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7ce5a4c4-bca0-4b8a-9903-a6dfc5f4d412 | Urteilskopf
139 II 373
27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.X. und Mitb. gegen Steueramt des Kantons Aargau, Kantonales Steueramt Zürich und Mitb. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_243/2011 vom 1. Mai 2013 | Regeste
Art. 127 Abs. 3 BV
;
Art. 97 Abs. 1,
Art. 99 Abs. 1,
Art. 100 Abs. 5,
Art. 105 Abs. 1 BGG
,
Art. 12 Abs. 4 StHG
; interkantonale Doppelbesteuerung; Liegenschaftenhändler; Verrechnung eines Geschäftsverlustes mit Liegenschaftsgewinnen.
Anforderungen an das kantonale Verfahren, wenn eine interkantonale Doppelbesteuerung gerügt wird (E. 1.4-1.7).
Den Kantonen mit monistischem System der Grundstückgewinnbesteuerung steht es nach
Art. 12 Abs. 4 StHG
frei, ob sie einen innerkantonalen Geschäftsverlust bei der Grundstückgewinnsteuer berücksichtigen wollen oder nicht. Gegen die Verweigerung einer solchen Verlustverrechnung steht die Beschwerde wegen interkantonaler Doppelbesteuerung nicht offen (E. 3.5). Zwecks Schaffung vergleichbarer Verhältnisse im interkantonalen Verhältnis hat aber der Kanton in seiner Steuerausscheidung die Grundstückgewinne und Geschäftsverluste vollumfänglich zu berücksichtigen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 374
BGE 139 II 373 S. 374
A.X. mit Wohnsitz in L., Kanton Zürich, ist als Liegenschaftenhändler in mehreren Kantonen tätig. Im Jahr 2003 erzielte er aus der Veräusserung von Liegenschaften im Kanton Zürich Grundstückgewinne, die durch die zuständigen kommunalen Grundsteuerkommissionen mit der zürcherischen Grundstückgewinnsteuer erfasst worden sind. Die entsprechenden Veranlagungsverfügungen ergingen in den Jahren 2003-2007 und sind rechtskräftig. Im Jahr 2003 veräusserte A.X. zudem seinen Anteil von einem Drittel an einer Überbauung in M., Kanton Aargau, für Fr. 51'474'056.- an seine Mitgesellschafter.
Mit Taxationsprotokoll des Kantonalen Steueramtes Zürich vom 30. April 2007 wurden A.X. und B.X. für die zürcherischen Staats- und Gemeindesteuern 2003 eingeschätzt. In der interkantonalen Steuerausscheidung anerkannte das Kantonale Steueramt Zürich von den geltend gemachten Vorjahresverlusten von insgesamt Fr. 4'099'151.- (100 %) einen Anteil von Fr. 740'723.- (18,07 %) zu Lasten des Hauptsteuerdomizils L., den überwiegenden Verlustanteil von Fr. 3'197'599.- (78,01 %) wies es dem Kanton Aargau zu. Diese Verlustausscheidung beruht auf einer quotalen Ausscheidung entsprechend den Netto-Liegenschaftserträgen, wobei die Zürcher Grundstückgewinne unberücksichtigt blieben. Die Veranlagung ist rechtskräftig.
Am 2. Oktober 2008 erfolgte die Veranlagung für die aargauischen Kantons- und Gemeindesteuern 2003 durch die Steuerkommission der Gemeinde M., Kanton Aargau. In der interkantonalen Steuerausscheidung wies sie den Erlös aus der Veräusserung der Beteiligung an der Überbauung in M. dem Kanton Aargau zur Besteuerung zu. Von den im Kanton Zürich geltend gemachten Vorjahresverlusten von insgesamt Fr. 3'998'900.- (100 %) berücksichtigte sie einen Betrag von Fr. 1'566'823.- (39,18 %), entsprechend der Quote der
BGE 139 II 373 S. 375
Gemeinde M. am gesamten Reineinkommen, zu Lasten des Kantons Aargau.
Mit Urteil vom 2. Februar 2011 bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau kantonal letztinstanzlich diese Veranlagung und wies eine Beschwerde der Steuerpflichtigen ab. Die Steuerpflichtigen hatten beanstandet, dass der Kanton Aargau die im Kanton Zürich angefallenen Grundstückgewinne für die Satzbestimmung vollumfänglich berücksichtige und den im Kanton Zürich verbleibenden Vorjahresverlust nur quotal übernommen habe. Eine Doppelbesteuerung könne zurzeit nur so vermieden werden, dass der Kanton Aargau auf den Einbezug der Zürcher Grundstückgewinne für die Satzbestimmung verzichte und zudem alle noch nicht verrechneten Verluste übernehme.
Die Steuerpflichtigen führen beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wegen Verletzung des Verbots der interkantonalen Doppelbesteuerung gegen die Kantone Zürich und Aargau sowie gegen die Zürcher Gemeinden mit Grundstückgewinnen im Jahr 2003. Sie verlangen (u.a.), dass der Kanton Zürich und die zürcherischen Gemeinden mit Grundstückgewinnen Vorjahresverluste in der Höhe von Fr. 4'099'151.- zu übernehmen habe. Eventualiter habe der Kanton Aargau ohne Berücksichtigung der Zürcher Grundstückgewinne in seiner Steuerausscheidung Vorjahresverluste von Fr. 3'998'900.- anzuerkennen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gegenüber dem Kanton Zürich gut. Auf die Beschwerde gegen die Zürcher Gemeinden mit Grundstückgewinnen tritt das Bundesgericht nicht ein. Die Beschwerde gegenüber dem Kanton Aargau weist das Bundesgericht ab, soweit darauf einzutreten ist.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.4
Bei Beschwerden wegen interkantonaler Kompetenzkonflikte beginnt die Beschwerdefrist spätestens dann zu laufen, wenn in beiden Kantonen Entscheide getroffen worden sind, gegen welche beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden kann (
Art. 100 Abs. 5 BGG
). Es kann daher auch eine bereits ergangene rechtskräftige Veranlagung eines konkurrierenden Kantons in die Beschwerde wegen interkantonaler Doppelbesteuerung einbezogen werden.
BGE 139 II 373 S. 376
Während das Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; BS 3 531) mit den seitherigen Änderungen noch eine Ausnahme vom Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges bei Beschwerden auf dem Gebiet der interkantonalen Doppelbesteuerung vorsah (
Art. 86 Abs. 2 OG
), lässt das BGG keine derartige Ausnahme mehr zu (
BGE 133 I 300
E. 2.3 S. 305 f.,
BGE 133 I 308
E. 2.3 S. 312; Urteil 2C_708/2012 vom 21. Dezember 2012 E. 1.3, nicht publ. in:
BGE 139 I 64
). Immerhin ist der mehrfach Besteuerte - entgegen dem in dieser Hinsicht nicht ganz klaren Wortlaut des
Art. 100 Abs. 5 BGG
- nicht verpflichtet, in jedem Kanton den Instanzenzug zu durchlaufen. Es genügt, wenn er das in demjenigen Kanton tut, dessen Entscheid er schliesslich beim Bundesgericht anfechten will (vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4326 ad Art. 80 Abs. 2 E-BGG;
BGE 133 I 300
E. 2.4 S. 306 f.,
BGE 133 I 308
E. 2.4 S. 313). Nach wie vor ist es auch möglich, eine unzulässige interkantonale Doppelbesteuerung sofort geltend zu machen, ohne dass bereits ein zweiter Kanton entschieden hat (virtuelle Doppelbesteuerung).
Art. 100 Abs. 5 BGG
, der bestimmt, dass die Beschwerdefrist
spätestens
(
au plus tard
) zu laufen beginnt, wenn in beiden Kantonen Verfügungen getroffen worden sind, bringt das besser zum Ausdruck als der frühere
Art. 89 Abs. 3 OG
, wonach bei Beschwerden wegen interkantonaler Kompetenzkonflikte die Frist
erst
(
seulement après
) zu laufen begann, wenn in beiden Kantonen Entscheide getroffen worden waren (
BGE 133 I 308
E. 2.3 i.f. S. 312).
Es folgt daraus, dass die Beschwerdeführer im Anschluss an den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau mit Beschwerde wegen interkantonaler Doppelbesteuerung (
Art. 127 Abs. 3 BV
) grundsätzlich auch die bereits rechtskräftige Veranlagung des Kantons Zürich für die Kantons- und Gemeindesteuern 2003 sowie die zürcherischen Grundstückgewinnsteuerveranlagungen mit einbeziehen konnten.
1.5
Die Beschwerdeführer bringen vor, sie hätten aufgrund der durch die Veranlagung im Kanton Aargau verursachten Aktualisierung der Doppelbesteuerung allenfalls auch revisionsweise die Aufhebung der Veranlagungen im Kanton Zürich beantragen können.
Es trifft zu, dass einige Kantone in ihren steuerrechtlichen Bestimmungen für den Fall der Doppelbesteuerung ausdrücklich eine Revision vorsehen (so beispielsweise
Art. 189 Abs. 1 lit. d StG
/AR,
§ 168
BGE 139 II 373 S. 377
Abs. 1 lit. d StG
/LU,
Art. 197 Abs. 1 lit. d StG
/SG,
§ 165 Abs. 1 lit. e StG
/SO und
Art. 232 Abs.1 lit. d StG
/TI; vgl. HUGO CASANOVA, in: Interkantonales Steuerrecht, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, 2011, § 45 N. 10 S. 522; KLAUS A. VALLENDER: Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, 2. Aufl. 2002, N. 23 zu
Art. 51 StHG
). In Rechtsprechung und Literatur wird postuliert, dass im Falle einer - sich nachträglich ergebenden aktuellen - Doppelbesteuerung ein solcher Revisionsanspruch auch ohne einen entsprechenden expliziten Revisionsgrund im Steuergesetz, gestützt auf
Art. 127 Abs. 3 BV
, besteht (in diesem Sinne die Steuerrekurskommission II des Kantons Zürich, in: StE 2010 B 97.11 Nr. 25 E. 3a/bb und 3b, mit Hinweis auf PETER LOCHER, Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wegen Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots von
Art. 127 Abs. 3 BV
, ASA 77 S. 502 f.; ebenso PETER LOCHER, Einführung in das interkantonale Steuerrecht, 3. Aufl. 2009, S. 141; s. auch DANIEL DE VRIES REILINGH, Steiniger Weg ans Bundesgericht in Doppelbesteuerungssachen [...], Entwicklungen im Steuerrecht 2009, 2009, S. 252, der von Wiedererwägung spricht). Es wird dazu ausgeführt, dieses Rechtsmittel sei am besten geeignet, wenn ein Steuerpflichtiger die Veranlagung im zweitveranlagenden Kanton akzeptieren wolle und lediglich diejenige im erstveranlagenden Kanton als unrichtig erachte (vgl. LOCHER, Interkantonales Steuerrecht, a.a.O., S. 140 f. mit Nachweisen; CASANOVA, a.a.O., § 45 N. 10 f. S. 522).
Wie es sich damit verhält, kann aber offenbleiben. Die Frage stellt sich nicht, nachdem die Beschwerdeführer den kantonal instanzabschliessenden Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau beim Bundesgericht mit Doppelbesteuerungsbeschwerde angefochten und in diese Beschwerde auch die Veranlagungen des Kantons Zürich mit einbezogen haben.
1.6
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG
). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG
). Unter diesen Voraussetzungen kann das Bundesgericht nach
Art. 105 Abs. 2 BGG
die vorinstanzliche
BGE 139 II 373 S. 378
Sachverhaltsfeststellung auch von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen (
BGE 137 V 57
E. 1.3).
Gemäss
Art. 99 Abs. 1 BGG
dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Neue Begehren sind unzulässig (
Art. 99 Abs. 2 BGG
).
1.7
Diese Bindung an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt (
Art. 97 Abs. 1,
Art. 105 Abs. 1 BGG
) und das Novenverbot (
Art. 99 Abs. 1 BGG
) gelten auch für Beschwerden in Sachen der interkantonalen Doppelbesteuerung. Wie erwähnt (vgl. E. 1.4) schreibt das Bundesgerichtsgesetz auf dem Gebiet der interkantonalen Doppelbesteuerung neuerdings vor, dass der kantonale Instanzenzug zumindest in einem Kanton durchlaufen werden muss (
Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG
). Dieses Erfordernis hätte keinen Sinn, wenn der Beschwerdeführer alle seine Behauptungen und Beweismittel auch noch im bundesgerichtlichen Verfahren vorbringen könnte (vgl. zum Ganzen Urteil 2C_514/2008 vom 8. September 2009 E. 3.1, in: StR 65/2010 S. 138; LOCHER/LOCHER, Die Praxis der Bundessteuern, Teil III: Das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht, § 12, IV B, 3 Nr. 3; a.M. DE VRIES REILINGH, a.a.O., S. 251; kritisch zum Novenverbot auch STÄHLIN/KÖNIG, Doppelbesteuerungsbeschwerden unter dem neuen Verfahrensrecht: Klarstellung des Bundesgerichts, Der Schweizer Treuhänder 2009 S. 375 f.). Anders verhält es sich nur dann, wenn der Kanton, dessen Veranlagung bereits rechtskräftig ist und für den die Bindungswirkung nicht gilt, diese Feststellungen bestreitet. Nur in diesem Fall kommt das Bundesgericht nicht umhin, den Sachverhalt frei zu prüfen, und ist auch das Novenverbot zu relativieren. Zu denken ist vor allem an den Fall, dass der andere Kanton den Sachverhalt bestreitet und eigene Beweismittel vorlegt, zu denen sich der Beschwerdeführer noch nicht äussern konnte (
BGE 133 I 300
E. 2.3 S. 306; Urteile 2C_514/2008 vom 8. September 2009 E. 3.1, in: StR 65/2010 S. 138; LOCHER/LOCHER, a.a.O., § 12, IV A, 2 Nr. 8; 2C_230/2008 vom 27. August 2008 E. 1.3, in: StR 64/2009 S. 302).
Konsequenz des dargestellten Novenverbots ist, dass die Vorinstanz bei Geltendmachung einer interkantonalen Doppelbesteuerung die Vorbringen des Beschwerdeführers zu prüfen hat, auch wenn dieser die Veranlagung des Kantons, in dem er das Verfahren führt, als richtig und die Veranlagung eines anderen Kantons als unzutreffend erachtet. Sie hat somit im Rahmen der Überprüfung der
BGE 139 II 373 S. 379
Veranlagung des eigenen Kantons den massgebenden Sachverhalt festzustellen und die erforderliche rechtliche Würdigung vorzunehmen. Sie kann sich insbesondere nicht auf die Feststellung beschränken, mangels Beschwer im eigenen Kanton fehle es dem Beschwerdeführer an einem Rechtsschutzinteresse (zur Problematik bei Nichteintretensentscheiden in Doppelbsteuerungsfragen, s. auch Urteil 2C_702/2008 vom 15. Mai 2009 E. 4 mit Hinweisen, in: StE 2010 A 24.5 Nr. 6, StR 64/2009 S. 816; LOCHER/LOCHER, a.a.O., § 12, IV A, 2 Nr. 8; MEIER/CLAVADETSCHER, Prozessuale Klippen bei der Durchsetzung des interkantonalen Doppelbesteuerungsverbots, IFF Forum für Steuerrecht 2007 S. 140; MADELEINE SIMONEK, Unternehmenssteuerrecht, Entwicklungen 2007, 2008, S. 121; DE VRIES REILINGH, a.a.O., S. 252). Das folgt aus dem in
Art. 111 Abs. 3 BGG
enthaltenen Grundsatz, dass die kantonale Rechtsmittelbehörde die Rechtsmittelbefugnis nicht enger fassen darf, als dies für die Beschwerde an das Bundesgericht vorgesehen ist (
BGE 138 II 162
E. 2.1.1;
BGE 136 II 281
E. 2.1;
BGE 135 II 145
E. 5), in Verbindung mit der sich aus
Art. 100 Abs. 5 BGG
ergebenden Befugnis des Steuerpflichtigen, im Rahmen einer Doppelbesteuerungsbeschwerde an das Bundesgericht auch die bereits rechtskräftige Veranlagung eines anderen Kantons mit anzufechten.
(...)
3.
(...)
3.5
In die Doppelbesteuerungsbeschwerde gegen den Kanton Zürich können nach
Art. 100 Abs. 5 BGG
auch die Grundstückgewinnsteuerveranlagungen der Zürcher Gemeinden mit Grundstückgewinnen einbezogen werden (Urteile 2C_689/2010 vom 4. April 2011 E. 1.2 in: ASA 80 S. 361; 2C_375/2010 vom 22. März 2011 E. 6, in: StE 2011 A 24.43.1 Nr. 21, RDAF 2011 II S. 494). Es kann damit geltend gemacht werden, die Zürcher Grundstückgewinnsteuerveranlagungen würden gegen das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht verstossen.
Vorliegend geht es indessen um eine innerkantonale Angelegenheit. Streitig ist die Übernahme eines Verlustes (Vorjahresverluste) des Hauptsteuerdomizils im Kanton Zürich durch mehrere Spezialsteuerdomizile im gleichen Kanton (Beschwerdeantrag 1c). Unerheblich ist, dass im Rahmen der interkantonalen Steuerausscheidung ein Teil der Vorjahresverluste des Hauptsteuerdomizils auf ausserkantonale Nebensteuerdomizile zu verlegen sind und dass in diesem Rahmen auch die im Kanton Zürich realisierten Grundstückgewinne
BGE 139 II 373 S. 380
zu berücksichtigen sind (vgl. dazu E. 4 nachfolgend). Massgebend ist, dass im vorliegenden Kontext lediglich die innerkantonale Verlegung noch verbleibender Verlustvorträge zur Diskussion steht. Der Kanton Zürich erhebt die Grundstückgewinnsteuer nach dem monistischen System auch auf den Grundstückgewinnen aus der Veräusserung von Geschäftsliegenschaften, was nach
Art. 12 Abs. 4 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vom 14. Dezember 1990 (StHG; SR 642.14)
zulässig ist. Es handelt sich bei der Grundstückgewinnsteuer um eine Spezialeinkommenssteuer, die im Umfang ihres Steuerobjekts an die Stelle der ordentlichen Einkommens- und Gewinnbesteuerung tritt. Die Verrechnung von Geschäftsverlusten mit dem Grundstückgewinn ist dem Wesen der Grundstückgewinnsteuer als Objektsteuer aber grundsätzlich fremd. Ob der Kanton Zürich im Rahmen der Grundstückgewinnsteuerveranlagungen seiner Gemeinden einer Verlustsituation Rechnung tragen muss und inwieweit, bestimmt daher das kantonale Recht. Das Steuerharmonisierungsgesetz stellt diesbezüglich keine Vorschriften auf. Es verpflichtet den Kanton auch nicht, solche Verluste bei der Grundstückgewinnbesteuerung zu berücksichtigen. Sofern der Kanton solche Verrechnungen zulässt, erfolgt dies aufgrund des ihm im Rahmen der Steuerharmonisierung verbliebenen Spielraums nach kantonalem Recht (vgl.
Art. 12 StHG
; Urteile 2C_747/2010 vom 7. Oktober 2011 E. 5.2 f., in: ASA 80 S. 609, StR 67/2012 S. 48, StE 2012 B 44.13.7 Nr. 25; 2C_375/2010 vom 22. März 2011 E. 5, in: StE 2011 A 24.43.1 Nr. 21; 2C_799/2008 vom 9. April 2009 E. 3.3, in: StE 2009 B 44.13.7 Nr. 24 mit Hinweisen). Die Frage kann folglich auch nicht zum Gegenstand der Doppelbesteuerungsbeschwerde gemacht werden.
Das Bundesgericht hat zwar in seiner jüngeren Rechtsprechung in verschiedenen Konstellationen die Kantone mit Liegenschaften verpflichtet, solche Verluste anzurechnen (
BGE 131 I 249
,
BGE 131 I 285
E. 4.1 f.;
BGE 132 I 220
E. 4; Urteil 2C_689/2010 vom 4. April 2011 E. 3, in: ASA 80 S. 361; s. auch LOCHER, Interkantonales Steuerrecht, a.a.O., S. 87 ff.; RENÉ MATTEOTTI, in: Interkantonales Steuerrecht, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, 2011, § 34 Rz. 25 ff. S. 398 f.). Diese Rechtsprechung bezieht sich aber nur auf die Besteuerung im
interkantonalen
Verhältnis. Es kann daraus nicht geschlossen werden, dass die Verlustverrechnung im monistischen System von Bundesrechts wegen auch innerkantonal zugelassen
BGE 139 II 373 S. 381
werden muss (so bereits das Urteil 2C_747/2010 vom 7. Oktober 2011 E. 5.4 für den Kanton Zürich, in: ASA 80 S. 609, StR 67/2012 S. 48, StE 2012 B 44.13.7 Nr. 25). Insofern als sich die Beschwerdeführer direkt auf das Gebot der rechtsgleichen Behandlung nach
Art. 8 Abs. 1 BV
berufen, steht hierfür die Doppelbesteuerungsbeschwerde nicht offen. Auf die Beschwerde ist daher nicht einzutreten, soweit sie sich gegen die zürcherischen Grundstückgewinnsteuerveranlagungen richtet und die Verluste resp. Vorjahresverluste am Hauptsteuerdomizil betrifft.
(...)
4.
Die Beschwerdeführer verlangen, dass der Kanton Zürich (resp. die Gemeinden mit Grundstückgewinnen) Vorjahresverluste in der Höhe von Fr. 4'099'151.- übernehmen. Eventualiter habe der Kanton Aargau ohne Berücksichtigung der Zürcher Grundstückgewinne Vorjahresverluste von Fr. 3'998'900.- anzuerkennen.
4.1
Vorliegend haben beide Kantone Aargau und Zürich in ihren Steuerausscheidungen die Geschäftsverluste (Vorjahresverluste) am Hauptsteuerdomizil im Kanton Zürich quotenmässig im Verhältnis der auf sie entfallenden Reineinkommen verlegt. Ein nicht verrechenbarer Verlust (Ausscheidungsverlust) ergibt sich aber daraus, dass der Kanton Zürich in seiner Steuerausscheidung die zürcherischen Liegenschaftsgewinne nicht berücksichtigt hat und dadurch eine kleinere Quote am Verlust übernimmt. Er beruft sich hierfür auf das im Kanton Zürich geltende monistische System der Grundstückgewinnbesteuerung.
4.2
Der Kanton Zürich erhebt die Grundstückgewinnsteuer nach dem monistischen System auch auf den Geschäftsliegenschaften, während der Kanton Aargau nach dem dualistischen System Grundstückgewinne auf Geschäftsliegenschaften mit der Einkommens- oder Gewinnsteuer erfasst. Im monistischen System gilt der Grundsatz der getrennten Gewinnermittlung. Das heisst, eine einzelsteuerübergreifende Verlustverrechnung und -anrechnung findet nicht statt (mit Ausnahme bei der Teilveräusserung nach
§ 224 Abs. 3 StG
/ZH; LS 631.1).
Trifft in der Steuerausscheidung über Einkommen und Vermögen ein Kanton mit monistischem System auf einen Kanton mit dualistischem System, müssen daher zum Zweck vergleichbarer Verhältnisse alle Grundstückgewinne (Wertzuwachsgewinne) in die Steuerausscheidung einbezogen werden. Das gilt auch für die
BGE 139 II 373 S. 382
Wertzuwachsgewinne auf den zürcherischen Liegenschaften. Die Kantone sind zwar frei, ob sie Kapitalgewinne auf Liegenschaften des Geschäftsvermögens nach dem dualistischen System mit der allgemeinen Einkommens- und Gewinnsteuer oder nach dem monistischen System mit der besonderen Grundstückgewinnsteuer erfassen wollen. Das Steuerharmonisierungsgesetz lässt den Kantonen diesbezüglich die Wahl (
Art. 12 Abs. 1 und 4 StHG
). Doch darf sich die Wahl des Besteuerungssystems nicht zu Ungunsten der übrigen Kantone und des Steuerpflichtigen, der in mehreren Kantonen steuerpflichtig ist, auswirken (
BGE 131 I 249
E. 6.3 S. 261; so bereits
BGE 92 I 198
E. 3b).
4.3
Das Kantonale Steueramt Zürich hat in seiner interkantonalen Steuerausscheidung die mit der zürcherischen Grundstückgewinnsteuer erfassten Wertzuwachsgewinne nicht berücksichtigt, sondern nur den Erlös aus dem Verkauf der Liegenschaftsbeteiligung in M., Kanton Aargau. Das führt dazu, dass in der zürcherischen Ausscheidung der Vorjahresverluste quotal nach Massgabe der Liegenschaftserträge auf den Kanton Aargau ein Anteil von 78,01 % (Fr. 3'197'599.-) entfällt, während der Kanton Zürich einen solchen von nur 18,07 % (Fr. 740'723.-) zu übernehmen hat. Würde der Kanton Zürich die zürcherischen Liegenschaftsgewinne ebenfalls berücksichtigen, ergäbe sich für diesen Kanton eine erheblich höhere Quote von rund 60 %, wie die aargauische Steuerausscheidung zeigt.
Zwar ist der Kanton Zürich aufgrund seines monistischen Systems nicht verpflichtet, Grundstückgewinne mit Geschäftsverlusten zu verrechnen (vorn E. 3.5 in fine). Für die Zwecke der Steuerausscheidung sind aber dennoch die zürcherischen Grundstückgewinne (Wertzuwachsgewinne) zu berücksichtigen. Ob die dem Kanton Zürich auf diese Weise zugewiesenen Geschäftsverluste (Vorjahresverluste) mit zürcherischen Grundstückgewinnen verrechnet werden können oder ob sie dem Hauptsteuerdomizil definitiv verhaftet bleiben und die zürcherischen Grundstückgewinnsteuerveranlagungen allenfalls in Revision gezogen werden können, ist keine Frage der interkantonalen Steuerausscheidung, sondern des anwendbaren internen (kantonalen) Rechts (Urteil 2C_747/2010 vom 7. Oktober 2011 E. 5.4 und 6, in: ASA 80 S. 609, StR 67/2012 S. 48, StE 2012 B 44.13.7 Nr. 2). Mit der Nichtberücksichtigung des gesamten im Kanton Zürich zur Verfügung stehenden Nettoeinkommens für die Verlustverrechnung im Rahmen der Steuerausscheidung hat der
BGE 139 II 373 S. 383
Kanton Zürich daher das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung im Sinne von
Art. 127 Abs. 3 BV
verletzt.
4.4
Der Kanton Aargau berücksichtigt im Rahmen seiner vom Verwaltungsgericht bestätigten interkantonalen Steuerausscheidung die Zürcher Grundstückgewinne in der Höhe der Wertzuwachsgewinne. Darin liegt keine Doppelbesteuerung, wie die Beschwerdeführer rügen, weil die ausserkantonalen Gewinne lediglich für die Kapitalausscheidung und zur Satzbestimmung herangezogen werden. Auch das Schlechterstellungsverbot ist nicht verletzt, da der Kanton Aargau damit die Beschwerdeführer nicht stärker besteuert als einen kantonalen Liegenschaftenhändler. Das Vorgehen entspricht auch dem Kreisschreiben Nr. 27 der Schweizerischen Steuerkonferenz zur Vermeidung von Ausscheidungsverlusten (Ziff. 3.1.4).
Die besondere Ausgestaltung der zürcherischen Grundstückgewinnsteuer kann für den Kanton Aargau nicht bindend sein (
BGE 92 I 198
E. 3b; ferner
BGE 131 I 249
E. 6.3 S. 261). Zwar kann nach einer neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts ein Liegenschaftskanton verpflichtet werden, einen allfälligen Geschäftsverlust am Hauptsteuerdomizil und allenfalls in weiteren Kantonen bei der Gewinnermittlung anzurechnen (
BGE 131 I 249
, 285;
BGE 132 I 229
). Dies aber erst, wenn im Sitzkanton mangels Einkommen keine Verluste mehr verrechnet werden können: Die erwähnte Rechtsprechung bezieht sich ausdrücklich auf "Ausscheidungsverluste" (
BGE 131 I 249
E. 6,
BGE 131 I 285
E. 4.1;
BGE 132 I 229
E. 5). Ein Ausscheidungsverlust liegt hier indessen nicht vor. Immerhin betragen die Zürcher Wertzuwachsgewinne rund Fr. 14 Mio., womit der Kanton Zürich über genügend Einkommenssubstrat verfügen würde, um die Vorjahresverluste auszugleichen. | public_law | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7ce68e61-8a0a-427e-9660-c79ffe0d0e0f | Urteilskopf
106 Ia 73
17. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Juli 1980 i.S. Kulix AG gegen Ortsverwaltung Arbon und Regierungsrat des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; Anspruch auf rechtliches Gehör.
Umstände, unter denen in einem kantonalen Verwaltungsbeschwerdeverfahren die wesentlichen Ergebnisse eines Augenscheins in einem Protokoll, Aktenvermerk oder wenigstens in den Erwägungen des Entscheides klar festgehalten werden müssen. | Sachverhalt
ab Seite 73
BGE 106 Ia 73 S. 73
Die Beschwerdeführerin erhielt am 27. Oktober 1977 als Eigentümerin der beiden in der Wohnzone W 3 von Arbon gelegenen Mehrfamilienhäuser Schöntalstrasse 6 und Olivenstrasse 1 die Baubewilligung für verschiedene Sanierungsarbeiten. Am 4. April 1979 beanstandete die Ortsverwaltung Arbon, dass beim Um- und Ausbau auch die Estrichräume im zweiten Dachgeschoss zusätzlich ausgebaut wurden. Auf Aufforderung hin reichte die Beschwerdeführerin Nachtragsbaugesuche ein. Mit Entscheid vom 21. Mai 1979 lehnte die Ortsverwaltung den Ausbau des zweiten Dachgeschosses ab und Ordnete die Entfernung der schon ausgeführten Ausbauarbeiten bis zum 31. August 1979 an. Der Regierungsrat des Kantons Thurgau wies die dagegen erhobene Beschwerde am 17. Dezember 1979 ab. Hiegegen richtet sich die vorliegende, insbesondere auf
Art. 4 BV
gestützte staatsrechtliche Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin rügt in verschiedener Hinsicht eine Verletzung des aus
Art. 4 BV
folgenden Anspruchs auf
BGE 106 Ia 73 S. 74
rechtliches Gehör. Da dieser Anspruch formeller Natur ist, d.h. seine Verletzung ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides führt (
BGE 105 Ia 51
und 198 E. 4b,
BGE 100 Ia 10
E. 3d,
BGE 96 I 188
E. 2b, mit Verweisungen), sind die entsprechenden Rügen vorweg zu prüfen.
Der Umfang des Anspruches auf rechtliches Gehör bestimmt sich in erster Linie nach den kantonalen Verfahrensvorschriften. Wo sich jedoch der kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden bundesrechtlichen Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz. Im vorliegenden Fall behauptet die Beschwerdeführerin nicht, das Vorgehen des Regierungsrates verletze irgendwelche kantonalen Verfahrensvorschriften. Es ist daher einzig, und zwar mit freier Kognition, zu prüfen, ob unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende Regeln missachtet wurden (
BGE 105 Ia 194
E. 2, 103 Ia 138 E. 2a, mit Verweisungen).
a) Die Beschwerdeführerin rügt in erster Linie, im Beschwerdeverfahren vor Regierungsrat sei zwar ein Augenschein durchgeführt worden, der sowohl für die Feststellung des heutigen als auch - soweit eine bauliche Änderung nicht erfolgt sei - des früheren baulichen Zustandes ein geeignetes Beweismittel dargestellt habe. Doch habe es der Regierungsrat unterlassen, ein Augenscheinsprotokoll zu erstellen und im Entscheid auf die Ergebnisse des Augenscheines zurückzukommen. Die Beschwerdeführerin habe am Augenschein insbesondere festgehalten, dass im Gebäude Olivenstrasse 1 eine Treppe mit Standort innerhalb des unteren ins obere Dachgeschoss führte, dass Spuren auf das Vorhandensein eines Ofens im oberen Dachgeschoss hindeuteten und dass im Gebäude Schöntalstrasse 6 die im Dachgeschoss neu errichteten Mauern tragend seien. Der Regierungsrat wendet ein, der Augenschein habe nur ein geeignetes Mittel zur Feststellung des heutigen, nicht aber des früheren Zustandes der beiden Dachgeschosse gebildet.
Zwar hat der bundesrechtliche Gehörsanspruch im Verwaltungsverfahren im allgemeinen nicht den gleichen Umfang wie im Zivil- und Strafprozess. Doch unterscheidet das Bundesgericht in seiner jüngsten Rechtsprechung für die Umschreibung der aus
Art. 4 BV
folgenden Minimalansprüche nicht mehr strikt zwischen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten einerseits und Zivil- und Strafprozessen anderseits, sondern stellt vielmehr
BGE 106 Ia 73 S. 75
auf die konkrete Interessenlage ab (
BGE 105 Ia 195
E. 2b, mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall fällt ins Gewicht, dass die Ergebnisse des Augenscheins für die Beschwerdeführerin eine erhebliche Beschwer mit sich bringen konnten, dass gegen den Entscheid des Regierungsrates kein ordentliches Rechtsmittel mehr gegeben war und dass am Augenschein kein Mitglied der entscheidenden Behörde, sondern nur Organe des mit der Instruktion beauftragten Baudepartementes mitgewirkt hatten. Unter diesen Umständen war es zwingend erforderlich, die wesentlichen Ergebnisse des Augenscheins in einem Protokoll oder Aktenvermerk festzuhalten (vgl. dazu ROLF TINNER, Das rechtliche Gehör, ZSR 83/1964 II S. 346 ff.) Oder zumindest - soweit sie für die Entscheidung erheblich sind - im Entscheid klar zum Ausdruck zu bringen (
BGE 104 Ia 212
E. 5g und 322 E. 3a, mit Verweisungen). Auch das zuletzt genannte Mindesterfordernis ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Entgegen der Auffassung des Regierungsrates diente der Augenschein nicht nur der Feststellung des aktuellen, sondern offensichtlich auch des früheren Bau- bzw. Nutzungszustandes, wird doch der Augenschein im angefochtenen Entscheid gerade im Zusammenhang mit der für die Beurteilung der Sache wesentlichen Nutzung vor den Umbauarbeiten erwähnt. Hievon hängt der Entscheid der Frage ab, ob sich durch die baulichen Änderungen die ohnehin schon zu grosse Ausnutzung noch erhöhte. Dafür bildeten aber das Vorhandensein und der genaue Standort einer festen Treppe vom ersten ins zweite Dachgeschoss und die Frage des früheren Vorhandenseins eines Ofens im oberen Dachgeschoss für die Beweiswürdigung nicht zu vernachlässigende Indizien. An aktenkundigen Feststellungen dieser wesentlichen Umstände fehlt es aber.
Indem die wesentlichen Ergebnisse des Augenscheins nicht in der erwähnten Art festgehalten wurden, wurde
Art. 4 BV
verletzt. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7cea3308-fdc5-44b9-b2ca-bff6ff0abc87 | Urteilskopf
110 Ib 252
42. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. November 1984 i.S. Wehrsteuerverwaltung des Kantons Schwyz gegen X. und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Einleitung des Steuerhinterziehungsverfahrens. Befristung nach Art. 134 WStB/BdBSt.
1. Bei der Frist von Art. 134 WStB/BdBSt handelt es sich um eine Verwirkungsfrist, die nur durch die Einleitung des Verfahrens gegen den Steuerpflichtigen persönlich gewahrt werden kann (E. 2c).
2. Untersuchungsmassnahmen der Eidg. Steuerverwaltung genügen zur Fristwahrung nicht (E. 2c). | Erwägungen
ab Seite 253
BGE 110 Ib 252 S. 253
Auszug aus den Erwägungen:
2.
Nach Art. 134 WStB erlischt das Recht, das Verfahren nach Art. 132 und 133 einzuleiten, fünf Jahre nach Ablauf der in Frage kommenden Veranlagungsperiode. Für die 17. Wehrsteuerperiode (1973/74) lief die Frist nach dieser Bestimmung somit am 31. Dezember 1979 ab. Das Verfahren gegen X. wurde von der Kantonalen Wehrsteuerverwaltung jedoch erst am 1. Oktober 1980 eingeleitet.
a) Die Beschwerdeführerin und die Eidg. Steuerverwaltung vertreten die Ansicht, die Frist gemäss Art. 134 WStB könne durch eine gegenüber dem Gehilfen oder Anstifter vorgenommene Untersuchungshandlung gewahrt bzw. unterbrochen werden, sofern diese Untersuchungshandlung auch für die Verfolgung des Haupttäters von Bedeutung sei. Damit hätten die Untersuchungshandlungen der Besko im Jahre 1979 gegenüber den Gesellschaften der A.-Organisation in Zug und Lachen die Verwirkungsfrist auch gegenüber deren Kunden gewahrt. Eventuell wäre nach Ansicht der Eidg. Steuerverwaltung zu prüfen, ob die Frist von Art. 134 WStB nicht während des Entsiegelungsverfahrens geruht habe.
b) Die Verjährung der Strafverfolgung im gemeinen eidg. Strafrecht wird in den Artikeln 70-72 StGB geregelt. Danach beginnt die Verfolgungsverjährung mit dem Tag, an dem der Täter die strafbare Handlung ausführt, bzw. mit dem Tag, an dem er die letzte strafbare Tätigkeit ausführt (
Art. 71 StGB
). Die Verjährung ruht, solange der Täter im Ausland eine Freiheitsstrafe verbüsst (
Art. 72 Ziff. 1 StGB
); sie wird durch jede Untersuchungshandlung einer Strafverfolgungsbehörde unterbrochen und beginnt in diesem Falle unter Vorbehalt der absoluten Verjährung wieder neu zu laufen (
Art. 72 Ziff. 2 StGB
). Wäre die Verjährung der Strafverfolgung für die Steuerdelikte der 17. Wehrsteuerperiode im vorliegenden Fall nach den allgemeinen Bestimmungen des StGB zu beurteilen, so wäre die Verjährung angesichts der später fortgesetzten Tätigkeit des Beschwerdegegners im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens am 1. Oktober 1980 noch nicht eingetreten gewesen.
c) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und der Eidg. Steuerverwaltung können nun aber die allgemeinen Grundsätze über die Verjährung der Strafverfolgung für die Auslegung von Art. 134 WStB nicht herangezogen werden.
Die Frist von Art. 134 WStB beginnt im Gegensatz zur allgemeinen Strafverfolgungsverjährung nicht im Zeitpunkt der (letzten)
BGE 110 Ib 252 S. 254
strafbaren Handlung, sondern - unabhängig vom Zeitpunkt der Ausführung der strafbaren Tätigkeit - mit dem Ende der Veranlagungsperiode, auf welche sich die Steuerwiderhandlung bezieht. Auch wenn Art. 134 WStB das Recht zur Einleitung eines Verfahrens befristet, ist diese Bestimmung damit nicht als Vorschrift über die Verjährung der Strafverfolgung zu verstehen. Art. 134 WStB bezieht sich vielmehr eigentlich auf die entsprechenden Nach- und Strafsteuerforderungen, deren Geltendmachung von der fristgebundenen Einleitung bestimmter Verfahren abhängig gemacht wird. Bei der Frist von Art. 134 WStB handelt es sich um eine Verwirkungsfrist, die nicht unterbrochen werden kann (nicht publiziertes Urteil vom 20. Mai 1983 i.S. Eidg. Steuerverwaltung/V. und Wehrsteuerrekurskommission des Kantons Zürich, E. 3, S. 11; ebenso KÄNZIG, Wehrsteuer, Ergänzungsband 2. A., S. 270; MASSHARDT, Wehrsteuerkommentar, Ausgabe 1980, N. 4 zu Art. 134 WStB; I. BLUMENSTEIN, Die allgemeine eidg. Wehrsteuer, S. 292; GAUTHIER, Fraude fiscale et droit pénal. Remarques sur une loi récente, ZStR 96 (1979), S. 286). Gewahrt wird sie nur durch die Einleitung eines Verfahrens nach den Art. 132 oder 133 WStB gegen den Steuerpflichtigen persönlich. Das Verfahren ist gemäss Art. 132 Abs. 1 WStB durch die kantonale Wehrsteuerverwaltung einzuleiten. Massnahmen der Eidg. Steuerverwaltung allein genügen nicht, da diese nur befugt ist, die Verfahrenseinleitung zu verlangen (Art. 132 Abs. 1 WStB).
Diese Regelung, die seit dem Erlass des Wehrsteuerbeschlusses unverändert besteht, widerspricht den heutigen Anschauungen über das Verwaltungsstrafrecht, wie sie etwa im Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) zum Ausdruck kommen und im wesentlichen auch bei den Bestimmungen über den Steuerbetrug in Art. 130bis und Art. 133bis WStB verwirklicht sind. Diese Situation ist um so unbefriedigender, als die Fristbestimmung im Rahmen der Massnahmen zur wirksameren Bekämpfung der Steuerhinterziehung, in deren Folge die neue Regelung über den Steuerbetrug am 1. Januar 1978 in Kraft trat, nicht angepasst und auch der Schaffung der Besko nicht Rechnung getragen wurde. Art. 134 WStB ist jedoch, wie das Bundesgericht schon im nicht veröffentlichten Urteil vom 20. Mai 1983 i.S. Eidg. Steuerverwaltung/V. und Wehrsteuerrekurskommission des Kantons Zürich, E. 3, S. 11, festgestellt hat, bis zu einer allfälligen Abänderung durch den Gesetzgeber als geltendes Recht hinzunehmen. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7cf7544b-1e6c-481e-a793-dac8c6f9e4ef | Urteilskopf
138 II 536
37. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause A. SA et B. contre Administration fédérale des contributions AFC (recours en matière de droit public)
2C_176/2012 du 18 octobre 2012 | Regeste
Art. 95 und 96 BGG
; Vorfrage des ausländischen Rechts; Art. 15 ZBStA (SR 0.641.926.81); Auslegung des Begriffs der Kapitalgesellschaft gemäss Zinsbesteuerungsabkommen; Art. 5 Abs. 1 der Verordnung über die Steuerentlastung; Wirkung der Verwirkungsfrist.
Kognition des Bundesgerichts im Fall einer Vorfrage des ausländischen Rechts (E. 5.4.1).
Um zu klären, ob es sich bei einem Unternehmen aus einem Staat der EU um eine Kapitalgesellschaft im Sinne von Art. 15 ZBStA handelt, ist das Richtlinienrecht der EU heranzuziehen, welches die Dividendenzahlungen regelt (E. 5.4.2).
Nach diesem Richtlinienrecht gelten die Genossenschaften des italienischen Rechts als Kapitalgesellschaften. Die "società cooperativa per azioni" ist eine solche Genossenschaft und dementsprechend eine Kapitalgesellschaft gemäss Art. 15 ZBStA (E. 5.4.3).
Wird die Ausrichtung der Dividende nach Ablauf der Frist von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung über die Steuerentlastung gemeldet, entfällt das Recht auf Beanspruchung des Meldeverfahrens, soweit es um die verspätet gemeldeten Dividenden geht. Das Gesuch um Bewilligung des Meldeverfahrens bleibt zulässig für künftige Dividenden (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 537
BGE 138 II 536 S. 537
A.
A. SA (ci-après: la recourante 1) est une société anonyme de droit suisse ayant pour but l'exploitation d'une banque. Depuis le 11 décembre 2007, A. SA est détenue par la société coopérative par actions B., domiciliée en Italie (ci-après: la recourante 2).
Le 5 juin 2008, A. SA a déclaré une distribution de dividende brut de fr. 12'500'000.- en faveur de B., sur lequel elle a retenu un impôt anticipé de 35 % qu'elle a versé à l'Administration fédérale des contributions (ci-après: l'Administration). Le même jour, A. SA et B. ont demandé à l'Administration l'autorisation de dégrever, en application du droit international, l'impôt anticipé perçu sur les dividendes versés par A. SA à B.
Par décision du 24 juin 2010, l'Administration a refusé la demande d'autorisation au motif que B. était une société coopérative par actions et ne pouvait par conséquent être considérée comme une société de capitaux au sens du traité international pertinent.
A. SA et B. ont formé réclamation contre la décision précitée. Par décision sur réclamation du 20 mai 2011, l'Administration a refusé la demande d'autorisation formée par A. SA et B.
B.
A. SA et B. ont porté l'affaire devant le Tribunal administratif fédéral. Par arrêt du 12 janvier 2012, le Tribunal administratif fédéral
BGE 138 II 536 S. 538
a retenu qu'il subsistait un doute au sujet de la qualification de B. en tant que société de capitaux, de sorte que l'obligation fiscale de A. SA devait être exécutée par le paiement de l'impôt anticipé et non par la déclaration de la prestation imposable. Par surabondance, le Tribunal administratif fédéral a relevé que la déclaration de la distribution de dividende litigieuse de fr. 12'500'000.- survenue en 2008 avait été effectuée tardivement, de sorte que la possibilité, pour A. SA, de bénéficier de la procédure de déclaration était de toute manière périmée.
C.
Par acte du 20 février 2012, A. SA et B. déposent un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral. Elles concluent à l'annulation de l'arrêt du 12 janvier 2012, à ce qu'il soit dit que B. remplit les conditions pour être qualifiée de société de capitaux au sens du traité international pertinent, et qu'ordre soit donné à l'Administration de délivrer à A. SA l'autorisation d'appliquer la procédure de déclaration. L'Administration conclut au rejet du recours, sous suite de frais.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
5.
En relation avec la procédure de déclaration, la recourante 1 se prévaut d'une mauvaise interprétation de l'art. 15 de l'Accord du 26 octobre 2004 entre la Confédération suisse et la Communauté européenne prévoyant des mesures équivalentes à celles prévues dans la directive 2003/48/CE du Conseil en matière de fiscalité des revenus de l'épargne sous forme de paiements d'intérêts (RS 0.641.926.81; ci-après: AFisE). Elle reproche en substance au Tribunal administratif fédéral de n'avoir pas admis que la société coopérative par actions de droit italien est une société de capitaux au sens de l'art. 15 par. 1 AFisE, ce qui autoriserait la recourante 1 à appliquer la procédure de déclaration pour les dividendes qu'elle verse à la recourante 2.
5.1
La Confédération perçoit un impôt anticipé de 35 % (art. 13 al. 1 let. a de la loi fédérale du 13 octobre 1965 sur l'impôt anticipé [LIA; RS 642.21]) sur les revenus de capitaux mobiliers (
art. 1 al. 1 LIA
). D'après l'
art. 4 al. 1 let. b LIA
, l'impôt a notamment pour objet les participations aux bénéfices et tous autres rendements des actions, dont font partie les dividendes et actions gratuites (cf. art. 20 al. 1 de l'ordonnance du 19 décembre 1966 sur l'impôt anticipé [OIA; RS 642. 211]). L'obligation fiscale incombe au débiteur de la prestation imposable (
art. 10 al. 1 LIA
). La créance fiscale prend naissance au moment où échoit la prestation imposable (
art. 12 al. 1 LIA
).
BGE 138 II 536 S. 539
L'impôt anticipé lui-même échoit trente jours après la naissance de la créance fiscale (
art. 16 al. 1 let
. c LIA). Conformément à l'
art. 38 al. 2 LIA
, le contribuable doit, à l'échéance de l'impôt, remettre à l'Administration, sans attendre d'y être invité, le relevé prescrit accompagné des pièces justificatives, et en même temps payer l'impôt ou faire la déclaration remplaçant le paiement.
Selon l'
art. 11 al. 1 LIA
, l'obligation fiscale est exécutée soit par le paiement de l'impôt (
art. 12 ss LIA
), soit par la déclaration de la prestation imposable (
art. 19 et 20 LIA
). Lorsque le paiement de l'impôt sur les revenus de capitaux mobiliers entraînerait des complications inutiles ou des rigueurs manifestes, le contribuable peut être autorisé à exécuter son obligation fiscale par une déclaration de la prestation imposable; l'ordonnance définit les cas où cette procédure est admise (
art. 20 LIA
). La procédure de déclaration est admissible seulement s'il est établi que le bénéficiaire de la prestation imposable aurait droit au remboursement de cet impôt d'après la loi ou l'ordonnance (
art. 26
a
al. 3 OIA
). Elle ne saurait entrer en ligne de compte lorsque le droit au remboursement ne peut pas d'emblée être constaté (cf.
ATF 115 Ib 274
consid. 20c p. 292 s.). En présence de prestations échues, l'examen de l'Administration doit lui permettre d'acquérir la conviction que le droit au remboursement est donné; en revanche, en présence de prestations non encore échues, une grande vraisemblance quant à l'existence du droit au remboursement suffit (cf. BAUMGARTNER/BOSSART MEIER, in Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer [VStG], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Zweifel/Beusch/Bauer-Balmelli [éd.], 2
e
éd. 2012, n
os
62 et 62a ad
art. 20 LIA
). L'examen effectué par l'Administration ne peut enfin intervenir que de façon sommaire et sans préjuger de la décision définitive qui sera prise dans le cadre de la procédure relative au remboursement (cf. BAUMGARTNER/BOSSART MEIER, op. cit., n° 82 ad
art. 20 LIA
).
5.2
En matière internationale, la procédure de déclaration est prévue à l'art. 3 de l'ordonnance du 22 décembre 2004 sur le dégrèvement des dividendes suisses payés dans les cas de participations importantes détenues par des sociétés étrangères (RS 672.203; ci-après: ordonnance sur le dégrèvement), qui s'applique aux sociétés suisses qui perçoivent un impôt à la source sur les dividendes et dans lesquelles une société de capitaux étrangère détient une participation importante (cf. art. 1 al. 2 de l'ordonnance sur le dégrèvement). La mise en oeuvre de la procédure de déclaration dans les rapports internationaux n'est cependant envisageable que dans la mesure où une
BGE 138 II 536 S. 540
convention de double imposition ou un autre traité international prévoit le dégrèvement de l'impôt sur les dividendes à la source (cf. art. 1 al. 1 de l'ordonnance sur le dégrèvement). S'agissant comme en l'espèce d'une société italienne, il convient d'examiner ce qu'il en est sous l'angle de l'AFisE et de la Convention du 9 mars 1976 entre la Confédération suisse et la République italienne en vue d'éviter les doubles impositions et de régler certaines autres questions en matière d'impôts sur le revenu et sur la fortune (RS 0.672.945.41; ci-après: CDI-I).
Selon l'art. 15 par. 1 AFisE, sans préjudice de l'application des dispositions de la législation nationale ou de conventions visant à prévenir la fraude ou les abus en Suisse et dans les Etats membres, les dividendes payés par des sociétés filiales à leurs sociétés mères ne sont pas imposés dans l'Etat de la source lorsque:
- la société mère détient directement au moins 25 % du capital de la filiale pendant au moins deux ans, et que
- une société a sa résidence fiscale dans un Etat membre et l'autre a sa résidence fiscale en Suisse, et que
- aux termes d'une convention en vue d'éviter les doubles impositions conclue avec un Etat tiers, aucune de ces sociétés n'a sa résidence fiscale dans cet Etat tiers, et que
- les deux sociétés sont assujetties à l'impôt sur les sociétés sans bénéficier d'une exonération et toutes deux revêtent la forme d'une société de capitaux.
L'art. 10 al. 2 CDI-I prévoit également un dégrèvement (partiel) de l'impôt à la source prélevé sur les dividendes. En vertu de cette disposition, les dividendes peuvent être imposés dans l'Etat contractant dont la société qui paie les dividendes est un résident, et selon la législation de cet Etat, mais si la personne qui perçoit les dividendes en est le bénéficiaire effectif, l'impôt ainsi établi ne peut excéder 15 % du montant brut des dividendes.
Alors que l'AFisE et la CDI-I prévoient les conditions pour obtenir le remboursement de l'impôt anticipé, l'ordonnance sur le dégrèvement règle la procédure de déclaration par laquelle le dégrèvement de l'impôt sur les dividendes, prévu par une convention de double imposition ou un autre traité international, est opéré à la source (art. 1 al. 1 de l'ordonnance sur le dégrèvement). L'Administration peut ainsi autoriser la société suisse qui en fait la demande à appliquer directement le dégrèvement de l'impôt anticipé sur les dividendes versés à une société étrangère, prévu dans les cas de participations importantes par la convention de double imposition ou le traité
BGE 138 II 536 S. 541
international applicable (
art. 3 al. 1 de l'ordonnance sur le dégrèvement). La demande est déposée au moyen de la formule officielle avant l'échéancedes dividendes et l'autorisation est délivrée par écrit et valable troisans (art. 3 al. 2 et 4 de l'ordonnance sur le dégrèvement)
. Lorsqu'elledispose d'une autorisation, la société suisse qui verse les dividendesdéclare spontanément à l'Administration, dans les 30 jours, le paiement des dividendes, au moyen de la formule 108, cette dispositionétant également applicable si l'autorisation n'a pas encore été accordée ou si la demande d'autorisation n'a pas pu être déposée à tempspour de justes motifs (cf. art. 5 de l'ordonnance sur le dégrèvement). Pour le surplus, la procédure de déclaration en matière internationalecorrespond à la réglementation prévue en droit interne, en particulier en ce qui concerne l'
art. 26
a
OIA
qui prescrit que la procédure de déclaration est admissible seulement s'il est établi que le bénéficiaire de la prestation imposable aurait droit au remboursement de cet impôt (cf. arrêt 2C_756/2010 du 19 janvier 2011 consid. 3.2.4).
5.4
En l'espèce, la question litigieuse principale se résume à celle de savoir si le Tribunal administratif fédéral devait admettre que la recourante 2, une
società cooperativa per azioni
de droit italien, était une société de capitaux au sens de l'art. 15 par. 1 in fine AFisE. Il n'est en effet pas contesté entre les parties que les autres conditions matérielles de l'application de la procédure de déclaration sont remplies. Le Tribunal administratif fédéral a constaté qu'il subsistait un doute au sujet de la qualification juridique de la société coopérative par actions de droit italien en tant que société de capitaux, de sorte que sur la base d'un examen sommaire il lui était impossible de déterminer le droit au remboursement de la recourante 2.
5.4.1
Dans les affaires pécuniaires, le Tribunal fédéral ne contrôle normalement pas l'application du droit étranger désigné par le droit international privé suisse (cf.
art. 96 let. b LTF
). En revanche, dans l'hypothèse où, comme en l'espèce, il est nécessaire, pour trancher une question principale relevant du droit fédéral ou du droit international, dont le Tribunal fédéral contrôle l'application (cf.
art. 95 let. b LTF
), d'examiner une question préalable de droit étranger, la cognition du Tribunal fédéral s'étend au droit étranger (cf. arrêt 5C.140/2006 du 22 décembre 2006 consid. 3.2; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire de la LTF, 2008, n° 3591). De fait, lorsqu'un traité international conclu par la Suisse prévoit l'application d'un droit étranger, ce dernier n'est plus considéré comme tel du point de vue du recours au Tribunal fédéral. Sa
BGE 138 II 536 S. 542
non-application constitue en effet une violation d'un traité international relevant de l'art. 95 et non de l'
art. 96 LTF
(cf. DONZALLAZ, op. cit., n° 3573; MARKUS SCHOTT, in Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2
e
éd. 2011, n° 2 ad
art. 96 LTF
; HANSJÖRG SEILER, in Handkommentar zum BGG, Seiler/von Werdt/Güngerich [éd.], 2007, n° 4 ad
art. 96 LTF
).
5.4.2
La note n° 3 en marge de l'art. 15 par. 1 AFisE précise que "en ce qui concerne la Suisse, l'expression 'société de capitaux' couvre la société anonyme, la société à responsabilité limitée et la société en commandite par actions". L'AFisE ne comporte en revanche aucune définition ou précision sur ce qu'il faut entendre par l'expression société de capitaux en ce qui concerne les sociétés des Etats membres de l'Union européenne. Au moment de conclure l'AFisE, le 26 octobre 2004, la Communauté européenne (soit l'Union européenne depuis l'entrée en vigueur du traité de Lisbonne le 1
er
décembre 2009) disposait en effet déjà d'une telle définition pour chacun de ses membres dans sa propre réglementation. Partant, il convient, pour ce qui concerne les sociétés des Etats de l'Union européenne, de se référer aux directives européennes qui règlent le régime fiscal applicable aux dividendes (cf. Directives AFisE de l'AFC, ch. 9b), à savoir la directive 90/435/CEE du 23 juillet 1990 concernant le régime fiscal commun applicable aux sociétés mères et filiales d'Etats membres différents (JO L 225/6 du 20 août 1990), modifiée par la directive 2003/123/CE du 22 décembre 2003 (JO L 7/41 du 13 janvier 2004), puis remplacée par la directive 2011/96/UE du 30 novembre 2011 (JO L 345/8 du 29 décembre 2011). Ces directives ont été transposées en droit italien (cf. Decreto del Presidente della Repubblica 29 settembre 1973, n. 600, Disposizioni comuni in materia di accertamento delle imposte sui redditi, art. 27
bis
; Decreto del Presidente della Repubblica 22 dicembre 1986, n. 917, Approvazione del testo unico delle imposte sui redditi, art. 96
bis
; Decreto legislativo 6 febbraio 2007, n. 49, Attuazione della direttiva 2003/123/CE che modifica la direttiva 90/435/CEE sul regime fiscale comune applicabile alle società madri e figlie di Stati membri diversi, art. 1). Elles ont le même objet que l'art. 15 AFisE, à savoir exonérer de retenue à la source les dividendes et autres bénéfices distribués par des filiales à leur société mère et éliminer la double imposition de ces revenus au niveau de la société mère. Selon ces textes, sont visées par l'exemption de la retenue à la source sur les dividendes les sociétés de droit italien dénommées
società per azioni, società in accomandita per azioni, società a responsibilità limitata, società cooperativa, società di mutua assicurazione,
BGE 138 II 536 S. 543
ainsi que les entités publiques et privées qui ont pour objet exclusif ou principal l'exercice d'activités commerciales.
5.4.3
Selon les directives de l'Administration, il convient de se référer aux types de sociétés énumérées dans les directives européennes susmentionnées, à l'exception des sociétés coopératives, des collectivités et des établissements de droit public ainsi que des sociétés de personnes qui y figurent (cf. Directives AFisE de l'AFC ch. 9b). Cette opinion ne saurait cependant être suivie. Les directives de l'Administration ne lient en effet ni les administrés, ni les tribunaux, ni même l'administration. Elles ne dispensent pas cette dernière de se prononcer à la lumière des circonstances du cas d'espèce. Par ailleurs, elles ne peuvent sortir du cadre fixé par la norme supérieure qu'elles sont censées concrétiser. En d'autres termes, à défaut de lacune, elles ne peuvent prévoir autre chose que ce qui découle de la législation ou de la jurisprudence (
ATF 133 II 305
consid. 8.1 p. 315). Lorsque le texte légal est clair, l'autorité qui applique le droit ne peut s'en écarter que s'il existe des motifs sérieux de penser que ce texte ne correspond pas en tous points au sens véritable de la disposition visée et conduit à des résultats que le législateur ne peut avoir voulus et qui heurtent le sentiment de la justice ou le principe de l'égalité de traitement (cf.
ATF 131 I 394
consid. 3.2 p. 396; arrêt 2C_45/2008 du 16 décembre 2008 consid. 3.3). En l'espèce, le texte des directives 90/435/CEE, 2003/123/CE et 2011/96/UE est clair en ce qui concerne les types de sociétés qui doivent être considérées comme des sociétés de capitaux, et, pour ce qui est de l'Italie, la société coopérative en fait partie.
La recourante 2 est une
società cooperativa per azioni
, et non une société coopérative simple. Ainsi que cela ressort notamment de l'art. 2521 al. 3 ch. 4 et de la section III du code civil italien, intitulée "Delle quote e delle azioni" (cf. Codice civile del 16 marzo 1942, publié par Il foro italiano, 2010), qui se trouvent au titre VI consacré aux sociétés coopératives, la société coopérative par actions est un type particulier de société coopérative. Il s'agit par conséquent d'une société de capitaux au sens des directives 90/435/CEE, 2003/123/CE et 2011/96/UE, de sorte qu'elle entre dans la catégorie des sociétés italiennes qui peuvent bénéficier de la procédure de déclaration de l'AFisE.
Dès lors que la forme juridique de la recourante 2, à savoir la société coopérative par actions, entre dans la qualification de société de
BGE 138 II 536 S. 544
capitaux telle que prévue dans les directives 90/435/CEE, 2003/123/CE et 2011/96/UE, elle est une société de capitaux au sens de l'art. 15 AFisE. Les titres de la recourante 2 sont en outre cotés en bourse, ce qui indique que, sa forme juridique particulière - société coopérative par actions - lui confère aussi certaines caractéristiques d'une société de capitaux. Dans ces conditions, elle peut bénéficier de la procédure de déclaration. Le recours doit par conséquent être admis en tant qu'il porte sur la question de la qualification de la recourante 2 en tant que société de capitaux au sens de l'art. 15 AFisE.
6.
(...) il convient d'examiner ce qu'il en est de la question des conséquences de la tardiveté de la déclaration relative au dividende de fr. 12'500'000.-, échu le 11 avril 2008. Les recourantes reprochent à cet égard à l'instance précédente d'avoir considéré à tort que la tardiveté - admise - de la déclaration relative au dividende de fr. 12'500'000.-, échu le 11 avril 2008, entraînait la péremption de leur droit à demander l'autorisation d'appliquer la procédure de déclaration pour les dividendes futurs.
Aux termes de l'art. 5 al. 1 de l'ordonnance sur le dégrèvement, la société suisse qui dispose d'une autorisation d'utiliser la procédure de déclaration doit déclarer spontanément à l'Administration, dans les 30 jours, le paiement des dividendes. Cette déclaration est également nécessaire lorsque l'autorisation n'a pas encore été accordée (cf. art. 5 al. 2 de l'ordonnance sur le dégrèvement). Selon la jurisprudence relative aux
art. 20 ss LIA
, qui règlent la procédure de déclaration en droit interne, dès lors que les personnes qui n'indiquent pas aux autorités fiscales les revenus grevés de l'impôt anticipé perdent le droit au remboursement de l'impôt anticipé (cf.
art. 23 LIA
), le droit d'obtenir l'autorisation d'appliquer la procédure de déclaration est également périmé pour ces contribuables (cf.
ATF 110 Ib 319
consid. 6a p. 324). Cette règle ne concerne certes que les personnes physiques (cf. titre marginal avant l'
art. 22 LIA
), mais le droit au remboursement, et par voie de conséquence le droit d'obtenir la procédure de déclaration, des personnes morales est soumis à l'obligation - comparable - de comptabiliser les revenus grevés de l'impôt (cf.
art. 25 al. 1 LIA
). En matière internationale, il faut en conclure que la même péremption du droit d'appliquer la procédure de déclaration doit toucher les sociétés qui omettent de déclarer les dividendes dans le délai péremptoire de l'art. 5 al. 1 de l'ordonnance sur le dégrèvement (cf. arrêt 2C_756/2010 du 19 janvier 2011 consid. 3.2).
BGE 138 II 536 S. 545
Cette conclusion ne s'impose cependant qu'en ce qui concerne les dividendes qui ont été déclarés tardivement. Dès lors que l'autorisation d'appliquer la procédure de déclaration est délivrée pour une durée de trois ans (cf. art. 3 al. 4 de l'ordonnance sur le dégrèvement), force est d'admettre qu'une demande d'autorisation périmée pour les dividendes déjà échus, mais annoncés tardivement, reste recevable pour les dividendes futurs. L'Administration devait ainsi statuer sur la demande d'autorisation 823C du 5 juin 2008 de la recourante 1 en vue des dividendes futurs que cette société allait verser à son actionnaire unique, même si cette demande était tardive en ce qui concerne le dividende échu le 11 avril 2008. La seconde motivation de rejet du recours retenu par le Tribunal administratif fédéral n'est par conséquent pas justifiée non plus en ce qui concerne les dividendes futurs, ce qui conduit à l'admission du présent recours en matière de droit public sur ce point. | public_law | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7d000fdc-5207-4e32-b86d-ad9cbb1dc3ff | Urteilskopf
114 IV 98
29. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. August 1988 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 58 Abs. 1 StGB
; Grundstücke.
Grundstücke gelten gleich wie bewegliche Sachen als Gegenstände im Sinne von
Art. 58 StGB
. Ist ein Haus ein wesentliches Hilfsmittel für unerlaubten Nachrichtendienst (Tatwerkzeug), so kann es eingezogen werden. | Erwägungen
ab Seite 98
BGE 114 IV 98 S. 98
Aus den Erwägungen:
4.
Gemäss
Art. 58 Abs. 1 StGB
verfügt der Richter die Einziehung von Gegenständen und Vermögenswerten, die durch eine strafbare Handlung hervorgebracht oder erlangt worden sind, an oder mit denen eine strafbare Handlung begangen wurde oder die zur Begehung einer strafbaren Handlung bestimmt waren, soweit die Einziehung zur Beseitigung eines unrechtmässigen Vorteils oder Zustandes als geboten erscheint (lit. a), oder wenn die
BGE 114 IV 98 S. 99
Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden (lit. b).
Grundstücke gelten gleich wie bewegliche Sachen als Gegenstände im Sinne dieser Bestimmung (vgl. für das den gleichen Begriff "Gegenstand" verwendende deutsche Recht: SCHÖNKE/SCHRÖDER, Strafgesetzbuch, 22. Aufl., N. 6 sowie RUDOLPHI/HORN/SAMSON, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 5. Aufl., N. 5 zu § 74). Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts hatte X. nach Weisung der Zentrale ein Haus zu suchen, wo er Funksendungen aus der DDR möglichst ungestört empfangen konnte und wo später zu beidseitigem Funkverkehr hätte übergegangen werden können. Mit dem Kauf wurde ein möglichst ungestörtes Einrichten, Betreiben und Bereithalten des Nachrichtenübermittlungssystems bezweckt. Das Haus war also ein wesentliches Hilfsmittel für den unerlaubten Nachrichtendienst. Ist es danach zur Begehung eines Deliktes verwendet worden, so gilt es als Tatwerkzeug im Sinne von
Art. 58 Abs. 1 StGB
(
BGE 101 IV 211
E. III/4), und zwar selbst dann, wenn es nicht "zu diesem Zweck bestimmt oder auch nur allgemein geeignet" gewesen wäre, wie beispielsweise "das von einer an verschiedenen Orten tätigen Diebesbande benützte Motorfahrzeug" (SCHULTZ, Einziehung und Verfall, ZBJV 114/1978, S. 310). Tatwerkzeuge sind unabhängig davon einzuziehen, ob sie nur rechtswidrigem oder auch anderem Gebrauch dienen können. Entscheidend ist die durch den Täter realisierte oder beabsichtigte Verwendung, aufgrund welcher sich beurteilt, ob die Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden (
BGE 81 IV 219
E. 2). Folglich hat das Obergericht die in lit. b von
Art. 58 Abs. 1 StGB
vorgesehene Einschränkung nicht verkannt, als es die Einziehung der Liegenschaft anordnete; davon hätte nur abgesehen werden können, wenn die Gefahr vor Abschluss des Verfahrens völlig behoben gewesen wäre (SCHULTZ, a.a.O., S. 320 mit Hinweisen), oder der Zweck der Massnahme durch weniger einschneidende Anordnungen hätte erreicht werden können (
BGE 104 IV 149
E. 2). Dass eine dieser Voraussetzungen zugetroffen habe, wird auch in der Beschwerde nicht behauptet. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7d04025f-83cc-441e-aaed-3da2e0a189b4 | Urteilskopf
133 III 701
97. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_328/2007 vom 23. Oktober 2007 | Regeste
Art. 78 Abs. 2 lit. a BGG
; Abgrenzung der Beschwerde in Zivilsachen von der Beschwerde in Strafsachen.
Die Beschwerde in Strafsachen steht der Geschädigten zur Durchsetzung ihrer Zivilansprüche zur Verfügung, wenn die letzte kantonale Instanz sowohl den Straf- als auch den Zivilpunkt zu beurteilen hatte. War nur noch der Zivilpunkt strittig, ist die Beschwerde in Zivilsachen zulässig (E. 2.1). | Sachverhalt
ab Seite 701
BGE 133 III 701 S. 701
B. (Beschwerdegegnerin) führte am 18. Dezember 2004, zwischen 1.45 und 2.15 Uhr, in angetrunkenem Zustand ein Fahrzeug. Sie überfuhr damit den auf der Strasse liegenden, ebenfalls stark alkoholisierten C., den Ehemann von A. (Witwe, Zivilklägerin, Beschwerdeführerin).
Das Bezirksgericht Aarau verurteilte die Beschwerdegegnerin am 26. August 2006 wegen fahrlässiger Tötung, Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand und fahrlässiger Fahrerflucht zu
BGE 133 III 701 S. 702
12 Monaten Gefängnis bedingt sowie zu einer Busse von Fr. 1'500.-. Ausserdem stellte das Gericht fest, dass die Beschwerdegegnerin für den Schaden vollumfänglich hafte. Die Beschwerdegegnerin erhob gegen dieses Urteil kantonale Berufung mit den Anträgen, es sei festzustellen, dass sie der als Zivilklägerin am Verfahren beteiligten Witwe für den verursachten Schaden nur zu 75 % hafte, und die Verfahrenskosten seien anders zu verlegen. Das Obergericht des Kantons Aargau stellte am 5. April 2007 fest, dass die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin für den Schaden aus dem Unfallereignis vom 18. Dezember 2004 zu 80 % hafte. Im Übrigen wurde die kantonale Berufung abgewiesen.
Mit Beschwerde vom 24. Mai 2007 stellt die Zivilklägerin das Rechtsbegehren, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 5. April 2007 sei dahingehend abzuändern, dass die Beschwerdegegnerin ihr mindestens zu 95 % für den Schaden aus dem Unfallereignis vom 18. Dezember 2004 hafte. Die Beschwerdegegnerin beantragt in der Antwort, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Zivilsachen ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
(...)
2.1
Nach
Art. 78 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110)
unterliegen der Beschwerde in Strafsachen auch Entscheide in Zivilsachen, wenn sie zusammen mit der Strafsache zu behandeln sind. Entsprechend bestimmt der französische Gesetzestext: "Sont également sujettes au recours en matière pénale les décisions sur les prétentions civiles qui doivent être jugées en même temps que la cause pénale". Diese beiden Fassungen sind in zeitlicher Hinsicht offen formuliert. Sie würden zulassen, auf die Anfechtung des kantonalen Entscheides beim Bundesgericht abzustellen (vgl. auch Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4313). Der italienische Text lautet dagegen: "Al ricorso in materia penale soggiacciono anche le decisioni concernenti le pretese civili trattate unitamente alla causa penale". Die italienische Fassung spricht dafür, dass die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist, wenn die letzte kantonale Instanz über den Straf- wie den Zivilpunkt befunden hat oder hätte befinden müssen.
BGE 133 III 701 S. 703
Entsprechend dem italienischen Gesetzestext ist für die Zulässigkeit der Beschwerde in Strafsachen massgebend, dass die letzte kantonale Instanz über den Straf- und den Zivilpunkt befunden hat oder dies hätte tun müssen. Ist dagegen im Strafverfahren vor der oberen kantonalen Instanz nur noch der Zivilpunkt streitig, so ist nicht die Beschwerde in Strafsachen, sondern die Beschwerde in Zivilsachen gegeben. Denn die Rechtsuchenden müssen wissen, welches Rechtsmittel sie ergreifen können, und sie haben Anspruch darauf, dass ihnen die Rechtsmittelfrist in vollem Umfang zur Verfügung steht. Wäre entscheidend, ob erst im Rechtsmittelverfahren vor Bundesgericht Straf- und Zivilpunkt zusammen zu behandeln seien, so hätte die Zivilpartei die Beschwerde in Zivilsachen zu ergreifen, wenn der Strafpunkt nicht angefochten wird. Sie hätte dagegen Beschwerde in Strafsachen einzureichen, wenn von einer anderen Partei Beschwerde in Strafsachen erhoben wird, um den Strafpunkt in Frage zu stellen. Es stünde damit unter Umständen erst nach Ablauf der 30-tägigen Beschwerdefrist von
Art. 100 Abs. 1 BGG
fest, welche Beschwerde der Zivilpartei zur Verfügung steht.
Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels muss im Zeitpunkt der Einreichung feststehen, nicht erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist. Dies ist nur gewährleistet, wenn entsprechend dem italienischen Text für die Zulässigkeit der Beschwerde in Strafsachen darauf abgestellt wird, dass die letzte kantonale Instanz sowohl über den Straf- wie den Zivilpunkt entschieden hat oder hätte entscheiden müssen. Auch diese Lösung ist zwar nicht frei von Inkohärenzen. Die Beschwerde in Zivilsachen ist grundsätzlich nur zulässig, wenn der Streitwert von Fr. 30'000.- erreicht ist (
Art. 74 BGG
), während die Beschwerde in Strafsachen keinen Streitwert voraussetzt. Einer Zivilpartei steht damit die ordentliche Beschwerde (in Strafsachen) unabhängig von der Höhe ihrer Forderung offen, wenn im Strafverfahren vor der oberen kantonalen Instanz auch der Strafpunkt noch umstritten ist. Sie kann sämtliche zulässigen Rügen im Sinne von
Art. 95 und 96 BGG
erheben. Wenn vor der letzten kantonalen Instanz nur noch der Zivilpunkt streitig ist, kann sie dagegen die Beschwerde in Zivilsachen in der Regel nur ergreifen, wenn ihre Forderung mehr als Fr. 30'000.- beträgt; sonst steht ihr nur noch die subsidiäre Verfassungsbeschwerde mit beschränkten Rügen offen (vgl.
Art. 116 BGG
). Diese Folge vermag zwar sachlich nicht zu überzeugen, ist aber auf die unterschiedlichen Beschwerdevoraussetzungen zurückzuführen. Die gesetzgeberische Ungereimtheit bliebe - wenn auch mit anderer
BGE 133 III 701 S. 704
Grenzziehung - bestehen, wenn die Beschwerde in Zivilsachen gemäss dem deutschen und dem französischen Text dann zu ergreifen wäre, wenn der Strafpunkt im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht nicht mehr umstritten ist.
Die strafrechtliche Abteilung hat aus diesen Gründen erkannt, dass die Beschwerde in Strafsachen der Zivilpartei nur zur Verfügung steht, wenn die obere kantonale Instanz (
Art. 80 Abs. 1 BGG
) sowohl den Strafpunkt wie den Zivilpunkt zu beurteilen hatte. Dagegen ist die Beschwerde in Zivilsachen zulässig, wenn die obere kantonale Instanz (
Art. 75 Abs. 2 BGG
) im Strafverfahren nur noch über den Zivilpunkt urteilen muss. Die erste zivilrechtliche Abteilung hat sich dieser Auslegung angeschlossen und die Beurteilung des vorliegenden Falles übernommen. Das Rechtsmittel ist als Beschwerde in Zivilsachen entgegen zu nehmen. | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7d05bbac-cf5f-4a58-b3e1-bba12ddf820b | Urteilskopf
107 IV 138
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Januar 1981 i.S. M. gegen Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 33 Abs. 3,
Art. 38 Abs. 3 SVG
,
Art. 25 Abs. 3 und 5 VRV
.
Kein Verschulden des Fahrzeugführers, der nicht in einem Abstand von mindestens 2 m hinter einem haltenden Tram anhält, wenn er nicht rechtzeitig erkennen kann, das das Tram entgegen seiner berechtigten Erwartung ausserhalb des Bereichs der Schutzinsel anhält. | Sachverhalt
ab Seite 138
BGE 107 IV 138 S. 138
A.-
M. fuhr am 18. August 1979 um 8.30 Uhr mit seinem Personenwagen in Basel durch die Güterstrasse gegen den Tellplatz. Er folgte mit ca. 40 km/h einem Tramzug. Dieser hielt bei der Haltestelle an der Einfahrt zum Platz links einer Schutzinsel an. Am Anfang der Insel steht das Signal 2.34 (Hindernis rechts umfahren), und die Güterstrasse hat unmittelbar vor der Insel eine Sicherheitslinie, die den Fahrzeugverkehr von den Tramschienen weg rechts an der Insel vorbeileitet. Da die Schutzinsel kürzer ist als die Tramzüge, müssen die den Anhänger durch die hintere Türe verlassenden Fahrgäste unmittelbar auf die Fahrbahn aussteigen. So war es auch, als der ortsunkundige
BGE 107 IV 138 S. 139
M. rechts am Tramzug vorbeifahren wollte. Mit einer Vollbremsung konnte er sein Fahrzeug ungefähr auf der Höhe der Hintertür des Anhängers anhalten.
B.-
Der Polizeigerichtspräsident des Kantons Basel-Stadt verurteilte M. am 22. Juli 1980 wegen vorschriftswidrigen Motorfahrens gemäss
Art. 33 Abs. 3 und
Art. 90 Ziff. 1 SVG
zu einer Busse von Fr. 120.-.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt setzte am 1. Oktober 1980 die Busse auf Fr. 80.- herab.
C.-
M. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichtes sei aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen, eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ihn freispreche.
Das Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 38 Abs. 3 SVG
wird die haltende Strassenbahn, wo eine Schutzinsel vorhanden ist, rechts überholt, sonst nur links, und nach
Art. 25 Abs. 3 und 5 VRV
haben bei Haltestellen ohne Schutzinsel, wo die Fahrgäste auf die Verkehrsseite aussteigen müssen, die auf der gleichen Strassenhälfte verkehrenden Fahrzeuge in einem Abstand von mindestens zwei Metern zu halten, bis die Fahrgäste die Fahrbahn freigegeben haben.
a) Bei der Haltestelle Tellplatz befindet sich eine Schutzinsel. Der Beschwerdeführer war daher grundsätzlich befugt, an einer bei der Insel haltenden Strassenbahn rechts vorbeizufahren. Darin wurde er durch die den Verkehr nach rechts leitende Sicherheitslinie sowie durch das Signal 2.34 bestärkt. Dass die Traminsel zu kurz war, um allen dem Tram entsteigenden Passagieren Schutz zu bieten, war für den Verkehrsteilnehmer nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) nicht auf den ersten Blick erkennbar. Das Appellationsgericht hat deshalb dem Beschwerdeführer mit Recht zugute gehalten, er habe aufgrund der örtlichen Verhältnisse und der Markierung und Signalisation zunächst davon ausgehen dürfen, er sei zur Weiterfahrt rechts am haltenden Tram und an der Schutzinsel vorbei berechtigt. Es weist in diesem Zusammenhang auch zutreffend darauf hin, dass das rechte
BGE 107 IV 138 S. 140
Trottoir im fraglichen Bereich auf der ganzen Länge mit einem Geländer versehen ist, das ein- und aussteigenden Passagieren der Strassenbahn einen direkten Zugang zum Trottoir verunmöglicht.
Dennoch hält die Vorinstanz dafür, M. habe dem Verkehrsgeschehen, namentlich dem haltenden Tram, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die gegen die Schutzinsel sich verengende, leicht nach recht abbiegende Fahrbahn, das Anhalten des Trams, die auf der Fahrbahn ein- und aussteigenden Trampassagiere und die beiden Fussgängerstreifen vor und im Bereich der Schutzinsel seien Anzeichen für die Gefährlichkeit der Situation gewesen, die für den Beschwerdeführer ohne weiteres erkennbar gewesen sei und ihn zu besonderer Vorsicht und zum Anhalten hinter dem Tram hätten veranlassen müssen. M. habe zwar nach dem Erfassen der Situation noch rechtzeitig und zweckmässig reagiert. Seine Fahrweise und die Vollbremsung hätten indessen zu einer Gefährdung der ein- und aussteigenden Passagiere geführt und zur Folge gehabt, dass sein Wagen entgegen
Art. 25 Abs. 5 VRV
nicht den vorgeschriebenen Abstand zum Tram eingehalten habe. M. habe deshalb gegen
Art. 33 Abs. 3 SVG
verstossen.
b) Die Argumentation der Vorinstanz beruht zum Teil auf einem Widerspruch. Einerseits werden die örtlichen Verhältnisse sowie die Markierung dafür angerufen, dass der Beschwerdeführer zur Annahme berechtigt war, er dürfe seine Fahrt rechts an Strassenbahn und Schutzinsel vorbei fortsetzen, und anderseits werden dieselben Elemente insoweit in gegenteiligem Sinn verwendet, als die Verengung und das leichte Abbiegen der Fahrbahn als Indizien für die erkennbare Gefährlichkeit der Situation herangezogen werden. Dabei wird verkannt, dass Verengung und Biegung der Fahrbahn im kritischen Bereich nicht durch die Schutzinsel, sondern durch die Markierung bewirkt wurden und dass das im Rahmen der örtlichen Verhältnisse bedeutsame Element des auf dem rechten Trottoir angebrachten Geländers dem Fahrzeugführer deutlich machte, dass auch Fahrgäste der Strassenbahn die Strasse nur über die Fussgängerstreifen zu betreten haben. Wegen des vor der fraglichen Stelle liegenden Fussgängerstreifens aber hätte der Beschwerdeführer seine Fahrweise nur ändern müssen, wenn erstellt wäre, dass auf ihm sich Fussgänger befanden oder im Begriffe waren, die Strasse zu überqueren.
BGE 107 IV 138 S. 141
Das ist jedoch nicht festgestellt noch wird dem Beschwerdeführer allgemein der Vorwurf gemacht, er sei im Hinblick auf diesen Fussgängerstreifen mit einer unangemessenen Geschwindigkeit gefahren. Der zweite Fussgängerstreifen aber befand sich viel weiter vorne und fällt hier nicht in Betracht.
Damit bleiben als Anzeichen für die Gefährlichkeit der Situation einzig das haltende Tram und die ein- und aussteigenden Fahrgäste. Dass Fahrgäste schon im Zeitpunkt der Anfahrt des Trams ausserhalb der Schutzinsel auf der Fahrbahn selber gewartet hätten, ist nicht festgestellt. Es kann sich also einzig um Passagiere handeln, die nach dem Anhalten der Strassenbahn sich von der Schutzinsel nach hinten begeben haben, um einzusteigen. Der früheste Zeitpunkt, von dem an der Beschwerdeführer mit einer Gefahrenlage rechnen musste, war also der Moment, in dem für ihn erkennbar wurde, dass der Anhänger des Trams entgegen seiner berechtigten Erwartung ausserhalb des Bereichs der Schutzinsel hielt und deshalb Passagiere gezwungen waren, unmittelbar auf die Fahrbahn auszusteigen oder von dieser aus einzusteigen. Ob M. bei seiner Geschwindigkeit und seinem Abstand auf das Tram (keines von beidem bezeichnet die Vorinstanz als an sich unangemessen) entsprechend
Art. 25 Abs. 5 VRV
noch mindestens zwei Meter hinter de Tram hätte anhalten können, ist bei Berücksichtigung der berichtigten Urteilsgrundlagen ungewiss. Dass er sich zu einer Vollbremsung gezwungen sah und sein Fahrzeug erst ungefähr bei der Hintertüre des Tramanhängers zum Stillstand bringen konnte, berechtigt allein nicht zum Schluss auf einen schuldhaften Verstoss gegen
Art. 33 Abs. 3 SVG
. Die objektive Gefährlichkeit einer mangelhaften Verkehrsanlage, die hier darin bestand, dass eine für kürzere Tramzüge berechnete Schutzinsel nach Inbetriebsetzung längerer Strassenbahnzüge beibehalten worden war, kann nicht dem Fahrzeuglenker zur Last gelegt werden, wenn er die Situation auch bei gebotener Aufmerksamkeit nicht so rechtzeitig erkennen kann, dass es ihm möglich ist, die einschlägigen Verkehrsregeln einzuhalten. Aus den von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen ergibt sich somit nicht, dass der Beschwerdeführer schon früher hätte anhalten müssen, was Rückweisung zum Freispruch nach sich zieht. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7d06dd83-a9b8-49c4-aec3-a1e291927af8 | Urteilskopf
111 IV 155
39. Urteil des Kassationshofes vom 1. Oktober 1985 i.S. G. gegen Staatsanwaltshaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 260bis Abs. 1 StGB
; strafbare Vorbereitungshandlungen.
Die Strafbarkeit der Vorbereitungshandlungen (i.c. zu Raub) ist nur dort vorgesehen, wo mehrere planmässige und konkrete Akte des Täters auf eine solche Intensität des deliktischen Willens schliessen lassen, dass vernünftigerweise angenommen werden kann, der Täter werde seine Deliktsabsicht ohne weiteres in Richtung auf eine Ausführung der Tat weiterverfolgen. Dies setzt aber nicht voraus, dass der Täter auch materiell im Begriff ist, zur Ausführung der Tat anzusetzen. Das Gesetz verlangt nicht, dass die Vorkehren auf ein nach Ort, Zeit und Begehungsweise bereits hinreichend konkretisiertes Delikt Bezug haben. | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 111 IV 155 S. 155
In der Absicht, in der Schweiz auf eine Bank, ein Postbüro oder ein Verkaufslokal einen Raubüberfall auszuführen, beschaffte sich der mehrfach vorbestrafte jugoslawische Staatsangehörige G. in Mailand eine doppelläufige Schrotflinte mit abgesägtem Lauf und Holzschaft und die dazugehörige Munition sowie einen sechsschüssigen Revolver mit Patronen, wobei er sich durch Probeschüsse vergewisserte, dass die Waffen funktionierten. Daraufhin reiste er in die Schweiz ein, wo er in Bern zwei Funkgeräte, Gummihandschuhe, Schraubenzieher und einen Glasschneider erstand, welche Geräte er in einem Schliessfach des Bahnhofs Aarau deponierte. Der Raubüberfall sollte in Aarau oder Umgebung ausgeführt
BGE 111 IV 155 S. 156
werden, wobei nach Auskundschaftung eines geeigneten Tatortes ein zweiter Mann auf Abruf aus Italien per Auto zu Hilfe kommen sollte. G. wurde jedoch vor der Rekognoszierung des präsumtiven Tatorts verhaftet.
Mit Urteil vom 20. Juni 1985 sprach das Obergericht des Kantons Aargau G. u.a. der strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Raub gemäss
Art. 260bis Abs. 1 StGB
schuldig und verurteilte ihn zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus, abzüglich 321 Tage Untersuchungshaft, und zu zehn Jahren Landesverweisung.
G. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und es sei die Sache zu seiner Freisprechung von der Anklage der strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Raub an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab mit folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Das angefochtene Urteil ist nach der ausdrücklichen Feststellung des Obergerichts ein Mehrheitsentscheid. Eine Minderheit des Gerichts hätte den Beschwerdeführer von der Anklage strafbarer Vorbereitungshandlungen zu Raub freigesprochen, weil er sich bis zum Zeitpunkt der Verhaftung über die Art und Weise des Vorgehens überhaupt keine Vorstellung gemacht habe, und der angestrebte Raubüberfall nicht nur örtlich und zeitlich, sondern nicht einmal in seinen Umrissen auch nur annähernd bestimmbar gewesen sei (STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, 3. Aufl., BT II S. 214). Wohl habe der Beschwerdeführer die Absicht gehabt, in Aarau oder Umgebung nach einem geeigneten Objekt Ausschau zu halten. Hierzu sei es jedoch wegen seiner Verhaftung nicht gekommen. G. hätte deshalb seinen Plan zwischenzeitlich abändern oder gänzlich aufgeben können. Im Lichte der örtlich und zeitlich völlig unbestimmten Tat und ungewissen Begehungsweise könne ihm lediglich eine Tatgeneigtheit angelastet, nicht aber gesagt werden, er hätte sich im Sinne von
Art. 260bis StGB
angeschickt, einen Raubüberfall zu begehen.
Hieran schliesst die Beschwerde an, wobei geltend gemacht wird, G. hätte mangels örtlicher und zeitlicher Konkretisierung des Delikts nicht verurteilt werden dürfen, zumal auch in zeitlicher Hinsicht ein naher Zusammenhang mit dem Versuchsbeginn fehle (SCHUBARTH, Kommentar III S. 173 ff.). Der Beschwerdeführer habe noch nicht genügend in seine Vorkehrungen investiert
BGE 111 IV 155 S. 157
gehabt, um die Schwelle der straflosen zu den strafbaren Vorbereitungshandlungen überschritten zu haben (ARZT, Zur Revision des StGB im Bereich der Gewaltverbrechen, ZStR 100/1983 S. 277). Auch nach der "extensivsten Lehrmeinung" von SCHULTZ (Zur Revision des StGB vom 9. Oktober 1981: Gewaltverbrechen, ZStR 101/1984 S. 131 ff.) hätte er freigesprochen werden müssen, weil er zu keinem Zeitpunkt vor seiner Festnahme in der Lage gewesen sei, sich zu einem Raub anzuschicken, hätte er dazu doch noch das geeignete Objekt finden, den günstigen Zeitpunkt abwarten, die bereitgestellten Tatwaffen behändigen und den italienischen Komplizen benachrichtigen müssen.
2.
Nach
Art. 260bis Abs. 1 StGB
wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis bestraft, wer planmässig konkrete technische oder organisatorische Vorkehrungen trifft, deren Art und Umfang zeigen, dass er sich anschickt, eine der folgenden strafbaren Handlungen auszuführen: Raub usw.
a) Wortlaut und Entstehungsgeschichte (BBl 1980 I 1243 ff.; Amtl.Bull. 1980 N II 1602 ff., 1981 S 279 ff.) dieser Bestimmung, die anlässlich der Teilrevision von 1981 von den eidgenössischen Räten ins StGB aufgenommen wurde, machen deutlich, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen zu bestimmten Kapitalverbrechen mit einer Reihe einschränkender Kautelen umgeben hat, um der Verfolgung blosser deliktischer Gesinnung oder Absicht vorzubeugen. Er hat - allgemein ausgedrückt - ihre Strafbarkeit nur vorgesehen, wo äussere Akte des Täters auf eine solche Intensität des deliktischen Willens schliessen lassen, dass eine Ausführung der Straftat normalerweise bevorsteht.
b) Dabei ist nicht zu übersehen, dass Vorbereitungshandlungen ihrer Natur nach bloss Handlungen sein können, die nicht schon Beginn der Deliktsausführung sind. Mit dem Erlass von
Art. 260bis StGB
sollte die Strafbarkeit über den Bereich des strafbaren Versuchs hinaus vorverlegt werden; bei der Vorbereitung schwerer Verbrechen, wie sie in Art. 260bis abschliessend genannt sind, soll nämlich "möglichst frühzeitig eingegriffen werden können, damit nicht zugewartet werden muss, bis die strafbaren Handlungen geschehen sind" (Amtl.Bull. 1980 N II 1664 Votum Blunschy, s. auch SCHULTZ, a.a.O. S. 134); es geht um präventiv wirkenden Rechtsgüterschutz (Amtl.Bull. N a.a.O. 1661 Votum Hunziker; Amtl.Bull. 1981 S 282 Votum Aubert). Anderseits hat aber der Gesetzgeber mit der Formel "sich zur Ausführung
BGE 111 IV 155 S. 158
anschicken" auch zum Ausdruck gebracht, dass nicht jede entfernte und in ihrer Zielrichtung noch vage Vorbereitungshandlung genügt. Die Vorkehrungen, von denen das Gesetz spricht, müssen planmässig und konkret sein, d.h. es muss um mehrere überlegt ausgeführte Handlungen gehen, die im Rahmen eines deliktischen Vorhabens eine bestimmte Vorbereitungsfunktion haben. Sie müssen ausserdem nach ihrer Art und ihrem Umfang so weit gediehen sein, dass vernünftigerweise angenommen werden kann, der Täter werde seine damit manifestierte Deliktsabsicht ohne weiteres in Richtung auf eine Ausführung der Tat weiterverfolgen; er muss - mit anderen Worten - zumindest psychologisch an der Schwelle der Tatausführung angelangt sein (Amtl.Bull. N a.a.O. 1658 Votum Petitpierre), was aber nicht voraussetzt, dass er auch materiell im Begriff ist, zur Ausführung der Tat anzusetzen (ARZT, a.a.O. S. 277). Das Gesetz verlangt entgegen der Meinung STRATENWERTHS (s. E. 1) nicht, dass die Vorkehrungen auf ein nach Ort, Zeit und Begehungsweise bereits hinreichend konkretisiertes Delikt Bezug haben (ebenso SCHULTZ, a.a.O. S. 134). Wo, wann und wie die Straftat auszuführen sein wird, sind weitgehend Fragen der Organisation.
Art. 260bis Abs. 1 StGB
lässt jedoch wahlweise technische oder organisatorische Vorkehrungen genügen. Der Täter, der im Hinblick auf einen Raubüberfall, dessen Ablauf bloss in weiten Konturen (z.B. Überfall auf noch nicht bestimmte Bank in einer bestimmten Region), aber nicht schon im Detail geplant ist, bereits eine Reihe konkreter technischer Vorkehrungen getroffen hat, die erkennen lassen, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach die Tat nach Abschluss weiterer Massnahmen ausführen wird, ist an jener psychologischen Schwelle zur Tatausführung angelangt, und es besteht objektiv und subjektiv eine zureichende Beziehung zwischen der Vorbereitung und einem bestimmten Deliktstatbestand, um nach dem Willen des Gesetzgebers
Art. 260bis Abs. 1 StGB
Platz greifen zu lassen (s. Amtl.Bull. N a.a.O. 1620 und 1665 Voten von Bundesrat Furgler unter Verweisung auf HAFTER und SCHULTZ).
3.
Im vorliegenden Fall hatte sich der mehrfach vorbestrafte Beschwerdeführer, der - wie die Vorinstanz sich ausdrückt - als eigentlicher Kriminaltourist in die Schweiz kam, wo er übrigens noch eine Reihe von Diebstählen beging, in Mailand Schusswaffen und Munition beschafft, um in der Gegend von Aarau einen Raubüberfall auf eine Bank, ein Postbüro oder ein Verkaufslokal
BGE 111 IV 155 S. 159
auszuführen. In der Schweiz selber erstand er weitere Utensilien (Funkgeräte, Gummihandschuhe, Schraubenzieher, Glasschneider), die er in einem Schliessfach im Bahnhof Aarau deponierte. Auch stand ein Komplize in Italien auf Abruf bereit, um für den Zeitpunkt der Tatausführung mit dem Auto in die Schweiz zu kommen und dem Beschwerdeführer beizustehen. Damit hat G. zielstrebig und mit einem gewissen finanziellen Aufwand eine ganze Reihe von konkreten Vorbereitungen für einen in Aussicht genommenen Raub getroffen und solcherweise eine derartige Tatbereitschaft manifestiert, dass sich der Schluss rechtfertigt, er habe jedenfalls psychologisch die Schwelle der Tatausführung erreicht. Die Gerichtsmehrheit der Vorinstanz hat ihn deshalb zu Recht nach
Art. 260bis Abs. 1 StGB
bestraft. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7d14c767-4a94-449b-bb1d-4eded653373a | Urteilskopf
113 Ib 81
15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Januar 1987 i.S. X. und Mitbeteiligte gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Bundesgesetz zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 3. Oktober 1975 (BG-RVUS); Legitimation zur Einsprache gemäss Art. 16.
Die Einschränkung der Einsprache- und damit auch der weiteren Rechtsmittelmöglichkeit gemäss
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 BG-RVUS
für denjenigen, gegen den sich das zum Ersuchen Anlass gebende Verfahren in den USA richtet, gilt nur, soweit er nicht zugleich auch durch die schweizerische Rechtshilfehandlung unmittelbar Betroffener ist. Für den von der Rechtshilfemassnahme unmittelbar Betroffenen oder Berührten geht in jedem Fall die Bestimmung von Art. 16 Abs. 1 derjenigen von
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 BG-RVUS
vor. | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 113 Ib 81 S. 82
Das Justizdepartement der Vereinigten Staaten stellte am 30. April 1986 beim Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) ein Rechtshilfeersuchen. In diesem Gesuch wird dargelegt, gegen X. und weitere vier Personen werde im Bundesstaat New York ein Strafverfahren wegen verschiedener Delikte des Rechtes der Vereinigten Staaten geführt (Massenbetrug, Verschwörung, Diebstahl).
Am 5. Mai 1986 übermittelte das BAP das Rechtshilfeersuchen zum Vollzug an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Aus seinem Schreiben geht hervor, dass es das Gesuch als formgültig und als auch nicht aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig betrachtet; es ist der Auffassung, der darin umschriebene Sachverhalt stelle einen Betrug dar, weshalb nach Art. 4 Ziff. 2 des Staatsvertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 25. Mai 1973 (RVUS) auch Zwangsmassnahmen zulässig seien. Die Bezirksanwaltschaft Zürich, an welche die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich das Rechtshilfeersuchen weitergeleitet hatte, sperrte mit Verfügung vom 30. Mai 1986 die Guthaben von X. und anderer im Ersuchen genannter Personen bei der Bank Y.,
BGE 113 Ib 81 S. 83
ordnete die Herausgabe der Bankunterlagen an und verlangte die Bezeichnung eines informierten Vertreters der Bank, der als Zeuge vernommen werden könne. Die Rechtsmittelbelehrung lautet dahin, es könne innert zehn Tagen beim BAP Einsprache erhoben oder innert der nämlichen Frist bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Rekurs erhoben werden, letzteres allerdings nur wegen Verletzung von Parteirechten oder von Verfahrensbestimmungen des zürcherischen Rechtes.
Rechtsanwalt Z. erhob namens von X. beim BAP Einsprache gegen die erwähnte Verfügung der Bezirksanwaltschaft Zürich. Er ersuchte um Ansetzung einer angemessenen Frist, um die Einsprache zu begründen. Das BAP räumte ihm hiefür eine Frist bis 30. Juni 1986 ein. Zudem machte es ihn darauf aufmerksam, dass die Legitimation zur Einsprache im Sinne von Art. 16 Abs. 2 des BG zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 3. Oktober 1985 (BG-RVUS) auf jeden Fall innert dieser Frist nachzuweisen sei. Rechtsanwalt Z. ersuchte mit Eingabe vom 30. Juni 1986 um Fristerstreckung bis zum 31. Juli 1986 und gab im übrigen seinem Erstaunen über die verlangte Begründung der Einsprachelegitimation Ausdruck; er wies darauf hin, die Interessen von X. würden durch die angeordneten Massnahmen zweifellos berührt, so dass dieser ein schutzwürdiges Interesse daran habe, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Das BAP entsprach dem Fristerstreckungsgesuch mit Schreiben vom 7. Juli 1986 teilweise und erläuterte seinen Hinweis auf
Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS
. Am 22. Juli 1986 begründete Rechtsanwalt Z. seine Einsprache und stellte den Antrag, der Vollzug des Rechtshilfeersuchens des US Department of Justice vom 30. April 1986 sei zu verweigern, soweit er die Anwendung von Zwangsmassnahmen beinhalte.
Mit Verfügung vom 24. Juli 1986 trat das BAP auf die Einsprache mangels Legitimation der Beschwerdeführer nicht ein.
X. und Mitbeteiligte erhoben mit Eingabe vom 25. August 1986 Verwaltungsgerichtsbeschwerde und stellten unter anderem folgenden Hauptantrag:
"1. Die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, und es ist demzufolge das BAP anzuweisen, auf die von den Beschwerdeführern erhobene Einsprache
BGE 113 Ib 81 S. 84
einzutreten."
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Das BAP stützt seinen Nichteintretensentscheid auf Art. 16 Abs. 2, 2. Satzteil BG-RVUS. Diese unter dem Marginale "Einsprache" stehende Bestimmung lautet wie folgt:
"Derjenige, gegen den sich das zum Ersuchen Anlass gebende Verfahren richtet, kann jedoch lediglich rügen, die Rechtshilfehandlung verletze Bundesrecht und könnte zudem die ihm nach amerikanischem Verfahrensrecht zustehenden Verteidigungsrechte beeinträchtigen."
Das BAP hält dafür, die Beschwerdeführer hätten das Vorliegen der zweiten Voraussetzung (Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte im amerikanischen Verfahren) nicht dargetan. Dem halten die Beschwerdeführer entgegen, die Frage der Legitimation richte sich einzig nach
Art. 16 Abs. 1 BG-RVUS
, wonach gegen Anordnungen der Zentralstelle Einsprache erheben könne, wer durch eine Rechtshilfehandlung berührt sei und ein schutzwürdiges Interesse habe. Diese Bedingungen seien vorliegend erfüllt, weshalb sie zur Einsprache zugelassen werden müssten.
b) Der Standpunkt des BAP scheint zunächst den Wortlaut des Gesetzes für sich zu haben. Auch lässt sich nach dessen Systematik nicht ohne weiteres sagen, die Frage nach der Legitimation und diejenige nach den zulässigen Einsprachegründen müssten und könnten scharf auseinandergehalten werden. Indessen widerspräche es dem aus
Art. 4 BV
abzuleitenden, für das gesamte schweizerische Rechtssystem grundlegenden Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn in einem Rechtshilfeverfahren über Eingriffe in persönliche Rechte des in einem ausländischen Staat Verfolgten entschieden würde, ohne dass diesem die Gelegenheit eingeräumt würde, die Rechtsmässigkeit solcher Eingriffe durch die zuständige oberste Verwaltungsbehörde und sodann allenfalls auch durch das Bundesgericht abklären zu lassen (vgl. dazu ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 131 f.). Die vor allem auch in der Vernehmlassung des BAP zum Ausdruck gelangende Auffassung, der in den USA Verfolgte, der keine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte in jenem Staat geltend machen könne, sei in der Schweiz generell von jedem Rechtsmittel ausgeschlossen, könnte somit nur dann hingenommen werden, wenn das Gesetz eine andere Auslegung schlechthin nicht zuliesse. Dies gilt um so mehr, als das BAP und das Bundesgericht bisher unter vergleichbaren Umständen regelmässig auf Einsprachen und Verwaltungsgerichtsbeschwerden eingetreten sind, allerdings ohne
BGE 113 Ib 81 S. 85
dass die Frage der Auslegung von
Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS
erörtert worden wäre (
BGE 109 Ib 158
ff.,
BGE 107 Ib 274
ff. und zahlreiche nicht veröffentlichte Urteile).
c) Es stellt sich somit die Frage, ob eine in diesem Sinn verfassungskonforme Auslegung von
Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS
möglich sei.
aa) Zu denken wäre daran, die Einschränkung der Zulässigkeit der Einsprachemöglichkeit des in den USA Verfolgten nach
Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS
nur auf die Einsprache als solche zu beziehen, dagegen die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 17 sowie allenfalls die Verwaltungsbeschwerde nach
Art. 18 BG-RVUS
zuzulassen, da die entsprechenden Artikel keine analoge Beschränkung vorsehen. Indessen wäre diese Lösung kaum durchführbar; denn jeder Weiterzug an das Bundesgericht oder an den Bundesrat setzt eine anfechtbare Verfügung voraus, die in der hier massgebenden Materie nur vom BAP oder allenfalls von der obersten zuständigen kantonalen Behörde ausgehen kann. Zudem verweist das BAP zutreffend auf die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem BG zum Staatsvertrag mit den USA über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 28. August 1974 (BBl 1974 II 631 ff.), der sich entnehmen lässt, dass die für den Verfolgten geltenden Einschränkungen nach
Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS
nicht nur die Einsprache, sondern sämtliche Rechtsmittel überhaupt betreffen sollten (S. 641). Die skizzierte Auslegung erweist sich daher als nicht angängig.
bb) Die zutreffende Lösung ergibt sich aus einem Vergleich der für den Rechtshilfeverkehr mit den USA geltenden Bestimmungen mit denjenigen, die im Rechtshilfeverkehr im allgemeinen massgebend sind, d.h. jenen des BG über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG). Art. 21 Abs. 3 dieses Gesetzes lautet:
"Personen, gegen die sich das ausländische Strafverfahren richtet, können Verfügungen nur anfechten, wenn eine Massnahme sie persönlich trifft oder sie in ihren Verteidigungsrechten im Strafverfahren beeinträchtigen könnte."
Diese Bestimmung entspricht weitgehend, wenn auch nicht vollständig, derjenigen von Art. 16 Abs. 2, 2. Satzteil BG-RVUS. Zur erwähnten Bestimmung des IRSG hat das Bundesgericht in seinem Urteil
BGE 110 Ib 391
ausgeführt, es genüge, wenn eine der beiden im Gesetz genannten Voraussetzungen alternativ gegeben seien, d.h. wenn sich die Rechtshilfemassnahme gegen die das Rechtsmittel ergreifende Person
BGE 113 Ib 81 S. 86
persönlich richte oder wenn durch Vollzug der Rechtshilfe die Verteidigungsrechte im ausländischen Strafverfahren beeinträchtigt werden könnten. Nun trifft es allerdings zu, dass Art. 16 Abs. 2, 2. Satzteil BG-RVUS nach seinem Wortlaut enger gefasst ist als
Art. 21 Abs. 3 IRSG
; vor allem fehlt das Bindewort "oder". Indessen kann nach den vorstehenden Erwägungen nicht angenommen werden, dem in den USA Verfolgten stünden gegenüber ihn persönlich treffenden Zwangsmassnahmen in der Schweiz nicht gleichwertige Rechtsbehelfe und Rechtsmittel zur Verfügung wie bei der Rechtshilfe gegenüber anderen Staaten (vgl. Erwägung 3b). Vielmehr ist
Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS
verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Einschränkung der Einsprache- und damit auch der weiteren Rechtsmittelmöglichkeit nur gilt für denjenigen, gegen den sich das zum Ersuchen Anlass gebende Verfahren in den USA richtet, soweit er nicht zugleich auch durch die schweizerische Rechtshilfehandlung unmittelbar Betroffener ist, oder anders ausgedrückt: Für den von der Rechtshilfehandlung unmittelbar Betroffenen oder Berührten geht in jedem Fall die Bestimmung von Art. 16 Abs. 1 derjenigen von
Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS
vor. Abs. 2 Satz 2 von
Art. 16 BG-RVUS
verliert dadurch durchaus nicht seinen Sinn, kann doch das Rechtshilfeverfahren entsprechend dem Willen des Gesetzgebers dann abgekürzt und beschleunigt werden, wenn der von der Rechtshilfehandlung unmittelbar Berührte (also etwa der Inhaber eines Bankkontos oder der in der Schweiz zu vernehmende Zeuge) mit dem in den USA Verfolgten nicht identisch ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird hinsichtlich Hauptantrag 1 gutgeheissen, die Verfügung des Bundesamtes für Polizeiwesen vom 24. Juli 1986 aufgehoben und das Bundesamt eingeladen, auf die Einsprache der Beschwerdeführer einzutreten. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7d16dfca-02d2-47eb-90f9-402775af642b | Urteilskopf
84 II 127
16. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 11 février 1958 dans la cause Helvetia contre Fasel et consorts. | Regeste
Art. 25 MFG.
Verpflichtungen des Fahrzeuglenkers, der seine grossen Scheinwerfer ablöscht um mit abgeblendeten Lichtern zu fahren. | Sachverhalt
ab Seite 127
BGE 84 II 127 S. 127
Résumé des faits:
Le 6 novembre 1950, vers 18 heures, sur la route principale Genève-Lausanne, à Bellerive, commune de Prangins, une collision se produisit entre le camion Chevrolet de Charles Borgognon et la voiture Lancia de dame Martha Tschantz. Borgognon, qui se dirigeait de Nyon vers Rolle, revenait à sa propriété, laquelle se trouvait à gauche par rapport au sens de sa marche. Comme le portail du jardin était fermé, il pénétra dans l'entrée et descendit pour ouvrir, laissant son véhicule de biais, l'angle arrière droit, qui faisait le plus saillie, empiétant de 1 m 75 sur la chaussée, large à cet endroit de 7 m 75. Il n'avait pas allumé ses phares, mais seulement ses feux de position. Ceux-ci, du reste, pas plus que les feux arrière, n'étaient visibles pour les conducteurs qui se dirigeaient vers Genève. La nuit était presque tombée, la route était sèche et le véhicule se trouvait entre les zones éclairées par deux réverbères. Jules Tschantz, conduisant la voiture Lancia dont sa femme Martha Tschantz était détentrice, venait de Rolle et se dirigeait vers Nyon. Il était accompagné notamment
BGE 84 II 127 S. 128
de sa femme. Il roulait à un mètre environ du bord de la chaussée; le volant de la voiture était à droite. Afin de ne pas gêner une voiture qui venait en sens inverse et qu'il croisa immédiatement avant d'arriver à la hauteur du camion, il éteignit ses grands phares et alluma ses feux de croisement. Arrivé à une très courte distance, il vit une masse sombre débordant sur la chaussée. Surpris, il donna un coup de volant à gauche, mais sans pouvoir éviter la collision. Sa voiture heurta l'angle arrière droit du camion; elle fut atteinte au phare droit, au capot; la carrosserie fut arrachée sur la partie droite, ainsi que la portière droite. Il reconnut lui-même n'avoir pas du tout ralenti. Après le choc, il réussit à redresser la machine et s'arrêta environ 100 m plus loin. Robert-Tissot, pilotant une voiture qui suivait la Lancia et roulant entre 70 et 80 km/h, les feux de croisement allumés, aperçut l'obstacle à une distance de 20 à 30 m; il put l'éviter par un violent coup de volant à gauche, reprendre sa direction primitive et s'arrêter devant l'automobile de Tschantz.
Dans la collision, les époux Tschantz furent grièvement blessés.
Le 6 novembre 1951, le Tribunal du district de Cossonay condamna Borgognon pour entrave à la circulation publique (art. 237 CP; contravention à l'art. 49 RA) à 200 fr. d'amende et donna acte aux plaignants de leurs réserves civiles.
Les époux Tschantz ayant cédé leurs prétentions issues de l'accident du 6 novembre 1950 à Fasel et consorts, ceux-ci actionnèrent l'Helvetia, assureur de Borgognon, en paiement du dommage. Le 26 septembre 1957, la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois admit partiellement la demande.
L'Helvetia a formé un recours en réforme. Elle alléguait notamment que Jules Tschantz avait commis une faute concurrente. Le Tribunal fédéral a admis le recours.
BGE 84 II 127 S. 129
Erwägungen
Extrait des motifs:
La recourante ne conteste ni la faute retenue contre Borgognon ni le montant du dommage subi par les époux Tschantz. Elle allègue en revanche que, conduisant la voiture avec la permission de la détentrice, sa femme, Jules Tschantz, contrairement à ce qu'a admis le premier juge, a commis une faute concurrente.
La cour cantonale n'a pas constaté la vitesse de Jules Tschantz lors de l'accident. Elle affirme cependant que, même s'il avait roulé tout d'abord à 80 ou 90 km/h et avait ralenti jusqu'à 70 km/h lors du croisement, on ne pourrait lui reprocher d'excès, la route étant rectiligne, bordée d'un trottoir de chaque côté et le trafic dense, partant très rapide.
Cette opinion se heurte à l'art. 25 LA, selon lequel le conducteur doit être constamment maître de son véhicule et en adapter la vitesse aux conditions de la route et de la circulation. Se fondant sur cette prescription légale, le Tribunal fédéral a constamment jugé que la vitesse du véhicule doit toujours permettre au conducteur de s'arrêter sur l'espace qu'il voit libre devant lui, en particulier, lorsqu'il a allumé soit ses grands phares, soit ses feux de croisement (RO 76 IV 56, consid. 3;
77 IV 102
;
79 IV 66
;
82 IV 108
). Lors donc qu'un conducteur, pour ne pas éblouir celui qui vient en sens inverse, éteint ses grands phares pour allumer ses feux de croisement, il doit en même temps et au besoin modérer sa vitesse de façon à pouvoir s'arrêter sur la distance que son éclairage réduit lui permet de contrôler par la vue (art. 13 al. 1 lit. a RA).
La cour cantonale s'est mise en contradiction avec ces principes en faisant dépendre la vitesse admissible lorsqu'on roule avec les feux de croisement, non pas de la portée de ces feux, mais de l'intensité du trafic, de l'existence de trottoirs et même de la vitesse que les autres conducteurs jugent convenable.
Dans la présente espèce, Tschantz circulait avec ses
BGE 84 II 127 S. 130
feux de croisement. Il devait donc, au besoin, ralentir. Il a reconnu lui-même n'en avoir rien fait. Or la collision ne peut s'expliquer que par une vitesse excessive, par l'inattention ou par ces deux causes à la fois. Autrement, Tschantz aurait vu l'obstacle à temps. On ne saurait invoquer en sa faveur la jurisprudence selon laquelle le conducteur ne commet point de faute lorsque, sur une route droite et en rase campagne, sans croisées ni débouchés de propriétés et autres lieux habités, il se fie, après avoir éteint ses grands phares, à l'image aperçue immédiatement auparavant (RO 65 I 199;
77 IV 102
). L'accident ne s'est produit - que ce soit à l'intérieur ou à l'extérieur de la localité - ni en rase campagne ni sur un trajet dépourvu de croisées ou d'entrées privées.
La cour cantonale exclut aussi la faute parce que c'était principalement le pont du camion qui empiétait sur la chaussée, que la peinture en était assez sombre et qu'il se trouvait à un mètre au-dessus du sol, de sorte que les feux de croisement ne pouvaient le révéler qu'à très courte distance. Elle admet cependant que le pont n'était pas seul sur le passage; la roue arrière droite s'y trouvait aussi. Reposant sur le sol, elle était visible d'aussi loin que portaient les feux de croisement, c'est-à-dire à 30 m (art. 13 al. 1 lit. a RA), distance sur laquelle le conducteur devait pouvoir s'arrêter.
La cour cantonale admet, à la vérité, que Tschantz n'aurait pas eu le temps de réduire convenablement sa vitesse entre l'extinction de ses grands phares et la collision. Mais elle constate elle-même que la route, au lieu de l'accident, est rectiligne, que Tschantz avait allumé ses feux de croisement afin de ne pas éblouir un conducteur qu'il croisa peu avant le choc. Dans ces circonstances, il a dû éteindre ses grands phares au moins 100 m avant de croiser l'autre véhicule (art. 39 al. 1 lit. b RA), c'est-à-dire à peu près 100 m avant la collision. Même sur cette distance, il aurait pu ralentir, comme la loi l'exige, de façon à voir l'obstacle à temps.
BGE 84 II 127 S. 131
Peu importe qu'une voiture se fût trouvée derrière lui. Elle devait se tenir à distance, de façon à pouvoir manoeuvrer s'il ralentissait pour une cause quelconque (art. 48 al. 1 RA). La cour cantonale n'a pas constaté que la voiture de Robert-Tissot ait violé cette règle et gêné Tschantz en quoi que ce soit. | public_law | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7d19e1e9-e8c0-41d5-b5d3-b8ae28847feb | Urteilskopf
99 Ia 712
82. Auszug aus dem Urteil vom 19. Dezember 1973 i.S. AG Grand Hotels Engadiner Kulm gegen Gemeinde St. Moritz und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. | Regeste
Art. 4 und 22ter BV
; Zonenplanung.
Rechtsschutz des Grundeigentümers bei der Revision von Zonenplänen und Zonenvorschriften. Herabsetzung der Ausnützungsziffer. | Sachverhalt
ab Seite 713
BGE 99 Ia 712 S. 713
Am 7. März 1971 nahmen die Stimmbürger der Gemeinde St. Moritz u.a. eine neue Bauordnung und einen revidierten Zonenplan an, die von der Regierung des Kantons Graubünden genehmigt wurden. Nachdem die AG Grand Hotels Engadiner Kulm den Zonenplan erfolglos beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden angefochten hatte, führt sie wegen Verletzung von
Art. 4 und 22ter BV
staatsrechtliche Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der revidierte Zonenplan vom 7. März 1971 belässt die Parzellen 1694, 926, 1665 und 1684, deren Zoneneinteilung hier streitig ist, wie bis anhin in der Villenzone. Die Beschwerdeführerin ist jedoch durch die Revision des Zonenplanes und die gleichzeitig beschlossene neue Bauordnung (nBO) insoweit berührt, als die bisherigen Vorschriften in der Villenzone eine maximale Ausnützung von 0,4 erlaubten, währenddem Art. 22 Abs. 1 nBO die Ausnützungsziffer nunmehr auf 0,2 festsetzt. Nach Art. 21 Abs. 4 nBO sind Hotelbauten in allen Zonen, d.h. auch in der Villenzone zulässig. Art. 36 nBO ermächtigt die Baubehörde, für Hotelbauten in allen Zonen hinsichtlich der höchstzulässigen Vollgeschosszahl, der Gebäudehöhe und der Ausnützungsziffer Ausnahmen zu gestatten.
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass die Gemeinde St. Moritz an sich befugt war, die Ausnützungsziffer in der Villenzone von 0,4 auf 0,2 herabzusetzen. Sie setzt sich jedoch dagegen zur Wehr, dass ihr Areal wie bisher in der Villenzone belassen wird. Auf die Gewährung einer Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 36 nBO habe sie keinen Rechtsanspruch. Die Herabsetzung der Ausnützungsziffer beeinträchtige sie daher in ihrer bisherigen Rechtsstellung und führe zu einer Verletzung der Eigentumsgarantie, die sich nur vermeiden lasse, wenn ihr Grundbesitz gemäss den gestellten Anträgen umgezont werde. Mit der Ablehnung dieser Anträge seien
Art. 4 und 22ter BV
verletzt worden. Diese Rüge ist zulässig. Da die Beschwerdeführerin das Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage nicht bestreitet, ist nur zu prüfen, ob die angefochtene
BGE 99 Ia 712 S. 714
Zoneneinteilung materiell vor der Verfassung standhält, d.h. ob sie auf einem öffentlichen Interesse beruht, das das entgegenstehende private Interesse überwiegt, und ob die aus
Art. 4 BV
sich ergebenden Schranken beachtet worden sind. Die Frage der Interessenabwägung prüft das Bundesgericht auf Anrufung der Eigentumsgerantie hin grundsätzlich frei; es übt jedoch Zurückhaltung, soweit die Antwort von der Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken als das Bundesgericht, und soweit sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen (BGE 99 I a 51, 98 I a 376, mit Hinweisen). Ob sich die angefochtene Eigentumsbeschränkung wie eine materielle Enteignung auswirkt, ist vom Bundesgericht in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Wenn die Beschwerdeführerin glaubt, einen Entschädigungsanspruch zu besitzen, hat sie ihn zunächst vor den kantonalen Instanzen geltend zu machen (
BGE 97 I 650
, mit Hinweisen; zur Frage der Entschädigungspflicht bei Herabsetzung der Überbauungsmöglichkeit vgl.
BGE 97 I 634
ff.).
3.
...
4.
Das Verwaltungsgericht erklärt, der Vorwurf der rechtsungleichen Behandlung und der Willkür sei deshalb nicht stichhaltig, weil das fragliche Areal schon früher zur Villenzone gehört habe und die Beschwerdeführerin durch die Herabsetzung der für diese Zone geltenden Ausnützungsziffer gegenüber andern Grundeigentümern nicht benachteiligt werde. Diese Argumentation lässt ausser Acht, dass die Herabsetzung der Ausnützungsziffer die einzelnen Grundeigentümer ein und derselben Zone sehr verschieden hart treffen kann, je nachdem wo die Grundstücke gelegen sind und ob sie bereits überbaut sind. Die Herabsetzung der Ausnützungsziffer in der Villenzone kann einem Grundeigentümer, auch wenn er sich seinerzeit mit der Zuweisung seines Landes zu dieser Zone abgefunden hatte, Anlass geben, die Zoneneinteilung nunmehr anzufechten und die Umzonung seiner Grundstücke zu verlangen. Er ist zur Anfechtung eines neuen Zonenplanes oder einer neuen Bauordnung sogar dann befugt, wenn sich mit Bezug auf seine Grundstücke gegenüber der bisherigen Ordnung materiell gar keine Änderung ergibt (
BGE 92 I 282
f., E. 2). Im vorliegenden Fall kann die Beschwerdeführerin daher verlangen, dass die im angefochtenen Plan erfolgte Zonenabgrenzung im Hinblick auf die gegenwärtigen Verhältnisse auf ihre Verfassungsmässigkeit
BGE 99 Ia 712 S. 715
überprüft wird, unabhängig davon, ob ihre Einwände schon gegenüber dem früheren Zonenplan hätten erhoben werden können.
Es ist somit ohne Rücksicht auf den früheren Zonenplan zu prüfen, ob die Zuweisung des umstrittenen Areals in die Villenzone durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gedeckt ist und im Hinblick auf die Behandlung angrenzender Parzellen vor dem Gebot der Rechtsgleichheit standhält. Dabei ist freilich festzuhalten, dass dem Gleichheitsprinzip bei Planungsmassnahmen nur eine abgeschwächte Wirkung zukommt (
BGE 95 I 550
). Es liegt im Wesen der Planung, dass Zonenabgrenzungen Ungleichheiten schaffen und dass unter Umständen nebeneinander liegende Grundstücke, die sich in ihrer Funktion für den Eigentümer voneinander nicht unterscheiden, mit sehr verschiedenen Eigentumsbeschränkungen belastet werden. Verfassungsrechtlich genügt es, dass die Abgrenzung sachlich vertretbar, d.h. nicht willkürlich ist. Das Gebot der Rechtsgleichheit fällt hier insoweit mit dem Willkürverbot zusammen (MEYLAN, La jurisprudence récente en matière de plans d'aménagement, SBI 1971 S. 346).
Auch in der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an bestimmten Planungsmassnahmen und den entgegenstehenden privaten Interessen übt das Bundesgericht Zurückhaltung, wenn die Würdigung örtlicher Verhältnisse im Vordergrund steht, obwohl es diese Interessenabwägung grundsätzlich als frei überprüfbare Rechtsfrage betrachtet (s. Erw. 2). Die Hauptverantwortung für die richtige und verfassungskonforme Anwendung des Bau- und Planungsrechtes liegt insoweit bei den kantonalen Rechtsmittel- und Aufsichtsbehörden. Diese können sich einer sorgfältigen Überprüfung der Interessenabwägung nicht dadurch entschlagen, dass sie auf die weitgespannte planerische Autonomie der Gemeinde verweisen. Die Gemeindeautonomie besteht nur im Rahmen der Eigentumsgarantie, und die kantonalen Instanzen sind verpflichtet, auf Beschwerde hin einzugreifen, wenn die Gemeinde in Überschreitung ihres Ermessens ein schutzwürdiges und schwerer wiegendes privates Interesse einem wenig profilierten öffentlichen Interesse hintanstellt. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7d274f09-9764-4126-a132-3d20f5ae7efe | Urteilskopf
102 II 190
28. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Oktober 1976 i.S. R. S. gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Art. 372 ZGB
.
Das Entmündigungsbegehren kann nicht mehr zurückgezogen werden, wenn die Entmündigung bereits ausgesprochen worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 190
BGE 102 II 190 S. 190
Aus dem Tatbestand:
Am 6. Februar 1976 unterzeichnete R. S., der an endogenem Schwachsinn vom Grade einer Imbezillität leidet, anlässlich einer Besprechung mit der Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt einen Antrag auf Entmündigung auf eigenes Begehren, nachdem ihm das entsprechende Formular eingehend erklärt worden war. Mit Beschluss vom 17. Februar 1976 stellte ihn die Vormundschaftsbehörde hierauf gestützt auf
Art. 372 ZGB
unter Vormundschaft.
Am 24. Februar 1976 schrieb R. S. an das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt, er sei überrascht, offenbar einen Antrag auf Entmündigung unterzeichnet zu haben; in Wirklichkeit habe er nie unter Vormundschaft gestellt werden wollen; er finde, man solle ihm Gelegenheit geben, sich selbst durchzubringen. Das Justizdepartement nahm den Brief als Rekurs entgegen, wies diesen aber mit Entscheid vom 17. März 1967 ab. Ein Rekurs gegen diesen Entscheid wurde vom Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt mit Beschluss vom 1. Juni 1976 abgewiesen.
Das Bundesgericht weist die Berufung gegen den Beschluss des Regierungsrats ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichts war der Widerruf des einmal gestellten Entmündigungsbegehrens
BGE 102 II 190 S. 191
in jedem Falle unbeachtlich. Waren die objektiven Voraussetzungen einer Entmündigung auf eigenes Begehren erfüllt, so musste die Entmündigung demnach auch dann ausgesprochen werden, wenn der Antragsteller inzwischen seinen Entschluss bereut und sein Begehren noch vor der Ausfällung des Entmündigungsentscheids rückgängig gemacht hatte (
BGE 54 II 242
). Diese Rechtsprechung stiess bei der Doktrin indessen auf Kritik (vgl. insbesondere BAER, Die Entmündigung auf eigenes Begehren, ZVW 1955 S. 122 f.; HESS, Rechtliche Voraussetzungen und fürsorgerische Bedeutung der Entmündigung auf eigenes Begehren, ZVW 1949 S. 60 f.) und wurde in
BGE 99 II 15
ff. aufgegeben. Nach diesem Entscheid darf eine Entmündigung auf eigenes Begehren nur angeordnet werden, wenn im Zeitpunkt des Entmündigungsentscheids ein gültiges Entmündigungsbegehren vorliegt. Daran fehlt es, wenn das Begehren vor diesem Zeitpunkt widerrufen worden ist. Der Rückzug des Entmündigungsbegehrens wurde demnach als zulässig erachtet, sofern er vor der Ausfällung des Entmündigungsentscheids erfolgte. Der Berufungskläger möchte nun einen Schritt weiter gehen und den Rückzug auch dann zulassen, wenn die Entmündigung wie im vorliegenden Fall bereits ausgesprochen, aber noch nicht rechtskräftig geworden ist.
Gegen eine solche Erweiterung der Widerrufbarkeit des Entmündigungsbegehrens bestehen jedoch Bedenken. Hat die zuständige Behörde den Entmündigungsentscheid einmal gefällt, so kann sie nicht mehr darauf zurückkommen, es sei denn, der Grund des Begehrens sei inzwischen dahingefallen, so dass die Vormundschaft wieder aufgehoben werden kann (
Art. 438 ZGB
). Eine Widerrufserklärung wäre in diesem Zeitpunkt daher wirkungslos. Sie könnte nur im Zusammenhang mit der Ergreifung eines Rechtsmittels gegen den Entmündigungsentscheid abgegeben werden. Die Widerrufserklärung wäre aber eine neue Tatsache, und Noven dürfen nach vielen kantonalen Prozessordnungen im Rechtsmittelverfahren zum vornherein nicht vorgebracht werden. Dazu kommt, dass jedes Rechtsmittel gegen den Entmündigungsentscheid gemäss
Art. 372 ZGB
notwendig auch eine Widerrufserklärung beinhaltet. Die Ergreifung eines solchen Rechtsmittels hätte daher stets ipso iure den Hinfall des Entmündigungsverfahrens zur Folge, wenn der Widerruf des Entmündigungsbegehrens nach
BGE 102 II 190 S. 192
Ausfällung des Entmündigungsentscheids zulässig wäre. Das liesse sich mit dem Sinn des Rechtsmittelverfahrens nicht vereinbaren. Dieser besteht bei der Entmündigung nach
Art. 372 ZGB
darin, dass von einer zweiten Instanz überprüft werden kann, ob die objektiven Voraussetzungen der Entmündigung (Fürsorgebedürftigkeit infolge von Altersschwäche oder andern Gebrechen oder von Unerfahrenheit) erfüllt seien und ob das Entmündigungsbegehren nicht mit einem Mangel (Irrtum, Urteilsunfähigkeit des Interdizenden) behaftet sei. Diese Prüfung könnte die Rechtsmittelinstanz gar nie vornehmen, wenn im Rechtsmittel das Entmündigungsbegehren zurückgezogen werden dürfte. Es besteht jedenfalls kein Anlass, den Kantonen von Bundesrechts wegen vorzuschreiben, den Widerruf noch im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen.
Dem Berufungskläger ist allerdings zuzugeben, dass sich gewisse Antragsteller erst bei Erhalt des Entmündigungsentscheids der Tragweite ihres Gesuchs richtig bewusst werden dürften. Dieser Umstand sollte die Vormundschaftsbehörde veranlassen, sich genau zu vergewissern, ob ein klares, auf freiem Willensentschluss beruhendes Entmündigungsbegehren vorliegt, zumal wenn die geistigen Fähigkeiten des Interdizenden beschränkt sind; er rechtfertigt es jedoch nicht, den Rückzug des Begehrens auch noch nach Ausfällung des Entmündigungsentscheids zuzulassen. Die gegenteilige, nicht näher begründete Ansicht von KAUFMANN, N. 8 zu
Art. 372 ZGB
, ist vereinzelt geblieben. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7d2dafb2-cb1d-4e71-af96-b1cbd01991d8 | Urteilskopf
114 IV 16
6. Urteil des Kassationshofes vom 6. September 1988 i.S. R. gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Verletzung des Schriftgeheimnisses (
Art. 179 StGB
).
Mit dem Vermerk "zu Händen ..." auf einer Briefadresse wird, soweit keine abweichenden Indizien vorliegen, nach der Verkehrsübung nicht zum Ausdruck gebracht, dass allein die genannte Person zum Öffnen des Briefes befugt sein soll, sondern dass nach der Meinung des Absenders diese Person innerhalb der angeschriebenen Institution zur Behandlung des Schreibens zuständig sei. | Sachverhalt
ab Seite 17
BGE 114 IV 16 S. 17
S. ist seit 1985 Präsident der reformierten Kirchenpflege X. Als die Sekretärin der Kirchgemeinde per Ende Februar 1987 kündigte, wies er das Postamt X. an, die die Kirchgemeinde und die Kirchenpflege betreffende Post nicht mehr in das Postfach im Kirchgemeindezentrum zu legen, sondern an seine Privatadresse weiterzuleiten. Er öffnete in der Folge drei ihm auf diese Weise zugekommene Briefe, nämlich die Schreiben der reformierten Kirchgemeinde Zofingen vom 20. März 1987, der Elektro-Berger AG vom 20. März 1987 und des 'Gmües-Chratte' vom 6. April 1987, die an das "Ref. Kirchgemeindezentrum, z.H. Frau R. ..." bzw. (das letztgenannte Schreiben) an die "Ref. Kirchgemeinde Frau R. ..." adressiert waren. Den Brief der Elektro-Berger AG, der einen Kostenvoranschlag für elektrische Installationen enthielt, leitete er an Frau N. weiter, die seines Erachtens als für das Bauwesen zuständiges Mitglied der Kirchenpflege für dessen Behandlung zuständig war. Die beiden andern Schreiben liess er Frau R. zukommen; diese war seit 1982 als Gemeindehelferin der Kirchgemeinde X. tätig und hatte im Januar 1987 ihre Stelle auf den 30. April 1987 gekündigt.
Die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Aargau sprach S. am 14. Juni 1988 in Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheides vom Vorwurf der Verletzung des Schriftgeheimnisses frei. Das Bundesgericht weist die von der Strafantragstellerin R. dagegen erhobene eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ab mit folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 179 StGB
wird, auf Antrag, mit Haft oder mit Busse bestraft, wer, ohne dazu berechtigt zu sein, eine verschlossene
BGE 114 IV 16 S. 18
Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen (Abs. 1), und wer Tatsachen, deren Kenntnis er durch Öffnen einer nicht für ihn bestimmten verschlossenen Schrift oder Sendung erlangt hat, verbreitet oder ausnützt (Abs. 2).
a) Die drei Schreiben waren nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht an die Beschwerdeführerin persönlich, sondern an das Kirchgemeindezentrum bzw. an die Kirchgemeinde X. gerichtet, wobei Frau R. von den Absendern als die zuständige Sachbearbeiterin betrachtet wurde. Das "Ref. Kirchgemeindezentrum" bzw. die "Ref. Kirchgemeinde" sind entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin nicht blosse Zustellorte. Durch die Anschriften: an das "Kirchgemeindezentrum ... (X.) ..., z.H. Frau R. ..." bzw. an die "Kirchgemeinde ... (X.) ..., Frau R. ..." wird nach der Verkehrsübung nicht zum Ausdruck gebracht, dass allein Frau R. zum Öffnen der fraglichen Schreiben befugt sein soll, sondern vielmehr, dass nach Meinung der Absender Frau R. innerhalb der angeschriebenen Institution zur Behandlung der Schreiben zuständig sei. Anders verhielte es sich dann, wenn die Adressen den Vermerk "persönlich" enthalten hätten, sowie allenfalls dann, wenn die Briefe an "Frau R. ..., c/o Ref. Kirchgemeindezentrum" bzw. an "Frau R. ..., c/o Ref. Kirchgemeinde" adressiert gewesen wären.
b) Der Beschwerdegegner öffnete die drei Briefe in seiner Eigenschaft als Präsident der reformierten Kirchenpflege X. Die Kirchenpflege ist gemäss den im angefochtenen Urteil erwähnten Richtlinien für den Dienst des Gemeindehelfers der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Aargau vom 4. Februar 1981 die vorgesetzte Behörde des Gemeindehelfers; sie regelt unter anderem im Einvernehmen mit dem Gemeindehelfer dessen Pflichtenheft. Der Beschwerdegegner war als Präsident der Kirchenpflege nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz berechtigt, die fraglichen Briefe zu öffnen.
2.
a) Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass ihre Aufgaben als Gemeindehelferin gemäss Pflichtenheft von der Überwachung von Reparaturarbeiten und der Führung der Veranstaltungskasse bis hin zur Mitarbeit im Pfarramt und zur persönlichen Betreuung von Kirchenmitgliedern reichten. Sie macht geltend, dass sich Kirchenmitglieder oft mit sehr persönlichen Anliegen und Problemen an sie wandten, dass sie in ihrer Funktion als Hilfsperson des Pfarrers dem Berufsgeheimnis gemäss
Art. 321 StGB
unterstand, was in ihrem Anstellungsvertrag noch ausdrücklich
BGE 114 IV 16 S. 19
festgehalten wurde, und dass der Beschwerdegegner daher die fraglichen Briefe nicht habe öffnen dürfen.
Ob der Beschwerdegegner auch insoweit der Vorgesetzte der Beschwerdeführerin war, als diese als Hilfsperson des Pfarrers im Sinne von
Art. 321 StGB
eine Vertrauensstellung innehatte, und ob der Beschwerdegegner in seiner Eigenschaft als Präsident der Kirchenpflege einen an das "Ref. Kirchgemeindezentrum, z.H. Frau R. ..." bzw. an die "Ref. Kirchgemeinde, Frau R. ..." adressierten Brief auch dann hätte öffnen dürfen, wenn er aufgrund weiterer Angaben auf dem Briefumschlag (etwa angesichts der Person des Absenders) erkennen musste, dass das Schreiben möglicherweise nicht finanzielle oder administrative Belange der Kirchgemeinde betreffe, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Die Absender der drei vom Beschwerdegegner geöffneten Briefe waren, gemäss den Angaben auf den Briefumschlägen, die reformierte Kirchgemeinde Zofingen, die Elektro-Berger AG und der 'Gmües-Chratte', woraus deutlich ersichtlich wurde, dass die fraglichen Schreiben - entsprechend der Anschrift - finanzielle oder administrative Belange der Kirchgemeinde betrafen, welche auch in den Zuständigkeitsbereich des Beschwerdegegners als Präsident der Kirchenpflege und Vorgesetzter der Beschwerdeführerin fielen.
b) Dass die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. April 1987 an die reformierte Kirchenpflege X. unter Hinweis auf ihr Berufsgeheimnis gemäss
Art. 321 StGB
verlangte, die für sie bestimmten Briefe seien ungeöffnet an sie weiterzuleiten, ist entgegen einer Bemerkung in der Beschwerde unerheblich. Der Beschwerdegegner handelte nicht als Beauftragter der Beschwerdeführerin oder als deren Geschäftsführer ohne Auftrag, sondern als deren Vorgesetzter, und seine Befugnis zum Öffnen von Briefen, die offensichtlich finanzielle oder administrative Belange der Kirchgemeinde betrafen, hing daher nicht von der Einwilligung der Beschwerdeführerin ab.
Der Beschwerdegegner erfüllte somit nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz den Tatbestand von
Art. 179 Abs. 1 StGB
nicht.
3.
Bei den fraglichen drei Briefen handelt es sich aus den genannten Gründen nicht um Schriften, die im Sinne von
Art. 179 Abs. 2 StGB
nicht für den Beschwerdegegner bestimmt waren. Dieser erfüllte daher dadurch, dass er das von ihm geöffnete Schreiben der Elektro-Berger AG, welches einen Kostenvoranschlag
BGE 114 IV 16 S. 20
für elektrische Installationen enthielt, an die seines Erachtens dafür zuständige Frau N. weiterleitete, auch nicht den Tatbestand von
Art. 179 Abs. 2 StGB
. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7d2dfd86-c391-49ac-9e13-df2d31ee85a9 | Urteilskopf
138 II 1
1. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Stadt Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_269/2011 vom 18. Oktober 2011 | Regeste
Art. 7 GlG
;
Art. 135 Ziff. 2 OR
; Unterbrechung der Verjährung des Anspruchs auf einen diskriminierungsfreien Lohn.
Das Anheben einer Verbandsklage nach
Art. 7 GlG
unterbricht die Verjährung des Anspruchs der einzelnen Arbeitnehmenden auf einen diskriminierungsfreien Lohn nicht. Das Gleichstellungsgesetz weist diesbezüglich keine echte Lücke auf, welche vom Bundesgericht zu füllen wäre (E. 4.3). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 138 II 1 S. 1
A.
A.a
Aufgrund des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 2A.97/2007 vom 20. November 2007 betreffend Lohndiskriminierung
BGE 138 II 1 S. 2
anerkannte die Stadt Zürich im Grundsatz, dass sie dem in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1997 und dem 30. Juni 2002 beschäftigten Pflegepersonal Lohnnachzahlungen zu leisten hat.
A. hat mit Unterbrüchen zwischen Januar 1997 und Oktober 2001 im Spital X. als Krankenschwester/Operationsschwester gearbeitet. Am 19. Mai 2003 betrieb sie die Stadt Zürich auf einen Betrag von Fr. 60'000.-, um die Verjährung für allfällige Lohnnachzahlungsansprüche zu unterbrechen. Mit Verfügung vom 22. September 2008 und Einspracheentscheid vom 8. April 2009 anerkannte die Stadt Zürich einen Nachzahlungsanspruch für die Zeit zwischen Mai 1998 und Oktober 2001, wohingegen der Anspruch für die Periode von Januar 1997 bis April 1998 verjährt sei.
A.b
Den von A. hiegegen erhobenen Rekurs wies der Bezirksrat Zürich mit Entscheid vom 28. Januar 2010 ab.
B.
Mit Entscheid vom 4. März 2011 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich die von A. hiegegen erhobene Beschwerde ab; gleichzeitig legte es den Streitwert der Beschwerde auf unter Fr. 15'000.- fest.
C.
Mit Beschwerde beantragt A., die Stadt Zürich sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides zu verpflichten, ihr auch für die Zeit zwischen Januar 1997 und April 1998 Lohnnachzahlungen zu erbringen. Darüber hinaus sei die Beschwerdegegnerin zur Bezahlung von Verzugszinsen zu verpflichten.
Die Stadt Zürich und das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Beschwerdegegnerin hat den auf das Gleichstellungsgesetz gestützten Lohnnachzahlungsanspruch der Beschwerdeführerin grundsätzlich anerkannt. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die Verjährungsfrist für diesen Nachzahlungsanspruch bereits mit dem Anheben der Verbandsklage im Sinne von
Art. 7 des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG; SR 151.1)
, oder erst mit der von der Beschwerdeführerin eingeleiteten Betreibung unterbrochen wurde.
4.
4.1
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung handelt es sich beim Anspruch auf einen diskriminierungsfreien Lohn um ein
BGE 138 II 1 S. 3
bundesrechtliches Individualrecht, auf welches mangels Spezialregelung im GlG die fünfjährige Verjährungsfrist gemäss
Art. 128 Ziff. 3 OR
anwendbar ist. Dies gilt sowohl für privatrechtliche als auch für öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse (vgl.
BGE 131 I 105
E. 3.3 S. 108). Die Vorinstanz hat erwogen, diese Frist könne grundsätzlich unterbrochen werden, allerdings komme dem Anheben einer Verbandsklage im Sinne von
Art. 7 GlG
in Bezug auf die individuellen Forderungen keine entsprechende Wirkung zu. Eine solche Verbandsklage entfalte grundsätzlich nur Wirkung zwischen den Parteien; zu einer Verjährungsunterbrechung müsste die Klage vom Gläubiger oder einem bevollmächtigten Vertreter, nicht aber von einem beliebigen Dritten erhoben werden (vgl.
BGE 111 II 358
E. 4a S. 364; bestätigt in Urteil 4A_576/2010 vom 7. Juni 2011 E. 3.1.1, nicht publ. in:
BGE 137 III 352
). Im Gleichstellungsgesetz finde sich keine Spezialregelung, welche von diesem Grundsatz abweichen würde. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, das Gleichstellungsgesetz sei diesbezüglich lückenhaft; diese Lücke sei in analoger Anwendung von
Art. 15 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (Bundesgesetz gegen die Schwarzarbeit, BGSA; SR 822.41)
zu füllen.
4.2
Eine Lücke im Gesetz besteht, wenn sich eine Regelung als unvollständig erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt oder eine Antwort gibt, die aber als sachlich unhaltbar angesehen werden muss. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nicht übersehen, sondern stillschweigend - im negativen Sinn - mitentschieden (qualifiziertes Schweigen), bleibt kein Raum für richterliche Lückenfüllung (
BGE 135 III 385
E. 2.1 S. 386;
BGE 135 V 279
E. 5.1 S. 284).
Eine echte Gesetzeslücke liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz diesbezüglich weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann. Von einer unechten oder rechtspolitischen Lücke ist demgegenüber die Rede, wenn dem Gesetz zwar eine Antwort, aber keine befriedigende, zu entnehmen ist. Echte Lücken zu füllen, ist dem Gericht aufgegeben, unechte zu korrigieren, ist ihm nach traditioneller Auffassung grundsätzlich verwehrt, es sei denn, die Berufung auf den
BGE 138 II 1 S. 4
als massgeblich erachteten Wortsinn der Norm stelle einen Rechtsmissbrauch dar (
BGE 136 III 96
E. 3.3 S. 99 f.).
4.3
Die vom kantonalen Gericht vertretene Auslegung, wonach mangels einer Spezialregelung im Gleichstellungsgesetz die Anhebung einer Verbandsklage im Sinne von
Art. 7 GlG
die Verjährungsfristen der individuellen Lohnansprüche nicht unterbricht, entspricht den Stellungnahmen in der Lehre (ELISABETH FREIVOGEL, in: Kommentar zum Gleichstellungsgesetz, Kaufmann/Steiger-Sackmann [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, N. 35 zu
Art. 7 GlG
; CHRISTIAN BRUCHEZ, in: Commentaire de la loi fédérale sur l'égalité, Aubert/Lempen [Hrsg.], 2011, N. 31 zu
Art. 7 GlG
). Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin drängt sich keine analoge Anwendung von
Art. 15 Abs. 2 BGSA
auf. Zwar wären die einzelnen Arbeitnehmenden zweifellos bessergestellt, wenn auch das Gleichstellungsgesetz eine entsprechende Regelung kennen würde. Die Verbandsklage im Sinne von
Art. 7 GlG
wird aber auch dann nicht ihres Sinnes beraubt, wenn man deren Anhebung nicht als Unterbrechungsgrund für die individuellen Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anerkennt. Das Fehlen einer solchen Regelung stellt demnach keine echte Lücke dar, welche vom Gericht geschlossen werden könnte. Es ist vielmehr von einem qualifizierten Schweigen des Gesetzgebers auszugehen. Wie die Vorinstanz zudem zutreffend ausgeführt hat, hätte die Beschwerdeführerin leicht und ohne sich sehr zu exponieren eine Unterbrechung der Verjährung erwirken können (vgl. auch
BGE 133 V 579
E. 4.3.1 S. 583 mit zahlreichen weiteren Hinweisen); anzufügen bleibt, dass sie dies unbestrittenermassen am 19. Mai 2003 auch getan hat.
4.4
Führte die Anhebung der Verbandsklage im Sinne von
Art. 7 GlG
nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung für den Nachzahlungsanspruch der Beschwerdeführerin, so besteht der kantonale Gerichtsentscheid zu Recht; ihre Beschwerde ist somit abzuweisen. | public_law | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7d37b710-b372-425b-a63a-50a2fa666d0d | Urteilskopf
139 II 49
4. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause Aéroport International de Genève contre A., Syndicat Suisse des Services Publics et Secrétariat d'Etat à l'économie SECO (recours en matière de droit public)
2C_149/2012 du 26 octobre 2012 | Regeste
Art. 27 und 28 ArG
;
Art. 47 ArGV 2
; Ausnahmen vom Sonntagsarbeitsverbot.
Vom Arbeitsgesetz für die Sonntagsarbeit errichtetes System (E. 4).
Art. 28 ArG
findet auch Anwendung auf Unternehmen, welche den Spezialvorschriften von
Art. 27 ArG
und der ArGV 2 unterstellt sind (E. 5). Voraussetzungen, unter denen eine auf
Art. 28 ArG
gestützte Ausnahme erteilt werden kann (E. 6.1). Wenn ein ganzer Berufszweig Schwierigkeiten bekundet, die Bestimmungen zur Sonntagsarbeit einzuhalten, handelt es sich um ein strukturelles Problem. Dieses wäre durch eine Änderung der ArGV 2 zu beheben und nicht durch die Erteilung von Ausnahmebewilligungen an sämtliche betroffene Unternehmen (E. 6.3). Eine Herabsetzung von 26 auf 20 freie Sonntage kann nicht als geringfügige Abweichung qualifiziert werden (E. 6.4). Kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (E. 7). Erteilung einer befristeten Ausnahmebewilligung mit dem Zweck, zwischenzeitlich eine Neuorganisation des Arbeitsplans des Personals zu ermöglichen oder aber eine Änderung der ArGV 2 vorzunehmen (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 50
BGE 139 II 49 S. 50
A.
L'Aéroport International de Genève (ci-après: l'Aéroport) a déposé, le 28 octobre 2010, une demande auprès du Secrétariat d'Etat à l'économie (ci-après: Seco) tendant à déroger à la législation sur le travail et visant à faire passer de 26 à 20 le nombre minimal de dimanches de congé pour une partie du personnel au sol du secteur de la navigation aérienne, avec effet au 1
er
janvier 2011.
B.
Par décision du 25 février 2011 (FF 2011 2166, 2186), le Seco a accordé à l'Aéroport une dérogation valable du 1
er
janvier 2011 au 31 décembre 2013. En contrepartie de la réduction du nombre minimal de dimanche de congé, une compensation de 25 % de la durée du travail effectué pendant la période du dimanche dès le 23
e
dimanche travaillé dans l'année était prévue.
A l'encontre de cette décision, le Syndicat suisse des services publics (ci-après: SSP) et A. ont recouru conjointement auprès du Tribunal administratif fédéral qui, par arrêt du 22 décembre 2011, a admis le recours et annulé la décision attaquée.
C.
Contre l'arrêt du Tribunal administratif fédéral du 22 décembre 2011, l'Aéroport forme un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral.
BGE 139 II 49 S. 51
Le Tribunal fédéral a admis le recours dans le sens des considérants, annulé l'arrêt attaqué et confirmé la décision du Seco du 25 février 2011.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.1
L'arrêt attaqué a retenu que le recourant, en sa qualité d'aéroport, fait partie des entreprises auxquelles s'appliquent des dispositions spéciales de la législation sur le travail, notamment en ce qui concerne l'occupation des travailleurs le dimanche. Par conséquent, les juges se sont demandés si l'art. 28 de la loi fédérale du 13 mars 1964 sur le travail dans l'industrie, l'artisanat et le commerce (loi sur le travail, LTr; RS 822.11), qui prévoit, à certaines conditions, des dérogations relatives à la durée du travail, pouvait être invoqué par le recourant pour obtenir une autorisation allant au-delà des règles spéciales dont il bénéficiait déjà en application de l'
art. 27 LTr
. La question de l'applicabilité de l'
art. 28 LTr
n'a toutefois pas été tranchée, le Tribunal administratif fédéral considérant que l'une des trois conditions posées à l'obtention d'une dérogation au sens de cette disposition, à savoir son caractère minime, n'était de toute manière pas réalisée. Au surplus, l'Aéroport ne pouvait se prévaloir du principe d'égalité dans l'illégalité, rien ne laissant penser que le Seco persisterait dans sa pratique tendant à l'octroi de dérogations pour le personnel au sol des transports aériens, après que le Tribunal administratif fédéral l'eût déclarée illégale.
3.2
Le recourant soutient qu'il est en droit de se prévaloir de l'
art. 28 LTr
, même s'il est soumis à des règles spéciales en vertu de l'
art. 27 LTr
, et que par ailleurs il remplit toutes les conditions lui permettant d'obtenir une dérogation en application de l'
art. 28 LTr
. En ne suivant pas la position du Seco, le Tribunal administratif fédéral aurait excédé voire abusé de son pouvoir d'appréciation dans l'examen des conditions de l'
art. 28 LTr
. Subsidiairement, il lui reproche de lui avoir refusé le bénéfice de l'égalité dans l'illégalité.
4.
Avant d'examiner la disposition litigieuse, soit l'
art. 28 LTr
, il y a lieu de rappeler brièvement le système mis en place par la loi sur le travail concernant le travail dominical.
4.1
Le principe de l'interdiction de travailler le dimanche figure à l'
art. 18 LTr
et s'applique de manière générale à toutes les entreprises soumises à la loi. Des dérogations à cette interdiction sont possibles,
BGE 139 II 49 S. 52
mais sont subordonnées à autorisation (
art. 19 al. 1 LTr
) qui, s'agissant du travail dominical régulier ou périodique, est de la compétence du Seco (cf.
art. 19 al. 4 LTr
). Les conditions mises à l'obtention de ces dérogations sont précisées aux art. 27 et 28 de l'ordonnance 1 du 10 mai 2000 relative à la loi sur le travail (OLT 1; RS 822.111).
4.2
A côté de ce régime dérogatoire général soumis à autorisation, l'
art. 27 al. 1 LTr
prévoit que certaines catégories d'entreprises ou de travailleurs peuvent, dans la mesure où leur situation particulière le rend nécessaire, être soumises par voie d'ordonnance à des dispositions spéciales remplaçant en tout ou en partie certaines prescriptions légales, comme l'interdiction de travailler le dimanche prévue à l'
art. 18 LTr
(
ATF 134 II 265
consid. 4.1 p. 266). Parmi les travailleurs visés figure le personnel au sol des transports aériens (
art. 27 al. 2 let
. k LTr).
L'ordonnance 2 du 10 mai 2000 relative à la loi sur le travail (dispositions spéciales pour certaines catégories d'entreprises ou de travailleurs; OLT 2; RS 822.112) concrétise l'
art. 27 al. 1 LTr
. En vertu des
art. 3 et 4 al. 2 OLT 2
, les catégories d'entreprises visées dans la section 3 de l'ordonnance (art. 15 à 52 OLT 2) peuvent, sans autorisation officielle, occuper des travailleurs pendant la totalité ou une partie du dimanche. En application de l'
art. 12 al. 1 OLT 2
, les travailleurs doivent cependant bénéficier d'au moins 26 dimanches de congé par année civile, qui peuvent être répartis de manière irrégulière au cours de l'année. L'
art. 47 OLT 2
est consacré au personnel au sol du secteur de la navigation aérienne. Il découle de son alinéa 1, qui renvoie notamment aux art. 4 al. 2 et 12 al. 1 OLT 2, que ce personnel peut travailler sans autorisation officielle tout le dimanche, mais qu'il doit bénéficier d'au moins 26 dimanches de congé par année civile. Sont réputés personnel au sol du secteur de la navigation aérienne les travailleurs qui fournissent des prestations servant à garantir la bonne marche des services de vol (
art. 47 al. 3 OLT 2
).
4.3
Il convient par ailleurs de préciser qu'en application de l'
art. 21 al. 4 OLT 1
, ne sont pas portés au compte des dimanches de congé légaux les dimanches coïncidant avec les vacances des travailleurs occupés le dimanche. Pour connaître le nombre de dimanches libres après déduction des vacances, il faut ainsi appliquer un calcul au pro rata. Un travailleur soumis au régime de l'
art. 12 al. 1 OLT 2
et bénéficiant de 5 semaines de vacances par année civile, doit par conséquent disposer de 24 dimanches de congé, vacances non comprises, soit d'un
BGE 139 II 49 S. 53
total de 29 dimanches de congé, vacances comprises (cf. Seco, Commentaire de la loi sur le travail et des ordonnances 1 et 2, p. 1 ad
art. 12 OLT 2
, état septembre 2012,
www.seco.admin.ch
, sous Documentation/Publications et formulaires/Aide-mémoire et feuilles d'information/Travail).
5.
La dérogation litigieuse accordée par le Seco et annulée par le Tribunal administratif fédéral repose sur l'
art. 28 LTr
. Cette disposition prévoit que, dans les permis concernant la durée du travail, l'autorité peut, à titre exceptionnel, apporter de minimes dérogations aux prescriptions de la loi et de l'ordonnance, lorsque l'application de ces prescriptions entraînerait des difficultés extraordinaires et que la majorité des travailleurs intéressés ou leurs représentants dans l'entreprise consentent à ces dérogations.
Savoir si le recourant remplit en l'espèce les conditions prévues par cette disposition pour pouvoir bénéficier d'une dérogation minime n'a de sens que si l'Aéroport peut se prévaloir de l'
art. 28 LTr
. Il convient donc, en premier lieu, de déterminer si l'
art. 28 LTr
s'applique aux entreprises qui, comme le recourant, sont visées par les dispositions spéciales prévues à l'
art. 27 LTr
(cf. supra consid. 4.2) ou si elle est réservée aux entreprises qui sont seulement soumises au régime dérogatoire général (cf. supra consid. 4.1).
5.1
Dans un arrêt du 15 juillet 2010, le Tribunal fédéral a implicitement admis l'application de l'
art. 28 LTr
aux entreprises soumises à l'
art. 27 LTr
, dès lors qu'il a examiné si les conditions de l'
art. 28 LTr
étaient remplies, afin de permettre au personnel de vente dans les magasins des stations-services de travailler la nuit, durant des périodes non couvertes par la dérogation accordée en application de l'
art. 27 LTr
(cf.
ATF 136 II 427
consid. 2.1 p. 430 et 3.6 p. 435). Il n'a toutefois jamais approfondi les liens entre l'
art. 28 LTr
et l'
art. 27 LTr
.
De son côté, le Conseil fédéral, dans une décision datant du 29 janvier 1969 (décision publiée in Droit du Travail et Assurance-chômage 1969 p. 1 ss), a considéré que l'
art. 28 LTr
n'était pas applicable aux employeurs soumis à des dispositions spéciales dérogeant au régime général et qui pouvaient déjà ordonner le travail du dimanche sans autorisation officielle. Partant, seules les entreprises qui devaient demander un permis pour le travail dominical pouvaient se prévaloir de cette disposition (décision précitée consid. 3).
5.2
La doctrine ne consacre pas de développements particuliers à la question; deux commentaires de la loi sur le travail se réfèrent à la
BGE 139 II 49 S. 54
décision du Conseil fédéral de 1969 pour en conclure que l'
art. 28 LTr
ne peut pas fonder des exceptions aux prescriptions légales lorsque celles-ci ne font pas l'objet d'un régime d'autorisation (cf. OLIVIER SUBILIA, in Commentaire de la loi sur le travail, GEISER/VON KAENEL/WYLER [éd.], 2005, n° 3 ad
art. 28 LTr
; KARL WEGMANN, in Commentaire de la loi fédérale sur le travail, Walther Hug [éd.], 1971, n° 3 ad
art. 28 LTr
). Dans son commentaire de l'
art. 4 OLT 2
, le Seco considère en revanche que les entreprises soumises au système dérogatoire de l'
art. 27 LTr
et de l'OLT 2 peuvent, si elles entendent par exemple occuper des travailleurs de nuit ou le dimanche au-delà des limites fixées par cette ordonnance, solliciter un permis comportant une dérogation au sens de l'
art. 28 LTr
(cf. Seco, op. cit., p. 1 ad
art. 4 OLT 2
).
5.3
Dans ce contexte, le champ d'application de l'
art. 28 LTr
mérite d'être analysé selon les règles usuelles en matière d'interprétation des textes légaux.
5.3.1
La loi s'interprète en premier lieu selon sa lettre (interprétation littérale). Si le texte n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations sont possibles, il convient de rechercher quelle est la véritable portée de la norme, en la dégageant de tous les éléments à considérer, soit notamment des travaux préparatoires (interprétation historique), du but de la règle, de son esprit, ainsi que des valeurs sur lesquelles elle repose, singulièrement de l'intérêt protégé (interprétation téléologique) ou encore de sa relation avec d'autres dispositions légales (interprétation systématique). Le Tribunal fédéral ne privilégie aucune méthode d'interprétation, mais s'inspire d'un pluralisme pragmatique pour rechercher le sens véritable de la norme. Il ne se fonde sur la compréhension littérale du texte que s'il en découle sans ambiguïté une solution matériellement juste (cf.
ATF 137 II 164
consid. 4.1 p. 170 s.; arrêt 9C_403/2011 du 12 juin 2012 consid. 4.2.1).
5.3.2
Le texte de l'
art. 28 LTr
, dans la mesure où il indique que les légères dérogations peuvent être accordées "dans les permis concernant la durée du travail" plaide plutôt en faveur d'une application limitée aux entreprises soumises au système d'autorisation, qui doivent demander un permis pour déroger aux prescriptions légales. Cette disposition n'institue en effet pas une règle dérogatoire générale, mais un système dont l'application doit être contrôlée par l'autorité administrative par le biais d'un permis (cf. SUBILIA, op. cit., n° 3 ad
art. 28 LTr
). Le texte de l'
art. 28 LTr
n'exclut toutefois pas qu'une
BGE 139 II 49 S. 55
entreprise visée par l'
art. 27 LTr
puisse, à condition qu'un permis lui soit octroyé, se prévaloir de l'
art. 28 LTr
.
L'
art. 28 LTr
figurait dans la version initiale de la loi sur le travail du 13 mars 1964 (RO 1966 57) et n'a pas été modifié depuis lors. Il ressort du Message du Conseil fédéral du 30 septembre 1960 concernant un projet de loi sur le travail (FF 1960 II 885 ss) que les légères dérogations se rapportent aux permis relatifs à la durée du travail et doivent permettre à certaines conditions à l'autorité de déroger très légèrement aux prescriptions légales lorsque celles-ci susciteraient des difficultés extraordinaires. Il est précisé que cette règle était reprise de l'art. 181 al. 2 de l'ordonnance portant exécution de la loi sur les fabriques, qui s'était révélée pratiquement indispensable (cf. FF 1960 II 964 ad art. 26). Hormis cette nécessité, déjà reconnue sous l'empire de la loi sur les fabriques, de permettre des dérogations légères au système légal, les travaux préparatoires ne font que confirmer le lien entre l'octroi d'un permis et l'
art. 28 LTr
.
Contrairement à l'
art. 28 LTr
, les dispositions instituant le régime général de dérogation ont été révisées depuis l'entrée en vigueur de la loi sur le travail en 1966. L'
art. 27 al. 1 LTr
a ainsi subi des adaptations rédactionnelles (cf. Initiative parlementaire, Révision de la loi sur le travail, Rapport du 17 novembre 1997 de la commission de l'économie et des redevances du Conseil national, FF 1998 1128, spéc. 1137 et 1166), alors que l'OLT 2 a été remaniée en profondeur, le 10 mai 2000, en vue de répondre de manière plus adéquate aux nouveaux besoins de l'économie (RO 2000 1623). L'OLT 2 révisée modifie l'approche de l'ancien droit. L'aOLT 2 du 14 janvier 1966 (RO 1966 119) prévoyait, pour certaines catégories d'entreprises et de travailleurs, des dispositions spéciales remplaçant les prescriptions de la loi qui concernent la durée du travail, celles-ci étant déclarées inapplicables (cf. FF 1960 II 960). De son côté, l'OLT 2 du 10 mai 2000 crée des dispositions générales de remplacement (cf. art. 2 à 14 OLT 2), constituant en quelque sorte une loi sur le travail parallèle, et indique, pour chaque catégorie d'entreprise, si ce sont les règles de la loi sur le travail ou les dispositions générales figurant dans l'OLT 2 qui s'appliquent (cf. SUBILIA, op. cit., n° 7 ad
art. 27 LTr
). Les entreprises au bénéfice du système dérogatoire mis en place par l'OLT 2 ne sont donc désormais plus soumises à des dispositions spéciales remplaçant le régime ordinaire, mais sont assujetties à des dispositions générales différentes, figurant dans l'OLT 2 plutôt que dans la loi sur le travail. Depuis cette modification, on ne voit donc pas que ces
BGE 139 II 49 S. 56
entreprises, si elles souhaitent s'écarter des règles générales qui leur sont applicables - qu'elles figurent dans l'OLT 2 ou dans la LTr - soient privées de la possibilité d'en demander l'autorisation et d'obtenir un permis de l'autorité compétente.
5.3.3
En résumé, il n'y a pas lieu de s'écarter de l'interprétation implicite retenue à l'
ATF 136 II 427
, qui admet que les entreprises au bénéfice de dispositions spéciales au sens de l'
art. 27 LTr
puissent se voir accorder une dérogation minime au sens de l'
art. 28 LTr
, ce qui leur permet de s'écarter du cadre fixé par l'OLT 2 et par la loi sur le travail. Leur refuser cette possibilité reviendrait à les empêcher de se prévaloir d'une certaine souplesse dans l'application des règles légales, alors que le législateur a précisément reconnu la nécessité économique pour les entreprises de certaines branches économiques de bénéficier d'un cadre moins étroit (cf. Seco, op. cit., p. 1 ad
art. 27 LTr
). En d'autres termes, il n'est pas logique de permettre des dérogations minimes aux entreprises pour lesquelles travailler la nuit ou le dimanche n'est pas considéré comme indispensable et de le refuser aux entreprises dont l'activité même suppose déjà des aménagements spéciaux, mais qui ont été limités. Rappelons que, selon le système dérogatoire mis en place dans l'OLT 2, l'exemption de travailler la nuit ou le dimanche ne porte pas forcément sur toute la durée de la nuit ou du dimanche, mais selon les entreprises se limite à une partie de la nuit ou du dimanche ou à un certain nombre de dimanches (cf.
art. 4 ss OLT 2
).
Par conséquent, dans la mesure où une entreprise soumise aux dispositions spéciales au sens de l'
art. 27 LTr
demande une dérogation qui va au-delà de ce que la loi ou l'OLT 2 lui permet sans autorisation, elle doit être traitée comme les autres entreprises qui sollicitent une dérogation et partant, peut bénéficier, comme celles-ci, de l'
art. 28 LTr
lorsque les conditions en sont remplies.
Dans le cas d'espèce, cela signifie que le recourant, qui bénéficie pour son personnel au sol, d'une dérogation générale pour le travail le dimanche à condition qu'il accorde 26 dimanches de congé par an (cf. supra consid. 4.2), peut demander une autorisation pour dépasser cette limite et, dans ce cadre, se voir appliquer l'
art. 28 LTr
.
6.
Il se justifie ainsi de vérifier si la dérogation que demande le recourant remplit les conditions de l'
art. 28 LTr
.
6.1
Dès lors qu'il permet de s'écarter des prescriptions légales générales, l'
art. 28 LTr
doit être interprété de manière restrictive; la
BGE 139 II 49 S. 57
dérogation doit demeurer du domaine de l'exception et ne pas porter atteinte au but de protection de la loi (cf. WEGMANN, op. cit., n° 4 ad
art. 28 LTr
; SUBILIA, op. cit., n° 5 ad
art. 28 LTr
; cf. arrêt 2C_892/2011 du 17 mars 2012 consid. 3.3 en ce qui concerne spécifiquement les dérogations au travail du dimanche). Elle n'autorise pas la mise en place d'une dérogation générale, mais une exception fondée sur un cas concret (cf. WEGMANN, op. cit., n° 2 ad
art. 28 LTr
; SUBILIA, op. cit., n° 3 ad
art. 28 LTr
) et suppose donc un examen de l'ensemble des circonstances du cas d'espèce.
La doctrine déduit de l'
art. 28 LTr
qu'une dérogation reposant sur cette disposition suppose la réalisation de trois conditions (cf. SUBILIA, op. cit., n
os
5 ss ad
art. 28 LTr
; WEGMANN, op. cit., n
os
4 ss ad
art. 28 LTr
). Premièrement, le texte de l'
art. 28 LTr
exige l'accord des travailleurs (majorité des travailleurs intéressés ou de leurs représentants dans l'entreprise; cf. arrêt 4A_93/2012 du 21 mai 2012 consid. 4.4). Ce consentement doit intervenir dans le respect du droit en vigueur. Il suppose donc que les travailleurs ou leurs représentants aient été informés et consultés en application de l'
art. 48 al. 1 let. b LTr
et conformément à la loi fédérale du 17 décembre 1993 sur l'information et la consultation des travailleurs dans les entreprises (loi sur la participation; RS 822.14; cf. SUBILIA, op. cit., n° 8 ad
art. 28 LTr
).
Deuxièmement, le respect de la loi ou de l'ordonnance doit entraîner des difficultés extraordinaires, qui ne sont pas imputables à une mauvaise organisation de l'entreprise. Cela signifie que la dérogation doit revêtir un caractère indispensable, soit apparaître comme une
ultima ratio
, qui est accordée lorsqu'aucune mesure moins contraignante ne semble concevable (cf. WEGMANN, op. cit., n° 5 ad
art. 28 LTr
; SUBILIA, op. cit., n° 6 ad
art. 28 LTr
).
Il faut troisièmement que la dérogation soit minime. Cette notion n'est définie ni dans la loi ni dans l'ordonnance (cf. SUBILIA, op. cit., n° 5 ad
art. 28 LTr
). Elle ne peut du reste faire l'objet d'une formule abstraite, le caractère minime dépendant de son importance pratique pour le travailleur - importance en chiffres absolus ou en pourcentage de la prolongation de la durée du travail ou de la réduction de la durée de repos - et de la durée pour laquelle la dérogation est autorisée (cf. WEGMANN, op. cit., n° 6 ad
art. 28 LTr
; SUBILIA, op. cit., n° 5 ad
art. 28 LTr
); en tous les cas, elle ne doit pas avoir pour effet de vider de son sens le but de protection visé par la disposition à laquelle il est dérogé (cf. arrêt 2A.41/1993 du 12 août 1994 consid. 2b in fine;
BGE 139 II 49 S. 58
WEGMANN, op. cit., n° 6 ad
art. 28 LTr
). Le caractère minime de la dérogation doit s'apprécier au regard de l'ensemble des circonstances. Le repos dominical est ainsi un élément important de la législation sur la protection des travailleurs et il n'appartient pas au juge d'interpréter de manière large et contraire à l'esprit de la loi les exceptions au travail dominical, car cela reviendrait à vider de sa substance le principe de l'interdiction de travailler le dimanche expressément inscrit à l'
art. 18 LTr
, quand bien même les habitudes des consommateurs auraient subi une certaine évolution depuis l'adoption de la règle (cf.
ATF 134 II 265
consid. 5.5 p. 270 s.). Il convient de tenir également compte du fait que les entreprises de navigation aérienne disposent déjà d'une dérogation générale dès lors que le personnel au sol de ces entreprises ne se voit garantir que 26 dimanches de congé par année qui peuvent être répartis de manière irrégulière au cours de l'année civile (
art. 12 al. 1 OLT 2
; cf. Seco, op. cit., p. 1 ad
art. 12 OLT 2
). Enfin, on retiendra encore que le Conseil fédéral a décidé d'octroyer au personnel au sol du secteur de la navigation aérienne 26 dimanches de congé par année civile lors de la révision totale de l'OLT 2, adoptée le 10 mai 2000, alors que l'aOLT 2 du 1
er
février 1966 prévoyait encore, à son art. 61 al. 2, que ce personnel ne pouvait prétendre qu'à 20 dimanches de congé par année civile (cf. RO 1966 119).
6.2
En ce qui concerne le consentement des travailleurs, l'arrêt attaqué retient que la Commission consultative du personnel de l'Aéroport, qui défend les intérêts du personnel en application des
art. 48 al. 1 let. b LTr
et 10 de la loi sur la participation, a été consultée sur la question des 26 dimanches de congé et sur le dépôt d'une demande de dérogation et a donné un préavis favorable concernant les modalités d'application de la dérogation. Le personnel des services concernés a ensuite été dûment informé sur la demande de dérogation, ses modalités d'application et les conséquences d'un refus. Invitée à s'exprimer en faveur ou en défaveur de la dérogation au moyen d'un vote à bulletin secret qui s'est déroulé du 11 au 14 octobre 2010, la majorité du personnel concerné s'est prononcée en faveur de la dérogation. Sur la base de ces éléments, il apparaît que le consentement exigé par l'
art. 28 LTr
a été correctement donné et que les exigences posées par la loi sur la participation concernant la consultation et l'information des travailleurs ont été respectées.
Les intimés contestent la réalisation de cette condition, en affirmant que la procédure de contestation ne remplissait pas les exigences d'impartialité et de transparence. Leur critique ne remplit cependant pas les
BGE 139 II 49 S. 59
exigences de motivation imposées par les art. 42 al. 2 et 97 al. 1 LTF, dès lors qu'elle est non seulement dépourvue de toute substance juridique, mais s'écarte de l'arrêt attaqué qui a retenu que le personnel concerné n'avait pas été informé de manière inexacte, lacunaire ou encore partiale, sans expliquer en quoi cette appréciation des faits serait manifestement inexacte ou arbitraire (cf.
ATF 136 II 508
consid. 1.2 p. 511). Il n'y a donc pas lieu d'entrer plus avant sur ce point.
6.3
Il ressort des constatations de fait de l'arrêt attaqué que, compte tenu des horaires actuels, il n'est pas possible au recourant de respecter la prescription des 26 dimanches de congé, vacances non comprises, dans les services concernés. Cette impossibilité ne lui est pas imputable; selon l'arrêt attaqué, il découle du fait que l'Aéroport, au moment d'établir les horaires de travail actuels, a présumé que les dimanches coïncidant avec les vacances pouvaient être pris en compte dans les 26 dimanches de congé. Cette interprétation s'étant avérée erronée, un travailleur disposant de 5 semaines de vacances doit bénéficier d'au moins 29 dimanches de congé par année (cf. supra consid. 4.3). Seule une refonte totale des horaires permettrait au recourant de respecter cette exigence et les juges précédents ont retenu que l'Aéroport avait rendu crédible que l'obligation de se conformer à l'
art. 12 al. 1 OLT 2
le placerait devant une situation difficile, des mesures de réorganisation ne pouvant intervenir dans l'immédiat. Selon l'arrêt attaqué, une dérogation, limitée dans le temps, s'avérait ainsi nécessaire au bon fonctionnement des services concernés et à la bonne exécution de la mission attribuée à l'Aéroport, dès lors qu'il ne paraissait pas y avoir d'alternative moins contraignante que la dérogation.
Les intimés contestent que l'application de l'
art. 12 al. 1 OLT 2
entraînerait pour le recourant des difficultés extraordinaires.
L'appréciation de l'instance précédente est corroborée par le fait qu'il est reconnu que le respect de la règle des 26 dimanches de congé pour le personnelau sol des entreprises de transport aérien ne va pas sans poser problème. Une motion a d'ailleurs été déposée le 17 juin 2010 par le Conseiller national Jean-René Germanier en vue de modifier l'art. 47 al. 1 de l'OLT 2 de sorte à mettre le personnel au sol du secteur de la navigation aérienne au bénéfice de l'
art. 12 al. 2 OLT 2
, soit 12 dimanches de congé par année civile (cf. Motion 10.3508 Dimanches de congé. Égalité de traitement pour les entreprises employant du personnel au sol dans le secteur de la navigation aérienne) au motif que la plupart des entreprises employant du
BGE 139 II 49 S. 60
personnel au sol n'était pas en mesure de respecter l'
art. 12 al. 1 OLT 2
et était au bénéfice d'autorisations extraordinaires délivrées par le Seco. Dans sa réponse du 1
er
septembre 2010, le Conseil fédéral a proposé le rejet de la motion mais déclaré être conscient des difficultés d'application de la loi sur le travail en ce domaine. Il a également confirmé que, pour y remédier, le Seco délivrait des dérogations particulières permettant aux travailleurs de bénéficier d'au moins 20 dimanches de congé par année civile, ce qui garantissait une meilleure protection des travailleurs que la modification proposée qui ferait passer à 12 le nombre de dimanches de congé garantis. Il était cependant prêt à examiner avec les partenaires sociaux si une révision de l'OLT 2 était nécessaire.
Bien que l'on doive ainsi, avec le Tribunal administratif fédéral, retenir que le recourant rencontre des difficultés pour respecter la règle des 26 dimanches de congé pour le personnel au sol des entreprises de transport aérien, il y a cependant lieu de rappeler que l'
art. 28 LTr
n'autorise pas la mise en place d'une dérogation générale, mais institue une exception fondée sur un cas concret. Or, lorsque c'est une branche entière qui rencontre la même difficulté, on peut se demander si l'on peut encore parler d'une telle exception concrète et particulière. Il s'agit avant tout d'un problème structurel qui doit, à terme, être résolu par le biais d'une révision de la dérogation générale, soit en l'espèce par une modification de l'
art. 47 OLT 2
, et non par des dérogations individuelles accordées à toutes les entreprises concernées. Le point de savoir si, s'agissant d'un problème structurel propre à une branche, il est néanmoins possible de considérer que le recourant est confronté à des difficultés extraordinaires au sens de l'
art. 28 LTr
peut cependant demeurer indécis dès lors que la dernière condition à l'application de cette disposition n'est pas remplie.
6.4
Il faut en effet que la dérogation requise puisse, compte tenu des circonstances, être qualifiée de minime comme l'a retenu le Seco, dont l'appréciation n'a pas été suivie par le Tribunal administratif fédéral. Cette dérogation revient à faire passer de 26 à 20 les dimanches de congé prévus à l'
art. 12 al. 1 OLT 2
. Si l'on tient compte des chiffres bruts, on aboutit à une réduction de 23 % des dimanches de congé auxquels le personnel au sol a droit dans l'année, ce qui n'est pas négligeable. La réduction des dimanches de congé est certes accompagnée de compensations qui atténuent les effets négatifs que peut représenter le travail dominical sur la vie sociale et familiale, qui
BGE 139 II 49 S. 61
existent encore, même si l'évolution de la société tend à plus de flexibilité. Ainsi, chaque travailleur concerné a droit, dès le 23
e
dimanche travaillé dans l'année, à une compensation de 25 % de la durée du travail effectué pendant la période du dimanche. En outre, comme le rythme de travail pour la plupart des employés concernés se répartit sur 3 jours travaillés, 2 jours de libre, ce qui était expressément souhaité par le personnel selon les constatations de l'arrêt attaqué, cette dérogation n'a pas pour effet de provoquer de longues périodes de travail sans congé qui seraient nuisibles à la santé. Toutefois, ces compensations ne suffisent pas. En effet, au regard de la volonté récente du Conseil fédéral d'augmenter de 20 à 26 le nombre minimum de dimanches de congé pour le personnel au sol du secteur de la navigation aérienne, du pourcentage de 23 % et de la durée conséquente de trois ans de l'abaissement demandé, la dérogation requise ne saurait cependant être qualifiée de minime.
Les conditions propres à l'obtention d'une dérogation au sens de l'
art. 28 LTr
ne sont ainsi pas réalisées.
7.
Selon les constatations de l'arrêt attaqué, le Seco a accordé ces dernières années à 28 entreprises de la branche de la navigation aérienne des dérogations fondées sur l'
art. 28 LTr
leur permettant de ramener à 20 le nombre minimum de dimanches de congé pour le personnel au sol du secteur de la navigation aérienne. Il convient par conséquent de se demander si, comme l'allègue le recourant, celui-ci doit être mis au bénéfice de l'égalité dans l'illégalité.
7.1
Le principe de la légalité de l'activité administrative prévaut en principe sur celui de l'égalité de traitement. En conséquence, le justiciable ne peut généralement pas se prétendre victime d'une inégalité devant la loi lorsque celle-ci est correctement appliquée à son cas, alors qu'elle aurait été faussement, voire pas appliquée du tout, dans d'autres cas. Cela présuppose cependant, de la part de l'autorité dont la décision est attaquée, la volonté d'appliquer correctement à l'avenir les dispositions légales en question. Le citoyen ne peut prétendre à l'égalité dans l'illégalité que s'il y a lieu de prévoir que l'administration persévérera dans l'inobservation de la loi. Il faut encore que l'autorité n'ait pas respecté la loi selon une pratique constante, et non pas dans un ou quelques cas isolés, et qu'aucun intérêt public ou privé prépondérant n'impose de donner la préférence au respect de la légalité (arrêt 1C_482/2010 du 14 avril 2011 consid. 5.1; cf.
ATF 136 I 65
consid. 5.6 p. 78).
BGE 139 II 49 S. 62
7.2
Dans l'arrêt attaqué, le Tribunal administratif fédéral a retenu que rien ne laissait penser que l'autorité inférieure persisterait, après l'entrée en force de l'arrêt, dans sa pratique dont l'illégalité aurait été établie par un tribunal, ajoutant que cette autorité ne s'était pas exprimée sur ses intentions dans le cas où une telle hypothèse devrait se réaliser. Cette appréciation sur les intentions futures du Seco ne saurait prêter le flanc à la critique. En effet, s'il est exact que cette autorité accorde, depuis plusieurs années aux entreprises de navigation aérienne qui en expriment le besoin, des dérogations à l'
art. 12 al. 1 OLT 2
en se fondant sur l'
art. 28 LTr
, le Tribunal administratif fédéral a également souligné que le Seco avait relevé lui-même, dans sa réponse au recours, que sa pratique tendant à agir par le biais d'autorisations individuelles n'était pas sans poser problème. Le recourant ne peut par conséquent être mis au bénéfice de l'égalité dans l'illégalité.
8.
Cela ne signifie pas encore que la dérogation accordée au recourant et dont l'effet est limité au 31 décembre 2013 ne peut être maintenue. En effet, il est établi que l'ensemble de la branche rencontre des problèmes pour accorder un minimum de 26 dimanches de congé au personnel au sol de la navigation aérienne. Les autorités politiques et législatives examinent actuellement la nécessité d'une adaptation de l'
art. 47 OLT 2
dans ce domaine (cf. supra consid. 6.3). Or, une éventuelle adaptation nécessite du temps, en particulier parce que le Conseil fédéral est tenu de consulter les cantons, la Commission fédérale du travail et les organisations économiques intéressées (cf.
art. 40 al. 2 LTr
) avant de modifier ses ordonnances.
Dans l'intervalle, le recourant, à l'instar de l'ensemble des entreprises de la branche, rencontre des difficultés pour respecter la règle des 26 dimanches de congé pour le personnel au sol des entreprises de transport aérien. Or, il n'y a pas de raison de faire supporter au seul recourant les conséquences immédiates, alors que jusqu'à présent, les entreprises occupant du personnel au sol de la navigation aérienne obtenaient des autorisations du Seco leur permettant de déroger à l'obligation d'accorder 26 dimanches de congé par année civile. En outre, dans l'hypothèse où le Conseil fédéral déciderait de renoncer à procéder à une adaptation de l'
art. 47 OLT 2
, la refonte totale des horaires qui permettrait au recourant de respecter cette exigence implique une réorganisation complète de son fonctionnement qui ne peut intervenir à court terme. Une dérogation, limitée dans le temps,
BGE 139 II 49 S. 63
s'avère dans ce contexte nécessaire au bon fonctionnement des services concernés et à la bonne exécution de la mission attribuée à l'Aéroport, attendu que les autres aéroports situés en Suisse bénéficient également d'une telle dérogation. Il se justifie par conséquent de maintenir l'autorisation accordée par le Seco le 25 février 2011, dans la mesure où elle n'est valable que jusqu'au 31 décembre 2013. Ce délai permettra au recourant soit de procéder à la refonte complète des horaires des employés concernés, afin de respecter à l'avenir l'exigence d'un nombre minimal de 26 dimanches de congé par année civile, soit d'y renoncer si le Conseil fédéral révise dans l'intervalle l'
art. 47 OLT 2
dans le sens souhaité par le secteur de la navigation aérienne. | public_law | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7d3af523-f621-46fa-881d-39479335a66a | Urteilskopf
100 III 33
10. Auszug aus dem Entscheid vom 16. April 1974 i.S. Novima AG. | Regeste
Kostenvorschuss zur Sicherstellung des Entgelts des Sachwalters im Stundungsverfahren.
Es verstösst nicht gegen Bundesrecht, wenn die Nachlassbehörde in ihrem Entscheid über die Nachlassstundung den Schuldner für die Kosten des Sachwalters vorschusspflichtig erklärt und der Sachwalter gestützt darauf einen Kostenvorschuss einfordert. | Sachverhalt
ab Seite 34
BGE 100 III 33 S. 34
Im Nachlassverfahren über die Novima AG forderte der Sachwalter die Schuldnerin mit Schreiben vom 24. Dezember 1973 auf, ihm bis zum 4. Januar 1974 einen Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 1000.-- zu überweisen. Hiegegen führte die Schuldnerin am 7. Januar 1974 Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen. Die Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde mit Entscheid vom 16. Januar 1974 ab. Gegen diesen Entscheid rekurriert die Schuldnerin an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Sodann macht die Rekurrentin geltend, der SachWalter dürfe den Kostenvorschuss nicht selbst einverlangen, sondern er müsse mit seinem Kostenvorschussbegehren an die Nachlassbehörde gelangen; es sei dann deren Sache, die Nachlasspetentin zur Leistung des Vorschusses zu veranlassen.
Das bei der Nachlassstundung anzuwendende Verfahren wird vom kantonalen Recht geregelt, soweit nicht bundesrechtliche Bestimmungen eingreifen (
BGE 95 I 163
; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., II, S. 314; FAVRE, Droit des poursuites, 3. Aufl., S. 85, 397; JAEGER, N. 4 zu
Art. 23 SchKG
). Die Kantone sind insbesondere berechtigt, das Honorar des Sachwalters sicherstellen zu lassen (FRITZSCHE, a.a.O.; JAEGER, N. 5 zu
Art. 295 SchKG
; CORADI, Der Sachwalter im gerichtlichen Nachlassverfahren
BGE 100 III 33 S. 35
nach
Art. 293 ff. SchKG
, Diss. Zürich 1973 S. 98). Es muss daher auch ihnen überlassen sein, die für die Festsetzung des vom Schuldner zu leistenden Vorschusses zuständige Behörde zu bezeichnen. Wohl ist es gemäss Art. 61 Abs. 1 des Gebührentarifs zum SchKG vom 7. Juli 1971 Sache der Nachlassbehörde, das Entgelt des Sachwalters festzusetzen, wobei die Weiterziehung an eine obere kantonale Nachlassbehörde vorbehalten bleibt. Aus dieser Bestimmung lässt sich jedoch nicht ableiten, der Nachlassbehörde obliege von Bundesrechts wegen auch die Festsetzung des vom Schuldner zu leistenden Kostenvorschusses. Denn der Entscheid über die Höhe des Vorschusses präjudiziert denjenigen über die Höhe des Honorars nicht. Es verstösst jedenfalls nicht gegen Bundesrecht, wenn eine Nachlassbehörde, wie im vorliegenden Fall, in ihrem Entscheid über die Nachlassstundung den Schuldner "für die weiteren Kosten des Sachwalters" vorschusspflichtig erklärt und der Sachwalter gestützt darauf einen Kostenvorschuss einfordert. Ob allenfalls eine Verletzung kantonalen Rechts vorliege, hat das Bundesgericht nicht zu prüfen (Art. 43 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 81 OG
). Der Rekurs ist daher abzuweisen. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7d40e5c3-29a4-4d5c-bd42-ffbe524e692b | Urteilskopf
122 III 49
10. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. März 1996 i.S. Ernst Tscherrig gegen Munizipalgemeinde Raron (Berufung) | Regeste
Art. 704 Abs. 1 ZGB
; Abgrenzung zwischen Privat- und Bachquelle.
Eine Quelle, die auf einem privaten Grundstück entspringt und von Anfang an einen Bach bildet, ist nicht eine Privatquelle und als solche Bestandteil des Grundstückes, sondern eine Bachquelle und damit Teil des von ihr gebildeten Gewässers. Ob eine Quelle einen Bach bildet, hängt von der Mächtigkeit und Stetigkeit der Quelle ab. | Erwägungen
ab Seite 49
BGE 122 III 49 S. 49
Aus den Erwägungen:
2.
Das Kantonsgericht Wallis hat für das Bundesgericht verbindlich festgehalten (
Art. 63 Abs. 2 OG
), dass es sich bei der Quelle "am Bach" um eine ergiebige Quelle handelt. Die Schüttungsmessungen, die über ein ganzes Jahr in Abständen von 14 Tagen vorgenommen wurden, haben eine
BGE 122 III 49 S. 50
mittlere Schüttung von 9,09 l/s (Sekundenlitern) oder 545 l/min (Minutenlitern) ergeben. Die Messungen haben gezeigt, dass während 80% des Jahres eine Wassermenge von mindestens 6,0 l/s oder 360 l/min zur Verfügung steht. Nach den weiteren Feststellungen im angefochtenen Urteil begründete die Quelle vor ihrer Fassung einen kleinen Bach, der durch St. German floss. Bereits vor dem Jahr 1933 wurde die Quelle gefasst; während ein Teil des Quellwassers in einer Leitung abgeführt wurde, floss das übrige Wasser in einem offenen Kanal dorfwärts; es betrieb zwei Mühlen und eine Sägerei, versorgte Brunnentröge und wurde zeitweise zum Bewässern von Wiesen und Reben benutzt. Nachdem 1966 die Quellfassung erneuert worden war, leitete die Gemeinde Raron seit 1975 einen Teil des Quellwassers ins Reservoir "Tscherrgen", während der Überlauf der Quelle weiterhin zum Bewässern verwendet wurde.
Gestützt auf diese tatsächlichen Feststellungen qualifiziert das Kantonsgericht die Quelle als Bachquelle; sie sei ein Teil des von ihr erzeugten Wasserlaufs und damit ein öffentliches Gewässer. Der Kläger lässt diese Auffassung nicht gelten und stellt sich auf den Standpunkt, dass die Quelle als private Quelle zu qualifizieren sei, die in seinem Eigentum stehe.
a) Quellen sind grundsätzlich Bestandteile der Grundstücke, auf welchen sie hervortreten (
Art. 667 Abs. 2 ZGB
,
Art. 704 Abs. 1 ZGB
); das Eigentum am Grundstück erstreckt sich daher auch auf die darauf entspringende Quelle. In seiner älteren Rechtsprechung hatte das Bundesgericht entschieden, dass grundsätzlich alle auf privatem Grund und Boden hervortretenden Quellen im Privateigentum stehen können (
BGE 43 II 152
E. 3 S. 158, bestätigt in
BGE 93 II 170
E. 3 S. 174 und E. 8c S. 182). Diese Rechtsprechung ist in der Literatur einhellig kritisiert worden. Von den Privatquellen seien diejenigen Quellen zu unterscheiden, die von allem Anfang an einen Wasserlauf bildeten. Im Unterschied zu Privatquellen handle es sich bei diesen sog. Bachquellen nicht um einen Bestandteil des Grundstückes, auf dem sie entspringen, sondern um einen Teil des Gewässers, das sie bilden (P. LIVER, Das Eigentum, Schweizerisches Privatrecht V/1, Basel 1977, S. 293 f.; HAAB/SIMONIUS/SCHERRER/ZOBL, Zürcher Kommentar, N. 9 zu
Art. 704 ZGB
; F. GUISAN, L'eau en droit privé, JdT 90/I [1942], S. 502; DESCHENAUX/JÄGGI, Sources provenant d'eaux souterraines publiques, JdT 107/I [1959], S. 104; je mit weiteren Hinweisen). Entscheidend für die Unterscheidung zwischen Privatquellen einerseits und Bachquellen anderseits
BGE 122 III 49 S. 51
sei, ob das von einer Quelle hervorgebrachte Wasser einen Bach bilde. Dies sei dann der Fall, wenn das Wasser die Mächtigkeit und Stetigkeit habe, dass es sich ein festes Gerinne, ein Bett mit festen Ufern zu schaffen vermag oder zu schaffen vermöchte, wenn es ihm nicht künstlich bereitet worden wäre. Sei es unmittelbar von der Quelle weg ein solcher Wasserlauf, umfasse dieser auch die Quelle (LIVER, SPR V/1, S. 293). Das Bundesgericht ist in seiner neueren Rechtsprechung der in der Literatur erhobenen Kritik gefolgt. Quellen, die auf einem Privatgrundstück entspringen und von Anfang an einen Wasserlauf bilden, sind nicht Privatquellen im Sinn von
Art. 704 Abs. 1 ZGB
, sondern werden als Teil des von ihnen gebildeten Wasserlaufs betrachtet und teilen demnach dessen rechtliches Schicksal (
BGE 97 II 333
E. 1 S. 337, bestätigt in
BGE 106 II 311
E. 2a S. 314).
Ob ein Wasserlauf und als Teil desselben eine Bachquelle als öffentliche Gewässer zu betrachten sind, ergibt sich indessen nicht aus dem Bundeszivilrecht, sondern aus der in die Kompetenz der Kantone fallenden Abgrenzung der öffentlichen Gewässer (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 152 f. zu
Art. 664 ZGB
). Für den Kanton Wallis bestimmt Art. 3 des Gesetzes vom 17. Januar 1933 betreffend das Eigentum an öffentlichen und herrenlosen Gütern (GS/VS 13), dass Flüsse und Bäche im Eigentum der Gemeinden stehen. Ob es sich bei der Quelle "am Bach" um eine Privatquelle oder eine im Eigentum der Gemeinde stehende Bachquelle handelt, hängt demnach davon ab, ob das Wasser von Anfang an einen Bach bildet, d.h. die Mächtigkeit und Stetigkeit hat, dass es sich ein Bett mit festen Ufern zu schaffen vermag oder zu schaffen vermöchte, wäre es nicht gefasst worden.
b) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz weist die Quelle "am Bach" eine durchschnittliche Schüttung von 545 l/min auf, wobei die Wassermenge während 80% des Jahres nicht unter 360 l/min sinkt. Zwar liegt die Mächtigkeit der Quelle erheblich unter der maximalen Wassermenge von 3420 l/min, die von der Quelle hervorgebracht wird, welche das Bundesgericht in
BGE 97 II 333
als Bachquelle qualifizierte. Doch weist sie eine Mächtigkeit auf, die nach den Feststellungen der Vorinstanz ausreicht, den Wasserbedarf von 1000 Personen bei einem mittleren Wasserverbrauch von 500 Litern pro Person und Tag zu decken. Der Kläger selbst spricht von einer "sehr ergiebigen Quelle". In der Literatur wird bei einer Schüttungsmenge von mindestens 200-300 l/min von einer Bachquelle
BGE 122 III 49 S. 52
ausgegangen (F. GYGI, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 241). Sodann weist die Quelle eine beträchtliche Stetigkeit auf, sinkt doch die Schüttung während 80% des Jahres nicht unter 360 l/min. Mit einer minimalen Schüttung von 2,1 l/s bzw. 126 l/min weist sie auch eine bedeutend höhere Stetigkeit auf als die in
BGE 97 II 333
beurteilte Quelle, deren minimale Schüttung auf 60 l/min sinkt. Die Vorinstanz hat denn auch von einer "ziemlich konstanten Quelle" gesprochen. Sie hat sodann verbindlich festgehalten, dass die Quelle, bevor sie gefasst wurde, einen kleinen Bach bildete und in einem offenen Graben durch St. German floss. Dass die Quelle schon vor Jahrzehnten gefasst und in Röhren abgeleitet wurde, schliesst aufgrund des Gesagten die Annahme einer Bachquelle nicht aus. Zu Recht hat daher die Vorinstanz die Quelle "am Bach" als Teil des Wasserlaufs, den sie bildet, und damit als öffentliches und im Eigentum der Munizipalgemeinde Raron stehendes Gewässer beurteilt und das Eigentum des Klägers daran verneint. Daran ändert auch dessen Einwand nichts, im Grundbuch sei kein Recht der Gemeinde an der Quelle eingetragen. Dem Kläger kann auch insoweit nicht gefolgt werden, als er geltend macht, die Gemeinde hätte allenfalls nach
Art. 705 Abs. 1 ZGB
Rechte an der Quelle beanspruchen müssen. Diese Bestimmung bezieht sich schon aufgrund ihrer Stellung im Gesetz ausschliesslich auf Privatquellen im Sinn von
Art. 704 Abs. 1 ZGB
; da die vorliegende Quelle eine Bachquelle und damit ein öffentliches Gewässer ist, kommt
Art. 705 ZGB
nicht zur Anwendung. Aus dem gleichen Grund gehen die Ausführungen des Klägers fehl, die Gemeinde habe das Quelleigentum nicht ersessen. Da die Gemeinde gestützt auf öffentliches Recht Eigentümerin der Quelle "am Bach" ist, erübrigen sich Ausführungen zur Ersitzung des Quelleigentums. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7d464ff6-c094-4030-8270-450603d06836 | Urteilskopf
118 IV 32
8. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 31 janvier 1992 dans la cause X. c. Ministère public du canton du Valais (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
; Veruntreuung.
Eine Forderung kann anvertrautes Gut im Sinne von
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
sein (E. 2a; Bestätigung der Rechtsprechung).
Wer eine künftige Forderung aus Kaufvertrag abtritt und sich verpflichtet, den Verkaufserlös dem Zessionar zukommen zu lassen, macht sich der Veruntreuung im Sinne von
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
schuldig, wenn er den Erlös zur Tilgung einer persönlichen Schuld durch Verrechnung verwendet, ohne den Willen und die Fähigkeit zu haben, den Forderungsbetrag an den Zessionar zu überweisen (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 118 IV 32 S. 32
En vue d'acquérir et de rénover un immeuble, X. a obtenu un crédit de la Banque Populaire Suisse (BPS), garanti notamment par "la cession du produit de la vente des logements sis dans l'immeuble". Il s'est engagé à préciser dans les actes de vente que les créances découlant de ces transactions étaient payables en main de la BPS.
Il a néanmoins vendu l'immeuble sans informer l'acquéreur de la cession qu'il avait consentie. A la suite de plusieurs contrats conclus à la même époque entre les parties, il fut convenu que le montant auquel pouvait prétendre X. en raison de la vente de l'immeuble était soldé par compensation, de sorte qu'il ne pouvait plus être versé à la BPS. L'acheteur, qui avait ignoré l'existence de la cession, refusa
BGE 118 IV 32 S. 33
tout versement à la BPS et X., qui éprouvait des difficultés financières, n'a pas pu payer à la banque la somme que celle-ci lui réclamait.
Ces faits ont été qualifiés par la cour cantonale d'abus de confiance au sens de l'
art. 140 ch. 1 al. 2 CP
.
Le Tribunal fédéral a rejeté le pourvoi en nullité formé par X. contre sa condamnation.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Selon l'
art. 140 ch. 1 al. 2 CP
, il y a abus de confiance lorsque l'auteur a, sans droit, employé à son profit ou au profit d'un tiers une chose fongible, notamment une somme d'argent, qui lui avait été confiée.
Contrairement à ce qui est prévu au premier alinéa de l'
art. 140 ch. 1 CP
, lorsque la chose confiée est fongible, il n'est pas nécessaire qu'elle soit la propriété d'autrui pour que son emploi illicite entraîne la répression pénale, sans quoi le mélange suffirait à exclure l'infraction; dans ce cas, la chose est confiée aussitôt que l'auteur la reçoit - et en acquiert le cas échéant la propriété - avec l'obligation de l'utiliser d'une manière particulière dans l'intérêt d'autrui, que ce soit pour la garder, l'administrer ou la livrer, selon des instructions qui peuvent être expresses ou tacites; la chose confiée peut avoir été remise matériellement à l'auteur non seulement par la victime, mais également par un tiers; tel est le cas notamment lorsqu'un mandataire procède à un encaissement d'argent pour le compte du mandant (
ATF 106 IV 259
consid. 1,
ATF 105 IV 33
consid. 2,
ATF 101 IV 163
consid. 2a et les références citées). Sous réserve de l'application des règles d'interprétation, la détermination de la volonté réelle des parties est une question de fait qui ne peut être réexaminée dans le cadre d'un pourvoi en nullité (
ATF 106 IV 260
consid. 2).
Après l'avoir dans un premier temps nié, la jurisprudence admet maintenant qu'une créance peut constituer une chose confiée au sens de l'
art. 140 ch. 1 al. 2 CP
(
ATF 109 IV 29
ss, confirmé par
ATF 111 IV 21
consid. 2,
ATF 117 IV 433
consid. 3). Cette modification va dans le sens souhaité par la doctrine. En effet, bien qu'ils ne soient pas favorables à une interprétation par trop extensive de cette disposition, plusieurs auteurs ont relevé que sa ratio legis impliquait que l'on ne méconnaisse pas l'évolution intervenue dans la vie économique et que l'on considère que des valeurs immatérielles confiées peuvent également être l'objet de l'infraction prévue à l'al. 2 de l'
art. 140
BGE 118 IV 32 S. 34
ch. 1 CP
(voir GUIDO JENNY, Aktuelle Fragen des Vermögens- und Urkundenstrafrechts, ZBJV 1988, 400 ss et les références citées).
L'infraction est intentionnelle et suppose, même si l'alinéa ne le dit pas expressément, l'existence d'un dessein d'enrichissement illégitime (
ATF 105 IV 34
consid. 3a et les arrêts cités), qui peut être réalisé par dol éventuel (ATF
ATF 105 IV 36
consid. 3a). L'élément subjectif de l'infraction n'est pas donné en cas d'Ersatzbereitschaft, par quoi l'on désigne l'état de l'auteur qui peut justifier d'avoir, dès lors que la créance était exigible (voir
ATF 77 IV 10
ss), eu à tout moment la volonté et la possibilité de représenter l'équivalent des montants employés (
ATF 105 IV 35
et les arrêts cités,
ATF 81 IV 234
consid. c).
b) En l'espèce, il résulte de l'état de fait retenu par l'autorité cantonale - qui lie la Cour de cassation - que le recourant et la BPS sont convenus, en la forme écrite, d'une cession de créance par laquelle le recourant cédait à la banque la créance future résultant pour lui de la vente des logements sis dans l'immeuble. Cette cession de créance ayant été valablement conclue, elle a eu pour effet de transférer, dès sa naissance, toute créance relative à la vente - totale ou partielle - de l'immeuble en question du patrimoine du recourant à celui de la BPS (
ATF 113 II 167
consid. d). Dès sa naissance, une telle créance ne faisait par conséquent pas partie du patrimoine du recourant, pour lequel elle constituait une créance appartenant à autrui, ce qui créait une situation parfaitement analogue à celle prévue au premier alinéa de l'
art. 140 ch. 1 CP
, le bien en question n'étant toutefois pas celui prévu audit alinéa, mais à l'alinéa 2 de la même disposition.
Comme le débiteur était encore inconnu au moment de la cession, la banque n'était pas en situation de recouvrer elle-même la créance cédée; ainsi qu'il a été constaté, les parties ont passé en l'espèce, dans le cadre de la cession, un accord spécial aux termes duquel le recourant s'engageait à faire verser le produit de la vente à la BPS. Il lui incombait dès lors de faire en sorte que celui-ci parvienne à la banque soit directement soit par son intermédiaire.
Selon la jurisprudence, une chose est confiée au sens de l'
art. 140 ch. 1 CP
lorsqu'elle est remise ou laissée à l'auteur pour qu'il l'utilise de manière déterminée dans l'intérêt d'autrui, en particulier pour la garder, l'administrer ou la livrer selon des instructions qui peuvent être expresses ou tacites (
ATF 106 IV 259
consid. 1,
ATF 101 IV 33
et les arrêts cités). Tel était bien le cas en l'espèce puisqu'en vertu de l'accord passé avec la banque, le recourant ne pouvait pas disposer
BGE 118 IV 32 S. 35
dans son propre intérêt du montant dû à raison de la créance cédée. Il ne pouvait, au contraire, l'utiliser que pour le faire parvenir à la banque ou, à tout le moins, le tenir à la disposition de celle-ci. Or, le recourant a employé la créance cédée, qui lui avait été confiée, pour éteindre par compensation une dette personnelle, de sorte que la banque n'a pas obtenu le paiement de la créance cédée; agissant ainsi en toute connaissance de cause, il a commis, dans un dessein d'enrichissement illégitime, l'infraction prévue et punie par l'
art. 140 ch. 1 al. 2 CP
, étant précisé que la suite des événements montre qu'il n'avait pas eu constamment la volonté et les moyens de payer le montant de la créance cédée. | null | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7d4b75c3-eda1-4ca7-aa90-d662bcea5447 | Urteilskopf
90 III 53
12. Entscheid vom 24. Juli 1964 i.S. Schlatter. | Regeste
Sicherstellung eines streitigen Miet- oder Pachtzinses durch Hinterlegung eines Barbetrages. Verzeichnung dieser Hinterlage in der Retentionsurkunde an Stelle von Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen. Art. 272-274 und
Art. 286 Abs. 3 OR
,
Art. 898 Abs. 1 ZGB
,
Art. 282 ff. SchKG
.
Eine gerichtliche Hinterlegung ist nur dann in diesem Sinne zu berucksichtigen, wenn sie als gültig anerkannt ist. Fehlt es noch an der (nach § 392 der ZPO des Kantons Zürich erforderlichen) richterlichen Bewilligung, so steht es dem Betreibungsamte nicht zu, gegen den Willen des Schuldners den bei der Gerichtskasse liegenden Barbetrag auch für den Fall, dass der Richter die Hinterlegung nicht zulässt, der Retention zu unterstellen und im Hinblick darauf zu sperren. | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 90 III 53 S. 54
A.-
Frau E. Schlatter wurde im Jahre 1963 mehrmals für Mietzins betrieben, und zwar mit Androhung der Vertragsauflösung gemäss
Art. 265 OR
. Sie hinterlegte bei der Bezirksgerichtskasse Zürich die Mietbetreffnisse der Monate Mai bis September 1963 mit gerichtlicher Bewilligung gemäss § 392 der zürcherischen Zivilprozessordnung. Ebenso überwies sie der Gerichtskasse die Mietzinsbeträge pro Oktober 1963 bis und mit Januar 1964, die der Richter jedoch nur vorläufig entgegennahm. Am 10. Januar 1964 lehnte er die Hinterlegung dieser Beträge ab und ordnete deren Rückerstattung an die Hinterlegerin bei Rechtskraft seiner Verfügung an. Die Schuldnerin legte gegen diese Verfügung Rekurs ein, der immer noch hängig ist.
B.-
Am 16. Januar 1964 leitete der Vermieter für die fälligen Mietzinse pro Oktober 1963 bis und mit Januar 1964 ein Retentionsverfahren ein und verlangte, dass an Stelle von Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen der von der Mieterin bei der Bezirksgerichtskasse als Barhinterlage abgegebene Geldbetrag retiniert werde. Das Betreibungsamt Zürich 6 entsprach diesem Begehren. Es vermerkte in der Retentionsurkunde, dass dem Gläubiger an dieser Barhinterlage ein Pfandrecht zustehe, und sperrte den Betrag bei der Bezirksgerichtskasse, die es anwies, das Geld im Falle rechtskräftiger Ablehnung der Hinterlegung durch das oberinstanzliche Gericht nicht der Schuldnerin zurückzuerstatten, sondern dem Betreibungsamt als Gegenstand der Retention zu überweisen. In gleicher Weise ging das Betreibungsamt vor, als es die Retentionsurkunde am 12. Februar 1964 hinsichtlich des hinterlegten Barbetrages berichtigte und durch zusätzliche
BGE 90 III 53 S. 55
Retention von Einrichtungsgegenständen für die Verzugszinsen und Betreibungskosten ergänzte. Und in entsprechender Weise nahm das Betreibungsamt ebenfalls am 12. Februar 1964 eine neue Retentionsurkunde für den Mietzins des Februars auf. Diesen Betrag hatte die Schuldnerin ebenfalls bei der Bezirksgerichtskasse hinterlegt, wobei der Richter die Verfügung aussetzte. Auch hier erging eine betreibungsamtliche Sperranzeige, und anderseits wurden auch in diesem Falle einige Gegenstände zusätzlich retiniert, weil sich die Schuldnerin weigerte, für die Mehrforderung eine Barhinterlage zu leisten.
C.-
Mit drei jeweilen binnen gesetzlicher Frist eingereichten Beschwerden focht die Schuldnerin diese Art der Retentionsnahme an. Sie wollte die beim Richter gemachten Barhinterlagen nur für den Fall dem Retentionsbeschlag unterstellt wissen, dass der Richter diese Hinterlegung rechtskräftig bewillige. Daher sei es unzulässig, dem Gläubiger zum vornherein an diesen Hinterlagen ein Pfandrecht zuzuerkennen und die Beträge zu sperren. Sollte der Richter die Hinterlegung rechtskräftig ablehnen, so stehe ihr die freie Verfügung über diese ihr alsdann zurückzuerstattenden Beträge zu.
D.-
Die untere Aufsichtsbehörde schützte diese Rügen, indem sie anordnete, die hinterlegten Geldsummen seien in den Retentionsurkunden ohne Anmerkung eines Pfandrechts zu verzeichnen, und die Sperre der Beträge bei der Bezirkskasse aufhob.
E.-
Mit Entscheid vom 26. Juni 1964 hat die obere kantonale Aufsichtsbehörde dagegen auf Begehren des Gläubigers die Massnahmen des Betreibungsamtes geschützt. Der Begründung dieses Entscheides ist zu entnehmen: "Durch die blosse Verzeichnung der Hinterlage in den Retentionsurkunden ohne eine Retinierung der in der Hinterlage verkörperten Forderung und durch die sich daraus ergebende Aufhebung der Sperre hat die untere Aufsichtsbehörde die mit der Retention der Hinterlage
BGE 90 III 53 S. 56
beabsichtigte Sicherung des Vermieters für den Fall der Nichtbewilligung der gerichtlichen Hinterlegung vereitelt... Der Rekurrent (Gläubiger) hat denn auch sein Retentionsbegehren hier eben für den Fall gestellt, dass die Hinterlegung im schwebenden Rekursverfahren abgelehnt werden sollte... Nachdem das Bundesgericht die Retention sicherheitshalber hinterlegter Beträge an Stelle der Retinierung von Einrichtungsgegenständen zugelassen hat, muss dieses Pfandrecht auch für den Fall wirksam bleiben, dass die Hinterlegung dahinfallen sollte. Das kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es führe zu einer Arrestnahme ohne Vorliegen von Arrestgründen. Denn es handelte sich hier nicht um eine gegen den Willen des Schuldners vorgenommene Beschlagnahme wie beim Arrest, sondern um die Fortsetzung der Sicherstellung eines vom Schuldner freiwillig und im eigenen Interesse sicherheitshalber zur Verführung gestellten Betrages."
F.-
Gegen diesen Entscheid rekurriert die Schuldnerin an das Bundesgericht mit dem Antrag, das Betreibungsamt Zürich 6 sei anzuweisen.
a) an die Retinierung der Hinterlagen der Schuldnerin bei der Bezirksgerichtskasse Zürich für die Mietzinse ab Oktober 1963 den Vorbehalt zu knupfen, dass die Hinterlegung dieser Mietzinse beim Einzelrichter des Bezirksgerichtes Zürich definitiv bewilligt werde.
b) bis zum Entscheid über die definitive Erteilung oder Verweigerung der oben erwähnten Bewilligung diejenigen Gegenstände in die Retentionsurkunde aufzunehmen, welche nach
Art. 272 OR
dem Retentionsrecht des Vermieters unterliegen, jedoch gleichzeitig zu erklären, dass diese Gegenstände aus der Retention entlassen werden, sobald die Schuldnerin die rechtskräftige Bewilligung der gerichtlichen Hinterlegung gemäss lit. a) hievor nachweist.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid stützt sich auf die Rechtsprechung, wonach der Schuldner die Verwertung der dem Retentionsrecht des Vermieters oder Verpächters unterliegenden Sachen (Art. 272-274 und
Art. 286 Abs.
BGE 90 III 53 S. 57
3 OR) durch hinreichende Sicherstellung abwenden kann, wie dies für das Retentionsrecht der
Art. 895 ff. ZGB
in Art. 898 Abs. 1 daselbst vorgesehen ist. Er beruft sich namentlich auf das dem Mieter oder Pächter zustehende Recht, an die Stelle der dem Retentionsrecht unterliegenden Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände eine Barhinterlage treten zu lassen, die, wie mehrmals entschieden worden ist, sowohl beim Betreibungsamt wie auch beim Richter geleistet werden kann. Insbesondere kann der Schuldner bei der Retentionsaufnahme auf eine bereits beim Richter geleistete Hinterlage zur Sicherstellung des betreffenden Miet- oder Pachtzinses verweisen, und es ist alsdann diese Hinterlage an Stelle der eigentlich dem Retentionsrecht unterliegenden Sachen in die Retentionsurkunde aufzunehmen. Kraft dieser Retention erwirbt der Gläubiger an der hinterlegten Geldsumme bezw. an dem ihr entsprechenden Guthaben ein Pfandrecht, das den gleichen Bedingungen und Untergangsgründen wie sein Retentionsrecht untersteht. Der Betrag der Hinterlage muss die ganzen in Betreibung stehenden Miet- oder Pachtzinsforderungen nebst Nebenforderungen umfassen. Deshalb hat denn auch das Betreibungsamt Zürich 6 hier ergänzende Sachretentionen vorgenommen. (Vgl.
BGE 59 III 128
,
BGE 61 III 76
,
BGE 66 III 80
,
BGE 73 III 130
,
BGE 83 III 135
).
2.
Im vorliegenden Fall hat indessen die Schuldnerin die von ihr versuchte und durch Geldeinzahlung ins Werk gesetzte, aber noch der richterlichen Bewilligung nach § 392 der zürcherischen ZPO bedürftige Barhinterlage keineswegs ohne weiteres der Retention an Stelle von Einrichtungs- und Gebrauchssachen unterstellt. Sie will vielmehr eine solche Ersatzretention nur zulassen, wenn die gerichtliche Hinterlegung, wie sie sie nachgesucht hat, in oberer Instanz bewilligt wird. Unter diesen Umständen kann diese Barhinterlage einstweilen nicht vorbehaltlos an Stelle von Sachen in der Retentionsurkunde verzeichnet werden. Wenn die erwähnte Rechtsprechung (vgl. namentlich BGE 61 III Erw. 1) eine gerichtliche ebenso wie eine
BGE 90 III 53 S. 58
beim Betreibungsamt vorgenommene Hinterlegung als Retentionssurrogat berücksichtigt, so ist dabei stillschweigend vorausgesetzt, dass die Hinterlegung in ihrer Gültigkeit unumstritten ist. Das trifft hier nicht zu, solange nicht die (der Schuldnerin in erster Instanz verweigerte) gerichtliche Bewilligung der Hinterlegung rechtskräftig erteilt ist.
3.
Die Vorinstanz sieht denn auch ein, dass das von der Schuldnerin bei der Gerichtskasse zum Zwecke der Hinterlegung einbezahlte Geld nur dann ein taugliches Ersatz-Retentionsobjekt darstellt, wenn die Hinterlegung diesem Zwecke dienstbar gemacht und durch geeignete Massnahmen gesichert wird. Aus diesem Grunde will sie dem Gläubiger in der Retentionsurkunde ausdrücklich das Pfandrecht zuerkennen, wie es mit der Retention einer Barhinterlage verbunden sein soll, und ebenso hält sie an der Sperre der Hinterlage fest, was namentlich in dem der Gerichtskasse erteilten Befehl zum Ausdrucke kommt, das Geld, falls die gerichtliche Hinterlegung rechtskräftig abgelehnt werden sollte, nicht der Schuldnerin zurückzuerstatten, sondern dem Betreibungsamte - eben als Retentionssurrogat - zu überweisen. Diese Massnahmen greifen jedoch in unzulässiger Weise in die Entschliessungsfreiheit der Schuldnerin ein.
Gewiss hat man es bei der versuchten gerichtlichen Hinterlegung nicht mit einem Erfüllungssurrogat im Sinne der Artikel 92 ff. OR zu tun. Die Schuldnerin wollte nicht erfüllen, sondern bloss sicherstellen, da sie den Mietzinsforderungen des Gläubigers Herabsetzungs- und Schadenersatzansprüche entgegenhielt. Allein die Sicherstellung sollte nach ihrer Absicht, jedenfalls zunächst, dazu dienen, die ihr insbesondere in den Zahlungsbefehlen vom August und Oktober 1963 angedrohte Vertragsauflösung mit nachfolgender Ausweisung zu vermeiden. Kommt diese Sicherstellung (kraft der dafür erforderlichen richterlichen Bewilligung) zustande, so liegt es freilich nahe, sie in dem inzwischen vom Gläubiger angehobenen Retentionsverfahren zugleich als Retentionssurrogat gelten
BGE 90 III 53 S. 59
zu lassen, womit die Schuldnerin denn auch von Anfang an einverstanden war. Es liegt aber kein Widerspruch darin, dass die Schuldnerin - ebenfalls von Anfang an, in den gegen die Art der Retentionsnahme geführten Beschwerden - dieses Retentionssurrogat nicht auch für den Fall zur Verfügung stellen wollte, dass die von ihr beim Richter nachgesuchte Hinterlegung endgültig abgelehnt werden sollte. Daraus, dass eine zum Zweck, eine Vertragsauflösung wegen Verzuges nach
Art. 265 OR
zu vermeiden, zustande kommende (d.h. richterlich bewilligte) Hinterlegung daneben auch als Retentionssurrogat dienen soll, folgt keineswegs, dass dann, wenn die Hinterlegung vom Richter zurückgewiesen wird und das betreffende Geld daher nicht dem ihm von der Schuldnerin zugedachten Zwecke dienen kann, es nun zwangsweise, gegen ihren Willen, ausschliesslich einem andern Sicherstellungszwecke, nämlich demjenigen einer Ersatzretention, zugeführt werden dürfe. Auf einen solchen von der Schuldnerin nicht angebotenen Zugriff hat der Gläubiger keinen Anspruch. Sollte er etwa geltend machen wollen, aus dem beim Richter gestellten Hinterlegungsangebot der Schuldnerin seien ihm als begünstigtem Dritten bereits Ansprüche erwachsen, die eine richterliche Ablehnung der Hinterlegung wie auch einen allfälligen Widerruf des Hinterlegungsgesuches der Schuldnerin nicht mehr zuliessen, so mag er dies in dem noch immer hängigen gerichtlichen Verfahren geltend machen. Sollte er mit diesem Standpunkte durchdringen, so stünde ja dann dem retentionsweisen Zugriff auf die Hinterlage auch nach den Anträgen der Schuldnerin nichts mehr im Wege. Andernfalls - und davon ist bei der heutigen Sachlage auszugehen - kann die Retention der Hinterlage nur unter den von der Schuldnerin angebrachten Vorbehalten erfolgen. Wie sie mit Recht geltend macht, läuft die von der Vorinstanz angeordnete Sperre gewissermassen auf eine der Rechtsgrundlage entbehrende Arrestierung hinaus, ja der Gläubiger würde darüber hinaus ein dem Arrest nach
Art. 281 SchKG
nicht zukommendes
BGE 90 III 53 S. 60
Vorrecht erhalten. Bei endgültiger Ablehnung der beim Richter beantragten Hinterlegung muss das betreffende Geld, sofern die Schuldnerin nicht nachträglich bereit ist, es der Retention zu unterstellen, zu ihrer freien Verfügung stehen, es wäre denn, dass dem Gläubiger in der Zwischenzeit ein Recht auf Arrestierung oder Pfändung desselben erwächst. Dass vorderhand, eben wegen der Unsicherheit des Zugriffes auf die bei der Gerichtskasse liegende Geldsumme, alle nach
Art. 272 OR
dem Retentionsrecht unterliegenden Sachen in den Retentionsurkunden verzeichnet werden dürfen, gibt die Schuldnerin zu. Die dahingehenden Rekursanträge vor Bundesgericht entsprechen (genauer formuliert) ihrem von jeher eingenommenen Standpunkt. Der Antrag b), wonach im gegebenen Falle die retinierten Sachen aus der Retention zu entlassen sind, bezieht sich offenkundig nicht etwa auch auf diejenigen Sachen, die zusätzlich zu retinieren waren, weil die Höhe der Barhinterlage zur Sicherstellung nicht ausreicht.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr. u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und das Betreibungsamt Zürich 6 angewiesen,
a) an die Retinierung der Hinterlagen der Schuldnerin bei der Bezirksgerichtskasse Zürich für die Mietzinse ab Oktober 1963 den Vorbehalt zu knüpfen, dass die Hinterlegung dieser Mietzinse beim Einzelrichter des Bezirksgerichtes Zürich definitiv bewilligt werde.
b) bis zum Entscheid über die definitive Erteilung oder Verweigerung der oben erwähnten Bewilligung diejenigen Gegenstände in die Retentionsurkunde aufzunehmen, welche nach
Art. 272 OR
dem Retentionsrecht des Vermieters unterliegen, jedoch gleichzeitig zu erklären, dass diese Gegenstände aus der Retention entlassen werden, sobald die Schuldnerin die rechtskräftige Bewilligung der gerichtlichen Hinterlegung gemäss lit. a hievor nachweist. | null | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7d50136e-6aeb-4737-ac8b-9628b29983fe | Urteilskopf
98 IV 138
25. Sentenza del 17 marzo 1972 nella causa Cornolti contro Tribunale amministrativo del cantone Ticino. | Regeste
Art. 39 des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz.
Unter den Begriff des Jagens fällt jedes Verhalten, das geeignet ist, das Wild zu erlegen oder einzufangen. Nicht erforderlich ist das Erreichen des Wildes; schon wer auf dem Anstand ist, jagt. | Sachverhalt
ab Seite 139
BGE 98 IV 138 S. 139
A.-
Il 6 dicembre 1970, verso le ore 16.00, un guardiacaccia volontario ha steso contro Giuseppe Cornolti un rapporto di contravvenzione. Lo accusava di avere, in territorio di Gudo, dato la caccia ad uccelli protetti, in una zona di divieto e da un veicolo a trazione meccanica.
Mediante decisione del 29 luglio 1971, il Dipartimento dell'economia pubblica del cantone Ticino, fondandosi sul citato rapporto, ha inflitto a Cornolti una multa di fr. 250.-- oltre che la privazione del diritto di cacciare per tre anni.
B.-
Il Tribunale amministrativo del cantone Ticino, con sentenza del 3 novembre 1971, ha respinto il ricorso interposto da Cornolti contro la decisione dipartimentale. Esso ha rilevato che questi ha compiuto una indiscutibile azione di caccia, ad uccelli protetti e in una zona di divieto. In tali circostanze, la sua condanna sarebbe del tutto legittima e anzi, per quel che concerne la multa, persino troppo mite.
C.-
Giuseppe Cornolti impugna la sentenza cantonale mediante un tempestivo ricorso per cassazione al Tribunale federale. Osserva di avere compiuto solo un tentativo di reato e rimprovera all'autorità di avergli inflitto una sanzione gravissima, non proporzionata alla modesta entità dell'infrazione.
D.-
Il Dipartimento dell'economia pubblica del cantone Ticino propone la reiezione del ricorso.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
...
2.
Il ricorrente ammette di aver voluto dar la caccia ad uno stormo di cesene in una zona di divieto. È a ragione non contesta che la caccia a questa specie di uccelli è proibita. Escluse in un primo tempo esplicitamente dalla protezione (v. art. 2 num. 5 della legge federale sulla caccia e la protezione degli uccelli del 10 giugno 1925, nel suo tenore originale), le cesene rientrano infatti ora nella categoria della selvaggina protetta (v. il nuovo testo dell'art. 2 della citata legge, introdotto con la novella legislativa del 23 marzo 1962, nonché l'art. 4 num. 5). Solo, egli adduce di essersi limitato a un tentativo, in seguito al sopraggiungere d'un guardiacaccia, e chiede quindi una condanna più mite.
Giusta l'art. 39 cpv. 3 LCPC, chiunque illecitamente caccia, uccide, cattura o tiene catturati uccelli protetti è punito con la multa da 50 a 400 franchi. Secondo giurisprudenza e dottrina,
BGE 98 IV 138 S. 140
nella nozione di cacciare rientra qualsiasi azione o comportamento atto ad uccidere o a catturare la selvaggina (RU 74 IV 212/213; WAECKERLING, Die Jagdvergehen nach eidgenössischem und kantonalem Recht, p. 108). Non è necessario aver raggiunto il bersaglio. Già chi sta in agguato caccia, e l'intenzione di uccidere o di catturare basta a configurare l'infrazione. Ne consegue che a torto il ricorrente chiede una riduzione della pena per essersi limitato a un "tentativo".
Il ricorso dev'essere quindi respinto, in quanto ricevibile.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è respinto, in quanto ricevibile. | null | nan | it | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7d504b6f-b34a-4b84-b0f7-9266ec0a9faf | Urteilskopf
139 V 574
75. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. K. gegen Gemeinde X., Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_388/2013 vom 10. Dezember 2013 | Regeste
Art. 11 Abs. 1 lit. d und Abs. 3 ELG
; unentgeltliches Wohnen.
Aus der abschliessenden Aufzählung der Tatbestände nicht anrechenbarer Einnahmen in
Art. 11 Abs. 3 lit. a-f ELG
folgt grundsätzlich, dass alle übrigen Leistungen Dritter, die einen substanziellen Beitrag, nicht notwendigerweise in Form finanzieller Mittel, an die Bestreitung der Lebenshaltungskosten der EL-ansprechenden oder -beziehenden Person darstellen, zu berücksichtigen sind, es sei denn, sie lassen sich keinem der in
Art. 11 Abs. 1 lit. a-h ELG
geregelten Sachverhalte zuordnen (i.c. Unentgeltlichkeit des Wohnens bei der Lebenspartnerin als "andere wiederkehrende Leistungen" im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 lit. d ELG
qualifiziert; E. 3.3.3). | Sachverhalt
ab Seite 575
BGE 139 V 574 S. 575
A.
K. bezieht seit Jahren Ergänzungsleistungen (EL), zuerst zur Invalidenrente der Invalidenversicherung, dann zur Altersrente der AHV. Am 19. April 2011 verfügte die Gemeinde X., Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV, einen Auszahlungsstopp ab dem folgenden Monat wegen unklarer Wohnsituation des Bezügers, was sie mit Einspracheentscheid vom 30. Juni 2011 bestätigte.
B.
Die Beschwerde des K. wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. März 2013 ab.
C.
K. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den hauptsächlichen Rechtsbegehren, Gerichtsentscheid und Einspracheentscheid seien aufzuheben, und es seien bei der Berechnung der Höhe der Zusatzleistungen zur AHV ab dem 1. Mai 2011 anerkannte Ausgaben für den Mietzins einer Wohnung und die damit zusammenhängenden Nebenkosten in der Höhe des gesetzlichen Maximalbetrags für alleinstehende Personen zu berücksichtigen; eventualiter sei die Sache an die Durchführungsstelle zur Abklärung und zum Erlass einer neuen Verfügung zurückzuweisen.
Das kantonale Sozialversicherungsgericht und die Gemeinde X. verzichten auf eine Vernehmlassung, desgleichen das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV).
K. hat Unterlagen zum Beleg seiner Bedürftigkeit als Voraussetzung für die beantragte unentgeltliche Rechtspflege eingereicht.
D.
Die II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat am 10. Dezember 2013 eine publikumsöffentliche Beratung durchgeführt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 ELG (SR 831.30) werden bei alleinstehenden Personen der Mietzins einer Wohnung und die damit zusammenhängenden Nebenkosten bis zum jährlichen Höchstbetrag von 13'200 Franken als Ausgabe anerkannt.
3.1
Die Vorinstanz hat zur Begründung, weshalb selbst bei (nachgewiesenem) Wohnsitz in der Gemeinde X. eine Anrechnung von
BGE 139 V 574 S. 576
Mietzinsausgaben für das Wohnen im Einfamilienhaus der Lebenspartnerin ausser Betracht fällt, ausgeführt, von wenigen hier nicht interessierenden Ausnahmen bezüglich Anrechnung von Eigenmietwerten abgesehen sei der Nachweis zu erbringen, dass diese Ausgaben auch tatsächlich getätigt worden seien. Der Beschwerdeführer stelle nicht in Abrede, dass ihm in der Gemeinde X. unter keinem Titel Wohnkosten entstünden bzw. entstanden seien. Insoweit er unentgeltlich habe wohnen können, wären ihm hierfür im Rahmen von Einnahmen die entsprechenden (Natural-)Zuwendungen im Sinne von anderen wiederkehrenden Leistungen (
Art. 11 Abs. 1 lit. d ELG
) als Einnahmen anzurechnen gewesen, da es sich dabei weder um Verwandtenunterstützung nach
Art. 11 Abs. 3 lit. a ELG
i.V.m.
Art. 328 ff. ZGB
noch um private Leistungen mit ausgesprochenem Fürsorgecharakter gemäss
Art. 11 Abs. 3 lit. c ELG
gehandelt habe. Der Beschwerdeführer mache geltend, das Haus seiner Lebensgefährtin sei ein Objekt mit sehr hohem Eigenmietwert, das er hälftig mitbenutze. Die ihm daraus anzurechnende Naturalzuwendung des entgeltfreien Wohnens würde sogar den in Art. 10 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 ELG angegebenen maximalen Mietzinsabzug bei alleinstehenden Personen von Fr. 13'200.- übersteigen.
3.2
Der Beschwerdeführer bringt wie schon im kantonalen Verfahren vor, das Haus seiner Lebenspartnerin stehe in deren Eigentum. Somit sei ihm nach der Rechtsprechung (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 42/06 vom 2. November 2006 E. 5.1.1 und 5.1.2) der anteilige Eigenmietwert als Mietzinsausgabe anzurechnen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz handle es sich im Übrigen beim unentgeltlichen Wohnen bei der Lebenspartnerin in der Gemeinde X. um eine nach
Art. 11 Abs. 3 lit. c ELG
nicht anrechenbare private Leistung mit ausgesprochenem Fürsorgecharakter, jedenfalls soweit diese finanzielle Unterstützung seine Hilfeleistungen in Form von Arbeit im Haushalt und im Garten übersteige. Schliesslich begründe die Vorinstanz nicht, auf Grund welchen Sachverhalts das unentgeltliche Wohnen in der Gemeinde X. bei den Einnahmen als wiederkehrende Leistungen im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 lit. d ELG
anzurechnen wäre.
3.3
3.3.1
Im erwähnten Fall P 42/06 hatte der (entmündigte) EL-Bezüger mit seiner Mutter zusammen gewohnt. Diese hatte an der Wohnliegenschaft ein Nutzniessungsrecht. Dem Sohn waren in der EL-Berechnung bei den anerkannten Ausgaben Bruttomietzinsen
BGE 139 V 574 S. 577
angerechnet worden, obschon er effektiv keine Miete bezahlte und ohne dass es darauf angekommen wäre, ob in diesem Verzicht der Mutter private Leistungen mit ausgesprochenem Fürsorgecharakter im Sinne von Art. 3c Abs. 2 lit. c aELG (heute:
Art. 11 Abs. 3 lit. c ELG
) zu erblicken waren. Mangels einer gesetzlichen Unterhaltspflicht der Mutter war die Unentgeltlichkeit des Wohnens auch nicht bei den Einnahmen nach Art. 3c Abs. 1 aELG (heute:
Art. 11 Abs. 1 ELG
) in Anschlag zu bringen (nicht publ. E. 5.1.1). Im Sinne dieser Rechtsprechung sieht Rz. 3237.02 der Wegleitung des BSV über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL, in der ab 1. April 2011 gültigen Fassung
http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/view/1638
) vor, dass eine Mietzinsausgabe auch in Fällen anzuerkennen ist, in denen versicherte Personen bei nahen Verwandten zu einem Vorzugspreis oder unentgeltlich wohnen können.
Im Unterschied zu dem im Urteil P 42/06 vom 2. November 2006 beurteilten Sachverhalt und zu dem in Rz. 3237.02 WEL geregelten (zweiten) Tatbestand besteht zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Lebenspartnerin keine (enge) verwandtschaftliche Beziehung.
3.3.2
Die Vorinstanz hat den ausgesprochenen Fürsorgecharakter der Unentgeltlichkeit des Wohnens bei der Lebenspartnerin im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 lit. c ELG
verneint, ohne diesbezügliche Tatsachenfeststellungen zu treffen. Ob sie damit Bundesrecht verletzt hat, wie der Beschwerdeführer sinngemäss rügt, kann offenbleiben. Nach der auch in der Beschwerde erwähnten Rechtsprechung haben nur diejenigen Leistungen ausgesprochenen Fürsorgecharakter, die freiwillig und auf Zusehen hin gewährt werden und jedes Mal oder zumindest periodisch der Hilfsbedürftigkeit des Bezügers angepasst werden (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 60/01 vom 7. August 2002 E. 1 mit Hinweisen; ZAK 1986 S. 67, P 4/84 E. 2a). Diese Voraussetzung ist mit Bezug auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer seiner Lebenspartnerin keine Miete bezahlen muss, nicht gegeben. Weder die von ihm erwähnten Präjudizien des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen noch die zitierte Lehrmeinung (RALPH JÖHL, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1702) geben zu einer anderen Betrachtungsweise Anlass.
3.3.3
Wird - nach dem bisher Gesagten trotzdem - eine Mietzinsausgabe für das Wohnen im Einfamilienhaus der Lebenspartnerin angerechnet, ist im Gegenzug deren Verzicht auf Bezahlung eines
BGE 139 V 574 S. 578
Entgelts als "andere wiederkehrende Leistungen" im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 lit. d ELG
zu berücksichtigen (vgl. auch SVR 2010 EL Nr. 1 S. 1, 9C_202/2009 E. 3.2 und 5.1, wonach bei einem dinglichen oder obligatorischen Nutzniessungs- und Wohnrecht von Einkünften aus unbeweglichem Vermögen nach
Art. 11 Abs. 1 lit. b ELG
auszugehen ist). Grundsätzlich ist daraus, dass die Aufzählung der Tatbestände nicht anrechenbarer Einnahmen in
Art. 11 Abs. 3 lit. a-f ELG
abschliessend ist (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 60/01 vom 7. August 2002 E. 1 mit Hinweisen), zu folgern, dass alle übrigen Leistungen Dritter, die einen substanziellen Beitrag, nicht notwendigerweise in Form finanzieller Mittel, an die Bestreitung der Lebenshaltungskosten der EL-ansprechenden oder -beziehenden Person darstellen, zu berücksichtigen sind, es sei denn, sie lassen sich keinem der in
Art. 11 Abs. 1 lit. a-h ELG
geregelten Sachverhalte zuordnen. Dies entspricht auch Sinn und Zweck der Ergänzungsleistungen, nämlich der angemessenen Deckung des Existenzbedarfs bedürftiger Rentner der Alters- und Hinterlassenen- sowie der Invalidenversicherung (
BGE 131 V 263
E. 5.2.3 S. 268; SVR 2011 EL Nr. 4 S. 11, 9C_329/2010 E. 3.1). Dementsprechend sind nach Rz. 3455.01 WEL grundsätzlich alle wiederkehrenden Leistungen, die nicht unter
Art. 11 Abs. 3 ELG
fallen, vollumfänglich als Einnahmen anzurechnen, gleichgültig, ob es sich um Geld- oder um Naturalleistungen handelt. Darunter fällt auch der (regelmässige) Verzicht des Vermieters bzw. Eigentümers einer Wohnung oder eines Hauses auf die Bezahlung eines Entgelts (Miete) für die Benützung der Liegenschaft, insbesondere fürs Wohnen. Dabei ist in betraglicher Hinsicht der im Wohnsitzkanton geltende (ungekürzte) steuerrechtliche Mietwert massgebend (vgl.
Art. 12 Abs. 1 ELV
[SR 831.301] und
BGE 138 V 9
).
Gemäss Beschwerdeführer ist davon auszugehen, dass die - ihm als Einnahme anzurechnende - Hälfte des Mietwerts der Wohnliegenschaft seiner Lebenspartnerin (
Art. 16c ELV
; Urteil P 42/06 vom 2. November 2006 E. 5.1.2 mit Hinweisen) den maximal zulässigen Mietzinsabzug von Fr. 13'200.- nach Art. 10 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 ELG übersteigt. (...) | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7d50a4c9-19d5-4aaf-8444-be24a6b10e86 | Urteilskopf
80 IV 170
34. Urteil des Kassationshofes vom 4. Oktober 1954 i. S. Faehndrich gegen Rätz. | Regeste
Art. 186 StGB
.
Ist der Vormund des Wohnungsinhabers "Berechtigter"? | Erwägungen
ab Seite 170
BGE 80 IV 170 S. 170
Nach
Art. 186 StGB
macht sich des Hausfriedensbruches schuldig, wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung des Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt.
Streitig ist im vorliegenden Falle einzig, ob der Vormund der Frau Marie Faehndrich befugt war, deren Sohn Hermann Faehndrich das Betreten des Hauses zu verbieten. Trifft das zu, so ist der Beschwerdeführer gegen den Willen des Berechtigten in das Haus eingedrungen und trotz Aufforderung des Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt. Dass beides unrechtmässig geschah, wenn dem Vormund das Verbot zustand, wird mit Recht nicht bestritten.
Das Hausrecht ist Bestandteil der persönlichen Freiheiten (HAFTER; Lehrbuch, bes. Teil I S. 108 f.) und gehört zweifellos zu den höchstpersönlichen Rechten im Sinne von
Art. 19 Abs. 2 ZGB
, die der urteilsfähige Entmündigte ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters ausüben kann. Diese Freiheit erleidet jedoch eine Einschränkung durch die Fürsorgepflicht des Vormundes. Nach
Art. 406 ZGB
hat der Vormund dem Bevormundeten in allen persönlichen Angelegenheiten Schutz und Beistand zu gewähren, was nötigenfalls die Unterbringung in einer
BGE 80 IV 170 S. 171
Anstalt einschliesst. Um die gelähmte alte Mutter vor den Beschimpfungen, Skandalszenen und Tätlichkeiten des Beschwerdeführers zu schützen, wäre demnach der Vormund nötigenfalls befugt gewesen, sie in einer Anstalt unterzubringen. A fortiori durfte er vom näherliegenden und weniger weit gehenden Mittel Gebrauch machen, dem Beschwerdeführer das Haus zu verbieten.
Der Zustimmung der Vormundschaftsbehörde bedurfte es zu dieser Massnahme nicht (vgl.
Art. 421 ZGB
). Übrigens hat der Vormund der Vormundschaftsbehörde vom Verbot sofort Kenntnis gegeben und diese hat es jedenfalls stillschweigend genehmigt. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7d52252f-0c18-4fa8-9878-a00c07e65013 | Urteilskopf
119 Ib 222
27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. August 1993 i.S. WWF Schweiz und Schweizerischer Bund für Naturschutz gegen Flugschule Pilatus AG, Gemeinde Ingenbohl und Regierungsrat des Kantons Schwyz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 22 bzw. 24 RPG; Baubewilligungspflicht für einen Hängegleiterlandeplatz.
Die Luftfahrtsgesetzgebung, insbesondere die Verordnung über die Hängegleiter und bestimmte andere Luftfahrzeuge vom 14. März 1988 (SR 748.941), enthält keine Regelung über die Bewilligungspflicht von Hängegleiterlandeplätzen; diese richtet sich nach Art. 22 bzw. 24 RPG (E. 2).
Die Benützung eines Landstücks als Hängegleiterlandeplatz untersteht dann der Baubewilligungspflicht, wenn sie in einer organisierten und auf die Dauer ausgerichteten Weise erfolgt und deshalb erhebliche Auswirkungen auf die raumplanerische Nutzungsordnung und die vorhandene Infrastruktur hat (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 223
BGE 119 Ib 222 S. 223
Die Flugschule Pilatus AG betreibt in der Gemeinde Ingenbohl eine Schule zur Ausbildung von Hängegleiterpiloten. Sie benützt als Landeplatz eine Wiese im Gebiet Hopfräben in der Nähe der Mündung der Muota in den Vierwaldstättersee. Daran angrenzend befindet sich ein Flachmoor, das der Entwurf des Eidgenössischen Departements des Innern als Objekt von nationaler Bedeutung einstuft.
Die Gemeinde Ingenbohl erliess am 23. September 1990 für das Gebiet Hopfräben einen Teilzonenplan und eine dazugehörige Schutzverordnung. Der Hängegleiterlandeplatz der Flugschule Pilatus AG liegt in der Landschaftsschutzzone. Seine Lage ist im Plan mit einer besonderen Signatur eingezeichnet. Das angrenzende Flachmoor ist der Naturschutzzone zugewiesen. Für dessen Schutz statuiert der Teilzonenplan für einen zehn Meter breiten Streifen im westlichen Teil des Landeplatzes ein Düngeverbot.
Auf Ersuchen des WWF, Sektion Schwyz, stellte der Gemeinderat Ingenbohl am 2. Dezember 1991 fest, dass für die Signalisation des Landeplatzes für Hängegleiter im Schutzgebiet Hopfräben eine Baubewilligung nach § 75 des Planungs- und Baugesetzes vom 14. Mai 1987 (PBG) und Art. 22 bzw. 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG; SR 700) nicht erforderlich sei. Eine vom WWF Schweiz, WWF Schwyz sowie vom Schweizerischen Bund für Naturschutz (SBN) und Schwyzer Naturschutzbund (SNB) gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Schwyz am 7. Juli 1992 ab, soweit er darauf eintrat.
Der WWF Schweiz und der SBN haben gegen den Entscheid des Regierungsrats vom 7. Juli 1992 eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Sie stellen den Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Nach Auffassung der beschwerdeführenden Verbände verletzt der Entscheid des Regierungsrats
Art. 24 RPG
sowie die bundesrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Moore.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
BGE 119 Ib 222 S. 224
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Nach
Art. 34 Abs. 1 RPG
ist gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Bewilligungen im Sinne von
Art. 24 RPG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig.
Art. 24 RPG
regelt nicht nur die Voraussetzungen, unter denen eine Ausnahmebewilligung erteilt werden darf, sondern bestimmt ebenfalls den Umfang der Baubewilligungspflicht für nicht zonenkonforme Bauvorhaben ausserhalb der Bauzone (
BGE 118 Ib 51
E. 1a).
Der Regierungsrat hat im angefochtenen Entscheid als letzte kantonale Instanz darüber befunden, ob für den umstrittenen Hängegleiterlandeplatz eine Baubewilligung erforderlich sei. Er hat damit zugleich darüber entschieden, ob allenfalls die Voraussetzungen von
Art. 24 RPG
beachtet werden müssen, da der Landeplatz nach Auffassung der Beschwerdeführer nicht zonenkonform ist und ausserhalb der Bauzone liegt. Dieser Entscheid ist nach den erwähnten Grundsätzen mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar.
b) Nach Art. 12 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG) sind die gesamtschweizerischen ideellen Vereinigungen des Natur- und Heimatschutzes zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen kantonale Entscheide befugt, die in Erfüllung einer Bundesaufgabe im Sinne von
Art. 24sexies BV
und
Art. 2 NHG
ergangen sind (
BGE 118 Ib 15
f. E. 2e;
BGE 117 Ib 100
;
BGE 116 Ib 121
ff. E. 2b, 207 E. 3a). Die Beschwerdelegitimation besteht aber nur, wenn sich die beschwerdeberechtigten Organisationen mindestens am Verfahren vor der letzten kantonalen Instanz beteiligt haben (
BGE 117 Ib 274
E. 1a;
BGE 116 Ib 121
ff. E. 2b, 426 ff. E. 3, 467 E. 2b). Die gesamtschweizerischen Vereinigungen können sich dabei im kantonalen Verfahren durch die örtlichen oder regionalen Sektionen vertreten lassen (
BGE 117 Ib 140
;
BGE 116 Ib 431
).
Die Beschwerdeführer rügen, der angefochtene Entscheid verletze
Art. 24 RPG
und die Vorschriften über den Moorschutz (
Art. 24sexies Abs. 5 BV
und Art. 29 Abs. 1 lit. a und Art. 14 Abs. 2 lit. d der Verordnung über den Natur- und Heimatschutz vom 16. Januar 1991 [NHV]). Die Anwendung dieser Bestimmungen stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine Bundesaufgabe im Sinne von
Art. 24sexies Abs. 2 BV
und
Art. 2 NHG
dar (
BGE 117 Ib 100
, 274 E. 1a;
BGE 116 Ib 121
f. E. 2b). Da sie sich zudem am Verfahren vor dem Regierungsrat beteiligt haben, sind sie zur Beschwerdeführung berechtigt.
BGE 119 Ib 222 S. 225
c) Die übrigen Voraussetzungen für die Erhebung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind ebenfalls erfüllt. Auf das Rechtsmittel ist daher einzutreten.
2.
Die Einrichtung eines Landeplatzes für Hängegleiter berührt sowohl den Bereich der Luftfahrt als auch jenen des Raumplanungs- und Baurechts. Es ist daher zuerst zu prüfen, welche Vorschriften die Frage regeln, ob für die Einrichtung eines Hängegleiterlandeplatzes eine Baubewilligung erforderlich ist.
a) Nach
Art. 37ter BV
ist die Luftschiffahrt Sache des Bundes. Es handelt sich um eine umfassende, aber nicht eine ausschliessliche Bundeskompetenz. Die kantonalen Kompetenzen im Gebiet der Raumplanung und des Baurechts werden dadurch allerdings grundsätzlich nicht beschnitten, auch wenn sie die gleiche Sache - wie z.B. die Anlage eines Flugfelds, eines Fallschirm- oder Hängegleiterlandeplatzes - betreffen. Bei der Ausübung der Bundeskompetenzen ist deshalb das kantonale Recht grundsätzlich zu respektieren. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Spezialgesetzgebung des Bundes ausdrücklich von der Einhaltung der kantonalen Vorschriften befreit (
BGE 102 Ia 360
E. 6d; Urteil des Bundesgerichts vom 25. Juni 1986 in ZBl 89/1988 67 f. E. 3c und 70 E. 4a; vgl. auch
BGE 111 Ib 106
).
b) Hängegleiter zählen zu den der Luftfahrtsgesetzgebung unterstellten Fluggeräten gemäss Art. 1 der Verordnung über die Luftfahrt vom 14. November 1973 (LFV; SR 748.01). Die Verordnung über Hängegleiter und bestimmte andere Luftfahrzeuge vom 14. März 1988 (VHG; SR 748.941) stellt einzelne Vorschriften über den Betrieb derselben auf. Nach Art. 9 Abs. 2 besteht für Landungen kein Flugplatzzwang, es bleiben jedoch die Rechte der an einem Grundstück Berechtigten auf Abwehr von Besitzesstörungen und Ersatz ihres Schadens vorbehalten. Auf öffentlichen Strassen und Skipisten sind Landungen untersagt (
Art. 9 Abs. 3 VHG
). Wie das Bundesamt für Zivilluftfahrt in seiner Vernehmlassung ausführt, unterstehen Hängegleiterlandeplätze nicht der Bundesaufsicht.
Über die Bewilligungspflicht von Landeplätzen für Hängegleiter enthält die Luftfahrtsgesetzgebung des Bundes keine Spezialbestimmungen, die den Vorrang vor dem eidgenössischen und kantonalen Raumplanungs- und Baurecht beanspruchen würden. Nach dessen Vorschriften ist daher zu prüfen, ob für die Einrichtung eines Hängegleiterlandeplatzes eine Baubewilligung erforderlich ist. Wie das Bundesgericht bereits früher entschieden hat, sind auch bei der Anlage eines Flugfelds oder eines Fallschirmlandeplatzes die
BGE 119 Ib 222 S. 226
Vorschriften des eidgenössischen und kantonalen Raumplanungsrechts zu beachten (
BGE 102 Ia 358
ff. E. 6; Urteil vom 25. Juni 1986 in ZBl 89/1988 70 ff. E. 4). Dagegen regelt das Luftfahrtsrecht des Bundes den Bau einer Flugsicherungsanlage abschliessend, da deren Standort weitgehend technisch und operationell bedingt ist (Urteil vom 27. Oktober 1982 in ZBl 84/1983 368 f. E. 3).
3.
Nach den Art. 22 bzw. 24 RPG dürfen Bauten und Anlagen inner- und ausserhalb der Bauzonen nur mit behördlicher Bewilligung errichtet werden. Das kantonale Recht darf den Kreis der nach diesen Bestimmungen bewilligungspflichtigen Bauten und Anlagen nicht einschränken. Es fragt sich, ob für den Hängegleiterplatz im Gebiet Hopfräben nach Art. 22 bzw. 24 RPG eine Baubewilligung erforderlich ist.
a) Der bundesrechtliche Begriff "Bauten und Anlagen" ist vom Gesetzgeber nicht näher umschrieben worden. Nach der Rechtsprechung gelten als "Bauten und Anlagen" jedenfalls jene künstlich geschaffenen und auf Dauer angelegten Einrichtungen, die in bestimmter fester Beziehung zum Erdboden stehen und die Nutzungsordnung zu beeinflussen vermögen, weil sie entweder den Raum äusserlich erheblich verändern, die Erschliessung belasten oder die Umwelt beeinträchtigen. Dazu gehören auch Fahrnisbauten, welche über nicht unerhebliche Zeiträume ortsfest verwendet werden (
BGE 118 Ib 9
f. E. 2c, 51 f. E. 2;
BGE 113 Ib 315
f. E. 2b).
Neben den eigentlichen baulichen Vorrichtungen nimmt die bundesgerichtliche Rechtsprechung die Bewilligungspflicht auch für blosse Geländeveränderungen an, wenn diese erheblich sind. Eine Baubewilligung ist daher in der Regel erforderlich für die Betreibung einer Kies- oder Lehmgrube, für die Anlage eines Golfplatzes oder für die Aufschüttung für einen Autoabstellplatz (
BGE 114 Ib 313
f. E. 2 mit Hinweisen auf weitere Urteile). Ausschlaggebend für die Bejahung der Bewilligungspflicht ist dabei nicht allein die Veränderung des Terrains durch Abtragung, Auffüllung oder andere Massnahmen. Es kommt vielmehr auf die räumliche Bedeutung eines Vorhabens insgesamt an. Die Baubewilligungspflicht soll der Behörde die Möglichkeit verschaffen, das Bauprojekt vor seiner Ausführung auf die Übereinstimmung mit der raumplanerischen Nutzungsordnung und der übrigen einschlägigen Gesetzgebung zu überprüfen. Massstab dafür, ob eine Massnahme erheblich genug ist, um sie dem Baubewilligungsverfahren zu unterwerfen, ist daher, ob damit im allgemeinen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, so wichtige räumliche Folgen verbunden sind, dass ein Interesse der
BGE 119 Ib 222 S. 227
Öffentlichkeit oder der Nachbarn an einer vorgängigen Kontrolle besteht.
Aus diesen Gründen hat das Bundesgericht beispielsweise die Einholung einer Baubewilligung für die Erstellung einer Wasserski-Anlage verlangt (
BGE 114 Ib 87
f. E. 3). Es hat ferner erklärt, die zonenwidrige Nutzung von ausserhalb der Bauzone gelegenem Land zu gewerblichen Zwecken wie etwa als Lagerplatz für Altmaterialien oder als Motocrosstrainingsgelände bedürfe einer Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
(vgl.
BGE 112 Ib 277
ff. und nicht veröffentlichtes Urteil vom 22. April 1988 i.S. Möckli). Der Baubewilligungspflicht gemäss
Art. 24 RPG
unterstehen somit auch blosse Nutzungsänderungen, die ohne bauliche Vorkehrungen auskommen, wenn diese erhebliche Auswirkungen auf Umwelt und Planung haben (
BGE 113 Ib 223
).
b) Die von der Flugschule Pilatus AG als Hängegleiterlandeplatz benutzte Wiese ist weder künstlich geschaffen worden, noch befinden sich darauf irgendwelche auf die Dauer angelegte Einrichtungen, die mit dem Erdboden in fester Verbindung stehen. Der Landekreis ist lediglich mit einigen lose eingesteckten Fähnchen signalisiert, und in dessen Nähe befindet sich eine Stange mit einem Windsack. Das Bundesgericht hat bereits früher entschieden, dass für das Aufstellen dieser Hilfsmittel für sich allein betrachtet eine Baubewilligung nicht erforderlich ist (Urteil vom 25. Juni 1988 in ZBl 89/1988 70).
Im vorliegenden Fall steht indessen nicht die Baubewilligungspflicht für die Landemarkierungen und die Stange mit dem Windsack, sondern für den ganzen Landeplatz als solchen zur Diskussion. Die regelmässige Benützung einer bisher hauptsächlich landwirtschaftlich genutzten Wiese für gewerbliche Zwecke oder für intensive Freizeitaktivitäten hat häufig erhebliche Auswirkungen auf das sie umgebende Gebiet und die vorhandene Infrastruktur, so dass eine vorgängige Kontrolle durch die zuständigen Behörden nötig ist (vgl.
BGE 114 Ib 314
E. 2c). Dass der Betrieb des Hängegleiterlandeplatzes der Flugschule Pilatus AG nicht ohne Folgen für die nähere Umgebung bleibt, liegt auf der Hand und wird von keiner Seite bestritten. Besonders ins Gewicht fällt, dass die Landungen in unmittelbarer Nähe eines bedeutenden Flachmoors stattfinden und dadurch allenfalls dessen Vegetation und vor allem dessen Tierwelt beeinträchtigen könnten. Überdies führt der Landeplatz zu zusätzlichem Verkehr auf den heranführenden Strassen, und es wird eine angemessene Anzahl von Parkplätzen in der Umgebung benötigt.
BGE 119 Ib 222 S. 228
Die Beschwerdegegnerin wendet allerdings ein, das Gebiet Hopfräben werde schon seit Jahrzehnten auf die vielfältigste Weise zu Freizeitzwecken (Baden, Campieren, Spazieren, Hundezucht, Modellfliegerei, Anlagestelle für Motor- und Segelboote) benutzt, weshalb die Verwendung als Hängegleiterlandeplatz keine bewilligungspflichtige Nutzungsänderung darstelle. Auch wenn es zutreffen mag, dass die fragliche Fläche schon seit längerem auch Erholungszwecken dient, so ist es gleichwohl offensichtlich, dass ein Hängegleiterlandeplatz mehr Raum benötigt und eine intensivere Nutzung des Landes bewirkt als die meisten von der Beschwerdegegnerin angeführten übrigen Freizeitaktivitäten, die im übrigen auch nicht alle ohne weiteres bewilligungsfrei ausgeübt werden dürfen. Er beansprucht mit einer Fläche von 8960 m2 einen grossen Teil des der Landschaftsschutzzone zugewiesenen Areals zwischen der Muota und dem als Naturschutzzone ausgeschiedenen Flachmoor, und seine Begrenzung ist auf dem Teilzonenplan Hopfräben speziell eingezeichnet. Der Flugschulbetrieb erfolgt nicht nur sporadisch, sondern mit einer gewissen - zwar vom Wetter abhängigen - Regelmässigkeit, und die Nutzung des fraglichen Landes als Hängegleiterlandeplatz ist auf die Dauer ausgerichtet.
Die genannten Faktoren zeigen, dass das fragliche Landstück durch die Verwendung als Hängegleiterlandeplatz einer neuen, organisierten und auf die Dauer ausgerichteten Nutzung zugeführt wird, welche im Blick auf die bedeutenden Auswirkungen auf die Umgebung - insbesondere das benachbarte Flachmoor - und die Infrastruktur nach Art. 22 bzw. 24 RPG einer Baubewilligung bedarf. Der angefochtene Entscheid hat somit die Bewilligungspflicht für den Hängegleiterlandeplatz zu Unrecht verneint.
Es sei beigefügt, dass der erstinstanzliche Entscheid des Gemeinderats Ingenbohl hinsichtlich des Bestehens der Bewilligungspflicht widersprüchlich ist. In Ziff. 1 verneint er zwar eine solche, in Ziff. 2 stellt er dagegen der Flugschule Pilatus AG für den Landeplatz eine Bewilligung unter der Voraussetzung in Aussicht, dass ein befriedigender Vertrag mit der Gemeinde Ingenbohl abgeschlossen werden könne. Offensichtlich hat auch der Gemeinderat Ingenbohl erkannt, dass der Betrieb des umstrittenen Hängegleiterlandeplatzes wegen seiner Auswirkungen auf die Umgebung und die Infrastruktur einer vorgängigen behördlichen Kontrolle in einem Bewilligungsverfahren bedarf.
4.
Der angefochtene Entscheid verletzt somit Bundesrecht und ist in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufzuheben.
BGE 119 Ib 222 S. 229
Da der Sachverhalt noch nicht ausreichend feststeht, um über die Bewilligungsfähigkeit des umstrittenen Landeplatzes befinden zu können, ist die Angelegenheit an die Vorinstanz zur weiteren Behandlung zurückzuweisen (
Art. 114 Abs. 2 OG
). Zu beachten ist, dass sich mit der Bejahung der Bewilligungspflicht auch die den Beschwerdeführern im Beschluss des Gemeinderats vom 2. Dezember 1991 auferlegte Behandlungsgebühr nicht mehr rechtfertigt.
An erster Stelle werden die kantonalen Behörden im durchzuführenden Baubewilligungsverfahren zu untersuchen haben, ob der Hängegleiterlandeplatz als zonenkonform angesehen werden kann oder ob dafür eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
erforderlich ist. Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin ist die Zonenkonformität zu bejahen, da die Grenzen des Hängegleiterlandeplatzes im Teilzonenplan Hopfräben eingezeichnet seien. Die zum Plan gehörende Schutzverordnung erwähnt indessen in Art. 2 lediglich drei Zonen (Wasser-, Naturschutz- und Landschaftsschutzzone) und trifft bezüglich des in der Landschaftsschutzzone gelegenen Hängegleiterlandeplatzes keine besondere Regelung. In der Botschaft des Gemeinderats zum Teilzonenplan wird zudem ausdrücklich erklärt, die neben den drei erwähnten Zonen auf dem Plan vermerkten Angaben hätten "anweisenden oder informativen Charakter". Die im Teilzonenplan enthaltene Signatur "Hängegleiterlandeplatz" kann daher kaum als planungsrechtliche Festlegung einer besonderen Nutzung aufgefasst werden, so dass für den umstrittenen Landeplatz eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
nötig sein dürfte. Bei der Prüfung von deren Voraussetzungen wird vor allem dem Schutz des benachbarten Flachmoors (vgl.
Art. 24sexies Abs. 5 BV
und
Art. 29 Abs. 1 lit. a sowie
Art. 14 Abs. 2 lit. d NHV
) Rechnung zu tragen sein. Soweit erforderlich sind zur Abklärung des Sachverhalts Fachleute beizuziehen. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7d5725a6-c5f8-485e-8cfe-81341238ff46 | Urteilskopf
108 Ib 215
39. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Juli 1982 i.S. Bau und Touristik AG gegen Rekurskommission für Grunderwerb durch Personen im Ausland des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Zuständigkeit der beschwerdeberechtigten kantonalen Behörde (Art. 10 lit. b Art. 22 BB über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland; BewB; SR 211.412.41; § 9 der zürcherischen V zum BB über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 25. Mai 1961).
Die beschwerdeberechtigte kantonale Behörde im Sinne von
Art. 10 lit. b BewB
darf Erwerber von Grundstücken und anderen damit im Zusammenhang stehenden Rechten schon von Bundesrechts wegen dazu verpflichten, das Rechtsgeschäft noch nachträglich und innert Frist der Bewilligungsbehörde vorzulegen. | Sachverhalt
ab Seite 216
BGE 108 Ib 215 S. 216
Die Bau und Touristik AG erwarb nach ihren eigenen Angaben im Jahre 1974 oder 1975, jedenfalls aber nach dem Inkrafttreten des BB über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961/21. März 1973 (BewB; SR 211.412.41) am 1. Februar 1974, von Stefan Götz einen Inhaberschuldbrief mit einem Nennwert von Fr. 800'000.-- im 1. Rang, datiert vom 11. Juni 1974, lastend auf verschiedenen Miteigentumsanteilen des Verkäufers an der Liegenschaft Kat. Nr. 3687 des Grundbuches Wollishofen - Zürich an der Nidelbadstrasse 75 in Zürich.
Namentlich aufgrund dreier früherer Verwaltungsgerichtsbeschwerden der Bau und Touristik AG, über welche das Bundesgericht am 5. März 1981 entschieden hatte und die zum Ergebnis führten, dass die Grundstücksgeschäfte der Beschwerdeführerin in der Schweiz "offensichtlich darauf gerichtet" waren, "die Bestimmungen über den Grunderwerb durch Personen im Ausland zu umgehen" (vgl. dazu
BGE 107 Ib 18
E. 3), entstand bei der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich als beschwerdeberechtigte Behörde im Sinne von
Art. 10 lit. b BewB
der Verdacht, dass auch das vorliegende Rechtsgeschäft widerrechtlich sein könnte; dies umso mehr, als die Abwicklung des hier strittigen Schuldbriefgeschäftes gleich erfolgte wie die früheren. Mit Verfügung vom 12. Oktober 1981 erkannte die Volkswirtschaftsdirektion daher:
"1. Die Bau und Touristik AG, Brünigstrasse, 6074 Giswil, wird aufgefordet, innert 30 Tagen seit Empfang dieser Verfügung dem Bezirksrat Zürich als zuständiger Bewilligungsbehörde ein Gesuch gemäss Bundesbeschluss über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961 zu stellen entweder auf Feststellung, dass eine Bewilligungspflicht für den Erwerb des Inhaberschuldbriefes über Fr. 800'000.-- (...) nicht bestehe, oder auf Erteilung einer Bewilligung zum Erwerb dieses Inhaberschuldbriefes.
2. Die Anordnung vorsorglicher Massnahmen bleibt vorbehalten.
3. Diese Verfügung unterliegt im Rahmen des Art. 17 Abs. 2
BGE 108 Ib 215 S. 217
und 4 des Bundesbeschlusses über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961 innert 10 Tagen seit ihrer Eröffnung der Beschwerde an die kantonale Rekurskommission für Grunderwerb durch Personen im Ausland (...)."
Die gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde wurde von der Rekurskommission des Kantons Zürich für den Grunderwerb durch Personen im Ausland mit Entscheid vom 22. Februar 1982 abgewiesen.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 30. März 1982 beantragt die Bau und Touristik AG dem Bundesgericht:
"1. Es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass die Vorinstanz zum Erlass des angefochtenen Entscheides nicht gefugt ist, insbesondere nicht der B+T als Sanktion für die Nichtbefolgung der Aufforderung der Volkswirtschaftsdirektion des Kt. Zürich vom 12.10.81 die Nichtigkeit erworbener Rechte anzudrohen, bzw. zu statuieren, alles unter den üblichen Folgen.
2. Es sei der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu gewähren."
Mit Präsidialverfügung vom 21. April 1982 hat das Bundesgericht der Beschwerde die anbegehrte aufschiebende Wirkung gewährt. Die Beschwerdeführerin erhebt keine ausdrücklichen Rügen im Sinne von
Art. 104 OG
. Auf ihre einzelnen Vorbringen wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Die Direktion der Volkswirtschaft hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Dagegen beantragt die Rekurskommission des Kantons Zürich für Grunderwerb durch Personen im Ausland sowie das Bundesamt für Justiz die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden Erwägungen:
2.
Im vorliegenden Fall ist einzig zu entscheiden, ob die Direktion der Volkswirtschaft als beschwerdeberechtigte kantonale Behörde zum Erlass der Verfügung vom 12. Oktober 1981 befugt war.
a) Die verschiedenen Zuständigkeiten der beschwerdeberechtigten Behörde werden in
Art. 10 lit. b BewB
aufgezählt. Zwar wird in dieser Bestimmung die Befugnis der beschwerdeberechtigten Behörde, Erwerber von Grundstücken und anderen damit im Zusammenhang stehenden Rechten, die allenfalls einer Erwerbsbewilligung bedürften, zu verpflichten, das von ihnen abgeschlossene Rechtsgeschäft innert Frist der Bewilligungsbehörde vorzulegen, nicht ausdrücklich genannt, doch ergibt sich diese Befugnis
BGE 108 Ib 215 S. 218
logisch aus der dem Bewilligungsbeschluss zugrunde liegenden Systematik.
Nach
Art. 17 Abs. 1 lit. c BewB
ist die beschwerdeberechtigte kantonale Behörde befugt, gegenüber allen in
Art. 15 Abs. 1 BewB
genannten, an Grundstücksgeschäften beteiligten Personen die Auskunfts- und Editionspflicht geltend zu machen; ausserdem ermächtigt sie
Art. 17 Abs. 1 lit. c BewB
ausdrücklich, "je nach dem Ergebnis" ihrer Ermittlungen, die Sache der (erstinstanzlichen) Bewilligungsbehörde zu überweisen (vgl. dazu auch
BGE 106 Ib 91
E. 2a). Es ist deshalb selbstverständlich, dass die beschwerdeberechtigte kantonale Behörde die Sache auch dann der Bewilligungsbehörde überweisen kann, wenn sie nicht in Ausübung ihrer Auskunfts- und Editionsbefugnis, sondern, wie im vorliegenden Fall, auf andere Weise zum Ergebnis gelangt, dass ein bestimmtes Geschäft der Bewilligungspflicht unterstehen könnte. Sonst würde eine der Hauptaufgaben der beschwerdeberechtigten kantonalen Behörde selbst in Frage gestellt: Nach
Art. 10 lit. b BewB
in Verbindung mit
Art. 22 Abs. 1 BewB
klagt die beschwerdeberechtigte kantonale Behörde beim Zivilrichter auf Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes, wenn jemand ein Recht, dessen Erwerb der Bewilligung bedarf, aus einem mangels Bewilligung unwirksamen oder nichtigen Rechtsgeschäft erworben hat. Es ist klar, dass die Ausübung dieser Befugnis zunächst den Entscheid der Bewilligungsbehörde darüber voraussetzt, ob das strittige Geschäft überhaupt der Bewilligungspflicht unterliegt und ob die Bewilligung alsdann zu verweigern ist. Hat aber die beschwerdeberechtigte Behörde wie im vorliegenden Fall einen begründeten Verdacht, dass ein bestimmtes Geschäft unter Verletzung der Bundesgesetzgebung über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland durchgeführt wurde, so ist sie für die Durchsetzung ihrer Befugnisse nach
Art. 22 BewB
nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, den Erwerber zur Einholung eines entsprechenden Entscheides der Bewilligungsbehörde zu verhalten. Der gleiche Schluss ergibt sich schliesslich auch aus
Art. 22 Abs. 2 lit. c BewB
. Danach entfällt das Klagerecht zur Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes gegenüber dem Erwerber, der auf Androhung der Klage "nachträglich um Bewilligung nachsucht und diese in der Folge erhält". Genau die Abklärung dieser Frage bezweckt aber die Verfügung der Direktion der Volkswirtschaft des Kantons Zürich.
b) Es ist schliesslich darauf hinzuweisen, dass § 9 der zürcherischen
BGE 108 Ib 215 S. 219
Verordnung zum BB über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 25. Mai 1961 der Direktion der Volkswirtschaft ebenfalls nicht nur die Befugnis einräumt, sondern ausdrücklich die Pflicht auferlegt, dem Erwerber vor Anhebung der Klage auf Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes "vorerst Frist zur nachträglichen Einholung der erforderlichen Bewilligung anzusetzen". Die Direktion der Volkswirtschaft hat aber mit ihrer Verfügung nichts anderes getan, als die ihr in § 9 der genannten Verordnung auferlegte Pflicht erfüllt. Aus den oben in Erwägung 2a angestellten Überlegungen ergibt sich schliesslich auch noch die Bundesrechtskonformität von § 9.
c) Die Beschwerdeführerin verlangt in ihrem Rechtsbegehren im übrigen noch, es sei festzustellen, dass die Vorinstanz nicht befugt sei, "als Sanktion für die Nichtbefolgung der Aufforderung der Volkswirtschaftsdirektion (...) die Nichtigkeit erworbener Rechte anzudrohen (...)". Die Verfügung der Volkswirtschaftsdirektion sagt indessen überhaupt nichts über die von der Beschwerdeführerin erwähnte Sanktion. Es ist zwar klar, dass sich die Volkswirtschaftsdirektion als beschwerdeberechtigte kantonale Behörde in ihrer Verfügung implizite das Recht vorbehielt, auf Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes zu klagen, wenn die Beschwerdeführerin die ihr angesetzte Frist unbenützt verstreichen liesse; damit erfüllte die Volkswirtschaftsdirektion aber nur ihre Pflichten gemäss
Art. 22 Abs. 1 BewB
und § 9 der bereits zitierten kantonalen Verordnung. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7d5cbab8-366c-4034-b22e-cc3cbbc804f8 | Urteilskopf
103 Ib 82
16. Urteil des Kassationshofes vom 20. Juni 1977 i.S. Widmer gegen Jugendstaatsanwalt des Kantons Zürich | Regeste
Art. 93bis Abs. 2 und
Art. 93ter Abs. 2 StGB
.
Jugendliche, die zur Durchführung einer Erziehungsmassnahme gestützt auf
Art. 93bis Abs. 2 StGB
in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen wurden, sich aber der Anstaltsdisziplin beharrlich widersetzen, dürfen bis zur Schaffung einer geschlossenen Arbeitserziehungsanstalt in analoger Anwendung des
Art. 100bis Ziff. 4 StGB
in eine Strafanstalt versetzt werden. | Sachverhalt
ab Seite 83
BGE 103 Ib 82 S. 83
Widmer war vom Obergericht des Kantons Zürich am 5. Juli 1976 der wiederholten und fortgesetzten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig erklärt und in Anwendung von
Art. 91 Ziff. 2 StGB
in ein Erziehungsheim für Jugendliche eingewiesen worden. Da er sich in einem Schülerinternat als untragbar erwies, versetzte ihn die Jugendanwaltschaft des Bezirkes Zürich gemäss
Art. 93bis Abs. 2 StGB
in eine Arbeitserziehungsanstalt. Dort entwich er dreimal, zuletzt in der Absicht, sich ins Ausland abzusetzen, worauf die Jugendanwaltschaft am 18. Februar 1977 gestützt auf
Art. 93ter Abs. 2 StGB
und
Art. 7 VStGB 1
seine Einweisung in die Strafanstalt Regensdorf anordnete und eine Rückversetzung in die Arbeitserziehungsanstalt nach dreimonatigem Aufenthalt in der Strafanstalt in Aussicht nahm.
Den von Widmer gegen diese Verfügung geführten Rekurs wies der Jugendstaatsanwalt des Kantons Zürich am 22. März 1977 ab.
Widmer führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er beantragt Aufhebung der Verfügungen der Jugendanwaltschaft des Bezirkes Zürich und des Jugendstaatsanwaltes des Kantons Zürich.
Der Beschwerdeführer macht geltend, für seine Versetzung aus der Arbeitserziehungsanstalt in die Strafanstalt fehle die gesetzliche Grundlage.
Art. 93ter Abs. 2 StGB
sei weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Sinn anwendbar. Die Versetzung des Jugendlichen in die Arbeitserziehungsanstalt stelle gegenüber der Einweisung in ein Erziehungsheim an sich schon eine Verschärfung der Massnahme dar. Für ausserordentlich schwer erziehbare Jugendliche sei die Arbeitserziehungsanstalt ebensogut geeignet wie die in
Art. 93ter Abs. 2 StGB
genannte Anstalt für Nacherziehung, weshalb auch die Übergangsbestimmung des
Art. 7 VStGB 1
nicht anwendbar sei. Die Durchführung einer Massnahme an Jugendlichen in einer Strafanstalt widerspreche zudem dem Willen des Gesetzgebers.
Die Jugendanwaltschaft, der Jugendstaatsanwalt und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
BGE 103 Ib 82 S. 84
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nur gegen Verfügungen letzter Instanzen der Kantone zulässig (
Art. 98 lit. g OG
). Soweit der Beschwerdeführer die Aufhebung der Verfügung der Jugendanwaltschaft des Bezirks Zürich verlangt, die nicht als letzte kantonale Instanz entschied, ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten.
2.
Jugendliche, die nach
Art. 91 StGB
in ein Erziehungsheim oder nach erfülltem 17. Altersjahr aufgrund von
Art. 93bis Abs. 2 StGB
in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen worden sind und sich als ausserordentlich schwer erziehbar erweisen, können gemäss
Art. 93ter Abs. 1 StGB
in ein Therapieheim versetzt werden. Sodann sieht
Art. 93ter Abs. 2 StGB
vor, dass Jugendliche, die sich in einem Erziehungsheim als untragbar erweisen, aber nicht in ein Therapieheim gehören, in eine Anstalt für Nacherziehung versetzt werden können.
Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass
Art. 93ter Abs. 2 StGB
die Versetzung eines schwer erziehbaren Jugendlichen in eine Anstalt für Nacherziehung nur zulässt, wenn er sich in einem Erziehungsheim befindet; die Versetzung aus einer Arbeitserziehungsanstalt in eine Nacherziehungsanstalt wird dagegen nicht vorgesehen. Der Wortlaut entspricht offenbar auch dem Sinn der Bestimmung. In die Anstalt für Nacherziehung sollen besonders schwierige Jugendliche eingewiesen werden, die keiner heilpädagogischen Betreuung und keiner psychiatrischen Untersuchung oder Behandlung in einem Therapieheim bedürfen, aber wegen ihrer Disziplinlosigkeit oder Renitenz eine strenge Nacherziehung in einer geschlossenen Anstalt nötig haben (Botschaft, BBl 1965 I 593; Sten.Bull. StR 1967 S. 74). Die Nichterwähnung der Arbeitserziehungsanstalt ist in der Tat damit zu erklären, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, die der Anstalt für Nacherziehung zugedachte Aufgabe könne ebensogut in einer Arbeitserziehungsanstalt erfüllt werden. Diese wird somit der Anstalt für Nacherziehung praktisch gleichgestellt (BOEHLEN, Kommentar zum Schweizerischen Jugendstrafrecht, N. 9 in fine zu Art. 93ter und N. 3 letzter Absatz zu Art. 93bis). Art. 93ter Abs. 2 schliesst demnach die disziplinarische Versetzung eines Jugendlichen aus der Arbeitserziehungsanstalt
BGE 103 Ib 82 S. 85
in eine Nacherziehungsanstalt und damit auch in die Strafanstalt grundsätzlich aus.
3.
Das vom Gesetzgeber mit der Teilrevision des StGB vom 18. März 1971 angestrebte Ziel, besondere Jugendanstalten zu errichten, um zu verhindern, dass Massnahmen an Jugendlichen in Strafanstalten vollzogen werden, konnte jedoch bis anhin nicht verwirklicht werden. Deshalb wird
Art. 93ter Abs. 2 StGB
in der Verordnung 1 zum StGB im Sinne einer Übergangslösung dahin ergänzt, dass Jugendliche, die sich in einem Erziehungsheim als untragbar erweisen, bis zur Schaffung einer Anstalt für Nacherziehung in die Strafanstalt eingewiesen werden können (
Art. 7 VStGB 1
). Nicht wesentlich anders liegen aber auch die Verhältnisse auf dem Gebiet der Arbeitserziehungsanstalten für Jugendliche und junge Erwachsene, die nach
Art. 100bis Ziff. 2 StGB
getrennt von den übrigen Anstalten zu führen sind. Zurzeit bestehen nur offene Arbeitserziehungsanstalten, während die Mittel zur Durchführung wirksamer disziplinarischer Massnahmen in der Regel nur geschlossenen Anstalten zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund ermächtigt auch
Art. 100bis Ziff. 4 StGB
die vollziehende Behörde, einen in die Arbeitserziehungsanstalt für junge Erwachsene Eingewiesenen, der sich der Anstaltsdisziplin beharrlich widersetzt oder sich gegenüber Erziehungsmethoden der Anstalt als unzugänglich erweist, bis zur Errichtung einer geschlossenen Arbeitserziehungsanstalt in eine Strafanstalt zu versetzen (vgl. Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 1971, Abschnitt III Ziff. 2). Wenn aber das Gesetz es erlaubt, Jugendliche, die sich in einem Erziehungsheim als untragbar erweisen, und junge Erwachsene, die sich in einer offenen Arbeitserziehungsanstalt nicht halten, bis zur Schaffung geschlossener Sonderanstalten in die Strafanstalt zu versetzen, so muss die gleiche Übergangslösung ebenso gegenüber Jugendlichen zulässig sein, die sich dem Vollzug der Erziehungsmassnahme in einer offenen Arbeitserziehungsanstalt widersetzen. Im letztern Fall eine Ausnahme zu machen, wäre widersprüchlich und mit dem Sinn und Zweck des Jugendstrafrechts nicht vereinbar.
Es versteht sich, dass die Versetzung von Jugendlichen aus der Arbeitserziehungsanstalt in die Strafanstalt nicht aufgrund von Art. 93ter Abs. 2 vorzunehmen ist, der nach seinem Wortlaut vorerst die unzweckmässige Rückversetzung in ein
BGE 103 Ib 82 S. 86
Erziehungsheim erforderte. Vielmehr drängt sich die Anwendung von Art. 100bis Ziff. 4 auf. Die Durchführung der Erziehungsmassnahme in einer Arbeitserziehungsanstalt ist nur an Jugendlichen möglich, die bereits das 17. Altersjahr zurückgelegt haben (Art. 93bis). Ausserdem wird diese Massnahme in einer Arbeitserziehungsanstalt für junge Erwachsene gemäss
Art. 100bis StGB
vollzogen (BBl 1965 I 592; BOEHLEN, a.a.O. N. 3 zu Art. 93bis). Wenn auch die Erziehungsmassnahme durch den Vollzug in einer Arbeitserziehungsanstalt rechtlich nicht zur Arbeitserziehungsmassnahme wird und namentlich weiterhin die Entlassungsvorschriften des Jugendstrafrechts (
Art. 94 StGB
) gelten, so wird der Jugendliche doch uneingeschränkt der Ordnung des Anstaltbetriebes und der Zielsetzung des Art. 100bis Ziff. 3 unterstellt. Praktisch wirkt sich also in solchen Fällen die Erziehungsmassnahme wie eine Arbeitserziehungsmassnahme aus und unterscheidet sich von dieser in Wirklichkeit nicht.
4.
Der Beschwerdeführer, der sich bereits im Erziehungsheim als untragbar erwies und deshalb in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen wurde, ist dort dreimal entwichen, zuletzt in der Absicht, sich ins Ausland abzusetzen. Er hat sich damit der Anstaltsdisziplin beharrlich widersetzt. Die Voraussetzungen für seine Versetzung in die Strafanstalt sind daher gemäss
Art. 100bis Ziff. 4 StGB
gegeben, so dass die angefochtene Verfügung im Ergebnis Bundesrecht nicht verletzt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7d5db822-2ded-46a9-81d0-71b50474f67a | Urteilskopf
101 II 1
1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. März 1975 i.S. N. gegen N. | Regeste
Eheschutzverfahren (
Art. 169 ff. ZGB
); Zuständigkeit.
Die Anhängigmachung einer Scheidungsklage vermag die Zuständigkeit des bereits zuvor angerufenen Eheschutzrichters nur soweit aufzuheben, als die im Eheschutzverfahren verlangten Massnahmen nicht auf die ihr vorangehende Zeit zurückwirken sollen. | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 101 II 1 S. 1
Am 4. Juni 1974 leitete die Klägerin beim Einzelrichter in Ehesachen des Bezirkes Zürich ein Eheschutzverfahren im Sinne von
Art. 169 ff. ZGB
ein. Der Beklagte erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit; eventualiter beantragte er Abweisung des Begehrens. Zur Begründung wies er insbesondere darauf hin, dass er am 18. Juni 1974 in Zug die Scheidungsklage eingeleitet habe.
Der Einzelrichter in Ehesachen des Bezirkes Zürich erachtete sich als zuständig, wies aber das Begehren der Klägerin am 2. Juli 1974 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des
Art. 170 Abs. 1 ZGB
für die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes seien nicht erfüllt.
Die Klägerin zog diesen Entscheid an das Obergericht des Kantons Zürich weiter, das den Rekurs am 26. September 1974 guthiess.
Gegen diesen Beschluss erhob der Beklagte Nichtigkeitsbeschwerde
BGE 101 II 1 S. 2
an das Bundesgericht, mit dem Antrag, das Eheschutzbegehren sei mangels örtlicher Zuständigkeit im Sinne von
Art. 73 Abs. 2 OG
abzuweisen, eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Der Beklagte macht vorab geltend, angesichts der Rechtshängigkeit der Scheidungsklage sei für Eheschutzmassnahmen kein Raum mehr.
Richtig ist, dass nach Rechtsprechung und Lehre keine Eheschutzmassnahmen im Sinne von
Art. 169 ff. ZGB
mehr getroffen, sondern nur noch vorsorgliche Massnahmen für die Dauer des Scheidungsprozesses gemäss
Art. 145 ZGB
angeordnet werden können, sobald die Scheidungsklage ordnungsgemäss und beim zuständigen Richter angehoben worden ist (
BGE 86 II 307
; LEMP, N. 9 zu
Art. 169 ZGB
mit Verweisungen). Grundsätzlich hat der Richter am Scheidungsort die Verhältnisse der Parteien vom Tage der Klageeinleitung an zu ordnen (STREBEL, Zum Gerichtsstand im Eheschutz- und Ehescheidungsverfahren, in Mélanges François Guisan, S. 23). Nach
Art. 145 ZGB
ist er jedoch nur zuständig, Massnahmen "für die Dauer des Prozesses" zu treffen. Anordnungen für den Zeitraum vor der Hängigkeit der Scheidungsklage fallen nicht in seine Kompetenz. Die Anhängigmachung einer Scheidungsklage kann demnach nur insoweit die Unzuständigkeit des Eheschutzrichters zur Folge haben, als die im Eheschutzverfahren verlangten Massnahmen nicht auf die ihr vorangehende Zeit zurückwirken sollen (ZR 72 Nr. 37, 68 Nr. 125).
Im vorliegenden Fall verlangte die Klägerin die Anordnung von Eheschutzmassnahmen (unter anderem die Verpflichtung des Beklagten zu Unterhaltsbeiträgen) am 4. Juni 1974, während der Beklagte die Scheidungsklage in Zug erst am 18. Juni 1974 einleitete. Ob und in welchem Umfange der Klägerin vom 4. Juni 1974 an bis zur Klageeinleitung Unterhaltsbeiträge zustehen, ist demnach im Eheschutzverfahren zu beurteilen. Die Zuständigkeit des zürcherischen Eheschutzrichters zur Behandlung der bei ihm formgerecht gestellten Begehren wurde somit durch die spätere Einleitung des Scheidungsprozesses nicht hinfällig.
Anordnungen, die der Eheschutzrichter vor Beginn des
BGE 101 II 1 S. 3
Scheidungsprozesses trifft, bleiben auch während desselben in Kraft, solange sie nicht durch vorsorgliche Massnahmen im Sinne von
Art. 145 ZGB
aufgehoben oder abgeändert werden (STREBEL, a.a.O.; LEMP, N. 9 zu
Art. 169 ZGB
mit Verweisungen). Dasselbe muss analog in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, wo die Zuständigkeit des Eheschutzrichters zwar vor der Einreichung der Scheidungsklage begründet wurde, der Entscheid aber erst nach Anhebung des Scheidungsprozesses gefällt werden kann. Die Klägerin hat somit auch heute noch ein erhebliches rechtliches Interesse am Erlass von Eheschutzmassnahmen im Sinne von
Art. 169 ZGB
, was der Beklagte denn auch mit Recht nicht bestreitet. Die Tatsache, dass er am 18. Juni 1974 in Zug die Scheidungsklage einleitete, bedeutet demnach für sich allein noch nicht, dass für Eheschutzmassnahmen im Sinne von
Art. 169 ff. ZGB
grundsätzlich kein Raum mehr wäre. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7d5e3342-6ce8-4a9c-9079-05f4358684b8 | Urteilskopf
92 I 189
32. Urteil vom 3. Oktober 1966 i.S. Gebrüder X. gegen Y. und Justizkommission des Kantons Zug. | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 174 SchKG
.
Die Frage, ob der Berufungsrichter Tatsachen, die erst nach dem erstinstanzlichen Konkurserkenntnis eingetreten sind, berücksichtigen dürfe, wird in der Rechtsprechung der Kantone teils verneint, teils (unter Einschränkungen) bejaht. Weder die eine noch die andere Lösung ist willkürlich. | Erwägungen
ab Seite 189
BGE 92 I 189 S. 189
1.
Das Kantonsgerichtspräsidium Zug eröffnete am 22. Juli 1966 auf Begehren von sechs Gläubigern, deren Forderungen sich insgesamt auf Fr. 4439.65 beliefen, über die Kollektivgesellschaft Gebrüder X. den Konkurs. Die Schuldnerin erklärte die Berufung an die Justizkommission des Kantons Zug. Sie legte im Berufungsverfahren eine Bestätigung des Betreibungsamtes ein, wonach sie dem Amt am 28., 29. und 30. Juli 1966 insgesamt Fr. 37 610.-- einzahlte, wodurch sämtliche im Jahre 1966 offenen Betreibungen (also auch die der Gläubiger, die den Konkurs verlangt hatten) gedeckt worden seien. Die Justizkommission hat die Berufung am 1. August 1966 abgewiesen. Sie hat dazu ausgeführt, nach ihrer Rechtsprechung seien Noven im Berufungsverfahren zulässig, falls der Schuldner infolge besonderer Umstände, die er nicht zu vertreten habe, die rechtzeitige Tilgung der Betreibungsforderungen versäumt habe und die Durchführung des Konkurses als ungewöhnliche Härte erscheine. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt, weil die Schuldnerin sich mit "erstaunlicher Sorglosigkeit" über die Vorladungen und Mahnungen des Konkursrichters hinweggesetzt habe. Der Tod der Ehefrau des Gesellschafters Josef X. vermöge dieses Verhalten nicht zu entschuldigen.
BGE 92 I 189 S. 190
Die Kollektivgesellschaft Gebrüder X. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
mit dem Antrag, es sei der Entscheid der Justizkommission aufzuheben.
2.
Gemäss
Art. 174 Abs. 1 SchKG
kann gegen die Konkurseröffnung (oder die Abweisung des Begehrens) binnen zehn Tagen seit der Mitteilung bei der oberen (kantonalen) Gerichtsinstanz Berufung eingelegt werden. Das SchKG bestimmt nicht, oder zumindest nicht ausdrücklich, ob der Berufungsrichter Tatsachen, die nach dem erstinstanzlichen Entscheid eingetreten sind, berücksichtigen dürfe oder nicht. Die Rechtsprechung der Kantone beantwortet diese Frage uneinheitlich: während die Gerichte zahlreicher Kantone solche Noven allgemein ausschliessen, lassen andere sie zu, namentlich wenn ernstlich damit zu rechnen ist, dass der Schuldner seinen Verpflichtungen in der Folge wieder aus eigenen Mitteln wird nachkommen können und die verspätete Zahlung ausserdem entschuldbar ist. Das Bundesgericht kann die hierüber ergangenen Entscheidungen der kantonalen Berufungsinstanzen nur auf Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
) hin überprüfen, wobei es nur ausnahmsweise (vgl.
BGE 36 I 386
Erw. 2,
BGE 46 I 366
) mit der Beschwerde wegen Verletzung des Art. 2 Üb. Best. BV angegangen werden kann, während es sich in der Regel (und so auch hier) nur über eine Verletzung des
Art. 4 BV
auszusprechen hat. Die Rechtseinheit hat sich daher auf diesem Gebiete nicht verwirklichen lassen (vgl. FRITZSCHE, Schuldbetreibung, Konkurs und Sanierung, Bd. II, S. 14; FAVRE, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, S. 245).
Das Bundesgericht hat wiederholt erkannt, dass weder der allgemeine Ausschluss von Noven (
BGE 57 I 366
Erw. 2) noch die Zulassung bestimmter Noven (
BGE 91 I 2
) als willkürlich zu bezeichnen sind. Die Justizkommission wäre somit nicht in Willkür verfallen, wenn sie die Berücksichtigung der erst nach dem erstinstanzlichen Konkurserkenntnis eingetretenen Tilgung von vornherein ausgeschlossen hätte. Sie ist indessen nicht so weit gegangen, sondern hat sich auch im vorliegenden Falle an ihre ständige - gleichfalls nicht willkürliche - Praxis gehalten, wonach die im Berufungsverfahren erfolgte Tilgung zu berücksichtigen ist, sofern die Verspätung der Zahlung durch besondere, vom Schuldner nicht zu vertretende Umstände entsch uldigt wird und die Durchführung
BGE 92 I 189 S. 191
des Konkurses zudem mit einer ungewöhnlichen Härte verbunden wäre. Diese Voraussetzungen treten kumulativ und nicht alternativ nebeneinander: die Berücksichtigung des Novums enfällt, wenn auch nur eines der genannten Erfordernisse nicht erfüllt ist. Die Justizkommission hat im vorliegenden Falle mit Fug erkannt, dass die verspätete Zahlung nicht entschuldbar war. Sollte der Gesellschafter Josef X. wirklich, wie in der Beschwerde behauptet wird, nach dem Tode seiner Ehefrau im Oktober 1965 in einen "Zustand depressiver Apathie und Gleichgültigkeit" versunken sein, so hätte doch der Gesellschafter Hans X. zum Rechten sehen und - gegebenenfalls unter Zuziehung eines aussenstehenden Buchhalters - das Nötigste zur Ordnung der Geschäfte vorkehren können. Fehlt es aber an der Voraussetzung der entschuldbaren Säumnis, dann war nach der - nicht willkürlichen - Praxis der Justizkommission die im Berufungsverfahren erfolgte Tilgung schon aus diesem Grunde nicht zu berücksichtigen. Eine Prüfung der Frage, ob die Durchführung des Konkurses zu ungewöhnlichen Härten führen würde, erübrigte sich demnach. Der Justizkommission kann deshalb keine Rechtsverweigerung vorgeworfen werden, wenn sie diesen Punkt nicht näher untersuchte.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
7d60d711-322a-41f0-99dc-68a6e38f523a | Urteilskopf
106 Ib 154
26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Juli 1980 i.S. Kanton Wallis c. Kanton Tessin (staatsrechtliche Klage) | Regeste
Art. 83 lit. b OG
; Grenzstreit zwischen zwei Kantonen (Nufenenpass).
1. Prozessuale Vorfragen; anwendbares Recht (E. 1-3).
2. Grundsätze für die Bestimmung von Kantonsgrenzen; subsidiäre analoge Anwendung des Völkerrechts (E. 4a-c).
3. Welche Bedeutung für den Grenzverlauf hat eine Vereinbarung zwischen den beiden Kantonen über technische Fragen im Zusammenhang mit dem Bau der Nufenenstrasse? (E. 5.).
4. a) Stillschweigende vertragliche Einigung über den Grenzverlauf? (E. 6a.)
b) Einseitige Anerkennung? (E. 6b.)
c) Wirkung widersprüchlichen Verhaltens. (E. 6c.)
5. Kontinuierliche und unbestrittene Ausübung von Hoheitsrechten im fraglichen Gebiet durch einen der beteiligten Kantone? (E. 7.)
6. Das natürliche Kriterium der Wasserscheide (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 106 Ib 154 S. 155
In den Jahren 1965 bis 1969 erbauten die Kantone Wallis und Tessin in enger Zusammenarbeit und mit Unterstützung
BGE 106 Ib 154 S. 156
des Bundes die Strasse über den Nufenen-Pass, welche das Goms mit dem Bedretto-Tal verbindet. Diese Strasse erreicht ihren Scheitelpunkt einige hundert Meter nördlich der bisherigen Passhöhe in unmittelbarer Nachbarschaft von zwei kleinen Seen. Bei der Planung und beim Bau der Strasse stellten die zuständigen Behörden der beiden Kantone bezüglich der Kantonsgrenze auf die Landeskarte 1:25 000 ab. Auf dieselbe Grundlage stützte sich auch der Bund bei der Aufteilung seiner Beiträge auf die beteiligten Kantone. Gemäss dieser Karte verläuft die Kantonsgrenze westlich der beiden auf der neuen Nufenen-Passhöhe gelegenen Seelein. Anlässlich der Eröffnungsfeier für die neuerbaute Strasse vom 5. September 1969 stellte die Regierung des Kantons Wallis ein Denkmal auf, dessen Standort sich mit der Kantonsgrenze gemäss Landeskarte deckte. Dieser Gedenkstein wurde in der darauffolgenden Nacht entwendet und später in Ulrichen gefunden.
Im Anschluss an dieses Ereignis wurden in den Jahren 1970-1972 Verhandlungen über den genauen Grenzverlauf am Nufenen geführt, an denen neben Vertretern der beiden Kantone auch Vertreter der Gemeinden Ulrichen (VS) und Bedretto (TI) sowie der Degagna generale di Osco (TI) beteiligt waren. Dabei bestritt der Kanton Wallis die Richtigkeit der Grenzziehung gemäss Landeskarte und behauptete, die Kantonsgrenze liege in Wirklichkeit östlich der Passhöhe Richtung Bedretto-Tal und verlaufe so, wie sie auf der Anselmier-Karte von 1851 eingezeichnet sei. Der Kanton Tessin vertrat demgegenüber den Standpunkt, die Landeskarte 1: 25000 gebe den Grenzverlauf richtig wieder. Eine Einigung konnte nicht erreicht werden.
Am 3. Mai 1973 reichte der Kanton Wallis beim Bundesgericht staatsrechtliche Klage im Sinne von
Art. 83 lit. b OG
mit folgenden Anträgen ein:
"1. Es sei festzustellen, dass
a) die Grenzen zwischen den Kantonen Tessin und Wallis am Nufenen so verlaufen wie sie in der Karte Anselmier 1851 eingezeichnet sind;
b) die fragliche Grenze eventuell gemäss Karte des Eidg. Stabsbureaus (Siegfriedkarte) von 1872 verläuft.
2.) ..."
Zur Begründung führte der Kanton Wallis im wesentlichen aus, die Walliser hätten seit jeher über die Passhöhe hinaus auf dem Ostabhang des Nufenenpasses Hoheits- und Eigentumsrechte ausgeübt, was alte Urkunden sowie die Aussagen noch
BGE 106 Ib 154 S. 157
lebender Zeugen klar bewiesen. Diese Auffassung stehe ferner im Einklang mit verschiedenen älteren Karten, namentlich mit derjenigen von Anselmier aus dem Jahre 1851. Auf der Siegfriedkarte von 1872 (Blatt 491) verlaufe die Kantonsgrenze zwar weiter westlich, aber immerhin zwischen den beiden auf der Passhöhe gelegenen Seen hindurch. Die neueren Karten aus dem 20. Jahrhundert (Festungskarte und Landeskarte) zeigten grundlos einen falschen Grenzverlauf. Im übrigen hätten die Behörden der Gemeinde Ulrichen 1947 gegenüber dem eidg. Militärdepartement und 1949 gegenüber der Rhone-Werke AG erfolgreich die Meinung vertreten, die Kantonsgrenze liege östlich der Passhöhe.
Mit Klageantwort vom 29. September 1973 stellte der Kanton Tessin folgende Begehren:
"1. Le domande proposte con l'azione di diritto pubblico del 3 maggio 1973 vengono integralmente respinte.
1. È riconosciuto che in confini cantonali tra il Cantone Ticino ed il Canton Vallese al passo della Nufenen sono quelli tracciati sulla carta nazionale (1:25 000) - e ripresa in scala 1:500 sul doc. No 2 -: è di conseguenza accertato, che lo stesso confine delimiti i territori giurisdizionali dei Comuni di Bedretto e di Ulrichen; nonchè le proprietà della Bürgergemeinde di Ulrichen e della Degagna generale di Osco.
3.) ..."
Der Kanton Tessin führte im wesentlichen aus, die geltende Grenze liege auf der Wasserscheide. Alle Karten würden die Grenze auf dieser Linie kennzeichnen. Der Kanton Wallis hätte gegen die ihm bekannten neueren Karten protestieren müssen, wenn er damit nicht einverstanden gewesen wäre. Das habe er unterlassen. Im Bedretto-Tal wohnhafte Zeugen würden bestätigen, dass das Tessiner Gebiet immer bis zur Wasserscheide gereicht habe. Das beigelegte Gutachten von Dr. Raschér vom Institut des Tessiner Namenbuches (RTT) der Universität Zürich, komme aufgrund der Auswertung zahlreicher Archiv-Urkunden zum selben Schluss. Beim Bau von Kraftwerkleitungen über den Nufenen in den vierziger und fünfziger Jahren sei man stets von der Kantonsgrenze ausgegangen, wie sie in der Landeskarte eingezeichnet sei.
In der Replik vom 28. Februar 1974 präzisierte der Kanton Wallis sein Eventualbegehren folgendermassen:
"Um jeden Zweifel auszuschliessen, verlangen wir: Es sei die Grenze beim heutigen Strassenübergang gemäss Siegfriedkarte von 1872 so festzulegen, dass das westliche Seelein mit seinem natürlichen Einzugsgebiet dem Kanton
BGE 106 Ib 154 S. 158
Wallis gehört."
Im übrigen hielt der Kanton Wallis an seinen Anträgen fest und beantragte die kostenfällige Abweisung der Tessiner Begehren.
In seiner Duplik vom 29. November 1974 erneuerte der Kanton Tessin die Anträge der Klageantwort und legte namentlich dar, der Kanton Wallis und die Gemeinde Ulrichen hätten den Grenzverlauf gemäss Landeskarte konkludent anerkannt.
Auf die Vorbringen der Parteien im einzelnen wird im Zusammenhang mit den Erwägungen näher eingetreten.
Auf Anordnung des Präsidenten der staatsrechtlichen Kammer des Bundesgerichts vom 30. Juli 1974 wurde über den Verlauf der Wasserscheide im Bereich der Nufenen-Passhöhe vor dem Bau der Strasse und über die eventuelle Abweichung der Grenzziehung der Landeskarte von dieser Wasserscheide eine Expertise eingeholt. Als Experte wurde Prof. E. Spiess von der eidg. Technischen Hochschule Zürich ernannt. Auf den Inhalt dieses Gutachtens wird in den Erwägungen eingegangen.
Der Kanton Wallis schloss sich dem Ergebnis der Expertise an und zog in der Folge seinen Hauptantrag zurück.
Der Kanton Tessin nahm zum Gutachten nicht ausdrücklich Stellung. Er unterbreitete dem Kanton Wallis einen Vergleichsvorschlag, welcher von den Walliser Behörden zurückgewiesen wurde. Daraufhin beantragte der Kanton Tessin beim Bundesgericht die Weiterführung des Verfahrens.
Gemäss
Art. 91 Abs. 2 OG
ordnete das Bundesgericht eine mündliche Schlussverhandlung an. Die Vertreter der Parteien hielten an ihren Rechtsbegehren fest, soweit sie diese im Laufe des Verfahrens noch aufrecht erhalten hatten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
I. Formelles
1.
a) Gemäss
Art. 83 lit. b OG
beurteilt das Bundesgericht staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen, wenn eine Kantonsregierung seinen Entscheid anruft. Die Parteien müssen an der Entscheidung ein rechtliches Interesse besitzen (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 286 mit Verweisen). Diese Voraussetzungen sind gegeben. Auf die staatsrechtliche Klage des Kantons Wallis ist einzutreten.
b) Staatsrechtliche Klagen werden vom Bundesgericht im Rahmen der gestellten Anträge sowohl in rechtlicher als auch
BGE 106 Ib 154 S. 159
in tatsächlicher Hinsicht frei geprüft (
BGE 61 I 351
; BIRCHMEIER, S. 287).
2.
a) Der Kanton Wallis hat sich mit den Schlussfolgerungen des Gutachtens Spiess einverstanden erklärt und mit Schreiben vom 3. September 1976 seinen Hauptantrag zurückgezogen. Dieser Verzicht auf den Hauptantrag wurde am 20. Oktober 1976 und am 30. März 1977 bestätigt. Umstritten ist somit heute gemäss dem präzisierten Eventualantrag des Kantons Wallis nur noch der Grenzverlauf bei den beiden Seelein auf der neugeschaffenen Passhöhe, während beide Parteien im übrigen die Grenzziehung, wie sie in den Landeskarten der Eidgenössischen Landestopographie eingezeichnet sind, anerkennen. Beim noch streitigen Grenzverlauf handelt es sich um jenes Gebiet, in welchem gemäss den Untersuchungen von Prof. Spiess die Grenzziehung der Landeskarte von der Wasserscheide abweicht.
b) Der Kanton Tessin beantragt die Abweisung der Walliser Anträge und hält an diesem Begehren, nachdem verschiedene Vergleichsverhandlungen gescheitert sind, auch heute noch fest.
Ergänzend stellt der Kanton Tessin das Begehren, es sei festzustellen, dass die Kantonsgrenze gemäss Landeskarte auch die Gerichtsbarkeit der Gemeinden Bedretto und Ulrichen und das Eigentum der Bürgergemeinde von Ulrichen und der Degagna Generale di Osco abgrenze. In der Klageantwort führt der Kanton Tessin weiter aus, diese Feststellung sei in das Dispositiv aufzunehmen. Dieser Antrag ist nicht besonders zu behandeln, soweit er die Gemeindegrenzen betrifft: Mit dem Entscheid über die Kantonsgrenze wird implizit auch die Grenzziehung zwischen den genannten Gemeinden festgelegt, da Gemeindegrenzen klarerweise fremdes Kantonsgebiet nicht verletzen dürfen. Demgegenüber müssen private Eigentumsrechte nicht zwingend an Kantonsgrenzen halt machen. Ihr Umfang ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Insofern kann auf den Zusatzantrag des Kantons Tessin nicht eingetreten werden.
3.
Bei der Beurteilung staatsrechtlicher Streitigkeiten zwischen Kantonen wendet das Bundesgericht in erster Linie Bundesgesetzesrecht und interkantonales Konkordatsrecht an. Fehlen solche Normen, stützt es seinen Entscheid auf bundesrechtliche oder interkantonale gewohnheitsrechtliche Regeln ab. Schliesslich bezeichnet es die Grundsätze des Völkerrechts
BGE 106 Ib 154 S. 160
als subsidiär anwendbar (
BGE 26 I 450
; ferner
BGE 54 I 202
E. 3; vgl. auch
BGE 96 I 648
E. 4 c; BIRCHMEIER, a.a.O. S. 288). Nach unbestrittener Auffassung in der schweizerischen Lehre und Rechtsprechung kommt das Völkerrecht im interkantonalen Verhältnis somit zum Zug, wenn in der betreffenden Streitfrage sowohl das Bundesrecht als auch das interkantonale Vertrags- und Gewohnheitsrecht ausgeschöpft sind (ALEXANDER WEBER, Die interkantonale Vereinbarung, eine Alternative zur Bundesgesetzgebung?, Bern 1976, S. 54 f.; AUBERT, Band II, S. 588 N. 1637). Dabei kann allerdings nicht von einer originären, sondern nur von einer analogen Anwendung des Völkerrechts die Rede sein (vgl. VERDROSS/SIMMA, Universelles Völkerrecht, Berlin 1976, S. 474 mit Verweisen). Lässt sich aus keiner dieser Rechtsquellen eine Regel ableiten, ist unter Würdigung aller Umstände zu entscheiden (
BGE 65 I 102
f. E. 2).
II. Materielle Beurteilung
4.
a) Das Gebiet der Nufenen-Passhöhe ist mehrmals kartographisch aufgenommen worden. 1851 machte Anselmier im Auftrag von Dufour topographische Aufnahmen dieses Gebietes. Auf dieser Karte verläuft die Kantonsgrenze im Bereich der Nufenen-Passhöhe bis 500 m östlich der natürlichen Wasserscheide. Beim Topographischen Atlas der Schweiz, Blatt Sanct Gotthard im Massstab 1:50 000 von 1872 (nachstehend Siegfriedkarte genannt) liegt die Kantonsgrenze auf der Passhöhe zwischen den beiden Seelein. In den Jahren 1917/1918 nahm die Eidg. Landestopographie eine Festungskarte 1:10 000 auf, welche nur den grösseren, weiter westlich gelegenen See zeigt und die Kantonsgrenze westlich davon verlaufen lässt. Diese (geheime) Festungskarte wurde unbestrittenermassen als Grundlage für die erste Ausgabe der Landeskarte der Eidg. Landestopographie von 1947 verwendet, welche denn auch den gleichen Grenzverlauf wie die Festungskarte zeigt. Auch alle späteren Ausgaben der Landeskarte 1:50 000 sowie die 1965 erstmals erschienene Landeskarte 1:25 000 sind bezüglich der Kantonsgrenze mit der Festungskarte identisch.
Bei der Beurteilung der Bedeutung der verschiedenen Kartenwerke ist davon auszugehen, dass Karten für sich allein - wie die Parteien richtigerweise anerkennen - Kantonsgrenzen
BGE 106 Ib 154 S. 161
nicht rechtskräftig festlegen können (BGE 18, 684 E. 2). Im konkreten Fall verunmöglicht zudem die stark unterschiedliche Behandlung der Kantonsgrenze in den einzelnen Kartenwerken, aus den topographischen Aufnahmen zwingende Schlüsse für die Beurteilung des vorliegenden Grenzstreites abzuleiten.
b) In BGE 18, 683 f. führte das Bundesgericht aus, der Grenzverlauf zwischen zwei Staaten sei entweder geschichtlich hergebracht oder durch vertragsmässige Vereinbarung festgestellt. In einem späteren Entscheid erwähnte es als zusätzliches Kriterium für die Bestimmung von Grenzen die natürlichen Grenzlinien, führte aber einschränkend aus, dass "auf die natürliche Bodengestaltung jedenfalls nicht in erster Linie abgestellt werden kann, sondern vielmehr der Ausübung von Hoheitsakten, dem Besitzstand, der Tradition ... eine überwiegende Bedeutung beigemessen werden muss" (BGE 21, 967). Im gleichen Urteil prüfte das Bundesgericht eingehend, ob die Kantone im umstrittenen Gebiet Hoheitsakte vorgenommen hatten und ob ein Kanton die Zugehörigkeit dieses Gebietes zum anderen Kanton anerkannt hatte (BGE 21, 969 f.). In
BGE 53 I 307
E. 3 erwähnte es erneut, dass die bisherige tatsächliche und ausschliessliche Ausübung von staatlichen Hoheitsbefugnissen für die Zugehörigkeit eines Gebietes zu einem bestimmten Kanton ausschlaggebend sein kann. Das Bundesgericht anerkennt somit als Rechtstitel für den Erwerb eines Gebietes bzw. für den Verlauf einer Grenze Vertragsrecht, lange und ausschliessliche Ausübung von Hoheitsrechten, einseitige Anerkennung und subsidiär natürliche Grenzen. Dazu kommt noch die Zusprechung eines Gebietes durch Gerichtsurteil oder durch Schiedsspruch (BGE 23, 1449).
c) Praxis und Lehre des Völkerrechtes kennen eine Rangfolge der Geltungsgründe einer Grenze: Danach sind Grenzlinien primär durch Vertragsrecht oder einseitige Anerkennung bestimmt. Ist die Grenzziehung weder vertraglich festgelegt noch von den Parteien als verbindlich anerkannt, werden die Grenzen durch den unbestrittenen Besitzstand (Ersitzung, prescription), d.h. nach dem sog. Effektivitätsprinzip bestimmt: Gemäss diesem Grundsatz gehört ein bestimmtes Gebiet einem Staat soweit, als er darauf während längerer Zeit tatsächlich und unbestritten Herrschaftsgewalt ausübt (vgl. Schiedsspruch Island of Palmas vom 4. April 1928 (AJ 22, 1928 S. 877/UNRIAA 2 829)).
BGE 106 Ib 154 S. 162
Kann im streitigen Gebiet kein unbestrittener Besitzstand eines Staates - und damit keine Ersitzung - nachgewiesen werden, ist subsidiär auf eine Reihe von Regeln über den Verlauf natürlicher Grenzen abzustellen (vgl. MENZEL/IPSEN, Völkerrecht, München 1979, S. 152; A. VERDROSS, Völkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964, S. 271; VERDROSS/SIMMA, a.a.O. S. 521 ff.; MÜLLER/WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, Bern 1977, S. 228 f.; F. BERBER, Lehrbuch des Völkerrechts, 1. Band, München 1975, S. 316).
d) Die Praxis, die das Bundesgericht bei Grenzstreitigkeiten zwischen Kantonen verfolgt, deckt sich demnach im wesentlichen mit den Regeln des allgemeinen Völkerrechts. Nach diesen Grundsätzen ist auch im vorliegenden Fall zu verfahren.
5.
a) Ein Vertrag, der ausdrücklich die Kantonsgrenze auf dem Nufenen regelt, besteht nicht. Im Zusammenhang mit dem Strassenbau haben die beiden Kantone aber im Mai 1965 eine Vereinbarung über die Modalitäten bei der Ausschreibung und Vergebung der Bauarbeiten am Baulos 3 abgeschlossen. Die Vereinbarung nimmt in zwei Punkten Bezug auf die Kantonsgrenze: In Ziff. 1 wird ausgeführt, das Baulos 3 umfasse neben der Strecke auf Tessiner Gebiet (km 8 500 bis 11 040) auch eine Strecke von ca. 640 m Länge auf Walliser Territorium, welche von der Kantonsgrenze bis zur schon bestehenden Zufahrtsstrasse am Walliser Abhang reiche. Ziff. 8 statuiert, dass jeder Kanton direkt für die Bezahlung der Arbeiten auf seinem Gebiet besorgt sei.
Wie aus den Projektplänen zum Baulos 3 hervorgeht und vom Kanton Wallis nicht bestritten wird, meint diese Vereinbarung jenen Verlauf der Kantonsgrenze, welcher auf der Landeskarte eingezeichnet ist. Die Tragweite dieses Vertrages ist deshalb näher zu untersuchen.
b) Die Vereinbarung von 1965 beschlägt eine technische Materie im Zusammenhang mit dem Strassenbau. Dabei wird ein bestimmter Grenzverlauf zwar vorausgesetzt; die Vereinbarung hat aber offensichtlich nicht zum Ziel, die Kantonsgrenze in einer bestimmten Weise zu regeln. Vielmehr war man sich anlässlich des Vertragsschlusses der Grenzproblematik offenbar noch gar nicht bewusst. Eine verbindliche Regelung des Grenzverlaufs wäre überdies im Rahmen dieser Vereinbarung gar nicht möglich gewesen: Die Vereinbarung wurde von den Baudepartementen der beiden Kantone ausgehandelt und
BGE 106 Ib 154 S. 163
unterzeichnet; gemäss Art. 30 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Wallis müsste ein Vertrag über die Kantonsgrenzen aber dem Volk vorgelegt werden. Dies ist nicht geschehen.
Die Vereinbarung von 1965 hat demnach nicht den Charakter eines Grenzvertrages. Nach Auffassung des Kantons Tessin hat der Kanton Wallis aber zumindest stillschweigend die Gültigkeit der Kantonsgrenze gemäss Landeskarte anerkannt. Ob diese Argumentation zutrifft, ist im folgenden näher zu prüfen.
6.
Der Kanton Wallis verwahrte sich weder gegen die Grenzziehung der Festungskarte von 1917/1918 noch gegen diejenige der auf dieser Vorlage beruhenden Karte der Landestopographie von 1947. Er macht zwar geltend, die Gemeinde Ulrichen habe schon im Jahre 1949 im Zusammenhang mit der Erstellung der Hochspannungsleitung der Rhonewerke AG über den Nufenenpass gegenüber dieser Gesellschaft zu erkennen gegeben, dass sie den Grenzverlauf gemäss Festungskarte nicht anerkenne. Während der Planung und des Baus der Nufenenstrasse haben die Behörden des Kantons Wallis aber, wie unbestritten ist, nie gegen diese Grenzziehung opponiert. Das Bau- und Forstdepartement des Kantons Wallis unterzeichnete die Vereinbarung von 1965 vorbehaltlos. Der Kanton Wallis bringt auch nicht vor, Einwendungen gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene Aufteilung der Bundesbeiträge erhoben zu haben. In den verschiedenen Botschaften des Bundesrates (BBl 1962 II 391 ff.
;
1963 I 185
ff. (Ergänzungsbotschaft)
;
1972 I 1217
ff.) und in den veröffentlichten Protokollen der parlamentarischen Beratungen (Amtl. Bull. 1972 N 2033 f.; S 588 ff.) finden sich keine Hinweise darauf, dass die Grenzziehung in irgend einer Hinsicht in Frage gestanden hätte. Die Bundesversammlung übernahm die Anträge des Bundesrates unverändert (BBl 1963 I 748 ff.
;
1973 I 27
f.). Erst im Anschluss an die Entwendung des erwähnten Gedenksteins, also nach der Eröffnung der Strasse, machte der Kanton Wallis seine Gebietsansprüche geltend.
Das Verhalten des Kantons Wallis ist unter drei Gesichtspunkten zu würdigen: Vorerst stellt sich die Frage, ob der vorbehaltlosen Unterzeichnung der Vereinbarung von 1965 die Bedeutung einer stillschweigenden vertraglichen Einigung über den Grenzverlauf zukomme (nachfolgend lit. a). Weiter ist die Möglichkeit zu untersuchen, dass das Verhalten des Kantons Wallis als konkludent abgegebene einseitige Anerkennung des
BGE 106 Ib 154 S. 164
heutigen Grenzverlaufs zu deuten ist (lit. b). Schliesslich fragt sich, ob der Kanton Wallis heute allenfalls durch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens an der erfolgreichen Geltendmachung seiner Ansprüche gehindert wird (lit. c).
a) Nicht nur privatrechtliche Verträge, sondern auch Verträge zwischen Staaten und insbesondere Konkordate unter Kantonen können durch konkludente Handlungen zustandekommen (
BGE 96 I 648
f. E. 4c). Voraussetzung ist grundsätzlich eine Willenseinigung. Relativiert wird das Erfordernis der Willenseinigung durch das Vertrauensprinzip: Der Vertragsschluss wird auch dann als gegeben erachtet, wenn aus dem Verhalten des einen Partners nach Treu und Glauben auf den zugrunde liegenden Vertragswillen geschlossen werden darf (vgl.
BGE 96 I 649
ff. E. 4d; J.P. MÜLLER, Vertrauensschutz im Völkerrecht, Köln/Berlin 1971 S. 108 f.; vgl. ANZILOTTI, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, Berlin und Leipzig 1929, S. 54 ff.). Nach völkerrechtlicher Lehre und Praxis darf nicht leichthin auf eine Bindung aus Vertrauensschutz geschlossen werden. Eine solche Bindung wird vor allem dann angenommen, wenn eine Partei aufgrund berechtigten Vertrauens Vorkehren traf, die nicht rückgängig zu machen sind (vgl. North Sea Continental Shelf Cases, ICJ Reports 1969 N. 30; VERDROSS/SIMMA, a.a.O., S. 363 Anm. 19; MÜLLER, a.a.O., S. 109, 164 ff.).
Im Lichte dieser Grundsätze lässt sich die Annahme, die beiden Kantone hätten durch konkludentes Handeln einen Grenzvertrag geschlossen, nicht halten. Weder wird von den Parteien behauptet, noch ist aus den Umständen ersichtlich, dass die beiden Kantone damals beabsichtigten oder darauf vertrauen durften, dass mit der Vereinbarung über die Bauarbeiten eine Grenzbereinigung vorgenommen wurde. Im Jahre 1965 standen technische, organisatorische und finanzielle Probleme des Strassenbaus im Vordergrund. Der genaue Grenzverlauf wurde erst nach Beendigung der Bauarbeiten wichtig, als die Überbauung und Nutzung der Passhöhe an Interesse gewann und daher geregelt werden musste. Da sich die Parteien in der massgeblichen Zeit der Unbestimmtheit des Grenzverlaufs im Bereich der beiden Seelein offenbar gar nicht bewusst waren, konnten sie auch keinen Willen zur Bereinigung der ungeklärten Grenzsituation haben oder entsprechendes Vertrauen in das Verhalten des andern Partners setzen. Die
BGE 106 Ib 154 S. 165
Umstände des Abschlusses der Vereinbarung von 1965 waren also nicht geeignet, dem vorbehaltlosen Abstellen auf die Grenze der Landeskarte den Charakter einer stillschweigenden Einigung über die Grenzziehung zu geben.
b) Die einseitige Anerkennung von Grenzen durch einen Staat ist an keine bestimmte Form gebunden, sondern kann durch konkludentes Verhalten oder durch passive Hinnahme eines Zustandes erfolgen (vgl. VERDROSS/SIMMA, a.a.O. S. 341 f.):
aa) Der Kanton Tessin macht geltend, der Kanton Wallis habe bereits bei der Erstellung der elektrischen Leitungen der Rhonewerke AG in den Jahren nach 1946 und der Bernischen Kraftwerke AG im Jahre 1958 die Grenzziehung der Landeskarte konkludent anerkannt. Den damals abgeschlossenen Verträgen zwischen den genannten Gesellschaften und der Gemeinde Ulrichen sei die Grenzziehung der Landes- bzw. Festungskarte zugrunde gelegen. Die Gemeinde Ulrichen habe damit die Gültigkeit der heute vom Kanton Wallis angefochtenen Grenzlinie jedenfalls stillschweigend als Vertragsgrundlage anerkannt.
Der Kanton Wallis bestreitet, dass mit den beiden erwähnten Durchleitungsverträgen die Grenzziehung der Landeskarte anerkannt worden sei. Er macht geltend, die Gemeinde Ulrichen habe im Jahre 1949 gegenüber der Rhonewerke AG in einem Briefwechsel, welcher die Entschädigung für Durchleitungsrechte und die Besteuerung von Leitungsmasten betraf, deutlich zu erkennen gegeben, dass sie die Kantonsgrenze der Festungskarte nicht als gültig betrachte. Dieses Schreiben der Gemeinde Ulrichen äussert sich zur Grenzfrage aber nicht direkt, sondern scheint stillschweigend vorauszusetzen, dass bestimmte Leitungsmasten noch im Gebiet des Kantons Wallis stünden. Ob darin ein rechtserheblicher Protest gegen die Grenzziehung der Festungs- bzw. Landeskarte erblickt werden kann, ist zweifelhaft. Die Frage kann indessen offen bleiben. Die Elektrizitätsleitungen der Rhonewerke AG und der Bernischen Kraftwerke AG liegen nämlich alle in einem Gebiet, in welchem der Kanton Wallis nach dem Rückzug des Hauptantrages die Gültigkeit des Grenzverlaufes der Landeskarte nicht bestreitet. Insofern kann aus dem Verhalten der Gemeinde Ulrichen bei der Erstellung der genannten Leitungen für die vorliegend zu entscheidende Frage nichts abgeleitet werden.
BGE 106 Ib 154 S. 166
bb) Dass der Kanton Wallis mit der Unterzeichnung der Vereinbarung von 1965 die Grenze gemäss Landeskarte konkludent anerkannt hätte, ist aus den gleichen Gründen zu verneinen, die gegen die Annahme einer stillschweigenden Übereinkunft betreffend den Grenzverlauf sprechen. Eine als stillschweigende Anerkennung der Kartengrenze zu deutende Haltung des Kantons Wallis und ein entsprechendes beim Kanton Tessin erwecktes schützenswertes Vertrauen sind nicht nachweisbar. Die bereits erwähnten Umstände zeigen deutlich, dass sich im Zeitpunkt der Vereinbarung von 1965 keine der beiden Parteien der Grenzproblematik überhaupt bewusst war.
cc) Der Kanton Wallis hat an einem Standort, welcher der Grenzziehung gemäss Landeskarte entspricht, einen Gedenkstein errichtet. Nach Auffassung des Kantons Tessin hat der Kanton Wallis damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die heutige Grenzlinie anerkenne. Diese Argumentation wäre allenfalls dann stichhaltig, falls es sich beim genannten Denkmal, das in der Nacht nach der offiziellen Eröffnungsfeier vom 5. September 1969 entwendet wurde, um eine Art Grenzstein gehandelt hätte.
Am 19. September 1969 reichte der Vorsteher des Bau- und Forstdepartementes des Kantons Wallis eine Strafanzeige gegen Unbekannt ein. Darin spricht er vom "anlässlich der Eröffnungsfeier der Nufenenstrasse auf dem Pass aufgestellte(n) Erinnerungsstein" und bezeichnet als anwendbare Normen nur die Art. 137 (Diebstahl), 145 (Sachbeschädigung) und 270 StGB (Tätliche Angriffe auf schweizerische Hoheitszeichen);
Art. 268 StGB
(Verrückung staatlicher Grenzzeichen) wird in der Strafanzeige nicht erwähnt.
Am 17. November 1969 beschloss der Staatsrat des Kantons Wallis, die Strafanzeige zurückzuziehen, da es sich bei jenem Denkmal nicht um einen Grenzstein, sondern bloss um einen Gedenkstein ("la pierre commémorative") handle. Nach der Entwendung des Denkmales auf der Passhöhe gaben die Behörden des Kantons Wallis somit sehr bald deutlich - und ohne durch das Verhalten des Kantons Tessin beeinflusst zu sein - zu erkennen, dass sie diesen Stein nicht als Grenz- sondern als Erinnerungsstein betrachteten. Somit kann die Errichtung des Denkmals nicht als Ausdruck der Absicht, die Grenze gemäss Landeskarte anzuerkennen, gedeutet werden.
dd) Näher zu untersuchen ist schliesslich die Frage, ob der Kanton Wallis die Grenzlinie gemäss Landeskarte durch
BGE 106 Ib 154 S. 167
langjährige passive Hinnahme konkludent anerkannt hat. Das Prinzip der Bindung durch passive Hinnahme eines Zustandes wird im Völkerrecht in Anlehnung an einen Begriff der angelsächsischen Rechtstradition "acquiescence" genannt, was sich etwa mit dem Ausdruck "qualifiziertes Stillschweigen" wiedergeben lässt (STRUPP/SCHLOCHAUER, Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Auflage, Bd. III, S. 391). Acquiescence bedeutet Stillschweigen gegenüber einem fremden Rechtsanspruch, der sich in einer solchen Weise manifestiert, dass die passive Haltung nach Treu und Glauben nicht anders denn als stillschweigende Anerkennung verstanden werden kann. Es handelt sich also um eine Deutung und rechtliche Wertung passiven Verhaltens unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes. Dabei spielt das Zeitelement eine wesentliche Rolle, denn es ist in der Regel der Zeitablauf, der dem Ausbleiben eines Protestes gegenüber fremder Rechtsbehauptung und ihrer äusserlichen Manifestierung den Charakter einer stillschweigenden Zustimmung gibt. Es ist allerdings zu beachten, dass gerade das Stillschweigen eines Staates niemals als isoliertes Phänomen rechtliche Relevanz hat, sondern immer nur durch seinen Bezug auf die konkrete Interessenlage der Parteien (MÜLLER, a.a.O., S. 37 ff., 40). Der normative Gehalt dieses Prinzips findet Ausdruck im Rechtssprichwort: "Qui tacet consentire videtur si loqui debuisset ac potuisset."
Unter den Entscheiden aus der neueren Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes zur Bedeutung des qualifizierten Stillschweigens bei Grenzstreitigkeiten besitzt namentlich der Fall des Tempels von Preah Vihear im thailändisch-kambodschanischen Grenzgebiet grosses Gewicht (CIJ Recueil 1962, S. 6 ff.). Die thailändische Regierung hatte es versäumt, gegen eine ihr offiziell zugestellte Karte zu protestieren, auf der im Auftrage einer gemischten thailändisch-kambodschanischen Grenzbereinigungskommission der Verlauf der Grenze eingetragen worden war. Den Arbeiten der Kommission waren jahrzehntelange Grenzstreitigkeiten vorausgegangen. Der Internationale Gerichtshof entschied, dass das Stillschweigen der thailändischen Regierung unter den konkreten Umständen sowie ihr Verhalten in den folgenden Jahrzehnten dahin gedeutet werden müssten, dass Thailand die Karten als Ergebnis der Grenzbereinigung anerkannt habe.
Der Umstand, dass der Kanton Wallis weder im Zusammenhang mit der Planung und dem Bau der Nufenenstrasse noch
BGE 106 Ib 154 S. 168
im Verfahren der Gewährung der Bundesbeiträge Vorbehalte zur Grenzfrage angebracht hat, besitzt an sich erhebliches Gewicht. Das umstrittene Gebiet ist indessen sehr klein. Es umfasst das westliche der beiden auf der Passhöhe gelegenen Seelein sowie das zugehörige Einzugsgebiet von ca. 1 ha Fläche. Vor dem Strassenbau war dieses Gebiet völlig unwegsam und ohne jede wirtschaftliche Bedeutung. Der alte Passübergang lag einige hundert Meter südlich der heutigen Passhöhe. Erst mit dem Bau der Strasse wurde die Nutzung der Passhöhe wirtschaftlich interessant. Unter diesen Umständen - die sich von denjenigen im zitierten Fall des Tempels von Preah Vihear wesentlich unterscheiden - kann dem Kanton Wallis nicht zur Last gelegt werden, dass er die Abweichung der Kartengrenze von dem nach seiner Auffassung richtigen Grenzverlauf zunächst nicht erkannte und erst nach Abschluss der Bauarbeiten die Frage der Grenzziehung aufwarf. Man würde an die Sorgfaltspflicht der Kantone bei der rechtlichen Sicherung ihrer Grenzen überhöhte Anforderungen stellen, wollte man von ihnen verlangen, in abgelegenen und unerschlossenen Gebieten jederzeit auch minime Abweichungen auf Landeskarten und anderen offiziösen Dokumenten vom realen Grenzverlauf festzustellen und entsprechende Schritte zur Wahrung des status quo zu unternehmen.
Als den Beteiligten bewusst wurde, dass der Grenzverlauf im Gebiet der Passhöhe nicht restlos geklärt War, haben sie sofort Verhandlungen miteinander aufgenommen. Damit hat der Kanton Wallis mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen gegeben, dass er die Grenze gemäss Landeskarte nicht anerkenne. Es kann daher auch nicht zu seinem Nachteil ausschlagen, wenn er später im Verfahren um die Gewährung eines zusätzlichen Bundesbeitrages (Bundesbeschluss vom 5. Dezember 1972) Hinweise auf diese Streitfrage unterliess (vgl. BBl 1972 I 1217 ff.; Amtl. Bull. 1972 N 2033 f.; S 588 ff.). Der Tatbestand des qualifizierten Stillschweigens (acquiescence) ist somit nicht erfüllt.
c) Es bleibt zu prüfen, ob das Verbot widersprüchlichen Verhaltens den Kanton Wallis heute daran hindert, seine Ansprüche erfolgreich geltend zu machen.
Weder Völkerrecht noch schweizerisches Landesrecht kennen einen allgemein gültigen Grundsatz der Gebundenheit an eigenes Handeln. Der Gedanke, dass man sich nicht mit eigenen
BGE 106 Ib 154 S. 169
Handlungen in Widerspruch setzen darf, sofern dadurch Interessen anderer beeinträchtigt werden, kommt nur unter bestimmten Voraussetzungen zum Durchbruch (MERZ, N. 401 zu
Art. 2 ZGB
). Im Privatrecht wird ein Verstoss gegen Treu und Glauben vor allem bejaht, wenn das frühere Verhalten schutzwürdiges Vertrauen begründet hat (MERZ, a.a.O., N. 402). Der gleiche Gedanke hat im Völkerrecht Niederschlag im sog. Estoppel-Prinzip gefunden. Estoppel setzt voraus, dass eine Partei im Vertrauen auf Zusicherungen oder konkludente Verhaltensweisen der andern sich zu rechtlich erheblichem Handeln verleiten liess, das ihr zum Schaden gereichen würde, wenn die andere Partei später einen gegenteiligen Standpunkt einnehmen dürfte. Die typische Rechtswirkung von Estoppel liegt darin, dass unter diesen Voraussetzungen eine Partei mit einer Behauptung nicht gehört werden kann, und zwar ganz abgesehen davon, ob im übrigen Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Behauptung vorliegen oder nicht (J.P. MÜLLER, a.a.O., S. 10 mit Verweisen; C. DOMINICE, A propos du principe de l'estoppel en droit de gens, Rec. Paul Guggenheim, 1968, S. 327 ff.).
Dem Kanton Wallis könnte somit nur dann widersprüchliches Verhalten vorgeworfen werden, wenn ein Vertrauensschaden auf Seiten des Kantons Tessin nachweisbar wäre. Der Kanton Tessin hat aber im ganzen Verfahren nie geltend gemacht, ihm sei aus dem Stillschweigen des Kantons Wallis ein Schaden erwachsen. Ein solcher Schaden ist auch nicht ersichtlich: Zwar geht bei Gutheissung der Klage ein Teil der Strasse, die der Kanton Tessin erstellt und bezahlt hat, in den Besitz des Kantons Wallis über. Eine nicht wiedergutzumachende Disposition hat der Kanton Tessin mit dem Strassenbau indessen nicht getroffen, denn der Kanton Wallis wird den Kanton Tessin in diesem Fall für die Kosten des strittigen Teilstückes zu entschädigen haben. Darüber ist allerdings in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Dass die Nufenen-Strasse anders oder überhaupt nicht gebaut worden wäre, wenn der Kanton Wallis bereits 1965 seine heutigen Ansprüche klar formuliert hätte, hat der Kanton Tessin nie geltend gemacht. Der Kanton Tessin hat somit keinen Vertrauensschaden erlitten, und der Kanton Wallis ist nicht wegen widersprüchlichen Verhaltens (Estoppel) daran gehindert, seine vorliegend strittigen Interessen zu verfolgen.
BGE 106 Ib 154 S. 170
7.
Nachdem feststeht, dass der Kanton Wallis den Grenzverlauf gemäss Landeskarte nicht konkludent anerkannt hat, stellt sich die weitere Frage, ob eine der beiden Parteien eine kontinuierliche und unbestrittene Ausübung von Hoheitsrechten nachweisen und daraus für sich Rechte ableiten kann (Ersitzung; prescription).
Besondere Bedeutung kommt dabei der Bestimmung des Zeitpunktes zu, bis zu welchem die Ausübung von Hoheitsrechten unbestritten geblieben sein muss. Dieser Zeitpunkt liegt unmittelbar vor dem Ausbruch der Streitigkeit, die zum Verfahren geführt hat (sog. "critical date", vgl. I. BROWNLIE, Principles of Public International Law, Oxford 1977, S. 133 f. mit Verweisen). Im vorliegenden Fall kommt hiefür der Strassenbau, eventuell sogar erst die Beseitigung des Gedenksteins nach der Eröffnungsfeier vom 5. September 1969 in Frage. Diese Feier kann aber nicht isoliert betrachtet werden; sie stellt vielmehr den Abschluss der mehrjährigen Bauarbeiten dar, die insgesamt die Grenzstreitigkeit ausgelöst haben. Ist bis zu diesem Zeitpunkt keine kontinuierliche und unbestrittene Ausübung von Hoheitsrechten durch eine der Parteien nachzuweisen, muss auf andere Rechtstitel abgestellt werden.
a) Das vom Kanton Tessin eingereichte Gutachten von Dr. Raschèr vom Institut Tessiner Namenbuch RTT der Universität Zürich wertet Urkunden aus der Zeit zwischen 1200 und 1700 aus und kommt zum Schluss, dass das Interessengebiet der Tessiner immer auf der Passhöhe angefangen habe. Zur Frage, ob die Grenze im heute umstrittenen Bereich westlich der beiden Seelein oder zwischen ihnen durchgeführt hat, äussert sich keine dieser Urkunden. Aus späterer Zeit datierende Belege sind nicht eingereicht worden.
Einzelne vom Kanton Tessin namhaft gemachte Gewährspersonen erklären zwar, in den Jahren zwischen 1958 und 1969 Grenzzeichen (Steinmänner) gesehen zu haben, deren Anordnung im Bereich der beiden Seen der Grenzziehung gemäss Landeskarte entsprochen hätten. Der Kanton Wallis bestreitet die Richtigkeit dieser Aussagen. Wie es sich damit verhält, braucht indessen nicht näher untersucht zu werden. Das Aufstellen von Steinmännern ist für sich allein kein Hoheitsakt und muss nicht zwangsläufig als Markierung einer Kantonsgrenze angesehen werden. Steinmänner können auch als Wegzeichen dienen oder Privateigentum abgrenzen. Überdies müsste ihre Existenz für einen längeren Zeitraum als für die Jahre 1958 bis 1969
BGE 106 Ib 154 S. 171
belegt werden, um als Nachweis einer kontinuierlichen und unbestrittenen Ausübung von Hoheitsrechten dienen zu können.
b) Auch die verschiedenen vom Kanton Wallis ins Recht gelegten Urkunden aus dem 15. bis 18. Jahrhundert äussern sich nicht zum heute noch umstrittenen Gebiet. Aus den eidesstattlichen Erklärungen von Hirten, welche dartun, ihr Vieh jeweils "in den Seen gegen Tessin" getränkt zu haben, lassen sich ebenfalls keine zwingenden Schlüsse auf die hoheitlichen Verhältnisse auf der Passhöhe ziehen. Auch die Aussagen einzelner Gewährspersonen, die angeben, der See auf dem Nufenen gehöre zum Wallis und die Grenze habe sich immer unterhalb der Passhöhe auf der Tessiner Seite befunden, sind zu unbestimmt und beziehen sich nicht auf konkrete Hoheitsakte. Ein gewisses Gewicht hat einzig die Erklärung von Anton Imfeld, Ulrichen, der sich daran erinnert, dass bei der Maul- und Klauenseuche in den dreissiger Jahren der Walliser Wachtposten "unter den Seen im Mörderloch" gewesen sei. Dieses Ereignis ist aber zu isoliert, als dass daraus auf eine kontinuierliche und unbestrittene Ausübung von Hoheitsrechten geschlossen werden könnte. Auch der Kanton Wallis kann somit keine Ansprüche auf das umstrittene Gebiet aus Ersitzung begründen.
8.
Es ergibt sich, dass der Grenzverlauf der Landeskarte vom Kanton Wallis nicht konkludent anerkannt worden ist und dass keiner der beiden Kantone die ausschliessliche Ausübung von Hoheitsbefugnissen im umstrittenen Gebiet der beiden Seelein auf der Passhöhe nachweisen konnte. Wie das Bundesgericht in BGE 21, 967 in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre und Praxis des Völkerrechts erkannt hat, ist somit subsidiär auf die natürliche Bodengestalt abzustellen. Bei Grenzgebirgen bildet dabei das Kriterium der Wasserscheide den einzig praktikablen Ansatzpunkt (vgl. MENZEL/IPSEN, a.a.O. S. 153; BERBER, Lehrbuch des Völkerrechts, 1. Band, München 1975, S. 317; VERDROSS/SIMMA, a.a.O. S. 522). Beide Parteien haben übrigens in einzelnen Phasen des Prozesses selber die Auffassung vertreten, für die Bestimmung des Grenzverlaufes auf dem Nufenenpass sei von der Wasserscheide auszugehen.
Zur Frage, wo die Wasserscheide liegt, äussert sich das Gutachten von Prof. Spiess vom 23. Juli 1975, welches auf umfangreichen Untersuchungen basiert und sehr sorgfältig abgefasst ist.
BGE 106 Ib 154 S. 172
Da es zudem von keiner Partei ausdrücklich bestritten wird, kann ohne weiteres auf seine Ergebnisse abgestellt werden.
Prof. Spiess gelangt darin zum Schluss, dass der grössere westliche See vor dem Strassenbau für den grössten Teil des Jahres ein abflussloses Becken bildete, sich jedoch in Richtung Wallis entwässerte, sobald der Wasserspiegel wegen der Schneeschmelze oder grösserer Regenfälle geringfügig stieg. Er folgert daraus, dass die Wasserscheide vor dem Bau der Strasse zwischen den beiden Seelein hindurch verlief, diskutiert aber die Möglichkeit, das Becken je zur Hälfte den beiden Kantonen zuzuschlagen, um so dem Umstand gerecht zu werden, dass der See während des grösseren Teils des Jahres ohne Abfluss sei. Diese Lösung fällt ausser Betracht; nach dem Rechtssinn der Wasserscheide als natürlichem Grenzverlauf ist es ausgeschlossen, dass eine Wasserscheide mitten durch einen See oder einen Fluss führt (vgl. LAMB, Treaties, Maps and the Western Sector of the Sino-Indian Boundary Dispute, Australian Year Book of International Law Bd. 1 1965, S. 49). Somit ist davon auszugehen, dass die Wasserscheide entlang dem Nord-, Ost- und Südufer des westlich gelegenen Sees verläuft und dass somit das Einzugsgebiet dieses Sees geographisch zum Kanton Wallis gehört.
Diese Lösung wird zudem durch folgende Überlegung gestützt: Die Siegfriedkarte von 1872 sowie alle späteren Ausgaben bis 1934 führten die Grenze entsprechend dem wirklichen Verlauf der Wasserscheide zwischen den beiden Seelein hindurch. Die Festungskarte 1:10 000 aus den Jahren 1917/1918, welche erstmals den Grenzverlauf westlich des grösseren Sees zeigt und als Grundlage für die Landeskarte diente, ist nach Meinung von Prof. Spiess nicht zuverlässig. Aus der Tatsache, dass diese Karte nur den grösseren See darstellt und den kleineren See überhaupt nicht erfasst, schliesst Prof. Spiess, dass die Topographen dieses Gebiet gar nicht erneut begangen haben; seiner Meinung nach basiert die Festungskarte somit im Gegensatz zur Siegfriedkarte nicht auf Feldaufnahmen. Für ihn liegt deshalb bei der Festungskarte eher ein grober Auswertungsfehler als eine bewusste Veränderung der Kantonsgrenze vor. Diese Schlussfolgerung erscheint als plausibel.
Es ergibt sich somit, dass das westliche Seelein mit seinem Einzugsgebiet zum Kanton Wallis gehört und dass die Kantonsgrenze im Bereich der beiden Seelein der von Prof. Spiess
BGE 106 Ib 154 S. 173
festgestellten Wasserscheide folgt. Die endgültige Kantonsgrenze ist von den beiden Kantonen in gegenseitiger Absprache und nach den Grundsätzen der Kartographie zu bereinigen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird gutgeheissen, soweit sie aufrecht erhalten worden ist. Die Grenze zwischen den Kantonen Tessin und Wallis verläuft im Bereich der Nufenenpasshöhe zwischen den Höhenkoten 2486.88 (ca. 25 m nördlich der Nordecke des westlichen Seeleins) und 2486.20 (unmittelbar bei dem ca. 30 m südwestlich der Strassenkurve liegenden Gebäude) entlang der Wasserscheide, wie sie in einer rot markierten, strichpunktierten Linie in dem Plan 1:500 eingezeichnet ist, der Bestandteil der Expertise von Prof. Spiess vom 23. Juli 1975 bildet. Es ist Sache der Regierungen der beiden Kantone, diese Linienführung zu begradigen, soweit es kartographisch erforderlich ist. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7d652f6e-68bc-437b-92f7-f9a7f702c811 | Urteilskopf
108 V 189
41. Arrêt du 26 octobre 1982 dans la cause K., P., L. contre Caisse cantonale genevoise de compensation et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS | Regeste
Art. 52 AHVG
. Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers. In casu bejaht, weil keine Rechtfertigungs- bzw. Exkulpationsgründe nachgewiesen (Erw. 2, 4).
Art. 81 AHVV
.
-
Art. 81 Abs. 3 AHVV
ist gesetzmässig. Der Sozialversicherungsrichter kann einen kraft des Art. 81 Abs. 2 erhobenen Einspruch nicht aufheben, wenn die Ausgleichskasse den in Art. 81 Abs. 3 vorgesehenen Klageweg nicht beschritten hat. Dieser Weg ist nur der Kasse vorbehalten; keine andere Behörde kann sie ersetzen und an ihrer Stelle handeln (Erw. 3).
- Haften mehrere Schuldner solidarisch untereinander, so hat die Kasse die Wahl, entweder alle Schuldner zu belangen oder einen einzigen von ihnen; um die internen Beziehungen der Haftpflichtigen hat sie sich nicht zu kümmern (Erw. 3).
- Nach Ablauf der Frist des Art. 81 Abs. 3 kann die Kasse ihre Forderungen nicht mehr erhöhen (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 190
BGE 108 V 189 S. 190
A.-
Le 20 juin 1979, la Caisse cantonale genevoise de compensation notifia à K., administrateur de la société X SA, qu'elle subissait une perte de 99'580 fr. 95 sur la créance de cotisations paritaires produite dans la faillite de ladite société, qu'elle l'en rendait responsable conjointement et solidairement avec P., L. et J., et qu'elle le sommait de verser ce montant dans les 30 jours.
Le 26 juin 1979, elle adressa la même sommation à un autre administrateur de la faillite, P., mais pour un montant de 86'518 fr. 80 et sans impliquer J. dans sa réclamation.
Le 20 juin 1979, la caisse a adressé une sommation analogue à L., ancien administrateur de la faillite, pour un montant de 99'580 fr. 95.
Dans les 30 jours, chacun des trois intéressés forma, auprès de la caisse de compensation, une opposition motivée contre la décision qui le concernait.
BGE 108 V 189 S. 191
B.-
Dans les 30 jours qui suivirent, la caisse de compensation demanda à la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS de prononcer le rejet des oppositions de K. et de P.
Le 27 novembre 1979, la commission de recours confirma "les décisions notifiées par la caisse de compensation les 20 et 26 juin 1979 à K., P. et L., pris conjointement et solidairement, pour un montant de 99'580 fr. 95". Ce jugement se fonde sur un état de fait qu'on peut résumer ainsi:
La société X SA, vouée au traitement de l'information et à toutes études économiques et techniques dans le domaine de la production, de la distribution, de la recherche ou de la prestation de services, fut inscrite au registre du commerce le 4 février 1975 et dissoute le 8 mai 1978 par la faillite. Furent, entre autres, inscrits comme administrateurs dès la constitution de la société: K., président; P., secrétaire dès le 17 février 1976 et radié le 30 mars 1978; L., radié le 17 mars 1978. J. fut inscrit comme fondé de pouvoirs du 10 novembre 1977 au 30 mars 1978. La société, qui souffrait d'un manque chronique de trésorerie, ne versa pas à la Caisse cantonale genevoise de compensation toutes les cotisations paritaires AVS/AI/APG qu'elle lui devait. La caisse de compensation produisit de ce fait dans la faillite une créance de 99'580 fr. 95, pour laquelle il fut d'emblée évident qu'elle ne recevrait aucun dividende. Il s'ensuivit les trois décisions mentionnées sous lettre A ci-dessus. La caisse n'attaqua pas J., qui manifestement n'avait pas commis de faute. Elle renonça à requérir la levée de l'opposition formée par L. En cours de procédure, elle précisa qu'elle avait par erreur réclamé à P. une somme inférieure à celle qu'elle entendait mettre à la charge de K.
Les trois administrateurs savaient que la société avait une dette importante et chronique à l'égard de l'AVS/AI/APG. K., chargé à plein temps de la gestion, expose qu'il était de son devoir de consacrer les liquidités en premier lieu à la survie de l'entreprise. Quant à P. et L., ils disent avoir exhorté le prénommé à faire en sorte que les cotisations sociales arriérées fussent payées, mais ils n'entreprirent rien d'efficace pour sauvegarder les intérêts de la caisse de compensation.
En droit, le premier juge estima que - s'agissant d'oppositions relevant d'un même complexe de faits - la caisse de compensation n'avait pas le droit de demander la levée de deux oppositions seulement et de renoncer à attaquer la troisième. Il se saisit donc d'office du cas de L. et retint que les trois administrateurs avaient commis
BGE 108 V 189 S. 192
des fautes graves et causé ainsi à la caisse de compensation une perte importante. Quant au montant de cette perte, il admit le chiffre invoqué par la caisse sur la base des déclarations de salaires qu'elle tenait de la société, nonobstant l'allégation de K. que ces déclarations contenaient des montants supérieurs à la réalité.
C.-
K. et P. ont formé un recours de droit administratif contre le jugement cantonal. Ils contestent, avec pièces à l'appui, le montant de la perte subie par la caisse, qu'ils disent n'être que de 89'489 fr. 25, contestent toute faute grave et concluent au renvoi de la cause à la commission de recours ou à la caisse de compensation, pour complément d'instruction et nouvelle décision.
La Caisse cantonale genevoise de compensation et l'Office fédéral des assurances sociales concluent au rejet du recours.
D.-
D'autre part, L. a également recouru. Il proteste contre les conditions dans lesquelles la commission cantonale de recours s'est saisie d'office de son cas, considère qu'il n'est point établi qu'il ait causé par une faute quelconque la perte subie par la caisse de compensation et conclut à l'annulation des décisions attaquées dans la mesure où elles le concernent.
La caisse de compensation déclare s'en rapporter à justice. L'Office fédéral des assurances sociales estime que la juridiction cantonale n'avait pas le droit de prononcer une levée d'opposition qui ne lui était pas demandée dans les formes légales et réglementaires. Il propose l'admission du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Etant donné que les deux recours concernent des faits de même nature et sont dirigés contre le même jugement, il se justifie de les réunir et de les liquider dans un seul arrêt (v. p.ex.
ATF 105 V 129
consid. 2b et arrêts cités).
2.
En vertu de l'
art. 52 LAVS
, l'employeur qui, intentionnellement ou par négligence grave, n'observe pas des prescriptions et cause ainsi un dommage à la caisse de compensation est tenu à réparation.
a) L'
art. 14 al. 1 LAVS
, en corrélation avec les
art. 34 ss RAVS
, prescrit que l'employeur doit déduire, lors de chaque paie, la cotisation du salarié et verser celle-ci à la caisse de compensation en même temps que sa propre cotisation. Les employeurs doivent
BGE 108 V 189 S. 193
remettre périodiquement aux caisses les pièces comptables concernant les salaires versés à leurs employés, de manière que les cotisations paritaires puissent être calculées et faire l'objet de décisions. L'obligation de l'employeur de percevoir les cotisations et de régler les comptes est une tâche de droit public prescrite par la loi. A cet égard, le Tribunal fédéral des assurances a déclaré, à réitérées reprises, que celui qui néglige de l'accomplir enfreint les prescriptions au sens de l'
art. 52 LAVS
et doit, par conséquent, réparer la totalité du dommage ainsi occasionné (
ATF 103 V 122
consid. 3, ATFA 1961 p. 230). D'autre part, la Cour de céans a expressément admis qu'une telle obligation n'existait que dans les cas où l'employeur avait, intentionnellement ou par négligence grave, violé les prescriptions de la législation sur l'AVS (
ATF 103 V 124
consid. 6,
ATF 98 V 29
consid. 6). Aussi, l'employeur qui, faute de ressources, a omis d'acquitter les cotisations paritaires, n'agit-il ni intentionnellement ni par négligence grave (RCC 1970 p. 102).
b) Jusqu'à présent, la jurisprudence ne s'est pas clairement prononcée sur le point de savoir si la responsabilité de l'employeur, au sens de l'
art. 52 LAVS
, pouvait éventuellement être niée, pour des motifs qui font apparaître comme légitime la violation de prescriptions ou qui excluent un comportement fautif. La Cour plénière, à qui cette question a été soumise, l'a résolue comme il suit:
La condition essentielle de l'obligation de réparer le dommage consiste, selon le texte même de l'
art. 52 LAVS
, dans le fait que l'employeur a, intentionnellement ou par négligence grave, violé des prescriptions et ainsi causé un préjudice. L'intention et la négligence constituent différentes formes de la faute. L'
art. 52 LAVS
consacre en conséquence une responsabilité pour faute résultant du droit public. Il n'y a obligation de réparer le dommage, dans un cas concret, que s'il n'existe aucune circonstance justifiant le comportement fautif de l'employeur ou excluant l'intention et la négligence grave. A cet égard, on peut envisager qu'un employeur cause un dommage à la caisse de compensation en violant intentionnellement les prescriptions en matière d'AVS, sans que cela entraîne pour autant une obligation de réparer le préjudice. Tel est le cas lorsque l'inobservation des prescriptions en question apparaît, au vu des circonstances, comme légitime ou non fautive.
Mais, s'il n'existe aucun indice permettant de conclure que cette condition est réalisée, la caisse de compensation, qui constate que
BGE 108 V 189 S. 194
la violation des prescriptions lui a causé un dommage, est fondée à considérer que l'employeur a agi intentionnellement ou à tout le moins par négligence grave. Cela étant, elle rendra une décision au sens de l'
art. 81 al. 1 RAVS
en vue d'obtenir la réparation du dommage. Il appartient audit employeur de faire valoir dans la procédure d'opposition des motifs justifiant ou excusant son comportement, à charge pour lui d'en rapporter la preuve en vertu de son devoir de collaborer à l'établissement des faits (
art. 81 al. 2 RAVS
). Pour sa part, la caisse de compensation examinera, en application du principe de l'instruction d'office, les moyens soulevés par l'employeur. Si elle arrive à la conclusion que les motifs invoqués sont fondés, elle admettra l'opposition; dans le cas contraire, elle agira conformément à l'
art. 81 al. 3 RAVS
(
ATF 108 V 183
).
c) Il y a dommage, au sens de l'
art. 52 LAVS
, dès qu'un montant appartenant ou revenant à une caisse de compensation, en sa qualité d'organe de l'AVS, lui échappe. L'ampleur du dommage est alors égale au capital dont la caisse se trouve frustrée (
ATF 103 V 122
consid. 4,
ATF 98 V 28
consid. 4; ATFA 1961 p. 229 consid. 1, 1957 p. 218/219 consid. 1).
d) Aux termes de l'
art. 82 RAVS
:
"1 Le droit de demander la réparation d'un dommage se prescrit lorsque la caisse de compensation ne le fait pas valoir par une décision de réparation dans l'année après qu'elle a eu connaissance du dommage et, en tout cas, à l'expiration d'un délai de 5 ans à compter du fait dommageable.
2 Lorsque ce droit dérive d'un acte punissable soumis par le Code pénal à un délai de prescription de plus longue durée, ce délai est applicable."
Par "fait dommageable", au sens de l'alinéa 1 in fine précité, il faut entendre la survenance du dommage (
ATF 103 V 122
consid. 4, ATFA 1957 p. 222-226 consid. 3, RCC 1973 p. 78 consid. 2). Dans le cas de cotisations non versées et périmées en vertu de l'
art. 16 LAVS
, la date de la survenance du dommage est celle de l'avènement de la péremption (
ATF 98 V 28
consid. 4, ATFA 1961 p. 230 consid. 2, 1957 p. 222-226 consid. 3).
e) L'obligation imposée par l'
art. 52 LAVS
à l'employeur fautif de réparer le dommage causé à la caisse de compensation s'étend, lorsque l'employeur est une personne morale, aux personnes qui ont agi en son nom; le juge des assurances sociales est compétent pour statuer sur la décision de dommages-intérêts, qu'elle soit prise contre la personne morale ou contre ses représentants; les
art. 754 CO
BGE 108 V 189 S. 195
et 55 al. 3 CC sont alors inapplicables; quant aux
art. 41 ss CO
, le Tribunal fédéral des assurances a laissé la question indécise (
ATF 103 V 120
,
ATF 96 V 124
). Lorsque plusieurs représentants ont causé ensemble le dommage, ils en répondent solidairement. Le Tribunal fédéral des assurances en a jugé ainsi soit tacitement (
ATF 103 V 120
) soit expressément mais sans le motiver (arrêt non publié Müller et Nyffeler du 21 novembre 1978). WINZELER arrivait à la même solution par l'application analogique de l'
art. 50 CO
(Die Haftung der Organe und der Kassenträger in der AHV, thèse Zurich 1952, p. 66). Cette motivation paraît juste, mais il n'est sans doute pas inadmissible de raisonner aussi - par analogie également - sur l'
art. 759 CO
(cf.
ATF 96 V 125
al. 2).
3.
En l'occurrence, la caisse de compensation a ouvert action contre deux administrateurs, K. et P., mais n'a pas procédé en justice contre leur collègue, L. La commission cantonale de recours s'est saisie d'office du cas de ce troisième administrateur, en soutenant en substance qu'une application cohérente des
art. 52 LAVS
et 81 al. 3 RAVS exige que, lorsque plusieurs représentants d'une société anonyme sont impliqués dans la gestion que la caisse critique, ils soient tous attaqués devant la juridiction cantonale. L'Office fédéral des assurances sociales objecte que cette thèse se heurte au texte clair de l'
art. 81 al. 3 RAVS
, selon lequel la caisse est déchue de ses droits (à la réparation du dommage) si elle n'ouvre pas action dans les 30 jours en vue de faire lever l'opposition du prétendu débiteur; il propose donc de libérer L., tout en maintenant la condamnation prononcée contre les deux autres administrateurs solidairement entre eux.
Il est exact que l'
art. 81 RAVS
confère aux caisses de compensation un pouvoir de décision dont l'ampleur semble à première vue excessive au regard du principe de la responsabilité de l'employeur établi par l'
art. 52 LAVS
. La Cour plénière, à qui cette question a été soumise, a cependant constaté que l'
art. 81 RAVS
était conforme à la loi et que le juge des assurances sociales ne pouvait lever une opposition formée, conformément à l'
art. 81 al. 2 RAVS
, par un employeur contre lequel la caisse de compensation n'a pas ouvert l'action prévue à l'
art. 81 al. 3 RAVS
. Si la caisse omet de procéder en justice, aucune autre autorité ne peut se substituer à elle et ouvrir action à sa place.
Certes, en décidant si elle attaquera un employeur, et quelles personnes elle mettra en cause, la caisse devra respecter le principe de l'égalité des justiciables dans l'application de la loi (dans ce sens:
BGE 108 V 189 S. 196
SOMMERHALDER, Die Rechtsstellung des Arbeitgebers in der AHV, thèse Zurich 1958, p. 78 ss). Cependant, en cas de solidarité entre une pluralité de débiteurs, elle jouit d'un concours d'actions et le rapport interne entre les coresponsables ne la concerne pas; si elle ne peut prétendre qu'une seule fois la réparation, chacun des débiteurs répond envers elle de l'intégralité du dommage et il lui est loisible de rechercher tous les débiteurs, quelques-uns ou un seul d'entre eux, à son choix. Or, force est de constater que la caisse de compensation n'a actionné que les anciens administrateurs K. et P.; c'est donc à tort que les premiers juges se sont saisis du cas de L., envers qui la caisse n'avait plus aucun droit, faute d'avoir attaqué son opposition dans les délais et selon la procédure prévue à l'
art. 81 al. 3 RAVS
. Cela étant, le recours de L. doit être admis et le jugement attaqué annulé en conséquence.
Au demeurant, la Cour de céans n'a pas à connaître des rapports internes entre les anciens administrateurs d'une société anonyme.
4.
Les cotisations paritaires que l'employeur X SA en faillite est hors d'état de payer sont celles de juillet 1976 à février 1978. Le bilan arrêté au 31 décembre 1976 indiquait au passif, sous la rubrique "charges sociales dues", une dette de 87'348 fr. 95 à l'égard de la Caisse cantonale genevoise de compensation. Dans son rapport du 14 juillet 1977, l'organe de contrôle se montrait pessimiste et terminait en attirant l'attention des administrateurs sur l'
art. 725 CO
concernant l'avis obligatoire au juge en cas de diminution du capital et d'insolvabilité. De janvier 1976 à février 1978, la société a certes payé des cotisations arriérées, mais elle a accumulé de nouveaux retards et retenu à partir de juillet 1976 des cotisations d'employés qu'elle n'a ni complétées de ses propres cotisations ni versées.
L'administrateur occupé à plein temps, K., a commis une faute grave en laissant délibérément en souffrance, avant juillet 1976 déjà, les créances de la caisse de compensation et en continuant malgré le résultat de l'exercice 1976 une exploitation déficitaire. Il déclare avoir fait passer avant le paiement des cotisations AVS/AI/APG les dépenses qu'il croyait aptes à assurer la survie de la société. C'est précisément ce qu'il n'avait pas le droit de faire: l'assurance sociale n'a pas à courir les risques inhérents au financement d'une entreprise. Il peut certes arriver qu'en retardant le paiement des cotisations AVS/AI/APG, l'employeur parvienne à maintenir son entreprise en vie, par exemple lors d'une passe délicate dans la trésorerie. Mais il faut alors, pour que son
BGE 108 V 189 S. 197
comportement ne tombe pas ultérieurement sous le coup de l'
art. 52 LAVS
, qu'il soit établi avec un haut degré de vraisemblance qu'au moment où l'employeur a pris cette décision, le non-paiement des cotisations était, selon une appréciation raisonnable, objectivement indispensable à la survie de l'entreprise ou, en tout cas, de nature à permettre à cette dernière d'acquitter des créances de salaire colloquées en première classe selon l'
art. 219 al. 4 LP
(
ATF 108 V 187
consid. 2). Or, rien de tel n'est établi en l'occurrence, car même si K. avait, comme il le prétend, des raisons de croire à la possibilité d'un redressement de la situation, sa faute reste grave, attendu qu'il devait aussi craindre sérieusement un échec. Cela ressort du dossier avec une telle évidence que les motifs invoqués ne sont pas pertinents. La responsabilité du recourant est donc engagée, conformément aux normes légales et jurisprudentielles exposées sous ch. 2 ci-dessus.
L'administrateur "externe" P. s'est certes alarmé de la situation de la société et a exhorté son collègue K. à payer les cotisations des assurances sociales. Il consentit, en septembre 1977, un prêt de 40'000 fr. à la société, qui ne le lui a pas remboursé, pour lui permettre de faire face à des engagements pressants; il dit avoir demandé qu'une part importante de ces fonds soit versée à l'AVS, ce qui d'ailleurs ne fut fait qu'à concurrence de 3'000 fr. Mais il n'a pris aucune mesure en vue de mettre réellement fin à la gestion illicite qu'il déplorait. Il n'allègue rien à cet égard qui eût justifié ou excusé son comportement. Par conséquent, il s'est associé à la continuation d'une entreprise hasardeuse, financée sans droit, indirectement et en partie, par l'assurance sociale. Il a ainsi commis, lui aussi, une faute grave, qui engage sa responsabilité.
5.
Le dommage dont la caisse de compensation est en droit de demander réparation équivaut à la somme des cotisations que la masse en faillite de l'employeur n'a pu lui payer. D'après l'état de collocation, il s'agit de 99'580 fr. 95, frais de recouvrement compris. Ce montant correspond à celui de l'acte de défaut de biens délivré le 26 février 1980 à la créancière par l'Office des faillites. La commission cantonale de recours l'a retenu, comme résultant des déclarations de salaire de l'employeur, bien que K. eût allégué que lesdites déclarations contenaient plusieurs erreurs, dont la rectification diminuerait le montant des salaires déterminants de sorte que le solde des cotisations arriérées se réduirait de 11'921 fr. 85.
Aux termes de l'
art. 105 al. 2 OJ
, lorsque le recours est dirigé
BGE 108 V 189 S. 198
contre la décision d'une commission de recours, le Tribunal fédéral est lié par les faits constatés dans la décision, sauf s'ils sont manifestement inexacts ou incomplets ou s'ils ont été établis au mépris de règles essentielles de procédure. Cette disposition s'applique en vertu de l'
art. 132 OJ
au Tribunal fédéral des assurances, quand il statue sur un litige qui ne concerne pas des prestations d'assurance.
Une des règles essentielles de la procédure en matière d'assurance sociale est que le juge établisse d'office les faits déterminants, quitte à requérir à cette fin le concours des parties (RCC 1979 p. 79 consid. 2b et les arrêts cités). Dans le cas particulier, K. avait cité, dans une lettre qu'il avait adressée le 18 juillet 1979 à la caisse de compensation, des exemples précis d'erreurs dans les déclarations de salaire de la société. Le premier juge a contrevenu à la règle précitée en n'instruisant pas sur ces allégations avant de rendre son jugement, le 24 janvier 1980. Dans leur recours de droit administratif, K. et P. allèguent et prouvent, avec pièces à l'appui, qu'une somme de 10'091 fr. 70 comprise dans le total des salaires déterminants résultant des déclarations critiquées, figure aussi dans l'état de collocation établi par l'Office des faillites comme n'ayant pas été payée aux salariés en cause. La caisse de compensation admet l'existence de cette contradiction, mais, estime-t-elle, il n'est pas certain que ce soit son acte de défaut de biens qui soit inexact: ce pourraient tout aussi bien être les rubriques de l'état de collocation relatives aux créances de salaire en question. Le Tribunal fédéral des assurances pourrait faire compléter l'instruction sur ce point. La Cour de céans est cependant d'avis qu'il faut accorder plus de poids aux productions individuelles des salariés qu'à la production que la caisse de compensation fondait sur des récapitulations émanant d'une société dont l'administration n'était pas un modèle de précision, si l'on en croit l'organe de vérification des comptes. Dès lors, elle admet que la somme des cotisations impayées soit réduite de 10'091 fr. 70 et ramenée ainsi à 89'489 fr. 25.
6.
Après l'expiration du délai de l'
art. 81 al. 3 RAVS
, la caisse de compensation a augmenté le montant de ses prétentions contre P. Elle a ouvert action en vue de faire lever l'opposition formée par ce dernier contre la décision le sommant de payer 86'518 fr. 80, puis a déclaré en cours de procès qu'elle aurait dû réclamer 99'580 fr. 95. Ce procédé était inadmissible. En effet, les termes "sous peine de déchéance" figurant à l'
art. 81 al. 3 RAVS
excluent
BGE 108 V 189 S. 199
toute action présentée après le délai prévu; il en va ainsi de l'augmentation des conclusions en cause. Dès lors, comme seule la somme primitivement réclamée peut être exigée de P., celui-ci ne répondra solidairement avec K. que jusqu'à concurrence de 86'518 fr. 80, ce dernier étant seul responsable de la différence entre ce montant et celui du dommage s'élevant à 89'489 fr. 25, à savoir 2'970 fr. 45.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours de L. est admis, le jugement de la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS du 27 novembre 1979 étant annulé en ce qui le concerne.
Le recours de K. et celui de P. sont admis partiellement. Le jugement de la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS du 27 novembre 1979 est réformé, dans ce sens que ces deux recourants doivent à la Caisse cantonale genevoise de compensation, solidairement entre eux, 86'518 fr. 80 et que K. seul doit en outre à la caisse 2'970 fr. 45. | null | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7d68b2e8-01b0-4e92-9c28-53689663fb5f | Urteilskopf
81 I 251
40. Urteil vom 17. Juni 1955 i.S. Gehring gegen Regierungsrat des Kantons Bern. | Regeste
Einspruch gegen Liegenschaftskäufe:
1. Gegenstand des Einspruchsverfahrens.
2. Begriff des landwirtschaftlichen Heimwesens, hier ein Bergbauernbetrieb im Berner Oberland. | Sachverhalt
ab Seite 251
BGE 81 I 251 S. 251
A.-
Am 27. November 1953 verkaufte der Landwirt Alfred Jungen-Sieber in Achseten, Gemeinde Frutigen, der Fabrikantin und Landwirtin Marie Gehring-Schneider in Kandergrund ein Matt- und Weidgut bei der Wegscheide in Ausserachseten. Das Gut umfasst eine Sennhütte, den Gebäudeplatz, eine Matte, eine Weide, Wald und Waldboden
BGE 81 I 251 S. 252
im Ausmass von 379, 25 a und 6 Kuhrechte. Anderseits gab Frau Gehring Herrn Jungen eine Matte, auf Schützen in Achseten, genannt "Köblera", umfassend eine Scheune, den Gebäudeplatz und Wiesland, zusammen 117,72 a in Tausch, unter Anrechnung auf den Kaufpreis der Wegscheide-Besitzung.
Der Grundbuchverwalter Frutigen erhob Einspruch gegen den Kaufvertrag betr. die Wegscheide-Besitzung unter Berufung auf Art. 19, lit. a des BG vom 12. Juni 1951 über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG). Der Regierungsstatthalter des Amtsbezirks Frutigen und der Regierungsrat des Kantons Bern haben den Einspruch bestätigt. Der Regierungsrat geht - wenn auch mit Bedenken - davon aus, dass die Wegscheide-Besitzung als landwirtschaftliche Betriebseinheit, Heimwesen im Sinne von
Art. 19 EGG
, anzusprechen sei. Er hält den Kaufvertrag für unzulässig, weil die Käuferin bereits Eigentümerin eines eine auskömmliche Existenz gewährenden landwirtschaftlichen Grundebesitzes sei (
Art. 19, lit. b EGG
).
B.-
Hiegegen richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, den Entscheid des Regierungsrates und den Einspruch des Grundbuchverwalters aufzuheben. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, die Wegscheide-Besitzung sei kein landwirtschaftliches Heimwesen im Sinne von
Art. 19 EGG
. Die Besitzung liege in einer Höhe von ungefähr 1300 m über Meer, weitab von geschlossenen Siedelungen, und eigne sich nicht als wirtschaftliche Grundlage für eine Bauernfamilie. Als selbständige Existenzgrundlage wäre sie zu klein. Das für eine Bauernfamilie erforderliche Existenzminimum würde einen Nebenverdienst von rund Fr. 1900.-- voraussetzen. Er wäre nur im Baugewerbe zu finden. Doch sei eine solche Erwerbstätigkeit ausgeschlossen, weil der Landwirt zur Zeit der Hauptbeschäftigung im Baugewerbe im eigenen Betriebe notwendig sei. Ausserdem sei die Entfernung von dem in Frage kommenden Arbeitsort Frutigen zu weit
BGE 81 I 251 S. 253
(1 1/2 Stunden mit einem Höhenunterschied von 4-500 m.). Andere Verdienstmöglichkeiten gebe es nicht. Der Weg zur Schule sei weit und im Winter für die Kinder zu beschwerlich. Dass das Heimwesen keine Existenz zu bieten vermöge, zeige sich in den eigenen Erfahrungen des Verkäufers, der im Verlaufe weniger Jahre in Schulden geraten sei. - Praktisch handle es sich bei der Besitzung um eine Vorsass.
Die Voraussetzungen nach
Art. 19, lit. b EGG
seien nicht gegeben. Dem Betrieb der Beschwerdeführerin fehle eine Vorsass. Betriebswirtschaftlich sei eine solche notwendig. Die Wegscheide-Besitzung werde den Betrieb der Beschwerdeführerin sachgemäss ergänzen, was mindestens als wichtiger Grund im Sinne von Art. 19 lit. b gewertet werden müsse.
C.-
Der Regierungsrat des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement betrachtet den Einspruch als unbegründet, weil die vom kantonalen Experten festgestellte Wünschbarkeit oder unter Umständen Notwendigkeit, den Betrieb der Käuferin durch Anschluss einer Vorsass zu ergänzen, einen wichtigen Grund für die Zulässigkeit des beanstandeten Kaufes bilde.
D.-
Im Instruktionsverfahren vor Bundesgericht ist als Experte Herr Arnold von Grünigen, Gemeindepräsident in Saanen, Obmann der oberländischen Gültschatzungskommission, beigezogen worden. Er hat seinen Befund anlässlich eines am 7. Juni 1955 in Frutigen abgehaltenen Rechtstages in Anwesenheit der Parteien und der Behördevertreter mündlich erstattet. - Die Beschwerdeführerin hat am Rechtstag zu Protokoll erklärt, dass sie bereit ist, die in Tausch gegebene Liegenschaft "Köblera" im Falle einer Aufhebung der Einsprache gegen den Kaufvertrag auf Verlangen des Verkäufers der Wegscheide-Besitzung zum Tauschpreis zurückzunehmen, sodass der ganze für die Wegscheide-Besitzung vereinbarte Preis zu bezahlen wäre.
BGE 81 I 251 S. 254
Das Bundesgericht hat die Beschwerde begründet erklärt und den Einspruch gegen Liegenschaftkauf aufgehoben
Erwägungen
in Erwägung:
1.
Nach
Art. 19 EGG
findet das Einspruchsverfahren gegen Liegenschaftskäufe Anwendung auf Kaufverträge über landwirtschaftliche Heimwesen und zu einem solchen gehörende Liegenschaften. Liegenschaften, die nicht zu einem landwirtschaftlichen Heimwesen gehören, unterliegen dem Einspruch nicht, auch wenn sie landwirtschaftlich genutzt werden. Der Einspruch ist demnach auf landwirtschaftliche Heimwesen und Bestandteile von solchen beschränkt. Landwirtschaftliche Heimwesen sollen nicht nur an sich, sondern, unter den gesetzlichen Voraussetzungen und in deren Rahmen, auch in ihrem Bestande erhalten bleiben.
Die Beschwerdeführerin macht in erster Linie geltend, der von ihr abgeschlossene Kauf betreffe weder ein landwirtschaftliches Heimwesen noch eine zu einem solchen gehörende Liegenschaft. Die Einwendung ist begründet. Nach der Praxis (
BGE 81 I 107
;
BGE 80 I 96
, 412) werden als landwirtschaftliche Heimwesen Gewerbe angesehen, die dem Betriebsinhaber (Eigentümer oder Pächter) und seiner Familie als Existenzgrundlage dienen. Nicht erforderlich ist, dass das Gewerbe (der landwirtschaftliche Betrieb) für sich allein eine Familie zu ernähren vermag oder für sie die hauptsächliche oder wesentliche Existenzgrundlage bildet. Auch Kleinheimwesen, deren Bewirtschaftung nur einen Nebenverdienst gewährt, stehen unter dem Schutze von
Art. 19 EGG
. Dagegen muss es sich um ein geschlossenes Gewerbe, eine landwirtschaftliche Einheit handeln. Liegenschaften, die zwar zusammen mit andern ein landwirtschaftliches Gewerbe bilden könnten, aber nicht mit solchen zu einem Gewerbe verbunden sind, fallen nicht unter
Art. 19 EGG
.
BGE 81 I 251 S. 255
2.
Die im bundesgerichtlichen Verfahren durchgeführten Erhebungen haben ergeben, dass in der Gegend von Frutigen zu einem Bergbauernbetrieb in der Regel Talliegenschaft, Vorsass und Alp gehören, wobei die Vorsass im Frühjahr vor dem Auftrieb des Viehs auf die Alp während kurzer Zeit teilweise geweidet, im übrigen während des Sommers geheut wird; im Herbst wird alsdann die ganze Liegenschaft geweidet und im Vorwinter das vorhandene Dürrfutter herausgefüttert. Eine Vorsass bildet daher in der Regel nur einen Teil eines landwirtschaftlichen Gewerbes.
Nach den Feststellungen des bundesgerichtlichen Experten ist die Wegscheide-Besitzung eine ausgesprochene Vorsass. Das darauf stehende Gebäude ist eine Sennhütte, nicht ein Wohnhaus. Als Sennhütte war sie schon im Zeitpunkt ihrer Errichtung charakterisiert worden. Sie wurde mit Bundes- und Kantonsbeiträgen erbaut. Ein Wohnhaus wäre nicht subventioniert worden. Die Einrichtung des Gebäudes ist diejenige einer Sennhütte: Die Küche entspricht den Bedürfnissen einer Vorsass; die Stallungen sind, nach Sennhüttenart, direkt mit den Wohnräumen verbunden. "Die Höhenlage der Wegscheide-Besitzung von fast 1300 m auf der Schattenseite, die Entfernung von mehr als 3/4 Stunden vom nächsten Schulhaus und der nächsten Poststelle, sowie die besonders im Winter einsame und weglose Lage der Liegenschaft rechtfertigen entschieden die Auffassung, dass hier ein günstiger Frühlings-und Herbst-, aber kein Jahressitz für eine Familie mit schulpflichtigen Kindern besteht." (Vorbericht des Experten vom 6. Mai 1955).
Unter derartigen Verhältnissen hat eine Vorsass den Charakter eines landwirtschaftlichen Heimwesens im Sinne des Gesetzes nicht. Für sich allein gewährt sie keine ausreichende Grundlage für den Betrieb eines landwirtschaftlichen Gewerbes. Allerdings hat der Verkäufer Jungen die Wegscheide-Besitzung von 1952 bis 1954 ganzjährig
BGE 81 I 251 S. 256
bewohnt und bewirtschaftet. Es war jedoch, nach Auffassung des Experten, eine ausgesprochene Notlösung, die sich nicht auf längere Zeit halten liesse.
Fehlt aber - unter den hier gegebenen Verhältnissen - der Wegscheide-Besitzung der Charakter eines landwirtschaftlichen Heimwesens im Sinne des Gesetzes, so ist der Einspruch aufzuheben. Wie es sich mit den Voraussetzungen von Art. 19, lit. a, b und c EGG verhalten würde, ist unter diesen Umständen nicht zu erörtern. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
7d6aac2b-b212-4588-9a3f-6a10b7330060 | Urteilskopf
126 III 401
69. Estratto della sentenza 10 luglio 2000 della II Corte civile nella causa A. c B. (ricorso per riforma) | Regeste
Art. 114 ZGB
und Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB; Scheidung nach Getrenntleben.
Für eine Klage auf Scheidung gemäss
Art. 114 ZGB
genügt, dass in einem Prozess, der vor einem kantonalen Gericht hängig ist, die vom Gesetz verlangte Voraussetzung des vierjährigen Getrenntlebens im Moment des Inkrafttretens des neuen Rechtes erfüllt ist (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 401
BGE 126 III 401 S. 401
A.-
B. e A. si sono sposati a Cadempino il 20 ottobre 1994. Alcuni mesi dopo il matrimonio le parti si sono separate e A. ha promosso azione di separazione a tempo indeterminato, alla quale B. si è opposto, postulando in via riconvenzionale il divorzio. Con sentenza 3 marzo 1998 il Pretore del distretto di Lugano ha pronunciato la separazione a tempo indeterminato e ha condannato il marito a versare alla moglie un contributo di mantenimento. Con sentenza 20 aprile 2000 la I Camera civile del Tribunale d'appello del Cantone Ticino, adita dal marito, ha modificato il giudizio pretorile nel senso che il matrimonio tra i coniugi A. e B. è sciolto per divorzio e che non sono dovute prestazione alimentari.
BGE 126 III 401 S. 402
B.-
Il 10 maggio 2000 A. ha presentato un ricorso per riforma, con cui chiede l'annullamento della decisione cantonale e la conferma di quella del giudice di primo grado. Con sentenza 10 luglio 2000, il Tribunale federale ha respinto, in quanto ammissibile, il gravame.
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
a) La Corte cantonale ha statuito il 20 aprile 2000, giusta l'art. 7b cpv. 1 tit. fin. CC, in base al nuovo diritto del divorzio. I giudici cantonali hanno ritenuto di poter concedere il divorzio in applicazione dell'art. 114 CC, perché le parti vivevano separate da oltre quattro anni prima dell'entrata in vigore del nuovo diritto. Essi hanno in particolare fondato questa loro decisione sulla dottrina pubblicata con l'entrata in vigore della novella legislativa (segnatamente REUSSER, Die Scheidungsgründe und die Ehetrennung, in: Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, pag. 45 n. 1.110 e FANKHAUSER, in: Praxiskommentar Scheidungsrecht, n. 29 ad art. 114 CC).
b) Secondo l'attrice, i giudici cantonali non potevano pronunciare il divorzio in applicazione dell'art. 114 CC, perché essa si è opposta al divorzio e ha chiesto la pronuncia della separazione, ritenendo il marito unico e solo responsabile della disunione coniugale. Essa non adduce tuttavia nessuna motivazione a sostegno della sua tesi contraria, in particolare essa nemmeno pretende che i quattro anni di separazione avrebbero dovuto essere compiuti al momento dell'introduzione dell'azione.
c) Vero è che l'art. 114 CC riconosce il diritto di domandare il divorzio con un'azione unilaterale se al momento della litispendenza o della sostituzione della richiesta con un'azione unilaterale i coniugi sono vissuti separati da almeno quattro anni. Questa disposizione si applica a tutte le procedure introdotte dopo l'entrata in vigore del nuovo diritto.
Nella fattispecie in esame, l'azione di divorzio era invece già pendente davanti ai giudici cantonali al momento dell'entrata in vigore del nuovo diritto e il convenuto si è richiamato alla causa unilaterale della separazione quadriennale solo con l'entrata in vigore del nuovo diritto. La situazione non è in sostanza diversa da quella che si verifica nei casi in cui il giudice constata che le condizioni del divorzio su richiesta comune non sono soddisfatte e in applicazione dell'art. 113 CC impartisce un termine a ogni coniuge affinché la richiesta sia sostituita con un'azione unilaterale. In questi casi il Messaggio
BGE 126 III 401 S. 403
sul nuovo diritto del divorzio e la legge stessa esplicitamente e chiaramente prevedono che il termine dev'essere scaduto al momento del cambiamento di procedura (Messaggio sulla revisione del Codice civile svizzero (stato civile, matrimonio, divorzio, filiazione, assistenza tra parenti, asili di famiglia, tutela e mediazione matrimoniale) del 15 novembre 1995, FF 1996 I 1, pag. 100). Ad analoga conclusione approda pure la dottrina (REUSSER, op. cit., n. 1.68, pag. 32; GEISER, Übersicht zum Übergangsrecht des neuen Scheidungsrechts, in: Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, n. 6.20, pag. 254 seg.; SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, n. 15 all'art. 114 CC; FANKHAUSER, op. cit., n. 10 all'art. 114 CC).
Poiché in concreto il convenuto ha formulato la sua domanda di divorzio fondata sull'art. 114 CC solo con l'entrata in vigore del nuovo diritto, non vi è ragione per scostarsi dalla soluzione sopra ricordata per il caso in cui il giudice assegna alle parti un termine per proporre un'azione unilaterale anche nella presente fattispecie. D'altra parte, sembra del tutto logico che imponendo l'applicazione del nuovo diritto alle cause pendenti, le condizioni da questo poste debbano essere adempiute al momento della sua entrata in vigore e non all'atto dell'introduzione della causa secondo il vecchio diritto (REUSSER, op. cit., n. 1.110; FANKHAUSER, op. cit., n. 29 all'art. 114 CC; PFISTER-LIECHTI, Le nouveau droit du divorce: quelle procédure?, in: La Semaine judiciaire, Doctrine, 2000, pag. 259; SUTER, Übergangsrecht, in: Das neue Scheidungsrecht, pag. 169; LEUENBERGER, in: Praxiskommentar Scheidungsrecht, n. 4 all'art. 7b tit. fin. CC; STECK, Scheidungsklagen (nArt. 114-117 ZGB), in: Das neue Scheidungsrecht, pag. 37 seg.). Per altro verso, l'art. 7b cpv. 2 tit. fin. CC concede la facoltà alle parti di presentare nuove conclusioni sulle questioni toccate dal cambiamento del diritto applicabile e il tribunale, anche quello superiore cantonale se del caso, deve istruire di conseguenza il procedimento: ciò ha un senso, per il caso all'esame, solo se si ammette che la separazione quadriennale istituita dall'art. 114 CC può essere intervenuta prima dell'introduzione del nuovo diritto e non già al momento dell'inoltro della domanda. Ne consegue che su questo punto la sentenza dei giudici cantonali appare conforme al nuovo diritto del divorzio e va senz'altro confermata. | null | nan | it | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7d6f51a0-3ff2-4f52-bc8c-d2ac5fbe1074 | Urteilskopf
96 IV 76
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Mai 1970 i.S. Häusler gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 325 Abs. 1, 326 Abs. 1 StGB; Ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher.
Vorgeschobener einziger Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft; subjektiver Tatbestand. | Sachverhalt
ab Seite 77
BGE 96 IV 76 S. 77
A.-
Hans Häusler kam 1955 mit Fritz Maurer in Verbindung und ist seither sein ergebener Mitarbeiter. Maurer betreibt seit vielen Jahren eine undurchsichtige Geschäftstätigkeit, wobei er ohne oder mit zweifelhaften Aktiven Gesellschaften gründet, Liegenschaften kauft und verkauft, mit Wechseln und Schuldbriefen handelt, etc. Eine grosse Zahl seiner rund 80 Gesellschaften liess er in Konkurs gehen, nachdem er aus ihnen möglichst viel Nutzen gezogen hatte. Häusler wurde Maurers Strohmann. Er unterschrieb, was Maurer ihm vorlegte, handelte für ihn als vorgeschobener Gesellschaftsgründer, als Verwaltungsrat usw., ohne jemals genauer Bescheid zu wissen oder selbst irgendeinen Einfluss auf die Geschäfte auszuüben. Er bezog weder Lohn noch einen bestimmten Gewinnanteil, sondern erhielt von Maurer immer wieder kleinere und grössere Zuwendungen, woraus er den Lebensunterhalt und die Miete für sich und seine Familie bestritt.
B.-
Die Bezirksanwaltschaft Zürich führte 1968 gegen Fritz Maurer eine Strafuntersuchung wegen Betrugs, leichtsinnigen Konkurses, Veruntreuung usw. Das Verfahren wurde auf Maurers Strohmänner ausgedehnt.
Im Verlaufe des Jahres 1967 hatte Maurer durch Häusler folgende Gesellschaften gegründet:
Bau AG Alexander, Zürich
(gegründet 30. Mai 1967)
Baugesellschaft Irma AG, Zürich
(gegründet 22. Februar 1967)
Baugesellschaft Virginia AG, Zürich
(gegründet 30. Mai 1967).
Alleinaktionär war Fritz Maurer, Häusler vorgeschobener einziger Verwaltungsrat. In den drei Gesellschaften, die mit mehreren andern Gesellschaften Maurers in engen undurchsichtigen Geschäftsbeziehungen standen, wurde keinerlei Buchhaltung
BGE 96 IV 76 S. 78
geführt. Die Strafuntersuchung gegen Maurer und Häusler erfasste deshalb auch die ordnungswidrige Buchführung im Sinne von
Art. 325 Abs. 1 StGB
. Da es sich dabei um Übertretungen handelt, ist das Verfahren im Hinblick auf die kurze Verjährungsfrist insoweit abgetrennt und gesondert weitergeführt worden.
C.-
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte Häusler am 1. Oktober 1969 wegen wiederholter ordnungswidriger Führung der Geschäftsbücher zu einer unbedingten Haftstrafe von 2 Monaten. Auf Berufung des Angeklagten bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 23. Januar 1970 den Schuldspruch, setzte aber die Haftstrafe auf 42 Tage herab.
D. - Mit der Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht verlangt Häusler Aufhebung des angefochtenen Urteils und Freisprechung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Häusler anerkennt, dass der Tatbestand des
Art. 325 Abs. 1 StGB
(in Verbindung mit Art. 326 Abs. 1) objektiv erfüllt ist. Mit Recht, steht doch fest, dass in keiner der drei Gesellschaften, deren einziger Verwaltungsrat er war, eine auch nur leidliche Buchhaltung geführt worden ist.
3.
Hingegen bringt er vor, es treffe ihn kein Verschulden für die Unterlassung der Buchführung. Er habe in den drei Gesellschaften überhaupt nichts zu sagen gehabt, sondern sei nur Maurers gehorsamer Untergebener gewesen. Er habe Maurer auf die Notwendigkeit einer Buchhaltung hingewiesen, mehr habe er nicht tun können. Ihm selbst hätten die persönlichen Voraussetzungen für die Buchhaltung gefehlt; einen Dritten habe er damit nicht beauftragen können, weil er nicht über die finanziellen Mittel und den nötigen Einfluss verfügte. Der Einwand des Obergerichtes, dass er in diesem Falle sein Verwaltungsratsmandat hätte niederlegen müssen, bedeute eine Verletzung von
Art. 325 und
Art. 18 StGB
. Art. 325 bedrohe denjenigen mit Strafe, der die Bücher nicht führe, enthalte aber keine Pflicht zur Demission des subjektiv zur Buchhaltung unfähigen Verwaltungsrates.
Die Rüge ist unbegründet. Als einziger Verwaltungsrat der Gesellschaften war Häusler verpflichtet dafür zu sorgen, dass die für Aktiengesellschaften gesetzlich vorgeschriebenen Bücher eingerichtet und nachgeführt wurden. Angesichts der, wie er
BGE 96 IV 76 S. 79
selbst behauptet, wenigen und einfachen Geschäftsvorfälle und seiner geringen zeitlichen Belastung hätte er die Bücher selbst führen und sich nötigenfalls auch die erforderlichen Kenntnisse aneignen können. War er dazu intelligenz- und bildungsmässig tatsächlich ausserstande, so hatte er einen Buchhalter anzustellen oder eine Buchhaltungsstelle zu beauftragen, wie das Verwaltungen von Aktiengesellschaften zumeist tun. Dazu brauchte er weder besondere Kenntnisse noch Erfahrungen. Als einziger Verwaltungsrat war er auch befugt, zu Lasten der AG entsprechende Aufträge zu erteilen. Weigerte sich Maurer, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen oder die zur Anlage und Führung der Buchhaltung erforderlichen Unterlagen dem beauftragten Buchhalter auszuhändigen, so konnte sich Häusler in der Tat nur durch eine Demission als Verwaltungsrat der eigenen Verantwortung entziehen. Es ist zwar richtig, dass
Art. 325 StGB
ihn nicht unmittelbar zur Demission zwang. Aus Art. 326 Abs. 1 ergibt sich aber die strafrechtliche Verantwortlichkeit des einzigen.Verwaltungsrates, der es zulässt, dass in den Gesellschaften, denen er vorsteht, ohne Buchhaltung gewirtschaftet wird. Häusler kann sich auch nicht mit dem Hinweis auf seine wirtschaftliche Abhängigkeit von Maurer der Verantwortung entziehen. Er hatte die Wahl zwischen den gesetzlichen Pflichten und der Befolgung der Weisungen des Arbeitgebers. Entschied er sich für das letztere, dann hat er die Straffolgen auf sich zu nehmen. Entsprechend hat der Kassationshof in einem Urteil zu
Art. 230 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
betreffend einen Kranmonteur entschieden, dieser hätte die Anbringung einer vorschriftsgemässen Sicherheitsvorrichtung am Krangleis verlangen und, wäre seinem Begehren nicht entsprochen worden, sich weigern sollen, den Kran zu benützen (
BGE 81 IV 122
).
Ein Verschulden des Beschwerdeführers wäre nur zu verneinen, wenn er in guten Treuen hätte annehmen dürfen, die Buchhaltung werde tatsächlich geführt, oder wenn er auch bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit sich über die Verpflichtung zur Führung einer Buchhaltung im Irrtum hätte befinden können. Beides wird von Häusler mit Recht nicht behauptet. Zwar macht er geltend, Maurer in allgemeiner Form auf die Notwendigkeit der Buchführung hingewiesen zu haben. Er muss aber zugeben, dass er von der Erfolglosigkeit seines Hinweises Kenntnis hatte und dass die Buchhaltung erst viele
BGE 96 IV 76 S. 80
Monate nach Beginn der Strafuntersuchung eingerichtet wurde. Da die Gesellschaften vor Einleitung der Strafuntersuchung schon während etwa einem Jahr bestanden hatten und Maurer in dieser Zeit eine grössere Zahl seiner zweifelhaften Geschäfte über die Gesellschaften abgewickelt hatte, kann Häusler sich auch nicht mit der Behauptung entlasten, er habe angenommen, dass die Buchhaltung innert kurzer Frist eingerichtet und die Bücher auf den Gründungstag nachgeführt würden. Die Pflicht zur Führung der Bücher war ihm umso besser bekannt, als er kurze Zeit vor der Gründung der drei Gesellschaften wegen Unterlassung der Buchführung im Sinne von
Art. 166 und 172 StGB
zu einer bedingten Gefängnisstrafe verurteilt worden war. | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7d708c62-67d7-4e01-8129-b9f524047ee0 | Urteilskopf
111 Ia 115
21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Mai 1985 i.S. Verein Basler Heimatschutz u. Mitbeteiligte gegen Grosser Rat des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 85 lit. a OG
, Ungültigerklärung einer Initiative zum Schutze einer Brücke, Kanton Basel-Stadt.
Der Verein Basler Heimatschutz ist nicht eine politische Partei oder politische Vereinigung und deshalb nicht legitimiert, Stimmrechtsbeschwerde zu führen (E. 1a).
Anforderungen an die Klarheit einer "unformulierten" Initiative (E. 3).
Initiativen bezüglich von Verwaltungsakten, die in der Zuständigkeit der Exekutive liegen, sind im Kanton Basel-Stadt ausgeschlossen (E. 4a). | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 111 Ia 115 S. 115
Am 19. Oktober 1982 ging bei der Staatskanzlei des Kantons Basel-Stadt eine mit 11'543 gültigen Unterschriften versehene Initiative ein, die folgenden Wortlaut hat:
"Volks-Initiative zum Schutze der Wettstein-Brücke.
Die nachfolgend unterzeichneten Stimmberechtigten des Kantons
Basel-Stadt verlangen, gestützt auf § 28 Abs. 3 der Kantonsverfassung,
dass der Grosse Rat die Wettstein-Brücke als städtebaulich bedeutendes
BGE 111 Ia 115 S. 116
Denkmal
und als erhaltenswertes Zeugnis historischer Ingenieurbaukunst,
eingeschlossen das Gebiet der beiden Brückenköpfe Kunstmuseum und
Wettsteinplatz samt deren Umbauung, der Stadtbild-Schutzzone
einverbleibt. Die fällige Renovation der Wettstein-Brücke hat eine
möglichst weitgehende Wiederherstellung ihres ursprünglichen
Erscheinungsbildes sicherzustellen. Insbesondere sollen
Eisenfachwerk-Bogenträger wieder die äussersten seitlichen Bauelemente
der Wettstein-Brücke bilden. Erhöhte Belastbarkeit und allenfalls der
Ausbau auf die heutige Breite der Brücke wären durch Verstärkungen oder
neue Bogenträger zu gewährleisten."
Die Unterschriftenbogen tragen folgenden Vermerk:
"Der Vorstand des Vereins BASLER HEIMATSCHUTZ ist als
Initiativ-Komitee ermächtigt, diese Initiative mit 2/3-Mehrheit bei
Vorliegen eines Gegenvorschlages, der den Absichten der Initiative Genüge
tut, zurückzuziehen."
Mit Bericht vom 2. Dezember 1983 beantragte der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt dem Grossen Rat, diese Initiative sei als ungültig zu erklären. Der Verein Basler Heimatschutz erhielt Gelegenheit, sich zur Frage der Gültigkeit der Initiative auszusprechen. An seiner Sitzung vom 7. Juni 1984 erklärte der Grosse Rat die Initiative mit 48 gegen 38 Stimmen für ungültig.
Gegen diesen Beschluss führen der Verein Basler Heimatschutz sowie sechs natürliche Personen staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, er sei aufzuheben. Die Beschwerde wird auf
Art. 85 lit. a OG
(politische Stimmberechtigung) sowie auf
Art. 4 BV
gestützt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Die staatsrechtliche Beschwerde wird in erster Linie als eine solche wegen Verletzung des politischen Stimmrechts bezeichnet. Die Beschwerdeführer 2-7 sind unbestrittenermassen stimmberechtigte Einwohner des Kantons Basel-Stadt. Als solche sind sie zur Stimmrechtsbeschwerde nach
Art. 85 lit. a OG
legitimiert (
BGE 107 Ia 218
E. 1a;
BGE 106 Ia 198
E. 2a mit Hinweisen).
Neben den stimmberechtigten Bürgern sind grundsätzlich auch politische Parteien, die im Gebiet des betreffenden Gemeinwesens tätig sind, zur Erhebung der Stimmrechtsbeschwerde befugt (
BGE 106 Ia 198
E. 2a;
BGE 104 Ia 362
E. 1a mit Hinweisen). Darüber hinaus wurde die Beschwerdebefugnis auch sonstigen politischen Vereinigungen, namentlich ad hoc gebildeten, aber mit juristischer Persönlichkeit versehenen Initiativ- oder Abstimmungskomitees zugesprochen (Urteil vom 8. Juni 1977 i.S. Komitee zur Erhaltung der Altstadt, publiziert in: ZBl 78/1977 S. 452). Verbände mit anderen Zielsetzungen und anderer Mitgliederstruktur als Parteien sowie
BGE 111 Ia 115 S. 117
andere Gruppierungen, deren Mitglieder nicht ausschliesslich stimmberechtigte Bürger des betreffenden Gemeinwesens sind, können indessen nicht als eigentliche politische Vereinigungen betrachtet werden und sind daher nicht zur Stimmrechtsbeschwerde legitimiert (
BGE 102 Ia 549
E. 1a; nicht veröffentlichtes Urteil vom 7. November 1980 i.S. Touring Club der Schweiz; ALFRED KÖLZ, Die kantonale Volksinitiative in der Rechtsprechung des Bundesgerichts, in: ZBl 83/1982 S. 41). Dem Verein Basler Heimatschutz kann nach diesen Grundsätzen die Beschwerdebefugnis nicht zugesprochen werden. Es handelt sich nicht um eine politische Partei oder politische Vereinigung. Auf die Beschwerde kann daher nicht eingetreten werden, soweit sie vom Verein Basler Heimatschutz eingereicht worden ist.
b) Die Beschwerdeführer machen zusätzlich zur Verletzung ihres Stimmrechts auch Willkür im Sinne von
Art. 4 BV
geltend. Die Willkürbeschwerde gehört zu den Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger im Sinne von
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
. Zu einer solchen Beschwerde ist nach
Art. 88 OG
und ständiger Rechtsprechung nur legitimiert, wer durch eine Verfügung persönlich in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen ist. Zur Verfolgung öffentlicher Interessen ist die staatsrechtliche Beschwerde nicht gegeben (
BGE 109 Ia 91
;
BGE 108 Ia 99
E. 1;
BGE 107 Ia 80
E. 1, 183/184 E. 1, 341 E. 2a 344 E. 2 mit Hinweisen). Keiner der Beschwerdeführer macht geltend, er sei durch den angefochtenen Entscheid des Grossen Rates persönlich in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen, wenn man vom politischen Stimmrecht absieht, zu dessen Schutz nicht die staatsrechtliche Beschwerde nach Art. 84 Abs. 1 lit. a, sondern diejenige nach
Art. 85 lit. a OG
zur Verfügung steht. Dass der Beschwerdeführer 6 dem Grossen Rat angehört, verschafft ihm keine zusätzliche Beschwerdelegitimation (
BGE 108 Ia 284
E. 2c;
BGE 107 Ia 266
ff. mit Hinweisen). Auf die Willkürbeschwerde ist daher schon aus diesem Grunde nicht einzutreten, und es kann dahingestellt bleiben, ob ihre Begründung den Anforderungen von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
entspreche.
2.
a) Bei Stimmrechtsbeschwerden prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen. Die Auslegung anderer kantonaler Normen sowie die Feststellung des Sachverhaltes
BGE 111 Ia 115 S. 118
durch die kantonalen Behörden wird dagegen nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür geprüft. In ausgesprochenen Zweifelsfällen schliesst sich das Bundesgericht der von der obersten kantonalen Instanz vertretenen Auffassung an, sofern es sich dabei um das Volk oder um das Parlament handelt (
BGE 109 Ia 47
E. 3b;
BGE 108 Ia 39
E. 2;
BGE 106 Ia 23
E. 1 mit Hinweisen).
b) Nach ständiger Rechtsprechung ist die oberste kantonale Behörde selbst ohne besondere gesetzliche Grundlage befugt, neben dem Vorliegen der formellen Voraussetzungen für das Zustandekommen einer Initiative auch deren materielle Rechtmässigkeit zu prüfen und keine Volksabstimmung anzuordnen, wenn sich die Initiative als inhaltlich rechtswidrig erweist (
BGE 105 Ia 12
E. 2a mit Hinweis). Die Beschwerdeführer machen denn auch nicht geltend, der Grosse Rat habe durch die Prüfung der Initiative auf Rechtswidrigkeit hin seine Zuständigkeit in formeller Hinsicht überschritten.
c) Der angefochtene Beschluss des Grossen Rates enthält nach der Natur der Sache keine Erwägungen. Er beruhte indessen auf einem in gedruckter Form vorliegenden Bericht des Regierungsrates zur Frage der Gültigkeit des Initiativbegehrens vom 2. Dezember 1983, und es darf ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Mehrheit des Grossen Rates sich von den nämlichen Gesichtspunkten leiten liess wie der Regierungsrat. Diese Annahme wird bekräftigt durch die Vernehmlassung des Grossen Rates im vorliegenden Verfahren, die in allen wesentlichen Punkten die Begründung des regierungsrätlichen Antrages aufnimmt und sie durch eine Stellungnahme zu den Argumenten der Beschwerdeführer ergänzt.
3.
a) Der Regierungsrat und der Grosse Rat stellen in längeren Ausführungen in Frage, ob das Initiativbegehren die erforderliche Klarheit aufweise, und sie kommen zum Schluss, es enthalte in sich selbst Widersprüche. Bei der Beurteilung dieses Punktes ist indessen zu berücksichtigen, dass es sich um eine Initiative in der Form einer allgemeinen Anregung im Sinne von § 28 Abs. 3 der Kantonsverfassung von Basel-Stadt (KV) in Verbindung mit den §§ 1, 5 und 6 des Gesetzes betreffend das Verfahren bei Ausübung der Initiative und des kantonalen Referendums vom 16. November 1875 (IRG) handelt. Solche "unformulierte" Initiativen unterliegen der Überarbeitung durch den Grossen Rat, sei es nach einem Eintretensbeschluss, sei es nach einem Beschluss auf Nichteintreten und der Zustimmung der
BGE 111 Ia 115 S. 119
Stimmberechtigten zum Initiativbegehren. Aus diesem Grunde ist es nicht gerechtfertigt, an eine solche Initiative hinsichtlich der Formulierung hohe Ansprüche zu stellen. Gewisse Unklarheiten, ja vielleicht sogar Widersprüche in untergeordneten Punkten, können bei der Ausarbeitung des Gesetzes- oder Beschlussestextes im Grossen Rat durchaus noch behoben werden (vgl. dazu
BGE 99 Ia 645
/646 sowie ALFRED KÖLZ, a.a.O., S. 19/20). Es muss genügen, wenn der Text der Initiative mit hinlänglicher Klarheit erkennen lässt, worauf die Initiative gerichtet ist, so dass auch eine Volksabstimmung durchgeführt werden kann, ohne dass sich die Stimmberechtigten der Gefahr eines Irrtums über wesentliche Punkte ausgesetzt sehen.
b) Der Regierungsrat und der Grosse Rat halten dafür, dass die Initiative schon in räumlicher Hinsicht nicht klar verständlich sei. Sie machen geltend, die Formulierung, wonach die Wettstein-Brücke "eingeschlossen das Gebiet der beiden Brückenköpfe Kunstmuseum und Wettsteinplatz, samt deren Umbauung" der Stadtbild-Schutzzone unterstellt werden solle, sei unklar. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Sie wäre richtig, wenn die Initianten einzig die unpräzise Wendung "Brückenköpfe" verwendet hätten. Sie sind indessen nicht so vorgegangen, sondern sie haben im nämlichen Satz zum Ausdruck gebracht, was sie unter diesen Brückenköpfen verstehen, nämlich "das Gebiet ... Kunstmuseum und Wettsteinplatz samt deren Umbauung". Damit war jedenfalls für Ortskundige, zu denen wohl alle Stimmberechtigten des Kantons Basel-Stadt gerechnet werden dürfen, ersichtlich, dass die gewünschte Schutzzone nicht nur die Wettstein-Brücke selbst, sondern auch deren Fortsetzung bis zu den beiden nordöstlich bzw. südwestlich anschliessenden Plätzen und deren Umbauung, d.h. die unmittelbar an diesen Plätzen liegenden Gebäude, umfassen sollte. Ob dieses Anliegen auf dem hier gewählten Wege zu erreichen war, ist eine andere Frage; sie steht mit derjenigen nach der Verständlichkeit der Initiative nicht in direktem Zusammenhang. Schwieriger wäre zu beurteilen, ob Satz 1 der Initiative (Eingliederung der Brücke und ihrer Umgebung in die Schutzzone) mit den Sätzen 2-4 (Rekonstruktion der Brücke nach früherem Muster unter Zulassung technischer Änderungen im Hinblick auf eine erhöhte Belastbarkeit) vereinbar sei und ob die beiden letztgenannten Punkte technisch überhaupt gleichzeitig verwirklicht werden könnten. Indessen ist es nicht erforderlich, hierzu Stellung zu nehmen, da die Ungültigerklärung der Initiative, wie
BGE 111 Ia 115 S. 120
noch darzutun sein wird, aus anderen Gründen vor dem Verfassungsrecht standhält.
4.
a) Gegenstand des Initiativrechts sind nach § 28 KV und § 1 IRG "Gesetze und Grossratsbeschlüsse", d.h. Rechtsakte, die vom kantonalen Parlament ausgehen. Initiativen bezüglich von Verwaltungsakten, die in der Zuständigkeit der Exekutive, d.h. des Regierungsrates liegen, sind damit klarerweise durch positives Recht ausgeschlossen, so dass nicht untersucht zu werden braucht, ob sie auch bei Fehlen einer solchen Regelung schon wegen des Grundsatzes der Gewaltentrennung unzulässig wären (vgl. dazu
BGE 108 Ia 39
E. 3;
BGE 104 Ia 418
E. 3; sowie ALFRED KÖLZ, a.a.O., S. 7/8 und RENÉ BACHER, Die Volksinitiative nach dem Recht des Kantons Basel-Stadt, Diss. Basel 1953, S. 22). Dass eine Initiative hinsichtlich von Verwaltungshandlungen, welche in die Zuständigkeit des Regierungsrates fallen, unzulässig ist, wird denn auch von den Beschwerdeführern nicht in Abrede gestellt. Zu fragen ist demnach, ob die vorliegende Initiative ihrem Gehalt nach den Kompetenzbereich des kantonalen Parlamentes oder denjenigen der Exekutive betreffe.
b) (Ausführungen, dass im konkreten Fall die Exekutive zuständig ist.)
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die staatsrechtliche Beschwerde des Vereins Basler Heimatschutz wird nicht eingetreten. Die staatsrechtliche Beschwerde der übrigen Beschwerdeführer wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden kann. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7d70c935-83ad-4472-a5de-a05b0fed4cfa | Urteilskopf
117 Ib 64
11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8. März 1991 i.S. Delfin Ugarte Centurion gegen Bezirksanwaltschaft Zürich und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich sowie Juge d'instruction du canton de Vaud und Tribunal d'accusation du Tribunal cantonal du canton de Vaud (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Notwendigkeit von Erhebungen in mehreren Kantonen,
Art. 80 IRSG
; Prüfungsobliegenheiten nach
Art. 78 und 79 IRSG
, Heilung von allfälligen Mängeln des kantonalen Verfahrens; Voraussetzungen der Rechtshilfeleistung,
Art. 2 IRSG
.
1. Der zwischen Paraguay und der Schweiz abgeschlossene Auslieferungsvertrag ist teilweise auch für die Rechtshilfe im Sinne des dritten Teils des IRSG anwendbar. Soweit eine staatsvertragliche Regelung fehlt, gelangen das IRSG und die IRSV zur Anwendung (E. 2a).
2. Der vom BAP gestützt auf
Art. 80 IRSG
mit der Leitung des Rechtshilfeverfahrens beauftragte Kanton alleine hat den Grundsatzentscheid über die internationale Rechtshilfe für alle Betroffenen in allen durch das ausländische Ersuchen berührten Kantonen zu fällen (E. 3). Somit hat der "Leitkanton" die materielle Zulässigkeit der internationalen Rechtshilfe zu prüfen (
Art. 79 Abs. 1 IRSG
), während es sich bei der dem BAP nach
Art. 78 Abs. 1 IRSG
obliegenden Prüfung um eine blosse Vorprüfung handelt, die im wesentlichen auf die Frage beschränkt ist, ob ein Ersuchen den formellen Anforderungen entspricht oder ob seine Ausführung nicht sonstwie offensichtlich unzulässig ist. In casu sind die zuständigen Behörden des "Leitkantons" ihrer Prüfungs- und Begründungspflicht noch hinreichend nachgekommen. Allfällige Mängel des vorinstanzlichen Verfahrens wären vor Bundesgericht geheilt worden (E. 4).
3. Die grundsätzlichen Voraussetzungen der Rechtshilfeleistung sind zu bejahen.
- Die Bestätigung nach
Art. 76 lit. c IRSG
/
Art. 31 Abs. 2 IRSV
wie auch die Gegenrechtserklärung nach
Art. 8 IRSG
liegen vor (E. 2a und 5b).
- Die Erfordernisse nach
Art. 28 IRSG
sind erfüllt, wie auch beidseitige Strafbarkeit gegeben ist (Art. 2 des zwischen Paraguay und der Schweiz abgeschlossenen Vertrages,
Art. 64 IRSG
). Die Gegenstand des Ersuchens bildenden, teilweise durch ehemalige Staatsorgane begangenen Straftaten spielten sich zwar in einem gewissen politischen Umfeld ab, doch handelt es sich dabei um gemeinrechtliche, rechtshilfefähige Delikte (E. 5c).
- Die Darstellung im Begehren weist zwar darauf hin, dass der ersuchende Richter nicht nur als Untersuchungsrichter amtet, sondern hernach als erstinstanzlicher Strafrichter in derselben Angelegenheit vorgesehen sein soll, was mit
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und
Art. 58 Abs. 1 BV
nicht zu vereinbaren ist. Dies hat aber nicht die grundsätzliche Verweigerung der Rechtshilfe zur Folge. Vielmehr ist die Forderung nach einem den betreffenden Bestimmungen entsprechenden Richter in einen Vorbehalt aufzunehmen. Die Rechtshilfeleistung ist von der von den zuständigen Behörden Paraguays abzugebenden Zusicherung abhängig zu machen, dass dieser Vorbehalt eingehalten wird (E. 5f/g). | Sachverhalt
ab Seite 67
BGE 117 Ib 64 S. 67
Die Justizbehörden von Paraguay führen gegen verschiedene juristische und natürliche Personen, darunter Alfredo Stroessner Matiauda, ehemaliger Präsident von Paraguay, und Delfin Ugarte Centurión, ehemaliger Industrie- und Handelsminister von Paraguay, ein Strafverfahren insbesondere wegen Veruntreuung, Betrug, ungetreuer Geschäftsführung, Urkundenfälschung sowie aktiver und passiver Bestechung. Im Rahmen dieser Strafuntersuchung richtete der Juez de Primera Instancia von Asunción am 14. August/1. September 1989 ein in spanischer Sprache abgefasstes und französisch übersetztes Rechtshilfeersuchen an die schweizerischen Behörden. Den genannten Personen wird u.a. zur Last gelegt, sie hätten im Zusammenhang mit dem Ausbau einer Zementfabrik (Staatsbetrieb) in Paraguay in den Jahren 1976-1988 durch eine panamaische, aber in Lausanne domizilierte Gesellschaft X. fingierte Rechnungen ausstellen lassen und sich die entsprechenden Beträge von insgesamt ca. § 11,6 Mio. unrechtmässig angeeignet. Zur Unterstützung der Strafuntersuchung wird um Angaben über Beziehungen zu Schweizer Banken in Lausanne, Genf, Zürich und Basel ersucht, welche die Firma X. bzw. die Beschuldigten in der fraglichen Zeit im Zusammenhang mit den untersuchten Straftaten unterhalten hatten. Die ersuchende Behörde sicherte der Schweiz formell Gegenrecht zu und erklärte zudem, die herauszugebenden Beweismittel nicht in einem politischen, militärischen oder fiskalischen Verfahren zu verwenden.
Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) erachtete die Formerfordernisse des IRSG und des zwischen der Republik Paraguay und der Schweiz abgeschlossenen Auslieferungsvertrages vom 30. Juni 1906 (SR 0.353.963.2) als erfüllt und gelangte zum Ergebnis, dass kein Grund bestehe, die Rechtshilfeleistung als
BGE 117 Ib 64 S. 68
offensichtlich unzulässig zu erklären. In Anbetracht dessen übermittelte es das Begehren am 13. Dezember 1989 an den Untersuchungsrichter des Kantons Waadt und lud diesen ein, entsprechend
Art. 79 IRSG
über die Zulässigkeit der Rechtshilfe zu entscheiden und gegebenenfalls den Vollzug des Ersuchens zu veranlassen. Dabei erwog es, dass die meisten der fraglichen Beweismittel im Kanton Waadt zu erheben seien, weshalb es den betreffenden Untersuchungsrichter bat, den Vollzug der Rechtshilfe auch für die Kantone Zürich, Basel und Genf zu koordinieren, dies "conformément à l'art. 80 EIMP".
Mit Verfügung vom 5. Januar 1990 zog der Untersuchungsrichter des Kantons Waadt in Betracht, dass das Ersuchen den massgebenden Formvorschriften genüge, dass es sich bei den vom Begehren betroffenen Personen um im paraguayischen Verfahren Beschuldigte bzw. jedenfalls nicht um unbeteiligte Dritte handle, dass Strafbarkeit der in Frage stehenden Delikte auch nach schweizerischem Recht gegeben sei (Art. 140, 148, 159, 251, 288, 315 und 316 StGB) und dass die fraglichen Tatbestände ebenfalls in dem zwischen Paraguay und der Schweiz abgeschlossenen Abkommen aufgeführt seien. Zudem erwog er, dass die verlangte Rechtshilfe weder unverhältnismässig noch aus einem andern Grund (
Art. 3 IRSG
) unzulässig sei. Gestützt darauf und in Anbetracht der von den paraguayischen Behörden abgegebenen Gegenrechtserklärung ordnete er in Anwendung der
Art. 79 und 80 IRSG
an, dem Ersuchen sei unter Beifügung des üblichen Spezialitätsvorbehaltes zu entsprechen, und er lud die zuständigen Behörden des eigenen Kantons sowie diejenigen der Kantone Zürich, Basel-Stadt und Genf ein, die verlangten, je ihr Zuständigkeitsgebiet betreffenden Rechtshilfemassnahmen zu treffen und deren Ergebnis ihm, dem Untersuchungsrichter des Kantons Waadt, zu übermitteln.
Die Bezirksanwaltschaft Zürich nahm diese Einladung als interkantonales Rechtshilfeersuchen entgegen. Sie erachtete alle Rechtshilfevoraussetzungen als erfüllt und entsprach dem Ersuchen mit Verfügung vom 30. Januar 1990. Dabei wies sie zwei Banken in Zürich an, "von sämtlichen bestehenden oder bereits saldierten Kundenverbindungen, welche auf eine der sechs natürlichen oder juristischen Personen lauten oder an welchen diese formell oder zumindest wirtschaftlich berechtigt erscheinen, sämtliche Unterlagen wie im Rechtshilfeersuchen geschildert für den Zeitraum vom Juli 1979 bis heute in gut lesbarer Fotokopie herauszugeben". Zudem fügte sie ihrer Anordnung den üblichen
BGE 117 Ib 64 S. 69
Spezialitätsvorbehalt bei. Am 28. Februar bzw. 16. März 1990 wurden die bei den zwei Banken beschlagnahmten Unterlagen dem Untersuchungsrichter des Kantons Waadt zugestellt.
Am 30. Januar 1990 erhob Delfin Ugarte Centurion Rekurs an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich mit dem Hauptantrag, die Verfügung der Bezirksanwaltschaft Zürich sei aufzuheben; dem Rechtshilfeersuchen sei nicht stattzugeben. Daneben stellte er mehrere Eventualanträge im Hinblick auf eine Verbesserung des Ersuchens. Am 20. Juli 1990 entschied die Staatsanwaltschaft, auf den Rekurs nicht einzutreten. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus, angesichts des Umstandes, dass der Kanton Waadt vom BAP in Anwendung von
Art. 80 IRSG
zum verfahrensleitenden Kanton bestimmt worden sei und seinerseits den Kanton Zürich rechtshilfeweise um Zustellung der in diesem Kanton zu erhebenden Beweismittel ersucht habe, sei im Kanton Zürich keine eigenständige Prüfung der Anerkennung der Rechtshilfepflicht im Verhältnis der Schweiz zu Paraguay vorzunehmen; für die Rechtshilfeleistung an den Kanton Waadt seien lediglich die Regeln gemäss
Art. 352-355 StGB
massgebend.
Nach Vornahme der verlangten Massnahmen in den Kantonen Zürich, Waadt, Genf und Basel-Stadt übermittelte der Untersuchungsrichter des Kantons Waadt dem BAP am 3. April 1990 die erhobenen Beweismittel. Am 14. August 1990 orientierte der Untersuchungsrichter das BAP zudem darüber, dass Delfin Ugarte Centurion gegen die Rechtshilfeverfügung Rekurs an die Anklagekammer des Kantonsgerichts des Kantons Waadt erhoben und in Aussicht gestellt habe, bis vor Bundesgericht zu gehen; mit der Herausgabe der erhobenen Unterlagen sei daher bis zum rechtskräftigen Entscheid über die Rechtshilfeleistung zuzuwarten (
Art. 21 Abs. 4 IRSG
). Bereits am 4. April 1990 hatte das BAP erklärt, die Rechtshilfeakten bis zur rechtskräftigen Rekurserledigung zurückzubehalten.
Die Anklagekammer des Kantonsgerichts des Kantons Waadt ihrerseits erwog mit Entscheid vom 8. Oktober 1990, dass das BAP das Rechtshilfeersuchen als zulässig erachtet und der waadtländische Untersuchungsrichter die verlangten Massnahmen gestützt auf die von seiten des BAP erfolgte Delegation lediglich noch zu vollziehen gehabt habe (
Art. 16 Abs. 1 IRSG
). Der Rekurs könnte somit einzig die Vollzugsmodalitäten betreffen, was indes nicht der Fall sei, da einzig die Zulässigkeit der Rechtshilfe selber bestritten sei. Auf den Rekurs sei daher an sich nicht einzutreten, doch
BGE 117 Ib 64 S. 70
erweise sich dieser bei materieller Prüfung ohnehin als unbegründet.
Gegen den Nichteintretensentscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 20. Juli 1990 erhob Delfin Ugarte Centurion am 22. August 1990 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, mit der er im wesentlichen beantragte, der Entscheid sei aufzuheben; die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, auf seinen Rekurs einzutreten. Am 8. November 1990 erhob er ebenfalls gegen den vom 8. Oktober 1990 datierten Entscheid der Anklagekammer des Kantonsgerichts und gegen die vorangegangene, ihm am 3. April 1990 durch die Bezirksanwaltschaft Zürich zur Kenntnis gebrachte Verfügung des Untersuchungsrichters des Kantons Waadt vom 5. Januar 1990 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, mit der er im wesentlichen beantragte, auch diese Entscheide seien aufzuheben; dem paraguayischen Rechtshilfeersuchen sei nicht stattzugeben.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Republik Paraguay und die Schweiz haben am 30. Juni 1906 einen Auslieferungsvertrag abgeschlossen (SR 0.353.963.2). Namentlich dessen Art. 16, auf den (u.a.) sich das Ersuchen denn auch abstützt, betrifft ebenfalls die "andere" oder "kleine" Rechtshilfe im Sinne des dritten Teiles des IRSG, sofern - wie im vorliegenden Fall - ein Strafverfahren für Delikte in Frage steht, wie sie in Art. 2 des Abkommens aufgelistet sind. Diese Bestimmung des Art. 16 regelt allerdings einzig die grundsätzliche Pflicht zur "kleinen" Rechtshilfe bei Strafverfahren wegen Delikten im Sinne von Art. 2 des Übereinkommens. Im weiteren richtet sich daher die Beurteilung eines paraguayischen Gesuchs um "kleine" Rechtshilfe nach dem internen Recht der Schweiz, d.h. nach dem Bundesgesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG, SR 351.1) und der dazugehörenden Ausführungsverordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV, SR 351.11; vgl.
Art. 1 Abs. 1 IRSG
).
Nach
Art. 8 Abs. 1 IRSG
wird einem Rechtshilfeersuchen in der Regel nur dann entsprochen, wenn der ersuchende Staat Gegenrecht gewährt (s. hiezu
BGE 110 Ib 176
E. 3 und
BGE 109 Ib 168
E. 5). Dieses Gegenrecht ist durch den genannten Vertrag dem Grundsatze nach gewährleistet und von den paraguayischen Behörden mit dem vorliegenden Ersuchen formell zugesichert worden.
BGE 117 Ib 64 S. 71
b) aa) Beim angefochtenen Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich handelt es sich um einen solchen einer letztinstanzlichen kantonalen Behörde (
§ 402 ff. StPO
/ZH), ebenso bei demjenigen der Anklagekammer des Kantonsgerichts des Kantons Waadt (
Art. 294 ff. StPO
/VD). Die beiden Verwaltungsgerichtsbeschwerden sind daher zulässig (
Art. 16 und 25 IRSG
in Verbindung mit
Art. 98 lit. g OG
), soweit sie gegen diese Entscheide gerichtet sind.
Allerdings richtet sich die Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantonsgerichts des Kantons Waadt auch gegen die erstinstanzliche, dem Beschwerdeführer nach seinen Angaben am 3. April 1990 zur Kenntnis gebrachte Rechtshilfeverfügung des Untersuchungsrichters des Kantons Waadt vom 5. Januar 1990. Diese Verfügung war zwar - trotz der Regelung des
Art. 22 IRSG
- nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen; indem der Beschwerdeführer sie dennoch rechtzeitig bei der Anklagekammer anfechten konnte, schadete ihm das Fehlen der Rechtsmittelbelehrung nicht, so dass der betreffende Mangel weder Nichtigkeit noch Ungültigkeit der Verfügung zur Folge hatte (s.
BGE 113 Ib 267
E. 4a und
BGE 102 Ib 92
ff., nicht publ. E. 8 von
BGE 115 Ib 68
ff.). Man kann sich fragen, ob im Falle der Aufhebung des oberinstanzlichen Entscheides auch die Verfügung des Untersuchungsrichters hinfällig würde (wobei dann die daraus entstehenden Folgen für die Verfahren in den übrigen Kantonen abzuklären wären) und ob deswegen sowie mangels Letztinstanzlichkeit (s.
Art. 25 IRSG
) und im übrigen wegen Verspätung (s.
Art. 106 OG
sowie
BGE 102 Ib 92
ff.,
BGE 98 Ib 125
und
BGE 96 I 692
) auf die Beschwerde insoweit nicht einzutreten sei (s.
BGE 113 Ib 265
E. 3b,
BGE 104 Ib 270
E. 1, zudem nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 8. Oktober 1990 i.S. W., vom 24. Januar 1990 i.S. S.-Anstalt und vom 4. Januar 1988 i.S. A.). In Anbetracht der nachfolgenden Erwägungen kann die Frage indes offenbleiben.
bb) Der Beschwerdeführer ist Inhaber von Bankkonten, über welche die ersuchenden Behörden Auskünfte verlangen. Er wird durch die auch hinsichtlich seiner Konten angeordnete Aktenedition, welche wegen der damit verbundenen Aufhebung des Bankgeheimnisses einer Zwangsmassnahme gleichkommt, persönlich betroffen und ist daher bereits aus diesem Grunde zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert (
Art. 21 Abs. 3 IRSG
; s.
BGE 116 Ib 108
ff., insb. 110 E. 2a/aa). Wird mit dem BAP und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich angenommen, dass bei
BGE 117 Ib 64 S. 72
Anwendung von
Art. 80 IRSG
die Möglichkeit zur Anfechtung der grundsätzlichen Zulässigkeit der internationalen Rechtshilfe einzig in dem mit der Leitung der Erledigung des Rechtshilfeersuchens betrauten Kanton besteht (s. in diesem Zusammenhang nachf. E. 3), so muss die Legitimation zur Anfechtung des Grundsatzentscheides der Rechtsmittelinstanz des leitenden Kantons selbst dann gegeben sein, wenn persönliche Betroffenheit schon nur in einem der Kantone gegeben ist, welche die Rechtshilfemassnahmen im konkreten Fall zu vollziehen haben. Verhielte es sich nicht so, so würde es dem nicht im leitenden, sondern einzig in einem andern Kanton durch die Rechtshilfemassnahmen persönlich Betroffenen verwehrt, seine materiellen Rügen gegen die Zulässigkeit der Rechtshilfe durch die oberste Instanz beurteilen lassen zu können (
Art. 25 Abs. 1 IRSG
). Soweit im übrigen in einem Rechtshilfeverfahren nicht die Verletzung von ausländischem Recht (
Art. 25 Abs. 4 IRSG
), Bundes- und damit auch Staatsvertragsrecht (
Art. 25 Abs. 1 IRSG
in Verbindung mit
Art. 104 lit. a OG
,
BGE 113 Ib 273
f.) oder kantonalem Ausführungsrecht zu bundesrechtlichen Bestimmungen, sondern unabhängig davon einzig die Verletzung selbständigen kantonalen Rechts gerügt würde, das in keinem Sachzusammenhang zu Bundesrecht steht, stünde hiefür als Bundesrechtsmittel nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sondern die staatsrechtliche Beschwerde offen (s.
BGE 116 Ib 8
ff., nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 12. November 1990 i.S. C. und Mitb., zudem - als Fälle interkantonaler Rechtshilfe, die keine Beziehung zu internationaler Rechtshilfe hatten - nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 27. April 1989 i.S. U. AG und Mitb., vom 10. April 1989 i.S. D., vom 6. Oktober 1988 i.S. D., vom 22. April 1988 i.S. H., vom 18. November 1987 i.S. U. AG und Mitb. sowie H. und Mitb.), so dass diesfalls die Legitimations- und übrigen Prozessvoraussetzungen nach den für diese Beschwerde geltenden Bestimmungen zu prüfen wären. Im vorliegenden Fall wird allerdings keine Verletzung (selbständigen oder unselbständigen) kantonalen Rechts geltend gemacht.
Somit ist der Beschwerdeführer bereits aus den dargelegten Gründen zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und denjenigen der Anklagekammer des Kantonsgerichts des Kantons Waadt befugt. Weitere Aspekte im Zusammenhang mit der Frage der Legitimation - ob sie mit Bezug auf das zürcherische Verfahren allenfalls
BGE 117 Ib 64 S. 73
schon aufgrund des Umstandes zu bejahen ist, dass die Staatsanwaltschaft als kantonale Rechtsmittelinstanz wie ausgeführt einen Nichteintretensentscheid gefällt hat (vgl.
BGE 116 Ib 109
E. 1b mit Hinweisen), und ob das alternative Erfordernis des
Art. 21 Abs. 3 IRSG
, dass der Beschuldigte im ausländischen Verfahren in seinen dortigen Verteidigungsrechten beeinträchtigt sein könnte (s. in diesem Zusammenhang
BGE 116 Ib 109
ff. E. 2, insb. 112 E. 2b mit Hinweisen), erfüllt ist - brauchen daher hier nicht erörtert zu werden.
cc) Auch die übrigen Prozessvoraussetzungen sind erfüllt. Auf die Beschwerden ist daher wie ausgeführt grundsätzlich einzutreten, soweit sich nachfolgend nicht Einschränkungen ergeben.
c) Das Bundesgericht ist aufgrund von
Art. 25 Abs. 6 IRSG
, der als Spezialbestimmung der allgemeinen Vorschrift von
Art. 114 Abs. 1 OG
vorgeht, nicht an die Begehren der Parteien gebunden (
BGE 113 Ib 266
E. 3d). Es hat daher die Möglichkeit, den angefochtenen Entscheid gegebenenfalls zugunsten oder auch zuungunsten des Beschwerdeführers zu ändern (
BGE 112 Ib 585
f. E. 3). Als Rechtsmittelinstanz überprüft es die bei ihm im Verwaltungsgerichtsverfahren erhobenen Rügen grundsätzlich mit freier Kognition (s. etwa
BGE 113 Ib 181
E. 7a,
BGE 109 Ib 167
E. 4). Da es aber in Rechtshilfesachen nicht Aufsichtsbehörde ist, darf die Prüfung des angefochtenen Entscheides den Rahmen des Streitgegenstandes nicht sprengen (
BGE 112 Ib 585
f. E. 3, nicht publ. E. 1a von
BGE 115 Ib 517
ff.).
3.
a) Mit der Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich wird im wesentlichen geltend gemacht, dass der Wortlaut von
Art. 80 IRSG
und die Gesetzesmaterialien dazu, die vergleichsweise Konsultation des Bundesgesetzes zum Staatsvertrag mit den USA über gegenseitige Rechtshilfe (BG-RVUS, SR 351.93) sowie die Literatur zur genannten Bestimmung und schliesslich die fehlende gesetzliche Grundlage für interkantonale Rechtshilfe in Verwaltungssachen klar zeigten, dass der Gesetzgeber mit
Art. 80 IRSG
dem BAP lediglich die Möglichkeit habe eröffnen wollen, einen einzelnen Kanton mit der Koordination der eigentlichen Vollzugshandlungen in verschiedenen Kantonen zu betrauen. Indem die Vorinstanz der Bezirksanwaltschaft Zürich im vorliegenden Fall die Kompetenz abspreche, über die grundsätzliche Zulässigkeit der Rechtshilfe zu entscheiden, und indem sie diese Kompetenz ausschliesslich den Behörden des Kantons Waadt zuspreche, verletze sie
Art. 80
BGE 117 Ib 64 S. 74
IRSG
. Gemäss dieser Bestimmung könne das BAP die zuständige Behörde eines Kantons mit der Leitung der Erhebungen beauftragen, sofern die Erledigung eines Ersuchens solche Erhebungen in mehreren Kantonen erfordere. Da der Anwendungsbereich von
Art. 80 IRSG
sich lediglich auf die "zweite Phase", d.h. auf die Vollzugsphase eines Rechtshilfeersuchens, beschränke, könne
Art. 80 IRSG
nichts daran ändern, dass jeder vom Rechtshilfeersuchen betroffene Kanton in der "ersten Phase" selber über die Zulässigkeit der Rechtshilfe entscheiden müsse. Die vom BAP bestätigte Auffassung der Vorinstanz setze voraus, dass der mit der Leitung des Verfahrens beauftragte Kanton von den weiteren, vom Ersuchen betroffenen Kantonen Rechtshilfe in Verwaltungssachen beanspruchen könne. Da sich jedoch die Bestimmung des
Art. 80 IRSG
nur auf die Vollzugsphase eines internationalen Rechtshilfeverfahrens beziehe, in der ausschliesslich das in Strafsachen massgebende Verfahrensrecht zur Anwendung gelange (
Art. 12 Satz 2 IRSG
), sei auszuschliessen, dass
Art. 80 IRSG
als Grundlage für die Rechtshilfe für dieses spezielle Gebiet des Verwaltungsrechts anzuerkennen sei. Da es aber auch an einer generellen Norm mangle, welche die Kantone verpflichten würde, untereinander Rechtshilfe in Verwaltungssachen zu gewähren, könne die von der Vorinstanz und vom BAP vertretene Auffassung nicht zutreffen, weil eine mit der Leitung der ersten Phase des Verfahrens betraute kantonale Behörde die für einen Grundsatzentscheid bezüglich Rechtshilfepflicht zwingend notwendige interkantonale Rechtshilfe in Verwaltungssachen nicht beanspruchen könnte. Der Gesetzgeber habe nicht "einfachheitshalber" für die interkantonale Rechtshilfe in Verwaltungssachen auf die Bestimmung der strafrechtlichen interkantonalen Rechtshilfe verwiesen. Mit dem Hinweis auf
Art. 352-355 StGB
in
Art. 80 IRSG
habe er - ebenso wie in
Art. 3 Abs. 2 BG-RVUS
- lediglich die beim Vollzug relevante interkantonale Rechtshilfe in Strafsachen angesprochen. Der "Leitkanton" gemäss
Art. 80 IRSG
habe dieselbe Funktion und Kompetenz wie der "Leitkanton" gemäss
Art. 3 Abs. 2 BG-RVUS
. Die Aufteilung der Funktionen zwischen der Zentralstelle (also dem BAP) und dem "Leitkanton" gemäss BG-RVUS sei klar. Auch dort könne nicht gesagt werden, dass durch die genannte Bestimmung des BG-RVUS noch ein Kanton als zusätzliche administrative Stufe eingeschaltet worden sei. Insgesamt sei somit festzustellen, dass das von der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich im Zusammenhang mit
Art. 80 IRSG
vorgeschlagene Verfahren
BGE 117 Ib 64 S. 75
vom heute geltenden Gesetz nicht gedeckt und daher die dagegen erhobene Beschwerde gutzuheissen sei.
Die Bezirksanwaltschaft Zürich erklärt in ihrer im Verlaufe des bundesgerichtlichen Verfahrens zuhanden der Staatsanwaltschaft erstatteten Vernehmlassung, sie habe bis anhin jeweils einen selbständigen Entscheid über die Zulässigkeit der Rechtshilfe getroffen, auch wenn das BAP einen andern Kanton mit der Leitung gemäss
Art. 80 IRSG
beauftragt habe. Die Fälle, in denen sich mehrere Kantone mit demselben Rechtshilfeverfahren befassen müssten, seien häufig. Jedoch habe das BAP bisher nur selten von der genannten Bestimmung Gebrauch gemacht. Die Erfahrung habe gezeigt, dass immer wieder widersprüchliche Entscheide gefällt würden, was heisse, dass der eine Kanton die Rechtshilfe umfassend gewähre, während ein anderer Kanton sie einschränke oder gar ablehne. Unbefriedigend sei auch, dass ein Rechtshilfebetroffener, der sich gegen die Gewährung der Rechtshilfe wehren wolle, in mehreren Kantonen das entsprechende Rechtsmittel einlegen müsse. Dies sei nicht nur prozessunökonomisch, sondern führe für den Betroffenen auch zu enormen Kosten.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hält dafür, der Beschwerdeführer versuche auf unzulässige Weise darzulegen, die in
Art. 80 IRSG
vorgesehene Koordination der Rechtshilfe durch einen vom BAP beauftragten Kanton könne sich nur auf die prozessualen Vollzugshandlungen und nicht auch auf den verwaltungsrechtlichen Teil des Rechtshilfeentscheides beziehen. Die Regelung gemäss
Art. 80 IRSG
könne wohl nichts anderes als eine Vereinfachung des Rechtshilfeverfahrens bezwecken und damit unterschiedliche oder gar einander widersprechende kantonale Entscheide verhindern helfen. Jedenfalls sei eine andere ratio legis kaum vorstellbar. Die Koordinationsfunktion des "Leitkantons" könne aber nur in den Bereichen zum Tragen kommen, in welchen die Kantone gleiches Recht anzuwenden hätten, nämlich im verwaltungsrechtlichen Bereich und damit bei den Entscheiden über die Zulässigkeit der internationalen Rechtshilfeleistung und die Weiterleitung der gesammelten Erkenntnisse. Hier habe der "Leitkanton" zu entscheiden, während er dies bei der Beweissammlung im strafprozessualen Bereich aufgrund der unterschiedlichen kantonalen Prozessordnungen nicht könne.
Das BAP erachtet die von der Staatsanwaltschaft vertretene Auffassung im Ergebnis als zutreffend.
Art. 80 Satz 2 IRSG
(in Verbindung mit
Art. 352-355 StGB
) verbiete es einem nicht mit der Leitung
BGE 117 Ib 64 S. 76
der Erledigung eines Ersuchens beauftragten Kanton, einen Grundsatzentscheid über die Zulässigkeit der Rechtshilfe zu fällen. In Anbetracht dessen sei es bei enger Auslegung des Wortlauts von Satz 1 der genannten Bestimmung möglich, dass es einem Betroffenen in einem nicht mit der Leitung betrauten Kanton verwehrt sei, den Entscheid über die grundsätzliche Zulässigkeit der Rechtshilfe anzufechten. Dem müsse - dem Geist des IRSG entsprechend - in dem Sinn Abhilfe geschaffen werden, dass einem Betroffenen die Möglichkeit offenstehen müsse, den Zulässigkeitsentscheid bei der zuständigen Behörde des mit der Leitung beauftragten Kantons anfechten zu können. Werde die Frage ausschliesslich mittels ausdehnender Auslegung gelöst, so sei dieses Resultat zwingend. Entsprechend sei der Entscheid, die Kompetenz der Prüfung der Zulässigkeit der Rechtshilfe ausschliesslich den Behörden des vom BAP in Anwendung von
Art. 80 IRSG
mit der Leitung der Ausführung des paraguayischen Rechtshilfeersuchens beauftragten Kantons Waadt zuzuerkennen, nicht zu beanstanden.
b) aa) Das BAP hat gemäss
Art. 78 Abs. 1 IRSG
zu prüfen, ob ein Rechtshilfeersuchen den formellen Anforderungen dieses Gesetzes entspricht, und leitet es an die zuständige kantonale Behörde weiter, wenn die Rechtshilfe nicht offensichtlich unzulässig erscheint. Nach Art. 79 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 16 Abs. 1 IRSG
entscheiden die kantonalen Behörden über die Zulässigkeit der Rechtshilfe sowie über die Fragen des zwischenstaatlichen Verfahrens und über den Vollzug eines Ersuchens um Rechtshilfe im Sinne des dritten Teils des IRSG, soweit dafür nicht ausschliesslich eine Bundesbehörde zuständig ist. Erfordert die Erledigung eines Ersuchens Erhebungen in mehreren Kantonen, so kann das BAP in Anwendung von
Art. 80 IRSG
die zuständige Behörde eines dieser Kantone mit der Leitung beauftragen; die
Art. 352-355 StGB
gelten dabei sinngemäss. Wenn das IRSG nichts anderes bestimmt, wenden die Bundesverwaltungsbehörden das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG) und die kantonalen Behörden die für sie geltenden Vorschriften sinngemäss an; für Prozesshandlungen gilt das in Strafsachen massgebende Verfahrensrecht (
Art. 12 IRSG
).
Bei der nach
Art. 78 Abs. 1 IRSG
dem BAP obliegenden Prüfung handelt es sich um eine blosse Vorprüfung. Diese beschränkt sich im wesentlichen auf die Frage, ob ein Ersuchen den formellen Anforderungen entspricht, d.h. insbesondere darauf, ob die Sachverhaltsdarstellung nicht offensichtlich ungenügend ist oder ob die
BGE 117 Ib 64 S. 77
Ausführung eines Ersuchens nicht sonstwie - namentlich wegen eines Verweigerungsgrundes (s.
Art. 3 IRSG
oder etwa die entsprechenden Bestimmungen gemäss Art. 2 und 3 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (EÜR, SR 0.351.1) bzw. Art. 3 des Staatsvertrages mit den USA vom 25. Mai 1973 (RVUS, SR 0.351.933.6)) - offensichtlich unzulässig ist (s. Botschaft des Bundesrates zum IRSG, BBl 1976 II 485; CURT MARKEES, SJK 423c, S. 23 f.). Demgegenüber sind die Aufgaben des BAP bzw. der Zentralstelle im Rahmen des Rechtshilfeverkehrs mit den USA um einiges weiter gefasst als nach
Art. 78 IRSG
, wie das Bundesgericht im Entscheid
BGE 110 Ib 90
dargelegt hat (s. auch LIONEL FREI, SJK 67a, S. 55). Weil die beiden miteinander konfrontierten Rechtssysteme der Schweiz und der USA äusserst verschieden sind, obliegt im Rahmen des Rechtshilfeverkehrs mit den USA dem BAP bzw. der Zentralstelle der Entscheid darüber, ob die Rechtshilfe an die USA grundsätzlich zulässig ist (s. insbesondere
Art. 5 und 16 BG-RVUS
,
Art. 28 ff. RVUS
;
BGE 110 Ib 90
; vgl. zudem Botschaft des Bundesrates zum BG-RVUS, BBl 1974 II 633, und FREI, a.a.O., S. 55). Im Rahmen des schlechthin oder subsidiär nach dem dritten Teil des IRSG abzuwickelnden Rechtshilfeverkehrs wird diese Aufgabe der Prüfung der materiellen Zulässigkeit eines Ersuchens grundsätzlich den kantonalen Behörden zugewiesen (
Art. 79 Abs. 1 IRSG
; s. MARKEES, a.a.O., S. 24 f.), dies unter Vorbehalt der ausschliesslichen Zuständigkeit einer Bundesbehörde (s.
Art. 17 und
Art. 78 Abs. 3 IRSG
). Bei dieser Aufgabe handelt es sich somit um einen Teil der den Kantonen nach
Art. 79 Abs. 1 IRSG
obliegenden Ausführung eines Ersuchens, soweit diese nach dem Gesagten nicht im Sinne einer blossen Vorprüfung dem BAP zusteht. Wird in der bundesrätlichen Botschaft zu Art. 75 und 76 des Gesetzesentwurfs (= Art. 78 und 79 des auf den 1. Januar 1983 in Kraft gesetzten IRSG) festgehalten, dass die (damalige) Polizeiabteilung (also das heutige BAP) nur zu prüfen hat, "ob die Ausführung des Ersuchens nicht offensichtlich unzulässig ist" (BBl 1976 II 485), so weist diese Formulierung darauf hin, dass mit der weiteren, den Kantonen obliegenden Ausführung eben auch die Prüfung der materiellen Zulässigkeit der Rechtshilfe verbunden ist. Soweit schliesslich in der mit dem Entwurf (Art. 77) praktisch wörtlich übereinstimmenden Bestimmung des
Art. 80 IRSG
von "Erledigung" eines Ersuchens unter der Leitung eines einzelnen Kantons die Rede ist, ist damit laut Botschaft wiederum
BGE 117 Ib 64 S. 78
die "Leitung der Ausführung" von Ersuchen gemeint, die Erhebungen in mehreren Kantonen erfordern (BBl 1976 II 485), also nicht bloss die "Leitung dieser Erhebungen" selber. Entwurf Art. 77 wurde von den Eidgenössischen Räten diskussionslos als
Art. 80 IRSG
angenommen (Amtl. Bull. S 1977 633 und N 1979 854). Die spärliche Literatur zu dieser Bestimmung beschränkt sich im wesentlichen auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlautes (s. MARKEES, a.a.O., S. 26; vgl. zudem WERNER DE CAPITANI, Internationale Rechtshilfe, ZSR 100/1981, S. 427, und Wegleitung des BAP zur internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Fassung vom 1. Juli 1990, S. 8). Zu der sich hier stellenden Frage der Auslegung von
Art. 80 IRSG
fehlt bis anhin eine Rechtsprechung (das nicht veröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 1. Juli 1987 i.S. Marcos hat in E. 4 auch nur den Wortlaut des Gesetzestextes wiedergegeben und daraus den Schluss gezogen, dass das BAP koordinierend eingreifen kann).
Jedenfalls auf die aufgezeigte Regelung des IRSG bezogen steht somit nicht zum vornherein fest, weshalb die "Leitung" gemäss
Art. 80 IRSG
dem eindeutigen Zweck dieser Bestimmung entsprechend, das Rechtshilfeverfahren zu vereinfachen bzw. zu beschleunigen und zudem widersprüchliche Entscheide der kantonalen Behörden zu verhindern, nicht ebenfalls die Prüfung der materiellen Zulässigkeit der international zu leistenden Rechtshilfe umfassen soll. Der Beschwerdeführer lehnt allerdings eine derartige Auslegung von
Art. 80 IRSG
unter Hinweis auf die weiteren Materialien ab. Der bereits im Bericht der Expertenkommission für ein Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 4. November 1972 und dann in der bundesrätlichen Botschaft verwendete "Ausführung eines Ersuchens" entspreche demjenigen des
Art. 16 Abs. 1 IRSG
und lasse eindeutig den Willen des Gesetzgebers erkennen, "nämlich dass eine vom BAP eingesetzte kantonale Behörde lediglich die Koordination der eigentlichen Rechtshilfehandlungen innerhalb mehrerer Kantone soll vornehmen können". Dies werde insbesondere auch durch die praktisch mit
Art. 80 IRSG
übereinstimmende Regelung gemäss
Art. 3 BG-RVUS
bestätigt.
Abgesehen davon, dass die vorstehend wiedergegebene mögliche Auslegung von
Art. 80 IRSG
keinen Widerspruch zu
Art. 16 Abs. 1 IRSG
hervorruft, ist festzustellen, dass der vom Beschwerdeführer gezogene Analogieschluss zum Verfahren gemäss BG-RVUS fehl geht. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die
BGE 117 Ib 64 S. 79
Vorbereitungsarbeiten für beide Gesetze praktisch parallel liefen und dass sich im BG-RVUS in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 eine mit der Bestimmung des
Art. 80 IRSG
durchaus vergleichbare Regelung findet, wie der Beschwerdeführer zutreffend festhält. Auch gemäss der Regelung des BG-RVUS kann ein einzelner Kanton mit der Leitung beauftragt werden, wenn in mehr als einem Kanton Erhebungen erforderlich werden, wobei wiederum die
Art. 352-355 StGB
sinngemäss anwendbar sind. Doch übersieht der Beschwerdeführer, dass sich die Regelung gemäss BG-RVUS insoweit grundlegend von derjenigen des IRSG unterscheidet, als sich dort das kantonale Verfahren auf die Anwendung des Prozessrechts beschränkt, während alle verwaltungsrechtlichen Entscheide ausdrücklich durch die Zentralstelle des Bundes getroffen werden. Die Verfahrensleitung durch den von der Zentralstelle gestützt auf
Art. 3 Abs. 2 BG-RVUS
bezeichneten Kanton kann nicht mehr beinhalten, als dem kantonalen Recht ohnehin zugewiesen wird. Beim Verfahren nach IRSG schliesst die Zuweisung eben - im Gegensatz zum Verfahren nach BG-RVUS - die verwaltungsrechtlichen Entscheide mit ein, indem wie dargelegt den kantonalen Behörden (von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen) die Aufgabe der Prüfung der grundsätzlichen Zulässigkeit der internationalen Rechtshilfe obliegt.
Dies erhellt, dass die für die einzelnen Bestimmungen verwendeten Begriffe der "Erledigung" bzw. der "Ausführung" an sich zwar durchaus vergleichbar sind, aber dennoch nicht durchwegs identisch sein müssen oder sein können, auch wenn sie durch die beiden Gesetze und die Materialien dazu nicht ausdrücklich auseinandergehalten werden; der jeweilige Gehalt der Begriffe im Einzelfall ergibt sich letztlich erst auch in Berücksichtigung der konkreten, zwischen BG-RVUS und IRSG aber - wie ausgeführt - unterschiedlichen Regelung der Befugnisse des Bundesamtes und der kantonalen Behörden. Abgesehen davon ist ganz allgemein festzustellen, dass die Begriffe der "Erledigung" bzw. der "Ausführung" von Rechtshilfeersuchen weit gefasst sind und schon von ihrem Wortsinn her alle Vorkehren umfassen, die (eben je nach der der einzelnen Behörde zustehenden Kompetenz) der Behandlung eines Ersuchens dienen können. Diese beginnt nach der bereits skizzierten Kompetenzordnung für die Rechtshilfe nach dem dritten Teil des IRSG mit der Entgegennahme und der Vorprüfung durch das BAP, führt zum Zulässigkeitsentscheid der angesprochenen kantonalen Behörde, zur Anordnung innerkantonaler
BGE 117 Ib 64 S. 80
Vollzugsmassnahmen, zum kantonalen Entscheid über die Weiterleitung der sichergestellten Beweismittel an den ersuchenden Staat und endet in der Regel mit dem Vollzug der Weiterleitung durch das BAP. Von den genannten - somit entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers nicht nur zwei, sondern drei - Phasen des kantonalen Verfahrens ist nur die mittlere strafprozessualer Natur, während die Entscheide über Zulässigkeit und Weiterleitung verwaltungsrechtlichen Charakter tragen. Dies schliesst jedoch nicht aus, dass alle drei Phasen in einer Verfügung vereinigt werden können.
bb) Anderseits ist festzustellen, dass die nach
Art. 80 IRSG
sinngemäss anwendbare Regelung der
Art. 352-355 StGB
für die interkantonale Rechtshilfe keine Bestimmungen enthält, nach welchen der interkantonal um Rechtshilfe ersuchte Kanton sich materiell mit dem vom ersuchenden Kanton geführten Verfahren zu befassen hätte. Vielmehr hat er sich (abgesehen von dem hier nicht in Frage stehenden Ausnahmefall von
Art. 352 Abs. 2 StGB
) darauf zu beschränken, die Prozesshandlungen, um welche er ersucht wird, unter Beachtung der Regeln seines eigenen Verfahrensrechts durchzuführen. Interkantonale Rechtshilfe ist somit zu gewähren, ohne dass - wie dies bei der internationalen Rechtshilfe üblich ist - in einem formellen Verfahren und unter Beteiligung der Betroffenen zuerst die Voraussetzungen für die Rechtshilfeleistung überprüft werden. Selbst eine vorfrageweise Prüfung von Fragen materieller Natur (z.B. ob oder wie der dem Ersuchen zugrundeliegende Sachverhalt strafrechtlich zu qualifizieren sei) ist der um interkantonale Rechtshilfe ersuchten Behörde verwehrt (
BGE 79 IV 183
,
BGE 68 IV 95
; STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, N 2 zu Art. 352). Einzig kann gegenüber dieser Behörde die Verletzung des massgebenden örtlichen Strafverfahrensrechts und in diesem Zusammenhang die Verletzung von Verfassungs- bzw. Konventionsrecht gerügt werden (s. etwa
BGE 105 Ib 214
ff. und
BGE 86 IV 140
E. 2a, zudem nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 27. April 1989 i.S. U. AG und Mitb., vom 10. April 1989 i.S. D., vom 6. Oktober 1988 i.S. D., vom 22. April 1988 i.S. H., vom 18. November 1987 i.S. U. AG und Mitb. sowie H. und Mitb.).
Verhält es sich aber so, so ist mit dem BAP zu folgern, dass die auch im Rahmen von
Art. 80 IRSG
mittels interkantonaler Rechtshilfe ersuchte Behörde das an sie gerichtete Ersuchen des vom BAP bezeichneten "Leitkantons" zu vollziehen hat, ohne sich darum kümmern zu müssen bzw. kümmern zu dürfen, ob das
BGE 117 Ib 64 S. 81
zugrundeliegende internationale Rechtshilfeersuchen die gesetzlichen oder vertraglichen Voraussetzungen zu erfüllen vermöge.
Nichts anderes ergibt sich für die Regelung des
Art. 3 Abs. 2 BG-RVUS
: Auch der nach dieser Bestimmung ersuchte Kanton hat nur gerade den Vollzug durchzuführen, da die Prüfung der Rechtshilfevoraussetzungen im Rahmen des Verkehrs mit den USA - wie ausgeführt - ausschliesslich der Zentralstelle obliegt (s. insbesondere
Art. 5 und 16 BG-RVUS
,
Art. 28 ff. RVUS
; vorstehende lit. aa). Soweit der Beschwerdeführer die genannte Prüfungskompetenz dem interkantonal ersuchten Kanton zuschreiben will, vermag ihm somit der Vergleich der Regelung gemäss
Art. 3 Abs. 2 BG-RVUS
mit derjenigen gemäss
Art. 80 IRSG
wiederum nicht zu helfen.
cc) Nach dem Gesagten ist aber auch der Einwand der fehlenden gesetzlichen Grundlage für interkantonale Rechtshilfe in Verwaltungssachen nicht stichhaltig: Bei der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen im weitesten Sinne handelt es sich jedenfalls nach bisheriger Auffassung der Sache nach um Verwaltungsrecht (s. Botschaft zum IRSG, BBl 1976 II 456ff., und MARKEES, a.a.O., SJK 421a, S. 16 ff.;
BGE 116 Ib 191
,
BGE 111 Ib 134
E. 3b). Soweit die Bestimmung des
Art. 80 IRSG
hiefür unter Hinweis auf die "sinngemässe" Anwendung von
Art. 352 ff. StGB
Regeln für eine interkantonale Zusammenarbeit vorsieht, ist sie als hinreichende Grundlage für die Rechtshilfe für diesen besonderen Bereich des Verwaltungsrechts anzuerkennen.
c) aa) Demnach ergibt sich zunächst, dass die Behörden eines im Rahmen von
Art. 80 IRSG
bloss interkantonal um Rechtshilfe ersuchten Kantons zu Entscheidungen, die über die blosse Anwendung des für sie massgebenden Verfahrensrechts hinausgehen, nicht befugt sind (oben lit. b/bb).
bb) Somit verbleibt die Frage zu beantworten, ob und allenfalls wie die in einem solchen Kanton Betroffenen dennoch ihre schützenswerten Interessen geltend machen können. Folgt man den Argumenten des Beschwerdeführers, so scheint es im Rahmen von
Art. 80 IRSG
nicht vorgesehen und nach seiner Auffassung damit ausgeschlossen zu sein, dass der mit der Leitung beauftragte Kanton den Grundsatzentscheid auch für die andern Kantone treffen könnte. Wäre dem tatsächlich so, so würde für einen Betroffenen in einem interkantonal ersuchten Kanton hinsichtlich der Frage der materiellen Voraussetzungen der zu leistenden internationalen Rechtshilfe überhaupt keine Beschwerdemöglichkeit bestehen,
BGE 117 Ib 64 S. 82
was nach der allgemeinen Rechtsmittelfreundlichkeit des IRSG systemwidrig wäre.
Auch wenn die Erarbeitung des IRSG erst vor rund einem Jahrzehnt erfolgte, so hat sich doch in der Zwischenzeit gezeigt, dass der damals als oberste Priorität empfundene Rechtsschutz nicht losgelöst von den übrigen Zielsetzungen des IRSG betrachtet werden kann. Bei der Auslegung ist daher nicht einzig den historischen Aspekten Rechnung zu tragen, sondern ebenso den weiteren Zielsetzungen, wie sie sich heute darstellen. Aus der heutigen Sicht sind diese Zielsetzungen des IRSG vor allem auch darin zu sehen, dem ersuchenden Staat bei erfüllten Voraussetzungen effizient und rasch Rechtshilfe zu gewähren (s. etwa
BGE 115 Ib 524
E. 4a), wobei die berechtigten Interessen der Betroffenen dennoch den ihnen zustehenden Schutz geniessen sollen. Dabei gilt es zu bedenken, dass die internationale Rechtshilfe in Strafsachen grundsätzlich Bundessache ist, was sich daraus ergibt, dass der Bund auf diesem Gebiete legiferiert und internationale Verträge und Konventionen eingeht. Es ist deshalb angebracht, bei Mehrdeutigkeit oder Gesetzeslücken eine Interpretation anzustreben, welche den staatsvertraglichen Verpflichtungen nicht zuwiderläuft und die Entscheide in Fällen internationaler Rechtshilfe nicht als widersprüchlich erscheinen lässt.
In Berücksichtigung all dieser Umstände drängt sich eine ausdehnende Interpretation von
Art. 80 IRSG
auf, wie sie oben skizziert worden ist (b/aa+cc). Wie ausgeführt, verwehren jedenfalls der Wortlaut dieser Bestimmung in Verbindung mit den Materialien dazu sowie die aufgezeigte Kompetenzordnung des IRSG eine derartige Auslegung nicht. Vielmehr überwiegen die Gründe, die für die Annahme sprechen, dass die "Leitung" gemäss
Art. 80 IRSG
dem eindeutigen Zweck dieser Bestimmung entsprechend, das Rechtshilfeverfahren zu vereinfachen bzw. zu beschleunigen und zudem widersprüchliche Entscheide der kantonalen Behörden zu verhindern, auch die Prüfung der Voraussetzungen der international zu leistenden Rechtshilfe umfassen soll. Dabei ist festzustellen, dass die Koordinationsfunktion des "Leitkantons" natürlich nur in den Bereichen zum Tragen kommen kann, in welchen die Kantone gleiches Recht anzuwenden haben, eben im verwaltungsrechtlichen Bereich und damit bei den Entscheiden über die grundsätzliche Zulässigkeit der Leistung der internationalen Rechtshilfe und die Weiterleitung der gesammelten Erkenntnisse. Hier hat der "Leitkanton" zu entscheiden; bei der blossen
BGE 117 Ib 64 S. 83
Beweissammlung im strafprozessualen Bereich kann er dies nicht, weil hier die anderen, von ihm anzusprechenden Kantone das für sie massgebende eigene Prozessrecht anzuwenden haben.
Der in
Art. 80 IRSG
verwendete Begriff der "Leitung" eines Rechtshilfeverfahrens ist somit den genannten Zielsetzungen dieser Bestimmung und überhaupt der internationalen Rechtshilfe entsprechend dahingehend zu verstehen, dass dem interkantonal ersuchten Kanton jene (verwaltungsrechtlichen) Entscheide obliegen, die zwar nach Bundesrecht zu ergehen haben, jedoch den kantonalen Behörden vorbehalten sind. Diese Verfahrensleitung kann sich damit nicht lediglich in einer Delegation der sonst vom BAP wahrgenommenen Funktion einer blossen Aktenleitung erschöpfen, weil sonst keine wirkliche Koordination erfolgen würde. Auch kann es nicht der Sinn der Bestimmung des
Art. 80 IRSG
sein, zusätzlich zum BAP noch einen Kanton als weitere administrative Stufe einzuschalten.
cc) Die Variante, entgegen der nach
Art. 80 IRSG
sinngemäss anwendbaren Regelung der interkantonalen Rechtshilfe jeden beteiligten Kanton selbständig über Grundsatzfragen entscheiden zu lassen, hätte die erwähnten Probleme widersprüchlicher Entscheide zur Folge und würde wenn nötig auf eine nachträgliche Koordination mittels Entscheidungen des Bundesgerichts hinauslaufen.
Anderseits würde sich die weitere Lösungsmöglichkeit, den Grundsatzentscheid auch im Rahmen des IRSG - wie beim Rechtshilfeverkehr mit den USA - bereits durch eine Bundesstelle (am ehesten wohl durch das BAP) fällen zu lassen, zu sehr vom System des heute geltenden IRSG entfernen. Eine solche Lösung wäre allenfalls de lege ferenda näher zu überdenken. Sie hätte allerdings zur Folge, dass den Betroffenen gegenüber der heutigen Regelung hinsichtlich der Anfechtbarkeit des Grundsatzentscheides eine Instanz verlorenginge.
Einzig die aufgezeigte Lösung, wonach der gestützt auf
Art. 80 IRSG
mit der Leitung beauftragte Kanton den Grundsatzentscheid über die internationale Rechtshilfe für alle Betroffenen in allen durch das ausländische Ersuchen "berührten" Kantonen fällt, löst nicht nur das Problem widersprüchlicher Entscheide, sondern wahrt zudem vollumfänglich die Rechtsmittelmöglichkeiten der Betroffenen. Diese verfügen mit der skizzierten Lösung insgesamt über die übliche Anzahl von Instanzen. Da es um die Anwendung von Bundesrecht geht, hat der Ort, an dem darüber entschieden wird, auf das Ergebnis keinen Einfluss. Selbst wenn es
BGE 117 Ib 64 S. 84
sich mit der Zeit abzeichnen würde, dass in einem Kanton generell abweichende Entscheide zu erwarten wären, liessen sich derartige Unterschiede mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde durch das BAP wieder ausgleichen (
Art. 25 Abs. 3 und 6 IRSG
). Der einzige konkrete Nachteil, den die sich nach dem Ausgeführten ergebende Lösung für einen Betroffenen haben könnte, liegt allenfalls darin, dass die Wahrung seiner Interessen unter Umständen gewisse zusätzliche praktische Schwierigkeiten etwa bei der Auswahl eines Rechtsbeistandes aufwerfen könnte, wenn er z.B. als im interkantonal ersuchten Kanton Betroffener einen Anwalt auch im (allenfalls anderssprachigen) "Leitkanton" mit seiner Vertretung beauftragen müsste (wobei allerdings festzustellen ist, dass viele der Betroffenen sich ohnehin im Ausland befinden und sich auch in Fällen, die ohne Anwendung von
Art. 80 IRSG
mehrere Kantone betreffen, veranlasst sehen können, in jedem dieser Kantone einen Anwalt beizuziehen). Dem ist indes entgegenzuhalten, dass der Rechtsschutz der Betroffenen wegen der sich bundesrechtlich ergebenden Führung des Rechtshilfeverfahrens durch den "Leitkanton" gemäss
Art. 80 IRSG
nicht erschwert werden soll. Dies muss namentlich für die Sprache und beispielsweise auch in bezug auf ein eventuelles Anwaltsmonopol gelten. Entsprechend hat der leitende Kanton insbesondere auch allfällige Eingaben zu behandeln, die in einer Sprache verfasst sind, die in dem durch den "Leitkanton" ersuchten Vollzugskanton als Amtssprache gilt (vgl. auch
Art. 28 Abs. 5 IRSG
, zudem nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 24. Juli 1990 i.S. K. N., E. 1a mit Hinweis auf VPB 33 Nr. 9 S. 26 f.). Im übrigen ist zu bemerken, dass der Bundesgesetzgeber die vorstehend aufgezeigte Regelung der interkantonalen Rechtshilfe auch in bezug auf schweizerische Strafverfahren aufgestellt hat (
Art. 352-355 StGB
); bleibt der Rechtsschutz der Betroffenen bei der sich nach dem Gesagten ergebenden Auslegung bzw. Anwendung von
Art. 80 IRSG
ungeschmälert, so ist nicht einzusehen, wieso gerade im internationalen Rechtshilfebereich, in dem die Betroffenen ohnehin regelmässig in irgendeiner Weise einen internationalen Bezug aufweisen, der landesinterne Gerichtsstand für sich alleine stärker geschützt werden soll. Hinzu kommt, dass es auch im Interesse der Betroffenen selber liegt, wenn sie den Entscheid über die grundsätzliche Zulässigkeit der internationalen Rechtshilfe nur im "Leitkanton" und nicht in sämtlichen an der Beweissammlung beteiligten Kantonen anfechten müssen. Dass das für die Betroffenen auch kostenmässige Vorteile mit sich
BGE 117 Ib 64 S. 85
bringt, liegt auf der Hand. Schliesslich entspricht die aufgezeigte Lösung den auch in andern Rechtsgebieten - namentlich im Umweltschutz- und Raumplanungsrecht - vorzufindenden Bestrebungen, Verfahren zu koordinieren, zu vereinheitlichen, um so eine koordinierte Rechtsanwendung ermöglichen und Widersprüche vermeiden zu können (s.
BGE 116 Ib 50
ff. mit Hinweisen).
d) Mit der gegen den Nichteintretensentscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhobenen Beschwerde ist einzig die Verletzung von
Art. 80 IRSG
gerügt worden. Die Rüge erweist sich nach dem Ausgeführten als unbegründet, weshalb die Beschwerde gegen den betreffenden Entscheid abzuweisen ist.
4.
Mit seiner Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantonsgerichts des Kantons Waadt macht der Beschwerdeführer zunächst geltend, die Anklagekammer als obere kantonale Instanz habe zu Unrecht angenommen, das Ersuchen sei von den zuständigen Behörden des Kantons Waadt gestützt auf
Art. 16 Abs. 1 IRSG
nur noch zu vollziehen gewesen, nachdem das BAP die materiellen Rechtshilfevoraussetzungen bereits als erfüllt erachtet habe. Entsprechend habe die Anklagekammer auch zu Unrecht festgestellt, die vom Beschwerdeführer im kantonalen Rekursverfahren erhobenen Einwände, wonach die materiellen Voraussetzungen zur Rechtshilfeleistung nicht erfüllt seien, seien an sich unzulässig.
Insoweit ist dem Beschwerdeführer beizupflichten. Wie ausgeführt, handelt es sich bei der dem BAP nach
Art. 78 Abs. 1 IRSG
obliegenden Prüfung, wie sie hier in Frage steht, um eine blosse Vorprüfung, dies im Unterschied zur Regelung gemäss BG-RVUS, gemäss der ihm bzw. der Zentralstelle für den Rechtshilfeverkehr mit den USA der Entscheid darüber zusteht, ob die Rechtshilfe grundsätzlich zulässig ist (s. vorstehende E. 3b/aa;
BGE 110 Ib 90
). Die Vorprüfung nach
Art. 78 Abs. 1 IRSG
ist im wesentlichen auf die Frage beschränkt, ob ein Ersuchen den formellen Anforderungen entspricht oder ob seine Ausführung nicht sonstwie offensichtlich unzulässig ist. Die Prüfung der materiellen Zulässigkeit eines Ersuchens wird im Rahmen des schlechthin oder subsidiär nach dem dritten Teil des IRSG abzuwickelnden Rechtshilfeverkehrs grundsätzlich den kantonalen Behörden zugewiesen (
Art. 79 Abs. 1 IRSG
), dies unter Vorbehalt der ausschliesslichen Zuständigkeit einer Bundesbehörde (s.
Art. 17 und
Art. 78 Abs. 3 IRSG
). Als vom BAP in Anwendung von
Art. 80 IRSG
mit der Leitung der Ausführung des vorliegenden paraguayischen
BGE 117 Ib 64 S. 86
Rechtshilfeersuchens beauftragter Kanton oblag somit dem Kanton Waadt und damit der Anklagekammer als kantonaler Rechtsmittelinstanz die Aufgabe, die zuvor vom kantonalen Untersuchungsrichter als erfüllt erachteten Voraussetzungen der zu leistenden internationalen Rechtshilfe auf den vom Beschwerdeführer erhobenen Rekurs hin materiell zu prüfen (vorstehende E. 3). Sie hat daher zu Unrecht festgestellt, die gegen die verfügte internationale Rechtshilfeleistung gerichteten Rügen des Beschwerdeführers seien aus den genannten Gründen an sich nicht zu prüfen.
Nun hat es die Anklagekammer aber nicht bei dieser Feststellung bewenden lassen. Vielmehr hat sie - wenn auch nur mit wenigen Sätzen - erwogen, bei materieller Prüfung seien die Voraussetzungen zur Leistung der von Paraguay verlangten Rechtshilfe erfüllt und daher die dagegen gerichteten Rügen unbegründet. Entsprechend hat sie nicht einen Nichteintretensentscheid gefällt, sondern den Rekurs abgewiesen, soweit auf ihn eingetreten werden konnte.
Soweit nun der Beschwerdeführer zwar nicht ausdrücklich, aber doch sinngemäss seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und allenfalls die sich für eine urteilende Behörde aus
Art. 4 BV
ergebende Begründungspflicht als verletzt rügt, ist festzustellen, dass diese Pflicht und der genannte Anspruch nicht bereits dadurch verletzt sind, dass sich die urteilende Instanz nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sich die urteilende Behörde auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Es genügt, wenn sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheides Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann (s.
BGE 112 Ia 110
mit Hinweisen; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 147 ff., und FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. Bern 1983, S. 321). Diese Voraussetzungen können im vorliegenden Fall gerade noch als erfüllt erachtet werden, auch wenn die Anklagekammer ihre subsidiären Erwägungen zu den materiellen Rügen des Rekurses sehr knapp gehalten hat. Jedenfalls ist in Anbetracht der Ausführungen in der gegen den Entscheid der Anklagekammer gerichteten Verwaltungsgerichtsbeschwerde festzustellen, dass es dem Beschwerdeführer ohne weiteres möglich gewesen ist, seine Argumente vor Bundesgericht in voller Tragweite des Rechtshilfeentscheides nochmals uneingeschränkt vorzutragen. Von einer Verletzung des
BGE 117 Ib 64 S. 87
Anspruchs auf rechtliches Gehör bzw. der Begründungspflicht kann daher nicht die Rede sein.
Selbst wenn aber eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bzw. der Begründungspflicht bejaht werden müsste, würde dies im vorliegenden Fall nicht zur Gutheissung der Beschwerde führen, können doch in einem Fall wie dem vorliegenden allfällige Mängel des vorinstanzlichen Verfahrens geheilt werden (s.
BGE 116 Ia 95
E. 2,
BGE 112 Ib 175
E. 5e mit Hinweisen; GYGI, a.a.O., S. 298). Nachdem dem Beschwerdeführer im bundesgerichtlichen Verfahren die Möglichkeit offenstand, den sich aus seiner Sicht ergebenden Rechtsstandpunkt umfassend vorzutragen, wären Mängel der genannten Art denn auch geheilt worden (s.
BGE 114 Ia 242
E. 2d sowie nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 14. November 1990 i.S. C. und Mitb., vom 30. Januar 1990 i.S. K. und vom 17. Januar 1990 i.S. S.).
Im übrigen sind die gegen die internationale Rechtshilfeleistung gerichteten Rügen des Beschwerdeführers liquid, wie ihrer Beurteilung im vorliegenden Verfahren auch im Lichte von
Art. 25 Abs. 6 IRSG
nichts entgegensteht.
5.
b) Gemäss
Art. 76 lit. c IRSG
ist den mit dem Ersuchen gestellten Anträgen auf Durchsuchung von Personen oder Räumen, Beschlagnahme oder Herausgabe von Gegenständen eine Bestätigung beizufügen, dass diese Massnahmen im ersuchenden Staat zulässig sind. Im vorliegenden Ersuchen wird - was letztlich auch der Beschwerdeführer einräumt - ausdrücklich bestätigt, dass die verlangten Massnahmen nach dem Recht Paraguays zulässig sind. In welcher Form diese Bestätigung vorliegen muss, schreibt das IRSG nicht vor.
Art. 31 Abs. 2 IRSV
hält lediglich fest, dass jedenfalls ein Durchsuchungs- oder Beschlagnahmebefehl als Bestätigung genügen soll. Diese Bestimmung schliesst jedoch nicht aus, dass diese Bestätigung nicht auch in einer andern Form erbracht werden kann (s. nicht publ. Urteil vom 8. Oktober 1990 i.S. W. und Mitb.). Ein Durchsuchungs- oder Beschlagnahmebefehl wird in der Praxis nur dann verlangt, wenn ernsthafte Zweifel über die Zulässigkeit der verlangten Massnahmen bestehen. Anlass für derartige Zweifel besteht im vorliegenden Fall nicht, nachdem die Ausführungen im Ersuchen durch das paraguayische Justizministerium bestätigt worden sind; auch der Beschwerdeführer vermag eine allfällige Unzulässigkeit der verlangten Massnahmen nicht zu belegen. Die Rüge der Verletzung von
Art. 76 lit. c IRSG
bzw.
Art. 31 Abs. 2 IRSV
ist demnach unbegründet.
BGE 117 Ib 64 S. 88
Im übrigen haben die ersuchenden Behörden - wie erwähnt - mit dem vorliegenden Ersuchen formell Gegenrecht zugesichert (
Art. 8 Abs. 1 IRSG
), auch wenn dieses an sich dem Grundsatze nach bereits durch den zwischen Paraguay und der Schweiz abgeschlossenen Vertrag gewährleistet ist (oben E. 2a). Der Rechtshilfeleistung steht daher auch insoweit nichts entgegen.
c) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann von den Behörden des ersuchenden Staates nicht verlangt werden, dass sie den Sachverhalt, der Gegenstand ihrer Strafuntersuchung bildet, lückenlos und völlig widerspruchsfrei darstellen. Das wäre mit dem Sinn und Zweck des Rechtshilfeverfahrens unvereinbar, ersucht doch ein Staat einen andern gerade deswegen um Mithilfe, damit er die bisher im dunkeln gebliebenen Punkte aufgrund von Unterlagen, die im Besitze des ersuchten Staates sind, klären kann. Anders, als der Beschwerdeführer dies anzunehmen scheint, hat sich die ersuchte Behörde beim Entscheid über ein Rechtshilfebegehren nicht dazu auszusprechen, ob die darin angeführten Tatsachen zutreffen oder nicht. Sie hat somit weder Tat- noch Schuldfragen zu prüfen und grundsätzlich auch keine Beweiswürdigung vorzunehmen, sondern ist vielmehr an die Darstellung des Sachverhaltes im Ersuchen und dessen allfälligen Ergänzungen gebunden, soweit diese nicht durch offensichtliche Fehler, Lücken oder Widersprüche sofort entkräftet werden (
BGE 115 Ib 78
ff.,
BGE 114 Ib 59
,
BGE 112 Ib 585
E. 3c,
BGE 110 Ib 180
E. 4d, mit Hinweisen). Unter dem Gesichtspunkt des - insoweit im wesentlichen mit
Art. 14 EÜR
übereinstimmenden -
Art. 28 IRSG
reicht es daher aus, wenn die Angaben im Ersuchen den schweizerischen Behörden die Prüfung der Frage ermöglichen, ob und allenfalls in welchem Umfang dem Rechtshilfebegehren entsprochen werden muss, oder ob ein Verweigerungsgrund vorliegt (s.
BGE 115 Ib 77
E. 3b/aa,
BGE 110 Ib 179
f. E. 4,
BGE 106 Ib 263
f. E. 3a,
BGE 103 Ia 210
E. 5, zudem nicht publ. Urteil vom 22. September 1989 i.S. D. N.). Diesen Anforderungen genügt das Ersuchen entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers. Die ersuchenden Behörden beschreiben den Sachverhalt, der Gegenstand der von ihnen geführten Strafuntersuchung bildet, hinreichend genau. Offensichtliche Mängel im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die das Ersuchen sofort zu entkräften vermöchten, sind nicht ersichtlich. Der nach
BGE 115 Ib 78
(E. 3b/bb) verlangte strengere Massstab, auf den sich der Beschwerdeführer sinngemäss beruft, gilt einzig für die Rechtshilfe bei Abgabebetrug.
BGE 117 Ib 64 S. 89
Dieser Tatbestand steht aber im vorliegenden Verfahren nicht zur Diskussion.
Gründe im Sinne von
Art. 2 und 3 IRSG
, aus denen die Rechtshilfe zu verweigern wäre, sind nicht ersichtlich. Namentlich handelt es sich bei den in Frage stehenden Straftaten nicht um politische Delikte (s. hiezu
BGE 115 Ib 84
ff. E. 5,
BGE 113 Ib 175
ff., mit Hinweisen), auch wenn nicht zu verkennen ist, dass sie sich in einem gewissen politischen Umfeld abspielten. Dieses politische Umfeld vermag nichts daran zu ändern, dass es sich bei den untersuchten Straftaten um gemeinrechtliche Delikte handelt (ähnlich
BGE 115 Ib 86
E. 5,
BGE 113 Ib 178
ff. E. 6, zudem nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 28. Oktober 1987 i.S. D. und Mitb. sowie vom 4. Juli 1984 i.S. G. und M.); so macht denn auch der Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht mehr geltend, die Gegenstand des Rechtshilfebegehrens bildenden Delikte seien politischer Natur. Indem den Beschuldigten und damit auch dem Beschwerdeführer laut Ersuchen angelastet wird, sie hätten in den Jahren 1976-1988 im Zusammenhang mit dem Ausbau einer Zementfabrik (Staatsbetrieb) in ihrer amtlichen Stellung fingierte Rechnungen ausstellen lassen und sich derart Beträge von insgesamt ca. § 11,6 Mio. unrechtmässig angeeignet, ist Strafbarkeit nicht nur nach den im Ersuchen aufgeführten Tatbeständen nach paraguayischem Recht, sondern auch nach schweizerischem Recht gegeben. Denn das genannte Verhalten lässt sich ohne weiteres jedenfalls als Teilnahme bzw. Mittäterschaft an Urkundenfälschung (
Art. 251 StGB
; vgl.
BGE 110 IV 28
,
BGE 108 IV 27
ff.,
BGE 106 IV 38
ff. und 41 ff., je mit weiteren Hinweisen, zudem nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 4. Januar 1988 i.S. A., E. 6) sowie aktive und/oder passive Bestechung (Art. 315 bzw. 316 StGB) qualifizieren. Bereits aus diesem Grunde ist somit
Art. 64 IRSG
Genüge getan und beidseitige Strafbarkeit als Voraussetzung für die verlangten Zwangsmassnahmen gegeben. Daher kann hier offenbleiben, welche andern der gemäss der Darstellung im Ersuchen in Frage kommenden Tatbestände - Vermögensdelikte (sei es Veruntreuung nach
Art. 140 StGB
, Betrug nach
Art. 148 StGB
und/oder ungetreue Geschäftsführung nach
Art. 159 StGB
) bzw. allenfalls auch ungetreue Amtsführung (
Art. 314 StGB
) - durch das den Beschuldigten angelastete Verhalten ebenfalls erfüllt werden. Alle diese genannten gemeinrechtlichen Tatbestände sind aber jedenfalls in Art. 2 des zwischen Paraguay und der Schweiz abgeschlossenen Vertrages aufgelistet, der zwar als Auslieferungsübereinkommen
BGE 117 Ib 64 S. 90
betitelt ist, wie erwähnt aber teilweise auch für die "kleine" Rechtshilfe zum Tragen kommt (s. Art. 16; oben E. 2a). Sodann ist festzustellen, dass der Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit nicht erfordert, dass der ersuchende und der ersuchte Staat die Gegenstand des Ersuchens bildenden Straftaten in ihren Gesetzgebungen unter genau demselben rechtlichen Gesichtswinkel erfassen. Die Normen brauchen also nicht identisch zu sein. Es genügt, dass die im Rechtshilfegesuch gültig umschriebenen Tatsachen in der Rechtsordnung beider Staaten einen im Sinne der vorstehenden Erwägungen rechtshilfefähigen Straftatbestand erfüllen (s.
BGE 113 Ib 76
E. 4b,
BGE 112 Ib 233
ff. E. 5, 111 Ib 313 E. 3, mit Hinweisen), was nach dem Gesagten im vorliegenden Fall klarerweise zutrifft. Dabei umfasst die Prüfung der Strafbarkeit nach Landesrecht einzig die objektiven und subjektiven Tatbestandselemente, mit Ausnahme jedoch der besonderen Schuldformen und Strafbarkeitsbedingungen des schweizerischen Rechts (
BGE 112 Ib 594
E. 11b/bb). Entsprechend ist nach Landesrecht auch nicht zu prüfen, ob der vom Beschwerdeführer angerufene Rechtfertigungsgrund nach
Art. 32 StGB
tatsächlich vorliegt, denn ob ein solcher Grund als gegeben zu erachten ist, hängt im wesentlichen von der Prüfung von Tatfragen ab, deren Beurteilung nicht dem Rechtshilferichter, sondern - wie bereits ausgeführt worden ist - dem ausländischen Sachrichter obliegt (s. etwa
BGE 115 Ib 81
E. 3b/cc; dies entspricht auch der Lösung nach dem deutschen Rechtshilfegesetz (IRG), wonach Rechtfertigungs-, Schuld- oder Strafausschliessungsgründe sowie sonstige Verfolgungshindernisse bei der Prüfung der beidseitigen Strafbarkeit ausser Betracht bleiben, s. VOGLER/WALTER/WILKITZKI, Kommentar zum IRG, 2. Aufl. Heidelberg 1989, Teil I A 2, § 66, S. 9). Die Beschwerde erweist sich demnach auch insoweit als unbegründet, als mit ihr die Verletzung von
Art. 28 und 64 IRSG
gerügt wird.
f) Hinsichtlich der auf
Art. 2 lit. a und lit. d IRSG
beruhenden Einwendungen des Beschwerdeführers ist zunächst zu bedenken, dass zwischen Paraguay und der Schweiz seit dem Jahre 1906 ein Auslieferungsvertrag besteht, der - wie erwähnt - teilweise auch für die "kleine" Rechtshilfe von gewisser Bedeutung ist (oben E. 2a). Im Rahmen dieses Vertrages ist die Schweiz grundsätzlich zur Rechtshilfe verpflichtet. Sollte die Schweiz der Ansicht sein, dass Paraguay grundsätzlich nicht mehr rechtshilfewürdig sei, so
BGE 117 Ib 64 S. 91
müsste sie vom Kündigungsrecht gemäss Art. 22 des Vertrages Gebrauch machen. Von einer solchen Absicht ist jedoch nichts bekannt.
Mit
Art. 2 IRSG
soll vermieden werden, dass die Schweiz durch Leistung von Rechtshilfe im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit die Durchführung solcher Strafverfahren unterstützt, in welchen den verfolgten Personen die ihnen in einem demokratischen Rechtsstaat zustehenden und insbesondere durch die EMRK umschriebenen Minimalgarantien nicht gewährt werden oder welche den internationalen Ordre public verletzen (s.
BGE 115 Ib 87
,
BGE 112 Ib 273
f. E. 6, mit weiteren Hinweisen). So wird nach den vom Beschwerdeführer vor Bundesgericht angerufenen Bestimmungen von
Art. 2 lit. a und lit. d IRSG
die Rechtshilfe verweigert, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass das Verfahren im Ausland (a) den Verfahrensgrundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (EMRK) nicht entspricht oder (d) andere schwere Mängel aufweist. Sodann wird nach
Art. 2 lit. b und lit. c IRSG
Rechtshilfe auch für die Verfolgung politischer Delikte nicht gewährt. Diese Regel des
Art. 2 IRSG
kann auch im Falle bilateraler Staatsverträge betreffend die Rechtshilfe zur Anwendung gelangen, so auch hier: In dem zwischen Paraguay und der Schweiz abgeschlossenen Staatsvertrag besteht ein ausdrücklicher Vorbehalt für politische Delikte (Art. 3 Ziff. 2 des Vertrages), und deren Wesen wird immer durch das Recht des ersuchten Staates definiert (s.
BGE 106 Ib 299
E. 3 mit Hinweis).
Der Beschwerdeführer macht nun aber im vorliegenden Verfahren - anders als noch vor der Anklagekammer - zu Recht nicht mehr geltend, bei den Gegenstand des Ersuchens bildenden Straftaten handle es sich um politische Delikte (s. vorstehende lit. c). Und auch was er sonstwie vor allem unter Hinweis auf Presseberichte geltend macht, reicht - abgesehen von der weiter unten zu erörternden Problematik - nicht aus, um darzutun, dass objektiv und ernsthaft zu befürchten wäre, das ihn betreffende Strafverfahren im ersuchenden Staat könnte einen schwerwiegenden Mangel im Sinne von
Art. 2 IRSG
aufweisen (s.
BGE 115 Ib 87
). Die behaupteten Verletzungen der Angeschuldigtenrechte und die angeblich dagegen erfolglos eingereichten Rechtsmittel werden einzig mit einem vom Beschwerdeführer selber und von einem paraguayischen Anwalt unterzeichneten, einem Gutachten ähnlichen Bericht, sonst aber in keiner Weise belegt; entsprechend ist insbesondere
BGE 117 Ib 64 S. 92
auch nicht belegt, inwiefern die Rechtsmittel, die vom Beschwerdeführer ergriffen werden konnten, in einer dem internationalen Ordre public widersprechenden Weise abgewiesen worden sein sollen. Als demnach in eigener Sache abgefasster Bericht ist dieser somit ebenfalls nicht geeignet, die Behauptungen des Beschwerdeführers objektiv zu erhärten. Ohnehin hat das Bundesgericht schon wiederholt erhebliche Bedenken gegen die Zulassung solcher Eingaben geäussert, weil sie sich immer auf einen vom Einleger selber gewählten Ausschnitt aus dem Sachverhalt oder aus der Prozessgeschichte beziehen, somit ganz allgemein keine Gewähr auf Objektivität und Vollständigkeit besteht, und weil auch die Möglichkeit fehlt, sie wie Zeugenaussagen richterlich ergänzen zu lassen (s. nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 24. Oktober 1990 i.S. C. und Mitb., vom 25. September 1990 i.S. C. und Mitb. und vom 13. Juni 1986 i.S. S.).
Einzig ist aufgrund der Darstellung im Ersuchen selber davon auszugehen, dass der um Rechtshilfe ersuchende paraguayische Richter Carballo im Strafverfahren nicht nur als Untersuchungsrichter amtet, sondern hernach als erstinstanzlicher Strafrichter von Asuncion in derselben Angelegenheit auch urteilender Richter sein soll. Nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung stellt es aber eine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und
Art. 58 Abs. 1 BV
dar, wenn derjenige Richter ein Strafurteil fällt, der in derselben Strafsache bereits als Untersuchungsrichter geamtet hat (s.
BGE 115 Ia 38
E. 2c/aa mit weiteren Hinweisen).
Dies kann indes entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht die grundsätzliche Verweigerung der nach den vorstehenden Erwägungen an sich zulässigen Rechtshilfe zur Folge haben. Vielmehr besteht die Möglichkeit, die Forderung nach einem verfassungsmässigen Richter im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und
Art. 58 Abs. 1 BV
in einen Vorbehalt aufzunehmen und diesen zusammen mit dem von den Vollzugsbehörden anzubringenden und denn auch bereits vorgesehenen Spezialitätsvorbehalt (
Art. 67 IRSG
) ebenfalls ausdrücklich in die Vollzugsverfügung aufzunehmen. Regelmässig wird die Einhaltung solcher Vorbehalte durch Staaten, die - wie Paraguay - mit der Schweiz durch einen Rechtshilfevertrag verbunden sind, nach dem völkerrechtlichen Vertrauensprinzip als selbstverständlich vorausgesetzt, ohne dass die Einholung einer ausdrücklichen Zusicherung notwendig wäre (
BGE 107 Ib 271
/272). Es besteht denn auch kein Anhaltspunkt dafür, dass die Behörden unter der heutigen, seit dem Machtwechsel
BGE 117 Ib 64 S. 93
anfangs Februar 1989 im Amt befindlichen Regierung Paraguays sich über derartige Vorbehalte hinwegsetzen würden; dabei kann offenbleiben, wie es sich diesbezüglich unter dem früheren Regime Stroessner verhalten hätte. Bei den im vorliegenden Fall gegebenen besonderen Verhältnissen, vor allem in Anbetracht der noch nicht ohne weiteres als gefestigt zu erachtenden sozialen und politischen Situation in Paraguay sowie der Stellung, die der Beschwerdeführer als früherer Minister der Regierung Stroessner gegenüber der heutigen Regierung hat, erscheint es aber dennoch als gerechtfertigt, die Rechtshilfe von einer ausdrücklichen Zusicherung des ersuchenden Staates abhängig zu machen, mit welcher dieser zu bestätigen hat, den einem Beschuldigten zustehenden Minimalanspruch auf den verfassungsmässigen Richter nach
Art. 58 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
im Sinne der vorstehend erwähnten Rechtsprechung zu gewähren und auch das in
Art. 67 IRSG
vorgesehene Spezialitätsprinzip zu beachten (vgl.
BGE 116 Ib 455
ff.; zudem nicht veröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 24. Januar 1990 i.S. S. sowie vom 19. September 1989 i.S. D. und M.). Das BAP wird die ersuchenden Behörden über die genaue Bedeutung dieser Erfordernisse zu orientieren haben.
g) Da der Beschwerdeführer demnach die Voraussetzungen der Rechtshilfeleistung zu Unrecht als grundsätzlich nicht erfüllt erachtet hat, unterliegt er mit seinen Vorbringen. Die gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons Waadt gerichtete Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. In Anbetracht der genannten, vom BAP noch einzuholenden Zusicherung der zuständigen paraguayischen Behörden und des Umstandes, dass die Rechtshilfeleistung von dieser Zusicherung abhängig zu machen ist, hat die Abweisung dieser Beschwerde indes nicht vorbehaltlos, sondern ausdrücklich im Sinne der vorstehenden Erwägungen zu erfolgen. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7d70cf02-201b-49f6-b1cd-c14c479de519 | Urteilskopf
87 IV 25
8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Februar 1961 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Gehrig. | Regeste
Art. 29 Abs. 1, 31, 35 und 74 Ziff. 6 ZG.
1. Verantwortung des Zolldeklaranten für die Richtigkeit der Deklaration; Pflicht zur Untersuchung der unter Zollkontrolle gestellten Ware (Erw. 3).
2. Der berufsmässige Zolldeklarant hat sich mit den zur Erfüllung seiner Aufgabe erforderlichen technischen Hilfsmitteln auszurüsten. - Arbeitsüberlastung entschuldigt nicht von der Pflicht zur richtigen Zolldeklaration (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 26
BGE 87 IV 25 S. 26
A.-
Der als Zolldeklarant bei der Air Transport Service AG in Diensten stehende Gehrig meldete am 16. Mai 1960 beim Zollamt Zürich Flughafen einen an die Firma Gebr. Dierauer adressierten, 73,5 kg schweren Ballen Wollgewebe englischer Herkunft zur Zollabfertigung an. Seine Deklaration lautete auf "Wollgewebe am Stück, buntgewebt, unter 300 gr. per m2, mit höchstens 20 Fäden in 5 mm Geviert". Danach wäre die Ware gemäss Zolltarifnummer 5311.34 zu einem Ansatz von Fr. 350.-- per 100 kg zu verzollen gewesen. Bei der zollamtlichen Revision stellte sich indessen heraus, dass das Wollgewebe auf 5 mm im Geviert 42 Fäden aufwies und nach der Zolltarifnummer 5311.36 zu Fr. 550.-- per 100 kg zu verzollen war. Durch die Falschdeklaration hatte Gehrig einen Zollbetrag von Fr. 155.-- gefährdet.
B.-
Mit Verfügung vom 10. Juni 1960 büsste die Eidgenössische Oberzolldirektion Gehrig wegen Übertretung von Art. 74 Ziff. 6 des BG vom 1. Oktober 1925 über das Zollwesen (ZG) mit Fr. 116.25.
Der Gebüsste verlangte gerichtliche Beurteilung.
Am 6. Dezember 1960 sprach ihn das Bezirksgericht Bülach von Schuld und Strafe frei. Es hielt Gehrig zugute, den genannten Zollbetrag nicht schuldhaft gefährdet zu haben; denn es sei einem Zolldeklaranten auf dem Flugplatz Kloten aus betrieblichen Gründen nicht möglich,
BGE 87 IV 25 S. 27
in sämtlichen Fällen eine auch nur stichprobeweise Prüfung der Ware vorzunehmen. Bezüglich des am 16. Mai 1960 deklarierten Wollgewebes habe Gehrig von der englischen Lieferantin und vom schweizerischen Importeur übereinstimmende Angaben über die Grundlagen der Zolldeklaration erhalten, worauf er habe abstellen dürfen, zumal ihm die Firma Gebr. Dierauer als zuverlässig bekannt gewesen sei und die Feststellung der Anzahl Fäden auf 5 mm im Geviert nicht ganz einfach gewesen wäre.
C.-
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
3.
Nach
Art. 29 Abs. 1 ZG
hat der Zollmeldepflichtige alle Massnahmen zu treffen, die nach Gesetz und Verordnung zur Durchführung der Zollkontrolle und Feststellung der Zollzahlungspflicht erforderlich sind. Er ist namentlich gehalten, eine Zolldeklaration abzugeben (
Art. 31 ZG
), für deren Richtigkeit er einzustehen hat (
Art. 35 Abs. 3 ZG
, Art. 47 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zum ZG); denn es gehört zum Wesen der Zollordnung, dass der Zollkontrollpflichtige unter eigener Verantwortlichkeit bei der Veranlagung mitwirkt (Botschaft des Bundesrates vom 4. Januar 1924 betreffend die Revision des ZG, BBl 1924 S. 36). Um der genannten Verpflichtung nachkommen zu können, muss er sich über den Inhalt der Gepäckstücke vergewissern, und zwar selbst dann, wenn Absender und Adressat der Sendung ihm hierüber übereinstimmende Angaben gemacht haben. Zu diesem Zwecke räumt ihm
Art. 32 ZG
auch das Recht ein, die unter Zollkontrolle gestellte Ware vor der Abfertigung zu untersuchen. Tut er das nicht und stellt er einzig auf die Angaben Dritter ab, so verletzt er nach der Rechtsprechung seine Sorgfaltspflicht (
BGE 68 IV 169
). Das gilt insbesondere auch für den Fall, dass er in seiner Erklärung ohne vorherige Prüfung der Sendung einfach wiederholt, was in den Begleitpapieren angegeben ist.
BGE 87 IV 25 S. 28
Denn da nach schweizerischem Recht grundsätzlich auf die Deklaration abgestellt wird (
Art. 31 ff. ZG
, vgl. auch
Art. 36 Abs. 1 ZG
) und praktisch nur ein Bruchteil aller Sendungen revidiert werden kann, müssen an die Deklaration hohe Anforderungen gestellt werden (Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 1955 Nr. 122).
4.
Diesen Anforderungen hat der Beschwerdegegner nicht genügt. Er hat die Ware unbesehen deklariert, indem er sich auf die Begleitpapiere und die telephonischen Auskünfte der Firma Gebr. Dierauer stützte. Dass er gute Gründe hatte, die genannte Firma für zuverlässig zu halten, entband ihn nicht der Pflicht, die Sendung selber zu untersuchen. Denn auch eine seriöse Firma kann eine ihrer Bestellung nicht entsprechende Ware zugesandt erhalten und deshalb dem Zolldeklaranten in guten Treuen falsche Angaben machen. Stellt dieser dann ohne Überprüfung der Sendung auf solche Angaben ab, so tut er das auf eigene Gefahr. Daran ändert der Umstand nichts, dass gegebenenfalls die Fadenzahl eines Gewebes nur mit Hilfe einer Lupe festgestellt werden kann. Wer den Beruf eines Zolldeklaranten ausübt, hat sich mit denjenigen technischen Hilfsmitteln auszurüsten, die zur pflichtgemässen Erfüllung seiner Aufgabe erforderlich sind. Der Beschwerdegegner behauptet übrigens selber nicht, dass er ausserstande gewesen wäre, die Fadenzahl des fraglichen Stoffes zu bestimmen. Abgesehen davon drängte sich eine Prüfung der Sendung geradezu auf, weil der englische Lieferant bereits eine Fadenzahl von 20 pro 5 mm im Geviert angegeben hatte, es sich also tarifmässig um einen Grenzfall handelte, indem der Zollansatz bei nur einem Faden mehr pro 5 mm im Geviert von Fr. 350.-- auf Fr. 550.-- wechselte.
Die Vorinstanz stellt allerdings fest, es sei einem Zolldeklaranten aus betrieblichen Gründen nicht möglich, bei jeder Sendung auch eine nur stichprobeweise Prüfung der Ware vorzunehmen; Zeugen hätten bestätigt, dass die Zolldeklaranten aus Platz- und Zeitmangel auf ein Öffnen
BGE 87 IV 25 S. 29
jedes einzelnen Gepäckstückes verzichten müssten.
Damit lässt sich jedoch das Verhalten des Beschwerdegegners nicht entschuldigen. Überbindet das Gesetz die Verantwortung für die Richtigkeit der Deklaration dem Deklaranten, so liegt es auch an diesem, nur so viele Deklarationen abzugeben, als er sachgemäss behandeln kann. Ist er dermassen überlastet, dass er bei pflichtgemässer Erledigung seiner Aufgabe die Arbeit nicht zu bewältigen vermag, dann hat er bei seinem Arbeitgeber um zusätzliche Hilfskräfte nachzusuchen. Arbeitsüberlastung entschuldigt nicht von der Pflicht zur richtigen Zolldeklaration.
Im übrigen spielt die Vorinstanz mit dem Hinweis darauf, dass es den Zolldeklaranten aus betrieblichen Gründen nicht möglich sei, auch nur stichprobeweise alle Sendungen zu untersuchen, auf die Verhältnisse an, wie sie im allgemeinen im Flughafen von Kloten herrschen. Sie sagt jedoch nicht, wie es sich damit am 16. Mai 1960 verhielt. Insbesondere stellt sie nicht fest - und auch der Beschwerdegegner behauptet das nicht -, dass es an diesem Tage aus irgendwelchen Gründen praktisch ausgeschlossen gewesen sei, die für die Firma Gebr. Dierauer bestimmte Ware zu prüfen. | null | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7d7f10ff-c786-4575-8919-62a098602ef3 | Urteilskopf
105 Ia 186
36. Extrait de l'arrêt de la Ire cour de droit public du 4 avril 1979 dans la cause X contre Genève, Chambre d'accusation (recours de droit public) | Regeste
Untersuchungshaft.
Provisorische Haftenlassung gegen Sicherheitsleistung.
Art. 4 BV
,
Art. 5 Abs. 3 EMRK
.
Faktoren, die bei der Festlegung der Sicherheitsleistung zu berücksichtigen sind.
Verbot einer prohibitiven Sicherheitsleistung. | Sachverhalt
ab Seite 187
BGE 105 Ia 186 S. 187
Inculpé d'escroquerie par métier, d'abus de confiance qualifié, d'abus de confiance simple et de gestion déloyale, X. a été arrêté en novembre 1976; le mandat de dépôt décerné contre lui a été régulièrement prolongé par la Chambre d'accusation de Genève. Après avoir rejeté plusieurs demandes de mise en liberté du recourant, ladite Chambre a finalement prononcé la mise en liberté provisoire moyennant une caution d'un million de francs. X a formé contre cette décision un recours de droit public dans lequel il se plaint notamment de la violation de l'art. 4 Cst. et de l'art. 5 par. 3 de la Convention européenne de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales (CEDH). Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Selon le Code genevois de procédure pénale, la mise en liberté provisoire peut être accordée moyennant sûretés ou obligations (art. 155), les sûretés ayant pour but de garantir la présence de l'inculpé aux actes de la procédure et sa soumission au jugement (art. 156). Le recourant ne conteste pas la constitutionnalité de ces dispositions, ni leur conformité avec celles de la Convention européenne, aux termes de laquelle "la mise en liberté peut être subordonnée à une garantie assurant la comparution de l'inculpé à l'audience" (art. 5 par. 3 dernière phrase).
a) Le but des sûretés étant indiqué par le Code de procédure pénale, on peut en déduire les critères qui doivent guider l'autorité judiciaire dans sa décision relative à la fixation de leur montant. Celui-ci doit, ainsi que l'a relevé la commission du Grand Conseil, "garantir la représentation, et non pas, par exemple, le règlement du préjudice" (Mémorial du Grand Conseil 1977, p. 2772). A cet égard, l'on peut interpréter cette disposition de la même façon que la Cour européenne des droits de l'homme l'a fait à propos de l'art. 5 par. 1 lettre c CEDH: l'importance de la garantie doit "être appréciée principalement par rapport à l'intéressé, à ses ressources, à ses liens avec les personnes appelées à servir de cautions et pour tout dire à la confiance qu'on peut avoir que la perspective de perte du cautionnement ou de l'exécution des cautions en cas de non-comparution à l'audience agira sur lui comme un frein suffisant pour écarter toute velléité de fuite" (Cour Eur. DH., affaire Neumeister, arrêt du 27 juin 1968, p. 40, en droit, par. 14).
BGE 105 Ia 186 S. 188
L'autorité judiciaire ne saurait donc fixer à titre de sûretés une caution "prohibitive", dont elle sait ou devrait admettre qu'il sera impossible à l'inculpé de trouver les fonds nécessaires à son dépôt (Mémorial 1977, p. 2581 et 2770). Il y a donc lieu de se fonder sur les possibilités présumées du détenu, qu'il puisse réunir les fonds nécessaires grâce à ses propres ressources ou grâce à l'aide de parents ou d'amis.
b) Le recourant soutient que la caution fixée à un million de francs est prohibitive et que la décision attaquée doit dès lors être cassée.
Mais le caractère prohibitif d'une caution ne saurait être apprécié d'après le seul montant réclamé, sans égard aux particularités du cas. Si le montant d'un million de francs apparaît en effet exceptionnellement élevé, il s'agit de savoir s'il l'est par rapport aux possibilités réelles du détenu. | public_law | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7d83f8dc-0bbb-4bd2-b2d8-26a6429b54f4 | Urteilskopf
94 II 151
27. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. November 1968 i.S. Gemeinde Eisten gegen Gillioz. | Regeste
Der Abschluss eines Werkvertrages führt nicht zur (stillschweigenden) Haftungsbefreiung des Eigentümers gegenüber Hilfspersonen des Unternehmers (Erw. 2).
Haftung des Eigentümers nach
Art. 58 OR
gegenüber Hilfspersonen eines Unternehmers, der mit der Instandstellung eines Werkes (Auswechseln von Holzmasten) betraut ist (Erw. 3-6) | Sachverhalt
ab Seite 151
BGE 94 II 151 S. 151
A.-
Die Gemeinde Eisten ist Eigentümerin einer elektrischen Freileitung, die auf einfachen Holzmasten mit etwa 60% Steigung rechtwinklig zum Abhang des Saastales von Eie nach Leidbach hinauf führt. Im Jahre 1958 beschloss sie, diese Leitung durch Abänderung und Ersetzung von Drähten und Auswechseln schadhafter Maste verbessern zu lassen. Einige Mitglieder der Gemeindeverwaltung begingen mit dem Unternehmer Zurbriggen die Strecke, um die ungefähre Zahl der auszuwechselnden Maste zu ermitteln. Man legte bei diesem Anlass die Stangen nicht frei, sondern beschränkte sich darauf, die äussere Schicht auf Fäulnis hin zu prüfen und, wenn solche
BGE 94 II 151 S. 152
festgestellt wurde, mit einem Beil zu kontrollieren, ob der Kern des Mastes dennoch gesund sei. Zurbriggen verband sich hierauf zwecks gemeinsamer Erstellung des Kostenvoranschlages und Ausführung der Arbeit mit der Electricité SA zum Konsortium "Saaselectric". Dessen Voranschlag vom 1. Oktober 1958 in der Höhe von Fr. 10'610.-- sah für das Auswechseln von fünf Masten einen Betrag von Fr. 200.-- vor. Bei einer späteren Kontrolle und beim Beginn der Arbeiten ergab sich aber, dass noch zusätzliche Maste ausgewechselt werden sollten. Die Gemeinde, die vom Filialleiter Faoro der Electricité SA darauf aufmerksam gemacht wurde, erklärte sich nach weiteren Verhandlungen damit einverstanden, wobei die Vertragsparteien der Meinung waren, das Konsortium habe die auszuwechselnden Maste selber zu bestimmen.
In der Nähe von Eie befand sich ein Mast, der abgefault, aber im Jahre 1954 in der Weise instandgestellt worden war, dass man einen etwa 1 m über den Boden hinaus ragenden nicht imprägnierten hölzernen Maststumpf als Sockel etwa 1,3 m tief eingegraben und den Mast mit Bolzen daran angeschraubt hatte. Sockel und Mast standen in aufgefülltem Boden unmittelbar bergseits einer der am betreffenden Talhang vorkommenden Trockenmauern (Mauern aus unbehauenen und ohne Mörtel verlegten Natursteinen), die bestimmt sind, die Ackererde zurückzuhalten. Die Mauer war zum Teil verfallen.
Am 10. Dezember 1958 bestieg Hilfsmonteur Gillioz in Anwesenheit des Chefmonteurs Jacquier und eines weiteren Arbeiters, Donnet, die wie Gillioz im Dienste der Electricité SA standen, den erwähnten Leitungsmast, um die Stromleiter abzuschneiden. Da der Mast durch die Jahrzahl 1954 gekennzeichnet war, liess Jacquier ihn nicht entsprechend den Richtlinien der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt zur Verhütung von Unfällen bei Arbeiten auf hölzernen Freileitungsstangen auf Fäulnis hin untersuchen. Dagegen prüfte Gillioz die Standfestigkeit des Mastes, indem er, als er auf halber Höhe angekommen war, ihn durch Rütteln zum Schwingen brachte. Da er dabei nichts Besonderes feststellte, stieg er weiter und schnitt zwei Leiter ab, worauf der Mast samt dem Sockel talwärts umfiel. Gillioz wurde weggeschleudert und verletzt.
B.-
Am 1. September 1966 klagte Gillioz gegen die Gemeinde Eisten unter Berufung auf
Art. 58 OR
auf Ersatz des durch die SUVA nicht gedeckten Schadens und auf Leistung
BGE 94 II 151 S. 153
einer Genugtuung. In der Schlussverhandlung vor dem Kantonsgericht Wallis verlangte er insgesamt Fr. 30'920.25 nebst Zins.
Das Kantonsgericht sprach ihm am 17. Januar 1968 Fr. 6262.-- für Lohnausfall, Fr. 14'000.-- für bleibende teilweise Arbeitsunfähigkeit und Fr. 5000.-- als Genugtuung zu, alle drei Beträge nebst Zins.
C.-
Die Beklagte beantragt mit der Berufung, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beklagte bestreitet mit Recht nicht, dass die Freileitung von Eie nach Leidbach ein Werk im Sinne des
Art. 58 OR
ist. Sie macht jedoch geltend, durch die Vereinbarung, wonach das Konsortium Saaselectric schadhafte Stangen feststellen und auswechseln solle, habe sie stillschweigend die Haftung aus
Art. 58 OR
wegbedungen und habe das Konsortium die Verantwortung übernommen.
Diese Auffassung hilft der Beklagten jedoch schon deshalb nicht, weil die angebliche stillschweigende Abmachung nicht mit dem Kläger getroffen wurde. Dieser ist Dritter. Das Konsortium konnte die Beklagte der Schadenersatzpflicht gegenüber dem Kläger nicht entheben. Es bleibt ihr dagegen vorbehalten, auf das Konsortium zurückzugreifen, wenn es seine vertraglichen Verpflichtungen, namentlich das Versprechen, die schadhaften Stangen festzustellen und zu ersetzen, nicht fachgerecht erfüllt oder stillschweigend die Verantwortung für die Folgen von Werkmängeln übernommen haben sollte (
Art. 58 Abs. 2 OR
).
3.
Ob ein Werk im Sinne des
Art. 58 OR
fehlerhaft angelegt oder mangelhaft unterhalten ist, hängt vom Zweck ab, den es zu erfüllen hat, da es einem bestimmungswidrigen Gebrauch nicht gewachsen zu sein braucht (
BGE 38 II 74
,
BGE 58 II 360
,
BGE 59 II 395
,
BGE 72 II 201
,
BGE 79 II 78
,
BGE 84 II 266
,
BGE 88 II 420
Erw. 2).
Die Stange, auf welcher der Kläger verunfallte, fiel erst um, nachdem der Kläger im Rahmen der geplanten Umgestaltung und Instandstellung der Freileitung zwei Leiter abgeschnitten hatte. Dennoch kann nicht gesagt werden, der Unfall sei durch einen bestimmungswidrigen Gebrauch der Stange verursacht
BGE 94 II 151 S. 154
worden. Die Maste elektrischer Freileitungen haben nicht nur die Aufgabe, die Leiter zu tragen, sondern sie müssen zwecks Erstellung, Instandstellung, Umbaus oder Abbruchs der Leitung auch bestiegen werden können. Es ist üblich, zu diesen Zwecken auf hölzerne Maste zu steigen. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt hat denn auch "Richtlinien zur Verhütung von Unfällen bei Arbeiten auf hölzernen Freileitungsstangen" erlassen und verlangt darin nur, dass die Stange vor dem Besteigen auf Mängel hin untersucht und, wenn solche bestehen, nach allen Seiten gut verankert oder verstrebt werde. Auch macht die Beklagte nicht etwa geltend, durch das Abschneiden zweier Leiter habe der Kläger der Stange eine Standfestigkeit zugemutet, die man selbst von einem fehlerfreien Mast nicht habe erwarten dürfen. Deshalb kann offen bleiben, ob das Kantonsgericht mit dem Satz, nicht das Abschneiden der schon entspannten Leitungsdrähte habe den gefährlichen Zustand geschaffen, sagen will, die Stange wäre unter der Last des Klägers ohnedies umgefallen, oder ob der Satz bedeutet, die einzige Ursache des Sturzes liege in der Mangelhaftigkeit der Stange, weil eine mängelfreie Stange auch beim Abschneiden von Drähten standgehalten hätte.
4.
Die Beklagte macht geltend, der Mast, auf dem der Kläger verunfallte, sei durch den Auftrag an das Konsortium Saaselectric, die schadhaften Stangen festzustellen und auszuwechseln, seiner normalen Zweckbestimmung entzogen worden; solange die schadhaften Stangen nicht ausgewechselt gewesen seien, habe er zum Besteigen zwecks Ausführung von Arbeiten am Draht nicht mehr Sicherheit bieten müssen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes stellt
Art. 58 OR
an ein Werk, das noch nicht fertig ist oder das umgebaut oder instandgestellt wird, nicht notwendigerweise die gleichen Anforderungen wie an ein fertiges oder fertig repariertes Werk. Für Schäden, die wegen seiner Unfertigkeit entstehen, hat der Eigentümer nur dann nach
Art. 58 OR
einzustehen, wenn er erlaubte, dass der Geschädigte es ungeachtet der durch sie bedingten Gefahren wie ein fertiges Werk gebrauche (
BGE 38 II 73
Erw. 2,
BGE 41 II 697
Erw. 3, 705 Erw. 3,
BGE 46 II 257
Erw. 2,
BGE 63 II 146
Erw. 2). Grund und daher auch Voraussetzung dieser Einschränkung der Kausalhaftung ist, dass jedermann die Unfertigkeit mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit äusserlich erkennen kann und den sich aus ihr ergebenden besonderen
BGE 94 II 151 S. 155
Gefahren, wenn ihm das Werk nicht zum ordentlichen Gebrauche überlassen ist, aus dem Wege gehen soll (
BGE 41 II 706
,
BGE 46 II 257
,
BGE 63 II 147
). Der Eigentümer entgeht daher der Haftung aus
Art. 58 OR
nicht schon, wenn er jemanden mit der Instandstellung des Werkes betraut hat, sondern erst dann, wenn der tatsächliche Beginn der Reparatur den Mangel offenkundig gemacht hat und das Werk der ordentlichen Benützung entzogen worden ist.
Diese Voraussetzung wäre im vorliegenden Falle z.B. erfüllt gewesen, wenn das Erdreich um den Mast zur Feststellung des Zustandes oder zum Auswechseln der Stange schon weitgehend entfernt und damit deren Standfestigkeit entscheidend beeinträchtigt worden wäre. Das traf indessen nicht zu. Die Standhaftigkeit des Mastes hatte nicht durch Arbeiten, die dem Besteigen vorausgegangen wären, gelitten, sondern sie war nur deshalb zu gering, weil der im Jahre 1954 angebrachte Holzsockel zufolge Fäulnis oder auch abgesehen hievon hinter der teilweise verfallenen Trockenmauer nicht genügend Halt fand. Die Beklagte behauptet nicht einmal, dieser Mast sei durch die Gemeindeverwaltung oder durch das Konsortium Saaselectric vor dem Unfall als auswechslungsbedürftig bezeichnet worden. Selbst wenn man die an der Freileitung vorzunehmenden Umgestaltungs- und Instandstellungsarbeiten als Ganzes betrachtet, kann nicht gesagt werden, der Mast sei seiner ordentlichen Bestimmung, von Arbeitern bestiegen zu werden, durch einen begonnenen Reparaturzustand entzogen gewesen. Das Besteigen der Maste kam ja normalerweise gerade auch dann in Frage, wenn die Freileitung als Ganzes umgebaut oder instandgestellt werden sollte. Die nicht auswechslungsbedürftigen Stangen mussten zum Auswechseln der Drähte bestiegen werden, und auch die anderen waren hievon nicht ausgenommen, soweit sie zum Besteigen und zum Arbeiten an den Drähten und Isolatoren noch standfest genug waren. Welche Stangen bestiegen werden durften und welche nicht, war aber nicht ohne weiteres infolge des begonnenen Reparaturzustandes, in dem sich die Freileitung als Ganzes befand, erkennbar. Ob das Konsortium Saaselectric zweckmässigerweise zuerst die auswechslungsbedürftigen Maste hätte feststellen, kennzeichnen und ersetzen sollen, ehe es die Arbeiten an den Leitern begann, ist unerheblich. Massgebend ist, dass es das tatsächlich nicht tat, jedenfalls, wie die Beklagte zugibt, nicht am Unfallmast, und
BGE 94 II 151 S. 156
dass keine äusseren durch die Reparaturarbeiten an der Freileitung bewirkten Erscheinungen dem Kläger sagten, er dürfe den Mast nicht besteigen.
5.
Das Kantonsgericht sieht den für den Unfall kausalen Mangel darin, dass der etwa 1,3 m in aufgefülltem Boden eingegrabene freistehende Mast wegen Fäulnis 1 m unter der Erdoberfläche abgebrochen sei. Die Fäulnis, die es als vorzeitig bezeichnet, ist seines Erachtens darauf zurückzuführen, dass der Mast hinter einer verfallenen Trockenmauer stand und der im Jahre 1954 angebrachte Holzsockel nicht imprägniert war.
Die Beklagte macht geltend, die Beschränkung der Unfallursache auf die in 1 m Tiefe vorhandene Fäulnis und den Bruch bedeute "eine willkürliche Beweiswürdigung und damit eine Rechtsverletzung". Sie schreibt den Sturz auch dem Umstande zu, dass der Mast hinter der verfallenen Trockenmauer nicht richtig eingegraben und verankert gewesen sei.
Tatsächliche Feststellungen können mit der Berufung nicht wegen angeblich willkürlicher Beweiswürdigung angefochten werden. Nur wenn sie offensichtlich aufeinem Versehen beruhen oder in Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen sind, binden sie die Berufungsinstanz nicht (Art. 43 Abs. 3, Art. 55 Abs. 1 lit. c und d,
Art. 63 Abs. 2 OG
). Die Annahme, der Fuss des Sockels sei faul gewesen und 1 m unter der Erdoberfläche abgebrochen, beruht indessen nicht offensichtlich auf einem Versehen, und die Behauptung, der Mast habe ausserdem hinter der Trockenmauer zu wenig Halt gehabt, ist durch keine Aktenstelle so zwingend belegt, dass gesagt werden könnte, das Kantonsgericht habe offensichtlich versehentlich die behauptete Tatsache nicht als Mitursache des Sturzes betrachtet. Das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung sodann ist nicht eine bundesrechtliche Beweisvorschrift im Sinne der Art. 43 Abs. 3 und 63 Abs. 2 OG. Willkürliche Beweiswürdigung kann als Verletzung von
Art. 4 BV
nur mit der staatsrechtlichen Beschwerde gerügt werden.
Die Behauptung der Beklagten ist übrigens rechtlich unerheblich. Ein ungenügend eingegrabener Freileitungsmast ist fehlerhaft angelegt. Die Beklagte haftet für die Folgen dieses angeblichen Fehlers in gleicher Weise aus
Art. 58 OR
wie für die Folgen der festgestellten Fäulnis, die das Werk zu einem mangelhaft unterhaltenen machte. Auch kann nicht gesagt werden, der Kläger habe den Unfall selbst verschuldet, weil er aus dem
BGE 94 II 151 S. 157
Standort des Mastes und dem Verfall der Trockenmauer nicht auf ungenügende Standfestigkeit schloss. Er konnte nicht wissen, dass der Sockel, von der Oberfläche des hinter der Trockenmauer aufgefüllten Bodens aus gemessen, nur 1,3 m tief reichte. Wäre der Mast genügend in den festen Hang eingegraben worden, so hätte die Schwäche der Trockenmauer seinen Halt nicht beeinträchtigt.
Bleibt es demnach dabei, dass der Kläger durch die vorgeschriebenen Kontrollmassnahmen die 1 m unter dem Boden eingetretene Fäulnis der Stange nicht hätte entdecken können. so trifft ihn kein für den Unfall kausales Verschulden, das gemäss
Art. 44 Abs. 1 OR
zur Herabsetzung oder Verneinung der Ersatzpflicht führen könnte. Auch den anderen beim Unfall anwesenden Arbeitern, welche die Kontrollmassnahmen unterliessen, besonders Chefmonteur Jacquier, kann ein solches Verschulden nicht vorgeworfen werden. Es würde übrigens die Beklagte ihrer Schadenersatzpflicht gegenüber dem Kläger weder ganz noch teilweise entbinden (
BGE 60 II 224
Erw. 2).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts Wallis vom 17. Januar 1968 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7d852766-5666-4319-9078-d1a2074828e9 | Urteilskopf
121 I 357
47. Estratto della sentenza 19 dicembre 1995 della I Corte di diritto pubblico nella causa Lega dei ticinesi e Giuliano Bignasca c Gran Consiglio della Repubblica e Cantone del Ticino (ricorso di diritto pubblico) | Regeste
Art. 15 Abs. 3 und
Art. 85 lit. a OG
. Politische Rechte; Konkretisierung einer Initiative in Form einer allgemeinen Anregung.
Der Begriff des "Entscheids über die Zulässigkeit einer Initiative" gemäss
Art. 15 Abs. 3 OG
ist umfassend auszulegen, so dass er nicht nur Entscheide über die Frage betrifft, ob eine Angelegenheit der Volksabstimmung unterbreitet werden muss, sondern auch, in welcher Form dies zu geschehen hat (E. 1).
Legitimation eines Bürgers und einer politischen Partei, im Rahmen einer gestützt auf
Art. 85 lit. a OG
erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde geltend zu machen, der dem Stimmvolk unterbreitete Gesetzesentwurf gäbe die Initiative kaum mehr wieder (E. 2a). Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges und Zulässigkeit der Beschwerde (E. 2b-d).
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts im Rahmen von
Art. 85 lit. a OG
(E. 3).
Grundsätze des Tessiner Rechts über die Behandlung von Initiativen in Form der allgemeinen Anregung (E. 4a) und Zusammenfassung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (E. 4b).
Im vorliegenden Fall überschritt das kantonale Parlament beim Erlass des angefochtenen Gesetzesentwurfs den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum bei der Konkretisierung der Initiative (E. 5 und 6). Vollumfängliche Aufhebung des angefochtenen Entscheids, damit das kantonale Parlament sich erneut frei über die ganze Sache äussern kann (E. 6b). | Sachverhalt
ab Seite 358
BGE 121 I 357 S. 358
Il 15 febbraio 1993 è stata depositata alla Cancelleria dello Stato del Cantone Ticino una domanda d'iniziativa generica chiedente al Governo una riduzione di 150 milioni di franchi delle spese dell'amministrazione cantonale. Il testo della domanda precisa "che non si tratta di licenziare dipendenti o di smantellare la socialità, ma semplicemente di riorganizzare in modo razionale l'attività statale, eliminando uffici e servizi inutili e risparmiando in tutti i settori". L'iniziativa è stata pubblicata nel Foglio ufficiale (FU) n. 14 del 19 febbraio 1993.
Accertato che durante il termine legale l'iniziativa aveva raccolto 7079 firme valide, il Consiglio di Stato l'ha considerata riuscita (l'art. 3 cpv. 2 della legge sull'iniziativa popolare, sul referendum e sulla revoca
BGE 121 I 357 S. 359
del Consiglio di Stato del 22 gennaio 1954 - in seguito LIRR - esige 7000 firme) ed ha trasmesso gli atti al Gran Consiglio per le sue incombenze (FU n. 42 del 28 maggio 1993).
Il Gran Consiglio del Cantone Ticino ha incaricato la Commissione della gestione di elaborare l'iniziativa. Divisa, questa ha presentato al legislativo un rapporto di maggioranza e due rapporti di minoranza. Nella seduta del 9 marzo 1995 il Gran Consiglio ha adottato (con 54 voti favorevoli, 13 contrari e 6 astensioni) il rapporto di maggioranza ed il disegno di legge annesso allo stesso ("Legge concernente la modifica o l'abrogazione di leggi o decreti legislativi per il contenimento della spesa corrente del Cantone"), sul cui contenuto si tornerà - ove necessario - in seguito.
Il Consiglio di Stato ha ordinato la pubblicazione della decisione del Gran Consiglio nel FU ed ha fissato la votazione popolare per domenica 21 maggio 1995 (FU n. 22 e 23 del 17 e 21 marzo 1995).
Con atto del 21 aprile 1995, la Lega dei ticinesi, partito politico, e Giuliano Bignasca, uno dei cinque promotori dell'iniziativa, hanno presentato al Tribunale federale un ricorso di diritto pubblico fondato sull'
art. 85 lett. a OG
, con il quale postulano l'annullamento della decisione del Gran Consiglio del 9 marzo 1995 e del progetto di legge concretante l'iniziativa generica.
Erwägungen
Dai considerandi:
1.
Giusta l'
art. 15 cpv. 3 OG
, il Tribunale federale statuisce nella composizione di sette giudici se si tratta di una "decisione sull'ammissibilità di un'iniziativa". Codesta nozione deve essere interpretata in modo ampio, ossia nel senso ch'essa non comprende solo la questione di sapere se una decisione debba essere sottoposta al voto popolare, ma anche quella di sapere in che forma essa debba essergli sottoposta. Questa soluzione deve essere ritenuta per il fatto che, sussistendo contestazione sulla validità di parte dell'iniziativa, vi è pure contestazione sul quesito di sapere se l'iniziativa debba essere sottoposta al popolo. D'altra parte, nel caso d'iniziativa generica, concretata da una decisione del Parlamento, questa costituisce un prolungamento o un complemento legale dell'iniziativa, dimodoché si giustifica di sottoporla al principio valido per l'iniziativa propriamente detta. Da ultimo, tale soluzione s'impone anche perché l'autorità competente deve esaminare la ricevibilità dell'iniziativa o di alcuni suoi elementi.
BGE 121 I 357 S. 360
2.
I ricorrenti rimproverano all'atto impugnato di aver snaturato l'iniziativa litigiosa nel progetto di legge destinato a concretarla, violando così il diritto di voto dei cittadini (
art. 85 lett. a OG
), in particolare quello dei cittadini che hanno firmato l'iniziativa.
a) Giuliano Bignasca, cittadino attivo nel Cantone Ticino giusta gli art. 13 e segg. Cost./TI (v. RDAT I-1993, pag. 47 seg. consid. 4), è legittimato ad insorgere (
DTF 120 Ia 197
consid. c e rinvii). La legittimazione deve pure essere riconosciuta alla Lega dei ticinesi, associazione politica, organizzata come tale e dotata di statuti, attiva nel Cantone (
DTF 118 Ia 188
e rinvii;
DTF 115 Ia 153
consid. 1b).
b) Il diritto ticinese non prevede vie di ricorso contro una decisione come quella del Gran Consiglio. Il corso delle istanze cantonali è quindi stato esaurito (
art. 86 OG
).
c) Il previsto voto popolare non ha ancora avuto luogo. Tuttavia, la giurisprudenza esige che le decisioni anteriori al voto o gli atti che secondo il ricorrente possono falsare l'esercizio della volontà popolare devono essere impugnati immediatamente (
DTF 118 Ia 417
seg. consid. 2a). Pertanto, a giusta ragione i ricorrenti hanno impugnato la decisione del Gran Consiglio già al momento della sua pubblicazione (
DTF 115 Ia 153
e le sentenze citate).
Il ricorso rispetta il termine legale (
art. 89 cpv. 1 OG
).
d) Il ricorso fondato sulla violazione dei diritti politici (
art. 85 lett. a OG
) soggiace alle stesse esigenze procedurali degli altri ricorsi di diritto pubblico. Il Tribunale federale è vincolato dai motivi invocati nel ricorso. Inoltre, spetta al ricorrente indicare quali diritti costituzionali o principi giuridici sarebbero stati violati e precisare in che consiste la loro violazione (
art. 90 cpv. 1 lett. b OG
).
Ne risulta che nel caso concreto il Tribunale federale non deve vagliare se l'iniziativa litigiosa sia un'iniziativa amministrativa - ciò che non è stato ritenuto dal Gran Consiglio e non è invocato nella presente procedura - né ricercare d'ufficio motivi non invocati o non sufficientemente sostanziati nel ricorso.
3.
Nel quadro dell'
art. 85 lett. a OG
, il Tribunale federale esamina con piena cognizione non solo le norme del diritto federale e della costituzione cantonale, ma anche quelle del diritto cantonale di rango inferiore, in quanto esse determinino il contenuto del diritto di voto o vi siano strettamente connesse (
DTF 119 Ia 157
consid. c, 174 consid. 2,
DTF 120 Ia 199
consid. 2). L'esame sotto il profilo dell'arbitrio si applica invece alle ulteriori disposizioni del diritto cantonale ed alle questioni di fatto (sentenze citate). In casi d'interpretazione manifestamente dubbi il Tribunale federale si attiene all'opinione espressa dall'istanza cantonale
BGE 121 I 357 S. 361
superiore (
DTF 115 Ia 153
consid. 2 con rinvii).
4.
L'art. 59 cpv. 1 n. 1 e cpv. 3 della Costituzione ticinese conferisce al popolo il diritto d'iniziativa in materia legislativa, le cui modalità sono stabilite dalla legge.
a) Giusta l'art. 15 cpv. 3 LIRR l'iniziativa legislativa può essere presentata in forma generica o in forma di un progetto completamente elaborato. Nel primo caso, la procedura è retta dall'art. 16 LIRR. Il Gran Consiglio è tenuto ad elaborare l'iniziativa nel senso della domanda (cpv. 1). Esso può raccomandare al popolo l'accettazione o la reiezione dell'iniziativa oppure proporgli di adottare sulla stessa materia un suo controprogetto (cpv. 2). L'eventuale controprogetto deve raccogliere l'adesione del Consiglio di Stato; in caso contrario, esso dev'essere sottoposto ad una seconda lettura a norma della Costituzione (cpv. 3). Il capoverso 4 prevede che il Gran Consiglio deve pronunciarsi sulla domanda di iniziativa entro un anno dalla raccolta delle firme; mentre il capoverso 5 dispone che le decisioni del Gran Consiglio sono pubblicate nel FU a cura del Consiglio di Stato entro otto giorni, con l'indicazione della data di scrutinio.
Per contro, l'
art. 56 cpv. 4 Cost./TI
- di cui i ricorrenti invocano la violazione - è applicabile esclusivamente alle iniziative costituzionali. In concreto, ciò non ha alcuna incidenza, avendo tale norma contenuto analogo a quello dell'art. 16 cpv. 1 LIRR.
b) Secondo la giurisprudenza, l'autorità legislativa tenuta ad elaborare un progetto concreto conforme ad un'iniziativa generica deve rispettarne l'oggetto; l'iniziativa le traccia una via da cui non può scostarsi né per modificare il senso della proposta, né per disciplinare materie diverse da quelle oggetto della domanda. Essa non agisce liberamente, ma in esecuzione di un mandato assegnatogli dal popolo o dagli elettori firmatari dell'iniziativa. Di certo, essa non fa da tramite fra gli autori dell'iniziativa e il popolo e il testo che è tenuta a sottoporre a quest'ultimo è elaborato in virtù di una competenza propria. Allorquando ne ha il mandato, l'autorità legislativa è tenuta a stabilire un progetto che risponda alle intenzioni degli iniziativisti ed esprima il loro pensiero. Il margine di manovra dell'autorità legislativa è pertanto limitato dall'obbligo di adottare norme di contenuto analogo a quelle propugnate dagli autori dell'iniziativa (
DTF 115 Ia 154
/155 consid. 4 e riferimenti).
Per gli autori dell'iniziativa, la scelta della domanda in forma generica implica di per sé la rinuncia a proporre soluzioni concrete atte a
BGE 121 I 357 S. 362
realizzarne l'obiettivo. Essi si rimettono alla scelta dell'organo statale competente, il cui margine di manovra deve essere rispettato. Paragonabile a quello dell'organo statale al quale è stato delegato il potere di legiferare, tale margine è maggiore se gli obiettivi dell'iniziativa sono formulati in modo generale oppure complessi e parzialmente contraddittori (v.
DTF 111 Ia 119
e riferimenti); in siffatta evenienza le scelte della competente autorità non possono essere contestate adducendo che non convengono agli autori dell'iniziativa se, da un punto di vista oggettivo, esse appaiono come un mezzo ragionevole per realizzarne l'oggetto.
Secondo giurisprudenza invalsa, il testo di un'iniziativa deve essere interpretato in modo oggettivo, ossia come potevano comprenderlo i cittadini ai quali era destinato. Di contro, l'interpretazione personale dei promotori e redattori dell'iniziativa non è determinante, soprattutto se essa è data a posteriori (
DTF 105 Ia 154
). In casi dubbi l'iniziativa deve essere compresa in un senso che la renda conforme al diritto superiore (
DTF 119 Ia 157
,
DTF 118 Ia 204
e le sentenze citate).
L'obbligo per l'autorità legislativa di concretare la domanda presuppone che l'iniziativa sia ricevibile, ossia ch'essa sia compatibile con le norme del diritto superiore (
DTF 119 Ia 157
consid. 2b e riferimenti) ed attuabile (DTF
DTF 114 Ia 271
consid. 3,
DTF 101 Ia 367
,
DTF 94 I 126
; sentenza inedita del 10 dicembre 1994 nella causa Helvetia Nostra e consorti c. Gran Consiglio del Cantone di Friborgo). Se solo una parte dell'iniziativa è irricevibile, la parte rimanente può sussistere come tale, purché resti un'entità coerente e si possa ragionevolmente supporre che un numero sufficiente di cittadini avrebbero comunque dato la loro adesione (
DTF 119 Ia 157
consid. 2b in basso con riferimenti,
DTF 117 Ia 156
consid. 5 c e sentenze citate).
5.
Secondo le indicazioni incontestate date dal Gran Consiglio nella risposta al ricorso, il progetto di legge elaborato dalla Commissione della gestione ed approvato dal Parlamento permette di realizzare risparmi valutati a 137,55 milioni di franchi.
a) I ricorrenti affermano che tale progetto del Gran Consiglio snaturerebbe gli obiettivi chiari dell'iniziativa, che sono quelli di realizzare risparmi senza licenziare funzionari e senza smantellare "la socialità". In particolare, come si vedrà più oltre, essi adducono che la soppressione di alcune spese sarebbe contraria agli scopi dell'iniziativa, poiché diminuirebbe la protezione sociale e violerebbe i diritti acquisiti dei funzionari e il diritto alla salute.
b) Nella propria risposta, il Gran Consiglio espone le difficoltà al quale
BGE 121 I 357 S. 363
è stato confrontato nell'elaborazione dell'iniziativa, che è stata oggetto di ampie discussioni in seno alla Commissione della gestione ed all'assemblea plenaria. Durante i lavori parlamentari è stata vagliata la questione di sapere se, visto il suo oggetto, l'iniziativa non fosse irricevibile. In effetti, il diritto ticinese non conosce l'iniziativa amministrativa. Questa soluzione è poi caduta.
Il Parlamento ha quindi aderito alla proposta della maggioranza della Commissione della gestione. Esso ha invece respinto un primo rapporto di minoranza - sottoscritto da due firmatari dell'iniziativa - che proponeva l'adozione di norme volte a ridurre le spese del personale e quelle per beni e servizi in funzione del gettito dell'imposta cantonale delle persone fisiche e del preventivo. Pure respinta è stata la proposta di una seconda minoranza, che proponeva la reiezione dell'iniziativa e l'accettazione di un controprogetto pure volto a ridurre proporzionalmente le spese annuali, per gruppi, in funzione del gettito dell'imposta cantonale delle persone fisiche. Al momento del voto sulla proposta di sottoporre questo controprogetto al popolo, gli autori dell'iniziativa presenti in Gran Consiglio avevano sostenuto questa proposta.
Il Gran Consiglio afferma poi che i ricorrenti cadono in contraddizione, nella misura in cui censurano misure legislative che erano state formulate dagli stessi proponenti. Esso contesta inoltre i rimproveri dei ricorrenti. A suo avviso, il testo dell'iniziativa lasciava un ampio margine di apprezzamento, che non sarebbe stato oltrepassato. La restrizione figurante nel testo dell'iniziativa volta ad impedire lo smantellamento della socialità sarebbe stata rispettata; lo "smantellamento" presupporrebbe una "demolizione" delle prestazioni sociali. Tale non può essere qualificata la puntuale soppressione di alcune prestazioni sociali.
c) In replica, i ricorrenti spiegano che davanti alla Commissione della gestione i rappresentanti della Lega dei ticinesi avevano effettivamente prospettato la soppressione di alcuni sussidi. Constatato però che tale soppressione era contraria agli scopi dell'iniziativa, essi vi si sono poi opposti.
6.
a) Gli scopi dell'iniziativa litigiosa sono - perlomeno in parte - antinomici. Infatti, le restrizioni alle spese dello Stato hanno necessariamente un'incidenza sulle prestazioni sociali accordate, sotto forma di una loro soppressione o riduzione. Di per sé, il testo dell'iniziativa non osta a tali riduzioni delle prestazioni. Se esso indica che i funzionari dello Stato non devono essere licenziati, esso ammette implicitamente che le prestazioni ai funzionari possono subire
BGE 121 I 357 S. 364
decurtazioni. Del resto, non tutte le riduzioni o soppressioni delle prestazioni a carattere sociale sono contrarie all'iniziativa, ma solo quelle che conducono ad uno "smantellamento della socialità". Per il lettore oggettivo del testo della domanda e tenuto conto dello scopo dell'iniziativa, il termine "smantellamento" definisce la portata della riserva. Nella sua accezione originaria, lo smantellamento era "l'abbattimento delle mura d'una città, d'una piazzaforte" (v. CORTELAZZO/ZOLLI, Dizionario etimologico della lingua italiana, Bologna 1988); nel suo senso figurato lo smantellamento presuppone pure un'importante aggressione alle strutture protettrici. Pertanto, l'iniziativa osta a che siano intaccate le prestazioni sociali solo se, nel loro insieme, le misure adottate comportano una grave offesa alla struttura sociale. Tuttavia, in concreto, si può divergere d'opinione circa l'importanza dello smantellamento vietato. Infatti, si potrebbe interpretare questa espressione quale impedimento a che si dia inizio ad uno smantellamento delle prestazioni accordate dallo Stato; ciò presupporrebbe comunque un'offesa di una certa rilevanza, altrimenti il termine di smantellamento sarebbe privo di qualsiasi significato.
Sia come sia, per i motivi indicati (v. supra, consid. 2d), spetta ai ricorrenti di dimostrare l'importanza di tale offesa.
Le restrizioni poste dall'iniziativa devono essere intese quali condizioni "sine qua non". Dovesse risultare che esse impediscono di raggiungere l'obiettivo di risparmiare 150 milioni di franchi, l'iniziativa sarebbe parzialmente irrealizzabile e quindi nulla (consid. 4), ciò che dovrebbe essere preso in considerazione nella concretizzazione dell'iniziativa generica.
b) Occorre quindi vagliare se, in tal senso, i ricorrenti hanno dimostrato una profonda offesa alle strutture sociali protettrici del Cantone del Ticino.
Nel succinto atto di ricorso, i ricorrenti sembrano mettere in discussione la soppressione delle seguenti spese (secondo l'ordine per gruppi di spesa adottato nella legge concretante l'iniziativa):
Ammontare del
Gruppo
Natura
risparmio
di spesa
della spesa
4,8 milioni
IA
indennità per economia
domestica ai funzionari
0,2
indennità d'uscita e per
soppressione di posto
5,1
IIA
soppressione degli assegni
di studio, convertiti
in prestiti di studio
BGE 121 I 357 S. 365
0,25
B
soppressione del sussidio
per la lotta contro l'AIDS
4
E
soppressione di prestazioni
previste dalla legge
sull'assistenza sociale
4
F
aumento della quota
minima da pagare a carico
dell'assicurato sussidiato
8,3
H
aiuto ai disoccupati
in fine di diritto
0,8
I
sussidi alle colonie
di vacanza
3,7
L
sussidi dei servizi
autolettiga
0,9
M
sussidi per le bellezze
naturali
0,4
N
sussidi per musei
etnografici
2,5
O
sussidi per la promozione
dell'industria e dell'ar-
tigianato
4,5
IIIA
sussidi per i trasporti
scolastici
2
B
riduzione delle Biblio-
teche cantonali da 4 a 2
0,5
C
risparmi indiretti
2,6
sussidi alla medicina
scolastica
-----
44,55
Tenuto conto dei criteri esposti sopra, queste soppressioni di spese, così come presentate dai ricorrenti, consentono di formulare le seguenti osservazioni. Su diversi punti i ricorrenti non indicano la natura esatta della spesa da sopprimere, dimodoché non si può sapere chi ne sia il beneficiario né determinarne se essa abbia o meno carattere sociale. Ciò vale in particolare per i sussidi ai trasporti scolastici (III A), per la riduzione delle Biblioteche cantonali (III B), per alcune economie indirette ed i sussidi alla medicina scolastica (III C). Queste poste non devono quindi essere prese in considerazione (
art. 90 cpv. 1 lett. b OG
). Diverso è invece il discorso per la posta II E (soppressione di prestazioni previste dalla legge sull'assistenza sociale). In effetti, pur contenendo
BGE 121 I 357 S. 366
il ricorso un riferimento errato alla legge ticinese sull'assistenza sociale dell'8 marzo 1971 (LAS), è sufficiente riferirsi alla legge concretante l'iniziativa e leggere l'art. 19 lett. e LAS per capire che la soppressione concerne l'anticipo degli alimenti alle persone che non ricevono il dovuto dall'obbligato e per determinare il suo carattere sociale.
Le indennità per economia domestica e d'uscita a favore dei funzionari (I A) hanno un carattere sociale relativo, nel senso che trattasi di elementi di rimunerazione traenti origine dal lavoro compiuto dai funzionari per lo Stato. I sussidi alle bellezze naturali, ai musei etnografici e al promuovimento economico (II M, N e O), non hanno invece particolare connotazione sociale.
Pertanto, fra le poste contestate, si può riconoscere spiccato carattere sociale alla formazione professionale (II A, assegni di studio), alla lotta contro la disoccupazione (II H), all'aiuto alla gioventù (II I, colonie di vacanza), all'anticipo degli alimenti (II E) e alla protezione della salute (II B, F e L). Giova qui ancora sottolineare che l'aiuto alla formazione professionale non è totalmente soppresso, ma sostituito dai prestiti di studio. Tuttavia, tenuto conto che questa misura può avere un effetto dissuasivo sul richiedente, essa costituisce un ostacolo alla democratizzazione degli studi, soprattutto in un Cantone periferico - come il Ticino - sprovvisto, per il momento, di un'università propria.
Occorre pertanto chiedersi se, tenuto conto del senso dell'iniziativa, la soppressione delle predette prestazioni costituisce uno smantellamento della socialità, e se, di conseguenza, il Gran Consiglio abbia ecceduto la latitudine di giudizio che gli competeva per concretare l'iniziativa generica. Ora, tenuto conto che il testo adottato sopprime una serie di prestazioni dello Stato con spiccato carattere sociale, vi è uno smantellamento o perlomeno un'inizio di smantellamento nel senso dell'iniziativa. Ne segue che il Gran Consiglio non ha rispettato lo scopo dell'iniziativa e che il ricorso deve essere accolto.
Resta da determinare se la decisione debba essere annullata completamente o solo parzialmente. In concreto, il Tribunale federale non può sostituirsi al Gran Consiglio, imponendogli determinate scelte. Infatti, come dimostrano i lavori parlamentari (v. supra, consid. 5b), il Gran Consiglio può far capo ad altri sistemi per realizzare l'iniziativa generica in discussione. Si giustifica pertanto di non interferire nella latitudine di giudizio di cui fruisce il Gran Consiglio e di lasciargli la facoltà di pronunciarsi nuovamente sulla questione. | public_law | nan | it | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
7d85aa9e-cdac-4d58-8e02-5702049e06b8 | Urteilskopf
113 Ib 371
59. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. November 1987 i.S. C. gegen Einwohnergemeinde Vitznau, Regierungsrat des Kantons Luzern (staatsrechtliche und Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 34 Abs. 3 RPG
,
Art. 97 ff. OG
; Anfechtung von Zonenplänen.
Zulässiges Rechtsmittel: Es ist mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend zu machen, durch die Schaffung einer Zone für ein konkretes Projekt im Nutzungsplan werde das Ausnahmebewilligungsverfahren nach
Art. 24 RPG
umgangen (E. 1b und 5). | Sachverhalt
ab Seite 372
BGE 113 Ib 371 S. 372
Mit Entscheid vom 27. Oktober 1986 beschloss die Stimmbürgerschaft von Vitznau eine Teilrevision des Zonenplanes und des Bau- und Zonenreglementes mit dem Zweck, eine Kur- und Sportzone einzuführen. Damit sollen die raumplanungsrechtlichen Voraussetzungen für die Anlage eines Bootshafens im sogenannten Bereich H dieser Zone und für den Fortbestand der bestehenden Hotels und Kurbetriebe geschaffen werden. Das Gebiet des Bereichs H lag bisher ausserhalb der Bauzone. Der massgebende, neue Art. 22bis "Kur- und Sportzone" lautet:
"1.-4. ...
5. In dem im Zonenplan bezeichneten Bereich H sind nur Bauten und Anlagen
für einen Hafen sowie deren Ver- und Entsorgungseinrichtungen zulässig."
Gegen diesen Gemeindebeschluss reichte C. beim Regierungsrat des Kantons Luzern erfolglos eine Beschwerde ein. Die dagegen von C. erhobene staatsrechtliche Beschwerde wies das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintrat. Die gleichzeitig eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies es ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
b) Der Beschwerdeführer macht u.a. geltend, der Regierungsrat habe durch die Genehmigung der Zone H Art. 15, 16, 17 und 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) verletzt, weil damit das Ausnahmebewilligungsverfahren umgangen werde. Diese Rüge bringt er einerseits mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 2 UebBest. BV vor, andererseits mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen Missachtung von Art. 15, 16, 17 und 24 RPG.
Gemäss
Art. 97 Abs. 1 OG
beurteilt das Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von
Art. 5 VwVG
, die von einer der in
Art. 98 OG
aufgeführten Vorinstanzen ausgehen und die unter keine der Ausnahmebestimmungen der
Art. 99bis 102
OG fallen. Als Verfügungen gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, welche sich auf öffentliches
BGE 113 Ib 371 S. 373
Recht des Bundes stützen (
Art. 5 Abs. 1 VwVG
) oder hätten stützen sollen (
BGE 112 Ib 237
E. 2a mit Hinweisen). Die Bestimmungen des Organisationsgesetzes gelten grundsätzlich auch auf dem Gebiete der Raumplanung.
Art. 34 RPG
ergänzt sie und schafft in Teilbereichen Sonderrecht (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 1 ff. zu Art. 34, insbes. N. 2 S. 358). So bestimmt
Art. 34 Abs. 1 RPG
, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht sei zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Bewilligungen im Sinne von
Art. 24 RPG
. Damit sollen einzig alle Zweifel über die Voraussetzung des "öffentlichen Rechts des Bundes" beiseite geschoben werden (EJPD/BRP, a.a.O., N. 6 zu Art. 34 S. 360). Die übrigen Voraussetzungen von
Art. 5 VwVG
und von
Art. 97 ff. OG
müssen hingegen auch im Sachbereich von
Art. 24 RPG
erfüllt sein, damit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist (EJPD/BRP, a.a.O., N. 3 ff. zu Art. 34 S. 358 ff.).
Nach
Art. 99 lit. c OG
sind Verfügungen über Pläne nur mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar, wenn es sich um Entscheide über Einsprachen gegen Enteignungen oder Landumlegungen handelt, was hier nicht zutrifft (vgl.
BGE 99 Ib 205
E. 1). Jedoch legt im vorliegenden Fall der genehmigte Nutzungsplan mit der Festsetzung einer Hafenzone im Bereich H den projektierten Bootshafen weitgehend fest und nimmt insofern den Baubewilligungsentscheid vorweg. Der Beschwerdeführer macht geltend, dadurch werde
Art. 24 RPG
umgangen, weil für ein einzelnes Projekt keine Zone festzulegen sei, sondern eine Bewilligung nach
Art. 24 RPG
erteilt werden müsse. Diese Rüge ist im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren zu prüfen (
BGE 111 Ib 33
/34 E. 1 mit Hinweisen). Andere raumplanungsrechtliche, nicht unmittelbar mit der Umgehung des Ausnahmebewilligungsverfahrens zusammenhängende Rügen, gehören hingegen ins staatsrechtliche Beschwerdeverfahren (
BGE 106 Ia 330
f. E. 1).
5.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 15, 16, 17 und 24 RPG. Er legt jedoch nicht dar und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern
Art. 15 und 16 RPG
verletzt sein sollen, so dass von vornherein darauf nicht einzugehen ist. Eine Verletzung von
Art. 17 und 24 RPG
sieht der Beschwerdeführer darin, dass nach
Art. 17 RPG
Seen und ihre Ufer richtigerweise in Schutzzonen einzuordnen seien und demnach ein konkretes Hafenprojekt in einer solchen Zone einer Ausnahmebewilligung bedürfe. Durch die Schaffung der Hafenzone, in welcher das Hafenprojekt zonenkonform
BGE 113 Ib 371 S. 374
sei, werde das Ausnahmebewilligungsverfahren nach
Art. 24 RPG
zu Unrecht umgangen.
Gemäss
Art. 22quater Abs. 1 BV
haben die Kantone einer der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes dienende Raumplanung zu schaffen.
Art. 2 RPG
regelt diese verfassungsrechtliche Planungspflicht auf Gesetzesstufe. Die Planung hat nach dem Bundesgesetz über die Raumplanung in verschiedenen Etappen zu erfolgen: Richtplanung, Nutzungsplanung und Baubewilligungsverfahren. Der Nutzungsplan hat die Nutzungsordnung zu schaffen (
Art. 14 RPG
) und diese sowie die Richtplaninhalte für die Privaten verbindlich festzulegen. Das Baubewilligungsverfahren dient dagegen der Abklärung, ob Bauten und Anlagen der im Nutzungsplan ausgedrückten räumlichen Ordnungsvorstellungen entsprechen. Es bezweckt einzelfallweise Planverwirklichung, soll aber nicht selbständige Planungsentscheide hervorbringen. Das Baubewilligungsverfahren verfügt weder über das sachlich nötige Instrumentarium, noch ist der damit verbundene Rechtsschutz nach rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten geeignet, um den Nutzungsplan im Ergebnis zu ergänzen oder zu ändern. Ausnahmebewilligungen haben sich in den planerischen Stufenbau einzufügen. Auch wenn ihr Entscheidungsbereich weiter reicht, als derjenige der Baubewilligung, weil sie sich eben auf keinen positiven Massstab eines Nutzungsplanes abstützen können, dürfen sie nicht für Bauten und Anlagen erteilt werden, die ihrer Natur nach sachgerecht nur in einem Planungsverfahren erfasst werden können. Eine andere Frage ist, ob Bauvorhaben über
Art. 24 RPG
zu verwirklichen sind, solange noch kein dem Raumplanungsgesetz entsprechender Nutzungsplan besteht (
BGE 111 Ib 86
E. 2).
Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 18. Dezember 1985 i.S. C. zwar im Sinne eines Hinweises angedeutet, dass entgegen der Meinung des Bundesamtes für Raumplanung der Bootshafen nicht nur im Rahmen einer Nutzungsplanung behandelt und bewilligt werden könne. In der Tatsache, dass sich nun die kommunalen und kantonalen Behörden für die Nutzungsplanrevision und nicht für das Ausnahmebewilligungsverfahren entschieden haben, kann jedoch keineswegs eine Umgehung des Ausnahmebewilligungsverfahrens gesehen werden. Im Gegenteil ist es begrüssenswert, eine Anlage von diesem Ausmass und mit solchen Auswirkungen auf die Nutzungsordnung im Planungsverfahren zu beurteilen. Unbegründet ist auch der Einwand, auf dem Weg über den
BGE 113 Ib 371 S. 375
Nutzungsplan werde eine umfassende Interessenabwägung, wie sie die Ausnahmebewilligung einschliesse (
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
), verhindert. Eine solche umfassende Beurteilung liegt gerade im Wesen des planerischen Verfahrens (
Art. 1, 3 RPG
). Durch die vom Regierungsrat genehmigte Hafenzone wurden somit
Art. 24 RPG
i.V. mit
Art. 17 RPG
nicht verletzt. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7d8e5244-f519-4bcd-ace7-b1cdd7580c17 | Urteilskopf
82 II 576
77. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Dezember 1956 i. S. Fux gegen Domig. | Regeste
Vorkaufsrecht des Miteigentümers.
Art. 682 ZGB
.
1. Zur Frage der Passivlegitimation. (Erw. 1).
2. Die Geltendmachung der Ungültigkeit oder einseitigen Unverbindlichkeit des Kaufvertrages bleibt auch gegenüber dem Vorkaufsberechtigten vorbehalten. (Erw. 3).
3. Liegt ein Formmangel des Kaufvertrages um ein Grundstück vor, wenn nur der vom Käufer zu bezahlende Nettopreis angegeben wird, ohne Berücksichtigung des Mehrwertes, den er während des bisherigen Mietverhältnisses auf eigene Kosten geschaffen hat? (Erw. 4).
4. Auch für den Vorkaufsberechtigten ist der wahre, allenfalls vom Wortlaut abweichende Inhalt des Kaufvertrages massgebend. (Erw. 5).
5. Irrtümliche Mitteilung der Vertragsbestimmungen an den Vorkaufsberechtigten.
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR
. (Erw. 6).
6. Irrtümliches Verschweigen einer Vertragsgrundlage.
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
. (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 577
BGE 82 II 576 S. 577
A.-
Das Grundstück Nr. 102, Blatt 2, Wohnhaus samt Werkstatt an der Hauptstrasse in Visp, steht in hälftigem Miteigentum mit (offenbar auf altes Stockwerkseigentum zurückgehender) ausschliesslicher Zuweisung einzelner Teile der Liegenschaft an den einzelnen Miteigentumsanteil. Der eine Anteil gehört dem Kläger Fux, der andere, umfassend den ersten Stock, Laden- und Kellerräume sowie eine Werkstatt, gehörte bis zum Frühjahr 1954 der Frau Chaperon-Nettis. Sie bewohnte die Wohnung des ersten Stockes, während die ihrem Anteil zugehörigen Geschäftsräume des Erdgeschosses seit 1944 dem Beklagten Domig vermietet waren. Dieser hatte
BGE 82 II 576 S. 578
auf eigene Kosten (für Fr. 25'150.--) Umbauten und Installationen für sein Milchgeschäft vornehmen und (für Fr. 10'795.--) dem Kläger Fux einen Keller erstellen lassen, um dessen Nutzniessungsrecht am südlichen Vorraum abzulösen. Die Rechtsvorgängerin der Frau Chaperon, nämlich ihre Mutter, hatte dem Beklagten zugesichert, er werde bei einem Verkauf ihres Miteigentumsanteils für seine Aufwendungen entschädigt werden.
B.-
Die in bedrängter Lage befindliche Frau Chaperon sah sich im Frühjahr 1954 veranlasst, ihren Miteigentumsanteil dem Beklagten zu verkaufen. Nach mündlicher Einigung setzten sich die Vertragsparteien am 26. Mai 1954 mit Notar Hans Wyer in Verbindung, der den Kaufvertrag am Nachmittag desselben Tages verurkundete und gleich am Abend an das Grundbuchamt sandte. Im Vertrage war der Kaufpreis auf Fr. 77'000.-- bestimmt, zahlbar durch Tilgung der beiden Hypotheken der Walliser Kantonalbank und durch Überweisung des Restbetrages an die Verkäuferin. Die dem Notar nicht mitgeteilte Vertragsmeinung ging jedoch dahin, der Betrag von Fr. 77'000.-- sei nur der Preis "für das nackte Geschäft und für die Wohnung" ohne die von Domig vorgenommenen Umbauten und Installationen; den in diesen Ausgestaltungen liegenden Mehrwert solle Domig nun als Vergütung für seine Aufwendungen erhalten.
Ferner bestand eine auf den Rat des Notars nicht in den Kaufvertrag aufgenommene Nebenvereinbarung, wonach Frau Chaperon bis Ende 1954 unentgeltlich und vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1955 zu einem monatlichen Mietzins von Fr. 50.- in den von ihr bisher innegehabten Räumlichkeiten wohnen und Keller, Unterdach und Plätze benützen dürfe.
C.-
Am 28. Mai 1954 gab der Notar im Auftrag der Vertragsschliessenden dem vorkaufsberechtigten Kläger Kenntnis vom Abschluss des Kaufvertrages und vom Preis von Fr. 77'000.--. Der Kläger erklärte am 22. Juni 1955, sein Vorkaufsrecht zu den ihm mitgeteilten Vertragsbestimmungen
BGE 82 II 576 S. 579
ausüben zu wollen. Hierauf orientierten die Vertragschliessenden den Notar über den dem Kaufsobjekt beigemessenen Mehrwert und über ihre Vereinbarung, diese Wertdifferenz dem Käufer Domig als Vergütung für seine Aufwendungen zukommen zu lassen, weshalb sich eben die Verkäuferin für sich selbst mit einem Preis von Fr. 77'000.-- begnügt habe.
D.-
Um dieser Sachlage Rechnung zu tragen, schlossen Frau Chaperon und Domig am 7. Juli 1954 einen neuen Kaufvertrag, der an die Stelle desjenigen vom 26. Mai 1954 treten sollte und in Ziff. 1 bestimmt:
"1. Nichtigerklärung des Vertrages vom 26. Mai 1954.
Domig Anton, des Viktor, einerseits, Frau Antoinette Nettis-Chaperon, andererseits, unter Zustimmung ihrer Ehegatten, andererseits erklären den Vertrag zwischen denselben Parteien vom 26. Mai 1954 als nichtig, da die Kaufpreisbestimmung dieses Vertrages auf Irrtum beruht, da die Parteien ihren wirklichen Willen nicht voll zum Ausdruck brachten. Die Parteien haben den von Anton Domig als Mieter in dem von ihm zu erwerbenden Kaufobjekt geschaffenen Mehrwert im Vertrage nicht angeführt und bloss die Gegenleistung für den Gebäudeanteil ohne diesen Mehrwert zu Urkunde gegeben. Der angegebene Kaufpreis von Fr. 77'000.-- (siebenundsiebzigtausend Franken) entspricht daher nicht der ganzen Gegenleistung Domigs und es entspricht dem wirklichen Willen der Parteien eine Angabe des Kaufpreises für Gebäudeanteil einschliesslich des durch Umbauten geschaffenen Mehrwertes."
Ferner ist dem neuen Vertrag zu entnehmen:
"Kaufpreis: Der Kaufpreis für Gebäudeanteil und die festen Installationen, die einen Mehrwert von Fr. 40'000.-- (vierzigtausend Franken) darstellen, beträgt total Fr. 117'000.-- (hundertsiebzehntausend Franken).
Zahlungsmodus:
Herr Domig bezahlt der Kantonalbank den Saldo der bestehenden Hypotheken Nr. 138 und Nr. 46. Der Restbetrag bis auf Fr. 77'000.-- wird in bar bezahlt. Anton Domig bezahlt durch Hypothekenzahlung und Barzahlung Fr. 77'000.-- der Differenzbetrag von Fr. 40'000.-- gilt als durch die Bauaufwendungen und den damit geschaffenen Mehrwert als erlegt.
Für den Fall der Geltendmachung des Vorkaufsrechtes sind vom Vorkaufsberechtigten Fr. 40'000.-- (vierzigtausend Franken) an Anton Domig zu zahlen, als Ersatz für seine Bauaufwendungen und den damit geschaffenen Mehrwert."
Die früher bloss mündlich getroffene Nebenvereinbarung über die der Verkäuferin erteilte Wohnerlaubnis wurde
BGE 82 II 576 S. 580
in den neuen Vertrag aufgenommen, mit dem Zusatze: "Diese Nebenvereinbarung ist im Falle der Geltendmachung des Vorkaufsrechtes ebenfalls zu übernehmen."
E.-
Der Kläger wurde vom neuen Vertragsschluss benachrichtigt. Er bezeichnete das Vorgehen der Vertragsparteien als gesetzwidrig und erklärte, er halte sich an den frühern Kaufvertrag und beharre auf seinem Vorkauf zum Preis von Fr. 77'000.-- Die Nebenvereinbarung über die Wohnerlaubnis an Frau Chaperon anerkenne er auch und betrachte sie als Bestandteil des früheren Kaufvertrages.
F.-
Er erhob am 15. September 1954 gegen den bereits im Grundbuch eingetragenen Käufer Domig Klage mit den Rechtsbegehren:
"1. Es wird festgestellt, dass das von Fux Marinus durch Schreiben vom 23. Juni 1954 an Grundstücknummer 102, Blattnummer 2, Hauptstrasse, Visp, Wohnhaus und Werkstatt, geltend gemachte Vorkaufsrecht zu Recht besteht und zwar zu den Bedingungen, wie sie im Kaufvertrag vom 26. Mai 1954 festgelegt sind, unter Anerkennung der Nebenvereinbarung, wonach Domig Anton Frau Chaperon-Nettis gestattet, in den von ihr heute bewohnten Räumlichkeiten bis Ende 1954 gratis und bis Juni 1955 zum Preis von Fr. 50.- pro Monat zu wohnen.
2. Fux Marinus ist gegen Bezahlung des Kaufpreises in der Höhe von Fr. 77'000.--, zahlbar durch Übernahme der Hypotheken und Verfügungsbeschränkung, gemäss Aufstellung vom 8. Juli 1954 und eines Saldobetrages von Fr. 23'523.40, Betrag, der seit 8. Juli 1954 bei der Darlehenskasse Visp zur Verfügung steht, als Eigentümer der an Domig Anton verkauften Hälfte an Grundstücknummer 102, im Grundbuchamt einzutragen.
3. Herr Fux Marinus erklärt sich bereit, die für die grundbuchamtliche Behandlung des Kaufvertrages vom 26. Mai 1954 bezahlten grundbuchamtlichen Gebühren sowie die Stipulationsgebühr des Notars zu bezahlen.
4. Domig Anton bezahlt an Fux Marinus als Mietzinsausfall pro Monat Fr. 250.-- und zwar ab 1. Juni 1954.
5. Domig Anton bezahlt die sämtlichen Kosten des Verfahrens und des Urteils."
Der Beklagte beantragte die gänzliche Abweisung der Klage, eventuell die Abweisung im Sinne der Feststellung, dass der Kläger ihm nebst seinen Kapital- und Zinsaufwendungen seit dem 26. Mai 1954 noch für Umbauauslagen und Wertvermehrung Fr. 40'000.--, richterliches Ermessen vorbehalten, zu bezahlen habe.
G.-
Nach dem Befund der Gerichtsexperten beträgt
BGE 82 II 576 S. 581
der Wert des verkauften Miteigentumsanteils, auf den Monat Mai 1954 berechnet, Fr. 123'435.--. Der Kläger beharrte jedoch auch in seinem Schlussantrag auf seinen Rechtsbegehren. Die Zahlung eines Preises von Fr. 117'000.-- hatte er ausdrücklich abgelehnt.
H.-
Das Kantonsgericht des Kantons Wallis hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 1956 abgewiesen in Anwendung von
Art. 24 OR
, im wesentlichen mit folgender Begründung:
"Die Vertragsparteien waren sich darüber einig, dass das Kaufobjekt, inclusive Umbauten, die zu dessen Bestandteilen geworden waren und einen erheblichen Mehrwert herbeigeführt hatten, Fr. 117'000.-- wert sei. Sie sagten sich alsdann, von diesem Kaufpreis gehört Fr. 40'000.-- Domig, der für die Auslagen bei den Umbauarbeiten einen Ersatzanspruch hat, der Rest von Fr. 77'000.-- gehört der Verkäuferin. Im Kaufvertrag wurde dann nur dieser Teil von Fr. 77'000.-- als Kaufpreis angegeben... Die Parteien konnten sich auf Art. 24 Ziff. 3 und event. 4 OR berufen. Frau Chaperon schuldete ihrem Mieter Ersatz für die von ihm gemachten Aufwendungen. Wenn sie, wie der Kläger behauptet, aus einem Kaufpreis von bloss Fr. 77'000.-- den Mieter dafür entschädigen muss, dann hat sie sich eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfang versprechen lassen, als es ihr Wille war (Art. 24 Z. 3).
Die Vertragsparteien, die um das Vorkaufsrecht des Fux wussten, durften aber auch nach Treu und Glauben als notwendige Grundlage des Vertrages annehmen, dass Fux den ganzen Kaufpreis zu ersetzen hatte, also den Teil, der Domig gehörte und jenen, auf den Frau Chaperon Anrecht hatte (Art. 24 Z. 4 O.R.).
Es handelte sich also auf keinen Fall um einen blossen Motivirrtum, sondern um einen wesentlichen Irrtum.
Statt mm den Richter anzugehen, damit dieser den Vertrag als nichtig erkläre, haben die Parteien, was durchaus vernünftig war, den Vertrag vom 26. Mai 1954 selbst nichtig erklärt. Ein nichtiger Vertrag kann jedoch nicht zur Ausübung eines Vorkaufsrechtes Grundlage bieten, denn die Ausübung des Vorkaufsrechtes hat einen gültigen Kaufvertrag zur Voraussetzung."
I.-
Mit vorliegender Berufung erneuert der Kläger die Klagebegehren, die er nun als Primärbegehren a - d bezeichnet. Er fügt folgende Eventualanträge bei:
"Subsidiär:
a) Die Primärbegehren a - d werden dem Kläger zugesprochen gegen Bezahlung des Kaufpreises von Fr. 77'000.-- an die Verkäuferin und gegen angemessenen Ersatz der vom Mieter Domig Anton aufgebrachten Wertvermehrungen, den den Beklagten (sollte wohl heissen: an den Beklagten).
b) Domig Anton bezahlt sämtliche Kosten erster Instanz und der Berufung".
BGE 82 II 576 S. 582
Der Beklagte schliesst auf kostenfällige Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Vorkaufsrecht bleibt ein persönliches Recht, auch wenn ihm verstärkte Wirkung zukommt, sei es kraft gesetzlicher Vorschrift (wie unter Miteigentümern), sei es kraft Vormerkung gemäss Art. 959 in Verbindung mit
Art. 681 ZGB
(vgl. GUHL, Persönliche Rechte mit verstärkter Wirkung, in der Festgabe für das Bundesgericht, S. 125 ff.). Deshalb hat als "Vorkaufsverpflichteter" der Verkäufer zu gelten und ist nach verbreiteter Ansicht eine Klage des Vorkaufsberechtigten, selbst wenn der Käufer inzwischen im Grundbuch eingetragen wurde, nicht gegen ihn, sondern gegen den Verkäufer anzuheben (vgl. HAAB, N. 55 in Verbindung mit N. 36-39 zu Art. 681/2 ZGB; anderseits MEIER-HAYOZ, Vom Vorkaufsrecht, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 92 S. 302/3). Ob der vorliegenden, gegen den Käufer gerichteten Klage dessen fehlende Passivlegitimation entgegengehalten werden könne, mag indessen offen bleiben, weil sich die Klage auch abgesehen davon als unbegründet erweist.
2.
Das Vorkaufsrecht gibt dem Berechtigten (sofern mit ihm nichts anderes vereinbart worden ist) Anspruch auf Erwerb des Kaufsobjektes zu den wirklichen Bedingungen des Kaufsgeschäftes. Dazu gehört hier auch die (obgleich nicht öffentlich beurkundete) Nebenvereinbarung über die der Verkäuferin eingeräumte befristete Wohnerlaubnis zu bestimmten Bedingungen. Das Kantonsgericht hält nicht für bewiesen, dass der Kläger diese Nebenvereinbarung binnen Monatsfrist, seitdem er davon erfahren (
Art. 681 Abs. 3 ZGB
), als auch für ihn verbindlich anerkannt habe. Es weist auf das erst nach Ablauf dieser Frist ergangene Schreiben seines Anwaltes vom 7. August 1954 hin. Allein es fällt ausserdem die von Frau Chaperon bezeugte persönliche Erklärung des Klägers in Betracht, die er abgab, als er "in den Mietvertrag Einsicht nahm",
BGE 82 II 576 S. 583
in einem Zeitpunkt, der allenfalls (nach Rückweisung der Sache an die Vorinstanz) noch abzuklären wäre. Dieser Punkt kann jedoch gleichfalls auf sich beruhen bleiben, da der Kläger das Vorkaufsrecht auch bei rechtzeitiger Anerkennung der Nebenvereinbarung nicht in rechtswirksamer Weise ausgeübt hat.
3.
Die Parteien des Kaufvertrages vom 26. Mai 1954 waren allerdings nicht ohne weiteres berechtigt, ihre Vereinbarungen angesichts der Eintrittserklärung des Klägers zu widerrufen und durch einen neuen Vertrag mit erhöhtem Kaufpreis zu ersetzen. Mit dem Abschluss eines Kaufvertrages ist der Vorkaufsfall gegeben, und der Vertrag bleibt zugunsten des Vorkaufsberechtigten bestehen, zumal nachdem er das Vorkaufsrecht ausgeübt hat (
BGE 42 II 28
ff., Erw. 5). Dabei ist aber ein gültiger Vertragsschluss vorausgesetzt. Fehlt es daran, sei es wegen Formmangels, wegen fehlender Urteilsfähigkeit einer Partei oder wegen Verstosses gegen
Art. 27 ZGB
oder 20 OR, so liegt auch kein Vorkaufsfall vor. Und bei einseitiger Unverbindlichkeit des Kaufvertrages infolge eines Willensmangels (
Art. 23 ff. OR
) besteht ein Schwebezustand. Das Vorkaufsrecht kann die Geltendmachung der Unverbindlichkeit nicht hindern (vgl. HAAB, N. 34 zu Art. 681/2 ZGB). Erweist sich der Kaufvertrag in der Tat als unverbindlich, so fällt auch der Vorkauf dahin, und wenn alsdann die Vertragsparteien einen neuen, gültigen Kauf abschliessen, fällt nur mehr dieser als Vorkaufsfall in Betracht.
4.
Die Annahme eines Irrtums der einen oder andern der Vertragsparteien beim Abschluss des Kaufvertrages vom 26. Mai 1954 stösst indessen auf Bedenken. Sie waren unter sich über die gegenseitigen Rechte und Pflichten einig, insbesondere auch darüber, dass der als Kaufpreis bezeichnete Betrag von Fr. 77'000.-- nur dem "nackten Wert von Geschäft und Wohnung" ohne den vom Beklagten geschaffenen Mehrwert entsprach, und dass dieser im Sinne einer Verrechnung zu berücksichtigen war. Dieser Willensmeinung entsprechend hätte sich der Vollzug des
BGE 82 II 576 S. 584
Kaufvertrages denn auch ohne das Dazwischentreten des Klägers ausgewirkt, und es hätte alsdann für keine der Vertragsparteien Grund bestanden, den Vertrag wegen Irrtums anzufechten.
Fraglich ist eher die Formgültigkeit des bloss den Nettopreis angebenden Kaufvertrages (vgl.
BGE 78 II 221
ff.). In dieser Beziehung ist aber nichts eingewendet worden weshalb auch ungeprüft bleiben mag, ob es als Formerfordernis zu betrachten wäre, den dem Käufer als Ersatz für seine Aufwendungen zugewendeten Mehrwert ziffermässig zu bestimmen, obgleich er nach der Vertragsmeinung ohne weiteres mit einer Ersatzforderung von gleichem Betrage zu verrechnen war.
5.
Angesichts dieser übereinstimmenden Willensmeinung der Vertragsparteien ist zunächst nicht von einem Willensmangel, sondern von der dem Vertrag abweichend vom Wortlaut zu gebenden Auslegung auszugehen (vgl. W. BURCKHARDT, Die Auslegung der Verträge, Zeitschr. des bern. Juristenvereins 71 S. 425 ff., namentlich 427/8). Alsdann erscheint aber die Eintrittserklärung des Klägers deshalb als rechtsunwirrksam, weil sie wohl dem Wortlaut des Vertrages, nicht aber der wahren Vertragsmeinung entsprach und er auch nach Aufklärung über den Sinn des Vertrages keine entsprechende Mehrleistung zugestand. Gewiss erhielt er eine zahlenmässige Angabe hierüber erst, als ihm der neue Kaufvertrag vom 7. Juli 1954 (tags darauf) mitgeteilt wurde. Allein demgegenüber verhielt er sich einfach ablehnend; weder stimmte er der ihm zugedachten Mehrleistung von Fr. 40'000.-- zuhanden des Beklagten zu, noch erklärte er sich bereit, einen dessen Aufwendungen zuzuschreibenden, von Sachverständigen zu schätzenden Mehrwert zum Nettopreis von Fr. 77'000.-- hinzu zu übernehmen. An dieser Stellungnahme hielt er auch nach Bekanntgabe des Expertenbefundes im Prozess fest und beharrte gemäss seinen im Schlussantrag erneuerten Rechtsbegehren auf dem Anspruch, das Kaufsobjekt im Wert von ca. Fr. 123'000.-- zu Fr. 77'000.-- zu erwerben, um den
BGE 82 II 576 S. 585
Mehrwert unentgeltlich zu erhalten, wobei der Verkäuferin anheimgegeben wäre, den Beklagten aus diesem Nettopreis zu entschädigen oder leer ausgehen zu lassen. Erst in der bundesgerichtlichen Instanz stellt er einen entgegenkommenden Eventualantrag, der aber (abgesehen von der Versäumung der Ausübungsfrist des
Art. 681 Abs. 3 ZGB
) als neu ausser Betracht fallen muss (
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
). Somit ist dem Kantonsgericht darin beizustimmen, dass es an einer rechtzeitig abgegebenen gültigen Ausübungserklärung des Klägers, wonach er den Kaufvertrag gemäss seinem wahren Inhalt hätte erfüllen wollen, gefehlt hat.
6.
Diese Erwägungen fassen das Vorkaufsrecht, der heute vorherrschenden Auffassung gemäss, als ein Gestaltungsrecht ins Auge (vgl. MEIER-HAYOZ, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 92 S. 303/4), bei dessen Ausübung die Wirkungen des Kaufvertrages, so wie er nach dem wahren Willen der Vertragsparteien auszulegen ist, nunmehr für den Vorkaufsberechtigten an Stelle des Käufers gelten. Im vorliegenden Falle hätte es hiefür, wie aus dem Ausgeführten hervorgeht, einer Konversion bedurft. Denn der Kläger wäre nicht wie der Beklagte in der Lage gewesen, den Mehrwert des Kaufsobjektes an Erfüllungstatt zu erwerben oder, anders ausgedrückt, die dem Mehrwert entsprechende Preisdifferenz mit einer Ersatzforderung zu verrechnen. Deshalb hätte an die Stelle der Annahme an Erfüllungstatt oder der Verrechnung eine zusätzliche Preiszahlung treten müssen, sei es gemäss der von den Vertragsparteien selbst im zweiten Kaufvertrag vorgenommenen Bemessung oder nach einem darüber einzuholenden Expertenbefund. Legt man dagegen der Ausübung des Vorkaufsrechtes (mit
BGE 42 II 35
/6) die Wirkung bei, dass nun ein neuer Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Vorkaufsberechtigtem zustande komme, so hat die Anzeige des Kaufsabschlusses an den Vorkaufsberechtigten gewissermassen den Sinn einer Vertragsofferte. Davon ausgehend, ist dem Beklagten die Berufung auf den
BGE 82 II 576 S. 586
Irrtum zuzugestehen, mit dem die vom Notar vorgenommene Anzeige des ersten Kaufvertrages vom 26. Mai 1954 an den Kläger behaftet war. Dem Notar war hiebei unbekannt, und in der Anzeige blieb daher unerwähnt, dass die Vertragsparteien dem Kaufsobjekt - mit Recht, wie die Prozessexpertise ergeben hat - einen beträchtlichen Mehrwert zuschrieben, den der Beklagte zwar nicht durch zusätzliche Preiszahlung, wohl aber durch Verrechnung seiner Ersatzforderung ausgleichen sollte. Das war ein erheblicher Vertragspunkt, und indem die vom Notar als Vertreter der Vertragsparteien an den Kläger gestellte "Offerte" diese vom Beklagten durch Verrechnung zu erbringende Mehrleistung unerwähnt liess, war sie irrtümlich im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR
.
7.
Die Irrtumsanfechtung, wie sie hier einredeweise erfolgt ist, muss auch dann durchgreifen, wenn man die am 26. Mai 1954 mündlich vereinbarte Zuwendung des auf die Aufwendungen des Beklagten zurückzuführenden Mehrwertes an ihn zur Tilgung seiner Ersatzforderung nicht als Bestandteil des Kaufvertrages, sondern als eine davon getrennte Zusatzabrede betrachtet. In diesem Fall erhebt sich zunächst die Frage, ob der Kaufvertrag, für sich allein genommen, eine gemischte Schenkung gewesen sei, die nach verbreiteter, immerhin umstrittener Ansicht gar keinen Vorkaufsfall darstellen würde (vgl. ein Urteil des bernischen Appellationshofes in ZbJV 69 S. 443/4; WIEDERKEHR, Das gesetzliche Vorkaufsrecht des Miteigentümers, S. 122; SCHMID, Das Vorkaufsrecht, S. 75; Entscheidungen des deutschen Reichsgerichtes in Zivilsachen 101 S. 99 ff.). Wie dem aber auch sein möge, erscheint die Vereinbarung über die Berücksichtigung des vom Beklagten geschaffenen Mehrwertes sowohl vom Standpunkte der Vertragsparteien aus wie auch nach Treu und Glauben im Verkehr als eine wesentliche Grundlage des Kaufgeschäftes. Die in Unkenntnis davon erfolgte Vertragsanzeige an den Kläger, die einfach den verurkundeten Kaufpreis von Fr. 77'000.-- nannte, beruhte auf einem schwerwiegenden
BGE 82 II 576 S. 587
Irrtum, indem sie die erwähnte Vertragsgrundlage verschwieg. Dieser Irrtum kann dem Kläger nach
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
entgegengehalten werden.
Natürlich durften die Vertragsparteien den ihrem Vertreter unterlaufenen Irrtum nicht dazu ausnützen, dem Kläger die Ausübung seines Vorkaufsrechtes bei diesem Kaufgeschäft nun überhaupt unmöglich zu machen (vorausgesetzt, man habe es nicht, wie oben angedeutet, mit einer dem Vorkaufsrecht entzogenen "gemischten Schenkung" zu tun). Sie hatten die irrige Anzeige durch eine richtige zu ersetzen und sich vorerst, um dies tun zu können, über den Betrag der vom Kläger in bar zu leistenden Preisdifferenz zu einigen. Das geschah durch den neuen Kaufvertrag vom 7. Juli 1954, in den einzutreten der Kläger jedoch ablehnte, ohne seinerseits eine Schätzung des heutigen Gebäudewertes und speziell des durch die Umbauten und Einrichtungen des Beklagten bewirkten Mehrwertes zu verlangen und einen entsprechenden Mehrpreis anzubieten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichtes des Kantons Wallis vom 22. Mai 1956 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7d93a594-5bac-465b-9620-517ade630b2a | Urteilskopf
121 V 240
37. Auszug aus dem Urteil vom 28. Dezember 1995 i.S. T. gegen Ausgleichskasse Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 52 AHVG
,
Art. 82 Abs. 1 AHVV
.
Zur zumutbaren Schadenskenntnis der Ausgleichskasse im Zeitpunkt der 1. Gläubigerversammlung. | Erwägungen
ab Seite 240
BGE 121 V 240 S. 240
Aus den Erwägungen:
3.
c) aa) Aufgrund der Akten steht fest, dass die Ausgleichskasse an der 1. (wie übrigens später auch an der 2.) Gläubigerversammlung vom 2. Juni 1992 nicht teilgenommen hat. Daraus folgt, dass die Ausgleichskasse darüber, was sich an der 1. Gläubigerversammlung vom 2. Juni 1992 abspielte, keine tatsächliche Kenntnis hatte. Auf eine solche kommt es aber im Rahmen von
Art. 82 Abs. 1 AHVV
nach ständiger Rechtsprechung nicht an, vielmehr auf die zumutbare Schadenskenntnis (vgl. NUSSBAUMER, Die Ausgleichskasse als Partei im Schadenersatzprozess nach
Art. 52 AHVG
; in: ZAK 1991 S. 383 ff. und 433 ff., insbesondere S. 389). Der Aspekt der zumutbaren Schadenskenntnis fällt hier folglich mit der Frage zusammen, ob es der Ausgleichskasse als Gläubigerin zumutbar gewesen wäre, einen Vertreter an die 1. Gläubigerversammlung vom 2. Juni 1992 zu schicken.
Diese Frage ist zu bejahen. Wiewohl im allgemeinen keine Verpflichtung für die Gläubiger besteht, an den Gläubigerversammlungen im Rahmen des Konkursverfahrens zu erscheinen, handelt es sich hiebei doch um Obliegenheiten, deren richtige Erfüllung für die Wahrung privat- oder öffentlichrechtlicher Ansprüche, welche sie gegen den Konkursiten erheben, von Bedeutung sein kann. Hinzu kommt, dass die Ausgleichskasse als Gläubigerin des Schadenersatzanspruchs nach
Art. 52 AHVG
verpflichtet ist, diesen rechtzeitig durch Verfügung geltend zu machen. Deshalb wird der Ausgleichskasse nach der Rechtsprechung insbesondere zugemutet, dass sie den Gang des Konkursverfahrens verfolgt und von der Auflegung des Kollokationsplans und des Inventars Kenntnis nimmt (
BGE 116 V 75
Erw. 3b).
BGE 121 V 240 S. 241
Bei beiden Schritten handelt es sich um Etappen des Konkursverfahrens, welche öffentlich angekündigt werden (
Art. 232 und 249 SchKG
). Es ist daher folgerichtig, wenn sich die Ausgleichskasse im Rahmen derjenigen Konkurse ihrer angeschlossenen Arbeitgeberinnen, in denen Gläubigerversammlungen durchgeführt werden, vertreten lässt (vgl. auch AHI 1995 S. 163 f. Erw. 4c). Unter diesem Gesichtspunkt ist die zumutbare Schadenskenntnis der Ausgleichskasse am 2. Juni 1992 ohne weiteres zu bejahen.
bb) Es fragt sich aber, ob der Schadenseintritt im Sinne der Rechtsprechung (
BGE 113 V 257
f. Erw. 3c,
BGE 109 V 92
Erw. 9, je mit Hinweisen) am 2. Juni 1992 für die Ausgleichskasse, wenn sie an der 1. Gläubigerversammlung teilgenommen hätte, objektiv erkennbar gewesen wäre.
Diesbezüglich ergibt sich aus den Protokollen über die beiden Gläubigerversammlungen im Vergleich,
- dass gemäss dem als provisorisch bezeichneten Status vom 2. Juni 1992 die Zweitklass-Gläubiger im günstigsten Fall noch eine ganz geringfügige Befriedigung ihrer Forderungen zu erwarten hatten;
- wogegen sich die Situation aufgrund des Kollokationsplanes vom 21. September 1992 dahingehend verbesserte, dass die Zweitklass-Gläubiger wegen der bedeutend herabgesetzten Erstklassforderungen wieder eher mit einer Dividende rechnen konnten, was die 2. Gläubigerversammlung am 11. November 1992 zur Kenntnis zu nehmen hatte.
Eine volle Deckung der eingegebenen Beitragsforderung war weder im Zeitpunkt der 1. noch in jenem der 2. Gläubigerversammlung zu erwarten, mithin ein Teilschaden im Grundsatz objektiv eingetreten und ersichtlich.
Damit stellt sich als nächstes die Frage, ob für die ausnahmsweise Vorverlagerung des Zeitpunktes der zumutbaren Schadenskenntnis vor die Öffentlichmachung von Kollokationsplan/Inventar feststehen muss, dass die Ausgleichskasse vollumfänglich zu Verlust kommen wird, oder ob es genügt, wenn dies nur teilweise der Fall sein wird.
Dazu hat das Eidg. Versicherungsgericht in dem von der kantonalen Rekursinstanz erwähnten Urteil B. vom 18. September 1992 (ZAK 1992 S. 479 Erw. 3b) folgendes ausgeführt:
"Die Praxis, wonach die Kenntnis des Schadens in der Regel mit der Auflage des Kollokationsplanes gegeben ist, beinhaltet aber auch keine feste Grenze in dem Sinne, dass eine Kenntnis des Schadens jedenfalls nicht vor Auflage des Kollokationsplanes und des Inventars gegeben sein kann. Wie das Bundesgericht in Zusammenhang mit der Verjährung von
BGE 121 V 240 S. 242
Ansprüchen aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit gemäss
Art. 760 OR
(wo die den Lauf der fünfjährigen Verjährungsfrist auslösende Kenntnis des Schadens in der Regel angenommen wird, wenn der Kollokationsplan und das Inventar zur Einsicht aufgelegt werden) entschieden hat, kann der Gläubiger unter besondern Umständen die für die Geltendmachung des Anspruchs erforderliche Kenntnis des Schadens schon früher erlangen, so beispielsweise wenn er aufgrund von Äusserungen der Konkursverwaltung anlässlich von Gläubigerversammlungen vernimmt, dass seine Forderungen auf jeden Fall ungedeckt bleiben. Das Gericht stellte allerdings fest, dass es sich im Hinblick auf die Interessen der geschädigten Gläubiger verbiete, einen solchen früheren Beginn der Verjährungsfrist leichthin anzunehmen (
BGE 116 II 158
ff.). Diese Erwägungen haben in gleicher Weise bei der Verwirkung von Schadenersatzforderungen der Ausgleichskassen gemäss
Art. 82 Abs. 1 AHVV
zu gelten. Auch im Rahmen dieser Bestimmung kann ausnahmsweise bereits vor Auflegung des Kollokationsplanes eine im Sinne der Rechtsprechung ausreichende Kenntnis des Schadens bestehen, welche die Verwirkungsfrist in Gang setzt. Soweit mit der Feststellung in
BGE 116 V 77
, wonach für den Zeitpunkt der Kenntnis des Schadens grundsätzlich auf die Auflegung des Kollokationsplanes abzustellen sei und das Eidgenössische Versicherungsgericht eine Vorverlegung dieses Zeitpunktes stets abgelehnt habe, etwas anderes gesagt wurde, kann daran nicht festgehalten werden."
Diese Erwägungen lassen offen, ob ein Totalausfall verlangt wird oder aber ob für die zumutbare Kenntnis ein Teilschaden genügt. Bloss fallerledigend hat das Eidg. Versicherungsgericht in diesem Entscheid darauf abgestellt, dass die Ausgleichskasse vor der Auflegung des Kollokationsplanes habe erwarten müssen, mit ihrer Beitragsforderung gänzlich zu Verlust zu kommen (ZAK 1992 S. 482 Erw. 4b letzter Absatz: "... spätestens aber im Oktober 1989 nicht mehr annehmen, dass ihre Forderungen gedeckt seien. Vielmehr musste sie ernstlich damit rechnen, dass sie im Konkurs der V. SA mit ihrer Beitragsforderung gänzlich zu Verlust kommen werde, weshalb sie im Sinne der Rechtsprechung Kenntnis vom Eintritt des Schadens hatte"). Im bereits erwähnten Urteil H. vom 1. Februar 1995 hat es das Eidg. Versicherungsgericht für die zumutbare Kenntnis des Schadens in einem Fall, wo ein versuchter Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung bei der Nachlassbehörde keine Zustimmung fand (
Art. 306 SchKG
), indessen genügen lassen, wenn die Ausgleichskasse durch Beizug des öffentlich bekanntgemachten Entscheides der Nachlassbehörde (
Art. 308 Abs. 1 SchKG
) hätte in Erfahrung bringen können, dass ihre Forderung durch die Dividende, die sie im Konkurs erwarten durfte, sehr wahrscheinlich nicht voll gedeckt sein würde (AHI 1995 S. 164 Erw. 4d); somit erachtete das Gericht schon die
BGE 121 V 240 S. 243
zumutbare Kenntnis eines Teilschadens für ausreichend. Dies hat - im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanz - auch für den vorliegenden Fall zu gelten. Denn es sind keine Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen würden, bei der ausnahmsweisen Vorlegung des Zeitpunktes der zumutbaren Schadenskenntnis vor die Auflage des Kollokationsplans, an den Schaden selbst masslich strengere Anforderungen zu stellen, als dies im Regelfall nach konstanter Rechtsprechung (vgl.
BGE 113 V 182
ff. Erw. 3a und b) getan wird.
d) Nach dem Gesagten hatte die Ausgleichskasse am 2. Juni 1992 zumutbare Schadenskenntnis. Dies führt dazu, dass die einjährige Verwirkungsfrist des
Art. 82 Abs. 1 AHVV
an diesem Datum ausgelöst worden ist. Die Schadenersatzverfügung vom 22. Juni 1993 erweist sich deshalb, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, als verspätet. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7d96d3f1-aeee-4b3a-b66e-1aacda35274a | Urteilskopf
99 IV 92
20. Urteil des Kassationshofes vom 18. April 1973 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Schmid, Richner und Landsmann. | Regeste
Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
.
unter diese Bestimmung fällt nur eine Äusserung, welche nach Form und Inhalt geeignet ist, den Willen der Adressaten zu beeinflussen und zu bestimmten Handlungen zu veranlassen. | Sachverhalt
ab Seite 92
BGE 99 IV 92 S. 92
A.-
Im November 1970 erschien in St. Gallen in einer Auflage von ca. 700 Stück die Nr. 2 der Zeitschrift "Roter Gallus". Das Blatt umfasste 26 Seiten und enthielt mehrere längere und einige kürzere Artikel u.a. über die Reaktion der Presse auf die vorangegangene Nummer, über angebliche Missstände an den Kantonsschulen St. Gallen und Trogen, über Probleme der Bildungspolitik im allgemeinen und insbesondere über die "Ausbeutung" der Lehrlinge, über die Ungerechtigkeit der gesellschaftlichen Ordnung in Angola und in San Salvador usw. Auf der zweitletzten Seite der Ausgabe erschien der Text, der Gegenstand des vorliegenden Strafver fahrens ist. Er hat folgenden Wortlaut:
Dann gibt's nur eins: Sag NEIN!
"Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Konsumgüter mehr machen - sondern Destruktionsmittel, dann gibt's nur eins: Sag NEIN! Du Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und dich Soldaten hingeben, dann gibts nur eins: Sag NEIN!
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und hygienischer Artikel Schiesspulver verkaufen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen,
BGE 99 IV 92 S. 93
du sollst statt Drogen für das "neue Leben" einen Tod erfinden für das alte Leben, dann gibt's nur eins: Sag Nein!
Du. Dichter in deinem Dachzimmer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Hasslieder singen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann beharre wie immer auf deiner Tradition, denn dann gibt's nur eins: Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Atombomben und Chemikalien über die Städte tragen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum Kriegsgericht gehen um zu verurteilen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!
Du. Mutter in St. Gallen und Mutter in New York, du, Mutter in Haifa und Mutter in Lagos, du Mutter in Kairo und Mutter in Saigon - Mütter der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt's nur eins: Sagt NEIN! Mütter sagt NEIN!
Wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn ihr nicht NEIN sagt, Männer und Mütter, dann, dann werdet ihr hungern und jammern, krank sein und heulen, frieren und beten, ihr werdet wie kleine Kinder werden und den Gegner zu hassen beginnen".
Dieser Artikel ist von keinem Verfasser gezeichnet; er schliesst mit den Worten "frei nach W. Borchert".
Nach Auffassung des Untersuchungsrichteramtes St. Gallen und der Schweizerischen Bundesanwaltschaft erfüllte der Ausspruch: "Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!" den Tatbestand der Aufforderung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten gemäss
Art. 276 Ziff. 1 StGB
. Die Strafuntersuchung wurde durch Verfügung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes vom 29. Dezember 1970 den Strafuntersuchungsbehörden des Kantons St. Gallen übertragen.
Diesen gelang es nicht, den wirklichen Verfasser des fraglichen Artikels zu ermitteln. Sie erklärten deshalb Schmid als zeichnenden Redaktor verantwortlich. Daneben übernahmen Richner, ein Mitglied der "Basisgruppe", sowie Landsmann, der als Graphiker Schmid über die Wirkung der Zeitschrift nach aussen beraten hatte, die Verantwortung für den betreffenden Artikel.
BGE 99 IV 92 S. 94
B.-
Das Bezirksgericht St. Gallen hat in seinem Urteil vom 16. November 1971 die Frage, wer von den drei Angeklagten nach
Art. 27 StGB
als Verfasser oder Redaktor des inkriminierten Artikels wegen Aufforderung zur Verletzung der militärischen Dienstpflicht gemäss
Art. 276 StGB
zur Verantwortung zu ziehen sei, offen gelassen. Es gelangte zum Schluss, dass dieser Tatbestand schon objektiv nicht erfüllt sei, weshalb sich eine Entscheidung über die presserechtliche Verantwortung der drei angeklagten Personen erübrige. Diese wurden demzufolge freigesprochen.
Eine von der Schweizerischen Bundesanwaltschaft gegen dieses Urteil erhobene Berufung wies das Kantonsgericht St. Gallen mit Urteil vom 20. November 1972 ab.
C.-
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese den verantwortlichen Verfasser und dessen Gehilfen ermittle, der Widerhandlung von
Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
schuldig erkläre und angemessen bestrafe.
D.-
Schmid, Richner und Landsmann beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Die Abklärung der Frage, wer nach
Art. 27 StGB
strafrechtlich als Verfasser oder Redaktor die Verantwortung für den inkriminierten Artikel trägt, ist nur dann sinnvoll, wenn durch die fragliche Veröffentlichung der Straftatbestand des
Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
objektiv überhaupt erfüllt wurde. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob diese Voraussetzung gegeben sei, wie die Beschwerdeführerin geltend macht.
Gemäss
Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
macht sich u.a. strafbar, wer öffentlich zum Ungehorsam gegen militärische Befehle, zur Dienstverletzung, zur Dienstverweigerung oder zum Ausreissen auffordert.
a) Eine solche Aufforderung muss "öffentlich" erfolgen. Die Vorinstanz hat die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals bejaht. Mit Recht. Sind von der fraglichen Zeitung insgesamt ungefähr 550 Exemplare an beliebige Interessenten verkauft worden, so ist eine darin allenfalls enthaltene Aufforderung zur Verletzung der militärischen Dienstpflicht öffentlich erfolgt.
b) Zu prüfen bleibt, ob durch den inkriminierten Artikel bzw.
BGE 99 IV 92 S. 95
durch den darin enthaltenen, eingeklagten Satz: "Du Mann auf dem Dorf und Mann. in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt's nur eins: Sage NEIN!" zum Ungehorsam gegen militärische Befehle, zur Dienstverletzung oder zur Dienstverweigerung aufgefordert worden ist.
Dass an sich der Aufruf, den Gestellungs- oder Marschbefehl mit "Nein" zu beantworten, diesem also keine Folge zu geben, eine Aufforderung sowohl zum Ungehorsam gegen einen militärischen Befehl wie auch zur militärischen Dienstverweigerung darstellt, ist nicht zweifelhaft. Allein, die blosse Einladung zu einem solchen Verhalten genügt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht zur Erfüllung des Tatbestandes von
Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
. Zwar ist nicht erforderlich, dass eine solche öffentliche Aufforderung die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit des Erfolgseintritts im Sinne einer konkreten Gefährdung des geschützten Rechtsgutes zum Inhalt habe; denn das Gesetz spricht einfach vom Auffordern zur Dienstverweigerung, stellt also schon die blosse Aufforderung unter Strafe, unbekümmert darum, ob deren Befolgung nahe lag. Diese in
BGE 97 IV 105
/6 entwickelten Grundsätze sind denn der Vorinstanz auch nicht entgangen.
Hingegen muss eine öffentliche Aufforderung zur Dienstverweigerung, soll sie unter dem Gesichtspunkt von
Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
erfasst werden, eine gewisse Eindringlichkeit aufweisen. Nicht schon jede mit zurückhaltender Sachlichkeit getroffene blosse Feststellung, im Gesamten der Ausführungen nicht ins Gewicht fallende Bemerkung oder nach Art der Äusserung nicht ernst zu nehmende Aussage genügt. Vielmehr muss, damit von einer öffentlichen "Aufforderung" im Sinne des Gesetzes gesprochen werden kann, eine Äusserung vorliegen, welche nach Form und Inhalt überhaupt geeignet ist, den Willen der Adressaten zu beeinflussen, eine Masse von Menschen (an deren Stimmungen und Triebe appelliert wird) also stimmungsmässig in Bewegung zu setzen und zu bestimmten Handlungen zu veranlassen. Nach
Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
genügt es, "wenn der Täter mit einer gewissen in der Art seiner Äusserung selber liegenden Eindringlichkeit öffentlich zur Dienstverweigerung aufruft" (
BGE 97 IV 107
).
2.
Es ist im vorliegenden Fall also zu prüfen, ob dieses Erfordernis der gewissen Eindringlichkeit erfüllt sei.
BGE 99 IV 92 S. 96
a) Auch wenn der Artikel mit dem beanstandeten Satz: "Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!" erst auf S. 24 der betreffenden Zeitung erscheint, und wenn - wie die Vorinstanz ausführt - im Handverkauf erhältliche Hefte vom kaufenden unbekannten und zerstreuten Publikum in der Regel nur schnell und oberflächlich durchgeblättert und dann beiseite gelegt werden, sodass die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass ein Leser sich nach den vorausgehenden langatmigen und kleingeschriebenen Abhandlungen bis zum halbseitigen Artikel mit dem inkriminierten Passus durcharbeitet, so spricht dies noch nicht gegen die Anwendbarkeit des
Art. 276 StGB
. Denn damit diskutiert die Vorinstanz die Frage der Wahrscheinlichkeit oder nahen Möglichkeit des Erfolgseintritts einer solchen Aufforderung zur Dienstverweigerung, zu welcher notwendigerweise auch die Erreichung des Adressaten (Käufers) überhaupt gehört. Wie bereits dargelegt, ist dieser Umstand aber für die Anwendbarkeit des
Art. 276 StGB
unbeachtlich (
BGE 97 IV 105
unten).
b) Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, der beanstandete Ausspruch stehe erst im neunten Vers des fraglichen Artikels; dadurch sei er derart in andere Texte eingebettet, dass er das angesprochene Publikum - die einrückungspflichtigen Wehrmänner oder auch die Öffentlichkeit - allgemein nur stark abgeschwächt erreiche.
Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. In Wirklichkeit weist der Artikel eine offensichtliche Steigerung des Appells zur planmässigen Beeinträchtigung jeglicher militärischen Anstrengung auf: Zuerst werden im zivilen Sektor der werktätige Mensch, das erwerbstätige Mädchen, der Fabrikbesitzer, der Laboratoriumsforscher, der Dichter, der Pfarrer zur Verweigerung derjenigen Arbeitsleistungen aufgefordert, welche der Existenz und Schlagkraft der Armee dienen können. Hierauf wird im militärischen Sektor der Pilot zur Verweigerung seines Dienstes aufgefordert und der Richter aufgerufen, die dem Kriegsrecht unterstellten Rechtsbrecher nicht zu verurteilen. Endlich folgt der eingeklagte Ausspruch, durch den überhaupt alle Männer zu Stadt und Land geheissen werden, einem militärischen Stellungsbefehl keine Folge zu leisten. Nach einem Appell an die Mütter schliesst der Artikel mit der Beschwörung der apokalyptischen Folgen, welche eintreten
BGE 99 IV 92 S. 97
müssten, wenn nicht in allen diesen Fällen die Aufgerufenen - insbesondere also auch die Militärdienstpflichtigen - sich beharrlich weigern, ihre Pflichten zu erfüllen.
Diese Aufforderungen zu einem bestimmten Verhalten sind mithin weder mit zurückhaltender Sachlichkeit getroffene blosse Feststellungen, noch können sie als im Gesamten der Ausführungen nicht ins Gewicht fallende Bemerkungen abgetan werden. Sie sind nach Form und Aufbau vielmehr geeignet, den Willen der Adressaten zu beeinflussen. Das Moment einer gewissen Eindringlichkeit ist ihnen damit eigen. Die Auffassung der Vorinstanz, es fehle an einer öffentlichen Aufforderung im Sinne des Gesetzes, erweist sich daher als unzutreffend.
c) Die Meinung des Kantonsgerichtes lässt sich auch nicht mit dem Hinweis darauf begründen, dass der beanstandete Artikel in keiner Weise hervorgehoben werde. Zwar sei ihm eine kleine Graphik vorangestellt; doch lasse diese erst auf den zweiten Blick eine Anzahl von Panzerfahrzeugen erkennen, die eine Art Schweizer Kreuz tragen, sodass diesem Umstand keine eindeutige Aussage zukomme.
Bei der genannten Graphik handelt es sich in Wirklichkeit um eine im Verhältnis zur Grösse des Artikels recht ansehnliche Illustration, die zudem deutlich mehrere Panzer mit ihren Raupenrädern erkennen lässt. Das vorderste dieser Fahrzeuge trägt nicht bloss "eine Art" Schweizer Kreuz. Dieses ist vielmehr als solches ohne weiteres erkennbar. Wenn dessen vertikale und horizontale Balken nicht gleich lang sind, so ist das darauf zurückzuführen, dass das Schweizer Kreuz auf dem schräg nach hinten verlaufenden Brustschild des ersten Panzers perspektivisch verkürzt erscheint, was zeichnerisch richtig ist. Es ist daher unzutreffend, von einer bloss geringen Bedeutung dieses Kreuzes auf den dargestellten Panzern zu sprechen. Gegenteils kommt diesem Symbol besondere Bedeutung zu, weil es den Aufruf zur Verweigerung der militärischen Dienstpflicht dadurch in für den unvoreingenommenen Durchschnittsleser sofort erkennbarer Weise in direkte Beziehung zur schweizerischen Armee setzt. Die in die Augen springende Wirkung der Graphik wird noch durch den Umstand verstärkt, dass dem fraglichen Artikel unmittelbar ein Aufsatz mit der gleichen Zielrichtung und dem auffallenden Titel "Der Kriegsdienstverweigerermensch" folgt, der mit einem Signet versehen ist, das zwei menschliche Arme beim Zerbrechen eines Gewehres darstellt.
BGE 99 IV 92 S. 98
Zusammengenommen bilden alle diese Momente einen wirksamen Blickfang für den die Zeitung durchblätternden Leser. Der vorinstanzlichen Auffassung, wonach der betreffende Artikel graphisch überhaupt nicht hervorgehoben werde, kann deshalb nicht beigepflichtet werden.
d) Die beanstandete Aufforderung zur militärischen Dienstpflichtverweigerung richtet sich nicht etwa allgemein an die ganze Welt, sondern an die wehrpflichtige schweizerische Bevölkerung. Das geht einmal daraus hervor, dass der "Rote Gallus" in der Schweiz veröffentlicht wird, und dass die beanstandete Nr. 2 dieser Zeitung sich zum überwiegenden Teil mit schweizerischen Verhältnissen (Appenzellerland, Ostschweiz, St. Gallen) auseinandersetzt, worauf schon Titelblatt und Inhaltsangabe hinweisen. Während der Originaltext von Borchert das Kriegsproblem von einem allgemeinen die ganze Welt anvisierenden Standpunkt aus erörtert, richtet sich der inkriminierte Aufruf unmissverständlich an die schweizerische Leserschaft. Der Artikel im "Roten Gallus" weicht denn auch in gewissen Teilen erheblich vom ursprünglichen Text des genannten Schriftstellers ab.
e) Unzutreffend ist ferner die Vermutung der Vorinstanz, dass der Ausdruck "Gestellungsbefehl" dem st. gallischen Leser des "Roten Gallus" kaum verständlich erscheinen dürfte. Gewiss mögen in der deutschsprachigen Schweiz andere, sinnverwandte Wörter wie Marschbefehl oder Einrückungsbefehl verbreiteter sein. Damit ist aber nicht gesagt, dass der in Frage stehende Ausdruck - namentlich im Zusammenhang mit der im Artikel angestrebten allgemeinen Verhinderung militärischer Pflichterfüllung überhaupt - vom unvoreingenommenen Leser nicht klar verstanden werde.
f) Der Einwand der Beschwerdegegner, es müsse verfassungsmässig erlaubt sein, das wörtliche Zitat eines Dichters wiederzugeben, ohne damit gegen
Art. 276 StGB
zu verstossen, ist unbehelflich. Hinsichtlich des hier in Frage stehenden neunten Verses kann nämlich von einem "Zitat" trotz dessen wörtlicher Übereinstimmung mit dem Originaltext in guten Treuen darum nicht die Rede sein, weil der darin enthaltene öffentliche Aufruf offensichtlich ein anderes Ziel im Auge hat als das von Borchert angestrebte. Wie bereits bemerkt, erwähnt Borchert im Originaltext das Kriegsproblem von einem allgemeinen, die ganze Welt berührenden Standpunkt. Demgegenüber zielt der
BGE 99 IV 92 S. 99
inkriminierte Aufruf auf die Verweigerung der Dienstpflicht durch die schweizerischen Wehrpflichtigen ab. Der fragliche Artikel war daher bloss dem Scheine, nicht aber der Wirklichkeit nach ein "Zitat" von Borchert.
Da ein in der Verfassung verankertes Freiheitsrecht nicht absolut, sondern bloss innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet wird, kann auch das von den Beschwerdegegnern in Anspruch genommene Recht auf freie Meinungsäusserung nur soweit ausgeschöpft werden, als es nicht gegen
Art. 276 StGB
verstösst. Andernfalls könnte jeder Bürger die Freiheitsrechte zur Rechtfertigung seiner Verstösse gegen die Rechtsordnung, z.B. das Strafgesetz, anrufen. Zudem ist dasBundesgericht nach Art. 113 Abs. 3 und 114 bis Abs. 3 BV an die von der Bundesversammlung beschlossenen eidgenössischen Gesetze gebunden, weshalb es deren Verfassungsmässigkeit nicht überprüfen kann. Auf die von den Beschwerdegegnern in ihrer Eingabe indirekt aufgeworfene Frage der Verfassungsmässigkeit von
Art. 276 StGB
ist demnach nicht einzutreten. Im vorliegenden Verfahren ist lediglich zu prüfen, ob durch den inkriminierten Aufruf der Tatbestand des
Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
objektiv erfüllt wurde, was nach dem oben Gesagten zu bejahen ist. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Beschwerdegegner, unter Berücksichtigung von
Art. 27 StGB
, zu beurteilen haben.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 20. November 1972 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7d98edfc-d7a2-4462-9c67-db6f7f71fcfe | Urteilskopf
89 II 321
43. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. September 1963 i.S. Mühlemann gegen Konkursmasse der Buchdruckerei Weinfelden AG | Regeste
Kontrahieren des Stellvertreters mit sich selbst.
- Anwendung der einschlägigen Grundsätze auf den Fall, dass der Direktor einer Aktiengesellschaft einen ihm unterstellten Prokuristen anweist, Forderungen der Gesellschaft zahlungs- oder sicherungshalber an ihn abzutreten (Erw. 4).
- Das Kontrahieren mit sich selbst ist grundsätzlich verboten, aber ausnahmsweise zulässig, wenn der Vertreter dazu besonders ermächtigt wurde oder wenn die Natur des Geschäfts die Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen ausschliesst. Ist es bei reinen Erfüllungsgeschäften allgemein zulässig? (Frage offen gelassen, da kein solches Geschäft vorliegt.) Unzulässiges Selbstkontrahieren macht das betreffende Geschäft ungültig, sofern dieses nicht nachträglich vom Vertretenen genehmigt wird (Erw. 5).
- Ermächtigung zum Kontrahieren mit sich selbst? Nachträgliche Genehmigung des Geschäfts? (Erw. 6).
- Gefahr der Benachteiligung des Vertretenen wegen Interessenkollision (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 322
BGE 89 II 321 S. 322
Meierhofer, der Verwaltungspräsident und Hauptaktionär der Buchdruckerei Weinfelden AG, stellte im Jahre 1949 Mühlemann als Direktor dieser Firma an. Im Lauf der Jahre gewährte Mühlemann seiner Arbeitgeberin, deren Geschäfte nie gut gingen, verschiedene Vorschüsse. Am 24. Februar 1955 liess er sich von ihr sechs Guthaben von insgesamt rund Fr. 60'500. - abtreten. In der vom Prokuristen Bisig unterzeichneten Abtretungsurkunde steht u.a., die Abtretung diene "zur Sicherstellung aller gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche" Mühlemanns gegenüber der Zedentin; sie erfolge "zahlungshalber im Sinne von
Art. 172 OR
."
Am 29. März 1955 wurde Mühlemann fristlos entlassen. Tags zuvor hatte die Buchdruckerei Weinfelden AG, für die Meierhofer zeichnete, einigen Zessionaren mitgeteilt, sie widerrufe die Abtretung an Mühlemann, die dieser in unkorrekter Weise erwirkt habe.
Am 30. März 1957 erhob die Buchdruckerei Weinfelden AG gegen Mühlemann Klage auf Feststellung, dass die Abtretung vom 24. Februar 1955 ungültig sei (Prozess I). Am 17. Mai 1957 leitete Mühlemann gegen sie Klage ein,
BGE 89 II 321 S. 323
mit der er u.a. verlangte, sie sei zu verpflichten, ihm Fr. 33'252.25 zu bezahlen (Prozess II).
Am 13. April 1959 fiel die Buchdruckerei Weinfelden AG in Konkurs. Die Konkursmasse führte die Prozesse weiter. In der Folge wurde der Prozess II bis zur Erledigung des Prozesses I eingestellt.
In Gutheissung der Klage der Buchdruckerei Weinfelden AG erklärten die thurgauischen Gerichte die Abtretung vom 24. Februar 1955 als ungültig. Das Bundesgericht weist die Berufung des Beklagten Mühlemann gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 2. Februar 1963 ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kam die streitige Abtretung so zustande, dass der Beklagte die Abtretungsurkunde dem ihm unterstellten, gemäss Dienstvertrag an seine Weisungen gebundenen Prokuristen Bisig zur Unterzeichnung vorlegte und dass dieser sie weisungsgemäss unterschrieb. Unter diesen Umständen ist die Abtretungserklärung bei Beurteilung der Frage, ob die Abtretung zulässig war, dem Beklagten zuzurechnen, m.a.W. es ist so zu halten, wie wenn der Beklagte die Abtretungsurkunde namens der Klägerin selber unterschrieben hätte. In dieser Sache hat in Wirklichkeit er für die Klägerin gehandelt. Bisig hat der Abtretung mit seiner Unterschrift nur die nach dem Gesetz erforderliche Form (
Art. 165 Abs. 1 OR
) verliehen. Der Beklagte anerkennt denn auch vor Bundesgericht ausdrücklich, dass ein Fall des Kontrahierens mit sich selbst vorliege, obwohl die Abtretungserklärung von Bisig unterzeichnet wurde. Er macht in diesem Zusammenhang nur geltend, die Vorinstanz nehme zu Unrecht an, er habe durch die Einschaltung Bisigs das Verbot des Kontrahierens mit sich selbst umgehen wollen; denn er habe nie beabsichtigt, das - nach seiner Auffassung im vorliegenden Falle zulässige - Kontrahieren mit sich selbst zu verheimlichen.
BGE 89 II 321 S. 324
Die beanstandete Annahme der Vorinstanz betrifft jedoch tatsächliche Verhältnisse (den vom Beklagten gehegten Willen) und ist daher gemäss
Art. 63 Abs. 2 OG
für das Bundesgericht verbindlich. Im übrigen wäre die streitige Abtretungserklärung angesichts der Tatsache, dass Bisig sie gemäss dienstlicher Weisung des Beklagten unterzeichnete, selbst dann wie eine eigene Erklärung des Beklagten zu behandeln, wenn dieser eine Umgehung des erwähnten Verbots nicht beabsichtigt, sondern Bisig aus einem andern Grunde eingeschaltet hätte.
5.
Das OR enthält im Gegensatz zum deutschen BGB (§ 181) keine Bestimmung darüber, ob und allenfalls in welchen Fällen der Stellvertreter befugt sei, namens des Vertretenen Rechtsgeschäfte mit sich selbst vorzunehmen. In
BGE 39 II 566
ff. hat das Bundesgericht diese Gesetzeslücke auf Grund von
Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB
ausgefüllt, indem es in Anlehnung an die erwähnte deutsche Vorschrift und ihre Auslegung in Lehre und Rechtsprechung entschied, das Kontrahieren des Stellvertreters mit sich selbst sei, von reinen Erfüllungsgeschäften abgesehen, grundsätzlich unzulässig; eine Ausnahme greife (ausser im Fall ausdrücklicher Ermächtigung zu solchen Handlungen) nur da Platz, "wo keine Gefahr der Übervorteilung des Vertretenen durch den Vertreter besteht und daher anzunehmen ist, jener habe diesem das 'Selbstkontrahieren' gestattet" (S. 568).
Spätere Entscheide des Bundesgerichts (
BGE 50 II 183
.
BGE 57 II 560
,
BGE 63 II 174
,
BGE 82 II 393
; Urteil vom 30. Mai 1961 i.S. Terrex AG und Mitbeteiligte gegen Meier) erwähnen den Vorbehalt zugunsten der reinen Erfüllungsgeschäfte nicht mehr. In
BGE 57 II 556
ff. äusserte das Bundesgericht unter Hinweis auf das Fehlen einer dem § 181 BGB entsprechenden Bestimmung im Gegenteil Zweifel daran, ob es zulässig sei, dass der Vertreter eine Zahlung zuhanden des Vertretenen an sich selbst leistet, wenn (wie das in solchen Fällen meist zutreffen dürfte) die Rücknahme des Geldes tatsächlich möglich ist (S. 561). Für das damals
BGE 89 II 321 S. 325
gefällte Urteil gab jedoch eine andere, hier nicht interessierende Erwägung den Ausschlag. Zur Frage der reinen Erfüllungsgeschäfte grundsätzlich Stellung zu nehmen, hatte das Bundesgericht bisher nie Anlass.
Die in
BGE 39 II 568
angestellte Erwägung, dass beim Fehlen der Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen anzunehmen sei, dieser habe dem Vertreter das "Selbstkontrahieren" gestattet, kehrt nur in
BGE 63 II 174
wieder. Abgesehen von diesem Entscheide lässt die angeführte neuere Rechtsprechung für die Zulassung des Kontrahierens mit sich selbst den objektiven Umstand genügen, dass zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen kein Interessengegensatz besteht und eine Benachteiligung des Vertretenen folglich nicht zu befürchten ist. Dies hat seinen guten Grund; denn die Rechtsprechung, die in Ausfüllung einer Gesetzeslücke das Kontrahieren mit sich selbst grundsätzlich verbietet, wird im wesentlichen durch das Bestreben gerechtfertigt, die bei derartigen Geschäften regelmässig vorhandene Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen zu vermeiden, und darf daher nicht angewendet werden, wo diese Gefahr ausnahmsweise nicht besteht. Zur Annahme einer stillschweigenden Gestattung braucht der schweizerische Richter in solchen Fällen nicht Zuflucht zu nehmen, weil das schweizerische Recht, anders als das deutsche, keine Vorschrift enthält, die bestimmen würde, das Kontrahieren mit sich selbst sei (ausser bei reinen Erfüllungsgeschäften) nur zulässig, wenn es dem Vertreter gestattet wurde (vgl. zum Unterschied zwischen dem deutschen und dem schweizerischen Recht in dieser Frage namentlich EGGER in Festgabe für Carl Wieland, 1934, S. 49 ff.).
Die Folge des unzulässigen Kontrahierens mit sich selbst besteht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts darin, dass das betreffende Geschäft ungültig ist, sofern es nicht nachträglich vom Vertretenen genehmigt wird (
BGE 39 II 572
oben,
BGE 63 II 175
,
BGE 82 II 393
).
Die heute geltende Praxis lässt sich somit in Übereinstimmung
BGE 89 II 321 S. 326
mit dem bereits angeführten Urteil vom 30. Mai 1961 i.S. Terrex AG dahin zusammenfassen, dass das Kontrahieren des Stellvertreters mit sich selbst wegen der regelmässig vorhandenen Interessenkollision grundsätzlich unzulässig ist und das Geschäft ungültig macht, und dass eine Ausnahme nur dort Platz greift, wo die Natur des Geschäfts die Gefahr der Benachteiligung des Vertretenen ausschliesst oder wo der Vertretene den Vertreter zum Geschäftsabschluss besonders ermächtigt oder diesen nachträglich genehmigt hat. Diese Regeln gelten für Geschäfte, welche die Organe juristischer Personen in deren Namen mit sich selbst abschliessen, in gleicher Weise wie für die entsprechenden Handlungen von Stellvertretern im Sinne von
Art. 32 ff. OR
(
BGE 63 II 174
; in
BGE 39 II 561
ff. und
BGE 50 II 168
ff. wurde dies als selbstverständlich stillschweigend vorausgesetzt).
Vorbehalten bleibt die vom Bundesgericht seit dem Entscheide
BGE 57 II 561
nicht mehr berührte Frage der reinen Erfüllungsgeschäfte. Soweit sich das Schrifttum zu § 181 des deutschen BGB darüber ausspricht, weshalb das Kontrahieren mit sich selbst bei solchen Geschäften zugelassen sei, gibt es als Grund dafür an, dass hier die Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen ausgeschlossen sei oder doch normalerweise nicht bestehe (vgl. PLANCK, 4. Aufl. 1913, Anm. 1b zu § 181 BGB; v. TUHR, Allg. Teil des Bürgerl. Rechts, 2. Bd 2. Hälfte S. 363; OERTMANN, 3. Aufl. 1927, Anm. 3 c zu § 181 BGB; ENNECCERUS/NIPPERDEY, Allg. Teil des Bürgerl. Rechts, 2. Halbbd., 15. Auflage 1960, S. 1111 Note 15). Ist dies wirklich der massgebende Grund für die Zulassung des Kontrahierens mit sich selbst bei reinen Erfüllungsgeschäften, so bedarf es im schweizerischen Recht, wo das Verbot des Kontrahierens mit sich selbst beim Fehlen der Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen nach dem Gesagten ohnehin nicht anwendbar ist, keiner besondern Regel für diese Geschäfte (vgl. v. TUHR/SIEGWART, Allg. Teil des schweiz. OR, § 42 V, wo die Erfüllung einer zwischen dem Vertreter
BGE 89 II 321 S. 327
und dem Vertretenen bestehenden Schuld als Anwendungsfall des Grundsatzes genannt wird, dass das Selbstkontrahieren zulässig ist, wenn keine Gefahr der Übervorteilung des Vertretenen besteht). Diese Frage braucht jedoch heute so wenig wie in den angeführten frühern Entscheiden abschliessend erörtert zu werden; denn man hat es im vorliegenden Falle nicht mit einem reinen Erfüllungsgeschäfte zu tun. Eine zahlungs- oder sicherungshalber vorgenommene Abtretung, wie sie hier erfolgt ist, bedeutet nicht die Erfüllung der Forderung des Empfängers der Abtretung, d.h. die Erbringung der diesem geschuldeten Leistung, sondern es wird damit zwischen dem Abtretenden und dem Abtretungsempfänger eine neue, zum bestehenden Schuldverhältnis hinzutretende Rechtsbeziehung begründet, welche die noch ausstehende Erfüllung oder die Sicherung der Forderung zum Ziel hat. Von einem reinen Erfüllungsgeschäft könnte hier im übrigen auch deshalb nicht die Rede sein, weil die Forderungen des Beklagten zweifelhaft waren (vgl. Erw. 7 hienach) und die Bezahlung einer zweifelhaften Forderung nicht nur deren Erfüllung darstellt, sondern zugleich ein Anerkenntnis oder doch die Gewährung eines prozessualen Vorteils in sich schliesst (vgl. OERTMANN a.a.O. S. 664; Kommentar zum BGB, herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern, 11. Aufl., Anm. 27 zu § 181 BGB.)
6.
Dass der Beklagte zur Vornahme der streitigen Abtretung besonders ermächtigt worden sei, kann nicht angenommen werden. In den von Meierhofer bezw. Bisig unterzeichneten Quittungen vom 24. Juni 1950 und 5. September 1951 für Darlehen von Fr. 10'000. - bezw. Fr. 5000. - steht zwar, der Beklagte sei berechtigt, den geliehenen Betrag aus den laufenden Geschäftseinnahmen sofort wieder zurückzuziehen oder sich dafür Zessionen ausstellen zu lassen. Die Vorinstanz hat jedoch mit Recht gefunden, damit sei der Beklagte nicht allgemein ermächtigt worden, "sich seine Forderungen durch Zessionen sichern zu lassen oder selber zu sichern." Auf andere als
BGE 89 II 321 S. 328
die erwähnten Erklärungen vermag der Beklagte seine Behauptung, er habe die streitige Abtretung im Einverständnis des Verwaltungspräsidenten Meierhofer vorgenommen, nicht zu stützen.
Ebensowenig kann von einer nachträglichen Genehmigung dieser Abtretung durch Meierhofer die Rede sein. Für die Annahme einer solchen Genehmigung genügt nicht, dass Meierhofer nicht sofort Einspruch erhob, als der Beklagte ihm in seinem Schreiben vom 23. Februar 1955 u.a. mitteilte, er habe sich zur Deckung seiner Ansprüche gegenüber der Firma gewisse Guthaben (vier von den sechs in der Abtretungsurkunde vom 24. Februar 1955 genannten Forderungen) abtreten lassen und behalte sich die Vornahme weiterer Abtretungen vor. Auch kann eine Genehmigung nicht daraus abgeleitet werden, dass dem Beklagten die streitige Abtretung bei seiner Entlassung nicht zum Vorwurf gemacht wurde und dass die Klägerin die Abtretung am 28. März 1955 nicht gegenüber allen Zessionaren "widerrief".
Die streitige Abtretung erweist sich daher als unzulässig, es wäre denn, dass dabei keine Gefahr einer Benachteiligung der Klägerin bestanden habe.
7.
Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die Forderungen des Beklagten, welche er durch die Abtretung von Guthaben der Klägerin im Nominalbetrag von rund Fr. 60'000.-- sicherstellen wollte, "keineswegs ausgewiesen waren und nach seinen eigenen Angaben zudem nur etwa Fr. 35'000. - oder 36'000. - betrugen." Der Beklagte anerkennt vor Bundesgericht, dass seine Forderungen sich nur auf rund Fr. 35'000.-- beliefen, bestreitet dagegen die Feststellung, dass sie nicht "ausgewiesen" waren. und weist im übrigen darauf hin, die abgetretenen Guthaben seien nicht vollwertig gewesen. Die von ihm beanstandete Feststellung ficht er mit der Begründung an, es sei richtig, dass die Klägerin seine Forderung im Prozess bestritten habe, ohne jedoch einen Grund hiefür anführen zu können. Wenn die Vorinstanz der Frage, ob seine Forderung ausgewiesen
BGE 89 II 321 S. 329
war oder nicht, Bedeutung beigemessen habe, so hätte sie "die entsprechende tatbeständliche Abklärung durchführen müssen." Sie habe nicht einfach zu seinem Nachteil davon ausgehen dürfen, seine Forderung habe nicht zu Recht bestanden. Eine Abklärung habe sich um so eher aufgedrängt, "als massgebende Indizien für den Bestand dieser Forderung sprechen" (was näher ausgeführt wird). Falls die Vorinstanz Zweifel gehabt habe, ob die von ihm eingelegte Kopie eines Originalkontoblattes (mit einem Saldo zu seinen Gunsten von Fr. 35'150.90) dem Original entspreche, hätte sie dem im Prozess II gestellten Antrag auf Edition des Originals stattgeben sollen. Die Feststellung, seine Forderung sei nicht ausgewiesen, erweise sich unter diesen Umständen als willkürlich.
Die angefochtene Feststellung, die bedeutet, dass der Bestand der Forderungen des Beklagten zur Zeit der Abtretung zweifelhaft war, ist jedoch das Ergebnis einer Würdigung der Akten, die keine Bundesrechtsverletzung in sich schliesst. Die Vorinstanz konnte in nach Bundesrecht nicht zu beanstandender Weise zum erwähnten Schlusse kommen, ohne das Beweisverfahren durchzuführen, das allenfalls erforderlich sein wird, um im Prozess II (der im Einverständnis beider Parteien sistiert wurde) abschliessend über den Bestand der Forderungen des Beklagten zu urteilen. Es ist nicht dargetan, dass bestimmte. zum Nachweis erheblicher Tatsachen gestellte Beweisanträge des Beklagten einfach übergangen oder aus dem Grunde abgelehnt wurden, weil die Vorinstanz die betreffenden Tatsachen zu Unrecht als unerheblich betrachtete. Der einzige Beweisantrag, den der Beklagte in diesem Zusammenhang nennt, ist der Antrag auf Vorlegung eines Originalkontoblatts. Wenn die Vorinstanz diesem Antrag im vorliegenden Prozesse keine Folge gab, so ist dies entweder auf prozessuale Gründe (weil der Antrag nicht in diesem Prozess, sondern im Prozess II gestellt wurde) oder darauf zurückzuführen, dass die Vorinstanz annahm, das herausverlangte Kontoblatt wäre kein schlüssiges
BGE 89 II 321 S. 330
Beweismittel dafür, dass die Forderung des Beklagten zur Zeit der Abtretung zweifelsfrei feststand. Weder die Anwendung des massgebenden kantonalen Prozessrechts noch die vorweggenommene Würdigung der angetragenen Beweise durch die Vorinstanz lässt sich mit der Berufung an das Bundesgericht anfechten. Es ist auch nicht Sache des Bundesgerichts, den Beweiswert von Indizien zu prüfen. Die Rüge, eine Feststellung der Vorinstanz sei willkürlich, kann im Berufungsverfahren nicht gehört werden. Bei der angefochtenen Feststellung muss es daher sein Bewenden haben.
War der Bestand der Forderungen des Beklagten zur Zeit der Abtretung zweifelhaft, so ist klar, dass eine Benachteiligung der Klägerin zu befürchten war, wenn der Beklagte sich für seine Forderungen selber bezahlt machte oder sich dafür selber Sicherheiten verschaffte. Es widerspricht in aller Regel den Interessen des Schuldners, eine zweifelhafte Forderung zu erfüllen oder dafür Sicherheit zu leisten. Die buchhalterischen Überlegungen, mit denen der Beklagte darzutun sucht, dass eine Benachteiligung der Klägerin nicht habe entstehen können, vermögen diesen Sachverhalt nicht aus der Welt zu schaffen.
Die Gefahr einer Benachteiligung der Klägerin ist auch deshalb zu bejahen, weil ernstlich mit der Möglichkeit zu rechnen war, dass der Beklagte sich darauf beschränken würde, bei den Schuldnern der abgetretenen, von ihm als unsicher bezeichneten Guthaben die zur Deckung seiner eigenen Forderungen erforderliche Summe (statt des Gesamtbetrags) einzutreiben. Ausserdem befand sich die Klägerin nach der eigenen Darstellung des Beklagten in seinen Schreiben vom Februar 1955 finanziell in einer sehr schlechten Lage, so dass die Abtretung von bedeutenden, die zu deckenden Forderungen weit übersteigenden Guthaben geeignet war, die Klägerin vollends illiquid zu machen.
Der Beklagte hat die streitige Abtretung also in Missachtung entgegenstehender Interessen der Klägerin vorgenommen.
BGE 89 II 321 S. 331
Die Gefahr, diese zu benachteiligen, war offenkundig. Daher ist die Abtretung wegen unzulässigen Kontrahierens mit sich selbst ungültig. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7d9a6045-addb-446a-9d63-1ad9e75aa48a | Urteilskopf
114 Ia 317
52. Arrêt de la IIe Cour de droit public du 28 octobre 1988 en la cause L. contre cantons de Genève et du Valais (recours de droit public) | Regeste
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
; Die Doppelbesteuerungsrüge ist zu begründen, besonders wenn kein typischer Anwendungsfall von
Art. 46 Abs. 2 BV
vorliegt. | Sachverhalt
ab Seite 317
BGE 114 Ia 317 S. 317
Mlle L., qui avait son domicile à Genève, est décédée le 26 mai 1985. En leur qualité d'héritiers, ses parents, domiciliés en Valais, bénéficièrent des prestations d'assurance-accidents et de celles d'un fonds de prévoyance. Le 25 février 1986, l'Administration fiscale du canton de Genève fixa l'impôt successoral dû sur ces prestations.
Le 18 juin 1986, les époux L. formèrent une réclamation contre la taxation genevoise, en faisant valoir que leur canton de domicile soumettait à l'impôt sur le revenu les prestations d'assurances reçues et qu'ils seraient ainsi doublement imposés.
Cette réclamation ayant été déclarée irrecevable pour cause de tardiveté, les époux L. s'adressèrent à la Commission cantonale de recours en matière d'impôts du canton de Genève qui, par décision du 20 novembre 1986, rejeta le recours et confirma la décision sur réclamation. Elle rappela toutefois, à titre indicatif, que le grief de double imposition pourrait encore être soulevé, à réception du bordereau valaisan, directement auprès du Tribunal fédéral.
Le 22 décembre 1987, le Service cantonal des contributions du canton du Valais notifia à L. un bordereau d'impôt sur le revenu portant sur les prestations d'assurances.
BGE 114 Ia 317 S. 318
Le mandataire de L. s'est adressé au Tribunal fédéral le 31 décembre 1987. Il prétendait recourir contre la taxation de l'Administration fiscale cantonale genevoise du 25 février 1986 et contre celle du Service cantonal valaisan des contributions du 22 décembre 1987, au motif que son mandant faisait "l'objet d'une double imposition sur l'indemnisation touchée".
Par lettre du 8 janvier 1988, le mandataire du recourant a été invité à compléter son recours dans le délai légal, car celui-ci ne répondait pas aux exigences de motivation posées par la jurisprudence (
ATF 111 Ia 46
consid. 1b).
Dans sa réponse du 16 janvier 1988, le mandataire de L. a déclaré, sans autre précision, que le recours était dirigé contre la décision de taxation du canton de Genève.
Le Tribunal fédéral a déclaré le recours irrecevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Le citoyen qui se plaint d'être imposé à double peut former un recours de droit public pour violation de l'
art. 46 al. 2 Cst.
Le délai de trente jours court dès la notification de la dernière prétention fiscale qui, selon le recourant, constitue une double imposition. L'épuisement des instances cantonales de recours n'est pas nécessaire (
art. 86 al. 2 OJ
). Si le recours est déposé à temps contre la décision du dernier canton qui a statué, il est recevable contre la taxation antérieure émanant de l'autre canton (
ATF 104 Ia 257
consid. 1; Archives 53, p. 449). Le présent recours et son complément du 16 janvier 1988, adressés au Tribunal fédéral dans les trente jours dès la décision de taxation du Valais, ont donc été introduits en temps utile, d'autant plus que le délai légal était suspendu jusqu'au 1er janvier (
art. 34 al. 1 lettre b OJ
).
b) Selon l'
art. 90 al. 1 lettre b OJ
, l'acte de recours doit à peine d'irrecevabilité contenir "un exposé des faits essentiels et un exposé succinct des droits constitutionnels ou des principes juridiques violés, précisant en quoi consiste la violation". S'agissant d'un recours de droit public, le Tribunal fédéral n'examine que les griefs soulevés de manière claire et, dans la mesure du possible, justifiés par des documents. Il appartient au recourant d'indiquer quel droit constitutionnel a été violé et quelle est la portée de la violation. Il ne saurait se contenter de soulever de vagues griefs ou de renvoyer aux actes cantonaux (
ATF 110 Ia 3
ss; LOCHER, Doppelbesteuerungsrecht, vol. 3, § 12, III B,
BGE 114 Ia 317 S. 319
3 Nos 4, 7, 9, 14, 16). Lorsque le recourant invoque des droits constitutionnels dont le Tribunal fédéral examine l'application avec un libre pouvoir d'examen, tels que l'interdiction de la double imposition intercantonale, il doit établir en quoi la norme juridique a été mal interprétée et mal appliquée. Un bref exposé suffit, si le droit constitutionnel invoqué est clairement défini, et si l'espèce litigieuse représente un cas typique d'application de ce droit (
ATF 107 Ia 129
consid. 1c).
En l'espèce, le recourant ne qualifie pas expressément l'acte qu'il a déposé et présente les faits de manière tellement succincte qu'il n'est pas possible de les comprendre sans se référer au dossier cantonal. Sur le fond, il ne dit pas en quoi l'impôt successoral perçu par le canton de Genève constituerait une double imposition par rapport à l'impôt cantonal valaisan sur le revenu. Par lettre du 8 janvier 1988, le Tribunal fédéral avait donc invité le recourant a compléter son acte de recours en le rendant attentif au fait qu'il s'agissait non seulement de préciser quelle était la taxation contestée, mais aussi de démontrer que les prestations imposées en Valais et à Genève seraient identiques. Or, dans son complément de recours du 16 janvier 1988, le recourant se borne à déclarer qu'il attaque la taxation du canton de Genève, en se référant à l'indication donnée par la Commission cantonale de recours en matière d'impôts dans sa décision du 20 novembre 1986. Pour le reste, il ne tente même pas d'expliquer en quoi l'impôt successoral du canton de Genève et l'impôt sur le revenu du canton du Valais constitueraient une double imposition intercantonale. Dans la mesure où ces taxations ne représentent pas un cas typique d'application de l'
art. 46 al. 2 Cst.
, il ne suffit pas en effet de prétendre que les prestations d'assurances reçues seraient imposées à double et de soumettre le problème au Tribunal fédéral comme à un bureau de conseils en matière fiscale.
Il s'ensuit que le recours ne répond pas aux exigences de motivation posées par la loi et la jurisprudence pour être recevable comme recours de droit public fondé sur l'
art. 46 al. 2 Cst. | public_law | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7da5edae-c996-4358-ac51-a5be1294ed75 | Urteilskopf
98 Ib 148
21. Urteil vom 19. Mai 1972 i.S. Grands Magasins Jelmoli SA gegen Regierungsrat des Kantons Luzern. | Regeste
Alkoholgesetz; Inhalt der Kleinhandelsversandbewilligung nach
Art. 42 Abs. 2 AlkG
.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1).
2. Der Inhaber einer eidgenössischen Kleinhandelsversandbewilligung darf für Lieferungen gebrannter Wasser über die Kantonsgrenze hinweg durch seine ausserkantonale Filiale Rechnung stellen und Zahlungen entgegennehmen lassen (Erw. 2-5). | Sachverhalt
ab Seite 149
BGE 98 Ib 148 S. 149
Aus dem Sachverhalt:
A.-
Die Beschwerdeführerin, Grands Magasins Jelmoli SA, in Zürich, hat am 16. Oktober 1970 in Emmenbrücke LU eine Filiale "JELMOLI-2000" eröffnet. Diese Filiale führt auch eine Getränke-Abteilung. Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat dafür ein Kleinverkaufspatent nach § 58 lit. a des kantonalen Gesetzes vom 16. Februar 1910/26. Januar 1937 betreffend das Wirtschaftsgewerbe und den Handel mit geistigen Getränken (WG) erteilt. Dieses Patent wird laut gesetzlicher Anordnung u.a. an "Lebensmittel- (Comestibles-) Handlungen" erteilt; es dient für den Verkauf geistiger Getränke "mit Ausschluss von gebrannten Wassern".
Am 9. November 1970 schrieb das Staatswirtschaftsdepartement des Kantons Luzern an die Direktion der Grands Magasins Jelmoli SA in Zürich, es habe davon Kenntnis, dass in Emmenbrücke "volle Spirituosenflaschen auf- bzw. ausgestellt" seien, dass für die Kunden "gedruckte Bestellungsformulare" auflägen, und dass die Geschäftsfiliale Emmenbrücke ermächtigt sei, "allfällige Vorauszahlungen auf die bestellten Spirituosen an Ort und Stelle einzukassieren".
Das Staatswirtschaftsdepartement verlangte, dass die bestellte Ware ausschliesslich "vom Geschäftssitz der Gesellschaft in Zürich", auf den die "Versandbewilligung ausgestellt" sei, verschickt werde. Desgleichen habe sie "das Inkasso (auch Vorauszahlungen) mit sofortiger Wirkung ausschliesslich über
BGE 98 Ib 148 S. 150
den Gesellschaftssitz in Zürich erfolgen zu lassen". Es sei ihr zwar anheimgestellt, in Emmenbrücke einen speziellen Inkassobevollmächtigten zu bestellen, doch dürfe dieser nicht "mit der Geschäftsfiliale in Emmenbrücke bzw. mit einem Angehörigen des Personals dieser Filiale identisch sein". "Jedes Ausstellen von Spirituosengebinden" in Emmenbrücke "und jedes Anbringen und Auflegen von nicht eindeutig klaren Texthinweisen auf den Kleinverkauf von gebrannten Wassern" sei "nicht zulässig".
B.-
Gegen diese Verfügung des Staatswirtschaftsdepartements rekurrierte die Grands Magasins Jelmoli SA an den Regierungsrat des Kantons Luzern. Der Regierungsrat hat den Rekurs am 26. Juli 1971 mit dem folgenden Dispositiv teilweise gutgeheissen:
"1. Es wird der Rekurrentin nur gestattet, in ihrer Geschäftsfiliale in Emmenbrücke Bestellungen für die Lieferung gebrannter Wasser entgegenzunehmen. Rechnungstellung, jegliche Art von Inkasso, Versand usw. müssen vom eigentlichen Geschäftssitz und Patentdomizil aus erfolgen.
2. Es wird der Rekurrentin gestattet, in den Schaufenstern und Verkaufsabteilungen ihrer Geschäftsfiliale in Emmenbrücke Spirituosengebinde auszustellen, sofern neben den ausgestellten Spirituosen mit klarem, gut sichtbarem und unmissverständlichem Text auf die unter Ziffer 1 des Dispositives dargelegte rechtliche Situation hingewiesen wird."
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Beschwerdeführerin, der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Luzern vom 26. Juli 1971 sei aufzuheben und es sei ihr zu gestatten, in ihrer Geschäftsfiliale Emmenbrücke nicht nur Bestellungen für die Lieferung gebrannter Wasser entgegenzunehmen, sondern auch Rechnungsstellung und Inkasso zu besorgen. Die Einschränkung bezüglich Ausstellung von Spirituosen in den Schaufenstern und Verkaufsabteilungen der Geschäftsfiliale der Beschwerdeführerin in Emmenbrücke sei aufzuheben.
D.-
Schultheiss und Regierungsrat des Kantons Luzern beantragen die Abweisung der Beschwerde.
E.-
Das Eidgenössische Finanz- und Zolldepartement empfiehlt mit Vernehmlassung vom 13. Dezember 1971 die Gutheissung der Beschwerde. Auf den Inhalt seiner Vernehmlassung wird, soweit erheblich, in den Erwägungen eingegangen.
BGE 98 Ib 148 S. 151
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Art. 32bis Abs. 1 BV
ermächtigt den Bund, auf dem Wege der Gesetzgebung Vorschriften über den Verkauf und die fiskalische Belastung gebrannter Wasser zu erlassen.
Art. 32quater Abs. 1 BV
ermächtigt die Kantone, auf dem Wege der Gesetzgebung die Ausübung des Kleinhandels mit (gebrannten oder nicht gebrannten) geistigen Getränken den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen zu unterstellen, also beispielsweise eine Bedürfnisklausel für Kleinverkaufsstellen einzuführen.
Daraus ergibt sich, dass zur Ordnung des Verkaufs gebrannter Wasser - auch der Kleinverkauf ist Verkauf - der Bundesgesetzgeber und die kantonalen Gesetzgeber kompetent sind. Die kantonalen Gesetzgeber können indessen nichts anordnen, was mit dem Bundesrecht nicht vereinbar wäre. Die Frage, ob der Bundesgesetzgeber in seinem Kompetenzbereich verblieben sei oder ihn überschritten habe, stellt sich dem Bundesgericht wegen
Art. 114bis Abs. 3 BV
nicht.
Das (mehrmals geänderte) BG vom 21. Juni 1932 über die gebrannten Wasser (AlkG) ist, wie sich schon aus dem Ingress ergibt, ein Ausführungserlass zu
Art. 32bis BV
. Das WG dagegen ist, jedenfalls soweit es für Wirtschaften und Kleinverkaufsstellen den Bedürfnisnachweis vorsieht (§§ 22 und 59) ein Ausführungserlass zu
Art. 32quater BV
. Der Regierungsrat hat sich im angefochtenen Entscheid auf das AlkG und auf das WG berufen. Doch ergibt sich aus dem Inhalt des Beschlusses und namentlich aus der Rechtsmittelbelehrung, dass der Regierungsrat den angefochtenen Beschluss selber als Entscheid über die Anwendung von Bundesrecht, nämlich des
Art. 42 AlkG
, versteht. Die Hinweise des Regierungsrates auf das kantonale Recht erklären sich daraus, dass das einschlägige Bundesrecht selbst auf das kantonale Recht und die kantonalen Patente Bezug nimmt (
Art. 32bis Abs. 8 und 9 BV
,
Art. 39 Abs. 3 und
Art. 42 Abs. 2 AlkG
, Art. 99 Abs. 1 und 4 der VV).
Der Inhalt der Beschwerde erschöpft sich in der Rüge, der angefochtene Beschluss verletze Bundesrecht. Dafür ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Denn der angefochtene Beschluss des Regierungsrates ist zweifellos eine Verfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. b VwG und damit von
Art. 97 Abs. 1 OG
. Er geht von einer letzten kantonalen Instanz aus
BGE 98 Ib 148 S. 152
(
Art. 98 lit. g OG
) und es liegt keine der in
Art. 99-102 OG
aufgezählten Ausnahmen vor. Insbesondere ist kein Weiterzug an die Alkoholrekurskommission oder an das EFZD zulässig (vgl.
Art. 47 und 49 AlkG
in der durch das BG vom 20. Dezember 1968 über die Änderung des OG revidierten Fassung, AS 1969 786). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
Der zweite Satz von
Art. 32bis Abs. 8 BV
erklärt den Bund als zuständig zur Ausstellung der "Patente für den interkantonalen und internationalen Kleinhandel" mit gebrannten Wassern.
Art. 42 AlkG
enthält die zugehörige Ordnung (Absatz 1 in der ursprünglichen Fassung vom 21. Juni 1932, BS 6857, Absatz 2 in der revidierten Fassung vom 25.Oktober 1949, AS 1950 72):
"Die kantonale Kleinhandelsbewilligung bestimmt, ob und unter welchen Bedingungen ihr Inhaber berechtigt ist, gebrannte Wasser innerhalb des Kantonsgebietes zu versenden.
Zum gewerbsmässigen Versand über die Kantonsgrenze hinaus bedarf es neben der Kleinhandelsbewilligung des Kantons, in dem sich der Geschäftssitz befindet, einer besondern Versandbewilligung der Alkoholverwaltung, welche auch zur Aufnahme von Bestellungen berechtigt. Die Alkoholverwaltung erhebt für diese Bewilligung eine feste Jahresgebühr von tausend Franken. Die Voraussetzungen für die Erteilung der Kleinhandelsbewilligung werden durch Verordnung des Bundesrates geregelt. Zulässig ist die Einholung von Kleinhandelsbewilligungen in mehreren Kantonen."
Was Grosshandel und was Kleinhandel ist, ergibt sich aus
Art. 39 AlkG
. Grosshandel - darüber wird hier nicht gestritten - ist die Abgabe gebrannter Wasser in Mengen von 40 Litern oder mehr (Abs. 2). Kleinhandel ist "jeder andere Handelsverkehr" (Abs. 3). Nach Art. 99 Abs. 1 der VV vom 6. April 1962 zum AlkG hat, wer mit gebrannten Wassern über die Kantonsgrenze hinaus Handel treiben will in Übereinstimmung mit
Art. 42 Abs. 2 AlkG
die Wahl, neben der Kleinhandelsbewilligung des "Geschäftssitzkantons" eine Versandbewilligung der Alkoholverwaltung oder eine Kleinhandelsbewilligung in jedem Kanton, in den er gebrannte Wasser versenden will, einzuholen. Diese Alternative ist aber für die Beschwerdeführerin belanglos, da sie vom Kanton Luzern kein Kleinverkaufspatent für gebrannte Wasser bekommen hat und sich damit abfindet. Für sie geht es lediglich um die andere Variante.
BGE 98 Ib 148 S. 153
3.
Die Beschwerdeführerin verfügt an ihrem Geschäftssitz in Zürich über ein kantonales Patent für den Kleinverkauf gebrannter Wasser und über eine eidgenössische Kleinhandelsversandbewilligung. Unbestritten ist, dass sie gebrannte Wasser - auch in Mengen von weniger als 40 Litern - von Zürich aus in den Kanton Luzern liefern darf, ferner, dass sie in der Filiale Emmenbrücke dafür Bestellungen entgegennehmen darf. Ebenso ist unbestritten, dass sie im Verkaufsgeschäft in Emmenbrücke keine gebrannten Wasser in Mengen von weniger als 40 Litern an Kunden abgeben darf, wo immer die Bestellungen aufgegeben worden sein mögen. Unbestritten ist schliesslich, dass die Beschwerdeführerin durch Ausstellung von Gebinden und Fassungen und auf andere geeignete Weise dem Publikum in Emmenbrücke anzeigen darf, dass sie von Zürich aus gebrannte Wasser in den Kanton Luzern liefert.
Umstritten ist dagegen:
- ob die Beschwerdeführerin den Kunden für Lieferungen gebrannter Wasser aus Zürich durch ihr Personal in Emmenbrücke Rechnung stellen darf;
- ob die Beschwerdeführerin durch ihr Personal in Emmenbrücke für die Lieferungen aus Zürich - vor oder nach dem Versand - Zahlungen entgegennehmen darf;
- ob die Beschwerdeführerin bei der Reklame in Emmenbrücke darauf hinweisen muss, dass die Rechnungen in Zürich ausgestellt werden und im Geschäft in Emmenbrücke keine Zahlungen dafür entgegengenommen werden.
4.
Art. 42 Abs. 2 AlkG
in der Fassung vom 25. Oktober 1949 ermächtigt den Inhaber einer Kleinhandelsversandbewilligung zur "Aufnahme von Bestellungen". Die Regierung des Kantons Luzern zieht daraus den Umkehrschluss, dass dem Inhaber einer solchen Bewilligung in andern Kantonen nur die Aufnahme von Bestellungen erlaubt sei. Die Beschwerdeführerin zieht dagegen einen qualifizierten Analogieschluss: Wenn dem Bewilligungsinhaber schon die Aufnahme von Bestellungen in andern Kantonen zusteht, dann darf er dort erst recht - und ohne besondere Erlaubnis - Rechnungen ausstellen und Zahlungen entgegennehmen.
In der Botschaft vom 8. April 1949 (BBl 1949 I 673 ff.), mit welcher der Bundesrat der Bundesversammlung die Revision vorschlug, die dann am 25. Oktober 1949 zum Abschluss kam, wird die Änderung mit dem Hinweis darauf begründet, dass
BGE 98 Ib 148 S. 154
einige Kantone "trotz Vorliegen der eidgenössischen Kleinhandelsversandbewilligung" noch eine "besondere Bewilligung" (scilicet: gegen Gebühr) für die Aufnahme von Bestellungen verlangen zu können glaubten. Das liege "aber nicht im Sinne des Gesetzes", zumal "die Gebühr für die eidgenössische Bewilligung Fr. 1000.-- beträgt und daneben noch die Patentgebühr im Wohnsitzkanton zu entrichten" sei. Mit der Änderung des Gesetzestextes war keine Änderung des Gesetzesinhalts, sondern nur dessen "Präzisierung" beabsichtigt (a.a.O., 721).
Die Änderung wurde in den Räten diskussionslos angenommen. Mit ihr wird klargestellt, dass die Versandfirma nicht mehr als zwei Bewilligungen benötigt und nicht mehr als zweimal - einmal für das kantonale Patent und einmal für die eidgenössische Bewilligung - fiskalisch belastet werden darf.
Damit steht fest, dass nach
Art. 42 Abs. 2 AlkG
für die Aufnahme von Bestellungen ausserhalb des Geschäftssitzes des Bewilligungsinhabers am Ort der Bestellungsaufnahme weder ein kantonales Patent erforderlich ist, noch eine kantonale Gebühr erhoben werden darf. Beides aber setzt voraus, dass die Aufnahme von Bestellungen durch Bundesrecht abschliessend geordnet ist.
Der Zweck der Alkoholgesetzgebung des Bundes besteht laut
Art. 32 bis Abs. 2 BV
darin, "dass sie den Verbrauch von Trinkbranntwein und dementsprechend dessen Einfuhr und Herstellung vermindert". Im Lichte dieser Zwecksetzung ist die Aufnahme von Bestellungen keinesfalls weniger wichtig als die Rechnungstellung und die Entgegennahme von Zahlungen. Offerte und Annahme - also das für den Vertragsabschluss Wesentliche - manifestieren sich in der Bestellung. Was nachher folgt, ist die Vertragserfüllung, die aus der Tradition der verkauften Sache - Besitzübertragung = Lieferung - und der Zahlung des Kaufpreises besteht. Die Rechnungstellung ist innerhalb der Abwicklung des Kaufgeschäftes eine Hilfsfunktion im Vollzugsstadium.
Der Regierungsrat des Kantons Luzern befürchtet, dass, wenn Inkasso und Rechnungstellung der Filiale Emmenbrücke überlassen würden, ein Betrieb entstände, der "praktisch einem Handel auch mit gebrannten Wassern gemäss
§ 58 lit. f WG
gleich" zu setzen wäre. Der "einzige Unterschied" würde dann
BGE 98 Ib 148 S. 155
nur noch darin bestehen, dass die Getränke von Zürich aus versandt würden.
Was der Regierungsrat als "einzigen Unterschied" gegenüber einer Kleinverkaufsstelle für gebrannte Wasser bezeichnet, ist ein fundamentaler Unterschied, der jedem Kunden sofort auffallen muss: In einem Geschäft mit Kleinverkaufspatent gemäss
§ 58 lit. f WG
kann der Kunde gebrannte Wasser in kleinen Quantitäten kaufen und sofort mitnehmen. In der Filiale Emmenbrücke der Beschwerdeführerin kann er bestellen, aber nichts mitnehmen. Er hat daheim zu warten, bis ihm die bestellten Getränke von Zürich her mit der Post oder mit einem Fahrzeug der Lieferfirma ins Haus gebracht werden. Ist er dann zufällig nicht zuhause, so wird er die Sendung bestenfalls bei der Post abholen können oder eine zweite Zustellung abwarten müssen. Auf jeden Fall ist die Chance, die bestellten Getränke zu bekommen, mit Zeitverlust und Risiken verbunden, die der Kunde, der in einem Kleinhandelsgeschäft am Ort einkauft, vermeiden kann. Wichtig ist auch, dass die Beschwerdeführerin nicht von Emmenbrücke aus liefern kann, weil sie das Kleinverkaufspatent und die Versandbewilligung nur für den Geschäftssitz Zürich innehat.
Dieser Sachverhalt führt dazu, dass Leute, die gebrannte Wasser erst bei Bedarf und nur in kleinen Dosen einkaufen, als Kunden der Beschwerdeführerin ausfallen. Nur wer sich auf Vorrat eindeckt, wird die Beschwerdeführerin als Lieferantin in Betracht ziehen.
Damit ist der Unterschied zwischen den Befugnissen einer Kleinverkaufsstelle am Ort und der Filiale Emmenbrücke der Beschwerdeführerin sehr klar markiert. Er wird praktisch zu einer Privilegierung der ortsansässigen Kleinverkäufer führen, also nebenbei einen Erfolg bewirken, der ausserhalb des durch
Art. 32 bis BV
angepeilten Zwecks liegt. Diesen Unterschied durch Erschwernisse bei der Rechnungstellung und beim Geldeinzug zu verstärken, wirkt schikanös, weil kein sachlicher Grund dafür vorliegt und das Bundesrecht kein Motiv dafür liefert. Wer dem Kunden Rechnung stellt und wo der Kunde bezahlt, ist unter den Kriterien des Bundesrechts belanglos. Die angefochtenen Erschwernisse sind daher zu beseitigen.
5.
In Ziffer 2 des angefochtenen Dispositives wird der Beschwerdeführerin vorgeschrieben, im Geschäft in Emmenbrücke
BGE 98 Ib 148 S. 156
"mit klarem, gut sichtbarem und unmissverständlichem Text auf die unter Ziffer 1 des Dispositives dargelegte rechtliche Situation" hinzuweisen.
Nachdem die Verbote bezüglich Rechnungstellung und Geldeinzug aufzuheben sind, muss auch die Auflage bezüglich der Anschriften insoweit aufgehoben werden, als nur noch darauf hinzuweisen ist, dass gebrannte Wasser in Mengen von weniger als 40 Litern in Emmenbrücke weder abgegeben noch versandt, sondern von Zürich aus zugestellt werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der angefochtene Beschluss wird - mit Einschluss der Kostenauflage - aufgehoben, soweit er der Beschwerdeführerin nicht bloss den Verkauf und Versand gebrannter Wasser in Mengen unter 40 Litern in Emmenbrücke verbietet und die auf diesen Versand bezüglichen Anzeigen im dortigen Geschäft betrifft. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7da74253-ea28-4cb5-9b15-15a9464579d7 | Urteilskopf
120 Ia 82
12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. Januar 1994 i.S. W. gegen Gerichtspräsident Aarwangen und Appellationshof des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Anspruch auf den verfassungsmässigen Richter;
Art. 58 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
.
Es verletzt den Anspruch auf einen unvoreingenommenen Richter nach
Art. 58 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht, dass der Richter, der vorher ein Rechtsöffnungsbegehren abgewiesen hat, im ordentlichen Forderungsprozess (Anerkennungsprozess) mitwirkt. | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 120 Ia 82 S. 82
In einer Forderungsstreitigkeit stellte Frau W. gestützt auf eine gerichtlich genehmigte Ehescheidungskonvention das Gesuch um definitive, evtl. um provisorische Rechtsöffnung. Der Gerichtspräsident von Aarwangen wies dieses Ersuchen mit begründetem Entscheid ab.
In der Folge erhob Frau W. Klage. Der Gerichtspräsident von Aarwangen führte seither die Instruktion und das Beweisverfahren. Im Rahmen dieses Verfahrens ersuchte Frau W. um den Ausstand des Gerichtspräsidenten und um
BGE 120 Ia 82 S. 83
Beurteilung ihres Forderungsstreites durch den Gerichtspräsidenten eines Nachbarbezirkes. Sie begründete ihr Gesuch im wesentlichen damit, dass der Gerichtspräsident angesichts seiner früheren Funktion als Rechtsöffnungsrichter im vorliegenden Anerkennungsverfahren wegen Vorbefassung nicht mehr unvoreingenommen sei und damit den Anforderungen an den verfassungsmässigen Richter nicht genüge. Der Appellationshof des Kantons Bern wies dieses Ausstandsbegehren ab.
Gegen dieses Urteil des Appellationshofes hat Frau W. staatsrechtliche Beschwerde eingereicht und im wesentlichen eine Verletzung von
Art. 58 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gerügt. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
(Hinweise auf Bedeutung und Tragweite des Anspruchs auf einen unparteiischen, unbefangenen und unvoreingenommenen Richter nach
Art. 58 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; vgl.
BGE 119 Ia 81
E. 3 S. 83,
BGE 119 Ia 221
E. 3 S. 226.).
6.
a) Im vorliegenden Falle wies der Gerichtspräsident von Aarwangen mit Entscheid vom 2. Dezember 1992 das Begehren der Beschwerdeführerin um definitive oder provisorische Rechtsöffnung ab (
Art. 80 und 82 SchKG
). Die Beschwerdeführerin leitete daher den ordentlichen Forderungsprozess (Anerkennungsprozess) vor dem ordentlichen Zivilrichter ein. Aufgrund der Regeln über die sachliche und örtliche Zuständigkeit der bernischen Zivilprozessordnung (ZPO) handelte es sich beim zuständigen Richter wiederum um den Gerichtspräsidenten von Aarwangen (
Art. 2 ZPO
). Im Umstand, dass der Forderungsprozess vor demselben Richter geführt wird, der vorher bereits das Rechtsöffnungsbegehren abgewiesen hat, erblickt die Beschwerdeführerin eine verfassungswidrige Vorbefassung im oben dargelegten Sinne.
b) Im Verfahren der definitiven oder der provisorischen Rechtsöffnung prüft der Richter, ob die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil, einem gerichtlichen Vergleich oder einer gerichtlichen Schuldanerkennung (
Art. 80 SchKG
) bzw. auf einer durch öffentliche Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung (
Art. 82 SchKG
) beruhe. Der Schuldner kann zu seiner Verteidigung im Verfahren der definitiven Rechtsöffnung die Rechtmässigkeit des Rechtsöffnungsverfahrens in Frage stellen oder in materieller Hinsicht die
BGE 120 Ia 82 S. 84
Wirksamkeit oder die Vollstreckbarkeit der vorgelegten Urkunden bestreiten (KURT AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Auflage 1993, Rz. 24 ff. zu § 19 S. 135 ff.). Im Verfahren der provisorischen Rechtsöffnung kann er neben formellen Einwänden das Fehlen eines Rechtsöffnungstitels, dessen Ungültigkeit oder Unwirksamkeit geltend machen; er braucht diese Einwendungen nicht zu beweisen, vielmehr genügt die Glaubhaftmachung (AMONN, a.a.O., Rz. 52 ff. zu § 19 S. 142 f.). Auf jeden Fall kann sich der Schuldner auf Tilgung oder Stundung berufen oder Verjährung geltend machen (
Art. 81 Abs. 1 SchKG
). - Der Entscheid über die Rechtsöffnung hat rein betreibungsrechtliche Wirkung; es wird bestimmt, ob eine Betreibung fortgesetzt werden kann oder nicht (
BGE 100 III 48
E. 3 S. 50; AMONN, a.a.O., Rz. 14 zu § 19 S. 131 f.; HANS FRITZSCHE/HANS ULRICH WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, 3. Aufl., Zürich 1984, Bd. I, Rz. 22 zu § 18 S. 230; MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Auflage 1979, S. 38). Die Prüfungszuständigkeit des Rechtsöffnungsrichters umfasst ausschliesslich Fragen im Zusammenhang mit der Tauglichkeit der präsentierten Urkunden. Über die Forderung wird dagegen nur vorbehältlich der Anerkennungs- oder der Aberkennungsklage entschieden. Die Verweigerung der Rechtsöffnung zwingt den Gläubiger, wie im vorliegenden Verfahren den ordentlichen Forderungsprozess (Anerkennungsverfahren) anzustrengen.
Diesfalls wird über die materielle Begründetheit der Forderung erst im ordentlichen Verfahren entschieden. Dieses richtet sich - im Rahmen des Bundesrechts - nach dem kantonalen Verfahrensrecht. Dem Gläubiger stehen für die Begründung seiner Forderung im Rahmen des Verfahrensrechts sämtliche Angriffsmittel und sämtliche Beweismittel zur Verfügung. Auf der andern Seite kann sich der Schuldner mit allen Mitteln gegen die Forderung zur Wehr setzen. Der Richter befindet schliesslich aufgrund des vollständigen Beweisverfahrens und der umfassenden Würdigung über das Bestehen der eingeklagten Forderung und verurteilt den Schuldner zur Bezahlung oder weist die Klage des Gläubigers ab. Der Forderungsprozess findet damit, vorbehältlich des Rechtsmittelweges, seinen Abschluss.
c) Die Beschwerdeführerin macht im wesentlichen geltend, der Richter habe sich im Forderungsprozess mit grundsätzlich den gleichen Fragen auseinanderzusetzen wie bereits im vorangehenden Rechtsöffnungsverfahren und biete daher ungenügende Gewähr für eine unbefangene Beurteilung. Dabei
BGE 120 Ia 82 S. 85
übersieht sie indessen, dass das Rechtsöffnungsverfahren und das Anerkennungsverfahren unterschiedlicher Natur sind. Das Rechtsöffnungsverfahren hat ausschliesslich betreibungsrechtlichen Charakter; es wird sowohl im definitiven als auch im provisorischen Rechtsöffnungsverfahren nur darüber entschieden, ob die Betreibung weitergeführt werden kann oder ob der Gläubiger auf den ordentlichen Prozessweg verwiesen wird. Auf der andern Seite steht im Forderungsprozess die materielle Begründetheit der Forderung in Frage, mit der Folge, dass der Beklagte zur Zahlung der Schuld verurteilt oder aber die Forderung des Klägers als unbegründet befunden wird. Damit stehen in den beiden Verfahren nicht gleiche Fragen zur Diskussion. - Dies zeigt sich auch an den in den beiden Verfahren zulässigen Vorbringen. Der Gläubiger kann für die definitive bzw. provisorische Rechtsöffnung zur Begründung seiner Forderung nur die zugelassenen Urkunden vorlegen. Der Schuldner ist mit seiner Verteidigung auf formelle Rügen des Rechtsöffnungsverfahrens sowie auf die unmittelbare Bestreitung der Wirksamkeit des Rechtsöffnungstitels aufgrund von Urkunden beschränkt; im provisorischen Rechtsöffnungsverfahren genügt die Glaubhaftmachung. Der zugelassenen Beweismittel entsprechend ist auch die Prüfung des Rechtsöffnungsrichters eine beschränkte (vgl. GULDENER, a.a.O., S. 584 f.; OSCAR VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 3. Auflage 1992, Rz. 149 ff. zu Kapitel 12 S. 301). Demgegenüber wird im ordentlichen Forderungsprozess aufgrund eines umfassenden Beweisverfahrens mit allen denkbaren Mitteln des Klägers und des Beklagten über die eingeklagte Forderung definitiv entschieden. - Diese Gegenüberstellung zeigt bereits, dass sich das Prozessthema in den beiden Verfahren der (definitiven oder provisorischen) Rechtsöffnung bzw. des Forderungsprozesses wesentlich unterscheidet. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass den beiden Verfahren dasselbe Forderungsverhältnis zwischen den Parteien zugrunde liegt.
d) Diese Überlegungen fügen sich in die bisherige Rechtsprechung zur Personalunion von Richtern unterschiedlicher Funktionen ein. Die vorliegende Angelegenheit ist insbesondere mit folgenden Konstellationen zu vergleichen und in Beziehung zu setzen.
aa) Unter dem Gesichtswinkel der Garantie auf den verfassungsmässigen Richter hat das Bundesgericht die Frage geprüft, ob derjenige Richter, der in einer Strafsache als Haftrichter tätig gewesen ist, später auch beim Sachentscheid mitwirken dürfe. Es hat dies bejaht, weil der Haftrichter
BGE 120 Ia 82 S. 86
nicht die gleichen Fragen zu behandeln hat wie der in der Sache erkennende Richter: Der Haftrichter hat die Voraussetzungen der Haft abzuklären, und der Sachrichter befindet über Schuld und Strafe. Die Unterschiedlichkeit der Sachfragen in den beiden Verfahrensstadien lässt die Personalunion grundsätzlich zu (
BGE 117 Ia 182
S. 185; vgl. auch
BGE 115 Ia 180
= EuGRZ 1989 S. 330 E. 3).
In gleicher Weise hat sich auch hinsichtlich des Rechtsöffnungs- und des anschliessenden Anerkennungsverfahrens gezeigt, dass die beiden Verfahrensstadien unterschiedlicher Natur sind und nicht direkt miteinander zusammenhängende Fragen betreffen.
bb) Das Bundesgericht hat ferner die Personalunion von Überweisungsrichter und Strafrichter geprüft. Es hat befunden, der erstinstanzliche Strafrichter am Obergericht des Kantons Zürich, der vorher als Mitglied der Anklagekammer die Anklage zugelassen und den Angeschuldigten überwiesen hat, genüge den verfassungs- und konventionsrechtlichen Anforderungen nicht. Denn mit dem Überweisungsentscheid wird nach § 166 Abs. 2 der Zürcher Strafprozessordnung über formellrechtliche Fragen hinaus aufgrund der umfassenden Erhebungen in materieller Hinsicht geprüft, ob der Angeklagte eines strafbaren Verhaltens hinreichend verdächtig erscheine und Anhaltspunkte gegeben seien, dass der Angeschuldigte die eingeklagte Tat wirklich begangen hat (
BGE 114 Ia 50
E. 5 S. 66). Demgegenüber hat das Bundesgericht im Umstand der Überweisung durch den zürcherischen Bezirksgerichtspräsidenten und dessen nachfolgende Beurteilung der Strafsache keine Verfassungs- oder Konventionsverletzung erblickt, weil in diesem Überweisungsverfahren lediglich formelle Aspekte im Vordergrund sind und der Tatverdacht nicht in Frage steht (nicht publiziertes Urteil vom 11. November 1993 i.S. G.). Ebenso hat es eine Verfassungs- oder Konventionsverletzung im Fall von bernischen Oberrichtern verneint, welche als Mitglieder der Anklagekammer nur indirekt an einer Überweisung beteiligt waren, da in den beiden Verfahrensstadien unterschiedliche Fragen streitig waren (BGE
BGE 114 Ia 139
S. 142).
Im Vergleich dazu ist für den vorliegenden Fall entscheidend, dass, wie oben dargelegt, im Rechtsöffnungsverfahren und im anschliessenden Forderungsprozess nicht die gleichen Fragen entschieden werden und das Rechtsöffnungsverfahren nur einen beschränkten Prozessgegenstand aufweist. Die differenzierte Rechtsprechung zur strafrechtlichen Überweisung bestätigt, dass der Ausgang des Forderungsprozesses auch bei der
BGE 120 Ia 82 S. 87
Beurteilung durch denselben Richter als durchaus offen erscheint und die Personalunion mit der Garantie auf einen unvoreingenommenen Richter vereinbar ist.
cc) Das Bundesgericht hat ferner erkannt, dass die Personalunion von Strafmandatsrichter und Strafrichter mit den Garantien auf einen unvoreingenommenen Richter nicht vereinbar sei. Hierfür war entscheidend, dass sowohl im Strafbefehlsverfahren als auch im darauffolgenden Einsprache- bzw. ordentlichen Strafverfahren materiell die gleichen Fragen geprüft werden. Daran änderte der Umstand nichts, dass im Strafbefehlsverfahren vorerst nur eine summarische Prüfung aufgrund der Akten und ohne Anhörung des Angeschuldigten vorgenommen wird. Für den Angeklagten erwächst der Strafbefehl gleich einem Strafurteil in Rechtskraft, wenn dagegen nicht Einsprache erhoben wird. Aus dessen Sicht hat zudem die Einsprache die Bedeutung eines Rechtsmittels, das dann von demselben Richter beurteilt wird (
BGE 114 Ia 143
, EuGRZ 1992 S. 548).
Auch mit dieser Konstellation lässt sich der vorliegende Fall nicht vergleichen. Denn das Rechtsöffnungsverfahren ist anderer Natur als der anschliessende Forderungsprozess. Mit der Verweigerung der Rechtsöffnung wird kein definitiver Entscheid in der Sache selbst getroffen; der Gläubiger kann auch bei Abweisung des Rechtsöffnungsgesuches erneut Betreibung einleiten (
BGE 100 III 48
E. 3 S. 50). Der Entscheid wird insofern - anders als das Strafmandat, gegen das keine Einsprache erhoben wird - nicht definitiv. Es kann daher - im Gegensatz zur Personalunion von Strafmandats- und Strafrichter - auch nicht gesagt werden, der Richter des ordentlichen Forderungsprozesses habe den vorgängigen Entscheid gewissermassen in einem Rechtsmittelverfahren selbst zu überprüfen. Daran vermag im vorliegenden Fall der Umstand nichts zu ändern, dass in beiden Verfahren von den indexierten Unterhaltsbeiträgen und der Bedingung der entsprechenden Erhöhung des Einkommens des Beklagten die Rede war bzw. noch ist.
e) Diese Beurteilung der Personalunion von Rechtsöffnungs- und Anerkennungsrichter wird durch die Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte bestätigt. In einem die Schweiz betreffenden Nichtzulassungsentscheid hat die Kommission festgehalten, die nur summarische und formelle Prüfung des Rechtsöffnungsrichters vermöchten keine berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters des ordentlichen Verfahrens zu begründen (Entscheid i.S. S. c. Schweiz vom 8. April 1991, VPB 55/1991 Nr. 50).
BGE 120 Ia 82 S. 88
f) In Anbetracht dieser Erwägungen kann nicht gesagt werden, der Prozessgegenstand von Rechtsöffnungs- und anschliessendem ordentlichem Zivilverfahren glichen sich derart, dass der Ausgang des Forderungsprozesses bei Mitwirkung desselben Richters in beiden Verfahren weitgehend vorbestimmt sei und nicht mehr als hinreichend offen erscheine. Die Befürchtung der Beschwerdeführerin, der Forderungsprozess könne vom Richter nicht mehr unvoreingenommen geführt werden, erweist sich bei objektiver Betrachtung als unbegründet. Die Mitwirkung des Richters im Forderungsprozess, welcher vorgängig die (definitive oder provisorische) Rechtsöffnung verweigert hat, verstösst daher nicht gegen die Garantien von
Art. 58 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7da8e1f2-dcd5-4628-8b06-b6cbedc84561 | Urteilskopf
95 II 231
30. Sentenza del 25 settembre 1969 della I. Corte civile nella causa Lolli contro Verzasca SA | Regeste
Art. 58 OR
. Haftung des Werkeigentümers.
Voraussetzung der Haftung ist ein Konstruktionsfehler oder Unterhaltsmangel eines fertigen und bestimmungsgemäss benützten Werkes. Sie besteht dagegen nicht für die Gefahren infolge einer vorübergehenden Unvollkommenheit des Werks, die daraufzurückzuführen ist, dass dieses sich im Bau oder im Reparaturzustand befindet (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 232
BGE 95 II 231 S. 232
A.-
Ettore Lolli, nel corso del 1961, eseguì trasporti di materiale, per conto del consorzio Scanera, sul cantiere aperto da quest'ultimo nella bassa Val Verzasca. Il consorzio stava lì costruendo una strada per incarico della Verzasca SA, la quale doveva sostituire il tratto stradale che sarebbe stato sommerso dall'erigendo bacino d'accumulazione di Vogorno.
Il 17 luglio 1961, durante uno dei citati trasporti, mentre percorreva un tronco di strada in via di costruzione ed aperto ai soli addetti ai lavori, un autocarro di Lolli, nel compiere una curva, precipitò nella sottostante scarpata. Il 22 maggio 1963 Lolli fece quindi spiccare contro la Verzasca SA un precetto esecutivo per l'importo di fr. 37 180. 65, corrispondente ai pretesi danni subiti dall'autocarro nella caduta. L'escussa non sollevò opposizione; una sua susseguente istanza per l'ammissione d'una opposizione tardiva venne respinta dal Pretore di Lugano-città. Dopo aver ricevuto una comminatoria di fallimento, la Verzasca SA versò a Lolli l'importo dell'esecuzione, oltre agli interessi e alle spese. Il 24 maggio 1964 essa promosse tuttavia davanti alla Pretura di Lugano-città un'azione per la restituzione dell'indebito, con la quale chiedeva la condanna di Lolli al rimborso di fr. 41 553.85 oltre interessi e spese.
Mediante giudizio del 10 ottobre 1967 il Pretore accolse la petizione. Egli argomentò in sostanza che la Verzasca SA, non avendo nessun effettivo potere di disposizione sul cantiere, era completamente estranea all'infortunio ed aliena da ogni responsabilità.
B.-
La Camera civile del Tribunale di appello del cantone Ticino, adita dal convenuto, ne respinse l'appellazione con sentenza del 5 giugno 1968, intimata alle parti il 24 marzo 1969. La Corte cantonale ha innanzitutto rilevato che la strada ove è avvenuto l'infortunio era in corso di costruzione, e come tale perfettamente riconoscibile, di guisa che gli utenti autorizzati dovevano percorrerla con la dovuta prudenza. Essa ha infine
BGE 95 II 231 S. 233
accertato che, all'epoca dell'infortunio, la Verzasca SA non era proprietaria della strada, di cui non lo è nemmeno divenuta in seguito. Secondo la Corte cantonale l'attrice è pertanto, in concreto, aliena da ogni responsabilità.
C.-
Lolli impugna questa sentenza davanti al Tribunale federale mediante un tempestivo ricorso per riforma. Egli chiede, in via principale, la reiezione della petizione e, in via subordinata, il rinvio della causa alla Corte cantonale per nuovo giudizio. In via più subordinata, il ricorrente postula l'allestimento d'una perizia e un susseguente nuovo giudizio del Tribunale federale.
L'intimata ha proposto la reiezione del ricorso.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Attraverso la presente azione la Verzasca SA chiede la ripetizione dell'indebito ai sensi dell'art. 86 LEF. Giusta il capoverso 3 di questa norma, è l'attore che deve dimostrare in giudizio d'aver pagato una somma non dovuta. Nella fattispecie, incombeva pertanto alla Verzasca SA l'obbligo di provare l'inadempimento dei presupposti implicanti una sua responsabilità. Questa esigenza è tuttavia temperata, conformemente alle regole della buona fede, quando la prova a carico dell'attore abbia per oggetto fatti negativi: in tal caso il convenuto deve contribuire a chiarire la fattispecie fornendo la prova del contrario (RU 66 II 147, FRITZSCHE, Schuldbetreibung, Konkurs und Sanierung, I, p. 158).
La Corte cantonale sembra essere partita da una errata idea del modo di ripartizione dell'onere probatorio. L'impugnata sentenza poggia infatti sulla semplice considerazione che la prova degli elementi della responsabilità dell'attrice non è stata apportata. Questa non corretta ripartizione dell'onere della prova non inficia tuttavia il giudizio impugnato. Infatti, secondo una prassi costante e recentemente confermata, quando l'apprezzamento delle prove ha permesso degli accertamenti di fatto positivi, la ripartizione dell'onere probatorio non può essere criticata (RU 81 II 124 e 155, 90 II 217 consid. 3). Ora, nella fattispecie, le constatazioni di fatto positive contenute nella sentenza impugnata permettono senz'altro di concludere che l'attrice ha accertato l'assenza d'una sua responsabilità.
2.
Secondo una costante giurisprudenza (RU 41 II 697 consid. 3, 46 II 257 consid. 3, 63 II 208) approvata dalla dottrina
BGE 95 II 231 S. 234
(VON TUHR, § 50 num. 1; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 7 all'art. 58 CO; OFTINGER, Haftpflichtrecht, II/1, p. 49), la responsabilità causale del proprietario istituita dall'art. 58 CO presuppone un vizio di costruzione o un difetto di manutenzione di un'opera portata a termine e utilizzata conformemente all'uso cui è destinata. Tale responsabilità del proprietario non sussiste invece per i rischi che sono la conseguenza d'una imperfezione passeggera dell'opera, dovuta al fatto ch'essa si trova in via di costruzione o di riparazione. Siffatti rischi, inevitabili, sono in realtà soltanto apparenti, e coloro che collaborano alla costruzione o al rifacimento ne hanno coscienza e possono ordinariamente rimediarvi. Certo, c,è un dovere giuridico di prevenirli in tutta la misura possibile. Tuttavia, questo dovere non incombe al proprietario, il quale non può affatto disporre della cosa in corso di costruzione, nè del resto si occupa dell'organizzazione dei lavori. Si tratta, piuttosto, d'un dovere dell'imprenditore, la cui responsabilità è data in virtù delle regole ordinarie degli art. 41 e segg. CO. Il proprietario non risponde quindi dei rischi del cantiere. La sua responsabilità causale giusta l'art. 58 CO comincia a sorgere solo quando, presa in consegna l'opera, egli ne dispone conformemente alla prevista destinazione.
Nella fattispecie, è pacifico che l'opera, all'epoca dell'infortunio, era in corso di costruzione e che i lavori erano curati da un consorzio di imprese. Sul cantiere erano autorizzati a circolare soltanto gli addetti ai lavori: in tale veste vi si trovava appunto, il 17 luglio 1961, l'autista che guidava l'autocarro di Lolli, su cui era caricato materiale destinato all'opera. E'inoltre accertato che lo stato di provvisorietà e di incompiutezza del tronco stradale era perfettamente riconoscibile a tutti gli utenti. Da queste constatazioni positive della Corte cantonale si deduce che i presupposti per una responsabilità del proprietario dell'opera non sono adempiuti. La circostanza che il tronco stradale fosse incompiuto non può essere fatta assurgere, date le circostanze, a un vizio di costruzione o a un difetto di manutenzione. Solo nel caso in cui, a seguito d'un errore nell'organizzazione del cantiere o d'una deficienza nell'esecuzione di quel tratto, un dovere di diligenza non sarebbe stato ossequiato, l'imprenditore risponderebbe del danno eventuale, sia in virtù dei suoi rapporti contrattuali con Lolli, sia in virtù della sua responsabilità aquiliana. Ma in nessun caso si potrebbe parlare d'una responsabilità causale del proprietario dell'opera, cui
BGE 95 II 231 S. 235
questa non era stata ancora consegnata. Del resto, lo stesso rapporto di proprietà dell'opera non è stato stabilito nei con fronti della Verzasca SA
Ne consegue che i fatti accertati dalla Corte cantonale conducono a constatare l'inesistenza di una responsabilità dell'attrice, che ha dunque pagato indebitamente l'importo corrispondente al danno subito da Lolli. Quest'ultimo non invoca d'altra parte nessun altro elemento che possa comportare la responsabilità della Verzasca SA sotto un altro titolo.
Il ricorso si rivela quindi manifestamente infondato. Esso viene respinto nella procedura prevista dall'art. 60 cpv. 2 OG.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso per riforma è respinto. | public_law | nan | it | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7da9afe5-1429-43e5-8f80-5ee8cf7a2019 | Urteilskopf
116 V 345
54. Arrêt du 17 décembre 1990 dans la cause SUPRA, Caisse-maladie et accidents pour la Suisse contre N. SA et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 3 Abs. 4 und
Art. 6bis KUVG
, Art. 13a Vo II, Art. 9 ff. Vo V: Erhebung eines Sonderbeitrags in der kollektiven Krankenversicherung.
- Voraussetzungen, unter denen eine Kasse befugt ist, einen Sonderbeitrag zur Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts zu erheben: Bestätigung der Grundsätze in
BGE 104 V 155
(Erw. 4b).
- Ob eine Notlage vorliegt, ist in der kollektiven Krankenversicherung nicht im Hinblick auf die finanzielle Lage eines bestimmten Vertrages, sondern der Kollektivversicherung in ihrer Gesamtheit zu beurteilen (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 345
BGE 116 V 345 S. 345
A.-
La Société N. SA a conclu, le 15 décembre 1981, un contrat d'assurance-maladie collective avec la Société vaudoise et romande de secours mutuels (SVRSM; actuellement la SUPRA, Caisse-maladie et accidents pour la Suisse; ci-après: la caisse), en faveur du personnel, des conjoints et des enfants. Ce contrat avait
BGE 116 V 345 S. 346
pour objet la couverture des frais médicaux, pharmaceutiques et hospitaliers, ainsi que l'assurance d'une indemnité journalière. Il a été approuvé par l'Office fédéral des assurances sociales (ci-après: l'OFAS) et a porté effet à partir du 1er janvier 1982.
Le 22 juillet 1986, N. SA a informé la caisse de sa décision de résilier le contrat pour le 31 décembre suivant, en ce qui concerne la couverture d'une indemnité journalière. Par lettre du 17 septembre 1986, la caisse a pris acte de cette décision et a indiqué que les résultats financiers du premier semestre de l'année 1986 permettaient de maintenir le montant de la cotisation pour l'assurance des frais médicaux, pharmaceutiques et hospitaliers, avec application de la franchise légale.
Le 29 septembre 1986, N. SA a fait part à la caisse de sa décision de résilier également, pour le 31 décembre 1986, la partie du contrat ayant trait à la couverture des frais médicaux, pharmaceutiques et hospitaliers. La caisse a pris acte de cette décision le 10 octobre 1986, tout en se réservant le droit de percevoir une cotisation extraordinaire, une fois connus les résultats financiers de l'année 1986.
Le 9 octobre 1987 et le 8 janvier 1988, la caisse a fait parvenir à N. SA des relevés de compte aux 30 septembre et 31 décembre 1987, lesquels laissaient apparaître un solde de 21'505 fr. 10 ("bien trouvé") en faveur de la société précitée. Celle-ci s'est déclarée d'accord avec le montant indiqué, sous réserve d'un cas litigieux concernant un assuré (Francesco M.), et en a requis le remboursement. La caisse a toutefois refusé de donner suite à cette demande, motif pris qu'elle envisageait de percevoir une cotisation extraordinaire, laquelle ne pouvait pas être fixée tant que le cas litigieux précité ne serait pas réglé. N. SA a alors mis la caisse en demeure de lui rembourser le montant du "bien trouvé" (lettres des 27 janvier et 4 février 1988).
Par pli non daté, remis à un bureau de poste le 15 février 1988 et adressé au conseil de N. SA, la caisse a notifié une décision dont la teneur était la suivante:
"Pour donner suite à votre correspondance du 27 janvier et du 4 février 1988, nous vous précisons que nous maintenons notre décision de ne pas rembourser le montant de 21'505 fr. 10 en notre possession.
En outre, nous mettons en demeure votre client de s'acquitter de la somme provisoire de 80'000 fr., sous déduction du montant de 21'505 fr. 10, d'ici au 29 février 1988.
Cette somme représente l'excédent de dépenses provisoire au 31 décembre 1986. Lorsque nous aurons connaissance du total exact des
BGE 116 V 345 S. 347
prestations de l'exercice 1986, nous vous ferons savoir le montant définitif de la cotisation extraordinaire."
B.-
N. SA a recouru contre cette décision, dont elle demandait l'annulation, devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud, en concluant au remboursement par la caisse du montant de 21'505 fr. 10 que celle-ci avait reconnu devoir.
Dans sa réponse au recours, la caisse a fait valoir que la perception d'une cotisation extraordinaire - fixée provisoirement à 80'000 francs - était justifiée en raison d'une situation financière défavorable qui ressortait des chiffres suivants:
Entrées Sorties
(sans le cas litigieux
encore en suspens)
- 1984 135'195 fr. 75 135'659 fr. 95
- 1985 142'202 fr. 50 120'022 fr. 95
- 1986 148'196 fr. 233'081 fr. 05
Le tribunal des assurances a statué sur le cas opposant Francesco M. et N. SA à la caisse par jugement du 23 juin 1988, lequel n'a pas fait l'objet d'un recours. Ayant été condamnée au versement d'indemnités journalières en faveur de l'assuré prénommé, la caisse a informé la juridiction cantonale que le montant de cette prestation - soit 48'404 fr. 05 - allait augmenter d'autant le déficit du contrat collectif et, partant, la cotisation extraordinaire réclamée. Alléguant des motifs d'économie de procédure, elle demandait au tribunal de statuer sur le montant total de ses prétentions.
Invitée par le juge chargé de l'instruction de la cause à produire un décompte précis de ses prétentions pécuniaires définitives à l'encontre de N. SA, la caisse a indiqué que le montant de la cotisation extraordinaire réclamée s'élevait à 121'348 fr. 20, selon le décompte suivant:
Exercice 1986.
Cotisations 133'292 fr. 10 Prestations 212'067 fr. 35
Participations Prestations
+ franchises 5'831 fr. 10 M. 48'404 fr. 05
-------------- --------------
Total recettes 139'123 fr. 20 Total dépenses 260'471 fr. 40
Excédent dépenses 121'348 fr. 20
BGE 116 V 345 S. 348
Ce décompte ne faisait pas état du montant de 21'505 fr. 10 que la caisse avait reconnu devoir à N. SA.
Par jugement du 3 juillet 1989, la juridiction cantonale a admis le recours dont elle était saisie et a réformé la décision entreprise "en ce sens que (N. SA) n'est pas tenue de payer une cotisation extraordinaire". Les motifs à l'appui de ce prononcé étaient, en bref, les suivants: Selon l'art. 9bis al. 3 Ord. V, les caisses ne peuvent augmenter les cotisations au cours d'une période de financement de trois ans au moins qu'avec le consentement de l'OFAS; cette exigence s'impose à plus forte raison lorsqu'une caisse décide de percevoir une cotisation extraordinaire; n'ayant en l'occurrence pas requis le consentement de l'autorité de surveillance, la caisse n'était donc pas en droit de réclamer une telle contribution.
C.-
La caisse interjette recours de droit administratif contre ce jugement, en concluant:
"1. principalement, à l'annulation du jugement attaqué et au renvoi de la cause aux premiers juges pour examen de la question de savoir si les conditions de perception d'une cotisation extraordinaire posées par la jurisprudence sont réalisées en l'occurrence, au besoin après avoir interpellé l'OFAS;
2. subsidiairement, à l'annulation pure et simple du jugement attaqué, le Tribunal fédéral des assurances constatant en l'état le bien-fondé de la décision litigieuse, le cas échéant, après avoir interpellé l'OFAS;
3. plus subsidiairement (au cas où le Tribunal fédéral des assurances devrait considérer que l'art. 9bis al. 3 Ord. V ne contient pas seulement une règle d'ordre), à la réforme du chiffre II du dispositif du jugement attaqué, la décision litigieuse étant seulement annulée, la question de la perception d'une cotisation extraordinaire (après entente avec l'OFAS) demeurant ouverte".
N. SA conclut au rejet du recours, ce que propose également l'OFAS.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Recevabilité)
2.
(Pouvoir d'examen)
3.
(Compétence de l'autorité cantonale pour statuer sur le fond)
4.
a) Aux termes de l'
art. 3 al. 4 LAMA
, les caisses-maladie doivent offrir toute sécurité quant à l'exécution de leurs engagements. Les cotisations doivent être fixées séparément pour l'assurance des frais médicaux et pharmaceutiques et pour
BGE 116 V 345 S. 349
l'assurance d'une indemnité journalière, et cela de façon que chacun de ces genres d'assurance se suffise à lui-même et que les réserves nécessaires puissent être constituées (art. 6bis al. 1 première phrase LAMA).
Le système financier que les caisses doivent instaurer aux fins de satisfaire aux exigences posées à l'
art. 3 al. 4 LAMA
est décrit en détail aux art. 9 ss Ord. V. Selon ces dispositions, dans leur teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 1990, les caisses doivent assurer l'équilibre des recettes et des dépenses pour une période de financement de trois ans au moins; elles doivent disposer en outre d'un fonds de sécurité qui, d'après l'art. 10, doit atteindre un pourcentage des dépenses annuelles échelonnées selon le nombre d'assurés (art. 9). Il y a lieu, d'après l'art. 9bis al. 1, de fixer les cotisations compte tenu du fait que les frais demeureront constants, puis d'ajouter des suppléments destinés à compenser un accroissement éventuel des frais (let. a), à tenir compte des fluctuations (let. b) et à adapter le fonds de sécurité à l'augmentation des dépenses à prévoir (let. c). Selon l'art. 9bis al. 3, la caisse doit, "après entente" avec l'OFAS, augmenter les cotisations d'une manière adéquate, si les réserves provenant des suppléments précités sont épuisées avant le terme de la période de financement et que le fonds de sécurité prescrit doive être entamé selon toute prévision dans le délai d'une année.
b) D'après la jurisprudence, les caisses ont la faculté, en cas de nécessité, de rétablir l'équilibre financier prescrit par la loi en percevant une cotisation extraordinaire pour l'exercice en cours ou déjà écoulé. La multiplicité des situations existant dans la pratique ne permet pas d'interpréter strictement l'art. 9bis al. 3 Ord. V et de comprendre par augmentation des cotisations la seule hausse des cotisations ordinaires. Selon les circonstances, une cotisation extraordinaire peut être mieux adaptée au but d'assainissement et mieux servir les intérêts des assurés qu'une hausse durable de la cotisation ordinaire. La perception d'une cotisation extraordinaire constitue toutefois une mesure exceptionnelle, qui doit être réservée aux situations de grave déséquilibre dans lesquelles des mesures immédiates sont indispensables pour rétablir l'équilibre financier. A cette condition, la perception d'une cotisation supplémentaire pour l'exercice en cours ou déjà écoulé doit être considérée comme admissible, pour autant que ce mode de perception des cotisations est prévu dans les statuts et que les membres ont été informés suffisamment et à temps à ce sujet. Dans
BGE 116 V 345 S. 350
ce cas, la cotisation extraordinaire ne constitue pas une perception de cotisations rétroactive inadmissible, ni ne peut être considérée de ce fait comme une infraction à la sécurité du droit (
ATF 104 V 158
consid. 2).
5.
a) Dans l'assurance collective, les cotisations doivent être fixées compte tenu des risques particuliers (art. 6bis al. 1 seconde phrase LAMA). Selon cette disposition légale, les caisses doivent, aux fins de garantir leur sécurité financière, adapter les cotisations aux risques spécifiques présentés par le groupe d'assurés concernés (cf. Message du Conseil fédéral à l'appui d'un projet de loi modifiant le titre premier de la loi sur l'assurance en cas de maladie et d'accidents du 5 juin 1961, FF 1961 I 1460;
ATF 115 V 385
consid. 4a).
Aux termes de l'art. 13a al. 1 première phrase Ord. II, la caisse doit fixer dans chaque contrat les cotisations à un niveau qui permette à l'assurance collective des soins médicaux et pharmaceutiques ainsi qu'à celle de l'indemnité journalière de se suffire chacune à elle-même et à la caisse de constituer les réserves nécessaires. A cet égard, sont déterminants les chiffres empiriques afférents aux groupes de personnes concernés, chiffres qui doivent porter au moins sur les trois années précédentes (art. 13a al. 3 Ord. II).
L'art. 13a Ord. II, dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 1991 (cf. RO 1990 II 1674), a été introduit par le Conseil fédéral lors de la révision des Ord. II, III, V, VIII et Ord. dép. 5 et est entré en vigueur le 1er janvier 1985. D'après l'art. 23 al. 1 Ord. V, valable jusqu'au 31 décembre 1984, les cotisations pour les assurances collectives devaient être fixées selon les risques propres aux différents contrats. Dans sa circulaire No 189 du 11 décembre 1984, l'OFAS a exposé les motifs qui ont conduit le Conseil fédéral à modifier les dispositions réglementaires concernant l'assurance-maladie collective: la réglementation valable jusqu'alors avait fait naître un système dans lequel chaque contrat collectif apparaissait pratiquement comme une entité autonome au sein de la caisse; soucieuses de maintenir le nombre de leurs membres, celles-ci n'adaptaient pas les cotisations aux risques particuliers, ce qui entraînait la plupart du temps des résultats financiers défavorables et engendrait le risque que les pertes fussent finalement supportées par les membres de l'assurance individuelle; pour pallier ces difficultés, le Conseil fédéral a modifié les dispositions réglementaires en cause de façon
BGE 116 V 345 S. 351
que ce ne soit plus le contrat particulier, mais les contrats collectifs d'une caisse dans leur ensemble qui doivent se suffire à eux-mêmes. A propos de l'art. 13a al. 1 Ord. II, l'autorité de surveillance a exposé qu'à la différence de la réglementation valable jusqu'au 31 décembre 1984, les excédents de dépenses dans un contrat déterminé ne justifient pas nécessairement une augmentation des cotisations dans le contrat en cause; c'est en particulier dans les contrats concernant une petite collectivité que peuvent apparaître de fortes fluctuations des dépenses et, partant, des déficits passagers; de tels déficits sont tolérés, à condition toutefois qu'ils soient compensés par les excédents correspondants dans d'autres contrats et que l'assurance collective dans son ensemble continue de se suffire à elle-même; le principe selon lequel l'assurance collective doit dans l'ensemble se suffire à elle-même ne signifie cependant pas que tous les contrats collectifs d'une caisse doivent être soumis à un tarif des primes uniforme; les cotisations doivent être fixées dans chaque contrat déterminé de manière à couvrir en principe les frais particuliers.
b) Dans l'assurance collective, l'équilibre financier exigé par la loi est donc réalisé lorsque l'assurance collective des soins médicaux et pharmaceutiques et l'assurance collective de l'indemnité journalière se suffisent chacune à elle-même (art. 13a al. 1 Ord. II). Cette règle doit être mise en relation avec l'art. 9bis al. 3 Ord. V. Cela signifie qu'une caisse ne peut pas, en règle générale, exiger du preneur d'assurance qu'il assume, une fois connu le résultat déficitaire d'un exercice, la part excédentaire des dépenses prises en charge par la caisse en exécution des obligations découlant du contrat en question. Comme le relève à juste titre l'intimée, une telle pratique réduirait dans une mesure excessive la portée du principe de l'assurance. Le respect des principes de la mutualité figure en effet au nombre des exigences auxquelles les caisses doivent satisfaire pour être reconnues (
art. 3 al. 3 LAMA
). Or, l'idée de mutualité se concrétise notamment dans le principe de l'équivalence, selon lequel à des prestations égales doivent correspondre des cotisations égales (art. 16 Ord. V). Certes, dans l'assurance sociale, les exigences tirées de l'idée de solidarité tendent à restreindre la portée du principe de l'équivalence (cf. MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, t. II, n. 627, p. 285; VIRET, Le principe de la mutualité dans l'assurance-maladie sociale, in Mélanges André Grisel, Neuchâtel 1983, p. 607). Il n'en demeure pas moins que, du point de vue de
BGE 116 V 345 S. 352
la technique d'assurance, l'équivalence n'existe pas pour un seul rapport d'assurance, mais pour l'ensemble de la communauté de risques (cf. MAURER, op.cit., t. I, n. 50, p. 53).
6.
En l'espèce, la caisse recourante voudrait, par la perception d'une cotisation extraordinaire, combler l'excédent des dépenses assumées en 1986 en exécution de ses obligations découlant du contrat collectif conclu avec N. SA. Ce déficit s'est élevé à 120'000 francs environ, après un bilan équilibré pour l'année 1984 et un bénéfice de 22'000 francs environ pour l'année 1985. Il n'apparaît toutefois pas que ce déficit, même s'il est relativement important, a entraîné un grave déséquilibre financier dans l'ensemble de l'assurance collective pratiquée par la recourante. Comme le relève l'OFAS dans ses déterminations sur le recours, il n'est pas rare qu'un cas particulièrement onéreux occasionne un excédent de dépenses dans un contrat collectif conclu en faveur d'un nombre limité d'assurés. Dans cette éventualité, ces déficits passagers sont tolérés dans la mesure où ils sont compensés par des excédents dans d'autres contrats collectifs. Par ailleurs, la nécessité d'une mesure d'assainissement immédiate ne saurait être justifiée par le fait que le contrat d'assurance collective a été résilié par l'intimée au 31 décembre 1986 et que la caisse n'était dès lors plus en mesure de compenser le déficit de l'exercice 1986 par une augmentation des cotisations pour la prochaine période de financement. Du reste, les assertions de la caisse selon lesquelles le preneur aurait dénoncé le contrat afin d'échapper à ses obligations apparaissent dénuées de fondement. Il ressort en effet des pièces versées au dossier que la caisse n'a fait état d'un déficit pour l'exercice 1986 qu'une fois informée par le preneur de sa résolution de se départir du contrat.
Cela étant, du moment qu'il n'existait pas en l'occurrence une situation nécessitant la mise en oeuvre de mesures d'assainissement immédiates, il y a lieu de considérer que la recourante n'était pas en droit de percevoir une cotisation extraordinaire, sans qu'il soit nécessaire d'examiner si les autres conditions posées par la jurisprudence à l'exécution d'une telle mesure étaient réalisées. Le jugement entrepris est ainsi confirmé dans son résultat et le recours se révèle mal fondé.
7.
(Frais de justice) | null | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7dac0c15-e388-43f6-b142-3d514d95494e | Urteilskopf
118 II 302
59. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Juli 1992 i.S. Heinz L. gegen Alfred B. und Kassationsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Überprüfung von Kündigungsanfechtungen durch den nach
Art. 274g OR
zuständigen Ausweisungsrichter.
Die bundesrechtliche Zuständigkeitsordnung geht kantonalrechtlichen Beschränkungen der Zuständigkeit des Ausweisungsrichters auf liquide, in einem summarischen Befehlsverfahren zu beurteilende Ansprüche vor. | Sachverhalt
ab Seite 302
BGE 118 II 302 S. 302
Mit am gleichen Tag eingeschrieben verschicktem Brief vom 15. Juli 1991 setzte Alfred B. seinem Mieter Heinz L. nach
Art. 257d OR
eine Frist von dreissig Tagen zur Bezahlung ausstehender Mietzinse unter gleichzeitiger Androhung der Kündigung. Diesen Brief erhielt der Mieter spätestens am 20. Juli (ein früherer Zeitpunkt blieb mangels Datumsangabe auf der Empfangsbestätigung unbewiesen). In der Meinung, dass die dreissigtägige Zahlungsfrist bereits am 16. Juli begonnen habe, kündigte der Vermieter das Mietverhältnis mit Formular vom 14. August auf Ende September. Das vom Vermieter ebenfalls am 14. August beim Bezirksgericht Pfäffikon/ZH
BGE 118 II 302 S. 303
gestellte Begehren um Ausweisung des Mieters auf Ende September hiess der Einzelrichter als Ausweisungsrichter im Befehlsverfahren (
§ 222 ff. ZPO
/ZH) am 29. August gut, nachdem er aufgrund seiner Zuständigkeit nach
Art. 274g Abs. 1 lit. a OR
die vom Mieter angefochtene Gültigkeit der Kündigung bejaht hatte. Auf Rekurs des Mieters hin bestätigte das Zürcher Obergericht am 12. November die Ausweisungsverfügung und die Gültigkeit der Kündigung, obwohl diese bereits vor Ablauf der dreissigtägigen Zahlungsfrist ausgesprochen worden sei. Eine gegen den Rekursentscheid erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Mieters wies das Zürcher Kassationsgericht, das der Beschwerde aufschiebende Wirkung gewährt hatte, am 2. März 1992 ab. Der Mieter ficht den kassationsgerichtlichen Entscheid erfolglos mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
an.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Ist der Mieter mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Nebenkosten für Wohn- oder Geschäftsräume im Rückstand, so kann ihm der Vermieter schriftlich eine Zahlungsfrist von mindestens dreissig Tagen setzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde (
Art. 257d Abs. 1 OR
). Bei nicht fristgemässer Zahlung ist der Vermieter berechtigt, mit einer Frist von mindestens dreissig Tagen auf Ende eines Monats zu kündigen (
Art. 257d Abs. 2 OR
). Hat der Vermieter wegen Zahlungsrückstandes des Mieters gekündigt und ist ein Ausweisungsverfahren hängig, entscheidet der Ausweisungsrichter auch über die Gültigkeit der vom Mieter angefochtenen Kündigung (
Art. 274g Abs. 1 lit. a OR
).
Als willkürlich rügt der Beschwerdeführer, dass die kantonalen Gerichte angenommen hätten, über die Gültigkeit der während laufender Zahlungsfrist ausgesprochenen Kündigung vom 14. August 1991 liege klares Recht im Sinne von
§ 222 ZPO
/ZH und damit ein im summarischen Befehlsverfahren zu entscheidendes Ausweisungsbegehren vor.
3.
Das Befehlsverfahren vor dem Einzelrichter im summarischen Verfahren ist zulässig zur schnellen Handhabung klaren Rechts bei nicht streitigen oder sofort beweisbaren
BGE 118 II 302 S. 304
tatsächlichen Verhältnissen, insbesondere zur Ausweisung von Mietern und Pächtern (
§ 222 Ziff. 2 ZPO
/ZH); fehlt es an klarem Recht oder sofort beweisbaren tatsächlichen Verhältnissen, so tritt der Richter auf das Begehren nicht ein und der Kläger hat den ordentlichen Richter anzurufen (
§ 226 ZPO
/ZH). Klares Recht setzt voraus, dass über die Bedeutung einer Rechtsvorschrift kein begründeter Zweifel bestehen kann (STRÄULI/MESSMER, N. 45 zu
§ 281 ZPO
/ZH). Wohl ist klares Recht nicht auf Fälle beschränkt, wo bereits der Gesetzeswortlaut die genaue Bedeutung einer Vorschrift ergibt. Zumindest muss aber eine Auslegung nach bewährter Lehre und Überlieferung zu einem eindeutigen Ergebnis führen (STRÄULI/MESSMER, N. 2 zu
§ 226 ZPO
/ZH; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. A., S. 158 Fn. 15; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 2. A., S. 227 Rz. 20). Eine Auslegung nach bewährter Lehre und Überlieferung ist nach der Praxis des Kassationsgerichts namentlich dann ausgeschlossen, wenn es an einer einschlägigen Gerichtspraxis fehlt und die Lehrmeinungen kontrovers sind (SJZ 77/1981 S. 12 oben).
Die neue Regelung von
Art. 257d OR
unterscheidet sich erheblich von der früheren (Art. 265 aOR), die nach unbenütztem Ablauf der Zahlungsfrist die Vertragsauflösung automatisch eintreten liess und nicht zusätzlich eine auf Monatsende auszusprechende Kündigung mit einer weiteren dreissigtägigen Frist verlangte (Botschaft zur Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27. März 1985, BBl 1985 I S. 1389 ff., S. 1427). Der Wortlaut von Art. 257d äussert sich nicht zur Frage der Gültigkeit einer vor unbenütztem Ablauf der Zahlungsfrist ausgesprochenen Kündigung, deutet aber darauf hin, dass der Gesetzgeber davon ausging, der Vermieter werde erst nach Ablauf dieser Frist kündigen ("androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist ... gekündigt werde", "bezahlt der Mieter innert der gesetzten Frist nicht, so kann der Vermieter ... kündigen"). Auch die Botschaft beantwortet die Frage nicht. Eine gefestigte Gerichtspraxis zu der am 1. Juli 1990 in Kraft gesetzten neuen Regelung besteht keine. Eine Lehrmeinung hält während laufender Zahlungsfrist ausgesprochene Kündigungen für ungültig (LACHAT/STOLL, Das neue Mietrecht für die Praxis, 2. A., S. 136 Rz. 6.5 und S. 137 Rz. 6.7). Die übrige Literatur nimmt zu dieser Frage nicht Stellung (SVIT-KOMMENTAR MIETRECHT, S. 143 ff., N. 24 ff. zu
Art. 257d OR
; LACHAT/MICHELI, Le nouveau droit du bail, S. 150 f.; ZIHLMANN, Das neue Mietrecht, S. 53; TRACHSEL, Leitfaden zum Mietrecht, S. 134 f., 140).
Das Kassationsgericht verkennt dies nicht, gelangt aber nach ausführlichen historischen, gesetzessystematischen und teleologischen Erwägungen zum Schluss, die vom Beschwerdeführer beim
BGE 118 II 302 S. 305
Ausweisungsrichter angefochtene Gültigkeit der während laufender Zahlungsfrist ausgesprochenen Kündigung sei trotzdem klares Recht im Sinne von
§ 222 ZPO
/ZH und daher wie die Ausweisung selbst im Befehlsverfahren zu beurteilen. Ob die vom Kassationsgericht vorgenommene Auslegung des
Art. 257d OR
vor Bundesrecht standhält, hat das Bundesgericht im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Fest steht hingegen, dass von klarem Recht keine Rede sein kann. Indem das Kassationsgericht trotz fehlender Rechtsprechung und einhelliger Lehre klares Recht annimmt, setzt es sich in einen unhaltbaren Widerspruch zu
§ 222 ZPO
/ZH und der zu dieser Bestimmung ergangenen eigenen Praxis. Die aufgrund des kantonalen Prozessrechts bejahte Zuständigkeit des Ausweisungsrichters zur Beurteilung der streitigen Kündigungsanfechtung lässt sich deshalb nicht vertreten und ist damit willkürlich (
BGE 117 Ia 294
E. 3a). Nach kantonalem Recht hätte der Ausweisungsrichter vielmehr klares Recht verneinen, das im Befehlsverfahren gestellte Ausweisungsbegehren mangels Liquidität als unzulässig erklären (
§ 226 ZPO
/ZH) und den Beschwerdegegner an den für Kündigungsanfechtungen zuständigen ordentlichen Richter, d.h. an das zuständige Mietgericht verweisen müssen (§ 18 Abs. 3 des Zürcher Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung vom 27. Juni 1990; Gesetzessammlung Bd. 51 S. 217).
Das führt aber noch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschwerdeentscheids. Damit ein kantonaler Entscheid wegen Willkür aufgehoben wird, muss er in seinem Ergebnis unhaltbar sein (
BGE 117 Ia 139
E. 2c). Zu prüfen ist daher, ob sich die vom Ausweisungsrichter in Anspruch genommene Zuständigkeit, auch in Fällen fehlenden klaren Rechts Kündigungsanfechtungen nach
Art. 274g OR
im Befehlsverfahren zu beurteilen, anders begründen lässt.
4.
a) Grundsätzlich bleiben die Kantone auch unter dem neuen Mietrecht zuständig, die Behörden zu bezeichnen und das Verfahren auszugestalten (
Art. 274 OR
). Jedoch wird diese Zuständigkeit durch die zwingende Ordnung eingeschränkt, welche
Art. 274g OR
für vorzeitige Kündigungen u.a. wegen Zahlungsrückständen des Mieters vorschreibt. Sie verpflichtet Kantone, die wie der Kanton Zürich das Ausweisungs- und das Anfechtungsverfahren verschiedenen Behörden zuweisen, dafür zu sorgen, dass der Ausweisungsrichter in Fällen, wo neben dem Ausweisungsbegehren eine Kündigungsanfechtung hängig ist, auch über die Gültigkeit der Kündigung entscheidet (SVIT-KOMMENTAR MIETRECHT, S. 843 f., N. 3 zu
Art. 274g OR
; LACHAT/STOLL, a.a.O., S. 353 Rz. 5.3; LACHAT/MICHELI,
BGE 118 II 302 S. 306
a.a.O., S. 332 Rz. 4.3; ZIHLMANN, a.a.O., S. 112 f.). Die bundesrechtlich vorgeschriebene Vereinigung der Kompetenz zur Ausweisung mit derjenigen zum Entscheid über Kündigungsanfechtungen bei ein und derselben Behörde soll verschiedene Verfahren vor dem Ausweisungs- und dem Anfechtungsrichter vermeiden. Das liegt nicht nur im Interesse der Vermeidung widersprüchlicher Urteile, sondern dient auch einer beförderlichen Erledigung mietrechtlicher Auseinandersetzungen (
Art. 274d Abs. 1 OR
). Dieses Anliegen erlangt bei vorzeitigen Kündigungen besondere Bedeutung, nachdem es
Art. 274g OR
dem Mieter selbst in solchen Fällen ermöglicht, die Kündigung anzufechten (
BGE 117 II 557
E. 2c mit Hinweisen; SVIT-KOMMENTAR MIETRECHT, S. 843, N. 2 zu
Art. 274g OR
; ZIHLMANN, a.a.O. S. 113).
Jedoch ist nicht zu verkennen, dass die Zuständigkeit des Ausweisungsrichters zur gleichzeitigen Beurteilung von Kündigungsanfechtungen die Gefahr birgt, die mit der Gesetzesrevision ausgebauten Mieterrechte wieder zu verkürzen. Denn das in den Kantonen für Ausweisungen übliche summarische oder beschleunigte Verfahren führt zu erheblichen Einschränkungen. Aus diesem Grund hat das Bundesgericht in seinem Urteil vom 18. Dezember 1991 erkannt, dass der von Bundesrechts wegen zum Entscheid über Kündigungsanfechtungen zuständige Ausweisungsrichter unbekümmert um die Ausgestaltung des Ausweisungsverfahrens verpflichtet ist, die angefochtene Gültigkeit der Kündigung sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht umfassend zu überprüfen. Das ergibt sich einerseits aus der Untersuchungsmaxime gemäss
Art. 274d Abs. 3 OR
und anderseits aus dem allgemeinen Grundsatz, dass ein definitiver, der materiellen Rechtskraft teilhaftiger Entscheid über einen bundesrechtlichen Anspruch eine erschöpfende Abklärung der tatsächlichen wie rechtlichen Grundlagen voraussetzt (zitiertes Urteil E. 2d; ZIHLMANN, a.a.O.).
b) Vorliegend verpflichtete deshalb die zwingende Ordnung des
Art. 274g OR
den mit dem Ausweisungsbegehren des Beschwerdegegners befassten Ausweisungsrichter auch zum Entscheid über die vom Beschwerdeführer anhängig gemachte Kündigungsanfechtung. Es war dem Ausweisungsrichter von Bundesrechts wegen verwehrt, die im Befehlsverfahren zu beurteilende Ausweisung wegen der Kündigungsanfechtung für illiquid zu erklären und den Beschwerdeführer an das für Kündigungsanfechtungen ausserhalb von
Art. 274g OR
zuständige Mietgericht zu verweisen. Ein solcher Nichteintretensentscheid hätte das Verfahren vor dem Ausweisungsrichter
BGE 118 II 302 S. 307
zu einem unnötigen Zwischenspiel degradiert (GMÜR, Kündigungsschutz - Prozessuales rund um den "Entscheid" der Schlichtungsbehörde, in: mp 1990 S. 121 ff., 135) und dem Gebot der beförderlichen Behandlung von Kündigungsanfechtungen nach
Art. 274g OR
widersprochen. Damit aber der Anspruch des Beschwerdeführers auf einlässliche Beurteilung der bestrittenen Kündigung gewahrt blieb, war der Ausweisungsrichter gehalten, deren Gültigkeit trotz der Beschränkung des Befehlsverfahrens auf liquide Ansprüche mit uneingeschränkter Kognition zu überprüfen. Dass dadurch das summarische Ausweisungsverfahren nach Zürcher Recht "denaturiert" und die Kompetenz der ordentlichen Mietgerichte geschmälert werde (GMÜR, a.a.O.), mag zutreffen, entspricht jedoch der bundesrechtlichen Verfahrensordnung, die sich aus
Art. 274g OR
ergibt.
c) Wie bereits das Obergericht hat auch das Kassationsgericht zur bestrittenen Gültigkeit der während laufender Zahlungsfrist ausgesprochenen Kündigung des Beschwerdegegners einlässlich Stellung genommen und sie bejaht; im erstinstanzlichen Entscheid des Einzelrichters steht zwar nichts darüber, jedoch tut der Beschwerdeführer auch nicht dar, dass er die Gültigkeit der Kündigung bereits vor der ersten Instanz mit diesem Einwand bestritten hat. Der bundesrechtlichen Pflicht zur umfassenden Prüfung der Kündigungsanfechtung sind die beiden kantonalen Rechtsmittelinstanzen nachgekommen. Davon geht der Beschwerdeführer selbst aus, rügt er doch als willkürlich, dass sich der Ausweisungsrichter im Widerspruch zu
§ 222 ZPO
/ZH eine umfassende Prüfung der Kündigungsanfechtung angemasst habe. Auch wenn diese umfassende Überprüfung nicht vor dem kantonalen Prozessrecht standhält, haben damit die kantonalen Gerichte getan, was ihnen von Bundesrechts wegen vorgeschrieben war. In seinem Ergebnis war das Vorgehen des Ausweisungsrichters daher richtig, weshalb die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen ist. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7dacbfac-07e0-4cea-8862-f882209f5b80 | Urteilskopf
99 II 93
14. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Mai 1973 i.S. Meienberg gegen Waadtländische Unfallversicherung auf Gegenseitigkeit. | Regeste
Motorfahrzeughaftpflicht, Rückgriff.
1.
Art. 60 Abs. 2 Satz 2 und
Art. 61 Abs. 1 SVG
stellen für die Verteilung des Schadens auf die beteiligten Halter dem Sinne nach die gleiche Regel auf (Erw. 1).
2. Regelung des Schadens zwischen Haltern, wenn die Betriebsgefahren ihrer Fahrzeuge als gleich zu werten sind, den einen Führer ein erhebliches, den andern aber kein Verschulden am Unfall trifft (Erw. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 93
BGE 99 II 93 S. 93
A.-
Frau Mayer fuhr am 1. Januar 1962, etwa um 14.15 Uhr, am Steuer eines DKW-Personenwagens auf der 9 m breiten Sihltalstrasse von Horgen gegen Sihlbrugg. Es schneite und die Strasse war mit 3-5 cm Schnee bedeckt. In einer Rechtsbiegung bei Sihlwald, wo die Strasse eine Steigung von 4 % aufweist, geriet das Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h ins Schleudern; es überquerte die linke Fahrbahn und stiess mit einem Opel-Personenwagen zusammen, der, von Frau Meienberg geführt, mit 50-60 km/h von Sihlbrugg her kam. Frau Meienberg und ihr Ehemann Werner Meienberg, geb 1929, wurden beim Zusammenstoss erheblich verletzt.
BGE 99 II 93 S. 94
Halter des DKW-Wagens war Walter Süess, Halter des Opel Werner Meienberg.
Frau Mayer wurde wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs und fahrlässiger Körperverletzung mit Fr. 200.-- gebüsst.
B.-
Im Oktober 1970 klagte Werner Meienberg gegen die Waadtländische Unfallversicherung auf Gegenseitigkeit, bei der Süess für seine Halterhaftpflicht versichert war, auf Zahlung von Fr. 21'600.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1962, wovon ein bereits bezahlter Betrag von Fr. 17'000.-- abzuziehen sei.
Die Beklagte widersetzte sich dem Begehren und erhob Widerklage auf Zahlung von Fr. 9'000.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1971.
Das Bezirksgericht Horgen wies beide Klagen ab. Auf Appellation der Parteien wies das Obergericht des Kantons Zürich am 20. November 1972 die Klage ebenfalls ab, hiess die Widerklage aber dahin gut, dass es den Kläger verpflichtete, der Beklagten Fr. 7'062.10 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1971 zu bezahlen.
C.-
Auf Berufung des Klägers bestätigt das Bundesgericht mangels genügender Substanzierung das Urteil des Obergerichts mit Bezug auf die Hauptklage, weist die Widerklage aber ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Kläger beruft sich auf
Art. 61 SVG
, der den Schadenersatz zwischen Haltern regelt, wenn mehrere Motorfahrzeuge an einem Unfall beteiligt sind. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift wird der Schaden bei körperlicher Schädigung eines Halters den Haltern aller beteiligten Motorfahrzeuge zu gleichen Teilen auferlegt, sofern nicht die Umstände, namentlich das Verschulden, eine andere Schadentragung rechtfertigen.
Die Beklagte übt mit ihrer Widerklage gestützt auf
Art. 60 Abs. 2 SVG
in Verbindung mit
Art. 72 VVG
(
BGE 95 II 338
Erw. 4) den Rückgriff auf den Kläger aus. Sie belangt ihn als Halter des Opel-Wagens für einen Teil der Entschädigung, die sie als Haftpflichtversicherung des Halters Süess bis jetzt an die Frau des Klägers bezahlt hat. Das Mass dieses Rückgriffes richtet sich nach
Art. 60 Abs. 2 Satz 2 SVG
, wonach der Schaden eines Dritten, für den gemäss Abs. 1 der Bestimmung mehrere Halter von Motorfahrzeugen solidarisch haften, von
BGE 99 II 93 S. 95
diesen zu gleichen Teilen zu tragen ist, wenn nicht besondere Umstände, namentlich das Verschulden, eine andere Verteilung rechtfertigt.
Art. 60 Abs. 2 Satz 2 und
Art. 61 Abs. 1 SVG
stellen somit für die Verteilung des Schadens auf die beteiligten Halter dem Sinne nach die gleiche Regel auf, mag in der ersten Bestimmung auch von "besonderen Umständen", in der zweiten nur von "Umständen" die Rede sein. Die Regel gilt für den Schaden Dritter und für den Körperschaden von Haltern (
BGE 95 II 343
Erw. 7,
BGE 97 II 367
Erw. 5; OFTINGER, Haftpflichtrecht II/2 S. 675); sie ist im vorliegenden Fall daher nicht nur für die Forderungen des Klägers, sondern auch für die Gegenforderung der Beklagten massgebend.
2.
Der Kläger wirft dem Obergericht vor, diese Regel verletzt zu haben.
a) Soweit er den Vorwurf damit begründet, das Obergericht habe übersehen, dass nicht nur die beteiligten Halter, sondern auch Frau Mayer solidarisch für den Schaden haften, beruht die Rüge auf einem Missverständnis. Gewiss ist Frau Mayer, die den Zusammenstoss schuldhaft verursacht hat, verantwortlich für die Unfallfolgen, gemäss
Art. 60 Abs. 1 SVG
also solidarisch haftpflichtig (
BGE 95 II 337
Erw. 3). Für welchen Teil sie gestützt auf
Art. 60 Abs. 3 SVG
aufzukommen hätte, braucht aber nicht entschieden zu werden, da sie im vorliegenden Verfahren nicht auf Schadenersatz belangt wird, was an der Auseinandersetzung zwischen den Prozessparteien übrigens nichts ändert. Der Kläger verkennt, dass der Halter Süess, folglich auch die Beklagte als dessen Haftpflichtversicherung, sich das Verschulden der Frau Mayer gemäss
Art. 58 Abs. 4 SVG
anrechnen lassen muss. Die Vorinstanz hat es daher zu Recht sowohl nach Art. 60 Abs. 2 Satz 2 als auch nach
Art. 61 Abs. 1 SVG
berücksichtigt. Fragen kann sich nur, ob sie von unrichtigen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen sei, um die Höhe der Halteranteile am Schaden zu bestimmen.
b) Nach der erwähnten Regel ist der Schaden den beteiligten Haltern zu gleichen Teilen aufzuerlegen, wenn nicht (besondere) Umstände, namentlich das Verschulden, eine Abweichung rechtfertigen. Die Regel beruht auf der Vermutung, dass die Betriebsgefahren der am Unfall beteiligten Motorfahrzeuge meistens einigermassen gleich sind. Die Vermutung kann aber durch den Nachweis widerlegt werden, dass die Gefahr des einen Fahrzeuges
BGE 99 II 93 S. 96
nach dessen Art, Grösse, Geschwindigkeit usw. offensichtlich überwiegt (
BGE 94 II 178
/9 Erw. c und d; OFTINGER, a.a.O. S. 676).
Über die Bedeutung, die dem Verschulden als Bemessungsfaktor zukommt, wird in einem Teil des Schrifttums die Auffassung vertreten, bei Kollision von Gefährdungshaftungen könne auch bei der internen Schadenverteilung nur das im Sinne des
Art. 59 Abs. 1 SVG
grobe Verschulden des einen Halters zur völligen Entlastung des schuldlosen anderen führen; werde dieser Nachweis nicht erbracht, so müsse selbst dem schuldlosen wegen der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs ein Bruchteil des Schadens auferlegt werden (OFTINGER, Haftpflichtrecht I S. 284/5, II/2 S. 652/3; MENGHINI, Zur Frage der Kollision von Gefährdungshaftungen, SJZ 1953 S. 358 ff.; PORTMANN, Die Ersatzpflicht bei gegenseitiger Schädigung mehrerer Haftpflichtiger und der Regress des Sachversicherers, ZBJV 1954 S. 23/24; STARK, Die Haftpflicht aus Motorfahrzeugunfällen in rechtsvergleichender Sicht, SJZ 1959 S. 344; BREHM, Collisions entre véhicules automobiles, Juristische Publikationen des ACS 1971 S. 27 ff., insbes. S. 35).
In der Rechtsprechung zu Art. 39 MFG liess sich das Bundesgericht dagegen vom Grundsatz leiten, bei ungefähr gleichen Betriebsgefahren sei der Schaden unter den beteiligten Haltern nach dem Verschulden aufzuerlegen. Dies hatte zur Folge, dass der schuldlose Halter vom fehlbaren die Deckung des ganzen Schadens verlangen durfte und an den Schaden des letzteren nichts beitragen musste (
BGE 68 II 118
ff.). In
BGE 84 II 311
wurde diese Regel bloss dahin ergänzt, dass dem geschädigten Halter ein herabgesetzter Ersatzanspruch nicht nur bei offensichtlichem Überwiegen der Betriebsgefahr auf Seiten des schuldlosen Schädigers zustehen sollte, sondern auch dann, wenn das Verschulden des Geschädigten als ganz geringfügig erschien und ihm daher im Rahmen des Kausalablaufs nur eine äusserst untergeordnete Bedeutung zukam.
Diese Rechtsprechung wurde, ausser von den hievor angeführten Autoren, auch von MERZ (ZBJV 1959 S. 475) und OSWALD (Probleme der Haftpflicht des Motorfahrzeughalters, BJM 1967 S. 22) kritisiert, weil sie rein schuldrechtlich ausgerichtet sei und den Kausalanteil, der auf das Fahrzeug des schuldlosen Halters entfalle, ausser acht lasse (vgl. ferner BUSSY, SJK Nr. 915a N. 6 und Nr. 916 N. 16; BUSSY/RUSCONI, N. 2.7
BGE 99 II 93 S. 97
zu Art. 60 und N. 1.2 lit. c zu
Art. 61 SVG
; GREC, La situation juridique du détenteur de véhicule automobile en cas de collision de responsabilités, Diss. Lausanne 1969, S. 110/15).
c) Das Bundesgericht vertritt demgegenüber auch unter der Herrschaft des SVG die Auffassung, dass den konkreten Betriebsgefahren im Rahmen der Gesamtverursachung nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt, sobald die beteiligten Halter ein Verschulden trifft, da diesfalls der Schaden in erster Linie nach ihrem Verschulden zu teilen ist (
BGE 97 II 367
Erw. 5; CHATELAIN, Tendances actuelles du Tribunal fédéral dans le domaine de la responsabilité civile, ZBJV 1969 S. 226 ff., insbes. S. 230). Diese Auffassung liegt insbesondere auch
BGE 94 II 173
ff. zugrunde; dort wurde bei ungefähr gleichen Betriebsgefahren der Halter mit dem erheblichen Verschulden verpflichtet, dem andern, den nur ein leichtes Verschulden traf, zwei Drittel seines Schadens zu ersetzen. Ähnlich verhielt es sich nach dem unveröffentlichten Entscheid vom 6. Mai 1971 i.S. Foletta gegen Müller, wo der Halter, der unvorsichtig von der Hauptstrasse nach links in einen Feldweg abbog, den ganzen Schaden zu tragen hatte, obwohl der andere Halter (auf der geraden und freien Strecke) mit 110-130 km/h überholen wollte. Mitberücksichtigt wurde die offensichtlich ungleiche Betriebsgefahr des schuldlosen Halters dagegen in
BGE 95 II 333
ff.
Die Kritik an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verkennt, dass die latente Betriebsgefahr, die mit jedem sich im Verkehr befindlichen Fahrzeug verbunden ist, nicht ausschlaggebend sein kann. Massgebend müssen vielmehr die Ursachen sein, auf die die Verwirklichung dieser latenten Gefahr im Einzelfall zurückzuführen ist. Bei den meisten Verkehrsunfällen ist diese Ursache aber - wenn von der mangelhaften Beschaffenheit der Fahrzeuge abgesehen wird - im schuldhaften Verhalten eines oder mehrerer Halter oder von Personen zu erblicken, für die ein Halter einzustehen hat; sonst entstünde eben trotz der vorhandenen Betriebsgefahr der Fahrzeuge kein Schaden. Es entspricht deshalb durchaus gesundem Rechtsempfinden, wenn der Halter, der durch erhebliches schuldhaftes Verhalten die Ursache dafür setzt, dass sich die Betriebsgefahren von zwei Fahrzeugen auswirken, im Verhältnis zum andern Halter, den kein Verschulden trifft, den ganzen Schaden tragen muss. Dagegen lässt sich im Ernst nicht einwenden, dass dann
BGE 99 II 93 S. 98
"auch das Selbstverschulden des Nichthalters gegenüber einem schuldlosen Halter zu grösseren Reduktionen und bald einmal zur Befreiung führen" müsste (MERZ, a.a.O.). Mit den Nichthaltern sind die nicht der Gefährdungshaftung unterstellten Strassenbenützer, insbesondere die Fussgänger gemeint. Diese können nicht, wie Fahrzeugführer, durch eine eigene Betriebsgefahr einen Unfall verursachen, gleichviel ob sie sich im Verkehr pflichtgemäss oder schuldhaft verhalten. Benehmen sie sich verkehrswidrig, so gefährden sie meistens nur sich selber, weil sie sich der Betriebsgefahr von Fahrzeugen aussetzen; Verschulden und Betriebsgefahr konkurrieren dann als Schadensursachen. In solchen Fällen ist nicht zu beanstanden, dass auch der schuldlose Halter "unter Würdigung aller Umstände" (
Art. 59 Abs. 2 SVG
) für den Schaden teilweise aufzukommen hat, wenn der Unfall nicht, was der Halter zu beweisen hat, durch höhere Gewalt oder grobes Verschulden des Geschädigten verursacht worden ist (
Art. 59 Abs. 1 SVG
).
Die Einsicht, dass diese Rechtsprechung sachlich begründet ist, gewinnt übrigens im Schrifttum an Boden; sie wird insbesondere von A. KELLER (Haftpflicht im Privatrecht S. 302 ff.), von CH. WYNIGER (Über Haftungskollisionen, insbesondere von Kausalhaftungen, in Juristische Publikationen des ACS 1971 S. 14/15) und nunmehr auch von OSWALD (Der Ausgleich unter Motorfahrzeughaltern nach SVG 60 Abs. 2, ebendort S. 81 ff.) befürwortet. Wie diesem Aufsatz zu entnehmen ist, haben sich auch die Versicherungsgesellschaften damit abgefunden. Nach ihren Richtlinien ist bei ungefähr gleichwertigen Betriebsgefahren das einseitige und nicht ganz leichte Verschulden eines Halters zusammen mit der Kausalität seines Fahrzeuges als derart überwiegende Schadensursache zu betrachten, dass dieser den vollen Schaden zu tragen hat. Der Betriebsgefahr ist nur Rechnung zu tragen, wenn sie sich beim einen Halter besonders stark ausgewirkt hat oder wenn den allein schuldigen Halter nur ein geringfügiges Verschulden trifft (a.a.O. S. 83/84).
3.
Nach dem angefochtenen Urteil fuhr Frau Meienberg auf der 9 m breiten, schneebedeckten Strasse korrekt talabwärts. Sie konnte die Gefahr eines Zusammenstosses mit dem nach links ausscherenden DKW-Wagen erst erkennen, als sie von der Unfallstelle nur noch 10-12 m entfernt war. Auf diese Entfernung vermochte sie bei einer Geschwindigkeit von
BGE 99 II 93 S. 99
50-60 km/h weder auszuweichen, noch anzuhalten. Sie hat den Unfall folglich nicht mitzuverantworten. Der Zusammenstoss ist ausschliesslich auf Verschulden der Frau Mayer zurückzuführen. Ihr Verschulden lässt sich in fahrtechnischer Hinsicht zudem nicht verharmlosen. Völlig unverständlich nahm sie auf der glitschigen Strecke bei eingeschaltetem Gang und einer Geschwindigkeit von 60 km/h das Gas weg, was einer plötzlichen Bremsung gleichkam und den Wagen ins Schleudern brachte. Daraufhin verlor sie die Herrschaft über den Wagen, der nach links abgetrieben wurde und dabei das entgegenkommende Fahrzeug rammte.
Die ungefähr gleichen Betriebsgefahren der Fahrzeuge fallen unter diesen Umständen ausser Betracht, und das erhebliche einseitige Verschulden der Frau Mayer hat nach den hievor dargelegten Grundsätzen zur Folge, dass die Regressforderung der Beklagten abzuweisen ist und der Kläger Anspruch auf vollen Schadenersatz hat. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7db27137-3b3f-47e6-919a-0d92bd696d16 | Urteilskopf
106 II 222
44. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. November 1980 i.S. Lindemer gegen Krebs & Co. AG (Berufung) | Regeste
Unverzichtbarkeit von Forderungen des Arbeitnehmers.
Art. 341 Abs. 1 OR
kann nur bei einem einseitigen Verzicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber Geltung beanspruchen (E. 2). | Erwägungen
ab Seite 222
BGE 106 II 222 S. 222
Aus den Erwägungen:
2.
Der Kläger rügt, der angefochtene Entscheid verletze
Art. 341 OR
. In der vom Appellationshof als erwiesen erachteten Pauschalabfindung vom 3. November 1978 liege ein Verzicht auf weitere Entschädigungsforderungen seitens des Klägers.
BGE 106 II 222 S. 223
Da er während der Dauer des Arbeitsverhältnisses erfolgt sei, sei er unbeachtlich. Die Berufungsargumentation übersieht, dass der Appellationshof für das Bundesgericht verbindlich feststellt, dass Überstunden zahlenmässig nicht nachgewiesen sind. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, wie sie rechnerisch abgegolten sind mit dem Check über DM 2500.-- und ob eine solche Regelung überhaupt einen Verzicht beinhalte. Beizufügen bleibt, dass
Art. 341 Abs. 1 OR
nur bei einem einseitigen Verzicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber Geltung beanspruchen kann. Ist es hingegen im Rahmen eines Vergleichs zu einem beidseitigen Verzicht gekommen, so ist dieser auch im Hinblick auf
Art. 341 Abs. 1 OR
gültig (BRÜHWILER, N. 3 zu
Art. 341 OR
). Mit dem am 3. November 1978 dem Kläger ausgestellten Check sollten die bisher allenfalls geleisteten Überstunden, deren Umfang und Notwendigkeit umstritten waren, vergütet werden. Um die bestehenden Differenzen zu bereinigen, kamen die Parteien einander in einem aussergerichtlichen Vergleich entgegen. Bei dieser Sachlage ginge die Berufung auf
Art. 341 Abs. 1 OR
selbst dann fehl, wenn die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung einen Verzicht seitens des Klägers einschliessen sollte.
Der Kläger wendet zudem ein, die Vereinbarung vom 3. November 1978 sei ungültig, weil die von
Art. 321c Abs. 3 OR
verlangte Schriftform nicht vorliege. Beim Fehlen einer Regelung in einem Gesamt- oder Normalarbeitsvertrag verlange das Gesetz für Vereinbarungen betreffend Überstundenentschädigung zwingend die Schriftform. Im vorliegenden Fall geht es indes nicht darum, wie Überstundenarbeit zu entschädigen ist, ob durch Abrede eine von
Art. 321c Abs. 3 OR
abweichende Regelung der Vergütung getroffen werden soll. Vielmehr schlossen die Parteien eine Vereinbarung zur Bereinigung von Differenzen, die sich bei der Abwicklung des Arbeitsvertrages ergeben hatten. Ein solcher aussergerichtlicher Vergleich aber ist formlos gültig (
BGE 95 II 424
). Der klägerische Einwand kann daher nicht gehört werden. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7db62f72-ee62-4164-b72d-9b76bb4e06a9 | Urteilskopf
135 I 221
26. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause H.X. et F.X. contre Y. et Tribunal cantonal du canton de Fribourg (recours constitutionnel subsidiaire)
4D_30/2009 du 1er juillet 2009 | Regeste
Art. 29 Abs. 3 BV
; Recht auf unentgeltliche Rechtspflege; Berücksichtigung von Steuerrückständen bei der Beurteilung der Bedürftigkeit des Gesuchstellers.
Die verfallenen Steuerschulden, deren Höhe und deren Fälligkeitsdatum feststehen, sind bei der Beurteilung der Bedürftigkeit der um unentgeltliche Rechtspflege nachsuchenden Person zu berücksichtigen, soweit sie tatsächlich bezahlt werden (Klärung der Rechtsprechung; E. 5.2). | Sachverhalt
ab Seite 221
BGE 135 I 221 S. 221
A.
H.X. et F.X., défendeurs, d'une part, et la société en nom collectif Y., demanderesse, d'autre part, sont en litige au sujet de l'exécution d'un contrat d'entreprise que les premiers ont conclu avec la seconde en vue de la construction d'une villa familiale sur un bien- fonds dont ils sont copropriétaires dans le canton de Fribourg.
Le 14 juillet 2008, la demanderesse a introduit, devant le Tribunal civil de la Glâne, une procédure en paiement de 20'285 fr. 55, intérêts en sus, et en inscription définitive d'une hypothèque légale
BGE 135 I 221 S. 222
d'entrepreneur. Dans le cadre de cette procédure, les défendeurs ont déposé, le 3 octobre 2008, une requête de preuve à futur.
Le 8 octobre 2008, les époux X. ont requis le bénéfice de l'assistance judiciaire pour toute la durée de la procédure en question et la désignation de Me Bruno Charrière en qualité de défenseur d'office.
Par ordonnance du 22 octobre 2008, le président du Tribunal civil de la Glâne, après avoir entendu les parties, a mis les requérants au bénéfice de l'assistance judiciaire dans la mesure suivante:
"F.X. et H.X. versent solidairement un montant mensuel de 1000 fr. dès le 1
er
décembre 2008, et ce, jusqu'au paiement complet des frais de justice, des frais d'expertise, des honoraires de leur mandataire et des sûretés qu'ils doivent prester à l'entreprise intimée."
B.
Les défendeurs ont recouru auprès du Tribunal cantonal fribourgeois contre cette ordonnance. La demanderesse s'en est remise à justice.
Par arrêt du 15 janvier 2009, la II
e
Cour d'appel civil, admettant partiellement le recours, a modifié comme il suit l'ordonnance attaquée (ch. I du dispositif de l'arrêt cantonal):
"1. F.X. et H.X. sont mis au bénéfice de l'assistance judiciaire totale pour toute la durée de la procédure en paiement et en inscription définitive d'une hypothèque légale des artisans et entrepreneurs la (sic) divisant d'avec Y. SNC, dans la mesure suivante:
F.X. et H.X. verseront solidairement le montant mensuel de Fr. 600.-, dès le 1
er
décembre 2008, et ce, jusqu'au paiement complet des frais de justice, des frais d'expertise, des honoraires de leur mandataire et des sûretés qu'ils doivent prester à l'entreprise intimée.
2. Me Bruno Charrière leur est désigné en qualité de défenseur d'office.
3. Il n'est perçu aucuns frais de justice pour la présente décision."
La cour cantonale n'a pas perçu de frais pour la procédure d'appel (ch. II. du dispositif de l'arrêt attaqué) et elle a alloué à Me Bruno Charrière une équitable indemnité globale de 300 fr., plus 22 fr. 80 de TVA (ch. III. du dispositif de l'arrêt attaqué).
C.
Le 25 février 2009, les défendeurs ont interjeté un recours constitutionnel subsidiaire au Tribunal fédéral. Ils concluent à la modification partielle de l'arrêt cantonal en ce sens, principalement, qu'ils ne seront pas astreints au versement d'une contribution aux prestations de l'Etat et, subsidiairement, qu'ils ne devront verser à ce titre, dès le 1
er
mars 2009, qu'un montant mensuel de 200 fr. jusqu'à
BGE 135 I 221 S. 223
complet paiement des frais de justice, des frais d'expertise, des honoraires de leur mandataire et des sûretés à fournir à l'entreprise intimée. Les recourants requièrent, en outre, que l'équitable indemnité qui leur a été allouée par la cour cantonale soit portée à 600 fr., plus 45 fr. 60 de TVA.
Traitant le recours constitutionnel subsidiaire comme un recours en matière civile, le Tribunal fédéral l'a partiellement admis et a réduit de 600 fr. à 200 fr. le montant mensuel à verser solidairement par les défendeurs jusqu'au paiement complet des frais de justice, des frais d'expertise, des honoraires de leur mandataire et des sûretés à fournir à la demanderesse. Pour le surplus, il a rejeté le recours et maintenu le dispositif de l'arrêt attaqué.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
5.
5.1
En vertu de l'
art. 29 al. 3 Cst.
, toute personne qui ne dispose pas de ressources suffisantes a droit, à moins que sa cause paraisse dépourvue de toute chance de succès, à l'assistance judiciaire gratuite.
Une personne est indigente lorsqu'elle n'est pas en mesure d'assumer les frais de la procédure sans porter atteinte au minimum nécessaire à son entretien et à celui de sa famille (
ATF 128 I 225
consid. 2.5.1;
ATF 127 I 202
consid. 3b p. 205). Le Tribunal fédéral vérifie librement si les critères utilisés pour évaluer l'indigence, au regard de cette disposition constitutionnelle, ont été correctement choisis; il n'examine toutefois que sous l'angle de l'arbitraire les constatations de fait de l'autorité cantonale (
ATF 120 Ia 179
consid. 3a p. 181).
Pour déterminer l'indigence, il convient de prendre en considération l'ensemble de la situation financière du requérant au moment où la demande est présentée, celui-ci devant indiquer de manière complète et établir autant que faire se peut ses revenus, sa situation de fortune et ses charges. Il y a lieu de mettre en balance, d'une part, la totalité des ressources effectives du requérant et, d'autre part, l'ensemble de ses engagements financiers (
ATF 120 Ia 179
consid. 3a p. 181). Concernant ces derniers, seules les charges réellement acquittées sont susceptibles d'entrer dans le calcul du minimum vital (cf.
ATF 121 III 20
consid. 3a). Des dettes anciennes, sur lesquelles le débiteur ne verse plus rien, ne priment pas l'obligation du
BGE 135 I 221 S. 224
justiciable de payer les services qu'il requiert de l'Etat (arrêt 4P.95/2000 du 16 juin 2000 consid. 2h).
Le minimum d'existence du droit des poursuites n'est pas déterminant à lui seul pour établir l'indigence au sens des règles sur l'assistance judiciaire. L'autorité compétente doit éviter de procéder de façon trop schématique, afin de pouvoir prendre en considération tous les éléments importants du cas particulier. Elle peut certes partir du minimum vital du droit des poursuites, mais elle doit tenir compte de manière suffisante des données individuelles en présence (
ATF 124 I 1
consid. 2a p. 2;
ATF 106 Ia 82
consid. 3).
La part des ressources excédant ce qui est nécessaire à la couverture des besoins personnels doit être comparée, dans chaque cas, aux frais prévisibles de la procédure pour laquelle l'assistance judiciaire est demandée. Le soutien de la collectivité publique n'est en principe pas dû, au regard de l'
art. 29 al. 3 Cst.
, lorsque cette part disponible permet d'amortir les frais judiciaires et d'avocat en une année au plus, pour les procès relativement simples, et en deux ans pour les autres (arrêt 5P.233/2005 du 23 novembre 2005 consid. 2.2). Cependant, il conviendra de tenir compte, le cas échéant, de la nécessité où le requérant se trouve d'agir dans un délai relativement court, qui ne lui permet pas de faire des économies en vue d'avancer les frais du procès (
ATF 108 Ia 108
consid. 5b p. 109).
5.2
Le noeud du litige consiste à déterminer si la cour cantonale a violé l'
art. 29 al. 3 Cst.
en n'incluant pas dans les charges mensuelles des recourants le solde d'impôts dû par ceux-ci pour l'année fiscale 2007.
5.2.1
La jurisprudence fédérale relative à la prise en compte des impôts, au titre de telles charges, n'est pas univoque (STEFAN MEICHSSNER, Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege [Art. 29 Abs. 3 BV], 2008, p. 93). Sans doute, en matière d'assistance judiciaire, considère-t-elle que les impôts
courants
doivent être comptabilisés à condition qu'ils soient effectivement payés (arrêt 5P.233/2005 du 23 novembre 2005 consid. 3.2.3 et la jurisprudence citée), contrairement à ce qui est le cas pour le calcul du minimum vital en droit des poursuites (
ATF 95 III 39
consid. 3 confirmé in
ATF 126 III 89
consid. 3b in fine p. 92 s.). Sa position est, en revanche, moins claire en ce qui concerne les dettes d'impôt échues, autrement dit les
arriérés
d'impôt. A cet égard, l'ancien Tribunal fédéral des assurances a, semble-t-il, inclus régulièrement et de longue date les arriérés d'impôts dans les engagements financiers du requérant (arrêts B 27/06
BGE 135 I 221 S. 225
du 1
er
décembre 2006 consid. 4; K 140/99 du 24 février 2000 consid. 2; U 38/96 du 3 juin 1996 consid. 2; H 12/85 du 21 juillet 1986 consid. 2). Les opinions émises sur la question par les Cours civiles et les Cours de droit public du Tribunal fédéral apparaissent nettement plus contrastées, comme l'illustrent les exemples suivants. En 1996, la II
e
Cour civile a refusé d'inclure les arriérés d'impôts, entre autres dettes, dans les charges du requérant, au motif que l'assistance judiciaire ne doit pas servir à désintéresser, aux frais de la collectivité publique, des créanciers pour des dettes ne visant pas ou plus à procurer au requérant les moyens nécessaires à son entretien et à celui de sa famille (arrêt 5P.356/1996 du 6 novembre 1996 consid. 8a/aa). Elle a maintenu son point de vue depuis lors (arrêts 5P.455/2004 du 10 janvier 2005 consid. 2.3.2; 5C.108/2003 du 18 décembre 2003 consid. 7). Cependant, elle s'est montrée apparemment plus souple dans un autre arrêt où elle indique que, "pour apprécier si le requérant dispose de ressources suffisantes lui permettant d'assumer les frais de la procédure, il faut prendre en compte, en déduction, les engagements financiers auxquels il ne peut plus échapper et les impôts, dans la mesure où il s'en acquitte" (arrêt 5P.113/2003 du 6 août 2003 consid. 2.1). De son côté, la I
re
Cour civile a, elle aussi, fait preuve de réticence lorsqu'il s'est agi d'inclure les dettes échues dans les engagements financiers du requérant (arrêt 4P.80/2006 du 29 mai 2006 consid. 3.1). Elle a, en particulier, jugé conforme à l'
art. 29 al. 3 Cst.
la pratique consistant à ne pas comptabiliser les paiements effectués par le requérant pour régler des arriérés d'impôt (arrêt 4P.22/2007 du 18 avril 2007 consid. 7). Cependant, en 1998, la même Cour a jugé contraire à l'
art. 4 aCst.
le refus de principe de prendre en considération les dettes d'impôts dans l'examen d'une requête d'assistance judiciaire (arrêt 4P.53/1998 du 20 mai 1998 consid. 1b). Quant à la I
re
Cour de droit public, se fondant sur l'arrêt 5P.356/1996, précité, elle a estimé qu'il n'y avait pas lieu de retenir, au titre des charges, les montants payés par le requérant pour effacer ses dettes fiscales (arrêt 1B_16,18/2007 du 1
er
mars 2007 consid. 4.2). Enfin, la II
e
Cour de droit public, sans traiter expressément des arriérés d'impôt, a invoqué le même précédent pour refuser de comptabiliser les montants affectés au paiement de dettes ordinaires et non à l'entretien courant du requérant et de sa famille (arrêt 2P. 90/1997 du 7 novembre 1997 consid. 3d).
A la réflexion, s'agissant de déterminer les charges grevant le budget de celui qui requiert le bénéfice de l'assistance judiciaire, le refus
BGE 135 I 221 S. 226
de tenir compte des montants effectivement payés par le requérant pour solder des dettes d'impôt échues n'apparaît guère justifiable. Pareil refus se concilie mal avec la règle générale commandant de prendre en considération l'ensemble de la situation financière du requérant pour vérifier si l'indigence alléguée existe ou non. Il est aussi difficilement compatible avec le principe d'effectivité en vertu duquel il sied de mettre en balance la totalité des ressources (fortune incluse) ainsi que des engagements du requérant, et non pas une partie seulement de celles-là ou de ceux-ci. De ce point de vue, il est indéniable que l'argent affecté par le requérant au service de la dette fiscale, même si cette dernière n'a pas été contractée afin de couvrir les besoins personnels de l'intéressé et ceux de sa famille, vient diminuer de manière concrète ses ressources disponibles, à l'instar des charges ordinaires (loyer, cotisations aux assurances sociales, nourriture, frais professionnels, etc.). Au demeurant, si l'on peut attendre certains sacrifices financiers de la part du requérant, cela ne doit pas aller jusqu'à le contraindre à se procurer les moyens nécessaires à faire valoir ses droits en justice en contractant de nouvelles dettes, en n'honorant pas les dettes existantes ou en se dessaisissant de biens de première nécessité. Par ailleurs, l'argument, avancé dans l'arrêt 5P.356/1996 précité, selon lequel l'assistance judiciaire ne doit pas servir à désintéresser, aux frais de la collectivité publique, des créanciers pour des dettes ne visant pas ou plus à procurer au requérant les moyens nécessaires à son entretien et à celui de sa famille, prend racine dans la jurisprudence rendue au sujet des
art. 92 et 93 LP
. Or, les raisons qui sous-tendent cette jurisprudence ne sont pas les mêmes que celles qui fondent la réglementation de l'assistance judiciaire. Dans le premier cas, l'accent est mis sur la protection des créanciers et l'égalité entre ceux-ci: cela suppose, d'une part, que le paiement d'un impôt ou d'un arriéré d'impôt ne soit pas considéré comme une dépense indispensable au sens de l'
art. 93 LP
, lequel ne vise que les dépenses absolument nécessaires à l'entretien du débiteur et de sa famille, et, d'autre part, que l'on ne confère pas un privilège à l'Etat en prenant en compte des dettes d'impôt, ce qui serait contraire au principe d'égalité entre les créanciers de droit privé et de droit public (
ATF 134 III 37
consid. 4.3 et les arrêts cités). A l'inverse, dans le second cas, il s'agit de faire en sorte que l'indigence n'empêche pas une personne de faire valoir ses droits dans une procédure qui n'est pas dépourvue de chances de succès pour elle et qu'elle ne le contraigne pas à
BGE 135 I 221 S. 227
s'endetter à cette seule fin, voire, en dernière extrémité, à requérir sa propre faillite pour être en mesure de conduire un procès. L'approche se fait donc ici sous un tout autre angle que celui sous lequel le droit des poursuites envisage la question de la situation financière du débiteur: c'est dans l'optique du requérant que le problème doit être résolu et non plus au regard des droits des créanciers. Considérée dans cette perspective, la prise en compte, en tant qu'engagements financiers, des sommes affectées par le requérant au paiement des arriérés d'impôt apparaît, dès lors, conforme au but assigné à l'institution de l'assistance judiciaire.
Tel est, du reste, l'avis de la majorité des auteurs qui se sont penchés sur ce problème (ALFRED BÜHLER, Die Prozessarmut, in Frais de justice, frais d'avocat, cautions/sûretés, assistance juridique, Christian Schöbi [éd.], 2001, p. 131 ss, 176 à 181; MEICHSSNER, op. cit., p. 92 s. avec d'autres références in note 151; THOMAS GEISER, in Commentaire bâlois, Bundesgerichtsgesetz, 2008, n° 17 ad
art. 64 LTF
; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire, 2008, p. 722 n° 1794; apparemment dans le même sens: BERNARD CORBOZ, Le droit constitutionnel à l'assistance judiciaire, SJ 2003 II p. 67 ss, 77; contra: HANSJÖRG SEILER, in Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, n° 18 ad
art. 64 LTF
; BEAT RIES, Die unentgeltliche Rechtspflege nach der aargauischen Zivilprozessordnung vom 18. Dezember 1984, 1990, p. 81 s.). Il convient de leur emboîter le pas.
Encore faut-il insister sur le fait que les dettes d'arriérés d'impôt ne peuvent être prises en compte pour établir la situation financière du requérant que si et dans la mesure où ce dernier s'emploie à les amortir autant que faire se peut. Il serait, en effet, injustifiable qu'une partie puisse solliciter l'appui de l'Etat pour faire valoir ses droits en justice en se prévalant d'engagements financiers envers ce même Etat, tout en s'abstenant d'honorer ceux-ci et en utilisant ses ressources disponibles à d'autres fins. Aussi l'autorité appelée à statuer sur une requête d'assistance judiciaire doit-elle pouvoir exiger du requérant qu'il apporte la preuve de ce qu'il affecte ses ressources disponibles au paiement des impôts échus. Et si une telle preuve ne ressort pas déjà du comportement antérieur adopté par l'intéressé relativement à ses dettes fiscales, ladite autorité doit pouvoir s'assurer d'une autre manière de la réalité de cette affectation (par ex. en subordonnant la libération de l'obligation de verser une avance de frais à la preuve du paiement d'arriérés d'impôt, sous la menace du retrait du bénéfice de l'assistance judiciaire).
BGE 135 I 221 S. 228
5.2.2
La I
re
Cour de droit civil a mis en oeuvre la procédure prévue à l'
art. 23 LTF
, étant donné les divergences constatées dans la jurisprudence des différentes Cours sur la question juridique controversée. Les Cours réunies ont décidé de poser le principe suivant: les dettes d'impôt échues, dont le montant et la date d'exigibilité sont établis, doivent être prises en considération pour l'examen de l'indigence de la personne qui sollicite l'octroi du bénéfice de l'assistance judiciaire gratuite, pour autant qu'elles soient effectivement payées.
5.2.3
La situation de fait touchant les impôts 2007, telle qu'elle ressort de l'arrêt attaqué et des explications, dûment étayées, des recourants, peut être résumée comme il suit.
Sous chiffre 2.5 de leur requête d'assistance judiciaire du 8 octobre 2008, les recourants ont exposé, avec pièces à l'appui, qu'ils devaient s'attendre à recevoir une facture finale d'un peu plus de 17'000 fr. au titre de l'impôt communal, cantonal et fédéral pour la période fiscale 2007. A l'audience du 22 octobre 2008, le recourant a précisé qu'il avait déposé la déclaration d'impôts 2007 en septembre 2008.
Dans son ordonnance du même jour, le président du Tribunal civil de la Glâne a considéré que la taxation des recourants pour les impôts 2007 ne pouvait être prise en compte, dès lors qu'elle avait trait à "une dette future ne devant survenir qu'au cours de l'année 2009".
Un jour plus tard, soit le 23 octobre 2008, le Service cantonal des contributions a notifié aux recourants un avis de taxation ordinaire pour l'impôt cantonal et l'impôt fédéral direct (IFD) 2007, accompagné de deux décomptes. Il appert de ces documents que, pour l'année 2007, l'impôt cantonal s'est élevé à 9'154 fr. et que, eu égard aux acomptes versés, il subsistait un solde en faveur de l'Etat de 3'857 fr. 10, échu le 23 octobre 2008 - le terme général d'échéance ayant été fixé au 30 avril 2008 - et payable jusqu'au 30 novembre 2008. Quant à l'impôt fédéral pour la même période, arrêté à 1'910 fr., son solde de 1'644 fr. 70, échu le 23 octobre 2008, était, lui aussi, payable jusqu'au 30 novembre 2008.
Sous chiffre 6 de leur recours cantonal déposé le 12 novembre 2008 contre l'ordonnance susmentionnée, les époux X. se sont prévalus de ces documents pour en déduire qu'il y avait lieu d'ajouter aux charges retenues par le premier juge un montant de
5'501 fr. 80
BGE 135 I 221 S. 229
(3'857 fr. 10 et 1'644 fr. 70). A ce montant, il fallait encore ajouter, selon eux, la somme de
3'914 fr. 75
représentant le solde, évalué, de l'impôt communal et paroissial 2007, après déduction des acomptes versés, laquelle somme était payable à fin 2008/début 2009. Il en résultait un surcroît de charges de 9'416 fr. 55, soit un supplément de 784 fr. 70 par mois.
Dans l'arrêt entrepris, la II
e
Cour d'appel civil a refusé de comptabiliser cette charge supplémentaire. Elle s'en est expliquée comme il suit (p. 4, consid. 2c/aa):
"Les charges fiscales ont été retenues à concurrence de la cote présumée d'impôts 2008, sans tenir compte des impôts 2007, dont le montant était alors inconnu (cf. ordonnance attaquée, p. 4). La requête a été déposée le 8 octobre 2008; or, il ne peut être pris en considération que les impôts de l'année courante. Les arriérés d'impôts ne sont pas admis pour établir l'indigence (arrêt du Tribunal fédéral 5C.108/2003 du 18 décembre 2003 consid. 7). Au demeurant, s'agissant du solde d'impôt cantonal et IFD 2007 payable au 30 novembre 2008 par 5'501.80 francs (cf. recours du 12.11.2008 p. 4), les recourants n'établissent ni n'allèguent même avoir réglé cette somme ou en avoir requis le paiement par acomptes; quant au montant de 3'914.75 francs calculé pour les impôts communaux et paroissiaux 2007, il n'est pas allégué qu'il soit facturé et exigible, de sorte qu'il ne peut pas être tenu compte de cette dette, toujours future. Le montant de la charge fiscale mensuelle retenue par le premier juge sur la base des pièces produites ne peut dès lors qu'être confirmé."
5.2.4
Les motifs retenus par la cour cantonale ne sont pas compatibles avec la notion d'indigence, au sens de l'
art. 29 al. 3 Cst.
, telle qu'elle a été précisée au considérant 5.2.1 du présent arrêt.
Une remarque liminaire, d'ordre procédural, doit être faite dans ce contexte. Elle concerne l'allégation, figurant dans le mémoire d'appel des recourants et étayée par des pièces, selon laquelle le Service cantonal des contributions leur a notifié, le 23 octobre 2008, un avis de taxation ordinaire pour l'impôt cantonal et l'IFD 2007, accompagné de deux décomptes. Le fait allégué constitue un véritable
novum
, puisqu'il est postérieur à la date à laquelle l'ordonnance de première instance a été rendue. En règle générale, la présentation de vrais
nova
n'est pas admissible devant une autorité de recours qui ne revoit les constatations de fait du juge
a quo
qu'avec une cognition restreinte, c'est-à-dire essentiellement sous l'angle de l'arbitraire (cf., au sujet des procédures de recours devant le Tribunal fédéral, l'
art. 99 al. 1 LTF
;
ATF 133 IV 342
consid. 2.1 p. 343 s.; voir aussi l'
ATF 128 I 354
consid. 6c au sujet du recours de droit
BGE 135 I 221 S. 230
public de l'aOJ). Or, dans le canton de Fribourg, la décision sur une demande d'assistance judiciaire est rendue conformément aux règles de la procédure sommaire (
art. 5 al. 1 de la loi fribourgeoise du 4 octobre 1999 sur l'assistance judiciaire [RSF 136.1]
), de sorte que le Tribunal cantonal, lorsqu'il est saisi d'un appel contre une telle décision, voit sa cognition limitée à l'arbitraire pour ce qui est des faits, en vertu de l'art. 299a al. 2 let. b du Code de procédure civile fribourgeois du 28 avril 1953 (CPC/FR; RSF 270.1). On pourrait donc s'attendre à ce qu'il ne prenne pas en considération un vrai
novum
, à l'instar du Tribunal fédéral dans une situation comparable. Cependant, tel ne fut pas le cas en l'espèce. La cour cantonale n'a, en effet, pas refusé d'entrer en matière sur l'argument des recourants tiré du fait nouveau allégué par eux; elle s'est employée, au contraire, à le réfuter. Bien qu'elle ne le dise pas expressément, elle s'est sans doute fondée sur l'
art. 299a al. 3 CPC
/FR pour ce faire. Il est vrai que cette disposition, dont le champ d'application ne paraît pas être restreint à la procédure ordinaire, vu sa systématique, autorise la production de "nouveaux moyens d'attaque et de défense" dans certaines limites (cf. l'arrêt de la II
e
Cour d'appel du Tribunal cantonal fribourgeois du 27 janvier 2005, in Revue fribourgeoise de jurisprudence [RFJ] 2005 p. 338 ss, 343 consid. 2; cf. également l'
ATF 119 III 108
consid. 3a p. 109). Quoi qu'il en soit, dès lors que le
novum
en question a été admis sans conteste par les juges cantonaux, il y a lieu d'en tenir compte dans l'examen des mérites du recours.
Comme indiqué plus haut, les sommes affectées par le requérant au paiement des arriérés d'impôt doivent être prises en compte dans l'examen de la condition d'indigence (cf. consid. 5.2.1). Aussi la cour cantonale ne peut-elle être suivie lorsqu'elle soutient le contraire, dans le passage précité de son arrêt, à propos du solde d'impôt cantonal et fédéral 2007. On peut d'ailleurs hésiter à parler d'arriérés d'impôts dans le cas présent, du moins pour une partie de l'impôt cantonal et fédéral 2007. Il ressort, en effet, des explications des recourants, ainsi que des décomptes produits sous pièces 36 et 37, que la déclaration d'impôts 2007 n'a été déposée qu'en septembre 2008 pour une raison apparemment valable; que le terme général d'échéance pour l'impôt cantonal 2007 a été fixé au 30 avril 2008; que seul un montant de 48 fr. 05 a été comptabilisé au titre des intérêts compensatoires pour cet impôt; enfin, qu'aucun intérêt moratoire n'a été porté en compte pour l'IFD 2007. S'y ajoute le fait que
BGE 135 I 221 S. 231
les recourants ont régulièrement payé les acomptes afférents à l'impôt cantonal 2007. Pour le surplus, les recourants s'élèvent à juste titre contre le reproche qui leur est fait de n'avoir pas établi, ni même allégué, qu'ils avaient réglé les 5'501 fr. 80 correspondant au solde de l'impôt cantonal et fédéral 2007 ou qu'ils en avaient requis le paiement par acomptes. Un délai au 30 novembre 2008 leur avait été imparti pour s'exécuter. Ayant déposé leur mémoire d'appel le 12 novembre 2008, ils ne pouvaient donc pas alléguer et encore moins établir l'existence d'un paiement pour une dette payable après cette date. Ils n'ont pas pu le faire ultérieurement car la cour cantonale a statué sans débats.
Quant au refus de tenir compte des impôts communaux et paroissiaux 2007, les juges cantonaux le justifient par le motif que la somme de 3'914 fr. 75 portée en compte à ce titre par les recourants n'a pas trait à un montant facturé et exigible, mais à une dette future. Semblable justification ne résiste pas à l'examen. La cour cantonale devait déterminer si les recourants possédaient des ressources suffisantes pour couvrir les frais de la procédure en cours sans s'exposer à la privation des choses nécessaires à leur existence ou à celle de leur famille, voire, dans le cas contraire, si l'octroi de l'assistance judiciaire pouvait néanmoins être subordonné, en l'espèce, au paiement d'une contribution mensuelle aux prestations de l'Etat. Pour ce faire, elle devait prendre en considération l'ensemble des charges auxquelles les recourants auraient à faire face pendant la durée de cette procédure. Or, les impôts communaux et paroissiaux 2007 faisaient assurément partie de ces charges. Aussi bien, il était conforme à l'expérience de la vie que les recourants dussent les payer au début de l'année 2009 dans l'hypothèse la plus favorable pour eux et qu'ils ne pourraient s'y soustraire sous peine de s'exposer à des poursuites de la part du fisc. Rien ne permettait du reste de leur prêter l'intention de ne pas honorer leur dette de ce chef, étant donné qu'ils avaient régulièrement payé des acomptes pour ces impôts aussi. Le montant de ces derniers n'avait certes pas encore été notifié aux deux contribuables. Toutefois, comme il équivalait à un pourcentage de l'impôt cantonal, il était facile de le calculer de manière précise, ce que les recourants ont fait. Dès lors, ceux-ci reprochent à bon droit à la cour cantonale de n'avoir pas tenu compte de cette charge fiscale qui allait nécessairement grever leur budget
pendente lite
.
5.2.5
Des calculs, au demeurant corrects, effectués par les recourants, il ressort que, si l'on ajoute à leurs charges mensuelles un
BGE 135 I 221 S. 232
montant de 784 fr. 80 au titre des impôts 2007, il leur reste un solde disponible de 616 fr. 55 par mois. De ce montant, il convient de retrancher un supplément de charge de 120 fr., eu égard à l'âge de la fille aînée des recourants - circonstance qui ressort de la police d'assurance-maladie produite sous pièce 20 en première instance déjà et dont les juges d'appel n'ont pas exclu la prise en considération -, ce qui ramène le solde mensuel disponible à 496 fr. 55.
Les recourants soutiennent qu'un tel solde ne justifie pas de les astreindre à verser une contribution aux prestations de l'Etat. Cependant, par cette simple allégation, ils ne formulent pas un grief en bonne et due forme touchant le principe de leur obligation de verser pareille contribution. Ils consentent, d'ailleurs, à titre subsidiaire, à être astreints au paiement d'une contribution de 200 fr. par mois. Ce montant, qui correspond grosso modo à la réduction proportionnelle de la contribution de 600 fr. fixée par la cour cantonale (600 fr.: 1'281 fr. 24 [solde disponible retenu au consid. 2d de l'arrêt, p. 5] x 496 fr. 55 [solde disponible retenu par le Tribunal fédéral] = 232 fr.) peut être retenu. L'arrêt entrepris sera, dès lors, réformé en conséquence. Les recourants voudraient qu'il le soit également en ce sens que c'est seulement si et dans la mesure où les frais seront mis à leur charge qu'ils devront être astreints à les rembourser. Ils n'avancent cependant aucun argument à l'appui de cette conclusion, laquelle sera, partant, écartée en application de l'
art. 42 al. 2 LTF
. Par identité de motif, il en ira de même de leur conclusion visant à ce que la contribution mensuelle ne soit due qu'à partir du 1
er
mars 2009, au lieu du 1
er
décembre 2008, et de celle voulant que l'équitable indemnité qui leur a été allouée par la cour cantonale soit portée de 300 fr. à 600 fr., TVA en sus. | public_law | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
7dba5a68-3e90-4f02-9120-2ef96f9fe6a0 | Urteilskopf
101 V 152
31. Arrêt du 18 juin 1975 dans la cause Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents contre Rubin et Tribunal cantonal valaisan des assurances | Regeste
Berechnung der Invalidenrenten (Art. 78 Abs. 1 und 79 Abs. 1 KUVG).
- Jahresverdienst, den der kranke Versicherte innerhalb des Jahres vor dem Unfall bezogen hat.
- Koordination des Krankheits- und Unfallbegriffes (Frage offen gelassen). | Sachverhalt
ab Seite 152
BGE 101 V 152 S. 152
A.-
Alfred Rubin, né en 1914, représentant, a été victime le 18 novembre 1969 d'un accident professionnel. Alors qu'il descendait des escaliers, il fit une glissade au cours de laquelle son dos et sa tète heurtèrent les marches.
Se fondant sur les rapports du Dr M., la Caisse nationale lui a octroyé dès le 1er octobre 1970, en raison des séquelles de cet événement, une rente pour invalidité de 25%, réduite de la moitié selon l'art. 91 LAMA. Quant au gain annuel, l'assurance a pris pour base de calcul de la rente le salaire gagné par l'intéressé pendant la période du 18 novembre 1968 au 17 novembre 1969. Ce revenu avait été de 9'509 fr. 70, d'où résultait une rente de 70 fr. par mois (décision du 8 avril 1971). Or, au moment de l'accident, l'assuré n'exerçait pas une pleine activité. Le 2 juillet 1967, une angine de poitrine l'avait contraint à un arrêt total du travail jusqu'au 19 avril 1968.
BGE 101 V 152 S. 153
Dès cette date, il avait repris régulièrement son activité - auprès de l'entreprise qui l'occupait depuis 1962 -, mais seulement à 50% et avec un salaire réduit en proportion.
B.-
Alfred Rubin a recouru en alléguant notamment que, pour calculer la rente, la Caisse nationale aurait dû se fonder sur le revenu prévisible de 24'000 fr. qu'il aurait pu obtenir sans son affection cardiaque.
Par jugement du 29 mars 1974, le Tribunal cantonal valaisan des assurances a admis le recours; il a considéré en effet que pendant l'année ayant précédé l'accident, le salaire de l'assuré avait été réduit par le fait de la maladie. Il a prononcé en sus que, même dans le cas où il se serait agi non de maladie mais d'invalidité, celle-ci devrait être assimilée à la maladie dans le cadre de cette disposition. Il a par conséquent condamné la Caisse nationale à calculer la rente conformément à l'art. 79 al. 1 LAMA, soit sur la base du salaire - à établir - que l'assuré aurait gagné pendant l'année ayant précédé l'accident s'il n'avait pas été atteint d'angine de poitrine, sous réserve du gain maximum de 21'000 fr. assurable en l'espèce.
C.-
La Caisse nationale interjette recours de droit administratif. Elle conteste la thèse du juge cantonal et tient pour déterminant le gain effectif réalisé par l'assuré durant l'année qui a précédé l'accident, conformément au principe de l'art. 78 al. 1 LAMA.
L'intimé soutient en revanche, dans sa réponse, l'opinion des premiers juges, critique l'argumentation de la caisse recourante et conclut à l'application de l'art. 79 al. 1 LAMA.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En matière d'assurance-accidents, la rente d'invalidité est fixée en pour-cent du gain annuel de l'assuré (art. 77 al. 1 LAMA).
L'art. 78 al. 1 LAMA, définissant ce revenu pris pour base de calcul de la rente, pose le principe suivant: "Le gain annuel s'entend du salaire que l'assuré a gagné, dans l'entreprise soumise à l'assurance, durant l'année qui a précédé l'accident."
Le Tribunal fédéral des assurances a relevé à maintes reprises que le législateur a voulu prendre pour calculer la
BGE 101 V 152 S. 154
rente une base aussi sûre et stable que possible, en prévoyant qu'en principe cette prestation devait être fixée en fonction des primes payées (voir par exemple RO 99 V 16, ATFA 1967, p. 5, et les arrêts cités). Le gain retenu pour le calcul de la rente n'est dès lors pas celui que l'assuré aurait pu vraisemblablement réaliser s'il n'avait pas subi d'accident - comme c'est le cas en matière d'assurance militaire - mais celui qu'il a effectivement touché dans l'entreprise soumise à l'assurance durant l'année qui a précédé l'événement dommageable (arrêt non publié Knupp du 27 octobre 1960; MAURER, "Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung", 2e éd., p. 234-235).
Dans certains cas, l'application de ce principe conduirait toutefois à des solutions intolérables. Aussi le législateur a-t-il apporté à la règle certains accommodements. Les uns - figurant à l'art. 78 LAMA - concernent les assurés encore au stade de leur formation et qui soit ne touchent aucun salaire (al. 3; il s'agit essentiellement des volontaires et des stagiaires, espèces aujourd'hui quasiment éteintes), soit reçoivent une rémunération bien inférieure au gain de l'assuré formé (al. 4; voir par exemple ATFA 1939, p. 95 et 131, arrêt Knupp déjà cité). Les autres - figurant à l'art. 79 LAMA - concernent des assurés normalement rétribués mais dont le gain fixé selon la règle ne correspondrait pas à leur revenu normal, soit parce que durant l'année ayant précédé l'accident l'assuré a été malade ou en service militaire (al. 1), soit qu'il était depuis peu au service de l'entreprise (al. 2), soit encore que l'exploitation de l'entreprise a été interrompue (al. 3).
Les deux catégories d'accommodements présentent une tendance commune: apporter un correctif là où la stricte application de la règle aboutirait à prendre une situation éminemment transitoire ou temporaire pour base d'une solution valable la vie de l'assuré durant. Cela est patent pour les intéressés au stade de leur formation: leur passage au statut d'assuré normalement rétribué est un fait certain, dans un délai déterminé ou déterminable. Et cela n'est guère moins patent pour les assurés normalement rétribués: les situations énumérées par la loi, sans être uniques, sont néanmoins exceptionnelles et purement temporaires et, si leurs effets n'étaient pas éliminés ou atténués, le gain fixé selon la règle ne serait aucunement représentatif du gain normal effectif de l'assuré.
BGE 101 V 152 S. 155
2.
Cette constatation du but visé par le législateur est décisive pour cerner le concept de maladie, dans le cadre de l'art. 79 al. 1 LAMA.
Elle permet en effet d'écarter l'assimilation, que le premier juge a cru pouvoir faire, de l'invalidité à la maladie. Car l'invalidité est en principe un état permanent et irréversible, et non pas l'une de ces situations temporaires dont l'art. 79 LAMA entend éliminer ou atténuer les répercussions sur le montant de la rente viagère. La thèse du juge cantonal aurait d'ailleurs un résultat absurde dans le cadre d'une assurance-accidents: l'assuré dont la capacité de gain était réduite depuis de très nombreuses années, voire de naissance, se verrait en cas d'accident indemnisé d'une perte de gain non seulement que l'accident n'a pas provoquée mais encore que l'assuré ne subit pas, puisque seul est perdu le gain qu'il était en mesure de réaliser. Un autre problème est sans doute de savoir si, par qui et comment la réduction préexistante de la capacité de gain était, est ou sera indemnisée; mais cela ne concerne pas l'assurance-accidents, seule en cause ici.
Doit-on fixer au caractère temporaire de l'atteinte, au sens de l'art. 79 al. 1 LAMA, une stricte limite dans le temps? Il n'y a apparemment pas lieu de le faire dans le cas où, à la date de l'accident, l'atteinte avait pris fin et l'assuré travaillait normalement; en pareil cas l'art. 79 al. 1 LAMA doit sans doute être appliqué quelle qu'ait été la durée antérieure de la maladie. Le problème ne se pose de façon aiguë et concrète que si, au moment de l'accident, le processus morbide n'est pas achevé et que la capacité de travail de l'assuré s'en trouve réduite.
La Caisse nationale invoque la solution retenue par l'assurance-invalidité, qui définit l'invalidité non seulement par l'incapacité de gain permanente mais aussi par l'incapacité de gain de longue durée (art. 4 al. 1 LAI) et qui, dans cette seconde hypothèse, accorde une rente d'invalidité à l'échéance d'une période de 360 jours (art. 29 al. 1 LAI). Cette thèse, qui revient à qualifier d'invalidité et non plus de maladie une atteinte durant depuis plus de 360 jours, est attrayante d'une part par sa simplicité, d'autre part par l'harmonisation qu'elle permet entre ces deux branches des assurances sociales (voir par exemple RO 97 V 1, ATFA 1968, p. 167).
BGE 101 V 152 S. 156
D'autres analogies encore peuvent être invoquées à l'appui de la thèse de la Caisse nationale, par exemple l'art. 17 al. 3 RAC selon lequel la durée du travail réduite pendant à peu près une année est réputée, dans certaines conditions, durée normale du travail (ATFA 1955, p. 220, ainsi que les arrêts cités). Un argument enfin découle du contexte même de l'art. 79 al. 1 LAMA, les al. 2 et 3 de cet article visant bien évidemment des situations d'une durée inférieure à une année.
L'intimé objecte notamment le caractère particulier de la notion d'invalidité au sens de la LAI, ainsi que le rôle qu'y joue cette notion, et le fait que le service militaire, mentionné tout comme la maladie à l'art. 79 al. 1 LAMA, peut avoir en certains cas une durée supérieure à 360 jours. Ces objections ne sont pas négligeables, et la question se pose effectivement de savoir si, malgré l'harmonisation souhaitable et les arguments découlant du contexte légal, il est possible de fixer une limite absolue et de déclarer sans restriction aucune qu'il n'y a plus maladie au sens de l'art. 79 al. 1 LAMA, mais invalidité dès que l'atteinte à la capacité de travail, provoquée par un processus morbide, dure depuis un an ou plus au moment de l'accident. On pourrait ainsi se demander, tout en respectant le concept qui se dégage du but visé par le législateur, si l'art. 79 al. 1 LAMA ne serait pas applicable dans les cas au moins où il est vraisemblable, voire certain, que le processus aboutira dans un délai prévisible et plus ou moins proche au rétablissement de l'état antérieur et à la récupération de la capacité de travail dont l'assuré jouissait avant les manifestations du processus morbide.
Il n'est cependant pas nécessaire de résoudre ici définitivement la question, vu ce qui va être dit au considérant ci-dessous.
3.
En l'espèce, l'intimé était atteint d'une angine de poitrine qui l'avait contraint à un arrêt total du travail du 2 juillet 1967 au 19 avril 1968, suivi dès cette date d'une activité à 50% qu'il n'a cessé d'exercer dans cette même proportion jusqu'à son accident du 18 novembre 1969. Son mandataire fait certes valoir que l'affection cardiaque était un état labile, donc susceptible d'amélioration, et qu'il n'est pas rare de voir des malades du coeur reprendre leur pleine activité après une longue période d'immobilité, voire 2 à 3 ans. Mais, si de pareilles améliorations ne peuvent être exclues de manière absolue, rien
BGE 101 V 152 S. 157
ne les laissait attendre dans le présent cas; cela d'autant moins que l'affection cardiaque n'était pas seule en cause, ainsi que le révèle notamment le dossier de l'assurance-invalidité. On ne se trouvait donc pas en présence d'une situation rendant vraisemblable la récupération d'une pleine capacité de travail dans un délai prévisible; tout permettait au contraire d'admettre un état durable, voire invalidant, qui exclut l'application de l'art. 79 al. 1 LAMA.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est admis et le jugement cantonal, annulé. | null | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7dbad788-c901-44c4-8795-e1303712a300 | Urteilskopf
135 II 161
18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen Bundesamt für Migration (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_190/2008 vom 29. Januar 2009 | Regeste
Art. 27 Abs. 1,
Art. 41 Abs. 1 und 3 BüG
, Art. 12 f. VwVG; Nichtigerklärung der Einbürgerung; Beweislastverteilung; Erstreckung der Nichtigkeit der Einbürgerung auf Familienmitglieder.
Voraussetzungen für den Erwerb des Schweizer Bürgerrechts und für die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung (E. 2).
Die Beweislast dafür, dass eine Einbürgerung erschlichen worden ist, liegt bei der Verwaltung. Es genügt deshalb, dass die betroffene Person im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht einen oder mehrere Gründe angibt, die es plausibel erscheinen lassen, dass sie im massgeblichen Zeitpunkt der Gesuchstellung und des Einbürgerungsentscheids mit dem Schweizer Ehepartner in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft lebte und dass sie diesbezüglich nicht gelogen hat (E. 3).
Im vorliegenden Fall wurde die Einbürgerung durch bewusst wahrheitswidrige Angaben der Beschwerdeführerin zum Bestand der ehelichen Gemeinschaft mit dem Schweizer Ehemann erschlichen (E. 4).
Die Nichtigerklärung der Einbürgerung erstreckt sich nicht zwingend auf alle eingebürgerten Familienmitglieder. Die Behörden haben sich bei der Frage, ob die Nichtigkeit der erschlichenen Einbürgerung auf die Einbürgerung der Familienmitglieder auszudehnen ist, von der Verfassung sowie von Sinn und Zweck des Bürgerrechtsgesetzes leiten zu lassen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 162
BGE 135 II 161 S. 162
A. (geb. 1962) und B. (geb. 1960), beide damals türkische Staatsangehörige, heirateten im Jahr 1983 zum ersten Mal. Im Jahr 1987 emigrierte der Ehemann in die Schweiz und stellte ein Asylgesuch. A. folgte ihm im Jahr 1989 nach und ersuchte ebenfalls um Asyl. Im April 1991 zogen die Eheleute ihre Asylgesuche zurück und kehrten in die Türkei zurück. Während dieses ersten Aufenthalts in der Schweiz lernte der Ehemann den Schweizer Bürger C. (geb. 1966) kennen. Beide arbeiteten beim gleichen Arbeitgeber und verkehrten auch privat miteinander. Auf diesem Weg schloss C. (geb. 1966) Bekanntschaft mit A. Auch nach der Rückkehr der Eheleute in die Türkei wurde der enge freundschaftliche Kontakt weiter
BGE 135 II 161 S. 163
aufrechterhalten. C. besuchte die Familie alljährlich in der Türkei und unternahm mit ihr gemeinsam Reisen durch das Land.
Am 14. Februar 1995 wurde die Ehe von A. und B. in der Türkei geschieden. Die vier aus der Ehe hervorgegangenen Kinder D. (geb. 1983), E. (geb. 1986), F. (geb. 1991) und G. (geb. 1992) wurden der Mutter zugesprochen.
Am 6. Juni 1995 verheiratete sich A. mit C. und erhielt im Namen des Familiennachzugs eine Aufenthaltsbewilligung im Kanton Zürich. Die beiden älteren Kinder folgten der Mutter spätestens im Dezember 1996, die beiden jüngeren im Mai 1999 in die Schweiz nach.
Am 26. Januar 1998 ersuchte A. um erleichterte Einbürgerung. Im Einbürgerungsverfahren unterzeichneten die Eheleute am 21. Juni 1999 eine gemeinsame Erklärung, wonach sie in einer tatsächlichen, ungetrennten, stabilen ehelichen Gemeinschaft zusammenlebten und weder Trennungs- noch Scheidungsabsichten bestünden. Gleichzeitig nahmen sie unterschriftlich zur Kenntnis, dass die erleichterte Einbürgerung nicht möglich sei, wenn vor oder während des Einbürgerungsverfahrens einer der Ehegatten die Trennung oder Scheidung beantragt habe oder keine tatsächliche eheliche Gemeinschaft mehr bestehe. Des Weitern bestätigten sie ihre Kenntnisnahme davon, dass die Verheimlichung der Umstände zur Nichtigerklärung der Einbürgerung führen könne.
Am 8. Juli 1999 wurde A. erleichtert eingebürgert und erwarb nebst dem Schweizer Bürgerrecht die kantonalen Bürgerrechte von Zürich und Aargau sowie die Gemeindebürgerrechte von Winterthur/ZH und Küttingen/AG. In die erleichterte Einbürgerung einbezogen waren die beiden älteren Kinder D. und E.
Am 15. Oktober 1999 fand eine eheschutzrichterliche Verhandlung statt, in deren Verlauf den Ehegatten das Getrenntleben gestattet wurde. Am 2. November 1999 klagte A. auf Scheidung der Ehe. Mit Urteil des Bezirksgerichts Winterthur erfolgte die Scheidung am 19. Juni 2000. Anlässlich der Verhandlung vor dem Scheidungsrichter am 18. Januar 2000 gaben beide Ehegatten in getrennten Anhörungen übereinstimmend zu Protokoll, sie lebten seit sechs Monaten getrennt und hätten eigene Wohnungen.
Am 1. August 2001, rund ein Jahr nach der Scheidung vom Schweizer Ehegatten, verheiratete sich A. in der Türkei wieder mit ihrem ersten Ehemann B., der ihr im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz folgte und erneut mit C. im gleichen Betrieb arbeitete.
BGE 135 II 161 S. 164
Das damalige Bundesamt für Ausländerfragen teilte A. am 11. Februar 2003 mit, es erwäge, die erleichterte Einbürgerung für nichtig zu erklären. Die Chronologie der Ereignisse lasse vermuten, dass sie die Einbürgerung durch falsche Angaben zum Zustand der Ehe bzw. durch Verschweigen von erheblichen Tatsachen erschlichen habe. A. erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme und wurde aufgefordert, ihr Einverständnis zum Beizug der Scheidungsakten zu geben. Dieser Aufforderung kam A. nach. In der Folge wurde C. polizeilich einvernommen.
Mit Verfügung vom 21. Mai 2004 erklärte das damalige Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (heute Bundesamt für Migration, BFM) die erleichterte Einbürgerung von A. für nichtig. In der Begründung der Verfügung hielt das BFM fest, dass sich die Nichtigerklärung auch auf die in die Einbürgerung einbezogenen Kinder D. und E. erstrecke.
Gegen diese Verfügung gelangten A. und die Kinder D. und E. an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD). Das Bundesverwaltungsgericht, welches die beim EJPD am 1. Januar 2007 hängigen Beschwerden übernahm, wies das Rechtsmittel mit Urteil vom 20. März 2008 ab.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen A. (Beschwerdeführerin 1), D. (Beschwerdeführerin 2) und E. (Beschwerdeführer 3), es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und auf die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung für die Beschwerdeführer 1-3 zu verzichten. Eventualiter sei nur die Nichtigkeit der erleichterten Einbürgerung der Beschwerdeführerin 1 zu bestätigen, das angefochtene Urteil ansonsten aber aufzuheben und die Nichtigerklärung der Einbürgerung der Beschwerdeführerin 2 und des Beschwerdeführers 3 zu verweigern.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich der Nichtigkeit der Einbürgerung der Beschwerdeführerin 2 und des Beschwerdeführers 3 auf und weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuem Entscheid an das Bundesamt für Migration zurück. Im Übrigen weist es die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 27 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (BüG;
BGE 135 II 161 S. 165
SR 141.0)
kann eine Ausländerin nach der Eheschliessung mit einem Schweizer Bürger ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn sie insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit dem Schweizer Bürger lebt. Das Bundesgericht geht davon aus, dass eine eheliche Gemeinschaft im Sinne von
Art. 27 BüG
nicht nur das formelle Bestehen einer Ehe, sondern das Vorliegen einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft voraussetzt. Eine solche Gemeinschaft kann nur bejaht werden, wenn der gemeinsame Wille zu einer stabilen ehelichen Gemeinschaft intakt ist (
BGE 130 II 169
E. 2.3.1). Gemäss konstanter Praxis muss sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung als auch im Zeitpunkt des Einbürgerungsentscheids eine tatsächliche Lebensgemeinschaft bestehen, die Gewähr für die Stabilität der Ehe bietet. Zweifel bezüglich eines solchen Willens sind angebracht, wenn kurze Zeit nach der erleichterten Einbürgerung die Trennung erfolgt oder die Scheidung eingeleitet wird. Der Gesetzgeber wollte dem ausländischen Ehegatten einer Schweizer Bürgerin oder eines Schweizer Bürgers die erleichterte Einbürgerung ermöglichen, um die Einheit des Bürgerrechts der Ehegatten im Hinblick auf ihre gemeinsame Zukunft zu fördern (
BGE 130 II 482
E. 2 S. 484).
Nach
Art. 41 Abs. 1 BüG
kann die Einbürgerung vom Bundesamt mit Zustimmung der Behörde des Heimatkantons innert fünf Jahren nichtig erklärt werden, wenn sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist. Das blosse Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen genügt daher nicht. Die Nichtigerklärung der Einbürgerung setzt vielmehr voraus, dass diese "erschlichen", das heisst mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt worden ist (
BGE 132 II 113
E. 3.1 S. 115). Arglist im Sinne des strafrechtlichen Betrugstatbestands ist nicht erforderlich. Immerhin ist notwendig, dass die betroffene Person bewusst falsche Angaben macht bzw. die Behörde bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich zieht, es unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu informieren (
BGE 132 II 113
E. 3.1 S. 115).
3.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht richtet sich die erleichterte Einbürgerung nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021). Danach gilt der Untersuchungsgrundsatz, wonach die Behörde den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen hat (
Art. 12 VwVG
).
BGE 135 II 161 S. 166
Bei der Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung ist deshalb von der Behörde zu untersuchen, ob die Ehe im massgeblichen Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und der Einbürgerung tatsächlich gelebt wurde. Da es dabei im Wesentlichen um innere Vorgänge geht, die der Verwaltung oft nicht bekannt und schwierig zu beweisen sind, darf sie von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge) schliessen. Es handelt sich dabei um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden (
BGE 130 II 482
E. 3.2 S. 485 f.). Die betroffene Person ist bei der Sachverhaltsabklärung mitwirkungspflichtig (
BGE 130 II 482
E. 3.2 S. 486).
Die tatsächliche Vermutung betrifft die Beweiswürdigung und bewirkt keine Umkehrung der Beweislast (
BGE 130 II 482
E. 3.2 S. 486). Die betroffene Person muss nicht den Beweis des Gegenteils erbringen. Vielmehr genügt der Nachweis von Zweifeln an der Richtigkeit der Indizien und der daraus gezogenen Schlussfolgerung (vgl. dazu allgemein VOGEL/SPÜHLER/GEHRI, Grundriss des Zivilprozessrechts, 8. Aufl. 2006, S. 263 Rz. 51; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. 1983, S. 283 f.). Dem Gesagten zufolge liegt die Beweislast dafür, dass eine eheliche Gemeinschaft im Sinn von
Art. 27 BüG
im massgeblichen Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und der Einbürgerung nicht oder nicht mehr besteht, bei der Verwaltung. Es genügt deshalb, dass die betroffene Person einen oder mehrere Gründe angibt, die es plausibel erscheinen lassen, dass sie im Zeitpunkt ihrer Erklärung mit dem Schweizer Ehepartner in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft lebte und dass sie diesbezüglich nicht gelogen hat. Ein solcher Grund kann entweder ein ausserordentliches Ereignis sein, das zum raschen Zerfall des Willens zur ehelichen Gemeinschaft im Anschluss an die Einbürgerung führte, oder die betroffene Person kann darlegen, aus welchem Grund sie die Schwere der ehelichen Probleme nicht erkannte und im Zeitpunkt, als sie die Erklärung unterzeichnete, den wirklichen Willen hatte, mit dem Schweizer Ehepartner auch weiterhin in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft zu leben (Bundesgerichtsurteile 5A.22/2006 vom 13. Juli 2006 E. 2.3; 5A.18/2006 vom 28. Juni 2006 E. 2.3).
4.
4.1
Das Bundesverwaltungsgericht geht von einer Erschleichung des Bürgerrechts durch die Beschwerdeführerin 1 aus. Aufgrund der engen zeitlichen Abfolge der Einbürgerung der
BGE 135 II 161 S. 167
Beschwerdeführerin 1 (8. Juli 1999), der Scheidung der mit dem Schweizer eingegangenen Ehe (19. Juni 2000) und der Wiederverheiratung der Beschwerdeführerin 1 mit dem ersten Ehemann (1. August 2001) vermutet die Vorinstanz, dass im Zeitpunkt der gemeinsamen Erklärung über das Bestehen der mit dem Schweizer eingegangenen Ehe (21. Juni 1999) in Wirklichkeit keine stabile eheliche Gemeinschaft im Sinne von
Art. 27 BüG
bestanden habe. Nach Auffassung der Vorinstanz lässt die eigentümliche Dreiecksbeziehung unter den Betroffenen überdies den Verdacht entstehen, das gesamte Vorgehen sei von Anfang an abgesprochen gewesen, und es habe zwischen der Beschwerdeführerin 1 und dem Schweizer nie eine reelle eheliche Gemeinschaft im Sinn von
Art. 27 BüG
bestanden.
Nach Darstellung der Beschwerdeführerin 1 und ihres Schweizer Ex-Ehemannes sei aus Liebe geheiratet worden. Konflikte des Ehemannes mit den beiden jüngeren Kindern, welche im Mai 1999 in die Schweiz nachgezogen seien, hätten nachträglich zum Scheitern der Ehe geführt. Zum Zeitpunkt der gemeinsamen Erklärung seien die Eheleute von einer intakten Ehe ausgegangen. Die Beschwerdeführerin 1 habe die Scheidung auf Drängen des Ehemannes eingereicht. Zur Wiederverheiratung mit dem ersten Ehemann sei es gekommen, weil sich die Beschwerdeführerin 1 als alleinerziehende Mutter von vier Kindern überfordert gefühlt habe.
Das Bundesverwaltungsgericht fährt fort, allein schon der zeitliche Ablauf der Ereignisse spreche gegen die Darstellung der Beschwerdeführerin 1. Zur faktischen Trennung sei es bereits im Juli 1999, somit im Monat der Einbürgerung gekommen. Drei Monate nach der Einbürgerung im Oktober 1999 sei den Ehegatten im Rahmen eines Eheschutzverfahrens das Getrenntleben gerichtlich bewilligt worden. In Anbetracht des Umstandes, dass das Erkennen des Scheiterns der Ehe, der Trennungsentschluss und dessen Umsetzung einige Zeit brauchen, könne nicht angenommen werden, die Ehe sei zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Erklärung am 21. Juni 1999 resp. der Verleihung der erleichterten Einbürgerung am 8. Juli 1999 noch intakt gewesen. Die einseitige Zuweisung der Verantwortung an den schweizerischen Ehemann lasse sich schwer mit dem Umstand vereinbaren, dass es die Beschwerdeführerin 1 gewesen sei, die auf Scheidung geklagt habe. Der Einwand der Beschwerdeführerin 1, ihr Ex-Ehemann habe die beiden jüngeren Kinder nicht ertragen, lässt die Vorinstanz nicht gelten. Dieser habe gewusst, dass er eine Mutter von vier Kindern heirate, und er habe bereits einige
BGE 135 II 161 S. 168
einschlägige Erfahrungen mit den beiden älteren Kindern sammeln können, die bereits seit 1996 in der ehelichen Wohnung gelebt hätten. Da die Beschwerdeführerin 1 angebe, von einem im Jahr 1997 aus Rücksicht auf ihren damaligen Ehemann durchgeführten Schwangerschaftsabbruch traumatisiert zu sein, müsse angenommen werden, dass allfällige eheliche Probleme wegen der Kinder ohnehin bereits geraume Zeit vor der Einbürgerung bestanden hätten.
4.2
Die Beschwerdeführerin 1 beteuert erneut, ihren Schweizer Ex-Ehemann aus Liebe geheiratet zu haben. Bis zum Nachzug der beiden jüngeren Kinder im Mai 1999 habe es keine ehelichen Probleme gegeben. Dass diese in die Schweiz verbracht werden sollten, sei darauf zurückzuführen, dass die Grossmutter, welche sich bis zu diesem Zeitpunkt um sie gekümmert habe, schwer erkrankt sei. Dieser Umstand unterschlage die Vorinstanz. Es sei nicht aussergewöhnlich, dass eine Ehe scheitere, weil sich einer der Ehepartner mit vier Kindern überfordert fühle.
4.3
Aufgrund der dargestellten Eckdaten ist der Standpunkt des Bundesverwaltungsgerichts, im Zeitpunkt der Einbürgerung habe keine stabile eheliche Gemeinschaft im Sinn von
Art. 27 BüG
mehr bestanden, zu schützen. Allein schon die zeitliche Abfolge der Ereignisse (Einbürgerungsentscheid und faktische Trennung im Juli 1999; gerichtliche Bewilligung der Trennung im Oktober 1999; Scheidung im Juni 2000) lässt die Vermutung aufrechtbestehen, dass bei der Einbürgerung eine intakte Ehe nicht bestand und die Beschwerdeführerin gegenüber den Behörden bewusst wahrheitswidrige Angaben über den Zustand der Ehe machte. Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass der Nachzug der beiden kleinen Kinder im Mai 1999 die eheliche Gemeinschaft allenfalls zu belasten vermochte. Dennoch ist nicht nachvollziehbar, dass bereits zwei Monate später und gleichzeitig mit der Einbürgerung im Juli 1999 das Getrenntleben aufgenommen und nach drei Monaten die gerichtliche Bewilligung zum Getrenntleben erwirkt wurde. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist nicht anzunehmen, dass im Zeitpunkt der Einbürgerung die Ehe intakt war.
Hinzu kommt der aus den Akten ersichtliche Umstand, dass der erste und jetzige Ehemann der Beschwerdeführerin 1 im April 1999 ein Visum zwecks Besuch der Beschwerdeführerin 1 und der gemeinsamen Kinder erlangte und am 19. Juni 1999 in die Schweiz einreiste. Die Beschwerdeführerin 1 gab zu dessen Gunsten gegenüber
BGE 135 II 161 S. 169
dem Schweizer Generalkonsulat in Istanbul eine Garantieerklärung ab. Anschliessend stellte der türkische Ehemann ein Asylgesuch. Dies spricht gegen die Darstellung der Beschwerdeführerin 1, dass sie sich erst nach der Scheidung vom Schweizer Ehemann ihrem ersten und jetzigen Ehemann wieder angenähert habe.
Aus den dargelegten Gründen ist der Standpunkt der Vorinstanz, es sei erwiesen, dass die Beschwerdeführerin 1 im Verfahren der erleichterten Einbürgerung bewusst wahrheitswidrig bestätigte, in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft mit dem Schweizer Ehemann zu leben, nicht zu beanstanden. Das Bundesverwaltungsgericht hat demnach kein Bundesrecht verletzt, wenn es die Nichtigerklärung der Einbürgerung der Beschwerdeführerin 1 bestätigte. Die Beschwerde ist bezüglich der Beschwerdeführerin 1 abzuweisen.
5.
5.1
Bezüglich der Beschwerdeführerin 2 und des Beschwerdeführers 3 führte die Vorinstanz aus,
Art. 41 Abs. 3 BüG
sehe die Erstreckung der Nichtigkeit einer Einbürgerung auf die abgeleiteten Bürgerrechte der Familienmitglieder vor. Entgegen dem Standpunkt der Beschwerdeführer könne in diesem Zusammenhang von Sippenhaft nicht die Rede sein. Der Gesetzgeber habe das Anknüpfen an ein unredliches Verhalten der reflexhaft betroffenen Familienmitglieder von vornherein ausgeschlossen. In den allermeisten Fällen hätten reflexhaft betroffene Familienmitglieder an der Täuschungshandlung zur Erlangung der Einbürgerung nicht mitgewirkt. Das Anknüpfen an ein unredliches Verhalten der betroffenen Familienmitglieder würde
Art. 41 Abs. 3 BüG
in sein Gegenteil verkehren, wonach die Erstreckung der Nichtigkeit einer Einbürgerung auf die abgeleiteten Bürgerrechte den Regelfall darstelle.
Andere Gründe, die es rechtfertigen würden, die Beschwerdeführerin 2 und den Beschwerdeführer 3 von der Nichtigerklärung ihrer Bürgerrechte auszunehmen, seien nicht ersichtlich. Der von der Beschwerdeführerin 2 beklagte Verlust eines Teils ihrer in der Schweiz erlangten Identität sei Folge jeder Nichtigerklärung des Bürgerrechts. Die geltend gemachte gute Integration werde ihr im Rahmen eines Verfahrens auf ordentliche Einbürgerung von Nutzen sein. Die Beibehaltung des Schweizer Bürgerrechts, das die Beschwerdeführer aufgrund des unredlichen Verhaltens ihrer Mutter im privilegierten Verfahren erhalten hätten, werde mit der guten Integration nicht gerechtfertigt. Es sei deshalb nicht zu beanstanden, dass das BFM
BGE 135 II 161 S. 170
die Beschwerdeführerin 2 und den Beschwerdeführer 3 von der Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung nicht ausnahm.
5.2
Die Beschwerdeführer wenden vor Bundesgericht ein, dass sie seit 1996 in der Schweiz wohnen und sich als Schweizer fühlen würden und gut integriert seien. Die Beschwerdeführerin 2 macht geltend, sie habe ein besonders enges Verhältnis zu ihrem Schweizer Stiefvater, arbeite als stellvertretende Teamleiterin in einer Versicherungsgesellschaft, wolle nächstens eine Weiterbildung antreten und habe bisher bei allen Wahlen und Abstimmungen ihr Stimmbürgerrecht wahrgenommen. Sie sei deshalb eine "vorbildlich Eingebürgerte". Der Beschwerdeführer 3 argumentiert, er habe jüngst die Rekrutenschule absolviert und arbeite seither in einem Betrieb in Winterthur-Seen. Auch er sei vollumfänglich integriert.
5.3
Gemäss
Art. 41 Abs. 3 BüG
erstreckt sich die Nichtigkeit auf alle Familienmitglieder, deren Schweizer Bürgerrecht auf der nichtigerklärten Einbürgerung beruht, sofern nicht ausdrücklich anders verfügt wird. Der Sinn dieser Vorschrift liegt zweifelsohne darin, Einbürgerungen, die auf einer Täuschung der Behörden beruhen, den Bestand zu verweigern. Indessen ist aus der Formulierung dieser Vorschrift zu schliessen, dass die Nichtigerklärung der Einbürgerung nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zwingend alle eingebürgerten Familienmitglieder erfassen muss. Die Gesetzesmaterialien weisen ebenfalls in diese Richtung (vgl. die Botschaft vom 9. August 1951 an die Bundesversammlung zum Entwurf zu einem Bundesgesetz über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts, BBl 1951 II 669 ff., 703 Ziff. XVIII).
Art. 41 Abs. 3 BüG
nennt allerdings keine Kriterien, nach denen zu beurteilen wäre, in welchen Fällen von der Nichtigkeit der Einbürgerung der Familienmitglieder abzusehen ist, sondern überlässt diese Frage der Praxis. Der Vorinstanz ist insoweit zuzustimmen, als allein das Fehlen unredlichen Verhaltens der Familienmitglieder, die in der Regel am täuschenden Verhalten ihrer Eltern nicht mitgewirkt haben, nicht ausschlaggebend sein kann, da
Art. 41 Abs. 3 BüG
sonst in sein Gegenteil verkehrt würde. Im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit werden die Behörden Grundsätze entwickeln müssen, anhand derer zu beurteilen ist, in welchen Fällen die Erstreckung der Nichtigkeit der erschlichenen Einbürgerung auf die Familienangehörigen als angemessen resp. unangemessen zu betrachten ist. Dabei haben sich die Behörden
BGE 135 II 161 S. 171
von der Verfassung sowie von Sinn und Zweck des Bürgerrechtsgesetzes leiten zu lassen. Insbesondere haben sie die Vorschriften über die Voraussetzungen zur ordentlichen Einbürgerung (Art. 14 f. BüG) im Auge zu behalten. Liegen etwa die Voraussetzungen zur ordentlichen Einbürgerung der betroffenen, selber bereits mündigen Familienmitglieder offensichtlich vor, so wäre es mit Sinn und Zweck des Bürgerrechtsgesetzes kaum vereinbar, die Nichtigkeit der erschlichenen Einbürgerung auf die Familienmitglieder auszudehnen.
5.4
In Bezug auf die Beschwerdeführerin 2 und den Beschwerdeführer 3 ist die Erstreckung der Nichtigkeit der Einbürgerung der Beschwerdeführerin 1 nicht zwingend.
Art. 41 Abs. 3 BüG
muss im Lichte der vorstehenden Erwägung angewendet werden. Sollten die Ausführungen in der Beschwerdeschrift bezüglich der Integration der mittlerweile 22- und 25-jährigen und damit volljährigen Beschwerdeführer (klagloses Verhalten, Absolvierung der militärischen Grundausbildung, berufliche Ausbildung und Tätigkeit, Ausübung des Stimmrechts) zutreffen, so erschiene die Erstreckung der Nichtigkeit der Einbürgerung der Beschwerdeführerin 1 ihnen gegenüber als unverhältnismässig und mit Sinn und Zweck des Bürgerrechtsgesetzes nicht vereinbar.
Das Bundesgericht kann diese Frage im vorliegenden Verfahren nicht abschliessend beurteilen, da es an einer hinreichenden Sachverhaltsabklärung durch die Vorinstanz fehlt. Jedenfalls aber genügen die in Erwägung 9 des angefochtenen Urteils enthaltenen Ausführungen und die vom Bundesamt für Migration in seiner Stellungnahme angegebenen Gründe nicht, um die Nichtigkeit der Einbürgerung der Beschwerdeführerin 1 auch auf die Beschwerdeführerin 2 und den Beschwerdeführer 3 auszudehnen.
Die Beschwerde ist bezüglich der Beschwerdeführerin 2 und des Beschwerdeführers 3 gutzuheissen und die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuem Entscheid zurückzuweisen, wobei die Sache in Anwendung von
Art. 107 Abs. 2 BGG
an das Bundesamt für Migration als erstentscheidende Behörde zurückgeht. Dieses hat sich mit der Auslegung und Anwendung von
Art. 41 Abs. 3 BüG
im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen zu befassen. | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7dbb337a-9f0f-4062-85a7-85eaa1857771 | Urteilskopf
124 III 449
78. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 29 septembre 1998 dans la cause S. contre B. (recours en réforme) | Regeste
Verjährung periodischer Leistungen (
Art. 131 OR
). Hinderung und Stillstand der Verjährung (
Art. 134 OR
).
Für den Verjährungsanfang ist zwischen den einzelnen periodischen Leistungen und dem Forderungsrecht im Ganzen zu unterscheiden. Verjährung der einzelnen Leistungen (E. 3).
Begriff der Unmöglichkeit, die Forderung vor einem schweizerischen Gericht geltend zu machen, im Sinne von
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR
. Wird die Anwendbarkeit dieser Bestimmung durch die Möglichkeit der Arrestlegung auf Vermögen des Schuldners in der Schweiz ausgeschlossen (E. 4)? | Sachverhalt
ab Seite 450
BGE 124 III 449 S. 450
A.-
En octobre 1982, les biens de B. déposés auprès de la banque X., à Genève, ont fait l'objet d'une mesure de blocage. S. a été chargé, en décembre de la même année, d'obtenir la levée de cette mesure. Vu le succès des démarches de l'intéressé, B. a signé, en faveur de celui-ci, le 12 janvier 1983, un document établi à Genève, intitulé "Promesse d'engagement", qui énonçait ce qui suit:
"1. Le soussigné confirme par la présente ses promesses irrévocables de payer à Monsieur S., ou ses héritiers, 15% de tout (sic) les bénéfices annuels calculés sur la valeur totale de tous les biens que Monsieur S. a réussi à récupérer pour mon compte, et à ma demande, au mois de décembre 1982, et qui étaient bloqués par l'organisme financier à Genève.
2. Le paiement des 15% débutera à partir de l'année 1983 pour une durée illimitée, mais en tout cas pour une période pas moins de 25 ans (période minimale). Mes biens, et ceux de mon épouse, ainsi que ceux de mes Sociétés à l'étranger, et pour lesquels je dois encore récupérer des paiements font partie intégrale de la présente promesse irrévocable.
3. Mon épouse et mes enfants ont été informés du présent engagement, et doivent le respecter sans aucune restriction, et ce en cas d'incapacité physique et/ou morale.
4. Cet engagement est une compensation pour les efforts fournis par Monsieur S., qui a été le seul à réussir le sauvetage de ma fortune, et de mes biens."
En exécution de l'obligation stipulée dans ce document, B. a versé un unique montant de 80'000 fr. à S., le 14 novembre 1983. De 1983 à 1990, ce dernier a travaillé, contre rémunération, pour le compte de sociétés du groupe B. créées et administrées en Suisse. Le 30 juillet 1993, il a formé une requête en reddition de comptes contre un autre mandataire chargé de gérer, à Genève, des sociétés appartenant à B.; cette requête a été rejetée en dernière instance, le 7 décembre 1993, par la Cour de justice du canton de Genève.
B.-
Le 2 mai 1994, S., se fondant sur l'écrit précité, a ouvert action, à Genève, contre B. en vue d'obtenir le paiement de 1'153'000 fr. Le défendeur a admis la compétence ratione loci des tribunaux genevois, bien qu'il fût domicilié à l'étranger. Sur le fond, il a conclu au rejet de la demande en soulevant, notamment, l'exception de prescription. Les parties sont convenues de soumettre le litige au droit suisse.
Par jugement du 9 mai 1996, le Tribunal de première instance du canton de Genève, constatant que la créance déduite en justice était prescrite, a rejeté la demande.
Statuant par arrêt du 13 décembre 1996, sur appel du demandeur, la Cour de justice du canton de Genève a confirmé ce jugement.
BGE 124 III 449 S. 451
A l'appelant, qui soutenait, sur la base de l'
art. 134 al. 1 ch. 6 CO
, que la prescription n'avait pas commencé à courir, elle a répondu que tel n'était pas le cas, étant donné, d'une part, qu'il avait démontré, en assignant le défendeur, domicilié à l'étranger, devant les tribunaux genevois, qu'il pouvait faire valoir sa créance en Suisse et, d'autre part, qu'il aurait pu à tout moment interrompre la prescription par un séquestre qu'il aurait ensuite validé.
C.-
Le demandeur interjette un recours en réforme au Tribunal fédéral. Il conclut, outre à l'annulation de l'arrêt déféré, principalement au paiement par le défendeur de 1'153'000 fr., intérêts en sus, et, subsidiairement, au renvoi de la cause à la cour cantonale pour reprise de l'instruction et nouveau jugement.
Le Tribunal fédéral rejette le recours, dans la mesure où il est recevable, et confirme l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) Selon l'
art. 131 CO
, en matière de rentes viagères et autres prestations périodiques analogues, la prescription court, quant au droit d'en réclamer le service, dès le jour de l'exigibilité du premier terme demeuré impayé (al. 1). La prescription de la créance entraîne celle des arrérages (al. 2). Appliquant cette disposition, les juges cantonaux ont admis que, le premier terme demeuré impayé ayant été celui du début 1984, l'écoulement d'un délai de cinq ans sans acte interruptif avait entraîné, au début 1989, la prescription du droit de réclamer le service des prestations litigieuses ainsi que celle des arrérages. Cette appréciation de la portée juridique des faits pertinents est soumise au libre examen du Tribunal fédéral (
art. 63 al. 3 OJ
).
b) En matière de prestations périodiques analogues à une rente viagère, deux délais de prescription entrent en ligne de compte: l'un court pour chacune de ces prestations partielles (cinq ans dès l'exigibilité, en vertu des
art. 128 ch. 1 et 130 CO
, puisqu'elles constituent aussi des redevances périodiques tombant sous le coup de ces dispositions); l'autre court pour le droit d'en réclamer le service, fondé sur le rapport juridique de base (Forderungsrecht im ganzen, Stammrecht, Grundforderung), lequel droit ne revêt pas de caractère périodique et se prescrit, en conséquence, par dix ans en vertu de l'
art. 127 CO
(
ATF 111 II 501
ss et les auteurs cités; voir aussi: BERTI, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Bâle, n. 4 et 5 ad
art. 131 CO
; SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht,
BGE 124 III 449 S. 452
Allgemeiner Teil, p. 426, n. 84.20). Quant aux effets de ces deux prescriptions, celle de l'
art. 128 ch. 1 CO
frappe d'abord successivement les prestations partielles après cinq ans écoulés dès leur exigibilité; celle des
art. 131 et 127 CO
atteint ensuite non seulement le rapport juridique de base, après dix ans écoulés dès le jour d'exigibilité du premier terme demeuré impayé (
art. 131 al. 1 CO
), mais également chacun des arrérages non encore prescrits sur la base de l'
art. 128 CO
(
art. 131 al. 2 CO
; cf. BERTI, op. cit., n. 5 ad
art. 131 CO
).
En l'espèce, la cour cantonale n'a pas appliqué correctement ces règles de droit. En effet, les prestations partielles annuelles incombant au défendeur ont été atteintes par la prescription pour les termes demeurés impayés avant le 2 mai 1989, soit cinq ans avant l'ouverture de l'action en paiement par le demandeur; ceci résulte de l'application de l'
art. 128 ch. 1 CO
. D'autre part, comme le premier terme demeuré impayé fut celui du début 1984, le droit de réclamer le service de ces prestations périodiques s'est trouvé prescrit au début 1994, en application des
art. 127 et 131 al. 1 CO
, et non pas déjà au début 1989, contrairement à l'opinion des juges précédents. La prescription frappant le rapport juridique de base a touché du même coup, en vertu de l'
art. 131 al. 2 CO
, les arrérages (termes demeurés impayés après le 2 mai 1989). Toutefois, en tant qu'il constate que la créance litigieuse est totalement prescrite, sous réserve d'une éventuelle suspension de la prescription (cf. consid. 4 ci-après), l'arrêt entrepris n'en est pas moins conforme au droit fédéral, sinon dans ses motifs, du moins dans son résultat.
4.
Dans son recours en réforme, le demandeur fait grief à la cour cantonale d'avoir exclu sans raison valable, en l'espèce, l'existence de l'une des hypothèses dans lesquelles la prescription ne court point, à savoir celle où le créancier n'a pas la possibilité d'actionner le débiteur en Suisse.
a) Aux termes de l'
art. 134 al. 1 ch. 6 CO
, la prescription ne court point et, si elle avait commencé à courir, elle est suspendue tant qu'il est impossible de faire valoir la créance devant un tribunal suisse. Selon la jurisprudence, cette disposition ne s'applique que si le créancier est empêché par des circonstances objectives, indépendantes de sa situation personnelle, d'intenter une action en Suisse (
ATF 90 II 428
consid. 6 à 9). Par son interprétation restrictive de la disposition précitée, le Tribunal fédéral a ainsi fortement relativisé la portée du principe rendu par l'adage "contra non valentem agere non currit praescriptio" et voulant que la prescription soit suspendue lorsque
BGE 124 III 449 S. 453
le créancier est entravé, pour quelque raison que ce soit, dans la poursuite de son droit (ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, 2e éd., p. 810 et 813, n. 257). S'il convient de se montrer strict relativement à la nature des circonstances pertinentes pour l'application de l'
art. 134 al. 1 ch. 6 CO
, une certaine souplesse est, en revanche, de mise lorsqu'il s'agit de décider si la circonstance objective relevée dans un cas concret entre ou non dans les prévisions de cette disposition. A cet égard, la possibilité objective pour le créancier de se créer un for en Suisse ne constituera pas toujours un obstacle à l'empêchement ou à la suspension de la prescription. Ce ne sera notamment pas le cas chaque fois que l'on ne pourra raisonnablement exiger du créancier qu'il agisse en Suisse, et ce pour des motifs indépendants de sa situation personnelle. A titre d'exemple, on citera le cas du créancier qui en est réduit à tabler sur l'acceptation tacite de la compétence des tribunaux suisses par le défendeur domicilié à l'étranger. En pareille hypothèse, la possibilité pour l'intéressé de faire valoir sa créance devant un tribunal suisse existe certes objectivement (cf. l'art. 6 de la loi fédérale sur le droit international privé [LDIP; RS 291]), mais elle revêt un caractère purement aléatoire dans la mesure où sa réalisation dépend du bon vouloir du défendeur. Exclure, dans ces conditions, le droit du créancier d'invoquer le bénéfice de l'
art. 134 ch. 1 al. 6 CO
ne serait pas raisonnable. En définitive, c'est au juge qu'il appartient de déterminer si l'impossibilité objective, au sens de cette disposition et de la jurisprudence qui en éclaire la portée, existe ou non dans le cas qui lui est soumis.
b) Examinés à la lumière de ces principes, les deux motifs avancés par la cour cantonale pour refuser d'appliquer l'
art. 134 al. 1 ch. 6 CO
en l'espèce appellent les remarques suivantes:
aa) Les juges précédents ont considéré que, dans la mesure où, de sa propre initiative, le demandeur avait introduit son action en paiement en Suisse, sans que le défendeur, pourtant domicilié à l'étranger, n'élevât un déclinatoire, il avait démontré que la création d'un for dans ce pays ne lui était pas impossible. Aussi lui eût-il incombé d'établir pour quelle raison il s'était trouvé dans l'impossibilité d'agir en Suisse plus tôt qu'il ne l'avait fait. N'ayant pas apporté semblable preuve, le demandeur soutenait, dès lors, en pure perte que la prescription de sa créance n'avait pas commencé à courir, en vertu de l'
art. 134 al. 1 ch. 6 CO
.
Comme on l'a déjà indiqué plus haut, l'objectivation de la notion d'impossibilité d'agir, déterminante pour l'application de cette disposition, ne permet pas d'imposer indirectement à un créancier
BGE 124 III 449 S. 454
l'obligation d'actionner son débiteur en Suisse, en l'absence de tout for légal dans ce pays et à défaut d'une élection de for, dans l'espoir que le défendeur admettra expressément la compétence ratione loci du tribunal saisi ou, du moins, procédera au fond sans faire de réserve. En d'autres termes, lorsque le demandeur en est réduit à miser sur une éventuelle acceptation de la compétence des tribunaux suisses par le défendeur, son inaction ne saurait, en principe, l'empêcher de se prévaloir de l'
art. 134 al. 1 ch. 6 CO
. En opposant au demandeur le fait qu'il n'avait pas démontré s'être trouvé dans l'impossibilité d'agir plus tôt en Suisse contre le défendeur, la Cour de justice a donc attribué à la notion d'impossibilité objective un sens qu'elle n'a pas.
Au demeurant, contrairement à l'opinion des juges cantonaux sur ce point, le fait que le défendeur ait accepté la compétence des tribunaux genevois lorsque le demandeur l'a assigné devant ceux-ci ne permet nullement d'en tirer la conclusion - tirée, faute de reposer sur des circonstances concrètes, de l'expérience de la vie, et donc à traiter dans le présent recours comme une question de droit - qu'il eût adopté la même attitude s'il avait été actionné plus tôt au même for. Il faut, en effet, bien voir que l'intéressé avait de bonnes raisons de se soumettre à la juridiction de ces tribunaux-là et de faire élection du droit suisse, dès lors que, selon lui, la créance du demandeur était prescrite au regard de ce droit. En soulevant l'exception de prescription à l'occasion de la procédure ouverte contre lui à Genève, le défendeur pouvait ainsi obtenir la constatation judiciaire de l'extinction de la créance du demandeur à son égard. Il n'est pas certain, et même peu conforme à l'expérience de la vie, qu'il eût agi de manière identique s'il avait été actionné plus tôt, avant que la prescription ne fût acquise. L'hypothèse inverse, retenue par la Cour de justice, ne résiste pas à l'examen.
bb) Pour exclure l'application de l'
art. 134 al. 1 ch. 6 CO
dans la présente espèce, les juges précédents ont encore avancé un autre motif, à savoir la possibilité qu'aurait eue le demandeur de faire séquestrer les biens du défendeur sis à Genève et d'ouvrir ensuite une action en validation de séquestre devant les tribunaux de ce canton.
Il ressort de l'arrêt attaqué, aux constatations duquel la juridiction fédérale de réforme doit se tenir (
art. 63 al. 2 OJ
), que le demandeur "avait une connaissance certaine de l'existence de biens, propriété [du défendeur] en Suisse, puisqu'il avait fait procéder à la levée de la saisie sur ceux-ci auprès de la banque [X.] en 1983 et qu'il avait
BGE 124 III 449 S. 455
sollicité la reddition de comptes des sociétés gérées et administrées à Genève, et ce à tout le moins jusqu'en 1990". La cour cantonale en a déduit que le demandeur pouvait interrompre à tout moment la prescription par le dépôt d'une requête de séquestre qu'il aurait ensuite validée. Cette déduction est correcte: le cas de séquestre était celui prévu à l'art. 271 al. 1 ch. 4 aLP. Au demeurant, tant avant l'entrée en vigueur de la LDIP (
ATF 85 II 359
consid. 2), le 1er janvier 1989, que sous l'empire de cette loi (art. 4), le séquestre opéré à Genève y créait un for pour l'action en validation de cette mesure, étant précisé que la Convention de Lugano (RS 0.275.11), qui proscrit le for du lieu du séquestre à son art. 3 al. 2, n'était pas applicable in casu, le défendeur étant domicilié dans un Etat qui n'avait pas encore ratifié ce traité à l'échéance du délai de prescription de la créance litigieuse (sur la fonction du domicile, cf. DONZALLAZ, La Convention de Lugano, vol. I, n. 1100 ss).
En considérant, dans de telles circonstances, que, du début 1984 au début 1994, le demandeur s'était toujours trouvé en situation d'ouvrir action devant un tribunal suisse pour y faire valoir la créance litigieuse, et en admettant, pour ce motif, que la prescription avait couru durant tout ce laps de temps, les juges cantonaux n'ont nullement méconnu la notion d'impossibilité objective d'agir, au sens de l'
art. 134 al. 1 ch. 6 CO
et de la jurisprudence y relative. Ils ont admis à bon droit qu'il existait objectivement une possibilité pour le créancier de se créer un for en Suisse, moyennant le séquestre des biens de son débiteur déposés à Genève, et ils ont estimé à juste titre que l'on pouvait raisonnablement exiger de l'intéressé qu'il fît usage de cette possibilité, dès lors qu'il connaissait parfaitement l'existence de ces biens (cf. SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, vol. I, § 72, p. 159 et note de pied 44, qui se réfère à la maxime" qui potest facere ut possit iam videtur posse"). La solution à adopter serait-elle la même au cas où le créancier n'aurait que des soupçons quant à la présence de biens de son débiteur en Suisse, voire en ignorerait l'existence, ou encore s'il était contraint d'intenter l'action en validation de séquestre à un autre for que celui du lieu du séquestre? Point n'est besoin d'en décider ici, puisqu'aussi bien la spécificité de la cause en litige permet de réserver un examen ultérieur de ces questions. | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7dbbff40-f50d-4929-88cb-e258af0d760a | Urteilskopf
99 V 49
18. Auszug aus dem Urteil vom 11. April 1973 i.S. Arnold gegen Kantonales Arbeitsamt Luzern und Versicherungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 24 Abs. 2 lit. c, Art. 26 Abs. 3 lit. b AIVG.
Über den anrechenbaren Verdienstausfall bei Weiterbildungs- oder Umschulungskursen. | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 99 V 49 S. 49
Auszug aus dem Tatbestand:
A.-
René Arnold ist seit 1. August 1971 Mitglied der Paritätischen Arbeitslosenversicherungskasse für die schweizerische Hotellerie und das Gastwirtschaftsgewerbe.
Nachdem er seit 1. August 1971 als Kellner in London tätig gewesen war, kehrte er am 16. Februar 1972 in die Schweiz zurück. Vom 18. bis 23. Februar 1972 meldete er sich beim
BGE 99 V 49 S. 50
kantonalen Arbeitsamt arbeitslos und absolvierte dann vom 24. Februar bis 19. April 1972 einen Kochkurs zwecks beruflicher Weiterbildung.
Auf ein Gesuch des Versicherten um Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung verfügte das kantonale Arbeitsamt Luzern u.a., dass der Verdienstausfall während des Weiterbildungskurses nicht anrechenbar im Sinne des Art. 20 Abs. 1 und 2 AIVV sei.
B.-
Das kantonale Versicherungsgericht wies eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde ab.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte, es sei der Verdienstausfall während des Kochkurses als anrechenbar zu erklären, denn einem jungen Mann sollte in seinem schützenswerten Weiterbildungsbestreben entgegengekommen werden.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
a) Gemäss Art. 24 Abs. 2 lit. c AIVG hat der Versicherte Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wenn er einen anrechenbaren Verdienstausfall gemäss Art. 26 bis 28 AIVG erlitten hat. Der Verdienstausfall ist somit grundsätzlich nur anrechenbar, wenn alle versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne dieser Bestimmungen erfüllt sind.
Der Verdienstausfall während des Besuches von Weiterbildungs- oder Umschulungskursen insbesondere ist laut Art. 26 Abs. 3 lit. b AIVG in Verbindung mit Art. 20 AIVV nur anrechenbar, wenn das kantonale Arbeitsamt den Versicherten zum Besuch des Kurses angewiesen oder den Verdienstausfall ausdrücklich als anrechenbar erklärt hat (Abs. 1). Das kantonale Arbeitsamt kann einen Versicherten zum Besuch eines Kurses anweisen oder, falls der Versicherte den Kurs von sich aus besucht, den Verdienstausfall als anrechenbar erklären, wenn der Besuch des Kurses die Vermittlungsfähigkeit fördert und wenn anzunehmen ist, dass der Versicherte während des Kurses arbeitslos wäre oder ohne Umschulung oder Weiterbildung von Arbeitslosigkeit bedroht würde (Abs. 2).
Nach der Rechtsprechung hat der Versicherte, der eine voraussichtlich dauernde Beschäftigung von sich aus aufgibt, um einen Weiterbildungskurs zu besuchen, während der Dauer des
BGE 99 V 49 S. 51
Kurses keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (EVGE 1958 S. 264).
b) Die Vorinstanz hat zutreffend dargelegt, dass die Voraussetzungen des Art. 20 Abs. 2 AIVV, um den Verdienstausfall während des vom Beschwerdeführer in der Schweizerischen Hotelfachschule in Luzern besuchten Kochkurses anrechenbar zu erklären, nicht erfüllt waren. Angesichts der Arbeitsmarktlage für Restaurationskellner während der fraglichen Zeit konnte nicht angenommen werden, "dass der Versicherte während des Kurses arbeitslos wäre oder ohne Umschulung oder Weiterbildung von Arbeitslosigkeit bedroht würde". Ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung entsteht auch nicht schon dann, wenn ein Weiterbildungskurs die Vermittlungsfähigkeit des Versicherten zu fördern vermag. Vielmehr muss - wie das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit mit Recht ausführt - die Weiterbildung oder Umschulung zudem der Vermeidung einer konkret zu befürchtenden oder der Abkürzung einer bereits bestehenden Arbeitslosigkeit dienen. Es wäre mit der Zweckgebundenheit der Mittel der Arbeitslosenversicherung nicht vereinbar, wenn ohne Rücksicht auf die Lage des Arbeitsmarktes Entschädigungen an Versicherte ausgerichtet würden, die sich aus eigenem Antrieb und einzig zu dem - an sich anerkennenswerten - Zweck, ihre beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten zu verbessern, weiterbilden oder umschulen lassen. Der Auffassung des kantonalen Richters ist deshalb beizupflichten, wenn er feststellt, die Förderung der beruflichen Weiterbildung sei nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, sondern der öffentlichen Hand durch Gewährung von Stipendien.
In der Verweigerung von Arbeitslosenentschädigung während des vom Beschwerdeführer von sich aus besuchten Kochkurses liegt somit keine Verletzung von Bundesrecht. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7dc21d35-efc5-4c95-a021-e67867fc3faa | Urteilskopf
117 Ia 133
23. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Juli 1991 i.S. F. gegen E. AG und Obergericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 und 58 BV
; Besetzung des Gerichts; Anspruch auf rechtliches Gehör.
Kann einem an einer zweiten kantonalen Berufungsverhandlung neu mitwirkenden Gerichtsmitglied der Prozessstoff durch Aktenstudium zugänglich gemacht werden, wird der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör nicht verletzt, wenn ihnen nicht erneut Gelegenheit gegeben wird, sich vernehmen zu lassen. Die Auswechslung eines Richters verstösst unter der genannten Voraussetzung auch nicht gegen
Art. 58 BV
(E. 1). | Erwägungen
ab Seite 134
BGE 117 Ia 133 S. 134
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt worden, dass das Obergericht ihm trotz veränderter Besetzung keine Gelegenheit gegeben habe, sich neu mündlich oder schriftlich vernehmen zu lassen; dies sei mit § 169 aZPO/TG und
Art. 4 BV
nicht vereinbar. Durch die Auswechslung eines Richters an der zweiten Berufungsverhandlung sei auch
Art. 58 BV
verletzt worden.
e) Die Prozessparteien haben Anspruch darauf, dass kein Richter urteilt, der nicht Kenntnis von ihren Vorbringen und vom Beweisverfahren hat. Entscheidend ist dabei, dass einem neu mitwirkenden Richter der Prozessstoff durch Aktenstudium zugänglich gemacht werden kann. Dieser Anspruch war im vorliegenden Fall gewahrt, ohne dass dem Beschwerdeführer erneut hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, sich vernehmen zu lassen. Das an der zweiten Berufungsverhandlung neu mitwirkende Gerichtsmitglied besass aufgrund der Akten die gleichen Kenntnisse wie die übrigen Richter. Sachverhalt und materiellrechtliche Ausgangslage blieben unverändert und waren auch aufgrund des Rückweisungsentscheides des Bundesgerichts nicht zu ergänzen. Somit konnte nach wie vor auf das Ergebnis der Beweisverhandlung vom 23. Juni 1988, das im Appellationsbrief enthalten war, und auf die
BGE 117 Ia 133 S. 135
Parteivorträge vor Obergericht, die im ersten Urteil ausreichend zusammengefasst waren, abgestellt werden.
Von einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs kann daher weder unter dem Gesichtspunkt einer willkürlichen Anwendung von § 169 aZPO/TG noch im Rahmen einer direkten Anrufung von
Art. 4 BV
die Rede sein. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass in
BGE 96 I 324
eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur deshalb angenommen wurde, weil nicht alle urteilenden Richter der ausschliesslich mündlichen, in keinem Protokoll festgehaltenen Beweisabnahme beigewohnt hatten. Die Tatsache schliesslich, dass ein Richter an einem Urteil mitgewirkt hat, ohne an sämtlichen Verhandlungen teilgenommen zu haben, verstösst nicht gegen
Art. 58 BV
(
BGE 96 I 323
). Was in der Beschwerde sonst unter Berufung auf die Garantie des verfassungsmässigen Richters vorgebracht wird, ist entweder bereits widerlegt worden oder erschöpft sich in nicht rechtsgenüglich substantiierten allgemeinen Vorwürfen. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7dc39422-76c6-443a-b733-7881c956aab2 | Urteilskopf
117 V 170
20. Auszug aus dem Urteil vom 6. Mai 1991 i.S. M. gegen Basler Versicherungs-Gesellschaft und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 23 Abs. 4 und Abs. 8 UVV
,
Art. 4 Abs. 1 BV
: Taggeld bei Saisonbeschäftigung.
Die unterschiedliche Bemessung des Taggeldes bei Unfall und Rückfall in der erwerbslosen Zeit verstösst gegen das Gleichbehandlungsgebot.
Tritt der Rückfall in der "toten Saison" ein, bemisst sich das Taggeld deshalb nicht nach Abs. 8, sondern analog nach Abs. 4 Satz 2 von
Art. 23 UVV
. | Erwägungen
ab Seite 170
BGE 117 V 170 S. 170
Auszug aus den Erwägungen:
4.
Zu prüfen ist, wie das Taggeld eines Saisonniers bei Rückfall in der erwerbslosen Zeit (sog. "tote Saison") zu berechnen ist.
a) Nach
Art. 15 UVG
werden Taggelder und Renten nach dem versicherten Verdienst bemessen (Abs. 1). Als versicherter Verdienst für die Bemessung der Taggelder gilt der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, für die Bemessung der Renten der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn (Abs. 2). Der Bundesrat setzt den Höchstbetrag des versicherten Verdienstes fest und erlässt Bestimmungen über den versicherten Verdienst in
BGE 117 V 170 S. 171
Sonderfällen, namentlich unter anderem bei Versicherten, die unregelmässig beschäftigt sind (Abs. 3 Satz 1 und 3 lit. d).
b) Laut den allgemeinen Bestimmungen des
Art. 22 UVV
zum versicherten Verdienst bei Geldleistungen gilt als Grundlage für die Bemessung der Taggelder der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, einschliesslich noch nicht bezahlter Lohnbestandteile, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Er wird auf ein volles Jahr umgerechnet und durch 365 geteilt (Abs. 3). Der Bundesrat hat in Ausführung von
Art. 15 Abs. 3 Satz 3 UVG
in
Art. 23 UVV
den "massgebenden Lohn für das Taggeld in Sonderfällen" geregelt. Als solche besonderen Tatbestände hat er u.a. die Saisonbeschäftigung und die Rückfälle wie folgt normiert:
Für einen Versicherten, der während einer Saisonbeschäftigung einen
Unfall erleidet, gilt Artikel 22 Absatz 3. Ereignet sich der Unfall in der
Zeit, in der er nicht erwerbstätig ist, so wird der im vorangegangenen Jahr
tatsächlich erzielte Lohn durch 365 geteilt (Abs. 4).
Bei Rückfällen ist der unmittelbar zuvor bezogene Lohn, mindestens aber
ein Tagesverdienst von 10 Prozent des Höchstbetrages des versicherten
Tagesverdienstes massgebend, ausgenommen bei Rentnern der
Sozialversicherung (Abs. 8).
c) Unter der Herrschaft des bis Ende 1983 in Kraft gewesenen KUVG (Art. 74) richtete die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) einem Saisonnier, der in der erwerbslosen Zeit im Heimatland verunfallte, ein nach Familienlasten abgestuftes, anhand der konkreten Methode auf der Annahme eines mittleren Lohnausfalles pauschaliertes Taggeld aus (
BGE 105 V 313
Erw. 3; in Nr. 5 der Rechtsprechungsbeilage zum Jahresbericht der SUVA 1981 auszugsweise veröffentlichtes Urteil C. vom 6. Oktober 1981; MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, S. 204 mit Hinweis). Im Vorentwurf zur UVV vom 20. März 1980 sah das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) in Art. 22 Abs. 5 (Vorläufer des heutigen
Art. 23 Abs. 4 UVV
) nur Sondervorschriften für während der Saisonbeschäftigung verunfallte Versicherte vor. Nachdem sich die SUVA hiegegen unter Hinweis auf die bisherige Praxis zur Wehr gesetzt hatte, traf die Kommission den Grundsatzentscheid, dem Versicherten, der in der "toten Saison" einen Unfall erleidet, ein reduziertes Taggeld zu gewähren (Protokoll der Kommission zur Vorbereitung der Verordnung über die obligatorische Unfallversicherung [nachstehend: Kommissionsprotokoll], Sitzung vom 9./10. Juni 1980, S. 17). Bei der zweiten Lesung vom 29./30. April und 5. Mai
BGE 117 V 170 S. 172
1981 erläuterte das Bundesamt die vorgesehene Regelung dahingehend, dass bei einem Unfall in der "toten Saison" der im vorangegangenen Jahr tatsächlich erzielte Lohn massgebend sei; dieser werde nicht, wie beim Unfall in der aktiven Zeit, auf ein Jahr umgerechnet, sondern unmittelbar durch 365 Tage geteilt, woraus ein Taggeld resultiere, das geringer sei als bei Unfall in der Saison (Kommissionsprotokoll S. 36 f.). Diese Vorstellungen fanden in der Folge Eingang in - mit dem geltenden Abs. 4 von
Art. 23 UVV
übereinstimmenden - Art. 23 Abs. 5 des Verordnungsentwurfs vom 15. Juli 1981.
Wie beim Grundfall, so gewährte die SUVA unter altem Recht auch dem Saisonnier, der in erwerbsloser Zeit einen Rückfall erlitt, ein pauschaliertes Taggeld (
BGE 105 V 314
Erw. 3b). Art. 22 Abs. 9 des Vorentwurfes vom 20. März 1980 bestimmte, dass bei Rückfällen der unmittelbar zuvor bezogene Lohn massgebend sei. An der Sitzung vom 9./10. Juni 1980 schlug die SUVA als zusätzliche Bemessungsgrundlage einen Mindesttagesverdienst von 25 Franken vor. Diese Ergänzung begründete die Anstalt mit der besonderen Problematik jener Versicherten, "die vor Eintritt eines Rückfalles keinen Lohn beziehen" (Kommissionsprotokoll S. 18). Aufgrund des Vernehmlassungsverfahrens beantragte das BSV im Februar 1982 eine Änderung in dem Sinne, als der (Mindest-) Tagesverdienst 10% des Höchstbetrages des versicherten Tagesverdienstes betrage, was der heutigen Fassung von
Art. 23 Abs. 8 UVV
entspricht.
5.
a) Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist der Begriff "unmittelbar" in
Art. 23 Abs. 8 UVV
nicht zeitlich, sondern als Hinweis auf das massgebliche Einkommen zu verstehen. Bei der Taggeldbemessung im Rückfall sei deshalb - und nur in dieser Bedeutung habe das Wort "unmittelbar" einen einleuchtenden regulatorischen Sinn - auf das letzte vor dem Rückfall erzielte Einkommen abzustellen. Der vorgängig dem Unfall erzielte Verdienst sei demgegenüber für die Berechnung der Taggelder nicht relevant, da diese Einbusse in der Regel bereits durch sozialversicherungsrechtliche Leistungen ausgeglichen sei. Schliesslich rechtfertige ein kurzfristiger Arbeitsunterbruch von zwei Monaten nicht, dass anstelle der Lohnverhältnisse vor Eintritt des Rückfalls ein abstrakter Minimalansatz zur Anwendung gelange.
b) Der Wortlaut von
Art. 23 Abs. 8 UVV
ist klar und bedarf keiner weiteren Auslegung. Massgebend für die Bemessung des Taggeldes in der erwerbslosen Zeit ist der zeitlich unmittelbar vor
BGE 117 V 170 S. 173
dem Rückfall bezogene Lohn ("reçu juste avant celle-ci"; "ottenuto immediatamente prima di questa"). Wohl drückt diese Bestimmung aus, dass im Gegensatz zur Grundregel (letzter vor dem Unfall bezogener Lohn) bei der Taggeldberechnung nicht auf den vor dem allenfalls weit zurückliegenden Unfall, sondern auf den vor dem Rückfall bezogenen Lohn abzustellen ist. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass der letzte Verdienst als Bemessungsgrundlage beizuziehen wäre. Wäre dies nämlich die Absicht des Verordnungsgebers gewesen, so hätte sich die Schaffung eines Mindesttaggeldes erübrigt. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass er in diesem Fall ausdrücklich den letzten vor dem Rückfall erzielten Verdienst als massgebend erklärt hätte, wie er dies - in Anlehnung an
Art. 15 Abs. 2 UVG
- auch in
Art. 22 Abs. 3 UVV
getan hat. Ob indessen die Wendung "unmittelbar zuvor" der Auslegung im Sinne einer gewissen zeitlichen Ausdehnung zugänglich ist, wie der Beschwerdeführer meint, kann im Hinblick auf die nachfolgenden Erwägungen offengelassen werden.
6.
Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, dass die unterschiedliche Bemessung des Taggeldes bei Unfall und Rückfall je in der erwerbslosen Zeit zu einer
Art. 4 Abs. 1 BV
widersprechenden Ungleichbehandlung führe.
a) Nach der Rechtsprechung verstösst eine vom Bundesrat getroffene Regelung dann gegen
Art. 4 Abs. 1 BV
, wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt, wenn sie sinn- oder zwecklos ist oder wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für die sich ein vernünftiger Grund nicht finden lässt. Gleiches gilt, wenn die Verordnung es unterlässt, Unterscheidungen zu treffen, die richtigerweise hätten berücksichtigt werden sollen (
BGE 114 V 184
Erw. 2b, 303 Erw. 4a,
BGE 112 V 178
Erw. 4c,
BGE 111 V 284
Erw. 5a, 395 Erw. 4a,
BGE 110 V 256
Erw. 4a und 328 Erw. 2d, je mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 116 V 58
Erw. 3b und 193 Erw. 3,
BGE 114 Ib 19
Erw. 2). Die Rechtsgleichheit ist insbesondere verletzt, wenn Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird (
BGE 116 Ia 83
Erw. 6b,
BGE 114 Ia 2
Erw. 3, 224 Erw. 2b, 424 Erw. 4a,
BGE 112 Ia 258
Erw. 4b,
BGE 110 Ia 13
Erw. 2b,
BGE 101 Ia 200
Erw. 6 mit Hinweisen; HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 58; IMBODEN/RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 69 B I). Bei der Prüfung der Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein vernünftiger Grund in den zu
BGE 117 V 170 S. 174
regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann jedoch das Eidg. Versicherungsgericht sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen (vgl.
BGE 116 V 58
Erw. 3b mit Hinweisen; IMBODEN/RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., Nr. 73 B VI).
b) Gemäss Satz 2 von
Art. 23 Abs. 4 UVV
bestimmt sich das Taggeld bei Unfällen in der erwerbslosen Zeit nach dem im vorangegangenen Jahr tatsächlich erzielten (und anschliessend durch 365 geteilten) Verdienst. Demgegenüber beträgt das Taggeld beim Rückfall in der "toten Saison" 10% des Höchstbetrages des versicherten Tagesverdienstes. Dies hat zur Folge, dass ein Saisonnier - bei im übrigen gleichen Verhältnissen - massiv unterschiedliche Taggelder erhält, je nachdem ob er in der erwerbslosen Zeit einen Unfall oder einen Rückfall erleidet. So hätte beispielsweise ein Versicherter, der während neun Monaten im Jahr tätig ist und in dieser Periode einen Lohn von Fr. 36'000.-- verdient, bei einem Unfall in der "toten Saison" Anspruch auf ein Taggeld von Fr. 79.-- (Anhang 2 zur UVV), während er bei einem Rückfall in der gleichen Zeit bloss ein Taggeld erhält, für dessen Berechnung ein Tagesverdienst von 10% des Höchstbetrages des versicherten Tagesverdienstes von derzeit Fr. 267.-- (vgl.
Art. 22 Abs. 1 UVV
in der ab 1. Januar 1991 geltenden Fassung) massgebend ist. Zwar hat die Versicherteneigenschaft bei
Art. 23 Abs. 4 UVV
ihre Grundlage im vorangehenden Arbeitsverhältnis (
Art. 3 Abs. 2 UVG
) bzw. in der diesem folgenden Abredeversicherung (
Art. 3 Abs. 3 UVG
,
Art. 8 UVV
), während sie bei Abs. 8 dieser Bestimmung an den primären Unfall anknüpft. Dieser Umstand stellt jedoch ebensowenig wie die "medizinisch-technische Unterscheidung" des Rückfalls vom Unfall einen sachlichen Grund dar, der eine solch stossende Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermöchte. Schliesslich ist in diesem Zusammenhang auf die allgemeine Bestimmung des
Art. 11 UVV
zu verweisen. Danach werden die Versicherungsleistungen auch für Rückfälle und Spätfolgen gewährt, für Bezüger von Invalidenrenten jedoch nur unter den Voraussetzungen von Art. 21 des Gesetzes. Dieser Verweis einer im Zweiten Titel "Gegenstand der Versicherung" befindlichen Vorschrift auf eine Bestimmung im Dritten Teil des Gesetzes über die "Versicherungsleistungen" belegt, dass das unfallversicherungsrechtliche Leistungsgefüge - unter Vorbehalt von Ausnahmen - auf dem Grundsatz der Gleichstellung von Unfall und Rückfall basiert. Diesbezüglich ist den Materialien zu entnehmen,
BGE 117 V 170 S. 175
dass die SUVA in der UVV-Kommission den Vorschlag zum heutigen
Art. 11 UVV
(Rückfälle und Spätfolgen) einbrachte, weil das Gesetz zwar von Rückfällen und Spätfolgen spreche, aber nur im Zusammenhang mit Fällen, in denen bereits eine Rente ausgerichtet werde (
Art. 21 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 UVG
). Es müsse jedoch ganz allgemein festgehalten werden, dass Rückfälle und Spätfolgen unabhängig von einer Rentenberechtigung zur Ausrichtung der gesetzlich vorgesehenen Versicherungsleistungen führen sollen (Kommissionsprotokoll, Sitzung vom 9./10. Juni 1980, S. 8).
c) Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass es der Bundesrat ohne triftige Gründe unterlassen hat, in
Art. 23 Abs. 8 UVV
in analoger Weise wie in Abs. 4 zwischen Versicherten zu unterscheiden, deren Rückfall während der Saisonbeschäftigung eintritt, und denjenigen, die vom Rückfall in der erwerbslosen Zeit betroffen werden. Er konnte nicht, ohne die Rechtsgleichheit zu verletzen, den ausserhalb der Saison verunfallten Versicherten eine taggeldmässige Sonderbehandlung zugestehen, diese aber den unter den gleichen Umständen "nur" einen Rückfall erleidenden Saisonbeschäftigten vorenthalten. Somit ist Taggeld des Saisonniers, der in der "toten Saison" einen Rückfall erleidet, analog
Art. 23 Abs. 4 Satz 2 UVV
zu bemessen. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7dc62686-2a0f-484a-a150-4adcdb7912c6 | Urteilskopf
105 V 107
26. Estratto della sentenza del 4 aprile 1979 nella causa Piazza contro Cassa svizzera di compensazione e Commissione federale di ricorso in materia d'AVS/AI per le persone residenti all'estero | Regeste
Art. 45 und 50 VwVG
,
Art. 25 Abs. 2 VVRK
.
Die Prozessverfügung, mit welcher der erstinstanzliche Richter einen Kostenvorschuss verlangt, ist eine Zwischenverfügung; sie muss die Rechtsmittelbelehrung enthalten.
Art. 58 VwVG
. Neue Verfügung während der Rechtshängigkeit; zum Grundsatz der Prozessökonomie. | Sachverhalt
ab Seite 108
BGE 105 V 107 S. 108
A.-
Il cittadino italiano Bruno Piazza, nato nel 1925, dopo una lunga residenza in Svizzera, rimpatriò definitivamente nel 1970. Già durante il soggiorno in questo Stato egli venne posto al beneficio di una rendita intera d'invalidità e della relativa rendita completiva per la moglie: prestazioni che gli vennero versate anche dopo il rimpatrio. Per decisione del 3 marzo 1972 la Cassa svizzera di compensazione pronunciò la riduzione della rendita alla metà...
Riesaminando il caso su domanda dell'interessato mediante decisione dell'11 aprile 1975 la Cassa svizzera di compensazione gli comunicò che le prestazioni assegnate non avrebbero subito cambiamento.
B.-
Il 2 maggio 1975 Bruno Piazza presentò un primo ricorso contro la decisione dell'11 aprile 1975 adducendo che le sue condizioni di salute erano peggiorate.
Il 28 febbraio 1978, applicando l'
art. 58 PA
, la Cassa svizzera di compensazione emanò una nuova decisione con la quale assegnava a Bruno Piazza una rendita intera d'invalidità dal dicembre 1974 al 31 ottobre 1975 e il 3 marzo 1978 (prima di presentare la risposta al ricorso) indirizzò all'assicurato una lettera-decisione in cui affermava che, riesaminato il caso sulla base di una nuova documentazione medica da lui presentata, egli era stato riconosciuto invalido in misura superiore ai due terzi tra il novembre 1974 e l'ottobre 1975 e in misura del 50% a partire dal 1o novembre successivo...
Contro questa decisione il 20 marzo 1978 l'interessato presentava un secondo ricorso alla competente Commissione di ricorso.
Con decisione procedurale del 22 giugno 1978, fatto riferimento ai ricorsi proposti il 2 maggio 1975 e il 20 marzo 1978, messo in risalto che la legge consentiva di mettere a carico del ricorrente le spese di procedura in caso di ricorso temerario, oppure se domiciliato all'estero di obbligarlo a fornire un anticipo sulle spese, il primo giudice comunicava a Bruno Piazza che il primo ricorso appariva privo di oggetto in quanto egli aveva ottenuto
BGE 105 V 107 S. 109
piena soddisfazione con l'attribuzione di una rendita intera sino al 31 ottobre 1975 e che il secondo era perlomeno temerario, avuto riguardo ai risultati degli accertamenti medici che escludevano un'invalidità superiore ai due terzi giusta il diritto svizzero. Concludendo il primo giudice invitava l'assicurato a versare la somma di Fr. 200.- (corrispondenti a Lit. 90 000.- ca.) entro il 14 luglio 1978 se avesse ritenuto di dover mantenere ambedue i ricorsi con la comminatoria, in caso di mancato pagamento, di non entrare nel merito dei gravami.
Mediante giudizio del 4 agosto 1978, ricordata la decisione procedurale del 22 giugno di quell'anno e costatata la scadenza infruttuosa del termine assegnato a Bruno Piazza, il primo giudice dichiarava irricevibile il ricorso proposto il 2 maggio 1975 e stralciava la causa dai ruoli.
C.-
Per il tramite dell'Istituto nazionale confederale di assistenza, Treviso, Bruno Piazza produce ricorso di diritto amministrativo contro il giudizio del 4 agosto 1978. Per il ricorrente si asserisce che la decisione negativa adottata nei suoi confronti è inesatta poiché gli deve essere riconosciuta una pensione intera d'invalidità. Si allega che il ricorrente è incapace al lavoro dal 1966 e a sostegno del gravame vengono prodotti una attestazione 13 dicembre 1977 della Commissione medica per le pensioni di guerra di Padova ... e un certificato medico del 9 settembre 1978 del dott. S. ...
Erwägungen
Diritto:
1.
...
2.
Giusta l'
art. 84 cpv. 2 LAVS
, applicabile per analogia a norma dell'
art. 69 LAI
nella procedura giudiziaria di ricorso in materia d'assicurazione svizzera per l'invalidità, i ricorsi inoltrati contro le decisioni della Cassa svizzera di compensazione sono giudicati dalla Commissione federale di ricorso in materia d'AVS/AI per le persone residenti all'estero, istanza amministrativa e autorità giudiziaria quest'ultime che, secondo l'art. 1 cpv. 1 e 2 lett. b) e d) della Legge federale sulla procedura amministrativa (PA), sottostanno alle disposizioni della legge medesima.
Secondo l'
art. 58 cpv. 1, 2 e 3 PA
l'autorità amministrativa inferiore può, fino all'invio della sua risposta, riesaminare la decisione impugnata. Se essa emana una nuova decisione deve
BGE 105 V 107 S. 110
notificarla immediatamente alle parti e comunicarla all'autorità di ricorso. Quest'ultima continua la trattazione del ricorso in quanto non sia divenuto senza oggetto per effetto della nuova decisione.
Nel caso in esame benché nella decisione procedurale del 22 giugno 1978 - priva dell'indicazione dei rimedi di diritto - il primo giudice avesse accennato ad ambedue i procedimenti promossi dal ricorrente, con giudizio del 4 agosto 1978 egli pronunciò soltanto l'inammissibilità del primo, senza statuire sul secondo. Malgrado l'applicazione dell'
art. 58 PA
da parte della Cassa svizzera di compensazione, il primo ricorso non era però da ritenere privo di oggetto perché in esso Bruno Piazza aveva chiesto più di quanto gli fosse stato assegnato con la decisione amministrativa del 28 febbraio 1978.
Trattandosi di due procedimenti relativi alla stessa causa e pendenti davanti allo stesso giudice, questi avrebbe dovuto ordinarne la riunione (v. GYGI: Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, IIa edizione, p. 51 lett. d) e Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung 1978, p. 26 e 27). Il tema di sapere se la mancata riunione costituisca in quanto violazione dei principi di economia processuale una violazione di diritto federale può rimanere aperto perché il querelato giudizio deve comunque essere annullato per le considerazioni qui di seguito esposte.
3.
Se in materia di assicurazione-invalidità (
art. 69 LAI
riferito all'
art. 85 cpv. 2 LAVS
) il principio è quello della gratuità del procedimento ricorsuale, trattandosi di prestazioni assicurative per l'
art. 25 cpv. 2 ODCR
è tuttavia possibile per la Commissione di ricorso di mettere le spese di procedura a carico del ricorrente quando il ricorso sia "temerario o irresponsabile". Inoltre, il ricorrente domiciliato all'estero può essere obbligato a fornire un'anticipazione delle spese processuali (
art. 63 cpv. 4 PA
).
Per costante giurisprudenza un ricorso è manifestamente sprovvisto di esito favorevole, onde sarebbe addirittura abusivo proporlo, soltanto quando appare escluso che il ricorrente potrebbe anche solo parzialmente vincere la causa (
DTF 98 V 119
consid. 4).
Per quanto attiene alla natura giuridica della decisione procedurale di anticipo spese del 22 giugno 1978 (GYGI: op.cit., p. 51 lett. c) il quale ascrive a detta categoria la "Verfügung eines Kostenvorschusses"), occorre
BGE 105 V 107 S. 111
occorre precisare che tale atto rientra nell'ambito delle decisioni incidentali, le quali - di principio - non sono impugnabili a titolo indipendente se non quando idonee a cagionare ad una parte un pregiudizio irreparabile (
art. 45 cpv. 1 PA
).
Nella fattispecie la decisione procedurale invitante Bruno Piazza a versare un'anticipo spese, munita della comminatoria che altrimenti l'istanza giurisdizionale di primo grado non sarebbe entrata nel merito del gravame e comportante quindi quale effetto la fine della lite senza giudizio di merito, configura a non far dubbio un provvedimento tale da determinare per l'interessato un pregiudizio irreparabile. Invero una decisione di questo tipo non è compresa nell'elenco delle decisioni incidentali, impugnabili a titolo indipendente, indicato all'
art. 45 cpv. 2 PA
. Tale elenco non è però esaustivo: prova ne è data dal fatto che la norma indica i provvedimenti impugnabili con la menzione "in particolare". Se giusta l'art. 45 cpv. 2 lett. h PA impugnabile è il rifiuto del gratuito patrocinio, a maggior ragione nel settore assicurativo sociale - in particolare in materia di assicurazione-invalidità dove come si è visto il principio è quello della gratuità della procedura ricorsuale - una decisione chiedente l'anticipo delle spese è decisione incidentale suscettibile di ricorso di diritto amministrativo indipendente. Pertanto la decisione procedurale resa dal primo giudice il 22 giugno 1978 era decisione incidentale e come tale impugnabile a titolo indipendente nel termine di 10 giorni dall'intimazione (
art. 50 PA
). Se Bruno Piazza non l'ha impugnata nei termini, per ciò non gli può essere mosso nessun addebito dal momento che la decisione stessa non era munita dell'indicazione dei rimedi di diritto. Ricevibile è pertanto il gravame anche se proposto tardivamente contro un giudizio con cui la comminatoria è stata attuata.
4.
Dato quanto precede il ricorso di diritto amministrativo deve essere considerato interposto sia contro la decisione procedurale, sia contro il giudizio di stralcio.
In quanto proposto contro la decisione procedurale il ricorso è da respingere perché sulla scorta degli atti in suo possesso - che non sono per nulla inficiati dalla documentazione medica prodotta in questa sede - legittimamente in un giudizio di apparenza la Commissione di ricorso ha ritenuto il gravame sprovvisto di probabilità di successo.
BGE 105 V 107 S. 112
In quanto proposto contro il giudizio di stralcio il ricorso di diritto amministrativo deve invece essere accolto perché tale giudizio è stato reso quale conseguenza di una decisione procedurale priva dell'indicazione dei rimedi di diritto e quindi non cresciuta in giudicato per quiescenza del termine di ricorso.
Ne consegue che con la reiezione del ricorso di diritto amministrativo contro la decisione incidentale essa diventa definitiva soltanto con la presente sentenza. Pertanto, a partire dalla data della notificazione di quest'ultima, al ricorrente viene assegnato un termine di 20 giorni per versare l'anticipo spese. Se entro questo termine l'anticipo sarà versato la Commissione di ricorso dovrà esaminare i due ricorsi. Nel caso contrario potrà stralciarli dal ruolo ambedue.
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale delle assicurazioni
dichiara e pronuncia:
Il ricorso di diritto amministrativo è parzialmente accolto nel senso che il giudizio del 4 agosto 1978 viene annullato. Al ricorrente è assegnato un termine di 20 giorni dalla notificazione della presente sentenza per versare alla Commissione di ricorso la somma di Fr. sv. 200.- quale anticipo spese. | null | nan | it | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7dc744d3-f600-44f8-8c3c-312c308854e4 | Urteilskopf
117 IV 78
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. April 1991 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 87 AHVG
i.V.m.
Art. 25 EOG
und
Art. 70 IVG
; Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen.
1. Eine Bestrafung nach
Art. 87 Abs. 3 AHVG
setzt keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Strafbarkeit der Nichtablieferung nach unbenütztem Ablauf der Mahnfrist voraus (E. 1).
2. Eine Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Lohnauszahlung die erforderlichen (vorhandenen) Mittel oder ein diesen entsprechendes Substrat so für andere Zwecke als die Zahlung an die Ausgleichskasse verwendet, dass nicht davon ausgegangen werden kann, er werde seiner Zahlungspflicht im letztmöglichen Zeitpunkt nachkommen können (Änderung der Rechtsprechung, E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 79
BGE 117 IV 78 S. 79
A.-
K. erstellte in der Zeit von November 1983 bis Juni 1984 in seiner Eigenschaft als Verwaltungsratspräsident der X. AG (die am 2. März 1984 in die Y. AG umgewandelt wurde) die Lohnabrechnungen in eigener Regie und zog dabei unter anderem die Arbeitnehmerbeiträge der AHV vom Bruttolohn ab, ohne diese vollumfänglich an die zuständige Ausgleichskasse weiterzuleiten, obwohl ihm Fr. 45'552.-- liquide Mittel zur Verfügung gestanden hatten.
Das Kantonsgericht des Kantons Schwyz verurteilte K. gestützt auf diesen Sachverhalt am 18. Januar 1990 in zweiter Instanz wegen Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen im Sinne von
Art. 87 AHVG
i.V.m.
Art. 25 EOG
und
Art. 70 IVG
zu einer Busse von Fr. 500.--.
B.-
Gegen dieses Urteil wendet sich K. mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde, in welcher er beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung, eventuell Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
C.-
Das Kantonsgericht hat Gegenbemerkungen eingereicht, zu welchen K. unaufgefordert Stellung nahm.
Die Staatsanwaltschaft hat keine Vernehmlassung eingereicht.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Nach
Art. 87 Abs. 3 AHVG
(SR 831.10) wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bis zu Fr. 20'000.-- bestraft, wer als Arbeitgeber einem Arbeitnehmer Beiträge vom Lohn abzieht, sie indessen dem vorgesehenen Zweck entfremdet.
b) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, den Arbeitnehmern von ihrem Lohn abgezogene Beiträge nicht im erforderlichen Umfang der Ausgleichskasse zugeführt zu haben; er macht jedoch geltend, er könnte nur bestraft werden, wenn er im Rahmen eines ordnungsgemässen Mahnverfahrens auch auf die Strafbarkeit der Nichtablieferung von Arbeitnehmerbeiträgen hingewiesen worden wäre.
c) Gemäss
Art. 37 Abs. 2 AHVV
ist mit der Mahnung auf die Folgen der Missachtung der Mahnung hinzuweisen. Der Beschwerdeführer leitet daraus ab, zu einem ordnungsgemässen
BGE 117 IV 78 S. 80
Mahnverfahren gehöre auch der ausdrückliche Hinweis auf die strafrechtlichen Folgen im Falle des unbenützten Ablaufs der Mahnfrist. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist ein solcher Hinweis in diesem Zusammenhang nicht erforderlich (unveröffentlichter Entscheid vom 3. Dezember 1985 i.S. W., E. 2; vgl. Hinweis auf diesen Entscheid in ZAK 1986, S. 427 f.). Eine Hinweispflicht als Voraussetzung für die strafrechtliche Verantwortlichkeit kommt vielmehr nur in Betracht, wenn das Gesetz oder gegebenenfalls die Verordnung ausdrücklich einen solchen Hinweis verlangt, wie dies etwa in
Art. 292 StGB
der Fall ist. Aus der AHV-Gesetzgebung ergibt sich keine derartige Hinweispflicht. Der Einwand des Beschwerdeführers erweist sich deshalb als unbegründet.
2.
a) Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung erfüllt der Arbeitgeber
Art. 87 Abs. 3 AHVG
in objektiver Hinsicht, wenn er die tatsächlich vom Lohn abgezogenen Arbeitnehmerbeiträge nicht spätestens innert der angesetzten Mahnfrist an die Ausgleichskasse überweist, wobei unerheblich ist, dass dem Arbeitgeber die dazu erforderlichen Mittel fehlten und diese ihm auch nicht von Dritten zur Verfügung gestellt wurden (
BGE 107 IV 205
mit Hinweis).
Zu diesem Urteil warf SCHULTZ die Frage auf, wie sich ein Arbeitgeber nach bundesgerichtlicher Auffassung denn verhalten solle, wenn er wirklich nicht in der Lage sei, mehr als die den Arbeitnehmern geschuldeten Nettolöhne zu bezahlen (ZBJV 1982, S. 560).
b) Soweit
BGE 107 IV 205
ff. die Möglichkeit des Arbeitgebers, seiner Zahlungspflicht nachzukommen, als unerheblich erachtet, kann an dieser Rechtsprechung nicht festgehalten werden. Falls
Art. 87 Abs. 3 AHVG
- wovon der erwähnte Entscheid auszugehen scheint - die Nicht-Erfüllung einer Zahlungspflicht innert der angesetzten Mahnfrist sanktionierte, würde dies nach den allgemeinen Regeln des Unterlassungsdeliktes voraussetzen, dass der Arbeitgeber überhaupt die Möglichkeit hatte, seiner Pflicht nachzukommen (NOLL/TRECHSEL, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 3. Aufl., S. 208; HAUSER/REHBERG, Strafrecht I, 4. Aufl., S. 183; STRATENWERTH, Allg. Teil I, S. 386; SCHULTZ, Allg. Teil I, 4. Aufl., S. 141;
BGE 116 IV 389
E. 2e betreffend Nichtbezahlen der Militärpflichtersatzabgabe); daran fehlt es, wenn der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt über die Mittel zur Bezahlung der Arbeitnehmerbeiträge nicht verfügte.
BGE 117 IV 78 S. 81
c) Es erscheint indessen fraglich, ob
BGE 107 IV 205
ff. bei der Auslegung von
Art. 87 Abs. 3 AHVG
von einem zutreffenden Ansatz ausgegangen ist. Denn das Gesetz umschreibt die Tathandlung nicht als Unterlassen der Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge spätestens innert der angesetzten Mahnfrist, sondern verwendet die Formulierung: Wer als Arbeitgeber einem Arbeitnehmer Beiträge vom Lohn abzieht, "sie indessen dem vorgesehenen Zwecke entfremdet".
d) Die Arbeitnehmerbeiträge sind erst fällig nach Ablauf der Zahlungsperiode von in der Regel einem Monat (
Art. 34 Abs. 1 und Abs. 4 AHVV
); darüber hinaus steht dem Arbeitgeber eine zehntägige Zahlungsfrist zu; kommt er dieser nicht nach, so ist ihm im Mahnverfahren eine Nachfrist zu setzen, die spätestens zwei Monate nach Ablauf der Zahlungsperiode abläuft (
Art. 37 Abs. 3 AHVV
). Es stellt sich deshalb die Frage, in welchem Zeitpunkt der Arbeitgeber über die nötigen Mittel zur Bezahlung der Arbeitnehmerbeiträge verfügen muss.
aa) Auszugehen ist vom Wortlaut von
Art. 87 Abs. 3 AHVG
. Dieser setzt voraus, dass der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer Beiträge vom Lohn abgezogen hat; denn nur diese tatsächlich abgezogenen Beiträge ("sie") können nach dem Wortlaut überhaupt zweckentfremdet werden. Der Tatbestand kann daher von vornherein nur erfüllt werden, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Lohnauszahlung an die Arbeitnehmer die erforderlichen Mittel oder ein diesen entsprechendes Substrat besitzt, das er nach Auszahlung der Löhne der Ausgleichskasse zur Verfügung halten könnte.
bb) Die blosse Nichtbezahlung an die Ausgleichskasse ist daher keine Zweckentfremdung im Sinne von
Art. 87 Abs. 3 AHVG
, solange ein Substrat beim Arbeitgeber vorhanden ist und die entsprechenden Mittel auch jederzeit überwiesen werden könnten. Denn wie die nicht rechtzeitige Ablieferung einer anvertrauten Geldsumme keine Veruntreuung darstellt (SCHUBARTH, Kommentar StGB,
Art. 140 N 47
), die Tathandlung vielmehr in der Vereitelung des obligatorischen Anspruchs des Treugebers liegt (REHBERG, Strafrecht III, S. 61; STRATENWERTH, Bes. Teil I, S. 191; SCHULTZ, ZBJV 1973, S. 417; NOLL, Bes. Teil, S. 154; SCHUBARTH, a.a.O.,
Art. 140 N 47
), kann nicht von einer Zweckentfremdung gesprochen werden, wenn lediglich nicht oder nicht rechtzeitig bezahlt wird. Eine Zweckentfremdung im Sinne von
Art. 87 Abs. 3 AHVG
liegt daher - entgegen
BGE 107 IV 205
ff. und 80 IV
BGE 117 IV 78 S. 82
184 ff. - nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die erforderlichen Mittel oder das Substrat für andere Zwecke verwendet.
Allerdings findet sich in der
Art. 87 Abs. 3 AHVG
entsprechenden Strafnorm von
Art. 76 Abs. 3 BVG
(SR 831.40) die abweichende Formulierung: "Wer als Arbeitgeber einem Arbeitnehmer Beiträge vom Lohn abzieht und diese nicht an die zuständige Vorsorgeeinrichtung überweist." Es wird angenommen, diese Bestimmung des BVG vom 25. Juni 1982 sei der Parallelbestimmung des älteren AHVG nachgebildet (HANS-MICHAEL RIEMER, Die Strafbestimmungen über die berufliche Vorsorge (
Art. 75-79 BVG
), Gedächtnisschrift für Peter Noll, Zürich 1984, S. 268 und 272 Fussnote 22; vgl. auch Botschaft BBl 1976 I 271: "Bei der Ausarbeitung der Strafbestimmungen wurde darauf geachtet, dass sie im Einklang mit denjenigen des AHVG stehen."). Hingegen verwendet Art. 112 Abs. 2 des UVG vom 20. März 1981 (SR 832.20) wieder die gleiche Formulierung wie
Art. 87 Abs. 3 AHVG
. Aus
Art. 76 Abs. 3 BVG
lässt sich deshalb nichts gegen die vorstehend entwickelte Lösung ableiten. Da der Beschwerdeführer im übrigen nicht nach dieser Bestimmung bestraft wurde, kann offenbleiben, wie sie in diesem Punkte auszulegen wäre.
cc) Grundgedanke von
Art. 87 Abs. 3 AHVG
ist eine Substraterhaltungspflicht. Da es sich jedoch nicht um einen eigentlichen Veruntreuungstatbestand handelt, sondern der Zeitpunkt des Lohnabzugs und der Zeitpunkt der Zahlungspflicht auseinanderfallen, muss es dem Arbeitgeber erlaubt sein, mit dem Substrat so zu wirtschaften, dass bei objektiver Betrachtungsweise davon ausgegangen werden kann, dass er seiner Zahlungspflicht im letztmöglichen Zeitpunkt werde nachkommen können; denn die Erfüllung der Zahlungspflicht ist ja auch dann noch möglich, wenn man annehmen darf, bei vernünftigem Wirtschaften würden auf diesen Zeitpunkt die dafür erforderlichen Kredite gewährt. (Auch ohne diese Einschränkung des objektiven Tatbestandes würde die Strafbarkeit in diesem Fall in der Regel wohl mangels Vorsatz entfallen.)
dd) Das Vorhandensein eines Substrates kann dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Lohnauszahlung gestützt auf vorhandene Vermögenswerte die nötigen Kredite für die Bezahlung der Arbeitnehmerbeiträge erhältlich machen könnte. Eine Zweckentfremdung kann somit auch in der nachträglichen Verunmöglichung der Krediterlangung liegen; so etwa dann, wenn bis zum letztmöglichen Zahlungszeitpunkt
BGE 117 IV 78 S. 83
Kredite für andere Zwecke aufgenommen und verbraucht werden, ohne dass man bei objektiver Betrachtungsweise davon ausgehen konnte, bis zum letztmöglichen Zahlungszeitpunkt würden neue Kredite in Höhe des Substrates gewährt.
e) Die Vorinstanz stellt für das Bundesgericht verbindlich fest, per Ende Juni 1984 seien liquide Mittel in Höhe von Fr. 45'552.-- vorhanden gewesen; weder im September noch im Dezember 1984 seien die Beitragszahlungen erfolgt; nach der Konkurseröffnung am 11. Februar 1985 hätten die Arbeitnehmerprämien für die Zeit ab Januar 1984 abgeschrieben werden müssen.
Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer jedenfalls per Ende Juni 1984 über die Mittel zur Bezahlung der in der Zeit von Januar-Juni 1984 abgezogenen Arbeitnehmerbeiträge verfügte. Indem er die entsprechenden Beträge nicht an die Ausgleichskasse weiterleitete, sondern anderweitig darüber verfügte, erfüllte er den Tatbestand jedenfalls in bezug auf die Arbeitnehmerbeiträge der Monate Januar-Juni; denn entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kommt es nicht darauf an, ob er zum Zeitpunkt der massgeblichen Mahnungen (28. September und 11. Dezember) über die entsprechenden Mittel verfügte.
Fragen kann man sich einzig, ob, wie der Beschwerdeführer offenbar geltend machen will, die Pflicht zur Substraterhaltung unter bestimmten Umständen zurückzutreten hat hinter der Pflicht, in einer Notsituation alles zur Erhaltung eines Betriebes Notwendige vorzukehren. Die Vorinstanz hält dem Einwand des Beschwerdeführers, er habe jene Gläubiger bezahlt, die zur Aufrechterhaltung des Betriebes hätten bezahlt werden müssen, entgegen, er habe die Ausgabenprioritäten falsch gesetzt. Dass und weshalb sie insoweit Bundesrecht falsch angewendet hätte, wird in der Beschwerdeschrift nicht substantiiert dargelegt und ist aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes auch nicht ersichtlich. Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber zur Erhaltung des Betriebes auf das Substrat der Arbeitnehmerbeiträge greifen darf oder ein solches Verhalten zumindest unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit normgemässen Verhaltens entschuldigt erscheint, braucht deshalb hier nicht weiter vertieft zu werden. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7dc9773b-bb40-4c35-a044-8c65b555a0e2 | Urteilskopf
125 II 230
22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. April 1999 i.S. L.G. und S.G. gegen Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 1, 3 und 12 OHG
: Verhältnis familienrechtlicher Kindesschutzmassnahmen zur Opferhilfe.
Ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides ist trotz rein hypothetischer Pflicht zur Rückzahlung bezogener Entschädigungen gegeben (E. 1).
Betreuungskosten können als Hilfeleistung unter
Art. 3 OHG
oder als Entschädigung unter
Art. 12 OHG
fallen (E. 2).
Bewirken getroffene Massnahmen des familienrechtlichen Kindesschutzes einen hinreichenden Schutz im Sinn des OHG, besteht kein Anspruch mehr auf Leistungen durch die Opferhilfe (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 231
BGE 125 II 230 S. 231
M.G. pflegte seine beiden Töchter L.G., geb. 1980, und S.G., geb. 1984, mit einem Ledergürtel zu schlagen. Die Vormundschaftsbehörde von Zuchwil entzog ihm deshalb am 21. Juni 1994 bzw. am 5. Juli 1994 die väterliche Obhut und platzierte die Töchter im Sozialpädagogischen Kleinheim für Jugendliche «Roots» in Derendingen. Am 16. August 1994 wurde eine Beistandschaft im Sinne von
Art. 308 ZGB
errichtet und am 22. Mai 1995 entzog das Oberamt Bucheggberg-Wasseramt dem Vater die elterliche Gewalt über seine Töchter. Der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Wasseramt verurteilte M.G. am 29. September 1994 wegen mehrfacher Tätlichkeiten gegenüber seinen Töchtern zu 14 Tagen Haft, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs.
Die X. AG, Dienstleistungen für Soziale Sicherheit, ersuchte das Amt für Gemeinden und Soziale Sicherheit, Abteilung Soziale Dienste und Familien, im Namen von L.G. und S.G. wiederholt um Leistungen nach der Opferhilfegesetzgebung. Am 5. Juli 1995 verfügte die Abteilung eine Kostengutsprache für juristische Beratung von maximal 7 Stunden und für sozialmedizinische Beratung im Umfang von höchstens Fr. 1'500.--.
Am 21. Juni 1996 ersuchte die X. AG um weitere Hilfe nach Opferhilfegesetz, insbesondere um Übernahme der bisher im Kleinheim Roots entstandenen Aufenthaltskosten und um Kostengutsprache für die entsprechenden künftig noch entstehenden Aufwendungen, sowie um die Zusprechung einer Genugtuungssumme. Die Abteilung Soziale Dienste und Familien des Amtes für Gemeinden und Soziale Sicherheit wies das Gesuch am 2. Dezember 1996 bezüglich der Kosten ab; die Genugtuungsforderung verwies sie aus Zuständigkeitsgründen in ein separates Verfahren.
BGE 125 II 230 S. 232
Die X. AG führte im Namen von L.G. und S.G. Verwaltungsbeschwerde gegen diesen Entscheid. Das Departement des Innern des Kantons Solothurn wies die Beschwerde am 16. Juli 1997 ab; auf das Gesuch um Zusprechung einer Genugtuungssumme trat das Departement nicht ein.
Im Namen von L.G. und S.G. erhob die X. AG am 10. September 1997 kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn wies die Beschwerde am 17. Dezember 1997 ab.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 2. Februar 1998 stellt die X. AG im Namen von L.G. und S.G. im Wesentlichen den Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 17. Dezember 1997 sei aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
1.
a) Gegen Verfügungen letzter Instanzen der Kantone im Sinne von Art. 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht gemäss
Art. 97 Abs. 1 OG
und
Art. 98 lit. g OG
zulässig. Ein Ausschlussgrund nach
Art. 99-102 OG
besteht nicht. Insoweit steht einem Eintreten auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts entgegen.
b) Nach
Art. 103 lit. a OG
ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat.
Die Beschwerdeführerinnen bestreiten nicht, dass die Kosten ihres Heimaufenthaltes durch Sozialhilfe gedeckt werden, die teils von der Gemeinde Zuchwil, teils vom Kanton Solothurn geleistet wird. Nach § 61 Abs. 3 in Verbindung mit § 56 des kantonalen Sozialhilfegesetzes vom 2. Juli 1989 (SHG; BGS 835.221) wird wirtschaftliche Hilfe, die ein Empfänger für sich selbst während seiner Unmündigkeit oder bis zum Abschluss einer Ausbildung bezogen hat, in der Regel von diesem nicht zurückgefordert. Das Verwaltungsgericht hat daraus den Schluss gezogen, es sei nach kantonalem Recht zumindest nicht ausgeschlossen, dass ein unmündiger Empfänger von Sozialhilfe diese später zurückzahlen müsse, und hat deshalb ein schutzwürdiges Interesse der Beschwerdeführerinnen an der Õberprüfung des angefochtenen Entscheids bejaht. Dieser Auffassung hat allerdings das Amt für Gemeinden und soziale Sicherheit
BGE 125 II 230 S. 233
des Kantons Solothurn in seiner Vernehmlassung vom 20. Mai 1998 widersprochen: Die Kosten der Kindesschutzmassnahmen würden sozialhilferechtlich den Eltern angerechnet, die gemäss
Art. 276 ZGB
für den Unterhalt der Kinder aufzukommen haben; rückerstattungspflichtig seien daher ausschliesslich die Eltern (hier: der Vater) und nicht die Kinder; diese erlitten daher durch die sozialhilferechtliche Kostentragung keinerlei finanziellen Nachteil.
Es kann nicht Aufgabe des Bundesgerichtes sein, über die zwischen der kantonalen Verwaltung und dem Verwaltungsgericht streitige Auslegung des kantonalen Sozialhilfegesetzes zu entscheiden, zumal sich die Frage einer Rückerstattungspflicht aktuell nicht stellt, also hypothetischer Natur ist. Es muss daher im vorliegenden Zusammenhang genügen, dass eine spätere Rückzahlungspflicht der Beschwerdeführerinnen - zumindest nach Auffassung des Verwaltungsgerichts als oberster kantonaler Gerichtsinstanz im Bereich des Sozialrechts - nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Unter diesen Umständen haben sie ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und sind zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert.
c) Die Beschwerdeführerinnen haben im kantonalen Verfahren ein Genugtuungsbegehren gestellt. Das Departement trat auf dieses nicht ein und das Verwaltungsgericht bestätigte diesen Entscheid. In der vorliegenden Beschwerde wird der Nichteintretensentscheid nicht beanstandet. Die Beschwerdeführerinnen beantragen allerdings die vollumfängliche Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Soweit damit auch die Aufhebung des den Genugtuungsanspruch betreffenden Teils verlangt wird, kann darauf mangels sachbezogener Begründung nicht eingetreten werden (
Art. 108 Abs. 2 OG
; vgl.
BGE 118 Ib 134
E. 2 S. 135 f.). Im Übrigen ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.
d) Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Õberschreitung oder Missbrauch des Ermessens (
Art. 104 lit. a OG
) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts geltend gemacht werden (
Art. 104 lit. b OG
). Als Vorinstanz amtete eine richterliche Behörde. Das Bundesgericht ist an deren tatsächliche Feststellungen gebunden, soweit diese nicht offensichtlich unrichtig bzw. unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande kamen (
Art. 105 Abs. 2 OG
).
2.
a) Nach
Art. 2 des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG; SR 312.5)
begründen nur Straftaten, die das
BGE 125 II 230 S. 234
Opfer in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigen, die Opfereigenschaft im Sinne des Opferhilfegesetzes. Das Bundesgericht verneinte bisher die Opfereigenschaft, wenn blosse Tätlichkeiten vorlagen. Ob die im vorliegenden Fall betroffenen Beschwerdeführerinnen in ihrer psychischen Integrität verletzt wurden, hat das Verwaltungsgericht nicht näher geprüft. Auch im bundesgerichtlichen Verfahren muss die Frage nicht abschliessend beurteilt werden, da die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ohnehin abzuweisen ist (soweit darauf überhaupt einzutreten ist), wie sich im Folgenden ergeben wird.
b) Opfer einer Straftat im Sinn von
Art. 2 Abs. 1 OHG
sind berechtigt, die im Gesetz vorgesehene Hilfe zu beanspruchen. Die Beratungsstellen leisten und vermitteln dem Opfer medizinische, psychologische, soziale, materielle und juristische Hilfe und informieren über die Hilfsangebote (
Art. 3 Abs. 2 OHG
). Sie leisten ihre Hilfe sofort und wenn nötig während längerer Zeit; sie müssen so organisiert sein, dass sie jederzeit Soforthilfe leisten können (
Art. 3 Abs. 3 OHG
). Die Leistungen der Beratungsstellen und die Soforthilfe sind unentgeltlich; die Beratungsstellen übernehmen weitere Kosten, wie Arzt-, Anwalts- und Verfahrenskosten, soweit dies aufgrund der persönlichen Verhältnisse des Opfers angezeigt ist (
Art. 3 Abs. 4 OHG
). Nebst der Inanspruchnahme von Leistungen der Beratungsstellen können Opfer einer in der Schweiz verübten Straftat im Kanton, in dem die Tat begangen wurde, unter den Voraussetzungen von
Art. 12 OHG
eine Entschädigung oder Genugtuung geltend machen.
c) Die Beschwerdeführerinnen wurden aufgrund einer vormundschaftlichen Kindesschutzmassnahme in das Jugendheim «Roots» in Derendingen eingewiesen. Die Einwohnergemeinde Zuchwil, deren Vormundschaftsbehörde die Massnahme angeordnet hatte, hat für einen Teil der Kosten des Heimaufenthaltes nach Massgabe des Sozialhilfegesetzes aufzukommen (§ 56 SHG). Die Beschwerdeführerinnen möchten mit ihrer Beschwerde erreichen, dass die Opferhilfe die Heimkosten übernimmt.
d) Betreuungskosten können unter zwei Arten des Opferhilfeangebots fallen: Zum einen kann sich die Frage im Rahmen der Beratungshilfe nach
Art. 3 OHG
stellen; sind die Voraussetzungen für eine Hilfeleistung gegeben, beurteilt sich eine Kostenübernahme nach Abs. 4 der genannten Bestimmung. Andererseits können Betreuungskosten als Aufwendungen zur Schadensbehebung in Betracht fallen; wird mit dem Kostenübernahmebegehren eine Schadenersatzleistung bezweckt, handelt es sich um ein Entschädigungsbegehren
BGE 125 II 230 S. 235
im Sinn von
Art. 12 Abs. 1 OHG
. Beide Ansprüche können unabhängig voneinander geltend gemacht werden. Der Berechtigte hat die Wahl zu treffen, in welchem Sinn er Opferhilfe beanspruchen will. Ob vorliegend ein Anspruch nach
Art. 3 Abs. 4 OHG
oder nach
Art. 12 Abs. 1 OHG
oder nach beiden Bestimmungen zur Diskussion steht, hängt von den Begehren ab, welche die Beschwerdeführerinnen gestellt und in ihren Eingaben begründet haben.
Das Verwaltungsgericht fasste das Kostenübernahmebegehren als Entschädigungsbegehren gemäss
Art. 11 ff. OHG
auf. Es hat übersehen, dass die Beschwerdeführerinnen gar nie Entschädigungsbegehren gestellt haben. In ihren Eingaben unternehmen sie nicht einmal den Versuch, einen Schaden zu behaupten, für welchen sie durch die Opferhilfe entschädigt werden möchten. Es liegt kein Entschädigungsanspruch im Streit. Mit ihrem Kostenübernahmebegehren beanspruchen die Beschwerdeführerinnen ausschliesslich eine Hilfeleistung im Sinn von
Art. 3 OHG
.
3.
a) Muss ein Opfer infolge der Straftat in einer geeigneten Institution betreut werden, so wird die Beratungsstelle diese Aufgabe in der Regel nicht selber wahrnehmen können, sondern Dritthilfe vermitteln und - sofern die Voraussetzungen für eine Kostentragung gemäss
Art. 3 Abs. 4 OHG
gegeben sind - Kostengutsprache leisten. Im vorliegenden Fall hat die Beratungsstelle weder die Heimplatzierung vermittelt noch Kostengutsprache geleistet. Erst rund zwei Jahre nach dem Heimeintritt haben die Beschwerdeführerinnen ihr Kostenübernahmebegehren gestellt. Zu diesem Zeitpunkt war eine Vermittlung von Dritthilfe nicht mehr erforderlich. Es kann deshalb nur noch darum gehen, ob die Opferhilfe Kosten von Massnahmen übernehmen muss, die eine andere in der Sache zuständige Behörde ohne Einbezug der Beratungsstelle angeordnet hat.
b) Das Verwaltungsgericht hat unter Hinweis auf die Botschaft des Bundesrates zum Opferhilfegesetz vom 25. April 1990 ausgeführt, dass die Entschädigung durch den Staat die Ausnahme zu bilden habe, indem die Opferhilfe nicht an die Stelle anderer, dem Opfer bereits aufgrund bestehender Gesetze zustehender Entschädigungsmöglichkeiten treten solle (BBl 1990 II 961 ff., insbesondere S. 976). Der hier angesprochene Grundsatz der Subsidiarität ist in
Art. 14 OHG
verankert und betrifft das im 4. Abschnitt des Gesetzes geregelte Entschädigungssystem, d.h. die Leistung von Entschädigung und Genugtuung gemäss
Art. 11 ff. OHG
. Das Verwaltungsgericht ist gestützt auf
Art. 14 OHG
zum Schluss gekommen, dass die Normen
BGE 125 II 230 S. 236
über den zivilrechtlichen Kindesschutz vorgehen und dass deshalb eine Übernahme der umstrittenen Heimkosten durch die Opferhilfestelle ausgeschlossen sei. Diese Schlussfolgerung geht von einer unzutreffenden Prämisse aus:
Art. 14 OHG
bezieht sich - wie sich aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung der Bestimmung ohne weiteres ergibt - nur auf Ansprüche, die dem Opfer als Entschädigung für erlittenen Schaden und als Genugtuung zustehen. Um solche Ansprüche geht es aber - wie bereits gesagt - im vorliegenden Fall nicht. Die genannte Bestimmung ist deshalb auf die hier zur Diskussion stehende Anspruchskollision grundsätzlich nicht anwendbar. Es kann aus ihr kein Vorrang kindesschutzrechtlicher Massnahmen gegenüber Betreuungsleistungen nach
Art. 3 Abs. 2 OHG
abgeleitet werden und somit auch keine Regelung für die umstrittene Frage, ob die Opferhilfestelle die Kosten der von der Vormundschaftsbehörde Zuchwil angeordneten Massnahme zu tragen habe. Auch die übrigen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes enthalten keine ausdrückliche Regelung dieser Frage.
c) Das Verwaltungsgericht hat festgehalten, dass die Folgen der Straftat nur eine Teilursache für die Heimeinweisung bilden. Mitursächlich waren auch das familiäre Umfeld und die Unfähigkeit der Eltern der Beschwerdeführerinnen, die Erziehungsaufgaben wahrzunehmen. Das Bundesgericht ist an diese Sachfeststellungen gebunden. Es ist somit davon auszugehen, dass die Folgen der Straftat für die Anordnung und Beibehaltung der Massnahme nicht allein entscheidend waren, obwohl die Heimbetreuung den Beschwerdeführerinnen auch ermöglichen sollte, die unmittelbaren Folgen der Straftat zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund weist die Massnahme in sachlicher Hinsicht sowohl eine kindes- als auch eine opferschutzrechtliche Komponente auf; insofern überschneidet sich die Zielsetzung des Kindesschutzes mit derjenigen des Opferschutzes. Im Rahmen einer Gesamtbeurteilung kommt den Folgen der Straftat kein derartiges ursächliches Gewicht zu, dass man sagen könnte, der kindesschutzrechtliche Charakter der Massnahme werde in den Hintergrund gedrängt. Dies schliesst es aus, den allfälligen Vorrang der Opferhilfe mit dem Zweck der Massnahme zu begründen.
d) Nach
Art. 1 Abs. 1 OHG
soll den Opfern von Straftaten wirksame Hilfe geleistet und ihre Rechtsstellung verbessert werden. Soweit wirksame Hilfe durch andere Institutionen geleistet wird, kann es nicht dem Zweck des Opferhilfegesetzes entsprechen, diese Leistungen zurückzudrängen. Bewirken die angeordneten Massnahmen
BGE 125 II 230 S. 237
des familienrechtlichen Kindesschutzes einen hinreichenden Schutz im Sinn des Opferhilfegesetzes, besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit für eine nachträgliche Betreuungshilfe seitens der Beratungsstelle. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass - wie schon gesagt - die angeordnete kindesschutzrechtliche Heimeinweisung Betreuungshilfe durch die Beratungsstelle überflüssig machte. Insofern fehlt die Grundlage für eine Kostentragung durch die Opferhilfe, wie sie sonst besteht, wenn die Beratungsstelle im Rahmen der Soforthilfe und der weiteren Hilfe Betreuungsleistungen vermittelt hat.
e) Es kann auch nicht gesagt werden, dass materielle Hilfe seitens der Beratungsstelle nötig sei, um die unbestrittenermassen gebotene Heimbetreuung sicherzustellen. Die Finanzierung des Heimaufenthaltes ist auch dann gewährleistet, wenn es sich nicht um Opferhilfe handelt: In diesem Fall finden gemäss § 56 SHG die Grundsätze des kantonalen Sozialhilfegesetzes Anwendung. Die Möglichkeit eines sozialhilferechtlichen Rückerstattungsanspruchs gegen die Beschwerdeführerinnen kann für sich allein nicht die Kostentragung durch die Opferhilfe rechtfertigen. Immerhin besteht die Möglichkeit, im Überschneidungsbereich von Opferhilfe und Kindesschutz auf die - ohnehin nur als Ausnahme vorgesehene - Rückerstattungsmöglichkeit gemäss § 61 Abs. 3 i.V.m. § 56 SHG zu verzichten, um eine Schlechterstellung von minderjährigen Opfern zu verhindern, welche aufgrund der bereits ergriffenen Kindesschutzmass- nahmen nicht in den Genuss von Opferhilfe gekommen sind. Eine derartige Schlechterstellung ist ohnehin ausgeschlossen, wenn generell davon abgesehen wird, die Kosten von Kindesschutzmassnahmen von den Kindern zurückzufordern, wie dies das Amt für Gemeinden und soziale Sicherheit des Kantons Solothurn dargelegt hat (vgl. oben, E. 1b).
f) Für den Zeitraum nach der Gesuchseinreichung vom 21. Juni 1996 hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf ein ärztliches Gutachten vom 10. Januar 1996 ausgeführt, dass es längst nicht mehr darum gehen könne, mit dem Heimaufenthalt das vom Opferhilfegesetz beabsichtigte Ziel der Wiederherstellung des vordeliktischen Zustandes zu verwirklichen. Dem Antrag der Vormundschaftsbehörde vom 25. April 1995 könne entnommen werden, dass beabsichtigt gewesen sei, die Kinder wieder in die Obhut des Vaters zu übergeben, was letztlich einzig an der Uneinsichtigkeit und der gänzlich fehlenden Kooperationsbereitschaft des Vaters gescheitert sei. Damit sei belegt, dass selbst aus der Sicht der Vormundschaftsbehörde
BGE 125 II 230 S. 238
die Folgen des strafbaren Verhaltens damals bereits nicht mehr andauerten. Wolle sich aber der erziehungsberechtigte Elternteil nicht um die Kinder kümmern, bestehe eine mit keinem strafbaren Verhalten im Zusammenhang stehende Situation, bei der die Vormundschaftsbehörde für das Kindeswohl zu sorgen habe. Diese Erwägungen des Verwaltungsgerichts sind nicht zu beanstanden. Es verletzt kein Bundesrecht, dass das Verwaltungsgericht bezogen auf den Zeitpunkt der Gesuchseinreichung (21. Juni 1996) die Folgen der körperlichen Misshandlung als nicht mehr ursächlich für die Fortsetzung der therapeutischen Heimbetreuung erachtet hat. Damit kann eine Prüfung unterbleiben, ob die Beschwerdeführerinnen mit ihrem Gesuch wenigstens für die Zukunft hätten verlangen können, dass an die Stelle der Kindesschutzmassnahme eine Opferhilfeleistung trete. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7dcb153f-c245-4e52-b1f3-7bdbc5f75103 | Urteilskopf
105 V 117
28. Auszug aus dem Urteil vom 24. Juli 1979 i.S. Brenninkmeijer gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 29 Abs. 1 AHVV
.
- Sinngemässe Anwendung der ausserordentlichen Beitragsbemessungsmethode bei Selbständigerwerbenden auf die Beitragsbemessung bei Veränderung der Berechnungsgrundlagen Nichterwerbstätiger.
- Bestätigung der Verwaltungspraxis, wonach die ausserordentliche Bemessungsmethode nur dann bei Nichterwerbstätigen zur Anwendung gelangt, wenn der nach dieser Methode errechnete Beitrag um mindestens 25% von demjenigen abwiche, der sich bei Anwendung der ordentlichen Methode ergäbe. | Erwägungen
ab Seite 117
BGE 105 V 117 S. 117
Aus den Erwägungen:
Die Sozialversicherungsbeiträge der Nichterwerbstätigen richten sich nach deren Vermögen und Renteneinkommen (
Art. 10 Abs. 1 AHVG
und
Art. 28 AHVV
). Gemäss
Art. 29 Abs. 1 AHVV
wird das Vermögen durch die kantonalen Steuerbehörden ermittelt. Im übrigen finden die Verfahrensgrundsätze der Art. 22 bis 27 AHVV sinngemäss Anwendung.
Der Stichtag für die Vermögensberechnung bestimmt sich nach den entsprechenden Vorschriften der Wehrsteuergesetzgebung und fällt somit zusammen mit jenem Tag, der für die
BGE 105 V 117 S. 118
letzte der Beitragsperiode vorangegangene Wehrsteuerveranlagung massgebend war. Bestand an diesem Stichtag noch keine Beitragspflicht, so ist auf den Vermögensstand bei Beginn der Beitragspflicht abzustellen. Hingegen ist grundsätzlich jenes Renteneinkommen massgebend, das der Nichterwerbstätige in dem der Beitragsperiode vorangegangenen Kalenderjahr (Berechnungsperiode) erzielt hat. War der Beitragspflichtige während eines Teils der Berechnungsperiode nicht erwerbstätig, so sind bis zum Beginn der nächsten Beitragsperiode die Beiträge nach dem laufendenjährlichen Renteneinkommen zu bemessen.
Hat sich die Vermögenslage seit dem genannten Stichtag oder das Renteneinkommen seit der erwähnten Berechnungsperiode wesentlich verändert, so bestimmen sich die Beiträge der Nichterwerbstätigen bis zum Beginn der nächsten ordentlichen Beitragsperiode anhand der Vermögenslage bzw. des Renteneinkommens, die im Zeitpunkt der Veränderung gegeben waren; dies in sinngemässer Anwendung von
Art. 25 Abs. 1 AHVV
über die Beitragsfestsetzung im ausserordentlichen Verfahren bei Veränderung der Einkommensgrundlagen Selbständigerwerbender. Bei der soeben genannten Kategorie von Beitragspflichtigen kommt die ausserordentliche Beitragsfestsetzung nach der Rechtsprechung nur in Frage, wenn die Höhe des Einkommens wegen Änderung der Einkommensgrundlagen sich um mindestens 25% verändert hat (unveröffentlichte Urteile vom 18. November 1974 i.S. Bärtschi und vom 8. Juni 1971 i.S. Schmelz, ZAK 1958, S. 326). In Anlehnung an diese Rechtsprechung zur Beitragsfestsetzung Selbständigerwerbender wird in Rz 281 der Wegleitung über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen folgendes bestimmt:
"Macht der Nichterwerbstätige geltend, seit dem Stichtag oder seit dem Ende der Berechnungsperiode, auf Grund welcher die Beiträge zum letztenmal festgesetzt worden sind, habe sich das Vermögen oder das Renteneinkommen derart verändert, dass der darnach zu entrichtende Beitrag um mindestens einen Viertel abwiche von demjenigen, der nach dem Vermögensstand am Stichtag oder dem Renteneinkommen in der Berechnungsperiode geschuldet wäre, so hat die Ausgleichskasse den Beitrag auf Grund des veränderten Vermögens- oder Renteneinkommens neu festzusetzen. Der Beitrag ist vom Zeitpunkt der Vermögens- oder Einkommensänderung an bis zum Beginn der nächsten ordentlichen Beitragsperiode neu festzusetzen (1. Januar des folgenden geraden Kalenderjahres)."
BGE 105 V 117 S. 119
Darnach kommt es bei den Nichterwerbstätigen darauf an, ob aus der Vermögens- bzw. Einkommensveränderung ein um mindestens 25% verminderter oder erhöhter Beitrag resultiert. Der Beschwerdeführer erachtet diese Verwaltungspraxis als nicht gesetzeskonform, weil für die ausserordentliche Beitragsbemessung nicht eine bestimmte prozentuale Verminderung des Beitrags erforderlich sei und deshalb das durch ein besonderes Ereignis bedingte Wegfallen eines wesentlichen Vermögensbestandteiles genügen müsse. Indessen ist es Sache der Praxis zu bestimmen, was unter wesentlicher Veränderung der Berechnungsgrundlagen bzw. des Beitrages zu verstehen ist. Die entsprechende Verwaltungspraxis, wie sie in Rz 281 umschrieben wird, erscheint nicht gesetzwidrig und ist daher nicht zu beanstanden. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7dd2532d-49f6-4dfe-b5b9-97b31b7d8ef4 | Urteilskopf
114 Ib 334
50. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 25 novembre 1988 dans la cause L'Energie de l'Ouest-Suisse (EOS) S.A. c. Autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 20 Abs. 2 des Bundesbeschlusses über die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen; Befugnisse der Beschwerdeinstanz im Beanstandungsverfahren; Umfang der Überprüfung einer Sendung.
1. Bei richtiger Auslegung gibt Art. 20 Abs. 2 des Bundesbeschlusses der Beschwerdeinstanz die Befugnis, diejenigen Untersuchungen durchzuführen, die zur Erfüllung der ihr vom Gesetzgeber übertragenen Aufgaben notwendig sind (E. 2).
2. Bedeutung der persönlichen Anhörung der Beteiligten (E. 3).
3. Zur Prüfung der Objektivität einer Sendung ist nicht nur jede einzelne Information für sich allein zu würdigen, sondern auch der allgemeine Eindruck, den eine Sendung als Ganzes hinterlässt (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 335
BGE 114 Ib 334 S. 335
La société L'Energie de l'Ouest-Suisse S.A. (ci-après: EOS) est engagée dans la construction d'une ligne électrique aérienne à haute tension de 380 kV reliant Galmiz à Verbois. Prévu dans la campagne en arrière du vignoble de La Côte jusqu'à la hauteur de Vinzel, le tracé de cette ligne traverse ensuite le haut du coteau pour rejoindre la région de Begnins.
En octobre 1986, Franz Weber a lancé une initiative cantonale intitulée "Sauvez la Côte" exigeant que le canton de Vaud intervienne pour que toute nouvelle ligne à haute tension (ou agrandissement de ligne) soit enterrée à partir du 1er janvier 1987. Cette initiative a été très nettement rejetée par le peuple vaudois lors des votations du 28 juin 1987.
A l'occasion du lancement de l'initiative, la télévision suisse romande a présenté, au cours de l'émission "Téléjournal" du 23 octobre 1986 à 19 h 30, un bref reportage de 4 minutes et demie consacré à l'éventuelle mise sous terre de la ligne électrique. Parlant au nom d'EOS, son directeur, Jean Remondeulaz, a mis l'accent sur les difficultés techniques et le coût jugé prohibitif d'un tel projet; Franz Weber et Chaïm Nissim ont eu l'occasion d'exposer leur avis en faveur d'une ligne souterraine. L'élément central du reportage était constitué par un dossier émanant de la société Pirelli qui démontrerait la faisabilité d'une mise sous terre des câbles à haute tension. A l'issue de l'émission, il fut annoncé aux téléspectateurs que la télévision consacrerait un "dossier" au même sujet le samedi suivant.
Le 25 octobre 1986, le "Téléjournal" a présenté le reportage comme indiqué. D'une durée inférieure à 6 minutes et demie, il aborde principalement la question des répercussions négatives de la ligne aérienne sur le paysage, en exposant les sentiments ressentis par quelques personnes choisies. Parmi les opposants, outre Franz Weber, un géographe et un vigneron ont exprimé leur émotion. Paul de Weck, sous-directeur d'EOS, a été, quant à lui, appelé à décrire très brièvement l'importance et la nécessité de la ligne litigieuse.
Le 21 novembre 1986, EOS a saisi l'Autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision (ci-après:
BGE 114 Ib 334 S. 336
l'Autorité de plainte) en soutenant que les émissions des 23 et 25 octobre 1986 ont violé les règles de l'art. 13 de la concession du 27 octobre 1964/22 décembre 1980 dont bénéficie la Société suisse de radiodiffusion et télévision, notamment celles relatives à l'objectivité.
Le 23 décembre 1986, EOS a déposé une plainte complémentaire visant l'émission "Journal romand" du 25 novembre 1986; alors qu'il commentait l'approbation d'un rapport favorable à la ligne aérienne par le Grand Conseil vaudois, un journaliste avait lié la construction de la ligne à l'énergie nucléaire en affirmant que l'abandon de ligne risquait de mettre en échec tout le programme nucléaire. Selon EOS, cette affirmation constituerait une tromperie inadmissible du public.
Par décision du 16 avril 1987, l'Autorité de plainte a estimé que, bien qu'elles aient été parfois maladroites, les émissions litigieuses n'avaient pas transgressé l'art. 13 de la concession.
Agissant en temps utile par la voie du recours de droit administratif, EOS demande au Tribunal fédéral de réformer la décision du 16 avril 1986 "en constatant que les émissions Téléjournal de la TSR des 23 et 25 octobre 1986 et Journal romand du 25 novembre 1986 ont violé la règle d'objectivité posée par l'art. 13 de la concession".
Considérant que l'Autorité de plainte a restreint son pouvoir de cognition d'une manière contraire au droit fédéral, la recourante reprend pour l'essentiel les arguments formulés devant l'instance inférieure. Elle se plaint tout d'abord du non-respect du principe d'équilibre, les opposants à la ligne aérienne ayant disposé à ses yeux d'un temps de parole trop important par rapport à son propre temps d'antenne. Elle soutient par ailleurs que les interviews de ses représentants ont été recueillies et présentées d'une façon contraire aux règles de la déontologie et que des images ont été manipulées au profit d'une des thèses en présence. Enfin, s'agissant particulièrement du "Journal romand", la recourante réitère ses critiques relatives à une tromperie du public.
Dans leurs observations respectives, l'autorité intimée et la Société suisse de radiodiffusion et télévision ont conclu au rejet du recours.
Le 9 mars 1988 a eu lieu une audience d'instruction au cours de laquelle la délégation du Tribunal fédéral a procédé au visionnement des émissions litigieuses ainsi qu'à l'interrogatoire des parties.
BGE 114 Ib 334 S. 337
A l'issue d'un second échange d'écritures, les parties ont maintenu leurs conclusions.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Dans la mesure où la recourante est directement touchée par les émissions contestées et remplit, par conséquent, les conditions posées par l'
art. 103 lettre a OJ
, le recours de droit administratif qu'elle forme est recevable en vertu de la disposition particulière de l'art. 25 de l'arrêté fédéral du 7 octobre 1983 sur l'Autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision (RS 784.45; ci-après: l'arrêté fédéral; cf. 111 Ib 296 consid. 1b).
b) Selon l'
art. 104 OJ
, le recours de droit administratif peut être formé pour violation du droit public fédéral, pour excès ou abus du pouvoir d'appréciation (lettre a) ainsi que pour constatation incomplète ou inexacte des faits (lettre b). En revanche, sauf dans les cas exceptionnels visés par l'art. 104 lettre c OJ - non réalisés en l'espèce -, un recourant ne peut pas se plaindre de l'inopportunité de la décision attaquée, c'est-à-dire d'une simple erreur d'appréciation de l'autorité intimée (cf. Archives 48, p. 345 consid. 2).
c) Bien que l'Autorité de plainte soit indépendante de l'administration, ses décisions concernant les émissions de la Société suisse de radiodiffusion et télévision ne sont pas prises sur recours, mais en première instance: elle ne peut dès lors être mise au bénéfice de l'
art. 105 al. 2 OJ
qui limite le pouvoir d'examen du Tribunal fédéral sur les questions de fait lorsque les constatations en la matière émanent d'une commission de recours. Le Tribunal fédéral peut donc revoir d'office les constatations de fait de l'autorité intimée (
art. 105 al. 1 OJ
; cf. dans ce sens
ATF 108 Ib 274
consid. 2a).
Certes la question du pouvoir d'examen du Tribunal fédéral sur les faits apparaît plus délicate lorsque l'Autorité de plainte statue, en application de l'art. 16 de l'arrêté fédéral, sur des émissions de diffuseurs locaux dans la mesure où ces derniers disposent déjà de leur propre autorité de contrôle. Toutefois, cette hypothèse n'étant pas réalisée en l'espèce, rien ne justifie de trancher d'ores et déjà la question.
d) Sur le plan juridique, le Tribunal fédéral vérifie d'office l'application du droit public fédéral. Il se prononce librement sur
BGE 114 Ib 334 S. 338
le respect de la concession et en particulier sur l'objectivité des émissions. Il n'a pas en revanche à contrôler si les directives des diffuseurs en matière de programmes ou les règles de déontologie applicables à la profession de journaliste ont été observées. Il n'en tiendra compte que dans la mesure où ces règles permettent une interprétation plus précise des notions contenues à l'art. 13 de la concession.
2.
a) Bien que les plaintes radio-TV soient exclues du champ d'application de la loi fédérale sur la procédure administrative (art. 3 lettre ebis PA), l'Autorité de plainte n'est pas démunie de moyens procéduraux pour obtenir des informations. L'arrêté fédéral prévoit à son art. 20 al. 2 que les diffuseurs doivent lui fournir "tous les renseignements nécessaires à l'exercice de son activité". La question se pose dès lors de déterminer l'ampleur de cette obligation et les facultés qui en découlent pour l'autorité intimée.
b) Selon l'art. 21 de l'arrêté fédéral, l'Autorité de plainte établit, dans sa décision, si l'émission ou les émissions incriminées ont violé les dispositions de la concession relatives aux programmes. Or, pour juger de la conformité d'une émission au principe d'objectivité énoncé à l'art. 13 de la concession 1964/1980 - encore applicable à la présente affaire -, il n'est pas possible de se contenter d'un simple examen subjectif de l'émission, en se mettant à la place d'un téléspectateur. Dans la mesure où l'objectivité d'une émission dépend de la véracité des éléments fournis aux destinataires et de la diligence déployée par le journaliste dans son travail de préparation (SJ 1982, p. 372), le respect de la concession implique de contrôler si, d'un point de vue objectif, ce qui est dit ou montré dans l'émission litigieuse est vrai, ou pouvait être tenu comme tel, et si la diligence journalistique a été respectée. Cela suppose, pour le moins, de disposer d'un état de fait complet sur les conditions dans lesquelles l'émission a été produite. En excluant ce contrôle sous prétexte qu'elle ne dispose pas des moyens procéduraux adéquats, l'Autorité de plainte ne remplit pas la mission qui lui a été confiée par le législateur. Or, de par sa formulation très large, l'art 20 al. 2 de l'arrêté fédéral n'implique pas forcément une restriction des moyens d'enquête de l'Autorité de plainte; cette dernière doit donc interpréter la disposition de manière à être en mesure de s'acquitter de sa tâche.
c) En procédant à cette interprétation, l'autorité intimée ne peut ignorer les compétences dont dispose le Tribunal fédéral dans
BGE 114 Ib 334 S. 339
le cadre du recours de droit administratif. En principe, le pouvoir d'examen de l'autorité inférieure sur les faits est au moins aussi étendu que celui de l'autorité de recours (cf. GRISEL, Traité de droit administratif, p. 929). Il s'avérerait illogique d'attendre que la cause soit soumise à la juridiction suprême pour que soient ordonnées les mesures nécessaires à une instruction sérieuse du dossier. Etant l'unique instance spécifique en matière de surveillance des émissions de radio et de télévision, c'est à l'Autorité de plainte, et non pas au Tribunal fédéral, qu'il appartient de procéder aux enquêtes nécessaires pour élucider les questions de fait. Or, si l'Autorité de plainte devait ne pas disposer des moyens suffisants à cette tâche, la surveillance effective des émissions reviendrait - lorsque le recourant satisfait aux conditions de l'
art. 103 OJ
- au seul Tribunal fédéral qui devrait à chaque fois établir les faits comme s'il statuait en instance unique. Une telle solution est contraire au système choisi non seulement par le législateur, mais également par le constituant qui a expressément voulu la création d'une autorité indépendante chargée de l'examen des plaintes (
art. 55bis al. 5 Cst.
).
d) Sous l'angle de l'interprétation de l'art. 20 al. 2 de l'arrêté fédéral, il importe peu que la procédure administrative fédérale ne soit pas directement applicable à la procédure de plainte en matière de radio-télévision. En effet, il ne faut pas perdre de vue le but que poursuivait le législateur en restreignant le champ d'application de la PA. Prenant acte du fait que les émissions de télévision et de radio ne sont pas des décisions au sens de l'
art. 5 PA
, et que, dans le système de la procédure administrative, les plaintes qui les visent ne pourraient être mieux que de simples dénonciations (
art. 71 PA
) ne garantissant pas au plaignant une procédure complète, le législateur a constaté l'inadéquation de cette loi fédérale pour réglementer la manière de traiter les plaintes dirigées contre les programmes (BO CN 1983, p. 473; cf. aussi Message du 8 juillet 1982, FF 1981 III p. 109 et 116). Son but premier n'était pas de priver l'Autorité de plainte des moyens procéduraux nécessaires, mais de prévoir une normalisation de la procédure de réclamation, en améliorant la situation des plaignants. Dans ces conditions, il n'est pas contraire à l'intention du législateur d'interpréter l'art. 20 al. 2 de l'arrêté fédéral de façon à reconnaître à l'Autorité de plainte le pouvoir d'examen nécessaire pour remplir complètement la mission qui lui est assignée. Au surplus, rien ne s'oppose, dans ce cadre, à une application par analogie de certains instruments
BGE 114 Ib 334 S. 340
procéduraux organisés par la loi de procédure administrative (cf. BO CN 1982, p. 468; CORBOZ, Le contrôle populaire des émissions de la radio et de la télévision, in Mélanges Robert Patry, Lausanne 1988, n. 31 p. 287).
e) L'étendue concrète du devoir d'investigation qui incombe à l'autorité intimée dépend des circonstances de fait de la cause; par ailleurs, les enquêtes seront plus ou moins poussées selon la nature de l'émission litigieuse et les reproches du plaignant. Cette situation exclut, par conséquent, de fixer sur un plan purement théorique les mesures d'instruction susceptibles d'être adoptées; celles-ci varieront de cas en cas.
3.
a) En l'occurrence, l'audience d'instruction à laquelle a exceptionnellement procédé le Tribunal fédéral a montré à quel point il importe de connaître les circonstances ayant présidé à l'élaboration d'une émission. Cette connaissance a été acquise dans le cas particulier en visionnant les séquences litigieuses, en interrogeant les divers protagonistes et en obtenant la documentation utilisée pour préparer l'émission. Le résultat de ces investigations modifie fondamentalement l'appréciation des émissions litigieuses.
b) S'agissant tout d'abord de l'émission "Téléjournal" du 23 octobre 1986, il faut constater que l'affirmation selon laquelle une tranchée d'un mètre suffirait pour enterrer la ligne à haute tension Galmiz-Verbois constitue l'élément central du reportage; or, cette information est fausse. Il ressort clairement de la documentation que l'entreprise Pirelli a fournie au journaliste qu'une mise sous terre de la ligne Galmiz-Verbois aurait nécessité une tranchée d'un mètre au moins pour chacun des 6 à 10 câbles composant la ligne. Laisser entendre qu'une seule tranchée aurait suffi pour enterrer la ligne s'avère donc inexact et fausse gravement le processus de formation de l'opinion du téléspectateur. De plus, le journaliste n'a pas pris la peine d'énoncer les réserves qui découlaient du dossier Pirelli; l'entreprise italienne insistait notamment sur le fait que le problème de la mise sous terre de la ligne ne concerne pas seulement les câbliers, mais également au premier chef, les électriciens (sélectivité de protection, stabilité du réseau) dont l'avis sur la faisabilité de la ligne est au moins aussi important que le sien. N'ayant pas apporté cette précision nécessaire à une bonne compréhension de la position des partisans de la ligne aérienne, le journaliste a tronqué l'information d'une de ses composantes importantes.
BGE 114 Ib 334 S. 341
En outre, à la différence des promoteurs de l'initiative "Sauvez la Côte", les représentants d'EOS ne connaissaient pas le contenu du dossier Pirelli; ils n'ont pu dès lors émettre que des généralités sur la faisabilité de la mise sous terre de la ligne et leurs propos à ce sujet apparaissent maladroits et peu précis; en face, les initiants ont pu, eux, se prononcer concrètement sur le problème, en soulignant les seuls éléments du dossier qui étaient en leur faveur.
En raison de cette inégalité flagrante, leur intervention se révèle nettement plus crédible que celle d'EOS qui semble nier l'évidence en adoptant une attitude de refus obstiné. Malgré l'ignorance de la recourante et, partant, son impossibilité à apporter les précisions nécessaires à un débat équilibré, le journaliste n'a pas jugé utile d'intervenir pour souligner les réserves qui découlaient du dossier Pirelli et dont les initiants ont tu l'existence.
L'impression négative laissée par la recourante est encore renforcée par l'utilisation du discours alterné. En fonction de chaque affirmation d'EOS, l'usage de cette méthode de reportage met en évidence les conclusions diamétralement opposées des initiants que semble corroborer à chaque fois le dossier Pirelli présenté comme critère de la vérité par le commentateur lui-même. Ce procédé accentue gravement le déséquilibre constaté dans la connaissance de la documentation Pirelli dès lors que les très brèves interventions d'EOS sont immédiatement balayées par les réponses conjuguées des initiants et du journaliste de manière à créer une dynamique favorable à la thèse de la mise sous terre de la ligne.
c) L'examen de l'émission du 25 octobre 1986 a révélé également l'usage de certains procédés dont la compatibilité avec la diligence journalistique s'avère plus que douteuse.
Cette émission vise essentiellement à décrire les sentiments suscités par la construction de la ligne auprès de quelques personnes; elle souligne par les images et le son l'aspect émotionnel de l'événement. Dans ce contexte, le diffuseur s'est efforcé de maintenir l'attention du spectateur en multipliant la brusque alternance des séquences montrant des pylônes à haute tension et celles plus bucoliques exposant des vues du vignoble de Féchy ou de la région de Lavaux. Or, ces dernières images ne concernent pas des régions menacées par le passage de la ligne Galmiz-Verbois. Leur diffusion alors qu'elles ne présentent pas un rapport direct avec cette ligne à haute tension est de nature à tromper le public. En effet, même si les vues de Lavaux ne font qu'illustrer les propos
BGE 114 Ib 334 S. 342
de Franz Weber, leur intégration dans le reportage peut facilement provoquer une confusion sur les régions véritablement menacées par la ligne contestée. Il en va de même d'ailleurs de la présentation de l'église et du village de Féchy situés hors du tracé de la construction. Le fait d'associer implicitement ces paysages à la ligne aérienne litigieuse peut renforcer dès lors la position des initiants auprès d'un vaste auditoire, ému en l'espèce par la sauvegarde d'un patrimoine nullement menacé.
Il est apparu, en outre, lors de l'interrogatoire des parties, que l'interview de M. de Weck, représentant d'EOS, avait été réalisée le 19 septembre 1986, soit un mois avant sa diffusion, de manière fortuite lors d'une inspection des lieux et dans une ambiance de rue, juste avant de monter dans un car. Son intégration dans un contexte différent où tous les intervenants soulignent avec gravité l'atteinte au paysage provoquée par la ligne donne indûment à penser que la direction d'EOS prend ce problème à la légère. Cette impression est d'ailleurs renforcée par le choix des raccords liant les brèves interventions de M. de Weck; montrant d'énormes pylônes métalliques filmés en contre-plongée, ces raccords accentuent le peu de consistance du discours sorti de son contexte.
d) Les résultats de l'instruction visant à déterminer la véracité des faits diffusés lors des émissions attaquées et le respect de la diligence journalistique influencent en l'occurrence de manière déterminante le jugement sur le respect de la concession. L'autorité intimée ne pouvait par conséquent se contenter du simple visionnement des émissions litigieuses et des pièces figurant à ce moment au dossier, sans procéder à l'audition des personnes concernées. Sa décision, entachée d'une constatation incomplète des faits, doit dès lors être annulée.
4.
Sur le plan juridique, la décision attaquée n'échappe pas non plus à la critique.
a) Dans la mesure où la finalité ultime du devoir d'objectivité est d'apporter au destinataire de l'émission les éléments nécessaires à la formation de sa propre opinion (BARRELET, Droit suisse des mass-média, Berne 1987, p. 320 No 1035; PONCET, La surveillance de l'Etat sur l'information télévisée en régime de monopole, Bâle 1985, p. 133; RIKLIN, Rechtsfragen der (externen) Programmaufsicht über Radio und Fernsehen in der Schweiz, in Aspect du droit des médias II, Fribourg 1984, p. 45; ROSTAN, Le service public de radio et de télévision, p. 220), il n'est pas possible de réduire le contrôle de l'émission contestée à un examen successif des
BGE 114 Ib 334 S. 343
différents faits et opinions qui y sont contenus, considérés d'une manière fractionnée. S'il est juste d'opérer une appréciation de chaque information prise isolément (SJ 1982, p. 373), l'Autorité de plainte ne saurait s'arrêter à ce stade. Elle doit, en plus, examiner l'impression générale qui se dégage de l'émission dans son ensemble, dès l'instant qu'un enchaînement de faits vrais ou vraisemblables selon un ordre établi n'aboutit pas forcément à une information objective. Il lui incombe également, lorsqu'une série d'émissions est contestée, de regarder si l'ensemble formé par toutes les transmissions respecte les exigences posées par la concession.
b) En l'espèce, l'autorité intimée n'a pas procédé à cette appréciation globale des émissions qui lui étaient soumises. Elle les a découpées en séquences et s'est prononcée sur chacune d'entre elles individuellement; sous cet angle restreint, elle a constaté un certain nombre de manquements et de maladresses mineures sans prendre la peine d'examiner si ces inadvertances et erreurs ne faussaient pas en définitive l'objectivité de l'ensemble des émissions de manière non négligeable.
En outre, dans la mesure où les transmissions litigieuses illustrent un débat d'idées concrétisé par le lancement d'une initiative, elle ne devait admettre qu'avec prudence qu'une violation marginale de l'objectivité ne constitue pas en l'occurrence une atteinte à la concession. Il lui fallait regarder en particulier si les erreurs en cause n'étaient pas de nature à fausser le processus démocratique en facilitant indûment la collecte des signatures auprès des citoyens vaudois.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours, annule la décision attaquée et renvoie la cause à l'autorité intimée pour nouvelle décision au sens des considérants. | public_law | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7dd490b0-a5ac-48ae-b8af-2bd509fd4581 | Urteilskopf
108 III 105
30. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 14. Mai 1982 i.S. Silvaplanina S.A. (Rekurs) | Regeste
Sicherstellungsverfügung und von der kantonalen Steuerverwaltung erlassener Arrestbefehl für eine auf dem kantonalen Recht beruhende Steuerforderung (Art. 169 und 170 des bündnerischen Steuergesetzes).
Eine solche Sicherstellungsverfügung ist insofern unbeachtlich, als sie einem Arrestbefehl im Sinne von
Art. 274 SchKG
gleichgestellt wird. Ebenso unbeachtlich ist ein durch die kantonale Steuerverwaltung gestützt auf das kantonale Steuergesetz erlassener Arrestbefehl. | Erwägungen
ab Seite 105
BGE 108 III 105 S. 105
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Art. 169 Abs. 1 des bündnerischen Steuergesetzes (StG) bestimmt, dass die kantonale Steuerverwaltung auch vor rechtskräftiger Veranlagung des Steuerbetrages jederzeit Sicherstellung verlangen kann, wenn die geschuldete Steuer durch das Verhalten des Steuerpflichtigen als gefährdet erscheint. Gemäss
Art. 170
BGE 108 III 105 S. 106
Abs. 1 StG
gilt sodann die Sicherstellungsverfügung als Arrestbefehl im Sinne des
Art. 274 SchKG
, und
Art. 170 Abs. 3 StG
erklärt die Arrestaufhebungsklage des
Art. 279 SchKG
für nicht zulässig. Die Rekurrentin ist der Ansicht, der auf diesen Bestimmungen des kantonalen Steuerrechts beruhende Arrestbefehl sei nichtig, weshalb der Arrestvollzug aufzuheben sei.
2.
Zwangsvollstreckungen, die auf eine Geldzahlung oder auf eine Sicherheitsleistung in Geld gerichtet sind, werden auf dem Wege der Schuldbetreibung durchgeführt (
Art. 38 Abs. 1 SchKG
).
Art. 43 SchKG
, der für Leistungen, die im öffentlichen Recht begründet sind, insofern eine Sonderregelung enthält, als die Konkursbetreibung ausgeschlossen wird, erwähnt ausdrücklich auch die Steuern.
Die Vorinstanz hält nun allerdings dafür, dass
Art. 170 StG
durch den Vorbehalt des
Art. 44 SchKG
gedeckt und deshalb mit dem Bundesrecht nicht unvereinbar sei.
Art. 44 SchKG
sieht vor, dass die Verwertung von Gegenständen, die auf Grund strafrechtlicher oder fiskalischer Gesetze mit Beschlag belegt sind, nach den zutreffenden eidgenössischen oder kantonalen Gesetzesbestimmungen geschieht. Entgegen der Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde wird jedoch die Durchsetzung von Steuerforderungen durch diese Bestimmung nicht erfasst. Es geht in
Art. 44 SchKG
um die Verwertung von ganz bestimmten Gegenständen, nämlich von solchen, die unmittelbar im Zusammenhang mit einem Straf- oder Steuerverfahren nach den betreffenden - eidgenössischen oder kantonalen - Gesetzen beschlagnahmt worden sind (vgl.
BGE 101 IV 376
ff.;
BGE 89 I 185
ff.;
BGE 76 I 28
ff.); eine Betreibung im Sinne des Schuldbetreibungs- und Konkursrechtes findet in diesen Fällen nicht statt. Unter die Bestimmung des
Art. 44 SchKG
fallen somit Gegenstände, an oder mit denen beispielsweise Übertretungen von Bestimmungen über den Post-, Telegraphen- und Telephonverkehr oder über das Zollwesen begangen worden sind; ferner etwa Gegenstände, welche die zuständige Behörde auf Grund strafprozessualer Bestimmungen zur Deckung von Prozesskosten, Bussen und Strafvollzugskosten mit Beschlag belegt hat (vgl.
BGE 101 IV 377
f.; BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, S. 140; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., I. Band, S. 76, insbesondere N. 125).
Die Hinweise der Vorinstanz auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung sind unbehelflich. Sie kann für ihren Standpunkt daraus
BGE 108 III 105 S. 107
nichts herleiten.
BGE 101 IV 371
ff. betraf die strafrechtliche Beschlagnahme von Münzen und Sparheften, an denen ein Retentionsrecht nach kantonalem Recht zur Sicherung von Haftkosten beansprucht wurde. Um die gleiche Frage war es dem Grundsatze nach auch in
BGE 89 I 185
ff. und
BGE 76 I 28
ff. gegangen. In diesen Entscheiden wurde denn auch gerade der Unterschied zwischen einer Beschlagnahme nach kantonalem Recht und dem Arrest nach
Art. 271 ff. SchKG
hervorgehoben, welcher allein der Sicherung einer bereits eingeleiteten oder zukünftigen Zwangsvollstreckung einer Geldforderung, somit auch einer Steuerforderung, dient und allein nach Bundesrecht erfolgen kann.
3.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass
Art. 170 StG
in einem Gebiet Recht setzt, das ausschliesslich dem Bundesrecht vorbehalten ist. Dass das Bundesrecht selbst (in den Art. 118 und 119 des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung einer Wehrsteuer; SR 642.11) eine als Arrestbefehl im Sinne des
Art. 274 SchKG
ausgestaltete Sicherstellungsverfügung vorsieht, vermag daran nichts zu ändern. Eine bundesrechtliche Sonderregelung ermächtigt die Kantone nicht, ähnliche oder gleiche Sondernormen einzuführen in einem Bereich, dessen Ordnung ausschliesslich Sache des Bundesgesetzgebers ist. Anders wäre es nur, wenn ein klarer Vorbehalt zugunsten der Kantone bestünde. Das trifft aber gerade für Fälle der vorliegenden Art nicht zu.
Die auf dem kantonalen Recht beruhende Sicherstellungsverfügung ist nach dem Gesagten insofern unbeachtlich, als sie einem Arrestbefehl gleichgestellt wird. Ebenso unbeachtlich ist der durch die Steuerverwaltung erlassene Arrestbefehl. Der gegenüber der Rekurrentin vollzogene Arrest ist deshalb als nichtig zu erklären. Bei dieser Sachlage braucht die weitere Rüge der Rekurrentin nicht mehr erörtert zu werden, wonach der erwähnte Arrestbefehl hinsichtlich des Inhaltes den Anforderungen von
Art. 274 SchKG
nicht entspreche. | null | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7ddc532e-84f5-4395-8038-096f62626c3b | Urteilskopf
81 I 35
7. Arrêt du 9 mars 1955 dans la cause Canton de Genève contre Confédération suisse. | Regeste
1. Begriff des Kompetenzkonflikts im Sinne von
Art. 83 lit. a OG
(Erw. 1).
2. Gehören zu den "Flugplatzgebühren", die nach Art. 39 des eidg. Luftfahrtgesetzes der Genehmigung des eidg. Luftamtes unterliegen, auch die Gebühren, die der Flugplatzhalter auf der Abgabe von Flugtreibstoff und Flugmotorenöl (Ausschankgebühren) und für das Wägen der Luftfrachtsendungen (Waaggebühren) erhebt? (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 35
BGE 81 I 35 S. 35
A.-
En vertu de l'art. 37 de la loi fédérale du 21 décembre 1948 sur la navigation aérienne (LNA), "des aérodromes ouverts à la navigation publique ne peuvent être créés et exploités qu'en vertu d'une concession, qui est octroyée par le Département des postes et des chemins de fer".
Le 20 novembre 1951, le canton de Genève a obtenu "la concession pour l'exploitation commerciale de l'aéroport de Genève-Cointrin", dont il est propriétaire. Il a
BGE 81 I 35 S. 36
ainsi diverses obligations. Il doit notamment "prendre les mesures nécessaires pour assurer l'exploitation de l'aérodrome dans les meilleures conditions" et veiller à ce que les carburants et lubrifiants dont les aéronefs ont besoin leur soient livrés. Il a d'autre part le droit de "percevoir des taxes pour l'utilisation de l'aéroport et de ses installations". En vertu de l'art. 39 LNA, ces taxes, dites "taxes d'aérodrome", "sont soumises à l'approbation de l'Office fédéral de l'air" (OFA). Elles sont perçues actuellement sur la base d'un règlement adopté le 18 mai 1949 par la conférence des directeurs d'aérodromes. Ce règlement, approuvé par l'OFA, est entré en vigueur le 1er octobre 1949; il prévoit des taxes d'atterrissage, d'éclairage, de garage, de stationnement et d'expédition.
B.-
Le 31 mai 1946, le canton de Genève a conclu avec chacune des trois sociétés de distribution de carburants Lumina, Esso-Standard et B.P. une convention les autorisant à emmagasiner et à distribuer à l'aéroport de Genève-Cointrin leurs carburants et lubrifiants pour aéronefs. Ces contrats contiennent les dispositions suivantes:
"art. 5. - L'exploitant (c'est-à-dire la société de distribution) paiera à l'Etat de Genève...
b) sur les livraisons de carburants, une redevance de fr. 0.02 par litre, lorsque la livraison est faite à un aéronef d'une entreprise de navigation aérienne ou à un aéronef d'Etat; de fr. 0.04, lorsqu'elle est faite à un autre aéronef;
c) sur les livraisons de lubrifiants, une redevance de fr. 0.15 par litre, lorsque la livraison est faite à un aéronef d'une entreprise de navigation ou à un aéronef d'Etat, de fr. 0.50 lorsqu'elle est faite à un autre aéronef."
"art. 7- - L'exploitant fixe librement le prix de vente de ses carburants et lubrifiants."
"Ces prix ne dépasseront, cependant, en aucun cas ceux qui sont pratiqués sur d'autres aéroports suisses et qui sont autorisés par l'autorité fédérale."
Les sociétés de distribution calculent leur prix de vente en tenant compte de la redevance (ci-après taxe de distribution) due à l'Etat de Genève.
BGE 81 I 35 S. 37
D'autre part, en vertu de l'art. 14 al. 1 de l'ordonnance douanière du 7 juillet 1950 sur la navigation aérienne, l'exploitant d'un aérodrome douanier, comme celui de Cointrin, "est tenu de mettre à la disposition de l'administration des douanes les locaux nécessaires à son service, y compris les laboratoires, les appareils de pesage, etc., et de veiller à leur mise en état". Pour compenser les frais qui en résultent pour lui, le canton de Genève perçoit depuis le 1er juin 1950 une redevance "sur toutes les marchandises commerciales importées soumises au pesage". Cette redevance (ci-après taxe de pesage) est de 0.10 fr. par envoi jusqu'à 100 kg. et de 0.10 fr. par 100 kg. pour envois supérieurs à 100 kg. Le montant en est facturé mensuellement aux transporteurs aériens.
En 1951, le produit de la taxe de distribution a été de 171 121 fr. 82, celui de la taxe de pesage de 2293 fr. 90. Ni l'une ni l'autre de ces taxes n'ont été soumises à l'approbation de l'OFA.
C.-
Diverses compagnies aériennes ont saisi l'OFA de réclamations contre le prélèvement de ces deux sortes de taxe. Des avis de droit ont été produits au sujet de la taxe de distribution. Comme ils divergeaient dans leurs conclusions, l'OFA a demandé une consultation au Département fédéral de justice et police. Celui-ci a admis l'opinion qu'il ne pouvait guère être question d'interdire le prélèvement d'une taxe de distribution mais qu'en revanche il appartenait à l'OFA d'en contrôler le montant et de procéder à ce contrôle quelle que soit la manière dont la redevance était portée en compte ou juridiquement fondée.
Se fondant sur cet avis, l'OFA a fait savoir au canton de Genève, le 14 novembre 1952, que les taxes litigieuses étaient des taxes d'aérodrome au sens de l'art. 39 LNA et qu'elles devaient donc être soumises à son approbation, ce qui n'avait pas été fait. Il lui a signifié la décision suivante:
"Il n'est pas permis de prélever sur les aéroports suisses, pour la distribution de lubrifiants et de combustibles liquides, des taxes de distribution qui n'auraient pas été
BGE 81 I 35 S. 38
approuvées par l'Office fédéral de l'Air. La même interdiction s'applique aux taxes de pesage qui grèveraient l'expédition du fret."
Le canton de Genève a recouru au Département fédéral des postes et des chemins de fer, qui, le 17 septembre 1953, a confirmé la décision de l'OFA. Il a saisi ensuite le Conseil fédéral, qui a déclaré le recours irrecevable.
D.-
Alléguant que les décisions de l'OFA et du Département fédéral des postes et des chemins de fer font surgir un conflit de compétence, le canton de Genève a introduit contre la Confédération une réclamation de droit public (art. 83 litt. a OJ). Il requiert le Tribunal fédéral 1) de prononcer que l'art. 39 LNA n'est pas applicable aux conventions intervenues entre l'Etat de Genève et les sociétés de distribution ni aux prestations qui y sont prévues, 2) d'annuler en conséquence les décisions de l'OFA et du Département fédéral des postes et des chemins de fer. Il soutient en bref ce qui suit:
La question litigieuse est celle de savoir si les taxes de distribution et de pesage sont des taxes d'aérodrome au sens de l'art. 39 LNA. Cette disposition a son origine dans un problème d'exploitation des aérodromes comme tels. Elle vise les taxes que l'exploitant de l'aérodrome peut percevoir en raison du but d'utilité publique qu'il poursuit. Elle ne saurait dès lors s'appliquer aux taxes de distribution et de pesage. En effet, les taxes de distribution reposent sur un bail à ferme et échappent ainsi au droit public. Elles ne sont que la contrepartie de l'avantage que le canton de Genève a accordé aux sociétés pétrolières en leur affermant le droit d'utiliser l'aéroport pour leurs opérations commerciales. Elles ne constituent donc ni une taxe ni un impôt mais une prestation contractuelle librement consentie. Quant aux taxes de pesage, elles ont, elles aussi, un caractère commercial évident. L'exploitation de l'aérodrome à titre commercial suppose la possibilité de récupérer les frais résultant du pesage. Ainsi, ces diverses taxes ne tombent pas sous le coup de l'art. 39 LNA.
BGE 81 I 35 S. 39
L'OFA et le Département fédéral des postes et des chemins de fer ne sauraient donc exiger qu'elles soient soumises à son approbation.
La Confédération conclut au rejet de la réclamation. Elle affirme que l'OFA est compétent pour se prononcer sur les taxes litigieuses. En effet, dit-elle, l'art. 39 LNA vise "toute redevance quelconque mise à la charge du trafic des passagers ou du fret par l'exploitant de l'aéroport du fait de l'utilisation de l'aéroport". Il donne à l'OFA le droit de contrôler ces charges et de juger si elles sont équitables, quelle que soit la manière dont elles sont portées en compte ou juridiquement fondées. Or, en l'espèce, les taxes de distribution et de pesage, qui sont en relation avec l'utilisation de l'aéroport, sont en fin de compte supportées par les usagers. L'art. 39 LNA est donc applicable.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le conflit de compétence visé par l'art. 83 litt. a OJ est un désaccord entre la Confédération et un ou plusieurs cantons au sujet de l'étendue de leurs attributions. Il a pour objet la délimitation des souverainetés fédérale d'une part, cantonale d'autre part. Pareil conflit existe notamment lorsque la Confédération prétend détenir un pouvoir qui empiéterait sur la souveraineté d'un canton et que, pour cette raison précisément, le canton lui dénie (RO 78 I 24, 74 I 163, 49 I 283, 40 I 538). Tel est le cas en l'espèce. La Confédération affirme en effet que l'OFA est compétent pour approuver les taxes de distribution et de pesage que perçoit le canton de Genève. Celui-ci déclare au contraire qu'en sa qualité d'Etat souverain, il a le droit de régler comme il l'entend ses rapports avec des tiers et que les autorités fédérales ne peuvent d'aucune manière intervenir dans ce domaine. La réclamation de droit public est donc recevable.
2.
Aux termes de l'art. 39 LNA, "les taxes d'aérodrome sont soumises à l'approbation de l'Office fédéral de
BGE 81 I 35 S. 40
l'air". C'est sur cette disposition que la Confédération prétend fonder le pouvoir de contrôler les taxes de distribution et de pesage. La solution du présent conflit de compétence dépend donc de la définition qu'il faut donner de la taxe d'aérodrome, et de la question de savoir si les redevances que perçoit le canton de Genève rentrent dans le cadre de cette définition.
La LNA ne définit pas la taxe d'aérodrome. Les travaux préparatoires ne fournissent pas non plus d'indications précises à ce sujet. L'interprétation du texte légal lui-même permet simplement d'affirmer qu'en se servant du mot taxe (en allemand, Flugplatzgebühr), la loi vise une charge financière. En revanche, elle ne fait pas apparaître à qui et pour quelle raison cette charge financière est imposée.
Selon la doctrine générale du droit aérien, la taxe d'aérodrome est une prestation financière imposée par l'exploitant de l'aérodrome aux navigateurs aériens et qui a sa source dans l'utilisation de la place d'aviation et de ses installations (RIESE, Luftrecht, 1949, p. 223/4, 232; LEMOINE, Traité de droit aérien, 1949, p. 138/9; KÖPFLI, Schweizerisches Flugplatzrecht, p. 188 ss). Cette définition s'applique sans conteste aux "taxes d'aérodrome" visées par l'art. 39 LNA. C'est ce que confirme d'ailleurs la concession octroyée par la Confédération au canton de Genève pour l'exploitation de l'aéroport de Cointrin. L'art. 11 de cette concession autorise en effet le prélèvement de taxes "pour l'utilisation de l'aéroport et de ses installations". Sans doute, la définition donnée ci-dessus est-elle très large et comprend-elle des prestations qui peuvent être de nature différente. Mais peu importe. En donnant à l'OFA le droit de contrôler les taxes d'aérodrome, c'est-à-dire les charges grevant la navigation aérienne, l'art. 39 LNA tend à empêcher que les exploitants d'aérodrome n'abusent de la situation de monopole, qui est créée en leur faveur par la concession, en exigeant des usagers des prestations de nature à paralyser la navigation aérienne ou du moins à entraver son essor. Or, de ce point de vue, il est indifférent
BGE 81 I 35 S. 41
que les prélèvements opérés par les exploitants d'aérodrome le soient en vertu du droit public ou du droit privé. L'OFA peut exercer le droit de surveillance que lui confère l'art. 39 LNA aussi bien quand l'aérodrome est exploité par une corporation de droit public que lorsqu'il l'est par un particulier. Il est donc inutile de rechercher si, comme le prétend le canton de Genève, les taxes litigieuses sont des prestations contractuelles librement consenties et soumises exclusivement au droit privé. Il suffit d'examiner d'une part si elles frappent les navigateurs aériens, d'autre part si elles sont en rapport avec l'utilisation de l'aérodrome et de ses installations.
Les taxes de pesage sont supportées par les transporteurs aériens auxquels elles sont facturées mensuellement. Les taxes de distribution sont prélevées auprès des compagnies pétrolières. Elles ne sont donc pas supportées directement par les usagers. Toutefois, les compagnies pétrolières en tiennent compte dans la fixation du prix des carburants et des lubrifiants qu'elles vendent aux navigateurs aériens- Il est vrai que, dans son mémoire de réplique, le canton de Genève a soutenu que l'incidence des taxes de distribution sur le prix de vente des carburants et lubrifiants n'était pas démontrée. Mais, ce faisant, il s'est mis en contradiction avec les déclarations qu'il a faites luimême dans sa réclamation où il a clairement admis que les prix des carburants et lubrifiants "comprennent le montant de la rémunération due à l'Etat". D'ailleurs le Conseil fédéral a produit une déclaration de la Swissair, société anonyme suisse pour la navigation aérienne, qui atteste que, jusqu'au 13 septembre 1954, les compagnies pétrolières lui ont toujours porté en compte la redevance de 2 fr. par 100 1. de carburants vendus. En conséquence, il y a lieu d'admettre que tant les taxes de pesage que les taxes de distribution sont en définitive supportées par la navigation aérienne et constituent pour elle une charge financière.
D'autre part, on ne saurait sérieusement contester que
BGE 81 I 35 S. 42
la taxe de distribution est en rapport avec l'utilisation de l'aérodrome. L'aérodrome de Genève-Cointrin est en effet un "aéroport" au sens de l'art. 45 du règlement d'exécution de la LNA, du 5 juin 1950 (RNA). Comme tel, il est destiné "au trafic aérien public" et doit être muni, à l'intention des usagers, "des installations ... pour le service et l'entretien des aéronefs". Lorsqu'il s'agit comme en l'espèce d'un aéroport intercontinental, sur lequel des aéronefs atterrissent après avoir effectué des parcours pouvant atteindre plusieurs milliers de kilomètres, ces "installations" comprennent celles qui sont nécessaires à l'approvisionnement en carburants et lubrifiants. Après des parcours aussi importants, les navigateurs aériens qui utilisent un aéroport doivent avoir la faculté de s'y ravitailler en essence et en huile. D'ailleurs le canton de Genève a l'obligation d'y veiller, ainsi que cela ressort de l'acte de concession (art. 2). Il est de plus tenu d'assurer l'utilisation de l'aéroport dans les meilleures conditions (art. 54 RNA, art. 4 de la concession), ce qui comprend la livraison des carburants et lubrifiants. Il faut donc admettre que les taxes de distribution sont en rapport avec l'utilisation de l'aéroport. Il en va de même des taxes de pesage. Sans doute, ces taxes sont-elles avant tout destinées à des fins douanières. Mais on ne saurait perdre de vue que l'aéroport de Genève-Cointrin est un "aérodrome douanier" au sens de l'art. 46 RNA, c'est-à-dire un "aérodrome que, d'entente avec l'Office fédéral de l'air, la Direction générale des douanes a désigné pour servir au trafic aérien franchissant la frontière du pays". L'utilisation d'un tel aérodrome comprend notamment l'accomplissement des formalités douanières au sujet des marchandises que transportent les navigateurs aériens, en particulier leur pesage.
Ainsi, les taxes litigieuses sont des charges financières imposées par l'exploitant de l'aérodrome de Genève-Cointrin aux navigateurs aériens. Elles sont en rapport avec l'utilisation de l'aérodrome. Elles constituent donc des "taxes d'aérodrome" au sens de l'art. 39 LNA. Il
BGE 81 I 35 S. 43
s'ensuit qu'elles doivent être soumises à l'approbation de l'Office fédéral de l'air et que le pouvoir que la Confédération prétend détenir à cet égard doit lui être reconnu.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
rejette la réclamation. | public_law | nan | fr | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
7ddd2eaa-e4a3-4ed0-ad53-ba8371ac2612 | Urteilskopf
100 II 6
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. März 1974 i.S. Imgrüth gegen Huser | Regeste
Genehmigung des Freihandverkaufs eines Mündelgrundstückes (
Art. 404 Abs. 3 ZGB
); Zivilrechtsstreitigkeit (Art. 44/46 OG)
Gegen den Entscheid einer vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde, in welchem die gemäss
Art. 404 Abs. 3 ZGB
für den Verkauf eines Grundstücks aus freier Hand erforderliche Genehmigung verweigert wird, ist die Berufung nicht zulässig, da es sich dabei um eine Frage der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit handelt. | Sachverhalt
ab Seite 6
BGE 100 II 6 S. 6
A.-
Bertha Paulina Imgrüth-Achermann, die am 15. November 1967 unter Mitwirkungs- und Verwaltungsbeiratschaft im Sinne von
Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB
gestellt worden war, verkaufte mit Vertrag vom 24. November 1970 unter Mitwirkung ihres Beirates ihren drei Söhnen Josef Imgrüth-Wildisen, Anton Imgrüth-Renggli und Robert Imgrüth-Häfliger die ihr gehörende Liegenschaft Mattberg, welche ihr Schwiegersohn Walter Huser-Imgrüth als Pächter bewirtschaftet. Der Gemeinderat von Weggis genehmigte diesen Vertrag am 25. November 1970 in Anwendung von
Art. 421 Ziff. 1 ZGB
. Dagegen lehnte es der Regierungsstatthalter des Amtes Luzern als vormundschaftliche Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 30. August 1972 ab, die gemäss
Art. 404 Abs. 3 ZGB
für den Verkauf der Liegenschaft aus freier Hand erforderliche Genehmigung zu erteilen.
B.-
Gegen diesen Entscheid beschwerten sich die Vertragsparteien beim Regierungsrat des Kantons Luzern. Der
BGE 100 II 6 S. 7
Pächter Walter Huser-Imgrüth und seine Ehefrau Frieda beantragten in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Am 14. Januar 1974 bestätigte der Regierungsrat den Entscheid des Regierungsstatthalters.
C.-
Mit der vorliegenden Berufung ans Bundesgericht beantragen die Parteien des Kaufvertrages vom 15. November 1967, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und die Genehmigung zum freihändigen Verkauf der Liegenschaft zu erteilen; eventuell sei die Sache zur Erteilung der Genehmigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Abgesehen von den in Art. 44 lit. a-c und
Art. 45 lit. b OG
genannten Sonderfällen, von denen hier keiner vorliegt, ist die Berufung an das Bundesgericht nur in Zivilrechtsstreitigkeiten zulässig (
Art. 44 Abs. 1 und
Art. 46 OG
). Darunter versteht die Rechtsprechung ein Verfahren zwischen natürlichen oder juristischen Personen in ihrer Eigenschaft als Träger privater Rechte oder zwischen einer solchen Person und einer nach Bundesrecht die Stellung einer Partei besitzenden Behörde, das sich vor dem Richter oder einer andern Spruchbehörde abspielt und auf die endgültige, dauernde Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse durch behördlichen Entscheid abzielt (
BGE 98 II 275
, 170 ff, 149,
BGE 97 II 13
/14,
BGE 95 II 377
, je mit Hinweisen). Mit einem solchen Verfahren hat man es hier nicht zu tun. Ob der Regierungsrat die Genehmigung zum Freihandverkauf der Liegenschaft hätte erteilen müssen, wie die Berufungskläger geltend machen, ist vielmehr eine Frage der sogenannten freiwilligen oder nichtstreitigen Gerichtsbarkeit (vgl. das Urteil des Bundesgerichts vom 20. Juni 1946 i.S. Badertscher gegen Vormundschaftsbehörde Mühleberg, abgedruckt in Zeitschrift für Vormundschaftswesen 1948, S. 35/36, sowie das nicht veröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 1. September 1970 i.S. Bieri und Landolt gegen Staat Luzern und Einwohnergemeinde Wohlhusen; ferner GULDENER, Grundzüge der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Schweiz, S. 12 Ziff. 1b). Angelegenheiten der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit sind indessen keine Zivilrechtsstreitigkeiten im Sinne von
Art. 44 und 46 OG
(
BGE 98 II 150
oben,
BGE 94 II 58
,
BGE 91 II 397
). Auf die Berufung ist daher nicht einzutreten. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7de27ba1-c5b5-44b9-b9e4-66ff1220847b | Urteilskopf
100 Ib 79
14. Urteil vom 8. Mai 1974 i.S. Wyttenbach gegen Zug, Kanton und Regierungsrat. | Regeste
Art. 30 ff. NSG
; Verhältnis zwischen Landumlegungs- und Enteignungsverfahren.
Der Grundeigentümer darf, gestützt auf Art. 23 der VV zum NSG vom 24. März 1964, die Einleitung des Enteignungsverfahrens verlangen, wenn er seine Entschädigungsansprüche gegenüber dem Kanton nicht im Rahmen der Landumlegung geltend machen kann oder wenn das kantonale Recht keine Bestimmungen enthält, die den Grundsätzen von
Art. 19 EntG
entsprechen. (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 80
BGE 100 Ib 79 S. 80
A.-
In Anwendung von Art. 36 des Nationalstrassengesetzes (NSG) und von § 10 des kantonalen Meliorationsgesetzes vom 27. Oktober 1960 (MelG) hat der Regierungsrat des Kantons Zug am 4. April 1966 die Begründung des Unternehmens "Gesamtmelioration Ennetsee" mit dem Zwecke des für den Bau der Nationalstrassen N 4 und N 14 in den Gemeinden Risch, Hünenberg und Cham erforderlichen Landerwerbs angeordnet. Entsprechend § 10 Abs. 2 MelG wurde die Leitung des Unternehmens einer Ausführungskommission übertragen, deren Befugnisse und Organisation in einem Reglement des Regierungsrates vom 4. April 1966 festgelegt wurden. Das Meliorationsgesetz wurde vom Regierungsrat durch eine Vollziehungsverordnung vom 19. Oktober 1964, die sog. Bodenverbesserungsverordnung, ergänzt.
B.-
Landwirt Walter Wyttenbach ist Eigentümer des in Holzhäusern gelegenen Katharinenhofes, der innerhalb des Perimeters der Melioration liegt. Die obgenannte Ausführungskommission führte vom 17. November bis 1. Dezember 1969 das Auflageverfahren durch. Nach dem Neuzuteilungsentwurf hatte Wyttenbach namentlich seine Parzelle Nr. 486 jenseits der Strasse Holzhäusern-Buonas - enthaltend eine alte Scheune, eine Sennhütte (Remise) und eine Quelle - abzutreten gegen neues Land diesseits der Strasse, wo sich das Bauernhaus und der Hauptteil des Hofes befinden. Der Hof veränderte sich letztlich von 279 799 m2 (Fr. 198 332.--) auf 283 480 m2 (Fr. 198 191.--), die Schätzung offenbar ohne Einbezug des Wertes von Gebäuden und Quelle.
Wyttenbach erhob gegen den Neuzuteilungsentwurf Einsprache und verlangte für die Scheune und Remise auf Parzelle Nr. 486 eine Entschädigung, die er 1971 auf Fr. 172 000.-- bezifferte. Gestützt auf einen von der kantonalen Liegenschaftsschätzungskommission ermittelten Ertragswert von Fr. 23 000.-- bot ihm die Ausführungskommission am 11. Januar 1972 eine Entschädigung von Fr. 27 000.-- an, die sie am 16. Mai 1972 auf Fr. 40 000.-- erhöhte. Wyttenbach beantragte darauf vor der kantonalen Bodenverbesserungskommission, es sei zur Festsetzung seiner Entschädigungsansprüche das Enteignungsverfahren einzuleiten; eventuell sei ihm eine Entschädigung von Fr. 202 000.-- (inbegriffen Fr. 30 000.-- für die Quelle) zuzusprechen. Von dieser Kommission abgewiesen, stellte er mit Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Zug
BGE 100 Ib 79 S. 81
dieselben Anträge und verlangte zudem einen Zins von 5% seit Besitzesantritt.
Mit Entscheid vom 24. September 1973 wies der Regierungsrat die Beschwerde ab, wobei er seine Kognition gemäss § 15 Abs. 4 MelG und § 30 der Bodenverbesserungsverordnung auf Rechtsverletzung und Willkür beschränkte. Unter Bezug auf
BGE 97 I 717
f. erwog er, dass das kantonale Recht die Ausführungskommission ermächtige, die im vorliegenden Fall verlangten Entschädigungen im Rahmen des Landumlegungsverfahrens zu beurteilen; die Voraussetzungen zur Anwendung von § 10 Abs. 5 MelG seien nicht gegeben. Bezüglich des Betrages der Entschädigung hielt der Regierungsrat fest, die von der Ausführungskommission und der Bodenverbesserungskommission vorgenommenen Schätzungen der beiden fraglichen Gebäude seien nicht willkürlich. Das Begehren um Entschädigung für die Quelle prüfte er wegen Verspätung nicht.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt Wyttenbach unter Bezug auf Art. 23 der Vollziehungsverordnung zum NSG (VV-NSG) sowie § 10 Abs. 5 MelG die Aufhebung des regierungsrätlichen Entscheides und die Einleitung des Enteignungsverfahrens; eventuell sei der Kanton Zug zur Bezahlung der vor dem Regierungsrat verlangten Entschädigung nebst Zins zu 5% seit Besitzeinweisung zu verurteilen. Die Begründung ergibt sich, soweit erforderlich, aus den Erwägungen. - Die Baudirektion des Kantons Zug beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht. Sie ist, da die Verweigerung der Einleitung eines Enteignungsverfahrens durch den Regierungsrat eine letztinstanzliche kantonale, sich auf Bundesrecht stützende Verfügung darstellt (
Art. 97 Abs. 1 und
Art. 98 lit. g OG
) und da keine Ausnahme nach Art. 99 bis 102 OG vorliegt, in ihrem Hauptantrag als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig.
Dies ist beim Eventualantrag, der das Bundesgericht um Überprüfung des von den kantonalen Behörden angebotenen Entschädigungsbetrages ersucht, nicht der Fall. Diese Entschädigung ist nämlich nach kantonalem Recht bestimmt worden - wie es geboten ist, wenn kein Anlass besteht, kraft Art. 23 VV-NSG das Enteignungsverfahren einzuleiten. Diesbezüglich hätte
BGE 100 Ib 79 S. 82
also der regierungsrätliche Entscheid nur mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden können (
BGE 97 I 718
oben). Wenn infolge Abweisung des Hauptbegehrens auf den Eventualantrag eingetreten werden müsste, könnte die vorliegende Beschwerde nur als staatsrechtliche Beschwerde behandelt werden. Dies wäre durch eine Umwandlung möglich, erübrigt sich hier aber, weil der Hauptantrag gutzuheissen ist.
2.
Art. 30 Abs. 1 NSG
lässt den zur Landbeschaffung verpflichteten Kantonen grundsätzlich die Wahl zwischen dem Landumlegungs- und dem Enteignungsverfahren, sofern ein freihändiger Erwerb ausser Betracht fällt;
Art. 30 Abs. 2 NSG
räumt der Landumlegung allerdings einen gewissen Vorrang ein. Die Landumlegung untersteht grundsätzlich dem kantonalen Recht - unter Vorbehalt der Vorschriften von
Art. 31 Abs. 2 NSG
. Das Enteignungsverfahren unterliegt dagegen kraft
Art. 39 NSG
Bundesrecht. Wenn der Kanton sich für das Landumlegungsverfahren entschliesst, so können doch enteignungsähnliche Tatbestände entstehen, namentlich wo Abzüge von dem im Verfahren erfassten Grundeigentum vorgenommen werden müssen (
Art. 31 Abs. 2 lit. b NSG
) oder wo ein Gebäude zu entfernen ist. Aus diesem Grunde ermächtigt Art. 21 VV-NSG die Kantone, für die Schätzung des Verkehrswertes die Anwendung des eidg. Enteignungsgesetzes vorzuschreiben und aus dem gleichen Grunde verlangt Art. 23 VV-NSG die Einleitung des Enteignungsverfahrens von Amtes wegen oder auf Antrag des Grundeigentümers, wenn das Landumlegungsverfahren dessen berechtigten Ersatzansprüchen offensichtlich nicht zu genügen vermag.
Bei den aufgeführten Bestimmungen ist die Abgrenzung des Anwendungsgebietes von Bundes- und kantonalem Recht heikel. Im Jahre 1971 hat sich das Bundesgericht dreimal mit diesem Problemkreis befasst und dazu stufenweise eine Praxis entwickelt (vgl.
BGE 97 I 181
ff., 717 f., 721 ff). In
BGE 97 I 721
f. wurde insbesondere ausgeführt, dass in jenen Fällen, wo es sich nicht um unbebautes Land handelt, sondern wo wegen des Nationalstrassenbaus Gebäude beseitigt werden müssen, das Landumlegungsverfahren dem betroffenen Eigentümer oft nicht den gleichen Schutz biete wie das Enteignungsverfahren; das Landumlegungsverfahren sei aber dennoch anwendbar, sofern die kantonalen Bestimmungen die Beseitigung von Gebäuden ausdrücklich vorsähen und die Bemessung der entsprechenden
BGE 100 Ib 79 S. 83
Entschädigungsansprüche sowie das Verfahren hiezu klar und vollständig regelten.
In einem neueren Entscheid (
BGE 99 Ia 498
ff. Erw. 4 c) hat das Bundesgericht die bisherige Praxis zusammengefasst und verdeutlicht. Es erklärt hier, dass die in
BGE 97 I 721
ff. bezüglich eines abzureissenden oder zu versetzenden Hauses entwickelten Grundsätze allgemeine Geltung hätten und stellt zwei kumulative Bedingungen dafür auf, dass die Einleitung des Enteignungsverfahrens trotz Art. 23 VV-NSG verweigert werden dürfe (S. 500): Verfahrensrechtlich muss jeder Eigentümer kraft kantonalen Rechts die Möglichkeit haben, im Rahmen der Landumlegung seine Entschädigungsansprüche gegenüber dem als Mitglied des Unternehmens und als Enteigner betrachteten Kanton geltend zu machen; materiell ist erforderlich, dass die mit der Landumlegung betrauten Behörden für die Schätzung zu
Art. 19 EntG
analoge Regeln anwenden.
3.
Im vorliegenden Fall geht ein Mitglied des Landumlegungsunternehmens zweier Gebäude und einer Quelle verlustig; es handelt sich also seiner Natur nach um einen Enteignungsfall. Nun vermag die zugerische Gesetzgebung den in
BGE 99 Ia 500
bestätigten Anforderungen für eine Vermeidung des Enteignungsverfahrens in keiner Weise zu genügen, wie das Bundesgericht schon in
BGE 97 I 722
f. E. 2 b festgestellt hatte.
a) In seinem Entscheid ruft der Regierungsrat zur Stützung seiner gegenteiligen Auffassung Gesetzesbestimmungen an, die gar nicht massgeblich sind. Er nennt als erstes § 2 Abs. 2 MelG, wonach die Gesamtmelioration alle Massnahmen umfasst, die als Bodenverbesserungen im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes in Betracht fallen, einschliesslich die Zusammenlegung von landwirtschaftlich genutztem Boden, Bau- und Waldgebiet. Diese offensichtlich für die ordentliche Landumlegung geschaffene Bestimmung hat indessen nichts mit dem Fall des Eigentümers zu tun, der im Zusammenhang mit dem Nationalstrassenbau ein Gebäude verliert.
Der Regierungsrat hebt weiter hervor, nach § 8 Abs. 1 des Reglementes über die Gesamtmelioration Ennetsee habe die Ausführungskommission alle Kompetenzen, die gemäss Bodenverbesserungsverordnung dem Genossenschaftsvorstand zuständen. Er führt aber keine Vorschrift dieser Verordnung an, die dem genannten Vorstand die Befugnis zum Entscheid über die Enteignung eines Gebäudes gäbe und die in dieser Hinsicht
BGE 100 Ib 79 S. 84
materielle Regeln enthielte, die den Grundsätzen von
Art. 19 EntG
entsprächen. Eine solche Bestimmung fehlt nicht nur, sondern nach § 24 Abs. 2 der Bodenverbesserungsverordnung hat der Genossenschaftsvorstand bezüglich aller Einsprachen ausdrücklich keine Entscheidungsbefugnis, denn er hat - wenn die Verständigungsversuche seines Präsidenten gescheitert sind - die Einsprachen zum Entscheid an die Bodenverbesserungskommission zu leiten (§ 28).
b) Der Regierungsrat argumentiert ferner damit, dass es nach § 15 Abs. 1 MelG der Bodenverbesserungskommission zustehe, über die Einsprachen gegen die Ausführungsprojekte, die "Bewertungen, die Abschätzungen und die Kostenverteilung" zu befinden. Hierin läge möglicherweise eine Kompetenznorm für die Enteignungsfälle, obschon die Bestimmung eher die blossen Abschätzungen des alten und neuen Besitzstandes zu betreffen scheint. Jedoch enthalten jedenfalls weder das Meliorationsgesetz noch seine Vollziehungsverordnung eine materielle Bestimmung, die
Art. 19 EntG
entspräche. Daraus ist zu folgern, dass der kantonale Gesetzgeber nicht daran gedacht hat, dass ein Enteignungsfall sich im Rahmen der Landumlegung erledigen liesse. Nach der Rechtsprechung hätte er letzteres ausdrücklich und klar vorsehen müssen, damit die Anwendung von Art. 23 VV-NSG entfallen könnte.
c) Dieser Schluss wird bestätigt durch den § 10 Abs. 5 MelG, den der Beschwerdeführer - in Übereinstimmung mit
BGE 97 I 723
- anruft. Nach dieser Bestimmung, welche auf die vom Regierungsrat im Zusammenhang mit dem Bau öffentlicher Werke angeordneten Landumlegungen anwendbar ist, kann der Eigentümer die Einleitung des Enteignungsverfahrens verlangen, wenn das Landumlegungsverfahren seinen berechtigten Ersatzansprüchen offensichtlich nicht zu genügen vermag. Zur Ausschaltung dieser Regel im vorliegenden Fall macht der Regierungsrat geltend, die Neuzuteilung des Landes sei gleichwertig und habe dem Beschwerdeführer letztlich volle Befriedigung verschafft. Er gibt sinngemäss jedoch selber zu, dass dies nur für die Liegenschaft selbst und nicht auch für die Gebäudeentschädigung gelte. Nun ist es gerade die letztere, welche streitig ist und kraft Art. 23 VV-NSG und § 10 Abs. 5 MelG die Einleitung des Enteignungsverfahrens rechtfertigt. Wenn sich § 10 Abs. 5 MelG nicht auf einen Fall wie den vorliegenden anwenden liesse, wäre
BGE 100 Ib 79 S. 85
schwer einzusehen, welchen Sinn die Bestimmung noch haben könnte.
4.
Es bleibt die Frage, bis zu welchem Stadium des Umlegungsverfahrens sich der Grundeigentümer noch auf Art. 23 VV-NSG berufen darf. Da indessen hier der Beschwerdeführer damit nicht ungebührlich lange zugewartet hat, kann die grundsätzliche Frage offen gelassen werden. Auch wenn er sich auf ein langes Verfahren vor dem Präsidenten der Ausführungskommission der Gesamtmelioration Ennetsee eingelassen hat, so war dies doch bloss ein Verständigungsverfahren (§ 24 Abs. 1 Bodenverbesserungsverordnung), wo sich allenfalls die zwischen den Parteien hängigen Streitpunkte etwas vereinfachen liessen. Hingegen hat der Beschwerdeführer, als er sich an die entscheidende Instanz - die Bodenverbesserungskommission (§ 15 MelG) - wandte, sogleich die Einleitung des Enteignungsverfahrens verlangt.
5.
Somit ist der Beschwerdeführer berechtigt, die Einleitung des Enteignungsverfahrens zu verlangen. Wie in
BGE 99 Ia 500
(Erw. 4 am Ende) festgehalten, wird die Eidg. Schätzungskommission allfällige Vergütungen, die er bereits im Landumlegungsverfahren erhalten haben könnte, mitberücksichtigen müssen.
Da das Hauptbegehren des Beschwerdeführers gutzuheissen ist, wird sein Eventualbegehren gegenstandslos und es ist hierauf nicht einzutreten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird in ihrem Hauptantrag gutgeheissen, was den Eventualantrag gegenstandslos werden lässt, und der Entscheid des Regierungsrats des Kantons Zug vom 24. September 1973 wird aufgehoben. Der Regierungsrat des Kantons Zug wird angewiesen, die Akten der Eidg. Schätzungskommission des 9. Kreises zu übermitteln, die sich mit den Entschädigungsforderungen zu befassen hat. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7de2b04e-c69f-4b38-b4cc-b2dfe6f2e558 | Urteilskopf
102 III 61
11. Auszug aus dem Entscheid vom 25. Mai 1976 i.S. H. | Regeste
Art. 8 SchKG
Das Recht auf Erstellung eines Auszugs aus den Betreibungsprotokollen geht grundsätzlich ebenso weit wie das Einsichtsrecht. In den Auszug sind daher auch die Namen der Gläubiger, die Forderungssummen und der Stand der Verfahren aufzunehmen, wenn der Gesuchsteller es verlangt. | Sachverhalt
ab Seite 61
BGE 102 III 61 S. 61
Aus dem Tatbestand:
H. verlangte beim Betreibungsamt Olten-Gösgen einen detaillierten Auszug aus dem Betreibungsregister der Genossenschaft X., unter genauer Angabe von Namen und Adressen der Gläubiger, der Forderungssummen und dem Stand allfälliger Betreibungen. Das Betreibungsamt gab dem Gesuch statt, weigerte sich aber, Namen und Adressen der Gläubiger bekanntzugeben. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist das Betreibungsamt an, dem Gesuchsteller die verlangten Auskünfte zu erteilen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Gemäss
Art. 8 Abs. 2 SchKG
kann jedermann, der ein Interesse nachweist, die von den Betreibungs- und Konkursämtern geführten Protokolle einsehen und sich Auszüge aus
BGE 102 III 61 S. 62
ihnen geben lassen. Dass der Rekurrent als Vertragspartner der Schuldnerin ein Interesse an der Einsichtnahme in die Protokolle hat (vgl. hiezu zusammenfassend
BGE 99 III 44
), ist unbestritten; fraglich ist allein, wie weit das Einsichtsrecht und der Anspruch auf Auszüge gehen. Grundsätzlich macht das Gesetz zwischen den beiden Arten der Auskunfterteilung keinen Unterschied. Das Recht auf Erstellung eines Auszuges geht somit in der Regel ebenso weit wie das Einsichtsrecht. Grenzen wären allenfalls dort zu ziehen, wo die Erstellung eines Auszuges dem Betreibungsamt einen unzumutbaren Arbeitsaufwand verursacht, so dass ihm das Recht zuzugestehen wäre, den Gesuchsteller auf die persönliche Einsichtnahme zu verweisen. Das steht indessen im vorliegenden Fall, wo nur über sechs Betreibungen zu berichten ist, nicht zur Diskussion. Bei der Einsichtnahme kann nun aber der Interessent alle im Protokoll enthaltenen Angaben, auch die Namen der Gläubiger, die Forderungssummen und den Stand der Verfahren, zur Kenntnis nehmen. Alle diese Angaben haben an der Öffentlichkeit des Protokolls teil. Sie sind daher auch in den Protokollauszug aufzunehmen, wenn dies verlangt wird. Die von JOOS, Handbuch für die Betreibungsbeamten der Schweiz, S. 206, geteilte, abweichende Auffassung der bernischen Aufsichtsbehörde (BlSchK 1947 S. 6) lässt sich nicht halten. Ob allenfalls dann eine Einschränkung zu machen wäre, wenn der Gesuchsteller offensichtlich kein Interesse an den einzelnen Angaben hat, mag offen bleiben. Das vom Rekurrenten namhaft gemachte Interesse (Kontaktnahme mit andern Gläubigern zur Abklärung der Frage, ob die Voraussetzungen von
Art. 190 SchKG
gegeben seien) ist nämlich entgegen der Ansicht der Vorinstanz durchaus schutzwürdig. | null | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7de343d7-4034-4fa2-a5a2-a4dc8e2d61aa | Urteilskopf
99 Ia 473
58. Urteil vom 7. März 1973 i.S. Allmend-Korporation Horgen gegen Gemeinde Horgen und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 22ter BV
; Enteignung, Verhältnismässigkeit des Eingriffs.
Zulässig ist derjenige Eingriff ins Eigentum, der zur zweckmässigen Realisierung des öffentlichen Werkes erforderlich ist.
Für die Erstellung eines Schulhauses muss sich das Gemeinwesen nicht mit einer Baurechtsdienstbarkeit begnügen. Es ist das volle Eigentum abzutreten. | Sachverhalt
ab Seite 473
BGE 99 Ia 473 S. 473
A.-
Die politische Gemeinde Horgen will im Gebiet der Allmend eine Schulhausanlage mit 40 Klassenzimmern und Nebeneinrichtungen erstellen. Sie beansprucht dafür einen Teil des Grundstücks Kat. Nr. 7349, welches der Allmend-Korporation Horgen, einer dem kantonalen öffentlichen Recht unterstehenden privatrechtlichen Körperschaft, gehört. Die Allmend-Korporation ist bereit, der Gemeinde ein Baurecht einzuräumen, weigert sich jedoch, das volle Eigentum am Land abzutreten.
Am 30. Dezember 1971 wies der Regierungsrat des Kantons Zürich in zweiter Instanz die von der Allmend-Korporation Horgen gegen das Enteignungsgesuch erhobene Einsprache ab und erteilte der Gemeinde Horgen das Enteignungsrecht für den Erwerb von ca. 34'000 m2 Land im südlichen Teil des
BGE 99 Ia 473 S. 474
genannten Grundstückes. Die Allmend-Korporation Horgen gelangte hiergegen an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, das die Beschwerde am 23. Juni 1972 abwies. Das Verwaltungsgericht fand, dass die Erstellung einer Schulhausanlage im Baurecht mit Nachteilen verbunden sei, die dem öffentlichen Interesse zuwiderliefen und von keinem besonders gewichtigen Privatinteresse an einer solchen rechtlichen Lösung überwogen würden. Die Erteilung des vollen Enteignungsrechts stelle deshalb keinen unverhältnismässigen Eingriff in die Eigentumsrechte der Allmend-Korporation Horgen dar.
B.-
Die Allmend-Korporation Horgen (im folgenden kurz "Allmend-Korporation" genannt) führt gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Juni 1972 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie (
Art. 22ter BV
) und
Art. 4 BV
. Es wird beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und das Enteignungsrecht auf die Einräumung eines Baurechts zu beschränken. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit nötig, aus den nachstehenden Erwägungen.
C.-
Die politische Gemeinde Horgen, vertreten durch die Schulpflege, und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Kassatorische Natur der staatsrechtlichen Beschwerde).
2.
a) Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung der Eigentumsgarantie geltend und beruft sich dabei auf
Art. 22ter BV
und Art. 4 der Zürcher KV. Die kantonale Verfassungsbestimmung hat jedoch neben der in
Art. 22ter BV
enthaltenen Gewährleistung des Eigentums keine selbständige Bedeutung, da sie keinen darüber hinausgehenden Schutz verleiht (
BGE 96 I 355
Erw. 2). Zu prüfen ist daher bloss, ob der angefochtene Entscheid gegen
Art. 22ter BV
verstösst.
b) Dem Verwaltungsgericht wird auch eine Verletzung von
Art. 4 BV
vorgeworfen. Soweit dabei eine willkürliche Anwendung der für öffentliche Eigentumsbeschränkungen geltenden Grundsätze behauptet wird, deckt sich die Rüge mit derjenigen der Verletzung der Eigentumsgarantie und hat neben dieser keine selbständige Bedeutung. Auf den weiteren Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör verweigert, ist nicht einzutreten, sofern damit eine formelle
BGE 99 Ia 473 S. 475
Rechtsverweigerung gemeint ist. Denn nach § 67 des zürcherischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 (VRG) kann man sich dagegen auf dem Wege der Revision wenden. Von diesem kantonalen Rechtsbehelf hat die Beschwerdeführerin keine Gebrauch gemacht, weshalb es für die staatsrechtliche Beschwerde am Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs fehlt (
Art. 87 OG
). In der Beanstandung, das Verwaltungsgericht habe einen von der Beschwerdeführerin beantragten Bericht über die im Baurecht erstellten Verwaltungsgebäude nicht eingeholt, ist nach der Beschwerdebegründung jedoch eher der Vorwurf einer materiellen Rechtsverweigerung wegen unzureichender Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse zu sehen. In diesem Sinne bezieht sich die Rüge auf die unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie zu beurteilende Frage, ob eine Beschränkung der Enteignung auf eine Baurechtsdienstbarkeit im öffentlichen Interesse steht.
3.
Die Allmend-Korporation anerkennt das Bedürfnis der Gemeinde nach einem neuen Schulhaus und wendet sich auch nicht gegen die Wahl des Standortes und das Ausmass der beanspruchten Fläche. Sie macht einzig geltend, das Schulhaus lasse sich ohne weiteres im Baurecht erstellen, weshalb die volle Enteignung ihres Bodens einen unverhältnismässigen und daher verfassungswidrigen Eingriff darstelle. Damit wird das öffentliche Interesse an der Beanspruchung des vollen Eigentums am Boden bestritten, und zwar in dem Sinne, dass dies weder notwendig noch verhältnismässig sei. Wie es sich damit verhält, prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei (
BGE 97 I 796
Erw. 4, 648, je mit Verweisungen).
4.
Eine Enteignung darf nur so weit gehen, als dies zur Erreichung des im öffentlichen Interesse liegenden Zweckes notwendig ist. Dieses Prinzip der Verhältnismässigkeit des staatlichen Eingriffes ergibt sich unmittelbar aus
Art. 22ter BV
und ist in § 7 Abs. 1 des zürcherischen Gesetzes betreffend die Abtretung von Privatrechten vom 30. November 1879 (AbtrG) ausdrücklich festgehalten, wonach grundsätzlich niemand verpflichtet ist, von seinem Eigentum mehr abzutreten, als zur Ausführung und zweckmässigen Benutzung des zu erstellenden Werkes erforderlich ist. Das bedeutet, dass nicht das volle Eigentum entzogen werden darf, wenn sich der öffentliche Zweck auch mit einer privatrechtlichen Dienstbarkeit oder einer
BGE 99 Ia 473 S. 476
öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung erreichen lässt (Urteil des Bundesgerichts vom 12. Juli 1971 i.S. G., Erw. 3, in ZBl 73/1972 S. 19; IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 4. unver. Aufl., Basel 1971, Nr. 342 III c, 433 II c; GRISEL, Droit administratif suisse, Neuchâtel 1970, S. 369; OSKAR BOSSHARDT, Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Enteignungsrecht, ZBl 65/1964 S. 399; HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes,
Art. 1 N 5
).
a) Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts sind bei der Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips im konkreten Fall die Interessen des Grundeigentümers an der Erhaltung des Resteigentums dem Interesse des Enteigners am vollen Eigentumserwerb gegenüberzustellen. Das öffentliche Interesse verlange klare Verhältnisse. Wenn der Wert des Hauses offenbar den des Bodens übersteige, so solle keine Spaltung des Eigentums an Bau und Boden eintreten; entsprechend dem in
Art. 673 ZGB
niedergelegten allgemeinen Rechtsgedanken solle vielmehr der Boden als der weniger wertvolle Teil ins Eigentum des Bauherrn überführt werden. Das Baurecht nach
Art. 675 und 779 - 779 1
ZGB habe trotz der weitgehenden Befugnisse des Bauberechtigten gegenüber dem vollen Eigentum den Nachteil, dass es zeitlich befristet sei. Das Gemeinwesen müsste sich demzufolge nach Ablauf der Baurechtsdauer ein neues Baurecht einräumen lassen (
Art. 779 1
Abs. 2 ZGB) und hiefür nötigenfalls wiederum den Enteignungsweg beschreiten. Auf der andern Seite verbleibe dem Grundeigentümer, auf dessen Boden ein Schulhaus im Baurecht erstellt werde, nur die "nuda proprietas", wobei er nicht damit rechnen könne, dass die Dienstbarkeit je wieder wegfalle. Sein Interesse an der Erhaltung des Grundeigentums beschränke sich somit im wesentlichen auf die Sicherung der Grundrente. Gegenüber diesem Privatinteresse überwiege das öffentliche Interesse, ein dem öffentlichen Wohle dienendes Werk ohne die mit dem Baurecht verbundenen Hemmnisse und administrativen Mehraufwendungen erstellen zu können. Die Beschwerdeführerin bestreitet die vom Verwaltungsgericht angeführten Nachteile für das Gemeinwesen und ist der Ansicht, dass sich der Zweck zumindest ebensogut erreichen lasse, wenn das Schulhaus im Baurecht erstellt werde. Die von der Gemeinde verlangte volle Enteignung des für das Werk benötigten Bodens gehe daher über das unbedingt Notwendige hinaus und stelle angesichts
BGE 99 Ia 473 S. 477
der von der Verfassung gebotenen restriktiven Handhabung öffentlicher staatlicher Eigentumsbeschränkungen einen unverhältnismässigen Eingriff dar. Ob die volle Enteignung oder nur die Einräumung eines Baurechts zulässig sei, entscheide sich einzig darnach, was zur Erreichung des öffentlichen Zweckes notwendig sei und dürfe nicht aufgrund einer Interessenabwägung zwischen Grundeigentümer und Gemeinwesen beurteilt werden.
b) Seit jeher hat in Praxis und Lehre die Beanspruchung von privatem Boden für den Bau einer Schulhausanlage zu den typischen Fällen gehört, in denen die volle Enteignung zulässig ist. Die Beschwerdeführerin glaubt jedoch, dass sich angesichts der zunehmenden Bodenverknappung und insbesondere auch mit Rücksicht auf die Bedeutung, die das Rechtsinstitut des Baurechts seit seiner Neugestaltung im Jahre 1965 gewonnen hat (
Art. 779 - 779 1
ZGB), eine andere Betrachtungsweise aufdränge. Auch wenn eine solche Veränderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse bei der Abwägung der in Frage stehenden öffentlichen und privaten Interessen zu berücksichtigen ist, so führt dies jedoch nicht zu einer solchen Gewichtsverlagerung, dass nunmehr in der vollen Enteignung grundsätzlich ein unverhältnismässiger Eingriff ins Privateigentum zu erblicken wäre. Wie im folgenden dargetan wird, ist die Erstellung einer Schulhausanlage im Baurecht mit Nachteilen verbunden, die dem Gemeinwesen nur dann zuzumuten wären, wenn ein besonders schützenswertes Interesse des Grundeigentümers an der ihm verbleibenden Verfügungsmöglichkeit vorangestellt werden müsste.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts fordert das öffentliche Interesse an einem Werk unter anderem auch, dass dieses auf möglichst zweckmässige Weise erstellt wird. Das gilt nicht nur in technischer Hinsicht, sondern es müssen auch die rechtlichen Belange so ausgestaltet sein, dass das Gemeinwesen nicht mit unverhältnismässigen Lasten und Kosten beschwert wird (
BGE 90 I 331
; Urteil des Bundesgerichts vom 12. Juli 1971 i.S. G., Erw. 3 c, in ZBl 73/1972 S. 20). Der Grundsatz der Notwendigkeit des Eingriffs bedeutet somit entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, dass nur gerade der Eingriff ins Eigentum zulässig sei, der zur Verwirklichung des öffentlichen Werkes unbedingt notwendig ist, sondern es ist der zur zweckmässigen Realisierung des Werkes erforderliche
BGE 99 Ia 473 S. 478
Eingriff zulässig. Eine Missachtung der gebotenen restriktiven Handhabung staatlicher Eigentumsbeschränkungen liegt darin nicht. Das Prinzip der Verhältnismässigkeit erschöpft sich jedoch nicht in dem Erfordernis, dass der Eingriff in die Eigentumsrechte zur Erreichung des verfolgten Zwecks notwendig sein muss, sondern verlangt auch eine Abwägung der im konkreten Fall einander entgegenstehenden öffentlichen und privaten Interessen. Je gewichtiger das öffentliche Interesse an einer Eigentumsbeschränkung ist, desto mehr tritt das private Interesse an der Erhaltung des Grundeigentums in den Hintergrund. Eine solche Interessenabwägung hat das Bundesgericht stets vorgenommen (das genannte Urteil vom 12. Juli 1971 in ZBl 73/1972 S. 20;
BGE 97 I 647
Erw. 5, 799,
BGE 93 I 250
Erw. 3; BOSSHARDT a.a.O. S. 399). Die Behauptung der Beschwerdeführerin, es sei einzig auf den Gesichtspunkt der Notwendigkeit des Eingriffs abzustellen und eine Interessenabwägung zwischen Gemeinwesen und Privatem dürfe nicht erfolgen, geht fehl und kann denn auch nicht näher dargetan werden.
c) Wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid zutreffend ausführt, enthält die Baurechtsdienstbarkeit alle zivilrechtlichen Befugnisse, deren das Gemeinwesen bedarf, um eine Verwaltungsbaute, wie z.B. ein Schulhaus, zu erstellen und zu betreiben; Inhalt und Umfang des Baurechts können so umschrieben werden, dass der Bau im Laufe der Jahre wenn nötig erneuert und erweitert werden kann. Das Baurecht gewährleistet auch den Fortbestand dieser Befugnisse, sofern ihm keine Grundpfandrechte im Range vorgehen und damit die Gefahr einer vorzeitigen Löschung des Baurechts ausgeschaltet ist (vgl. die Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Änderung der Vorschriften betreffend das Baurecht und den Grundstückverkehr vom 9. April 1963, BBl 1963 I 993; Komm. HAAB zum ZGB
Art. 675 N 3
; MEIER-HAYOZ, Komm. zum ZGB,
Art. 675 N 14
). Das Baurecht kann jedoch als selbständiges Recht auf höchstens hundert Jahre begründet werden (
Art. 779 1
Abs. 1 ZGB), und mit seinem Ablauf fallen die Bauwerke dem Grundeigentümer heim (
Art. 779 c ZGB
). Die öffentlichen Bedürfnisse, denen das Gemeinwesen auf dem Gebiet der Schule zu genügen hat, sind dagegen zeitlich nicht begrenzt. Gerade eine Schulhausanlage wie die hier in Frage stehende wird auf Dauer angelegt,
BGE 99 Ia 473 S. 479
und der dafür beanspruchte Boden wird durch das Werk voll ausgenützt. Der Wert des Baues übersteigt denn auch, wie in der Beschwerde gleichfalls nicht bestritten wird, den Wert des Bodens. Die Gemeinde müsste somit das Baurecht nach seinem Ablauf verlängern und dafür allenfalls wiederum den Enteignungsweg beschreiten (
Art. 779 1
Abs. 2 ZGB). Unter diesen Umständen aber ist die Abtretung einer blossen Baurechtsdienstbarkeit statt des vollen Eigentums am Boden mit Umtrieben und Mehraufwendungen verbunden, die mit dem Gebot einer rationellen Verwaltung nicht zu vereinbaren sind und damit dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen. Zudem widerspricht insbesondere das mit dem Baurecht verbundene Abrechnungsverhältnis zwischen der Gemeinde und dem Grundeigentümer den geltenden Prinzipien über die Finanzrechnung, wonach gerade die Ausgaben für Schulhäuser typische ausserordentliche Ausgaben sind, die nicht jährlich wiederkehren (§ 13 der zürcherischen Verordnung über das Rechnungswesen der Gemeinden vom 11. November 1926). Das Baurecht auf lange Dauer kommt zudem wesentlich teurer zu stehen. Erfahrungsgemäss erreicht die Summe der jährlich zu leistenden Baurechtszinse bereits nach etwa zwanzig Jahren den vollen Verkehrswert des Landes; nach dem von der Beschwerdeführerin verlangten Baurechtszins aufgrund des halben Bodenpreises würde der heute für die volle Entschädigung zu leistende Betrag in etwa vierzig Jahren erreicht. Auch ist es üblich, den Baurechtszins an die veränderten Bodenwertverhältnisse anzupassen, und jedenfalls wäre er spätestens bei der Verlängerung des Baurechts aufgrund der dannzumal geltenden Bodenpreise neu festzusetzen (vgl. VICTOR MÜLLER, Der Baurechtszins und seine grundpfandrechtliche Sicherung, Diss. Zürich 1968 S. 21 ff.; GÜNTHER WITT, Das Baurecht, Basel 1970, S. 151; H. P. FRIEDRICH, Das Baurecht des Zivilgesetzbuches im Dienste öffentlicher Aufgaben, ZBl 68/1967 S. 290 f.). Die Pflicht des Staates, bei Enteignung volle Entschädigung zu leisten (
Art. 22ter Abs. 3 BV
), bedeutet jedoch nur, dass der Verkehrswert des Bodens im Zeitpunkt des Enteignungsverfahrens zu entschädigen ist (vgl.
BGE 93 I 142
ff. Erw. 7 a u. b). Von solchen Überlegungen hat sich auch der Bundesrat in einem Entscheid leiten lassen, in welchem er das Enteignungsbegehren für einen Panzerstellungsraum in vollem Umfang geschützt hat; er fand, dass dem Bund nicht zuzumuten sei,
BGE 99 Ia 473 S. 480
bedeutende öffentliche Mittel in ein Werk zu investieren auf das Risiko hin, mit dem Enteigneten nach Jahr und Tag über die weitere Benützungsberechtigung erneut verhandeln zu müssen (Verwaltungspraxis der Bundesbehörden Heft 32/1964-1965 Nr. 100). Nach der Praxis zum deutschen Bundesbaugesetz, welches in § 92 ausdrücklich bestimmt, dass die Enteignung auf die Belastung des Grundstücks mit einem Recht zu beschränken ist, sofern dies zur Verwirklichung des Enteignungszweckes ausreicht, ist ein Baurecht bzw. Erbbaurecht auf dem beanspruchten Grundstück überhaupt nicht möglich, wenn es sich um sogenannte Gemeinbedarfsflächen handelt (Kommentar HEITZER-ÖSTERREICHER zum Bundesbaugesetz, 2. Aufl. Berlin 1965, § 92 Anm. 2).
Diese Gründe des öffentlichen Interesses, die der Erstellung einer Schulhausanlage im Baurecht entgegenstehen, sind allerdings zu einem wesentlichen Teil finanzieller Natur. Dem Gebot einer zweckmässigen und rationellen Verwaltung kommt aber doch eine solche Bedeutung zu, dass nur ein ganz besonderes privates Interesse an der Beibehaltung eines Restes der Verfügungsgewalt am Eigentum es überwiegen und den Eingriff der vollen Enteignung als unverhältnismässig und damit verfassungswidrig erscheinen lassen könnte. Der Enteignete müsste dartun können, dass die ihm neben der Baurechtsdienstbarkeit verbleibende Verfügungsbefugnis noch eine erhebliche Restnutzung des Grundstücks ermögliche, an der ein schützenswertes Interesse anzuerkennen wäre. So wäre z.B. denkbar, dass sich der Enteignete eine unter- oder oberirdische Nutzungsmöglichkeit vorbehalten möchte, die sich neben dem öffentlichen Werk ohne weiteres vertragen würde und angesichts deren Bedeutung dem Gemeinwesen die Beschränkung auf die Enteignung bloss einer Baurechtsdienstbarkeit zuzumuten wäre (vgl. das Urteil des Bundesgerichts i.S. Gauger vom 12. Juli 1971 Erw. 3 c in ZBl 73/1972 S. 20). Auch in solchen Fällen, wie z.B. dann, wenn der Enteignete eine unterirdische Parkgarage erstellen will, wird diesem privaten Interesse in der Regel aber wohl damit hinreichend Rechnung getragen werden, dass der Staat als Enteigner ihm die Einräumung eines Baurechts zusichert. Wie es sich damit verhält, kann jedoch offen bleiben, da im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für einen Verzicht der Gemeinde auf das volle Eigentum offensichtlich nicht erfüllt sind. Die Beschwerdeführerin macht überhaupt nicht geltend,
BGE 99 Ia 473 S. 481
einen neben der geplanten Schulhausanlage verbleibenden Rest des Grundstückes noch nutzen zu wollen. Sie beruft sich einzig auf ihr Interesse an der Erhaltung des Eigentums als solchen. Die Erhaltung der "nuda proprietas" ist jedoch ein Interesse, das angesichts desjenigen des Gemeinwesens am vollen Verfügungsrecht unerheblich ist. Der damit verbundene Vorteil ist der, dass die Enteignete statt zu einer Enteignungsentschädigung in der Höhe des Verkehrswertes des Bodens zur Zeit des Enteignungsverfahrens in den Genuss eines den steigenden Bodenwerten sich anpassenden Baurechtszinses käme und somit an einer künftigen Wertsteigerung ihres Bodens noch teilhaben könnte. Auf eine solche Leistung seitens des Staates besteht aufgrund der Eigentumsgarantie aber kein Anspruch, weshalb darin auch kein schützenswertes privates Interesse gesehen werden kann. Es lässt sich sogar sagen, dass die Beanspruchung des vollen Eigentums wirtschaftlich gar keinen schwereren Eingriff darstellt als die Enteignung einer Baurechtsdienstbarkeit (so auch das deutsche Bundesverfassungsgericht in einem in DöV 1964 S. 611 publizierten Urteil). Die Beschwerdeführerin stellt zwar in Abrede, mit ihrem Begehren einen solchen wirtschaftlichen Vorteil zu verfolgen. Wie ihren Ausführungen zu entnehmen ist, soll ihr schützenswertes besonderes Interesse an der Erhaltung der "nuda proprietas" in der Tatsache liegen, dass sie als eine seit alters her bestehende Korporation statutarisch verpflichtet sei, ihr Eigentum zu erhalten. Abgesehen davon, dass eine Erhaltung des nackten Eigentums einzig aus diesem Grunde sich in einer rein abstrakten Bedeutung erschöpfen würde, kann die Beschwerdeführerin keine andere Behandlung für sich beanspruchen als andere private Grundeigentümer, die nicht weniger bestrebt sein können, ihr Eigentum zu erhalten. Als eine dem kantonalen öffentlichen Recht unterstehende privatrechtliche Körperschaft unterliegt die Beschwerdeführerin dem Enteignungsrecht wie alle andern privaten und öffentlichen Eigentümer. Freilich kann der Enteigner aus irgendwelchen politischen Überlegungen gegenüber einer solchen Korporation auf die volle Enteignung verzichten und sich mit einer komplizierteren und aufwendigeren rechtlichen Lösung abfinden. Das Bundesgericht hat unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie nur zu prüfen, ob die volle Enteignung einen unverhältnismässigen Eingriff darstellt, was nach dem Gesagten nicht der Fall ist.
BGE 99 Ia 473 S. 482
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7de42e95-d89d-4e4b-ad89-b8f7cb765df7 | Urteilskopf
85 IV 109
27. Extrait de l'arrêt du 16 juin 1959 dans la cause Miniera SA contre Muller. | Regeste
Art. 270 Abs. 3 BStP
.
Wann vertritt der Privatstrafkläger die Anklage allein, ohne Beteiligung des öffentlichen Anklägers? | Sachverhalt
ab Seite 109
BGE 85 IV 109 S. 109
Le 9 novembre 1955, la société Miniera SA, à Bâle, a déposé une plainte pénale pour escroquerie contre Jean-Georges Muller, administrateur-délégué et directeur de la société Tesa SA Le 8 mai 1959, le Tribunal de police correctionnelle du district de Lausanne, saisi de l'affaire, a libéré Muller de l'inculpation d'escroquerie ainsi que de celle de faux dans les titres, également retenue par le juge instructeur.
Agissant par la voie du pourvoi en nullité, la société Miniera SA requiert le Tribunal fédéral de casser le jugement du Tribunal de district et de renvoyer la cause à l'autorité cantonale afin que celle-ci condamne Muller pour escroquerie.
BGE 85 IV 109 S. 110
Erwägungen
Considérant en droit:
A moins qu'elle n'ait été commise au préjudice de proches ou de familiers - ce qui n'est pas le cas en l'espèce -, l'escroquerie est poursuivie d'office. Du point de vue de l'art. 270 al. 1 PPF, la société Miniera SA n'a donc pas qualité pour recourir, car cette disposition n'accorde au plaignant le droit de se pourvoir en nullité que lorsque l'infraction en cause est poursuivie sur plainte seulement. Dès lors, il reste à savoir si elle est fondée à saisir le Tribunal fédéral en vertu de l'art. 270 al. 3 PPF.
Selon cette disposition, l'accusateur privé peut se pourvoir en nullité si, conformément au droit cantonal, il a soutenu l'accusation à lui seul, sans intervention de l'accusateur public. Cette dernière condition n'est remplie que lorsque, d'après la procédure cantonale, le procureur général n'a pas la faculté d'exercer les droits accordés aux parties ou du moins de faire valoir l'intérêt public devant les autorités de son canton (RO 77 IV 126;
80 IV 202
/203;
84 IV 135
). Il faut en d'autres termes que l'accusateur privé soit seul détenteur de l'action pénale et qu'il l'exerce en lieu et place du ministère public, complètement exclu de la procédure (cf. RO 68 IV 154). En revanche, dès l'instant que l'accusateur public possède le droit d'intervenir, l'accusateur privé ne peut plus prétendre qu'il soutient l'accusation à lui seul. Il suffit d'ailleurs que le procureur général ait ce droit. Il est sans intérêt de savoir s'il en a fait ou non usage dans le cas particulier (cf. RO 73 IV 187). Il n'est pas nécessaire non plus qu'il ait la faculté d'intervenir devant l'autorité de première instance déjà, pourvu qu'il puisse former l'un ou l'autre des recours prévus par la procédure cantonale ou défendre d'une autre manière l'intérêt public devant les autorités cantonales supérieures (RO 77 IV 127, 80 IV 202/203, 84 IV 135). Enfln, le ministère public doit être considéré comme intervenant dans la procédure cantonale non seulement
BGE 85 IV 109 S. 111
quand il jouit de droits analogues à ceux d'une partie mais aussi quand il lui appartient de décider lui-même du sort de l'accusation (RO 71 IV 112).
Ainsi que le Tribunal fédéral l'a déjà relevé (RO 68 IV 154), le droit vaudois ignore l'institution de l'accusateur privé au sens décrit ci-dessus, car il accorde au Ministère public tous les droits des autres parties, notamment celui de recourir contre les ordonnances de clôture d'enquête ou les jugements des autorités de répression (art. 73, 252, 268 al. 2, 406 ch. 1, 426 CPPV). Il s'ensuit que la recourante ne peut invoquer l'art. 270 al. 3 PPF...
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Déclare le pourvoi irrecevable. | null | nan | fr | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7de480f4-8d3b-4d05-8134-ec2ec34a9c89 | Urteilskopf
80 IV 134
26. Auszug aus dem Entscheid der Anklagekammer vom 10. September 1954 i. S. Anderhub gegen Obergericht des Kantons Solothurn. | Regeste
Art. 264 BStP
.
Die Anklagekammer ist nicht zuständig, einer kantonalen Behörde die Gerichtsbarkeit abzusprechen und die Sache den Bundesbehörden zu überweisen. | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 80 IV 134 S. 134
Anderhub ersucht mit Eingabe vom 31. August/3. September 1954 die Anklagekammer des Bundesgerichts, die Strafverfolgung wegen Urkundenfälschung, die vor Obergericht des Kantons Solothurn gegen ihn durchgeführt werde, sei gemäss
Art. 340 Ziff. 1 Abs. 3 StGB
den
BGE 80 IV 134 S. 135
zuständigen Behörden des Bundes zur Behandlung zu überweisen. Er macht geltend, es werde ihm Fälschung von Urkunden vorgeworfen, die als Bundesurkunden zu betrachten seien. Er habe in verschiedenen Eingaben gegen die Durchführung eines Strafverfahrens wegen Fälschung von Bundesurkunden durch den Kanton Solothurn protestiert, doch hätten weder der Staatsanwalt noch das Obergericht dazu Stellung genommen. Durch Überweisungsbeschluss vom 14. Juli 1954 sei die behauptete Urkundenfälschung dem Obergericht zur Beurteilung überwiesen worden.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
Der Gesuchsteller leitet die Zuständigkeit der Anklagekammer des Bundesgerichts, den solothurnischen Behörden die Gerichtsbarkeit abzusprechen und die Sache den Bundesbehörden zur Behandlung zu überweisen, aus
Art. 264 BStP
ab. Zu Unrecht. Diese Bestimmung gilt nur für Fälle, in denen der interkantonale Gerichtsstand streitig ist, nicht auch für Streitigkeiten über die Abgrenzung der kantonalen Gerichtsbarkeit gegenüber der Bundesgerichtsbarkeit. Das ergibt sich schon aus ihrer Stellung im dritten Teil des Gesetzes, der nur "das Verfahren in Bundesstrafsachen, die von kantonalen Gerichten zu beurteilen sind", regelt, und insbesondere aus ihrer Stellung im Abschnitt "III. Besondere Bestimmungen für Bundesstrafsachen, die nach Bundesgesetz von kantonalen Behörden zu beurteilen sind". Auch der Wortlaut des Art. 264 bestätigt diesen Sinn. Der Fall, in dem "die Gerichtsbarkeit eines Kantons vom Beschuldigten bestritten" wird, wäre nicht mit dem anderen Falle, in dem "der Gerichtsstand unter den Behörden verschiedener Kantone streitig" ist, in ein und demselben Satze geregelt worden, wenn nicht ersterer gleich wie letzterer nur einen Streit über den interkantonalen Gerichtsstand beträfe. Dass dem so ist, geht auch daraus hervor, dass die Anklagekammer "den Kanton" zu
BGE 80 IV 134 S. 136
bezeichnen hat, der zur Verfolgung und Beurteilung berechtigt und verpflichtet ist. Damit stimmt die Entstehungsgeschichte überein. In der ursprünglichen Fassung (vom 15. Juni 1934) war vom Rechte des Beschuldigten, die Gerichtsbarkeit eines Kantons vor der Anklagekammer zu bestreiten, nicht die Rede, und die Revision der Bestimmung durch
Art. 168 OG
hatte lediglich den Zweck, das Gesetz in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Anklagekammer zu bringen, die dem Beschuldigten schon unter der Herrschaft der alten Fassung das Recht zuerkannte, den interkantonalen Gerichtsstand - und nur diesen - durch sie festsetzen zu lassen.
Die Anklagekammer ist daher zur Beurteilung des vorliegenden Gesuches nicht zuständig.
2.
Es erübrigt sich, das Gesuch an den Kassationshof des Bundesgerichts oder an die staatsrechtliche Kammer weiterzuleiten, damit es als Nichtigkeitsbeschwerde bezw. als staatsrechtliche Beschwerde behandelt werde. Unter dem einen wie unter dem anderen Gesichtspunkte könnte darauf nicht eingetreten werden. Die Nichtigkeitsbeschwerde (
Art. 268 ff. BStP
) ist nur gegen Urteile, Einstellungsbeschlüsse und Straferkenntnisse gegeben. Ein solcher Entscheid ist bis jetzt nicht ergangen. Auch die staatsrechtliche Beschwerde "wegen Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften über die Abgrenzung der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit der Behörden" (
Art. 84 Abs. 1 lit. d OG
) setzt nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Verfügung (Entscheid) voraus, und eine Verfügung über die Anerkennung der Gerichtsbarkeit liegt nach der Rechtsprechung der staatsrechtlichen Kammer nicht schon darin, dass ein Beschuldigter dem Gerichte zur Beurteilung überwiesen wird.
Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Auf das Gesuch wird nicht eingetreten. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7de609a9-e15a-4547-9195-669e80d3de44 | Urteilskopf
122 IV 303
47. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. September 1996 i.S. Kriminalkommission des Kantons Appenzell I.Rh. gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 18 Abs. 3 und
Art. 117 StGB
; fahrlässige Tötung, Sorgfaltspflicht des Lehrers auf einer Bergwanderung.
Pflichten des Primarlehrers einer sechsten Klasse auf einem teilweise schneebedeckten Bergwanderweg in felsdurchsetztem Gelände; besonders im Hinblick auf das Traversieren eines abschüssigen Schneefeldes. | Sachverhalt
ab Seite 303
BGE 122 IV 303 S. 303
A.-
X. ist Primarlehrer in Wädenswil. Mit seiner sechsten Klasse beabsichtigte er, im Mai 1992 ein Klassenlager in Schwende (Appenzell I.Rh.) durchzuführen. Am 19. Mai, dem ersten Lagertag, fuhren er, seine rund zwanzig Schüler und eine erwachsene Begleitperson mit der Bahn auf den Hohen Kasten. Von dort aus begaben sie sich auf den geologischen Wanderweg und wanderten zur Staubern, wo sie das Mittagessen aus dem Rucksack einnahmen. Danach setzten sie um ca. 13.00 Uhr die Bergtour auf dem Wanderweg in Richtung Furgglen fort. Die Begleitperson ging etwa in der Mitte und X. am Schluss der Schulklasse. Wenige Meter nach dem Restaurant Staubern mussten sie zunächst ein kleineres, dann ein grösseres und schliesslich nochmals ein kleines Schneefeld überqueren. Auf dem dritten Schneefeld rutschte der ungefähr an der siebenten Stelle gehende Schüler V. aus. Er überschlug sich und stürzte weiter unten über eine Felswand. Dabei zog er sich tödliche Verletzungen zu.
BGE 122 IV 303 S. 304
B.-
Gegen X. wurde eine Strafuntersuchung wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Nach durchgeführter Untersuchung und Überweisung der Sache an das Gericht entschied das Bezirksgericht Appenzell I.Rh. an seiner Sitzung vom 5. Dezember 1994, X. werde von Schuld und Strafe freigesprochen.
Gegen dieses Urteil erhoben die Kriminalkommission des Kantons Appenzell I.Rh. und die Erben des verunfallten Schülers Berufung.
Am 5. September 1995 bestätigte das Kantonsgericht Appenzell I.Rh. den Freispruch der ersten Instanz.
C.-
Die Kriminalkommission des Kantons Appenzell I.Rh. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und dieses anzuweisen, den Angeschuldigten wegen fahrlässiger Tötung schuldig zu sprechen.
Die Vorinstanz hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. X. beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten; eventualiter sei sie abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Eintretensfrage).
2.
a) Die Vorinstanz stellte in grundsätzlicher Hinsicht fest, die Pflicht eines Lagerleiters zur Vermeidung von Gefahren müsse auf ein vernünftiges Mass beschränkt werden, wenn die mit dem Lager angestrebte Erziehung der Lagerteilnehmer zur Eigenständigkeit und Selbstverantwortung nicht zum vornherein verunmöglicht werden solle. Der Lagerleiter habe seine Sorgfaltspflicht erfüllt, wenn er die Tour sorgfältig vorbereite und die Teilnehmer richtig instruiere.
Der Beschwerdegegner habe die in Frage stehende Wanderung neun Jahre zuvor bereits einmal mit einer sechsten Klasse aus Wädenswil unternommen und sich dabei vorgängig bei der Bergstation erkundigt, ob der Wanderweg für Sechstklässler geeignet sei. Man habe ihm damals gesagt, mit gutem Schuhwerk sei dies sicher möglich, und seither habe er die Tour in jedem Klassenlager auf dem Programm gehabt. Im Prospekt der Luftseilbahn Brülisau-Hoher Kasten stehe, dass der Bergwanderweg für Schulexkursionen geschaffen worden sei und bei minimalen touristischen Anforderungen ein Maximum an verblüffenden Panoramen anbiete. Aufgrund dieser Angaben habe sich der Beschwerdegegner mit einer erwachsenen Begleitperson für die ca. 20 Schüler begnügen können.
BGE 122 IV 303 S. 305
Bei einer Klassenbesprechung seien die Eltern der Schüler über das Wanderlager informiert worden, und der Beschwerdegegner habe durch den Hinweis darauf, es seien Wanderschuhe nötig, auf die Art der Touren hingewiesen. Allenfalls wären die sizilianischen Eltern von V. verpflichtet gewesen, sich insbesondere nach dem Schwierigkeitsgrad der Wanderungen zu erkundigen und darauf hinzuweisen, dass ihr relativ korpulenter Sohn noch nie eine solche Wanderung unternommen hatte und völlig bergungewohnt war. Im übrigen habe auch dieser nie erkennen lassen, dass er nicht schwindelfrei sei. Mit den erwähnten Informationen habe der Beschwerdegegner das Lager im Vorfeld genügend vorbereitet.
Der Beschwerdegegner hat - nach den Ausführungen im angefochtenen Entscheid - "auf der Tour noch nie Schneefelder überqueren müssen" und "darin mit der Klasse keine Erfahrungen" gehabt. Selber habe er diesbezügliche Erfahrungen, und Schwierigkeiten hätten sich dabei nicht ergeben. Er habe vom Lagerhaus aus einen grossen Teil des Höhenwegs überblickt, so dass er sich nicht veranlasst gesehen habe, über den Zustand des Weges und allfällige Schneefelder Erkundigungen einzuholen, zumal der Wanderung eine lange Trockenperiode vorausgegangen sei. Am Morgen vor Beginn der Tour habe er erfahren, dass das Wildkirchli wegen Schnees gesperrt sei, und daraus geschlossen, "dass dies auch für andere gesperrte Wege gelte". Da es auf der Tour keine derartigen Sperren gegeben habe, habe er angenommen, dass alles in Ordnung sei. Gesamthaft gesehen habe er ohne weitere Abklärungen davon ausgehen können, der geologische Wanderweg sei normal begehbar.
Vor dem Abmarsch habe der Beschwerdegegner den Schülern die Weisung erteilt, es müsse immer einer hinter dem anderen gehen, es dürfe keiner überholen und es müsse auf dem Weg geblieben und bei Unsicherheit gewartet werden. Diese einmalige Anweisung am Anfang der Tour habe ausgereicht, da den Schülern das von ihnen geforderte Verhalten schon von anderen gemeinsamen Exkursionen und vom letztjährigen Klassenlager her bekannt gewesen sei. Spezielle Instruktionen über das Verhalten auf Schneefeldern habe der Beschwerdegegner keine gegeben. In diesem Zusammenhang sei zu betonen, "dass solche Lager nicht zuletzt dazu dienen, Eigenständigkeit und Selbstverantwortung der Schüler zu fördern".
Kurz nach dem Kastensattel habe der Beschwerdegegner bei der Überquerung eines ersten, vorgespurten Schneefeldes gesehen, dass die Schneeverhältnisse gut gewesen seien und der Schnee gehaftet
BGE 122 IV 303 S. 306
habe und nicht gerutscht sei, und auch bei den weiteren Schneefeldern habe er festgestellt, dass sie nicht gefroren gewesen seien. Damit habe er die Schneeverhältnisse ausreichend geprüft.
Nach der Mittagsrast seien zwei berggewohnte Kinder voraus, der Beschwerdegegner am Schluss und die Begleitperson irgendwo dazwischen, aber nicht unmittelbar bei V. marschiert. Auch diese Marschordnung sei nicht zu beanstanden. Auf die Schüler an der Spitze der Klasse habe der Beschwerdegegner sich verlassen können, und die Schüler seien vor dem Abmarsch auf dem Hohen Kasten dahingehend instruiert worden, dass sie bei Schwierigkeiten halten sollten. Schon im Vorjahr sei V. in einem Klassenlager mit dem Velo sehr oft ausgeschert, habe zu Mutproben geneigt, indem er sich gefährliche Stellen ausgesucht habe, und deshalb vom Beschwerdegegner und den Mitschülern immer wieder angehalten werden müssen, sich an die Regeln zu halten. Zu dieser Frage habe der Beschwerdegegner jedoch festgestellt,
"dass er aufgrund des Verhaltens von V. diesen immer bei sich haben müsste. Aber auch V. sollte Selbstverantwortung lernen. Der Angeklagte hätte ihn umgekehrt sicher zu sich genommen, wenn V. Zeichen von Unsicherheit gezeigt hätte, wenn er gesagt hätte, er habe Angst, es sei ihm schwindlig".
Die vom Beschwerdegegner erwähnte Erziehung zur Selbstverantwortung gehöre zu den wichtigsten Aufgaben der Schule. Wäre er direkt hinter V. gegangen, hätte er ihn im übrigen höchstens hin und wieder zur Aufmerksamkeit ermahnen, den Sturz selber aber nicht verhindern können.
Gemäss dem Polizeirapport sei das Schneefeld an der Unfallstelle ungefähr 12 bis 15 m breit und unterhalb des Weges ungefähr 15 m lang gewesen. Im griffigen Schnee habe es zunächst gute Fusstritte gehabt. Im steilen Gelände sei der Weg zuerst ansteigend, anschliessend bei der schmalsten und zugleich steilsten Stelle leicht abfallend gewesen, und genau beim Übergang zwischen dem ansteigenden und dem abfallenden Wegstück habe sich der Unfall ereignet. Es stehe fest, "dass der Weg grundsätzlich gespurt war, dass also offensichtlich verschiedene Leute ihn als begehbar einschätzten".
Gesamthaft gesehen sei dem Beschwerdegegner keine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen.
b) Die Beschwerdeführerin lastet dem Beschwerdegegner im wesentlichen an, er habe die Gefahren einer nur vermeintlich harmlosen Bergtour im Frühling, insbesondere beim Vorhandensein von abschüssigen Schneefeldern, die den sicheren Weg überdecken,
BGE 122 IV 303 S. 307
falsch eingeschätzt und deshalb die notwendigen Schutz- und Sicherheitsmassnahmen sowie eine hinreichende Kontrolle und Aufsicht unterlassen. Der dem Überqueren von solchen Schneefeldern innewohnenden Gefährlichkeit müsse mit Sicherungsmassnahmen (z.B. Einzelüberquerung, Pickel, Seil) begegnet werden. Vor einer anspruchsvollen Route sei zudem stets sorgfältig zu prüfen, ob die Teilnehmer über die nötige körperliche Verfassung sowie die erforderlichen geistigen und charakterlichen Qualitäten verfügen, und gegebenenfalls seien die notwendigen Vorkehren (z.B. Spezialaufsicht, Einzelbetreuung) zu treffen. Angesichts tödlicher Gefahren sei ein Hinweis auf die Erziehung zu Eigenständigkeit und Selbstverantwortung verfehlt.
c) Der Beschwerdegegner vertritt in seiner Stellungnahme demgegenüber die Auffassung, es könne ihm nicht als Verletzung der Sorgfaltspflicht angelastet werden, dass er mit seiner Klasse in jenem Zeitpunkt und mit seiner Ausbildung den Höhenweg gewandert sei. Auch die Unfallstelle habe gar nicht besonders gefährlich ausgesehen, und nur wo eine tödliche Gefahr als solche erkannt werde, müssten Vorsichtsmassnahmen getroffen werden. Da schliesslich der Kausalverlauf - z.B. wegen eines nicht ausgeschlossenen Selbstverschuldens des Verunfallten - nicht klar sei, müsse der Beurteilung zu seinen Gunsten der für ihn günstigste Kausalverlauf zugrunde gelegt werden.
3.
a) Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft (
Art. 117 StGB
). Eine fahrlässige Tat liegt vor, wenn sie darauf zurückzuführen ist, dass der Täter die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat, und pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (
Art. 18 Abs. 3 StGB
; zum Fahrlässigkeitsdelikt allgemein vgl.
BGE 122 IV 145
E. 2b;
BGE 121 IV 286
E. 3).
Es ist unbestritten, dass der verantwortliche Leiter eines Lagers oder einer Tour grundsätzlich verpflichtet ist, Gefahren möglichst zu vermeiden, oder dann, wenn ein Gefahrenzustand entsteht, alles Zumutbare zu tun, damit sich die Gefahr nicht verwirklicht. In einem Fall wie dem vorliegenden ist zu prüfen, was ein gewissenhafter und besonnener Mensch mit der Ausbildung und den individuellen Fähigkeiten des Angeschuldigten in der fraglichen Situation getan oder unterlassen hätte.
BGE 122 IV 303 S. 308
Grundsätzlich ist dabei davon auszugehen, dass Lager- und Tourenleiter, die Kinder in die Berge führen, hohen Anforderungen an die Sorgfaltspflichten gerecht werden müssen, weil Kinder meist noch nicht in der Lage sind, drohende Gefahren wahrzunehmen (GREGOR BENISOWITSCH, Die strafrechtliche Beurteilung von Bergunfällen, Zürcher Dissertation 1993, S. 176). Selbst körperlich trainierte und ausdauernde Jugendliche reagieren in den Bergen sehr unterschiedlich, und nicht selten verlieren sie in Notsituationen die Nerven und neigen zu Fehlreaktionen (BENISOWITSCH a.a.O. S. 53). Keinen Ausschlag geben darf angesichts der in den Bergen lauernden Gefahren, ob im Einzelfall die Erziehung des Jugendlichen zur Eigenständigkeit und Selbstverantwortung eingeschränkt wird (BENISOWITSCH a.a.O. S. 194). Dies ist jedenfalls dann hinzunehmen, wenn besondere Gefahren auftauchen.
Pflicht des Führers ist es, vor Antritt der Tour sorgfältig zu prüfen, ob bei den gegebenen Witterungs- und Routenverhältnissen, der körperlichen Eignung und dem technischen Können der Teilnehmer die geplante Bergwanderung überhaupt durchgeführt werden soll. Er wird sich dabei auch vergewissern, ob die Teilnehmer genügend ausgerüstet sind. Während einer Bergtour oder Bergwanderung ist auf die Kondition der Teilnehmer Rücksicht zu nehmen und das Gelände eingehend zu studieren. Treten im Verlaufe der Tour Schwierigkeiten auf, ist in jedem Fall besondere Sorgfalt geboten (vgl.
BGE 83 IV 9
E. 1a und b sowie ANDREAS GERBER, Strafrechtliche Aspekte von Lawinen- und Bergunfällen, Zürcher Dissertation 1979, S. 34-44).
Auch vermeintlich harmlose Bergwanderungen bergen erhebliche Gefahren. Gerade im Frühjahr trifft man immer wieder überraschend auf abschüssige Schneefelder, die den sicheren Weg überdecken und auf welchen ein Ausrutscher genügen kann, um über eine solche Schnee- oder Firnfläche zu gleiten, was nicht selten und besonders in felsdurchsetztem Gelände zu schweren Verletzungen oder gar zum Tod führt (BENISOWITSCH a.a.O. S. 24). Gerade Kinder sollten in solchem Gelände stets zu diszipliniertem Gehen ermahnt und an exponierten Stellen sogar an ein Sicherungsseil gebunden werden (BENISOWITSCH a.a.O. S. 38). Gegebenenfalls ist auf das Durchqueren solcher Stellen zu verzichten und der Rückweg anzutreten.
b) Im Lichte dieser Erwägungen und der vorinstanzlichen Feststellungen erweist sich der angefochtene Freispruch als bundesrechtswidrig, zumal insbesondere bei Kindern von vornherein nicht
BGE 122 IV 303 S. 309
gesagt werden kann, seine Sorgfaltspflicht habe bereits erfüllt, wer eine Tour sorgfältig vorbereite und die Teilnehmer richtig instruiere.
Mit der Beschwerdeführerin ist davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner die Risiken einer Frühlingsbergtour generell unterschätzt und insbesondere die hohe Gefahr verkannt hat, die entstand, als die Kindergruppe an das abschüssige Schneefeld gelangte, welches den Weg überdeckte. Der Weg wurde an dieser Stelle besonders gefährlich, da er nach den Feststellungen der Vorinstanz zunächst auf dem Schnee anstieg und dann bei der steilsten Stelle wieder abfallend wurde; genau bei diesem aussergewöhnlich gefährlichen Übergang stürzte der Verunfallte denn auch ab. Es lässt sich durchaus die Meinung vertreten, dass ein Lehrer bei den vorliegend zu beurteilenden überaus steilen Verhältnissen mit einer Schulklasse ein solches Schneefeld überhaupt nur queren darf, wenn jedes Kind (z.B. mit einem Seil) gesichert ist. Allenfalls ist sogar eine Umkehr in Betracht zu ziehen.
Der Beschwerdegegner hat nach den Feststellungen im angefochtenen Entscheid zwar am Anfang der Tour einmal Weisungen über das Hintereinandergehen und das Verhalten bei auftauchenden Unsicherheiten erteilt, es aber unterlassen, spezielle Instruktionen für den Fall zu geben, dass Schneefelder - und insbesondere abschüssige - den Weg überdecken. Diese Unterlassung war verfehlt, da die Gruppe nach den Feststellungen im angefochtenen Entscheid an diesem ersten Lagertag noch über keine Erfahrung mit Schneefeldern verfügte und der Beschwerdegegner sich im übrigen, indem er am Schluss der Kolonne ging, die Möglichkeit nahm, gegebenenfalls selber das Nötige vorzukehren. Unerheblich ist dabei, dass zwei berggewohnte Kinder die Kolonne anführten, denn es kann zwar sein, dass solche Kinder den auftauchenden Gefahren richtig begegnen und - wie im vorliegenden Fall - deshalb nicht verunfallen; es ist aber ausgeschlossen, dass sie die Verantwortung für die nachfolgenden und allenfalls weniger erfahrenen Kinder übernehmen können, und es steht insbesondere nicht fest, ob sie auch in bezug auf die Fähigkeiten der anderen Kinder richtig reagieren. Im vorliegenden Fall haben die beiden Kinder an der Spitze denn auch nicht angehalten, obwohl sie dies beim Auftauchen von Unsicherheiten weisungsgemäss hätten tun sollen.
Dazu kommt, dass der verunfallte Schüler offenbar von vornherein nicht die nötigen körperlichen und charakterlichen Eigenschaften aufwies, die im Gebirge bei auftauchenden Gefahren nötig sind. Er
BGE 122 IV 303 S. 310
war nach den Ausführungen der Vorinstanz völlig bergungewohnt und überdies etwas korpulent. Er führte sich am Unfalltag sonderbar auf. Schon im Vorjahr musste er vom Beschwerdegegner und den Mitschülern in einem Klassenlager dazu angehalten werden, sich an die Regeln zu halten. Bei diesen charakterlichen Auffälligkeiten und der mangelnden Reife des Verunfallten hätte der Beschwerdegegner der Sache nicht einfach ihren Lauf lassen und den offenbar besonders auffälligen Schüler bei der heute zu beurteilenden Tour irgendwo in der Gruppe mitmarschieren lassen dürfen, ohne ihm ein besonderes Augenmerk zuzuwenden. Der Beschwerdegegner hat nach den Feststellungen der Vorinstanz ja selber gewusst, "dass er aufgrund des Verhaltens von V. diesen immer bei sich haben müsste". Er hätte ihn dann nicht bloss, wie die Vorinstanz anerkennt, hin und wieder zur Aufmerksamkeit ermahnen, sondern überdies die Schwierigkeiten des offensichtlich überforderten Schülers erkennen und entsprechend reagieren können.
c) Was im angefochtenen Entscheid und in der Stellungnahme des Beschwerdegegners zu dessen Gunsten vorgetragen wird, vermag nicht zu überzeugen.
Der Hinweis des Beschwerdegegners darauf, dass allenfalls ein Selbstverschulden des Verunfallten vorgelegen haben könnte, dringt von vornherein nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts wäre eine Durchbrechung des adäquaten Kausalzusammenhanges nur dann anzunehmen, wenn der Verunfallte ein so aussergewöhnliches Verhalten an den Tag gelegt hätte, dass damit nach allgemeiner Lebenserfahrung schlichtweg nicht hätte gerechnet werden müssen. Dass diese Voraussetzung erfüllt wäre, behauptet selbst der Beschwerdegegner nicht.
Nach dem Gesagten ist es unerheblich, dass der Prospekt der Luftseilbahn generell festhält, der Wanderweg sei für Schulexkursionen geschaffen worden und stelle nur minimale touristische Anforderungen. Diese Darstellung im Werbematerial mag für einigermassen bergerfahrene Schüler und für eine Tour im Sommer durchaus zutreffen. Sie ändert ebenso wie der Umstand, dass der Weg am Unfalltag nicht gesperrt gewesen ist, jedoch nichts daran, dass es immer auf die konkreten Verhältnisse ankommt.
Schliesslich hat der Beschwerdegegner nach den Feststellungen der Vorinstanz bei der Überquerung anderer Schneefelder gesehen, dass die Schneeverhältnisse - dort! - gut gewesen sind. Daraus ist nichts für ihn herzuleiten, weil auch bei angeblich generell guten Schneeverhältnissen nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei
BGE 122 IV 303 S. 311
einer schwierigen Traverse Eis oder eine andere Gefahrenquelle vorhanden ist. Kein Schneefeld ist identisch mit den anderen, und es kann nicht von der Beschaffenheit des einen ohne weiteres auf diejenige der anderen geschlossen werden.
d) Der Freispruch verletzt
Art. 117 StGB
, und die Beschwerde erweist sich deshalb als begründet. Sie ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
4.
(Kostenfolgen). | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7de7dc0b-bf10-4be9-b904-d5a99d50e628 | Urteilskopf
114 III 51
17. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 27. September 1988 i.S. X. und Y. (Rekurs) | Regeste
Art. 18 Abs. 1 SchKG
. Feststellung der Fristwahrung.
Die kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen müssen von Amtes wegen die Wahrung der Beschwerdefrist gemäss
Art. 18 Abs. 1 SchKG
feststellen. Sie tragen die Beweislast für die Behauptung, eine Beschwerde sei ihnen nicht rechtzeitig zugegangen, jedenfalls in jenen Fällen, wo wegen der von der unteren kantonalen Aufsichtsbehörde gewählten Form der Zustellung deren Datum aus den Akten nicht ohne weiteres ersichtlich ist. | Sachverhalt
ab Seite 51
BGE 114 III 51 S. 51
A.-
Mit Postaufgabe am 18. Juli 1988 erhoben X. und Y. gegen die Entscheide des Bezirksgerichtspräsidenten von Steckborn vom 27./28. Juni 1988 Beschwerde bei der Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau. Da diese Zweifel hegte, ob die zehntägige Beschwerdefrist eingehalten sei, forderte sie mit Schreiben vom 19. Juli 1988 die Beschwerdeführer auf, innert fünf Tagen den Nachweis der Fristwahrung zu erbringen - dies verbunden mit der Androhung, dass sonst auf die Beschwerden nicht eingetreten würde. Des näheren ging es um die Feststellung, an welchem Tag den Beschwerdeführern die erstinstanzlichen Entscheide zugestellt worden waren.
BGE 114 III 51 S. 52
Die Beschwerdeführer weigerten sich, den von ihnen verlangten Beweis der Fristwahrung zu erbringen. Das veranlasste die Rekurskommission an der Sitzung vom 11. August 1988, entsprechend ihrer Androhung auf die Beschwerden nicht einzutreten.
B.-
Gegen den Nichteintretensentscheid der Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 11. August 1988 haben X. und Y. Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts erhoben, der gutgeheissen wurde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Während die Rekurrenten sich auf den Standpunkt stellen, die Wahrung der Beschwerdefrist im kantonalen Verfahren müsse von der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde festgestellt werden, möchte die Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau den Rekurrenten den Beweis dafür auferlegen, dass sie die zehntägige Frist gemäss
Art. 18 Abs. 1 SchKG
gewahrt haben. Die Rekurskommission führt dazu im angefochtenen Nichteintretensentscheid aus: "Der Beweis dafür, dass es überhaupt zur Zustellung der fraglichen (angefochtenen) Entscheide kam, obliegt zwar der zustellenden Behörde, ist hier indessen nicht streitig. Wann die Zustellung erfolgte, die den massgeblichen und seitens der Beschwerdeführer einzuhaltenden Fristenlauf auslöste, ist hingegen durch letztere zu belegen. Diesbezüglich gilt, dass bei Unsicherheit über die Fristeinhaltung zufolge bestrittenen Zustelltermins die Rekurrenten die Beweislast tragen; sie sind jene Partei, die ein der Verwirkung unterliegendes Recht ausüben und dank des Poststempels bzw. des Zustellcouverts mit Vermerk des Abholdatums in der Lage sind, den Beginn des Fristenlaufs zu belegen (
BGE 92 I 255
)."
3.
a) Diese Rechtfertigung der kantonalen Aufsichtsbehörde widerspricht der Auffassung, welche die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts in einem anderen Rekursverfahren derselben Rekurrenten gegen einen Nichteintretensentscheid der Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau vertreten hat. In jenem Urteil vom 6. Juli 1988 (dessen Begründung die Parteien noch nicht kannten, als der hier angefochtene Nichteintretensentscheid gefällt wurde) hat das Bundesgericht ausgeführt, es könne kaum Zweifel darüber aufkommen, dass von Amtes wegen zu prüfen sei, ob die Beschwerde- und Rekursfristen gemäss Art. 17 ff. eingehalten worden sind; und es
BGE 114 III 51 S. 53
hat unter Hinweis auf die Literatur (GILLIERON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, Lausanne 1985, S. 58 oben; JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, Zürich 1911, N. 9 zu
Art. 17 SchKG
, N. 3 zu
Art. 18 SchKG
; JAEGER, Poursuite pour dettes et faillite, Lausanne/Genève 1920, N. 3 zu
Art. 18 SchKG
, Abs. 2) der Meinung Ausdruck gegeben, dass gegebenenfalls die Aufsichtsbehörden der Frage nachzugehen hätten, wann ein Beschwerdeführer oder Rekurrent Kenntnis vom angefochtenen Entscheid bekommen hat, und dass zu diesem Zweck von den Aufsichtsbehörden die nötigen Bescheinigungen einzuholen seien.
b) Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer hat in ihrem Urteil vom 6. Juli 1988 auch auf
BGE 102 III 127
hingewiesen, wo im Leitsatz gesagt wurde, die Frage, ob eine Beschwerde rechtzeitig erhoben worden ist, müsse von der Aufsichtsbehörde auf jeden Fall dann von Amtes wegen geprüft werden, wenn es ohne weiteres als möglich erscheine, dass die Beschwerdefrist eingehalten worden ist. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt, gibt doch die Rekurskommission im angefochtenen Entscheid selber zu, dass die Beschwerdefrist im kantonalen Verfahren "eventuell als gegeben zu erachten gewesen wäre", nämlich in dem Fall, wo die Rekurrenten die erstinstanzlichen Entscheide am letzten Tag der postalischen Abholfrist entgegengenommen haben sollten. Die Rekurrenten ihrerseits behaupten, sie hätten die Entscheide des Bezirksgerichtspräsidenten von Steckborn am zweitletzten Tag der Abholfrist (6. Juli 1988, 07.45) abgeholt und betrachten damit die Einreichung des Rekurses am Montag, 18. Juli 1988, als rechtzeitig.
c) Nicht entgegenhalten kann die Rekurskommission den Rekurrenten
BGE 92 I 253
ff. Abgesehen davon, dass dieser Bundesgerichtsentscheid die Beweislast im Steuerverfahren zum Gegenstand hat, vermag auch seine Begründung bei näherer Betrachtung den Standpunkt der Rekurskommission nicht zu stützen:
Das Bundesgericht hat diesem Urteil die Beweislastregel von
Art. 8 ZGB
zugrunde gelegt, wonach die Beweislosigkeit einer Tatsache zu Ungunsten dessen ausschlägt, der aus ihrem Vorhandensein ein Recht ableitet. Es hat dann ausgeführt, der Beweis dafür, dass es überhaupt zur Zustellung der Verfügung kam, obliege der Behörde, die allein in der Lage sei, sich den Beweis dafür zu sichern. Wer die Beweislast dafür zu tragen habe, wann die Zustellung erfolgte, hänge davon ab, ob der Versand des Aktes durch die Behörde oder der Empfang derselben durch die Partei
BGE 114 III 51 S. 54
die Frist auslöse. Wörtlich heisst es dann für den Fall, dass der Beginn der Rechtsmittelfrist auf den Tag festgesetzt wird, an dem der Adressat die Verfügung erhalten hat: "Da eine Partei, der eine Verfügung uneingeschrieben zugestellt worden ist, regelmässig nicht in der Lage ist, das Empfangsdatum nachzuweisen, fällt die Beweislast für das Datum der Behörde zu, die die Beweislosigkeit durch den uneingeschriebenen Versand des Aktes verursacht hat" (
BGE 92 I 258
E. 3a).
Für den Beginn der Rekursfrist in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen ist unbestritten das Datum der Zustellung massgebend (
Art. 77 Abs. 2 OG
;
BGE 97 III 9
E. 1), also der Tag, an welchem der Rekurrent den vorinstanzlichen Entscheid erhalten hat. Die Rekurskommission behauptet nicht, dass sie von einer anderen Fristberechnung ausgehe. Sie behauptet aber auch nicht, dass den Rekurrenten die Entscheide des Bezirksgerichtspräsidenten von Steckborn eingeschrieben zugestellt worden wären, und offensichtlich steht schon gar nicht eine Zustellung nach Massgabe von
Art. 72 der Verordnung (1) zum Postverkehrsgesetz (SR 783.01)
zur Diskussion.
Damit steht fest, dass auch nach der Regel, welche das Bundesgericht in dem von der Rekurskommission zitierten Urteil aufgestellt hat, den kantonalen Aufsichtsbehörden der Beweis dafür obliegt, dass die Rekurrenten nicht rechtzeitig Beschwerde eingelegt haben.
4.
In einem Briefwechsel, den die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts im Nachgang zu ihrem Urteil vom 6. Juli 1988 mit dem Bezirksgerichtspräsidenten von Steckborn geführt hat, hat dieser - zutreffend - darauf hingewiesen, dass keine Vorschrift des Bundesrechts die kantonalen Aufsichtsbehörden verpflichte, ihre Urteile nach Massgabe von Art. 72 der Verordnung (1) zum Postverkehrsgesetz zuzustellen. Bei dieser für Gerichtsurkunden besonders vorgesehenen Zustellung wird vom Empfänger eine an den Absender zurückgehende Empfangsbestätigung verlangt. Da die Empfangsbestätigung das Datum des Empfangs der Gerichtsurkunde trägt, kann die obere Instanz aufgrund der ihr zugestellten Akten ohne weiteres feststellen, wann der angefochtene Entscheid entgegengenommen wurde; die Überprüfung der Fristwahrung bietet damit keine Schwierigkeiten.
Es bleibt aber dabei, dass von Bundesrechts wegen keine Vorschrift besteht, welche die (unteren und oberen) kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen dazu
BGE 114 III 51 S. 55
verpflichten würde, ihre Entscheide in einer postalisch ganz bestimmten Form zuzustellen (
BGE 97 III 9
E. 1). Doch obliegt es den Aufsichtsbehörden, das Datum der Zustellung ihres Entscheides zu beweisen, wenn dieses wegen einer unzweckmässigen Form der Zustellung nicht ohne weiteres festgestellt werden kann. Das entspricht der von Rechtsprechung und Literatur aufgestellten Regel, wonach die Beweislast von der Behörde zu tragen ist, wenn die Partei den Beweis der Rechtzeitigkeit aus Gründen nicht erbringen kann, die nicht von ihr, sondern von der Behörde zu verantworten sind (
BGE 92 I 257
E. 3 mit Hinweis auf
BGE 70 I 66
und KUMMER, N. 191 zu
Art. 8 ZGB
; vgl. bezüglich
Art. 34 SchKG
auch
BGE 101 III 67
E. 5).
5.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen von Amtes wegen die Wahrung der Beschwerdefrist feststellen müssen und dass sie die Beweislast für die Behauptung, eine Beschwerde sei ihnen nicht rechtzeitig zugegangen, jedenfalls in jenen Fällen tragen, wo wegen der von der unteren Aufsichtsbehörde gewählten Form der Zustellung deren Datum aus den Akten nicht ohne weiteres ersichtlich ist. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7de97ee9-7d7d-4ca0-a701-68eb9fa57acd | Urteilskopf
102 II 55
9. Arrêt de la Ire Cour civile du 17 février 1976 dans la cause Pierroz contre commune de Bex. | Regeste
Art. 43 Abs. 1, 55 Abs. 1 lit. c, 46 OG.
Unzulässigkeit der Berufung wegen Verletzung eines verwaltungsrechtlichen Vertrages, der dem kantonalen Recht untersteht (Erw. 1 und 3).
Art. 2 ZGB
beschränkt die Ausübung der Rechte, die auf der kantonalen Gesetzgebung beruhen, nicht; ob ein Gemeinwesen den Grundsatz von Treu und Glauben beim Abschluss eines verwaltungsrechtlichen Vertrages, der dem kantonalen Recht untersteht, verletzt hat, beurteilt sich nach diesem Recht (Erw. 1 am Ende, 2). | Sachverhalt
ab Seite 56
BGE 102 II 55 S. 56
A.-
Le 2 juin 1970, la Municipalité de Bex a accepté un projet de lotissement établi par René Pierroz, ayant pour objet la construction de vingt-cinq villas et des infrastructures nécessaires sur un terrain dont il était propriétaire au Châtel-sur-Bex. Le 11 février 1971, elle a passé avec Pierroz, au nom de la commune de Bex, une convention notariée fixant les "modalités d'équipement" du lotissement. Pierroz prenait à sa charge les frais de construction des égouts jusqu'à leur raccordement sur le collecteur de la route du Châtel, les nouveaux égouts devant être transférés à la commune et entretenus par elle. Il s'engageait en outre à céder gratuitement certaines bandes de terrain et à construire à ses frais une route de desserte et des voies de dévestiture, également destinées à être transférées gratuitement à la commune. Celle-ci assumait les frais de pose d'une conduite d'eau sous pression et, à l'intérieur du lotissement, d'une conduite d'eau potable, y compris toutes les bornes-hydrantes, alors que les frais de fouille et de remblaiement ainsi que les raccordements privés à la conduite d'eau communale étaient à la charge du propriétaire. L'extension du réseau d'éclairage public incombait à la commune, alors que l'éclairage à l'intérieur du lotissement devait être réalisé aux frais du propriétaire.
Bien qu'il sût que le projet nécessitait encore l'approbation du Conseil communal et du Conseil d'Etat, Pierroz a informé la Municipalité, par lettre du 12 février 1971, qu'il allait prochainement mettre en chantier les travaux d'infrastructure mis à sa charge par la convention. La Municipalité a pris acte de cette communication le 17 février. Aussitôt après, les deux parties ont fait exécuter les travaux qui leur incombaient, sans
BGE 102 II 55 S. 57
attendre l'approbation du projet par le Conseil communal et le Conseil d'Etat.
En mai 1971, la Municipalité a autorisé Pierroz à construire sept villas sur une partie du terrain, ainsi qu'un abri de protection civile d'une capacité suffisante pour douze villas. Pierroz a immédiatement entrepris la construction de ces bâtiments.
La Municipalité a soumis le plan de lotissement au Conseil communal le 7 mai 1971, avec un préavis favorable. Le 14 juillet, le Conseil communal a refusé ce projet et invité la Municipalité à revoir la question de la participation de Pierroz aux frais d'équipement.
La Municipalité a dès lors exigé une contribution supplémentaire de 50'000 fr. de Pierroz, qui a refusé. Il n'a ainsi pas obtenu l'autorisation de construire les dix-huit autres villas prévues par le projet.
B.-
Pierroz a ouvert action contre la commune de Bex en concluant, principalement, au paiement de 350'197 fr. 10 (dommages-intérêts pour travaux d'infrastructure faits en vain et perte de gain).
La Cour civile du Tribunal cantonal vaudois a rejeté ces conclusions par jugement du 23 décembre 1975.
C.-
Le demandeur recourt en réforme au Tribunal fédéral. Il conclut au paiement avec intérêt de 350'197 fr. 10, subsidiairement de 175'797 fr.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le demandeur et le Tribunal cantonal considèrent avec raison la convention du 11 février 1971 comme un contrat de droit administratif au sens de la jurisprudence et de la doctrine (RO 78 II 27, 81 I 393, 87 I 281, 93 I 509 ss, 95 I 418 ss, 99 Ib 120 consid. 2; IMBODEN, RDS 77 II 1a ss; ZWAHLEN, RDS 77 II 461a ss; GRISEL, Droit administratif suisse, p. 219 ss). Cette convention ne visait pas à régir des rapports de droit privé entre personnes placées sur pied d'égalité; elle fixait les droits et devoirs de la défenderesse, dans le cadre de l'exécution de tâches d'intérêt public (aménagement de canalisations d'égouts, approvisionnement en eau, construction et éclairage de routes) en rapport avec les constructions projetées par le demandeur sur son fonds. Comme ces tâches, les prétentions issues de la convention du 11 février 1971
BGE 102 II 55 S. 58
sont soumises au droit public cantonal. C'est selon ce droit qu'on doit juger notamment si, comme le soutient le demandeur, la Municipalité lui donnait par ladite convention "l'assurance que le plan de quartier serait admis par le Conseil". Cette interprétation de la convention, ainsi que le grief que le demandeur fait à la défenderesse d'avoir violé ses obligations contractuelles en exigeant de lui, par son Conseil communal, un versement supplémentaire de 50'000 fr., ne sauraient donc être soumis au Tribunal fédéral par la voie du recours en réforme. Celui-ci n'est en effet recevable que pour violation du droit fédéral (art. 43 al. 1, 55 al. 1 litt. c OJ; cf. par exemple RO 89 II 270). C'est à tort que le demandeur fonde ses prétentions à des dommages-intérêts positifs sur l'art. 97 CO. Les conséquences de la violation d'un contrat soumis au droit cantonal dépendent non pas de cette disposition, mais du droit cantonal. Quant à l'argument selon lequel la défenderesse aurait commis, en refusant d'approuver le projet de lotissement, un abus de pouvoir incompatible avec les règles de la bonne foi, il n'est pas non plus recevable. L'art. 2 CC limite l'exercice des droits fondés sur la législation fédérale, et non de ceux qui reposent sur des dispositions de droit cantonal (RO 44 II 445, 79 405 consid. 5, 83 II 351 consid. 3, 84 II 642, 85 II 151, 102 II 55 consid. 2).
2.
A l'appui de ses conclusions subsidiaires, qui tendent au paiement de dommages-intérêts correspondant aux frais engagés pour des travaux d'infrastructure inutiles, le demandeur fait valoir que la défenderesse "a commis, par sa Municipalité, un acte illicite, s'apparentant à une culpa in contrahendo, acte illicite qui a consisté dans les assurances fallacieuses données par elle que le plan de quartier serait approuvé par le Conseil communal". Il se prévaut du principe de la bonne foi en droit administratif découlant de l'art. 2 al. 1 CC.
L'art. 2 CC ne prescrit pas comment une collectivité doit accomplir ses tâches d'intérêt public, en particulier à l'occasion de la conclusion d'un contrat de droit administratif. Dans la mesure où le principe de la bonne foi s'applique également en droit administratif, il relève du droit public, en l'espèce du droit cantonal. C'est selon ce droit qu'il faut juger si la défenderesse a commis un acte illicite en donnant au demandeur, par sa Municipalité, des "assurances fallacieuses ... que le
BGE 102 II 55 S. 59
plan de quartier serait approuvé par le Conseil communal". Les conclusions subsidiaires du recours ne sont donc pas non plus recevables.
3.
Vu ce qui précède, le présent litige ne constitue pas une contestation civile au sens de l'art. 46 OJ.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Déclare le recours irrecevable. | public_law | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7df05075-0907-4f84-9c5e-b8f106974031 | Urteilskopf
98 IV 317
62. Urteil des Kassationshofes vom 9. November 1972 i.S. Baumberger gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. | Regeste
Art. 8 Abs. 3 VRV
.
Rechtsüberholen auf Autobahnen.
Rechtsüberholen ist nur beim Fahren in parallelen Kolonnen erlaubt. | Sachverhalt
ab Seite 317
BGE 98 IV 317 S. 317
A.-
Reinhold Baumberger fuhr am Sonntag, 24. Oktober 1971, gegen 17 Uhr mit einem Pw Fiat von Bern kommend auf der Autobahn N 1 Richtung Zürich. Es herrschte ziemlich dichter Verkehr, so dass sich zeitweise auf beiden Fahrspuren Kolonnen bildeten. Als Baumberger in der Gegend von Aarburg auf der Überholspur den Pw von Adelmeyer einholte und dieser trotz Lichtsignal die Fahrbahn nicht freigab, wechselte Baumberger auf die rechte Fahrspur. Auf dieser fuhr er am Pw Adelmeyer vorbei und bog später, als er auf ein langsamer fahrendes Fahrzeug aufschloss, wieder nach links in die Überholspur aus.
B.-
Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte Baumberger am 26. September 1972 wegen Widerhandlung gegen das Verbot des Rechtsüberholens (
Art. 35 Abs. 1 SVG
in Verbindung mit
Art. 36 Abs. 5 VRV
) zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 80.-.
C.-
Der Gebüsste führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils, damit die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückgewiesen werde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Wie der Kassationshof in
BGE 95 IV 86
mit ausführlicher Begründung entschieden hat, gilt die Regel, dass in der gleichen Richtung fahrende Fahrzeuge grundsätzlich links überholt
BGE 98 IV 317 S. 318
werden müssen, auch auf Autobahnen. Dementsprechend darf auch auf diesen Strecken nur in den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen rechts vorgefahren werden. Als wichtigste Ausnahme kommt auf Autobahnen das Fahren in parallelen Kolonnen in Betracht. Bei dichten Kolonnen auf beiden Fahrspuren darf die rechte Kolonne, wenn die linke vorübergehend langsamer fährt, ihre Geschwindigkeit beibehalten und gemäss
Art. 8 Abs. 3 Satz 1 VRV
an den Fahrzeugen der linken Kolonne rechts vorfahren. Das gilt grundsätzlich auch, wenn sich auf beiden Spuren nur kürzere Kolonnen bilden, zwischen denen Abstände von einigen hundert Metern bestehen. Muss eine auf der Überholspur sich bewegende Gruppe von Fahrzeugen ihre Geschwindigkeit zeitweise vermindern, ohne dass eines dieser Fahrzeuge in die rechte Spur einbiegt, so darf eine auf der rechten Spur nahende Kolonne ihre Fahrt fortsetzen, auch wenn sie dadurch die linke Kolonne rechts überholt. Voraussetzung ist jedoch, dass der Führer des vordersten Fahrzeuges der rechten Kolonne die gebotene Vorsicht und Aufmerksamkeit anwendet und nach den Umständen annehmen darf, dass die zu überholenden Fahrzeuge auf der Überholspur bleiben. Ausser beim Fahren in parallelen Kolonnen ist aber Rechtsüberholen aus Gründen der Verkehrssicherheit unter allen Umständen unzulässig. Insbesondere darf weder im Einzelverkehr noch beim Fahren in lockeren Kolonnen von der Überholspur auf die rechte Spur gewechselt werden, um dort einem auf der Überholspur eingeholten Fahrzeug rechts vorzufahren, und zwar auch dann nicht, wenn der Lenker des eingeholten Fahrzeuges die Möglichkeit gehabt hätte, auf die rechte Spur einzubiegen, um die Überholspur freizugeben (
BGE 95 IV 90
).
2.
Ein solches verbotenes Rechtsüberholmanöver hat der Beschwerdeführer ausgeführt. Als er auf der Überholspur auf den langsamer fahrenden Wagen von Adelmeyer aufschloss, der trotz Lichtsignal die Spur nicht freigab, schwenkte er auf die rechte Fahrspur und überholte dort das Fahrzeug Adelmeyer. Entgegen seiner Behauptung kann sich der Beschwerdeführer nicht darauf berufen, dass er in parallelen Kolonnen gefahren sei. Wie aus den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hervorgeht, hat er sich nach dem Spurwechsel nicht in eine Kolonne eingeordnet und ist auch nicht infolge zeitweise grösserer Geschwindigkeit der rechten Kolonne an den Fahrzeugen auf der Überholspur vorbeigefahren; er benützte vielmehr eine grössere
BGE 98 IV 317 S. 319
Lücke auf der rechten Spur, um auf dieser als Einzelfahrer das Fahrzeug Adelmeyer rechts zu überholen und rascher voranzukommen. Er hat denn auch, als er nach einigen hundert Metern auf der rechten Spur ein anderes Fahrzeug einholte, wiederum auf die linke Spur gewechselt, um auch dieses Fahrzeug zu überholen. Der Beschwerdeführer ist daher zu Recht wegen Widerhandlung gegen das Verbot des Rechtsüberholens bestraft worden.
Im vorliegenden Falle ist nicht festgestellt, ob es dem Führer des Fahrzeuges Adelmeyer möglich war, die Überholspur freizugeben, oder ob er seiner Verpflichtung zum Ausweichen (
Art. 35 Abs. 7 SVG
) aus Bequemlichkeit oder bösem Willen nicht nachgekommen ist. Wäre letzteres der Fall gewesen, hätte sich auch dieser Fahrzeugführer strafbar gemacht.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7df0c78b-5985-4169-977e-6d7702fdab92 | Urteilskopf
114 V 13
5. Arrêt du 16 mars 1988 dans la cause Office fédéral des assurances sociales contre M. et Commission fédérale de recours en matière d'AVS/AI pour les personnes résidant à l'étranger | Regeste
Art. 4 Abs. 1 BV
, Art. 6 Abs. 1 und 9 Abs. 2 IVG: Versicherungsklausel; Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen im Ausland.
Die versicherungsmässigen Voraussetzungen müssen bei Eintritt der Invalidität erfüllt sein.
Dagegen ist nicht erforderlich, dass sie während der Gewährung der Leistungen weiterbestehen.
Im Falle eines minderjährigen Auslandschweizers, dessen Vater oder Mutter die Versicherteneigenschaft verloren hat, hat die Invalidenversicherung Eingliederungsmassnahmen im Ausland zu erneuern, sofern es sich um gleichartige Massnahmen wie ursprünglich verfügt handelt und sofern sie den gleichen Versicherungsfall betreffen.
In diesem Punkt verstossen die Verwaltungsweisungen zur freiwilligen Versicherung für Auslandschweizer gegen Gesetz und Verfassung. | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 114 V 13 S. 14
A.-
Lorenz M., né en 1975, ressortissant suisse, atteint d'une paralysie cérébrale congénitale, a bénéficié dès son plus jeune âge de prestations de l'assurance-invalidité. A la suite du départ de Suisse de la famille M., en 1979, la Caisse suisse de compensation a continué à allouer à l'assuré, jusqu'au 31 décembre 1985, les mesures médicales fondées sur l'
art. 13 LAI
, tant en Suisse qu'à l'étranger, ainsi que les moyens auxiliaires, à acheter si possible en Suisse.
Par lettre du 5 décembre 1985, Niklaus M., père de l'assuré, a sollicité la prolongation de ces mesures de réadaptation. Se fondant sur un prononcé présidentiel de la Commission de l'assurance-invalidité pour les assurés à l'étranger, du 19 septembre 1986, la Caisse suisse de compensation, par décision du 1er octobre 1986, a prolongé jusqu'au 31 décembre 1991 le droit de Lorenz M. aux mesures médicales appliquées en Suisse et aux moyens auxiliaires qui y seront achetés, et refusé d'allouer des mesures de réadaptation à l'étranger, la condition d'assurance n'étant plus remplie, faute d'assujettissement du père ou de la mère à l'assurance-vieillesse et invalidité suisse depuis 1980.
B.-
Lorenz M., représenté par son père, a recouru contre cette décision devant la Commission fédérale de recours en matière d'AVS/AI pour les personnes résidant à l'étranger, en concluant implicitement à l'annulation de celle-ci et à la prise en charge des mesures de réadaptation à l'étranger.
Par jugement du 19 mai 1987, la commission précitée a admis le recours et renvoyé la cause à la Caisse suisse de compensation pour instruction complémentaire. En bref, elle a considéré que, certes, selon les instructions de l'Office fédéral des assurances
BGE 114 V 13 S. 15
sociales (OFAS), l'octroi de mesures de réadaptation à l'étranger était subordonné à l'assujettissement du père ou de la mère du mineur à l'AVS/AI pendant toute la durée des prestations servies; que, toutefois, ceci revenait à exiger le maintien de la qualité d'assuré postérieurement au moment de la survenance de l'invalidité, ce qui n'était pas prévu par l'art. 9 al. 2 seconde phrase LAI; que, compte tenu du texte clair de la loi, cette condition supplémentaire était dépourvue de base légale et donc inapplicable; enfin, qu'une instruction complémentaire était nécessaire sur le point de savoir si les circonstances personnelles et les chances de succès justifiaient l'allocation des mesures sollicitées.
C.-
L'OFAS interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont il demande l'annulation, motif pris que la loi est entachée d'une pure lacune, dans la mesure où elle ne règle pas le point de savoir si le père ou la mère du mineur ressortissant suisse résidant à l'étranger doit être assuré pendant toute la durée du droit aux mesures de réadaptation, et que le ch. m. 125a du supplément 2 à ses directives concernant l'assurance facultative des ressortissants suisses résidant à l'étranger comble cette lacune dans le sens voulu par le législateur.
Le père de l'assuré n'a pas répondu en temps utile. De son côté, la Caisse suisse de compensation propose l'admission du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Aux termes de l'
art. 9 al. 2 LAI
, les ressortissants suisses, mineurs, qui ont leur domicile civil à l'étranger ont droit aux mesures de réadaptation comme les assurés, à la condition qu'ils résident en Suisse. Les mineurs dont le père ou la mère est assuré au moment de la survenance de l'invalidité peuvent prétendre de telles mesures exceptionnellement aussi à l'étranger, lorsque les circonstances personnelles et les chances de succès le justifient.
b) Selon le ch. m. 125a du supplément 2 aux directives de l'OFAS concernant l'assurance facultative des ressortissants suisses résidant à l'étranger, valable dès le 1er janvier 1986, les mesures de réadaptation ne peuvent être renouvelées que si le requérant est encore assuré au moment de leur renouvellement.
c) Les directives de l'OFAS sont des instructions données par l'autorité de surveillance aux organes d'application de l'assurance
BGE 114 V 13 S. 16
sur la façon dont ils doivent exercer leurs compétences. Destinées à assurer une application uniforme des prescriptions légales par l'administration, de telles instructions n'ont d'effet qu'à l'égard de cette dernière. Elles ne créent pas de nouvelles règles de droit et ne peuvent contraindre les administrés à adopter un certain comportement, actif ou passif. Non publiées au recueil officiel des lois fédérales, ces directives donnent le point de vue d'un organe de l'Etat sur l'application des règles de droit et non pas une interprétation contraignante de celles-ci. Sans se prononcer sur leur validité car, ne constituant pas des décisions, elles ne peuvent être attaquées en tant que telles, le juge en contrôle librement la constitutionnalité et la légalité, à l'occasion de l'examen d'un cas concret. Il ne s'en écarte toutefois que dans la mesure où elles établissent des normes qui ne sont pas conformes aux dispositions légales applicables (
ATF 113 V 21
,
ATF 110 V 267
et s.,
ATF 107 V 155
consid. 2b, et les références).
2.
a) (Interprétation de la loi; voir
ATF 113 V 152
consid. 3a.)
b) Ainsi que la Cour de céans l'a exposé dans l'
ATF 111 V 115
consid. 4c, l'
art. 9 al. 2 LAI
régit un état de fait bien particulier, à savoir le cas des mineurs, ressortissants suisses et domiciliés à l'étranger. A cet égard, l'art. 9 al. 2 seconde phrase LAI est clair: il concerne les mineurs dont le père ou la mère est assuré au moment de la survenance de l'invalidité. Il s'agit là, comme le relève à juste titre l'OFAS, d'une condition de la naissance du droit du mineur à des mesures de réadaptation à l'étranger.
Cependant, on ne saurait suivre l'OFAS dans son raisonnement, selon lequel la volonté du législateur, telle qu'elle résulte des travaux préparatoires, est que les ressortissants suisses résidant à l'étranger ne peuvent bénéficier de mesures de réadaptation que s'ils sont assurés dans le cadre de l'assurance facultative. En effet, l'art. 9 al. 2 deuxième phrase LAI a été introduit par la novelle du 5 octobre 1967, en vigueur depuis le 1er janvier 1968. Dans son message à l'Assemblée fédérale du 27 février 1967, relatif à un projet de loi modifiant la loi sur l'assurance-invalidité, le Conseil fédéral a motivé l'introduction de cette norme par le fait que la Commission fédérale d'experts pour la révision de l'assurance-invalidité, sur la base de différentes requêtes visant à assouplir l'art. 9 al. 3 (actuellement al. 2 première phrase) LAI en faveur des enfants de Suisses à l'étranger, assurés à titre obligatoire ou facultatif, était arrivée à la conclusion que les enfants invalides d'assurés suisses
BGE 114 V 13 S. 17
vivant à l'étranger devraient exceptionnellement pouvoir bénéficier de mesures de réadaptation à l'étranger, lorsque les circonstances personnelles et les chances de succès le justifient (FF 1967 I 695). Or, bien que le Conseil fédéral et la commission d'experts, dans son rapport du 1er juillet 1966, parlent d'"assurés", ceci ne signifie pas que la qualité d'assuré doit subsister durant l'allocation des prestations, s'agissant de Suisses à l'étranger. Sur ce point, l'introduction de l'art. 9 al. 2 seconde phrase LAI doit être rapprochée de la modification de l'
art. 6 al. 1 LAI
par la novelle du 5 octobre 1967. Avant d'être modifiée, en effet, cette dernière norme disposait qu'il fallait être assuré pour avoir droit aux prestations, de sorte que, comme l'indique le Conseil fédéral dans le message précité (FF 1967 I 692), cela supposait non seulement que le requérant fût assuré au moment de la survenance de l'invalidité, mais encore qu'il le demeurât pendant toute la durée d'octroi des prestations (condition d'assurance). En revanche, l'art. 6 al. 1 première phrase LAI, en vigueur depuis le 1er janvier 1968, prescrit que les ressortissants suisses, les étrangers et les apatrides ont droit aux prestations conformément aux dispositions ci-après, s'ils sont assurés lors de la survenance de l'invalidité. A cet égard, le Conseil fédéral, dans le message précité, a motivé cette modification par le fait que, selon la commission d'experts, la condition d'assurance devait être assouplie, de manière à permettre la continuation du versement de la rente acquise même si l'ayant droit perdait sa qualité d'assuré, la circonstance que le Suisse à l'étranger était quelque peu favorisé par rapport aux Suisses restés au pays, vu qu'il n'avait pas à payer de cotisations AVS/AI durant l'octroi de la prestation, n'étant pas un argument majeur (FF 1967 I 693).
Aussi, l'obligation d'être assuré lors de la survenance de l'invalidité doit-elle être interprétée de manière restrictive, en ce sens qu'elle n'implique pas le maintien de la qualité d'assuré durant l'allocation des prestations. De plus, l'art. 9 al. 2 seconde phrase LAI, dans son sens littéral, ne conduit pas à des solutions manifestement insoutenables, contraires à la volonté du législateur. En effet, il en va du droit à des mesures de réadaptation à l'étranger du mineur ressortissant suisse, domicilié à l'étranger, dont le père ou la mère, assuré au moment de la survenance de l'invalidité, a perdu cette qualité, comme du droit à une rente d'invalidité du Suisse à l'étranger qui n'est plus assuré. Le contraire serait du reste incompatible avec le principe constitutionnel de l'égalité des assurés devant la loi.
BGE 114 V 13 S. 18
Il s'ensuit que l'art. 9 al. 2 deuxième phrase LAI n'est pas entaché d'une pure lacune (cf. sur cette notion
ATF 113 V 12
consid. 3c et les références). Par ailleurs, le ch. m. 125a du supplément 2 aux directives de l'OFAS concernant l'assurance facultative des ressortissants suisses résidant à l'étranger est contraire à la loi et à la Constitution. En effet, les conditions d'assurance devant être remplies au moment de la survenance de l'invalidité, le renouvellement des mesures de réadaptation incombe à l'assurance-invalidité, dans la mesure où elles sont du même genre que celles octroyées à l'origine et concernent le même cas d'assurance (
ATF 108 V 63
consid. 2b in fine).
3.
Il est constant que les parents de l'intimé étaient assurés lors de la survenance de son invalidité (v. sur cette notion
ATF 111 V 113
consid. 3d et 121 consid. 1d, et les références), dès lors qu'ils avaient leur domicile en Suisse (
art. 1er al. 1 let. a LAVS
en relation avec l'
art. 1er LAI
).
Toutefois, en l'état du dossier, la Cour de céans ne saurait vérifier si l'intimé a droit à des mesures de réadaptation à l'étranger. En effet, on doit admettre, avec le premier juge, que l'administration devra procéder à une instruction complémentaire sur le point de savoir si la condition - cumulative - relative aux circonstances personnelles et aux chances de succès est remplie.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7df2cc71-a700-4940-b5a3-52bbb94d2380 | Urteilskopf
108 II 85
16. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 6 mai 1982 dans la cause dame G. contre C. (recours en réforme) | Regeste
Art. 106 SchKG
, 177 Abs. 1 und 248 Abs. 1 ZGB. Arrestierung eines Geldbetrages, den der Schuldner schenkungsweise auf das Bankkonto seiner Ehefrau einbezahlt hat. Gutheissung der von der Ehefrau erhobenen Widerspruchsklage.
Damit eine Schenkung des Ehemannes an die Ehefrau Dritten entgegengehalten werden kann, bedarf es keiner Eintragung in das Güterrechtsregister (Änderung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 86
BGE 108 II 85 S. 86
Extrait des considérants:
3.
a) Il est constant que, le 8 août 1973, G. a fait donation à son épouse de la somme de 200'000 dollars, qu'il a versée au compte ouvert à dame G. auprès du Crédit Lyonnais, à Genève.
b) Aux termes de l'
art. 177 al. 1 CC
, tous actes juridiques sont permis entre époux. Cependant, selon l'alinéa 2 de cette disposition, leurs actes juridiques relatifs aux apports de la femme ou aux biens de la communauté ne sont valables que s'ils ont été approuvés par l'autorité tutélaire. Les donations faites par le mari à la femme ne sont pas soumises à cette exigence (
ATF 47 II 117
/118 consid. 1). L'autorité cantonale l'admet en l'espèce. Elle considère en outre, avec raison, que l'
art. 188 al. 1 CC
, selon lequel les liquidations entre époux ne peuvent soustraire à l'action des créanciers d'un conjoint ou de la communauté les biens sur lesquels ils pouvaient exercer leurs droits, n'est pas applicable aux donations entre époux, car la donation en elle-même ne constitue pas une liquidation entre époux (
ATF 61 II 316
/317 consid. 1).
En revanche, se fondant sur un principe énoncé dans l'arrêt
ATF 47 II 118
consid. 1, la Cour de justice estime que les donations du mari à la femme ne sont opposables aux tiers que si les prescriptions de l'
art. 248 al. 1 CC
sauvegardant les droits des tiers ont été observées, savoir si ces donations ont été inscrites au registre des régimes matrimoniaux. Dès lors, dit-elle, faute d'une telle inscription, la donation litigieuse n'est pas opposable aux intimées et la revendication de dame G. sur le compte séquestré doit être rejetée.
c) Dans
ATF 47 II 118
consid. 1, le Tribunal fédéral s'exprime brièvement, presque incidemment, sans avancer de motif à l'appui de son opinion. Le passage du commentaire de EGGER (1re éd.) auquel il se réfère (n. 4 b ad
art. 177 CC
) ne fait pas allusion à l'
art. 248 CC
. Quand elle ne critique pas cette jurisprudence, la doctrine se borne, le plus souvent, à la citer (cf. HOMBERGER, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 2e éd., p. 76/77; TUOR/SCHNYDER, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 9e éd.,
BGE 108 II 85 S. 87
p. 171). ROSSEL ET MENTHA (Manuel du droit civil suisse, 2e éd., I p. 406 n. 1) estiment que les
art. 177 al. 2 et 248 CC
ne s'appliquent pas nécessairement aux mêmes actes, "la ratio legis n'étant point pareille dans les deux éventualités". Mais cette interprétation est incompatible avec le texte légal, notamment dans sa version allemande: pour définir les actes juridiques entre époux qui doivent être inscrits au registre des régimes matrimoniaux, l'
art. 248 al. 1 CC
reprend presque mot à mot les termes de l'
art. 177 al. 2 CC
(LEMP, n. 83 ad
art. 248 CC
). Comme l'ont démontré GAMPERT (Les actes juridiques entre époux. Etude de l'article 177 du Code civil suisse, thèse Lausanne 1924, p. 116/117) et LEMP (n. 83-84 ad
art. 248 CC
), il n'y a pas de raison d'étendre la sphère d'application de l'
art. 248 CC
au-delà de celle de l'
art. 177 al. 2 CC
. En principe, les époux sont libres de contracter entre eux. Mesures d'exception, les dispositions qui établissent des règles exorbitantes du droit commun doivent être interprétées limitativement. Les intérêts des créanciers sont suffisamment sauvegardés par l'
art. 188 CC
et par les
art. 285 ss LP
(cf. LEMP, n. 81 ad
art. 248 CC
).
La jurisprudence d'
ATF 47 II 118
consid. 1 est d'ailleurs restée isolée. Dans un arrêt postérieur (
ATF 74 II 75
consid. 2), le Tribunal fédéral a dit que, dans le cadre du régime légal de l'union des biens, la donation à la femme des revenus de ses apports (aussi longtemps que la jouissance lui est abandonnée) n'a pas besoin, pour être opposable aux tiers, du consentement de l'autorité tutélaire selon l'
art. 177 al. 2 CC
, ni de l'inscription au registre des régimes matrimoniaux en vertu de l'
art. 248 al. 1 CC
: en effet, une telle donation concerne des valeurs qui appartiennent au mari de par la loi et qui n'augmentent le patrimoine de la femme que par le fait même de la donation. Ce qui est dit dans cet arrêt vaut pour toute donation faite par le mari à la femme.
d) Dès lors que les sommes encore actuellement déposées sur le compte séquestré proviennent d'une donation régulière et que cette donation pouvait se faire librement, la revendication de la recourante apparaît fondée. | public_law | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7df3350a-53aa-4068-a26d-59e0d7cdccb9 | Urteilskopf
123 V 262
47. Arrêt du 5 décembre 1997 dans la cause A. contre Les Retraites Populaires, Lausanne, et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 23 BVG
: Versicherungsprinzip.
- Beitritt eines Arbeitnehmers zu einer Vorsorgeeinrichtung, während er Bezüger einer halben Rente der Invalidenversicherung war. Verschlechterung des vorbestandenen Gesundheitszustandes, welche zur Begründung einer ganzen Rente der Invalidenversicherung führte.
- Verneinung eines Anspruchs auf Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge, weil dies dem Versicherungsprinzip widersprechen würde. | Sachverhalt
ab Seite 262
BGE 123 V 262 S. 262
A.-
A. a exploité un atelier de mécanique, en qualité d'indépendant, à partir du 1er novembre 1984; il a renoncé à s'affilier à une institution de prévoyance. En raison de l'apparition d'une tumeur au cerveau, sa capacité de travail a été réduite dès le 1er avril 1988. Aussi la Caisse cantonale vaudoise de compensation lui a-t-elle alloué une demi-rente de
BGE 123 V 262 S. 263
l'assurance-invalidité dès le 1er avril 1989, par décision du 2 février 1990.
Depuis le 1er janvier 1994, le prénommé est employé du garage A. et S. et affilié aux Retraites Populaires au titre de la prévoyance professionnelle obligatoire. A la suite d'une aggravation, en l'occurrence une récidive de sa maladie, il est devenu totalement incapable de travailler depuis le 9 mai 1994. Par décision du 31 octobre 1994, la caisse de compensation l'a mis au bénéfice d'une rente entière d'invalidité, à compter du 1er août 1994.
A. a demandé aux Retraites Populaires de lui servir une pension d'invalidité selon la LPP. L'institution a refusé, au motif que le cas d'assurance était antérieur à l'affiliation à cette institution de prévoyance.
B.-
Le 24 février 1995, A. a ouvert action devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud en concluant à ce que les Retraites Populaires fussent condamnées à lui payer une rente d'invalidité d'un montant annuel de 6919 fr. 80 dès le 1er août 1994.
Par jugement du 13 mars 1996, la Cour cantonale a rejeté la demande.
C.-
A. interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont il requiert l'annulation, avec suite de dépens, en reprenant ses conclusions formulées en première instance.
L'institution de prévoyance intimée conclut au rejet du recours, ce que propose également l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS).
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Ont droit à des prestations d'invalidité les invalides qui étaient assurés lors de la survenance de l'incapacité de travail dont la cause est à l'origine de l'invalidité (art. 23, 2e partie de la phrase, LPP). Selon la jurisprudence, l'événement assuré au sens de l'
art. 23 LPP
est uniquement la survenance d'une incapacité de travail d'une certaine importance, indépendamment du point de savoir à partir de quel moment et dans quelle mesure un droit à une prestation d'invalidité est né. La qualité d'assuré doit exister au moment de la survenance de l'incapacité de travail, mais pas nécessairement lors de l'apparition ou de l'aggravation de l'invalidité. Cette interprétation littérale est conforme au sens et au but de la disposition légale en cause, laquelle vise à faire bénéficier de l'assurance le salarié qui, après une maladie d'une certaine durée, devient invalide alors qu'il n'est plus partie à un contrat de travail. Lorsqu'il
BGE 123 V 262 S. 264
existe un droit à une prestation d'invalidité fondée sur une incapacité de travail survenue durant la période d'assurance, l'institution de prévoyance concernée est tenue de prendre en charge le cas, même si le degré d'invalidité se modifie après la fin des rapports de prévoyance. Dans ce sens, la perte de la qualité d'assuré ne constitue pas un motif d'extinction du droit aux prestations au sens de l'
art. 26 al. 3 LPP
(
ATF 118 V 45
consid. 5; RSAS 1997 p. 549 consid. 3b, 1994 p. 471 consid. 5a).
b) Comme cela ressort du texte de l'
art. 23 LPP
, les prestations sont dues par l'institution de prévoyance à laquelle l'intéressé est - ou était - affilié au moment de la survenance de l'événement assuré. Dans la prévoyance obligatoire, ce moment ne coïncide pas avec la naissance du droit à la rente de l'assurance-invalidité selon l'
art. 29 al. 1 let. b LAI
, mais il correspond à la survenance de l'incapacité de travail dont la cause est à l'origine de l'invalidité. Sinon, il subsisterait dans bien des cas des lacunes dans la couverture d'assurance, notamment lorsque l'employeur - en raison justement de la maladie - résilie les rapports de travail avant l'écoulement de la période de carence d'une année instituée par l'
art. 29 al. 1 let. b LAI
. Ainsi donc, pour que la protection d'assurance découlant du deuxième pilier ne soit pas dépourvue de son efficacité, le risque d'invalidité doit également être couvert lorsqu'il survient après une longue maladie, et cela indépendamment du maintien de la couverture légale d'assurance; si l'institution de prévoyance a déjà effectué le transfert de la prestation de libre passage, elle n'est pas, pour autant, libérée de l'obligation éventuelle de verser ensuite une rente d'invalidité. Les mêmes principes sont applicables en matière de prévoyance plus étendue, à tout le moins en l'absence de dispositions réglementaires ou statutaires contraires (
ATF 120 V 116
sv. consid. 2b, citant notamment l'arrêt
ATF 118 V 98
consid. 2b, et les références).
c) L'
art. 23 LPP
a donc aussi pour but de délimiter les responsabilités entre institutions de prévoyance, lorsque le travailleur, déjà atteint dans sa santé dans une mesure propre à influer sur sa capacité de travail, entre au service d'un nouvel employeur (en changeant en même temps d'institution de prévoyance) et est mis au bénéfice, ultérieurement, d'une rente de l'assurance-invalidité: le droit aux prestations ne découle pas du nouveau rapport de prévoyance; les prestations d'invalidité sont dues par l'ancienne institution, auprès de laquelle l'intéressé était assuré lorsque est survenue l'incapacité de travail à l'origine de l'invalidité.
BGE 123 V 262 S. 265
Cependant, pour que l'ancienne institution de prévoyance reste tenue à prestations, il faut non seulement que l'incapacité de travail ait débuté à une époque où l'assuré lui était affilié, mais encore qu'il existe entre cette incapacité de travail et l'invalidité une relation d'étroite connexité; dans ce cas seulement, la nouvelle institution est libérée de toute obligation de verser une rente.
La connexité doit être à la fois matérielle et temporelle. Il y a connexité matérielle si l'affection à l'origine de l'invalidité est la même que celle qui s'est déjà manifestée durant l'affiliation à la précédente institution de prévoyance (et qui a entraîné une incapacité de travail). La connexité temporelle implique qu'il ne se soit pas écoulé une longue interruption de l'incapacité de travail; elle est rompue si, pendant une certaine période, l'assuré est de nouveau apte à travailler. L'ancienne institution de prévoyance ne saurait, en effet, répondre de rechutes lointaines ou de nouvelles manifestations de la maladie plusieurs années après que l'assuré a recouvré sa capacité de travail. Mais une brève période de rémission ne suffit pas pour interrompre le rapport de connexité temporelle. On ne saurait considérer qu'une interruption de trente jours consécutifs suffit déjà pour fonder la responsabilité de la nouvelle institution de prévoyance, du moins lorsqu'il est à prévoir que la diminution ou la disparition des symptômes de la maladie sera de courte durée. Cette interprétation de la loi restreindrait de manière inadmissible la portée de l'
art. 23 LPP
, notamment dans le cas d'assurés qui ne retrouvent pas immédiatement un emploi et qui, pour cette raison, ne sont plus affiliés à aucune institution de prévoyance. D'ailleurs, si l'on voulait s'inspirer des règles en matière d'assurance-invalidité, on devrait alors envisager une durée minimale d'interruption de l'activité de travail de trois mois, conformément à l'
art. 88a al. 1 RAI
: selon cette disposition, si la capacité de gain d'un assuré s'améliore ou que son impotence s'atténue, il y a lieu de considérer que ce changement supprime, le cas échéant, tout ou partie de son droit aux prestations dès qu'on peut s'attendre à ce que l'amélioration constatée se maintienne durant une assez longue période; il en va de même lorsqu'un tel changement déterminant a duré trois mois déjà, sans interruption notable et sans qu'une complication prochaine soit à craindre (
ATF 120 V 117
sv. consid. 2c/aa et les références).
2.
a) Selon l'
art. 2 al. 1 LPP
(en corrélation avec le ch. I de l'Ordonnance 97 sur l'adaptation des montants-limites de la prévoyance professionnelle; RO 1996 3037), sont soumis à l'assurance obligatoire les salariés qui ont plus de 17 ans et reçoivent d'un même employeur un salaire
BGE 123 V 262 S. 266
annuel supérieur à 23'880 francs L'assurance obligatoire commence en même temps que les rapports de travail (
art. 10 al. 1 LPP
).
L'
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2 prévoit cependant que les personnes invalides au sens de l'AI à raison des deux tiers au moins ne sont pas soumises à l'assurance obligatoire. Elles ne peuvent pas non plus, contrairement à d'autres salariés exemptés de l'assurance (art. 1er al. 1 let. a, b, c et e OPP 2) être affiliées à titre facultatif selon la LPP (
art. 1er al. 3 et 4 OPP 2
a contrario). Cette exclusion a été décidée par le Conseil fédéral sur la base de l'
art. 2 al. 2 LPP
, selon lequel l'autorité exécutive "définit les catégories de salariés qui, pour des motifs particuliers, ne sont pas soumis à l'assurance obligatoire" (
ATF 118 V 164
consid. 4a et les références).
b) Les motifs qui sont à la base de l'
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2 ont été exposés par l'OFAS dans son commentaire du projet d'OPP 2, du mois d'août 1983. Certaines personnes invalides à raison des deux tiers au moins ont encore la possibilité, par la mise en valeur de leur capacité résiduelle de gain, de réaliser un salaire supérieur à la limite de coordination de 23'880 francs (il était à l'époque prévu que la limite serait de 16'560 francs). De telles personnes, déjà au bénéfice d'une rente entière de l'assurance-invalidité (
art. 28 al. 1 LAI
), pourraient ainsi prétendre une rente entière de l'institution de prévoyance (
art. 24 LPP
). Il s'est donc agi d'éviter qu'une institution de prévoyance ne doive fournir des prestations pour un cas d'assurance survenu antérieurement à l'affiliation. Il eût été contraire, en effet, à un principe fondamental en matière d'assurances de couvrir un risque déjà réalisé.
La clause de délégation de l'
art. 2 al. 2 LPP
confère un très large pouvoir d'appréciation au Conseil fédéral pour déterminer quelles catégories d'assurés doivent être exclus de l'assurance obligatoire. En outre, le principe fondamental susmentionné n'est aucunement étranger à l'esprit et au but d'une assurance obligatoire (cf. par analogie l'
art. 6 al. 1 LAI
). On ne saurait, par conséquent, taxer d'illégale la solution adoptée par le Conseil fédéral. Cette solution n'est du reste pas critiquée en doctrine; certains auteurs en prennent acte sans la commenter; d'autres se réfèrent, sans autres développements, aux explications de l'OFAS (
ATF 118 V 164
sv. consid. 4c et les références).
c) A l'inverse, l'
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2 ne permet pas d'exclure de l'assurance obligatoire des personnes qui ont été frappées d'une invalidité des deux tiers au moins et qui, ultérieurement, ont recouvré - et mis à
BGE 123 V 262 S. 267
profit - leur capacité de gain (cf.
art. 14 al. 4 OPP 2
). Il en est de même des invalides de naissance ou précoces qui parviennent, par suite de disparition ou de diminution de l'invalidité, à s'insérer dans la vie professionnelle. On rappellera à cet égard que, dans l'assurance obligatoire des salariés en vertu de la LPP, les institutions de prévoyance n'ont pas le droit d'instaurer des réserves qui seraient justifiées par un état de santé déficient de leurs assurés, de telles réserves étant en revanche admissibles dans le domaine de la prévoyance plus étendue, ainsi qu'en matière de prévoyance facultative.
Pour que l'on puisse considérer que la capacité de gain d'une personne jusqu'alors invalide s'est améliorée dans une mesure permettant un assujettissement à l'assurance obligatoire (pour les personnes à demi invalides au sens de la LAI, les montants-limites fixés aux art. 2, 7, 8 et 46 LPP sont réduits de moitié;
art. 4 OPP 2
), il est nécessaire que cette amélioration ait été d'une certaine durée et qu'aucune aggravation prochaine ne soit à craindre. Sinon, même dans le cas d'atteintes à la santé irréversibles, un engagement temporaire ou une simple tentative de réadaptation, durant une courte période de rémission de la maladie, suffirait à entraîner une affiliation à l'assurance et, partant, le droit à des prestations d'invalidité de l'institution de prévoyance. Cette conséquence contredirait à l'évidence le but recherché par l'
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2. On ne saurait au surplus admettre que l'amélioration est réputée durable dès qu'elle a duré trois mois sans interruption notable, comme le prévoit l'
art. 88a al. 1 RAI
- encore que cette disposition réserve expressément l'hypothèse où une complication prochaine est à craindre. Ce délai de trois mois au-delà duquel la rente de l'assurance-invalidité doit, en principe, être réduite ou supprimée ne peut être appliqué schématiquement quand il s'agit de décider de l'assujettissement d'une personne à la LPP. Pour trancher cette question, on tiendra compte, bien plutôt, des circonstances du cas particulier, notamment de la nature de l'affection, du pronostic du médecin et des motifs qui ont conduit à l'engagement de l'intéressé. Aussi ne saurait-on conclure au rétablissement de la capacité de gain d'une personne invalide lorsqu'une tentative de réinsertion professionnelle, d'une durée même supérieure à trois mois, est essentiellement motivée par des considérations d'ordre social et qu'il apparaît improbable qu'elle aboutisse à une véritable réadaptation (
ATF 118 V 166
sv. consid. 4e et les références).
3.
a) Ainsi que les premiers juges l'ont fait observer, il ne s'agit pas de déterminer quelle institution de prévoyance répond en l'espèce du cas
BGE 123 V 262 S. 268
d'assurance (cf. les arrêts
ATF 120 V 112
,
ATF 118 V 35
, 95, 158 et RSAS 1994 p. 469), mais de décider si l'aggravation de l'incapacité de gain peut donner lieu à des prestations d'invalidité selon la LPP, alors que le recourant n'était pas assuré lors de la survenance de l'invalidité initiale. Dès lors, la jurisprudence régissant la répartition de la responsabilité entre institutions de prévoyance en cas de passage de l'une à l'autre s'applique-t-elle par analogie?
b) En l'occurrence, les juges cantonaux ont admis, à juste titre, que le recourant pouvait être affilié à l'institution de prévoyance intimée à l'époque où avait débuté son activité auprès du garage A. et S., le 1er janvier 1994, car son degré d'invalidité n'était alors que de 50% (
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2;
ATF 118 V 164
ss consid. 4). Ils ont ensuite examiné le point de savoir si la condition d'assurance était réalisée; tel aurait été le cas si le demandeur avait été assuré en vertu de la LPP lors de la survenance de l'incapacité de travail dont la cause est à l'origine de l'invalidité (
ATF 118 V 98
sv. consid. 2b). En outre, ils ont retenu, à juste titre, qu'on était en présence de l'aggravation d'une atteinte préexistante, et non d'une nouvelle affection.
A la lumière des principes développés dans l'arrêt
ATF 118 V 45
consid. 5 (confirmé in
ATF 118 V 98
sv. consid. 2b et RSAS 1997 p. 547 ss, 1994 p. 469) et en transposant au présent cas la jurisprudence de l'arrêt
ATF 120 V 112
, les premiers juges ont considéré que si le recourant avait été salarié jusqu'au 31 décembre 1993, c'est l'ancienne institution de prévoyance à laquelle il aurait, par hypothèse, été affilié jusqu'à cette date qui aurait eu à répondre du cas d'assurance; en d'autres termes, la responsabilité de la seconde institution aurait été exclue. Or, ont-ils poursuivi, cette exclusion doit aussi s'appliquer à l'éventualité où, comme en l'espèce, il n'existait pas de rapport de prévoyance; le système légal ne tend pas, en effet, à garantir dans tous les cas des prestations de la prévoyance professionnelle, mais à distinguer les risques assurés par une institution donnée de ceux qui ne le sont pas. Dans ces conditions, le recourant n'étant pas assuré lorsque est survenue l'incapacité de travail dont la cause est à l'origine de l'invalidité (
art. 23 LPP
), la demande ne pouvait qu'être rejetée.
c) Le raisonnement de la Cour cantonale est le seul compatible avec les principes rappelés ci-dessus et c'est avec raison que cette juridiction a transposé au cas d'espèce la jurisprudence de l'arrêt
ATF 120 V 112
. Par ailleurs, s'il est vrai que la systématique de la loi prétérite la personne de condition indépendante ou non-active qui prend un emploi salarié, alors
BGE 123 V 262 S. 269
qu'elle est handicapée, il est cependant loisible à celle-ci de pourvoir elle-même à sa prévoyance professionnelle, par exemple en souscrivant l'assurance facultative prévue à l'
art. 4 LPP
. En revanche, la prise en charge par l'intimée de l'invalidité résultant de l'aggravation de la maladie, ainsi que le préconise le recourant, contreviendrait au principe d'assurance clairement affirmé à l'
art. 23 LPP
.
On précisera toutefois que le travailleur invalide à 50% qui bénéficie, postérieurement à la survenance de cette invalidité partielle, de la prévoyance professionnelle obligatoire - comme c'est le cas du recourant en l'espèce - aura en revanche droit aux prestations d'invalidité si la part restante de sa capacité de gain disparaît en raison d'une atteinte à la santé indépendante de celle qui est à l'origine de la première invalidité partielle. | null | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7df46e91-f63d-4d85-8338-e76612df00db | Urteilskopf
101 V 94
17. Auszug aus dem Urteil vom 18. Februar 1975 i.S. Lauchenauer gegen Ausgleichskasse des Kantons Thurgau und Rekurskommission des Kantons Thurgau für die AHV | Regeste
Begriff der Gewinnungskosten gemäss
Art. 9 Abs. 2 lit. a AHVG
(Erw. 3).
Darunter fallen nicht Pfrundleistungen als Gegenwert für die Abtretung eines Betriebes. | Erwägungen
ab Seite 94
BGE 101 V 94 S. 94
Aus den Erwägungen:
3.
In masslicher Hinsicht ist zu prüfen, ob die dauernden Leistungen aus dem Verpfründungsvertrag zu den Gewinnungskosten gemäss
Art. 9 Abs. 2 lit. a AHVG
zu zählen sind, nachdem der Beschwerdeführer geltend macht, es handle sich dabei um "Lohn für eine Leistung".
Gewinnungskosten sind Aufwendungen, die mit der Erzielung des für die Beitragsbemessung massgebenden Einkommens der entsprechenden Berechnungsjahre in unmittelbarem und direktem Zusammenhang stehen. Dabei handelt es sich um allgemeine Unkosten, welche der Erhaltung der Einkommensquelle dienen, nicht aber um Aufwendungen, die getätigt werden, um eine Einkommensquelle zu erwerben. Diese sogenannten Anlagekosten ermöglichen allgemein erst die Einkommenserzielung oder deren Erweiterung. Wird bei der Übernahme eines Betriebes die Bezahlung des Kaufpreises ganz oder teilweise in Form einer wiederkehrenden Leistung vereinbart, so stellt diese eine Aufwendung zum Erwerb der Einkommensquelle dar. Dadurch unterscheidet sich diese Leistung von den weitern Aufwendungen, die notwendig sind, um aus dem bereits erworbenen Betrieb einen Gewinn zu erzielen. Sind die periodischen Leistungen die Gegenleistung für die Übergabe des Betriebsvermögens, d.h. für die Schaffung der Erwerbsgrundlage, so bilden sie eine spezielle Form
BGE 101 V 94 S. 95
der Kapitalzahlung. Ein Abzug vom Roheinkommen gemäss
Art. 9 Abs. 2 lit. a AHVG
ist deshalb ausgeschlossen; denn Aufwendungen für eine Betriebsübernahme, ob sie nun durch einmalige Zahlung oder aber ratenweise erfolgen, sind von den im Interesse der Erhaltung des Geschäftsertrages erforderlichen Gewinnungskosten grundsätzlich zu unterscheiden (EVGE 1950 S. 54).
Nach dem Wortlaut des zwischen Vater und Sohn Lauchenauer abgeschlossenen Überlassungsvertrages bilden die Verpfründungsverpflichtungen einen Teil der vom Beschwerdeführer für den Erwerb der Liegenschaft versprochenen Gegenleistung und nicht etwa "Lohn für eine Leistung". Damit sind sie ein Teil der Aufwendungen zur Schaffung einer Einkommensquelle, die auf unbestimmte Zeit hinaus die Erzielung eines Einkommens ermöglichen soll. Daher können sie nicht unter die abzugsfähigen Gewinnungskosten im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 lit. a AHVG
subsumiert werden (EVGE 1950 S. 57 und 1959 S. 239).
4.
Wenn der Beschwerdeführer verlangt, es seien bei der Ermittlung des massgebenden Einkommens die gleichen Grundsätze anzuwenden wie bei der Wehrsteuerveranlagung, so ist dies prinzipiell zwar richtig (vgl.
Art. 23 Abs. 1 AHVV
). Allein er übersieht dabei folgendes:
Nach Art. 22 Abs. 1 lit. d WStB sind vom rohen Einkommen abzuziehen "die Renten und dauernden Lasten, die auf besondern gesetzlichen, vertraglichen oder durch letztwillige Verfügung begründeten Verpflichtungen beruhen". Insbesondere beim Abzug von Renten handelt es sich um einen solchen spezieller Natur, weil es auf den Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit nicht ankommt. Der in Art. 22 Abs. 1 lit. d WStB angeordnete Gesamtabzug der ausgerichteten Rente durchbricht die allgemeine Vorschrift des Art. 23 WStB, wonach Aufwendungen für Schuldentilgung nicht vom Roheinkommen abgezogen werden dürfen (
BGE 76 I 216
und 222). Aus dieser Rechtsprechung hat das Eidg. Versicherungsgericht in ständiger Praxis den Schluss gezogen, dass bei Fehlen der Spezialnorm die einzelnen Rentenraten, soweit sie nicht Zinsfunktion erfüllen, nach allgemeiner Regel als Aufwendungen für Schuldentilgung nicht abgezogen werden dürfen. Einer Übertragung der auf Art. 22 Abs. 1 lit. d WStB gegründeten Lösung auf das Gebiet der AHV steht entgegen, dass das
BGE 101 V 94 S. 96
AHVG keine entsprechende Spezialnorm enthält, wie es auch die in Art. 25 WStB vorgesehenen besondern Abzüge nicht kennt. Diese Praxis gilt nicht nur für das Verbot, eigentliche Renten vom Roheinkommen abzuziehen, sondern auch für Pfrundleistungen (EVGE 1950 S. 56, 1951 S. 237 und 1959 S. 240). | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7df5a13e-ff60-450a-b5c1-52349bdc5121 | Urteilskopf
102 II 349
50. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 16 novembre 1976 dans la cause de Jans contre S.I. rue de Moillebeau 50 | Regeste
Anfechtung von gestaffelten Mietzinsen;
Art. 10 Abs. 2 BMM
, 13 Abs. 2 VMM.
Die Staffelung der Mietzinse ist dem Mieter auf dem in
Art. 18 BMM
vorgesehenen Formular mitzuteilen.
Art. 13 Abs. 2 VMM
in seiner Fassung vom 10. Juli 1972 verpflichtete den Vermieter dagegen nicht, für jede Mietzinserhöhung dieses Formular zu verwenden. | Sachverhalt
ab Seite 349
BGE 102 II 349 S. 349
Alex de Jans est locataire d'un appartement de six pièces et demie dans l'immeuble appartenant à la Société immobilière Rue de Moillebeau No 50, à Genève. Celle-ci lui a notifié le 7 décembre 1972, sur formule officielle, une majoration de loyer échelonnée sur trois ans: le loyer annuel passait de 12'120 fr. à 13'080 fr. pour la période du 1er avril 1973 au 31 mars 1974, à 14'100 fr. du 1er avril 1974 au 31 mars 1975 et à 15'240 fr. du 1er avril 1975 au 31 mars 1976. La bailleresse a confirmé la troisième hausse, par avis donné sur formule officielle le 13 mars 1975.
Par requête parvenue à la Commission de conciliation le 27 mars 1975, de Jans a contesté cette majoration. Il a demandé à l'autorité de prononcer la nullité de la hausse du loyer de 13'080 fr. à 14'100 fr. dès le 1er avril 1974 parce qu'elle n'avait pas été confirmée sur formule officielle, et de la majoration à 15'240 fr. dès le 1er avril 1975, parce qu'elle était abusive.
Le 27 janvier 1976, la Chambre des baux et loyers du canton de Genève a donné acte à la défenderesse de ce qu'elle renonçait à l'augmentation de loyer qui devait prendre effet le 1er avril 1975, déclaré nul et de nul effet le "deuxième échelon
BGE 102 II 349 S. 350
de hausse prévu dans l'avis de majoration du 7 décembre 1972" et constaté que le loyer s'élevait à 13'080 fr. par an dès le 1er avril 1973.
La Cour de justice du canton de Genève a annule ce jugement par arrêt du 20 mai 1976 et déclaré licite "le 2e échelon de loyer fixé à 14'100 fr. l'an du 1er avril 1974 au 31 mars 1975".
Le demandeur recourt en réforme au Tribunal fédéral en concluant, principalement, à ce qu'il soit prononcé "que l'augmentation de loyer prévue avec effet au 1er avril 1974 dans le bail de M. de Jans n'est pas exigible et que le loyer licite est de 13'080 fr. l'an" et, subsidiairement, au renvoi de la cause à la Chambre des baux et loyers afin qu'elle se prononce sur le caractère abusif de ladite augmentation de loyer.
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
Selon l'arrêt déféré, l'art. 10 al. 2 de l'arrêté fédéral instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif, du 30 juin 1972 (AMSL), réserve la possibilité de contester "l'échelonnement", par quoi il faut comprendre l'ensemble des échelons; en notifiant les trois hausses successives sur formule officielle, le 7 décembre 1972, la défenderesse a donné au demandeur la possibilité de contester tous les échelons ou l'un d'entre eux; il ressort de l'art. 13 al. 2 de l'ordonnance du 10 juillet 1972 (OSL), dans sa teneur antérieure au 1er mars 1975, que lorsque l'échelonnement a été notifié sur formule officielle, il n'y a plus d'obligation de procéder à une nouvelle notification lors de l'entrée en vigueur de chaque échelon; ce n'est que depuis l'entrée en vigueur de l'art. 13 al. 2 nouveau que chaque échelon doit être à nouveau notifié, pour renouveler la possibilité donnée au locataire de contester les augmentations de loyer initialement acceptées et qui pourraient ne plus être justifiées en raison des conditions économiques du moment; la Chambre des baux et loyers a donc admis à tort la nullité du deuxième échelon de hausse, parce qu'il n'a pas été notifié séparément sur formule officielle.
Le demandeur invoque une violation des art. 10 al. 2 AMSL et 13 al. 2 (ancienne teneur) OSL. Selon lui, ces dispositions permettraient au locataire de contester toute augmentation de loyer résultant d'un échelonnement convenu dans le
BGE 102 II 349 S. 351
bail, et obligeraient le bailleur à notifier cette augmentation sur la formule officielle instituée par l'art. 18 AMSL, afin d'informer le locataire de son droit d'opposition. La modification de l'art. 13 al. 2 OSL en 1975 aurait eu pour but non pas d'instituer l'obligation - qui existait déjà - de notifier au locataire, sur formule officielle, les augmentations de loyer résultant d'un échelonnement, mais de préciser le moment où cette notification devait intervenir.
3.
L'art. 10 al. 1 AMSL autorise les conventions prévoyant des loyers échelonnés à condition que le bail soit conclu pour trois ans au moins. Est cependant réservée, aux termes de l'art. 10 al. 2, "la possibilité de contester cet échelonnement en vertu du présent arrêté". Selon l'art. 18 al. 1 AMSL, le bailleur qui a l'intention de majorer le loyer convenu dans le bail est tenu d'en informer le preneur par un avis écrit indiquant le montant, la date et les motifs de la majoration. Cet avis doit être donné sur une formule officielle indiquant que le preneur peut contester le montant du loyer conformément à l'art. 19 (art. 18 al. 2), sous peine de nullité (al. 3). L'art. 19 permet au preneur de contester devant la Commission de conciliation, dans les trente jours, la majoration de loyer qu'il estime abusive; sinon, la majoration est considérée comme acceptée.
L'art. 13 al. 1 OSL précise les indications que doit contenir la formule destinée à communiquer au locataire les hausses de loyers au sens de l'art. 18 AMSL. Aux termes de l'art. 13 al. 2, dans sa teneur du 10 juillet 1972, "le 1er al. est applicable par analogie lorsque le bailleur augmente le loyer en fonction d'un indice ou d'un échelonnement convenus". Dans sa teneur du 5 février 1975, l'art. 13 al. 2 ajoute notamment que "lorsque la hausse du loyer est fixée selon un échelonnement convenu, chaque augmentation sera communiquée au plus tôt quatre mois avant son entrée en vigueur". Avec raison, le demandeur ne prétend pas que ce texte, entré en vigueur le 1er mars 1975 soit applicable à la hausse de loyer litigieuse, qui a été notifiée le 7 décembre 1972 et a pris effet le 1er avril 1974. La seule question qui se pose dès lors est de savoir si, après la notification de l'"échelonnement" le 7 décembre 1972, la deuxième augmentation que celui-ci prévoyait devait faire l'objet d'une nouvelle notification selon la législation alors applicable.
BGE 102 II 349 S. 352
Cette question doit être résolue par la négative. L'art. 13 al. 2 ancien OSL signifie que la formule de notification de l'échelonnement convenu par les parties doit contenir toutes les indications exigées par le 1er alinéa. Il permet d'utiliser une seule formule pour les diverses hausses résultant de l'échelonnement. Les art. 10 al. 2 AMSL, 18 AMSL et 13 al. 2 ancien OSL garantissent simplement au preneur la possibilité de contester l'échelonnement selon la procédure fixée par l'arrêté. Les majorations de loyer résultant d'une convention d'échelonnement conclue par les parties sont ainsi nulles en vertu de l'art. 18 al. 3 AMSL si elles n'ont pas fait l'objet d'un avis conforme aux exigences de l'art. 13 al. 1 OSL. Mais jusqu'à l'entrée en vigueur de l'art. 13 al. 2, dans sa nouvelle teneur du 5 février 1975, aucune disposition n'obligeait le bailleur à notifier sur formule officielle chacune des hausses prévues par l'échelonnement. Il ressort d'ailleurs du texte du Département fédéral de l'économie publique, reproduit par le recourant, qu'une telle notification ne correspondait pas non plus à une pratique uniforme, en Suisse romande. C'est précisément, selon ce texte, pour permettre de suivre partout la même pratique qu'a été proposé l'art. 13 al. 2 nouveau OSL, fixant l'obligation de communiquer chaque augmentation au plus tôt quatre mois avant son entrée en vigueur.
En l'espèce, l'avis concernant les trois majorations de loyer qui devaient prendre effet au 1er avril des années 1973, 1974 et 1975 a été notifié sur formule officielle au demandeur le 7 décembre 1972. Le demandeur n'a pas contesté cet échelonnement et a payé le nouveau loyer résultant des deux premières augmentations. C'est le 26 mars 1975 seulement qu'il a déclaré faire opposition à l'avis qui lui avait été communiqué le 13 mars et confirmait la troisième majoration à partir du 1er avril 1975, en demandant par la même occasion à l'autorité de déclarer nulle la deuxième augmentation, parce qu'elle n'avait pas fait l'objet d'un avis donné sur formule officielle. Dans la mesure où elle concernait la troisième majoration, qui lui avait été notifiée par un nouvel avis selon l'art. 13 al. 2 nouveau OSL, cette opposition était faite en temps utile. Elle était en revanche tardive au regard de l'art. 19 AMSL en tant qu'elle visait le loyer fixé à partir du 1er avril 1974, qui devait être considéré comme accepté faute d'avoir été contesté dans les trente jours suivant la réception de l'avis du 7 décembre 1972
BGE 102 II 349 S. 353
et qu'il avait de surcroît payé conformément à cet avis. Le demandeur ne saurait se prévaloir, ainsi qu'on l'a vu, du fait que la deuxième augmentation ne lui a pas été confirmée avant son entrée en vigueur. Les conclusions du recours sont dès lors privées de fondement.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours et confirme l'arrêt rendu par la Cour de justice du canton de Genève le 20 mai 1976. | public_law | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7df9e485-3433-448c-8d16-1f3bda4a0c2a | Urteilskopf
117 V 229
29. Sentenza del 24 luglio 1991 nella causa P. contro Cassa Pensioni dei dipendenti dello Stato e Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino | Regeste
Art. 13, 49 und 91 BVG
;
Art. 4 BV
: Schutz der Pensionsansprüche von Beamten bei Änderung der gesetzlichen Ordnung.
- Die finanziellen Ansprüche von Beamten werden nur dann zu wohlerworbenen Rechten, wenn das Gesetz die Beziehungen ein für alle Mal festlegt und von den Einwirkungen der gesetzlichen Entwicklung ausnimmt oder wenn mit dem einzelnen Anstellungsverhältnis verbundene Zusicherungen abgegeben werden. Soweit die erwähnten Ansprüche nicht wohlerworbene Rechte darstellen, sind sie gegenüber Massnahmen des Gesetzgebers nach Massgabe des Willkürverbots und des Gleichbehandlungsgebots geschützt (Bestätigung der Rechtsprechung).
- Im Lichte dieser Grundsätze Prüfung der Ansprüche eines Beamten auf vorzeitige Pensionierung, nachdem die gesetzliche Regelung seit der Anstellung in einer für ihn ungünstigen Weise geändert worden ist, indem die bisherigen alternativen Voraussetzungen des zurückgelegten 65. Altersjahres oder des vollendeten 40. Dienstjahres ersetzt worden sind durch die kumulativen Voraussetzungen des 60. Altersjahres und von 30 Dienstjahren. | Sachverhalt
ab Seite 230
BGE 117 V 229 S. 230
A.-
Edgardo P., nato il 19 ottobre 1931, ha iniziato nel settembre 1950 la sua attività di docente, affiliato in questa veste alla Cassa pensioni, allora esistente, del corpo insegnante, fusa poi, mediante legge 25 marzo 1957, con quella dei magistrati, dei funzionari, degli impiegati, dei membri del corpo di gendarmeria e degli operai al servizio dello Stato.
Il 19 marzo 1990 l'interessato ha chiesto di essere posto al beneficio del pensionamento anticipato a far tempo dal 1o settembre 1990, prevalendosi delle norme della legge vigente nel 1950
BGE 117 V 229 S. 231
che attribuiva diritto al pensionamento a chi avesse prestato 40 anni di insegnamento o avesse superato i 65 anni, ciò nel rispetto dei diritti acquisiti previsti dalla legge ora in vigore. La Cassa pensioni, mediante decisione del 22 marzo 1990, ha respinto l'istanza argomentando che la legge applicabile concedeva la facoltà di pretendere il pensionamento anticipato a chi, cumulativamente, avesse adempiuto i presupposti di 60 anni di età e di 30 anni di servizio, in concreto realizzabili solo nell'ottobre 1991 al compimento del 60o anno.
B.-
Conformandosi ai rimedi di diritto indicati nell'atto della Cassa, Edgardo P. ha adito il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino con un ricorso. Ha argomentato di essere entrato in funzione quando la legge concedeva il pensionamento dopo 40 anni di attività magistrale, con una disposizione ripresa in seguito nella legge di fusione delle diverse casse, e modificata solo in seguito, nel 1963, nel senso che i presupposti alternativi vennero sostituiti da quelli cumulativi, per motivazioni che non sarebbero valse a ledere i diritti acquisiti di chi era stato assunto prima di quell'anno. Ha precisato che la determinazione litigiosa sarebbe valsa, in certe ipotesi, a sancire disparità di trattamento nella misura in cui insegnanti coetanei entrati alle dipendenze dello Stato pure nel 1950 e che avevano poi interrotto l'attività potevano comunque pretendere il pensionamento anticipato con il raggiungimento del 60o anno, come lui, o persino qualche mese prima di lui a seconda del mese in cui sono nati, in quanto avessero contribuito per almeno 30 anni. Ha postulato pertanto l'accoglimento delle sue domande, vale a dire il riconoscimento del suo diritto al pensionamento anticipato dal settembre 1990.
Con giudizio 23 luglio 1990 il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino, ritenuta l'istanza dell'assicurato una petizione, l'ha respinta. I primi giudici, in sostanza, hanno argomentato che non configurabile sarebbe stata la tutela di un diritto acquisito, né ravvisabile sarebbe stata una violazione dell'
art. 4 Cost.
C.-
Edgardo P. interpone ricorso di diritto amministrativo a questa Corte. Contesta il fondamento delle argomentazioni addotte dai primi giudici, rivendicando comunque la tutela del suo diritto. A suo parere, il pensionamento anticipato configura un diritto del lavoratore, mentre la determinazione della Cassa costituirebbe un ulteriore sfruttamento, in sostanza "l'espropriazione" di anni di vita, mediante un lavoro "forzato". Se nel 1950 era giustificato il pensionamento a 59 anni, altrettanto doveva valere
BGE 117 V 229 S. 232
nel 1990, quando si fosse ritenuta l'importanza dei premi versati. Egli adduce di aver concluso un contratto, la cui contropartita era la possibilità di andare in pensione dopo 40 anni di servizio, qualsiasi fossero state le condizioni di salute. Se l'ammontare dei premi può variare, non trattandosi di diritti acquisiti, la scadenza pattuita sarebbe stata invece da rispettare. Ribadisce di pretendere solo il riconoscimento al pensionamento dopo 40 anni di servizio, quando si fosse ritenuto che nel 1950 i docenti erano patentati a 19 anni. La fusione delle casse non avrebbe modificato i diritti acquisiti dai docenti. Simili diritti del resto sarebbero stati assicurati nel 1963 al momento dell'adozione delle nuove norme. Chiede pertanto, in accoglimento del gravame, l'accertamento del suo diritto al pensionamento anticipato nel settembre 1990 e la fissazione, se la decisione dovesse intervenire dopo quella data, dell'importo del risarcimento dovutogli.
Queste tesi sono contrastate dalla Cassa, la quale propone la reiezione del gravame. Da parte sua l'Ufficio federale delle assicurazioni sociali rinuncia a determinarsi.
Erwägungen
Diritto:
1.
(Competenza del Tribunale federale delle assicurazioni)
2.
La Cassa ha qualificato l'atto litigioso del 22 marzo 1990 una decisione ed ha indicato dei rimedi di diritto per i quali l'atto sarebbe stato deferibile con ricorso al Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino. Il Tribunale federale delle assicurazioni, esaminando d'ufficio, trattandosi di questione di diritto, le condizioni formali di validità e regolarità della procedura amministrativa (
DTF 116 V 202
consid. 1a e 338 consid. 2,
DTF 115 V 130
consid. 1 e 241 consid. 2b,
DTF 114 V 242
consid. 3a,
DTF 113 V 203
consid. 3d,
DTF 112 V 83
consid. 1 e 365 consid. 1a,
DTF 111 V 346
consid. 1a; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2a ediz., pag. 73 cpv. 3 e sentenze ivi citate) costata che rettamente l'autorità giudiziaria di primo grado ha considerato costituire l'atto 22 marzo 1990 una semplice determinazione e l'istanza dell'assicurato ad essa rivolta una petizione (cfr.
DTF 115 V 228
consid. 2).
3.
Giusta l'art. 22 della legge sulla Cassa pensioni del corpo insegnante del Cantone Ticino del 12 ottobre 1936, gli assicurati che avevano superato l'età di 60 anni e contavano almeno 40 anni di servizio attivo potevano ritirarsi senza motivazione di salute percependo il massimo di pensione.
BGE 117 V 229 S. 233
La disposizione venne modificata nella legge del 5 settembre 1950, nel senso che gli assicurati (uomini e donne) che avessero compiuto i 65 anni d'età oppure i 40 anni di servizio potevano chiedere di essere collocati a riposo. La nuova norma entrò in vigore con effetto retroattivo al 1o settembre 1946, rispettivamente al 1o gennaio 1948 (cfr. art. 2 cpv. 1 della suddetta legge modificante quella del 12 ottobre 1936, nonché
art. 67 del
testo unico delle leggi sulla Cassa pensioni del corpo insegnanti del Cantone Ticino del 17 ottobre 1950). Appare ora evidente che la nuova regolamentazione abbia comportato una modificazione dei criteri sul pensionamento dei docenti; in precedenza cumulativi (anni di età e di servizio), essi divennero in seguito alternativi (età oppure anni di servizio).
Il 25 marzo 1957 venne decretata la fusione della Cassa pensioni dei magistrati, dei funzionari, degli impiegati, dei membri del corpo di gendarmeria e degli operai al servizio dello Stato con quella del corpo insegnante. La legge sulla Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato, pure del 25 marzo 1957, riprese all'art. 19 la disposizione in virtù della quale gli assicurati che avessero compiuto o 65 anni oppure i 40 anni di servizio potessero chiedere di essere collocati a riposo.
La legge venne ulteriormente modificata il 9 luglio 1963, in particolare con l'adozione dell'art. 40 cpv. 2, secondo cui l'assicurato con almeno 40 anni di servizio effettivo e che avesse compiuto i 60 anni d'età poteva chiedere di essere collocato a riposo e ammesso al beneficio della pensione. Con ciò il criterio alternativo venne nuovamente sostituito da quello cumulativo. Questo criterio fu ripreso nell'art. 23 della legge 14 settembre 1976, per il quale l'assicurato con almeno 30 anni di servizio effettivo e che ha compiuto i 60 anni di età può chiedere di essere collocato a riposo.
La stessa nuova legge all'art. 61 ha, con alcune inflessioni, precisato che con la sua entrata in vigore i nuovi stipendi assicurati non potessero essere inferiori a quelli validi in precedenza, disponendo in particolare ai cpv. 2 e 3 quanto segue:
"I diritti acquisiti con le precedenti leggi sono mantenuti
integralmente; le prestazioni pagate anteriormente non sono
modificate con l'entrata in vigore della nuova legge. Esse vengono
rivalutate ... (cpv. 2).
Tutti gli eventi coperti dalla Cassa che si verificano
dopo l'entrata in vigore sono regolati secondo le nuove norme di
legge (cpv. 3)."
In sostanza si afferma quindi il principio secondo cui sarebbero stati rispettati i diritti acquisiti in virtù delle precedenti legislazioni
BGE 117 V 229 S. 234
nel tema delle prestazioni, mentre l'intervento dei rischi assicurati sarebbe stato soggetto alle norme della nuova legge.
4.
In concreto se, come afferma il ricorrente, l'atto di nomina ebbe luogo nel 1950, durante l'estate, e manifestamente l'entrata in funzione si realizzò all'inizio dell'anno scolastico 1950/51, può essere ammesso che egli si sia impiegato già ritenendo il testo dell'art. 22, nella versione del 1950, non ancora adottato dal Parlamento cantonale; sta in ogni modo di fatto che la disposizione, visto l'effetto retroattivo, assunse comunque vigenza anche per il momento dell'assunzione.
Deve quindi essere esaminato se fosse stato da riconoscere al ricorrente il diritto di pretendere il pensionamento nel momento in cui alternativamente fossero ricorsi i presupposti del 65o anno di età oppure del 40o anno di servizio, come stabilito dal diritto vigente all'epoca in cui venne assunto, o invece se le successive disposizioni fossero valse a modificare il contenuto delle sue pretese, in particolare se conformi a diritto sono le disposizioni applicate dall'amministrazione della Cassa.
Anzitutto deve essere osservato che i cpv. 2 e 3 dell'art. 61 della legge 14 settembre 1976 sono di evidente chiarezza, nel senso che i diritti acquisiti sono mantenuti per le prestazioni assicurate, mentre alla nuova legge sono sottoposti i rischi successivi. Né può essere affermato quindi che nella sua determinazione l'amministrazione della Cassa abbia in modo scorretto interpretato la norma.
Resta da accertare se la stessa norma violi il diritto federale, segnatamente se disattenda il rispetto di diritti acquisiti o di altri diritti prevalenti.
5.
a) Per quel che concerne la LPP, in materia di diritto a prestazioni di vecchiaia la legge federale si limita ad affermare aver diritto ad esse prestazioni gli uomini che hanno compiuto i 65 anni e le donne che hanno compiuto i 62 anni, precisando che le disposizioni regolamentari dell'istituto di previdenza possono stabilire, in deroga a questo principio, che il diritto alle prestazioni sorga alla cessazione dell'attività lucrativa (
art. 13 cpv. 1 e 2 LPP
). La legge medesima dispone inoltre che essa non tocca i diritti acquisiti dagli assicurati prima della sua entrata in vigore (
art. 91 LPP
).
b) Deve quindi essenzialmente essere esaminata la questione se il disposto della legge cantonale non misconosca il rispetto di diritti acquisiti.
Inizialmente la violazione di diritti acquisiti veniva di regola considerata come una violazione del principio costituzionale della
BGE 117 V 229 S. 235
garanzia della proprietà; in un secondo tempo simile violazione è stata esaminata anzitutto al lume del principio della tutela della buona fede (KÄMPFER, Zur Gesetzesbeständigkeit "wohlerworbener Rechte", Mélanges ZWAHLEN, pag. 357 seg.; KÖLZ, Das wohlerworbene Recht - immer noch aktuelles Grundrecht?, RSJ 74/1978 pag. 89 segg.; GRISEL, Droit administratif suisse, pag. 256; SALADIN, Verwaltungsprozessrecht und materielles Verwaltungsrecht, RDS 94/1975 II pag. 339 n. 83).
Secondo la più recente giurisprudenza del Tribunale federale, le pretese pecuniarie dei funzionari non divengono diritti acquisiti. Il rapporto di servizio, in quanto di diritto pubblico, è disciplinato dalla relativa legislazione e segue, per quel che concerne i suoi aspetti patrimoniali, l'evoluzione della legislazione medesima. Le pretese di salario e quelle pensionistiche possono configurare diritti acquisiti solo nella misura in cui la legge definisca i rapporti una volta per tutte e li sottragga agli effetti dell'evoluzione della legge stessa, oppure quando siano date garanzie in relazione con un singolo rapporto d'impiego (
DTF 107 Ia 194
consid. 3a, 106 Ia 166 consid. 1a,
DTF 101 Ia 445
consid. 2a; cfr. pure
DTF 112 V 395
consid. 3d e sentenza del Tribunale federale 30 settembre 1988 in re W., pubblicata in SZS 1989 pag. 313).
Nella fattispecie queste due ultime ipotesi non si sono verificate, se non nella misura in cui l'art. 61 della legge cantonale al cpv. 2 vieta la modificazione delle prestazioni in precedenza erogate. Infatti, in nessun testo della legge è ravvisabile una disposizione che stabilisca l'immutabilità delle pretese dell'interessato, né il ricorrente ha tentato di dimostrare che al momento dell'assunzione gli fosse stata attribuita individualmente l'assicurazione che il suo diritto a pensione sarebbe maturato in ogni modo al compimento del 40o anno di servizio e men che meno che questa circostanza fosse stata il seguito di una particolare pattuizione.
Poiché i diritti vantati dal ricorrente non rientrano nel novero di quelli acquisiti, non si pone il problema se, ai sensi della giurisprudenza, la loro modificazione sia possibile solo per atto legislativo, di interesse pubblico e dietro pieno risarcimento (
DTF 113 Ia 362
consid. 6b,
DTF 106 Ia 168
), ciò a prescindere dal fatto, per quel che concerne il risarcimento, che la richiesta sarebbe comunque stata irricevibile perché in tutti i modi sulla stessa la Cassa non si è pronunciata, né a titolo preventivo né in corso di vertenza.
c) Il Tribunale federale ha comunque soggiunto nella medesima suddetta giurisprudenza che in quanto le pretese pecuniarie dei
BGE 117 V 229 S. 236
funzionari non configurano dei diritti acquisiti, esse vanno tutelate qualora il legislatore, modificando l'ordinamento, le leda in modo arbitrario o in violazione del principio della parità di trattamento. Dall'
art. 4 Cost.
si deduce direttamente essere escluso che simili diritti siano arbitrariamente modificati, successivamente annullati o limitati nella loro sostanza e che senza particolare giustificazione si intervenga unilateralmente nei confronti di singoli beneficiari o di gruppi determinati (
DTF 106 Ia 169
consid. 1c, 101 Ia 446 consid. 2a e sentenze ivi citate).
In queste ipotesi resta da esaminare se nella revisione legislativa del 1963 (quella mediante la quale vennero reintrodotti i criteri cumulativi, irrilevante essendo ai fini del giudizio la modifica del 1976 che ha abbreviato i termini di durata dell'impiego) sia ravvisabile arbitrio o violazione del principio della parità di trattamento, con conseguenza di particolari oneri per singoli titolari di diritti o gruppi degli stessi.
Ora, nel 1963 venne introdotto il principio del pensionamento anticipato, per tutti i dipendenti dello Stato, irrilevante se docenti o altri funzionari, sostituendo al criterio alternativo, 65 anni d'età oppure 40 anni di servizio, quello cumulativo dei 60 anni di età e dei 40 anni di servizio (art. 40 della legge 9 luglio 1963). La modificazione ha, da un lato, sfavorito i dipendenti che prima del 60o anno avessero compiuto 40 anni di servizio, ma, dall'altro, ha favorito quelli che avessero prestato 40 anni di servizio tra il 60o e il 65o anno d'età. Dagli atti legislativi risulta che il testo dell'art. 40 cpv. 2 era da interpretare con riferimento all'art. 30 concernente i supplementi fissi. Lo Stato, con la nuova regolamentazione, avrebbe assunto l'onere di versare pensione e supplemento fisso a chi si fosse ritirato prima del 65o anno. In sostanza, lo Stato avrebbe preso a carico il pagamento delle pensioni e dei supplementi fissi sino al momento in cui il beneficiario avesse maturato diritto alla rendita AVS (cfr. Messaggio 18 dicembre 1962 del Consiglio di Stato al Gran Consiglio concernente la legge sulla Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato e dei docenti, Raccolta dei verbali del Gran Consiglio, sessione ordinaria primaverile 1963, pag. 248). Solo dopo quel momento sarebbe iniziato l'obbligo della Cassa. Con ciò sarebbe stato alleggerito l'onere della Cassa medesima e nel contempo aumentato quello dello Stato, in misura comunque relativa ritenuto che non avrebbe dovuto pagare l'interesse sul capitale della Cassa ricevuto a titolo di mutuo. Prestazioni in precedenza a carico in parte della Cassa e in parte
BGE 117 V 229 S. 237
dello Stato sarebbero state assunte tutte da quest'ultimo. In tale ambito la Commissione della gestione propose che il diritto al supplemento fisso previsto dal 1o gennaio, rispettivamente dal 1o luglio, dopo il pensionamento, valesse per i docenti dal 1o settembre (cfr. Rapporto 27 giugno 1963 della Commissione della gestione sul messaggio del Consiglio di Stato 18 dicembre 1962, op.cit., pag. 285 segg.). Questa proposta è stata fatta propria dal legislatore.
La modificazione pertanto trovava fondamento in considerazioni di natura finanziaria, determinate dall'esigenza di stabilire l'equilibrio tra le nuove prestazioni che lo Stato sarebbe stato chiamato a fornire e gli eventuali vantaggi che gli sarebbero derivati. Il fatto poi che una modificazione sia stata introdotta con specifico riferimento ai docenti comprova che nessuno avesse inteso escludere detta categoria dall'applicazione di una disposizione di carattere generale.
In sostanza le modificazioni legislative introdotte nel 1963, nella misura in cui assise su considerazioni di natura finanziaria, hanno da un lato limitato certi diritti per estenderne altri, in un confronto di interessi che certo non può essere censurato di arbitrario, né di violatore del principio di parità di trattamento.
6.
Dato quanto precede, a ragione i primi giudici hanno respinto la petizione dell'assicurato.
Dispositiv
Per questi motivi,
il Tribunale federale delle assicurazioni pronuncia:
In quanto ricevibile, il ricorso di diritto amministrativo è respinto. | null | nan | it | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7dfab9b2-8f95-420a-8ca4-1ce376678ab1 | Urteilskopf
113 Ia 218
35. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Juni 1987 i.S. D. gegen Staatsanwaltschaft und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
, Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK; Teilnahme des Verteidigers an der Hauptverhandlung bei notwendiger Verteidigung.
Bei der notwendigen oder obligatorischen Verteidigung stellt die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Verteidigers in jedem Fall eine Verletzung von
Art. 4 BV
sowie von Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK dar (E. 3a-d). | Sachverhalt
ab Seite 219
BGE 113 Ia 218 S. 219
Der türkische Staatsangehörige D. wurde am 13. Oktober 1986 vom Strafgericht des Kantons Basel-Stadt der fortgesetzten qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig erklärt und mit 4 Jahren Zuchthaus sowie 15 Jahren Landesverweisung bestraft. Er wurde in erster Instanz von Dr. B. als Offizialverteidiger vertreten. Gegen das Urteil des Strafgerichts reichte D. Berufung beim Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt ein. Er stellte am 7. November 1986 das Gesuch, es sei ihm anstelle seines bisherigen Verteidigers Rechtsanwältin Dr. L. als neue Offizialverteidigerin beizuordnen. Der Instruktionsrichter des Appellationsgerichts verfügte am 9. Dezember 1986, der Verteidigerwechsel werde mangels stichhaltiger Gründe nicht bewilligt. Zwei Tage später erliess das Appellationsgericht an Rechtsanwalt Dr. B. und an die Direktion der Strafanstalt Bostadel zuhanden des Appellanten je eine Vorladung zur Berufungsverhandlung vom 25. Februar 1987. Am 5. Januar 1987 teilte Rechtsanwältin Dr. L. dem Appellationsgericht mit, sie werde D. als Privatverteidigerin vertreten, da sich Freunde und Bekannte von ihm bereit erklärt hätten, die Kosten der Vertretung vor Appellationsgericht zu übernehmen. Daraufhin entliess der Instruktionsrichter mit Verfügung vom 22. Januar 1987 Dr. B. als Offizialverteidiger und nahm davon Kenntnis, dass der Appellant durch Frau Dr. L. als Privatverteidigerin vertreten werde. Am 25. Februar 1987 fand die Verhandlung vor Appellationsgericht statt, obwohl Rechtsanwältin Dr. L. nicht erschienen war. Der Angeklagte wurde von keinem Anwalt vertreten. Das Appellationsgericht führte dennoch die Berufungsverhandlung durch und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
Gegen den Entscheid des Appellationsgerichts hat D. staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es auf sie eintreten kann.
BGE 113 Ia 218 S. 220
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer rügt, es bedeute eine gegen
Art. 4 BV
verstossende Rechtsverweigerung und ausserdem eine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
, dass die kantonale Instanz am 25. Februar 1987 die Berufungsverhandlung durchgeführt habe, obgleich seine Privatverteidigerin, Rechtsanwältin Dr. L., nicht erschienen, er somit durch keinen Anwalt vertreten gewesen sei. Ferner beanstandet er als "klare Rechtsverweigerung", dass das Appellationsgericht Frau Dr. L. keine Vorladung zur Verhandlung zugestellt habe.
Was den Sachverhalt betrifft, so ist unbestritten, dass Rechtsanwältin Dr. L. vom Appellationsgericht weder eine Vorladung zur Verhandlung vom 25. Februar 1987 noch eine sonstige Mitteilung betreffend den Verhandlungstermin erhielt. Umstritten ist dagegen, ob sie gleichwohl von diesem Kenntnis hatte. Das Appellationsgericht hat die Frage im angefochtenen Urteil bejaht. Es führte aus, der Appellant habe in der Verhandlung auf Befragen erklärt, er habe seine Verteidigerin mündlich auf den Gerichtstermin hingewiesen. Im weiteren hielt das Gericht fest, eine Erkundigung habe ergeben, dass Dr. B., der frühere Verteidiger des Beschwerdeführers, Frau Dr. L. mit Schreiben vom 11. Dezember 1986 den Verhandlungstermin mitgeteilt habe. In der staatsrechtlichen Beschwerde wird demgegenüber vorgebracht, Rechtsanwältin Dr. L. habe keine Kenntnis vom Zeitpunkt der Verhandlung gehabt, denn der Brief von Dr. B. vom 11. Dezember 1986, welcher nicht eingeschrieben versandt worden sei, sei bei ihr nicht eingetroffen. Auch könne sich die Anwältin nicht daran erinnern, dass der Beschwerdeführer ihr den Verhandlungstermin mündlich mitgeteilt habe. Es wäre jedoch möglich, dass eine solche Mitteilung zufolge der Verständigungsschwierigkeiten - die Besprechung mit dem Beschwerdeführer, der türkischer Staatsangehöriger ist, wurde mit Hilfe eines Dolmetschers geführt - "untergegangen" sei.
Es kann in Anbetracht dieser Vorbringen des Beschwerdeführers, die nicht von vornherein als unglaubwürdig erscheinen, wohl kaum als erwiesen betrachtet werden, dass die Privatverteidigerin den Termin der Berufungsverhandlung tatsächlich kannte. Indessen ist auf diese Frage nicht näher einzugehen. Selbst wenn man nämlich mit dem Appellationsgericht davon ausginge, die Anwältin sei sich über den Zeitpunkt der Verhandlung im klaren gewesen, wäre dies für den Ausgang des staatsrechtlichen Beschwerdeverfahrens
BGE 113 Ia 218 S. 221
ohne Belang. Er hängt ausschliesslich vom Entscheid darüber ab, ob es mit
Art. 4 BV
und
Art. 6 EMRK
vereinbar war, dass das Appellationsgericht die Hauptverhandlung durchführte, obgleich die Verteidigerin des Beschwerdeführers nicht erschienen war. Es kann aus diesem Grunde auch offenbleiben, ob es - wie der Beschwerdeführer behauptet - eine "klare Rechtsverweigerung" bedeutete, dass das Appellationsgericht Rechtsanwältin Dr. L. keine Vorladung zur Berufungsverhandlung vom 25. Februar 1987 zugestellt hatte. Bemerkt sei hiezu lediglich, dass es wohl angezeigt gewesen wäre, der Privatverteidigerin den Verhandlungstermin mitzuteilen, auch wenn im Zeitpunkt, als das Gericht die Vorladungen versandte, noch Rechtsanwalt Dr. B. als Offizialverteidiger des Beschwerdeführers amtete.
3.
a) Das Appellationsgericht führte am 25. Februar 1987 die Hauptverhandlung durch, obwohl die Privatverteidigerin des Beschwerdeführers nicht erschienen war. Es begründete dies damit, die Verteidigerin habe sich über den Zeitpunkt der Verhandlung nicht im unklaren befunden, zumal das Gericht den festgesetzten Termin ihr gegenüber nicht widerrufen habe. Bei allfälligen Zweifeln wäre es ihr zudem ohne besonderen Aufwand möglich und zumutbar gewesen, sich bei der Gerichtskanzlei über den Verhandlungstermin zu erkundigen. Es bestehe deshalb kein Anlass, das Verfahren auszusetzen und die Verhandlung auf einen neuen Termin zu verschieben.
Der Beschwerdeführer erblickt in diesem Vorgehen des Appellationsgerichts eine Verletzung der
Art. 4 BV
und 6 Ziff. 3 lit. c EMRK. Er macht geltend, er habe einen Anspruch darauf gehabt, an der Berufungsverhandlung durch einen Anwalt verbeiständet zu sein. Dies ergebe sich schon aus der Tatsache, dass ihm in erster Instanz ein Offizialverteidiger beigeordnet worden sei. Ohne den Beistand eines Anwaltes sei er nicht in der Lage gewesen, die ihm aufgrund der genannten Vorschriften zustehenden Verteidigungsrechte wahrzunehmen.
b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat der Angeklagte aufgrund von
Art. 4 BV
einen Anspruch auf amtliche Verteidigung (auch Offizial- oder Pflichtverteidigung genannt), wenn es sich bei der Strafsache nicht um einen Bagatellfall handelt und sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen der Angeklagte (oder sein gesetzlicher Vertreter) nicht gewachsen ist. Unabhängig von den tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten besteht hingegen im allgemeinen schon
BGE 113 Ia 218 S. 222
dann ein Anspruch auf Beiordnung eines Offizialverteidigers, wenn der Angeklagte mit einer Strafe zu rechnen hat, für welche wegen ihrer Dauer von mehr als 18 Monaten die Gewährung des bedingten Vollzuges ausgeschlossen ist, oder wenn eine freiheitsentziehende Massnahme von erheblicher Tragweite wie etwa eine Verwahrung nach
Art. 42 StGB
in Frage steht (
BGE 111 Ia 83
E. 2c mit Hinweisen). Das Recht auf amtliche Verteidigung wird auch durch
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
gewährleistet. Nach dieser Vorschrift hat der Angeklagte, "falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt", einen Anspruch darauf, "unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist".
c) Die Verteidigungsrechte gemäss
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
stellen einen Bestandteil des allgemeinen Begriffs eines fairen Verfahrens dar, von dem in
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
die Rede ist (vgl. die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 12. Februar 1985, publiziert in EuGRZ S. 631 ff., insb. S. 634 Ziff. 26). Grundlegendes Element des dem Angeklagten durch diese Vorschrift eingeräumten Anspruchs auf ein "fair hearing" (wie es im englischen Originaltext heisst) oder (nach der deutschen Übersetzung) auf Anhörung in billiger Weise bildet die Garantie, dass der Angeklagte seine Sache dem Gericht in ausreichender, angemessener Weise vortragen kann und gegenüber der Anklagebehörde nicht benachteiligt wird (FROWEIN/PEUKERT, Kommentar zur EMRK, Kehl/Strassburg/Arlington 1985, N. 55 zu
Art. 6 EMRK
S. 136; Internationaler Kommentar zur EMRK, Köln/Berlin/Bonn/München 1986, MIEHSLER/VOGLER N. 342 zu
Art. 6 EMRK
S. 121, je mit Hinweisen auf Entscheide der Europäischen Kommission für Menschenrechte). Dem Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren und auf wirksame Verteidigung entspricht die Pflicht der Gerichte, dafür zu sorgen, dass der Angeklagte diese Rechte auch wirklich wahrnehmen kann. Hat er einen - frei gewählten oder von Amtes wegen bestellten - Verteidiger als Beistand, so ist es grundsätzlich dessen Aufgabe, die Verteidigungsrechte auszuüben und bei der mündlichen Verhandlung mitzuwirken (Internationaler Kommentar zur EMRK, VOGLER N. 508 zu
Art. 6 EMRK
S. 198). Liegt ein Fall der notwendigen oder obligatorischen Verteidigung vor - in welchem dem Angeklagten, sofern dieser nicht bereits einen Privatverteidiger beigezogen hat, von Amtes wegen ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist -, so stellt die Durchführung der Hauptverhandlung ohne
BGE 113 Ia 218 S. 223
Anwesenheit des Verteidigers einen Verstoss gegen die Konvention (vgl. Internationaler Kommentar zur EMRK, VOGLER N. 516 zu
Art. 6 EMRK
S. 202) sowie eine Verletzung des
Art. 4 BV
dar. Bei der notwendigen Verteidigung ist es aus bestimmten Gründen zwingend geboten, dem Angeklagten einen Rechtsbeistand zu bestellen, damit er sich in wirksamer Weise verteidigen kann und gegenüber der Anklagebehörde nicht benachteiligt ist. Um das aus dem Begriff des "fair hearing" abgeleitete Prinzip der Waffengleichheit zwischen Anklagebehörde und Angeklagtem zu gewährleisten, ist es erforderlich, dass der Verteidiger an der Hauptverhandlung anwesend ist, ansonst der Angeklagte nicht in der Lage ist, sich wirksam gegen die Anklagebehörde zur Wehr zu setzen, und auch das aufgrund von
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
bestehende Recht auf Beistand eines Pflichtverteidigers bedeutet die Anwesenheit eines Verteidigers neben dem Angeklagten (ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 154 mit Hinweisen), denn dieser könnte ohne den Anwalt seine Verteidigungsmöglichkeiten nicht hinreichend ausschöpfen. Nach dem Gesagten ergibt sich, dass bei der notwendigen oder obligatorischen Verteidigung die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Verteidigers in jedem Fall eine Verletzung von
Art. 4 BV
sowie von Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK darstellt. Dies bedeutet indessen nicht, dass der Anwalt der Hauptverhandlung ohne zwingende Gründe einfach fernbleiben dürfte; zwar müsste das Gericht die Verhandlung vertragen, doch hätte der Anwalt unter Umständen entsprechende Massnahmen zu gewärtigen.
d) Im zu beurteilenden Fall hatte die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt am 2. September 1986 gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen fortgesetzter qualifizierter Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel (
Art. 19 Ziff. 1 und Ziff. 2 BetmG
) erhoben. Gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 9 BetmG
wird ein schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
mit Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter einem Jahr bestraft. Da die Vorschrift hinsichtlich der Höchststrafe keine Begrenzung vorsieht, kommt diesbezüglich die allgemeine Bestimmung von
Art. 35 StGB
zur Anwendung, wonach die längste Dauer der Zuchthausstrafe 20 Jahre beträgt. Der Beschwerdeführer wurde somit einer Tat beschuldigt, für die der gesetzliche Strafrahmen eine Höchststrafe von fünf Jahren Zuchthaus überschreitet, weshalb nach § 10 Abs. 3 lit. a der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt (StPO) ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben
BGE 113 Ia 218 S. 224
war. Die Überweisungsbehörde hatte denn auch dem Beschwerdeführer am 13. August 1986 einen Offizialverteidiger (Dr. B.) beigeordnet. Nachdem das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt den Beschwerdeführer am 13. Oktober 1986 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt und dieser dagegen appelliert hatte, ersuchte er darum, es sei ihm anstelle seines bisherigen Verteidigers Rechtsanwältin Dr. L. als neue Offizialverteidigerin zu bestellen, doch lehnte das Appellationsgericht das Gesuch ab. In der Folge zog der Beschwerdeführer Rechtsanwältin Dr. L. als Privatverteidigerin bei, worauf das Gericht hievon Kenntnis nahm und Dr. B. als Offizialverteidiger entliess. Der Umstand, dass Frau Dr. L. als Privatverteidigerin des Beschwerdeführers amtete, änderte indessen nichts daran, dass hier ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag, und zwar waren die Voraussetzungen hiefür sowohl nach dem kantonalen Strafprozessrecht (
§ 10 Abs. 3 lit. a StPO
) als auch nach
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
offensichtlich erfüllt. Das Appellationsgericht hätte deshalb, als die Verteidigerin am 25. Februar 1987 nicht zur Hauptverhandlung erschien, diese vertagen müssen. Wenn es in der Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde ausführt, der Beschwerdeführer habe gegen die Durchführung der Verhandlung ohne Verteidigerin keine Einwendungen erhoben, so ist dieses Argument unbehelflich. Bei der notwendigen Verteidigung kann der Angeklagte auf die Anwesenheit eines Rechtsbeistandes nicht verzichten, und es kommt für die Frage, ob die Hauptverhandlung hätte verschoben werden müssen, auch nicht darauf an, aus welchen Gründen die Verteidigerin nicht zur Verhandlung erschien. Wie dargelegt (E. 3c), muss das Gericht bei der obligatorischen Verteidigung in jedem Fall die Verhandlung verschieben, wenn der Verteidiger nicht anwesend ist. Das Appellationsgericht verletzte daher klarerweise die
Art. 4 BV
und 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK, indem es die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Verteidigerin des Beschwerdeführers durchführte. Die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach gutzuheissen, soweit auf sie eingetreten werden kann, und das angefochtene Urteil des Appellationsgerichts ist aufzuheben.
e) Ob es auch dann gegen Verfassung und Konvention verstösst, wenn im Fall der fakultativen Verteidigung der Rechtsbeistand des Angeklagten nicht zur Verhandlung erscheint und diese gleichwohl stattfindet, braucht hier nicht entschieden zu werden, denn es geht bei der vorliegenden Beschwerdesache nicht um einen solchen Fall. Die Europäische Kommission für Menschenrechte
BGE 113 Ia 218 S. 225
hat sich dahin ausgesprochen, das Verfahren dürfe in Abwesenheit des Verteidigers durchgeführt werden, wenn der Angeklagte in der Lage sei, sich selber wirksam zu verteidigen (Entscheid Nr. 7368/76, zitiert bei STEFAN TRECHSEL, Die Verteidigungsrechte in der Praxis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, ZStR 96/1979 S. 355). Diese Praxis wurde in der Rechtslehre kritisiert, und es wurde die Ansicht vertreten, ein solches Vorgehen sei allgemein unzulässig (STEFAN TRECHSEL, a.a.O., S. 355 f.). In der neuern Lehre wird demgegenüber die Meinung geäussert, es komme auf die Umstände des Einzelfalls an (Internationaler Kommentar zur EMRK, VOGLER N. 516 zu
Art. 6 EMRK
S. 202). Zu diesen Problemen muss hier, wie gesagt, nicht Stellung genommen werden. Es mag einzig beigefügt sein, dass von einer Verfassungs- oder Konventionsverletzung auf jeden Fall dann nicht wird gesprochen werden können, wenn bei fakultativer Verteidigung der Angeklagte auf die Anwesenheit des Verteidigers ausdrücklich verzichtet oder wenn Rechtsmissbrauch vorliegt (vgl. Internationaler Kommentar zur EMRK, VOGLER N. 516 zu
Art. 6 EMRK
S. 202). | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7dfd26cf-bc1a-4ef7-988b-92bc1ac1a7a8 | Urteilskopf
94 I 328
46. Extrait de l'arrêt du 3 avril 1968 dans la cause INCISA contre le canton du Valais. | Regeste
Doppelbesteuerung.
Art. 46 Abs. 2 BV
.
Schweizerische Baustelle einer ausländischen Unternehmung; Voraussetzungen der Besteuerung im Kanton, in dem sich die Baustelle befindet.
Wenn an keinem andern Ort in der Schweiz eine Zweigniederlassung vorhanden ist, die so bedeutend wäre, dass sie einem Hauptsitz gleichgestellt werden könnte, ist die Rechtsprechung nicht anwendbar, nach der die Gewinne der Baustellen ohne Rücksicht auf deren Dauer am Hauptsitz der Unternehmung zu versteuern sind.
Teilung der Steuerhoheit zwischen dem Kanton, in dem die Baustelle liegt, und dem Kanton, in dem sich der Sitz einer Zweigniederlassung befindet, die nur von untergeordneter Bedeutung, jedoch kein blosser "Briefkasten" ist. | Sachverhalt
ab Seite 328
BGE 94 I 328 S. 328
A.-
I.N.C.I.SA (Impresa nazionale Condotte Industriali, Strade e Affini) est une société italienne à responsabilité limitée, dont le siège est à Parme. Elle s'occupe principalement de travaux de construction de conduites industrielles (gaz, huile,
BGE 94 I 328 S. 329
eau) et de routes, ainsi que de travaux d'excavation et de dragage.
Du 1er juin 1962 au 30 juin 1963, elle a exécuté sur territoire valaisan les travaux de pose de l'oléoduc Gênes-Collombey, destiné à ravitailler en pétrole les Raffineries du Rhône SA
La société a créé une succursale en Suisse, avec siège à Zoug, dans les bureaux de l'étude de Me Alphons Iten, avocat en dite ville. L'inscription de la succursale a été faite au registre du commerce de Zoug le 10 juin 1962 et publiée dans la Feuille officielle suisse du commerce du 19 juillet 1962.
La société a également exécuté des travaux de construction d'oléoduc dans le canton des Grisons en 1963 (à partir de juillet) et 1964.
B.-
Le Service cantonal des contributions du canton du Valais (en abrégé: SCC), estimant que les travaux avaient créé un établissement stable dans ce canton, a revendiqué le droit d'imposer la société sur le bénéfice réalisé en Suisse et sur le capital, en se fondant sur les art. 6 lettre b et 153 de la loi des finances du 6 février 1960. Il a néanmoins admis en fait la prétention du canton de Zoug à un préciput de 10%. Se fondant sur le projet de répartition établi par l'administration fiscale de ce dernier canton le 24 février 1964, il a taxé la société, pour l'année 1963, sur un montant correspondant à 90% du bénéfice et sur une partie du capital.
La société déposa une réclamation contre cette taxation, contestant principalement le droit du canton du Valais de l'imposer et proposant à titre éventuel, pour le cas où ce droit serait néanmoins reconnu, un autre calcul pour déterminer les montants imposables dans ce canton. La réclamation ayant été écartée, la société recourut à la Commission cantonale de recours en matière fiscale (en abrégé: CCR), en reprenant les mêmes conclusions. La CCR écarta le recours et reconnut le droit du canton du Valais d'imposer la société sur le bénéfice réalisé en Valais; elle renvoya l'affaire à l'autorité de taxation pour fixer le montant imposable.
C.-
Agissant par la voie du recours de droit public, I.N.C.I.SA requiert le Tribunal fédéral d'annuler la décision prise par la CCR du canton du Valais et d'obliger la CCR à reconnaître au seul canton de Zoug le droit d'imposer la recourante. Elle invoque la violation des art. 4 et 46 al. 2 Cst. Elle s'inscrit en faux contre l'affirmation de la CCR selon
BGE 94 I 328 S. 330
laquelle le siège social de Zoug ne serait qu'une boîte aux lettres et lui reproche d'avoir admis un tel fait arbitrairement, en l'absence de toute preuve. Elle conteste d'autre part le droit du canton du Valais de l'imposer, du fait qu'il n'existe dans ce canton aucun établissement stable qui puisse créer un domicile fiscal, un chantier de construction n'étant pas reconnu comme un tel établissement par la jurisprudence constante en matière de double imposition intercantonale. L'admission d'un domicile fiscal en Valais est ainsi arbitraire et constitue une violation de l'interdiction de la double imposition.
D.-
La CCR et le SCC du canton du Valais concluent au rejet du recours.
Invité à se déterminer, le Conseil d'Etat du canton de Zoug maintient la prétention de son canton à imposer la recourante. Il précise que pour les impôts cantonaux 1962/63, la recourante a été imposée dès le 1er juin 1962, par une taxation devenue définitive et fondée sur le projet de répartition communiqué au canton du Valais par lettre du 24 février 1964. Il confirme que la recourante a son siège à Zoug et y exerce son activité.
Le SCC du canton du Valais rétorque qu'il n'a jamais reconnu le droit du canton de Zoug d'imposer la recourante.
Erwägungen
Considérant en droit:
3.
La recourante est une société à responsabilité limitée constituée selon le droit italien, dont le siège est à Parme et dont tous les membres sont des ressortissants italiens. Comme il s'agit de l'imposition en Suisse du bénéfice provenant de son chantier valaisan, il se pose tout d'abord des questions de droit fiscal international.
a) Pour l'imposition des sociétés étrangères en Suisse, ce sont avant tout les conventions conclues par la Confédération ou les cantons avec les pays étrangers qui sont déterminantes. A défaut de telles conventions, il appartient au législateur fédéral - pour les impôts fédéraux - et au législateur cantonal - pour les impôts cantonaux - d'édicter les prescriptions nécessaires pour éviter les doubles impositions internationales, et de fixer les conditions subjectives et objectives de l'imposition en Suisse des sociétés étrangères. Si de telles prescriptions n'existent pas ou si elles sont insuffisantes pour résoudre un cas d'espèce, il faut appliquer les règles établies par la jurisprudence et faire appel aux principes généraux du droit (RO 73 I 199
BGE 94 I 328 S. 331
consid. 2; BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 2e éd., p. 81 ss.).
b) La Suisse n'a pas encore conclu de convention avec l'Italie en vue d'éviter la double imposition; une telle convention est seulement en préparation (cf. RIVIER, L'imposition des entreprises internationales, 1964, p. 19 note 10). Il appartient donc en première ligne à la législation valaisanne de déterminer si les travaux accomplis par la société recourante dans le canton du Valais peuvent être imposés par ce canton. Les autorités valaisannes affirment que la loi des finances du 6 février 1960 permet une telle imposition en son art. 153, qui traite de la répartition intercommunale de l'impôt, assimilant à un établissement stable des installations fixes ou des travaux dont la durée dépasse 6 mois.
c) Il faut noter d'autre part qu'en droit fiscal international, la tendance actuelle est d'admettre qu'un chantier de construction ou de montage constitue un établissement stable créant un domicile fiscal secondaire, si sa durée dépasse un certain temps. Le projet de convention de l'OCDE le prévoit expressément et fixe la durée minimum à 12 mois (cf. Cahiers de droit fiscal international, vol. Lll, 1967, p. 325; RIVIER, p. 69/70). Les conventions conclues par la Suisse depuis 1948 - à l'exception de celle conclue avec les Pays-Bas en 1951 - ont adopté le principe de l'imposition d'un chantier dans le pays de situation dès que la durée dépasse 12 mois (conventions avec la Suède, conclues en 1948 et en 1965, avec la Grande-Bretagne en 1954, avec la Finlande et la Norvège en 1956, avec le Pakistan en 1959, avec l'Espagne en 1966, de même que la nouvelle convention conclue avec la France en 1966, alors que la précédente, datant de 1953, prévoyait une durée minimum de 3 ans) ou 2 ans (Autriche 1953, Danemark 1957 et Irlande 1966). On peut donc dire que le droit fédéral admet la notion de l'établissement stable du droit international, comprenant notamment les chantiers de construction ou de montage qui dépassent une certaine durée, douze mois le plus souvent, comme le recommande l'OCDE. Rien ne s'oppose à ce que cette notion puisse être appliquée dans les rapports de la Suisse avec les pays qui n'ont pas conclu de convention avec elle.
d) De toute façon, en l'espèce, la recourante ne conteste pas qu'elle puisse être imposée en Suisse sur les bénéfices réalisés dans son chantier du Valais, dont la durée a dépassé douze
BGE 94 I 328 S. 332
mois: elle ne prétend pas que l'Italie l'impose également sur ces bénéfices et ne se plaint donc pas d'être victime d'une double imposition internationale. Elle ne prétend pas non plus que les autorités valaisannes appliquent arbitrairement à son cas la loi des finances de 1960, notamment l'art. 153 qu'elles invoquent pour fonder leur droit de l'imposer.
Si donc l'on admet qu'une entreprise italienne puisse être imposée, sur les bénéfices qu'elle tire d'un chantier de construction en Suisse, par le pays où est situé ce chantier, il faut en tirer la conséquence logique que, sur le plan interne également, elle soit imposée, sur de tels bénéfices, au lieu de situation du chantier.
e) Mais la recourante prétend que cette solution est contraire au principe que la jurisprudence a tiré de l'art. 46 al. 2 Cst., qui interdit la double imposition intercantonale. Selon cette jurisprudence en effet, un chantier de construction ne constitue pas un établissement stable fondant un domicile fiscal secondaire, quelle que soit la durée des travaux (RO 67 I 95). Il est vrai que cette jurisprudence, motivée notamment par le souci d'éviter un émiettement peu souhaitable de la matière fiscale, n'a pas manqué de soulever des critiques (cf. LUDWIG, dans Archives vol. 36 p. 4; RIVIER, p. 68 ss.) et il n'est pas exclu qu'elle soit un jour modifiée, notamment pour être mise en harmonie avec le principe - rappelé ci-dessus - qui prévaut de plus en plus en droit fiscal international. Il n'est cependant pas nécessaire d'envisager ici un tel changement, car en réalité l'imposition du chantier de la recourante par le canton du Valais n'est pas contraire à la jurisprudence en matière de double imposition intercantonale.
Cette jurisprudence en effet suppose qu'il s'agisse d'une entreprise qui ait en Suisse son siège principal, ou tout au moins un siège suffisamment important pour qu'il puisse être mis sur le même pied qu'un siège principal. Or cette condition n'est pas réalisée en l'espèce, comme on va le voir ci-dessous.
4.
Il n'est pas contesté que le siège principal de la société est à Parme, en Italie. Le siège de Zoug n'est que celui d'une succursale: il n'a de loin pas l'importance nécessaire pour pouvoir être considéré sur le plan interne comme un siège principal.
La recourante elle-même déclare qu'une succursale en Suisse, inscrite au registre du commerce, a été créée à la demande du maître de l'ouvrage, qui voulait sans doute pouvoir rechercher
BGE 94 I 328 S. 333
dans ce pays l'entreprise à laquelle il confiait d'importants travaux, devisés à plusieurs millions. Elle reconnaît même qu'elle n'aurait pas obtenu la commande si elle n'avait pas créé en Suisse une succursale avec constitution de for. Il apparaît ainsi que ce ne sont pas des raisons techniques d'exploitation, mais des raisons de nature commerciale et juridique qui sont à la base de la création de la succursale suisse.
D'ailleurs, la succursale de Zoug n'est dirigée que par une personne qui exerce cette fonction à titre accessoire, dans le cadre de son activité principale d'avocat; elle n'a pas engagé de personnel spécial, ni acquis ou loué des locaux particuliers. Il est vrai que l'absence d'installations fixes et permanentes à Zoug n'empêcherait pas que les affaires suisses puissent être en fait dirigées de Zoug (cf. Archives, vol. 29 p. 345; RO 45 I 204; Archives, vol. 34 p. 312).
Mais c'est surtout la nature des travaux accomplis au siège de la succursale qui est déterminante pour apprécier l'importance de cette dernière. Or il s'agit essentiellement, selon les indications données par la recourante, de travaux à caractère juridique (importation et dédouanement de machines et de matériel, liquidation d'un cas de responsabilité civile, rapport avec les autorités, questions fiscales et juridiques), travaux qui auraient fort bien pu être confiés à un bureau d'avocat, sans qu'il soit nécessaire de créer une succursale. La recourante ne prétend pas que sa succursale suisse se soit occupée de la direction technique des travaux, ni de la partie commerciale de l'entreprise, c'est-à-dire des affaires qui sont déterminantes pour la poursuite du but de la société et l'acquisition de ses revenus: recherche de commandes, organisation des travaux du point de vue technique et administratif, engagement et licenciement du personnel, surveillance des chantiers et coordination des travaux de plusieurs chantiers. On voit mal d'ailleurs comment un bureau d'avocat aurait pu s'occuper de tels travaux. Le mandataire de la recourante, qui est en même temps le gérant de la succursale de Zoug, ne prétend pas non plus avoir dû augmenter le nombre de ses collaborateurs et employés pour pouvoir accepter de se charger de cette succursale. Il ressort également du compte de profits et pertes au 28 février 1963 que pour une période de 9 mois, les frais administratifs de la succursale suisse se sont élevés à quelque 600 fr. seulement.
BGE 94 I 328 S. 334
Ainsi le siège de Zoug, même s'il n'est pas une simple boîte aux lettres comme le prétendent les autorités valaisannes, n'a cependant de loin pas l'importance qui lui permettrait d'être traité comme un siège principal en Suisse. Partant la jurisprudence du Tribunal fédéral, selon laquelle les revenus provenant d'un chantier situé dans un autre canton sont imposables dans le canton où l'entreprise a son administration effective, n'est pas applicable en l'espèce. Rien n'empêche donc d'imposer les revenus de chantier au lieu de situation en Suisse.
La recourante n'ayant pas contesté que le droit valaisan permette l'imposition d'un tel chantier, il n'y a pas lieu d'examiner plus à fond cette question.
5.
Le fait que la recourante peut être imposée, pour son activité en Suisse, dans le canton de situation du chantier n'exclut cependant pas la possibilité pour le canton de Zoug de l'imposer aussi en partie. Le siège de Zoug, on l'a vu, n'est pas une simple "boîte aux lettres"; l'activité qui s'y exerce, même si elle n'est que secondaire pour l'obtention des bénéfices réalisés en Suisse, n'est cependant pas sans importance. On ne pourrait dénier la qualité d'établissement au siège de Zoug que si l'activité qu'il déploie était absolument insignifiante (RO 62 I 139, 80 I 197). S'agissant d'une entreprise étrangère, qui n'a en Suisse qu'une succursale inscrite au registre du commerce, on ne peut pas dire que cette succursale soit démunie d'importance; l'inscription au registre du commerce a notamment créé un for en Suisse, où la société étrangère peut être recherchée pour les affaires qu'elle y traite. Il faut donc reconnaître aussi au siège de Zoug le caractère d'établissement, ce qui permet d'y imposer la société sur une partie de ses bénéfices réalisés en Suisse.
On se trouve ainsi en présence de deux domiciles secondaires en Suisse, entre lesquels il y a lieu de répartir la matière fiscale. a) En ce qui concerne les bénéfices imposables, il est difficile d'apprécier dans quelle mesure l'activité déployée à Zoug a contribué à l'obtention des bénéfices réalisés en Suisse. Cependant au cours de la procédure de taxation, le canton de Zoug a proposé une répartition de 90% pour le Valais et de 10% pour lui. Sans reconnaître le droit d'imposition du canton de Zoug, le SCC du canton du Valais a néanmoins admis bénévolement cette répartition et a imposé la recourante sur le montant correspondant à 90% du bénéfice. De son côté, le canton de
BGE 94 I 328 S. 335
Zoug a prélevé l'impôt sur le 10% restant. Une telle répartition paraît convenable; en tout cas, elle tient suffisamment compte du lien économique de la société avec le canton de Zoug. D'ailleurs on peut déduire de la réponse donnée au recours de droit public par la CCR du canton du Valais, que celle-ci reconnaît non seulement le fait qu'un arrangement soit intervenu sur cette base entre les deux cantons, mais également la validité d'un tel arrangement. Il est vrai que le Conseil d'Etat de Zoug n'a pas prétendu expressément, dans sa réponse, que le Valais avait perdu le droit de revendiquer l'imposition de tout le bénéfice en acceptant bénévolement le projet de répartition de l'administration fiscale zougoise; mais sa réponse, qui se réfère à cette acceptation, a pratiquement bien ce sens.
Dans ces conditions, il se justifie de reconnaître au canton de Zoug le droit d'imposer la recourante sur une quote-part de 10% du bénéfice réalisé en Suisse. Le recours doit donc être admis partiellement dans cette mesure.
b) S'agissant de l'imposition du capital, la cour constate que le projet de répartition du canton de Zoug a aussi été admis pour la taxation dans les deux cantons. Cette imposition n'a pas fait l'objet de conclusions expresses dans les réclamation et recours successifs, ni de décisions expresses dans la procédure cantonale valaisanne. Cependant, en demandant l'annulation de la taxation valaisanne, qui concernait et le bénéfice et le capital, la recourante requiert aussi une décision sur l'imposition du capital.
D'après le bilan de la société au 28 février 1963, 15,57% des actifs, consistant en un avoir en compte courant, se trouvaient dans le canton de Zoug, 7,83% représentant notamment des machines, dans le canton du Valais et le reste à l'étranger. Il est probable que le compte courant de Zoug a servi au financement de l'activité du chantier valaisan; mais l'importance de cette participation n'a pas été prouvée par le fisc valaisan. Il n'est pas exclu que le montant en compte courant contenait une partie des bénéfices à verser au siège de la société en Italie. En tout cas, la localisation du compte courant dans le canton de Zoug n'était pas fortuite, mais en rapport avec l'activité du siège suisse de la société. Dans ces conditions, il se justifie d'attribuer au canton de Zoug la faculté d'imposer cet actif, en suivant également la proposition de répartition admise en fait par le fisc valaisan. Ainsi le recours doit aussi être admis partiellement sur ce point;
BGE 94 I 328 S. 336
les cantons du Valais et de Zoug pourront imposer dans la proportion sus-indiquée les éléments du capital imposables en Suisse.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet partiellement le recours dans le sens des considérants. | public_law | nan | fr | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
7dfd7a42-ff60-422e-a963-b9eb63318f45 | Urteilskopf
83 II 491
66. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1957 i.S. H. B. gegen E. B. | Regeste
Vorsorgliche Massnahmen im Ehescheidungs- oder -trennungsprozess.
Art. 145 ZGB
. Örtliche Zuständigkeit.
1. Prüfungspflicht des Richters (Erw. 1).
2. Ob die Ehefrau bei Anhebung ihrer Klage am Orte des Prozesses selbständigen Wohnsitz erworben hatte, ist bei schweizerischer Nationalität der Parteien ausschliesslich nach schweizerischem Recht zu entscheiden, auch wenn sich der Wohnsitz des Ehemannes im Ausland befindet (Erw. 2).
3. Die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes durch Vereinbarung gibt der Ehefrau kein Recht auf Begründung eines selbständigen Wohnsitzes. Tritt aber während des getrennten Lebens eines der in
Art. 170 Abs. 1 ZGB
berücksichtigten Gefährdungsmomente ein, so ist diese Vorschrift analog anzuwenden (Erw. 3).
4. Wann liegt Wohnsitznahme vor? (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 492
BGE 83 II 491 S. 492
A.-
Die am 3. Februar 1951 getrauten Parteien sind Bürger von Hergiswil, Kanton Nidwalden. Sie nahmen im April 1951 Wohnsitz in Madrid, wo der Ehemann noch heute als Ingenieur tätig ist. Er hat aus erster Ehe einen Knaben. Der Ehe der Parteien sind vier Kinder entsprossen.
B.-
Bald nach Eheabschluss entstanden Schwierigkeiten zwischen den Parteien, nach der Darstellung des Ehemannes wegen Geisteskrankheit der Ehefrau, nach deren eigenen Darstellung wegen Verschuldens des Ehemannes, der seit Jahren auf eine Ehescheidung hinarbeite. Die Ehefrau liess sich seit 1953 mehrmals psychiatrisch untersuchen und behandeln. Bei der Entlassung aus dem Sanatorium Rosalar bei Madrid im Mai 1956 wurde ihr eine sechsmonatige Nachkur mit Arbeitstherapie in der Schweiz empfohlen; unmittelbare Rückkehr in das Familienleben sei nicht ratsam, weil gerade dort "ihre Krankheitsäusserungen auftraten".
C.-
Nach ihrem Aufenthalt in der Schweiz kehrte Frau B. nach Madrid zurück, doch begannen die ehelichen Spannungen erneut. Daher schlossen die Eheleute am 15. April 1957 eine Vereinbarung über die Trennung während eines Jahres. Die Ziffern 3 und 5 der Vereinbarung lauten:
"3o - El esposo y los hijos del matrimonio continuaran en el domicilio conyugal, en Madrid. - La esposa podrá elegir cualquier otro lugar de residencia, con excepción de Madrid.
5o - La esposa tendrá derecho a tener consigo los hijos del matrimonio durante un mes, en el próximo verano."
BGE 83 II 491 S. 493
Übersetzung:
"3. - Der Gatte und die der Ehe entstammenden Kinder bleiben am ehelichen Domizil, in Madrid. - Die Gattin kann irgendeinen andern Aufenthaltsort wählen, ausgenommen Madrid.
5. - Die Gattin hat das Recht, im kommenden Sommer die der Ehe entstammenden Kinder während eines Monats bei sich zu haben."
Nach Unterzeichnung dieser Vereinbarung siedelte Frau B. mit Zustimmung des Ehemannes nach Barcelona über, wo sie während rund dreier Monate in einer Familie mit sieben Kindern als Kinderpflegerin arbeitete.
D.-
Am 15. Juli 1957 reiste sie nach Madrid, um dort, gemäss Ziffer 5 der Trennungsvereinbarung und vom Heimweh nach den Kindern getrieben, die Ferien zu verbringen. Sie konnte sich nur mit Mühe Eintritt in die eheliche Wohnung verschaffen. Dort traf sie die vom Ehemann angestellte Kinderbetreuerin mit den drei jüngern Kindern an. Der Ehemann befand sich mit der ältesten Tochter Silvia und mit deren Stiefbruder Bruno ferienhalber in der Schweiz. Am 17. Juli 1957 schrieb sie dem Manne an den Ferienort folgenden Brief:
"Am 15. Juli bin ich auf Rat meiner Eltern und der Oberin des Klosters nach Madrid gereist. Zuerst ging ich zum Advokaten, um ihn davon in Kenntnis zu setzen. Das Heimweh nach Dir und den Kindern war so unbeschreiblich gross, dass ich nicht mehr länger warten konnte. Du erinnerst Dich gewiss, dass Du mir vor meinem Fortgehen gesagt hast, dass wenn es Dir nicht möglich sei, für uns in der Sierra eine Wohnung zu finden, dass ich dann heimkommen könne. Daran wirst Du Dich sicher erinnern. Als ich also am Montagnachmittag voller freudigem Herzklopfen auf das Wiedersehen mit Dir und den Kindern unter der Türe stand, wollte man mich nicht hereinlassen und probierte mir die Türe vor der Nase zuzuschlagen. Ich war dann überrascht zu vernehmen, dass Du mit Bruno und Silveli in der Schweiz seiest.
Der Anwalt und Hr. Sch. haben mir nun angeraten, in die Schweiz zu reisen und mich mit Dir zu treffen. Ich werde die anderen, d.h. Barbara, Pedro und Rafael mitnehmen. Ich werde heimgehen an die ..... strasse. Von Herzen hoffe ich, dass Du und ich uns dann treffen werden. Meine Eltern freuen sich auf ihre Enkelkinder, welche sie kaum kennen. Ich wünsche Dir und den Kindern recht schöne und frohe Ferientage. Lass mir Bruno und Silvia herzlich grüssen. Lieben Gruss Elisabeth."
Der Ehemann war schon vor Empfang dieses Briefes von
BGE 83 II 491 S. 494
der Heimkehr der Ehefrau benachrichtigt worden. Er sandte ihr am 17. Juli 1957 folgendes Telegramm:
"Habe Kenntnis, dass Du Vertrag gebrochen. Fordere Dich auf, Wohnung sofort zu verlassen und frühern Zustand wieder herzustellen. H. .. B. .."
Am folgenden Tage liess er seinen in Solothurn wohnenden Schwiegereltern durch seinen Anwalt mitteilen, er habe nach Verletzung der Konvention durch seine Ehefrau keinen Anlass mehr, mit der Scheidung länger zuzuwarten. Zugleich legte der Anwalt den Schwiegereltern nahe, Frau B. anzuhalten, unverzüglich in die Schweiz zurückzukehren. Sein Klient lehne es ab, weiter für den Unterhalt seiner Frau aufzukommen.
E.-
Diese reiste am 26. Juli 1957 mit den drei jüngern Kindern in ihr Elternhaus nach Solothurn. Tags darauf erhob sie dort mündliche Klage auf Trennung der Ehe, und am 29. gl.M. stellte sie ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen für die Prozessdauer. Doch trat der Gerichtsstatthalter von Solothurn-Lebern am 3. August 1957 auf dieses Gesuch nicht ein, mit der Begründung, er sei dazu örtlich nicht zuständig, weil es an den Voraussetzungen zur Begründung eines selbständigen Wohnsitzes der Ehefrau fehle. Gegen diesen Nichteintretensentscheid führte die Ehefrau beim Obergericht des Kantons Solothurn Beschwerde.
F.-
Am 1. August 1957 hatte der Ehemann seinerseits beim Kantonsgerichtspräsidenten von Nidwalden als dem Richter des Heimatortes nach
Art. 7 g NAG
Scheidungsklage angehoben. Gleichen Tages verlangte er beim nämlichen Richter die Anordnung vorsorglicher Massnahmen. Die Ehefrau wies demgegenüber auf ihre Wohnsitznahme in Solothurn und auf die von ihr dort am 27. Juli 1957 eingereichte Ehetrennungsklage hin. Der Kantonsgerichtspräsident von Nidwalden verfügte jedoch am 16. August 1957, ohne die Zuständigkeitsfrage zu erörtern, vorsorgliche Massnahmen und wies dabei die vier der Ehe entstammenden Kinder für die Prozessdauer dem Vater zu.
BGE 83 II 491 S. 495
G.-
Die Ehefrau focht diesen in einziger kantonaler Instanz gefällten Entscheid durch Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne von
Art. 68 Abs. 1 lit. b OG
wegen Verletzung eidgenössischer Normen über die örtliche Zuständigkeit beim Bundesgericht an (C 282). Ihre kantonalrechtliche Beschwerde gegen den in Solothurn bezüglich ihres eigenen Gesuches ergangenen Nichteintretensentscheid hatte Erfolg, indem das Solothurner Obergericht am 18. September 1957 jenen Entscheid aufhob und den Gerichtspräsidenten von Solothurn-Lebern anwies, über die von der Ehefrau nachgesuchten Massnahmen zu verfügen. Dieser oberinstanzliche Entscheid ist Gegenstand der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde des Ehemannes, der im Gegensatz zur Ehefrau den Nidwaldner Entscheid für richtig hält und die Bejahung des Gerichtsstandes Solothurn als gegen bundesrechtliche Zuständigkeitsnormen verstossend erachtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Vorsorgliche Massnahmen im Ehescheidungs- oder -trennungsprozesse nach
Art. 145 ZGB
sind grundsätzlich vom Richter zu treffen, bei dem der Hauptprozess hängig ist. Ist aber die örtliche Zuständigkeit für den Hauptprozess bestritten oder nach den Akten zweifelhaft, so hat der Richter wenigstens in summarischer Weise zu prüfen, ob der Gerichtsstand für die Hauptklage zutreffe, und bei offensichtlichem Fehlen dieser Zuständigkeit hat er das Gesuch um Anordnung vorsorglicher Massnahmen von der Hand zu weisen (
BGE 53 I 57
,
BGE 54 I 114
,
BGE 64 II 397
). Im vorliegenden Falle waren in dieser Hinsicht allerdings gewisse Zweifel begründet, aber von offensichtlichem, zweifellosem Fehlen des solothurnischen Gerichtsstandes liess sich nicht mit gutem Grunde sprechen. Bei dieser Sachlage war der dort augerufene Richter gehalten, entweder - bei Dringlichkeit der von der Ehefrau begehrten Massnahmen - über das Gesuch zu verfügen, womit der Entscheidung der Gerichtsstandsfrage für den Hauptprozess nicht vorgegriffen worden wäre, oder - bei Verneinung der Dringlichkeit
BGE 83 II 491 S. 496
- die für die Zuständigkeitsfrage wesentlichen Tatsachen vorerst näher abzuklären. Dies hat dann das Obergericht in dem gegen den Nichteintretensentscheid eingeleiteten Beschwerdeverfahren getan, mit dem Ergebnis, dass nun der solothurnische Gerichtsstand als wohlbegründet erscheint, zumal auch zur Anordnung vorsorglicher Massnahmen. Damit entfällt angesichts der Priorität der in Solothurn hängig gemachten Klage der vom Ehemann in Anspruch genommene konkurrierende Gerichtsstand der Heimat nach
Art. 7 g NAG
, da für die beidseitigen Klagen und daher auch für vorsorgliche Massnahmen während der Prozessdauer ein einheitlicher Gerichtsstand des Sachzusammenhanges besteht (
BGE 64 II 182
,
BGE 80 II 97
).
2.
Ob die Ehefrau bei Anhebung ihrer Ehetrennungsklage am 27. Juli 1957 in Solothurn ihren Wohnsitz und Gerichtsstand nach
Art. 144 ZGB
an diesem Ort gehabt habe, ist nach schweizerischem Recht zu entscheiden. Denn
Art. 144 ZGB
wie übrigens auch der für einen ausländischen Ehegatten geltende
Art. 7 h NAG
hat den Wohnsitz nach schweizerischem Recht im Auge. Bei Ausländern kann freilich das zusätzliche Erfordernis eines Wohnsitzes in der Schweiz nach dem Rechte des Heimatstaates hinzukommen, wenn dieser nämlich die (nach
Art. 7 h NAG
notwendige) Anerkennung des schweizerischen Gerichtsstandes vom Vorliegen eines Wohnsitzes des einen oder beider Parteien in der Schweiz nach seinem eigenen Wohnsitzbegriffe abhängig macht (vgl. STAUFFER, N. 8 zu
Art. 7 h NAG
; derselbe, Die Scheidung von Ausländern in der Schweiz, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 59 S. 2/3). Das spielt aber im vorliegenden Fall keine Rolle, da die Parteien Schweizerbürger sind. Die Ehefrau konnte daher die Trennungsklage in Solothurn erheben, sofern sie nach schweizerischem Recht befugt war, getrennt zu leben (Art. 25 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 170 Abs. 1 ZGB
) und tatsächlich im Sinne von
Art. 23 ZGB
am erwähnten Orte Wohnsitz genommen hatte (
BGE 69 II 275
Erw. 2,
BGE 77 II 17
). Dieser Rechtsanwendung steht nicht entgegen,
BGE 83 II 491 S. 497
dass sich der Wohnsitz des Ehemannes im Ausland befindet (
BGE 56 II 338
Erw. 3). Der in diesem Punkt abweichenden Ansicht von BECK (am Ende von N. 20 der Vorbemerkungen zu Art. 59 SchlT) ist nicht beizutreten, zumal die sich aus den
Art. 169 ff. ZGB
ergebenden Ansprüche eines Ehegatten auf Gründen der öffentlichen Ordnung beruhen (vgl.
BGE 68 II 13
Erw. 2).
3.
Aus der zwischen den Parteien abgeschlossenen Trennungsvereinbarung vom 15. April 1957 lässt sich ein Anspruch der Ehefrau auf Getrenntleben im Sinne von
Art. 25 Abs. 2 ZGB
mit dem Recht auf selbständige Wohnsitznahme nicht ableiten. Einmal ist dies nicht der Sinn der Vereinbarung selbst, die der Ehefrau nur die Wahl eines (mehr oder weniger ständigen) "lugar de residencia" anheimstellt, im Gegensatze zu dem in Madrid verbleibenden "domicilio conyugal". Sodann wurde die Vereinbarung nur auf die Dauer eines Jahres abgeschlossen, zu dem bestimmten Zwecke, gesundheitlichen Störungen der Ehefrau Rechnung zu tragen. Im übrigen ist es nach schweizerischem Recht gar nicht zulässig, die Ehefrau durch eine Vereinbarung zum Getrenntleben und zur Begründung eines selbständigen Wohnsitzes zu ermächtigen, sofern es hiefür an einem gesetzlichen Grund im Sinne von
Art. 170 Abs. 1 ZGB
gebricht (
BGE 41 I 105
und 302,
BGE 47 I 425
Mitte).
Hier ist nun nicht die Rede davon, dass der gute Ruf der Ehefrau durch das eheliche Zusammenleben gefährdet worden wäre. Sie hatte ferner während des Zusammenlebens ihr reichliches Auskommen als Ehefrau besseren Standes. Für die Dauer der vereinbarten Trennung war ihr alsdann ein auskömmlicher Unterhaltsbeitrag von 2000 Pesetas monatlich zugesichert, die sie nach vorliegenden Ausweisen jeweilen erhielt, zuletzt am 3. Juli 1957. Ob die Trennung mit Rücksicht auf ihre Gesundheit notwendig war, ist im gegenwärtigen Verfahren nicht abgeklärt; jedenfalls war die Trennung als vorübergehende gedacht.
Nun liess aber der Ehemann am 18. Juli 1957 den Eltern
BGE 83 II 491 S. 498
der Ehefrau zu deren Handen durch seinen Anwalt mitteilen, er lehne es ab, in Zukunft für ihren Unterhalt aufzukommen, nachdem sie sich nicht an die Trennungsvereinbarung gehalten habe. Von diesem Augenblick an war das wirtschaftliche Auskommen der Ehefrau gefährdet, allerdings nicht "durch das Zusammenleben", das bereits Mitte April 1957 aufgehört hatte, jedoch überhaupt. Der Mann verweigerte ihr nicht nur die Rückkehr in die eheliche Wohnung und das Verbleiben darin, sondern auch die Mittel für den laufenden Unterhalt. Auf einen solchen Fall ist
Art. 170 Abs. 1 ZGB
ebenfalls anzuwenden. Er fasst den Normalfall ins Auge, dass die wirtschaftliche Gefährung während des Zusammenlebens eintritt und die Ehefrau zum Getrenntleben nötigt, damit sie selbständig ihr Auskommen finde. Die gleiche Notlage ist aber gegeben, wenn der gemeinsame Haushalt aus andern Gründen durch Vereinbarung aufgehoben wird, unter Beitragspflicht des Ehemannes, und dieser dann in einem spätern Zeitpunkt seine Beiträge einstellt, so dass die Ehefrau nun auf sich selbst angewiesen ist. Auch in diesem Falle trifft der gesetzgeberische Grund von
Art. 170 Abs. 1 ZGB
zu; die Ehefrau muss nun im eigentlichen, gesetzlichen Sinne zum Getrenntleben berechtigt und freizügig sein, d.h. einen selbständigen Wohnsitz nehmen können. Mit Recht erklärt daher die Vorinstanz, die Aufzählung der Auflösungsgründe in
Art. 170 Abs. 1 ZGB
sei nicht abschliessend, diese Vorschrift sei analoger Anwendung zugänglich (vgl. auch LEMP, N. 1 zu Art. 170). In diesem Sinne hat das Bundesgericht denn auch
Art. 170 Abs. 1 ZGB
einem Ehemann gegenüber angewendet, der die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft an Bedingungen knüpfte, die zu erfüllen der Ehefrau nicht zugemutet werden konnte (
BGE 56 II 338
, vgl. auchBGE 54 I 117). Gleiches gilt, wenn der Ehemann die Ehefrau verlässt oder verstösst (EGGER, N. 3, und LEMP, N. 2 zu Art. 170), wie es der Beschwerdeführer mit den durch seinen Anwalt abgegebenen Erklärungen vom 18. Juli 1957 getan hat.
BGE 83 II 491 S. 499
Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts (Art. 74 in Verbindung mit
Art. 63 Abs. 2 OG
) ist der Ehefrau ausserdem aus gesundheitlichen Gründen ein Recht auf Getrenntleben nach
Art. 170 Abs. 1 ZGB
erwachsen. Es fällt nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische Gesundheit in Betracht (
BGE 79 II 126
), und nun stellt der angefochtene Entscheid fest, nach den vorliegenden Arztzeugnissen habe die unnachgiebige Haltung des Ehemannes, verbunden mit dem Befehl zur Räumung der Wohnung, bei der Frau einen Schock verursacht; angesichts ihrer besondern Anfälligkeit für psychisch abnorme Reaktionen würde "ein weiterer Verbleib in der derart moralisch belastenden Atmosphäre dieser nach allem wohl hoffnungslos zerrütteten ehelichen Gemeinschaft für die ohnehin sehr sensible Frau noch viel schwerere seelische und damit gesundheitliche Schädigungen zur Folge gehabt haben, als dies bereits der Fall war".
4.
Die somit zum Getrenntleben berechtigte Ehefrau hat am 26. Juli 1957 durch Übersiedlung zu ihren Eltern nach Solothurn mit den drei in Madrid angetroffenen Kindern einen wahren Wohnsitz im Sinne von
Art. 23 ZGB
begründet und damit einen Gerichtsstand nach
Art. 144 ZGB
erworben. Keinen derartigen Wohnsitz schafft zwar die Niederlassung an einem Orte zum blossen Zweck, dort den Scheidungs- oder Trennungsprozess einzuleiten (
BGE 42 I 144
Erw. 3,
BGE 64 II 399
/400). So verhielt es sich hier aber nicht. Gewiss erhob die Beschwerdegegnerin wohl deshalb so bald nach ihrer Übersiedlung nach Solothurn ihre Ehetrennungsklage, um dort den Gerichtsstand für die nach den Drohungen des Ehemannes unvermeidliche Auseinandersetzung festzulegen. Dazu war sie jedoch berechtigt, weil die Aufenthaltnahme in Solothurn unter den gegebenen Umständen nicht als blosse Machenschaft zu Prozesszwecken erscheint. Da die Beschwerdegegnerin, wie dargetan, durch das Verhalten des Mannes gezwungen worden war, sich eine von ihm unabhängige Existenz zu schaffen, ist die Annahme des Obergerichts hinreichend
BGE 83 II 491 S. 500
begründet, sie habe sich in Solothurn, wo ihr die Eltern Unterkunft gewährten, und wo sie aufgewachsen war, zu dauerndem Verbleib, ohne Rücksicht auf die Prozessdauer, niedergelassen, also eben den Mittelpunkt ihres Lebens bis auf weiteres dorthin verlegt und damit Wohnsitz genommen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7e0442af-22bd-4bf1-8c51-de324e6c7c55 | Urteilskopf
108 Ib 540
91. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Dezember 1982 i.S. Denner AG gegen EVD (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 8, 9 Abs. 2, 25 VwVG
.
1. Die Mitteilung an eine Partei, dass ihre Eingabe im Sinne von
Art. 8 VwVG
an die zuständige Behörde überwiesen worden sei, ist eine Verfügung im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 VwVG
, sofern die Partei die Zuständigkeit der befassten Behörde "behauptet" hatte (E. 2).
2. Für Feststellungsverfügungen ist die zum Erlass entsprechender Leistungs- oder Gestaltungsverfügungen kompetente Behörde zuständig; dies gilt auch dann, wenn ausschliesslich die Rechtmässigkeit einer Verordnung umstritten ist (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 540
BGE 108 Ib 540 S. 540
Am 4. Dezember 1981 gelangte die Denner AG an das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) mit dem Begehren, es
BGE 108 Ib 540 S. 541
sei festzustellen, dass sie infolge Gesetzwidrigkeit der bundesrätlichen Verordnung über einen Zollzuschlag auf Einfuhren von Rotwein in Flaschen berechtigt sei, Rotwein in Flaschen ohne Belastung mit Zollzuschlägen unbeschränkt einzuführen. Dieses Begehren ergänzte sie am 13. Januar 1982 und stellte zusätzlich den Antrag, es sei festzustellen, dass ab Inkraftsetzung der bundesrätlichen Verordnung vom 4. Oktober 1976 über einen Zollzuschlag auf Einfuhren von Rotwein in Flaschen, ersetzt durch die bundesrätliche Verordnung vom 17. Oktober 1979, die Zollzuschläge widerrechtlich erhoben wurden, und es sei die Oberzolldirektion anzuweisen, die von der Denner AG entrichteten Zollzuschläge zurückzuerstatten.
Mit Schreiben vom 29. Januar 1982 teilte das EVD der Denner AG mit, das Departement erachte sich zur Behandlung dieser Begehren nicht als zuständig und habe daher die Eingabe gemäss
Art. 8 VwVG
der Eidgenössischen Zollverwaltung überwiesen.
Am 10. März 1982 ersuchte die Denner AG das EVD ausserdem, zu folgenden Begehren Feststellungsverfügungen im Sinne von
Art. 25 VwVG
zu erlassen:
"1. Es sei festzustellen, dass als Inlandproduktion von Rotwein und Weisswein, die den Schutz des Landwirtschaftsgesetzes geniessen soll, nur Weinmengen zuzulassen bzw. anzuerkennen sind, die aus eigentlichen bäuerlichen, nicht gewerblichen oder industriellen Betrieben stammen, reduziert um die Mengen Importwein, die für die Inlandproduktion verwendet werden.
Falls das Bundesamt für Landwirtschaft zur Feststellung zuständig sein sollte, sei dieses Amt anzuweisen, die entsprechende Verfügung zu erlassen, oder das Feststellungsbegehren sei diesem Amt zum Erlass der Verfügung zu überweisen.
2. Es sei festzustellen, dass das Importverbot von kuranten weissen Naturweinen der Tarifnummern 2205.12, 2205.22 und 2205.30 ungültig ist, und es seien, falls an der Kontingentierung festgehalten wird, der DENNER AG je nach Wahl Weissweinkontingente für den Import in Fässern oder in Flaschen zur Verfügung zu stellen, soweit ihr Bedarf nicht durch inländische Weissweine gedeckt werden kann.
Soweit das Bundesamt für Aussenwirtschaft bzw. die Abteilung für Ein- und Ausfuhr diesbezüglich zuständig ist, sei das Amt bzw. die Abteilung anzuweisen, die entsprechenden Verfügungen zu erlassen, oder das Begehren sei diesem Amt bzw. dieser Abteilung zum Erlass der entsprechenden Verfügungen zu überweisen.
3. Es sei festzustellen, dass die DENNER AG nicht verpflichtet ist, sich bei der Einfuhr der als Spezialitäten anerkannten weissen Qualitätsweine der Tarifnummern 2205.12, 22, 30 in Flaschen der Kontingentierung zu unterwerfen.
BGE 108 Ib 540 S. 542
4. Es sei, falls die Kontingentierung weiterbesteht, festzustellen, dass den inländischen Weinproduzenten und ihren Verwertungsorganisationen, die durch das Landwirtschaftsgesetz geschützt werden, keine Einfuhrbewilligungen zustehen, mit Ausnahme der importierten Weinmengen, die zur Veredelung der inländischen Weinproduktion bzw. zur Beimischung zu inländischem Wein benötigt werden.
Soweit das Bundesamt für Aussenwirtschaft bzw. die Abteilung für Ein- und Ausfuhr zuständig ist, sei dieses Amt bzw. diese Abteilung anzuweisen, die entsprechenden Verfügungen zu erlassen, oder es sei das Begehren diesem Amt bzw. dieser Abteilung zum Erlass der Verfügungen zu überweisen.
5. Es sei, falls die Kontingentierung weiterbesteht, festzustellen, dass für die durch die Institution der Importkontingente benachteiligte DENNER AG anstelle von Importkontingenten ein Anspruch auf Umsatzkontingente besteht.
Soweit das Bundesamt für Aussenwirtschaft bzw. die Abteilung für Ein- und Ausfuhr zuständig ist, sei dieses Amt bzw. diese Abteilung anzuweisen, die entsprechenden Verfügungen zu erlassen, oder es sei das Begehren diesem Amt bzw. dieser Abteilung zwecks Erlass der Verfügungen zu überweisen.
6. Es sei, falls die Kontingentierung weiterbesteht, festzustellen, dass für die durch die Institution der Länderkontingente benachteiligte DENNER AG anstelle von Länderkontingenten ein Anspruch auf Globalkontingente besteht.
Soweit das Bundesamt für Aussenwirtschaft bzw. die Abteilung für Ein- und Ausfuhr zuständig ist, sei dieses Amt bzw. diese Abteilung anzuweisen, die entsprechenden Verfügungen zu erlassen, oder es sei das Begehren diesem Amt bzw. dieser Abteilung zum Erlass der Verfügungen zu überweisen.
7. Es sei festzustellen, dass die DENNER AG berechtigt ist, rote Naturweine der Tarifnummern 2205.10, 2205.20 und 2205.30, je nach ihrer Wahl, sowohl in Fässern als auch in Flaschen unbeschränkt einzuführen (ohne Kontingentierung), und es sei festzustellen, dass, falls die inländische Rotweinproduktion nicht zu angemessenen Preisen abgesetzt werden kann, unter Aufhebung der Kontingentierung die Importeure von roten Naturweinen zur Übernahme der nicht absetzbaren Inlandproduktion von Rotwein verpflichtet sind."
Mit Verfügung vom 21. April 1982 trat das EVD auf diese Begehren nicht ein und überwies die Akten zuständigkeitshalber an das Bundesamt für Landwirtschaft, die Abteilung für Ein- und Ausfuhr des Bundesamtes für Aussenwirtschaft und die Eidgenössische Zollverwaltung.
Gegen die Mitteilung des EVD vom 29. Januar 1982 und gegen die Nichteintretensverfügung vom 21. April 1982 erhebt die Denner AG mit Eingaben vom 9. Februar 1982 und vom 21. Mai 1982 Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie stellt in beiden Fällen den Antrag, das EVD sei zur Behandlung ihrer Feststellungsbegehren
BGE 108 Ib 540 S. 543
als zuständig zu erklären und die Sache sei zur materiellen Behandlung an die EVD zurückzuweisen.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde gegen die Mitteilung vom 29. Januar 1982 nicht ein und weist die Beschwerde gegen die Verfügung vom 21. April 1982 ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 97 OG
beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG). Als Verfügungen gelten nach
Art. 5 VwVG
Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und unter anderem die Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten und Pflichten, oder Nichteintreten auf solche Begehren, zum Gegenstand haben (
Art. 5 Abs. 1 VwVG
). Als Verfügungen gelten auch Zwischenverfügungen im Sinne von
Art. 45 VwVG
(
Art. 5 Abs. 2 VwVG
).
a) Die Beschwerde vom 9. Februar 1982 richtet sich gegen die Mitteilung des EVD an die Beschwerdeführerin, dass sich das Departement zur Behandlung der Feststellungsbegehren vom 4. Dezember 1981 und vom 13. Januar 1982 nicht als zuständig erachte und deshalb die Sache gemäss
Art. 8 VwVG
der Eidg. Zollverwaltung überwiesen habe. Während die Beschwerdeführerin in diesem Schreiben des EVD eine Verfügung sieht, dass auf ihre Begehren mangels Zuständigkeit nicht eingetreten werde, vertritt das EVD die Ansicht, es handle sich um eine blosse Ankündigung verwaltungsinternen Handelns.
aa) Das VwVG unterscheidet zwischen Kompetenzkonflikten unter Behörden einerseits und Kompetenzstreitigkeiten zwischen Behörden und Privaten anderseits (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 24. September 1965 in BBl 1965 II 1365 betr. Art. 7 und 8 des bundesrätlichen Entwurfs).
Art. 8 VwVG
soll die Erledigung durch Nichteintretensverfügung verhindern (vgl. SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, Basel 1979 S. 109) und schreibt deshalb der Behörde, die sich als unzuständig erachtet oder über ihre Zuständigkeit im Zweifel ist, die Überweisung der Sache an die zuständige Behörde bzw. die Eröffnung eines Meinungsaustausches vor. Sofern die beteiligten Behörden im
BGE 108 Ib 540 S. 544
- verwaltungsinternen - Verfahren nach
Art. 8 VwVG
über ihre Zuständigkeit keine übereinstimmende Auffassung erzielen, hat gemäss
Art. 9 Abs. 3 VwVG
die gemeinsame Aufsichtsbehörde zu befinden.
Anders verhält es sich, wenn eine Partei die Zuständigkeit einer bestimmten Behörde behauptet oder umgekehrt deren Zuständigkeit bestreitet. In diesem Fall hat die Behörde gemäss Art. 9 Abs. 1 bzw. Abs. 2 VwVG eine Verfügung über ihre Zuständigkeit zu erlassen. Diese Verfügung unterliegt der Anfechtung auf dem ordentlichen Rechtsmittelweg (vgl. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1979 S. 68). Eine derartige Verfügung im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 VwVG
kann auch in der Mitteilung bestehen, dass sich die Behörde nicht als zuständig erachte und daher die Sache an die zuständige Behörde überwiesen habe oder überweisen wolle. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Partei die Zuständigkeit der befassten Behörde ausdrücklich behauptet hat oder dass die Behörde nach den Umständen erkennen musste, dass die Partei ihre Zuständigkeit behaupten wolle. Eine Behauptung der Zuständigkeit im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 VwVG
ist nicht schon darin zu sehen, dass eine Eingabe an eine bestimmte Behörde gerichtet wird. Damit bringt die Partei nur zum Ausdruck, dass sie die befasste Behörde als zuständig erachte. Die Partei muss jedoch zu erkennen geben, dass ihr an einem Entscheid gerade durch die befasste Behörde liege, damit von einer Behauptung im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 VwVG
gesprochen werden kann.
bb) Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Eingabe vom 4. Dezember 1981 zwar begründet, weshalb sie das EVD zur Behandlung ihrer Begehren als zuständig erachte. ob in einer derartigen Begründung unter Umständen eine Behauptung der Zuständigkeit im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 VwVG
gesehen werden könnte, sei dahingestellt. Die Beschwerdeführerin hat jedenfalls ausdrücklich die Bemerkung angefügt, das EVD möge ihre Eingabe an das zuständige Departement weiterleiten, wenn seine Zuständigkeit nicht gegeben sei. Bei dieser Sachlage war das EVD nicht gehalten, eine Verfügung im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 VwVG
zu erlassen. Die angefochtene Mitteilung eröffnete der Beschwerdeführerin höchstens die Möglichkeit, in diesem Zeitpunkt einen Entscheid im Sinne dieser Bestimmung zu verlangen; sie stellte jedoch keine anfechtbare Nichteintretensverfügung dar. Daran ändert nichts, dass die Beschwerdeführerin nun im Verfahren vor Bundesgericht den Standpunkt verficht, das EVD sei unter Ausschluss anderer
BGE 108 Ib 540 S. 545
Bundesbehörden zur Behandlung ihrer Feststellungsbegehren zuständig. Sie hätte diese Auffassung dem befassten Departement gegenüber vertreten und den Erlass einer entsprechenden Verfügung verlangen müssen. Die angefochtene Mitteilung des EVD vom 29. Januar 1982 ist keine Verfügung im Sinne von
Art. 5 VwVG
; auf die Beschwerde vom 9. Februar 1982 kann aus diesem Grunde nicht eingetreten werden.
b) Auch in ihrer Eingabe vom 10. März 1982 hat zwar die Beschwerdeführerin die Zuständigkeit des EVD nicht im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 VwVG
behauptet. Sie hat indessen ihren Willen, das EVD unter Ausschluss anderer Bundesbehörden mit ihren Feststellungsbegehren zu befassen, dem EVD gegenüber später geäussert. Die Mitteilung des EVD vom 21. April 1982, die ausdrücklich als Verfügung im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 VwVG
bezeichnet ist, kann unter diesen Umständen als beschwerdefähigen Nichteintretensentscheid im Sinne dieser Bestimmung anerkannt werden.
c) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Endentscheid ist dem Bundesgericht innert 30 Tagen, gegen eine Zwischenverfügung innert 10 Tagen, einzureichen (
Art. 106 Abs. 1 OG
). Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen eine Zwischenverfügung setzt ferner voraus, dass die Verfügung einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann (
BGE 104 Ib 133
E. 2 mit Verweisen). Obwohl in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Entscheides eine Beschwerdefrist von 30 Tagen angegeben wurde, vertritt das EVD in der Vernehmlassung die Auffassung, es handle sich bei der angefochtenen Verfügung um einen blossen Zwischenentscheid, den die Beschwerdeführerin mangels nicht wiedergutzumachenden Nachteils nicht anfechten könne.
Art. 45 Abs. 2 lit. a VwVG
bezeichnet die Verfügungen im Sinne von
Art. 9 VwVG
ausdrücklich als Zwischenverfügungen. Nichteintretensverfügungen gemäss
Art. 9 Abs. 2 VwVG
sind indessen verfahrensabschliessend und somit atypische Zwischenverfügungen (vgl. GYGI, a.a.O. S. 107, vgl. auch
BGE 99 Ib 520
). ob unter diesen Umständen ein nicht wiedergutzumachender Nachteil im Sinne von
Art. 45 Abs. 1 VwVG
auch für Beschwerden gegen Nichteintretensverfügungen nach
Art. 9 Abs. 2 VwVG
erforderlich ist, und ob vorliegendenfalls der Beschwerdeführerin ein Schaden erwachsen könnte, kann jedoch offen bleiben. Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, soweit darauf überhaupt einzutreten ist.
BGE 108 Ib 540 S. 546
3.
Die Beschwerdeführerin verlangt in ihren sieben Begehren vom 10. März 1982 vom EVD den Erlass mehrerer Feststellungsverfügungen. Die Feststellungsverfügung hat die Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder des Umfanges von Rechten und Pflichten zum Gegenstand (
Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG
,
Art. 25 Abs. 1 VwVG
). Die Feststellung muss sich auf eine konkrete Rechtslage beziehen; die Beurteilung abstrakter Rechtsfragen kann nicht Gegenstand einer Feststellungsverfügung sein, denn das Bundesverwaltungsverfahren kennt das Institut der abstrakten Normenkontrolle nicht (vgl. GYGI, a.a.O. S. 102, SALADIN, a.a.O. S. 103). Dem Begehren um Erlass einer Feststellungsverfügung im Sinne von
Art. 25 Abs. 2 VwVG
ist ferner nur zu entsprechen, wenn der Gesuchsteller an der Beseitigung einer Unklarheit über den Bestand, Nichtbestand oder Umfang öffentlichrechtlicher Rechte und Pflichten interessiert ist, weil er sonst Gefahr laufen würde, ihm nachteilige Massnahmen zu treffen oder zu unterlassen (vgl. GUENG, Zur Tragweite des Feststellungsanspruchs gemäss Art. 25 Vw(V)G in SJZ 1971 S. 372 Ziff. 3a, b). Dies trifft nur dann zu, wenn der Gesuchsteller seine Interessen nicht ebensogut mit dem Begehren um Erlass einer Leistungs- oder Gestaltungsverfügung, bzw. mit der Beschwerde gegen eine solche Verfügung, wahren kann (vgl. GUENG, a.a.O. S. 373 Ziff. d). Ein schutzwürdiges Interesse kann zwar an der Feststellung künftiger öffentlich-rechtlicher Rechte und Pflichten bestehen (vgl.
BGE 98 Ib 460
E. b, vgl. auch
BGE 100 Ib 423
E. 1,
BGE 99 Ib 166
E. 1b, vgl. auch JOST, Zum Rechtsschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht, ZSR 1982 Bd. II S. 507). Diese müssen jedoch im Zeitpunkt des Feststellungsbegehrens schon hinreichend bestimmt sein; das Bundesgericht verlangt deshalb, dass der Gesuchsteller ein rechtliches und aktuelles Interesse an der sofortigen Feststellung seines Rechtes hat (
BGE 100 Ib 327
E. 2, 3,
BGE 102 V 150
E. 1, vgl. auch
BGE 107 Ib 251
E. 2a). Inwieweit die Beschwerdeführerin überhaupt ein schutzwürdiges Interesse an den beantragten Feststellungen hat und inwieweit diese Interessen gegebenenfalls nicht ebensogut mit Leistungs- oder Gestaltungsverfügungen gewahrt werden könnten, braucht nicht geprüft zu werden, denn das EVD ist jedenfalls - wie sich nachfolgend zeigen wird - zum Erlass der beantragten Feststellungen nicht zuständig.
4.
Nach
Art. 25 Abs. 1 VwVG
kann die "in der Sache zuständige Behörde" über den Bestand, den Nichtbestand oder den Umfang öffentlichrechtlicher Rechte oder Pflichten von Amtes
BGE 108 Ib 540 S. 547
wegen oder auf Begehren eine Feststellungsverfügung treffen. In der Sache zuständig ist die zum Erlass der rechtlich gebotenen Leistungs- oder Gestaltungsverfügung ermächtigte oder verpflichtete Behörde (vgl. SALADIN, a.a.O. S. 98). Dies gilt auch für Feststellungsbegehren, welche die Prüfung der Rechtmässigkeit von Normen zum Gegenstand haben.
a) Die Beschwerdeführerin will soweit ersichtlich mit ihren Feststellungsbegehren im wesentlichen die Rechtmässigkeit der Einfuhrkontingentierung für bestimmte Weine in Frage stellen. Für den Vollzug der Kontingentierung ist erstinstanzlich die Abteilung Ein- und Ausfuhr des Bundesamtes für Aussenwirtschaft zuständig (vgl. Art. 17, 26 Weinstatut). Soweit entsprechende Feststellungsbegehren überhaupt zulässig sind, erscheint daher als zuständige Behörde die Abteilung Ein- und Ausfuhr; jedenfalls ist das EVD zum Erlass entsprechender Feststellungsverfügungen in erster Instanz nicht zuständig. Dem EVD sind zwar nach dem Weinstatut eine ganze Reihe von Vollzugskompetenzen übertragen, wie die Beschwerdeführerin zu Recht geltend macht. Dabei handelt es sich indessen im wesentlichen um Rechtssetzungskompetenzen oder um Aufsichtsbefugnisse. Namentlich kann die Beschwerdeführerin nichts daraus ableiten, dass das EVD gemäss Art. 26 Weinstatut für die Abteilung Ein- und Ausfuhr Weisungen erlässt. Derartige Weisungen können zwar, wenn sie nicht generell-abstrakt, sondern im Einzelfall erteilt werden, eine Partei zum Sprungrekurs berechtigen (
Art. 47 Abs. 3 VwVG
). Sie vermögen jedoch die ordentliche erstinstanzliche Zuständigkeit der Abteilung Ein- und Ausfuhr nicht abzuändern. Die Beschwerdeführerin verlangt auch keine Ausnahmebewilligung zur Einfuhr kuranter weisser Naturweine oder für die bewilligungsfreie Einfuhr gemäss Art. 17 Weinstatut, für deren Erteilung das EVD zuständig wäre (Art. 16 Abs. 2, Art. 17, Abs. 4 Weinstatut). Sie bestreitet die Gesetzmässigkeit der im Weinstatut enthaltenen Einfuhrregelung für Rebbauerzeugnisse in grundsätzlicher Weise. Zum Vollzug dieser Regelung ist das EVD erstinstanzlich nicht zuständig. Das Departement ist vielmehr in Art. 44 Abs. 1 Weinstatut als Beschwerdeinstanz eingesetzt. Das EVD ist daher auf die Begehren der Beschwerdeführerin zu Recht nicht eingetreten.
b) Daran ändert nichts, dass das Bundesgericht in
BGE 100 Ib 429
ff. ein Feststellungsbegehren materiell beurteilte, welches die Beschwerdeführerin direkt beim EVD eingereicht hatte. Das Bundesgericht hatte damals nicht zu prüfen, ob das Departement oder
BGE 108 Ib 540 S. 548
eine untergeordnete Amtsstelle erstinstanzlich zuständig sei. Es ging vielmehr davon aus, dass das EVD auf das Begehren eingetreten war und namentlich zu erkennen gegeben hatte, dass es die Kontingentierung für rechtmässig halte (
BGE 100 Ib 432
). Der Streit ging in diesem Entscheid entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht um die Zuständigkeit des EVD, sondern um die Frage, ob das EVD die anzuwendende Norm materiell zu Recht als gültig erachtet hatte.
c) Auch der Umstand, dass in einem konkreten Fall eine akzessorische Normenkontrolle verlangt wird, vermag ein Abweichen von der gesetzlichen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung nicht zu rechtfertigen. Inwieweit die zuständige Bundesverwaltungsbehörde überhaupt zur Prüfung der Rechtmässigkeit der Normen befugt ist, die sie anzuwenden hat, braucht hier nicht abschliessend geprüft zu werden. Für die akzessorische Normenkontrolle durch die rechtsanwendenden Behörden spricht die Überlegung, dass nur gültiges Recht anzuwenden ist und Normen untergeordneter Stufen ungültig sind, wenn sie höherrangigem Recht widersprechen (vgl. DUBS, Die Zuständigkeit kantonaler Behörden zur akzessorischen Normenkontrolle, Festschrift Eichenberger, Basel 1982, S. 616). Eine gewisse Zurückhaltung in der vorfrageweisen Rechtmässigkeitsprüfung, insbesondere der Prüfung von Verordnungen auf ihre Gesetz- und Verfassungsmässigkeit, mag sich anderseits aus der Überlegung rechtfertigen, dass eine derartige Prüfung durch die rechtsanwendenden Behörden mit der staatsrechtlichen Ordnung der Rechtssetzungszuständigkeit in Widerspruch geraten kann (vgl. DUBS, a.a.O.). Während diese Überlegung die Zuständigkeit richterlicher Behörden zur akzessorischen Normenkontrolle im Grundsatz nicht hindert (vgl.
BGE 107 Ib 246
E. 4 mit Verweisen für die Prüfung bundesrätlicher Verordnungen durch das Bundesgericht), kommt ihr für die rechtsanwendenden Behörden innerhalb der Verwaltung grösseres Gewicht zu, sofern die rechtsanwendende Behörde der zum Erlass der umstrittenen Verordnung zuständigen Behörde hierarchisch untergeordnet ist. Die untergeordnete Instanz wird wohl nicht ohne weiteres und von sich aus einer von ihr als ungültig erachteten Norm die Anwendung versagen (vgl. für das Departement
BGE 104 Ib 418
E. 3). Unter Vorbehalt offensichtlicher Rechtswidrigkeit (vgl. SALADIN, Die Befugnis der Verwaltungsbehörden zur akzessorischen Überprüfung von Verordnungen in ZBl 1966 S. 202, vgl. auch GRISEL, Droit administratif suisse S. 87) wird sie vielmehr in der Regel
BGE 108 Ib 540 S. 549
Weisungen ihrer vorgesetzten Behörde einholen und auf entsprechende Weisung über die Anwendung der Norm befinden; gegen den so gefällten Entscheid der unteren Instanz ist dann gegebenenfalls die Sprungbeschwerde möglich. Der Umstand, dass in einem konkreten Fall eine akzessorische Normenkontrolle erforderlich ist, vermag jedenfalls ein Abweichen von der gesetzlichen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung nicht zu rechtfertigen.
Da somit das EVD zu Recht auf die Begehren der Beschwerdeführerin nicht eingetreten ist, ist die Beschwerde abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7e05a401-7c17-491a-adf9-5c6ab9fd60ec | Urteilskopf
98 Ia 345
56. Arrêt de la IIe Cour civile statuant comme chambre de droit public du 29 juin 1972 dans la cause Kun contre Zufferey et Tribunal cantonal du canton du Valais. | Regeste
Kantonales Einführungsgesetz zum ZGB. Willkür.
Es ist willkürlich, eine an der Grenze der Liegenschaft zur Schaffung eines Vorplatzes erstellte Stützmauer nicht einer Einfriedungsmauer gleichzustellen. | Sachverhalt
ab Seite 345
BGE 98 Ia 345 S. 345
A.-
André Kun, domicilié à Genève, est propriétaire à Randogne d'un chalet entouré d'un terrain, sis en contrebas, à l'est, d'une parcelle contiguë, propriété d'Alphonse Zufferey, entrepreneur à Sierre. Zufferey a sur sa parcelle un chalet et, devant, un terrain exigu. La configuration des lieux est telle que, par rapport à l'axe général de la pente, en gros nord-sud, perpendiculaire à la vallée du Rhône, le fonds Zufferey domine à l'ouest, d'une dizaine de mètres, le terrain et le chalet de Kun. Du côté de la parcelle Kun, le fonds Zufferey se présentait comme un talus boisé, relativement escarpé.
Le 24 avril 1967, la commune de Randogne a autorisé Alphonse Zufferey à clôturer sa propriété "conformément à la loi cantonale en la matière". Au lieu d'une clôture, Zufferey a construit à la limite, qui longe la partie inférieure du talus, un mur de béton, d'une hauteur variant de Im 40 à 3 m, derrière lequel il a remblayé, après avoir arraché les arbres et arbustes. Il a ainsi constitué devant son chalet une esplanade plane. Du côté Zufferey, le haut du mur est au niveau du sol. Il est surmonté d'une barrière de bois à claire-voie, d'une hauteur de 70 à 80 cm.
Kun protesta vainement. Aucun arrangement n'ayant pu intervenir, il a assigné Zufferey devant le Tribunal cantonal du Valais, concluant principalement à la démolition du mur et au rétablissement de l'état antérieur, réserve faite d'une clôture telle qu'autorisée par la commune, subsidiairement au paiement d'une indemnité de 10 000 fr., portée à 15 000 fr. en cours d'instance.
BGE 98 Ia 345 S. 346
B.-
Par jugement du 9 septembre 1971, le Tribunal cantonal du Valais a rejeté la demande. Ce jugement est motivé en bref comme suit, en ce qui concerne les conclusions principales:
La seule règle de droit civil qui puisse être prise en considération est l'art. 171 al. 2 de la loi cantonale d'application du Code civil (LACC). Cette disposition limite à 1,5 m la hauteur des clôtures autres que les haies vives, soit les haies mortes, palissades ou murs, lorsqu'elles sont établies à la limite. Si ces clôtures dépassent 1,5 m, elles doivent être reculées de la limite à une distance égale à la moitié de ce surplus. Mais le mur litigieux n'est pas une clôture. C'est un mur de soutènement. Il ne tombe pas sous le coup de l'art. 171 LACC. Aucune règle de droit civil n'a ainsi été violée et le Tribunal cantonal, dont la compétence est limitée aux contestations civiles, ne peut ordonner la démolition du mur.
C.-
Kun a formé contre ce jugement, outre un recours en réforme, un recours de droit public fondé sur l'art. 4 Cst. Il se plaint essentiellement d'une application arbitraire de l'art. 171 LACC.
Le Tribunal fédéral a admis le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
L'art. 171 al. 2 LACC dispose:
"Pour les autres clôtures (que les haies vives, réd.) telles que haies mortes, palissades ou murs, qui ne dépassent pas la hauteur de 1 m 50, le propriétaire peut les établir sur les confins mêmes de son fonds et il a le droit d'y placer des espaliers."
La Cour cantonale qualifie de "mur de soutènement" le mur construit par le défendeur. Selon elle, la législation cantonale, en particulier l'art. 171 LACC, ne limiterait en rien la construction de tels murs et s'en remettrait aux règles de droit public des règlements communaux, qui peuvent s'adapter mieux à la nature des lieux, en particulier aux vignobles en terrasses; le règlement communal de Randogne ne contenant aucune règle et cette absence de règle n'étant pas une lacune, rien ne s'oppose à l'érection à la limite d'un mur de soutènement.
a) On peut certes admettre que l'art 171 LACC ne vise pas les murs de soutènement tels qu'on les établit pour les cultures en côtes. Il y a cependant une différence essentielle entre un mur de soutènement destiné à prévenir l'écroulement d'un terrain
BGE 98 Ia 345 S. 347
en forte pente et qui procure ainsi des avantages aux deux parties, d'une part, et la construction d'une terrasse, d'autre part. Si Zufferey avait par son mur entendu consolider le talus, la thèse de la Cour cantonale serait admissible, et cela même s'il avait quelque peu remblayé derrière le sommet du mur. Mais tel n'est pas le cas. Le talus, arborisé, n'avait nul besoin de soutènement. Désireux d'agrandir la surface utilisable de son jardin par la création d'une esplanade, l'intimé a élevé un mur qui ne soutenait rien du tout. Il a remblayé, créant une surface plane. C'est un remblai artificiel d'une largeur de 4 à 6 m que le mur soutient maintenant.
Or la règle de l'art. 171 LACC, comme les dispositions analogues de nombreuses lois cantonales d'application du Code civil, relative aux distances, à la hauteur et à la nature des clôtures, a pour but de protéger le voisin. Celui-ci ne doit pas être gêné par l'établissement, à sa limite, de clôtures telles que sa vue soit masquée et l'insolation de son fonds compromise. Une interprétation raisonnable de ces règles doit s'inspirer de cet axiome élémentaire.
On ne saurait dès lors admettre qu'il suffit au propriétaire qui construit un mur à sa limite de remblayer le terrain derrière son mur pour échapper aux limitations légales de hauteur et élever ainsi ce mur à son gré, aveuglant le fonds voisin. C'est jouer sur les mots que de prétendre qu'il ne s'agit plus alors d'une clôture, mais d'un soutènement. Pour le voisin, les inconvénients du mur comme tel sont les mêmes, quelle que soit la fonction de ce mur. Lorsque l'ouvrage soutient une esplanade surélevée, amenant le terrain au haut du mur et permettant la vue plongeante sur le terrain voisin dès la limite, il entraîne des inconvénients supplémentaires, sans cesser de présenter ceux qui découleraient de la présence d'un simple mur de clôture. En suivant la Cour cantonale, on devrait admettre que, dans une zone de chalets et de résidence, chaque propriétaire serait en droit d'infliger à son voisin, à sa limite, l'érection d'un mur de plusieurs mètres de hauteur pour transformer en esplanade un terrain en pente, alors que la loi interdirait à ce même propriétaire d'établir à sa limite une simple palissade à claire-voie de 1 m 60. Une telle interprétation de l'art. 171 al. 2 LACC est à tel point en contradiction avec le but de la disposition qu'elle doit être taxée d'arbitraire. Partant, le recours de droit public doit être admis et le jugement attaqué annulé.
BGE 98 Ia 345 S. 348
b) On peut relever au surplus, encore que cela ne soit pas décisif, que Zufferey a lui-même considéré que son mur constituait une clôture. Prévoyant l'aménagement de la terrasse, déjà dans l'acte par lequel il achetait le terrain, il a demandé à la commune "l'autorisation de clôturer" sa parcelle. Telle était aussi l'opinion de l'autorité communale. | public_law | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
7e072a82-a36a-4b07-a7ac-ec412780546c | Urteilskopf
98 II 161
24. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 6 juillet 1972 dans la cause G. contre G. | Regeste
Ehescheidung,
Art. 137 und 151 Abs. 1 ZGB
.
Art. 137 ZGB
. Die Klage auf Scheidung wegen Ehebruchs ist abzuweisen, wenn dargetan wird, dass dieser nicht die unheilbare Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses bewirkte (Änderung der Rechtsprechung) (Erw. 4 b).
Art. 151 Abs. 1 ZGB
. Zusprechung einer Entschädigung an die Ehefrau, deren Ehebruch für die Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses nicht kausal war und angesichts der Umstände keine schwere Verfehlung darstellte (Erw. 5). | Erwägungen
ab Seite 161
BGE 98 II 161 S. 161
Considérant en droit:
4.
... b) Dans un arrêt de 1927 (RO 53 II 196 s.), rendu à propos de l'art. 139 CC, le Tribunal fédéral a déclaré que les circonstances prévues par les art. 137-139 CC emportaient seulement une présomption légale de la ruine du lien conjugal; que si cette présomption s'avérait toutefois mal fondée dans un cas particulier, l'acte commis par le défendeur n'ayant exceptionnellement pas eu pour effet de rompre l'union conjugale,
BGE 98 II 161 S. 162
cet acte ne pouvait être invoqué comme cause de divorce. Hormis cet arrêt, demeuré isolé, le Tribunal fédéral a considéré de façon constante l'adultère comme une cause absolue de divorce (RO 95 II 511 et les arrêts cités). Le droit de l'époux offensé ne dépend donc pas, sauf consentement ou pardon, du fait que l'adultère de son conjoint a causé la ruine du lien conjugal. La partie qui invoque l'art. 137 CC n'a pas à faire la preuve que ce lien a été irrémédiablement rompu par l'adultère et qu'on ne peut exiger d'elle la continuation de la vie commune. L'action en divorce fondée sur l'art. 137 CC ne peut toutefois être exercée que dans les limites de l'abus de droit au sens de l'art. 2 CC; la mention expresse, à l'art. 137 al. 3 CC, du consentement à l'adultère et du pardon comme causes d'irrecevabilité de l'action ne signifie pas que celle-ci doive être admise dans d'autres hypothèses où son exercice constituerait un abus de droit manifeste (RO 95 II 511 s. consid. 4 et citations).
Certains auteurs ont critiqué cette jurisprudence dans la mesure où elle considère l'adultère comme une cause absolue de divorce (cf. BARDE, RDS 1955 p. 481a; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3e éd., p. 73 ss.; BÜHLER, n. 30-31 ad art. 137; dans le même sens SEEGER, RDS 1929 126a, 163a, 171a s.; COSMAN, SJ 1949 p. 64; KEHL, RDS 1967 I p. 150; MERZ, RJB 1969 p. 200). Ils font observer que l'application rigoureuse de l'art. 137 CC n'est pas toujours satisfaisante du point de vue de l'équité et préconisent de faire de la destruction du lien conjugal la condition nécessaire de l'admission de l'action en divorce fondée sur cette disposition.
La jurisprudence à laquelle le Tribunal fédéral s'est tenu jusqu'ici, en considération notamment du texte de l'art. 137 CC (RO 95 II 511), doit être revisée. En dépit de sa rédaction, cette disposition suppose elle aussi une atteinte si profonde au lien conjugal que la vie commune soit devenue insupportable. Or tel n'est pas toujours le cas: il se peut que l'union conjugale résiste à l'adultère ou qu'au contraire, elle soit déjà définitivement détruite auparavant. L'application de l'art. 2 CC, qui doit rester exceptionnelle (arrêt non publié Sch. c. Sch., du 25 mars 1968, p. 9 s.), ne permet alors pas dans tous les cas d'éviter les inconvénients d'une interprétation stricte de l'art. 137 CC. Aussi convient-il de revenir au principe posé par le Tribunal fédéral dans son arrêt du 29 juin 1927 (RO 53 II 196 s.), selon lequel la présomption légale de la rupture du lien conjugal
BGE 98 II 161 S. 163
qu'emporte l'adultère peut être renversée. L'action fondée sur l'art. 137 CC doit ainsi être rejetée s'il s'avère que l'adultère n'a effectivement pas eu pour effet de détruire irrémédiablement le lien conjugal. Lorsqu'en revanche la présomption de l'art. 137 CC n'est pas renversée, l'action de l'époux trompé doit être admise même s'il a contribué à la désunion par sa faute prépondérante (cf. HINDERLING, p. 76, approuvé par BÜHLER, n. 31 in fine ad art. 137).
c) En l'espèce, la recourante a commis adultère en 1969. La rupture de l'union conjugale était alors définitivement consommée, et les deux parties avaient pris devant les tribunaux genevois des conclusions en divorce. Conformément à la jurisprudence modifiée dans le sens indiqué ci-dessus, l'action de l'intimé fondée sur l'art. 137 CC doit être rejetée, en réformation de l'arrêt déféré.
5.
La recourante conclut à l'allocation d'une rente de 7500 fr. par mois en application de l'art. 151 CC.
Selon la jurisprundence, l'auteur d'une faute qui n'est pas en rapport de cause à effet avec la rupture du lien conjugal doit être considéré comme l'époux innocent au sens de l'art. 151 CC, à moins que son infraction aux devoirs découlant du mariage ne soit grave (RO 90 II 71 et citations, 93 II 287 ss., 95 II 290).
En l'espèce, l'adultère de la recourante est sans rapport de causalité avec la rupture de l'union conjugale, qui était déjà consommée. Il constitue certes une violation du devoir de fidélité imposé aux époux (art. 159 al. 3 CC). Il ne peut en revanche être retenu comme une faute grave à la charge de la recourante au sens de la jurisprudence précitée. En effet, elle a commis adultère alors qu'elle était livrée depuis longtemps à la solitude en raison de l'activité et du comportement de son mari, qui l'avait pratiquement abandonnée, et que l'instance en divorce était pendante depuis plus d'une année.
Quant à l'intimé, qui a provoqué le divorce par son attitude contraire aux devoirs découlant du mariage, il est le conjoint coupable au sens de l'art. 151 CC.
Les conclusions de la recourante en paiement d'une indemnité selon cette disposition sont donc fondées. Les constatations de l'arrêt déféré ne permettent toutefois pas à la cour de céans de fixer le montant de cette indemnité. Il y a lieu de renvoyer l'affaire à la Cour de justice pour qu'elle statue sur ce point, après avoir complété ses constatations (art. 64 al. 1 OJ). | public_law | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7e0768aa-8ce3-4ec6-bfba-32066b0b4a88 | Urteilskopf
123 V 184
34. Urteil vom 30. Juni 1997 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen N. und Versicherungsgericht des Kantons Aargau | Regeste
Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG
: Zum Begriff der "anderen wiederkehrenden Leistungen".
Die von einer Krankenkasse aus einer Langzeitpflegeversicherung periodisch ausgerichteten Beiträge an die Kosten des Aufenthaltes in einem Pflegeheim zählen als "andere wiederkehrende Leistungen" im Sinne von
Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG
zum anrechenbaren Einkommen. | Sachverhalt
ab Seite 184
BGE 123 V 184 S. 184
A.-
Die 1909 geborene N. lebt seit dem 18. September 1995 im Pflegeheim X. Am 1. November 1995 meldete sie sich zum Bezug einer Ergänzungsleistung zur Altersrente an. Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, welche bei den Einnahmen nebst der Rente der AHV und einem Liegenschaftsertrag u.a. Leistungen der Krankenkasse an die Heimkosten in der Höhe von Fr. 50.-- im Tag berücksichtigte, ermittelte einen Einnahmenüberschuss von Fr. 1'907.-- im Jahr, weshalb sie das Leistungsgesuch am 12. Dezember 1995 verfügungsweise ablehnte.
BGE 123 V 184 S. 185
B.-
N. liess hiegegen beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Beschwerde einreichen mit dem Antrag auf Zusprechung einer Ergänzungsleistung. Sie machte geltend, der Pflegebeitrag der Krankenkasse sei nicht als Einkommen zu berücksichtigen und die Liegenschaft sei nicht zum Verkehrswert, sondern zum Steuerwert anzurechnen. Das kantonale Gericht zog den Bericht des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) über eine Kontrolle der Geschäftsführung betreffend Ergänzungsleistungen zur AHV/IV vom 3. Februar 1995 sowie die Taxordnung des Pflegeheims X bei. Mit Entscheid vom 18. Juni 1996 hiess es die Beschwerde teilweise gut und setzte die monatliche Ergänzungsleistung unter Aufhebung der angefochtenen Verfügung auf Fr. 1'553.-- fest. Bei der Ermittlung dieses Betrages rechnete es den Pflegebeitrag der Krankenkasse nicht als Einkommen an und korrigierte die Positionen des Liegenschaftsertrages sowie der Gebäudeunterhaltskosten.
C.-
Das BSV führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Ergänzungsleistung sei auf Fr. 32.-- im Monat festzusetzen, wobei es sich auf den Standpunkt stellt, der Pflegebeitrag der Krankenkasse sei als Einkommen anzurechnen.
N. lässt beantragen, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei nicht einzutreten; eventuell sei das Rechtsmittel abzuweisen. Die Sozialversicherungsanstalt verzichtet auf eine Vernehmlassung.
D.-
Am 30. Juni 1997 hat das Eidg. Versicherungsgericht eine parteiöffentliche Beratung durchgeführt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 106 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 132 OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde dem Eidg. Versicherungsgericht innert 30 Tagen seit Eröffnung des vorinstanzlichen Entscheides einzureichen. Diese Frist steht gemäss
Art. 34 Abs. 1 lit. b OG
(anwendbar nach
Art. 135 OG
) vom 15. Juli bis 15. August still.
Das BSV hat den vorinstanzlichen Entscheid am 2. Juli 1996 in Empfang genommen und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde am 30. August 1996 der Post übergeben. Damit hat es die Beschwerdefrist von 30 Tagen entgegen der Annahme der Beschwerdegegnerin eingehalten.
2.
Das kantonale Gericht hat die vorliegend massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen über die Voraussetzungen des Anspruchs auf eine Ergänzungsleistung (
Art. 2 Abs. 1 ELG
in der
BGE 123 V 184 S. 186
hier massgebenden, bis Ende 1996 gültig gewesenen Fassung), das anrechenbare Einkommen (
Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG
), die Höhe der Ergänzungsleistungen im allgemeinen (
Art. 5 Abs. 1 ELG
) und bei Heimaufenthalt im besonderen (
Art. 1a ELV
) sowie über die Begrenzung der Kosten, die wegen des Aufenthalts in einem Heim oder in einer Heilanstalt berücksichtigt werden, und des Betrages, der den Heimbewohnerinnen und -bewohnern für persönliche Auslagen zu überlassen ist (
Art. 2 Abs. 1bis Satz 2 ELG
in Verbindung mit § 3 Abs. 3 und 5 des Ergänzungsleistungsgesetzes des Kantons Aargau) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.
3.
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob der von der Krankenkasse seit 18. September 1995 ausgerichtete Beitrag in der Höhe von Fr. 50.-- im Tag aus der Langzeitpflegeversicherung für ungedeckte Kosten im Pflegeheim und für Hauskrankenpflege und Haushalthilfen der Beschwerdegegnerin als Einkommen anzurechnen ist; die übrigen von der Vorinstanz geänderten Positionen hat das BSV nicht angefochten.
Art. 3 Abs. 1 ELG
zählt die anrechenbaren Einkünfte auf. Als Einkommen anzurechnen sind nach lit. c dieser Bestimmung Renten, Pensionen und andere wiederkehrende Leistungen, einschliesslich der Renten der Alters- und Hinterlassenenversicherung sowie der Invalidenversicherung. Es stellt sich die Frage, ob der Pflegebeitrag der Krankenkasse als andere wiederkehrende Leistung zu qualifizieren und daher im Sinne der zitierten Vorschrift als Einkommen anzurechnen ist. Mit dem Wortlaut von
Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG
, von dem bei der Auslegung in erster Linie auszugehen ist (
BGE 123 III 91
Erw. 3a,
BGE 122 V 364
Erw. 4a, je mit Hinweisen), lässt sich eine solche Annahme ohne weiteres vereinbaren, handelt es sich doch beim Pflegebeitrag klarerweise um eine (andere) periodisch ausgerichtete Leistung.
Nichts anderes ergibt sich aus der bisherigen Gerichtspraxis, die sich bei der Auslegung an der Entstehungsgeschichte der fraglichen Bestimmung orientiert. Im unveröffentlichten Urteil G. vom 4. Juli 1983 hat das Eidg. Versicherungsgericht zum Begriff der "anderen wiederkehrenden Leistungen" folgendes dargelegt: Das wesentliche Kennzeichen der gemäss
Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG
als Einkommen anrechenbaren Leistungen ist deren Periodizität. So hält die Botschaft vom 21. September 1964 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung fest: "Als Renten und Pensionen haben periodische Leistungen im weitesten Sinne zu gelten, also neben den
BGE 123 V 184 S. 187
Sozialversicherungsrenten die Renten öffentlicher und privater Pensionskassen und Versicherungen, die freiwilligen periodischen Leistungen der Arbeitgeber und die Renten im Sinne des Zivilrechts" (BBl 1964 II 705). Daraus ergibt sich, dass
Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG
nach dem Willen des Gesetzgebers offenbar die grundsätzliche Anrechenbarkeit aller wiederkehrenden Leistungen statuiert. Abweichungen von dieser Regel ergeben sich insofern, als
Art. 3 Abs. 3 ELG
"die Priorität der versicherungsmässigen Ergänzungsleistungen gegenüber Leistungen mit Fürsorge- oder Unterstützungscharakter" zum Ausdruck bringt (BBl 1964 II 705).
Diese Auffassung wird auch von WERLEN (Der Anspruch auf Ergänzungsleistungen und deren Berechnung, Diss. Fribourg 1995, S. 138) vertreten. Als andere wiederkehrende Leistungen im Sinne von
Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG
bezeichnet er sämtliche wiederkehrenden Leistungen, unabhängig von ihrem Rechtsgrund, die nicht unter den Begriff der Renten und Pensionen fallen. Der Gesetzgeber habe mit der Generalklausel "andere wiederkehrende Leistungen" all jene Fälle erfassen wollen, die nicht explizit aufgezählt sind. Davon ausgenommen seien lediglich Leistungen mit ausgesprochenem Fürsorge- oder Unterstützungscharakter (im gleichen Sinn auch CARIGIET, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, Zürich 1995, S. 112 und 114 f.).
Sodann spricht auch eine Auslegung unter dem Gesichtswinkel der Gesetzessystematik für den vom BSV vertretenen Standpunkt. Denn die Leistungen, die den Ergänzungsleistungsansprechern nicht als Einkommen angerechnet werden, sind in
Art. 3 Abs. 3 ELG
klar umschrieben. Die gesetzliche Aufzählung des nicht anrechenbaren Einkommens in dieser Bestimmung ist insofern abschliessend, als es sich um die angeführten Einkommenskategorien handelt; indessen ist es nicht ausgeschlossen, dass eine bestimmte Leistung bei sinngemässer Interpretation unter eine dieser Kategorien subsumiert werden kann (ZAK 1987 S. 495 Erw. 2). Zu den nicht anrechenbaren Einnahmen nach
Art. 3 Abs. 3 ELG
zählen - unter Vorbehalt von
Art. 1a Abs. 5 ELV
- insbesondere die Hilflosenentschädigungen der Alters- und Hinterlassenenversicherung oder der Invalidenversicherung (lit. d), nicht aber Beiträge einer Krankenkasse an die Kosten des Aufenthalts in einem Pflegeheim. Diese können auch keiner der in
Art. 3 Abs. 3 ELG
erwähnten Einkommenskategorien zugeordnet werden, weshalb es auch aufgrund dieser Bestimmung ausser Betracht fällt, die Pflegebeiträge vom anrechenbaren Einkommen auszunehmen.
BGE 123 V 184 S. 188
Schliesslich findet die von der Vorinstanz getroffene Unterscheidung zwischen anrechenbarem Ersatzeinkommen und nicht anrechenbarem Krankheitskostenersatz im Gesetz keine Stütze. Den in Art. 3 Abs. 1 lit. a-e und g ELG aufgeführten anrechenbaren Einkommensbestandteilen ist gemeinsam, dass sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Versicherten erhöhen; dies gilt auch für die Pflegebeiträge der Krankenkasse. Dass
Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG
einzig klassische Ersatzeinkünfte erfasst, trifft im übrigen nicht zu. Denn die in dieser Bestimmung erwähnten Renten der Alters- und Hinterlassenenversicherung wie auch diejenigen der Invalidenversicherung werden in verschiedenen Fällen ohne vorangegangene Erwerbstätigkeit ausgerichtet, so dass ihnen nicht zwangsläufig die Funktion eines eigentlichen Ersatzeinkommens zufällt.
4.
Nach den vorstehenden Erwägungen sind die von der Vorinstanz errechneten Einnahmen der Beschwerdegegnerin von Fr. 32'798.-- um den Pflegebeitrag von Fr. 18'250.-- (365 x Fr. 50.--) auf Fr. 51'048.-- im Jahr zu erhöhen. Die anrechenbaren Ausgaben belaufen sich gemäss kantonalem Gerichtsentscheid auf Fr. 51'428.--. Der Ausgabenüberschuss beträgt demzufolge Fr. 380.-- im Jahr. Die Beschwerdegegnerin hat damit ab September 1995 Anspruch auf eine Ergänzungsleistung in der Höhe von Fr. 32.-- im Monat. | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7e079c93-4fe7-4493-8527-f626f1733205 | Urteilskopf
112 II 214
36. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Juni 1986 i.S. Steiger und Mitbeteiligte gegen Zurmühle AG (Berufung) | Regeste
Frist zur Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts im Falle von Stockwerkeigentum (
Art. 839 Abs. 2 ZGB
).
Für sämtliche Arbeiten und Materiallieferungen, die der Unternehmer zu Gunsten der einzelnen Stockwerkeinheiten erbracht hat, beginnt die Eintragungsfrist jedenfalls dann mit dem Abschluss der Leistungen in den jeweiligen Wohnungen zu laufen, wenn das Stockwerkeigentum schon vor deren Beginn begründet worden war. | Sachverhalt
ab Seite 215
BGE 112 II 214 S. 215
Die Intercap S.A. liess im Jahre 1982 auf ihrem Grundstück Nr. 1247 des Grundbuches Luzern-Stadt ein Terrassenhaus erstellen. Am 18. Januar 1982, d.h. noch vor Beginn der Bauarbeiten, wurde an der geplanten Liegenschaft Stockwerkeigentum begründet. Zwei der insgesamt acht Stockwerkeinheiten gingen an Zeno Steiger, eine (je zur Hälfte) an Alois und Verena Amstad-Portmann.
Gestützt auf einen mit der Intercap S.A. abgeschlossenen schriftlichen Werkvertrag vom 8./12. Juli 1982 (mit späteren Ergänzungen) führte die A. Huber AG, Rechtsvorgängerin der Zurmühle AG, am Terrassenhaus verschiedene Schreinerarbeiten aus. Namentlich baute sie in den einzelnen Wohnungen Wandschränke ein.
Durch superprovisorische Verfügung vom 17. Februar 1983 und Bestätigungsentscheid vom 22. März 1983 ordnete der Amtsgerichtspräsident I von Luzern-Stadt in Gutheissung eines Gesuchs der A. Huber AG vom 16. Februar 1983 an, dass zu deren Gunsten ein Bauhandwerkerpfandrecht im Gesamtbetrag von Fr. 30'081.-- nebst Zins zu 5% seit 19. Dezember 1982, aufgeteilt auf die einzelnen Stockwerkeinheiten nach Massgabe des Wertes der geleisteten Arbeit, vorläufig eingetragen werde.
Die von der A. Huber AG in der Folge gegen die Stockwerkeigentümer erhobene Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts hiess das Amtsgericht Luzern-Stadt (I. Abteilung) durch Urteil vom 14. Mai 1984 teilweise gut, indem es das Pfandrecht für eine Summe von Fr. 10'485.95 zusprach. Das Obergericht (I. Kammer) des Kantons Luzern hat diesen Entscheid am 2. Dezember 1985 bestätigt.
BGE 112 II 214 S. 216
Gegen das obergerichtliche Urteil haben die Beklagten Zeno Steiger sowie Alois und Verena Amstad-Portmann, welche die Klage im Umfang von Fr. 47.35 je Stockwerkeinheit anerkannt hatten, beim Bundesgericht Berufung erhoben.
Die Zurmühle AG schliesst auf Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
besteht ein Anspruch auf Errichtung eines gesetzlichen Grundpfandes für die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die zu Bauten oder andern Werken auf einem Grundstück Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben. Die Eintragung des Pfandrechts hat bis spätestens drei Monate nach Vollendung der Arbeit zu geschehen (
Art. 839 Abs. 2 ZGB
).
Die Vorinstanz legte den Beginn der Frist zur Eintragung der vorliegend strittigen Bauhandwerkerpfandrechte bezüglich aller Stockwerkeigentümer einheitlich auf denjenigen Zeitpunkt fest, da die A. Huber AG ihre Arbeiten in sämtlichen Wohnungen des Terrassenhauses abgeschlossen hatte. Nach den obergerichtlichen Feststellungen wurden noch am 19. November 1982 Abschlussarbeiten ausgeführt, so dass die am 16. Februar 1983 beantragte und am darauffolgenden Tag superprovisorisch verfügte Eintragung der Pfandrechte rechtzeitig gewesen sei. Die Berufungskläger halten demgegenüber dafür, dass die Eintragungsfrist für jede Stockwerkeinheit gesondert zu laufen begonnen habe, und zwar mit dem Abschluss der Arbeiten in den entsprechenden Wohnungen. Da die A. Huber AG nach dem 10. November 1982 in ihren Wohnungen keine in Betracht fallenden Arbeiten mehr ausgeführt habe, sei der Anspruch auf das Pfandrecht verwirkt.
2.
Wie das Bundesgericht schon in
BGE 111 II 35
E. 4 festhielt, hat der schweizerische Gesetzgeber das durch Bundesgesetz vom 19. Dezember 1963 eingeführte Stockwerkeigentum so ausgestaltet, dass jedem Stockwerkeigentümer ein Miteigentumsanteil am Grundstück insgesamt - d.h. an allen seinen Bestandteilen und somit auch an den sich darauf befindenden Gebäuden - zusteht. Hinzu kommt ein Sonderrecht, wonach der einzelne Miteigentümer bestimmte Teile eines Gebäudes ausschliesslich benutzen und innen ausbauen darf (vgl.
Art. 712 a Abs. 1 ZGB
). Gewisse Gebäudeteile, die der Gemeinschaft dienen, sind von Gesetzes wegen von der Zuteilung zu Sonderrecht ausgeschlossen
BGE 112 II 214 S. 217
bzw. können durch den Begründungsakt oder durch nachherige Vereinbarung der Stockwerkeigentümer davon ausgeschlossen werden (vgl.
Art. 712 b Abs. 2 und 3 ZGB
).
Aus der dargelegten gesetzlichen Ordnung hat das Bundesgericht geschlossen, dass ungeachtet der dem Grundeigentum angenäherten Ausgestaltung von Sonderrechten an einzelnen Gebäudeteilen grundsätzlich alle Bestandteile und Gebäude des in Stockwerkeigentum aufgeteilten Grundstücks zu einer Einheit verbunden würden, so dass Arbeitsleistungen und Materiallieferungen des Bauhandwerkers wertmässig unmittelbar der im Miteigentum der Stockwerkeigentümer stehenden Liegenschaft anwüchsen. Welchen unmittelbaren Nutzen durch Gebrauch die einzelnen Stockwerkeigentümer aus den Leistungen des Bauhandwerkers zögen, sei dabei unerheblich. Das Bauhandwerkerpfandrecht, das die Ansprüche derjenigen Gläubiger in besonderer Weise sichern solle, die mit den erbrachten Leistungen den Wert des überbauten Grundstücks vermehrt hätten, müsse deshalb grundsätzlich bei der im Miteigentum stehenden Sache bzw. bei den Miteigentumsanteilen insgesamt anknüpfen (vgl.
BGE 111 II 35
f. E. a). Vorbehalten wurde dann allerdings der Fall, da die Leistungen des Bauhandwerkers ausschliesslich der Ausstattung von im Sonderrecht eines Stockwerkeigentümers stehenden Gebäudeteilen dienen. In Einklang mit der Lehre (vgl. SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 2. A., S. 96, Rz. 379; ZOBL, Das Bauhandwerkerpfandrecht de lege lata und de lege ferenda, in: ZSR 101/1982 II S. 1 ff., insbesondere S. 127; DE HALLER, L'hypothèque légale de l'entrepreneur, in: ZSR 101/1982 II S. 189 ff., insbesondere S. 264) hat das Bundesgericht entschieden, dass die entsprechenden Forderungen durch ein Bauhandwerkerpfandrecht auf dem betreffenden Miteigentumsanteil gesichert werden könnten, sofern die bauliche Ausstattung der im Sonderrecht stehenden Räume ein wesentliches Element des dem gemeinschaftlichen Eigentum entgegenstehenden Sonderrechts ausmache (vgl.
BGE 111 II 36
E. b).
3.
a) Diese bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Baugläubigerpfand-Belastung bei Stockwerkeigentum trägt dem Umstand Rechnung, dass nicht jeder Mehrwert, den ein Bauhandwerker durch seine Arbeit oder durch geliefertes Material an einem der im Sonderrecht eines Stockwerkeigentümers stehenden Gebäudeteil schafft, auch in gleichem Masse eine Wertvermehrung für die Liegenschaft insgesamt bedeuten muss. Die Vorinstanz hat dies nicht übersehen. Sie schliesst eine selbständige Behandlung der
BGE 112 II 214 S. 218
einzelnen Stockwerkeinheiten hinsichtlich der dreimonatigen Eintragungsfrist für Fälle der vorliegenden Art denn auch nicht generell aus. Indessen hält sie dafür, dass eine gestaffelte Auslösung der erwähnten Frist nach Massgabe der Vollendung der Arbeiten in den einzelnen Wohnungen nur insoweit in Frage kommen könne, als der - über die Normausrüstung hinausgehende - Sonderausbau betroffen sei. Für Leistungen der Bauhandwerker, die auf einem einheitlichen Werkvertrag beruhten und zum Standardausbau der Stockwerkeinheiten gehörten, werde die Frist dagegen erst dann (einheitlich) ausgelöst, wenn die Arbeiten im ganzen Haus, d.h. in allen Wohnungen, abgeschlossen seien. Seine Ansicht begründet das Obergericht damit, dass dem Unternehmer gerade bei grossen Überbauungen nicht generell zugemutet werden könne, eine Kontrolle über den Abschluss der Arbeiten in den einzelnen Stockwerkeinheiten zu führen. Die Vorinstanz hält sodann fest, dass die den strittigen Pfandrechten zugrunde liegenden Arbeiten eindeutig zum Standardausbau gezählt hätten; es sei deshalb für alle Stockwerkeigentümer von einem einheitlichen Fristbeginn auszugehen.
b) Im Schrifttum wird die hier gestellte Frage unterschiedlich beantwortet. ZOBL (a.a.O. S. 149) hält dafür, dass bei Arbeiten an Bauteilen, die Gegenstand des Sonderrechts eines Stockwerkeigentümers bildeten, der Beginn der Frist auf den Zeitpunkt des Abschlusses dieser Arbeiten falle, zumal der Stockwerkeigentumsanteil das Pfandobjekt darstelle. SCHUMACHER (a.a.O. S. 195, Rz. 682 f.) räumt zwar ein, dass die Struktur des Stockwerkeigentums dafür sprechen würde, die einzelnen Stockwerkeinheiten auch bezüglich der Dreimonatefrist für die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts möglichst selbständig zu behandeln. Unter Hinweis auf die - auch von der Vorinstanz erwähnten - Gründe der Praktikabilität und auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes vertritt dieser Autor aber dann gleichwohl die Ansicht, die Frist sei in einem Fall wie dem vorliegenden für alle Stockwerkeigentümer gleichzeitig mit der letzten Arbeit des Unternehmers im ganzen Haus beginnen zu lassen.
4.
a) Die Befristung der Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts dient in erster Linie dem Schutz des Grundeigentümers, der möglichst grosse und rasche Rechtssicherheit geniessen soll (vgl.
BGE 53 II 219
; SCHUMACHER, a.a.O. S. 170, Rz. 603 mit weiteren Hinweisen; dazu auch
BGE 102 Ia 85
E. aa). Zu schützen gilt es namentlich den Grundeigentümer, der selbst nicht Besteller
BGE 112 II 214 S. 219
der vom Unternehmer erbrachten Leistungen gewesen war und sich durch die Eintragung eines Baugläubigerpfandrechts erst hinterher in die mit nicht geringen Risiken verbundene Stellung eines Drittpfandschuldners versetzt sehen kann.
Der Bauhandwerker befindet sich demgegenüber in einer günstigeren Lage. So kann er dem Baufortschritt entsprechende Abschlagszahlungen verlangen. Vor allem aber ist er insofern wirksam geschützt, als er gemäss
Art. 839 Abs. 1 ZGB
das ihm zustehende Pfandrecht bereits von dem Zeitpunkt an eintragen lassen kann, da er sich zur Arbeitsleistung verpflichtet hat. Dass in der Praxis freilich oft Hemmungen bestehen dürften, sich in dieser Weise abzusichern, vermag an der grundsätzlichen Besserstellung des Unternehmers nichts zu ändern. Das Abschätzen des Risikos wird für diesen allerdings dann erschwert, wenn bei Überbauungen der vorliegenden Art das Stockwerkeigentum erst nach Beginn oder gar nach Abschluss der Arbeiten begründet wird. Wie es sich mit der Eintragungsfrist unter solchen Umständen verhalten würde, braucht indessen nicht entschieden zu werden, da hier das Stockwerkeigentum bereits bestanden hatte, als die A. Huber AG ihre Arbeiten aufnahm. Denkbar wäre allerdings, dass ein Bauherr das Bestehen von Stockwerkeigentum verschweigt, doch kann der Unternehmer durch Einsicht in das Grundbuch davon Kenntnis erlangen.
b) In Anbetracht der dargelegten Stellung des Bauhandwerkers und seiner Möglichkeiten, sich gegen eine allfällige Insolvenz des Werkbestellers rechtzeitig und wirksam abzusichern, erscheint es als ungerechtfertigt, den Beginn der Frist zur Eintragung eines Baugläubigerpfandrechts einheitlich auf denjenigen Zeitpunkt anzusetzen, da die Arbeiten in sämtlichen Wohnungen abgeschlossen sind. Es kann namentlich dem Erwerber einer fertiggestellten Stockwerkeinheit nicht zugemutet werden, dass noch drei Monate nach der - unter Umständen viel späteren - Vollendung der Arbeiten in einer andern Wohnung auf seinem Grundstück ein Bauhandwerkerpfandrecht eingetragen wird. Das Risiko einer Doppelleistung (Zahlung des Preises an den Verkäufer, der das Werk bestellt hatte, einerseits und an den Bauhandwerker andererseits) soll mindestens in zeitlicher Hinsicht überblickbar sein. Eine einheitliche Fristauslösung im obenerwähnten Sinn ist aber auch deshalb abzulehnen, weil sie eine Privilegierung des Bauhandwerkers zur Folge hätte, die über das Ziel des Gesetzes hinausginge: Der Unternehmer könnte für den durch seine Leistungen geschaffenen
BGE 112 II 214 S. 220
Mehrwert an einer bestimmten Stockwerkeinheit auch noch nach Ablauf der dreimonatigen Frist seit Arbeitsvollendung das gesetzliche Pfandrecht eintragen lassen. In Würdigung der auf beiden Seiten in Betracht zu ziehenden Interessen ist es dem Bauhandwerker entgegen der Ansicht der Vorinstanz schliesslich durchaus zuzumuten, dass er bei Überbauungen der vorliegenden Art über seine Arbeiten und Materiallieferungen generell eine nach Stockwerkeinheiten getrennte Kontrolle führe. Die individuelle Rechnungstellung an die einzelnen Stockwerkeigentümer verlangt ohnehin ein solches Vorgehen.
c) Aufgrund der vorstehenden Erwägungen geht es nicht an, die gestaffelte Fristauslösung nach Massgabe der Vollendung der Arbeiten an den einzelnen Stockwerkeinheiten mit dem Obergericht nur bezüglich derjenigen Leistungen gelten zu lassen, die der Unternehmer im Rahmen eines Sonderausbaus der Wohnungen, d.h. über die Normausrüstung hinaus, erbracht hat. Bei einer solchen Lösung würden übrigens in vielen Fällen erhebliche Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Standard- und Sonderausbau auftreten.
d) Begann die Frist zur Eintragung der strittigen Bauhandwerkerpfandrechte somit in jedem Fall mit der jeweiligen Vollendung der Arbeiten der A. Huber AG in den Wohnungen der Berufungskläger zu laufen, ist unerheblich, ob jene zum Standard- oder zum Sonderausbau zu zählen seien. Die Rüge der Berufungskläger, die vorinstanzliche Annahme, wonach es sich um Leistungen im Rahmen des Standardausbaus gehandelt habe, verstosse gegen
Art. 8 ZGB
(da die Klägerin dies nie geltend gemacht habe), wird mithin gegenstandslos.
... | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
7e12469b-8511-4a1d-be9c-68fc0bc6d3a0 | Urteilskopf
82 III 131
35. Entscheid vom 7. Juni 1956 i.S. Bank in Langenthal. | Regeste
Beschwerde gegen den Sachwalter bei Nachlassstundung.
Art. 17, 295 Abs. 3 SchKG
.
Anfechtbare Verfügung: eine dem Schuldner erteilte Weisung im Sinne von
Art. 298 SchKG
. Ein davon betroffener Gläubiger und Zessionar ist zur Beschwerde legitimiert (Erw. 1).
Die Weisung des Sachwalters, sich Ansprüchen eines Dritten zu widersetzen, ist rechtmässig, wenn sie sich auf ernsthafte Gründe stützt. Die Entscheidung über derart bestrittene Ansprüche bleibt dem Richter vorbehalten (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 132
BGE 82 III 131 S. 132
A.-
Die Bank in Langenthal gewährte dem Schuldner Hans Glauser, Neumühle, St. Urban, einen Kredit bis zu Fr. 100'000.--. Über dessen Sicherstellung schloss sie mit dem Schuldner am 28. November 1955 einen Forderungsabtretungs-Vertrag ab, der in den Ziffern 2 und 6 bestimmt:
"Zur Sicherstellung des jeweiligen Guthabens der BANK an Kapital, Zinsen, Provisionen und Kosten, sowie allfälliger weiterer Forderungen der BANK, welche zu ihren Gunsten schon bestehen oder künfünftig entstehen werden, tritt der KREDIT-NEHMER der BANK seine sämtlichen gegenwärtigen und künftigen Buchforderungen mit allen damit verbundenen Rechten ab, unter Garantie für deren Bestand und Einbringlichkeit."
"Der KREDITNEHMER verpflichtet sich, der BANK je auf 30. Juni und 31. Dezember (oder auf Wunsch der BANK auf jeden andern Termin) ein detailliertes Verzeichnis aller seiner bestehenden (der BANK abgetretenen) Forderungen einzureichen. Ferner hat der KREDITNEHMER der BANK auf jedes Monatsende die Gesamtsumme der bestehenden Forderungen zu melden. Der BANK steht ausserdem das Recht zu, jederzeit Einsicht in die Bücher des KREDITNEHMERS und in die für die abgetretenen Forderungen bestehenden Schuldurkunden oder sonstigen Beweismittel zu nehmen."
B.-
Am 7. April 1956 erhielt der Schuldner Glauser eine Nachlasstundung von vier Monaten. Als Sachwalter ernannte die Nachlassbehörde Johann Sidler in Rothenburg. Einem Begehren der Bank in Langenthal um Einsichtnahme
BGE 82 III 131 S. 133
in die Bücher widersetzte sich der Schuldner im Einverständnis mit dem Sachwalter. Nun beschwerte sich die Bank gegen den Schuldner "bezw." den Sachwalter "wegen Vertragsverletzung". Die untere Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde teilweise gut, indem sie entschied, der Schuldner habe dem Abtretungsvertrage bis zum Tage der Stundungsbewilligung nachzukommen. Für die Zeit der Nachlasstundung seien dagegen die Ansprüche der Bank aus dem Abtretungsvertrag aus ernsthaften Gründen bestritten und daher alle nach dem Datum der Stundung erlaufenen Buchforderungen des Schuldners als streitige zu betrachten "und zu sistieren".
C.-
Gegen diesen Entscheid rekurrierten sowohl die Bank in Langenthal, die den Abtretungsvertrag auch für die Zeit der Nachlasstundung zur Geltung brachte, wie auch der Schuldner gemeinsam mit dem Sachwalter, die den Abtretungsvertrag nur gemäss dem der Bank mitgeteilten Forderungsstand auf den 31. Dezember 1955 gelten liessen. Indessen hob die obere Aufsichtsbehörde am 12. Mai 1956 den erstinstanzlichen Entscheid gänzlich auf und trat auf die Beschwerde der Bank in Langenthal nicht ein, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Anlass zur Beschwerde bot der Bank eine Weigerung des Schuldners. Diese kann aber nicht auf dem Beschwerdeweg angefochten werden. Eine Beschwerde gegen den Sachwalter, wie sie
Art. 295 Abs. 3 SchKG
vorsieht, war hier nicht zulässig. Denn der Sachwalter hatte dem Schuldner keine Weisung gegeben, sondern bloss eine Rechtsauskunft erteilt. Wäre übrigens eine Weisung ergangen, so hätte sich darüber nur der Schuldner beschweren können. Denn die Weisungen des Sachwalters berühren nur den Schuldner, an den sie ergehen. Für einen Gläubiger fällt dagegen nur in Betracht, was der Schuldner selbst vorkehrt, sei es auch auf Grund einer ihm vom Sachwalter erteilten Weisung. Will ein Gläubiger das Verhalten des Schuldners nicht als vertragsgemäss anerkennen, so bleibt ihm nur die Anrufung der Gerichte offen. Daran ist er durch die
BGE 82 III 131 S. 134
Nachlasstundung nicht gehindert. Er kann ein ordentliches Verfahren oder auch, bei liquiden Verhältnissen, ein Befehlsverfahren nach
§ 348 Ziff. 1 ZPO
einleiten. Der Beschwerdeweg steht ihm nicht zur Verfügung.
D.-
Mit vorliegendem Rekurs hält die Bank in Langenthal an ihrer Beschwerde fest.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Soweit sich die Beschwerde gegen den Schuldner richtete, war sie zweifellos nicht zulässig. Die Beschwerde wurde aber auch gegen den Sachwalter erhoben, im Sinne von Art. 295 Abs. 3 in Verbindung mit den
Art. 17 ff. SchKG
. Davon geht der angefochtene Entscheid gleichfalls aus; er hält die Beschwerde aber für unzulässig, weil der Sachwalter gar keine Verfügung getroffen habe, die Gegenstand einer Beschwerde bilden könnte, und weil übrigens eine dem Schuldner erteilte Weisung nur von diesem, nicht auch von einem Gläubiger hätte angefochten werden können. In der einen wie in der andern Hinsicht erweckt die Betrachtungsweise der Vorinstanz Bedenken. Die Rekurrentin entnimmt eine förmliche Weisung des Sachwalters einem Brief vom 12. April 1956, worin er ihr mitteilte, infolge der Nachlasstundung sei der Schuldner unter Straffolge während dieser Zeit nicht berechtigt, irgendwelche Verfügungen über Abtretungen, Begünstigungen etc. gegenüber den Gläubigern zu treffen. Die Rekurrentin weist auch auf die Begründung des erstinstanzlichen Beschwerdeentscheides hin, wo es heisst, der Sachwalter opponiere für den Schuldner, indem er geltend mache, mit der Bewilligung der Nachlasstundung können zukünftige Forderungen nicht mehr abgetreten werden. In der Tat liegt in diesen Erklärungen des Sachwalters keine blosse Ansichtsäusserung, sondern der Sachwalter hat damit kraft seines Amtes Stellung bezogen. Der Brief an die Gläubigerin sprach aus, was für den Schuldner verbindlich sein solle. Dass er dem Schuldner eine entsprechende
BGE 82 III 131 S. 135
Weisung und nicht bloss eine unverbindliche Rechtsauskunft zu beliebigem Gebrauch erteilt hatte, lag auf der Hand. In gleichem Sinne sind denn auch die Ausführungen des Sachwalters in seiner Vernehmlassung vom 26. April 1956 an die Vorinstanz zu verstehen: "Gestützt auf die tel. Anfrage des Schuldners an den Unterzeichneten, wie er sich gegenüber diesen Begehren der Bank zu verhalten habe, musste ich demselben mitteilen, dass gestützt auf die gesetzlichen Bestimmungen solchen Begehren nicht entsprochen werden könne". Diese Weisung unterlag der Anfechtung durch Beschwerde, und zwar kann der dadurch betroffenen (und zudem durch den erwähnten Brief direkt vom Sachwalter benachrichtigten) Gläubigerin die Beschwerdelegitimation nicht abgesprochen werden. Wenn JAEGER, N. 1 zu
Art. 298 SchKG
, II S. 434 unten, sich darauf beschränkt, gegenüber den Weisungen des Sachwalters das Beschwerderecht des Schuldners zu erwähnen, so ist damit der Frage nicht vorgegriffen, ob bei ungesetzlichem oder unangemessenem Eingriff in Rechte Anderer nicht auch diesen der Beschwerdeweg offen stehe. Diese Frage ist zu bejahen, entsprechend den die Legitimation zur Beschwerde nach den
Art. 17 ff. SchKG
beherrschenden Grundsätzen. Dass in die Rechte anderer Personen eingreifende Verfügungen des Sachwalters auch von diesen angefochten werden können, ist übrigens speziell für die Schätzungen nach
Art. 299 SchKG
anerkannt (JAEGER, N. 3 hiezu; BGE 61 III mit Hinweis auf
Art. 9 und 99 VZG
und Art. 4 Abs. 2 der Verordnung über den Bankennachlassvertrag).
2.
Die Beschwerde war aber aus den von der Vorinstanz ergänzend angestellten Erwägungen unbegründet. Nach
Art. 298 SchKG
untersteht der Schuldner der Aufsicht des Sachwallters. Die dort in Abs. 1 aufgezählten Verfügungen kann er seit der öffentlichen Bekanntmachung der Stundung überhaupt nicht mehr gültig vornehmen (vgl. indessen
BGE 77 III 46
Erw. 2), und im übrigen hat er die ihm allfällig vom Sachwalter erteilten Weisungen
BGE 82 III 131 S. 136
zu befolgen, unter Vorbehalt des Beschwerderechtes. Es ist anerkannt, dass solche Weisungen sowohl auf ein Unterlassen wie auf ein Tun gerichtet sein und auch rechtsgeschäftliche Vorkehren betreffen können (
BGE 62 III 192
). Die hier angefochtene Weisung hielt sich in diesem Rahmen. Der Sachwalter überschritt also nicht die mit seinen Obliegenheiten verbundenen Befugnisse. Aber auch sachlich lässt sich die Weisung, den Begehren der Rekurrentin nicht zu entsprechen, nicht beanstanden. Wie es jedermann erlaubt ist, Ansprüche Anderer, die er für unbegründet hält, zu bestreiten, so handelt auch ein Sachwalter rechtmässig, wenn er dem Schuldner aufgibt, sich Ansprüchen eines Gläubigers zu widersetzen, die nach seiner Ansicht mit den Wirkungen der Nachlasstundung nicht vereinbar sind. Da diese Art der Stellungnahme weder als böswillig noch als leichtfertig, d.h. jedes ernsten Grundes entbehrend, erscheint, muss es dabei sein Bewenden haben. Eine Prüfung der zivilrechtlichen Rechtslage steht den Aufsichtsbehörden nicht zu; vielmehr wird über die Frage, ob und allenfalls in welchem Umfange der Abtretungsvertrag vom 28. November 1955 auch für die Zeit der Nachlasstundung gelte, nur der Richter entscheiden können.
3.
Bei dieser Sachlage hat die Rekurrentin kein Interesse an einer Aufhebung des zu Unrecht ergangenen kantonalen Nichteintretensentscheides und an einer Rückweisung der Sache zu materieller Beurteilung der Beschwerde. Diese müsste, wie dargetan, aus den zusätzlichen Erwägungen der Vorinstanz abgewiesen werden, ohne Präjudiz für die Entscheidung der zivilrechtlichen Streitfragen.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7e12e0f7-5d35-4344-a006-f1a2a023d5ef | Urteilskopf
134 III 656
100. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Yashar Foundation in Liquidation gegen Transinvest Holding AG (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_164/2008 vom 9. September 2008 | Regeste
Art. 80 Abs. 1 SchKG
; definitive Rechtsöffnung; Aberkennungsurteil.
Definitive Rechtsöffnung kann aufgrund eines Urteils gewährt werden, in dem die Aberkennungsklage abgewiesen wurde, die der Betriebene im Zuge einer früheren und nunmehr verwirkten Betreibung bezüglich derselben Forderung angehoben hatte (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 656
BGE 134 III 656 S. 656
Die Yashar Foundation in Liquidation mit Sitz in Vaduz (hiernach: Beschwerdeführerin) schloss mit der Rechtsvorgängerin der Transinvest Holding AG mit Sitz in St. Gallen (hiernach: Beschwerdegegnerin) am 15. Juli 1997 einen Darlehensvertrag. Zwischen den Vertragsparteien kam es zu Streitigkeiten über die Fälligkeit und die Rückzahlung der Darlehensforderung.
Die Beschwerdeführerin leitete vor den Gerichten in Vaduz gegen die Beschwerdegegnerin die Zwangsvollstreckung ein. Das Fürstliche Landgericht erteilte der Beschwerdeführerin die Rechtsöffnung
BGE 134 III 656 S. 657
für die Darlehensforderung von Fr. 1'149'953.24 samt 5 % Zins seit 14. Dezember 2001. Die Beschwerdegegnerin erhob Aberkennungsklage. Das Fürstliche Landgericht wies die Aberkennungsklage ab, weil die vertragliche Voraussetzung einer sofortigen Fälligstellung der Restdarlehensforderung per 14. Dezember 2001 erfüllt sei.
Die Beschwerdeführerin betrieb die Beschwerdegegnerin, die den Kapitalbetrag von Fr. 1'149'953.24 per 31. Dezember 2006 bezahlt hatte, für die ausstehenden Zinsen vom 14. Dezember 2001 bis 31. Dezember 2006 und ersuchte in der Schweiz um definitive Rechtsöffnung für den Betrag von Fr. 290'043.75 zuzüglich Betreibungskosten und um Beseitigung des Rechtsvorschlags der Beschwerdegegnerin. Die kantonalen Gerichte wiesen das Gesuch ab. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und erteilt der Beschwerdeführerin die definitive Rechtsöffnung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Das Kantonsgericht hat das Aberkennungsurteil als Vollstreckungstitel im Sinne von
Art. 80 SchKG
betrachtet. Die Frage ist streitig.
5.1
Gemäss
Art. 80 Abs. 1 SchKG
kann der Gläubiger beim Richter die Aufhebung des Rechtsvorschlags (definitive Rechtsöffnung) verlangen, wenn die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil beruht. Dass ein Gerichtsurteil vorliegt, ist hier unbestritten. Beurteilt werden muss, ob das rechtskräftige Urteil des Fürstlichen Landgerichtes vom 4. März 2004 in seiner Wirkung "einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil" entspricht. Das Urteilsdispositiv lautet dahin: "Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die von der Beklagten im Schuldentriebverfahren (EX.2003.176) und Rechtsöffnungsverfahren (07 RÖ.2003.29) des F.L. Landgerichts gegen die Klägerin geltend gemachte Forderung in der Höhe von CHF 1'149'953.24 samt 5 % Zins seit 14.12.2001 in vollem Umfang nicht zu Recht bestehe, und der Rechtsöffnungsbeschluss vom 25.06.2003 zu 07 RÖ.2003.29 werde daher aufgehoben, wird abgewiesen". Auf Grund der Urteilserwägungen steht fest, dass das Fürstliche Landgericht den Bestand der Darlehensforderung der Beschwerdeführerin gegen die Beschwerdegegnerin und die Fälligkeit der Darlehensforderung am 14. Dezember 2001 bejaht hat.
5.2
Ein Aberkennungsurteil lautet im Dispositiv nicht auf Verurteilung einer Partei und enthält deshalb keinen ausdrücklichen
BGE 134 III 656 S. 658
Leistungsbefehl, sondern weist lediglich das Begehren auf negative Feststellung ab.
5.2.1
Aus prozessualer Sicht wird in der Lehre die Meinung vertreten, dass nur für Leistungs-, nicht hingegen für blosse Feststellungsurteile die definitive Rechtsöffnung erteilt werden kann. Das Urteil im Aberkennungsprozess äussert sich zwar mit materieller Rechtskraft über Bestand und Fälligkeit der in Betreibung gesetzten Forderung, bleibt dabei jedoch Feststellungsurteil. So betrachtet kann es im Falle der Abweisung der Klage in einer neuen Betreibung nicht als Titel für die Erteilung definitiver Rechtsöffnung dienen. Hierfür muss der Gläubiger eine zweite Klage auf Leistung erheben, wobei der zweite Richter an den Entscheid über den Bestand der Forderung gebunden ist und bloss noch formell die Verurteilung zur Zahlung auszusprechen hat, sofern kein nachträglicher Untergang bewiesen wird (in diesem Sinne ausführlich: D. STAEHELIN, Basler Kommentar, 1998, N. 6 zu Art. 80 und N. 59 und 62 zu
Art. 83 SchKG
).
5.2.2
Aus betreibungsrechtlicher Sicht wird in der Lehre zu bedenken gegeben, dass der Aberkennungsprozess, wiewohl eine Einrichtung des SchKG, kein betreibungsrechtliches Inzidenzverfahren ist und dass das hier ergehende Urteil sich über Bestand oder Nichtbestand der Forderung ausspricht, und zwar mit materieller Rechtskraftwirkung, die über die konkrete Betreibung hinausgeht. Dass dieser Prozess mit vertauschten Parteirollen geführt und mit einer negativen Feststellungsklage eingeleitet wird, hat ausschliesslich betreibungsrechtliche Gründe. Im Übrigen unterscheidet sich das Aberkennungsurteil in seinen Wirkungen durch nichts von dem durch den Gläubiger herbeigeführten Leistungsurteil. Das in einer zweiten Betreibung gestützt auf das Aberkennungsurteil aus einer ersten Betreibung gestellte Gesuch um definitive Rechtsöffnung kann bei dieser Betrachtungsweise bewilligt werden (so namentlich: E. FISCHER, Rechtsöffnungspraxis in Basel-Stadt, BJM 1980 S. 113 ff., 120 f.).
5.2.3
In Anbetracht der unterschiedlichen Standpunkte in der Lehre hat es das Bundesgericht nicht als willkürlich bezeichnet, definitive Rechtsöffnung aufgrund eines Urteils zu gewähren, in dem die Aberkennungsklage abgewiesen wurde, die der Betriebene im Zuge einer früheren und nunmehr verwirkten Betreibung bezüglich derselben Forderung angehoben hatte (
BGE 127 III 232
Nr. 41 mit Hinweisen; seither: A. SCHMIDT, Commentaire romand, 2005, N. 6
BGE 134 III 656 S. 659
zu
Art. 80 SchKG
; STOFFEL, Voies d'exécution, Bern 2002, N. 94 S. 105).
5.3
Für die Beantwortung der Streitfrage massgebend sind vorab die Besonderheiten der Aberkennungsklage und die Funktion der definitiven Rechtsöffnung.
5.3.1
Die Aberkennungsklage hat eine Doppelnatur. Sie ist einerseits in das Betreibungsverfahren eingebaut und andererseits nicht bloss ein Zwischenverfahren in der Betreibung, sondern eine negative Feststellungsklage des materiellen Rechts. Das Aberkennungsurteil wirkt sich zwar unmittelbar auf die laufende Betreibung aus (
BGE 130 III 285
E. 5.3.1 S. 292), hat jedoch materielle Rechtskraftwirkung für Bestand und Fälligkeit der in Betreibung gesetzten Forderung (
BGE 124 III 207
E. 3a S. 208;
BGE 128 III 44
E. 4a und b S. 47). Dass es nicht auch die Verurteilung zur festgestellten Leistung ausspricht und insoweit keinen Leistungsbefehl enthält, ergibt sich aus der Doppelnatur der Aberkennungsklage und ist nicht nötig, weil durch den erlassenen Zahlungsbefehl der Antrag auf Leistung vom Gläubiger schon gestellt ist und die Möglichkeit der zwangsweisen Eintreibung der Leistung nur noch davon abhängt, dass das Gericht feststelle, ob die vom Schuldner der Zahlungspflicht entgegengestellten Einwendungen berechtigt seien oder nicht (vgl. JAEGER, Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 3. Aufl., Zürich 1911, N. 10 zu
Art. 83 SchKG
, S. 219).
5.3.2
Der Richter des Betreibungsortes entscheidet über Gesuche um Rechtsöffnung (
Art. 84 Abs. 1 SchKG
). Er hat insbesondere zu prüfen, ob die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil beruht (vgl.
Art. 80 SchKG
) und nicht seit Erlass des Urteils untergegangen ist (vgl.
Art. 81 SchKG
). Anhand des gerichtlichen Urteils hat der Rechtsöffnungsrichter namentlich zu prüfen, ob die im Urteil genannten Personen des Gläubigers und des Schuldners mit dem Betreibungsgläubiger und dem Betreibungsschuldner identisch sind und ob sich die in Betreibung gesetzte Forderung aus dem vorgelegten gerichtlichen Urteil ergibt (vgl. A. SCHMIDT, a.a.O., N. 17 f. zu
Art. 84 SchKG
). Dabei hat er weder über den materiellen Bestand der Forderung zu befinden noch sich mit der materiellen Richtigkeit des Urteils zu befassen. Ist dieses unklar oder unvollständig, bleibt es Aufgabe des Sachgerichts, eine Erläuterung oder Vervollständigung vorzunehmen (
BGE 113 III 6
E. 1b S. 9/10;
BGE 134 III 656 S. 660
BGE 124 III 501
E. 3a S. 503). Diese Einschränkung der Prüfungsbefugnis bedeutet freilich nicht, dass der Rechtsöffnungsrichter ausschliesslich auf das Dispositiv des Urteils abzustellen hätte. Er darf gegenteils auch die Urteilsgründe berücksichtigen, wenn es darum geht, die Frage nach der Eignung des Urteils als Vollstreckungstitel im Sinne von
Art. 80 Abs. 1 SchKG
zu beantworten (
BGE 79 I 327
E. 2 S. 330; zuletzt: Urteil 5P.324/2005 vom 22. Februar 2006, E. 3.4-3.9, publ. in: Schweizerische Zeitschrift für Zivilprozessrecht [SZZP] 2006 S. 296; ausführlich: SCHWANDER, Zu den verschiedenen Funktionen der Rechtsöffnung, in: Festschrift 75 Jahre Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz, Basel 2000, S. 374 ff.).
5.4
Gegen die Zulassung des Aberkennungsurteils als Vollstreckungstitel im Sinne von
Art. 80 SchKG
spricht, dass es sich um ein Feststellungs- und nicht um ein Leistungsurteil handelt. Wird es im Gesamtzusammenhang der konkreten Betreibung gesehen, ergänzt das Aberkennungsurteil indessen lediglich ein bereits gestelltes Leistungsbegehren des Gläubigers mit der Feststellung, dass die geltend gemachte Forderung besteht und fällig ist. Da das Aberkennungsurteil diesbezüglich in materielle Rechtskraft erwächst und damit über die konkrete Betreibung hinaus wirksam ist, kann es in einer späteren Betreibung als Vollstreckungstitel gelten unter der Voraussetzung, dass der selbe Gläubiger gegen den nämlichen Schuldner für die gleiche Forderung auf dem Betreibungsweg die Leistung erneut begehrt und dass die Forderung nicht seit Erlass des Urteils untergegangen ist. Diese Voraussetzungen, die aus streng prozessrechtlicher Sicht in einem ordentlichen Verfahren von einem Gericht beurteilt werden müssten, kann auch der Rechtsöffnungsrichter auf Grund seiner Befugnisse im Verfahren der definitiven Rechtsöffnung prüfen. Sind sie erfüllt, kann die definitive Rechtsöffnung aufgrund eines Urteils gewährt werden, in dem die Aberkennungsklage abgewiesen wurde, die der Betriebene im Zuge einer früheren und nunmehr verwirkten Betreibung bezüglich derselben Forderung angehoben hatte.
5.5
Die Voraussetzungen für die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung auf Grund des Urteils des Fürstlichen Landgerichtes vom 4. März 2004 sind erfüllt. Dem Antrag kann entsprochen werden. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7e136e94-34d1-49df-853a-1f3d8eefe81c | Urteilskopf
116 V 159
28. Extrait de l'arrêt du 21 mars 1990 dans la cause C. contre Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents et Tribunal administratif du canton de Neuchâtel | Regeste
Art. 18 und
Art. 105 Abs. 1 UVG
.
Hält der Unfallversicherer in einer der Einsprache unterliegenden Verfügung die möglichen Ursachen der Invalidität - körperlicher Gesundheitsschaden einerseits, psychischer Gesundheitsschaden anderseits - auseinander, so darf er sich später nicht auf diese unwidersprochen gebliebene und die Leistungspflicht bloss für eine dieser Ursachen ausschliessende Verfügung berufen, um damit die teilweise Verweigerung einer Invalidenrente zu begründen. | Erwägungen
ab Seite 159
BGE 116 V 159 S. 159
Extrait des considérants:
1.
La Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNA) a nié sa responsabilité pour les troubles psychiques de l'assuré dans un acte qui n'a pas fait l'objet d'une opposition. C'est la raison pour laquelle les premiers juges ont considéré que cette question était définitivement réglée. Il n'en est toutefois rien.
En effet, selon le système légal, il appartient à l'assurance-accidents d'indemniser l'assuré qui présente une atteinte à la capacité de gain imputable à un événement engageant sa responsabilité. Pour arrêter la rente qui doit être versée à cette fin, il y a lieu de prendre en considération toutes les conséquences dudit événement. Il n'est nullement prévu de servir une rente pour les séquelles physiques de ce dernier et une autre pour les éventuelles atteintes psychiques. Il ne faut pas oublier, d'autre part, que les suites physiques et psychiques d'un accident sont souvent imbriquées et que les assurés ne sont guère en mesure de faire le départ entre l'incapacité de travail et de gain à mettre au compte d'une atteinte physique assurée et celle dont il faudrait rendre responsable une
BGE 116 V 159 S. 160
composante psychique ne regardant pas l'assurance. Le procédé de la CNA, s'il était admis, conduirait en outre à obliger l'assuré à conduire le cas échéant deux procès: l'un sur le principe de la responsabilité de l'assurance en raison des atteintes psychiques, l'autre sur la mesure dans laquelle cette assurance doit assumer les conséquences physiques d'un événement dommageable. Celui qui, à tort, a considéré que son incapacité de gain était tout entière imputable à ses maux physiques serait ainsi privé de la possibilité de faire valoir ses droits au moment où sa rente sera fixée en fonction de ces atteintes-là. Or tel sera souvent le cas, en pratique.
Vu ce qui précède, il se justifie donc de réexaminer l'ensemble des troubles présentés par Raphaël C. et leurs répercussions sur sa capacité de travail et de gain. | null | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
7e1f8419-857d-48b8-add3-fd6eda905ca1 | Urteilskopf
110 IV 116
36. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 30 octobre 1984 dans la cause L. c. Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 227 und 277ter BStP
. Reformatio in peius.
Muss eine kantonale Behörde zufolge Rückweisung zu neuem Urteil gemäss
Art. 277ter BStP
neu entscheiden, darf sie nur in jenen Punkten auf ihr Urteil zurückkommen, welche zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids durch das Bundesgericht geführt haben, selbst wenn aus formellen Gründen das ganze Urteil aufgehoben wurde. Wie der eidgenössische Kassationshof müssen die kantonalen Gerichte das Verbot der reformatio in peius des
Art. 227 BStP
beachten. | Erwägungen
ab Seite 116
BGE 110 IV 116 S. 116
Extrait des considérants:
2.
Selon une jurisprudence qui n'a jamais été démentie (
ATF 70 IV 222
), l'
art. 227 PPF
qui, sous réserve du pourvoi déposé par le Ministère public, interdit à la Cour de cassation extraordinaire du Tribunal fédéral de procéder à la reformatio in pejus
BGE 110 IV 116 S. 117
de la décision attaquée au détriment du condamné s'applique également à la procédure de pourvoi en nullité qui est ouverte auprès de la Cour de cassation du Tribunal fédéral contre les décisions cantonales en matière pénale fédérale. Cette règle vaut également pour les autorités cantonales qui ont à statuer après que la cause leur eut été renvoyée pour nouvelle décision conformément à l'
art. 277ter PPF
, en ce sens que l'autorité cantonale ne peut revenir que sur les points remis en cause par l'arrêt du Tribunal fédéral, même si, du point de vue formel, la décision attaquée avait été annulée dans son entier (
ATF 101 IV 103
).
L'autorité cantonale a méconnu ces principes. En effet, sa première décision avait été annulée parce qu'elle avait retenu à la charge du recourant un homicide par négligence sans avoir élucidé à satisfaction de droit l'existence à la charge du recourant d'une inattention coupable ainsi que la relation de causalité adéquate entre la mort de la victime et les fautes du recourant. Il résultait ainsi de l'arrêt du Tribunal fédéral que la question de l'ivresse au volant et celle de la réalisation des conditions subjectives du sursis ne pouvaient plus être remises en cause, dès lors qu'elles n'avaient pas été examinées en instance fédérale. Les autorités cantonales ayant renoncé à retenir à la charge du recourant l'infraction d'homicide par négligence, elles ne pouvaient prononcer contre lui qu'une peine en tout cas inférieure à celle résultant de la première décision et, de surcroît, assortie du sursis, puisque la réalisation des conditions de cette mesure n'a jamais été contestée.
Le pourvoi doit ainsi être admis et la cause renvoyée à l'autorité cantonale pour qu'elle prononce une nouvelle peine en se conformant aux prescriptions des
art. 227 et 277ter al. 2 PPF
. | null | nan | fr | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7e230745-a11c-46ce-872a-fde4efcdc2b4 | Urteilskopf
136 I 87
9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Demokratische Juristinnen und Juristen Zürich (DJZ) und Mitb. gegen Kantonsrat und Regierungsrat des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_179/2008 vom 30. September 2009 | Regeste
Polizeigesetz des Kantons Zürich; Art. 5, 10, 13, 31 und 36 BV,
Art. 2, 5 und 8 EMRK
.
Allgemeine Ausführungen zum Polizeirecht: Legalitätsprinzip (E. 3.1); Grundsatz der Verhältnismässigkeit (E. 3.2); Prüfung kantonaler Normen (E. 3.3); Polizeirecht und Strafprozessrecht (E. 3.4).
Schusswaffengebrauch zur Verfolgung von fliehenden Personen, die durch ein schweres Vergehen oder Verbrechen eine besondere Gefährlichkeit oder Gewaltbereitschaft manifestiert haben (E. 4).
Personenkontrolle, Identitätsfeststellung und erkennungsdienstliche Massnahmen (E. 5).
Polizeilicher Gewahrsam: Dauer des Gewahrsams (E. 6.3). Gerichtlicher Rechtsschutz, Erfordernis eines unmittelbaren Zugangs zu einer richterlichen Behörde (E. 6.4 und 6.5).
Polizeiliche Vorführung und Zuführung als besondere Form der Amts- und Vollzugshilfe (E. 7).
Überwachung des öffentlichen Raums mit technischen Geräten. Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Überwachungsregelung (E. 8.3) und der Ordnung der Aufbewahrung von Aufzeichnungen (E. 8.4). Überwachung im Rahmen der Strafprozessordnung (E. 8.5). | Sachverhalt
ab Seite 89
BGE 136 I 87 S. 89
Der Regierungsrat des Kantons Zürich unterbreitete dem Kantonsrat des Kantons Zürich am 5. Juli 2006 einen Antrag mit dazugehöriger Weisung für die Schaffung eines Polizeigesetzes. In Ergänzung des Polizeiorganisationsgesetzes vom 29. November 2004 (POG; LS 551.1) und mit Blick auf rechtsstaatliche und demokratische Überlegungen sollten gesetzliche Bestimmungen geschaffen werden über die Art der polizeilichen Aufgabenerfüllung und über die Massnahmen, welche die Polizeikräfte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergreifen können.
Der Kantonsrat verabschiedete das Polizeigesetz (PolG) am 23. April 2007 mit 123 zu 25 Stimmen (OS 64 324). Dieses umschreibt in allgemeiner Weise die Aufgaben der Polizei (§ 1 ff.) und die Grundsätze des polizeilichen Handelns (§ 8 ff.). Zur Erfüllung ihrer Aufgaben wird die Polizei im Rahmen der Verhältnismässigkeit zur Anwendung von unmittelbarem Zwang gegen Personen ermächtigt (§ 13 ff.); dazu gehört der Schusswaffengebrauch (§ 17). Zu den möglichen polizeilichen Massnahmen zählen u.a. Personenkontrollen und erkennungsdienstliche Massnahmen (§ 21 f.), polizeilicher Gewahrsam (§ 25 f.), Vor-, Zu- und Rückführungen (§ 28 ff.), Überwachung, Wegweisung und Fernhaltung von Personen (§ 32 ff.) sowie Durchsuchung (§ 35 ff.) und Sicherstellung (§ 38 ff.). Ferner enthält das Polizeigesetz einen Abschnitt mit Bestimmungen über den Datenschutz (§ 51 ff.).
Auf Referendum hin nahmen die Stimmberechtigten des Kantons Zürich das Polizeigesetz am 24. Februar 2008 mit rund 220'000 Ja-Stimmen gegen rund 74'000 Nein-Stimmen an. Der Regierungsrat setzte das Polizeigesetz auf den 1. Juli 2009 in Kraft.
Die Demokratischen Juristinnen und Juristen Zürich (DJZ) sowie politische Parteien und Privatpersonen haben beim Bundesgericht am 21. April 2008 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben und die Aufhebung einer grösseren Anzahl von Bestimmungen beantragt. Sie rügen Verletzungen der Bundesverfassung, der Europäischen Menschenrechtskonvention und des UNO-Pakts II.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
(Zusammenfassung)
BGE 136 I 87 S. 90
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Vor der materiellen Prüfung der einzelnen angefochtenen Bestimmungen rechtfertigen sich einleitend einige allgemeine Bemerkungen.
3.1
In unterschiedlichem Zusammenhang rügen die Beschwerdeführer, das Polizeigesetz genüge dem Legalitätsprinzip nicht, weil die Voraussetzungen sowie Inhalt und Tragweite des polizeilichen Handelns zu unbestimmt umschrieben und die damit verbundenen Eingriffe in die Grundrechte nicht hinreichend voraussehbar seien. Sie berufen sich hierfür auf
Art. 36 Abs. 1 BV
im Allgemeinen, teils auf die Erfordernisse von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
im Speziellen.
Das Bundesgericht hat sich verschiedentlich zum Legalitätsprinzip unter dem Gesichtswinkel von
Art. 36 Abs. 1 BV
geäussert (vgl. namentlich
BGE 132 I 49
E. 6.2 und 6.3 S. 58;
BGE 135 I 169
E. 5.4.1 S. 173; je mit Hinweisen). Dieses verlangt eine hinreichende und angemessene Bestimmtheit der anzuwendenden Rechtssätze im Dienste des Gesetzesvorbehalts, der Rechtssicherheit (Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit) und der rechtsgleichen Rechtsanwendung. Der Gesetzgeber kann nicht auf allgemeine, mehr oder minder vage und von der Praxis zu konkretisierende Begriffe verzichten. Der Grad der erforderlichen Bestimmtheit lässt sich nicht abstrakt festlegen. Er hängt unter anderem von der Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und der Vorhersehbarkeit der im Einzelfall erforderlichen Entscheidungen, von den Normadressaten, von der Schwere des Eingriffs in Verfassungsrechte und von der erst bei der Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten Entscheidung ab. Für das Polizeirecht stösst das Bestimmtheitserfordernis wegen der Besonderheit des Regelungsbereichs auf besondere Schwierigkeiten. Die Aufgabe der Polizei und die Begriffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung lassen sich kaum abstrakt umschreiben. Die Polizeitätigkeit wird oftmals in der Form von Realakten wahrgenommen. Sie richtet sich oft gegen nicht im Einzelnen bestimmbare Gefährdungsarten und Gefährdungsformen in vielgestaltigen und wandelbaren Verhältnissen und ist demnach situativ den konkreten Umständen anzupassen. Ausdruck dieser Schwierigkeit ist u.a. die verfassungsrechtliche Anerkennung der polizeilichen Generalklausel in
Art. 36 Abs. 1 Satz 3 BV
(vgl.
BGE 128 I 327
E. 4.2 S. 340). In gewissem Ausmass kann die Unbestimmtheit von Normen durch verfahrensrechtliche Garantien gleichsam
BGE 136 I 87 S. 91
kompensiert werden, und es kommt dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit besondere Bedeutung zu (vgl. hierzu SCHWEIZER/MÜLLER, Zwecke, Möglichkeiten und Grenzen der Gesetzgebung im Polizeirecht, LeGes 2008 S. 379 ff.).
In gleicher Weise verlangt auch die Europäische Menschenrechtskonvention hinsichtlich der Einschränkungen von Garantien eine hinreichende Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlagen. Diese müssen ausreichend zugänglich und genügend bestimmt sein, damit der Bürger die sich daraus für ihn ergebenden Konsequenzen in ausreichendem Masse vorhersehen kann (vgl.
BGE 122 I 360
E. 5b/cc S. 364;
BGE 109 Ia 273
E. 4d S. 282; aus der neueren Rechtsprechung: Urteile des EGMR
Amihalachioaie gegen Moldavien
vom 20. April 2004,
Recueil CourEDH 2004-III S. 169
§ 25;
Eglise métropolitaine und Mitbeteiligte gegen Moldavien
vom 13. Dezember 2001,
Recueil CourEDH 2001-XII S. 37
§ 109;
Hashman und Harrup gegen Grossbritannien
vom 25. November 1999,
Recueil CourEDH 1999-VIII S. 29
§ 31; CHRISTOPH GRABENWARTER, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2009, § 18 N. 9 ff. S. 113; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 5 ff. der Vorbemerkungen zu
Art. 8-11 EMRK
).
Es wird im Zusammenhang mit den umstrittenen Regelungen im Einzelnen zu prüfen sein, wie es sich unter dem Gesichtswinkel des Legalitätsprinzips mit den im Polizeigesetz enthaltenen Unbestimmtheiten verhält. Über diese Anforderungen hinaus wird zu beachten sein, dass § 9 PolG die polizeiliche Generalklausel in allgemeiner Weise vorbehält und die Polizei im Einzelfall auch ohne besondere gesetzliche Grundlage ermächtigt, unaufschiebbare Massnahmen zu treffen, um unmittelbar drohende oder eingetretene Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwehren oder zu beseitigen. Die polizeiliche Generalklausel ist nach der Rechtsprechung auf echte und unvorhersehbare sowie gravierende Notfälle ausgerichtet, beschränkt sich auf Fälle, wo keine gesetzlichen Mittel vorhanden sind, um einer konkreten Gefahr zu begegnen. Sie kann nicht angerufen werden, wenn typische und erkennbare Gefährdungslagen trotz deren Kenntnis nicht normiert werden (
BGE 130 I 369
E. 7.3 S. 381). Die Unbestimmtheit polizeilicher Normen ist auch unter diesem Gesichtswinkel zu betrachten.
3.2
Dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit kommt im Polizeirecht und für das Handeln der Polizeiorgane ein besonderes Gewicht zu. Er findet allgemein Ausdruck in
Art. 5 Abs. 2 BV
und ist unter dem
BGE 136 I 87 S. 92
Gesichtswinkel der Einschränkung von Grundrechten nach
Art. 36 Abs. 3 BV
sowie im entsprechenden Zusammenhang nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
zu beachten. Das Gebot der Verhältnismässigkeit verlangt, dass eine behördliche Massnahme für das Erreichen des im öffentlichen oder privaten Interesse liegenden Zieles geeignet und erforderlich ist und sich für die Betroffenen in Anbetracht der Schwere der Grundrechtseinschränkung zumutbar und verhältnismässig erweist. Erforderlich ist eine vernünftige Zweck-Mittel-Relation. Eine Massnahme ist unverhältnismässig, wenn das Ziel mit einem weniger schweren Grundrechtseingriff erreicht werden kann (
BGE 133 I 77
E. 4.1 S. 81;
BGE 132 I 49
E. 7.2 S. 62 mit Hinweisen).
Das Polizeigesetz bekräftigt das Gebot der Verhältnismässigkeit und gibt ihm in § 10 eine besondere Ausprägung. An verschiedener Stelle ist das polizeiliche Handeln im Sinne eines Verhältnismässigkeitsgebotes und Übermassverbots davon abhängig, dass eine Massnahme zur Erfüllung der polizeilichen Aufgabe notwendig sei (vgl. etwa § 21 Abs. 1, unten E. 5). Darüber hinaus ist die Polizei mit § 8 verpflichtet, die Rechtsordnung zu beachten sowie die verfassungsmässigen Rechte und die Menschenwürde des Einzelnen zu achten. Überdies achtet sie nach § 11 die besondern Schutzbedürfnisse von Minderjährigen und berücksichtigt deren Alter und Entwicklungsstand insbesondere bei der Anwendung von polizeilichem Zwang. § 10 PolG hat folgenden Wortlaut:
§ 10 - Verhältnismässigkeit
1
Polizeiliches Handeln muss zur Erfüllung der polizeilichen Aufgaben notwendig und geeignet sein.
2
Unter mehreren geeigneten Massnahmen sind jene zu ergreifen, welche die betroffenen Personen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen.
3
Die Massnahmen dürfen nicht zu einem Nachteil führen, der in einem erkennbaren Missverhältnis zum verfolgten Zweck steht.
4
Massnahmen sind aufzuheben, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann.
Diese verfassungsrechtlich und kantonalgesetzlich vorgesehenen Gebote der Verhältnismässigkeit sind bei allen polizeilichen Massnahmen mitzuberücksichtigen und demnach im abstrakten Normkontrollverfahren in die Beurteilung der einzelnen Bestimmungen einzubeziehen. Dieses allgemeine Gebot entbindet allerdings nicht davon, jede einzelne Massnahme und Bestimmung in ihrem
BGE 136 I 87 S. 93
spezifischen Kontext auf ihre Verhältnismässigkeit im dargelegten Sinne hin zu prüfen. Eine spezifisch als unverhältnismässig erachtete Massnahme oder Regelung kann nicht allein wegen des Umstandes als verfassungsmässig betrachtet werden, dass die Polizeiorgane nach § 10 PolG zur Beachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes verpflichtet werden.
3.3
Verschiedene Bestimmungen im angefochtenen Polizeigesetz weisen eine gewisse Verwandtschaft mit Normen auf, die in neueren Bundesgesetzen enthalten sind. Dies gilt für die voraussichtlich 2011 in Kraft tretende Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO/CH; BBl 2007 6977), deren Art. 215 und 282 über die polizeiliche Anhaltung und die Observation einen Zusammenhang mit § 21 f. PolG (unten E. 5) und
§ 106d StPO
/ZH (LS 321; unten E. 8.5) aufweisen. Gleiches gilt für das am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 20. März 2008 über die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes (Zwangsanwendungsgesetz, ZAG; SR 364), welches in Art. 11 Bestimmungen über den Einsatz von Waffen enthält, die einen Bezug zu § 17 PolG über den Schusswaffengebrauch haben (unten E. 4).
Der Umstand, dass der Bund für seinen Zuständigkeitsbereich ähnliche Regelungen trifft wie die Kantone für die kantonalen Bereiche, vermag die Befugnis des Bundesgerichts zur freien Prüfung von kantonalen Erlassen nicht einzuschränken. Kantonale Erlasse unterliegen nach
Art. 189 BV
sowie
Art. 82 lit. b BGG
grundsätzlich ohne Rücksicht auf eine in einem Bundesgesetz enthaltene Regelung und ungeachtet der Bestimmung von
Art. 190 BV
der Prüfung auf ihre Vereinbarkeit mit Bundesverfassung und Völkerrecht. Dabei ist in Kauf zu nehmen, dass sich bei einer solchen Prüfung allenfalls Zweifel an der Verfassungs- und Konventionsmässigkeit von Bundesgesetzen ergeben können (
BGE 109 Ia 273
E. 2b S. 277).
3.4
Das Polizeirecht ist grundsätzlich öffentlich-rechtlicher Natur. Tätigkeiten und Aufgaben der Polizei, wie insbesondere die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. § 3 ff. PolG und
§ 7 ff. POG
), werden von den für das Verwaltungsrecht massgebenden materiellen Grundsätzen beherrscht. In prozessualer Hinsicht unterliegen sie den Grundzügen des Verwaltungsverfahrens und folgen dem entsprechenden Rechtsmittelzug. In letzter Instanz sind entsprechende Massnahmen beim Bundesgericht mit der
BGE 136 I 87 S. 94
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten anzufechten (vgl.
BGE 134 I 125
E. 4.1 S. 136). Das Polizeirecht weist zudem in verschiedener Hinsicht Bezüge zum Straf- und Strafprozessrecht auf. Die Polizei ist auch im Dienste der Strafverfolgung tätig. Sie nimmt nach § 2 Abs. 2 PolG und
§ 8 POG
im Rahmen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung kriminalpolizeiliche Aufgaben (Verhütung strafbarer Handlungen, Feststellung und Aufklärung von Straftaten) wahr. In dieser Hinsicht folgt der Rechtsweg den vom Strafprozessrecht vorgegebenen Grundsätzen. Letztinstanzlich kann das Bundesgericht mit Beschwerde in Strafsachen angerufen werden. Die verwaltungsrechtliche Polizeitätigkeit lässt sich indessen nicht leicht vom strafprozessualen, im Dienste der Strafverfolgung stehenden Aufgabenbereich unterscheiden. Die beiden Bereiche können sich überschneiden, können fliessend ineinander übergehen, etwa wenn ein Polizeifunktionär in Ausübung einer rein polizeilichen Tätigkeit auf allenfalls strafrechtlich relevante Sachverhalte trifft und entsprechende Massnahmen im Dienste der Strafverfolgung vorkehrt. Gemeinsam ist den Bereichen, dass bei gegebenen Voraussetzungen in vergleichbarer Weise in Grundrechte von Personen eingegriffen werden kann. Es kommen im Wesentlichen auch die gleichen verfassungsrechtlichen Garantien zum Schutz der Grundrechte zum Zug, insbesondere das Erfordernis eines öffentlichen Interesses und der Grundsatz der Verhältnismässigkeit (
Art. 5 und 36 BV
). Dies legt es nahe, für beide Seiten der polizeilichen Tätigkeit einen aufeinander abgestimmten harmonisierten Rechtsschutz vorzusehen. Dem ist im Polizeigesetz insofern bereits Rechnung getragen, als der die Dauer von 24 Stunden übersteigende Polizeigewahrsam nach § 27 Abs. 2 PolG einer Verlängerung durch den Haftrichter oder die Haftrichterin, welche für die strafprozessuale Haft zuständig sind, bedarf (vgl. E. 6; § 24a des Gerichtsverfassungsgesetzes [GVG; LS 211.1]). Soweit im Rahmen des Bundesrechts möglich, ist in diesem Sinne auf kantonaler Ebene eine aufeinander abgestimmte Rechtsmittelordnung anzustreben.
4.
Im Abschnitt über den polizeilichen Zwang (§ 13-17 PolG) findet sich die Bestimmung von
§ 17 PolG zum Schusswaffengebrauch
. Die Beschwerdeführer beantragen die Aufhebung dieser Bestimmung, begründen ihren Antrag indes ausschliesslich in Bezug auf § 17 Abs. 2 lit. b PolG. Sie machen Verletzungen von
Art. 10 Abs. 1 BV
, von
Art. 2 EMRK
sowie von
Art. 6 UNO-Pakt II
geltend. Die Gesetzesbestimmung hat folgenden Wortlaut:
BGE 136 I 87 S. 95
§ 17 - Schusswaffengebrauch
1
Wenn andere verfügbare Mittel nicht ausreichen, darf die Polizei in einer den Umständen angemessenen Weise von der Schusswaffe Gebrauch machen.
2
Der Gebrauch der Schusswaffe kann insbesondere gerechtfertigt sein,
a. wenn Angehörige der Polizei oder andere Personen in gefährlicher Weise angegriffen oder mit einem gefährlichen Angriff unmittelbar bedroht werden,
b. wenn eine Person ein schweres Verbrechen oder ein schweres Vergehen begangen hat oder eines solchen dringend verdächtigt wird und sie fliehen will,
c. wenn Personen für andere eine unmittelbar drohende Gefahr an Leib und Leben darstellen und sich der Festnahme zu entziehen versuchen,
d. zur Befreiung von Geiseln,
e. zur Verhinderung eines unmittelbar drohenden schweren Verbrechens oder schweren Vergehens an Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen und die für die Allgemeinheit wegen ihrer Verletzlichkeit eine besondere Gefahr bilden.
3
Dem Schusswaffengebrauch hat ein deutlicher Warnruf vorauszuge-hen, sofern der Zweck und die Umstände es zulassen. Ein Warnschuss darf nur abgegeben werden, sofern die Umstände die Wirkung eines Warnrufes vereiteln.
4.1
§ 17 Abs. 1 PolG unterstreicht den Grundsatz der Verhältnismässigkeit hinsichtlich des Schusswaffengebrauchs in doppelter Weise. Zum einen soll diese Art polizeilichen Zwangs nur angewendet werden dürfen, wenn andere verfügbare Mittel nicht ausreichen. Schusswaffen sollen nur subsidiär und als letztes Mittel, als
ultima ratio
, eingesetzt werden. Zum andern hat der Einsatz als solcher in einer den Umständen angemessenen Weise zu erfolgen. § 17 Abs. 1 PolG umschreibt insoweit den Schusswaffengebrauch in abschliessender Weise, wenn auch auf hoher Abstraktionsstufe.
In Ergänzung zu diesen Grundsätzen nennt § 17 Abs. 2 PolG Konstellationen von möglichem Schusswaffeneinsatz. Diese Konstellationen weisen Beispielcharakter auf und sollen die Grundausrichtung des Schusswaffeneinsatzes vor dem Hintergrund von Abs. 1 konkretisieren. Sie stellen keine Handlungsanweisungen dar, erlauben und rechtfertigen einen Schusswaffeneinsatz nicht schon für sich allein genommen. Sie zeigen lediglich typisierte Situationen auf, in denen der Einsatz von Waffen in Betracht fällt. Auch diesfalls hat sich ein solcher an der Grundnorm von § 17 Abs. 1 PolG auszurichten, ist im
BGE 136 I 87 S. 96
Einzelnen danach zu prüfen, ob er in Anbetracht der konkreten Umstände das letzte Mittel darstellt und verhältnismässig ist. Der Ingress zu § 17 Abs. 2 PolG besagt denn auch lediglich, dass der Gebrauch der Schusswaffe in den aufgezählten Tatbeständen gerechtfertigt sein
kann
. Trotz der beschränkten Bedeutung kommt der Aufzählung Gewicht zu, wird sie doch im Einzelfall wesentlicher Ausgangspunkt für Auslegung und Anwendung bilden.
4.2
Der Einsatz von Schusswaffen kann unterschiedlichste Auswirkungen haben, die gezielt und gewollt oder aber aus Versehen und ungewollt hervorgerufen werden. Werden Schusswaffen direkt gegen Personen eingesetzt, erleiden diese möglicherweise schwere Verletzungen oder werden gar getötet. Auch der Einsatz von Schusswaffen auf Gegenstände zur Fluchtverhinderung, wenn beispielsweise auf die Pneus eines davonfahrenden Fahrzeugs geschossen wird, kann mittelbar schwerwiegende Folgen haben. In beiden Fällen können zudem Drittpersonen gefährdet werden. Von diesen tatsächlichen Auswirkungen hängt wiederum die Betroffenheit in unterschiedlichen Grundrechtsgewährleistungen ab.
Verletzungen von Personen greifen in die Garantie der persönlichen Freiheit und körperlichen Unversehrtheit der Betroffenen gemäss
Art. 10 Abs. 2 BV
ein. Tötungen berühren das Recht auf Leben gemäss
Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BV
. Dieses richtet sich als Abwehrrecht gegen den Staat und verpflichtet diesen darüber hinaus zum Schutz des Lebens seiner Bürger vor Angriffen (vgl.
BGE 135 I 113
E. 2.1 S. 117). Weder der Anspruch auf körperliche Unversehrtheit noch der als Abwehrrecht verstandene Anspruch auf Leben sind - vorbehältlich des Verbotes der Todesstrafe nach
Art. 10 Abs. 1 Satz 2 BV
- absolut (vgl. KIENER/KÄLIN, Grundrechte, 2007, S. 119 ff.; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 49 ff.). Unter restriktiven Voraussetzungen kann daher der polizeiliche Einsatz von Schusswaffen verfassungsrechtlich haltbar sein.
Nach
Art. 2 Ziff. 1 EMRK
ist das Recht auf Leben geschützt. Die Garantie wird gemäss
Art. 2 Ziff. 2 EMRK
nicht verletzt, wenn die Tötung durch eine Gewaltanwendung - wie beispielsweise durch einen Schusswaffeneinsatz - verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um jemanden rechtmässig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmässig entzogen ist, an der Flucht zu hindern (lit. b). Diesfalls darf der Gebrauch der Schusswaffe grundsätzlich nicht mit der Absicht der Tötung verbunden sein; der gezielte
BGE 136 I 87 S. 97
Todesschuss darf nicht zum Zwecke der ordnungsgemässen Festnahme erfolgen(FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 13 f. zu
Art. 2 EMRK
; VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 1999, S. 175 N. 269;VELU/ERGEC, La Convention Européenne des Droits de l'Homme, 1990, S. 187 N. 233; THÜRER/DOLD, Rassismus und Rule of Law, EuGRZ 2005 S. 3 f.; ferner Urteile des EGMR
Ramsahai et al. gegen Niederlande
vom 15. Mai 2007 [Grosse Kammer] §§ 286-289;
Natchova und Mitbeteiligte gegen Bulgarien
vom 6. Juli 2005 [Grosse Kammer]§§ 93-109,
Recueil CourEDH 2005- VII S. 49
bzw. vom 26. Februar 2004 §§ 96-106 [Sektion], EuGRZ2005 S. 23;
Saoud gegen Frankreich
vom 9. Oktober 2007 §§ 88 ff.).
Art. 6 Abs. 1 UNO-Pakt II
garantiert jedem Menschen als fundamentalstes Menschenrecht ein angeborenes Recht auf Leben; dieses Recht ist gesetzlich zu schützen; niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden. Ein auf hinreichender gesetzlicher Grundlage beruhender Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei wird mit dem Pakt als vereinbar erachtet (KÄLIN/MALINVERNI/NOWAK, Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, 2. Aufl. 1997, S. 163 f.).
4.3
Bei den in § 17 Abs. 2 PolG aufgeführten Konstellationen kann zwischen präventivem und repressivem Schusswaffeneinsatz unterschieden werden. Der präventive Einsatz gemäss den lit. a, c, d und e dient der Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr für Polizeiorgane (Notwehr), andere Personen (Notstandshilfe), Geiseln oder bedeutende Einrichtungen. Der repressive Einsatz von Schusswaffen gemäss lit. b ist ausgerichtet auf die Verfolgung von fliehenden Personen, die ein schweres Verbrechen oder schweres Vergehen begangen haben oder eines solchen dringend verdächtigt sind und sich durch Flucht der Strafverfolgung, der strafprozessualen Haft oder der Strafverbüssung zu entziehen versuchen. Wie dargetan, steht im vorliegenden Verfahren einzig die Konstellation von § 17 Abs. 2 lit. b PolG in Frage. Zu prüfen ist, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Schusswaffeneinsatz vor dem Hintergrund der erwähnten Grundrechtsgarantien als im hinreichenden öffentlichen Interesse und verhältnismässig betrachtet werden kann. Hierfür kann, trotz unterschiedlicher Optik, die Rechtsprechung zu strafbaren Handlungen von Polizeiorganen und deren allfällige Rechtfertigung nach aArt. 32 und 33 StGB (
Art. 14 und 15 StGB
) beigezogen werden.
4.4
Es steht ausser Frage, dass an der Verfolgung von Personen, die eines schweren Verbrechens oder schweren Vergehens verdächtig
BGE 136 I 87 S. 98
sind, und am Strafvollzug von Personen, die solcher Straftaten für schuldig befunden worden sind, ein eminentes öffentliches Interesse besteht und daher deren Flucht zu verhindern ist. Das Interesse an Aufklärung und Ahndung von Straftaten ist umso grösser, je schwerer diese wiegen. Der Waffeneinsatz zum Zwecke, der fliehenden Person habhaft zu werden, und das damit einhergehende Risiko, die Person schwer zu verletzen oder gar zu töten, sind indes nur verhältnismässig, wenn das Recht des Staates an der Durchsetzung seines Strafanspruchs gesamthaft gesehen dem Abwehrrecht des Verfolgten vorgeht.
§ 17 Abs. 2 lit. b PolG setzt die Begehung bzw. den Verdacht eines schweren Verbrechens oder schweren Vergehens voraus. Diese Regelung stimmt überein mit denjenigen in andern Kantonen (Art. 25 Abs. 1 lit. b PolG/GR; Art. 48 Abs. 1 Ziff. 3 lit. a PolG/BE; § 48 Abs. 1 Ziff. 3 lit. a PolG/BS; Art. 46 lit. b PolG/SG; Art. 2 lit. c Règlement sur l'usage des armes par la police/NE) bzw. mit der Muster-Dienstanweisung über den Gebrauch der Schusswaffe durch die Polizei von 1976 (wiedergegeben bei HANS REINHARD, Allgemeines Polizeirecht, 1993, S. 254 bzw. THOMAS HUG, Schusswaffengebrauch durch die Polizei, 1980, Anhang 4; ANDREAS BAUMANN, Aargauisches Polizeigesetz, Praxiskommentar, 2006, S. 240). Soweit sich das Begriffspaar "schweres Verbrechen" und "schweres Vergehen" am alten Strafgesetzbuch orientiert, wurde auf die Schwere der Straftat entsprechend der Androhung von Zuchthaus oder Gefängnis abgestellt. Als Verbrechen galten die mit Zuchthaus bedrohten Handlungen, als Vergehen die mit Gefängnis als Höchststrafe (allenfalls über drei Jahre hinaus) bedrohten Handlungen (aArt. 9 StGB). Nach geltendem Strafgesetzbuch ist das Abgrenzungskriterium ausschliesslich die Strafandrohung: Als Vergehen gelten Delikte mit Freiheitsstrafe von maximal drei Jahren oder Geldbusse (
Art. 10 Abs. 3 StGB
). Qualifizierte, d.h. mit höherer Freiheitsstrafe bedrohte Straftaten sind Verbrechen (
Art. 10 Abs. 2 StGB
). Bei dieser Sachlage ist fraglich, ob Vergehen im Sinne des neuen Strafgesetzbuches überhaupt denkbar sind, welche die erforderliche qualifizierte Schwere aufweisen, die einen allfälligen Schusswaffeneinsatz im Sinne von § 17 Abs. 2 lit. b PolG überhaupt zu rechtfertigen vermöchten. In andern Erlassen ist denn nur von "schwerer Straftat" (
Art. 11 ZAG
; § 46 Abs. 1 Ziff. 1 PolG/AG) oder bloss von "schweren Verbrechen" (§ 41 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 PolG/BL) die Rede. Wie es sich damit letztlich verhält, kann aufgrund der nachfolgenden Erwägungen offenbleiben.
BGE 136 I 87 S. 99
Im Zusammenhang mit der Beurteilung strafbarer Handlungen von Polizeiorganen und ihrer allfälligen Rechtfertigung unter dem Gesichtswinkel von aArt. 32-34 StGB (
Art. 13-14 StGB
) hat das Bundesgericht Grundsätze zum Schusswaffengebrauch formuliert. Es hat erwogen, dass der Verdacht, ein Fahrzeug könnte gestohlen oder entwendet sein, es nicht rechtfertige, den bei der Identitätskontrolle flüchtenden Lenker durch Schuss auf den Führersitzbereich vorsätzlich der Gefahr erheblicher Körperverletzungen auszusetzen (
BGE 111 IV 113
; vgl. auch
BGE 115 IV 162
). Weiter hielt es fest, dass der Gebrauch der Schusswaffe, selbst wenn der Verdacht eines hinsichtlich der Strafwürdigkeit schweren Deliktes vorliegt, stets den Umständen angemessen und verhältnismässig sein müsse. So stehe das Risiko einer erheblichen Körperverletzung oder allfälligen Tötung in einem Missverhältnis zum Interesse an einer raschen Abklärung des Verdachts von Vermögensdelikten, die ohne Gewalt und Drohung erfolgten. Das Interesse an der Festnahme eines entwichenen Strafgefangenen, der unbewaffnet ist und nicht als gefährlich erscheint, werde in der Regel einen Schusswaffengebrauch mit Gefahr für Leib und Leben des Betroffenen nicht rechtfertigen. Lasse sich das Risiko schwerer Körperverletzungen praktisch ausschliessen, so dürfe der Einsatz der Schusswaffe auch bei blossen Vermögensdelikten eher zu verantworten sein (
BGE 111 IV 113
E. 5 S. 118).
Diese Überlegungen haben auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung der angefochtenen Bestimmung Gültigkeit. Die den repressiven Einsatz der Schusswaffe rechtfertigende Voraussetzung einer schweren Straftat bedeutet unter Berücksichtigung der im Spiel stehenden Grundrechte sowie des Verhältnismässigkeitsgebots, dass die fliehende Person eine besondere Gefährlichkeit oder Gewaltbereitschaft hat erkennen lassen. Dies trifft zu, wenn sie bewaffnet war oder wenn die Straftat, die sie beging oder der sie verdächtigt wird, andere Menschen an Leib, Leben oder Gesundheit verletzt, gefährdet oder bedroht hat (vgl. Urteil 6S.400/1994 vom 1. November 1994 betreffend Flucht im Zusammenhang mit einem schweren Betäubungsmitteldelikt;
BGE 94 IV 5
E. 2b S. 9). Dieses besondere Gefährdungspotential gegenüber Anderen mag es im Einzelfall rechtfertigen, zur Verhinderung der Flucht von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Das kommt etwa im Polizeigesetz des Kantons Basel-Stadt zum Ausdruck. Danach muss die fragliche Person eine schwere Straftat begangen haben, mit der sie andere Menschen an Leib und Leben verletzt, gefährdet oder bedroht hat, oder einer solchen Tat
BGE 136 I 87 S. 100
verdächtigt werden (§ 48 PolG/BS). Als verfassungsrechtliches Erfordernis folgt daraus, dass Schusswaffen zur Verhinderung der Flucht nur eingesetzt werden dürfen, soweit die schwere Straftat, die der Flüchtende begangen hat oder der er verdächtigt wird, eine besondere Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit Anderer hat erkennen lassen und befürchten lässt, dass ein entsprechendes Gewaltpotential auch auf der Flucht umgesetzt wird.
Aufgrund der genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben ist § 17 Abs. 2 lit. b PolG in diesem Sinne auszulegen. Die Bestimmung kann auf diese Weise verfassungskonform angewendet werden. Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet, soweit sie die Aufhebung der Norm verlangt.
5.
Die Beschwerdeführer fechten die Möglichkeit von
Personenkontrollen
und
Identitätsfeststellungen
sowie von
erkennungsdienstlichen Massnahmen
gemäss
§ 21 und 22 PolG
an. Die Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:
§ 21 - Personenkontrolle und Identitätsfeststellung
1
Wenn es zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist, darf die Polizei eine Person anhalten, deren Identität feststellen und abklären, ob nach ihr oder nach Fahrzeugen, andern Gegenständen oder Tieren, die sie bei sich hat, gefahndet wird.
2
Die angehaltene Person ist verpflichtet, Angaben zur Person zu machen, mitgeführte Ausweis- und Bewilligungspapiere vorzuzeigen und zu diesem Zweck Behältnisse und Fahrzeuge zu öffnen.
3
Die Polizei darf die Person zu einer Dienststelle bringen, wenn die Abklärungen gemäss Abs. 1 vor Ort nicht eindeutig oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten vorgenommen werden können oder wenn zweifelhaft ist, ob die Angaben richtig oder die Ausweis- und Bewilligungspapiere echt sind.
§ 22 - Erkennungsdienstliche Massnahmen
1
Die Polizei darf erkennungsdienstliche Massnahmen im Sinne der Strafprozessordnung vornehmen, wenn die Feststellung der Identität einer Person
a. zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben notwendig ist und
b. mit andern auf Polizeidienststellen vorhandenen Mitteln nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten erfolgen kann.
2
Vorbehältlich besonderer gesetzlicher Regelung sind erkennungsdienstlich erhobene Daten zu vernichten, sobald die Identität der Person festgestellt wurde oder der Grund für die Erhebung der Daten weggefallen ist.
BGE 136 I 87 S. 101
5.1
Personenkontrollen und Identitätsfeststellungen durch Polizeiorgane berühren die Garantien von
Art. 10 Abs. 2 BV
und von
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
(vgl.
BGE 109 Ia 146
E. 4b S. 150). Dasselbe gilt für die Vornahme erkennungsdienstlicher Massnahmen. Für das Aufbewahren von erkennungsdienstlichen Daten ist demgegenüber in erster Linie
Art. 13 Abs. 2 BV
einschlägig (vgl.
BGE 133 I 77
E. 3.2 S. 82; Urteil 1P.362/2006 vom 23. November 2006, in: ZBl 108/2007 S. 407). Schliesslich werden die Garantien von
Art. 10 Abs. 2 BV
und von
Art. 8 EMRK
betroffen, wenn eine angehaltene Person zwecks Identitätsfeststellung auf eine Dienststelle verbracht wird (vgl. zur Abgrenzung gegenüber dem Freiheitsentzug E. 6.5.3; ferner
BGE 113 Ia 177
E. 1 S. 179;
BGE 124 IV 269
E. 4 S. 272).
5.2
Die Beschwerdeführer machen geltend, § 21 PolG umschreibe die Voraussetzungen polizeilichen Handelns in ungenügender Weise und führe - in Missachtung der in
BGE 109 Ia 146
umschriebenen Anforderungen - zu ungerechtfertigten und unverhältnismässigen Eingriffen in die persönliche Freiheit.
§ 21 PolG erlaubt den Polizeiorganen, Personen zwecks Identitätsfeststellung anzuhalten, verpflichtet die angehaltenen Personen zur Auskunft und befugt die Polizeiorgane, solche Personen unter weitern Bedingungen auf die Dienststelle zu führen. Die Notwendigkeit der Aufgabenerfüllung bildet nach dem Wortlaut von § 21 PolG die einzige Voraussetzung für Identitätsprüfungen. Es ist nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführer diese Voraussetzung als zu unbestimmt erachten und überdies geltend machen, das polizeiliche Handeln sei nicht aus der Sicht der Aufgabenumschreibung und -erfüllung, sondern mit Blick auf Besonderheiten der konkreten Situation zu definieren und zu begrenzen.
§ 21 Abs. 1 PolG vermag nicht jegliche Identitätskontrollen zu rechtfertigen. Vielmehr muss die Personenidentifikation zur polizeilichen Aufgabenerfüllung nach dem ausdrücklichen Wortlaut notwendig sein. Ist die Massnahme nicht notwendig, kann sie von vornherein nicht als gerechtfertigt und verhältnismässig betrachtet werden. Mit dem Begriff der Notwendigkeit wird zum Ausdruck gebracht, dass spezifische Umstände vorliegen müssen, damit die Polizeiorgane Identitätskontrollen vornehmen dürfen, dass die Kontrolle nicht anlassfrei erfolgen darf. Erforderlich können solche etwa sein, wenn sich Auffälligkeiten hinsichtlich von Personen, Örtlichkeiten oder Umständen ergeben und ein entsprechendes polizeiliches Handeln
BGE 136 I 87 S. 102
gebieten. Es müssen objektive Gründe, besondere Umstände, spezielle Verdachtselemente dazu Anlass geben oder diese rechtfertigen. Dazu können Situationen zählen, wie sie die Beschwerdeführer aufzählen, etwa eine verworrene Situation, die Anwesenheit in der Nähe eines Tatortes, eine Ähnlichkeit mit einer gesuchten Person, Verdachtselemente hinsichtlich einer Straftat und dergleichen. All dies wird mit der Voraussetzung, dass die Massnahme zur Erfüllung der polizeilichen Aufgaben notwendig sein muss, abstrakt umschrieben. Umgekehrt wird ausgeschlossen, dass Identifikationen aus bloss vorgeschobenen Gründen, persönlicher Neugierde oder andern nichtigen Motiven vorgenommen werden (vgl.
BGE 109 Ia 146
E. 4b S. 150 f.). Angesichts der Vielfalt möglicher konkreter Situationen würde eine bestimmtere, Fallbeispiele aufzählende Formulierung kaum hilfreich sein und letztlich nicht zu grösserer Bestimmtheit führen. Entscheidend ist gesamthaft, dass Personenidentifikationen nicht über das Notwendige hinausreichen. Dieses Erfordernis vermag das polizeiliche Handeln in hinreichender Weise zu begrenzen. Im Übrigen werden von den Polizeiorganen Zurückhaltung und Respekt gefordert, wie dies das Bundesgericht zum Genfer Polizeigesetz ausgeführt hatte (
BGE 109 Ia 146
E. 4b S. 151). Diese Grenzen sind auch im vorliegenden Zusammenhang zu beachten.
5.3
Die Beschwerdeführer befürchten weiter, dass aus der Kombination von § 21 Abs. 2 und 3 PolG, wonach angehaltene Personen zur Auskunftserteilung verpflichtet sind und allenfalls auf eine Dienststelle geführt werden können, eine Pflicht fliesse, auf öffentlichem Grund ständig einen Identifikationsausweis mit sich zu tragen, was das Bundesgericht (
BGE 109 Ia 146
) ausdrücklich als Verstoss gegen die persönliche Freiheit bezeichnet habe.
Es steht ausser Frage, dass Personenkontrollen und Identitätsfeststellungen unter gegebenen Voraussetzungen einem öffentlichen Interesse entsprechen. Die Polizeiorgane müssen in die Lage versetzt werden, Personenkontrollen und Identitätsfeststellungen auch tatsächlich durchzuführen. Hierfür fällt in erster Linie in Betracht, dass die angehaltene Person entsprechende Angaben macht oder Ausweis- oder Bewilligungspapiere vorzeigt. Mündliche Angaben können für eine Personenkontrolle durchaus genügen, soweit sie ohne grossen Aufwand an Ort und Stelle überprüft werden können. Das Vorzeigen von Ausweisen dient denselben Zwecken. Dabei werden nicht bestimmte Ausweisarten verlangt. Der Begriff der Ausweis- oder Bewilligungspapiere in § 21 Abs. 2 PolG ist in einem
BGE 136 I 87 S. 103
weiten Sinne zu verstehen. Es können dazu alle amtlichen oder privaten Schriften gezählt werden, welche über die Identität Auskunft geben können (vgl.
BGE 109 Ia 146
E. 5a S. 153). Sie können ohne grossen Aufwand an Ort und Stelle überprüft werden. Die angefochtene Zürcher Regelung - welche im Übrigen kaum wesentlich von der in
BGE 109 Ia 146
beurteilten des Kantons Genf abweicht - führt demnach nicht zu einer mit der persönlichen Freiheit im Widerspruch stehenden Pflicht, einen (amtlichen) Ausweis mit sich zu tragen.
5.4
An dieser Beurteilung ändert der Umstand nichts, dass die angehaltene Person nach § 21 Abs. 3 PolG unter Umständen auf eine Dienststelle geführt werden kann. Bei dieser Massnahme handelt es sich um eine subsidiäre Form der Personenkontrolle und Identitätsfeststellung (vgl.
BGE 109 Ia 146
E. 5a S. 153). Sie soll sicherstellen, dass die Personenkontrolle und Identitätsfeststellung auch tatsächlich vorgenommen werden kann, und will verhindern, dass sich eine Person letztlich dadurch einer Kontrolle entzieht, dass sie keine überprüfbaren Angaben macht und keine hinreichenden Papiere vorweist. Erforderlich für das Verbringen auf die Dienststelle ist, dass vorerst die Abklärungen vor Ort nach Abs. 1 und gleichermassen nach Abs. 2 tatsächlich durchgeführt werden. Nur wenn diese nicht genügen oder zweifelhaft bleiben, ist das Verbringen auf die Dienststelle zulässig. Das Verbringen auf eine Dienststelle kommt auch in Betracht, wenn eine Vielzahl von Personen zu überprüfen ist und diese Überprüfung deshalb vor Ort kaum bewerkstelligt werden kann. In Anbetracht des damit verbundenen Grundrechtseingriffs dürfen diese Voraussetzungen nicht leichthin als erfüllt angenommen werden. Die Massnahme darf nicht zur Schikane verkommen, soll eine subsidiäre Form der Identitätskontrolle bleiben und muss ohne Verzug vorgenommen werden (vgl.
BGE 109 Ia 146
E. 5 S. 152). Unter diesen Voraussetzungen aber erscheint auch das Verbringen auf den Polizeiposten als verhältnismässige Massnahme.
Bei dieser Sachlage erweist sich die Beschwerde hinsichtlich der Bestimmung von § 21 PolG als unbegründet.
5.5
Nach § 22 PolG dürfen die Polizeiorgane erkennungsdienstliche Massnahmen im Sinne der Strafprozessordnung vornehmen, wenn die Feststellung der Identität einer Person zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben notwendig ist und auf der Polizeidienststelle nicht oder nur schwer erfolgen kann. Gemäss der mit dem Polizeigesetz neu
BGE 136 I 87 S. 104
eingefügten Bestimmung von § 156a in die Zürcher Strafprozessordnung vom 1. Juli 2009 (StPO/ZH) werden bei der erkennungsdienstlichen Erfassung die Merkmale einer Person wie ihr Bild, Signalement, Schrift, Körpermaterial oder Spuren festgestellt und Abdrücke von Körperteilen abgenommen.
Die erkennungsdienstliche Erfassung nach § 22 PolG reicht weiter als die Personenkontrolle und Identitätsfeststellung nach § 21 PolG, bedeutet einen gravierenderen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen und ist gegenüber jenen nachgelagert. Mit dieser Systematik setzen sich die Beschwerdeführer nicht näher auseinander und begnügen sich damit, auf ihre Ausführungen zu § 21 PolG zu verweisen. Damit genügt die Beschwerdeschrift in diesem Punkte den Anforderungen von
Art. 106 Abs. 2 BGG
nicht.
Die Bestimmung von § 22 PolG ist gegenüber derjenigen von § 21 PolG subsidiär und verlangt wegen des schwerer wiegenden Grundrechtseingriffs besondere Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit. Die Verweisung auf
§ 156d StPO
/ZH bedeutet nicht, dass anlässlich einer Polizeikontrolle alle dort für das Ermittlungsverfahren vorgesehenen Massnahmen ohne Weiteres ergriffen werden könnten. Die Vornahme von erkennungsdienstlichen Massnahmen nach § 22 PolG steht im Dienste der Identitätsfeststellung und darf nicht dazu dienen, auf Vorrat erkennungsdienstliches Material zu sammeln. Dieses verfassungsrechtliche Erfordernis der Zurückhaltung bei der Abnahme von erkennungsdienstlichen Daten ergibt sich aus Wortlaut und Systematik von § 22 PolG in hinreichender Weise. Die Bestimmung lässt sich dementsprechend verfassungskonform anwenden.
6.
Die Bestimmungen von
§ 25-27 PolG
umschreiben Voraussetzungen, Durchführung und Dauer des
polizeilichen Gewahrsams
. Sie sehen das Folgende vor:
§ 25 - Voraussetzungen
Die Polizei darf eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn
a. sie sich selber, andere Personen, Tiere oder Gegenstände ernsthaft und unmittelbar gefährdet,
b. sie voraussichtlich der fürsorgerischen Hilfe bedarf,
c. sie sich einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Massnahme durch Flucht entzogen hat oder
d. dies zur Sicherstellung einer Vor-, Zu- oder Rückführung notwendig ist.
BGE 136 I 87 S. 105
§ 26 - Durchführung
1
Hat die Polizei eine Person in Gewahrsam genommen, gibt sie ihr unverzüglich den Grund bekannt.
2
Sie gibt ihr Gelegenheit, eine Anwältin oder einen Anwalt zu bestellen, und, soweit dadurch der Zweck des polizeilichen Gewahrsams nicht gefährdet wird, eine Person ihres Vertrauens zu benachrichtigen. Ist die in Gewahrsam genommene Person dazu nicht in der Lage, hat die Polizei so schnell wie möglich Angehörige oder Familiengenossen zu benachrichtigen, soweit dies nicht dem mutmasslichen Willen der Person widerspricht.
3
Ist die Person unmündig oder entmündigt, ist ohne Verzug eine für die elterliche Sorge oder Obhut oder für die vormundschaftliche Aufsicht verantwortliche Person oder Stelle zu benachrichtigen.
4
Die Person muss mit den sie bewachenden Personen Kontakt aufnehmen können, wenn sie Hilfe benötigt.
§ 27 - Dauer
1
Der Gewahrsam dauert bis zum Wegfall seines Grundes, längstens jedoch 24 Stunden.
2
Ist im Hinblick auf die Zuführung an eine für weitere Massnahmen zuständige Stelle ein Gewahrsam von mehr als 24 Stunden notwendig, so stellt die Polizei innert 24 Stunden ab Beginn des Gewahrsams der Haftrichterin oder dem Haftrichter einen begründeten Antrag auf Verlängerung. Für das Verfahren sind die Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung über die Haftanordnung sinngemäss anwendbar.
(...)
6.3
Nach § 27 Abs. 1 PolG dauert der polizeiliche Gewahrsam bis zum Wegfall seines Grundes, längstens jedoch 24 Stunden. In dieser Hinsicht bemängeln die Beschwerdeführer als Verletzung von Art. 36 (Abs. 2 und 3) BV, es komme in der genannten Bestimmung nicht zum Ausdruck, dass der Gewahrsam aus verfassungsrechtlichen Gründen auch dann aufzuheben ist, wenn er trotz anhaltendem Grund unverhältnismässig geworden ist.
Dauert der Gewahrsam bis zum Wegfall seines Grundes, längstens jedoch 24 Stunden, versteht sich von selbst, dass er schon vor Ablauf der 24 Stunden auch aufzuheben ist, wenn er unverhältnismässig wird, etwa weil die Gefahr der Selbst- oder Fremdgefährdung (§ 25 lit. a PolG) in der Zwischenzeit abgenommen hat oder gar dahingefallen ist. Das ergibt sich in allgemeiner Weise aus § 10, insbes. Abs. 3 und 4 PolG. Dass dieser Aspekt in § 27 Abs. 1 PolG nicht eigens wiederholt wird, lässt die Bestimmung nicht als
BGE 136 I 87 S. 106
verfassungs- und konventionswidrig erscheinen und schliesst eine grundrechtskonforme Anwendung nicht aus.
(...)
6.5
Schliesslich beanstanden die Beschwerdeführer als Verletzung von Konvention und Verfassung, dass § 26 PolG den Rechtsschutz nicht ordnet und keinen direkten Zugang zu einem Richter vorsieht. Sie berufen sich auf
Art. 5 EMRK
und sinngemäss auf
Art. 31 BV
.
Es trifft zu, dass das Polizeigesetz weder in allgemeiner Weise noch in Bezug auf den Polizeigewahrsam - abgesehen von § 27 Abs. 2 PolG - Rechtsschutzbestimmungen enthält. Die polizeilichen Massnahmen stellen grundsätzlich verwaltungsrechtliche Anordnungen dar, wozu auch der polizeiliche Gewahrsam zählt. Sie können nicht als solche strafprozessualer Natur verstanden werden. Dies hat zur Folge, dass mangels einer spezifischen Regelung grundsätzlich das Gesetz vom 24. Mai 1959 über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRG; LS 175.2) zur Anwendung kommt (vgl.
BGE 134 I 125
E. 4.1 S. 136).
Im hier betroffenen Bereich kann das Verwaltungsgericht nach § 43 VRG mit Beschwerde angerufen werden. Ein Ausschlussgrund gemäss § 43 Abs. 1 VRG ist nicht ersichtlich; die Zulässigkeit der Beschwerde ans Verwaltungsgericht ergibt sich aus § 43 Abs. 2 VRG und der Verordnung des Regierungsrates vom 29. November 2006 über die Anpassung des kantonalen Rechts an das Bundesgesetz über das Bundesgericht (VO BGG; OS 61 480). Vorinstanz des Verwaltungsgerichts ist die Sicherheitsdirektion, die über Rekurse gegen die Kantonspolizei entscheidet, oder der Bezirksrat bei Anordnungen durch die Stadtpolizeien (vgl. zum Ganzen
BGE 134 I 125
E. 4.1 S. 136 mit zahlreichen Hinweisen). Daraus folgt, dass nach kantonaler Verfahrensordnung eine richterliche Behörde zwar angerufen werden kann, indes erst nach Durchlaufen des Verwaltungsrechtsweges und somit nicht auf direktem Wege. Es ist zu prüfen, ob diese Verfahrensordnung vor der Konvention und der Bundesverfassung standhält.
6.5.1
Art. 5 EMRK
unterscheidet beim Freiheitsentzug hinsichtlich des Rechtsschutzes zwei unterschiedliche Konstellationen. Zum einen verlangt
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
im Falle der Untersuchungshaft gemäss
Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK
eine unverzügliche Vorführung vor einen Richter von Amtes wegen. Diese Bestimmung ist in der
BGE 136 I 87 S. 107
vorliegenden Konstellation, wo keine Untersuchungshaft vorliegt, nicht anwendbar. Es kann deshalb von vornherein nicht verlangt werden, dass die in polizeilichen Gewahrsam genommene Person von Amtes wegen unverzüglich einem Richter vorgeführt wird. Zum andern hat nach
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
jede festgenommene Person Anspruch darauf, dass ein Gericht auf ihren Antrag hin innerhalb kurzer Frist über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzuges entscheidet. Diese Garantie schliesst es im Grundsatz nicht aus, dass vor der Beurteilung durch ein Gericht zusätzlich eine Administrativbehörde die Freiheitsentziehung prüft, soweit gesamthaft dem Erfordernis der kurzen Frist im Sinne von
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
Rechnung getragen wird (
BGE 134 I 125
E. 4.4 S. 138; Zulässigkeitsentscheid der EKMR
S.M. gegen Schweiz
vom 21. Januar 1998 [VPB 1998 Nr. 91]; Urteile des EGMR
Sanchez-Reisse gegen Schweiz
vom 21. Oktober 1986 § 45, Serie A Bd. 107 [EuGRZ 1988 S. 523; VPB 1986 Nr. 91];
G.B. gegen Schweiz
vom 30. November 2000 §§ 33 und 38 VPB 2000 Nr. 123]). Vor diesem Hintergrund kann nicht gesagt werden, dass die kantonale Verfahrensordnung in Bezug auf den Polizeigewahrsam nicht konventionskonform angewendet werden könnte.
6.5.2
Die Bestimmung von
Art. 31 BV
enthält verschiedene Grundrechtsgewährleistungen im Zusammenhang mit dem Freiheitsentzug. Sie schützt vor ungerechtfertigter Verhaftung und Inhaftierung und räumt prozessuale Garantien ein. Die Norm ist in weitem Masse
Art. 5 EMRK
und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Bundesgerichts nachgebildet (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 20. November 1996, BBl 1997 185 f.; MÜLLER/SCHEFER, a.a.O., S. 88). Im Einzelnen bezieht sich
Art. 31 Abs. 3 BV
auf die Untersuchungshaft. Die in Haft genommene Person hat u.a. Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden. Die Bestimmung findet - wie bereits im Zusammenhang mit
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
ausgeführt (oben E. 6.5.1) - auf den polizeilichen Gewahrsam keine Anwendung und es können aus ihr für den hier umstrittenen Bereich keine verfahrensrechtlichen Garantien abgeleitet werden.
Eine eigenständige Bedeutung hingegen kommt der Bestimmung von
Art. 31 Abs. 4 BV
zu. Diese beschränkt sich nicht wie
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
darauf, auf einen Antrag hin so rasch als möglich eine gerichtliche Prüfung des Freiheitsentzuges zu gewährleisten. Vielmehr räumt sie jeder von einem Freiheitsentzug betroffenen Person
BGE 136 I 87 S. 108
das Recht ein, "jederzeit ein Gericht anzurufen", damit dieses so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzuges befinde (Französisch: "Toute personne ... a le droit, en tout temps, de saisir le tribunal ..."; Italienisch: "Chi ... ha il diritto di rivolgersi in ogni tempo al giudice ...").
Die Bestimmung von
Art. 31 Abs. 4 BV
ist in dem Sinne zu verstehen, dass der Richter jederzeit und somit direkt soll angerufen werden können, nicht bloss auf indirektem Wege nach Durchlaufen von weitern Administrativinstanzen. Die Norm stellt eine besondere Rechtsweggarantie dar, welche weiter reicht als die allgemeine Garantie von
Art. 29a BV
. Sie dient Personen, denen die freie Bewegungsfreiheit entzogen ist und die wegen ihrer Situation eines besondern Schutzes bedürfen. Der direkte Zugang zu einem Richter oder einer Richterin kommt auch Personen zugute, die möglicherweise unvermittelt in polizeilichen Gewahrsam genommen worden sind. Er bedeutet, dass der gerichtliche Rechtsschutz gegen den Freiheitsentzug bzw. die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung unmittelbar einsetzt. Damit erfährt der gerichtliche Rechtsschutz eine Stärkung. Das angerufene Gericht wird unmittelbar in die Lage versetzt, den Freiheitsentzug einer Prüfung zu unterziehen und allenfalls schon im Voraus vorsorgliche Massnahmen zu treffen. Eine derartige Regelung hat der Bundesgesetzgeber im Bundesgesetz vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS; SR 120) für den Polizeigewahrsam getroffen (
Art. 24e BWIS
in der bis Ende 2009 geltenden Fassung, AS 2006 3703 [3707];
BGE 134 I 125
E. 4.4 S. 137).
6.5.3
Bezogen auf den hier umstrittenen Zusammenhang hat
Art. 31 Abs. 4 BV
zur Folge, dass die von Polizeigewahrsam betroffene Person sogleich ein Gericht anrufen kann, welches entsprechend den konkreten Umständen so rasch als möglich über die Rechtmässigkeit der Freiheitsentziehung befindet. Mit Blick auf die Systematik des Polizeigesetzes bedeutet dies, dass dieser Rechtsweg während der 24-stündigen Dauer des Gewahrsams gemäss § 27 Abs. 1 PolG offensteht.
Die Anwendung von
Art. 31 Abs. 4 BV
auf den Polizeigewahrsam macht es erforderlich, die Freiheitsentziehung im Sinne dieser Norm näher zu bestimmen. Sie ist abzugrenzen von andern Massnahmen wie der polizeilichen Anhaltung, der Festnahme oder dem Verbringen auf die Dienststelle, welche in die persönliche Freiheit und die
BGE 136 I 87 S. 109
Bewegungsfreiheit gemäss
Art. 10 Abs. 2 BV
eingreifen. Für die Unterscheidung kann auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Gerichtshofes abgestellt werden. Danach sind nicht allein die Stundenanzahl der Freiheitsbeschränkung massgebend, sondern die gesamten Umstände wie Art, Wirkung, Modalitäten und Dauer. Als Freiheitsentziehung sind namentlich betrachtet worden eine mehrstündige Festnahme unter Abnahme der persönlichen Utensilien, eine Unterbringung in einer Zelle während 4 Stunden oder eine 20-stündige Zurückhaltung (Urteil P 1758/86 vom 15. Dezember 1987, in ZBl 89/1988 S. 357;
BGE 113 Ia 177
E. 1 S. 179;
BGE 116 Ia 149
; ferner
BGE 107 Ia 138
E. 3b S. 140; vgl. HANS VEST, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 7 f. zu
Art. 31 BV
; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 14 f. zu
Art. 5 EMRK
; GRABENWARTER, a.a.O., § 21 N. 5 f.). Umgekehrt kann das blosse Verbringen auf den Polizeiposten nach § 21 Abs. 3 PolG im Grundsatz nicht als Freiheitsentziehung im Sinne von
Art. 31 Abs. 4 BV
betrachtet werden und löst demnach den genannten Anspruch auf direkten Zugang zu einem Richter nicht aus.
6.5.4
In diesem Punkte ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen. Es ist festzuhalten, dass von polizeilichem Gewahrsam betroffene Personen gestützt auf
Art. 31 Abs. 4 BV
einen Anspruch auf direkte Anrufung einer richterlichen Behörde haben. Es wird Sache des kantonalen Gesetzgebers sein, diesen Anspruch auf direkten Zugang zum Gericht im kantonalen Prozessrecht umzusetzen. Dabei wird er den allgemeinen Ausführungen zum Polizeirecht (oben E. 3.4) Rechnung tragen.
7.
Die Bestimmungen von
§ 28 ff. PolG
betreffen die
Vor-, Zu- und Rückführung
. Zudem nimmt
§ 25 lit. d PolG
darauf Bezug. Soweit im vorliegenden Zusammenhang von Belang, haben die Bestimmungen folgenden Wortlaut:
§ 25 - Voraussetzungen
Die Polizei darf eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn
(...)
d. dies zur Sicherstellung einer Vor-, Zu- oder Rückführung notwendig ist.
§ 28 - Vorführung und Zuführung
Auf Ersuchen der zuständigen Stelle führt die Polizei eine Person dieser Stelle vor oder einer andern Stelle zu.
BGE 136 I 87 S. 110
Die Beschwerdeführer fechten § 28 und § 25 lit. d PolG an und rügen Verletzungen der persönlichen Freiheit. Sie machen allgemein geltend, der Bestimmung von § 28 PolG könne in keiner Weise entnommen werden, unter welchen Bedingungen polizeiliche Vorführungen und Zuführungen vorgenommen werden könnten. Derselbe Mangel zeige sich konkret bei § 25 lit. d PolG, welcher für die Sicherstellung von Vor-, Zu- und Rückführungen gar polizeilichen Gewahrsam vorsehe.
Es ist den Beschwerdeführern einzuräumen, dass die Vorgaben für Vorführungen und Zuführungen weder in § 28 PolG noch im dazugehörigen § 25 lit. d PolG enthalten sind. Dieser Umstand lässt die Bestimmungen für sich genommen nicht als verfassungswidrig erscheinen. § 28 PolG stellt eine spezifische Form der Amts- und Vollzugshilfe dar, die in allgemeiner Weise in § 6 PolG umschrieben ist. § 28 und § 25 lit. d PolG beschränken sich darauf, der Polizei in abstrakter Weise die Befugnis zur Vornahme von Vorführungen und Zuführungen sowie zur Anordnung von polizeilichem Gewahrsam zu erteilen. Unter welchen Voraussetzungen, in welchen Bereichen und von welchen Stellen diese Art der Amts- und Vollzugshilfe in Anspruch genommen werden kann, richtet sich nach den für die spezifische Materie geltenden Rechtsgrundlagen. Erforderlich für Vorführungen und Rückführungen ist, dass die Stelle aufgrund der für sie einschlägigen rechtlichen Grundlagen befugt ist, solche zu verlangen. § 28 PolG fordert für die Vorführung und Zuführung ein "Ersuchen der zuständigen Stelle", setzt damit voraus, dass sich das Gesuch auf eine hinreichende Grundlage stützt. Überdies verlangt das Verfassungsrecht, dass die Vorführung oder Zuführung dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit genügt.
Im Einzelnen fallen für Vorführungen und Zuführungen als spezifische Form der Amts- und Vollzugshilfe unterschiedlichste Konstellationen in Betracht. Als Beispiel kann
Art. 91 Abs. 2 SchKG
genannt werden, wonach das Betreibungsamt den Schuldner von der Polizei vorführen lassen kann, wenn er ohne genügende Entschuldigung der Pfändung fernbleibt und sich nicht vertreten lässt. Angesichts der Grosszahl von denkbaren Situationen der Vorführung und Zuführung konnte sich der Gesetzgeber ohne Verfassungsverletzung darauf beschränken, die polizeiliche Befugnis festzuhalten, und damit darauf verzichten, die Konstellationen und Bedingungen im Einzelnen aufzuzählen. Daran ändert der Umstand nichts, dass in § 29 und 31 PolG spezifische Zu- und Rückführungsfälle näher
BGE 136 I 87 S. 111
umschrieben sind. Bei dieser Sachlage hält die Regelung betreffend die Vorführung und Zuführung nach § 28 PolG vor dem Verfassungsrecht stand. Soweit § 25 lit. d PolG allein die Vor-, Zu- oder Rückführung vorsieht, ist auch diese Norm aus denselben Erwägungen nicht zu beanstanden. Die Bestimmungen lassen sich unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit verfassungskonform handhaben.
Vor diesem Hintergrund kann auch nicht abstrakt gesagt werden, wie es sich mit dem polizeilichen Gewahrsam nach § 25 lit. d PolG zur Sicherstellung von Vor-, Zu- und Rückführungen im Einzelnen verhält. Die Verfassungsmässigkeit und Verhältnismässigkeit eines solchen Gewahrsams liessen sich lediglich im Hinblick auf spezifische Grundlagen und konkrete Situationen beurteilen. Von Bedeutung ist, dass der Gewahrsam zur Sicherstellung einer Vor-, Zu- oder Rückführung nach dem Wortlaut notwendig und demnach mit Blick auf die Zielsetzung angemessen sein muss. Bei dieser Sachlage kann daher nicht gesagt werden, polizeilicher Gewahrsam nach § 25 lit. d PolG halte vor der Verfassung nicht stand oder könne nicht verfassungskonform angewendet werden. Im Übrigen ist der Gewahrsam nach § 25 lit. d PolG der Bestimmung von
Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK
zuzuordnen und somit in dieser Hinsicht mit der Konvention vereinbar.
Somit erweist sich die Beschwerde in dieser Hinsicht als unbegründet.
8.
Das Polizeigesetz enthält in
§ 32
eine Bestimmung zur
Überwachung
allgemein zugänglicher Orte mit
technischen Geräten
, sieht im Kapitel über den Datenschutz mit
§ 53
die
Löschung
von entsprechenden Aufzeichnungen vor und ermächtigt die Polizei nach
§ 106d
StPO/ZH im Rahmen der Strafverfolgung zu
Bild- und Tonaufnahmen
an allgemein zugänglichen Orten.
Die angefochtenen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:
§ 32 PolG - Überwachung
Die Polizei darf zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben allgemein zugängliche Orte mit technischen Geräten offen oder verdeckt überwachen und soweit notwendig Bild- und Tonaufnahmen machen.
§ 53 PolG - Löschen von Aufzeichnungen
1
Aufzeichnungen von Telefongesprächen mit Einsatzzentralen der Polizei werden spätestens nach einem Jahr gelöscht, wenn sie nicht zur Beweisführung oder zum Zweck der Personennachforschung sichergestellt worden sind.
BGE 136 I 87 S. 112
2
Aufzeichnungen gemäss § 32 werden gelöscht,
a. wenn feststeht, dass sie nicht mehr benötigt werden,
b. spätestens nach einem Jahr, soweit sie nicht weiterhin für ein Straf-, Zivil- oder Verwaltungsverfahren benötigt werden.
§ 106d StPO
Die Polizei kann im Rahmen der Strafverfolgung an allgemein zugänglichen Orten Bild- und Tonaufnahmen machen, wenn
a. ernsthafte Gründe zur Annahme bestehen, dass Verbrechen oder Vergehen begangen worden sind oder vor der Ausführung stehen und
b. die Abklärungen auf andere Weise weniger Erfolg versprächen oder erschwert wären.
Die Beschwerdeführer machen geltend, die genannten Bestimmungen stellten reine Blankettnormen dar, welche den Anforderungen von
Art. 36 BV
weder hinsichtlich der Bestimmtheit noch in Bezug auf das erforderliche öffentliche Interesse und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit genügten.
8.1
Die Überwachung öffentlich zugänglichen Raumes und die Aufbewahrung von entsprechenden Bild- und Tonaufnahmen berührt die Garantien von
Art. 13 Abs. 2 BV
und von
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
. Es kann offenbleiben, ob hinsichtlich der allgemeinen Überwachung zudem
Art. 10 Abs. 2 BV
betroffen ist (vgl. zum Ganzen
BGE 133 I 77
E. 3.2 S. 80 mit zahlreichen Hinweisen).
8.2
Vorerst gilt es, die verschiedenen Möglichkeiten von Überwachungen und von Bild- und Tonaufnahmen aufzuzeigen und diese in Beziehung zu den damit verfolgten Zielen zu setzen (vgl. hierzu
BGE 133 I 77
E. 4.2 S. 81 und E. 5.1 S. 83).
8.2.1
Die
Überwachung
von öffentlich zugänglichem Raum mit technischen Geräten kann in unterschiedlicher Weise erfolgen (vgl. FLÜCKIGER/AUER, La vidéosurveillance dans l'oeil de la Constitution, AJP 2006 S. 941; DIRK BULLESFELD, Verfassungs- und polizeirechtliche Aspekte polizeilicher Videoüberwachung, in: Polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Räume, Berlin 2007, S. 70). Zum einen kann sie mittels eines laufenden Monitors in dem Sinne vorgenommen werden, dass das Geschehen an bestimmten Örtlichkeiten an einem Bildschirm - gewissermassen als Ersatz von Polizeiorganen an Ort und Stelle - unmittelbar in Bild und Ton verfolgt wird, sei es permanent oder lediglich zu bestimmten Zeiten. Eine solche Überwachung erlaubt es, besondere Ereignisse - die von Verkehrsstaus und Ähnlichem bis zu Demonstrationen und damit
BGE 136 I 87 S. 113
zusammenhängenden Ausschreitungen reichen können - festzustellen und unmittelbar mit Sicherheits- und Polizeikräften situationsgerecht in das Geschehen einzugreifen. Zum andern kann die Überwachung darauf ausgerichtet sein, in genereller Weise Aufnahmen vom öffentlichen Raum zu machen, das überwachte Geschehen festzuhalten und diese Aufnahmen während einer gewissen Dauer (vgl. § 53 Abs. 2 PolG) aufzubewahren. Die nachträgliche Verwendung des Bildmaterials kann unterschiedlichsten Zwecken dienen, gleichermassen für interne Bedürfnisse (Evaluierung von Verkehrsmassnahmen) wie zur Sicherung von Beweisen und zur Strafverfolgung. Erfolgen die Aufnahmen zu Beweiszwecken, wird das Bildmaterial im Allgemeinen eine Identifizierung von Personen zulassen.
8.2.2
§ 32 PolG präzisiert die
Natur der technischen Geräte
und die Art ihres Einsatzes nicht. Nach der Weisung des Regierungsrates sollen die Geräte nicht im Gesetz umschrieben werden, künftige technische Entwicklungen vielmehr nachvollzogen werden können. Angesprochen sind jegliche optische oder akustische Geräte, die entsprechende Überwachungen und Aufnahmen ermöglichen. Deren Leistungsfähigkeit kann bei der Überwachung des Verkehrsflusses oder von Personen variieren. Personen können mit Hilfe von Zoom oder Richtgeräten identifiziert und ihre Stimmen entsprechend zugeordnet werden. Geräte auf höchstem technischen Stand werden auch bei Nacht entsprechende Bild- und Tonaufnahmen von grosser Qualität liefern können. Das Polizeigesetz lässt es offen, ob die technische Überwachung mit fest installierten oder aber mit mobilen Geräten oder gar mit Drohnen erfolgt. Ebenso wird nicht bestimmt, ob die Überwachung offen oder verdeckt getätigt wird. Eine Bekanntmachung der Überwachung mit Hinweistafeln ist nicht vorgesehen (vgl.
BGE 133 I 77
Sachverhalt S. 78).
8.2.3
Von der Überwachung werden laut
§ 32 PolG
sämtliche
allgemein zugänglichen Orte
erfasst. Dazu gehören ohne Zweifel öffentliche Strassen und Plätze. Die Norm erfasst ohne Einschränkung das ganze Kantonsgebiet, inklusive Wälder und Gewässer. Sie differenziert nicht nach ländlichen oder überbauten Gegenden, nach Dörfern oder Städten, nach Quartieren und Zentren oder nach besonders oder weniger gefährdeten Örtlichkeiten. Ferner dürfte dazu privater Raum zählen, welcher der Öffentlichkeit gewidmet ist (vgl.
BGE 127 I 164
E. 5b S. 177 betr. Kundgebung auf einem dem Gemeingebrauch gewidmeten Platz; Urteil P.923/1982 vom 14. April 1983 betreffend Strassenaktivitäten in den Lauben der Berner Altstadt). Schliesslich
BGE 136 I 87 S. 114
ist nach dem Wortlaut des Polizeigesetzes nicht auszuschliessen, dass auch faktisch zugängliches Privateigentum erfasst wird, beispielsweise eine private Stichstrasse ohne Betretungs- oder Fahrverbote. Somit kann die Überwachung gemäss § 32 PolG uneingeschränkt "allgemein zugängliche Orte" erfassen, mithin den gesamten öffentlichen Raum auf dem gesamten Kantonsgebiet, ohne dass irgendwelche Einschränkungen, Präzisierungen oder Schwerpunkte zum Ausdruck kämen.
8.2.4
Zur Anordnung der erwähnten Überwachungen ist in allgemeiner Weise die
Polizei zuständig
. Nach § 2 gehören dazu die Kantonspolizei und die kommunalen Polizeien. Dem Polizeigesetz kann nicht entnommen werden, dass hinsichtlich der Überwachungsmassnahmen differenziert würde und beispielsweise einzelne, schwerer wiegende Massnahmen bestimmten Polizeiorganen vorbehalten würden. Vielmehr können die Überwachungsmassnahmen im Sinne von § 32 PolG von allen Polizeien angeordnet werden.
8.3
§ 32 PolG enthält keine Angaben darüber, welche es erlauben würden, aus der weiten Palette der aufgezeigten technischen Einsatzmöglichkeiten eine bestimmte Zielrichtung oder mehrere bestimmte Zweckausrichtungen erkennen zu lassen. Solche lassen sich - anders als etwa bei dem in
BGE 133 I 77
beurteilen Polizeireglement der Stadt St. Gallen - auch aus dem Kontext von § 32 PolG nicht herauslesen. Das Fehlen von jeglichen Zweckangaben verunmöglicht es von vornherein, klare Ziele und ein öffentliches Interesse an entsprechenden Überwachungsmassnahmen zu ermessen. Daran vermag die Bezugnahme auf § 3 ff. PolG nichts zu ändern, wo die Aufgaben der Polizei allgemein umschrieben sind. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Verhütung von strafbaren Handlungen, die Erhöhung der Verkehrssicherheit und Verhütung von Unfällen im Strassenverkehr sowie die Abwehr von unmittelbar drohenden Gefahren liegen fraglos im öffentlichen Interesse. Diese Ziele vermögen indes keine hinreichenden Ausrichtungen von Überwachungsmassnahmen abzugeben, da sie auf unterschiedlichen Ebenen liegen und je einzeln betrachtet nach unterschiedlichen Anforderungen, Ausgestaltungen und auch Begrenzungen rufen. So erfordert eine generelle Verkehrsüberwachung in der Regel keine Personenidentifikationen. Solche mögen erforderlich erscheinen zur Beweissicherung im Zusammenhang mit allfälligen Straftaten oder bei der Überwachung von besonders gefährdeten Örtlichkeiten. Die Prävention an solchen Örtlichkeiten kann es als nötig erscheinen
BGE 136 I 87 S. 115
lassen, dass die Überwachung mit Hinweistafeln angezeigt wird; umgekehrt mag es Situationen geben, wo sich eine verdeckte Überwachung rechtfertigt.
Damit zeigt sich, dass sich weder aus der Formulierung von § 32 PolG noch aus der allgemeinen Umschreibung der Polizeiaufgaben gemäss § 3 ff. PolG einigermassen klare Zweckausrichtungen ableiten lassen. Dies verunmöglicht es wiederum, im Sinne von
Art. 36 Abs. 2 BV
ein öffentliches Interesse oder private Schutzinteressen zur Rechtfertigung der Überwachungsmassnahmen herauszulesen oder gar zu beurteilen. Es reicht nicht, mit dem Schlagwort der Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit unbeschränkte Überwachungen zu begründen, die in vielfältigsten Ausgestaltungen unterschiedlichen Zwecken dienen können. So lässt sich auch keine Zweck-Mittel-Relation bestimmen, die vor dem Hintergrund des Grundrechtseingriffs auf ihre Verhältnismässigkeit hin geprüft werden könnte. Mangels entsprechender Differenzierung - etwa hinsichtlich der Möglichkeit der Personenidentifizierung - können Überwachungsmassnahmen nicht am Grundsatz der Verhältnismässigkeit gemessen werden. Diese Ungewissheit lässt es denn auch nicht zu, in der in § 32 PolG enthaltenen Wendung "soweit notwendig" eine wirksame Schranke zu erblicken. Das Erfordernis der Notwendigkeit ist im vorliegenden Zusammenhang nicht geeignet, die Vornahme von Bild- und Tonaufnahmen auf bestimmte Zwecke auszurichten und im Sinne des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes einzugrenzen.
Die Offenheit und Unbestimmtheit von § 32 PolG lassen keinerlei Beschränkungen der Überwachung erkennen. Der Bestimmung lassen sich keine Voraussetzungen für den Einsatz von Überwachungsgeräten entnehmen, ebenso wenig irgendwelche Grenzen, Schranken oder Schwerpunkte. Die Bestimmung erlaubt vielmehr eine grenzenlose Überwachung des öffentlichen Raumes und gewisser Privaträume. Sie erlaubt, dass der öffentliche Raum auf dem ganzen Kantonsgebiet aus beliebigen polizeilichen Gründen offen oder verdeckt mit technischen Geräten überwacht wird und überdies Bild- und Tonaufnahmen gemacht werden, soweit das in irgendeiner Weise als notwendig betrachtet werden kann. Damit aber wird § 32 PolG zur grenzen- und konturlosen Blankettnorm, welche in gefestigte Grundrechtspositionen eingreift, ohne den erforderlichen Bestimmtheitsanforderungen zu genügen, in ihrer Weite und Offenheit einem hinreichenden öffentlichen Interesse zu entsprechen und ohne den
BGE 136 I 87 S. 116
zugrunde liegenden Grundrechten mangels jeglicher Grenzen gerecht zu werden.
Dieses Manko lässt sich nicht dadurch beheben, dass das Bundesgericht § 32 PolG verfassungskonform auszulegen versucht. Es obliegt dem Gesetzgeber, Wertungen und Differenzierungen sowie entsprechende Einschränkungen vorzunehmen, die den Zweck der Überwachungen klar erkennen lassen und eine Beurteilung der Verhältnismässigkeit zulassen. Ebenso wenig kann der angefochtenen Norm allein unter Verweisung auf den in § 10 festgehaltenen Grundsatz der Verhältnismässigkeit hinreichend bestimmte Konturen verliehen werden.
Daraus ergibt sich, dass § 32 PolG vor der Verfassung und der Konvention nicht standhält. Damit erweist sich die Beschwerde in diesem Punkte als begründet. Demnach ist § 32 PolG aufzuheben.
8.4
Über § 32 PolG hinaus fechten die Beschwerdeführer auch die Bestimmung von
§ 51 PolG
zur
Löschung von Aufzeichnungen
an. Sie beantragen dessen vollumfängliche Aufhebung, begründen indes nur den Antrag auf Aufhebung von dessen Abs. 2. Hinsichtlich von Abs. 1 (Aufzeichnungen von Telefongesprächen mit Einsatzzentralen) ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
Die Beschwerdeführer stellen nicht in Frage, dass gewisse Aufzeichnungen in allfälligen Strafverfahren zu Beweiszwecken sollen Verwendung finden können und die Aufbewahrung während einer gewissen Dauer demnach einem öffentlichen Interesse entspricht. Hingegen erachten sie die Regelung - insbesondere vor dem Hintergrund von
BGE 133 I 77
- als unverhältnismässig und machen namentlich geltend, das in § 53 Abs. 2 lit. a PolG enthaltene Kriterium stelle keine wirksame zeitliche Aufbewahrungsgrenze dar.
Nach der angefochtenen Norm werden die Aufzeichnungen aus Überwachungen gelöscht, wenn feststeht, dass sie nicht mehr benötigt werden. Die mit der Aufbewahrung der Aufzeichnungen verbundene Grundrechtsbeeinträchtigung soll beseitigt werden, wenn eine weitere Aufbewahrung nicht mehr nötig ist und damit keinem öffentlichen Interesse mehr entspricht. § 53 Abs. 2 lit. a PolG stellt indes keine echte Begrenzung dar. Zum einen kommt nicht zum Ausdruck, welche Zweckrichtung der Benötigung zukommt, zumal die Notwendigkeit der Aufzeichnungen für Straf-, Zivil- und Verwaltungsverfahren in § 53 Abs. 2 lit. b PolG geregelt ist. Zum andern ist unklar, ob die Formulierung "wenn feststeht" einen
BGE 136 I 87 S. 117
entsprechenden formellen Entscheid eines Organs voraussetzt und ob entsprechende Feststellungen tatsächlich getroffen würden. Daraus folgt, dass sich die zeitliche Begrenzung der Aufbewahrung im Wesentlichen aus § 53 Abs. 2 lit. b PolG ergibt. Danach werden die Aufzeichnungen spätestens nach einem Jahr gelöscht, soweit sie nicht weiterhin für ein Straf-, Zivil- oder Verwaltungsverfahren benötigt werden.
Für die Beurteilung, ob eine Aufbewahrungsdauer von einem Jahr vor dem Hintergrund der im Spiele stehenden Interessen dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entspricht, kann auf das Urteil
BGE 133 I 77
zurückgegriffen werden. Das Bundesgericht ging hier davon aus, dass angesichts des mit der Überwachung verfolgten Zwecks, der Sicherstellung einer repressiven Strafverfolgung, eine gewisse Aufbewahrungsdauer erforderlich sei. Grundsätzlich solle das Aufzeichnungsmaterial zu Beweiszwecken in einem Strafverfahren zur Verfügung stehen. Da bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität oder gegen Jugendliche aus Furcht oder Scham oder mannigfachen andern Gründen bisweilen mit einer Anzeige oder einem Strafantrag eine Weile zugewartet wird, eine wirkungsvolle Strafverfolgung aber auch solchen besonders gefährdeten Gruppen ermöglicht werden soll, hielt das Bundesgericht eine Aufbewahrungsdauer von 100 Tagen - anstatt der vom Beschwerdeführer verlangten 30 Tagen - für gerechtfertigt.
Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, welche Gründe eine Aufbewahrung des Aufzeichnungsmaterials während eines ganzen Jahres rechtfertigen könnten. Auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Personen und Personengruppen, die in einem Verfahren auf die Aufzeichnungen zurückgreifen möchten, kann von diesen erwartet werden, dass sie das entsprechende Straf-, Zivil- oder Verwaltungsverfahren innert nützlicher Frist in die Wege leiten, damit die weitere Aufbewahrung sicherstellen und hierfür nicht beinahe ein ganzes Jahr zuwarten. Gleiches kann von den Behörden verlangt werden, wenn sie auf die Aufzeichnungen zurückgreifen wollen. Eine längere Aufbewahrung ist unverhältnismässig.
Bei dieser Sachlage erweist sich die Beschwerde hinsichtlich von § 53 Abs. 2 PolG als begründet. Demnach ist die Bestimmung aufzuheben.
8.5
Im Rahmen der Strafverfolgung kann die Polizei nach
§ 106d StPO
/ZH Bild- und Tonaufnahmen
machen. Die Bestimmung kommt derjenigen von
Art. 282 StPO
/CH sehr nahe.
BGE 136 I 87 S. 118
Die von den Beschwerdeführern in diesem Zusammenhang vorgebrachten Rügen erweisen sich als unbegründet. Im Gegensatz zu § 32 PolG weist
§ 106d StPO
/ZH eine klare Zweckausrichtung auf. Die Überwachung ist ausschliesslich im Rahmen der Strafverfolgung zulässig, bedingt also, dass nach strafprozessualen Grundsätzen ein Verfahren eröffnet worden ist. Lit. a verlangt ernsthafte Gründe zur Annahme, dass Verbrechen oder Vergehen begangen worden sind oder vor der Ausführung stehen. Im Sinne der Verhältnismässigkeit ist erforderlich, dass die Abklärungen auf andere Weise weniger Erfolg versprechen oder erschwert würden. Damit kommt eine gewisse Subsidiarität der Überwachungsmassnahmen zum Ausdruck. Die Überwachung darf nicht dazu dienen, einen Verdacht überhaupt erst zu begründen. Es soll nur überwacht werden, wenn andere Untersuchungsmassnahmen wenig Erfolgschancen haben (vgl. zur Telefonüberwachung
BGE 109 Ia 273
E. 6d S. 288). Dieses Kriterium gilt heute noch für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs nach dem entsprechenden Bundesrecht (Art. 3 Abs. 1 lit. c des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [BÜPF; SR 780.1]). Es findet sich ferner in
Art. 269 Abs. 1 lit. c und
Art. 282 Abs. 1 lit. b StPO
/CH und war früher in den kantonalen Strafprozessordnungen zur Telefonüberwachung enthalten (vgl.
BGE 109 Ia 273
Sachverhalt S. 275 [§ 71a Abs. 1 lit. c] sowie E. 6d S. 288). Ferner ist nicht zu beanstanden, dass
§ 106d StPO
/ZH nicht an einen Deliktskatalog gebunden ist. Das Bundesgericht hat kantonale Regelungen zur Telefonabhörung ohne Deliktskatalog verfassungsrechtlich zugelassen (vgl.
BGE 109 Ia 273
E. 6c S. 286). Daran ändert der Umstand nichts, dass das BÜPF und die schweizerische Strafprozessordnung die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs nunmehr nur hinsichtlich bestimmter, im Einzelnen aufgeführter Straftaten zulassen. Schliesslich ist nicht ausschlaggebend, dass die früheren kantonalen Strafprozessordnungen die Telefonüberwachung lediglich in Bezug auf Verbrechen und Vergehen vorsahen, deren Schwere oder Eigenart den Eingriff rechtfertigte (vgl.
BGE 109 Ia 273
Sachverhalt S. 275 [§ 71a Abs. 1 lit. a]) und dass dieser Zusatz der Schwere oder Eigenart in
§ 106d StPO
/ZH fehlt. Wie dargetan, bringt die Formulierung den subsidiären Charakter der Überwachung in hinreichender Weise zum Ausdruck. Schliesslich kann im Kontext der Strafverfolgung auch nicht beanstandet werden, dass die Bild- und Tonaufnahmen an allen allgemein zugänglichen Orten zugelassen
BGE 136 I 87 S. 119
sind. Entgegen der Überwachung nach § 32 PolG geht es im Rahmen von
§ 106d StPO
/ZH um Strafverfolgung, und diese kann es bei hinreichendem Tatverdacht erfordern, dass auch an abgelegenen Örtlichkeiten Ton- und Bildaufnahmen gemacht werden.
Demnach ist die Beschwerde hinsichtlich der Bestimmung von
§ 106d StPO
/ZH abzuweisen.
(...)
11.
Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen. Es sind die Bestimmungen von § 32 und § 53 Abs. 2 des Polizeigesetzes aufzuheben. Darüber hinaus hat der Kanton Zürich Personen, die in Polizeigewahrsam genommen worden sind, einen direkten Zugang zu einer richterlichen Behörde zu gewährleisten. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. (...) | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
7e2a7c76-c7aa-4456-a2ae-085ead1d9efc | Urteilskopf
106 Ib 83
15. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. Juni 1980 i.S. Bundesamt für Justiz gegen Hinter Zünen AG, Richard und Monika Gassner sowie Rekurskommission des Kantons Zürich für Grunderwerb durch Personen im Ausland (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland.
1.
Art. 2 lit. c BewB
: Jeder (auch unbedeutende) Erwerb von Anteilen an Vermögen juristischer Personen untersteht der Bewilligungspflicht, sofern das Vermögen ganz oder überwiegend aus Grundstücken besteht (E. 1).
2. Die Bewilligung ist in diesem Fall zu erteilen, wenn einer der in
Art. 6 Abs. 2 BewB
vorgesehenen Bewilligungsgründe sinngemäss erfüllt ist (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 84
BGE 106 Ib 83 S. 84
Am 29. März 1972 wurde die Hinter Zünen AG ins Handelsregister des Kantons Zürich eingetragen. Ihr statutarischer Zweck ist die Durchführung von Immobiliengeschäften aller Art. Das Aktienkapital war ausschliesslich im Besitz eines Schweizerbürgers mit Wohnsitz in der Schweiz. Mit öffentlich beurkundetem Kaufvertrag vom 22. Dezember 1976 erwarb die Hinter Zünen AG zum Preis von Fr. 450'000.-- die Liegenschaft Zollikon, Hinter Zünen 6 mit 10 Aren. Durch Verfügung des Bezirksrats Zürich vom 3. Februar 1977, die rechtskräftig geworden ist, wurde die Hinter Zünen AG für diesen Grundstückerwerb als nicht bewilligungspflichtig erklärt, weil einerseits das Aktienkapital sich ganz in schweizerischen Händen befand und anderseits die Finanzierung fast ausschliesslich mit schweizerischen Mitteln getätigt werden konnte. Mit Schreiben vom 22. November 1977 ersuchte der Verwaltungsrat um Erteilung einer förmlichen Bewilligung dafür, dass die Ausländer Richard und Monika Gassner, beide in Bludenz (A), für je Fr. 10'000.-- Aktien erwerben können.
Der Hintergrund der ganzen Transaktion wurde in den Akten wiederholt wie folgt dargestellt: Die international bekannte Psychologin Frau Dora Kalff übe ihre Tätigkeit zentral von der Liegenschaft Hinter Zünen 8 in Zollikon, deren Eigentümerin sie sei, aus. Die engen räumlichen Verhältnisse hätten einer Erweiterung dieser kulturellen Stätte gerufen. Deshalb habe sich ein Frau Kalff nahestehender Personenkreis entschlossen, die Nachbarliegenschaft Hinter Zünen 6 zu erwerben und Frau Kalff zu günstigen Bedingungen für ihre Zwecke zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Personenkreis gehörten auch Herr Gassner und Fräulein Gassner. Ursprünglich sei beabsichtigt gewesen, sie als Darlehensgeber bei der Finanzierung zu beteiligen. Infolge ihrer sehr regen Teilnahme am Geschehen in Zollikon - Herr und Fräulein Gassner hielten sich seit Jahren beinahe wöchentlich für ein bis zwei Tage als Gäste bei Frau Kalff auf - sei das Bedürfnis erwachsen, sie auch juristisch zu vollwertigen Mitgliedern dieser Gemeinschaft zu machen und nicht mehr länger als blosse Kapitalgeber zu betrachten. Daher sollten ihnen je zwei Aktien der Hinter Zünen AG übereignet werden.
BGE 106 Ib 83 S. 85
Mit Beschluss vom 17. August 1978 verweigerte der Bezirksrat Zürich die Bewilligung, da ein berechtigtes Interesse im Sinne von Art. 6 des Bundesbeschlusses über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961 (SR 211.412.12.41) fehle. Auf Beschwerde hin hob die Rekurskommission für Grunderwerb durch Personen im Ausland den angefochtenen Entscheid auf und erteilte die Bewilligung. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 20. April 1979 verlangt die Eidg. Justizabteilung (heute: Bundesamt für Justiz) die Aufhebung dieses Entscheides und die Verweigerung der Bewilligung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus den folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Der Erwerb von Grundstücken in der Schweiz durch Personen mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland bedarf der Bewilligung der zuständigen kantonalen Behörde (
Art. 1 BewB
). Dem Erwerb von Grundstücken ist gemäss
Art. 2 lit. c BewB
unter anderem gleichgestellt der Erwerb von Anteilen an Vermögen juristischer Personen, sofern dieses ganz oder überwiegend aus Grundstücken besteht. Eine Bewilligung ist ungeachtet der Höhe der Auslandbeteiligung erforderlich. Im vorliegenden Verfahren ist unbestritten, dass der Erwerb von je zwei Aktien der Hinter Zünen AG durch Richard und Monika Gassner gemäss
Art. 2 lit. c BewB
der Bewilligungspflicht untersteht.
Der Bundesrat wollte im Jahre 1972 die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Anteilen an Immobiliengesellschaften durch Personen im Ausland lockern und eine Bewilligung nurmehr verlangen, wenn die Auslandbeteiligung auf über 25% ansteigt (Botschaft des Bundesrates vom 25. Oktober 1972, BBl 1972 II 1241 ff., insbesondere S. 1254). Diese Änderung drängte sich nach Ansicht des Bundesrates insbesondere deshalb auf, weil gemäss
Art. 3 lit. c BewB
juristische Personen mit Sitz in der Schweiz, welche hier ein Grundstück erwerben wollen, nur dann der Bewilligungspflicht unterstellt sind, wenn Personen im Ausland daran in finanziell beherrschender Weise beteiligt sind, d.h., wenn ihr Anteil einen Drittel übersteigt (
Art. 5 Abs. 1 BewV
). Er wollte damit den ausländischen Erwerber von Anteilen an Immobiliengesellschaften dem ausländischen
BGE 106 Ib 83 S. 86
Eigentümer von Anteilen an bestehenden schweizerisch beherrschten Immobiliengesellschaften gleichstellen. Die Kommission des Nationalrates strich die vorgesehene Lockerung indessen wieder mit der Begründung, dass Schwierigkeiten bei der Anwendung der Bestimmung auftreten und Umgehungen nicht ausgeschlossen werden könnten (StenBull. NR 1972/2 S. 2220). Die Fassung der Kommission fand sowohl im Nationalrat als auch im Ständerat eine Mehrheit. Demnach gilt heute nach wie vor die Regelung, dass der Erwerb eines Grundstücks durch eine Immobiliengesellschaft mit geringem ausländischem Kapitalanteil nicht bewilligungspflichtig ist, der Erwerb eines geringen Kapitalanteils an einer schweizerischen Immobiliengesellschaft, welche bereits Grundstücke erworben hat, dagegen der Bewilligungspflicht untersteht. An diese gesetzgeberische Lösung ist das Bundesgericht gebunden.
2.
Die Bewilligungs- und Verweigerungsgründe sind in
Art. 6 und 7 BewB
geordnet. Gemäss
Art. 6 Abs. 1 BewB
ist die Bewilligung zu erteilen, wenn der Erwerber ein berechtigtes Interesse am Erwerb nachweist; andernfalls ist sie zu verweigern.
Art. 6 Abs. 2 BewB
zählt die Voraussetzungen auf, welche die Annahme eines berechtigten Interesses rechtfertigen. Das Bundesgericht hat wiederholt erkannt, dass die Aufzählung der Bewilligungsgründe in
Art. 6 Abs. 2 BewB
für die Umschreibung des berechtigten Interesses abschliessend ist (seither wiederholt bestätigtes Urteil i.S. Wozchod Handelsbank vom 27. Oktober 1972, ZBGR 53 S. 119). Diese Rechtsprechung ist nicht unwidersprochen geblieben (Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, ZBGR 60 S. 79 ff.). Die Beschwerdegegner im vorliegenden Verfahren weisen mit Recht darauf hin, dass
Art. 6 Abs. 2 BewB
ausschliesslich auf den Erwerb von Grundstücken zugeschnitten ist und die andersartigen Verhältnisse nicht berücksichtigt, die sich beim Erwerb von Anteilsrechten am Vermögen juristischer Personen ergeben. Wenn aber in
Art. 2 lit. c BewB
der Anteilserwerb am Vermögen juristischer Personen dem Erwerb von Grundstücken gleichgestellt und damit der Bewilligungspflicht unterworfen wird, muss auch die Erteilung der Bewilligung möglich sein. Dies kann nur durch eine analoge Anwendung der Bewilligungsvoraussetzungen in
Art. 6 Abs. 2 BewB
geschehen. Demnach ist auch beim Erwerb von Anteilen an Immobiliengesellschaften zu prüfen, ob ein berechtigtes Interesse dafür besteht und ein solches ist gemäss
BGE 106 Ib 83 S. 87
Art. 6 Abs. 3 BewB
im Regelfall zu verneinen, wenn der Erwerb lediglich der Vermögensanlage dient. Das berechtigte Interesse ist dagegen zu bejahen, sofern einer der in
Art. 6 Abs. 2 BewB
vorgesehenen Bewilligungsgründe sinngemäss erfüllt ist, wobei zu beachten ist, dass der Erwerber von Anteilsrechten am letztlich dahinterstehenden Grundstück der Gesellschaft weder Eigentum noch in der Regel selbständigen und unmittelbaren Besitz erhält, vorliegend kommt vor allem eine analoge Anwendung von Art. 6 Abs. 2 lit. a Ziff. 1 BewB in Betracht. Gemäss dieser Bestimmung ist ein berechtigtes Interesse anzunehmen, wenn das zu erwerbende Grundstück in erster Linie dem Aufenthalt des Erwerbers oder seiner Familie dient, der Erwerber es auf seinen persönlichen Namen erwirbt und er, sein Ehegatte oder seine minderjährigen Kinder kein anderes diesem Zwecke dienendes Grundstück in der Schweiz erworben haben und ausserdem eine aussergewöhnlich enge geschäftliche oder andere schutzwürdige Beziehung des Erwerbers zu dem Ort des zu erwerbenden Grundstücks besteht. Richard und Monika Gassner nehmen an der Tätigkeit, deren Ermöglichung die Hinter Zünen AG durch den Erwerb des Grundstücks Hinter Zünen 6 bezweckt, derart intensiv teil, dass die Höhe ihres Anteils am Gesellschaftsvermögen und durch diesen hindurch am Grundstück gerechtfertigt ist. Sie gehören zum relativ kleinen Kreis von Dora Kalff, der sich aktiv den wissenschaftlichen Interessen widmet, für welche Kurse und Seminarien in dem Haus Hinter Zünen durchgeführt werden. Wenn sich Richard und Monika Gassner wöchentlich praktisch ein bis zwei Tage in dem Haus aufhalten, muss darin eine schutzwürdige Beziehung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. a Ziff. 1 BewB erblickt werden. Bei der Notwendigkeit analoger Anwendung kann es angesichts der äusserst kleinen Beteiligung und des geringen Einflusses auf die Gesellschaft keine Rolle spielen, dass die Liegenschaft nicht in erster Linie ihrem Aufenthalt dient; ebensowenig ist von entscheidender Bedeutung, dass sie dieselbe nicht auf ihren persönlichen Namen erwerben, denn sie erhalten lediglich einen Anteil an der Immobiliengesellschaft, die ihrerseits Eigentümerin der Liegenschaft ist. Bei dieser Sachlage ist das berechtigte Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 2 im vorliegenden Fall zu bejahen, so dass die Beschwerde abgewiesen werden muss. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
7e2ec791-4dc0-45af-939c-3271616f712f | Urteilskopf
113 IV 93
27. Arrêt de la Chambre d'accusation du 3 avril 1987 dans la cause X. c. Office fédéral de la police (plainte EIMP) | Regeste
Art. 15 IRSG
, Entschädigung für ungerechtfertigte Haft.
- Materiellrechtlich sind der BStP und das VStrR, nicht das VG, analog anwendbar (E. 1).
- Verfahrensrechtlich ist das VStrR analog anwendbar (E. 2).
- Grenzen der Haftung für die Folgen eines Auslieferungshaftbefehls, der sich als ungerechtfertigt erweist (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 94
BGE 113 IV 93 S. 94
A.-
Le 5 octobre 1985, X., directeur adjoint d'une banque, a été arrêté en exécution d'un mandat d'arrêt aux fins d'extradition décerné par l'Office fédéral de la police (OFP); en effet, le Procureur général de la République italienne, à Turin, avait décerné un mandat d'arrêt contre X. soupçonné d'avoir participé à un vaste trafic de stupéfiants; il a été procédé aussi à une perquisition au domicile de X. et à la saisie de tous ses avoirs bancaires.
Le 10 octobre 1985, le Procureur de Turin a révoqué le mandat d'arrêt frappant X., si bien que le 11 octobre 1985 l'OFP ordonna la libération immédiate de celui-ci.
Un mois plus tard, soit le 11 novembre 1985, le Procureur de Turin a demandé l'audition de X. dans le cadre d'une commission rogatoire et notamment le séquestre de divers comptes bancaires. L'OFP a constaté que cette demande d'entraide n'était pas manifestement inadmissible et l'a fait suivre aux autorités cantonales compétentes; le Juge d'instruction du canton de Genève a ordonné l'audition de X.; le Ministère public du district de Zurich (Bezirksanwaltschaft Zürich) a adressé une circulaire à toutes les banques de ce canton leur intimant l'ordre d'indiquer par écrit si elles étaient ou avaient été en relations bancaires avec les personnes physiques ou morales désignées, dans l'affirmative de fournir les pièces justificatives et de bloquer toutes les valeurs y relatives; cette ordonnance contient notamment les motifs qui suivent:
"... Zahlreiche Mitglieder der Heroinhändler-Organisation wurden auch in Italien verhaftet, ferner 2 in Zürich (Beschuldigte 4 und 5), sowie 2 in Genf (X. und A.). ..."
A la demande du Procureur de Turin, le Juge d'instruction italien a rendu une ordonnance de non-lieu datée du 29 janvier 1986 contenant notamment les termes suivants:
"... dichiara chiusa la formale istruttoria nei confronti del solo imputato X. ...;
... dichiara non doversi procedere nei confronti di X. in ordine al reato a lui ascritto per non avere egli commesso il fatto."
B.-
Par lettre du 1er décembre 1986, l'OFP a déclaré ne pas entrer en matière sur la demande d'indemnisation de X., qui avait conclu à une indemnité de 655'695 francs 60 pour détention injustifiée et autres actes de procédure.
BGE 113 IV 93 S. 95
Le 30 décembre 1986, X. a saisi la Chambre de céans d'une plainte par laquelle il demande principalement que la Confédération suisse soit tenue de lui verser 491'542 francs 30 à titre d'indemnité, sous suite de dépens. Subsidiairement, il conclut à ce que la Chambre de céans fixe elle-même l'indemnité en cause, dépens à charge de la Confédération suisse. Il précise encore qu'en cas d'incompétence de la Chambre d'accusation du Tribunal fédéral, la plainte doit être transmise à l'autorité compétente.
C.-
Invité à présenter des observations, l'OFP a conclu à l'allocation d'une indemnité adaptée au dommage et au tort effectivement subis par et à la suite de la détention extraditionnelle et d'une indemnité appropriée pour les frais de défense dans la procédure d'extradition devant les autorités suisses; les frais de la procédure devant le Tribunal fédéral devraient, selon l'OFP, être supportés par le plaignant.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux termes de l'
art. 15 EIMP
(RS 351.1), les dispositions fédérales ou cantonales sont applicables par analogie à l'indemnité due pour la détention injustifiée et les autres dommages subis par la personne poursuivie au cours d'une procédure menée notamment en Suisse; la Confédération verse l'indemnité si la demande est présentée ou exécutée par une autorité fédérale.
Il est incontesté que X. a été l'objet d'une procédure relative à la coopération internationale en matière pénale, domaine où l'EIMP s'applique (
art. 1er al. 1 EIMP
). Dans la mesure où l'OFP a décerné un mandat d'arrêt aux fins d'extradition contre X., mandat exécuté par une autorité cantonale, et où cet office a ensuite ordonné la mise en liberté du plaignant, c'est bien une autorité fédérale qui a agi (voir art. 47 al. 1 et 49 al. 1 EIMP).
Dès lors que les conditions de l'
art. 15 EIMP
sont réunies, les dispositions du droit fédéral tels les
art. 122 al. 1 PPF
et 99 al. 1 DPA, prévoyant l'indemnisation pour détention injustifiée et autres dommages, sont applicables par analogie; on ne saurait en conséquence suivre l'OFP d'après lequel la loi sur la responsabilité de la Confédération (LRCF, RS 170.32) trouverait application; en effet, selon l'
art. 3 al. 2 LRCF
, lorsque la responsabilité pour des faits déterminés est prévue dans des actes législatifs spéciaux, la responsabilité de la Confédération est régie par ces dispositions. D'ailleurs, d'après cet article la responsabilité de la Confédération est engagée seulement si le dommage
BGE 113 IV 93 S. 96
a été causé sans droit, ce qui n'est pas le cas en l'espèce (
ATF 103 Ib 67
consid. 3).
2.
On peut se demander si le principe de l'application analogique des dispositions concernant l'indemnisation due en raison de détention injustifiée et d'autres dommages, prévu à l'
art. 15 al. 1 EIMP
, a une portée uniquement matérielle ou aussi procédurale; les travaux préparatoires ne donnent pas de réponse concluante à cet égard. La règle prévue à l'
art. 12 EIMP
, d'après laquelle les actes de procédure sont réglés par le droit de procédure applicable en matière pénale, ne se rapporte qu'aux actes de collaboration internationale dans ce domaine précis, c'est-à-dire dans la mesure où il s'agit bien d'actes concernant la justice pénale; cela ressort de la systématique de l'EIMP et des travaux préparatoires (voir FF 1976 II 442 et rapport de la commission d'experts, p. 31). L'
art 10 LRCF
invoqué par l'OFP, aux termes duquel le Tribunal fédéral statue en instance unique au sens des art. 110 ss de l'OJ, ne s'applique pas; il a pour unique objet les réclamations dirigées contre la Confédération en vertu de cette loi dont la portée est définie restrictivement (
art. 3 LRCF
).
Si l'on admet d'une part l'existence d'une lacune de l'
art. 15 EIMP
, il s'impose de la combler en se référant aux
art. 122 al. 3 PPF
et 100 al. 4 DPA afin de procéder par analogie et de sauvegarder l'unité du droit. D'autre part, sur le plan de la compétence de la Chambre d'accusation, le résultat ne serait pas différent si l'on admettait que les dispositions de procédure précitées sont applicables par analogie en fonction du texte même de l'
art. 15 EIMP
. En matière d'indemnité pour détention préventive ou d'autres actes d'instruction découlant de l'application de la PPF, la Chambre de céans prononce après avoir reçu une proposition émanant du juge d'instruction (
art. 122 al. 3 PPF
); sur le plan du droit pénal administratif, la Chambre de céans statue sur la plainte déposée contre la décision prise par l'administration (
art. 100 al. 4 DPA
). Dans les domaines étroitement liés que constituent la mise en détention de l'accusé, la perquisition et la confiscation (qui peuvent justifier une indemnité), la PPF, le DPA et l'EIMP contiennent une attribution de compétence qui correspond pour l'essentiel à celle relative à l'indemnité. Aux termes de l'
art. 52 al. 2 PPF
, l'inculpé peut recourir à la Chambre de céans contre le refus de mise en liberté émanant du juge d'instruction ou du procureur général; il en va de même - par voie de plainte - lorsqu'un refus semblable est prononcé par l'autorité judiciaire au sens de
BGE 113 IV 93 S. 97
l'
art. 51 al. 5 DPA
ou aussi par l'OFP dans le cadre de l'EIMP (art. 47 al. 1 et 48 al. 2 EIMP); la Chambre de céans peut également être saisie d'un recours - respectivement d'une plainte - en matière de séquestre (ou de saisie;
art. 65 PPF
, 46 DPA, 47 al. 3 EIMP), de perquisition et de perquisition visant des papiers (
art. 67 PPF
, 48 DPA,
art. 69 PPF
, 50 DPA; pour la voie de recours ou de plainte:
art. 214 et 69 al. 3 PPF
, 26 al. 1 et 2 DPA, 48 al. 2 EIMP).
En l'espèce, l'OFP n'étant pas entrée en matière sur la demande d'indemnité du plaignant et la Chambre de céans ayant été saisie de la cause très rapidement, on pourrait laisser indécise la question de savoir si la procédure ainsi suivie était celle de l'
art. 122 al. 3 PPF
ou de l'
art. 100 al. 4 DPA
. En vertu du principe de la séparation des pouvoirs, on doit toutefois préférer l'application de l'
art. 100 al. 4 DPA
à celle de l'
art. 122 al. 3 PPF
; en effet, dans une procédure d'entraide internationale en matière pénale, telle que l'extradition par exemple, l'Etat requis exerce une activité administrative sur le plan international (FF 1976 II 434;
ATF 109 Ib 157
consid. 3b, 99 Ia 90); c'est aussi pour ce motif que le mandat d'arrêt aux fins d'extradition est décerné par une autorité administrative, non pas judiciaire, sous réserve il est vrai de la voie de la plainte à la Chambre de céans.
3.
En vertu de l'
art. 15 EIMP
et des dispositions fédérales applicables par analogie, une indemnité est due pour la détention injustifiée et les autres dommages subis par la personne poursuivie; elle peut être refusée cependant, en tout ou en partie, à l'inculpé qui a provoqué l'instruction par sa faute ou qui a, sans raison, entravé ou prolongé la procédure (
art. 99 al. 1 DPA
; voir
art. 122 al. 1 PPF
). La Confédération verse l'indemnité seulement si la demande d'entraide présentée par un Etat étranger est exécutée par une autorité fédérale (
art. 15 al. 2 EIMP
).
Une plainte comme celle qui est en cause ici n'est recevable que pour violation du droit fédéral, pour constatation inexacte ou incomplète de faits pertinents ou pour inopportunité (art. 100 al. 4 en liaison avec l'
art. 28 al. 2 DPA
).
a) Le plaignant a dû subir des opérations d'instruction objectivement graves constituées par son arrestation le 5 octobre 1985, sa détention durant 7 jours, la perquisition effectuée à son domicile et la saisie de tous ses avoirs bancaires; il en est résulté un dommage important qui s'est révélé injustifié après que les poursuites pénales dirigées contre le détenu eurent fait l'objet d'un non-lieu, car il n'avait pas commis
BGE 113 IV 93 S. 98
les infractions qu'on lui reprochait (
ATF 108 IV 202
consid. b et jurisprudence citée). En revanche, sa comparution à l'audience du Juge d'instruction genevois du 8 octobre 1985, tenue pour lui notifier le mandat d'arrêt en vue d'extradition, ne saurait entrer en ligne de compte dans la fixation du préjudice.
L'OFP a décerné le mandat d'arrêt en vue d'extradition; on doit considérer que la perquisition et la saisie des avoirs bancaires consécutives à cet acte ont également été ordonnées par cet office dont la loi exige qu'il prenne simultanément les mesures permettant la remise des objets et valeurs qui peuvent servir de moyens de preuve ou qui proviennent de l'infraction et qu'il décide quels sont ces objets et valeurs (art. 34 al. 1 et 47 al. 3 EIMP); de plus, l'OFP a fait suivre aux autorités cantonales, destinataires du télex ordonnant l'arrestation, la demande du Procureur de Turin qui requérait non seulement l'arrestation mais encore la perquisition et la saisie.
On ne saurait soutenir, l'OFP en convient, que X. ait provoqué l'instruction par sa faute ou, sans raison, entravé ou prolongé la procédure. Dès lors, son droit à une indemnité doit être reconnu dans son principe.
Le plaignant ne demande pas la réparation d'un préjudice matériel mais moral, causé par les mesures d'instruction, ce qui est admissible (
ATF 107 IV 156
et références). Le montant de l'indemnité doit être fixé en fonction de la gravité de l'atteinte portée à la personnalité (
art. 49 al. 1 CO
). En l'espèce, cette atteinte est d'une importance certaine compte tenu de l'activité professionnelle du plaignant et de l'inconsistance de la grave accusation portée à tort contre lui. Toutefois, une indemnité pour tort moral de 100'000 fr. dépasse nettement ce que l'on peut raisonnablement considérer comme adéquat. La comparaison avec des cas semblables conduit à en fixer la quotité à un montant total de 5'000 fr. au plus. Rien ne démontre notamment que le plaignant aurait subi un choc psychique particulier du fait des mesures d'instruction subies.
b) On ne discerne pas d'indice ni même d'offre de preuve tendant à établir que l'OFP, auteur du mandat d'arrêt, est responsable de la parution de l'article du journal "La Suisse" du 12 octobre 1985 au sujet de l'arrestation du "Britannique X.". Si l'on ne peut établir que ce texte a pour origine des informations émanant de l'OFP, le droit à une indemnité de ce chef n'est pas fondé.
BGE 113 IV 93 S. 99
c) Le plaignant demande également à être indemnisé pour le tort moral causé par la circulaire du 18 novembre 1985 adressée à toutes les banques du canton de Zurich par le Procureur du district de Zurich (Bezirksanwaltschaft); cette autorité agissait dans le cadre d'une instruction qui ne touchait pas que le plaignant et demandait ainsi aux établissements bancaires de révéler leurs relations avec les personnes poursuivies, de fournir les pièces y afférentes et de saisir tous les avoirs concernés; le texte comprenait notamment les termes suivants:
"Zahlreiche Mitglieder der Heroinhändler-Organisation wurden auch in Italien verhaftet, ferner 2 in Zürich (Beschuldigte 4 und 5) sowie 2 in Genf (X. und A.)."
Cette ordonnance a pour objet non pas l'extradition mais d'autres actes d'entraide au sens de l'
art. 16 al. 1 EIMP
, ce qui ressort de sa teneur et de la demande d'entraide du Procureur de Turin du 11 novembre 1985 sur laquelle elle est fondée; cette circulaire concernait donc la préservation des preuves et la saisie d'avoirs concernant les 11 personnes physiques et morales citées en tête, au nombre desquelles ne figure pas le plaignant; force est donc de constater qu'elle n'a aucun rapport avec l'extradition de celui-ci (voir FF 1966 I 481). Or l'exécution d'autres actes d'entraide revient aux cantons, non pas à l'OFP (art. 16 al. 1 et 17 al. 2 EIMP; FF 1976 II 462), et en l'espèce ce sont les cantons qui les ont exécutés; le devoir incombant à l'OFP de transmettre aux autorités cantonales et fédérales compétentes les demandes concernant les autres actes d'entraide, à moins qu'elles ne soient manifestement irrecevables, ne justifie pas une autre interprétation (
art. 17 al. 2 EIMP
). Dès lors, la Confédération n'est pas tenue de verser une indemnité de ce chef (
art. 15 al. 2 EIMP
).
d) Les frais engagés par la personne poursuivie pour sa défense peuvent aussi donner lieu à une indemnité (
ATF 108 IV 203
; arrêt non publié de la Chambre de céans du 14 avril 1981 dans la cause Sch. c. Bundesanwaltschaft, cité aux ATF
ATF 107 IV 155
, consid. 2b et 5; art. 11 de l'ordonnance sur les frais et indemnités en procédure pénale administrative, RS 313.32).
La raison pour laquelle le plaignant a constitué un avocat en Italie est indépendante de la décision prise dans d'autres pays, dont l'Etat requis en vue de l'extradition; comme le reconnaît le plaignant, son avocat en Italie avait pour mission d'obtenir le plus rapidement possible la levée du mandat d'arrêt décerné par le Procureur de Turin. Donc, sur le plan formel, cette mesure de défense n'était pas dirigée de façon directe
BGE 113 IV 93 S. 100
contre l'exécution par l'OFP de la demande d'extradition, si bien qu'au sens de l'
art. 15 al. 2 EIMP
, la Confédération ne saurait verser une indemnité de ce chef.
La constitution d'un avocat en Suisse se justifiait face au mandat d'arrêt émanant de l'OFP. La note d'honoraires de 35'731 francs 10, qui comprend d'ailleurs des démarches postérieures à la mise en liberté du plaignant, n'indique pas le temps consacré au dossier ni le prix de l'heure retenu; elle se limite à une indication plus ou moins globale des opérations entreprises, qui ne permet pas de spécifier ces points par une récapitulation détaillée au sens de l'art. 11 de l'ordonnance précitée (RS 313.32). Si l'on admet un coût de l'heure d'avocat de 200 fr., il en résulte une durée de plus de 175 heures, soit environ 22 jours de travail, c'est-à-dire près d'un mois; faute de données propres à justifier ce chiffre, on doit le considérer comme exagéré. La proposition de faire taxer les honoraires par la commission de taxation compétente du canton de Genève ne permet pas une autre conclusion, car cette autorité ne serait pas non plus en mesure de se déterminer en connaissance de cause si le plaignant ne complétait pas le dossier. Or, la Chambre de céans ne saurait se prononcer en cette matière lorsque les pièces propres à démontrer l'ampleur des mesures nécessaires pour assurer sa défense font défaut. Le plaignant ne saurait obtenir de dédommagement à ce titre (arrêt non publié de la Chambre de céans du 9 novembre 1982 dans la cause C. c. Bundesanwaltschaft, consid. 2b).
e) Le plaignant soutient que son incarcération injustifiée, en particulier, lui a causé un préjudice capitalisé de 335'846 fr. 70 au titre de perte de gain futur. Cependant, il n'apporte aucun élément concret propre à justifier, même très partiellement, cette prétention et n'offre pas de preuve à cet égard. D'après la jurisprudence, le préjudice dont on réclame la réparation doit résulter de faits précis et démontrés (
ATF 107 IV 157
et jurisprudence citée); dès lors, il ne suffit pas de se déclarer prêt à apporter la preuve de l'existence et de la quotité du dommage par l'audition de témoins, sans autres précisions.
A tort, le plaignant se réfère à l'
art. 25 al. 2 DPA
aux termes duquel la Chambre de céans ordonne l'administration de preuves s'il en est besoin pour sa décision; les plaintes contre le refus d'indemnisation par l'administration suivent exclusivement la procédure prévue aux art. 28 al. 2 à 5 DPA applicable par analogie (
art. 100 al. 4 DPA
); or, on l'a vu,
BGE 113 IV 93 S. 101
une telle plainte est recevable seulement pour violation du droit fédéral, pour constatation inexacte ou incomplète de faits pertinents ou pour inopportunité (
art. 28 al. 2 DPA
). Le plaignant n'invoque cependant aucun de ces griefs et n'a d'ailleurs pas non plus formulé d'offres de preuve concrète devant l'OFP. | null | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7e3c90e6-73de-43dd-b78d-a0a1eabfb2d5 | Urteilskopf
138 III 261
40. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. E. gegen F. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_720/2011 vom 15. März 2012 | Regeste
Verweigerung der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung wegen Unvereinbarkeit mit Urteilen, die in der Schweiz ergangen sind (Art. 27 Ziff. 3 aLugÜ; Art. 34 Nr. 3 LugÜ).
Die Unvereinbarkeit muss sich bei den Wirkungen der Entscheidungen zeigen. Dass die in der Schweiz erfolgte, nicht an der Rechtskraft teilnehmende Beurteilung einer Vorfrage von einer Vorfragebeurteilung der ausländischen Entscheidung abweicht, genügt nicht, um Unvereinbarkeit im Sinne von Art. 27 Ziff. 3 aLugÜ bzw. Art. 34 Nr. 3 LugÜ anzunehmen (E. 1). | Sachverhalt
ab Seite 262
BGE 138 III 261 S. 262
Mit Strafurteil vom 3. Oktober 2008 verurteilte das Landgericht Paola (Italien) F. (Beschwerdegegner) wegen sexueller Übergriffe auf seinen Sohn zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren, sprach seiner Exfrau E. (Beschwerdeführerin), die als Privatklägerin aufgetreten war, Schadenersatz in der Höhe von 50'000 Euro zu und erklärte diese Summe für sofort vollstreckbar. Der Beschwerdegegner hat gegen dieses Urteil appelliert. Während der Einzelrichter des Kantonsgerichts Zug auf Antrag der Beschwerdeführerin das Urteil des Landgerichts Paola gemäss Art. 26 ff. und 31 ff. des Übereinkommens vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (aLugÜ; AS 1991 2436) hinsichtlich des zugesprochenen Schadenersatzes von 50'000 Euro und der Parteientschädigung von 1'500 Euro anerkannte und für vollstreckbar erklärte, verweigerte das Obergericht des Kantons Zug die Anerkennung gestützt auf Art. 27 Ziff. 3 aLugÜ. Das Bundesgericht heisst die dagegen erhobene Beschwerde in Zivilsachen teilweise gut und weist die Sache an das Obergericht zurück, damit dieses die weiteren vom Beschwerdegegner gegen die Anerkennung erhobenen Einwände prüft.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz erkannte unter Hinweis auf die Literatur, Art. 27 Ziff. 3 aLugÜ setze nicht voraus, dass die inländische Entscheidung in den Anwendungsbereich des Übereinkommens falle. Er setze weder eine Identität des Streitgegenstandes noch einen Rechtskraftkonflikt voraus; auch Widersprüche in der an der Rechtskraft nicht teilnehmenden Begründung könnten ausreichen. Es genüge, wenn die Entscheidungen Rechtsfolgen hätten, die sich gegenseitig ausschlössen. Auch auf die zeitliche Reihenfolge komme es nicht an (FRIDOLIN WALTHER, in: Kommentar zum Lugano-Übereinkommen [LugÜ], Dasser/Oberhammer [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 80 ff. zu
Art. 34 LugÜ
). Die Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug habe mit Urteil
BGE 138 III 261 S. 263
vom 2. Juni 1999 im Verfahren zwischen den Parteien betreffend vorsorgliche Massnahmen im Scheidungsverfahren gemäss aArt. 145 ZGB gestützt auf ein Gutachten festgehalten, es sei äusserst unwahrscheinlich, dass der Beschwerdegegner sein Kind missbraucht habe. Das Gericht habe in der Folge das erstinstanzliche Urteil bestätigt, in welchem dem Beschwerdegegner ein unbegleitetes Besuchs- und - wie schliesslich auch im Einvernehmen mit der Beschwerdeführerin im Scheidungsurteil des Kantonsgerichts Zug vom 14. November 2001 - ein unbegleitetes Ferienrecht eingeräumt worden sei. Diese beiden Entscheide stünden dem Urteil des Landgerichts Paola diametral entgegen, weshalb dieses mit in der Schweiz ergangenen Entscheidungen unvereinbar sei. Aus diesem Grunde versagte die Vorinstanz dem Urteil des Landgerichts Paola die Anerkennung in Anwendung von Art. 27 Ziff. 3 aLugÜ, was die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht beanstandet.
1.1
Gemäss Art. 27 Ziff. 3 aLugÜ, der im Wesentlichen Art. 34 Nr. 3 LugÜ (SR 0.275.12) entspricht, wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn die Entscheidung mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien in dem Staat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist. Art. 27 Ziff. 3 aLugÜ ist restriktiv auszulegen (DONZALLAZ, La Convention de Lugano, Bd. II, 1997, S. 476 Rz. 2995; DOMEJ/OBERHAMMER, in: Lugano-Übereinkommen [LugÜ] zum internationalen Zivilverfahrensrecht, Schnyder [Hrsg.], 2011, N. 58 zu
Art. 34 LugÜ
; BUCHER, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé/Convention de Lugano, 2011, N. 48 zu
Art. 34 LugÜ
). Eine Unvereinbarkeit im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn die betreffenden Entscheidungen Rechtsfolgen haben, die sich gegenseitig ausschliessen (Urteil des EuGH vom 4. Februar 1988 145/86
Hoffmann gegen Krieg
, Slg. 1988 S. 645 Randnr. 22). Die Unvereinbarkeit muss sich bei den Wirkungen der gerichtlichen Entscheidungen zeigen (Urteil des EuGH vom 6. Juni 2002 C-80/00
Italian Leather
, Slg. 2002 I-4995 Randnr. 44).
1.2
Die in einem Vertragsstaat ergangene gerichtliche Entscheidung, durch die die Verurteilung zur Erfüllung eines Vertrags ausgesprochen wird, kann im ersuchten Staat abgelehnt werden, wenn eine Entscheidung eines Gerichts dieses Staates vorliegt, die die Unwirksamkeit oder die Auflösung desselben Vertrags ausspricht (Urteil des EuGH vom 8. Dezember 1987 144/86
Gubisch Maschinenfabrik gegen Palumbo
, Slg. 1987 S. 4861 Randnr. 18). Der Bestand des Vertrages ist mit Bezug auf die Leistungsklage eine an der Rechtskraft
BGE 138 III 261 S. 264
des Leistungsurteils nicht teilnehmende Vorfrage. Entsprechend wird in der Lehre festgehalten, auch Widersprüche in den an der Rechtskraft nicht teilnehmenden Entscheidgründen könnten für eine Anwendung von Art. 27 Ziff. 3 aLugÜ genügen (WALTHER, a.a.O., N. 81 zu
Art. 34 LugÜ
; GEIMER/SCHÜTZE, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., München 2010, N. 168 zu Art. 34 EuGVVO).
Die Formulierung, die Anwendung von Art. 27 Ziff. 3 aLugÜ setze keinen Rechtskraftkonflikt voraus (vgl. WALTHER, a.a.O., N. 81 zu
Art. 34 LugÜ
), ist, wie die Argumentation der Vorinstanz zeigt, missverständlich. Das vom EuGH genannte Beispiel setzt ein im anerkennenden Staat ergangenes Urteil voraus, das die Unwirksamkeit oder die Auflösung des Vertrags, aus dem auf Leistung geklagt wird, ausspricht (Urteil
Gubisch Maschinenfabrik gegen Palumbo
, Randnr. 18). Dieses Urteil ist der Rechtskraft zugänglich, so dass ein Konflikt zwischen einer Vorfrage des zu anerkennenden Entscheides mit der Rechtskraftwirkung eines im anerkennenden Staat ergangenen Urteils besteht. Dagegen genügt zur Anerkennungsversagung nicht, dass die Rechtsfolgen (oder eine Vorfragebeurteilung) der zu anerkennenden Entscheidung lediglich mit einer nicht in Rechtskraft erwachsenen Vorfragebeurteilung des inländischen Urteils unvereinbar sind, solange nicht auch dessen Rechtsfolgen von der Unvereinbarkeit erfasst werden (DOMEJ/OBERHAMMER, a.a.O., N. 60 zu
Art. 34 LugÜ
; vgl. auch SCHLOSSER, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., München 2009, N. 22 f. zu Art. 34-36 EuGVVO). Verlangt wird vielmehr, dass die ausländische Entscheidung entweder denselben Streitgegenstand abweichend entscheide oder aber auf Prämissen aufbaut, die mit der materiellen Rechtskraft (Urteil
Gubisch Maschinenfabrik gegen Palumbo
, Randnr. 18) oder der Gestaltungswirkung eines inländischen Urteils (Urteil
Hoffmann gegen Krieg
) unvereinbar sind (SCHLOSSER, a.a.O., N. 22 zu Art. 34-36 EuGVVO).
1.3
Die in der Schweiz ergangenen Urteile, zu denen die Vorinstanz einen Widerspruch erblickt, regeln die Ausgestaltung des Besuchs- und Ferienrechts, während das zu anerkennende der Beschwerdeführerin Schadenersatz zuspricht. Dass prozessrelevante Vorfragen wie der Vorwurf sexueller Übergriffe Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens haben, liegt in ihrer Natur. Die Regelung des Besuchsrechts gemäss schweizerischem Urteil schliesst aber die Zusprechung von Schadenersatz gemäss italienischem Urteil nicht aus. Es war nicht das Ziel der in der Schweiz ergangenen Entscheide, zwischen den Parteien die Frage, ob es zu sexuellen Übergriffen des Beschwerdegegners auf seinen Sohn gekommen ist, abschliessend zu klären. Die
BGE 138 III 261 S. 265
Entscheide im Scheidungsverfahren stünden auch in der Schweiz einer Strafverfolgung oder der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen nicht entgegen. Dass solche je Gegenstand der in der Schweiz ergangenen Urteile waren, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Die Differenzen zu dem zu anerkennenden Urteil betreffen somit ausschliesslich eine Vorfrage, über die in keinem der Urteile rechtskräftig entschieden worden ist, und damit nicht die Rechtsfolgen. Sie führen nicht zu unvereinbaren Wirkungen (DOMEJ/OBERHAMMER, a.a.O., N. 60 zu
Art. 34 LugÜ
; SCHLOSSER, a.a.O., N. 22 f. zu Art. 34-36 EuGVVO). | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
7e3e805e-6ec0-4f0b-850a-b5347eba1e9e | Urteilskopf
104 IV 90
26. Urteil des Kassationshofes vom 9. Juni 1978 i.S. Y. gegen X. | Regeste
Art. 32, 220 StGB
,
Art. 2 ZGB
. Entziehen und Vorenthalten von Unmündigen.
1. Der Elternteil, dem das Besuchsrecht verkürzt wurde, ist nicht berechtigt, den Ausfall eigenmächtig zu kompensieren (E. 1a).
2. Die eigenmächtige Überschreitung des Besuchsrechts schliesst Straflosigkeit wegen erlaubter Selbsthilfe aus (E. 2).
3. Rechtsmissbräuchliche Ausübung des Strafantragsrechts. Voraussetzungen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 90
BGE 104 IV 90 S. 90
A.-
a) Die 1965 geschlossene Ehe von François X. und Gisèle Y. wurde durch Urteil des Amtsgerichts von Pruntrut am 12. November 1971 geschieden. Die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder Didier (geb. 1965), Sandra (geb. 1967) und Patricia (geb. 1968) wurden der Mutter zugesprochen.
BGE 104 IV 90 S. 91
Auf Klage von François X. wies das Amtsgericht von Delsberg am 25. Januar 1975 die drei Kinder unter Anordnung einer vormundschaftlichen Aufsicht dem Vater zu. Das Besuchsrecht der Mutter wurde in der Weise geregelt, dass sie Didier und Patricia am ersten Wochenende, Sandra am zweiten und vierten Wochenende jeden Monats und im übrigen während einer Woche über Weihnachten oder Neujahr sowie während 4 Tagen über Ostern und während 15 Tagen in den Schulferien zu sich nehmen konnte.
b) Die Ausübung des Besuchsrechts gestaltete sich sehr schwierig. In der zweiten Hälfte des Jahres 1975 konnte es überhaupt nicht mehr ordnungsgemäss ausgeübt werden. Einerseits legte François X. Hindernisse in den Weg und anderseits trug auch das Verhalten verschiedener Behörden zur Behinderung bei. Am 15. März 1975 ersuchte François X. die Vormundschaftsbehörde, seinen Kindern inbezug auf das Besuchsrecht der Mutter die Handlungsfreiheit zuzugestehen, worauf der Gemeinderat von Ferenbalm am 18. Juni 1975 das Besuchsrecht mit sofortiger Wirkung auf Zusehen hin unterband. Eine von der Mutter dagegen erhobene Beschwerde wies der Regierungsstatthalter von Laupen ab, befristete aber die Wirksamkeit des Beschlusses auf den 15. Oktober 1975. Kurz hernach stellte Gisèle Y. beim Gerichtspräsidenten von Laupen das Gesuch um Urteilsvollstreckung mit dem Antrag, es sei eine Drittperson zu beauftragen, die Kinder mit polizeilicher Hilfe an den gerichtlich festgesetzten Tagen dem Vater wegzunehmen und der Mutter zu überbringen. Diesem Gesuch wurde am 9. März 1976 teilweise entsprochen, nachdem eine Beschwerde wegen Rechtsverzögerung vom Appellationshof des Kantons Bern am 17. Februar 1976 gutgeheissen worden war.
c) Am Morgen des 19. Dezember 1975 fuhr Gisèle Y. mit ihrem Freund in dessen Auto nach Rizenbach, wo sie verkleidet auf dem Weg zum Schulhaus auf ihre Kinder wartete. Als diese sie erkannten, stiegen Patricia und Sandra freiwillig in den Wagen, während Didier sich weigerte, seinen Schwestern zu folgen. Die Mutter verbrachte darauf zusammen mit ihren Töchtern bis zum 23. Dezember 1975 die Ferien im Wallis. Nach Hause zurückgekehrt, begab sie sich am 24. Dezember 1975 zur Adjunktin des Jugendgerichts Jura, von wo aus die Kinder ihrem Vater telefonieren konnten. Dieser bestand darauf, dass sie ihm am 27. Dezember 1975 übergeben werden.
BGE 104 IV 90 S. 92
Weil sie sich angeblich sträubten, zum Vater zurückzukehren, behielt Gisèle Y. die beiden Mädchen noch bis am 29. Dezember 1975 bei sich in Cortételle.
B.-
Auf Strafantrag von François X. sprach der a.o. Gerichtspräsident von Laupen Gisèle Y. am 11. Juli 1977 des Entziehens und Vorenthaltens von Unmündigen (
Art. 220 StGB
), begangen in der Zeit vom 19. bis 29. Dezember 1975, schuldig und verurteilte sie zu einer Busse von Fr. 20.-, zu den ergangenen Gerichtskosten von Fr. 475.- und zu den Interventionskosten des Privatklägers.
Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern bestätigte am 28. Oktober 1977 das erstinstanzliche Urteil und auferlegte Gisèle Y. auch die Kosten des Berufungsverfahrens (Fr. 470.-) sowie die Interventionskosten beider Instanzen (Fr. 3200.-).
C.-
Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Gisèle Y., das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Aus der Begründung des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass der Beschwerdeführerin entgegen dem Schuldspruch nur vorgeworfen wird, die Kinder in der Zeit vom 19. bis zum Schulschluss am 20. Dezember entzogen und ab 27. Dezember bis zur Rückgabe am 29. Dezember vorenthalten zu haben. Dem Umstand, dass der Beschwerdeführerin das Recht zustand, die Kinder über Weihnachten während sieben Tagen bei sich zu behalten, wurde demnach Rechnung getragen. Hinsichtlich der übrigen drei Tage ist entgegen den Einwänden der Beschwerdeführerin der Tatbestand des
Art. 220 StGB
objektiv und subjektiv erfüllt.
a) Die Beschwerdeführerin hat zwar die Kinder lediglich drei Tage zu lange bei sich behalten, wogegen ihr das Besuchsrecht in der vorangegangenen Zeit während einer bedeutend grösseren Zahl von Tagen verwehrt worden war. Dem Elternteil, dem aus irgendeinem Grund das Besuchsrecht verkürzt wurde, steht aber kein Recht zu, diesen Ausfall eigenmächtig zu kompensieren. Der Ausgleich darf nicht einseitig vom Besuchsberechtigten gegen den Willen des Inhabers der elterlichen Gewalt oder ohne richterliche Entscheidung herbeigeführt
BGE 104 IV 90 S. 93
werden. Nur die Einhaltung des verfügten oder vereinbarten Besuchsrechts kann Streit oder nachteilige Auswirkungen auf die Kinder verhüten. Soweit die Beschwerdeführerin das ihr über Weihnachten zustehende Besuchsrecht überschritten hat, beruft sie sich zu Unrecht auf die unrechtmässige Schmälerung ihres Rechts.
b) Auch der Einwand der Beschwerdeführerin, sie habe die Kinder nicht entziehen oder vorenthalten wollen, ist haltlos. Sie wusste, dass sie die Kinder länger als sieben Tage zu sich nahm, und sie tat es ohne inneren oder äusseren Zwang, also aus freien Stücken. Damit hat sie vorsätzlich gehandelt.
c) Nicht zu ersehen ist, inwiefern die Vorinstanz
Art. 8 EMRK
, wonach jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens hat, verletzt haben soll. Die Beschwerde enthält keine nähere Begründung, so dass auf die Rüge nicht eingetreten werden kann (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
). Sie wäre zudem unbegründet, weil die elterliche Gewalt und das Besuchsrecht im ZGB gesetzlich geregelt sind und diese Ordnung in Abs. 2 von
Art. 8 EMRK
ausdrücklich vorbehalten wird.
d) Die besonderen strafmindernden Umstände des vorliegenden Falles sind übrigens berücksichtigt worden, indem das Verschulden der Beschwerdeführerin als geringfügig erachtet und nur eine Busse von Fr. 20.- ausgesprochen wurde.
2.
Die Beschwerdeführerin wendet ein, sie habe das gerichtlich verfügte Besuchsrecht auch nach dem 15. Oktober 1975, auf welchen Zeitpunkt der rechtswidrige Beschluss des Gemeinderates Ferenbalm aufgehoben worden sei, nicht ausüben können, weil sie vom Beschwerdegegner weiterhin daran gehindert worden sei und der Vollstreckungsrichter die verlangte Hilfe bis zum Beschwerdeentscheid des Obergerichts vom 17. Februar 1976 versagt habe. Es sei ihr deshalb keine andere Möglichkeit übrig geblieben, als die Kinder vor den Weihnachtsferien 1975 auf dem Schulweg abzuholen. Damit beruft sie sich dem Sinne nach auf erlaubte Selbsthilfe.
Nach
Art. 52 Abs. 3 OR
ist nicht zu Schadenersatz verpflichtet, wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, wenn nach den Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden
BGE 104 IV 90 S. 94
konnte. Dieser Rechtfertigungsgrund gilt über das Haftpflichtrecht hinaus auch im Strafrecht (
BGE 76 IV 235
,
BGE 85 IV 5
f.; HAFTER, AT, S. 159 f.; LOGOZ, Art. 32 N. 2a; THORMANN/VON OVERBECK, Art. 32 N. 6; SCHULTZ, AT I, S. 142; SCHWANDER, Nr. 175 a; WAIBLINGER, SJK Nr. 1204 N. 18).
Ob die gesetzlich erlaubte Selbsthilfe auch einen Elternteil zur eigenmächtigen Durchsetzung seines Besuchsrechts berechtige, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Zwar verweigerte der Beschwerdegegner die Ausübung des Besuchsrechts hartnäckig, und die Beschwerdeführerin hatte Grund zur Annahme, sie werde bei den Behörden auf längere Zeit hinaus keinen Schutz finden und die Kinder könnten ihr entfremdet werden. Sie ist aber nicht nur eigenmächtig vorgegangen, um das ihr zustehende Besuchsrecht auszuüben, sondern hat es ohne Ermächtigung um drei Tage überzogen und damit das allfällige Recht zur Selbsthilfe überschritten und sich insoweit ins Unrecht versetzt. Selbst die Überschreitung von Notwehr gestattet nur Strafmilderung, nicht Straflosigkeit (
Art. 33 Abs. 2 StGB
). Auch erlaubte Selbsthilfe könnte daher die Beschwerdeführerin nicht völlig entlasten.
3.
Die Beschwerdeführerin ist empört darüber, dass der Beschwerdegegner gegen sie Strafanzeige wegen Entziehens und Vorenthaltens von Unmündigen eingereicht habe, nachdem er sie durch eigene Obstruktion und Sabotierung des Besuchsrechts zur Tat getrieben habe. Damit macht sie sinngemäss geltend, der Beschwerdeführer habe den Strafantrag rechtsmissbräuchlich gestellt.
a) Treu und Glauben und das Verbot des Rechtsmissbrauchs sind Grundsätze, welche in der gesamten Rechtsordnung Geltung haben und nicht auf das Privatrecht beschränkt sind; sie sind auch im öffentlichen und im Prozessrecht anwendbar (MERZ,
Art. 2 ZGB
, N. 64 ff.; DESCHENAUX, Schweiz. Privatrecht, Bd. 2, S. 158 ff.). Das gilt auch für das Gebiet des Strafantragrechts (GERMANN, ZStR 79 (1963) S. 397; VON BÜREN, Der Straftatbestand des unlauteren Wettbewerbs, in Kriminalistik 1968, S. 100, Appellationsgericht Basel-Stadt, in SJZ 39 (1942/43) S. 365 f.; a.M. REHBERG, ZStR 85 (1969) S. 272). Das Strafgesetz sieht selber in besonderen Fällen, die als Rechtsmissbrauch angesehen werden können, den Ausschluss des Verletzten vom Antragsrecht ausdrücklich vor. Ein
BGE 104 IV 90 S. 95
Anwendungsfall rechtsmissbräuchlicher Antragstellung findet sich vor allem in
Art. 165 Ziff. 2 Abs. 3 StGB
, der bestimmt, dass dem Gläubiger, der den in Vermögensverfall geratenen Schuldner zu verpönten Handlungen verleitet oder wucherisch ausgebeutet hat, kein Antragsrecht zusteht. Dass das Gesetz das Antragsrecht nur vereinzelt verneint und keinen generellen Vorbehalt macht, zwingt nicht zur Annahme, das Verbot des Rechtsmissbrauchs finde in andern Fällen auf das Antragsrecht keine Anwendung. Ein solcher Umkehrschluss wird auch im Zivilrecht abgelehnt (
BGE 95 II 511
E. 4). Von der gleichen Voraussetzung ist der Kassationshof schon in
BGE 90 IV 171
ausgegangen, wo ein nach den allgemeinen Regeln zulässiger Strafantrag auf Rechtsmissbrauch überprüft wurde.
b) In Anlehnung an
Art. 165 Ziff. 2 Abs. 3 StGB
ist die Ausübung des Antragsrechts namentlich als rechtsmissbräuchlich zu betrachten, wenn der Antragsteller durch eigenes rechtswidriges Verhalten zur strafbaren Handlung des Täters unmittelbar Anlass gegeben hat. Offenbarer Rechtsmissbrauch darf indessen nur mit Zurückhaltung angenommen werden (
BGE 95 II 512
). Nur wenn der Verletzte dem Täter ein objektiv grobes Unrecht zugefügt hat und zwischen seinem rechtswidrigen Verhalten und dem vom Täter herbeigeführten strafbaren Erfolg ein enger Kausalzusammenhang besteht, rechtfertigt es sich, dem Antragsteller ein rechtlich schutzwürdiges Interesse an der Verfolgung und Bestrafung des Täters abzusprechen und demzufolge den gestellten Strafantrag als ungültig zu erachten.
c) Aus den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich, dass der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin im Jahre 1975, sowohl vor dem 18. Juni als auch nach dem 15. Oktober, während einer längeren Zeitspanne an der Ausübung des ihr zustehenden Besuchsrechts gehindert hat. Sein Gesuch vom 15. März 1975 um Unterbindung des Besuchsrechts und die Tatsache, dass er sich dem Begehren der Beschwerdeführerin vom 18. Oktober 1975 um Vollstreckung des gerichtlichen Urteils widersetzte, legen den Schluss nahe, es sei ihm in Wirklichkeit um die Beseitigung des Besuchsrechts schlechthin gegangen. Für die schikanöse Einstellung des Beschwerdegegners kennzeichnend ist auch der Vorfall vom 6. Dezember 1975 vor dem Schulhaus Rizenbach, als er der
BGE 104 IV 90 S. 96
Beschwerdeführerin die Ausübung des Besuchsrechts unter dem Vorwand verweigerte, die Kinder müssten bei ihm zu Hause abgeholt werden.
Das angefochtene Urteil gibt jedoch keine genügenden Aufschlüsse darüber, in welcher Art und Weise und wie oft der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin bei ihren Versuchen, die Kinder bei ihm abzuholen, an der Ausübung des Besuchsrechts gehindert hat und welche Beweggründe für sein Verhalten massgebend waren. Das Urteil ist daher gemäss
Art. 277 BStP
aufzuheben, damit die Vorinstanz darüber nähere Feststellungen treffe und gestützt auf das Ergebnis die Sache unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauches neu beurteile.
4.
Soweit die Beschwerdeführerin ihre Verpflichtung zur Bezahlung einer Prozessentschädigung an den Beschwerdegegner beanstandet, kann darauf nicht eingetreten werden. Der Kostenspruch beruht auf der Anwendung kantonalen Prozessrechts, die im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren nicht überprüft werden kann (
Art. 269 und 273 Abs. 1 lit. b BStP
). Vorbehalten bleibt eine Neuregelung der Kosten gemäss Ausgang des Verfahrens.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise dahin gutgeheissen, dass das Urteil der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 28. Oktober 1977 gemäss
Art. 277 BStP
aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7e3ea4d8-6c50-49a7-93f3-d28326ef0b2d | Urteilskopf
88 IV 145
36. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. November 1962 i.S. Burkhalter und Kaufmann gegen Lorenzi und Reischmann. | Regeste
Art. 179 Abs. 2 StGB
.
1. Unter den Begriff der Ausnützung fällt jede auf Erlangung irgendeines, auch nicht notwendigerweise pekuniären Vorteils gerichtete Benutzung der durch Offnen der Schrift erlangten Kenntnis. (Erw. 3 a).
2. Das Öffnen der Schrift, das aus generellem Auftrag oder mit Duldung der Geschäftsleitung durch einen Untergebenen erfolgt, ist dem verantwortlichen Vorgesetzten, der die ihm aus der geöffneten Schrift bekanntgewordenen Tatsachen verbreitet oder ausnützt, anzurechnen, wie wenn er es selber vorgenommen hätte (Erw. 3 b). | Sachverhalt
ab Seite 145
BGE 88 IV 145 S. 145
A.-
Lorenzi und Reischmann traten 1960 aus der Firma Supramar AG in Luzern, die sich mit der Entwicklung und Konstruktion von Tragflügelbooten beschäftigt und bei der sie bis dahin als Angestellte tätig gewesen
BGE 88 IV 145 S. 146
waren, aus. Sie gründeten unter der Bezeichnung "Lorenzi und Reischmann, Ingenieurbüro für Tragflügelboote" ein Konkurrenzunternehmen, wovon die Supramar AG spätestens im Verlaufe des Monats Mai 1960 Kenntnis erhielt. Als in der Folge die Post vier vom 1. Juni und 21. Juli 1960 datierte und für Lorenzi und Reischmann bestimmte Geschäftsbriefe versehentlich der Supramar AG zustellte, wurden diese vom damaligen kaufmännischen Geschäftsführer der Supramar AG, Burkhalter, geöffnet und nach Rücksprache mit dem Delegierten des Verwaltungsrates, Kaufmann, auf dessen Weisung hin fotokopiert, um sie in einer gegen Lorenzi und Reischmann in Aussicht genommenen Strafanzeige verwenden zu können. Die Originale der betreffenden Briefe wurden teils an die Absender zurückgeschickt, teils zurückbehalten.
Das Amtsgericht Luzern-Stadt verurteilte am 9. Februar 1962 Burkhalter und Kaufmann wegen wiederholter Verletzung des Schriftgeheimnisses (
Art. 179 Abs. 1 und 2 StGB
) zu je Fr. 100.-- Busse.
C.-
Burkhalter und Kaufmann führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Amtsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zu ihrer Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Lorenzi und Reischmann beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Anwendung von
Art. 179 Abs. 2 StGB
auf den vorliegenden Fall ist nicht zu beanstanden.
a) Nach dem angefochtenen Urteil hat Burkhalter die weder für ihn noch seine Arbeitgeberfirma bestimmten Briefe nicht nur unberechtigterweise geöffnet, sondern auch zu Prozesszwecken fotokopieren lassen. Damit hat er Tatsachen, die durch Öffnen der Briefe zu seiner Kenntnis gelangten, im Sinne von
Art. 179 Abs. 2 StGB
ausgenützt. Denn mit der Vorinstanz und dem Schrifttum ist anzunehmen,
BGE 88 IV 145 S. 147
dass jede auf Erlangung irgendeines, auch nicht notwendigerweise pekuniären Vorteils gerichtete Benutzung der durch Öffnen der Schrift erlangten Kenntnis unter den Begriff der Ausnützung fällt (HAFTER, Lehrbuch, Bes. Teil, I S. 213, III 2; LOGOZ, Kommentar, S. 262, B lit. a). Wer deshalb, wie der Beschwerdeführer, eine solche Kenntnis zur Verbesserung seiner Beweislage im Prozess ausnützt, erstrebt damit einen Vorteil (vgl.
BGE 83 IV 82
Nr. 21).
b) Mit Bezug auf Kaufmann stellt das Amtsgericht fest, dieser habe spätestens Ende Mai 1960 gewusst, dass für das Ingenieurbüro Lorenzi und Reischmann bestimmte Postsendungen bei der Supramar AG abgegeben wurden, und Burkhalter habe die Sache mit Kaufmann besprochen, worauf dieser die Weisung erteilt habe, die Briefe zu fotokopieren, um sie in einem Strafverfahren gegen die Beschwerdegegner zu verwenden.
Kaufmann hat danach die fraglichen Briefe nicht eigenhändig geöffnet, wohl aber deren Öffnung veranlasst oder mindestens geduldet. Denn als Delegierter des Verwaltungsrates der Supramar AG kannte er die Organisation seines Betriebes und wusste er insbesondere, dass die Post auf der Kanzlei geöffnet wurde. Obwohl er spätestens Ende Mai 1960 und damit vor Eingang der fraglichen vier Briefe (diese sind vom 1. Juni bzw. 21. Juli 1960 datiert) Kenntnis davon hatte, dass für Lorenzi und Reischmann bestimmte Postsendungen aus Versehen der Supramar AG zugestellt wurden, hat er es nicht nur unterlassen, der Kanzlei das Öffnen solcher Briefe zu verbieten, sondern vielmehr Burkhalter als Vorsteher der Kanzlei noch die Weisung erteilt, die Sendungen zu fotokopieren, um Beweismaterial gegen die Beschwerdegegner zu sammeln. Damit hat Kaufmann den Tatbestand des
Art. 179 Abs. 2 StGB
erfüllt. Zwar ist nach dem Gesetzeswortlaut, insbesondere nach seiner französischen Fassung ("celui qui, ayant pris connaissance de certains faits en ouvrant un pli ou colis fermé qui ne lui était pas destiné, aura divulgué ces faits ou en aura tiré profit") als Täter nur strafbar, wer die Schrift, vor der Ausnützung
BGE 88 IV 145 S. 148
selber geöffnet hat (s. auch Prot. II. ExpKo Bd. III S. 101 und Bd. VII S. 12 und 64/65). Darauf kann indessen nicht entscheidend abgestellt werden. Denn bei rein grammatikalischer Auslegung der genannten Bestimmung würde Missbräuchen Tür und Tor geöffnet, indem diesfalls das Gesetz in der Weise leicht umgangen werden könnte, dass das Öffnen der Schrift bewusst einem Dritten überlassen würde. Wo dieser Dritte auf vorsätzliche Veranlassung des andern handelte, wäre der Hintermann wohl als Anstifter und bei Gutgläubigkeit des Dritten sogar als mittelbarer Täter erfassbar. Dort jedoch, wo es an diesen Voraussetzungen fehlte, und das dürfte in der Mehrzahl der Fälle zutreffen, bliebe das Verbreiten oder Ausnützen der in der Schrift enthaltenen Tatsachen straflos. So müsste in grösseren Unternehmen mit starker Arbeitsteilung, wo häufig untergeordneten Angestellten die Öffnung der eingehenden Post obliegt, die Ausnützung fremder Schriftgeheimnisse durch die leitenden Stellen ungestraft bleiben, weil diese die Schrift nicht eigenhändig geöffnet hatten. Ein wirksamer Schutz des Schriftgeheimnisses ist daher in solchen Fällen nur gewährleistet, wenn das Öffnen der Schrift, das aus generellem Auftrag oder mit Duldung der Geschäftsleitung durch einen Untergebenen erfolgte, dem verantwortlichen Vorgesetzten, der die ihm aus der geöffneten Schrift bekanntgewordenen Tatsachen im Sinne von
Art. 179 Abs. 2 StGB
verbreitet oder ausnützt, angerechnet wird, wie wenn er es selber vorgenommen hätte. Hat demnach Kaufmann infolge seiner leitenden Stellung innerhalb der Supramar AG für das von ihm zumindest geduldete Öffnen der fremden Briefe durch die Kanzlei einzustehen wie für eigenes Handeln, so wurde er von der Vorinstanz mit Recht nach
Art. 179 Abs. 2 StGB
bestraft. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
7e42eb80-9ce9-4e93-badb-753296dd6501 | Urteilskopf
95 IV 32
9. Entscheid der Anklagekammer vom 2. April 1969 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Trennung der Verfahren und des interkantonalen Gerichtsstandes.
1. Die bundesrechtlichen Bestimmungen über die interkantonale Zuständigkeit gehen kantonalen Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit vor (Erw. 1).
2.
Art. 68 und 350 Ziff. 1 StGB
geben dem Beschuldigten nicht Anspruch, für alle Handlungen durch ein und denselben Richter und in einem einzigen Verfahren beurteilt zu werden (Erw. 2).
3.
Art. 263 BStP
. Trennung des interkantonalen Gerichtsstandes in einem Fall, wo der Beschuldigte in einem Kanton wegen eines Vergehens verfolgt wird, während in einem andern Kanton bereits ein Strafmandat wegen einer Übertretung gegen ihn vorliegt (Erw. 3).
4.
Art. 156 Abs. 2 OG
. Erweist sich das Gesuch einer kantonalen Behörde um Bestimmung des Gerichtsstandes als missbräuchlich, so können die Kosten dem Kanton auferlegt werden (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 33
BGE 95 IV 32 S. 33
A.-
Der Gerichtspräsident von Aarberg erliess am 17. Dezember 1968 gegen W. in Ortschwaben ein auf Fr. 200.-- Busse lautendes Strafmandat mit dem Vorwurf, W. habe sich anfangs Dezember 1968 anlässlich des Vollzuges eines Arrestes durch das Betreibungsamt Aarberg im Sinne von
Art. 323 Ziff. 2 StGB
des Ungehorsams schuldig gemacht. W. erhob Einspruch, worauf der Gerichtspräsident ihn am 21. Januar 1969 einvernahm und am folgenden Tage die Bezirksanwaltschaft Zürich bat, sich zur Gerichtsstandsfrage zu äussern, da W. dort wegen Verlassens einer Geschwängerten (
Art. 218 StGB
) angezeigt sei.
Die Bezirksanwaltschaft Zürich antwortete am 28. Januar 1969, es treffe zu, dass bei ihr gegen W. eine Untersuchung wegen Verlassens einer Geschwängerten hängig sei. In Aarberg werde ihm jedoch nur eine Übertretung vorgeworfen, und zur Verfolgung solcher seien im Kanton Zürich die Statthalterämter und Gemeinderäte zuständig, wenn sie nicht im Sinne des § 94 a Abs. 2 des zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) mit Verbrechen oder Vergehen zusammenhingen, was hier nicht der Fall sei. Wenn die Bezirksanwaltschaft den Gerichtsstand Zürich für die Übertretung bejahen würde, müsste sie daher die Akten dem Polizeirichteramt der Stadt Zürich überweisen, besonders dann, wenn sie, was zu vermuten sei, die Untersuchung wegen Verlassens einer Geschwängerten einstellen würde. Sie ersuche daher den Gerichtspräsidenten von Aarberg, das Verfahren wegen des Ungehorsams weiterzuführen.
Der Gerichtspräsident von Aarberg überwies hierauf die Sache dem Generalprokurator des Kantons Bern, und dieser antwortete der Bezirksanwaltschaft Zürich am 30. Januar 1969, er könne ihre Auffassung nicht teilen, da nach
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
die Behörden des Kantons Zürich, wo die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt wurde, auch bezüglich des Berner Falles zuständig seien.
BGE 95 IV 32 S. 34
Mit Schreiben vom 10. Februar 1969 teilte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die Auffassung der Bezirksanwaltschaft. Sie fügte bei, das Polizeirichteramt der Stadt Zürich oder das Statthalteramt Zürich, denen die Akten überwiesen werden müssten, würden ihre Zuständigkeit voraussichtlich nicht anerkennen. Die Übernahme der Verfolgung wegen des Ungehorsams sei auch deshalb nicht am Platze, weil in Aarberg schon ein Strafmandat erlassen worden sei. Es sei am zweckmässigsten, wenn die bernischen Behörden über den Einspruch des W. weiter befänden, zumal alle Beteiligten im Kanton Bern wohnten und die Untersuchung wegen Verlassens einer Geschwängerten voraussichtlich eingestellt werde.
B.-
Mit Eingabe vom 26./28. März 1969 ersucht der Generalprokurator des Kantons Bern die Anklagekammer des Bundesgerichtes, in der Strafsache gegen W. die Behörden des Kantons Zürich zur Verfolgung und Beurteilung zuständig zu erklären.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
Das Verlassen einer Geschwängerten ist mit Gefängnis bedroht (
Art. 218 StGB
), der Ungehorsam des Schuldners beim Vollzug eines Arrestes dagegen nur mit Haft bis zu vierzehn Tagen oder mit Busse (
Art. 323 Ziff. 2 StGB
). Gemäss
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
sind daher die Behörden des Kantons Zürich zur Verfolgung und Beurteilung beider dem W. zur Last gelegten strafbaren Handlungen zuständig. Dass das zürcherische Recht mangels eines Zusammenhanges zwischen beiden Handlungen die eine nicht von vornherein durch die gleiche Behörde verfolgen lässt, ändert nichts. Kantonale Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit vermögen die bundesrechtlichen Bestimmungen über die interkantonale Zuständigkeit nicht unwirksam zu machen, da Bundesrecht dem kantonalen Recht vorgeht (Art. 2 UeBest BV).
2.
Die Anklagekammer des Bundesgerichtes kann die Zuständigkeit beim Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen anders als in
Art. 350 StGB
bestimmen (
Art. 263 BStP
). Sie braucht dabei die Einheit des Gerichtsstandes nicht zu wahren, sondern kann die zusammentreffenden Handlungen verschiedenen Kantonen zur Verfolgung und Beurteilung zuweisen (
BGE 68 IV 124
ff.,
BGE 69 IV 47
Erw. 3).
Art 68 StGB
gibt dem Beschuldigten nicht Anspruch, für alle Handlungen
BGE 95 IV 32 S. 35
durch ein und denselben Richter und in einem einzigen Verfahren beurteilt zu werden (
BGE 84 IV 11
,
BGE 91 IV 59
). Auch
Art. 350 Ziff. 1 StGB
verlangt die Vereinigung der Verfahren nicht; diese Bestimmung regelt nur die örtliche Zuständigkeit. 3. - Von
Art. 350 Ziff. 1 StGB
wurde in der Praxis abgewichen, wenn sich durch die Bestimmung eines einheitlichen Gerichtsstandes die gleichzeitige Beurteilung des Beschuldigten durch ein und denselben Richter ohnehin nicht hätte verwirklichen lassen (
BGE 68 IV 124
f.). Denn das kantonale Prozessrecht bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die Behandlung durch ein und dieselbe Behörde möglich ist, und wenn es die Vereinigung der Verfahren nicht zulässt, kann der einheitliche örtliche Gerichtsstand sinnlos werden.
Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich im vorliegenden Falle die Zuweisung der Gerichtsbarkeit an den Kanton Bern für die Verfolgung und Beurteilung des Ungehorsams im Arrestverfahren nicht ohne weiteres rechtfertigen. Gewiss sind im Kanton Zürich Übertretungen grundsätzlich durch die Statthalterämter und die Gemeinderäte - in der Stadt Zürich durch das Polizeirichteramt - zu verfolgen und erklärt
§ 94 a Abs. 2 GVG
die Untersuchungs-, Anklage- oder Gerichtsbehörden, die ein Verbrechen oder Vergehen untersuchen und beurteilen, nur dann zur Mitverfolgung von Übertretungen zuständig, wenn diese mit dem Verbrechen oder Vergehen zusammenhangen. Es gibt aber noch andere Fälle, in denen die Zuständigkeit der Statthalterämter und der Gemeinderäte auf Grund des in
§ 94 a Abs. 1 GVG
enthaltenen Vorbehaltes gesetzlicher Ausnahmen entfällt. So weist
§ 335 StPO
das Statthalteramt an, die Akten zur Durchführung der Untersuchung und zur Erledigung der Bezirksanwaltschaft zu überweisen, wenn es eine Haftstrafe für angemessen hält. Da
Art. 323 StGB
nicht nur Busse, sondern wahlweise auch Haft bis zu vierzehn Tagen androht, wäre daher im vorliegenden Falle nicht ausgeschlossen, dass das Statthalteramt die Sache der Bezirksanwaltschaft überweisen würde. Zudem kann der Beschuldigte, wenn er durch die Strafverfügung der Verwaltungsbehörde zu Busse verurteilt worden ist, gerichtliche Beurteilung verlangen (
§ 346 StPO
), was zur Überweisung an den Einzelrichter oder das Bezirksgericht führt, wenn die Verwaltungsbehörde die Strafverfügung aufrecht hält und der Beschuldigte auf seinem Begehren beharrt (
§ 347 StPO
). Da W. gegen das Strafmandat des Gerichtspräsidenten
BGE 95 IV 32 S. 36
von Aarberg Einspruch erhoben hat, ist vorauszusehen, dass er auch in Zürich die Strafverfügung der Verwaltungsbehörde nicht hinnehmen würde.
Es kann indessen offen bleiben, ob im vorliegenden Falle im Kanton Zürich ein und derselbe Richter gleichzeitig über den Ungehorsam und über das Verlassen einer Geschwängerten urteilen könnte. Im Kanton Bern ist gegen W. wegen des Ungehorsams bereits ein Strafmandat ergangen. Dieses hat die Bedeutung eines Urteils, obwohl es zufolge des Einspruchs nicht rechtskräftig geworden ist (vgl. Art. 224 bern. StrV). Die Anklagekammer pflegt von der Möglichkeit der Trennung des interkantonalen Gerichtsstandes namentlich dann Gebrauch zu machen, wenn in einem Kanton bereits ein noch nicht rechtskräftiges Urteil ergangen ist (Entscheide vom 5. Januar 1944 i.S. Helwig und vom 6. März 1944 i.S. Frey). Allerdings erfordert ein Strafmandat keinen grossen prozessualen Aufwand. Auch nach dem Einspruch des W. geschah nichts Weiteres, als dass der Gerichtspräsident den Beschuldigten einvernahm. Hauptverhandlung ist noch keine durchgeführt worden. Dennoch rechtfertigt es sich nicht, wegen des Übertretungstatbestandes in Zürich ein neues Verfahren einzuleiten. Wie sich aus einer Verfügung des Gerichtspräsidenten von Aarberg vom 21. Januar 1969 ergibt, erfordert die Beurteilung die Einvernahme zweier Zeugen aus Ortschwaben und Schüpfen. Diese müssten also entweder nach Zürich vorgeladen oder auf dem Wege der Rechtshilfe einvernommen werden. Es ist einfacher, das begonnene Verfahren in Aarberg zu beenden.
Dem Beschuldigten wird daraus kein Nachteil entstehen. Sollte der Gerichtspräsident von Aarberg, wie er es im Strafmandat vorgesehen hatte, bei einer Busse bewenden lassen, in Zürich dagegen für den Tatbestand des Verlassens einer Geschwängerten eine Gefängnisstrafe ausgesprochen werden, so liesse sich das unter dem Gesichtspunkt von
Art. 68 Ziff. 1 StGB
nicht beanstanden, denn wenn der Schuldige nach einer Strafbestimmung Busse und nach einer anderen Freiheitsstrafe verwirkt hat, sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts beide Strafen zu verhängen (
BGE 75 IV 2
,
BGE 86 IV 233
). Würde der Gerichtspräsident von Aarberg dagegen Haft als angemessen erachten - was nach Art. 225 Abs. 3 bern. StrV nicht ausgeschlossen wäre -, so hätte entweder er oder der zürcherische Richter dem
Art. 68 Ziff. 2 StGB
über die Ausfällung
BGE 95 IV 32 S. 37
einer Zusatzstrafe Rechnung zu tragen. Übrigens ist nach der Auffassung der zürcherischen Behörden zweifelhaft, ob das Verfahren wegen Verlassens einer Geschwängerten überhaupt zu einem Urteil führen wird.
4.
Der Versuch des Generalprokurators des Kantons Bern, das Verfahren wegen Ungehorsams den Zürcher Behörden zuzuschieben, ist angesichts der Umstände nicht recht zu verstehen. Für dieses Mal wird aber noch davon abgesehen, in Abweichung von der Regel des
Art. 156 Abs. 2 OG
die Kosten dem Kanton Bern aufzuerlegen (
BGE 86 IV 195
Erw. 3).
Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Das Gesuch wird abgewiesen, und die Behörden des Kantons Bern werden zuständig erklärt, W. wegen des Ungehorsams im Arrestverfahren zu verfolgen und zu beurteilen. | null | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
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