraus entstehenden ideellen Schaden dieser als Konventionalstrafe" Fr. 1'000'000.-- bezahlen (Ziff. 7).
Am 30. Mai 1973 schrieb Max Frey an Alice und Charles Bucher, dass die Gruppe Frey die bisherigen Abmachungen wegen Irrtums und absichtlicher Täuschung als dahingefallen betrachte und Schadenersatzansprüche vorbehalte. In ihrer
BGE 102 II 420 S. 422
Antwort vom 5. Juni wiesen Alice und Charles Bucher den Vorwurf der Täuschung zurück und hielten am Vertrag vom 10. Mai fest. Am 6. August teilten sie Max Frey jedoch mit, dass sie auf die Erfüllung des Vertrages vom 10. Mai verzichten und die Konventionalstrafe sowie Schadenersatz beanspruchen würden. Am 18. August verkauften sie alle Aktien der Bucher AG an die Ringier & Co. AG, obwohl Max Frey dafür mehr bezahlen wollte als die Käuferin.
Im September 1973 traten Alice und Charles Bucher ihre Rechte und Forderungen aus dem Zusammenschlussvertrag vom 10. Mai an die Bucher AG ab. Diese klagte am 18. März 1974 beim Bundesgericht gegen Max Frey auf Zahlung von Fr. 1'000'000.-- nebst 6% Zins seit 6. August 1973. Sie fordert damit die Konventionalstrafe gemäss Ziff. 7 des Zusammenschlussvertrages.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, eventuell die Konventionalstrafe angemessen herabzusetzen. Er macht geltend, der Vertrag vom 10. Mai 1973 sei mangels öffentlicher Beurkundung nichtig oder wegen Grundlagenirrtums unverbindlich; jedenfalls sei die vertraglich vorgesehene Konventionalstrafe weit übersetzt.
Das Bundesgericht heisst die Klage in vollem Umfange gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Klage stützt sich auf Ziff. 7 des Zusammenschlussvertrages vom 10. Mai 1973, wonach eine Vertragspartei der andern eine Konventionalstrafe von Fr. 1'000'000.-- bezahlen sollte, wenn sie die geplante Gründung einer Holdinggesellschaft verhinderte. Die Klägerin wirft dem Beklagten vor, diese Gründung mit seinem Schreiben vom 30. Mai 1973 verweigert zu haben.
Der Beklagte hält dem vorweg entgegen, der Vertrag vom 10. Mai 1973 sei formwidrig abgeschlossen worden. Es handle sich um einen Vorvertrag, der alle wesentlichen Punkte zur Gründung einer Holding-Aktiengesellschaft regle. Der Gründungsvorgang bedürfe gemäss
Art. 637 und 638 OR
der öffentlichen Beurkundung, die nach
Art. 22 Abs. 2 OR
auch für den Vorvertrag gelte. Die herrschende Lehre zum Aktienrecht und zum Recht der GmbH stimme damit überein. Vorliegend sei diese Form nicht eingehalten worden, der Vertrag
BGE 102 II 420 S. 423
folglich nichtig. Die Klägerin meint dagegen, die Vertragsparteien hätten sich zu einer einfachen Gesellschaft zusammengeschlossen, die u.a. die vorgesehene Holding gründen sollte. Die Verbindung zu einer einfachen Gesellschaft sei formlos möglich und insbesondere auch zum Zwecke zulässig, eine Aktiengesellschaft zu bilden.
a) Das Bundesgericht hat zur Frage, ob Interessenten sich zwecks Gründung einer Aktiengesellschaft auch formlos zu einer einfachen Gesellschaft zusammenschliessen können, bisher nicht umfassend Stellung genommen. Es hat aber wiederholt entschieden, dass die Gründer einer Aktiengesellschaft bis zu deren Eintragung eine einfache Gesellschaft bilden (
BGE 85 I 131
,
BGE 95 I 278
, 101 Ib 362).
In der Lehre wird nicht nur die Frage, ob die Vereinbarung über die Gründung einer Aktiengesellschaft durch die daran Beteiligten als formbedürftiger Vorvertrag oder als formlos möglicher Zusammenschluss zu einer einfachen Gesellschaft anzusehen sei, sondern auch die Natur des Vorvertrages verschieden beurteilt. So halten GUHL/MERZ/KUMMER (OR S. 113) die Bezeichnung "Vorvertrag" je nach dessen Inhalt für widersprüchlich und nur dort für gerechtfertigt, wo der erste Vertrag ohne Abschluss eines zweiten nicht erzwungen werden kann. Ähnlich äussern sich VON TUHR/SIEGWART (OR I 252 ff.; vgl. ferner OSER/SCHÖNENBERGER, N. 3/9 besonders N. 6, und BECKER, N. 3/7 besonders N. 7 zu
Art. 22 OR
;
BGE 58 II 365
).
Vereinbaren mehrere, sich zwecks Gründung einer Aktiengesellschaft zusammenzuschliessen, so entsteht nach GUHL/MERZ/KUMMER (OR S. 526 und 568) eine einfache Gesellschaft. Diese Autoren lehnen es jedoch ab, die Vereinbarung als Vorvertrag zu behandeln und dafür die öffentliche Beurkundung zu fordern. SIEGWART (N. 14 zu
Art. 645 OR
) ist gleicher Ansicht, verweist aber auf N. 40/44 der Vorbemerkungen zu Art. 629 bis 639 OR, wo er F. VON STEIGER anführt und unter Annahme fliessender Übergänge unterscheidet, ob nur der Zusammenschluss mehrerer zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes oder schon die Übernahme aktienrechtlich bestimmter Pflichten gegeben sei, und die Formlosigkeit entsprechend einschränkt. Nach SCHUCANY (2. Aufl. N. 1 zu
Art. 643 OR
) besteht im Vorstadium der Gründung eine einfache Gesellschaft, muss der Vorvertrag über die Gründung
BGE 102 II 420 S. 424
aber öffentlich beurkundet werden und alle wesentlichen Bestimmungen der Statuten enthalten. F. VON STEIGER (Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl. S. 118; Die schweiz. Aktiengesellschaft, 30 S. 174 ff.) unterstellt den Vorvertrag über die Gründung ebenfalls dem Formzwang. Das gleiche gilt für die GmbH nach LANZ (Die schweiz. Aktiengesellschaft, 39 S. 185), HACHENBURG (ZSR 55 S. 141) und nach JANGGEN/BECKER (N. 3 zu
Art. 779 OR
), während W. VON STEIGER (N. 13 zu
Art. 779 OR
und Schweiz. Privatrecht VIII/1 S. 339/40) sowohl für die GmbH wie für die Aktiengesellschaft ähnlich abgrenzt wie SIEGWART.
b) Eine Auseinandersetzung mit diesen Lehrmeinungen erübrigt sich indes im vorliegenden Fall, da der Zusammenschlussvertrag vom 10. Mai 1973 schon nach dem Sinn und Zweck des
Art. 22 Abs. 2 OR
nicht öffentlich zu beurkunden war. Diese Bestimmung verlangt die Form des künftigen Vertrages nicht schlechthin auch für den Vorvertrag, sondern nur wo das Gesetz sie zum Schutze der Beteiligten fordert. So schreibt
Art. 657 ZGB
die öffentliche Beurkundung im Verkehr mit Grundstücken insbesondere vor, um die Vertragsschliessenden vor unüberlegten Entschlüssen zu bewahren (
BGE 90 II 281
Erw. 6 mit Zitaten); aus dem gleichen Grunde ist diese Form auch zu beachten, wenn Grundstücke in eine Aktiengesellschaft eingebracht werden (
BGE 58 II 363
,
BGE 64 II 280
Erw. b).
Die Formvorschriften der
Art. 637 und 638 OR
dagegen verlangen die öffentliche Beurkundung der Beschlüsse der konstituierenden Generalversammlung bzw. des Errichtungsaktes nicht zum Schutze der Gründer. Damit sollen vielmehr unlautere Machenschaften verhindert, die gesetzeskonforme Abwicklung des Gründungsvorganges gewährleistet und verlässliche Beweise gesichert werden (F. VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl. S. 118; SIEGWART, N. 2 zu
Art. 637 OR
). Die Vorschriften verfolgen also vor allem objektive Zwecke zum Schutze Dritter, mögen die Beteiligten daran auch selber interessiert sein. Gegenstand des Vertrages vom 10. Mai 1973, der denjenigen vom 20./21. März ersetzte, war aber bloss die Verpflichtung der Beteiligten, ihre Aktien in eine neue Gesellschaft einzubringen, diese zu gründen und sich bis dahin wohlzuverhalten. Dazu brauchte es keine öffentliche Urkunde. Das Einbringen von
BGE 102 II 420 S. 425
Aktien ist formlos gültig, zumal man sich auch ohne eine solche Urkunde verpflichten kann, Aktien zu zeichnen. Der Formzwang für den Vertrag vom 10. Mai ist deshalb zu verneinen.
Eine solche Lösung ist in Fällen, wie hier, auch sachlich gerechtfertigt. Verhandlungen zu Gesellschaftsgründungen können sich nach der Erfahrung lange und über verschiedene Phasen hinziehen, in denen die sich stellenden Fragen nacheinander erörtert werden (vgl. über die Gründung von Kartellen bei BECKER, N. 4 zu
Art. 22 OR
). Umso schwieriger ist es, formfreie Vereinbarungen über blosse Richtlinien, Feststellungen und gegenseitige Zugeständnisse von solchen zu unterscheiden, die als formbedürftige Vorverträge in Betracht kommen. Diese Schwierigkeiten lassen sich weitgehend vermeiden, wenn der Gegenstand der Vereinbarung nach dem Schutzgedanken der
Art. 637 und 638 OR
geprüft wird.
(3.- Ausführungen darüber, dass der Beklagte sich beim Vertragsabschluss vom 10. Mai 1973 weder über eine wesentliche Tatsache irrte, noch dass die Gegenpartei ihn angeblich in Kenntnis eines solchen Irrtums unterzeichnen liess.)
4.
Das Beweisverfahren hat nichts dafür ergeben, dass Frau Bucher nachträglich auf die Konventionalstrafe verzichtet habe. Der Beklagte behauptet dies auch nicht mehr. Er macht aber geltend, die Konventionalstrafe sei jedenfalls weit übersetzt und daher zu kürzen; sie sei zum Ausgleich eines ideellen Schadens vereinbart worden, welcher der einen Partei wegen Verletzung der Gründerverpflichtung durch die andere entstehen konnte. Einen solchen Schaden habe die Gruppe Bucher überhaupt nicht oder höchstens in einem ganz geringfügigen Masse erlitten.
Nach
Art. 163 Abs. 1 OR
kann die Konventionalstrafe von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden. Sie verfällt gemäss
Art. 161 Abs. 1 OR
auch dann, wenn dem Gläubiger kein Schaden entstanden ist. Dass in Ziff. 7 des Zusammenschlussvertrages von ideellem Schaden die Rede ist, ergibt daher keine nach übereinstimmender Willensäusserung gewollte Abweichung von der gesetzlichen Regelung. Eine Konventionalstrafe wird ja gerade vorgesehen, um dem Gläubiger den Nachweis eines Schadens zu ersparen (
BGE 95 II 539
). Die Klägerin wurde übrigens vor einem "Gesichtsverlust", der auch nach Auffassung des Beklagten einen ideellen Schaden
BGE 102 II 420 S. 426
bilden kann, nicht schon dadurch bewahrt, dass die Parteien nach dem 30. Mai 1973 zunächst mit einem andern Zweck weiter verhandelten und die Bucher-Aktien schliesslich an eine der mächtigsten Gesellschaften im schweizerischen Pressewesen verkauft wurden. Dass der bereits abgemachte und der Presse mitgeteilte Zusammenschluss an der Weigerung des Beklagten scheiterte, dürfte in den Kreisen, an welche die Mitteilung vorab gerichtet war, alsbald bekannt geworden sein. Verglichen mit dem partnerschaftlichen Zusammenschluss in einer Holding stellte der Aktienverkauf an eine wirtschaftlich mächtige Gesellschaft aber jedenfalls ein Minderes, folglich auch einen Gesichtsverlust dar.
Für den Ausgang des Verfahrens kommt darauf jedoch nichts an. Die Klausel über die Konventionalstrafe wurde von den Parteien, die beide als geschäftskundig und erfahren anzusehen sind, insbesondere zur Sicherung der Gründerverpflichtung in den Vertrag aufgenommen. Sie schätzten die Auswirkungen für den Fall, dass eine Partei die Gründung verhinderte, übereinstimmend auf 1 Million Franken. Darüber musste sich auch der Beklagte Rechenschaft geben. Da von Irrtum nicht die Rede sein kann, erweist sich seine Weigerung vom 30. Mai 1973 als glatter Vertragsbruch, bei dem es geblieben ist; er hat nachher nicht mehr über einen Zusammenschluss, sondern nur noch über einen Kauf der Bucher-Aktien verhandelt. Sein Verhalten lief darauf hinaus, seine Zustimmung zum Vertrag und damit zur Vereinbarung über die Folgen einer Nichterfüllung zu bestreiten; es rechtfertigt deshalb keine Herabsetzung der Konventionalstrafe. Ebensowenig hilft dem Beklagten, dass die Konventionalstrafe angeblich unentgeltlich an die Klägerin abgetreten worden ist. Die Gültigkeit einer Abtretung hängt weder von einer Gegenleistung ab, noch braucht eine solche in der Urkunde angegeben zu werden.
Stichhaltige Gründe, die vereinbarte Konventionalstrafe herabzusetzen, sind auch sonst nicht zu ersehen. Es trifft insbesondere nicht zu, dass sie in der vereinbarten Höhe das vernünftige, mit Recht und Billigkeit noch vereinbare Mass übersteige, wie der Beklagte behauptet. Das lässt sich schon angesichts der Vermögenswerte, die beiderseits auf dem Spiele standen, nicht sagen. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bf00d247-d20e-4ff3-9c54-9c96116a2ddb | Urteilskopf
102 IV 153
37. Urteil des Kassationshofes vom 4. Juni 1976 i.S. Tschanz gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 69 StGB
; Anrechnung der Untersuchungshaft.
1. Weder aus einer verfassungsgemässen Auslegung des
Art. 69 StGB
noch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention folgt, dass die Untersuchungshaft stets angerechnet werden müsse (Erw. 1b).
2. Die Absicht des Täters, sich durch Herbeiführung oder Verlängerung der Untersuchungshaft dem Strafvollzug zu entziehen, ist nicht der einzige Grund, die Anrechnung auszuschliessen (Erw. 1c).
3. Der Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Verurteilten nach der Tat und der Untersuchungshaft genügt nicht, um die Anrechnung der Haft auszuschliessen. Der Verurteilte muss sein Verhalten nach der Tat auch verschuldet haben (Praxisänderung) (Erw. 1d).
4. Der Richter hat die Anrechnung der Haft auf die Strafe im Urteilsdispositiv ausdrücklich festzuhalten (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 154
BGE 102 IV 153 S. 154
A.-
Am 3. September 1974 hatte das Obergericht des Kantons Bern Tschanz wegen Diebstahls, Sachbeschädigung, Irreführung der Rechtspflege, Betrugs und Verletzung des Fernmelderegals zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt, unter Anrechnung von 10 der insgesamt 21 Monate Untersuchungshaft.
Am 6. Juni 1975 hiess der Kassationshof des Bundesgerichtes als Staatsgerichtshof eine gegen dieses Urteil gerichtete staatsrechtliche Beschwerde gut, weil der Beschwerdeführer auch vor Obergericht einen Pflichtverteidiger benötigt hätte.
B.-
Bei der unter Beizug eines Verteidigers erfolgten Neubeurteilung vom 2. Dezember 1975 hat das Obergericht Tschanz derselben Delikte schuldig befunden, ihn erneut zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt und wiederum 10 der 21 Monate Untersuchungshaft angerechnet.
C.-
Mit Nichtigkeitsbeschwerde verlangt der Beschwerdeführer vollständige Anrechnung der Untersuchungshaft.
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Der Richter rechnet dem Verurteilten die Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe an, soweit er die Haft nicht durch sein Verhalten nach der Tat herbeigeführt oder verlängert
BGE 102 IV 153 S. 155
hat (
Art. 69 StGB
). Diese Vorschrift hat das Bundesgericht dahin ausgelegt, dass das Verhalten des Verurteilten nach der Tat die Anrechnung schon dann ausschliesse, wenn es für die Anordnung oder die Verlängerung der Untersuchungshaft kausal war; nicht nötig sei, dass es auch schuldhaft sei (u.a.
BGE 73 IV 95
,
BGE 76 IV 23
E 2,
BGE 81 IV 22
E 3,
BGE 90 IV 70
,
BGE 95 IV 129
). Die Beschwerde stellt diese Rechtsprechung in Frage.
b) Der Beschwerdeführer glaubt, aus einer verfassungsgemässen Auslegung des
Art. 69 StGB
ableiten zu können, dass die Untersuchungshaft stets angerechnet werden müsse. Dem ist nicht so. Bundesgesetze sind verfassungskonform auszulegen, sofern nicht der klare Wortlaut oder der Sinn des Gesetzes etwas anderes gebietet (
BGE 99 Ia 636
, Ib 189;
BGE 96 I 187
;
BGE 95 I 332
;
BGE 93 I 713
). Aus dem klaren Wortlaut des
Art. 69 StGB
folgt, dass die Anrechnung unterbleibt, soweit der Täter die Untersuchungshaft durch sein Verhalten nach der Tat herbeigeführt oder verlängert hat. Daran hätten sich die Gerichte zu halten, selbst wenn aus der Verfassung abgeleitet werden könnte, dass die Untersuchungshaft stets anzurechnen wäre (
BGE 92 I 433
). Davon kann im übrigen keine Rede sein. Die Untersuchungshaft ist nämlich nicht erst dadurch begründet, dass der in der Haft bestehende Freiheitsentzug durch den Schuldspruch und eine entsprechend hohe Strafe nachträglich seine Rechtfertigung findet. Eine solche Vorwegnahme der Strafe wäre unvereinbar mit der vom Beschwerdeführer weiter angerufenen Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), nach deren Art. 6 § 2 bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld die Unschuld des Angeklagten vermutet wird. Wenn auch die Schwere der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat bei Entscheidung der Frage, ob die Haft anzuordnen ist, mitberücksichtigt werden soll (Verhältnismässigkeit), so darf nicht übersehen werden, dass die Untersuchungshaft vorab die einwandfreie Feststellung des Sachverhalts (Kollusionsgefahr), die Sicherung der allenfalls zu verhängenden Strafe (Fluchtgefahr) und nach vielen Gesetzen auch die Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen (Fortsetzungsgefahr) bezweckt. In diesen Fällen lässt auch Art. 5
§ 1 lit. c EMRK
die Festnahme zu.
c) Der Beschwerdeführer beruft sich weiter auf das Schrifttum
BGE 102 IV 153 S. 156
(DUBS, ZStR 76 S. 183 ff., HEIM, JdT 1964 IV 40 ff., 1965 IV 37 und SCHULTZ, Allg. Teil, Bd. 2, 2. Aufl. S. 73 ff.; ferner ZBJV 102 S. 345 ff., 106 S. 344; im gleichen Sinn ZIRILLI, Problèmes relatifs à la détention préventive, Thèse Lausanne 1975, S. 131 ff., insbes. 142, mit weitern Nachweisen). Nach diesen Autoren wäre die Untersuchungshaft einzig dann nicht anzurechnen, wenn der Täter sie herbeiführte oder verlängerte, um sich dem Strafvollzug zu entziehen. Zur Begründung wird dabei mitunter auf
BGE 73 IV 94
/95 verwiesen. Danach verbiete das Gesetz die Anrechnung der Haft, die der Beschuldigte durch sein Verhalten nach der Tat herbeigeführt oder verlängert hat, "weil es verhindern will, dass er (der Beschuldigte) absichtlich zur Haft Anlass gebe, um dem als grösseres Übel empfundenen Strafvollzug zu entgehen".
Richtig ist, dass in solchen Fällen die Untersuchungshaft nicht anzurechnen ist. Doch ist diese Betrachtungsweise zu eng. Sie würde dazu führen, dass die Haft beispielsweise auch dem angerechnet würde, der in Haft gesetzt werden musste, weil er Tatspuren verwischen wollte oder Anstalten zur Flucht traf. Auch wenn man mit Dubs "Absicht" im Sinne von Vorsatz nehmen wollte (ZStR 76 S. 194 oben), müsste diesen Beschuldigten die Haft angerechnet werden, handeln sie doch im Vertrauen darauf, dass sie nicht erwischt werden. Eine solche Auslegung würde aber die Fälle der Nichtanrechnung in einem Masse einschränken, das mit dem Gesetz nicht mehr vereinbar wäre. Hätte der Gesetzgeber die Nichtanrechnung der Haft so sehr einschränken wollen, hätte er die Gründe der Nichtanrechnung enger umschreiben müssen; er hätte beispielsweise die in
Art. 40 StGB
verwendete Formel ("arglistig herbeigeführt"; Entwurf 1918, Art. 38 Abs. 2 analog "arglistig verursacht") gebraucht. Dem Gesetzgeber ist jedoch nicht entgangen, dass die Gründe, die Zwecke der Untersuchung zu stören, im Verhältnis zu jenen, eine Verlegung aus dem Strafvollzug in eine Heilanstalt zu veranlassen, weit vielfältiger sind. Deshalb haben die Entwürfe die Anrechnung der Untersuchungshaft stets ins Ermessen des Richters gelegt (z.B. VE 1908 Art. 57 Abs. 1; Entwurf 1918 Art. 66 Abs. 1), während der Aufenthalt in einer Heil- oder Pflegeanstalt während des Strafvollzugs nach dem VE 1908 (Art. 57 Abs. 2; gleicher Artikel, in dem die Anrechnung der Untersuchungshaft geregelt war!) uneingeschränkt voll hätte angerechnet werden müssen, und dann der Entwurf 1918 die schon genannte Einschränkung
BGE 102 IV 153 S. 157
bei arglistiger Herbeiführung brachte. Anders zu entscheiden wäre nur, wenn die Untersuchungshaft rechtlich Strafe wäre. Die rechtliche Wirkung einer Strafvollstreckung kommt ihr indessen nur insoweit zu, als sie gemäss
Art. 69 StGB
auf die Strafe angerechnet werden kann. Zweck, Voraussetzungen, Dauer und auch Inhalt von Untersuchungshaft und Strafe sind verschieden. Jede dieser Massnahmen hat ihre selbständige Existenz. Nicht aus Gründen, die mit der Sache gegeben sind, sondern weil die Untersuchungshaft auf den Betroffenen gleich oder zuweilen noch stärker wirkt, rechnet das Gesetz aus Gründen der Billigkeit die Haft in der Regel auf die Strafe an (
BGE 73 IV 91
,
BGE 76 IV 23
,
BGE 84 IV 10
, 86 IV 9,
BGE 90 IV 70
). Die Anrechnung muss aber unterbleiben, wenn der Verurteilte nach der Wertung, die eine sinngemässe Auslegung des
Art. 69 StGB
ergibt, sich nicht mehr auf die vom Gesetz vorgezeichneten Billigkeitsgründe berufen kann.
d) Voraussetzung für den Ausschluss der Anrechnung der Haft auf die Strafe ist nach der bisherigen Praxis des Bundesgerichtes, dass ein Verhalten des Verurteilten nach der Tat die Untersuchungshaft herbeigeführt oder verlängert hat. Zwischen dem Verhalten des Täters nach der Tat und der Anordnung bzw. der Verlängerung der Haft muss daher nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes ein kausaler Zusammenhang bestehen. An diesem Erfordernis, das an sich unbestritten ist, ist festzuhalten. Es bleibt eine wichtige und begrenzende Voraussetzung für den Ausschluss der Anrechnung. Fehlt dieser Zusammenhang, muss die Haft auf die Strafe angerechnet werden.
Der Wortlaut des Gesetzes legt auch nahe anzunehmen, dieser objektive Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Verurteilten nach der Tat und der Untersuchungshaft genüge, die Anrechnung auszuschliessen. Daran kann aber nach näherer Prüfung nicht mehr festgehalten werden. Es muss mehr verlangt werden. Die Anordnung oder die Verlängerung der Haft muss sich im Rahmen von Gesetz und pflichtgemässem Ermessen gehalten haben. Dem Verurteilten muss darüber hinaus sein Verhalten nach der Tat gemäss rechtsstaatlichen Grundsätzen objektiv vorwerfbar sein. Er muss es auch verschuldet haben. Unter Verschulden ist ein subjektiv vorwerfbarer Verstoss gegen Pflichten und Beschränkungen zu verstehen, die sich für den Beschuldigten aus
BGE 102 IV 153 S. 158
dem Strafverfahrensrecht ergeben (ebenso z.B. HAFTER, Allg. Teil S. 356: "eine Art Schuldentscheid zu fällen"; LOGOZ,
Art. 69 N 3
a S. 298 insofern er zur Interpretation auf kantonale Gesetze verweist, die "une faute de l'inculpé" verlangten; a fortiori setzen die weiter oben genannten Autoren ein schuldhaftes Verhalten voraus). Nach Grundsätzen der Billigkeit, die dem Institut der Anrechnung zugrunde liegen, ist zu entscheiden, ob im Einzelfall von der grundsätzlich vorgeschriebenen Anrechnung abzusehen ist. Aber gerade die Billigkeit fordert, dass nur ein auch in subjektiver Hinsicht vorwerfbares Verhalten nach der Tat die Anrechnung ausschliesse. Das klingt auch in
BGE 95 IV 130
an, wenn das Bundesgericht auf das Kriterium des korrekten Verhaltens zurückgreift. Wenn der Gesetzestext die persönliche Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Verurteilten nach der Tat nicht deutlicher hervorhob, so dürfte dies einmal deshalb geschehen sein, weil der Gesetzgeber in erster Linie betonen musste, nicht die strafbare Handlung selber, die Gegenstand der Strafuntersuchung bildet, sondern nur ein späteres Verhalten könne die Anrechnung ausschliessen. Hinzu kommt, dass die Entwürfe die Anrechnung ins richterliche Ermessen legten. Das hätte dem Richter ohne weiteres erlaubt, die Anrechnung nur auszuschliessen, wenn dem Verurteilten das Verhalten nach der Tat persönlich zum Vorwurf gemacht werden konnte. Die Räte haben jedoch die Anrechnung dem Grundsatze nach obligatorisch vorgeschrieben. Damit wollten sie die Stellung des Verurteilten verbessern. Es ist daher nicht anzunehmen, sie hätten die Anrechnung selbst dann ausschliessen wollen, wenn dem Verurteilten sein Verhalten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Damit hätten sie die Stellung des Verurteilten verschlechtert. Dass das nicht der Sinn der Änderung war, geht auch aus dem Votum von Nationalrat Seiler, dem deutschsprachigen Berichterstatter hervor (Sten.Bull., Sep. Ausg. S. 212, Sitzung vom 12. Dezember 1928): "Die bundesrätliche Fassung des Art. 66 (jetzt 69) steht auf dem Boden der fakultativen Anrechnung. Die Kommission schreibt die Anrechnung für den Fall und insoweit zwingend vor, als der Täter die Untersuchungshaft nicht verschuldet oder nicht schuldhaft verlängert hat". Wenn der Referent anfügt, "Eine grosse Bedeutung kommt dieser Änderung nicht zu. Nach beiden Formulierungen wird eben der Richter auf die besonderen Umstände
BGE 102 IV 153 S. 159
abstellen", so beweist dies im Zusammenhang mit dem vorangehenden Satz nur, dass der Berichterstatter davon ausgegangen ist, auch bei fakultativer Anrechnung hätte der Richter die Anrechnung in der Regel nur dann ausgeschlossen, wenn das Verhalten des Verurteilten vorwerfbar sei. Dabei sollte nach der neuen Fassung wohl die Anrechnung zwingend sein, wenn die Ausnahme nicht eingreift, dem Richter aber umgekehrt dann, wenn der Täter die Haft durch sein Verhalten nach der Tat veranlasst oder verlängert hat, eine Würdigung der besondern Umstände des Einzelfalles offen stehen.
2.
a) Bis zum Urteil der ersten Instanz vom 17. Dezember 1973 war der Beschwerdeführer 21 Monate in Haft.
Er wurde am 4. Februar 1972 wegen Kollusionsgefahr erstmals in Haft gesetzt. Dieser Haftgrund fiel mit der Hausdurchsuchung vom 21. April 1972 weg.
Dreimal floh er aus der Haft, am 13. April, am 4. Mai und am 27. Juli 1972. Auf der zweiten und dritten Flucht beging er weitere Verbrechen, die nicht seinen Lebensunterhalt auf der Flucht bezweckten. Damit setzte er den Haftgrund der Fluchtgefahr.
Diese Fluchtgefahr gründete sich auf das konkrete Verhalten des Beschwerdeführers, auf seinen Willen, sich der Haft zu entziehen. Zwar ist die Flucht Selbstbegünstigung und als solche kriminell nicht strafbar. Dessen ungeachtet ist sie ein schwerer Verstoss gegen das Haftrecht des Staates und das Strafverfahren. Sie ist auch ein anerkannter Disziplinarfehler im Strafvollzug. Die im Willen des Beschuldigten begründete und durch Tat bekundete Fluchtgefahr ist daher auch nach der neuen Rechtsprechung ein Verhalten des Verurteilten nach der Tat, das der Anrechnung der Haft entgegensteht.
b) Das Obergericht hat dem Beschwerdeführer von den bis zur erstinstanzlichen Beurteilung erstandenen 21 Monaten Haft 11 Monate nicht auf die Strafe angerechnet. Der Beschwerdeführer hat keinen Anlass, sich über diesen Entscheid zu beklagen. Er hat sich einer grossen Anzahl von Verbrechen und Vergehen schuldig gemacht. Bedenkt man die ausserordentlichen Schwierigkeiten, die der Beschwerdeführer den Behörden stets bereitete, so sind 11 Monate Verfahrens- und Haftdauer ein Minimum, das die Behörden zur Durchführung des Verfahrens - von der ersten Verhaftung an bis zur erstinstanzlichen
BGE 102 IV 153 S. 160
Verhandlung - benötigten. Es kann keine Rede davon sein, diese Verfahrenszeit enthalte eine ungebührliche Verlängerung der Verfahrens- und Haftdauer. Nachdem aber der Beschwerdeführer die Haft als solche selber, zuerst durch Kollusionsgefahr, dann durch seine teilweise gelungenen Fluchtversuche persönlich zu verantworten hat, konnte ihm diese für die Durchführung des Verfahrens unerlässliche und von der Vorinstanz wohlwollend berechnete Zeit nach Gesetz nicht auf die ausgesprochene Zuchthausstrafe angerechnet werden.
3.
Laut dem Dispositiv des angefochtenen Urteils wurde der Beschwerdeführer verurteilt zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus, "abzüglich 10 Monate ausgestandener Untersuchungshaft". Aus der Begründung ergibt sich eindeutig, dass diese 10 Monate ein Teil der bis zum erstinstanzlichen Urteil erstandenen Untersuchungshaft von 21 Monaten sind. Über die später erstandene Haft schweigt sich das Urteil gänzlich aus.
Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, das Obergericht gehe offenbar davon aus, dass die Haftdauer zwischen dem erst- und zweitinstanzlichen Urteil sowie nach der bundesgerichtlichen Entscheidung vom 6. Juni 1975 bis zum neuen Urteil des Obergerichtes vom 2. Dezember 1975 auf jeden Fall anzurechnen sei. Dies sollte jedoch präzisierend festgehalten werden.
Der Generalprokurator stimmt der Auslegung des Beschwerdeführers zu. Auch nach ihm ist die Sicherheitshaft, die dem erstinstanzlichen Urteil folgte, voll auf die Strafe anzurechnen.
Das Gesetz behandelt die Anrechnung der Untersuchungshaft gemäss
Art. 69 StGB
als eine Vorschrift, die der Richter bei Festsetzung der Strafe vom Amtes wegen anwenden muss. Er hat somit gegebenenfalls die Anrechnung der Haft auf die strafe im Urteilsdispositiv ausdrücklich festzuhalten. Das ist z.B. mit Rücksicht auf den Strafvollzug nötig. Im Kanton Bern (Art. 361 StrV) wie meistenorts wird der Vollzugsbehörde nur die Urteilsformel zugestellt. Enthält sie bloss einen Teil der angerechneten Untersuchungshaft, läuft der Verurteilte Gefahr, dass der andere durch Anrechnung ebenfalls weggefallene Teil der Strafe vollzogen wird. Auch den Urteilsmeldungen ans Strafregister wird regelmässig der Urteilsspruch zugrunde gelegt. Eine Meldung gestützt auf die Urteilsformel des angefochtenen Urteils wäre unvollständig und
BGE 102 IV 153 S. 161
falsch. Vollzugs- und Registerbehörden müssen überdies die genaue Dauer der angerechneten Haft nach Tagen kennen, was wiederum aus der Urteilsformel nicht ersichtlich ist.
Sofern nicht besondere, aus dem Urteil nicht ersichtliche Gründe gegen die Anrechnung der Sicherheitshaft bestehen, ist der Ansicht der Parteien beizupflichten. Das Obergericht hat das Urteil der ersten Instanz insoweit abgeändert, als es einerseits den Beschwerdeführer in zwei Diebstahlsfällen freigesprochen, anderseits die Strafe erhöht und die anrechenbare Haftdauer herabgesetzt hat. Auch musste mangels Zulassung eines amtlichen Verteidigers das erste Urteil des Obergerichts aufgehoben werden. Diese Verlängerung des Verfahrens hat der Staat zu vertreten.
Die Beschwerde ist daher insoweit gutzuheissen, als sich die Vorinstanz über die Gesamtheit der anrechenbaren Haft nicht oder doch nicht in der nötigen Form und der erforderlichen Klarheit ausgesprochen hat. Sie wird sich auch über die Anrechnung der Sicherheitshaft bis zur neuen Beurteilung aussprechen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird insoweit teilweise gutgeheissen, als die Vorinstanz angewiesen wird, sich im Urteilsspruch auch über die Anrechnung der Sicherheitshaft nach dem erstinstanzlichen Urteil auszusprechen.
Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. | null | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf0546d1-7462-4b7c-b2f1-3e663d81f204 | Urteilskopf
118 IV 35
9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Januar 1992 i.S. U. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 148 StGB
; Betrug.
Vorlage von nicht im Rahmen der zulässigen, ordnungsgemässen Geschäftsführung liegenden Schreiben zur (unbesehenen) Erteilung der Zweitunterschrift; Ausnützung eines Vertrauensverhältnisses; Irrtum; Vermögensverfügung (E. 2).
Art. 110 Ziff. 5, 254 StGB
; Unterdrückung von Urkunden.
Sowohl unechte als auch echte, aber inhaltlich unwahre Urkunden sind Urkunden, wenn sie als Beleg für die Buchhaltung bestimmt und damit Bestandteile derselben sind; dies gilt auch für inhaltlich völlig fiktive Rechnungen. Konkurrenz zwischen Urkundenfälschung und Unterdrückung von unechten/unwahren Urkunden (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 36
BGE 118 IV 35 S. 36
A.-
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte U. am 5. Dezember 1990 wegen gewerbsmässigen Betruges, wiederholter und fortgesetzter Urkundenfälschung sowie wiederholter und fortgesetzter Urkundenunterdrückung zu 5 Jahren Zuchthaus und einer Busse von Fr. 1'000.--.
B.-
Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt U., das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuweisen, damit es ihn anstelle des gewerbsmässigen Betruges wegen ungetreuer Geschäftsführung, eventuell Veruntreuung verurteile, von der Anklage der Unterdrückung von Urkunden freispreche, ebenso vom Vorwurf der Urkundenfälschung im Zusammenhang mit den A.-Gesellschaften.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt unter Hinweis auf das angefochtene Urteil, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz verurteilte den Beschwerdeführer wegen gewerbsmässigen Betruges mit einem Deliktsbetrag von rund Fr. 17 Mio.; der Beschwerdeführer macht geltend, er sei insoweit nicht wegen Betruges, sondern wegen ungetreuer Geschäftsführung, eventuell Veruntreuung zu bestrafen.
a) Die Vorinstanz geht von folgendem - für das Bundesgericht verbindlichen - Sachverhalt aus: Der Beschwerdeführer war von 1970 bis 1989 bei der geschädigten Firma als kaufmännischer Angestellter beschäftigt, ab 1979 als Prokurist mit Kollektivzeichnungsberechtigung. Ihm oblag die Abwicklung von Finanzgeschäften der Geschädigten und Vornahme der entsprechenden Abrechnungen. Dazu war er über die Bankkonti der Geschädigten kollektivverfügungsberechtigt.
BGE 118 IV 35 S. 37
Die Vermögensdelikte nahm er wie folgt vor: Er bestellte jeweils im Namen der Geschädigten Bankchecks, wo nicht anders bezeichnet auf den Inhaber, beim Checkbüro des Schweizerischen Bankvereins zu Lasten des Kontos der Geschädigten bei dieser Bank. Er sorgte für die Bereitstellung von Deckung jeweils durch interne Meldung bei der zuständigen Stelle der Geschädigten, wobei er angab, die Mittel zur Abwicklung eines bestimmten Geschäftsfalles zu benötigen. Er verfasste sodann namens der Geschädigten einen die Checkbestellung bestätigenden Brief an den Schweizerischen Bankverein, welchen er selbst unterschrieb und auch von einem für die Geschädigte kollektivunterzeichnungsberechtigten ihm hierarchisch gleichgestellten Bürokollegen unterschreiben liess. In der Folge holte er die ausgestellten Checks unter Übergabe des von ihm und seinem Bürokollegen unterschriebenen Bestätigungsschreibens im Checkbüro der Bank ab oder liess sie abholen. Die Checks löste er in der Folge selbst ein oder liess sie in vereinzelten Fällen durch ahnungslose Drittpersonen einlösen. Die Einlösungsbeträge verwendete er gemäss vorgefasstem Plan für eigene Bedürfnisse. Er sah als sicher voraus, dass der um Kollektivzeichnung der Bestätigungsschreiben an die Bank angegangene Kollege aufgrund des zufolge jahrelanger Zusammenarbeit zwischen ihnen bestehenden Vertrauensverhältnisses auf die vom Beschwerdeführer ihm gegebenen mündlichen, einen effektiven Geschäftsfall behauptenden, den Beschwerdeführer berechtigt erscheinen lassenden Erläuterungen vertraute, nähere eigene Abklärungen und Überprüfungen unterliess und die Schreiben ohne weiteres unterzeichnete.
2.
Der Tatbestand des Betruges nach
Art. 148 StGB
setzt objektiv voraus, dass (1) der Täter eine Täuschungshandlung vorgenommen hat, (2) diese arglistig ist, (3) der Täter durch die Täuschung einen Irrtum beim Verfügungsberechtigten hervorgerufen hat, (4) aufgrund dieses Irrtums der Getäuschte eine Vermögensverfügung vorgenommen hat, und (5) dass dadurch das Vermögen, über welches er verfügt, geschädigt wird. Diese Tatbestandsmerkmale sind, wie die Vorinstanz zutreffend annimmt, vorliegend erfüllt. Dass er zudem in unrechtmässiger Bereicherungsabsicht gehandelt habe, stellt der Beschwerdeführer selber nicht in Frage.
a) Wer als Kollektivzeichnungsberechtigter einem Mitzeichnungsberechtigten ein Schreiben zur Zweitunterschrift vorlegt, der erklärt zumindest konkludent, dass die in dem Schreiben enthaltenen Erklärungen in den Rahmen der zulässigen Geschäftsführung fallen, insbesondere dass eine gegebenenfalls mit dem Schreiben
BGE 118 IV 35 S. 38
verbundene Verpflichtung der Firma im Rahmen der ordnungsgemässen Geschäftsführung erfolgt. Da die vom Beschwerdeführer seinem mitzeichnungsberechtigten Kollegen vorgelegten Schreiben einen davon abweichenden Inhalt hatten, ist das Tatbestandsmerkmal der Täuschung erfüllt.
b) Arglist ist nach der Rechtsprechung unter anderem dann gegeben, wenn der Täter nach den Umständen voraussieht, dass der Getäuschte die Überprüfung aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen wird (
BGE 107 IV 170
E. 2a mit Hinweisen). Sinn und Zweck der Kollektivunterschrift besteht gerade darin, dass durch die wechselseitige Kontrolle der Kollektivunterschriftsberechtigten Missbräuche verhindert werden sollen. Dieser Zweck wird vereitelt, wenn, wie vorliegend, der Mitzeichnungsberechtigte unbesehen unterzeichnet. Insoweit ist der Einwand des Beschwerdeführers zutreffend, dass vom Mitzeichnungsberechtigten eine gewisse Aufmerksamkeit und minimale Pflichtauffassung gegenüber seinem Arbeitgeber verlangt werden müsse. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass gerade in einem langjährigen Arbeitsteam die Erteilung der Zweitunterschrift häufig auf Vertrauensbasis erfolgt, weil man sich auf die Redlichkeit des Kollegen verlässt. Wer dies wie hier der Arbeitskollege des Beschwerdeführers aufgrund eines uneingeschränkten Vertrauens tut, wird arglistig getäuscht, wenn er unter Ausnützung dieses Vertrauensverhältnisses zur Erteilung einer Zweitunterschrift veranlasst wird.
c) Der Beschwerdeführer rief mit der arglistigen Täuschung bei seinem Bürokollegen auch einen Irrtum hervor. Denn wie die Vorinstanz verbindlich feststellt, ging dieser jeweils davon aus, es handle sich um einen normalen Geschäftsfall. Ein Irrtum setzt nicht voraus, dass sich der Getäuschte jeweils konkrete Vorstellungen über den ihm vorgelegten Vorgang macht. Es genügt, dass er im Sinne eines Mitbewusstseins von der Korrektheit des Vorganges ausgeht (vgl. MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD, Strafrecht, Bes. Teil I, 7. Aufl., Heidelberg 1988, S. 422).
d) Wie die Vorinstanz zutreffend annimmt, liegt in der Erteilung der Zweitunterschrift die für den Betrug charakteristische Vermögensverfügung, da damit das Vermögen der Arbeitgeberfirma belastet wurde. Die weiteren Betrugsvoraussetzungen sind unstrittig gegeben. Damit kann offenbleiben, ob die Vorinstanz eine ungetreue Geschäftsführung zu Recht mit der Begründung verneinte, der Beschwerdeführer sei als nur Kollektivunterschriftsberechtigter nicht Geschäftsführer.
BGE 118 IV 35 S. 39
3.
a) Die Vorinstanz verurteilte den Beschwerdeführer wegen Unterdrückung von Urkunden, weil er aus der Buchhaltung der Geschädigten von ihm erstellte fiktive Belastungsbelege entfernt und fortgeworfen habe. Auch die Unterdrückung falscher Urkunden sei strafbar, da auch der verfälschten Urkunde Beweiswert zukomme. Die Urkunden bzw. deren Beweiswert seien der Geschädigten zugestanden. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, eine inhaltlich völlig fiktive Urkunde könne nicht zu den strafrechtlich vor Unterdrückung geschützten Urkunden gehören; eine als falsch erkannte Urkunde habe keinerlei Beweiskraft mehr im Sinne von
Art. 110 StGB
und gehöre so schnell wie möglich aus dem Verkehr gezogen. Es handle sich hier um straflose Spurenbeseitigung. Zusätzlich macht er geltend, es handle sich dabei um eine straflose Nachtat, offenbar zur vorangegangenen, vorliegend nicht angefochtenen Urkundenfälschung. Die Vorinstanz hat demgegenüber echte Konkurrenz angenommen.
b) Nach
Art. 254 Abs. 1 StGB
macht sich wegen Unterdrückung von Urkunden strafbar, wer eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen darf, beschädigt, vernichtet, beiseite schafft oder entwendet in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an anderen Rechten zu schädigen oder sich oder einem anderen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen.
aa) In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer - dem die Abwicklung der Finanzgeschäfte der Geschädigten und die Vornahme der entsprechenden Abrechnungen oblag und der als Prokurist der Geschädigten die ihm zugewiesenen Geschäfte unabhängig von den anderen Prokuristen besorgte und damit auch für die Rechnungsstellung zuständig war - Urkundenfälschungen dadurch beging, dass er entweder fiktive Rechnungen der Geschädigten schrieb oder Original-Rechnungen der Geschädigten in zwei Rechnungen aufteilte.
Danach ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zur Vertuschung der von ihm getätigten illegalen Bezüge Urkundenfälschungen im Sinne von
Art. 251 StGB
begangen hat, wobei offenbleiben kann, ob in der Form des Erstellens unechter Urkunden, gegebenenfalls des Fälschens echter Urkunden oder in der Form des Erstellens zwar echter, aber inhaltlich unwahrer Urkunden (sog. Falschbeurkundung).
bb) Das Argument des Beschwerdeführers, sein Verhalten sei als straflose Spurenbeseitigung zu qualifizieren, deckt sich mit der in der deutschen Doktrin vertretenen Auffassung, wonach ein Falsifikat
BGE 118 IV 35 S. 40
vom Tatbestand der Urkundenunterdrückung nicht erfasst sei (SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER,
§ 274 N 4
, MAURACH/SCHROEDER/MAIWALD, Strafrecht, BT II, 7. Aufl., S. 157, DREHER/TRÖNDLE,
§ 274 N 4
). Danach ergibt sich dies zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, wohl aber aus der Tatsache, dass das Urkundenstrafrecht nur echten Urkunden Bestandesschutz gewähren könne. Eine Gegenmeinung befürwortet demgegenüber den Schutz auch unechter Urkunden durch den Tatbestand der Urkundenunterdrückung (ERNST-JOACHIM LAMPE, Juristische Rundschau, 1964, S. 14; WELZEL, Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 418; dagegen GEORG SCHILLING, Reform der Urkundenverbrechen, Frankfurt 1971, S. 23 ff.).
cc) Die Streitfrage braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, da die Urkundeneigenschaft der vom Beschwerdeführer unterdrückten Schriftstücke jedenfalls mit folgender Begründung zu bejahen ist. Sowohl unechte wie auch echte, aber inhaltlich unwahre Urkunden können Bestandteil einer anderen Urkunde sein. Sind sie - wie hier - als Beleg für die kaufmännische Buchhaltung bestimmt und damit Bestandteile derselben, dann sind sie Urkunden im Sinne von
Art. 110 Ziff. 5 StGB
(
BGE 115 IV 228
). Dies gilt auch für inhaltlich völlig fiktive Rechnungen; denn es ist nicht einzusehen, weshalb nur teilweise unwahre Rechnungen als Urkunden zu bezeichnen wären, völlig erfundene hingegen nicht.
Der Beschwerdeführer hat mit dem Entfernen der von ihm fiktiv erstellten Belastungsbelege einen Bestandteil der Buchhaltung beiseite geschafft; damit hat er eine Urkundenunterdrückung, wenn nicht sogar eine Verfälschung der Urkunde im Sinne von
Art. 251 StGB
begangen. Da er überdies über die Buchhaltung nicht allein verfügungsberechtigt war, hat er den Tatbestand der Urkundenunterdrückung erfüllt.
c) In der Urkundenunterdrückung liegt eine neue weitergehende Rechtsgutsverletzung, die mit der Bestrafung wegen Erstellung einer unwahren Urkunde nicht erfasst ist. Die Beeinträchtigung der Buchhaltung mit ihren Bestandteilen durch Beseitigung von Buchungsbelegen stellt eine Beeinträchtigung des an der Urkunde Berechtigten und damit ein neues Unrecht dar, das mit der Bestrafung wegen der Erstellung der Falsifikate nicht abgegolten ist. Von einer straflosen Nachtat kann daher nicht die Rede sein. | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf091dea-3be6-4094-8b4d-9a2289896c28 | Urteilskopf
93 IV 96
24. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Oktober 1967 i.S. Briner gegen Statthalteramt des Bezirkes Meilen. | Regeste
Art. 32 Abs. 1 SVG
,
Art. 4 Abs. 5 VRV
.
Der Führer, der innerorts über eine Strecke von 500 m mit einer Geschwindigkeit von 40 km/Std fährt, wobei sich eine Kolonne von mehreren Fahrzeugen hinter ihm bildet, behindert den gleichmässigen Verkehrsfluss nicht. | Sachverhalt
ab Seite 96
BGE 93 IV 96 S. 96
A.-
Jakob Briner fuhr am Samstag, den 11. Juni 1966, um 21.15 Uhr mit seinem Personenwagen auf der Seestrasse von Erlenbach durch Herrliberg gegen Meilen. Auf der 500 m langen Innerortsstrecke vom Strandcafé bis zum Hotel Raben in Herrliberg, wo die Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/Std begrenzt ist, bewegte er sich bei regem Gegenverkehr mit einer Geschwindigkeit von 30-40 km/Std. Hinter ihm bildete sich eine Kolonne von mehreren Fahrzeugen.
B.-
Gestützt auf eine Anzeige der Kantonspolizei fällte das Statthalteramt Meilen gegen Jakob Briner mit Strafverfügung
BGE 93 IV 96 S. 97
vom 12. Juli 1966 wegen Übertretung von
Art. 4 Abs. 5 VRV
eine Busse von Fr. 30.- aus. Briner verlangte gerichtliche Beurteilung, worauf der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Meilen die Busse am 6. Dezember 1966 bestätigte. Die dagegen erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 1. Juni 1967 abgewiesen.
C.-
Der Gebüsste führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Statthalteramt Meilen verzichtet auf Gegenbemerkungen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 32 Abs. 1 SVG
ist die Geschwindigkeit stets den Umständen, namentlich den Strassen und Verkehrsverhältnissen anzupassen. Das heisst, dass der Fahrzeugführer nicht zu schnell, aber auch, dass er ohne zwingende Gründe nicht so langsam fahren darf, dass sein Fahrzeug einen gleichmässigen Verkehrsfluss hindert (
Art. 4 Abs. 5 VRV
).
Nach der Feststellung des Einzelrichters in Strafsachen, die vom Obergericht als nicht willkürlich und nicht aktenwidrig bezeichnet wird, ist der Beschwerdeführer auf der fraglichen Innerortsstrecke in Herrliberg mit einer Geschwindigkeit von 30-40 km/Std gefahren. Gemäss seinen Ausführungen in der Beschwerde will er in Wirklichkeit eine Geschwindigkeit von 50 km/Std gehabt haben, gibt sich aber Rechenschaft, dass die Feststellung der kantonalen Behörden den Kassationshof gemäss
Art. 277bis Abs. 1 BStP
bindet. Eine genauere Bezifferung der Geschwindigkeit war offenbar nicht möglich. Bei der rechtlichen Beurteilung des Tatbestandes ist somit anzunehmen, der Beschwerdeführer sei mit einer Geschwindigkeit von 40 km/Std gefahren, da eine tiefere nicht nachgewiesen ist.
2.
...
3.
Zu entscheiden ist daher, ob der Beschwerdeführer mit der Geschwindigkeit von 40 km/Std so langsam gefahren ist, dass er dadurch den gleichmässigen Verkehrsfluss im Sinne von
Art. 4 Abs. 5 VRV
behinderte.
Der Beschwerdeführer erhebt den Einwand, auf der nur 500 m langen Strecke habe der Tatbestand von
Art. 4 Abs. 5 VRV
überhaupt nicht erfüllt werden können. Entgegen der Auffassung des Obergerichts ist dieser Standpunkt nicht schon
BGE 93 IV 96 S. 98
durch den Entscheid des Bundesgerichts vom 21. Februar 1964 (
BGE 90 IV 28
) widerlegt. Jenem Urteil lagen die besondern Verhältnisse bei einem mit Lichtsignalen versehenen Fussgängerstreifen zugrunde, wobei das Gericht feststellte, dass ein Fahrzeugführer bei grünem Licht nicht so langsam auf den Streifen zufahren darf, dass er sich nach dem Wechsel von Gelb auf Rot noch darauf befindet. Hier hingegen handelt es sich um eine offene Strecke, für die nicht die gleichen Regeln gelten. Nach der Erfahrung steht ausser Zweifel, dass der Verkehrsfluss auch auf einer nur 500 m langen Strecke durch einen "Schleicher" empfindlich gestört werden kann. Je nach den Umständen kann auch eine Geschwindigkeit von 40 km/Std diese Folge haben. Dies wird insbesondere der Fall sein auf stark befahrenen Ausserortsstrecken, auf denen wegen des regen Gegenverkehrs oder Unübersichtlichkeit der Strasse nicht überholt werden kann. Wer bei solchen Verhältnissen über Land "bummelt" und dadurch die nachfolgenden Fahrzeuge zu gleicher Langsamkeit zwingt, verletzt
Art. 4 Abs. 5 VRV
.
Anders verhält es sich jedoch innerorts, wo die Geschwindigkeit nach Art. 32 Abs. 2 SVG 60 km/Std ohnehin nicht übersteigen darf. Gewiss verstösst es gegen die gute Verkehrssitte und wird von den nachfolgenden Fahrzeugführern mit Recht als ärgerlich empfunden, wenn vor ihnen ein Fahrer auf freier Strecke von der zulässigen 60 km-Geschwindigkeit nur mit ca. 40 km Gebrauch macht. Indem der Beschwerdeführer unter den gegebenen Umständen nur mit 40 km/Std gefahren ist, hat er es daher an der dem Verkehr geschuldeten Rücksicht und Disziplin fehlen lassen. Allein nicht jede Disziplinwidrigkeit ist strafbar. Wenn nach
Art. 32 Abs. 2 SVG
in den Ortschaften keinesfalls mit mehr als 60 km/Std gefahren werden darf, so heisst das nicht, dass bei günstigen Verkehrsbedingungen mit dieser Geschwindigkeit gefahren werden müsse. Der Fahrer verfügt notwendigerweise über einen gewissen Spielraum. Der Unterschied zwischen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/Std und der Geschwindigkeit von 40 km/Std ist nicht so gross, dass letztere als strafwürdig erscheinen müsste, auf jeden Fall dann nicht, wenn sie auf eine Strecke von 500 m beschränkt bleibt. Zur Bildung langer Kolonnen führt sie auf diese Entfernung regelmässig nicht. Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer nach dem Polizeirapport eine Kolonne von "mehreren" Fahrzeugen
BGE 93 IV 96 S. 99
hinter sich. Leichtere Stauungen kommen aber im Innerortsverkehr aus den verschiedensten Gründen laufend vor und müssen, so unerwünscht sie sind, in Kauf genommen werden. Von einer Hinderung des gleichmässigen Verkehrsflusses im Sinne von
Art. 4 Abs. 5 VRV
kann deswegen noch nicht die Rede sein. In diesem Zusammenhang ist auch die Geschwindigkeit der nicht schienengebundenen öffentlichen Verkehrsmittel, der Auto-und Trolleybusse, von denen innerorts vielfach der Verkehrsfluss abhängt, zu berücksichtigen. Nach der Auskunft der Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich sind die Führer solcher Fahrzeuge aus technischen Gründen angewiesen, in Zürich innerorts auf ebener Strecke mit höchstens 50 km/Std, bei Gefälle mit höchstens 40 km/Std zu fahren. In Lausanne wird nach der eingeholten Auskunft der städtischen Verkehrsbetriebe im Zentrum selten mit mehr als 30 bis 35, höchstens mit 40 km/Std gefahren, ausserhalb des Zentrums bei sehr günstigen Verhältnissen höchstens mit 55 km/Std. Diese Zahlen bestätigen, dass Führer von privaten Fahrzeugen, die innerorts auf einige hundert Meter mit immerhin 40 km/Std rollen, sich dadurch nicht strafbar machen können. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 1. Juni 1967 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf0d5ccd-f4d7-4d7e-b159-5f3875e421f7 | Urteilskopf
107 IV 178
52. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. Dezember 1981 i.S. R. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 187 Abs. 2 StGB
.
Sofern die Frau bei klarem Bewusstsein am Widerstand gehindert wird, muss dem Täter auch während der Unzuchtshandlung die Herrschaft über sein Zwangsmittel verbleiben. Als solches kommt alles in Frage, was geeignet ist, beim Opfer den Zustand der Widerstandsunfähigkeit hervorzurufen. | Sachverhalt
ab Seite 178
BGE 107 IV 178 S. 178
A.-
R. lernte am Sonntagnachmittag des 20. April 1980 die 1962 geborene X. im Park des Landesmuseums in Zürich kennen. Zusammen mit seinem Kollegen lud er die junge Frau zu sich in die Wohnung ein, um gemeinsam das Nachtessen einzunehmen. Nach dem Essen verabschiedete sich der Kollege mit dem Versprechen, X. um ca. 23.00 Uhr mit dem PW abzuholen und nach Hause zu bringen.
R. begann die X. unzüchtig zu betasten und verlangte den Geschlechtsverkehr. X. wehrte sich und wollte die Wohnung verlassen; die Wohnungstür war jedoch abgeschlossen. R. drohte mit
BGE 107 IV 178 S. 179
einem zackigen Küchenmesser und hielt es ihr direkt an den Hals. Schreiend und in Todesängsten legte sich X. unter dem Druck der Drohung aufs Bett, um den Geschlechtsverkehr an sich vollziehen zu lassen. Weil es R. nur halbwegs gelang, sein Glied einzuführen, forderte er sie auf, das Glied in den Mund zu nehmen. Als sie sich diesem Ansinnen widersetzte, würgte sie R., bis sie praktisch keine Luft mehr bekam, stiess ihr dann das Glied in den Mund und zwang sie daran zu lutschen. Einige Zeit später holte R. eine Pistole und zielte auf die hinter einem Schrank Zuflucht suchende X. Er drohte zu schiessen, sollte sie nicht wieder ins Bett kommen. X. kam der Aufforderung nach und liess R. gewähren. Er führte das Glied in ihre Scheide, was ihm auch diesmal nicht richtig gelang. Wiederum zwang er die X., am Glied zu lutschen, wobei er stets seine entsicherte Pistole in der Hand behielt. Nachdem er einen Samenerguss gehabt hatte, durfte X. ins Badezimmer gehen. Sie wollte sich anziehen, was R. jedoch nicht zuliess. Mit entsicherter Pistole in der Hand verlangte er ein weiteres Mal dieselbe Handlung.
B.-
Das Bezirksgericht Zofingen befand mit Urteil vom 26. Januar 1981 R. neben anderen begangenen und mit Zuchthaus und Gefängnis bedrohten Delikten schuldig der fortgesetzten, qualifizierten Notzucht gemäss
Art. 187 Abs. 2 StGB
und der fortgesetzten Nötigung zu einer andern unzüchtigen Handlung gemäss
Art. 188 StGB
und verurteilte ihn zu einer Zuchthausstrafe von 5 Jahren. Dabei berücksichtigte es eine Vorstrafe von 26 Monaten Gefängnis vom 30. März 1978 wegen Notzuchtsversuches an seiner Schwester und eine durch psychiatrisches Gutachten festgestellte verminderte Zurechnungsfähigkeit leichten bis mittleren Grades.
Die von R. gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat die Strafabteilung des Obergerichtes des Kantons Aargau am 8. September 1981 abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, beide kantonalen Instanzen hätten zu Unrecht das zum Tatbestand des
Art. 187 Abs. 2 StGB
gehörende Merkmal der Widerstandsunfähigkeit angenommen, ungeachtet des von der Praxis für die Annahme dieses qualifizierten Notzuchtstatbestandes angelegten sehr strengen Massstabes. So fehle es im gegebenen Falle an einer
BGE 107 IV 178 S. 180
kontinuierlichen Gewaltanwendung, der sich das Opfer habe beugen müssen, und an einer direkten, unmittelbaren Einwirkung, die ein Sich-zur-Wehr-setzen des Opfers ausgeschlossen hätte.
a) Notzucht im Sinne von
Art. 187 Abs. 2 StGB
setzt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung voraus, dass der Täter, bevor er an der Frau den Beischlaf vollzieht, sie zu diesem Zwecke in einen Zustand der Bewusstlosigkeit oder der vollständigen Widerstandsunfähigkeit versetzt hat. Der Grund für das hohe Strafminimum von drei Jahren Zuchthaus, das
Art. 187 Abs. 2 StGB
vorsieht, liegt in der besonders verwerflichen Gesinnung des Täters, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass er sich vornimmt, zuerst eine Frau gegen ihren Willen wehrlos zu machen, um sie hernach ohne deren Widerstand missbrauchen zu können (
BGE 89 IV 90
). Während nach Abs. 1 des
Art. 187 StGB
der ausgeübte Zwang nur die Wirkung haben muss, dass die Frau auf den körperlichen Widerstand, dessen sie fähig wäre, ganz oder teilweise verzichtet, schaltet der Täter nach Abs. 2 ihre Widerstandsfähigkeit zum vorneherein völlig aus und verunmöglicht, dass sie einen Abwehrwillen hat oder ihn wirksam betätigen kann. In
BGE 98 IV 100
E. a wird sodann festgehalten, dass nicht nur jene Frau zum Widerstand unfähig im Sinne von
Art. 187 Abs. 2 StGB
ist, welche aus körperlichen oder seelischen Gründen überhaupt keinen Willen mehr hat oder ihn nicht äussern kann (z.B. Bewusstlosigkeit), sondern auch jene, deren physische Widerstandskräfte durch gewaltmässige Einwirkung lahmgelegt sind. Der Widerstandswille kann danach bei
Art. 187 Abs. 2 StGB
noch vorhanden sein, sofern die Frau bei klarem Bewusstsein (wie etwa durch Fesseln) am Widerstand gehindert wird. Damit diese Wirkung auch während der Unzuchtshandlung des Täters andauert, bedarf es aber offensichtlich der anhaltenden Gewaltanwendung (z.B. der fortgesetzten Fesselung), die allein bewirkt, dass die gegebenenfalls noch vorhandenen physischen Abwehrkräfte der Frau nicht aktiv werden (
BGE 98 IV 102
). Nicht anders kann es sich verhalten, wenn der Täter sein Opfer in einer Weise bedroht, dass es widerstandsunfähig ist. Auch hier muss dieser Zustand während der Unzuchtshandlung andauern; dem Täter muss die Herrschaft über sein Zwangsmittel verbleiben. Massgebend für die Anwendung von
Art. 187 Abs. 2 StGB
ist demzufolge der vom Täter bei seinem Opfer herbeigeführte Zustand der Wehrlosigkeit, wobei als Begehungsmittel alles in Frage kommt, was geeignet ist, beim Opfer den Zustand der Widerstandsunfähigkeit hervorzurufen (MESSMER,
BGE 107 IV 178 S. 181
Die Notzucht im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1950, S. 54/55). Bei wiederholten Unzuchtshandlungen kann zwischen den jeweiligen sexuellen Handlungen des Täters die Widerstandsunfähigkeit infolge der Gewaltanwendung oder anderer Begehungsmittel unterbrochen sein; der Täter muss aber, um auch für die nachfolgenden inkriminierten Handlungen den Tatbestand von
Art. 187 Abs. 2 StGB
zu erfüllen, die Widerstandsunfähigkeit erneut herbeiführen.
b) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wurde das mit Küchenmesser, Pistole und Würgen angegriffene und bedrohte Opfer derart eingeschüchtert, dass es sich von R. missbrauchen und zu den von ihm verlangten Perversitäten bestimmen liess. Dass es sich zwischen den einzelnen Notzuchtshandlungen in der abgeschlossenen Wohnung den Umständen entsprechend frei bewegen konnte, ändert an der Widerstandsunfähigkeit im Zeitpunkt der sexuellen Handlungen nichts; X. war R. jeweils vollständig ausgeliefert. Dieser bezweckte und erreichte mit der Verwendung der von ihm gewählten Zwangsmittel die widerstandslose Ausführung bzw. Duldung der von ihm begehrten und schliesslich vollzogenen Unzuchtshandlungen. Er hatte, wie der Tatablauf zeigt, während der Sexualakte stets die Herrschaft über die eingesetzten Mittel, deren Beschaffenheit beim Opfer die gewünschte Wirkung wie Todesangst und absolute Wehrlosigkeit zur Folge hatte. Das für die Annahme von
Art. 187 Abs. 2 StGB
entscheidende Tatbestandsmerkmal - der vom Täter geschaffene Zustand der Widerstandsunfähigkeit - ist demzufolge gegeben. Durch die Art der von R. verwendeten Zwangsmittel erscheint das in
Art. 187 Abs. 2 StGB
bestimmte Strafminimum von drei Jahren Zuchthaus im Vergleich zu jenem von fünf Jahren Zuchthaus beim qualifizierten Raub nach Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 (Bedrohung mit dem Tod) durchaus gerechtfertigt, besonders wenn man die zu schützenden Rechtsgüter in Betracht zieht.
Die Vorinstanz hat dadurch, dass sie auf den gegebenen Sachverhalt
Art. 187 Abs. 2 StGB
zur Anwendung brachte, kein Bundesrecht verletzt. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf0ff4e8-94aa-43c4-920e-0d73fedae598 | Urteilskopf
103 V 1
1. Auszug aus dem Urteil vom 1. März 1977 i.S. L. AG gegen Ausgleichskasse des Grosshandels und Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel | Regeste
Art. 5 AHVG
,
Art. 7 lit. c und h AHVV
. Beitragsrechtliche Qualifikation von sog. geldwerten Leistungen.
Art. 16 Abs. 3 AHVG
,
Art. 23 Abs. 4 AHVV
. Verhältnis der AHV-rechtlichen zur wehrsteuerrechtlichen Beurteilung. | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 103 V 1 S. 1
Aus dem Tatbestand:
A.-
Anlässlich einer Arbeitgeberkontrolle bei der L. AG stellte die Revisionsstelle fest, dass u.a. über die für die Jahre 1971-1974 an R. ausgerichteten "Tantiemen" (1971: Fr. 40'000.--, 1972: Fr. 50'000.--, 1973: Fr. 150'000.-- und 1974: Fr. 200'000.--) nicht abgerechnet worden war.
Gestützt auf den Revisionsbericht vom 8. Juli 1975 erhob die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 13. August 1975 von der L. AG eine Nachforderung paritätischer Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt Fr. 38'365.30 einschliesslich Verwaltungskostenbeitrag. Die Verfügung enthielt u.a. den Vermerk: "Wir sind bereit, auf diese Verfügung zurückzukommen, insofern Sie uns für geldwerte Leistungen die erforderlichen Bestätigungen der Kantonalen Wehrsteuerbehörde auf dem vorgeschriebenen Formular einreichen."
BGE 103 V 1 S. 2
B.-
Beschwerdeweise beantragte die L. AG, es seien die ihrem Aktionär und Arbeitnehmer R. ausgerichteten Entschädigungen von der Beitragspflicht auszunehmen. Es handle sich dabei mangels entsprechender Bestimmung in den Statuten nicht um Tantiemen, sondern - auf Grund eines Konsortialvertrages vom 30. Oktober 1967 - um Zusatzgratifikationen an mitarbeitende Aktionäre. Es sei nicht entscheidend, ob der im Geschäft tätige Mitarbeiter als Aktionär auch Verwaltungsrat der Firma sei. Für seine Tätigkeit stehe einem solchen Arbeitnehmer ausser dem Salär vertraglich die Zusatzgratifikation zu. Wenn das der Arbeitslast und der Verantwortung des R. entsprechende Salär (1974 Fr. 200'000.--) zusammen mit der Zusatzgratifikation (1974 ebenfalls Fr. 200'000.--) eine Höhe erreiche, deren Unkostencharakter von der kantonalen Wehrsteuerverwaltung nicht anerkannt werden könnte, erscheine es sinnlos, die Gesamtleistung der AHV-pflichtigen Gesellschaft vorerst der Verlust- und Gewinnrechnung zu belasten, um über das Rückerstattungsverfahren die AHV-Beiträge wieder gutgeschrieben zu erhalten. Der von der Gesellschaft beschrittene Weg, zum vorneherein einen vertretbaren Teil der Gesamtvergütung der Verlust- und Gewinnrechnung zu belasten und einen andern ebenso vertretbaren Teil der Gesamtvergütung dem Reingewinn direkt zu entnehmen, erscheine nicht nur ehrlicher, sondern auch den in Frage stehenden Bestimmungen der Wehrsteuer einerseits und der AHV anderseits angepasst.
Die kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen Basel-Stadt wies durch Entscheid vom 21. November 1975 die Beschwerde mit der Begründung ab, es sei AHV-rechtlich unerheblich, ob es sich bei den an R. ausbezahlten Beträgen um Tantiemen oder Zusatzgratifikationen handle, weil beide Leistungen Erwerbseinkommen im Sinne von
Art. 7 lit. c und h AHVV
darstellten; der Beweis dafür, dass die fraglichen Zahlungen schon durch die Wehrsteuer erfasst worden seien, habe nicht erbracht werden können.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt die L. AG den Antrag, der kantonale Entscheid sowie die angefochtene Kassenverfügung, soweit dadurch die an R. ausgerichteten Leistungen der Beitragspflicht unterstellt wurden, seien aufzuheben oder es sei die Rückerstattung dieser Beträge zu gewähren.
BGE 103 V 1 S. 3
Während die Ausgleichskasse auf eine Stellungnahme verzichtet, schliesst das Bundesamt für Sozialversicherung auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Zusatzgratifikationen, welche die L. AG in den Jahren 1971-1974 ihrem mitarbeitenden Aktionär R. ausgerichtet habe, gehörten zum massgebenden Lohn, solange die kantonale Wehrsteuerverwaltung nicht auf vorgeschriebenem Formular bescheinige, dass die Leistungen zum Reinertrag der juristischen Person gerechnet und als solche der Wehrsteuer unterworfen worden seien; "eine allfällige Rückforderung bezahlter Lohnbeiträge im Umfang, der durch die Bescheinigung der Wehrsteuerbehörde gegeben wird", bleibe vorbehalten.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
...
2.
a) Gemäss
Art. 5 Abs. 2 AHVG
umfasst der für die Beitragspflicht aus unselbständiger Erwerbstätigkeit massgebende Lohn jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche Bezüge des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder gelöst worden ist und ob Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen (
BGE 101 V 3
).
b) Bei Leistungen, Welche eine juristische Person an ihre Arbeitnehmer erbringt, die gleichzeitig Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte sind oder die Inhabern solcher Rechte nahestehen, kann sich bei der Festsetzung sowohl der Wehrsteuer als auch der Sozialversicherungsbeiträge die Frage stellen, ob und inwieweit es sich um Arbeitsentgelt bzw. massgebenden Lohn oder aber um verdeckte Gewinnausschüttung bzw. Kapitalertrag handelt. Bei der Wehrsteuer geht das wesentliche Interesse dahin, zu verhindern, dass Gewinne der Gesellschaft dadurch der Besteuerung entzogen werden, dass sie unter dem Titel Arbeitsentgelt ausgerichtet werden. Die Sozialversicherung dagegen ist daran interessiert, zu verhindern, dass massgebender Lohn fälschlicherweise als Kapitalertrag deklariert wird und dadurch der Beitragserhebung entgeht.
BGE 103 V 1 S. 4
Nach der Rechtsprechung gehören nicht zum massgebenden Lohn Vergütungen, die als reiner Kapitalertrag zu bewerten sind (EVGE 1966 S. 205, 1969 S. 144). Ob dies zutrifft, ist nach Wesen und Funktion einer Zuwendung zu beurteilen. Deren rechtliche oder wirtschaftliche Bezeichnung ist nicht entscheidend und höchstens als Indiz zu werten. Zuwendungen aus dem Reingewinn einer juristischen Person können unter Umständen massgebender Lohn sein; dies gilt laut
Art. 7 lit. h AHVV
namentlich für Tantiemen. Es handelt sich dabei um Vergütungen, die im Arbeitsverhältnis ihren hinreichenden Grund haben. Zuwendungen aus dem Gewinn aber, die nicht durch das Arbeitsverhältnis gerechtfertigt werden, sind nicht massgebender Lohn. Solche Gewinnausschüttungen sind sog. geldwerte Leistungen, d.h. Leistungen, die eine Gesellschaft ihren Gesellschaftern oder ihr oder ihren Gesellschaftern nahestehenden Personen ohne entsprechende Gegenleistung zuwendet, aber unbeteiligten Dritten unter den gleichen Umständen nicht erbringen würde (EVGE 1969 S. 145 mit Hinweisen auf Literatur und Rechtsprechung).
c) Gemäss Rz. 11 der ab 1. Januar 1974 gültigen Wegleitung über den massgebenden Lohn gehören Leistungen einer juristischen Person an ihre Arbeitnehmer, die gleichzeitig Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte sind oder Inhabern solcher Rechte nahestehen, soweit sie als geldwerte Leistungen der Wehrsteuer vom Reinertrag unterworfen sind, nicht zum massgebenden Lohn. Es handelt sich dabei laut der erwähnten Rz. "um Leistungen, die von Aktiengesellschaften, Kommanditaktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften unter der Bezeichnung von Salären, Verwaltungshonoraren, Gratifikationen, Umsatzprovision, Lizenzgebühren usw. ausgerichtet und als Aufwand verbucht, jedoch von der Steuerbehörde nicht oder nur zum Teil als Löhne oder als andere geschäftsmässig begründete Unkosten (Art. 49 Abs. 1 WStB) anerkannt und daher dem Reinertrag zugerechnet werden".
Nach dieser Weisung, welche sich laut dortigem Verweis auf EVGE 1969 S. 145 (ZAK 1970 S. 68) stützt, wäre anscheinend einzig auf die wehrsteuerrechtliche Beurteilung abzustellen. Im erwähnten Urteil wurde zwar unter Hinweis auf die sich aus
Art. 23 AHVV
ergebende Ordnung erklärt, dass sich die Ausgleichskassen, soweit es vertretbar sei, "um der Einfachheit
BGE 103 V 1 S. 5
und der Widerspruchlosigkeit der gesamten Rechtsordnung willen", in der Regel an die wehrsteuerrechtliche Beurteilung halten sollen. Die absolute Verbindlichkeit der Angaben der Steuerbehörden für die Ausgleichskassen und die daraus abgeleitete relative Bindung des Sozialversicherungsrichters an die rechtskräftigen Steuertaxationen sind indessen auf die Bemessung des massgebenden Einkommens und des betrieblichen Eigenkapitals beschränkt (
Art. 23 Abs. 4 AHVV
;
BGE 102 V 30
Erw. 3b,
BGE 98 V 21
und 188). Das Eidg. Versicherungsgericht hat dagegen in dem in
BGE 102 V 27
publizierten Urteil S. vom 6. Februar 1976 erklärt, dass die Ausgleichskassen selbständig zu beurteilen haben, ob ein Einkommensbestandteil als massgebender Lohn oder als Kapitalertrag zu qualifizieren ist; es sei selbstverständlich, dass diese Beurteilungskompetenz der Ausgleichskassen in gleichem Umfange auch dem Sozialversicherungsrichter zustehe. Es ist daher - unter Vorbehalt des nachstehend unter Erwägung 2e Gesagten - an dem in EVGE 1969 S. 145 aufgestellten Grundsatz festzuhalten, dass Zuwendungen aus dem Reingewinn einer juristischen Person dann zum Lohn im Sinne von
Art. 5 AHVG
gehören, wenn das Arbeitsverhältnis den ausschlaggebenden Grund der Vergütung bildet, und dass andernfalls in der Regel der Charakter des Kapitalertrages überwiegt, wobei aber, soweit vertretbar, von der wehrsteuerrechtlichen Beurteilung des Falles nicht abgewichen werden soll.
d) Hinsichtlich der "Rückerstattung der Lohnbeiträge von Leistungen, die der Wehrsteuer vom Reinertrag der juristischen Personen unterliegen" (Wegleitung über den Bezug der Beiträge, Rz. 230a in Verbindung mit Rz. 220), ist daher zu beachten, dass die Qualifikation eines Einkommensbestandteils durch die Wehrsteuerbehörde als Kapitalertrag nicht zur Folge hat, dass die Ausgleichskasse die auf dem betreffenden Einkommen erhobenen Beiträge automatisch zurückzuerstatten hat. Vielmehr ist die Rückerstattung nur zu gewähren, falls die Wehrsteuerveranlagung der Ausgleichskasse - auf Grund ihrer selbständigen Beurteilungskompetenz - dazu Anlass gibt.
e) Laut Rz. 11a der Wegleitung über den massgebenden Lohn sind Entgelte, die an Mitglieder der Verwaltung einer Aktiengesellschaft aus dem Reingewinn ausgerichtet werden (Gewinnanteile, Tantiemen) - unbekümmert um die gewählte
BGE 103 V 1 S. 6
Bezeichnung - der Beitragserhebung unterworfen, obwohl sie als Bestandteil des Reinertrages der Wehrsteuer unterliegen.
Diese Rz. basiert (gemäss Vermerk) auf ZAK 1973 S. 570 (vgl. auch ZAK 1973 S. 571). Die genannten Präjudizien gehen davon aus, dass die Regelung von
Art. 7 lit. h AHVV
gesetzmässig ist, laut welcher Tantiemen an Mitglieder der Verwaltung zum massgebenden Lohn gehören, und zwar unabhängig davon, ob sie bezwecken, die von einem Verwaltungsratsmitglied geleistete Arbeit und getragene Verantwortung in Form eines Entgeltes zu entschädigen, oder ob sie eher als eine besondere Art von Gewinnausschüttung gedacht sind. Die Bestimmung will verhindern, dass sich die Verwaltungsorgane der AHV und der Sozialversicherungsrichter mit wirtschaftlichen Zusammenhängen befassen müssen, deren Wertung je nach dem zu beurteilenden Sachverhalt wohl kaum zuverlässig vorgenommen werden könnte. Diese beitragsrechtliche Behandlung der Tantiemen entspricht insofern der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, als sie ihrem Wesen nach regelmässig als Entgelt für geleistete Dienste und übernommene Verantwortung gelten. An dieser Rechtsprechung hat das Eidg. Versicherungsgericht auch in jüngster Zeit in den nicht veröffentlichten Urteilen Heizungsbau AG vom 6. Januar 1976 und Omnipack AG vom 19. März 1976 festgehalten.
f) Zu prüfen ist schliesslich die Bedeutung des im Zuge der 8. AHV-Revision neu eingeführten zweiten Satzes von
Art. 16 Abs. 3 AHVG
im Verhältnis zu der in Erw. 2c-e dargestellten Praxis.
In der bis 31. Dezember 1972 gültigen Fassung lautete die Verjährungsbestimmung des
Art. 16 Abs. 3 AHVG
wie folgt:
"Der Anspruch auf Rückerstattung zuviel bezahlter Beiträge erlischt mit Ablauf eines Jahres, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen Leistungen Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit Ablauf von 5 Jahren seit der Zahlung." Die im Rahmen der 8. AHV-Revision beschlossene Gesetzesnovelle vom 30. Juni 1972 liess die bisherige Fassung des Art. 16 Abs. 3 im wesentlichen bestehen, wobei allerdings die absolute Verjährungsfrist jetzt 5 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres eintritt, in dem die Beitragszahlung erfolgte. Sie fügte aber jener Fassung folgenden neuen, auf den 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Rechtssatz hinzu (AS 1972 II 2485):
BGE 103 V 1 S. 7
"Sind Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge von Leistungen bezahlt worden, die der Wehrsteuer vom Reinertrag juristischer Personen unterliegen, so erlischt der Anspruch auf Rückerstattung mit Ablauf eines Jahres, nachdem die Steuerveranlagung rechtskräftig wurde."
Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung könnte angenommen werden, es hänge - im Gegensatz zur dargestellten Rechtsprechung - einzig von der wehrsteuerrechtlichen Beurteilung ab, ob die auf den fraglichen Leistungen bezahlten Beiträge zurückerstattet werden können oder nicht.
In der Botschaft vom 11. Oktober 1971 wird der neue Rechtssatz im Rahmen des allgemeinen Kommentars unter dem Titel "weitere Revisionspunkte" als eine der Änderungen "von untergeordneter Bedeutung" erwähnt (BBl 1971 II 1100). In den Erläuterungen zu
Art. 16 Abs. 3 AHVG
wird erklärt, die Bestimmung sei im Hinblick auf das Wehrsteuerveranlagungsverfahren ergänzt worden, damit nicht eine Verjährung der Rückerstattungsforderung eintrete, wenn die Wehrsteuerveranlagung erst nach Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist für die Rückforderung von Beiträgen vorgenommen werde. Zwar wird zudem gesagt: "Entrichten juristische Personen Lohnbeiträge von Leistungen, die nachträglich der Wehrsteuer vom Reinertrag juristischer Personen unterworfen werden, so sind diese Beiträge nicht geschuldet" (BBl 1971 II 1122). Damit ist aber offensichtlich nicht gemeint, dass im Widerspruch zur Rechtsprechung die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung solcher Leistungen von derjenigen der Steuerbehörden abhänge. Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass beabsichtigt wurde, auf dem indirekten Wege über eine Verjährungsbestimmung und ohne nähere Begründung eine der bisherigen Gerichtspraxis widersprechende, sowohl das materielle Recht (Qualifikation von Einkommen) als auch das Verfahren (Kompetenzabgrenzung zwischen AHV- und Wehrsteuerorganen) betreffende Bestimmung einzuführen. Vielmehr geht es beim neuen Rechtssatz um eine reine Verjährungs- bzw. Verwirkungsbestimmung (Urteil Gasser vom 30. November 1976 mit Hinweisen (
BGE 102 V 206
), die gegebenenfalls anwendbar ist, falls die Ausgleichskasse auf Grund einer nachträglichen Wehrsteuertaxation im Wiedererwägungsverfahren auf eine frühere Beitragsverfügung zurückkommt oder falls sie anlässlich einer Arbeitgeberkontrolle unter Berücksichtigung der Wehrsteuertaxation
BGE 103 V 1 S. 8
feststellt, dass vom Arbeitgeber (ohne vorgängige Kassenverfügung) zu hohe paritätische Beiträge bezahlt worden sind.
3.
Im vorliegenden Fall gehen Verwaltung und Vorinstanz von der Voraussetzung aus, dass es sich um die Rückerstattung von sogenannten geldwerten Leistungen im Sinne von Rz. 230a-k der Wegleitung über den Bezug der Beiträge handle. Dies trifft indessen nicht zu. Denn die Beschwerdeführerin hat bisher keine Beiträge bezahlt, die nachträglich laut Rz. 11 der Wegleitung über den massgebenden Lohn zurückgefordert werden könnten. Sie wehrt sich vielmehr dagegen, dass gewisse ihrem Arbeitnehmer und Aktionär R. ausgerichtete und als Zusatzgratifikationen verbuchte Leistungen nachträglich der Beitragspflicht unterstellt werden. Es handelt sich somit um den normalen Fall einer auf Grund einer Arbeitgeberkontrolle erlassenen Nachzahlungsverfügung, bei der es darum geht, gewisse im Grenzbereich zwischen Erwerbs- und Kapitaleinkommen liegende Einkünfte unter weitgehender Koordination mit der wehrsteuerrechtlichen Beurteilung sozialversicherungsrechtlich richtig zu qualifizieren. Dieser nach Massgabe der Untersuchungsmaxime von Amtes wegen zu erfüllenden Aufgabe ist die Ausgleichskasse insofern nicht nachgekommen, als sie die Nachzahlung unter Ausklammerung des Problems der sogenannten geldwerten Leistungen verfügt und die Beschwerdeführerin auf den Weg der Rückerstattung verwiesen hat.
Die Vorinstanz bejahte die Beitragspflicht mit der Begründung, es sei AHV-rechtlich gleichgültig, ob es sich bei den an R. ausgerichteten Entgelten um Tantiemen oder Zusatzgratifikationen handle, weil ohnehin massgebender Lohn gemäss
Art. 7 lit. c oder h AHVV
vorliege und weil der Beweis, dass diese Leistungen schon durch die Wehrsteuer erfasst worden seien, nicht erbracht Worden sei. Damit setzt der kantonale Richter stillschweigend voraus, dass jene Entgelte einzig im Sinne von lit. c oder h des
Art. 7 AHVV
qualifiziert werden könnten. Die Möglichkeit, dass es sich um eine verdeckte Gewinnausschüttung bzw. um Kapitalertrag handeln könnte, lässt er insoweit ausser Betracht, als er sich mit der Behauptung begnügt, der Beweis für die Nichterfassung durch die Wehrsteuer sei nicht erbracht. In dieser Hinsicht geht die Vorinstanz also - wie auch Ausgleichskasse und Bundesamt
BGE 103 V 1 S. 9
für Sozialversicherung - von der unzutreffenden Rechtsauffassung aus, dass die Wehrsteuerveranlagung auch für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung bindend sei.
4.
Auf Grund der Akten lässt sich im Sinne des in Erwägung 2 Gesagten nicht beurteilen, ob die fraglichen Zusatzgratifikationen als massgebender Lohn oder als Kapitalertrag zu qualifizieren sind. Insoweit ist der Sachverhalt offensichtlich unvollständig festgestellt (
Art. 105 Abs. 2 OG
).
a) Die Beschwerdeführerin bestreitet das Vorliegen von Tantiemen im Sinne von
Art. 7 lit. h AHVV
mit der Begründung, mangels entsprechender Statutenbestimmung wäre die Ausrichtung solcher Leistungen an die Verwaltung gar nicht möglich gewesen; selbst wenn dies der Fall sein könnte, hätten Tantiemen nicht allein an R., der nicht einziger Verwaltungsrat der Gesellschaft sei, bezahlt werden dürfen; es habe sich um vertragliche Zusatzgratifikationen an in der Firma tätige Aktionäre laut Ziff. 5 des Konsortialvertrages vom 30. Oktober 1967 gehandelt. Diese Behauptung ist der Form nach zutreffend; ob indessen die Ausrichtung von Tantiemen dadurch ausgeschlossen ist, kann offen bleiben, wie sich aus dem Folgenden ergibt.
Es muss nämlich auf Grund der tatbeständlichen Einzelheiten im konkreten Fall und in Anwendung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise beurteilt werden, ob eine Zusatzgratifikation an in der Aktiengesellschaft mitarbeitende Aktionäre zu dem für die Berechnung der Beiträge massgebenden Lohn im Sinne von
Art. 7 lit. h AHVV
gehört oder aber nicht beitragspflichtigen Kapitalertrag darstellt. Befinden sich z.B. die Aktien in der Hand einer kleinen Zahl von Aktionären, die zudem vollzählig dem Verwaltungsrat angehören und in der Gesellschaft mitarbeiten, so haben solche Leistungen wirtschaftlich gesehen die gleiche Bedeutung wie eigentliche Tantiemen im Sinne von
Art. 7 lit. h AHVV
und sind damit unabhängig von der wehrsteuerrechtlichen Qualifikation beitragspflichtig. R. ist laut den Angaben der Beschwerdeführerin Verwaltungsratsmitglied, und zwar laut Regionenbuch 1972 und 1973 mit Einzelunterschrift, während M. L. Verwaltungsratspräsident war. Im Regionenbuch 1974 und 1975 ist er als Verwaltungsratspräsident aufgeführt neben S. L. Es fragt sich somit, ob er die Zusatzgratifikationen in der Eigenschaft als
BGE 103 V 1 S. 10
Verwaltungsratsmitglied oder tatsächlich nur als mitarbeitender Aktionär erhielt. Sollte die - noch zu überprüfende - Behauptung der Beschwerdeführerin zutreffen, das jeweilige andere, in der Gesellschaft nicht mitarbeitende Mitglied des Verwaltungsrates habe keine solchen Leistungen erhalten, so muss deren Tantiemencharakter verneint werden. Andernfalls sind sie - ungeachtet der Benennung - als Tantiemen zu qualifizieren und als beitragspflichtig zu erklären (ZAK 1973 S. 570; bereits zitierte Urteile Heizungsbau AG und Omnipack AG).
b) Sollte sich nach durchgeführter Abklärung ergeben, dass die Qualifikation der fraglichen Leistungen als Tantiemen ausscheidet, so ist - ebenfalls nach der wirtschaftlichen Betrachtungsweise - zu prüfen, ob es sich um beitragspflichtige Gratifikationen im Sinne von
Art. 7 lit. c AHVV
oder um beitragsfreien Kapitalertrag handelt. Auch in dieser Hinsicht bedarf es näherer Abklärungen, namentlich über die innere Struktur der beschwerdeführenden AG bzw. über die Stellung der einzelnen Aktionäre (und besonders des R.) im Verhältnis zur Gesellschaft und zu den übrigen Aktionären. Die Anzahl der Aktionäre, die Verteilung der Aktien, die Frage, welche Aktionäre in welchem Umfang und in Welcher Form mitarbeiten, könnten wesentliche Indizien liefern. Sollte sich beispielsweise ergeben, dass nicht alle Aktionäre Mitarbeiter sind und dass die Zusatzgratifikationen nur den mitarbeitenden Aktionären nach Massgabe ihrer Mitarbeit in unterschiedlicher Höhe ausgerichtet werden, so wiese dies eher auf massgebenden Lohn hin, wogegen eine Abstufung nach der Höhe des Aktienbesitzes bedeuten könnte, dass die mitarbeitenden Aktionäre als privilegierte Gewinnbezüger behandelt worden wären.
Zudem muss im Sinne des in Erwägung 2c Gesagten die wehrsteuerrechtliche Beurteilung berücksichtigt werden. Nachdem für die ersten Jahre bereits rechtskräftige Wehrsteuerveranlagungen vorliegen, ist von Amtes wegen abzuklären, in welcher Weise die fraglichen Zusatzgratifikationen steuerrechtlich qualifiziert wurden und ob - gesamthaft betrachtet - Anlass besteht, von jener Beurteilung ganz oder teilweise abzuweichen. Es geht nicht an, diese Abklärungspflicht der Beschwerdeführerin aufzuerlegen unter Berufung auf die nur im Rückerstattungsverfahren anwendbare Rz. 230b
BGE 103 V 1 S. 11
Abs. 2 der Wegleitung über den Bezug der Beiträge, wonach eine Bescheinigung der kantonalen Wehrsteuerbehörde auf vorgeschriebenem Formular verlangt wird ...
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid der kantonalen Rekurskommission für die Ausgleichskassen Basel-Stadt vom 21. November 1975 sowie die angefochtene Kassenverfügung vom 13. August 1975 aufgehoben Werden. Die Sache wird an die Ausgleichskasse des Grosshandels zurückgewiesen, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen neu verfüge. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
bf19bc38-9c4c-4c98-8451-340af3e0c0cb | Urteilskopf
126 III 485
84. Estratto della sentenza 15 agosto 2000 della II Corte civile nella causa A. contro B. (ricorso di diritto pubblico) | Regeste
Art. 86 OG
und
Art. 273 ff. SchKG
; Rechtsmittel gegen die Verpflichtung des Arrestgläubigers zur Sicherheitsleistung.
Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 1).
Kantonales Recht, das betreffend Sicherheitsleistung des Arrestgläubigers ein vom Einspracheverfahren gesondertes und damit gleichlaufendes Rechtsmittelverfahren vorsieht, ist bundesrechtswidrig (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 486
BGE 126 III 485 S. 486
A. ha chiesto e ottenuto dal Pretore del distretto di Lugano il sequestro nei confronti di B. di un immobile intestato alla C. S.A. Parimenti alla concessione del sequestro, è stata ordinata la prestazione di una garanzia in applicazione dell'
art. 273 LEF
.
Con appello 30 agosto 1999 A. ha postulato la revoca dell'ordine di garanzia pronunciato con il sequestro e in via subordinata la riduzione a un importo liberamente lasciato all'apprezzamento della Camera delle esecuzioni e fallimenti del Tribunale d'appello del Cantone Ticino. Contro la decisione di sequestro il debitore, dal canto suo, ha formulato il 10 settembre 1999 opposizione, chiedendo altresì un aumento della garanzia. Il Pretore ha sospeso la procedura di opposizione in attesa della decisione sull'appello. Il 29 maggio 2000 la Camera delle esecuzioni e fallimenti del Tribunale d'appello ha respinto il gravame e ha confermato l'ordine di prestazione della garanzia.
Il 27 giugno 2000 A. è insorta con un ricorso di diritto pubblico avverso la decisione cantonale, chiedendo al Tribunale federale di annullarla. All'accoglimento del ricorso si è opposta con risposta 14 luglio 2000 B.
Il Tribunale federale ha dichiarato il ricorso inammissibile.
Erwägungen
Dai considerandi:
1.
Il Tribunale federale esamina d'ufficio e con piena cognizione i rimedi di diritto che gli vengono sottoposti (
DTF 126 I 81
consid. 1 e rinvii):
a) Giusta l'
art. 86 cpv. 1 OG
un ricorso di diritto pubblico è unicamente ammissibile contro decisioni cantonali di ultima istanza. La giurisprudenza interpreta in modo estensivo la nozione di rimedio
BGE 126 III 485 S. 487
cantonale, includendovi non solo i rimedi di diritto ordinari e straordinari, ma genericamente tutti quelli che permettono al ricorrente la rimozione del pregiudizio giuridico allegato e l'obbligo dell'autorità adita a statuire (
DTF 120 Ia 61
consid. 1a con rinvii).
b) La sentenza impugnata rileva che il rimedio dell'appello è ammesso contro le decisioni con cui il Pretore rifiuta totalmente o parzialmente una domanda di sequestro o che impone la prestazione di una garanzia ex
art. 273 cpv. 1 LEF
. Tuttavia, poiché solo il sequestrante può appellarsi contro il decreto di sequestro, al fine di rispettare i principi della sicurezza del diritto e della parità delle armi, l'appello del creditore dev'essere dichiarato irricevibile qualora il debitore (o terzi) abbiano inoltrato opposizione giusta l'
art. 278 LEF
contro il decreto di sequestro. Infatti, il sequestrante può e deve far valere i suoi motivi in tale procedura. Sempre secondo i giudici cantonali, la fattispecie in esame è particolare, poiché il debitore ha chiesto e ottenuto dal Pretore la sospensione della decisione su opposizione relativa alla fissazione della garanzia. Non vi sono quindi ostacoli ad una decisione sull'appello, che verte unicamente sul decreto di sequestro in base ai soli documenti prodotti dal creditore. Tale decisione non vincola il giudice dell'opposizione, che deve pronunciare la propria decisione considerando pure documenti (del debitore) di cui non dispongono i giudici di appello.
c) In concreto ne segue che la decisione impugnata non può essere considerata di ultima istanza cantonale. Infatti, il qui ricorrente creditore può far valere le sue richieste concernenti l'ammontare della garanzia innanzi al Pretore, che è stato adito con un'opposizione dal debitore. Il Pretore è obbligato a statuire pure sulle domande del creditore (cfr. consid. 2a/aa). Contro il giudizio su opposizione del Pretore è poi ammissibile, entro dieci giorni, un ricorso all'autorità giudiziaria superiore (
art. 278 cpv. 3 LEF
). Non è pertanto possibile ritenere che il ricorrente abbia esaurito il corso delle istanze cantonali.
2.
Nonostante l'inammissibilità del rimedio in esame è nell'interesse pubblico rilevare, nella forma di un obiter dictum, quanto segue:
a) D'ufficio, il giudice può obbligare il creditore a prestare garanzia (
art. 273 cpv. 1 LEF
) nel decreto di sequestro stesso (
art. 274 cpv. 2 n. 5 LEF
). Contro il decreto che pronuncia il sequestro, la LEF nella versione modificata nel 1994 ed entrata in vigore il 1o gennaio 1997 ha istituito una procedura di opposizione (
art. 278 LEF
). L'opposizione è interposta presso il giudice del sequestro, il quale
BGE 126 III 485 S. 488
deve dare la possibilità agli interessati di esprimersi. Con l'opposizione, la procedura di concessione del sequestro continua il suo corso e non passa in giudicato.
aa) Giusta l'
art. 278 cpv. 1 LEF
la legittimazione a interporre opposizione va riconosciuta a tutti coloro che sono toccati nei loro diritti dal sequestro. Nel caso in cui il sequestro è rifiutato, il creditore richiedente non può di conseguenza fare opposizione, già perché la legge chiaramente prevede questa facoltà solo in caso di pronuncia del sequestro. Inoltre, in caso di rigetto della domanda, i Cantoni possono prevedere un rimedio di diritto e non vi è quindi la necessità di istituirne uno anche a livello federale (Messaggio concernente la revisione della legge federale sulla esecuzione e sul fallimento dell'otto maggio 1991, n. 208.7, FF 1991 III 1 pag. 123). Il Messaggio che accompagnava il progetto di legge, contrariamente all'opinione di GASSER (Das Abwehrdispositiv der Arrestbetroffenen nach revidiertem SchKG, in: ZBJV 133/1994 pag. 605), non estende invece la competenza dei Cantoni a disciplinare anche la procedura di ricorso in tema di garanzia contenuta nell'ordine di sequestro. Se il debitore o altro interessato ai sensi dell'
art. 278 cpv. 1 LEF
interpone opposizione, nell'ambito della successiva procedura, le parti possono esprimersi e formulare domande su tutti i punti dell'ordine di sequestro, e quindi anche sulla garanzia, possono avvalersi di fatti nuovi e possono formulare domande di giudizio (
art. 278 cpv. 2 e 3 LEF
): con riferimento alla garanzia, il debitore può chiedere un aumento e il creditore una diminuzione fino al suo annullamento (cfr. Messaggio citato, pag. 124; REEB, Les mesures provisoires dans la procédure de poursuite, in: RDS 116/1997 II pag. 475, STOFFEL, Commento basilese, n. 29 all'
art. 273 LEF
, GASSER, op. cit., pag. 611). La procedura di opposizione, ivi compresa l'impugnativa all'autorità giudiziaria superiore, è prevista e prescritta dal diritto federale e i Cantoni non possono disciplinarla in diverso modo, derogando al diritto federale.
In un caso come quello in esame non esisteva nessuna ragione per impugnare il dispositivo del decreto di sequestro relativo alla cauzione in modo autonomo e avulso dalla pendente procedura di opposizione: il diritto federale stabilisce che la garanzia può essere rivista in quest' ambito e il diritto cantonale non può - se non in maniera contraria al diritto federale - prevedere un diverso modo di procedere. Con la procedura di opposizione, il decreto di sequestro - e quindi anche la garanzia in esso prevista - restano pendenti davanti al giudice del sequestro e devono essere discussi e
BGE 126 III 485 S. 489
decisi in quell'ambito. Un ricorso immediato contro il decreto di sequestro che istituisce una garanzia determinerebbe una procedura parallela a quella di opposizione, che non appare giustificata da nessuna pertinente ragione e creerebbe anzi due distinte procedure giudiziarie sullo stesso tema. Né può essere motivato il rimedio cantonale avulso dalla procedura di opposizione - come sembra fare la decisione impugnata - dal fatto che le parti abbiano chiesto e ottenuto una sospensione della decisione sulla garanzia: la procedura di opposizione è chiaramente stabilita dalla legge e le parti non possono derogarvi con accordi o soluzioni ad essa contrari.
bb) In esito a quanto precede si deve quindi concludere che il diritto cantonale non può consentire - senza violare il diritto federale - a chi è toccato dalla prestazione di una garanzia di procedere autonomamente e senza attendere la conclusione della procedura di opposizione con rimedi di diritto da essa avulsi. Fintanto che la procedura di sequestro è pendente davanti al primo giudice, il ricorso all'autorità giudiziaria superiore è prematuro; esso può essere esperito solo contro la decisione sull'opposizione (
art. 278 cpv. 3 LEF
).
b) Si può ancora rilevare che la questione di sapere se il creditore può interporre opposizione, in assenza di quella del debitore, per contestare la sua condanna alla prestazione della garanzia è controversa nella dottrina (a favore, REEB, loc. cit.; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, n. 10 all'
art. 278 LEF
; contra: GASSER, op. cit., pag. 605; M. CRIBLET, La problématique des sûretés et de la responsabilité de l'état, in: Le séquestre selon la nouvelle LP, pag. 83; STOFFEL, Commento basilese, n. 29 all'
art. 273 LEF
, dove però alla nota che segue sembra manifestare diversa opinione in caso di successiva modifica della cauzione); pure controverso è il tema a sapere se, una volta cresciuto in giudicato il sequestro, un'eventuale nuova decisione in punto alle garanzie debba di nuovo essere contestata mediante la via dell'opposizione oppure direttamente mediante un rimedio di diritto cantonale. Tale questione può rimanere aperta. | null | nan | it | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
bf1ce4e6-7a43-41dd-b44d-cb94b5b9e563 | Urteilskopf
103 Ib 65
13. Auszug aus dem Urteil vom 6. Mai 1977 i.S. X. gegen Schweiz. Eidgenossenschaft | Regeste
Verantwortlichkeitsgesetz, Haftung des Bundes für Schaden.
1. Verwirkung des Anspruchs des Geschädigten, Voraussetzungen.
Art. 10 Abs. 2 und
Art. 20 VG
,
Art. 119 Abs. 3 OG
. Der Geschädigte kann sich unmittelbar, ohne zuvor um die Stellungnahme der Verwaltung ersucht zu haben, an das Bundesgericht wenden. In diesem Fall muss er die Klage innert der ein- oder zehnjährigen Frist einreichen (Erw. 2).
2. Die
Art. 3 ff. VG
sind auch in Fällen anwendbar, wo der Kläger selber Beamter ist oder war und geltend macht, er habe infolge widerrechtlicher Behandlung durch andere Beamte einen Schaden erlitten. Begriff der Widerrechtlichkeit. Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhangs (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 66
BGE 103 Ib 65 S. 66
X., ehemaliger Bundesbeamter, ist wegen Invalidität vorzeitig pensioniert worden. Er erhebt Verantwortlichkeitsklage gegen die Eidgenossenschaft mit der Begründung, seine Gesundheit sei durch widerrechtliches Verhalten der Vorgesetzten ihm gegenüber ruiniert worden.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a)
Art. 10 Abs. 2 VG
bestimmt, dass die Klage gegen den Bund beim Bundesgericht erhoben werden kann, wenn die zuständige Amtsstelle zum Anspruch innert drei Monaten seit seiner Geltendmachung nicht oder ablehnend Stellung genommen hat. Nach
Art. 20 Abs. 1 VG
erlischt die Haftung des Bundes, wenn der Geschädigte sein Begehren auf Schadenersatz oder Genugtuung nicht innert eines Jahres seit Kenntnis des Schadens einreicht, auf alle Fälle nach zehn Jahren seit dem Tage der schädigenden Handlung des Beamten.
Art. 20 Abs. 2 VG
sieht vor, dass das Begehren dem Finanz- und Zolldepartement einzureichen ist. Bestreitet der Bund den Anspruch oder erhält der Geschädigte innert drei Monaten keine Stellungnahme, so hat dieser nach
Art. 20 Abs. 3 VG
innert weiteren sechs Monaten bei Folge der Verwirkung Klage einzureichen.
Indes ist bei der Anwendung dieser Ordnung heute der neue
Art. 119 Abs. 3 OG
zu berücksichtigen. Seit dem Inkrafttreten dieser Bestimmung kann der Geschädigte unmittelbar, ohne den Anspruch zuvor der Verwaltung zur Stellungnahme unterbreitet zu haben, Klage beim Bundesgericht einreichen. Es genügt, dass er dies binnen der ein- oder zehnjährigen Frist des
Art. 20 Abs. 1 VG
tut. Hat er sich nicht vorerst an die Verwaltung gewandt, so muss er nach
Art. 119 Abs. 3 OG
bloss gewärtigen, mit den Gerichtskosten belastet zu werden, falls die zuständige Behörde in der Folge den eingeklagten Anspruch anerkennt (BBl 1965 II 1327; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 434 und 517).
b) Die Beklagte hält dafür, dass nach
Art. 20 VG
die Ansprüche des Klägers verwirkt seien. Sie führt aus, der
BGE 103 Ib 65 S. 67
verwaltungsärztliche Dienst habe seinen Entscheid, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine vorzeitige Pensionierung des Klägers erfüllt seien, am 29. August 1973 auch dem Anwalt des Klägers mitgeteilt. Schon an diesem Tage habe der Kläger alle für die Begründung seiner Ansprüche in Betracht fallenden tatsächlichen Umstände gekannt. Er hätte demnach sein Begehren innert eines Jahres seit dem 29. August 1973 beim Finanz- und Zolldepartement einreichen müssen. Das sei nicht geschehen. In weiteren drei Monaten, d.h. bis zum 29. November 1974, habe der Bund weder den Anspruch bestritten noch dazu Stellung genommen. X. habe aber nicht binnen weiterer sechs Monate seit diesem Tage Klage beim Bundesgericht eingereicht.
Dieser Argumentation kann nicht zugestimmt werden. Der Anwalt des Klägers hat im August 1973 vom verwaltungsärztlichen Dienst bloss erfahren, dass eine von verschiedenen Voraussetzungen für die vorzeitige Pensionierung, nämlich die Invalidität, gegeben sei. Konkreter stand die Frage einer vorzeitigen Pensionierung erst im Herbst 1974 zur Diskussion, und die (vom Bundesgericht später aufgehobene) Verfügung, mit welcher das EVD das Dienstverhältnis wegen Invalidität aufgelöst hat, ist erst im Dezember 1974 ergangen, die rechtsgültige Verfügung des Bundesrates gar erst am 9. Juli 1975. Der Kläger kann somit keinesfalls vor dem Herbst 1974 Kenntnis vom behaupteten Schaden, insbesondere von dessen Umfang, gehabt haben. Die am 18. Juli 1975 der Post übergebene Klageschrift ist demnach vor Ablauf der einjährigen Frist des
Art. 20 Abs. 1 VG
eingereicht worden. Übrigens hatte der Kläger sein Begehren zunächst, am 22. November 1974, dem EVD unterbreitet. Das Eidg. Personalamt, an welches das Begehren zuständigkeitshalber weitergeleitet worden war, hatte dazu am 20. Januar 1975 Stellung genommen. Die Klage ist binnen sechs Monaten seit dieser Stellungnahme erhoben worden. Der Kläger hat also auch die in
Art. 20 Abs. 3 VG
vorgesehene Frist eingehalten. Seine Ansprüche sind auf keinen Fall verwirkt.
3.
Nach
Art. 3 Abs. 1 VG
haftet der Bund für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügt, ohne Rücksicht auf das Verschulden des Beamten. Anspruch auf Schadenersatz hat gemäss
Art. 6 Abs. 2 VG
auch, wer durch die schädigende
BGE 103 Ib 65 S. 68
Handlungsweise eines Beamten in seinen persönlichen Verhältnissen verletzt wird; dagegen besteht nach der gleichen Bestimmung ein Anspruch auf Genugtuung nur, wo die besondere Schwere der Verletzung und des Verschuldens des Beamten es rechtfertigt. Diese Vorschriften, auf die X. sich beruft, finden auch in Fällen Anwendung, wo der Kläger selber Beamter ist oder war und zur Begründung seines Anspruches geltend macht, er sei im Dienste von anderen Beamten in widerrechtlicher Weise behandelt worden (vgl.
BGE 93 I 73
E. 4;
BGE 88 II 443
).
Widerrechtlich im Sinne des VG ist das Verhalten eines Beamten dann, wenn es gegen Gebote oder Verbote der Rechtsordnung verstösst, die dem Schutz des verletzten Rechtsgutes dienen (
BGE 94 I 642
E. 5). Ein solcher Verstoss kann unter Umständen in der Überschreitung oder im Missbrauch des dem Beamten durch Gesetz eingeräumten Ermessens liegen (
BGE 91 I 452
ff.). In Betracht kommen auch Verletzungen von Vorschriften des Beamtengesetzes über die Pflichten des Beamten, z.B. der Bestimmung in
Art. 24 Abs. 2 BtG
, welche ihn zu höflichem und taktvollen Benehmen gegenüber Mitarbeitern verpflichtet. Der Bund haftet indes nicht, wenn kein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der widerrechtlichen Handlung und dem Schaden besteht. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
bf3579c4-6afb-471d-9a9d-676d6bbae9c0 | Urteilskopf
95 I 253
36. Auszug aus dem Urteil vom 9. Juli 1969 i.S. Bank Rohner & Co. A.-G. gegen Architekturgemeinschaft Wildbolz & Huber und Kassationsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 86, 87 OG
. Der Entscheid, mit dem in der Wechselrechtsbetreibung der Rechtsvorschlag bewilligt wird, stellt einen mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbaren Endentscheid dar (Erw. 1-3).
Bezahlung des Checks unter einer auflösenden Bedingung? Erw.4). | Sachverhalt
ab Seite 253
BGE 95 I 253 S. 253
A.-
Die Kollektivgesellschaft Wildbolz und Huber stellte an die Ordre der Fontanella SA einen durch die Zürcher Kantonalbank zahlbaren Check aus über Fr. 29'000.--. Die Fontanella übertrug diesen durch Indossament an die Bank Rohner & Co. AG, welche ihn mit Brief vom 24. Mai 1968 der Zürcher Kantonalbank zum Inkasso übergab. Diese schrieb der Bank Rohner "Eingang vorbehalten" die Checksumme gut und teilte ihr mit, sie vergüte ihr weisungsgemäss Fr. 29'000.-- auf deren Girokonto bei der Schweizerischen Nationalbank. Von dieser wurde der Check der Beschwerdeführerin am 28. Mai 1968 gutgeschrieben. Da die Checksumme nicht einging, forderte die Zürcher Kantonalbank dieselbe von der Bank Rohner und klagte in der Folge auf Bezahlung von Fr. 29'105.65. Daraufhin schrieb die Bank Rohner der Kantonalbank die verlangte Summe gut und leitete gegen die Ausstellerin des Checks die Wechselbetreibung ein. Die Betriebene erhob Rechtsvorschlag. Einzelrichter und Obergericht des Kantons Zürich verweigerten dessen Bewilligung. Auf Nichtigkeitsbeschwerde hin hat das Kassationsgericht den obergerichtlichen Entscheid aufgehoben und den Rechtsvorschlag bewilligt, mit der Begründung: Die "Eingang vorbehalten" von der Kantonalbank erteilte Gutschrift bedeute, dass sich die Kantonalbank
BGE 95 I 253 S. 254
zur Auszahlung nur für den Fall des Einganges des Gegenwertes verpflichtet habe. Dessen ungeachtet habe sie die Nationalbank beauftragt, der Bank Rohner Gutschrift zu erteilen. Diese Gutschrift sei nicht mit einem Vorbehalt versehen gewesen. Die Nationalbank sei durch sie gegenüber der Anweisungsempfängerin zur Zahlung verpflichtet worden. Sie habe deshalb der Bank Rohner gegenüber nicht diejenigen Einwendungen erheben können, welche der Kantonalbank gegenüber der Bank Rohner zustanden (
Art. 468 OR
). Von einer bedingten Zahlung könne deshalb nicht gesprochen werden. Vielmehr sei der Check eingelöst und damit im Sinne von
Art. 182 SchKG
bezahlt worden. Möglich wäre unter diesen Umständen nur eine Rückforderung des der Bank Rohner auf Veranlassung der Kantonalbank Bezahlten.
Die angefochtene Entscheidung des Obergerichtes verletze klares Recht.
B.-
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt die Bank Rohner & Co., den Beschluss des Kassationsgerichtes aufzuheben und den Wechselrechtsvorschlag zu verweigern. Sie rügt eine Verletzung von
Art. 4 BV
und macht zur Begründung geltend: Klares Recht wäre nur verletzt, wenn der Entscheid des Obergerichtes einer klaren gesetzlichen Vorschrift widersprechen würde. Das sei nicht der Fall, wenn eine gesetzliche Vorschrift auszulegen sei oder wenn das Gesetz auf das richterliche Ermessen verweise. Das Kassationsgericht habe nicht die Verletzung einer gesetzlichen Vorschrift angenommen, sondern eine Rechtshandlung der Zürcher Kantonalbank ausgelegt, indem es die Anweisung an die Nationalbank als bedingungslose Zahlung bezeichne. Damit habe das Kassationsgericht
§ 344 Ziff. 9 ZPO
und gleichzeitig die Rechtsgleichheit verletzt. Überdies sei die Annahme willkürlich, der Check sei bedingungslos eingelöst worden.
C.-
Das Kassationsgericht verzichtet auf Vernehmlassung. Die Beschwerdegegner schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Gericht bewilligt in der Wechselbetreibung den Rechtsvorschlag, wenn durch Urkunden bewiesen wird, dass die Schuld an den Inhaber des Wechsels oder Checks bezahlt
BGE 95 I 253 S. 255
oder durch denselben nachgelassen oder gestundet ist (
Art. 182 Ziff. 1 SchKG
). Ist der Rechtsvorschlag bewilligt, so wird die Betreibung eingestellt. Der Gläubiger hat zur Geltendmachung seines Anspruchs den ordentlichen Prozessweg zu betreten (
Art. 186 SchKG
). Für den Fall der Anwendung von
Art. 184 Abs. 2 SchKG
, d.h. bei Bewilligung des Rechtsvorschlages erst nach Hinterlegung des streitigen Betrages, wo der Gläubiger ebenfalls auf die Anhebung der Klage auf Zahlung verwiesen wird, wird in
BGE 90 I 201
davon ausgegangen, der kantonale Instanzenzug sei vor der Durchführung dieser Klage nicht erschöpft, die staatsrechtliche Beschwerde gegen die Bewilligung des Rechtsvorschlages in der Wechselbetreibung daher unzulässig (
Art. 86, 87 OG
). Es stellt sich deshalb die Frage der Anfechtbarkeit mit staatsrechtlicher Beschwerde auch im Falle von Art. 182 Ziff. 1 in Verbindung mit
Art. 186 SchKG
. Denn die Gleichartigkeit der Sachlage ist trotz der verschiedenen Voraussetzungen für die Bewilligung des Rechtsvorschlages nicht zu verkennen. In beiden Fällen ist zu entscheiden, ob die dem Gläubiger offenstehende Klage zur Geltendmachung seines Anspruchs ein Rechtsmittel ist, das die Letztinstanzlichkeit des Entscheides ausschliesst.
2.
Die Rechtsprechung hat bisher staatsrechtliche Beschwerden gegen Entscheide kantonaler Verwaltungsbehörden als unzulässig erklärt, wenn zur Erreichung des Zieles, auf das sie gerichtet waren, die Zivilklage zur Verfügung stand (
BGE 78 I 250
,
BGE 81 I 61
,
BGE 83 I 166
). Dieser Grundsatz wurde in
BGE 79 I 44
, 153 erstmals auch auf Entscheide über die Gewährung oder Verweigerung provisorischer Rechtsöffung angewendet. Es wurde davon ausgegangen, die staatsrechtliche Beschwerde gegen derartige Entscheidungen sei nicht zulässig im Hinblick auf die Möglichkeit, durch Forderungs- bzw. Aberkennungsklage den materiellen Bestand der in Betreibung gesetzten Forderung abklären zu lassen.
Ob an der Rechtsprechung, wonach die offenstehende Zivilklage die staatsrechtliche Beschwerde ausschliesse, festzuhalten ist, wurde später wieder offen gelassen (
BGE 94 I 371
Erw. Ziff. 4). Die Anwendung auf Entscheidungen, welche die Gewährung oder Verweigerung provisorischer Rechtsöffunng betreffen, wurde dagegen im gleichen Urteil aufgegeben, weil das Rechtsöffnungsverfahren ein Zwischenverfahren der Schuldbetreibung rein vollstreckungsrechtlicher Natur ist, während
BGE 95 I 253 S. 256
Forderungs- und Aberkennungsklage sich in keiner wesentlichen Beziehung von einem mit einem Betreibungsverfahren überhaupt nicht mehr zusammenhängenden Forderungsstreit unterscheiden, Rechtsöffnungs- und Zivilprozessverfahren ihrem Gegenstand nach also derart verschieden sind, dass es nicht angeht, sie als Einheit aufzufassen und die Klage vor dem Richter als Rechtsmittel im Sinne von
Art. 86, 87 OG
zu betrachten.
3.
Bei der Geltendmachung des Anspruchs des Gläubigers im ordentlichen Zivilprozess (
Art. 186 SchKG
) verhält es sich nicht anders. Sie ist keine Fortsetzung des Betreibungs- und Rechtsvorschlagsverfahrens. Die Betreibung ist bereits mit der Bewilligung des Rechtsvorschlages eingestellt. Der durchzuführende Prozess unterscheidet sich nicht von einem mit einem Betreibungsverfahren nicht mehr zusammenhängenden Forderungsstreit. Damit wird der ordentliche Prozessweg betreten. Es besteht aber auch kein in Betracht fallender Unterschied, wenn der Rechtsvorschlag nur nach Hinterlegung des streitigen Betrages bewilligt und der Gläubiger aufgefordert wird, die Klage auf Bezahlung anzuheben. Dabei handelt es sich um die gleiche zivilrechtliche Forderungsklage, wie sie der Gläubiger zur Realisierung seines Anspruches dann anzustellen hat, wenn der Rechtsvorschlag schlechthin bewilligt wurde, bloss mit dem Unterschied, dass die Forderung durch die Hinterlage des Schuldners sichergestellt ist, wenn die Klage binnen der Frist von 10 Tagen angehoben wird (BLUMENSTEIN, Schuldbetreibungsrecht S. 590 Ziff. 5). Bei dieser Sachlage ist nicht zu umgehen, dass auch auf das Urteil in
BGE 90 I 201
zurückzukommen sein wird.
Der Entscheid, mit dem der Rechtsvorschlag bewilligt wird, stellt somit einen Endentscheid dar, der, wenn er wie hier von der letzten kantonalen Instanz ausgeht, mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar ist.
4.
Indem die Zürcher Kantonalbank die Schweizerische Nationalbank ohne Vorbehalt zur Zahlung des Checkbetrages anwies, hat sie den Check bezahlt. Vom Zeitpunkt an, da die Nationalbank der Beschwerdeführerin die Checksumme von Fr. 29'000.-- gutschrieb, konnte dieser Auftrag von der Kantonalbank nicht mehr zurückgenommen werden. Denn der Angewiesene, der dem Anweisungsempfänger die Annahme ohne Vorbehalt erklärt, wird ihm zur Zahlung verpflichtet und
BGE 95 I 253 S. 257
kann ihm nur solche Einreden entgegensetzen, die sich aus ihrem persönlichen Verhältnis oder aus dem Inhalt der Anweisung selbst ergeben, nicht aber solche aus seinem Verhältnis zum Anweisenden (
Art. 468 OR
).
Die Annahme des Obergerichts, die Zahlung sei unter einer auflösenden Bedingung erfolgt, ist nicht haltbar. Die Zahlung ist ein Akt der Verfügung, d.h. ein Rechtsgeschäft, dessen Rechtswirkung auf einen Gegenstand unmittelbar gerichtet ist, dessen Rechtslage unmittelbar ändert. Durch die Zahlung geht das Geleistete in das Vermögen des Gläubigers über. Daran würde ein einseitiger Vorbehalt des Leistenden nichts ändern. Ein solcher ist übrigens bei der Zahlung gerade nicht angebracht worden. Das Verhalten der Kantonalbank entspricht durchaus dieser Rechtslage. Als sie feststellte, dass der Check nicht gedeckt sei, hat sie nicht versucht, den der Nationalbank erteilten definitiven und ausgeführten Auftrag zu widerrufen. Sie verlangte von der Beschwerdeführerin Rückerstattung, d.h. eine neue Zahlung. Darauf ging denn auch die gegen die Beschwerdeführerin angehobene Klage.
Mit der Bezahlung durch die Kantonalbank ist die Forderung des Inhabers erloschen, so dass diesem aus dem Check keinerlei Rechte mehr zustehen. Der Rechtsvorschlag war deshalb zu bewilligen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
bf370679-fde2-4418-ae1a-5e315f243edf | Urteilskopf
112 II 220
37. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. April 1986 i.S. C.X. gegen V. (Berufung) | Regeste
Genugtuungsanspruch des Ehegatten (
Art. 47 und 49 OR
).
Genugtuungsanspruch des Ehemannes einer durch Unfall schwer invalid gewordenen Frau wegen Verletzung der Persönlichkeit. | Sachverhalt
ab Seite 221
BGE 112 II 220 S. 221
A.-
E. X., die Ehefrau von C. X., wurde am 16. April 1977 in Zürich auf einem Fussgängerstreifen von einem Motorradfahrer angefahren und schwer verletzt. Folge der Verletzung war namentlich die völlige Erblindung sowie ein Zustand tiefer Bewusstlosigkeit. Frau X. lag in diesem Zustand zunächst in der chirurgischen Universitätsklinik und seit Anfang 1978 in der Krankenstation Hegibach. Zwar erfolgte die Atmung nach einiger Zeit wieder spontan, jedoch nur durch eine Öffnung am Hals. Obwohl sich vereinzelt Phasen der Aufhellung einzustellen begannen, schlossen die Ärzte damals eine auch nur geringfügige Besserung aus.
Im Herbst 1980 wurde Frau X. ins Krankenheim Y. verlegt, wo ihr Ehemann seit 1975 als Haustechniker angestellt war. Hier wurde die Patientin erstmals aus dem Bett genommen, um sie mit anderen Menschen in Kontakt zu bringen und physiotherapeutisch zu behandeln. Entgegen den bisherigen Prognosen begann sie, sich sprachlich auf primitive Weise auszudrücken. Sie lernte auch schlucken und vermochte wieder Nahrung aufzunehmen, blieb jedoch pflegebedürftig und an den Rollstuhl gebunden. Ihr Bewusstsein ist beeinträchtigt, indessen realisiert Frau X., dass sie blind ist. Eine Wiederherstellung ist ausgeschlossen; die Lebenserwartung erscheint als herabgesetzt.
Die Ansprüche von Frau X. gegen die V. Versicherungs-Gesellschaft, die Haftpflichtversicherung des verantwortlichen Motorradfahrers, wurden vergleichsweise erledigt. Im Rahmen einer Pauschalabfindung erhielt Frau X. u.a. eine Genugtuung von Fr. 60'000.-- nebst Zins. Der von ihrem Ehemann geltend gemachte Genugtuungsanspruch wurde ausdrücklich vom Vergleich ausgenommen und einer getrennten prozessualen Auseinandersetzung vorbehalten.
B.-
Am 10. Januar 1985 klagte C.X. gestützt auf
Art. 47 und 49 OR
gegen die V. Versicherungs-Gesellschaft beim Handelsgericht des Kantons Zürich auf Zahlung von Fr. 40'000.-- nebst
BGE 112 II 220 S. 222
Zins zu 5% seit 16. April 1977 als Genugtuung für die schwere Verletzung in den persönlichen Verhältnissen, die ihm durch die bei seiner Frau eingetretenen Unfallfolgen zugefügt worden sei. Am 9. Juli 1985 wies das Handelsgericht des Kantons Zürich die Klage ab.
C.-
Gegen das Urteil des Handelsgerichts hat der Kläger Berufung eingelegt und beantragt, das angefochtenen Urteil aufzuheben und die Klage gutzuheissen.
Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der angefochtene Entscheid wird im wesentlichen damit begründet,
Art. 47 OR
enthalte eine Haftungsbeschränkung, die es verbiete, dem durch eine Körperverletzung nur reflexartig betroffenen Angehörigen einen eigenen Anspruch zu gewähren. Daran ändere auch die allgemeine Vorschrift von
Art. 49 OR
nichts, gehe doch Art. 47 als lex specialis vor.
a) Im Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. März 1986 i.S. G. gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (
BGE 112 II 121
ff.) hat das Bundesgericht einem Vater, der wegen des Unfalltodes zweier Söhne einen Schock erlitten hatte und darob invalid geworden war, eine Genugtuung zugesprochen. Es hat den Einwand der Beklagten, blosse Reflexschäden seien nicht zu ersetzen, ausdrücklich zurückgewiesen. Wer in seinen eigenen, durch absolute Rechte geschützten Gütern beeinträchtigt werde, sei widerrechtlich und auch dann unmittelbar geschädigt, wenn sich in der Kausalkette zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Geschädigten eine mit diesem in Beziehung stehende Person befinde (E. 5e). Zum Genugtuungsanspruch aus
Art. 47 OR
trete derjenige, der dazu bestimmt sei, die psychische Beeinträchtigung als Folge der Invalidität auszugleichen (E. 6). Dem stehe
Art. 45 OR
nicht entgegen, schränke diese Bestimmung doch lediglich den Kreis der Drittansprecher ein, die rein vermögensrechtliche, zufolge des Todes eines anderen entstandene Ansprüche geltend machen könnten; davon würden jedoch die Forderungen des in seiner körperlichen Integrität Beeinträchtigten nicht berührt (E. 5e).
BGE 54 II 141
E. 3, der den Eltern eines auf tragische Weise getöteten Kindes jeden Ersatz der ihnen wegen Nervenschocks entstandenen Behandlungskosten verweigert habe, weil
Art. 45
BGE 112 II 220 S. 223
und 47 OR
die Ansprüche Angehöriger einschränkend aufzählten, sei insoweit überholt (E. 5b und e).
Vorliegend ist die Beeinträchtigung der persönlichen Verhältnisse des Klägers zu beurteilen, die ebenfalls als absolutes Recht geschützt sind (
Art. 28 ZGB
). Somit kann die Genugtuung nicht mit dem Hinweis verweigert werden, bloss reflexartige Betroffenheit begründe keinen eigenen Anspruch. Mit der neuen Praxis nicht mehr zu vereinbaren ist auch die Annahme der Vorinstanz,
Art. 47 OR
schliesse als Spezialvorschrift die Anwendbarkeit von
Art. 49 OR
schlechthin aus, verlangt doch der Kläger Genugtuung für die Verletzung in seinen eigenen persönlichen Verhältnissen. Im Gegensatz zum Urteil vom 11. März 1986 kann er sich indes nicht zusätzlich auf eine physische Beeinträchtigung seiner Person berufen; Ursache seiner psychischen Beeinträchtigung ist sodann nicht der Tod, sondern ausschliesslich die Invalidität eines Angehörigen.
b) Gemäss
Art. 49 Abs. 1 OR
in der vorliegend anzuwendenden altrechtlichen Fassung (Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 5. Mai 1982, BBl 1982 II S. 683; BROGGINI, Schweizerisches Privatrecht, Bd. I, S. 460) hat Anspruch auf Leistung einer Geldsumme als Genugtuung, wer in seinen persönlichen Verhältnissen verletzt wird, wenn es die besondere Schwere der Verletzung und des Verschuldens rechtfertigen.
Bereits nach dem Wortlaut ist jeder in seinen persönlichen Verhältnissen Verletzte anspruchsberechtigt, wenn besondere Umstände vorliegen. Ein Ausschluss bestimmter Personen lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen, ebensowenig eine Einschränkung auf bestimmte Ursachen und Arten der Verletzung.
c) In
BGE 108 II 433
f. hat das Bundesgericht bei der Festsetzung der Genugtuung für ein dauernd bewusstloses Mädchen der Beeinträchtigung der es pflegenden Eltern Rechnung getragen und so der Sache nach auf dem Umweg über den Verletzten auch nahen Angehörigen, obwohl von diesen keine Klage erhoben worden ist, eine Genugtuung zugesprochen. Damit berücksichtigte es, ohne von der bisherigen Praxis abzuweichen, die den Angehörigen des Verletzten keinen eigenen Genugtuungsanspruch zugestand, dass der seelische Schmerz von Angehörigen in derartigen Fällen womöglich grösser ist als im Fall des Todes, für den
Art. 47 OR
ausdrücklich einen Genugtuungsanspruch vorsieht (S. 433 f.).
BGE 112 II 220 S. 224
Der vom Bundesgericht eingeschlagene Umweg über den Verletzten blieb jedoch nicht ohne Kritik und veranlasste TERCIER, in der Diskussion dieses Urteils die Frage aufzuwerfen, ob es nicht konsequenter wäre, nahen Angehörigen ein direktes Klagerecht zuzugestehen, sei es in analoger Anwendung von
Art. 47 OR
, sei es unmittelbar aufgrund von
Art. 49 OR
(SJZ 80 (1984) S. 54 f.; vgl. auch TERCIER, Le nouveau droit de la personnalité, N. 1992 f.; TERCIER in Gedächtnisschrift Jäggi, S. 253 mit Hinweisen in FN 52; DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilité civile, 2. Auflage, 1982, S. 93 N. 26; MERZ, Schweizerisches Privatrecht, Band VI/1, S. 240 FN 11; P. GIOVANNONI, ZSR 1977 I S. 42 f., Ziff. 2.2; P. STEIN, Die Genugtuung, 3. Auflage, 1976, S. 9 oben).
d) In zwei Urteilen kantonaler Gerichte ist eine Anspruchsberechtigung Angehöriger für Genugtuung prinzipiell bejaht worden, so in einem Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 9. Mai 1967 (SJZ 65 (1969) S. 97 f., Ziff. 42) zugunsten eines Vaters, dessen Kind durch einen Dritten gezüchtigt worden war, sofern der Eingriff in die Vater-Kind-Sphäre besonders schwer wiege und ein besonders schweres Verschulden gegeben sei, eine Voraussetzung, die im zu beurteilenden Fall allerdings nicht erfüllt war; das Tribunal civil de l'arrondissement de la Sarine hat in einem Urteil vom 5. November 1984 i.S. M. den Eltern eines schwer unfallgeschädigten Kindes aufgrund von
Art. 49 OR
in Verbindung mit
Art. 28 ZGB
Genugtuung für die Beeinträchtigung ihrer eigenen Persönlichkeitsrechte zugesprochen.
e) Die französische Praxis erkennt bei schwerer Körperverletzung seit langem nahen Angehörigen einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens zu (ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. II, 2. Auflage 1984, S. 358; MAZEAUD, Traité de la responsabilité civile, 6e éd., II, n. 1874, p. 950).
Aus der italienischen Praxis ist ein Urteil bekanntgeworden, das der Mutter eines durch Unfall schwerverletzten minderjährigen Sohnes eine Genugtuung zuspricht (Tribunale civile di Busto Arsizio, Urteil vom 26. September 1984, Archivio giuridico della circolazione e dei sinistri stradali 1985, S. 818 ff., Anmerkung G. Gussoni, S. 823 f.) mit der Begründung, der seelische Schmerz von Angehörigen eines schwer Verletzten könne gleich gross oder gar grösser sein, als wenn dieser gestorben wäre (S. 820).
f) Aus der Revision von
Art. 27 ff. ZGB
und 49 OR ergibt sich nichts für die Frage der Anspruchsberechtigung von Angehörigen.
BGE 112 II 220 S. 225
Weder in der Botschaft über die Änderung des schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 5. Mai 1982 (BBl 1982 II S. 636 ff.) noch in den Ratsprotokollen findet sich eine Stellungnahme zu diesem Problem, obwohl das am 19. September 1973 dem Ständerat überwiesene Postulat Dillier (Amtl.Bull. S. 514) auf die seelische Unbill Angehöriger hingewiesen hat, die bei schweren Verletzungen sicher nicht kleiner sei als bei einem Unfalltod. Dem Postulat Dillier ist durch die Revision denn auch nur teilweise Rechnung getragen worden (BBl 1982 II 681). Die neue Fassung von
Art. 49 OR
setzt für Genugtuung kein schweres Verschulden mehr voraus; überdies ist, wenn Schadenersatz ohne Verschulden geleistet werden muss, auch für Genugtuung kein Verschulden erforderlich (vgl. Amtl.Bull. Ständerat 1983, S. 654 f. Votum Hänsenberger; TERCIER, Le nouveau droit de la personnalité, S. 266 N. 2022). In der Revision von
Art. 49 OR
liegt somit keine gesetzgeberische Entscheidung für oder gegen die Anspruchsberechtigung Angehöriger.
g) Wenn zur psychischen wie im Urteil G. gegen Schweizerische Eidgenossenschaft vom 11. März 1986 noch eine physische Beeinträchtigung hinzutritt, so kann diese die von
Art. 49 OR
vorausgesetzte Schwere der Verletzung in den persönlichen Verhältnissen zwar mitbegründen; notwendige Bedingung ist sie jedoch nicht. Für die Genugtuung kommt es auf die Intensität der Auswirkung an, die das schädigende Ereignis auf die unter dem Persönlichkeitsschutz stehende eheliche Gemeinschaft und damit auch auf die Persönlichkeitssphäre des Klägers zeitigt.
3.
Aus dem Dargelegten erhellt, dass die Anspruchsberechtigung des Klägers zu bejahen ist. Zu prüfen bleibt, ob die Voraussetzungen von
Art. 49 OR
im vorliegenden Fall erfüllt sind. Dabei kann auch dem mit Resolution 75-7 vom 14. März 1975 durch das Ministerkomitee des Europarates empfohlenen Grundsatz Nr. 13 Rechnung getragen werden, der nur bei ausserordentlichem seelischem Schmerz ("souffrances d'un caractère exceptionnel") der Angehörigen Genugtuung vorsieht (vgl. J.-F. Egli in Mélanges André Grisel, S. 325 und 338). Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gestatten es dem Bundesgericht, diese Voraussetzungen selbst zu prüfen; sie sind zweifellos erfüllt.
a) Nach dem angefochtenen Urteil sind die Eheleute X. im Zeitpunkt des Unfalls 24 Jahre verheiratet gewesen. Der Unfall hat die bisherigen Lebensverhältnisse des Klägers geradezu umgestürzt. Die eheliche Gemeinschaft ist weitgehend zerstört, was um so schwerer wiegt, als die Ehe kinderlos geblieben ist. Der Kläger,
BGE 112 II 220 S. 226
der an der Pflege seiner Ehefrau intensiv Anteil nimmt, hat ausserhalb seiner Berufstätigkeit im Krankenheim kaum mehr Zeit für sich. Eine zusätzliche Belastung ergibt sich daraus, dass Frau X. ihren Zustand wenigstens teilweise realisiert. Die Beeinträchtigung in den persönlichen Verhältnissen des Klägers ist so schwer, dass offenbleiben kann, ob und inwiefern sich seine eigene Krankheit - nach seiner Darstellung leidet er an einer Art Arthritis - durch die weggefallene Pflege durch seine Ehefrau verschlimmert hat.
Auch am besonders schweren Verschulden des Schädigers kann kein Zweifel bestehen, da der Motorradfahrer Frau X. auf dem Fussgängerstreifen angefahren hat und mit Urteil vom 6. April 1978 vom Einzelrichter für Strafsachen am Bezirksgericht Zürich wegen fahrlässiger Körperverletzung zu 14 Tagen Haft und 500 Franken Busse verurteilt worden ist. Überdies stellt die Beklagte die Schwere des Verschuldens in der Berufungsantwort nicht in Frage.
b) Die verlangte Genugtuung wird von der Beklagten der Höhe nach nicht bestritten. Der Betrag von 40'000 Franken nebst Zins zu 5% seit dem Umfalldatum ist deshalb zuzusprechen. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bf39a2d6-ed08-403b-9d96-f597ec3cd5c6 | Urteilskopf
135 V 418
49. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. VSAO Stiftung für Selbständigerwerbende gegen M. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_301/2009 vom 8. Oktober 2009 | Regeste
Art. 4 Abs. 4 BVG
;
Art. 5 Abs. 1 FZG
; Vorbezug und Barauszahlung des in der freiwilligen beruflichen Vorsorge angesparten Alterskapitals.
Ein Vorbezug des Alterskapitals für betriebliche Investitionen ist nur zulässig, wenn der Selbständigerwerbende den Vorsorgevertrag kündigt und die vertraglichen Beziehungen mit seiner Vorsorgeeinrichtung beendet (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 419
BGE 135 V 418 S. 419
A.
Dr. med. M. eröffnete im Jahre 1998 eine Praxis für Gynäkologie und Geburtshilfe und nahm zu diesem Zweck einen Investitionskredit von Fr. 200'000.- bei einer Bank auf. Bei der VSAO Stiftung für Selbständigerwerbende (nachfolgend: VSAO Stiftung) ist er freiwillig berufsvorsorgeversichert. Mit Schreiben vom 6. Mai 2008 ersuchte er seine Vorsorgeeinrichtung um Auszahlung eines Betrages von Fr. 200'000.-, damit er den Investitionskredit amortisieren könne. Dieses Begehren lehnte die VSAO Stiftung mit Schreiben vom 8. Mai 2008 ab, da hiefür keine rechtliche Grundlage bestehe.
B.
Die am 4. August 2008 eingereichte Klage hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 23. Februar 2009 insoweit gut, als es die VSAO Stiftung verpflichtete, die Voraussetzungen von
Art. 5 Abs. 2 FZG
(SR 831.42) zur Auszahlung des geforderten Betrages von Fr. 200'000.- zu prüfen und, wenn diese erfüllt sind, den Betrag zur Tilgung des Bankkredites auszubezahlen. In den weitergehenden Punkten wies es die Klage ab, soweit es darauf eintrat.
C.
Die VSAO Stiftung lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei insoweit aufzuheben, als sie damit verpflichtet werde, die Voraussetzungen von
Art. 5 Abs. 2 FZG
zu prüfen und, wenn diese erfüllt sind, den Betrag von Fr. 200'000.- zur Tilgung des Bankkredites an den Beschwerdegegner auszuzahlen.
Dr. med. M. beantragt die Abweisung der Beschwerde. Kantonales Gericht und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Selbständigerwerbende sind dem Obligatorium der beruflichen Vorsorge nicht von Gesetzes wegen unterstellt. Ihnen soll jedoch die Möglichkeit einer freiwilligen Unterstellung offenstehen (
Art. 113 Abs. 2 lit. d BV
). Dieser Verfassungsauftrag ist als Grundsatz in
BGE 135 V 418 S. 420
Art. 4 BVG
(SR 831.40) übernommen und in
Art. 44 und 45 BVG
konkretisiert worden (HANS ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, 2005, S. 195 Rz. 511).
Art. 4 BVG
regelt die freiwillige Versicherung in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge: Arbeitnehmer und Selbständigerwerbende, die der obligatorischen Versicherung nicht unterstellt sind, können sich nach diesem Gesetz freiwillig versichern lassen (Abs. 1). Die Bestimmungen über die obligatorische Versicherung, insbesondere die in Art. 8 festgesetzten Einkommensgrenzen, gelten sinngemäss für die freiwillige Versicherung (Abs. 2).
2.2
Am 1. Januar 2005 ist die 1. BVG-Revision gemäss Bundesgesetz vom 3. Oktober 2003 in Kraft getreten (AS 2004 1700).
Art. 4 Abs. 3 und 4 BVG
enthält neue Regelungen für die freiwillige Versicherung der Selbständigerwerbenden. Abs. 3 bestimmt:
"Selbstständigerwerbende haben ausserdem die Möglichkeit, sich ausschliesslich bei einer Vorsorgeeinrichtung im Bereich der weitergehenden Vorsorge, insbesondere auch bei einer Vorsorgeeinrichtung, die nicht im Register für berufliche Vorsorge eingetragen ist, zu versichern. In diesem Fall finden die Absätze 1 und 2 keine Anwendung."
Art. 4 Abs. 4 BVG
lautet wie folgt:
"Die von den Selbstständigerwerbenden geleisteten Beiträge und Einlagen in die Vorsorgeeinrichtung müssen dauernd der beruflichen Vorsorge dienen."
2.3
Das Bundesgericht hat
Art. 4 Abs. 4 BVG
in
BGE 134 V 170
dahingehend ausgelegt, dass sich aus der Entstehungsgeschichte der eindeutige Wille des Gesetzgebers ergibt, die sonst gesetzlich (BVG; FZG) sehr streng normierte Zweckbindung von Mitteln der beruflichen Vorsorge bei der freiwilligen beruflichen Vorsorge von Selbständigerwerbenden zu lockern, indem die Entnahme für betriebliche Investitionen ausgenommen ist. In klar bestimmten Schranken, z.B. für Betriebsinvestitionen, sind der Vorbezug und die Barauszahlung von Beiträgen sowie Einlagen in die Vorsorgeeinrichtung zuzulassen (
BGE 134 V 170
E. 4.4 S. 180). Die Erneuerung einer veralteten Raufutteranlage bei einem selbständigerwerbenden Landwirt stellt eine klassische betriebliche Investition dar. Gleiches gilt, soweit Mittel aus der Vorsorgeeinrichtung für die Auszahlung des Geschäftspartners beansprucht werden, geht es doch dabei um Investitionen in das Inventar. Der Einsatz dieser Mittel dient letztlich ebenfalls der Betriebserhaltung und Existenzsicherung, womit er auf der Ebene der beruflichen Vorsorge im weitesten Sinne anzusiedeln ist (
BGE 134 V 170
E. 5 S. 181).
BGE 135 V 418 S. 421
3.
3.1
Das kantonale Gericht bejahte im angefochtenen Entscheid gestützt auf den erwähnten
BGE 134 V 170
die Voraussetzungen zur Entnahme von Vorsorgemitteln. Der Beschwerdegegner habe einen bis jetzt noch nicht zurückgezahlten Investitionskredit erhalten und diesen vollumfänglich in den Betrieb investiert. Die Entnahme des Vorsorgekapitals diene somit der Finanzierung einer betrieblichen Investition. Daran ändere auch nichts, dass aktuell keine Investition mehr anstehe. Weder dem Gesetz noch den Ausführungen des Bundesgerichts lasse sich die Einschränkung entnehmen, wonach die Entnahme von Mitteln der beruflichen Vorsorge nur für Neuinvestitionen und nicht auch zur nachträglichen Amortisation einer betrieblichen Investition zulässig sein sollte. Es bestehe keine gesetzliche Einschränkung dahingehend, dass die Entnahme von Mitteln der beruflichen Vorsorge nur dann zulässig sei, wenn das Investitionskapital nicht anderweitig beschafft werden könne. Die Investition in den Betrieb eines Selbständigerwerbenden diene nicht nur dann der beruflichen Vorsorge, wenn sie für die Existenzsicherung unmittelbar erforderlich sei, weil etwa eine finanzielle Zwangssituation vorliege. Ob sich die Praxis des Beschwerdegegners wirtschaftlich alleine trage, sei deshalb ohne Bedeutung. Entscheidend sei einzig, dass das Vorsorgekapital in den Betrieb investiert werde, wodurch es der Vorsorge diene, was im vorliegenden Fall erwiesen sei. Die Amortisation des Kredits erlaube dem Beschwerdegegner die Reduktion seiner Zinsenlast und somit der betrieblichen Kosten. Sie sei deshalb ohne weiteres geeignet, seiner beruflichen Vorsorge und Existenzsicherung zu dienen. Jedenfalls könne nicht die Rede davon sein, die Entnahme von Vorsorgemitteln zwecks Rückzahlung eines Betriebskredites widerspreche dem Kerngehalt von
Art. 4 Abs. 4 BVG
oder sei missbräuchlich. Es bestehe auch keine Verpflichtung des Beschwerdegegners, das gesamte Vorsorgekapital zu beziehen, zumal das Vorsorgeverhältnis - anders als im Fall des Landwirtes in
BGE 134 V 170
- nicht gekündigt worden sei.
3.2
Die Beschwerde führende Vorsorgeeinrichtung bringt zur Hauptsache vor, im vorliegenden Fall bestünden wesentliche Unterschiede zum in
BGE 134 V 170
beurteilten Sachverhalt. Es gehe dabei vor allem um den unbestimmten Rechtsbegriff der "betrieblichen Investition". Im Interesse des Missbrauchsverbots und angesichts der fehlenden ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage sei dieser Begriff einer engen Auslegung zu unterziehen. In
BGE 134 V 170
habe der
BGE 135 V 418 S. 422
Landwirt das Geld unbedingt benötigt, um die dringend erforderliche Erneuerung der Raufutteranlage zu finanzieren sowie seinen Mitpächter auszuzahlen. Die Mittel seien zur Erhaltung des Betriebs und letztlich auch zur Existenzsicherung im Sinne der beruflichen Vorsorge verwendet worden. Im vorliegenden Fall bestehe keine finanzielle Notlage des Beschwerdegegners. Dessen Beweggründe, die "unvorteilhafte Zinslast" zu beseitigen, könnten nicht ausreichen, um eine Notlage zu begründen. Vielmehr lege die finanzielle Situation des Beschwerdegegners die Vermutung nahe, dass sich dieser aus steuerlichen Gründen der obligatorischen Vorsorge freiwillig unterstellt habe, mit dem Gedanken, zu einem späteren Zeitpunkt den aufgenommenen Kredit aus diesen steuerprivilegierten Vorsorgegeldern zurückzubezahlen. Das kantonale Gericht verkenne dieses Missbrauchspotenzial, das es im vorliegenden Fall gar nicht näher geprüft habe. Die vom Gesetzgeber angesprochenen klar bestimmten Bedingungen, unter welchen Selbständigerwerbende ihre Vorsorgeguthaben beziehen können, seien nur dann eingehalten, wenn jeglicher Missbrauch ausgeschlossen bliebe. Dies sei nur der Fall, wenn sich ein Selbständigerwerbender in einer für ihn existenzbedrohenden Notlage befinde und die angesparten Vorsorgeguthaben unbedingt für die Weiterexistenz seines Betriebes benötige. Ansonsten bleibe
Art. 4 Abs. 4 BVG
"toter Buchstabe", weil gewiefte Selbständigerwerbende immer eine Lücke finden würden. Als Vorsorgeeinrichtung für selbständige Ärztinnen und Ärzte und deren Personal sei eine Liquiditätsplanung für die Stiftungsleitung unmöglich, wenn die Versicherten quasi voraussetzungslos jederzeit für die von ihnen in die Arztpraxen getätigten Investitionen ihre Vorsorgeguthaben beziehen könnten. Die Vorsorgeeinrichtung müsste permanent mit der Überweisung von Vorsorgeguthaben rechnen, die eine Anlage des Vermögens im Sinne von
Art. 49 ff. der Verordnung vom 18. April 1984 über die Berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1)
und die Erwirtschaftung der notwendigen Rendite zur Sicherstellung der versicherten Risiken erheblich erschweren würde. Gestützt auf die aktuelle wirtschaftliche Lage und die zurzeit vorliegende Unterdeckung stelle sich zudem die Frage, ob eine solche Auszahlung - wie bei einem Vorbezug für die Wohneigentumsförderung - vorübergehend verschoben werden könne, bis der vollständige Deckungsgrad wieder erreicht sei. Die Auswirkungen des vorinstanzlichen Entscheids würden zudem die versicherungstechnische Bilanz einer Vorsorgeeinrichtung gefährden.
BGE 135 V 418 S. 423
Risikoprämien und Sparbeiträge, welche auf die Ausgewogenheit von Vorsorgeplänen abgestimmt seien, würden mit einem jederzeit möglichen Barbezug in ein Ungleichgewicht gesetzt. Im vorinstanzlichen Verfahren hatte die Beschwerdeführerin überdies geltend gemacht, aus
BGE 134 V 170
lasse sich ein Anspruch auf Auszahlung lediglich eines Teils des Altersguthabens nicht ableiten. Dem Kläger sei es unbenommen, den Vorsorgevertrag aufzulösen und das gesamte freiwillig angesparte Vorsorgeguthaben zu beziehen.
3.3
Der Beschwerdegegner erblickt in der Weigerung der Vorsorgeeinrichtung auf Auszahlung eine Verletzung der ihm als Selbständigerwerbenden garantierten Wirtschaftsfreiheit (
Art. 27 BV
) und der Eigentumsgarantie (
Art. 26 BV
) sowie des Diskriminierungsverbotes (
Art. 8 BV
). Das FZG und das BVG würden ihm das Recht einräumen, freiwillig angespartes Vorsorgekapital zum Zwecke der Vorsorge in die Praxis als selbständigerwerbender Arzt zu investieren. Dabei spiele es keine Rolle, dass es sich in seinem Fall um die Tilgung eines bereits getätigten Investitionskredites handle.
3.4
3.4.1
Art. 4 Abs. 4 BVG
stellt neu auch für die freiwillige Versicherung den bisher nur im Obligatorium und im Bereich der 3. Säule (
Art. 82 Abs. 1 BVG
) geltenden Grundsatz auf, wonach die (von den Selbständigerwerbenden) geleisteten Beiträge und Einlagen in die Vorsorgeeinrichtung dauernd der beruflichen Vorsorge dienen müssen. Von der sonst im BVG und FZG sehr streng normierten Zweckbindung von Mitteln der beruflichen Vorsorge hat das Bundesgericht mit
BGE 134 V 170
angesichts der Entstehungsgeschichte von
Art. 4 Abs. 4 BVG
und der Systematik sowie aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung bei der freiwilligen beruflichen Vorsorge von Selbständigerwerbenden eine Ausnahme für betriebliche Investitionen geschaffen.
3.4.2
Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob eine Rechtsgrundlage für den vom Beschwerdegegner beanspruchten Teilbezug des Vorsorgeguthabens unter Beibehaltung der freiwilligen Vorsorge besteht. Mit dieser Frage musste sich das Bundesgericht in
BGE 134 V 170
nicht befassen, da dort der selbständigerwerbende Landwirt die freiwillige berufliche Vorsorgeversicherung gekündigt hatte (E. 4 am Anfang S. 174). Im Bereich der weitergehenden Vorsorge, insbesondere auch bei der freiwilligen Versicherung nach
Art. 4 BVG
, wird das Rechtsverhältnis zwischen der Vorsorgeeinrichtung und
BGE 135 V 418 S. 424
dem Vorsorgenehmer durch einen privatrechtlichen Vorsorgevertrag begründet, der rechtsdogmatisch den Innominatsverträgen zuzuordnen ist (
BGE 132 V 149
E. 5 S. 150 mit Hinweisen;
BGE 130 V 103
E. 3.3 S. 109;
BGE 116 V 218
E. 2 S. 221; vgl. auch
BGE 119 V 283
E. 2a). Unbestrittenermassen regeln die vertraglichen Bedingungen zwischen den Parteien einen Teilbezug unter Aufrechterhaltung des Versicherungsverhältnisses nicht. Von Gesetzes wegen ist einzig bei der Wohneigentumsförderung ein teilweiser Vorbezug gebundener Vorsorgemittel möglich (
Art. 30c BVG
). Hingegen sieht das FZG, insbesondere dessen Art. 5 Abs. 1, eine teilweise Barauszahlung namentlich bei Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht vor. Ein Anspruch auf die Austrittsleistung wird nur erworben, wenn der Versicherte seine Vertragsbeziehungen zur Vorsorgeeinrichtung beendet, da er nicht teilweise aus der Vorsorgeeinrichtung austreten kann (ISABELLE VETTER-SCHREIBER, BVG, 2009, S. 406). Aus diesem Grund kann daher in den Bedingungen des Vorsorgevertrags ein teilweiser Bezug für betriebliche Investitionen nicht vereinbart werden. Die mit
BGE 134 V 170
namentlich für Betriebsinvestitionen als zulässig erachtete Barauszahlung des in der freiwilligen beruflichen Vorsorge angesparten Alterskapitals kommt daher nur in Frage, wenn der Versicherte den Vorsorgevertrag kündigt und seine vertraglichen Beziehungen mit seiner Vorsorgeeinrichtung beendet. Der vom Beschwerdegegner eingeklagte Teilbezug des Alterskapitals im Betrag von Fr. 200'000.- ist daher nicht zulässig. Angesichts der in
Art. 4 Abs. 4 BVG
enthaltenen Zweckgebundenheit der Vorsorgemittel und der fehlenden Möglichkeit eines Teilbezugs geht die Berufung des Beschwerdegegners auf verschiedene verfassungsmässige Rechte fehl. Der vorinstanzliche Entscheid verletzt nach dem Gesagten Bundesrecht.
3.4.3
Der Beschwerdegegner hat sich bei Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit im Jahre 1998 entschieden, einerseits einen Betriebskredit aufzunehmen und anderseits die als Arbeitnehmer geäufneten Vorsorgemittel anfangs 1999 in die bei der Beschwerdeführerin durchgeführte freiwillige Vorsorge als Selbständigerwerbender zu investieren. Somit hat er sich damals dagegen entschieden, sich die Austrittsleistung infolge Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit (vgl.
Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG
) auszahlen zu lassen und in den Betrieb zu investieren. Man könnte sich daher fragen, ob der Beschwerdegegner durch diese Vorgehensweise in Bezug auf die Amortisation des damals aufgenommenen Betriebskredits während der
BGE 135 V 418 S. 425
Dauer der vertraglichen Beziehungen mit der Beschwerdeführerin nicht auf das Recht der Barauszahlung verzichtet hat (dazu ANDRÉ PIERRE HOLZER, Verjährung und Verwirkung der Leistungsansprüche im Sozialversicherungsrecht, S. 159 f. und der dort erwähnte
Art. 3 Abs. 2 lit. c der Verordnung vom 13. November 1985 über die steuerliche Abzugsberechtigung für Beiträge an anerkannte Vorsorgeformen [BVV 3; SR 831.461.3]
). Die Frage braucht jedoch angesichts des nicht zulässigen Teilbezugs nicht entschieden werden. | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
bf3cdfc9-b064-435c-aab7-7707e538eea1 | Urteilskopf
108 III 31
12. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 13 juillet 1982 dans la cause Administration de la faillite de Jean-Daniel Jordan (recours LP) | Regeste
Anspruch der Grundpfandgläubiger auf die Zinserträgnisse des Verwertungserlöses.
1. Ist die sofortige Verteilung des Erlöses aus der Pfandverwertung unabhängig vom Willen der Grundpfandgläubiger nicht möglich, so bilden die aus der Anlage dieses Erlöses fliessenden Zinserträgnisse ein den Grundpfandgläubigern zustehendes Nebenrecht der Grundpfandforderung (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2 und 3).
2. Der Anspruch des Grundpfandgläubigers auf den Verwertungserlös und auf die dazugehörigen Nebenrechte entsteht mit der Bezahlung des Zuschlagspreises durch den Ersteigerer an die Konkursverwaltung (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 32
BGE 108 III 31 S. 32
Extrait des considérants:
2.
L'unique question litigieuse en l'espèce porte sur la répartition des intérêts produits par le prix de vente de fonds grevés d'hypothèques jusqu'à la distribution des deniers. Ces intérêts doivent-ils être partagés entre tous les créanciers, y compris ceux de 5e classe, ou doivent-ils être réservés, au contraire, aux créanciers hypothécaires au prorata de leurs créances garanties?
Dans l'arrêt Fuchs & Co. du 2 mars 1982 (
ATF 108 III 29
E 3), la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral a décidé, conformément à une jurisprudence antérieure (
ATF 35 I 850
ss,
ATF 37 I 610
, jurisprudence abandonnée sans motivation dans
ATF 89 III 41
ss et reconfirmée dans
ATF 105 III 88
ss), que, dans les cas où la répartition immédiate du produit de réalisation du gage est rendue impossible, pour des raisons indépendantes de la volonté des créanciers hypothécaires, les intérêts découlant du placement de ce produit en constituent des accessoires appartenant aux créanciers qui ont droit au capital mais ne peuvent en jouir immédiatement.
3.
En l'espèce, l'autorité cantonale a estimé, à juste titre, que lorsqu'un créancier gagiste peut recevoir paiement intégral de sa créance en capital, augmenté des intérêts hypothécaires échus à la date de la vente, le montant qui lui est dû est déterminable dès l'adjudication. Dans la mesure cependant où le paiement ne peut intervenir immédiatement, l'Office a le devoir de procéder au placement du produit de l'adjudication, qui vise à garantir au créancier une situation analogue à celle dans laquelle il se serait trouvé s'il avait été désintéressé sans tarder. C'est pourquoi le produit de ce placement doit profiter exclusivement au créancier qui est temporairement privé des fonds qui lui reviennent.
4.
L'arrêt de la Cour cantonale est en tout point conforme à la jurisprudence la plus récente du Tribunal fédéral. La recourante invoque en vain les art. 83 et 96 lettre c de l'ordonnance du Tribunal fédéral du 13 juillet 1911 sur l'administration des faillites (OOF) applicables à la prodécure de faillite sommaire, en vertu desquels la distribution
BGE 108 III 31 S. 33
des deniers n'a lieu qu'une seule fois, tout à la fin de la procédure, après que tous les procès sont terminés. Lors même qu'en procédure sommaire, la répartition doit intervenir en fin de procédure sans que l'Office puisse procéder à des répartitions provisoires (art. 96 lettre c OOF), il n'en reste pas moins que le droit du créancier hypothécaire sur le produit de la réalisation du gage et sur les accessoires de celui-ci naît dès le paiement du prix par l'adjudicataire à l'administration de la masse. Les intérêts produits par le placement de ce prix ne tombent dès lors pas simplement dans la masse, mais reviennent à ceux qui ont droit au produit de l'immeuble en raison de leurs créances garanties par gage immobilier. Le fait que le créancier hypothécaire ne peut, provisoirement, pas obtenir le versement des espèces de la part de l'administration de la masse n'y change rien. Ce fait ne saurait en particulier avoir pour conséquence que d'autres créanciers, qui n'ont aucun droit sur le gage réalisé, puissent profiter du placement à intérêts du produit de la réalisation de ce gage.
Enfin, le fait que l'Office ne s'est pas contenté de consigner les sommes reçues (
art. 8 LP
), mais a préféré en obtenir un rendement supérieur en les plaçant sur un compte à terme, est sans pertinence pour la question à trancher. | null | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
bf46d291-99f1-4046-84ad-0b85f66fb351 | Urteilskopf
114 IV 1
1. Urteil des Kassationshofes vom 17. Februar 1988 i.S. Eidg. Zollverwaltung gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 2 Abs. 2, 71 Abs. 2 StGB; lex mitior, Verjährung (Zollvergehen).
Der unter altem Recht verübte Teil eines fortgesetzten Delikts ist unter Vorbehalt der lex mitior nach altem Recht zu beurteilen (Bestätigung der Rechtsprechung).
Sieht das neue Recht zwar eine längere, aber zusätzlich eine absolute Verjährungsfrist vor, so ist das im konkreten Fall für den Täter mildere Recht anzuwenden. | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 114 IV 1 S. 1
A.-
S. führte in der Zeit von 1971 bis zum 20. Oktober 1976 unter Vorlage fingierter Pachtverträge landwirtschaftliche Erzeugnisse aus Österreich in die Schweiz ein, wodurch er in den Genuss der Zollfreiheit kam, wie sie im konkreten Fall beim Bestehen echter Pachtverhältnisse von Gesetzes wegen vorgesehen gewesen wäre.
Mit Verfügung vom 23. August 1977 erklärte die Zolluntersuchungsstelle St. Margrethen S. für die bei den Einfuhren nicht entrichteten Einfuhrabgaben von insgesamt Fr. 3'979.15 leistungspflichtig. Beschwerden gegen diese Verfügung wurden durch die
BGE 114 IV 1 S. 2
Oberzolldirektion, durch die Zollrekurskommission und schliesslich am 18. August 1983 durch das Bundesgericht abgewiesen.
B.-
Mit Strafbescheid vom 23. September 1983 verurteilte die Eidgenössische Zollverwaltung S. wegen Bannbruchs und Zollübertretung zu einer Busse von Fr. 48'665.--. Am 25. Oktober 1983 erhob S. dagegen Einsprache, welche von der Oberzolldirektion mit Strafverfügung vom 9. Oktober 1985 abgewiesen wurde. Am 18. Oktober 1985 stellte S. das Begehren um gerichtliche Beurteilung. Mit Urteil vom 9./16. Dezember 1986 bestätigte das Bezirksgericht Oberrheintal die Strafverfügung.
Auf Berufung von S. sprach ihn das Kantonsgericht St. Gallen am 19. Oktober 1987 für die vor dem 1. Januar 1975 getätigten Einfuhren wegen Verjährung frei und verurteilte ihn für die späteren wegen Bannbruchs und Zollübertretung zu einer Busse von Fr. 8'000.--.
C.-
Dagegen hat die Oberzolldirektion eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz begründet ihre Auffassung, alle Handlungen des Beschwerdegegners vor dem 1. Januar 1975 seien verjährt, wie folgt: Die dem Beschwerdegegner vorgeworfenen Handlungen, begangen in der Zeit von August 1971 bis 20. Oktober 1976, stünden in einem Fortsetzungszusammenhang. Durch Ziffer 7 des Anhangs zum Verwaltungsstrafrecht, in Kraft seit 1. Januar 1975, seien die Verjährungsfristen des Zollgesetzes von bisher zwei auf fünf Jahre erhöht worden. Der unter altem Recht verübte Teil der fortgesetzten Widerhandlung sei - unter Vorbehalt des milderen neuen Rechtes - nach altem Recht zu beurteilen, der unter neuem Recht verübte dagegen auschliesslich nach neuem Recht. Für alle Handlungen vor dem 1. Januar 1975 sei deshalb die zweijährige Verjährungsfrist gemäss altem Recht zugrunde zu legen, wobei zu berücksichtigen sei, dass es nach altem Recht keine absolute Verjährung gab und dass die Verfolgungsverjährung während eines Beschwerdeverfahrens bezüglich der Festsetzung der hinterzogenen Abgabe ruhte. Vorliegendenfalls sei am 23. September 1983, als die Eidgenössische Zollverwaltung einen Strafbescheid im Sinne
BGE 114 IV 1 S. 3
von
Art. 64 VStrR
gegen den Beschwerdegegner erliess, die Verjährung nach altem Recht noch nicht eingetreten gewesen. Die Strafverfügung der Eidgenössischen Oberzolldirektion vom 9. Oktober 1985 sei jedoch erst mehr als zwei Jahre danach ergangen. Gemäss Art. 83 Abs. 3 alt ZG werde die Verfolgungsverjährung durch jede gegen den Täter gerichtete Verfolgungshandlung unterbrochen. Jedoch wirke die Ergreifung eines Rechtsmittels nicht verjährungsunterbrechend, weshalb die Einsprache des Beschwerdegegners vom 25. Oktober 1983 keine Auswirkungen auf die Verjährung habe. Dasselbe gelte für die Stellungnahme der Zollkreisdirektion Chur vom 31. Oktober 1983, welche nur intern übermittelt worden und überdies nicht für die Zustellung an den Beschwerdeführer bestimmt gewesen sei.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die neue Verjährungsordnung gemäss VStrR gelte auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten des Verwaltungsstrafrechtes verübt worden seien. Massgeblich sei deshalb für den ganzen Anklagesachverhalt die fünfjährige Verjährungsfrist des neuen Rechtes, weshalb keine Verjährung eingetreten sei; die absolute Verjährung trete erst im Frühjahr 1990 ein. Eventualiter wird geltend gemacht, dass auch bei Zugrundelegung der altrechtlichen zweijährigen Verjährungsfrist die Verjährung nicht eingetreten sei, da sowohl die Einsprache des Beschwerdeführers vom 25. Oktober 1983 wie auch die Stellungnahme der Zollkreisdirektion Chur die Verjährung unterbrochen hätten.
2.
a) Die Auffassung der Vorinstanz, für das strafbare Verhalten vor dem Inkrafttreten des VStrR beurteile sich die Frage der Verjährung nach der alten Fassung des ZG, ist zutreffend. Das Bundesgericht hat bereits in
BGE 72 IV 135
erkannt, dass der unter altem Recht verübte Teil des fortgesetzten Delikts unter dem Vorbehalt der lex mitior nach altem Recht zu beurteilen ist. Zwar begann die Verjährung vorliegend zufolge Fortsetzungszusammenhangs erst mit der Beendigung der deliktischen Tätigkeit am 20. Oktober 1976 (Art. 83 Abs. 2 alt ZG;
Art. 71 Abs. 2 StGB
). Daraus kann jedoch entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht hergeleitet werden, die Verjährungsfrage beurteile sich ausschliesslich nach neuem Recht. Denn das fortgesetzte Delikt ist nicht ein einheitliches Delikt. Vielmehr liegen ihm mehrere Einzeldelikte zugrunde, die an sich einzeln beurteilt werden könnten, jedoch aus Gründen der Prozessökonomie wie ein einziges behandelt werden (vgl. STRATENWERTH, AT I, § 19 N. 18 mit Hinweisen).
BGE 114 IV 1 S. 4
Gesetzesänderungen können in der Regel nur Auswirkungen haben auf Taten, die nach Inkrafttreten der Änderung begangen wurden (
Art. 2 Abs. 1 StGB
), vorliegend also nur auf die nach dem 1. Januar 1975 begangenen Verstösse gegen das Zollgesetz. Wollte man anders entscheiden, dann hätte dies etwa zur Folge, dass eine nach altem Recht beispielsweise nur als Übertretung strafbare Verhaltensweise bei Fortsetzungszusammenhang schwerer bestraft werden könnte, wenn das neue Recht dafür Vergehensstrafe androht. Es liegt auf der Hand, dass ein Verhalten, das nach altem Recht nur eine Übertretung darstellt, nicht deshalb, weil es im Fortsetzungszusammenhang mit einem neurechtlich als Vergehen qualifizierten Verhalten steht, rückwirkend die Qualifikation eines Vergehens haben kann. Entsprechendes muss für eine Verlängerung der Verjährungsfrist gelten. Nach altem Recht trat die Verjährung nach zwei Jahren ein (Art. 83 Abs. 1 alt ZG). Die Anwendung der neuen fünfjährigen Verjährungsfrist gemäss
Art. 11 VStrR
verstiesse deshalb gegen das Verbot der rückwirkenden Anwendung strengerer Vorschriften. Daran ändert auch nichts, dass nach neuem Recht eine absolute Verjährung nach 7 1/2 Jahren eintreten kann, während das alte Recht das Institut der absoluten Verjährung nicht kannte. Denn diese Milderung des neuen Rechtes käme vorliegendenfalls nicht zum Zuge.
Die Beschwerdeführerin beruft sich für ihre Ansicht, die neue Verjährungsordnung gelte auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten des Verwaltungsstrafrechtes verübt worden seien, auf
BGE 104 IV 266
. In der Tat wird in der Regeste dieses Urteils gesagt, die neue Verjährungsordnung des VStrR gelte auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten des VStrR verübt worden seien. Die damals zu entscheidende Rechtsfrage unterscheidet sich jedoch von der heutigen: Zu entscheiden war ein Fall, in dem es nach altem Recht keine Vollstreckungsverjährung gab, wohl aber nach dem neuen Recht des VStrR. Das neue Recht wurde deshalb als das mildere im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 StGB
rückwirkend angewendet (
BGE 104 IV 267
E. 1). Auch aus dem Urteil des Bundesgerichtes (II. öffentlichrechtliche Abteilung) vom 18. August 1983 i.S. des Beschwerdegegners sowie aus dem Urteil vom 29. August 1984 i.S. P. C. ergibt sich nichts für den Standpunkt der Beschwerdeführerin, da in jenen Entscheidungen das hier zur Diskussion stehende Problem nicht erörtert wurde. Unbehelflich ist auch der Hinweis auf den Grundsatz, es sei immer nur das alte oder das neue Recht als ganzes anzuwenden, eine Verbindung beider Rechte dagegen ausgeschlossen.
BGE 114 IV 1 S. 5
Nach der Rechtsprechung besteht nämlich ein Verbot der kombinierten Anwendung des alten und des neuen Rechtes nur in bezug auf ein und dieselbe Tat (
BGE 102 IV 197
). Es soll damit vermieden werden, dass hinsichtlich eines Delikts beispielsweise dessen Qualifikation sich nach altem, die Sanktion sich aber nach neuem Recht richte. Entsprechend wurde angenommen, dass das Verbot nicht gelte, wenn es um Drogenhandel einerseits und Konsumhandlungen andererseits gehe oder wenn Konsumhandlungen im weiteren Sinne unter sich verschiedene rechtliche Einheiten darstellen. Zur Frage, wie ein Verjährungsproblem wie das vorliegende zu lösen sei, hat sich das Bundesgericht dabei nicht ausgesprochen. Im Gegenteil wurde in
BGE 78 IV 129
wie bereits in
BGE 77 IV 207
gesagt, dass die unter altem Recht begangene Tat nach altem Recht verjährt, wenn dieses milder ist als das neue.
b) Unterbrechung der Verjährung trat nach Art. 83 Abs. 3 alt ZG ein "durch jede gegen den Täter gerichtete Verfolgungshandlung". Diese Formulierung ist offensichtlich enger als die nach neuem Recht massgebliche Regel von
Art. 72 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
, wonach unter anderem auch die Ergreifung von Rechtsmitteln zur Unterbrechung der Verjährung führt. Die Einsprache des Beschwerdegegners vom 25. Oktober 1983 war offensichtlich keine gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung und unterbrach deshalb die Verjährung nicht.
Aber auch die interne Stellungnahme der Zollkreisdirektion Chur vom 31. Oktober 1983 war keine gegen den Täter gerichtete Verfolgungshandlung. Sie findet sich bezeichnenderweise auch nicht in den Untersuchungsakten. Erforderlich für die Verjährungsunterbrechung nach Art. 83 Abs. 3 alt ZG ist eine den Prozess fördernde Handlung, die nach aussen in Erscheinung tritt (
BGE 73 IV 258
f.), ein nur interner Vorgang genügt nicht (
BGE 90 IV 63
).
Die am 23. September 1983 durch Ausfällung des Strafbescheides beginnende, neue zweijährige Verjährungsfrist wurde deshalb bis zum Erlass der Strafverfügung durch die Eidgenössische Oberzolldirektion am 9. Oktober 1985 nicht gültig unterbrochen. Die Beschwerde erweist sich deshalb als unbegründet. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf49a96a-fffc-464e-8c74-388fae24ee49 | Urteilskopf
139 V 216
29. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_82/2012 vom 21. März 2013 | Regeste
Art. 1a Abs. 1 lit. a und
Art. 6 Abs. 1 AHVG
; Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 2 Bst. b Ziff. ii der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71.
Eine in der Schweiz wohnhafte Person, die für ihre in einem Mitgliedstaat (Niederlande) ansässige Arbeitgeberin in einem Drittstaat (Bulgarien) arbeitet, ist für das dort erzielte Arbeitsentgelt nicht in der AHV beitragspflichtig. Der Sitz der Arbeitgeberin ist massgebender Anknüpfungspunkt für die Koordination (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 216
BGE 139 V 216 S. 216
A.
A., französischer Staatsangehöriger und wohnhaft in der Schweiz, ist seit Januar 1999 bei der Ausgleichskasse des Kantons Zürich (nachfolgend: Ausgleichskasse) als selbstständig Erwerbender erfasst.
BGE 139 V 216 S. 217
In den Jahren 2005 bis 2007 arbeitete er in Sofia, Bulgarien, für die niederländische Firma X. mit Sitz in den Niederlanden. Das dabei erzielte Einkommen unterstellte die Ausgleichskasse der Beitragspflicht als Arbeitnehmer ohne beitragspflichtigen Arbeitgeber (Einspracheentscheid vom 23. April 2010).
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 29. November 2011 in dem Sinne gut, als es den Einspracheentscheid vom 23. April 2010 aufhob mit der Feststellung, dass der Beschwerdeführer für die Jahre 2005 bis 2007 in der Schweiz nicht AHV-beitragspflichtig ist.
C.
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 23. April 2010 sei wiederherzustellen.
Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Stellungnahme. A. beantragt die Abweisung, soweit darauf einzutreten ist, das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) die Gutheissung der Beschwerde. Der Beschwerdegegner lässt am 20. August 2012 eine weitere Eingabe einreichen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Gemäss
Art. 1a Abs. 1 lit. a AHVG
sind natürliche Personen mit Wohnsitz in der Schweiz in der AHV obligatorisch versichert. Gemäss
Art. 4 AHVG
werden die Beiträge der erwerbstätigen Versicherten in Prozenten des Einkommens aus unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit festgesetzt (Abs. 1). Die Beiträge der Arbeitnehmer nicht beitragspflichtiger Arbeitgeber werden laut
Art. 6 Abs. 1 AHVG
ebenfalls in Prozenten des massgebenden Lohnes festgesetzt.
2.2
Am 1. Juni 2002 ist das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681) in Kraft getreten. Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage von
Art. 8 FZA
ausgearbeiteten und Bestandteil des Abkommens bildenden (
Art. 15 FZA
) Anhangs II ("Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit")
BGE 139 V 216 S. 218
FZA in Verbindung mit Abschnitt A dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (kurz: Verordnung Nr. 1408/71; SR 0.831.109.268.1), und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (kurz: Verordnung Nr. 574/72; SR 0.831.109.268. 11), oder gleichwertige Vorschriften an. Die Verordnung Nr. 1408/71 gilt unter anderem auch für Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die Leistungen bei Alter und an Hinterbliebene betreffen (Art. 4 Abs. 1 lit. c und d). Die entsprechenden Bestimmungen finden in der Alters- und Hinterlassenenversicherung durch den Verweis in
Art. 153a Abs. 1 lit. a AHVG
Anwendung.
2.3
Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 (Art. 13 bis 17a) enthält allgemeine Kollisionsregeln zur Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften. Dabei legt Art. 13 Abs. 1 den kollisionsrechtlichen Grundsatz der Einheitlichkeit der anwendbaren Rechtsvorschriften nach den Regeln gemäss Art. 13 Abs. 2 bis Art. 17a in dem Sinne fest, dass für jede betroffene Person die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates massgebend sind (
BGE 138 V 533
E. 3.1 S. 537,
BGE 138 V 258
E. 4.2 S. 263 f. mit Hinweis). Ausnahmen vorbehalten, gilt für Arbeitnehmende das Beschäftigungslandprinzip. Dies trifft auch dann zu, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, den Wohn- oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates hat (Grundsatz der lex loci laboris; Art. 13 Abs. 2 Bst. a der Verordnung Nr. 1408/71;
BGE 138 V 533
E. 3.1 S. 537,
BGE 138 V 258
E.4.2 S. 263 f. mit Hinweis). Eine Ausnahme ist unter anderem vorgesehen für eine Person, die in mehreren Mitgliedstaaten abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist. Handelt es sich hierbei um eine Person, die nicht als Mitglied des fahrenden oder fliegenden Personals eines Unternehmens beschäftigt ist, unterliegt sie den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Staates ausübt oder wenn sie für mehrere Unternehmen oder mehrere
BGE 139 V 216 S. 219
Arbeitgeber tätig ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten haben (Art. 14 Abs. 2 Bst. b Ziff. i). Sodann unterliegt sie den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet das Unternehmen oder der Arbeitgeber, das bzw. der sie beschäftigt, seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie nicht im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnt, in denen sie ihre Tätigkeiten ausübt (Art. 14 Abs. 2 Bst. b Ziff. ii).
3.
3.1
Die Vorinstanz erwog, der Beschwerdegegner falle als französischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Schweiz grundsätzlich in den persönlichen Geltungsbereich des FZA sowie der Verordnungen, auf die das Abkommen verweist. Am 1. Juni 2009 habe das FZA eine räumliche Ausdehnung zufolge des Beitritts von Rumänien und Bulgarien erfahren. Die Tätigkeit des Beschwerdegegners übe dieser für einen niederländischen Arbeitgeber in Bulgarien aus, das in der fraglichen Zeitspanne 2005 bis 2007 (noch) kein Mitglied-, sondern ein Drittstaat gewesen sei. Eine solche Konstellation sei vom Bundesgericht noch nie entschieden worden; in
BGE 134 V 428
habe es sich zwar ebenfalls um ein räumliches Dreiecksverhältnis gehandelt, wobei es sich dort bei sämtlichen Staaten um Mitgliedstaaten gehandelt habe. Eine vergleichbare Konstellation habe indes der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) im Urteil vom 29. Juni 1994 C-60/93
Aldewereld
, Slg. 1994 I-2991 entschieden. Dort sei ein Wanderarbeiter zwar von einem Unternehmen aus der Gemeinschaft eingestellt worden, aber nicht auf dem Gebiet der Gemeinschaft tätig gewesen. Der EuGH sei von einer Lücke in der Verordnung Nr. 1408/71 ausgegangen, weil die Verordnung sich nicht auf einen Wanderarbeiter beziehe, der zwar von einem Unternehmen aus der Gemeinschaft eingestellt werde, aber nicht im Gebiet der Gemeinschaft tätig sei. In einer solchen Situation seien der Wohnsitz des Arbeitnehmers oder der Ort, an dem der Arbeitgeber ansässig sei, die einzigen möglichen Anknüpfungspunkte. Der EuGH entschied sich als Anknüpfungspunkt für die Anwendung der Rechtsvorschriften desjenigen Staates, in dem der Arbeitgeber ansässig sei. Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeute dies, so die Würdigung der Vorinstanz, dass der Beschwerdegegner der schweizerischen Beitragspflicht nicht unterstellt sei.
3.2
Die Ausgleichskasse führte aus, der Beschwerdegegner habe als unselbstständiger Arbeitnehmer der niederländischen Unternehmung in Bulgarien gearbeitet; es liege keine Entsendung im Sinne des
BGE 139 V 216 S. 220
Freizügigkeitsabkommens vor, denn Bulgarien sei zur strittigen Zeit nicht Mitgliedstaat gewesen. Der Beschwerdegegner sei nicht der niederländischen Sozialversicherung unterstellt gewesen; dies gehe aus den in der Einsprache ins Recht gelegten Lohnausweisen hervor. Dort seien Zahlungen an die ARRCO ("Association pour le régime de retraite complémentaire des salariés") und AGIRC ("Association générale des institutions de retraite des cadres") ausgewiesen; das seien französische Zusatzpflichtrentenversicherungen, welche die Grundrenten ergänzten. Entsprechend sei für die Frage, welchem Sozialversicherungsrecht der Beschwerdegegner unterstellt sei, einzig das Verhältnis zwischen der Schweiz und Bulgarien massgeblich. Deshalb sei das FZA nicht anwendbar, und in der Folge könne auch das als Parallelfall angerufene Urteil
Aldewereld
nicht Grundlage für den vorliegenden Rechtsstreit sein. Der Beschwerdegegner habe nie in den Niederlanden gearbeitet und sei auch nie der niederländischen Sozialversicherung angeschlossen gewesen. Auch das am 1. Dezember 2007 in Kraft getretene Abkommen vom 15. März 2006 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Bulgarien über Soziale Sicherheit (SR 0.831.109.214.1) sei nicht anwendbar, da diesem nur schweizerische und bulgarische Bürger unterstellt seien.
3.3
Das BSV macht in seiner Stellungnahme wie die Ausgleichskasse geltend, der Beschwerdegegner sei durch seine Tätigkeit für die niederländische Unternehmung X. nicht der niederländischen Sozialversicherung angeschlossen gewesen. Die Lohnabzüge würden von der niederländischen Arbeitgeberin ausdrücklich in jährlichen Bestätigungen ausgeführt, wobei es sich um eine freiwillige Versicherung Frankreichs handle. Die niederländische Arbeitgeberin des Beschwerdegegners habe diejenigen Beiträge übernommen, die der Beschwerdegegner selber in seinem Heimatland Frankreich freiwillig hätte bezahlen können. Es liege somit keine unzumutbare Doppelversicherung vor, weshalb sich eine Anlehnung an die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache
Aldewereld
verbiete. Dort habe zur Vermeidung einer Doppelversicherung eine Entscheidung zugunsten der Rechtsvorschriften am Sitz der Arbeitgeberin gefällt werden müssen, denn, so jener Entscheid, eine doppelte Beitragspflicht würde einer Grundzielsetzung des Abkommens entgegenstehen und sei daher zu vermeiden. Zwischen den Niederlanden und Bulgarien würde im Übrigen kein Sozialversicherungsabkommen bestehen. Selbst für den letzten Monat der strittigen Beitragsperiode (Dezember 2007), in dem das Sozialversicherungsabkommen zwischen der Schweiz und Bulgarien
BGE 139 V 216 S. 221
in Kraft getreten sei, gelte keine andere Regelung, weil gemäss Art. 3 Ziff. 3 in Verbindung mit Art. 6 des Abkommens das Erwerbsortsprinzip für Drittstaatsangehörige nicht gelte.
3.4
Der Beschwerdegegner lässt ausführen, als französischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Schweiz falle er in den Anwendungsbereich des FZA und der Verordnung Nr. 1408/71, weshalb sich die hier anwendbaren Rechtsvorschriften nach Art. 13 ff. der Verordnung Nr. 1408/71 richten würden. Die Tätigkeit in einem Drittstaat sei von der Verordnung Nr. 1408/71 jedoch nicht abgedeckt. Eine solche Konstellation entspreche der Rechtssache
Aldewereld
. Indem das kantonale Gericht sich auf diese Entscheidung berufen habe, habe es kein Bundesrecht verletzt. Die Vorinstanz habe für das Bundesgericht verbindlich, das heisst nicht offensichtlich unrichtig festgestellt, dass der Beschwerdegegner aus dem Arbeitsverhältnis mit der niederländischen Unternehmung X. - nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben - sein Einkommen generiert habe. Im Übrigen könne die Beschwerdeführerin mit der Rüge, dass dem Beschwerdegegner keine Beiträge für die niederländische Sozialversicherung abgezogen worden seien, nichts zu ihren Gunsten ableiten.
4.
4.1
Die Parteien und die Vorinstanz sind sich - gestützt auf das Urteil
Aldewereld
- darin einig, dass die Koordinationsbestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 des FZA die hier vorliegende Konstellation, in der zwar sowohl der Wohnsitz des Arbeitnehmers als auch der Sitz der Arbeitgeberin in unterschiedlichen Mitgliedstaaten (bzw. dem Vertragsstaat Schweiz) liegen, der Erwerbsort hingegen in einem Drittstaat liegt, nicht regeln. In den massgeblichen Jahren 2005 bis 2007 war Bulgarien, wie die Vorinstanz ebenfalls zutreffend erwog, noch nicht Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums. Dass bei fehlender Regelung in den Koordinationsbestimmungen die Rechtsprechung des EuGH als Leitlinie konsultiert wird, ist ebenfalls nicht bestritten und entspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. u.a.
BGE 134 V 428
E. 5 S. 433, E. 8 S. 437;
Art. 16 Abs. 2 FZA
). Einer näheren Prüfung bedarf daher die Rechtsfrage, ob der EuGH-Entscheid
Aldewereld
, wie die Vorinstanz erwog, vorliegend richtungweisende Grundlage sein könnte.
4.2
Strittig war in jenem Entscheid die Frage, ob Herr
Aldewereld
(auch) in den Niederlanden Sozialversicherungsbeiträge bezahlen müsse. Er war niederländischer Staatsangehöriger, der im Zeitpunkt
BGE 139 V 216 S. 222
seiner Anstellung durch ein in Deutschland ansässiges Unternehmen in den Niederlanden wohnte. Dieses deutsche Unternehmen schickte ihn nach Thailand zur Arbeit. Wegen dieser Tätigkeit war Herr
Aldewereld
der deutschen Sozialversicherung unterstellt; die entsprechenden Beiträge wurden ihm vom Lohn abgezogen (Urteil
Aldewereld
, a.a.O., Randnrn. 3 und 4). Der Gerichtshof führte aus, dass "bei Fehlen einer Bestimmung, die sich ausdrücklich auf den Fall einer Person in der Situation des Herrn
Aldewereld
bezieht, eine solche Person nach dem System der Verordnung den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegt, in dem der Arbeitgeber ansässig ist" (Randnr. 25). Die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die die Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft bezwecken, würden es verbieten "dass von einem Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnt und im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses mit einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen ausschliesslich ausserhalb des Gebiets der Mitgliedstaaten Tätigkeiten ausübt, aufgrund derer er nach den sozialen Rechtsvorschriften dieses anderen Mitgliedstaats beitragspflichtig ist, Beiträge nach den sozialen Rechtsvorschriften seines Wohnstaats erhoben werden". Mit anderen Worten: Herr
Aldewereld
ist der deutschen Sozialversicherung unterstellt; eine zweite Unterstellung an seinem Wohnort läuft dem Zweck der Abkommen - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - zuwider, weshalb ausschliesslich der Sitz der Arbeitgeberin Anknüpfungspunkt ist.
4.3
Der Beschwerdegegner untersteht sowohl in persönlicher als auch in sachlicher Hinsicht der Verordnung Nr. 1408/71. Dessen Art. 13 Abs. 1 hält als Grundsatz fest, dass die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats anwendbar sind (
BGE 138 V 533
E. 3.1 S. 537,
BGE 138 V 258
E. 4.2 S. 263 f. mit Hinweis). Ausgehend von diesem Grundsatz ist der zuständige Mitgliedstaat zu ermitteln. Der in der Schweiz wohnhafte Beschwerdegegner war in den Jahren 2005 bis 2007 für einen Arbeitgeber in den Niederlanden in einem Drittstaat (Bulgarien) erwerbstätig. Wohnsitz des Arbeitnehmers und Sitz des Arbeitgebers befinden sich in einem Abkommensstaat, während die unselbstständige Erwerbstätigkeit in einem Drittstaat ausgeübt wurde. Diese Konstellation ist mit dem in der Rechtssache
Aldewereld
beurteilten Sachverhalt identisch. Im Urteil
Aldewereld
hatte der Versicherte in einem Mitgliedstaat Wohnsitz (Niederlande) und war für einen in einem andern Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber (Deutschland) in einem Drittstaat (Thailand) erwerbstätig. Der EuGH
BGE 139 V 216 S. 223
knüpfte für die Koordination entscheidend auf den Sitz des Arbeitgebers an. Entgegen der Auffassung des BSV ist das Urteil
Aldewereld
nicht nur auf den Tatbestand der Entsendung (vgl. auch Art. 14 Abs. 1 Verordnung Nr. 1408/71) anwendbar. Die dem EuGH vorgelegte Rechtsfrage war generell formuliert (Randnr. 8) und wurde generell beantwortet (Urteil
Aldewereld
, Randnr. 26, vgl. auch Randnr. 11). Im vorliegenden Fall ist daher mit der Vorinstanz auf das Urteil
Aldewereld
abzustellen. Der Sitz des Arbeitgebers in den Niederlanden ist als Anknüpfungspunkt naheliegender als der Wohnsitz des Beschwerdegegners in der Schweiz, der mit dem Arbeitsverhältnis, dem Arbeitsort und dem Sitz des Arbeitgebers in keinem Zusammenhang steht (STEINMEYER, in: Kommentar zum europäischen Sozialrecht, Maximilian Fuchs [Hrsg.], 4. Aufl. 2005, N. 2 am Ende zu Art. 13 Verordnung Nr. 1408/71). Aus diesem Grund ist die Koordination zugunsten der Niederlande vorzunehmen, deren System der sozialen Sicherheit Anwendung findet. Denn nach Art. 14 Abs. 2 Bst. b Ziff. ii Verordnung Nr. 1408/71 in Verbindung mit dem Urteil
Aldewereld
unterliegt eine Person den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Unternehmen oder der Arbeitgeber, das bzw. der sie beschäftigt, seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie nicht im Gebiet eines der Mitgliedstaaten wohnt, in denen sie die Tätigkeit ausübt. Für Schweizer Recht verbleibt unter diesen Umständen kein Raum, und zwar unabhängig davon, ob und wie die Niederlande als zuständiger Staat das Einkommen aus Bulgarien behandelt. Ob und inwieweit der Beschwerdegegner in den Niederlanden tatsächlich der Beitragspflicht untersteht, ist ohne Belang. Denn selbst wenn die Niederlande als zuständiger Staat von einer Beitragspflicht für das in Bulgarien erzielte Einkommen absieht, kann sich die Schweiz nicht über die kollisionsrechtliche Regelung hinwegsetzen und die Beitragspflicht für sich beanspruchen. Die Verordnung dient dazu, die im konkreten Fall anwendbare Sozialrechtsordnung zu finden (FUCHS, Eine Einführung, in: Kommentar zum europäischen Sozialrecht, a.a.O., S. 19 Rz. 58), sie bezweckt hingegen nicht, in jedem Fall eine Unterstellung unter eine Beitragspflicht vorzunehmen. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
bf57bfda-a0aa-41fb-a02f-29e76e78f3f2 | Urteilskopf
85 II 209
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Juli 1959 i.S. Panagra, Pan American-Grace Airways, Inc. gegen Nouvelle Fabrique Election SA | Regeste
Art. 8 lit. e, 30 Abs. 3 Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, vom 12. Oktober 1929.
Wer ist erster Luftfrachtführer, insbesondere wenn das Gut auf einem Umweg befördert wird, der vom Abgangsort weg und an diesen zurück führt? | Sachverhalt
ab Seite 209
BGE 85 II 209 S. 209
A.-
Die Nouvelle Fabrique Election SA in La Chauxde-Fonds übergab der am gleichen Orte niedergelassenen Spediteurin Goth & Cie SA am 1. April 1955 eine Kiste mit Uhren und Lederarmbändern und beauftragte sie, dieses Gut durch die Koninklijke Luchtvaart Maatschappij N.V., den Haag, Zweigniederlassung Zürich (KLM) auf dem Luftwege an die Firma Meyer Korn & Cie in Arica (Chile) befördern zu lassen, und zwar so, dass es am 4. April 1955 in Zürich abfliege und am 11. April in Arica ankomme.
Die Firma Goth & Cie SA füllte am 1. April 1955 ein von der KLM ausgegebenes Formular eines Luftfrachtbriefes teilweise aus. Insbesondere führte sie darin Zürich als Abgangs- und Arica als Bestimmungsort an, bezeichnete den Empfänger und den Absender und machte Angaben
BGE 85 II 209 S. 210
über das Frachtgut. In dem für die Bezeichnung des Gutes vorbehaltenen Raum des Formulars bemerkte sie ausserdem: "Vol KL 645 du 4.4.55 et 687 PG 325 du 11.4.55." Die für die Angabe des Beförderungsweges und der Luftfrachtführer in Verbindung mit den Frachtlöhnen bestimmten Zeilen liess sie frei, ebenso das in der unteren rechten Ecke liegende Feld, das für den Namen und die Adresse des ersten Luftfrachtführers sowie für die Unterschrift des ausstellenden Frachtführers oder seines Agenten und für Name und Adresse dieses Agenten vorbehalten ist.
Die Firma Goth & Cie SA liess das Frachtgut samt dem Frachtbrief durch ihre Zürcher Zweigniederlassung nach dem Flughafen Zürich-Kloten verbringen und der KLM übergeben. Diese versah den Frachtbrief unten rechts mit dem Stempel "KLM Freight Apr. 2 1955 Zurich-Airport". Sie füllte ferner die für die Bezeichnung des Beförderungsweges, der Luftfrachtführer und der Frachtlöhne bestimmten Rubriken aus. Sie gab daselbst Zürich als Abgangsort und Amsterdam, Lima und Arica als Landungsorte an. Für die Strecke bis Amsterdam füllte sie die für die Angabe des Luftfrachtführers bestimmte Zeile mit "sr 120" aus, was bedeutete, dass das Frachtgut mit dem Kurs Nr. 120 der Swissair, Schweizerische Luftverkehrs AG nach Amsterdam befördert werde. Für die Strecke bis Lima wurde die "KLM" als Frachtführer angegeben und für die Strecke von dort bis Arica die "Panagra", d.h. die in New York niedergelassene Pan American-Grace Airways, Inc.
Die KLM hätte das Frachtgut mit ihrem Kurs Nr. 645 vom 4. April 1955 von Zürich-Kloten unmittelbar nach Curaçao und von dort mit dem Kurs Nr. 687 nach Panama und dem Kurs Nr. 705 nach Lima befördern können. Sie zog jedoch vor, es schon in Amsterdam-Schiphol in die über Zürich nach Curaçao fliegende Maschine des Kurses 645 zu laden, und liess es daher am 2. April 1955 mit dem Kurs 120 der Swissair nach Amsterdam verbringen, ohne
BGE 85 II 209 S. 211
den Frachtlohn zu erhöhen. Die KLM ging hin und wieder so vor, wenn Frachtgut unfehlbar an einem bestimmten Tage befördert werden musste. Sie wollte sich dadurch gegen den Fall sichern, dass das Flugzeug in Zürich nicht landen könnte oder dort schon voll beladen wäre. Die Firma Goth & Cie SA wusste, dass gelegentlich solche unentgeltliche U mwege gewählt wurden, und stimmte ihnen jeweilen auf Anfrage der KLM zu. Dass sie auch am 2. April 1955 um ihr Einverständnis ersucht worden sei, steht nicht fest, doch würde sie zugestimmt haben. Als sie am 4. April 1955 ein Doppel des von der KLM ergänzten Frachtbriefes zurückerhielt, widersprach sie nicht.
Das Frachtgut gelangte mit den vorgesehenen Kursen nach Arica, wurde dort jedoch von der Panagra versehentlich nicht ausgeladen. Es kam am 25. April 1955 mit dem Flugzeug in La Paz an. Die Zollbehörden von Bolivien nahmen es in Verwahrung, da es von keinen Papieren mehr begleitet war, und liessen es trotz erhaltener Aufklärung gemäss Entscheid des nationalen Zollgerichts als Schmuggelgut versteigern.
B.-
Goth & Cie SA trat ihre Rechte aus dem Verlust des Frachtgutes am 31. Januar 1956 an die Nouvelle Fabrique Election SA ab. Diese klagte beim Bezirksgericht Zürich gegen die KLM auf Bezahlung von Fr. 113'503.45 Schadenersatz nebst Zins und verkündete der Swissair den Streit.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Sie machte unter anderem geltend, sie sei nicht passiv legitimiert, weil sie nicht erster Luftfrachtführer im Sinne des Art. 30 Abs. 3 des Abkommens vom 12. Oktober 1929 zur Vereinheitlichung der Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr sei. Sie verkündete der Panagra den Streit.
Das Bezirksgericht beschränkte die Verhandlung auf die Frage der Passivlegitimation und bejahte diese mit Vorentscheid vom 20. Dezember 1957. Auf Berufung der
BGE 85 II 209 S. 212
Beklagten entschied das Obergericht des Kantons Zürich am 3. März 1959 in gleichem Sinne.
C.-
Die Panagra hat die Berufung erklärt. Sie beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage mangels Passivlegitimation der Beklagten abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, auf die Berufung sei nicht einzutreten, eventuell sei diese abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
3.
Das in Ausführung des Bundesgesetzes über die Luftfahrt erlassene Lufttransportreglement vom 3. Oktober 1952 bestimmt in Art. 3, dass die Rechtsbeziehungen der Verfrachter und Empfänger zum Luftfrachtführer sich nach den Bestimmungen des in Warschau abgeschlossenen Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12. Oktober 1929 (WA) richten. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen des Lufttransportreglementes und die ergänzenden Beförderungsbedingungen des Luftfrachtführers.
Wenn das Gut durch ein während der Luftbeförderung eintretendes Ereignis verloren geht, hat gemäss Art. 18 WA der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen. Ist das Gut durch mehrere "aufeinanderfolgende" Luftfrachtführer zu befördern, so ist jeder in Bezug auf den unter seiner Leitung auszuführenden Teil der Beförderung Partei des Beförderungsvertrages und den Vorschriften des Warschauer Abkommens unterworfen (Art. 30 Abs. 1 WA). Darnach müsste der Absender des Gutes jenen Luftfrachtführer belangen, in dessen Obhut es sich zum Zwecke der Beförderung befand, als es verloren ging. Art. 30 Abs. 3 WA erklärt jedoch dem Absender gegenüber ausserdem den "ersten" Luftfrachtführer als solidarisch ersatzpflichtig.
4.
Name und Adresse des ersten Luftfrachtführers sollen im Luftfrachtbrief angegeben werden (Art. 8 lit. e WA). Der erste Frachtführer ist also grundsätzlich vom Absender zu bezeichnen; denn dieser stellt normalerweise
BGE 85 II 209 S. 213
den Frachtbrief aus und übergibt ihn mit dem Gute (Art. 6 Abs. 1 WA). Immerhin kann der Absender verlangen, dass der Luftfrachtführer den Frachtbrief ausstelle; geschieht das, so wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Luftfrachtführer als Beauftragter des Absenders gehandelt habe (Art. 6 Abs. 5 WA). Diesfalls kommt also die Bezeichnung des ersten Luftfrachtführers jenem Frachtführer zu, durch den der Absender den Frachtbrief ausstellen lässt. Gleich verhält es sich, wenn der Absender zwar selber einen Frachtbrief ausstellt, aber von seinem Rechte der Bezeichnung des ersten Luftfrachtführers nicht Gebrauch macht, vielmehr die diesbezügliche Ergänzung des Briefes dem Frachtführer überlässt.
5.
Bestimmen weder der Absender noch der mit der Ausstellung oder Ergänzung des Frachtbriefes betraute Luftfrachtführer ausdrücklich, wer "erster Luftfrachtführer" sei, so könnte darunter jener verstanden werden, der das Gut vom Absender übernimmt und gemäss Art. 6 Abs. 2-4 WA den Frachtbrief unterzeichnet oder mit seinem Stempel versieht. Natürrlicher ist es jedoch, in der Reihe der "aufeinanderfolgenden Luftfrachtführer" (Art. 30 Abs. 1 WA) jenen als den ersten zu betrachten, der die Beförderung auf der ersten Teilstrecke des gesamten Weges zu besorgen hat. Zöge das Abkommen die andere Möglichkeit vor, so spräche es nicht vom "ersten", sondern z.B. von dem "das Gut annehmenden" oder von dem "den Frachtbrief unterzeichnenden" Luftfrachtführer. Dieser ist mit jenem nicht notwendigerweise identisch. Das Warschauer Abkommen bestimmt nicht, der Absender müsse das Gut jenem Luftfrachtführer übergeben, der es auf dem ersten Teil des Weges zu befördern hat. Es sagt auch nicht, nur dieser könne den Frachtvertrag im eigenen Namen abschliessen, so dass der Luftfrachtführer, der das Gut annimmt und den Frachtbrief unterschreibt oder abstempelt, ohne sich als Vertreter eines anderen auszugeben, notwendigerweise verpflichtet wäre,
BGE 85 II 209 S. 214
selber das Gut auf der ersten Teilstrecke zu befördern. Der Frachtvertrag kann nicht nur mit jenem Luftfrachtführer abgeschlossen werden, der das Gut auf der ersten Teilstrecke zu befördern hat, sondern auch mit jedem, der mit der Weiterbeförderung betraut wird; denn gemäss Art. 30 Abs. 1 WA gelten ohnehin alle als Parteien des Vertrages. Unter diesen Umständen vermöchte es nicht zu befriedigen, immer den das Gut annehmenden und den Frachtbrief unterschreibenden oder abstempelnden Luftfrachtführer als den "ersten" zu betrachten. Er handelt, ohne es zu sagen, notwendigerweise im Namen aller. Mit der Beförderung des Gutes hat er zunächst noch nichts zu tun, wenn sie auf der ersten Teilstrecke nicht ihm selber obliegt. Geht das Gut auf dieser Strecke verloren oder wird es daselbst zerstört, so befördert er selber es in diesem Falle überhaupt nie. Es liegt daher näher, dem Absender das Klagerecht gegen jenen zu geben, der laut Frachtbrief die Beförderung auf der ersten Teilstrecke zu besorgen hat und daher regelmässig einen Teil des Vertrages auch tatsächlich erfüllt. Dieser Luftfrachtführer steht dem Absender gewöhnlich auch örtlich am nächsten.
Von diesem Grundsatz ist auch dann nicht abzuweichen, wenn das Frachtgut laut Vertrag (Frachtbrief) einen Umweg zu machen hat, insbesondere vom Abgangsort auf dem Luftweg nach einem anderen Flughafen verbracht und von dort an den Abgangsort zurück (und über diesen hinaus) befördert werden soll. Die vertragsgemässe Reise des Gutes beginnt in diesem Falle schon mit dem ersten Verlassen des Abgangsortes; denn die Beförderung von diesem Orte weg und an ihn zurück dient im ganzen Reiseplan einem bestimmten Zweck, durch den die Erfüllung des Vertrages sichergestellt werden soll. Gewöhnlich wollen die Parteien sich dadurch gegen die Möglichkeit sichern, dass das Flugzeug des vereinbarten Kurses am Abgangsort des Gutes nicht sollte landen können. Unterbleibt diese Landung, so ist klar, dass die vereinbarte Beförderung schon mit dem Verlassen des Abgangsortes begann. Daher
BGE 85 II 209 S. 215
kann es sich nicht anders verhalten, wenn an diesem Orte auf dem Rückflug doch gelandet wird, was unter dem Gesichtspunkt der vereinbarten Beförderung nur noch ein zufälliges und daher bedeutungsloses Ereignis ist.
Ob der Absender für die Beförderung vom Abgangsort weg und an diesen zurück eine besondere Vergütung schuldet, ist grundsätzlich unerheblich. Wird eine solche nicht verlangt, so kann daraus jedenfalls der Regel nach nicht geschlossen werden, dass diese Beförderung nach dem Willen der Vertragschliessenden nicht zu den vertraglichen Leistungen des Luftfrachtführers gehören sollte. Steht zudem nach dem Inhalt des Frachtbriefes fest, dass auch diese Beförderung als Bestandteil des Vertrages betrachtet wurde, so kommt vollends nichts darauf an, ob die Frachtführer sich dafür einen zusätzlichen Lohn versprechen liessen. Die Stellung als erster Frachtführer hängt auch nicht davon ab, wie der im ganzen vereinbarte Frachtlohn verteilt wird; die Verteilung beeinflusst das Verhältnis zum Absender nicht.
Es kommt auch nichts darauf an, wer der Urheber des Gedankens ist, das Frachtgut vom Abgangsort weg und an diesen zurück zu befördern, und ob daher der Absender nach dem Plan, den er selbst sich machte, Anlass gehabt hätte, das Gut unmittelbar dem an diesem Umweg beteiligten ersten Frachtführer zu übergeben. Es genügt, wenn der Absender den vom Luftfrachtführer durch Vervollständigung des Frachtbriefes gemachten Vorschlag ausdrücklich oder stillschweigend hinnimmt und damit zum Bestandteil des Vertrages werden lässt. Nur ein Umweg, den der Absender aus dem zurückerhaltenen Doppel des Luftfrachtbriefes (s. Art. 6 Abs. 2 WA) nicht ersehen kann oder gegen den er sofort Einspruch erhebt, fällt allenfalls für die Bestimmung des ersten Frachtführers ausser Betracht.
Wenn der Frachtbrief den ersten Luftfrachtführer nicht ausdrücklich als solchen bezeichnet, kommt diese Stellung demnach jenem zu, der nach dem im Frachtbrief verurkundeten
BGE 85 II 209 S. 216
Vertragsinhalt das Gut auf der ersten Teilstrecke des gesamten Weges zu befördern hat, mag diese Strecke auch Bestandteil eines Umweges sein, der vom Abgangsort weg und an diesen zurück führt.
Dieser Grundsatz gilt jedenfalls dann, wenn dieser Luftfrachtführer tatsächlich an der Beförderung des Gutes als erster teilnimmt. Ob er dem Absender auch dann haftet, wenn er das Gut tatsächlich überhaupt nicht oder nicht als erster befördert, kann dahingestellt bleiben. Sollte diese Frage verneint werden müssen, so liefe der Absender freilich Gefahr, die Klage gegen den Unrichtigen einzureichen, wenn er sich auf die Angaben des Frachtbriefes verlässt und den tatsächlichen Verlauf der Beförderung nicht kennt. Für den Nachteil, der ihm daraus entstände, hätte ihn aber jener Luftfrachtführer schadlos zu halten, der das Gut vom Absender entgegennahm, ohne es an jenen weiterzugeben, der laut Frachtbrief die Beförderung auf der ersten Teilstrecke hätte besorgen sollen. Art. 9 WA bestimmt nämlich, der Luftfrachtführer, der das Gut annimmt, entgehe der Haftung laut Warschauer Abkommen nicht, wenn der Frachtbrief nicht alle in Art. 8 lit. a-i und q vorgeschriebenen Angaben enthält. Um so mehr bleibt er haftbar, wenn er den im Frachtbrief enthaltenen Angaben zuwider handelt, insbesondere das Gut nicht jenem Luftfrachtführer aushändigt, der es laut Frachtbrief als erster befördern müsste. Ist demnach der Absender auf alle Fälle gegen die Folgen einer solchen Abweichung vom Vertrage gesichert, so besteht kein Grund, auf sie in dem Sinne Rücksicht zu nehmen, dass der das Gut und den Frachtbrief annehmende Luftfrachtführer sich selbst dann als "erster" müsste belangen lassen, wenn er das Gut vertragsgemäss dem für die erste Beförderungsstrecke vorgesehenen Frachtführer übergeben hat.
6.
Die Firma Goth & Cie SA hat im Frachtbrief den ersten Luftfrachtführer nicht bezeichnet. Den dafür vorgesehenen Raum im Eckfeld unten rechts liess sie frei, und auch die Zeilen, die zur Bezeichnung des Beförderungsweges
BGE 85 II 209 S. 217
und der Luftfrachtführer in Verbindung mit den Frachtlöhnen bestimmt sind, füllte sie nicht aus. Sie setzte die Weisung "vol KL 645 du 4.4.55 et 687 PG 325 du 11.4.55" in den für die Bezeichnung des Gutes vorbehaltenen Raum. Dadurch gab sie zu erkennen, dass ihr nur an der Benützung des Kurses 645 der Beklagten vom 4. April 1955 mit Anschluss an Kurs 687 und des Kurses 325 der Panagra vom 11. April 1955 gelegen war und dass sie im übrigen die Ausfüllung des Formulars, auch die Bezeichnung des "ersten Frachtführers", der Beklagten überliess. Diese durfte sich daher jedenfalls unter der Voraussetzung, dass nicht ein höherer Frachtlohn gefordert werde, für berechtigt halten, das Gut zwecks Verladung in das Flugzeug ihres Kurses 645 auf dem Luftwege durch einen anderen Unternehmer nach Amsterdam verbringen zu lassen und diesen als den "ersten Luftfrachtführer" zu bezeichnen. Das Obergericht stellt denn auch fest, Goth & Cie SA habe gewusst, dass die Beklagte in einigen Fällen Frachtgüter für interkontinentale Beförderung von Zürich nach Amsterdam nahm, um sich gegen den Fall zu sichern, dass eine Landung in Zürich nicht möglich oder das Flugzeug schon voll beladen wäre, und die Absenderin habe sich jeweilen auf die Anfrage der Beklagten mit diesem Vorgehen einverstanden erklärt. Es führt ferner aus, wenn Goth & Cie SA auch im vorliegenden Falle angefragt worden wäre, hätte sie der Beklagten geantwortet, diese solle machen was sie wolle, nur müsse die Ware mit dem Kurs 645 vom 4. April fort. Unter diesen Umständen war es der Absenderin auch gleichgültig, wer für die Strecke Zürich-Amsterdam als Frachtführer eingeschaltet werde. Aus dem Exemplar des ergänzten Frachtbriefes, das sie am 4. April 1955 von der Beklagten erhielt, konnte sie ersehen, dass mit dieser Beförderung die Swissair betraut wurde; denn nach verbindlicher Feststellung des Obergerichts war ihren Speditionsfachleuten die Bedeutung der Abkürzung "sr" bekannt, welche die Beklagte an der für die Bezeichnung des Frachtführers vorbehaltenen Stelle
BGE 85 II 209 S. 218
eingesetzt hat. Indem Goth & Cie SA nach Empfang des Doppels des Frachtbriefes nicht widersprach, anerkannte sie die Beförderung des Gutes von Zürich nach Amsterdam mit dem Kurs 120 der Swissair stillschweigend als Bestandteil des Vertrages. Freilich fordert Art. 8 lit. e WA, es müsse im Luftfrachtbrief u.a. der Name und die Adresse des ersten Luftfrachtführers angegeben werden. Da indessen unter den Beteiligten kein Zweifel darüber obwalten konnte, dass die übliche Abkürzung "sr" Swissair bedeutet, und welches die Adresse dieser Fluggesellschaft ist, kann diese bloss summarische Angabe nach Treu und Glauben nicht beanstandet werden.
7.
Es kann sich nur noch fragen, ob die Beklagte dadurch, dass sie im Eckfeld unten rechts den Stempel "KLM Freight Apr. 2 1955 Zurich-Airport" anbrachte, sich selbst zum "ersten Luftfrachtführer" erklärte oder ob diese Stellung dem für die Beförderung von Zürich nach Amsterdam vorgesehenen und sie tatsächlich besorgenden Unternehmer, d.h. der Swissair zukommt.
Zu berücksichtigen ist, dass die Beklagte gemäss Art. 6 Abs. 2-4 WA verpflichtet war, das für den Absender bestimmte Doppel des Frachtbriefes unverzüglich nach der Annahme des Gutes zu unterzeichnen oder mit ihrem Stempel zu versehen. Es ist offensichtlich, dass die Beklagte ihren Stempel in Erfüllung dieser Pflicht in das rechte untere Eckfeld setzte; denn der Frachtbrief trägt weder einen zweiten Stempelabdruck noch eine Unterschrift. Das erwähnte Feld ist denn auch nicht nur zur Angabe des Namens und der Adresse des "ersten Luftfrachtführers" bestimmt, sondern enthält auch zwei Zeilen für die Unterschrift des ausstellenden Frachtführers oder seines Agenten sowie für Namen und Adresse dieses Agenten. Der Stempel füllt den freien Platz des Feldes von oben bis unten aus, ja reicht unten sogar über das Feld hinaus. Die Absenderin durfte daher nicht schliessen, er sei zur Bezeichnung des ersten Luftfrachtführers hingesetzt worden. Dass die Buchstaben KLM ungefähr auf der dafür vorbehaltenen
BGE 85 II 209 S. 219
Zeile stehen, ändert nichts; denn der Stempel ist als Ganzes zu betrachten. Dazu kommt, dass die natürlichste Ordnung darin besteht, jenen Unternehmer als ersten Frachtführer zu behandeln, der mit der Beförderung auf der ersten Teilstrecke betraut wird. Wenn die Vertragschliessenden davon abweichen wollen, haben sie daher allen Anlass, es deutlich zu sagen, und zwar selbst dann, wenn nicht der für die erste Beförderung ausersehene Frachtführer, sondern einer der nachfolgenden das Gut und den Frachtbrief vom Absender übernimmt. Ferner ist zu bedenken, dass es der Firma Goth & Cie SA gleichgültig war, wer erster Frachtführer sei. Bei dieser Sachlage kann die Klägerin aus dem Stempelaufdruck der Beklagten nichts zugunsten ihrer Auffassung ableiten, sondern muss sie sich gefallen lassen, dass die der natürlichen Ordnung entsprechende Stellung des ersten Frachtführers der Swissair zukommt.
Die Beklagte haftet daher der Klägerin nicht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil der I. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 3. März 1959 aufgehoben und die Klage abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bf5b5ea4-8e28-44ab-836a-28549e139d12 | Urteilskopf
110 V 183
29. Auszug aus dem Urteil vom 16. Juli 1984 i.S. Bärtschi gegen Kranken- und Unfallkasse "Die Eidgenössische" und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Art. 6bis und 12 ff. KUVG
,
Art. 125 Ziff. 3 OR
: Verrechnung im Krankenkassenbereich.
Die anerkannten, öffentlichrechtlich oder privatrechtlich organisierten Krankenkassen sind berechtigt, geschuldete Versicherungsleistungen mit ausstehenden Beitragsforderungen zu verrechnen.
Ein entsprechendes Verrechnungsrecht steht den Versicherten nicht zu (Änderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 183
BGE 110 V 183 S. 183
A.-
Die Eheleute Bärtschi sind bei der Kranken- und Unfallkasse "Die Eidgenössische" versichert. Diese stellte ihnen am 18. August 1981 Rechnung in der Höhe von Fr. 1'200.- für die Beiträge der Monate Dezember 1980 bis September 1981. Die Versicherten verrechneten diese Beitragsschuld mit einer Gegenforderung von Fr. 721.-, die sie aus "Porti, Prämiendiff. Juli-Nov. 1980, 1. Zahnbehandl., 2. Zahnbehandl." herleiteten, und überwiesen am 15. September 1981 der Kasse die Differenz von Fr. 479.-.
Mit Verfügung vom 23. September 1981 teilte die Kasse den Eheleuten Bärtschi mit, sie weise die "vorgenommenen willkürlichen Abzüge im Gesamtbetrag von Fr. 721.- in aller Form zurück".
BGE 110 V 183 S. 184
Sie setzte die restliche Beitragsschuld auf Fr. 721.- fest und forderte die beiden Versicherten zur Bezahlung dieses Betrages auf.
B.-
Beschwerdeweise verlangten die Versicherten die Aufhebung der Kassenverfügung und die Gutheissung der von ihnen vorgenommenen Verrechnung.
Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt vertrat die Auffassung, dass das Krankenkassenmitglied nach geltender Lehre und Rechtsprechung nur dann gegen den Willen der Kasse fällige Beiträge mit fälligen Kassenleistungen verrechnen dürfe, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung hierzu vorliege. Dies treffe gerade im vorliegenden Fall nicht zu, "wird doch das Verrechnungsrecht nach KUVG dem einzelnen Mitglied nicht zugestanden". Auch die Kassenstatuten würden kein solches Recht zuerkennen. Mit Entscheid vom 10. Mai 1982 wies das Gericht die Beschwerde ab.
C.-
Gegen diesen Entscheid führen die Eheleute Bärtschi Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides. Sie vertreten im wesentlichen die Auffassung, es bedeute eine Rechtsungleichheit, wenn Krankenkassen ihre geschuldete Leistung mit ihrem Beitragsguthaben verrechnen dürften, dem Versicherten ein entsprechendes Recht aber nicht zustehe.
Die Kasse und das Bundesamt für Sozialversicherung beantragen die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Streitig ist, ob die Beschwerdeführer berechtigt sind, ihre Beitragsschuld gegenüber der Krankenkasse durch Verrechnung mit ausstehenden, an sich unbestrittenen Versicherungsleistungen zu tilgen.
Da es sich dabei nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG
;
BGE 104 V 6
Erw. 1).
BGE 110 V 183 S. 185
2.
Die Verrechenbarkeit sich gegenüberstehender Forderungen stellt nach Rechtsprechung und Lehre einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, der für das zivile Recht in
Art. 120 ff. OR
ausdrücklich verankert ist, aber auch im Verwaltungsrecht zur Anwendung gelangt. Unter Vorbehalt verwaltungsrechtlicher Sonderbestimmungen können im Prinzip Forderungen und Gegenforderungen des Bürgers und des Gemeinwesens miteinander verrechnet werden (IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Bd. I Nr. 33, insbesondere S. 195;
BGE 91 I 292
,
BGE 72 I 379
und
BGE 71 I 292
). Der Verrechnungsgrundsatz gilt insbesondere auch im Sozialversicherungsrecht. In den meisten Zweigen der Sozialversicherung findet sich hierüber sogar eine gesetzliche Regelung, nämlich in
Art. 20 Abs. 2 AHVG
,
Art. 50 IVG
,
Art. 96 Abs. 3 KUVG
,
Art. 50 Abs. 3 UVG
,
Art. 48 Abs. 3 MVG
,
Art. 2 Abs. 2 EOG
,
Art. 34 Abs. 2 AlVG
,
Art. 94 Abs. 2 AVIG
. Dabei ist zu beachten, dass in allen diesen Bestimmungen das Verrechnungsrecht nur der Verwaltung und nicht auch dem Bürger eingeräumt wird.
In der Krankenversicherung ist das Verrechnungsrecht nicht gesetzlich normiert. Indessen hat die Praxis - in Analogie zu den andern Zweigen der Sozialversicherung, insbesondere zu
Art. 20 Abs. 2 AHVG
und dem altrechtlichen
Art. 96 Abs. 3 KUVG
- den Krankenkassen das Verrechnungsrecht zugestanden. Das ist zum Teil ausdrücklich gesagt, teils aber auch stillschweigend vorausgesetzt worden (
BGE 108 V 45
,
BGE 100 V 134
Erw. 3,
BGE 99 V 197
Erw. 3; RSKV 1974 Nr. 201 S. 143 Erw. 3 und 1973 Nr. 174 S. 124).
3.
Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob auch der Versicherte eine Forderung der Kasse gegen ihn durch Verrechnung mit seiner eigenen Leistungsforderung tilgen kann. Kasse und Vorinstanz haben dies verneint, was die Beschwerdeführer als Rechtsungleichheit rügen.
In dem in RSKV 1970 Nr. 78 S. 184 publizierten Urteil hat das Eidg. Versicherungsgericht das Recht des Versicherten zur Verrechnung gegenüber einer öffentlichen Krankenkasse verneint. Es stützte sich dabei auf
Art. 125 Ziff. 3 OR
, wonach Verpflichtungen gegenüber dem Gemeinwesen gegen dessen Willen nicht durch Verrechnung getilgt werden können. Da die damals betroffene öffentliche Krankenkasse als Teil einer Stadtverwaltung, somit eines Gemeinwesens, betrachtet wurde und da sich die Kasse mit der Verrechnung nicht einverstanden erklärt hatte, wurde der
BGE 110 V 183 S. 186
Verrechnungsanspruch des Versicherten verneint (Erw. 4 des zitierten Urteils). - Das in RSKV 1980 Nr. 411 S. 125 veröffentlichte Urteil hatte den Fall eines Versicherten zum Gegenstand, welcher die Verrechnung gegenüber einer Krankenkasse geltend machte, die als Genossenschaft organisiert war. Das Gericht erachtete die Verrechnung durch den Versicherten hier als zulässig, weil sich die Kasse als Genossenschaft nicht auf
Art. 125 Ziff. 3 OR
berufen könne (Erw. 2b des Urteils).
Diese unterschiedliche Handhabung der Verrechnungsmöglichkeit, je nachdem ob die Verrechnung gegenüber einer privatrechtlich oder einer öffentlichrechtlich organisierten Krankenkasse geltend gemacht wird, vermag indessen nicht zu befriedigen. Bekanntlich weisen die Rechtsverhältnisse in einer privatrechtlich organisierten Krankenkasse sowohl zivilrechtliche als auch öffentlichrechtliche Elemente auf. Die letzteren überwiegen jedenfalls dort, wo es um die der Krankenkasse übertragene öffentliche Aufgabe geht, nämlich die Durchführung der sozialen Krankenversicherung durch Erbringung von Leistungen einerseits und deren Finanzierung durch Beiträge der Versicherten anderseits. In diesem Rahmen ist es unerheblich, ob eine Krankenkasse privatrechtlich oder öffentlichrechtlich organisiert ist. Die Rechtsstellung des Versicherten bezüglich seines Versicherungsverhältnisses darf nicht von der Organisationsform der Kasse abhängen.
Wie bereits dargelegt, ist in den meisten Sozialversicherungsgesetzen des Bundes das Verrechnungsrecht geregelt. Übereinstimmend wird dieses Recht jeweils nur der Verwaltung eingeräumt; die gesetzlichen Formulierungen schliessen ein Verrechnungsrecht des Versicherten aus. Der Grund für diese übereinstimmenden Regelungen liegt darin, dass nur die Verwaltung befugt ist, Verfügungen zu erlassen, d.h. einseitig und hoheitlich über Rechte und Pflichten der Versicherten zu befinden (vgl.
Art. 5 VwVG
). Hieraus ergibt sich die einseitige Zuerkennung des Verrechnungsrechtes an die Verwaltung. Das hat insbesondere auch für die Krankenversicherung zu gelten. Würde man in diesem Bereich das Verrechnungsrecht auch dem Versicherten zugestehen, so hätte es dieser in der Hand, zunächst von sich aus zu bestimmen, welche Kassenleistungen er für richtig hält, und damit die Krankenkasse zu veranlassen, eine Beitragsverfügung zu erlassen, bei der die Beiträge an sich gar nicht streitig sind, sondern eben die Leistungen. Zudem liegt es im Interesse der Vereinheitlichung des Sozialversicherungsrechts, auch in der Krankenversicherung das Recht zur
BGE 110 V 183 S. 187
Verrechnung einseitig nur den - öffentlichen und privaten - Krankenkassen einzuräumen. In diesem Sinne ist die bisherige Rechtsprechung zu ändern. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
bf5d55cf-6482-4f81-9576-2a923fcc8078 | Urteilskopf
112 Ia 173
30. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. September 1986 i.S. P. gegen Bezirksgericht und Rekurskommission des Kantonsgerichts St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 30 Abs. 1 OG
.
Eine Rechtsschrift ans Bundesgericht, auf der sich die Unterschrift nur in Photokopie befindet, ist ungültig. | Erwägungen
ab Seite 173
BGE 112 Ia 173 S. 173
Aus den Erwägungen:
1.
Mit der vorliegenden Beschwerde wendet sich P. gegen zwei Entscheide der St. Galler Behörden. Die Eingabe wurde von seiner Vertreterin, Frau P., verfasst. Diese reichte dem Bundesgericht allerdings nicht das Original der Rechtsschrift ein, sondern zwei Kopien der zuvor unterschriebenen Beschwerde. Auch der Briefumschlag wurde nicht mit einer eigenhändigen Unterschrift versehen.
Alle für das Bundesgericht bestimmten Rechtsschriften sind zu unterschreiben (
Art. 30 Abs. 1 OG
). Die Unterschrift ist nach konstanter Rechtsprechung Gültigkeitsvoraussetzung (
BGE 102 IV 143
,
BGE 86 III 3
,
BGE 83 II 514
,
BGE 81 IV 143
,
BGE 80 IV 48
,
BGE 77 II 352
). Sie muss eigenhändig angebracht werden, nicht z.B. mit der Schreibmaschine (
BGE 86 III 3
f.); auch eine photokopierte Unterschrift genügt nicht, weil sonst dem Missbrauch vermittels Photomontage Tür und Tor geöffnet wären. Auf die nicht rechtsgültig unterzeichnete Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
bf650bad-6c97-4c1e-af93-305461a89a37 | Urteilskopf
112 Ia 268
42. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Oktober 1986 i.S. Stadt Zürich gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Gemeindeautonomie. Wohnanteilplan der Stadt Zürich.
1. Autonomie der Zürcher Gemeinden auf dem Gebiet der Ortsplanung innerhalb der Schranken des Richtplans (E. 2).
2. Grundsätzliche Bindung des Kantons an eine kommunale Planung, soweit diese kompetenzgerecht festgesetzt wurde und übergeordnetem Recht nicht widerspricht, es sei denn, sie behindere den Kanton in der Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben in unzumutbarer Weise (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 269
BGE 112 Ia 268 S. 269
Am 5. November 1980 beschloss der Gemeinderat der Stadt Zürich einen Wohnanteilplan. Dieser scheidet in den Wohnzonen und in der Kernzone Gebiete aus, worin ein Mindestanteil der Bruttogeschossfläche der Bauten Wohnzwecken dienen muss. Der vorgeschriebene Wohnanteil ändert an der bestehenden Nutzung nichts; diese geniesst Bestandesgarantie. Der Wohnanteilplan muss hingegen bei Neu- und Umbauten beachtet werden.
Mit Beschluss vom 22. Januar 1986 genehmigte der Regierungsrat des Kantons Zürich den Wohnanteilplan. Der Rat versagte dem Plan jedoch die Genehmigung unter anderem in bezug auf verschiedene Liegenschaften, die öffentlichen Aufgaben dienen. Gegen diesen Beschluss führt die Stadt Zürich mit Eingabe vom 19. Februar 1986 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und der Gemeindeautonomie. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist sie im übrigen ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Regierungsrat den Wohnanteilplan der Stadt Zürich in bezug auf einzelne, öffentlichen Aufgaben dienende Liegenschaften von der Genehmigung ausgenommen. Diese teilweise Nichtgenehmigung trifft die Stadt Zürich in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt. Sie ist daher berechtigt, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung ihrer Autonomie zu rügen. Ob ihr im betreffenden Bereich tatsächlich Autonomie zusteht, ist keine Frage der Legitimation, sondern Gegenstand der materiellen Beurteilung (
BGE 110 Ia 198
/199 E. 1 mit Hinweisen). Im Zusammenhang mit der Rüge der Autonomieverletzung kann die Beschwerdeführerin grundsätzlich auch einen Verstoss gegen
Art. 4 BV
geltend machen; der Berufung auf diese Verfassungsvorschrift kommt im vorliegenden Fall jedoch keine selbständige Bedeutung zu. Die Beschwerde ist fristgerecht eingereicht worden und erfüllt auch die übrigen formellen Anforderungen, weshalb darauf grundsätzlich einzutreten ist.
b) Während des bundesgerichtlichen Verfahrens hat die Stadt Zürich die Beschwerde in bezug auf die Liegenschaft Selnaustrasse 36 zurückgezogen. Insoweit ist die Beschwerde als erledigt abzuschreiben.
c) Aus der Beschwerdeantwort der Direktion der öffentlichen Bauten ergibt sich, dass die Gebäude Lorenzgasse 6 und 8 von der Nichtgenehmigung des Wohnanteilplans nicht betroffen sind. In
BGE 112 Ia 268 S. 270
diesem Umfang fehlt es an einem anfechtbaren Entscheid (
Art. 84 Abs. 1 OG
); hinsichtlich dieser beiden Gebäude ist daher auf die Beschwerde nicht einzutreten.
2.
a) Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen Bereich nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (
BGE 110 Ia 199
E. 2 mit Hinweis). Ist diese Voraussetzung erfüllt, so kann sich die Gemeinde mit staatsrechtlicher Beschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass die kantonale Behörde im Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder dass sie bei der Anwendung der kommunalen, kantonalen und bundesrechtlichen Normen, die den betreffenden Sachbereich ordnen, gegen das Willkürverbot verstösst oder, soweit kantonales oder eidgenössisches Verfassungsrecht in Frage steht, dieses unrichtig auslegt oder anwendet (
BGE 111 Ia 132
E. 4a;
BGE 110 Ia 200
E. 2b, je mit Hinweisen).
b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung steht den Zürcher Gemeinden beim Erlass einer Bau- und Zonenordnung ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie sind insoweit grundsätzlich autonom. Das ergibt sich namentlich aus den §§ 2 lit. c, 31, 32 und 45 ff. des Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht vom 7. September 1975 (Planungs- und Baugesetz, PBG;
BGE 111 Ia 132
/133 E. 4b mit Hinweis; Urteil vom 27. Oktober 1982 i.S. Gemeinde Wetzikon, E. 3a, in: ZBl 84/1983, S. 317). Als kommunaler Nutzungsplan fällt mithin auch ein Wohnanteilplan in den Autonomiebereich der Zürcher Gemeinden. Ihre Befugnis, die Nutzung zu Wohnzwecken innerhalb der Bauzonen verbindlich vorzuschreiben, ist in
§ 50 Abs. 4,
§ 51 Abs. 3 und
§ 52 Abs. 2 PBG
für die Kernzonen, die Zentrumszonen und die Wohnzonen ausdrücklich vorgesehen. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Wohnanteilplans hat das Bundesgericht anerkannt (
BGE 111 Ia 93
ff.). Die Stadt Zürich kann sich somit zur Anfechtung der teilweisen Nichtgenehmigung des Wohnanteilplans auf ihre Autonomie berufen.
Soweit jedoch die Vereinbarkeit des Wohnanteilplans mit dem kantonalen Plan der öffentlichen Bauten in Frage steht, unterscheidet die Rechtsprechung zwischen zwei Fällen. Überlässt der kantonale Plan in seiner Eigenschaft als Richtplan der Gemeinde eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit, so kann sie den Schutz ihrer Autonomie beanspruchen. Entzieht er ihr jedoch die
BGE 112 Ia 268 S. 271
Entscheidungsfreiheit in einzelnen Bereichen, so ist sie insoweit nicht autonom (
BGE 111 Ia 133
/134 E. 5b). In bezug auf den kantonalen Plan der öffentlichen Bauten und Anlagen liegt die Grenze der Autonomie dort, wo sich aus dem Richtplan mit genügender Deutlichkeit die gewollte Nutzung für das in Frage stehende Areal ergibt. Es trifft dies namentlich insoweit zu, als der Richtplan über den Stand der den Planungsgrundsätzen entsprechenden raumwirksamen Tätigkeiten Aufschluss gibt (Art. 6 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979, RPG; Art. 4 Abs. 1 der Verordnung über die Raumplanung vom 26. März 1986, RPV). In diesem Fall verbleibt der Gemeinde keine Entscheidungsfreiheit, eine andere Nutzung vorzuschreiben; insoweit ist sie nicht autonom. Wo dagegen keine solche Bestimmtheit der mit dem Richtplan gewollten Nutzung für ein Areal ersichtlich ist, verbleibt der Gemeinde ein planerischer Ermessensspielraum. In diesem Umfang steht ihr Autonomie zu.
c) Wann eine Gemeinde durch den Entscheid einer kantonalen Rechtsmittel- oder Genehmigungsbehörde in ihrer Autonomie verletzt ist, hängt vom Umfang der Überprüfungsbefugnis der kantonalen Instanz ab. Als Teil des Zonenplans unterliegt der Wohnanteilplan der regierungsrätlichen Genehmigung (§ 2 lit. a i.V.m.
§ 89 PBG
). Dem Regierungsrat steht dabei die Prüfung des Plans auf Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Angemessenheit zu (
§ 5 Abs. 1 PBG
). Bei dieser umfassenden Prüfungsbefugnis des Regierungsrates kann die Stadt Zürich nur dann mit Erfolg eine Verletzung ihrer Autonomie geltend machen, wenn die teilweise Nichtgenehmigung des Plans sich nicht mit vernünftigen, sachlichen Gründen vertreten lässt. Auch darf der Regierungsrat nicht einfach das Ermessen der Gemeinde durch sein eigenes Ermessen ersetzen. Er hat es in Übereinstimmung mit der Regel von
Art. 2 Abs. 3 RPG
den Gemeinden zu überlassen, unter mehreren verfügbaren und zweckmässigen Lösungen zu wählen. Der Regierungsrat kann jedoch bei seiner Zweckmässigkeitskontrolle nicht erst einschreiten, wenn die Lösung der Gemeinde ohne sachliche Gründe getroffen wurde und schlechthin unhaltbar ist. Die kantonalen Behörden dürfen sie vielmehr korrigieren, wenn sie sich auf Grund überkommunaler öffentlicher Interessen als unzweckmässig erweist oder wenn sie den wegleitenden Grundsätzen und Zielen der Raumplanung nicht entspricht oder unzureichend Rechnung trägt. Hat der Regierungsrat mit vernünftiger, sachlicher Begründung die in Frage stehenden Liegenschaften von der Genehmigung
BGE 112 Ia 268 S. 272
ausgenommen, so kann darin keine Verletzung der Autonomie der Stadt Zürich gesehen werden (
BGE 110 Ia 52
E. 3 mit Hinweisen).
3.
a) Ausser diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall zu beachten, dass der Regierungsrat für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben des Kantons verantwortlich ist. Der Rat begründet denn auch die umstrittene Nichtgenehmigung grösstenteils damit, dass der Kanton zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben über die in Frage stehenden Liegenschaften ohne Bindung an einen Wohnanteil verfügen können müsse. Mit Recht stellt er jedoch nicht grundsätzlich in Abrede, dass sich der Kanton beim Neu-, Um- oder Ausbau von Gebäuden für öffentliche Zwecke an die Gemeindebauvorschriften zu halten hat. Er geht zwar zu Unrecht davon aus, dass die vom Bundesgericht in einem Urteil aus dem Jahre 1965 dargelegten Grundsätze nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden könnten. Nach jenem Entscheid folgt aus dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung, dass der Kanton als Bauherr nicht nur an das Baurecht gebunden ist, das er selbst oder das der Gesetzgeber einer höheren Stufe erlassen hat. Er hat vielmehr auch die Bauvorschriften der unteren Verbände einzuhalten, soweit diese kompetenzgerecht festgesetzt wurden und übergeordnetem Recht nicht widersprechen (
BGE 91 I 422
ff. E. 2).
Im Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden fällt freilich ins Gewicht, dass die Gemeinden der allgemeinen Aufsicht des Kantons unterstehen. Wie das Bundesgericht im angeführten Entscheid festgehalten hat, führt das unter anderem dazu, dass der Kanton auf vielen Gebieten über andere und weitergehende Möglichkeiten verfügt, um einer Behinderung seiner Verwaltungstätigkeit durch das Recht der unteren Verbände vorzubeugen oder entgegenzutreten (
BGE 91 I 425
E. 2b).
b) Diese Grundsätze gelten auch für die in Erfüllung der Planungspflicht festgesetzten Richt- und Nutzungspläne (
Art. 2 RPG
;
§
§ 8 ff. PBG
). Deren Verbindlichkeit bringt das Zürcher Planungs- und Baugesetz in § 9 Abs. 1 mit der Umschreibung der Grenzen zum Ausdruck, die jeder Planungsträger zu beachten hat. Danach gehen die Planungen jedes Planungsträgers räumlich und sachlich so weit, als die Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben und die Wahrung seiner Interessen es erfordern. Aus dieser Vorschrift ergibt sich auch für das Zürcher Recht, das die Planhierarchie betont (
§ 16 PBG
), das Gebot der Planabstimmung, wie es dem Eidgenössischen Raumplanungsgesetz zugrunde liegt (
Art. 2
BGE 112 Ia 268 S. 273
RPG
; MARTIN LENDI/HANS ELSASSER, Raumplanung in der Schweiz, 2. A., Zürich 1986, S. 227/228). Eine Planung, welche die räumlichen und sachlichen Grenzen beachtet und demgemäss kompetenzgerecht ist, bindet auch die Planungsträger übergeordneter Stufe, es sei denn, sie widerspreche einer ebenfalls kompetenzgerecht festgesetzten Planung der oberen Stufe (
§ 16 PBG
). Soweit ein solcher Widerspruch vorliegt, ist die Planung der unteren Stufe - wie die Direktion der öffentlichen Bauten zutreffend darlegt - wegen Verstosses gegen die Verbindlichkeit der übergeordneten Planung rechtswidrig und schon deshalb nicht zu genehmigen.
Wie dargelegt (E. 2), darf der Kanton ausserdem eine kommunale Planung nicht nur beanstanden, wenn diese klar gegen übergeordnetes Recht einschliesslich übergeordneter Planungen verstösst, sondern bereits dann, wenn sie sich im Blick auf überkommunale öffentliche Interessen als unzweckmässig erweist. So anerkennt der Stadtrat zu Recht, dass es dem Kanton zusteht, einer kommunalen Planung die Genehmigung zu versagen, wenn diese die Erfüllung der ihm obliegenden öffentlichen Aufgaben in unzumutbarer Weise behindern würde. Doch darf eine solche Behinderung nicht leichtfertig angenommen werden; sie ist nur anzuerkennen, wenn die im Spiel stehenden öffentlichen Interessen des Kantons und die entgegenstehende Erschwerung durch die kommunale Planung von erheblichem Gewicht sind.
c) Bei der Prüfung der Frage, ob der Kanton mit Grund eine unzumutbare Erschwerung bei der Erfüllung der ihm obliegenden öffentlichen Aufgaben geltend macht, ist sodann die Funktion der Raumplanung zu berücksichtigen, die als ständige Aufgabe die raumwirksamen Tätigkeiten aller Hoheitsträger aufeinander abzustimmen hat (
Art. 1 Abs. 1 und
Art. 2 Abs. 1 RPG
). Die Planungen sind veränderten Verhältnissen und besseren Erkenntnissen anzupassen (
Art. 9 Abs. 2 und
Art. 21 Abs. 2 RPG
;
§ 9 Abs. 2 PBG
). Das Raumplanungsgesetz fordert daher als Regel alle zehn Jahre eine gesamthafte Überprüfung und nötigenfalls Überarbeitung der Richtpläne (
Art. 9 Abs. 3 RPG
). Für die Nutzungspläne sieht es die Bemessung der Bauzonen nach dem voraussichtlichen Bedarf von fünfzehn Jahren vor, was die Anpassung der entsprechenden Planungen nach sich ziehen muss, wenn die Bauzone diesem Bedarf in erheblichem Ausmass nicht mehr entspricht (Art. 21 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 15 lit. b RPG
). In gleicher Weise gilt diese Überprüfungs- und Anpassungspflicht auch für Wohnanteilpläne.
BGE 112 Ia 268 S. 274
Werden diese veränderten Verhältnisse nicht mehr gerecht, so sind sie anzupassen oder aufzuheben (
BGE 111 Ia 99
E. 2b).
Diese Änderungspflicht kommt auch zum Zug, wenn sich später zeigt, dass eine öffentliche Aufgabe nicht oder nur mit unzumutbarer Erschwerung erfüllt werden könnte, wenn der festgesetzte Wohnanteil eingehalten werden müsste. Steht das im Zeitpunkt des Planerlasses nicht mit genügender Bestimmtheit fest, besteht für den Kanton kein Anlass, einer kompetenzgerechten Planung der Gemeinde die Genehmigung zu versagen. Wie das Bundesgericht im erwähnten Urteil dargelegt hat, darf der Kanton die Genehmigung erst nach allseitiger Würdigung aller Umstände und nach Abwägung der entgegenstehenden Interessen verweigern. Der Kanton hat auch zu beachten, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Planungsinstrumenten zu einem späteren Zeitpunkt für das untergeordnete Gemeinwesen verbindlich anordnen kann, was zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben nötig ist (
BGE 91 I 425
E. 2).
Könnte der Anordnung kommunaler Wohnanteile die Genehmigung schon versagt werden, indem sich der Kanton ohne nähere Begründung auf die ihm obliegenden öffentlichen Aufgaben berufen würde, um einer ihn möglicherweise behindernden Wohnanteilpflicht zu entgehen, so würde der Grundsatz verletzt, wonach sich auch das Gemeinwesen an die im öffentlichen Interesse geforderten Nutzungsbeschränkungen zu halten hat. Der Wohnanteilplan der Stadt Zürich nimmt daher zu Recht nicht alle öffentlichen Zwecken dienenden Grundstücke von der Wohnanteilpflicht aus. Wie das Bundesgericht schon bei der Beurteilung von Beschwerden privater Eigentümer gegen ihnen auferlegte Wohnanteile festgestellt hat, wurde von einem Wohnanteil nur dort von vornherein abgesehen, wo klar feststand, dass die zweckmässige Erfüllung der öffentlichen Aufgaben den Ausschluss von Wohnungen fordert (unveröffentlichtes Urteil vom 27. Februar 1985 i.S. Crystal Hotels und Mitbeteiligte gegen Stadt Zürich, E. 7a). Mit Recht darf andererseits eine bestehende Liegenschaft, die öffentlichen Zwecken dient, von der Pflicht zur Einhaltung eines Wohnanteils befreit werden, auch wenn möglicherweise auf weite Sicht eine Verlegung des entsprechenden Betriebs vorgesehen ist. Wird eine öffentliche Anstalt wie etwa ein Spital oder ein Universitätsbetrieb verlegt und die bisherige Liegenschaft nicht mehr für öffentliche Aufgaben benötigt, so haben sich die Verhältnisse erheblich geändert; die Gemeinde kann daher mit Recht eine Änderung des Wohnanteilplans
BGE 112 Ia 268 S. 275
beschliessen, einen Wohnanteil anordnen oder vom Regierungsrat die Wiedererwägung einer ausgesprochenen Nichtgenehmigung verlangen (
§ 9 Abs. 2 PBG
;
Art. 21 Abs. 2 RPG
).
4.
Im folgenden ist anhand der dargelegten Grundsätze für jede der in Frage stehenden Liegenschaften im einzelnen zu prüfen, ob der angefochtene Regierungsratsbeschluss die Autonomie der Stadt Zürich verletzt. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
bf66578c-e456-49e0-a32a-07e880525fcd | Urteilskopf
107 IV 84
25. Estratto della sentenza della Corte di cassazione dell'8 gennaio 1981 nella causa A. c. Procura pubblica sottocenerina (ricorso per cassazione) | Regeste
Art. 32 StGB
.
Die in Erfüllung einer Amtspflicht begangene Tat muss ihrem Zweck angemessen sein.
Verhältnismässigkeit verneint im Falle eines Polizisten, der einen die Weisung zum Anhalten (Routinekontrolle) nicht befolgenden, unschwer identifizierbaren Motorradfahrer an der Weiterfahrt mit einer Intervention hinderte, welche einen schweren Sturz des Mororradfahres zur Folge hatte. | Sachverhalt
ab Seite 85
BGE 107 IV 84 S. 85
Il pomeriggio del 2 maggio 1978 l'agente della Polizia comunale A. decideva, insieme con un suo collega di effettuare un controllo dei ciclomotori che uscivano dalle scuole di B. A tal fine i due agenti si proponevano di fermare i ciclomotoristi sulla discesa che porta in direzione dello stadio. Verso le 16.45 facevano segno di fermarsi a un gruppo di quattro ciclomotoristi, di cui tre circolavano più o meno compatti, mentre il quarto, C., procedeva leggermente discosto. I due agenti si trovavano al centro della strada, in uniforme. I primi tre ciclomotoristi si fermavano, mentre C., che circolava col motore acceso ma in folle, proseguiva la propria marcia piegando verso la sinistra, nell'intento di eludere il controllo. A., resosi conto che C. non si sarebbe fermato, si spostava anch'egli sulla sinistra aprendo le braccia. Il ciclomotorista abbassava la testa per passare sotto il braccio dell'agente, ma urtava la mano dell'agente, perdeva l'equilibrio e cadeva battendo il capo contro un paletto di cemento situato al ciglio della strada. In tale infortunio riportava una frattura della base del cranio, una commozione cerebrale, come pure altre fratture.
Con sentenza del 18 giugno 1980 il Pretore della giurisdizione di Lugano-Distretto condannava A. per lesioni semplici colpose a una multa di Fr. 300.-- (con il beneficio della cancellazione della relativa iscrizione nel casellario giudiziale in caso di buona condotta durante un periodo di prova di un anno).
La Corte di cassazione e di revisione penale del Cantone Ticino (CCRP) respingeva il gravame presentatole da A. Questi ha impugnato dinnanzi al Tribunale federale ricorso per cassazione la sentenza dell'ultima istanza cantonale, chiedendo che essa sia annullata e che la causa sia rinviata all'autorità cantonale perché lo assolva.
Il Tribunale federale ha respinto il ricorso.
Erwägungen
Dai considerandi in diritto:
4.
Sia la decisione impugnata che il ricorrente rilevano a ragione che l'atto ordinato per un dovere d'ufficio dev'essere proporzionato al suo scopo. Tale condizione è chiaramente espressa dall'art. 9 della legge ticinese sulla Polizia cantonale, che il ricorrente considera a lui applicabile per analogia nella sua qualità di agente di polizia comunale:
"Ai fini dell'adempimento dei doveri d'ufficio o imposti dalle leggi, la
polizia può ricorrere alla coercizione fisica strettamente proporzionata,
BGE 107 IV 84 S. 86
nei mezzi e nel grado, per impedire fughe, vincere resistenze, respingere
violenza o superare pericoli attuali e non altrimenti evitabili."
La necessità della proporzionalità risulta chiaramente da questa disposizione del diritto cantonale applicabile all'atto commesso dal ricorrente (
DTF 94 IV 7
consid. 1 e richiami). In sede di giudizio su ricorso per cassazione l'applicazione di detta norma cantonale non può essere esaminata come tale (
art. 269 cpv. 1 PP
). Ciò non ha peraltro rilevanza nella fattispecie, dato che l'esigenza della proporzionalità risulta direttamente dall'
art. 32 CP
, ossia da una disposizione del diritto federale (
DTF 100 Ib 18
;
DTF 99 IV 256
,
DTF 96 IV 20
, 94 IV 8 e richiami).
a) Per rispettare la proporzionalità occorre ponderare i valori che entrano in considerazione: da un lato, il fine perseguito dall'agente, dall'altro, i mezzi da lui utilizzati per realizzarlo.
Nella fattispecie, lo scopo perseguito dal ricorrente era quello di sottoporre il veicolo di C. a un controllo tecnico e, dato che C. sembrava volersi sottrarre a tale controllo, di fermarlo per costringerlo a subire il controllo. L'importanza della necessità di fermarlo dipendeva dall'importanza del controllo. Il valore dello scopo perseguito era determinato unicamente dal valore del controllo previsto; la necessità di fermare il ciclomotorista costituiva soltanto il corollario dell'esigenza d'effettuare il controllo. Quest'ultimo era destinato a garantire l'osservanza di disposizioni amministrative la cui violazione non comporta necessariamente un rischio concreto per l'integrità delle persone. Dalla decisione impugnata non risulta infatti che, nel momento in cui il ricorrente è intervenuto, il ciclomotore di C. manifestasse indici di pericolo concreto per la circolazione, né il ricorrente pretende d'altronde che esistesse tale pericolo (e ciò anche se, come risulta dagli atti, il veicolo presentava anomalie tecniche, accertate successivamente, che avrebbero comportato per il ciclomotorista l'obbligo di regolarizzare la situazione e di pagare eventualmente una contravvenzione). Lo scopo perseguito dall'agente era, al momento del suo intervento, di natura formale. Per converso, il mezzo utilizzato per realizzarlo comportava un rischio concreto per l'integrità fisica del conducente recalcitrante, il quale, secondo quanto accertato dall'autorità cantonale, non poteva fermarsi a causa della velocità con cui circolava e della distanza relativamente breve che lo separava dall'ostacolo costituito dall'agente di polizia spostatosi sulla corsia nella quale il ciclomotorista s'era immesso. Non essendo in grado, secondo quanto accertato dall'autorità
BGE 107 IV 84 S. 87
cantonale, di fermarsi tempestivamente, il conducente correva pericolo di cadere e di ferirsi. Il valore messo a repentaglio dal ricorrente, ossia l'integrità fisica di una persona, era assai maggiore di quello del controllo formale a cui il ricorrente intendeva procedere. V'era quindi una sproporzione manifesta tra lo scopo perseguito e il mezzo utilizzato. In un caso paragonabile, il Tribunale federale ha deciso, nello stesso senso, che il principio della proporzionalità era stato violato da un agente di polizia che, per fermare dei bracconieri i quali s'erano due volte sottratti al suo controllo fuggendo a bordo del loro veicolo, aveva fatto uso della propria arma da fuoco, rischiando di ferirli, benché non esistessero indizi che lasciassero supporre che essi fossero pericolosi e che avessero commesso reati ulteriori, diversi da quello venatorio per il quale erano inseguiti (
DTF 99 IV 256
/7).
b) Per decidere della proporzionalità tra l'atto commesso e il fine perseguito va tenuto conto altresì dei mezzi e del tempo di cui l'agente disponeva (
DTF 94 IV 8
). Nella fattispecie i giudici cantonali hanno accertato che lo scopo perseguito, ossia il controllo del veicolo, avrebbe potuto essere attuato anche in seguito, senza danno per nessuno: l'identità di C. avrebbe potuto essere indicata dai compagni di costui che avevano accettato di sottoporsi al controllo, di guisa che sarebbe stato possibile interpellarlo più tardi, senza necessità di fermarlo immediatamente. Neppure in assenza di tali indicazioni, l'identificazione del conducente che non aveva dato seguito all'ordine di fermarsi avrebbe dato luogo a serie difficoltà, essendo noto che si trattava di un allievo della vicina scuola e che conduceva un ciclomotore, ciò che restringeva la cerchia dei sospetti. Il fatto che tale modo di procedere avrebbe complicato il compito della polizia era chiaramente meno grave di un intervento suscettibile di ledere l'integrità fisica di una persona. La sproporzione tra il valore del fine perseguito, attuabile in altro modo, e il mezzo utilizzato era sufficientemente evidente per essere immediatamente riconoscibile per il ricorrente. Questi non può pertanto giustificarsi affermando di non aver avuto il tempo di prendere una decisione corretta.
c) È vero che la giustificazione dell'atto commesso e la sua adeguatezza rispetto al fine perseguito vanno valutati non secondo la situazione fattuale accertata in seguito dal giudice, ma secondo quella che appariva all'agente al momento in cui ha agito (
DTF 94 IV 9
consid. 2 a in fine). Nel caso in esame, tuttavia, i giudici cantonali hanno considerato
BGE 107 IV 84 S. 88
soltanto la situazione che, secondo i loro accertamenti, appariva al ricorrente. Non hanno pertanto considerato, ad esempio, che C., ciò che è stato da lui sostenuto, non avesse scorto il segno con cui gli si ordinava di fermarsi o che non avesse avuto l'intenzione di sottrarsi al controllo. Ma precisamente nella situazione apparsa al ricorrente, quale accertata dall'autorità cantonale, e nella quale risultava che C. intendeva sottrarsi al controllo e disobbedire quindi all'ordine impartitogli di fermarsi, il ricorrente, per far rispettare prescrizioni formali la cui violazione non implicava un pericolo concreto per l'integrità fisica di alcuno, aveva leso l'integrità fisica di una persona, ossia un bene di un valore assai superiore a quello dello scopo perseguito.
d) È esatto che all'autorità chiamata a controllare se il principio della proporzionalità sia stato rispettato dall'atto compiuto per un dovere d'ufficio non è consentito di far uso al proposito di un parametro troppo rigoroso; essa deve imporsi un certo riserbo, per tener conto del margine d'apprezzamento che va riconosciuto a un funzionario nell'esercizio delle proprie funzioni (
DTF 100 Ib 18
). Nella fattispecie, tuttavia, la sproporzione tra il fine perseguito (controllo formale) e il mezzo impiegato (rischio immediato di lesioni personali provocate dalla caduta da un veicolo a due ruote procedente a grande velocità) era così manifesta da non lasciare un margine d'apprezzamento sufficiente a far apparire il mezzo utilizzato come ancora ammissible. | null | nan | it | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf68e57f-8b30-4838-9058-2a1cbec4ea6e | Urteilskopf
104 IV 145
35. Urteil des Kassationshofes vom 4. September 1978 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich | Regeste
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 und 5 StGB
; bedingter Strafvollzug.
1. Zeit, während welcher ein Verurteilter, dem der bedingte Strafvollzug gewährt wurde, unter Probe steht, wenn die ursprüngliche Probezeit erst nach ihrem Ablauf verlängert wird (Erw. 1, 2).
2. Frist für den Widerruf des bedingten Strafvollzugs (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 145
BGE 104 IV 145 S. 145
A.-
Am 24. Juni 1968 hatte das Obergericht des Kantons Zürich K. wegen Betruges zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt. Es hatte ihm den bedingten Strafvollzug mit einer Probezeit von vier Jahren gewährt. Am 7. August 1974 wurde die Probezeit um zwei Jahre verlängert.
B.-
Vom 15. November 1975 bis 21. Oktober 1976 war K. Geschäftsführer der E. AG in Zürich. In dieser Eigenschaft beging er - teilweise vor dem 7. August 1976 - wiederholte und fortgesetzte Veruntreuung im Sinne von
Art. 140 Ziff. 1 StGB
im Deliktsbetrag von mindestens Fr. 44 398.10, ebenso wiederholte und fortgesetzte Urkundenfälschung gemäss
Art. 251 Ziff. 1 StGB
.
BGE 104 IV 145 S. 146
Am 9. März 1978 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich K. wegen dieser neuen Verfehlungen zu 16 Monaten Gefängnis als Zusatzstrafe zu einem Urteil des Amtsgerichts Luzern vom 22. September 1977. Es gewährte ihm für diese neue Strafe wiederum den bedingten Strafvollzug mit einer Probezeit von vier Jahren. Hingegen ordnete es mit gleichzeitigem Beschluss den Vollzug der zehnmonatigen Gefängnisstrafe vom 24. Juni 1968 an.
C.-
Gegen die Anordnung dieses Strafvollzugs hat K. kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich ist mit Beschluss vom 25. Mai 1978 nicht darauf eingetreten.
D.-
Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde ficht K. nur den Beschluss des Obergerichts vom 9. März 1978 an, durch den der bedingte Strafvollzug der vom Obergericht am 24. Juni 1968 ausgesprochenen Gefängnisstrafe widerrufen wurde. Er macht geltend, die neuen strafbaren Handlungen, derentwegen der bedingte Strafvollzug widerrufen wurde, fielen nicht mehr in die Probezeit.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist die Zeit, während welcher ein Verurteilter, dem der bedingte Strafvollzug gewährt wurde, unter Probe steht, wenn die ursprüngliche Probezeit erst nach ihrem Ablauf verlängert wird. Dass eine Verlängerung der ursprünglichen Probezeit nach ihrem Ablauf an sich möglich ist, wird mit Recht nicht bestritten. Der Beschwerdeführer macht aber geltend, die Probezeit könne insgesamt nur um die Hälfte verlängert werden. Das gelte auch dann, wenn die ursprüngliche Probezeit bereits abgelaufen sei. Die Zeitspanne, während der er in der Zwischenzeit eine formell angeordnete Probezeit nicht bestanden habe, sei in die Verlängerung einzurechnen. Eine andere Regelung wirke stossend, was gerade der vorliegende Fall beweise. Vom Urteil des 24. Juni 1968, das den bedingten Strafvollzug gewährte, bis zur Anordnung des Strafvollzugs durch den Beschluss des Obergerichts seien fast 10 Jahre verstrichen. Das Obergericht habe das Verfahren über Widerruf bzw. Verlängerung der Probezeit entgegen
BGE 78 IV 10
nicht ununterbrochen durchgeführt, ihn vielmehr von 1969 bis 1974 hinausgeschoben. An dieser Unterbrechung trage der Beschwerdeführer
BGE 104 IV 145 S. 147
keine Schuld. Das Verfahren vor den luzernischen Behörden wegen Veruntreuung, welches zu dieser rund vierjährigen Sistierung geführt habe, habe im Revisionsprozess vor Obergericht Luzern zum Freispruch geführt.
2.
Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. "Verlängert" im Sinne von
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
ist die Probezeit, wenn der Verurteilte länger unter Probe gestellt wird, als es im Urteil über den bedingten Strafaufschub geschehen ist. Die zusätzliche Probezeit muss nicht unmittelbar an die ursprüngliche anschliessen (
BGE 79 IV 113
E. 4). Sie kann es auch nicht, wenn sie erst nach Ablauf der ursprünglichen Probezeit angeordnet wird. Denn der Verlängerungsbeschluss kann nicht zurückwirken. Der Verurteilte muss wissen, dass er unter Probe steht, damit er sich entsprechend verhalten kann. Eine Rückwirkung wäre auch mit einer allfälligen Anordnung der Schutzaufsicht und mit der Erteilung von Weisungen unvereinbar.
Hinzu kommt, dass der Beschluss des Obergerichts vom 7. August 1974 die Probezeit "vom Datum dieses Beschlusses an gerechnet um zwei Jahre verlängert" hat. Dieser Beschluss wurde nicht angefochten und ist in Rechtskraft erwachsen. Auf ihn kann der Beschwerdeführer nicht mehr zurückkommen.
Der Beschwerdeführer stand somit vom 25. Juni 1968 bis 24. Juni 1972 unter der ursprünglichen und vom 8. August 1974 bis 7. August 1976 unter der verlängerten Probezeit. Die Probezeit betrug somit nicht mehr als sechs Jahre. In der Zwischenzeit stand er nicht unter Bewährung.
Die neuen Taten, welche die Vorinstanz zum Widerruf des bedingten Strafvollzugs veranlassten, hat der Beschwerdeführer in der Zeit vom 15. November 1975 bis 21. Oktober 1976 verübt. Ein grosser Teil von ihnen fällt somit in die verlängerte Probezeit. Dieser Teil ist offensichtlich so schwer, dass er zum Widerruf des bedingten Strafvollzugs führen musste. Die Vorinstanz hat überdies gefunden, nur der Vollzug der am 24. Juni 1968 ausgefällten Gefängnisstrafe von 10 Monaten sei imstande, für die Zukunft eine günstige Prognose zu stellen und den Aufschub des Vollzugs der neuen Gefängnisstrafe von 16 Monaten zu rechtfertigen, womit sinngemäss die günstige Prognose ohne Vollzug der ersten Strafe verneint wurde. Ein Grund für eine Rückweisung der Sache zur Ausscheidung der Strafe für die in die Probezeit fallenden Delikte (in analoger Anwendung von
BGE 101 Ib 154
) besteht daher nicht.
BGE 104 IV 145 S. 148
3.
Der Beschwerdeführer beklagt sich darüber, dass vom Urteil des 24. Juni 1968, das ihn unter Probe stellte, bis zur Anordnung des Strafvollzugs durch die Vorinstanz beinahe 10 Jahre verstrichen. Das Widerrufsverfahren sei durch Sistierung des Verfahrens ohne sein Verschulden hinausgeschoben worden.
Je weiter Tat und Urteil zurückliegen, umso mehr schwindet das Bedürfnis nach einer Sanktion. Das hat den Gesetzgeber veranlasst, die Verjährung (
Art. 70 ff. StGB
) einzuführen und den Zeitablauf vor Verjährungseintritt bei Wohlverhalten strafmildernd zu berücksichtigen (Art. 64 vorletzter Absatz StGB). Mit der Revision vom 18. März 1971 ist der Gesetzgeber einen Schritt weiter gegangen. Der Vollzug der bedingt aufgeschobenen Strafe kann nicht mehr angeordnet werden, wenn seit Ablauf der Probezeit fünf Jahre verstrichen sind (
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 5 StGB
).
Zu Recht beruft sich der Beschwerdeführer nicht auf diese Befristung. Geht man vom Wortlaut des Gesetzes aus, läuft die fünfjährige Begrenzung der Widerrufsmöglichkeit vom Ablauf der Probezeit an. Die am 7. August 1974 um zwei Jahre verlängerte Probezeit ist somit am 7. August 1976 abgelaufen. Von diesem Datum an gerechnet war aber am 9. März 1978, dem Tag, an dem der Strafvollzug wegen Nichtbewährung angeordnet wurde, die fünfjährige Widerrufsfrist noch lange nicht abgelaufen.
Aber selbst dann, wenn man die zwischen dem Ablauf der ursprünglichen Probezeit und der später erfolgten Verlängerung der Probezeit verstrichene Zeit zur fünfjährigen Frist hinzuzählte, wäre im vorliegenden Fall die Strafe mit Recht widerrufen worden. Denn am 9. März 1978 war die um die sechsjährige Probezeit verlängerte fünfjährige Frist (insgesamt 11 Jahre) seit dem am 24. Juni 1968 gefällten Urteil noch nicht abgelaufen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf68ec08-bc6d-4a57-b6b2-205aac51eed1 | Urteilskopf
84 II 685
90. Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. November 1958 i.S. Guhl gegen M. und E. Fahrner. | Regeste
1. Rechtsnatur der Klage auf "Aufhebung" eines Vertrages, ins. besondere Erbteilungsvertrages, wegen Willensmangels.
Art. 31 OR
, 638 ZGB. Zur Anwendung von
Art. 64 OG
(Erw. 1).
2. Wann ist eine Feststellungsklage von Bundesrechts wegen zulässig? (Erw. 2 und 4).
3. Klage auf Ausgleichung von Vorempfängen, eventuell auf Herabsetzung lebzeitiger Zuwendungen des Erblassers an Miterben des Klägers (
Art. 626 ff., 522 ff. ZGB
). Rechtsnatur dieser Klagen und des Anspruchs auf eine entsprechende Änderung der bereits vollzogenen Erbteilung. Ist der klagende Erbe in der Lage, diesen letztern Anspruch geltend zu machen, so steht es ihm nicht von Bundesrechts wegen zu, vorerst nur Ausgleichung, eventuell Herabsetzung zu verlangen und das Weitere einem spätern Rechtsstreite vorzubehalten (Erw. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 686
BGE 84 II 685 S. 686
A.-
Der am 1. Juli 1948 verstorbene Jakob Fahrner-Müller, geboren 1862, hatte am 23. Dezember 1942 mit seinen drei Kindern Karl Fahrner, Fritz Fahrner und Frau Ida Guhl-Fahrner einen öffentlich beurkundeten Vertrag mit der Überschrift "Zuteilungen aus Erbanwartschaft" abgeschlossen. Danach übertrug er den Kindern "a conto ihrer Erbansprüche an ihn" Grundstücke und andere Vermögenswerte. Dem Sohn Karl übergab er eine Liegenschaft, zwei Bauplätze und die zum Betrieb des Baugeschäftes des Erwerbers dienenden Maschinen, Werkzeuge und Einrichtungen, soweit sie bisher dem Erblasser gehört hatten. Der Sohn Fritz erhielt die Fensterfabrik in Uster, einen Schopf mit einem Stück Land und alle Maschinen und Einrichtungen zum Betrieb der Fabrik, Vorräte, Patentansprüche und geschäftliche Beteilungen, soweit sie ihm nicht bereits gehörten. Der Tochter Ida wurde das Wohnhaus in Uster nebst einem Inhaberschuldbrief zugeteilt. Die Kinder übernahmen diese Vermögensstücke auf den 31. Dezember 1942 und verpflichteten sich ihrerseits zu verschiedenen Leistungen an den Vater: Karl zur Zahlung einer monatlichen Rente auf dessen Lebenszeit und Fritz (gemäss besonderem Verpfründungsvertrag) zur Gewährung von Unterhalt und Pflege in gesunden und kranken Tagen, während Ida dem Vater die ihr zugeteilte Liegenschaft zu lebenslänglicher Nutzniessung und Verwaltung überliess. Der Vertrag regelte die Übernahme der väterlichen Schulden durch die Kinder und enthielt endlich folgende Bestimmung:
"Mit der Erfüllung dieses Vertrages sind alle Ansprüche, welche Vater Jakob Fahrner an seine Kinder besessen hat und welche die Kinder an den Vater zu fordern hätten, ausgeglichen. Es bestehen also weder Einwerfungspflichten, noch Ausgleichungsforderungen unter den späteren Erben von Jakob Fahrner. Die restierende Erbschaft, welche hinterlassen wird, geht zu gleichen Teilen an seine Kinder."
B.-
Der Erblasser hinterliess ein steuerpflichtiges Vermögen von Fr. 34'600.--. Darüber schlossen die drei Erben am 3. Februar 1949 einen Teilungsvertrag, wonach
BGE 84 II 685 S. 687
Karl Fahrner einen Acker und Ida Guhl-Fahrner ein Wohnhaus mit Umschwung erhielt. Im Anschluss an die Zuweisungen trägt der Teilungsvertrag folgenden Vermerk:
"Der Antritt der zugewiesenen Grundstücke erfolgt auf den 1. Februar 1949. Bis dahin ist unter den Erben heute alles abgerechnet und ausgeglichen worden. Über frühere Vorempfänge ist eine Ausgleichung schon früher erfolgt, sodass mit diesen Zuweisungen alle gegenseitigen Ansprüche unter den drei Erben per Saldo getilgt sind. Die Erbengemeinschaft ist erloschen."
C.-
Am 18. Januar 1950 liess Ida Guhl-Fahrner in die Steuerakten des Steueramtes Zürich Einsicht nehmen. Auf Grund dieser Akteneinsicht glaubte sie, bei der Teilung der väterlichen Erbschaft zu kurz gekommen zu sein. Sie liess wenige Tage später, am 26. Januar 1950, den Bruder Fritz und die Witwe und Alleinerbin des im Jahre 1949 verstorbenen Bruders Karl, Frau Emilie Fahrner, für je Fr. 60'000.-- betreiben. Als Forderungsgrund wurde dabei angegeben:
"Forderungen aus Erbrecht in Sachen des am 1. Juli 1948 verstorbenen Herrn Jakob Fahrner-Müller, wohnhaft gewesen ...".
Da in beiden Betreibungen Recht vorgeschlagen wurde, liess Frau Ida Guhl-Fahrner die Betriebenen zum Aussöhnungsversuch vorladen, der am 1. Februar 1950 stattfand und folgende Rechtsbegehren betraf:
"1. Es sei der Vertrag 'Zuteilungen aus Erbanwartschaft' vom 23. Dezember 1942 zwischen Vater Jakob Fahrner, gestorben am 1. Juli 1948, und seinen Kindern: Karl Fahrner, Fritz Fahrner und Frau Ida Guhl-Fahrner; sowie der Erbteilungsvertrag vom 3. Februar 1949 zwischen den drei Erben: Karl Fahrner, Fritz Fahrner und Frau Ida Guhl-Fahrner wegen Irrtums und Täuschung der Klägerin aufzuheben.
2. Es seien die tatsächlichen Vermögensverhältnisse des verstorbenen Jakob Fahrner-Müller beim Eintritt von Fritz Fahrner ins väterliche Geschäft bis zum Ableben am 1. Juli 1948 gerichtlich, eventuell durch einen zu bezeichnenden Treuhänder, unter Berücksichtigung der Vorempfänge und Ausgleichspflichten der vorerwähnten Erben, festzustellen.
3. Nach Feststellung des Vermögens sei der Klägerin vorbehalten, weitere Ansprüche gegen die Beklagten geltend zu machen. 4. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge."
BGE 84 II 685 S. 688
Der Aussöhnungsversuch blieb erfolglos. Am 30. Januar 1951 folgten zwei neue, der ersten entsprechende Betreibungen, und am 23. Januar 1952 reichte Frau Ida Guhl-Fahrner gegen Fritz Fahrner und Witwe Emilie Fahrner Klage mit den erwähnten Rechtsbegehren ein. Fritz Fahrner starb im Jahre 1954 wie sein Bruder kinderlos, worauf seine Witwe, Frau Maria Fahrner, den Rechtsstreit auf beklagter Seite neben Frau Emilie Fahrner weiterführte.
D.-
Das Bezirksgericht Uster wies die Klage am 12. Juni 1957 ab, ebenso das Obergericht mit Urteil vom 18. April 1958. Die Erwägungen knüpfen anBGE 67 II 207ff. an, wonach die Ausgleichung nachträglich entdeckten Teilungsvermögens unmittelbar mit einer Klage auf Zahlung verlangt werden könne. Auch wegen Schmälerung des Pflichtteils durch eine bereits vollzogene Verfügung brauche keine besondere Gestaltungsklage erhoben zu werden. Es genüge eine Leistungsklage, wobei die Herabsetzung nach
Art. 522 ff. ZGB
als Klagegrund anzuführen sei. Wäre im vorliegenden Fall auf Leistung geklagt worden, so wäre allerdings vorerst auch zu prüfen gewesen, "ob dem nicht die Verträge aus den Jahren 1942 und 1949 entgegenstünden, und ob nachträglich entdecktes Teilungsvermögen bestehe". Die Prüfung dieser beiden Fragen könne aber nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zu richtiger Erbteilung sein, wie die Klägerin sie denn auch als Endziel mit der laut "Rechtsbegehren" 3 vorbehaltenen (künftigen), aber eben vorderhand nicht angebrachten Klage erreichen wolle. Bei dieser Prozesslage entbehrten die Begehren 1 und 2 des rechtlichen Interesses, das als selbstverständliche Voraussetzung jeder Klage zu gelten habe. Zwar könne auf Aufhebung von Verträgen wegen Willensmängeln geklagt werden. "Ist dies aber nicht das Endziel, sondern nur die Grundlage zu weiterer Klage, die davon abhängt und schon erhoben werden kann oder muss, so darf sich der Kläger nicht auf diese sein Endziel nur vorbereitende und die Grundlage
BGE 84 II 685 S. 689
dazu schaffende Klage beschränken, sondern hat, wenn er überhaupt klagen will, diese Endklage zu erheben." Die Klägerin wäre in der Lage gewesen, auf Leistung zu klagen. Aus den gründlich eingesehenen Steuerakten habe sie eine zur ungefähren Bezifferung allfälliger erbrechtlicher Ansprüche hinreichende Kenntnis der Tatsachen gewonnen. Sie berechne denn auch ihren gesetzlichen Erbteil auf "mindestens Fr. 125'155.--" und ihren Pflichtteil auf "mindestens Fr. 93'866.--", woran sie in Liegenschaften Fr. 43'000.-- erhalten habe. Demgemäss habe sie jede beklagte Partei auf Bezahlung von Fr. 60'000.-- betrieben. Übrigens wäre die vorliegende auf die Begehren 1 und 2 beschränkte, unter Ziffer 3 nur einen Vorbehalt anbringende Klage selbst beim Fehlen genügender Kenntnis der Tatsachen nicht zulässig. - Anhangsweise äussert sich das Obergericht auch noch zur materiellen Klagebegründung, mit dem Ergebnis, die Anfechtung der beiden Verträge wegen Willensmangels wäre nicht zu schützen. Die Erhebung einer Herabsetzungsklage (worauf die Klägerin mit der "Ausgleichungs-Saldoerklärung" auch nach Ansicht der Beklagten nicht etwa verzichtet habe) bliebe freilich an und für sich vorbehalten. Sie wäre aber versäumt, weil die Frist von
Art. 533 ZGB
(gemäss der in BlZR 56 Nr. 89 veröffentlichten Entscheidung des zürcherischen Obergerichts) als Verwirkungs-, nicht als Verjährungsfrist zu betrachten sei. Zur Beurteilung des Klagebegehrens 2 (auf Feststellung tatsächlicher Verhältnisse, nicht des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses) fehle es sowohl an einem bundesrechtlichen Anspruch wie auch an den Voraussetzungen einer kantonalrechtlichen Feststellungsklage nach § 92 der zürcherischen ZPO.
E.-
Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung an das Bundesgericht. Die Klägerin erneuert damit die drei Klagebegehren. Eventuell beantragt sie die Rückweisung der Sache an das Obergericht zur Ergänzung des Tatbestandes und zur neuen (materiellen)
BGE 84 II 685 S. 690
Entscheidung über die Klagebegehren 1 und 2 unter Vorbehalt weiterer Klage.
Der Antrag der Beklagten geht auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das vorinstanzliche Urteil weist die Klage ab ohne Prüfung der Verbindlichkeit der beiden von der Klägerin mit ihrem ersten Begehren angefochtenen Verträge und ohne Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse, wie sie das zweite Klagebegehren verlangte. Die Begründung dieser Entscheidung geht im wesentlichen dahin, die Feststellungsbegehren der Klage seien teilweise überhaupt und teilweise unter den gegebenen Umständen deshalb unzulässig, weil die Klägerin in der Lage gewesen wäre, die letzten Endes von ihr erstrebte Zuweisung weiterer Werte des väterlichen Vermögens an sie mit einer Leistungsklage zu verlangen, statt sich diese mit dem dritten Begehren für die Zukunft vorzubehalten.
In der Tat ist nicht nur das zweite, ausdrücklich auf Feststellung lautende, sondern auch das erste Klagebegehren als Feststellungsklage zu betrachten. Es handelt sich dabei um die Anfechtung des von Vater Fahrner mit den drei Kindern abgeschlossenen Zuweisungsvertrages vom 23. Dezember 1942 und des nach seinem Tode von den drei Kindern miteinander abgeschlossenen Erbteilungsvertrages vom 3. Februar 1949. Das Begehren lautet auf "Aufhebung" der beiden Verträge wegen Willensmangels. Nach dem wahren Sinn des Begehrens wird damit die Feststellung der Unverbindlichkeit dieser Verträge verlangt. Denn nach schweizerischem Recht macht ein wesentlicher Willensmangel den Vertrag unverbindlich, und es liegt dem durch den Willensmangel beeinflussten Teil nur ob, die Unverbindlichkeit binnen gesetzlicher Frist durch Erklärung geltend zu machen (
Art. 31 OR
). Es bedarf also keines gerichtlichen Urteils in rechtsgestaltendem (rechtsaufhebendem) Sinne (vgl. VON TUHR-
BGE 84 II 685 S. 691
SIEGWART, § 39; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 3 ff. zu
Art. 31 OR
). Das gilt auch für die Anfechtung eines Erbteilungsvertrages (
Art. 638 ZGB
).
Das dritte Begehren, mit dem die Klägerin kein Sachurteil verlangt, sondern bloss eine zukünftige weitere Klage vorbehalten will, hat keine selbständige Bedeutung. Es fällt nur in Betracht, wenn die in erster Linie gestellten Feststellungsbegehren, die den eigentlichen Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites bilden, sich entgegen der vorinstanzlichen Entscheidung als gültig erweisen sollten.
Das erst vor Bundesgericht gestellte eventuelle Rückweisungsbegehren ist nicht etwa, weil neu, nach
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
unzulässig. Es stützt sich auf
Art. 64 OG
und trägt in zutreffender Weise dem Umstande Rechnung, dass das Bundesgericht Veranlassung finden kann, die Sache zur Ergänzung der tatsächlichen Feststellungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eine Entscheidung in diesem Sinne kommt jedoch nur in Frage, wenn die in kantonaler Instanz gestellten und vor Bundesgericht aufrecht erhaltenen Sachbegehren 1 und 2 nicht aus einem bereits nach Lage der Akten gegebenen Grunde als unzulässig oder unbegründet befunden werden.
2.
Das angefochtene Urteil verneint die Voraussetzungen eines bundesrechtlichen Anspruchs auf Feststellung, wie sie die Klägerin verlangt, und erklärt, deren Begehren liessen sich auch nicht auf kantonales Recht stützen (was an sich durch das Bundesrecht nicht ausgeschlossen wäre;
BGE 84 II 495
). In der zweiten Hinsicht unterliegt die kantonale Entscheidung nicht der Nachprüfung im Berufungsverfahren (
Art. 43 OG
). Was aber den bundesrechtlichen Feststellungsanspruch, wie ihn die Klägerin verficht, belangt, geht die Vorinstanz zutreffend davon aus, dass ein solcher Anspruch ein erhebliches Interesse an sofortiger Feststellung voraussetzt (
BGE 77 II 344
ff., insbesondere 351 oben). An dieser Voraussetzung fehlt es in der Regel, wenn der Ansprecher in der Lage ist, über die blosse Feststellung hinaus eine vollstreckbare
BGE 84 II 685 S. 692
Leistung zu verlangen (
BGE 80 II 366
Erw. 4,
BGE 81 II 466
, zweitunterster Absatz). Zwar ist die Feststellungsklage nicht schlechthin als der Leistungsklage nachgehend zu betrachten, so dass sie immer, wenn auf Leistung geklagt werden kann, ausgeschlossen wäre. Vielmehr kann sich auch bei Möglichkeit der Leistungsklage ein selbständiges Interesse an gerichtlicher Feststellung ergeben. Dies namentlich, wenn es darum geht, nicht nur die fällige Leistung zu erhalten, sondern die Gültigkeit des ihr zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses auch für dessen künftige Abwicklung feststellen zu lassen (vgl. LEUCH, N. 3 zu Art. 174 der bernischen ZPO, 3. Aufl. S. 196 Mitte; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. S. 256, § 30 B III 2; STEIN, Grundriss § 7 S. 22; POHLE, Zur Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, Festschrift für Lent S. 222 mit Fussnote 92). Im vorliegenden Falle stehen jedoch keine künftigen Ansprüche der Klägerin in Frage. Es geht um die längst fällige Bereinigung der väterlichen Erbschaft, worüber sich die Erben denn auch mit dem Erbteilungsvertrag vom 3. Februar 1949 in abschliessendem Sinn auseinandergesetzt haben. Und wie die Vorinstanz feststellt, war die Klägerin durch die Steuerakten genügend über den Sachverhalt unterrichtet, um die ihr angeblich zustehenden erbrechtlichen Ansprüche zahlenmässig berechnen und in Form einer Klage auf Ausrichtung des ihr nach ihrer Ansicht zustehenden zusätzlichen Erbbetreffnisses (im Sinne der Ausgleichung nach
Art. 626 ff. ZGB
), eventuell auf Auszahlung der ihr zukommenden Ergänzung ihres Pflichtteils (also im Sinn einer Herabsetzungsklage nach
Art. 522 ff. ZGB
), geltend machen zu können.
3.
Wenn die Vorinstanz, anBGE 67 II 207ff. anknüpfend, dafür hält, sowohl die Ausgleichungs- wie auch die eventuelle Herabsetzungsklage sollte angesichts der bereits vollzogenen Erbteilung richtigerweise auf Leistung an die sich mit dem ihr Zugewiesenen nicht begnügende Erbin lauten, ist ihr allerdings nicht vorbehaltlos beizustimmen.
BGE 84 II 685 S. 693
Das erwähnte Urteil sagt nicht, diese Klagen seien notwendigerweise als Leistungsklagen anzubringen, wenn ein Erbe nach durchgeführter Erbteilung eine sog. Nachteilung oder die Ergänzung seines Pflichtteils verlangen will. Es bezeichnet diese Art des Vorgehens, wie sie die Klägerschaft in jenem Fall befolgte, bloss als zulässig und erklärt, es brauche nicht unbedingt vorweg auf Ausgleichung (d.h. auf Feststellung, dass bestimmte Vorempfänge auszugleichen seien) oder Herabsetzung bestimmter Verfügungen unter Lebenden oder von Todes wegen und erst in zweiter Linie auf entsprechende Berichtigung oder Ergänzung der Erbteilung geklagt zu werden. Anders ausgedrückt: Das Bundesgericht hat i.S. Rieser-Honauer und Kinder gegen Honauer die unmittelbar erhobene Leistungsklage gelten lassen, ohne eine in erster Linie auf Feststellung (Ausgleichung) oder Rechtsgestaltung (Herabsetzung) gehende Klage im mindesten zu verpönen. Im übrigen hat jenes Urteil eine kritische Würdigung gefunden, welche es vollends rechtfertigt, ihm nicht die ihm von der Vorinstanz beigelegte weitergehende Tragweite zu geben (vgl. die Darlegungen von F. GUISAN, Journal des Tribunaux 1942 S. 136 ff.; ihm zustimmend GUHL, Zeitschrift des bern. Juristenvereins 78 S. 502). In der Tat geht ein Erbe, der nach durchgeführter Erbteilung zusätzliche Ansprüche auf Grund der
Art. 626 ff. ZGB
oder der
Art. 522 ff. ZGB
geltend machen will, jedenfalls nicht unrichtig vor, wenn er zunächst auf Feststellung der bisher nicht berücksichtigten, nach seiner Ansicht der Ausgleichung unterliegenden lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers an andere Erben bzw. auf Herabsetzung der, wie er annimmt, in seine Pflichtteilsrechte eingreifenden Verfügungen klagt und erst in zweiter Linie, als Folge jener Feststellung oder Rechtsgestaltung, einen seinen Ansprüchen gerecht werdenden Vollzug, insbesondere eine "Nachteilung", verlangt.
Das bedeutet jedoch nicht, es stehe von Bundesrechts wegen im Belieben des klagenden Erben, die derart -
BGE 84 II 685 S. 694
an sich korrekterweise - gegliederten Rechtsbegehren auf mehrere aufeinanderfolgende Prozesse zu verteilen. Vielmehr darf, ohne dass darin irgendwelche Verletzung des eidgenössischen Erbrechts läge, füglich verlangt werden, dass der klagende Erbe, sofern er dazu in der Lage ist, mit dem Ausgleichungs- oder Herabsetzungsanspruch auch gleich in emer und derselben Klage die Vollzugsrechte geltend mache, die ihm erst zu dem letzten Endes erstrebten zusätzlichen Vermögenserwerb nach abgeschlossener Erbteilung verhelfen können. Daraus, dass ein Erbe (unter den gesetzlichen Voraussetzungen und Vorbehalten) die Ausgleichung von Vorempfängen verlangen kann, folgt nicht, es müsse ihm gestattet werden, einen solchen Anspruch in jedem Falle zum alleinigen Gegenstand eines Prozesses zu machen. Entsprechendes gilt auch für den Herabsetzungsanspruch. Dem materiellen Bundesrecht wird durchaus genügt, wenn der Ansprecher Gelegenheit erhält, seine Rechte im Rahmen eines umfassenderen Erbschaftsprozesses, in Verbindung mit andern Rechtsbegehren, geltend zu machen, sofern es deren eben bedarf, um ihm den mit der Ausgleichung oder Herabsetzung erstrebten Vorteil zu verschaffen. Weder der Ausgleichungs- noch der Herabsetzungsanspruch ist so selbständiger Natur, dass ein nur darauf gerichtetes Rechtsbegehren unter allen Umständen kraft des materiellen Rechtes an Hand genommen werden müsste. Zu diesen Ansprüchen, die als Feststellungs- bzw. Gestaltungsansprüche zu umschreiben sind, tritt der Anspruch auf Vollzug, der bei der Ausgleichung als Ausfluss der Teilungsklage erscheint (vgl. F. GUISAN, a.a.O. S. 147 unter Ziff. 2, b; zum Herausgabeanspruch als Folge einer Herabsetzung vgl. TUOR, 2. Aufl., N. 13 der Vorbemerkungen zu den
Art. 522-533 ZGB
). Was die Fassung der Vollzugsbegehren betrifft, ist in der Regel dem sich aus
Art. 628 ZGB
ergebenden Wahlrecht des Ausgleichspflichtigen durch ein alternativ lautendes Begehren Rechnung zu tragen, es wäre denn, der Erblasser habe eine nach Abs. 2 daselbst massgebende Anordnung getroffen,
BGE 84 II 685 S. 695
oder es komme nach den gegebenen Umständen von vornherein nur eine bestimmte Art der Ausgleichung in Betracht.
Nach dem Gesagten verstösst das angefochtene Urteil nicht gegen Bundesrecht, wenn es die Beurteilung der bloss zur Vorbereitung eines mit dem dritten Klagebegehren ausdrücklich vorbehaltenen Nachprozesses dienenden Klagebegehren 1 und 2 ablehnt. Einmal ist offenkundig, dass die Klägerin bei Gutheissung dieser Begehren noch keinen vollstreckbaren Rechtstitel zu dem letzten Endes erstrebten zusätzlichen Erwerb väterlichen Vermögens in Händen hätte, und sodann hat ihr die Einsichtnahme in die Steuerakten eine zur Stellung zahlenmässig bestimmter Vollzugsbegehren hinreichende Kenntnis derjenigen Tatsachen verschafft, aus denen sie einen Anspruch auf Ausgleichung oder Herabsetzung herleiten zu können glaubt. Die im einzelnen noch bestehende Unsicherheit ist nicht grösser, als wenn es etwa um die Geltendmachung von Schadenersatz ginge, wobei die Leistungsklage auch einem nur ungefähr über die tatsächlichen Grundlagen seiner Ansprüche Unterrichteten zugemutet wird.
Nichts Abweichendes folgt daraus, dass nach verbreitetem kantonalen Gerichtsgebrauch Erbteilungsklagen auch bei wenig bestimmter Fassung der Begehren an Hand genommen werden. Das Bundesrecht gebietet dies nicht, und es ist auch nicht in allen Kantonen üblich. Vollends darf an Klagen auf Vornahme einer Nachteilung nach formellem Abschluss der Erbteilung in dieser Hinsicht ein strenger Massstab angelegt werden. Das widerspricht keineswegs dem Bundesrecht, zumal selbst in gewöhnlichen Erbteilungsprozessen bei der Berufung an das Bundesgericht im einzelnen erklärt werden muss, welche Feststellung über den Umfang des Nachlasses getroffen und wie die Teilung geregelt werden soll (
BGE 75 II 256
).
4.
Die vorliegende Klage dringt übrigens nicht einmal zu eigentlichen Ausgleichungs- und Herabsetzungsbegehren
BGE 84 II 685 S. 696
vor. Eine Herabsetzungsklage ist darin nicht enthalten, und auf Ausgleichungsansprüche wird im zweiten Begehren, ohne dass sie dessen Gegenstand bilden würden, nur ganz allgemein angespielt. Es wird nicht die Ausgleichung bestimmter Vorempfänge, die genau zu bezeichnen wären, verlangt. Das Begehren geht auf Feststellungen tatsächlicher Art, ist also gar keine Feststellungsklage im Sinne des Bundesrechts. Im übrigen ist anerkannt, dass Feststellungsklagen zur Sicherung des Beweises für emen spätern Prozess nicht zulässig sind (
BGE 81 II 466
). Vollends hat das erste Begehren nur vorbereitenden Charakter, indem es den Weg zur nachträglichen Erhebung erbrechtlicher Ansprüche freimachen will. Auch wenn man Begehren um Aufhebung von Verträgen bzw. um Feststellung ihrer Unverbindlichkeit an und für sich als zulässig erachtet, dürfen die Gerichte, ohne damit Bundesrecht zu verletzen, es ablehnen, eine Klage zu beurteilen, die sich auf ein solches als Grundlage zur Geltendmachung fälliger Forderungen oder anderer Ansprüche gestelltes Feststellungsbegehren beschränkt, statt diese Ansprüche in den Prozess einzubeziehen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 18. April 1958 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bf6db9ed-691b-4fbd-84f2-548203d6739b | Urteilskopf
117 V 282
38. Auszug aus dem Urteil vom 6. Dezember 1991 i.S. W. gegen Ausgleichskasse des Schreiner-, Möbel- und Holzgewerbes und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 69 Abs. 2 Satz 2 IVV
,
Art. 12 lit. c VwVG
,
Art. 49 BZP
in Verbindung mit
Art. 19 VwVG
: Grundsätze über die Beweisaufnahme, insbesondere bei der Einholung von Auskünften durch die Invalidenversicherungs-Kommission. | Erwägungen
ab Seite 282
BGE 117 V 282 S. 282
Aus den Erwägungen:
4.
a) Das sozialversicherungsrechtliche Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht. Danach haben Verwaltung und Sozialversicherungsrichter von sich aus für die richtige und vollständige Abklärung des Sachverhaltes zu sorgen. Dieser Grundsatz gilt
BGE 117 V 282 S. 283
indessen nicht uneingeschränkt. Die behördliche und richterliche Abklärungspflicht umfasst nicht unbesehen alles, was von einer Partei behauptet oder verlangt wird. Vielmehr bezieht sie sich nur auf den im Rahmen des streitigen Rechtsverhältnisses (Streitgegenstand) rechtserheblichen Sachverhalt. Rechtserheblich sind alle Tatsachen, von deren Vorliegen es abhängt, ob über den streitigen Anspruch so oder anders zu entscheiden ist (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 43 und 273). In diesem Rahmen haben Verwaltungsbehörden und Sozialversicherungsrichter zusätzliche Abklärungen stets vorzunehmen oder zu veranlassen, wenn hiezu aufgrund der Parteivorbringen oder anderer sich aus den Akten ergebenden Anhaltspunkte hinreichender Anlass besteht (
BGE 110 V 52
f. Erw. 4a mit Hinweisen).
Der Untersuchungsgrundsatz als an Verwaltungsbehörden und Sozialversicherungsrichter gerichteter Verfahrensgrundsatz wird ergänzt durch die im Anspruch auf rechtliches Gehör enthaltenen Parteirechte auf Teilnahme am Verfahren und auf Einflussnahme auf den Prozess der Entscheidfindung. Der aus
Art. 4 Abs. 1 BV
fliessende Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst auch das Recht, an der Erhebung wesentlicher Beweise mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (
BGE 115 Ia 11
Erw. 2b und 96 Erw. 1b,
BGE 114 Ia 99
Erw. 2a, 111 Ia 103 Erw. 2b,
BGE 109 Ia 233
Erw. 5b; GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. 1, S. 385; MÜLLER, in Kommentar zu
Art. 4 BV
, N. 106; REINHARDT, Das rechtliche Gehör in Verwaltungssachen, Diss. Zürich 1968, S. 215 f.). Im Verwaltungsverfahren gilt dieses Mitwirkungs- oder Äusserungsrecht des Betroffenen namentlich im Zusammenhang mit der Durchführung eines Augenscheins (
BGE 113 Ia 82
Erw. 3a,
BGE 112 Ia 5
Erw. 2c), der Befragung von Zeugen (
BGE 92 I 260
f.; HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 141 f.) sowie bezüglich eines Expertengutachtens (
BGE 101 Ia 311
f. Erw. 1b und Erw. 2a, 99 Ia 46). Auf diese Beweismittel darf im Verwaltungsverfahren bei der Entscheidung nicht abgestellt werden, ohne dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, an der Beweisabnahme mitzuwirken oder wenigstens nachträglich zum Beweisergebnis Stellung zu nehmen.
b) Das Verfahren vor der Invalidenversicherungs-Kommission hat der Bundesrat in den Bestimmungen der Art. 69 bis 77 IVV geregelt. Gemäss
Art. 69 Abs. 2 Satz 2 IVV
kann das Sekretariat der Invalidenversicherungs-Kommission zwecks Abklärung des
BGE 117 V 282 S. 284
rechtserheblichen Sachverhaltes Berichte und Auskünfte einverlangen, Gutachten einholen und Abklärungen an Ort und Stelle treffen. Diese Bestimmung enthält im Gegensatz zur Beweisordnung des - vorliegend nicht direkt anwendbaren - VwVG keine Formerfordernisse u.a. für die Einholung von Auskünften. Das VwVG sieht diesbezüglich in Art. 12 lit. c namentlich Auskünfte von Drittpersonen zwar vor, verweist zudem aber ergänzend auf das Beweisrecht des Bundesgesetzes über den Bundeszivilprozess (
Art. 19 VwVG
); danach können als Auskünfte von Privat- bzw. Drittpersonen nur schriftliche Auskünfte gelten, die unter Umständen der Bekräftigung durch gerichtliches Zeugnis bedürfen (
Art. 49 BZP
). Das Eidg. Versicherungsgericht hat deshalb in sinngemässer Anwendung dieser Regelung auch für sozialversicherungsrechtliche Verwaltungsverfahren, bei denen das VwVG nicht direkt anwendbar ist, die Zulässigkeit und Beweistauglichkeit von schriftlichen Auskünften grundsätzlich anerkannt. Zugleich hat es aber festgehalten, dass Auskunftspersonen nötigenfalls durch den Richter der förmlichen Zeugenbefragung zu unterstellen sind, wenn die Richtigkeit ihrer schriftlichen Auskünfte vom Betroffenen bestritten wird (unveröffentlichtes Urteil M. vom 23. Juni 1989).
c) Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich weitergehend die Frage nach der Zulässigkeit und Beweistauglichkeit bloss mündlich bzw. telefonisch eingeholter Auskünfte. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat dazu in Rz. 2054 des Kreisschreibens über das Verfahren in der Invalidenversicherung (KSVI) vom 1. Juli 1987 angeordnet, dass mündlich oder telefonisch eingeholte Auskünfte in den Akten festzuhalten sind. Diese Verwaltungsweisung ist für den Sozialversicherungsrichter nicht verbindlich. Er soll sie bei seiner Entscheidung mit berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulässt. Er weicht anderseits insoweit von einer solchen Verwaltungsweisung ab, als sie sich nicht als gesetzes- oder verfassungskonform erweist (
BGE 115 V 6
Erw. 1b in fine und 328 Erw. 2a, je mit Hinweisen).
Eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung von
Art. 69 Abs. 2 Satz 2 IVV
kann nicht dahin gehen, dass neben schriftlichen Berichten mündliche bzw. telefonische Auskünfte unbeschränkt zulässig und beweistauglich wären, sofern sie nur in einer Aktennotiz festgehalten werden (vgl. die zitierte Rz. 2054 des KSVI). Einer solchen Auslegung stehen einerseits die aus dem
BGE 117 V 282 S. 285
verfassungsrechtlichen Gehörsanspruch fliessenden minimalen Verfahrensgarantien entgegen, die eine Beweisabnahme über einen für die Entscheidung wesentlichen Punkt ohne jede Einfluss- und Mitwirkungsmöglichkeit des Betroffenen verbieten, mag sich diese je nach den im Einzelfall auf dem Spiele stehenden Interessen auch auf eine nachträgliche Stellungnahme beschränken. Zum gleichen Schluss führt eine Auslegung von
Art. 69 Abs. 1 IVV
unter sinngemässer Berücksichtigung der Beweisordnung des VwVG, die nur schriftliche Auskünfte als zulässige Beweismittel anerkennt. Denn es ist zu beachten, dass für den Betroffenen nicht überprüfbar ist, welche Fragen und Sachverhaltsangaben einer Auskunftsperson unterbreitet worden sind, wenn deren mündliche oder telefonische Auskunft lediglich in einer Aktennotiz festgehalten wird. Ebensowenig hat er die Möglichkeit, der Auskunftsperson Ergänzungsfragen zu stellen und allenfalls unrichtige oder unvollständige Sachverhaltsangaben zu korrigieren oder zu ergänzen. Bei telefonischen Auskünften kann die Verwaltung überdies keinen persönlichen Eindruck von der Auskunftsperson gewinnen, ohne welchen die Unbefangenheit des Befragten und die Glaubwürdigkeit seiner Auskünfte nur schwer zu beurteilen sind. Schliesslich ist es unerlässlich, dass Auskunftspersonen, die als Sachverständige mündlich befragt werden, vorgängig Einblick in die Akten gegeben wird, damit sie sich vom gesamten rechtserheblichen Sachverhalt ein Bild machen können (
BGE 101 Ib 276
; vgl. auch ZAK 1986 S. 62 Erw. 3).
Eine formlos eingeholte und in einer Aktennotiz festgehaltene mündliche bzw. telefonische Auskunft stellt deshalb nur insoweit ein zulässiges und taugliches Beweismittel dar, als damit blosse Nebenpunkte, namentlich Indizien oder Hilfstatsachen, festgestellt werden. Sind aber Auskünfte zu wesentlichen Punkten des rechtserheblichen Sachverhaltes einzuholen, kommt grundsätzlich nur die Form einer schriftlichen Anfrage und Auskunft in Betracht (
BGE 99 Ib 109
Erw. 4). Werden Auskunftspersonen zu wichtigen tatbeständlichen Punkten dennoch mündlich befragt, ist eine Einvernahme durchzuführen und darüber ein Protokoll aufzunehmen (vgl. KÖLZ, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, § 7, N. 22). In der Regel ist dem Betroffenen überdies Gelegenheit zu geben, der Einvernahme beizuwohnen (TINNER, Das rechtliche Gehör, ZSR 83/1964 II S. 352). Soweit Sachverständige nicht mit einem schriftlichen Gutachten beauftragt, sondern als Auskunftspersonen mündlich befragt werden, ist
BGE 117 V 282 S. 286
ihnen vorgängig Einblick in die Akten zu gewähren und die Einvernahme in der Regel ebenfalls in Anwesenheit des Betroffenen durchzuführen, damit dieser Ergänzungsfragen stellen und Einwendungen erheben kann (
BGE 101 Ib 276
; KÖLZ, a.a.O., § 7, N. 22).
5.
a) Im vorliegenden Fall hat die Verwaltung in Befolgung des Untersuchungsgrundsatzes zu Recht ergänzende Abklärungen über den Anteil der betriebsleitenden Funktionen des Beschwerdeführers für notwendig befunden. Die dabei vorgenommenen Beweiserhebungen betrafen somit einen wesentlichen Punkt bei der Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes, und die Invalidenversicherungs-Kommission hat denn auch entscheidend auf die entsprechende Auskunft des Präsidenten des Kantonalen Schreinermeister-Verbandes vom 23. März 1989 abgestellt. Indessen hätte die Verwaltung nach Massgabe der dargelegten Grundsätze über die Beweiserhebungen (Erw. 4c in fine) vorgehen müssen. Es ging angesichts der entscheidenden Bedeutung dieser abzuklärenden Punkte nicht an, dass man es insofern bei bloss mündlichen Auskünften bewenden liess, die zudem lediglich telefonisch eingeholt wurden. Vielmehr wäre nur die Form einer schriftlichen Anfrage und Antwort oder - wenn die Verwaltung von einer schriftlichen Erkundigung absehen wollte - einer förmlichen Einvernahme des als Sachverständigen zu qualifizierenden Verbandspräsidenten unter vorgängiger Gewährung der Akteneinsicht in Betracht gekommen, wobei diesfalls dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Teilnahme an der Beweiserhebung hätte gegeben werden müssen. Stichhaltige Gründe, die einem solchen Vorgehen entgegenstünden, lagen nicht vor.
b) Der angefochtenen Verfügung und dem vorinstanzlichen Entscheid liegt somit eine Sachverhaltsfeststellung in einem wesentlichen Punkt zugrunde, die mittels einer unzulässigen Beweisabnahme erfolgt ist. Die angefochtene Verfügung und der kantonale Entscheid sind deshalb aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob Aussicht besteht, dass nach einem korrekt durchgeführten Beweisverfahren und nach Anhörung des Beschwerdeführers anders entschieden würde (
BGE 112 Ia 7
Erw. 2c in fine und
BGE 105 Ia 51
Erw. 2c in fine; vgl. auch
BGE 116 V 185
Erw. 1b, je mit Hinweisen). | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
bf6dc2f8-40b1-4b2e-9d2b-dffed488b139 | Urteilskopf
85 IV 115
29. Urteil des Kassationshofes vom 12. Juni 1959 i.S. Meier gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen. | Regeste
Art. 272 Abs. 2 BStP
.
Kann der kantonale Entscheid dem Empfänger durch die Post nicht zugestellt werden und wird er trotz der hinterlassenen Einladung auf der Post auch nicht abgeholt, so beginnt die Frist zur Begründung der Beschwerde am letzten Tag der auf der Einladung angesetzten viertägigen Frist zu laufen. | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 85 IV 115 S. 115
Am 20. März 1959 verurteilte das Obergericht des Kantons Schaffhausen Meier zu einer Gefängnisstrafe. Gegen das Urteil, das mündlich eröffnet wurde, erklärte der Verurteilte am 26. März die Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts.
Die Urteilsausfertigung wurde als Gerichtsurkunde eingeschrieben an die Wohnadresse Meiers gesandt, konnte ihm aber am 23. April 1959, als der Postbote zwei Zustellungsversuche unternahm, nicht abgegeben werden. Da die Sendung trotz der hinterlassenen Einladung (Avis) auch nicht innert vier Tagen auf der Post abgeholt wurde, ging sie am 28. April an das Obergericht zurück, welches nach unbenütztem Ablauf der Frist zur Beschwerdebegründung die Akten an das Bundesgericht weiterleitete.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach
Art. 272 Abs. 2 BStP
ist die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde innert zwanzig Tagen seit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Entscheides zu begründen. In welcher Form der kantonale Entscheid zuzustellen
BGE 85 IV 115 S. 116
ist, bestimmt das kantonale Recht, und wann die Zustellung als vorgenommen zu gelten hat, das Bundesrecht. Nach der Rechtsprechung ist sie im Falle des erfolglosen Zustellungsversuches durch die Post nicht schon mit dem Einwurf der Abholungseinladung in den Briefkasten vollzogen, sondern erst mit der tatsächlichen Abholung der Sendung auf der Post (
BGE 80 IV 204
). Wird sie nicht abgeholt, ist davon auszugehen, die Zustellung sei am letzten Tag der auf der Abholungseinladung angesetzten viertägigen Frist erfolgt (vgl. Art. 104 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung I vom 23. Dezember 1955 zum Postverkehrsgesetz). In der Regel erhält der Empfänger von der Anzeige rechtzeitig Kenntnis, und normalerweise hat er die Möglichkeit, die Sendung innerhalb der Frist am Postschalter abzuholen. Macht er von der Einladung keinen Gebrauch, so ist die Unterlassung regelmässig auf Gründe zurückzuführen, die er selbst zu vertreten hat, so dass sie einer Verweigerung der Annahme gleichzusetzen ist. Würde die Rechtsmittelfrist nicht am letzten dieser vier Tage zu laufen beginnen, müsste die beim Kassationshof mit der Anmeldung der Beschwerde anhängig gemachte Sache auf unbestimmte Zeit unerledigt bleiben, jedenfalls solange, als nicht feststünde, dass der Beschwerdeführer doch noch in den Besitz des kantonalen Entscheides gelangt wäre. Zudem hinge der Beginn der Frist zur Beschwerdebegründung von unsicheren äusseren und von persönlichen Umständen des Beschwerdeführers ab, eine Folge, die sich mit dem Wesen einer gesetzlichen Rechtsmittelfrist schwer vertrüge.
Nach
Art. 35 OG
kann die Partei, die durch Abwesenheit oder ein anderes unverschuldetes Hindernis von der rechtzeitigen Abholung des Entscheides auf der Post abgehalten worden ist und deshalb die Frist zur Begründung der Beschwerde versäumt hat, binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses unter Angabe desselben die Wiederherstellung der Frist verlangen und die versäumte Rechtshandlung nachholen. Meier hat weder ein
BGE 85 IV 115 S. 117
solches Gesuch gestellt noch eine Beschwerdebegründung eingereicht. Dafür, dass er die Einladung zum Abholen des Entscheides nicht erhalten habe, liegen keine Anhaltspunkte vor. Es kann daher offen bleiben, ob dann, wenn dieser Ausnahmefall zuträfe, die Bestimmung des
Art. 35 OG
über die Wiederherstellung anwendbar wäre oder ob angenommen werden müsste, die Frist des
Art. 272 Abs. 2 BStP
werde erst mit dem Wegfall des Hindernisses, d.h. dadurch in Gang gesetzt, dass der Beschwerdeführer von der versuchten Zustellung des Entscheides Kenntnis erhält (vgl.
BGE 83 III 97
).
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf81c08d-7c70-4f4b-bdf7-9e9dacdba652 | Urteilskopf
100 IV 219
56. Urteil des Kassationshofes vom 6. Dezember 1974 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen Biller. | Regeste
Art. 137 Ziff. 2 und
Art. 139 Ziff. 2 StGB
: qualifizierter Diebstahl bzw. Raub.
1. Bandenmässigkeit ist erst anzunehmen, wenn der Wille der Täter auf die gemeinsame Verübung einer Vielheit von Diebstählen oder Raubtaten gerichtet ist (Erw. 2).
2. Besondere Gefährlichkeit des Täters (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 219
BGE 100 IV 219 S. 219
A.-
Die Brüder Helmut und Karl Biller sowie Beat Alder kamen, da sie keiner geregelten Arbeit nachgingen und deshalb mittellos waren, am 5. Dezember 1973 überein, sich ins Ausland abzusetzen und das Geld für die Flucht durch einen Raubüberfall auf das Postbüro Beggingen zu beschaffen. Die hiefür nach einem genau festgelegten Plan benötigten Waffen samt Munition sollten durch einen Einbruch in ein nahegelegenes Schützenhaus erbeutet werden. Zu diesem Zwecke entwendeten sie am Abend desselben Tages in Schaffhausen einen Personenwagen und fuhren damit nach Schleitheim, wo sie in einen Pistolenstand einbrachen, aber weder Waffen noch Munition fanden. Alsdann drangen sie ein wenig später in den Schiessstand Schaffhausen-Buchthalen ein, doch fiel ihnen auch dort das Gesuchte nicht in die Hände. Daraufhin versuchten sie ein drittes Mal, sich Waffen und Munition zu beschaffen, indem sie in den Schiessstand Fluringen einbrachen. Als ihr Vorhaben auch hier erfolglos endete, brachen sie ihre Bemühungen vorläufig ab. Da die Brüder Biller ein Flobertgewehr sowie eine Schreckschusspistole besassen und Alder inzwischen bei einem Bekannten eine Ordonnanzpistole gestohlen hatte, entwendeten die drei am Abend des 6. Dezember
BGE 100 IV 219 S. 220
1973 erneut einen Personenwagen, um den geplanten Überfall durchzuführen. In Beggingen angekommen, stellten sie sich in der Nähe des Postbüros bewaffnet und maskiert auf, um vereinbarungsgemäss die Familie des Posthalters zu bedrohen und von ihm das Geld herauszuverlangen. Der Überfall scheiterte jedoch am Zwischenruf eines argwöhnisch gewordenen Nachbarn, weshalb die Täter nach Schaffhausen zurückgekehrt sind.
B.-
Mit Urteil vom 3. April 1974 sprach das Kantonsgericht Schaffhausen Helmut Biller des wiederholten unvollendeten Diebstahlsversuchs, des unvollendeten Raubversuchs sowie weiterer Delikte schuldig und verurteilte ihn zu 18 Monaten Gefängnis und einer Busse von Fr. 75.-. Es rechnete dem Verurteilten 108 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft an und gewährte ihm den bedingten Strafvollzug mit einer Probezeit von drei Jahren.
Auf Appellation der Staatsanwaltschaft bestätigte das Obergericht des Kantons Schaffhausen am 5. Juli 1974 den erstinstanzlichen Entscheid.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Sache zur Verurteilung wegen bandenmässigen unvollendeten Raub- und Diebstahlsversuchs an das Obergericht zurückzuweisen.
Biller beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 137 Ziff. 2 Abs. 2 und 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB macht sich des bandenmässigen Diebstahls bzw. Raubes schuldig, wer die Tat als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Diebstahl oder Raub zusammengefunden hat.
Bandenmässigkeit im Sinne des Gesetzes ist nur dann anzunehmen, wenn zwei oder mehrere Täter sich mit dem ausdrücklich oder konkludent geäusserten Willen zusammenfinden, inskünftig zur Verübung mehrerer selbständiger, im einzelnen möglicherweise noch unbestimmter Diebstähle oder Raubtaten zusammenzuwirken (
BGE 83 IV 147
; PRAGER, Der qualifizierte Diebstahl, S. 33; GERMANN, Das Verbrechen, S. 261; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT I, S. 188; THORMANN/VON OVERBECK, N. 30 zu Art. 137). Dagegen
BGE 100 IV 219 S. 221
ist abweichend von
BGE 78 IV 236
unter dem Begriff der fortgesetzten Verübung hier nicht eine Begehung im Sinne eines Fortsetzungszusammenhanges zu verstehen. Ein fortgesetztes Delikt verbindet die Einzelakte zu einer Tat, während nach der erwähnten Rechtsprechung (
BGE 83 IV 147
) und dem Schrifttum eine Mehrheit von selbständigen Delikten verlangt wird. Ausreichend ist aber die Vereinbarung mehrerer in sich abgeschlossener fortgesetzter Handlungen (Leipziger Kommentar, 9. Aufl., N. 15 zu § 244 und SCHÖNKE/SCHRÖDER, 16. Aufl., N. 12 zu § 244).
2.
Die Vorinstanz stellt fest, dass sich die drei Täter zusammengeschlossen hatten, um einen Raubüberfall (Post Beggingen) zu verüben und die dazu notwendigen Waffen samt Munition durch einen Einbruchdiebstahl in einen Schiessstand zu beschaffen. Damit steht für das Bundesgericht verbindlich fest, dass sich der Beschwerdegegner und seine Komplizen nur zur Begehung von zwei Delikten zusammengefunden haben. Denn was der Täter weiss, will oder in Kauf nimmt, ist Tatfrage, die vom kantonalen Sachrichter endgültig beantwortet wird (
BGE 81 IV 283
,
BGE 83 IV 77
u.a.m.). Rechtsfrage ist jedoch, ob der auf die Verübung von zwei Straftaten bezogene Wille zur Annahme der Bandenmässigkeit genügt, d.h. ob zwei beabsichtigte Delikte das Erfordernis mehrerer selbständiger Diebstähle oder Raubtaten erfüllen.
PRAGER (a.a.O.) fordert, dass der gemeinsame Wille der Verbundenen auf mehr als eine selbständige Tat gerichtet sein müsse, und GERMANN (a.a.O.) lässt eine wiederholte Begehung genügen, wofür wohl bereits zwei Taten ausreichen. Nach dieser Meinung wäre entgegen der Auffassung des Obergerichtes die Bandenmässigkeit zu bejahen. Daran vermöchte auch der Umstand nichts zu ändern, dass der geplante Diebstahl im Verhältnis zum beabsichtigten Raub praktisch nur ein Hilfsdelikt darstellt und die beiden Handlungen als Einheit erscheinen; eine Tat im Sinne eines fortgesetzten Deliktes müsste trotz der Gleichartigkeit von Diebstahl und Raub deswegen verneint werden, weil nach der Rechtsprechung ein Fortsetzungszusammenhang nur anzunehmen ist, wenn die auf einem einheitlichen Willensentschluss gründenden ähnlichen oder gleichartigen Deliktshandlungen gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind (
BGE 72 IV 184
).
Art. 137 StGB
schützt das Eigentum,
Art. 139 StGB
ausserdem auch die Freiheit.
BGE 100 IV 219 S. 222
Indessen legen Wortlaut und Sinn des Gesetzes eine engere Auslegung nahe. Der Umstand, dass die Täter sich "zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl" zusammengefunden haben müssen, und das für die qualifizierte Tat vorgesehene hohe Strafminimum weisen darauf hin, dass Bandenmässigkeit erst anzunehmen ist, wenn der Wille der Täter auf die gemeinsame Verübung einer Vielheit von Diebstählen und Raubtaten gerichtet ist. Die in der Bandenbildung liegende Gefährlichkeit äussert sich nämlich vor allem darin, dass der Zusammenschluss mehrerer jedem einzelnen die Begehung weiterer Straftaten erleichtert (THORMANN/VON OVERBECK, a.a.O.). Wo sich jedoch die Täter schon zum voraus auf die Begehung von bloss zwei Diebstählen oder Raubtaten beschränken, entfällt jene in der Bande liegende besondere Gefahr.
Da die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, dass der Wille der Täter auf die Begehung von zwei Delikten beschränkt war, ist das Merkmal der Bandenmässigkeit nicht erfüllt, obwohl tatsächlich gemeinsam mehr als zwei Verbrechen begangen worden sind.
3.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Rückweisung der Sache zur Bestrafung des Beschwerdegegners wegen qualifizierten unvollendeten Diebstahls- und Raubversuchs schliesst nicht aus, dass das Bundesgericht diesem Antrag mit einer anderen als der von der Beschwerdeführerin gegebenen Begründung gutheisst, sofern die tatsächlichen Grundlagen hiefür im angefochtenen Urteil enthalten sind (
Art. 277 bis Abs. 2 BStP
). Da die Bandenmässigkeit nichts anderes als eine selbständige Ausdrucksform der vom Gesetzgeber als Generalklausel verwendeten besonderen Gefährlichkeit darstellt, bleibt es dem Bundesgericht vorbehalten, auf Grund des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhaltes das Vorliegen dieser Voraussetzung zu prüfen.
Die besondere Gefährlichkeit kann sich aus den Tatumständen, aber auch aus den dem Delikt vorausgehenden oder nachfolgenden Umständen ergeben. Dabei zählen zu solchen der Tat vorausgehenden Umständen Umsicht und Beharrlichkeit sowie Hartnäckigkeit bei der Verfolgung der räuberischen Absicht (
BGE 100 IV 29
; siehe ferner GERBER, ZStR 90, S. 132 ff.). Im vorliegenden Fall haben die drei Täter nach dem angefochtenen Urteil mit Umsicht gehandelt, indem sie
BGE 100 IV 219 S. 223
nicht nur den Raubüberfall bis ins einzelne planten, sondern zu dessen Durchführung sich auch Strumpfmasken anfertigten und mit Waffen ausrüsteten. Um Waffen und Munition zu erbeuten, brachen sie überdies nicht weniger als dreimal in Schiessstände ein. Unmittelbar nachdem sie in den Besitz von Waffen gelangt waren, fuhren sie in der Nacht mit einem entwendeten Motorfahrzeug nach Beggingen und bereiteten sich dort auf den Überfall vor. Diese Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit bei der Verfolgung der räuberischen Absicht lässt den Beschwerdegegner als besonders gefährlichen Täter erscheinen.
Dementsprechend muss die Nichtigkeitsbeschwerde gutgeheissen und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen werden. Das Obergericht wird den Beschwerdeführer wegen qualifizierten Diebstahls- bzw. Raubversuchs zu bestrafen haben, soweit dies nach dem kantonalen Verfahrensrecht möglich ist (
BGE 98 IV 60
Nr. 10).
Dispositiv
Demgemäss erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf83cff8-0d7e-4ffd-9768-10ba4e67358d | Urteilskopf
98 IV 120
22. Urteil des Kassationshofes vom 1. Juni 1972 i.S. Büchi gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 76 Abs. 2, 2. Satz SSV.
Die von einer Gemeinde vorschriftsgemäss beschlossene und signalisierte Verkehrsbeschränkung wird nach bernischem Recht nicht erst mit der regierungsrätlichen Genehmigung verbindlich. | Sachverhalt
ab Seite 120
BGE 98 IV 120 S. 120
A.-
Büchi fuhr am 21. Oktober 1970 in Bern mit seinem Personenwagen vom Inselplatz durch den mit dem Signal "Allgemeines Fahrverbot" und der Zusatztafel "Nur Zubringerdienst gestattet" gekennzeichneten Verbindungsweg in die Effingerstrasse. Da Büchi keinen Zubringerdienst ausführte, wurde er von der Polizei verzeigt.
B.-
Am 24. September 1971 verfällte der Gerichtspräsident VI von Bern Büchi wegen Nichtbeachtung des Fahrverbots in Anwendung der
Art. 27 Abs. 1 und
Art. 90 Abs. 1 SVG
in eine Busse von Fr. 20.-.
BGE 98 IV 120 S. 121
Auf Appellation des Gebüssten hin bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am 18. Februar 1972 das erstinstanzliche Urteil.
C.-
Büchi führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 3 Abs. 2 SVG
sind die Kantone befugt, für bestimmte Strassen Fahrverbote, Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen zur Regelung des Verkehrs zu erlassen. Sie können diese Befugnis den Gemeinden übertragen.
Art. 3 Abs. 6 SVG
räumt der Polizei das Recht ein, in besonderen Fällen die erforderlichen Massnahmen zu treffen, namentlich den Verkehr vorübergehend zu beschränken oder umzuleiten. Zuständig zur Anbringung der Signale und Markierungen sind die vom kantonalen Recht bezeichneten Behörden (
Art. 76 Abs. 2 SSV
). Überträgt der Kanton die Signalisation den Gemeinden, dann führt er die Aufsicht.
Von dieser Möglichkeit hat der Kanton Bern Gebrauch gemacht, indem er in Art. 4 des bernischen Gesetzes über die Strassenpolizei und die Besteuerung der Motorfahrzeuge vom 6. Oktober 1940 bestimmt, dass die Gemeinden die Strassensignalisation auf Gemeindestrassen durchführen; sie sind befugt, örtliche Verkehrsvorschriften aufzustellen. Nach § 47 der bernischen Verordnung über die Strassenpolizei und die Strassensignalisation vom 31. Dezember 1940 ist die Anbringung von Signalen auf Staatsstrassen Sache des kantonalen Strassenverkehrsamtes, auf Gemeindestrassen jene der Gemeinden.
Die §§ 4 und 5 der genannten Verordnung bestimmen in Ausführung von
Art. 3 Abs. 6 SVG
, dass für gewisse kurzfristige Verkehrsbeschränkungen, Strassensperren und für Parkierungsverbote die Ortspolizeibehörden in eigener Befugnis handeln.
In Auslegung dieser verschiedenen kantonalen Erlasse führt das Obergericht im angefochtenen Urteil aus, dass das bernische Recht die Signalisation auf einer Staatsstrasse dem Kanton und diejenige auf einer Gemeindestrasse den Gemeinden übertrage. An dieser Regelung würden auch die §§ 4 und 5 der zitierten Verordnung, insoweit darin der Ortspolizei für die erwähnten Fälle gewisse Befugnisse zugestanden werden, nichts
BGE 98 IV 120 S. 122
ändern. Namentlich werde durch diese Vorschriften nicht etwa die Kompetenz der Gemeinden zur Anbringung von Signalen auf die in den §§ 4 und 5 umschriebenen Fälle beschränkt. Vielmehr sei für die Aufstellung von Signalen aller Art - auch von solchen zur Beschränkung des Fahrverkehrs - auf Gemeindestrassen die Gemeinde zuständig.
Diese Ausführungen betreffen die Auslegung kantonalen Rechts, das im Verfahren auf Nichtigkeitsbeschwerde vor Bundesgericht nicht überprüft werden kann (
Art. 268 Ziff. 1, 269 Abs. 1 BStP
). Demnach steht verbindlich fest, dass die Gemeinde Bern am 3. Juni 1970 befugt war, den eine Gemeindestrasse darstellenden Verbindungsweg zwischen Inselplatz und Effingerstrasse mit einem Fahrverbot für Motorfahrzeuge zu belegen.
Da die Verkehrsbeschränkung von der Gemeinde Bern am 3. Juni 1970 zudem im amtlichen Publikationsorgan veröffentlicht und am fraglichen Ort entsprechend signalisiert wurde, sind auch die Gültigkeitsvoraussetzungen für das Fahrverbot im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 SVG
und
Art. 82 Abs. 4 SSV
erfüllt.
2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verkehrsbeschränkung für den Verbindungsweg zwischen Inselplatz und Effingerstrasse sei am 21. Oktober 1970 zwar signalisiert, aber dennoch nicht verbindlich gewesen, da der Regierungsrat des Kantons Bern sie erst am 5. März 1971 genehmigt habe. Mit diesem Einwand will offenbar eine Verletzung der
Art. 27 Abs. 1 SVG
und
Art. 76 Abs. 2 SSV
gerügt werden.
Art. 27 Abs. 1 SVG
schreibt dem Strassenbenützer jedoch allgemein die Beachtung der vorschriftsgemäss beschlossenen und angebrachten Signale und Markierungen vor, gleichgültig, ob diese von der zuständigen Behörde genehmigt worden sind oder nicht. Und
Art. 76 Abs. 2 SSV
verpflichtet die Kantone, die Aufsicht über die an die Gemeinden übertragenen Signalisationen auszuüben. Dass diese Aufsicht in einer der Bekanntmachung und dem Aufstellen eines Signals vorausgehenden Genehmigung durch die kantonale Behörde bestehen müsse, ist der genannten Bestimmung nicht zu entnehmen. Das Bundesrecht stellt vielmehr den Kantonen die Form der Beaufsichtigung frei.
Art. 4 des bernischen Strassenpolizeigesetzes vom 6. Oktober 1940 spricht bloss von der "Genehmigung", die der Regierungsrat den von den Gemeinden angebrachten Signalen und
BGE 98 IV 120 S. 123
Markierungen zu erteilen hat. Mit keinem Wort ist davon die Rede, dass die Zustimmung oder Ablehnung des Regierungsrates dem Anbringen oder der Bekanntmachung des Signals vorausgehen oder unmittelbar folgen müsse, damit die Verkehrsbeschränkung rechtsgültig und verbindlich sei. Vielmehr kann die erwähnte "Genehmigung" auch einfach bedeuten, dass der Kanton sich in Art. 4 des Strassenpolizeigesetzes das Recht vorbehält, nachträglich gesamthaft mehrere von einer Gemeinde erlassene Signalisierungen zu überprüfen und dabei gutzuheissen oder abzulehnen. Diese Frage betrifft indes die Auslegung kantonalen Rechts und kann deshalb vom Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren nicht erörtert werden (
Art. 269 Abs. 1 BStP
). Es ist daher von der verbindlichen Feststellung des Obergerichts auszugehen, dass nach bernischer Regelung der regierungsrätlichen Genehmigung von kommunalen Signalisierungen bloss eine "deklarative Wirkung" zukommt. Die von einer Gemeinde verfügte Verkehrsbeschränkung werde also mit der Bekanntmachung und entsprechenden Signalisierung an Ort und Stelle verbindlich. Nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil wird Art. 4 des bernischen Strassenpolizeigesetzes seit jeher in der Weise gehandhabt, dass der Regierungsrat die von den Gemeinden verfügten Signalisierungen nicht einzeln im Zeitpunkt ihres Erlasses, sondern erst später und gesamthaft genehmigt. So ist auch im vorliegenden Fall die regierungsrätliche Genehmigung für das am 3. Juni 1970 formgültig erlassene und vorschriftsmässig signalisierte Fahrverbot zwischen Inselplatz und Effingerstrasse erst neun Monate danach, nämlich am 5. März 1971 erteilt worden. Die betreffende Verkehrsbeschränkung war somit am 21. Oktober 1970 verbindlich und musste von den Fahrzeugführern beachtet werden. Der Beschwerdeführer, der in der fraglichen Zeit das Verbindungssträsschen zwischen Inselplatz und Effingerstrasse befuhr, ohne Zubringerdienst auszuführen, hat daher dem Fahrverbot zuwidergehandelt und ist dafür zu Recht bestraft worden.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf85959e-9b3f-406e-8740-61cc60e60585 | Urteilskopf
101 V 278
56. Urteil vom 16. Dezember 1975 i.S. Wyss gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Hilfsmittel zur Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt (
Art. 21 Abs. 2 IVG
). Analphabeten haben keinen Anspruch auf automatische Schreibgeräte.
Die erstmalige berufliche Ausbildung (
Art. 16 IVG
) umfasst die Schulung eines Analphabeten zum Gebrauch von Schreibgeräten nicht. | Sachverhalt
ab Seite 278
BGE 101 V 278 S. 278
A.-
Der 1946 geborene Hans-Jakob Wyss, Bezüger einer ganzen Invalidenrente sowie einer Entschädigung wegen schwerer Hilflosigkeit, leidet an cerebraler Lähmung aller Extremitäten und an Imbezillität; er ist des Lesens und Schreibens unkundig, verfügt dagegen über eine Lautsprache, die aber nur seine Mutter einigermassen verstehen kann.
Im Juli 1973 ersuchte der Vater des Versicherten um Übernahme der Kosten eines Aufenthaltes im Paraplegikerzentrum Basel zur Abklärung der Frage, ob die Voraussetzungen zur Abgabe eines Possum-Schreibgerätes erfüllt seien, welchem Gesuch die Invalidenversicherungs-Kommission entsprach. Das Gutachten des Paraplegikerzentrums kam zum Schluss, dass der Versicherte die Possum-Schreibmaschineneinheit, d.h. eine durch eine elektronische Kontrolleinheit mit Anzeigeleuchttafel und pneumatischen Drucktastenschaltern gesteuerte elektrische Schreibmaschine funktionell bedienen könne; bezüglich der Lernfähigkeit Lesen und Schreiben sei aber eine Abklärung wünschenswert. Die leihweise
BGE 101 V 278 S. 279
Abgabe des Gerätes für die weitere Abklärung und zu Lernzwecken samt Seitenwender sei zu bewilligen. Die pädoaudiologische Abteilung der Ohren-Nasen-Halsklinik des Kantonsspitals St. Gallen stellte fest, dass der Versicherte die Voraussetzungen zum Erlernen des Schreibens und Lesens besitze und dass dabei das Possum-Gerät eine unerlässliche Hilfe darstelle.
Auf Anfrage der Invalidenversicherungs-Kommission liess sich das Bundesamt für Sozialversicherung dahin vernehmen, dass der Versicherte die Bedingungen zur Abgabe eines automatischen Schreibgerätes nicht erfülle; es könne ihm zu Lasten der Invalidenversicherung auch kein Unterricht zur Erlernung des Lesens und Schreibens erteilt werden.
Mit Verfügung vom 21. November 1974 lehnte die Ausgleichskasse das Gesuch um Abgabe eines Possum-Schreibgerätes ab. Ein solches Gerät könne nur unter der Voraussetzung abgegeben werden, dass der Versicherte in der Lage sei, damit zweckmässig umzugehen, und dass ein Nutzeffekt erzielt werden könne; dies treffe nicht zu. Für die Übernahme der Kosten der Schulung des volljährigen Versicherten fehlten die rechtlichen Grundlagen, da eine wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit nicht zu erwarten sei.
B.-
Das Versicherungsgericht des Kantons Bern wies durch Entscheid vom 19. März 1975 eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde ab.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Vater des Versicherten den Antrag stellen, in Aufhebung der angefochtenen Kassenverfügung und des kantonalen Urteils sei seinem Sohne ein Possum-Gerät mit elektrischer Schreibmaschine abzugeben und es seien die Schulungskosten für die Bedienung des Gerätes (inkl. Lernen des Lesens und Schreibens) durch die Invalidenversicherung zu übernehmen. Es wird im wesentlichen geltend gemacht, entgegen der Ansicht des kantonalen Richters besitze der Versicherte die Voraussetzungen zum Erlernen des Lesens und Schreibens. Die Invalidenversicherung habe daher entweder gestützt auf
Art. 16 IVV
für die Ausbildung im Lesen und Schreiben aufzukommen oder sie laut
Art. 16 IVG
zu subventionieren. Im übrigen garantiere die Organisation "Pfadfinder trotz allem" in Biel, diese Ausbildung zu übernehmen, falls die Versicherung wohl ein Possum-Gerät zuspreche,
BGE 101 V 278 S. 280
nicht aber die Kosten für das Erlernen von Lesen und Schreiben trage. Es wird schliesslich ein Bericht der pädoaudiologischen Abteilung des Kantonsspitals St. Gallen aufgelegt, wonach die Therapie zum Erlernen des Lesens und Schreibens gewisse Fortschritte zeige; dabei sei der Gebrauch des Possum-Gerätes ein entscheidender Faktor.
Während die Ausgleichskasse von einer Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde absieht, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung deren Abweisung.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss den
Art. 21 Abs. 2 IVG
in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 in fine IVV und
Art. 4 HV
werden ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit mit besonderen Steuergeräten versehene elektrische Schreibmaschinen Versicherten abgegeben, die wegen Lähmung sprech- und schreibunfähig sind und nur mit Hilfe eines solchen Gerätes mit der Umwelt in Verbindung treten können.
2.
Im vorliegenden Fall braucht nicht untersucht zu werden, ob der Beschwerdeführer überhaupt sprechunfähig und ob gegebenenfalls dieses Unvermögen auf seine Lähmung oder auf Imbezillität zurückzuführen ist. Denn die Tatsache, dass er Analphabet ist, schliesst die Abgabe des Possum-Schreibgerätes durch die Invalidenversicherung aus. Zwar ist er nach dem Bericht des Paraplegikerzentrums in der Lage, das Gerät funktionell zu bedienen; es ist ferner nach den Abklärungen der pädoaudiologischen Abteilung des Kantonsspitals St. Gallen nicht ausgeschlossen, dass er lesen und schreiben lernen kann. Weil er indessen diese Kenntnisse nicht besitzt, vermag er den Kontakt mit der Umwelt mit Hilfe des Possum-Gerätes nicht herzustellen. Der Zweck der Abgabe dieses Gerätes im Rahmen und unter den Voraussetzungen von
Art. 21 Abs. 2 IVG
liegt ausschliesslich darin, dem wegen Lähmung sprech- und schreibunfähigen Versicherten zu ermöglichen, mit der Umwelt in Verbindung zu treten; ein Anspruch auf Aneignung der Lese- und Schreibkenntnis mit Hilfe eines von der Invalidenversicherung abzugebenden Possum-Gerätes besteht dagegen nicht, zumal im Rahmen von
Art. 21 Abs. 1 IVG
, der die Abgabe von Hilfsmitteln für die Schulung und Ausbildung vorsieht, nur
BGE 101 V 278 S. 281
Behelfe zum Lesen und Schreiben (
Art. 14 Abs. 1 lit. f IVV
) erwähnt werden. Aus diesem Grunde kann das Erlernen von Lesen und Schreiben auch nicht als Schulung zum Gebrauch des Hilfsmittels im Sinne von
Art. 16 Abs. 1 IVV
bezeichnet werden. Die Kenntnis des Schreibens bzw. des Lesens ist eben nach den zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes für Sozialversicherung eine Voraussetzung für die Abgabe des in Frage stehenden Hilfsmittels. Die Zusicherung der Organisation "Pfadfinder trotz allem", die Schulung des Beschwerdeführers zu übernehmen, vermag daran nichts zu ändern. Schliesslich verbietet
Art. 16 IVG
in Verbindung mit
Art. 5 Abs. 1 und 3 IVV
den Ersatz der Kosten eines solchen Gerätes unter dem Titel der erstmaligen beruflichen Ausbildung.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
bf88cbe1-60ce-4b53-abf6-81089a639324 | Urteilskopf
135 I 191
23. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause A. contre Office fédéral de la justice (recours en matière de droit public)
1C_588/2008 du 12 mars 2009 | Regeste
Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen;
Art. 25 Abs. 3 BV
und
Art. 3 EMRK
;
Art. 2 IRSG
; Überstellung einer in der Schweiz verurteilten Person ins Ausland.
Bevor sie um Überstellung einer in der Schweiz verurteilten Person ins Ausland ersucht, hat sich die schweizerische Behörde zu vergewissern, dass keine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Bestrafung besteht (E. 2.2 und 2.3). Ausgehend von den generellen Haftbedingungen im betreffenden Staat (E. 2.4-2.6) und der konkreten Situation des Beschwerdeführers, insbesondere dessen Gesundheitszustand (E. 2.7), hat sie sich nach den vorhersehbaren Haftbedingungen zu erkundigen und nach der Möglichkeit, eine angemessene Pflege zu erhalten (E. 2.8). | Sachverhalt
ab Seite 192
BGE 135 I 191 S. 192
Par jugement du 26 mai 2003, le Tribunal criminel de l'arrondissement de Lausanne a condamné A., ressortissant letton né en 1976, à 15 ans de réclusion, à la poursuite d'un traitement psychothérapeutique, et à 12 ans d'expulsion du territoire suisse pour assassinat, vol et infraction à la LStup (RS 812.121). Par arrêt du 15 septembre 2003, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a confirmé cette condamnation. Une décision d'expulsion a été rendue le 5 avril 2004 par le Service vaudois de la population.
Le 18 décembre 2007, l'Office d'exécution des peines du canton de Vaud (OEP) a demandé à l'Office fédéral de la justice (OFJ) le transfèrement de A. à la Lettonie, en application du Protocole additionnel du 18 décembre 1997 à la Convention du 21 mars 1983 sur le transfèrement des personnes condamnées (RS 0.343 et 0.343.1; ci-après, respectivement la convention et le protocole). L'OEP relevait notamment que l'intéressé n'avait de contacts qu'avec sa grand- mère en Lettonie. A. s'est opposé à son transfèrement en relevant notamment qu'il faisait partie de la minorité russe et parlait mal le letton, que les conditions de détention étaient mauvaises et qu'un transfèrement serait destructeur pour lui, le privant notamment de soutien psychologique.
Par décision du 18 août 2008, l'OFJ a décidé de demander à la Lettonie d'accepter le transfèrement de A. afin d'exécuter le solde de sa peine. Les conditions posées par la convention et le protocole étaient réunies. Une réinsertion sociale serait plus facile dans le pays d'origine.
BGE 135 I 191 S. 193
Par arrêt du 5 décembre 2008, la II
e
Cour des plaintes du Tribunal pénal fédéral a rejeté le recours formé par A. Une réinsertion en Suisse était impossible, compte tenu de la mesure d'expulsion. En tant que membre du Conseil de l'Europe, la Lettonie devait garantir un standard minimum de protection des droits de l'homme. Le recourant prétendait avoir subi des agressions sexuelles lors d'une précédente détention, mais il n'apportait aucun élément permettant d'étayer ses affirmations. Il ne démontrait pas non plus l'existence d'un risque de violation des droits de l'homme en Lettonie, et rien ne permettait de penser que l'hépatite dont il souffrait ne pourrait être soignée en prison. Les deux condamnations de la Lettonie par la CourEDH se rapportaient l'une aux conditions de détention en isolement, l'autre à un établissement pénitentiaire dont la direction avait toutefois fait preuve de diligence.
A. forme un recours en matière de droit public. Il conclut à la réforme de l'arrêt de la Cour des plaintes en ce sens que la décision de l'OFJ est annulée.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et renvoyé la cause à l'OFJ pour instruction complémentaire.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Reprenant ses motifs d'opposition, le recourant relève que lors de ses précédentes incarcérations en Lettonie, il aurait subi de graves sévices, notamment des agressions sexuelles. Il dit souffrir actuellement d'hépatite C. Il se prévaut d'un rapport établi en mai 2008 par le Comité européen pour la prévention de la torture (CPT), qui fait état de mauvais traitements dans des lieux de détention en Lettonie.
2.1
Selon l'
art. 25 al. 3 Cst.
, nul ne peut être refoulé sur le territoire d'un Etat dans lequel il risque la torture ou tout autre traitement ou peine cruels ou inhumains (
ATF 134 IV 156
consid. 6.3 p. 164). En matière d'entraide judiciaire, ce principe est rappelé à l'
art. 2 EIMP
(RS 351.1), disposition qui a pour but d'éviter que la Suisse ne prête son concours à des procédures qui ne garantiraient pas à la personne poursuivie un standard de protection minimal correspondant à celui des Etats démocratiques, défini en particulier par la CEDH et le Pacte ONU II (RS 0.103.2;
ATF 126 II 324
consid. 4a p. 326;
ATF 125 II 356
consid. 8a p. 364;
ATF 123 II 161
consid. 6a p. 166/167,
ATF 126 II 511
consid. 5a p. 517, 595 consid. 5c p. 608;
ATF 122 II 140
consid. 5a p. 142;
BGE 135 I 191 S. 194
cf., en dernier lieu, arrêt de la CourEDH
Saadi contre Italie
du 28 février 2008, § 124 s.). La Suisse elle-même contreviendrait à ses obligations internationales en extradant ou en remettant une personne à un Etat où il existe des motifs sérieux de penser qu'un risque de traitement contraire à la CEDH ou au Pacte ONU II menace l'intéressé (
ATF 126 II 258
consid. 2d/aa p. 260,
ATF 126 II 324
consid. 4c p. 327;
ATF 125 II 356
consid. 8a p. 364 et les arrêts cités).
Avec raison, la Cour des plaintes a considéré que ces principes devaient également s'appliquer à une procédure de transfèrement. La convention repose essentiellement sur des motifs humanitaires: il s'agit d'éviter d'une part les souffrances qui peuvent résulter, pour la personne condamnée, d'une incarcération loin de son milieu familial et culturel, et de favoriser d'autre part sa réinsertion sociale dans son pays d'origine (Message du 29 octobre 1986 relatif à l'approbation de la Convention sur le transfèrement des personnes condamnées, FF 1986 III 741 ch. 122). Même s'il permet, à certaines conditions, de faire abstraction du consentement de la personne intéressée, le protocole poursuit les mêmes buts, tout en permettant d'éviter des comportements abusifs tels que la fuite dans le pays d'origine afin d'échapper à une exécution de peine. S'agissant des condamnés qui ont fait l'objet d'une mesure d'expulsion, le protocole repose sur la considération qu'une réinsertion n'est pas possible dans le pays de condamnation, et donc préférable dans le pays d'origine. Compte tenu des buts humanitaires qui sont à la base de la convention et du protocole, l'autorité suisse doit préalablement entendre l'intéressé, tenir compte de ses objections et rechercher d'office si le transfèrement peut avoir lieu dans des conditions acceptables. Ni la convention ni le protocole n'ont pour but d'assurer au condamné les conditions de détention les plus favorables. Toutefois, une incarcération dans l'Etat d'exécution doit garantir d'une part un traitement du détenu conforme aux exigences des normes de droit international en la matière et, d'autre part, une réinsertion au moins équivalente à ce que permettrait la poursuite de l'exécution de la peine dans l'Etat de condamnation.
2.2
L'autorité suisse doit donc, avant de requérir le transfèrement, s'assurer elle-même que la personne concernée n'est pas sérieusement menacée d'un traitement prohibé. Si les risques sont réels, la Suisse doit renoncer à la demande de délégation de l'exécution (Message du 1
er
mai 2002 relatif au protocole additionnel [...], FF 2002 4045 et 4050-4051). Dans le cas du transfèrement, l'Etat requérant
BGE 135 I 191 S. 195
ne dispose - contrairement aux cas d'extradition assortis de conditions - d'aucun droit de regard sur la situation du détenu. La convention prévoit que l'Etat de condamnation peut demander un rapport spécial concernant l'exécution de la condamnation (
art. 15 let
. c), mais il est douteux que l'autorité requérante puisse ainsi prétendre être renseignée en détail sur les conditions d'incarcération.
2.3
En matière d'extradition, la jurisprudence distingue les Etats - notamment d'Europe de l'ouest - à l'égard desquels il n'y a en principe pas de doute à avoir quant au respect des droits de l'homme, ceux pour lesquels une extradition peut être accordée moyennant l'obtention de garanties particulières - notamment les autres Etats membres du Conseil de l'Europe -, et enfin les Etats vers lesquels une extradition est exclue, compte tenu des risques concrets de traitement prohibé (
ATF 134 IV 156
consid. 6.7 p. 169). La Cour des plaintes a considéré que cette classification devait être reprise en matière de transfèrement, et a estimé que la Lettonie se situait dans la première, "voire dans la deuxième catégorie de pays au sens de la jurisprudence".
On peut douter de l'utilité d'une telle distinction en l'espèce. Lorsqu'il s'agit de transfèrement d'une personne condamnée, la Suisse agit en tant qu'Etat requérant; elle n'est donc pas en mesure d'exiger ni d'obtenir des garanties diplomatiques de la part de l'Etat requis, comme cela est le cas lorsqu'il s'agit d'accorder l'extradition. Elle dispose certes d'un droit de recommandation, notamment quant au traitement médical que le détenu doit recevoir (
art. 6 par. 2 let
. d de la convention), ainsi que d'un certain droit d'information (art. 15 de la convention), mais ceux-ci sont dépourvus de toute force contraignante: l'exécution de la condamnation est régie par la loi de l'Etat d'exécution, seul compétent pour prendre toutes les décisions appropriées (art. 9 par. 3 de la convention). Avant de s'adresser formellement à l'Etat d'exécution, l'autorité suisse doit donc se renseigner de manière complète sur les conditions d'incarcération qui seront vraisemblablement celles de la personne transférée, de manière à s'assurer, avec un degré suffisant de probabilité, que celle-ci ne court pas le risque d'un traitement contraire aux droits de l'homme.
Force est d'admettre qu'à ce stade, les investigations nécessaires n'ont pas été menées.
2.4
La Cour des plaintes a évoqué les deux arrêts de la CourEDH dans lesquels la Lettonie a fait l'objet d'une constatation de
BGE 135 I 191 S. 196
violation de l'
art. 3 CEDH
; le premier concerne le maintien en détention d'une personne, âgée de 84 ans, dans l'infirmerie d'un établissement pénitentiaire. En dépit des interventions favorables de l'administration pénitentiaire, les autorités judiciaires avaient tardé à libérer l'intéressé (arrêt n° 4672/02
Farbtuhs contre Lettonie
du 2 décembre 2004). Il apparaissait toutefois que les autorités pénitentiaires avaient, pour leur part, fait preuve de diligence. La seconde affaire (arrêt n° 62393/00
Kadikis contre Lettonie
du 4 mai 2006) concerne un placement durant quinze jours en quartier d'isolement de la direction de la police d'Etat, et non pas dans un établissement pénitentiaire.
Relevant qu'il n'existait pas d'autre constat de violation de l'
art. 3 CEDH
depuis 2001, et que le rapport 2008 d'Amnesty International ne faisait pas état de cas de torture ou de mauvais traitements subis dans les prisons lettones, la Cour des plaintes en a déduit que la Lettonie offrait des garanties suffisantes au sens de la jurisprudence précitée.
2.5
Le recourant se réfère pour sa part au rapport établi le 13 mars 2008 par le CPT, après une visite en Lettonie du 5 au 12 mai 2004. De nombreux manquements constatés ont trait aux conditions de détention dans les locaux de la police. Le CPT a également relevé, après avoir visité les établissements de Riga, Daugavpils et Jelgava, que les problèmes de surpopulation carcérale, déjà constatés auparavant, demeuraient actuels. Il reprenait ses recommandations quant au respect des standards sur l'espace vital des détenus, et aux mesures de lutte contre la surpopulation carcérale. Des allégations de mauvais traitements physiques ou psychologiques, ou de menaces et d'agressions verbales, ont été évoquées. Le CPT s'est déclaré particulièrement préoccupé par les allégations graves et répétées de violences entre les détenus. Il faisait notamment référence à un cas d'abus sexuels sur un jeune détenu, et recommandait que des mesures soient prises afin de procéder aux constatations médicales et de signaler immédiatement ces cas aux autorités de poursuites. Les réserves les plus importantes au sujet des conditions de détention concernaient les prisonniers à vie et les jeunes détenus. Toutefois, à l'égard de l'ensemble des détenus, le CPT relevait que certaines cellules des établissements visités étaient insuffisamment équipées au niveau de la lumière, de la ventilation et des installations sanitaires; le nombre de détenus pouvait excéder celui des lits disponibles; les activités et exercices à l'extérieur des cellules paraissaient
BGE 135 I 191 S. 197
très limités. A propos des soins, le CPT estimait que les conditions de vie des patients à l'hôpital carcéral de Riga étaient totalement inacceptables, ses précédentes recommandations n'ayant pas été prises en compte. L'absence d'activités psycho-sociales était relevée. Les services de santé des prisons visitées présentaient également certains manquements (absence d'examen médical d'entrée, lacunes dans les dossiers médicaux en particulier après un incident violent).
2.6
Sur le vu du rapport précité du CPT - dont la Cour des plaintes n'a pas tenu compte et dont le recourant ne s'est prévalu que dans son recours au Tribunal fédéral -, on ne saurait affirmer sans autre que les prisons lettonnes présentent des garanties suffisantes d'un traitement respectueux des droits de l'homme, et que la Lettonie fasse partie des Etats qui ne présentent "aucun problème" sous l'angle de l'
art. 3 CEDH
.
2.7
Des investigations supplémentaires apparaissent également nécessaires sur le vu des particularités propres au recourant. Celui-ci prétend avoir subi des agressions sexuelles lors de précédents séjours dans des prisons de Lettonie. La Cour des plaintes a considéré qu'il s'agissait de simples affirmations, non étayées. Ces allégations ne peuvent toutefois être d'emblée écartées puisque le recourant en avait déjà fait état au cours de la procédure pénale, à une époque où il n'était pas question d'un transfèrement à l'étranger. Des allégations crédibles d'abus sexuels commis en prison ont d'ailleurs également été rapportées au CPT.
Dans son jugement du 26 mai 2003, le Tribunal d'arrondissement de Lausanne a ordonné la poursuite d'un traitement psychothérapeutique mis en place au cours de la détention préventive. Ce traitement était nécessaire pour permettre au recourant de maîtriser son agressivité, de gérer son potentiel de violence et de prévenir le risque de récidive. Dans la perspective d'une réinsertion, l'autorité suisse doit se demander s'il est nécessaire de poursuivre un tel traitement, et si cela est envisageable dans les prisons lettones. Le recourant souffre également d'une hépatite C et il y a lieu de s'assurer que les soins que nécessite cette affection pourront être prodigués.
2.8
Par conséquent, avant de décider du transfèrement du recourant en Lettonie, il y aura lieu de se renseigner de manière aussi complète que possible sur les conditions prévisibles de détention. Il conviendra également de s'assurer que l'Etat requis a été informé de l'état de santé physique et psychique du recourant (
art. 6 par. 2 let
. d
BGE 135 I 191 S. 198
de la convention) et que ce dernier pourra bénéficier en détention de soins appropriés. A la lumière de ces renseignements, l'autorité devra déterminer si la réinsertion du recourant peut être assurée au moins aussi bien en Lettonie que s'il était expulsé de Suisse après y avoir purgé le solde de sa peine.
C'est à l'OFJ qu'il appartiendra de déterminer de quelle manière de telles informations peuvent être obtenues, soit en faisant appel aux unités compétentes du Département fédéral des affaires étrangères (cf. FF 2002 4045 note 23), soit directement auprès de l'Etat requis. | public_law | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
bf8a4c40-2605-46cb-879c-a987ef377bae | Urteilskopf
112 II 172
30. Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. April 1986 i.S. X. und Frau Y. gegen Interallianz Bank Zürich AG und Hänsli (Berufung) | Regeste
Schädigung eines anlagefondsähnlichen Sondervermögens.
1.
Art. 25 Abs. 2 AFG
. Haftung wegen falscher Angaben in der Werbung:
- Umstände, unter denen eine Werbung im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 AFG
als öffentlich anzusehen ist (E. I/1);
- Anforderungen an Werbeangaben, insbesondere über die Rechtsnatur und die Zulässigkeit der geplanten Kapitalanlage, die Sicherheit, die voraussichtliche Rendite und vorgesehene Provisionen (E. I/2a);
- Informationspflicht und Verschulden als Voraussetzungen der Haftung; Substantiierung und Beweis (E. I/2b und c);
- Verjährung des Schadenersatzanspruches (E. I/2d).
2. Die in
Art 14 Abs. 4 AFG
erwähnten Personen unterstehen nicht der vertraglichen Haftung der Fondsleitung gemäss
Art. 24 AFG
; Verjährung (E. I/3).
3.
Art. 24 und 25 Abs. 1 AFG
. Haftung der Depotbank für widerrechtliche Zahlungen trotz Einwilligung der Anleger (E. I/4) und für die Folgen einer angeblich zu Unrecht übernommenen Revisionstätigkeit (E. I/5)?
4. Haftung wegen deliktischer Handlungen im Sinne von
Art. 49 Ziff. 1 AFG
; Verhältnis zur Haftung nach
Art. 24 AFG
(E. II/1). Substantiierung der Haftung (E. II/2a). Anwendung der strafrechtlichen Verjährungsfrist gemäss
Art. 60 Abs. 2 OR
(E. II/2b), auch auf den Anspruch gegen eine juristische Person (E. II/2c). Ermittlung des Schadens (E. II/2d). | Sachverhalt
ab Seite 173
BGE 112 II 172 S. 173
A.-
Die Clinique Bellerive SA (CBSA) wurde 1969 mit dem Zweck gegründet, bei Genf eine namhafte Klinik zu erstellen und zu betreiben. Zu ihrem Grundkapital von Fr. 50'000.-- gehörten
BGE 112 II 172 S. 174
40 Namenaktien zu Fr. 1'000.--. Die Dispo AG Zürich übernahm diese Aktien, verband jede mit einem Darlehen von Fr. 174'000.-- und teilte sie in Zehntel auf, so dass 400 CBSA-Anteile von je Fr. 17'400.-- entstanden, die sie im Juni 1971 für Fr. 17'500.-- in Deutschland zur Zeichnung anbot. Aus steuerlichen Gründen machte sie im Herbst 1971 die Zeichnung rückgängig und gründete eine Gesellschaft in Vaduz, welche die Emission wiederholte und in den folgenden Jahren noch zwei weitere besorgte, nachdem die CBSA vorher ihr Aktienkapital jeweils erhöht hatte. Die CBSA erhielt für abgesetzte Anteile rund 10 Mio. Franken an Darlehen.
Im Juni 1975 ging die CBSA in Konkurs. Das gleiche widerfuhr zwei Jahre später der Dispo AG Zürich. Die Zeichner der Anteile gingen leer aus.
B.-
X. hatte zwei Anteile der ersten, Frau Y. zwei Anteile der dritten Emission gezeichnet. Im März 1980 klagten sie gegen die Interallianz Bank Zürich AG sowie gegen Max Hänsli auf Zahlung von je Fr. 18'375.-- nebst 8% Zins. Sie verlangten damit Schadenersatz für einen Anteil und behielten sich das Klagerecht für den zweiten vor.
Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 29. November 1982 ab. Auf Berufung der Kläger hob das Bundesgericht dieses Urteil am 7. Februar 1984 auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an das Handelsgericht zurück (
BGE 110 II 74
ff.).
Mit seinem neuen Urteil vom 27. Juni 1985 wies das Handelsgericht die Klage wiederum ab, weil die Beklagten weder nach Art. 24 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 4 oder nach
Art. 25 Abs. 2 AFG
, noch gemäss
Art. 41 ff. oder
Art. 97 OR
für den Schaden der Kläger verantwortlich gemacht werden könnten.
C.-
Die Kläger haben dagegen wieder Berufung eingelegt. Das Bundesgericht heisst ihre Berufung teilweise gut, hebt auch das neue Urteil des Handelsgerichts auf und weist die Sache nochmals zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Erwägungen:
I.
I.1.
Das Handelsgericht gelangte in seinem neuen Urteil unter Hinweis auf
BGE 107 Ib 365
zum Schluss, dass für die CBSA-Anteile im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 AFG
öffentlich geworben
BGE 112 II 172 S. 175
worden sei. Es hält den Beklagten insbesondere entgegen, die Werbung habe sich nicht auf bestimmte Personen, die z.B. Schwarzgelder anlegen wollten oder schon Anteile besassen, beschränkt; davon könne um so weniger die Rede sein, als sich in Deutschland selbständige Anlageberater mit dem Absatz von Anteilen befasst hätten. Die Dispo GmbH Stuttgart habe sich in den Jahren 1971-1974 denn auch zu einer Anlagegesellschaft mit über 100 Mitarbeitern im Innen- und Aussendienst entwickelt. Die Dispo AG Zürich habe zudem in den Emissionsprospekten für die erste und zweite Kapitalerhöhung selber erklärt, dass sie das Gesellschaftskapital der CBSA von 7 Mio. Franken "öffentlich zur Zeichnung angeboten" habe. Interessenten hätten deshalb davon ausgehen dürfen, die Zeichnung stehe jedermann offen. Da die Fondsleitung ihren Sitz in der Schweiz gehabt habe, sei das Sondervermögen nach dem Urteil des Bundesgerichts dem AFG zu unterstellen, gleichviel wo die Werbung veranlasst und betrieben worden sei.
Die beklagte Bank widerspricht dem in ihrer Berufungsantwort für die Zeit vor 1973. Sie hält daran fest, dass vorher nur für eine Beteiligung an der CBSA geworben worden sei und sich auch sämtliche Beweise der Kläger zur angeblichen Werbung auf eine solche Beteiligung beziehen würden. Diesen Einwand hat indes schon die Vorinstanz zu Recht zurückgewiesen, weil nach dem Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts die CBSA-Anteile insgesamt als anlagefondsähnliches Sondervermögen zu gelten haben, es also nicht angeht, eine Emission davon ausnehmen zu wollen (
BGE 110 II 86
E. 3b). Die rechtliche Beurteilung dieses Entscheides band nicht nur das Handelsgericht (
Art. 66 OG
), sondern auch das Bundesgericht (
BGE 111 II 95
mit Hinweisen).
I.2.
Das Handelsgericht hält die Werbung jedoch nicht für widerrechtlich im Sinne von
Art. 25 Abs. 2 AFG
, weil die CBSA-Anteile nicht als Anlage gemäss AFG angepriesen worden seien; deshalb liege auch keine unzulässige Kapitalanlage nach
Art. 10 Abs. 2 AFV
vor. Die Angaben über den Inhaberschuldbrief, den die CBSA im August 1971 der Dispo AG Zürich als Sicherheit für die Darlehen übergeben und zuletzt auf Fr. 12'354'000.-- erhöht habe, liessen sich ebenfalls nicht als haftungsbegründend gemäss
Art. 25 Abs. 2 AFG
ausgeben, zumal ein Verschulden der Beklagten nicht genügend behauptet sei. Ähnlich verhalte es sich mit der angeblichen Zusicherung einer bestimmten Rendite und den Hinweisen auf ein Sperrkonto der CBSA bei der beklagten Bank,
BGE 112 II 172 S. 176
dessen Bedeutung die Organisatoren den Anlegern verschwiegen haben sollen.
Nach
Art. 25 Abs. 2 AFG
haftet dem Anleger für Schaden, wer in der Werbung für einen Anlagefonds absichtlich oder fahrlässig unrichtige oder den gesetzlichen Erfordernissen nicht entsprechende Angaben macht oder verbreitet. Diese Bestimmung gilt sinngemäss auch, wenn für ein fondsähnliches Sondervermögen im Sinne von
Art. 1 Abs. 2 AFG
und
Art. 5 Abs. 1 AFV
geworben wird (
BGE 110 II 81
ff.).
a) Das gesetzliche Merkmal falscher Angaben ist in erster Linie nach dem Sinn und Zweck der Bestimmung auszulegen. Da die Gelder eines Anlagefonds oder eines fondsähnlichen Sondervermögens durch öffentliche Werbung aufgebracht werden und das Gesetz vor allem den Anleger schützen will (
BGE 110 II 83
mit Hinweisen), müssen Interessenten sachdienlich über die Verwendung und Verwaltung der Gelder aufgeklärt werden. Daraus folgt, dass die Werbung weder offensichtlich unrichtige Angaben enthalten noch wichtige Einzelheiten, die den Entschluss der Anleger entscheidend beeinflussen können, verschweigen darf. Angaben können deshalb auch aus Unterlassung falsch oder unrichtig sein.
Es verhält sich wie bei der Ausgabe von Aktien oder Obligationen, für die öffentlich geworben wird. Auch diesfalls hat das Bundesgericht die Anforderungen an die Werbung stets so verstanden, dass sowohl bewusst gemachte wie fahrlässig verschwiegene Angaben, die Dritte über die wahre Sachlage täuschen können oder ihnen kein zutreffendes Urteil über die rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen des Unternehmens ermöglichen, die besondere Voraussetzung der Haftung erfüllen. Wer durch die Werbung angesprochen wird und sich für eine Zeichnung interessiert, darf davon ausgehen, dass die dabei verwendeten Angaben von den zuständigen Stellen in der Absicht veröffentlicht worden sind, ihn über alle wesentlichen Tatsachen des Vorhabens sachlich und zutreffend zu unterrichten (
BGE 47 II 286
ff.). Daran hat das Bundesgericht auch nach der Revision des Aktienrechts im Jahre 1936 festgehalten (
BGE 76 II 316
/17,
BGE 90 II 493
,
BGE 102 II 356
). Seine Rechtsprechung entspricht zudem der herrschenden Lehre (BÜRGI/NORDMANN, N. 8 und 10 zu
Art. 752 OR
; SCHUCANY, N. 3 zu
Art. 752 OR
; ZIEGLER, N. 22 und 27 zu
Art. 1156 OR
; FORSTMOSER, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, S. 157 ff.).
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 3 AFG
steht dem nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung wird bestraft, wer in der Werbung für einen Anlagefonds
BGE 112 II 172 S. 177
falsche oder irreführende Angaben macht oder verbotene Bezeichnungen verwendet. Unter irreführenden Angaben können zwanglos auch ungenaue verstanden werden. Im französischen Text des
Art. 25 Abs. 2 AFG
ist im Unterschied zum deutschen und italienischen und im Gegensatz zu
Art. 752 OR
zusätzlich denn auch von "indications inexactes" die Rede. In diesem weiten Sinn wird die gesetzliche Wendung ferner in der Lehre verstanden (SCHUSTER, N. 2 und 3 zu
Art. 25 AFG
).
aa) Die Kläger machen daher mit Recht geltend, dass in der Werbung für den Absatz von CBSA-Anteilen wichtige Tatsachen, welche die Willensbildung eines Interessenten beeinflussen und ihn sogar von der Zeichnung abhalten konnten, mit keinem Wort erwähnt worden sind. Dazu gehörten insbesondere nähere Angaben über die Rechtsnatur der geplanten Kapitalanlage, die als fondsähnliches Sondervermögen den Vorschriften des AFG unterstand, von der aber noch keineswegs sicher war, ob sie von der Aufsichtsbehörde zugelassen werde (
Art. 5 Abs. 2 AFV
); nicht verschwiegen werden durfte ferner, dass das AFG ein Fondsreglement (Art. 9 ff.) und verschiedene Bewilligungen vorsieht (Art. 3 und 5), die noch fehlten und die Kapitalanlage deshalb Massnahmen der Aufsichtsbehörde aussetzten (
Art. 43 ff. AFG
). Dass die CBSA-Anteile nicht "als Anlage gemäss AFG angeboten" wurden und auch die Werbung nirgends den Eindruck erweckte, es handle sich "um eine Anlage im Sinne des AFG", wie das Handelsgericht annimmt, hilft darüber nicht hinweg; die Angaben erwiesen sich angesichts der fehlenden, aber notwendigen Einzelheiten so oder anders als irreführend und nicht den gesetzlichen Erfordernissen entsprechend.
Die Angaben über den Inhaberschuldbrief im zweiten Rang zugunsten der Dispo AG Zürich lassen sich ebenfalls nicht verharmlosen. Der Schuldbrief lautete im August 1971, als er erstellt wurde, auf Fr. 7'000'000.-- und im Dezember 1974 auf Fr. 12'354'000.--; er war, wie sich nachträglich herausstellte, wegen Verstosses gegen Vorschriften des BewB aber ungültig und damit wertlos. Was in der Werbung über die angebliche Absicherung der Kapitalanlage durch ein Grundpfand behauptet wurde, war daher falsch und in hohem Masse geeignet, die Anleger zu täuschen. Dies galt selbst für den Fall, dass der Schuldbrief gültig gewesen wäre, da die Verwertung der Liegenschaft im Konkurs der CBSA nicht einmal ausreichte, um die Hypothekarschulden im ersten Rang zu decken. Die Angaben über den Wert des Schuldbriefes müssen deshalb auch als ungenügend bezeichnet werden.
BGE 112 II 172 S. 178
bb) Dass Angaben in der Werbung über die voraussichtliche Rendite einer Kapitalanlage einer objektiven Beurteilung entsprechen müssen (
BGE 47 II 290
E. 4), nimmt offenbar auch das Handelsgericht an. Es hält den Klägern jedoch entgegen, den Anlegern sei vorliegend zunächst keine eigentliche Rendite, sondern nur eine jährliche Verzinsung von 8%, die durch die SEFTI SA garantiert worden sei, versprochen worden; das sei möglich und zulässig gewesen. Den Anlegern der ersten Emission und der ersten Kapitalerhöhung sei langfristig zwar zusätzlich eine höhere Rendite in Aussicht gestellt worden, was aber nur bei einem Anlagefonds nicht angehe, der nach den Grundsätzen der Risikoverteilung gemäss
Art. 7 AFG
geführt werde. Da es sich hier um die Rendite einer einzigen Gesellschaft gehandelt habe, könnten die Kläger daraus nichts für eine Haftung ableiten, auch wenn die Prognose sich als gründlich falsch herausgestellt habe.
Die Kritik der Kläger am letzten Vorhalt scheitert schon an tatsächlichen Feststellungen des Handelsgerichts. Nach dem angefochtenen Urteil hat die Klägerin zwei Anteile der dritten Emission gezeichnet und der Kläger im kantonalen Verfahren nicht behauptet, seine Anteile in Kenntnis von Prospekten der ersten Emission gekauft zu haben. Die Angabe über den jährlichen Zins sodann war an sich nicht falsch, zumal die Kläger dessen Garantie durch die SEFTI SA nicht zu widerlegen suchten; es konnte deshalb auch in der Werbung darauf abgestellt werden. Die Kläger bemerken zwar mit Recht, dass weder über die zukünftige Entwicklung der CBSA noch über den Willen und die Möglichkeit der SEFTI SA, die Garantie aufrechtzuerhalten und zu erfüllen, Gewissheit bestand. Über solche Risiken, die mit jeder langfristigen Kapitalanlage verbunden sind, mussten die Kläger sich indes selber Rechenschaft geben. Dass ihnen darüber für die absehbare Zukunft falsche Angaben gemacht worden seien, haben sie nicht behauptet, geschweige denn bewiesen.
cc) Zu den wesentlichen Belangen, über welche Anleger nach dem System des Gesetzes in der Werbung zu unterrichten waren, gehörte auch die Verwendung von Fondsgeldern für Provisionen. Aus
Art. 11 Abs. 2 lit. e und
Art. 14 Abs. 2 AFG
erhellt, dass Vergütungen, Kommissionen und besondere Spesen nur ausgerichtet werden dürfen, wenn sie im Fondsreglement vorgesehen sind. Dass das fondsähnliche Sondervermögen hier nicht nach den gesetzlichen Vorschriften aufgebracht worden ist, ändert daran nichts; im Gegenteil, die Organisatoren hatten diesfalls erst
BGE 112 II 172 S. 179
recht Anlass, die Anleger über vorgesehene Provisionen zu informieren.
Nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht feststeht, kann in diesem Punkt von einer Täuschung indes keine Rede sein, auch nicht durch Unterlassung. Nach dem angefochtenen Urteil wussten die Kläger, dass die Bank sich an die Vereinbarung der Dispo AG mit der SEFTI SA zu halten hatte, sämtliche Einzahlungen dem Sperrkonto CBSA gutschreiben sollte und Auszahlungen nur im Rahmen der Vereinbarung vornehmen durfte. Diese Vereinbarung, die auch Verkaufsprovisionen vorsah, ist den Klägern aber nach Ausführungen in der Klage nicht vorenthalten worden. Der Hinweis der Kläger auf ein Zertifikat vom 13. März 1975, aus dem sich die Vermutung ergebe, dass solche Provisionen auch vorher nicht Fondsgeldern entnommen werden durften, läuft auf eine unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz hinaus und ist daher nicht zu hören. Die Berufung auf
Art. 8 ZGB
ändert daran nichts (
BGE 102 II 297
und
BGE 85 II 455
mit Hinweisen).
b) Das Handelsgericht hat offengelassen, ob die Beklagten als Mitbeteiligte für die streitigen Angaben in der Werbung verantwortlich sind, weil es zu Unrecht angenommen hat, die Angaben fielen so oder anders nicht unter
Art. 25 Abs. 2 AFG
. Die Frage stellt sich zur Hauptsache, wie ausgeführt, nur für das Verschweigen der Tatsachen, dass das aufgebrachte Kapital als fondsähnliches Sondervermögen den Bestimmungen des AFG unterstand und dass der Inhaberschuldbrief wegen Nichtigkeit als Sicherheit ausser Betracht fiel.
Art. 25 Abs. 2 AFG
setzt voraus, dass der Belangte allein oder zusammen mit andern unrichtige oder unzulässige Angaben gemacht oder verbreitet und dadurch einen Anleger geschädigt hat. Die Angaben müssen unter den weiten Begriff der Werbung fallen und bestimmt oder geeignet sein, Angesprochene zur Zeichnung von Anteilscheinen zu bewegen. Als Haftpflichtige im Sinne von
Art. 25 Abs. 2 AFG
gelten vorweg Personen, die Anteilscheine öffentlich zur Zeichnung anbieten und deshalb Interessenten schon nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr über Umstände aufzuklären haben, die ihren Entscheid beeinflussen, von denen die Interessenten sich aber nicht selber Kenntnis verschaffen können (
BGE 105 II 79
E. 2a und
BGE 101 Ib 431
E. 4b mit Hinweisen). Dazu gehört auch jede Person, die im Rahmen der Werbung falsche Angaben macht (BÜRGI/NORDMANN, N. 18 zu
Art. 752 OR
; ZIEGLER, N. 20 zu
Art. 1156 OR
; FORSTMOSER, a.a.O. S. 161 ff.).
BGE 112 II 172 S. 180
Die erwähnten Unterlassungen vermögen vorliegend eine Haftung nur zu begründen, wenn die Beklagten nach gesetzlichen Vorschriften oder nach den Umständen verpflichtet gewesen sind, die Anleger über die verschwiegenen Tatsachen zu unterrichten. Das angefochtene Urteil enthält darüber keine Feststellungen; es ist ihm auch nicht zu entnehmen, ob die Beklagten selber für den Absatz von CBSA-Anteilen geworben oder an der Werbung mit den irreführenden Angaben zumindest teilgenommen haben und ob die Kläger dadurch getäuscht und geschädigt worden sind. Das Urteil ist gestützt auf
Art. 64 Abs. 1 OG
bereits aus diesen Gründen aufzuheben und die Sache - prozesskonforme Behauptungen und Beweisanträge vorbehalten - zur weiteren Abklärung und zur neuen Beurteilung an das Handelsgericht zurückzuweisen.
c) Die Haftung gemäss
Art. 25 Abs. 2 AFG
setzt ferner ein Verschulden voraus. Dazu ist vorweg zu bemerken, dass ein objektiver Massstab anzulegen ist und mangelnde Kenntnisse oder Erfahrungen in der Organisation und Verwaltung eines Anlagefonds oder eines fondsähnlichen Sondervermögens nicht entschuldigen. Diesfalls haben die Organisatoren vielmehr Fachleute beizuziehen oder sich über die Zulässigkeit ihres Vorhabens selber Gewissheit zu verschaffen, bevor sie sich an das Publikum wenden. Dazu haben sie insbesondere Anlass, wenn Ungewissheit darüber besteht, ob ein Sondervermögen unter das AFG fällt oder mit Rücksicht auf seine besondere Natur von der Aufsichtsbehörde dem Gesetz unterstellt werden kann (
Art. 5 Abs. 2 AFV
). Wegen des Schutzbedürfnisses der Anleger ist zudem ein eher strenger Massstab gerechtfertigt; wer als Organisator von Emissionen, als Fondsleitung oder Depotbank Pflichten auf sich nimmt, hat sie dem Sinn und Zweck des AFG entsprechend mit aller Sorgfalt zu erfüllen (
BGE 101 II 167
mit Hinweisen). Bei Schadenersatzklagen aus Rechtsverhältnissen, die vertraglichen oder vertragsähnlichen Charakter haben, ist das Verschulden ausserdem gemäss
Art. 97 Abs. 1 OR
zu vermuten (FORSTMOSER, a.a.O. S. 65 und 70).
Die Vorinstanz geht davon aus, dass die Kläger sich hinsichtlich der Werbeangaben den Beklagten gegenüber nicht auf die Beteiligungsverträge berufen können, die sie mit der Dispo AG geschlossen haben, folglich auch das Verschulden zu beweisen hätten; was insbesondere die Angaben über den Inhaberschuldbrief angehe, hätten sie ein Verschulden jedoch nicht genügend behauptet und auch nicht dargetan, warum die Beklagten an den Empfehlungen
BGE 112 II 172 S. 181
und der rechtlichen Beurteilung ihres Vorgehens durch Notar Nemitz hätten zweifeln sollen. Diesen Anforderungen an die Substantiierungspflicht widersprechen die Kläger zu Recht. Gewiss befasst sich das Bundesrecht nicht mit der Behauptungspflicht; nach materiellem Bundesrecht entscheidet sich aber, ob ein danach zu beurteilender Schadenersatzanspruch durch die Sachvorbringen einer Partei ausreichend substantiiert sei (
BGE 109 II 234
,
BGE 108 II 338
und 105 II 144/45 mit Hinweisen). Was ausreicht, ergibt sich aus der anwendbaren Norm, der vorliegend auch die Tatbestandsmerkmale der unerlaubten Handlungen zu entnehmen sind. Es geht daher nicht an, von den Klägern darüber hinaus noch besondere Sachvorbringen und Beweise zum Verschulden zu verlangen. Was allbekannt ist oder schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung einleuchtet, braucht übrigens weder behauptet noch bewiesen zu werden (
BGE 109 II 324
; KUMMER, N. 44 ff. und 143 zu
Art. 8 ZGB
). Soweit das Handelsgericht mehr zu verlangen scheint, laufen seine Anforderungen an den Beweis Bundesrecht zuwider und sind daher unbeachtlich.
Auch seine rechtliche Würdigung erweist sich als unhaltbar. Nichts liegt dafür vor, dass die Gründer der CBSA, denen auch Nemitz angehörte, oder die Beklagten als Mitbegründer der Dispo AG sich um die Zulässigkeit ihres Vorgehens und um die Gültigkeit des Inhaberschuldbriefes (vgl.
BGE 107 Ib 21
mit Hinweisen), der wegen Umgehung von Vorschriften des BewB ungültig war, jemals gekümmert hätten. Gewiss lag nicht auf der Hand, dass das fondsähnliche Sondervermögen dem AFG unterstehen könnte. Eine solche Möglichkeit mussten die Organisatoren jedoch ernsthaft bedenken, als die Eidgenössische Steuerverwaltung der Rechtsvorgängerin der beklagten Bank am 12. November 1971 schrieb, die CBSA-Anteile seien steuerrechtlich als Anteile an einem inländischen Kollektivanlagevermögen zu betrachten, das wie ein Anlagefonds behandelt werde. Statt sich darüber z.B. durch eine Anfrage bei der Aufsichtsbehörde Gewissheit zu verschaffen, machte die Dispo AG die erste Emission rückgängig und gründete Ende Dezember 1971 eine Gesellschaft in Liechtenstein, um die Emissionen von dort aus zu veranlassen, behielt sich alle wesentlichen Befugnisse einer Fondsleitung aber weiterhin selber vor (
BGE 110 II 76
und 80).
Das eine wie das andere spricht nicht für, sondern gegen einen entschuldbaren Irrtum der Beklagten; sie durften sich nachher entgegen der Auffassung des Handelsgerichts nicht mehr leichthin
BGE 112 II 172 S. 182
auf die rechtliche Beurteilung durch Notar Nemitz verlassen, zumal dieser zu den Promotoren des Vorhabens gehörte und am grossen Absatz von CBSA-Anteilen in Deutschland selber interessiert war, folglich persönlich versucht sein konnte, Vorschriften des AFG und des BewB, die einer Anlage ausländischer Gelder von 10 Mio. Franken in einem inländischen Grundstück entgegenstanden, zu umgehen. Worin die "Empfehlungen dieses Juristen" samt seiner "weiteren rechtlichen Beurteilung", denen die beklagte Bank und der beklagte Bankfachmann angeblich vertrauen durften, bestanden haben, ist dem angefochtenen Urteil übrigens nicht zu entnehmen, geschweige denn, was Nemitz zur Abklärung der Rechtslage überhaupt unternommen hat. Eine Haftung der Beklagten gemäss
Art. 25 Abs. 2 AFG
lässt sich daher nicht mit dem Einwand abtun, es fehle an einem Verschulden.
d) Die Berufung der beklagten Bank auf Verjährung des Schadenersatzanspruches, der sich nur auf
Art. 41 OR
stützen könne, geht fehl; die Beklagte übersieht, dass Ansprüche aus
Art. 25 Abs. 2 AFG
erst nach zehn Jahren verjähren (
Art. 26 Abs. 2 AFG
), behauptet aber mit Recht nicht, diese Frist sei mangels Unterbrechung bereits abgelaufen.
I.3.
Die Kläger wollen den Beklagten 2 auch gestützt auf
Art. 24 AFG
belangt wissen, der die Haftung der Fondsleitung regelt. Sie halten daran fest, dass die Fondsleitung unter Mitwirkung des Beklagten gegen ihre Treuepflicht im Sinne von
Art. 14 AFG
verstossen habe und dass die Schadenersatzforderung, die sich daraus ergebe, nach
Art. 14 Abs. 4 AFG
ebenfalls erst nach zehn Jahren verjähre.
Art. 14 Abs. 4 AFG
bestimme nämlich, dass die Mitglieder der Verwaltung und Geschäftsleitung sowie die Gesellschafter der Fondsleitung die gleichen Verpflichtungen hätten wie die Fondsleitung.
a) Mit diesen Verpflichtungen sind indes, wie aus dem Zusammenhang erhellt, bloss jene gemeint, die in den drei vorausgehenden Bestimmungen aufgezählt sind. Dass sie auch die Verpflichtungen der Fondsleitung gegenüber den Anlegern aus vertraglicher Haftung gemäss
Art. 24 Abs. 1 AFG
umfassen, ist weder dieser Bestimmung noch
Art. 14 Abs. 4 AFG
zu entnehmen: aus Abs. 2 von Art. 24, wonach die Fondsleitung für Handlungen ihrer Hilfspersonen wie für eigene haftet, muss vielmehr geschlossen werden, dass der Gesetzgeber die in Art. 14 Abs. 4 erwähnten Personen ausdrücklich den Bestimmungen über die vertragliche Haftung unterstellt hätte, wenn er sie auch insoweit der Fondsleitung
BGE 112 II 172 S. 183
gleichgesetzt wissen wollte, wie dies z.B. für die Depotbank der Fall ist (
Art. 18 Abs. 4 AFG
).
Der Grund dafür, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, ergibt sich übrigens aus der Verschiedenheit ihrer Verantwortung. Die Fondsleitung und die Depotbank verpflichten sich nämlich durch den Kollektivanlagevertrag, den Anleger nach Massgabe seiner Einzahlungen an einem Anlagefonds zu beteiligen und den Fonds getreu zu verwalten (
Art. 8 Abs. 1 und 2 AFG
); deshalb kann der Anleger sich ihnen gegenüber denn auch auf eine Haftung aus Vertrag und damit auf die Verjährungsfrist von zehn Jahren berufen, wenn er sie gemäss
Art. 24 ff. AFG
auf Schadenersatz belangt (BBl 1965 III 325). Zwischen ihren Hilfspersonen und dem Anleger besteht dagegen kein Rechtsverhältnis mit vertraglichem oder vertragsähnlichem Charakter, ergibt folglich auch nicht den gleichen Haftungsgrund. Die Absicht des Gesetzgebers, die mit der Geschäftsführung oder Verwaltung betrauten Personen der Fondsleitung und der Depotbank, die in der Regel eine juristische Person sind (
Art. 3 AFG
), nicht der gleichen Haftung zu unterstellen, leuchtet um so mehr ein, als die Haftung von Organen für Schaden, den sie Dritten durch Verletzung ihrer Pflichten verursachen, bereits anderweitig geregelt ist (
Art. 55 ZGB
,
Art. 752 ff. und 916 ff. OR
).
b) Aus diesem Grund gilt für die Verjährung von Schadenersatzansprüchen, welche ein Anleger gegen Organe der Fondsleitung oder der Depotbank aus Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten ableitet, nicht die zehnjährige Frist des
Art. 26 Abs. 2 AFG
, sondern die einjährige des
Art. 60 Abs. 1 OR
. Diese Frist ist hier unbestrittenermassen aber bereits abgelaufen, bevor die Kläger die Verjährung gemäss
Art. 135 Ziff. 2 OR
zu unterbrechen suchten. Soweit die Kläger den Beklagten 2 als Verwaltungsrat der Dispo AG oder der beklagten Gesellschaft wegen Verletzung seiner Pflichten für ersatzpflichtig halten, ist ihr Anspruch daher verjährt, das angefochtene Urteil insoweit folglich nicht zu beanstanden. Vorbehalten bleiben strafbare Handlungen, insbesondere nach
Art. 49 AFG
, die gemäss
Art. 60 Abs. 2 OR
eine längere Frist ergeben können.
I.4.
Die Kläger warfen der beklagten Bank schon im kantonalen Verfahren vor, das ihr anvertraute Anlagevermögen schlecht verwaltet zu haben; sie habe die Aufgaben einer Depotbank und damit, wie sich aus
Art. 18 Abs. 4 AFG
ergebe, den Anlegern gegenüber die gleichen Sorgfaltspflichten übernommen wie die
BGE 112 II 172 S. 184
Fondsleitung, sich aber darüber hinweggesetzt, indem sie insbesondere widerrechtliche Zahlungen vorgenommen habe (Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 12 ff. AFG
). Das Handelsgericht liess dies nicht gelten, weil die Beklagte 1 nicht als Depotbank tätig geworden sei, sondern bloss die CBSA-Aktien und den Schuldbrief aufbewahrt und ein umfangreiches Sperrkonto geführt habe, wobei sie sich an die Weisungen der Dispo AG und deren Vereinbarung mit der SEFTI SA habe halten müssen. Die Kläger halten dem sinngemäss entgegen, dass sich die Haftung der Depotbank aus dem Gesetz ergebe und nicht durch Vertrag ausgeschlossen werden könne.
Diese Einwände haben vieles für sich, geht es doch nicht an, dass eine Bank, die den Auftrag übernommen hat, ein Depot für die Wertschriften und ein Konto über den Zahlungsverkehr zwischen den Anlegern und der Geschäftsleitung eines fondsähnlichen Sondervermögens zu führen, sich nachträglich ihrer Verantwortung aus dem AFG mit den Einwänden entziehen kann, sie habe nur beschränkte Aufgaben zu erfüllen gehabt und sich zudem an eine Vereinbarung zwischen Dritten halten müssen. Dem kann insbesondere entgegengehalten werden, dass gerade dann, wenn eine Fondsleitung wie hier selber keine Bank ist, eine Depotbank beizuziehen ist (
Art. 5 Abs. 1 AFG
) und die Bestimmungen über die Pflichten und Rechte der Fondsleitung dann sinngemäss auch für die Depotbank gelten (
Art. 18 Abs. 4 AFG
). Deswegen fragt sich ernsthaft, ob die Verantwortung der Bank für Auszahlungen sich nicht schon aus dem Gesetz ergibt. Sollte sie einen Vertrag voraussetzen, den die Bank selber oder ein Dritter zu ihren Lasten mit den Anlegern geschlossen hat, wie das Handelsgericht anzunehmen scheint, so müssten die Anleger übrigens nur dartun, dass sie sich auch der Bank gegenüber auf vertragliche Verpflichtungen oder zumindest auf ein Versprechen zu ihren Gunsten berufen können.
Wie es sich mit dieser Verantwortung verhält, braucht vorliegend jedoch nicht weiter untersucht zu werden. Die Vorwürfe der Kläger, die beklagte Bank habe sie geschädigt, indem sie aus Mitteln des Anlagefonds übersetzte Provisionen bezahlt, der SEFTI SA Anlagegelder für andere Immobiliengeschäfte zur Verfügung gestellt und grosse Darlehen gewährt habe, scheitern schon an tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz über das Wissen und den Willen der Beteiligten. Nach dem angefochtenen Urteil hatte die Beklagte 1 die Gelder des Sperrkontos "gemäss der Vereinbarung
BGE 112 II 172 S. 185
SEFTI/Dispo" weitergeleitet und damit den ihr von der Dispo AG erteilten Auftrag erfüllt. Das Handelsgericht hält ferner für erwiesen, dass die Kläger den Inhalt dieser Vereinbarung schon vor der Zeichnung von CBSA-Anteilen gekannt haben. Das kann nur heissen, dass die Kläger um die interne Verteilung der Befugnisse gewusst haben, aber gleichwohl bei der Kapitalanlage mitmachen wollten. Ihre Einwilligung schliesst daher ein widerrechtliches Verhalten und damit eine Haftung der Beklagten für die Zahlungen aus.
I.5.
Die Kläger halten die beklagte Bank nach
Art. 25 AFG
auch für ersatzpflichtig, weil sie als aktienrechtliche Kontrollstelle der Dispo AG tatsächlich wenn nicht rechtlich die Aufgabe einer Revisionsstelle ausgeübt habe, was nach Art. 31 f. AFG unzulässig gewesen sei. Die Beklagte 1 hätte auf den Verstoss hinweisen und die Aufsichtsbehörde benachrichtigen, jedenfalls aber dafür sorgen müssen, dass eine anerkannte Revisionsstelle beigezogen werde. Ihr Verhalten sei gemäss
Art. 50 Ziff. 1 Abs. 4 AFG
strafbar, weshalb sie nach den Regeln von
Art. 41 oder 55 OR
in Verbindung mit
Art. 26 Abs. 2 AFG
hafte. Der Beklagte 2 sei als Organ der Bank und der Dispo AG dafür ebenfalls verantwortlich.
a) Nach
Art. 25 Abs. 1 AFG
haften dem Anleger u.a. Personen, die mit der Revision des Anlagefonds betraut sind, wenn sie die ihnen übertragenen Aufgaben nicht getreu und sorgfältig ausführen. Befugnis und Aufgaben ergeben sich insbesondere aus Art. 37 Abs. 1 und 38 Abs. 1 AFG. Nach der ersten Vorschrift hat die Fondsleitung alle von ihr verwalteten Anlagefonds und ihre eigene Geschäftstätigkeit alljährlich durch eine einzige, von der Aufsichtsbehörde anerkannte Revisionsstelle prüfen zu lassen, die gemäss der zweiten zu kontrollieren hat, ob Fondsleitung und Depotbank die gesetzlichen Vorschriften und die Bestimmungen des Fondsreglementes eingehalten haben; sie hat namentlich die Jahresrechnungen des Anlagefonds und der zum Anlagefonds gehörenden Immobiliengesellschaften zu prüfen.
Im Aktienrecht hat das Bundesgericht der Haftung aus Geschäftsführung gemäss
Art. 754 OR
auch Personen unterworfen, die zwar nicht ausdrücklich als Organe der Aktiengesellschaft ernannt worden sind, aber tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen (
BGE 107 II 353
E. 5 mit Hinweisen). Ob und inwieweit dies auch für Personen gilt, die tatsächlich als Kontrollstelle amten, ohne mit dieser Aufgabe ausdrücklich betraut worden zu sein, und ob sich
BGE 112 II 172 S. 186
allenfalls ihre Haftung gemäss
Art. 25 Abs. 1 AFG
rechtfertigt, ist vorliegend nicht zu prüfen, da es dafür schon an den notwendigen tatsächlichen Feststellungen gebricht. Denn die beklagte Bank war nach dem angefochtenen Urteil bloss statutarische Kontrollstelle der Dispo AG gemäss
Art. 727 OR
, hatte folglich nur die Geschäftsführung dieser Gesellschaft darauf zu überprüfen, ob sie nach Gesetz oder Statuten zu beanstanden war (
Art. 728 OR
); die Interessen von Auftraggebern oder Kunden dieser Gesellschaft wahrzunehmen, war nicht Aufgabe der Kontrollstelle. Es liegt auch nichts dafür vor, dass die Beklagte 1 den Anschein erweckte habe, die Verwaltung des fondsähnlichen Sondervermögens in diesem Sinne zu kontrollieren und die Interessen der Anleger wahrzunehmen. Sie kann daher für die Folgen einer Revisionstätigkeit, die sie weder aus einer Verpflichtung noch tatsächlich übernommen hat, nicht gemäss
Art. 25 Abs. 1 AFG
verantwortlich gemacht werden.
b) Die angebliche Unterlassung, mit der Revision nicht eine anerkannte Stelle betraut zu haben (Art. 37 und 50 Ziff. 1 Abs. 4 AFG), und der Vorwurf, die Beklagte 1 habe die tatsächlich übernommene Revision schlecht durchgeführt, setzen verschiedene Sachvorbringen voraus. Die Kläger versuchen nicht darzutun, dass sie diesen Vorwurf schon im kantonalen Verfahren substantiiert haben; nach dem angefochtenen Urteil schwiegen sie sich darüber vielmehr aus. Was in der Berufung zu seiner Begründung vorgebracht wird, um aus einer strafbaren Handlung gemäss
Art. 50 Ziff. 1 Abs. 4 AFG
eine Haftung der Beklagten abzuleiten, ist somit neu und nicht zu hören (
BGE 107 II 224
).
II.
Nach Auffassung der Kläger haften die beiden Beklagten ihnen nach
Art. 41 ff. OR
auch wegen deliktischer Handlungen im Sinne von
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 1 und 6 AFG
, weil sie sich ohne Bewilligung als Fondsleitung oder Depotbank eines Anlagefonds betätigt, der Aufsichtsbehörde kein Fondsreglement unterbreitet und als Fondsleitung andere als nach dem Gesetz zulässige Geschäfte betrieben hätten.
II.1.
Eine allfällige Haftung der Depotbank wegen unzulässiger Geschäfte im Sinne von
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 6 AFG
hat neben der Sondernorm des
Art. 24 AFG
keine selbständige Bedeutung. Da
BGE 112 II 172 S. 187
eine persönliche Haftung der Beklagten 1 für die streitigen Auszahlungen als Depotbank ausser Betracht fällt (hiervor E. I/4), haben für die Folgen solcher Geschäfte auch ihre Organe nicht einzustehen.
Möglich ist dagegen eine Haftung des Beklagten 2 wegen deliktischer Handlungen in der Geschäftsführung. Der Beklagte war Verwaltungsrat der Dispo AG, welche die Aufgaben der Fondsleitung sich selber vorbehalten hatte. Die Kläger machen denn auch geltend, er hafte nach
Art. 41 OR
insbesondere für seine Mitwirkung an der widerrechtlichen Tätigkeit der Fondsleitung. Worin diese Mitwirkung bestanden haben soll, sagen sie indes nicht und ist auch dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Sie versuchen auch nicht darzutun, dass das angefochtene Urteil insoweit lückenhaft und zu ergänzen sei, weil das Handelsgericht rechtserhebliche Vorbringen nicht berücksichtigt oder übersehen habe. Sie sagen insbesondere mit keinem Wort, dass und inwiefern die Vorinstanz sich mit Widerhandlungen im Sinne von
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 6 AFG
nicht auseinandersetzt und dadurch Bundesrecht verletzt. Auf ihre Rüge, das Handelsgericht habe den Sachverhalt nicht nach dieser Strafbestimmung gewürdigt, ist daher mangels einer tauglichen Begründung nicht einzutreten.
II.2.
Zu prüfen bleibt, wie es sich mit der Haftung aus strafbaren Handlungen gemäss
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 1 AFG
verhält. Das Handelsgericht hat eine solche Haftung unter Hinweis auf sein erstes Urteil verneint, weil die Kläger sie nicht ausreichend substantiiert hätten und allfällige Ansprüche gegen die Beklagte 1, auf welche
Art. 60 Abs. 2 OR
nicht anwendbar sei, wohl verjährt wären.
a) Dass die Sachvorbringen der Kläger in diesem Punkte nicht genügen sollen, ist entgegen der Auffassung des Handelsgerichts nicht zu verstehen, erhellt doch schon aus
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 1 AFG
, was die Organisatoren der Kapitalanlage zu tun hatten, bevor sie sich an das Publikum wandten. Nach dieser Bestimmung wird bestraft, wer ohne Bewilligung sich als Fondsleitung oder Depotbank betätigt oder ohne Genehmigung des Fondsreglementes einen Anlagefonds bildet. Solche Handlungen haben die Kläger rechtzeitig behauptet und einzeln angegeben. Sie warfen der beklagten Bank schon in der Klage vor, dass sie an der Werbung mitgewirkt, ihre Räume und ihr Personal zur Verfügung gestellt, sich als Zahlungsstelle angeboten, die Anlagegelder entgegengenommen und daran auch nach der Intervention der Eidgenössischen Steuerverwaltung
BGE 112 II 172 S. 188
im November 1971 nichts geändert habe. Der Beklagte 2 sodann habe als Verwaltungsrat der Dispo AG und Direktor der beklagten Bank nicht nur an der Werbung, sondern auch an den Emissionen mitgewirkt und namentlich die Beteiligungsverträge unterzeichnet, obschon er als Bankfachmann habe wissen müssen, dass die Ausgabe von CBSA-Anteilen dem AFG zuwiderlief. Dass die Organisatoren weder eine Bewilligung im Sinne von
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 1 AFG
eingeholt noch ein Fondsreglement aufgestellt haben, ist übrigens unbestritten. Sich deswegen jedenfalls nach der Intervention der Steuerbehörde an die Aufsichtsbehörde zu wenden, wäre aber auch Sache der Beklagten gewesen, da sie namentlich als Gründer der Dispo AG zu den Organisatoren der Kapitalanlage gehörten und daran selber interessiert waren.
Was hingegen den Schaden und dessen Natur anbelangt, hält das Handelsgericht die Vorbringen der Kläger offenbar für ausreichend, da in seinen Erwägungen über die Haftung aus unrichtiger Werbung, wo die Frage sich in gleicher Weise stellte, vom Kauf der CBSA-Anteile durch die Kläger, von dem zu erwartenden Ertrag und dem Schaden die Rede ist, der den Anlegern daraus entstanden sei. Die Kläger haben übrigens über das Schicksal ihrer Anlagegelder und deren Verlust, der ihnen bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch die Organisatoren angeblich erspart geblieben wäre, ausführliche Sachbehauptungen aufgestellt und Beweise angeboten. Dass sie sich zum Ertrag nicht näher geäussert haben, den sie bei rechtmässigen Vorgehen der Organisatoren allenfalls erwarten durften, hängt mit Mutmassungen zusammen und schadet ihnen daher nicht. Ihre Sachvorbringen zum Schaden genügen so oder anders. Das gilt auch für den Kausalzusammenhang zwischen den unerlaubten Handlungen, die sie den Beklagten vorwerfen, und dem Schaden. Das Verschulden sodann erforderte keine besonderen Vorbringen (vgl. hiervor E. I/2c).
b) Nach
Art. 60 Abs. 2 OR
gilt die längere strafrechtliche Verjährungsfrist für Zivilklagen, die aus einer strafbaren Handlung hergeleitet werden. Dass sich im vorliegenden Fall die Strafbehörden mit den streitigen Unterlassungen befasst hätten, wird von keiner Seite behauptet; der Zivilrichter hat daher vorfrageweise selber zu prüfen, ob die Kläger sich auf eine strafbare Handlung berufen können. Dabei genügt, dass eine objektiv strafbare Handlung vorliegt und auch der auf Schadenersatz
BGE 112 II 172 S. 189
Belangte als Täter in Frage kommt (
BGE 106 II 217
E. 4a mit Hinweisen).
Das eine wie das andere trifft hier zu. Das fondsähnliche Sondervermögen wurde aufgebracht und in einem Unternehmen angelegt, ohne dass sich die Organisatoren oder die von ihnen beigezogenen Gesellschaften und deren Organe, zu denen auch die Beklagten gehörten, je um Bewilligungen gemäss
Art. 3 und 5 AFG
und eine Genehmigung im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 AFG
bemüht hätten. Die Organe der Dispo AG, die von den Beklagten gegründet wurde, gingen vielmehr beharrlich darauf aus, sich der staatlichen Aufsicht zu entziehen (
BGE 110 II 79
E. 3). Der objektive Tatbestand des
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 1 AFG
ist daher erfüllt, die strafrechtliche Verjährungsfrist von fünf Jahren (
Art. 72 StGB
) folglich auch für die Zivilklage massgebend.
Da die strafbaren Handlungen aus fortgesetzten Unterlassungen bestanden, begann diese Frist erst am Tag zu laufen, an dem das strafbare Verhalten der Personen, die sich an die Aufsichtsbehörde zu wenden hatten, aufhörte (
BGE 109 IV 85
E. 1a und 116 E. 1b mit Hinweisen). Die Pflicht der verantwortlichen Organe, sich ihre Tätigkeit von der Aufsichtsbehörde bewilligen zu lassen und ihr ein Fondsreglement zur Genehmigung zu unterbreiten, entfiel erst im Juni 1977, als die Dispo AG in Konkurs ging. Der Beklagte 2 gehörte aber bis im April 1975 dem Verwaltungsrat dieser Gesellschaft an, weshalb die fünfjährige Verjährungsfrist bei Einreichung der Klage im März 1980 auch ihm gegenüber nicht abgelaufen war. Dass die strafbaren Unterlassungen keine Haftung aus unerlaubter Handlung im Sinne von
Art. 41 OR
zu begründen vermöchten, wie er einwendet, ist kühn und kaum ernst gemeint, will
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 1 AFG
doch gerade jene massregeln, die sich der staatlichen Aufsicht entziehen und dadurch wichtige Massnahmen zum Schutze der Anleger vereiteln (
BGE 110 II 81
oben,
BGE 109 II 124
und
BGE 92 II 296
mit Hinweisen).
c) Das Bundesgericht hat zunächst angenommen, dass
Art. 60 Abs. 2 OR
grundsätzlich nur auf die Forderung gegen den Täter selbst, nicht aber auf den Ersatzanspruch gegen Dritte, die zivilrechtlich für den Schaden einzustehen haben, anwendbar sei (
BGE 55 II 28
mit Hinweisen); die längere Verjährungsfrist des Strafrechts galt daher insbesondere nicht für den Anspruch gegen die juristische Person, selbst wenn die Klage gegen das fehlbare Organ ihr unterstand. Gegen diese Rechtsprechung haben, wie bereits in
BGE 107 II 155
festgehalten worden ist, SPIRO
BGE 112 II 172 S. 190
(Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I S. 209) und Bär (in SJZ 61/1965 S. 75 f.) beachtliche Einwände erhoben. Sie sind der Meinung, dass die längere Verjährungsfrist sich namentlich bei der Haftung juristischer Personen für ihre Organe rechtfertige.
Dieser Auffassung ist heute beizupflichten. Die Ausdehnung der längeren Frist auf juristische Personen leuchtet schon deshalb ein, weil sie dem Organbegriff des schweizerischen Rechts entspricht, nach dem die Organe Teil der juristischen Person selbst sind und ihr Handeln deshalb nicht als Handeln für eine andere Person aufzufassen ist (
Art. 54 und 55 ZGB
); sie verpflichten die juristische Person auch durch ihr sonstiges Verhalten, insbesondere durch unerlaubte Handlungen (
Art. 55 Abs. 2 ZGB
). Die Ausdehnung verträgt sich zudem mit dem Wortlaut des
Art. 60 Abs. 2 OR
, da dort von einer Klage die Rede ist, die aus einer strafbaren Handlung hergeleitet wird. In diesem Sinn hat das Bundesgericht auch
Art. 83 Abs. 1 Satz 2 SVG
ausgelegt, der mit
Art. 60 Abs. 2 OR
übereinstimmt (
BGE 112 II 81
E. 3). Die Beklagte 1 haftet daher für das gemäss
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 1 AFG
strafbare Verhalten ihrer Organe, die sich über die in
Art. 5 Abs. 2 AFG
vorgesehene Bewilligung hinweggesetzt haben, ebenfalls nach der längeren Verjährungsfrist des Strafrechts.
d) Eine andere Frage ist, ob die beiden Kläger durch Widerhandlungen der Beklagten im Sinne von
Art. 49 Ziff. 1 Abs. 1 AFG
geschädigt worden seien (
BGE 104 II 199
mit Hinweisen) und welchen Ertrag sie aus den CBSA-Anteilen erwarten durften, wenn die Beklagten sich rechtzeitig an die Aufsichtsbehörde gewandt hätten (vgl.
BGE 110 II 371
E. 5). Das Handelsgericht hat sich bisher dazu weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht geäussert, das eine wie das andere folglich nachzuholen. Das gleiche gilt für die angebliche Schädigung der Kläger durch falsche Angaben in der Werbung (hiervor E. I/2b). Falls eine Haftung der Beklagten zu bejahen ist, hat das Handelsgericht sodann den Ersatz für den eingetretenen Schaden in Würdigung aller Umstände (
Art. 43 OR
) und allfälliger Herabsetzungsgründe (
Art. 44 OR
) zu bestimmen, wobei bezüglich des entgangenen Ertrages auch eine Schätzung gemäss
Art. 42 Abs. 2 OR
in Frage kommt. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bf8c41a7-ccf6-4a6d-a54d-96370c86cc1e | Urteilskopf
108 Ia 135
26. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. Mai 1982 i.S. Hosig und Mitbeteiligte gegen Stadtrat von Chur und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 31 BV
; Zuteilung von Bewilligungen für Taxibetriebe.
1. Wer zur Ausübung eines Gewerbes öffentliche Sachen zum gesteigerten Gemeingebrauch beansprucht, kann sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen (Bestätigung der Rechtsprechung) (E. 3).
2. Aus
Art. 31 BV
ergibt sich das Gebot, die Gewerbegenossen im Rahmen der Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit gleich zu behandeln (E. 4).
3. Bewilligungen für Taxibetriebe sind keine wohlerworbenen Rechte und können nach angemessener Zeit entzogen werden (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 135
BGE 108 Ia 135 S. 135
Die Ausübung des Taxigewerbes in der Stadt Chur wird in einer Verordnung des Stadtrates vom 31. Juli 1964 geregelt. Darin wird zwischen A-Bewilligungen, die zum Aufstellen der Taxifahrzeuge
BGE 108 Ia 135 S. 136
auf dafür vorgesehenen Standplätzen berechtigen, und B-Bewilligungen unterschieden, die dieses Privileg nicht umfassen. Für das Jahr 1979 erteilte der Stadtrat von Chur insgesamt 27 A-Bewilligungen und 3 B-Bewilligungen. Drei A-Bewilligungsinhaber hatten sich bereits 1975 zur Taxi AG Chur zusammengeschlossen, die auf diesem Wege über 26 von insgesamt 27 A-Bewilligungen verfügt.
Am 6. September 1979 richteten die Beschwerdeführer ein Gesuch an den Churer Stadtrat, in welchem sie u.a. um die Erteilung von mindestens sieben A-Bewilligungen ab 1. Januar 1980 ersuchten, welche sie auf die in Gründung befindliche Calanda Taxi AG ausgestellt haben wollten, in deren Namen sie handelten. Der Stadtrat wies das Gesuch ab, da kein Anlass bestehe, der Taxi AG Chur als bisheriger Inhaberin gewisse A-Bewilligungen zu entziehen, und da eine Erhöhung der Zahl der Standplätze nicht in Frage komme.
Gegen den Entscheid des Stadtrates erhoben die Gesuchsteller erfolglos Rekurs beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Das Verwaltungsgericht führte aus, das öffentliche Interesse an einer möglichst breiten Streuung der A-Bewilligungen hätte hinter dem Interesse eines bisherigen Bewilligungsinhabers an einer regelmässigen Erneuerung derselben zurückzutreten, solange nicht zwingende Gründe dagegen sprächen, was im Falle der Taxi AG Chur nicht zutreffe.
Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts wurde wegen Verletzung der
Art. 4 und 31 BV
die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde erhoben, die das Bundesgericht gutheisst, und zwar aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
3.
Die Beschwerdeführer rügen vor allem, dass der Stadtrat von Chur und mit ihm das Verwaltungsgericht eine Neuverteilung der A-Taxi-Bewilligungen abgelehnt haben, worin sie eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit (
Art. 31 BV
) erblicken.
Nach der mit
BGE 101 Ia 479
ff. E. 5 eingeleiteten Rechtsprechung kann, wer zur Ausübung eines Gewerbes öffentliche Sachen zum gesteigerten Gemeingebrauch beansprucht, sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen. Ob die Bedingungen für eine zulässige Beschränkung derselben vorliegen, prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei. Es anerkennt dabei allerdings, dass
BGE 108 Ia 135 S. 137
namentlich bei der Gewährung von A-Taxi-Bewilligungen den kommunalen und kantonalen Behörden ein weiter Ermessensspielraum zukommt, zumal bei solchen Entscheidungen manche örtlichen Besonderheiten zu berücksichtigen sind, die den unteren Behörden besser bekannt sind als dem Bundesgericht (
BGE 102 Ia 53
f.;
BGE 101 Ia 481
E. 5c;
BGE 100 Ia 403
E. 5; unveröffentlichtes Urteil vom 21.6.78 i.S. Franzetti, E. 1b und 2a). Ausserdem ergibt sich eine Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit bei A-Taxi-Bewilligungen aus der Tatsache, dass die Zahl der Standplätze nicht beliebig erhöht werden kann, was eine Beschränkung der Bewilligungszahl pro Bewerber und nötigenfalls sogar eine Auswahl unter den Bewerbern erfordert (
BGE 99 Ia 399
). Da die Benützung des öffentlichen Grundes der kantonalen und kommunalen Gesetzgebung unterliegt (
Art. 664 Abs. 3 ZGB
, BGE
BGE 95 II 19
), sind die Gemeinden und Kantone somit befugt, durch Gesetze (im materiellen Sinne) die Handels- und Gewerbefreiheit von Taxi-Haltern in verschiedener Hinsicht zu beschränken (unveröff. Urteil vom 21.6.78 i.S. Franzetti, E. 2c). Freilich haben sie dabei gewisse Schranken zu beachten, die vom Bundesgericht bei verschiedenen Gelegenheiten und bezüglich verschiedener Freiheitsrechte verdeutlicht worden sind. So müssen die Eingriffe im öffentlichen Interesse notwendig sein, auf sachlich vertretbaren Kriterien beruhen und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit wahren (
BGE 101 Ia 481
E. 6;
BGE 99 Ia 399
; unveröff. Urteil vom 21.6.78 i.S. Franzetti, E. 2c). Insbesondere darf die Bewilligungspraxis die Freiheitsrechte weder allgemein noch zulasten einzelner Bürger aus den Angeln heben, wie das Bundesgericht bezüglich anderer Freiheitsrechte wiederholt festgestellt hat (
BGE 100 Ia 402
, mit Nachweisen
;
97 I 898
; vgl. IMBODEN/RHINOW, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Bd. 2, 5. Aufl. Basel 1976, Nr. 118 B IIIc). Andererseits sind auch andere als polizeilich motivierte Einschränkungen zulässig, wie etwa bei Taxi-Haltern das Erfordernis des Geschäftssitzes in der Gemeinde oder die Zuteilung von A-Bewilligungen nach dem Anciennitätsprinzip (
BGE 102 Ia 442
;
BGE 99 Ia 399
), wobei allerdings die Gewerbegenossen rechtsgleich zu behandeln sind (
BGE 102 Ia 547
).
Ob die Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit bzw. - im vorliegenden Falle - die Bewilligungspraxis bei der Zuteilung von A-Taxi-Bewilligungen verfassungskonform sind und insbesondere ob sie mit dem Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen zu vereinbaren sind, prüft das Bundesgericht frei, weil -
BGE 108 Ia 135 S. 138
im Rahmen des gesteigerten Gemeingebrauchs - die Bewilligungskriterien unmittelbar einen verfassungsmässigen Anspruch der Bürger berühren (
BGE 106 Ia 275
E. 5b;
104 Ia 379
). Die kantonale Behörde verletzt deshalb die Verfassung, wenn sie bei dieser Interessenabwägung nicht mit der erforderlichen Sorgfalt vorgeht, wesentliche Gesichtspunkte unberücksichtigt lässt oder sich von unsachlichen Kriterien leiten lässt.
4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hat die Interessenabwägung nicht in der durch
Art. 31 BV
gebotenen Weise vorgenommen. Es glaubte, es genüge für die Abweisung des Begehrens der Beschwerdeführer, dass die bisherige Inhaberin fast aller A-Bewilligungen, die Taxi AG, ihre Monopolstellung nicht in grober, die Interessen der Allgemeinheit schädigender Weise, missbraucht habe. Selbst wenn solche Missbräuche vorgekommen wären, wäre nach Ansicht des Verwaltungsgerichts aufgrund des Verhältnismässigkeitsprinzips zu prüfen, ob die Missstände mittels geeigneter Massnahmen beseitigt werden können, bevor die den bisherigen Inhabern erteilten A-Bewilligungen nicht mehr erneuert werden.
Diese Art der Interessenabwägung verkennt, dass im vorliegenden Falle nicht nur öffentliche Interessen an einem gut geregelten Taxibetrieb und private Interessen der bisherigen Bewilligungsinhaber einander gegenüberstehen, sondern dass im Bereiche des gesteigerten Gemeingebrauchs auch das Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen miteinbezogen werden muss. Zwischen diesen verschiedenen Interessen besteht häufig ein ausgeprägtes Spannungsverhältnis (vgl. HANS HUBER, Die Gleichbehandlung der Gewerbegenossen, in Festschrift für Walter Hug, Bern 1968, S. 447-468). Das Verwaltungsgericht hätte daher ebenfalls prüfen müssen, ob gegebenenfalls aufgrund von
Art. 31 BV
ein Teil der A-Bewilligungen der bisherigen Bewilligungsinhaberin nicht mehr hätte erneuert werden dürfen, um neuen Bewerbern zu ermöglichen, das Taxi-Gewerbe unter den gleichen Bedingungen auszuüben. Da das Verwaltungsgericht diese Frage ausgeklammert und damit
Art. 31 BV
verletzt hat, muss sein Entscheid aufgehoben werden.
5.
Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichtes, im heutigen Urteil festzulegen, welche Art der Zuteilung der A-Bewilligungen
Art. 31 BV
am besten entspricht. In der bisherigen Rechtsprechung wurde lediglich festgehalten, dass eine breite Streuung der A-Bewilligungen nach einem objektiven Kriterium dem Gehalt von
BGE 108 Ia 135 S. 139
Art. 31 BV
besser entspricht als eine - in rechtlich befriedigender Weise schwer zu regelnde - Häufung von Bewilligungen in einer Hand (
BGE 102 Ia 444
).
Immerhin lassen sich einzelne Gesichtspunkte schon jetzt festhalten.
a) Das Bundesgericht hat es bereits früher abgelehnt, A-Taxi-Bewilligungen als wohlerworbene Rechte zu betrachten (
BGE 102 Ia 448
; Urteil vom 22.3.1978 i.S. Schenker, E. 2b, veröff. in: ZBl 1978 S. 275 ff.). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Zwar wurde in
BGE 102 Ia 448
E. 7 ausgeführt, dass bei der Frage der Erneuerung bzw. Nichterneuerung einer Taxibetriebsbewilligung den im begründeten Vertrauen auf die Fortsetzung der bisherigen Bewilligungspraxis getroffenen Dispositionen Rechnung zu tragen ist. Damit wurde jedoch lediglich der auf der Idee des Vertrauensschutzes beruhende Gedanke zum Ausdruck gebracht, wonach bei Ablauf der meist recht kurz bemessenen Bewilligungsdauer zu berücksichtigen ist, dass die im Taxigewerbe erforderlichen Investitionen vernünftigerweise auf längere Sicht hinaus getätigt werden müssen und dass demzufolge der Bewilligungsinhaber die daraus entspringenden Vorteile während einer angemessenen Zeitdauer ausnützen können sollte. Immerhin darf diese Rücksichtnahme auf bisherige Bewilligungsinhaber nicht dazu führen, dass ein andere Gewerbegenossen diskriminierender Zustand auf unabsehbare Zeit hinaus von der Bewilligungsbehörde zementiert wird, indem fast alle A-Taxi-Bewilligungen Jahr für Jahr und unter Ausschluss aller neuen Bewerber einer einzigen AG oder einigen wenigen natürlichen Personen erteilt werden.
b) Aus dem
BGE 102 Ia 448
E. 7 lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten. Jener Entscheid bezog sich auf die Taxiverordnung der Stadt Zürich, wo grundsätzlich pro Person nur eine A-Bewilligung erteilt wird, und hatte u.a. die Frage zum Gegenstand, ob der Stadtrat vereinzelte unbegründete Ausnahmen von dieser Zuteilungsordnung ohne Verletzung von
Art. 31 BV
durch Nichterneuerung von A-Bewilligungen nachträglich rückgängig machen dürfe. In der Stadt Chur sind demgegenüber sozusagen alle Bewilligungen in einer Hand vereinigt, weshalb unter dem Gesichtspunkt von
Art. 31 BV
geprüft werden muss, ob nicht ein Teil der bisherigen A-Bewilligungen der Taxi-AG in B-Bewilligungen umgewandelt werden muss, um dem Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen soweit zu entsprechen, als dies im Rahmen der beschränkten Zahl von Standplätzen möglich ist. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
bf8dbb9d-3583-4ad3-8d29-10257789737d | Urteilskopf
121 IV 311
51. Urteil der Anklagekammer vom 13. November 1995 i.S. Ministero pubblico del Cantone Ticino gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich | Regeste
Art. 352 und 357 StGB
. Interkantonale Rechtshilfe; anwendbares Recht.
Zuständigkeit und Prüfungsbefugnis der Anklagekammer (E. 1 und 3a).
Die Frage, ob einem rechtshilfeweise einzuvernehmenden Zeugen ein Zeugnisverweigerungsrecht (hier gestützt auf
Art. 320 StGB
) zusteht, betrifft die Art und Form der Rechtshilfehandlung, die durch die zuständigen Behörden des ersuchten Kantons nach Massgabe ihres Prozessrechts zu entscheiden ist (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 312
BGE 121 IV 311 S. 312
A.-
Am 15. Dezember 1988 reichte Nationalrat L. im Nationalrat eine einfache Anfrage an den Bundesrat ein betreffend "Pizza Connection und die Schweiz", in welcher eine diesbezügliche Tätigkeit des Tessiner Rechtsanwaltes G. erwähnt wird.
Nachdem diese Anfrage in der Presse ihren Niederschlag gefunden hatte, erstattete Rechtsanwalt G. gegen Rechtsanwalt B., von dem er annahm, dieser habe die entsprechenden Informationen weitergegeben, sowie Unbekannte Strafanzeige wegen Verleumdung, Verletzung des Amtsgeheimnisses und Irreführung der Rechtspflege.
Die Tessiner Behörden, die die Strafuntersuchung führten, erachteten eine Einvernahme von Nationalrat L. als unumgänglich. Nachdem dieser zunächst damit einverstanden war, zur Einvernahme im Kanton Tessin zu erscheinen, ersuchte er später um rogatorische Einvernahme durch die Behörden des Kantons Zürich, worauf die Tessiner Staatsanwaltschaft am 16. Juni 1989 ein entsprechendes interkantonales Rechtshilfegesuch an die Bezirksanwaltschaft Zürich richtete. Nationalrat L. sollte im wesentlichen darüber Auskunft geben, ob er die seiner Anfrage zu Grunde liegenden Informationen von Rechtsanwalt B. erhalten habe.
B.-
Die Bezirksanwaltschaft Zürich lud Nationalrat L. zur Zeugeneinvernahme vor, welche am 12. Oktober 1989 erfolgte. Der Zeuge erschien, verweigerte
BGE 121 IV 311 S. 313
aber unter Berufung auf seine Immunität als Nationalrat Angaben über seine Quellen. Die Bezirksanwaltschaft wies das Rechtshilfeersuchen daher als nur teilweise erledigt ohne Weiterungen an die ersuchende Tessiner Behörde zurück. Einen durch die Tessiner Staatsanwaltschaft gegen diese Verfügung gerichteten Rekurs wies die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 20. April 1990 ab.
Die Tessiner Staatsanwaltschaft wandte sich am 4. Mai 1990 an die Anklagekammer des Bundesgerichts, welche die Beschwerde mit Urteil vom 31. Mai 1990 guthiess und die Bezirksanwaltschaft Zürich über die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich anwies, Nationalrat L. erneut zur Einvernahme als Zeuge gemäss dem Rechtshilfeersuchen der Procura Pubblica Sottocenerina vom 16. Juni 1989 aufzubieten; es sei abzuklären, ob der Zeuge unter Berufung auf ein Amtsgeheimnis das Zeugnis verweigern könne.
C.-
Am 27. September 1991 wurde Nationalrat L. durch die Bezirksanwaltschaft Zürich erneut als Zeuge befragt. Der Zeuge verweigerte Angaben über den Informanten unter Berufung auf sein Amtsgeheimnis als Parlamentarier, d.h. als Angehöriger des Nationalrates.
Mit Zwischenentscheid vom 21. November 1991 entschied der Tessiner Untersuchungsrichter, die Voraussetzungen für eine auf
Art. 320 StGB
gestützte Verweigerung der Zeugenaussage seien nicht gegeben; der Zeuge L. habe daher die Quelle der in Frage stehenden Information anzugeben.
Einen von Nationalrat L. gegen diesen Zwischenentscheid am 26. November 1991 bei der Camera dei ricorsi penali del Tribunale di appello des Kantons Tessin eingereichten Rekurs wies diese am 22. Mai 1992 ab. Der Entscheid ist rechtskräftig.
Nach wiederholten erfolglosen Ersuchen der Tessiner Behörden verfügte die Bezirksanwaltschaft Zürich am 8. Februar 1995, dass die verlangte Rechtshilfe jedenfalls einstweilen bis zur Aufhebung des Amtsgeheimnisses durch die zuständige Behörde verweigert werde, da sich Nationalrat L. auf das Amtsgeheimnis berufen könne und daher nicht berechtigt sei, Aussagen zu machen.
Einen Rekurs der Tessiner Staatsanwaltschaft vom 17. Februar 1995 hiess die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 30. Juni 1995 im Sinne der Erwägungen gut und hob den Entscheid der Bezirksanwaltschaft auf; gleichzeitig wurde Nationalrat L. ersucht, beim Generalsekretariat der Bundesversammlung zuhanden der Eidgenössischen Räte ein Gesuch um Entbindung vom Amtsgeheimnis zu stellen.
BGE 121 IV 311 S. 314
Am 11. Juli 1995 reichte Nationalrat L. das Gesuch um Entbindung vom Amtsgeheimnis ein.
D.-
Mit Gesuch vom 31. Juli 1995 beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Tessin der Anklagekammer des Bundesgerichts im Hauptantrag, den Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich aufzuheben und dem Rechtshilfegesuch vom 16. Juni 1989 zu entsprechen; es sei festzustellen, dass der Entscheid, ob sich der Zeuge für das Zeugnisverweigerungsrecht auf das Amtsgeheimnis berufen könne, den Tessiner Behörden zustehe, die diese Frage bereits rechtskräftig entschieden hätten. Eventuell sei festzustellen, dass sich der Zeuge für die Zeugnisverweigerung nicht auf das Amtsgeheimnis berufen könne. In jedem Fall sei die Bezirksanwaltschaft Zürich über die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich anzuweisen, den Zeugen erneut zu einer Einvernahme aufzubieten unter Verweis auf
§
§ 128 und 134 StPO
/ZH; im Falle einer weiteren Weigerung des Zeugen seien die in der Prozessordnung vorgesehenen Disziplinarstrafen zu verhängen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, das Gesuch abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss
Art. 352 StGB
sind in Bundesstrafsachen der Bund und die Kantone gegenseitig und die Kantone unter sich zur umfassenden Rechtshilfe verpflichtet (vgl.
BGE 119 IV 86
E. 2c).
b) Ergeben sich bei der Gewährung der Rechtshilfe Anstände, so kann die Anklagekammer des Bundesgerichts (
Art. 357 StGB
,
Art. 252 Abs. 3 BStP
) angerufen werden. Als Anstände in der Rechtshilfe gelten nicht nur die eigentliche Verweigerung der Rechtshilfe sondern auch Streitigkeiten über die Art und Weise der zu leistenden Rechtshilfe bzw. der durchzuführenden Untersuchungshandlung (vgl. THORMANN/VON OVERBECK, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, Zürich 1941, Art. 357 N. 1). Ein Anstand in der Rechtshilfe liegt auch dann vor, wenn zwischen den beteiligten Behörden streitig ist, ob eine Frage die formelle oder die materielle Zulässigkeit der verlangten Rechtshilfehandlung betrifft; denn davon hängt insbesondere ab, ob die Massnahme bei den Rechtsmittelinstanzen des ersuchten oder des ersuchenden Kantons angefochten werden muss (vgl. unten E. 2b).
c) Die Anrufung der Anklagekammer ist an keine Frist gebunden (
BGE 86 IV 226
E. 1). Sie kann daher jederzeit, auch bereits unmittelbar im Anschluss
BGE 121 IV 311 S. 315
an die Weigerung der ersuchten Behörde erfolgen; allfällige kantonale oder eidgenössische Rechtsmittel müssen somit nicht vorgängig ausgeschöpft werden (
BGE 115 IV 67
E. 1c; vgl. auch
BGE 102 IV 217
E. 4,
BGE 96 IV 181
E. 2).
2.
a) Streitig ist im vorliegenden Verfahren nicht die grundsätzliche Pflicht zur interkantonalen Rechtshilfe, diese wird durch die Behörden des Kantons Zürich anerkannt, indem die Verfügung der Bezirksanwaltschaft, soweit dadurch die Rechtshilfe verweigert wurde, im angefochtenen Entscheid aufgehoben wurde.
Zu entscheiden ist vielmehr die Frage, welcher der beteiligten Kantone zu entscheiden habe, ob sich der Zeuge (im konkreten Fall gestützt auf
Art. 320 StGB
) auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen kann.
b) In der Rechtshilfe zwischen Kantonen bestimmt sich nach dem Prozessrecht des gemäss
Art. 352 StGB
zur Rechtshilfe verpflichteten ersuchten Kantons, welche Art Handlungen der ersuchende Kanton verlangen darf und in welcher Form sie vorzunehmen sind. Das Prozessrecht des ersuchten Kantons ist somit für die Art und Form der interkantonalen Rechtshilfe massgebend. Bei der Behörde des ersuchten Kantons können daher Einwendungen betreffend die formellen Voraussetzungen der Rechtshilfe und die Ausführung der verlangten Massnahmen erhoben werden, während in allen anderen Fällen, namentlich bei Einwendungen gegen die materielle (sachliche) Zulässigkeit einer Rechtshilfemassnahme das Rechtsmittel bei der zuständigen Behörde des ersuchenden Kantons eingereicht werden muss (
BGE 120 Ia 113
;
BGE 119 IV 86
E. 2). Zu letzteren zählen im Zusammenhang mit Zwangsmassnahmen insbesondere die Einwände betreffend die Voraussetzungen des hinreichenden Tatverdachts, der Erforderlichkeit, der Zweckmässigkeit sowie der Verhältnismässigkeit (vgl.
BGE 120 Ia 113
E. 1;
BGE 117 Ia 5
E. 1b); materieller Art ist auch die Frage, ob eine bestimmte Massnahme geeignet sei, den Beweis für eine rechtserhebliche Tatsache zu erbringen, oder ob die materiellen Voraussetzungen für eine Einziehung und damit für eine Beschlagnahme vorliegen (vgl.
BGE 119 IV 86
E. 2b).
Die Frage, ob dem rechtshilfeweise einzuvernehmenden Zeugen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, betrifft hingegen die Art und Form der Rechtshilfehandlung und wurde daher zu Recht durch die Behörden des ersuchten Kantons Zürich nach Massgabe ihres Prozessrechts entschieden. Soweit sich die Gesuchstellerin auf das rechtskräftige Urteil der Tessiner Rekurskammer vom 22. Mai 1992 stützt, ist sie nicht zu hören.
BGE 121 IV 311 S. 316
3.
a) Im Verfahren gemäss
Art. 357 StGB
prüft die Anklagekammer des Bundesgerichts nur, ob durch die Anwendung des Prozessrechts des ersuchten Kantons durch die ersuchte Behörde bzw. die zuständige Rechtsmittelinstanz die Rechtshilfe derart beschränkt wird, dass sie dem Begriff der Rechtshilfe, wie er
Art. 352 StGB
zugrunde liegt, nicht mehr entspricht (vgl.
BGE 119 IV 86
E. 2a).
b) In ihrem Urteil vom 31. Mai 1990 wies die Anklagekammer die Zürcher Behörden an, abzuklären, ob ein Amtsgeheimnis vorliege, auf Grund dessen der Zeuge gegebenenfalls zu Recht das Zeugnis verweigerte; dabei genüge es, wenn der Zeuge seine Pflicht zur Verschwiegenheit wahrscheinlich mache.
c) Dieser Aufforderung sind die Zürcher Behörden inzwischen nachgekommen. Die Gesuchsgegnerin bejahte im angefochtenen Entscheid nach zürcherischem Prozessrecht grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht unter Berufung auf das Amtsgeheimnis. Sie verweist sodann auf ein Kurzgutachten des Generalsekretariats der Parlamentsdienste, nach welchem die Mitglieder des Nationalrates mit Bezug auf Geheimnisse, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Ratsmitglieder anvertraut würden, dem Amtsgeheimnis im Sinne von
Art. 320 StGB
unterlägen. Dies wird auch durch die Gesuchstellerin nicht in Zweifel gezogen.
Im angefochtenen Entscheid wird weiter ausgeführt, der Zeuge habe anlässlich seiner zweiten Einvernahme sowie in einer schriftlichen Stellungnahme vom 6. Februar 1995 hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Identität seines Informanten im Zusammenhang mit der in Frage stehenden parlamentarischen Anfrage seinem Amtsgeheimnis als Behördemitglied unterliegen könnte. Eine Entbindung vom Amtsgeheimnis könne daher im vorliegenden Fall in Analogie zu
Art. 14 VG
(SR 170.32) nur durch die Bundesversammlung erfolgen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich ersuchte daher den Zeugen, beim Sekretariat der Bundesversammlung zuhanden der eidgenössischen Räte ein Gesuch um Entbindung vom Amtsgeheimnis zu stellen.
d) Aufgrund dieser Begründung des angefochtenen Entscheides kann von einer unzulässigen Verweigerung der Rechtshilfe durch die Behörden des Kantons Zürich nicht die Rede sein. Das Gesuch wird somit abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bf916061-84c2-4826-90e3-79417ff19236 | Urteilskopf
115 Ia 400
61. Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Dezember 1989 i.S. Firma B. gegen Firma A. und Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 58 Abs. 1 BV
, Ablehnung von Schiedsrichtern wegen Befangenheit;
Art. 87 OG
, Anfechtbarkeit von Entscheiden über Ablehnungsbegehren.
1. Der Rückweisungsentscheid eines kantonalen Kassationsgerichts, mit dem ein Ablehnungsantrag nicht abschliessend beurteilt wird, kann nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
angefochten werden (E. 1a).
2. Prozessuale Fehler oder ein möglicherweise falscher materieller Entscheid vermögen grundsätzlich für sich allein nicht den Anschein der Befangenheit eines Richters zu begründen. Anders kann es sich verhalten, wenn besonders krasse oder wiederholte Irrtümer vorliegen, die als schwere Verletzung der Richterpflichten beurteilt werden müssen (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 401
BGE 115 Ia 400 S. 401
A.-
Die Firma A. mit Sitz in Belgrad, als Klägerin, und die Firma B. mit Sitz in Oberhausen in der Bundesrepublik Deutschland, als Beklagte, sind seit 1984 Parteien eines Schiedsgerichtsverfahrens vor einem der Verfahrensordnung der Internationalen Handelskammer in Paris unterstehenden Schiedsgericht mit Sitz in Zürich. Das Schiedsgericht setzte sich anfänglich zusammen aus dem Obmann Prof. C., dem von der Klägerin ernannten Schiedsrichter Prof. D. und dem von der Beklagten ernannten Schiedsrichter Prof. E.
Nachdem zwischen den Schiedsrichtern Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Abnahme von Beweisen entstanden waren, erklärte Prof. D. am 28. Oktober 1986 seinen Rücktritt als Schiedsrichter und verliess die Sitzung des Schiedsgerichts. In der Folge fällte das Schiedsgericht ohne Mitwirkung von Prof. D. einen Entscheid, mit dem das Rechtsbegehren 1 der Klägerin abgewiesen wurde. Dieser Teilschiedsspruch wurde vom Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer am 16. September 1987 genehmigt und am 8. November 1987 von Prof. C. und Prof. E. unterzeichnet.
B.-
Mit Eingabe vom 19. Mai 1987 stellte die Firma A. bei der Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich den Antrag, es sei anzuordnen, dass die Schiedsrichter Prof. C. und E. in den Ausstand zu treten hätten. Das Gesuch wurde im wesentlichen damit begründet, die beiden Schiedsrichter seien befangen, weil sie das Schiedsverfahren nach dem Rücktritt von Prof. D. allein weitergeführt hätten.
Die Verwaltungskommission wies das Ablehnungsbegehren am 2. Juni 1987 ab. Auf Nichtigkeitsbeschwerde der Gesuchstellerin hob das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 10. Februar 1988 den Beschluss der Verwaltungskommission auf und wies die Sache im Sinne seiner Erwägungen an diese zurück. Darauf hiess die Verwaltungskommission mit Zirkular-Beschluss vom 25. April 1988 das Ablehnungsbegehren gut und verpflichtete den Obmann Prof. C. und den Schiedsrichter Prof. E., in den Ausstand zu treten. Auf eine dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Gesuchsgegnerin trat das Kassationsgericht am 9. Dezember 1988 nicht ein.
BGE 115 Ia 400 S. 402
C.-
Mit ihrer staatsrechtlichen Beschwerde, die sich auch gegen den Entscheid des Kassationsgerichts vom 10. Februar 1988 richten soll, beantragt die Firma B., den Zirkular-Beschluss der Verwaltungskommission vom 25. April 1988 wegen Verletzung von
Art. 58 und
Art. 4 BV
aufzuheben.
Die Beschwerdegegnerin stellt die Anträge, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, soweit sie gegen den Entscheid des Kassationsgerichts gerichtet sei, und sie sei abzuweisen, soweit sie gegen den Zirkular-Beschluss des Obergerichts gerichtet sei.
Die Beschwerdeführerin hat auch den Beschluss des Kassationsgerichts vom 9. Dezember 1988 mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Vorweg zu prüfen ist die zwischen den Parteien streitige Frage, ob sich die Beschwerde, soweit damit die Verletzung von
Art. 4 BV
geltend gemacht wird, auch gegen den Entscheid des Kassationsgerichts vom 10. Februar 1988 richten kann. Dabei fällt nicht ins Gewicht, dass dieser Entscheid ein Ablehnungsbegehren betrifft und deshalb trotz der Vorschrift von
Art. 87 OG
mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
hätte angefochten werden können, unabhängig davon, ob ein nicht wieder gutzumachender Nachteil gegeben war (
BGE 106 Ia 233
E. 3a,
BGE 105 Ia 194
E. 1 mit Hinweisen). Ausschlaggebend ist vielmehr, dass es sich um einen Rückweisungsentscheid handelt, mit dem der Ablehnungsantrag nicht abschliessend beurteilt worden ist, sondern dies der Vorinstanz mit der Anweisung übertragen wurde, wie sie im Fall des Vorliegens bestimmter, noch nicht abgeklärter Umstände zu entscheiden habe. Damit bestand kein genügendes Interesse an einer Überprüfung des Entscheides durch das Bundesgericht, da dieses lediglich über abstrakte Erwägungen hätte urteilen können, deren Entscheiderheblichkeit für den konkreten Fall noch nicht feststand. Gegen die selbständige Anfechtbarkeit des Entscheides spricht zudem die prozessökonomische Überlegung, dass sich das Bundesgericht andernfalls eventuell zweimal mit der Sache hätte befassen müssen, was mit der Vorschrift von
Art. 87 OG
gerade verhindert werden soll (
BGE 106 Ia 235
). Aus diesen Gründen schadet der Beschwerdeführerin nicht, dass sie den Beschluss der Verwaltungskommission des Obergerichts vom 25. April 1988 abgewartet hat.
BGE 115 Ia 400 S. 403
b) Das Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges gemäss
Art. 86 Abs. 2 OG
steht dem Antrag der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht entgegen. Da eine erneute Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht sinnlos war, soweit dessen Auffassung bereits feststand, konnte die Beschwerdeführerin in Übereinstimmung mit der ständigen Praxis des Bundesgerichts den Beschluss der Verwaltungskommission des Obergerichts direkt mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
anfechten (
BGE 106 Ia 236
mit Hinweisen).
c) Klarzustellen ist schliesslich, dass im Fall einer Gutheissung der Beschwerde lediglich - wie beantragt - der Beschluss der Verwaltungskommission des Obergerichts und nicht auch jener des Kassationsgerichts vom 10. Februar 1988 formell aufgehoben werden kann. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist allerdings auch die Begründung des Entscheides vom 10. Februar 1988 zu überprüfen, soweit die darin vertretene Rechtsauffassung von der Verwaltungskommission des Obergerichts übernommen worden ist.
2.
Es ist unbestritten, dass auf das im Sommer 1984 eingeleitete Schiedsverfahren nicht das Interkantonale Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit vom 27. März 1969, sondern die Bestimmungen der Zivilprozessordnung (ZPO) und des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) des Kantons Zürich vom 13. Juni 1976 zur Anwendung kommen. Ebenfalls anwendbar, aber in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, sind die Verfahrensregeln der Internationalen Handelskammer.
Gemäss
§ 96 Ziff. 4 GVG
, der aufgrund des Verweises von
§ 244 Abs. 2 ZPO
auch für das Schiedsverfahren gilt, kann ein Schiedsrichter abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die ihn als befangen erscheinen lassen. Dieser allgemeine Ablehnungsgrund setzt nach der kantonalen Rechtsprechung nicht voraus, dass der betreffende Richter in einer Angelegenheit tatsächlich befangen und nicht zu einem unparteiischen Urteil fähig ist. Es genügt, wenn aufgrund der Umstände bei objektiver Beurteilung der Anschein einer - wenn auch tatsächlich nicht vorhandenen - Voreingenommenheit des Richters erweckt wird (
BGE 108 Ia 50
E. 2a mit Hinweisen). Die gleichen Anforderungen hat das Bundesgericht aus dem von der Beschwerdeführerin neben
Art. 4 BV
ebenfalls angerufenen
Art. 58 Abs. 1 BV
abgeleitet (
BGE 115 Ia 175
E. 3 mit Hinweisen). Da die beiden Rügen inhaltlich gleich begründet werden, jener aus
Art. 4 BV
aber keine selbständige Bedeutung zukommt, steht dem Bundesgericht im Ergebnis freie, d.h. nicht
BGE 115 Ia 400 S. 404
auf Willkür beschränkte Kognition zu (
BGE 114 Ia 52
E. 2b,
BGE 108 Ia 50
E. 2 und 3).
3.
a) Nach der Auffassung des Kassationsgerichts, die auch dem angefochtenen Beschluss der Verwaltungskommission des Obergerichts zugrunde liegt, haben die Schiedsrichter Prof. C. und Prof. E. gegen den Verfahrensgrundsatz von
§ 249 Abs. 1 ZPO
verstossen, indem sie das Schiedsverfahren nach der Rücktrittserklärung von Prof. D. allein weitergeführt, insbesondere den Teilschiedsspruch gefällt und dem Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer zur Genehmigung eingereicht haben. Gemäss
§ 249 Abs. 1 ZPO
darf keiner Partei im Verfahren eine Vorzugsstellung eingeräumt werden. Das Kassationsgericht nimmt an, durch die Verletzung dieses Grundsatzes hätten die beiden Schiedsrichter das Vertrauen der betroffenen Prozesspartei, d.h. der Beschwerdegegnerin, zerstört und ihr gegenüber den Anschein der Befangenheit geschaffen.
b) Vorab ist festzuhalten, dass an die Unbefangenheit eines Schiedsrichters die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an jene eines staatlichen Richters (
BGE 105 Ia 247
f. mit Hinweisen). Es gelten deshalb die Prinzipien, welche das Bundesgericht im Zusammenhang mit Ablehnungsbegehren gegen staatliche Richter aus
Art. 58 Abs. 1 BV
abgeleitet hat. Dazu gehört insbesondere der Grundsatz, dass prozessuale Fehler oder auch ein möglicherweise falscher materieller Entscheid für sich allein nicht den Anschein der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Anders verhält es sich nur, wenn besonders krasse oder wiederholte Irrtümer vorliegen, die als schwere Verletzung der Richterpflichten beurteilt werden müssen. Denn mit der Tätigkeit des Richters ist untrennbar verbunden, dass er über Fragen zu entscheiden hat, die oft kontrovers oder weitgehend in sein Ermessen gestellt sind. Selbst wenn sich die im Rahmen der normalen Ausübung seines Amtes getroffenen Entscheide als falsch erweisen, lässt das nicht an sich schon auf seine Parteilichkeit schliessen (
BGE 114 Ia 158
E. bb,
BGE 111 Ia 264
mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 113 Ia 409
/10). Zudem kann das Ablehnungsverfahren in der Regel nicht zur Beurteilung behaupteter Verfahrens- oder anderer Fehler des Richters dienen. Solche Rügen sind im dafür vorgesehenen Rechtsmittelverfahren geltend zu machen (
BGE 114 Ia 158
E. bb; nicht publ. Urteil vom 14. November 1979 E. 8b, zitiert von JOLIDON, Commentaire du concordat suisse sur l'arbitrage, S. 272 lit. f; Sem. Jud. 1983 S. 524).
BGE 115 Ia 400 S. 405
c) Im Lichte dieser Rechtsprechung erweist sich die von der Verwaltungskommission des Obergerichts übernommene Betrachtungsweise des Kassationsgerichts als verfassungswidrig. Das den Schiedsrichtern Prof. C. und Prof. E. vorgeworfene Vorgehen reicht aufgrund objektiver Beurteilung für sich allein nicht aus, den Anschein ihrer Voreingenommenheit gegenüber der Beschwerdegegnerin zu erwecken. Ob das von der Beschwerdegegnerin von ihrem subjektiven Standpunkt aus anders empfunden wird, ist für die Beurteilung unerheblich (
BGE 115 Ia 176
mit Hinweis). Nicht zu äussern hat sich das Bundesgericht sodann zur Frage, ob das Vorgehen der beiden Schiedsrichter mit
§ 249 Abs. 1 ZPO
vereinbart werden kann. Das bleibt dem von der Beschwerdegegnerin gegen den Teilschiedsspruch eingeleiteten Rechtsmittelverfahren vorbehalten.
d) Aus den angeführten Gründen ist der Beschluss der Verwaltungskommission des Obergerichts wegen Verletzung von
Art. 58 Abs. 1 BV
aufzuheben. Die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin brauchen damit nicht geprüft zu werden. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
bf9364c7-b0b0-4a48-9c8b-7e10e8f88755 | Urteilskopf
138 I 246
23. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Amt für Migration und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_459/2011 vom 26. April 2012 | Regeste
Art. 8 EMRK
,
Art. 14 und 43 AsylG
; Art. 83 AuG; konventionsrechtliche Zulässigkeit des Arbeitsverbots im Asylverfahren.
Das Arbeitsverbot von
Art. 43 AsylG
ist grundsätzlich mit dem Anspruch auf Schutz des Privatlebens nach
Art. 8 EMRK
vereinbar (E. 2 und 3). Bei langer Anwesenheit und jahrelanger Nothilfeabhängigkeit eines weggewiesenen Asylbewerbers kann sich in ausserordentlichen Situationen aus dieser Bestimmung jedoch ein Anspruch auf Bereinigung des Anwesenheitsstatus (vorläufige Aufnahme oder asylrechtlicher Härtefall) bzw. auf Erteilung einer Arbeitsbewilligung ergeben (E. 3.3.1); Prüfung der Voraussetzungen im konkreten Fall (E. 3.3.2 und 3.3.3). | Sachverhalt
ab Seite 247
BGE 138 I 246 S. 247
X. (geb. 1962) stammt aus Bangladesch. Er ersuchte 1995 in der Schweiz um Asyl. Die Asylrekurskommission wies am 19. März 1998 seine Beschwerde gegen den entsprechenden negativen Entscheid des Bundesamts für Flüchtlinge vom 4. September 1997 und am 28. Juli 1998 ein Revisionsgesuch hiergegen ab. X. bemühte sich anschliessend erfolglos um eine Wiedererwägung des Asyl- und Wegweisungsentscheids.
Am 21. Mai 2007 ersuchte er das Amt für Migration des Kantons Basel-Landschaft, ihm eine Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen zu erteilen (Art. 14 Abs. 2 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31]), worauf ihm dieses mitteilte, dass es dem Bundesamt keinen entsprechenden Antrag auf Zustimmung unterbreiten werde. X. bat in der Folge am 12. Juni 2009 darum, ihm eine Arbeitsbewilligung auszustellen, um sich von der Nothilfe lösen zu können. Das Amt für Migration und auf Beschwerde hin der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft lehnten dies am 20. August 2009 bzw. 10. August 2010 ab. Am 6. April 2011 bestätigte das Kantonsgericht Basel-Landschaft den regierungsrätlichen Entscheid.
Das Bundesgericht weist die von X. hiergegen eingereichte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Sinne seiner Ausführungen ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Während der ersten drei Monate nach dem Einreichen eines Asylgesuchs dürfen Asylsuchende keine Erwerbstätigkeit ausüben (
Art. 43 Abs. 1 AsylG
). Hernach kann der zuständige Kanton ihnen eine solche gestatten, falls die asylrechtlichen Voraussetzungen (
Art. 43 Abs. 1-3 AsylG
) gegeben sind, die Wirtschafts- und Arbeitslage
BGE 138 I 246 S. 248
die Arbeitsaufnahme erlaubt (vgl. Art. 52 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE; SR 142.201]), das Gesuch eines Arbeitgebers vorliegt (Art. 18 lit. b AuG [SR 142.20]), die Vorrangregelung respektiert wird (Art. 21 AuG) und die orts-, berufs- sowie branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen (Art. 22 AuG) eingehalten sind (vgl. GOOD/BOSSHARD, in: Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG], Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], 2010, N. 80 zu Art. 30 AuG; ILLES/SCHREPFER/SCHERTENLEIB, Handbuch zum Asyl- und Wegweisungsverfahren, Schweizerische Flüchtlingshilfe [Hrsg.], 2009, S. 299 f.). Bei der entsprechenden Arbeitsbewilligung handelt es sich um eine provisorische Befugnis; sie gilt grundsätzlich maximal für die (nicht absehbare) Dauer des Asylverfahrens, während der sich der Betroffene von Gesetzes wegen in der Schweiz aufhalten darf (
Art. 42 AsylG
; vgl. auch AMARELLE/NGUYEN, Les standards d'accueil des personnes soumises au droit d'asile, in: Schweizer Asylrecht, EU- Standards und internationales Flüchtlingsrecht, UNHCR [Hrsg.], 2009, S. 163 ff., dort S. 188 ff. und S. 191 ff.).
2.2
Die Bewilligung erlischt nach Ablauf der mit dem rechtskräftigen negativen Ausgang des Asylverfahrens festgesetzten Ausreisefrist, selbst wenn ein ausserordentliches Rechtsmittel oder ein Rechtsbehelf ergriffen und der Vollzug der Wegweisung ausgesetzt worden ist (
Art. 43 Abs. 2 AsylG
). Der Betroffene hat das Land zu verlassen, womit seine Berechtigung, hier zu arbeiten, von Bundesrechts wegen erlischt, es sei denn, das Bundesamt verlängere ihm im ordentlichen Verfahren die Ausreisefrist (vgl.
Art. 43 Abs. 2 2
. Satz AsylG) oder aber das Departement ermächtige die Kantone, für bestimmte Kategorien von Personen Bewilligungen zur Erwerbstätigkeit über den Ablauf der Ausreisefrist hinaus zu erteilen (
Art. 43 Abs. 3 AsylG
; WALTER STÖCKLI, Asyl, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, N. 11.42). Mit Zustimmung des Bundesamts kann der Kanton im Rahmen eines asylrechtlichen Härtefalls dem Betroffenen auch eine Aufenthaltsbewilligung gewähren, welche es ihm ermöglicht, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Hierfür muss er sich ab Einreichen des Asylgesuchs seit mindestens fünf Jahren in der Schweiz aufgehalten haben, sein Aufenthaltsort muss den Behörden zudem immer bekannt gewesen sein; schliesslich hat wegen einer fortgeschrittenen Integration ein schwerwiegender persönlicher Härtefall vorzuliegen (
Art. 14 Abs. 2 AsylG
). Diese Regelung gilt nicht nur für hängige, sondern auch für
BGE 138 I 246 S. 249
abgeschlossene Asylverfahren (vgl. ILLES/SCHREPFER/SCHERTENLEIB, a.a.O., S. 240 f.; PETER NIDERÖST, Sans-Papiers in der Schweiz, in: Ausländerrecht, a.a.O., N. 9.36 f.). Die Gesetzgebung geht grundsätzlich davon aus, dass sich vor Anerkennung eines Härtefalls, die in
Art. 43 AsylG
genannten Ausnahmen vorbehalten, eine Besserstellung bezüglich der Zulassung zur Erwerbstätigkeit nicht rechtfertigt, da hiermit, namentlich für weggewiesene Asylsuchende, welche verpflichtet sind, die Schweiz zu verlassen, ein gegenteiliger Anreiz und ein Grund geschaffen würde, im Land zu verbleiben und die Rückschaffungsbemühungen der Behörden zu erschweren (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats vom 18. November 2009 zur am 3. März 2010 abgelehnten Motion 09.3809 van Singer "Arbeitsbewilligung für abgewiesene Asylsuchende").
2.3
Ist der Vollzug der Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, verfügt das Bundesamt für Migration die vorläufige Aufnahme (Art. 83 Abs. 1 AuG). Diese bildet eine - grundsätzlich zeitlich beschränkte - Ersatzmassnahme, wenn der Vollzug der Wegweisung undurchführbar erscheint. Sie tritt neben die Wegweisung und berührt deren Bestand nicht, sondern setzt ihn voraus. Die vorläufige Aufnahme bildet keine Aufenthaltsbewilligung, sondern einen vorübergehenden Status, der die Anwesenheit regelt, solange der Wegweisungsvollzug nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich erscheint (
BGE 137 II 305
E. 3.1). Eine entsprechende Unmöglichkeit liegt nur bei objektiven Hindernissen vor; es muss klar erkennbar sein, dass der Vollzug der Wegweisung aus technischen oder rechtlichen Gründen auf nicht absehbare Zeit unmöglich sein wird, wobei die Ursachen ausserhalb des Einflussbereichs der betroffenen Person liegen müssen (vgl. Art. 83 Abs. 7 lit. c AuG;
Art. 17 VVWA
[SR 142.281]; RUEDI ILLES, in: Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG], N. 9 und 55 ff. zu Art. 83 AuG). Der Vollzug der Wegweisung gilt in der Praxis zu Art. 83 AuG dann als unmöglich, wenn die weggewiesene Person sich allen vom Kanton hierfür angeordneten Massnahmen unterzogen hat, die Unmöglichkeit des Vollzugs schon ein Jahr dauerte und absehbar erscheint, dass die Vollzugsmassnahmen weiterhin nicht zum Erfolg führen werden (vgl. ILLES/SCHREPFER/SCHERTENLEIB, a.a.O., S. 236). Die Kantone können vorläufig Aufgenommenen unabhängig von der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bewilligen (Art. 85 Abs. 6 AuG). Voraussetzung bildet, dass ein Gesuch eines Arbeitgebers vorliegt und
BGE 138 I 246 S. 250
die Lohn- und Arbeitsbedingungen eingehalten sind (ILLES/SCHREPFER/SCHERTENLEIB, a.a.O., S. 307).
3.
3.1
Zu Recht macht der Beschwerdeführer nicht geltend, gestützt auf eine dieser Regelungen über einen Anspruch auf die beantragte Arbeitsbewilligung zu verfügen: Sein Asylgesuch ist abgewiesen und er angehalten worden, das Land zu verlassen, was er bis heute nicht getan hat. Nach dem Ablauf der mit dem rechtskräftigen negativen Ausgang des Asylverfahrens festgesetzten Ausreisefrist erlosch von Bundesrechts wegen seine Möglichkeit, in der Schweiz erwerbstätig zu sein (
Art. 43 Abs. 2 AsylG
). Da die kantonalen Behörden (und das Bundesamt) zurzeit noch davon ausgehen, dass ein Wegweisungsvollzug nicht ausgeschlossen erscheint, falls der Beschwerdeführer hierbei kooperiert, war der Kanton Basel-Landschaft bisher nicht bereit, dem Bundesamt zu beantragen, ihn als Härtefall anzuerkennen oder ihn wegen einer Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs vorläufig aufzunehmen; die damit verbundenen Regeln über eine Zulassung zum Arbeitsmarkt kommen somit nicht zur Anwendung. Unter diesen Umständen darf der Beschwerdeführer zurzeit in der Schweiz nicht arbeiten und kann der Kanton Basel-Landschaft ihm auch keine entsprechende Bewilligung ausstellen. Die Arbeitsberechtigung ist in der Regel an ein Aufenthaltsrecht geknüpft; sie hat keine eigenständige Bedeutung, sondern steht regelmässig in Verbindung mit der Anwesenheitsberechtigung (vgl. PETER UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, in: Ausländerrecht, a.a.O., N. 7.168).
3.2
3.2.1
Diese gesetzliche Regelung steht grundsätzlich im Einklang mit
Art. 8 EMRK
: Die EMRK verschafft praxisgemäss keinen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt oder auf einen besonderen Aufenthaltstitel (
BGE 137 I 247
E. 4.1.1;
BGE 130 II 281
E. 3.1 S. 285 f.; GRABENWARTER/PABEL, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. 2012, § 22 N. 65 ff. S. 268 ff.; JENS MEYER-LADEWIG, EMRK, 3. Aufl. 2011, N. 64 ff. zu
Art. 8 EMRK
). Sie hindert die Konventionsstaaten nicht daran, den Aufenthalt auf ihrem Staatsgebiet zu regeln und die Anwesenheit ausländischer Personen unter Beachtung überwiegender Interessen des Familien- oder Privatlebens gegebenenfalls auch wieder zu beenden (vgl. etwa das EGMR-Urteil
Gezginci gegen Schweiz
vom 9. Dezember 2010 [Nr. 16327/05] § 54 ff.). Dabei darf mitberücksichtigt werden, ob der Aufenthalt im Land rechtmässig war oder nicht (vgl. Urteil 2C_1010/2011 vom 31. Januar 2012
BGE 138 I 246 S. 251
E. 2.4). Das vom Beschwerdeführer angerufene, durch
Art. 8 EMRK
geschützte Recht zur freien Gestaltung der Lebensführung steht unter einem entsprechenden migrationsrechtlichen Vorbehalt. Zwar impliziert die Möglichkeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, auch die Chance, Beziehungen zu anderen aufzubauen und seinen Lebensunterhalt zu verdienen, um das Privatleben nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können, weshalb das Ergreifen eines Berufs und die Möglichkeit, erwerbstätig zu sein, Teil des durch
Art. 8 EMRK
geschützten Privatlebens bilden kann (EGMR-Urteile
Sidabras und Mitb. gegen Litauen
vom 27. Juli 2004 [Nr. 55480/00] §§ 42 ff. und
Taliadorou gegen Zypern
vom 16. Oktober 2008 [Nr. 39627/05] § 54; GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., § 22 N. 14 S. 234; MEYER-LADEWIG, a.a.O., N. 31 zu
Art. 8 EMRK
). Dies führt indessen nicht dazu, dass auch jegliche asyl- oder ausländerrechtliche Beschränkung der Erwerbstätigkeit bereits in den Anwendungsbereich von
Art. 8 EMRK
fiele. Hiervon ist nur auszugehen, wenn der (weitere) Aufenthalt im Konventionsstaat rechtlich oder zumindest faktisch derart gesichert erscheint, dass das entsprechende Privatleben auch tatsächlich dort gelebt wird. Die vorliegende Problematik ist deshalb - wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat - nicht mit dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil
Sidabras
vom 27. Juni 2004 beurteilten Sachverhalt vergleichbar, wo ehemaligen litauischen KGB-Mitgliedern im Rahmen von Lustrationsmassnahmen (vgl. hierzu: MEYER-LADEWIG, a.a.O., N. 32 zu
Art. 8 EMRK
) verboten worden war,
im eigenen Land
im öffentlichen Dienst sowie in weiten Teilen der Privatwirtschaft tätig zu werden, was der Gerichtshof im konkreten Fall als konventionswidrig erachtete. Abgewiesene Asylbewerber verfügen über keinen rechtmässigen Aufenthaltstitel im Land, weshalb die damit verbundene Weigerung, ihnen eine Arbeitsbewilligung zu erteilen, regelmässig nicht in den Schutzbereich von
Art. 8 EMRK
fällt.
3.2.2
Ein entsprechender Anspruch gälte im Übrigen nicht absolut: Gestützt auf
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
ist ein Eingriff in das durch Ziff. 1 geschützte Rechtsgut statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesellschaft und Moral sowie der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Die Konvention verlangt eine Abwägung der sich gegenüberstehenden privaten Interessen an der Bewilligungserteilung einerseits
BGE 138 I 246 S. 252
und den öffentlichen an deren Verweigerung andererseits, wobei Letztere in dem Sinne überwiegen müssen, dass sich der Eingriff in einer demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung als notwendig zu erweisen hat (
BGE 135 I 143
E. 2.1 S. 147,
BGE 135 I 153
E. 2.2.1 S. 156;
BGE 122 II 1
E. 2 S. 6 mit Hinweisen). Die entsprechenden Voraussetzungen sind hinsichtlich des asylrechtlichen Arbeitsverbots in
Art. 43 AsylG
erfüllt: Als schutzwürdiges öffentliches Interesse fällt auch das Durchsetzen einer restriktiven Einwanderungspolitik in Betracht. Eine solche ist mit Blick auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen schweizerischer und ausländischer Wohnbevölkerung, auf die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Eingliederung der in der Schweiz bereits ansässigen Ausländer und die Verbesserung der Arbeitsmarktstruktur sowie auf eine möglichst ausgeglichene Beschäftigung im Lichte von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
zulässig (
BGE 137 I 247
E. 4.1.2 mit Hinweisen). Abgewiesene Asylbewerber verfügen über keine Berechtigung, sich weiter im Land aufzuhalten, womit sie sich von den Asylsuchenden unterscheiden, die von Gesetzes wegen für die Dauer des Verfahrens in der Schweiz verbleiben dürfen (vgl.
Art. 42 AsylG
). Das Arbeitsverbot von
Art. 43 Abs. 2 AsylG
unterstreicht die Pflicht, das Land verlassen zu müssen. Würde dem Weggewiesenen eine Arbeitserlaubnis erteilt, stünde dies im Widerspruch zum Wegweisungsentscheid. Das Erwerbsverbot nach
Art. 43 Abs. 2 AsylG
bildet eine geeignete Massnahme, um die Konsequenzen des negativen Asylentscheids (Wegweisung) umzusetzen und keine zusätzlichen Anreize für einen rechtswidrigen Verbleib in der Schweiz zu geben. Der damit verbundene Eingriff in allenfalls durch
Art. 8 EMRK
geschützte Positionen ist regelmässig erforderlich, da eine mildere Massnahme, etwa eine befristete Arbeitsbewilligung, den Wegweisungsentscheid bzw. dessen Vollzug ebenso infrage stellen würde. Für Härtefälle (
Art. 14 Abs. 2 AsylG
) bzw. Situationen, bei denen eine Rückkehr oder Ausreise objektiv unmöglich erscheint (vgl. Art. 83 AuG), bestehen Sondernormen, welche die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zulassen (vgl. E. 2.2 und 2.3), womit die Schweiz allfälligen diesbezüglich bestehenden staatlichen Schutzpflichten konventionskonform nachkommt.
3.3
3.3.1
Unter diesen Umständen kann die Verhältnismässigkeit bzw. die Zumutbarkeit der Verweigerung einer konkreten Arbeitsbewilligung nach der Wegweisung im asylrechtlichen Kontext gestützt auf
Art. 8 EMRK
nur in ausserordentlichen Situationen dennoch
BGE 138 I 246 S. 253
problematisch erscheinen. Auf den Schutz des Privat- und Familienlebens können sich in Ausnahmesituationen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch Personen berufen, deren Anwesenheit rechtlich nicht geregelt ist bzw. die allenfalls über kein (gefestigtes) Aufenthaltsrecht verfügen, deren Anwesenheit aber faktisch als Realität hingenommen wird bzw. aus objektiven Gründen hingenommen werden muss. Im Urteil
Agraw gegen die Schweiz
vom 29. Juli 2010 (Nr. 3295/06) liess der EGMR die Berufung auf den Schutz des Familienlebens durch ein Ehepaar zu, dessen Asylgesuche erstinstanzlich abgewiesen worden waren und das während fünf Jahren in der Schweiz aus asylrechtlichen Gründen nicht zusammenleben durfte; zum Zeitpunkt der Heirat - so der Gerichtshof - sei klar gewesen, dass die angeordnete Wegweisung nicht in absehbarer Zeit würde vollzogen werden können; die Betroffenen seien für diese Situation nicht verantwortlich gewesen, weshalb die Schweiz ihnen gegenüber - losgelöst von deren Aufenthaltsstatus - die Konventionsgarantien zu erfüllen habe (Ziff. 44; vgl. auch
BGE 137 I 113
E. 6.2 S. 119).
3.3.2
Der Beschwerdeführer hält sich seit 15 Jahren in der Schweiz auf; seit gut 13 Jahren ist es ihm nicht möglich, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, was zur Folge hat, dass er seit dem 1. Januar 2008 von der Nothilfe leben muss (vgl.
BGE 137 I 113
E. 3.1 S. 115 f. mit Hinweisen), welche nur das absolute Existenzminimum deckt und bloss als Überbrückungshilfe für die beschränkte Dauer der Notlage bzw. des Vollzugs der Wegweisung gedacht ist (vgl.
BGE 135 I 119
E. 5.4 und 7.2-7.5;
BGE 131 I 166
E. 8.2 S. 181 f.). Das ihm auferlegte Arbeitsverbot greift heute damit, losgelöst von seinem ausländerrechtlichen Status, in einem Mass in sein Recht auf Privatleben (freie Gestaltung der Lebensführung) ein, welches geeignet ist, den normalerweise im Rahmen von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
gerechtfertigten Sinn und Zweck der Regelung von
Art. 43 Abs. 2 AsylG
infrage zu stellen. Das öffentliche Interesse an der Sicherstellung des Asylverfahrens und am Vollzug entsprechender negativer Entscheide vermag nach so langer Dauer des Arbeitsverbots und des faktisch geduldeten Aufenthalts sein privates Interesse, hier erwerbstätig sein zu dürfen und nicht allein von der Nothilfe leben zu müssen, nur dann zu überwiegen, wenn mit dem Vollzug des Wegweisungsentscheids (noch) in absehbarer Zeit ernsthaft gerechnet werden kann bzw. der Beschwerdeführer den Vollzug der Wegweisung bewusst selber weiter verzögert.
BGE 138 I 246 S. 254
3.3.3
Die Vorinstanz ist - wie bereits dargelegt - davon ausgegangen, dass der Vollzug der Wegweisung nach wie vor möglich erscheint und sich die Behörden immer noch darum bemühen. Der Beschwerdeführer tut nicht dar, inwiefern diese Annahme offensichtlich unhaltbar wäre; auch der im vorliegenden Verfahren eingeholte Amtsbericht widerspricht dem nicht klarerweise: Das Bundesamt für Migration betont, dass eine Rückkehr nach Bangladesch möglich erscheine, wenn der Betroffene hierzu bereit sei und er sich über Angehörige ein beglaubigtes "Nationality Certificate" beschaffe, was "problemlos" möglich erscheine. In diesem Fall stelle das Konsulat innert nützlicher Frist ein Ersatzreisepapier aus, mit dem die Heimreise angetreten werden könne. Das vom Beschwerdeführer eingereichte "Nationality Certificate" sei vom Konsulat am 21. Dezember 1999 als ungenügend ("not acceptable") eingestuft worden. Der Vertrauensanwalt habe dem damaligen Bundesamt für Flüchtlinge am 6. Mai 2003 mitgeteilt, dass die vom Beschwerdeführer gelieferten Adressangaben sich als unrichtig erwiesen hätten; das "Nationality Certificate" sei nicht vom zuständigen Amt ausgestellt worden und könne deshalb vom Aussenministerium nicht beglaubigt werden. In der Folge hat sich der Beschwerdeführer zwar wiederholt - wie von ihm verlangt - an seinen Vater gewandt, wobei er diesen um die Beschaffung eines "Nationality Certificate" ersuchte; dabei gab er aber jeweils auch relativ unzweideutig zu verstehen, dass er in der Schweiz verbleiben wolle und nicht bereit sei, in seine Heimat zurückzukehren. Der Beschwerdeführer sprach wiederholt auf dem Konsulat vor; indessen ist nicht klar, was dort diskutiert wurde. Einem Schreiben vom 14. September 2009 lässt sich entnehmen, dass er zwar erklärte, sich in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Asylgesetzes zur Beschaffung der nötigen Papiere an das Konsulat wenden zu wollen, er gleichzeitig aber wiederum unterstrich, dass er für einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz kämpfe ("so now also i am fighting for stay in Switzerland"). Das Bundesamt erkundigte sich wiederholt bei der bangladeschischen Vertretung nach dem Stand des Verfahrens; doch blieben seine Anfragen vom 5. Juni 2007 bzw. 3. Juni 2011 unbeantwortet. Für die Version des Beschwerdeführers, dass er nie aktiv den Vollzug seiner Wegweisung zu vereiteln versucht habe und die Behörden sich ihrerseits nicht weiter um diesen bemüht hätten, spricht ein Schreiben des Bundesamts für Migration an das Amt für Migration des Kantons Basel-Landschaft vom 29. November 2005, worin es in einem gewissen Widerspruch zu den Ausführungen im Amtsbericht erklärte, dass die Abklärungen durch den
BGE 138 I 246 S. 255
Vertrauensanwalt der Schweizer Botschaft in Dhaka ergeben hätten, dass der Beschwerdeführer "aufgrund der vorgelegten Fotos an den angegebenen Adressen" habe identifiziert werden können; es indessen nicht möglich gewesen sei, ein gültiges "Nationality Certificate" zu beschaffen.
3.3.4
In Anwendung von
Art. 105 Abs. 2 BGG
ist bei dieser Ausgangslage gesamthaft davon auszugehen, dass der Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers nach wie vor möglich erscheint und ihm durch das Recht, hier erwerbstätig sein zu können, deshalb im überwiegenden öffentlichen Interesse kein Anlass gegeben werden soll, diesen zu vereiteln. Gleichzeitig ist aber zu unterstreichen, dass das Amt für Migration des Kantons Basel-Landschaft und das Bundesamt für Migration sich mit Nachdruck hierum bemühen müssen; ist der Vollzug innert weniger Monate nicht möglich und bleiben ihre Bemühungen bei den bangladeschischen Behörden ein weiteres Mal ohne Erfolg, ist eine vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers (Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs) oder bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die Erteilung einer asylrechtlichen Härtefallbewilligung zu prüfen bzw. ihm gestützt auf
Art. 8 EMRK
in Abweichung von
Art. 43 Abs. 2 AsylG
die Möglichkeit einzuräumen, sich seinen Lebensunterhalt hier verdienen zu können, bis ein allfälliger Vollzug der Wegweisung wieder möglich erscheint. Scheitern die Behörden bei ihren Vollzugsbemühungen ein weiteres Mal und kann die Situation des Beschwerdeführers nicht härtefallrechtlich oder im Rahmen einer vorläufigen Aufnahme bereinigt werden, was nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bundesgerichts fiele (vgl.
Art. 83 lit. c Ziff. 2 und 3 BGG
), überwiegt sein privates Interesse, sich von der Nothilfe lösen und einer Beschäftigung nachgehen zu können, das öffentliche, ihm mit der Erwerbsmöglichkeit keinen Anreiz zu bieten, illegal im Land zu verbleiben. Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass - wie die Vorinstanz ausführt - dem Beschwerdeführer kein Vorteil daraus erwachsen soll, dass er sich während 13 Jahren unrechtmässig in der Schweiz aufgehalten hat, umgekehrt muss die umstrittene Massnahme (Arbeitsverbot) bzw. die damit verbundene Konsequenz (Nothilfeabhängigkeit) im Einzelfall dennoch den konventionsrechtlichen Vorgaben genügen und sich im Rahmen der Interessenabwägung von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
als verhältnismässig bzw. notwendig erweisen. Dies ist beim Beschwerdeführer nach 13 Jahren Anwesenheit in der Schweiz nicht mehr der Fall, wenn der Vollzug seiner Wegweisung realistischerweise nicht als (unmittelbar) absehbar bezeichnet werden kann. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
bf9aa6b4-450a-40e2-9e20-0a9fd24e1a32 | Urteilskopf
107 II 179
24. Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Februar 1981 i.S. Julen und Mitbeteiligte gegen Standseilbahn Zermatt-Sunnegga AG (Berufung) | Regeste
Art. 706 OR
. Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen.
1.
Art. 46 OG
. Vermögensrechtliche Streitigkeit (E. 1)?
2. Eine Aktionärgruppe hat auch dann ein schutzwürdiges Interesse, der Generalversammlung Vorschläge für Wahlen in den Verwaltungsrat unterbreiten zu können, wenn sie sich von politischen Motiven mitbestimmen lässt (E. 2).
3.
Art. 708 Abs. 4 und 5 OR
. Statutarische Zusicherung einer Vertretung im Verwaltungsrat; sie ist verletzt, wenn das Vorschlagsrecht auf eine Aktionärgruppe beschränkt oder der Vorschlag einer Gruppe nicht als verbindlich angesehen wird. Auslegung der Statuten (E. 3 und 4).
4. Verzicht einer Gruppe, die sich mit den Wahlen abfindet. Die Generalversammlung braucht nicht unterbrochen zu werden, damit eine Gruppe sich zuerst auf einen Vorschlag einigen könne (E. 5).
5. Gruppenvorschläge über streitige Verwaltungsratsmandate können nur vorbehältlich wichtiger Gründe verbindlich sein (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 180
BGE 107 II 179 S. 180
A.-
Die Standseilbahn Zermatt-Sunnegga AG, Zermatt, wurde am 25. Mai 1977 insbesondere mit dem Zweck gegründet, zwischen den beiden Orten eine unterirdische Bahn zu bauen und zu betreiben; die Bahn ist inzwischen fertigerstellt und eröffnet worden. Das Grundkapital der Gesellschaft von 8,5 Mio. Franken ist zerlegt in 17'000 Namen- und Inhaberaktien zu je Fr. 500.-. Die Munizipalgemeinde (Einwohnergemeinde) Zermatt ist daran mit knapp 60% oder 10'076 Aktien beteiligt; von den übrigen Aktien sollen rund 2'000 auf O. Hermann, 1'000 auf die Zermatt-Rothornbahn AG, 100 auf die Burgergemeinde und der Rest auf zahlreiche Kleinaktionäre entfallen.
An der konstituierenden Generalversammlung vom 25. Mai 1977 schlug die Munizipalgemeinde fünf Gemeinderäte als ihre Vertreter im Verwaltungsrat vor, die zwischen 12'401 und 15'454 Stimmen erhielten. Auf Vorschläge aus der Versammlung wurden mit Stimmen bis zu 14'994 vier weitere Verwaltungsräte als Vertreter der übrigen Aktionäre gewählt; zu ihnen gehörte Germann Biner, der nicht als Vertrauensmann der Kleinaktionäre galt, aber mit 10'717 zu 4'113 Stimmen einem Josef Schnydrig vorgezogen wurde. Nach einer zweijährigen Amtsdauer wurden in der Generalversammlung vom 3. Juli 1979 mit Ausnahme eines neuen Mitgliedes aus dem
BGE 107 II 179 S. 181
Gemeinderat alle Verwaltungsräte wiedergewählt, die Vertreter der Munizipalgemeinde mit Stimmen zwischen 11'394 und 13'981, die vier Vertreter der übrigen Aktionäre mit bis zu 13'913 Stimmen. Das schlechteste Ergebnis erzielte wiederum Germann Biner; sein Gegenkandidat Ambros Julen unterlag ihm mit 3'702 zu 10'222 Stimmen.
B.-
Mit Klagen vom 2. Juni 1977 und 16. August 1979 liessen Ambros Julen sowie zwölf weitere Kleinaktionäre die beiden Generalversammlungsbeschlüsse der Gesellschaft anfechten. Sie beantragten zunächst, die Wahl und Wiederwahl von Germann Biner, der nicht als Vertreter der privaten Aktionäre angesehen werden könne, für ungültig zu erklären. Im Verfahren änderten sie den Antrag dahin ab, dass die Wahlen bezüglich aller Vertreter der Gruppe der Privaten aufzuheben seien (Begehren 1). Sodann sei festzustellen, dass die Gruppe der privaten Aktionäre in ihrer Mehrheit über die Vorschläge der ihr zustehenden Verwaltungsräte entscheide und dass diese Vorschläge für die Generalversammlung verbindlich seien (Begehren 2). Schliesslich sei die Beklagte zu verpflichten, innert 90 Tagen ab Rechtskraft des Urteils eine Generalversammlung einzuberufen, um das Urteil bekannt zu geben und die Verwaltungsräte der privaten Aktionäre zu wählen (Begehren 3).
Das Kantonsgericht Wallis wies am 3. September 1980 die beiden Klagen ab, weil das damit geforderte Vorschlagsrecht der privaten Aktionäre weder im Gesetz noch in den Statuten eine Stütze finde.
C.-
Die Kläger haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, mit der sie an ihren Rechtsbegehren festhalten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Klagen auf Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen einer Aktiengesellschaft gelten als vermögensrechtliche Streitigkeiten; in solchen Fällen ist die Berufung nur zulässig, wenn der Streitwert die in
Art. 46 OG
vorgesehene Grenze erreicht (
BGE 92 II 246
E. 1b,
BGE 75 II 152
E. 1,
BGE 66 II 46
). Die gegenteilige Auffassung des Kantonsgerichts, das eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit angenommen hat, beruht auf kantonalem Recht und ist daher ohne Bedeutung für das bundesgerichtliche Verfahren.
BGE 107 II 179 S. 182
In einer Eventualerwägung nimmt indes auch das Kantonsgericht an, dass der Streitwert jedenfalls Fr. 15'000.- übersteige. Die Kläger haben dem im Berufungsverfahren ausdrücklich, die Beklagte zumindest stillschweigend zugestimmt. Diese Schätzung des Streitwertes ist nach
Art. 36 Abs. 2 OG
nicht zu beanstanden. Auf die Berufung ist daher einzutreten.
2.
Dass die Kläger gestützt auf
Art. 706 OR
zur Anfechtung der Generalversammlungsbeschlüsse berechtigt sind, ist zu Recht unbestritten. Streitig ist dagegen auch vor Bundesgericht, ob sie ein schutzwürdiges Interesse an der Anfechtung haben oder ihre Klagen mangels eines solchen Interesses missbräuchlich seien (
BGE 86 II 167
). Wie es sich damit für die Wahlen von 1977 verhält, kann offen bleiben, da 1979 statutarische Neuwahlen stattgefunden haben; die Beklagte bringt diesbezüglich nichts vor, und eine gesonderte Behandlung der früheren Beschlüsse, die durch die späteren ersetzt worden sind, rechtfertigt sich nicht.
Das Kantonsgericht bejaht das Anfechtungsinteresse der Kläger, weil einem Aktionär oder einer Gruppe von Aktionären nicht gleichgültig sein könne, wer in den Verwaltungsrat gewählt wird; die Kläger hätten ein schutzwürdiges Interesse, der Versammlung entsprechende Vorschläge unterbreiten zu können. Die Beklagte bestreitet dies zu Recht nicht; sie macht bloss geltend, die Kläger verfolgten mit ihren Klagen ausschliesslich oder vorwiegend politische Zwecke, da es ihnen um eine politische Änderung des Mehrheitsverhältnisses im Verwaltungsrat gehe. Das erhelle aus ihrer Eingabe vom 7. Juni 1977, welche das Kantonsgericht übersehen habe.
Von einem Versehen kann im Ernst indes keine Rede sein. Das angefochtene Urteil anerkennt ausdrücklich, dass auf seiten der Kläger gewisse politische Motive mitspielen mögen. Mehr lässt sich auch Aktenstellen nicht entnehmen, welche die Beklagte zur Begründung ihrer Rüge anführt. Ebensowenig vermag sie darzutun, weshalb es missbräuchlich sein soll, dass die Kläger sich bei ihren Wahlvorschlägen und prozessualen Vorkehren von politischen Überlegungen mitbestimmen liessen. Das wäre umso weniger zu beanstanden, als die Munizipalgemeinde Zermatt als Mehrheitsaktionärin die Gesellschaft beherrscht, die zudem ihrerseits mit dem Bau und Betrieb der Standseilbahn vorwiegend öffentliche Interessen verfolgt.
3.
Die Wahl der Verwaltung gehört zu den unübertragbaren
BGE 107 II 179 S. 183
Befugnissen der Generalversammlung (
Art. 698 Ziff. 2 OR
); Ausnahmen zugunsten öffentlichrechtlicher Körperschaften, wie
Art. 762 OR
sie vorsieht, liegen hier nicht vor. Besteht eine Gesellschaft aus mehreren Gruppen von Aktionären mit verschiedener Rechtsstellung, so müssen die Statuten jeder Gruppe die Wahl wenigstens eines Vertreters in der Verwaltung sichern (
Art. 708 Abs. 4 Satz 1 OR
). Das Kantonsgericht nimmt zutreffend an, dass die Beklagte diese Voraussetzung nicht erfüllt, weil sie nicht aus Aktionärgruppen mit unterschiedlichen Mitgliedschaftsrechten zusammengesetzt ist. Die Kläger beschränken sich denn auch darauf, dem Kantonsgericht eine Verletzung von
Art. 708 Abs. 5 OR
vorzuwerfen, wonach die Statuten zum Schutze der Minderheiten oder einzelner Gruppen von Aktionären weitere Bestimmungen über die Wahlart aufstellen können. Die Beklagte hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, indem sie in Art. 18 der Statuten u.a. bestimmte, dass jeder Aktionärgruppe (Munizipalgemeinde und Privaten) eine Vertretung im Verwaltungsrat im Verhältnis zum Aktienbesitz zugesichert und dass der Verwaltungsrat von der Generalversammlung aufgrund von Vorschlägen der entsprechenden Aktionärgruppen gewählt wird.
Art. 708 Abs. 5 OR
ist eine reine Kompetenznorm, weshalb die Kläger nur eine Verletzung von Art. 18 der Statuten geltend machen können. Dabei ist vorweg zu prüfen, wieweit eine solche Statutenvorschrift aktienrechtlich als zulässig erscheint und wie der Minderheitenschutz mit den Befugnissen der Generalversammlung vereinbart werden kann. Bei dieser Prüfung darf, wie das Kantonsgericht mit Recht bemerkt, auf Lehre und Rechtsprechung zu
Art. 708 Abs. 4 OR
zurückgegriffen werden, der auf den gleichen Grundgedanken beruht.
Das Bundesgericht äusserte sich im Entscheid 66 II 48 E. 6 eingehend zu dieser Bestimmung. Es lehnte es ab, der Gruppe ein Recht zuzuerkennen, ihren Vertreter selbst zu bezeichnen, weil das auf eine Beschränkung des Wahlrechts der Generalversammlung hinausliefe. Die Gruppe müsse aber ein entscheidendes Mitspracherecht bei der Bezeichnung ihres Vertreters haben, da dafür nur ein ihr genehmer Vertrauensmann in Betracht komme. Das lasse sich am besten durch ein verbindliches Vorschlagsrecht der Gruppe verwirklichen, wobei das Kontrollrecht der Generalversammlung jedoch in dem Sinne gewahrt bleiben müsse, dass sie den Vorschlag einer Gruppe aus
BGE 107 II 179 S. 184
wichtigen Gründen ablehnen dürfe. Auf diese Weise könne keine Gruppe der andern eine missliebige und ungeeignete Persönlichkeit als Mitglied des Verwaltungsrates aufzwingen (S. 51/2). Die herrschende Lehre hat sich dieser Auffassung angeschlossen (BÜRGI, N. 57-61 und 66-69 zu
Art. 708 OR
; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Die Einführung in das schweiz. Aktienrecht, S. 169 Ziff. 14; VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl. S. 54 und 199; ablehnend dagegen A. BENOÎT, La représentation de groupes et de minorités d'actionnaires à l'administration des sociétés anonymes, Diss. Lausanne 1965 S. 262 ff.).
4.
Fragen kann sich daher im vorliegenden Fall bloss, ob auch Art. 18 der Statuten in diesem Sinne zu verstehen ist, weil er jeder Aktionärgruppe eine Vertretung im Verwaltungsrat zusichert und bestimmt, dass die Generalversammlung dessen Mitglieder aufgrund der Gruppenvorschläge wählt.
a) Das Kantonsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Statuten den beiden Aktionärgruppen, der Munizipalgemeinde einerseits und den übrigen Aktionären oder Privaten anderseits, ein Vorschlags- und Vertretungsrecht einräumen. Es verwirft sodann zu Recht die Übernahme des Gruppenbegriffs aus
Art. 708 Abs. 4 OR
, wo es um die Vertretung von Aktionären mit unterschiedlicher Rechtsstellung geht. Es lässt die übrigen Aktionäre aber auch nicht in einem weiteren Sinne als Gruppe gelten, weil sie aus dem Grossaktionär Hermann, der Burgerschaft, der Zermatt-Rothornbahn AG und vielen Kleinaktionären beständen, also bunt zusammengesetzt seien und keine Einheit bildeten. Unter diesen Umständen könnten mit Art. 18 der Statuten nicht Vorschläge von Aktionärgruppen, sondern nur solche "aus dem Kreis der Privaten" gemeint sein.
Diese Auslegung der Statuten wird von den Klägern zu Recht als unhaltbar angefochten. Der Wortlaut der Bestimmung ist eindeutig und lässt keinen Raum zu einem Streit darüber, ob sie auch für die übrigen Aktionäre gelte; sie nennt die beiden Aktionärgruppen Munizipalgemeinde und Private, sichert ihnen je ihre Vertretung sowie Wahlen zu, die auf ihre Vorschläge Rücksicht nehmen. Es geht daher nicht an, den Privaten die Eigenschaft einer selbständigen Gruppe mit eigenem Vorschlagsrecht abzusprechen und die Regelung der Statuten auf die Gruppe der Munizipalgemeinde beschränken zu wollen. Ein solches Vorgehen widerspricht nicht nur dem
BGE 107 II 179 S. 185
Wortlaut der Bestimmung, sondern auch den Grundsätzen von Treu und Glauben, die bei der Auslegung von Statuten ebenfalls zu beachten sind.
b) Das Kantonsgericht befasst sich sodann eingehend mit der Frage, welche Bedeutung dem statutarischen Vorschlagsrecht der Aktionärgruppen zukommt. Es stellt anhand des Gründungsprotokolls fest, dass bei der Beratung der Statuten ein Antrag von seiten der Privaten, die Vorschläge ausdrücklich als verbindlich zu bezeichnen, abgelehnt worden ist; später sei der Antrag dahin verdeutlicht worden, dass die Gruppe der Munizipalgemeinde nicht mitstimmen dürfe, wenn die Vertreter der Privaten gewählt würden. Ob dies der Sinn der Verdeutlichung war, was die Kläger mit einer Zeugenaussage zu widerlegen suchten, ist unerheblich, da nach dem angefochtenen Urteil im kantonalen Verfahren unbestritten blieb, dass die Verwaltungsräte durch die Generalversammlung gewählt werden, ein Ausschluss des Mehrheitsaktionärs von der Wahl der Minderheitsvertreter also unstatthaft wäre. Das Kantonsgericht meint freilich, die Generalversammlung habe ohne rechtliche Bindung über die Vorschläge entscheiden können, da der entsprechende Antrag der Privaten ja abgelehnt worden sei.
Dem halten die Kläger unter Hinweis auf Lehre und Rechtsprechung zu
Art. 708 Abs. 4 OR
zu Recht entgegen, dass der Gruppe der Privaten eine Vertretung im Verwaltungsrat zugesichert ist und die Regelung für sie illusorisch würde, wenn ihre Vorschläge für den Mehrheitsaktionär nicht verbindlich sein sollten. Die Zusicherung einer Vertretung an die Minderheit gemäss Art. 18 der Statuten hat genau gleich wie im Fall, der in
Art. 708 Abs. 4 OR
geregelt ist, nur dann einen Sinn, wenn eine von der Gruppe der Privaten vorgeschlagene Vertrauensperson auch gewählt wird. Dass Germann Biner den privaten Kleinaktionären angehört und von einem solchen vorgeschlagen worden ist, genügt dafür nicht. Daran änderte auch nichts, dass der Anspruch der Minderheit zahlenmässig gewahrt worden ist; er war personell zu beachten. Es ist offensichtlich, dass Germann Biner nur dank den Stimmen der Munizipalgemeinde gewählt wurde und seine Gegenkandidaten jeweils weit mehr Stimmen der privaten Aktionärgruppe erhielten. Müsste die Minderheit sich dem beugen, so würden Sinn und Zweck von Art. 18 der Statuten ins Gegenteil verkehrt.
c) Das Kantonsgericht nimmt freilich an, dass die Gruppenvorschläge
BGE 107 II 179 S. 186
auch nach der Entstehungsgeschichte der Statuten nicht verbindlich sein sollten und dass mit Vorschlägen der Minderheit nach dem Willen der Mehrheit der konstituierenden Generalversammlung nur solche "aus dem Kreis der Privaten" gemeint seien. Die Beklagte erblickt in dieser Annahme eine tatsächliche Feststellung über den wirklichen Parteiwillen, die das Bundesgericht binde, während es nach Auffassung der Kläger um eine Frage der Auslegung geht, die im Berufungsverfahren als Rechtsanwendung frei überpfüft werden dürfe. Dieser Auffassung ist beizupflichten. Gesellschaftsstatuten sind wie Willenserklärungen, die bei Schuldverträgen abgegeben werden, nach dem Vertrauensprinzip auszulegen (
BGE 87 II 95
E. 3 mit Hinweisen;
BGE 57 II 522
E. 2,
BGE 48 II 364
). Bei Gesellschaften, die sich zur Aktienzeichnung an das breite Publikum wenden, rechtfertigt sich zudem eine analoge Anwendung der Grundsätze, die für die Interpretation von Gesetzesrecht entwickelt worden sind und ebenfalls zu einer objektiven Auslegung nach Treu und Glauben führen (MEIER-HAYOZ, N. N. 140-150 zu
Art. 1 ZGB
).
Das heisst nicht, die Entstehungsgeschichte einer Norm sei methodisch unbeachtlich. Der wirkliche Wille von Aktionären, welche die Statuten ausarbeiteten, dürfte indes nur dann im Sinne von
Art. 18 Abs. 1 OR
den Vorrang verdienen, wenn sich nur wenige damit zu befassen hatten (SIEGWART, N. 11-13 zu
Art. 626 OR
; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, a.a.O. S. 122/3). Dafür fehlen hier die Voraussetzungen. Zum einen ist nicht festgestellt, dass alle Kläger an der Gründungsversammlung teilgenommen, geschweige denn an der Schaffung oder Beratung der Statuten mitgewirkt haben. Dazu kommt, dass die streitige Frage am 25. Mai 1977 durch Mehrheitsbeschluss der Generalversammlung entschieden worden ist, was einen übereinstimmenden wirklichen Willen im Sinne von
Art. 18 Abs. 1 OR
ausschliesst. Es bleibt daher bei der objektiven Auslegung nach dem Vertrauensprinzip mit dem Ergebnis, dass Art. 18 der Statuten den privaten Aktionären ein grundsätzlich verbindliches Vorschlagsrecht gewährt. Bei diesem Ergebnis erweist sich die Hauptbegründung des Kantonsgerichts als bundesrechtswidrig.
5.
Nach einer Eventualerwägung der Vorinstanz sollen die Statuten jedenfalls keine Suspendierung der Generalversammlung oder interne Abstimmung unter den privaten Aktionären
BGE 107 II 179 S. 187
vorsehen, weshalb die Mehrheit darüber frei entscheide; mit entsprechenden Begehren könnten Aktionäre übrigens den Ablauf einer Versammlung erheblich stören. An der konstituierenden Versammlung von 1977 hätten die Privaten auch keinen Antrag auf Unterbrechung oder interne Abstimmung gestellt, sondern sich mit der Wahl ihrer Vertreter auf Grund von Einzelvorschlägen abgefunden. Bei den Wahlen von 1979 sei dagegen ein entsprechender Antrag von der Versammlung zu Recht abgewiesen worden.
Die Kläger sehen darin eine rein formalistische Betrachtungsweise, die gegen Treu und Glauben verstosse, weil das Verfahren für die Bezeichnung der Gruppenvertreter in den Statuten nicht geregelt sein müsse. Es sei durchaus denkbar, dass die Gruppe der Privaten sich kurz vor der Generalversammlung treffe und ihre Vertreter bestimme, wie das auch der Gemeinderat für die Vertreter der Munizipalgemeinde getan habe. Aber auch eine kurze Unterbrechung der Versammlung sei dem Mehrheitsaktionär zuzumuten, zumal dadurch das Wahlverfahren vereinfacht werden könne.
Die Kläger anerkennen damit, dass die Gruppe der Privaten 1977 und 1979 keine Vorschläge machte, sondern nur Einzelvorschläge aus deren Kreis vorlagen. Fragen kann sich bloss, ob die Gruppe dadurch auf ihr Vorschlagsrecht verzichtet habe, was sowohl nach
Art. 708 OR
wie nach Art. 18 der Statuten möglich ist. Denn eine Wahl ist nicht schon deshalb zu beanstanden, weil eine Gruppe eigene Vorschläge unterlassen hat; sie ist erst dann anfechtbar, wenn die Generalversammlung sich über solche Vorschläge grundlos hinweggesetzt oder ihre Unterbreitung überhaupt verhindert hat. Letzteres wird von den Klägern behauptet, trifft aber nicht zu. Dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, wie gross die Gruppe der Kleinaktionäre ist, um deren Vertretung es geht; die Kläger bemängeln in der Begründung ihrer Anträge nicht etwa die Wahlen der drei Vertreter der grösseren Minderheitsgruppen (Burgergemeinde, Zermatt-Rothornbahn AG und O. Hermann), sondern bloss von Germann Biner. Sie räumen aber ausdrücklich ein, dass ihre Gruppe sich vor der Generalversammlung auf einen Vorschlag hätte einigen können. Weshalb die Gruppe davon abgesehen hat, ist nicht ersichtlich und zumindest für 1979, nach den Erfahrungen von 1977, auch nicht recht verständlich. Statt dessen verlangte die Vertreterin
BGE 107 II 179 S. 188
der Kläger 1979 eine Unterbrechung der Generalversammlung, damit die Kleinaktionäre über einen gemeinsamen Gruppenvorschlag beschliessen könnten. Die Versammlung lehnte dies mit Mehrheitsbeschluss ab, was aus den vom Kantonsgericht angeführten Gründen weder nach Bundesrecht noch nach den Statuten zu beanstanden ist.
Nach der Feststellung der Vorinstanz haben die Kläger sich in der Gründungsversammlung mit dem praktizierten Wahlverfahren widerspruchslos abgefunden. Für 1977 können sie sich daher nicht darüber beschweren, dass sie nicht Gelegenheit erhielten, über Gruppenvorschläge zu beraten. Für 1979 liessen sie einen entsprechenden Antrag stellen, der aber in zulässiger Weise verworfen wurde. Damit ist im Sinn der Eventualerwägung des Kantonsgerichts nicht nur ihrem Rechtsbegehren 1, sondern auch der Einberufung einer neuen Generalversammlung gemäss Rechtsbegehren 3 die Grundlage entzogen; insoweit bleibt es daher beim angefochtenen Urteil.
6.
Mit dem Rechtsbegehren 2 wird die Feststellung verlangt, dass die Gruppe der privaten Aktionäre in ihrer Mehrheit über die Vorschläge der ihr zustehenden Verwaltungsräte zu entscheiden hat und dass ihre Vorschläge für die Generalversammlung verbindlich sind. Dieses Begehren ist nach den angestellten Überlegungen im wesentlichen begründet. Auch das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, da die Beklagte einen Anspruch der Privaten auf eigentliche Gruppenvorschläge, welche weitgehend verbindlich wären, nicht nur in den Generalversammlungen, sondern auch im Prozess bestritten hat.
Das Feststellungsbegehren kann indes nicht in der beantragten Form geschützt werden. Vorweg ist klarzustellen, dass Gruppenvorschläge über streitige Verwaltungsratsmandate nicht schlechthin, sondern nur vorbehältlich wichtiger Gründe verbindlich sein können. Sodann erfasst die Gruppe der privaten Aktionäre ausser zahlreichen Kleinaktionären auch den Grossaktionär Hermann, die Burgergemeinde und die Zermatt-Rothornbahn AG, die bisher je einen Sitz in der Verwaltung erhielten; die Kleinaktionäre begnügten sich mit dem vierten Mandat. Diese Verteilung innerhalb der Gruppe der Privaten wird von den Klägern nicht beanstandet. Wie sich die Anwendung des im Rechtsbegehren postulierten Mehrheitsprinzips darauf auswirken könnte, nachdem von den 6924 Aktien
BGE 107 II 179 S. 189
der Gruppe offenbar 2'000 dem O. Hermann, 1'000 der Zermatt-Rothornbahn AG, 100 der Burgergemeinde und der Rest den Kleinaktionären gehören, darunter etwa 1'730 den Klägern, ist nicht abzusehen. Die Frage der internen Bezeichnung der Gruppenvertreter ist indes gar nicht Gegenstand des Streites mit der Beklagten, weshalb darüber auch nicht zu entscheiden ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In teilweiser Gutheissung der Berufung wird festgestellt, dass die Gruppe der privaten Aktionäre selbst entscheiden kann, welche Kandidaten sie für die ihr zustehenden Verwaltungsräte der Generalversammlung zur Wahl vorschlagen will, und dass diese Vorschläge unter Vorbehalt entgegenstehender wichtiger Gründe für die Generalversammlung verbindlich sind.
Im übrigen wird die Berufung abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts Wallis vom 3. September 1980 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bfa17d43-6e42-45a9-a435-3a97af32650c | Urteilskopf
140 II 25
4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Genossenschaft X. gegen A. und Mitb. sowie Gemeinde Silvaplana (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_598/2013 vom 6. Dezember 2013 | Regeste a
Eröffnung eines Quartierplanverfahrens; End- oder Zwischenentscheid.
Die Einleitung eines amtlichen Quartierplanverfahrens stellt einen selbstständig anfechtbaren Endentscheid i.S. von
Art. 90 BGG
dar, wenn das kantonale Recht vorsieht, dass bestimmte Einwendungen nur mit Rekurs gegen den Einleitungsbeschluss geltend gemacht und im späteren Verfahren nicht mehr erhoben werden können (E. 1.1).
Regeste b
Überprüfung und Anpassung von Nutzungsplänen wegen veränderter Verhältnisse (
Art. 21 Abs. 2 und
Art. 15 RPG
).
Art. 21 Abs. 2 RPG
unterscheidet die Überprüfung (1. Stufe) und die Anpassung der Nutzungsplanung (2. Stufe). Auf der 1. Stufe sind geringere Anforderungen an die Erheblichkeit der Veränderung zu stellen als auf der 2. Stufe (E. 3).
Aufgrund des Inkrafttretens von
Art. 75b BV
ist in Tourismusgemeinden wie Silvaplana, die einen hohen Anteil von Zweitwohnungen haben, mit einem erheblichen Rückgang der Wohnbaunachfrage zu rechnen. Dies hat zur Folge, dass die Wohnbaureserven der Gemeinde überprüft werden müssen (E. 4.3).
Für eine Reduktion der baulichen Nutzungsmöglichkeiten kommt (zumindest auch) das peripher gelegene, erst teilweise überbaute bzw. erschlossene und mangels Quartierplanung noch nicht baureife Gebiet Quarta Morta in Betracht (E. 4.4 und 5).
Anspruch der Beschwerdeführerin auf Überprüfung der Zonenordnung im Gebiet Quarta Morta bejaht. Diese Prüfung darf nicht isoliert erfolgen, sondern setzt eine Gesamtsicht über alle Bauzonen der Gemeinde Silvaplana voraus (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 27
BGE 140 II 25 S. 27
A.
Das Gebiet Quarta Morta liegt im nordwestlichen Teil von Surlej in der Wohnzone W5 der Gemeinde Silvaplana. Es ist gemäss dem Generellen Gestaltungsplan des Jahres 2004 (GGP) mit einer Quartierplanpflicht belegt. Schon 1983 hatte die Gemeinde ein Quartierplanverfahren eingeleitet und 1988 die Durchführung einer Baulandumlegung verfügt. Der Quartierplan wurde in der Folge aber - unter anderem infolge von Rechtsstreitigkeiten - nicht weiter bearbeitet und schliesslich nicht mehr weiterverfolgt.
B.
Am 29. November 2011 stellten die Eigentümer der Parzelle Nr. y das Gesuch, das rechtskräftig eingeleitete Quartierplanverfahren so rasch als möglich weiterzuführen und zum Abschluss zu bringen.
Mit Beschluss vom 30. Januar 2012, publiziert am 23. Februar 2012, folgte der Gemeindevorstand dem Antrag und gab seine Absicht bekannt, den Quartierplan in Verbindung mit einer Landumlegung neu einzuleiten. Der Zweck der Quartierplanung bestehe darin, die im GGP ausgeschiedenen Baubereiche zeitgemäss zu erschliessen und optimal zu gestalten, mit Festlegung der einzelnen Baustandorte.
Dagegen erhoben mehrere Grundeigentümer Einsprache, darunter auch die Genossenschaft X. Sie beantragte, auf die Einleitung des Quartierplanverfahrens mit Landumlegung sei zu verzichten, bis die Grundordnung folgendermassen revidiert sei: Es sei eine Revision des Zonenplans und des GGP für das Planungsgebiet Quarta Morta einzuleiten, mit dem Ziel, zurzeit nicht überbaute Grundstücke, die nicht oder ungenügend erschlossen seien, dem Nichtbaugebiet zuzuweisen. Für das gesamte Planungsgebiet sei zu diesem Zweck eine kommunale Planungszone zu erlassen.
Mit Entscheid vom 29. Mai 2012 wies der Gemeindevorstand die Einsprachen im Sinne der Erwägungen ab, soweit er darauf eintrat, und leitete das Quartierplanverfahren ein. Das Begehren um Revision der Grundordnung wurde abgewiesen, weil derzeit keine Gründe bestünden, auf die bestehende Regelung zurückzukommen.
C.
Dagegen erhoben die Genossenschaft X. und weitere Grundeigentümer Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons
BGE 140 II 25 S. 28
Graubünden. Dieses vereinigte die Verfahren und wies die Beschwerden am 9. April 2013 ab.
D.
Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid gelangte die Genossenschaft X. am 26. Juni 2013 mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. Es hebt den Entscheid des Verwaltungsgerichts auf, soweit es die Beschwerde der Genossenschaft X. abweist und dieser Gerichts- und Parteikosten auferlegt. Mitaufgehoben wird der Beschluss des Gemeindevorstands Silvaplana zur Einleitung des Quartierplanverfahrens Quarta Morta, Silvaplana-Surlej, vom 29. Mai 2012. Die Gemeinde Silvaplana wird eingeladen, die bestehende Grundordnung (Zonenplan und Genereller Gestaltungsplan) im Gebiet Quarta Morta zu überprüfen.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(...)
1.1
Ein Endentscheid i.S. von
Art. 90 BGG
liegt unzweifelhaft vor, soweit das Verwaltungsgericht den Antrag auf Überprüfung der bestehenden Nutzungsplanung abgewiesen hat. Fraglich ist dagegen, ob der Beschluss zur Einleitung des Quartierplanverfahrens einen End- oder einen Zwischenentscheid darstellt.
Unter der Geltung des OG (BS 3 531) wurde die Einleitung eines amtlichen Quartierplanverfahrens als Endentscheid i.S. von
Art. 87 OG
qualifiziert, wenn das kantonale Recht vorsah, dass bestimmte Einwendungen nur mit Rekurs gegen den Einleitungsbeschluss geltend gemacht und im späteren Verfahren nicht mehr erhoben werden können. Diese Regelung zeige, dass der Einleitungsbeschluss ein in sich geschlossenes, selbstständiges Verfahren bilde (
BGE 117 Ia 412
E. 1a S. 414).
Diese Rechtsprechung ist auch unter der Geltung des BGG beizubehalten. Art. 16 Abs. 2 der Raumplanungsverordnung vom 24. Mai 2005 für den Kanton Graubünden [KRVO; BR 801.110]) bestimmt, dass Einwendungen gegen das Quartierplanverfahren an sich und das Planungsgebiet mit Einsprache gegen den vom Gemeinderat beabsichtigten Einleitungsbeschluss geltend zu machen sind und im weiteren Verfahren nicht mehr erhoben werden können. Würde der Einleitungsbeschluss als Zwischenbeschluss i.S. von
Art. 93 BGG
qualifiziert, könnte er (bzw. der ihn bestätigende kantonal letztinstanzliche Entscheid) noch zusammen mit dem das
BGE 140 II 25 S. 29
Quartierplanverfahren abschliessenden Endentscheid angefochten werden (
Art. 93 Abs. 3 BGG
). Dies würde dem Konzept des kantonalen Rechts widersprechen, wonach ein (u.U. zeit- und kostenaufwendiges) Quartierplanverfahren erst durchgeführt werden soll, wenn der Einleitungsbeschluss rechtskräftig geworden ist. Die separate Anfechtung des Einleitungsbeschlusses erscheint auch nicht unzumutbar: Fehler bei der Einleitung des Verfahrens (Voraussetzungen des Quartierplanverfahrens; Gebietsabgrenzung) können in der Regel unabhängig vom Ausgang des Quartierplanverfahrens erkannt und beurteilt werden.
(...)
3.
Art. 21 Abs. 2 RPG
(SR 700) unterscheidet mit Blick auf die Änderung von Nutzungsplänen zwei Stufen: In einem ersten Schritt wird geprüft, ob sich die Verhältnisse so erheblich geändert haben, dass die Nutzungsplanung überprüft werden muss; in einem zweiten Schritt erfolgt nötigenfalls die Plananpassung (PETER KARLEN, Stabilität und Wandel in der Zonenplanung, PBG-aktuell 4/1994 S. 8 ff.).
3.1
Ob eine Plananpassung (
zweite Stufe
) aufgrund veränderter Verhältnisse gerechtfertigt ist, beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung aufgrund einer Interessenabwägung. Dabei ist auf der einen Seite die Notwendigkeit einer gewissen Stabilität nutzungsplanerischer Festlegungen zu beachten, auf der anderen Seite das Interesse, die Pläne an eingetretene Veränderungen anzupassen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die bisherige Geltungsdauer des Nutzungsplans, das Ausmass seiner Realisierung und Konkretisierung, das Gewicht des Änderungsgrunds, der Umfang der beabsichtigten Planänderung und das öffentliche Interesse daran (
BGE 132 II 408
E. 4.2 S. 413 f.;
BGE 128 I 190
E. 4.2 S. 198 f.; je mit Hinweisen; KARLEN, a.a.O., S. 11 ff. und 13 ff.).
3.2
Im Rahmen der
ersten Stufe
sind geringere Anforderungen zu stellen: Eine Überprüfung der Grundordnung ist bereits geboten, wenn sich die Verhältnisse seit der Planfestsetzung geändert haben, diese Veränderung die für die Planung massgebenden Gesichtspunkte betrifft und erheblich ist (
BGE 123 I 175
E. 3a S. 182 f. mit Hinweisen). Die Erheblichkeit ist auf dieser Stufe bereits zu bejahen, wenn eine Anpassung der Zonenplanung im fraglichen Gebiet in Betracht fällt und die entgegenstehenden Interessen der Rechtssicherheit und des Vertrauens in die Planbeständigkeit nicht so gewichtig sind, dass eine Plananpassung von vornherein ausscheidet. Sind diese
BGE 140 II 25 S. 30
Voraussetzungen erfüllt, so ist es Aufgabe der Gemeinde, die gebotene Interessenabwägung vorzunehmen und zu entscheiden, ob und inwiefern eine Anpassung der Zonenplanung nötig ist.
3.3
Vorliegend haben sowohl die Gemeinde als auch das Verwaltungsgericht bereits eine Überprüfung der geltenden Zonenordnung im Gebiet Quarta Morta abgelehnt. Insofern beschränkt sich auch die nachfolgende Prüfung auf die Voraussetzungen der ersten Stufe.
4.
Zu prüfen ist zunächst, ob sich die Verhältnisse seit Erlass der geltenden Nutzungsordnung erheblich verändert haben.
4.1
Die Gemeinde und das Verwaltungsgericht verneinten dies. Durch die Annahme der Zweitwohnungsinitiative hätten sich zwar die Rahmenbedingungen geändert. Die Annahme der Beschwerdeführerin, dass dadurch das Bedürfnis nach Wohnraum in Silvaplana beträchtlich zurückgehen werde, könne aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht belegt werden, zumal die Ausführungsgesetzgebung zu
Art. 75b BV
und
Art. 197 Ziff. 9 BV
noch nicht vorliege. Entsprechend sei noch nicht absehbar, unter welchen Umständen in der Gemeinde Silvaplana weiterhin gebaut werden dürfe bzw. mit welchen Einschränkungen infolge der Zweitwohnungsinitiative überhaupt gerechnet werden müsse. Das revidierte RPG werde erst im Frühjahr 2014 in Kraft treten und sei somit noch nicht verbindlich; seine Berücksichtigung im vorliegenden Verfahren wäre eine unzulässige Vorwirkung künftigen Rechts.
4.2
Die Beschwerdeführerin ist dagegen der Auffassung, dass die Auswirkungen der am 11. März 2012 angenommenen Zweitwohnungsinitiative auf den Wohnungsbau zumindest in groben Zügen bereits absehbar seien. Silvaplana sei mit einem Zweitwohnungsanteil von rund 70 % sehr stark auf den Zweitwohnungsbau ausgerichtet. Aufgrund des Zweitwohnungsverbots werde der Wohnraumbedarf massiv und dauernd zurückgehen. Auch für Erstwohnungen sei nach Aussage von Experten mit einem Rückgang der Nachfrage aufgrund des Verlusts von Arbeitsplätzen zu rechnen. Die Bauzonen der Gemeinde müssten daher redimensioniert werden (
Art. 15 lit. b RPG
).
4.3
Die Gemeinde Silvaplana ist eine Tourismusgemeinde im Engadin mit einem erheblichen Anteil von Zweitwohnungen. In den vergangenen Jahren bezog sich ein grosser Teil der Nachfrage auf solche Objekte. Sie wurde durch die 2008/2009 im Kreis Oberengadin eingeführten Bestimmungen zur Förderung von Erstwohnungen und
BGE 140 II 25 S. 31
zur Kontingentierung von Zweitwohnungen etwas gedrosselt, blieb aber dennoch auf hohem Niveau: Nach den von der Beschwerdeführerin zitierten und von der Gemeinde nicht bestrittenen Angaben des Bauamts Silvaplana wurden 2008-2010 jährlich durchschnittlich 930 m
2
BGF für Zweitwohnungen verwendet.
Am 11. März 2012 trat
Art. 75b BV
in Kraft. Dessen Abs. 1 sieht einen maximalen Anteil an Zweitwohnungen von 20 % vor. Da dieser Anteil in der Gemeinde Silvaplana bei Weitem überschritten ist, können bis zum Absinken des Zweitwohnungsanteils unter 20 % grundsätzlich keine neuen Zweitwohnungen mehr bewilligt werden. Zwar liegt das Ausführungsgesetz noch nicht vor, das streitige Fragen regeln soll (beispielsweise die Umnutzung bestehender Bauten und die Zulässigkeit touristisch bewirtschafteter Zweitwohnungen). Art. 75b Abs. 1 lässt jedoch für die Bewilligung neuer, privat genutzter Zweitwohnungen ("kalte Betten") kaum einen Spielraum (vgl.
BGE 139 II 243
E. 10.5 S. 256 zum "harten Kern" der Verfassungsnorm). Insofern ist mit einem erheblichen Rückgang der Wohnbaunachfrage zu rechnen. Dies hat zur Folge, dass die Wohnbaureserven der Gemeinde mit grosser Wahrscheinlichkeit überdimensioniert geworden sind und überprüft werden müssen.
Überdimensionierte Bauzonen sind bereits nach geltendem RPG (
Art. 15 lit. b RPG
) rechtswidrig und müssen redimensioniert werden (ständige Rechtsprechung, vgl.
BGE 117 Ia 302
E. 4b S. 307;
BGE 116 Ia 221
E. 3b S. 231,
BGE 116 Ia 328
E. 4b S. 331; je mit Hinweisen). Insofern spielt es keine Rolle, dass die in der Abstimmung vom 3. März 2013 angenommene RPG-Revision noch nicht in Kraft ist.
4.4
Zwar ist den Beschwerdegegnern einzuräumen, dass eine allfällige Redimensionierung der Bauzonen der Gemeinde nicht zwingend im Gebiet Quarta Morta vorzunehmen ist, sondern eine Gesamtschau aller Bauzonen voraussetzt. Für den Anspruch auf Überprüfung der Nutzungsordnung genügt es jedoch, dass eine Reduktion der baulichen Nutzungsmöglichkeiten im Gebiet Quarta Morta in Betracht fällt. Dies ist zu bejahen, handelt es sich doch um ein peripher gelegenes Gebiet, das erst teilweise überbaut, noch nicht vollständig erschlossen und mangels Quartierplanung auch planungsrechtlich noch nicht baureif ist.
5.
Zu prüfen ist noch, ob die Interessen der Rechtssicherheit und des Vertrauens in die Beständigkeit des Zonenplans und des GGP einer solchen Überprüfung entgegenstehen.
BGE 140 II 25 S. 32
5.1
Gemäss
Art. 15 RPG
umfassen Bauzonen Land, das sich für die Überbauung eignet und entweder weitgehend überbaut ist (lit. a) oder voraussichtlich innert 15 Jahren benötigt und erschlossen wird (lit. b). Nach Ablauf dieses Planungshorizonts sind die Bauzonen grundsätzlich einer Überprüfung zu unterziehen und nötigenfalls anzupassen. Je näher eine Planungsrevision dieser Frist kommt, desto geringer ist das Vertrauen auf die Beständigkeit des Plans; je neuer ein Plan ist, desto mehr darf mit seiner Beständigkeit gerechnet werden (
BGE 128 I 190
E. 4.2 S. 198 f.;
BGE 113 Ia 444
E. 5b S. 455; je mit Hinweisen).
5.2
Lage und Dimension der Bauzonen der Gemeinde Silvaplana gehen auf die erste Zonenplanung der Gemeinde 1976 zurück; sie wurden jedoch unter der Geltung des RPG mehrfach bestätigt. Die letzte Zonenplanrevision wurde am 14. November 2001 von der Gemeindeversammlung Silvaplana beschlossen und am 19. September 2002 von der Regierung genehmigt. Allerdings wurden die Bauzonen bei der Revision 2001/2002 nur marginal abgeändert (Anpassung an Waldfeststellungen, aktualisierte Parzellarvermessungen etc.) und der Stand der Überbauung, Erschliessung und Baureife (UEB) nicht erstellt, wie die Regierung in ihrem Genehmigungsbeschluss vom 18. September 2002 ausdrücklich festgehalten hat.
Ob deshalb bereits
Art. 15 lit. b RPG
eine umfassende Überprüfung des Zonenplans gebietet, wie die Beschwerdeführerin geltend macht, kann offenbleiben. Jedenfalls liegt die letzte Zonenplanrevision im Jahr 2001/2002 über zehn Jahre und damit geraume Zeit zurück.
5.3
Hinzu kommt, dass die Zonenplanung für das Gebiet Quarta Morta bislang noch kaum konkretisiert und nicht realisiert worden ist. Zwar wurde im GGP 2004 ein Baubereich festgelegt; dessen Überbauung und Erschliessung müssen aber noch durch einen Quartierplan konkretisiert werden. Solange dieser nicht vorliegt, ist das Gebiet nicht baureif.
Unter diesen Umständen sind die öffentlichen und privaten Interessen an der Beständigkeit der geltenden Zonenordnung nicht so gewichtig, dass sie eine Anpassung der Planung an die geänderten Verhältnisse von vornherein ausschliessen würden.
6.
Die Beschwerdeführerin hat somit einen Anspruch auf die Überprüfung der Zonenordnung. Zwar bezieht sich dieser Anspruch in erster Linie auf die benachbarten Parzellen. Deren planerisches Schicksal hängt jedoch untrennbar insbesondere mit demjenigen der übrigen Parzellen im Gebiet Quarta Morta zusammen, in dem nicht
BGE 140 II 25 S. 33
nur eine Quartierplanung, sondern auch eine Landumlegung vorgesehen ist. Es rechtfertigt sich daher, die Gemeinde antragsgemäss zu verpflichten, die geltende Nutzungsordnung im Gebiet Quarta Morta zu überprüfen.
Allerdings kann diese gebotene Prüfung nicht isoliert erfolgen, sondern sie setzt eine Gesamtsicht über alle Bauzonen der Gemeinde Silvaplana voraus (vgl. oben E. 4.4). Die Gemeinde wird daher überprüfen müssen, ob die geltenden Bauzonen, insbesondere unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Beschränkung des Zweitwohnungsbaus, überdimensioniert sind und wenn ja, welche Gebiete für eine Rückzonung in Betracht fallen. Dabei hat sie sich auf die vorhandenen Daten und bekannte Entwicklungen zu stützen. Soweit Unsicherheit besteht, sind plausible Schätzungen vorzunehmen. Die Gemeinde darf die Beurteilung des Gesuchs nicht unter Verweis auf offene Fragen (wie beispielsweise die noch ausstehenden Ausführungsbestimmungen zu
Art. 75b BV
und zu der am 3. März 2013 angenommenen RPG-Revision) über Gebühr hinausschieben oder einfach abweisen, wie im angefochtenen Entscheid geschehen. | public_law | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bfa3d33f-c490-422d-88ac-a1744a147c20 | Urteilskopf
117 IV 401
68. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 20 décembre 1991 dans la cause M. c. Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 269, 275 Abs. 5 und 277ter BStP
; Konnexität der staatsrechtlichen Beschwerde mit der Nichtigkeitsbeschwerde, kassatorische Natur.
Die Aufhebung des angefochtenen Entscheids im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde führt nicht notwendig zur Gegenstandslosigkeit der parallel dazu eingereichten Nichtigkeitsbeschwerde (E. 2).
Art. 63 StGB
. Strafzumessung; einheitliche Anwendung des Bundesrechts.
Sehr harte, im Hinblick auf den äusserst weiten gesetzlichen Strafrahmen ungenügend begründete Strafe (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 402
BGE 117 IV 401 S. 402
A.-
Le 11 octobre 1989, la Cour d'assises du canton de Genève a reconnu M. coupable de trois viols et l'a condamné à une peine de quinze ans de réclusion ainsi qu'à l'expulsion à vie du territoire suisse.
Les faits retenus à sa charge sont en bref les suivants.
Dans la nuit du 28 au 29 août 1987, un inconnu a violé T. après qu'elle eut quitté un autobus des transports publics et alors qu'elle regagnait son domicile, dans la campagne genevoise. Au cours de la nuit du 11 au 12 octobre 1987, K. a été violée dans des circonstances semblables, mais à un autre endroit de la campagne genevoise. Dans la nuit du 18 au 19 octobre 1987, B. a été violée alors qu'elle venait de quitter l'autobus, à 1 km d'un village genevois.
Le 23 octobre 1987, le chauffeur d'un autobus d'une ligne de campagne des transports publics genevois signala à la police, peu avant minuit, qu'une voiture le suivait, observant tous les arrêts. Le conducteur de ce véhicule privé a été interpellé. C'était M.
Au cours de l'enquête, K. a reconnu formellement M. comme étant celui qui l'avait violée. B. en a fait de même. Les analyses des empreintes génétiques ADN ont pratiquement établi que le sperme trouvé sur le slip de K. était celui de M. En revanche, T. s'est déclarée incapable de reconnaître formellement et absolument celui-ci comme l'homme qui l'avait violée. L'accusé n'a cessé de protester de son innocence.
B.-
Statuant le 19 mars 1991, la Cour de cassation du canton de Genève a rejeté le recours du condamné.
C.-
M. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il allègue une violation des art. 11, 18, 63 et 66 CP (méconnaissance d'un élément d'atténuation de la peine) et demande l'annulation de l'arrêt du 19 mars 1991.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le recours de droit public a conduit à l'annulation formelle de l'arrêt attaqué. L'état de fait relatif à deux des trois viols n'a cependant pas été jugé contraire aux droits constitutionnels du condamné; il lie les instances cantonales auxquelles la cause est renvoyée. Dans cette perspective, le recourant conserve un intérêt
BGE 117 IV 401 S. 403
juridique digne de protection à ce que ses moyens tirés du droit fédéral soient d'ores et déjà examinés, dans la mesure où ils concernent les deux crimes encore retenus à sa charge, cela malgré l'issue du recours de droit public (voir
ATF 104 IV 276
consid. 3).
4.
b) Dans le domaine de la fixation de la peine, l'autorité cantonale possède un large pouvoir d'appréciation. Celui-ci est cependant limité par le cadre légal de la sanction prévue pour l'infraction en cause et par l'interdiction de l'abus de ce pouvoir d'apprécier la culpabilité selon les critères prévus à l'
art. 63 CP
. Ainsi, un châtiment prononcé en application de ces critères ne viole le droit fédéral que s'il est exagérément sévère ou clément au point qu'on doive parler d'un excès du pouvoir d'appréciation (
ATF 116 IV 291
consid. b).
Afin que le Tribunal fédéral, saisi d'un pourvoi en nullité, soit en mesure de contrôler si la peine a été fixée conformément aux règles précitées, l'autorité cantonale doit énoncer les éléments importants qui ont dicté sa décision. Plus large est la marge d'appréciation, plus détaillée doit être la motivation (
ATF 116 IV 291
consid. c). Cela vaut en particulier lorsque la sanction prononcée s'écarte de celles habituellement fixées dans des cas comparables; le Tribunal fédéral doit veiller à une application uniforme du droit fédéral également dans ce domaine (
ATF 117 IV 117
consid. cc).
c) En l'espèce, le cadre légal de la peine était extrêmement large; il se situait de moins d'une année d'une peine privative de liberté (sans parler d'une amende concevable par le jeu de l'
art. 66 CP
) à vingt ans de réclusion. La sanction de quinze ans de réclusion prononcée contre le recourant est proche de la limite supérieure de ce cadre. Cela ne correspond pas à la pratique ordinaire. Ce châtiment, comparable à ceux que l'on observe en cas de meurtre, voire d'assassinat, doit être qualifié d'extrêmement sévère. Il apparaît plus rigoureux encore au regard de la responsabilité restreinte, incontestée. Une telle peine ne saurait être prononcée qu'en présence de circonstances aggravantes manifestes et choquantes.
d) Les circonstances aggravantes sont apparemment ici la récidive (puisqu'il semble que le condamné ait purgé récemment une peine privative de liberté en France) et le concours d'infractions. Les instances cantonales ne donnent pas de détails à ce sujet, mais la cour d'assises cite, en tête de la motivation de la peine, les
art. 67 et 68 CP
. En revanche, cette autorité relève la dangerosité du condamné ainsi que le caractère extrêmement grave, lâche et odieux de ses actes, son attitude négative, voire agressive, durant
BGE 117 IV 401 S. 404
l'instruction et notamment ses dénégations, sans toutefois préciser les raisons de ces appréciations. En fonction de ces éléments, la première instance parvient à la conclusion "qu'une peine très sévère s'impose et que même après avoir tenu compte de la responsabilité restreinte de l'intéressé dans le cadre de l'
art. 63 CP
, il apparaît que la peine requise par le Ministère public est justifiée".
Faute de mention des arguments présentés alors par le Ministère public et vu le caractère de simple affirmation de la nécessité d'une peine sévère, le Tribunal fédéral n'est pas en mesure de vérifier ici la conformité de la quotité de la peine avec les principes du droit fédéral (
ATF 116 IV 300
). Les critères énumérés dans l'arrêt attaqué ne suffisent en effet pas pour justifier une peine aussi sévère, compte tenu surtout de la marge d'appréciation extrêmement large laissée au juge.
Ainsi, la décision attaquée doit être annulée en application de l'
art. 277 PPF
. | null | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bfa584ea-87fb-4646-95c8-3290871201a0 | Urteilskopf
136 IV 201
28. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau gegen Y. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_382/2010 vom 16. Juli 2010 | Regeste
Verfütterung von Hanf an Nutztiere (
Art. 48 Abs. 1 lit. b LMG
, Art. 159a und 173 Abs. 1 lit. i zweite Hälfte LwG; Art. 1 Abs. 2 lit. a, Art. 23a Abs. 1 und Art. 23b Abs. 3 lit. a der Futtermittel-Verordnung; Art. 18 der Futtermittelbuch-Verordnung; Teil 2 lit. l des Anhangs 4 zur Futtermittelbuch-Verordnung).
Das Verbot der Verfütterung von Hanf an Nutztiere ist auch insoweit rechtmässig, als es die Verfütterung von selbst produziertem Hanf an die eigenen Nutztiere betrifft. Die Missachtung dieses Verbots kann die Tatbestände von
Art. 48 Abs. 1 lit. b LMG
und Art. 173 Abs. 1 lit. i zweite Hälfte LwG erfüllen (E. 1). | Erwägungen
ab Seite 202
BGE 136 IV 201 S. 202
Aus den Erwägungen:
1.
Nach
Art. 18 der Verordnung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements vom 10. Juni 1999 über die Produktion und das Inverkehrbringen von Futtermitteln, Zusatzstoffen für die Tierernährung, Silierungszusätzen und Diätfuttermitteln (Futtermittelbuch-Verordnung, FMBV; SR 916.307.1)
werden die Stoffe, die als Futtermittel verboten sind, in Anhang 4 aufgeführt. Gemäss Teil 2 lit. l des Anhangs 4 zur Futtermittelbuch-Verordnung dürfen Hanf oder Produkte davon in jeder Form oder Art weder zur Produktion von Futter für Nutztiere noch als Futter für Nutztiere in Verkehr gebracht oder an Nutztiere verfüttert werden. Die Futtermittelbuch-Verordnung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements stützt sich unter anderem auf
Art. 23a Abs. 1 und
Art. 23b Abs. 3 der Verordnung des Bundesrates vom 26. Mai 1999 über die Produktion und das Inverkehrbringen von Futtermitteln (Futtermittel-Verordnung; SR 916.307)
. Die Futtermittel-Verordnung regelt die Einfuhr, das Inverkehrbringen und die Produktion von Futtermitteln für Nutztiere und Heimtiere (Art. 1 Abs. 1). Sie gilt nicht unter anderem für Ausgangsprodukte, die in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf produziert werden, soweit nichts anderes bestimmt ist (Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung). Art. 23a der Futtermittel-Verordnung, eingefügt durch Verordnung vom 26. November 2003, in Kraft seit 1. Januar 2004 (AS 2003 4927), regelt das "Verwendungsverbot". Nach Art. 23a Abs. 1 der Futtermittel-Verordnung kann das Departement die Stoffe festlegen, deren Verwendung als Futtermittel verboten ist. Art. 23b der Futtermittel-Verordnung, eingefügt durch Verordnung vom 23. November 2005, in Kraft seit 1. Januar 2006 (AS 2005 5555), regelt die "Anforderungen an die Verwendung". Gemäss Art. 23b Abs. 3 der Futtermittel-Verordnung kann das Departement Bestimmungen erlassen über (a) die Produktion von Futtermitteln in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf; (b) die Verwendung von Futtermitteln.
(...)
1.3
Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung vom 26. Mai 1999 bestimmte in seiner ursprünglichen Fassung Folgendes: "Die Verordnung gilt nicht für alle auf landwirtschaftlichen Betrieben anfallenden Ausgangsprodukte und Einzelfuttermittel, soweit sie nicht in Verkehr gebracht werden" (AS 1999 1780). Das Bundesgericht entschied im Urteil 6B_927/2008 vom 2. Juni 2009 (E. 6), dass
BGE 136 IV 201 S. 203
Hanfpflanzen, welche ein Landwirt zum Zwecke der Verfütterung an seine eigenen Nutztiere produziert, erntet und in einer Grastrocknungsanlage zu Hanffutterwürfeln verarbeiten lässt, nicht im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung in der ursprünglichen Fassung vom 26. Mai 1999 "auf landwirtschaftlichen Betrieben
anfallende
Ausgangsprodukte und Einzelfuttermittel" sind.
Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung in seiner ursprünglichen Fassung wurde entgegen einer Bemerkung im Bundesgerichtsurteil 6B_927/2008 vom 2. Juni 2009 (E. 6) nicht erst durch Verordnung vom 25. Juni 2008, in Kraft seit 1. September 2008 (AS 2008 3655), geändert. Die Bestimmung wurde vielmehr bereits durch Verordnung vom 23. November 2005, in Kraft seit 1. Januar 2006 (AS 2005 5555), revidiert. Das Bundesgericht hat diese Änderung, die auch in der Internet-Version der Systematischen Sammlung des Bundesrechts betreffend die Futtermittel-Verordnung in der Rubrik "Änderungen/Aufhebungen", offenbar aus Versehen, nicht angezeigt wird, im genannten Entscheid übersehen. Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung in der Fassung gemäss Verordnung vom 23. November 2005, in Kraft seit 1. Januar 2006, lautete wie folgt: "Die Verordnung gilt nicht für Ausgangserzeugnisse und Futtermittel, die in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf produziert werden, soweit nichts anderes bestimmt ist" (AS 2005 5555). Diese Bestimmung wurde durch Verordnung vom 25. Juni 2008, in Kraft seit 1. September 2008, lediglich redaktionell leicht modifiziert, indem die Formulierung "Ausgangserzeugnisse und Futtermittel" durch den Begriff "Ausgangsprodukte" ersetzt wurde (AS 2008 3655). Das Bundesgericht hätte mithin im Urteil 6B_927/2008 vom 2. Juni 2009, der einen Fall des Anbaus von Hanf im Jahre 2006 zwecks Verfütterung an die eigenen Nutztiere betraf, die darin offengelassenen Fragen entscheiden müssen, ob der Landwirt, der Hanf zwecks Verfütterung an seine Nutztiere produziert, im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung, in der bereits seit 1. Januar 2006 geltenden Fassung, Futtermittel für den Eigenbedarf produziert, und welche Konsequenzen sich gegebenenfalls daraus insoweit in Bezug auf die Gültigkeit des in der Futtermittelbuch-Verordnung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements seit 1. März 2005 statuierten allgemeinen Verbots der Verfütterung von Hanf an Nutztiere ergeben, das sich auf die Futtermittel-Verordnung des Bundesrates stützt. Diese Fragen sind im vorliegenden Verfahren zu entscheiden.
BGE 136 IV 201 S. 204
1.4
1.4.1
Art. 23a der Futtermittel-Verordnung wurde durch Verordnung vom 26. November 2003, in Kraft seit 1. Januar 2004, eingefügt. In jenem Zeitpunkt sah Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung, entsprechend seiner ursprünglichen Fassung gemäss Verordnung vom 26. Mai 1999, noch vor, dass die Verordnung nicht galt für alle auf landwirtschaftlichen Betrieben anfallenden Ausgangsprodukte und Einzelfuttermittel, soweit sie nicht in Verkehr gebracht wurden. Insoweit war, wovon auch die Beschwerdeführerin auszugehen scheint, Art. 23a der Futtermittel-Verordnung nicht anwendbar und konnte somit das Departement nicht gestützt auf Art. 23a Abs. 1 der Futtermittel-Verordnung Verwendungsverbote erlassen. Nach der Auffassung der Beschwerdeführerin hat sich aber der Anwendungsbereich von Art. 23a der Futtermittel-Verordnung mit der Revision von Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung durch Verordnung vom 23. November 2005, in Kraft seit 1. Januar 2006, erweitert. Die Beschwerdeführerin sieht in Art. 23a Abs. 1 der Futtermittel-Verordnung eine Vorschrift, durch welche im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung in der seit 1. Januar 2006 in Kraft stehenden, revidierten Fassung etwas "anderes bestimmt" ist.
1.4.2
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Art. 23a Abs. 1 der Futtermittel-Verordnung trat zwei Jahre vor der Revision von Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung in Kraft und wurde im Rahmen der Revision der letztgenannten Bestimmung nicht geändert. Soweit eine Vorschrift der Futtermittel-Verordnung abweichend vom Grundsatz gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung ausnahmsweise auch für Ausgangsprodukte, die in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf produziert werden, gelten soll, muss dies in der Vorschrift klar bestimmt sein. Art. 23a Abs. 1 der Futtermittel-Verordnung, dessen Wortlaut seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2004 unverändert geblieben ist, sieht aber nicht vor, dass das Departement die Verwendung bestimmter Stoffe als Futtermittel auch verbieten kann, soweit die Futtermittel in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf produziert werden. Art. 23a Abs. 1 der Futtermittel-Verordnung unterscheidet sich darin wesentlich von Art. 23b Abs. 3 lit. a der Futtermittel-Verordnung, der - im Sinne einer Ausnahme gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung - explizit vorsieht, dass das Departement Bestimmungen über die Produktion von Futtermitteln in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf erlassen kann.
BGE 136 IV 201 S. 205
1.4.3
Die Futtermittel-Verordnung ist, unter Vorbehalt abweichender Bestimmungen, gemäss ihrem Art. 1 Abs. 2 lit. a in der seit 1. Januar 2006 geltenden Fassung nicht anwendbar auf Ausgangsprodukte beziehungsweise Futtermittel, die in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf produziert werden. Massgebend ist somit, dass das
Futtermittel
für den Eigenbedarf bestimmt ist. Diese in Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung genannte Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn die aus den Nutztieren gewonnenen
Lebensmittel
(Fleisch, Milch etc.) ihrerseits nicht ebenfalls für den Eigenbedarf des Landwirts, sondern dazu bestimmt sind, in Verkehr gebracht zu werden.
1.4.4
Das in Teil 2 lit. l des Anhangs 4 zur Futtermittelbuch-Verordnung allgemein statuierte Verbot der Verfütterung von Hanf an Nutztiere kann somit nicht auf Art. 23a Abs. 1 der Futtermittel-Verordnung gestützt werden, soweit der Landwirt selbst produzierten Hanf an seine Nutztiere verfüttert. An der Rechtsprechung kann daher nicht festgehalten werden, soweit darin die Auffassung vertreten wurde, das Verbot der Verfütterung von Hanf an Nutztiere lasse sich uneingeschränkt und somit auch im Falle der Verfütterung von selbst produziertem Hanf an die eigenen Nutztiere auf Art. 23a Abs. 1 der Futtermittel-Verordnung stützen.
1.5
Die Futtermittel-Verordnung sieht indessen in Art. 23b ("Anforderungen an die Verwendung") vor, dass das Departement Bestimmungen erlassen kann über die Produktion von Futtermitteln in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf. Art. 23b der Futtermittel-Verordnung nimmt Bezug auf Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung. Dies ergibt sich auch daraus, dass Art. 23b der Futtermittel-Verordnung durch dieselbe Verordnung vom 23. November 2005, in Kraft seit 1. Januar 2006, eingefügt wurde, durch welche Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung in dem Sinne geändert wurde, dass die Verordnung nicht gilt für die Produktion von Futtermitteln für den Eigenbedarf, soweit nichts anderes bestimmt wird. Art. 23b der Futtermittel-Verordnung hat seine formellgesetzliche Grundlage wie Art. 23a der Futtermittel-Verordnung in Art. 159a des Landwirtschaftsgesetzes vom 29. April 1998 (LwG; SR 910.1), wonach der Bundesrat Vorschriften über die Verwendung von Produktionsmitteln erlassen und insbesondere die Verwendung von Produktionsmitteln beschränken oder verbieten kann. Wenn gemäss Art. 23b Abs. 3 lit. a der Futtermittel-Verordnung das Departement Bestimmungen über die Produktion von Futtermitteln in einem Landwirtschaftsbetrieb
BGE 136 IV 201 S. 206
für den Eigenbedarf erlassen kann, so ist es dem Departement gestützt auf diese Delegationsnorm auch unbenommen, die Produktion von Hanf als Futtermittel in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf und damit
a fortiori
auch die Verfütterung von selbst produziertem Hanf an die eigenen Nutztiere zu verbieten. Daran vermag nichts zu ändern, dass Art. 23b der Futtermittel-Verordnung laut seinem Randtitel im Unterschied zu Art. 23a der Futtermittel-Verordnung nicht ein "Verwendungsverbot", sondern "Anforderungen an die Verwendung" regelt. Massgebend ist nicht in erster Linie der Randtitel, sondern der Inhalt einer Bestimmung. Der Randtitel von Art. 23b der Futtermittel-Verordnung ("Anforderungen an die Verwendung") ist ohnehin ungenau. Denn Bestimmungen über die Produktion von Futtermitteln für den Eigenbedarf, welche das Departement gemäss Art. 23b Abs. 3 lit. a der Futtermittel-Verordnung erlassen kann, betreffen nicht im eigentlichen Sinne "Anforderungen an die Verwendung".
1.6
Es ist kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, dass lediglich die Verfütterung von nicht selbst produziertem Hanf und nicht auch die Verfütterung von in einem Landwirtschaftsbetrieb selbst produziertem Hanf an die eigenen Nutztiere verboten sein soll. In Anbetracht des Zwecks des Hanfverfütterungsverbots, der darin besteht, dass Lebensmittel unter anderem aus Gründen des Gesundheitsschutzes frei von THC sein sollen, kann es keinen Unterschied machen, ob der Landwirt den an seine Nutztiere verfütterten Hanf von einem Dritten bezogen oder selbst produziert hat.
1.7
Zusammenfassend ergibt sich somit Folgendes. Das uneingeschränkte Verbot der Verfütterung von Hanf an Nutztiere gemäss Teil 2 lit. l des Anhangs 4 zur Futtermittelbuch-Verordnung kann, soweit der Landwirt selbst produzierten Hanf an seine eigenen Nutztiere verfüttert, nicht auf Art. 23a Abs. 1 der Futtermittel-Verordnung gestützt werden, da diese Bestimmung in Anbetracht von Art. 1 Abs. 2 lit. a der Futtermittel-Verordnung in der seit 1. Januar 2006 geltenden Fassung auf die Produktion von Futtermitteln in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf gar nicht anwendbar ist. Das Verbot lässt sich aber auf Art. 23b Abs. 3 lit. a der Futtermittel-Verordnung in der seit 1. Januar 2006 geltenden Fassung stützen, wonach der Bundesrat Bestimmungen über die Produktion von Futtermitteln in einem Landwirtschaftsbetrieb für den Eigenbedarf erlassen kann. Das Verbot der Verfütterung von Hanf an Nutztiere hat somit, soweit es um selbst produzierten Hanf für die eigenen
BGE 136 IV 201 S. 207
Nutztiere geht, eine ausreichende gesetzliche Grundlage in Art. 23b Abs. 3 lit. a der Futtermittel-Verordnung und
Art. 159a LwG
und ist rechtmässig. Die Rechtsprechung ist daher im Ergebnis zu bestätigen.
1.8
Die Verfütterung von selbst produziertem Hanf an die eigenen Nutztiere stellt im Sinne von Art. 48 Abs. 1 lit. b des Lebensmittelgesetzes vom 9. Oktober 1992 (LMG; SR 817.0) eine Anwendung von verbotenen Stoffen bei der landwirtschaftlichen Produktion zwecks Herstellung von Lebensmitteln sowie im Sinne des am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Art. 173 Abs. 1 lit. i zweite Hälfte LwG eine Nichteinhaltung einer nach
Art. 159a LwG
erlassenen Vorschrift dar.
1.9
Der Freispruch des Beschwerdegegners von den Vorwürfen der Widerhandlung im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 lit. b LMG
und Art. 173 Abs. 1 lit. i zweite Hälfte LwG sowie die Herausgabe der beschlagnahmten Hanffutterwürfel an den Beschwerdegegner können demnach nicht damit begründet werden, dass die Verfütterung von selbst produziertem Hanf an die eigenen Nutztiere nicht rechtsgültig verboten ist. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bfabafb1-6a5f-45e7-a71d-ffa2b4173828 | Urteilskopf
100 III 73
19. Auszug aus dem Entscheid vom 29. März 1974 i.S. Tuchfabrik Escholzmatt AG | Regeste
Revision bundesgerichtlicher Entscheide.
Der Revisionsgrund von
Art. 136 lit. d OG
kann auch dann gegeben sein, wenn das Bundesgericht eine in den Akten liegende erhebliche Tatsache nicht infolge eines eigenen Versehens, sondern deshalb nicht berücksichtigt, weil die kantonale Behörde ein Aktenstück, das sie ihm hätte einsenden sollen, zurückbehalten hat. | Sachverhalt
ab Seite 73
BGE 100 III 73 S. 73
Aus dem Tatbestand:
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer trat am 17. Oktober 1973 auf einen Rekurs gegen den Entscheid einer kantonalen Aufsichtsbehörde nicht ein, weil die Rekursschrift nicht unterschrieben war. Sie bemerkte dabei in ihren Erwägungen:
BGE 100 III 73 S. 74
"Es fehlt auch ein Begleitbrief, der die Unterschrift der Rekurrentin oder ihres Vertreters tragen würde, was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die Heilung des Formmangels zur Folge hätte (
BGE 83 II 514
Erw. 1)."
Am 11. November 1973 ersuchte die Rekurrentin das Bundesgericht um Revision dieses Entscheides, weil sie ihren Rekurs der Vorinstanz entgegen der Annahme des Bundesgerichts mit einem von ihr unterzeichneten Begleitschreiben zur Weiterleitung an das Bundesgericht eingereicht habe. Eine Erkundigung bei der Vorinstanz ergab die Richtigkeit dieser Darstellung. Deshalb wurde das Revisionsgesuch geschützt und der Entscheid vom 17. Oktober 1973 aufgehoben.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Revision eines bundesgerichtichen Entscheides ist nach
Art. 136 lit. d OG
zulässig, wenn das Gericht in den Akten liegende erhebliche Tatsachen aus Versehen nicht berücksichtigt hat.
Der von der Rekurrentin unterzeichnete Begleitbrief zum Rekurs vom 6. Oktober 1973, auf den das Bundesgericht am 17. Oktober 1973 wegen Nichtunterzeichnung der Rekursschrift und Fehlens eines unterzeichneten Begleitbriefs nicht eintrat, lag dem Bundesgericht nicht vor, als es seinen Nichteintretensentscheid fällte. Die Akten, die dem Bundesgericht damals vorlagen, enthielten auch keinen Hinweis auf diesen Begleitbrief. Bei streng wörtlicher Auslegung von
Art. 136 lit. d OG
lässt sich daher nicht sagen, das Bundesgericht habe diesen Begleitbrief, der nach
BGE 83 II 514
Erw. 1 zum Eintreten auf den Rekurs geführt hätte, "aus Versehen nicht berücksichtigt" (vgl. zum allgemeinen Sinn dieser Wendung
BGE 96 I 280
Erw. 3 mit Hinweisen).
Die kantonale Aufsichtsbehörde, bei welcher die Rekurrentin ihren Rekurs vom 6. Oktober 1973 gemäss
Art. 78 Abs. 1 OG
zur Weiterleitung an das Bundesgericht eingereicht hatte, hätte jedoch der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts mit der Rekursschrift und den Akten des kantonalen Beschwerdeverfahrens auch den erwähnten, an sie gerichteten Begleitbriefübermitteln sollen; denn nach
Art. 80 Abs. 1 OG
hat die kantonale Aufsichtsbehörde dieser Kammer ausser den Rekursschriften und deren Beilagen "sämtliche Akten" einzusenden.
BGE 100 III 73 S. 75
Behält die kantonale Instanz ein Aktenstück zurück, weil sie es übersieht oder irrtümlich nicht zu den einzusendenden Akten rechnet, und entdeckt das Bundesgericht diesen Mangel nicht, so darf daraus der Partei, zu deren Ungunsten dieser Umstand den Entscheid des Bundesgerichts beeinflusst, kein Nachteil entstehen. Vielmehr muss dieser Partei die Revision des bundesgerichtlichen Entscheids wegen Nichtberücksichtigung einer in den Akten liegenden erheblichen Tatsache offen stehen, wie wenn ein eigenes Versehen des Bundesgerichts an der Nichtberücksichtigung des betreffenden Aktenstücks schuld wäre (
BGE 42 II 76
f. Erw. 2; BIRCHMEIER, N. 5 b zu
Art. 136 OG
; FORNI, Svista manifesta, fatti nuovi e prove nuove nella procedura di revisione davanti al Tribunale federale, in Festschrift Max Guldener, 1973, S. 83 ff., 92 f. und 89, zweitletzter Absatz von Anm. 15). Das muss zum mindesten dann gelten, wenn die benachteiligte Partei im frühern Verfahren die kantonalen Akten bei Ausarbeitung ihrer Rechtsschrift an das Bundesgericht nicht vor sich hatte oder aus einem andern Grunde nicht in der Lage war, die kantonale Instanz oder das Bundesgericht auf die Unvollständigkeit der Akten aufmerksam zu machen und so den Beizug des fehlenden Aktenstücks zu erwirken (vgl. FORNI, a.a.O. S. 94 vor lit. c, der in Frage stellt, ob im gegenteiligen Falle als Revisionsgrund geltend gemacht werden könne, die Plaidoyernotizen, welche der Revisionskläger als Zusammenfassung der mündlichen Vorträge im Sinne von Art. 51 Abs. 1 lit. b Abs. 2 OG behandelt wissen möchte, hätten dem Bundesgericht im frühern Verfahren nicht vorgelegen und die Akten seien deshalb unvollständig gewesen).
Die Voraussetzungen, unter denen hienach wegen Unvollständigkeit der dem Bundesgericht eingesandten Akten die Revision nach
Art. 136 lit. d OG
zu bewilligen ist, sind im vorliegenden Falle erfüllt. Die Rekurrentin, die vor Erhalt des Entscheides vom 17. Oktober 1973 nicht wissen konnte, dass ihr Begleitbrief zum Rekurs an das Bundesgericht nicht bei den diesem eingesandten Akten lag, hat das Revisionsgesuch innert der 30tägigen Frist von
Art. 141 Abs. 1 lit. a OG
in einer den Anforderungen von
Art. 140 OG
genügenden Form gestellt. Daher ist der Nichteintretensentscheid vom 17. Oktober 1973 aufzuheben und der Rekurs vom 6. Oktober 1973 materiell zu behandeln. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
bfad1d9b-f0cd-4744-a6be-1ba2e2d0ce7a | Urteilskopf
117 Ib 387
47. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Dezember 1991 i.S. EFOS Flight Charter AG gegen Staat Zürich, BAZL u. EVED (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 31 BV
, Art. 27 Abs. 2, 39 Abs. 5 lit. b und 31 Abs. 1 der Verordnung vom 14. November 1973 über die Luftfahrt (LFV); Benützungsrechte an einem Flughafen zum Betrieb einer höheren Schule für Motorflieger.
1. Der Begriff des "öffentlichen Luftverkehrs" nach Art. 39 Abs. 5 lit. b in Verbindung mit
Art. 31 Abs. 1 LFV
ist nicht nach dem Zweck des Fluges, sondern nach dem Benutzerkreis des Flugplatzes abzugrenzen (E. 5).
2. Aus
Art. 31 BV
erwächst kein Anspruch auf einen "gesteigerten Anstaltsgebrauch" (E. 6c). Durch den Konzessionär zu berücksichtigende Grundsätze bei der Einräumung von Benützungsrechten (E. 6d).
3. Nutzungsrechte nach
Art. 115 Abs. 1 lit. g LFV
umfassen nicht auch solche im Sinne von
Art. 27 Abs. 2 LFV
, selbst wenn lediglich eine höhere Schule für Motorflieger betrieben werden soll (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 388
BGE 117 Ib 387 S. 388
Die EFOS Flight Charter AG (im folgenden: EFOS Flight), welche bereits über eine Bewilligung für gewerbsmässige Flüge verfügt, die nicht der Beförderung von Personen und Sachen auf regelmässig beflogenen Luftverkehrslinien dienen (vgl. Art. 114 f. der Verordnung vom 14. November 1973 über die Luftfahrt, LFV; SR 748.01), bemüht sich um eine zusätzliche Bewilligung zum Betrieb einer höheren Schule für Motorflieger (Instrumentenflug-, Nachtflug- und Radiotelefonieausbildung). Das Bundesamt für Zivilluftfahrt lehnte ein entsprechendes Gesuch am 29. Mai 1987 ab, weil die EFOS Flight nicht nachweisen könne, dass gemäss
Art. 27 Abs. 2 LFV
"auf einem geeigneten Flugplatz Benützungsrechte" bestünden.
Dagegen erhob die EFOS Flight am 24. Juni 1987 Verwaltungsbeschwerde an das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement. Sie machte geltend, ihr stünden sowohl am Flugplatz Basel-Mülhausen wie an jenem von Friedrichshafen Benützungsrechte im Sinne von
Art. 27 Abs. 2 LFV
zu. In der Vernehmlassung zur Stellungnahme des Bundesamtes berief sich die EFOS Flight neu auch darauf, dass sie am Flughafen Zürich-Kloten über solche Rechte verfüge. Die Direktion der Volkswirtschaft des Kantons Zürich hatte ein entsprechendes Gesuch am 18. Mai 1987 aber ausdrücklich abgewiesen; diesen Entscheid bestätigte der Regierungsrat am 6. Juli 1988 auf Rekurs hin.
Am 28. April 1988, noch im Laufe des Beschwerdeverfahrens, erteilte das Bundesamt für Zivilluftfahrt der EFOS Flight die beantragte Bewilligung. Es erachtete neu die Benützungsrechte für die Schulungstätigkeit als erteilt, weil die EFOS Flight in Zürich-Kloten über Rechte für den Betrieb einer Basis des gewerbsmässigen Luftverkehrs verfüge. Das Departement schrieb hierauf das Beschwerdeverfahren als gegenstandslos geworden ab.
Gegen die Bewilligung zum Betrieb der Schule führte der Halter des Flughafens Zürich-Kloten, der Kanton Zürich, am 27. Mai 1988 Verwaltungsbeschwerde, welche das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement am 25. September 1990 guthiess. Die von der EFOS Flight hiergegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ab aus folgenden
BGE 117 Ib 387 S. 389
Erwägungen
Erwägungen:
4.
a) Nach Art. 33 des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 1948 über die Luftfahrt (Luftfahrtgesetz, LFG; SR 748.0) bedürfen die gewerbsmässige Ausführung von Flügen aller Art, die nicht der Beförderung von Personen und Gütern auf regelmässig beflogenen Luftverkehrslinien dienen (
Art. 27 LFG
), sowie der Betrieb von Schulen für die Ausbildung von Luftfahrtpersonal einer besonderen Bewilligung des Eidgenössischen Luftamtes, des heutigen Bundesamtes für Zivilluftfahrt (vgl. auch
Art. 26 LFV
).
Art. 27 LFV
, der die Voraussetzung zur Erteilung einer Schulungsbewilligung regelt, lautet:
1 Die Bewilligung für die Ausbildung von Luftfahrtpersonal wird erteilt,
wenn der Bewerber nachweist, dass eine Betriebsorganisation mit
ausgewiesenen Lehrkräften, technischem Personal, Einrichtungen, Unterlagen
und Unterrichtsräumen eine zweckmässige Ausbildung gewährleistet.
2 Für die Ausbildung von Flugpersonal hat der Bewerber ausserdem
nachzuweisen, dass er über geeignete und ordnungsgemäss gewartete, im
schweizerischen Luftfahrzeugregister eingetragene Luftfahrzeuge verfügt
und dass auf einem geeigneten Flugplatz Benützungsrechte bestehen.
3 Das Eidgenössische Luftamt kann Weisungen erteilen über besondere
Anforderungen, die für bestimmte Ausbildungstätigkeiten zu erfüllen sind.
4 Die Organisation, die Ausbildungsprogramme und das Betriebsreglement
der Schule unterliegen der Genehmigung durch das Eidgenössische Luftamt.
5 Die Bewilligung wird für eine bestimmte Zeitdauer erteilt und kann auf
Gesuch erneuert werden. Sie ist nicht übertragbar.
b) Im vorliegenden Verfahren umstritten ist die Frage, ob die Beschwerdeführerin über Benützungsrechte an einem geeigneten Flugplatz nach Abs. 2 dieser Bestimmung verfügt, nachdem ihr auf dem Flughafen Zürich-Kloten bereits Benützungsrechte gemäss
Art. 115 Abs. 1 lit. g LFV
für gewerbsmässige Flüge, die nicht der Beförderung von Personen und Sachen auf regelmässig beflogenen Luftverkehrslinien dienen, eingeräumt worden sind und sie geltend macht, die vorgesehene höhere Flugschule gestützt hierauf und im Rahmen einer gewöhnlichen dem Zulassungszwang unterworfenen Flughafenbenützung betreiben zu können.
5.
Vorab ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang auf Flughäfen, insbesondere jenem von Zürich-Kloten, für den Luftverkehr überhaupt ein Zulassungszwang besteht. Beschränkt sich ein solcher, wie verschiedentlich im Verfahren geltend gemacht, lediglich auf den "öffentlichen Luftverkehr", und fällt der Instrumentenschulflug
BGE 117 Ib 387 S. 390
nicht unter diesen Begriff, so erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der weiteren Argumentation der Beschwerdeführerin, sie könne im Rahmen der zulassungspflichtigen Nutzung des Flughafens auch gegen den Willen des Kantons Zürich ihre Flugschule betreiben.
a) Das eidgenössische Luftfahrtrecht kennt eine Zweiteilung der Flugplätze in solche, die dem öffentlichen Verkehr dienen, und alle andern (vgl.
Art. 37 Abs. 1 und 2 LFG
), wobei die erste Kategorie als Flughäfen, die zweite als Flugfelder bezeichnet wird (
Art. 31 LFV
). Der Bau und der Betrieb eines Flughafens bedürfen einer Konzession des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartementes (
Art. 36 Abs. 1 LFV
). In die Konzessionsbestimmungen ist insbesondere die Pflicht des Konzessionärs aufzunehmen, den Flughafen für die in der Konzession beschriebenen Benützungsarten des öffentlichen Luftverkehrs zur Verfügung zu stellen und die Voraussetzungen für eine geordnete Benützung zu schaffen (
Art. 39 Abs. 5 lit. b LFV
). Für Flugfelder besteht kein Zulassungszwang. Die Bewilligung kann aber gegen Entschädigung mit Auflagen zugunsten der Luftfahrt verbunden werden (
Art. 44 Abs. 4 LFV
).
Der Kanton Zürich betreibt als Konzessionär des Bundes einen Flughafen. Nach Art. 2 Abs. 1 der Konzession vom 20. Oktober 1951 für den Betrieb des interkontinentalen Flughafens Zürich ist er als Halter verpflichtet, den Flughafen im Rahmen der allgemeinen Vorschriften über den Luftverkehr und der Konzession für die Benützung mit allen im internen und internationalen Luftverkehr zugelassenen Luftfahrzeugen zur Verfügung zu stellen, für die Abgabe von Betriebsstoffen für Luftfahrzeuge zu sorgen und die Aufnahme und Abgabe von Ladung zu dulden.
Daraus ergibt sich, dass Zweck des Flughafens in erster Linie die freie Benützung der Anlagen zum Starten und Landen und den damit verbundenen Vorkehren ist. Der Flughafen soll dem "Publikum als öffentlicher Verkehrsweg" dienen (MARTIN KÖPFLI, Schweizerisches Flugplatzrecht, Diss. Zürich 1947, S. 79). Dieser primäre durch den Zulassungszwang sichergestellte Anstaltszweck wurde früher deutlicher hervorgehoben, wenn jeder konzessionierte Flugplatz dem Luftverkehr offenstehen sollte, soweit es sich handelte "... um eine Zwischenlandung irgendeines zum Verkehr im schweizerischen Luftraum zugelassenen Flugzeuges, verbunden mit der Aufnahme oder Abgabe von Ladung, oder um eine Zwischenlandung wegen Luftnot" (Entwurf des Luftamtes vom
BGE 117 Ib 387 S. 391
28. April 1928 über die "Konzessionsbedingungen für Flugplätze, die dem öffentlichen Verkehr geöffnet sind", zitiert nach MARTIN KÖPFLI, a.a.O., S. 79/80).
b) Zum selben Resultat führt ein Blick auf die von der Schweiz eingegangenen internationalen Verpflichtungen sowie auf Art. 8 des Luftfahrtgesetzes.
aa) Nach Art. 5 des Übereinkommens vom 7. Dezember 1944 über die internationale Luftfahrt (AS 1971 1305; Abkommen von Chicago) hat sich die Schweiz damit einverstanden erklärt, alle nicht im internationalen Fluglinienverkehr eingesetzten Luftfahrzeuge der anderen Vertragsstaaten in ihr Hoheitsgebiet einfliegen und es ohne Landung überfliegen zu lassen sowie nichtgewerbliche Landungen solcher Flugzeuge zu dulden, ohne dass vorher eine Genehmigung eingeholt werden müsste, unter der Bedingung, dass die Bestimmungen des Übereinkommens beachtet werden. Wenn solche Luftfahrzeuge ausserhalb des internationalen Fluglinienverkehrs zur entgeltlichen Beförderung von Fluggästen, Fracht oder Post eingesetzt sind, haben sie vorbehältlich der Bestimmungen über die Kabotage (Transport von Fluggästen, Post und Fracht im betroffenen Staat selber) das Vorrecht, Fluggäste, Fracht oder Post aufzunehmen oder abzusetzen. Vorbehalten bleibt das Recht eines jeden Staates, in dem die Aufnahme oder Absetzung erfolgt, die ihm wünschenswert erscheinenden Vorschriften, Bedingungen oder Einschränkungen aufzuerlegen (vgl. GERMAINE LADET, Le statut de l'aéroport de Bâle-Mulhouse, Paris 1984, S. 83 f.; OTTO RIESE, Luftrecht, Das internationale Recht der zivilen Luftfahrt unter besonderer Berücksichtigung des schweizerischen Rechts, Stuttgart 1949, S. 135).
bb) Bei der Auslegung der landesrechtlichen Verordnungs- und Konzessionsbestimmungen, welche die Flughafenbenützung regeln, sind die für die Schweiz verbindlichen internationalen Bestimmungen mitzuberücksichtigen (vgl. für den Bereich der Rechtshilfe
BGE 115 Ib 523
E. 3). Weil nach Art. 5 des Übereinkommens von Chicago die Schweiz die Verpflichtung eingegangen ist, Flugzeuge anderer Vertragsstaaten ausserhalb des Fluglinienverkehrs nichtgewerbliche Landungen durchführen zu lassen, kann
Art. 39 Abs. 5 lit. b LFV
, wonach der Flughafenhalter zu verpflichten ist, "den Flughafen für die in der Konzession umschriebenen Benützungsarten des öffentlichen Luftverkehrs zur Verfügung zu stellen", nicht in dem Sinne verstanden werden, dass nur der öffentliche Luftverkehr, d.h. der Linienverkehr etwa,
BGE 117 Ib 387 S. 392
einen Anspruch auf Zulassung auf schweizerischen Flughäfen hätte. Die Eidgenossenschaft wäre sonst zur Realisierung einer Landemöglichkeit nach Art. 5 des Abkommens von Chicago auf die freiwillige Mitwirkung der Flugplatzhalter angewiesen, was der Bedeutung und dem internationalen Charakter des Verkehrsträgers (vgl. auch MARTIN LENDI, in Kommentar BV, Art. 37ter, Rz. 1) nicht entsprechen würde.
cc) Es rechtfertigt sich aber auch nicht - wie in der Literatur vorgeschlagen (HERMANN RODUNER, Grundeigentumsbeschränkungen zugunsten von Flughäfen, Diss. Zürich 1984, S. 11) -, den in- und ausländischen Luftverkehr in diesem Punkt unterschiedlich zu behandeln. Nach
Art. 8 LFG
dürfen Luftfahrzeuge unter Vorbehalt der vom Bundesrat zu bestimmenden Ausnahmen nur auf Flugplätzen abfliegen oder landen (Abs. 1). Soll die Benützung des Luftraumes im Rahmen der Bundesgesetzgebung (vgl.
Art. 1 LFG
) deshalb nicht erschwert oder verunmöglicht werden, muss - praktisch als Gegenstück zur Pflicht, Flugplätze zu benützen (vgl. BBl 1945 I 356) -, im Rahmen der Konzession und des Betriebsreglementes auch dem schweizerischen privaten Luftverkehr ein Anspruch auf Landen und Starten zum Waren- und Personenumschlag zugestanden werden.
c) Der Begriff des "öffentlichen Luftverkehrs" nach Art. 39 Abs. 5 lit. b in Verbindung mit
Art. 31 Abs. 1 LFV
ist deshalb nicht nach dem Zweck des Fluges (öffentlicher oder privater Personen- oder Warentransport), sondern nach dem Benutzerkreis des Flugplatzes abzugrenzen. Der Flughafen dient dem öffentlichen Luftverkehr insofern, als er allen Benützern (auch den privaten) zum ordentlichen Gebrauch offensteht, während Flugfelder nur vom Flugplatzunternehmer und den von ihm ermächtigten Personen verwendet werden können (PIERRE MOREILLON, Les obstacles à la création et à l'exploitation des champs d'aviation, thèse Lausanne 1986, S. 22 mit historischem Hinweis; OTTO RIESE, a.a.O., S. 227; vgl. auch
BGE 102 IV 28
). Dieser Auslegung von
Art. 39 Abs. 5 lit. b LFV
entspricht Art. 2 der Konzession für den Flughafen Zürich-Kloten, wonach der Kanton den Flughafen im Rahmen der allgemeinen Vorschriften über den Luftverkehr und der Konzession für die Benützung mit allen im internen und internationalen Luftverkehr zugelassenen Luftfahrzeugen zur Verfügung zu stellen hat.
d) Die Argumentation der Beschwerdeführerin kann daher nicht bereits mit dem Hinweis darauf verworfen werden, dass der
BGE 117 Ib 387 S. 393
Flughafen nur dem öffentlichen Verkehr diene, Schulflüge aber nicht darunter fielen. Soweit das Bundesgericht eine solche Argumentation bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Gesuches um unentgeltliche Rechtspflege in einem ebenfalls Benützungsrechte auf dem Flughafen Zürich-Kloten betreffenden Verfahren am 29. Dezember 1986 durchblicken liess, kann daran nicht festgehalten werden. Als öffentlicher Luftverkehr ist grundsätzlich die ordentliche Anstaltsnutzung durch alle im internen und internationalen Luftverkehr zugelassenen Luftfahrzeuge zu verstehen, weshalb einzelne Instrumentenschulflüge im Rahmen der Konzession und des Betriebsreglementes auch auf Flughäfen durchgeführt werden können.
Für die vorliegende Streitfrage der Auslegung von
Art. 27 Abs. 2 LFV
entscheidend ist damit die Frage nach einer ordentlichen oder einer über den primären Zweck des Flughafens (Starten und Landen von Flugzeugen, Ein- und Aussteigenlassen von Personen bzw. Ein- oder Ausladen von Waren) hinausgehenden Nutzung.
6.
a) Falls die primäre Aufgabe des Flughafens nicht gefährdet wird, kann der Flughafenhalter über die konzessionsrechtliche Zulassungspflicht hinaus weitere die öffentliche Unternehmung stärker belastende Tätigkeiten auf dem Flughafen dulden. Hierzu ist er aber luftrechtlich nicht verpflichtet. Im Gegenteil: Die bundesrechtlich statuierte Pflicht, An- und Wegflug sowie den Güterumschlag und Personenverkehr generell zuzulassen, kann die Einräumung von über diesen Zweck hinausgehenden Nutzungen geradezu verbieten, falls dadurch der bestimmungsgemässe Gebrauch des Flughafens verunmöglicht oder erschwert würde. Die Beurteilung, ob dies der Fall ist, liegt im pflichtgemässen Ermessen in erster Linie des Flughafenhalters und in zweiter Linie der konzessionsrechtlichen Aufsichtsbehörde.
b) Weil durch den Standort eines Flugbetriebes, wie er mit dem Erwerb einer Linienkonzession (
Art. 101 ff. LFV
) oder einer allgemeinen Betriebsbewilligung (
Art. 115 LFV
) verbunden ist, ein Flugplatz über den geschilderten ordentlichen Gebrauch hinaus beansprucht wird, ist diese Nutzung durch den Flugplatzhalter gesondert zu bewilligen, bevor die luftrechtliche Konzession oder Bewilligung erteilt werden kann (
Art. 102 Abs. 1 lit. g und
Art. 115 Abs. 1 lit. g LFV
). Das gleiche gilt für Flugschulen, die den Flugplatz ebenfalls über den gewöhnlichen Gebrauch hinaus belasten (bei der Grundschulung mit einer Landung alle 3 bis 4 Minuten; Voltentraining; vgl.
Art. 27 Abs. 2 LFV
). Würde die Zulassungspflicht
BGE 117 Ib 387 S. 394
auf Flughäfen die entsprechenden Nutzungsrechte bereits umfassen, hätten die Bewilligungsvoraussetzungen von Art. 27 Abs. 2, 102 Abs. 1 lit. g und 115 Abs. 1 lit. g LFV keinen Sinn mehr. Die Verordnungsregelung will die Beurteilung, ob die Kapazitäten der Anlage eine zusätzliche gesteigerte Nutzung zulassen, ohne dass der konzessionsrechtlich festgelegte primäre Anstaltszweck gefährdet wird, dem Flugplatzhalter überlassen.
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beschwerdeführerin angerufenen Handels- und Gewerbefreiheit (
Art. 31 BV
).
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes begründet
Art. 31 BV
grundsätzlich keinen Anspruch auf staatliche Leistungen; die Handels- und Gewerbefreiheit schützt lediglich vor staatlichen Eingriffen. Nicht zwingend an eine positive Leistung des Staates geknüpft ist der gesteigerte Gemeingebrauch von öffentlichem Grund, weshalb gegen eine entsprechende Verweigerung
Art. 31 BV
angerufen werden kann (RENÉ A. RHINOW, in Kommentar BV, Art. 31, Rz. 108 ff., insbesondere Rz. 112). Aus der Handels- und Gewerbefreiheit ergibt sich aber ebensowenig ein Recht auf Zugang zu staatlichen Lehranstalten (
BGE 103 Ia 378
E. 4a; vgl. auch RENÉ A. RHINOW/BEAT KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Basel und Frankfurt 1990, S. 445 Nr. 140 III. b), wie aus der Eigentumsgarantie ein Anspruch auf die Dienste einer öffentlichen Anstalt, wie etwa der Wasser-, Gas- und der Elektrizitätsversorgung oder der Abwasserkanalisation usw. (
BGE 92 I 510
E. 2a), abgeleitet werden kann.
bb) Bei der Flughafenbenützung geht es - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - nicht nur um einen gesteigerten Gemeingebrauch des öffentlichen Grundes (HANS WIPFLI, Sicherheitsmassnahmen gegen Gewaltakte im schweizerischen Linienluftverkehr, Diss. Zürich 1983, S. 60; MAX HÄMMERLI, Die Haftung des Flugplatzhalters im Schweizerischen Recht, Diss. Bern 1952, S. 15). Ein Flughafen erweist sich als komplexer Zusammenschluss sachlicher und personeller Mittel zur dauernden Erfüllung des durch die Konzession und das Betriebsreglement umschriebenen öffentlichen Zweckes (vgl. beispielsweise Art. 4 Abs. 3 der Konzession für den Betrieb des interkontinentalen Flughafens Zürich). Lässt sich aus der Handels- und Gewerbefreiheit kein Anspruch auf einen ordentlichen Anstaltsgebrauch herleiten, so muss dies um so mehr für den gesteigerten Anstaltsgebrauch gelten, den die Nutzung eines Flughafens als kommerzielle Basis
BGE 117 Ib 387 S. 395
(durch stärkere Belastung der Infrastruktur) darstellt (zum Begriff des gesteigerten Anstaltsgebrauchs: vgl. BLAISE KNAPP, Précis de droit administratif, Basel 1991, N 2691 ff.). Die in
BGE 108 Ia 135
ff. entwickelte Rechtsprechung zum gesteigerten Gemeingebrauch an öffentlichen Sachen - dort Taxistandplätzen - kann deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden (vgl.
BGE 100 Ia 291
E. 3a).
d) Daraus ergibt sich nun aber nicht, dass die Anstaltsbenützung in einer über die konzessionsmässige Zulassungspflicht hinausgehenden Art und Weise durch den Kanton Zürich frei ausgestaltbar wäre.
Der Flughafen Zürich-Kloten ist eine öffentliche Anstalt. Er muss seine Leistungen nach anstaltsrechtlichen und damit verwaltungsmässigen Grundsätzen erbringen (vgl. HANS WIPFLI, a.a.O., S. 60). Das Gemeinwesen hat sich bei der Regelung der Anstaltsnutzung an das Rechtsgleichheitsgebot sowie das Willkürverbot zu halten (
BGE 103 Ia 373
f., 399 E. 2b) und insofern auch dem institutionellen Gehalt der Handels- und Gewerbefreiheit Rechnung zu tragen (vgl. RENÉ A. RHINOW, a.a.O., Rz. 183 ff., insbesondere Rz. 189). Werden Sonderrechte für eine gesteigerte Anstaltsnutzung gewährt, so sind sie im Rahmen einer pflichtgemässen Ermessensausübung unter Berücksichtigung der Anstaltskapazitäten einzuräumen. Dabei muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Anstalt nicht beliebig vergrössert werden kann und in erster Linie der ordentliche bundesrechtlich verankerte Anstaltsgebrauch zu sichern ist.
e) Der Kanton Zürich räumt seit Jahrzehnten keine neuen "Home-Base-Rechte" mehr ein. Im Vergleich zu anderen Flugschulinteressenten wurde die Beschwerdeführerin somit nicht schlechter behandelt.
Soweit sie eine Ungleichbehandlung gegenüber den bestehenden Flugschulen rügt und eine Beschränkung ihrer Tätigkeit verlangt, verletzt die Praxis des Kantons Zürich, die im vorliegenden Fall zur Verweigerung der Flugschulbewilligung geführt hat, das Gleichbehandlungsgebot und damit Bundesrecht nicht.
Art. 4 BV
gebietet eine rechtsgleiche Behandlung lediglich unter der Voraussetzung, dass auch die relevanten tatsächlichen Verhältnisse gleich sind. Nur wenn kein solcher Unterschied vorliegt, verstösst eine Ungleichbehandlung gegen
Art. 4 BV
(
BGE 111 Ib 219
E. 4 mit Hinweis; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 63). Die bestehenden Flugschulen verfügen
BGE 117 Ib 387 S. 396
heute über eine vertrauensschutzrelevante Rechtsposition, die der Beschwerdeführerin aus Kapazitätsgründen im vorliegenden Fall verweigert werden musste. Das Verkehrsaufkommen lässt heute eine zusätzliche Gewährung von Nutzungsrechten auf dem Flughafen Zürich-Kloten nach
Art. 27 Abs. 2 LFV
nicht mehr zu. Die Beschwerdeführerin befindet sich daher in einer anderen Ausgangslage als die bestehenden Flugschulen; sowohl die rechtliche Situation wie die tatsächlichen Voraussetzungen (Auslastung der Anstalt) unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt.
f) Der Beschwerdeführerin steht demnach grundsätzlich weder ein verfassungs- noch ein anstaltsrechtlicher Anspruch auf Einräumung der mit dem Betrieb einer kommerziellen Flugschulbasis verbundenen gesteigerten Anstaltsnutzung zu.
7.
Die Beschwerdeführerin verfügt nun aber auf dem Flughafen Zürich-Kloten bereits über Nutzungsrechte nach
Art. 115 Abs. 1 lit. g LFV
. Der Kanton bewilligte der EFOS Flight damit, den Flughafen für gewerbsmässige Flüge, die nicht der Beförderung von Personen und Sachen auf regelmässig beflogenen Luftverkehrslinien dienen, als Basis zu benützen. Dieses Recht kann sie im Rahmen des Betriebsreglementes ohne jede Einschränkung ausüben.
a) Nach
Art. 33 LFG
bedarf nicht nur die gewerbsmässige Ausführung von Flügen aller Art, die nicht unter
Art. 27 LFG
(Linienverkehr) fallen, sondern - wie bereits ausgeführt - auch der Betrieb von Schulen für die Ausbildung von Luftfahrtpersonal einer Bewilligung des Bundesamtes für Zivilluftfahrt. Die Bewilligung für gewerbsmässige Nichtlinienflüge wird in
Art. 114 ff. LFV
detaillierter geregelt, jene für Flugschulen in
Art. 26 ff. LFV
.
Wie das Departement zu Recht ausführt, weist schon die systematische Gliederung in der Verordnung darauf hin, dass für beide Arten von Flugbetrieben je eine gesonderte Bewilligung des Flugplatzhalters erforderlich ist. Diese Auffassung rechtfertigt sich auch inhaltlich. Eine Betriebsbewilligung soll nur erhalten, wer sie ausüben kann. Da der gewerbsmässige Nichtlinienbetrieb sich in der Anstaltsnutzung von der normalen Flugschule qualitativ und quantitativ unterscheidet (regelmässiges Starten und Landen auf dem Flugplatz zu Übungszwecken), umfasst die Einräumung von Benützungsrechten durch einen Flugplatzhalter nach
Art. 115 Abs. 1 lit. g LFV
nicht auch jene nach
Art. 27 Abs. 2 LFV
.
b) Im vorliegenden Fall geht es indessen nicht um die Bewilligung für die allgemeine, sondern für eine spezielle Schulungstätigkeit.
BGE 117 Ib 387 S. 397
Die Beschwerdeführerin will nur eine auf Instrumentenflug, Nachtflug und Radiotelefonie beschränkte Motorflugschule betreiben, wobei sie ihre in Zürich stationierten und heute bereits in Zusammenarbeit mit der Sky Work zur Flugschulung eingesetzten Flugzeuge benützen möchte. Sie macht geltend, dass sie hierfür den Flughafen gegenüber der bereits bewilligten Anstaltsnutzung nicht stärker belaste.
Das Departement geht davon aus, der Sinn des Nachweises von Benützungsrechten gemäss
Art. 27 LFV
liege nicht in der Aufteilung Grundschulung/höhere Ausbildung, sondern in dem allen Schulungsarten eigenen gesteigerten Gebrauch des Flugplatzes. Es gehe generell darum, dass ein Flugschulbetrieb den Flugplatz, von dem aus er operiert, stärker belaste als eine Unternehmung, die ihren gesamten Betrieb von einem anderen Flugplatz aus durchführe und von dort jenen nur anfliege. Ob diese allgemeine Begründung im vorliegenden Fall, bei dem eben bereits eine Basis auf dem Flughafen Zürich-Kloten besteht, richtig ist, kann dahingestellt bleiben. Eine gegenüber der Benutzung als Basis für den gewerbsmässigen Nichtlinienverkehr gesteigerte Nutzung ergibt sich nämlich aus folgenden Überlegungen.
c) Die beantragte Bewilligung für eine höhere Flugschulung würde der Beschwerdeführerin ermöglichen, die Geschäftstätigkeit dank dem neuen Kundensegment auszubauen. Ihre Flugzeuge würden dadurch besser ausgelastet. Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Flugbewegungen der bereits bestehenden Flugschulen - und jene des gewerbsmässigen Nichtlinienverkehrs der EFOS Flight selber - entsprechend zurückgingen. Nur dann käme es indessen im Verhältnis zur jetzigen Situation zu keiner Erhöhung der Flugbewegungen. Der Flugplatzhalter muss deshalb die zusätzliche Nutzung, die über den ordentlichen Anstaltsgebrauch hinausgeht, auch im vorliegenden Fall von den Benützungsrechten nach
Art. 115 Abs. 1 lit. g LFV
gesondert bewilligen können. Er räumte die Rechte für den gewerbsmässigen Nichtlinienverkehr mit Blick auf eine bestimmte für ihn absehbare Anstaltsnutzung ein. Dienen nun die gleiche Basis und die gleichen Flugzeuge neben dem Markt des gewerbsmässigen Nichtlinienverkehrs neu auch jenem der Flugschulung, so stellt dies eine Nutzungserweiterung der bestehenden und bewilligten Flugbasis dar, die dem Flughafenhalter nur mit seiner Zustimmung und nicht bereits aufgrund der konzessionsrechtlichen Zulassungspflicht zugemutet werden kann. Eingeräumte, über die Zulassungspflicht
BGE 117 Ib 387 S. 398
hinausgehende Benützungsrechte lassen sich nicht einfach auf eine andere Nutzung übertragen, soll der Flugplatzhalter die Aufrechterhaltung der Anstalt zu ihrem eigentlichen Zweck weiterhin gewährleisten und Lärmschutzaspekten Rechnung tragen können (zur Lärmproblematik: vgl. unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtes vom 7. März 1988 i.S. Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich u. Mitb. c. EVED, E. 3, S. 6).
Zu berücksichtigen ist ferner - wie bereits die Vorinstanz ausgeführt hat -, dass, würde von der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auslegung ausgegangen, aufgrund des Gebotes der Rechtsgleichheit praktisch allen Inhabern einer allgemeinen Betriebsbewilligung die Möglichkeit eingeräumt würde, eine höhere Flugschule zu betreiben. Dies führte zu einer unzumutbaren Belastung für den für die Aufrechterhaltung des Betriebes im Rahmen der konzessionsrechtlichen Zulassungspflicht (vgl.
Art. 39 Abs. 5 lit. b LFV
und Art. 2 und 4 Abs. 1 der Konzession) verantwortlichen Flughafenhalter. Nach den Angaben im vorinstanzlichen Entscheid könnten nämlich mindestens 16 Firmen mit dem gleichen Recht wie die EFOS Flight eine Flugschulbewilligung erlangen und ihre Schulungstätigkeit auf dem Flughafen Zürich ausüben. Ähnliche Konsequenzen ergäben sich auf anderen Flughäfen. Dies kann nicht dem Sinn von
Art. 27 Abs. 2 LFV
entsprechen, der dem Flughafenhalter bei einer über die konzessionsrechtliche Zulassungspflicht hinausgehenden Flughafennutzung gerade eine Mitbestimmungsmöglichkeit einräumen will.
d) Die Beschwerdeführerin kann für ihren Standpunkt auch nichts aus Art. 2 Abs. 1 des Anhangs Nr. 1 zur Konzession ableiten, wonach Wegflüge vom Flughafen Zürich zur Schulung auf einem andern Flugplatz und die anschliessende Rückkehr nach dem Flughafen Zürich unter gewissen Voraussetzungen gestattet sind. Diese Bestimmung richtet sich an jene Flugschulen, denen der Kanton Zürich entsprechende Benützungsrechte eingeräumt hat, nicht aber an andere Betriebe auf dem Flughafen, die erst noch eine Schulbewilligung erwirken möchten.
e) Zusammenfassend ergibt sich damit, dass der Beschwerdeführerin am Flughafen Zürich-Kloten ebensowenig wie an einem anderen Flughafen oder -platz Benützungsrechte (Basisrechte) im Sinne von
Art. 27 Abs. 2 LFV
zustehen. Der Beschwerdeführerin wurden - soweit ersichtlich - bis heute nur einzelne Instrumentenflüge im Rahmen des normalen Anstaltsgebrauchs, nicht aber die auch für eine höhere Flugschulung nötige, darüber hinausgehende
BGE 117 Ib 387 S. 399
und damit bewilligungspflichtige Nutzung der Anlagen gestattet. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
bfaf44e7-e804-4a54-8a12-239510754ce3 | Urteilskopf
133 IV 293
43. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen E., C. und Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen)
6B_146/2007 vom 24. August 2007 | Regeste
Verfahren bei mangelhafter Sachverhaltsfeststellung.
Ein Urteil ohne die zur Subsumtion notwendigen tatsächlichen Grundlagen ist bundesrechtswidrig. Ist ein Sachverhalt in diesem Sinne lückenhaft und kann deshalb die Gesetzesanwendung nicht nachgeprüft werden, so ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur ergänzenden Tatsachenfeststellung und neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (E. 3.4).
Die Einholung einer Stellungnahme der Gegenpartei ist entbehrlich, da bei der Rückweisung zur Sachverhaltsergänzung der Entscheid in der Sache nicht präjudiziert wird (E. 3.4.2). | Sachverhalt
ab Seite 293
BGE 133 IV 293 S. 293
A.
X. soll am 20. Januar 2003 den sprach- und gehbehinderten A. bei einer brüsken Drehbewegung zu Fall gebracht haben, wobei dieser sich das Handgelenk brach.
BGE 133 IV 293 S. 294
In der Nacht vom 4. Mai 2003 arbeitete X. als Türsteher in einem Club in Gossau. Dabei kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung, bei der B. Gesichtsverletzungen erlitt.
Am 9. Oktober 2004 gerieten X. und C. im Gefolge provokativer Fahrmänover aneinander. Die von C. telefonisch herbeigerufenen D. und E. mischten sich in den Streit ein. Es kam zu einer Auseinandersetzung zwischen X. und E. Beide wurden verletzt, wobei E. zwei durch ein Sackmesser zugefügte Stichverletzungen erlitt. Bei dieser Auseinandersetzung soll X. ferner Beschimpfungen und Todesdrohungen geäussert haben.
B.
Am 5. September 2005 wurde X. durch das Kreisgericht St. Gallen der qualifizierten einfachen Körperverletzung, der fahrlässigen Körperverletzung und der Beschimpfung schuldig erklärt und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Der Vollzug der Strafe wurde aufgeschoben bei einer Probezeit von drei Jahren. Vom Vorwurf der Verletzung von B. sowie der mehrfachen Bedrohung von E. und C. wurde er freigesprochen.
Als Berufungsgericht bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen am 8. Januar 2007 die erstinstanzlichen Schuldsprüche. Zudem befand es X. der einfachen Körperverletzung zulasten von B. und der Drohung gegenüber E. und C. für schuldig. Es bestrafte ihn mit 8 Monaten Freiheitsstrafe bei einer Probezeit von 4 Jahren.
C.
Dagegen erhebt X. Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils, einen vollumfänglichen Freispruch, die Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände, die Abweisung der Zivilforderungen und die Kostenauflage an den Staat. Ferner seien die Kosten des vorangegangenen Verfahrens anders zu verlegen (
Art. 67 BGG
) und ihm eine Parteientschädigung auszurichten (
Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG
).
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.4
3.4.1
Unter der Herrschaft des bisherigen Verfahrensrechts wurden Entscheidungen, die an derartigen Mängeln litten, dass die Gesetzesanwendung nicht nachgeprüft werden konnte, aufgehoben und die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsfeststellung an die
BGE 133 IV 293 S. 295
kantonale Behörde zurückgewiesen (vgl.
Art. 277 BStP
). Es wurde verlangt, dass die kantonale Behörde ihre Entscheidung so begründet, dass das Bundesgericht die Gesetzesanwendung überprüfen kann (vgl.
BGE 129 IV 71
E. 1.5). Das Bundesgericht kann die Rechtsanwendung nur überprüfen, wenn die Vorinstanz die für die Subsumtion notwendigen tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Dazu muss das Bundesgericht wissen, welchen Sachverhalt die Vorinstanz als erwiesen annahm und auf welche rechtlichen Erwägungen es seinen Entscheid stützte (vgl. ERHARD SCHWERI, Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen, Bern 1993, N. 597; MARTIN SCHUBARTH, Nichtigkeitsbeschwerde 2001, Bern 2001, N. 152).
3.4.2
Art. 105 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110)
bestimmt unter dem Randtitel "massgebender Sachverhalt", dass das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde legt, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Abs. 2). Das Bundesgerichtsgesetz enthält keine explizite Regelung für den Fall unvollständiger Sachverhaltsfeststellungen durch die Vorinstanz. Eine
Art. 277 BStP
entsprechende Bestimmung fehlt. Zwar eröffnet
Art. 105 Abs. 2 BGG
die Möglichkeit, Sachverhaltsfeststellungen von Amtes wegen zu "ergänzen". Aus dem Umstand, dass das Bundesgericht Sachverhaltsfeststellungen ergänzen kann, folgt indes nicht, dass jede Lücke im Sachverhalt durch das Bundesgericht zu schliessen ist. Aus dem Gesetzestext geht klar hervor, dass die Sachverhaltsergänzung auf "offensichtlich unrichtige" Feststellungen begrenzt ist. Es kann insoweit auf die bisherige Rechtsprechung zu den offenkundig auf Versehen beruhenden Sachverhaltsfeststellungen zurückgegriffen werden (
Art. 277
bis
Abs. 1 Satz 3 BStP
;
BGE 121 IV 104
E. 2b). Wie
Art. 105 Abs. 1 BGG
klarstellt, ist das Bundesgericht grundsätzlich an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden. Als oberste Recht sprechende Behörde (
Art. 1 Abs. 1 BGG
) hat das Bundesgericht die angefochtenen Entscheidungen auf die richtige Rechtsanwendung hin zu überprüfen. Für ergänzende Tatsachen- und Beweiserhebungen sind die Sachgerichte zuständig.
Art. 105 Abs. 2 BGG
verpflichtet das Bundesgericht somit nicht zur Sachverhaltsergänzung. Ist ein Sachverhalt lückenhaft, leidet die Entscheidung mit anderen Worten an derartigen Mängeln, dass die Gesetzesanwendung nicht nachgeprüft
BGE 133 IV 293 S. 296
werden kann (vgl.
Art. 277 BStP
), so ist das angefochtene Urteil auch unter neuem Recht aufzuheben und die Sache zur ergänzenden Tatsachenfeststellung und neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (
Art. 107 Abs. 2 BGG
). Gemäss der Botschaft verletzt die Vorinstanz materielles Bundesrecht, wenn sie nicht alle relevanten Tatsachen ermittelt, die zu seiner Anwendung nötig sind (Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001 S. 4338). Eine Verurteilung ohne die tatbestandsnotwendigen tatsächlichen Grundlagen ist somit bundesrechtswidrig. Eine Aufhebung wegen mangelhafter Tatsachenfeststellungen kann weiterhin ohne Einvernahme der Gegenpartei erfolgen (vgl.
Art. 277 BStP
"ohne Mitteilung der Beschwerdeschrift"), da bei der Rückweisung zur Sachverhaltsergänzung der Entscheid in der Sache nicht präjudiziert wird.
3.4.3
Im vorliegenden Fall steht das verletzungsverursachende Kerngeschehen nicht fest. Mangels Kenntnis der genauen Tatumstände, können die sich danach richtenden Sorgfaltspflichten und damit auch die richtige Anwendung der bundesrechtlichen Bestimmung über die Fahrlässigkeit (
Art. 12 Abs. 3 StGB
) nicht überprüft werden. Dem angefochtenen Urteil fehlen die zur Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung notwendigen tatsächlichen Grundlagen, weshalb die Angelegenheit zur ergänzenden Sachverhaltsfeststellung zurückzuweisen ist. | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bfafd682-c9ba-4dbe-83a2-1c463207922d | Urteilskopf
115 Ia 97
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. April 1989 i.S. R. gegen Generalprokurator und Obergericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; rechtliches Gehör; Aktenführung im Strafprozess.
1. Ein Verstoss gegen die Aktenführungspflicht kann den Anspruch des Angeschuldigten auf rechtliches Gehör beeinträchtigen (E. 4).
2. Keine Verweigerung des rechtlichen Gehörs, falls der Richter ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, die aufgrund der übrigen Beweise gebildete Überzeugung werde durch das ihm zwar bekannte, aber nicht aktenkundige, den Angeschuldigten entlastende Ergebnis bestimmter Ermittlungen nicht geändert (E. 5b). | Erwägungen
ab Seite 98
BGE 115 Ia 97 S. 98
Aus den Erwägungen:
4.
Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, ein entlastendes Indiz sei in den Akten gar nicht festgehalten worden. Wie er erst kurz vor der zweitinstanzlichen Verhandlung erfahren habe, hätten Polizeibeamte vergrösserte fotografische Aufnahmen mit seiner Maschine unter anderem dem Velohändler W. gezeigt. Dieser habe dem Vernehmen nach den Polizeibeamten gesagt, die abgebildete Person sei nicht der Beschwerdeführer. Diese Tatsache bzw. Unterlassung sei in der Verhandlung des Obergerichtes vergeblich gerügt worden. Das Nichtbeachten bzw. Nichterheben des Ergebnisses der "Fotoaktion" sei willkürlich und verletze
Art. 4 BV
.
a) Das Obergericht bringt in seiner Vernehmlassung vom 6. Februar 1989 vor, es habe von den Ausführungen der Verteidigung im Parteivortrag Kenntnis genommen. Es wäre dem Beschwerdeführer freigestanden, eine Vervollständigung der Beweisführung im Sinne von Art. 316 StrV/BE zu beantragen, was er aber nicht getan habe. Dabei hätte er sich nicht an die dort genannte Zehntagefrist halten müssen, wenn er dargelegt hätte, dass er soeben erst von diesem Beweiselement Kenntnis erhalten habe.
Da sich der Hinweis auf die zitierte Bestimmung im angefochtenen Urteil nicht findet, wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit
BGE 115 Ia 97 S. 99
gegeben, sich dazu ergänzend zu äussern, was er mit Eingabe vom 27. Februar 1989 getan hat.
b) Soweit der Beschwerdeführer in dieser Eingabe die Verletzung bzw. willkürliche Anwendung kantonalrechtlicher Bestimmungen behauptet, kann darauf nicht eingetreten werden. Er hätte die willkürliche Anwendung bzw. Nichtberücksichtigung dieser Bestimmungen bereits in der staatsrechtlichen Beschwerde rügen und begründen müssen.
c) Es gehört zu den elementaren Grundsätzen des Strafprozessrechtes, dass sämtliche im Rahmen des Verfahrens vorgenommenen Erhebungen aktenkundig gemacht werden (vgl. NIKLAUS SCHMID, Einführung in das zürcherische Strafverfahrensrecht, Skriptum Zürich 1988, S. 45; DETLEF KRAUSS, Der Umfang der Strafakte, Basler Juristische Mitteilungen 1983, S. 49 ff.; PETER NOLL, Strafprozessrecht, S. 18; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des St. Gallischen Strafprozessrechts, St. Gallen 1988, S. 83). Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss
Art. 4 BV
ergibt sich der Anspruch auf Akteneinsicht. Soll dieser effizient wahrgenommen werden können, ist erforderlich, dass auch alles in den Akten festgehalten wird, was zur Sache gehört. Das Akteneinsichtsrecht verblasst in seiner Substanz, wo die zur Einsicht offenstehenden Unterlagen lückenhaft sind (vgl. THOMAS COTTIER, Der Anspruch auf rechtliches Gehör (
Art. 4 BV
), recht 1984, S. 123). Dafür bedarf es entgegen dem in der Vernehmlassung des Obergerichtes Ausgeführten nicht eines speziellen Antrages der Parteien; Art. 316 StrV/BE bezieht sich denn auch auf Beweisanträge der Parteien, nicht aber auf Erhebungen, die von Amtes wegen vorgenommen wurden.
d) Das Obergericht stellt in seiner Vernehmlassung eine "Fotoaktion" nicht in Frage; zumindest räumt es eine solche indirekt ein. Da der Generalprokurator auf Vernehmlassung verzichtete, ist deshalb im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, dass eine derartige Beweiserhebung tatsächlich stattgefunden hat. An welchem genauen Datum sie erfolgte, ist weder dem Urteil oder der Vernehmlassung des Obergerichts noch den Eingaben des Beschwerdeführers zu entnehmen. Aus der Beschwerdeschrift ist indessen eindeutig zu schliessen, dass der Vorwurf der mangelhaften Aktenführung den "erstinstanzlichen Richter" (Richteramt Oberhasli) trifft, und zwar nicht hinsichtlich des Fehlens der vergrösserten Fotos (diese sind offensichtlich einakturiert), sondern bezüglich der fehlenden Aussage des Velohändlers W. Auch aufgrund
BGE 115 Ia 97 S. 100
der Vorakten ergibt sich mit grösster Wahrscheinlichkeit, dass die "Fotoaktion" zwischen der abgebrochenen ersten Hauptverhandlung vom 23. Februar 1988 (am Schluss welcher eine "abgekürzte Voruntersuchung" angeordnet wurde) und der Fortsetzung der Hauptverhandlung vom 7. Juni 1988 erfolgte, sind doch auch die erwähnten Vergrösserungen während dieser Voruntersuchung einakturiert worden. Fest steht sodann, dass eine Notiz über die Befragung des Velohändlers, von welcher der Beschwerdeführer erst kurz vor der obergerichtlichen Verhandlung erfuhr, in den Akten fehlt. Der ersten Instanz kann daher der Vorwurf nicht erspart bleiben, gegen die Aktenführungspflicht und somit gegen
Art. 4 BV
verstossen zu haben. Dies führt indessen, wie noch darzulegen ist, nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
5.
a) Es lässt sich zunächst die Frage stellen, ob eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rechtsgenügend gerügt worden ist. Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene Rügen (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
;
BGE 110 Ia 3
/4 E. 2a). Der Beschwerdeführer rügt - fast ausschliesslich appellatorisch - im wesentlichen Willkür, begründet indessen den fraglichen Einwand unter diesem Gesichtspunkt nicht genügend. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt er nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich. Unter diesen Umständen wäre nach der erwähnten bundesgerichtlichen Praxis auf die Beschwerde in diesem Punkt grundsätzlich nicht einzutreten. Nachdem aber ein Fehler im erstinstanzlichen Verfahren bereits feststeht, sind in diesem Fall an die Begründungspflicht nicht allzu strenge Anforderungen zu stellen und deshalb der Passus, das Nichterheben des Ergebnisses der "Fotoaktion" sei "mit
Art. 4 BV
nicht zu vereinbaren", sinngemäss als Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs entgegenzunehmen.
b) Zu prüfen bleibt, ob der erstinstanzliche Verstoss gegen die Aktenführungspflicht eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs in einem Ausmasse darstellt, das die Aufhebung des angefochtenen Urteils rechtfertigen würde. Das trifft nicht zu. Das Obergericht führte aus, der Anwalt des Beschwerdeführers habe bezüglich der "Fotoaktion" folgendes geltend gemacht:
"Auch seien von Polizisten vergrösserte Fotos angefertigt worden, welche
u.a. einem Veloverkäufer vorgezeigt worden seien. Letzterer habe
ebenfalls erklärt, der abgebildete Fahrer sei nicht R."
Daran anschliessend kam es zum Schluss, diese Erläuterungen (u.a. Vorzeigen der Fotos und Stellungnahme des Velohändlers)
BGE 115 Ia 97 S. 101
änderten "nichts an der Unglaubwürdigkeit der vom Angeschuldigten erzählten Geschichte". Das bedeutet nichts anderes, als dass das Obergericht zum Ausdruck brachte, es wäre selbst bei Aktenkundigkeit der Erhebungen zu keinem anderen als dem genannten Beweisergebnis gelangt. Dieser Schluss ist zulässig, denn der Richter kann das Beweisverfahren schliessen, wenn er aufgrund bereits abgenommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und er ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass diese seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (
BGE 103 Ia 491
mit Hinweisen;
BGE 103 IV 300
E. 1a). Inwiefern dieser in antizipierter Beweiswürdigung vom Obergericht getroffene Schluss willkürlich sein könnte, wird nicht dargelegt. Er steht im übrigen in Einklang mit Art. 317 Abs. 2 StrV/BE, wonach die Strafkammer die ihr notwendig erscheinende Vervollständigung der Beweisaufnahme anordnen kann, von Amtes wegen aber dazu nicht verpflichtet ist. Als Verweigerung des rechtlichen Gehörs kann die unterlassene Pflicht, etwas aktenkundig zu machen, aber nicht anders behandelt werden als der Verzicht auf Durchführung zusätzlicher Abklärungen. Die Beschwerde ist demzufolge in diesem Punkt als unbegründet abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
bfb001cc-ef9f-4511-899a-b659d7f62d51 | Urteilskopf
83 IV 108
30. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 22 mars 1957 dans la cause Pittet contre Ministère public du Canton de Vaud. | Regeste
Schutz öffentlicher Wappen.
Anwendungsbereich der Art. 2 und 3 des BG zum Schutze öffentlicher Wappen und anderer öffentlicher Zeichen vom 5. Juni 1931. | Sachverhalt
ab Seite 108
BGE 83 IV 108 S. 108
A.-
Roger Pittet exploite à Pully un commerce en gros de souvenirs, d'articles pour fumeurs et de lunettes solaires. En automne 1955, il commanda à la maison Lorioli Fratelli, à Milan, 150 cuillers à café en alpacca ornées des armoiries de la Confédération ou de cantons suisses et 420 insignes en tombac émaillé et doré représentant les mêmes armoiries. Ces marchandises lui furent livrées en janvier 1956. Il fit souder les insignes sur des articles-souvenirs tels que briquets, cuillers etc.
B.-
Dénoncé par la Direction générale des douanes pour infraction à loi du 5 juin 1931 pour la protection des armoiries publiques et autres signes publics (LPAP), Pittet s'est vu infliger une amende de 20 fr. par le Tribunal de simple police du district de Lausanne. Le tribunal a considéré qu'en vendant des cuillers fabriquées à Milan et munies dans cette ville d'armoiries publiques suisses, le
BGE 83 IV 108 S. 109
prévenu avait contrevenu intentionnellement aux art. 3 litt. c et 9 de la loi, mais que l'importation d'insignes destinés à être apposés en Suisse sur des objets ne tombait pas sous le coup de la loi.
La Cour de cassation vaudoise a maintenu ce jugement, le 14 janvier 1957.
C.-
Le condamné se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral, en concluant à libération.
Le Ministère public propose de rejeter le pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 2 al. 1 LPAP interdit d'apposer pour un but commercial, en particulier comme éléments de marques de fabrique ou de commerce, certains signes publics, notamment les armoiries des cantons, sur des produits destinés à être mis en circulation comme marchandises ou sur leur paquetage. L'art. 3 al. 1 permet de faire figurer ces mêmes signes "sur des enseignes, des annonces, des prospectus ou des papiers de commerce" ou de les employer "d'une autre manière ne tombant pas sous le coup de l'art. 2, 1er alinéa, pourvu que l'emploi ne soit pas contraire aux bonnes moeurs". L'art. 3 al. 2 lit. c répute contraire aux bonnes moeurs l'emploi "qui est fait par un étranger établi à l'étranger".
2.
Contrairement à ce qu'ont admis les premiers juges et, avant eux, le Bureau de la propriété intellectuelle, ce n'est pas l'art. 3 mais l'art. 2 LPAP qui s'applique en l'espèce. D'après le message du Conseil fédéral (FF 1929 III 633), le projet distingue, s'agissant des armoiries de la Confédération et des cantons, entre
a) l'enregistrement comme marque et l'emploi consistant dans l'apposition sur des produits destinés à être mis en circulation comme marchandises (art. 1er al. 1 ch. 1 et art. 2 al 1 ch. 1) et
b) les emplois autres, notamment l'apposition sur des enseignes, des annonces, des prospectus et des papiers de commerce (art. 3).
BGE 83 IV 108 S. 110
Tandis que l'enregistrement comme marque et l'emploi décrit sous lit. a sont interdits d'une façon absolue, hormis quelques exceptions, les emplois autres (lit. b) ne sont interdits que s'ils heurtent les bonnes moeurs. Cette distinction a gardé toute sa valeur, les art. 2 et 3 de la loi reproduisant pour l'essentiel les art. 2 et 3 du projet.
Les armoiries en cause ayant été apposées non sur des enseignes, des annonces, des prospectus ou des papiers d'affaires, mais sur des cuillers, c'est-à-dire sur des produits destinés à être mis en circulation comme marchandises, l'art. 2 entre seul en considération. Peu importe, sous cet angle, que l'auteur de l'apposition soit un Suisse ou un étranger établi à l'étranger. Dès qu'une marchandise ou son emballage est muni des armoiries de la Confédération ou d'un canton "pour un but commercial", l'interdiction consacrée par l'art. 2 al. 1 est violée.
3.
Sur le sens de l'expression "pour un but commercial", le Conseil fédéral explique (message p. 634):
"En limitant l'interdiction à l'apposition,pour un but commercial'on veut empêcher qu'elle ne puisse être étendue à un emploi des signes en question dans un dessein purement décoratif, par exemple pour décorer des produits des arts appliqués (des gobelets, des coupes, etc.)."
En l'espèce, les armoiries apposées sur les cuillers servent manifestement à la décoration. Mais elles sont aussi et en même temps utilisées à des fins commerciales: elles doivent faciliter la vente des objets qu'elles ornent. Elles ont donc une double fonction et il en ira le plus souvent de même lorsqu'il s'agit de "produits destinés à être mis en circulation comme marchandises". Cependant, les mots "pour un but commercial" ont été insérés à l'art. 2 afin d'en rétrécir le champ d'application. Pour leur assurer cet effet, il faut nécessairement admettre que, dès le moment où les armoiries sont apposées sur des marchandises pour des fins décoratives, elles échappent à l'interdiction de l'art. 2 LPAP, même si elles doivent concurremment faciliter la vente. Il s'ensuit donc que la disposition légale
BGE 83 IV 108 S. 111
précitée touchera principalement l'emploi des armoiries comme éléments de marques de fabrique ou de commerce, mais cela est conforme aux intentions du législateur (message précité, p. 633 i.f.).
Le Ministère public ne soutient d'ailleurs pas qu'il serait interdit de munir des articles-souvenirs d'armoiries publiques. S'il a cru Pittet punissable, c'est seulement parce qu'il a estimé par erreur que l'art. 3 LPAP s'appliquait.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Admet le pourvoi, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour que celle-ci libère le prévenu. | null | nan | fr | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bfb01808-a268-4d47-89d9-b95b0430cbb5 | Urteilskopf
139 V 161
23. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen G. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_666/2012 vom 5. März 2013 | Regeste
Art. 24 Abs. 1 UVV
; versicherter Verdienst für Renten in Sonderfällen.
Die Aufzählung der Gründe in
Art. 24 Abs. 1 UVV
, aufgrund derer nach dieser Norm eine Anrechnung eines fiktiven Einkommens stattfindet, ist grundsätzlich abschliessend (E. 4.2.3). | Sachverhalt
ab Seite 161
BGE 139 V 161 S. 161
A.
Für die verbliebenen Restfolgen eines am 30. Juli 1979 erlittenen Unfalls bezieht der 1948 geborene G. seit 1. April 1980 bei einem Invaliditätsgrad von 15 % eine Rente der Schweizerischen
BGE 139 V 161 S. 162
Unfallversicherungsanstalt (SUVA). Der Versicherte war als Maurer im Stundenlohn der Firma B. AG weiterhin bei der SUVA gegen die Folgen von Unfällen versichert, als er sich am 13. Oktober 2007 beim Zügeln an der linken Schulter verletzte. Die SUVA anerkannte ihre Leistungspflicht auch für die Folgen dieses zweiten Ereignisses. Mit Verfügung vom 24. August 2010 und Einspracheentscheid vom 3. Dezember 2010 sprach die Anstalt dem Versicherten eine Integritätsentschädigung aufgrund einer Integritätseinbusse von 20,7 % zu und erhöhte die laufende Invalidenrente per 1. Dezember 2009 auf einen Invaliditätsgrad von neu 30 % bei einem versicherten Jahresverdienst von neu Fr. 94'234.-.
B.
Die von G. hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 9. Juli 2012 in dem Sinne gut, als es dem Versicherten ab 1. Dezember 2009 eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 49 % und einem versicherten Jahresverdienst von Fr. 103'177.- zusprach.
C.
Mit Beschwerde beantragt die SUVA, der kantonale Entscheid sei insoweit aufzuheben, als damit der versicherte Jahresverdienst auf Fr. 103'177.- festgesetzt wurde.
Während G. auf Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie eingetreten werden kann, schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.2
Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherte im Jahr vor dem Unfall tatsächlich einen Verdienst von Fr. 94'323.80 erzielt hat. Streitig ist jedoch zunächst, wie weit dieses Einkommen in Anwendung von
Art. 24 Abs. 1 UVV
(SR 832.202) zu korrigieren ist.
4.2.1
Die SUVA anerkennt, dass im Rahmen von Art. 24 Abs. 1 UVV 94 zusätzliche Stunden zu berücksichtigen seien (61 Stunden wegen "Krankheit", 16 Stunden wegen "Arbeitsunfähigkeit" und 17 Stunden wegen "Todesfall in der Familie"). Der Versicherte verweist einerseits auf die Berechnung der SUVA vom 11. Dezember 2008, anderseits macht er geltend, wegen des Todes seines Vaters seien drei zusätzliche Arbeitstage und nicht bloss deren zwei zu
BGE 139 V 161 S. 163
berücksichtigen. Da zudem im Betrieb die übliche Wochenarbeitszeit 42 Stunden betragen habe, seien pro Ausfalltag 8,4 Stunden anzurechnen.
4.2.2
Entgegen den Ausführungen des Versicherten kann auf die Berechnung der SUVA vom 11. Dezember 2008 nicht abgestellt werden, da bei der Bemessung des versicherten Verdienstes für die Renten keine "Zusatz-Stunden für unregelmässige Ausfälle" zu berücksichtigen sind.
4.2.3
Demgegenüber stellt sich die Frage, ob und in welchem Ausmass im Rahmen von
Art. 24 Abs. 1 UVV
Ausfallstunden wegen eines Todesfalles in der Familie anzurechnen sind. Die Rechtsprechung hat die Frage, ob die Aufzählung der im Rahmen von
Art. 24 Abs. 1 UVV
(bzw.
Art. 23 Abs. 1 UVV
) zu berücksichtigenden Korrekturgründe abschliessend ist, bisher offengelassen (
BGE 114 V 113
E. 3d S. 118). In der Lehre wird diese Frage - unter Vorbehalt besonderer gesetzlicher Bestimmungen - grundsätzlich bejaht (ALFRED MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl. 1989, S. 331; ANDRÉ PIERRE HOLZER, Der versicherte Verdienst in der obligatorischen Unfallversicherung, SZS 2010 S. 201 ff., 216 f.; vgl. auch RKUV 1999 S. 95, U 178/96 E. 2c/cc und PHILIPP GEERTSEN, Das Komplementärrentensystem der Unfallversicherung zur Koordination von UVG-Invalidenrenten mit Rentenleistungen der 1. Säule [
Art. 20 Abs. 2 UVG
], 2011, S. 205 f.). Dem Bundesrat kommt bei der Ausgestaltung der im Rahmen von
Art. 15 Abs. 3 UVG
(SR 832.20) zu erlassenden Sonderbestimmungen ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Vergleicht man die Tatbestände von
Art. 24 Abs. 1 UVV
mit jenen von
Art. 324a OR
, so fällt auf, dass die UVV-Regelung enger gefasst ist als jene des OR. Da es sich bei der UVV-Bestimmung um die jüngere Norm handelt, ist diese Abweichung und damit die relative Strenge der Norm als vom Verordnungsgeber beabsichtigt anzusehen. Mit dieser Ausgestaltung der Sonderregelung hat der Bundesrat seinen Ermessensspielraum nicht überschritten. Somit ist davon auszugehen, dass die Aufzählung der Tatbestände in
Art. 24 Abs. 1 UVV
abschliessend ist.
4.2.4
Verdienstausfälle in Folge des Todes von Angehörigen der versicherten Person sind in der Aufzählung von
Art. 24 Abs. 1 UVV
nicht enthalten. Eine entsprechende Aufrechnung des Einkommens findet demgemäss nicht statt. Selbst wenn man demnach davon ausgehen würde, entgegen der Berechnung der SUVA seien für jeden
BGE 139 V 161 S. 164
Ausfalltag 8,4 Stunden anzurechnen, so erweisen sich die von der Anstalt anerkannten 94 Zusatzstunden jedenfalls nicht zu Ungunsten des Versicherten als rechtswidrig.
4.2.5
Sind somit zusätzlich zum tatsächlich erzielten Verdienst von Fr. 94'323.80 aufgrund von Art. 24 Abs. 1 UVV 94 Zusatzstunden anzurechnen, so beträgt der aufgrund von
Art. 24 Abs. 1 UVV
korrigierte Verdienst Fr. 99'493.-. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
bfb3b7c4-c78c-4d19-80ea-1311aa5c4d4b | Urteilskopf
99 Ia 22
4. Urteil vom 28. März 1973 i.S. Prof. Dr. X. | Regeste
Art. 4 BV
; rechtliches Gehör im Disziplinarverfahren.
Sofortige vorläufige Einstellung eines Chefarztes am Kantonsspital in seinem Amt, nachdem ein Gutachten zum Schluss gekommen ist, der Arzt habe einen schweren Kunstfehler begangen und dadurch den Tod eines Patienten mitverursacht. Kein Verstoss gegen
Art. 4 BV
, dass die Aufsichtsbehörde dem Arzt vor der vorläufigen Einstellung im Amt keine Gelegenheit gegeben hat, zum Gutachten Stellung zu nehmen. | Sachverhalt
ab Seite 22
BGE 99 Ia 22 S. 22
A.-
Prof. Dr. med. X. wurde 1968 zum Chefarzt der Ohren-Nasen-Hals-Abteilung eines Kantonsspitals gewählt und nahm seine Tätigkeit am 1. September 1968 auf.
Im Juni 1971 beschloss der Regierungsrat des betreffenden Kantons, gegen Prof. X. ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Es wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt. Die Vorwürfe, die Prof. X. in diesem Verfahren gemacht wurden, bezogen sich zum Teil auf seine medizinische Tätigkeit, indem behauptet wurde, er habe in einzelnen Fällen Patienten unrichtig behandelt. Das Verfahren ist noch hängig. Prof. X. hatte Gelegenheit, sich zu den Vorhalten zu äussern.
B.-
Am 24. September 1972 trat der 1932 geborene H. F. als Privatpatient des Prof. X. in die Ohren-Nasen-Hals-Abteilung des Kantonsspitals ein. Die Diagnose lautete auf "chronische Nebenhöhlenentzündung beidseits". Prof. X. nahm am 25. September eine Kieferhöhlen-Operation beidseits vor, die in Vollnarkose durchgeführt wurde. Im Verlauf der Operation
BGE 99 Ia 22 S. 23
stellte sich eine starke Blutung ein. Gegen Ende der Operation starb der Patient. Der Kantonsarzt verlangte von Prof. X. einen Bericht über die Operation, und am 3. November wurde Prof. Dr. med. Y, Spezialarzt für Ohren-, Nasen- und Hals-Krankheiten in Z., beauftragt, ein Gutachten über die Operation zu erstatten. Dieses traf am 21. November 1972 beim Personalamt des Kantons ein. Der Experte führte darin abschliessend aus: "Unter den vorliegenden Umständen muss die bei einem Blutdruck von 65/35 mm Hg vorgenommene beidseitige Conchotomie als schwerer Kunstfehler bezeichnet werden, der den Tod des Patienten mitverursacht hat."
Am 22. November 1972, am Tag nach dem Eintreffen des Gutachtens, beschloss der Regierungsrat gestützt auf das kantonale Verantwortlichkeitsgesetz, Prof. X. mit sofortiger Wirkung in seinem Amt als Chefarzt mit Gehaltsentzug vorläufig einzustellen. Es wurde ihm damit untersagt, am Kantonsspital auf medizinischem Gebiet in irgendeiner Weise weiterhin tätig zu sein. Ferner beschloss der Regierungsrat, das Vorkommnis, welches Anlass zur vorläufigen Amtseinstellung gab, in das Disziplinarverfahren mit einzubeziehen.
C.-
Gegen den Entscheid des Regierungsrats vom 22. November 1972 hat Prof. X. gestützt auf
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde eingereicht.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Prof. X. beschwert sich einzig über eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Er macht geltend, er habe vom Gutachten des Prof. Y. keine Kenntnis erhalten und sich gegen den darin enthaltenen Vorwurf des Kunstfehlers nicht verteidigen können. Wenn ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden wäre, wäre ihm der Nachweis leicht gefallen, dass er für den Tod des Patienten H. F. in keiner Weise verantwortlich sei. Er führt sodann aus, auf welche Weise er diesen Beweis hätte erbringen können.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird zunächst grundsätzlich durch die kantonalen Verfahrensvorschriften umschrieben. Wo sich dieser Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden, also bundesrechtlichen Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz, die dem Bürger in allen Streitsachen ein bestimmtes Mindestmass an Verteidigungsrechten gewährleisten.
BGE 99 Ia 22 S. 24
Ob der bundesrechtliche Gehörsanspruch verletzt ist, prüft das Bundesgericht frei (
BGE 98 Ia 6
, 76 und 131).
b) Das Disziplinarrecht, wie es unter anderem für die Chefärzte des Kantonsspitals gilt, ist im kantonalen Verantwortlichkeitsgesetz geordnet. Nach diesem kann die zuständige Disziplinarbehörde die vorläufige Amtseinstellung mit Gehaltsentzug anordnen. Das Verantwortlichkeitsgesetz enthält ausführliche Vorschriften, die die Verteidigungsrechte des Beschuldigten sichern. Ein Disziplinarentscheid darf nur getroffen werden, wenn dem Beschuldigten vorher Gelegenheit gegeben wurde, sich zum Sachverhalt und zur Schuldfrage zu äussern. Es muss ihm Einsicht in die Akten und Gelegenheit gegeben werden, eine Ergänzung der Untersuchung zu beantragen. Damit ist aber nur gesagt, dass dem Beschuldigten diese Verteidigungsrechte einzuräumen sind, bevor ein Disziplinarentscheid getroffen wird. Prof. X. ist nicht disziplinarisch bestraft worden. Er wurde vorläufig im Amt eingestellt. Das Verantwortlichkeitsgesetz schreibt nicht vor, dass der Beamte vor der vorläufigen Amtseinstellung Gelegenheit erhalten müsse, sich zu den Vorwürfen zu äussern, die zu einer solchen provisorischen Massnahme Anlass geben. Der Beschwerdeführer behauptet denn auch nicht, dass der Regierungsrat kantonale Verfahrensvorschriften verletzt hätte, die sich auf die Gewährung des rechtlichen Gehörs beziehen.
c) Es kann demnach nur fraglich sein, ob die kantonale Behörde unmittelbar aus
Art. 4 BV
fliessende Verfahrensregeln verletzt hat, indem sie Prof. X. vorläufig im Amt einstellte, ohne ihm vorher Gelegenheit zu geben, zu dem Gutachten von Prof. Y. Stellung zu nehmen und Entlastungsbeweise zu beantragen.
Die vorläufige Einstellung im Amt, die es Prof. X. verunmöglicht, seine bisherige Tätigkeit am Kantonsspital weiterzuführen, stellt einen empfindlichen Eingriff in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers dar, auch wenn die Massnahme nur provisorischen Charakter hat. Bei einem so bedeutenden Eingriff muss dem Betroffenen grundsätzlich vorher Akteneinsicht und die Gelegenheit gewährt werden, sich zu den erhobenen Vorwürfen zu äussern. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann indessen die zeitliche Dringlichkeit der zu treffenden Massnahme das Recht des Betroffenen, sich vor deren Erlass zu äussern, ausschliessen (
BGE 74 I 248
/9,
BGE 87 I 155
,
BGE 99 Ia 22 S. 25
98 Ia 8 lit. c; vgl. IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. A, II, S. 615). Wenn das öffentliche Interesse dringend eine sofortige Verfügung verlangt, ist die Behörde befugt, sie ohne Anhörung der betroffenen Person zu treffen (TINNER, Das rechtliche Gehör, ZSR 83, 1964, II, S. 380 ff; vgl. LEVI, in: Rechtsprobleme der Stadtgemeinden, S. 229).
Es ist ausser Zweifel, dass der Regierungsrat die sofortige vorläufige Amtseinstellung für dringend hielt, hat er doch die angefochtene Massnahme bereits am Tag nach dem Eintreffen des Gutachtens von Prof. Y. getroffen. Die Auffassung des Regierungsrates, die sofortige vorläufige Amtseinstellung sei im öffentlichen Interesse geboten, lässt sich mit guten Gründen vertreten. Es steht zwar dahin, ob das Gutachten schlüssig ist. Bei vorläufiger Prüfung, wie sie die kantonale Behörde vorzunehmen hatte, konnte diese indessen davon ausgehen, der Beschwerdeführer habe möglicherweise durch einen Kunstfehler den Tod eines Patienten mitverursacht. Der beigezogene Experte ist Fachmann auf dem Gebiet der Ohren-Nasen-Hals-Krankheiten, und der Regierungsrat hatte keinen sichtbaren Grund, von vornherein an der Zuverlässigkeit des Gutachtens zu zweifeln. Nachdem schon im frühern Stadium des Disziplinarverfahrens, zum Teil von Ärzten, behauptet worden war, Prof. X. habe Patienten unrichtig behandelt, und nachdem der Experte in einem neuen Fall einen Kunstfehler festgestellt hatte, konnte der Regierungsrat mit Fug annehmen, es sei nicht mehr zu verantworten, Prof. X. weiterhin als Chefarzt amten zu lassen, bevor die fraglichen Fälle abgeklärt seien, und es dränge sich daher die unverzügliche vorläufige Einstellung im Amte auf. Wäre, was immerhin im Bereich des Möglichen lag, bei Fortführung der Chefarzttätigkeit des Beschwerdeführers von ihm ein Patient unrichtig behandelt worden, hätte sich der Regierungsrat den Vorwurf machen lassen müssen, er habe von den von einzelnen Personen, zum Teil Ärzten, erhobenen Vorwürfen und von der Expertise des Prof. Y. Kenntnis gehabt, ohne dass er eingeschritten sei.
Steht das Wohl der Patienten und das Vertrauen der Bevölkerung in die ärztliche Betreuung in einem Kantonsspital auf dem Spiel, so erheischt das öffentliche Interesse in Fällen wie dem zu beurteilenden rasches Handeln der staatlichen Aufsichtsbehörde. Der Regierungsrat hatte das öffentliche Interesse an der vorläufigen Amtseinstellung eines Chefarztes, dessen
BGE 99 Ia 22 S. 26
medizinische Tätigkeit nach dem bisherigen Ergebnis der Untersuchung zu schweren Bedenken Anlass geben konnte, gegenüber dem privaten Interesse des Beschwerdeführers an der Gewährung des rechtlichen Gehörs gegeneinander abzuwägen. Er durfte mit Rücksicht auf die bedeutenden Interessen der Patienten und des Spitals füglich der Meinung sein, das Moment der Dringlichkeit der Massnahme habe den Vorrang, weshalb davon abzusehen sei, dem Beschwerdeführer vor der Anordnung der vorläufigen Einstellung im Amt Gelegenheit zur Verteidigung zu geben. Bei dieser Sachlage kann der kantonalen Behörde keine Verletzung des sich aus
Art. 4 BV
ergebenden Anspruchs auf rechtliches Gehör zur Last gelegt werden.
d) Es versteht sich, dass Prof. X. im weitern Verlauf des Disziplinarverfahrens Gelegenheit erhalten muss, zu dem Gutachten des Prof. Y. Stellung zu nehmen und Entlastungsbeweise zu beantragen. Die kantonale Behörde hat das Verfahren mit tunlicher Beschleunigung durchzuführen, damit die vorläufige Amtseinstellung rückgängig gemacht werden kann, falls sich die erhobenen Vorwürfe als haltlos erweisen sollten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
bfb6eaa0-9f03-45a2-b051-5d314a7b9aef | Urteilskopf
97 V 120
29. Extrait de l'arrêt du 12 mai 1971 dans la cause W. contre Caisse de compensation de la Fédération romande de la ... et Commission cantonale ... de recours en matière d'assurance-vieillesse et survivants | Regeste
Art. 84 Abs. 1, 86 Abs. 1 AHVG und 106 Abs. 1 OG: Zustellung.
Die Verfügung, die in den Briefkasten eines Postfachinhabers gelegt wird, ist ihm damit gültig zugestellt. | Sachverhalt
ab Seite 120
BGE 97 V 120 S. 120
Résumé des faits:
A.-
Selon les reviseurs de la caisse de compensation, l'entreprise W. aurait omis de verser des cotisations paritaires sur de nombreux salaires. C'est pourquoi, dans cinq décisions en bonne et due forme, datées du 8 avril 1970, la caisse ordonna à son affilié de lui payer: 1) 92 446 fr. 95; 2) 7049 fr. 85; 3) 22 fr. 70; 4) 330 fr.; 5) 111 fr. 05. La caisse expédia ces décisions sous pli ordinaire, à une date qu'elle dit avoir été le 8 avril 1970.
B.-
L'entreprise W. dispose d'une case postale, où son courrier est régulièrement acheminé, et d'une boîte aux lettres, qui normalement n'est pas utilisée par la poste. Aux dires de K. P. W., il aurait trouvé les décisions du 8 avril 1970 dans cette boîte aux lettres, les tout premiers jours du mois de mai. Le 27 mai 1970, il écrivit à la caisse de compensation qu'il n'acceptait pas le compte de cotisation et qu'il s'excusait de ne l'avoir pas fait savoir plus tôt, s'étant absenté ... et son comptable aussi. La caisse de compensation transmit cette lettre à la commission cantonale de recours, en relevant que le recours était tardif. Telle fut aussi l'opinion de la commission, qui déclara le recours irrecevable en date du 2 juillet 1970.
C.-
K. P. W. a recouru en temps utile contre le jugement cantonal.
La caisse de compensation conclut au rejet du recours, aussi bien quant à la recevabilité qu'au fond.
BGE 97 V 120 S. 121
Dans son préavis, l'Office fédéral des assurances sociales propose de rejeter le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La commission cantonale de recours a retenu en fait, en substance: que la caisse de compensation a fait parvenir ses décisions à K. P. W. le 8 avril 1970; que K. P. W. a recouru de deux à trois semaines après l'échéance d'un délai de trente jours courant dès la réception des décisions et qu'il le reconnaît; que le recourant attribue ce retard à un voyage.
Ces faits ne sont pas manifestement inexacts et ils n'ont pas été établis au mépris de règles essentielles de la procédure (art. 105 al. 2 OJ). En effet, au début de sa lettre du 27 mai 1970 qui a été considérée comme un recours, K. P. W. a écrit à la caisse de compensation:
"Nous vous prions de bien vouloir excuser Monsieur W. de ne pas avoir répondu plus tôt à votre décompte de primes et au contrôle A.V.S. que vous avez effectué dans nos bureaux.
Monsieur W. s'est absenté de ... et son comptable était également en voyage, malgré toute notre bonne volonté nous n'avons pas pu vous répondre plus rapidement."
De ces lignes, ainsi que de l'examen des doubles des décisions (cf. l'arrêt Troxler, du 23 avril 1964, RCC p. 287), le premier juge pouvait déduire que les décisions expédiées le 8 avril 1970 étaient parvenues au recourant dans un délai normal, que le recourant reconnaissait agir tardivement et que ce retard était de deux à trois semaines. La situation était différente dans le cas Scherer, jugé le 12 mai 1950 (RCC 1950 p. 340), où manquaient tous indices de l'existence d'une notification. Au vrai, bien que ni la loi, ni le règlement (v. art. 128 RAVS, 13 et 16 de la circulaire de l'Office fédéral des assurances sociales sur le contentieux valable dès le 1er octobre 1964; cf. l'art. 34 LPA), ni la jurisprudence (v. p.ex. l'arrêt Relianz AG, du 20 décembre 1956, RCC 1957 p. 185) n'obligent les caisses à envoyer leurs décisions par lettre recommandée, il est regrettable que cette précaution ne soit pas prise lorsque, comme ici, des sommes importantes sont en jeu.
Les explications fournies par le recourant dans l'instance fédérale n'affaiblissent pas la constatation du premier juge. Car le recourant n'allègue pas que la poste aurait acheminé avec retard les décisions attaquées, mais seulement qu'elle les a
BGE 97 V 120 S. 122
déposées dans la boîte aux lettres et non dans la case postale. Le retard avec lequel le recourant a pris connaissance des décisions proviendrait, toujours selon lui, de ce que sa boîte aux lettres n'est relevée que les tout premiers jours de chaque mois, époque où les ouvriers y déposent des fiches de travail, des fiches de salaire et des feuilles de paie; il n'aurait donc eu connaissance des décisions que les tout premiers jours de mai. Cette version n'est pas incompatible avec celle de la commission cantonale de recours: les décisions ayant été, selon toute vraisemblance, déposées dans un délai normal dans la boîte aux lettres, soit le mercredi 9 ou le jeudi 10 avril, la lettre du 27 mai a bel et bien été expédiée 47 à 48 jours plus tard. La version actuelle du recourant apporte cependant à la version de la commission un complément, qui en droit n'est pas dénué d'intérêt. De ce complément, le Tribunal fédéral des assurances peut tenir compte, car le premier juge n'a pas instruit sur les circonstances de la notification des décisions, probablement parce que le recourant ne les avait pas mises en cause. Sur ce point, l'exposé des faits figurant dans le jugement est manifestement incomplet, au sens de l'art. 105 al. 2 OJ.
2.
Les décisions attaquées étant donc censées avoir été acheminées par la poste dans le délai usuel, il importe de déterminer le lieu où elles ont été mises à la disposition du recourant. Normalement, ce devrait être à la case postale, auquel cas le recours serait évidemment tardif, mais l'administration de la poste n'exclut pas qu'en l'occurrence ce courrier ait pu être déposé dans la boîte aux lettres du destinataire. Encore que le recourant n'ait rien dit de semblable dans sa lettre de recours du 27 mai 1970, cette version n'est pas d'emblée invraisemblable. Il faut se demander, par conséquent, si le dépôt de décisions dans la boîte aux lettres du titulaire d'une case postale constitue une notification valable, au sens de l'art. 84 al. 1er LAVS (v. aussi les art. 86 al. 1er LAVS et 106 al. 1er OJ), quand bien même la poste a pour consigne d'acheminer à la case le courrier de l'intéressé:
S'agissant de la notification prévue à l'art. 16 al. 1er première phrase LAVS, le Tribunal fédéral des assurances a dit dans l'arrêt Künzli, du 22 décembre 1956 (ATFA 1957 p. 49) que, pour être valablement notifiée, la décision doit non seulement être expédiée mais encore être mise à la disposition du destinataire ou de son représentant à leur juste adresse (verbindliche
BGE 97 V 120 S. 123
Adresse; v. aussi l'arrêt Charnières, du 23 mai 1949, RCC p. 302).
Conformément à la jurisprudence, l'Office fédéral des assurances sociales prescrit dans la circulaire sur le contentieux valable dès le 1er octobre 1964:
"14) Une décision est réputée notifiée à son destinataire dès qu'elle est parvenue en sa possession, c'est-à-dire dès que lui-même ou un représentant autorisé a eu la possibilité d'en prendre connaissance (TFA 22 décembre 1956, RCC 1957, p. 97).
15) Est réputée notifiée au destinataire la décision remise à un membre de sa famille faisant ménage commun avec lui (TFA 10 novembre 1949, RCC 1950, p. 35) ou encore à un aide (TFA 12 décembre 1962, RCC 1963, p. 263) ou service administratif (TFA 21 décembre 1959, RCC 1960, p. 130) apparaissant, aux yeux de tiers, habilité à recevoir telle communication."
Quant à la notion d'aide apparaissant habilité à recevoir une décision, le Tribunal fédéral des assurances l'avait précisée dans l'arrêt Felder, du 12 décembre 1962 (RCC 1963 p. 263). Il s'agit notamment des employés, lorsque l'exploitant a organisé ses rapports écrits avec autrui de telle manière qu'un tiers puisse considérer la notification à un employé comme également valable pour l'exploitant.
L'entreprise W. a son bureau à ... C'est l'adresse qui figure dans le livre du téléphone et - sans mention de la case postale - sur le papier à lettres de l'entreprise. Les décisions ont été envoyées à cette adresse, donc à la juste adresse. Elles y sont parvenues, dans la boîte aux lettres à ce qu'il faut admettre. La boîte aux lettres d'un bureau est un lieu où l'on peut déposer des messages, dans l'idée que le personnel compétent pour traiter le courrier en prendra possession chaque jour ouvrable. La boîte aux lettres n'est pas réservée aux communications postales; elle est accessible à tout correspondant. Il aurait été loisible à la caisse de compensation d'y faire porter ses décisions par un employé. En conséquence, les décisions attaquées, placées dans la boîte aux lettres du bureau de l'entreprise le 9 ou le 10 avril 1970, ont été dès ce moment-là à la disposition du recourant ou du personnel réputé le représenter. Si vraiment il s'est organisé de façon telle que sa boîte aux lettres ne soit vidée qu'une fois par mois, ce qui n'est guère vraisemblable, il l'a fait à ses risques et périls.
Le fait que la poste aurait dû user d'un autre mode d'acheminement, selon les art. 156 et 167 de l'ordonnance sur les
BGE 97 V 120 S. 124
postes du 1er septembre 1967 (ROLF p. 1447), ne change rien à l'affaire. Il est d'ailleurs bien connu que les erreurs de ce genre sont relativement courantes, surtout lorsque - contrairement aux recommandations des postes - les titulaires de cases postales n'invitent pas leurs correspondants à y adresser directement le courrier.
3.
Dès lors, les décisions attaquées étaient à la disposition de leur destinataire à la juste adresse de ce dernier, le 10 avril 1970 au plus tard. Elles indiquaient les voies de droit. Le délai de recours de 30 jours de l'art. 84 al. 1er LAVS expirait ainsi le 10 mai 1970, au plus tard également ...
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
bfb8cdab-1f38-45f1-97f8-200397da531b | Urteilskopf
118 II 422
83. Arrêt de la Ire Cour civile du 12 novembre 1992 dans la cause B. contre Compagnie d'assurances X. (recours en réforme) | Regeste
Mietzinserhöhung; Beginn der Vergleichsperiode bei Anwendung der relativen Berechnungsmethode.
Für die Beurteilung der zulässigen Mietzinserhöhung nach der relativen Methode ist sämtlichen bei der letzten Mietzinsfestsetzung unberücksichtigt gebliebenen Erhöhungsfaktoren Rechnung zu tragen, ausser es fehle an einem gültig formulierten Vorbehalt (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3).
Auswirkung früherer Änderungen des Hypothekarzinssatzes (
Art. 9 Abs. 2bis VMM
;
Art. 13 Abs. 4 VMWG
).
Wie weit ist in die Vergangenheit zurückzugreifen, um zu ermitteln, ob frühere Leitzinssatzänderungen tatsächlich zu Mietzinsanpassungen geführt haben? Frage offengelassen. Vorgehen bei einer solchen Ermittlung (E. 4a). Anwendung im konkreten Fall (E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 423
BGE 118 II 422 S. 423
A.-
Par contrat du 11 mars 1986, la Compagnie d'assurances X. a remis à bail à B. un appartement de quatre pièces et demie au sixième étage d'un immeuble sis à Genève. Le bail, conclu pour la période comprise entre le 1er mai 1986 et le 31 mars 1987, se renouvelait tacitement pour de nouvelles périodes venant à échéance le 30 septembre, le 30 juin ou le 31 mars. Le loyer annuel initial se montait à 10'440 francs, la provision pour le chauffage et l'eau chaude à 2'040 francs. A l'époque, le taux hypothécaire de référence - soit celui qu'applique la Banque hypothécaire du canton de Genève - était de 5 1/2%; il a été ramené à 5 1/4% dès le 1er avril 1987, puis à 5% dès le 1er septembre 1988 et a ensuite été relevé, d'un 1/2 point chaque fois, le 1er juillet 1989 (5 1/2%) et le 1er octobre de la même année (6%).
Le 10 décembre 1987, B. s'est vu notifier une augmentation de son loyer annuel, lequel a été fixé à 10'860 francs, dès le 1er avril 1988, motif pris d'une "adaptation du loyer suite au remplacement des fenêtres, à l'exclusion de tous autres motifs". Il ne l'a pas contestée.
Par avis de majoration du 9 juin 1989, la bailleresse a notifié à son locataire, qui ne l'a pas non plus contestée, une nouvelle majoration de loyer, faisant passer celui-ci à 11'952 francs par an, la provision pour charges étant, en revanche, ramenée à 1'632 francs, le tout à compter du 1er octobre 1989. Les rubriques topiques de la formule officielle utilisée à cette fin indiquaient ce qui suit:
"3. Divers:
- Hausse du taux hypothécaire à 5 1/4%.
Maintien du pouvoir d'achat du capital exposé aux risques (Indice suisse avril 1989, 114,8 pts). Hausse des coûts d'exploitation.
Motifs précis des prétentions ci-dessus:
- Réduction des acomptes de chauffage et d'eau chaude.
- Adaptation partielle aux loyers usuels du quartier qui se montent actuellement pour cet objet à Fr. 1.180,00/mensuel (Bases: taux hypothécaire à 5 1/4%, indice suisse avril 1989, 114,8 pts).
Demeure réservée la possibilité de faire valoir d'autres hausses jusqu'à ce que la valeur du loyer usuel du quartier mentionnée ci-dessus soit atteinte."
Le 8 décembre 1989, la bailleresse a notifié un troisième avis de majoration à B. pour l'informer que son loyer serait porté à 12'792 francs dès le 1er avril 1990. Cet avis contenait les précisions suivantes:
BGE 118 II 422 S. 424
"3. Divers:
- Hausse du taux hypothécaire à 5 3/4% (= + 7%).
(Base maintien du pouvoir d'achat du capital exposé aux risques: indice suisse avril 1989, 114,8 pts/niveau des coûts d'exploitation/autres frais: 30.09.1989.)
Motifs précis des prétentions ci-dessus:
- Les loyers usuels du quartier se montent actuellement pour cet objet à Fr. 1.270,00/mensuel (Bases: taux hypothécaire à 5 3/4%, indice suisse avril 1989, 114,8 pts. Niveau des coûts d'exploitation: 30.09.1989.)
Demeure réservée la possibilité de faire valoir d'autres adaptations selon les critères mentionnées (sic)."
Le locataire s'est opposé à cette majoration de loyer et la tentative de conciliation a échoué.
B.-
Saisi par la bailleresse, le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève, statuant le 16 avril 1991, a débouté la demanderesse de toutes ses conclusions.
Sur appel de la bailleresse, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers a annulé le jugement de première instance et fixé à 12'792 francs, charges non comprises, dès le 4 avril 1990, le loyer annuel de l'appartement loué par B.
C.-
Le défendeur recourt en réforme au Tribunal fédéral. Il conclut à l'annulation de l'arrêt attaqué et à la fixation du loyer annuel litigieux à 11'952 francs, sans les charges, dès le 1er avril 1990.
La demanderesse propose le rejet du recours et la confirmation dudit arrêt.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
S'agissant d'un bail reconductible tacitement, c'est-à-dire d'un bail de durée indéterminée (
ATF 114 II 166
consid. 2b), il y a lieu de tenir compte, pour le calcul de la valeur litigieuse, de l'augmentation de loyer contestée, soit 840 francs par an, montant qu'il convient de multiplier par vingt (
art. 36 al. 5 OJ
;
ATF 103 II 47
consid. 1). On obtient un total de 16'800 francs. Le recours est ainsi recevable au regard de l'
art. 46 OJ
.
2.
En vertu de l'art. 26 al. 1 de l'ordonnance du Conseil fédéral du 9 mai 1990 sur le bail à loyer et le bail à ferme d'habitations et de locaux commerciaux (OBLF; RS 221.213.11), les dispositions concernant la protection contre les loyers abusifs et autres prétentions abusives du bailleur en matière de baux d'habitations ou de
BGE 118 II 422 S. 425
locaux commerciaux sont applicables aux loyers initiaux ou aux majorations de loyer fixés ou notifiés avec effet après le 1er juillet 1990. En l'occurrence, l'avis de majoration a été notifié avant cette date (8 décembre 1989) et la hausse projetée devait entrer en vigueur avant celle-ci également (1er avril 1990). En application de la règle qui vient d'être énoncée, la validité de cette hausse sera donc examinée à la lumière des dispositions de l'ancien droit.
3.
Dans son recours en réforme, le défendeur, suivant en cela l'opinion des premiers juges, expose que, si l'on tient compte, conformément à la jurisprudence du Tribunal fédéral, du taux hypothécaire de référence à la date de l'entrée en vigueur du dernier loyer (1er octobre 1989), soit 6%, et qu'on le compare à celui qui avait cours à la date à laquelle la hausse sollicitée devait prendre effet, soit 6% également, la demanderesse ne peut pas fonder la hausse litigieuse sur la prétendue variation du taux hypothécaire intervenue depuis la dernière fixation du loyer. La cour cantonale et la demanderesse considèrent, quant à elles, que la validité de ladite hausse doit être examinée en fonction du taux connu par la bailleresse au moment de la notification de la précédente hausse de loyer.
a) aa) Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, la date de la dernière fixation de loyer est, en principe, celle de l'entrée en vigueur du dernier loyer (
ATF 111 II 380
consid. 2,
ATF 108 II 140
consid. 2c,
ATF 107 II 261
consid. 2,
ATF 106 II 166
); cette jurisprudence n'a d'ailleurs pas toujours été constante (LACHAT/MICHELI, Le nouveau droit du bail, 2e éd., p. 224, note 36) et d'aucuns ont relevé, ici et là, des cas dans lesquels le Tribunal fédéral était parti - sans donner d'explication, il est vrai - de la dernière notification de hausse (voir, entre autres exemples, les arrêts cités par ROCHAT, La jurisprudence récente en matière de loyer abusif, in JdT 1983 I 12, BARBEY, L'arrêté fédéral instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif, p. 62, note 220 in fine, EGLI, Aperçu de la jurisprudence récente du Tribunal fédéral en application de l'AMSL, in RJB 124/1988, p. 57, et CORBOZ, in SJ 1991, p. 311, note 2). Voilà dix ans, ROCHAT (op.cit., p. 13) avait déjà mis en évidence l'inconvénient majeur qu'entraînerait la solution actuelle, si elle était appliquée à la lettre, comme le propose le défendeur, à savoir l'impossibilité pour le bailleur de répercuter les augmentations de coûts, en particulier la hausse du taux hypothécaire de référence, intervenues entre la notification d'une précédente majoration de loyer et son entrée en vigueur. Pour parer à ce grave inconvénient, le Tribunal fédéral, recourant à la notion de réserve tacite, a concédé aux parties la faculté de formuler des
BGE 118 II 422 S. 426
réserves quant à l'évolution du loyer entre la notification de la hausse et son entrée en vigueur, en précisant la date de référence utilisée, notamment pour le taux de l'intérêt hypothécaire et l'indice des prix à la consommation (arrêts non publiés du 30 avril 1985, dans la cause Patria, consid. 2a, et du 5 novembre 1985, dans la cause S.I. Résidence de la Tourelle 2, consid. 1). Mais il a aussi laissé ouverte la question de savoir s'il fallait s'en tenir dans tous les cas à la date de l'entrée en vigueur du dernier loyer (arrêt non publié du 25 octobre 1984 dans la cause S.I. Résidence de la Tourelle 1c G., consid. 1b, reproduit in SJ 1985 p. 241 ss); à une occasion, il est même allé jusqu'à confirmer, en toute connaissance de cause, un arrêt dans lequel la cour cantonale avait pris en considération la date de notification de l'avis de majoration pour tenir compte de ce que le contrat de bail imposait le respect d'un long délai (plus d'un an) entre la notification des hausses et leur entrée en vigueur (arrêt non publié du 5 mars 1985, dans la cause S.I. Marché Centre c. H., consid. 3a, reproduit in SJ 1985 p. 385 ss).
Des critiques ont été émises à l'encontre de la solution consistant à se fonder sur la date d'entrée en vigueur du dernier loyer et à admettre l'existence d'une réserve tacite relativement aux facteurs de hausse apparus entre la notification de l'avis de majoration et cette dernière date (cf., parmi d'autres, LACHAT/STOLL, Das neue Mietrecht für die Praxis, 2e éd., p. 244/245, n. 2.4). On lui reproche, notamment, d'être incompatible non seulement avec le nouveau droit, qui exige que le montant auquel le bailleur renonce soit indiqué en francs ou en pour-cent du loyer (
art. 18 OBLF
), mais déjà avec la notion de réserve, qui postule la connaissance par le bailleur du motif de hausse auquel il renonce provisoirement en tout ou en partie et de l'ampleur de l'augmentation de loyer que ce motif pourrait justifier (HABERMACHER-DROZ, Pratique récente en matière de loyers, 7e Séminaire sur le droit du bail, Neuchâtel 1992, p. 17). La solution contestée est jugée contraire au principe de la confiance par cet auteur (voir déjà BARBEY, Ibid.), car elle néglige le fait que, tant lors de la conclusion du bail qu'à l'occasion d'une majoration de loyer, aussi bien l'offre du bailleur que l'acceptation du locataire sont fondées sur les éléments connus au moment où l'offre a été formulée (Ibid.). Ces critiques ont conduit les tribunaux genevois et vaudois à affirmer qu'ils s'écarteraient volontairement à l'avenir de la jurisprudence du Tribunal fédéral (voir, par exemple, un jugement rendu le 2 octobre 1991 par le Tribunal des baux du canton de Vaud dans la cause société W. c. H., ainsi qu'un arrêt de la Chambre d'appel en matière de baux et
BGE 118 II 422 S. 427
loyers du canton de Genève du 10 avril 1992 publiés, respectivement, in Cahiers du bail, 1/92, p. 17 ss, spéc. p. 19, et 2/92, p. 40 ss, l'arrêt genevois étant suivi d'un bref commentaire où il est indiqué que le système abandonné "avait fait l'objet d'une critique quasiment unanime des milieux intéressés, tous bords confondus").
bb) Il ressort de cet examen rétrospectif de sa jurisprudence en la matière que le Tribunal fédéral n'a jamais eu l'intention d'exclure, en jouant sur le point de départ de la période de référence, la possibilité pour le bailleur de répercuter sur le loyer l'augmentation des coûts intervenue entre la notification de la dernière hausse de loyer et son entrée en vigueur. Et pour cause: il n'eût pu le faire sans méconnaître la volonté du législateur, qui a entendu ne sanctionner que les loyers abusifs; or, précisément, ceux qui sont justifiés par des hausses de coûts ne méritent pas un tel qualificatif en règle générale (
art. 15 al. 1 let. b AMSL
et
art. 269a let. b CO
). La formulation de l'un ou l'autre des arrêts précités a, semble-t-il, jeté une certaine confusion dans les esprits, puisque aussi bien des tribunaux cantonaux, s'appuyant sur une partie de la doctrine, ont cru - à tort cependant - pouvoir y déceler une telle intention. Il est vrai, cependant, que la jurisprudence actuelle privilégie trop le critère temporel - la date de la notification, respectivement celle de l'entrée en vigueur, de la dernière hausse de loyer -, lequel ne permet pas à lui seul d'appréhender toutes les hypothèses envisageables, en particulier celle où le bailleur a tenu compte, lors de la notification de la précédente augmentation de loyer, d'une hausse annoncée du taux hypothécaire de référence, qui devait intervenir avant l'entrée en vigueur du loyer majoré. Aussi conviendra-t-il, à l'avenir, de mettre davantage l'accent sur les éléments matériels qui ont été retenus lors de la dernière fixation du loyer plutôt que de se concentrer sur le moment où la précédente augmentation de loyer a été notifiée ou est entrée en vigueur. Par conséquent, pour juger de l'admissibilité d'une majoration de loyer, dans le cadre de la méthode de calcul relative, on tiendra compte de tous les facteurs de hausse qui n'auront pas été pris en considération lors de la dernière fixation du loyer, à moins que l'absence d'une réserve valablement formulée n'y fasse obstacle le cas échéant. Toutefois, suivant les circonstances, la majoration de loyer, admissible au regard de cette règle, ne le sera en définitive que partiellement, voire pas du tout, faute d'une répercussion suffisante ou de toute répercussion sur le loyer d'une baisse antérieure du taux hypothécaire (
art. 13 al. 4 OBLF
; cf. consid. 4 ci-dessous).
BGE 118 II 422 S. 428
b) En l'espèce, à l'époque de la notification au défendeur de la dernière hausse de loyer non contestée, soit le 9 juin 1989, le taux hypothécaire de référence était de 5%. Toutefois, la demanderesse savait, alors déjà, que ce taux allait être porté à 5 1/2% avec effet au 1er juillet 1989, et ce facteur de hausse a été pris en considération par elle. Dans ces conditions, c'est à bon droit que la Chambre d'appel a retenu le taux de 5 1/2% comme premier terme de comparaison. Partant de là, elle a admis à juste titre que la hausse de 1/2% du taux hypothécaire de référence (passage de 5 1/2% à 6%), avec effet au 1er octobre 1989, qui est intervenue entre le 1er juillet 1989 et la date d'entrée en vigueur de la majoration de loyer contestée - le taux est resté le même entre le moment où cette majoration a été notifiée et celui où elle devait prendre effet - justifiait, en principe, une augmentation de 7%, en vertu de l'
art. 9 al. 3 let. b OSL
, faisant passer ainsi le loyer annuel du défendeur de 11'952 francs à 12'792 francs. Elle a eu raison, il sied de le préciser, d'examiner uniquement l'évolution du taux hypothécaire de référence, en faisant abstraction du taux différent mentionné dans les avis de majoration (
ATF 118 II 45
ss).
4.
Le défendeur reproche, par ailleurs, à la cour cantonale d'avoir omis d'appliquer l'
art. 9 al. 2bis OSL
. Il précise, à cet égard, qu'il avait expressément requis l'application de cette disposition dans une écriture du 11 décembre 1990 à laquelle il avait renvoyé la Chambre d'appel. A son avis, la hausse de loyer litigieuse ne saurait être admise sur le vu de cette disposition.
a) Aux termes de l'
art. 9 al. 2bis OSL
, lors d'une modification de loyer suite à un changement de taux de l'intérêt hypothécaire, il y a lieu de voir si et dans quelle mesure les changements antérieurs ont été répercutés. Cette disposition, qui est entrée en vigueur le 18 septembre 1989, était applicable aux baux modifiés dès cette date (RO 1989 p. 1856); elle a été reprise, sous une autre formulation, par l'
art. 13 al. 4 OBLF
actuellement en vigueur (LACHAT/MICHELI, op.cit., p. 228, note 55). L'interprétation de ces deux dispositions soulève de nombreuses et délicates questions (à ce sujet, cf. parmi d'autres auteurs: HABERMACHER-DROZ, op.cit., p. 6 ss; M.-CL. JEANPRÊTRE, La protection contre les loyers abusifs ou d'autres prétentions abusives du bailleur, in Repertorio di giurisprudenza patria, 123/1990, p. 10 ss, ch. 4; TRÜMPY, Bedeutung des revidierten Art. 9 Abs. 2bis VMM, in mietrechtspraxis (mp), 1989, p. 146 ss; pour des exemples d'application de l'
art. 13 al. 4 OBLF
, resp. de l'
art. 9 al. 2bis OSL
, cf., outre les arrêts
ATF 117 II 452
ss et 458 ss, le jugement vaudois précité reproduit dans les Cahiers du bail, 1/92, p. 17 ss, spéc.
BGE 118 II 422 S. 429
p. 20 ss, ainsi que les décisions publiées in mp 1991 p. 92 ss, 96 ss et 1990 p. 116 ss, et in Communications de l'Office fédéral du logement concernant le droit du loyer, No 23, p. 21 ss; voir aussi les décisions répertoriées par ROLLINI, La jurisprudence relative à l'art. 13 alinéa 4 OBLF, in Cahiers du bail, 2/92, p. 33 ss). Dans la présente espèce, il n'est pas nécessaire d'aborder la plupart d'entre elles. Peut, en particulier, demeurer indécise la plus épineuse, qui consiste à déterminer jusqu'où il convient de remonter dans le passé. En effet, comme l'
art. 9 al. 2bis OSL
n'est entré en vigueur que postérieurement à la notification de la dernière hausse de loyer non contestée fondée sur une hausse du taux hypothécaire, le défendeur ne pouvait pas invoquer à l'époque cette disposition pour faire vérifier si les baisses du taux hypothécaire intervenues auparavant avaient été répercutées sur son loyer; telle est la raison pour laquelle il ne serait pas possible, en l'espèce, voulût-on adopter l'une des solutions envisageables, de ne remonter que jusqu'à la dernière modification du loyer consécutive à une variation du taux hypothécaire, ce qui conduirait, si on le faisait, à constater que le taux de référence n'a pas baissé depuis lors et, partant, à entériner la majoration de loyer litigieuse.
De quelle manière la vérification rétrospective doit-elle être faite? Une première méthode consiste à calculer la hausse de loyer admissible entre le début du bail et la hausse litigieuse, en tenant compte des facteurs de hausse relatifs et en faisant abstraction des modifications de loyer intervenues entre ces deux fixations; si le loyer contesté est supérieur au loyer ainsi calculé, on admettra que les baisses du taux hypothécaire n'ont pas ou pas suffisamment été répercutées et l'on déduira (tout ou partie) de la différence obtenue. Toutefois, outre qu'elle suppose un retour en arrière jusqu'au début du bail - démarche dont l'admissibilité reste encore à démontrer, cette question ayant été laissée ouverte dans le cas particulier -, une telle méthode, comme le relève à juste titre HABERMACHER-DROZ (op.cit., p. 8), si elle a le mérite de la simplicité, ne tient en revanche pas compte des motifs invoqués par le bailleur, auxquels le Tribunal fédéral attache pourtant une importance décisive; d'autre part, elle n'est guère applicable lorsqu'une hausse antérieure est fondée sur d'autres facteurs de hausse, tel celui des loyers usuels. Avec cette auteur (Ibid.), il y a donc lieu de lui préférer la méthode appliquée par les tribunaux vaudois. Ainsi, le juge devra se référer aux modifications effectives du loyer intervenues durant la période à prendre en considération et les réexaminer successivement, selon la méthode relative, en tenant compte des motifs invoqués par le bailleur à l'appui de
BGE 118 II 422 S. 430
chacune d'elles. C'est dire qu'il fera abstraction des compensations implicites alléguées par le bailleur, s'agissant des facteurs de hausse mentionnés dans les différents avis de majoration examinés rétrospectivement, pour ne retenir que celles qui ont été expressément motivées (
ATF 117 II 460
/461 consid. 2a et les références).
b) Dans l'intervalle séparant le début du bail (1er mai 1986) de l'entrée en vigueur de la première hausse de loyer non contestée (1er avril 1988), le taux hypothécaire de référence a passé, le 1er avril 1987, de 5 1/2% à 5 1/4%. Cette diminution du taux eût justifié une réduction de loyer de 3,38%. Elle n'a pas été compensée avec la majoration notifiée le 10 décembre 1987, laquelle se fondait exclusivement sur des prestations supplémentaires du bailleur (remplacement des fenêtres). Si donc la réduction du taux avait été répercutée sur le loyer annuel du défendeur, ce loyer n'aurait pas dû dépasser 10'507 francs en chiffres ronds après le 1er avril 1988, alors qu'il s'est élevé, en réalité, à 10'860 francs.
Le taux hypothécaire de référence a baissé à nouveau d'un quart de point le 1er septembre 1988 - soit avant la notification, le 9 juin 1989, de la seconde hausse non contestée d'un peu plus de 10%, qui a porté le loyer du défendeur à 11'952 francs par an dès le 1er octobre 1989 -, ce qui eût commandé une nouvelle réduction de loyer de 3,38%. La bailleresse n'a pas tenu compte de cet état de choses et n'a en tout cas pas indiqué expressément que le montant du loyer majoré résultait de la compensation entre les facteurs de hausse invoqués et le facteur de réduction que constituait la diminution du taux hypothécaire de référence. En effet, la majoration de loyer en question était motivée par la hausse de 1/2% du taux hypothécaire de référence qui devait passer de 5% à 5 1/2% le 1er juillet 1989 (cf. consid. 3b ci-dessus), hausse qui permettait d'augmenter le loyer de 7%, et, pour les quelque 3% restants, par le renchérissement et la hausse des coûts d'exploitation. Il apparaît donc que cette majoration de loyer résultait effectivement de la répercussion intégrale des facteurs de hausse invoqués à son appui, sans que l'un de ceux-ci ait servi à compenser la réduction de loyer de 3,38% qu'eût justifiée la baisse d'un quart de point du taux hypothécaire de référence. Par conséquent, le dernier loyer annuel non contesté, entré en vigueur le 1er octobre 1989, n'aurait pas dû excéder le montant de 11'203 francs en chiffres ronds, si le précédent loyer admissible (10'507 francs) avait été réduit de 3,38% lors de l'entrée en vigueur de la baisse du taux hypothécaire de référence.
Comme la dernière hausse de loyer de 7%, qui fait l'objet du présent litige et qui est fondée exclusivement sur la hausse d'un
BGE 118 II 422 S. 431
demi-point du taux hypothécaire de référence, est justifiée (cf. consid. 3b ci-dessus), le loyer annuel du défendeur, arrêté au 1er avril 1990, devrait s'élever à 11'987 francs. Ce montant étant inférieur à celui qui est mentionné dans l'avis de majoration du 8 décembre 1989 (12'792 francs), l'augmentation de loyer en cause apparaît inadmissible dans la mesure où elle l'excède, faute pour le bailleur d'avoir répercuté, conformément à l'
art. 9 al. 2bis OSL
, les deux baisses successives du taux hypothécaire de référence intervenues antérieurement. Dans ces conditions, il y a lieu d'admettre partiellement le recours et de réformer l'arrêt attaqué en ce sens que la majoration de loyer requise par la demanderesse, à compter du 1er avril 1990, ne sera admise que jusqu'à concurrence d'un montant de 11'987 francs par an, charges non comprises. Le loyer ainsi rectifié correspond à un taux hypothécaire de référence de 6%.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet partiellement le recours et réforme l'arrêt attaqué en ce sens que la majoration du loyer du défendeur, à compter du 1er avril 1990, est reconnue valable jusqu'à concurrence d'un montant annuel de 11'987 francs, charges non comprises, la demande étant rejetée pour le surplus. | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bfc08309-8089-416d-a310-3dd2385179ef | Urteilskopf
118 II 168
34. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 27 mai 1992 dans la cause Coopérative C. contre L. (recours en réforme) | Regeste
Kündigung des zwischen einer Wohngenossenschaft und einem Mitglied abgeschlossenen Mietvertrages.
1. Es besteht keine notwendige materielle Streitgenossenschaft zwischen Eheleuten, welche die Wohnung gemeinsam gemietet haben (E. 2).
2. Eine Wohngenossenschaft kann das Mietverhältnis mit einem Mitglied nur wegen eines in den Statuten vorgesehenen Ausschlussgrundes oder wegen wichtiger Gründe kündigen. Vorbehalten ist der Fall, dass im Mietvertrag in dieser Hinsicht eine besondere Regelung vorgesehen ist (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 118 II 168 S. 168
A.-
Depuis 1959, la coopérative d'habitation C. loue un appartement de six pièces aux époux L.; L. est membre de la coopérative. Le 6 avril 1987, la bailleresse a résilié le contrat pour le 28 février 1988 et notifié aux époux L. la décision du conseil d'administration de les exclure de la société.
BGE 118 II 168 S. 169
L. a ouvert une action tendant à la constatation de la nullité du congé, subsidiairement à la prolongation du bail. Par arrêt du 2 octobre 1989, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers du canton de Genève a annulé un jugement du Tribunal des baux et loyers qui avait débouté le demandeur au motif qu'il aurait dû agir conjointement avec son épouse. Dans un second jugement, le Tribunal des baux et loyers a débouté L. de toutes ses conclusions. Statuant sur appel le 3 juin 1991, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers a mis à néant ce jugement et annulé le congé.
Par ailleurs, l'assemblée générale de la coopérative a confirmé l'exclusion de L. Le Tribunal de première instance du canton de Genève a annulé cette décision par jugement du 2 mars 1989 ayant acquis depuis lors force de chose jugée.
B.-
La coopérative C. interjette un recours en réforme contre les arrêts rendus les 2 octobre 1989 et 3 juin 1991 par la Chambre d'appel en matière de baux et loyers. Elle conclut, principalement, au rejet de la requête en prolongation de bail et, subsidiairement, à la validité du congé.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
a) Sauf exceptions dont les conditions ne sont pas réalisées en l'espèce, le recours dirigé contre la décision finale se rapporte aussi aux décisions qui l'ont précédée (
art. 48 al. 3 OJ
). Ainsi un jugement préjudiciel écartant une objection, comme le défaut de qualité pour agir, peut être revu dans le recours en réforme interjeté contre la décision finale, pour autant que les recours cantonaux aient été préalablement épuisés (POUDRET, COJ II, n. 4.1.1 et 4.1.2 ad art. 48). En l'occurrence, il y a donc lieu d'entrer en matière sur le grief dirigé contre l'arrêt du 2 octobre 1989 par lequel la Chambre d'appel en matière de baux et loyers a admis la qualité du demandeur à contester seul le congé notifié le 6 avril 1987.
b) Selon la défenderesse, les époux L., cosignataires du bail, devaient agir ensemble en vertu d'une consorité matérielle nécessaire. Pour sa part, la cour cantonale a admis que le demandeur aurait dû en principe agir avec son épouse, tout en estimant que cette exigence procédait en l'espèce d'un formalisme excessif.
Il y a consorité matérielle nécessaire (active) lorsque plusieurs personnes sont ensemble titulaires du droit en cause, de sorte que chaque
BGE 118 II 168 S. 170
cotitulaire ne peut pas l'exercer seul en justice. C'est le droit matériel qui indiquera dans quels cas la consorité est nécessaire (HABSCHEID, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2e éd., n. 280 ss; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3e éd., p. 296; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4e éd., p. 155; VOYAME, Droit privé fédéral et procédure civile cantonale, in RDS (80) 1961, p. 128). Ainsi, par exemple, le droit au partage contre un héritier doit être, en principe, déduit en justice par tous les autres héritiers, en tant que consorts nécessaires (
ATF 86 II 451
,
ATF 100 II 440
; voir également
ATF 90 II 1
). En l'occurrence, les époux L. sont colocataires solidaires. Si tous les deux disposent d'un droit sur la chose louée, cela ne signifie pas pour autant qu'il ne puisse être exercé que conjointement. La solidarité implique précisément que chacun puisse faire valoir les droits découlant du contrat (
art. 150 CO
; LACHAT/ MICHELI, Le nouveau droit du bail, p. 81; KOCH, Der Schutz der Familienwohnung aus mietrechtlicher Sicht, in Plädoyer n. 6/89, p. 46). Au demeurant, le demandeur vivait dans l'appartement en cause avec son épouse. Or, que l'on applique l'ancien droit matrimonial - en vigueur au moment de l'introduction de l'action - ou le nouveau droit valable depuis le 1er janvier 1988, l'époux était habilité à agir seul. En effet, conformément à l'art. 162 al. 1 aCC, le mari représente l'union conjugale. Par ailleurs, selon les art. 271a al. 2 aCO et 273a al. 1 CO, le conjoint du locataire peut, en particulier, contester le congé lorsque la chose louée sert de logement à la famille (
ATF 115 II 362
/363). Si les conjoints peuvent exercer individuellement les droits découlant du bail lorsqu'ils ne sont pas colocataires, il n'y a pas de raison de nier cette possibilité lorsqu'ils le sont. En conclusion, le moyen tiré de l'absence de qualité pour agir du demandeur doit être rejeté.
3.
a) Selon l'arrêt attaqué du 3 juin 1991, tout membre de la coopérative dispose d'un droit à obtenir un logement propriété de la société et, par conséquent, un droit à sa jouissance durable. Dans ces circonstances, le bail ne peut être résilié que dans les cas graves, qui justifieraient l'exclusion d'un membre, ainsi que dans les cas expressément prévus par les statuts. Le grief de l'occupation intermittente de l'appartement ne constituant pas un motif de résiliation selon les statuts, le congé du 6 avril 1987 doit être annulé.
Pour la défenderesse, les statuts n'accordent aux coopérateurs aucun droit subjectif à l'octroi d'un logement. La bailleresse était dès lors habilitée à résilier le bail, en se bornant à respecter les délais de congé prévus dans le contrat. En niant cette possibilité, la cour cantonale
BGE 118 II 168 S. 171
aurait violé le droit fédéral en matière de résiliation des baux à loyer.
b) Les parties sont liées par deux rapports de droit. D'une part, elles ont conclu un contrat de bail à loyer. D'autre part, le demandeur est associé de la coopérative. Le problème en l'occurrence est de savoir si et dans quelle mesure le premier rapport est dépendant du second.
aa) Selon la définition légale, la société coopérative a pour but principal de favoriser ou de garantir, par une action commune, des intérêts économiques déterminés de ses membres (
art. 828 CO
). Bien qu'il ne soit pas mentionné expressément dans la loi, le droit des associés d'utiliser les installations sociales découle directement de ce but (MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Grundriss des schweizerischen Gesellschaftsrechts, 6e éd., p. 340, n. 46; FJS 1158, p. 7). En l'espèce, le but de la coopérative d'habitation C. est de procurer à ses membres des logements familiaux aux conditions de l'arrêté fédéral du 8 octobre 1947 concernant les mesures destinées à encourager la construction de maisons d'habitation (art. 2 des statuts). L'art. 3 des statuts ajoute que les appartements de l'immeuble social sont destinés à être loués aux membres de la coopérative. Certes, les statuts ne contiennent aucun article mentionnant en toutes lettres le droit de chaque membre à disposer d'un appartement. Il ressort toutefois clairement du but tel que retranscrit plus haut que ce droit est garanti implicitement par les statuts.
La résiliation du bail par le bailleur revient à supprimer le droit d'usage du coopérateur-locataire contre la volonté de ce dernier. Pratiquement, une telle mesure équivaut à l'exclusion de la société coopérative. Logiquement, il convient dès lors de soumettre ces deux actes juridiques à des conditions identiques (ZR 1979, n. 65, p. 142; SUSY B. MOSER, Wohnbaugenossenschaften, thèse Zurich 1978, p. 164; voir également BARBEY, Commentaire du droit du bail, Protection contre les congés concernant les baux d'habitation et de locaux commerciaux, Introduction et
art. 271-271a CO
, n. 180, p. 71, selon lequel l'application exclusive du droit du bail apparaît difficilement acceptable sur le plan juridique lorsque le droit d'usage du logement et la qualité de coopérateur sont liés). Le congé n'est ainsi admissible que pour des motifs statutaires ou de justes motifs, sous réserve du cas où le contrat de bail prévoirait expressément une réglementation particulière à ce sujet. Sur ce dernier point, il faut toutefois préciser que la possibilité de résilier librement le bail serait incompatible avec le système de la coopérative d'habitation (ZR
BGE 118 II 168 S. 172
1979, n. 65, p. 142; MOSER, Wohnbaugenossenschaften, thèse Zurich 1978, p. 164).
bb) Aux termes de l'art. 3 du bail du 16 mars 1959, le contrat se renouvelle d'année en année, sauf résiliation notifiée trois mois avant l'échéance. Au surplus, aucun motif de congé ne figure dans le contrat. Il faut donc admettre en l'espèce que le bail ne peut être résilié par la bailleresse que si l'un des motifs d'exclusion de la coopérative prévus à l'art. 10 des statuts est réalisé. Les hypothèses envisagées sous la lettre a de l'art. 10 n'entrant pas en ligne de compte, il convient d'examiner si le demandeur a intentionnellement agi en contradiction avec les statuts ou les décisions de la coopérative (let. b) ou si le comportement qui lui est reproché constitue un "autre juste motif" (let. c). Or, dans la procédure parallèle en exclusion engagée contre le demandeur pour les mêmes motifs, le Tribunal de première instance a déjà estimé dans son jugement du 2 mars 1989 que les conditions de l'art. 10 n'étaient pas réalisées et que l'exclusion du demandeur de la coopérative n'était ainsi pas justifiée. Il n'y a pas lieu de revenir ici sur cette décision qui n'a fait l'objet d'aucun recours et qui a acquis force de chose jugée.
En conclusion, la Chambre d'appel n'a pas violé le droit fédéral en annulant le congé signifié le 6 avril 1987. L'arrêt du 3 juin 1991 sera dès lors confirmé. | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bfc1df44-97b6-4fe3-a70a-77463232bcac | Urteilskopf
120 II 97
21. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Januar 1994 i.S. J. gegen X. AG (Berufung) | Regeste
Verletzung der Persönlichkeit durch Äusserungen der Presse, Genugtuung (
Art. 49 Abs. 1 OR
).
Voraussetzungen für die Zusprechung einer Genugtuung (E. 2a, 2c, 2d).
Der Ansprecher hat die Umstände darzutun, aus welchen von der objektiv schweren Verletzung auf seinen seelischen Schmerz geschlossen werden kann (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 98
BGE 120 II 97 S. 98
Das Kantonsgericht Zug stellte mit Urteil vom 22. Januar 1992 fest, dass die X. AG durch zwei Berichte in ihrem Massenblatt über den Handel mit Kriegsmaterial J. in seinen persönlichen Verhältnissen widerrechtlich verletzt habe; es ordnete die Urteilspublikation an und wies im übrigen das Begehren des J. um Zusprechung einer Genugtuung ab.
Das Obergericht des Kantons Zug wies die von J. dagegen eingereichte Berufung am 28. September 1993 ab.
Das Bundesgericht weist die Berufung ebenfalls ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 49 Abs. 1 OR
steht demjenigen, der in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, eine Geldsumme als Genugtuung zu, sofern die Schwere der Verletzung es rechtfertigt und diese nicht anders wiedergutgemacht worden ist. Das Obergericht hat zwar die Widerrechtlichkeit der vom Kläger durch die Presseberichte erlittenen Persönlichkeitsverletzung festgestellt, die weitern Voraussetzungen für die Zusprechung einer Genugtuung jedoch als nicht gegeben erachtet. Es führt in seinem Urteil insbesondere aus, der Kläger habe nicht einmal versucht, die von ihm erlittene Unbill zu beweisen.
a) Was dem Kläger gemäss den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz widerfahren ist, muss als objektiv schwere Verletzung bewertet werden. Er wurde in einem Massenblatt zweimal als Verkäufer von 19 F5-Jets an den Iran dargestellt, was ein völlig falsches Licht auf seine Rolle in diesem Flugzeugverkauf warf. Die strittigen Presseberichte beschlagen den Handel mit Kriegsmaterial, einen durch die Diskussion in der Öffentlichkeit mittlerweile sehr sensibilisierten Themenbereich. Zudem wurde der Kläger im Zusammenhang mit einer Persönlichkeit erwähnt, die im fraglichen Zeitraum aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit wiederholt ins Schussfeld der Medien geraten war.
b) Die objektiv schwere Verletzung muss vom Ansprecher zudem als seelischer Schmerz empfunden werden, ansonsten ihm keine Genugtuung zusteht (BREHM,
Art. 49 OR
N. 30). Es reagiert nicht jeder Mensch in gleicher Weise auf eine
BGE 120 II 97 S. 99
Verletzung seiner psychischen Befindlichkeit; der Richter muss daher bei deren Beurteilung auf einen Durchschnittsmassstab abstellen (BREHM,
Art. 49 OR
N. 21, N. 22). Damit der Richter sich überhaupt ein Bild von der Entstehung und Wirkung der Verletzung machen kann, hat der Kläger ihm die Umstände darzutun, die auf sein subjektiv schweres Empfinden schliessen lassen; dass der Gefühlsbereich dem Beweis mitunter schwer zugänglich ist, entbindet ihn jedoch nicht davon, diesen anzutreten (
Art. 8 ZGB
; BREHM,
Art. 49 OR
N. 7).
Gemäss den Feststellungen im angefochtenen Urteil hat der Kläger im kantonalen Verfahren keinerlei Beweise für die von ihm erlittene Unbill erbracht oder solche wenigstens angeboten. Offenbar ist er der Ansicht, dass innere Tatsachen nicht Gegenstand des Beweises bilden (vergleiche dazu:
BGE 118 II 142
E. 3a S. 147; KUMMER,
Art. 8 ZGB
N. 92; KRAMER,
Art. 18 OR
N. 75). Er hat gegen das von der Vorinstanz festgehaltene Beweisergebnis keine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
eingereicht; in seiner Berufung scheint er allerdings die Beweiswürdigung des Obergerichts in Frage zu stellen, was nicht zulässig ist (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
). Der Kläger begründet seinen Anspruch auf eine Genugtuung mit der Aussage, die widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung als solche sei geeignet, ihn psychisch erheblich zu beeinträchtigen. Das Bundesgericht könnte diesen Darlegungen nur folgen, wenn sie sich auf die allgemeine Lebenserfahrung abstützen liessen und somit nicht Gegenstand der Beweisführung darstellten. Erfahrungssätze erfüllen die Funktion von Normen, sie werden im Berufungsverfahren den Rechtssätzen gleichgestellt und frei überprüft. Diese Regelfunktion kommt einem Erfahrungssatz indessen bloss dann zu, wenn das in ihm enthaltene hypothetische Urteil, welches aus den in andern Fällen gemachten Erfahrungen gewonnen wird, in gleichgelagerten Fällen allgemeine Geltung für die Zukunft beansprucht, wenn er einen solchen Abstraktionsgrad erreicht, dass er normativen Charakter trägt (
BGE 117 II 256
E. 2b S. 258). Dies ist indessen vorliegend nicht der Fall.
c) Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz, soweit sie das Verschulden der Beklagten als Anspruchsvoraussetzung für eine Genugtuung nach
Art. 49 OR
betrachtet (vergleiche dazu: BBl 1982 II 681;
BGE 117 II 50
E. 3a S. 56; BREHM,
Art. 49 OR
N. 6).
d) Offen bleiben kann damit, inwieweit durch die angeordnete Urteilspublikation die widerrechtliche Verletzung der Persönlichkeit wiedergutgemacht wird und damit kein Raum mehr für die Zusprechung einer Genugtuung bliebe. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bfc4f56f-40d0-4aec-a398-7b86b0a6de7b | Urteilskopf
103 Ia 182
34. Auszug aus dem Urteil vom 25. Mai 1977 i.S. Gemeinde Savognin und Erben Steier gegen Regierung des Kantons Graubünden | Regeste
Gemeindeautonomie; Genehmigung von Zonenplänen (Graubünden).
1. Autonomie der Bündner Gemeinden bei der Festlegung von Zonenplänen (E. 2).
2. Voraussetzungen, unter denen die kommunale Zonenplanung auf kantonale Strassenbauprojekte keine Rücksicht zu nehmen braucht:
- wenn dem Kanton eigene adäquate Planungsmittel zur Verfügung stehen (Frage offen gelassen; E. 3a);
- wenn die Verwirklichung des kantonalen Bauvorhabens zu ungewiss ist (E. 3b).
3. Unklarheiten des kantonalen Genehmigungsbeschlusses (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 183
BGE 103 Ia 182 S. 183
Seit 1960 hat der Kanton Graubünden zahlreiche Projekte für eine Neuanlage der Julierstrasse im Oberhalbstein ausgearbeitet. Keine der verschiedenen Varianten ist jedoch über das Stadium des generellen Projektes hinaus gediehen. Wann darüber jemals Beschluss gefasst werden wird, steht nicht fest. Am 9. Dezember 1970 stimmte die Gemeindeversammlung Savognin einem Zonenplan und einem Strassenplan (je 1:2000) zu. Auf beiden Plänen war das Trasse der vom Kanton geplanten Talumfahrungsstrasse (Teil der künftigen Julierstrasse) eingezeichnet - und zwar in der Linienführung, wie sie damals vom Kanton bevorzugt worden war. Der Kleine Rat (Regierung) des Kantons Graubünden genehmigte am 13. September 1971 den Zonenplan ohne Vorbehalte und den Strassenplan mit hier nicht in Betracht fallenden Vorbehalten.
Am 29. Dezember 1975 stimmte die Gemeindeversammlung Savognin einem - wegen überdimensionierter Bauzonen - revidierten Zonenplan 1:2000 und einem neuen Baugesetz zu. Im Zonenplan war kein Trasse für die künftige Talumfahrungsstrasse mehr eingezeichnet. Die Gemeinde hatte darauf von sich aus verzichtet, da der Trasseverlauf immer noch nicht endgültig feststand. Wie die Regierung des Kantons Graubünden im Genehmigungsverfahren feststellte, hatte die Gemeinde inzwischen auch die kommunale Sammelstrasse "Sandeilas-Gravas" projektiert, die indessen nicht auf das generelle Projekt des kant. Tiefbauamtes für die neue Julierstrasse vom März/April 1973 abgestimmt war. Zur Wiederherstellung der Übereinstimmung ersuchte die Regierung am 21. Juni 1976 die Gemeinde, einen Strassenrichtplan nach den Art. 14 ff. des kantonalen Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973 (kurz RPG) zu erlassen. In diesem sei die nötige Bodenfläche für die künftige Umfahrungsstrasse samt Anschluss freizuhalten, wobei die Freihaltung vorläufig auf die Dauer von fünf Jahren beschränkt werden könne.
Mit Beschluss vom 12. Juli 1976 genehmigte dann die Regierung das neue Baugesetz und den Zonenplan, diesen aber mit folgenden zwei Vorbehalten in Ziffer 3:
"a) Die durch Deckpause markierten Bauzonen im Bereich der möglichen Umfahrungsstrasse (Talumfahrung) werden nicht genehmigt.
b) Die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen im Gebiet von "Barnagn" wird genehmigt. In dieser Zone sind aber im Sinne der
BGE 103 Ia 182 S. 184
Erwägungen grundsätzlich nur Sportanlagen und Fahrnisbauten, dagegen keine Hochbauten zulässig."
Der erste Vorbehalt (3a) wurde damit begründet, dass der Zonenplan von 1975 im Gegensatz zu jenem von 1970 die mögliche künftige Umfahrungsstrasse nicht mehr berücksichtige. Eine vorbehaltlose Genehmigung könnte deshalb jegliche spätere Neuanlage der Julierstrasse bei Savognin unverhältnismässig erschweren oder gar verunmöglichen. Die Gemeinde habe sich übrigens bereit erklärt, die nötige Bodenfläche für die künftige Umfahrungsstrasse vorläufig für fünf Jahre in einem Strassenrichtplan freizuhalten.
Die zweite Auflage (3b) wurde gemacht, "weil derzeit noch eine Variante für einen möglichen Anschluss (von Savognin) an die kant. Umfahrungsstrasse im Gebiet der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen in "Barnagn" besteht, und das kant. Projekt für die Umfahrungsstrasse diese Zone tangiert."
Wiedererwägungsgesuche der Gemeinde vom 20. und 27. August 1976 wurden am 13. September 1976 abschlägig beschieden.
Gegen die beiden Vorbehalte in Ziffer 3 des Regierungsbeschlusses vom 12. Juli 1976 haben die politische Gemeinde Savognin wegen Verletzung ihrer Autonomie sowie von
Art. 4 BV
und die Erben Caspar Steier wegen Verletzung der
Art. 4 und 22ter BV
sowie sinngemäss auch der Gemeindeautonomie staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Das Bundesgericht heisst beide Beschwerden gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
a) Ist eine Gemeinde nach dem massgebenden kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht in einem bestimmten Sachbereich zur Rechtsetzung ermächtigt und steht ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zu, so ist sie in diesem Sachbereich autonom. Das verfassungsmässige Recht der Gemeindeautonomie schützt sie in diesem Falle davor, dass die kantonale Behörde bei der Genehmigung des autonomen Gemeinderechts eine ihr verwehrte Ermessenskontrolle vornimmt oder die ihr zustehende Rechts- oder Ermessenskontrolle willkürlich ausübt (
BGE 101 Ia 261
E. 2).
BGE 103 Ia 182 S. 185
Das RPG ordnet die Raumplanung in den Gemeinden, in den Regionen und im Kanton (
Art. 1 RPG
), ohne jedoch eine abschliessende Regelung des Bau- und Planungsrechtes zu enthalten. Nach
Art. 18 RPG
ordnen die Gemeinden im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen die Nutzung des Gemeindegebietes mindestens durch das Baugesetz und den Zonenplan, den Erschliessungsplan, den Gestaltungsplan und den Finanzierungsplan. Nach
Art. 19 RPG
haben die Gemeinden ein Baugesetz zu erlassen, wenigstens das Baugebiet auszuscheiden und es nach Art und Mass der baulichen Nutzung in Zonen einzuteilen. Den Gemeinden steht dabei eine erhebliche Entscheidungsfreiheit zu. Sie sind demnach auf dem Gebiet des Bauwesens und der Zonenplanung weitgehend autonom (vgl.
BGE 100 Ia 204
; ZBl 78/1977 S. 221 E. 3a).
b)
Art. 37 Abs. 2 RPG
lautet:
"Baugesetz, Zonenplan, generelle Erschliessungs- und Gestaltungspläne wie auch Änderungen dieser Erlasse bedürfen der Genehmigung durch die Regierung und treten mit dem Genehmigungsbeschluss in Kraft. Die Regierung erteilt die Genehmigung, wenn keine gesetzlichen Vorschriften verletzt und die öffentlichen Interessen im Rahmen des pflichtgemässen Ermessens wahrgenommen worden sind. ..."
Die Regierung hat also im Genehmigungsverfahren die kommunalen Erlasse auf ihre Rechtmässigkeit zu prüfen. Dazu kommt eine beschränkte Ermessenskontrolle: wie die Regierung in ihrer Vernehmlassung unter Hinweis auf die Materialien zum RPG überzeugend darlegt, kann sie lediglich feststellen, "ob Ermessensüberschreitung oder Ermessensmissbrauch vorliegt, und dies nur hinsichtlich der Wahrnehmung öffentlicher Interessen;" es liege "vor allem nicht in der Beurteilungskompetenz der Regierung, eine im Rahmen des pflichtgemässen Ermessens bewerkstelligte Ortsplanung als unzweckmässig abzulehnen". Allerdings ist bei der Überprüfung der Zonenpläne eine klare Abgrenzung zwischen Rechts- und Ermessensfragen kaum möglich (vgl.
BGE 101 Ia 262
). Obwohl im RPG nicht ausdrücklich vermerkt, steht es der Regierung auch zu, eine Genehmigung nur mit Vorbehalten zu erteilen, wenn die Voraussetzungen nur für einen Teil der kommunalen Bestimmungen erfüllt sind (unveröffentlichtes Urteil Gemeinde Mutten vom 15. September 1975 E. 3). Dass als öffentliche Interessen, die im Sinne von
Art. 37 Abs. 2 RPG
wahrzunehmen sind, nicht nur jene der Gemeinde,
BGE 103 Ia 182 S. 186
sondern auch solche des Kantons gelten und dass die künftige Neuanlage der kantonalen Julierstrasse allgemein öffentliche Interessen der Gemeinde und des Kantons berührt, versteht sich von selbst und ist unbestritten.
3.
Die Regierung wirft der Gemeinde Savognin vor, den Ermessensspielraum überschritten zu haben, indem sie in ihrem Zonenplan von 1975 das Trasse für die generell projektierte kantonale Umfahrungsstrasse weggelassen habe; damit werde die im öffentlichen Interesse von Kanton und Gemeinde liegende, geplante Neuanlage der Julierstrasse bei Savognin unverhältnismässig erschwert oder gar verunmöglicht. Weil bereits der Zonenplan von 1970 die fragliche Umfahrungsstrasse enthalten habe und ihre Linienführung nur im Abschnitt gegen Tinizong geringfügig geändert worden sei, habe die Regierung bei der Genehmigung des Zonenplanes von 1975 in Ziffer 3 entsprechende Vorbehalte anbringen müssen.
a) Ob der Zonenplan der Gemeinde Savognin von 1975 die Neuanlage der Julierstrasse wirklich unverhältnismässig erschwert oder gar verunmöglicht, scheint zumindest fraglich. Immerhin könnte sich der Kanton die nötige Bodenfläche für die künftige Umfahrungsstrasse, wenn er sich über deren konkrete Linienführung im klaren wäre, mit eigenen Planungsmitteln in genügendem Masse freihalten. Wie die Beschwerdeführer zu Recht ausführen, kann nach
Art. 47 RPG
die Regierung in für die Grundeigentümer verbindlichen kantonalen Nutzungs- und Erschliessungsplänen freie Flächen für öffentliche Werke von kantonaler und regionaler Bedeutung (lit. a) sowie regionale Verkehrsanlagen (lit. b) festlegen, allerdings nur als vorsorgliche Massnahme, wenn wichtige Interessen der kantonalen oder regionalen Planung gefährdet sind und diesen Eingriff als unumgänglich erscheinen lassen (Art. 47 Abs. 2). Zur endgültigen Freihaltung des nötigen Terrains könnte die Regierung gemäss Art. 15 des Bündner Strassengesetzes vom 3. März 1957 (kurz StraG) für die projektierte Umfahrungsstrasse Bau- und Niveaulinien ziehen; diese sichernde Massnahme ist nämlich auch für Strassenbauten zulässig, die erst später zur Ausführung gelangen sollen (Art. 15 Abs. 2 Satz 2). Ob statt einer solchen positiven Sicherung des Trassegeländes der Kanton sich damit begnügen durfte, die für sein Bauvorhaben erforderliche, in bisherigen
BGE 103 Ia 182 S. 187
Bauzonen liegende Bodenfläche durch blosse Nichtgenehmigung des kommunalen Zonenplanes auf unbestimmte Zeit frei zu halten, ist zweifelhaft, da der Eingriff in die Gemeindeautonomie unter diesen Umständen unnötig und darum ungerechtfertigt scheint. Zudem sind Strassen tatsächlich und rechtlich etwas anderes als Bauzonen; ihr Trasse soll daher kraft der für sie vorgesehenen Planungsmittel (vor allem des Strassengesetzes) und nicht mittelbar durch Nichtgenehmigung von Bauzonen freigehalten werden. Schliesslich scheint auch fragwürdig, dass mit dem von der Regierung gewählten Vorgehen den betroffenen Grundeigentümern der Rechtsweg verkürzt wird: während diese sich gegen eine Sicherung des Strassentrasses nach den Art. 15 StraG oder 47 RPG schon mit Einsprache zur Wehr setzen können (vgl. Art. 8 Abs. 2 VV zum StraG und
Art. 48 Abs. 2 RPG
), steht ihnen gegen die hier zu beurteilende mittelbare Freihaltung des Trasses durch Nichtgenehmigung des Zonenplanes nur gerade die staatsrechtliche Beschwerde offen. - All diese Fragen brauchen hier indessen nicht entschieden zu werden, da die angefochtene Beschlussesziffer auch aus andern Gründen nicht vor der Bundesverfassung standhält.
b) Gemäss ständiger Praxis des Bundesgerichts kann das öffentliche Interesse für eine Eigentumsbeschränkung und insbesondere für ein Bauverbot - auf das die teilweise Nichtgenehmigung bisheriger Bauzonen wohl hinausläuft - auch in einem zukünftigen Bedürfnis des Gemeinwesens bestehen, doch muss es sich dabei um ein Bedürfnis handeln, das vom Gemeinwesen genau anzugeben ist und dessen Eintritt mit einiger Sicherheit zu erwarten ist (
BGE 102 Ia 369
E. 3,
BGE 94 I 136
E. 7b und
BGE 88 I 295
f.). Dieser Grundsatz, der im Hinblick auf die Eigentumsgarantie für das Verhältnis von Gemeinde und Grundeigentümer geprägt worden ist, muss sinngemäss auch im Hinblick auf die Gemeindeautonomie für das Verhältnis von Kanton und Gemeinde gelten.
aa) Bezüglich der geplanten Talumfahrungsstrasse steht nicht fest, ob und wann sie gebaut werden wird, welche Linienführung die endgültige sein wird, welches Verfahren eingeschlagen wird und ob die erforderlichen Kredite zur Verfügung stehen werden. Die verschiedenen generellen Projekte des kantonalen Tiefbauamtes für die Umfahrung von Savognin tragen nicht einmal einen Genehmigungsvermerk
BGE 103 Ia 182 S. 188
des Kleinen Rates; die jüngsten Situationspläne 1:1000 "(Abstimmung der Linienführung auf das Bauprojekt vom Dezember 1975 für die Gemeindestrasse Sandeilas-Gravas)" und 1:5000 ("1. Überarbeitung") stammen vom Mai bis Juli 1976. In den vom Kanton eingereichten umfangreichen Akten findet sich nur ein Plan mit einem Genehmigungsvermerk, nämlich der Situationsplan Julierroute 1:1000 von 1960 (genehmigt am 30. April 1963), der jedoch nur eine Umfahrungsstrasse oberhalb Savognins enthält. Für die Ortsdurchfahrtsstrasse besteht immerhin ein Auflageprojekt 1:500 vom April 1975; nach den vom Kanton nicht bestrittenen Angaben in der Beschwerde der Erben Steier soll der Kanton für das definitive kantonale "Ortsdurchfahrtsstrassen-Verbreiterungsprojekt" in allernächster Zeit den Landerwerb betreiben.
Ob, wann und wie daneben noch eine Talumfahrungsstrasse verwirklicht werden kann und soll, erklärt die Regierung weder im Beschluss vom 12. Juli 1976 noch in der Vernehmlassung. Es scheint somit wenig wahrscheinlich, dass diese Strasse in absehbarer Zeit gebaut wird, und das Bedürfnis, hiefür Land freizuhalten, erscheint als reichlich unbestimmt und entfernt. Das öffentliche Interesse - vor allem des Kantons - an der Freihaltung der nicht mehr genehmigten (angefochtene Ziffer 3a) oder mit einem Hochbautenverbot belegten (Ziffer 3b) Zonen und Zonenteile kann unter diesen Umständen nicht stark ins Gewicht fallen - auch wenn man berücksichtigt, dass jeder Planung Ungewissheitsmomente anhaften.
bb) Demgegenüber hat die Gemeinde in ihrer Zonenplanung 1975 durchaus achtenswerte eigene öffentliche Interessen berücksichtigt: Sie weist darauf hin, dass die durch Ziffer 3a nicht mehr genehmigten Zonenteile (in der Kernzone und Wohnzone W I) erschlossen und zur Überbauung geeignet sind, was von der Regierung nicht bestritten wird. Die Regierung stellt auch nicht in Abrede, dass die in "Barnagn" ausgeschiedene Zone für öffentliche Bauten und Anlagen, die im Zonenplan von 1970 noch Reservebaugebiet war, im öffentlichen Interesse der Gemeinde liegt; sie hat in Ziffer 3b ihres Beschlusses diese Zone nur deshalb mit einem Hochbautenverbot belegt, weil dort "derzeit noch eine Variante für einen möglichen Anschluss (von Savognin) an die kantonale Umfahrungsstrasse" bestände.
BGE 103 Ia 182 S. 189
cc) Da die Verwirklichung der kantonalen Talumfahrungsstrasse zu ungewiss ist und das Bedürfnis nach einer Freihaltung der erforderlichen Bodenfläche zu entfernt scheint, kann jedenfalls nicht angenommen werden, die Gemeinde habe bei der Abwägung der öffentlichen Interessen das ihr zustehende Ermessen geradezu missbraucht oder überschritten, indem sie in ihrem Zonenplan von 1975 die mögliche künftige Umfahrungsstrasse nicht mehr eingezeichnet hat; dabei kann offen bleiben, welche rechtliche Bedeutung der blossen Einzeichnung des Trasses im Zonenplan 1970 überhaupt zukommen konnte. Die Regierung hat daher mit ihren zwei Vorbehalten in der angefochtenen Ziffer 3 des Beschlusses vom 12. Juli 1976 zu Unrecht in die Autonomie der Gemeinde Savognin eingegriffen und zudem mittelbar ohne genügendes öffentliches Interesse die Beschwerdeführer Erben Steier in ihrer Eigentumsgarantie verletzt, sofern diese Grundeigentümer infolge der angefochtenen Ziffer 3a wirklich nicht mehr bauen dürfen (vgl. nachfolgende lit. c).
c) Überdies schuf die Regierung mit Ziffer 3a eine unklare Rechtslage, denn die Tragweite der Nicht(mehr)genehmigung bestimmter Zonenteile, die seit 1963 als Bauzone ausgeschieden waren, ist zweifelhaft; die Regierung gibt darüber weder im Beschluss vom 12. Juli 1976 noch in ihrer Vernehmlassung genügend Aufschluss.
aa) Würde für die nicht mehr genehmigten Zonenteile immer noch der alte Zonenplan 1970 gelten, so genügte die blosse Nichtgenehmigung nicht, um das Gebiet für die künftige Umfahrungsstrasse freizuhalten. Auch der seitens der Regierung von der Gemeinde abverlangte Strassenrichtplan (
Art. 14 ff. RPG
) nützte nichts, da solche Richtpläne zwar für die Planungsorgane der Gemeinde, nicht aber für die betroffenen Grundeigentümer verbindlich sind (
Art. 17 Abs. 1 RPG
).
bb) Bedeutete die Nichtgenehmigung jedoch, dass die fraglichen Gebietsteile nun nicht eingezont sind, so würde sie - obschon das die Regierung entschieden in Abrede stellt - doch auf eine der Gemeinde und den betroffenen Grundeigentümern vom Kanton aufgezwungene Rückzonung zugunsten eines kantonalen Projektes hinauslaufen; in diesem Falle hätte übrigens der Kanton - und nicht die Gemeinde - den betroffenen Grundeigentümern, die nun nicht mehr bauen können, allenfalls eine Entschädigung wegen materieller
BGE 103 Ia 182 S. 190
Enteignung zu leisten. Dass die Gemeinde - wie die Regierung in der Vernehmlassung weiter ausführt - ja immer noch den Zonenplan ganz oder auf die fraglichen Zonenteile bezogen überprüfen könne, ändert jedenfalls nichts daran und bedeutet für die Gemeinde keinerlei Verminderung des Eingriffs des Kantons in ihre Autonomie. Was schliesslich hier der von der Regierung verlangte Strassenrichtplan noch bezwecken könnte, ist nicht ersichtlich; er änderte ja nichts daran, dass im von der Genehmigung ausgenommenen Gebiet ohnehin nicht mehr gebaut werden dürfte.
Die angefochtene Beschlussesziffer 3a und ihre Begründung scheinen Unklarheiten und Widersprüche zu enthalten, die auch im Lichte von
Art. 4 BV
Bedenken aufkommen lassen (vgl.
BGE 97 I 327
und
BGE 94 I 12
). Zumindest werden dadurch die Zweifel an der Bestimmtheit der Absichten und Pläne des Kantons noch genährt.
d) Die Regierung macht geltend, bezüglich Ziffer 3b ihres Beschlusses sei die Beschwerde der Gemeinde Savognin hinfällig geworden. Die Gemeinde habe die Regierung mit Eingabe vom 20. August 1976 ersucht, die fragliche Auflage so abzuändern, dass das Hochbautenverbot auf den südlichen Teil der Zone beschränkt werde. Diese Frage sei dann in einer Aussprache vom 2. September 1976 zwischen Vertretern der Gemeinde und des Kantons erörtert worden. Die Regierung habe dabei eine Korrektur im Sinne des Begehrens der Gemeinde nicht für ausgeschlossen gehalten, aber verlangt, dass zuerst der Strassenplan vom 13. September 1971 entsprechend revidiert werde. In der Besprechung sei vereinbart worden, dass die Gemeinde den Strassenplan überarbeite und dabei vorläufig zwei Varianten des Anschlusses von Savognin an die künftige Talumfahrung berücksichtige; der so bereinigte Strassenplan sei der Gemeindeversammlung zur Beschlussfassung und dann der Regierung zur Genehmigung vorzulegen. Eine teilweise Freigabe von Hochbauten in der fraglichen Zone komme erst danach in Frage.
In der Tat fanden am 2. September 1976 Verhandlungen über eine gewisse Einschränkung der Auflage von Ziffer 3b statt. Die Verhandlungen und das weitere Vorgehen haben indessen noch zu keinem konkreten Ergebnis geführt, sodass die Beschwerde diesbezüglich nicht als hinfällig geworden angesehen werden kann. Die Gemeinde hat denn auch in ihrer
BGE 103 Ia 182 S. 191
nach den genannten Verhandlungen eingereichten Beschwerde die Aufhebung der gesamten Ziffer 3 beantragt, wobei sie bezüglich Ziffer 3b neben der Verletzung der Gemeindeautonomie auch eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips rügte. Die letztgenannte Rüge braucht indessen nicht mehr geprüft zu werden, da jedenfalls die Gemeinde Savognin ihr Ermessen weder missbrauchte noch überschritt, wenn sie in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen in "Barnagn" "eine Variante für einen möglichen Anschluss (von Savognin) an die kantonale Umfahrungsstrasse" (Beschluss der Regierung vom 12. Juli 1976, S. 9) nicht berücksichtigte. Wie vorne unter lit. b ausgeführt, ist die Verwirklichung der Talumfahrungsstrasse und damit auch ihrer Anschlüsse zu ungewiss, als dass dafür in starkem Masse in die Gemeindeautonomie eingegriffen werden dürfte, indem der Gemeinde Savognin ein Hochbautenverbot für die gesamte beträchtliche Zone für öffentliche Bauten und Anlagen in "Barnagn" auferlegt wird. Ziffer 3b ist daher ebenfalls aufzuheben.
Es wäre allerdings wünschenswert, wenn sich Gemeinde und Kanton über die Freihaltung von Bodenflächen für die allfällige künftige Kantonsstrasse in Verhandlungen, wie sie am 2. September 1976 eingeleitet wurden, verständigen könnten; sie sollen ja ihre Planungsaufgaben nach
Art. 2 RPG
"im gegenseitigen Einvernehmen erfüllen". | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
bfcd8bbd-6978-499d-adb8-8c31fee3847a | Urteilskopf
84 I 209
29. Arrêt du 2 mai 1958 dans la cause Monnard contre Chemins de fer fédéraux. | Regeste
Art. 62 BtG
, Art. 6 Ziff. 11 Vollziehungsverordnung vom 15. Februar 1946 zum Bundesbahngesetz.
Dürfen die SBB auf die Besoldung eines Hilfsarbeiters eine Rente der Militärversicherung anrechnen? | Sachverhalt
ab Seite 209
BGE 84 I 209 S. 209
A.-
Le 25 août 1952, Monnard a été victime d'un accident au service militaire. Le 1er juin 1956, il est entré au service des Chemins de fer fédéraux (CFF) comme ouvrier auxiliaire. Le 23 juillet, le traitement médical qu'il suivait encore pour les conséquences de l'accident de 1952 fut déclaré clos; le médecin constata une invalidité permanente et partielle de 20%. Le 29 août 1956, l'Assurance militaire fédérale lui alloua une pension mensuelle de 102 fr. 55 à partir du 1er mai 1956. Le 1er septembre 1957, il fut nommé ouvrier permanent avec fonction d'ouvrier d'exploitation de IIe classe.
Dès le 1er juin 1956, les CFF imputèrent sur le salaire de Monnard le montant total de la rente que lui servait l'Assurance militaire fédérale. Cependant, vu l'arrêt rendu par le Tribunal fédéral, le 8 février 1957, dans la cause Müller c. Confédération suisse (RO 83 I 63), la division du personnel de la direction générale des CFF a informé
BGE 84 I 209 S. 210
Monnard, le 5 septembre 1957, qu'elle modifiait sa pratique avec effet rétroactif au 1er mars, c'est-à-dire dès le premier mois postérieur au prononcé de l'arrêt Müller et que, par conséquent, elle abandonnait les retenues et restituerait celles qui avaient été faites à partir de cette date, mais non pas antérieurement. Invoquant les instructions reçues de la direction générale, elle a confirmé, le 19 septembre 1957, qu'elle ne pouvait restituer les retenues opérées antérieurement au prononcé de l'arrêt Müller.
B.-
Le 23 septembre 1957, Monnard a assigné les CFF devant le Tribunal fédéral en remboursement des sommes indûment retenues sur son salaire par imputation de la rente servie par l'Assurance militaire fédérale avec effet rétroactif au 1er juin 1956. Dans sa demande et sa réplique, Monnard argumente en résumé comme il suit:
L'imputation de la rente servie par l'Assurance militaire fédérale sur le traitement du demandeur est contraire aux principes posés dans l'arrêt Müller (précité). Les CFF l'ont reconnu pour la période postérieure au 1er mars 1957; ils doivent l'admettre aussi pour la période antérieure. L'art. 18 Cst., qui institue l'Assurance militaire, fait également obstacle à l'imputation. Enfin le demandeur invoque les impératifs de l'éthique et de l'équité élémentaire. Travaillant, comme les autres ouvriers, 48 heures par semaine, il a droit à son traitement intégral.
C.-
Dans sa réponse et sa duplique, la direction générale des CFF conclut au rejet de la demande. Elle allègue en bref:
La décision prise à l'égard de Monnard est conforme à l'ordre général de service concernant les invalides partiels, du 2 avril 1943 (en abrégé: OGS du 2 avril 1943), texte qui émane de la direction générale et se fonde sur les art. 62 StF et 6 ch. 1 et 12 du règlement d'exécution, du 15 février 1946, de la loi fédérale sur les chemins de fer fédéraux. Les principes posés par l'arrêt Müller n'auraient pas obligé l'administration à modifier sa pratique qui était
BGE 84 I 209 S. 211
d'imputer sur les traitements et les salaires les rentes servies par l'Assurance militaire fédérale. Si elle l'a fait à partir du 1er mars 1957, c'est par mesure de complaisance et à titre bénévole. Müller, du reste, n'était pas dans la même situation que Monnard; en particulier, il avait la qualité de fonctionnaire des douanes, soumis à la loi sur le statut des fonctionnaires. Enfin la restitution à titre rétroactif, pour la période antérieure au prononcé de l'arrêt Müller, créerait un précédent qui se répercuterait sur de nombreux cas semblables. Au surplus, en engageant un ouvrier qui présentait une invalidité de 20%, les CFF ont assumé des risques qui sont compensés par l'imputation de la rente.
D.-
Interpellés par le Juge délégué, les défendeurs ont encore fourni, par lettre du 3 avril 1958, des explications sur la force obligatoire de l'OGS du 2 avril 1943.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
et 2. - .....
3.
Dans son arrêt Müller c. Confédération suisse, du 8 février 1957 (RO 83 I 63), le Tribunal fédéral a jugé que, sauf le cas exceptionnel des droits acquis (assurance donnée par la loi ou individuellement: RO 70 I 20, consid. 3
;
77 I 144
), le fonctionnaire n'a droit à son traitement que dans les limites fixées par la loi, laquelle peut donc prévoir l'imputation d'une rente militaire sur un traitement civil. Mais, a-t-il dit, il faut que cette imputation soit prévue par une disposition légale expresse; il n'existe pas, en droit fédéral, de principe qui autorise généralement la déduction lorsque l'agent fournit la totalité de ses prestations de service. La solution n'est pas différente quand il s'agit non pas d'un fonctionnaire selon l'art. 1er StF, mais d'une personne occupée par la Confédération sans avoir cette qualité (art. 62 StF; art. 55, 56 et 58 du Règlement des employés, du 1er avril 1947, nouveau texte, introduit par l'ACF du 19 décembre 1949).
BGE 84 I 209 S. 212
Il s'agit donc de savoir si, pour la période considérée allant du 1er juin 1956 au 1er mars 1957, pendant laquelle Monnard était ouvrier auxiliaire des CFF, la législation à laquelle il était soumis comme tel permettait l'imputation sur son salaire de la rente qu'il touchait de l'Assurance militaire fédérale.
4.
Les CFF allèguent le ch. 19 de l'OGS du 2 avril 1943. Ce texte, qui émane de la direction générale, prescrit:
"Lorsqu'un agent touche une rente de la caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNAL) ou de l'assurance militaire, son traitement doit être fixé, s'il continue d'être occupé par l'administration, de telle manière qu'il ne bénéficie pas, dans un emploi de même rang ou de rang inférieur, d'une meilleure situation que s'il n'avait pas subi d'accident ou n'était pas tombé malade au service militaire. Par conséquent, la rente doit être, le cas échéant, imputée en tout ou en partie sur le traitement."
Ce texte vise aussi bien le traitement d'un fonctionnaire que les appointements d'un employé ou le salaire d'un ouvrier. L'application du ch. 19 de l'OGS du 2 avril 1943 permettrait manifestement d'opérer en l'espèce l'imputation litigieuse. L'attribution de la rente date du 29 août 1956. Le demandeur, qui était alors ouvrier auxiliaire, a continué d'être occupé au même titre jusqu'à la fin de la période sur laquelle porte la contestation.
Le ch. 19 de l'OGS du 2 avril 1943 n'apparaît cependant pas comme une simple disposition d'exécution, puisque, comme il résulte de l'arrêt Müller précité et de ce qu'on a montré plus haut (consid. 2), il ne correspond à aucun principe légal applicable aux agents de la Confédération en général ou à ceux des CFF en particulier. Il s'agit au contraire d'une disposition fondamentale qui crée le statut des personnes appartenant à la seconde de ces catégories et qui excède les pouvoirs réglementaires de l'administration.
La loi fédérale du 1er février 1923 concernant l'organisation et l'administration des CFF, encore en vigueur au moment où la direction générale a donné l'OGS du 2 avril
BGE 84 I 209 S. 213
1943, confère au conseil d'administration, en particulier, le pouvoir d'arrêter l'organisation générale de l'administration et les attributions des divers services (art. 9 al. 1 ch. 4). Elle prescrit cependant (art. 9 al. 2) que l'ordonnance d'exécution, qu'il appartenait au Conseil fédéral de rendre (art. 33), "précise les attributions du conseil d'administration" (cf. art. 31 al. 1). L'ordonnance du Conseil fédéral du 9 octobre 1923 (art. 3, 4o, lit. c) donne pouvoir au conseil d'administration d'élaborer "des règlements sur les traitements et les salaires du personnel, dans le cadre de la législation sur les traitements" (cf. art. 31 al. 1 de la loi du 1er février 1923). Il semble donc s'être agi là d'un pouvoir essentiellement réglementaire.
Depuis le 1er janvier 1928, cependant, date de l'entrée en vigueur de la loi fédérale du 30 juin 1927 sur le statut des fonctionnaires, le pouvoir de fixer les rapports de service des personnes qui, comme le demandeur, sont employées par la Confédération sans avoir la qualité de fonctionnaires, appartient au Conseil fédéral, sous réserve de l'application par analogie de certaines dispositions spécialement prévues pour les fonctionnaires (art. 62 al. 2). Le Conseil fédéral est en outre autorisé à déléguer sa compétence "aux services qui lui sont subordonnés". C'est ce qu'il a fait en faveur de l'administration des chemins de fer fédéraux (sans préciser davantage) par un arrêté du 31 juillet 1936 (ACF autorisant l'administration des CFF à régler les rapports de service des agents n'ayant pas qualité de fonctionnaires), mais en prévoyant toutefois que les prescriptions édictées de par cette délégation de pouvoirs seraient soumises à son approbation.
La loi fédérale du 24 juin 1944 sur les chemins de fer fédéraux, qui a abrogé (art. 22 lit. c) celle du 1er février 1923, précitée, attribue à l'Assemblée fédérale le pouvoir de légiférer sur les rapports de service du personnel, mais elle laisse subsister (cf. art. 22) la délégation législative inscrite, en faveur du Conseil fédéral, à l'art. 62 StF. Elle maintient en outre (art. 10 lit. b) le pouvoir réglementaire
BGE 84 I 209 S. 214
du conseil d'administration touchant les rapports de service du personnel. De plus, dans le règlement d'exécution du 15 février 1946 (art. 6 ch.11), le Conseil fédéral a de nouveau délégué la compétence que lui attribue l'art. 62 StF, mais en précisant que c'est en faveur du conseil d'administration. Comme dans son arrêté du 31 juillet 1936, il a cependant réservé expressément sa ratification.
Il suit de là que depuis le 1er janvier 1928, date de l'entrée en vigueur de la loi fédérale sur le statut des fonctionnaires, le Conseil fédéral détient, par délégation du législateur, le pouvoir de fixer le statut des personnes employées par la Confédération - et en particulier par les CFF - sans avoir la qualité de fonctionnaires. A partir du 6 août 1936, il a lui-même délégué ce pouvoir à l'administration des CFF, mais il s'est dès lors expressément réservé le droit de ratification. La délégation de compétence en faveur de l'administration des CFF est donc incomplète. Le Conseil fédéral a entendu se réserver un droit de contrôle, afin de mieux assurer l'égalité entre les agents de la Confédération et, sans doute aussi, de veiller à l'opportunité politique des dispositions prises. Lorsque les CFF règlent le statut des agents non fonctionnaires par des prescriptions fondamentales, c'est-à-dire en faisant usage de leur pouvoir proprement législatif, leurs actes ne peuvent dès lors prendre force de loi et entrer en vigueur qu'après ratification par le Conseil fédéral auquel, par l'art. 62 StF, les Chambres fédérales ont délégué leur pouvoir, sous certaines réserves qui ne jouent aucun rôle en l'espèce, mais sans exiger de ratification de leur part.
Par conséquent, la prescription insérée sous le ch. 19 de l'OGS, du 2 avril 1943, relevant - comme on l'a montré - du pouvoir législatif, n'aurait pu prendre force et entrer en vigueur qu'après ratification par le Conseil fédéral. Or les défendeurs admettent eux-mêmes que cette ratification n'a pas eu lieu. C'est donc à tort qu'ils ont pratiqué la défalcation litigieuse, qu'aucune disposition légale n'autorisait.
BGE 84 I 209 S. 215
5.
Il est vrai qu'au moment où les CFF ont pratiqué les imputations litigieuses, le Tribunal fédéral n'avait pas encore jugé qu'aucun principe général, dans le statut des fonctionnaires, ne permet de défalquer les rentes servies par l'assurance militaire fédérale lorsque l'agent fournit toutes les prestations de service que lui impose son poste. Au contraire, selon la jurisprudence alors existante (RO 62 I 43
;
78 I 182
), on pouvait admettre un tel principe, de sorte que le ch. 19 de l'OGS du 2 avril 1943 apparaissait comme une simple règle d'exécution, applicable au recourant, même sans avoir été approuvée par le Conseil fédéral.
Il n'en allait plus de même après le prononcé de l'arrêt Müller, qui, par une nouvelle interprétation de la loi, faisait apparaître injustifiées toutes les imputations, sur le salaire de Monnard, de la rente servie par l'assurance militaire fédérale, qu'elles soient antérieures ou postérieures audit arrêt. Car il ne s'agissait pas d'une modification de la loi, qui aurait pu n'avoir aucune force rétroactive, mais d'un changement dans l'interprétation, qui créait nécessairement une contradiction avec les actes conformes à l'ancienne jurisprudence.
L'administration est par conséquent revenue sur ses imputations, mais seulement sur celles qui étaient postérieures à l'arrêt Müller. Pour qu'elle pût ainsi modifier ses actes, il fallait ou bien qu'il existât un motif de revision ou bien que ces actes ne procédassent pas de décisions passées en force. La première de ces hypothèses est exclue parce qu'un changement de jurisprudence ne constitue pas, en principe, un motif de revision. La seconde, en revanche, se vérifie en l'espèce, car l'imputation pratiquée par simple retenue sur le traitement, en vertu de l'art. 19 de l'OGS du 2 avril 1943, ne peut être tenue pour une décision formelle, participant de la chose jugée.
Les mêmes conclusions s'imposent pour les imputations antérieures. L'administration aurait donc dû, pour elles aussi, ordonner la restitution des sommes retenues. Seule
BGE 84 I 209 S. 216
la prescription du droit au salaire aurait pu y faire obstacle. Mais les intimés eux-mêmes n'allèguent pas qu'il en soit ainsi. On ne trouve du reste aucun texte spécial qui fixe cette prescription pour les ouvriers auxiliaires des CFF, ni pour les autres agents de la Confédération. Si l'on admettait que les principes généraux du droit civil s'appliquent sur ce point, à titre subsidiaire, le délai serait de cinq ans selon l'art. 128 ch. 3 CO.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet la demande, condamne les CFF à payer à Monnard les retenues faites du chef de la rente de l'assurance militaire fédérale sur son traitement du 1er juin 1956 au 28 février 1957. | public_law | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
bfd2620f-0ea6-4c95-abf5-a9379be9e086 | Urteilskopf
138 III 67
10. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans les causes X. SA contre Y. et Z. (recours en matière civile)
4A_489/2011 / 4A_491/2011 du 10 janvier 2012 | Regeste a
Art. 340 Abs. 2 OR
; Gültigkeit eines Konkurrenzverbotes.
Erbringt der Arbeitnehmer dem Kunden eine Leistung, die vorwiegend von seinen persönlichen Fähigkeiten geprägt ist, so dass der Kunde diesen Fähigkeiten eine grössere Wichtigkeit beimisst als der Identität des Arbeitgebers, ist ein Konkurrenzverbot gestützt auf den Einblick in den Kundenkreis ungültig (E. 2.2).
Regeste b
Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse des Arbeitgebers (
Art. 340 Abs. 2 OR
); Treuepflicht des Arbeitnehmers (
Art. 321a OR
).
Die Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse des Arbeitgebers müssen spezifische technische, organisatorische oder finanzielle Fragen betreffen, die dieser geheim halten will. Die Treuepflicht des Arbeitnehmers erlischt mangels anderslautender gesetzlicher Vorschrift mit Ablauf des Arbeitsvertrags. Der Arbeitnehmer, der gemeinsam mit anderen die Gründung eines Konkurrenzunternehmens ins Auge fasst und hiezu noch vor Ablauf des Arbeitsvertrags Vorbereitungshandlungen vornimmt, verletzt seine Treuepflicht nicht, solange er seinen Arbeitgeber nicht zu konkurrenzieren bzw. dessen Arbeitnehmer oder Kundschaft abzuwerben beginnt. Anwendung dieser Prinzipien auf den vorliegenden Fall (E. 2.3). | Sachverhalt
ab Seite 68
BGE 138 III 67 S. 68
A.
X. SA (ci-après: X.) est une société anonyme, qui a son siège à Genève et ses bureaux à ... (France), dont le but social est l'organisation de training, séminaires, cycles de formation, notamment dans le développement des ressources humaines de l'entreprise, les conseils et l'assistance dans la direction et le management d'entreprise.
Par contrat du 23 février 2000, X. a engagé Y., domicilié dans le canton de Genève, en qualité de "training coach senior" dès le 1
er
mars 2000. Le contrat contient une clause de prohibition de concurrence, interdisant à l'employé, en cas de démission après la première année de service, d'exercer une activité concurrente dans un délai de deux ans et dans l'espace de la Suisse romande et de la région frontalière de Genève; la clause est assortie d'une amende conventionnelle fixée au montant total de la rémunération de la dernière année d'activité, qu'elle soit complète ou partielle.
Par lettre du 28 août 2006, X. a engagé Z., domicilié dans le canton de Genève, en qualité de "training coach senior" dès le 1
er
septembre 2006. La lettre contient également une clause de prohibition de concurrence pour une durée de deux ans limitée à l'espace de la Suisse romande; cette clause est assortie d'une amende conventionnelle d'un montant correspondant à la rémunération de la dernière année d'activité.
X. reproche à ses deux anciens employés, soit Y. et Z., d'avoir violé la clause de prohibition de concurrence et leur réclame la pénalité convenue. X. reproche également à ses deux anciens employés d'avoir violé leur devoir de fidélité en détournant de la clientèle avant la fin du rapport de travail, soit - selon ce qui reste litigieux devant le Tribunal fédéral - les clients B. et A. dans le cas de Y. et les clients D. et E. dans le cas de Z.
BGE 138 III 67 S. 69
B.
B.a
Par demande déposée au greffe de la juridiction des prud'hommes du canton de Genève, X. a réclamé en dernier lieu à Y. les sommes de 190'110 fr, 134'650 fr. et deux fois 27'000 fr., avec intérêts.
Par arrêt du 21 juin 2011, la Chambre des prud'hommes de la Cour de justice du canton de Genève, réformant le jugement de première instance, a considéré que la clause de prohibition de concurrence et la peine conventionnelle qui lui était liée n'étaient pas valables. Elle a conclu également qu'il n'était pas prouvé que l'employé ait détourné des clients par des déclarations faites avant la fin du rapport de travail. Elle a donc rejeté la demande principale.
B.b
Par demande déposée au greffe de la juridiction des prud'hommes du canton de Genève, X. a réclamé en dernier lieu à Z. le paiement de 212'520 fr. avec intérêts.
La Chambre des prud'hommes de la Cour de justice genevoise, par arrêt du 21 juin 2011 réformant le jugement de première instance, a rejeté la demande formée par X. La cour cantonale a estimé que la clause de prohibition de concurrence et la peine conventionnelle qui lui était liée n'étaient pas valables. Elle a également considéré qu'il n'était pas établi que l'employé ait violé son devoir de fidélité.
C.
X. a déposé deux actes de recours en matière civile au Tribunal fédéral contre les deux arrêts du 21 juin 2011. La recourante a conclu à l'annulation des arrêts attaqués et à ce que le Tribunal fédéral rende un arrêt conforme aux décisions de première instance.
Le Tribunal fédéral, statuant par un seul arrêt, a rejeté les deux recours en matière civile.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.2
Le contrat de travail conclu avec chacun des intimés est assorti d'une clause de prohibition de concurrence au sens des art. 340 à 340c CO. En cas de violation de cette clause, une peine conventionnelle a été prévue (art. 160 à 163 CO; cf. également:
art. 340b al. 2 CO
).
La cour cantonale a conclu que la clause de prohibition de concurrence et en conséquence la clause pénale qui lui est liée n'étaient pas valables. Il s'agit là de la première question juridique qu'il convient de résoudre.
BGE 138 III 67 S. 70
2.2.1
Selon l'
art. 340 al. 2 CO
, la prohibition de faire concurrence n'est valable que si les rapports de travail permettent au travailleur d'avoir connaissance de la clientèle ou de secrets de fabrication ou d'affaires de l'employeur et si l'utilisation de ces renseignements est de nature à causer à l'employeur un préjudice sensible.
Dans une jurisprudence ancienne, le Tribunal fédéral a considéré que l'employé ne pouvait tirer profit de sa connaissance de la clientèle lorsque les rapports entre la clientèle et l'employeur ont essentiellement un caractère personnel, fondé sur la compétence de cet employeur, par exemple s'il s'agit d'un avocat célèbre ou d'un chirurgien réputé; dans ce cas, en effet, la connaissance que l'employé possède de la clientèle ne lui procure pas, à elle seule, le moyen de rompre ou de distendre le lien existant entre l'employeur et sa clientèle (
ATF 78 II 39
consid. 1 p. 40 s. et les arrêts cités).
Ultérieurement, la jurisprudence a eu l'occasion de se pencher sur la situation inverse, à savoir le cas où une relation personnelle était établie entre le client et l'employé lui-même, en l'occurrence un dentiste; il a été conclu que dans ce cas également, la clause de prohibition de concurrence n'était pas valable, parce que la personnalité de l'employé revêtait pour le client une importance prépondérante et interrompait le rapport de causalité qui doit exister entre la simple connaissance de la clientèle et la possibilité de causer un dommage sensible à l'employeur (arrêt 4C.100/2006 du 13 juillet 2007 consid. 2.6).
Cette jurisprudence a été approuvée par la doctrine unanime pour les cas où la relation entre la clientèle et l'employé repose essentiellement sur les capacités personnelles de ce dernier et relègue à l'arrière-plan l'identité de l'employeur (GABRIEL AUBERT, in Commentaire romand, Code des obligations, vol. I, 2003, n° 9 ad
art. 340 CO
; TERCIER/FAVRE, Les contrats spéciaux, 4
e
éd. 2009, n. 3843 p. 573; PIERRE ENGEL, Contrats de droit suisse, 2
e
éd. 2000, p. 391; STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag, 6
e
éd. 2006, n°
s
10, 11 et 15 ad
art. 340 CO
; ADRIAN STAEHELIN, Commentaire zurichois, 1996, n° 16 ad
art. 340 CO
; JÜRG BRÜHWILER, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, 2
e
éd. 1996, n° 12 ad
art. 340 CO
; MANFRED REHBINDER, Commentaire bernois, 1992, n° 12 ad
art. 340 CO
; PHILIPPE CARRUZZO, Le contrat individuel de travail, 2009, n° 4 ad
art. 340 CO
p. 595; RÉMY WYLER, Droit du travail, 2
e
éd. 2008, p. 599; CHRISTIAN FAVRE ET AL., Le contrat de travail, Code annoté, 2010, n° 2.3 ad
art. 340 CO
; CHRISTIANE BRUNNER ET AL.,
BGE 138 III 67 S. 71
Commentaire du contrat de travail, 3
e
éd. 2004, p. 309 s.; CHRISTOPH NEERACHER, Das arbeitsvertragliche Konkurrenzverbot, 2001, p. 39).
Une clause de prohibition de concurrence, fondée sur la connaissance de la clientèle, ne se justifie que si l'employé, grâce à sa connaissance des clients réguliers et de leurs habitudes, peut facilement leur proposer des prestations analogues à celles de l'employeur et ainsi les détourner de celui-ci. Ce n'est que dans une situation de ce genre que, selon les termes de l'
art. 340 al. 2 CO
, le fait d'avoir connaissance de la clientèle est de nature, par l'utilisation de ce renseignement, à causer à l'employeur un préjudice sensible. Il apparaît en effet légitime que l'employeur puisse dans une certaine mesure se protéger, par une clause de prohibition de concurrence, contre le risque que le travailleur détourne à son profit les efforts de prospection effectués par le premier ou pour le compte du premier.
La situation se présente différemment lorsque l'employé noue un rapport personnel avec le client en lui fournissant des prestations qui dépendent essentiellement des capacités propres à l'employé. Dans ce cas en effet, le client attache de l'importance à la personne de l'employé dont il apprécie les capacités personnelles et pour qui il éprouve de la confiance et de la sympathie. Une telle situation suppose que le travailleur fournisse une prestation qui se caractérise surtout par ses capacités personnelles, de telle sorte que le client attache plus d'importance aux capacités personnelles de l'employé qu'à l'identité de l'employeur. Si, dans une telle situation, le client se détourne de l'employeur pour suivre l'employé, ce préjudice pour l'employeur résulte des capacités personnelles de l'employé et non pas simplement du fait que celui-ci a eu connaissance du nom des clients.
Pour admettre une telle situation - qui exclut la clause de prohibition de concurrence -, il faut que l'employé fournisse au client une prestation qui se caractérise par une forte composante personnelle. Dire si tel est le cas dépend des circonstances, dont la constatation relève du fait et lie le Tribunal fédéral (
art. 105 al. 1 LTF
).
2.2.2
En l'espèce, la cour cantonale a procédé à une appréciation des preuves recueillies. Un témoin a estimé que les qualités personnelles des animateurs comptaient pour 70 % dans la décision de la clientèle. On ne voit pas ce qu'il y a d'arbitraire à le croire. Par ailleurs, les qualités oratoires des animateurs et les réactions positives de l'auditoire ont également été invoquées. Il n'a pas été établi que la recourante utilisait une méthode d'enseignement particulière ou que
BGE 138 III 67 S. 72
son matériel de soutien à la présentation jouait un rôle particulièrement important.
Pour des séminaires de formation, on conçoit facilement que les entreprises clientes attachent une importance prépondérante à la capacité de l'animateur d'attirer l'attention, de s'exprimer clairement et de transmettre un message que l'auditoire retiendra. On ne saurait dire que la cour cantonale a établi les faits de manière arbitraire. Sur cette base, il faut conclure qu'exploiter la seule connaissance de la clientèle ne suffisait pas pour causer un préjudice sensible à l'employeur et que le préjudice subi découle au contraire, de manière prépondérante, des capacités personnelles des travailleurs. En conséquence, la cour cantonale n'a pas violé l'
art. 340 al. 2 CO
en concluant que la clause de prohibition de concurrence n'était pas valable.
2.3
La recourante reproche aux intimés d'avoir indiqué à des clients, avant la fin des rapports de travail, qu'ils poursuivraient leur activité à titre indépendant ou dans une autre structure et d'avoir ainsi détourné de la clientèle de leur employeur; elle considère que les intimés ont violé leur devoir de fidélité et qu'ils lui ont causé un dommage.
2.3.1
Selon l'
art. 321a al. 1 CO
, le travailleur doit sauvegarder fidèlement les intérêts légitimes de l'employeur. Il ne doit pas faire concurrence à l'employeur pendant la durée du contrat (
art. 321a al. 3 CO
).
Pendant la durée du contrat, le travailleur ne doit pas utiliser ni révéler des faits destinés à rester confidentiels, tels que les secrets de fabrication et d'affaires dont il a pris connaissance au service de l'employeur; il est tenu de garder le secret même après la fin du contrat en tant que l'exige la sauvegarde des intérêts légitimes de l'employeur (
art. 321a al. 4 CO
).
Si le travailleur contrevient à ses obligations, il répond du dommage qu'il cause à l'employeur intentionnellement ou par négligence (
art. 321e al. 1 CO
).
2.3.2
Pour être qualifiées de secrets d'affaires ou de fabrication, les connaissances acquises par le travailleur doivent toucher à des questions techniques, organisationnelles ou financières, qui sont spécifiques et que l'employeur veut garder secrètes; il ne peut s'agir de connaissances qui peuvent être acquises dans toutes les entreprises de la même branche (arrêts 4A_31/2010 du 16 mars 2010 consid. 2.1, in JdT 2011 II p. 220; 4A_417/2008 du 3 décembre 2008 consid. 4.1
BGE 138 III 67 S. 73
et les références citées). L'existence de tels secrets ne ressort pas en l'espèce des constatations cantonales.
L'
art. 340 al. 2 CO
distingue d'ailleurs la connaissance de la clientèle, d'une part, et les secrets de fabrication ou d'affaires, d'autre part. La seule connaissance de la clientèle ne saurait donc en aucun cas constituer l'un de ces secrets particuliers que le travailleur devrait garder même après la fin du contrat de travail (
art. 321a al. 4 CO
). La recourante ne le prétend d'ailleurs pas, la cour cantonale ayant même constaté qu'elle publiait sur internet la liste de ses principaux clients.
2.3.3
Le contrat de travail, qui est un contrat de durée, n'oblige en principe les parties que pendant la période durant laquelle il déploie ses effets. En l'absence d'une disposition légale contraire, le travailleur peut se prévaloir, après l'extinction du contrat, de la liberté économique, qui comprend notamment le libre choix de la profession, le libre accès à une activité économique lucrative privée et son libre exercice (
art. 27 Cst.
). Ainsi, la jurisprudence a souligné que les parties à un contrat de travail - en dehors de l'hypothèse d'une prohibition de concurrence licite - ne sauraient valablement restreindre le droit du travailleur d'exercer une activité économique après la fin du contrat (
ATF 102 II 211
consid. 5 p. 218).
2.3.4
Ainsi, le devoir de fidélité, invoqué par la recourante, s'est éteint avec l'extinction du rapport de travail.
Or il a été constaté que les deux contrats de travail ont été résiliés pour le 31 janvier 2008.
Que les intimés aient encore exercé quelques tâches pour leur ancien employeur après cette date - probablement sur la base d'un mandat comme l'admet la recourante - n'y change rien. En effet, il n'est ni allégué ni démontré que les actes reprochés aux intimés entreraient en contradiction avec les intérêts du mandant découlant de ces mandats particuliers.
La recourante assumant le fardeau de la preuve (
art. 8 CC
), il était essentiel qu'elle parvienne à prouver que les actes reprochés aux intimés ont eu lieu avant le 31 janvier 2008, date à laquelle le devoir de fidélité a pris fin.
2.3.5
Lorsqu'un employé envisage de se mettre à son compte ou de fonder avec d'autres une entreprise concurrente, il est en soi légitime qu'il puisse entreprendre des préparatifs avant que le contrat de
BGE 138 III 67 S. 74
travail ne prenne fin; son devoir de fidélité lui interdit cependant de commencer à concurrencer son employeur, de débaucher des employés ou de détourner de la clientèle avant la fin de la relation de travail (
ATF 117 II 72
consid. 4 p. 74).
La limite entre les préparatifs admissibles et un véritable détournement de la clientèle n'est pas toujours facile à tracer.
Il est en tout cas certain que les intimés, après la fin du rapport de travail, étaient en droit de faire connaître leur entreprise et d'en vanter les prestations. La chronologie des événements joue donc un rôle essentiel.
2.3.6
Les faits les plus précis reprochés par la recourante aux intimés concernent un entretien que l'intimé Y. a eu avec une responsable de la banque B. La cour cantonale a conclu que la recourante n'était pas parvenue à prouver que cet entretien avait eu lieu avant la fin des rapports de travail. La recourante se plaint d'arbitraire dans l'établissement des faits et invoque avec précision un procès-verbal d'audience dressé le 15 juin 2009. D'après ce document, le témoin a affirmé que la banque avait appris que certains formateurs allaient quitter la recourante de sorte que la banque a décidé de suspendre au moins temporairement ses relations avec elle. Ce témoignage ne permet pas d'établir qui a fourni cette information à la banque. Une pièce a été présentée au témoin à savoir la pièce n° 9 produite par la demanderesse. Il s'agit d'un courrier électronique du 30 novembre 2007. Le témoin a ensuite évoqué l'entretien litigieux avec l'intimé prénommé, mais a ajouté: "Je ne suis pas en mesure de situer chronologiquement cette circonstance. Tout ce que je puis dire, c'est que cette circonstance était postérieure à l'e-mail que vous m'avez montré il y a un instant". Selon le procès-verbal, la seule pièce présentée au témoin a été ce courrier électronique du 30 novembre 2007. La cour cantonale n'a donc pas statué arbitrairement en concluant que le témoin avait affirmé que l'entretien litigieux avait eu lieu après le 30 novembre 2007. Dire qu'il n'est pas exclu que cet entretien ait pu avoir lieu après la fin du rapport de travail, soit postérieurement au 31 janvier 2008, ne peut pas être qualifié d'arbitraire (sur la notion d'arbitraire, notamment dans l'appréciation des preuves: cf.
ATF 136 III 552
consid. 4.2 p. 560).
Ainsi, la recourante n'est pas parvenue à prouver les faits permettant de constater une violation du devoir de fidélité, puisque les faits invoqués peuvent s'être produits après l'extinction de ce devoir.
BGE 138 III 67 S. 75
2.3.7
La recourante reproche aussi à l'intimé Y. d'avoir informé A. du fait qu'il allait poursuivre son activité dans une autre structure. Non seulement la cour cantonale a considéré qu'il ne s'agissait pas d'une violation du devoir de fidélité, mais elle a ajouté - à titre de motivation alternative - qu'il n'était pas prouvé que cette communication serait intervenue avant la fin du contrat de travail. Mais la recourante ne démontre pas que cette seconde motivation procéderait d'une appréciation arbitraire des preuves (
art. 106 al. 2 LTF
). Dès lors qu'il est possible que la déclaration ait été faite après l'extinction du devoir de fidélité, la cour cantonale n'a pas violé le droit fédéral en constatant qu'une violation de ce devoir n'avait pas été établie.
2.3.8
La recourante reproche à l'intimé Z. d'avoir déclaré aux clients D. et E. qu'ils pouvaient soit continuer leur relation contractuelle avec la recourante, soit le suivre dans la nouvelle structure. La cour cantonale a estimé qu'une telle information, en soi complète et objective, ne pouvait pas être considérée comme une violation du devoir de fidélité, des propos réellement préjudiciables n'ayant pas été établis.
Quoi qu'il en soit, même si l'on voulait retenir une violation du devoir de fidélité, la recourante ne pourrait demander que la réparation du dommage qui en résulte pour elle (art. 321e al. 1 et 97 al. 1 CO). Or il est incontestable que l'intimé précité pouvait faire une semblable déclaration après la fin des relations de travail, puisque le devoir de fidélité s'était alors éteint. Le seul reproche que l'on pourrait lui faire est d'avoir fait cette déclaration prématurément. Pour qu'il en résulte un dommage, il faudrait que la recourante établisse que sa situation financière nette aurait été meilleure si la déclaration, plutôt que d'intervenir à la date à laquelle elle a été effectuée, avait eu lieu après le 31 janvier 2008. Alors que la cour cantonale avait signalé - sans le trancher - le problème du dommage, la recourante, qui traite du montant de son préjudice, n'explique pas comment elle aurait pu l'éviter si la révélation n'avait été faite qu'après le 31 janvier 2008. Ainsi, on ne voit pas que l'action en dommages-intérêts aurait pu aboutir et la décision de la rejeter ne viole pas le droit fédéral. | null | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
bfd29224-941d-416a-8a5f-96cb7b8cb489 | Urteilskopf
101 II 266
44. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 21 mai 1975 dans la cause Migros et consorts contre commune de Neuchâtel. | Regeste
Culpa in contrahendo, Verjährung.
Die auf culpa in contrahendo gestützte Klage verjährt gemäss
Art. 60 OR
. | Sachverhalt
ab Seite 266
BGE 101 II 266 S. 266
Résumé des faits:
A.-
La commune de Neuchâtel a comblé le lac dans une région située entre le port de Neuchâtel et La Pierre-à-Mazel. L'aménagement des nouveaux terrains, propriété de l'Etat de Neuchâtel, a fait l'objet de nombreuses études. En septembre 1967, la commune a adressé une lettre circulaire aux commerçants, hôteliers et restaurateurs de Neuchâtel en leur signalant que ces terrains, à vocation touristique durant quelques années, seraient mis à leur disposition à des conditions favorables, mais qu'il ne s'agirait pas d'installations définitives. Une première assemblée a réuni le 23 novembre 1967 le conseiller communal directeur des travaux publics et plusieurs commerçants, parmi lesquels figuraient notamment des représentants sentants des sociétés Migros et COOP.
Le 8 janvier 1968, le Conseil général a voté trois crédits demandés par le Conseil communal dans un rapport relatif à l'aménagement des nouvelles rives. A la suite de ce vote, le conseiller communal directeur des travaux publics a convoqué les commerçants intéressés à une deuxième réunion qui a eu lieu le 18 janvier 1968. Les commerçants ont choisi un président et constitué un comité provisoire. Ils ont ensuite examiné le projet de bail qui avait été envoyé aux participants avec la convocation. Ils se sont mis d'accord sur la place qui serait accordée à chacun d'eux dans le futur centre commercial. Ils ont décidé d'aller de l'avant et ont chargé le comité
BGE 101 II 266 S. 267
provisoire de procéder aux commandes nécessaires, de signer les requêtes permettant la mise à l'enquête des plans et de poursuivre la préparation des contrats. Le comité provisoire s'est réuni par la suite à de nombreuses reprises pour accomplir ses tâches.
Les plans ayant dû être remaniés à la demande de l'Etat de Neuchâtel, le Conseil général a adopté par arrêté du 18 avril 1968 "le plan remanié de l'aménagement des rives... ainsi que le plan de circulation y relatif". Mais le référendum a été demandé, et l'arrêté rejeté en votation populaire des 22 et 23 juin 1968.
Le président du comité provisoire des commerçants qui s'étaient intéressés à l'aménagement des nouvelles rives a communiqué au Conseil communal de la ville de Neuchâtel, par lettre du 9 janvier 1969, que les dépenses engagées par le groupement s'élevaient à 170'831 fr. 65 et les frais de ses membres à 115'714 fr. 55. Il a demandé à la commune le remboursement de ces sommes. Il a joint à sa lettre une liste des commerçants et trois tableaux de frais; deux étaient datés du 30 septembre 1968 et le troisième du 19 décembre 1968. La commune a rejeté ces prétentions.
B.-
Par demande du 29 juin 1973, la Société coopérative Migros, la Société coopérative de consommation COOP, Jean Armand, Etienne Bidal, Louis Carrard, André Desaules, Georges Gloor, Marcel Jeanneret, Jutzeler S.A., Roger Martinet, Nicole Pezzutti, Arthur Rohrer, Roger Ruprecht, Uli Schmutz, la section neuchâteloise du Touring Club Suisse et Hans Walder ont ouvert action contre la commune en paiement, avec intérêt, de 183'760 fr. 05 aux demandeurs, solidairement, et de diverses sommes à verser à chacun des demandeurs individuellement.
La défenderesse a conclu au rejet de la demande, en invoquant notamment la prescription.
A la requête des parties, une instruction et un jugement séparés sur le principe de la responsabilité de la défenderesse ont été ordonnés, comprenant l'examen du moyen tiré de la prescription.
Le Tribunal cantonal neuchâtelois a rejeté la demande par jugement du 16 décembre 1974. Il considère que la conclusion d'un contrat de bail entre les parties n'est pas établie et que les prétentions des demandeurs sont prescrites dans la mesure où
BGE 101 II 266 S. 268
elles reposent sur une culpa in contrahendo, l'action se prescrivant selon l'art. 60 CO.
C.-
Les demandeurs recourent en réforme au Tribunal fédéral en concluant au renvoi de la cause au Tribunal cantonal neuchâtelois pour qu'il statue sur le principe de la responsabilité de l'intimée.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours et confirmé le jugement attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Le Tribunal cantonal constate que "le seul acte interruptif de prescription établi par le dossier est la demande en justice (art. 135 ch. 2 CO) du 29 juin 1973 et consignée à la poste le même jour", et estime dès lors avec raison que la prescription est acquise, en tant que l'art. 60 al. 1 CO est applicable, si elle a commencé à courir avant le 29 juin 1972. Or les premiers juges tiennent pour établi que tous les éléments du dommage invoqués par les demandeurs leur étaient connus avant cette date, à l'exception d'une note d'honoraires - non produite - relative à un avis de droit reçu des demandeurs avant le 26 mai 1971 et dont on peut supposer qu'elle a été reçue et payée avant juin 1972.
Les recourants ne contestent pas que leurs prétentions sont prescrites, dans la mesure où elles sont soumises au délai d'une année fixé par l'art. 60 al. 1 CO. Invoquant notamment l'arrêt RO 90 II 458, ils soutiennent que la responsabilité dérivant de la culpa in contrahendo est de nature contractuelle et qu'elle se prescrit par dix ans selon l'art. 127 CO.
4.
a) La cour cantonale relève justement que la question de la nature juridique de la responsabilité fondée sur la culpa in contrahendo est controversée. Parmi les auteurs, elle cite pour la thèse de la nature contractuelle: VON TUHR/PETER, 3e éd., par. 24 p. 192; BECKER, n. 1 ad art. 26 CO; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, p. 504; pour la thèse de la nature délictuelle: GUHL/MERZ/KUMMER, 6e éd., p. 112; MERZ, n. 491, 497 ad art. 2 CC, RJB 1968/104, p. 491; PIOTET, Culpa in contrahendo, p. 24 ss.
Dans l'arrêt précité RO 90 II 458 et les arrêts qui y sont indiqués RO 77 II 137, 68 II 303, le Tribunal fédéral considère que la responsabilité dérivant de la culpa in contrahendo est de nature contractuelle. Mais dans deux arrêts postérieurs
BGE 101 II 266 S. 269
publiés au RO 92 II 333 s. consid. 3b et 98 II 28 s., il ne dit rien sur la nature juridique de cette responsabilité. Dans les arrêts non publiés Vallotton c. Gonin, du 11 juin 1968, consid. 5, Spaar c. Boden-, Bau- und Finanz A.G., du 5 décembre 1972, consid. 2, et Scherz c. Zani A.G., du 27 mars 1973, consid. 3, il ne se prononce pas non plus sur cette question.
b) JÄGGI (n. 592 ad art. 1er CO) tient la question pour mal posée. Pour lui, il n'est pas nécessaire de trancher le problème de la nature juridique de la responsabilité issue de la culpa in contrahendo. En effet, dit-il, dans les cas où l'obligation de réparer le dommage (ainsi celle qui dérive de la culpa in contrahendo) naît indépendamment de la volonté de l'obligé, il n'y a pas lieu de distinguer entre obligations contractuelles et extra-contractuelles; JÄGGI renvoie à cet égard à son étude "Zum Begriff der vertraglichen Schadenersatzforderung" (Mélanges en l'honneur de Wilhelm Schönenberger, 1968, p. 181 ss). La question à résoudre n'est pas celle de la nature juridique de la responsabilité; il s'agit seulement de déterminer de quelles modalités, quant à ses conditions et à son contenu, dépend la créance en dommages-intérêts née d'un rapport de pourparlers. Ce problème doit être tranché séparément pour chaque modalité, de manière à ce qu'une solution appropriée au cas particulier soit trouvée.
c) En l'espèce, la question de la nature juridique de la responsabilité issue de la culpa in contrahendo peut rester ouverte. Le seul point litigieux est celui du délai de prescription de l'action des demandeurs fondée sur la culpa in contrahendo dont répond selon eux la défenderesse.
Cette action se prescrit selon l'art. 60 CO (JÄGGI, n. 595 ad art. 1er CO). Lorsqu'une partie à des pourparlers engagés en vue de la conclusion d'un contrat commet une culpa in contrahendo, il ne serait pas compatible avec les exigences de la sécurité du droit que la prétention du lésé en réparation du dommage soit soumise à la prescription décennale de l'art. 127 CO et que le responsable soit exposé pendant une si longue période à une action en dommages-intérêts (cf. BECKER, n. 1 ad art. 26 CO; PIOTET, op.cit., p. 63). La situation née de la culpa in contrahendo doit être réglée dans un délai convenable. L'application de l'art. 60 CO sauvegarde de façon appropriée les intérêts tant du lésé que de
BGE 101 II 266 S. 270
l'auteur du préjudice. Le premier dispose en effet d'un an dès la connaissance du dommage et de la personne qui en répond pour actionner celle-ci ou pour interrompre la prescription d'une autre manière, notamment par des poursuites; ce délai est suffisant. Quant au responsable, une fois le préjudice connu du lésé, il n'est pas exposé à être actionné ou poursuivi durant une période exagérément longue.
En l'espèce, la prescription est acquise au regard de l'art. 60 CO. C'est dès lors avec raison que les premiers juges ont rejeté la demande. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bfe017b0-6ff3-4517-8fbe-4e5ebe1b8ab0 | Urteilskopf
117 IV 251
45. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 26 juillet 1991 dans la cause R. c. Ministère public du canton de Fribourg (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 100 StGB
; Erhebungen vor der Einweisung eines jungen Erwachsenen in eine Arbeitserziehungsanstalt.
Der deutsche und italienische Wortlaut von
Art. 100 Abs. 2 StGB
ist massgebend, wonach sowohl die Erhebungen über das Verhalten des Täters, seine Erziehung und seine Lebensverhältnisse als auch das Einholen der Berichte und Gutachten nur soweit erforderlich notwendig sind (E. 2a, b, c).
Art. 100 Abs. 2 StGB
schreibt die Einvernahme Dritter nicht vor (E. 2d) (Bestätigung der Rechtsprechung) | Sachverhalt
ab Seite 251
BGE 117 IV 251 S. 251
R., né le 7 mars 1964, a été condamné à 15 mois d'emprisonnement pour abus de confiance, escroquerie et faux dans les titres, infractions commises les 4 février 1987, 11 juin 1987, 24 et 25 avril 1989. L'autorité de première instance n'a pas ordonné un placement en maison d'éducation au travail. Aucune information n'a été prise auprès de tiers concernant son comportement, son éducation et sa situation. R. estime que l'
art. 100 CP
a été violé. Le Tribunal fédéral a rejeté son pourvoi en nullité.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Selon l'
art. 100 al. 2 CP
, "le juge prendra des informations sur le comportement, l'éducation et la situation de l'auteur et, autant que cela est nécessaire, requerra rapports et
BGE 117 IV 251 S. 252
expertises sur l'état physique et mental, ainsi que sur l'aptitude à l'éducation au travail".
Si l'on se réfère cependant aux textes allemand et italien de cette disposition, l'exigence d'une nécessité s'applique aussi bien aux informations qu'aux rapports et expertises, puisque l'alinéa 2 commence par les mots "soweit erforderlich" ou "ove occorra".
Le recourant invoque principalement la divergence entre le texte français d'une part et les textes allemand et italien d'autre part.
Le projet du Conseil fédéral indiquait clairement que l'exigence de nécessité s'appliquait également aux informations, puisqu'il prévoyait que "le juge prendra les informations nécessaires sur la conduite, l'éducation et la situation de l'auteur..." (FF 1965 I 633). La Commission du Conseil des Etats a proposé de modifier ce texte en faisant commencer l'alinéa - conformément aux textes allemand et italien actuels - par les mots "s'il y a lieu"; le rapporteur Zellweger a insisté sur le fait que l'expertise n'était requise qu'en cas de besoin; cette proposition a été adoptée par le Conseil des Etats (BO 1967 CE 81), puis, sans autre discussion, par le Conseil National (BO 1969 CN 172 s.). La Commission du Conseil des Etats a ensuite modifié, pour lui donner sa teneur actuelle, le texte français seulement et le rapporteur Guisan a simplement expliqué, sur cette modification qui ne touchait que le texte français, qu'il s'agissait d'une "rédaction légèrement remaniée" (BO 1970 CE 126). Ce texte français a été définitivement adopté successivement par le Conseil des Etats (BO 1970 CE 126), puis par le Conseil National (BO 1970 CN 533).
La jurisprudence a signalé la divergence entre les textes, mais n'a pas tranché la question de savoir quel était le texte déterminant, estimant, dans le cas qui lui était soumis, que le juge disposait d'informations suffisantes (
ATF 101 IV 143
consid. 2). A une autre occasion, le Tribunal fédéral a admis que les renseignements donnés par l'accusé lui-même pouvaient, suivant les circonstances, être considérés comme des informations suffisantes (
ATF 101 IV 27
). Il a cependant rappelé que les informations n'étaient pas nécessaires seulement lorsqu'une mesure était envisagée, mais déjà pour décider si une mesure entrait ou non en considération (
ATF 102 IV 171
). Dans un cas plus récent, la Cour pénale fédérale a écarté l'application de l'
art. 100bis CP
, sans préciser si des informations avaient ou non été recueillies auprès de tiers (
ATF 115 IV 16
consid. a).
BGE 117 IV 251 S. 253
La doctrine n'a pas pris position de manière unanime sur cette divergence de texte. Stratenwerth, invoquant la comparaison avec les
art. 83 et 90 CP
, donne la préférence au texte allemand, tout en estimant que les informations sont nécessaires lorsque la mesure d'éducation au travail n'est pas d'emblée exclue (STRATENWERTH, Allg. Teil II, p. 457 s.). SCHULTZ se borne à indiquer que, selon l'Office fédéral de la justice, le texte français serait déterminant; il estime que des informations doivent être recueillies pour autant que la question d'un placement en maison d'éducation au travail se pose; il mentionne, sans émettre aucune critique, la jurisprudence qui considère que les déclarations de l'accusé peuvent suffire (SCHULTZ, Allg. Teil II, p. 180). LOGOZ pense que les informations doivent être recueillies auprès de tiers; il tente de concilier les textes en affirmant que des informations sont toujours nécessaires, sauf cas bénin (LOGOZ, Commentaire du CPS, Partie générale, p. 496 s.). TRECHSEL prend position en faveur du texte français, mais il estime qu'il faut se laisser guider par le principe de la proportionnalité et que les renseignements généraux requis pour l'application de l'
art. 63 CP
peuvent suffire (TRECHSEL, Kurzkommentar, n. 5 ad art. 100). REHBERG se borne à citer le texte allemand (REHBERG, Strafrecht II, p. 84). Dans un article, NOLL considère que les informations, tout comme les rapports et les expertises, sont toujours nécessaires (NOLL, die Arbeitserziehung, RPS 1973 (89) p. 156). Dans sa thèse, ROSE reprend LOGOZ en soutenant que les informations doivent être recueillies auprès de tiers; il semble penser qu'elles sont en général nécessaires (ROSE, L'éducation au travail des jeunes adultes délinquants, thèse de Lausanne 1988, p. 45/46). GERMANN ne prend pas clairement position sur la question (GERMANN, Grundzüge der Partialrevision des schweizerischen Strafgesetzbuchs, RPS 1971 (87) p. 363).
b) La question posée est assez théorique. En effet, le juge - lorsqu'il admet la culpabilité - doit toujours se demander s'il y a lieu de prononcer l'une des mesures prévues par la loi et il est indispensable qu'il dispose des données requises pour trancher cette question. Dans cette mesure, les deux textes conduisent au même résultat.
Si, après avoir recueilli les premiers renseignements sur le comportement, l'éducation et la situation de l'auteur, le juge constate qu'il est d'ores et déjà établi qu'une mesure d'éducation au travail n'entre pas en considération, il est évident que d'autres investigations ne sont pas nécessaires, selon les textes allemand et
BGE 117 IV 251 S. 254
italien. On peut cependant aussi considérer que le juge a recueilli les informations prévues par l'
art. 100 al. 2 CP
et répondu ainsi aux exigences du texte français.
Ce n'est que si l'on admet - avec certains auteurs, mais contrairement à la jurisprudence - que l'
art. 100 al. 2 CP
impose l'audition de tiers que la différence entre les textes peut avoir des conséquences. Dans ce cas, la formulation française, prise à la lettre, pourrait signifier qu'il faut procéder à des auditions déterminées, quand bien même elles apparaissent d'ores et déjà inutiles sur la base des faits établis.
c) L'
art. 100 al. 2 CP
exige des mesures d'enquête et empiète ainsi sur le domaine qui est en général réservé à la procédure cantonale; une telle norme ne doit pas être interprétée extensivement. Le projet du Conseil fédéral, puis le texte identique adopté dans les trois langues montraient clairement que l'exigence de la nécessité s'applique à l'ensemble des mesures d'enquête; la modification intervenue ultérieurement pour le texte français a été présentée comme de nature rédactionnelle et limitée à ce seul texte; on ne peut donc pas en déduire que le législateur a voulu modifier de manière substantielle le sens de cette disposition. En principe, des mesures probatoires ne doivent être exécutées que si elles peuvent être utiles à la manifestation de la vérité et permettre d'élucider un point de fait pertinent; rien ne permet de penser que le législateur ait voulu s'écarter de cette règle communément admise.
Les faits à élucider impliquent naturellement une certaine gradation dans les mesures d'enquête. Le juge doit tout d'abord se renseigner sur le comportement, l'éducation et la situation de l'auteur en fonction des moyens de preuves immédiatement disponibles; si le résultat de ces premières mesures n'est pas complet ou convaincant, ou si un placement en maison d'éducation au travail est envisagé, des investigations plus poussées doivent être entreprises.
Le texte français est juste dans la mesure où il met en évidence cette gradation et montre que les informations et les expertises ne se trouvent pas sur le même plan, le législateur n'ayant pas voulu que l'on procède dans tous les cas à des expertises (voir Zellweger BO 1967 CE 81). En revanche, le texte français est faux dans la mesure où sa première partie, interprétée de façon littérale, pourrait donner à croire qu'il faut entendre des tiers, même s'il est d'ores et déjà établi que ces auditions sont inutiles.
BGE 117 IV 251 S. 255
d) En l'espèce, le recourant s'est longuement exprimé sur la situation personnelle de ses parents et sur le cours de sa propre existence, évoquant en particulier les écoles fréquentées et la formation professionnelle acquise; il a décrit dans le détail les places de travail occupées et s'est prononcé sur sa situation actuelle sur le plan familial, professionnel et patrimonial; il a été interrogé à nouveau lors de l'audience de jugement et a donné des informations plus précises sur sa situation actuelle. Le juge a donc pris des informations sur le comportement, l'éducation et la situation de l'auteur, afin de déterminer si un placement en maison d'éducation au travail pouvait entrer en considération.
Certes, ces informations ont été recueillies auprès du recourant lui-même, conformément à la jurisprudence (
ATF 101 IV 27
). On ne voit pas - et le recourant ne l'indique pas non plus - en quoi ces renseignements pourraient être considérés comme faux ou incomplets. Le recourant soutient en définitive que le juge aurait dû vérifier auprès de tiers des faits d'ores et déjà établis et non contestés; une interprétation aussi extensive et formaliste de l'
art. 100 al. 2 CP
ne peut pas être suivie.
Il résulte des renseignements recueillis - dont le recourant ne prétend pas qu'ils soient faux ou incomplets - qu'il n'avait pas d'antécédents judiciaires, qu'il avait acquis une formation professionnelle, qu'il avait travaillé régulièrement - même s'il a manifesté une grande instabilité professionnelle -, et qu'il vivait chez sa mère. Sur la base de ces éléments, le juge pouvait, sans violer la loi, en conclure que les infractions n'étaient pas liées à un développement caractériel gravement perturbé ou menacé, à un état d'abandon ou à une vie dans l'inconduite ou la fainéantise (
art. 100bis ch. 1 CP
). Le recourant ne prétend d'ailleurs pas le contraire. Ainsi, un placement en maison d'éducation au travail était d'emblée exclu sur la base des informations recueillies et il n'y avait pas lieu d'approfondir l'enquête.
L'autorité cantonale n'a donc violé ni l'
art. 100 al. 2 CP
, ni l'
art. 100bis CP
. | null | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
bfedb06b-eb55-4809-ba82-fbf108d036be | Urteilskopf
93 I 716
90. Extrait de l'arrêt du 13 décembre 1967 dans la cause Société de financement immobilier SA contre Tri-Service Rüfenacht SA et Cour de justice civile du canton de Genève. | Regeste
Konkurs der Schweizerfiliale eines Unternehmens, dessen Hauptsitz sich in Frankreich befindet (Art. 6 des französisch-schweizerischen Vertrages über den Gerichtsstand und die Vollziehung von Urteilen in Zivilsachen, vom 15. Juni 1869).
Solange der Konkurs über die Firma am Hauptsitz nicht eröffnet worden ist, verletzt der schweizerische Richter den Grundsatz der Einheit des Konkurses nicht, wenn er die Eröffnung über das Filialunternehmen ausspricht. Seine Zuständigkeit ist deshalb zu bejahen. | Sachverhalt
ab Seite 716
BGE 93 I 716 S. 716
Résumé des faits
A.-
La "Société de financement immobilier S. A." (en abrégé: SFI) a été constituée à Paris, où elle a son siège, et inscrite au registre du commerce de la Seine, le 23 avril 1964.
BGE 93 I 716 S. 717
Elle a pour but "toutes opérations de promotion immobilière". Elle a ouvert une succursale à Genève, à l'adresse Place St-Gervais 1.
Le 29 décembre 1965, le Département du commerce, de l'industrie et du travail du canton de Genève, agissant en qualité d'autorité de surveillance du registre du commerce, ordonna l'inscription de la succursale au registre du commerce. La société déposa contre cette décision un recours de droit administratif au Tribunal fédéral, qui fut rejeté comme téméraire par la Ie Cour civile, le 20 avril 1966; l'arrêt relevait notamment que l'établissement genevois de la recourante disposait d'une très large autonomie interne et externe et constituait manifestement une succursale au sens de l'art. 935 al. 2 CO, dont l'importance était au moins aussi grande que celle du siège de Paris. L'inscription au registre du commerce fut opérée le 26 avril 1966 et publiée dans la Feuille officielle suisse du commerce (FOSC) du 6 mai 1966. A la suite d'une demande de la succursale de Genève, faisant état de la cessation de son activité et de la fermeture de ses locaux, l'inscription fut radiée au registre du commerce le 22 février 1967 et la radiation publiée dans la FOSC du 3 mars 1967.
B.-
"Tri-Service Rüfenacht SA", qui exploite à Genève une agence de publicité internationale, ouvrit le 9 août 1966 une poursuite contre la SFI, en paiement d'un montant de 5629 fr. représentant des frais de publicité. Le commandement de payer fut notifié le 26 septembre 1966 à la débitrice, qui n'y fit pas opposition. La commination de faillite, requise le 24 novembre 1966, fut notifiée le 19 décembre 1966. Sur requête de la créancière du 20 avril 1967, le juge de première instance prononça la faillite de la SFI le 5 mai 1967.
La SFI recourut contre cette décision à la Cour de justice de Genève, en contestant la competence ratione loci des autorités genevoises.
Par arrêt du 22 août 1967, la Cour de justice confirma la décision de faillite, s'appuyant notamment sur les motifs suivants:
Le principe de l'unité de la faillite, découlant de l'art. 6 de la Convention, n'est pas violé, puisqu'on est en présence de la seule faillite de la succursale de Genève et non pas également de la faillite du siège de Paris. Le for de l'établissement principal de la société, qui n'est pas mentionné comme tel dans
BGE 93 I 716 S. 718
la Convention, mais n'est qu'une conséquence du principe de l'unité de la faillite, n'entre en considération que s'il s'agit de plusieurs faillites ouvertes en des lieux différents, et non pas lorsqu'il ne s'agit que de la faillite d'une succursale, prononcée dans une procédure de poursuite relative à une dette de la succursale elle-même.
S'il est vrai que la faillite a été prononcée après la publication de la radiation de la société au registre du commerce, en revanche la commination de faillite est intervenue avant cette publication. Or l'art. 53 LP prévoit qu'en cas de changement de domicile après la commination de faillite, la poursuite se continue au même domicile. La cessation d'activité de la succursale de Genève constitue en fait un départ de la Suisse, donc un changement de domicile, de sorte que l'art. 53 LP s'applique en l'espèce et la faillite pouvait être prononcée à Genève.
C.-
Agissant par la voie du recours de droit public, la SFI de Paris, soit sa succursale de Genève, requiert le Tribunal fédéral d'annuler l'arrêt rendu par la Cour de justice de Genève le 22 août 1967 et, en tant que de besoin, renvoyer la cause à cette dernière pour statuer à nouveau. Elle invoque la violation de l'art. 6 de la Convention franco-suisse du 15 juin 1869 et de l'art. 4 Cst.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La recourante reproche principalement à la Cour de justice d'avoir violé l'art. 6 de la Convention franco-suisse du 15 juin 1869.
Or cet article prévoit que la faillite d'un Français ayant un établissement de commerce en Suisse peut être prononcée par le tribunal de sa résidence en Suisse, et réciproquement celle d'un Suisse ayant un établissement de commerce en France par le tribunal de sa résidence en France. Il n'est pas contesté que cette disposition concerne non seulement les personnes physiques, mais également les personnes morales, notamment les sociétés anonymes. A ne s'en tenir qu'à la lettre de cet article, on devrait admettre sans autre que la succursale genevoise de la SFI peut être poursuivie et mise en faillite à Genève pour des dettes relatives à son activité commerciale propre.
BGE 93 I 716 S. 719
a) Cependant, les jurisprudences française et suisse reconnaissent qu'au-delà de son texte même, l'art. 6 de la Convention pose le principe de l'unité et de la force attractive de la faillite dans les rapports entre les deux Etats contractants, comme l'art. 55 LP le dit expressément pour le droit interne (cf. FF 1876 II p. 294 ss. pour la jurisprudence du Conseil fédéral; RO 15 p. 577, 46 I 164 consid. 2, 49 I 460, 54 I 46/47 pour la jurisprudence du Tribunal fédéral; ESCHER, Neuere Probleme aus der Rechtsprechung zum französisch-schweizerischen Gerichtsstandsvertrag, p. 128). La doctrine admet également cette manière de voir, qui n'est pas contestée (CURTI, Der Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich betreffend den Gerichtsstand und die Urteilsvollziehung, p. 126; JACOT, La faillite dans les relations de droit international privé de la Suisse, p. 142; ESCHER, loc.cit., p. 125 et 128; JÄGER, Commentaire ad art. 197 LP, no 5 p. 129/30; ROGUIN, Conflits des lois suisses, p. 745, no 624; LYON-CAEN ET RENAULT, Traité de droit commercial, vol. 8, p. 842 no 1314). Il découle de ce principe que la faillite prononcée au lieu de l'établissement principal d'une entreprise exclut toute procédure de faillite en un autre lieu, notamment au lieu d'un établissement secondaire, même si une faillite y avait déjà été prononcée auparavant (JÄGER, art. 55 no 5). Mais selon la jurisprudence du Conseil fédéral (affaire Crédit foncier suisse, FF 1876 II p. 294) et du Tribunal fédéral (RO 54 I 48, également 76 I 159), le lieu déterminant n'est pas celui du domicile légal du failli ou du siège social d'une personne morale en faillite, mais bien le lieu où se trouvent le siège effectif de l'entreprise et le centre de ses affaires. Cette jurisprudence, approuvée par CURTI (p. 128), ROGUIN (. 747), ESCHER (p. 127) et LYON-CAEN ET RENAULT (p. 844) (cf. aussi JACOT, p. 147), tend à empêcher des manoeuvres déloyales au détriment des créanciers d'un établissement où se déroule l'activité principale d'une entreprise. Il y a d'autant moins de raison de s'en écarter en l'espèce que la recourante ne la critique pas en elle-même, se contentant de qualifier de "sans pertinence juridique" la question posée par la Cour de justice au sujet de l'importance plus grande que pourrait avoir la succursale de Genève par rapport au siège de Paris. Il est vrai que la Cour de justice n'a pas tranché cette question, estimant que l'ouverture de la faillite à Genève se justifiait déjà par d'autres motifs. La recourante ne soulève pas
BGE 93 I 716 S. 720
à ce propos le grief de déni de justice formel; la cour de céans pourra également laisser ouverte cette question, si les motifs de l'arrêt attaqué ne sont pas contraires aux dispositions de la Convention.
b) Selon l'art. 50 al. 1 LP, le débiteur domicilié à l'étranger qui possède un établissement en Suisse peut y être poursuivi pour les dettes de celui-ci. La recourante ne prétend pas que le texte de l'art. 6 de la Convention s'oppose au prononcé de la faillite au lieu de la succursale - soit à Genève - pour des dettes contractées par cette succursale; mais elle soutient qu'en vertu du principe de l'unité et de l'universalité de la faillite, celle-ci ne peut être prononcée qu'au siège principal de Paris; elle s'appuie pour cela sur l'arrêt Barbezat (RO 54 I 46/47) et sur la doctrine (LYON-CAEN ET RENAULT, no 1315; CURTI, p. 128 ss., et JÄGER, Comm. ad art. 166 LP, no 6). Or le principe de l'unité et de la force attractive de la faillite n'est en tout cas pas violé, par l'ouverture de la faillite de la succursale de Genève, tant que la faillite du siège de Paris n'est pas prononcée; il n'y a en effet, tant que cet événement ne s'est pas réalisé, qu'une seule faillite, laquelle produit également ses effets sur les biens meubles et immeubles que le failli peut posséder dans l'autre pays (art. 6 al. 2-5 de la Convention). La question de l'unité ne se posera que si la faillite de l'établissement parisien est également prononcée: dans ce cas, la faillite de Genève sera paralysée et l'ensemble des biens de la recourante rentreront dans la masse de la faillite de Paris (ROGUIN, p. 744 no 623; JACOT, p. 146, 161/2). C'est également l'opinion soutenue par le Tribunal fédéral dans l'arrêt non publié Candau, du 17 juin 1932, p. 5-7 (cf. SJ 1932 p. 158).
Une telle conséquence ne s'ensuivrait cependant pas s'il s'avérait que l'établissement de Genève revêt une importance plus grande que le siège de Paris, ce qui n'est pas exclu si l'on se reporte aux constatations retenues par la Ie Cour civile dans son arrêt du 20 avril 1966. Dans ces circonstances, on ne voit pas pourquoi les créanciers qui ont traité avec l'établissement de Genève ne pourraient pas en demander la faillite en ce lieu et se verraient contraints de requérir la faillite du siège de Paris, avec lequel ils n'ont entretenu aucune relation d'affaires.
Tant que la faillite de l'établissement de Paris n'est pas prononcée, la jurisprudence invoquée par la recourante (RO 54 I 46/7 et les arrêts qui y sont cités: 49 I 459 et 46 I 160) ne
BGE 93 I 716 S. 721
s'oppose pas à l'ouverture de la faillite de la succursale de Genève: les arrêts invoqués concernent en effet des affaires où la faillite avait été ouverte aussi bien en Suisse qu'en France.
Il est vrai qu'une partie de la doctrine (LYON-CAEN ET RENAULT, no 1315 p. 844; CURTI, p. 128/9; JÄGER, ad art. 166 LP no 6) est de l'avis que la faillite doit toujours être requise au siège du principal établissement, lequel n'est cependant pas, selon la jurisprudence et les deux premiers auteurs cités, au lieu du siège formel, mais au lieu du centre réel des affaires, même si ce dernier n'est qualifié que de succursale et inscrit comme tel au registre du commerce. L'arrêt attaqué a soulevé la question de l'importance respective de la succursale de Genève et du siège de Paris, mais l'a laissée ouverte. Il s'est cependant référé à l'arrêt du 20 avril 1966, relatif à l'inscription de la succursale de Genève au registre du commerce, dans lequel la Ie Cour civile du Tribunal fédéral tire, des faits retenus par l'autorité cantonale, la conclusion que l'importance du siège dit principal de Paris ne paraît en tout cas pas dépasser celle de l'établissement de Genève. La recourante n'a sérieusement contesté cette conclusion ni dans la procédure devant la Cour de justice civile, ni dans son recours de droit public. Il n'est ainsi pas exclu qu'en cas de réquisition de faillite dirigée contre le siège de Paris, Genève soit néanmoins désigné comme le for unique de la poursuite, en application du principe admis par la jurisprudence et la doctrine. Il est donc d'autant moins indiqué d'annuler en l'état, pour violation du principe de l'unité et de l'universalité de la faillite découlant de la Convention franco-suisse, la décision de faillite prononcée contre la succursale de Genève: il serait absurde de renvoyer aujourd'hui les créanciers de cette succursale à requérir la faillite du siège principal qui pourrait se révéler n'être que formel, faillite dont la procédure se déroulerait finalement à Genève pour l'ensemble des établissements que la recourante possède dans les deux pays.
Dans ces circonstances, il n'y a pas lieu de déclarer les autorités genevoises incompétentes pour prononcer la faillite de la succursale, tant que la faillite du siège de Paris n'aura pas été demandée et qu'à cette occasion la question de l'établissement le plus important, de Paris ou de Genève, n'aura pas été tranchée de façon expresse.
Le grief de violation de la Convention franco-suisse du 15 juin 1869 est dès lors mal fondé. | public_law | nan | fr | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
bfee3248-b7e8-4d2d-8355-35ed4aee70de | Urteilskopf
81 I 119
23. Urteil vom 17. Mai 1955 i.S. Sektion Zürich des Schweizerischen Drogisten-Verbandes und Konsorten gegen Regierungsrat des Kantons Zürich. | Regeste
Handels- und Gewerbefreiheit, Gewaltentrennung, Unverletzlichkeit des Hausrechts, Eigentumsgarantie.
Zürcherische Verordnung über den Verkehr mit Heilmitteln vom 2. September 1954.
1. Zulässigkeit des Verbots, eine Drogerie als "Drugstore" zu bezeichnen (§ 46 VO).
2. Zulässigkeit von Bestimmungen über die Kontrolle der Arzneimittelbetriebe (Recht der Kontrollorgane, Auskünfte zu verlangen, Geschäftspapiere einzusehen und die Geschäftsräume zu betreten, § 51 VO).
3. Unzulässigkeit einer Bestimmung über die Beschlagnahme und Verwertung gewisser Einrichtungsgegenstände (§ 56 VO). Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit des polizeilichen Eingriffs. | Sachverhalt
ab Seite 120
BGE 81 I 119 S. 120
A.-
Die vom Regierungsrat des Kantons Zürich am 2. Sept. 1954 erlassene Verordnung über den Verkehr mit Heilmitteln (VO) enthält u.a. folgende Bestimmungen:
§ 46. Jede Drogerie ist als "Drogerie" zu bezeichnen. Auskündungen, die zu Verwechslungen mit Apotheken führen können, wie z.B. "Medizinaldrogerie" oder "Drugstore", sind verboten.
§ 51. Die Arzneimittelbetriebe haben den Kontrollorganen die verlangten Auskünfte zu geben und Zutritt in alle Geschäfts-, Betriebs-, Lager- und Praxisräume zu gewähren.
Die Kontrollorgane sind berechtigt, nötigenfalls die Rechnungen, Geschäftsbücher, Lieferscheine und sonstigen Belege einzusehen.
§ 55. Werden Arzneimittel sowie Bestandteile, Packungen, Behälter oder Anpreisungsmittel von solchen gemäss § 35 f des Medizinalgesetzes beschlagnahmt, ist der Wareninhaber berechtigt, eine Quittung zu verlangen.
§ 56. Andere Einrichtungsgegenstände, die gefährlich, zweckuntauglich oder unrein sind, können ebenfalls mit Beschlag belegt werden. Bei ihrer Verwertung ist ein allfälliger Erlös dem Berechtigten auszuhändigen. Die strafrechtliche Einziehung bleibt vorbehalten.
B.-
Die Sektion Zürich des Schweizerischen Drogisten-Verbandes und ihre Mitglieder Eugen Graf, Hans Metzger und Theodor Locher, die im Kanton Zürich Drogerien betreiben, führen gegen die VO staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 4 KV), der Garantie der Unverletzlichkeit des Hausrechts (Art. 8 KV), des Grundsatzes der Gewaltentrennung sowie der
Art. 4 und 31 BV
. Sie beantragen, § 46 VO insoweit aufzuheben, als er die Bezeichnung "Drugstore" verbietet, und die §§ 51 und 56 VO gänzlich aufzuheben, eventuell § 56 teilweise.
C.-
Der Regierungsrat schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Sektion Zürich des Schweizerischen Drogisten Verbandes besitzt als Verein im Sinne der
Art. 60 ff. ZGB
das Recht der Persönlichkeit; sie bezweckt nach den Statuten "die Wahrung und Förderung der Standesinteressen
BGE 81 I 119 S. 121
im allgemeinen und der beruflichen und wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder im besonderen". Daher ist sie nach der Rechtsprechung (
BGE 72 I 99
,
BGE 76 I 312
) zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen die angefochtenen Verordnungsbestimmungen legitimiert, weil durch diese diejenigen ihrer Mitglieder, die Inhaber von Drogerien im Kanton Zürich sind, in ihrer Rechtsstellung betroffen werden. Zu diesen Mitgliedern gehören auch die Personen, die neben dem Verband als Beschwerdeführer auftreten; sie sind daher zur Beschwerde ebenfalls legitimiert.
2.
Die VO nennt im Eingang als gesetzliche Grundlagen die §§ 37 lit. d, 41 Ziff. 2 und 32 Abs. 3 des kantonalen Gesetzes betreffend das Medizinalwesen vom 2. Okt. 1854 mit den seitherigen Abänderungen (MG), Art. 34 BG über die Betäubungsmittel vom 3. Okt. 1951 und die Art. 49 und 55 der eidg. Vollziehungsverordnung zu diesem BG. In der Vernehmlassung stützt der Regierungsrat die angefochtenen Bestimmungen auf die §§ 27, 37 lit. d und 41 Ziff. 2 MG. Als gesetzliche Grundlage für § 46 VO kommt indes nur
§ 41 Ziff. 2 MG
in Frage, wonach der Regierungsrat ermächtigt ist, eine Verordnung betreffend die Einrichtung, den Betrieb und die Kontrolle der öffentlichen und der Privatapotheken sowie der Drogerien und die Prüfung der Drogisten zu erlassen. Da diese Delegationsnorm selber nicht angefochten wird, ist die beanstandete Bestimmung in § 46 VO als rechtsgültig zu betrachten, wenn sie sich im Rahmen jener Norm und des durch sie verfolgten Zwecks hält. Sofern dies der Fall ist, erweisen sich die Rügen, sie verletze
Art. 4 und 31 BV
und den Grundsatz der Gewaltentrennung - der in der zürcherischen KV zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen ist, sich aber aus der darin vorgenommenen Verteilung der Gewalten ergibt (
BGE 79 I 131
Erw. 4)-, als unbegründet. Es fehlt dann weder an einer gesetzlichen Grundlage noch an einem sachlichen, polizeilichen Zweck, noch hat der Regierungsrat ohne Befugnis neues Recht geschaffen. Die Handels- und Gewerbefreiheit ist nur im
BGE 81 I 119 S. 122
Rahmen der öffentlichen Ordnung gewährleistet; sie darf durch kantonale Vorschriften insbesondere auch zum Schutze von Treu und Glauben im Verkehr beschränkt werden (
BGE 80 I 143
, 353). Unter diesem Gesichtspunkte sind im Rahmen von Vorschriften über den Betrieb der Drogerien (
§ 41 Ziff. 2 MG
) auch Bestimmungen zum Schutze des Publikums vor Irreführung durch eine unzutreffende Geschäftsbezeichnung zulässig (
BGE 63 I 230
,
BGE 65 I 72
). Die Beschwerdeführer bestreiten das nicht, machen aber geltend, die Bezeichnung "Drugstore" neben der zwingend vorgeschriebenen Benennung "Drogerie" sei nicht geeignet, das Publikum irrezuführen, zu Verwechslungen mit Apotheken Anlass zu geben.
Die Bezeichnung "Drugstore" richtet sich, wie nicht bestritten ist, nicht an die einheimische Bevölkerung, sondern an Ausländer englischer Sprache, denen der Ausdruck "Drogerie" nicht geläufig ist. Die Beschwerdeführer können sich daher nicht darauf berufen, dass jene Bezeichnung nicht für sich allein, sondern nur neben der obligatorischen Bezeichnung "Drogerie" verwendet werden soll. Wird eine fremdsprachige Nebenbezeichnung gewählt - was nach § 46 VO nicht verboten ist -, so kommt es nicht darauf an, ob die Hauptbezeichnung "Drogerie" beim einheimischen Publikum die Verwechslung mit Apotheken ausschliesst, sondern darauf, ob die Nebenbezeichnung Fremden, deren Muttersprache sie angehört, zu solcher Verwechslung Anlass geben kann. Wenn dies der Fall ist, hält sich das angefochtene Verbot im Rahmen der Delegationsnorm in
§ 41 Ziff. 2 MG
und des damit verfolgten polizeilichen Zwecks und greift nicht, wie behauptet wird, in verfassungsmässige Rechte ein. Insbesondere ist dann der aus
Art. 31 BV
abzuleitende Grundsatz der Verhältnismässigkeit der Massnahme (
BGE 80 I 353
) nicht verletzt, weil der Verwechslungsgefahr nur durch ein gänzliches Verbot der irreführenden Bezeichnung vorgebeugt werden kann.
Dem vom Kantonsapotheker beigezogenen Bericht des
BGE 81 I 119 S. 123
Direktors der Pharmakopöe-Kommission der Vereinigten Staaten von Amerika vom 19. März 1954 ist zu entnehmen, dass in den amerikanischen "Drugstores" Waren der verschiedensten Art, z.B. auch Papeteriewaren, photographische Artikel, Bücher, feilgehalten werden, dass darin in der Regel Mahlzeiten eingenommen werden können und dass daselbst aber auch ärztliche Rezepte ausgeführt werden. Die letztgenannte Tätigkeit ist jedoch im Kanton Zürich nur den öffentlichen Apotheken gestattet, vorbehältlich der Selbstdispensation von Ärzten und Tierärzten (
§ 35 MG
). Es besteht kein Grund, die Richtigkeit jenes Berichtes in Zweifel zu ziehen, zumal da der wesentliche Punkt, dass amerikanische "Drugstores" in der Regel auch eine Rezepturabteilung führen, durch einen Artikel in den Nummern vom 21. und 28. Febr. 1953 der "Schweizerischen Drogisten-Zeitung" bestätigt wird. Aus dem vom Drogisten Gygax in Brig eingeholten Bericht der Britischen Gesandtschaft in Bern vom 13. Nov. 1952, auf den in der Replik verwiesen wird, können die Beschwerdeführer nichts zu ihren Gunsten ableiten. Darin wird ausgeführt, dass ein "Drugstore" nicht in allen Teilen einer hiesigen Drogerie entspricht und dass jener Ausdruck in Grossbritannien nicht gebräuchlich ist, sondern nur in den Vereinigten Staaten von Amerika. Daraus folgt zunächst, dass sich die Bezeichnung "Drugstore" jedenfalls wegen des aus Grossbritannien kommenden Reisepublikums gar nicht rechtfertigen lässt. Dass sie aber Gäste aus den Vereinigten Staaten von Amerika zu Verwechslungen mit Apotheken verleiten kann, weil dort ein "Drugstore" in der Regel auch eine Rezepturabteilung hat, ergibt sich nicht nur aus dem Bericht des Direktors der amerikanischen Pharmakopöe-Kommission und dem genannten Zeitungsartikel, sondern auch aus einem vom Walliser Polizeidepartement auf staatsrechtliche Beschwerde des Drogisten Gygax hin eingelegten Bericht der Amerikanischen Botschaft in Bern vom 22. Juli 1954 und wird durch den Bericht der Britischen Gesandtschaft nicht
BGE 81 I 119 S. 124
widerlegt. Es besteht somit die Gefahr der Irreführung gerade desjenigen fremdsprachigen Publikums, an das sich die verbotene Bezeichnung wendet. Diese Gefahr wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass, wie die Beschwerdeführer geltend machen, nach den amerikanischen Vorschriften die Rezepturabteilung eines "Drugstore" als solche gut sichtbar bezeichnet und das Certificate des Apothekers sichtbar aufgehängt sein muss. Abgesehen davon, dass sich diese Hinweise offenbar nur im Innern des Geschäfts befinden müssen, besteht im Kanton Zürich keine entsprechende Vorschrift für Apotheken, so dass hier das Fehlen solcher Hinweise noch nicht den Schluss zulässt, dass im betreffenden Geschäft keine ärztlichen Rezepte ausgeführt werden dürfen. § 46 VO ist daher nicht zu beanstanden. Die Vorschrift verwehrt den Zürcher Drogisten nicht, eine englische Nebenbezeichnung für ihr Geschäft zu führen; diese ist aber so zu wählen, dass sie nicht zu Verwechslungen mit Apotheken Anlass geben kann.
3.
Die Beschwerdeführer bestreiten mit Recht nicht, dass der Regierungsrat auf dem Verordnungswege Vorschriften über die gewerbepolizeiliche Kontrolle der Drogerien aufstellen darf. In der Tat ist die gesetzliche Grundlage dafür gegeben:
§ 27 MG
unterstellt die Drogerien der Kontrolle der Direktion des Gesundheitswesens, und § 41 Ziff. 2 daselbst ermächtigt den Regierungsrat, durch Verordnung Ausführungsbestimmungen dazu zu erlassen. Dagegen machen die Beschwerdeführer geltend, die Ordnung der Befugnisse der Kontrollorgane in § 51 VO verletze durch "schrankenlose und unverhältnismässige Formulierung" den Grundsatz der Gewaltentrennung,
Art. 31 und
Art. 4 BV
sowie Art. 8 KV. Mit dem Vorwurf des Verstosses gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit des polizeilichen Eingriffs fallen alle übrigen Rügen zusammen.
a) Die Beschwerdeführer beanstanden, dass die Auskunftspflicht, die § 51 Abs. 1 VO den Arzneimittelbetrieben auferlegt, nicht auf sachbezügliche Auskünfte beschränkt
BGE 81 I 119 S. 125
sei. Indes ist klar, dass mit den "verlangten Auskünften", die nach dieser Vorschrift den Kontrollorganen zu geben sind, nicht beliebige Auskünfte gemeint sein können, sondern nur solche, die als für eine wirksame Kontrolle erforderlich erachtet werden (vgl. Art. 4 des eidg. Reglements betreffend die Erhebung von Proben von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 16. April 1929), also "sachbezüglich" sind. Das ist so selbstverständlich, dass es in der VO nicht ausdrücklich gesagt zu werden brauchte. Der Regierungsrat durfte bei ihrem Erlass voraussetzen, dass die Bestimmung über die Auskunftspflicht von den vollziehenden Organen vernünftig werde gehandhabt werden. Diese Bestimmung verletzt daher an sich den Grundsatz der Verhältnismässigkeit des polizeilichen Eingriffs nicht. Sollten bei der Anwendung Übergriffe vorkommen, so kann sich der Betroffene mit den von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mitteln, gegebenenfalls mit staatsrechtlicher Beschwerde, zur Wehr setzen.
Unbegründet ist auch der Einwand, dass jener Auskunftspflicht keine Schweigepflicht der Kontrollbeamten gegenüberstehe. Die VO selber schreibt eine solche allerdings nicht vor. Das ist aber auch nicht notwendig, weil die Kontrollorgane ohnedies, nach § 11 der zürcherischen Verordnung über die Amtsstellung und Besoldung der Beamten und Angestellten der Verwaltung und der Rechtspflege vom 15. März 1948, zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und sich durch Verletzung dieser Pflicht nach
Art. 320 StGB
strafbar machen. Freilich sind sie unter Umständen gehalten, den Steuerbehörden Auskünfte zu geben (§ 81 des zürcherischen Steuergesetzes, Art. 90 Abs. 1 WStB,
Art. 280 BStP
). Diese Beschränkung der Geheimhaltungspflicht gilt indessen nicht nur für sie, sondern auch für viele andere Beamte. Sie hat nicht zur Folge, dass Privaten Geschäftsgeheimnisse oder andere grundsätzlich geheimzuhaltende Tatsachen geoffenbart werden dürften, sondern bezweckt nur, dass die Steuerbehörde
BGE 81 I 119 S. 126
im Interesse der richtigen und vollständigen Versteuerung über Verhältnisse unterrichtet wird, über die der Steuerpflichtige ihr ohnehin Aufschluss zu geben und die sie ihrerseits geheimzuhalten hat (§ 82 zürch. StG, Art. 71 WStB). Die Beschwerdeführer haben daher kein legitimes Interesse daran, dass die nach § 51 VO zu erteilenden Auskünfte von den Kontrollorganen nicht an die Steuerbehörde weitergeleitet werden. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit des polizeilichen Eingriffs verlangt nicht, dass solche Mitteilungen unterbleiben.
b) Die Beschwerdeführer erblicken eine Verletzung dieses Grundsatzes auch darin, dass das in § 51 Abs. 2 VO den Kontrollorganen eingeräumte Recht, Rechnungen, Geschäftsbücher, Lieferscheine und sonstige Belege einzusehen, sachlich und zeitlich nicht begrenzt sei. Nach ihrer Auffassung sollte es auf Fälle beschränkt sein, wo der erhebliche Verdacht einer Widerhandlung vorliegt-Nun gewährt aber § 51 Abs. 2 VO das Einsichtsrecht nicht schlechthin, sondern nur "nötigenfalls". Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass ein besonderer Anlass, ein gewisser Verdacht einer Übertretung bestehen muss. Der Einwand der Beschwerdeführer, der vollziehende Beamte könnte die Notwendigkeit der Einsichtnahme jederzeit bejahen, ist nicht stichhaltig; denn dasselbe liesse sich sagen, wenn ein "erheblicher" Verdacht Voraussetzung des Einblicksrechts wäre. § 51 Abs. 2 VO verstösst an sich so wenig gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit wie die Bestimmung des Abs. 1 über die Auskunftspflicht (lit. a hiervor). Es kommt wiederum darauf an, wie die Vorschrift im einzelnen Fall angewendet wird. Der Regierungsrat erklärt übrigens in der Vernehmlassung, die Direktion des Gesundheitswesens werde durch eine Dienstanweisung dafür sorgen, dass vom Einsichtsrecht schonend, im Sinne des Wortes "nötigenfalls", Gebrauch gemacht werde. Dabei ist er zu behaften. Was die Schweigepflicht anbelangt, wird ebenfalls auf lit. a hiervor verwiesen. In diesem Punkte unterscheidet sich der
BGE 81 I 119 S. 127
vorliegende Fall wesentlich von dem des UrteilsBGE 65 I 65ff., auf das die Beschwerdeführer sich berufen; denn dort war die Kontrolle einem privaten Verein überlassen, der namentlich für Verschwiegenheit nicht dieselbe Gewähr bietet wie ein staatliches Kontrollorgan. Der weitere Einwand, kein anderer Kanton gebe den Kontrollbehörden ein so schrankenloses Einsichtsrecht, wie es in § 51 Abs. 2 VO vorgesehen sei, ist nicht belegt; übrigens würde daraus, dass anderwärts die Kontrolle der Drogerien lockerer gestaltet ist als im Kanton Zürich, noch nicht folgen, dass dessen Ordnung den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletze.
c) Art. 8 KV erklärt in Abs. 1 das Hausrecht als unverletzlich und bestimmt in Abs. 2: "Zu Hausdurchsuchungen bedarf es entweder der Einwilligung des Wohnungsinhabers oder der Ermächtigung durch einen zuständigen Beamten, welche den Zweck und die Ausdehnung dieser Massregel genau bezeichnen soll. Ausnahmen von dieser Regel sind gestattet, wenn Gefahr im Verzuge ist." Die Beschwerde vermisst in der angefochtenen Ordnung des Zutrittsrechts der Kontrollorgane (§ 51 Abs. 1 VO) Einschränkungen, wie sie in dieser Verfassungsvorschrift und in §§ 88 ff. der zürcherischen StPO vorgesehen sind.
Der Regierungsrat hält dafür, dass die im Jahre 1951 erlassenen
§
§ 27 und 41 Ziff. 2 MG
als neuere Spezialbestimmungen dem aus dem Jahre 1869 stammenden Art. 8 KV selbst dann vorgehen, wenn angenommen werde, diese Bestimmung wäre an sich auch auf die Kontrolle der Drogerien anwendbar. Er führt aus, nach zürcherischem Recht stehe das Gesetz den Verfassungsbestimmungen an Geltungskraft gleich, da es in demselben Verfahren wie sie zustandekomme. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass das kantonale Medizinalgesetz wohl die Drogerien der behördlichen Kontrolle unterstellt (§ 27), deren nähere Ausgestaltung aber der Regelung auf dem Verordnungswege überlässt (§ 41 Ziff. 2). Der Regierungsrat behauptet indessen mit Recht selber nicht, dass im
BGE 81 I 119 S. 128
Kanton Zürich durch eine blosse Vollziehungsverordnung, die nicht wie Verfassung und Gesetz dem Referendum untersteht, Verfassungsrecht aufgehoben oder geändert werden könne. Ebensowenig kann aber nach dem kantonalen Recht ein gewöhnliches Gesetz diese Wirkung haben. Auch im Kanton Zürich ist die gesetzgebende Behörde an die Kantonsverfassung gebunden. Dass diese gegenüber dem einfachen Gesetz den Vorrang hat, kommt in Verschiedenheiten des Verfahrens der Rechtssetzung zum Ausdruck. Art. 65 KV bestimmt in Abs. 1 allerdings, dass die Verfassungsrevision "auf dem Wege der Gesetzgebung" vorzunehmen ist, doch knüpft er sie an erschwerende Formen: Abs. 2 schreibt ein besonderes Verfahren vor für den Fall, wo auf dem Wege der Volksinitiative die Gesamtrevision der Verfassung beschlossen wird, und Abs. 3 fordert für die Partial- wie für die Totalrevision eine doppelte Beratung im Kantonsrat und die Einhaltung eines Abstandes von mindestens zwei Monaten zwischen den beiden Beratungen (GIACOMETTI, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 465 f. und Anm. 24). Das MG ist aber ein einfaches Gesetz, nicht ein im Verfahren der Verfassungsrevision zustandegekommenes "Verfassungsgesetz".
§ 51 Abs. 1 VO beschränkt das Zutrittsrecht der Kontrollorgane auf Geschäftsräume; von Wohnräumen ist in der Bestimmung nicht die Rede. Das Hausrecht, das in Art. 8 KV unter Schutz gestellt ist, erstreckt sich indessen grundsätzlich auch auf Geschäftsräume. Wenn aber die beanstandete Regelung des Zutrittsrechts der Kontrollorgane mit
Art. 31 BV
- insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit des polizeilichen Eingriffs - vereinbar ist, so verstösst sie auch nicht gegen Art. 8 KV. Wer die in den
§
§ 31 ff. MG
den Drogerien zuerkannten Befugnisse ausüben will, bedarf nach § 24 desselben Gesetzes einer Bewilligung der Direktion des Gesundheitswesens. Durch die Erteilung der Bewilligung wird ein besonderes Gewaltverhältnis zwischen dem Inhaber und der Verwaltungsbehörde
BGE 81 I 119 S. 129
begründet. Der Inhaber muss sich diejenigen Beschränkungen der verfassungsmässigen Freiheitsrechte gefallen lassen, die dieses Gewaltverhältnis erfordert; insbesondere hat er sich der in
§ 27 MG
vorgesehenen Kontrolle zu unterziehen, soweit der Grundsatz der Verhältnismässigkeit des Eingriffs gewahrt ist (vgl. FLEINER, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., S. 167). Die Beschwerdeführer können sich daher zur Stützung ihres Standpunktes nicht auf die §§ 88 ff. der zürcherischen StPO berufen. Die dort zum Schutze des Bürgers aufgestellten Bestimmungen betreffen Hausdurchsuchungen der Strafuntersuchungsbehörden, nicht Kontrollmassnahmen der Gewerbepolizei, denen die Inhaber bewilligungspflichtiger Geschäftsbetriebe unterworfen sind. Die Kontrolle, der das MG die Drogerien unterstellt, kann nur wirksam sein, wenn die damit betrauten Beamten ein weitgehendes Recht auf Zutritt zu den in § 51 VO genannten Geschäftslokalitäten haben. Art. 8 Abs. 2 KV ist, wie aus dem Wortlaut der Bestimmung hervorgeht, auf polizeiliche Durchsuchungen von Wohnungen zugeschnitten und kann daher dort, wo es um die Durchsuchung von Geschäftsräumen zum Zwecke gewerbepolizeilicher Kontrolle geht, nicht wörtlich anwendbar sein. Mit dem Sinn der Vorschrift und dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit steht aber die im Streite liegende Zutrittsbefugnis in den Schranken, die ihrer Ausübung in Gesetz und Verordnung gezogen sind, durchaus im Einklang. Es bedarf weder der Einwilligung des Geschäftsinhabers, denn sonst wäre eine wirksame Kontrolle in vielen Fällen überhaupt nicht möglich, noch der vorgängigen Anzeige, da die Kontrolle überraschend sein muss, wenn sie einen zuverlässigen Befund ergeben soll, noch einer besonderen Ermächtigung durch einen zuständigen Beamten, welche den Zweck und die Ausdehnung der Massregel genau zu bezeichnen hätte, denn die Ermächtigung liegt bereits im MG, das in § 27 die Drogerien der Kontrolle der Verwaltung unterstellt, und der Zweck
BGE 81 I 119 S. 130
und die Ausdehnung der Kontrolle ergeben sich ohne weiteres aus den in Gesetz und Verordnung enthaltenen Bestimmungen über Einrichtung und Betrieb der Drogerien und aus den Vorschriften des § 51 VO über die Auskunftspflicht und das Einsichtsrecht. Gewiss beschränkt § 51 Abs. 1 VO das Zutrittsrecht der Kontrollorgane nicht ausdrücklich auf die üblichen Geschäftsstunden oder auf die Zeit, während der die betreffenden Räumlichkeiten dem Verkehr geöffnet sind oder darin gearbeitet wird, wie es für die Kontrolle von Lebensmittelgeschäften Art. 11 des eidg. Lebensmittelgesetzes und Art. 2 der eidg. Verordnung betreffend die technischen Befugnisse der kantonalen Lebensmittelinspektoren und der Ortsexperten vorschreiben. Aber dem bezüglichen Einwand der Beschwerdeführer ist wiederum entgegenzuhalten, dass derartige gewerbepolizeiliche Bestimmungen nicht schon deswegen verfassungswidrig sind, weil sie nicht ausdrücklich alle erdenklichen Beschränkungen zum Schutze des Gewerbetreibenden vorsehen. Vernünftigerweise kann § 51 Abs. 1 VO nur so verstanden werden, dass jedenfalls dann, wenn keine dringende Gefahr im Verzuge ist, das Zutrittsrecht der Kontrollorgane in der Zeit auszuüben ist, während der die betreffenden Räumlichkeiten dem Verkehr offenstehen oder darin gearbeitet wird. Wenn die Behörde die ihr danach zustehenden Befugnisse im einzelnen Fall überschreitet, so kann sich der Betroffene mit den ihm von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mitteln wehren.
Die Rüge der Verfassungswidrigkeit des § 51 VO hält somit in keiner Beziehung stand.
4.
Nach
§ 35 f MG
kann die Direktion des Gesundheitswesens "vorschriftswidrige, fehlerhaft hergestellte, verdorbene, unrechtmässig angepriesene oder zur unrechtmässigen Abgabe bestimmte Mittel sowie Bestandteile, Packungen, Behälter und Anpreisungsmittel von solchen" einziehen. Hierauf bezieht sich § 55 VO, der nicht Gegenstand der Beschwerde ist. Der angefochtene § 56 VO
BGE 81 I 119 S. 131
betrifft "andere Einrichtungsgegenstände, die gefährlich, zweckuntauglich oder unrein sind"; er bestimmt, dass sie ebenfalls mit Beschlag belegt werden können, dass bei ihrer Verwertung ein allfälliger Erlös dem Berechtigten auszuhändigen ist und dass die strafrechtliche Einziehung vorbehalten bleibt. Die Beschwerdeführer beanstanden diese Bestimmung wegen Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung, der Eigentumsgarantie sowie der
Art. 31 und 4 BV
.
Die Gegenüberstellung des Wortlautes der §§ 55 und 56 VO zeigt, dass mit den "andern Einrichtungsgegenständen", von denen die zweite Bestimmung spricht, nicht Arzneimittel oder Gifte gemeint sind, sondern Einrichtungen und Geräte im Sinne des § 16 VO, wo von den Anforderungen die Rede ist, die aus gesundheitspolizeilichen Gründen, auch zum Schutze des Personals (Abs. 3), an die Einrichtung und den Betrieb von Arzneimittelgeschäften gestellt werden. Die Befugnis des Regierungsrates, über "andere Einrichtungsgegenstände" eine Verordnung zu erlassen, kann daher nicht aus
§ 37 lit. d MG
abgeleitet werden; denn diese Bestimmung bezieht sich ausschliesslich auf Heilmittel und Gifte. Als gesetzliche Grundlage kommt von den Bestimmungen des MG einzig § 41 Ziff. 2 in Betracht, wonach der Regierungsrat ermächtigt ist, eine Verordnung betreffend die Einrichtung, den Betrieb und die Kontrolle der Apotheken und der Drogerien aufzustellen. Diese Vorschrift steht aber im Gegensatz zu § 37 im IV. Titel des Gesetzes, der die Bezeichnung "Vollziehung" trägt. Sie gibt dem Regierungsrat nicht die Kompetenz, in Ergänzung des Gesetzes, das die Einziehung auf bestimmte Mittel und Gegenstände beschränkt (
§ 35 f MG
), die Beschlagnahme und Verwertung anderer Gegenstände vorzusehen. Der Regierungsrat leitet die Befugnis hiezu nicht etwa aus Art. 21 KV her (vgl.
BGE 79 I 132
), noch beruft er sich auf den Grundsatz, dass die Abwehr ernsthafter Gefahren, die der öffentlichen Ordnung und Wohlfahrt unmittelbar drohen, eine elementare
BGE 81 I 119 S. 132
polizeiliche Aufgabe des Gemeinwesens ist, die auch dann erfüllt werden muss, wenn eine einschlägige gesetzliche Bestimmung fehlt (
BGE 67 I 76
). Man kann sich daher fragen, ob § 56 VO - mit Ausnahme des selbstverständlichen Vorbehalts der strafrechtlichen Einziehung in Satz 3 - nicht schon deshalb aufzuheben sei, weil er mangels gesetzlicher Grundlage gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung - wonach die gesetzgebende Gewalt dem Volke unter Mitwirkung des Kantonsrates zusteht (Art. 28 KV) -, die Eigentumsgarantie und
Art. 31 BV
verstosse.
Auf jeden Fall aber sind die Sätze 1 und 2 dieser Verordnungsbestimmung aus einem andern Grunde zu beanstanden, so dass jene Frage offen bleiben kann. Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit des polizeilichen Eingriffs darf die Verwaltungsbehörde kein stärkeres Zwangsmittel zur Anwendung bringen, als zur Erreichung des beabsichtigten Erfolges erforderlich ist. Die polizeiliche Zwangsvollstreckung darf erst stattfinden, nachdem der Versuch, den polizeiwidrigen Zustand durch weniger einschneidende Massnahmen zu beseitigen, erfolglos geblieben ist (OTTO MAYER, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., 3. Aufl., S. 287; FLEINER, a.a.O., S. 217). § 56 VO schreibt zwar die Beschlagnahme und Verwertung nicht zwingend vor, sondern überlässt sie dem Ermessen der Verwaltungsbehörde ("können"). Anderseits verpflichtet er diese aber auch nicht, zunächst zu versuchen, mit weniger weitgehenden Mitteln zum Ziele zu kommen, sei es mit einem Verwaltungsbefehl oder durch Bestrafung mit Busse (vgl.
§ 42 MG
und § 57 VO) oder durch Androhung der Beschlagnahme. Ausserdem fehlen für den Fall der Meinungsverschiedenheit darüber, ob die Einrichtungsgegenstände, die mit Beschlag belegt werden sollen, gefährlich, zweckuntauglich oder unrein seien, Rechtsschutzbestimmungen zugunsten des Betriebsinhabers, wie sie z.B. das eidg. Lebensmittelgesetz in Art. 16-24 enthält. Es mag vorkommen, dass nur durch sofortige Beschlagnahme und
BGE 81 I 119 S. 133
Verwertung (oder Vernichtung) von Gegenständen der in Frage stehenden Art ernsthafte Gefahren, die der öffentlichen Wohlfahrt unmittelbar drohen, abgewendet werden können. Aber in solchen Fällen, die eher selten sein werden, könnte die Polizeibehörde diese Ausnahmen auch dann ergreifen, wenn sie in Gesetz oder Verordnung nicht vorgesehen wären. In § 56 VO sind denn auch, wie aus seinem Wortlaut hervorgeht, nicht oder jedenfalls nicht nur diese Notfälle gemeint. In ihrer allgemeinen Fassung ist die Bestimmung mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht vereinbar.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen in dem Sinne, dass die Sätze 1 und 2 des § 56 der Verordnung des Regierungsrates des Kantons Zürich über den Verkehr mit Heilmitteln vom 2. Sept. 1954 aufgehoben werden. Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
bff2e3e0-b9a1-440a-b810-b73c059159da | Urteilskopf
114 II 345
64. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 8 novembre 1988 dans la cause Fédération des Travailleurs de la Métallurgie et de l'Horlogerie contre S. | Regeste
Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers (
Art. 328 Abs. 1 OR
); Aktivlegitimation von Berufsverbänden.
Zusammenfassung der Rechtsprechung. Eine qualifizierte Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers ist nicht Voraussetzung für die Aktivlegitimation einer Gewerkschaft. | Sachverhalt
ab Seite 346
BGE 114 II 345 S. 346
La Fédération des Travailleurs de la Métallurgie et de l'Horlogerie (FTMH) a ouvert action contre S. en demandant qu'ordre lui soit donné de démonter ou mettre hors service les installations de surveillance vidéo des ateliers de son entreprise. La Cour civile du Tribunal cantonal du Jura a débouté la FTMH pour défaut de qualité pour agir. La FTMH recourt en réforme auprès du Tribunal fédéral.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) Selon la jurisprudence, la qualité pour agir et la qualité pour défendre appartiennent aux conditions matérielles de la prétention litigieuse (
ATF 108 II 217
consid. 1 et les références). Elles se déterminent selon le droit au fond et leur défaut conduit au rejet de l'action (
ATF 107 II 85
consid. 2 et les références), qui intervient indépendamment de la réalisation des éléments objectifs de la prétention litigieuse (
ATF 74 II 216
consid. 1). De même que la reconnaissance de la qualité pour défendre signifie seulement que le demandeur peut faire valoir sa prétention contre le défendeur (
ATF 107 II 85
consid. 2), revêtir la qualité pour agir veut dire que le demandeur est en droit de faire valoir cette prétention. Autrement dit, la question de la qualité pour agir revient à savoir qui peut faire valoir une prétention en qualité de titulaire d'un droit (KUMMER, dans RJB 112/1976 p. 167, "Die Rechtsprechung des Bundesgerichts 1974"; le même auteur, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4e éd., p. 66 ss), en son propre nom (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3e éd., p. 139; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur Zürcherischer Zivilprozessordnung, 2e éd., n. 19 § 27/28). En conséquence, la reconnaissance de la qualité pour agir ou pour défendre n'emporte pas décision sur l'existence de la prétention du demandeur, que ce soit quant au principe ou à la mesure dans laquelle il la fait valoir (
ATF 107 II 86
consid. 2).
BGE 114 II 345 S. 347
b) S'agissant de la qualité pour agir des associations professionnelles, la jurisprudence l'a reconnue quand elles entendent défendre un intérêt collectif comprenant non seulement l'intérêt personnel de leurs membres mais aussi celui des personnes qui, sans compter parmi leurs adhérents, exercent cependant le métier de ces derniers. Toutefois, même dans cette hypothèse, la qualité pour agir des associations est subordonnée à la condition qu'elles soient habilitées par leurs statuts à sauvegarder les intérêts économiques de leurs membres et que ceux-ci aient eux-mêmes qualité pour intenter l'action (
ATF 86 II 21
consid. 2,
ATF 73 II 65
). Si elles peuvent ester en justice pour défendre les intérêts communs d'une profession, elles ne sauraient en revanche avoir cette qualité pour réclamer la réparation d'un dommage subi par un de leurs membres personnellement (
ATF 86 II 23
). Ces principes ont été rappelés dans un arrêt rendu en matière de cartel, où ils ont été appliqués par analogie (
ATF 103 II 299
ss consid. 2 à 5). Pour ce qui concerne plus particulièrement la protection de la personnalité fondée sur l'
art. 28 CC
, la revision de 1983 ne conduit pas à une solution différente (TERCIER, Le nouveau droit le la personnalité, n. 809 ss).
c) La cour cantonale, après avoir rappelé que les débats étaient limités quant au fond - à l'examen de la qualité pour agir de la demanderesse, a retenu que ses statuts (art. 3) prévoient qu'elle défend les intérêts sociaux, professionnels et matériels de ses membres, en particulier en ce qui concerne les conditions de travail et la protection des travailleurs. Elle a tenu pour établi que certains des travailleurs de l'entreprise du défendeur étaient et sont encore membres de la FTMH. Elle a enfin relevé que ceux-ci auraient personnellement qualité pour intenter une action en cessation de trouble. Elle a toutefois nié que l'atteinte à la personnalité alléguée présenterait "un caractère de précédent par la gravité de cette atteinte" et refusé en conséquence de considérer que la demanderesse pouvait se prévaloir d'un intérêt collectif qui dépasse les intérêts individuels de ses membres.
La demanderesse fait grief à l'autorité cantonale de n'avoir pas examiné in abstracto si les intérêts des travailleurs auraient pu être lésés de telle manière que leur association professionnelle puisse les défendre. Selon la recourante, le jugement attaqué viole le droit fédéral en niant l'existence d'un intérêt collectif pour le motif que l'installation litigieuse n'emporterait aucune atteinte à la personnalité des travailleurs. On en viendrait ainsi à limiter la
BGE 114 II 345 S. 348
qualité pour agir d'une organisation professionnelle aux cas dans lesquels le bien-fondé de la cause est d'emblée établi.
d) Il découle des principes exposés plus haut que, pour juger de la qualité pour agir, la cour cantonale devait rechercher uniquement si la demanderesse, en tant qu'association professionnelle, pouvait faire valoir en son propre nom la prétention à la cessation du trouble que l'installation litigieuse porterait aux droits de la personnalité des travailleurs, tels qu'ils découlent des
art. 328 al. 1 CO
et 28 ss CC. Elle n'avait pas à se demander, à ce stade de la procédure, si l'installation en cause constituait une telle atteinte et, en cas de réponse affirmative, quelle était l'importance de cette atteinte. L'autorité cantonale ne s'y est pas trompée lorsqu'elle a reconnu que les travailleurs auraient eu la qualité pour agir. Dès qu'elle avait admis que les statuts de la demanderesse remplissaient la première condition posée par la jurisprudence, elle n'avait plus qu'à rechercher si la seconde - l'existence d'un intérêt collectif dépassant l'intérêt personnel des membres - était aussi réalisée. La demanderesse a pris des conclusions tendant à ce qu'ordre soit donné à la défenderesse de démonter ou mettre hors service les installations de surveillance vidéo des ateliers, alléguant que de telles installations, qui permettent d'apercevoir sur les écrans de contrôle non seulement les machines mais aussi les travailleurs, porteraient atteinte aux droits de la personnalité de ces derniers. Ce faisant, elle invoque un intérêt qui dépasse celui de ses membres et qui touche manifestement toute personne exerçant le même métier. Cet intérêt ne dépendant pas des autres conditions matérielles de l'action, l'autorité cantonale a contesté à tort l'existence d'un intérêt collectif et, partant, la qualité pour agir de la demanderesse. En faisant dépendre cette qualité de la gravité de l'atteinte et de son caractère de précédent, elle a posé des conditions qui ne sont exigées ni par la loi ni par la jurisprudence. Certes, la demanderesse était partie de la même exigence d'une atteinte qualifiée. Cette circonstance ne saurait lui porter préjudice, puisque la qualité pour agir est examinée d'office par le Tribunal fédéral (
ATF 108 II 217
).
Les débats ayant été expressément limités à la qualité pour agir de la FTMH, l'autorité cantonale ne peut examiner les autres questions de fond avant de les avoir instruites. Le recours doit être admis et la cause renvoyée à l'autorité cantonale pour qu'elle statue à nouveau, après avoir complété au besoin le dossier (
art. 64 al. 1 OJ
) dans les limites de la procédure cantonale. | public_law | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
bffc0593-6451-4680-a59f-2da65808e874 | Urteilskopf
122 V 34
6. Urteil vom 24. Januar 1996 i.S. T. gegen Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt und Kantonale Schiedskommission für Arbeitslosenversicherung des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Art. 16 Abs. 1bis AVIG
,
Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG
(in der bis 31. Dezember 1995 gültig gewesenen Fassung). Zum Gegenstand der Einstellung in der Anspruchsberechtigung bei Ablehnung einer Zwischenverdienstarbeit.
Art. 30 AVIG
(in der bis 31. Dezember 1995 gültig gewesenen Fassung);
Art. 103 Abs. 4 AVIG
,
Art. 114 Abs. 1 OG
,
Art. 103 Abs. 6 AVIG
,
Art. 4 Abs. 1 BV
. Streitgegenstand bei Anfechtung von Einstellungsverfügungen. Richterliche Überprüfungsbefugnis. Präzisierung der Rechtsprechung. | Sachverhalt
ab Seite 34
BGE 122 V 34 S. 34
A.-
Die 1955 geborene T. bezog ab 7. Juni 1993 Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Mit Schreiben vom 9. November 1993 wies ihr das Kantonale Arbeitsamt Basel-Stadt eine Stelle als Kantinenangestellte beim
BGE 122 V 34 S. 35
Service X zu. Unter der Rubrik "Anforderungen" wurde festgehalten:
"3 Kantinenangestellte mit sehr guten D-Kenntnissen im
Teilzeit-Angestelltenverhältnis gesucht, temporär bis 15.4.94, Arbeitszeit:
11.30 bis 15.30 Uhr, spätere feste Anstellung möglich."
Nachdem T. am Freitag, den 12. November und Montag, den 15. November 1993 zwei Schnuppertage (je vier Stunden) absolviert hatte, teilte ihr die Personalassistentin am 17. November 1993 mit, dass ihr keine Stelle angeboten werden könne. Man habe sich für eine andere Bewerberin entschieden.
Mit Verfügung vom 14. Januar 1994 stellte die Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt T. wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit für die Dauer von 25 Tagen (ab 2. November 1993) in der Anspruchsberechtigung ein. Sie habe durch ihre "unmotivierte Arbeitsweise (...) die Festanstellung verscherzt".
B.-
Beschwerdeweise beantragte T. die Aufhebung der Einstellungsverfügung "wegen falscher bzw. unzutreffender Begründung". Sie verwies namentlich darauf, dass die betreffende Stelle lediglich befristet und bloss stundenweise zu besetzen war ohne eine verbindliche Zusage für eine spätere feste Anstellung.
Die Kantonale Schiedskommission für Arbeitslosenversicherung des Kantons Basel-Stadt führte eine Hauptverhandlung durch, an welcher die Versicherte, ein Vertreter der Kasse sowie die Personalassistentin des Service X teilnahmen. Sie hiess die Beschwerde teilweise gut und stellte die Versicherte wegen Nichtannahme einer ihr zugewiesenen zumutbaren Arbeit für 20 Tage ab 2. November 1993 in der Anspruchsberechtigung ein (Entscheid vom 19. Mai 1994).
C.-
T. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt die Aufhebung der Einstellung in der Anspruchsberechtigung, eventuell Rückweisung der Sache an die kantonale Schiedskommission zur Neubeurteilung.
Die Arbeitslosenkasse trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an; das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) lässt sich nicht vernehmen.
D.-
Am 24. Januar 1996 hat das Eidg. Versicherungsgericht eine parteiöffentliche Beratung durchgeführt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig und zu prüfen ist die Einstellung der Beschwerdeführerin in der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosentaggelder für die Dauer von 20
BGE 122 V 34 S. 36
Tagen ab 2. November 1993. Diese Frage beurteilt sich aufgrund der bei Verwirklichung des einstellungsrechtlich relevanten Sachverhaltes geltenden Rechtssätze (
BGE 118 V 110
Erw. 3 mit Hinweis), somit nach den in diesem Zeitpunkt gültig gewesenen Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) und der Arbeitslosenversicherungsverordnung (AVIV).
2.
a) Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen und zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Davon zu unterscheiden ist der Streitgegenstand, worunter das Rechtsverhältnis verstanden wird, welches - im Rahmen des durch die Verfügung bestimmten Anfechtungsgegenstandes - den aufgrund der Beschwerdebegehren effektiv angefochtenen Verfügungsgegenstand bildet (
BGE 119 Ib 36
Erw. 1b,
BGE 118 V 313
Erw. 3b, je mit Hinweisen).
Nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts kann das verwaltungsgerichtliche Verfahren aus prozessökonomischen Gründen auf eine ausserhalb des Anfechtungsgegenstandes, d.h. ausserhalb des durch die Verfügung bestimmten Rechtsverhältnisses liegende spruchreife Frage ausgedehnt werden, wenn diese mit dem bisherigen Streitgegenstand derart eng zusammenhängt, dass von einer Tatbestandsgesamtheit gesprochen werden kann, und wenn sich die Verwaltung zu dieser Streitfrage mindestens in Form einer Prozesserklärung geäussert hat (
BGE 110 V 51
Erw. 3b in fine mit Hinweis; ARV 1985 Nr. 23 S. 177 Erw. 5b).
b) Im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen hat der Sozialversicherungsrichter auf den festgestellten Sachverhalt jenen Rechtssatz anzuwenden, den er als den zutreffenden ansieht, und ihm auch die Auslegung zu geben, von der er überzeugt ist (
BGE 110 V 20
Erw. 1, 52 f. Erw. 4a; vgl.
BGE 116 V 26
f. Erw. 3c; ZAK 1988 S. 615 Erw. 2a). Der Richter hat sich nicht darauf zu beschränken, den Streitgegenstand bloss im Hinblick auf die von den Parteien aufgeworfenen Rechtsfragen zu überprüfen (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 212). Er kann eine Beschwerde gutheissen oder abweisen aus anderen Gründen als vom Beschwerdeführer vorgetragen oder von der Vorinstanz erwogen (Art. 114 Abs. 1 am Ende in Verbindung mit
Art. 132 OG
;
BGE 119 V 28
Erw. 1b mit
BGE 122 V 34 S. 37
Hinweisen, 442 Erw. 1a). Das Prinzip der Rechtsanwendung von Amtes wegen gilt namentlich auch im kantonalen Beschwerdeverfahren im Bereich der Arbeitslosenversicherung (Art. 103 Abs. 4 zweiter Satz AVIG; unveröffentlichtes Urteil P. vom 23. Juni 1989).
c) Liegt, wie im vorliegenden Fall, eine verfügte Einstellung in der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosentaggelder im Streit, prüft die kantonale Beschwerdeinstanz frei, insbesondere ohne Bindung an die rechtliche Qualifikation des dem Versicherten in der angefochtenen Verfügung vorgeworfenen Verhaltens, ob und gegebenenfalls welcher der in
Art. 30 Abs. 1 AVIG
und
Art. 44 AVIV
normierten Einstellungstatbestände erfüllt ist. Dabei hat sie bei ihrem Entscheid die aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör abgeleiteten Verfahrensrechte der Parteien zu beachten, was je nach konkreter Verfahrenslage oder materiellrechtlichen Auswirkungen gebieten kann, die Parteien noch besonders anzuhören (
BGE 119 Ia 261
Erw. 6a,
BGE 119 V 211
Erw. 3b, je mit Hinweisen). Zusätzliche Schranken sind zu beachten, wenn der Richter, sei es von sich aus aufgrund von Anhaltspunkten in den Akten, sei es wegen eines von der Verwaltung nachträglich (zum Beispiel in der Vernehmlassung) erwähnten Grundes (sog. "Nachschieben" von Einstellungsgründen), im Vergleich zur verfügten Einstellung von einem anderen Sachverhalt ausgehen will, der unter einen anderen Einstellungsgrund zu subsumieren ist oder im Rahmen des gleichen Einstellungstatbestandes einen sachverhaltlich neuen Verschuldensvorwurf begründet. Dies ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für eine Ausdehnung des Verfahrens über den Anfechtungsgegenstand gegeben sind und das rechtliche Gehör gewahrt wird (vgl.
BGE 116 V 185
Erw. 1a in fine,
BGE 115 Ia 96
Erw. 1b, 114 Ia 99 Erw. 2a). Soweit den Urteilen in ARV 1992 Nr. 15 S. 143 und ARV 1989 Nr. 7 S. 94 Erw. 4c etwas anderes entnommen werden könnte, ist daran nicht festzuhalten.
3.
Im vorliegenden Fall hat die Arbeitslosenkasse die Beschwerdeführerin wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit (
Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG
und
Art. 44 lit. a AVIV
) für die Dauer von 25 Tagen ab 2. November 1993 in der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosentaggelder eingestellt. Die kantonale Schiedskommission hat die Einstellung im Umfang von 20 Tagen geschützt, dabei jedoch den Tatbestand der Nichtannahme einer durch das Arbeitsamt zugewiesenen zumutbaren Arbeit im Sinne von
Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG
als erfüllt betrachtet.
BGE 122 V 34 S. 38
a) Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, dass sich das der Beschwerdeführerin vorgeworfene Verhalten nicht unter den Einstellungstatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit subsumieren lässt. Denn der Service X war mit der Versicherten lediglich ein "Arbeitsverhältnis zur Probe" eingegangen, welches mit Ablauf der zwei Schnuppertage endete (vgl. REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, 12. Aufl., S. 121). Ihr Verhalten, soweit einstellungsrechtlich von Bedeutung, kann daher nicht als kausal für die Auflösung dieses befristeten Arbeitsverhältnisses betrachtet werden, was den Einstellungsgrund der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit ausschliesst (vgl. GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz [AVIG], Bd. I, N. 7 am Ende zu Art. 30). Es stellt sich somit die Frage, ob durch das von der Beschwerdeführerin gezeigte Verhalten ein anderer Einstellungstatbestand erfüllt ist. Dabei ist aufgrund des von der Arbeitslosenkasse ermittelten und insoweit unbestrittenen Sachverhaltes einzig der Einstellungstatbestand des
Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG
zu prüfen.
b) Der Versicherte ist in der Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn er die Kontrollvorschriften oder die Weisungen des Arbeitsamtes nicht befolgt, namentlich eine ihm zugewiesene zumutbare Arbeit nicht annimmt (
Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG
). Gemäss Rechtsprechung ist dieser Einstellungstatbestand auch dann erfüllt, wenn der Versicherte die Arbeit zwar nicht ausdrücklich ablehnt, es aber durch sein Verhalten in Kauf nimmt, dass die Stelle anderweitig besetzt wird. Der arbeitslose Versicherte hat bei den Verhandlungen mit dem künftigen Arbeitgeber klar und eindeutig die Bereitschaft zum Vertragsabschluss zu bekunden, um die Beendigung der Arbeitslosigkeit nicht zu gefährden (ARV 1984 Nr. 14 S. 167 sowie ARV 1982 Nr. 5 S. 43 Erw. 3a).
Aufgrund der Akten ist davon auszugehen, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin während der zwei Schnuppertage, die der Abklärung ihrer Eignung für eine der frei gewordenen Aushilfsstellen dienten, zumindest mitursächlich für ihre Nichtanstellung war. Sie selber bestreitet denn auch nicht ernstlich, dass sie die Stelle beim Service X erhalten hätte, wenn sie sich ein wenig aufgeschlossener gezeigt hätte. Wie schon im kantonalen Verfahren weist die Beschwerdeführerin jedoch darauf hin, dass die betreffende Stelle lediglich befristet und bloss stundenweise zu besetzen war ohne eine verbindliche Zusage für eine spätere feste Anstellung. Damit bestreitet sie sinngemäss die - durch die Vorinstanz ohne nähere Prüfung bejahte - Zumutbarkeit der ihr zugewiesenen Arbeit.
BGE 122 V 34 S. 39
4.
a) Nach
Art. 16 Abs. 1 AVIG
, anwendbar in der bis 31. Dezember 1995 gültig gewesenen Fassung, ist eine Arbeit zumutbar, wenn sie den in lit. a-d aufgezählten Anforderungen genügt und dem (ganz) Arbeitslosen einen Lohn einbringt, der nicht geringer ist als die ihm zustehende Arbeitslosenentschädigung (lit. e).
Erfüllt eine Arbeit alle Bedingungen der Zumutbarkeit mit Ausnahme derjenigen von Absatz 1 Buchstabe e, so gilt sie als zumutbar, solange der Versicherte Kompensationsleistungen nach Art. 24 (Zwischenverdienst) erhält (
Art. 16 Abs. 1bis AVIG
in der Fassung des Bundesbeschlusses über Massnahmen in der Arbeitslosenversicherung vom 19. März 1993, in Kraft gewesen vom 1. April 1993 bis 31. Dezember 1995).
Als Zwischenverdienst gilt jedes Einkommen aus unselbständiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit, das der Arbeitslose innerhalb einer Kontrollperiode erzielt (
Art. 24 Abs. 1 AVIG
). Der Versicherte hat Anspruch auf 80 Prozent des Verdienstausfalls, solange die Höchstzahl der Taggelder (Art. 27) nicht bezogen ist (
Art. 24 Abs. 2 AVIG
, gültig gewesen bis 31. Dezember 1995). Als Verdienstausfall gilt die Differenz zwischen dem in der Kontrollperiode erzielten Zwischenverdienst, mindestens aber dem berufs- und ortsüblichen Ansatz für die betreffende Arbeit, und dem versicherten Verdienst. Ein Nebenverdienst (Art. 23 Abs. 3) bleibt unberücksichtigt (
Art. 24 Abs. 3 AVIG
).
b)
Art. 16 Abs. 1bis AVIG
erweitert den Begriff und damit den Kreis der zumutbaren Arbeiten und dient insofern dem Ziel, die Arbeitslosigkeit zu vermindern (vgl.
Art. 17 Abs. 1 AVIG
). Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers soll die Annahme einer im Sinne dieser Bestimmung zumutbaren Zwischenverdienstarbeit nicht mehr (vgl.
BGE 114 V 345
) im Belieben des Versicherten stehen (vgl. die Protokolle der parlamentarischen Beratung zur Änderung des AVIG vom 19. März 1993, Amtl.Bull. 1993 N. 94 f. und S 110 f.). Vielmehr ist der Versicherte verpflichtet, eine ihm zugewiesene, lohnmässig unzumutbare Zwischenverdienstarbeit unter den Voraussetzungen des
Art. 16 Abs. 1bis AVIG
anzunehmen. Die (verschuldete) Nichtannahme einer solchen Tätigkeit stellt einen Verstoss gegen die in
Art. 17 Abs. 1 AVIG
statuierte Schadenminderungspflicht (
BGE 114 V 347
Erw. 2b, ARV 1990 Nr. 20 S. 133 Erw. 2a) dar und hat, wie im Falle der Ablehnung einer im Sinne von
Art. 16 Abs. 1 AVIG
zumutbaren Arbeit, grundsätzlich die Einstellung in der Anspruchsberechtigung gestützt auf
Art. 30 Abs. 1 lit. d
BGE 122 V 34 S. 40
AVIG
zur Folge. Da der Begriff der zumutbaren Arbeit im Sinne dieser Bestimmung derselbe ist wie gemäss
Art. 16 Abs. 1 AVIG
(vgl. dazu GERHARDS, a.a.O., N. 24 zu Art. 30 und N. 2 zu Art. 16), stellt sich nunmehr die von den gesetzgebenden Organen nicht behandelte Frage, ob und allenfalls inwiefern der Erweiterung des Begriffs der zumutbaren Arbeit durch alt
Art. 16 Abs. 1bis AVIG
einstellungsrechtlich Rechnung zu tragen sei.
c) aa) Zweck der Einstellung als versicherungsrechtlicher Sanktion (ARV 1990 Nr. 20 S. 132) ist die angemessene Mitbeteiligung des Versicherten am Schaden, den er durch sein pflichtwidriges Verhalten der Arbeitslosenversicherung natürlich und adäquat kausal verursacht hat (GERHARDS, a.a.O., N. 2 und 51 zu Art. 30). Dabei bemisst sich die Dauer der Einstellung nach Massgabe des Verschuldens (
Art. 30 Abs. 3 AVIG
;
BGE 113 V 154
, ARV 1987 Nr. 11 S. 107).
bb) Für die Beurteilung der Frage, inwiefern der Arbeitslosenversicherung ein Schaden entsteht, wenn der Versicherte eine ihm zugewiesene zumutbare Arbeit ablehnt, ist von Bedeutung, welche versicherungsrechtlichen Folgen ein pflichtgemässes Verhalten zeitigte. Mit der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit gemäss
Art. 16 Abs. 1 AVIG
ist die Arbeitslosigkeit beendet, und der Anspruch auf Arbeitslosentaggelder besteht nicht mehr (GERHARDS, a.a.O., N. 3 zu Art. 16). Demgegenüber gilt der Versicherte bei Annahme und Ausübung einer zumutbaren Zwischenverdienstarbeit gemäss
Art. 16 Abs. 1bis AVIG
weiterhin - insoweit systemwidrig (vgl.
BGE 114 V 348
f. Erw. 2d) - als arbeitslos, da er im Rahmen von
Art. 24 AVIG
Anspruch auf Ausgleich der Differenz zwischen dem versicherten Verdienst und dem Zwischenverdienst hat (Abs. 3). Daraus ergibt sich, dass der Arbeitslosenversicherung durch die pflichtwidrige Ablehnung einer zumutbaren Arbeit ein verschieden hoher Schaden entsteht, je nachdem, ob es sich - bei im übrigen gleichen Umständen - um eine zumutbare Tätigkeit im Sinne von
Art. 16 Abs. 1 oder Abs. 1bis AVIG
handelt. Dem ist bei der Bemessung des vom Versicherten zu tragenden Anteils an diesem Schaden dadurch Rechnung zu tragen, dass der Versicherte bei Ablehnung einer durch das Arbeitsamt zugewiesenen zumutbaren Zwischenverdienstarbeit gemäss
Art. 16 Abs. 1bis AVIG
in der Anspruchsberechtigung nur soweit eingestellt werden kann, als der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung den Anspruch auf Differenzausgleich übersteigt. Gegenstand der Einstellung ist der betragliche Unterschied der beiden Taggelder. Bei der Bemessung der Einstellungsdauer ist der gleiche
BGE 122 V 34 S. 41
Verschuldensmassstab (
Art. 30 Abs. 3 AVIG
in Verbindung mit
Art. 45 AVIV
) anzulegen wie im Falle der Ablehnung einer nach
Art. 16 Abs. 1 AVIG
zumutbaren Arbeit. Diese Betrachtungsweise ist einstellungsrechtlich die zwangsläufige Folge davon, dass nach
Art. 16 Abs. 1bis AVIG
die Pflicht zur Annahme auch einer lohnmässig unzumutbaren Arbeit nur besteht, wenn, soweit und solange der Versicherte Anspruch auf Differenzausgleich (
Art. 24 AVIG
) hat. Soweit im übrigen gemäss
Art. 30 AVIG
der Versicherte in der Anspruchsberechtigung einzustellen ist, schliesst diese Formulierung eine Differenzierung in bezug auf den Umfang des Taggeldanspruches nach Massgabe des Verdienstes, den der Versicherte verschuldeterweise nicht realisiert hat, nicht aus.
d) Im Hinblick auf die am 1. Januar 1996 in Kraft getretene zweite Teilrevision des AVIG vom 23. Juni 1995 bleibt zu erwähnen, dass der Begriff der zumutbaren Arbeit insofern eine Änderung erfahren hat, als nach dem neuen
Art. 16 Abs. 1 AVIG
nunmehr grundsätzlich jede Arbeit als zumutbar gilt (Botschaft des Bundesrates zur zweiten Teilrevision des AVIG vom 29. November 1993, Separatausgabe S. 18; Amtl.Bull. 1994 S 235). Unzumutbar und somit von der Annahmepflicht ausgenommen ist eine Arbeit lediglich in den in Abs. 2 dieser Bestimmung abschliessend aufgezählten Fällen. Nach
Art. 16 Abs. 2 lit. i AVIG
ist insbesondere eine Arbeit unzumutbar, die dem Versicherten einen Lohn einbringt, der geringer ist als 70 Prozent des versicherten Verdienstes, es sei denn, der Versicherte erhalte Kompensationsleistungen nach Artikel 24 (Zwischenverdienst). Ob unter neuem Recht die streitige Frage gleich zu entscheiden wäre, braucht hier nicht weiter geprüft zu werden (vgl. Erw. 1 hievor).
5.
a) Die der Beschwerdeführerin zugewiesene Teilzeitarbeit als Kantinenangestellte war lohnmässig nicht zumutbar. Denn diese Tätigkeit hätte ihr einen Bruttolohn in der Grössenordnung von Fr. 75.--/Tag (an den zwei Schnuppertagen verdiente sie je Fr. 72.80 [4 x Fr. 18.20]) eingebracht. Dieser Betrag liegt deutlich unter der in ihrem Fall massgebenden minimalen Brutto-Arbeitslosenentschädigung von Fr. 97.--/Tag (0,7 x Fr. 2'993.--/21,7 Tage [
Art. 22 Abs. 1 und 1bis AVIG
,
Art. 40a AVIV
]; vgl.
BGE 114 V 347
Erw. 2b mit Hinweisen). Dagegen erfüllt nach Lage der Akten diese Arbeit die übrigen Kriterien der Zumutbarkeit (
Art. 16 Abs. 1 lit. a-d AVIG
). Sodann steht fest, dass die Beschwerdeführerin ihren Taggeldanspruch - 250 Taggelder ab 7. Juni 1993 (Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug) - im frühest möglichen
BGE 122 V 34 S. 42
Anstellungszeitpunkt (12. November 1993) erst gut zur Hälfte ausgeschöpft hatte. Sie war daher aufgrund von Art. 17 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 16 Abs. 1bis AVIG
zur Annahme der offenen Stelle beim Service X verpflichtet. Die Ablehnung dieser Beschäftigung hat die Einstellung in der Anspruchsberechtigung zur Folge (
Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG
), dies jedoch masslich nur soweit die Arbeitslosenentschädigung den ihr bei Annahme der zugewiesenen Stelle nach Massgabe von
Art. 24 Abs. 2 und 3 AVIG
zustehenden Differenzausgleich übersteigt (Erw. 4c/bb). Hätte die Beschwerdeführerin die Stelle angenommen, wäre ihr ein Anspruch auf Differenzausgleich in Höhe von Fr. 50.40 verblieben (versicherter Verdienst von Fr. 138.-- im Tag [Fr. 2'993.--: 21.7], abzüglich Fr. 75.--, ausmachend einen Verdienstausfall von Fr. 63.--, davon 80%), wodurch sich ihr Taggeld von Fr. 97.-- auf Fr. 50.40 vermindert hätte. Lediglich im Umfang dieser Differenz kann unter den Gesichtspunkten der Kausalität und Verhältnismässigkeit (vgl.
BGE 111 V 320
Erw. 4,
BGE 108 V 252
Erw. 3a; ARV 1987 Nr. 11 S. 110 Erw. 3, Nr. 1 S. 39 Erw. 3) von einer schuldhaft verursachten verlängerten Arbeitslosigkeit gesprochen werden (ARV 1990 Nr. 20 S. 134 Erw. 2b; vgl. auch ZAK 1990 S. 291). Folglich ist die Beschwerdeführerin auf der Differenz von Fr. 97.-- abzüglich Fr. 50.40 einzustellen (Fr. 46.60), und zwar an so viel Tagen, wie es ihrem Verschulden entspricht.
b) Wie in Erw. 3b dargelegt, hat es grundsätzlich die Beschwerdeführerin selber zu vertreten, dass es nicht zu einer Festanstellung kam. Die kantonale Schiedskommission hat ihr Verschulden als mittelschwer bis schwer eingestuft und die Dauer der Einstellung auf 20 Tage (
Art. 45 Abs. 2 AVIV
) festgesetzt. Dies ist nach Lage der Akten und in Berücksichtigung der Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Ermessensprüfung nicht zu beanstanden (
Art. 132 OG
; vgl.
BGE 114 V 316
Erw. 5a mit Hinweisen).
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der kantonale Entscheid vom 19. Mai 1994 und die Einstellungsverfügung vom 14. Januar 1994 aufgehoben und die Sache an die Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen über die
BGE 122 V 34 S. 43
Einstellung in der Anspruchsberechtigung neu verfüge. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c0015c17-edb5-4af9-b61e-71542aa55a97 | Urteilskopf
136 II 5
2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen Sicherheitsdirektion und Regierungsrat des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_196/2009 vom 29. September 2009 | Regeste
Art. 7 lit. d FZA
sowie
Art. 3 und 5 Anhang I FZA
; Nachzug von Familienmitgliedern mit Drittstaatsangehörigkeit; Anpassung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung an die geänderte Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften; Voraussetzungen, unter denen eine Bewilligung verweigert werden kann.
Prozessuales (E. 1).
Tatsächliches (E. 2).
Regelung des Familiennachzuges nach dem Freizügigkeitsabkommen (E. 3.1-3.3). Berücksichtigung der nachträglichen Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften: Zur Gewährleistung einer parallelen Rechtslage zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und zwischen derselben und der Schweiz kann nicht an der Voraussetzung festgehalten werden, dass sich das Familienmitglied mit Drittstaatsangehörigkeit, das ein Angehöriger eines EU-Staates in die Schweiz nachziehen will, vorgängig bereits rechtmässig in der Schweiz oder einem anderen Vertragsstaat aufgehalten hat (Änderung der Rechtsprechung gemäss
BGE 130 II 1
und
BGE 134 II 10
in Anpassung an das Urteil des EuGH i.S. Metock; E. 3.4-3.7).
Voraussetzungen des Freizügigkeitsabkommens für die Verweigerung einer Bewilligung, auf die Anspruch besteht, insbesondere Erfordernis einer gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung (Fortführung von
BGE 129 II 215
und
BGE 130 II 176
; E. 4).
Rechtsfolgen (E. 5.1). | Sachverhalt
ab Seite 7
BGE 136 II 5 S. 7
A.
A.a
Der aus Palästina (Westbank) stammende X., geb. 1969, reiste am 25. Juni 1996 in die Schweiz ein, wo er um Asyl ersuchte. Das Gesuch wurde am 11. November 1998 abgewiesen. Am 8. September 1998 wurde X. wegen Betäubungsmitteldelikten mit 18 Monaten Gefängnis bei bedingtem Vollzug und mit einer Landesverweisung für die Dauer von sieben Jahren bestraft. Die in der Folge angeordnete Ausschaffungshaft führte nicht zum Ziel, da die Ausschaffung mangels Reisepapieren nicht vollzogen werden konnte. Der danach ergangenen Aufforderung, die Schweiz selbständig zu verlassen, kam X. nicht nach. Am 25. Mai 2000 verurteilte ihn das Obergericht des Kantons Zürich erneut wegen Betäubungsmitteldelikten sowie wegen falschen Zeugnisses zu zehn Monaten Gefängnis unbedingt. Gleichzeitig ordnete es den Vollzug der bedingt ausgefällten Gefängnisstrafe vom 8. September 1998 an. Vom 19. September 1999 bis zum 12. November 2001 befand sich X. zuerst in Untersuchungshaft und später im Strafvollzug.
A.b
Am 13. September 2002 ersuchte der Kanton Zürich das zuständige Bundesamt für Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration), X. vorläufig aufzunehmen. Das Gesuch wurde am 15. Juli 2003 abgewiesen. Eine dagegen beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement eingereichte Beschwerde ist noch immer (seit dem 1. Januar 2007 beim Bundesverwaltungsgericht) hängig.
A.c
Im Mai 2007 liess sich X. von seiner ersten in Palästina lebenden Ehefrau scheiden, und am 29. Juni 2007 heiratete er die in der Schweiz niedergelassene spanische Staatsangehörige Y., geb. 1978. Diese Ehe blieb bisher kinderlos. X. ist hingegen Vater von zwei in Palästina bei der Mutter lebenden Söhnen, die in den Jahren 1991 und 1993 geboren wurden.
A.d
Vom 1. Dezember 1997 bis zum 31. Juli 1998 arbeitete X. als Küchenhilfe in einem Restaurant in Zürich. Nach der Entlassung aus dem Strafvollzug war er vom 7. Januar 2002 bis zum 11. Februar 2002 als Office-Mitarbeiter in einem Restaurantbetrieb und vom 11. Februar bis zum 12. März 2002, als ihm ein Arbeitsverbot
BGE 136 II 5 S. 8
auferlegt wurde, als Pizzaiolo in einem anderen Restaurant erwerbstätig. Danach war er im Rahmen des Programms "Gemeinnützige Einsatzpläne der Stadt Zürich" am Empfang der Asylorganisation der Stadt Zürich aktiv. Seit Anfang 2008 arbeitet er als Sicherheitsbeamter und Detektiv bei einer privaten Unternehmung im Sicherheitsbereich.
A.e
Mit Strafbefehl vom 10. März 2008 wurde X. wegen Mitführens von Waffen und Munition ohne Waffentragbewilligung mit einer bedingten Geldstrafe von zwei Tagessätzen zu Fr. 70.- und mit einer Busse von Fr. 300.- bestraft.
B.
Mit Verfügung vom 7. September 2007 wies das Migrationsamt des Kantons Zürich ein Gesuch von X. um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA zum Verbleib bei seiner Ehefrau ab und setzte ihm eine Frist zum Verlassen des schweizerischen Staatsgebietes. (...)
C.
Am 13. August 2008 wies der Regierungsrat des Kantons Zürich einen dagegen erhobenen Rekurs ab. Mit Urteil vom 21. Januar 2009 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Kammer, eine dagegen eingereichte Beschwerde ab. (...)
D.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 23. März 2009 stellen X. und Y. in der Sache die folgenden Rechtsbegehren:
"1. Der angefochtene Entscheid sei aufzuheben;
2. Der Kanton Zürich sei anzuweisen, dem Beschwerdeführer die Jahresbewilligung zu erteilen;
3. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen;
4. Subeventuell sei die Wegweisungsverfügung des Migrationsamts des Kantons Zürich vom 7.9.2007 aufzuheben;
(...)"
Zur Begründung wird im Wesentlichen eine Verletzung des Freizügigkeitsrechts geltend gemacht. Die Staatskanzlei (für den Regierungsrat) des Kantons Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Migration stellt ebenfalls Antrag auf Abweisung und führt dazu aus, das Freizügigkeitsrecht vermittle X. und Y. keinen Anspruch auf Anwesenheitsbewilligung. (...)
(Auszug)
Erwägungen
BGE 136 II 5 S. 9
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Nach
Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG
ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts über Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt.
1.2
Am 1. Januar 2008 ist das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) in Kraft getreten. Nach
Art. 126 AuG
bleibt das alte Recht (Bundesgesetz vom 26. Mai 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAG] und Ausführungserlasse) anwendbar auf Gesuche, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes eingereicht worden sind. Das Verfahren richtet sich jedoch nach dem neuen Recht. Im vorliegenden Verfahren ist in materiell-rechtlicher Hinsicht auf das alte Recht abzustellen, da das Bewilligungsgesuch noch vor dem 1. Januar 2008 eingereicht wurde (
BGE 135 I 143
E. 1.2 S. 145).
1.3
Die Beschwerdeführerin verfügt über die Niederlassungsbewilligung, weshalb ihr Ehemann nach
Art. 17 Abs. 2 ANAG
(AS 1991 1043) einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung hat, solange die Ehegatten zusammenwohnen. Überdies können sich die Beschwerdeführer auf
Art. 8 EMRK
bzw.
Art. 13 BV
berufen, soweit ihre Ehe intakt ist und tatsächlich gelebt wird, was an sich von keiner Seite bestritten wird. In erster Linie machen sie aber geltend, sie hätten einen Anspruch auf Familienvereinigung gestützt auf das Freizügigkeitsrecht (Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit [FZA; SR 0.142.112.681]). Da bereits gestützt auf
Art. 17 Abs. 2 ANAG
und
Art. 8 EMRK
bzw.
Art. 13 BV
ein Anspruch auf Bewilligung besteht, ist auf die Beschwerde ohnehin einzutreten, weshalb hier die Anwendbarkeit des Freizügigkeitsrechts einzig unter materiellen Gesichtspunkten geprüft zu werden braucht.
1.4
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht - inklusive Bundesverfassungsrecht -, Völkerrecht sowie kantonale verfassungsmässige Rechte (
Art. 95 BGG
). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (
Art. 105 Abs. 1 BGG
). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt bzw. vom
BGE 136 II 5 S. 10
Bundesgericht von Amtes wegen berichtigt oder ergänzt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
beruht (Art. 97 Abs. 1 bzw.
Art. 105 Abs. 2 BGG
).
2.
2.1
Die Beschwerdeführer machen in verschiedener Hinsicht geltend, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt offensichtlich unrichtig oder unter Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör festgestellt.
2.2
Im angefochtenen Entscheid hält die Vorinstanz fest, die bald dreizehnjährige Anwesenheitsdauer des Beschwerdeführers ergebe sich allein daraus, dass dieser seine Mitwirkungspflicht verletzt und sich seiner Ausschaffung widersetzt habe. Diese Feststellung widerspricht offenkundig den Akten. Daraus geht nämlich hervor, dass die Ausschaffung palästinensischer Bürger ein komplexes Zusammenwirken der schweizerischen, palästinensischen und israelischen Behörden erfordert, das im vorliegenden Fall (wenigstens bisher) anscheinend nicht erfolgreich war. Das kantonale Migrationsamt hat denn auch dem zuständigen Bundesamt am 13. September 2002 die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers beantragt, weil es trotz aller Bemühungen keine konkreten Hinweise dafür gebe, dass die Ausschaffung in absehbarer Zeit möglich werde. In seinem Entscheid vom 15. Juli 2003 hielt zwar das Bundesamt für Flüchtlinge unter anderem fest, der Beschwerdeführer könne sich über seine Familie einen Reisepass der Autonomiebehörde ausstellen lassen, weshalb er seine Mitwirkungspflicht verletzt habe, soweit er dies unterlassen habe. Dieser Entscheid ist aber nicht rechtskräftig; vielmehr ist nunmehr seit rund sechs Jahren eine dagegen erhobene Beschwerde hängig. Es kann daher nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, der Beschwerdeführer trage allein die Verantwortung für das bisherige Scheitern der Ausschaffung.
2.3
Die Beschwerdeführer rügen, die kantonalen Instanzen hätten die im Rekursverfahren vor dem Regierungsrat eingereichten zahlreichen Referenzschreiben weder erwähnt noch gewürdigt. Diese liessen jedoch Rückschlüsse auf den Leumund zu und seien deshalb entscheidrelevant. Der erhobene Vorwurf trifft indessen nicht zu. Das Verwaltungsgericht bezog sich zwar in der inhaltlichen Begründung seines Entscheids nicht ausdrücklich auf die angerufenen Referenzschreiben. Es äusserte sich dazu aber bei der Behandlung der bereits bei ihm erhobenen Rüge, der Regierungsrat habe den
BGE 136 II 5 S. 11
Anspruch auf rechtliches Gehör der Beschwerdeführer verletzt. Es nahm damit die fraglichen Referenzschreiben zumindest zur Kenntnis. Obwohl es diese nicht ausdrücklich würdigte, ist nicht ersichtlich, dass es sie nicht berücksichtigt hätte. Jedenfalls leiden die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts insofern nicht an einem erheblichen Mangel gemäss Art. 97 Abs. 1 bzw.
Art. 105 Abs. 2 BGG
. Im Übrigen steht nichts entgegen, dass das Bundesgericht die Referenzschreiben bzw. den Leumund des Beschwerdeführers integral in Rechnung stellt.
2.4
Nach
Art. 105 Abs. 2 BGG
kann das Bundesgericht die auf einem massgeblichen Mangel beruhenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz berichtigen. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich im vorliegenden Fall, soweit sich die Sachverhaltsfeststellungen als ungenügend erweisen, weil alle Grundlagen für eine korrekte Sachverhaltserhebung in den Akten liegen. Eine Rückweisung an die Vorinstanz zu ergänzenden Abklärungen erweist sich daher als überflüssig.
3.
3.1
Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich gingen ohne weitere Begründung davon aus, die Beschwerdeführer könnten sich auf das Freizügigkeitsrecht berufen bzw. hätten gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an den Ehemann. Demgegenüber hält das Bundesamt für Migration in seiner Stellungnahme an das Bundesgericht fest, dies treffe deshalb nicht zu, weil der Beschwerdeführer sich bisher nicht rechtmässig in einem Vertragsstaat aufgehalten habe.
3.2
Nach
Art. 7 lit. d FZA
regelt das Freizügigkeitsabkommen unter anderem das Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten, und zwar ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit. Gemäss
Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA
haben die Familienangehörigen einer Person, die Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens ist und ein Aufenthaltsrecht hat, das Recht, bei ihr Wohnung zu nehmen. Als Familienangehöriger gilt unter anderem, ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit, der Ehegatte (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. a Anhang I FZA). Das Freizügigkeitsabkommen ist auch anwendbar auf EU-Bürger, die sich bereits bei dessen Inkrafttreten in der Schweiz aufhielten, wie das für die in der Schweiz niedergelassene, erwerbstätige Beschwerdeführerin zutrifft, die über
BGE 136 II 5 S. 12
die spanische Staatsangehörigkeit verfügt (vgl.
BGE 130 II 1
E. 3.4 S. 7).
3.3
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts muss sich ein Drittstaatsangehöriger, der nachgezogen werden will, allerdings bereits rechtmässig mit einem nicht nur vorübergehenden Aufenthaltstitel in der Schweiz oder einem anderen Vertragsstaat aufgehalten haben (
BGE 130 II 1
E. 3.6 S. 9 ff.). Diese Rechtsprechung geht auf das Urteil
Akrich
des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 23. September 2003 zurück (C-109/01, Slg. 2003 I-9607), in dem vor allem über die Anwendung der Regelung der Familienvereinigung gemäss der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257 vom 19. Oktober 1968 S. 2 ff.) zu entscheiden war. Mit dem Urteil vom 9. Januar 2007
Jia Yunying
(C-1/05, Slg. 2007 I-1) relativierte der Gerichtshof seine Rechtsprechung in dem Sinne, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet seien, die mit dem Urteil
Akrich
geschaffene zusätzliche Voraussetzung anzuwenden, Bewilligungen an Familienangehörige mit Drittstaatsangehörigkeit also auch erteilen könnten, wenn sich diese vorher nicht bereits rechtmässig in einem Vertragsstaat aufgehalten hätten. Das Bundesgericht sah darin gemäss einem Urteil vom 30. November 2007 keine Veranlassung, seine Rechtsprechung zu ändern, insbesondere weil der EuGH die im Urteil
Akrich
anerkannte zusätzliche Voraussetzung der Bewilligungserteilung zwar nicht als verbindlich, aber auch nicht als unzulässig beurteilt hatte (vgl.
BGE 134 II 10
E. 3 S. 14 ff.). Seither hat sich der EuGH jedoch ausdrücklich vollständig von seiner in der Sache
Akrich
verfolgten Rechtsauffassung abgewendet. Danach hängt das Recht auf Familiennachzug nicht mehr von einem vorherigen rechtmässigen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat ab bzw. verletzt eine solche Voraussetzung die gemeinschaftsrechtliche Regelung der Familienvereinigung (Urteil vom 25. Juli 2008 C-127/08
Metock
u.a.).
3.4
Gemäss
Art. 16 Abs. 2 FZA
ist für die Anwendung des Freizügigkeitsabkommens die einschlägige Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung (21. Juni 1999) massgebend. Das Bundesgericht kann aber, ohne dazu verpflichtet zu sein, zum Zwecke der Auslegung des Freizügigkeitsabkommens auch seither ergangene Urteile des Gerichtshofs heranziehen (
BGE 130 II 1
E. 3.6.1 S. 10 f.,
BGE 130 II 113
E. 5.2 S. 119 f.). Hierbei ist beachtlich, dass das
BGE 136 II 5 S. 13
Abkommen die Freizügigkeit auf der Grundlage der in der Europäischen Gemeinschaft geltenden Bestimmungen verwirklichen will (Präambel) und die Vertragsparteien zur Erreichung der Ziele des Abkommens alle erforderlichen Massnahmen treffen wollen, damit in ihren Beziehungen gleichwertige Rechte und Pflichten wie in den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wird, Anwendung finden (
Art. 16 Abs. 1 FZA
). Das bedeutet, dass für die vom Abkommen erfassten Bereiche eine parallele Rechtslage verwirklicht werden soll (ACHERMANN/CARONI, § 6 Einfluss der völkerrechtlichen Praxis auf das schweizerische Migrationsrecht, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, Rz. 6.47; ASTRID EPINEY, Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, SJZ 105/2009 S. 26 f.; EPINEY/MOSTERS, Un exemple d'interprétation des accords conclus entre la Suisse et l'Union européenne: l'accord sur la libre circulation des personnes, in: Auslegung und Anwendung von Integrationsverträgen, Epiney/Rivière [Hrsg.], 2006, S. 62 ff.; LAURENT MERZ, Le droit de séjour selon l'ALCP et la jurisprudence du Tribunal fédéral, RDAF 65/2009 I S. 259). Um das Abkommensziel einer parallelen Rechtslage nicht zu gefährden, wird das Bundesgericht in angemessener Weise nach dem Stichtag (21. Juni 1999) ergangene Rechtsprechungsänderungen des EuGH in seine Beurteilung einbeziehen und ihnen Rechnung tragen. Das gilt allerdings nur, soweit das Abkommen auf gemeinschaftsrechtliche Grundsätze zurückgreift. Da der EuGH nicht berufen ist, für die Schweiz über die Auslegung des Abkommens verbindlich zu bestimmen, ist es dem Bundesgericht überdies nicht verwehrt, aus triftigen Gründen zu einer anderen Rechtsauffassung als dieser zu gelangen. Es wird dies aber mit Blick auf die angestrebte parallele Rechtslage nicht leichthin tun.
3.5
Der EuGH hielt im Entscheid
Akrich
fest, die Regelung der Verordnung Nr. 1612/68 beziehe sich nur auf die Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft und besage nichts im Hinblick auf den Zugang zum Gemeinschaftsgebiet; der mit einem Unionsbürger verheiratete Drittstaatsangehörige müsse sich bereits rechtmässig in einem Mitgliedstaat aufhalten, wenn er das Recht geltend machen wolle, bei seinem Ehegatten, der sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, Wohnung zu nehmen (Urteil
Akrich
, a.a.O., Randnrn. 49 ff.). Aus der Sachverhaltsdarstellung und den Erwägungen geht hervor, dass Missbrauchsgesichtspunkte mit eine Rolle spielten (Urteil
Akrich
, a.a.O., Randnrn. 36 und 55 ff.). Das Bundesgericht übernahm diese
BGE 136 II 5 S. 14
Rechtsprechung (
BGE 130 II 1
), ohne allerdings gewisse Zweifel zu verhehlen. So wies es auf den Wortlaut sowohl des Freizügigkeitsabkommens als auch der Verordnung Nr. 1612/68 hin, welche eine solche Beschränkung der Familiennachzugsregelung nicht erkennen lasse (
BGE 130 II 1
E. 3.6.3 S. 11 f.). Es nannte ferner einen Entscheid des EuGH (
BGE 130 II 1
E. 3.6.2 S. 11), in welchem dieser noch auf anderer Grundlage argumentiert hatte und davon ausgegangen war, dass sich das Recht auf Einreise und Aufenthalt von Familienangehörigen aus Drittstaaten allein aus der familiären Beziehung ergebe (Urteil vom 25. Juli 2002 C-459/99
MRAX
, Slg. 2002 I-6591 Randnrn. 59 und 80). Für das Bundesgericht blieb jedoch bedeutsam, dass
Art. 3 Anhang I FZA
Inhalt und Tragweite von Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 übernimmt, "um die Freizügigkeit wie in der Europäischen Gemeinschaft zu realisieren" (
BGE 130 II 1
E. 3.6.4 S. 12 ff.), was es nicht angezeigt erscheinen liess, das Freizügigkeitsabkommen grosszügiger zu interpretieren, als es der vom EuGH festgestellten Rechtslage innerhalb der Gemeinschaft entsprach.
3.6
Das Urteil
Metock
stützt sich im Unterschied zum Entscheid
Akrich
überwiegend auf die neue Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158 vom 30. April 2004 S. 77, bzw. in berichtigter Fassung ABl. L 229 vom 29. Juni 2004 S. 35 ff.), welche die Verordnung Nr. 1612/68 abänderte und verschiedene Richtlinien aufhob bzw. ersetzte, worunter die in Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I zum FZA genannten Richtlinien 64/221/EWG vom 25. Februar 1964 (ABl. L 56 vom 4. April 1964 S. 850), 72/194/EWG vom 18. Mai 1972 (ABl. L 121 vom 26. Mai 1972 S. 32) und 75/35/EWG vom 17. Dezember 1974 (ABl. L 14 vom 20. Januar 1975, S. 14). Es fragt sich, ob damit eine nachträgliche Veränderung der Rechtslage eingetreten ist, die für die Schweiz nicht massgebend ist, oder ob es sich um eine Neuentwicklung der Rechtsprechung handelt, welche das Bundesgericht zur Gewährleistung der parallelen Rechtslage berücksichtigen soll.
3.6.1
Für die Auslegung des Freizügigkeitsabkommens nicht massgeblich ist grundsätzlich die nationale Umsetzung des Freizügigkeitsrechts. Insbesondere vermag es nicht den staatsvertraglichen Anspruch auf Familienvereinigung zu beeinträchtigen, dass der
BGE 136 II 5 S. 15
schweizerische Gesetzgeber neu in
Art. 42 Abs. 2 AuG
eine Anpassung der Nachzugsregelung für Schweizerinnen und Schweizer an diejenige des Freizügigkeitsrechts vorgenommen hat, dabei aber in Anlehnung an das Urteil
Akrich
als zusätzliche Voraussetzung den Besitz einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung in einem Staat verlangt, mit dem ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde. Diese Bestimmung bezweckt die Vermeidung der Inländerdiskriminierung. Zwar trifft es zu, dass mit einer Aufgabe der Akrich-Praxis für die Nachzugsrechte der Angehörigen der Europäischen Union erneut eine Benachteiligung von Schweizerinnen und Schweizern droht (vgl. MERZ, a.a.O., S. 263 ff.; MARC SPESCHA, Inländerdiskriminierung im Ausländerrecht?, AJP 2008 S. 1435 ff.; PETER UEBERSAX, § 7 Einreise und Anwesenheit, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, Rz. 7.144). Ob sich diese auf dem Weg der Rechtsprechung oder lediglich durch eine Gesetzesanpassung vermeiden lässt, braucht hier aber nicht entschieden zu werden. So oder anders bleibt die gesamte Ordnung der Familienvereinigung in sich wenig konsistent. Nach
Art. 42 Abs. 1 AuG
hängt der Nachzug des Ehegatten und der ledigen Kinder unter 18 Jahren von Schweizerinnen und Schweizern nicht von einem vorherigen rechtmässigen Aufenthalt in einem bestimmten Staat ab; dafür ist - im Vergleich mit
Art. 3 Anhang I FZA
und
Art. 42 Abs. 2 AuG
- nur ein beschränkter Kreis der Familienangehörigen nachzugsberechtigt, ist erforderlich, dass die Familie zusammenwohnt, und gelten die Nachzugsfristen von
Art. 47 AuG
sowie andere Voraussetzungen für eine Beschränkung der Familienvereinigung. Analoges gilt für den Familiennachzug von Niedergelassenen nach
Art. 43 AuG
bzw. altrechtlich
Art. 17 Abs. 2 ANAG
, was im vorliegenden Fall wesentlich ist, weil die Beschwerdeführer gestützt auf das nationale Recht über eine schwächere Rechtsstellung verfügen als gemäss dem Freizügigkeitsabkommen. Insgesamt lässt sich der schweizerischen Gesetzesordnung daher keine deutliche Leitlinie für das Verständnis der Regeln über den Familiennachzug entnehmen. Insofern kann an den Erwägungen in
BGE 134 II 10
(insbes. E. 3) nicht festgehalten werden, die sich freilich einzig auf die Urteile
Akrich
und
Yunying Jia
, noch nicht aber auf das Urteil
Metock
bezogen. Entscheidend bleibt ohnehin, dass das Freizügigkeitsrecht auf eigener Grundlage auszulegen ist und nicht von dessen nationaler Umsetzung abhängen kann.
3.6.2
Das Urteil
Metock
erging nach der Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommens und ist für die Schweiz grundsätzlich nicht
BGE 136 II 5 S. 16
verbindlich (vgl. E. 3.4 hiervor). Das traf indessen bereits auf das Urteil
Akrich
zu. Das Bundesgericht schloss sich trotz einer gewissen Skepsis vor allem aus Gründen der Rechtsharmonisierung an die Akrich-Rechtsprechung an, obwohl es dazu nicht verpflichtet war. Analoge Überlegungen sprechen für eine Übernahme der angepassten Rechtsprechung. Es sind keine triftigen Gründe erkennbar, weshalb es innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und in deren Verhältnis mit der Schweiz zwei unterschiedliche Freizügigkeitsregelungen geben sollte. Das Interesse an einer parallelen Rechtslage und mithin an einem möglichst einheitlichen Freizügigkeitsraum geht vielmehr vor. In ähnlichem Sinne hielt der Gerichtshof im Urteil
Metock
fest, die Verwirklichung eines Binnenmarkts und die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr erforderten, dass die Voraussetzungen gleich seien, unter denen Unionsbürger in andere Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, einreisen und sich dort aufhalten dürften (Urteil
Metock
, a.a.O., Randnr. 68). Dieses Argument lässt sich analog auf das Verhältnis zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz übertragen. Hinzu kommt, dass die Missbrauchsaspekte, die bei der Beurteilung des Falles
Akrich
eine Rolle spielten, nicht verallgemeinert werden und insbesondere die Rechtsstellung derjenigen Personen nicht schmälern dürfen, die ihre Rechte nicht missbräuchlich geltend machen.
3.6.3
Gewiss hatte der EuGH bei der Beurteilung der Rechtssache
Metock
das in der Europäischen Union aktuell geltende Recht anzuwenden. Im hier fraglichen Zusammenhang führte die Neufassung der einschlägigen Bestimmungen jedoch zu keinen wesentlichen Änderungen. Wohl regelt die neue Richtlinie 2004/38/EG ausdrücklich die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger, während sich die frühere Verordnung Nr. 1612/68 auf diejenigen der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten bezog. Inhaltlich brachte dies aber für die hier zu entscheidende Frage der Familienvereinigung keine massgeblichen Neuerungen mit sich. Die Richtlinie 2004/38/EG fasste im Wesentlichen die bestehenden Gemeinschaftsinstrumente zur Freizügigkeit zusammen, kodifizierte die Rechtsprechung des Gerichtshofs und modifizierte die bisherige Rechtslage nur punktuell. Die Freizügigkeit und das Niederlassungsrecht der Arbeitnehmer bildeten bereits einen wesentlichen Inhalt des ursprünglichen Vertrags vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. Art. 48 ff. des EWG-Vertrags in der
BGE 136 II 5 S. 17
ursprünglichen Fassung; BGBl. II Nr. 23 vom 19. August 1957 S. 766 ff.). Sie wurde im Verlauf der Jahre durch verschiedene Erlasse, worunter durch die genannten, von der Richtlinie 2004/38/EWG inzwischen abgelösten Rechtsakte, der jeweils zuständigen Organe konkretisiert, die alle - teilweise lange Zeit - vor Abschluss des Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz in Kraft traten. Schon früh wurde erkannt, dass für die Freizügigkeit des Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates auch diejenige seiner Familienangehörigen bedeutsam ist (vgl. etwa das Urteil vom 7. Juli 1992 des EuGH C-370/90
Singh
Slg. 1992 I-19). Die Unionsbürgerschaft wiederum wurde mit dem Vertrag von Maastricht zur Gründung der Europäischen Union vom 7. Februar 1992 (ABl. C 191 vom 29. Juli 1992 S. 1 ff.) eingeführt. Nach Art. 17 des EG-Vertrags in der konsolidierten Fassung gemäss dem Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ABl. C 340 vom 10. November 1997 S. 173) ist Unionsbürger, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft vermittelt insbesondere das Wahl- und Petitionsrecht, den diplomatischen Schutz eines jeden Mitgliedstaates sowie die Freizügigkeitsrechte, wie sie im EG-Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehen sind bzw. umgesetzt werden (Art. 18-21 des EG-Vertrags in der konsolidierten Fassung). Das Niederlassungsrecht wird in den Art. 43 ff. des EG-Vertrages (in der konsolidierten Fassung) lediglich in den Grundzügen geregelt; die Details finden sich in den ausführlichen Durchführungsvorschriften. Immerhin fällt auf, dass Art. 43 des EG-Vertrags (in der konsolidierten Fassung) das Recht auf freie Niederlassung nicht den Unionsbürgern, sondern gemäss der ursprünglichen Formulierung den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates zuerkennt. Das belegt, dass der begrifflichen Unterscheidung der Unionsbürgerschaft von den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Freizügigkeitsrechte keine wesentliche Rolle zukommt. Entscheidend ist vielmehr, dass diese Rechtslage bereits vor dem 21. Juni 1999 galt.
3.6.4
Die erwähnten Zusammenhänge gehen auch aus der Rechtsprechung des EuGH hervor. Der Entscheid
Metock
stützt sich zwar auf die Richtlinie 2004/38/EG. Was die Rechte auf Familiennachzug betrifft, ergibt sich aus der Begriffsbestimmung der anspruchsberechtigten Familienangehörigen von Art. 2 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG aber auch nach Auffassung des EuGH keine relevante Änderung im Vergleich mit Art. 10 der
BGE 136 II 5 S. 18
Verordnung Nr. 1612/68, auf der die für das Verhältnis zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten massgebliche Regelung von
Art. 3 FZA
beruht. Der Gerichtshof legte im Entscheid
Metock
ausdrücklich dar, dass er seine Ausführungen in der Sache
Akrich
auch unter dem Gesichtspunkt der damals massgebenden Regelung von Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht aufrechtzuerhalten vermöchte (Urteil
Metock
, a.a.O., Randnr. 58). Er verwies dabei auf die altrechtlichen Regelungen (Urteil
Metock
, a.a.O., Randnrn. 56 f.) und seine frühere Rechtsprechung (insbes. das erwähnte Urteil
MRAX
, a.a.O., Randnr. 59, sowie das Urteil vom 14. April 2005 C-157/03
Kommission gegen Spanien
, Slg. 2005 I-2911 Randnr. 28), wonach sich das Recht auf Einreise allein aus dem Verwandtschaftsverhältnis ergebe, weshalb die Rechte aus Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 des mit einem Unionsbürger verheirateten Drittstaatsangehörigen nicht davon abhängen könnten, ob er sich zuvor rechtmässig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten habe (Urteil
Metock
, a.a.O., Randnr. 58). Daraus folgerte der EuGH, erst recht müsse die Richtlinie 2004/38/EG in gleichem Sinne ausgelegt werden, da nicht in Betracht komme, dass die Unionsbürger aus dieser Richtlinie weniger Rechte ableiten könnten als aus den Sekundärrechtsakten, die sie ändere oder aufhebe (Urteil
Metock
, a.a.O., Randnr. 59). Aus dieser Argumentation lässt sich klarerweise schliessen, dass für den EuGH der Gesichtspunkt der Unionsbürgerschaft bzw. deren Niederschlag in der Richtlinie 2004/38/EG lediglich ergänzend von Bedeutung war, nicht jedoch den Ausschlag gab, sondern dass der Gerichtshof auch auf der Grundlage der vorgängigen Rechtserlasse gleichermassen entschieden hätte.
3.6.5
Schliesslich wird auch im Schrifttum, soweit ersichtlich, einhellig - teils eindeutig, teils jedenfalls tendenziell - die Meinung vertreten, die schweizerische Praxis sei an die neue Rechtsprechung des EuGH im Sinne von dessen Urteil
Metock
anzupassen. Die entsprechenden Begründungen folgen dabei im Wesentlichen dem hier wiedergegebenen Argumentationsmuster (dazu ASTRID EPINEY, Von Akrich über Jia bis Metock: zur Anwendbarkeit der gemeinschaftlichen Regeln über den Familiennachzug - Gleichzeitig eine Anmerkung zu EuGH, Rs. C-127/08 [Metock], Urt. v. 25.7.2008, EuR6/2008, S. 840 ff.;MERZ, a.a.O., 285 ff.; SPESCHA, a.a.O., 1432 ff.;
derselbe
, Die familienbezogene Rechtsprechung im Migrationsrecht [ANAG/AuG/FZA/EMRK] in den Jahren 2007 und 2008 [bis Ende Juli] und zugleich ein Blick auf offene Rechtsfragen, FamPra.ch 2008S. 843 ff.).
BGE 136 II 5 S. 19
3.7
Den Gründen für die Änderung der Rechtsprechung durch den EuGH lässt sich die Überzeugungskraft nicht absprechen. Sie tragen den Bedenken Rechnung, die das Bundesgericht bereits in
BGE 130 II 1
unter Bezugnahme auf den Wortlaut und auf das Urteil i.S.
MRAX
angesprochen hatte. Der EuGH hält auch zu Recht fest, dass die gemeinschaftsrechtliche Regelung der Personenfreizügigkeit im Binnenmarkt gleiche Rechte gewährleisten will, unter denen sich der Freizügigkeitsberechtigte mit seiner Familie im Aufnahmemitgliedstaat niederlassen darf, was nicht zuträfe, wenn es für das Recht, die Familienangehörigen nachzuziehen, zusätzlich darauf ankäme, ob sich diese bereits rechtmässig im Gemeinschaftsgebiet aufhalten. Damit ergibt sich, dass bei der Anwendung des Freizügigkeitsabkommens zur Gewährleistung der parallelen Rechtslage in Angleichung an das Urteil
Metock
an der Geltung der Rechtsprechung gemäss dem Urteil
Akrich
nicht festgehalten werden kann. Der Nachzug eines Familienmitglieds mit Drittstaatsangehörigkeit gemäss dem Freizügigkeitsabkommen setzt demnach - in Abänderung der Rechtsprechung gemäss
BGE 130 II 1
und
BGE 134 II 10
- nicht voraus, dass sich dieser Familienangehörige bereits rechtmässig mit einem nicht nur vorübergehenden Aufenthaltstitel in der Schweiz oder einem anderen Vertragsstaat aufgehalten hat. Mit Blick auf die spanische Staatsangehörigkeit der Ehefrau können sich die Beschwerdeführer daher auf das Freizügigkeitsabkommen und die darin - insbesondere in
Art. 3 Anhang I FZA
- enthaltene Regelung des Familiennachzugs berufen.
4.
4.1
Gemäss
Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA
dürfen die durch das Freizügigkeitsabkommen eingeräumten Rechte "nur durch Massnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden".
Art. 5 Abs. 2 Anhang I FZA
verweist insoweit insbesondere auf die gemeinschaftsrechtliche Richtlinie 64/221/EWG, die wiederum auf den Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit in Art. 46 des EG-Vertrages (in der konsolidierten Fassung) zurückgeht. Diese Richtlinie bleibt trotz des Erlasses der Richtlinie 2004/38/EG für das die Schweiz betreffende Freizügigkeitsrecht massgeblich (vgl. EPINEY/MOSTERS, Die Rechtsprechung des EuGH zur Personenfreizügigkeit und ihre Implikationen für das Freizügigkeitsabkommen, in: Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2007/2008, Epiney/Civitella [Hrsg.], 2008, S. 57; MERZ, a.a.O., S. 299). Eine Anpassung des
BGE 136 II 5 S. 20
Freizügigkeitsabkommens an die Richtlinie 2004/38/EG (vgl. insbes. Art. 27 ff. der Richtlinie) hat bisher nicht stattgefunden. Aber auch die Rechtsprechung des EuGH hat gestützt auf den aktuelleren Rechtsakt bis jetzt keine wesentlich neue Entwicklung im vorliegenden Zusammenhang erfahren, deren Übernahme auf das Freizügigkeitsabkommen in Frage stehen könnte.
4.2
Nach der an die Praxis des EuGH angeglichenen Rechtsprechung des Bundesgerichts setzen Entfernungs- oder Fernhaltemassnahmen eine hinreichend schwere und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den betreffenden Ausländer voraus. Eine strafrechtliche Verurteilung darf dabei nur insofern zum Anlass für eine derartige Massnahme genommen werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt.
Art. 5 Anhang I FZA
steht somit Massnahmen entgegen, die (allein) aus generalpräventiven Gründen verfügt werden (vgl.
BGE 130 II 176
E. 3.4 S. 182 ff.;
BGE 129 II 215
E. 7 S. 221 ff.; je mit Hinweisen). Während die Prognose über das künftige Wohlverhalten im Rahmen der Interessenabwägung nach rein nationalem Ausländerrecht zwar mitzuberücksichtigen, aber nicht ausschlaggebend ist, kommt es bei
Art. 5 Anhang I FZA
wesentlich auf das Rückfallrisiko an (
BGE 130 II 176
E. 4.2 S. 185 mit Hinweisen). Zu verlangen ist eine nach Art und Ausmass der möglichen Rechtsgüterverletzung zu differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören wird. Je schwerer die möglichen Rechtsgüterverletzungen sind, desto niedriger sind die Anforderungen an die in Kauf zu nehmende Rückfallgefahr (
BGE 130 II 176
E. 4.3.1 S. 186; vgl. auch die Urteile des Bundesgerichts 2C_624/2008 vom 15. Juni 2009 und 2C_15/2009 vom 17. Juni 2009; MERZ, a.a.O., S. 299 ff.; ZÜND/ARQUINT HILL, § 8 Beendigung der Anwesenheit, Entfernung und Fernhaltung, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, Rz. 8.38 ff.).
4.3
Der Beschwerdeführer wurde in den Jahren 1998 und 2000 zweimal insbesondere wegen Betäubungsmitteldelikten zu total 28 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Diese Strafen verbüsste er weitgehend. Im November 2001 wurde er aus dem Strafvollzug entlassen. Seither wurde er einzig im März 2008 wegen eines im Jahre 2003 begangenen Vergehens gegen die Waffengesetzgebung verurteilt. Zwar trifft es zu, dass es sich bei den länger zurückliegenden
BGE 136 II 5 S. 21
Betäubungsmitteldelikten um schwerwiegende Straftaten handelte, die ein erhebliches Verschulden begründen und nicht leichtzunehmen sind. Seit seiner Haftentlassung vor acht Jahren verhielt sich der Beschwerdeführer aber weitgehend korrekt. Entgegen der Würdigung der Vorinstanz lässt sich aus dem geringen Strafmass des Strafbefehls vom März 2008 durchaus ablesen, dass das verfügende Bezirksstatthalteramt Waldenburg das Verschulden des Beschwerdeführers beim Verstoss gegen das Waffengesetz als nicht allzu schwer einstufte. Eine ausführliche Begründung dazu fehlt zwar; im Strafbefehl wird aber ausdrücklich auf die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches verwiesen, die eine Bestrafung nach dem Verschulden vorsehen. Auch wenn die Begründung des Beschwerdeführers, weshalb er eine Schusswaffe und diverse Munition mit sich führte, wenig überzeugend erscheint, ist ihm anzurechnen, dass sich - abgesehen vom Mitführen ohne Bewilligung - keine Hinweise auf eine unrechtmässige Verwendung finden liessen. Entscheidender ist jedoch ohnehin, dass auch das Vergehen gegen die Waffengesetzgebung nunmehr bereits rund sechs Jahre zurückliegt. Der Beschwerdeführer hat seither keine Gründe mehr gesetzt, die erkennen liessen, er könnte wieder straffällig werden. Die Rückfallgefahr ist daher nicht als erheblich einzuschätzen.
4.4
Der Beschwerdeführer verbrachte die ersten 27 Jahre seines Lebens in Palästina und hat dort noch immer etliche Verwandte und zwei Söhne. Dass er selbständig nach Palästina hätte zurückreisen können, ist nicht erstellt. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, er sei nicht allein dafür verantwortlich, dass sich seine Ausschaffung nicht vollziehen liess (vgl. E. 2.2). Inzwischen hält sich der heute 40-jährige Beschwerdeführer seit rund 13 Jahren in der Schweiz auf. Sein Anwesenheitsstatus ist weiterhin prekär, wurde ihm bisher doch weder Asyl gewährt noch eine ausländerrechtliche Bewilligung erteilt. Das Verfahren über eine eventuelle vorläufige Aufnahme ist seit 2003 im Rechtsmittelstadium hängig. Seit zwei Jahren ist er mit seiner hier seit ihrer Kindheit lebenden und damit mit den hiesigen Verhältnissen vertrauten zweiten Frau verheiratet. Die Beziehung scheint ungetrübt zu sein. Jedenfalls setzt sich die Ehefrau für den Beschwerdeführer ein und trat bis vor Bundesgericht auch in den Rechtsmittelverfahren gegen die Bewilligungsverweigerung als Beschwerdeführerin auf. Zwar konnte die Beschwerdeführerin bei der Heirat nicht sicher sein, die Ehe in der Schweiz leben zu können; es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass dies in einem anderen
BGE 136 II 5 S. 22
Land - insbesondere in der Heimat des Beschwerdeführers und derjenigen der Ehefrau - möglich wäre. Seit seiner Haftentlassung bemüht sich der Beschwerdeführer um ein geordnetes Leben. Er lernte - anscheinend sehr gut - Deutsch und arbeitete zunächst im Gastronomiebereich und später, als ihm ein Arbeitsverbot auferlegt wurde, im Rahmen der Beschäftigungsprogramme der Asyl-Organisation Zürich. Seit Anfang 2008 ist er als Sicherheitsbeamter und Detektiv erwerbstätig. Seine Arbeitszeugnisse lauten sehr positiv. Wie die vielen Referenzschreiben belegen, ist er auch ausserhalb der Arbeitswelt recht gut integriert und jedenfalls darum bemüht, sich ein privates Beziehungsnetz aufzubauen. Im Betreibungsregister ist er nicht verzeichnet, und öffentliche Unterstützungsleistungen benötigt er nicht. All dies belegt eine kontinuierliche Stabilisierung der Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers und spricht ebenfalls gegen eine Rückfallgefahr. Angesichts dieser Umstände besteht zurzeit keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer künftig die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören wird.
4.5
Sind damit die Voraussetzungen für die Beschränkung der Freizügigkeitsrechte der Beschwerdeführer gemäss
Art. 5 Anhang I FZA
nicht erfüllt, verstösst der angefochtene Entscheid gegen das Freizügigkeitsabkommen, insbesondere gegen
Art. 7 lit. d FZA
und
Art. 3 Anhang I FZA
.
5.
5.1
Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid muss aufgehoben werden, und das kantonale Migrationsamt ist anzuweisen, dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA zu erteilen. Die Eventualanträge werden damit gegenstandslos. Das Verwaltungsgericht wird allerdings über die Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens neu zu entscheiden haben. | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c0040b4c-4b36-4f20-acd0-21480b633b01 | Urteilskopf
133 III 694
96. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause X. contre dame Y. (recours en matière civile)
5A_479/2007 du 17 octobre 2007 | Regeste
Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (SR 0.211.230.02); Rückführung eines widerrechtlich in die Schweiz verbrachten Kindes in die USA.
Voraussetzungen, unter denen das Verbringen widerrechtlich ist (E. 2).
Bedeutung des Ordre public-Vorbehalts (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 694
BGE 133 III 694 S. 694
A.
Au printemps 2004, dame Y. s'est installée chez X. dans l'Etat du New Jersey; elle s'est trouvée enceinte depuis juin 2004. Dame Y. et X. sont tous deux ressortissants des Etats-Unis d'Amérique.
Le 4 mars 2005, dans le comté de Volusia en Floride, dame Y. a donné naissance à une fille prénommée A. Dame Y. et X. ont vécu ensemble en Floride, de mai 2005 au 1
er
février 2006; ils ont alors convenu de se séparer, X. continuant de voir A. jusqu'au 3 mars 2006.
Fin mars 2006, dame Y. a quitté la Floride pour le Tennessee puis l'Arizona; X. lui a, à plusieurs reprises, enjoint de revenir en Floride pour qu'il puisse y revoir A., en vain.
B.
Le 5 avril 2006, X. a saisi le Tribunal (Circuit Court) du comté de Volusia d'une demande visant à faire constater sa paternité sur A. puis à lui en attribuer la garde; à titre provisionnel, il a également
BGE 133 III 694 S. 695
requis qu'il soit fait interdiction à dame Y. de quitter le comté avec la mineure.
Le 25 avril 2006, le Tribunal du comté de Volusia a fait droit à cette dernière requête, en prescrivant que l'enfant ne devait pas être soustraite à sa juridiction pendant la litispendance, que la mère n'était pas autorisée à demander un passeport pour sa fille et qu'elle devait restituer au requérant ceux en sa possession. Il a précisé que l'ordonnance ne devait pas être notifiée avant son exécution à la défenderesse, un tiers étant nommé en tant que
elisor
, aux fins de la lui signifier. Ce dernier a échoué dans sa mission.
Par décision du 4 mai 2006, le Tribunal a enjoint la défenderesse de ramener A. auprès du requérant en raison du fait que celui-ci disposait de "
legal rights and responsibilities
" envers la mineure; il a autorisé le demandeur à requérir au besoin l'assistance de la force publique pour faire respecter ce prononcé. Cette décision n'a pas non plus été communiquée à la défenderesse.
Le 21 mai 2006, dame Y. a quitté les Etats-Unis avec sa fille pour l'Espagne, avant d'arriver en Suisse le 4 juillet 2006.
C.
A teneur d'une nouvelle ordonnance du 6 juillet 2006, rendue par défaut, le Tribunal du comté de Volusia a attribué temporairement la responsabilité parentale exclusive sur A. à X.
Le 6 novembre 2006, X. a encore obtenu du Tribunal du comté de Volusia deux décisions. La première admettait la rectification des actes d'état civil concernant A. et l'inscription du demandeur en tant que père. La seconde constatait que, durant la cohabitation des parties et jusqu'en mars 2006, X. disposait de droits sur la garde ("
inherent custodial rights
") de l'enfant, ce qui entraînait l'illicéité de son déplacement au sens de l'art. 3 de la Convention de La Haye du 25 octobre 1980 sur les aspects civils de l'enlèvement international d'enfants (CEIE; RS 0.211.230.02; ci-après: la Convention); le Tribunal précisait que cette constatation était rendue en vertu de l'
art. 15 CEIE
.
Une expertise ADN effectuée en février 2007 a établi de façon certaine la paternité biologique de X.
D.
Le 3 janvier 2007, se fondant sur les deux décisions du 6 novembre 2006, X. a requis de l'Autorité centrale suisse le rapatriement de l'enfant à son domicile en Floride.
Par ordonnance du 8 juin 2007, le Tribunal tutélaire de Genève a considéré que la mère était restée seule titulaire des droits
BGE 133 III 694 S. 696
parentaux sur sa fille jusqu'à leur départ des Etats-Unis; il a donc rejeté la requête.
Statuant le 22 août 2007 sur recours du père, l'autorité de surveillance des tutelles du canton de Genève a confirmé cette ordonnance.
E.
X. interjette un recours en matière civile contre cette décision; il conclut à son annulation et à sa réforme en ce sens que le retour immédiat de l'enfant en Floride soit ordonné. Dame Y. conclut au rejet du recours.
Le Tribunal fédéral a admis le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
L'autorité cantonale a considéré que, après la séparation des parties, aucun droit de visite en faveur du père n'avait été fixé judiciairement, que celui-ci n'avait entrepris aucune démarche pour faire reconnaître sa paternité et que le droit de garde ne lui avait été attribué qu'après le départ de l'intimée et de l'enfant pour l'Europe; elle a ainsi estimé que, avant ce départ, le recourant n'avait pas exercé de manière effective un droit de garde reconnu judiciairement ou par la loi et a donc refusé d'ordonner le retour en application des art. 3 al. 1 let. b et 13 al. 1 let. a CEIE.
Le recourant prétend au contraire qu'il était bel et bien titulaire d'un droit de garde au moment de l'enlèvement, et qu'il l'exerçait.
2.1
Pour que le déplacement ou le non-retour d'un enfant soit considéré comme illicite, il doit tout d'abord avoir eu lieu en violation d'un droit de garde attribué par le droit de l'Etat dans lequel l'enfant avait sa résidence habituelle immédiatement avant son déplacement ou son non-retour (
art. 3 al. 1 let. a CEIE
).
2.1.1
Le droit de garde, qui peut notamment résulter d'une attribution de plein droit, d'une décision ou d'un accord en vigueur selon le droit de cet Etat (
art. 3 al. 2 CEIE
), comprend le droit portant sur les soins de la personne de l'enfant, et en particulier celui de décider de son lieu de résidence (
art. 5 let. a CEIE
). Pour connaître l'attributaire du droit de garde, il y a lieu de se référer uniquement à l'ordre juridique de l'Etat de la résidence habituelle de l'enfant avant le déplacement ou le non-retour (BUCHER, L'enfant en droit international privé, Genève/Bâle/Munich 2003, n. 436; KUHN, Ihr Kinderlein bleibet, so bleibet doch all, PJA 1997 p. 1095).
BGE 133 III 694 S. 697
La condition posée à l'
art. 3 al. 1 let. a CEIE
est également remplie lorsqu'une partie viole une limitation territoriale, judiciaire ou conventionnelle, lui faisant défense de résider dans un autre Etat avec l'enfant; une telle limitation - dont la violation figure expressément comme cas d'illicéité dans les travaux préparatoires de la Convention (Conférence de La Haye de droit international privé, Actes et documents de la Quatorzième session, tome III, p. 9 let. E et p. 163 ch. 4 et 5) - prive en effet le titulaire du droit de garde de la faculté de décider seul le lieu de résidence de l'enfant, et a ainsi pour effet d'instituer une sorte de garde partagée au sens de la Convention (KUHN, op. cit., p. 1096/1097; BUCHER, op. cit., n. 478; ZÜRCHER, Kindesentführung und Kindesrechte, thèse Zurich 2005, p. 85/86; cf. également arrêt 5P.310/2002 du 18 novembre 2002, publié in FamPra.ch 2003 p. 470).
2.1.2
Pour déterminer l'existence d'un déplacement illicite au sens de l'
art. 3 CEIE
, l'Etat requis peut tenir compte directement du droit et des décisions judiciaires ou administratives reconnues formellement ou non dans l'Etat de la résidence habituelle de l'enfant, sans avoir recours aux procédures spécifiques sur la preuve de ce droit ni sur la reconnaissance des décisions étrangères (
art. 14 CEIE
). Une déclaration relative au droit de garde établie par les juridictions du lieu de résidence habituelle de l'enfant lie en principe les juridictions de l'Etat requis (BEAUMONT/MCELEAVY, The Hague Convention on International Child Abduction, Oxford 1999, p. 65). Les autorités de l'Etat requis peuvent également demander la production par le demandeur d'une décision ou d'une attestation émanant de l'Etat de résidence habituelle de l'enfant et portant sur le caractère illicite du déplacement (
art. 15 CEIE
). Ce document peut être établi valablement même en l'absence du parent qui a enlevé l'enfant (STAUDINGER/PIRRUNG, Kommentar zum BGB, 13
e
éd., Berlin 1994, n. 691 ad Vorbemerkungen zu Art. 19 EGBGB); il doit se prononcer sur l'interruption ou non d'une garde effective et légitime
prima facie
, d'après le droit de la résidence habituelle de l'enfant (PÉREZ-VERA, Rapport explicatif, in Conférence de La Haye de droit international privé, Actes et documents de la Quatorzième session, tome III, n. 120 in fine, p. 463). Selon SIEHR, son contenu lie les juridictions de l'Etat requis, dans la mesure du moins où il concerne l'existence d'un droit de garde légitime au sens de l'
art. 3 al. 1 let. a CEIE
(SIEHR, Münchener Kommentar BGB, vol. 10, 3
e
éd. 1998, n. 71 ad art. 19 Anh. II); PIRRUNG est plus nuancé, qui affirme simplement que ces juridictions peuvent prendre
BGE 133 III 694 S. 698
en compte ce résultat sans autre examen (STAUDINGER/PIRRUNG, loc. cit.). Comme on le verra (ci-dessous, consid. 2.1.3), la question peut demeurer indécise.
2.1.3
En l'espèce, le fait que la mère ait quitté les Etats-Unis en violation de l'interdiction de déplacement ordonnée le 25 avril 2006, suffit en soi à satisfaire aux conditions de l'
art. 3 al. 1 let. a CEIE
(ci-dessus, consid. 2.1.1 in fine).
De surcroît, l'existence de certains droits du recourant envers sa fille ressort de la décision du Tribunal du comté de Volusia du 4 mai 2006, antérieure au déplacement de l'enfant; le Juge y constate en effet que le père dispose de "
legal rights and responsibilities with respect to said child
". Cette déclaration, qui émane du Tribunal du lieu de résidence habituelle de l'enfant avant son départ des Etats-Unis, lie les juridictions suisses.
Enfin, la décision du 6 novembre 2006, expressément qualifiée de décision de constatation au sens de l'
art. 15 CEIE
, établit que le recourant bénéficiait d'un droit de garde ("
inherent custodial rights
") durant toute la période de cohabitation des parents avec l'enfant - de mai 2005 au 1
er
février 2006 - et jusqu'en mars 2006, ce qui rendait le déplacement de l'enfant illicite au sens de l'
art. 3 CEIE
. Rien ne permet de mettre en doute cette constatation. En particulier, l'art. 744.301 des Statuts de Floride invoqué par l'intimée, qui prévoit que la mère d'un enfant né hors mariage en est le gardien naturel ("
natural guardian
"), ne permet pas de déduire qu'elle était la seule à disposer de l'autorité parentale et de la garde sur sa fille; aucune jurisprudence américaine en ce sens n'a d'ailleurs été communiquée. Les juridictions helvétiques peuvent donc, sans autre examen, s'en tenir aux droits constatés par le Tribunal du comté de Volusia dans ses décisions.
En conséquence, l'affirmation de l'autorité de surveillance, selon laquelle le droit de garde n'a été attribué au père qu'après le départ de la mère et de l'enfant pour l'Europe, est erronée; de même, le fait qu'aucun droit de visite n'a été fixé après la séparation des parties ainsi que l'absence de démarches du père en vue de reconnaître sa paternité avant le départ de l'enfant ne permettent pas de contester l'existence d'un droit de garde légitime du père sur l'enfant avant le 21 mai 2006.
2.2
Il s'agit dès lors d'examiner la seconde condition posée par la Convention, à savoir que le droit de garde ait été exercé de façon
BGE 133 III 694 S. 699
effective au moment de l'enlèvement, ou l'eût été si cet événement n'était pas survenu (
art. 3 al. 1 let. b CEIE
).
2.2.1
Cette condition doit être admise de façon large (SIEHR, op. cit., n. 29 ad art. 19 Anh. II); elle est présumée remplie lorsque le détenteur de la garde engage une démarche pour obtenir le retour de l'enfant (BUCHER, op. cit., n. 437).
L'autorité requise n'a pas à initier des vérifications à ce sujet, sauf s'il apparaît nettement que le requérant avait en fait déjà renoncé à son droit (BUCHER, loc. cit.); s'il existe un doute, il appartient au parent qui s'oppose au retour d'alléguer l'absence de garde effective et d'en apporter la preuve en vertu de l'
art. 13 al. 1 CEIE
. Les exceptions au retour prévues par cette disposition s'interprètent de manière restrictive; le parent auteur de l'enlèvement ne doit tirer aucun avantage de son comportement illégal (arrêt 5A_285/2007 du 16 août 2007, consid. 4.1). L'absence de garde effective au sens de l'
art. 13 al. 1 let. a CEIE
ne saurait être retenue que lorsqu'il apparaît clairement que le titulaire du droit de garde ne se soucie pas de son enfant et a abandonné l'exercice de son droit; des contacts réguliers suffisent à écarter ce motif de refus même dans l'hypothèse où l'enfant aurait été placé chez des parents ou des tiers (BUCHER, op. cit., n. 464; ZÜRCHER, op. cit., p. 78; SIEHR, loc. cit.; pour une casuistique: SCHMID, Neuere Entwicklungen im Bereich der internationalen Kindesentführungen, PJA 2002 p. 1332).
2.2.2
En l'espèce, l'autorité cantonale a constaté que, jusqu'au 1
er
février 2006, le recourant avait vécu sous le même toit que sa fille, à l'exception d'une période d'un mois et demi durant laquelle la mère s'était absentée avec l'enfant; en février et mars 2006, il a continué de la voir avant que l'intimée ne l'emmène de la Floride vers le Tennessee puis l'Arizona; de fin mars à début mai 2006 enfin, il a, à maintes reprises, sollicité de la mère le retour de l'enfant.
Force est donc d'admettre que, avant le départ de l'enfant, le recourant exerçait effectivement et régulièrement le droit de garde dont il était titulaire. Il convient de préciser, dans la mesure où l'autorité cantonale semble y avoir attaché de l'importance, que l'absence de contact avec le père durant la période située entre le départ de la mère et de l'enfant de Floride à fin mars 2006 et leur départ des Etats-Unis le 21 mai 2006, ne peut être assimilée à un abandon de l'exercice du droit de garde, d'autant que le recourant n'a cessé de réclamer le retour de l'enfant; au demeurant, l'absence de contact entre le père et
BGE 133 III 694 S. 700
l'enfant durant cette période est due au seul comportement de la mère, qui ne saurait dès lors en tirer aucun avantage (cf. ci-dessus, consid. 2.2.1).
En conséquence, l'autorité cantonale a enfreint les
art. 3 et 13 al. 1 let. a CEIE
en considérant qu'il y avait lieu de faire exception au retour de l'enfant.
3.
Quant à la réserve de l'ordre public, l'
art. 20 CEIE
en réduit la portée au seul respect des principes fondamentaux de l'Etat requis sur la sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales (
ATF 123 II 419
consid. 2b p. 423; ABT, Der Ordre public-Vorbehalt des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen, PJA 1997 p. 1079; STAUDINGER/PIRRUNG, op. cit, n. 698 ad Vorbemerkungen zu Art. 19 EGBGB). La violation de ces garanties fondamentales ne peut être invoquée comme motif de refus que si elle est grave et liée directement à la situation en cas de retour de l'enfant (ZÜRCHER, op. cit., p. 173; BUCHER, op. cit., n. 492).
En l'espèce, l'absence de notification à la mère des décisions des 25 avril et 4 mai 2006 n'est en aucune façon liée à la situation en cas de retour de l'enfant; elle ne saurait donc faire obstacle à ce retour. | null | nan | fr | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c006aca1-3aa5-4fae-a341-c8b450ecde95 | Urteilskopf
112 IV 142
42. Urteil der Anklagekammer vom 21. April 1986 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen gegen Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh. | Regeste
Art. 351 StGB
,
Art. 264 BStP
.
Formelle Anforderungen an ein Gesuch um Bestimmung des Gerichtsstandes. | Sachverhalt
ab Seite 142
BGE 112 IV 142 S. 142
Mit Eingabe vom 3. April 1986 ersucht die Staatsanwaltschaft des
Kantons St. Gallen die Anklagekammer des Bundesgerichts, die Behörden des Kantons Appenzell A.Rh. als berechtigt
BGE 112 IV 142 S. 143
und verpflichtet zu erklären, alle A., G. und L. zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen. Die Gesuchstellerin beruft sich dabei auf das forum praeventionis und macht überdies geltend, es sei zweckmässig, alle drei Täter zusammen im Kanton Appenzell A.Rh. zu verfolgen, nachdem die Untersuchung in diesem Kanton angehoben worden sei.
Das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh. beantragt demgegenüber, den Gerichtsstand im Kanton St. Gallen festzulegen, weil einerseits das schwerste in Betracht fallende Delikt bandenmässiger Diebstahl und die erste wegen eines solchen qualifizierten Diebstahls erstattete Anzeige im Kanton St. Gallen eingereicht worden sei, und weil anderseits keine Gründe vorlägen, vom gesetzlichen Gerichtsstand abzugehen.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
Nach ständiger Rechtsprechung der Anklagekammer des Bundesgerichts müssen dem Gesuch alle für die Bestimmung des Gerichtsstandes wesentlichen Tatsachen entnommen werden können, ohne dass das Bundesgericht vorerst die Akten durchsehen muss. Die ersuchende Behörde hat demnach alle dem oder den Verfolgten vorgeworfenen Tatbestände in kurzer, aber vollständiger Übersicht aufzuführen, summarisch rechtlich zu würdigen und die vorgenommenen Verfolgungshandlungen zu nennen (
BGE 79 IV 46
, SCHWERI, Praxis zur interkantonalen Gerichtsstandsbestimmung, ZStR 92/1976 S. 171).
Aus dem Gesuch der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen ergibt sich nur, dass am 26. Januar 1985 im Kanton Appenzell A.Rh. gegen Unbekannt Anzeige wegen Diebstahls erstattet wurde und dass sich später herausstellte, dass A. Täter sein könnte, dass ferner am 25. November 1985, 08.00 Uhr, in St. Gallen und gleichentags, um 08.20 Uhr, bei der Kantonspolizei von Appenzell A.Rh. Strafanzeigen wegen Diebstählen eingingen, die - wie sich später herausstellte - von A., G. und L. als Mittäter verübt worden sein sollen. Diese Angaben genügen zur Bestimmung des Gerichtsstandes nicht, zumal die Vernehmlassung des Verhörrichters von Appenzell A.Rh. erkennen lässt, dass den Beschuldigten noch zahlreiche andere Diebstähle zur Last gelegt werden. Es ist deshalb nicht möglich, aufgrund des Gesuches festzustellen, welche strafbaren Handlungen beispielsweise A. allein und welche er zusammen mit G. und L. begangen haben soll, in welchem zeitlichen
BGE 112 IV 142 S. 144
Verhältnis die ersten zu den zweiten stehen und ob diese letzteren qualifizierte Delikte waren oder nicht. Das alles aber ist nach der gesetzlichen Ordnung des
Art. 350 Ziff. 1 StGB
, derzufolge der Gerichtsstand in Fällen wie dem vorliegenden primär nach dem mit der schwersten Strafe bedrohten Delikt (Abs. 1) und erst subsidiär nach dem Ort der ersten Untersuchungshandlung (Abs. 2) zu bestimmen ist, von entscheidender Bedeutung. Wo beispielsweise eine Mehrzahl von Diebstählen in Frage steht, ist daher zunächst zu prüfen, ob nicht ein Teil derselben qualifizierte sind, und - falls dies zutrifft - von dieser Deliktsgruppe auszugehen und danach zu ermitteln, wo bezüglich dieser Handlungen die Untersuchung zuerst angehoben wurde. Dazu bedarf es aber entsprechender Angaben, die von der gesuchstellenden Behörde dem Bundesgericht zu vermitteln sind. Da solche Angaben im vorliegenden Gesuch fehlen, ist dieses zur Zeit abzuweisen. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c00925f1-1c65-4911-90eb-122b1416d5a4 | Urteilskopf
90 II 393
45. Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. November 1964 i.S. Mayer gegen Halter A.-G. | Regeste
Vorkaufsrecht und Kaufsrecht; zeitliche Rangordnung.
Ausübung des Vorkaufsrechts durch bezügliche Erklärung. Dass der Vorkaufsberechtigte und der Verkäufer noch einen eigenen Kaufvertrag abschliessen und beurkunden, ändert nichts daran, dass Ausübung des Vorkaufsrechts vorliegt. (Erw. 2).
Ein nach einem Vorkaufsrecht im Grundbuch vorgemerktes Kaufsrecht verliert mit dem Eigentumsübergang zufolge Ausübung des Vorkaufsrechts seinen Charakter als Realobligation gemäss
Art. 959 Abs. 2 ZGB
, auch wenn die Vormerkung des Kaufsrechts im Grundbuch ungelöscht weiter bestehen bleibt (Erw. 3-4).
Möglichkeit und Form der Übernahme des Kaufsrechts durch den Vorkäufer (Erw. 5).
(Art. 959, 964, 973, 975
; 812 ZGB
). | Sachverhalt
ab Seite 394
BGE 90 II 393 S. 394
A.-
Am 25. Mai 1945 wurde im Grundbuch auf den Parzellen Kat. Nr. 1146, 91 und 95, welche mit andern zum Heimwesen Bergtal des Otto Wäger, Landwirt in Wil, gehörten, ein nicht limitiertes Vorkaufsrecht zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks Kat. Nr. 1421, damals Paul Halter, vorgemerkt. Am 25. Februar 1954 liess Otto Wäger zugunsten von Jakob Mayer ein Kaufsrecht für eine nichtausgemarchte Parzelle von ca. 900 m2 des Grundstücks Kat. Nr. 95 (Gesamtfläche 11'853 m2) zum Preise von Fr. 15.-/m2 im Grundbuch vormerken. Am folgenden Tag, den 26. Februar 1954, verkaufte er das Heimwesen Bergtal, wozu ausser den drei erwähnten Grundstücken in Wil auch die Parzellen Kat. Nr. 1400 und 1059 in der Gemeinde Bronschhofen gehörten, dem Emil Forrer zum Preise von Fr. 160'000.--. Nachdem Paul Halter davon Kenntnis erhalten hatte, erklärte er sofort, sein Vorkaufsrecht ausüben zu wollen. Am 13. März 1954 schlossen Wäger und Halter einen Kaufvertrag ab, der mit den Bestimmungen des Vertrages Wäger/Forrer wörtlich übereinstimmte. Er wurde im Grundbuch eingetragen und das Vorkaufsrecht zugunsten Halters gelöscht. Die Vormerkung des Kaufsrechts zugunsten Mayers blieb bestehen und wurde auch nicht gelöscht, als die Liegenschaften am 30. September 1958 auf die Familienaktiengesellschaft Paul Halter AG übertragen wurden.
B.-
Am 25. Oktober 1962 teilte Jakob Mayer der Paul Halter AG brieflich mit, dass er das Kaufsrecht ausübe. Da sich die Paul Halter AG darauf nicht einliess, hinterlegte
BGE 90 II 393 S. 395
Mayer am 30. November 1962 den Kaufpreis von Fr. 13'500.-- bei der Kantonalbank in Wil und reichte am 23. Januar 1963 beim Bezirksgericht Wil eine Klage gegen die Paul Halter AG mit folgenden Rechtsbegehren ein:
1. Es sei gerichtlich festzustellen, dass das Kaufsrecht des Klägers an einer Bodenparzelle im Ausmass von ca. 900 m2 von Kat. Nr. 95 in Wil, südlich anstossend an Kat. Nr. 1579, zum Preise von Fr. 15.- per m2 zu Recht besteht.
2. Es sei die Beklagte zu verpflichten, bei der Eigentumsübertragung dieser Parzelle auf den Kläger mitzuwirken, insbesondere:
a) die Parzelle durch den zuständigen Grundbuchgeometer vermessen und vermarken zu lassen;
b) die Anmeldung zur Abtrennung dieser Parzelle von Kat. Nr. 95 und zur Übertragung derselben in das Eigentum des Klägers beim Grundbuchamt Wil zu unterzeichnen.
3. Das Grundbuchamt Wil sei anzuweisen, den vom Kläger deponierten Kaufpreis von Fr. 13'500.-- der Beklagten bei Eintragung des Eigentumsüberganges auszuzahlen.
Sollte die Vermessung der Parzelle ein Ausmass von etwas weniger als 900 m2 ergeben, so sei ein entsprechender Teil des deponierten Kaufpreises (Fr. 15.- pro fehlenden m2) dem Kläger durch das Grundbuchamt zurückzuzahlen; sollte das Ausmass etwas mehr als 900 m2 betragen, so sei der Kläger zu verpflichten, der Beklagten die Kaufpreisdifferenz (Fr. 15.- pro m2 Mehrmass) zu vergüten.
4. Es sei gerichtlich festzustellen, dass die Kosten der Vermessung, Vermarrkung und Verschreibung der Parzelle einschliesslich Handänderungssteuer, von den Parteien gemeinsam je zur Hälfte zu tragen seien. Eventuell seien diese Kosten nach richterlichem Ermessen auf die Parteien zu verlegen.
Unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und stellte folgendes Widerklagebegehren:
Es sei widerklageweise gerichtlich festzustellen, dass dem Kläger und Widerbeklagten kein Kaufsrecht gegenüber dem jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft Kat. Nr. 95, gegenwärtig der Beklagten und Widerklägerin, zusteht, eine Bodenparzelle im Ausmasse von ca. 900 m2 südlich anstossend an Kat. Nr. 1579 zum Preise von Fr. 15.- pro m2 käuflich zu erwerben, und es sei demzufolge gerichtlich zu erkennen und das Grundbuchamt Wil gerichtlich anzuweisen, die Vormerkung dieses Kaufsrechtes zu Gunsten des Klägers und Widerbeklagten gemäss öffentlicher Beurkundung vom 25. Februar 1954 (Beleg Nr. 69/1954, VP Nr. 33) im Grundbuch der Politischen Gemeinde Wil auf Kat. Nr. 95 zu löschen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
C.-
Das Bezirksgericht Wil wies die Klage ab und hiess die Widerklage am 4./12. Juli 1963 gut. Die vom Kläger dagegen eingereichte Berufung wurde vom Kantonsgericht
BGE 90 II 393 S. 396
von St. Gallen am 6. März 1964 abgewiesen. Dessen Erwägungen lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen: Der Rechtsvorgänger der Beklagten, Paul Halter, habe das fragliche Grundstück in Ausübung des ihm zustehenden Vorkaufsrechts erworben. Infolge der zeitlichen Priorität habe das Kaufsrecht Mayers zurückzutreten und sei infolge Ausübung des Vorkaufsrechts gemäss
Art. 959 Abs. 2 ZGB
"automatisch" dahingefallen. Der Eigentümer des Grundstücks Kat. Nr. 95 habe deshalb jederzeit die Löschung des Kaufsrechts verlangen und gegebenenfalls mit der Grundbuchberichtigungsklage gemäss
Art. 975 ZGB
erzwingen können. Der Auffassung des Klägers, wonach Halter nur das Wahlrecht zugestanden habe, entweder das Kaufsrecht löschen zu lassen und einen entsprechend höhern Kaufpreis zu bezahlen oder das Grundstück mit der gleichen Belastung zu übernehmen wie Forrer, könne nicht gefolgt werden. Im Verhalten der Beklagten und ihres Rechtsvorgängers liege auch kein Verstoss gegen Treu und Glauben. Der vom Kläger angebotene Beweis, dass Paul Halter beim Abschluss des Kaufvertrages das Kaufsrecht übernommen habe, brauche nicht abgenommen zu werden, da diese Abmachung, die einer Neubegründung des Kaufsrechts gleichzustellen wäre, öffentlich zu beurkunden gewesen wäre.
D.-
Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Berufung eingereicht. Die Klagebegehren werden wiederholt und es wird die Abweisung der Widerklage verlangt. Das Rechtsbegehren Nr. 2 wird mit dem Eventualbegehren ergänzt, das Eigentum an der Parzelle von 900 m2 sei dem Kläger zuzusprechen und es sei das Grundbuchamt Wil anzuweisen, die Parzelle vermessen und vermarchen zu lassen, dafür ein Grundbuchblatt zu eröffnen und den Kläger als Eigentümer einzutragen. Schliesslich wird eventuell beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Auf die Begründung ist in den rechtlichen Erwägungen zurückzukommen.
BGE 90 II 393 S. 397
E.-
Die Berufungsbeklagte beantragt Abweisung der Berufung, eventuell Rückweisung der Sache zur Ergänzung und Neubeurteilung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Auf das Eventualbegehren des Berufungsklägers zum Klagebegehren Nr. 2 kann nicht eingetreten werden, da es erstmals im Berufungsverfahren gestellt wurde. Neue Begehren sind jedoch gemäss
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
ausgeschlossen. Das gleiche gilt gemäss
Art. 61 Abs. 1 OG
für den Eventualantrag der Berufungsbeklagten.
2.
Der Berufungskläger vertritt in erster Linie den Standpunkt, Paul Halter habe seinerzeit gar nicht das ihm zustehende Vorkaufsrecht ausgeübt, sondern mit Wäger einen gewöhnlichen Kaufvertrag abgeschlossen. Daraus ergebe sich, dass sich die Berufungsbeklagte nicht darauf berufen könne, das Vorkaufsrecht zugunsten Paul Halters sei gemäss Art. 959 Abs. 2 ZBG dem Kaufsrecht zugunsten des Berufungsklägers vorgegangen. Massgebend seien vielmehr die Bestimmungen des zwischen Wäger und Halter abgeschlossenen Kaufvertrags, die gleich lauteten wie diejenigen des Kaufvertrags Wäger/Forrer, in welchem Forrer das Kaufsrecht zugunsten des Berufungsklägers übernommen hatte. Das gleiche müsse demzufolge auch für Paul Halter gelten. Dementsprechend sei das Kaufsrecht im Liegenschaftsbeschrieb des Vertrages Wäger/Halter aufgeführt worden. Das ihm zustehende Vorkaufsrecht hingegen habe Paul Halter nachher löschen lassen.
Diesen Überlegungen kann nicht gefolgt werden.
a) Nach den tatbeständlichen Feststellungen der Vorinstanz kann gar kein Zweifel darüber bestehen, dass Paul Halter seinerzeit das ihm an den drei Grundstücken Kat. Nr. 1146, 91 und 95 zustehende Vorkaufsrecht ausgeübt hat. Das Grundbuchamt Wil forderte ihn am 11. März 1954 auf, innert 30 Tagen zu erklären, ob er sein Vorkaufsrecht ausüben wolle. Schon am folgenden Tag antwortete er in bejahendem Sinn; am nächsten Tag wurde der Kaufvertrag
BGE 90 II 393 S. 398
zwischen ihm und Wäger abgeschlossen. Am gleichen Tag teilte das Grundbuchamt Forrer mit, dass Paul Halter das ihm zustehende Vorkaufsrecht ausgeübt habe, weshalb der Vertrag Wäger/Forrer dahingefallen sei.
b) Mit dem Empfang der Ausübungserklärung durch Wäger wurde die Kaufsobligation zwischen ihm und Halter begründet. Der Abschluss eines öffentlich beurkundeten Kaufvertrages hinsichtlich der drei erwähnten Grundstücke wäre in der Tat nicht nötig gewesen: Der Eigentumsübergang an Paul Halter hätte im Grundbuch gestützt auf seine Ausübungserklärung, den Vertrag Wäger/Forrer und die Einwilligung Wägers eingetragen werden können. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, die durch die Abgabe der Ausübungserklärung entstandene Kaufsobligation sei durch den öffentlich beurkundeten Kaufvertrag hinfällig geworden. Es verhält sich gerade umgekehrt: Weil eine Kaufsobligation entstanden war, schlossen die Parteien - überflüssigerweise hinsichtlich der drei erwähnten Parzellen - den Kaufvertrag ab. In der Praxis wird übrigens oft so vorgegangen. Das ist sogar unerlässlich, wenn die Parteien nach der Ausübungserklärung wesentliche ergänzende Vertragsbestimmungen vereinbaren, wie es zum Beispiel bei der Ausübung eines nur summarisch umschriebenen Kaufsrechts zu geschehen pflegt (vgl. dazu das Gutachten Prof. LIVERS, "Über die öffentliche Beurkundung der zur Begründung und Ausübung eines Kaufsrechtes erforderlichen Willenserklärungen". Der Bernische Notar, 1961, Nr. 3 S. 41 ff.; HOMBERGER, N. 30 zu Art. 959 ZBG). Vorliegend bestand übrigens noch ein besonderer Grund zum Abschluss eines Kaufvertrags: Paul Halter erwarb nicht nur die drei Parzellen, an denen ihm ein Vorkaufsrecht zustand, sondern auch die beiden Grundstücke Kat. Nr. 1400 und 1059, die zum Heimwesen Bergtal gehörten und ebenfalls Gegenstand des Kaufvertrags Wäger/Forrer gebildet hatten. Das Eigentum an diesen beiden Parzellen konnte Halter nur durch einen öffentlich beurkundeten Kaufvertrag erwerben.
BGE 90 II 393 S. 399
c) Aus der Tatsache, dass das Kaufsrecht zugunsten des Berufungsklägers in der Liegenschaftsbeschreibung des Kaufvertrags Wäger/Halter aufgeführt wurde, lässt sich entgegen der Auffassung des Berufungsklägers nicht ableiten, Halter habe dieses Kaufsrecht "übernommen". Da es ohne Zustimmung des Berechtigten oder gerichtliches Urteilnicht gelöscht werden konnte, musste es in der Liegenschaftsbeschreibung aufgeführt werden. Die Frage, ob es weiterhin bestand oder nicht, konnte dadurch nicht präjudiziert werden. Ebensowenig lässt sich zugunsten des Standpunkts des Berufungsklägers etwas aus dem Umstand ableiten, dass das Vorkaufsrecht Paul Halters im Grundbuch gelöscht wurde, während das Kaufsrecht weiterhin vorgemerkt blieb. Durch die Ausübung war das Vorkaufsrecht gegenstandslos geworden.
Art. 72 Abs. 2 GBV
schreibt vor, dass vorgemerkte Vorkaufsrechte von Amtes wegen zu löschen sind, wenn der Berechtigte Eigentümer des Grundstücks geworden ist. Das Kaufsrecht hingegen konnte nur mit Zustimmung Mayers gelöscht werden, obschon es unwirksam geworden war (
Art. 964 Abs. 1 ZGB
; vgl.
BGE 85 II 574
).
3.
Gemäss
Art. 959 Abs. 2 ZGB
erhalten persönliche Rechte durch die Vormerkung, wenn sie im Gesetz vorgesehen ist, Wirkung gegenüber jedem später erworbenen Rechte. Das bedeutet in casu, dass das Kaufsrecht des Berufungsklägers, das nach dem Vorkaufsrecht Halters im Grundbuch vorgemerkt wurde, diesem gegenüber mit dem Eigentumsübergang unwirksam wurde, d.h. seinen Charakter als Realobligation verlor und nur noch als gewöhnliches obligatorisches Recht gegenüber Wäger (ohne "verstärkte Wirkung") weiterbestand (vgl. HOMBERGER N. 41 ff. i.V. m. N. 30 zu
Art. 959 ZGB
; HAAB N. 8 und 46 je a.e. zu Art. 681/82 ZGB). Damit wurde die Vormerkung des Kaufsrechts im Grundbuch ungerechtfertigt. Halter und seine Rechtsnachfolger konnten demzufolge jederzeit die Löschung verlangen und gegen den Widerstand des Berechtigten mit der Grundbuchberichtigungsklage
BGE 90 II 393 S. 400
nach
Art. 975 ZGB
durchsetzen (vgl. HOMBERGER N. 30 zu
Art. 959 ZGB
).
Es ist zwar richtig, dass Forrer das erwähnte Kaufsrecht überbunden worden war und dass Halter - da es sich um ein nicht limitiertes Vorkaufsrecht handelte - verpflichtet war, die Grundstücke zu den Bedingungen zu erwerben, die Forrer auf sich genommen hatte. Daraus folgt, dass Halter vom Verkäufer Wäger verpflichtet werden konnte, entweder die nach der Vormerkung seines Vorkaufsrechts neu auf die Grundstücke gelegten Lasten zu übernehmen oder ihm einen um den Wert der gelöschten Lasten erhöhten Kaufpreis zu bezahlen (HOMBERGER N. 42 zu
Art. 959 ZGB
und dortige Zitate). Daraus, dass die damaligen Vertragsparteien weder in der einen noch in der andern Richtung eine Abmachung getroffen haben, lässt sich jedoch nichts zugunsten des Standpunkts des Berufungsklägers ableiten; denn das soeben Ausgeführte bezieht sich nur auf das Verhältnis zwischen dem Verkäufer Wäger und dem Vorkaufsberechtigten bezw. Erwerber Halter. Auf die Rechtsfolge der Unwirksamkeit des Kaufsrechts, die mit dem Eigentumsübergang nach
Art. 959 Abs. 2 ZGB
eintrat, konnte dieses Verhältnis solange keinen Einfluss haben, als Halter sich nicht zur "Übernahme" des Kaufsrechts verpflichtet hatte. Es wäre Sache des Verkäufers Wäger gewesen, ihn gegebenenfalls dazu anzuhalten. Ob er damit Erfolg gehabt hätte, mag dahingestellt bleiben; denn es ist wohl möglich und sogar wahrscheinlich, dass der Preis von Fr. 15.- je m2, den Mayer bei Ausübung des Kaufsrechts hätte entrichten müssen, den damals in jener Gegend geltenden Baulandpreisen entsprach. Es ist deshalb fraglich, ob damals von einem "Wert der gelöschten Belastung" hätte gesprochen werden können; denn der Eigentümer hätte ja bei Ausübung des Kaufsrechts den Kaufpreis für den Boden erhalten, ihn also nicht entschädigungslos abtreten müssen. Aus diesem Grund hatte das Kaufsrecht vermutlich auf die Festsetzung des Kaufpreises zwischen Wäger und Forrer gar keinen Einfluss. Ob aber
BGE 90 II 393 S. 401
Wäger unter Berufung auf die von Mayer wegen der Löschung des Kaufsrechts allfällig drohenden Schadenersatzansprüche eine Erhöhung des Kaufpreises hätte verlangen können, scheint zum mindesten zweifelhaft: Wäger führte seine Schadenersatzpflicht selber herbei, dadurch, dass er dem Mayer zuerst ein Kaufsrecht einräumte und nachher den Vorkaufsfall zugunsten Halters auslöste. Sei dem, wie ihm wolle: Solange nicht nachgewiesen ist (darüber unter Ziff. 5 hienach mehr), dass Halter bei der Ausübung des Vorkaufsrechts oder später das Kaufsrecht zugunsten Mayers "übernommen" hatte, bleibt es bei der gesetzlichen Folge des
Art. 959 Abs. 2 ZGB
.
Die Auffassung des Berufungsklägers, Halter sei verpflichtet gewesen, eine ausdrückliche Erklärung darüber abzugeben, dass er das Kaufsrecht nicht "übernehmen" wolle, lässt sich mit dieser Bestimmung nicht vereinen. Die sonst zutreffenden Ausführungen HOMBERGERS, N. 42 zu
Art. 959 ZGB
, könnten in dieser Beziehung missverstanden werden, weil dort die Rede davon ist, dass der "Vorkäufer von seinem Rechte (scil. auf Löschung) Gebrauch" macht. Das ist indessen nicht so zu verstehen, dass der Vorkäufer verpflichtet ist, die Löschung zu verlangen, ansonst anzunehmen wäre, er "übernehme" die ihm nachgehende Belastung. Die Unwirksamkeit der nachgehenden Belastung tritt vielmehr von Gesetzes wegen ein, sofern die Parteien nicht eine andere Abmachung treffen.
4.
Steht fest, dass die Vormerkung des Kaufsrechts seit Erwerb des Grundstücks durch Halter ungerechtfertigt geworden ist, so kann auch der Zeitablauf an diesem Sachverhalt nichts ändern; denn der Anspruch auf Berichtigung des Grundbuchs entsprechend der materiellen Rechtslage ist unverjährbar. Es könnten ihm nur guter Glaube eines Dritterwerbers, nachträgliche Heilung des Mangels oder Ersitzung entgegengehalten werden. Alle drei Einwände kommen vorliegend nicht in Betracht. Freilich beruft sich der Berufungskläger auf seinen guten Glauben
BGE 90 II 393 S. 402
und macht geltend, sein Kaufsrecht sei während neun Jahren unangefochten im Grundbuch vorgemerkt gewesen. Allein, der Schutz des guten Glaubens nach
Art. 973 ZGB
gilt nur für Dritterwerber, ganz abgesehen davon, dass er sich nicht auf persönliche Rechte bezieht (HOMBERGER N. 7 zu
Art. 973 ZGB
).
Dem Berufungskläger nützt auch der weitere Einwand nichts, das Löschungsbegehren der Berufungsbeklagten verstosse wider Treu und Glauben (venire contra factum proprium). Die Berufungsbeklagte und ihr Rechtsvorgänger, Paul Halter, waren nicht verpflichtet, die Löschung des Kaufsrechts durchzusetzen, sofern sie sich überhaupt über den formellen Weiterbestand der Vormerkung Rechenschaft gegeben hatten. Sie durften sich in Anbetracht der gegebenen Rechtslage darauf verlassen, dass der Berufungskläger seinerseits nicht mehr den Versuch machen werde, das Kaufsrecht auszuüben. Wie schon früher erwähnt, bedeutet der Umstand, dass das Kaufsrecht in der Liegenschaftsbeschreibung des Vertrags Wäger/Halter vom 13. März 1954 enthalten war, keineswegs, dass es von Paul Halter anerkannt werde. Das gleiche ist zu sagen vom Umstand, dass dieses Kaufsrecht auch in der Liegenschaftsbeschreibung des Vertrags zwischen Paul Halter und der Paul Halter AG vom Jahre 1958 aufgeführt werden musste. Dazu kommt noch, dass die Vormerkung in diesem Zeitpunkt längstens ihre Wirkung eingebüsst hatte und nicht wieder aufleben konnte, selbst wenn die Paul Halter AG der Auffassung gewesen wäre, sie sei damit belastet. Vgl. HOMBERGER N. 23 zu
Art. 973 ZGB
: "Eingetragene, aber nicht bestehende Lasten... können gegenüber einem Erwerber, der sie auf Grund des Grundbuchs als rechtsbeständig angenommen und das Grundstück dennoch erworben hat, nicht geltend gemacht werden".
5.
Endlich macht der Berufungskläger auch noch geltend, Paul Halter habe sich seinerzeit mündlich verpflichtet, das Kaufsrecht zu "übernehmen". Die Vorinstanz hat es abgelehnt, den Beweis für diese Behauptung
BGE 90 II 393 S. 403
abzunehmen, mit der Begründung, das Kaufsrecht hätte zu seinem Weiterbestehen neu begründet werden müssen, wozu ein öffentlich beurkundeter Kaufsrechtsvertrag zwischen Mayer und Halter, eventuell die Bestellung eines Kaufsrechts zugunsten Mayers im Vertrag Wäger/Halter nötig gewesen wäre. Diese Auffassung trifft indessen nicht ganz zu.
Die "Übernahme" des Kaufsrechts durch Halter hätte durch Abgabe einer Nachgangserklärung zuhanden Mayers erfolgen können. In analoger Anwendung von
Art. 812 ZGB
muss angenommen werden, eine solche Erklärung sei formlos gültig (vgl. LEEMANN, N. 17 zu
Art. 812 ZGB
). Könnte der Berufungskläger den Beweis für seine Behauptung erbringen, so müsste an und für sich der Weiterbestand seines Kaufsrechts angenommen werden; denn die Berufungsbeklagte könnte sich nicht auf ihren guten Glauben berufen, da die Vormerkung formell bestand, als sie die Liegenschaft erwarb. Der Beweisantrag des Berufungsklägers ist jedoch aus einem andern Grund unerheblich: Nach seiner Darstellung soll Paul Halter mit Wäger "vereinbart" haben, er werde das Kaufsrecht "respektieren". Sollte das zutreffen, so handelte es sich um einen wesentlichen Punkt des Kaufvertrages zwischen Wäger und Halter, der demzufolge der öffentlichen Beurkundung bedürftig gewesen wäre. Den Akten ist zu entnehmen, dass Paul Halter sich auf den fraglichen Grundstücken u.a. deswegen ein Vorkaufsrecht sicherte, weil er Nachbar war und ihre Überbauung verhindern wollte. Es war deshalb für ihn sehr wesentlich, ob die Parzelle Kat. Nr. 95 überbaut werden konnte oder nicht. Eine im Kaufvertrag Wäger/Halter nicht vorhandene dahingehende, ausdrückliche Übernahmevereinbarung wurde nicht dadurch ersetzt, dass die Kaufsrechtsvormerkung in der Liegenschaftsbeschreibung des Kaufvertrags Wäger/Forrer in derjenigen des Vertrags Wäger/Halter einfach stehen blieb.
Die Abweisung des klägerischen Beweisantrages durch das Kantonsgericht ist deshalb zu Recht erfolgt.
BGE 90 II 393 S. 404
Dispositiv
Denmach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen, II. Zivilkammer, vom 6. März 1964 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c00c734d-190e-409e-b3ed-c0977320836e | Urteilskopf
115 Ib 366
49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. August 1989 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft und Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Stadt sowie Firma Z. SA (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Internationale Rechtshilfe; Beschlagnahme der Kontenbestände einer Kapitalanlagegesellschaft, Beschwerde eines einzelnen Anlegers bzw. Gesellschaftsgläubigers gegen die Beschlagnahmeverfügung; zulässiges Rechtsmittel, Beschwerdelegitimation.
1. In einem kantonalen Verfahren, das zwar auf der kantonalen StPO beruhende Zwangsmassnahmen zum Gegenstand hat, dadurch aber direkt ein Rechtshilfeverfahren betrifft, kann die erstinstanzlich getroffene Verfügung zunächst bei der kantonalen Rekursinstanz und hierauf deren Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht angefochten werden (E. 1).
2. In einem solchen kantonalen Verfahren, das eine mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weiterziehbare Streitigkeit betrifft, ist die Legitimation mindestens in dem Umfang zu gewähren, als sie in
Art. 103 lit. a OG
vorgesehen ist (E. 2).
3. Wer als Anleger bei einer Kapitalanlagegesellschaft Gläubigereigenschaft besitzt und nicht anders als alle übrigen Geldanleger zur Bildung des beschlagnahmten Gesellschaftsvermögens beigetragen hat, besitzt kein besonderes, den andern Anlegern vorgehendes Recht, die geleisteten Werte durch eine teilweise, diese Werte betreffende Aufhebung der Beschlagnahme zurückzuerlangen, würde er doch sonst gegenüber den andern Anlegern bevorteilt (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 367
BGE 115 Ib 366 S. 367
Aufgrund eines Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Bochum vom 7. Juli 1988 führt die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt ein umfangreiches Ermittlungsverfahren wegen gewerbsmässigen Betrugs in der Höhe von US-$ 500 Millionen gegen die Firma Z. SA sowie verschiedene andere Firmen mit Sitz in Basel. Die Verantwortlichen dieser Firmen werden beschuldigt, mindestens seit anfangs 1988 Kapitalanlage-Interessenten geworben und diesen hauptsächlich ausländischen Kunden in der Folge unter falschen Angaben wertlose amerikanische Aktien verkauft zu haben. Von verschiedenen Geldanlegern, die in fast allen westlichen Ländern wohnhaft sind, wurden Strafanzeigen erstattet.
X. ist einer der geschädigten Investoren. Er einigte sich im Juni 1988 mit den Verantwortlichen der Firma Z. SA über den Kauf von amerikanischen Aktien der Firma C. Anlässlich einer
BGE 115 Ib 366 S. 368
Reise am 27. Juni 1988 nach Basel übergab X. am Domizil der Z. SA den verantwortlichen Herren persönlich einen Check über US-$ 25'000.-- sowie in bar US-$ 825.-- (für Kosten etc.) betreffend den Kauf von 10 000 C.-Aktien. Am 6. Juli 1988 verkaufte die Z. SA ihrem Kunden weitere 5000 C.-Aktien; eine Zahlung hiefür erfolgte offenbar nicht. Die von X. geleistete Zahlung vom 27. Juni 1988 wurde am 11. Juli 1988 dem Konto der Z. SA bei einer Schweizer Bank im Raum Basel gutgeschrieben.
Auf das Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Bochum vom 7. Juli 1988 hin verfügte die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt am 13. Juli 1988 bei den in Frage kommenden Banken in Basel eine Sperrung sämtlicher Konten der im Verfahren angeschuldigten Firmen und Personen, und sie führte gleichentags die entsprechenden Haussuchungen durch, u.a. auch bei der Firma Z. SA. Am 14. Juli 1988 wurden die Kontenbestände beschlagnahmt, u.a. auch vom Konto Z. SA bei der genannten Schweizer Bank im Raum Basel.
Am 14. Juli 1988 begab sich X. erneut nach Basel, um das der Z. SA geleistete Geld in Empfang zu nehmen, nachdem er am Tag zuvor, am Vormittag des 13. Juli 1988, vom Geschäft mit der Z. SA "in beiderseitigem Einvernehmen" zurückgetreten sei. Die Reise blieb indes wegen der inzwischen erfolgten Kontensperre erfolglos.
Mit Schreiben vom 11. August 1988 an den Ersten Staatsanwalt des Kantons Basel-Stadt ersuchte X. um Freigabe des von ihm einbezahlten Geldes an die Firma Z. SA vom Konto bei der genannten Schweizer Bank im Raum Basel. Sein Begehren wurde vom Staatsanwalt am 22. August 1988 abgewiesen. Gegen diesen Entscheid hat X. Rekurs an die Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Stadt erhoben.
Am 26. Oktober 1988 ist über die Firma Z. SA in Basel der Konkurs eröffnet worden.
Mit Entscheid vom 9. Dezember 1988 ist die Überweisungsbehörde auf den von X. erhobenen Rekurs wegen Fehlens der Aktivlegitimation nicht eingetreten.
Gegen diesen Entscheid hat X. Beschwerde erhoben, die er persönlich dem Direktor des Bundesamtes für Justiz zugestellt hat. Dieser hat die Beschwerde an das Bundesgericht überwiesen und hält dafür, sie sei als staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger und nicht als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln.
BGE 115 Ib 366 S. 369
Das Bundesgericht behandelt die Beschwerde als Verwaltungsgerichtsbeschwerde und weist sie im Sinne der Erwägungen ab.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
1.
Der angefochtene Entscheid wurde im Rahmen des Vollzugs eines Rechtshilfeersuchens getroffen, welches die Bundesrepublik Deutschland (BRD) den zuständigen schweizerischen Behörden gestützt auf das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (EÜR, SR 0.351.1) hatte zukommen lassen, dem die beiden Staaten beigetreten sind. Soweit dieses Übereinkommen und der zwischen der BRD und der Schweiz hiezu abgeschlossene ergänzende Vertrag vom 13. November 1969 (Zusatzvertrag, SR 0.351.913.61) bestimmte Fragen nicht regeln, gelangt das Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG, SR 351.1) zur Anwendung (vgl.
Art. 1 Abs. 1 IRSG
), dessen dritter Teil (
Art. 63-84 IRSG
) die sog. "andere Rechtshilfe" (als die Gegenstand des zweiten Teils bildende Auslieferung) betrifft. Gemäss
Art. 78 ff. IRSG
prüft das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP), ob ein Ersuchen den formellen Anforderungen dieses Gesetzes entspricht, und leitet es hierauf an die für den Vollzug zuständige kantonale Behörde weiter, wenn die Rechtshilfe nicht offensichtlich unzulässig erscheint.
Art. 23 IRSG
verpflichtet die Kantone, gegen die Verfügungen der ausführenden Behörde ein Rechtsmittel einzuräumen. Verfügungen letztinstanzlicher kantonaler Behörden unterliegen, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unmittelbar an das Bundesgericht (
Art. 25 Abs. 1 IRSG
,
Art. 97 ff. OG
).
Der Beschwerdeführer hatte seine am 21. April 1989 erhobene Beschwerde irrtümlich an den Direktor des Bundesamtes für Justiz gerichtet. Dieser liess sie in der Folge dem Bundesgericht zukommen und wies in seinem Begleitschreiben darauf hin, es handle sich beim angefochtenen Entscheid um einen solchen einer letzten kantonalen Instanz im Sinne von § 73 und § 80 Abs. 4 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt vom 15. Oktober 1931 (StPO); da dieser Entscheid sich einzig auf kantonales Recht stütze, stehe gegen ihn nur die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
) offen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zwar betraf der angefochtene Entscheid tatsächlich auf der StPO beruhende
BGE 115 Ib 366 S. 370
Zwangsmassnahmen, wobei die Überweisungsbehörde als kantonal letztinstanzliche Vollzugsbehörde zum Schluss gelangte, dem Rekurrenten fehle die Aktivlegitimation, sich gegen diese Zwangsmassnahmen zur Wehr zu setzen. Das kantonale Verfahren betraf indes direkt das eingangs genannte Rechtshilfeersuchen der deutschen Behörden, weshalb die erstinstanzlich von der Staatsanwaltschaft getroffene Verfügung zunächst bei der kantonalen Rekursinstanz und hierauf deren Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht angefochten werden konnte (
Art. 23 und 25 Abs. 1 IRSG
). Dabei ist unerheblich, dass es sich bei den angewandten Bestimmungen um solche des kantonalen Prozessrechtes handelte, denen an sich eine gewisse eigenständige Bedeutung neben dem Bundesrecht zukommt (s.
BGE 105 Ib 107
E. 1a mit Hinweisen). Denn der Sache nach bildete die Frage der Rekurslegitimation in einer gemäss EÜR/Zusatzvertrag bzw. IRSG zu prüfenden und daher mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weiterziehbaren Rechtshilfeangelegenheit Gegenstand des angefochtenen Entscheides, eine Frage also, die im Lichte der massgebenden bundesrechtlichen Vorschriften zu beurteilen ist (s. nachf. E. 2), deren Anwendung durch den kantonalen Gesetzgeber nicht verhindert werden darf. Gegen einen solchen kantonal letztinstanzlichen Entscheid, der in Anwendung kantonalen Rechtes getroffen wurde, obwohl er sich auf Bundesrecht hätte stützen sollen, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig (
Art. 5 VwVG
und
Art. 97 OG
;
BGE 107 Ib 172
E. 1 mit Hinweisen,
BGE 113 Ib 373
E. 1b).
2.
Die Überweisungsbehörde ist auf den Rekurs gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft nicht eingetreten, indem sie den Beschwerdeführer als nicht aktivlegitimiert erachtet hat. Die Legitimationsfrage hat sie einzig im Lichte von
§ 73 StPO
geprüft, wonach "den Betroffenen" u.a. gegen eine Beschlagnahme ein Rekursrecht zusteht. Die Bedeutung dieser Bestimmung hat sie mit der die Rekursberechtigung im Falle der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens betreffenden Regelung gemäss
§ 136 StPO
verglichen. Dabei ist sie zum Schluss gelangt, dass eine Ausdehnung des Rekursrechts gegen Zwangsmassnahmen auf hievon nicht direkt Betroffene - wie zum Beispiel hier auf einen geschädigten Gläubiger - gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit verstossen würde.
Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist im kantonalen Verfahren die Legitimation im Falle von Streitigkeiten, die mit
BGE 115 Ib 366 S. 371
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden können, mindestens in dem Umfang zu gewährleisten, als sie
Art. 103 lit. a OG
für die Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsieht. Dieser Grundsatz, der übrigens ausdrücklich in das Bundesgesetz über die Raumplanung aufgenommen worden ist (
Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG
), gilt für alle an das Bundesgericht weiterziehbaren Verwaltungsrechtsstreitigkeiten (s.
BGE 112 Ib 415
E. 2d mit Hinweisen, ferner
BGE 103 Ib 147
E. 3a), also auch für eine Angelegenheit im Bereiche der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, wie sie Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet. Entsprechend ist berechtigt, einen erstinstanzlichen Vollzugsentscheid an die kantonale Rekursinstanz weiterzuziehen (
Art. 23 IRSG
), wer darzulegen vermag, durch den angefochtenen Entscheid berührt zu sein sowie ein schutzwürdiges - aktuelles und praktisches - Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung zu haben (
BGE 111 Ib 58
f. E. 2a,
BGE 110 Ib 400
E. 1b,
BGE 108 Ib 250
E. 2d mit Hinweisen). Die Praxis hat präzisiert, dass schutzwürdig auch ein bloss tatsächliches Interesse sein könne und dieses Interesse nicht mit den Interessen in Beziehung zu stehen brauche, welche die angeblich verletzte Norm zu schützen bestimmt ist (
BGE 108 Ib 250
E. 2d mit Hinweisen). Ein derartiges schutzwürdiges Interesse liegt indes nicht bereits dann vor, wenn jemand irgendeine Beziehung zum Streitobjekt zu haben behauptet. Vielmehr ist zur Bejahung der Legitimation erforderlich, dass der angefochtene Entscheid den Beschwerdeführer in stärkerem Masse berührt als die Allgemeinheit der Bürger, bzw. - mit anderen Worten - es ist eine vom einschlägigen Bundesrecht erfasste spezifische Beziehungsnähe vorausgesetzt (s.
BGE 109 Ib 199
ff. E. 4).
Demnach ist im folgenden die Frage zu prüfen, ob die Überweisungsbehörde die Rekurslegitimation in Anwendung kantonalen Rechts an strengere Voraussetzungen als an die Legitimationsvoraussetzungen des
Art. 103 lit. a OG
knüpfte (die die Beschwerdelegitimation in Rechtshilfesachen strenger als
Art. 103 lit. a OG
regelnde Vorschrift des
Art. 21 Abs. 3 IRSG
betrifft nur Personen, gegen die sich das ausländische Strafverfahren richtet, so dass sie im vorliegenden Fall, in dem ein durch angeblich strafbare Handlungen Geschädigter Beschwerde erhoben hat, nicht zum Tragen kommt, s. auch
BGE 113 Ib 265
f. E. 3, zudem
BGE 114 Ib 158
f. E. 2).
3.
... Der Beschwerdeführer behauptet, ein im Vergleich zu den andern Gläubigern der Z. SA besseres Recht auf Rückerstattung
BGE 115 Ib 366 S. 372
des von ihm geleisteten Geldes oder einen entsprechenden Ersatzanspruch zu besitzen, womit ein besonderes, im Lichte von
Art. 103 lit. a OG
hinreichendes Interesse als gegeben zu erachten ist. ...
Die Frage aber, ob dem Beschwerdeführer das von ihm behauptete Vorzugsrecht zusteht, bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung. Doch ist die Frage klarerweise zu verneinen. Wer wie der Beschwerdeführer Gläubigereigenschaft besitzt und nicht anders als alle übrigen Geldanleger bzw. Gläubiger zur Bildung des beschlagnahmten Gesamtvermögens beigetragen hat, besitzt nach allgemeinen Regeln kein besonderes, den anderen Gläubigern vorgehendes Recht, die geleisteten Werte zurückzuerlangen, würde er doch sonst gegenüber den anderen Gläubigern bevorteilt (vgl. in diesem Zusammenhang etwa GUHL/MERZ/KUMMER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 7. Auflage, S. 486, wonach im Rahmen eines Kollektivanlagevertrages alle Anleger gleich behandelt werden müssen; s. ferner
Art. 220 SchKG
, wonach einander gleichgestellte Gläubiger unter sich gleichberechtigt sind). In diesem Sinne kann sich das Bundesgericht den Ausführungen der Vorinstanz anschliessen. Gewiss ist die Enttäuschung des Beschwerdeführers verständlich, nachdem er dem strafrechtlich verfolgten Inhaber des von der Beschlagnahme betroffenen Kontos in dem Moment Geld bezahlte, als die deutschen Rechtshilfebegehren sich schon im Vollzugsstadium befanden und nur zwei Tage nach erfolgter Leistung der Summe zur Beschlagnahme führten. Keines der tatsächlichen Vorbringen des Beschwerdeführers erlaubt indes anzunehmen, dass er sich im Vergleich zu allen anderen Geschädigten in einer besonderen Lage befinde, welche - auf ihn bezogen - eine teilweise Aufhebung der Beschlagnahme zu rechtfertigen vermöchte. Seine Erklärungen hinsichtlich der Kontakte mit der Z. SA weichen zwar etwas von den diesbezüglichen Feststellungen der Vorinstanz ab, was jedoch nicht ins Gewicht zu fallen vermag. Jedenfalls ist das Bundesgericht gemäss
Art. 105 Abs. 2 OG
an die tatbeständlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden, sind doch die Behauptungen des Beschwerdeführers nicht geeignet darzulegen, inwiefern die Überweisungsbehörde den Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt haben soll (s.
BGE 113 Ib 266
E. 3d).
Steht dem Beschwerdeführer somit jedenfalls kein Recht zu, das - hinsichtlich der von ihm geleisteten Geldsumme - zu einer
BGE 115 Ib 366 S. 373
teilweisen Aufhebung der Beschlagnahme der Kontobestände der Z. SA führen könnte, so kann offenbleiben, ob die Vorinstanz auf seinen im kantonalen Verfahren erhobenen Rekurs zu Recht nicht eintrat oder ob sie ihn hätte abweisen müssen.
Vermochte der Beschwerdeführer aber nach dem Gesagten bereits mit seinem Rekurs an die obere kantonale Instanz keine teilweise Aufhebung der Beschlagnahme zu bewirken, so vermag er dies aus denselben Gründen auch mit seiner vorliegenden Beschwerde nicht. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c00c948b-968e-4c28-85de-cb02fe4a72c3 | Urteilskopf
120 Ia 369
51. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 17 novembre 1994 dans la cause Y. Z. contre Tribunal cantonal du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Staatsrechtliche Beschwerde; zwangsweise Durchsetzung des Besuchsrechts; Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts.
Urteilsfähige Minderjährige können selbständig - oder durch den Vertreter ihrer Wahl - handeln, um Rechte betreffend ihre Persönlichkeit wahrzunehmen (E. 1).
Ist gegen einen Rückweisungsentscheid, worin dem erstinstanzlichen Richter die Zwangsvollstreckung befohlen wurde, staatsrechtliche Beschwerde erhoben worden, kann das Bundesgericht sich nicht an die Stelle des Sachrichters setzen und aufgrund der vorgebrachten Rügen die Begründetheit des zu vollstreckenden Urteils prüfen (E. 2).
Im vorliegenden Fall hätten die erhobenen Rügen (Willkürverbot; Achtung des Privat- und Familienlebens [
Art. 8 EMRK
] und Garantie der persönlichen Freiheit) ohnehin abgewiesen werden müssen (E. 3-5). | Sachverhalt
ab Seite 370
BGE 120 Ia 369 S. 370
A.-
Le 15 mars 1993, sieur L. Z. a requis du Juge de paix du cercle de B. qu'il somme A. Z., son ex-épouse, de respecter l'exercice de son droit de visite sur l'enfant Y. tel que fixé par jugement de divorce du 4 décembre 1991. Par décision du 17 mars 1993, ce magistrat a refusé d'ordonner l'exécution forcée. Sur recours du sieur L. Z., la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois a, par arrêt du 27 juillet 1993, annulé l'ordonnance attaquée et invité le premier juge à sommer la mère de l'enfant de respecter le droit de visite du père.
Le Juge de paix a rendu le 16 septembre 1993 une ordonnance en ce sens.
Dans une nouvelle ordonnance du 13 octobre 1993, le Juge de paix a pris acte du refus de l'enfant Y. d'entretenir des contacts avec son père. Après avoir entendu notamment l'enfant, il a rejeté la requête d'exécution forcée du jugement de divorce, estimant une telle mesure inopportune, donné mandat au Service de protection de la jeunesse de "débloquer la situation", et dit que les visites devaient être reprises au Centre de vie enfantine à X.
B.-
Le recours formé par le père contre cette ordonnance a été admis par la Chambre des recours du Tribunal cantonal par arrêt du 22 avril 1994, et la cause renvoyée au premier juge afin qu'il ordonne l'exécution forcée du droit de visite accordé au père sur l'enfant Y., en requérant, autant que de besoin, l'aide de la force publique.
C.-
L'enfant Y., représenté par sa mère, exerce un recours de droit public au Tribunal fédéral contre cette décision, dont il demande l'annulation, et sollicite le bénéfice de l'assistance judiciaire.
Le Tribunal cantonal se réfère aux considérants de son arrêt.
L'intimé s'en remet à l'appréciation du tribunal quant à la qualité pour recourir de l'enfant Y.; sur le fond, il conclut au rejet du recours.
D.-
Par ordonnance du 17 juin 1994, le Président de la cour de céans a accordé l'effet suspensif au recours.
BGE 120 Ia 369 S. 371
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le Tribunal fédéral examine librement la recevabilité du recours de droit public (cf.
ATF 120 Ia 101
consid. 1, 165 consid. 1,
ATF 119 Ia 321
consid. 2 et les arrêts cités).
a) Selon la jurisprudence relative à l'
art. 88 OJ
, le recours de droit public est ouvert seulement à celui qui est atteint par l'acte attaqué dans ses intérêts personnels et juridiquement protégés; le recours formé pour sauvegarder un intérêt général ou un simple intérêt de fait est en revanche irrecevable. Un intérêt est juridiquement protégé s'il est sanctionné par une garantie constitutionnelle spécifique ou si une règle de droit cantonal ou fédéral tend au moins accessoirement à sa protection (cf.
ATF 120 Ia 165
consid. 1a;
ATF 118 Ia 51
consid. 3;
ATF 117 Ia 93
consid. 2). La qualité de partie en procédure cantonale n'est pas déterminante (cf.
ATF 117 Ib 158
consid. b;
ATF 117 Ia 20
). Il incombe au recourant d'alléguer les faits qu'il considère comme propres à fonder sa qualité pour recourir (cf.
ATF 115 Ib 508
).
Il reste que l'enfant Y. ne saurait être valablement représenté par sa propre mère, à laquelle l'arrêt attaqué impute les difficultés rencontrées par l'intimé dans l'exercice de ses droits (cf.
art. 392 ch. 2 et
art. 306 ch. 2 CC
). Quant à la curatrice de Y., il n'est pas établi qu'elle ait donné son accord au recours.
Cela n'est toutefois pas déterminant.
Le mineur capable de discernement peut agir seul - ou par l'intermédiaire de son représentant de choix - s'agissant de droits relevant de sa personnalité (cf. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3e éd. Zurich 1979, p. 128 ch. 2). Si la doctrine suisse traditionnelle conçoit le droit aux relations personnelles comme une émanation des droits de la personnalité des parents, et non de l'enfant (cf. VERENA BRÄM, Das Besuchsrecht geschiedener Eltern, in PJA 1994, p. 901; HEGNAUER, n. 53 ad
art. 273 CC
), on ne saurait nier, à la lumière de conceptions plus modernes, consacrées, notamment, par la Convention du 20 novembre 1989 relative aux droits de l'enfant (signée par la Suisse le 1er mai 1991, cf. le Message du Conseil fédéral in FF 1994 V 10), que le recourant, qui est âgé de douze ans et que l'on entend contraindre à voir son père, est touché dans ses droits de la personnalité (cf. dans le même sens INGEBORG SCHWENZER, Die UN-Kinderrechtskonvention und das schweizerische Kindesrecht, PJA 1994, p. 817 ss, spéc. p. 823 ch. 4 et p. 824 lit. E; URS TSCHÜMPERLIN, Die elterliche Gewalt in Bezug auf die Person des Kindes,
BGE 120 Ia 369 S. 372
Fribourg 1989, p. 75, 131; CHRISTIAN MEIER-SCHATZ, Über Entwicklung, Inhalt und Strukturelemente des Kindsrechts, in PJA 1993, p. 1035 ss, spéc. p. 1039; J.P. MÜLLER, in: Commentaire de la Constitution fédérale, Introduction aux droits fondamentaux, no 103; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der Staatsrechtlichen Beschwerde, 2e éd. Berne 1994, p. 217). Par ailleurs, l'
art. 25 CEDH
n'opère aucune distinction entre mineurs et majeurs quant à la qualité de partie et à la capacité de procéder (cf. FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, Kehl et al. 1985, n. 10 et 16 ad
art. 25 CEDH
). Aussi un mineur peut-il interjeter une demande individuelle, même sans l'accord de son représentant légal (cf. WILDHABER/BREITENMOSER, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Kommentierung des Art. 8, Cologne 1992, n. 39 ad art. 8).
Partant, le recourant peut agir seul. Il a signé la procuration de son mandataire; sur ce point, rien ne s'oppose dès lors à la recevabilité du recours.
b) En vertu de l'
art. 87 OJ
, le recours de droit public pour arbitraire n'est recevable que contre les décisions finales prises en dernière instance; il n'est recevable contre des décisions incidentes que s'il en résulte un dommage irréparable pour l'intéressé. Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, l'
art. 87 OJ
ne sera appliqué que si les droits invoqués parallèlement à l'
art. 4 Cst.
n'ont pas une portée plus étendue. Cette question peut rester indécise dans le cas présent car si les décisions de renvoi constituent des décisions incidentes lorsque l'autorité cantonale conserve une certaine liberté de décision, celles ne portant que sur l'exécution constituent des décisions finales (cf.
ATF 116 Ia 442
consid. 1b). Tel est le cas en l'espèce. Le recours est dès lors recevable de ce chef.
2.
Selon l'autorité cantonale, c'est la mauvaise volonté de la mère qui est à l'origine de l'impossibilité pour le père d'exercer son droit de visite. Estimant que le Juge de paix ne saurait refuser de procéder aux formalités d'exécution forcée pour des motifs d'opportunité, la Chambre des recours a estimé "qu'il fallait donc à présent que le jugement de divorce soit exécuté, c'est-à-dire que le recourant puisse exercer son droit de visite (...), ce droit lui appartenant autant qu'à la mère". Au cas où l'exécution forcée devrait se révéler impossible, "se posera la question de l'institution d'une curatelle en vue de la surveillance du droit de visite, ou du retrait du droit de garde à la mère pour permettre à l'enfant de voir son père (...)".
BGE 120 Ia 369 S. 373
Contre l'arrêt de la Chambre des recours du 22 avril 1994, le recourant invoque, outre l'interdiction de l'arbitraire, la garantie de la liberté personnelle et la protection de l'
art. 8 CEDH
.
Toutefois, les griefs soulevés sont dirigés non pas contre l'exécution forcée en tant que telle, mais, comme on le verra ci-dessous, contre la décision de fond dont l'exécution est ordonnée. Or le Tribunal fédéral a dit dans l'
ATF 107 II 301
, spéc. p. 305, consid. 7, qu'il ne compète pas au juge de l'exécution de suspendre durablement un droit de visite fixé par jugement de divorce. Saisi d'un recours de droit public contre une décision ordonnant l'exécution forcée, le Tribunal fédéral ne saurait se substituer au juge du fond et examiner le mérite de la décision qu'il s'agit d'exécuter à la lumière des griefs soulevés. Quoi qu'il en soit, même si la cour de céans était habilitée à procéder à un tel examen, le présent recours serait mal fondé pour les raisons suivantes.
3.
Le recourant estime, en premier lieu, que la décision attaquée est arbitraire en tant qu'elle n'accorde aucune signification à son refus de voir son père, pas plus qu'elle ne tient compte du désintérêt paternel à son égard. Le juge ne saurait, même au stade de l'exécution forcée, négliger l'intérêt de l'enfant. En ordonnant le concours de la force publique, la Chambre des recours aurait méconnu les principes énoncés dans l'
ATF 107 II 301
, selon lesquels il faut renoncer à user de contrainte directe à l'égard des enfants pour faire respecter le droit de visite.
a) Selon la jurisprudence, une décision est arbitraire lorsqu'elle est manifestement insoutenable, méconnaît gravement une norme ou un principe juridique clair et indiscuté, ou encore heurte de manière choquante le sentiment de la justice et de l'équité (
ATF 118 Ia 118
, spéc. 123/124,
ATF 117 Ia 15
/16, 20 let. c, 32 consid. 7a, 122 consid. 1b et 139 let. c). Il ne suffit pas que sa motivation soit insoutenable; encore faut-il que la décision apparaisse arbitraire dans son résultat (
ATF 118 Ia 118
, spéc. 124,
ATF 117 Ia 139
let. c,
ATF 116 Ia 327
let. a et 334 let. d,
ATF 115 Ia 125
). Le recourant ne peut se contenter d'opposer sa thèse à celle de l'autorité cantonale. Il doit démontrer, par une argumentation précise, que la décision attaquée repose sur une interprétation ou une application de la loi manifestement insoutenables (
ATF 86 I 228
). Il n'y a pas arbitraire du seul fait qu'une solution autre que celle de l'autorité cantonale apparaît concevable ou même préférable (
ATF 118 Ia 26
consid. 5a;
ATF 118 Ia 118
, spéc. 123 consid. c).
b) Il ressort de l'arrêt attaqué que dame A. Z. et l'enfant Y. avaient, sur ordre du Juge de paix, été entendus par un assesseur, qui avait déconseillé
BGE 120 Ia 369 S. 374
l'exécution forcée du droit de visite. L'autorité cantonale ne dit pas pourquoi elle a passé outre à cette opinion. Elle se borne à considérer que c'est la mère qui, par sa mauvaise volonté, fait obstruction au bon déroulement des visites paternelles, sans préciser, toutefois, sur quels faits elle fonde sa conviction; au vu de l'ensemble des circonstances, on doit en conclure que l'autorité cantonale conçoit le droit de visite comme une prérogative avant tout parentale, de sorte qu'elle n'a pas jugé déterminante l'opposition de Y. Quant au prétendu désintérêt du père, il ne ressort ni du jugement cantonal ni des pièces, et le recourant omet de dire quel élément de preuve la cour cantonale aurait apprécié arbitrairement. Sans doute le Tribunal fédéral a-t-il jugé qu'il convenait de renoncer à la contrainte directe à l'égard d'enfants (
ATF 107 II 301
, spéc. 303), et puis, plus récemment, qu'il n'était pas arbitraire de refuser l'exécution forcée du droit de visite au père de trois enfants qui refusaient de le rencontrer (
ATF 118 II 392
). Mais on ne saurait en déduire que la décision inverse - ordonnant l'exécution forcée - serait arbitraire. Les "véritables mobiles de l'intimé", tels que les voit le recourant, ne ressortent pas des constatations de l'arrêt attaqué et constituent à ce titre des allégations de fait nouvelles inadmissibles dans la procédure de recours de droit public pour arbitraire; il en va de même des événements auxquels fait allusion le recourant en relation avec la tentative d'exécution forcée du droit de visite intervenue postérieurement au jugement attaqué (cf.
ATF 119 II 7
consid. 4a;
ATF 117 Ia 3
consid. 2).
Partant, le grief d'arbitraire doit être rejeté dans la mesure où il est recevable.
4.
Dans un second moyen, le recourant soutient que la décision attaquée viole l'
art. 8 par. 1 CEDH
. Se référant à la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme, ainsi qu'à l'
ATF 107 II 301
ss précité, il relève que la protection de l'
art. 8 CEDH
s'étend aux rapports entre parents et enfants, et reproche aux juges cantonaux d'avoir statué en application stricte des règles du code de procédure civile vaudois relatives à l'exécution forcée, sans tenir compte des éléments de preuve établissant les craintes "extrêmement vives et fondées de l'enfant Y. à l'égard de son père". Le recourant s'estime menacé dans ses intérêts par une exécution forcée du droit de visite; il a manifesté l'intention d'attenter à sa vie plutôt que de rencontrer son père sous la contrainte. Quant à l'intimé, il n'aurait pas exercé le droit de visite qui lui avait été accordé par voie de mesures provisionnelles et n'aurait pas cherché à maintenir un contact avec son fils. Si l'
art. 8 CEDH
a une portée positive,
BGE 120 Ia 369 S. 375
il a aussi, selon le recourant, une portée négative, en ce sens qu'il permet de s'opposer aux relations personnelles pour des motifs relevant du bien de l'enfant.
a) L'
art. 156 al. 2 CC
en relation avec l'
art. 273 CC
accorde au parent qui n'est plus titulaire de l'autorité parentale à la suite du divorce le droit à des relations personnelles avec ses enfants; cette prétention découle de ses droits de la personnalité (
ATF 119 II 201
consid. 3 p. 204). Le droit aux relations personnelles, autrefois considéré comme un droit naturel des parents (cf.
ATF 72 II 11
ss), est actuellement conçu à la fois comme un droit et un devoir (ein Pflichtrecht; cf. HEGNAUER, n. 57 ad
art. 273 CC
), accordé non seulement dans l'intérêt du parent ayant droit, mais aussi dans celui de l'enfant, et qui connaît des limites (cf. art. 273 à 275 CC; HEGNAUER, n. 18 ad
art. 273 CC
; cf. également DESCHENAUX/TERCIER, Le mariage et le divorce, 3e éd., Berne 1985, p. 141 n. 749). Le droit de visite ne tend pas à ménager un équilibre entre les intérêts des parents, mais à organiser le contact entre parents et enfant, l'intérêt d'un jeune enfant n'étant pas le même que celui d'un adolescent (cf. arrêt de la IIe Cour civile du 7 octobre 1994 dans la cause R., consid. 3b; dans le même sens FELDER/HAUSHEER, Drittüberwachtes Besuchsrecht: Die Sicht der Kinderpsychiatrie, in RJB 129 (1993), p. 698 ss, spéc. p. 706).
b) L'
art. 8 par. 1 CEDH
, auquel se réfère le recourant, protège quatre biens différents: la vie privée, la vie de famille, le logement et la correspondance. S'agissant du second aspect de l'
art. 8 par. 1 CEDH
, la jurisprudence garantit à chaque parent, notamment lorsque les époux sont divorcés (cf. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Zurich 1993, p. 331 note 563) le droit d'entretenir des contacts avec l'enfant, de telle sorte que l'Etat ne peut restreindre ce droit qu'aux conditions sévères du par. 2. Le critère essentiel dont il y a lieu de s'inspirer est le bien de l'enfant, autant physique que psychique (cf. décision de la Commission des droits de l'homme du 4 mars 1980, in EuGRZ 7/1980, p. 458 et FROWEIN/PEUKERT, op.cit., n. 21 ad art. 8: die Rechte der Kinder hat die Kommission ausdrücklich als Schutzgut im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK angegeben). Dans l'arrêt publié aux
ATF 107 II 301
, le Tribunal fédéral a jugé qu'il n'était pas contraire à l'
art. 8 CEDH
de rejeter la demande d'un père divorcé tendant à l'exécution forcée d'un droit de visite sur des enfants âgés de 11, respectivement de 14 ans, qui éprouvaient une aversion insurmontable à l'égard de leur père. Mais à la différence de la présente affaire, la protection de la vie familiale au sens de l'
art. 8 par. 1 CEDH
n'y a pas été invoquée par l'enfant "objet" du
BGE 120 Ia 369 S. 376
droit de visite pour obtenir des restrictions aux relations personnelles entre membres d'une famille (effet négatif), mais bien plutôt par l'un ou l'autre parent pour les rétablir ou en assurer le maintien (effet positif). On peut douter, dès lors, de la pertinence de l'argumentation du recourant en tant qu'il entend s'appuyer sur l'
art. 8 CEDH
pour obtenir le droit de ne pas entretenir de contact avec son père; enfin, ici encore, il se réfère pour partie à des faits non constatés dans le jugement attaqué; aussi son grief doit-il de toute manière être rejeté dans la mesure où il est recevable (cf.
ATF 119 II 7
précité).
c) L'examen de la présente affaire sous l'angle de la protection de la vie privée garantie par l'
art. 8 par. 1 CEDH
n'aboutirait pas à un résultat différent. Dans une affaire X. c. Pays-Bas, du 19 décembre 1974 (publiée in DR 2(1975), p. 118 ss), où une jeune fille de 14 ans avait été ramenée de force par la police chez ses parents à la suite d'une fugue en compagnie de son ami, la Commission européenne des droits de l'homme a laissé indécise la question de savoir si ces circonstances de fait tombaient sous l'empire de l'
art. 8 CEDH
; quoi qu'il en fût, l'ingérence des autorités était justifiée pour la sauvegarde de sa vie de famille et de la protection de sa moralité.
Le fait que le Tribunal fédéral a récemment affirmé qu'une "décision ordonnant ou supprimant les relations personnelles constitue, pour le parent demandeur autant que pour l'enfant, une atteinte au droit à la vie privée et familiale au sens de l'
art. 8 CEDH
, ainsi qu'au droit fondamental protégeant la liberté personnelle" (cf.
ATF 118 Ia 473
, spéc. p. 483) n'y changerait rien. D'une part, la décision attaquée émanait du juge du fond et non, à la différence du cas présent, du juge de l'exécution, qui n'a pas, on l'a vu, à statuer sur le bien de l'enfant à long terme; d'autre part, l'arrêt de la Cour européenne à laquelle se réfère le Tribunal fédéral dans l'espèce citée n'attribue pas une porté négative à l'
art. 8 CEDH
, en ce sens qu'un parent ou un enfant pourrait s'en prévaloir afin d'empêcher ou de restreindre les relations familiales. Dans la décision du 8 juillet 1987 en la cause W. c. UK (cf. EuGRZ 1990, p. 544), c'est l'un des parents qui a invoqué cette disposition dans le cadre de son opposition à l'adoption de l'enfant par des tiers. Le recourant ne saurait tirer argument de l'
art. 8 CEDH
pour obtenir du juge de l'exécution qu'il renonce à ordonner l'exécution forcée du droit de visite. | public_law | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
c0156f40-6ca0-44aa-9ad1-0a94b6a62a38 | Urteilskopf
100 III 76
20. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Dezember 1974 i.S. Oetiker gegen Severin & Co. | Regeste
Aberkennungsklage (
Art. 83 Abs. 2 SchKG
)
Sieht das kantonale Recht gegen den Rechtsöffnungsentscheid ein ordentliches Rechtsmittel vor, so beginnt die Frist für die Einreichung der Aberkennungsklage erst mit dem Entscheid der oberen Instanz bzw. mit dem unbenutzten Ablauf der Rechtsmittelfrist zu laufen. Ein verspätet eingereichtes Rechtsmittel vermag den Lauf der Klagefrist nicht zu hemmen. | Sachverhalt
ab Seite 76
BGE 100 III 76 S. 76
A.-
Mit Zahlungsbefehl Nr. 424 des Betreibungsamtes Hergiswil vom 31. Oktober 1972 betrieb die in Berlin ansässige Firma Severin & Co., Assekuranz, Finanzierung, Vermittlung, gestützt auf vier Eigenwechsel den Schuldner Ernst Oetiker für einen Betrag von Fr. 130 680.-- nebst Zins, Kommission und Protestkosten. Auf Rechtsvorschlag hin gewährte der Einzelrichter für Schuldbetreibung und Konkurs Nidwalden am 29. November 1972 der Gläubigerin provisorische Rechtsöffnung. Gegen diesen Entscheid, der ihm am 16. Dezember 1972 zugestellt worden war, legte der Vertreter des Schuldners mit Eingabe vom 5. Januar 1973 Berufung ein. Das Konkursgericht des Kantons Nidwalden trat jedoch mit Urteil
BGE 100 III 76 S. 77
vom 5. Februar 1973, den Parteien zugestellt am 26. Februar 1973, auf die Berufung nicht ein. In der Begründung führte es aus, die 5-tägige Berufungsfrist habe in den Betreibungsferien geendet, weshalb sie bis zum dritten Tag nach dem Ende der Ferienzeit verlängert worden sei (
Art. 63 SchKG
). Da der 2. Januar (Berchtoldstag) in Nidwalden kein Feiertag sei, sei die 3-tägige Verlängerungsfrist am 4. Januar 1973 abgelaufen. Die am 5. Januar 1973 zur Post gegebene Berufung sei somit verspätet erfolgt.
B.-
Am 6. März 1973 reichte der Schuldner beim Kantonsgericht des Kantons Nidwalden Aberkennungsklage ein. Das Kantonsgericht trat jedoch mit Urteil vom 27. Februar 1974 nicht auf die Klage ein. Hiegegen appellierte der Kläger an das Obergericht des Kantons Nidwalden, welches indessen am 11. Juli 1974 das Urteil des Kantonsgerichts bestätigte. Beide Gerichte gingen davon aus, die 10-tätige Frist für die Einreichung der Aberkennungsklage habe schon mit dem unbenützten Ablauf der Berufungsfrist gegen den Rechtsöffnungsentscheid und nicht erst mit dem Nichteintretensentscheid des Konkursgerichts zu laufen begonnen. Die erst am 6. März 1973 zur Post gegebene Klage sei daher verspätet.
C.-
Mit der vorliegenden Berufung ans Bundesgericht beantragt der Kläger, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei zur materiellen Behandlung der Aberkennungsklage an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Eine Berufungsantwort wurde nicht eingeholt.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 83 Abs. 2 SchKG
kann der Betriebene binnen 10 Tagen seit der provisorischen Rechtsöffnung auf dem Weg des ordentlichen Prozesses auf Aberkennung der Forderung klagen. Sieht das kantonale Recht gegen den Rechtsöffnungsentscheid ein ordentliches Rechtsmittel vor, so beginnt die Klagefrist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erst mit dem Entscheid der oberen Instanz bzw. mit dem unbenutzten Ablauf der Rechtsmittelfrist zu laufen (
BGE 77 III 138
,
BGE 47 III 67
ff.; FAVRE, Droit des poursuites, 3. Aufl., S. 159; JAEGER, N. 7 zu
Art. 83 SchKG
; BRAND, SJK 957 S. 4).
Im vorliegenden Fall lief die Frist für die Berufung gegen
BGE 100 III 76 S. 78
den Rechtsöffnungsentscheid unbestrittenermassen am 4. Januar 1973 unbenutzt ab. Der Entscheid wurde damit rechtskräftig, und die 10-tätige Frist für die Aberkennungsklage begann zu laufen. Die verspätet eingereichte Berufung vermochte daran nichts mehr zu ändern. Zu Recht hat deshalb die Vorinstanz angenommen, die erst am 6. März 1973 zur Post gegebene Aberkennungsklage sei nicht fristgerecht gewesen.
2.
Der Kläger bringt nichts vor, was geeignet wäre, dies zu widerlegen. Er macht im wesentlichen geltend, erst wenn das Rechtsöffnungsverfahren endgültig, d.h. also gegebenenfalls auch vor zweiter Instanz, erledigt sei, habe sich der Betriebene um den Aberkennungsprozess zu kümmern, und erst in diesem Zeitpunkt beginne deshalb die Frist von
Art. 83 Abs. 2 SchKG
zu laufen. Dass nur die endgültige Erledigung des Rechtsöffnungsverfahrens den Fristenlauf in Gang zu setzen vermag, steht nicht zur Diskussion. Unbestritten ist auch, dass der Rechtsöffnungsentscheid nicht definitiv ist, wenn der Betriebene dagegen Berufung eingelegt hat, mag sich diese in der Folge als begründet erweisen oder nicht. Kann jedoch die Rechtsöffnung nicht oder nicht mehr mit Berufung angefochten werden, so wird sie definitiv, das Rechtsöffnungsverfahren ist endgültig erledigt, und der Lauf der Klagefrist beginnt. Die Vorinstanz weist zu Recht darauf hin, dass die gegenteilige Lösung zu Missbräuchen führen könnte, hätte es doch der Schuldner in der Hand, noch nach Jahr und Tag gegen den Rechtsöffnungsentscheid Berufung einzulegen, einen Nichteintretensentscheid der Rechtsmittelinstanz zu erwirken und dadurch den Fristenlauf erneut in Gang zu setzen. Dass eine unzulässige Appellation die bereits laufende Frist für die Einreichung der Aberkennungsklage nicht zu hemmen vermag, hat das Bundesgericht übrigens bereits in
BGE 77 III 138
/139 klar zum Ausdruck gebracht.
Sodann rügt der Kläger, das Obergericht verkenne die aufschiebende Wirkung der Berufung. Unter Hinweis auf GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 500, führt er aus, auch einer unzulässigerweise eingelegten Berufung komme diese Wirkung zu, denn der Entscheid über die Zulässigkeit eines Rechtsmittels sei im Rechtsmittelverfahren zu fällen; bis er ergangen sei, entfalte auch das unzulässige Rechtsmittel seine Wirkung. Dass auch ein unzulässiges Rechtsmittel
BGE 100 III 76 S. 79
gewisse Wirkungen entfalten kann, trifft zwar zu (vgl. immerhin
Art. 54 Abs. 2 OG
, wonach der Eintritt der Rechtskraft eines berufungsfähigen kantonalen Entscheides nur durch zulässige Berufung und Anschlussberufung gehemmt wird; ferner LEUCH, N. 1 zu Art. 334 bern. ZPO, wonach gemäss bernischem Prozessrecht die Rechtskraft eines appellabeln Urteils, gegen das eine unzulässige Appellation eingelegt worden ist, bereits im Zeitpunkt des Ablaufs der Appellationsfrist eintritt). Eine verspätete Berufung vermag indessen den Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Entscheids nicht mehr rückgängig zu machen. Gewiss kann streitig sein, ob ein Rechtsmittel fristgerecht ist. In einem solchen Fall besteht in der Tat ein gewisser Schwebezustand, bis die obere Instanz über diese Frage entschieden hat. Hat sie dies aber getan und die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels verneint, so bleibt es dabei, dass der angefochtene Entscheid in Rechtskraft erwachsen ist. Aus der Suspensivwirkung der Berufung ist daher für den vorliegenden Fall nichts abzuleiten.
Die Berufung erweist sich somit offensichtlich als unbegründet. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c0165e20-8a46-45f5-b8e7-81d1835a7b61 | Urteilskopf
93 II 192
28. Arrêt de la Ie Cour civile du 21 mars 1967 dans la cause Librairie Hachette SA et consorts contre Société Coopérative d'achat et de distribution des négociants en tabacs et journaux et consorts. | Regeste
Gerichtsstandsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich, vom 15. Juni 1869, Art. 1. Kartellgesetz Art. 7 ff.
Werden an einem vertikalen Kartell beteiligte schweizerische und französische Parteien von schweizerischen und französischen Klägern wegen der in der Schweiz eingetretenen Wirkungen des Kartells vor einem schweizerischen Gericht belangt, so sind die französischen Beklagten befugt, die Zuständigkeit des schweizerischen Gerichts abzulehnen. | Sachverhalt
ab Seite 193
BGE 93 II 192 S. 193
A.-
Par exploit du 6 avril 1965, les demanderesses et intimées, savoir la Société coopérative d'achat et de distribution des négociants en tabacs et journaux à Genève (ci-après la Coopérative) et la Société en nom collectif J. et M. Lupi à Genève (ci-après J. et M. Lupi), ont assigné devant la Cour de de justice: 1. La Librairie Hachette SA, à Paris (ci-après Hachette); 2. Les Nouvelles Messageries de la presse parisienne à Paris (ci-après Nouvelles Messageries); 3. Schmidt-Agence à Bâle (ci-après Schmidt); 4. Naville et Cie SA à Genève (ci-après Naville).
Les conclusions de cet exploit sont en substance les suivantes:
1. Déclarer illicites les entraves à la concurrence exercées par les citées à l'encontre des requérantes.
2. Ordonner la cessation des entraves cartellaires à la concurrence exercées par les citées sous commination des peines prévues par l'art. 292 CP.
3. Ordonner à Hachette et aux Nouvelles Messageries de la presse parisienne de livrer aux demanderesses tous les périodiques et journaux français dont elles assument la distribution en Suisse, et ce aux mêmes conditions qu'aux autres agences suisses, sous commination des peines prévues par l'art. 292 CP.
4. Condamner les défenderesses à des dommages-intérêts (que les demanderesses ont chiffrés) pour préjudice matériel et tort moral (chefs nos 4 à 7).
BGE 93 II 192 S. 194
A l'appui de leurs conclusions, les demanderesses ont exposé que les agences suisses de journaux, au nombre de quatre, dont Naville et Schmidt, ont conclu, le 28 janvier 1959, un "arrangement général" destiné à éviter la concurrence. Par cet accord, elles se sont partagé le marché suisse selon des règles précises, et elles se sont interdit toutes livraisons et toute aide quelconque à des actions susceptibles d'entraîner la division de la distribution, notamment la création de nouveaux organes de distribution. Elles ont ainsi constitué un cartel.
En mars 1961, des commerçants en journaux qui n'étaient plus liés à Naville ou entendaient s'en libérer ont créé la Société coopérative demanderesse aux fins d'assurer la livraison des journaux français notamment. Hachette et les Nouvelles Messageries, qui assument en Suisse la distribution exclusive des périodiques français, ont refusé d'approvisionner la Société coopérative, invoquant un accord d'exclusivité conclu avec les quatre agences suisses de journaux.
La Coopérative s'est alors approvisionnée un certain temps en France, dans la région frontalière. Naville engagea un détective afin de connaître cette source qui fut coupée.
Les demanderesses allèguent en droit que l'accord d'exclusivité liant les quatre agences suisses à leur fournisseur français, joint à la convention du 28 janvier 1959, constitue un accord de cartel vertical doublé d'un accord de cartel horizontal, tous deux illicites au regard de l'art. 4 de la loi fédérale du 20 décembre 1962 sur les cartels et organisations analogues (ci-après L. Cart.) et en faveur duquel ne peut être invoqué aucun des motifs énumérés à l'art. 5 de cette loi.
Hachette et les Nouvelles Messageries ont décliné la compétence de la Cour de Genève, invoquant l'art. 1er de la Convention franco-suisse du 15 juin 1869 (ci-après la Convention).
B.-
Par jugement incident du 23 décembre 1966, communiqué le 3 janvier 1967, la Cour de justice de Genève a rejeté le déclinatoire, en bref par les motifs suivants:
N'ayant aucun établissement ou succursale en Suisse, Hachette et Les Nouvelles Messageries peuvent en principe se mettre au bénéfice de la Convention. Toutefois, la loi sur les cartels constitue une législation spéciale, fondée sur le droit public, ayant pour but la sauvegarde de l'intérêt général. Elle se situe en dehors du droit commun et partant n'est pas régie par la Convention. Au demeurant, en instituant la compétence
BGE 93 II 192 S. 195
du juge naturel du défendeur, la Convention suppose que ce juge consentira à connaître de la demande sur la base juridique invoquée par le demandeur. Or il apparaît exclu que la juridiction française déclare applicables des règles de droit étranger ayant pour objet la sauvegarde de l'intérêt public étranger. De plus, en raison des liens qui existent entre les défenderesses, la disjonction des demandes dirigées contre les défenderesses françaises au profit des tribunaux français rendrait illusoire ou inopérante toute décision prononcée contre les seules défenderesses suisses.
C.-
Hachette et les Nouvelles Messageries ont formé contre ce jugement un recours en nullité et un recours en réforme, identiques quant aux conclusions et aux moyens invoqués. Elles concluent à ce que la juridiction genevoise soit déclarée incompétente.
D.-
La Société coopérative, ainsi que J. et M. Lupi, ont conclu au rejet du recours en réforme.
Schmidt et Naville, co-défendresses des recourantes, déclarent s'en remettre à justice.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La décision attaquée, prise par la juridiction cantonale unique que prévoit le droit fédéral (art. 48 al. 2 lit. b OJ, art. 7 al. 1 L. Cart.), est une décision incidente au sens de l'art. 49 OJ. Invoquant la violation de prescriptions de droit fédéral au sujet du for - les dispositions des traités internationaux sont assimilées aux prescriptions du droit fédéral -, le recours en réforme est recevable en vertu de l'art. 49 précité OJ.
2.
Le moyen pris de la Convention serait inutile si les prescriptions du droit interne suisse, déjà, excluaient la compétence de la juridiction genevoise.
Les parties demanderesses invoquent une entrave illicite à la concurrence. Elles fondent leur action sur la loi fédérale du 20 décembre 1962 sur les cartels et organisations analogues. Aux termes de l'art. 7 al. 2 litt. a de cette loi, le for est au siège ou, faute d'un siège, au lieu de l'administration du cartel et, à ce défaut, au lieu où la majorité des défendeurs ont leur domicile. L'art. 7 al. 2 litt. b dispose: "L'action est intentée... en l'absence d'autre for en Suisse, au lieu où l'acte illicite a été commis".
Admettant implicitement que ce lieu est en Suisse, la cour
BGE 93 II 192 S. 196
cantonale a appliqué l'art. 7 al. 2 litt. b précité sans préciser en fait où ont été passées les prétendues conventions d'exclusivité entre les recourantes et les agences suisses et sans davantage définir la notion du "lieu où l'acte illicite a été commis". Elle paraît considérer qu'il est satisfait aux exigences de l'art. 7 al. 2 litt. b L. Cart. dès que les effets d'une entente cartellaire sont ressentis en Suisse.
3.
Bien que la loi du 20 décembre 1962 ne contienne aucune disposition explicite sur sa portée en matière internationale, elle s'applique également aux entraves à la concurrence commises à l'étranger et qui sortissent leurs effets en Suisse.
L'exégèse de l'art. 7 al. 2 L. Cart. commande déjà cette solution. En effet, la litt. a épuise les cas où le siège du cartel ou, à ce défaut, le domicile des membres du cartel est en Suisse. La litt. b vise donc les cas où les défendeurs sont domiciliés à l'étranger. En restreindre la portée aux seules entraves à la concurrence décidées en Suisse reviendrait à lui refuser presque tout effet pratique. Il ne s'appliquerait plus alors qu'au cartel dont aucun des membres n'aurait de domicile en Suisse et qui conclut, dans ce pays, ses accords tendant à entraver la concurrence. Il leur suffirait donc, pour se soustraire entièrement à la juridiction suisse, de prendre leurs engagements à l'étranger. Tel ne saurait être le sens de la loi.
L'art. 7 al. 2 litt. b permet au contraire d'assigner en Suisse des organisations étrangères dont les accords de cartel produisent en Suisse des résultats illicites selon l'art. 4 L.Cart., quel que soit le lieu où ces accords ont été conclus. Cela est conforme à son but qui est de protéger la libre concurrence, jugée conforme à l'intérêt général. Cette disposition doit dès lors réprimer les entraves à la concurrence d'où qu'elles viennent, dès qu'elles ont un effet direct sur le jeu de la concurrence à l'intérieur du territoire suisse. C'est pourquoi, du reste, la loi réserve un traitement exceptionnel aux mesures qui visent à assurer l'application d'un cartel sur les marchés étrangers (art. 5 al. 2 litt. d).
En matière civile, la jurisprudence a consacré la même solution s'agissant de la concurrence déloyale (art. 5 LCD; RO 82 II 164;
89 II 426
) et la loi, s'agissant de brevets d'invention (art. 75 al. 1 litt. a LBI) et de droits d'auteur (art. 44 LDA).
En définitive, les demanderesses alléguant que, dans leur
BGE 93 II 192 S. 197
branche, les défenderesses ont entravé la concurrence à Genève, celles-ci sont justiciables au for de Genève de par la loi du 20 décembre 1962.
4.
Cependant, les recourantes excipent de l'article premier de la Convention, selon lequel:
"Dans les contestations en matière mobilière et personnelle, civile ou de commerce, qui s'élèveront soit entre Suisses et Français, soit entre Français et Suisses, le demandeur sera tenu de poursuivre son action devant les juges naturels du défendeur."
Que la Convention l'emporte sur les règles du droit interne, cela ne saurait faire aucun doute (cf. Message du Conseil fédéral aux Chambres fédérales à l'appui du projet de loi sur les cartels, FF 1961 II 585). Il s'agit, de plus, en l'espèce, d'une contestation entre Suisses, domiciliés en Suisse et Français, domiciliés en France. Le juge naturel des seconds est le juge français. Enfin, les défenderesses françaises sont au bénéfice de la Convention, bien qu'étant des personnes morales (RO 41 I 209
;
48 I 90
;
80 III 157
;
90 II 114
, consid. 2). L'article premier de la Convention sera donc applicable si la réclamation déduite dans la présente instance est une contestation en matière mobilière et personnelle au sens de cette disposition.
5.
Selon la jurisprudence constante du Tribunal fédéral, l'article premier de la Convention contient une règle de for d'une portée tout à fait générale en ce sens qu'elle s'applique à toutes les réclamations qui doivent être qualifiées de "mobilières et personnelles" (RO 29 I 304; 21 p. 711;
80 II 392
). Ne sont soustraites à cette règle que les actions qui ne rentrent pas dans la catégorie visée, ainsi celles qui relèvent du droit de famille (RO 77 II 120), du droit successoral, telle que l'action en délivrance de legs (RO 58 I 111) ou encore les actions pour lesquelles des motifs impérieux relevant de l'économie du procès justifient pleinement une distraction de for, ainsi les actions spéciales à l'exécution forcée; action en libération de dette ou en répétition de l'indu (art. 83 et 86 LP), où les particularités de la loi suisse entraînent un renversement du rôle des parties au procès (RO 87 III 25;
90 II 114
, consid. 2), enfin l'action reconventionnelle lorsqu'elle est connexe à la demande principale (RO 47 I 182). Cette interprétation s'oppose à celle qui, restrictive, fait prévaloir le droit interne sur tous les points que la Convention ne règle pas expressément (BARTIN, Principes
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du droit international privé, Paris 1930, t. I § 159). Il suffit donc, en l'espèce, que le litige porte sur une prétention mobilière et personnelle pour que les défenderesses, Hachette et les Nouvelles Messageries, puissent se réclamer de leur juge naturel, à savoir du juge français.
6.
La loi du 20 décembre 1962 comporte deux catégories de règles qui relèvent, les unes du droit civil (titre II) les autres du droit administratif (titre III). Les secondes ne sont pas applicables en l'espèce et ne sauraient être invoquées pour qualifier la présente action. La nature civile des dispositions du titre II ne saurait faire de doute. Elle est expressément indiquée par le législateur lui-même ("Dispositions de droit civil et de procédure civile"). Les principales, du reste, avaient été, avant l'entrée en vigueur de la loi du 20 décembre 1962 déjà, déduites par la jurisprudence de l'art. 28 CC (protection contre l'atteinte illicite aux intérêts personnels). Enfin, la doctrine est formelle sur la nature civile du droit à la libre concurrence protégé par les art. 4 ss. L. Cart. (DESCHENAUX, L'esprit de la loi fédérale sur les cartels, Mélanges Carry, Genève 1964, pp. 214 ss.; MERZ, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 1967, pp. 19ss.). On ne saurait objecter qu'en protégeant le droit à la libre concurrence, le législateur a eu en vue l'intérêt public; il en va de même, en dernière analyse, de toute protection accordée par la loi civile.
7.
On ne saurait davantage s'abstenir d'appliquer la Convention, parce que le juge français refuserait apparemment de connaître des atteintes à la concurrence alléguées par les demanderesses sur le fondement de la loi suisse.
Effectivement la loi du 20 décembre 1962 tend à protéger des intérêts publics et privés suisses; son application est limitée, quant à son objet, au territoire suisse. Il est dès lors possible que le juge français n'applique pas à la présente demande les mêmes règles que ne le ferait le juge suisse, voire que sa décision crée une lacune dans l'application de la loi sur les cartels, s'agissant d'entraves à la concurrence créées par des Français domiciliés en France. Mais on n'en saurait conclure que la Convention ne s'applique pas en l'espèce. Rien dans sa lettre ni dans son esprit n'autorise une telle inférence. Il peut arriver que le juge naturel du défendeur protège celui-ci par des motifs auxquels le juge du for du demandeur ne s'arrêterait pas. Cela est une conséquence inévitable de la garantie que crée l'article premier
BGE 93 II 192 S. 199
de la Convention. S'il en résulte des inconvénients graves pour l'un des Etats contractants, il lui appartient de faire en sorte que la Convention soit modifiée sur le point dont il s'agit. Le juge ne saurait intervenir par la voie de l'interprétation.
De plus, s'il admettait sa compétence par le motif indiqué, le juge suisse préjugerait de la décision que le juge français pourrait être appelé à prendre selon la compétence que la Convention lui reconnaît exclusivement. Cela ne saurait être: la Convention ne l'autorise en aucune manière.
8.
L'article premier de la Convention vise les réclamations qui sont à la fois mobilières et personnelles. Selon le système du traité, la réclamation mobilière s'oppose à la réclamation immobilière et la réclamation réelle à la réclamation personnelle (ROGUIN, Conflit des lois suisses, Lausanne 1891, p. 691; E. CURTI, Der Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich, thèse Zurich 1879, p. 21; PILLET, Les conventions internationales relatives à la compétence judiciaire, Paris 1913, p. 75). Ainsi prise dans son acception technique usuelle, l'action personnelle désigne toute action tendant "à l'exécution d'une obligation patrimoniale ou extrapatrimoniale, légale ou conventionnelle" (NIBOYET, Traité de droit international privé français, Paris 1949, t. VI, p. 482).
Appréciés selon cette définition, les chefs nos 3 à 7 des conclusions de la demande sont incontestablement des réclamations personnelles. Ils tendent à obtenir des recourantes des prestations déterminées: livraisons de journaux et périodiques, dont les recourantes assument la distribution en Suisse, ou paiement de dommages-intérêts.
Les chefs nos 1 et 2 tendent à faire constater le caractère illicite des entraves alléguées et à en ordonner la cessation. Le second, présenté sous une forme négative, se confond en réalité avec le troisième (ordonner... de livrer). Il a donc bien un caractère personnel. Il en va de même du premier, supposé qu'il soit recevable comme ayant une valeur propre.
9.
Cependant, la cour cantonale a jugé que même si la Convention est en principe applicable, une dérogation se justifierait en raison de la connexité des demandes; que les accords en cause forment un ensemble dont le caractère - licite ou illicite - ne peut s'apprécier que par une décision unique et portant sur l'ensemble de la cause; que la disjonction requise par les défenderesses françaises rendrait illusoire et
BGE 93 II 192 S. 200
inopérante une décision ne visant que les défenderesses suisses.
Par un arrêt du 29 novembre 1948 (NIBOYET, op.cit., p. 485; FLATTET, Journal des Tribunaux, 1949 I 125, Journal de droit international, Clunet, 1964, p. 322), la Cour de cassation de France a jugé qu'en cas de pluralité de défendeurs, la règle de droit interne s'applique dans le silence du traité; pour le cas "d'instances connexes avec pluralités de défendeurs, l'un français, l'autre suisse, le demandeur conserve la faculté énoncée à l'art. 59 al. 2 du code de procédure civile, d'assigner au domicile de l'un des défendeurs, à son choix". La Cour de cassation de France a confirmé cette interprétation par deux arrêts, l'un du 17 juin 1958, l'autre du 3 janvier 1964 (auteurs précités).
La jurisprudence de la cour française est manifestement inspirée par la conception étroite du champ d'application du traité: dérogeant aux règles du droit commun, il doit s'interpréter restrictivement. Or cette jurisprudence procède d'une conception qui, on l'a montré, s'oppose à celle du Tribunal fédéral. L'article premier de la Convention ayant une portée tout à fait générale, on doit admettre que si, dans les cas de garantie, c'est-à-dire ceux où la connexité avec la demande principale est la plus étroite, il n'y a pas distraction de for, à plus forte raison la règle conventionnelle du juge naturel doit l'emporter dans les autres cas de connexité (PILLET, op.cit., p. 87; cf. GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, Zurich 1951, p. 126). Aussi bien, appliquant en matière intercantonale l'art. 59 Cst. (qui, s'agissant de réclamations personnelles, oblige à attaquer le débiteur solvable devant le juge de son domicile), le Tribunal fédéral a-t-il constamment refusé de déroger au principe dans les cas de solidarité, de litisconsorts ou de délits (lieu de commission). Il n'a admis que de rares exceptions, ainsi pour la demande reconventionnelle, l'action civile jointe au procès pénal et pour l'action intentée au for de l'établissement commercial ou de la succursale (RO 90 I 108 et les arrêts cités).
10.
Dans le cas des défendeurs litisconsorts, cependant, le Tribunal fédéral a fait une exception au principe de l'art. 59 Cst. lorsqu'il s'agit de consorts nécessaires, à savoir lorsque les prétentions élevées contre eux sont identiques et que l'exécution du jugement exige nécessairement la condamnation de tous. En d'autres termes, pour que l'exception se justifie, il faut qu'à
BGE 93 II 192 S. 201
défaut d'un procès unique, l'exécution du jugement soit impossible (arrêt Walther c. Frey, du 27 mars 1925, RO 51 I 47; action tendant à la condamnation de propriétaires en main commune au transfert de la propriété de leur immeuble). Il a assimilé à ce cas celui où, faute d'une instance réunissant tous les intéressés, une preuve décisive ne pourrait être apportée (arrêt du 24 juin 1964 en la cause Devaud c. Tribunal cantonal vaudois, RO 90 I 109). En revanche, de simples inconvénients de procédure ou le risque de jugements contradictoires ne suffisent pas à justifier une exception à la garantie que l'art. 59 Cst. donne au citoyen (arrêt précité).
Une dérogation au for désigné par l'article premier de la Convention pourrait sans doute se justifier dans les mêmes cas et sous les mêmes réserves, car la garantie du juge naturel ne doit pas rendre impossible une décision de justice (GULDENER, loc.cit.).
11.
a) Les demanderesses allèguent dans leur exploit que Naville et Schmidt ont passé avec d'autres distributeurs suisses un accord de cartel par lequel ils se sont réparti la clientèle en Suisse. Supposé que le premier et le second chef des conclusions puissent viser cet accord, on ne voit pas qu'il soit indispensable de mettre en cause les défenderesses françaises pour en faire interdire l'application aux demanderesses. Sa suppression permettrait uniquement aux demanderesses de se fournir auprès de n'importe laquelle des agences distributrices qui en sont membres. On n'a ni établi, ni même allégué que l'accord ait été imposé par les sociétés françaises et l'on ne voit pas l'intérêt qu'il pourrait avoir pour elles. Il n'est du reste pas produit et dans le résumé qu'en donne leur exploit, les demanderesses ne prétendent nullement qu'il soit lié à leur contrat de livraison exclusive pour les journaux et périodiques français. Tel qu'il est présenté, il semble bien plutôt avoir une portée générale et viser également d'autres marchandises que celles que vendent les sociétés françaises, notamment des journaux et périodiques d'autres provenances. La Cour de justice reconnaît du reste, dans l'arrêt attaqué, qu'un jugement qui interdirait d'appliquer l'accord de cartel ne porterait aucune atteinte aux accords passés entre les distributeurs suisses et les agences françaises. Or c'est précisément à cet accord qu'en ont les demanderesses, qui écrivent dans leur mémoire produit devant la cour cantonale: "la Société coopérative d'achat et de
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distribution des négociants en tabacs et journaux a intérêt à être approvisionnée directement par la Librairie Hachette SA et les Nouvelles Messageries de la Presse Parisienne et non par un autre organisme de distribution tel que Naville ou Schmidt Agence, qui ne pourrait leur consentir les conditions financières du fournisseur étranger". On ne voit donc pas que l'accord par lequel les défenderesses suisses se sont partagé le marché soit juridiquement lié ou même connexe avec celui par lequel elles se sont assuré l'exclusivité des livraisons de la part des défenderesses françaises. C'est à tort que la Cour de justice civile a admis le contraire.
b) Seul, par conséquent, le litige portant sur l'accord passé entre les défenderesses suisses et françaises pourrait en faire des consorts nécessaires. Il s'agit d'un accord vertical d'exclusivité, dont on peut admettre que le juge genevois a implicitement constaté l'existence. Par le troisième chef de leurs conclusions, les demanderesses requièrent que Hachette et les Nouvelles Messageries soient condamnées à livrer à la Coopérative - nonobstant cet accord - tous journaux et périodiques aux mêmes conditions qu'aux autres agences suisses. Il s'agit donc de savoir si l'action en cessation du refus de livraison doit nécessairement être ouverte contre les deux parties à l'accord de cartel vertical d'exclusivité ou si elle peut être dirigée uniquement contre celui des contractants qui refuse les livraisons. Dans le premier cas seulement, il y aurait lieu de déroger à l'article premier de la Convention.
Si cette action aboutit, l'accord de cartel vertical sera, sinon annulé, du moins ébranlé ou modifié. Elle aura donc une influence sur un contrat auquel les demandeurs ne sont pas partie. On serait dès lors tenté d'admettre que le demandeur doit actionner toutes les parties à ce contrat et que tel est le sens du for unique créé par l'art. 7 al. 1 litt. a L. Cart. Mais si cette disposition qui, sur le plan interne, déroge à l'art. 59 Cst., visait le cas des consorts nécessaires, elle serait inutile puisque selon la jurisprudence, cette disposition constitutionnelle ne s'applique pas dans le cas des consorts nécessaires. De plus, l'art. 7 L. Cart. va moins loin que la jurisprudence qui, contre les consorts nécessaires, laisse au demandeur le libre choix de porter son action devant le juge du domicile de l'un quelconque des défendeurs (RO 69 I 8), alors que l'art. 7 L. Cart. limite ce choix.
BGE 93 II 192 S. 203
Cet argument de texte est corroboré par la jurisprudence du Tribunal fédéral, qui n'a jamais considéré comme des consorts nécessaires tous les participants au contrat d'exclusivité. Il accueille au contraire l'action dirigée contre le seul fournisseur (importateur exclusif, association de producteurs ou de grossistes) et cela quand bien même ce fournisseur est lié par des accords d'exclusivité (v. notamment les arrêts: Gruen Watch MFG Co SA, du 5 juin 1956, RO 82 II 292; Giesbrecht, du 20 décembre 1960, RO 86 II 365; Alex Martin SA, du 16 mars 1965, RO 91 II 31). Effectivement, selon l'art. 4 L. Cart., le refus de livrer ou les discriminations de la part d'un cartel sont des actes illicites. Comme tels, ils lèsent un droit absolu, le droit de la personnalité. La personne atteinte dans ce droit est recevable à attaquer l'auteur de la lésion, nonobstant tout accord conclu par l'auteur avec un tiers (accord de cartel). Car un tel accord, juridiquement, ne saurait concerner le lésé; res inter alios acta, il ne lui est pas opposable, puisqu'il le lèse dans un droit absolu. Il suffit donc au lésé d'obtenir la condamnation de l'auteur.
Sans doute l'auteur, condamné seul, pourra-t-il se voir actionné, en vertu du contrat par son ou ses partenaires, auxquels le jugement ne sera pas opposable. Mais cela est sans conséquence du point de vue du lésé. Il sera du reste loisible à l'auteur de dénoncer l'instance aux autres parties au contrat. Il n'est pas exclu que, dans la présente espèce, les recourantes ne se privent de cette faculté en se soustrayant à une action jointe au for suisse. Cette particularité, cependant, ne modifie pas les données juridiques du problème et ne saurait justifier aucune exception. Les recourantes ne sont pas des consorts nécessaires des défenderesses suisses, de sorte qu'elles sont en droit de se réclamer du for que fixe l'article premier de la Convention.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et réforme l'arrêt attaqué en ce sens que le déclinatoire soulevé par les recourantes est admis, les tribunaux du for de Genève étant déclarés incompétents pour connaître de la présente action, en tant qu'elle est dirigée contre les recourantes. | public_law | nan | fr | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c01784bc-4c8a-4e4f-9cab-f18d3f777cb2 | Urteilskopf
135 V 2
1. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Einwohnergemeinde Altdorf gegen IV-Stelle Uri, betreffend Z.(Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_27/2008 vom 20. Oktober 2008 | Regeste
Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG
;
Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG
;
Art. 164 Abs. 1 OR
;
Art. 85
bis
IVV
; Abtretung der Nachzahlung von Leistungen des Sozialversicherers an die bevorschussende Sozialhilfebehörde.
Die Gemeinde ist durch die Verweigerung der von ihr verlangten Drittauszahlung direkt in ihren vermögensrechtlichen Interessen als Sozialhilfebehörde berührt und zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt (E. 1.1).
Der Begriff der Abtretung, wie er in
Art. 22 ATSG
verwendet wird, stimmt mit demjenigen der Zession nach
Art. 164 ff. OR
überein (E. 6.1).
Die zivilrechtlichen Abtretungsregeln mit Bezug auf künftige Forderungen gelten auch im Anwendungsbereich von
Art. 22 Abs. 2 ATSG
. Deshalb ist die Abtretung künftiger Leistungen des Sozialversicherers im Rahmen einer Globalzession zulässig, wenn die Abtretungserklärung alle Elemente enthält, nach welchen sich die Nachzahlungsforderung bezüglich Inhalt, Schuldner und Rechtsgrund bestimmen lässt (E. 6.1.2).
In casu rechtsgültige Zession einer künftigen IV-Rentennachzahlung (E. 7.2). | Sachverhalt
ab Seite 3
BGE 135 V 2 S. 3
A.
Mit Verfügung vom 18. Mai 2006 sprach die IV-Stelle Uri dem 1959 geborenen Z. rückwirkend ab 1. August 2004 eine halbe und ab 1. April 2005 eine ganze Invalidenrente zu. Nach Verrechnung mit ausstehenden AHV/IV/EO-Beiträgen in der Höhe von Fr. 2'161.40 ermittelte die IV-Stelle eine Rentennachzahlung von Fr. 24'118.60 für die Zeit vom 1. August 2004 bis 30. April 2006. Sie hielt in der Verfügung zudem fest, die Nachzahlung erfolge direkt an den Versicherten, nachdem dieser einer Verrechnung mit Leistungen der Sozialhilfe nicht zugestimmt habe und sich aus dem Sozialhilfegesetz kein ausdrücklicher Rückforderungsanspruch ergebe. Dies bestätigte die IV-Stelle auf Einsprache des Sozialrates Altdorf hin (Entscheid vom 21. August 2006).
B.
Die von der Einwohnergemeinde Altdorf hiegegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Uri mit Entscheid vom 26. Oktober 2007 ab.
C.
Die Einwohnergemeinde Altdorf lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, und es seien die nachzuzahlenden Rentenbetreffnisse an sie auszurichten. Ferner ersucht sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung.
Die IV-Stelle lässt sich in zustimmendem Sinne vernehmen, ohne jedoch einen Antrag zu stellen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.
BGE 135 V 2 S. 4
D.
Mit Verfügung vom 19. Februar 2008 erteilt der Instruktionsrichter der Beschwerde die aufschiebende Wirkung.
E.
Z. erhielt Gelegenheit zur Äusserung, wovon er keinen Gebrauch machte.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Die Gemeinde ist durch die Verweigerung der von ihr verlangten Drittauszahlung direkt in ihren vermögensrechtlichen Interessen als Sozialhilfebehörde berührt und zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt (
Art. 89 Abs. 1 BGG
; Urteil 1C_384/2007 vom 14. Mai 2008 E. 3.3;
BGE 134 II 45
E. 2.2.1 S. 46 f.;
BGE 133 V 188
E. 4.4.1 und E. 5 S. 193 und 195; Urteil 2P.240/1995 vom 22. Januar 1996 E. 1c, in: ZBl 98/1997 S. 414); denn sie ist nicht nur mittelbar durch die finanziellen Auswirkungen einer angeblich unrichtigen Rechtsanwendung berührt, was zur Legitimation nicht ausreichen würde (
BGE 134 V 53
E. 2.3.3.4 S. 59;
BGE 133 V 188
E. 4.5 S. 194; Urteil 1A.260/2000 vom 27. Februar 2001 E. 2c, in: FamPra.ch 2001 S. 846).
1.2
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (
Art. 82 ff. BGG
) kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (
Art. 95 lit. a BGG
). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG
). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG
).
1.3
Die Anwendung kantonalen Rechts prüft das Bundesgericht einzig auf Willkür hin (vgl.
BGE 123 V 25
E. 5c/cc S. 33). Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst dann, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise
BGE 135 V 2 S. 5
dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (
BGE 133 I 149
E. 3.1 S. 153;
BGE 132 I 13
E. 5.1 S. 17 f.;
BGE 131 I 467
E. 3.1 S. 473 f.; je mit Hinweisen).
2.
Nach
Art. 22 ATSG
(SR 830.1) ist der Anspruch auf Leistungen weder abtretbar noch verpfändbar. Jede Abtretung oder Verpfändung ist nichtig (Abs. 1); Nachzahlungen von Leistungen des Sozialversicherers können jedoch dem Arbeitgeber oder der öffentlichen oder privaten Fürsorge abgetreten werden, soweit diese Vorschusszahlungen leisten (Abs. 2 lit. a). Gemäss
Art. 85
bis
Abs. 1 IVV
(SR 831.201) können u.a. öffentliche Fürsorgestellen, welche im Hinblick auf eine Rente der Invalidenversicherung Vorschussleistungen erbracht haben, verlangen, dass die Nachzahlung dieser Rente bis zur Höhe ihrer Vorschussleistung verrechnet und an sie ausbezahlt wird. Als Vorschussleistungen gelten vertraglich oder aufgrund eines Gesetzes erbrachte Leistungen, soweit aus dem Vertrag oder dem Gesetz ein eindeutiges Rückforderungsrecht infolge der Rentennachzahlung abgeleitet werden kann (
Art. 85
bis
Abs. 2 lit. b IVV
). Die in diesem Zusammenhang zu beachtende bundesgerichtliche Rechtsprechung hat die Vorinstanz zutreffend angeführt (
BGE 132 V 113
;
BGE 131 V 242
;
BGE 123 V 25
;
BGE 118 V 88
). Darauf wird verwiesen.
3.
Streitig und zu prüfen ist die Zulässigkeit der Ausrichtung der aufgelaufenen Renten im Betrag von Fr. 24'118.60 an die Beschwerdeführerin durch Verrechnung mit vorschussweise erbrachten und nunmehr zurückzufordernden Sozialhilfeleistungen. Hiebei fragt sich zunächst, ob das Gesetz des Kantons Uri vom 28. September 1997 über die öffentliche Sozialhilfe (Sozialhilfegesetz, SHG; RB 20.3421) ein eindeutiges Rückforderungsrecht im Sinne von
Art. 85
bis
Abs. 2 lit. b IVV
enthält.
4.
4.1
Das kantonale Gericht hat dies mit der Begründung verneint, Art. 32 SHG bilde für ein gesetzliches Rückforderungsrecht keine ausreichende normative Grundlage und der Anspruch der Sozialhilfebehörde gegenüber der Invalidenversicherung ergebe sich nicht direkt aus dieser Bestimmung. Art. 32 SHG lautet:
Bestehen Ansprüche der hilfesuchenden Person gegenüber Dritten, so kann die Gewährung wirtschaftlicher Hilfe davon abhängig gemacht werden, dass sie im Umfang der Unterstützungsleistungen an die Sozialhilfebehörde abgetreten werden (Abs. 1).
BGE 135 V 2 S. 6
Der Forderungsübergang ist den Dritten mit Hinweis auf diese Bestimmung anzuzeigen (Abs. 2).
4.2
Das Eidg. Versicherungsgericht hat in
BGE 123 V 25
eine mit Art. 32 Abs. 1 SHG weitgehend identische Regelung des zürcherischen Sozialhilfegesetzes daraufhin überprüft, ob damit ein eindeutiges Rückforderungsrecht statuiert werde (E. 5c/aa S. 31 f.). Dies hat das Gericht unter dem Gesichtswinkel der Willkürprüfung verneint (E. 5c/cc S. 33). Es sind keine Gründe ersichtlich, welche hier einen anderen Schluss zuliessen. Die Bestimmung richtet sich gemäss ihrem Wortlaut an den Bezüger von Sozialhilfeleistungen (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 31/00 vom 5. Oktober 2000 E. 3a/cc, in: AHI 2003 S. 261). Darüber hinaus bestätigt die in Art. 32 Abs. 1 SHG vorgesehene Abtretung das Fehlen eines gesetzlichen Forderungsrechts; denn einer Zession bedarf es regelmässig nur, wenn Letztes nicht besteht. Nachdem die Vorinstanz ein eindeutiges Rückforderungsrecht auf der Basis von Art. 32 Abs. 1 SHG ohne Willkür verneinen konnte, vermag Art. 32 Abs. 2 SHG - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - daran nichts zu ändern. Diese Bestimmung regelt bloss die Anzeige der gestützt auf Art. 32 Abs. 1 SHG erfolgten Abtretung. Nicht zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Art. 34 Abs. 2 lit. a SHG, wonach die unterstützte Person rechtmässig bezogene wirtschaftliche Hilfe zurückzuerstatten hat, falls sich ihre finanziellen Verhältnisse so gebessert haben, dass ihr die Rückerstattung zugemutet werden kann, willkürlich nicht zur Anwendung gebracht hat; denn in dieser Hinsicht fehlt es an einer begründeten Rüge (
Art. 106 Abs. 2 BGG
).
Damit lässt sich die Verrechnung des Rentennachzahlungsbetrages mit für den gleichen Zeitraum bezogenen Sozialhilfeleistungen nicht auf ein eindeutiges Rückforderungsrecht im Sinne von
Art. 85
bis
Abs. 2 lit. b IVV
abstützen, und es bleibt zu prüfen, ob hiefür sonst wie eine rechtliche Grundlage besteht.
5.
5.1
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die vom Rentenbezüger am 31. Oktober 2000 und am 28. Juni 2005 unterzeichneten Abtretungserklärungen. Sie geht von einer rechtsgültig erfolgten Einwilligung zur Drittauszahlung der nachzuentrichtenden Invalidenrenten an die Sozialhilfebehörde aus.
Die in Frage stehende Nachzahlung betrifft Leistungen, die für die Zeit nach Inkrafttreten des am 6. Oktober 2000 erlassenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts
BGE 135 V 2 S. 7
(ATSG) am 1. Januar 2003 erbracht wurden (Rentenleistungen der Invalidenversicherung mit Rentenbeginn vom 1. August 2004). Die streitige Rechtsfrage (E. 3) beurteilt sich daher nach der Rechtslage seit dem 1. Januar 2003 (vgl.
BGE 132 V 113
E. 3.1 S. 115). Der Versicherte hatte sowohl vor (31. Oktober 2000) wie auch nach (28. Juni 2005) der Inkraftsetzung des ATSG eine Abtretungserklärung zu Gunsten der Sozialhilfebehörde abgegeben. Die zweite Abtretung fällt unter die Bestimmungen des ATSG, nicht jedoch jene vom 31. Oktober 2000, weshalb diese unberücksichtigt zu bleiben hat (
BGE 130 V 445
E. 1.2.1 S. 446 f.).
5.2
5.2.1
Gemäss der mit
BGE 118 V 88
eingeleiteten Rechtsprechung waren mangels einer gesetzlichen Bestimmung, welche die Abtretung von Nachzahlungen der Sozialversicherungen erlaubt hätte, an die Einwilligung des Versicherten zur Drittauszahlung, die nach der Praxis nicht contra legem, aber doch praeter legem zulässig war, strenge Anforderungen zu stellen. Sie durfte nur Rechtswirksamkeit entfalten, wenn die Tragweite der Zustimmungserklärung klar ersichtlich war. Der bereits im Zeitpunkt der Anmeldung zum Rentenbezug - in welchem der Anspruch gegenüber der Invalidenversicherung noch gänzlich unbestimmt ist - erfolgten Zustimmung konnte deshalb nicht dieselbe Bedeutung wie einer Erklärung nach Bekanntgabe der konkret zugesprochenen Versicherungsleistung beigemessen werden. Die Zustimmung zur Drittauszahlung konnte daher erst dann rechtsgültig erteilt werden, wenn der entsprechende Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission (heute IV-Stelle) ergangen war. Im Rahmen des daraufhin einsetzenden Vorbescheidverfahrens hatte die Verwaltung bis zum Verfügungserlass Gelegenheit, eine allfällige Einwilligung zur Drittauszahlung einzuholen oder, falls diese vom antragstellenden Dritten beigebracht wurde, deren Eingang abzuwarten (
BGE 118 V 88
E. 2b S. 92 f.).
5.2.2
Als Antwort darauf erliess der Verordnungsgeber
Art. 85
bis
IVV
mit dem Randtitel "Nachzahlungen an bevorschussende Dritte", welcher am 1. Januar 1994 in Kraft trat. Sodann hat die Verordnungsbestimmung mit der Ergänzung des
Art. 50 IVG
durch den im Rahmen der 10. AHV-Revision auf 1. Januar 1997 neu hinzugefügten und bis zum 31. Dezember 2002 in Kraft gestandenen Abs. 2 die gesetzliche Grundlage erhalten (zum Ganzen
BGE 128 V 108
E. 2d S. 110;
BGE 123 V 25
E. 3b S. 29; Antrag Nationalrätin Heberlein, AB 1993 N 294; vgl. ULRICH MEYER-BLASER, Bundesgesetz über die
BGE 135 V 2 S. 8
Invalidenversicherung [IVG], in: Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Murer/Stauffer [Hrsg.], 1997, S. 289 f.).
Art. 50 Abs. 2 IVG
schuf allerdings kein Abtretungsrecht. Vielmehr liess diese Bestimmung bloss die Ausrichtung von Nachzahlungen an Drittpersonen oder Drittstellen zu, falls sie im Hinblick auf Leistungen der Invalidenversicherung Vorschussleistungen erbracht hatten. Das dabei zu beachtende Verfahren und die Voraussetzungen sind in
Art. 85
bis
IVV
geregelt. Danach ist die Verrechnung mit vorschussweise ausgerichteter wirtschaftlicher Hilfe u.a. zulässig, wenn aus dem kantonalen Sozialhilfegesetz ein eindeutiges Rückforderungsrecht abgeleitet werden kann (
Art. 85
bis
Abs. 2 lit. b IVV
). Mit dem gesetzlichen Rückforderungsrecht wird die soziale Hilfe zur Vorschussleistung und die für eine Verrechnung erforderliche Wechselseitigkeit der zu verrechnenden Forderungen (Nachzahlung der Leistung des Sozialversicherers/Forderung der Behörde auf Rückerstattung als Vorschuss bezogener Sozialhilfe) wird kraft Gesetz herbeigeführt, weshalb es im Anwendungsbereich der Bestimmung der Abtretung nicht bedarf (
Art. 120 Abs. 1 OR
; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 518/05 vom 14. August 2006 E. 2.3, in: SVR 2007 IV Nr. 14 S. 52; WOLFGANG PETER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 4. Aufl. 2007, N. 7 zu
Art. 120 OR
).
5.3
Der am 1. Januar 2003 in Kraft getretene
Art. 22 ATSG
statuiert das bis anhin nur in einzelnen Versicherungszweigen (u.a.
Art. 20 Abs. 1 AHVG
[in Verbindung mit
Art. 50 Abs. 1 IVG
];
Art. 12 ELG
[SR 831.30]; je in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) ausdrücklich verankerte Verbot von Abtretung und Verpfändung (E. 2), lässt aber neu die schon erwähnte Ausnahme zu für Arbeitgeber und die öffentliche oder private Fürsorge, soweit diese Vorschusszahlungen leisten (
BGE 132 V 113
E. 3.3.1 S. 119). Mit
Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG
besteht nunmehr eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage, welche die Abtretung der Nachzahlungen von Leistungen des Sozialversicherers in bestimmten Schranken zulässt. Es stellt sich daher von Amtes wegen (
Art. 106 Abs. 1 BGG
) die Frage, ob die veränderte Rechtslage es erlaubt, eine Zessionserklärung vor dem Beschluss der IV-Stelle rechtsgültig abzugeben.
6.
6.1
Der Begriff der Abtretung, wie er in
Art. 22 ATSG
verwendet wird, stimmt mit demjenigen der Zession nach
Art. 164 ff. OR
überein (
BGE 132 V 113
E. 3.3.3 S. 120; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2003, N. 5 zu
Art. 22 ATSG
; GABRIELA RIEMER-KAFKA,
BGE 135 V 2 S. 9
Auszahlung von Sozialversicherungsleistungen an bevorschussende Dritte, in: Aktuelle Rechtsfragen der Sozialversicherungspraxis, Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], 2001, S. 129, welche Autorin in diesem Zusammenhang von einer Abtretung zahlungshalber ausgeht [
Art. 172 OR
]). Gemäss
Art. 164 Abs. 1 OR
kann der Gläubiger eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen. Unter diesem Aspekt ist die Zession nur zulässig, falls sie den Inhalt nicht verändert oder den Zweck der Forderung nicht vereitelt oder gefährdet (
BGE 115 II 264
E. 3b S. 266) und auch die Rechtsstellung des Schuldners nicht verschlechtert (
BGE 122 III 145
E. 4c S. 149). Namentlich höchstpersönliche Ansprüche sind einer Abtretung nicht zugänglich (
BGE 107 II 465
E. 6b S. 474; FLAVIO LARDELLI, in: Kurzkommentar OR, Heinrich Honsell [Hrsg.], 2008, N. 23 zu
Art. 164 OR
; DANIEL GIRSBERGER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 4. Aufl. 2007, N. 33 zu
Art. 164 OR
).
6.1.1
Mit der Zessionsfähigkeit von Nachzahlungen des Sozialversicherers (meistens Taggelder oder Renten) hat der Gesetzgeber verbindlich entschieden, dass deren Natur einer Abtretung nicht entgegensteht. Der zessionsrechtlich interessierende Charakter von Sozialversicherungsleistungen als zweckgebundenem (vgl.
Art. 20 ATSG
) Einkommensersatz ist im Falle der Nachzahlung ohnehin nicht von Bedeutung, können doch rückwirkend erbrachte Renten oder Taggelder diese Funktion im Gegensatz zu laufenden Leistungen nicht erfüllen (RIEMER-KAFKA, a.a.O., S. 127).
6.1.2
Darüber hinaus lassen es zivilrechtliche Rechtsprechung und Doktrin zu, auch künftige Forderungen in den Schranken von
Art. 27 Abs. 2 ZGB
und
Art. 20 OR
zu zedieren (
BGE 113 II 163
E. 2a S. 165;
BGE 112 II 241
E. 2a S. 243;
BGE 84 II 355
E. 3 S. 366; THEO GUHL UND andere, Das schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl. 2000, S. 269; PETER GAUCH UND ANDERE, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. II, 9. Aufl. 2008, Rz. 3441 ff.). Sowohl der Inhalt der künftigen Forderung, als auch die Person des Schuldners und der Rechtsgrund der Forderung müssen indes genügend bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Mit Bezug auf die Globalzession muss dieses Erfordernis im Zeitpunkt des Entstehens oder der Geltendmachung der Forderung und nicht schon bei der Abgabe der formgültigen Abtretungserklärung erfüllt sein. Hingegen hat die Abtretungserklärung selbst alle Elemente aufzuweisen, welche
BGE 135 V 2 S. 10
die Bestimmung von Inhalt, Schuldner und Rechtsgrund im Zeitpunkt des Entstehens der Forderung erlauben (
BGE 113 II 163
E. 2a, b und c S. 165 ff.). Es besteht kein Grund für eine im Rahmen des
Art. 22 Abs. 2 ATSG
prinzipiell abweichende Betrachtungsweise.
6.2
Wie schon
Art. 85
bis
IVV
bezweckt auch
Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG
die Leistungskoordination zwischen Sozialhilfe und Invalidenversicherungsleistungen (
BGE 132 V 113
E. 3.2.4 S. 118; Urteil I 518/05 vom 14. August 2006 E. 3.2.4, in: SVR 2007 IV Nr. 14 S. 52). Es sollen Doppelzahlungen von Sozialhilfe und Leistungen der Sozialversicherung verhindert werden. Diesem Zweck entsprechend und dem damit einhergehenden gesetzgeberischen Willen, eine Lockerung des Abtretungsverbotes herbeizuführen (Parlamentarische Initiative Sozialversicherungsrecht - Vertiefte Stellungnahme des Bundesrates vom 17. August 1994, BBl 1994 V 938) sowie im Hinblick auf den klaren Wortlaut von
Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG
sind die zivilrechtlichen Abtretungsregeln (E. 6.1.2) im Geltungsbereich der Bestimmung zur Anwendung zu bringen. Dem mit
BGE 118 V 88
aufgestellten Erfordernis des Erkennens der Tragweite der Abtretungserklärung (vgl. E. 5.2.1 hievor) kann demzufolge keine über die zivilrechtlichen Zessionsregeln hinausgehende Bedeutung zukommen. Immerhin sind im Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gewisse Anforderungen an die Bestimmbarkeit der zedierten Forderung zu stellen (vgl. E. 6.1.2 hievor; ADRIAN STAEHELIN, Zur Abtretung künftiger Forderungen, in: Mélanges Pierre Engel, 1989, S. 383). Verlangt ist somit, dass die schriftliche Abtretungserklärung auf die Invalidenrente Bezug nimmt. Auf deren Zeitpunkt kann es schon deswegen nicht ankommen, weil die Sozialhilfebehörde zur Anmeldung der Unterstützten bei der Invalidenversicherung befugt ist (
Art. 66 Abs. 1 IVV
).
6.3
Für die Gültigkeit der Abtretung ist ferner nicht von Belang, ob seitens der Behörde die Sozialhilfeleistungen in subjektiver Kenntnis eines (bereits eingereichten oder später zu stellenden) Antrages um Zusprechung einer Rente der Invalidenversicherung ausgerichtet worden sind (
BGE 131 V 242
E. 5.2 S. 246 f.). Die für
Art. 85
bis
IVV
in diesem Sinn ergangene Rechtsprechung ist auch bei der Anwendung von
Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG
zu beachten, besteht doch kein Anlass, die in den Bestimmungen verwendeten Begriffe der "Vorschussleistung" (
Art. 85
bis
IVV
) und "Vorschusszahlung" (
Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG
) sowie deren rechtliche Bedeutung jeweils anders zu verstehen. Ebenfalls keine Rolle spielt, ob der Versicherte
BGE 135 V 2 S. 11
bei der Unterzeichnung der Abtretung Kenntnis eines bereits bestehenden (aber erst später verfügten) Nachzahlungsanspruches hatte (
BGE 131 V 242
E. 5.2 S. 246 f.). Da die Verrechnung von Nachzahlungen mit Leistungen der Sozialhilfe gestützt auf
Art. 85
bis
IVV
zulässig ist, welche vor der Anmeldung bei der Invalidenversicherung ausgerichtet worden sind - die Sozialhilfe als Vorschussleistung im Sinne von
Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG
demnach noch nicht feststand -, muss ebenso gelten, dass Nachzahlungen abgetreten werden können, um deren Begründetheit der Versicherte bei der Abgabe der Abtretungserklärung noch nicht wusste, sei es, weil die Anmeldung bei der Invalidenversicherung noch nicht erfolgt war, sei es, weil die Abklärungen zur Rentenprüfung noch im Gange waren.
7.
7.1
Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (E. 1.2) hat Z. in den Jahren 2000 und 2005 Zessionen zu Gunsten des Sozialrates Altdorf unterzeichnet. Diese sind mit Bezug auf künftige Rentenleistungen, Ergänzungsleistungen, Arbeitslosengeld usw., mithin als Abtretungen künftiger Sozialversicherungsleistungen ergangen. Es handelt sich dabei um Globalzessionen, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass eine unbestimmte Zahl von (gegenwärtigen oder zukünftigen) Forderungen abgetreten wird (PETER HÄNSELER, Die Globalzession, 1991, S. 20 N. 2; LARDELLI, a.a.O., N. 18 zu
Art. 164 OR
; GIRSBERGER, a.a.O., N. 40 zu
Art. 164 OR
; EUGEN SPIRIG, in: Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1993, N. 47 ff. zu
Art. 164 OR
). Somit richtet sich die Gültigkeit der Abtretung in der hier zu beurteilenden Sache danach, ob die Abtretungserklärung vom 28. Juni 2005 (E. 5.1) alle Elemente enthält, welche die Bestimmung der Nachzahlungsforderung (nach Inhalt, Schuldner und Rechtsgrund) bei deren künftiger Entstehung erlauben (vgl. E. 6.1.2 hievor). Nicht von Bedeutung ist der Zeitpunkt, in welchem der nicht abtretbare Grundanspruch auf die Rente als solche entsteht. Es ist denn auch unter der Geltung von
Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG
weiterhin zwischen dem nicht zessionsfähigen Rentenanspruch und dem der Abtretung zugänglichen Anspruch auf Nachzahlung zu unterscheiden (MEYER-BLASER, a.a.O., S. 283; LARDELLI, a.a.O., N. 12 zu
Art. 164 OR
).
7.2
Gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid hat sich der Versicherte am 16. August 2005 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Eine schriftliche und damit formgültige Abtretungserklärung hatte er bereits am 28. Juni 2005
BGE 135 V 2 S. 12
abgegeben. Ferner sprach ihm die Invalidenversicherung mit Verfügung vom 18. Mai 2006 rückwirkend ab 1. August 2004 eine Invalidenrente zu, wobei sie einen Nachzahlungsbetrag von Fr. 24'118.60 ermittelte. Der abgetretene Nachzahlungsbetrag setzt sich somit aus Rentenleistungen zusammen, die für die Zeit vor und für die Zeit nach der Abtretung vom 28. Juni 2005 geschuldet sind. Insoweit die Forderung - vom Augenblick der Abgabe der Abtretungserklärung aus betrachtet - künftige Rentenbetreffnisse beschlägt, waren der Inhalt, die Schuldnerin und der Rechtsgrund der Nachzahlung bei der Entstehung der Nachzahlungsforderung ohne weiteres bestimmbar. Schuldnerin, Rechtsgrund, Ausmass und Höhe des Leistungsanspruches ergeben sich aus den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen (Art. 28 f., 37 und 48 IVG). Alle diese Elemente waren - auch wenn noch nicht verfügungsweise festgelegt - aufgrund der Zessionserklärung vom 28. Juni 2005 in diesem Zeitpunkt absehbar, bezog sie sich doch ausdrücklich auf künftige Leistungen wie "Renten, Ergänzungsleistungen, Arbeitslosengeld usw.". Damit ist auch der Vorschusscharakter der Sozialhilfeleistungen erstellt (vgl. E. 6.1.2 hievor). Die Rechtsgültigkeit der Abtretung der künftigen Rentenbetreffnisse steht somit fest.
8.
Zu prüfen bleibt die Frage der zeitlichen Kongruenz von Sozialhilfe und IV-Nachzahlung. Gemäss der nicht bestrittenen Feststellung der Vorinstanz hat der Versicherte seit November 2000 Gelder der sozialen Hilfe bezogen. In der Tat sind gemäss Klientenkontoauszug der Sozialbehörde bis zum 30. April 2006 Leistungen ausgewiesen. Die Nachzahlung von Rentenleistungen betrifft die Zeit vom 1. August 2004 bis 30. April 2006. Bei der während dieser Periode bezogenen Sozialhilfe handelt es sich folglich um Vorschusszahlungen im Sinne von
Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG
(vgl.
BGE 131 V 242
E. 5.2 in fine S. 246 f.). Da der durch die Sozialbehörde gewährte Betrag denjenigen des Nachzahlungsbetreffnisses übersteigt, hat die Beschwerdeführerin Anspruch darauf, dass ihr die gesamten nachzuzahlenden Rentenleistungen in der Höhe von Fr. 24'118.60 ausgerichtet werden. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c018ea74-b084-42b5-a2df-20686a4d66b6 | Urteilskopf
105 V 50
13. Auszug aus dem Urteil vom 17. April 1979 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Eggenberger und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn | Regeste
Art. 39 Abs. 1 AHVG
und
Art. 55quater Abs. 1 AHVV
.
Ein Versicherter, der unwidersprochen Rentenzahlungen entgegennimmt, hat durch konkludentes Verhalten auf den Rentenaufschub verzichtet und deshalb sein Wahlrecht verwirkt. | Erwägungen
ab Seite 50
BGE 105 V 50 S. 50
Aus der Erwägungen:
2.
...
a) Nach
Art. 39 Abs. 1 AHVG
können Personen, die Anspruch auf eine ordentliche Altersrente haben, den Rentenbezug mindestens ein Jahr und höchstens fünf Jahre aufschieben und innerhalb dieses Zeitraums die Rente nach freier Wahl im voraus von einem bestimmten Monat an abrufen. Gemäss
Art. 55quater Abs. 1 AHVV
beginnt die Aufschubsdauer bei Männern vom ersten Tag des der Vollendung des 65. Altersjahres folgenden Monats an zu laufen. Der Aufschub ist innert eines Jahres vom Beginn der Aufschubsdauer an schriftlich zu erklären.
b) Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob dem Versicherten, als er in seiner Beschwerde an die Vorinstanz erstmals förmlich um Rentenaufschub nachsuchte, das Wahlrecht noch offenstand.
BGE 105 V 50 S. 51
Während nach Auffassung der Vorinstanz - und entgegen der Rz 49 des Kreisschreibens des Bundesamtes für Sozialversicherung über den Aufschub der Altersrenten, gültig ab 1. November 1969 - das Aufschubsbegehren auch nach erfolgter Anmeldung binnen der Jahresfrist des Art. 55quater Abs. 1 gestellt werden kann, geht das Bundesamt für Sozialversicherung anscheinend davon aus, dass die Wahlerklärung spätestens mit der Anmeldung zum Rentenbezug abzugeben ist. Damit stellt sich das Bundesamt allerdings seinerseits in Gegensatz zum erwähnten Kreisschreiben, nach dessen Rz 52 erst der Eintritt der Rechtskraft der Rentenverfügung einem nachträglichen Aufschubsbegehren entgegenstehen würde. Wie es sich damit verhält, braucht indessen im vorliegenden Fall nicht näher geprüft zu werden, da das Verhalten des Versicherten von der Anmeldung weg darauf schliessen liess, dass er von der Möglichkeit eines Rentenaufschubs keinen Gebrauch machen wollte und er sein Wahlrecht jedenfalls dadurch verwirkt hat, dass er während längerer Zeit und unwidersprochen die Rentenzahlungen entgegennahm.
In seiner Anmeldung vom 9. Februar 1977 hat der Versicherte die unter Ziff. 14 gestellte Frage, ob ein Rentenaufschub verlangt werde, zwar offengelassen, unter Ziff. 15 aber angegeben, auf welches Postcheckkonto er die Überweisung der Rente wünscht. Bei dieser Sachlage durfte die Kasse davon ausgehen, dass der Versicherte die Frage des Rentenaufschubes versehentlich offengelassen hatte und, wie der grösste Teil der Rentner, von der Aufschubsmöglichkeit keinen Gebrauch machen wollte. Armin Eggenberger macht allerdings geltend, er sei durch eine behördliche Auskunft zu diesem Vorgehen veranlasst worden und der Meinung gewesen, das Begehren noch später stellen zu können. Sollte er tatsächlich falsch informiert worden sein, so hätte er spätestens im Zeitpunkt der ersten Rentenauszahlung auf den Irrtum aufmerksam werden und die Annahme der Rente konsequenterweise verweigern müssen. Das hat er indessen nicht getan und das Bundesamt für Sozialversicherung sieht darin zu Recht ein konkludentes Verhalten, welches einer Willensäusserung in der Frage des Rentenaufschubs gleichkommt.
Es stünde im Widerspruch zu Sinn und Zweck der gesetzlichen Aufschubsregelung, wenn ein Versicherter die Möglichkeit hätte, einerseits eine Rente zu beziehen und sich andrerseits
BGE 105 V 50 S. 52
das Wahlrecht vorzubehalten. Wie das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 98 V 257
festgehalten hat, beinhaltet die bei Rentenaufschub eintretende Erhöhung der Rente (
Art. 39 Abs. 2 AHVG
) nicht nur den Gegenwert der Leistungen, auf die ein einzelner Rentner vorher verzichtet hat, sondern auch einen durchschnittlichen Anteil an den Beträgen, die infolge Hinschieds anderer Rentenbezüger innerhalb der Aufschubsdauer nicht ausbezahlt worden sind. Aus diesem Grunde wurde die Wahlmöglichkeit zwischen Nachzahlung einer aufgeschobenen Rente und Zuschlag ausgeschlossen. Die gleichen versicherungstechnischen Überlegungen führen dazu, dass mit Beginn des Rentenbezugs das Aufschubsrecht dahinfallen muss. Andernfalls hätte es nämlich ein Rentenbezüger in der Hand, mit der Ausübung seines Wahlrechts bis kurz vor Ablauf der 1jährigen Frist gemäss Art. 55quater Abs. 1 zuzuwarten, um, falls er diesen Zeitpunkt erlebt, gegen Anbietung der bisher bezogenen Leistungen in den Genuss einer aufgeschobenen, höheren Rente zu gelangen. Gerade dies will aber der Versicherte, wie seinem Schreiben vom 28. Januar 1978 an die Ausgleichskasse entnommen werden kann. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c01d5cca-0344-4b60-95df-ec7de00ca91b | Urteilskopf
120 Ib 129
18. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. Juni 1994 i.S. Abdil I. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 17 Abs. 2 letzter Satz ANAG und
Art. 8 EMRK
; Erlöschen des Anspruchs auf Aufenthaltsbewilligung eines Ausländers, der mit einer in der Schweiz niedergelassenen Ausländerin verheiratet ist.
Die Voraussetzungen des Erlöschens sind weniger streng als im Fall des ausländischen Ehegatten eines Schweizers oder einer Schweizerin (in Anwendung von
Art. 7 ANAG
); die Verweigerung einer Bewilligung muss aber verhältnismässig sein (E. 4).
Verhältnismässigkeitsprüfung im zu beurteilenden Fall unter Berücksichtigung des Dualismus von strafrechtlichen Sanktionen und fremdenpolizeilichen Massnahmen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 130
BGE 120 Ib 129 S. 130
Der 1967 geborene türkische Staatsangehörige Abdil I. heiratete im August 1989 in der Türkei die 1968 geborene Landsmännin Guelses K., welche seit August 1983 in der Schweiz lebt und hier inzwischen eine Niederlassungsbewilligung erhalten hatte. Am 10. Januar 1990 reiste der Ehemann, dem im Rahmen des Familiennachzugs eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde, in die Schweiz ein. Aus der Ehe ging am 28. Oktober 1990 der Sohn C. hervor.
Am 9. Juli 1992 befand das Bezirksgericht Hinwil Abdil I. der Notzucht schuldig und bestrafte ihn mit 18 Monaten Zuchthaus sowie mit Landesverweisung für die Dauer von fünf Jahren. Der Vollzug der Freiheitsstrafe und der Landesverweisung wurde bei einer Probezeit von drei Jahren aufgeschoben.
Mit Verfügung vom 13. Januar 1993 wies die Fremdenpolizei des Kantons Zürich ein Gesuch von Abdil I. um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab. Ein dagegen erhobener Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich blieb erfolglos.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 24. Februar 1994 an das Bundesgericht beantragt Abdil I., der regierungsrätliche Entscheid vom 12. Januar 1994 sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich sowie das Bundesamt für Ausländerfragen schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
a) Nach Art. 17 Abs. 2 letzter Satz ANAG (SR 142.20; in der Fassung vom 23. März 1990, in Kraft seit dem 1. Januar 1992; AS 1991 1034 und 1043) erlischt der Anspruch des Ausländers auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung, wenn er gegen die öffentliche Ordnung verstossen hat. Die Voraussetzung für ein Erlöschen des Anspruches ist weniger streng als im Fall des ausländischen Ehegatten eines Schweizers oder einer Schweizerin, bei dem gemäss Art. 7 Abs. 1 letzter Satz ANAG (AS 1991 1042) ein Ausweisungsgrund vorliegen muss und unter Beachtung der Kriterien von
Art. 16 Abs. 3 ANAV
(SR 142.201) - Schwere des Verschuldens, Dauer der Anwesenheit, persönliche und familiäre Nachteile - eine Verhältnismässigkeitsprüfung nach
Art. 11 Abs. 3 ANAG
stattzufinden hat
BGE 120 Ib 129 S. 131
(vgl. ZBl 93/1992, S. 569, E. 2a). Nach
Art. 17 Abs. 2 ANAG
genügt demgegenüber bereits ein Verstoss gegen die öffentliche Ordnung. Zwar muss auch in diesem Falle die Verweigerung der Bewilligungsverlängerung nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts verhältnismässig sein; da aber bereits geringere öffentliche Interessen für ein Erlöschen des Anspruchs genügen, sind auch die entgegenstehenden privaten Interessen weniger stark zu gewichten als bei einer Ausweisung (unveröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 24. Januar 1994 in Sachen P., vom 9. Februar 1994 in Sachen Z. und vom 23. Februar 1994 in Sachen T.).
b) Nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
ist ein Eingriff in das von Ziff. 1 dieser Bestimmung geschützte Rechtsgut statthaft, insoweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und Moral sowie der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei der von der Konvention geforderten Abwägung zwischen den sich gegenüberstehenden privaten und öffentlichen Interessen ist unter anderem zu fragen, ob den nahen Familienangehörigen zugemutet werden kann, dem Ausländer, der keine Bewilligung erhält, ins Ausland zu folgen. Die Zumutbarkeit der Ausreise für nahe Familienangehörige eines Ausländers ist umso eher zu bejahen, als sein Verhalten seinen Aufenthalt in der Schweiz als unerwünscht erscheinen lässt (
BGE 116 Ib 353
E. 3d). Eine allfällige Unzumutbarkeit der Ausreise ist mitabzuwägen, führt aber nicht für sich allein zur Unzulässigkeit einer Bewilligungsverweigerung (
BGE 116 Ib 353
E. 3f).
5.
a) Der Beschwerdeführer wurde wegen Notzucht strafrechtlich zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Noch vor der Vorinstanz hat er allerdings geltend gemacht, er sei zu Unrecht verurteilt worden, da der Geschlechtsverkehr nicht gegen den Willen des Opfers stattgefunden habe. Das Strafurteil blieb jedoch unangefochten und erwuchs in Rechtskraft; es ist darauf abzustellen. Der Beschwerdeführer hat somit klarerweise gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstossen. Sein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ist damit erloschen. Zu prüfen bleibt, ob die daraus folgende Verweigerung der Bewilligung auch verhältnismässig ist.
BGE 120 Ib 129 S. 132
b) Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verfehlung wiegt schwer. Daran ändert auch nichts, dass das Bezirksgericht Hinwil das Verschulden in seinem Strafurteil insbesondere wegen des massgeblichen Einflusses des Mittäters des Beschwerdeführers ein wenig relativierte, indem es dieses "unter gebührender Berücksichtigung der Beweggründe, des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse ... als recht schwer" bezeichnete. Mit dieser Beurteilung hat das Bezirksgericht eine Würdigung vorgenommen, die in besonderem Masse auf die persönlichen Umstände abstellt. Dennoch erachtete es das Verschulden des Beschwerdeführers noch immer als gravierend. Unabhängig davon konnte das Gericht allerdings den Vollzug der angeordneten Freiheitsstrafe sowie der ausgesprochenen Landesverweisung aufschieben, indem es das Schwergewicht auf die günstige Prognose für künftiges Wohlverhalten legte. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verfolgen strafrechtliche und fremdenpolizeiliche Massnahmen jedoch unterschiedliche Zwecke. Bei der Festsetzung der Strafe wie auch bei der Landesverweisung hat der Strafrichter die persönliche Situation des Verurteilten sowie seine Resozialisierungschancen zu berücksichtigen. Für die Landesverweisung ist namentlich die Frage entscheidend, ob die Schweiz oder das Heimatland die günstigeren Voraussetzungen für eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft bietet. Demgegenüber steht für die Fremdenpolizeibehörden das Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Vordergrund. Sie haben eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, woraus sich ein im Vergleich mit den Straf- und Strafvollzugsbehörden strengerer Beurteilungsmassstab ergibt (ZBl 93/1992, S. 569, E. 2d;
BGE 114 Ib 1
E. 3).
Fremdenpolizeilich besonders ins Gewicht fällt, dass der Beschwerdeführer an einem Gewaltdelikt beteiligt war und sich von einer Drittperson zur Vornahme einer Straftat beeinflussen liess. Damit stellt er nach wie vor eine grosse Gefahr für die hiesige öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, selbst wenn er sich seit Begehung der Straftat wohlverhalten haben sollte. Bei dieser Sachlage besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse, ihn von der Schweiz fernzuhalten.
c) Der Beschwerdeführer wuchs in der Türkei auf und reiste im Alter von knapp 23 Jahren in die Schweiz ein. Straffällig wurde er bereits nach nur einjähriger Anwesenheit. Sein gesamter hiesiger Aufenthalt dauert erst rund viereinhalb Jahre. Im Anschluss an die Straftat verlor er seine Arbeitsstelle; seither bezieht er Arbeitslosenunterstützung. Er hat Schulden in erheblicher Grössenordnung. Aufgrund all dieser Umstände kann
BGE 120 Ib 129 S. 133
er selbst dann, wenn er bei einem geregelten Anwesenheitsverhältnis wieder Arbeit erhalten sollte, nicht als gut integriert gelten.
Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist grösstenteils in der Türkei aufgewachsen. Im Alter von rund 15 Jahren gelangte sie in die Schweiz und lebt nunmehr seit bald zwölf Jahren hier. Ihre Eltern und Geschwister halten sich ebenfalls hier auf. Ihr Arbeitgeber stellt ihr ein gutes Zeugnis. Darüber hinaus erscheint aber als fraglich, ob sie auch in persönlicher Hinsicht integriert ist. Wie es sich damit genau verhält, kann jedoch offenbleiben. Angesichts ihrer Herkunft ist ihr eine Rückreise in die Türkei, auch wenn diese mit gewissen wirtschaftlichen und persönlichen Schwierigkeiten verbunden wäre, nicht unzumutbar. Auch der Sohn befindet sich noch in einem anpassungsfähigen Alter. Der Beschwerdeführer hätte sich im übrigen bereits früher darüber klar werden können, dass er eine Verantwortung seiner Familie gegenüber trägt.
d) Eine Gesamtwürdigung des vorliegenden Falles führt zum Schluss, dass die privaten Interessen an einer Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung vor dem öffentlichen Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers von der Schweiz zurückzutreten haben. Die schwere Delinquenz und die Beeinflussbarkeit des Beschwerdeführers lässt weitere Straftaten befürchten. Dieses Risiko kann auch unter Berücksichtigung der nachteiligen Auswirkungen einer Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung auf die persönliche und familiäre Situation des Beschwerdeführers nicht hingenommen werden.
Der angefochtene Entscheid hält somit vor
Art. 17 Abs. 2 ANAG
und
Art. 8 EMRK
stand. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c01e361f-9691-4673-a2c7-b4583022af62 | Urteilskopf
84 I 89
14. Urteil vom 14. Mai 1958 i.S. Kuhn gegen Regierungsrat des Kantons St. Gallen. | Regeste
Kantonale Abgaben.
1. Nach einem feststehenden allgemeinen Rechtsgrundsatz dürfen öffentliche Abgaben nur erhoben werden, wenn eine gesetzliche Grundlage dafür besteht (Erw. 2).
2. Vorschriften über die Erhebung einer Gebühr für die Bewilligung zum Hausieren gestatten nicht, eine solche Abgabe auch für den Betrieb von Warenverkaufsautomaten zu erheben (Erw. 3).
3. Gewohnheitsrecht als Grundlage für die Erhebung einer öffentlichen Abgabe? (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 90
BGE 84 I 89 S. 90
A.-
Nach Art. 26 des st. gallischen Gesetzes über den Marrktverkehr und das Hausieren vom 28. Juni 1887 erlässt der Regierungsrat die zum Vollzug dieses Gesetzes notwendige Verordnung. Die am 8. Mai 1942 erlassene Vollzugsverordnung (VV) bestimmt in Art. 16:
"Der Betrieb von automatischen Apparaten, durch welche Waren an öffentlichen Orten, Wirtschaften, Bahnhöfen usw. verkauft werden, ist ebenfalls patentpflichtig.
Die Gebühr beträgt Fr. 10.- bis Fr. 120.-- pro Jahr und Apparat."
Entsprechende Besitmmungen, jedoch mit anderen Gebührenansätzen, waren schon in den Vollzugsverordnungen vom 3. Juli 1903 und vom 31. Dezember 1920 enthalten.
B.-
Der Beschwerdeführer Jean Kuhn betreibt eine Kolonialwarenhandlung in St. Margrethen. Im Jahre 1957 stellte er in dieser Gemeinde auf privatem Grund einen Warenverkaufsautomaten auf. Die Gemeindeverwaltung teilte ihm am 23. August 1957 mit, dass dieser Automat patentpflichtig sei, und verlangte auf Grund des zitierten Art. 16 VV eine Gebühr für den Staat sowie eine gleich hohe Gebühr für die Gemeinde. Kuhn erhob hiegegen beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung der Gebührenauflage und auf Feststellung, dass für Warenautomaten auf Privatgrund keine Patentgebühren geschuldet seien. Zur Begründung machte er vor allem geltend, dass Art. 16 VV keine gesetzliche Grundlage habe und im vorliegenden Falle übrigens auch deshalb nicht anwendbar sei, weil sich der Automat nicht an einem öffentlichen Ort, sondern auf Privatgrund befinde.
Der Regierungsrat wies die Beschwerde durch Beschluss vom 28. Februar 1958 ab, im wesentlichen aus folgenden Gründen:
1. Nach der Praxis der Bundesbehörden zu
Art. 31 BV
seien die Kantone befugt, die Aufstellung von Warenautomaten einer polizeilichen Aufsicht sowie einer Besteuerung, die allerdings nicht prohibitiv sein dürfe, zu unterwerfen.
BGE 84 I 89 S. 91
Der Beschwerdeführer stelle dies nicht in Abrede, bestreite aber, dass im Kanton St. Gallen die erforderliche gesetzliche Grundlage vorhanden sei. Der Wortlaut des Gesetzes vom 28. Juni 1887 und des Nachtragsgesetzes vom 31. Dezember 1894 erfasse in der Tat die Warenautomaten nicht. Nach dem Sinn dieser Gesetze seien jedoch die ausserordentlichen, vom normalen Ladenverkauf abweichenden Verkaufsarten einer besonderen Aufsicht und Besteuerung zu unterwerfen. Im Hmnblick auf diesen Sinnzusammenhang zwischen Hausierhandel und Warenautomaten habe der Regierungsrat bereits im Jahre 1927 eine Beschwerde gegen die Patentpflicht für Automaten abgewiesen (St. gall. Verwaltungspraxis Bd. II Nr. 701).
2. Wenn man trotz dieses Sinnzusammenhangs in den erwähnten Gesetzen keine genügende Grundlage für Art. 16 VV erblicke, so habe die Patentpflicht jedenfalls eine gewohnheitsrechtliche Grundlage.
a) Das Gewohnheitsrecht sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts auch im Gebiete des öffentlichen Rechts als Rechtsquelle anerkannt, wenn auch im Hinblick auf die Rechtssicherheit grosse Zurückhaltung geboten sei. Das st. gall. Gesetz von 1887 über den Hausierhandel und das Nachtragsgesetz von 1894 seien, von der Erhöhung der Patenttaxen abgesehen, trotz der seitherigen wirtschaftlichen Entwicklung nie revidiert worden, was der Entstehung von Gewohnheitsrecht von vorneherein günstig gewesen sei. In den Vollzugsverordnungen seien die Warenautomaten seit 1903 patentpflichtig erklärt worden. Der im Jahre 1935 aufgestellte Entwurf eines neuen Warenhandelsgesetzes habe die Patentpflicht ausdrücklich vorgesehen; das Volk habe dieses Gesetz zwar verworfen, jedoch nicht wegen der Patentpflicht für Automaten, die nicht umstritten gewesen sei.
b) Die Voraussetzungen für die Entstehung von Gewohnheitsrecht seien erfüllt. Eine Praxis von nahezu 55 Jahren genüge auch den strengsten Anforderungen, zumal da die Patentpflicht nicht nur vereinzelt, sondern von Jahr
BGE 84 I 89 S. 92
zu Jahr in einer Mehrzahl von Fällen zur Anwendung gelangt sei und durch Aufnahme in die Vollzugsverordnung die allgemein verbindlichen Erlassen eigene generelle Wirkung und Publizität erhalten habe. Ebenso sei die erforderliche Rechtsüberzeugung gegeben. Der Regierungsrat habe sich seit 1903 als zur Anordnung der Patentpflicht befugt erachtet, und die Betroffenen hätten, von einer vereinzelten Bestreitung im Jahre 1927 abgesehen, die Patentpflicht anerkannt, indem sie Bewilligungen einholten und die Gebühren bezahlten. Dazu komme, dass die Patenttaxen aus Warenautomaten seit Jahrzehnten einen Bestandteil der Staats- und Gemeindeeinnahmen bildeten und ihre Erhebung, unter der stillschweigenden Voraussetzung ihrer Rechtmässigkeit, indirekt in den jährlichen Budgetbeschlüssen des Grossen Rates gutgeheissen worden sei. Der Einwand, dass das Gewohnheitsrecht auf dem Gebiete der Besteuerung nicht neues Recht schaffen könne, wäre unbehelflich, da es hier um die ausdehnende Anwendung der in der Hausiergesetzgebung aufgestellten Patentpflicht gehe.
3. Der Beschwerdeführer bestreite die Patentpflicht auch deshalb, weil sein Automat auf privatem Boden stehe. Art. 16 VV treffe jedoch zu, sobald ein Automat an einem jedermann zugänglichen Orte stehe.
C.-
Gegen diesen Entscheid hat Jean Kuhn staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er macht geltend, die von ihm verlangte Steuer für den Warenautomaten habe keine gesetzliche Grundlage, sei deshalb willkürlich und verletze
Art. 4 BV
. Ferner wirft er dem Regierungsrat Verletzung der Art. 27, 47, 65 und 101 KV vor. Die Begründung dieser Rügen ist, soweit notwendig, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
D.-
Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Art. 16 VV erklärt den Betrieb von Warenverkaufsautomaten für patentpflichtig (Abs. 1) und setzt die
BGE 84 I 89 S. 93
dafür zu entrichtende Gebühr auf Fr. 10.- bis Fr. 120.-- pro Jahr und Apparat fest (Abs. 2). Die Frage der Patentpflicht, d.h. ob Art. 16 Abs. 1 VV verfassungsmässig sei, ist nicht Gegenstand der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde. Diese richtet sich ausschliesslich gegen die Gebühr, die gestützt auf Art. 16 Abs. 2 VV vom Beschwerdeführer verlangt wird für den Betrieb des Automaten, den er in St. Margrethen aufgestellt hat.
2.
Die Höhe dieser Gebühr ist den Akten nicht zu entnehmen. Indessen behauptet der Beschwerdeführer nicht, sie überschreite den Rahmen von Art. 16 Abs. 2 VV. Es ist daher davon auszugehen, dass sie zwischen je Fr. 10.- bis Fr. 120.-- für den Staat und für die Gemeinde beträgt. Ob es sich dabei um eine Gebühr im Rechtssinne d.h. um ein Entgelt für eine Tätigkeit der Verwaltung, oder um eine (Gewerbe-) Steuer handle, braucht nicht geprüft zu werden. Sie stellt jedenfalls keine blosse Kanzleitaxe dar und darf daher nur erhoben werden, wenn eine gesetzliche Grundlage dafür besteht. Das wird vom Regierungsrat mit Recht nicht bestritten. Der Grundsatz, dass ein den Bürger belastender Verwaltungsakt nicht ohne gesetzliche Grundlage erlassen werden darf (
BGE 65 I 300
), gilt im Rechtsstaat allgemein und wird namentlich mit Bezug auf Steuern und andere öffentliche Abgaben von Bundesgericht in ständiger Praxis gehandhabt (
BGE 33 I 390
,
BGE 56 I 514
,
BGE 67 I 26
/27,
BGE 80 I 327
), und zwar nicht nur da, wo er ausdrücklich in kantonalen Verfassungen aufgestellt wird (
BGE 52 I 213
/4,
BGE 82 I 27
/28). Es handelt sich um einen feststehenden allgemeinen Rechtsgrundsatz, dessen Missachtung einen Verstoss gegen
Art. 4 BV
bildet.
Der Regierungsrat behauptet nicht, dass ihm eine selbständige Rechtsverordnungskompetenz zusehe, die ihn zum Erlass von Art. 16 Abs. 2 VV berechtigt habe. Er leitet die Befugnis dazu aus der in § 26 des Gesetzes von 1887 über den Marktverkehr und das Hausieren enthaltenen Ermächtigung zum Erlass der zum Vollzug notwendigen Verordnung ab und beruft sich für den Fall,
BGE 84 I 89 S. 94
dass dieses Gesetz als Grundlage nicht genügen sollte, auf Gewohnheitsrecht.
3.
Das Gesetz von 1887 regelt den Marktverkehr und das Hausieren und umschreibt in Art. 4 (ergänzt durch Art. 7 des Nachtragsgesetzes von 1894) im einzelnen diejenigen Formen der Gewerbeausübung, die als Hausieren zu gelten haben und für welche daher die in Art. 16 des Gesetzes festgesetzten Patenttaxen zu entrichten sind. Da der Warenverkauf durch Automaten dabei nicht erwähnt wird, kann sich Art. 16 Abs. 2 VV jedenfalls nicht auf den Wortlaut des Gesetzes stützen. Der Regierungsrat bestreitet das nicht, glaubt aber, sich auf den Sinn des Gesetzes berufen zu können, der - wie er behauptet - über den Wortlaut hinaus dahin gehe, die ausserordentlichen, vom gewöhnlichen Ladenverkauf abweichenden Verkaufsarten einer besondern Aufsicht und Besteuerung zu unterwerfen. Dieser Standpunkt erweist sich indessen als unhaltbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist zwar die ausdehnende Auslegung auch im Steuerrecht anwendbar (
BGE 72 I 310
,
BGE 76 I 210
) und darf eine Vollzugsverordnung das Gesetz sinngemäss ergänzen, wo dieses stillschweigt oder eine Lücke enthält (
BGE 64 I 315
und dort zitierte Urteile). Indessen liegt darin, dass ein Steuergesetz gewisse Tatbestände, die Anlass zur Besteuerung geben können, nicht erwähnt, keine Lücke, die durch eine Vollzugsverordnung ausgefüllt werden könnte. Die in Art. 4 des Gesetzes von 1887 enthaltene Aufzählung der als Hausieren zu betrachtenden Arten der Gewerbeausübung muss, jedenfalls was die Besteuerung betrifft, als abschliessend gelten und kann nur den Sinn haben, dass sich die Abgabepflicht auf diese Tatbestände beschränkt. Auch bei weitester Auslegung gestattet das Gesetz nicht, den Warenverkauf durch Automaten, der mit den in Art. 4 genannten Tätigkeiten keinerlei Ähnlichkeit aufweist, zu besteuern. Die Berufung des Regierungsrates auf das einen Spielapparat betreffende Urteil des Bundesgerichts vom 22. Dezember 1954 i.S. Willimann (
BGE 80 I 350
ff.) ist unbehelflich.
BGE 84 I 89 S. 95
Es ging dort nicht um die Besteuerung eines solchen Apparates, sondern um das Verbot, damit um Geld zu spielen, und die Befugnis des Regierungsrates zum Erlass dieses Verbotes konnte, wie das Bundesgericht in der (nicht veröffentlichten) Erwägung 3 a ausgeführt hat, aus verschiedenen, weit gefassten Gesetzesbestimmungen abgeleitet werden. Art. 16 Abs. 2 VV wäre nur rechtsbeständig, wenn der darin wie schon in den entsprechenden Bestimmungen der Vollzugsverordnungen von 1903 und 1920 enthaltene Grundsatz der Gebührenpflicht für Warenverkaufsautomaten als Gewohnheitsrecht gelten könnte.
4.
Wie das Bundesgericht in
BGE 83 I 247
unter Hinweis auf frühere Urteile ausgeführt hat, ist das Gewohnheitsrecht grundsätzlich auch auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts als Rechtsquelle anzuerkennen. Dabei ist jedoch, wie dort und schon früher (
BGE 73 I 345
/6) hervorgehoben wurde, grosse Zurückhaltung geboten, was unter anderm bedeutet, dass an die Voraussetzungen für die Entstehung von Gewohnheitsrecht, d.h. an die Regelmässigkeit und lange Dauer der Übung und an die ihr zugrunde liegende Rechtsüberzeugung, strenge Anforderungen zu stellen sind. Die Urteile, in denen das Bundesgericht das Bestehen eines Gewohnheitsrechts im öffentlichen Recht bejaht oder doch in Erwägung gezogen hat, betreffen sodann vorwiegend andere Teile dieses Rechtsgebietes. Im Steuerrecht wurden gewohnheitsrechtliche Normen, soweit ersichtlich, nur in zwei Fällen anerkannt. Einmal hat die staatsrechtliche Kammer im (amtlich nicht publizierten, aber in MBVR 1 S. 470 ff. abgedruckten) Urteil vom 6. Februar 1901 i.S. AG Hotels Thunerhof und Bellevue eine die Vorschrift eines kantonalen Steuergesetzes über die Bemessungsperiode abändernde, die Steuerpflichtigen aber nicht benachteiligende, mehr als 30-jährige Praxis als gewohnheitsrechtlich gelten lassen, während in einem ähnlichen Falle (nicht veröffentl. Urteil vom 16. September 1948 i.S. Wild) eine erst 7-jährige Praxis als ungenügend bezeichnet wurde; sodann hat die verwaltungsrechtliche
BGE 84 I 89 S. 96
Kammer in
BGE 56 I 37
ff. eine durch die Praxis eingeführte Ausdehnung des Anspruchs auf Rückerstattung bezahlter Militärsteuerbeträge als gewohnheitsrechtlichen Bestandteil des Bundesrechtes anerkannt. Ob auch steuerrechtliche Pflichten des Bürgers durch Gewohnheitsrecht begründet und neue Steuern durch solches eingeführt werden können, was BLUMENSTEIN (Steuerrecht S. 23/24 und System S. 13) mit Nachdruck bestreitet, wurde noch nie entschieden und erscheint als zweifelhaft. Die Gründe, welche die Zulassung ergänzenden Gewohnheitsrechts auch im Gebiete des öffentlichen Rechts rechtfertigen, nämlich das Bestehen einer (echten) Lücke im Gesetz und das unabweisliche Bedürfnis nach einer Regelung (vgl.
BGE 73 I 346
, FLEINER, Institutionen S. 87), dürften, soweit der Bestand oder Umfang von Abgabepflichten in Frage steht, kaum je gegeben sein und treffen jedenfalls vorliegend nicht zu, da die gesetzliche Ordnung, wie bereits in Erw. 3 ausgeführt wurde, keine Lücke enthält. Ob gleichwohl wenigstens ohne Willkür angenommen werden könnte, eine Abgabe wie die streitige Patentgebühr auf Warenverkaufsautomaten könne auf Grund eines Gewohnheitsrechts erhoben werden, braucht nicht entschieden zu werden, da an die Bildung solchen Gewohnheitsrechts besonders strenge Anforderungen zu stellen wären, die im vorliegenden Falle nicht erfüllt sind.
Der Betrieb von Warenverkaufsautomaten wurden im Kanton St. Gallen erstmals in der VV von 1903 patent- und gebührenpflichtig erklärt. Seither haben die Behörden die Erfüllung dieser Pflichten in ständiger Praxis verlangt und auch in allen Fällen durchgesetzt; eine einzige Beschwerde hat der Regierungsrat im Jahre 1927 abgewiesen (st. gall. Verwaltungspraxis Bd. II Nr. 701). Eine so lange Übung dürfte, was die Dauer betrifft, für die Bildung von Gewohnheitsrecht selbst dann genügen, wenn wie hier die Begründung einer Abgabepflicht in Frage steht. Auch eine noch so gefestigte und langjährige Übung erzeugt jedoch nur Gewohnheitsrecht, wenn die Rechtsüberzeugung
BGE 84 I 89 S. 97
hinzutritt; auf diese kommt es entscheidend an (
BGE 83 I 248
/9 und dort zitiertes Schrifttum; EGGER N. 28 zu
Art. 1 ZGB
).
Die Entstehung von Gewohnheitsrecht auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts setzt voraus, dass nicht nur die rechtsanwendenden Behörden, sondern auch die vom angewandten Grundsatz Betroffenen davon überzeugt sind, dass dieser auch wirrklich Recht ist (PETERS, Lehrbuch der Verwaltung S. 80). Für die Bildung von Gewohnheitsrecht als Grundlage einer Abgabepflicht kann das jedoch nicht genügen, sondern muss verlangt werden, dass die Rechtsüberzeugung bei der ganzen Rechtsgemeinschaft oder doch bei einem beträchtlichen Teil derselben besteht (vgl. FORSTHOFF, Verwaltungsrecht, 6. Auflage S. 132, wo für das Gewohnheitsrecht im Verwaltungsrecht generell eine "von der Allgemeinheit getragene Rechtsüberzeugung" verlangt wird). Das ist im vorliegenden Falle nicht dargetan. Wie sich aus den mit der Beschwerdeantwort vorgelegten Aufstellungen des st. gall. Patentamtes ergibt, gab es bis vor kurzem nur einige wenige Abgabepflichtige. So waren in den Jahre 1935-1951 im Durchschnitt zwar jährlich 77 Warenverkaufsautomaten der Patent- und Gebührenpflicht unterworfen, von denen jedoch 72 der Schweiz. Automatengesellschaft AG in Bern und nur 5 vereinzelten andern Firmen gehörten; erst seit 1952 d.h. in einem für die Bildung von Gewohnheitsrecht ausser Betracht fallenden Zeitraum, hat die Zahl dieser Firmen starrk zugenommen, bis 1957 auf 200. Waren demnach noch während der 17-jährigen Periode von 1935-1951 nur 6 Firmen, darunter an erster Stelle eine nicht im Kanton St. Gallen niedergelassene Unternehmung, von der Abgabepflicht betroffen, so war, selbst wenn Art. 16 Abs 2 VV von allen als verbindlich betrachtet wurde, diese Rechtsüberzeugung zu wenig verbreitet, um ein Gewohnheitsrecht zu begründen. Dafür, dass die erforderliche Rechtsüberzeugung in weiteren Kreisen bestanden hätte, fehlen genügende Anhaltspunkte, zumal da ein Entwurf
BGE 84 I 89 S. 98
für ein neues Warenhandelsgesetz, der die Abgabepflicht ausdrücklich vorsah, im Jahre 1938 von der Mehrheit der Stimmberechtigten verworfen worden ist. Der Umstand, dass die Vollzugsverordnungen des Regierungsrates jeweils in der Gesetzessammlung publiziert worden sind, vermag eine Rechtsüberzeugung der Allgemeinheit ebensowenig darzutun wie die Aufnahme der Patentgebühren in das jährlich dem Grossen Rat vorgelegte Staatsbudget.
5.
Ist demnach der regierungsrätliche Entscheid, durch den die vom Beschwerdeführer bestrittene Abgabepflicht bestätigt wurde, mangels gesetzlicher Grundlage wegen Verletzung von
Art. 4 BV
aufzuheben, so braucht nicht geprüft zu werden, ob die weiteren, vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen begründet wären.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 28. Februar 1958 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c02412c1-6aef-4da7-9980-3e164c1ac937 | Urteilskopf
123 III 204
35. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Juni 1997 i.S. A. X. gegen Privatklinik Y. AG (Berufung) | Regeste
Vertragsverletzung; Genugtuung; Verjährung (
Art. 49 OR
,
Art. 60 Abs. 1 OR
und
Art. 127 OR
).
Selbständige Genugtuungsansprüche von Angehörigen verjähren grundsätzlich nach
Art. 60 Abs. 1 OR
, auch wenn die Ansprüche des Direktgeschädigten gegenüber dem Haftpflichtigen der vertragsrechtlichen Verjährung gemäss
Art. 127 OR
unterliegen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 204
BGE 123 III 204 S. 204
B. X. befand sich seit dem 23. Oktober 1986 bei ihrem Hausarzt in Behandlung. Ab Mai 1987 litt sie mit zeitweiliger Besserung an Depressionen. Am 27. Dezember 1988 suchte sie zusammen mit ihrem Ehemann unangemeldet ihren Hausarzt auf und äusserte dabei
BGE 123 III 204 S. 205
Selbstmordgedanken. Der Arzt wies sie daraufhin wegen akuter Suizidgefahr notfallmässig in die Privatklinik Y. AG (nachstehend Beklagte) in Q. ein. Dort wurde sie in der offenen Abteilung in einem Einzelzimmer im 2. Stock des "C.hauses" untergebracht. Am Morgen des 29. Dezember 1988 stürzte sie sich aus dem Fenster ihres Zimmers. Sie erlitt dabei einen Halswirbelbruch mit Durchtrennung des Rückenmarks u-nd ist seither als Tetraplegikerin zu 100% invalid.
Am 16. August 1994 klagten B. X. und ihr Ehemann A. X. beim Appellationshof des Kantons Bern gegen die Beklagte auf Zahlung von Schadenersatz und Genugtuung in einem Fr. 15'000.-- übersteigenden Betrag nebst Zins an die Verletzte sowie Zahlung einer Genugtuungssumme von Fr. 40'000.-- nebst Zins an den Zweitkläger. Mit Urteil vom 10. Mai 1996 bejahte der Appellationshof im Sinne eines selbständigen Zwischenentscheides die grundsätzliche Haftung der Beklagten gegenüber der Erstklägerin für die Folgen des Vorfalles vom 29. Dezember 1988 und wies gleichzeitig die Klage des Zweitklägers infolge Verjährung ab.
Das Bundesgericht weist die Berufung des Zweitklägers ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz hat die Haftung der Beklagten gegenüber der Erstklägerin aus Vertragsverletzung bejaht. So sei die Beklagte ihren Sorgfaltspflichten insoweit nicht nachgekommen, als sie die Patientin in einem Einzelzimmer im 2. Stock des "C.hauses" einquartiert habe, obwohl die Unterbringung in einem Gebäude, welches über Zimmer mit geschlossenen Fenstern verfügt, möglich gewesen wäre. Zumindest hätte die Erstklägerin in einem Doppelzimmer oder einem im Hochparterre des "C.hauses" gelegenen Zimmer untergebracht werden können. Des weiteren habe das Pflegepersonal, welches über die Suizidalität der Patientin teilweise nicht informiert gewesen sei, ungenügend reagiert, als diese am Unfallmorgen am offenen Fenster auf dem erhöhten Sims sitzend vorgefunden worden sei.
Bezüglich der Genugtuungsforderung des Zweitklägers stellte die Vorinstanz fest, dass die einjährige Verjährungsfrist gemäss
Art. 60 Abs. 1 OR
spätestens mit der Zustellung der IV-Rentenverfügung vom 22. Juni 1990 zu laufen begonnen habe, mithin die klageweise erhobenen Ansprüche offensichtlich verjährt seien. Die längere
BGE 123 III 204 S. 206
strafrechtliche Verjährungsfrist gemäss
Art. 60 Abs. 2 OR
erachtete die Vorinstanz als nicht anwendbar, da eine strafrechtlich relevante Sorgfaltspflichtverletzung durch den damaligen Chefarzt gutachterlich ausgeschlossen und die gegen ihn durchgeführte Voruntersuchung eingestellt worden sei.
2.
Mit seiner Berufung rügt der Zweitkläger die Anwendung der einjährigen Verjährungsfrist gemäss
Art. 60 Abs. 1 OR
als bundesrechtswidrig. Da die Beklagte gegenüber der direktgeschädigten Erstklägerin aus Vertrag hafte, gelte auch für seine Genugtuungsforderung die zehnjährige Verjährungsfrist gemäss
Art. 127 OR
.
a) In seiner neueren Rechtsprechung hat das Bundesgericht einen selbständigen Genugtuungsanspruch von Ehegatten und Nachkommen bejaht, deren Partner bzw. Elternteil durch eine unerlaubte Handlung oder eine Vertragsverletzung schwer invalid geworden ist, soweit diese nächsten Angehörigen dadurch in ihren persönlichen Verhältnissen gleich oder schwerer betroffen werden als im Falle der Tötung (
BGE 112 II 220
E. 2 und 226 E. 3;
BGE 116 II 519
E. 2; 117 II E. 3;
BGE 122 III 5
E. 2). Wird der Haftpflichtige aus unerlaubter Handlung belangt, so ist auch auf die selbständigen Genugtuungsansprüche der Angehörigen die längere strafrechtliche Verjährungsfrist von
Art. 60 Abs. 2 OR
anwendbar (
BGE 122 III 5
E. 2d S. 9).
Die Vorinstanz hat die Anwendbarkeit von
Art. 60 Abs. 2 OR
unter Hinweis auf die Einstellung des Strafverfahrens gegen den seinerzeitigen Chefarzt der Beklagten verneint. Zu Recht wird dies in der Berufung nicht beanstandet (vgl.
BGE 106 II 213
E. 3 S. 216). Da seitens des Zweitklägers bezüglich des Genugtuungsanspruchs bis zur Klageeinleitung keine verjährungsunterbrechenden Handlungen erfolgten, kann er seinen in Streit gesetzten Anspruch nur durchsetzen, wenn dieser nach
Art. 127 OR
verjährt.
b) Die Verjährungsfrist von zehn Jahren gemäss
Art. 127 OR
gilt für alle Forderungen, für welche das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt. Genugtuungsforderungen bei Tötung oder schwerer Körperverletzung eines Angehörigen stützen sich auf Art. 47 bzw.
Art. 49 OR
. Diese Bestimmungen stehen im Abschnitt über die Entstehung von Forderungen aus unerlaubter Handlung, für welche
Art. 60 Abs. 1 OR
eine von
Art. 127 OR
abweichende Regelung trifft. Der Anspruch auf Genugtuung wird in dieser Verjährungsbestimmung auch ausdrücklich genannt.
Auch Vertragsverletzungen können einen Genugtuungsanspruch begründen. Die besonderen Voraussetzungen von
Art. 49 OR
(Schwere der Verletzung und Fehlen eines anderweitigen
BGE 123 III 204 S. 207
Ausgleichs) müssen auch in diesem Fall erfüllt sein (
BGE 87 II 143
E. 5b und 290 E. 4;
BGE 102 II 211
E. 9 S. 224; MERZ, in: SPR VI/1, S. 241 ff.; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, 3. Aufl., Bd. I, S. 127; GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl., Rz. 2634 und 2798; REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, Rz. 476). Für den Genugtuungsanspruch des Vertragspartners gilt die Verjährungsfrist gemäss
Art. 127 OR
(
BGE 87 II 155
E. 3a S. 159;
BGE 80 II 256
ff.; GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., Rz. 3431; a.M. KELLER/GABI, Das Schweizerische Schuldrecht, Bd. II, Haftpflichtrecht, 2. Aufl., S. 122).
Streitgegenstand der Berufung bildet indes nicht der Genugtuungsanspruch der Vertragspartnerin der Beklagten, sondern von deren Ehemann. In
BGE 64 II 200
ff. hat das Bundesgericht bezüglich des Anspruchs auf Versorgerschaden und Genugtuung festgehalten, dass die Hinterbliebenen des Getöteten aus dem Vertragsverhältnis zwischen diesem und dem Verantwortlichen für sich keine Ansprüche ableiten können, sondern sich diese einzig auf
Art. 45 und
Art. 47 OR
stützen (E. 1). Auch in
BGE 72 II 311
ff. hat das Bundesgericht die genannten Ansprüche der Angehörigen ausschliesslich aus unerlaubter Handlung abgeleitet (E. 3). Nachdem die Frage der Verjährung in beiden Fällen nicht zu beurteilen war, hat das Bundesgericht dann in
BGE 81 II 547
ff. für den Versorgerschaden und die Genugtuung der Angehörigen auch im Fall, dass zwischen dem Getöteten und dem Verantwortlichen ein Vertragsverhältnis bestand, ausschliesslich die Verjährungsbestimmung gemäss
Art. 60 OR
als anwendbar erklärt (E. 3). Der angefochtene Entscheid folgt dieser Rechtsprechung.
c) Nach Auffassung des Klägers hat das Bundesgericht mit
BGE 122 III 5
ff. eine verjährungsrechtliche Akzessorietät zwischen dem Genugtuungsanspruch von Angehörigen eines Schwerstverletzten und dem Hauptanspruch des Direktgeschädigten bejaht. Hafte diesem jemand aus Vertrag, so unterstehe auch die Verjährung der Genugtuungsansprüche seiner Angehörigen der vertragsrechtlichen Regelung. Dieser Argumentation kann indes nicht gefolgt werden. Im zitierten Entscheid bildete einzig die Anwendbarkeit der längeren strafrechtlichen Verjährungsfrist gemäss
Art. 60 Abs. 2 OR
auf den Anspruch der Angehörigen Verfahrensgegenstand. Auch diese Bestimmung bildet wie
Art. 60 Abs. 1 OR
Teil der Verjährungsregeln für Deliktsansprüche. Eine verjährungsrechtliche Akzessorietät zum Anspruch des Direktgeschädigten kann aus diesem Entscheid
BGE 123 III 204 S. 208
allerdings nicht abgeleitet werden. Gegenteils wird - gerade auch im Hinblick auf die Frage der massgeblichen Verjährungsfrist - der eigenständige Charakter des Anspruchs von Angehörigen und seine Geltendmachung aus eigenem Recht ausdrücklich hervorgehoben (
BGE 122 III 5
E. 2a S. 7). Die Anwendbarkeit von
Art. 60 Abs. 2 OR
wurde im wesentlichen damit begründet, dass die Ansprüche der Angehörigen auf die gleiche strafbare Handlung zurückzuführen seien wie jene des Direktgeschädigten. Damit gelte auch für diese, dass der Zivilanspruch nicht vor dem Strafanspruch verjähren soll, auch wenn sich der Strafanspruch gegen den Verantwortlichen auf die dem Direktgeschädigten zugefügte Körperverletzung oder dessen Tötung und nicht auf die Beeinträchtigung der Angehörigen in ihren persönlichen Verhältnissen beziehe. Eine verjährungsrechtliche Abhängigkeit des einen Zivilanspruchs vom andern lässt sich daraus nicht ableiten.
d) Ob die Verjährungsbestimmungen der ausservertraglichen oder der vertraglichen Haftung auf die eigenständigen Ansprüche der Angehörigen anzuwenden sind, wenn der Verantwortliche gegenüber dem Direktgeschädigten aus Vertrag haftet, ist in der neueren Lehre allerdings umstritten. BREHM (Berner Kommentar, N. 13 zu
Art. 60 OR
) und OFTINGER/STARK (Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. II/1, 4. Aufl., S. 106) befürworten bezüglich des Versorgerschadens auch in diesem Fall die Anwendung von
Art. 60 OR
. Im gleichen Sinne, jedoch ohne ausdrückliche Stellungnahme zur Verjährung, leiten auch von TUHR/ESCHER (a.a.O., Bd. II, S. 102 und S. 109 Anm. 101) selbst bei Vorliegen eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Direktgeschädigten und dem Haftpflichtigen die Ansprüche der Angehörigen und Hinterbliebenen ausschliesslich aus unerlaubter Handlung ab. Ebenfalls mit der deliktischen Verjährungsregelung argumentieren jene Autoren, welche die Anwendung von
Art. 127 OR
- im Gegensatz zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung - ohnehin auf Schadenersatzansprüche wegen Nicht- oder verspäteter Erfüllung beschränken, die Ansprüche aus Schlechterfüllung bzw. positiver Vertragsverletzung hingegen generell und somit auch die Genugtuungsansprüche des Direktgeschädigten
Art. 60 OR
unterstellen (JÄGGI, Zum Begriff der vertraglichen Schadenersatzforderung, in: Festgabe für WILHELM SCHÖNENBERGEr, Fribourg 1968, S. 195; WERNER SCHWANDER, Die Verjährung ausservertraglicher und vertraglicher Schadenersatzforderungen, Diss. Fribourg 1963, S. 137 ff.). In die gleiche Richtung weisen auch die Ausführungen von SPIRO (Die Begrenzung privater Rechte durch die
BGE 123 III 204 S. 209
Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bern 1975, Bd. I § 295, S. 691 ff. und § 297, S. 699 ff.) und PATRICK BEAUVERD (L'action des proches en réparation de la perte de soutien et du tort moral, Diss. Fribourg 1987, S. 172). Nach GAUCH/SCHLUEP (a.a.O., Rz. 3432) sollen Ansprüche aus Versorgerschaden und Genugtuungsforderungen der Angehörigen, die sich von einer Vertragsverletzung herleiten, nach
Art. 127 OR
verjähren. HANS-ULRICH BRUNNER (Die Anwendung deliktsrechtlicher Regeln auf die Vertragshaftung, Diss. Fribourg 1991, Nr. 290 ff. und 502 ff.) unterwirft den Versorgerschaden und den Genugtuungsanspruch der Angehörigen bei Bestehen eines Vertragsverhältnisses den Regeln der Vertragshaftung; auf den Genugtuungsanspruch aus einer Vertragsverletzung wendet auch er ausdrücklich die vertragsrechtlichen Verjährungsregeln an (HANS-ULRICH BRUNNER, a.a.O., Nr. 515), wobei er sich aber ausschliesslich auf Entscheide über den eigenen Anspruch des Verletzten beruft. HÜTTE/DUKSCH (Die Genugtuung, 3. Aufl., Zürich 1996, S. I/92) wollen - unter irrtümlicher Berufung auf
BGE 122 III 5
ff. - bei den Genugtuungsansprüchen der Angehörigen von Schwerstverletzten für die Verjährung auf den Hauptanspruch (gemeint ist wohl der Anspruch des Direktgeschädigten) abstellen. ALFRED KELLER (Haftpflicht im Privatrecht, Bd. I, 5. Aufl., Bern 1993 S. 386 ff. und Bd. II, Bern 1987, S. 224 ff.) tritt einerseits beim Versorgerschaden in Kritik der bundesgerichtlichen Rechtsprechung für eine vertragsrechtliche Verjährung ein. Für den eigenständigen Genugtuungsanspruch der Angehörigen von Schwerstverletzten bejaht er indes die Verjährung nach
Art. 60 OR
(ALFRED KELLER, a.a.O, Band II, S. 142 ff.). TERCIER (Le nouveau droit de la personnalité, Zürich 1984, N. 1945 ff. und N. 2062) berücksichtigt für den Schadenersatz- und den Genugtuungsanspruch bei Persönlichkeitsverletzungen ausschliesslich die deliktsrechtlichen Verjährungsregeln, ohne einen Vorbehalt für den Fall des Bestehens eines Vertragsverhältnisses zwischen Schädiger und Geschädigtem anzubringen. RICHARD FRANK (Persönlichkeitsschutz heute, Zürich 1983, S. 189 ff.) unterwirft demgegenüber die Ansprüche aus Persönlichkeitsverletzung der vertragsrechtlichen Verjährung, wenn die Persönlichkeitsverletzung eine nicht gehörige Vertragserfüllung darstellt.
e) Die Rechtsnatur des Genugtuungsanspruchs ist vom Gesetzgeber nicht eindeutig festgelegt worden. Nach ihrer Funktion schafft die Genugtuung einen Ausgleich für die erlittene immaterielle Unbill. Vor diesem Hintergrund erscheint
Art. 49 OR
nicht als eine selbständige Haftungsnorm, sondern nur als Rechtsregel für die
BGE 123 III 204 S. 210
Bemessung der aus anderen Gesetzesbestimmungen abgeleiteten Haftpflicht (BREHM, a.a.O., N. 15 zu
Art. 47 OR
; REY, a.a.O., Nr. 479; THOMAS SUTTER, Voraussetzungen der Haftung bei Verletzung der Persönlichkeit nach Art. 49 des revidierten Obligationenrechts, in: BJM 1991 S. 10; gegen den blossen Charakter der Genugtuung als "zusätzlicher Wagen am Schadenersatzzug" OFTINGER/STARK, a.a.O., Bd. I, S. 436 Anm. 82). In diesem Sinne ist auch für den Genugtuungsanspruch ein Verschulden erforderlich, wenn sich ein allfälliger Schadenersatzanspruch aus einer culpa-Haftung ableitet, während bei einer Kausalhaftung für die Genugtuung kein Verschulden vorausgesetzt ist (
BGE 115 II 156
E. 2 S. 158 mit Hinweisen). Der Anspruch auf Genugtuung bei Vertragsverletzung gründet ebenfalls auf dieser Überlegung (vgl. E. 2b hievor). Anderseits sieht
Art. 49 OR
ausdrücklich den Anspruch auf Genugtuung bei widerrechtlicher Persönlichkeitsverletzung vor, sofern die Schwere der Verletzung dies rechtfertigt und sie keine anderweitige Wiedergutmachung erfährt. Mit der Ableitung aus der Verletzung der Persönlichkeit als einem absoluten Recht und den genannten weiteren Erfordernissen erhält der Anspruch einen über die blosse Funktion einer Bemessungsnorm hinausgehenden eigenständigen Charakter (vgl. THOMAS SUTTER, a.a.O., S. 10 mit Hinweisen).
Art. 47 OR
, der die Genugtuung bei Tötung und Körperverletzung regelt, ist unter diesem Gesichtspunkt nur ein Anwendungsfall der allgemeinen Regel von
Art. 49 OR
(
BGE 116 II 733
E. 4f S. 735) im Sinne einer Spezialnorm, welche für die dort nicht erfassten Sachverhalte, insbesondere die Beeinträchtigung der Lebensführung der Angehörigen eines Schwerinvaliden, den unmittelbaren Rückgriff auf
Art. 49 OR
nicht ausschliesst (vgl. OFTINGER/STARK, a.a.O., Bd. I, S. 449, Anm. 122).
Der Genugtuungsanspruch der Angehörigen von Schwerstverletzten hat einen eigenständigen Charakter und gründet in der Verletzung der eigenen Persönlichkeit der Angehörigen (
BGE 112 II 220
ff.; gl.M. für den Fall der Tötung: PATRICK BEAUVERD, a.a.O., S. 81 mit Hinweisen). Den Angehörigen stehen hingegen bei Körperverletzung keine selbständigen Schadenersatzansprüche zu; die von ihnen geleisteten Aufwendungen und erlittenen finanziellen Nachteile sind über den Schadenersatzanspruch des Direktgeschädigten auszugleichen (JEAN-FRANÇOIS EGLI, De la réparation accordée à la famille du défunt et de l'invalide en responsabilité civile, in: Problèmes de droit de la famille, Neuchâtel 1987, S. 57 ff.). Damit hat ihr eigenständiger Genugtuungsanspruch den Charakter eines
BGE 123 III 204 S. 211
Anspruchs aus unerlaubter Handlung, was verjährungsrechtlich zur Anwendung von
Art. 60 OR
führt. Die Eigenständigkeit des Anspruchs zeigt sich auch darin, dass die diesbezügliche Verfügungsberechtigung ausschliesslich den Angehörigen zukommt und ein vom Direktgeschädigten erklärter Verzicht oder abgeschlossener Vergleich ihnen nicht entgegengehalten werden kann (
BGE 84 II 292
E. 6 S. 300 für den Genugtuungsanspruch der Angehörigen bei Tötung). Dasselbe gilt bezüglich der Möglichkeit zur Verrechnung; ein gegenüber dem Direktgeschädigten ergangenes Zivilurteil entfaltet gegenüber den eigenen Ansprüchen der Angehörigen auch keinerlei Rechtskraft.
f) Vor diesem Hintergrund vermag das Bestehen eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Haftpflichtigen und dem Direktgeschädigten die Unterstellung der Genugtuungsansprüche der Angehörigen unter die vertragliche Verjährung nicht zu rechtfertigen. Dies würde auch gegen den Grundsatz der Relativität von Verträgen verstossen, nach welchem sich nur die Vertragspartner auf den Bestand eines Vertragsverhältnisses berufen und bei Missachtung vertraglicher Pflichten Schadenersatz aus Vertragsverletzung verlangen können. Auch bei der Drittschadensliquidation (vgl. GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., Rz. 2685 ff. mit Hinweisen), auf welche die Befürworter der vertragsrechtlichen Verjährungsfrist verweisen (HANS-ULRICH BRUNNER, a.a.O., Nr. 294; GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., Rz. 2697), wird der Schaden vom Vertragspartner selbst geltend gemacht; eine Ausnahme ergibt sich dabei nur bezüglich des Grundsatzes, dass nur der im Vermögen des Gläubigers entstandene Schaden zu ersetzen ist. Die Genugtuung beanspruchenden Angehörigen eines Schwerstverletzten machen demgegenüber ihre eigene erlittene seelische Unbill geltend. Um ihnen dafür Ausgleich zu verschaffen, bietet
Art. 49 OR
eine genügende Rechtsgrundlage und ist die Berücksichtigung eines allfälligen Vertragsverhältnisses zwischen dem Verantwortlichen und dem Direktverletzten nicht erforderlich. Damit besteht auch kein zwingender Grund, für die Modalitäten dieses Genugtuungsanspruchs auf das Vertragsverhältnis abzustellen, bei welchem der Anspruchsberechtigte nicht Partei ist. Stehen der Haftpflichtige und der Direktgeschädigte in einem Vertragsverhältnis, so ist die als Vertragsverletzung zu qualifizierende Körperverletzung nur die Ursache der gegenüber den Angehörigen bewirkten Persönlichkeitsverletzung (BREHM, a.a.O., N. 75 zu
Art. 49 OR
). Die Besonderheiten der Ursachen einer Verletzung eines absoluten Rechts vermögen indessen die Modalitäten des aus dieser Verletzung begründeten Rechts
BGE 123 III 204 S. 212
nicht zu beeinflussen. Im übrigen könnte die Anwendung der vertragsrechtlichen Haftungsbestimmungen wohl auch nicht auf die Frage der Verjährung beschränkt werden, sondern müsste auch jene der Haftung für Hilfspersonen (
Art. 101 OR
) erfassen.
Für die Anwendung der vertragsrechtlichen Verjährungsregeln auf den Genugtuungsanspruch der Angehörigen wird angeführt, dass andernfalls für die Ansprüche der Angehörigen und des Direktgeschädigten ein unterschiedliches Verjährungsregime gelten würde (HANS-ULRICH BRUNNER, a.a.O., Nr. 296). Dieser Unterschied liegt indes darin begründet, dass ein Vertragsverhältnis nur zum Direktgeschädigten besteht. Zudem vermag jeder Anspruchsberechtigte seinen Genugtuungsanspruch selbständig geltend zu machen. Wenn auch in praxi ein gemeinsames Vorgehen häufig vorkommen oder sogar die Regel bilden mag, so reicht dieser Umstand nicht aus, um den eigenständigen Anspruch der Angehörigen einer anderen Verjährungsregelung als derjenigen zu unterstellen, welche sich aufgrund der Rechtsnatur des Anspruchs ergibt. Wenn sodann geltend gemacht wird, aus derselben (unerlaubten) Handlung entstünden diesfalls Ansprüche mit unterschiedlicher Verjährungsdauer (vgl. ALFRED KELLER, a.a.O., Bd. I, S. 386), so tritt diese Situation auch in Fällen der Anspruchskonkurrenz (dazu
BGE 113 II 246
E. 3; GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., Rz. 2909 ff., 2914) ein, ohne dass deswegen generell die Modalitäten der einzelnen Ansprüche einander angeglichen würden.
Entgegen der Auffassung verschiedener Autoren (ALFRED KELLER, a.a.O., Bd. I, S. 386; HANS-ULRICH BRUNNER, a.a.O., N. 296) kann auch nicht von einer Privilegierung der Tötung gegenüber der Körperverletzung gesprochen werden. Untersteht der Genugtuungsanspruch der Angehörigen auch bei Bestand eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Haftpflichtigen und dem Direktgeschädigten der Verjährung gemäss
Art. 60 OR
, so gilt dies sowohl im Falle der Tötung (
BGE 81 II 547
E. 3 S. 553) wie auch bei schwerer Körperverletzung. Der genannte Einwand bezieht sich demgegenüber auf einen Vergleich zwischen dem Anspruch des Direktgeschädigten aus Körperschaden und dem Anspruch der Angehörigen aus Versorgerschaden bei Tötung im Falle, dass zwischen dem Haftpflichtigen und dem Direktgeschädigten ein Vertragsverhältnis bestand. Diese Ansprüche unterscheiden sich indes schon in ihrer Rechtsnatur und ihrem Inhalt grundlegend.
Die Übertragung der im Verhältnis zum Direktgeschädigten allenfalls anwendbaren vertragsrechtlichen Verjährung auf den
BGE 123 III 204 S. 213
Genugtuungsanspruch der Angehörigen lässt sich auch nicht damit begründen, dass diese sich auch das Mitverschulden des Direktgeschädigten entgegenhalten lassen müssen. Wie das Bundesgericht in
BGE 117 II 50
ff. klargestellt hat, wird dieses Mitverschulden nicht den Angehörigen als Selbstverschulden angerechnet, sondern nur als Drittverschulden im Rahmen von
Art. 44 OR
berücksichtigt (E. 4a/bb), da nicht einzusehen ist, weshalb den Haftpflichtigen für die von den Angehörigen erlittene seelische Unbill eine weitergehende Belastung treffen sollte als für jene des Direktgeschädigten.
g) Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass keine stichhaltigen Gründe bestehen, bei Bestand eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Haftpflichtigen und dem Direktgeschädigten die eigenständigen Genugtuungsansprüche der Angehörigen ebenfalls der vertragsrechtlichen Verjährung zu unterstellen. Entsprechend ihrem Charakter als Anspruch aus unerlaubter Handlung unterstehen sie auch in diesem Fall der Verjährung gemäss
Art. 60 OR
. Dies gilt sowohl bei schwerer Körperverletzung wie auch bei Tötung des Direktgeschädigten. Auf den Genugtuungsanspruch eines Angehörigen findet die vertragsrechtliche Verjährungsfrist nur Anwendung, wenn er ausnahmsweise selbst - wie allenfalls bei der ärztlichen Behandlung eines Kindes (
BGE 116 II 519
ff.) - Vertragspartner ist und ein Vertrag zugunsten Dritter vorliegt (OFTINGER/STARK, a.a.O., Bd. I, S. 686/687). Die Anwendung der einjährigen Verjährungsfrist gemäss
Art. 60 Abs. 1 OR
auf den Genugtuungsanspruch des Zweitklägers durch die Vorinstanz ist somit bundesrechtlich nicht zu beanstanden. | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c02acfa4-2a50-400c-8e66-9bc1c7124229 | Urteilskopf
102 Ib 50
10. Urteil vom 14. Mai 1976 i.S. Eidg. Steuerverwaltung gegen Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und X. | Regeste
Wehrsteuer: Kapitalgewinn (Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB).
Die Voraussetzungen für einen steuerfreien Übergang stiller Reserven können nicht nur erfüllt sein, wenn ein ganzer Betrieb oder ein Betriebsteil zu den Buchwerten übertragen wird, sondern auch, wenn eine Geschäftsliegenschaft zum bisherigen Buchwert ohne Realisation der in diesem Wirtschaftsgut steckenden stillen Reserven auf einen buchführungspflichtigen Betrieb übergeht und keine Anhaltspunkte für eine Steuerumgehung bestehen. | Sachverhalt
ab Seite 50
BGE 102 Ib 50 S. 50
Mit Kaufvertrag vom 3. Februar 1969 veräusserte der Beschwerdegegner X. die seinem Einzelunternehmen gehörende Fabrikliegenschaft in N. an die X.-AG, welche diese Gebäulichkeiten bereits seit Jahren benützte, zum damaligen Buchwert von Fr. 240'000.--. X. besass im Zeitpunkt der Transaktion 85% der Aktien der X.-AG. Nach Schätzung der Steuerbehörden hat die übertragene Liegenschaft einen Verkehrswert von Fr. 671'000.--. Die kantonale Wehrsteuerverwaltung betrachtete die Differenz zwischen dem Buchwert und dem Verkehrswert als steuerbaren Kapitalgewinn gemäss Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB und bezog den so errechneten
BGE 102 Ib 50 S. 51
Gewinn in die Wehrsteuerveranlagung für die 16. Periode ein. Im Einspracheverfahren wurde die Veranlagung geschützt; dagegen drang X. mit seiner Beschwerde beim kantonalen Verwaltungsgericht durch. Dieses reduzierte die angefochtene Veranlagung um den einbezogenen Kapitalgewinn. Gegen diesen Entscheid erhebt die Eidg. Steuerverwaltung (EStV) Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei die Veranlagung des Beschwerdegegners X. gemäss Einspracheentscheid wiederherzustellen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Der zu beurteilende Vorgang ist in tatsächlicher Hinsicht unbestritten: Die Einzelfirma X. hat gegen Vergütung des Buchwertes von Fr. 240'000.-- eine Fabrikliegenschaft mit einem Verkehrswert von Fr. 671'000.-- auf die X. AG übertragen. In die Buchhaltung der Erwerberin wurde die Liegenschaft ebenfalls mit Fr. 240'000.-- aufgenommen.
Das übertragene Wirtschaftsgut enthält bei diesem Procedere vor und nach der Transaktion stille Reserven in der Grössenordnung der Differenz zwischen Buchwert und Verkehrswert (Fr. 431'000.--).
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hält eine steuerfreie Übertragung dieser stillen Reserven für zulässig. Es bezeichnet den Vorgang als wehrsteuerrechtlich erfolgsneutral, weil die stillen Reserven im Falle einer Veräusserung oder Verwertung durch die X. AG besteuert würden. Die EStV betrachtet die Übertragung der Liegenschaft von der Einzelfirma auf die Aktiengesellschaft als eine Realisation der in diesem Wirtschaftsgut steckenden stillen Reserven, welche daher als Kapitalgewinn gemäss Art. 21 Abs. 1 lit. b WStB zu versteuern seien.
2.
Steuerlich anerkannte stille Reserven sind mit der Einkommens- oder Ertragssteuer zu erfassen, sobald sie realisiert werden. Die in Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB gegebene Umschreibung der steuerbaren Kapitalgewinne mit den Begriffen "Veräusserung" und "Verwertung" ("réalisation", "realizzazione") vermag die für die Besteuerung stiller Reserven entscheidende Grenze nicht klar aufzuzeigen. Steuerrechtslehre und -praxis anerkennen, dass es zahlreiche Formen der Veräusserung und Verwertung von Geschäftsvermögen gibt,
BGE 102 Ib 50 S. 52
die keine steuerlich beachtlichen Realisationsvorgänge darstellen (KÄNZIG, N. 99 ff. zu Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB; MASSHARDT, Kommentar WStB 1971-1982, S. 202 f.); insbesondere löst der Übergang einer Einzelfirma auf eine Personen- oder Kapitalgesellschaft keine Steuerpflicht für die vorhandenen stillen Reserven aus, wenn das Geschäftsvermögen zu den Buchwerten übertragen wird. Auch beim erbrechtlichen Geschäftsübergang oder bei der Übertragung eines Betriebes auf Rechnung künftiger Erbschaft hat ordentlicherweise eine Besteuerung der vorhandenen stillen Reserven zu unterbleiben, sofern nicht durch eigentliche Veräusserung, Verwertung oder buchmässige Aufwertung die stillen Reserven ganz oder teilweise realisiert werden. Ähnlich verhält es sich bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung. Der schenkungsweise Übergang von Geschäften, Geschäftsanteilen oder betrieblichen Einheiten zu den Buchwerten kann nach einhelliger Auffassung steuerfrei erfolgen (KÄNZIG, N. 104 zu Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB; MASSHARDT, S. 204). Hingegen wird in der Doktrin ohne weitere Begründung festgestellt, dass das Verschenken einzelner Gegenstände des Geschäftsvermögens einen steuerlich beachtlichen Realisationsvorgang darstelle und dass daher die auf einem Schenkungsobjekt vorhandenen Mehrwerte vom Schenkenden zu versteuern seien. In der Rechtsprechung ist die Aufgabe eines buchführungspflichtigen Unternehmens und die Weiterführung des Betriebes in kleinerem Umfang (ohne Buchführungspflicht) wehrsteuerrechtlich als Verwertung qualifiziert und zum Anlass für die Besteuerung der stillen Reserven genommen worden (ASA 28 S. 502 und 511), obschon diese Änderung nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht ohne weiteres unter den Begriff der Verwertung fällt.
3.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der für stille Reserven geltende Besteuerungsaufschub wegfällt und die vorhandenen Werte steuerlich zu erfassen sind, wird in Doktrin und Praxis für eine Reihe typischer Tatbestände erörtert. Wie die eben erwähnten Beispiele zeigen, haben sich dabei einzelne Regeln herausgebildet. Die eigentlichen Gründe für die getroffenen Unterscheidungen lassen sich aber nicht immer leicht erkennen.
a) Zwei Gesichtspunkte treten jedoch sowohl in den Entscheidungen als auch in den wissenschaftlichen Stellungnahmen immer wieder als massgebende Kriterien hervor:
BGE 102 Ib 50 S. 53
aa) Der Besteuerungsaufschub ist sachlich begründet, solange die stillen Reserven weiterhin dem Geschäftsbetrieb dienen, auch wenn dieser seine rechtliche Form durch Umwandlung, Fusion oder Betriebsspaltung wesentlich geändert hat. Übertragungen haben zum Buchwert zu erfolgen.
Dispositionen, welche formell diese Voraussetzung erfüllen, aber materiell offensichtlich dazu dienen, die stillen Reserven für den bisherigen Eigentümer verfügbar zu machen - wie insbesondere die Umwandlung einer Einzelfirma in eine Aktiengesellschaft zum Zwecke des nachherigen Verkaufs der Aktien (vgl. ASA 38 S. 497, 42 S. 400; KÄNZIG, N. 100 zu Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB) - werden jedoch als Steuerumgehung qualifiziert, d.h. die übertragenen stillen Reserven werden als realisiert betrachtet und besteuert (kritisch hiezu SCHÄRRER, in Steuer-Revue 1968 S. 482 f.).
bb) Transaktionen zum Buchwert sind zudem stets nur dann wehrsteuerrechtlich erfolgsneutral und die stillen Reserven dürfen steuerfrei übertragen werden, wenn der übernehmende Betrieb ebenfalls buchführungspflichtig ist und die übertragenen stillen Reserven folglich bei einer künftigen Realisation (durch Veräusserung, Verwertung, Aufwertung oder Liquidation) unvermindert als Kapitalgewinn gemäss Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB erfasst werden können.
Wird ein Wirtschaftsgut, das stille Reserven enthält, hingegen in einen Bereich überführt, in welchem die Einkommens- bzw. Ertragsbesteuerung nicht mehr möglich ist (z.B. vom Geschäftsvermögen ins Privatvermögen), so stellt dies eine Realisation der vorhandenen stillen Reserven dar, welche die Besteuerung zur Folge haben muss.
b) Diese beiden Gesichtspunkte erlauben eine folgerichtige und sachgerechte Begrenzung des Besteuerungsaufschubs. Die bisherige Praxis beruht weitgehend auf diesen Kriterien, auch wenn dies nicht durchwegs deutlich zum Ausdruck kommt.
So wird etwa aufgrund der beiden Kriterien die oben kurz dargelegte Behandlung der Schenkung von Vermögenswerten eines buchführungspflichtigen Unternehmens erklärbar. Die Regel, der schenkungsweise Übergang eines ganzen Betriebes oder Betriebsteiles sei wehrsteuerfrei möglich, die Schenkung einzelner Objekte eines Geschäftsbetriebes aber stelle eine zu besteuernde Realisation der im Schenkungsobjekt enthaltenen stillen Reserven dar, bedarf allerdings der Präzisierung: Nicht
BGE 102 Ib 50 S. 54
ob das Objekt der Schenkung einen Betrieb oder eine selbständige Betriebseinheit darstellt, ist im Grunde für die Steuerfreiheit der Übertragung stiller Reserven entscheidend, sondern es muss darauf abgestellt werden, ob das geschenkte Gut samt den stillen Reserven zum Buchwert wieder in ein buchführungspflichtiges Unternehmen kommt, sodass die übertragenen stillen Reserven weiterhin die gleiche wirtschaftliche Funktion haben und im Zeitpunkt einer effektiven Realisierung beim neuen Eigentümer steuerlich erfasst werden können. Diese Voraussetzungen einer steuerfreien Übertragung stiller Reserven sind natürlich am ehesten erfüllt, wenn ein ganzer Betrieb (mit Aktiven und Passiven) oder ein Betriebsteil zu den Buchwerten übertragen wird. Aber auch der Übergang einer Geschäftsliegenschaft zum bisherigen Buchwert ohne Realisation der in diesem Wirtschaftsgut steckenden stillen Reserven kann die Voraussetzung der Steuerfreiheit erfüllen, sofern der übernehmende Betrieb buchführungspflichtig ist.
c) Aufgrund der beiden oben umschriebenen Voraussetzungen des fortgesetzten Besteuerungsaufschubs - Beibehaltung der wirtschaftlichen Funktion, Wahrung der Besteuerungsmöglichkeit einer spätern Realisation - lassen sich auch jene Fälle ohne weiteres erklären, in denen nach der Praxis stille Reserven besteuert werden müssen, obschon eine "Veräusserung" oder eine eigentliche "Verwertung" nicht erfolgt: Wird ein buchführungspflichtiges Unternehmen verkleinert und als nicht mehr buchführungspflichtiger Betrieb weitergeführt, so entfällt damit die Möglichkeit der Besteuerung der künftigen Kapitalgewinne durch Realisation der übertragenen stillen Reserven. Die im Geschäftsvermögen vorhandenen stillen Reserven gehen bei dieser Änderung in einen Bereich über, in dem sie wehrsteuerrechtlich nicht mehr erfasst werden können. Dieser Übergang ist daher eine wehrsteuerrechtlich beachtliche Verwertung. - Der gleiche Grundgedanke führt auch zur Besteuerung der sogenannten Privatentnahme, der Überführung von Werten des Geschäftsvermögens ins Privatvermögen.
4.
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdegegner ein Vermögensobjekt samt den darauf bestehenden stillen Reserven zum Buchwert auf eine von ihm beherrschte Aktiengesellschaft
BGE 102 Ib 50 S. 55
übertragen. Damit sind die stillen Reserven nicht realisiert worden, sie behalten im Rahmen der Geschäftstätigkeit der Erwerberin ihre bisherige wirtschaftliche Funktion. Vor allem aber bleibt die Besteuerungsmöglichkeit im Falle einer künftigen Realisierung unvermindert bestehen. Ob die Fabrikliegenschaft als selbständige betriebliche Einheit betrachtet werden kann, wie das kantonale Verwaltungsgericht annimmt, mag hier offen bleiben. Auf jeden Fall besteht kein Grund, diese Übertragung einer Liegenschaft samt der stillen Reserven auf ein buchführungspflichtiges Unternehmen wehrsteuerrechtlich anders zu behandeln als die analoge Übertragung eines ganzen Betriebes oder eines selbständigen Betriebsteiles. Wesentlich ist bei allen derartigen Transaktionen, dass der Veräusserer oder Schenker nicht auf irgendeinem Weg wenigstens einen Teil des buchmässig nicht in Erscheinung tretenden Mehrwertes doch für sich realisiert, sodass er darüber frei verfügen kann. Der vorhandene Mehrwert muss als stille Reserve erhalten bleiben und so auf den Erwerber übergehen, dass er im Bereich der Wehrsteuer bleibt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hat daher zu Recht festgestellt, das zu beurteilende Rechtsgeschäft sei wehrsteuerrechtlich erfolgsneutral, die übertragenen stillen Reserven seien nicht zu besteuern. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der EStV ist somit abzuweisen.
5.
Anders wäre zu entscheiden, wenn die Fabrikliegenschaft nicht zum Buchwert übertragen, sondern als Sacheinlage gegen entsprechende Beteiligungsrechte (Aktien) in die Aktiengesellschaft eingebracht worden wäre. Der hier zu beurteilende Vorgang kann aber nicht als Sacheinlage, als eigentliches Einbringen, qualifiziert werden, sondern stellt wohl im Umfang des Preises von Fr. 240'000.-- einen Kauf und im Umfang der mitübertragenen stillen Reserven eine Schenkung dar. Die unentgeltliche Übertragung der stillen Reserven erfolgte wegen der engen Beziehungen des Beschwerdegegners zur X. AG. Mit einer "fremden" Gesellschaft wäre ein solches Geschäft nicht abgeschlossen worden. Dieser Grund der Transaktion berührt aber die wehrsteuerrechtliche Beurteilung nicht. Entscheidend ist nur, dass eine effektive Realisation nicht erfolgt ist, und dass die stillen Reserven - wie bei der Umwandlung einer Einzelfirma in eine AG oder bei der Aufspaltung
BGE 102 Ib 50 S. 56
eines Unternehmens in zwei Betriebe - unter Wahrung des steuerrechtlichen Status auf ein anderes buchführungspflichtiges Unternehmen übergingen, ohne dass der Beschwerdegegner den vorhanden Mehrwert ganz oder teilweise "herausgenommen" hat.
In der Literatur und Rechtsprechung wird manchmal besonders hervorgehoben, dass die Übertragung auf ein Unternehmen erfolgen müsse, das vom Veräusserer/Schenker oder ihm nahestehenden Personen beherrscht werde. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch nur insofern von Bedeutung, als die unentgeltliche Übertragung stiller Reserven zu Buchwerten nach allgemeiner Erfahrung eine erhebliche "wirtschaftliche Nähe" zwischen dem Abtretenden und dem Übernehmer voraussetzt; denn auch solche latente Mehrwerte werden ja in der Regel nicht einfach verschenkt. Fehlt eine "wirtschaftliche Nähe", welche die Transaktion verständlich macht, so besteht der Verdacht, dass doch für die stillen Reserven eine Gegenleistung erfolgte oder versprochen wurde, die als Kapitalgewinn zu besteuern wäre.
Im vorliegenden Fall erscheint es als glaubhaft, dass der 1903 geborene Beschwerdegegner die bisher seinem Einzelunternehmen gehörende Fabrikliegenschaft auf die von ihm beherrschte X. AG übertragen hat, ohne die stillen Reserven zu realisieren. Damit stärkte er die Aktiengesellschaft, erhöhte den innern Wert der Aktien und liess somit auf diesem Wege durch finanzielle Stärkung der X. AG den andern Aktionären wirtschaftlich einen Teil des in der Liegenschaft steckenden Mehrwertes ohne Gegenleistung zukommen, wobei aber dieser Mehrwert als stille Reserve der Aktiengesellschaft gebunden ist und im Falle einer künftigen Realisierung der Wehrsteuer unterliegt. Die Situation ist ähnlich wie beim Einbringen der Aktiven und Passiven einer Einzelfirma zu den Buchwerten in eine Personen- oder Kapitalgesellschaft (vgl. KÄNZIG, N. 100 zu Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB) und es rechtfertigt sich eine analoge steuerliche Behandlung.
Im vorliegenden Fall bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine Steuerumgehung; insbesondere wird nicht geltend gemacht, der Beschwerdegegner habe die Übertragung der Fabrikliegenschaft zum Buchwert nur vorgenommen, um nachher durch Veräusserung der Aktien der X. AG die unentgeltlich abgetretenen stillen Reserven in Form eines höhern Preises
BGE 102 Ib 50 S. 57
für seine Aktien zu realisieren. Fällt ein agere in fraudem legis somit ausser Betracht, so hält die Steuerfreiheit der Übertragung der stillen Reserven vor dem Bundesrecht stand. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c031c0eb-db76-45f5-a1e4-ccec6d7009d5 | Urteilskopf
87 II 190
27. Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Juli 1961 i.S. Steiger gegen Basler. | Regeste
Art. 36 Abs. 1, 46 OG
.
Wovon hängt der Streitwert ab, wenn über das Vermögen des Schuldners während des Forderungsprozesses der Konkurs eröffnet wird und ein Konkursgläubiger in den Prozess eintritt? | Sachverhalt
ab Seite 190
BGE 87 II 190 S. 190
A.-
Anselm Basler vermietete Räume, die er von der Terminus Immobilien AG gemietet hatte, an Frau Elisabeth Steiger weiter, die darin eine Gastwirtschaft betreiben wollte. Er verpflichtete sich, sie umzubauen und "diesen Umbau auf die Mieterin zum Pauschalpreis von
BGE 87 II 190 S. 191
Fr. 200'000.-- zu übertragen". Die Hälfte dieses Betrages war sofort, die andere Hälfte ratenweise zu zahlen und bis zur Tilgung zu verzinsen.
In einem Rechtsstreit der Frau Steiger gegen Basler um Mietzinse erhob Basler Widerklage auf Zahlung von Fr. 6030.-- an die Vergütung für den Umbau und Fr. 6487.15 rückständiger Kapitalzinse, zusammen Fr. 12'517.15, alles nebst Verzugszins. Das Handelsgericht des Kantons Zürich behandelte die Widerklage in einem besonderen Verfahren und stellte dieses ein, bis das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement entschieden habe, ob die Vergütung für den Umbau sich mit den öffentlichrechtlichen Bestimmungen über die Beschränkung der Mietzinse vertrage.
Am 29. März 1957 wurde über das Vermögen der Frau Steiger der Konkurs eröffnet. Die Konkursverwaltung merkte die Forderung Baslers von Fr. 12'517.15 im Kollokationsplan gemäss Art. 63 Abs. 1 KV ohne Verfügung vor. Die zweite Gläubigerversammmlung verzichtete darauf, den Rechtsstreit durch die Konkursverwaltung fortführen zu lassen. Dr. Alfred Steiger, Gläubiger der Frau Steiger, trat gemäss
Art. 260 SchKG
in ihn ein.
Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement bestimmte am 14. März 1959, in welchem Umfange die Vergütung für den Umbau vor dem öffentlichen Recht standhalte. Auf Beschwerde Baslers stellte der Bundesrat am 22. April 1960 fest, das sei eine unverbindliche Meinungsäusserung; zum verbindlichen Entscheid über die von Basler verlangte Vergütung sei der Zivilrichter zuständig.
Das Verfahren vor dem Handelsgericht wurde hierauf fortgesetzt. In der Verhandlung vor diesem vom 6. Dezember 1960 erklärte der Vertreter Steigers: "Ich beantrage, als Parteibezeichnung zu wählen: Konkursmasse der Frau Elisabeth Steiger, vertreten durch den Abtretungsgläubiger Dr. Alfred Steiger. Herr Dr. Steiger führt für sie den Prozess, auf sein Kostenrisiko. Die Masse
BGE 87 II 190 S. 192
bleibt Schuldnerin. Es ist ein vorweggenommener Kollokationsprozess." Der Vertreter Baslers pflichtete dieser Erklärung bei.
B.-
Am 6. Dezember 1960 entschied das Handelsgericht, der Kläger Basler sei im Konkurs der Frau Steiger mit den geltend gemachten Forderungen von zusammen Fr. 12'517.15 nebst Verzugszins definitiv zu kollozieren.
C.-
Der Beklagte Dr. Steiger hat die Berufung erklärt. Er beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Handelsgerichtes aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Der geltend gemachte Anspruch ist vermögensrechtlich, ohne zu den in
Art. 45 OG
aufgezählten zu gehören. Die Berufung ist daher nur zulässig, wenn der Streitwert nach Massgabe der Rechtsbegehren, wie sie vor dem Handelsgericht noch streitig waren, wenigstens Fr. 8000.-- beträgt (
Art. 46 OG
).
Der Wert des Streitgegenstandes wird durch das klägerische Rechtsbegehren bestimmt (
Art. 36 Abs. 1 OG
), und zwar ist massgebend der Wert, den der Gegenstand dieses Begehrens zur Zeit der Anhebung der Klage hat (
BGE 48 II 412
,
BGE 59 II 341
,
BGE 79 II 334
,
BGE 85 II 366
). Im Laufe des Rechtsstreites eintretende Tatsachen, die bei gleichbleibendem Begehren nur den Wert des Streitgegenstandes beeinflussen, sind nicht zu berücksichtigen, z.B. Kursveränderungen herausverlangter Wertpapiere oder die Werteinbusse eines Unterhaltsanspruches durch den Tod des Unterhaltspflichtigen. Änderungen des klägerischen Rechtsbegehrens können dagegen auch den Streitwert beeinflussen. Das ergibt sich aus
Art. 46 OG
, wonach die Berufungsfähigkeit von den Rechtsbegehren abhängt, "wie sie vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig waren".
Die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Frau Steiger hat vor dem Handelsgericht im Ergebnis zu einer Änderung des Rechtsbegehrens des Klägers geführt.
BGE 87 II 190 S. 193
Dieser streitet nicht mehr um die Zahlung von Fr. 12'517.15 durch Frau Steiger, sondern nur noch um die Kollokation dieser Forderung im Konkurse, mit der Folge, dass sie nach den Bestimmungen des Konkursrechtes in der fünften Klasse aus dem Erlöse des vom Konkurs erfassten Vermögens zu befriedigen sei. Nur für die Abweisung dieser Forderung im Kollokationsplan und die Nichtbefriedigung aus der Konkursmasse kann sich anderseits der an Stelle der Konkursverwaltung in den Prozess eingetretene Dr. Steiger bemühen, was er denn auch dadurch anerkannte, dass er erklärte, es liege ein "vorweggenommener Kollokationsprozess" vor. Diesen Schluss zog auch das Handelsgericht aus der Konkurseröffnung, dem Wechsel der beklagten Partei und den von beiden Seiten abgegebenen Erklärungen. Sein Urteil lautet nicht auf Zahlung, sondern auf Kollokation der Forderung im Konkurs.
Daher ist der Streitwert nach den Grundsätzen über die Bewertung von Kollokationsbegehren zu bestimmen. Sie erfolgt nicht nach der Höhe der zu kollozierenden Forderung, sondern nach dem Anteil am Erlös aus der Konkursmasse, der dem Gläubiger im Falle der Kollokation höchstens zufallen wird (
BGE 65 III 28
ff.,
BGE 65 II 41
ff.,
BGE 79 III 173
,
BGE 81 II 474
,
BGE 81 III 76
). Im vorliegenden Falle wird laut Mitteilung des Konkursamtes Zürich-Altstadt auf die Forderungen der fünften Klasse, zu denen auch die des Klägers gehört, voraussichtlich keine Dividende ausbezahlt werden können oder im günstigsten Falle nur eine solche von 1%. Der Kläger wird also aus der Konkursmasse höchstens Fr. 125.-- erhalten. Das ist der Streitwert. Er schliesst die Berufung aus.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c031d3b4-f0f9-4814-9fda-7e2507e0680c | Urteilskopf
123 IV 157
25. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 20. Oktober 1997 i.S. Untersuchungsrichteramt Solothurn gegen Eidg. Bankenkommission | Regeste
Art. 352 ff. StGB
, insb.
Art. 357 StGB
;
Art. 28 BtG
. Rechtshilfe von Bundesbehörden gegenüber kantonalen Strafverfolgungsbehörden; Verweigerung der Ermächtigung zur Zeugenaussage.
Die Eidg. Bankenkommission entscheidet selber über die Ermächtigung ihrer Mitglieder oder Mitarbeiter zur Zeugenaussage über amtliche oder dienstliche Wahrnehmungen (E. 1).
Die Verweigerung dieser Ermächtigung gegenüber einer kantonalen Strafverfolgungsbehörde ist ein Anstand in der Rechtshilfe im Sinne von
Art. 357 StGB
, welcher der Überprüfung durch die Anklagekammer des Bundesgerichts unterliegt (E. 3 und 4; Praxisänderung).
Beschränkte Überprüfungsbefugnis der Anklagekammer (E. 4b).
Aufgrund der gesetzlichen Mitwirkungspflicht der Eidg. Bankenkommission bei der Verfolgung von bestimmten, im Rahmen ihrer staatlichen Aufsichtstätigkeit festgestellten strafbaren Handlungen überwiegt in solchen Fällen grundsätzlich das Strafverfolgungsinteresse gegenüber dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Amtsgeheimnisses (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 159
BGE 123 IV 157 S. 159
A.-
Das Untersuchungsrichteramt des Kantons Solothurn führt ein Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der Solothurner Kantonalbank (SKB) und der (ehemaligen) Bank in Kriegstetten wegen Verdachts der ungetreuen Geschäftsführung eventuell ungetreuen Amtsführung im Zusammenhang mit der Übernahme der Bank in Kriegstetten durch die SKB. Im Rahmen dieses Verfahrens ersuchte das Untersuchungsrichteramt mit Schreiben vom 16. Juli 1996 die Eidgenössische Bankenkommission, diejenigen ihrer Mitarbeiter vom Amtsgeheimnis zu entbinden, die für diesen Fall Erkenntnisse und Hinweise für die laufende Strafuntersuchung liefern können. Auf Ersuchen der Eidgenössischen Bankenkommission präzisierte das Untersuchungsrichteramt sein Begehren mit Schreiben vom 28. August 1996.
Die Eidg. Bankenkommission teilte mit Schreiben vom 23. September 1996 dem Untersuchungsrichteramt Solothurn mit, das Gesuch werde abgelehnt, bot aber an, schriftliche Fragen in einem Amtsbericht zu beantworten.
B.-
Das Untersuchungsrichteramt Solothurn erhob am 23. Oktober 1996 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, die Verfügung der Eidg. Bankenkommission vom 23. September 1996 aufzuheben und die Bankenkommission aufzufordern, die Aufhebung des Amtsgeheimnisses zwecks Durchführung erforderlicher Zeugeneinvernahmen zu verfügen; eventualiter sei die Bankenkommission anzuhalten, in Sachen Aufhebung des Amtsgeheimnisses zwecks Durchführung erforderlicher Zeugeneinvernahmen eine Verfügung im Sinne von
Art. 5 VwVG
zu erlassen.
C.-
Die Eidgenössische Bankenkommission beantragte, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei nicht einzutreten und die Beschwerde sei der Anklagekammer des Bundesgerichts weiterzuleiten und von dieser abzuweisen; eventualiter sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.
D.-
Mit Urteil vom 19. Juni 1997 trat die II. öffentlichrechtliche Abteilung - nach einem Meinungsaustausch mit der Anklagekammer des Bundesgerichts über die Zuständigkeit (in analoger Anwendung von
Art. 96 Abs. 2 OG
) - auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein und überwies die Beschwerde der Anklagekammer. Die Überweisung erfolgte am 11. August 1997.
BGE 123 IV 157 S. 160
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Das Untersuchungsrichteramt Solothurn verlangt in einem Strafverfahren von der Eidg. Bankenkommission Auskünfte in bezug auf Erkenntnisse, die ihre Mitglieder und Mitarbeiter im Zusammenhang mit der Übernahme der Bank in Kriegstetten durch die Solothurner Kantonalbank gewonnen haben. Für die Mitarbeiter des Sekretariats der Bankenkommission sind die Bestimmungen der Personalgesetzgebung des Bundes massgebend (Art. 51 V über die Banken und Sparkassen, BankV; SR 952.02). Die Mitglieder der für eine Amtsdauer von vier Jahren durch den Bundesrat gewählten Eidg. Bankenkommission versehen eine öffentliche Aufgabe, weshalb sie dabei ebenfalls denselben Bestimmungen unterworfen sind wie deren Mitarbeiter (
BGE 93 I 83
E. 1; vgl. auch VPB 46 Nr. 2 betreffend Nationalfonds und Art. 1 Abs. 1 lit. f und Art. 2 Abs. 1 BGüber die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördenmitglieder und Beamten, VG [SR 170.32]). Die Mitglieder der Eidg. Bankenkommission und deren Sekretariatsmitarbeiter sind deshalb in bezug auf Feststellungen im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit an das Amtsgeheimnis (Art. 27 Beamtengesetz, BtG [SR 172.221.10] und
Art. 320 StGB
) gebunden.
b) Die Mitglieder und Mitarbeiter der Bankenkommission dürfen sich mithin u.a. als Zeuge über Geheimnisse und amtliche Wahrnehmungen nur äussern, wenn sie durch die zuständige Amtsstelle bzw. die vorgesetzte Behörde dazu ermächtigt worden sind (
Art. 28 BtG
bzw.
Art. 320 Ziff. 2 StGB
).
Der durch den Bundesrat gewählten Eidg. Bankenkommission ist die selbständige Aufsicht über das Bankwesen übertragen (Art. 23 Abs. 1 BG über die Banken und Sparkassen, BankG; SR 952.0); sie ist dem Eidg. Finanzdepartement nicht untergeordnet, sondern lediglich administrativ zugeordnet (Art. 58 Abs. 1 lit. D BG über die Organisation und die Geschäftsführung des Bundesrates und der Bundesverwaltung, VwOG; SR 172.010), weshalb sie selber zuständig ist, über die Entbindung ihrer Mitglieder und Mitarbeiter vom Amtsgeheimnis zu entscheiden.
2.
Die Eidg. Bankenkommission lehnte die Ermächtigung ihrer Mitglieder und Mitarbeiter zur Zeugenaussage in der durch das Untersuchungsrichteramt Solothurn geführten Strafuntersuchung ab. Die II. Öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts trat auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Untersuchungsrichteramtes Solothurn dagegen mangels Legitimation des Beschwerdeführers nicht ein. Sie liess offen, ob der Entscheid der Bankenkommission eine Verfügung darstelle und ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufgrund von
Art. 102 lit. a OG
zum Verfahren bei Anständen betreffend die Rechtshilfe gemäss
BGE 123 IV 157 S. 161
Art. 357 StGB
bzw.
Art. 252 BStP
subsidiär sei (
BGE 123 II 371
, E. 2 a.A.).
Diese Fragen können auch hier offenbleiben. Die Anrufung der Anklagekammer bei Anständen betreffend die Rechtshilfe ist an keine Frist gebunden. Sie kann jederzeit, auch bereits unmittelbar im Anschluss an die Weigerung der ersuchten Behörde erfolgen; allfällige kantonale oder eidgenössische Rechtsmittel müssen somit nicht vorgängig ausgeschöpft werden (
BGE 121 IV 311
E. 1c mit Hinweisen). Entscheidend für die Zuständigkeit der Anklagekammer ist daher nur, ob es sich um einen Anstand in der Rechtshilfe handelt, nicht dagegen, ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist oder nicht. Streng genommen liegt denn auch in der Überweisung der Beschwerde durch die II. Öffentlichrechtliche Abteilung an die Anklagekammer keine solche nach Massgabe von
Art. 96 Abs. 1 OG
. Weil das Untersuchungsrichteramt Solothurn jedoch nach Kenntnisnahme des Urteils der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung keine Einwände gegen eine Überweisung vorbrachte, kann von seinem Einverständnis und damit davon ausgegangen werden, dieses ersuche die Anklagekammer des Bundesgerichts, über den streitigen Anstand in der Rechtshilfe im Sinne ihrer eingereichten Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu entscheiden. Die Eidg. Bankenkommission nahm dazu im Verfahren vor der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung Stellung und vertrat die Auffassung, die Anklagekammer sei zuständig, weshalb auf einen erneuten Schriftenwechsel verzichtet werden konnte. Im übrigen ist auch die Bankenkommission als ersuchte Behörde befugt, bei einem Anstand in der Rechtshilfe an die Anklagekammer zu gelangen.
3.
a) Gemäss
Art. 352 Abs. 1 StGB
sind in Strafsachen, auf die das StGB oder ein anderes Bundesgesetz Anwendung findet, der Bund und die Kantone gegenseitig und die Kantone unter sich zur Rechtshilfe verpflichtet. Anstände in der Rechtshilfe zwischen Bund und Kantonen oder zwischen Kantonen entscheidet das Bundesgericht (
Art. 357 StGB
). Die
Art. 352 ff. StGB
haben
Art. 252 BStP
ersetzt (
BGE 118 IV 371
E. 2), weshalb allein auf die Bestimmungen des Strafgesetzbuches abzustellen ist.
b) In
BGE 86 IV 136
E. 1b S. 139 betrachtete sich die Anklagekammer des Bundesgerichts als nach
Art. 357 StGB
zur Beurteilung einer Verweigerung der Ermächtigung zur Zeugenaussage eines Bundesbeamten und zur Herausgabe von Amtsakten zuständig. Sie änderte in
BGE 102 IV 217
E. 4/5 S. 222 f. jedoch diese Praxis und befand, der Entscheid einer Bundesbehörde, einer kantonalen Strafuntersuchungsbehörde
BGE 123 IV 157 S. 162
die Akteneinsicht oder die Ermächtigung zur Zeugenaussage eines Beamten zu verweigern, sei nicht im Verfahren gemäss
Art. 357 StGB
bei ihr, sondern mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar.
Im hier von der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung durchgeführten Meinungsaustausch betreffend die Zuständigkeit erklärte sich die Anklagekammer bereit, ihre Praxis gemäss
BGE 102 IV 217
aufzugeben, dem Grundsatz nach wieder zu jener nach
BGE 86 IV 136
zurückzukehren und die vorliegende Eingabe im Verfahren nach
Art. 357 StGB
zu beurteilen. Diese Praxisänderung ist nachstehend näher zu begründen.
4.
a) Der Bund und die Kantone sind grundsätzlich vorbehaltlos (Botschaft des Bundesrates zum StGB, BBl 1918 IV 82) zur umfassenden (
BGE 121 IV 311
E. 1a;
BGE 119 IV 86
E. 2c) Rechtshilfe verpflichtet. Als Rechtshilfe im Sinne von
Art. 352 Abs. 1 StGB
wurde bei der parlamentarischen Beratung dieser Bestimmung die Unterstützung bei Prozesshandlungen überhaupt bezeichnet (Sten.Bull. 1930 NR 71). Sie erstreckt sich auf alle Massnahmen, die eine Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit in einem hängigen Strafverfahren für die Zwecke der Strafverfolgung oder für die Urteilsvollstreckung zu ergreifen befugt ist (
BGE 102 IV 217
E. 2 mit Hinweis) und die die ersuchende Behörde mangels Zuständigkeit nicht selber durchführen kann (zu letzterem:
BGE 73 IV 139
).
b) Im Verfahren gemäss
Art. 357 StGB
prüft die Anklagekammer des Bundesgerichts nur, ob das anwendbare Recht bzw. die Anwendung desselben durch die ersuchte Behörde die anbegehrte Rechtshilfe derart beschränkt, dass sie dem Begriff der Rechtshilfe, wie er
Art. 352 StGB
zugrunde liegt, nicht mehr entspricht (
BGE 121 IV 311
E. 3a). Dies ist etwa dann der Fall, wenn das anwendbare Recht für die Rechtshilfe, was Umfang und Form betrifft, erschwerende Vorschriften enthielte, indem nicht gleiches Recht gelten würde wie für innerkantonale Strafverfahren bzw. die Rechtshilfe zwischen Bundesbehörden. Es verstösst auch gegen
Art. 352 StGB
, wenn die ersuchte Behörde das für sie geltende Recht im Rechtshilfeverkehr mit kantonalen Behörden anders anwendet als in Strafverfahren, welche sie selber durchführt (
BGE 87 IV 138
E. 4a), oder wenn sie diese Vorschriften willkürlich auslegt, um die nachgesuchte Handlung zu verweigern. Dasselbe gilt, wenn die Rechtshilfe schlechthin verweigert wird oder die ersuchten Handlungen ohne Grund oder ohne vernünftigen Grund abgelehnt wurden (
BGE 119 IV 86
E. 2a), oder wenn die bekanntzugebenden Tatsachen zu Unrecht als
BGE 123 IV 157 S. 163
Geheimnis und damit der amtlichen Schweigepflicht unterliegend bezeichnet werden (
BGE 87 IV 138
E. 4b).
c) Die Anklagekammer lehnte es in
BGE 102 IV 217
nicht deswegen ab, die Verweigerung der Ermächtigung zur Zeugenaussage oder Aktenherausgabe nach
Art. 28 BtG
im Rahmen eines Anstandes in der Rechtshilfe zwischen einem Kanton und dem Bund zu überprüfen, weil es sich dabei nicht um eine Frage der Rechtshilfe handle. - Dies kann nach wie vor als unbestritten gelten und ist aufgrund des dargelegten weiten Begriffs der Rechtshilfe auch nicht zweifelhaft. - Sie begründete dies vielmehr mit der Gewaltentrennung: Da nach
Art. 78 BStP
selbst eine richterliche Behörde des Bundes an eine entsprechende Verweigerung gebunden sei, müsse dies zumindest in gleichem Masse für die kantonalen Instanzen gelten; die Entbindung vom Amtsgeheimnis durch die vorgesetzte Behörde gemäss
Art. 320 StGB
und
Art. 28 BtG
sei ein Ausfluss der Gewaltentrennung, die im Verhältnis zweier Gewalten im gleichen Staat gelte und umsomehr zwischen einer kantonalen richterlichen Behörde und einer Verwaltungsbehörde des Bundes zu beachten sei.
Daran kann nicht festgehalten werden. Gewiss bindet die behördliche Verweigerung der Zustimmung, einen Beamten über ein Amtsgeheimnis als Zeugen einzuvernehmen, die strafrichterlichen Behörden (
Art. 78 BStP
). Damit ist aber nichts darüber gesagt, ob solche behördliche Entscheidungen der Anfechtung unterliegen. Beantwortet eine Behörde des Bundes oder des Kantons den Behörden eines dieser Gemeinwesen ein Ersuchen um Unterstützung abschlägig, handelt es sich um einen Akt der Rechtshilfe im Sinne von
Art. 352 StGB
und Anstände darüber sind nach Massgabe von Art. 357 durch das Bundesgericht, d.h. die Anklagekammer zu entscheiden. Weder den einschlägigen Bestimmungen des StGB noch
Art. 28 BtG
lässt sich eine Ausnahme für Anstände in der Rechtshilfe entnehmen, die sich aus der Verweigerung der Amtsgeheimnisentbindung ergeben. Bei dieser Sachlage liefe die Nichtüberprüfbarkeit einer behördlichen Verweigerung der Zustimmung, über ein Amtsgeheimnis als Zeuge einvernommen zu werden, der Zielsetzung von Art. 352 bzw. 357 StGB, nämlich die Durchführung der Strafverfolgung sicherzustellen, zuwider. Von einem Übergriff in die Zuständigkeit der Verwaltung und einem Einbruch in die Gewaltentrennung kann nicht gesprochen werden, wenn die Anklagekammer solche Anstände in der Rechtshilfe im aufgezeigten beschränkten Rahmen (E. 4b) überprüft.
BGE 123 IV 157 S. 164
5.
Die Bankenkommission begründet die Verweigerung der Ermächtigung zur Zeugenaussage damit, dass sie zur wirksamen Wahrnehmung der ihr gesetzlich obliegenden Aufsichtsfunktion zu den überwachten Banken - von denen sie gemäss
Art. 23bis Abs. 2 BankG
alle Auskünfte und Unterlagen verlangen könne, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötige - auf ein Vertrauensverhältnis angewiesen sei. Bei mangelndem Vertrauen werde insbesondere die präventive Tätigkeit der Bankenkommission, die von besonderer Wichtigkeit sei, massiv beeinträchtigt. Die verantwortlichen Personen der Banken, die notleidende Banken übernehmen könnten, würden einer Diskussion mit der Bankenkommission ausweichen, wenn bekannt würde, dass die Mitglieder und Mitarbeiter der Bankenkommission in allfälligen Strafverfahren gegen sie aussagten; dies würde die Bemühungen der Bankenkommission erschweren, im Interesse der Gläubiger und des Finanzplatzes die Schliessung von Banken zu verhindern. Sie sei insbesondere auch auf rechtzeitige Mitteilungen von Unregelmässigkeiten durch Revisionsgesellschaften, Banken oder Drittpersonen angewiesen, da sie erst auf solche hin bei den Banken interveniere. Das Gesuch um Entbindung vom Amtsgeheimnis dürfe auch nicht dazu missbraucht werden, die restriktiven Bestimmungen über die Aufhebung des Bankgeheimnisses, welches in ihrem Fall mittelbar auch durch
Art. 27 BtG
geschützt sei, zu umgehen. Aus diesen Gründen beeinträchtige die Leistung von Rechtshilfe durch die Bankenkommission deren Aufgabenerfüllungen nicht nur im vorliegenden Fall, sondern grundsätzlich wesentlich, weshalb es sich in diesem Zusammenhang nicht rechtfertige, in der Regel einen Vorrang des Strafverfolgungsinteresses anzunehmen; vielmehr gehe ihr Interesse an der Aufrechterhaltung des Amtsgeheimnisses grundsätzlich vor. Dies insbesondere auch angesichts der im vorliegenden Fall verlangten pauschalen Entbindung von Mitarbeitern ohne nähere Bezeichnung der zu ermittelnden Sachverhalte.
Das Untersuchungsrichteramt hält dem im wesentlichen entgegen, die Nichterteilung der Ermächtigung erschwere und behindere die Untersuchungen des Untersuchungsrichters wesentlich; insbesondere könne ohne die anbegehrten Einvernahmen der Sachverhalt nicht vollständig abgeklärt werden.
a) Nach
Art. 28 Abs. 3 BtG
darf die Ermächtigung zur Zeugenaussage über amtliche oder dienstliche Wahrnehmungen nur dann verweigert werden, wenn die allgemeinen Landesinteressen es erfordern oder - worauf sich die Bankenkommission beruft - wenn die
BGE 123 IV 157 S. 165
Ermächtigung die Verwaltung in der Durchführung ihrer Aufgabe wesentlich beeinträchtigen würde.
b) Gemäss
Art. 23ter Abs. 4 BankG
ist die Bankenkommission verpflichtet, unverzüglich das Eidg. Finanzdepartement zu benachrichtigen, wenn sie von Widerhandlungen im Sinne von
Art. 46, 49 und 50 BankG
sowie der Art. 14 bis 18 VStrR Kenntnis erhält, damit dieses ein Verwaltungsstrafverfahren eröffnet (
Art. 51bis Abs. 2 BankG
). Erhält die Bankenkommission Kenntnis von Widerhandlungen im Sinne von
Art. 47 und 48 BankG
oder von gemeinrechtlichen Verbrechen und Vergehen, benachrichtigt sie die zuständige kantonale Strafverfolgungsbehörde (
Art. 23ter Abs. 4 und
Art. 51bis Abs. 1 BankG
).
Die Bankenkommission ist somit von Gesetzes wegen - ohne dass ihr diesbezüglich ein Ermessensspielraum zustehen würde - verpflichtet, auch gemeinrechtliche Verbrechen und Vergehen der zuständigen kantonalen Strafverfolgungsbehörde zu melden bzw. anzuzeigen (
BGE 93 I 83
E. 2a). Wenn daher wie hier ungetreue Geschäftsführung, eventuell ungetreue Amtsführung - d.h. gemeinrechtliche Vergehen (Art. 159 aStGB), eventuell Verbrechen (
Art. 314 StGB
) - in Frage stehen, hat der Gesetzgeber die vorzunehmende Interessenabwägung schon dahingehend vorgenommen, dass das Strafverfolgungsinteresse in jedem Fall dem Interesse der Bankenkommission an der Geheimhaltung von allfälligen, im Zusammenhang mit diesen strafbaren Handlungen stehenden Wahrnehmungen - und nur um die Auskunft über solche kann es sich handeln - vorgeht.
Soweit die Bankenkommission die Verweigerung der Ermächtigung zur Zeugenaussage damit begründet, das zwischen ihr und den von ihr zu beaufsichtigenden Banken bestehende und zu wahrende Vertrauensverhältnis würde durch Zeugenaussagen ihrer Mitglieder oder Mitarbeiter gegen verantwortliche Personen der Banken, die notleidende Banken übernehmen könnten, gestört, steht ihre Begründung im Widerspruch zu ihrer gesetzlich statuierten Pflicht, strafbare Handlungen anzuzeigen. Durch die verlangte Ermächtigung zur Bekanntgabe von entsprechenden Wahrnehmungen kann sie daher schon von Gesetzes wegen nicht in der Durchführung ihrer Aufgaben wesentlich beeinträchtigt sein. Die Mitwirkung an der Verfolgung von Widerhandlungen gegen das Bankengesetz und gemeinrechtlichen Vergehen und Verbrechen gehört vielmehr ebenfalls zu ihren gesetzlichen Pflichten. Diese Begründung erweist sich daher als sachlich schlechthin nicht vertretbar. Im übrigen zeigt auch die erklärte Bereitschaft der Bankenkommission, auf schriftliche Fragen hin in einem Amtsbericht die gewünschten Auskünfte zu erteilen, dass einer
BGE 123 IV 157 S. 166
Offenbarung des Amtsgeheimnisses gegenüber einer Strafverfolgungsbehörde doch keine überwiegenden Interessen entgegenstehen.
c) Erhält die Bankenkommission durch Privatpersonen Informationen und ist sie bei der Feststellung von Gesetzesverletzungen in erheblichem Masse auf die Mitwirkung solcher Dritter angewiesen, ist es möglich, dass sie die Entbindung von Mitgliedern oder Mitarbeitern zum Schutze solcher Informationsquellen mit guten Gründen ablehnen kann; ausgeschlossen ist dies hingegen, wenn die Bankenkommission im Rahmen ihrer staatlichen Aufsicht und üblichen Beziehungen zur Bank von Verfehlungen Kenntnis erhält (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 27. Juli 1982 i.S. Untersuchungsrichteramt Bern gegen Eidg. Bankenkommission, E. 3c mit Hinweis auf VPB 1967 Nr. 23). Dass Ersteres vorliegend konkret der Fall sei, macht sie jedoch nicht namhaft.
d) Auf das Bankgeheimnis beruft sich die Bankenkommission ebenfalls offensichtlich zu Unrecht. Das Bankgeheimnis räumt kein Recht auf Verweigerung der Aussage und der Herausgabe von Akten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ein, soweit dies nicht ausdrücklich im anwendbaren Recht vorgesehen ist (
Art. 47 Ziff. 4 BankG
;
BGE 119 IV 175
E. 3). Dies ist hier nicht der Fall.
e) Da die Verweigerung der nachgesuchten Ermächtigungen zur Zeugenaussage auf einer offenkundig unhaltbaren Anwendung von
Art. 28 Abs. 3 BtG
und damit auf sachlich schlechthin nicht vertretbaren Gründen beruht, liegt darin eine Verletzung von
Art. 352 StGB
; die Eidg. Bankenkommission entzog sich damit in unzulässiger Weise ihrer Rechtshilfepflicht.
Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Die Eidg. Bankenkommission wird angewiesen, dem Untersuchungsrichteramt des Kantons Solothurn im Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der Solothurner Kantonalbank wegen ungetreuer Geschäfts- bzw. Amtsführung die nachgesuchte Rechtshilfe im Sinne der Erwägungen zu gewähren. | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c03a195c-215b-4942-817f-96e73b3fcdd1 | Urteilskopf
125 I 267
25. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Mai 1999 i.S. X. gegen Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Bewilligung zur Ausübung des Zahnarztberufs;
Art. 4 BV
und
Art. 31 BV
; Art. 2 und 4 Binnenmarktgesetz.
Es verstösst nicht gegen
Art. 31 BV
, für die Ausübung des Zahnarztberufs von Inhabern eines ausländischen Ausweises ein eidgenössisches Diplom zu verlangen (E. 2).
Der Inhaber eines ausländischen Zahnarztdiploms, der sich in einem Kanton niederlassen will, kann sich nicht auf
Art. 2 und
Art. 4 BGBM
berufen (E. 3).
Generelle Ansichtsäusserungen eines Departementsvorstehers begründen keinen Vertrauensschutz (E. 4).
Die Kostenfreiheit gemäss
Art. 4 Abs. 2 BGBM
kommt nicht zum Tragen, wenn das Binnenmarktgesetz gar nicht anwendbar ist (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 268
BGE 125 I 267 S. 268
Dr. med. dent. R. ist deutscher Staatsangehöriger und Inhaber der deutschen Approbation als Zahnarzt. Er verfügt über eine schweizerische Niederlassungsbewilligung. Seit dem 1. Juli 1992 arbeitet er als Assistent bei Dr. med. dent. M. in Chur. Mit Gesuch vom 3. Oktober 1997 beantragte R. beim Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement des Kantons Graubünden die Erteilung der Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung als Zahnarzt. Das Departement wies das Gesuch am 15. Juni 1998 ab, da R. nicht im Besitz des eidgenössischen Zahnarztdiploms sei. Einen dagegen erhobenen Rekurs wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Urteil vom 13. Oktober 1998 ab. Es erwog, gemäss Art. 29 Abs. 2 des kantonalen Gesundheitsgesetzes vom 2. Dezember 1984 werde die Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung als Medizinalperson nur Inhabern des eidgenössischen Diploms erteilt. Diese Bestimmung sei weder verfassungs- noch bundesrechtswidrig. Eine Ausnahme sei nach Art. 29 Abs. 3 des Gesundheitsgesetzes nur
BGE 125 I 267 S. 269
zulässig, wenn nicht genügend Berufsangehörige mit eidgenössischem Diplom vorhanden seien. Auf dem Platz Chur sei jedoch der zahnärztliche Versorgungsgrad genügend.
R. erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Er rügt eine Verletzung von
Art. 4 und 31 BV
sowie des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1995 über den Binnenmarkt (Binnenmarktgesetz, BGBM; SR 943.02).
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit (
Art. 31 BV
). Die deutsche Approbation als Zahnarzt sei dem eidgenössischen Diplom gleichwertig. Es sei daher durch kein öffentliches Interesse gerechtfertigt, von ihm zusätzlich noch das eidgenössische Diplom zu verlangen, zumal dieses grund- sätzlich vom Schweizer Bürgerrecht abhängig sei.
b) Unter dem Schutz des
Art. 31 BV
steht jede gewerbsmässig ausgeübte, privatwirtschaftliche Tätigkeit, die der Erzielung eines Gewinnes oder Erwerbseinkommens dient (
BGE 124 I 310
E. 3a S. 313;
BGE 123 I 212
E. 3a S. 217; je mit Hinweisen), somit auch die Ausübung des Zahnarztberufs (
BGE 117 Ia 90
E. 3b S. 93; Pra 87/1998 Nr. 3 S. 19, E. 1).
Art. 31 BV
behält jedoch in Abs. 2 kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerben, namentlich im öffentlichen Interesse begründete polizeiliche Massnahmen, vor. Solche Einschränkungen können dem Schutz der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit, Sittlichkeit und Sicherheit oder von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr dienen (
BGE 124 I 310
E. 3a S. 313;
BGE 118 Ia 175
E. 1 S. 176 f.;
BGE 114 Ia 34
E. 2a S. 36). Unzulässig sind wirtschaftspolitische oder standespolitische Massnahmen, die den freien Wettbewerb behindern, um gewisse Gewerbezweige oder Bewirtschaftungsformen zu sichern oder zu begünstigen. Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit bedürfen im Übrigen einer gesetzlichen Grundlage, müssen durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit sowie der Rechtsgleichheit wahren (
BGE 124 I 310
E. 3a S. 313;
BGE 123 I 12
E. 2a S. 15, 212 E. 3a S. 217; je mit Hinweisen).
c) Vorliegend besteht - wie der Beschwerdeführer mit Recht nicht bestreitet - in Art. 29 des Gesundheitsgesetzes eine formellgesetzliche
BGE 125 I 267 S. 270
Grundlage dafür, dass grundsätzlich nur Medizinalpersonen, die im Besitz des eidgenössischen Diploms sind, eine Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung erhalten. Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 4. Juli 1997 entschieden, dass die praktisch gleichlautende analoge Regelung des zürcherischen Rechts mit
Art. 31 BV
vereinbar sei. Es hat erwogen, das eidgenössische Diplom garantiere eine fundierte Ausbildung; das könne zwar bei ausländischen Diplomen ebenfalls zutreffen, doch seien ausländische Ausweise für die schweizerischen Gesundheitsbehörden schwieriger zu beurteilen; das Erfordernis des eidgenössischen Diploms sei auch nicht unverhältnismässig (Pra 87/1998 Nr. 3 S. 19, E. 2b/c). Anders verhält es sich bei medizinischen Hilfsberufen wie Physiotherapeuten, wo das Bundesgericht das Erfordernis eines schweizerischen Diploms als unverhältnismässig beurteilt hat, wenn ein gleichwertiges ausländisches Diplom vorliegt (Urteile vom 9. Juni 1995 i.S. Sch., publiziert in SJ 1995 713, E. 3; vom 16. Oktober 1992 i.S. F., publiziert in RDAT 1993 I n. 27 S. 79, E. 4). Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht auf die eidgenössisch geregelten Medizinalberufe übertragen werden (RDAT 1993 I n. 27 S. 79, E. 4c). Erweist sich die gesetzliche Regelung generell als verfassungsmässig, dann hat der Inhaber eines ausländischen Diploms auch keinen Anspruch auf Zulassung, wenn er im Einzelfall die Gleichwertigkeit seines Diploms nachweist. Denn die Überprüfung dieser Gleichwertigkeit ist für die schweizerischen Behörden nicht einfach, und gerade deshalb ist die Beschränkung auf Inhaber des schweizerischen Fähigkeitsausweises zulässig. Dass eine generelle Regelung unter Umständen auch auf Einzelfälle Anwendung findet, in denen der innere Sinn des Gesetzes nicht erfüllt wäre, ist nicht selten und stellt noch keine Unverhältnismässigkeit dar.
d) Gemäss
Art. 33 Abs. 2 BV
und Art. 1 des Freizügigkeitsgesetzes vom 19. Dezember 1877 (SR 811.11) sind Medizinalpersonen mit eidgenössischem Diplom zur freien Ausübung ihres Berufs im Gebiete der ganzen Eidgenossenschaft befugt. Die Kantone können zusätzlich Inhaber ausländischer Ausweise zulassen, doch sind sie dazu von Bundesrechts wegen nicht verpflichtet (
BGE 117 Ia 90
E. 3b S. 94; Pra 87/1998 Nr. 3 S. 19 E. 2b). Daraus, dass einzelne Kantone Inhaber deutscher Zahnarztapprobationen zulassen, kann deshalb der Beschwerdeführer nichts ableiten.
e) Es trifft zu, dass nach
Art. 16 der Allgemeinen Medizinalprüfungsverordnung vom 19. November 1980 (AMV; SR 811.112.1)
Ausländer nur unter bestimmten Voraussetzungen zur
BGE 125 I 267 S. 271
eidgenössischen Medizinalprüfung zugelassen werden, namentlich dann, wenn mit ihrem Heimatstaat Gegenrecht vereinbart wurde. Wenn ein kantonales Gesetz die Zulassung zur selbständigen Berufsausübung vom Besitz des eidgenössischen Diploms abhängig macht, kann es daher im Ergebnis einem Ausländer praktisch verunmöglicht werden, einen Medizinalberuf selbständig auszuüben, selbst wenn er bereit und fachlich in der Lage wäre, das eidgenössische Diplom zu erwerben. Soweit dieses Ergebnis als verfassungswidrig zu bezeichnen sein sollte, wäre dies jedoch nicht die Folge der kantonalen Gesetzgebung, welche das schweizerische Diplom verlangt. Es ergibt sich vielmehr aus der eidgenössischen Medizinalprüfungsverordnung, welche die Zulassung zur eidgenössischen Prüfung grundsätzlich vom Erfordernis der schweizerischen Staatsangehörigkeit abhängig macht, was allenfalls als nicht sachgerecht betrachtet werden könnte (vgl.
BGE 123 I 212
E. 3c;
119 Ia 35
E. 4). Ob dieses Erfordernis wirklich verfassungswidrig ist, braucht vorliegend jedoch nicht beurteilt zu werden, da nicht die Zulassung zur eidgenössischen Medizinalprüfung in Frage steht. Im Übrigen ist zu bemerken, dass das Gegenrechtserfordernis für die Zulassung zu bestimmten Berufen im internationalen Verhältnis nicht unüblich ist. Ob allenfalls zukünftig in Kraft tretende internationale Abkommen eine Gegenrechtsvereinbarung mit Deutschland im Sinne von
Art. 16 Abs. 1 AMV
schaffen werden, steht vorliegend nicht zur Diskussion.
3.
Es fragt sich, ob das seit 1. Juli 1996 in Kraft stehende Binnenmarktgesetz an dieser bisherigen Rechtslage etwas geändert hat.
a) Nach
Art. 2 Abs. 1 BGBM
hat jede Person das Recht, Waren, Dienstleistungen und Arbeitsleistungen auf dem gesamten Gebiet der Schweiz anzubieten, soweit die Ausübung der betreffenden Erwerbstätigkeit im Kanton oder der Gemeinde ihrer Niederlassung bzw. ihres Sitzes zulässig ist. Der Gesetzgeber wollte damit das im EG-Recht geltende sogenannte Cassis-de-Dijon-Prinzip verankern, wonach ein Produkt, welches den in einem Land geltenden Anforderungen entspricht, auch in anderen Ländern vertrieben werden darf (Vgl. Botschaft zum Binnenmarktgesetz, BBl 1995 I 1213, 1257 1263 f.). Einschränkungen dieses Grundsatzes sind zwar möglich, müssen jedoch die Voraussetzungen von
Art. 3 BGBM
erfüllen.
Art. 2 und 3 BGBM
enthalten insoweit eine Präzisierung und Konkretisierung der seit je in
Art. 31 BV
enthaltenen interkantonalen Komponente der Handels- und Gewerbefreiheit (vgl. BGE 122
BGE 125 I 267 S. 272
I 109 E. 4c/d S. 117 f., mit Hinweisen; THOMAS COTTIER/BENOÎT MERKT, La fonction fédérative de la liberté du commerce et de l'industrie et la loi sur le marché intérieur suisse: l'influence du droit européen et du droit international économique, Festschrift Aubert, Basel 1996, S. 449-471, 459; VINCENT MARTENET/CHRISTOPHE RAPIN, Le marché intérieur suisse, Bern 1999, S. 9; RENÉ RHINOW, Kommentar BV, Rz. 52 ff. zu Art. 31; KILIAN WUNDER, Die Binnenmarktfunktion der schweizerischen Handels- und Gewerbefreiheit im Vergleich zu den Grundfreiheiten in der Europäischen Gemeinschaft, Diss. Basel 1998, S. 124 ff.).
b) Voraussetzung, damit der in
Art. 2 BGBM
gewährleistete freie Zugang zum Markt überhaupt zum Tragen kommt, ist jedoch, dass die angebotene Ware oder Dienstleistung im Kanton, in welchem die anbietende Person ihren Sitz oder ihre Niederlassung hat, zulässig ist. Das ergibt sich aus dem 2. Halbsatz von
Art. 2 Abs. 1 BGBM
und wird in Abs. 3 Satz 1 noch verdeutlicht. Das Binnenmarktgesetz regelt die Rechtsstellung von auswärtigen Anbietern im interkantonalen bzw. interkommunalen Verhältnis, nicht aber diejenige der Ortsansässigen (BBl 1995 I 1285).
Art. 2 BGBM
findet somit keine Anwendung auf kantonalrechtliche Normen, welche die Tätigkeit der innerhalb des Kantons niedergelassenen Personen regeln.
c) Der Beschwerdeführer hat Wohnsitz im Kanton Graubünden und ersucht um die Bewilligung zur Berufsausübung in diesem Kanton. Es handelt sich dabei nicht um ein interkantonales Verhältnis, das in den Geltungsbereich von
Art. 2 BGBM
fällt. Die Zulässigkeit seiner Berufsausübung richtet sich gemäss
Art. 2 Abs. 3 BGBM
- innert der Schranken der Verfassung - einzig nach bündnerischem Recht. Insoweit hat das Binnenmarktgesetz - unter Vorbehalt von seinem Art. 4 - gegenüber der bisherigen Rechtslage keine Änderung zur Folge.
d) Nach
Art. 4 Abs. 1 BGBM
gelten kantonale oder kantonal anerkannte Fähigkeitsausweise zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf dem gesamten Gebiet der Schweiz, sofern sie nicht einer Einschränkung nach
Art. 3 BGBM
unterliegen. Anders als
Art. 2 BGBM
beschränkt sich dies nicht auf das Anbieten von Waren, Dienst- und Arbeitsleistungen, sondern gilt auch für die Niederlassung.
Art. 4 BGBM
erweitert damit den Anwendungsbereich des Herkunftsprinzips auf die Niederlassung, soweit diese von einem Fähigkeitsausweis abhängig ist.
e) Der Beschwerdeführer bringt vor, verschiedene schweizerische Kantone anerkennten das deutsche Diplom als mit dem schweizerischen
BGE 125 I 267 S. 273
gleichwertig. Es fragt sich, ob
Art. 4 BGBM
auch gilt für ausländische Ausweise, die von einzelnen Kantonen anerkannt werden.
Der Vorentwurf zum Binnenmarktgesetz hatte die Formulierung «in der Schweiz erworbene» Fähigkeitsausweise enthalten (BBl 1995 I 1213, 1256). Da dies zur irrtümlichen Annahme verleiten konnte, es seien auch private Fähigkeitsausweise gemeint, ersetzte der Entwurf diese Formulierung durch den Ausdruck «kantonale oder kantonal anerkannte», um klarzustellen, dass das Gesetz nur öffentlichrechtliche Vorschriften bezüglich der Anerkennung von Fähigkeitsausweisen erfasst, nicht aber irgendwelche private Diplome (Amtl. Bull. 1995 S 875 [Berichterstatterin Simmen]); eine materielle Änderung gegenüber dem Vorentwurf war damit nicht beabsichtigt (BBl 1995 I 1256). Weiterhin sollten nur die in der Schweiz erworbenen Fähigkeitsausweise anerkannt werden (BBl 1995 I 1266 f.; vgl. auch KARL WEBER, Das neue Binnenmarktgesetz, Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1996 S. 164-176, 168). Daraus ergibt sich, dass
Art. 4 BGBM
nach der Absicht des Gesetzgebers auf schweizerische Fähigkeitsausweise beschränkt ist. Die Kantone sind nicht verpflichtet, ein bloss von einzelnen Kantonen anerkanntes ausländisches Diplom gestützt auf
Art. 4 BGBM
anzuerkennen. Der Beschwerdeführer kann sich daher nicht auf diese Bestimmung berufen.
4.
a) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Treu und Glauben (
Art. 4 BV
). Das kantonale Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement hatte am 12. Februar 1997 mit einem Schreiben an den Bündner Ärzteverein, den Bündnerischen Apotheker-Verein und die Graubündnerische Zahnärzte-Gesellschaft eine «Praxisänderung» angekündigt: Es hatte erwogen, gestützt auf
BGE 119 Ia 35
sowie
Art. 2 und 3 BGBM
könne einem niedergelassenen Ausländer die Zulassung zur selbständigen Berufsausübung als Medizinalperson nicht verwehrt werden, wenn sein ausländisches Diplom dem eidgenössischen gleichwertig sei. Daher werde künftig den ausländischen Medizinalpersonen, die im Besitze der Niederlassungsbewilligung und eines dem eidgenössischen gleichwertigen ausländischen Diploms seien, die Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung erteilt werden, sofern keine Verweigerungs- oder Entzugsgründe im Sinne von Art. 31 des Gesundheitsgesetzes vorlägen. Der Beschwerdeführer bringt vor, gestützt auf diese «Praxisänderung», die als Feststellungsentscheid zu qualifizieren sei, habe er sein Gesuch gestellt und im Vertrauen darauf verschiedene persönliche Dispositionen getroffen. Es verstosse
BGE 125 I 267 S. 274
gegen Treu und Glauben, wenn die Behörden nun davon wieder abwichen.
b) Die rechtsanwendenden Behörden sind auf Grund des Legalitätsprinzips an das Gesetz gebunden. Vom Gesetz kann nur abgewichen werden, wenn dieses höherrangigem Recht widerspricht. Die Nichtanwendung eines Gesetzes mit der unzutreffenden Begründung, dieses sei verfassungs- oder bundesrechtswidrig, ist jedoch willkürlich (
BGE 119 Ia 433
E. 4 S. 439 ff.;
BGE 111 Ia 176
E. 3c S. 178 f.). Das Departement hatte in seinem Schreiben von 12. Februar 1997 die Regelung von Art. 29 des Gesundheitsgesetzes als verfassungswidrig beurteilt, insbesondere mit Hinweis auf
BGE 119 Ia 35
. Dieser Entscheid betraf jedoch die Frage, ob die Zulassung zu einer Anwaltsprüfung vom schweizerischen Bürgerrecht abhängig gemacht werden könne. Das ist eine andere Frage als die hier zur Diskussion stehende, ob für die Zulassung zur Berufsausübung ein schweizerischer Fähigkeitsausweis verlangt werden könne. Auch in
BGE 119 Ia 35
wurde nicht in Frage gestellt, dass die Zulassung als Anwalt vom Bestehen einer schweizerischen Anwaltsprüfung abhängig gemacht werden kann. Die Erwägungen im Schreiben des Departements vom 12. Februar 1997 waren insoweit unzutreffend. Sodann hat das Bundesgericht nach diesem Schreiben im zitierten Urteil vom 4. Juli 1997 klargestellt, dass derartige Regelungen, wie sie auch in Art. 29 des bündnerischen Gesundheitsgesetzes enthalten sind, der Verfassung nicht widersprechen. Nach dem vorne Ausgeführten widerspricht diese Bestimmung auch nicht dem Binnenmarktgesetz. Unter diesen Umständen war das Departement gehalten, von seiner unzutreffenden Auffassung abzuweichen und das Gesetz anzuwenden.
c) Eine Abweichung vom Gesetz kommt unter diesen Umständen nur nach den Regeln des Vertrauensschutzes in Frage, wenn der Beschwerdeführer sich nach Treu und Glauben auf behördliche Zusicherungen verlassen konnte und gestützt darauf entsprechende Dispositionen getroffen hat. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich das Verhalten der Behörde auf eine konkrete, den betreffenden Bürger berührende Angelegenheit bezieht (
BGE 122 II 113
E. 3b/cc S. 123, mit Hinweisen). Das Schreiben des Departements vom 12. Februar 1997 würde diese Voraussetzung selbst dann nicht erfüllen, wenn es - wie der Beschwerdeführer vorbringt und was übrigens als fraglich erscheint - als Allgemeinverfügung zu qualifizieren wäre. Es handelte sich dabei um eine generelle Ansichtsäusserung des Departementsvorstehers, die weder an den Beschwerdeführer adressiert
BGE 125 I 267 S. 275
war noch dessen konkrete Situation betraf. Die Verbindlichkeit behördlicher Äusserungen auch auf derartige allgemeine Verlautbarungen auszudehnen, hätte zur Folge, dass in einem weiten Umfang das objektive Recht zur Disposition der rechtsanwendenden Behörden gestellt würde, indem diese durch gesetzlich nicht abgedeckte Meinungsäusserungen einem breiten Publikum die Berufung auf eine gesetzwidrige Praxis ermöglichen könnten. Damit würden die Rechtssicherheit und das demokratische Prinzip des Gesetzesvorrangs in einem untragbaren Ausmass tangiert.
5.
Der Beschwerdeführer rügt schliesslich eine Verletzung von
Art. 4 Abs. 2 BGBM
, indem sowohl das Departement als auch das Verwaltungsgericht ihm entgegen dieser Bestimmung Verfahrenskosten auferlegt hätten.
Nach
Art. 4 Abs. 2 BGBM
hat die betroffene Person bei Beschränkungen nach
Art. 3 BGBM
Anspruch darauf, dass in einem einfachen, raschen und kostenlosen Verfahren geprüft wird, ob ihr aufgrund ihres Fähigkeitsausweises der freie Zugang zum Markt zu gewähren ist oder nicht. Diese Vorschrift gilt für das Bewilligungsverfahren schlechthin (
BGE 125 II 56
E. 5b S. 63 f.). Sie gilt nicht nur, wenn es im kantonalen Verfahren um die beruflichen Fähigkeiten des Gesuchstellers im engeren Sinne geht, sondern auch dann, wenn der Fähigkeitsausweis zwar anerkannt, der freie Zugang zum Markt aber aus anderen Gründen beschränkt wird (
BGE 123 I 313
E. 5 S. 323). Wie sich aus dem Bisherigen ergibt, geht es vorliegend jedoch gar nicht um die Frage, ob der nach Binnenmarktgesetz gewährleistete Zugang zum Markt beschränkt wird. Vielmehr ist das Binnenmarktgesetz auf den vorliegenden Sachverhalt gar nicht anwendbar. Die in Art. 4 Abs. 2 vorgesehene Kostenlosigkeit auch auf derartige Fälle auszudehnen, hätte zur Folge, dass jede Rechtsstreitigkeit, die in irgendeiner Weise ein kantonalrechtliches Hindernis für die Ausübung einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit zum Thema hat, in einem kostenlosen Verfahren entschieden werden müsste. Damit würde der im Verwaltungs- und Verwaltungsjustizverfahren übliche Grundsatz, dass der Verursacher einer Verwaltungshandlung bzw. der im Verwaltungsjustizverfahren Unterlegene die Kosten zu tragen hat, für einen wesentlichen Teil des gesamten Verwaltungsrechts aufgehoben. Ein derart weitreichender Eingriff in die Finanz- und Verfahrensautonomie der Kantone kann dem Binnenmarktgesetz nicht entnommen werden. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c047f6ac-bdc1-4005-b54c-755db47e4758 | Urteilskopf
104 IV 186
43. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 2 mai 1978 dans la cause N. contre Procureur général du canton de Genève | Regeste
1. Begünstigung.
a) Der Verweisungsbruch ist ein Dauerdelikt, der nicht nur beim Grenzübertritt, sondern solange begangen wird, als der unberechtigte Aufenthalt andauert. Der des Landes Verwiesene wird durch jede Handlung, die ihn während des unerlaubten Aufenthaltes begünstigt, im Sinne des
Art. 305 StGB
dem Strafvollzug entzogen (E. 1).
b) Die Beherbergung eines Verfolgten oder Verurteilten stellt eine Begünstigung dar, die seine Verhaftung erschwert (E. 2).
c) Die gerichtliche Landesverweisung ist eine Strafe gemäss
Art. 305 StGB
, nicht eine Sicherheitsmassnahme (E. 4).
d)
Art. 23 ANAG
ist im Verhältnis zu
Art. 305 StGB
keine Sondernorm (E. 5).
2. Nötigung.
Wer über soviel Handlungsfreiheit verfügt, dass er sich den angedrohten Nachteilen entziehen oder von aussen, z. B. der Polizei, Hilfe erlangen kann, ist das Opfer eines psychischen Zwanges (vis compulsiva), der ein Verschulden nicht ausschliesst, aber zur Strafmilderung gemäss
Art. 64 StGB
(schwere Drohung) führen kann (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 187
BGE 104 IV 186 S. 187
A.-
L. a été condamné le 26 avril 1976 par la Cour correctionnelle de Genève à un an d'emprisonnement et à 10 ans d'expulsion du territoire suisse. Le 15 juin 1976, une interdiction d'entrée en Suisse lui a été notifiée en outre sur l'ordre de la Police fédérale des étrangers.
Après sa sortie de prison, le 7 juillet 1976, il s'est rendu en Espagne avec N., sa maîtresse du moment, qui est restée une semaine avec lui dans ce pays et qui est ensuite retournée le voir.
Le 27 octobre 1976, L. est venu à Genève, où il a été hébergé par N. jusqu'au 31 octobre 1976. Il l'a contrainte à l'héberger en se livrant sur elle à des voies de fait et en la menaçant de tuer son chien, au cas où elle le dénoncerait à l'occasion d'une sortie pour faire des courses. N. a pris enfin un billet d'avion pour L., pour lui permettre de quitter la Suisse. L. a été interpellé par la police le 31 octobre 1976 au bar de l'aéroport de Cointrin, mais il a pu s'échapper.
B.-
Le 24 novembre 1977, le Tribunal de police de Genève a reconnu N. coupable d'entrave à l'action pénale (
art. 305 CP
) et l'a condamnée à 10 jours d'emprisonnement.
Statuant en appel le 23 janvier 1978, la Cour de justice du canton de Genève a confirmé le jugement du Tribunal de police, mais elle a remplacé la peine de 10 jours d'emprisonnement par celle de 500 fr. d'amende. Elle a mis N. au bénéfice de la circonstance atténuante d'avoir agi sous l'empire d'une menace grave, et elle a en conséquence atténué la peine en application de l'
art. 65 CP
; elle a également tenu compte du fait que la recourante a pris un billet d'avion pour L., afin qu'il quitte la Suisse.
BGE 104 IV 186 S. 188
C.-
N. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Elle conclut à libération.
Le Procureur général du canton de Genève propose de rejeter le pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) La recourante se plaint en premier lieu d'une fausse application de l'
art. 305 CP
, car il n'y aurait, selon elle, pas de lien de causalité entre l'acte qui lui est reproché et le résultat; elle ne saurait avoir soustrait L. à l'exécution d'une peine, dès lors qu'il s'y est soustrait lui-même en franchissant la frontière, commettant ainsi une rupture de ban au sens de l'
art. 291 CP
. Elle n'a donc pas favorisé par un acte positif l'inexécution de l'expulsion, ni contribué à ce résultat, qui était déjà acquis au moment où L. franchissait la frontière.
b) Ainsi que le Tribunal fédéral a eu l'occasion de le préciser encore récemment, il faut entendre par exécution d'une peine toute décision du juge portant exécution. On doit donc déjà considérer comme une entrave à l'action pénale toute obstruction, totale ou partielle, à la décision du juge portant exécution. A l'exemple des tribunaux allemands, on doit considérer que l'infraction définie à l'
art. 305 CP
est consommée lorsque la personne favorisée a été soustraite à l'exécution de sa peine même de manière purement temporaire (
ATF 99 IV 276
/277). Aussi longtemps qu'il est fait obstruction à la décision du juge, toute aide à cette obstruction constitue un acte de soustraction. De même qu'en matière de peine privative de liberté, il y a obstruction aussi longtemps que la décision d'exécution n'est pas respectée et non pas seulement lorsque la personne visée s'évade ou franchit le premier pas en se soustrayant à l'exécution, de même en matière d'expulsion, il y a obstruction aussi longtemps que la décision d'expulsion n'est pas respectée, et non pas seulement au moment où l'expulsé commence à séjourner en Suisse ou y pénètre sans droit. La rupture de ban est en effet un délit continu qui est réalisé aussi longtemps que dure le séjour illicite en Suisse, et non pas seulement un délit consommé par le seul passage à la frontière (HAFTER, Bes. Teil, II, p. 744; STRATENWERTH, Bes. Teil, II, p. 593). Tout acte de favorisation accompli durant le séjour illicite en Suisse de la personne frappée d'expulsion constituant une soustraction au
BGE 104 IV 186 S. 189
sens de l'
art. 305 CP
, le premier moyen de la recourante est mal fondé.
2.
a) La recourante soutient ensuite que l'infraction qui lui est reprochée consisterait en une omission, celle de ne pas avoir dénoncé L. Or une telle omission ne pourrait être retenue à sa charge que si elle était tenue juridiquement d'accomplir l'acte omis.
b) La recourante se méprend sur la nature de l'acte qui lui est reproché. Il ne s'agit non pas de l'omission consistant à n'avoir pas dénoncé L., mais de l'acte positif consistant à l'avoir hébergé. Or, selon une jurisprudence toute récente et qui ne peut être que maintenue, le Tribunal fédéral a confirmé que l'hébergement d'une personne poursuivie pénalement (ou faisant l'objet d'une mesure d'exécution) constituait un acte de soustraction, car l'aide ainsi fournie rend l'arrestation plus difficile (
ATF 103 IV 99
/100).
3.
a) La recourante fait valoir aussi qu'elle n'aurait pas agi intentionnellement, faute d'avoir eu la volonté de commettre l'infraction. En effet, la cour cantonale a retenu, au vu des circonstances, qu'elle avait agi sous l'impression d'une menace grave; elle aurait dès lors agi, selon elle, sous l'empire d'une contrainte la privant totalement de son libre arbitre.
b) L'acte accompli sous l'empire d'une contrainte physique ou morale pose un problème de culpabilité (LOGOZ, Partie générale, 2e éd., p. 175/176). Bien qu'aucune disposition légale ne le dise expressément, il est généralement admis en doctrine qu'aucune culpabilité n'existe chez celui qui a agi sous l'empire d'une force irrésistible absolue (vis absoluta), comme la contrainte physique absolue. En revanche, la culpabilité n'est pas exclue chez celui qui a agi sous l'empire d'une force simplement contraignante, d'une menace ou d'une violence relativement irrésistible (vis compulsiva), comme la contrainte psychique. Dans un tel cas, le Code pénal ne prévoit que l'application d'une circonstance atténuante de l'
art. 64 CP
: l'atténuation de peine en faveur de celui qui a agi sous l'impression d'une menace grave. On doit cependant admettre que, dans certains cas particuliers de grave contrainte, et compte tenu de l'âge, de l'état de santé et de la capacité de résistance de la personne menacée, une vis compulsiva peut être qualifiée d'irrésistible et permettre ainsi de conclure à l'absence de culpabilité (cf. HAFTER, Allg. Teil, 2e éd., p. 179/180; SCHULTZ, Allg.
BGE 104 IV 186 S. 190
Teil, 2e éd., p. 200/201, et RPS 67 (1952), p. 356 ss.; GERMANN, Das Verbrechen, p. 175; FLURI, Zur Lehre von der Tatverantwortung, thèse Zurich 1972, p. 173).
In casu, toutefois, et bien que l'on puisse hésiter, les circonstances et la nature des menaces ne permettent tout de même pas de dire que la contrainte dont la recourante a été l'objet était irrésistible. L'autorité cantonale a en effet constaté, et il n'y a pas à y revenir (art. 273, al. 1, litt. b, et 277bis, al. 1, PPF), que la recourante avait conservé une certaine liberté d'action, suffisante pour lui permettre de se soustraire aux menaces dont elle était l'objet, voire d'obtenir une aide extérieure, le cas échéant celle de la police. Il n'est dès lors pas possible de considérer que la vis compulsiva a atteint un degré tel que ses effets puissent être assimilés à une vis absoluta excluant toute culpabilité.
Ce moyen doit donc aussi être rejeté.
4.
a) La recourante fait valoir encore que l'expulsion judiciaire, dont L. a été l'objet, est une mesure de sûreté. Bien que le Code pénal la fasse figurer dans les peines accessoires, l'expulsion n'en serait pas moins, dans son principe, en raison de son but qui est d'éviter la commission en Suisse de nouveaux délits, une mesure de sûreté. Dès lors, une telle mesure n'étant pas mentionnée à l'
art. 305 CP
, cette disposition ne serait pas applicable en cas de soustraction à une expulsion.
b) On doit relever que, par "l'exécution d'une peine" (Strafvollzug), l'
art. 305 CP
vise aussi bien la peine principale que les peines accessoires prévues par le Code pénal. Cette interprétation ressort tant de la systématique du code que des travaux préparatoires et de la doctrine unanime (Travaux préparatoires, Prot. V, GAUTIER, p. 247/248; LOGOZ, Partie spéciale, II, p. 717; HAFTER, Bes. Teil, II, p. 742/743; STRATENWERTH, Bes. Teil, II, p. 620; BRÜHWILER, Die Begünstigung, thèse Fribourg 1942, p. 48; BETTENHAUSEN, Begünstigung im schweiz. Strafrecht, thèse Bâle 1970, p. 13). Aucune de ces sources ne réserve une place particulière à l'expulsion; elles la mentionnent même expressément au nombre des peines visées par l'
art. 305 CP
.
Il importe peu que, techniquement, plusieurs auteurs considèrent que l'expulsion est, dans son principe, moins une peine qu'une mesure de sûreté. Ce qui est essentiel, c'est que, systématiquement, le législateur a délibérément introduit l'expulsion dans les peines accessoires, avec toutes les conséquences attachées
BGE 104 IV 186 S. 191
à une telle classification: notamment l'application des
art. 63 et 41 CP
(cf.
ATF 94 IV 103
, consid. 2). Le fait que les auteurs ne s'accordent pas sur la définition des peines accessoires et principales (et des mesures de sûreté) est d'ailleurs une raison supplémentaire de s'en tenir à la classification légale (cf.
ATF 86 IV 235
).
L'entrave à l'exécution de l'expulsion judiciaire est donc bien visée par l'
art. 305 CP
.
5.
a) La recourante soutient enfin que l'acte d'hébergement qui lui est reproché est non seulement visé par l'
art. 305 CP
, mais également par l'art. 23 de la loi sur le séjour et l'établissement des étrangers (LSEE). Elle fait valoir alors que la règle spéciale de l'
art. 23 LSEE
devrait l'emporter sur celle de l'
art. 305 CP
. Elle devrait l'emporter non seulement au titre de loi spéciale, mais également parce qu'elle constitue une "lex mitior".
b) Contrairement à ce que pense la recourante, la jurisprudence a récemment eu l'occasion de se prononcer sur ce point. Il a été jugé en effet, à propos de la rupture de ban - à savoir l'insoumission du condamné à une décision d'expulsion prononcée par le juge ou par une autorité compétente - que l'
art. 23 LSEE
ne se présente pas comme une disposition spéciale au regard de l'
art. 291 CP
. La disposition du Code pénal punit en effet celui qui ne se conforme pas à une décision d'expulsion, tandis que l'art. 23, al. 1, LSEE punit d'une manière générale celui qui entre ou réside illégalement en Suisse. C'est ainsi la disposition de la LSEE qui a un caractère subsidiaire par rapport aux dispositions du Code pénal en la matière, et non l'inverse (
ATF 100 IV 245
/246, consid. 1; cf. TRAUTWETTER, Die Ausweisung von Ausländern durch den Richter, p. 92/93, n. 1).
Ce qui vaut pour la rupture de ban imputable à l'expulsé vaut également pour les actes de favorisation commis par les tiers. Ainsi l'
art. 305 CP
, comme l'
art. 291 CP
, doit être considéré comme lex specialis par rapport à l'
art. 23 LSEE
.
Le dernier moyen de la recourante étant également mal fondé, le pourvoi doit être rejeté. | null | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c048b8c7-0d9b-4abb-919a-3be0a875520a | Urteilskopf
111 II 373
73. Estratto della sentenza della I Corte civile del 9 luglio 1985 nella causa F. S.A. c. D. (ricorso per riforma) | Regeste
Verantwortlichkeitsklage eines Gläubigers gegen die Organe einer konkursiten Aktiengesellschaft;
Art. 754, 756 Abs. 2 OR
.
Soweit der Gläubiger die Klage aus dem Recht der Gesellschaft ableitet, kann ihm nicht sein eigenes Mitverschulden entgegengehalten werden (E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 373
BGE 111 II 373 S. 373
Il 29 settembre 1977 veniva costituita ad A. con rogito del notaio B. la C. S.A. con un capitale azionario interamente versato di Fr. 100'000.--. Quale amministratore unico della società era nominato D., dipendente dello studio dell'avv. B. L'amministratore rilasciava a E., azionista principale e anima della società, una procura generale che gli conferiva i più ampi poteri di direzione della società e gli consegnava pure il capitale sociale.
Nell'ottobre 1977 E. concludeva per la C. S.A. con la ditta F. S.A. un contratto per la stampa di 24 numeri di una rivista. Contrariamente agli accordi previsti, la C. S.A. non faceva peraltro fronte ai suoi impegni nei confronti della ditta F. S.A. La pubblicazione della rivista doveva di conseguenza essere sospesa dopo la stampa dei primi tre numeri.
BGE 111 II 373 S. 374
Il 5 giugno 1979 veniva dichiarato il fallimento della C. S.A. La ditta F. S.A. era ammessa in tale fallimento per un credito complessivo di Fr. 345'997.89. In applicazione dell'art. 260 LEF, essa si faceva cedere il diritto di promuovere azione di risarcimento dei danni nei confronti degli organi sociali della C. S.A. ai sensi degli
art. 753 e 754
CO.
Con petizione del 23 aprile 1981 proposta alla I Camera civile del Tribunale di appello del Cantone Ticino, la ditta F. S.A. chiedeva che A. fosse condannato a versarle la somma di Fr. 382'297.89, oltre interessi.
Con sentenza del 22 agosto 1984 la Corte cantonale accoglieva parzialmente la petizione, condannando A. a versare alla F. S.A. l'importo di Fr. 94'254.50, oltre interessi. Per il rimanente essa respingeva la domanda.
Il convenuto è insorto con ricorso per riforma al Tribunale federale contro tale sentenza, chiedendo che essa sia annullata e che la petizione sia respinta integralmente.
Dal canto suo, l'attrice ha proposto ricorso adesivo, chiedendo che la sentenza impugnata sia annullata e che il convenuto sia condannato a versarle la somma di Fr. 189'281.--, oltre interessi.
Il Tribunale federale ha respinto il ricorso principale ed ha accolto il ricorso adesivo.
Erwägungen
Dai considerandi di diritto:
2.
et 3.- (dimostrazione della colpa grave del convenuto consid. 4a: legittimazione dell'attrice a proporre l'azione sociale)
4.
b) Tenuto fermo che all'attrice, la quale ha la duplice veste di sostituta del socio e di creditrice, compete l'azione sociale, si pone la questione se il convenuto possa opporle l'eccezione di concolpa. La risposta dev'essere chiaramente negativa. Se l'azione fosse stata proposta dalla società stessa o dall'amministrazione del fallimento, l'eccezione con cui fosse fatta valere una colpa concorrente del creditore, ma non della massa, sarebbe manifestamente inammissibile. Orbene, se la massa cede il suo diritto di esercitare l'azione di responsabilità ad un creditore, questi - beninteso nella misura in cui si tratti dell'azione sociale - viene a trovarsi concettualmente nella stessa situazione in cui si troverebbe la società che facesse valere le proprie pretese. Ciò esclude che in tale sede possa essere presa in considerazione una colpa concorrente del creditore. In altri termini, dal principio secondo cui non possono essere opposte alla società eccezioni
BGE 111 II 373 S. 375
opponibili soltanto ad un creditore, discende che, nella misura in cui il creditore eserciti l'azione sociale, non gli può essere opposta una propria colpa concorrente.
5.
Non essendo opponibile all'attrice, che ha pacificamente esercitato l'azione sociale regolarmente cedutale, l'eccezione relativa alla sua pretesa colpa concorrente, essa ha diritto di vedersi riconosciuto, in linea di principio, l'intero credito fatto valere in giudizio, dato che l'ammontare del danno subito dalla società non è inferiore alla somma richiesta con il ricorso adesivo. In quanto avesse agito con la diligenza che da lui poteva pretendersi, il convenuto avrebbe infatti potuto impedire la perdita in breve tempo del capitale azionario interamente versato di Fr. 100'000.--, come pure l'insorgere di passivi di almeno Fr. 190'000.-- non compensati da attivi corrispondenti.
Ne segue che, mentre il ricorso principale dev'essere respinto integralmente, quello adesivo merita integrale accoglimento. | public_law | nan | it | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c049aef1-e7a7-48f2-a40d-09fac36f6162 | Urteilskopf
98 V 165
42. Auszug aus dem Urteil vom 8. September 1972 i.S. Bonaccio gegen Versicherungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 67 und 68 KUVG
, Art. 3 der VO über Berufskrankheiten.
Wann können Sonnenstich, Sonnenbrand und Hitzschlag als Berufskrankheit, wann als Unfall qualifiziert werden? | Erwägungen
ab Seite 165
BGE 98 V 165 S. 165
Aus den Erwägungen:
Die Vorinstanz ist stillschweigend von der Annahme ausgegangen, der Beschwerdeführer leide an einer - nicht näher bezeichneten - Berufskrankheit im Sinn des
Art. 68 Abs. 3 KUVG
, die jedoch wegen ihrer wirtschaftlich bedeutungslosen Auswirkungen keinen Rentenanspruch zu begründen vermöchte. Die SUVA ihrerseits verneint Folgen eines Unfalles oder einer Berufskrankheit. Aus diesen Gründen ist zunächst zu prüfen, ob die geltend gemachte gesundheitliche Beeinträchtigung des Versicherten überhaupt auf ein versichertes Ereignis zurückgeht.
Die SUVA versichert gegen (Betriebs- und Nichtbetriebs-) Unfälle sowie gegen Berufskrankheiten (
Art. 67 und 68 KUVG
). Gestützt auf
Art. 68 Abs. 3 KUVG
hat der Bundesrat in Art. 3 der Verordnung über Berufskrankheiten Sonnenstich, Sonnenbrand und Hitzschlag den Berufskrankheiten gleichgestellt, sofern sie "ausschliesslich oder vorwiegend" durch Arbeiten in einem die Versicherung bedingenden Betrieb verursacht worden sind. MAURER (Recht und Praxis der Schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 91, lit. b)
BGE 98 V 165 S. 166
vertritt die Auffassung, dass die erwähnten Wärmeeinwirkungen auch als Unfälle bewertet werden können (vgl. ferner DUBOIS/ZOLLINGER, Unfallmedizin, S. 380). Dies hätte wohl zu bedeuten, dass der während der Arbeit entstandene Sonnenstich als Berufskrankheit zu gelten hätte und die SUVA in diesem Fall nur unter der Voraussetzung der ausschliesslichen oder überwiegenden Entstehung in dem ihr unterstellten Betrieb haften würde. Ist dagegen der Sonnenstich nicht während der Arbeit aufgetreten, so wäre er als Nichtbetriebsunfall gemäss
Art. 67 Abs. 3 KUVG
zu qualifizieren und von der SUVA stets zu übernehmen. Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein Unfall dann vor, wenn die Gesundheit eines Versicherten gegen dessen Willen durch die plötzliche Einwirkung eines mehr oder weniger ungewöhnlichen äussern Faktors geschädigt wird.
Indessen lässt sich nicht rechtfertigen, einen und denselben Gesundheitsschaden rechtlich als Berufskrankheit oder als Unfall zu behandeln, je nachdem, ob er während oder ausserhalb der Arbeit eintritt. Zudem entstehen Sonnenstich, Sonnenbrand und Hitzschlag nicht durch die Einwirkung eines "mehr oder weniger ungewöhnlichen" äusseren Faktors und erfüllen daher den Unfallbegriff in der Regel nicht. Anders verhält es sich, wenn diese schädigenden Einwirkungen sich im Gefolge ausserordentlicher Vorgänge einstellen; so beispielsweise, wenn ein Versicherter ein Bein bricht, sich deshalb nicht fortbewegen kann und der Sonnenbestrahlung ausgesetzt bleibt, die zur gesundheitlichen Schädigung führt (vgl. MAURER, a.a.O., S. 89, lit. c). Nur in derartigen Ausnahmefällen sind Sonnenstich, Sonnenbrand und Hitzschlag rechtlich als betrieblicher oder ausserbetrieblicher Unfall zu qualifizieren. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
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