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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
679a2125-7e06-4df5-aef5-825be5b57520 | Urteilskopf
122 I 49
9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Februar 1996 i.S. Jamal Miri gegen Richteramt I/II von Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im Ausschaffungshaft-Verfahren.
Analogie zur Verbeiständung im Strafverfahren und im Haftprüfungsverfahren bei Untersuchungshaft sowie bei Auslieferungshaft (E. 2c). Einem in Ausschaffungshaft genommenen bedürftigen Ausländer darf der unentgeltliche Rechtsbeistand zumindest im Haftverlängerungsverfahren nicht verweigert werden (E. 2c u. d). | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 122 I 49 S. 49
Jamal Miri ist abgewiesener Asylbewerber aus dem Libanon; im Asylverfahren wurde er rechtskräftig aus der Schweiz weggewiesen. Die Fremdenpolizei des Kantons Bern nahm ihn am 9. März 1995 in Ausschaffungshaft. Der Gerichtspräsident II von Bern lehnte am 3. Mai 1995 ein Haftentlassungsgesuch von Jamal Miri ab; die gegen diesen
BGE 122 I 49 S. 50
Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Bundesgericht am 20. Juni 1995 ab (Verfahren 2A.222/1995).
Am 7. Juni 1995 hiess der Gerichtspräsident II von Bern einen Antrag der Fremdenpolizei auf Verlängerung der Ausschaffungshaft um sechs Monate gut. In Ziff. 2 des Entscheiddispositivs wurde das Gesuch von Jamal Miri um Beiordnung des ihn im Haftverlängerungsverfahren vertretenden Fürsprechers als amtlicher (unentgeltlicher) Anwalt abgewiesen.
Am 30. Juni 1995 erhob Jamal Miri gegen den Haftverlängerungsentscheid vom 7. Juni 1995 in der Sache selber Verwaltungsgerichtsbeschwerde (2A.273/1995), welche am 12. Juli 1995 gutgeheissen wurde (
BGE 121 II 110
), und betreffend Verweigerung des amtlichen Anwalts (Ziff. 2 des Dispositivs) staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut und hebt Ziff. 2 des angefochtenen Entscheids auf.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Der Umfang des Anspruchs auf unentgeltliche Verbeiständung bestimmt sich zunächst nach den Vorschriften des kantonalen Rechts. Die unmittelbar aus
Art. 4 BV
hergeleiteten Regeln greifen nur dann Platz, wenn das kantonale Recht der bedürftigen Partei nicht in ausreichendem Masse die Möglichkeit sichert, ihre Rechte zu wahren (
BGE 120 Ia 14
E. 3a S. 15 mit Hinweisen).
Der Gerichtspräsident hat seinen Entscheid auf Art. 111 des bernischen Gesetzes vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG) gestützt. Danach kann einer Partei ein Anwalt beigeordnet werden, wenn sie bedürftig ist, das Verfahren nicht von vornherein aussichtslos ist (Abs. 1) und die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse es rechtfertigen (Abs. 2). Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass diese Regelung sich im wesentlichen an den Grundsätzen orientiert, die das Bundesgericht aus
Art. 4 BV
ableitet. Er rügt denn auch nicht, dass das kantonale Recht willkürlich angewendet worden sei, sondern er macht geltend, die sich aus der Rechtsprechung zu
Art. 4 BV
ergebenden Grundsätze seien missachtet worden. Wie es sich damit verhält, prüft das Bundesgericht frei (
BGE 117 Ia 277
E. 5b S. 281 mit Hinweis).
b) Im angefochtenen Entscheid wird weder die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers verneint noch die Frage der Aussichtslosigkeit gestellt. Die Verweigerung des unentgeltlichen Anwalts wird ausschliesslich damit begründet, dass der Beschwerdeführer in seiner schriftlichen Vernehmlassung
BGE 122 I 49 S. 51
vom 6. Juni 1995 keine heiklen Rechtsfragen aufwerfe und keinen neuen Sachverhalt vorbringe, sowie dass sich die von Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht Betroffenen nicht gegen strafrechtliche Vorwürfe zu verteidigen hätten und deshalb die Schwelle für die Einsetzung eines amtlichen Anwalts höher anzusetzen sei als in einem Strafverfahren.
c) aa) Im richterlichen Verfahren zur Überprüfung fremdenpolizeilicher Zwangsmassnahmen geht es um die Rechtmässigkeit der gegen einen Ausländer angeordneten Haft. Wie gerade die eben wiedergegebene Begründung im angefochtenen Entscheid zeigt, ergeben sich für die Beantwortung der Frage, ob dem Ausländer in diesem Verfahren ein Anwalt beizugeben sei, Analogien zur Verbeiständung im Strafverfahren und im Haftprüfungsverfahren bei Untersuchungshaft sowie bei Auslieferungshaft (ANDREAS ZÜND, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Verfahrensfragen, AJP 1995, S. 854 ff., S. 856/57).
bb) Gestützt auf
Art. 4 BV
hat die bedürftige Partei einen allgemeinen grundrechtlichen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen (
BGE 120 Ia 43
E. 2a S. 44/45 mit Hinweisen). Falls das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtspositionen des Betroffenen eingreift, ist die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters grundsätzlich geboten. Im Strafprozess trifft dies dann zu, wenn dem Angeschuldigten (konkret, nicht abstrakt nach dem gesetzlichen Strafrahmen) eine schwerwiegende freiheitsentziehende Massnahme oder eine Strafe droht, deren Dauer die Gewährung des bedingten Strafvollzuges ausschliesst (
BGE 116 Ia 295
E. 6a S. 304,
BGE 115 Ia 103
E. 4 S. 105, je mit Hinweisen). Droht zwar eine erhebliche, nicht aber eine besonders schwere Freiheitsbeschränkung, müssen zur relativen Schwere des Eingriffs besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Betroffene - auf sich allein gestellt - nicht gewachsen wäre. Bei offensichtlichen Bagatelldelikten, bei denen nur eine Busse oder eine geringfügige Freiheitsstrafe in Frage kommt, verneint das Bundesgericht einen unmittelbaren verfassungsmässigen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung (
BGE 120 Ia 43
E. 2a S. 45 mit Hinweisen).
Als besondere Schwierigkeiten fallen nicht nur Umstände wie Kompliziertheit der Rechtsfragen, Unübersichtlichkeit des Sachverhalts und dergleichen in Betracht, sondern insbesondere auch in der Person des vom Freiheitsentzug
BGE 122 I 49 S. 52
Bedrohten liegende Gründe, wie etwa dessen Fähigkeiten, sich im Verfahren zurecht zu finden (vgl.
BGE 120 Ia 43
E. 3a S. 46 ff.,
BGE 117 Ia 277
E. 5b S. 281 ff.,
BGE 115 Ia 103
S. 106).
Es stellt sich die Frage, ab welcher Dauer drohenden konkreten Freiheitsentzugs in jedem Fall, also auch ohne besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Natur, ein unentgeltlicher Rechtsanwalt beigegeben werden muss. Die Praxis scheint der Grenze von 18 Monaten Bedeutung beizumessen (
BGE 115 Ia 103
E. 4 S. 105). Dies hängt damit zusammen, dass erst ab dieser Strafdauer der bedingte Strafvollzug ausgeschlossen und zwingend mit einer tatsächlich zu vollziehenden Freiheitsstrafe zu rechnen ist. Droht konkret von vornherein ein tatsächlicher Freiheitsentzug, muss die Grenze jedenfalls wesentlich tiefer liegen. Es genügt, dass mehr als "einige" Wochen oder Monate Haft zu erwarten sind (
BGE 120 Ia 43
E. 2b S. 46).
cc) Die Ausschaffungshaft kann vorerst für drei Monate angeordnet werden (Art. 13b Abs. 2 erster Teilsatz des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, ANAG; SR 142.20, Fassung vom 18. März 1994). Stehen dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere Hindernisse entgegen, so kann die Haft mit Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde um höchstens sechs Monate verlängert werden (Art. 13b Abs. 2 zweiter Teilsatz ANAG). Schon im richterlichen Verfahren zur Genehmigung der neu angeordneten Ausschaffungshaft ist häufig mit einem mehrmonatigen Freiheitsentzug zu rechnen. Bereits zu diesem Zeitpunkt wird, je nach zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Papierbeschaffung und der Ausreiseorganisation, im Auge zu behalten sein, dass eine Fortsetzung der Haft über drei Monate hinaus bis insgesamt neun Monate möglich ist; die Weichen für eine derart lange Haft werden teils zum Zeitpunkt der erstmaligen Haftprüfung gestellt.
Weitere Besonderheiten sind zu berücksichtigen: Wohl hat sich der Ausländer nicht gegen strafrechtliche Vorwürfe zu verteidigen. Er befindet sich aber, was für die Frage, ob ein Rechtsbeistand notwendig sei, erheblich ist, zum Zeitpunkt der Haftprüfung immer bereits in Haft, anders als dies bei Angeschuldigten im Strafverfahren häufig der Fall ist. Gerade der mit Zwangsmassnahmen konfrontierte Ausländer, der kein Anwesenheitsrecht in der Schweiz erhalten konnte, stammt sodann meistens aus einem fremden Kultur- und Rechtskreis. Das Bundesgericht misst diesem Aspekt im Zusammenhang mit der Auslieferungshaft Bedeutung bei (
BGE 112 Ib 342
E. 2a S. 345). Die
BGE 122 I 49 S. 53
"soziale Kompetenz von (in Ausschaffungshaft genommenen) Ausländern in unserem Rechts- und Kulturkreis" ist jedenfalls erheblich eingeschränkt (ZÜND, a.a.O., S. 857).
Zumindest im Haftverlängerungsverfahren nach drei Monaten darf einem bedürftigen Häftling der unentgeltliche Rechtsbeistand grundsätzlich nicht verweigert werden. Unter welchen Umständen eine solche Verbeiständung verfassungsrechtlich allenfalls schon vorher geboten sein kann, braucht vorliegend nicht geprüft zu werden.
d) Im vorliegenden Fall hatte der Haftrichter zu prüfen, ob sich eine Verlängerung der bereits drei Monate dauernden Ausschaffungshaft um sechs Monate rechtfertige. Es ging damit um einen Eingriff in die Rechtsstellung des Beschwerdeführers von erheblicher Tragweite. Die Erwägungen des ersten den Beschwerdeführer betreffenden bundesgerichtlichen Urteils vom 20. Juni 1995 (Verfahren 2P.222/1995) zeigen sodann, dass die Beurteilung des Haftgrundes von
Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG
, insbesondere die Gewichtung der diesbezüglichen Sachumstände, die im Rahmen des Haftverlängerungsverfahrens aufgrund der neu bekanntgewordenen Sachumstände ohnehin neu vorzunehmen gewesen wäre, keineswegs einfach war (E. 4). Dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung hätte daher entsprochen werden müssen. | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
679a5c87-d3f4-42a7-be4d-659ce3087dd0 | Urteilskopf
119 IV 120
20. Urteil des Kassationshofes vom 19. August 1993 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen R. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 13 StGB
; psychiatrische Begutachtung eines angetrunkenen Fahrzeuglenkers; Ausnahmen.
Bestehen ernsthafte Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit eines angetrunkenen Fahrzeuglenkers, so hat der Richter grundsätzlich eine psychiatrische Begutachtung anzuordnen (E. 2a; Bestätigung der Rechtsprechung). Eine solche kann jedoch unterbleiben, wenn nebst der Blutalkoholkonzentration keine weiteren Indizien für die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit vorhanden sind (E. 2b und c). | Sachverhalt
ab Seite 121
BGE 119 IV 120 S. 121
A.-
R. fuhr in der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 1989, nachdem er mit einem Kollegen mehrere Gaststätten besucht hatte, mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,39 Promille am Steuer seines Autos nach Hause. Unterwegs unterbrach er seine Fahrt und schlief im Fahrzeug ein, nachdem er den Zündungsschlüssel ins Handschuhfach gelegt hatte.
R., geboren am 30. August 1962, war in den Jahren 1981 und 1983 bereits wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand verurteilt worden.
B.-
Das Bezirksgericht Horgen verurteilte R. wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu zwei Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug (Probezeit fünf Jahre).
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft verweigerte das Obergericht des Kantons Zürich am 22. November 1990 den bedingten Strafvollzug.
C.-
Am 1. Juni 1992 hiess das Bundesgericht eine Nichtigkeitsbeschwerde von R. gut und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück. Die Vorinstanz äussere sich zur Frage der Zurechnungsfähigkeit von R. nicht; bei einem Blutalkoholgehalt von mindestens 2,39 Promille stelle sich die Frage der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit, insbesondere wenn in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen werden müsste, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Alkoholgenusses nicht damit habe rechnen müssen, später Auto zu fahren. Allenfalls sei das Mass der
BGE 119 IV 120 S. 122
Zurechnungsfähigkeit auch für die Frage des bedingten Strafvollzugs von Bedeutung.
D.-
Das Obergericht verurteilte R. am 3. Dezember 1992 erneut zu zwei Monaten Gefängnis, gewährte ihm aber den bedingten Strafvollzug bei einer Probezeit von vier Jahren. Die beiden früheren Vortaten habe er im Alter von ungefähr 20 Jahren begangen, als er Schwierigkeiten persönlicher Natur und mit den Eltern gehabt habe; inzwischen habe er sich aufgefangen, weshalb die damaligen Tatumstände einem heute abgeschlossenen Lebensabschnitt entsprächen. Der Führerausweisentzug von sechs Monaten habe den Angeklagten hart getroffen. Zudem habe er sich erst im Zustand erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit entschlossen, mit seinem Auto nach Hause zu fahren, nachdem er vorher zureichende Vorkehren zur Verhinderung einer Fahrt in alkoholisiertem Zustand getroffen gehabt habe.
E.-
Die Staatsanwaltschaft erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts wegen Verletzung von
Art. 13 StGB
aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin hatte im Rückweisungsverfahren die Einholung eines Gutachtens zur Frage der Zurechnungsfähigkeit beantragt. Die Vorinstanz bemerkte dazu, der Beschwerdegegner habe sich mit mindestens 2,39 Gewichtspromille in einem ausgeprägten bis schweren Rauschzustand befunden. Es könne ohne weiteres eine erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit angenommen werden. Die Einholung eines Gutachtens sei müssig, könnte doch die Frage der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit und insbesondere der Grad einer allfälligen Verminderung heute im konkreten Fall auch in einem solchen Gutachten nicht geklärt werden, weshalb ohnehin auf gewisse Erfahrungswerte abgestellt werden müsste.
Dagegen wendet die Beschwerdeführerin ein, es gehe nicht an, dass zum vornherein für bestimmte Alkoholwerte jeweils eine bestimmte Verminderung der Zurechnungsfähigkeit angenommen werde. Auch bei einem Blutalkoholgehalt von über zwei Gewichtspromille sei volle Zurechnungsfähigkeit nicht auszuschliessen. Die Frage der Zurechnungsfähigkeit könne nur durch spezialärztliche Expertise individuell bestimmt werden. Die Einholung eines Gutachtens
BGE 119 IV 120 S. 123
sei vorliegend auch deshalb angezeigt, weil der Beschwerdegegner nach den Aussagen des Zeugen M., der den ganzen Abend mit ihm verbracht und ihn unmittelbar vor der fraglichen Fahrt gesprochen habe, nur "angeheitert" gewesen sei. Die Angaben dieses Zeugen seien jedenfalls vom Experten zu berücksichtigen. Die Vorinstanz habe auf den geistigen Zustand des Beschwerdegegners keinen näheren Bezug genommen.
2.
a) Nach
Art. 13 Abs. 1 StGB
ist eine Untersuchung des Beschuldigten anzuordnen, wenn Zweifel an dessen Zurechnungsfähigkeit bestehen. Der Richter soll also seine Zweifel nicht selber beseitigen, etwa durch Zuhilfenahme psychiatrischer Fachliteratur, sondern, wie sich aus Abs. 2 von
Art. 13 StGB
ergibt, durch Beizug von Sachverständigen.
Art. 13 StGB
gilt nicht nur, wenn der Richter tatsächlich Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit hegt, sondern auch, wenn er nach den Umständen des Falles Zweifel haben sollte. Es fragt sich, welche Umstände gegeben sein müssen, um anzunehmen, der Richter müsse derartige ernsthafte Zweifel haben. Das Bundesgericht hat dies beispielsweise angenommen bei Drogenabhängigkeit, bei einer Frau, die mit ihrer schizophrenen Tochter zusammenlebte oder bei einem Sexualdelinquenten mit möglicherweise abnorm starkem Geschlechtstrieb (
BGE 116 IV 273
f. mit Hinweisen).
Art. 13 StGB
verlangt auch eine Begutachtung des Grades der Herabsetzung (
BGE 106 IV 242
E. b).
b) Es trifft zwar zu, dass dem Blutalkoholgehalt auch beim Fahren in angetrunkenem Zustand nicht alleinige Bedeutung zukommt. So wird im medizinischen Schrifttum die Auffassung vertreten, dass dieser Wert bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung lediglich eine grobe Orientierungshilfe sei. Doch häufig seien neben der Blutalkoholkonzentration weitere für die subjektive Befindlichkeit des Täters zur Zeit der Tat indizielle Umstände nicht mehr feststellbar und, soweit solche vorhanden sind, sei fraglich, wieweit sie mangels allgemein anerkannter Erfahrungssätze berücksichtigt werden könnten. Deshalb werde letztlich doch, auch wenn keine gesetzmässige lineare Beziehung zwischen der Blutalkoholkonzentration und der Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit bestehe, diesem Wert massgebliche Bedeutung zugemessen (vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Kommentar 24.A., § 20 N. 16a mit Hinweisen).
Die deutsche Rechtsprechung und Lehre nimmt an, bei einer Blutalkoholkonzentration ab drei Promille sei Schuldunfähigkeit selbst bei einem trinkgewohnten Menschen nicht auszuschliessen. Für den Bereich zwischen zwei und drei Promille geht sie im Regelfall von
BGE 119 IV 120 S. 124
einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit aus (SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, a.a.O.,; HENTSCHEL/BORN, Trunkenheit im Strassenverkehr, 6. Auflage, N. 257 ff. und 264). Wenn für die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit nicht weitere Indizien zur Verfügung stehen, wird also der Gutachter nicht anders als der Richter beweismässig ausschliesslich oder doch hauptsächlich auf die Blutalkoholkonzentration abstellen müssen. In solchen Fällen erübrigt sich die Einholung eines Gutachtens. Dies ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Pflicht, dass in Zweifelsfällen ein psychiatrisches Gutachten einzuholen ist (E. a).
c) Der Beschwerdegegner wies im Zeitpunkt der Tat eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,39 und maximal 3,0 Promille auf; actio libera in causa wurde von der Vorinstanz verneint. Da im Fall des Beschwerdegegners keine Auffälligkeiten ersichtlich sind und ein Gutachter somit nicht mehr Klarheit schaffen könnte, bestehen unter den gegebenen Umständen keine Zweifel an der von der Vorinstanz angenommenen erheblichen Verminderung der Zurechnungsfähigkeit. Daran ändert auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin nichts, ein Zeuge habe den Täter bloss für "angeheitert" gehalten. Eine Verletzung von
Art. 13 StGB
ist somit zu verneinen.
d) In
BGE 106 IV 242
E. b wurde angenommen, auf eine Nichtigkeitsbeschwerde des Beschuldigten sei nicht einzutreten, wenn ihm auch ohne Begutachtung mindestens die von ihm behauptete Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zugebilligt wurde und nicht ernsthaft mit einer noch höheren Herabsetzung zu rechnen sei. Denn in einer solchen Situation sei der Beschuldigte nicht beschwert, wenn kein Gutachten eingeholt worden sei. Da zudem seitens der Anklage keine Beschwerde erhoben worden sei, stehe einer allfälligen Schlechterstellung das Verbot der reformatio in peius entgegen.
Angesichts der besonderen prozessualen Situation darf aus diesem Entscheid nicht geschlossen werden, der Richter könne generell ohne psychiatrisches Gutachten verminderte Zurechnungsfähigkeit annehmen. Entsprechend sind auch die Ausführungen in
BGE 117 IV 297
oben, auf welche sich die Vorinstanz bezieht, klarzustellen. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
67a1eb4e-d292-4f33-aa5f-d6ba5eadde60 | Urteilskopf
106 Ib 41
8. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. März 1980 i.S. Rheinaubund sowie Einwohner- und Bürgergemeinde Münchenstein gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft und Eidg. Departement des Innern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 31 FPolG
und
Art. 26 FPolV
; Rodung für Strassenbau.
Unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Kognition darf bei der Beurteilung eines Rodungsgesuchs das bereits genehmigte Strassenprojekt (vor allem dessen Linienführung), für das die Rodungsbewilligung verlangt wird, nochmals überprüft werden? (E. 2.) Interessenabwägung zwischen Flussuferschutz und Walderhaltung (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 106 Ib 41 S. 42
Die als Verbindung Basel-Jura-Westschweiz projektierte kantonale Hauptstrasse T 18 soll im Birstal durch Umfahrung von Aesch, Arlesheim, Reinach und Münchenstein die bisherigen stark überlasteten Strassen und Ortschaften vom Durchgangsverkehr befreien und zugleich den Anschluss an die Nationalstrasse N 2 ausserhalb Basel herstellen. Im Abschnitt Sternenhof/Rütihardhof soll sie linksseits der Birs geführt werden. Das kantonale Plangenehmigungsverfahren ist abgeschlossen; das Projekt wurde vom Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft als rechtskräftig erklärt. Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) hat das Projekt am 12. April 1979 genehmigt.
Die Baudirektion des Kantons Basel-Landschaft ersuchte in der Folge das EDI um Bewilligung der für den Strassenbau erforderlichen Rodungen im Waldkomplex bei Weissgrien (auf Gemeindegebiet von Arlesheim und Münchenstein). Mit Verfügung vom 20. Juni 1979 entsprach das EDI diesem Gesuch. Hiegegen erhoben der Rheinaubund sowie die Einwohner- und Bürgergemeinde Münchenstein Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen auf Aufhebung der Verfügung und Abweisung des Rodungsgesuches. Der Rheinaubund beantragte zudem eine Anweisung an den Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, für die Führung der T 18 ein Alternativprojekt auszuarbeiten, das den Erfordernissen der Walderhaltung und des Natur- und Landschaftsschutzes
BGE 106 Ib 41 S. 43
vermehrt Rechnung trage. Die Beschwerdeführer vertreten die Ansicht, für die T 18 sei im fraglichen Abschnitt ein Trasse auf dem rechten Ufer der Birs zu wählen. - Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
... (Formelles).
2.
Nach
Art. 31 Abs. 1 FPolG
soll das Waldareal der Schweiz nicht vermindert werden. Gestützt auf diese Bestimmung sowie auf
Art. 50 Abs. 2 FPolG
hat der Bundesrat in
Art. 26 Abs. 1 FPolV
die vom Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung als gesetzeskonform anerkannte Regel aufgestellt, dass Rodungen nur bewilligt werden dürfen, wenn sich hiefür ein gewichtiges, das in
Art. 31 FPolG
enthaltene Gebot der Walderhaltung überwiegendes Bedürfnis nachweisen lässt.
Art. 26 FPolV
bestimmt weiter, dass keine polizeilichen Gründe gegen die Rodung sprechen dürfen und dass das Werk, für welches die Rodung begehrt wird, auf den vorgesehenen Standort angewiesen ist. Finanzielle Interessen wie die möglichst einträgliche Nutzung des Bodens oder die billige Beschaffung von Land gelten nicht als gewichtiges Bedürfnis (
BGE 104 Ib 223
/224 E. 3;
BGE 103 Ib 58
E. 1). Diese Grundsätze gelten auch für Körperschaften des öffentlichen Rechts (
BGE 104 Ib 227
E. 7a;
BGE 103 Ib 52
E. 5b).
Ob diese Interessenabwägung von der Vorinstanz richtig vorgenommen wurde, prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei, denn die richtige Interessenabwägung ist Rechtsfrage. Den Vorinstanzen kommt dabei aber ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, insbesondere soweit örtliche Verhältnisse in Betracht fallen, welche die Bewilligungsbehörden besser kennen als das Bundesgericht. Eine entsprechende Zurückhaltung in der Überprüfung rechtfertigt sich ferner, soweit planerische Aspekte zu berücksichtigen sind, für welche in erster Linie die Kantone die Verantwortung tragen (
BGE 104 Ib 225
E. 5a).
Die Beschwerdeführer II sind der Meinung, das Bundesgericht habe die Frage der Linienführung der T 18 angesichts der Bedeutung der in Frage stehenden Rodung völlig frei zu überprüfen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Rodungsbewilligung, nicht das Strassenprojekt. Freilich trifft zu, dass die Frage der optimalen Linienführung der Strasse in beiden Verfahren eine
BGE 106 Ib 41 S. 44
ähnliche Bedeutung hat. Doch darf nicht übersehen werden, dass den für den Strassenbau zuständigen Behörden bei der Projektierung einer neuen Strasse ein erheblicher Spielraum planerischen Ermessens zusteht. Der Entscheid über die Rodung ist anderseits für das ihr zugrunde liegende Strassenprojekt zwingend präjudiziell; wird die Bewilligung verweigert, so bedeutet dies, dass die linksufrige Variante der T 18 nicht ausgeführt werden kann und dass die Strassenbaubehörden zu einer rechtsufrigen Variante schreiten müssen. Die Rodungsbewilligungsbehörden haben indes nicht die Befugnis, sich in alle Einzelheiten der Strassenprojektierung einzumischen. Sie dürfen nur dann die Standortgebundenheit eines rechtskräftig beschlossenen öffentlichen Strassenwerkes verneinen und die Rodungsbewilligung verweigern, wenn die Baubehörden die Strassenplanung im Hinblick auf den vom Gesetz geforderten Schutz des Waldes offensichtlich mit ungenügender Sorgfalt durchgeführt haben, insbesondere wenn sie in dieser Hinsicht entweder überhaupt keine Überlegungen oder nur solche angestellt haben, die ohne weiteres als unsachgemäss erkennbar sind. Das wäre etwa dann anzunehmen, wenn die Strassenbaubehörden im Laufe der Projektierung die Meinung der zuständigen Forstpolizeibehörden überhaupt nicht eingeholt hätten oder über eine solche in offensichtlich unsachgemässer Weise hinweggegangen wären. Anders zu entscheiden würde der Zuständigkeitsordnung widersprechen.
Wollte man den Forstbehörden und - auf Beschwerde gegen eine Rodungsbewilligung hin - dem Bundesgericht eine völlig freie Überprüfung des Strassenprojektes zur Pflicht machen, so würde das bedeuten, dass die Rodungsbewilligungsbehörden als obere Instanzen der Strassenbaubehörden tätig würden, was nicht dem Sinn der verfassungs- und gesetzmässigen Kompetenzordnung entsprechen kann.
Damit sind auch die Einwände erledigt, das Rodungsgesuch hätte schon am Anfang der Projektierungszeit gestellt werden sollen und es sei nur für einen Teil der Strassenstrecke Rütihardhof/Sternenhof gestellt und erlaube deshalb nicht eine Überprüfung der gesamten Strassenstrecke. Diese Argumentationen gehen nach dem Gesagten von vornherein fehl.
3.
Die der Rodungsbewilligung zugrunde liegende linksufrige Strassenprojektvariante erfordert Rodungen auf einer Fläche von insgesamt 111'431 m2, wovon 74'291 m2 endgültig
BGE 106 Ib 41 S. 45
und 37'140 m2 vorübergehend während der Bauzeit. Diese Rodungen treffen den bei Weissgrien linksseits der Birs gelegenen Wald, insbesondere den Auwald, der nach Ausdehnung und Zusammensetzung nicht nur für das Landschaftsbild, sondern auch ökologisch und biologisch von hohem Wert ist. Ein solcher Eingriff kann im Blick auf die Forstpolizeigesetzgebung nur dann als gerechtfertigt gelten, wenn das fragliche Strassenprojekt einem dringenden öffentlichen Bedürfnis entspricht.
Die Notwendigkeit des Baus einer neuen Hochleistungsstrasse T 18 zur Entlastung der Birstalgemeinden vom Ortsdurchfahrtsverkehr wird mit Recht nicht bestritten. Streitig ist aber vor allem die Wahl der Linienführung. Die Beschwerdeführer machen geltend, eine rechtsufrige Strassenführung, die besser geplant wäre als die bisher betrachteten Varianten, entspräche dem öffentlichen Interesse mehr als die linksufrige Variante, da sie die Erhaltung des Auwaldes ermögliche. Regierungsrat und EDI wenden jedoch im wesentlichen ein, man stehe vor der Wahl, entweder mit dem offiziellen Projekt Waldrodungen vornehmen zu müssen oder mit einer jeden der rechtsufrigen Varianten beträchtliche Strecken des Birsufers zu zerstören; in diesem Zwiespalt gebühre dem Schutz des Flussufers der Vorzug.
a) Aus den Akten ergibt sich, dass das streitige Strassenprojekt das Ergebnis langer Planung und eingehender öffentlicher Auseinandersetzung ist. Diese begannen im Jahre 1971, als der Regierungsrat dem Landrat das generelle Projekt der "Strassen im Birstal" mit einer links- und einer rechtsufrigen Variante des fraglichen Teilstückes vorlegte und dabei die linksufrige als die bessere empfahl. Das kantonale Parlament schloss sich nach ausgedehnter Debatte dieser Meinung an. In den darauf folgenden Jahren wurde dieser Entscheid jedoch mehrmals durch politische Vorstösse, die eine rechtsufrige Linienführung anstrebten, in Wiedererwägung gezogen. Die zuständigen Instanzen, sei es der Landrat (8mal), sei es der Bundesrat (2mal), bestätigten jedoch jeweils die linksufrige Variante. Es kam sogar - ausgelöst durch eine Initiative "T 18 vors Volk" - zu einer kantonalen Volksabstimmung, die am 24. September 1978 die Frage der Linienführung endgültig zu Gunsten der linksufrigen Variante entschied. Im Verlaufe der Auseinandersetzungen wurden die Belange des Naturschutzes und der Walderhaltung ausgiebig diskutiert.
BGE 106 Ib 41 S. 46
Das Ergebnis dieser langen Auseinandersetzungen lässt sich so zusammenfassen, dass die zuständigen Instanzen in der dichtbesiedelten Region für eine neue Hochleistungsstrasse keine Linienführung finden konnten, die ohne Eingriffe in landschaftlich wertvolles Gebiet zu realisieren gewesen wäre. In Abwägung der Gesamtheit der Vor- und Nachteile, insbesondere der Aspekte des Natur-, Landschafts- und Umweltschutzes, der Walderhaltung und des Grundwasserschutzes, gelangten die zuständigen Instanzen dazu, die linksufrige Variante als das kleinere von zwei Übeln vorzuziehen. Dabei ist im Laufe der Auseinandersetzung das ursprüngliche Projekt den neuen Erkenntnissen angepasst und damit verbessert worden.
b) Bei dieser Sachlage kann nicht mit Grund gesagt werden, die für die Strassenprojektierung zuständigen Instanzen hätten das Gebot der Walderhaltung überhaupt nicht berücksichtigt oder bei der Abwägung der im Spiele stehenden Interessen eine offensichtlich unsachgemässe Lösung getroffen. Ihr Entscheid ist ein solcher des planerischen Ermessens. Das heute gültige Projekt ist aus einer langwierigen Prozedur öffentlicher Meinungsbildung hervorgegangen und entspricht der Auffassung einer Mehrheit der Bevölkerung. Die von den zuständigen Instanzen vorgenommene Interessenabwägung überschreitet den Rahmen des ihnen zustehenden Ermessensspielraums nicht. Namentlich aber fällt in Betracht, dass das heute gültige Strassenprojekt die Unterstützung und Zustimmung der zuständigen Forstpolizeibehörde (EDI) gefunden hat, der auch Dienste des Natur- und Heimatschutzes zugehören. Unter diesen Umständen ist auf die Kritik der Beschwerdeführer, die Einzelaspekte hervorheben, nicht im Detail einzugehen, weil sie am Gesamtbild, wie es für die Rodungsbewilligungsbehörden massgebend ist, nichts zu ändern vermag. Aus dem gleichen Grunde ist auch den Beweisanträgen in Richtung auf eine strassenbautechnische Expertise, die einer rechtsufrigen Variante doch noch den Weg ebnen soll, nicht Folge zu geben. Das EDI durfte die linksufrige Strassenvariante gemäss dem rechtskräftigen Projekt als standortgebunden im Sinne von
Art. 26 FPolV
betrachten (vgl.
BGE 98 Ib 219
E. 7c und 498 E. 6 und 7). Es hat als eidg. Forstbehörde weder Bundesrecht verletzt, noch den rechtserheblichen Sachverhalt ungenügend abgeklärt, noch sein Ermessen überschritten, indem es die von den zuständigen Strassenbauinstanzen eingehend geprüfte und rechtskräftig beschlossene linksufrige Variante seinem
BGE 106 Ib 41 S. 47
Entscheid über das Rodungsbewilligungsgesuch zugrundegelegt hat. Ohne Verletzung von Bundesrecht durfte das EDI insbesondere annehmen, an den Rodungen bestehe ein gewichtiges, das Walderhaltungsgebot überwiegendes Bedürfnis. Die Beschwerden sind daher abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
67a1f470-05da-4040-b505-88b59c6e55f0 | Urteilskopf
105 V 325
67. Auszug aus dem Urteil vom 21. November 1979 i.S. Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich gegen Benz und Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung des Kantons Zürich | Regeste
Art. 36 Abs. 2 lit. c AlVG
, 9 Abs. 2 AlVB und 12 Abs. 1 AlVV. Überprüfbarkeit der beitragspflichtigen Beschäftigung, insbesondere bei Reisenden, Vertretern usw., die auf reiner Provisionsbasis arbeiten. | Erwägungen
ab Seite 325
BGE 105 V 325 S. 325
Aus den Erwägungen:
Wie unter dem alten Recht besteht auch unter der Neuordnung des Arbeitslosenversicherungsrechts das Erfordernis der hinreichenden Überprüfbarkeit der bei erstmaliger Geltendmachung des Anspruchs nachzuweisenden beitragspflichtigen Beschäftigung. Es trifft ferner zu, dass das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt festgehalten hat, dass die Überprüfbarkeit insbesondere klare Angaben hinsichtlich der für die Arbeitsausführung aufgewendeten Zeit sowie geeignete Kontrollmassnahmen des Arbeitgebers voraussetze (vgl. ARV 1969 Nr. 6, 7, 33, 1971 Nr. 25, 1979 Nr. 14, S. 88 mit weiteren Hinweisen). Immerhin hat die Praxis die Möglichkeit der Ermittlung der Arbeitstage auf Grund des erzielten Verdienstes vorbehalten, sofern die einzelnen Lohnelemente genau bekannt sind (ARV 1969 Nr. 6, Urteil vom 31. Mai 1977 i.S. Tripod). Vor
BGE 105 V 325 S. 326
allem ist zu berücksichtigen, dass mit Bezug auf einzelne Arbeitnehmerkategorien besondere Verhältnisse gegeben sind, denen der Gesetzgeber durch den Vorbehalt einer Ausnahmeregelung auf dem Verordnungswege Rechnung getragen hat (
Art. 36 Abs. 2 AlVG
). Dazu gehören unter anderem die Arbeitnehmer, deren Lohn ganz oder teilweise in Provisionen besteht (lit. c). Obwohl die Möglichkeit zum Erlass einer entsprechenden Sonderregelung nicht ausgeschöpft worden ist, kann doch nicht übersehen werden, dass eine zeitliche Überprüfung der Erwerbstätigkeit bei diesen Arbeitnehmern in der Regel erheblich erschwert ist, und zwar besonders dann, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um einen auf reiner Provisionsbasis arbeitenden Reisenden handelt. Dementsprechend hat das Eidg. Versicherungsgericht in ARV 1977 Nr. 24, S. 102, erklärt, dass ein solcher Arbeitnehmer den Nachweis der regelmässigen Erwerbstätigkeit in der Regel nur mit dem Erfolg dieser Tätigkeit (d.h. mit den Vertragsabschlüssen und den entsprechenden Provisionsabrechnungen) zu erbringen vermöge und aus diesen Unterlagen Rückschlüsse auf das Ausmass und die Intensität des erwerblichen Einsatzes gezogen werden müssten. Wollte man den Nachweis der beitragspflichtigen Beschäftigung an die Bedingung einer zeitlichen Kontrolle durch den Arbeitgeber knüpfen, würde dies praktisch zum Ausschluss dieser ganzen Kategorie von Arbeitnehmern vom Versicherungsschutz führen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
67a673e8-b0a5-4a30-bf25-bbdc06bd20db | Urteilskopf
96 V 1
1. Urteil vom 23. März 1970 i.S. Wey gegen Schweizerische Kranken- und Unfallkasse Konkordia und Versicherungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 3 Abs. 3 und
Art. 5 Abs. 3 KUVG
: Sanktionen.
Voraussetzungen und Mass (Grundsatz der Verhältnismässigkeit). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 96 V 1 S. 1
A.-
Hermann Wey trat mit Wirkung ab 1. September 1968 dem von der Arbeitgeberin (Firma M.) mit der Schweizerischen Kranken- und Unfallkasse Konkordia abgeschlossenen Kollektivversicherungsvertrag bei. Auf dem von der Krankenkasse zur Verfügung gestellten Formular "Beitrittserklärung" hatte er die Frage nach früheren Krankheiten und Unfällen mit "Blinddarm, Kieferwinkeloperation 1967" beantwortet und verneint, dass frühere Krankheiten und Unfälle Folgen hinterlassen hätten; er bezeichnete sich als vollständig gesund und arbeitsfähig. Am 20. Januar 1969 musste sich Hermann Wey wegen eines Vorderwandinfarktes in ärztliche Behandlung begeben. Aus einem von der Krankenkasse eingeholten Anamnesenbericht von Dr. V. vom 15. März 1969 geht hervor, dass der Versicherte vom 13. Juni bis September 1967 bzw. 4. November 1967 wegen anginöser Herzbeschwerden, Hypertonie und leichter Linksinsuffizienz (im Elektrokardiogramm normaler Erregungsablauf, Herz röntgenologisch nicht vergrössert) in Behandlung gestanden hatte. Der Arzt fügte bei, dass er den Versicherten im April und Mai 1968 nochmals kontrolliert habe ("er war kardial ohne Medikation kompensiert geblieben und der BD im Normbereich").
Gestützt auf diesen Bericht verfügte die Krankenkasse am 8. April 1969 rückwirkend auf 1. September 1968 den Ausschluss,
BGE 96 V 1 S. 2
weil der Versicherte in der Beitrittserklärung über Krankheiten und Arztbehandlungen keine vollständigen und wahrheitsgetreuen Angaben gemacht hatte.
B.-
Hermann Wey erhob beim Versicherungsgericht des Kantons Luzern Beschwerde. Er machte geltend, die Beitrittserklärung "nach bestem Wissen und Gewissen" ausgefüllt zu haben. Selbstverständlich stimme es, dass er im April und Mai 1968 in ärztlicher Behandlung gestanden sei, aber sein Arzt habe nicht erwähnt, dass er auf irgendeine Art ernstlich krank wäre.
Dr. V. erklärte, er habe den Patienten über die Befunde - erhöhter Blutdruck, leichte Herzinsuffizienz, reaktive Depression - orientiert; soweit er sich zu erinnern vermöge, habe er beigefügt, "dass es sich nicht um ein schweres Leiden handle; es sei eine nervöse Störung und der erhöhte Blutdruck sei für die Herzbeschwerden verantwortlich und müsse in erster Linie behandelt werden".
Das Versicherungsgericht des Kantons Luzern wies mit Entscheid vom 26. September 1969 die Beschwerde ab. Der Ausschluss aus der Kasse sei zu Recht erfolgt, weil Hermann Wey "gegen Treu und Glauben" seine Beschwerden verheimlicht habe.
C.-
Hermann Wey hat beim Eidg. Versicherungsgericht Beschwerde eingelegt. Er beruft sich darauf, dass ihm der Arzt nicht gesagt habe, er sei ernsthaft krank; ein Herzinfarkt sei erst am 20. Januar 1969 festgestellt worden.
Während die Krankenkasse auf Abweisung der Beschwerde schliesst, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung in seinem Mitbericht Aufhebung der angefochtenen Ausschlussverfügung.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Mit der Beschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht kann nach
Art. 30ter Abs. 2 KUVG
nur geltend gemacht werden, das kantonale Versicherungsgericht habe Bundesrecht verletzt oder den Sachverhalt willkürlich festgestellt oder gewürdigt. Bundesrecht ist u.a. verletzt, wenn der kantonale Richter kasseneigene Bestimmungen, die sich im Rahmen des KUVG und übergeordneter Rechtsgrundsätze halten, auf einen gegebenen Sachverhalt nicht richtig angewendet hat (vgl. dazu EVGE 1968 S. 238 oben).
BGE 96 V 1 S. 3
2.
a) Gemäss Art. 10 Ziff. 2 lit. b der Statuten hat der Aufnahmebewerber die Fragen auf dem von der Kasse zur Verfügung gestellten Formular "wahrheitsgetreu und vollständig zu beantworten und dabei Auskunft zu geben über durchgemachte oder zur Zeit bestehende Krankheiten und Gebrechen sowie erlittene Unfälle". Wer diese Anzeigepflicht verletzt, kann aus der Kasse ausgeschlossen werden (Art. 31 Ziff. 1 lit. b der Statuten). In solchen Fällen werden auch keine Versicherungsleistungen gewährt (Art. 79 Ziff. 1 lit. d der Statuten).
b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat in seinem nicht publizierten Urteil vom 29. Dezember 1967 i.S. Repond entschieden, dass die statutarische Vorschrift einer als Genossenschaft auftretenden Krankenkasse, wonach ein Mitglied bei Verletzung der Anzeigepflicht aus der Kasse ausgeschlossen werden kann, grundsätzlich nicht bundesrechtswidrig ist. Es besteht kein Anlass, bei einer Krankenkasse, welche wie die Schweizerische Kranken- und Unfallkasse Konkordia die Form eines Vereins hat, anders zu entscheiden, ist doch
Art. 72 ZGB
in dieser Beziehung noch weniger restriktiv als
Art. 846 OR
(nicht publiziertes Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 1. Oktober 1969 i.S. Pagliochini). Vorzubehalten ist für den Einzelfall der Grundsatz der Verhältnismässigkeit (vgl. EVGE 1968 S. 160). In diesem zuletzt erwähnten Entscheid hat das Eidg. Versicherungsgericht zudem gefordert, dass schwere Sanktionen erst nach fruchtloser schriftlicher Mahnung verhängt werden.
c) Bei Verstössen gegen die Statuten, die der Aufnahmebewerber bereits mit dem Ausfüllen der Beitrittserklärung begehen kann - es wird sich dabei in der Regel um Verletzungen der Anzeigepflicht handeln, die mit schweren Sanktionen geahndet werden können -, ist eine Mahnung im erwähnten Sinn nicht möglich. Dennoch ist auch in diesen Fällen dem Gedanken der Mahnung Rechnung zu tragen.
Wohl anerkennt der Bewerber mit seiner Unterschrift auf der Beitrittserklärung in der Regel auch die Statuten, Reglemente und Bestimmungen der Kasse. Es darf aber nicht übersehen werden, dass er beim Ausfüllen des Formulars nicht immer im Besitze der erwähnten Unterlagen ist und dass er diese, wenn sie ihm übergeben worden sind, erfahrungsgemäss nicht sehr gründlich liest. Es muss daher gefordert werden, dass der
BGE 96 V 1 S. 4
Aufnahmebewerber bereits auf dem Beitrittsformular an einer gut sichtbaren Stelle mit einem ausdrücklichen, von den andern Bestimmungen deutlich abgehobenen Hinweis auf die im Falle einer Anzeigepflichtverletzung möglichen schwersten Sanktionen, den Ausschluss aus der Kasse und den Entzug der Leistungen, aufmerksam gemacht wird. Vorbehalten bleiben Ausnahmefälle, in denen das zu beanstandende Verhalten eines Versicherten bzw. Aufnahmebewerbers so schwerwiegend wäre, dass nach dem Grundsatz von Treu und Glauben die Sanktionen auch ohne Einhaltung der genannten Voraussetzungen als angemessen erschienen.
3.
Schuldhaft verletzt der Aufnahmebewerber die Anzeigepflicht namentlich, wenn er trotz Befragung bestehende oder vorbestandene gesundheitliche Störungen verschweigt, denen er bei der ihm zumutbaren Sorgfalt Krankheitscharakter beimessen musste. Der Grad seines Verschuldens hängt nicht zuletzt davon ab, wie eingehend das einschlägige, von ihm beantwortete Formular nach Krankheiten forschte. Dem Verschweigen von Beschwerden ist ein grösseres Gewicht beizumessen, wenn der Fragebogen eingehend und konkret gehalten ist, als wenn er bloss summarisch und abstrakt zur Auskunft über den Gesundheitszustand auffordert (EVGE 1967 S. 129).
4.
a) Dem Beschwerdeführer wird in der Ausschlussverfügung vorgeworfen, er habe am 16. August 1968 bei der Beantwortung der auf der Beitrittserklärung gestellten Frage 7a nach früheren Krankheiten und Unfällen ("welche, Datum und Dauer derselben") die Tatsache verschwiegen, dass er von Juni bis September bzw. 4. November 1967 wegen Hypertonie und leichter Linksinsuffizienz in ärztlicher Behandlung gestanden und sich im April und Mai 1968 wegen der gleichen Leiden Kontrollen unterzogen habe.
Zweifellos hat er dadurch die Anzeigepflicht schuldhaft verletzt. Wenn er sich schon an die Blinddarmoperation - es steht nicht fest, ob diese auch 1967 stattgefunden hat - und an die Kieferwinkeloperation zu erinnern vermochte, hätte er um so eher auch die nur wenige Monate vor dem Eintritt in die Krankenkasse erfolgten ärztlichen Behandlungen und Kontrollen erwähnen müssen. Die Verletzung der Anzeigepflicht wiegt allerdings nicht besonders schwer: Der Beschwerdeführer
BGE 96 V 1 S. 5
durfte auf Grund der ärztlichen Auskünfte (nervöse Störungen, erhöhter Blutdruck) annehmen, dass es sich nicht um schwere Leiden handelte. Demgegenüber mochten dem medizinischen Laien die durchgemachten Operationen, die er angab, als viel bedeutsamer erscheinen. Dazu kommt, dass sich der 1908 geborene Beschwerdeführer im Zuge des Kollektivvertrages durch seine Arbeitgeberin versichern liess, und nicht etwa aus eigenem Antrieb wegen bevorstehender Altersbeschwerden. Es fragt sich daher, ob der sanktionsweise verfügte Ausschluss des Versicherten aus der Kassenmitgliedschaft mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbar sei.
b) Nach diesem Prinzip muss die Sanktion in einem vernünftigen Verhältnis zu dem von der Kasse verfolgten Zweck und zum Verschulden des Versicherten stehen (vgl. dazu EVGE 1968 S. 164). Dieses Verhältnis wird im vorliegenden Fall durch den Ausschluss des Beschwerdeführers aus der Krankenkasse gestört, denn sein Verschulden wiegt, wie erwähnt, nicht besonders schwer. Zudem wäre aus den in Erwägung 2 c dargelegten Gründen ein Hinweis auf die über einen nachträglichen Vorbehalt hinausgehenden schwereren Sanktionen notwendig gewesen. Endlich ist ein Ausschluss schon deshalb kaum gerechtfertigt, weil die Beschwerdebeklagte in dem vom Eidg. Versicherungsgericht am 4. April 1970 beurteilten Fall i.S. Cambiaggio (s. nachstehendes Urteil) bei wesentlich schwererem Verschulden des Versicherten nur einen nachträglichen Vorbehalt angebracht hat. Somit müssen die Ausschlussverfügung und das Urteil der Vorinstanz aufgehoben werden.
c) Es kann sich einzig fragen, ob nicht eine mildere, den Verhältnissen besser angepasste Sanktion (nach dem Gesagten käme als schwerste Sanktion nur ein nachträglicher Vorbehalt in Frage) zulässig wäre. Das ist nicht von vorneherein auszuschliessen. Die Kasse wird darüber innert 30 Tagen seit der Zustellung dieses Urteils neu verfügen können. Beim allfälligen Erlass einer neuen beschwerdefähigen Verfügung über eine mildere Sanktion ist ausser den bisherigen Darlegungen noch folgendes zu berücksichtigen.
d) In den Akten findet sich kein Nachweis, dass die Beschwerdebeklagte abgeklärt hätte, ob Hermann Wey nicht schon früher Mitglied einer Krankenkasse gewesen ist (auf dem Beitrittsformular wird nur die Frage gestellt, ob der Bewerber schon bei der Schweizerischen Kranken- und Unfallkasse
BGE 96 V 1 S. 6
Konkordia versichert sei). Träfe dies zu, müsste untersucht werden, ob er nicht als Züger gemäss
Art. 7 Abs. 2 KUVG
zu behandeln sei. Der deutsche Wortlaut dieser Bestimmung spricht allerdings von "einem in einen Betrieb eintretenden Versicherten", der französische Text dagegen von "assuré engagé dans une entreprise" und der italienische von "assicurato, assunto al servizio di un'impresa". Dem französischen und italienischen Wortlaut ist der Vorzug zu geben; denn es ist nicht einzusehen, warum der in einem Betrieb beschäftigte Versicherte schlechter gestellt werden sollte als der eintretende.
e) Sollte die Beschwerdebeklagte einen nachträglichen Vorbehalt nach
Art. 5 Abs. 3 KUVG
anbringen, hätte sie zu berücksichtigen, dass bei Leiden, für welche ein Versicherungsvorbehalt besteht, das versicherte Taggeld gleichwohl ausgerichtet wird für jene Zeitdauer, für welche der Arbeitgeber gemäss
Art. 335 OR
zur Lohnzahlung verpflichtet gewesen wäre (vgl. die besonderen Bestimmungen des Kollektivvertrages zwischen der Firma M. und der Schweizerischen Kranken- und Unfallkasse Konkordia).
5.
Bei diesem Sachverhalt braucht nicht untersucht zu werden, ob die Zentralverwaltung der Schweizerischen Kranken- und Unfallkasse Konkordia zuständig war, den Ausschluss des Versicherten aus der Kasse zu verfügen (Art. 31 Ziff. 1; 92 Ziff. 2; 94 Ziff. 12; 103 Ziff. 1 der Statuten; vgl. dazu auch das Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 30. Januar 1970 i.S. Gardian [
BGE 96 V 13
]).
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. In Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichtes des Kantons Luzern vom 26. September 1969 und die Ausschlussverfügung der Schweizerischen Kranken- und Unfallkasse Konkordia vom 8. April 1969 aufgehoben.
II. . Die Akten werden an die Schweizerische Kranken- und Unfallkasse Konkordia zurückgewiesen zwecks Erlass einer neuen beschwerdefähigen Verfügung innert 30 Tagen im Sinne der Erwägungen. | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
67ad961f-a326-40f9-9324-f1c759764d6d | Urteilskopf
107 IV 81
24. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. September 1981 i.S. S. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 18 Abs. 2,
Art. 137 Ziff. 2 StGB
; Gewerbsmässigkeit; Fortsetzungszusammenhang; "ne bis in idem".
1. Das gewerbsmässige Delikt ist nicht eo ipso eine besondere Art der fortgesetzten Straftat.
2. Fortsetzungszusammenhang kann nur angenommen werden, wenn die einzelnen Taten nach Art, Zeit und Ort eine gewisse Einheit bilden und vom Gesamtvorsatz des Täters umfasst werden.
3. Die Rechtskraft eines Urteils betreffend gewerbsmässigen Diebstahl erstreckt sich nicht auf nachträglich entdeckte Diebstähle, die zu den bereits beurteilten nicht in einem Fortsetzungszusammenhang stehen. | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 107 IV 81 S. 81
Am 29. Mai 1978 sprach das Strafamtsgericht Bern S. des Diebstahls, versucht und vollendet, gewerbsmässig und unter
BGE 107 IV 81 S. 82
Offenbarung besonderer Gefährlichkeit, begangen in Bern und Umgebung in der Zeit vom 7. März bis 15. September 1977 unter anderem in den Fällen gemäss Überweisungsbeschluss (17 Fälle) in einem Deliktsbetrag von Fr. 813.40 schuldig und verurteilte ihn zu 14 Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von vier Jahren. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft.
Am 24. Februar 1981 sprach das Obergericht des Kantons Bern in teilweiser Abänderung eines Urteils des Strafamtsgerichts Biel vom 2. Oktober 1980 S. unter anderem des Diebstahls, gewerbsmässig und teilweise unter Offenbarung besonderer Gefährlichkeit begangen (28 Fälle, zur Hauptsache Leerung von Geldautomaten in Waschküchen, in der Zeit zwischen dem 14. Oktober 1976 und dem 14./15. September 1979) schuldig und bestrafte ihn mit zwei Jahren Zuchthaus, abzüglich 505 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft, unter Anordnung einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung. Der S. vom Strafamtsgericht Bern seinerzeit gewährte bedingte Strafvollzug wurde widerrufen.
In seiner eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde wirft S. dem Obergericht die Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" vor.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Zu prüfen bleibt demnach, ob S. wegen der von ihm vor dem 15. September 1977 begangenen Diebstähle, die dem Strafamtsgericht Bern nicht bekannt waren, ohne Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem", der dem Bundesrecht angehört (
BGE 86 IV 52
mit Verweisungen), nachträglich noch verurteilt werden durfte. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob die Rechtskraft des Urteils des Strafamtsgerichts Bern vom 29. Mai 1978 sich auch auf diese dem Gericht unbekannten Diebstähle erstrecke. Dies ist zu verneinen.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts handelt gewerbsmässig, wer in der Absicht, zu einem Erwerbseinkommen zu gelangen, und mit der Bereitschaft, gegenüber unbestimmt vielen vorzugehen, die Tat verübt (
BGE 99 IV 88
E. 7 mit Verweisungen). Der bei der Definition der Gewerbsmässigkeit oft verwendete Begriff der "wiederholten" Tatbegehung (z.B.
BGE 94 IV 21
) bedeutet nichts anderes als "mehrfaches" Handeln. Mit der unangefochten gebliebenen Annahme des Obergerichts, S. habe die Diebstähle gewerbsmässig verübt, ist noch nicht entschieden, ob zwischen den einzelnen Tathandlungen Fortsetzungs- oder
BGE 107 IV 81 S. 83
Wiederholungszusammenhang bestehe. Das gewerbsmässige Delikt ist nicht eo ipso eine besondere Art der fortgesetzten Straftat. Die für den gewerbsmässig handelnden Täter typische Bereitschaft, gegenüber unbestimmt vielen zu handeln, und seine Absicht, sich ein Erwerbseinkommen zu verschaffen, sind weder identisch mit dem zur Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs erforderlichen einheitlichen Willensentschluss, noch lassen sie ohne weiteres den Schluss auf einen solchen zu. Ob und inwiefern Fortsetzungszusammenhang bestehe, ist auch beim gewerbsmässigen Delikt konkret abzuklären.
b) Ein einheitlicher Willensentschluss im Sinne der Rechtsprechung liegt nicht schon dann vor, wenn sich der Täter lediglich vornimmt, zahlreiche gleichartige Straftaten zu verüben, deren Ausführung nach Art, Zeit und Ort aber ungewiss und überhaupt nicht konkretisiert ist. Fortsetzungszusammenhang kann nur angenommen werden, wenn die einzelnen Taten nach Art, Zeit und Ort eine gewisse Einheit bilden und vom Gesamtvorsatz des Täters umfasst werden (
BGE 102 IV 77
/78 mit Hinweisen auf deutsche Autoren), was eine gewisse Konkretisierung der Taten voraussetzt.
Die Vorinstanz zieht offenbar aus ihrer Annahme, S. habe gewerbsmässig gehandelt, den Schluss auf das Vorliegen eines Fortsetzungszusammenhangs; diese Schlussfolgerung ist nach dem Gesagten unzulässig. Dass die hier noch zur Diskussion stehenden Diebstähle auf demselben Willensentschluss beruhten wie die im Urteil des Amtsgerichts Bern vom 29. Mai 1978 beurteilten Straftaten, wird im angefochtenen Entscheid nicht festgestellt. Die fraglichen Diebstähle wurden innerhalb eines Zeitraums von fast einem Jahr, in unterschiedlichen zeitlichen Abständen (1 Tag bis 3 Monate) an den verschiedensten Orten - Biel, Muri, Nidau, Bellach, Solothurn, Burgdorf, Biberist, Egerkingen, Oensingen - verübt. Von einer Einheit der Taten nach Ort und Zeit kann keine Rede sein. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, er hätte die Diebstähle zu einem ganz bestimmten Zweck, zur Finanzierung eines bestimmten Vorhabens etwa, begangen, was unter Umständen ebenfalls die Annahme eines Gesamtvorsatzes zuliesse. Dass allenfalls einzelne der hier zur Diskussion stehenden Diebstähle zueinander in einem Fortsetzungszusammenhang stehen, ist unerheblich; entscheidend ist, dass diese Straftaten und die im Entscheid des Strafamtsgerichts Bern vom 29. Mai 1978 beurteilten Delikte nicht von einem Gesamtvorsatz im umschriebenen Sinne umfasst werden. Dass in allen diesen Diebstählen die Bereitschaft
BGE 107 IV 81 S. 84
des Täters, gegenüber unbestimmt vielen zu handeln, und seine Absicht, sich ein Erwerbseinkommen zu verschaffen, zum Ausdruck kommen, rechtfertigt die Bejahung der Gewerbsmässigkeit, genügt aber nach dem Gesagten nicht zur Annahme eines Gesamtvorsatzes.
Da somit zwischen den hier noch zur Diskussion stehenden Diebstählen und den im Entscheid des Strafamtsgerichts Bern vom 29. Mai 1978 beurteilten Straftaten kein Fortsetzungszusammenhang besteht, ist die Einrede der beurteilten Sache von vornherein unbegründet. Die Frage, ob bei Bejahung eines Fortsetzungszusammenhangs die Verurteilung von S. wegen der nachträglich entdeckten Straftaten noch möglich wäre (vgl. dazu die Andeutung in
BGE 90 IV 130
, auf die das Obergericht sein Urteil entscheidend abstützt), braucht bei diesem Ergebnis nicht beantwortet zu werden.
... | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
67afca10-b747-4ef0-acec-38ac869bfcd5 | Urteilskopf
136 III 518
75. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_229/2010 vom 7. Oktober 2010 | Regeste
Art. 418r, 418a und 418c OR
. Agenturvertrag. Fristlose Auflösung. Weisungsgebundenheit und Treuepflicht des Agenten.
Auch bei Berücksichtigung der Treuepflicht des Agenten sind den Weisungsbefugnissen des Auftraggebers im Rahmen des Agenturvertrags enge Grenzen gezogen. Vertragsverletzung durch einen Agenten verneint, der sich weigerte, mit einer neu geschaffenen Verkaufsorganisation der Auftraggeberin zusammenzuarbeiten (E. 4.4 und 4.5). | Erwägungen
ab Seite 518
Aus den Erwägungen:
3.
Die Vorinstanz qualifizierte das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien als Agenturvertrag im Sinne von
Art. 418a ff. OR
. Diese
BGE 136 III 518 S. 519
Qualifikation blieb hier unbestritten, so dass die strittigen Fragen auch im vorliegenden Verfahren ohne Prüfung der Rechtsnatur des Vertrages (vgl.
BGE 129 III 664
E. 3.1;
BGE 84 II 493
E. 2 S. 496) nach Agenturvertragsrecht zu beurteilen sind (vgl.
BGE 133 II 249
E. 1.4.1 S. 254).
4.
Ein Agenturvertrag kann aus wichtigen Gründen sowohl vom Auftraggeber als auch vom Agenten jederzeit mit sofortiger Wirkung aufgelöst werden (
Art. 418r Abs. 1 OR
).
Art. 418r Abs. 2 OR
verweist für die Kündigung des Agenturvertrages aus wichtigen Gründen auf "die Bestimmungen über den Dienstvertrag", d.h. über den Arbeitsvertrag (
Art. 337 ff. OR
). Nach
Art. 337 Abs. 2 OR
gilt als wichtiger Grund namentlich jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf. Über das Vorhandensein solcher Umstände entscheidet der Richter nach seinem Ermessen (
Art. 337 Abs. 3 OR
).
(...)
4.4
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung äusserte sich zur Frage der Weisungsgebundenheit des Agenten bisher nur im Rahmen der Abgrenzung des Agenturvertrages gegenüber dem Arbeitsvertrag, insbesondere in seiner Form als Handelsreisendenvertrag (vgl.
BGE 129 III 664
E. 3.2 S. 667). Insoweit hielt das Bundesgericht fest, dass zwischen den Vertragsparteien des Agenturvertrags, im Gegensatz zu denen des Arbeitsverhältnisses, kein Subordinationsverhältnis besteht und dass der Arbeitnehmer im Gegensatz zum Agenten an Instruktionen und Weisungen des Vertragspartners gebunden ist (
BGE 129 III 664
E. 3.2 S. 668;
BGE 99 II 314
). In einem neueren Entscheid führte das Bundesgericht sodann präzisierend aus, es sei zwar für das Bestehen eines Subordinationsverhältnisses entscheidend, dass der Arbeitnehmer in eine fremde, hierarchische Arbeitsorganisation eingegliedert werde und damit von bestimmten Vorgesetzten Weisungen erhalte. Die Schwierigkeit liege allerdings darin, dass auch bei anderen Verträgen auf Arbeitsleistung, zum Beispiel beim Auftrag, ein Weisungsrecht bestehe. Es komme deshalb auf das Mass der Weisungsgebundenheit an. Im konkreten Fall schloss das Bundesgericht angesichts einer schwach ausgeprägten Weisungsgebundenheit, des hohen Masses an Selbständigkeit des Beauftragten in der Ausführung seiner Arbeit im Bereich der Finanz- und Wirtschaftsberatung sowie in Berücksichtigung aller weiteren massgeblichen Umstände (insbesondere keine Eingliederung in eine fremde
BGE 136 III 518 S. 520
Arbeitsorganisation in zeitlicher und örtlicher Hinsicht, weitgehend fehlende wirtschaftliche Abhängigkeit) auf das Vorliegen eines Auftrags bzw. Agenturvertrags, wenn auch der Beauftragte regelmässige Besprechungen mit der Geschäftsführung der Auftraggeberin an deren Sitz hatte und verpflichtet war, sämtliche Arbeitsunterlagen der Beklagten zur Verfügung zu halten, damit diese ein einheitliches Auftreten kontrollieren konnte; ferner bestanden klare Weisungen bezüglich des Datenschutzes und der Vorkehren gegen Geldwäscherei, wobei sich dies zwingend aus der Art der Geschäfte und den dafür geltenden gesetzlichen Bestimmungen ergab (Urteil 4C.276/2006 vom 25. Januar 2007 E. 4.3 und 5).
In der Literatur besteht soweit ersichtlich Einigkeit darüber, dass der Agent zwar in einem gewissen Mass weisungsgebunden ist und die übernommenen Geschäfte vertragsgemäss und weisungsgemäss zu besorgen hat (GEORG GAUTSCHI, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1964, N. 6a zu
Art. 418c OR
; DOMINIQUE DREYER, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 9 f. zu
Art. 418c OR
; vgl. auch ANDRÉ THOUVENIN, Das Agenturvertragsrecht in der Schweiz, in: Internationales Handelsrecht 5/2007 S. 193; ERNST SONTAG, Kommentar zum Bundesgesetz über den Agenturvertrag, 1949, N. 1 zu
Art. 418a OR
; GUIDO MEISTER, Bundesgesetz über den Agenturvertrag, 1949, S. 23). Dabei sind auch einseitige Ausführungsanweisungen des Auftraggebers möglich, namentlich was die Einhaltung der Vertrags- und Zahlungsbedingungen für die vermittelten Geschäfte angeht. Dem Weisungsrecht im Agenturvertrag sind indessen relativ enge Grenzen gezogen, ist doch der Agent selbständiger Gewerbetreibender und kommt er für die Kosten seines Geschäftsbetriebes selber auf. Oneröse Weisungen, insbesondere solche, die dem Agenten die Erreichung des Auftragserfolgs erschweren, sind unzulässig (GAUTSCHI, a.a.O., N. 6a und c zu
Art. 418c OR
; SUZANNE WETTENSCHWILER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2007, N. 3 zu
Art. 418c OR
; DREYER, a.a.O., N. 9 f. zu
Art. 418c OR
). Organisatorisch ist der Agent weisungsungebunden, verfügt über seine Arbeitszeit frei, beschäftigt eigenes Hilfspersonal oder beauftragt in den Schranken von
Art. 399 Abs. 2 OR
Unteragenten. Diese Freiheit findet ihre Grenzen in der Pflicht zur sorgfältigen Geschäftserledigung sowie in Parteivereinbarungen (WETTENSCHWILER, a.a.O., N. 3 zu
Art. 418a OR
; THEODOR BÜHLER, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2000, N. 17 und 32 zu
Art. 418a OR
; GAUTSCHI, a.a.O., N. 6 zu
Art. 418c OR
; MEISTER, a.a.O., S. 23).
BGE 136 III 518 S. 521
Von der Weisungsgebundenheit ist die Treuepflicht zu unterscheiden, die namentlich in
Art. 418c OR
umschrieben und begrenzt wird. Danach hat der Agent die Interessen des Auftraggebers (mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes) zu wahren (
Art. 418c Abs. 1 OR
). Sofern nichts anderes schriftlich vereinbart ist, darf er auch für andere Auftraggeber tätig sein (
Art. 418c Abs. 2 OR
). Die gesetzliche Treuepflicht kann dem Agenten aber insbesondere verbieten, für einen Konkurrenten des Auftraggebers tätig zu werden oder den Auftraggeber selber zu konkurrenzieren. Ferner ist ihm verboten, eine Doppelvermittlung zu betreiben (Provisionsbezug sowohl vom Auftraggeber als auch vom Kunden). Sodann gebietet ihm die Treuepflicht, Interessenkollisionen zu vermeiden oder bei solchen sein Interesse vor dem des Auftraggebers zurücktreten zu lassen (WETTENSCHWILER, a.a.O., N. 4 f. zu
Art. 418c OR
; DREYER, a.a.O., N. 14 f. zu
Art. 418 OR
; GAUTSCHI, a.a.O., N. 3c zu
Art. 418c OR
und N. 4c zu
Art. 418d OR
; BÜHLER, a.a.O., N. 5 zu
Art. 418c OR
; PIERRE ENGEL, Contrats de droit suisse, 2. Aufl. 2000, S. 543 Ziff. 3 und S. 545 Ziff. 10; TERCIER/FAVRE/CONUS, Les contrats spéciaux, 4. Aufl. 2009, Rz. 5745 ff.; SONTAG, a.a.O., N. 11 zu
Art. 418a OR
, N. 1 zu
Art. 418c OR
und Kommentierung zu Abs. 2 von
Art. 418c OR
). Aus der Treuepflicht des Agenten lässt sich dagegen nicht auf eine weitere Weisungsgebundenheit schliessen, als sie vorstehend umschrieben wurde.
Es bleibt somit auch bei Berücksichtigung der Treuepflicht des Agenten dabei, dass den Weisungsbefugnissen des Auftraggebers im Rahmen des Agenturvertrags enge Grenzen gezogen sind. Insbesondere ist es ohne gegenteilige Parteivereinbarung Sache des Agenten, auf welche Weise er für den Auftraggeber Geschäfte vermittelt, und muss er sich die zu verfolgende Strategie nicht vom Auftraggeber vorschreiben lassen. Ebenso wenig kann vom Agenten verlangt werden, gegen seinen Willen mit einer neu geschaffenen Verkaufsorganisation des Auftraggebers zusammenzuarbeiten, wie dies der Beschwerdeführerin nach ihren Vorbringen im vorinstanzlichen Verfahren vorschwebt, wenn dies im Vertrag nicht vorgesehen ist. Darin läge ein nicht unerheblicher Eingriff in seine Freiheit zur organisatorischen und zeitlichen Gestaltung seiner Tätigkeit oder gar eine mehr oder weniger starke Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation. Dies ist dem Agenturvertrag fremd und braucht sich der Agent nicht gefallen zu lassen. Da der Beschwerdegegner nach den vorinstanzlichen Feststellungen keine vertragliche Verpflichtung eingegangen war, sich an einer neuen
BGE 136 III 518 S. 522
Vermarktungsstrategie der Beschwerdeführerin für das B.-Produkt zu beteiligen und mit deren hierfür geschaffenen Verkaufsorganisation zusammenzuarbeiten oder sich in eine solche einbetten zu lassen, kann ihm keine Vertragsverletzung vorgeworfen werden, wenn er eine entsprechende Zusammenarbeit verweigerte. Dies erkannte die Vorinstanz zu Recht. Der Beschwerdeführerin wäre es bei Vertragsabschluss freigestanden, auf einer zweiseitigen Regelung zu bestehen, die eine Einbindung des Beschwerdegegners in eine neu zu schaffende Verkaufsorganisation vorgesehen hätte. Nachdem sie dies nicht tat, kann sie sich nicht darauf berufen, ihr wäre die Weiterführung des Agenturverhältnisses bis zum vertraglichen Beendigungstermin nicht zumutbar gewesen, weil die Weigerung des Agenten, mit der neu geschaffenen Verkaufsorganisation zusammenzuarbeiten, für sie fatal gewesen wäre und im Ergebnis dazu geführt hätte, dass der Agent geradezu das Recht gehabt hätte, organisatorische Massnahmen der Auftraggeberin zu genehmigen, mithin dieser Weisungen zu erteilen. Ohnehin können die entsprechenden Vorbringen grösstenteils nicht gehört werden, weil sie sich weitgehend auf Sachverhaltselemente stützen, hinsichtlich derer die Vorinstanz keine Feststellungen traf, ohne dass die Beschwerdeführerin dazu taugliche Sachverhaltsrügen erheben würde (nicht publ. E. 1.3).
Nach dem Ausgeführten ist der Vorinstanz von vornherein keine Rechtsverletzung vorzuwerfen, wenn sie keine weitergehenden Sachverhaltsfeststellungen dazu traf, worin die vom neuen Verkaufsleiter gewünschte kooperative Zusammenarbeit mit dem Beschwerdegegner im Einzelnen bestanden hätte. Ohnehin erhebt die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit den dazu vorgebrachten, über den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt hinausgehenden Tatsachenbehauptungen keine rechtsgenüglich substanziierten Sachverhaltsrügen, die zur Ergänzung des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts durch das Bundesgericht oder zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Sachverhaltsergänzung führen könnten (nicht publ. E. 1.3).
4.5
Die Vorinstanz schloss damit zutreffend, die fristlose Kündigung des Vertragsverhältnisses sei mangels Vertragsverletzung durch den Beschwerdegegner zu Unrecht erfolgt. (...) | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
67b3e72e-fa44-4ab8-89c8-7064e053d452 | Urteilskopf
117 Ib 308
37. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6. November 1991 i.S. P. und Mitb. gegen Einwohnergemeinderat Alpnach und Regierungsrat des Kantons Obwalden (Verwaltungsgerichtsbeschwerden) | Regeste
Bauvorhaben in einer im massgeblichen Zeitpunkt nicht erschlossenen Zone (Kurzone). Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; Begriff der Erschliessung, Lärmschutz.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid, mit dem die Baubewilligung wegen entgegenstehender Lärmimmissionen und damit wegen fehlender Erschliessung der zur Verwirklichung des Bauvorhabens vorgesehenen Parzelle verweigert wird (E. 1a).
2. Beim Begriff der Erschliessung (
Art. 24 USG
,
Art. 19 RPG
,
Art. 4 WEG
) handelt es sich um einen bundesrechtlichen Begriff (E. 4a).
3. Frage offengelassen, ob es sich bei der betroffenen Kurzone um eine bestehende Bauzone für Gebäude mit lärmempfindlichen Räumen im Sinne von
Art. 24 Abs. 2 USG
und
Art. 30 LSV
handelt (E. 3). Die im massgeblichen Zeitpunkt nicht erschlossene Zone ist einer andern Nutzungsart zuzuführen, sofern in ihrem überwiegenden Teil die Planungswerte nicht eingehalten werden können (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 309
BGE 117 Ib 308 S. 309
Am 7. Februar 1989 reichte die Firma P. ein Baugesuch für einen Restaurationsbetrieb mit Nebenräumen ein. Das Bauvorhaben liegt auf der Parzelle Nr. 134, Riedmattli, unmittelbar östlich der N8 am Alpnachersee in der Gemeinde Alpnach. Die Parzelle gehört vier Miteigentümerinnen. Diese haben der Firma P. für den Fall der Realisierung des Vorhabens in einem Vorvertrag vom 11. Mai 1989 die Begründung eines selbständigen und dauernden Baurechts versprochen. Am 30. Oktober 1989 erteilte der Einwohnergemeinderat Alpnach der Baugesuchstellerin die nachgesuchte Bewilligung unter Vorbehalt der Erteilung des Wirtschaftspatentes, der Genehmigung der Ausnahmebewilligung bezüglich Waldabstand und der Erteilung der Bewilligung für Bootsanlegeplätze sowie mit zahlreichen Auflagen. Die vom Unterwaldner Bund für Naturschutz (UBN) und vom World Wildlife Fund (WWF), Sektion Unterwalden, erhobenen Einsprachen wurden vom Einwohnergemeinderat Alpnach abgewiesen. Gemäss der Baubewilligung sollen neben dem Restaurationsbetrieb mit Ausstellungs- und Nebenräumen auch zwei 3 1/2-Zimmer-Wohnungen für Personal und sechs Angestelltenzimmer erstellt werden. Unter Buchstabe m) wurde folgendes festgelegt:
"Die Anforderungen der Lärmschutzverordnung sind zu erfüllen. Die dafür
nötigen Massnahmen sind am Bau vorzunehmen (keine Lärmschutzwand!)."
In der Begründung führte der Einwohnergemeinderat dazu aus, er habe die zu erwartenden Lärmbelastungen erhoben und anhand des Umweltschutzgesetzes und der Lärmschutzverordnung beurteilt. Der auf der N8 verursachte Strassenlärm lasse bei Empfindlichkeitsstufe III die Immissionsgrenzwerte an der Westfassade
BGE 117 Ib 308 S. 310
um 1-3 dB(A) überschreiten. Werde das Gebiet der Empfindlichkeitsstufe III zugeordnet, so werde der Immissionsgrenzwert um bis zu 7 dB(A) überschritten. Um die Anforderungen der Lärmschutzverordnung zu erfüllen, seien ergänzende Schallschutzmassnahmen an den geplanten Gebäuden vorzunehmen, so dass die entsprechenden Belastungsgrenzwerte eingehalten werden könnten.
Gegen die Abweisung ihrer Einsprachen bzw. die Erteilung der Baubewilligung erhoben der UBN und der WWF beim Regierungsrat des Kantons Obwalden Baubeschwerde.
Als das Amt für Umweltschutz des Kantons Obwalden im Zusammenhang mit den nachgesuchten Ausnahmebewilligungen für einen verringerten Waldabstand und die Bootsanlegeplätze von der Baubewilligung Kenntnis erhielt, teilte es dem Einwohnergemeinderat Alpnach mit, welche Lärmschutzwerte nach seiner Auffassung beim geplanten Bauprojekt einzuhalten seien, und es machte die Weiterführung der Ausnahmebewilligungsverfahren von einer Bereinigung der Lärmproblematik abhängig. Nach einer Besprechung mit sämtlichen Beteiligten verfügte das kantonale Amt für Umweltschutz gestützt auf Art. 44 Abs. 3 der Lärmschutzverordnung was folgt:
"- Die Parzelle Nr. 134, Riedmattli, Alpnachstad, ist als nicht
erschlossen einzustufen.
- Der in der Kurzone liegenden lärmvorbelasteten Parzelle Nr. 134 ist die
Empfindlichkeitsstufe III zuzuordnen. Für alle lärmempfindlichen Räume
(Art. 2 Abs. 6 Lärmschutzverordnung) sind die entsprechenden Planungswerte
zu garantieren. Eine allfällige Erhöhung der Planungswerte um 5 dB(A) für
die Räume des Restaurants ist nur unter Einhaltung von Art. 12 Abs. 2
Lärmschutzverordnung möglich."
Gegen diesen Entscheid erhoben u.a. die Firma P. und die Miteigentümerinnen des Baugrundstücks Riedmattli Beschwerde beim kantonalen Justizdepartement. Sie beantragten, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, soweit dieser festlege, dass die Parzelle Nr. 134 als nicht erschlossen einzustufen sei; es sei festzustellen, dass die Parzelle erschlossen sei und demzufolge die Immissionsgrenzwerte gemäss Lärmschutzverordnung zur Anwendung gelangten. Ferner sei zu bestätigen, dass der Parzelle Nr. 134 die Empfindlichkeitsstufe III zuzuordnen sei.
Der Regierungsrat des Kantons Obwalden vereinigte die Verfahren gegen die Baubewilligung und gegen die Verfügung des Amts für Umweltschutz und führte aus, dass die Verfügung dieses
BGE 117 Ib 308 S. 311
Amts richtigerweise in den Entscheid über das Baugesuch hätte einfliessen müssen. Er wies - soweit hier interessierend - mit Beschluss vom 26. Juni 1990 die Beschwerden der Firma P. und der Miteigentümerinnen ab, soweit beantragt wurde, der Entscheid des Amtes für Umweltschutz vom 24. Januar 1990 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Parzelle Nr. 134 erschlossen sei und dass die Immissionsgrenzwerte einzuhalten seien. Gleichzeitig hob er die Baubewilligung des Einwohnergemeinderates Alpnach vom 30. Oktober 1989 auf.
Am 30. August 1990 bzw. 3. September 1990 erhoben die Firma P. und die Miteigentümerinnen des Grundstücks Riedmattli Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit den im wesentlichen gleichlautenden Anträgen, der Beschluss des Regierungsrates Obwalden vom 26. Juni 1990 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Parzelle Nr. 134 in Alpnachstad erschlossen sei und dass demzufolge für die Beurteilung des Bauvorhabens auf der Parzelle Nr. 134 die Immissionsgrenzwerte der Empfindlichkeitsstufe III zur Anwendung gelangen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab, soweit auf sie eingetreten werden kann.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gemäss Art. 54 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG, SR 814.01) richtet sich das Beschwerdeverfahren nach dem Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) und nach dem Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG, SR 173.110). Nach
Art. 97 OG
in Verbindung mit
Art. 5 VwVG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen, sofern diese von den in
Art. 98 OG
genannten Vorinstanzen erlassen worden sind und keiner der in
Art. 99-102 OG
oder in der Spezialgesetzgebung vorgesehenen Ausschlussgründe gegeben ist.
Im vorliegenden Fall ist die Anwendung des Umweltschutzgesetzes und der Lärmschutzverordnung (LSV, SR 814.331) streitig. Umstritten ist insbesondere, ob der Bewilligung des Bauvorhabens die Lärmimmissionen durch die N8 entgegenstehen. Beim Beschluss des Regierungsrates handelt es sich daher, soweit er von den Beschwerdeführern angefochten worden ist, um eine Verfügung,
BGE 117 Ib 308 S. 312
welche sich auf öffentliches Recht des Bundes stützt (
BGE 116 Ib 163
, 115 Ib 351, 385, mit weiteren Hinweisen). Weder die
Art. 99 ff. OG
noch die Spezialgesetzgebung sehen einen Ausschlussgrund vor. Der Regierungsrat des Kantons Obwalden entscheidet zudem kantonal letztinstanzlich über Baubeschwerden der vorliegenden Art (Art. 28 des Baugesetzes des Kantons Obwalden vom 4. Juni 1972; Art. 63 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes vom 4. März 1973 über die Gerichtsorganisation;
Art. 98 lit. g OG
) sowie über Beschwerden im Bereich des Umweltschutzrechts (Art. 9 der Ausführungsbestimmungen vom 3. Juni 1985 des Kantons Obwalden zum USG). Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Entscheid berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (
Art. 103 lit. a OG
). Auch die übrigen Prozessvoraussetzungen sind erfüllt. Auf die Beschwerden ist somit einzutreten.
3.
a) Gemäss
Art. 24 Abs. 1 USG
dürfen neue Bauzonen für Wohngebäude oder andere Gebäude, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, nur in Gebieten vorgesehen werden, in denen die Lärmimmissionen die Planungswerte nicht überschreiten oder in denen diese Werte durch planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen eingehalten werden können. Werden die Planungswerte in einer bestehenden, aber noch nicht erschlossenen Bauzone für Wohngebäude oder andere Gebäude, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, überschritten, so sind sie gemäss
Art. 24 Abs. 2 USG
einer weniger lärmempfindlichen Nutzungsart zuzuführen, sofern nicht durch planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen im überwiegenden Teil dieser Zone die Planungswerte eingehalten werden können. Die bei Inkrafttreten der Lärmschutzverordnung am 1. April 1987 noch nicht erschlossenen Bauzonen für Gebäude mit lärmempfindlichen Räumen dürfen gemäss
Art. 30 LSV
nur so weit erschlossen werden, als die Planungswerte eingehalten sind oder durch eine Änderung der Nutzungsart oder durch planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen eingehalten werden können. Die Vollzugsbehörde kann für kleine Teile von Bauzonen Ausnahmen gestatten. In bestehenden, erschlossenen Bauzonen sind in der Regel die Immissionsgrenzwerte zu beachten (
Art. 22 USG
,
Art. 31 LSV
). Die Regel, dass in neuen oder noch nicht erschlossenen Bauzonen im Gegensatz zu den bestehenden und erschlossenen Zonen die strengeren Planungswerte und nicht die Immissionsgrenzwerte einzuhalten sind, ist Ausdruck des Vorsorgeprinzips,
BGE 117 Ib 308 S. 313
welches die gesamte Umweltschutzgesetzgebung beherrscht (s.
BGE 116 Ib 168
E. 7, 265 ff., 445 f., zudem
BGE 117 Ib 34
).
b) Es ist nicht bestritten, dass das Bauvorhaben der Beschwerdeführer insbesondere wegen der vorgesehenen Wohnungen und der Angestelltenzimmer dem längeren Aufenthalt von Personen dient und dass es so, wie es heute ausgestaltet ist, die Planungswerte der Empfindlichkeitsstufe III nicht einhält. Vielmehr werden gemäss den unbestrittenen Ausführungen in der Baubewilligung des Einwohnergemeinderates Alpnach an der Westfassade, wo sich offenbar auch Schlafräume befinden, selbst die Immissionsgrenzwerte der Empfindlichkeitsstufe III um 1-3 dB(A) überschritten. Dass das Vorhaben die Immissionsgrenzwerte einhalten muss, wird auch von den Beschwerdeführern nicht in Abrede gestellt. Das Bauvorhaben könnte deshalb in der eingereichten Form selbst dann nicht bewilligt werden, wenn es sich in einer bestehenden und erschlossenen Bauzone befinden würde. Wie der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid zu Recht ausführt, können ergänzende Schallschutzmassnahmen, welche bei offenem Fenster die Lärmbelastung reduzieren, nicht in allgemeiner Weise als Auflage zur Baubewilligung formuliert werden. Vielmehr bedürfen solche Massnahmen einer Projektänderung, welche gegenwärtig nicht vorliegt. Die Beschwerde gegen den Bauabschlag durch den Regierungsrat ist daher bereits aus diesem Grunde abzuweisen.
c) Das Bauvorhaben soll gemäss Zonenplan aus dem Jahre 1971 in der Kurzone der Gemeinde Alpnach verwirklicht werden, welche für Bauten und Anlagen vorgesehen ist, die dem Tourismus und der Erholung dienen. Das Bundesamt für Raumplanung vertritt in seinem Bericht vom 21. Dezember 1990 die Auffassung, diese altrechtliche Kurzone könne nicht als bestehende Bauzone im Sinne von
Art. 24 Abs. 2 USG
anerkannt werden (CHRISTOPH BANDLI, in: Kommentar USG, N 7 und N 10 zu Art. 24), weil die Gemeinde Alpnach ihren Zonenplan bis Ende 1987 dem Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG, SR 700) hätte anpassen müssen, was sie indes nicht getan habe. Würde diese Auffassung zutreffen, dann könnte in der Gemeinde Alpnach nur mehr ein beschränktes Kerngebiet, etwa das weitgehend überbaute Gebiet als (vorläufige) Bauzone gelten, und zwar so lange, bis ein neuer Nutzungsplan nach den Vorschriften des RPG erlassen worden ist (
Art. 35 und 36 RPG
). Tatsächlich hatte die Gemeinde Alpnach im Jahre 1988 einen Entwurf für einen Zonenplan vorgelegt.
BGE 117 Ib 308 S. 314
Dieser wurde vom Baudepartement im Februar 1989 vorgeprüft, konnte aber bisher noch nicht verabschiedet und in Rechtskraft gesetzt werden. Die Frage, ob es sich bei der Kurzone der Gemeinde Alpnach um eine bestehende Bauzone für Gebäude mit lärmempfindlichen Räumen im Sinne von
Art. 24 Abs. 2 USG
und
Art. 30 LSV
handelt, braucht indessen nicht beantwortet zu werden, wie im folgenden zu zeigen sein wird.
4.
Auch wenn die Kurzone von Alpnach als bestehende Bauzone betrachtet wird, war sie jedenfalls im massgeblichen Zeitpunkt (1. April 1987) noch nicht erschlossen.
a) Der Botschaft zum USG lässt sich für die Beantwortung der Frage, wann eine Bauzone im Sinne von
Art. 24 USG
bzw. 30 LSV als erschlossen gilt, nichts entnehmen. In der Lehre wird die Meinung vertreten, verlangt werde eine vollständige Erschliessung im Sinne von
Art. 19 RPG
(CHRISTOPH BANDLI, a.a.O., N 11 zu
Art. 24 USG
). Tatsächlich bestehen keine Hinweise dafür, dass der Begriff der Erschliessung nach RPG und USG - oder auch nach Art. 4 des Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes (WEG, SR 843) - nicht identisch wäre. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen bundesrechtlichen Begriff (vgl.
BGE 116 Ib 166
); im Interesse der Einheitlichkeit des Bundesrechts ist somit davon auszugehen, dass zur Auslegung von
Art. 24 Abs. 2 USG
insbesondere auch
Art. 19 RPG
herangezogen werden muss. Nach dieser Bestimmung gilt eine Bauzone als erschlossen, wenn die für die betreffende Nutzung hinreichende Zufahrt besteht und die erforderlichen Wasser-, Energie- sowie Abwasserleitungen so nahe heranführen, dass ein Anschluss ohne erheblichen Aufwand möglich ist (
Art. 19 Abs. 1 RPG
). Da das Bundesrecht an die jeweilige Nutzung der konkreten Bauzone anknüpft und von den dafür nötigen Erschliessungsanlagen spricht, sind die Anforderungen je nach Nutzungszone unterschiedlich und hangen auch von der Ausgestaltung der Spezialgesetzgebung sowie des kantonalen und kommunalen Rechts ab. Weder das Baugesetz des Kantons Obwalden vom 4. Juni 1972 (Art. 4 und Art. 21 Abs. 1 lit. f) noch die dazugehörende Vollziehungsverordnung vom 18. April 1972 (Art. 1 Abs. 2 lit. e, Art. 2 Abs. 1 lit. d) stellen indessen konkretere Anforderungen an die Baulanderschliessung; und auch die Bestimmung von Art. 3 des Gemeinde-Baureglements vom 25. April 1980 von Alpnach, die sich mit der Erschliessung befasst, enthält keine Vorschrift, welche wesentlich mehr aussagen würde als das Bundesrecht. Was insbesondere die Kanalisationserschliessung
BGE 117 Ib 308 S. 315
anbelangt, liefert für den vorliegenden Fall auch das Bundesgesetz vom 8. Oktober 1971 über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (SR 814.20, insbesondere Art. 19) keine zusätzlichen Gesichtspunkte.
b) Der Regierungsrat hat im angefochtenen Beschluss unter anderem ausgeführt, der Kurzone östlich der Autobahn fehle die erforderliche Kanalisationserschliessung. Dies trifft zu. Gegenwärtig besteht ein Kanalisationsstrang lediglich westlich der N8. Die Kurzone östlich der N8, welche nicht nur die Parzelle Nr. 134 umfasst, sondern auch den Campingplatz, die Werft Herzog sowie die Fussballplätze und die Tennisanlage (Parzellen Nrn. 134, 136, 137, 138, 1325 und 139), ist demgegenüber nicht an das Kanalisationsnetz angeschlossen. Der Bau einer gemeindeeigenen Kanalisationsleitung einschliesslich eines Pumpwerks auf der Westseite der Autobahn ist zwar geplant. Die Einwohnergemeindeversammlung hat aber über den entsprechenden Ausführungskredit noch nicht abgestimmt. Nach den Ausführungen der Gemeinde in ihrem Bericht vom 17. September 1991 soll das Projekt unter Vorbehalt der Genehmigung an der Gemeindeversammlung vom 12. Dezember 1991 im Frühjahr 1992 erstellt werden. Sie hat dazu einen Plan betreffend den Anschluss der Kurzone in Alpnachstad (Vorschlag 4, Situation 1:500, vom 12. August 1991) zu den Akten gegeben. Es kann aus diesen Gründen nicht gesagt werden, die Kurzone von Alpnach östlich der N8 sei im massgeblichen Zeitpunkt am 1. April 1987 kanalisationsmässig erschlossen gewesen oder die Kanalisationserschliessung der Kurzone sei ohne erheblichen Aufwand möglich gewesen. Fehlt die Kanalisationserschliessung der gesamten Kurzone östlich der Autobahn, ist zur Behebung dieses Mangels ein erheblicher Aufwand erforderlich.
c) Die Beschwerdeführer machen geltend, diese Aussage möge zwar bezüglich der Kurzone insgesamt gelten; ihre eigene Parzelle Nr. 134, welche sich unmittelbar an die Autobahn anschliesse, könne jedoch ohne erheblichen Aufwand erschlossen werden, indem diese über einen bereits heute bestehenden Schacht am Rande dieser Parzelle durch die Autobahn hindurch direkt an die Kanalisation auf der Westseite der Autobahn angeschlossen und dafür eine Leitung von etwa 100 m und ein eigenes kleines Pumpwerk erstellt werden könne.
Der Instruktionsrichter hat die Beschwerdeführerin 1 aufgefordert, einen Plan über die vorgesehene private Kanalisationserschliessung
BGE 117 Ib 308 S. 316
für die Parzelle Nr. 134 einzureichen. Die Beschwerdeführerin hat dazu eine Kopie des bereits erwähnten Plans der Gemeinde Alpnach (Vorschlag 4, Situation 1:500, mit Änderungen vom 11. September 1991) eingereicht und in diesen Plan farbig die private Kanalisation eingezeichnet. Gemäss diesem Plan ist ein privater Strang vom Kanalisationsschacht nördlich des Bahnhofs durch die Parzelle Nr. 907 der SBB und anschliessend durch die Autobahnparzelle Nr. 1488 des Staates Obwalden hindurch in östlicher Richtung bis ungefähr 40 m in die Parzelle Nr. 134 der Beschwerdeführer hinein vorgesehen. Anschliessend biegt er nach Süden ab und wird in einer Länge von ca. 55 m zu den vorgesehenen Gebäuden und zur privaten Pumpstation geführt. Insgesamt weist der erforderliche Kanalisationsstrang vom Kanalisationsschacht nördlich des Bahnhofs bis zum Bauvorhaben der Beschwerdeführer eine Länge von ca. 170 m auf. Unter der Autobahn besteht zwar bereits ein Hüllrohr zur Aufnahme von Druckleitungen; die Leitungen selber sind indessen noch nicht erstellt. Ist aber zur Erschliessung des Bauvorhabens ein Pumpwerk sowie ein Kanalisationsstrang von 170 m Länge erforderlich, kann nicht gesagt werden, die Erschliessung sei ohne erheblichen Aufwand möglich. Diese private Leitung führt zudem über fremdes Eigentum, und es wurde weder eine Durchleitungsbewilligung seitens des Staates Obwalden als Eigentümer der Autobahnparzelle noch eine solche seitens der SBB als Eigentümerin der unmittelbar anschliessenden Eisenbahnparzelle vorgelegt. Gemäss Art. 9 des Kanalisationsreglements der Einwohnergemeinde Alpnach vom 11. Juni 1990 ist aber bei Beanspruchung fremden Grundeigentums eine entsprechende Dienstbarkeit im Grundbuch eintragen zu lassen und insbesondere dann, wenn ein dem Kanton gehörendes Gebiet gequert wird, die Bewilligung des Baudepartements einzuholen. Eine solche Bewilligung liegt nicht bei den Akten und dürfte angesichts der gegenwärtigen prozessualen Situation kurzfristig auch nicht erhältlich sein.
d) Die Kurzone und insbesondere die Parzelle Nr. 134 waren demnach im massgeblichen Zeitpunkt nicht erschlossen. Bei dieser Sachlage ist die Kurzone östlich der N8 einer andern Nutzungsart zuzuführen, sofern nicht durch planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen im überwiegenden Teil dieser Zone die Planungswerte eingehalten werden können. Sie darf nur so weit für Gebäude mit lärmempfindlichen Räumen erschlossen werden, als die Planungswerte eingehalten werden können. Allenfalls kann die
BGE 117 Ib 308 S. 317
Vollzugsbehörde für kleine Teile von Bauzonen Ausnahmen gestatten. Bei der Parzelle Nr. 134 handelt es sich indessen nicht um einen kleinen Teil der Kurzone. Soweit die Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Feststellung verlangen, dass das fragliche Gebiet erschlossen ist und daher die Immissionsgrenzwerte zur Anwendung gelangen, sind ihre Beschwerden unbegründet und abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
67b3ea5e-377e-436d-8782-c791ffeb52bf | Urteilskopf
97 II 142
21. Arrêt de la Ire Cour civile du 15 juin 1971 dans la cause F. contre L. | Regeste
Beendigung des Dienstvertrages aus wichtigen Gründen.
1. Voraussetzungen, unter denen der Vertrag vorzeitig gestützt auf
Art. 352 OR
beendet werden darf (Erw. 2a); ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall (Erw. 2b und 3).
2. Die Auflösung des Vertrages gestützt auf
Art. 352 OR
wirkt ex nunc (Erw. 4a). Der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses geschuldete Lohn darf nicht wegen schuldhaften Verhaltens des Dienstpflichtigen nach
Art. 44 OR
herabgesetzt werden (Erw. 4b).
3. Anwendungsbereich der
Art. 328 Abs. 2 und 353 OR
(Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 142
BGE 97 II 142 S. 142
A.-
Par contrat du 4 janvier 1967, la société fiduciaire F. a engagé en qualité de "collaborateur" L., licencié en droit. Aux termes de l'art. 2, son activité consistait notamment dans la "direction collégiale" à trois d'une succursale de la société et dans "tous les travaux de la branche fiduciaire"; il recevait dès son entrée en fonctions le titre de fondé de pouvoir (art. 18). Il avait droit à un traitement mensuel de 1800 fr. (art. 11), à 15% du bénéfice net réalisé par la succursale (art. 17), au remboursement des frais effectifs - notamment du prix de l'abonnement de train pour le déplacement du domicile au lieu de travail - occasionnés par l'exercice de son activité (art. 8) ainsi qu'à une indemnité mensuelle de 300 fr., majorée de 13ct./km, pour l'usage professionnel de sa voiture privée. L'art. 20 stipulait ce qui suit: "Le présent contrat entre en vigueur à sa signature et sa durée est indéterminée. Les parties
BGE 97 II 142 S. 143
peuvent se départir du contrat moyennant préavis par lettre recommandée adressée six mois à l'avance pour la fin d'un semestre civil".
Le même jour, les parties ont conclu un contrat de vente d'actions. F. cédait à L. six actions nominatives de 500 fr. et une action au porteur de 2500 fr. de F., entièrement libérées, pour le prix de 7200 fr., payable à raison de 1700 fr. au comptant, le solde par mensualités de 100 fr. dès le 31 janvier 1967. Ce solde portait intérêt à 6%, calculé selon la méthode bancaire, le 31 décembre de chaque année. Il était loisible à l'acquéreur de se libérer en tout temps.
B.-
F. a congédié L. avec effet immédiat pour de justes motifs par lettre du 29 décembre 1967. Elle se référait aux conditions d'engagement de son collaborateur ainsi qu'à des entretiens relatifs à son "travail en général" et à son "comportement en particulier" et lui reprochait de n'avoir pas rempli ses obligations et d'avoir porté préjudice à la société par sa "carence". Elle entendait en outre lui demander réparation du dommage, estimé à 20 000 fr. au moins, qu'elle subissait en raison de sa "carence" et de son "incurie".
L. a cessé son travail auprès de F. Depuis le début de 1968, il a exercé une activité sporadique d'auxiliaire dans un office des poursuites; le 25 mai 1968, il a trouvé un nouvel emploi équivalent à celui qu'il occupait depuis le 4 janvier 1967.
C.-
Par demande du 5 février 1968, L. a ouvert action contre F. en paiement de 34 712 fr. avec intérêt et en annulation du contrat de vente d'actions. Il contestait l'existence de justes motifs de résiliation anticipée et faisait valoir que le contrat de vente d'actions était lié au contrat de travail, la résiliation du second entraînant l'annulation du premier. Le détail de ses prétentions était le suivant:
a) salaire d'octobre à décembre 1967 Fr. 6582.--
b) restitution, avec intérêt, des acomptes versés sur le prix des actions Fr. 2115.50
c) frais de déplacement Fr. 15.-
d) participation de 15% au bénéfice de 1967, évaluée à Fr. 6000.--
e) dommages-intérêts Fr. 12 800.--
f) tort moral Fr. 8000.--
BGE 97 II 142 S. 144
- (recte: Fr. 35 512.50)
L. a réduit ultérieurement ses prétentions à 25 000 fr.
F. a conclu au rejet de l'action et, par demande reconventionnelle, a réclamé les montants suivants, avec intérêt:
a) 9 mensualités de 100 francs échues sur la vente des actions Fr. 900.--
b) 2intérêt à 6% au 31. 12. 1967 sur le solde impayé du prix Fr. 317.85
c) solde du prix en capital Fr. 4300.--
d) dommages-intérêts consécutifs à la violationdes obligations de l'employé, égaux à la moitié de la perte de lasuccursale pour l'exercice 1967 Fr. 29 500.--
- dont à déduire: 3 mois de salaire et decontribution à l'assurance-maladie Fr. 5520.--
- soit Fr. 23 980.--
- au total Fr. 29 497.85
Par arrêt du 12 novembre 1970, le Tribunal cantonal valaisan a admis la demande à concurrence de 11 997 fr. avec intérêt à 5% dès le 6 février 1968 et a alloué à la défenderesse ses conclusions reconventionnelles pour un montant de 5200 fr. avec intérêt à 6% à calculer le 31 décembre de chaque année selon le système bancaire; ces créances pouvaient être compensées. Les motifs du Tribunal cantonal sont en bref les suivants:
Il n'y a pas de justes motifs de résiliation anticipée selon l'art. 352 CO, quand bien même le demandeur n'était manifestement pas apte à remplir les fonctions qui lui avaient été confiées. Il n'a pas à répondre du déficit de la succursale pour l'exercice 1967, de sorte que la demande reconventionnelle en dommages-intérêts doit être rejetée. Le demandeur a droit à son plein salaire pour le dernier trimestre de 1967, soit 6582 fr. Il pourrait en principe prétendre à son salaire jusqu'au plus prochain terme normal de congé, sous déduction des revenus acquis dans l'intervalle. Compte tenu de toutes les circonstances, notamment de la pénurie actuelle de juristes, il est équitable de lui allouer 5400 fr., c'est-à-dire son salaire sans les accessoires pendant trois mois. Sont encore dus les 15 fr. réclamés pour un déplacement. Quant à la vente des actions, elle est indépendante du contrat de travail. Le demandeur reste ainsi débiteur du solde du prix de 5200 fr., dont 4000 fr. sont échus au 1 er novembre 1970. Le surplus est payable par acomptes mensuels de 100 fr.
BGE 97 II 142 S. 145
D.-
F. recourt en réforme au Tribunal fédéral et reprend ses conclusions antérieures. Subsidiairement, elle propose le renvoi de l'affaire à l'autorité cantonale pour nouvelle décision.
L'intimé conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Faute de recours du demandeur, les points suivants de l'arrêt déféré ne sont plus litigieux devant l'instance fédérale: rejet de la demande en paiement de 6000 fr. à titre de participation au bénéfice de l'année 1967 et de 8000 fr. à titre d'indemnité pour tort moral; admission de la demande reconventionnelle en tant qu'elle concernait le prix de vente des actions de F., la recourante renonçant expressément à la rectification d'une inadvertance des premiers juges sur le nombre des mensualités échues. Enfin, l'allocation d'un montant de 15 fr. pour frais de déplacement du demandeur n'est pas contestée.
2.
La recourante soutient que la cour cantonale a violé l'art. 352 CO en niant l'existence de justes motifs de résiliation anticipée du contrat de travail par l'employeur.
a) L'art. 352 CO repose sur l'idée que l'exécution du contrat de travail, comme celle de tout contrat d'une certaine durée qui fait intervenir l'activité personnelle de l'une des parties (cf. RO 97 II 66 et les références citées; arrêt non publié Isolag AG für Isolierungen c. Soundex AG du 31 décembre 1957, consid. 2), suppose la confiance mutuelle de celles-ci; si cette confiance est détruite par le fait d'une partie, le maintien du contrat ne saurait être imposé à l'autre (arrêt non publié Bugnion c. Defossez du 5 avril 1966, consid. 1). L'application de l'art. 352 CO est ainsi subordonnée à deux conditions.
Il faut, d'une part, que les actes ou le comportement invoqués soient de nature à ruiner la confiance mutuelle des cocontractants; ils doivent présenter une certaine gravité objective. En particulier, n'importe quel manquement de l'employé ne saurait constituer un juste motif au sens de l'art. 352 CO; on doit se montrer d'autant plus exigeant à cet égard que le contrat a été conclu pour une durée plus longue (arrêt non publié Modern AG c. Meyer du 23 décembre 1952, consid. 5a). A plus forte raison doit-il en aller de même lorsque l'employeur reproche simplement à l'employé d'avoir déçu les espérances qu'il plaçait en lui, et se plaint de son rendement insuffisant. Il y'a lieu de tenir compte de toutes les circonstances du cas concret,
BGE 97 II 142 S. 146
notamment de la nature du travail promis (OSER/SCHÖNENBERGER, ad art. 352 CO n. 11). Les exigences relatives à la qualité du travail seront d'autant plus élevées que l'emploi est plus important. L'incapacité professionnelle n'est un motif de renvoi abrupt que si l'employé ne remplit pas les exigences minimales que l'employeur est en droit d'attendre de tout collaborateur pour un poste du même genre (BECKER, ad art. 352 CO n. 23), et qu'une amélioration ultérieure est improbable. Une faute de l'employé n'est pas une condition indispensable (OSER/SCHÖNENBERGER, ad art. 352 CO n. 7).
Il faut, d'autre part, que la confiance mutuelle ait été effectivement détruite. Il se peut que le comportement de l'une des parties soit objectivement de nature à ruiner cette confiance, mais que l'autre partie renonce à se prévaloir de l'art. 352 CO. Aussi la jurisprudence exige-t-elle de celui qui entend invoquer cette disposition qu'il le fasse sans délai (RO 75 II 332, 69 II 311s., arrêts précités Bugnion c. Defossez, consid. 1 et Isolag AG für Isolierungen c. Soundex AG, consid. 3). Il faut entendre par là non pas une déclaration immédiate, mais une manifestation de volonté intervenant après un bref délai de réflexion (RO 69 II 312; cf. aussi RO 93 II 18s.); une trop longue attente comporterait la renonciation à se prévaloir de ce moyen (RO 75 II 332; arrêt non publié "Président"-Hôtels SA c. Weissen du 14 juillet 1964, consid. 2).
b) En l'espèce, il ressort de l'art. 2 du contrat du 4 janvier 1967, auquel se réfère l'arrêt attaqué, que l'intimé était chargé de la direction collégiale, avec deux autres collaborateurs, de la succursale de F. Son activité, qui consistait "en tous les travaux de la branche fiduciaire", comportait divers travaux juridiques et comptables, tels que l'établissement de contrats et conventions, la mise sur pied, l'organisation, la tenue et le bouclement de toutes comptabilités et comptes. Aux termes de l'art. 18 du contrat, il recevait à son entrée en fonction le titre de fondé de pouvoir, ceux de sous-directeur, directeur-adjoint puis directeur lui étant réservés selon les qualités démontrées dans l'ensemble de son activité.
La cour cantonale a notamment fondé son appréciation sur les déclarations, relatives au travail du demandeur, de plusieurs employés de la défenderesse entendus comme témoins. Elle relève qu'aux dires du sous-directeur de la succursale, "le demandeur ne faisait rien"; lorsqu'il fut congédié, le personnel
BGE 97 II 142 S. 147
du bureau s'est demandé pourquoi on avait attendu si longtemps pour prendre cette mesure; L. était apathique et n'avait aucune initiative. L'arrêt déféré cite encore cette déclaration d'un autre collaborateur de la succursale: "Si j'ai dit, que je doutais de ses compétences, c'est qu'en comptabilité, il ne connaissait rien et que de plus, il était passif et ne recherchait pas le travail ni ne s'intéressait au travail de la Fiduciaire". La cour cantonale s'est en outre fondée sur le rapport d'expertise comptable du 24 février 1969, dont elle extrait notamment la constatation suivante: "Le manque de rendement de l'activité du bureau est évident. Les rapports de travail stipulent de nombreuses heures dites ‹d'études›. Dans cette alternative il devait s'agir ou bien de cas spéciaux, ou de recherches nécessitées par manque de connaissance de la branche." Interrogé au sujet des montants improductifs importants qui ressortaient de ses fiches de travail, le demandeur ne les a pas reconnus, pour n'avoir pas pu les contrôler. Mais dans une lettre du 2 mai 1968 à son conseil d'alors, il indique exactement les montants de son travail productif pour le mois de janvier à novembre 1967. Il en résulte à l'évidence que ces montants sont anormalement bas; or le demandeur ne prétend pas avoir eu à s'occuper de cas spéciaux. La cour cantonale n'a pas tenu compte de la lettre du 2 mai 1968, pourtant produite en justice par le demandeur. Il y a lieu de compléter ses constatations sur ce point, purement accessoire (art. 64 al. 2 OJ).
La juridiction valaisanne conclut des preuves administrées que le demandeur n'avait manifestement pas du tout les qualités requises pour exercer le poste qui lui avait été confié. La cour de céans ne peut que se rallier à cette conclusion. Elle doit être précisée en ce sens que l'employé ne remplissait pas les exigences minimales, au point de vue de sa capacité professionnelle, qu'on était en droit d'attendre de lui. Non seulement il n'a rien fait pour acquérir les connaissances qui lui faisaient défaut, mais il a aggravé cette carence par un manque caractérisé d'initiative et d'intérêt pour son travail. Une telle attitude et une telle improductivité étaient incompatibles avec les fonctions dirigeantes que lui assignait le contrat du 4 janvier 1967. Elles étaient de nature à ruiner définitivement auprès de son employeur la confiance qu'implique à un degré particulièrement élevé un poste de cette nature. Le maintien des liens contractuels devenait intolérable pour la recourante,
BGE 97 II 142 S. 148
d'autant plus que l'exercice 1967 se soldait par un déficit supérieur à 50 000 fr. On ne pouvait exiger d'elle, dans ces conditions, qu'elle garde à son service durant six mois encore un employé si peu productif, sans aucune perspective d'amélioration. Elle pouvait dès lors se prévaloir de justes motifs de résiliation anticipée du contrat de travail, au sens de l'art. 352 CO.
3.
Les motifs qui ont amené la cour cantonale à refuser à la défenderesse le bénéfice de l'art. 352 CO ne sont pas fondés.
a) Elle considère qu'on ne pouvait exiger du demandeur, qui avait été engagé avant tout comme juriste, des connaissances et aptitudes spéciales dans la branche fiduciaire. C'est ignorer cependant les termes mêmes du contrat, dont l'art. 2 définit avec précision l'activité de l'employé, consistant notamment "en tous les travaux de la branche fiduciaire". Au surplus, l'incapacité du demandeur dans le domaine comptable n'était pas seule en cause; de par sa formation, il lui eût été facile d'y suppléer en manifestant l'intérêt et en faisant preuve de l'initiative qu'impliquaient les fonctions qu'il avait acceptées.
b) L'arrêt déféré relève que la demanderesse n'a pris aucun renseignement sur les capacités du demandeur. Certes, selon BECKER (ad art. 352 CO n. 23), l'incapacité professionnelle de l'employé ne peut être invoquée comme juste motif de résiliation anticipée si l'employeur a négligé de prendre des renseignements à ce sujet, avant l'engagement. Mais encore faut-il que l'absence d'une telle précaution soit causale, c'est-à-dire que le contrat n'eût pas été conclu si elle avait été prise. Or rien de tel n'a été allégué ni partant établi en l'espèce. De surcroît, en engageant un universitaire diplômé, licencié en droit, la défenderesse pouvait admettre que le candidat remplissait les conditions requises, et à plus forte raison qu'il assumait en connaissance de cause des fonctions clairement définies.
c) La cour cantonale reproche à la défenderesse d'avoir attendu des mois durant, après avoir constaté l'incapacité de son employé, pour faire usage de son droit de résiliation, dont elle serait ainsi déchue. C'est cependant méconnaître, comme le relève à juste titre la recourante, l'indépendance de sa succursale et le fait qu'une période de mise au courant du nouveau collaborateur était dans l'ordre des choses. Certes, la surveillance du siège central paraît avoir été bien lâche; mais il était normal qu'ayant engagé un universitaire pour participer à
BGE 97 II 142 S. 149
la direction collégiale de la succursale, les administrateurs de la société lui fassent confiance. Ils n'avaient connaissance qu'avec retard des manquements du demandeur. En outre et surtout, la mesure prise à son égard ne s'est finalement imposée qu'en raison de l'accumulation et de l'aggravation progressive des griefs que suscitait son comportement. En particulier, c'est à partir du 15 novembre 1967 seulement que le demandeur a cessé de remplir ses fiches de travail. Compte tenu de toutes ces circonstances, on ne saurait considérer comme tardive la résiliation intervenue le 29 décembre 1967.
d) La juridiction cantonale objecte encore que l'employeur "kündete dann ohne jede vorausgehende Mahnung oder Verwarnung". Mais l'exercice du droit de résiliation fondé sur l'art. 352 CO n'est pas subordonné à un avertissement préalable. En l'espèce, le comportement du demandeur et son laisser-aller dans l'accomplissement de ses devoirs professionnels, à la fin de l'année en particulier, justifiaient un renvoi immédiat sans avertissement.
La recourante étant au bénéfice de l'art. 352 CO, les prétentions de salaire de l'employé au-delà du 1er janvier 1968 doivent être rejetées et le montant de 5400 fr. alloué à ce titre par les premiers juges écarté.
4.
La cour cantonale a reconnu le droit du demandeur à son salaire, avec les accessoires prévus par le contrat, pour les trois derniers mois de 1967; elle lui a adjugé à ce titre 6582 fr., soit 3 × 2194 fr. La recourante n'admet devoir à son employé que 5520 fr. (3 × 1840 fr.), somme qu'elle entend compenser avec les dommages-intérêts auxquels elle prétend; elle fait valoir qu'il a pratiquement abandonné son poste durant les trois derniers mois de 1967.
a) La résiliation fondée sur l'art. 352 CO ne sortit d'effets que pour l'avenir (ex nunc); partant, le salaire est dû jusqu'à l'expiration des rapports de service (BECKER, ad art. 352 CO n. 44; GRÄSSLI, Die ausserordentliche Kündigung des Dienstvertrages nach schweiz. Recht, thèse Berne 1929, p. 99 et 104). Cela vaut notamment pour les indemnités litigieuses de 300 fr. pour l'usage professionnel d'une voiture privée et de 54 fr. pour un abonnement de train. Ces indemnités, payables mensuellement selon les art. 8 et 9 du contrat, sont dues, à moins que l'employeur n'établisse l'inexistence des frais qu'elles sont destinées à couvrir (cf. GRÄSSLI, op.cit., p. 99). Or une telle
BGE 97 II 142 S. 150
preuve n'a pas été rapportée en l'espèce, l'affirmation de la recourante selon laquelle l'employé aurait pratiquement abandonné son poste ne trouvant appui ni dans l'arrêt déféré ni dans le dossier.
b) Bien que la recourante ne soulève pas ce moyen, il convient d'examiner si une réduction du salaire ne doit pas être opérée en raison d'une faute de l'employé. Une telle réduction ne saurait être fondée sur l'art. 353 ni sur l'art. 328 al. 2 CO; ces dispositions concernent en effet de véritables dommages-intérêts, et non pas la rémunération du travail comme telle (cf. OSER/SCHÖNENBERGER, ad art. 353 CO n. 4; BECKER, ad art. 353 CO n. 1; GRÄSSLI, op.cit., p. 107s.). Le caractère alimentaire et partant la sécurité du salaire, promue par notre système légal, impliquent en principe qu'il soit versé intégralement jusqu'à la fin du contrat. Une réduction fondée sur l'art. 44 CO n'est pas admissible. Le salaire ne pourrait être diminué ici que par compensation avec des dommages-intérêts dus à l'employeur, et ce dans les limites de l'art. 340 CO. Cette solution ne contredit pas la jurisprudence du Tribunal fédéral selon laquelle une réduction pour faute concomitante de l'employé peut être opérée, par application analogique de l'art. 44 CO, sur le salaire auquel il peut prétendre en cas de résiliation immédiate mais non fondée sur de justes motifs; ce salaire, postérieur à la résiliation, équivaut en effet, dans sa fonction économique, à des dommages-intérêts (RO 79 II 388, 78 II 444, 57 II 186s.; arrêt non publié Stolz c. Ducrey du 29 novembre 1967, consid. 3 p. 5).
En l'espèce, la défenderesse doit au demandeur, sous réserve de compensation avec d'éventuels dommages-intérêts, l'entier du salaire afférent au dernier trimestre 1967, soit 3 × 2194 fr., ce qui fait au total 6582 fr. Compte tenu du montant incontesté de 15 fr. pour frais de déplacement de l'employé, la demande doit être admise à concurrence de 6597 fr.
5.
La défenderesse invoque à l'appui de ses prétentions en dommages-intérêts les art. 353 CO et 5 du contrat du 4 janvier 1967. Elle réclame le remboursement de la moitié du déficit subi par sa succursale en 1967, soit 23 980 fr. après compensation avec le salaire qu'elle reconnaît devoir à son employé pour le dernier trimestre 1967.
a) Aux termes de l'art. 353 CO, la partie qui a donné lieu à la résiliation anticipée en n'observant pas les clauses du
BGE 97 II 142 S. 151
contrat doit la réparation intégrale du dommage causé. Cette disposition règle les conséquences de la résiliation fondée sur l'art. 352 CO. Le dommage consiste dans l'intérêt positif qu'aurait eu la partie adverse - ici l'employeur - à l'éxécution du contrat jusqu'au plus prochain terme normal de congé: frais nécessités par le remplacement de l'employé renvoyé, perte de rendement, par exemple (OSER/SCHÖNENBERGER, ad art. 353 CO n. 3 et 7; BECKER, ad art. 353 CO n. 1 et 7; GRÄSSLI, op.cit., p. 102ss; PAUL SCHWARTZ, Einführung in die Praxis des Dienstvertragsrechts, p. 91). En l'espèce, la défenderesse ne fait manifestement pas valoir un dommage de cette nature, puisqu'elle demande réparation d'un préjudice antérieur à la résiliation. Or l'art. 353 CO ne saurait s'appliquer à un tel préjudice, car il ferait alors double emploi avec l'art. 328 al. 2 CO.
b) L'art. 5 du contrat du 4 janvier 1967, aux termes duquel "le collaborateur répond de tous dommages causés à la société, soit intentionnellement, soit par négligence, soit par imprudence", a pratiquement la même teneur que l'art. 328 al. 2 CO. Cette disposition, qui fait répondre l'employé du dommage causé à l'employeur par sa faute, est indépendante de la résiliation anticipée et de ses conséquences. Comme l'art. 353 CO, l'art. 328 al. 2 CO est un cas d'application de l'art. 97 CO; il appartient au demandeur de prouver le dommage, son montant, la violation par l'employé de ses obligations contractuelles et le rapport de causalité entre cette violation et le dommage (OSER/SCHÖNENBERGER, ad art. 328 CO n. 6; BECKER, ad art. 328 CO n. 12; IZVEREN, Sorgfaltshaftung und Schadenersatzpflicht im Dienstvertragsrecht, p. 131s.). Les
art. 42 à 44
CO sont également applicables, conférant au juge un large pouvoir d'appréciation (SCHWARTZ, op.cit., p. 33; IZVEREN, op.cit., p. 132; MIESCHER, Die Folgen nicht vertragsgemässer Arbeitsleistung nach dem Dienstvertragsrecht, thèse Berne 1968, p. 93).
Au cas particulier, il est constant que la succursale de F. a subi en 1967 un déficit de 59 839 fr. 85. Selon le rapport d'expertise, ce déficit comprend des pertes sur débiteurs de 22 362 fr. 90 et un manque de rendement de 37 476 fr. 95. S'agissant des pertes sur débiteurs, la recourante se borne à faire valoir à l'appui de ses prétentions que l'intimé était juriste et que le contentieux était particulièrement son affaire. Elle n'indique pas de quels montants en particulier elle entend le rendre responsable. Or il n'est pas exclu que ces pertes résultent,
BGE 97 II 142 S. 152
tout au moins en partie, de travaux antérieurs à l'engagement de l'intimé, qu'elles soient imputables à un autre collaborateur, ou encore qu'elles aient été inévitables. Au surplus, comme le relève la cour cantonale, l'intimé n'était pas responsable de l'insolvabilité des débiteurs, même s'il n'est pas à l'abri de tout reproche à cet égard. Quant au manque de rendement de la succursale, la recourante affirme que son employé, "de son aveu et aux dires des témoins, en est le principal responsable". Cette affirmation contredit la constatation de l'arrêt déféré selon laquelle "die mangelnde Rendite von Fr. 37 476.95 erklärt sich weitgehend oder fast ausschliesslich aus anderen Gründen". Or la recourante ne prétend pas que cette constatation repose manifestement sur une inadvertance, ou que des dispositions fédérales en matière de preuve aient été violées; son allégation ne saurait dès lors être retenue (art. 63 al. 2 OJ). Elle ne fournit au demeurant aucun élément qui permette de déterminer la part du manque de rendement constaté qui serait imputable à l'intimé. La recourante n'ayant établi ni le dommage dont elle demande réparation, ni le rapport de causalité entre le dommage et la violation par l'employé de ses obligations contractuelles, ses prétentions en dommages-intérêts doivent être rejetées.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Prend acte de ce que le chiffre 2 du dispositif de l'arrêt rendu le 12 novembre 1970 par le Tribunal cantonal valaisan est entré en force de chose jugée;
2. Admet partiellement le recours et annule l'arrêt attaqué dans la mesure où il n'est pas entré en force de chose jugée;
3. Condamne la défenderesse F. à payer au demandeur L. 6597 fr. avec intérêts à 5% dès le 6 février 1968;
4. Constate que les montants adjugés de part et d'autre sont compensables dès leur exigibilité. | public_law | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
67b7cd3f-62e6-4213-ac33-778080daa54d | Urteilskopf
126 II 473
48. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 2 novembre 2000 dans la cause Administration fédérale des contributions contre Tribunal administratif du canton de Vaud et A. (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 18 Abs. 4 und
Art. 47 Abs. 1 DBG
: Verpachtung von landwirtschaftlichen Grundstücken.
Verpachtung von landwirtschaftlichen Grundstücken durch einen Landwirt bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit als Realisationstatbestand. Besteuerung der wiedereingebrachten Abschreibungen (E. 3-5d). | Sachverhalt
ab Seite 473
BGE 126 II 473 S. 473
A., propriétaire d'un domaine agricole, a cessé son activité d'agriculteur indépendant le 31 décembre 1995. Dès le 1er janvier 1996, il a remis son capital fermier (bétail, machines, etc.) et affermé son domaine - à l'exception d'une vigne - à un tiers pour une durée initiale de quinze ans. Il a également demandé au fisc de procéder à une taxation intermédiaire avec effet au 1er janvier 1996, ce qui a été fait.
Le fisc a soumis à l'impôt fédéral annuel entier de l'art. 47 al. 1 de la loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'impôt fédéral direct (LIFD; RS 642.11) le bénéfice en capital correspondant au gain réalisé par A. lors de la remise de son capital fermier ainsi que le bénéfice constitué par les amortissements cumulés au 31 décembre 1995 sur ses biens-fonds agricoles affermés. Cette imposition a été confirmée sur réclamation.
BGE 126 II 473 S. 474
Saisi d'un recours du contribuable, le Tribunal administratif cantonal l'a admis. Il a notamment relevé que l'affermage apparemment irréversible de l'exploitation agricole de celui-ci constituait un transfert d'éléments commerciaux dans sa fortune privée et que le bénéfice en résultant devait, en principe, être soumis à l'impôt prévu par l'
art. 47 al. 1 LIFD
. Toutefois, du moment que l'intéressé avait cessé son activité professionnelle sans procéder à un décompte fiscal des réserves latentes afférentes aux immeubles agricoles affermés, il fallait admettre, par analogie avec la jurisprudence du Tribunal fédéral en matière de commerce professionnel d'immeubles (cf.
ATF 125 II 113
= RDAF 1999 2 p. 385), que ces biens-fonds n'avaient pas quitté son patrimoine commercial. L'impôt fédéral direct dont il devait s'acquitter en raison de la cessation de son activité d'agriculteur indépendant ne portait dès lors que sur le gain réalisé lors de la remise de son capital fermier.
Agissant par la voie du recours de droit administratif, l'Administration fédérale des contributions conteste l'application par analogie au cas particulier de la jurisprudence du Tribunal fédéral à laquelle l'autorité intimée se réfère.
Le Tribunal fédéral a admis le recours, annulé l'arrêt attaqué et confirmé la décision sur réclamation.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) L'
art. 18 LIFD
prévoit notamment que tous les revenus provenant de l'exploitation d'une entreprise commerciale, industrielle, artisanale, agricole ou sylvicole, de l'exercice d'une profession libérale ou de toute autre activité lucrative indépendante sont imposables (cf. al.1); tous les bénéfices en capital provenant de l'aliénation, de la réalisation ou de la réévaluation comptable d'éléments de la fortune commerciale font partie du produit de l'activité lucrative indépendante; le transfert d'éléments de la fortune commerciale dans la fortune privée ou dans une entreprise ou un établissement stable sis à l'étranger est assimilé à une aliénation (cf. al. 2); les bénéfices provenant de l'aliénation d'immeubles agricoles ou sylvicoles ne sont ajoutés au revenu imposable que jusqu'à concurrence des dépenses d'investissement (cf. al. 4).
L'obligation de tenir des livres n'est plus une condition d'imposition des bénéfices en capital réalisés sur des éléments de la fortune commerciale, contrairement à ce que prévoyait l'art. 21 al. 1 lettres d et f de l'arrêté du Conseil fédéral du 9 décembre 1940 concernant
BGE 126 II 473 S. 475
la perception d'un impôt fédéral direct (ci-après: AIFD; l'arrêté du Conseil fédéral) (cf.
ATF 125 II 113
consid. 5c p. 121 s. = RDAF 1999 2 p. 394, consid. 5d). Ainsi, de tels bénéfices réalisés par les agriculteurs sont dorénavant soumis de manière générale à l'impôt fédéral direct, dans les limites toutefois de l'
art. 18 al. 4 LIFD
(cf. également la lettre c ci-dessous).
b) En cas de modification durable et essentielle des bases de l'activité lucrative ensuite du début ou de la cessation de l'activité lucrative ou d'un changement de profession, le revenu fait l'objet d'une taxation intermédiaire (cf.
art. 45 al. 1 lettre b LIFD
). Cette taxation est fondée sur celle ordinaire en vigueur, augmentée ou diminuée des éléments du revenu qui ont été modifiés (cf.
art. 46 al. 2 LIFD
).
Aux termes de l'
art. 47 al. 1 LIFD
, à la fin de l'assujettissement ou lors d'une taxation intermédiaire, les bénéfices en capital, définis à l'
art. 18 al. 2 LIFD
, qui n'ont pas été imposés comme revenu ou qui ne l'ont pas encore été pendant une période fiscale entière, sont soumis, l'année fiscale au cours de laquelle ils ont été acquis, à un impôt annuel entier perçu au taux correspondant à ces seuls revenus. Cette imposition spéciale - dont la fonction est similaire à celle qui était prévue par l'
art. 43 AIFD
(cf. MARCO DUSS/DANIEL SCHÄR, in Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht [cité: Kommentar], vol. I/2a, Bâle 2000, n. 3 ad
art. 47 LIFD
; DANIELLE YERSIN, La distinction entre l'activité indépendante et la gestion de la fortune privée, dans le domaine immobilier, in Archives 67 p. 112) - vise à imposer les bénéfices en capital provenant de l'aliénation, de la réalisation ou de la réévaluation comptable d'éléments de la fortune commerciale. Elle établit une sorte de décompte fiscal final en soumettant à l'impôt, non seulement les bénéfices de liquidation obtenus lors de la cessation ou de l'aliénation de l'entreprise, mais également toutes les réserves réalisées au cours de la période de calcul et de celle de taxation, qui échapperaient sinon à l'impôt en raison de la brèche de calcul provoquée par la taxation intermédiaire, soit aussi les réserves qui ne sont pas en rapport direct avec la liquidation elle-même (cf. dans ce sens, Archives 66 p. 61 consid. 3c, p. 236 s. consid. 3c).
Ainsi, selon la jurisprudence constante (cf.
ATF 125 II 113
consid. 6c/aa p. 125 = RDAF 1999 2 p. 398 s. consid. 6c/aa et les arrêts cités) - sur laquelle il n'y a pas lieu de revenir - lorsqu'un contribuable cesse son activité lucrative indépendante et en informe les autorités fiscales, le bénéfice en capital réalisé lors du passage d'éléments de sa fortune commerciale dans sa fortune privée
BGE 126 II 473 S. 476
doit en principe être imposé, à condition que ledit contribuable n'ait pas expressément indiqué son intention d-'aliéner ultérieurement ces éléments dans le cadre de la liquidation de son entreprise (aliénation différée) ou de donner celle-ci provisoirement à bail, notamment jusqu'à sa vente à un tiers ou jusqu'à son transfert à ses héritiers. Il n'y a en principe pas de place pour une imposition des bénéfices réalisés, lors de ventes ultérieures.
c) L'
art. 18 al. 4 LIFD
n'impose les gains en capital réalisés sur des immeubles agricoles qu'à concurrence de la part correspondant aux amortissements récupérés (cf. MARKUS REICH, Kommentar, vol. I/2a, Bâle 2000, n. 64 ad
art. 18 LIFD
; YERSIN, op. cit., p. 108; LAURENT SAVOY, L'imposition du revenu agricole, thèse Lausanne 1992, p. 92 et 107 s.; Message du Conseil fédéral du 25 mai 1983 sur l'harmonisation fiscale, in FF 1983 III 1 ss [cité: Message sur l'harmonisation fiscale], p. 170). Ces derniers correspondent à la différence entre la valeur comptable des biens-fonds en cause et leur prix d'acquisition augmenté des dépenses d'investissement (cf. JEAN-MARC RIVIER, Droit fiscal suisse, L'imposition du revenu et de la fortune, 2ème éd. Lausanne 1998, p. 355). Comme l'a relevé à juste titre le Tribunal administratif, l'
art. 18 al. 4 LIFD
s'applique non seulement aux gains d'aliénation mais également à ceux issus de réévaluation ou de transfert dans la fortune privée (cf. REICH, op. cit., n. 65 ad
art. 18 LIFD
; PETER GURTNER, Änderungen bei der Kapitalgewinnbesteuerung Selbständigerwerbender, in Problèmes actuels de droit fiscal, Mélanges en l'honneur du Professeur Raoul Oberson, Bâle 1995, p. 43 ss, note 5 p. 45). Par ailleurs, en cas de fin d'assujettissement ou de taxation intermédiaire, de tels gains sont soumis à l'impôt annuel entier de l'
art. 47 al. 1 LIFD
(cf. dans ce sens SAVOY, op. cit., p. 170; cf. également le ch. 1 p. 1 de la Circulaire n. 3 de l'Administration fédérale des contributions du 25 novembre 1992 "betreffend Neuerungen für die Land- und Forstwirtschaft aufgrund des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG)", reproduite in PESTALOZZI/GMÜR/PATRY, Rechtsbuch der schweizerischen Bundessteuern, vol. 8, II A c 190), même si cette disposition ne se réfère expressément qu'à l'
art. 18 al. 2 LIFD
.
d) aa) Sous l'empire de l'arrêté du Conseil fédéral, l'affermage par son propriétaire d'une entreprise astreinte à tenir des livres constituait une réalisation imposable en vertu de l'art. 21 al. 1 lettres d et f AIFD ou, en cas de fin d'assujettissement ou de taxation intermédiaire, selon l'
art. 43 AIFD
, à condition que cette remise à bail paraisse irrévocable et ne représente pas une mesure purement provisoire,
BGE 126 II 473 S. 477
prise dans l'attente d'un acheteur ou de la remise de l'affaire à un héritier (cf. Archives 41 p. 452 s. consid. 3a = RDAF 1973 p. 391 s. consid. 3a; Archives 41 p. 507 s. consid. 2 = RDAF 1974 p. 184 s. consid. 2; StE 1996 B 23.2 n. 16 consid. 3; ERNST KÄNZIG, Wehrsteuer, Ière partie, 2ème éd. Bâle 1982, n. 171 ad
art. 21 AIFD
; HEINZ MASSHARDT, Kommentar zur direkten Bundessteuer, 2ème éd. Zurich 1985, n. 23 lettre b ad
art. 43 AIFD
).
bb) Le projet de loi fédérale sur l'impôt fédéral direct prévoyait expressément que, dans la mesure où il n'était pas temporaire, l'affermage d'une entreprise était assimilé à un transfert imposable dans la fortune privée (cf. art. 18 al. 3 dudit projet in FF 1983 III 332). Cette prescription avait pour but de remédier à l'insécurité liée à l'appréciation fiscale des remises à bail commerciales (cf. Message sur l'harmonisation fiscale p. 171). Au cours des débats parlementaires, cette disposition a toutefois été supprimée par crainte de provoquer des charges fiscales insupportables pour certains entrepreneurs. Cette suppression impliquait toutefois la poursuite de la pratique développée sous l'empire de l'arrêté du Conseil fédéral (cf. BO 1987 CN p. 1740, BO 1988 CE p. 811, BO 1989 CN p. 727 et BO 1989 CE p. 590 s.).
Ainsi, dans la mesure où les conditions posées par la jurisprudence mentionnée ci-dessus (lettre d/aa) sont remplies, l'affermage d'une entreprise, astreinte ou non à tenir des livres, constitue une réalisation au sens de l'
art. 18 al. 2 LIFD
- respectivement de l'
art. 18 al. 4 LIFD
s'il s'agit de la remise à bail d'immeubles agricoles ou sylvicoles - soumise, en cas de fin d'assujettissement ou de taxation intermédiaire, à l'impôt annuel entier de l'
art. 47 al. 1 LIFD
(cf. REICH, op. cit., n. 42 ad
art. 18 LIFD
; DUSS/SCHÄR, op. cit., n. 13 ad
art. 47 LIFD
).
4.
L'intimé a bénéficié à bon droit d'une taxation intermédiaire au 1er janvier 1996 en raison de la cessation de son activité lucrative indépendante d'agriculteur le 31 décembre 1995 (cf.
art. 45 al. 1 lettre b LIFD
). En outre, compte tenu de son âge au moment de l'affermage de son domaine (65 ans révolus) et de la durée du contrat conclu (quinze ans, renouvelable tacitement pour de nouvelles périodes de six ans), cette remise à bail paraît définitive, comme le relève à juste titre la recourante. Cette opération représente dès lors la réalisation des biens-fonds concernés, de sorte que la reprise d'amortissements sur ces derniers (cf.
art. 18 al. 4 LIFD
) doit en principe être imposée conformément à l'
art. 47 al. 1 LIFD
(cf. consid. 3c et 3d/bb ci-dessus).
BGE 126 II 473 S. 478
Reste à examiner si, comme le soutient le Tribunal administratif, l'arrêt de l'autorité de céans auquel il se réfère (cf.
ATF 125 II 113
= RDAF 1999 2 p. 385) peut être appliqué par analogie au cas particulier, de sorte qu'il faudrait admettre, pour des raisons d'équité visant à éviter une imposition massive du contribuable, que les immeubles affermés sont demeurés dans sa fortune commerciale, ce que l'Administration fédérale des contributions conteste.
5.
a) Cet arrêt concerne l'imposition d'un bénéfice en capital immobilier réalisé en 1994 par un ancien entrepreneur en construction qui, en 1981, avait clairement informé les autorités fiscales de son intention de mettre fin à cette activité, sans toutefois préciser s'il poursuivait ou non son activité indépendante parallèle de commerçant d'immeubles, alors qu'il conservait des biens-fonds commerciaux, tenait une comptabilité pour ceux-ci et continuait à faire valoir la déduction de pertes commerciales. Le Tribunal fédéral a estimé que, dans la mesure où ce contribuable n'avait pas procédé avec le fisc à un décompte des réserves latentes sur ses immeubles, ceux-ci étaient restés dans son patrimoine commercial après la fin de son activité d'entrepreneur, le simple écoulement du temps ne pouvant les avoir transférés dans sa fortune privée. La longue durée de possession du bien-fonds aliéné et le fait que, pendant une période assez étendue, l'intéressé n'avait effectué aucune transaction immobilière ne permettaient pas à eux seuls d'admettre qu'il ne l'avait pas vendu dans l'exercice d'une activité indépendante visant à l'obtention d'un bénéfice. En effet, les commerçants professionnels d'immeubles conservent souvent des objets durant des années pour les raisons les plus diverses, jusqu'au moment où ils les revendent avec bénéfice, que ce soit, par exemple, parce qu'ils ont compté dès le début sur un gain d'aliénation réalisable à long terme, ou parce qu'ils voulaient tout d'abord faire construire sur les terrains ou parce qu'une construction projetée s'est heurtée à des obstacles imprévus. Une vente différée dans ces circonstances reste néanmoins toujours liée à leur activité professionnelle dans le domaine immobilier. Peu importe qu'ils conservent les biens-fonds acquis à des fins commerciales au titre de placement sur une longue durée (cf.
ATF 125 II 113
consid. 6c/bb et 6c/cc p. 126 s. = RDAF 1999 2 p. 399 s. consid. 6c/bb et 6c/cc).
b) Dans cet arrêt, l'autorité de céans n'a nullement remis en cause sa jurisprudence selon laquelle, lors de la cessation d'une activité lucrative indépendante, les bénéfices en capital issus du passage dans la fortune privée du contribuable d'éléments commerciaux liés à
BGE 126 II 473 S. 479
cette activité doivent être imposés (cf. consid. 3b ci-dessus). Elle a uniquement opté pour une solution tenant compte de la très grande difficulté de déterminer le moment auquel un commerçant d'immeubles met fin à son activité, en particulier lorsqu'il reste propriétaire de biens-fonds commerciaux après la fin d'une autre activité professionnelle voisine. Elle a dès lors estimé que le transfert de ces immeubles dans son patrimoine privé ne devait être effectué que s'il manifestait clairement son intention de mettre également fin à son activité lucrative dans le domaine immobilier (sur cette question, cf. YERSIN, op. cit., p. 113 s.; HANS PETER DERKSEN et MARTIN BYLAND, Die Besteuerung des Liegenschaftenhändlers im DBG, in L'Expert fiduciaire 1999 p. 170 s.; DANIELLE YERSIN, Les gains en capital considérés comme le revenu d'une activité lucrative, in Archives 59 p. 162 ss). Faute d'une telle manifestation, cette activité était supposée perdurer. Dès lors, on ne saurait parler d'imposition différée, du moins au sens du droit en matière d'impôt sur les gains immobiliers (cf. art. 12 al. 3 de la loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes [LHID; RS 642.14]; cf. également BERNHARD ZWAHLEN, Kommentar, vol. I/1, Bâle 1997, n. 61 ad
art. 12 LHID
), aucune réalisation d'immeubles n'ayant lieu.
c) Contrairement à ce que pense l'autorité intimée, cet arrêt ne saurait s'appliquer au cas particulier, la situation de fait étant différente. En affermant son domaine, l'intéressé - qui n'a jamais fait professionnellement des opérations immobilières - a en effet mis fin à sa seule et unique activité lucrative, soit celle d'agriculteur indépendant. Selon les faits retenus par l'arrêt attaqué (cf.
art. 105 al. 2 OJ
), il a en outre clairement informé le fisc de la cessation de cette activité et lui a même expressément demandé, pour ce motif, de procéder à une taxation intermédiaire. Sa situation ne diffère dès lors pas de celle du contribuable qui cesse toute activité (cf. consid. 3b ci-dessus). En raison de la remise à bail de son domaine, il n'a en particulier conservé dans son patrimoine aucun immeuble qu'il pourrait utiliser pour poursuivre une activité commerciale. Par ailleurs, il n'y a aucune raison de le prémunir contre une imposition découlant de sa propre demande de taxation intermédiaire et qui, au demeurant, ne paraît pas insupportable dans la mesure où il s'est déjà acquitté de l'ensemble des impôts litigieux. Enfin, la remise à bail de ses biens-fonds paraît irrévocable (cf. consid. 4 ci-dessus), de sorte qu'il n'y a pas lieu de croire qu'il entendait se livrer ultérieurement à une aliénation (cf. consid. 3b ci-dessus) de ceux-ci.
BGE 126 II 473 S. 480
d) Vu ce qui précède, force est de constater que l'affermage des immeubles en cause constitue un acte de réalisation (cf. la jurisprudence citée au consid. 3b ci-dessus, et notamment l'
ATF 112 Ib 79
consid. 4b p. 86 = RDAF 1990 p. 27 s. consid. 4b) entraînant l'imposition des amortissements cumulés sur ceux-ci (cf.
art. 18 al. 4 LIFD
) en vertu de l'
art. 47 al. 1 LIFD
(cf. consid. 3d/bb ci-dessus).
Contraire au droit fédéral, l'arrêt entrepris doit ainsi être annulé dans la mesure où il concerne l'impôt fédéral direct. | public_law | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
67ba0eb9-5dba-4269-8d3a-578883aeab05 | Urteilskopf
118 II 441
86. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Dezember 1992 i.S. Susanne D. und Mitbeteiligte gegen Martin K. (Berufung) | Regeste
Landwirtschaftliche Pacht. Zustandekommen des Pachtvertrags; Tod des Pächters, Selbsteintritt des Verpächters (
Art. 18 LPG
).
1. Der landwirtschaftliche Pachtvertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden.
Art. 8 ZGB
verleiht der beweisbelasteten Partei nur insoweit einen Anspruch, zum Beweis zugelassen zu werden, als ihre Beweisanträge rechtserhebliche Tatsachen betreffen (E. 1).
2. Beim Tod des Pächters geht das Interesse der Hinterbliebenen an einer Weiterführung der Bewirtschaftung der Entscheidungsfreiheit des Verpächters hinsichtlich Auflösung oder Fortführung des Vertrags grundsätzlich vor. Bewerben sich jedoch mehrere Hinterbliebene um den Eintritt in den Pachtvertrag, so kann der Verpächter nach seinem Belieben denjenigen bestimmen, der ihm genehm ist. Ist er zugleich Erbe des verstorbenen Pächters, so kann er sich selbst an die Stelle eines Miterben setzen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 442
BGE 118 II 441 S. 442
Susanne und Armin D. bewirtschafteten zusammen im Nebenerwerb das landwirtschaftliche Anwesen Dürrenmühle. Über den Herbstnutzen und das entsprechende Milchkontingent verfügte seit den siebziger Jahren der Vater von Susanne D., Ernst K., der in St. Gallen ein eigenes Bauerngut betrieb. Am 1. Mai 1982 verstarb Armin D. und hinterliess neben seiner Ehefrau drei Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren. Da Susanne D. dazu nicht in der Lage war, mähte in jenem Jahr Ernst K. das Gras und brachte Heu und Emd in die Scheune auf Dürrenmühle ein. Während des Winters überführte er das Heu je nach Bedarf auf seinen Hof. Als Entgelt entrichtete er seiner Tochter Fr. 3'000.--. Auch in den folgenden Jahren bewirtschaftete Ernst K. das betreffende Wiesland und entschädigte seine Tochter für das bezogene Heu.
Am 1. Mai 1988 kündigte Susanne D. das Pachtverhältnis schriftlich. Mitte Mai 1988 focht Ernst K. die Kündigung mit der Begründung an, die gesetzliche Kündigungsfrist sei nicht gewahrt. Am 24. Februar 1989 starb Ernst K., worauf sein Sohn Martin K. den väterlichen Betrieb übernahm und seither für die Erbengemeinschaft führt. Ende April 1989 teilte Susanne D. ihrem Bruder mit, es habe zwischen ihr und dem Vater hinsichtlich des Wieslandes nie ein Pachtverhältnis bestanden. Vorsorglich sprach sie gestützt auf Art. 18 des Bundesgesetzes über die landwirtschaftliche Pacht vom 4. Oktober 1985 (LPG, SR 221.213.2) eine weitere Kündigung auf den 30. Oktober 1989 aus. Darauf erklärte Martin K., er trete gemäss
Art. 18 Abs. 2 LPG
in den Pachtvertrag ein.
Susanne D. und ihre Kinder klagten im Juni 1989 auf Feststellung, dass kein Pachtverhältnis bestehe. Das Bezirksgericht St. Gallen und auf Appellation der Kläger auch das St. Galler Kantonsgericht wiesen die Klage ab.
BGE 118 II 441 S. 443
Die Kläger führen gegen das kantonsgerichtliche Urteil vom 28. April 1992 Berufung mit dem Antrag, es aufzuheben und die Klage gutzuheissen bzw. die Sache zur Ergänzung der Tatsachenfeststellung und anschliessenden Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und schützt die Klage.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Durch den landwirtschaftlichen Pachtvertrag verpflichtet sich der Verpächter, dem Pächter ein Gewerbe oder ein Grundstück zur landwirtschaftlichen Nutzung zu überlassen, und der Pächter, dafür einen Zins zu bezahlen (Art. 275 Abs. 1 aOR;
Art. 4 Abs. 1 LPG
). Der Pachtvertrag kann wie jeder andere nicht formbedürftige Vertrag nicht nur durch ausdrückliche Willensäusserung der Parteien, sondern auch stillschweigend durch schlüssiges Verhalten geschlossen werden. Ein solches Verhalten ist hier, wie vom Kantonsgericht zutreffend erkannt, darin zu erblicken, dass Ernst K. das betreffende Wiesland ungehindert gemäht hat und die Kläger für das weggeführte Heu ein Entgelt entgegengenommen haben. Damit waren die wesentlichen Elemente der landwirtschaftlichen Pacht grundsätzlich erfüllt und das Vertragsverhältnis begründet. Die Kläger werfen der Vorinstanz zwar eine Verletzung von
Art. 8 ZGB
vor, doch betreffen die Beweisanträge, denen das Kantonsgericht nicht stattgegeben haben soll, von einer Ausnahme abgesehen, keine rechtserheblichen Tatsachen. Der bundesrechtliche Beweisführungsanspruch verleiht der beweisbelasteten Partei aber nur insoweit einen Anspruch darauf, zum Beweis zugelassen zu werden, als ihr Beweisantrag rechtserhebliche Tatsachen betrifft.
Die Ausnahme betrifft den Zeitpunkt des Vertragsbeginns. Dieser ist an sich für die Frage entscheidend, bis wann die erste Pachtdauer von sechs Jahren dauerte und auf welchen Termin das Pachtverhältnis folglich kündbar war. Das Kantonsgericht nimmt an, es habe bereits 1982 ein Pachtvertrag vorgelegen, und eine im April 1988 auf das Frühjahr 1989 ausgesprochene Kündigung wäre daher auf jeden Fall verspätet erfolgt. Die Kläger machen in ihrem Eventualstandpunkt demgegenüber geltend, von einem gültigen Vertrag könne erst ab 1983 gesprochen werden. Vorher habe Ernst K. die Bewirtschaftung des Landes nach dem plötzlichen Tod von Armin
BGE 118 II 441 S. 444
D. aus reiner Gefälligkeit übernommen. Ein Entgelt habe er erst in einem späteren Zeitpunkt und lediglich auf Betreiben der Vormundschaftsbehörde hin entrichtet. Das Kantonsgericht habe trotz entsprechendem Antrag darauf verzichtet, bezüglich der ersten Zahlung von Fr. 3'000.-- eine Amtsauskunft bei der betreffenden Behörde einzuholen. Die Frage nach dem Vertragsbeginn braucht indessen nicht abschliessend entschieden zu werden, da Berufung und Klage aus einem Grund gutzuheissen sind, bei dem es nicht darauf ankommt, ob der Beginn des Pachtvertrags mit Ernst K. ins Jahr 1982 oder erst ins Jahr 1983 fällt.
2.
Abgesehen von den Bestimmungen über die Mindestpachtdauer gilt das LPG auch für Pachtverträge, die vor seinem Inkrafttreten am 20. Oktober 1986 geschlossen worden sind (
Art. 60 Abs. 1 LPG
). Soweit das Spezialgesetz nicht anwendbar ist oder keine besonderen Bestimmungen enthält, gilt das OR (
Art. 1 Abs. 4 LPG
).
a) Stirbt der Pächter, so treten nach den allgemeinen Regeln des Erbrechts dessen Erben in den Pachtvertrag ein. Da den persönlichen Beziehungen zwischen den Vertragsparteien sowie der Eignung und den Fähigkeiten des Pächters für die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses grosse Bedeutung zukommt, sind jedoch sowohl der Verpächter wie auch die Erben des Pächters berechtigt, sich durch Kündigung der vertraglichen Bindung zu entledigen (
Art. 18 Abs. 1 LPG
, desgl. Art. 297 aOR). Neu eröffnet
Art. 18 Abs. 2 LPG
dem Ehegatten oder einem Nachkommen des Pächters im Falle der Kündigung die Möglichkeit, den Eintritt in das Pachtverhältnis zu verlangen. Der Verpächter kann das nur verhindern, wenn der Eintretende keine Gewähr für die ordnungsgemässe Bewirtschaftung bietet oder wenn für ihn die Fortführung der Pacht aus andern Gründen unzumutbar ist (
Art. 18 Abs. 3 LPG
). Grundsätzlich kann der Verpächter jedoch verpflichtet werden, die Pacht mit einer bestimmten Person, nicht aber mit der ganzen Erbengemeinschaft oder mehreren Pächtern, fortzuführen (MANUEL MÜLLER, Die privatrechtlichen Bestimmungen des LPG, in: ZBJV 123/1987 S. 6; CLAUDE PAQUIER-BOINAY, Le contrat de bail à ferme agricole: conclusion et droit de préaffermage, Diss. Lausanne 1991, S. 175 Fn. 56). In diesem Sinne wird das Interesse der Hinterbliebenen des Pächters an einer Weiterführung der Bewirtschaftung vom Gesetzgeber höher eingestuft als die Entscheidungsfreiheit des Verpächters hinsichtlich Auflösung oder Fortführung des Vertrags.
b) Die Sicherung der Weiterführung der Bewirtschaftung in der bisherigen Weise tritt jedoch, zumindest im hier gegebenen Fall der
BGE 118 II 441 S. 445
Zupacht, in den Hintergrund, wenn mehrere der Hinterbliebenen in den Pachtvertrag eintreten möchten. Diesfalls steht dem Verpächter ein Wahlrecht zu (
Art. 18 Abs. 2 LPG
). Das Gesetz liefert dabei keine weiteren Auswahlkriterien. Der Botschaft vom 11. November 1981 zum LPG ist zu entnehmen, dass der Verpächter in einem solchen Fall den ihm zusagenden Bewerber bezeichnen kann (BBl 1982 I 281; vgl. auch STUDER/HOFER, Le droit du bail à ferme agricole, Brugg 1988, S. 152). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung und die Literatur haben sich sonst mit dieser Wahlmöglichkeit bis heute nicht näher befasst. Ist davon auszugehen, dass der Verpächter unter mehreren Bewerbern nach seinem Belieben denjenigen bestimmen kann, der ihm genehm ist, so kommt dem Hoferben in bezug auf die Weiterführung der Pacht keine Vorzugsstellung zu. Ebensowenig sind Gründe ersichtlich, die gegen einen Selbsteintritt des Verpächters sprechen könnten.
Das denkbare Gegenargument, der Verpächter verzichte für die Dauer des Pachtvertrags unwiderruflich auf das ihm als Eigentümer zustehende Bewirtschaftungsrecht, sticht nicht. Denn beim Tod des Pächters tritt eine neue rechtliche Situation ein. Räumt dabei das Gesetz dem Verpächter die Möglichkeit ein, einen von mehreren Anwärtern zu bestimmen, so bleibt ihm, sofern er zugleich Erbe des verstorbenen Pächters ist, unbenommen, sich selbst an die Stelle eines anderen, ihm missliebigen Miterben zu setzen.
Werden auf diese Weise die Verpächter- und die Pächtereigenschaft in einer Person vereinigt, so fällt der Pachtvertrag dahin (
Art. 118 OR
).
c) Zu prüfen bleibt, ob das an die Erbengemeinschaft des verstorbenen Pächters adressierte Schreiben der Verpächter vom 28. April 1989 eine Eintrittserklärung im Sinne von
Art. 18 Abs. 2 LPG
darstellt. Die Vorinstanz ging auf den Inhalt des Briefes nicht näher ein. Sie schloss vielmehr, es handle sich schon deshalb nicht um eine solche Erklärung, weil das Schreiben nicht an die Verpächter, also die Kläger, gerichtet sei. In der Berufung wird dagegen eingewendet, das Kantonsgericht habe das Schreiben der Kläger zu Unrecht nicht als Erklärung eines Selbsteintritts gewertet.
Den Klägern vorzuhalten, sie hätten sich selbst einen Brief schreiben sollen, ist völlig weltfremd. Es gilt vielmehr, das Schreiben vom 28. April 1989 nach dem Vertrauensprinzip auszulegen. Die Kläger erklärten darin zwar nicht ausdrücklich, sie wollten die Wiesen fortan selbst bewirtschaften. Aus den Umständen ergibt sich indessen, dass es ihnen immer nur um die Möglichkeit ging, ihr Land selbst
BGE 118 II 441 S. 446
bestellen zu können. Davon ging in seiner Berufungsantwort auch der Beklagte aus. Von einer anderweitigen Verpachtung war nie die Rede.
Ging es den Klägern jedoch nur um die Selbstbewirtschaftung ihres Wieslandes und war dies dem Beklagten auch bekannt, so genügt das erwähnte Schreiben den Anforderungen von
Art. 18 Abs. 2 LPG
.
Es ergibt sich somit, dass zufolge gültigen Selbsteintritts der Kläger in den Vertrag mit Ernst K. mit dem Beklagten kein Pachtverhältnis zustandegekommen ist. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
67bb86d5-5eb0-4850-b4f1-b0b01a122784 | Urteilskopf
141 III 312
45. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gegen A.B. und Mitb. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_748/2014 vom 21. Mai 2015 | Regeste
Art. 8 EMRK
;
Art. 2, 3 und 7 KRK
;
Art. 119 Abs. 2 lit. d BV
;
Art. 27 Abs. 1 und
Art. 32 IPRG
; Eintragung ausländischer Entscheidungen und Urkunden in das Zivilstandsregister; Anerkennung eines Leihmutterschaftsurteils.
Ein kalifornisches Vaterschaftsurteil, welches das mittels Leihmutterschaft begründete Kindesverhältnis zu eingetragenen Partnern feststellt, kann bei Umgehung des schweizerischen Leihmutterschaftsverbotes nur mit Bezug zum genetischen Elternteil anerkannt werden (E. 3-8). | Sachverhalt
ab Seite 312
BGE 141 III 312 S. 312
A.
A.a
D.B. wurde am 11. April 2011 in Bakersfield, Kalifornien/USA, als Staatsangehöriger der USA geboren. Im Auszug aus dem
BGE 141 III 312 S. 313
Geburtsregister (Certification of vital record) des County of Kern, Kalifornien, vom 13. April 2011 sind A.B. (geb. 1976) und C.E. (geb. 1973) als Eltern eingetragen. A.B. und C.E., nunmehr C.B., sind Schweizer Bürger (von Kirchberg/SG bzw. Uznach/SG); sie haben Wohnsitz in der Schweiz und leben seit dem 11. Februar 2011 in eingetragener Partnerschaft. D. lebt seit Geburt mit ihnen zusammen.
A.b
Am 6. Juli 2010 vereinbarten die Partner einen Leihmutterschaftsvertrag mit den in Kalifornien wohnhaften Ehegatten F.G. und H.G. Dementsprechend wurde mit Hilfe einer Eizelle einer anonymen Spenderin und Spermien von A.B. ein Kind gezeugt und der Embryo am 31. Juli 2010 in die Gebärmutter von F.G. eingebracht; am 6. August 2010 wurde die Schwangerschaft der Leihmutter bestätigt.
A.c
Mit Vaterschaftsurteil (Judgment of Paternity) vom 24. Februar 2011 entschied der Superior Court of the State of California for the County of Kern unter Hinweis auf verschiedene Erklärungen der Partner B. und Ehegatten G. sowie auf weitere Dokumente das Folgende: A.B. werde aufgrund der Beweisunterlagen zum genetischen und leiblichen Vater des ungeborenen Kindes erklärt; C.E.-B. [sic] werde zum vermuteten leiblichen zweiten Vater des ungeborenen Kindes erklärt; F.G. sei nicht die biologische Mutter und ihr Ehemann H.G. nicht der biologische oder anders gesetzlich anerkannte Vater des ungeborenen Kindes und beide hätten auf alle elterlichen Rechte und Pflichten verzichtet; das volle und alleinige Sorgerecht und die finanzielle Verantwortung für das noch ungeborene Kind werde nach der Entbindung A.B. und C.E.-B. übertragen; in der Geburtsurkunde seien die gesetzlichen Namen und Informationen von A.B. und C.E.-B. einzutragen.
B.
B.a
Das Amt für Bürgerrecht und Zivilstand des Kantons St. Gallen wies den Antrag von A.B. und C.B. um Anerkennung des ausländischen Gerichtsentscheides und der gestützt darauf ergangenen Geburtsurkunde zur Eintragung in das Personenstandsregister am 21. März 2012 ab. Auf Rekurs hin wies das Departement des Innern des Kantons St. Gallen am 10. Juli 2013 das Amt an, A.B. und C.B. als Väter von D. im Register einzutragen.
B.b
Gegen den Rekursentscheid des kantonalen Departements gelangte das Bundesamt für Justiz (BJ), handelnd für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), an das
BGE 141 III 312 S. 314
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen. Mit Urteil vom 19. August 2014 erachtete das Verwaltungsgericht die Beschwerde im Wesentlichen als unbegründet. C.B. wurde damit als zweiter rechtlicher Elternteil anerkannt. Geschützt wurden lediglich die Begehren, wonach das ausländische Urteil im Dispositiv sowie Abstammungsdaten des Kindes im Register zu erwähnen seien. Das Verwaltungsgericht ergänzte (in Ziff. 2) das Dispositiv des Rekursentscheides wie folgt:
"a. Das Gerichtsurteil vom 24. Februar 2011 des Superior Court of the State of California for the County of Kern und die kalifornische Geburtsurkunde vom 13. April 2011 werden anerkannt.
b. Das Amt für Bürgerrecht und Zivilstand wird angewiesen, zusätzlich zum Kindesverhältnis gemäss Geburtsurkunde folgende Angaben zur Abstammung von D.B. einzutragen:
- Genetischer Vater: A.B.
- Genetische Mutter: anonyme Eizellenspenderin
- Geburtsmutter: F.G. (samt Hinweis auf Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnsitz gemäss Gerichtsurteil vom 24. Februar 2011 des Superior Court of the State of California for the County of Kern)."
C.
Mit Eingabe vom 25. September 2014 ist das BJ, handelnd für das EJPD, an das Bundesgericht gelangt. Es beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. August 2014 sei aufzuheben. In der Sache stellt das BJ den Antrag, das Gesuch um Anerkennung der kalifornischen Geburtsurkunde abzuweisen. Das Gesuch um Anerkennung des Urteils des kalifornischen Superior Court betreffend das Kindesverhältnis von D. zu C.B. (d.h. dem nichtgenetischen Vater, Beschwerdegegner 2) sei abzuweisen; im Übrigen sei das Gesuch um Anerkennung gutzuheissen (d.h. die Anerkennung zu bestätigen). Weiter sei der Eintrag im Personenstandsregister in bestimmter (näher bezeichneter) Weise zu ergänzen.
Die Beschwerdegegner sowie das Verwaltungsgericht beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Rechtsvertreterin des Kindes schliesst ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde.
Über die vorliegende Beschwerde wurde an der öffentlichen Sitzung vom 21. Mai 2015 entschieden.
In dahingehender Gutheissung der Beschwerde und Aufhebung des angefochtenen Urteils anerkennt das Bundesgericht das Urteil und den Auszug aus dem Geburtsregister von Kalifornien nur insoweit,
BGE 141 III 312 S. 315
als damit ein Kindesverhältnis zwischen D. und A.B. (Beschwerdegegner 1) festgestellt wird, und weist das verfügende Amt an, gewisse Angaben zur Abstammung von D. einzutragen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die Eintragung eines Gerichtsentscheides und einer Geburtsurkunde aus Kalifornien in das Personenstandsregister, welche das durch Leihmutterschaft entstandene Kindesverhältnis von D. zu den Beschwerdegegnern zum Gegenstand hat. Für die Registereintragung im internationalen Verhältnis ist das IPRG (SR 291) massgebend. Die Eintragung einer ausländischen Entscheidung oder Urkunde über den Zivilstand wird von der kantonalen Aufsichtsbehörde bewilligt, wenn die Voraussetzungen gemäss
Art. 25 ff. IPRG
erfüllt sind (
Art. 32 Abs. 2 IPRG
).
3.1
Die Aufsichtsbehörde prüft gemäss
Art. 32 Abs. 1 IPRG
das ausländische Dokument in formeller (registertechnischer) und materieller Hinsicht auf seine Eintragbarkeit. Materiell geht es dabei um die in den
Art. 25 ff. IPRG
genannten Voraussetzungen (VOLKEN, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 18 zu
Art. 32 IPRG
). Wenn das BJ zunächst die Nichteintragung der kalifornischen Geburtsurkunde mit dem Argument verlangt, sie sei falsch, weil nicht die gebärende Frau aufgeführt sei, geht ihr Vorbringen fehl. Damit wird die materielle Richtigkeit der Geburtsurkunde mit Blick auf das dort aufgeführte Kindesverhältnis (zu den Beschwerdegegnern) in Frage gestellt, welches sich auf das kalifornische Gerichtsurteil stützt und dessen Anerkennung ebenfalls Beschwerdegegenstand ist. Soweit der Antrag des BJ darauf hinausläuft, dass bei einer ausländischen Geburtsurkunde mit zwei Männern als Vätern immer eine entsprechende materiellrechtliche Grundlage vorgelegt werden müsse, ist dies richtig und im konkreten Fall auch geschehen.
3.2
Voraussetzung zur Anerkennung ist, dass die Zuständigkeit der ausländischen Behörden durch eine Bestimmung des IPRG begründet ist (
Art. 25 lit. a und
Art. 26 lit. a IPRG
). Mit dem Vaterschaftsurteil (Judgment of Paternity) vom 24. Februar 2011 hat der Superior Court of the State of California for the County of Kern in einem (gemäss Section 7633 Uniform Parentage Act, "Determination of Father and Child Relationship") vor Geburt des Kindes eingeleiteten Verfahren über die Vaterschaft entschieden. Ausländische Entscheidungen betreffend die Feststellung (oder Anfechtung) des
BGE 141 III 312 S. 316
Kindesverhältnisses werden gemäss
Art. 70 IPRG
in der Schweiz anerkannt. Diese Regel über die indirekte Zuständigkeit erfasst alle - auch dem inländischen Recht nicht bekannte - Entscheidungen, die im Ausland über die Feststellung (oder Beseitigung) eines Kindesverhältnisses ergehen können (SIEHR, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 13 zu
Art. 70 IPRG
; KREN KOSTKIEWICZ, Grundriss des schweizerischen Internationalen Privatrechts, 2012, Rz. 1261 ff.). Darunter fällt auch - wie hier - ein im Zeitpunkt der Geburt entstehender Status im Zusammenhang mit Leihmutterschaft (vgl. SIEHR, a.a.O., N. 1, 8 und 10 zu
Art. 66 IPRG
).
3.3
Ausländische Entscheidungen betreffend die Feststellung (oder Anfechtung) des Kindesverhältnisses werden gemäss
Art. 70 IPRG
anerkannt, wenn sie im Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes, in dessen Heimatstaat oder im Wohnsitz- oder im Heimatstaat der Mutter oder des Vaters ergangen sind. Die USA sind weder Wohnsitz- noch Heimatstaat der Beschwerdegegner. Hingegen bezieht sich das Urteil vom 24. Februar 2011 auf die Feststellung der Vaterschaft für das Kind mit Geburtstermin vom 11. April 2011 und Geburtsort in den USA (Wohnsitz der Leihmutter). Der im Zeitpunkt des Erlasses des Urteils bereits anstehende Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit
ex lege
(vgl. 8 U.S. Code § 1401 lit. a) erlaubt, die indirekte Zuständigkeit an den Heimatstaat von D. zu knüpfen (analog
BGE 116 II 202
E. 2e S. 206, betreffend unmittelbar beabsichtigter Wohnsitznahme). Die Zuständigkeit der kalifornischen Gerichte und Behörden ist grundsätzlich gegeben. Die mögliche Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der Leihmutter (wie das BJ meint) oder den bevorstehenden schlichten Aufenthalt des Kindes braucht hier nicht erörtert zu werden.
3.4
Das in Kalifornien ausgesprochene Vaterschaftsurteil bzw. die dort ausgestellte Geburtsurkunde sind unstrittig endgültig (Art. 25 lit. b IRPG). Im Folgenden bleibt zu prüfen, ob der Anerkennung ein Verweigerungsgrund im Sinne von
Art. 27 IPRG
entgegensteht (
Art. 25 lit. c IPRG
). Dabei ist zu klären, was relevantes Schutzobjekt des schweizerischen Ordre public ist (E. 4) und ob der Einsatz des Ordre public im konkreten Fall gerechtfertigt (E. 5) und völkerrechtskonform ist (E. 6).
4.
Gemäss
Art. 27 Abs. 1 IPRG
wird eine im Ausland ergangene Entscheidung in der Schweiz nicht anerkannt, wenn die Anerkennung mit dem schweizerischen Ordre public offensichtlich unvereinbar wäre.
BGE 141 III 312 S. 317
4.1
Nicht jeder Verstoss gegen das Rechtsempfinden, die Wertvorstellungen oder zwingendes Recht rechtfertigt den Eingriff mit dem Ordre public. Für die Verletzung ist vielmehr erforderlich, dass die Anerkennung und Vollstreckung des ausländischen Entscheides in der Schweiz mit den hiesigen rechtlichen und ethischen Werturteilen schlechthin unvereinbar wäre. Ob der Ordre public verletzt ist, beurteilt sich nicht abstrakt. Entscheidend sind die Auswirkungen der Anerkennung und Vollstreckung im Einzelfall. Die Anwendung des Ordre public-Vorbehalts ist im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils nach dem Wortlaut des Gesetzes ("offensichtlich") restriktiv anzuwenden, denn mit der Weigerung der Anerkennung werden hinkende Rechtsverhältnisse geschaffen (
BGE 103 Ib 69
E. 3b S. 73;
BGE 126 III 101
E. 3b S. 107,
BGE 126 III 327
E. 2b S. 330;
BGE 131 III 182
E. 4.1 S. 185; SCHWANDER, Einführung in das internationale Privatrecht, Bd. I: Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2000, Rz. 484, 712; KNOEPFLER/SCHWEIZER/OTHENIN-GIRARD, Droit international privé suisse, 3. Aufl. 2005, Rz. 353; BUCHER/BONOMI, Droit international privé, 3. Aufl. 2013, Rz. 275 f.). In diesem Sinn wird zur Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse das Eingreifen des Ordre public-Vorbehaltes umso mehr eine Ausnahme bleiben, je loser die Beziehungen zur Schweiz sind und je länger der Zeitraum zwischen der Ausfertigung der Urkunde oder dem Entscheid und der Prüfung ist (OTHENIN-GIRARD, L'inscription des décisions et des actes étrangers à l'état civil [art. 32 LDIP et 137 OEC], ZZW 1998 S. 167 f., mit Hinweisen; vgl.
BGE 126 III 101
E. 3b S. 107 f.).
4.2
Das kalifornische Urteil weicht von der schweizerischen Rechtsordnung ab. Nach dem ZGB entsteht das Kindesverhältnis zwischen dem Kind und der Mutter mit der Geburt; die Statusbeziehung besteht einzig zur austragenden Mutter (
Art. 252 Abs. 1 ZGB
). Das Erfordernis der Eindeutigkeit der Mutterschaft bei der Geburt kommt im Satz
mater semper certa est
zum Ausdruck. Sodann kann die austragende Mutter nicht vor der Geburt wirksam auf ihre Rechte mit Bezug auf das Kind verzichten (vgl.
Art. 265b Abs. 1 ZGB
). Diese Grundsätze gelten auch in der Fortpflanzungsmedizin (vgl. Botschaft vom 26. Juni 1996 über die Volksinitiative "zum Schutz des Menschen vor Manipulationen in der Fortpflanzungstechnologie [Initiative für menschenwürdige Fortpflanzung, FMF]" und zu einem Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung [Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG], BBl 1996 III 205, 254Ziff. 322.12): Die Ei- und Embryonenspende und alle Arten der
BGE 141 III 312 S. 318
Leihmutterschaft sind unzulässig (
Art. 119 Abs. 2 lit. d BV
; Art. 4 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1998 über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung [FMedG; SR 810.11]).
4.2.1
Unter Leihmutterschaft wird verstanden, dass eine Frau, die dazu bereit ist, durch ein Fortpflanzungsverfahren ein Kind empfängt, es austrägt und nach der Geburt Dritten auf Dauer überlässt; diese Praktik ist verboten (
Art. 2 lit. k FMedG
). Das Verbot der Leihmutterschaft wird mit dem Schutz der Frau vor Instrumentalisierung und mit dem Schutz des Kindeswohls begründet (Art. 7 bzw.
Art. 11 Abs. 1 BV
und Art. 3 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes [UN-Kinderrechtekonvention, KRK; SR 0.107]; vgl. REUSSER/SCHWEIZER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 44 f. zu
Art. 119 BV
). Die biologische (austragende) Mutter soll nicht dem Konflikt zwischen der psychischen Bindung an ihr Kind und der Zusage gegenüber den Wunscheltern ausgesetzt werden und das Kind ist davor zu schützen, dass es zur Ware degradiert wird, die man bei Dritten bestellen könne (Botschaft zum FMedG, BBl 1996 III 205, 279 Ziff. 324.203).
4.2.2
Damit zwei homosexuelle Männer zu einem Kind kommen könnten, müsste die Leihmutterschaft erlaubt sein. Indessen verbietet die Verfassung ausdrücklich
alle
Arten von Leihmutterschaften (Botschaft vom 29. November 2002 zum Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare, BBl 2003 1288, 1324 Ziff. 1.7.8). Das Verbot der Leihmutterschaft gilt unabhängig vom Zivilstand; die gesetzliche Nichtzulassung für eingetragene Partner hält nur fest, was aufgrund von
Art. 119 BV
bereits gilt (
Art. 28 des Bundesgesetzes vom 18. Juni 2004 über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare [PartG; SR 211.231]
).
4.2.3
Mit Bezug auf das Verbot der Eizellenspende wurde mit einer Parlamentarischen Initiative (12.487 Neirynck) die Revision des FMedG verlangt, um die Eizellenspende zuzulassen; der Initiative wurde Folge gegeben. Hingegen steht eine Änderung oder Lockerung des Verbotes der Leihmutterschaft nicht zur Diskussion. Der Bundesrat hat am 5. November 2014 in Beantwortung einer entsprechenden Interpellation (14.3742 J. Fehr) abgelehnt, die Möglichkeit der Lockerung des Leihmutterschaftsverbotes zu prüfen, und dieses Geschäft ist im Parlament erledigt. Daraus ist abzuleiten, dass das auf Verfassungsstufe verankerte Verbot der Leihmutterschaft auch heute als Grundüberzeugung der hiesigen Rechtsanschauung zu
BGE 141 III 312 S. 319
gelten hat. Das Verbot der Leihmutterschaft in
Art. 119 Abs. 2 lit. d BV
und
Art. 4 FMedG
bezieht sich indes auf Vorgänge in der Schweiz, weshalb es für sich genommen noch keinen zwingenden Hinderungsgrund bildet, ein im Ausland gesetzeskonform begründetes Kindesverhältnis anzuerkennen. Die Umstände im Einzelfall können jedoch für eine Verletzung des Ordre public und damit gegen eine Anerkennung eines solchen Kindesverhältnisses sprechen (Bericht zur Leihmutterschaft, Bericht des Bundesrates vom 29. November 2013 in Beantwortung des Postulates 12.3917, Ziff. 3.5, S. 39).
4.2.4
Falls im Ausland die Elternschaft der sog. Wunscheltern anerkannt ist, die Leihmutter und Eizellenspenderin dort auf alle Rechte verzichtet und keine Pflichten gegenüber dem Kind haben, kann die Nichtanerkennung in der Schweiz zur Elternlosigkeit eines Kindes führen, wenn die Adoption im Inland scheitert oder nicht möglich ist (RUMO-JUNGO, Kindesverhältnisse im Zeitalter vielfältiger Familienformen und medizinisch unterstützter Fortpflanzung, FamPra.ch 2014 S. 849). Nach der Lehre kann diese Situation Grundrechte des Kindes verletzen, welche - als grundlegende Werturteile des inländischen Rechts - zum Schutzobjekt des schweizerischen Ordre public gehören: Mit
Art. 11 BV
geniesst das Kindeswohl Verfassungsrang, und es gilt in der Schweiz als oberste Maxime des Kindesrechts in einem umfassenden Sinne (
BGE 132 III 359
E. 4.2.2 S. 373;
BGE 129 III 250
E. 3.4.2 S. 255); damit werden die mit der KRK garantierten Rechte verankert (
BGE 126 II 377
E. 5d S. 391).
4.3
In der Lehre ist die Auffassung verbreitet, dass im Ausland geschaffene kindesrechtliche Statusverhältnisse in der Schweiz unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt werden können (u.a. GUILLOD/HELLE, Les voyages forment la jeunesse ou Tourisme et procréation médicalement assistée, in: Mélanges en l'honneur de François Knoepfler, 2005, S. 446 f.; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 849 ff.; BREITSCHMID, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 5. Aufl. 2014, N. 6b vor
Art. 264-269c ZGB
; BÜCHLER, Rechtsprechungsbericht, FamPra.ch 2014 S. 1069 ff.; HOTZ, Zwischen Informed Consent und Verbot: Wertungswidersprüche in der Reproduktionsmedizin, recht 2014 S. 31; vgl. bereits VISCHER, in: Status und Wirkung aus der Sicht des schweizerischen IPR, in: Festschrift Müller-Freienfels, 1986, S. 678/679).
Kritisch
äussert sich hingegen HAUSHEER (Normen mit Verfassungsrang als prägende Gestaltungsfaktoren des Familienlebens bzw. des Familienrechts, ZBJV 2015 S. 335 ff. sowie Fn. 30).
Abgelehnt
wird die Anerkennung in der ausländischen Lehre von FABRE-MAGNAN (Les trois niveaux d'appréciation de l'intérêt de
BGE 141 III 312 S. 320
l'enfant, A propos de la gestation pour autrui, Recueil Dalloz 4/2015 S. 224 ff.).
4.4
In den Ländern, die ein Leihmutterschaftsverbot kennen, geht die Rechtsprechung mit der Frage der Anerkennung von im Ausland durchgeführten Leihmutterschaften und dort gültig entstandenen Kindesverhältnissen unterschiedlich um. In Deutschland wurde in einem Fall - mit analogem Sachverhalt wie vorliegend - die Vereinbarkeit mit dem Ordre public u.a. mit dem Hinweis darauf bejaht, dass ein eingetragener Partner nach nationalem Recht ein Kind adoptieren kann, das der andere Lebenspartner bereits adoptiert hat (Sukzessivadoption; Bundesgerichtshof, Beschluss XII ZB 463/13 vom 10. Dezember 2014). In Spanien wurde die Anerkennung eines kalifornischen Leihmutterschaftsurteils hingegen verneint, indessen berücksichtigt, dass das Kind nach nationalem Recht die Möglichkeit hat, durch Adoption eine rechtliche Verbindung zu beiden (männlichen) Elternteilen herzustellen (FULCHIRON/GUILARTE MARTÍN-CALERO, L'Ordre public international à l'épreuve des droits de l'enfant: non à la GPA international, oui à l'intégration de l'enfant dans sa famille, A propos de la décision [245/2012] du Tribunal supremo espagnol du 6 février 2014, Revue critique de droit international privé [Rev. crit. DIP] 2014 S. 531 ff., 556). In Italien wurde in einem Fall, in dem die Wunscheltern mit dem Kind genetisch nicht verwandt waren, die Anerkennung einer ukrainischen Geburtsurkunde versagt (Corte suprema di cassazione, Urteil Nr. 24001/14 vom 11. November 2014), und in Frankreich gilt die Umgehung des Leihmutterschaftsverbotes bis anhin als Ordre public-widrig (Cour de cassation, Urteil Nr. 281 vom 19. März 2014 [13-50. 005]). Urteile dieser beiden Länder haben dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Gelegenheit zu Stellungnahmen gegeben, worauf zurückzukommen ist.
4.5
Im Rahmen der Haager Konferenz für internationales Privatrecht sind erst die Grundlagenarbeiten aufgenommen worden, welche im Bereich der Leihmutterschaft internationale Rechtssicherheit für den Status des Kindes und für Leihmutterschaftsverträge schaffen sollen (vgl. LAGARDE, Die Leihmutterschaft: Probleme des Sach- und des Kollisionsrechts, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht [ZeuP] 2015 S. 240).
5.
Zu untersuchen ist, ob das zur Eintragung in das Personenstandsregister vorgelegte Vaterschaftsurteil und die darauf gestützte
BGE 141 III 312 S. 321
Geburtsurkunde aus Kalifornien, welche das durch Leihmutterschaft entstandene Kindesverhältnis von D. zu den Beschwerdegegnern zum Gegenstand hat, zu einem Ergebnis führen, welches den Einsatz des Ordre public-Vorbehaltes rechtfertigt.
5.1
Aus dem Vaterschaftsurteil (Judgment of Paternity) vom 24. Februar 2011 geht unstrittig hervor, dass der Beschwerdegegner 1 genetischer Vater des ungeborenen Kindes und F.G. nicht die genetische Mutter ist und dass die genetische Mutter (Eizellenspenderin) nicht bekannt ist. Weiter steht fest, dass H.G., der Ehemann der Leihmutter, nicht der biologische oder gesetzlich anerkannte Vater des ungeborenen Kindes ist und die Ehegatten G. (vor der Geburt) rechtswirksam auf alle elterlichen Rechte und Pflichten verzichtet haben. Nach dem Sachverhalt im angefochtenen Urteil haben die Ehegatten G. am 9. April 2012 (ein Jahr nach der Geburt von D.) wiederholt, auf alle elterlichen Rechte zu verzichten, und ist am 26. Februar 2013 die genetische Vaterschaft des Beschwerdegegners 1 durch Gutachten in der Schweiz bestätigt worden. Beide Beschwerdegegner werden zu rechtlichen Vätern des Kindes erklärt.
5.2
Vorab ist festzuhalten, dass das kalifornische Urteil nicht deshalb Ordre public-widrig ist, weil es ein Kindesverhältnis zu zwei miteinander rechtlich verbundenen Männern herstellt. So ist eine im Ausland ausgesprochene Stiefkindadoption eingetragener Partner grundsätzlich anerkennbar und verstösst nicht
per se
gegen den schweizerischen Ordre public (Botschaft zum PartG, BBl 2003 1288, 1359 Ziff. 2.5.17; vgl. u.a. BOPP, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 2013, N. 10 zu
Art. 65a IPRG
; DE LUZE/PAGE/STOUDMANN, Droit de la famille, Code annoté, 2013, Ziff. 1.4 zu
Art. 28 PartG
; BUCHER, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé [...], 2011, N. 9 zu
Art. 78 IPRG
; St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2009 Nr. 101 S. 249 ff.). Zudem liegt der Vorschlag des Bundesrates, die Stiefkindadoption für eingetragene Partner einzuführen, bereits vor (Botschaft vom 28. November 2014 zur Änderung des ZGB [Adoption], BBl 2015 877, 910 Ziff. 2.3.3.4, 925 Ziff. 3.1, sowie E-
Art. 264c ZGB
). Ein Ordre public-Verstoss allein aufgrund des Zivilstandes und der Lebensform lässt sich gerade
wegen
des zugrunde liegenden parlamentarischen Vorstosses (Motion 11.4046) nicht begründen (URWYLER/HAUSER, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 2013, N. 17 zu
Art. 78 IPRG
).
BGE 141 III 312 S. 322
5.3
Die Art und Weise der Entstehung des Kindesverhältnisses im konkreten Einzelfall kann nicht ausser Acht gelassen werden.
5.3.1
Damit die Beschwerdegegner als homosexuelle Männer zu einem Kind kommen können, haben sie die Dienste einer Leihmutter in Anspruch genommen. Nach dem vorinstanzlichen Entscheid besteht kein Zweifel und wird nicht in Frage gestellt, dass die beiden Beschwerdegegner - nicht anders als z.B. ein Ehepaar, bei welchem die Ehefrau keine Kinder haben kann - durch den Abschluss des Leihmutterschaftsvertrages in Kalifornien ihren Kinderwunsch mit Hilfe der ausländischen Rechtsordnung, welche gerade kein Leihmutterschaftsverbot kennt, erfüllt haben. Es steht ausser Frage, dass das Kindesverhältnis von D. zu den beiden Beschwerdegegnern mit Bezug auf den in Kalifornien abgeschlossenen Leihmutterschaftsvertrag und das darauf gestützt ergangene Vaterschaftsurteil eine Praktik zum Gegenstand hat, die Leihmutterschaft (gemäss
Art. 2 lit. k FMedG
) darstellt und hier - wie alle Arten von Leihmutterschaft - verboten ist.
5.3.2
Im Bereich des internationalen Privatrechts besteht gesetzlich viel Gestaltungsfreiheit (wie durch Wahl von Forum und Recht) und längst nicht alle rechtsgestaltenden Handlungen sind rechtlich relevante "Gesetzesumgehungen" (vgl. KREN KOSTKIEWICZ, a.a.O., Rz. 976 ff., 983 ff.). Wenn indes die Beschwerdegegner - als schweizerische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Schweiz, ohne weiteren Bezug zu Kalifornien - die Leihmutterschaft gerade zur Vermeidung des schweizerischen Verbotes in Kalifornien durchgeführt haben, stellt ihr Vorgehen eine rechtlich relevante Rechtsumgehung dar. Grund dafür ist, dass die Rechtsordnung offensichtlich um die von ihr beabsichtigte Wirkung ihrer Vorschriften gebracht werden soll (vgl. SCHNITZER, Handbuch des internationalen Privatrechts, Bd. I, 1957, S. 250), wobei diese Vorschriften vor der Verletzung der Moral, das öffentliche Interesse und die Menschenwürde schützen sollen (vgl. PERRIN, La fraude à la loi et l'ordre public en droit privé, in: Mélanges Pierre Engel, 1989, S. 260 f., 265). Die engen Beziehungen der Beteiligten zur Schweiz (Wohnsitz und Staatsangehörigkeit), die losen Beziehungen zu den USA (neben der Staatsangehörigkeit des Kindes die Leihmutter, die das Kind dort weder rechtlich hat noch haben will, und die anonyme Eizellenspenderin) und der noch nicht lange Zeitraum zwischen der Entscheidung und Geburtsurkunde (im Jahre 2011) und der Anerkennungsprüfung stehen dem Einsatz des Ordre public-Vorbehaltes nicht entgegen.
BGE 141 III 312 S. 323
5.3.3
Am Ordre public-Verstoss zufolge Rechtsumgehung im dargelegten Sinn vermag nichts zu ändern, dass das Kind am Vorgehen seiner Wunscheltern kein Vorwurf trifft. Wohl ist möglich, dass die Anerkennung eines ausländischen Leihmutterschaftsurteils im Interesse des Kindes ist. Ebenso gut ist denkbar, dass sich ein Leihmutterschaftskind später als Objekt des - durch das Recht verbotenen - Vorgehens sieht. In diesem Fall würde ihm die Gültigerklärung der Verbotsüberschreitung jedes Recht absprechen, sich als Opfer zu fühlen (FABRE-MAGNAN, a.a.O., S. 226). Sicher ist jedenfalls, dass der Schutz des Kindes davor, zur Ware degradiert zu werden, die man bei Dritten bestellen kann, aber auch der Schutz der Leihmutter vor der Kommerzialisierung ihres Körpers, bedeutungslos wären, wenn die Rechtsumgehung der Wunscheltern nachträglich gültig erklärt würde. Die Verneinung der Ordre public-Widrigkeit würde die rechtsanwendenden Behörden zwingen, ein durch Rechtsumgehung erreichtes Kindesverhältnis als
fait accompli
zu akzeptieren, womit der Fortpflanzungstourismus gefördert würde und das inländische Leihmutterschaftsverbot weitgehend wirkungslos wäre (vgl. FABRE-MAGNAN, a.a.O., S. 226).
5.3.4
Das BJ erblickt in der Tatsache der Anonymität der Eizellenspenderin einen Grund, welcher der Anerkennung des kalifornischen Urteils entgegensteht, ebenso im Umstand, dass die kalifornischen Behörden keine Prüfung der Eignung der Eltern vorgenommen hätten. Diese Einwände sind nicht ausschlaggebend. Damit wird lediglich die Auseinandersetzung darüber eröffnet, welche Kriterien (wie Eignungsprüfung der Wunscheltern, Nichtanonymität der Eizellenspenderin, vgl. auch z.B. gerichtliches Verfahren, Abklärung der Einwilligung der Leihmutter sowie deren Lebensumstände etc.) erfüllt sein müssten, damit eine im Ausland erfolgte Leihmutterschaft akzeptabel und ein entsprechendes Kindesverhältnis anerkennbar wären. Dem steht hier entgegen, dass die Rechtsumgehung zum Ordre public-Verstoss führt und sich daran nichts ändert, ob das Kind aufgrund einer Leihmutterschaft in einem Land mit allfälligen "Minimalstandards" entstanden ist. Ob dem Kind grundsätzlich die Folgen auferlegt werden können, wenn sich seine Wunscheltern für eine "nicht akzeptable" Leihmutterschaft entscheiden, ist daher nicht zu erörtern. Im vorliegenden Fall bleibt es dabei, dass das kalifornische Vaterschaftsurteil insoweit mit dem Ordre public nicht vereinbar ist.
6.
Zu prüfen ist im Folgenden, ob und inwieweit die aus der EMRK und KRK fliessenden Rechtspositionen des Kindes den aus der
BGE 141 III 312 S. 324
Rechtsumgehung abgeleiteten Ordre public-Verstoss (E. 5.3) zurückzudrängen vermögen bzw. die Anerkennung des Kindesverhältnisses zu den Beschwerdegegnern gebieten.
6.1
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in den Urteilen Nr. 65192/11
Mennesson gegen Frankreich
und Nr. 65941/11
Labassée gegen Frankreich
, je vom 26. Juni 2014, zur Anerkennung von im Ausland durch Leihmutterschaft hergestellten Kindesverhältnissen Stellung genommen, wenn im Anerkennungsstaat ein Leihmutterschaftsverbot gilt. Dabei ging es um Kinder, welche in den USA von einer Leihmutter zur Welt gebracht wurden und bei denen in Frankreich die Anerkennung des im Ausland begründeten Kindesverhältnisses, aber auch die Anerkennung der Vaterschaft oder die Herstellung eines Kindesverhältnisses auf dem Wege der Adoption verweigert wurde, obwohl jeweils der Ehemann des französischen Wunschelternpaares der genetische Vater war. Die Kinder waren in beiden Fällen zwischenzeitlich rund 13- bzw. 14-jährig, so dass längst eine feste sozialpsychische Beziehung, aber nach wie vor kein rechtliches Eltern-Kind-Verhältnis bestand, weil Frankreich auch die Anerkennung durch den Vater sowie die Adoption nicht zuliess. Der EGMR entschied, dass die aus
Art. 8 EMRK
fliessenden Rechte der Eltern nicht verletzt seien, weil sie ja faktisch ein Familienleben mit den bei ihnen lebenden Kindern hätten. Indes ging der Gerichtshof von einer Verletzung der Rechte der Kinder aus. Es wurde als unhaltbar erachtet, dass die Kinder kein rechtliches Kindesverhältnis zum genetischen Vater herstellen konnten (Urteile
Mennesson
, § 100, bzw.
Labassée
, § 79). Hingegen ist von der jeweiligen Ehefrau des genetischen Vaters, die in beiden Fällen ebenfalls als Beschwerdeführerin auftrat und die Anerkennung des in den USA zu ihr begründeten Kindesverhältnisses verlangte, nicht weiter die Rede. Der EGMR erachtete somit die Menschenrechte der Kinder durch Anerkennung bzw. Herstellung eines Kindesverhältnisses zu ihrem genetischen Vater in Frankreich als hinlänglich gewahrt. Sodann hat der EGMR in seinem Urteil Nr. 25358/12
Paradiso und Campanelli gegen Italien
vom 27. Januar 2015 im Zusammenhang mit vermeintlichen Eltern, die aber zufolge eines Fehlers in der Klinik keinen genetischen Bezug zum Kind hatten, festgehalten, dass die mit dem Ordre public begründete Verweigerung der Anerkennung des durch Leihmutterschaft hergestellten Kindesverhältnisses keine
décision déraisonnable
sei (Urteil
Paradiso
, § 77). Einzig in der sofortigen Wegnahme und Fremdplatzierung des
BGE 141 III 312 S. 325
Kindes hat der Gerichtshof eine Verletzung des Familienlebens erblickt (§ 80 ff.), ohne eine Pflicht auf Rückgabe des Kindes auszusprechen (Urteil
Paradiso
, §§ 80 ff., 88).
6.2
Aus der Rechtsprechung des EGMR ist zu schliessen, dass es unter dem Blickwinkel von
Art. 8 EMRK
nicht zulässig ist, ein Kindesverhältnis mit genetischem Bezug zwischen Kind und Elternteil aus Ordre public-Gründen nicht anzuerkennen. Zu Recht ist demnach unstrittig, dass die Anerkennung der vom kalifornischen Gericht ausgesprochenen Feststellung der Vaterschaft des Beschwerdegegners 1 bzw. des genetischen Vaters zu D. mit dem schweizerischen Ordre public vereinbar ist. Der Eintragung dieses Kindesverhältnisses im schweizerischen Personenstandsregister steht zu Recht nichts im Wege.
6.3
Hingegen lässt es sich nach der Strassburger Rechtsprechung mit den Garantien der EMRK vereinbaren, wenn ein durch Leihmutterschaft begründetes Kindesverhältnis zu einem Elternteil ohne genetischen Bezug aus Ordre public-Gründen nicht anerkannt wird (vgl. FULCHIRON/BIDAUD-GARON, A propos de la filiation des enfants nés par GPA, au lendemain des arrêts Labassée, Mennesson et Campanelli-Paradiso de la Cour européenne des droits de l'homme, Rev. crit. DIP 2015 S. 6, 20 f.;
kritisch
MARGUÉNAUD, Revue trimestrielle de droit civil [RTDCiv.] 2014 S. 839). Die Verweigerung der Anerkennung der vom kalifornischen Gericht ausgesprochenen Feststellung der Vaterschaft des Beschwerdegegners 2, bzw. des
nichtgenetischen
Vaters zu D. aus Ordre public-Gründen ist EMRK-konform.
6.4
Trotz Nichtanerkennung des Kindesverhältnisses zum Beschwerdegegner 2 ist der rechtliche Status von D. durch die schweizerische Rechtsordnung im Lichte der EMRK und KRK - wie sich aus dem Folgenden ergibt - hinreichend geschützt.
6.4.1
D. lebt seit jeher zusammen mit den Beschwerdegegnern, so dass sie eine Familiengemeinschaft bilden, die unter dem Schutz von
Art. 8 EMRK
steht (Urteil
Paradiso
und
Campanelli
, §§ 69, 80; vgl. bereits
BGE 135 I 143
E. 3.2 S. 149). Insoweit hat die Ordre public-Widrigkeit infolge Rechtsumgehung zurückzutreten (selbst wenn keine genetische Verbindung besteht). Die Entfernung des Kindes aus dem familiären Umfeld wäre - wie allgemein - nur im Falle einer Gefährdung gerechtfertigt. Insoweit sind die aus
Art. 8 EMRK
fliessenden Rechte von D. ohne weiteres gewährleistet. Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet (entgegen den
BGE 141 III 312 S. 326
Ausführungen der Vorinstanz) die Frage, ob die konkrete Betreuungssituation dem Kindeswohl entspricht.
6.4.2
De lege lata
sind Personen, die in eingetragener Partnerschaft leben, zur Stiefkindadoption nicht zugelassen (
Art. 28 PartG
), weshalb D. vom Beschwerdegegner 2 nicht adoptiert werden kann. Die Leihmutter ist nach dem kalifornischen Urteil nie rechtliche Mutter geworden, was sie in der Folge bestätigt hat. Die Verweigerung der Anerkennung der Feststellung des Kindesverhältnisses zum Beschwerdegegner 2 erlaubt den schweizerischen Behörden nicht ohne weiteres, ersatzweise die Leihmutter als rechtliche Mutter zu betrachten (vgl. BÜCHLER/BERTSCHI, Gewünschtes Kind, geliehene Mutter, zurückgewiesene Eltern?, FamPra.ch 2013 S. 55). In Kalifornien kann die Leihmutter - wegen der entgegenstehenden dortigen Gerichtsentscheidung - ohnehin nicht zweiter Elternteil von D. sein; zudem will sie überhaupt nicht dessen Mutter sein. Bei blosser Teilanerkennung des kalifornischen Urteils ist daher die Rechtslage eines rechtlichen "Ein-Eltern-Kindes" näher zu erörtern.
6.4.3
D. hat aufgrund des im kalifornischen Urteil festgestellten und anerkannten Kindesverhältnisses zum Beschwerdegegner 1 das Schweizer Bürgerrecht erworben (Art. 1 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts [BüG; SR 141.0]; ferner
Art. 271 ZGB
); dem Kind drohtkeine Staatenlosigkeit, abgesehen davon, dass es auch die Staatsangehörigkeit des Geburtsstaates erworben hat. Als Kind von Beschwerdegegner 1 (als Schweizer Bürger) wird es im Personenstandsregister erfasst (
Art. 23 Abs. 2 lit. a ZStV
[SR 211.112.2]).Sodann trägt D. aufgrund des anerkannten Kindesverhältnisses zum Beschwerdegegner 1 dessen Namen (vgl.
Art. 37 Abs. 1 IPRG
;
Art. 270a Abs. 1 ZGB
) und steht jedenfalls in dessen elterlichen Sorge (vgl.
Art. 85 Abs. 4 IPRG
;
Art. 298a ZGB
). Im Falle der Verhinderung des Beschwerdegegners 1, seines rechtlichen Vaters, ist D. nicht ohne rechtliche Beziehung zu Beschwerdegegner 2:
Art. 27 Abs. 1 PartG
verleiht dem eingetragenen Partner zwar keine Elternrechte, jedoch gewisse Betreuungsrechte und -pflichten, wenn es die Umstände erfordern (vgl. BOOS/BÜCHLER, in: FamKomm Eingetragene Partnerschaft, 2007, N. 15 ff. zu
Art. 27 PartG
). Der dargestellte rechtliche Status von D. gewährleistet demnach das Kindeswohl (
Art. 11 BV
,
Art. 3 KRK
) sowie die Rechte aus
Art. 7 KRK
(Name, Staatsangehörigkeit, Registrierung). Mit Blick auf seinen zweiten Heimatstaat entsteht zwar ein hinkendes Rechtsverhältnis, was eine Rechtsunsicherheit über die eigene Identität darstellen kann
BGE 141 III 312 S. 327
(Urteil
Mennesson
, § 96), im konkreten Fall sind die aus
Art. 8 Abs. 1 EMRK
fliessenden Rechte indes nicht übermässig beeinträchtigt.
6.4.4
Die jüngsten Empfehlungen des UNO-Kinderrechtsausschusses führen zu keinem anderen Ergebnis. Der Ausschuss hat der Schweiz empfohlen, sicherzustellen, dass das Leihmutterschaftskind während der Zeit zwischen seiner Ankunft in der Schweiz und der formellen Adoption nicht staatenlos ist und keine Diskriminierung (
Art. 2 KRK
) zu gewärtigen hat (Committee on the Rights of the Child, Concluding Observations on the combined second to fourth periodic reports of Switzerland, CRC/C/CHE/CO/2-4, vom 4. Februar 2015, Ziff. 46 und 47). Das soll mit der vom Bundesrat vorgelegten, bereits erwähnten Botschaft vom 28. November 2014 zur Änderung des ZGB [Adoption] geschehen (BBl 2015 877, 909 f. Ziff. 2.3.3.4). Mit der vorgeschlagenen Stiefkindadoption könnte das kindesrechtliche Statusverhältnis zwischen D. und dem Beschwerdegegner 2 grundsätzlich hergestellt werden (vgl. BBl 2015 877, 909 Ziff. 2.3.3.3, vgl. ferner FULCHIRON/BIDAUD-GARON, a.a.O., S. 36 ff.).
7.
Nach dem Dargelegten ergibt sich, dass die
vollumfängliche
Anerkennung des Vaterschaftsurteils (Judgment of Paternity) vom 24. Februar 2011 des kalifornischen Superior Court in der Schweiz zufolge Ordre public-Verstosses nicht möglich ist. Die Rüge des BJ wegen Verletzung des Ordre public betreffend die Anerkennung ausländischer Entscheidungen (Art. 32 Abs. 1 i.V.m.
Art. 25 ff. IPRG
) ist begründet, soweit mit dem kalifornischen Urteil ein Kindesverhältnis zwischen D. und dem Beschwerdegegner 2, dem
nichtgenetischen
Elternteil, festgestellt wird. Das Gleiche - d.h. teilweise Verweigerung der Anerkennung - gilt für den sich auf das Vaterschaftsurteil stützenden kalifornischen Auszug aus dem Geburtsregister (Certification of vital record) vom 13. April 2011.
Ob und unter welchen Voraussetzungen eine andere Beurteilung angebracht ist, wenn keine gegen den Ordre public verstossende Rechtsumgehung der Wunscheltern vorliegt oder wenn die Leihmutter genetische Mutter oder kein Wunschelternteil mit dem Leihmutterschaftskind genetisch verwandt ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
8.
Zum Personenstand, welcher zu beurkunden ist, gehört die personen- und familienrechtliche Stellung einer Person wie u.a. die Abstammung (
Art. 39 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB
). Das BJ leitet aus dem Anspruch des Kindes auf Kenntnis der eigenen Herkunft verschiedene
BGE 141 III 312 S. 328
Anträge zur Beurkundung des vorliegenden Kindesverhältnisses im Personenstandsregister ab. Die Begehren sind unbegründet.
8.1
Das Verwaltungsgericht hat die Anweisung - wie dargelegt insoweit zu Recht - bestätigt, das Kindesverhältnis gemäss kalifornischer Geburtsurkunde des Beschwerdegegners 1 als Vater von D. einzutragen. Weiter wurde angeordnet, die "Geburtsmutter: F.G." (samt Hinweis auf Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnsitz gemäss Vaterschaftsurteil) und die "Genetische Mutter: anonyme Eizellenspenderin" einzutragen. Das entspricht den Begehren des BJ (Ziff. 4e: Eintragung des Kindesverhältnisses zu Beschwerdegegner 1; Ziff. 4b: Anmerkung von F.G. als Leihmutter; Ziff. 4c: Anmerkung der anonymen Eizellenspende). Insoweit ist nicht ersichtlich, dass das angefochtene Urteil aufgehoben oder geändert werden sollte.
8.2
Weiter verlangt das BJ die Erfassung von H.G. zufolge ursprünglicher Abstammung (Ziff. 4a), ebenso deren Aufhebung (Ziff. 4d), da er im Zeitpunkt der Geburt des Kindes rechtlicher Vater von D. gewesen sei. Dafür gibt es keinen ersichtlichen Grund, denn nach dem Vaterschaftsurteil ist das Kindesverhältnis zu den Beschwerdegegnern im Zeitpunkt der Geburt von D. entstanden. Ein Kindesverhältnis von D. zum Ehemann der Leihmutter hat sich nach dem kalifornischen Urteil nie verwirklicht; daran ändert auch die Nichtanerkennung des Kindesverhältnisses zum Beschwerdegegner 2 nichts. Sodann ist F.G. als Leihmutter bereits eingetragen. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
67bbedac-302a-43c9-bfab-64238810285f | Urteilskopf
107 III 103
25. Sentenza del 23 settembre 1981 della Camera delle esecuzioni e dei fallimenti nella causa Kleinbaerg Holding S.A. contro Emilio Villa (ricorso) | Regeste
Arrestierung von Vermögenswerten Dritter. Fiduziarisches Rechtsgeschäft.
1. Im Arrestverfahren gegen den Fiduzianten dürfen keine Vermögenswerte arrestiert werden, die fiduziarisch einem Dritten gehören: solche Vermögenswerte sind Eigentum des Fiduziars, einer vom Schuldner verschiedenen Person (E. 1).
2. Der Gläubiger kann nicht die Arrestierung von Vermögenswerten verlangen, die nach seinen eigenen Angaben fiduziarisch ihm gehören (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 104
BGE 107 III 103 S. 104
Il 10 giugno 1981 il Pretore di Lugano-distretto ha decretato contro Emilio Villa, su richiesta della Kleinbaerg Holding S.A., il sequestro di "4275 azioni Manufattura Cotoniera Monterosa Spa intestate (fiduciariamente) al nome della Kleinbaerg Holding S.A. e a suo nome depositate presso la Banca della Svizzera Italiana, Lugano". Il sequestro è stato eseguito il medesimo giorno dall'Ufficio di esecuzione e fallimenti di Lugano, I circondario.
In seguito all'annullamento del sequestro pronunciato il 13 agosto 1981 dalla Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello ticinese, la creditrice ha presentato un ricorso al Tribunale federale. Opponendosi all'argomentazione dell'autorità di vigilanza - secondo la quale le azioni sequestrate apparterrebbero in realtà alla Ripap Anstalt di Vaduz, persona giuridicamente ed economicamente distinta dal debitore Villa - la ricorrente sostiene che le azioni sono intestate a lei fiduciariamente, ma appartengono a Villa in qualità di mandante, come è dimostrato da una "convention de fiducie" del 15 settembre 1978.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Il Tribunale federale ha recentemente rammentato che secondo la sua giurisprudenza possono essere sequestrati solo beni che il creditore indica come appartenenti al debitore: in altre parole, è escluso il sequestro di beni che il creditore indica appartenere a terzi (
DTF 106 III 88
e riferimenti). Devono essere considerati beni di terzi tutti quelli che secondo le regole del diritto civile appartengono a una persona fisica o giuridica differente dal debitore escusso (
DTF 106 III 89
e
DTF 105 III 112
). Determinante è la realtà giuridica: l'identità economica fra il debitore escusso e il terzo può essere presa in considerazione solo in casi eccezionali (
DTF 105 III 112
/113 con riferimento a
DTF 102 III 165
).
Secondo il diritto civile svizzero, colui che detiene beni a titolo fiduciario, deve essere considerato proprietario degli stessi a tutti
BGE 107 III 103 S. 105
gli effetti (
DTF 106 III 89
,
DTF 96 II 93
e riferimenti). Ne discende che i beni appartenenti a una persona fisica o giuridica a titolo fiduciario non possono essere sequestrati nell'esecuzione promossa contro il fiduciante: in questo caso il fiduciario è un terzo ai sensi della prassi precitata. Semmai può essere sequestrata la pretesa obbligatoria di restituzione che il debitore escusso ha verso il fiduciario (
DTF 106 III 89
).
2.
L'autorità di vigilanza e le parti riconoscono questi principi giurisprudenziali. Esse ne traggono tuttavia conclusioni errate. In sede cantonale è infatti stata dibattuta la questione di sapere se nel rapporto di fiducia il mandante sia Emilio Villa, la Ripap Anstalt, o un certo Joachim Schmidt; in particolare, dal momento che le parti interessate sembravano concordi nell'ammettere che le azioni sequestrate erano di proprietà della Ripap Anstalt, esse si sono dilungate sull'appartenenza economica di questa società. L'autorità di vigilanza ha negato che la Ripap Anstalt appartenesse economicamente a Villa e ha di conseguenza dichiarato nullo il sequestro di azioni, appartenenti a terzi.
L'identificazione del reale fiduciante nel rapporto di fiducia e l'appartenenza economica della Ripap Anstalt sono però irrilevanti nella presente procedura. Nel gravame proposto al Tribunale federale la ricorrente afferma esplicitamente che le azioni sequestrate il 10 giugno 1981 le appartengono a titolo fiduciario, in virtù della convenzione del 15 settembre 1978. Con ciò essa ammette che i beni sequestrati appartengono giuridicamente a lei, non al debitore escusso, il che significa, in applicazione della prassi riassunta nel considerando precedente, che questi beni non possono essere sequestrati. L'affermazione della ricorrente di essere civilmente proprietaria delle azioni è sufficiente per la dichiarazione di nullità dell'esecuzione del sequestro (cfr.
DTF 106 III 91
), per cui non è necessario approfondire l'esame delle intricate relazioni d'affari che vincolano la ricorrente, il debitore, la Ripap Anstalt e altri.
3.
Il ricorso della Kleinbaerg Holding S.A. deve essere respinto. Ne segue che la domanda di concessione dell'effetto sospensivo è senza oggetto. | null | nan | it | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
67bcfa6f-5e85-43e1-89b4-4bfc7c87d702 | Urteilskopf
98 Ia 129
18. Urteil vom 10. Mai 1972 i.S. X. gegen Kantonales Technikum Biel und Aufsichtskommission des Kantonalen Teclmikums Biel. | Regeste
Anspruch auf rechtliches Gehör unmittelbar aufgrund des
Art. 4 BV
.
Auf welche Weise ist dem Schüler, der aus einer öffentlichen Schule disziplinarisch entlassen werden soll, vorher Gelegenheit zu geben, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen? | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 98 Ia 129 S. 129
A.-
Die 1949 geb. Christiane X. war seit Sommer 1969 Schülerin der Kantonalen Kunstgewerbeschule Biel. Bereits im ersten Zeugnis vom Frühjahr 1970 wurden Betragen und Ordnung als "insuffisants" qualifiziert. In einer dem Zeugnis beigelegten Bemerkung der Lehrerkonferenz wurde sie als "indisciplinée" bezeichnet. Im nächsten Semester scheint sich das Verhalten gebessert zu haben; im Zeugnis vom Oktober 1970 hatte sie die Betragensnote 4 (genügend). Im Zeugnis vom Frühjahr 1971 hatte sie die Betragensnote 2, d.h. die zweitschlechteste Note nach der Bewertungstabelle. Als Bemerkung der Lehrerkonferenz war im Zeugnis angeführt: "Dernier avertissement disciplinaire avec menace d'exclusion de l'école selon paragraphe 6, annexe 3, du règlement d'école." Nach Abschluss des Sommer-Semesters 1971 befasste sich die Lehrer konferenz mit der Frage, ob der Aufsichtskommission der Ausschluss der Schülerin aus der Kunstgewerbeschule zu beantragen sei. Es wurde ihr zur Last gelegt, dass sie nach dem
BGE 98 Ia 129 S. 130
Unterricht den Arbeitsplatz ungeordnet verlasse, zu spät zur Schule komme, den Unterricht ohne Bewilligung verlasse, in den Toiletten rauche, während des Unterrichts stricke, dem Unterricht ohne Entschuldigung fernbleibe und einen schlechten Einfluss auf die andern Schüler habe. In der Sitzung vom 28. September 1971 wurde festgestellt, dass sich das Verhalten der Schülerin im Sommer-Semester bei einzelnen Lehrern gebessert habe, doch müsse es weiterhin mehrheitlich beanstandet werden. "Trotz den guten Leistungen dieser begabten Schülerin" entschloss sich die Konferenz, "nach der klaren Androhung im letzten Semester-Zeugnis" der Aufsichtskommission den Ausschluss zu beantragen. Im Zeugnis vom 1. Oktober 1971 findet sich die Betragensnote 3 (ungenügend) und die Bemerkung der Lehrerkonferenz "demande d'exclusion à la Commission de surveillance". Der Schulvorsteher liess Christiane X. am 1. Oktober zu Entgegennahme des Semester-Zeugnisses in sein Bureau kommen, eröffnete ihr hier, dass ihr Betragen unbefriedigend und ihr Ausschluss aus der Schule beantragt sei, und legte ihr nahe, die Schule freiwillig zu verlassen. Der Vater von Christiane X. wandte sich mit einem Brief vom 3. Oktober an den Direktor des Kantonalen Technikums, dem die Kunstgewerbeschule angeschlossen ist. Er bat ihn, die Angelegenheit zu prüfen und ihn zu einer Besprechung einzuladen. Diese Besprechung fand am 1. November statt. Es waren der Direktor und der Vizedirektor des Technikums, Vater X. und Christiane X. zugegen. Dieser wurde Gelegenheit gegeben, sich zu den erhobenen Vorwürfen zu äussern. Sie soll die Vorwürfe an sich nicht bestritten, dagegen mit dem Hinweis bagatellisiert haben, sie habe nichts anderes getan als was die meisten andern Schüler auch tun. Ihre Äusserungen sollen gezeigt haben, dass sie die Androhung des Ausschlusses nie ernst genommen hatte. Am 3. November fand eine Lehrerkonferenz statt, in welcher der Fall erneut diskutiert wurde. Die Konferenz beschloss, an ihrem Antrag auf Ausschluss festzuhalten. Die Aufsichtskommission des Technikums beschäftigte sich mit diesem Antrag in ihrer Sitzung vom 9. November. Der Vizedirektor des Technikums, welcher die Lehrerschaft in der Kommission vertritt, orientierte die übrigen Mitglieder über den Sachverhalt. Die Kommission beschloss, Christiane X. antragsgemäss aus der Schule auszuschliessen, was ihr mit. Brief vom 11. November 1971 mitgeteilt wurde.
BGE 98 Ia 129 S. 131
B.-
Gegen den Entscheid der Aufsichtskommission vom 9. November 1971 hat Christiane X. wegen Verletzung des
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, ihn aufzuheben. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit erforderlich, aus den folgenden Erwägungen.
Auf Begehren der Beschwerdeführerin erteilte der Präsident der Kammer für Beschwerden wegen Verletzung des
Art. 4 BV
der Beschwerde in dem Sinne aufschiebende Wirkung, dass die Beschwerdeführerin die Kantonale Kunstgewerbeschule weiter besuchen konnte.
C.-
Das Kantonale Technikum Biel und dessen Aufsichtskommission beantragten in ihrer Beschwerdeantwort vom 17. Dezember 1971, die staatsrechtliche Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Der Entscheid der Aufsichtskommission konnte nicht durch ein kantonales Rechtsmittel angefochten werden).
2.
Die Beschwerdeführerin beklagt sich über eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Sie beanstandet, dass sie weder vor der Aufsichtskommission noch vor der Lehrerkonferenz zu den erhobenen Vorwürfen habe Stellung nehmen können, dass sie keine Einsicht in den an die Aufsichtskommission gerichteten Bericht der Lehrerkonferenz erhalten habe, dass die Aufsichtskommission ihren Entscheid bloss auf Grund des Berichts der Lehrerkonferenz getroffen habe, dass keine Erhebungen bei den Mitschülern vorgenommen worden seien und der angefochtene Entscheid keine genaue Begründung enthalte.
Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird zunächst grundsätzlich durch die kantonalen Verfahrensvorschriften umschrieben. Wo sich dieser kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden, also bundesrechtlichen Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz, die dem Bürger in allen Streitsachen ein bestimmtes Mindestmass an Verteidigungsrechten gewährleisten (
BGE 97 I 617
,
BGE 92 I 186
mit Hinweisen auf frühere Entscheide).
Die Reglemente, die im zu beurteilenden Fall anwendbar sind, enthalten keine Vorschriften darüber, dass und in welcher Weise die Lehrerkonferenz, die den Ausschluss eines Schülers
BGE 98 Ia 129 S. 132
beantragen will, und die Aufsichtskommission, welche über einen solchen Antrag zu entscheiden hat, dem betroffenen Schüler, und allenfalls auch seinen Eltern, rechtliches Gehör, d.h. vor allem die Gelegenheit zur Verteidigung, zu gewähren haben. Eine den Anspruch sichernde kantonale Vorschrift fehlt demnach. Die Beschwerdeführerin meint, es könnte Art. 43 Abs. 4 des bernischen Gesetzes über die Mittelschulen analog angewendet werden, nach welcher Vorschrift bei allen Disziplinaruntersuchungen der betreffende Schüler und seine Eltern rechtzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten sollen. Es steht aber dahin, ob die Regel ihrem Sinn nach auch für ein Disziplinarverfahren der Kunstgewerbeschule gilt, und im übrigen ist sie zu unbestimmt gefasst, als dass sie an sich den Gehörsanspruch hinlänglich sicherstellen würde.
3.
Bei dieser Rechtslage greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
fliessenden Verfahrensregeln ein, die dem Bürger von Bundesrechts wegen in allen Streitsachen ein bestimmtes Mindestmass an Verteidigungsrechten sichern. Der Anspruch auf rechtliches Gehör geht im Verwaltungsverfahren nicht unbedingt so weit wie im Zivil- und Strafprozess. Diese Einschränkung gilt aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts dann nicht, wenn das Verwaltungsverfahren eine Strafe oder einen schweren Eingriff in die persönliche Rechtssphäre zum Gegenstand hat. Die disziplinarische Entlassung eines Schülers aus einer öffentlichen Schule hat Strafcharakter. Der disziplinarische Ausschluss der Beschwerdeführerin hatte auch sonst weittragende und einschneidende Wirkungen, besonders wenn in Rechnung gestellt wird, dass Christiane X. kurz vor dem Schlussexamen stand, als sie aus der Schule ausgeschlossen wurde. In einem solchen Fall musste die Beschwerdeführerin Gelegenheit erhalten, ihre Einwendungen gegen die Gründe, aus denen die disziplinarische Entlassung erwogen wurde, der Behörde vorzubringen, bevor diese die Massnahme anordnete (
BGE 87 I 339
/40).
Der unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst freilich nicht das Recht, sich vor der Behörde, die den Entscheid fällt, mündlich zu äussern (
BGE 96 I 312
E. 2). Christiane X. kann sich demnach nicht darüber beklagen, dass ihr keine Gelegenheit gegeben wurde, sich gegen die erhobenen Vorwürfe vor der Aufsichtskommission mündlich zu verteidigen. Sie hätte indessen die Möglichkeit erhalten
BGE 98 Ia 129 S. 133
müssen, in anderer Weise zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Bevor die Lehrerkonferenz am 28. September 1971 beschloss, der Aufsichtskommission den Ausschluss der Beschwerdeführerin zu beantragen, wurde dieser keine Gelegenheit zur Verteidigung gegeben. Mit Rücksicht auf die Schwere der beantragten Massnahme wäre es durchaus geboten gewesen, ihr diese Möglichkeit einzuräumen. Dieser Mangel hätte indessen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dadurch geheilt werden können, dass der Beschwerdeführerin durch die Aufsichtskommission Gelegenheit gegeben worden wäre, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen (vgl.
BGE 96 I 188
). Allein auch das wurde unterlassen. Weder wurde der Beschwerdeführerin Gelegenheit gegeben, sich mit einer Verteidigungsschrift an die Kommission zu wenden, noch konnte sie sich mündlich vor dieser äussern. Es wurde ihr somit klarerweise das rechtliche Gehör verweigert.
Die Beschwerdeführerin hatte allerdings Gelegenheit, bei der Besprechung mit dem Direktor und dem Vizedirektor des Technikums, die am 1. November 1971 stattfand, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Diese Besprechung fand statt, nachdem die Lehrerkonferenz bereits beschlossen hatte, den Ausschluss aus der Schule zu beantragen. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör wäre mit dieser Besprechung allenfalls Genüge getan worden, wenn man annähme, die genannten Vertreter der Schulleitung hätten die Beschwerdeführerin am 1. November 1971 als eine Art Instruktionsdelegation der Aufsichtskommission angehört. Es ist aber weder behauptet noch dargetan, dass der Direktor und der Vizedirektor des Technikums einen solchen Auftrag von der Kommission erhalten hätten. Selbst wenn sie in deren Auftrag gehandelt hätten, wäre mit der Besprechung vom 1. November 1971 der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht in genügender Weise gewahrt worden. In einem Disziplinarverfahren, in dem ähnliche Grundsätze gelten wie in einem Strafprozess, hätte das Ergebnis des Instruktionsverfahrens, d.h. der Besprechung vom 1. November, zuhanden der Aufsichtskommission aktenmässig festgehalten und der Beschwerdeführerin Gelegenheit gegeben werden müssen, zuhanden der Kommission dazu Stellung zu nehmen (TINNER, Das rechtliche Gehör, ZSR 83 II, 1964, S. 345/6; vgl.
BGE 96 I 21
ff.). So wurde im zu beurteilenden Fall nicht verfahren. Christiane X. wurde in der Besprechung
BGE 98 Ia 129 S. 134
vom 1. November formlos zu den Vorwürfen befragt. Es ist nicht behauptet, dass ihre zur Verteidigung vorgebrachten Äusserungen schriftlich festgehalten worden wären, und wenn es geschehen wäre, so konnte Christiane X. auf jeden Fall zu dem Protokoll nicht Stellung nehmen. Die Aufsichtskommission war bei dieser Sachlage nicht darüber informiert, was Christiane X. gegen die Vorwürfe vorzubringen hatte, es sei denn durch die mündliche Orientierung des Vizedirektors des Technikums, von der nicht feststeht, wie sie gegeben wurde. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wurde der Beschwerdeführerin vor dem für ihr berufliches Fortkommen bedeutsamen Entscheid demnach nicht in einer Weise gewährt, wie es nach
Art. 4 BV
erforderlich ist. Es lässt sich dagegen nicht einwenden, es habe der Beschwerdeführerin deshalb keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen, weil sie in der Besprechung vom 1. November 1971 die Vorwürfe nicht bestritten habe (vgl.
BGE 76 I 181
). In Frage stand vor allem auch das Mass der Disziplinwidrigkeit, und es steht fest, dass sich die Beschwerdeführerin in der Besprechung vom 1. November auf den Standpunkt stellte, sie habe nicht in gravierender Weise gegen die Schulordnung verstossen und nichts weiteres getan als andere Schüler auch, die nicht disziplinarisch bestraft worden seien. Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, die Beschwerdeführerin habe die Richtigkeit der Vorwürfe vorbehaltlos anerkannt, so dass es sich erübrigt hätte, ihr Gelegenheit zur Äusserung gegenüber der Aufsichtskommission zu geben.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör, dem nach dem Gesagten nicht Genüge getan wurde, ist formeller Natur und setzt nicht den Nachweis eines materiellen Interesses voraus (
BGE 96 I 22
, 188 mit Hinweisen auf frühere Entscheide). Die Verletzung des Anspruchs führt bei auf
Art. 4 BV
gestützten Beschwerden zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides (
BGE 96 I 188
). Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und der Beschluss der Aufsichtskommission vom 9. November 1971 aufzuheben.
4.
Wie sich aus einer Eingabe der Beschwerdeführerin vom 3. April 1972 ergibt, hat sie im März 1972 das Schlussexamen an der Kantonalen Kunstgewerbeschule Biel bestanden und hierauf die Schule verlassen. Damit ist das besondere Gewaltverhältnis, das die Zuständigkeit der Aufsichtskommission zu
BGE 98 Ia 129 S. 135
Disziplinarmassnahmen gegen die Beschwerdeführerin begründete, dahingefallen, und das schliesst es nach der Rechtslehre aus, das gegen sie eingeleitete Disziplinarverfahren im Anschluss an das vorliegende Urteil des Bundesgerichts weiterzuführen (vgl. DUBACH, Das Disziplinarrecht der freien Berufe, ZSR 1951 S. 101 a; FLEINER-GIACOMETTI, Schweiz. Bundesstaatsrecht S. 691; GRISEL, Droit administratif suisse S. 269).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der Aufsichtskommission des Kantonalen Technikums Biel vom 9. November 1971 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
67c380f3-5e91-4bb4-8991-2fe263f1bb91 | Urteilskopf
103 IV 249
68. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Dezember 1977 i.S. J. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich | Regeste
Art. 244 StGB
; Lagern falschen Geldes.
Begriff des Lagerns. | Sachverhalt
ab Seite 249
BGE 103 IV 249 S. 249
A.-
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte J. im Revisionsverfahren am 21. Juni 1977 wegen Lagerns falscher Dollarnoten gemäss
Art. 244 Abs. 1 StGB
zu vier Monaten Gefängnis, abzüglich 26 Tage Untersuchungshaft, als Zusatzstrafe zu drei in früheren Urteilen ausgefällten Freiheitsstrafen.
B.-
J. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zur Fällung eines neuen Entscheides an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe
Art. 244 Abs. 1 StGB
falsch angewendet; er habe nämlich die falschen Dollarnoten weder gelagert noch aufbewahrt, sondern sie lediglich "liegenlassen". Das Falschgeld sei nicht sein Eigentum gewesen, und er habe nicht die Absicht gehabt, es gelegentlich als echtes Geld in Umlauf zu setzen.
Die Rüge ist unbegründet, soweit sie überhaupt zulässig ist. Ob der Beschwerdeführer Eigentümer des Falschgeldes war oder nicht, ist nach
Art. 244 Abs. 1 StGB
ohne Belang. Nach den für den Kassationshof verbindlichen tatsächlichen Feststellungen
BGE 103 IV 249 S. 250
der Vorinstanz (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) ist er der "effektive" Chef des Cafés "Endspurt" gewesen und hatte seit Januar 1966 offenkundig in erster Linie die Verantwortung für das Büro und den darin befindlichen Kasten samt Inhalt getragen; er hatte - so führt die Vorinstanz weiter aus - über diesen doppeltürigen Schrank samt dem in ihm aufbewahrten Falschgeld die eigentliche Verfügungsmacht gehabt; zudem hätte der Umstand, dass die falschen Dollars Eigentum eines Dritten gewesen seien, den Beschwerdeführer, der sich noch nie durch besondere Gewissenhaftigkeit in bezug auf Strafbestimmungen ausgezeichnet habe, nicht gehindert, das nun eben einmal im Kasten liegende Falschgeld bei günstiger Gelegenheit zu veräussern. Schliesslich wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, sich der "heissen Sache" zu entledigen, wenn ihm wirklich daran gelegen wäre. Tatsächlich aber habe er die Absicht gehabt, das Falschgeld bei sich bietender Gelegenheit als echt in Umlauf zu setzen.
Danach kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Beschwerdeführer das Falschgeld im Sinne des Gesetzes gelagert hat. Das erfordert nicht, dass der Täter es selber in ein bestimmtes Behältnis oder Versteck gelegt habe. Es genügt, dass er in Kenntnis des wahren Sachverhaltes das ursprünglich von einem andern gelagerte falsche Geld in dem nunmehr seiner Verfügungsgewalt unterliegenden Raum weiter vorrätig hält in der Absicht, es bei Gelegenheit als echt in Verkehr zu bringen. Das aber hat der Beschwerdeführer nach dem angefochtenen Urteil getan. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
67d56f5e-cdbe-4fdd-a40b-d683eb2305ef | Urteilskopf
82 I 32
5. Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Mai 1956 i.S. Scheller gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Wahl der Vornamen.
Bei Prüfung der Frage, ob ein Vorname im Sinne von
Art. 69 Abs. 2 ZStV
die Interessen des Kindes oder Dritter offensichtlich verletze, ist massgebend, wie er im Volk aufgefasst wird.
Darf ein Vorname zurückgewiesen werden, weil er in einem andern Landesteil auf das entgegengesetzte Geschlecht bezogen wird? ("Andrea" als Mädchenname in der deutschen Schweiz). | Sachverhalt
ab Seite 33
BGE 82 I 32 S. 33
Dr. Heinz Friedrich Scheller-Amsler, von Adliswil (Zürich), in Basel, will seine am 17. Dezember 1955 in Basel geborene Tochter "Ursula Andrea" nennen. Das Zivilstandsamt des Kantons Basel-Stadt lehnte die Eintragung des Vornamens "Andrea" ab mit der Begründung, dies sei ein Knabenname, nämlich die im italienischen und rätoromanischen Sprachgebiet geltende Form von "Andreas". Das Justizdepartement und der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt haben im gleichen Sinne entschieden. Gegen den regierungsrätlichen Entscheid vom 7. Februar 1956 führt Dr. Scheller Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, das Zivilstandsamt sei anzuweisen, seine Tochter mit den von ihm gewünschten Vornamen ins Geburtsregister einzutragen. Der Regierungsrat beantragt Abweisung, das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement dagegen Gutheissung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Gemäss
Art. 275 Abs. 3 ZGB
, der altem Herkommen entspricht, geben die Eltern dem Kinde den Personennamen. Art. 69 Abs. 2 der Verordnung über das Zivilstandswesen vom 1. Juni 1953 (ZStV) erlaubt den Registerbehörden, Vornamen zurückzuweisen, "die die Interessen des Kindes oder Dritter offensichtlich verletzen, insbesondere anstössige oder widersinnige sowie Vornamen, die allein oder zusammen mit andern das Geschlecht des Kindes nicht eindeutig erkennen lassen". Von dieser Beschränkung abgesehen, sind die Eltern in der Namensgebung frei und dürfen sich die Behörden ihren Wünschen nicht widersetzen, auch wenn ihnen die von den Eltern gewählten Namen missfallen (
BGE 69 I 62
f.). Es handelt sich hier, wie das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement
BGE 82 I 32 S. 34
zutreffend hervorhebt, um sehr persönliche Dinge, in die sich der Staat nicht ohne zwingende Gründe einmischen soll. Dem freien Ermessen, das der Regierungsrat den Registerbehörden zugestehen möchte, sind also sehr enge Grenzen gesetzt.
Bei Prüfung eines Vornamens unter dem Gesichtspunkte von
Art. 69 Abs. 2 ZStV
ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht dessen "sprachwissenschaftliche Bedeutung" entscheidend, sondern es kommt darauf an, wie er im Volke aufgefasst wird. Ob ein Vorname die nach dieser Bestimmung beachtlichen Interessen verletze, zeigt sich im Verkehr mit den Mitmenschen, den das Alltagsleben mit sich bringt, und nicht bei einer Untersuchung seiner Bedeutung nach den Methoden der Sprachwissenschaft, die ja die Sprache und ihre Regeln nicht schafft, sondern als zulässig und richtig anerkennen muss, was sich im Sprachgebrauch durchgesetzt hat.
Es trifft nun ohne Zweifel zu, dass der Name "Andrea" im italienischen und rätoromanischen Sprachgebiet als männlicher Vorname gilt (wie deutsch "Andreas"). Das ist jedoch im vorliegenden Falle nicht entscheidend, weil man es hier nicht mit einem Kinde aus einer im italienischen oder romanischen Sprachgebiet beheimateten oder wohnhaften Familie zu tun hat, sondern mit einem Kinde deutschschweizerischer Herkunft, das mit seinen Eltern in der deutschen Schweiz wohnt. In einem solchen Falle ist auf den Sprachgebrauch in diesem Landesteil abzustellen. Die Rücksicht auf das Bestehen mehrerer Nationalsprachen kann nicht so weit getrieben werden, dass im einen Landesteil ein Name schon deshalb verboten wird, weil er in einem andern auf das entgegengesetzte Geschlecht bezogen wird.
Im deutschen Sprachgebiet wird der Vorname "Andrea" gemeinhin als weiblich empfunden. Er bildet hier das weibliche Gegenstück zum männlichen Vornamen "Andreas", ähnlich wie im Französischen "Andrée" das Gegenstück zu "André" bildet. Dies gilt vorab für Deutschland
BGE 82 I 32 S. 35
und Österreich, wie aus den zahlreichen vom Beschwerdeführer vorgelegten Bestätigungen deutscher und österreichischer Amtsstellen hervorgeht und durch das französisch- deutsche Wörterbuch von Sachs-Villatte bestätigt wird, das "Andrée" mit "Andrea" übersetzt, aber auch für die deutsche Schweiz. Der Beschwerdeführer vermochte nachzuweisen, dass die Zivilstandsbehörden den Namen "Andrea", insbesondere zusammen mit einem andern weiblichen Vornamen, in einer ganzen Reihe deutschschweizerischer Kantone als Mädchennamen entgegennehmen. Sogar in Davos, also in unmittelbarer Nachbarschaft des romanischen Landesteils, wurde ein Mädchen mit den Namen "Andrea Leonore" eingetragen. Der Name "Andrea" hat sich also auch in der deutschen Schweiz als weiblicher Name durchgesetzt. Dass dieser Name in andern Landesgegenden als Männername gilt, ist den Deutschschweizern im allgemeinen nicht gegenwärtig. Jedenfalls wird er in der deutschen Schweiz in aller Regel dann nicht so aufgefasst, wenn er als Vorname einer Person mit einem deutschsprachigen Familiennamen erscheint. Missverständnisse sind vollends ausgeschlossen, wenn der Name "Andrea" nicht allein, sondern zusammen mit einem andern weiblichen Vornamen verwendet wird. Wenn die Eheleute Scheller in Basel ihr Kind "Ursula Andrea" benennen wollen, kann also keine Rede davon sein, dass im Sinne von
Art. 69 Abs. 2 ZStV
seine Vornamen sein Geschlecht nicht eindeutig erkennen lassen.
Es lässt sich aber auch nicht im Ernste behaupten, dass der Vorname "Andrea" die Interessen der Tochter des Beschwerdeführers oder die Interessen Dritter in anderer Weise verletze, insbesondere dass er anstössig oder widersinnig sei. Die Ansicht des Regierungsrates, dass "Andrea" im Grunde genommen der männliche Vorname schlechthin sei und, auf ein Mädchen bezogen, nur mit "Mannweib" übersetzt werden könnte, ist gänzlich verfehlt. Der volkstümliche Sprachgebrauch, auf den es hier ankommt, kümmert sich nicht um die sprachliche Abstammung eines
BGE 82 I 32 S. 36
Namens, und im übrigen bezeichnet das griechische Eigenschaftswort, auf das die Namen "Andreas" und "Andrea" zurückgeführt werden können, im übertragenen Sinne moralische Qualitäten, die auch einem Mädchen und einer Frau wohl anstehen (so namentlich: mutig, tapfer, tüchtig).
Der angefochtene Entscheid verstösst also offensichtlich gegen
Art. 275 Abs. 3 ZGB
und
Art. 69 Abs. 2 ZStV
.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und das Zivilstandsamt Basel-Stadt angewiesen, die am 17. Dezember 1955 geborene Tochter des Beschwerdeführers mit den Vornamen "Ursula Andrea" ins Geburtsregister einzutragen. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
67e29a78-ff64-4c00-bf5d-3d552aebcae9 | Urteilskopf
115 III 1
1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. April 1989 i.S. Konkursmasse B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 44 SchKG
; Vermögensbeschlagnahme zur Deckung von Untersuchungs-, Prozess- und Strafvollzugskosten (
§ 83 StPO
des Kantons Zürich).
Aufgrund von
Art. 44 SchKG
können die Kantone die Beschlagnahme von Vermögen des Angeschuldigten zur Deckung von Untersuchungs-, Prozess- und Strafvollzugskosten vorsehen. Diese Beschlagnahmemöglichkeit erstreckt sich nicht nur auf Gegenstände oder Vermögenswerte, die einen bestimmten Zusammenhang mit den verfolgten Straftaten aufweisen (E. 3 und 4; Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 115 III 1 S. 1
A.-
Die Kantonale Abteilung für Wirtschaftsdelikte bei der Bezirksanwaltschaft Zürich führt wegen Betruges und weiterer Delikte ein umfangreiches Strafverfahren gegen B. Am 25. August 1987 ist über B. der Konkurs eröffnet worden; dessen Durchführung obliegt dem Konkursamt Zürich-Hottingen.
BGE 115 III 1 S. 2
Am 15. September 1988 erliess der für die Strafuntersuchung verantwortliche Bezirksanwalt gestützt auf § 83 der Zürcher Strafprozessordnung (StPO) eine Verfügung, mit der zur Deckung der Untersuchungs- und Gerichtskosten vom Vermögen des Angeschuldigten ein Betrag von Fr. 150'000.-- beschlagnahmt wurde. Das Konkursamt Zürich-Hottingen wurde angewiesen, diesen Betrag zu Lasten der Konkursmasse an die Untersuchungsbehörde abzuliefern.
B.-
Gegen diese Verfügung erhob das Konkursamt im Namen der Konkursmasse Rekurs an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
Diese wies den Rekurs am 21. Oktober 1988 ab.
C.-
Gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft hat die Konkursmasse staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht eingereicht. Sie beantragt, die Beschlagnahmeverfügung der Kantonalen Abteilung für Wirtschaftsdelikte vom 15. September 1988 sei aufzuheben.
Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
§ 83 StPO
hat folgenden Wortlaut:
"Entzieht sich ein Angeschuldigter, der keine Sicherheit geleistet hat, der Untersuchung durch die Flucht oder erscheint es zur Sicherung der künftigen Vollstreckung eines Strafurteils aus andern Gründen als geboten, so kann durch die Untersuchungsbehörde vom Vermögen des Angeschuldigten so viel mit Beschlag belegt werden, als zur Deckung der Prozesskosten, einer allfälligen Busse, des verursachten Schadens und der Strafvollzugskosten voraussichtlich erforderlich ist (...)."
3.
Die im SchKG geregelte Zwangsvollstreckung gilt grundsätzlich nicht nur für privatrechtliche, sondern auch für öffentlichrechtliche Geldforderungen.
Art. 43 SchKG
schreibt ausdrücklich vor, dass die Betreibung für Steuern, Abgaben, Gebühren, Sporteln, Bussen und andere, im öffentlichen Recht begründete Leistungen an öffentliche Kassen oder Beamte auf dem Wege der Pfändung oder der Pfandverwertung zu erfolgen hat, und zwar auch dann, wenn der Schuldner der Konkursbetreibung unterliegt.
a)
Art. 44 SchKG
sieht indessen eine Einschränkung dieses Grundsatzes vor: Die Verwertung von Gegenständen, welche aufgrund strafrechtlicher oder fiskalischer Gesetze mit Beschlag belegt
BGE 115 III 1 S. 3
sind, erfolgt nach den zutreffenden eidgenössischen oder kantonalen Gesetzesbestimmungen.
Obwohl das Gesetz nur von der Verwertung spricht, sind sich Rechtsprechung und Lehre darüber einig, dass der Vorbehalt abweichender vollstreckungsrechtlicher Regelungen in
Art. 44 SchKG
auch für die Beschlagnahme als solche gilt (
BGE 107 III 115
E. 1,
BGE 78 I 220
,
BGE 76 I 33
E. 3; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. I, S. 101 Rz 34; GILLIERON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 2. Auflage, S. 360; JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, N. 4 zu
Art. 44 SchKG
; BLUMENSTEIN, Die Zwangsvollstreckung für öffentlich-rechtliche Geldforderungen nach schweizerischem Recht, in: Festgabe der Berner juristischen Fakultät zum fünfzigjährigen Bestehen des Schweizerischen Bundesgerichts, S. 183). Eine derartige Beschlagnahme ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung selbst dann noch möglich, wenn die betreffenden Gegenstände schon vorher in eine Pfändung einbezogen oder mit Konkursbeschlag belegt worden sind (
BGE 107 III 115
unten,
BGE 78 I 221
).
b) In
BGE 107 III 115
ff. E. 2 hat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer allerdings die Frage aufgeworfen, ob an dieser Rechtsprechung in allen Teilen festgehalten werden könne. Diese hätte, konsequent zu Ende gedacht, zur Folge, dass die Kantone in ihren Steuergesetzen ein Verfahren vorsehen könnten, mit welchem sie in jedem Stadium eines Betreibungs- oder Konkursverfahrens mit einer Beschlagnahmeverfügung eingreifen und gepfändete oder zur Konkursmasse gehörende Vermögenswerte für die Deckung von Steuerforderungen beanspruchen könnten. Dies würde dem Grundsatz, dass öffentlichrechtliche Forderungen unter Vorbehalt bundesrechtlicher Sondervorschriften kein Privileg geniessen dürften, stracks zuwiderlaufen.
In der Folge hat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer in
BGE 108 III 106
f. E. 2 entschieden, die Durchsetzung von Steuerforderungen werde durch
Art. 44 SchKG
nicht erfasst.
Art. 44 SchKG
beziehe sich nur auf die Verwertung von ganz bestimmten Gegenständen, die unmittelbar im Zusammenhang mit einem Straf- oder Steuerverfahren nach den betreffenden eidgenössischen oder kantonalen Gesetzen beschlagnahmt worden seien.
GILLIERON (a.a.O. S. 359 f.) hat mit Recht darauf hingewiesen, dass mit diesem Entscheid die frühere Rechtsprechung des
BGE 115 III 1 S. 4
Bundesgerichts zumindest auf dem Gebiet des Steuerrechts in Frage gestellt werde. Den Kantonen ist es nach diesem Urteil in der Tat verwehrt, zur Sicherstellung von Steuerforderungen allgemein ein Recht der Beschlagnahme schuldnerischen Vermögens vorzusehen.
4.
In
BGE 107 III 116
ist anderseits ausdrücklich daran festgehalten worden, dass die strafprozessuale Beschlagnahme zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs (wie etwa Beweissicherung, Beschlagnahme im Sinne von
Art. 58 ff. StGB
) ohne Rücksicht auf die zeitliche Priorität gegenüber den Beschlagsrechten der Zwangsvollstreckung den Vorrang haben müsse. Für die kantonalen Kostenforderungen ist allerdings genau gleich wie für die Fiskalforderungen die Frage aufgeworfen worden, ob ein entsprechendes Beschlagsrecht des kantonalen öffentlichen Rechts nicht die Durchsetzung des Bundeszivilrechts (zu welchem im formellen Sinn des
Art. 64 BV
auch das Schuldbetreibungs- und Konkursrecht gehöre) vereitle oder in unzulässiger Weise erschwere.
In einem weiteren Sinne dient nun aber auch die Sicherstellung der Untersuchungs-, Prozess- und Strafvollzugskosten der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Diese Kosten sind daher nicht zum vornherein vom Staat zu tragen. Die Wichtigkeit der staatlichen Aufgabe, alles zu unternehmen, was zur Abklärung von Straftaten erforderlich ist, rechtfertigt es vielmehr, dem Staat bei der Sicherstellung der damit verbundenen Kosten ein Vorrecht gegenüber den andern Gläubigern einzuräumen. In diesem Sinne hat das Bundesgericht schon früher zutreffend ausgeführt, die mit
§ 83 StPO
verbundene Benachteiligung der übrigen Gläubiger sei die Folge davon, dass der Schuldner strafbare Handlungen begangen habe, die im öffentlichen Interesse die Durchführung einer Strafuntersuchung und eines Gerichtsverfahrens notwendig machten (
BGE 78 I 222
). Wohl kann die Strafverfolgung anderseits mit Recht als Aufgabe des Staates bezeichnet werden, die ohne Rücksicht auf eine allfällige Schadloshaltung der öffentlichen Hand wahrgenommen werden muss. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Staat auch dann zurückzustehen hat, wenn es die finanziellen Mittel des Angeschuldigten bzw. Verurteilten erlauben, für die Kosten dieses Verfahrens aufzukommen. Die mit dem Beschlagsrecht verbundene Privilegierung der staatlichen Kostenforderungen gegenüber den privatrechtlichen Forderungen findet ihre Berechtigung zudem nicht zuletzt darin, dass die privaten Gläubiger
BGE 115 III 1 S. 5
häufig ihrerseits auf die Ergebnisse der staatlichen Strafuntersuchung angewiesen sind, um ihre Forderung durchsetzen zu können. Da jedenfalls weder das formelle noch das materielle Bundesrecht Vorschriften darüber aufstellen, wie sich die Kantone aus den in einem Strafverfahren beschlagnahmten Vermögenswerten des Angeschuldigten für ihre aus der Durchführung des Strafverfahrens erwachsene Untersuchungs-, Gerichts- und Gefangenschaftskosten bezahlt machen sollen, steht es den Kantonen nach
Art. 44 SchKG
frei, darüber selbst zu legiferieren (
BGE 101 IV 377
f.; vgl. auch BLUMENSTEIN, a.a.O. S. 183 f.).
Die Befürchtung, dass die bundesrechtlich geordnete Zwangsvollstreckung für Geldforderungen durch zu weite Zulassung kantonalrechtlicher Beschlagnahmungen vereitelt oder in unzulässiger Weise erschwert werden könnte, ist für solche, die zur Sicherung staatlicher Kostenforderungen aus Strafverfahren erfolgen, nicht begründet. Diese haben im Unterschied zu rein fiskalrechtlichen Beschlagnahmungen Ausnahmecharakter und können somit die Durchsetzung des SchKG im gesamten nicht ernsthaft gefährden.
b) Nichts anderes ergibt sich aus einem neueren Entscheid der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts, der im Journal des Tribunaux veröffentlicht ist (JdT 1988, II. S. 30 f.). Dieser Entscheid betrifft nur die strafprozessuale Beschlagnahme von Gegenständen zugunsten von Forderungen des Geschädigten. Nur diese Beschlagnahme ist dort unter der Voraussetzung, dass die betroffenen Gegenstände keinerlei Zusammenhang mit der verfolgten Straftat aufweisen, als unzulässig erklärt worden (vgl. auch
BGE 107 III 115
unten).
Richtig ist hingegen, dass in der Literatur hinsichtlich der Beschlagnahme von Gegenständen zur Sicherung staatlicher Kostenforderungen vereinzelt Bedenken gegenüber der bundesgerichtlichen Auslegung von
Art. 44 SchKG
geäussert worden sind (NIEDERER, Die Vermögensbeschlagnahme im Schweizerischen Strafprozess, Diss. Zürich 1968, S. 38; BÖRLIN, Die strafrechtliche Beschlagnahme und das Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, ZSR 35/1916, S. 311). Diese Bedenken beruhen jedoch auf einer zu engen Interpretation des in
Art. 44 SchKG
enthaltenen Vorbehalts zugunsten kantonaler Sonderregelungen. Zumindest für die Kostenforderungen eines Strafverfahrens werden jedenfalls keine stichhaltigen Gründe nachgewiesen, die eine Änderung der seit vielen Jahrzehnten vom Bundesgericht anerkannten Gesetzgebungsbefugnis der Kantone nahelegen.
BGE 115 III 1 S. 6
c) Im Ergebnis ist somit an den Ausführungen in
BGE 108 III 106
festzuhalten, wonach unter die Bestimmung von
Art. 44 SchKG
nicht nur Gegenstände fallen, an oder mit denen strafbare Handlungen begangen worden sind, sondern auch Gegenstände, welche die zuständige Behörde aufgrund strafprozessualer Bestimmungen zur Deckung von Prozesskosten, Bussen und Strafvollzugskosten mit Beschlag belegt hat. Jedenfalls für solche staatliche Forderungen ist das Beschlagnahmerecht der Kantone im Rahmen des Vorbehalts von
Art. 44 SchKG
nicht auf Gegenstände oder Vermögenswerte zu beschränken, die einen bestimmten Zusammenhang mit den verfolgten Straftaten aufweisen. Soweit in
BGE 107 III 116
die Sicherung staatlicher Strafverfolgungskosten derjenigen von Fiskalforderungen gleichgestellt wird, kann an den betreffenden Erwägungen nicht festgehalten werden. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
67e66b40-7432-4bc9-bcee-5f0b98591aed | Urteilskopf
82 IV 41
10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Februar 1956 i. S. Spillmann gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
1. Art. 1 und 14 Abs. 1 lit. a HR G, Art. 18 VHRG.
Anwendungsgebiet des HRG. Begriff des Aufsuchens von Bestellungen; Tätigkeit des selbständigen Agenten (Erw. 1).
2.
Art. 13-15 HRG
.
a) Diese Bestimmungen gehören dem Verwaltungsstrafrecht an (Erw. 3 lit. a).
b) Die Straffähigkeit der juristischen Person schliesst die strafrechtliche Verfolgung ihrer fehlbaren Organe nicht aus (Erw. 3 lit. b).
3. Art. 1 VHRG. Pflicht der Firma, für die Taxkarte ihrer Reisenden zu sorgen (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 41
BGE 82 IV 41 S. 41
A.-
Am 19. Februar 1954 schloss Fritz Grossglauser mit der Mobilia A.-G., Olten, deren leitender Direktor Jakob Spillmann ist, einen Agenturvertrag ab. Darin
BGE 82 IV 41 S. 42
verpflichtete er sich, dauernd für die genannte Firma Möbel und Möbeleinrichtungen an Kunden zu vermitteln, Vertragsabschlüsse vorzubereiten und Interessenten der Geschäftsleitung zum Abschluss von Verträgen zuzuführen. Die allgemeinen Kosten seiner Reisetätigkeit, insbesondere auch die Taxe für die rote Handelsreisendenkarte hatte er zu übernehmen. Diesen Vertrag unterschrieb für die Mobilia A.-G. Peter Spillmann als Vizedirektor der Firma. Daraufhin nahm Grossglauser, der selbst nicht im Handelsregister eingetragen war, ohne Ausweiskarte die Reisetätigkeit für seine Firma im Gebiete des Kantons Bern auf, indem er sog. Vorzahlungs- und Kaufverträge vermittelte und in einem Fall selbst einen Kaufvertrag abschloss.
B.-
Am 22. November 1954 büsste der Gerichtspräsident von Konolfingen im Strafmandatsverfahren Jakob Spillmann und Fritz Grossglauser wegen Übertretung von
Art. 14 Abs. 1 lit. a HRG
mit Fr. 400.-- bzw. Fr. 80.-. Dagegen erhob ersterer Einspruch, worauf die Busse auf Fr. 300.-- herabgesetzt wurde.
Die II. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern bestätigte am 3. Juni 1955 das Urteil des Gerichtspräsidenten, welches Spillmann auf dem Wege der Appellation angefochten hatte.
C.-
Jakob Spillmann führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil sei aufzuheben und zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 1 HRG
ist Handelsreisender im Sinne dieses Gesetzes und bedarf einer Ausweiskarte, wer als Inhaber, Angestellter oder Vertreter eines Fabrikations- oder Handelsgeschäftes Bestellungen auf Waren aufsucht. Diese Ausweiskarte ist gemäss Art. 3 Abs. 1 die taxfreie
BGE 82 IV 41 S. 43
Grossreisendenkarte für Handelsreisende, die ausschliesslich mit Wiederverkäufern oder mit solchen Unternehmungen in Verkehr treten, welche die Waren im eigenen Betrieb verwenden, für alle andern Handelsreisenden muss nach Art. 3 Abs. 2 die Kleinreisenden- oder Taxkarte gelöst werden. Wer ohne Taxkarte Bestellungen bei andern als den in Art. 3 Abs. 1 erwähnten Kunden aufsucht oder aufsuchen lässt, wird nach Art. 14 Abs. 1 lit. a mit Busse bis zu Fr. 1000.-- bestraft.
Nach der tatsächlichen Feststellung des Gerichtspräsidenten von Konolfingen, dessen Ausführungen die Vorinstanz folgt, suchte Grossglauser in der Zeit vom 19. Februar bis 14. November 1954, ohne im Besitze einer roten Taxkarte zu sein, ausserhalb des Geschäftssitzes der Mobilia A.-G. im Gebiete des Kantons Bern verschiedene Bestellungen bei andern als in
Art. 3 Abs. 1 HRG
erwähnten Kunden auf, indem er selbst einen Kaufvertrag für die genannte Firma abschloss und ihr im übrigen sog. Vorzahlungsverträge vermittelte. Daran ist der Kassationshof gebunden (Art. 277 bis Abs. 1, 273 Abs. 1 lit. b BStP). Dass Grossglauser durch den Abschluss eines Kaufvertrages eine Bestellung auf Waren aufgesucht hat, steht ausser Frage. Dem Zweck des Gesetzes entsprechend umfasst aber der Begriff des Aufsuchens von Bestellungen nicht bloss die eigentliche Bestellungsaufnahme, sondern auch jede Vorarbeit dazu (Art. 18 VHRG;
BGE 70 IV 42
E. 2 Abs. 2 und 3). In den sog. Vorzahlungsverträgen, welche die Mobilia A.-G. mit ihren Kunden abzuschliessen pflegt, verpflichten sich diese, innert 10 Jahren für eine bestimmte Summe Möbel zu kaufen. Ihrem Wesen nach sind somit diese Rechtsgeschäfte darauf angelegt, die Verwirklichung eigentlicher Bestellungen in bindender Weise vorzubereiten. Wer daher den Abschluss solcher Vorzahlungsverträge vermittelt, leistet Vorarbeit zur späteren Bestellungsaufnahme. Da Grossglauser in dieser Weise tätig gewesen ist, hat er im Sinne von
Art. 1 HRG
Bestellungen auf Waren aufgesucht.
BGE 82 IV 41 S. 44
Hiezu hätte er der in
Art. 1 HRG
vorgeschriebenen Ausweiskarte bedurft. Mit Recht bestreitet der Beschwerdeführer nicht mehr, dass für die Frage, ob der Besitz einer Taxkarte erforderlich sei, nichts darauf ankommt, ob der Ausweispflichtige Agent oder (unselbständiger) Vertreter ist. Das Anwendungsgebiet des HRG ist ein weiteres als dasjenige des Bundesgesetzes über das Anstellungsverhältnis der Handelsreisenden vom 13. Juni 1941. Es schliesst auch den selbständigen Agenten ein. Diese Auslegung ergibt sich aus den Grundgedanken des Gesetzes. Das HRG will unter anderem den ortsansässigen Handel, welcher der Besteuerung in seinem Absatzgebiet unterliegt, gegen die Konkurrenz der dieser Besteuerung nicht unterliegenden auswärtigen Firmen schützen (
BGE 66 I 134
,
BGE 70 IV 43
). In die Interessensphäre des lokalen Handels greift aber der Kleinreisende einer auswärtigen Unternehmung nicht nur ein, wenn er als Handelsreisender im Sinne des HRAG auftritt, sondern auch wenn er als selbständiger Agent handelt.
2.
Nach Art. 1 VVO zum HRG haben im schweizerischen Handelsregister emgetragene Firmen, die für ihre Vertreter eine Ausweiskarte für Handelsreisende wünschen, ein schriftliches Gesuch an die kantonale Abgabestelle des Amtskreises zu richten, wo die Firma ihren Sitz hat. Daraus geht hervor, dass grundsätzlich die Firma für die Taxkarte zu sorgen hat. Dieser gesetzlichen Pflicht kann sie sich nicht dadurch entschlagen, dass sie die Kosten hiefür dem Vertreter oder Agenten aufbürdet oder diesen vertraglich zur selbständigen Beschaffung des Ausweises verpflichtet. Anders könnte es nur sein, wenn ein Agent selber im Handelsregister eingetragen ist und reine Agententätigkeit ausübt. Dies war jedoch bei Grossglauser nicht der Fall, sodass seine Ausweiskarte einzig durch die Mobilia A.-G. erlangt werden konnte. Da sie ihn vertraglich mit dem Aufsuchen von Bestellungen bei Kunden beauftragte, hatte sie dafür zu sorgen, dass er mit der durch das Gesetz vorgeschriebenen Taxkarte
BGE 82 IV 41 S. 45
reiste. Dies hat sie nach verbindlicher Feststellung des angefochtenen Entscheides nicht getan. Darin liegt ein Verstoss gegen die Vorschriften des HRG.
3.
Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer als verantwortlichen Direktor der Mobilia A.-G. wegen Übertretung von
Art. 14 Abs. 1 lit. a HRG
gebüsst. Sie ging davon aus, dass Voraussetzung jeder Strafe der Nachweis einer Schuld sei. Schuldfähig sei nur die physische Person. Demnach sei im vorliegenden Fall strafrechtlich zu verfolgen, wer für die Mobilia AG gehandelt habe bzw. hätte handeln sollen. Dem hält der Beschwerdeführer entgegen, dass im Verwaltungsstrafrecht die juristische Person straffähig sei, weswegen nicht er, sondern die Firma gebüsst werden müsse.
a) Wie gesagt, will das HRG unter anderem den ortsansässigen Handel gegen die Konkurrenz auswärtiger Firmen schützen (
BGE 66 I 134
;
BGE 70 IV 43
). Daneben zielt es wie das Bundesgesetz betr. die Patenttaxen der Handelsreisenden vom 24.7.1892, an dessen Stelle es getreten ist, auf einen Ausgleich zwischen den kantonalen Finanzbedürfnissen und den Interessen der reisenden Kaufleute ab (
Art. 12 Abs. 2 HRG
; Botschaft des Bundesrates vom 11.1. 1929 in BBl. 1929 I, S. 55). Ausser diesen gewerbepolitischen und fiskalischen Momenten finden sich im HRG auch solche gewerbepolizeilicher Natur, indem das Publikum vor Missbräuchen im Reiseverkehr geschützt werden soll (
BGE 66 I 134
; RUCK, Verwaltungsrecht II, S. 150 f.). Daraus erhellt, dass das HRG inhaltlich unverkennbar verwaltungsrechtlichen Charakter hat und die in den Artikeln 13 - 15 niedergelegten Strafbestimmungen dem Verwaltungsstrafrecht angehören (vgl. für das Patenttaxengesetz: KRONAUER, Kompendium des Bundesstrafrechts, S. 267 (unter dem Titel Bundespolizeigesetze); RENOLD, Das schweizerische Bundesverwaltungsstrafrecht, S. 158).
b) In
BGE 64 I 53
hat die I. Zivilabteilung des Bundesgerichtes entschieden, dass Aktiengesellschaften und Genossenschaften
BGE 82 IV 41 S. 46
auf dem Gebiete des Verwaltungsstrafrechtes straffähig sind. Wenn deshalb
Art. 14 Abs. 1 lit. a HRG
denjenigen mit Strafe bedroht, der ohne Taxkarte bei andern als in Art. 3 Abs. 1 erwähnten Kunden Bestellungen aufsuchen lässt, so könnte darunter an sich eine Aktiengesellschaft verstanden sein. Indessen schliesst weder der Wortlaut noch der Sinn der Bestimmung aus, dass anstelle der juristischen Person deren fehlbare Organe bestraft werden. Es kann zwar nicht wohl angenommen werden, das Gesetz wolle bald die juristische Person als solche, bald deren Organe persönlich für Übertretungen des
Art. 14 Abs. 1 lit. a HRG
strafbar erklären. Vielmehr ist davon auszugehen, dass grundsätzlich immer die verantwortlichen Organe belangt werden können. Eine solche Ordnung liegt umso näher, als die juristische Person ganz allgemein nur durch ihre Organe handeln kann und im vorliegenden Fall
Art. 16 HRG
in Verbindung mit
Art. 398 lit. a und
Art. 334 StGB
die allgemeinen Bestimmungen des auf dem Boden des Schuldprinzips stehenden StGB für anwendbar erklärt. Dazu kommt, dass die Einhaltung der Vorschriften des HRG im öffentlichen Interesse liegt, was die stärker wirkende Sanktion der Bestrafung physischer Personen in zusätzlichem Masse rechtfertigt (vgl.
BGE 64 I 54
). Es war daher zulässig, anstelle der Mobilia A.-G. deren verantwortliches und fehlbares Organ ins Recht zu fassen. | null | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
67ea8b14-27c0-429d-b9a4-dbf52228d3bf | Urteilskopf
135 V 201
26. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S. gegen IV-Stelle des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_502/2007 vom 26. März 2009 | Regeste
Art. 8, 17 und 53 ATSG
;
Art. 28 IVG
; Auswirkungen der Rechtsprechung zur somatoformen Schmerzstörung (
BGE 130 V 352
) auf laufende Renten.
Eine rechtskräftige Verfügung über eine Dauerleistung ist nur ausnahmsweise zu Ungunsten der versicherten Person an eine geänderte Gerichtspraxis anzupassen. Eine Ausnahme setzt zunächst voraus, dass die neue Praxis eine allgemeine Verbreitung erfährt. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die frühere Praxis nur noch auf einige wenige Personen Anwendung findet, so dass diese als in stossender Weise privilegiert erscheinen, oder dass sich die damalige Leistungszusprechung aus Sicht der neuen Praxis schlechterdings nicht mehr vertreten lässt (E. 6, insbesondere E. 6.4).
Die mit
BGE 130 V 352
begründete Rechtsprechung bildet keinen Grund für die Herabsetzung oder Aufhebung einer laufenden Rente unter dem Titel der Anpassung an geänderte Rechtsgrundlagen (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 202
BGE 135 V 201 S. 202
A.
Mit Verfügung vom 14. Februar 2003 sprach die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, der 1965 geborenen S. für die Zeit ab 1. Oktober 1999 eine ganze Rente zu. Sie stützte sich dabei insbesondere auf ein Gutachten des medizinischen Zentrums X. vom 15. April 2002. Der ermittelte Invaliditätsgrad betrug 100 %.
Im Rahmen einer Rentenrevision holte die IV-Stelle Berichte von Dr. med. R., Physikalische Medizin und Rehabilitation, vom 13. Dezember 2004 und Dr. med. H., Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 26. März 2005 ein. Ausserdem nahm sie ein dem Unfallversicherer erstattetes Gutachten des ärztlichen Begutachtungsinstituts A. vom 25. Januar 2005 zu den Akten. Anschliessend setzte die IV-Stelle mit Verfügung vom 7. Juli 2005 die laufende ganze Rente mit Wirkung ab 1. September 2005 auf eine halbe Rente herab. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 6. Februar 2006 fest.
BGE 135 V 201 S. 203
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 5. Juni 2007).
C.
S. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihr - in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids und des Einspracheentscheids - ab 1. September 2005 weiterhin eine ganze Rente auszurichten; eventuell sei die Sache zur ergänzenden Abklärung und anschliessenden Neubeurteilung an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Im gleichen Sinn äussert sich das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV).
Mit ergänzender Stellungnahme vom 24. Januar 2008 bekräftigt die Beschwerdeführerin ihren Standpunkt.
D.
Das Bundesgericht hat am 26. März 2009 eine publikumsöffentliche Beratung durchgeführt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.1
Bei der Zusprechung einer ganzen Rente auf der Basis eines Invaliditätsgrades von 100 % durch die Verfügung vom 14. Februar 2003 stützte sich die IV-Stelle in medizinischer Hinsicht auf das Gutachten des medizinischen Zentrums X. vom 15. April 2002. Dieses enthält insbesondere die Diagnosen eines chronifizierten lumbovertebralen und lumbospondylogenen Schmerzsyndroms, einer Fibromyalgie sowie einer schweren somatoformen Schmerzstörung im Sinne generalisierter (über den lumbosakralen Übergang und die Fibromyalgie hinausgehender) Schmerzausbreitung. Der Versicherten wird eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % in der angestammten Tätigkeit als Krankenpflegerin wie auch in jeder anderen Tätigkeit attestiert.
4.2
Die Verfügung vom 7. Juli 2005 und der sie bestätigende Einspracheentscheid vom 6. Februar 2006 basieren in medizinischer Hinsicht auf dem Gutachten des ärztlichen Begutachtungsinstituts A. vom 25. Januar 2005. Dieses nennt als Diagnosen mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit einerseits ein linksbetontes, mässig ausgeprägtes Lumbovertebralsyndrom und andererseits eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.4) mit leichter depressiver Begleitstörung (ICD-10: F33.0). Aus psychiatrischer Sicht beziffern die Gutachter die Arbeitsfähigkeit in einer den somatischen Leiden angepassten Tätigkeit auf 80 %.
BGE 135 V 201 S. 204
4.3
Die Vorinstanz hält fest, zwischen dem Erlass der Verfügung vom 14. Februar 2003 und dem Einspracheentscheid vom 6. Februar 2006 habe sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin nicht erheblich verändert. Die unterschiedlichen Aussagen zur Arbeitsfähigkeit im Gutachten des medizinischen Zentrums X. vom 15. April 2002 einerseits und im Gutachten des ärztlichen Begutachtungsinstituts A. vom 25. Januar 2005 andererseits beruhten vielmehr auf einer abweichenden Einschätzung des gleichgebliebenen Sachverhalts. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur (vgl.
BGE 132 V 393
E. 3.2 S. 398; Urteil des ehemaligen Eidg. Versicherungsgerichts I 692/06 vom 19. Dezember 2006 E. 3.1) und damit für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich. Sie lässt sich nicht als offensichtlich unrichtig bezeichnen. Ebenso wenig beruht sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
. Für die Beurteilung der Beschwerde ist damit von einer gegenüber der seinerzeitigen Leistungszusprechung aus medizinischer Sicht im Wesentlichen unverändert gebliebenen Situation auszugehen. Ebenso wenig enthält der kantonale Entscheid Hinweise darauf, dass sich der rechtlich relevante Sachverhalt in anderer Weise verändert haben könnte. Die Vorinstanz hat den die Rente herabsetzenden Einspracheentscheid vom 6. Februar 2006 vielmehr mit einer Begründung bestätigt, welche rechtlicher Natur ist.
5.
5.1
Ein Konflikt zwischen der aktuellen Rechtslage und einer früher erlassenen, in formelle Rechtskraft erwachsenen Verfügung über eine Dauerleistung kann in vier Konstellationen entstehen (
BGE 127 V 10
E. 4b S. 13 f.;
BGE 115 V 308
E. 4a S. 312 ff.; URS MÜLLER, Die materiellen Voraussetzungen der Rentenrevision in der Invalidenversicherung, 2003, S. 91 ff.; RUDOLF RÜEDI, Die Verfügungsanpassung als Grundfigur von Invalidenrentenrevisionen, in: Die Revision von Dauerleistungen in der Sozialversicherung, 1999, S. 9 ff., 12 f.; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Die Instrumente zur Korrektur der Sozialversicherungsverfügung, in: Verfahrensfragen in der Sozialversicherung, 1996, S. 263 ff., 277 ff.; ULRICH MEYER-BLASER, Die Abänderung formell rechtskräftiger Verwaltungsverfügungen in der Sozialversicherung, ZBl 95/1994 S. 337 ff., 348 ff.): Eine fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung (anfängliche tatsächliche Unrichtigkeit) lässt sich unter bestimmten Voraussetzungen durch eine prozessuale Revision (
Art. 53 Abs. 1 ATSG
[SR 830.1]) korrigieren. Tritt nach dem Erlass einer ursprünglich fehlerfreien Verfügung
BGE 135 V 201 S. 205
eine anspruchsrelevante Änderung des Sachverhalts ein (nachträgliche tatsächliche Unrichtigkeit), hat gegebenenfalls eine Anpassung im Rahmen einer Rentenrevision nach
Art. 17 Abs. 1 ATSG
stattzufinden. Falls die Verfügung auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruht (anfängliche rechtliche Unrichtigkeit), ist ein Rückkommen unter dem Titel der Wiedererwägung (
Art. 53 Abs. 2 ATSG
) zu prüfen. Nicht gesetzlich geregelt ist der Tatbestand der nachträglichen rechtlichen Unrichtigkeit infolge einer nach dem Verfügungserlass eintretenden Änderung der massgebenden Rechtsgrundlagen (dazu E. 6 hiernach).
5.2
Eine anfängliche tatsächliche Unrichtigkeit der Verfügung vom 14. Februar 2003 steht nicht zur Diskussion. Dasselbe gilt - mangels einer erheblichen Veränderung des rechtserheblichen Sachverhalts - für eine Rentenrevision nach
Art. 17 Abs. 1 ATSG
. Ebenso wenig bildet die Rechtsprechung zur somatoformen Schmerzstörung (
BGE 130 V 352
) Anlass für eine wiedererwägungsweise Abänderung der Rentenverfügung (SVR 2008 IV Nr. 5 S. 12, I 138/07 E. 4). Zu prüfen bleibt damit, wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, einzig eine Anpassung der formell rechtskräftigen Verfügung vom 14. Februar 2003 unter dem Gesichtspunkt einer zwischenzeitlich eingetretenen Rechtsänderung. Eine solche erblickt das kantonale Gericht in der mit
BGE 130 V 352
begründeten Rechtsprechung zur invalidisierenden Wirkung einer somatoformen Schmerzstörung.
6.
6.1
6.1.1
Nach der Rechtsprechung zum Sozialversicherungsrecht sind ursprünglich fehlerfreie Verfügungen über Dauerleistungen unter Vorbehalt anders lautender Übergangsbestimmungen sowie allfälliger wohlerworbener Rechte grundsätzlich an Änderungen der Rechtslage anzupassen, welche aus einem Eingriff des Gesetzgebers resultieren (
BGE 121 V 157
E. 4a S. 161 f.). Demgegenüber bildet eine geänderte Gerichts- oder Verwaltungspraxis im Prinzip keinen Anlass, in eine laufende, auf einer formell rechtskräftigen Verfügung beruhende Dauerleistung einzugreifen (
BGE 129 V 200
E. 1.2 S. 202;
BGE 121 V 157
E. 4a S. 162;
BGE 120 V 128
E. 3c S. 132;
BGE 119 V 410
E. 3b S. 413;
BGE 115 V 308
E. 4a/dd S. 314;
BGE 112 V 371
E. 2b S. 372 f.; Urteil 9C_439/2007 vom 28. Februar 2008 E. 3.2 am Ende). Sie kann aber ausnahmsweise zur Abänderung einer rechtskräftigen Verfügung (mit Wirkung für die Zukunft) führen, wenn die neue Praxis in einem solchen Masse allgemeine Verbreitung
BGE 135 V 201 S. 206
erfährt, dass ihre Nichtbefolgung als Verstoss gegen das Gleichheitsgebot erschiene, insbesondere wenn die alte Praxis nur in Bezug auf eine einzige versicherte Person oder eine geringe Zahl von Versicherten beibehalten würde (
BGE 129 V 200
E. 1.2 S. 202;
BGE 121 V 157
E. 4a S. 162;
BGE 120 V 128
E. 3c S. 132;
BGE 119 V 410
E. 3b S. 413;
BGE 115 V 308
E. 4a/dd S. 314;
BGE 112 V 387
E. 3c S. 394; SVR 2001 ALV Nr. 4 S. 10, C 222/99 E. 3b). Ein solches Vorgehen drängt sich namentlich dann auf, wenn das Festhalten an der ursprünglichen Verfügung aus Sicht der neuen Rechtspraxis schlechterdings nicht mehr vertretbar ist und diese eine so allgemeine Verbreitung findet, dass ihre Nichtbeachtung in einem einzelnen Fall als dessen stossende Privilegierung (oder Diskriminierung) und als Verletzung des Gleichbehandlungsgebots erscheint (SVR 1995 IV Nr. 60 S. 171 S. 173, I 382/94 E. 4a).
6.1.2
Obwohl das Bundesgericht im Bereich des Sozialversicherungsrechts nicht selten seine Rechtsprechung durch Präzisierung oder Änderung fortentwickelt, wurde es vergleichsweise selten mit der Frage der Anwendung der neuen Rechtsprechung auf rechtskräftig zugesprochene, laufende Dauerleistungen befasst. Wenn sich die Frage doch stellte, wurde sie wie folgt entschieden:
6.1.2.1
In Anwendung der dargelegten Grundsätze hat das Eidg. Versicherungsgericht verschiedentlich die Anpassung einer rechtskräftigen Verfügung über eine Dauerleistung an eine zwischenzeitlich geänderte, für die betroffene Person günstigere Gerichts- oder Verwaltungspraxis zugelassen. So hielt das Gericht in
BGE 121 V 157
E. 4c S. 162 f. fest, eine unter einer früheren Gerichtspraxis festgelegte Erwerbsunfähigkeitsrente der Militärversicherung sei an die im Jahr 1984 geänderte Praxis anzupassen, welche die kumulative Entschädigung von Erwerbsunfähigkeit und Integritätsverlust zulässt. Die gegenteilige Lösung schaffe krasse Ungleichheiten. Ebenfalls bejaht wurde die Anwendbarkeit einer neuen Verwaltungspraxis, welche in bestimmten Fällen einen zuvor nicht anerkannten Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung entstehen liess, auf bereits rechtskräftig entschiedene Fälle (SVR 2001 IV Nr. 4 S. 9, C 222/99 E. 4). Im gleichen Sinne entschied das Gericht im Zusammenhang mit der zunächst verneinten, später jedoch bejahten (
BGE 119 V 171
) unmittelbaren Anwendbarkeit der internationalrechtlichen Bestimmungen über die eingeschränkte Zulässigkeit einer Leistungskürzung wegen Selbstverschuldens (
BGE 120 V 128
E. 4 S. 132 f.;
BGE 119 V 410
E. 3c S. 413 f.; SVR 1995 IV Nr. 60 S. 171 und 173, I 382/94 E. 4).
BGE 135 V 201 S. 207
Zu Lasten des betroffenen Versicherten schützte das Eidg. Versicherungsgericht die Anpassung einer Integritätsrente, deren Berechnung noch auf einer früheren, mit den Urteilen EVGE 1966 S. 148 und EVGE 1968 S. 88 als unzutreffend qualifizierten Praxis basierte, an die neu massgebenden Grundsätze (
BGE 112 V 387
E. 3c S. 394, bestätigt in
BGE 115 V 308
ff.).
6.1.2.2
Abgelehnt hat es die Rechtsprechung, eine formell rechtskräftige Verfügung mit Blick auf die Urteile über die Rundung des Invaliditätsgrades zu Lasten der versicherten Person abzuändern (Urteil 9C_439/2007 vom 28. Februar 2008 bezüglich
BGE 130 V 121
; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 16/02 vom 21. März 2002 bezüglich
BGE 127 V 129
). In den Urteilen des Eidg. Versicherungsgerichts U 102/89 vom 5. März 1990 E. 5c, nicht publ. in:
BGE 116 V 62
, und U 114/90 vom 16. März 1992 E. 3d, lehnte es das Gericht ebenfalls ab, infolge der mit
BGE 115 V 133
präzisierten Rechtsprechung zum adäquaten Kausalzusammenhang bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall auf rechtskräftige Verfügungen zurückzukommen. Im Urteil M 13/89 vom 30. Oktober 1989 entschied das Eidg. Versicherungsgericht, die in
BGE 112 V 387
bejahte Zulässigkeit einer Anpassung beziehe sich nur auf reine Integritätsrenten, nicht dagegen auf so genannte gemischte Renten. Ein Eingriff in ein Dauerrechtsverhältnis zu Lasten der versicherten Person gestützt auf eine neue Rechtspraxis komme nur in Betracht, wenn es besonders krasse, stossende Leistungszusprachen zu korrigieren gelte.
6.1.3
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Rechtsprechung den Grundsatz, wonach eine Praxisänderung keine Änderung formell rechtskräftiger Verfügungen über eine Dauerleistung rechtfertigt, in Bezug auf Anpassungen zu Ungunsten der Versicherten kaum je durchbricht. Wo eine derartige Herabsetzung vorgenommen wurde (
BGE 112 V 387
, bestätigt in
BGE 115 V 308
), betonte das Gericht, es handle sich - angesichts des der früheren Praxis zugrunde liegenden sachfremden Kriteriums - um eine Ausnahmesituation, welche eine besondere Lösung erfordere (
BGE 115 V 308
E. 4b S. 316; vgl. auch
BGE 121 V 157
E. 4b S. 162). Zu Gunsten der Versicherten liess das Gericht demgegenüber in einzelnen Fällen eine Anpassung unter weniger strengen Voraussetzungen zu (
BGE 107 V 153
E. 3 S. 157; SVR 2001 ALV Nr. 4 S. 9 und 10, C 222/99 E. 3b; vgl. auch
BGE 129 V 200
E. 1.2 S. 203 oben;
BGE 120 V 128
E. 3c S. 132).
BGE 135 V 201 S. 208
6.2
Nach der Praxis der öffentlichrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts ist der Widerruf von Verfügungen über Dauerrechtsverhältnisse wegen unrichtiger Sachverhaltsfeststellung, fehlerhafter Rechtsanwendung oder nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage zulässig, sofern wichtige öffentliche Interessen berührt sind (
BGE 127 II 306
E. 7a S. 314; Urteil 1A_229/2008 vom 18. August 2008 E. 4.2). Fehlen positivrechtliche Bestimmungen über die Möglichkeit der Änderung einer Verfügung, so ist über diese anhand einer Interessenabwägung zu befinden, bei welcher das Interesse an der richtigen Anwendung des objektiven Rechts dem Interesse an der Rechtssicherheit bzw. dem Vertrauensschutz gegenüberzustellen ist (
BGE 127 II 306
E. 7a S. 314;
BGE 121 II 273
E. 1a/aa;
BGE 106 Ib 252
E. 2b S. 256;
BGE 103 Ib 241
E. 3b S. 244; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2006, S. 207 Ziff. 997a; TOBIAS JAAG, Staats- und Verwaltungsrecht des Kantons Zürich, 3. Aufl. 2005, S. 130 Ziff. 1914; PIERRE MOOR, Droit administratif II, Les actes administratifs et leur contrôle, 2. Aufl. 2002, S. 338; BLAISE KNAPP, Précis de droit administratif, 4. Aufl. 1991, S. 270 Ziff. 1271 und S. 272 Ziff. 1282; RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, 1990, Nr. 45 S. 138 f.; FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, 1986, S. 307 ff.). Eine blosse Praxisänderung kann dort Anlass zur Umgestaltung von dauernden Rechtsverhältnissen geben, wo besonders wichtige öffentliche Interessen, wie Polizeigüter, auf dem Spiele stehen (
BGE 127 II 306
E. 7a S. 313;
BGE 106 Ib 252
E. 2b S. 256; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., S. 140; GYGI, a.a.O., S. 310, mit weiteren Hinweisen). Konkret erklärte das Gericht - letztlich allerdings primär gestützt auf eine Änderung des positiven Rechts - die Anpassung der Genehmigungsverfügung für das Betriebsreglement eines Flugfeldes zu Lasten der Betreiberin für zulässig (
BGE 127 II 306
E. 7c S. 315 f.). Im gleichen Sinn entschied es bezüglich des Entzugs eines Kollektivfahrzeugausweises für Motorfahrzeughändler aufgrund einer geänderten, sachgerechten, strengeren Handhabung der Bewilligungsvoraussetzungen (
BGE 106 Ib 252
E. 2b S. 255 f.).
6.3
Im Schrifttum hat die unter E. 6.1 hiervor zitierte sozialversicherungsrechtliche Praxis unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen:
6.3.1
Mehrheitlich wird die Rechtsprechung ohne inhaltliche Stellungnahme wiedergegeben (HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 207 f. Ziff. 999; TSCHANNEN/ZIMMERLI, Allgemeines
BGE 135 V 201 S. 209
Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 275 Ziff. 47; MÜLLER, a.a.O., S. 110 Ziff. 404; MOOR, a.a.O., S. 347; RÜEDI, a.a.O., S. 9 ff., 23; MEYER-BLASER, a.a.O., S. 337 ff., 350; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., S. 140).
6.3.2
Eine Lehrmeinung (UELI KIESER, Das Verwaltungsverfahren in der Sozialversicherung, 1999, S. 302 f. Ziff. 622 mit Fn. 1729) stimmt der Rechtsprechung hinsichtlich der Voraussetzungen einer Verfügungsanpassung zu, verlangt aber bei Änderungen zu Ungunsten der versicherten Person die Einräumung einer angemessenen Übergangsfrist. Diesen Gesichtspunkt betont auch BEATRICE WEBER-DÜRLER (Neuere Entwicklungen des Vertrauensschutzes, ZBl 103/2002 S. 281 ff., 298), wobei gemäss dieser Autorin aus Sicht des Vertrauensschutzes eine adäquate Übergangsfrist genügt, um die Zulässigkeit der Aufhebung oder Herabsetzung einer Rente zu begründen.
6.3.3
Andere Autorinnen und Autoren wollen eine Verfügungsanpassung zu Ungunsten der versicherten Person nur ganz ausnahmsweise zulassen, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse dies erfordert, wobei sich der Massstab für die Interessenabwägung an demjenigen zu orientieren habe, welcher für die Beurteilung einer anfänglichen (rechtlichen) Unrichtigkeit gilt (KNAPP, a.a.O., S. 281 f. Ziff. 1344; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 263 ff., 280). Anpassungen zu Gunsten der versicherten Person sollen dagegen ohne weiteres zulässig sein (KNAPP, a.a.O., S. 282 Ziff. 1346; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 280; ebenso MÜLLER, a.a.O., S. 110 Ziff. 404).
6.3.4
Ein Teil der Lehre hält im Sinne einer Kritik fest, die Praxis zum Sozialversicherungsrecht lasse eine konkrete Interessenabwägung im Einzelfall vermissen (so insbesondere PETER SALADIN, Wiedererwägung und Widerruf formell rechtskräftiger Verfügungen, Die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts im Vergleich zur Praxis des Bundesgerichts in Lausanne, in: Sozialversicherungsrecht im Wandel, Festschrift 75 Jahre Eidgenössisches Versicherungsgericht, 1992, 113 ff., 130; ähnlich KIESER, Die Abänderung der formell rechtskräftigen Verfügung nach der Rechtsprechung des EVG, SZS 1991 S. 132 ff., 141 mit weiteren Hinweisen in Fn. 64). Eine neuere, sich auf die vorliegende Problematik beziehende Publikation (BRUNNER/BIRKHÄUSER, Somatoforme Schmerzstörung - Gedanken zur Rechtsprechung und deren Folgen für die Praxis, insbesondere mit Blick auf die Rentenrevision, BJM 2007 S. 169 ff., 202) knüpft an die durch die Rechtsprechung
BGE 135 V 201 S. 210
entwickelten Voraussetzungen an, verlangt aber darüber hinaus eine sorgfältige Güterabwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit an der rechtsgleichen Anwendung des Rechts und denjenigen der Rentenbezüger an der weiteren Ausrichtung der einmal zugesprochenen Rente. Es sei im Einzelfall zu prüfen, ob die Anpassung der Rente verhältnismässig ist.
6.4
Die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und - bei Anpassungen zu Lasten der versicherten Person - des Vertrauens auf die Weitergewährung einmal zugesprochener staatlicher Leistungen können mit dem öffentlichen Interesse an einer gesetzmässigen und sachlich vertretbaren Durchführung der Versicherung in ein Spannungsverhältnis treten. Dieser Konflikt ist durch eine wertende Abwägung der betroffenen Interessen zu lösen (
BGE 115 V 308
E. 4b S. 316). Auch die Gerichtspraxis zum Sozialversicherungsrecht beruht somit letztlich auf einer Interessenabwägung (in diesem Sinn auch, bezogen auf die Rechtsprechung zur Wiedererwägung, ANDRÉ GRISEL, L'apport du Tribunal fédéral des assurances au développement du droit public, in: Mélanges Alexandre Berenstein, 1989, S. 437 ff., 449). Da eine Rechtsprechungsänderung im Sozialversicherungsrecht oft eine Vielzahl von Fällen beschlägt, welche in Bezug auf die konkreten Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich gleich gelagert sind, kommt dem Gebot rechtsgleicher Behandlung der von einer allfälligen Rentenanpassung betroffenen Personen erhebliches Gewicht zu. Dieser Gesichtspunkt spricht dagegen, in jedem einzelnen Fall die konkreten, individuellen Auswirkungen einer Anpassung heranzuziehen. So ist nicht ohne weiteres einzusehen, warum ein Versicherter, welcher im Vertrauen auf die laufende Rente eine teurere Wohnung gemietet hat (so das Beispiel bei SALADIN, a.a.O., S. 130), von einer Herabsetzung ausgenommen werden sollte, während ein sparsamer Versicherter diese hinzunehmen hätte. Die "typische" sozialversicherungsrechtliche Ausgangslage verlangt vielmehr eine einheitliche Lösung für alle betroffenen Personen. In diesem Zusammenhang kommt bei Rentenaufhebungen oder -herabsetzungen, wo zusätzlich zum Aspekt der Rechtssicherheit auch jener des erweckten Vertrauens eine Rolle spielt, in aller Regel den für eine Weiterausrichtung sprechenden Aspekten mehr Gewicht zu als der Gleichbehandlung der Rentenbezüger mit Personen, welche noch keine Rente beziehen, sondern eine solche erst beantragt haben. Um eine Anpassung zu rechtfertigen, genügt es - entgegen der auf die verkürzte Formulierung in
BGE 121 V 157
BGE 135 V 201 S. 211
E. 4a S. 162 gestützten Auffassung von BSV und Vorinstanz - nicht, dass die geänderte Rechtsprechung allgemeine Verbreitung findet, denn dies trifft bei einer bundesgerichtlichen Praxisänderung im Bereich des Sozialversicherungsrechts regelmässig zu. Liesse man die allgemeine Verbreitung genügen, würde daher die Anwendung der neuen Praxis auf laufende, rechtskräftig festgelegte Dauerleistungen zur Regel. Diese Konsequenz wäre sachlich nicht gerechtfertigt. Sie entspricht auch nicht der bisherigen Judikatur, welche durchwegs den Ausnahmecharakter einer derartigen Anpassung betont hat. Um eine solche zu begründen, müssen zusätzlich zur allgemeinen Verbreitung der neuen Praxis qualifizierende Elemente gegeben sein, welche deren Nichtanwendung auf laufende Leistungen unter dem Aspekt der Rechtsgleichheit als stossend erscheinen liessen. Ein derartiges Element liegt vor, wenn die frühere Praxis nur noch auf einige wenige Personen Anwendung findet, so dass diese als privilegiert (oder diskriminiert) erscheinen, sowie wenn sich die damalige Leistungszusprechung aus der Sicht der neuen Praxis schlechterdings nicht mehr vertreten lässt (vgl. E. 6.1). Diese Praxis entspricht im Ergebnis weitgehend jener der öffentlichrechtlichen Abteilungen, welche einen Eingriff in ein Dauerverhältnis aufgrund einer Praxisänderung nur zulässt, wenn besonders wichtige öffentliche Interessen betroffen sind (E. 6.2). Es besteht kein Anlass, die vorstehend zusammengefasste sozialversicherungsrechtliche Rechtsprechung zu ändern.
7.
Im Lichte der dargestellten Grundsätze bleibt zu prüfen, ob das Urteil
BGE 130 V 352
eine Herabsetzung oder Aufhebung laufender Renten rechtfertigt, welche zu einem früheren Zeitpunkt versicherten Personen zugesprochen wurden, die an einer somatoformen Schmerzstörung leiden.
7.1
7.1.1
Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich bereits in
BGE 102 V 165
zur invalidisierenden Wirkung eines psychischen Gesundheitsschadens geäussert. Wie das Gericht damals festhielt, gelten Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit, welche die versicherte Person bei Aufbietung allen guten Willens, Arbeit in ausreichendem Masse zu verrichten, zu vermeiden vermöchte, nicht als IV-rechtlich relevant, wobei das Ausmass des Erforderlichen (respektive Forderbaren) weitgehend objektiv bestimmt werden muss. Es ist somit festzustellen, ob und in welchem Masse ein Versicherter infolge seines geistigen Gesundheitsschadens auf dem ihm nach seinen
BGE 135 V 201 S. 212
Fähigkeiten offenstehenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein kann. Dabei kommt es darauf an, welche Tätigkeit ihm zugemutet werden darf. Zur Annahme einer durch einen geistigen Gesundheitsschaden verursachten Erwerbsunfähigkeit genügt es also nicht, dass der Versicherte nicht hinreichend erwerbstätig ist; entscheidend ist vielmehr, ob anzunehmen sei, die Verwertung der Arbeitsfähigkeit sei ihm sozial-praktisch nicht mehr zumutbar oder - als alternative Voraussetzung - sogar für die Gesellschaft untragbar (
BGE 102 V 166
f.).
7.1.2
Im Zuge einer in den 90er Jahren einsetzenden Entwicklung hat die invalidenversicherungsrechtliche Bedeutung somatoformer Schmerzstörungen deutlich zugenommen (vgl. KOPP/WILLI/KLIPSTEIN, Im Graubereich zwischen Körper, Psyche und sozialen Schwierigkeiten, Schweizerische Medizinische Wochenschrift 1997 S. 1380 ff., 1380 f.; PETER ROSATTI, De la sinistrose aux troubles somatoformes, in: L'expertise médicale, 2002, S. 81 ff., 86). Die entsprechende Diagnose - namentlich auch jene der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10: F45.4) - sagt als solche wenig über die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person aus (vgl.
BGE 130 V 396
E. 6.2.3 S. 402 mit Hinweisen). Die psychiatrische Lehre in Deutschland entwickelte jedoch Kriterien für die Prognosestellung (KLAUS FOERSTER, Begutachtung und Erwerbsfähigkeit bei Patienten mit psychogenen Störungen, SZS 1996 S. 486 ff., 498) sowie für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit (FOERSTER, Psychiatrische Begutachtung im Sozialrecht, in: Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl. 2000, S. 509, 511; vgl. auch KOPP/WILLI/KLIPSTEIN, a.a.O., S. 1434 f. mit Hinweis auf die grundlegende Arbeit von WINCKLER und FOERSTER). Die Kriterien wurden durch die Lehre in das schweizerische Recht eingeführt (HANS-JAKOB MOSIMANN, Somatoforme Störungen: Gerichte und [psychiatrische] Gutachten, SZS 1999 S. 1 ff. und 105 ff.) und anschliessend durch das Eidg. Versicherungsgericht übernommen (Urteil I 554/98 vom 19. Januar 2000 E. 2c, auszugsweise in: AHI 2000 S. 149, 152 f.). Diese Rechtsprechung, welche keine Abkehr von den in
BGE 102 V 165
formulierten Grundsätzen, sondern deren Anwendung auf die Diagnose "anhaltende somatoforme Schmerzstörung" darstellt, fand auch Eingang in die Verwaltungspraxis. Das BSV hielt im IV-Rundschreiben Nr. 180 vom 27. Mai 2003 (Neufassung von Rz. 1017 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit [KSIH], gültig ab 1. Juli 2003) fest, die somatoforme Schmerzstörung wirke sich in
BGE 135 V 201 S. 213
der Regel ohne psychiatrische Komorbidität nicht auf die Arbeitsfähigkeit aus; eine Willensanstrengung zur Verwertung der Arbeitsfähigkeit wäre zumutbar. Ausschlaggebend sei, ob die versicherte Person aufgrund objektiver Befunde nicht oder nur in beschränktem Umfang arbeiten könne.
7.1.3
Im durch die Vorinstanz als Praxisänderung qualifizierten, am 12. März 2004 gefällten Urteil
BGE 130 V 352
knüpfte das Gericht (Bezug nehmend auf MEYER-BLASER, Arbeitsunfähigkeit [
Art. 6 ATSG
], in: Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, 2003, S. 27 ff., 80 ff.) ebenfalls an die "Foerster-Kriterien" an, wobei deren Bedeutung und Handhabung für die Beurteilung invalidenversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche genauer umschrieben wurde (vgl. insbesondere
BGE 130 V 352
E. 2.2.3 S. 354 f.). Namentlich wurde den begutachtenden Fachpersonen und den Organen der Rechtsanwendung aufgegeben, die Arbeitsfähigkeit im Einzelfall mit Blick auf bestimmte Kriterien zu prüfen, um eine einheitlichere und damit rechtsgleichere Einschätzung der Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten. Das in der amtlichen Sammlung publizierte Regest spricht von einer Präzisierung der Rechtsprechung (
BGE 130 V 352
). Es kann offenbleiben, ob von einer Präzisierung oder Änderung der Rechtsprechung auszugehen ist, denn diese Einordnung bleibt ohne Einfluss auf das Ergebnis.
7.2
7.2.1
Wie aus dem dargestellten Ablauf deutlich wird, hat das Urteil
BGE 130 V 352
die Rechtslage nicht in dem Sinne verändert, dass vorher bei diagnostizierter anhaltender somatoformer Schmerzstörung ohne weiteres eine Rente zugesprochen wurde, während dies nunmehr ausgeschlossen wäre. Die damalige Vorinstanz war denn auch (auf der Basis der früheren Praxis) im konkreten Fall ebenso zur Verneinung des invalidisierenden Charakters der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung gelangt wie die kantonalen Gerichte in den weiteren publizierten Urteilen (
BGE 130 V 396
und
BGE 131 V 49
). Die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung konnte vor wie auch nach dem Urteil
BGE 130 V 352
sowohl zur Bejahung als auch zur Verneinung eines Rentenanspruchs führen. Frühere Rentenzusprechungen erscheinen daher aus der heutigen Perspektive nicht ohne weiteres als rechtswidrig, sachfremd oder schlechterdings nicht vertretbar. Der Gesichtspunkt der gesetzmässigen und sachlich vertretbaren Durchführung der Versicherung (vgl.
BGE 115 V 308
E. 4b S. 316) verlangt deshalb nicht, dass laufende Renten angepasst werden.
BGE 135 V 201 S. 214
7.2.2
Unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgebots (
Art. 8 Abs. 1 BV
) drängt sich eine gerichtliche Anpassung, wie dargelegt, insbesondere dann auf, wenn die auf die alte Praxis gestützten Verfügungen nur mehr für einzelne wenige Versicherte gelten (
BGE 129 V 200
E. 1.2 S. 202;
BGE 120 V 128
E. 3c S. 132;
BGE 119 V 410
E. 3b S. 413; SVR 2001 ALV Nr. 4 S. 10, C 222/99 E. 3b). Dies trifft hier nicht zu: Angesichts der hohen Verbreitung der Diagnose "anhaltende somatoforme Schmerzstörung" seit Anfang der 90er Jahre (E. 7.1.2 hiervor) würde sich die Frage nach der Anpassung einer überaus grossen Zahl laufender Renten stellen. Die Verwaltung wäre aufgrund des Rechtsgleichheitsgebots gehalten, alle derartigen Fälle einer Überprüfung zu unterziehen. Diese könnte sich inhaltlich nicht auf wenige Gesichtspunkte beschränken, sondern es müssten in jedem Einzelfall die in
BGE 130 V 352
formulierten, differenzierten Kriterien geprüft werden. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit wäre überdies dem bisherigen, berechtigterweise erfolgten Rentenbezug und der dadurch entstandenen Situation angemessen Rechnung zu tragen. In der Lehre wird diesbezüglich verlangt, es sei eine sorgfältige Güterabwägung vorzunehmen und auf dieser Basis zu beurteilen, ob eine Anpassung im konkreten Fall als verhältnismässig erscheint (vgl. BRUNNER/BIRKHÄUSER, a.a.O., S. 202). Zur Diskussion steht somit die Beurteilung zahlreicher Fälle, welche aufwändige Überprüfungen erfordert und deren Ergebnis ungewiss ist. Unter diesen Umständen sind die vorstehend wiedergegebenen (E. 6.4), engen Voraussetzungen für die Anwendung einer geänderten Praxis auf laufende, rechtskräftig festgelegte Leistungen durch die Gerichte nicht erfüllt. Dies gilt umso mehr, weil sich mit Blick auf den Grundsatz "Eingliederung vor Rente" zusätzlich die Frage stellt, ob ein allfälliger Rentenentzug mit einem Programm zur Wiedereingliederung der Betroffenen verbunden werden müsste. In dieser Konstellation wäre es Sache des Gesetzgebers, die Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung laufender Renten - einschliesslich allfälliger flankierender Massnahmen - vorzusehen und den dafür geltenden Massstab festzulegen, falls er dies für angezeigt erachten sollte.
7.3
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Rechtsprechung gemäss
BGE 130 V 352
keinen hinreichenden Anlass bildet, um unter dem Titel der Anpassung an eine geänderte Gerichtspraxis auf Renten zurückzukommen, welche zu einem früheren Zeitpunkt mittels formell rechtskräftiger Verfügung zugesprochen wurden. Die
BGE 135 V 201 S. 215
Beschwerde ist dementsprechend gutzuheissen, und der kantonale Entscheid sowie der Einspracheentscheid sind aufzuheben. Da sich die gerichtliche Prüfung auf den Zeitraum bis zum Erlass des Einspracheentscheids vom 6. Februar 2006 zu beschränken hat (
BGE 132 V 215
E. 3.1.1 S. 220), ist nicht zu entscheiden, ob die am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Änderung von
Art. 7 Abs. 2 ATSG
allenfalls eine Anpassung laufender Renten rechtfertigt. | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
67f27652-194b-4af2-917b-ad8d8d52ab4f | Urteilskopf
113 Ia 384
58. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 13 novembre 1987 dans la cause Jean-Marc Schlaeppi contre Tribunal cantonal du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Art. 33 BV
und 5 ÜbBest. BV; Ausübung des Geschäftsagentenberufs.
1. Berufe, die nur in einigen Kantonen bekannt und Ausdruck einer kant. Besonderheit sind, sind von vorneherein von den in
Art. 33 BV
und Art. 5 ÜbBest. BV gewährleisteten Garantien ausgeschlossen (E. 2b und c).
2. Der Beruf eines Geschäftsagenten im Kanton Waadt beruht im wesentlichen auf einer rein praktischen Lehrzeit und verlangt eher Erfahrung in Geschäften und Gerichtspraxis als eine juristische Ausbildung; er lässt sich nicht mit dem Anwaltsberuf gleichsetzen, weshalb er schwerlich als eine wissenschaftliche Berufsart qualifiziert werden kann (E. 2d). | Sachverhalt
ab Seite 385
BGE 113 Ia 384 S. 385
Domicilié dans le canton de Vaud, Jean-Marc Schlaeppi a obtenu le 15 novembre 1982 l'autorisation de pratiquer la profession d'agent d'affaires breveté en Valais. Le 25 novembre 1985, il a demandé au Tribunal cantonal vaudois une autorisation générale d'exercer cette profession dans le canton de Vaud, ce qui lui a été refusé par décision du 17 juin/7 août 1986.
Le Tribunal fédéral rejette dans la mesure où il est recevable le recours de droit public formé contre cet arrêt par l'agent d'affaires valaisan.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Dans la mesure où, selon lui, la profession d'agent d'affaires est une profession libérale, le recourant prétend être mis au bénéfice de l'art. 5 Disp.trans. Cst. et pouvoir exercer son activité sur tout le territoire de la Confédération.
a) L'
art. 33 Cst.
autorise les cantons à exiger des preuves de capacité de ceux qui veulent exercer une profession libérale. Son al. 2 charge la législation fédérale de pourvoir à ce que ces personnes puissent obtenir à cet effet des actes de capacité valables dans toute la Confédération. En attendant la promulgation de cette loi, l'art. 5 Disp.trans. Cst. permet aux personnes qui exercent une profession libérale et qui ont obtenu un certificat de capacité d'un canton ou d'une autorité concordataire représentant plusieurs cantons d'exercer leur profession sur tout le territoire de la Confédération.
b) Au moment où l'autorité intimée a rendu sa décision, seuls onze cantons suisses connaissaient la profession d'agent d'affaires; de plus, parmi ceux-ci, quatre cantons ne faisaient pas dépendre l'exercice de la profession d'un examen de capacité. Depuis lors, le canton du Valais a abrogé la loi de 1971 sur les agents
BGE 113 Ia 384 S. 386
intermédiaires (loi abrogatoire du 23 janvier 1987), renonçant désormais à réglementer l'activité d'agent d'affaires.
Ainsi, à la différence de toutes les professions que la jurisprudence a reconnues à ce jour comme étant des professions libérales, celle d'agent d'affaires n'existe pas sur tout le territoire de la Confédération ou, à tout le moins, sur la majeure partie de celui-ci et relève principalement du particularisme cantonal. Dans un tel contexte, l'activité d'agent d'affaires ne satisfait pas à la définition de la profession libérale contenue à l'
art. 33 Cst.
En effet, les deux alinéas de l'
art. 33 Cst.
ne peuvent être interprétés indépendamment l'un de l'autre et, avant même d'avoir à examiner si, par sa nature, une profession correspond à ce que la jurisprudence entend sous le notion de profession libérale, il faut voir préalablement si, en vertu de l'al. 2, la Confédération pourrait, le cas échéant, légiférer dans le domaine précis pour unifier les conditions d'accès à la profession considérée sur l'ensemble de son territoire (ATF 22, 923/924).
Or, sous peine d'étendre à l'excès la compétence reconnue par le constituant à l'Etat fédéral, il faut d'emblée exclure du champ d'application de l'
art. 33 Cst.
toutes les activités qui ne sont organisées et réglementées que dans quelques cantons et qui, comme en l'espèce, traduisent une pure spécificité cantonale.
Dès l'instant que la profession d'agent d'affaires n'est pas implantée d'une manière suffisante à l'échelle nationale, une réglementation fédérale en la matière ne saurait se justifier sous le couvert de l'
art. 33 Cst.
Par voie de conséquence, faute d'être englobée dans la compétence fédérale prévue à l'
art. 33 al. 2 Cst.
, la profession en cause ne peut bénéficier du régime transitoire aménagé par l'art. 5 Disp.trans. Cst.
c) Au surplus, dans les quelques cantons qui connaissent cette activité, la notion d'agent d'affaires varie fortement. Alors que certains cantons ne réglementent que la profession d'agent de poursuites au sens de l'
art. 27 LP
(
ATF 95 I 331
), d'autres étendent plus ou moins la notion à des activités aussi diverses que celle d'avocat des causes mineures, d'agent immobilier, de détective privé, ou de conseiller fiscal (
ATF 71 I 249
ss). Ces disparités cantonales dans la définition même des professions en question montrent qu'il n'existe pas en Suisse l'uniformité minimale nécessaire pour imposer à un canton - par le biais de l'art. 5 Disp.trans. Cst. - la reconnaissance d'un certificat délivré sous de tout autres conditions par un canton tiers.
BGE 113 Ia 384 S. 387
d) L'art. 5 Disp.trans. Cst. étant inapplicable en l'espèce pour les motifs qui viennent d'être évoqués, il importe peu de déterminer si, par ailleurs, la profession d'agent d'affaires telle qu'elle est réglementée dans le canton de Vaud et, anciennement, dans le canton du Valais présente les caractéristiques d'une profession libérale. Tout au plus convient-il d'exprimer les doutes les plus sérieux à cet égard.
En effet, loin de correspondre aux conditions posées par la jurisprudence pour la reconnaissance d'une profession libérale (
ATF 112 Ia 33
,
ATF 111 Ia 110
, 91 I 306,
ATF 89 I 36
,
ATF 83 I 253
), les connaissances exigées relèvent pour l'essentiel d'un apprentissage purement pratique ainsi qu'en fait foi l'exigence primordiale du stage alors que l'examen final ne porte que sur des notions élémentaires dans les matières qui font l'objet d'une épreuve (cf., pour le Valais, art. 12 du règlement de la LAI). Exigeant une expérience des affaires et de la pratique judiciaire plutôt qu'une formation juridique (cf. BURCKHARDT, Kommentar der Schweiz. Bundesverfassung, 3e éd., p. 276), la profession d'agent d'affaires n'impose pas à ses membres des études d'un niveau qui justifierait de classer l'activité parmi les professions libérales.
Au demeurant, en assimilant son activité à celle de l'avocat, le recourant perd de vue qu'en matière de poursuite pour dettes et faillites, l'agent d'affaires est limité - conformément à sa formation - à l'application de la partie procédurale de la LP et que lui échappent tous les problèmes de fond qui nécessitent l'intervention d'un avocat. De même, dans sa pratique judiciaire - autorisée pour les causes mineures -, dont il n'est pas contestable qu'elle pose parfois des problèmes juridiques délicats, l'agent d'affaires peut consulter un avocat pour résoudre les problèmes que ses connaissances pratiques lui permettent de déceler, mais non de résoudre. Enfin, sans en avoir le monopole, les avocats ont pour mission de conseiller les parties (art. 1er de la loi vaudoise sur le barreau), ce qui n'est pas prévu pour les agents d'affaires brevetés (art. 2 LAAB). Au vu de ces différences fondamentales, les deux professions ne peuvent être assimilées ainsi que le souhaite le recourant et son argumentation sur ce point se révèle sans pertinence. | public_law | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
67f59dfe-9727-4363-826e-d8375deebf96 | Urteilskopf
96 I 433
67. Auszug aus dem Urteil vom 7. Oktober 1970 i.S. Mächler gegen Schuler sowie Gerichtspräsidium Höfe Justizkommission des Kantons Schwyz. | Regeste
Art. 4 BV
; Missachtung von Vorschriften eines Gesamtarbeitsvertrags.
Eine gesamtarbeitsvertragliche Bestimmung, wonach bei der Berechnung der vereinbarten periodischen Lohnerhöhungen vom tatsächlich bezahlten Gehalt auszugehen ist, hat normative Wirkung; ihre Missachtung stellt eine Verletzung von klarem Recht und damit einen Verstoss gegen
Art. 4 BV
dar. | Sachverhalt
ab Seite 433
BGE 96 I 433 S. 433
A.-
Eugen Kessler, Inhaber eines Holzbearbeitungsbetriebes, schloss am 1. Oktober 1963 einen Dienstvertrag ab mit Martin Mächler, dem er Schreinerarbeiten zur Ausführung übertrug. Am 1. Januar 1964 gründeten Eugen Kessler und Alois Schuler eine "Arbeitsgemeinschaft für die Fertigung von Holztafeln". Mächler blieb in den Diensten der neuen Unternehmung, und zwar als verantwortlicher Vorarbeiter.
Vom Oktober 1963 bis Ende März 1965 bezog Mächler einen Monatslohn von Fr. 1000.--. Auf 1. April 1965 wurde sein monatliches Gehalt um Fr. 100.--, auf 1. Juni 1966 um weitere Fr. 50.- und auf 1. April 1967 schliesslich auf Fr. 1205.-- erhöht. Ende August 1967 wurde das Arbeitsverhältnis auf gelöst.
BGE 96 I 433 S. 434
B.-
Am 30. Oktober 1968 reichte Mächler beim Gerichtspräsidium Höfe Klage ein mit dem Begehren, Schuler sei zur Zahlung einer Summe von Fr. 2046.75 zu verurteilen. Zur Begründung führte er aus, aufgrund der Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags (GAV) für die schweizerische Holzindustrie stehe ihm eine Nachforderung von Fr. 1637.40 zu. Wegen Nichteinhaltung des GAV habe ihm der Beklagte zudem eine Konventionalstrafe von 25% (= Fr. 409.35) zu entrichten (Art. 5 GAV). Schuler machte geltend, der Kläger unterstehe dem GAV nicht, weil er die Stelle eines technischen Angestellten bekleidet habe; Mächler habe im übrigen einen höheren Lohn erhalten, als ihm nach den Vorschriften des GAV zugestanden hätte, so dass er auch aus diesem Grund keine Nachforderung durchsetzen könne.
C.-
Mit Urteil vom 24. Februar 1969 wies das Gerichtspräsidium Höfe die Klage ab. Es nahm an, Mächler habe dem GAV unterstanden, da er vorwiegend Schreinerarbeiten ausgeführt habe und somit nicht als technischer Angestellter tätig gewesen sei. Es ging indessen davon aus, das massgebliche Arbeitsverhältnis habe erst am 1. Januar 1964 begonnen, da Mächler vor der Gründung der Arbeitsgemeinschaft ausschliesslich für den Betrieb Kesslers gearbeitet habe. Bei der Lohnberechnung nach GAV sei somit vom 1. Januar 1964 auszugehen, und zwar von einem Monatslohn von Fr. 1000.--. Die Berechnung der Gehaltsansprüche Mächlers laut GAV führe zum Ergebnis, dass dieser für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis zu seinem Austritt am 31. August 1967 insgesamt Fr. 65.- mehr erhalten habe, als ihm nach den Bestimmungen des GAV zugestanden hätte. Das Gericht erwog weiter, der Kläger wäre selbst dann nicht durchgedrungen, wenn das für die Lohnberechnung massgebliche Arbeitsverhältnis bereits am 1. Oktober 1963 begonnen hätte. Mächler habe sich mit dem Eintritt in den Betrieb Kesslers finanziell erheblich verbessern können; Lohnerhöhungen, die seit dem 1. September 1963 im Hinblick auf die Teuerung gewährt wurden, könnten bei der Festsetzung des ab 1. Januar 1964 geltenden Mindestlohnes laut Art. 13 Abs. 2 GAV (vom 17. Dezember 1963) angerechnet werden, weshalb Mächler am 1. Januar 1964 ohnehin nicht in den Genuss einer Lohnerhöhung gekommen wäre.
D.-
Mächler erhob gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde bei der Justizkommission des Kantons Schwyz. Mit
BGE 96 I 433 S. 435
Beschluss vom 18. August 1969 wies diese den Rekurs ab. Sie ging im Gegensatz zum erstinstanzlichen Urteil davon aus, das Arbeitsverhältnis habe am 1. September 1963 begonnen und sei durch die Gründung der Arbeitsgemeinschaft nicht unterbrochen worden, denn aufgrund der Akten müsse angenommen werden, dass diese in den bestehenden Vertrag eingetreten sei. Wie im angefochtenen Entscheid mit Recht festgestellt worden sei, dürften gestützt auf Art. 13 Abs. 2 GAV teuerungsbedingte Lohnerhöhungen seit 1. September 1963 in die Berechnung des ab 1. Januar 1964 geltenden Mindestlohnes einbezogen werden. Da sich Mächler mit seinem Übertritt in die Dienste Kesslers finanziell erheblich habe verbessern können, dürfe ohne Willkür angenommen werden, dass im vereinbarten Monatslohn von Fr. 1000.-- eine teuerungsbedingte Gehaltserhöhung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GAV eingeschlossen gewesen sei und dass demzufolge eine Lohnerhöhung auf den 1. Januar 1964 auch nach den Bestimmungen des GAV ausser Betracht gefallen wäre. Die Berechnungen, welche das erstinstanzliche Gericht angestellt habe, sowie die daraus gezogenen Schlüsse in bezug auf das Verhältnis zwischen dem während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses tatsächlich bezogenen und dem nach GAV geschuldeten Gehalt seien im übrigen nicht willkürlich, so dass die Beschwerde abgewiesen werden müsse.
E.-
Mächler führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
. Er beantragt, die Urteile der Justizkommission vom 18. August 1969 und des Gerichtspräsidiums Höfe vom 24. Februar 1969 seien aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Das Gerichtspräsidium Höfe kam aufgrund einer Vergleichsrechnung zum Schluss, die dem Beschwerdeführer tatsächlich gewährten Lohnerhöhungen überstiegen den Gesamtbetrag der Lohnanpassungen, welche ihm nach den gesamtarbeitsvertraglichen Mindestansätzen zugestanden hätten.
Der Beschwerdeführer macht geltend, bei der Festsetzung der nach GAV geschuldeten Lohnerhöhungen sei kraft ausdrücklicher Vorschrift (Art. 13 Abs. 1 GAV) vom effektiv bezahlten Gehalt auszugehen. Die Berechnungen, welche vom Gerichtspräsidium Höfe angestellt und von der Justizkommission geschützt worden seien, ständen im Widerspruch zu dieser
BGE 96 I 433 S. 436
Bestimmung; sie beruhten mithin auf einer Verletzung von klarem Recht, weshalb die angefochtenen Entscheide wegen Willkür aufzuheben seien.
a) Die Bestimmungen des GAV über den Inhalt der einzelnen Dienstverhältnisse gelten während der Dauer des Vertrags unmittelbar für die beteiligten Parteien und können nicht wegbedungen werden, wenn im GAV nichts anderes bestimmt ist. Abreden zwischen den beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die gegen zwingende Vorschriften verstossen, sind nichtig und werden durch die Bestimmungen des GAV ersetzt; doch können abweichende Abreden zugunsten der Arbeitnehmer getroffen werden (
Art. 323 OR
). Art. 13 GAV hat normative Wirkung; die Bestimmung sieht vor, dass bei der Berechnung der Gehaltserhöhungen vom effektiven Lohn auszugehen ist. Wortlaut und Sinn der Vorschrift sind klar; die Missachtung von Art. 13 GAV stellt somit einen Verstoss gegen klares Recht und damit eine Verletzung von
Art. 4 BV
dar (vgl.
BGE 93 I 262
/3 mit Verweisungen).
b) Wie in Erw. 4 dargelegt wurde, darf im vorliegenden Fall ohne Willkür davon ausgegangen werden, die laut GAV auf 1. Januar 1964 fällige Gehaltserhöhung sei im Anfangslohn von Fr. 1000.-- inbegriffen gewesen. Die Bezüge des Beschwerdeführers hätten somit nach den Vorschriften des GAV erstmals auf Juli 1964 erhöht werden müssen, und zwar um Fr. 20.- pro Monat. Auf April 1965 hätte der Beschwerdeführer unbestrittenermassen Anspruch auf eine weitere Lohnerhöhung von Fr. 40.- pro Monat gehabt. Bis zu diesem Zeitpunkt ergibt sich somit für die Vergleichsrechnung ein Guthaben des Beschwerdeführers von Fr. 180.-- (Juli 1964 bis März 1965, 9 x Fr. 20.-). Nach dem Gesagten hätte dem Beschwerdeführer vom April 1965 an ein Monatslohn von Fr. 1060.-- zugestanden. Auf diesen Zeitpunkt kam er jedoch in den Genuss einer tatsächlichen Lohnerhöhung von Fr. 100.-- pro Monat, d.h. er bezog vom April 1965 an Fr. 1100.-- pro Monat, mit anderen Worten Fr. 40.- mehr, als ihm nach den Minimalansätzen laut GAV zugestanden hätte. Wohl lässt sich ohne Willkür annehmen, mit dieser effektiven Lohnerhöhung seien die Parteien für die Vergleichsrechnung bis zum April 1965 auseinandergesetzt, denn die zu diesem Zeitpunkt bestehende Nachforderung des Beschwerdeführers von Fr. 180.-- wäre durch die Ausrichtung des den gesamtarbeitsvertraglichen
BGE 96 I 433 S. 437
Minimalansatz um Fr. 40.- übersteigenden Gehalts innerhalb weniger Monate getilgt worden. Unhaltbar ist jedoch der Schluss, damit bleibe die für September 1965 laut GAV vorgesehene Lohnerhöhung von Fr. 40.- pro Monat (von Fr. 1060.-- auf Fr. 1100.--) unbeachtlich, da der Beschwerdeführer zu dieser Zeit bereits den ihm nach GAV zustehenden Minimallohn erhalten habe. Art. 13 GAV sieht ausdrücklich vor, dass sich die periodischen Gehaltserhöhungen auf den effektiv bezahlten Lohn zu beziehen haben. Es geht nicht an, eine über das geforderte Mindestmass hinausgehende Lohnerhöhung auf künftige gesamtarbeitsvertragliche Gehaltsanpassungen anzurechnen. Die entgegengesetzte Auffassung des Gerichtspräsidiums Höfe und der Justizkommission des Kantons Schwyz steht mithin im Widerspruch zum klaren Wortlaut von Art. 13 GAV und verletzt demnach klares Recht; die Beschwerde ist daher gutzuheissen, und die angefochtenen Entscheide sind aufzuheben.
In der Vergleichsrechnung ist nach dem Gesagten vom effektiven Monatslohn von Fr. 1100.-- auszugehen. Laut GAV hätte sich dieses Gehalt vom September 1965 an um Fr. 40.- auf Fr. 1140.--, vom April 1966 an um weitere Fr. 40.- auf Fr. 1180.-- und vom April 1967 an um Fr. 60.- auf Fr. 1240.-- erhöht. Berücksichtigt man die tatsächlichen Lohnerhöhungen auf Juni 1966 (Fr. 50.-) und auf April 1967 (Fr. 55.-), so ergibt sich daraus ein Guthaben des Beschwerdeführers von Fr. 915.--. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
67f5f4df-af23-4215-b145-d4f72664a306 | Urteilskopf
102 II 53
8. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Januar 1976 i.S. Aktiengesellschaft X. gegen Gesellschaft A. | Regeste
1. Art. 43 Abs. 1 und 55 Abs. 1 lit. c OG. Gegen Entscheide, die auf kantonalem Recht beruhen, ist die Berufung nur zulässig, wenn der kantonale Gesetzgeber bei der Regelung der Frage verpflichtet war, auf Bundesrecht Rücksicht zu nehmen (Erw. 1).
2.
Art. 2 ZGB
setzt der Anwendung des kantonalen Rechts keine Schranken (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 102 II 53 S. 53
A.-
D. erwarb im Dezember 1971 bei einer Schweizer Bank auf 10'000 US-Dollars lautende Reise-Checks der Gesellschaft A., die ihren Sitz in New York hat. Er liess den Preis dem Konto der in Vaduz niedergelassenen Aktiengesellschaft X. belasten. Die Checks kamen ihm in Rom abhanden und wurden einige Tage später von Unbekannten bei Banken im Ausland eingelöst.
Im September 1974 klagte die Aktiengesellschaft X. beim Gerichtspräsidenten von Saanen gegen die Gesellschaft A. auf Zahlung von Fr. 39'491.-- nebst Zins und Kosten. Sie machte geltend, das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien unterstehe gemäss
Art. 1140 OR
dem Rechte der Vereinigten Staaten,
BGE 102 II 53 S. 54
weshalb die Berufung an das Bundesgericht nicht möglich sei und Art. 7 Abs. 2 bern. ZPO, wonach für berufungsfähige vermögensrechtliche Streitigkeiten in der Regel der Appellationshof einzige kantonale Instanz ist, nicht zutreffe.
B.-
Der Gerichtspräsident von Saanen hielt sich sachlich für unzuständig, weil schweizerisches Recht jedenfalls als Ersatzrecht anwendbar, die Sache daher berufungsfähig sei. Er wies die Klage ohne Prüfung zurück.
Auf Appellation der Klägerin hin entschied der Appellationshof des Kantons Bern am 11. November 1975 im gleichen Sinne.
C.-
Die Klägerin ficht das Urteil des Appellationshofes mit der Berufung an. Sie beantragt, es aufzuheben und die Sache zur weitern Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Gegenstand der beiden kantonalen Entscheide und folglich der Berufung ist nur, ob die Klage beim Gerichtspräsidenten angebracht werden durfte oder ob gemäss
Art. 7 Abs. 2 ZPO
als einzige kantonale Instanz der Appellationshof zuständig sei. Diese Frage untersteht dem kantonalen Prozessrecht (
Art. 64 Abs. 3 BV
) und darf daher vom Bundesgericht auf Berufung hin nicht überprüft werden (
Art. 43, 55 Abs. 1 lit. c OG
).
Dass die sachliche Zuständigkeit der kantonalen Instanzen davon abhängt, ob bei materieller Beurteilung die Berufung an das Bundesgericht zulässig wäre, ändert nichts. Das ist zwar eine Vorfrage des eidgenössischen Rechts. Eine solche macht aber die Berufung gegen einen auf kantonalem Recht beruhenden Entscheid nur möglich, wenn der kantonale Gesetzgeber verpflichtet ist, dem eidgenössischen Recht Rechnung zu tragen (
BGE 80 II 183
,
BGE 84 II 133
,
BGE 85 II 364
,
BGE 96 II 63
,
BGE 101 II 170
). Das trifft hier nicht zu. Das Bundesrecht bestimmt nicht, der Kanton müsse zur Beurteilung vermögensrechtlicher Klagen der vorliegenden Art im Falle der Berufungsfähigkeit der Sache eine einzige Instanz, andernfalls dagegen deren zwei einsetzen. Dass die vorliegende Klage zur Aufrechterhaltung eines Arrestes eingereicht wurde, ist unerheblich.
BGE 102 II 53 S. 55
Auch für solche Klagen regelt ausschliesslich das kantonale Recht die sachliche Zuständigkeit des kantonalen Richters, wie es übrigens (s.
BGE 85 II 363
, 91 II 45,
BGE 95 II 206
) auch für den örtlichen Gerichtsstand allein massgebend ist.
Damit ist zugleich gesagt, dass das eidgenössische Recht nicht gebietet, wie der von
Art. 7 Abs. 2 ZPO
verwendete Begriff der "vermögensrechtlichen Streitigkeiten, welche der Berufung an das Bundesgericht fähig sind", auszulegen sei. Es ist eine Frage des kantonalen Rechts, ob die Berufungsfähigkeit im Sinne dieser Bestimmung schon dann gegeben ist, wenn, wie im vorliegenden Fall, das Bundesgericht auf Berufung gegen das Sachurteil hin wird entscheiden müssen, ob ausländisches oder schweizerisches Recht anzuwenden sei, oder nur dann, wenn das streitige Rechtsverhältnis dem schweizerischen Recht untersteht und das Bundesgericht den Streit daher auch im übrigen wird beurteilen können.
2.
Die Klägerin erachtet die Einrede der Beklagten, der Gerichtspräsident sei sachlich nicht zuständig, als rechtsmissbräuchlich.
Auch auf diese Rüge kann nicht eingetreten werden.
Art. 2 ZGB
setzt nur der Berufung auf eidgenössisches Recht eine Schranke, nicht auch der Anwendung des kantonalen Rechtes (
BGE 44 II 445
,
BGE 79 II 405
Erw. 5,
BGE 83 II 351
Erw. 3,
BGE 84 II 642
,
BGE 85 II 151
). | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
67f6f1c7-2859-44d2-8e6e-6185e24d69c7 | Urteilskopf
105 IV 336
85. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 9 octobre 1979 dans la cause M. contre Procureur général du canton de Berne (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 35 Abs. 2 SVG
.
a) Wer vor dem Überholen einer Autokolonne nicht die Gewissheit hat, dass ihm genügend Platz bleiben wird, um am Ende der für ihn überblickbaren Überholstrecke wieder rechtzeitig einbiegen zu können, macht sich der Verletzung dieser Bestimmung schuldig (Erw. 2).
b) Der Sicherheitsabstand gemäss
Art. 12 Abs. 1 VRV
zwischen zwei Fahrzeugen allein darf für denjenigen, der eine Fahrzeugkolonne überholt und wieder einbiegen will, nicht schon als ausreichend betrachtet werden (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 336
BGE 105 IV 336 S. 336
A.-
Le 2 septembre 1978, vers 8 h, M. circulait de Reconvilier en direction de Tavannes, dernier d'une colonne de sept voitures. A l'entrée de Tavannes, le premier automobiliste, dont l'identité est demeurée inconnue, a bifurqué à droite dans la rue de l'Orgerie. Les deux véhicules qui le suivaient sont
BGE 105 IV 336 S. 337
parvenus à s'immobiliser, mais celui de M. qui venait de dépasser trois des voitures qui le précédaient et qui venait de réintégrer la file sans dommage, fut tamponné par la voiture arrivant derrière lui et projeté sur la dernière de celles arrêtées devant lui. Il s'en est suivi une collision en chaîne au cours de laquelle cinq véhicules ont été endommagés.
B.-
M. ayant fait opposition au mandat de répression dont il avait été l'objet, il a comparu le 28 mars 1979 devant le Président e. r. du Tribunal I du district de Moutier, qui l'a reconnu coupable d'infractions à la LCR, notamment aux art. 26 al. 1, 34 al. 4, 35 al. 2, 3 et 4 et 90 ch. 1 et qui l'a condamné à 100 fr. d'amende. M. ayant fait appel, la première Chambre pénale de la Cour suprême du canton de Berne, statuant le 23 mai 1979, l'a libéré de la prévention d'infractions aux art. 34 al. 4 et 35 al. 3 et 4 LCR et, le reconnaissant coupable de violation de l'
art. 35 al. 2 LCR
, elle l'a derechef condamné à une amende de 100 fr., tout en réduisant de moitié les frais de justice mis à sa charge.
C.-
M. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral; il conclut à libération pure et simple en faisant valoir que lorsqu'il s'est rabattu après avoir effectué son dépassement, il avait l'espace libre pour le faire sans gêner les autres véhicules de la file.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Dans le cadre d'un pourvoi en nullité, le Tribunal fédéral est lié par les constatations de l'autorité cantonale, c'est pourquoi les moyens du recourant sont irrecevables dans la mesure où ils consistent dans l'allégation de faits ne coïncidant pas avec ceux retenus dans la décision attaquée (art. 273 al. 1 lettre b et 277bis al. 1 PPF).
2.
Ainsi que l'a pertinemment démontré l'autorité cantonale, lorsque le recourant a entrepris son dépassement, à proximité d'un dos-d'âne aux abords duquel la route était munie d'une ligne de sécurité, il sautait aux yeux qu'il ne pourrait dépasser d'un coup les six véhicules roulant devant lui à 60 km/h avant le début de l'interdiction de dépasser. Preuve en est qu'au moment où il a réintégré la file, à 100 ou 200 m du dos-d'âne, il restait encore trois voitures devant lui. Il ne pouvait en conséquence entreprendre sa manoeuvre en respectant les prescriptions de l'
art. 35 al. 2 LCR
que s'il avait la certitude
BGE 105 IV 336 S. 338
de pouvoir reprendre place dans la file sans entraver la circulation des autres véhicules (cf.
ATF 86 IV 115
,
ATF 91 IV 205
,
ATF 93 IV 63
et
ATF 95 IV 175
, tous cités par l'autorité cantonale). Dés lors qu'il a été constaté en fait que le recourant a commencé sa manoeuvre sans avoir la certitude qu'un espace suffisant entre deux voitures de la colonne lui permettrait de se rabattre à temps, il se serait rendu coupable de contravention à l'
art. 35 al. 2 LCR
, même si en fin de compte il avait bénéficié d'un tel espace. En effet, celui qui veut effectuer le dépassement d'une colonne de véhicules doit s'assurer que les conditions mises à cela par la loi sont réunies au moment où il amorce sa manoeuvre. Si ces conditions ne sont pas réunies, on ne saurait admettre qu'il s'engage malgré tout en se fiant à sa bonne étoile pour être en mesure de réintégrer la file à temps.
3.
Le recourant soutient il est vrai que l'espace nécessaire existait bien en réalité. Il en veut pour preuve qu'une "distance réglementaire de 2 secondes" (soit 16,6 m à 60 km/h) séparait les véhicules entre lesquels il est venu s'intercaler. Cet argument ne manque pas de témérité, mais il convient de le réfuter pour l'exemple.
Lorsqu'un automobiliste maintient entre lui et le véhicule qui le précède ce que le recourant dénomme une "distance règlementaire de deux secondes" (qualifiée de distance suffisante à l'
art. 12 al. 1 OCR
), conformément aux conseils prodigués par le BPA, c'est pour être en mesure de réagir à temps au cas où le véhicule devant lui s'arrêterait ou ralentirait fortement à l'improviste et pour éviter ainsi le risque d'une collision. Si un automobiliste peu scrupuleux profite de l'espace ainsi laissé libre pour entreprendre une manoeuvre de dépassement, il ne restera par définition plus de distance suffisante entre le premier automobiliste et celui qui est venu se glisser devant lui, ni entre celui-ci et le véhicule de tête. Il suffit pour s en convaincre de reprendre les chiffres indiqués par le recourant lui-même. En venant se placer avec une Citroën d'environ 4 m 10 de long au milieu d'un espace de 33 m 20, il ne pouvait laisser qu'une distance de 14 m 50 - manifestement insuffisante à 60 km/h - entre lui et les deux autres voitures entre lesquelles il est venu se placer. Quant à espérer que le véhicule derrière lui ralentirait pour laisser la distance s'accroître, le recourant ne pouvait le faire sans entraver du même coup l'usager de la route qu'il forçait à freiner. De plus, en l'occurrence, il faut encore tenir
BGE 105 IV 336 S. 339
compte du fait que cet usager était lui-même suivi d'autres véhicules qu'il ne fallait pas gêner dans leur circulation. On remarque enfin que si le recourant a lui-même freiné pour s assurer une distance de sécurité suffisante, cela lui a sans doute permis de s arrêter à temps quand il a fallu, mais il a ce faisant diminué encore l'espace le séparant du véhicule qui le suivait, provoquant ainsi directement l'accident.
Il est malheureusement très fréquent que des automobilistes téméraires ou simplement légers utilisent des espaces juste suffisants laissés libres entre eux par des conducteurs plus prudents et plus scrupuleux, soit lors de dépassements, soit, en particulier sur les autoroutes, pour changer de piste. Un tel comportement incite les usagers de la route à se suivre les uns les autres à une distance insuffisante, dans l'intention d'éviter d'être petit à petit relégués à la queue de la file. Cette réaction est, à son tour, la source d'innombrables collisions en chaîne. C'est pourquoi il convient de rejeter expressément l'argument du recourant selon lequel un automobiliste est autorisé à dépasser lorsque devant lui deux véhicules ne sont séparés que par une distance suffisante.
La position du recourant apparaît encore plus insoutenable si on part pour les calculs qui précèdent de l'autre chiffre - d'ailleurs non confirmé par l'autorité cantonale - sur lequel il fonde son argumentation. En effet, si l'espace dans lequel il est venu se rabattre avait bien été de 16 m 60, comme il le prétend dans son mémoire, il ne serait resté que 6 m 20 entre sa voiture et chacun des véhicules se trouvant devant et derrière lui. On ne peut raisonnablement soutenir que c'était suffisant.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
67f6f28f-88d4-4612-a1cd-e0b90bc40099 | Urteilskopf
106 V 219
49. Extrait de l'arrêt du 8 octobre 1980 dans la cause Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents contre Allenspach ainsi que Epars et Devaud S.A. et Cour de justice du canton de Genève | Regeste
Art. 103 lit. a OG
, 48 lit. a VwVG, 120 Abs. 1 lit. a KUVG und 9 Abs. 1 lit. a VO II. Beschwerderecht des Arbeitgebers, der seinem Angestellten den während der Krankheit zustehenden Lohn vorausbezahlt hat (Erw. 1).
Art. 61 Abs. 1 KUVG
. Zur Weiterführung der Versicherung eines vorübergehend im Ausland beschäftigten Versicherten; Voraussetzungen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 219
BGE 106 V 219 S. 219
A.-
La société Epars et Devaud S.A., qui a son siège à Genève, exploite un bureau d'ingénieurs civils. Elle fait partie d'un groupe dénommé SEP, qui a constitué une société FRISA avec siège à Lausanne et apparemment en Algérie, laquelle s'est associée avec l'Etat algérien pour former en ce pays la société SOMERI.
Gilbert Allenspach entra le 1er mars 1972 au service du bureau Epars et Devaud S.A., en qualité de dessinateur. Dès le 7 janvier 1974, il fut occupé en Algérie par FRISA et SOMERI, sans cesser d'être lié par contrat de travail à l'employeur primitif. Cette cession de main-d'oeuvre eut lieu aux conditions suivantes:
BGE 106 V 219 S. 220
Gilbert Allenspach était placé sous la direction de FRISA et SOMERI; FRISA lui versait en Algérie les 3/5 de son salaire; Epars et Devaud S.A. lui en versait les 2/5 en Suisse, mais en recevait remboursement de FRISA; sur ses versements en Suisse, Epars et Devaud S.A. paya des primes à la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents; l'activité de Gilbert Allenspach en Algérie devait durer jusqu'au 31 décembre 1975; elle fut prolongée jusqu'au 31 août 1976, mais prit fin prématurément le 28 juin 1976. Ce jour-là, la famille Allenspach fut victime dans son appartement de Misserghin (province d'Oran) d'une explosion due à une fuite de gaz propane. Les blessures subies par les quatre victimes nécessitèrent leur rapatriement et leur hospitalisation. Une fois guéri, le chef de famille demeura au service du bureau Epars et Devaud S.A.
FRISA annonça aussitôt le sinistre à son assurance, la Société suisse d'assurance contre les accidents à Winterthur, qui prit en charge le 80% de la perte de salaire subie par Gilbert Allenspach en Algérie à partir du 31e jour d'incapacité de travail. Epars et Devaud S.A. lui versa le salaire payable en Suisse durant sa maladie, soit ... fr. pour juillet et août 1976.
Plusieurs mois plus tard, le bureau Epars et Devaud S.A. s'aperçut de ce que ce dernier montant était resté à sa charge. Le 13 janvier 1978, il annonça l'accident à la Caisse nationale, afin qu'elle lui remboursât le 80% de ... fr. La caisse refusa par décision du 12 mai 1978 pour le motif que Gilbert Allenspach, travaillant à l'étranger pour un employeur étranger, n'était pas au bénéfice de l'assurance obligatoire suisse au moment de l'accident. Cet acte administratif fut notifié à Gilbert Allenspach, avec copie à Epars et Devaud S.A.
B.-
Agissant au nom de Gilbert Allenspach et du bureau d'ingénieurs Epars et Devaud S.A., leur avocat recourut contre la décision précitée. Fondé sur l'art. 61 al. 1 LAMA, il allégua que le sinistré était demeuré assuré auprès de la Caisse nationale pendant son séjour en Algérie et conclut à ce que l'intimée fût condamnée à payer aux demandeurs ... fr. avec intérêt à 5% dès le 12 mai 1978.
La Caisse nationale admit que ses deux adversaires avaient qualité pour recourir, mais soutint que le premier recourant n'était pas assuré quand se produisit l'accident non professionnel du 28 juin 1976.
BGE 106 V 219 S. 221
Par jugement du 8 mars 1979, la Cour de justice de Genève admit le recours et annula la décision attaquée. Selon la juridiction cantonale, on se trouverait bien en présence d'un cas d'application de l'art. 61 al. 1 LAMA.
C.-
La Caisse nationale a formé en temps utile un recours de droit administratif contre le jugement cantonal. Elle conclut au rétablissement de sa décision de refus du 12 mai 1978.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La Caisse nationale se demande si elle n'a pas eu tort d'admettre en première instance que le bureau Epars et Devaud S.A. avait qualité pour agir en justice contre la décision administrative contestée. Elle s'était fondée en cela sur l'art. 48 let. a PA, aux termes duquel a qualité pour recourir quiconque est touché par la décision et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit annulée ou modifiée. Mais elle a constaté ensuite, dit-elle, qu'en ce faisant elle s'était écartée de l'opinion jusque-là reçue, qui refuse la légitimation active à l'employeur. Et de renvoyer à MAURER (Recht und Praxis der Schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, 2e édition, p. 374) et à un arrêt publié dans la RCC 1979 p. 124. Elle ajoute cependant qu'il aurait appartenu à la Cour de justice de statuer d'office sur la question, et laisse au Tribunal fédéral des assurances le soin de la trancher.
MAURER, au passage cité, interprétait l'art. 120 al. 1 let. a LAMA, à une époque (1963) antérieure à l'entrée en vigueur de la Loi fédérale sur la procédure administrative (1er octobre 1969). Dans le premier volume de son "Schweizerisches Sozialversicherungsrecht" (1979), il déclare (en citant la jurisprudence de la Cour de céans) que l'art. 103 let. a OJ, qui ouvre la voie du recours de droit administratif à quiconque est atteint par la décision attaquée et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit annulée ou modifiée, est applicable par analogie au procès de première instance, dans la mesure où nulle disposition du droit fédéral ne s'en écarte expressément. Il ajoute que l'art. 48 let. a PA correspond mot pour mot à l'art. 103 let. a OJ et ne s'applique pas non plus directement au recours au juge de première instance en matière d'assurances sociales, mais tout au plus par analogie (pp. 489-490 et note 1083).
Quant à l'arrêt RCC 1979 p. 124, dont la recourante tire
BGE 106 V 219 S. 222
argument, il déclare que l'agent d'exécution d'une mesure refusée par l'assurance-invalidité n'a pas qualité pour recourir à la juridiction cantonale contre ce refus. En effet, le Tribunal fédéral des assurances, qui appliqua par analogie l'art. 103 let. a OJ, nia que ledit agent eût un intérêt digne d'être protégé. Or on ne saurait guère comparer, dans l'assurance-accidents, l'employeur qui a payé un salaire à son collaborateur malade, d'une part, à l'agent d'exécution d'une mesure de l'assurance-invalidité, d'autre part.
Si la Caisse nationale est un établissement fédéral autonome, soumis en principe à la Loi fédérale sur la procédure administrative (art. 41 LAMA et 1er al. 2 let. c PA), seuls les
art. 34 à 38
et 61 al. 2 et 3, concernant la notification, et l'art. 55 al. 2 et 4, concernant le retrait de l'effet suspensif, de cette dernière s'appliquent à la procédure devant les autorités cantonales de dernière instance qui ne statuent pas définitivement en vertu du droit fédéral (sous réserve encore de l'art. 97 al. 2 LAVS dans sa teneur dès le 1er janvier 1979; art. 1er al. 3 PA). L'art. 48 let. a PA - ou son homologue l'art. 103 let. a OJ - ne s'y applique donc que par analogie, si aucune disposition du droit fédéral ne s'en écarte expressément. Comme les art. 120 al. 1 let. a LAMA et 9 al. 1 let. a Ord. II sur l'assurance-accidents ne s'écartent pas expressément des art. 48 let. a PA et 103 let. a OJ, il n'y a pas lieu d'exclure l'employeur de l'assuré du rôle des personnes habilitées à recourir contre les décisions de la Caisse nationale, du moins dans des cas tels que celui qui est déféré aujourd'hui au Tribunal fédéral des assurances. En effet, l'employeur qui a payé les primes d'assurance et avancé le salaire d'un employé en cas d'accident est à l'évidence touché par une décision contestant à ce dernier la qualité d'assuré et a un intérêt digne de protection à la voir annulée (voir l'art. 324b CO).
En définitive, la Cour de justice a eu raison d'accorder au bureau Epars et Devaud S.A. la qualité de recourant.
2.
...
3.
Aux termes de l'art. 61 al. 1 LAMA, l'assuré passagèrement occupé à l'étranger reste au bénéfice de l'assurance quand il ne change pas d'employeur.
a) Suivant le Guide de l'assurance obligatoire contre les accidents, à l'usage des chefs d'entreprises et des assurés, qu'elle a publié, la Caisse nationale admet communément comme passager un séjour qui dure trois ans ou moins (ch. 27 p. 14/15).
BGE 106 V 219 S. 223
En l'espèce, Gilbert Allenspach devait travailler en Algérie du 7 janvier 1974 au 31 août 1976 mais ne l'a fait que jusqu'au 28 juin 1976. Le caractère passager de l'occupation n'est donc pas contestable.
b) Reste à savoir si l'intimé, en passant de Suisse en Algérie, est censé avoir ou n'avoir pas changé d'employeur. Les arrêts cités par les parties ne sont guère utiles pour interpréter la proposition finale de l'art. 61 al. 1 LAMA au regard des circonstances du cas particulier. La doctrine ne paraît pas s'être préoccupée de cette question (MAURER, Recht und Praxis, p. 61 ch. 2; Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, p. 204 let. b).
En mai 1978, la Caisse nationale émit des "instructions concernant l'assurance-accidents obligatoire des travailleurs occupés passagèrement à l'étranger", qui renseignent sur sa pratique dans ce domaine, s'agissant d'Etats - comme l'Algérie - avec lesquels la Suisse n'a pas conclu de convention en matière de sécurité sociale. Suivant ladite pratique:
"1.2.1. L'assurance est prolongée pour tous les séjours à l'étranger si les conditions suivantes sont remplies simultanément:
- Un rapport de travail doit exister entre le travailleur et une entreprise soumise à l'assurance. Avant son départ à l'étranger, le travailleur doit avoir été occupé dans cette entreprise suisse.
- Même pendant son activité à l'étranger - par ex. pour l'entreprise qui l'envoie ou pour une de ses succursales ou encore pour un consortium auquel il a été "prêté" -, le travailleur doit demeurer dans un rapport de travail à l'égard de l'entreprise qui le dépêche et pouvoir toujours faire valoir un droit à un salaire envers cette dernière.
- L'activité à l'étranger doit être de nature passagère: le séjour ne doit pas durer plus de 6 ans et, une fois terminée son activité à l'étranger, le travailleur doit reprendre en Suisse son emploi dans l'entreprise qui l'avait envoyé à l'étranger. Si, avant son envoi à l'étranger, le travailleur a son domicile en Suisse ou est frontalier, on suppose - pour autant qu'aucun autre arrangement n'a été conclu - qu'il reprendra, après son retour, son occupation dans l'entreprise qui l'a envoyé à l'étranger; dans les autres cas, cette reprise doit être convenue par écrit et être digne de foi."
Autrement dit, pour la Caisse nationale, les mots "quand il ne change pas d'employeur" figurant à la fin de l'art. 61 al. 1 LAMA impliquent: a) que le travailleur ait été assuré en Suisse par un employeur assujetti dans ce pays à l'assurance obligatoire, avant d'être envoyé par lui à l'étranger; b) qu'après avoir achevé son stage à l'étranger, le travailleur doive reprendre son emploi auprès de l'employeur mentionné sous let. a; c) que,
BGE 106 V 219 S. 224
pendant son activité à l'étranger, le travailleur demeure dans un rapport de travail à l'égard de l'entreprise qui le dépêche et puisse faire valoir un droit à un salaire envers cette dernière, même s'il exerce cette activité pour une succursale de l'employeur suisse ou pour un consortium auquel celui-ci l'a prêté.
La condition a) est remplie en l'occurrence. La condition b) est elle aussi réalisée; elle l'eût été également si l'accident avait empêché l'assuré de reprendre son activité en Suisse, par la suite. Quant à la condition c), qui tend à ne pas priver de la possibilité de rester assuré en Suisse les nombreux travailleurs détachés dans des pays dont la législation - comme c'est le cas de l'Algérie - n'admet pas l'intervention directe d'entreprises étrangères sur le territoire national, elle ne saurait être interprétée de telle façon que la Caisse nationale doive intervenir pour des sinistres intéressant des gens sur lesquels l'employeur suisse a perdu toute influence et qu'il ne peut plus contrôler. Or, dans la présente espèce, Gilbert Allenspach ne dépendait plus guère du bureau Epars et Devaud S.A. pendant son séjour en Afrique du Nord. En effet, le seul lien qu'il avait conservé avec cet employeur - bien qu'il lui garantît son emploi pendant son stage à l'étranger - consistait en le paiement dans notre pays de 2/5 du salaire convenu. Mais les montants payés à ce titre étaient remboursés à Epars et Devaud S.A. par FRISA, qui apparaît bien dès lors, avec SOMERI, avoir été l'unique employeur de l'intimé (cf. aussi MAURER, Recht und Praxis, pp. 52 ss et la jurisprudence citée). Ces deux dernières entreprises n'étaient pas assujetties à l'assurance-accidents obligatoire. La troisième des conditions examinées ci-dessus n'était ainsi pas remplie et c'est donc à tort que la Cour de justice a considéré que Gilbert Allenspach avait qualité d'assuré le 28 juin 1976, alors qu'il travaillait en Algérie.
4.
La Caisse nationale paraît avoir remboursé au bureau Epars et Devaud S.A. les primes d'assurance payées à tort.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est admis, le jugement attaqué étant annulé. | null | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
68011d1d-0aac-4f91-8d75-3ce86c2345dc | Urteilskopf
102 III 20
5. Arrêt du 23 février 1976 dans la cause B. S.A. | Regeste
Art. 959 Abs. 2 ZGB
.
Das im Grundbuch vorgemerkte Kaufsrecht wirkt (auch) gegenüber einer späteren Pfändung (Änderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 20
BGE 102 III 20 S. 20
A.-
a) Le 8 octobre 1973, la société anonyme B. S.A. (ci-après B. S.A.) a, dans le cadre de la poursuite No 308356 dirigée contre Z., alors domicilié à Genève, requis la saisie des biens du débiteur. Elle a participé ainsi à une saisie mobilière opérée le 26 septembre 1973. A cette occasion, Z. a déclaré qu'il n'avait pas d'autres biens que ceux saisis à son domicile. En raison de l'insuffisance de la saisie, le procès-verbal a eu valeur d'acte de défaut de biens (
art. 115 al. 2 LP
).
b) Z. était propriétaire d'un chalet dans la commune de Gingins, district de Nyon. Le 30 octobre 1973, il a accordé à
BGE 102 III 20 S. 21
B. un droit d'emption sur l'immeuble. Le prix de vente convenu était de 120'000 fr. Un acompte de 40'000 fr. a été versé comptant. Les modalités de paiement suivantes étaient prévues pour le solde du prix: 50'000 fr. seraient payés par reprise d'une cédule hypothécaire en premier rang, tandis que 30'000 fr. seraient versés en espèces le jour de l'acte de vente. Ce droit d'emption, dont l'échéance était fixée au 28 février 1974, a été annoté au Registre foncier le 6 novembre 1973.
c) Le 14 novembre 1973, B. S.A. a requis et obtenu le séquestre de l'immeuble. La restriction au droit d'aliéner consécutive à ce séquestre a été annotée au Registre foncier le 16 novembre 1973. Le séquestre a été validé en temps utile par une poursuite (No 372478) restée sans opposition.
Le procès-verbal de séquestre, notifié le 28 novembre 1973, indiquait que l'immeuble était grevé d'hypothèques, constituées le 17 mai 1972, pour un montant nominal de 85'000 fr. et mentionnait l'existence du droit d'emption accordé par Z., en précisant la date du pacte et les conditions prévues pour la vente.
d) L'immeuble a en outre été saisi le 26 novembre 1973 à la requête d'autres créanciers; la poursuite No 372478 a participé à cette saisie dès le 21 mai 1974. Le procès-verbal y relatif, expédié le 30 mai 1974, fait état d'une lettre du notaire de B. du 19 mars 1974. Le notaire informait l'Office que, B. ayant exercé son droit d'emption, l'acte de vente avait été instrumenté le 22 février 1974 et le contrat déposé au Registre foncier le 1er mars 1974. Il ajoutait:
"Lors de la signature de l'acte de vente, il était dû aux créanciers hypothécaires ... 89'653 fr. au total.
Selon le pacte d'emption, l'acquéreur redevait au vendeur 80'000 fr. Il manquait donc 9'653 fr. pour rembourser les dettes hypothécaires.
Sur ce montant, M. Z. a versé un acompte de 4'700 fr., le solde manquant pour le remboursement des créanciers hypothécaires, soit 4'953 fr., a été avancé par moi-même.
En conséquence, il ne restait aucun fonds disponible, bien au contraire, qui puisse être frappé de séquestre."
e) Le 15 août 1974, le notaire de B. a invité l'Office des poursuites de Genève à requérir la radiation des restrictions du droit d'aliéner résultant du séquestre et des saisies opérées postérieurement à l'annotation du droit d'emption. B. S.A. s'est opposée à la radiation. Les 19 décembre 1974 et 14 janvier
BGE 102 III 20 S. 22
1975, elle a demandé la vente de l'immeuble. Par lettre du 4 mars 1975, l'Office des poursuites de Genève a chargé celui de Nyon de la réalisation.
Le 21 mai 1975, au terme d'un long échange de correspondance entre les intéressés et les Offices, l'Office des poursuites de Nyon a informé celui de Genève qu'il ne pouvait pas donner suite à la réquisition du 4 mars 1975. Le 23 juin 1975, l'Office de Genève a avisé B. S.A. qu'il se ralliait au point de vue de l'Office de Nyon: il rejetait donc la réquisition de vente des 19 décembre 1974/14 janvier 1975 et invitait l'Office de Nyon à demander au Registre foncier la radiation des annotations dans les saisies Nos 314031 et 372478.
f) B. S.A. a porté plainte contre cette décision auprès de l'Autorité de surveillance des Offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève.
B.-
La plainte a été rejetée le 14 janvier 1976. L'autorité cantonale de surveillance a considéré que le droit d'emption concédé à B. l'emportait sur tout droit postérieurement acquis sur l'immeuble.
C.-
B. S.A. recourt contre cette décision. Elle demande au Tribunal fédéral de l'annuler, d'inviter l'Office des poursuites de Genève à donner suite à la réquisition de vente immobilière et de dire qu'il n'y a pas lieu de requérir la radiation de l'annotation dans les séries Nos 314031 et 372478.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'
art. 959 al. 2 CC
, les droits personnels, tel que le droit d'emption, deviennent opposables à tout droit postérieurement acquis sur l'immeuble quand ils ont été annotés au Registre foncier dans les cas expressément prévus par la loi. Dans un arrêt Leupin contre Desponds, du 15 septembre 1921, le Tribunal fédéral a restreint la portée de cette disposition légale. En édictant la règle énoncée par l'
art. 959 al. 2 CC
, a-t-il dit, le législateur n'a pas entendu qu'un immeuble frappé d'un droit d'emption fût soustrait au droit de poursuite des créanciers du propriétaire; le titulaire d'un droit d'emption doit tenir compte de la situation créée par la saisie de l'immeuble frappé de ce droit et dès lors, avant de l'exercer, solliciter l'autorisation de l'Office (
ATF 47 III 139
/140).
BGE 102 III 20 S. 23
Cette jurisprudence a été, à juste titre, critiquée par la doctrine (HAAB, n. 6-9 ad
art. 683 CC
; HOMBERGER/MARTI, Fiche juridique suisse 432 p. 3; REHFOUS, SJ 1965, pp. 334/335; cf. HOMBERGER, n. 20 et 30 ad
art. 959 CC
). Le pacte d'emption est une vente sous condition suspensive. En le concluant, le propriétaire a disposé de la chose. Il ne manque plus, pour que la vente soit parfaite, qu'une déclaration du bénéficiaire, exprimant unilatéralement sa volonté de faire exécuter le pacte (MEYER-HAYOZ, n. 59 ad
art. 683 CC
; LEEMANN, 2e éd. n. 22 ad
art. 683 CC
; cf.
ATF 56 I 198
consid. 2). Les actes de poursuite opérés postérieurement à l'annotation du droit d'emption ne peuvent empêcher la vente de se parfaire par l'exercice de ce droit (cf. HOMBERGER, n. 20 ad
art. 959 CC
; HAAB, n. 9 ad
art. 683 CC
; HOMBERGER/MARTI, Fiche juridique suisse 432, p. 3). Le propriétaire qui, pendant l'exécution forcée, donne suite à la déclaration d'emption ne tombe pas sous l'interdiction édictée par l'
art. 96 al. 1 LP
; le consentement de l'Office des poursuites n'a donc pas à être requis par le titulaire qui veut exercer son droit d'emption (contra, apparemment, MEYER/HAYOZ, n. 60 ad
art. 683 CC
, qui se borne cependant à citer
ATF 47 III 139
/140, sans prendre position au sujet des critiques formulées par la doctrine).
Tant que le droit d'emption n'a pas été exercé, les créanciers peuvent demander la réalisation forcée de l'immeuble, qui est toujours propriété du débiteur. Si le titulaire du droit d'emption ne se prévaut pas de son droit pendant l'exécution, l'immeuble sera adjugé à l'amateur qui mise; comme l'annotation et sa contre-prestation prévue par le pacte sont déléguées à l'adjudicataire, le prix offert ne sera évidemment pas supérieur à celui auquel l'acquéreur risque de devoir remettre l'immeuble en cas d'exercice du droit d'emption. En revanche, si, comme en l'espèce, le bénéficiaire fait usage de son droit avant la réalisation, l'immeuble n'est plus soumis à la saisie (HAAB, n. 9 ad
art. 683 CC
; HOMBERGER/MARTI, Fiche juridique suisse 432, p. 3). L'Office des poursuites de Genève était donc fondé à rejeter la réquisition de vente et à inviter l'Office de Nyon à demander la radiation des restrictions du droit d'aliéner résultant des saisies opérées postérieurement à l'annotation du droit d'emption. On ne voit d'ailleurs pas comment la réalisation pourrait avoir lieu pratiquement, alors que B. a fait usage de son droit d'emption; l'acquéreur devrait
BGE 102 III 20 S. 24
lui céder l'immeuble, et cela sans contrepartie, car B. a déjà payé le prix de vente.
2.
Quand, ensuite de l'exercice du droit d'emption par le titulaire, l'immeuble échappe à la saisie, celle-ci ne peut plus porter que sur la créance du propriétaire en paiement du prix de vente (HAAB, n. 9 ad
art. 683 CC
; HOMBERGER/MARTI, Fiche juridique suisse 432, p. 3). Le titulaire du droit d'emption, qui a connaissance de la saisie par la restriction du droit d'aliéner annotée au Registre foncier, est responsable de ce que le prix d'achat revienne au créancier, respectivement à l'Office des poursuites. Mais, en l'espèce, il ne pouvait être question de saisir la créance de Z. En effet, le montant à payer lors de l'exercice du droit ne suffisait même pas à couvrir les charges hypothécaires, antérieures à la saisie. Quant à l'acompte de 40'000 fr., il avait été versé avant qu'eût lieu la saisie et que la restriction du droit d'aliéner en découlant fût annotée au Registre foncier.
Ainsi, dès le moment où B. a fait usage de son droit d'emption, la saisie n'avait plus d'objet.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours. | null | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
680a57d3-daa5-4696-b0a0-68f935c10503 | Urteilskopf
101 Ib 277
51. Sentenza del 2 luglio 1975 nella causa Ferrovie federali svizzere contro Plastex di Alberto Greco | Regeste
I. Verfahrensrechtliche Fragen.
1.
Art. 20 EBG
. Die Entschädigungspflicht der Bahnunternehmung gegenüber Dritten wird sowohl durch die materiellen wie durch die verfahrensrechtlichen Bestimmungen der Bundesgesetzgebung über die Enteignung beherrscht. Sachliche Zuständigkeit der Eidg. Schätzungskommission. Möglichkeit, sie direkt anzurufen (Erw. 2).
2. Materielle Enteignung: Der Entschädigungsanspruch entsteht von Gesetzes wegen in dem Zeitpunkt, da das Gemeinwesen die die Rechte des Eigentümers einschränkende Massnahme annimmt (Erw. 3b).
II. Materielle Fragen.
3. Verjährung der Ansprüche aus den
Art. 18 und 20 EBG
. Das EBG schweigt sich hierüber aus. Analoge Anwendung anderer Gesetze (Erw. 5a-b).
4. Wird ein Tauschvertrag, durch den die Nachteile aus der materiellen Enteignung ausgeglichen werden sollen, durch das Privatrecht oder - als verwaltungsrechtlicher Vertrag - durch das öffentliche Recht beherrscht? Frage offen gelassen. - Schliesst der Abschluss eines derartigen Vertrages durch den Enteigneten den Verzicht ein, später weitere Ansprüche geltend zu machen? Die Frage wurde verneint, indem der Vertrag im Lichte des Grundsatzes des guten Glaubens ausgelegt wurde (Erw. 6).
5.
Art. 18, 40 lit. a EBG
: Die Anfechtung des Bauverbotes ist ein Recht und nicht eine Pflicht, die erfüllt sein müsste, um Schadenersatzansprüche geltend machen zu können (Erw. 7).
6. Die von der Rechtsprechung entwickelte Regel, wonach dann, wenn ein Grundstück nur teilweise mit einem Bauverbot belegt wird, bei der Prüfung der Frage, ob eine materielle Enteignung vorliege, die Lage mit Bezug auf das ganze Grundstück in Betracht zu ziehen ist, gilt nicht absolut; vielmehr ist allfälligen Besonderheiten Rechnung zu tragen (Erw. 9b).
7. Temporärer Charakter eines Verbotes: Der temporäre Charakter eines Verbotes muss im Zeitpunkt, da die die Rechte des Eigentümers einschränkende Massnahme angenommen wird, augenfällig sein; er darf sich nicht erst aus späteren Ereignissen ergeben (Erw. 9c). | Sachverhalt
ab Seite 279
BGE 101 Ib 277 S. 279
A.-
Alberto Greco, titolare della ditta individuale "Plastex", acquistò nell'ottobre 1961 il fondo n. 848 RFP del comune di Manno, con l'intenzione di erigervi una fabbrica. Dopo aver rilasciato, il 25 marzo 1962, il permesso di massima, il Municipio di Manno accordò la licenza edilizia l'11 aprile successivo. Il Dipartimento delle opere sociali del Cantone Ticino accordò a sua volta il permesso cantonale, dopo aver raccolto il preavviso dell'Ispettorato federale delle fabbriche e dell'INSAI.
BGE 101 Ib 277 S. 280
B.-
Avvertito verbalmente che il suo disegno poteva collidere con progetti ferroviari, concernenti il collegamento fra la futura stazione merci del Vedeggio e la stazione di Taverne, Alberto Greco inviò i progetti della fabbrica alla Direzione del II circondario delle FFS. Con lettera del 12 giugno 1962, le FFS comunicavano a Greco che il mappale 848 di Manno era compreso nella zona riservata per il futuro scalo merci di Lugano, per cui ai sensi dell'art. 18 della legge federale sulle ferrovie del 20 dicembre 1957 il progetto soggiaceva all'approvazione dell'autorità ferroviaria, in assenza della quale i lavori non potevano iniziare. Nel corso di successive trattative, le FFS offrirono a Greco di comperargli il fondo, oppure di permutarlo con altro di loro proprietà. Un'intesa fu raggiunta già il 27 luglio 1962. In tale data, le FFS scrivevano a Greco di esser d'accordo di scambiare la particella 848 contro il fondo n. 62 1/4 p e di autorizzare l'immediato inizio dei lavori di costruzione su quest'ultima particella, ancor prima del perfezionamento delle pratiche di trapasso.
L'atto pubblico di permuta fu stipulato soltanto il 27 marzo 1963. Ciò per la ragione che, mentre Greco desiderava che la questione del risarcimento di ulteriori pregiudizi, che pretendeva aver subito, restasse quantomeno aperta, impregiudicata la posizione delle FFS, le ferrovie esigevano che nel contratto si riconoscesse che con la permuta ogni pretesa di Greco era liquidata. Per finire, nessuna clausola, né di riserva né di tacitazione fu inserita nell'atto che documenta soltanto lo scambio delle due particelle.
Trattative per la liquidazione degli ulteriori danni fatti valere da Greco non diedero esito alcuno.
C.-
Con istanza del 12 maggio 1966 Greco si rivolse alla Commissione federale di stima del VII (ora 13o) circondario (CFS), facendo valere nei confronti delle FFS pretese per complessivi Fr. 70'726.90, di cui Fr. 18'881.20 per l'abbandono del primitivo progetto, Fr. 1'845.70 per spese di impianto di cantiere e l'inizio degli scavi sul fondo 848, e Fr. 50'000.-- per mancato guadagno derivante dal ritardo della messa in attività della fabbrica.
Le FFS chiedevano alla CFS di non entrare nel merito, rispettivamente di respingere la pretesa per carenza evidente di fondamento, sollevavano l'eccezione di prescrizione e contestavano l'esistenza di un danno.
BGE 101 Ib 277 S. 281
Con decisione del 3 gennaio 1972 la CFS ha condannato le FFS a pagare a Greco Fr. 18'881.20 a dipendenza delle spese di progettazione, e Fr. 1'500.-- per rimborso delle spese di impianto di cantiere, e respinto ogni ulteriore pretesa.
D.-
Con tempestivo ricorso di diritto amministrativo le FFS chiedono che, in riforma dell'impugnata decisione, non si entri nel merito dell'esame della domanda di indennità, rispettivamente che questa venga respinta integralmente e, in via subordinata, parzialmente.
E.-
La causa solleva alcune questioni di principio, dalla cui soluzione dipende un'eventuale ulteriore istruttoria. Per economia di giudizio il Tribunale federale si pronuncia su di esse con giudizio parziale.
Erwägungen
Considerando in diritto:
I. Questioni di procedura
1.
In questa procedura il Tribunale federale applica il diritto d'ufficio. Esso è inoltre investito di poteri di vigilanza (
art. 63 LEspr
.). Ne deriva che esso deve accertare d'ufficio se la CFS aveva competenza in materia, e se le condizioni legali per l'esercizio di tale competenza erano adempiute (
DTF 96 I 192
consid. 3;
DTF 99 Ib 485
consid. 2a).
2.
a) L'
art. 64 LEspr
., che enumera le competenze "ratione materiae" della CFS, non contempla quella relativa a controversie come l'attuale. Tuttavia, come è stato sottolineato con la modifica del 18 marzo 1971, che ha completato il capoverso primo dell'
art. 64 LEspr
. con l'aggiunta del termine "segnatamente" (namentlich, notamment), l'enumerazione contenuta in quel disposto non è esaustiva (FF 1970, I 2 pag. 778).
b) Il litigio che oppone le parti ha tratto all'applicazione dell'art. 18 della legge federale sulle ferrovie del 20 dicembre 1957 (LFerr.) alla quale le FFS sottostanno in virtù dell'art. 4 cpv. 1 della legge federale del 23 giugno 1944 sulle FFS.
L'
art. 18 LFerr
. ha ripreso le disposizioni dell'art. 14 e relativi della cessata legge sulla costruzione e l'esercizio delle ferrovie del 23 dicembre 1872, concernenti l'approvazione dei piani di costruzione degli impianti ferroviari (cfr. Messaggio del Consiglio federale del 3 febbraio 1956, FF franc. 1956 I pag. 236 segg.; BBl 1956 I pag. 241 segg.). Rispetto alla legge
BGE 101 Ib 277 S. 282
del 1872 è nuova la disposizione secondo cui soggiacciono alla procedura di approvazione dell'
art. 18 LFerr
., oltre i piani ferroviari, anche i "piani di terzi intesi a costruzioni che toccherebbero fondi destinati all'esercizio ferroviario o che potrebbero nuocere alla sicurezza della ferrovia e al suo esercizio o allo sviluppo degli impianti ferroviari" (cfr. Messaggio, FF franc. 1956 I pagg. 237/38; BBl 1956 I pag. 242). La giurisprudenza del tribunale federale ha già precisato a tal proposito che, perché sia dato obbligo d'approvazione, occorre che il progetto del terzo sia suscettibile d'avere un'incidenza diretta sugli impianti o il traffico ferroviario (
DTF 98 Ib 480
consid. 3).
Dal canto suo, l'
art. 20 LFerr
. dichiara che l'obbligo dell'impresa ferroviaria di indennizzare - ricorrendo certe condizioni, su cui si tornerà oltre - i terzi per la violazione di loro diritti è "disciplinato dalla legislazione federale sull'espropriazione".
È palese che, con questa formulazione, il legislatore ha inteso dichiarare applicabili a codeste contestazioni le disposizioni di diritto materiale della legge sull'espropriazione. Meno evidente è se, con essa, il legislatore abbia anche sottoposto tali controversie alla procedura prevista dalla LEspr., ed in particolare radicato la competenza della Commissione federale di stima.
c) Secondo l'
art. 40 cpv. 2 LFerr
. il Tribunale federale è competente per giudicare quale istanza unica e secondo la procedura di diritto amministrativo (
art. 116 OG
), le controversie sorte nell'applicazione delle disposizioni del Capo IV della legge (di cui fan parte anche gli art. 18 e 20) e concernenti "le spese e la loro ripartizione e le indennità". Ma, a tal proposito, l'art. 40 cpv. 2 rinvia soltanto agli art. 19 cpv. 2, 21 cpv. 2 (ripartizione delle spese necessarie per l'adozione di misure di sicurezza nei confronti di opere pubbliche e, rispettivamente, di impianti privati), 25 a 32 (ripartizione delle spese per incroci con strade pubbliche e private, con altre ferrovie o altri impianti). Le controversie sgorganti dagli
art. 18 e 20 LFerr
. non sono menzionate. A meno di considerare il rinvio espresso nell'
art. 40 LFerr
. come incompleto, se ne deduce, a contrario, che la Commissione federale di stima è, in linea di principio, competente per giudicare delle pretese di indennità fondate sulle predette disposizioni.
BGE 101 Ib 277 S. 283
d) Tale conclusione si giustifica anche per motivi sostanziali e di sistematica legislativa.
Allorquando concerne piani ferroviari, la procedura di approvazione prevista dall'
art. 18 LFerr
. sfocia semplicemente in un permesso di polizia, con il quale è constatato che, sotto il punto di vista dell'interesse pubblico, nulla osta alla costruzione dell'opera ferroviaria così come prevista. Esterna al procedimento espropriativo, questa approvazione non esamina né se per la prevista opera sia necessario o meno il ricorso ad una procedura espropriativa, né se di tale procedura espropriativa siano dati i presupposti (HESS, Commentario, Vorbemerkungen zu Abschnitt V, n. 3 e 20).
Diversa appare la situazione allorquando la procedura dell'
art. 18 LFerr
. è applicata a progetti di terzi. Questi vi soggiacciono non solo se toccano fondi adibiti all'esercizio ferroviario, o compromettono la sicurezza o l'esercizio della ferrovia, ma anche allorquando la loro esecuzione potrebbe esser d'ostacolo allo sviluppo futuro (Ausbau) degli impianti ferroviari (cfr. Messaggio, FF franc. 1956 I 238, BBl 1956 I pag. 242; HAEFELIN, relatore al Consiglio degli Stati, Boll.Sten. CSt. 1957, pag. 151). In questi casi la negata approvazione del progetto può, secondo le circostanze, equivalere all'imposizione sul fondo di una restrizione della proprietà con conseguenze analoghe a quelle di un'espropriazione, e costituire pertanto un'espropriazione materiale. Già per un'esigenza costituzionale (art. 22ter. Cost.) deve, in simili casi, essere aperta al proprietario la via per chiedere ed ottenere un'indennità (
DTF 98 Ia 33
in alto). Ora, in casi che sono analoghi a quello qui menzionato, il legislatore ha scelto di affidare il giudizio di simili controversie alle Commissioni federali di stima. Ciò si verifica nel caso delle zone di protezione degli aerodromi. Secondo l'art. 43 cpv. 3 della legge federale sulla navigazione aerea del 21 dicembre 1948 (RU 1950 vol. 1 pag. 479), nel tenore in vigore prima della modifica del 17 dicembre 1971 (RU 1973 vol. 1 pag. 738), disposizione alla quale il legislatore si è riferito per l'introduzione dell'
art. 18 LFerr
. (cfr. Messaggio, FF franc. 1956 I pag. 238, BBl 1956 I pag. 242; HAEFELIN, rel. al CSt., Boll.Sten. 1957 pag. 151), la legge federale sull'espropriazione è applicabile alle pretese degli interessati per risarcimento di danni. La riforma della legge sulla navigazione aerea del 17 dicembre 1971 ha confermato
BGE 101 Ib 277 S. 284
il principio, stabilito il "dies aestimandi" (art. 44 cpv. 2), il modo e il termine per la notificazione (art. 44 cpv. 3) ed infine, espressamente previsto, l'applicabilità per analogia della procedura di stima della legge federale sull'espropriazione.
Anche la legge sulle strade nazionali prevede, per il giudizio circa l'indennità dovuta per restrizioni derivanti dalle zone riservate, la competenza della CFS e l'applicabilità del procedimento di stima previsto dagli art. 57 e segg. LEspr. (
art. 18 LSN
).
La competenza della CFS nella contestata materia, deve quindi esser riconosciuta, con la conseguenza di escludere quella del Tribunale federale quale istanza unica (art. 117 lett. c OG).
3.
a) Nei casi di espropriazione formale, non basta che la Commissione di stima sia competente "ratione materiae", ma ancora occorre che siano date le premesse per l'apertura di un procedimento espropriativo. Così, il Tribunale federale ha annullato decisioni della CFS, ch'essa aveva pronunciato prima che l'impresa si fosse fatta conferire il diritto d'espropriazione (
DTF 96 I 191
, consid. 2 e 3), oppure, nel caso delle strade nazionali, prima che fossero approvati i piani esecutivi che ne costituiscono il presupposto (
DTF 99 Ib 490
consid. 2). Parimenti il Tribunale federale ha costantemente ribadito che l'apertura di un procedimento espropriativo formale può esser richiesta solo dall'ente che, munito del diritto di espropriazione, esegue l'opera, e che la Commissione di stima non può astringerlo a fare ciò, tale potere spettando solo al Consiglio federale (
DTF 67 I 172
;
DTF 88 I 196
;
DTF 92 I 179
; GAAC 1948/50 n. 180; cfr. sul problema LIVER, Die nachbarrechtliche Haftung des Gemeinwesens, ZbJV 99 (1963) pag. 241 segg., in part. 254 seg.).
b) Quest'ultimo principio non vale però nel caso in cui la CFS è dalla legge riconosciuta competente per giudicare pretese di privati fondate su di un'espropriazione materiale. Mentre nel caso di espropriazione formale, infatti, spetta unicamente all'impresa decidere se far uso o meno del diritto d'espropriazione che le compete, e il diritto dell'espropriato di richiedere l'indennità è una conseguenza di tale esercizio, nell'espropriazione materiale, invece, il diritto del proprietario di richiedere un'indennità sorge per legge al momento in cui
BGE 101 Ib 277 S. 285
l'ente pubblico ha adottato il provvedimento che restringe la facoltà del proprietario (
DTF 97 I 814
; cfr. art. 44 cpv. 2, 3, 4 della LF sulla navigazione aerea;
art. 18 cpv. 2 LSN
). In questo caso, il proprietario gravato è tenuto unicamente a notificare le proprie pretese tempestivamente all'ente pubblico interessato: in caso di contestazione sull'esistenza o l'ammontare della pretesa, egli deve poter adire direttamente l'autorità competente per materia a decidere la vertenza - in casu la CFS - analogamente a quanto avviene allorquando la competenza è conferita quale istanza unica al Tribunale federale (
art. 116 OG
). Greco poteva quindi adire direttamente la CFS.
4.
...
II. Questioni di merito
5.
Nel ricorso di diritto amministrativo le FFS sollevano l'eccezione di prescrizione della pretesa avversaria. Esse argomentano che, dato e non concesso che vi sia stata espropriazione materiale, la pretesa di Greco sarebbe parificabile a quella derivante da un bando di espropriazione (
art. 44 LEspr
.). Questa pretesa, in caso di rinuncia all'espropriazione da parte dell'espropriante (
art. 14 cpv. 1 LEspr
.), si prescrive in sei mesi dalla dichiarazione di rinuncia (
art. 14 cpv. 2 LEspr
.). Alla rinuncia all'espropriazione le FFS assimilano il contratto di permuta. L'eccezione è infondata:
a) la LFerr. non contiene disposizioni concernenti la prescrizione delle pretese derivanti dall'applicazione degli art. 18 e 20. Nel silenzio del diritto positivo, per stabilire la durata e l'inizio del termine di prescrizione di pretese pecuniarie fondate sul diritto pubblico occorre riferirsi alle norme che il legislatore ha previsto per casi analoghi (
DTF 78 I 89
consid. 4, 191/92;
DTF 83 I 218
segg.;
DTF 85 I 183
consid. 3;
DTF 93 I 397
;
DTF 101 Ia 24
consid. 5b). In mancanza di tali norme, o in presenza di soluzioni contraddittorie o casuali, il giudice amministrativo deve stabilire il termine come se fosse un legislatore (
DTF 98 Ib 356
segg., consid. 2b e c);
b) per analogia con la legge sulla navigazione aerea (art. 44 cpv. 3), cui il legislatore si è ispirato per introdurre nella LFerr. la procedura d'approvazione di piani di terzi, il termine di prescrizione che si impone di adottare è quello di
BGE 101 Ib 277 S. 286
5 anni, e decorre del momento in cui l'interessato ha avuto conoscenza della mancata approvazione del progetto. Per interromperlo, basta che l'interessato notifichi le sue pretese alle FFS, analogamente alla soluzione che ha ritenuto il legislatore per il caso di aerodromi (art. 43, cpv. 3 lett. a). Tali termini sono stati in casu ossequiati, comunque si vogliano considerare le cose, e sia che per il termine d'inizio ci si basi sulla lettera delle FFS del 12 giugno 1962, sia sull'atto di permuta del 27 marzo 1963. L'eccezione di prescrizione è quindi infondata.
6.
Le FFS sostengono inoltre che, accettando la proposta di permuta e sottoscrivendo il relativo atto pubblico, Greco avrebbe rinunciato nei loro confronti a qualsiasi ulteriore pretesa.
a) Quando ha luogo una procedura d'espropriazione formale, gli accordi stipulati fra l'impresa e un privato e destinati a procacciare alla prima i fondi occorrenti, o a regolare problemi di risarcimento, cadono nell'ambito del diritto privato se sono stipulati prima della pubblicazione dei piani d'espropriazione; essi costituiscono invece contratti del diritto amministrativo, retti dal diritto pubblico, se sono conclusi dopo tale data (cfr.
art. 53 e 54 LEspr
.; GRISEL, Droit administratif suisse, pagg. 390/91, HESS, ad art. 54 n. 2 e 3; sentenza 30 aprile 1971 in re Rauss c. Vaud).
b) Trattandosi d'espropriazione materiale, codesti criteri giurisprudenziali non soccorrono. Comunque, la questione di sapere se l'atto di permuta stipulato fra le parti sia retto esclusivamente dal diritto privato, come parrebbe probabile, o invece, quale contratto di diritto amministrativo, dal diritto pubblico, può restare indecisa. Infatti, tale distinzione sarebbe rilevante solo nel caso in cui la CFS fosse stata tenuta, in applicazione dell'
art. 69 cpv. 1 LEspr
., a rinviare al giudice ordinario l'esame dell'eccezione dedotta dalle FFS da un contratto del diritto privato, e concernente l'esistenza della pretesa. Ma tale ipotesi non si verifica, perché le parti, con esplicita dichiarazione, hanno consentito alla Commissione di pronunciarsi direttamente anche sulle pregiudiziali di diritto privato (
art. 69 cpv. 2 LEspr
.). c) La tesi delle FFS appare infondata.
Nel contratto di permuta, nessuna allusione è fatta ad ulteriori pretese di Greco: né per dichiararle liquidate, né per
BGE 101 Ib 277 S. 287
riservarle. Di una rinuncia espressa, pertanto, le FFS non possono avvalersi. Esse non possono neppure prevalersi di una rinuncia implicita. Dalla corrispondenza che ha preceduto (e seguito) la stipulazione del contratto di permuta, risulta al contrario che Greco intendeva far valere ulteriori pretese per danni, e riservarsi la facoltà di adire l'autorità competente in materia. Neppure può rimproverarsi a Greco di aver accettato il terreno, che le FFS gli offrivano, per assicurarsi immediatamente, senza le difficoltà di una causa, una parte del risarcimento, cui pretendeva, tenendo per così dire in riserva le pretese per il resto. Intanto, giudicando le cose con gli occhi di allora, non può affermarsi che la permuta fosse nell'interesse esclusivo di Greco: anche le FFS vi erano interessate, tanto per assicurarsi la proprietà di un fondo, di cui pensavano di necessitare in futuro, quanto per contenere nel minimo possibile il danno di Greco derivante dal blocco dei lavori, di cui esse non potevano escludere a priori di dover rispondere. Secondo i principi dell'affidamento, pertanto, l'atto di permuta dev'esser interpretato come una liquidazione di punti sui quali l'accordo era raggiunto fra le parti, senza pregiudizio per nessuna di esse delle rispettive ulteriori ragioni.
7.
Le FFS sostengono inoltre che esse si sono limitate a far presente a Greco che era necessaria l'approvazione a' sensi dell'
art. 18 LFerr
. per l'esecuzione del progetto, ma negano di aver inibito la costruzione, e pertanto asseverano che Greco è malvenuto a pretendere risarcimento per un divieto di costruzione, che non gli sarebbe stato imposto.
Certo, la lettera delle FFS del 12 giugno 1962 si limitava ad avvertire Greco che il suo progetto era soggetto all'obbligo di approvazione previsto dall'
art. 18 LFerr
. Essa, tuttavia, accennava anche a una "zona riservata", peraltro non meglio precisata, e comunque non pubblicata. Da questa circostanza e dall'ulteriore atteggiamento delle ferrovie - segnatamente dalla proposta di acquistargli il fondo - il destinatario poteva però in buona fede dedurre che le FFS si opponevano alla costruzione, che rischiava di intralciare la loro libertà di progettazione e l'ampliamento futuro di impianti ferroviari. Certo, Greco aveva la facoltà tanto di contestare che la procedura dell'
art. 18 LFerr
. potesse applicarsi al suo caso (cfr.
DTF 98 Ib 480
), quanto di formalmente instare presso l'autorità di vigilanza affinché, nonostante l'opposizione delle
BGE 101 Ib 277 S. 288
FFS, il suo progetto fosse approvato (
art. 40 lett. a LFerr
.). Le ferrovie ne deducono che, avendo tralasciato ogni impugnativa, Greco non potrebbe avanzare pretese. Esse trascurano di considerare che l'impugnazione del divieto costituiva per Greco un diritto, non un obbligo condizionante la pretesa di risarcimento. Indipendentemente da ciò, le FFS non possono - senza contraddire ai precetti della buona fede - rimproverare a Greco di essersi adagiato alla loro ingiunzione, rinunciando ad impugnarla, né di essersi prestato a trattative, incoate oltretutto dalle stesse FFS, che, se ridondavano a di lui vantaggio per la speranza di poter tosto eseguire la costruzione altrove, erano nel contempo nell'interesse delle FFS per le ragioni che già si son dette sopra (consid. 5).
Deve pertanto concludersi che le ferrovie hanno effettivamente inibito a Greco l'esecuzione, peraltro già avviata, del progetto, e che non si può rimproverare a quest'ultimo né di essersi adagiato all'ingiunzione, né di aver adottato misure atte a contenere il danno (
art. 42 cpv. 2 CO
). Anche quest'eccezione delle FFS è pertanto infondata.
8.
a) Non è controverso che il divieto imposto a Greco è una conseguenza inevitabile della necessità di tutelare gli interessi della ferrovia, segnatamente di permettere l'indisturbata progettazione di futuri impianti ferroviari.
A' sensi dell'
art. 20 LFerr
., tale pregiudizio deve essere risarcito, a meno che la lesione dei diritti di Greco debba "esser tollerata conformemente al diritto di vicinato o a altre prescrizioni legali".
b) È pacifico che un obbligo di Greco di tollerare il divieto senza indennizzo non può, in casu, scaturire dalle prescrizioni regolanti i rapporti fra vicini. Queste, infatti, sono determinanti quando si tratta di stabilire quali immissioni debbano tollerarsi senza indennizzo, quali per contro comportino, in quanto eccessive, l'obbligo di risarcimento (art. 684 CCS; cfr.
DTF 100 Ib 195
/96, 205 consid. 2 e riferimenti).
Le FFS non invocano nemmeno altre prescrizioni legali particolari. Esse si limitano a sostenere che non ricorrono gli estremi di un'espropriazione materiale.
c) A torto, nel loro ricorso, le FFS sembrano ritenere che la questione dell'esistenza degli estremi dell'espropriazione materiale costituisca una pregiudiziale concernente "l'esistenza del diritto" a' sensi dell'
art. 69 cpv. 1 LEspr
., sulla quale la CFS
BGE 101 Ib 277 S. 289
si è potuta pronunciare solo in virtù dell'assenso delle parti (
art. 69 cpv. 2 LEspr
.). La questione di sapere se una limitazione imposta alla proprietà equivale nei suoi effetti ad un'espropriazione, è infatti il tema principale riservato al giudice amministrativo, in casu alla CFS ed al Tribunale federale. La giurisprudenza più recente del Tribunale federale considera persino che è riservato al solo giudice amministrativo di decidere se determinate immissioni da un'opera pubblica siano "eccessive" a' sensi dell'art. 684 CCS e pertanto comportino l'obbligo di risarcimento (sentenze citate).
d) Secondo la giurisprudenza, vi è espropriazione materiale quando l'uso attuale o il previdibile uso futuro della cosa sono vietati o ristretti in modo particolarmente grave; vi è altresì espropriazione materiale, allorquando un solo proprietario, o un numero limitato di proprietari soltanto, sono toccati in modo tale che il sacrificio loro imposto in favore della collettività apparirebbe, fosse negato loro l'indennizzo, eccessivamente gravoso. La giurisprudenza distingue pertanto due casi: nel primo, il proprietario è colpito in modo estremamente grave ed è privato di una delle facoltà essenziali derivante dal diritto di proprietà: l'indennità è sempre dovuta. Nel secondo caso, la limitazione imposta al proprietario, per quanto importante, non riveste la stessa intensità, ma l'indennità è dovuta quando il sacrificio altrimenti impostogli sarebbe incompatibile col principio dell'uguaglianza, con riguardo alla situazione degli altri proprietari. In ambo le ipotesi, la protezione si estende tanto all'uso attuale, quanto ai futuri usi possibili del fondo, a condizione che essi appaiano come molto probabili in un prossimo avvenire (
DTF 97 I 634
consid. 5 e rif.;
DTF 98 Ia 384
consid. 2 e rif.).
9.
Le ricorrenti contestano che il caso rientri in una delle due categorie suaccennate, argomentando che la restrizione non è molto grave, e che comunque il sacrificio imposto al proprietario, negandogli il risarcimento, non è incompatibile col principio dell'uguaglianza. I loro argomenti sono dedotti dalla natura del fondo e dalle sue possibilità di utilizzazione, dall'estensione della restrizione nello spazio, dalla sua limitazione nel tempo. Essi vengono esaminati nell'ordine.
a) A torto le ricorrenti contestano la natura edilizia del fondo, o quantomeno la possibilità di Greco di erigervi immediatamente una fabbrica. Non solo risulta dagli atti che Greco
BGE 101 Ib 277 S. 290
aveva comperato il fondo nell'ottobre 1961 nell'intento di erigervi la sua fabbrica di materie plastiche, ma consta ch'egli aveva ottenuto le licenze edilizie comunale e cantonale, col preavviso favorevole tanto dell'ispettorato delle fabbriche, quanto dell'INSAI. Le FFS non possono neppure arguire che all'immediata edificazione avrebbe fatto ostacolo la presenza sul fondo di un elettrodotto; non solo questo non comportava una servitù di non costruire, ma le stesse FFS avevano ammesso che lo spostamento parziale dello stesso avrebbe richiesto solo un paio di settimane.
b) È vero, a fondarsi sulle proposte di permuta parziale formulate dalle FFS, che queste intendevano colpire solo una parte del fondo con un divieto di costruzione. Ma, se esso conservava una parziale edificabilità, non si addiceva più alla fabbrica progettata da Greco. La regola giurisprudenziale, secondo cui quando la particella è colpita solo parzialmente da un divieto di costruzione, occorre, per stabilire se vi sia espropriazione materiale, tener conto del fondo nella sua totalità (
DTF 82 I 165
) non ha portata assoluta, ma dev'essere tenuto conto di eventuali situazioni particolari (
DTF 89 I 385
consid. 2). Nel caso concreto si giustifica di tener conto della circostanza per cui il fondo di Greco non era più atto allo scopo per il quale era stato poco prima acquistato. D'altronde, su questa circostanza si sono basate le stesse FFS per determinarsi ad offrire a Greco la sostituzione in natura.
c) Le FFS asseverano che il divieto sarebbe stato imposto solo in via temporanea, perché già nel 1965, si è potuto assodare che il fondo di Greco non era più necessario per gli scopi ferroviari. Sennonché la situazione non deve esser giudicata alla luce di avvenimenti posteriori, bensì quale essa si presentava nella primavera del 1962. Ora, le FFS non affermano che, a quell'epoca, esse fossero in grado di limitare la restrizione nel tempo, né risulta ch'esse abbiano sin d'allora fatto allusioni in tal senso. Del carattere di temporaneità della restrizione non può quindi esser tenuto conto nelle concrete circostanze del caso. Come che si vogliano considerare le cose è palese che, nelle concrete circostanze, non potevasi esigere da Greco di attendere sia pur solo alcuni anni per saper se il suo progetto si potesse realizzare.
d) Nella fattispecie in esame la portata del divieto appare di una gravità sufficientemente incisiva, per attribuire il caso alla
BGE 101 Ib 277 S. 291
prima delle due categorie sopracitate, in cui l'indennità è sempre dovuta. Si volesse lasciar aperta tale questione, esso rientrerebbe sicuramente nella seconda categoria. A tal fine, giova tener conto delle larghe possibilità di intervento, che l'
art. 18 LFerr
. consente all'impresa, quando la procedura è applicata a piani di terzi. Questi, infatti, come nel caso in esame, possono trovarsi nell'assoluta impossibilità di prevedere che il loro progetto possa collidere con interessi ferroviari, specie allorquando la procedura è applicata ad ampliamenti futuri degli impianti. Diversamente da quanto avviene in altri casi (strade nazionali, aerodromi) nessuna pubblicazione ufficiale avverte i proprietari che i progetti di costruzione debbono esser approvati anche sotto il profilo ferroviario. I privati possono così esser indotti - in perfetta buona fede - ad adottare provvedimenti - acquisto di fondi a scopi edilizi, progettazioni costose - che, preavvertiti, essi avrebbero tralasciato, o comunque intrapreso solo dopo essersi cerziorati presso l'autorità dei prevedibili ostacoli alla realizzazione dei loro intenti. Nel caso concreto, non è contestato che Greco non aveva alcun motivo di prevedere che le FFS avrebbero ostacolato il suo progetto, né si pretende ch'egli fosse tenuto ad informarsi presso le ferrovie prima di acquistare il fondo e prima di procedere, una volta ottenuto dalle competenti autorità comunali il permesso di massima, alla progettazione dettagliata della sua costruzione. In simili circostanze, contravverrebbe ai principi dell'uguaglianza di trattamento pretendere ch'egli si addossasse le spese di una progettazione divenuta inutile in conseguenza del divieto successivamente impostogli.
Se ne deve concludere che, a buona ragione, la CFS ha ritenuto le ferrovie responsabili del risarcimento delle spese sostenute da Greco in vista dell'esecuzione del progetto, spese avveratesi inutili in seguito all'intervento delle ferrovie.
Il Tribunale federale ha condannato le FFS a risarcire a Greco le spese di progettazione e di esecuzione dell'opera avveratesi inutili in seguito al divieto da loro imposto. | public_law | nan | it | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
680a6c44-25ef-425f-a241-731e012c6e16 | Urteilskopf
111 V 73
18. Extrait de l'arrêt du 29 juillet 1985 dans la cause Caisse cantonale neuchâteloise de compensation contre Monnard et Tribunal administratif, Neuchâtel | Regeste
Art. 1 Abs. 2 lit. c AHVG
,
Art. 2 Abs. 1 lit. b AHVV
: Befreiung vom Versicherungsobligatorium.
- Tänzerinnen ausländischer Nationalität, die während höchstens drei aufeinanderfolgenden Monaten eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz ausüben, können sich auf
Art. 2 Abs. 1 lit. b AHVV
berufen.
- Es ist Sache jener Personen, die möglicherweise Vorteile aus der Befreiung ziehen, zu beweisen oder wahrscheinlich zu machen, dass die Voraussetzungen einer solchen Befreiung erfüllt sind. | Erwägungen
ab Seite 74
BGE 111 V 73 S. 74
Extrait des considérants:
3.
a) En procédure fédérale, l'intimé ne conteste plus, et cela avec raison, que les entraîneuses-danseuses visées par la décision litigieuse ont exercé à son service une activité dépendante, qui est en principe soumise à cotisations en vertu de l'art. 1er al. 1 let. b LAVS.
b) Aux termes de l'art. 1er al. 2 let. c LAVS, les personnes qui ne remplissent les conditions énumérées à l'art. 1er al. 1 LAVS que pour une période relativement courte ne sont pas assurées. L'art. 2 al. 1 let. b RAVS précise à cet égard que sont notamment considérés comme personnes ne remplissant les conditions de l'assurance obligatoire que pour une période relativement courte les ressortissants étrangers qui n'exercent une activité lucrative en Suisse que pendant trois mois consécutifs au plus, lorsqu'ils sont rémunérés par un employeur à l'étranger, tels les voyageurs de commerce et les techniciens de maisons étrangères, ou qu'ils ne doivent exécuter que des mandats précis ou ne remplir que des obligations déterminées, tels les artistes ou les experts. Cette disposition réglementaire - dont le Tribunal fédéral des assurances n'a jamais mis en cause la légalité - doit être interprétée restrictivement, eu égard au caractère exceptionnel de l'exemption de l'assujetissement à l'assurance et, également, à des motifs d'ordre économique. A ce dernier propos, le Tribunal fédéral des assurances a eu l'occasion de constater qu'une telle interprétation était conforme au but recherché par le législateur, en ce sens qu'elle visait à empêcher que des employeurs ne donnent, aux seules fins de se soustraire au paiement de cotisations d'assurances sociales, la préférence à des salariés venant de l'étranger, qui feraient alors une concurrence à la main-d'oeuvre indigène (ATFA 1951 p. 227; RCC 1950 p. 108; voir également
BGE 111 V 73 S. 75
le message du Conseil fédéral à l'Assemblée fédérale relatif à un projet de loi sur l'assurance-vieillesse et survivants du 24 mai 1946, FF 1946 II 368).
c) Le souci de donner une interprétation restrictive à l'art. 2 al. 1 let. b RAVS a conduit le Tribunal fédéral des assurances à juger, dans un arrêt non publié du 4 août 1949, en la cause Dancing Le Moulin Rouge, que des entraîneuses-danseuses ne pouvaient se prévaloir de l'exception instituée par cette norme, car elles n'entraient pas dans la catégorie des "artistes" visée par celle-ci. Cette jurisprudence ne peut pas être confirmée. Quand bien même il ne souffre pas une interprétation extensive, le texte de l'art. 2 al. 1 let. b RAVS n'a pas un caractère exhaustif, car ce n'est qu'à titre d'exemples que le Conseil fédéral mentionne, comme bénéficiaires éventuels de l'exemption, les "artistes" et les "experts". Au demeurant, le terme "artiste", dont use la disposition réglementaire en cause, ne vise pas uniquement les personnes qui pratiquent professionnellement les beaux-arts: selon son acception courante, il englobe également les artistes de music-hall et, plus généralement, toute personne qui présente un spectacle de variétés dans un établissement public (casino, dancing, discothèque, etc.). On est conforté dans cette interprétation par le fait que, sur ce point, la version allemande de l'art. 2 al. 1 let. b RAVS est plus précise que le texte français, puisqu'elle parle de "Künstler, Artisten und Experten" (voir dans le même sens, BINSWANGER, Kommentar zum Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, p. 17, et MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, vol. II, p. 77).
D'autre part, il se justifie d'abandonner une distinction, établie par l'arrêt publié dans la RCC 1950 p. 108, précité, entre les artistes faisant une tournée en Suisse, qui se déplacent fréquemment, et ceux qui donnent des représentations au même endroit; alors que, selon cet arrêt, une exemption était possible dans le premier cas, l'application de l'art. 2 al. 1 let. b RAVS n'entrait pas en considération dans le second, les intéressés devant de toute façon être assujettis à l'AVS, quelle que fût la durée de leur activité en Suisse. En vérité, une telle distinction, qui sanctionnait une ancienne pratique administrative, n'a pas une portée décisive lorsqu'il s'agit d'examiner si un artiste accomplit des "mandats précis" ou des "obligations déterminées" au sens des dispositions d'exécution adoptées par le Conseil fédéral (cf., en ce qui concerne la pratique administrative actuelle, le ch. 128 de la circulaire de l'Office fédéral des assurances sociales sur l'assujettissement à l'assurance, valable dès le 1er janvier 1985).
BGE 111 V 73 S. 76
4.
Au vu de ce qui précède, il y a lieu d'admettre, avec les premiers juges, que les entraîneuses-danseuses en question pouvaient, en principe, se prévaloir de l'exemption formulée par l'art. 2 al. 1 let. b RAVS, seconde phrase, pour autant qu'elles n'eussent exercé une activité lucrative en Suisse que durant trois mois consécutifs au plus. Ce point ne fait d'ailleurs l'objet d'aucune contestation entre les parties et le litige porte bien plutôt sur l'application pratique de cette règle. A ce propos, la juridiction cantonale est de l'avis que la caisse de compensation n'était fondée "à retenir que les noms des artistes dont elle démontre qu'elles ont travaillé plus de trois mois en Suisse", démonstration qui n'a en l'occurrence pas été faite pour la plupart des employées concernées. Les premiers juges ajoutent qu'il était en l'occurrence possible à l'administration "de justifier l'engagement prolongé en Suisse de nombre d'artistes figurant sur sa liste" en "sollicitant les listes de taxes de séjour des autres villes importantes du canton, voire d'autres villes de Suisse dont les agences signalées au dossier (...) ont l'habitude de placer leurs artistes".
Cette manière de voir ne peut pas être partagée. Le fait que les employées en cause ont travaillé au service de l'intimé pour une durée inférieure à la période de tolérance de trois mois ne permet pas de conclure que celles-ci ont quitté la Suisse à la fin de leur engagement. Or, comme on l'a vu, l'exemption de l'assujetissement de personnes qui remplissent les conditions d'affiliation pour une période relativement courte constitue une exception au principe de la soumission à l'assurance obligatoire. Celui qui s'en prévaut doit dès lors prouver ou, à tout le moins, rendre vraisemblable que les conditions d'une telle exemption sont réalisées (ATFA 1951 p. 228). Cela est d'autant plus vrai que les bénéficiaires éventuels sont, mieux que personne, en mesure de fournir à l'administration les renseignements et documents relatifs à la durée de leur séjour et de leur activité en Suisse; on ne saurait donc exiger des caisses de compensation qu'elles cherchent d'elles-mêmes à obtenir des informations à ce sujet, ce qui, la plupart du temps, les conduirait à entreprendre des démarches excessivement compliquées.
Contrairement à ce que prétend l'intimé, on ne voit pas en quoi une telle solution serait incompatible avec la gestion rationnelle d'un établissement public du genre de celui qu'il exploitait. D'ailleurs, il ressort du dossier que l'Association suisse des tenanciers
BGE 111 V 73 S. 77
de cafés-concerts, cabarets, dancings et discothèques recommande à ses membres, en cas de doute quant à la durée du séjour en Suisse de musiciens ou de danseuses, de retenir d'emblée - et sous réserve d'une possible restitution - les cotisations d'assurances sociales dues sur les rémunérations des employés concernés. Cela démontre bien que, sur le point ici en discussion, l'application de la loi ne soulève pas de difficultés particulières auprès des milieux professionnels intéressés.
5.
Cela étant, il n'a en l'occurrence pas été prouvé, ni même rendu vraisemblable, que les entraîneuses-danseuses engagées par l'intimé ont travaillé en Suisse durant une période inférieure à trois mois. Il s'ensuit, compte tenu de ce qui a été dit plus haut et dès lors que la décision litigieuse n'apparaît pas critiquable à d'autres égards, que le recours de droit administratif est bien fondé. | null | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
680ed1d3-319c-4f03-a68d-b6ade178ac23 | Urteilskopf
137 IV 113
16. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_925/2010 vom 18. April 2011 | Regeste
Konkurrenz zwischen versuchter Tötung und einfacher und/oder schwerer Körperverletzung.
Bestätigung der Rechtsprechung (E. 1). | Erwägungen
ab Seite 113
BGE 137 IV 113 S. 113
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Die Beschwerdeführerin rügt, ein Tötungsversuch könne auch ohne Herbeiführung einer Körperverletzung begangen werden. Habe der Täter durch sein Handeln versucht, sein Opfer zu töten, und habe er dieses gleichzeitig verletzt, könne das Tatunrecht nur durch die zusätzliche Verurteilung wegen Körperverletzung abgedeckt werden. Zwischen der versuchten vorsätzlichen Tötung und den Körperverletzungen müsse daher Idealkonkurrenz, d.h. echte Konkurrenz angenommen werden. Der Beschwerdegegner sei folglich auch der schweren und der einfachen Körperverletzung mit einer Waffe schuldig zu sprechen.
1.2
In Lehre und Rechtsprechung herrscht weitgehend Einigkeit, dass zwischen einer vollendeten vorsätzlichen Tötung (
Art. 111 StGB
) und den damit (durch dieselbe Handlung) einhergehenden einfachen oder schweren Körperverletzungen (Art. 122 f. StGB) unechte Konkurrenz besteht, d.h. das Unrecht durch die Verurteilung wegen vollendeter Tötung abgegolten wird. Unechte Konkurrenz wird auch angenommen, wenn der Tod des Opfers erst mit einer zeitlichen Verzögerung eintritt. Dies wird damit begründet, dass die Körperverletzung ein notwendiges Durchgangsstadium zur Tötung ist, da die Tötung immer auch eine Körperverletzung beinhaltet (vgl. CHRISTIAN SCHWARZENEGGER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2007, N. 13 zu
Art. 111 StGB
; STRATENWERTH/WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 2. Aufl. 2009, N. 8 zu
Art. 111 StGB
; MARTIN SCHUBARTH, Kommentar zum
BGE 137 IV 113 S. 114
schweizerischen Strafrecht, Bd. I: Delikte gegen Leib und Leben,
Art. 111-136 StGB
, 1982, N. 79 zu
Art. 123 StGB
; differenzierend bezüglich der hier nicht relevanten Fallkonstellation einer "Tötung mit Verletzung im Überschuss" ULFRID NEUMANN, in: Strafgesetzbuch, Bd. II, Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg.], 3. Aufl. 2010, N. 30 ff. zu
§ 212 StGB
/D; ALBIN ESER, in: Strafgesetzbuch, Schönke/Schröder [Hrsg.], 28. Aufl. 2010, N. 17 ff. zu
§ 212 StGB
/D mit Hinweisen; ähnlich STRATENWERTH/JENNY/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 7. Aufl. 2010, N. 12 S. 67). Umstritten ist im Schrifttum hingegen, ob dies auch gilt, wenn es beim Tötungsversuch bleibt, dem Opfer jedoch einfache oder schwere Körperverletzungen zugefügt wurden.
1.3
Das Bundesgericht äusserte sich in
BGE 77 IV 57
E. 2 zu dieser Frage. Es erwog, habe der Täter dem Opfer nicht zeigen wollen, was Krankheit und Schmerzen bedeuten, sondern dieses mit seiner Handlung ums Leben bringen wollen, sei er ausschliesslich wegen versuchter Tötung zu verurteilen (gleich auch
BGE 115 IV 8
E. I.d). Dieser Auffassung, wonach zwischen der versuchten Tötung und der einfachen und schweren Körperverletzung unechte Konkurrenz besteht, folgt ein Teil der Lehre (vgl. ANDREAS DONATSCH, Delikte gegen den Einzelnen, 9. Aufl. 2008, S. 41 f.; STRATENWERTH/JENNY/BOMMER, a.a.O., N. 12 S. 67 und N. 42 S. 78; SCHUBARTH, a.a.O., N. 80 zu
Art. 123 StGB
; BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. II, 3. Aufl. 2010, N. 23 S. 31; JOSÉ HURTADO POZO, Droit pénal, Partie spéciale, 2009, N. 110 S. 40). Als Argument wird angeführt, der Strafmilderungsgrund des Versuchs gemäss
Art. 22 Abs. 1 StGB
sei fakultativ. Die versuchte Tötung könne gleich schwer bestraft werden wie die vollendete Tat. Mit der Verurteilung wegen Versuchs könne daher nicht nur der Verhaltens-, sondern auch der (potenzielle) Erfolgsunwert im Tatunrecht berücksichtigt werden (DONATSCH, a.a.O., S. 41 f.).
1.4
1.4.1
Eine andere, von der Beschwerdeführerin angerufene Lehrmeinung nimmt hingegen zwischen der versuchten Tötung und den Körperverletzungen echte Konkurrenz an. Dies mit der Begründung, ansonsten würde dem Umstand, dass immerhin eine Körperverletzung eingetreten sei, nicht ausreichend Rechnung getragen (vgl. ESER, a.a.O., N. 23 zu
§ 212 StGB
/D; ähnlich SCHWARZENEGGER, a.a.O., N. 13 zu
Art. 111 StGB
; STRATENWERTH/WOHLERS, a.a.O., N. 8 zu
Art. 111 StGB
; für das deutsche Recht auch NEUMANN, a.a.O.,
BGE 137 IV 113 S. 115
N. 37 f. zu
§ 212 StGB
/D; THOMAS FISCHER, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 58. Aufl. 2011, N. 107 zu
§ 211 StGB
/D und N. 22 zu
§ 212 StGB
/D; LACKNER/KÜHL, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl. 2011, N. 9 zu
§ 212 StGB
/D). Dieser Auffassung schloss sich im Jahre 1998, in Änderung seiner früheren Rechtsprechung, auch der deutsche Bundesgerichtshof an (vgl. BGH 44 196). In eine ähnliche Richtung geht das Argument, mit einer Versuchsstrafe könne kein Erfolg abgegolten werden, weshalb Körperverletzungen in echter Konkurrenz zur versuchten Tötung stünden (vgl. TRECHSEL/FINGERHUTH, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2008, N. 12 zu
Art. 122 StGB
; ROTH/BERKEMEIER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2007, N. 25 zu
Art. 122 StGB
).
1.4.2
Dem kann nicht gefolgt werden. Der Versuch ist seit Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches am 1. Januar 2007 in
Art. 22 StGB
geregelt (vgl. BBl 1999 1979, 2010). Der Strafmilderungsgrund von
Art. 22 Abs. 1 StGB
kommt zum Tragen, wenn der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende führt (unvollendeter Versuch) oder der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht eintritt oder nicht eintreten kann (vollendeter Versuch). Ein Versuch liegt vor, wenn der Täter sämtliche subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt und seine Tatentschlossenheit manifestiert hat, ohne dass alle objektiven Tatbestandsmerkmale verwirklicht sind (
BGE 128 IV 18
E. 3b;
BGE 122 IV 246
E. 3a;
BGE 120 IV 199
E. 3e). Dies schliesst nicht aus, dass in objektiver Hinsicht einzelne Tatbestandselemente erfüllt sind und bereits ein Erfolgsunrecht eingetreten ist. Entgegen der in der Lehre teilweise vertretenen Auffassung kann mit einer Versuchsstrafe auch eine bereits eingetretene Rechtsgutverletzung abgegolten werden, wenn diese ein Durchgangsstadium zur Tatvollendung ist. Eine gegenteilige engere Auslegung findet in
Art. 22 StGB
keine Stütze. Der Versuch ist im Allgemeinen Teil des StGB als fakultativer Strafmilderungsgrund ausgestaltet. Es wäre daher verfehlt, für die versuchte Straftat von einer anderen Konkurrenzregelung auszugehen als für die vollendete Tat. Dies entspricht auch der Auslegung des Versuchs bei der Verletzung anderer Rechtsgüter als der hier diskutierten körperlichen Integrität. Nach der Rechtsprechung wird beispielsweise auch die sexuelle Nötigung (
Art. 189 StGB
) durch die versuchte Vergewaltigung (
Art. 190 StGB
) konsumiert, wenn erstere nur eine Begleiterscheinung des Vergewaltigungsversuchs ist und keine selbständige Bedeutung hat (Urteile 6S.154/
BGE 137 IV 113 S. 116
2004 vom 30. November 2005 E. 8; 6S.824/1996 vom 15. September 1997 E. 1a). Auch beim versuchten Raub werden etwa damit einhergehende Freiheitsberaubungen (
Art. 183 Ziff. 1 StGB
), Tätlichkeiten (
Art. 126 StGB
), Drohungen (
Art. 180 StGB
) oder Nötigungen (
Art. 181 StGB
) durch die Verurteilung nach Art. 140 i.V.m.
Art. 22 Abs. 1 StGB
abgegolten (vgl. Urteile 6B_491/2009 vom 26. Oktober 2009 E. 5 und 6; 6S.868/1998 vom 4. März 1999 E. 3). Würde der Auffassung der Beschwerdeführerin gefolgt, hätte dies zur Konsequenz, dass ein Versuch in Anwendung des Asperationsprinzips nach
Art. 49 Abs. 1 StGB
härter bestraft werden könnte als die vollendete Tat. Dies erscheint nicht sachgerecht.
Unzutreffend ist schliesslich der Einwand, dem Unrecht könne mit einer blossen Verurteilung wegen versuchter Tötung nicht ausreichend Rechnung getragen werden. Wohl trifft zu, dass mit einer versuchten Tötung nicht zwingend auch eine Körperverletzung einhergeht. Ein Versuch kann in einer früheren oder fortgeschrittenen Phase enden. Ein Schuldspruch wegen versuchter Tötung sagt daher noch nichts über das Stadium der Ausführung aus und auch nicht darüber, weshalb es beim Versuch blieb. Im Übrigen ist der Umstand, dass eine Rechtsgutverletzung eingetreten ist, auch nicht alleine ausschlaggebend für die Beurteilung der Tatschwere. So kann ein gezielter Schuss auf den Kopf des Opfers, welcher dieses dank glücklicher Umstände verfehlt, den gleichen Unrechtsgehalt haben wie ein Tötungsversuch, der eine einfache Körperverletzung ohne konkrete Gefährdung des Lebens zur Folge hat. Dem Umstand, dass mit dem Tötungsversuch gleichzeitig eine Körperverletzung erfolgte, ist daher zusammen mit den übrigen Tatumständen bei der Strafzumessung Rechnung zu tragen. Die versuchte Tötung kann, angesichts des bloss fakultativen Strafmilderungsgrunds von
Art. 22 Abs. 1 StGB
, gleich hart bestraft werden wie die vollendete Tat. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin führt die Annahme von unechter Konkurrenz nicht zu einer milderen Strafe, da der obere Strafrahmen von 20 Jahren Freiheitsstrafe gemäss Art. 111 i.V.m.
Art. 40 StGB
, der auch dem im Anwendungsbereich von
Art. 49 Abs. 1 StGB
geltenden gesetzlichen Höchstmass entspricht (vgl. Urteil 6S.270/2006 vom 5. September 2006 E. 5.2 und 6.1), ausgeschöpft werden kann. Bei der versuchten Tötung und einer damit einhergehenden schweren Körperverletzung ist sodann der Mindeststrafrahmen von
Art. 122 StGB
zu beachten (SCHUBARTH, a.a.O., N. 80 zu
Art. 123 StGB
; vgl. auch INGEBORG PUPPE, in: Strafgesetzbuch,
BGE 137 IV 113 S. 117
Bd. I, Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg.], 3. Aufl. 2010, N. 54 zu
§ 52 StGB
/D). Die Strafe darf nicht milder ausfallen, als wenn alleine die Körperverletzung zu beurteilen wäre.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Vorinstanz berücksichtigt bei der Strafzumessung straferhöhend, dass der Beschwerdegegner dem Opfer lebensgefährliche Verletzungen zufügte und hierfür ein Messer verwendete. Den Umstand, dass es beim Versuch blieb, stellt sie nur in geringem Umfang strafmildernd in Rechnung, da sich der Beschwerdegegner des vollendeten Versuchs strafbar gemacht habe und es bloss dem schnellen medizinischen Eingriff zu verdanken sei, dass das Opfer nicht an den Folgen seiner Verletzungen verblutete. Strafmindernd wirkt sich nach der Vorinstanz hingegen die schwierige Kindheit des Beschwerdegegners und die ihm durch das psychiatrische Gutachten vom 30. Juli 2008 attestierte verminderte Schuldfähigkeit mittleren Grades aus.
1.5
An der mit
BGE 77 IV 57
begründeten Rechtsprechung ist festzuhalten. Zwischen der versuchten Tötung und der einfachen und schweren Körperverletzung besteht grundsätzlich unechte Konkurrenz, wobei die Körperverletzung durch die versuchte Tötung konsumiert wird. Dies muss gelten, wenn der Köperverletzung wie vorliegend nebst der versuchten Tötung keine selbständige Bedeutung zukommt. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
680fda41-c21d-4469-963b-fd436caa7b18 | Urteilskopf
135 III 551
79. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause Banque X. contre Office des poursuites de Genève (recours en matière civile)
5A_197/2009 du 26 juin 2009 | Regeste
Art. 98 BGG
und
Art. 279 Abs. 4 SchKG
; Arrestprosequierung.
Zulässige Rügen (E. 1.2).
Der Arrestgläubiger, welcher die Anerkennungsklage ohne vorgängige Betreibung eingeleitet hat, ist befugt, die Betreibung
vor
der Mitteilung des Urteils einzuleiten (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 551
BGE 135 III 551 S. 551
A.
A.a
La Banque X. (ci-après: la Banque) prétend être créancière de Y. en raison d'agissements pénaux commis par celui-ci entre 1997 et 2005; elle ajoute que le Tribunal civil de Lodi (Italie) a ordonné le séquestre des biens de son débiteur et qu'elle a déposé une action au fond en Italie le 15 février 2007.
A.b
Donnant suite le 13 novembre 2007 à la réquisition de la Banque, le Tribunal de première instance de Genève a ordonné le séquestre de tous avoirs au nom du prénommé, ou dont il est l'ayant droit économique, à hauteur de 173'105'779 fr. 90 auprès de la Banque Z. à Genève. Cette ordonnance a été transmise à l'Office des
BGE 135 III 551 S. 552
poursuites de Genève (ci-après: l'Office), qui l'a immédiatement exécutée (sous n° x); le procès-verbal de séquestre a été communiqué à la créancière le 18 décembre suivant.
A.c
Le 5 juin 2008, la Banque a déposé une réquisition de poursuite, en indiquant sous la rubrique "Autres observations": "Réquisition de poursuite ensuite du séquestre n° x du 13 novembre 2007, en vue de l'exequatur du jugement italien qui sera rendu à l'encontre de M. Y.".
Le 11 juin suivant, l'Office a informé l'avocat de la Banque que, aussi longtemps qu'une action au fond est en cours, celle-ci vaut validation du séquestre, et l'a invité à lui transmettre le jugement étranger afin de vérifier le respect du délai de 10 jours de l'
art. 279 al. 4 LP
. Le 23 juin 2008, l'avocat a répondu que la procédure était toujours pendante en Italie, indiquant que sa réquisition du 5 juin 2008 était destinée à être notifiée en Italie au débiteur avec les autres actes relatifs au séquestre; il a précisé que, en cas d'opposition au commandement de payer, la mainlevée de l'opposition serait requise simultanément à
l'exequatur
du jugement italien.
Par décision du 18 novembre 2008, l'Office a refusé de donner suite à la réquisition de poursuite parce qu'elle était prématurée et devait être présentée dans les dix jours à compter de la notification du jugement italien; il a maintenu sa position le 25 novembre 2008.
B.
Le 28 novembre 2008, la Banque a déposé plainte contre le refus de donner suite à sa réquisition de poursuite; en outre, elle a dénoncé un retard injustifié de l'Office, le procès-verbal de séquestre n'ayant pas encore été notifié au débiteur conformément à l'
art. 276 al. 2 LP
.
Statuant le 12 mars 2009, la Commission de surveillance des offices des poursuites et des faillites du canton de Genève a partiellement admis la plainte, en ce sens qu'elle a ordonné à l'Office de procéder sans délai à la communication du procès-verbal de séquestre au domicile du débiteur en Italie, dès que la créancière aura effectué l'avance de frais arrêtée par l'Office en vertu de l'
art. 68 LP
ou que son mandataire se sera porté fort de ces frais; en revanche, elle a confirmé le refus de l'Office de donner suite à la réquisition de poursuite.
C.
Le Tribunal fédéral a admis le recours de la Banque et invité l'Office à donner suite à la réquisition de poursuite.
(résumé)
Erwägungen
BGE 135 III 551 S. 553
Extrait des considérants:
1.
1.2
La décision contestée - rejet d'une réquisition de poursuite tendant à valider un séquestre - n'a pas pour objet une mesure provisionnelle au sens de l'
art. 98 LTF
, c'est-à-dire le séquestre lui-même (
ATF 133 III 589
consid. 1 p. 590/591) ou son exécution (BRACONI, Le recours en matière de poursuite pour dettes selon la loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral: compendium des premiers cas d'application, JdT 2009 II p. 78 ss, 88 ch. 3 et les arrêts [non publiés] cités), mais le refus de l'office de procéder à un acte matériel (PHILIPPIN, La nouvelle loi sur le Tribunal fédéral: effets sur le droit des poursuites et faillites, in Le droit du bail et le droit des poursuites et des faillites - La loi sur le Tribunal fédéral, 2007, p. 130 ss, 139). Les moyens de la recourante ne sont donc pas restreints à la violation de ses droits constitutionnels, avec les exigences de motivation qui s'y rapportent (
art. 106 al. 2 LTF
; cf. à ce sujet:
ATF 135 III 232
consid. 1.2 p. 234 et les arrêts cités).
2.
2.1
L'autorité cantonale de surveillance est partie du principe que, pour qu'un "délai commence à courir, il faut qu'il y ait communication d'un acte de poursuite au sens large, dès sa réception effective, fictive ou présumée"; a contrario, si - comme en l'espèce - le délai ne court pas, parce que le procès est toujours pendant, la "réquisition de poursuite doit être considérée comme prématurée, avant qu'un jugement ne soit rendu dans la procédure au fond en Italie".
2.2
Dans ses déterminations en instance fédérale, l'Office expose, en substance, qu'il n'est pas possible de modifier la "chronologie" prévue par l'
art. 279 LP
: si le séquestre est ordonné avant le dépôt de l'action au fond, le créancier doit respecter la procédure et les délais des alienas 1 à 3; si l'action est déjà introduite, il doit se conformer à la procédure et au délai de l'alinea 4; une combinaison des deux modes de validation est exclue, même sous prétexte d'accélérer la perfection du séquestre. En l'occurrence, la recourante a déclaré, après l'obtention du séquestre, qu'une action en justice était pendante en Italie; elle s'est donc placée implicitement dans l'hypothèse réglée par l'
art. 279 al. 4 LP
, ce qu'elle a confirmé en déposant une réquisition de poursuite le 5 juin 2008. Or, en formant une réquisition de poursuite alors même que, de son propre aveu, le jugement étranger n'avait pas encore été rendu, l'intéressée
BGE 135 III 551 S. 554
entendait recourir à un mode de validation non envisagé par la loi et qui, s'il était consacré, aboutirait à faire fi de la vérification du délai de validation de dix jours. Le délai n'ayant ainsi pas commencé à courir, la réquisition de poursuite était prématurée, en sorte qu'elle devait être rejetée.
2.3
A teneur de l'
art. 279 LP
, le créancier qui a fait opérer un séquestre sans poursuite ou action préalable doit requérir la poursuite ou intenter action dans les dix jours à compter de la réception du procès-verbal (al. 1); s'il a intenté l'action en reconnaissance de dette sans poursuite préalable, il doit requérir la poursuite dans les dix jours à compter de la notification du jugement (al. 4). Seule cette dernière situation entre en ligne de compte dans le cas présent.
En tant que mesure conservatoire destinée à éviter que le débiteur ne dispose de ses biens pour les soustraire à l'action future de son créancier (cf.
ATF 116 III 111
consid. 3a p. 115/116), le séquestre doit être rapidement validé, d'où les brefs délais institués à cette fin (FF 1991 III 200/201 ch. 208.7;
ATF 129 III 599
consid. 2.3 p. 603). Toutefois, l'
art. 279 LP
se limite à fixer les termes jusqu'auxquels le créancier doit accomplir les actes propres à prévenir la caducité de sa sûreté (
art. 280 ch. 1 LP
). Le séquestrant peut dès lors requérir une poursuite immédiatement après l'autorisation de séquestre, alors même que la loi lui prescrit de le faire "dans les dix jours à compter de la réception du procès-verbal" (
art. 279 al. 1 LP
; BONNARD, Le séquestre, thèse Lausanne 1914, p. 251). Il peut aussi ouvrir action en reconnaissance de dette simultanément à l'introduction de la poursuite, à savoir
avant
l'expiration du délai pour former opposition (
art. 279 al. 2 LP
; arrêt de l'Obergericht du canton de Zurich du 8 novembre 1922, in ZR 22/1923 n° 159; JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs- und Konkurs-Praxis der Jahre 1911-1945, 1947, vol. I, n° 11 ad art. 278 ancien LP; ARDINAY, Die Arrestprosequierung nach schweizerischem Recht, 1954, p. 59). Le Tribunal fédéral a d'ailleurs admis, de façon générale, que l'action en reconnaissance de dette de l'
art. 79 LP
pouvait être introduite "déjà concurremment avec le commandement de payer" (
ATF 113 III 120
consid. 3 p. 122 et l'auteur cité); or, l'action en validation de séquestre n'est rien d'autre que ladite action (GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 4
e
éd., 2005, n° 2836).
Il découle des principes qui précèdent que l'
art. 279 al. 4 LP
proscrit uniquement l'introduction d'une poursuite après l'expiration d'un
BGE 135 III 551 S. 555
délai de dix jours à compter de la notification du jugement, en l'occurrence étranger (cf. GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, vol. IV, 2003, n° 53 ad
art. 279 LP
["au plus tard"]); mais le créancier peut néanmoins engager une poursuite sans attendre la communication de cette décision (implicitement, dans ce sens: MEIER-DIETERLE, Formelles Arrestrecht - eine Checkliste, AJP 2002 p. 1224 ss, 1230 n. 65). Dans un ancien arrêt, le Tribunal fédéral a jugé que la seule obligation imposée au créancier est le dépôt d'une réquisition de poursuite dans les dix jours dès la communication du jugement au fond; partant de ce constat, il n'a pas remis en cause la validation d'un séquestre (exécuté après l'introduction de l'action en reconnaissance de dette) par une poursuite ouverte le
29 avril 1908
, tandis que le jugement au fond avait été rendu le
24 avril 1909
; à ce propos, il a observé que les créanciers avaient agi "beaucoup plus tôt qu'ils n'étaient obligés de le faire" (
ATF 35 I 827
consid. 2 p. 830). Un tel procédé apparaît non seulement compatible avec la célérité exigée en matière de validation, mais il n'entraîne de surcroît aucun préjudice pour le débiteur; comme le souligne la recourante, celui-ci conserve en toute hypothèse la possibilité de former opposition au commandement de payer.
L'arrêt mentionné plus haut affirme que le créancier n'a pas à requérir la mainlevée de l'opposition dans les dix jours de la communication du jugement, car "le jugement qui prononce l'existence de la dette constitue [...] une main-levée de l'opposition" (consid. 1 in fine et consid. 2 in fine p. 830). Pareille solution ne peut cependant plus être maintenue au regard de la jurisprudence selon laquelle le créancier n'est habilité à requérir la continuation de la poursuite sans passer par la procédure de mainlevée que si le dispositif du jugement se réfère avec précision à la poursuite en cours et lève formellement l'opposition, totalement ou à concurrence d'un montant déterminé (voir notamment:
ATF 107 III 60
consid. 3 p. 64 ss). Conformément à l'
art. 279 al. 2 LP
, si le débiteur a formé opposition, le créancier doit requérir la mainlevée de celle-ci ou introduire l'action en reconnaissance de la dette dans les dix jours à compter de la date à laquelle l'opposition lui a été communiquée; pour maintenir le séquestre en force, le créancier est alors tenu de requérir au surplus la mainlevée définitive dans l'action en reconnaissance de dette (MEIER-DIETERLE, op. cit.), chef de conclusions qui est
BGE 135 III 551 S. 556
admissible sous l'angle de l'
art. 79 al. 1 LP
(
ATF 128 III 39
consid. 2 p. 41 et les références). Certes, cette solution n'est pas valable lorsque l'action en reconnaissance de la dette est - comme ici - pendante à l'étranger, puisque le juge suisse est exclusivement compétent pour prononcer la mainlevée définitive (notamment: LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5
e
éd., 2000, n° 5b/bb et 5c/cc ad art. 32 ZPO); dans cette hypothèse, il incombe au créancier de requérir celle-ci (cf.
art. 81 al. 3 LP
) dans les dix jours à partir de la communication de la décision étrangère, par application combinée des al. 2 et 4 de l'
art. 279 LP
. | null | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
68108fb9-fead-40bc-bc57-4c0d3abe7641 | Urteilskopf
104 Ib 381
60. Auszug aus dem Urteil vom 19. Dezember 1978 i.S. Schweizer Heimatschutz und Berner Heimatschutz gegen Schwab und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Legitimation von Verbänden zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde;
Art. 103 lit. a und c OG
.
Beschwerdelegitimation des Schweizer Heimatschutzes und eines kantonalen Heimatschutzverbandes in einer Streitsache, die den Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung (BMR) betrifft? Legitimation verneint, sowohl aufgrund der lit. c als auch der lit. a von
Art. 103 OG
. | Sachverhalt
ab Seite 382
BGE 104 Ib 381 S. 382
Der Regierungsstatthalter von Erlach wies ein von Gottfried Schwab eingereichtes Abbruchgesuch betreffend das Bauernhaus Nr. 32 auf Parzelle Nr. 386 an der Hauptstrasse in Siselen aus Gründen des Ortsbildschutzes ab. Durch den Abbruch hätte Raum für Parkplätze, die Schwab für sein Restaurant benötigte, geschaffen werden sollen. Gegen den Entscheid des Regierungsstatthalters führte Schwab und die Gemeinde Siselen Baubeschwerde beim Regierungsrat des Kantons Bern. Dieser hiess die Beschwerde gut und erteilte die Abbruchbewilligung, um die Schwab nachgesucht hatte. Der Berner Heimatschutz focht diesen Entscheid beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern an und beantragte, die Abbruchbewilligung aus Gründen des Ortsbildschutzes zu verweigern. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 24. April 1978 ab. Der Schweizer Heimatschutz und der Berner Heimatschutz führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts. Sie beantragen im wesentlichen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Bewilligung für den Abbruch des Hauses und die Erstellung von Parkplätzen sei zu verweigern. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein, aus der folgenden
Erwägungen
Erwägung:
3.
Es stellt sich die Frage, ob der Schweizer Heimatschutz und der Berner Heimatschutz zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert sind.
a) Nach
Art. 103 lit. c OG
sind Organisationen zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, sofern eine Bestimmung des Bundesrechts sie zur Beschwerde ermächtigt. Im eidgenössischen Raumplanungsrecht befasst sich Art. 8 BMR mit dem Rechtsschutz im Bereiche des Bundes. Dieser Artikel verweist auf die allgemeinen Bestimmungen der Bundesrechtspflege und enthält keinen Hinweis, wonach irgendwelchen Vereinigungen
BGE 104 Ib 381 S. 383
im bundesrechtlichen Rechtsmittelverfahren die Beschwerdelegitimation zuerkannt werden wollte. Aus Art. 8 BMR können die Beschwerdeführer demnach keine Legitimation für das Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ableiten (vgl. das Urteil des Bundesgerichts vom 14. März 1975, ZBl 76/1975, S. 398).
Nach Art. 12 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG) steht unter anderem den gesamtschweizerischen Vereinigungen, die sich statutengemäss dem Natur- und Heimatschutz oder verwandten rein ideellen Zielen widmen, im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde das Beschwerderecht zu. Diese Bestimmung bezieht sich nach dem Aufbau des NHG nur auf Fälle, in denen bei Erfüllung einer Bundesaufgabe (
Art. 24sexies Abs. 2 BV
,
Art. 2 NHG
) die Belange des Natur- und Heimatschutzes zu wahren sind. Nach
Art. 24sexies Abs. 1 BV
ist der Natur- und Heimatschutz grundsätzlich Sache der Kantone. Daran hat der BMR nichts geändert. Der Schutz der Ortsbilder (Art. 2 lit. c BMR), um den es im vorliegenden Verfahren geht, wird selbst dann nicht zur Bundesaufgabe, wenn er im Rahmen der dringlichen Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung erfolgt (vgl. den zitierten Entscheid des Bundesgerichts, ZBl 76/1975, S. 398). Aus
Art. 12 NHG
können die Beschwerdeführer folglich ebenfalls keine Beschwerdelegitimation ableiten. Eine andere Bestimmung des Bundesrechts, welche die Beschwerdeführer im Sinne von
Art. 103 lit. c OG
zur Beschwerde ermächtigen würde, ist nicht ersichtlich.
Art. 103 lit. c OG
fällt im vorliegenden Fall somit als Grundlage für die Beschwerdelegitimation ausser Betracht.
b) Nach der allgemeinen Bestimmung von
Art. 103 lit. a OG
sind der Schweizer Heimatschutz und der Berner Heimatschutz beschwerdeberechtigt, wenn sie durch die angefochtene Verfügung berührt sind und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung haben.
Ein Verband kann beschwerdeberechtigt sein, wenn er durch die angefochtene Verfügung selber unmittelbar (z.B. als Verfügungsadressat) betroffen ist. Die Geltendmachung allgemeiner Interessen ist einem Verband hingegen (ausser in den Fällen von
Art. 103 lit. c OG
) verwehrt, denn nach
Art. 103 lit. a OG
ist zur Beschwerde nur legitimiert, wer durch die angefochtene Verfügung mehr als irgend jemand betroffen wird (BGE 103 Ib
BGE 104 Ib 381 S. 384
149). Die Erhaltung des Ortsbildes von Siselen ist ein allgemeines Anliegen, zu dem die beschwerdeführenden Verbände keine engere Beziehung haben als z.B. verschiedene Einwohner von Siselen oder dessen Umgebung. Unter diesen Umständen können der Schweizer Heimatschutz und der Berner Heimatschutz im vorliegenden Verfahren nicht als unmittelbar betroffen betrachtet werden. Es steht ihnen in dieser Hinsicht somit keine Beschwerdelegitimation zu.
Neben den eigenen Interessen kann ein Verband auch die Interessen seiner Mitglieder vertreten. Diesbezüglich ist er zur Beschwerde berechtigt, wenn es sich um Interessen handelt, die er nach seinen Statuten zu wahren hat, die der Mehrheit oder doch einer grossen Anzahl seiner Mitglieder gemeinsam sind und zu deren Geltendmachung durch Beschwerde jedes dieser Mitglieder befugt wäre (BGE
BGE 100 Ia 99
f.; vgl. auch
BGE 101 Ib 110
mit Hinweis). Im vorliegenden Fall ist nicht nachgewiesen und es dürfte auch kaum zutreffen, dass die Mehrheit oder eine grosse Anzahl der Mitglieder der beschwerdeführenden Verbände selber zur Beschwerde legitimiert sind. Die Beschwerdebefugnis dieser Mitglieder wäre höchstens denkbar, wenn sie als Nachbarn durch den zur Diskussion stehenden Abbruch unmittelbar betroffen wären (vgl.
BGE 104 Ib 248
ff. E. 5-7). Es braucht hier nicht weiter erörtert zu werden, wie weit der Kreis der Nachbarn zu ziehen ist. Da die Mitglieder der beschwerdeführenden Verbände auf dem ganzen Gebiet der Schweiz bzw. des Kantons Bern wohnen, ist im vorliegenden Fall eine nachbarliche Beziehung zum Streitgegenstand jedenfalls weder für die Mehrheit noch für eine grosse Zahl dieser Mitglieder gegeben. Aus diesem Grund muss die Beschwerdelegitimation des Schweizer Heimatschutzes und des Berner Heimatschutzes auch hinsichtlich der Interessen ihrer Mitglieder verneint werden. Somit fehlt die Legitimation der Beschwerdeführer sowohl gemäss lit. c als auch lit. a von
Art. 103 OG
. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher nicht einzutreten. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
6812f496-a8be-46da-bfb8-a46f504bf963 | Urteilskopf
141 V 127
14. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Pensionskasse B. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_354/2014 vom 16. Januar 2015 | Regeste
Art. 23 ff. BVG
;
Art. 17 Abs. 1 ATSG
; Anpassung von Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge.
Eine im Sinne von
Art. 17 Abs. 1 ATSG
relevante Änderung des invalidenversicherungsrechtlichen Status oder des Anteils der Erwerbstätigkeit ist für die laufende Invalidenrente der beruflichen Vorsorge nicht von Bedeutung, d.h. stellt keinen berufsvorsorgerechtlichen Anpassungsgrund dar (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 127
BGE 141 V 127 S. 127
A.
A. arbeitete in der Firma C. AG. Im Rahmen dieser Anstellung war sie bei der Pensionskasse B. berufsvorsorgeversichert. Im April 2002 kündigte ihr die Arbeitgeberin auf Ende Juli 2002. Infolge Schwangerschaft und Geburt verlängerte sich das Arbeitsverhältnis bis Ende August 2003.
Im Januar 2001 hatte sich A. (ein zweites Mal) bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Nach Abklärungen sprach ihr die IV-Stelle Bern (nachfolgend: IV-Stelle) mit Verfügung vom 25. September 2003 aufgrund eines Invaliditätsgrades von 50 % eine halbe Invalidenrente samt Zusatzrente für den Ehemann ab 1. April 2001 zu. Die Pensionskasse B. richtete ab 1. September 2003 Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge (Invalidenrente und eine Invaliden-Kinderrente) aus.
BGE 141 V 127 S. 128
Als Ergebnis des 2006 eingeleiteten Revisionsverfahrens hob die IV-Stelle mit Verfügung vom 4. März 2008 die Rente auf Ende April 2008 auf. Die neu angewendete gemischte Methode der Invaliditätsbemessung hatte einen Invaliditätsgrad von 10 % ergeben. Auf denselben Zeitpunkt stellte die Pensionskasse B. ihre Leistungen ein (Schreiben vom 14. März 2008). Das Gesuch von A. vom 26. Oktober 2012 um Ausrichtung einer 30 %-Invalidenrente ab 1. Mai 2008 sowie Nachzahlung der Invalidenrenten für die Zeit vom 1. April 2001 bis 31. August 2003 lehnte sie ab (Schreiben vom 14. November 2012).
B.
Am 31. Januar 2013 liess A. beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Klage gegen die Pensionskasse B. einreichen, welche die Sozialversicherungsrechtliche Abteilung nach Klageantwort und zweitem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 8. April 2014 abwies.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A. zur Hauptsache, der Entscheid vom 8. April 2014 sei aufzuheben und die Pensionskasse B. "teilklageweise" zu verpflichten, ab 1. August 2002 eine Hauptrente sowie ab März 2003 Kinderrenten zu bezahlen, zuzüglich Verzugszins von 5 % auf dem Saldobetrag seit wann rechtens; es sei Akt zu nehmen, dass Mehrforderungen vorbehalten blieben.
Die Pensionskasse B. ersucht um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat keine Vernehmlassung eingereicht.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Streitgegenstand gemäss den Begehren in der Beschwerde (Urteil 1C_330/2013 vom 15. Oktober 2013 E. 2.1) bildet der Anspruch der Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdegegnerin auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge. Dabei geht es entsprechend den Beschwerdeanträgen um die Zeiträume vom 1. August 2002 bis 31. August 2003, vom 1. September 2003 bis 30. April 2008 sowie ab 1. Mai 2008.
2.
Die Vorinstanz hat eine allfällige Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin bis 31. Januar 2008 infolge Anspruchsverjährung verneint (
Art. 41 Abs. 1 und 2 BVG
sowie aArt. 41 Abs. 1 BVG, in der bis Ende 2004 geltenden Fassung; zum intertemporalrechtlichen
BGE 141 V 127 S. 129
Verhältnis dieser Bestimmungen vgl.
BGE 140 V 213
E. 4 S. 216). Die Beschwerdeführerin rügt, die Erhebung der Einrede der Verjährung durch die Beschwerdegegnerin verstosse gegen Treu und Glauben. Die Vorsorgeeinrichtung habe ihre Pflicht zur korrekten Information über zustehende Ansprüche verletzt und zu tiefe Leistungen behauptet.
Die Vorinstanz hat die Gründe dargelegt, weshalb
Art. 2 Abs. 2 ZGB
, wonach der offenbare Missbrauch eines Rechtes keinen Rechtsschutz findet, nicht anwendbar ist. Dabei hat sie auf die Rechtsprechung hingewiesen, wonach die Verjährungseinrede nicht schon deshalb rechtsmissbräuchlich ist, weil der Schuldner weiss, dass der eingeklagte Anspruch zu Recht besteht (Urteil 4A_590/2009 vom 14. Mai 2010 E. 5.1; vgl. auch
BGE 137 V 394
E. 7.1 S. 403). Die Beschwerdeführerin vermag den vorinstanzlichen Erwägungen nichts Substanzielles entgegenzuhalten. Insbesondere vermag sie keine gesetzliche oder reglementarische Grundlage anzugeben, aus der sich spezielle Pflichten der Beschwerdegegnerin betreffend Aufklärung, Beratung und Information bezüglich der ab 1. September 2003 ausgerichteten Invalidenleistungen ergeben könnten (vgl. Urteil B 160/06 vom 7. November 2007, in: SVR 2008 BVG Nr. 30 S. 121, sowie
BGE 136 V 331
zu dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen
Art. 86b BVG
). Der in der Beschwerde erwähnte
BGE 117 V 33
, der von der Information bei Eintritt des Freizügigkeitsfalles handelt, ist nicht einschlägig. Im Übrigen unterliegen Ansprüche aus Vertrauenshaftung nach
Art. 2 ZGB
der einjährigen relativen Verjährungsfrist nach
Art. 60 OR
(
BGE 134 III 390
). Ob diese Frist gewahrt wäre, erscheint fraglich (zur Beweislastverteilung vgl. Urteil 5A_563/2009 vom 29. Januar 2010 E. 3 mit Hinweisen auf die Lehre), kann nach dem Gesagten indessen offenbleiben.
3.
In Bezug auf die Monate Februar bis April 2008 beantragt die Beschwerdeführerin höhere Leistungen als von der Beschwerdegegnerin ausgerichtet. Die Frage hängt davon ab, ob das Reglement 1999 oder 2001, gültig ab 1. Januar 2002, anwendbar ist bzw. in welchem Zeitpunkt der Anspruch auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge entstanden war. Gemäss Vorinstanz gilt die anspruchsbegründende Invalidität mit Ablauf der Wartezeit nach aArt. 29 Abs. 1 lit. b IVG, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2007, bzw. mit Beginn der halben Rente der Invalidenversicherung am 1. April 2001 als eingetreten. Somit sei das Reglement 1999 anwendbar. Nach
BGE 141 V 127 S. 130
Auffassung der Beschwerdeführerin gilt dies allenfalls für den Obligatoriumsbereich. Ein Anspruch auf reglementarische Leistungen sei bis 31. Dezember 2001 jedoch nicht entstanden, sondern erst mit Auflösung des Arbeitsverhältnisses Ende August 2003, wie sich aus Art. 14 Abs. 1, 3 und 5 Reglement 1999 ergebe.
3.1
Gemäss
Art. 18 Abs. 1 OR
bestimmt sich der Inhalt des Vertrags nach dem übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien. Die empirische oder subjektive hat gegenüber der normativen oder objektivierten Vertragsauslegung den Vorrang. Nur wenn der übereinstimmende wirkliche Wille der Parteien unbewiesen bleibt, ist deren mutmasslicher Wille zu ermitteln, indem ihre Erklärungen aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen sind, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten (zum Ganzen
BGE 138 III 659
E. 4.2.1 S. 666 f. mit Hinweisen; Urteil 2C_941/2012 vom 9. November 2013 E. 3.3). Diese Grundsätze gelten auch für Statuten und Reglemente privater Vorsorgeeinrichtungen (
BGE 134 V 369
E. 6.2 S. 375 mit Hinweisen). Da in Bezug auf Art. 14 Abs. 1 und 3 Reglement 1999 kein übereinstimmender wirklicher Parteiwille festzustellen ist, muss somit nach dem objektiven Sinn des Erklärungsverhaltens der Parteien gefragt werden. Dabei sind unklare, mehrdeutige oder ungewöhnliche Wendungen im Zweifel zu Lasten der Vorsorgeeinrichtung auszulegen (Urteile 9C_88/2011 vom 15. Februar 2012 E. 4.2; 9C_1024/2010 vom 2. September 2011 E. 4.1, in: SVR 2012 BVG Nr. 3 S. 11; 9C_177/2010 vom 25. Mai 2010 E. 2.2.1, in: SVR 2011 BVG Nr. 1 S. 1).
3.2
Art. 14 Abs. 1, 3 und 5 Reglement 1999 ('Invalidenrente') lauten wie folgt:
"1. Ist das Mitglied nach Feststellung des Vertrauensarztes seines Arbeitgebers für seine bisherige oder für eine andere ihm zumutbare Beschäftigung nicht mehr tauglich (Invalidität), so hat es Anspruch auf eine Invalidenrente, wenn das Arbeitsverhältnis aus diesem Grunde vom Arbeitgeber aufgelöst wird.
2. (...)
3. Der Anspruch auf die Invalidenrente beginnt mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses oder (...).
4. (...)
5. Mit dem Beginn einer Invalidenrente entfällt die Beitragspflicht nach Massgabe des Invaliditätsgrades."
BGE 141 V 127 S. 131
Der Anspruch auf eine Invalidenrente setzt somit voraus, dass das Arbeitsverhältnis wegen der Invalidität in dem in Teilsatz 1 von Abs. 1 umschriebenen Sinne vom Arbeitgeber aufgelöst wird. Dies kann nur so verstanden werden, dass der Anspruch frühestens im Zeitpunkt der Kündigung entstehen kann. Ob aufgrund von Abs. 3 und 5 das rechtliche Ende des Anstellungsverhältnisses massgebend ist, wie in der Beschwerde geltend gemacht wird, kann hier offenbleiben. Ebenso wenig braucht auf die Kritik der Beschwerdegegnerin an der Rechtsprechung betreffend den Rentenaufschub, wenn Taggelder der Kranken- oder Unfallversicherung nach Beginn der Rente der Invalidenversicherung gekürzt oder zurückfordert werden (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 27/04 vom 21. Februar 2005 und
BGE 128 V 243
sowie HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, 2. Aufl. 2012, S. 369 Rz. 1008), eingegangen zu werden. Der Beschwerdeführerin war nach unbestrittener Feststellung der Vorinstanz im April 2002 auf Ende Juli 2002 gekündigt worden. Infolge Schwangerschaft und Geburt der ersten Tochter verlängerte sich das Arbeitsverhältnis bis Ende August 2003. Bei dessen Auflösung durch den Arbeitgeber im April 2002 stand jedoch bereits das Reglement 2001 in Kraft, welches somit mangels anders lautender übergangsrechtlicher Bestimmung anwendbar ist (Urteil 9C_954/2011 vom 22. März 2012 E. 2.2, in: SVR 2012 BVG Nr. 36 S. 138).
3.3
Für die Monate Februar bis April 2008 wird die Vorinstanz die Invalidenrente der Beschwerdeführerin und die Kinderrente neu auf der Grundlage von Reglement 2001 zu berechnen haben. Soweit für die Bestimmung des versicherten Verdienstes von Bedeutung, wird sie zu prüfen haben, ob der Anspruch im April 2002 oder erst Ende August 2003 entstanden ist (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 42/03 vom 16. Oktober 2003 E. 3.1, in: SVR 2004 BVG Nr. 8 S. 24). Für die Zeit vor Februar 2008 sind infolge Verjährung keine (weiteren) Leistungen geschuldet (vorne E. 2).
4.
Für die Zeit ab 1. Mai 2008 hat die Vorinstanz einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Invalidenleistungen (Invalidenrente, Kinderrenten) verneint. Zur Begründung hat sie ausgeführt, nach Art. 15 Abs. 2 Reglement 2006 sei die Beschwerdegegnerin befugt gewesen, die Verfügung vom 4. März 2008, womit die halbe Rente der Invalidenversicherung der Beschwerdeführerin auf Ende April 2008 aufgehoben worden sei, nachzuvollziehen und ihre Leistungen auf diesen Zeitpunkt einzustellen. Daran ändere nichts, dass der revisionsweisen Rentenaufhebung die gemischte Methode zugrunde gelegen
BGE 141 V 127 S. 132
habe, zumal sich die Arbeitsfähigkeit im Erwerbsbereich in anspruchsrelevanter Weise von ursprünglich 50 % auf 70 % verbessert habe. Nach der Konzeption der beruflichen Vorsorge als Erwerbsausfallversicherung sei das hypothetische zeitliche Pensum massgebend, das die versicherte Person leisten würde, wenn sie gesund wäre, und nicht das vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung tatsächlich ausgeübte. Bezogen auf das erwerbliche Arbeitspensum von 50 % resultiere bei einer Arbeitsfähigkeit von 70 % keine Erwerbseinbusse und somit keine Invalidität, weder im Sinne der IV noch des Reglements.
Die Beschwerdeführerin hält dagegen, der invalidenversicherungsrechtliche Statuswechsel stelle berufsvorsorgerechtlich keinen Anpassungsgrund dar, weil dies für eine Erwerbsausfallversicherung wesensfremd wäre. Jedenfalls bedürfte es hiefür einer klaren reglementarischen Grundlage, woran es indessen im Reglement 2001 fehle. Der in Art. 15 Abs. 2 Reglement 2006 vorgesehene Nachvollzug von Revisionsentscheiden der Invalidenversicherung sei hier lediglich zulässig, soweit sie mit einer Verbesserung der Arbeitsfähigkeit im Erwerbsbereich begründet werden. Der Erwerbsausfall gemessen an der vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung ausgeübten Vollerwerbstätigkeit werde nicht kleiner, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt Mutter eines Kindes werde. Eine Änderung in den persönlichen Verhältnissen sei kein neuer Versicherungsfall und habe nichts mit dem seinerzeitigen Versicherungsfall Invalidität zu tun. Die Rechtsauffassung der Vorinstanz stehe auch im Widerspruch zur Lehre.
5.
Zu prüfen ist, ob der invalidenversicherungsrechtliche Statuswechsel (von vollerwerbstätig [Verfügung vom 25. September 2003] zu teilerwerbstätig [Verfügung vom 4. März 2008]; Urteil 8C_854/2011 vom 10. Februar 2012 E. 2.3) bzw. der Wechsel der Methode der Invaliditätsbemessung (vom Einkommensvergleich [
Art. 16 ATSG
(SR 830.1) i.V.m.
Art. 28a Abs. 1 IVG
] zur gemischten Methode [
Art. 28a Abs. 3 IVG
]) für die laufende Invalidenrente der beruflichen Vorsorge von Bedeutung ist. Die unbestrittene Erhöhung der Arbeitsfähigkeit von 50 % auf 70 % aufgrund des verbesserten Gesundheitszustandes im Vergleichszeitraum macht die Frage nicht obsolet, da nach Reglement ein Invaliditätsgrad von wenigstens 25 % Anspruch auf Invalidenleistungen gibt.
5.1
Entscheide der Invalidenversicherung über den erwerblichen Status einer invaliden Person (voll erwerbstätig, teilerwerbstätig,
BGE 141 V 127 S. 133
nicht erwerbstätig) sind für die Vorsorgeeinrichtungen, welche ins IV-Verfahren einbezogen worden waren, bindend, und zwar sowohl im obligatorischen als auch im weitergehenden Bereich (
BGE 129 V 150
E. 2.5 S. 156). Dies gilt auch, wenn sie, wie die Beschwerdegegnerin, auf die invalidenversicherungsrechtliche Betrachtungsweise abstellen (Urteil 9C_693/2009 vom 10. September 2010 E. 5.1, in: SVR 2011 BVG Nr. 12 S. 44). Bei Teilerwerbstätigen mit einem Aufgabenbereich (im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 IVG
i.V.m.
Art. 8 Abs. 3 ATSG
und
Art. 27 IVV
[SR 831.201]) bzw. bei Anwendbarkeit der gemischten Bemessungsmethode ist für die berufliche Vorsorge grundsätzlich nur der Invaliditätsgrad massgebend, der für den erwerblichen Bereich resultiert, unter Vorbehalt offensichtlicher Unhaltbarkeit. Einzig insoweit ist eine Bindung an die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung gegeben (
BGE 120 V 106
E. 4b S. 109 f.). Dies bedeutet, dass unter Umständen Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung bestehen kann, nicht aber auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge oder umgekehrt. Sowohl
BGE 120 V 106
als auch
BGE 129 V 150
ergingen im Zusammenhang mit der erstmaligen Zusprechung einer Rente der Invalidenversicherung.
5.2
Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge sind grundsätzlich anzupassen, wenn sie den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen objektiv nicht oder nicht mehr entsprechen (
BGE 138 V 409
). Nach Art. 15 Abs. 2 Reglement 2006 werden Anpassungen nur bei Revisionen der IV entsprechend den neuen Verfügungen vorgenommen (Satz 3). Bei striktem Nachvollzug des IV-Statusentscheids wäre für die Vorsorgeeinrichtung neu der Invaliditätsgrad massgebend, der für den erwerblichen Bereich resultiert. Dieser beträgt im vorliegenden Fall unbestritten 0 % (Arbeitsfähigkeit von 70 % bei einem hypothetischen Arbeitspensum von 50 % im Gesundheitsfall). Nach der Lehre, soweit sie sich zum Thema der Anpassung von Leistungen der beruflichen Vorsorge an die Entscheide der Invalidenversicherung äussert, soll eine mit einer Statusänderung verbundene Revision der Rente der Invalidenversicherung ohne Einfluss auf den berufsvorsorgerechtlichen Rentenanspruch sein. Ein Statuswechsel könne jedoch zu einer Neuberechnung der Überentschädigung führen im Sinne der Anpassung der Überentschädigungsgrenze (nach Reglement oder Gesetz [vgl. Art. 24 Abs. 1 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1): "90 Prozent des mutmasslich entgangenen
BGE 141 V 127 S. 134
Verdienstes"]; MARC HÜRZELER, in: Handkommentar zum BVG und FZG, Schneider/Geiser/Gächter [Hrsg.], 2010, N. 15 zu
Art. 24 BVG
;
ders.
, Invaliditätsbemessung in der Invalidenversicherung und der beruflichen Vorsorge, in: Personen-Schaden-Forum 2008, S. 213; BERNHARD STUDHALTER, Unfallbedingter Erwerbsausfall in der IV, UV und [obligatorischen] BV, in: Personen-Schaden-Forum 2005, S. 115 und 122- 124, unter Hinweis auf ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Überentschädigung/Ungerechtfertigte Vorteile, in: Neuere Entwicklungen in der beruflichen Vorsorge, 2000, S. 146, und auf
BGE 129 V 150
E. 2.3 S. 155). Die Rechtsauffassung, dass ein Statuswechsel im Rahmen eines IV-Revisionsverfahrens für sich allein genommen am berufsvorsorgerechtlichen Rentenanspruch nichts ändert, wird damit begründet, der neu - nach der gemischten Methode - ermittelte Invaliditätsgrad sei für die Vorsorgeeinrichtung nicht verbindlich (vgl. HÜRZELER, a.a.O., N. 15 zu
Art. 24 BVG
).
5.3
5.3.1
Der invalidenversicherungsrechtliche Status macht eine Aussage darüber, ob und gegebenenfalls in welchem zeitlichen Umfang die versicherte Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung einem Erwerb nachginge und daneben in einem Aufgabenbereich nach
Art. 5 Abs. 1 IVG
i.V.m.
Art. 8 Abs. 3 ATSG
tätig wäre (Urteil 9C_311/2013 vom 12. November 2013 E. 3.1). Der Status als solcher und damit auch ein allfälliger Statuswechsel oder eine Änderung des (zahlenmässigen) Verhältnisses der beiden massgeblichen Tätigkeitsbereiche (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 502/97 vom 8. März 1999 E. 3) im Rahmen eines Revisionsverfahrens nach
Art. 17 Abs. 1 ATSG
sind für den Umfang der Erwerbsfähigkeit nicht von Bedeutung, anders als etwa der Gesundheitszustand bzw. eine Verbesserung oder eine Verschlechterung desselben. Die damit verbundene Änderung des hypothetischen erwerblichen Arbeitspensums hat indessen zur Folge, dass der diesbezügliche Invaliditätsgrad neu zu bestimmen ist. Das führt bei im Übrigen unveränderten Umständen zu einem anderen Invaliditätsgrad (vgl.
BGE 131 V 51
E. 5.1.1 S. 53;
BGE 125 V 146
E. 5a S. 153 f.). Wäre dieser neue Invaliditätsgrad für die Vorsorgeeinrichtung verbindlich, bliebe unberücksichtigt, dass eine Reduktion des Beschäftigungsgrades und eine (regelmässig) damit einhergehende Lohnreduktion berufsvorsorgerechtlich eine Austrittsleistung auslöste (
Art. 20 Abs. 1 FZG
[SR 831.42]).
5.3.2
Ein Anspruch auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge ist sodann nur gegeben, sofern eine entsprechende
BGE 141 V 127 S. 135
Versicherungsdeckung vorhanden ist. Deren Umfang bemisst sich nach dem Beschäftigungsgrad bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (
Art. 23 lit. a BVG
; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 47/97 vom 15. März 1999 E. 2), unter Berücksichtigung einer allfälligen vorbestandenen gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeit (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 7/01 vom 7. Februar 2003 E. 2.1). Versah die versicherte Person ein Teilzeitpensum, besteht kein Anspruch auf Leistungen der beruflichen Vorsorge, wenn und jedenfalls solange sie trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung im bisherigen Umfang weiterarbeiten kann oder könnte (Urteile 9C_821/2010 vom 7. April 2011 E. 4.2 und 9C_634/2008 vom 19. Dezember 2008 E. 5.1 und 5.1.1; Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts B 34/05 vom 8. Juni 2006 E. 4.2 und B 46/03 vom 14. Februar 2005 E. 4; vgl. auch
BGE 129 V 132
E. 4.3.2 S. 142); das Risiko Invalidität hat sich lediglich in dem berufsvorsorgerechtlich nicht versicherten Anteil einer Vollzeitbeschäftigung (100 % - Beschäftigungsgrad) verwirklicht (Urteile 9C_821/2010 vom 7. April 2011 E. 4.2 und 9C_161/2007 vom 6. September 2007 E. 2). Eine (hypothetische) spätere Erhöhung des Arbeitspensums im Gesundheitsfall etwa aufgrund veränderter persönlicher, familiärer oder finanzieller Verhältnisse, selbst wenn "von Anfang an" beabsichtigt, ist für die Frage der Leistungspflicht für die erwerblichen Folgen der eingetretenen, im Wesentlichen unveränderten Arbeitsunfähigkeit ohne Belang. Dadurch kann die Versicherungsdeckung nicht ausgeweitet werden (Urteil 9C_821/2010 vom 7. April 2011 E. 4.2). In gleicher Weise kann auch mit Blick auf das in E. 5.3.1 hievor Gesagte - umgekehrt - die (hypothetische) Reduktion des Arbeitspensums im Gesundheitsfall nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im Sinne von
Art. 23 lit. a BVG
keine Auswirkungen auf den Anspruch auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge haben. Daraus ergibt sich, dass eine im Sinne von
Art. 17 Abs. 1 ATSG
relevante Änderung des invalidenversicherungsrechtlichen Status oder des Anteils der Erwerbstätigkeit allein keinen berufsvorsorgerechtlichen Anpassungsgrund darstellt.
5.4
Soweit im vorliegenden Fall die revisionsweise Aufhebung der halben Rente der Invalidenversicherung auf Ende April 2008 auf dem Statuswechsel (von vollerwerbstätig zu teilerwerbstätig im zeitlichen Umfang von 50 %) beruht, kann die Invalidenrente der beruflichen Vorsorge nicht gestützt auf Art. 15 Abs. 2 Reglement 2006 aufgehoben werden. Einzig die - unbestrittene - Verbesserung der
BGE 141 V 127 S. 136
Arbeitsfähigkeit (von 50 % auf 70 %) ist Grund für eine Neuberechnung der Leistung. Die Vorinstanz hat somit neben den Monaten Februar bis April 2008 (vorne E. 3.3) auch über die Begehren in der Klage (präzisiert in der Replik) betreffend die Zeit ab 1. Mai 2008 neu zu entscheiden. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
681375ff-6829-469d-938c-083ddb9dbfca | Urteilskopf
113 Ia 465
69. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. November 1987 i.S. B. gegen Kanton Basel-Stadt und Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 46 Abs. 2 BV
; Doppelbesteuerungsverbot.
Der ledige Steuerpflichtige, der in der Nähe des Familienortes eine eigene Wohnung nimmt, obwohl sich dies aus Gründen des Arbeitsverhältnisses nicht aufdrängt, begründet einen eigenen - vom Familienort unabhängigen - Wohnsitz, wie eng die familiären Beziehungen auch sein mögen. | Sachverhalt
ab Seite 466
BGE 113 Ia 465 S. 466
B., geb. 1951, wohnte seit 1972 mit ihren Eltern bzw. - seit dem Tod des Vaters - mit ihrer Mutter in einem Einfamilienhaus in Binningen/BL, welches zu einem Viertel in ihrem Miteigentum steht. Beruflich war sie seit ihrer Lehrzeit als Zahnarztassistentin in der Praxis eines Zahnarztes in Basel tätig, der 1980 bereits 65 Jahre alt war und die Praxis 1985 auflöste. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln betrug der Arbeitsweg zwischen Binningen und Basel 20 bis 30 Minuten. Am 1. Oktober 1980 mietete B. eine Eineinhalbzimmerwohnung in unmittelbarer Nähe ihres Arbeitsortes, den sie von dort zu Fuss in knapp fünf Minuten erreichen konnte.
Seit dem 1. Oktober 1980 war B. in Basel als Wochenaufenthalterin gemeldet, was die Steuerbehörden für die Jahre 1980 und 1981 nicht beanstandeten. Hingegen wurde B. mit Verfügungen vom 29. August und vom 10. September 1984 für die Jahre 1982 und 1983 der Steuerpflicht des Kantons Basel-Stadt unterworfen. Einen Rekurs wies die Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 1. Oktober 1986 ab.
Gegen diesen Entscheid erhebt B. staatsrechtliche Beschwerde und rügt eine Verletzung von Art. 46 Abs. 2 und von
Art. 4 Abs. 1 BV
. Sie begründet ihren Standpunkt, im Kanton Basel-Stadt nicht steuerpflichtig zu sein, mit dem Fortbestand engerer Beziehungen zu Binningen/BL.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Grundsätzlich steht die Besteuerung des Einkommens unselbständig erwerbender Personen allein dem Kanton zu, in dem sie ihren Wohnsitz haben (
BGE 111 Ia 42
;
BGE 104 Ia 266
). Unter dem Wohnsitz ist dabei in der Regel der zivilrechtliche Wohnsitz zu verstehen, d.h. der Ort, wo sich der Steuerpflichtige mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält (
Art. 23 Abs. 1 ZGB
), wo sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befindet (
BGE 111 Ia 42
;
BGE 108 Ia 254
E. 3a mit Hinweisen). Der Mittelpunkt der Lebensinteressen bestimmt sich für die Steuerhoheit nach der Gesamtheit der objektiven, äusseren Umstände, aus denen sich diese Interessen erkennen lassen, nicht nach den bloss erklärten Wünschen des Steuerpflichtigen (
BGE 108 Ia 255
;
BGE 97 II 3
/4 mit Hinweisen; ASA 49, 92).
BGE 113 Ia 465 S. 467
4.
a) Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin beschränkte sich in der fraglichen Zeit nicht auf einen Ort. Unter der Woche lebte sie an ihrem Arbeitsort in Basel, während sie an den Wochenenden angeblich zu ihrer Mutter nach Binningen/BL zurückkehrte.
b) Das Bundesgericht hat anerkannt, dass auch bei Ledigen, die regelmässig das Wochenende, Feiertage und Ferien bei ihrer Familie, d.h. bei Eltern und Geschwistern verbringen, der Familienort Steuerdomizil sein kann, d.h. Mittelpunkt seiner persönlichen, familiären und affektiven Beziehungen (
BGE 111 Ia 42
/3 mit Hinweisen). Dies gilt unter Umständen selbst dann, wenn er lediglich alle zwei Wochen an den Ort familiärer Bindungen zurückkehrt, denn bei diesem Erfordernis sind auch lange Reisezeiten und hohe Reisekosten angemessen zu berücksichtigen (
BGE 111 Ia 43
).
c) Mit der genannten Rechtsprechung trägt das Bundesgericht der faktischen Entfernung von Arbeits- und Familienort insofern Rechnung, als es eine regelmässige und häufige Rückkehr um so mehr als Voraussetzung für die Anerkennung des Familienortes als Steuerdomizil verlangt, je geringer die Entfernung zwischen den beiden Orten ist. Sinkt die Entfernung - oder genauer der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Zurücklegung des Weges - unter eine bestimmte Grenze, so kann nicht mehr gesagt werden, dass der Steuerpflichtige lediglich durch die Erwerbstätigkeit gezwungen wird, am Arbeitsort eine Wohnung zu mieten, die ihm während der Woche zur Verfügung steht. Tut er dies trotzdem, so dokumentiert er damit, dass seine Beziehungen zum Arbeitsort so eng geworden sind, dass er es vorzieht, dort während der Woche die Abende und die Freizeit zu verbringen, statt täglich an den Familienort zurückzukehren, obwohl ihm dies ohne grössere Kosten und zeitlichen Aufwand möglich wäre. Unter solchen Umständen lässt sich nicht mehr sagen, dass die Beziehungen zum Arbeitsort an Intensität hinter denjenigen zum Familienort zurückblieben, wie eng die familiären Beziehungen auch sein mögen.
d) Im vorliegenden Fall hätte die Beschwerdeführerin bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel von Binningen aus einen Arbeitsweg von je 20 bis 30 Minuten für die Hin- und Rückfahrt zurücklegen müssen. Es lässt sich daher im Ernst nicht behaupten, die Miete einer Wohnung in Basel habe sich der Beschwerdeführerin aus Gründen des Arbeitsverhältnisses aufgedrängt. Dies ergibt sich im übrigen schon daraus, dass die Beschwerdeführerin zuvor während vieler Jahre in Binningen gewohnt und in Basel gearbeitet hat. Der Bezug einer eigenen Wohnung ist daher im Zusammenhang
BGE 113 Ia 465 S. 468
mit ihren persönlichen Verhältnissen zu sehen, insbesondere mit ihrem im Alter von 30 Jahren zweifellos legitimen Wunsch nach Unabhängigkeit von der elterlichen Familie. Entsprechend hat die Beschwerdeführerin den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nach Basel verlegt, wo sie ihn übrigens bis zum 21. Altersjahr schon vor der Übersiedlung nach Binningen hatte, und hat dort einen eigenen Wohnsitz begründet.
e) Daran ändert nichts, dass bei Bezug der Wohnung in Basel die Auflösung der Zahnarztpraxis ihres Arbeitgebers und damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses absehbar gewesen sein mag. Daraus folgt noch keineswegs, dass eine Verlegung des Arbeitsortes in einen andern Kanton wahrscheinlich gewesen wäre. Tatsächlich wohnt die Beschwerdeführerin - zwei Jahre nach Auflösung der Zahnarztpraxis - noch immer in Basel. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
6819939c-44e6-4776-89b3-c952504f7fa9 | Urteilskopf
141 V 186
21. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Ausgleichskasse Basel-Landschaft (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_617/2014 vom 11. März 2015 | Regeste
Art. 10 Abs. 1 AHVG
;
Art. 28 Abs. 1 und 2 AHVV
; Rz. 2087 und 2088 der Wegleitung über die Beiträge der Selbstständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen (WSN) in der AHV, IV und EO; Begriff des "Renteneinkommens".
Bestätigung der Rechtsprechung, wonach eine von der beruflichen Vorsorgeeinrichtung bis zum Erreichen des AHV-Rentenalters erbrachte Überbrückungsrente als Renteneinkommen im Sinne von
Art. 28 AHVV
zu qualifizieren ist (E. 3.1).
Eine
einmalige
Leistung, vorliegend eine Barauszahlung freier Mittel aufgrund der Fusion zweier Einrichtungen der beruflichen Vorsorge, stellt kein Renteneinkommen dar (E. 3.2). | Sachverhalt
ab Seite 187
BGE 141 V 186 S. 187
A.
Mit Verfügung vom 30. April 2013 bzw. Einspracheentscheid vom 19. August 2013 setzte die Ausgleichskasse des Kantons Basel-Landschaft die von A. als Nichterwerbstätiger für die Beitragsperiode von 1. Januar bis 31. Dezember 2010 zu entrichtenden AHV/IV/EO-Beiträge auf Fr. 7'906.40 (inkl. Verwaltungskosten) fest, wobei sie der Beitragsberechnung ein massgebendes Vermögen (halbiert und gerundet) von Fr. 3'150'000.- (Reinvermögen am Stichtag 31. Dezember 2010 von Fr. 3'002'271.-, kapitalisiertes Renteneinkommen von Fr. 3'331'700.- [Fr. 166'585.- x 20]) zugrunde legte.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher A. beantragte, seine Beiträge seien auf der Grundlage eines massgebenden Vermögens von Fr. 2'850'000.- (statt Fr. 3'150'000.-) festzusetzen, wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 19. Juni 2014 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A. die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und erneuert sein vorinstanzliches Rechtsbegehren.
Während die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde schliesst, trägt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) insoweit auf Abweisung der Beschwerde an, als diese sich gegen die Kapitalisierung der Überbrückungsrente richtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nichterwerbstätige bezahlen je nach ihren sozialen Verhältnissen einen Beitrag von bis zu Fr. 10'300.- pro Jahr (Art. 10 Abs. 1 erster Satz AHVG;
Art. 3 Abs. 1
bis
IVG
; Art. 27 Abs. 2 vierter Satz EOG [SR 834.1]; je in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember2011 gültig gewesenen Fassung). Über die Beitragsbemessung hat der Bundesrat gestützt auf Abs. 3 von
Art. 10 AHVG
nähere Vorschriften erlassen: Die Beiträge der Nichterwerbstätigen, welche - wie vorliegend - mehr als den jährlichen Mindestbeitrag zu entrichten haben, werden aufgrund des Vermögens und Renteneinkommens nach der in Abs. 1 von
Art. 28 AHVV
(SR 831.101) enthaltenen Tabelle berechnet, wobei das jährliche Renteneinkommen mit 20 multipliziert wird. Verfügt ein Nichterwerbstätiger gleichzeitig über Vermögen
BGE 141 V 186 S. 188
und Renteneinkommen, so wird der mit 20 multiplizierte jährliche Rentenbetrag zum Vermögen hinzugerechnet (Abs. 2). Für die Berechnung des Beitrages ist das Vermögen einschliesslich des mit 20 multiplizierten jährlichen Rentenbetrages auf die nächsten 50'000 Franken abzurunden (Abs. 3). Ist eine verheiratete Person als Nichterwerbstätige beitragspflichtig, so bemessen sich ihre Beiträge aufgrund der Hälfte des ehelichen Vermögens und Renteneinkommens (Abs. 4).
3.
Im Streit liegt die Höhe des massgebenden Vermögens und hierbei einzig die Festsetzung des kapitalisierten Renteneinkommens.
3.1
Zum einen rügt der Beschwerdeführer die Kapitalisierung der ihm von 1. Januar 2008 bis Ende Januar 2013 (Erreichen des ordentlichen AHV-Rentenalters) ausgerichteten Überbrückungsrente seiner Pensionskasse von jährlich Fr. 26'520.-. Er stellt zwar die in ZAK 1988 S. 169 wiedergegebene Rechtsprechung (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 258/86 vom 12. August 1987 betreffend eine von der beruflichen Vorsorgeeinrichtung bis zum AHV-Rentenalter ausgerichtete "AHV-Vorauszahlung"), wonach solche Leistungen als Renteneinkommen zu qualifizieren sind, explizit nicht in Frage. Hingegen hält er die Multiplikation der Überbrückungsrente mit dem Faktor 20 - welcher im Falle von lebenslänglichen Renten zwar sachgerecht sei, nicht jedoch im Falle temporärer Renten - für willkürlich und mit dem "Prinzip der Äquivalenz der Rente und des dafür angerechneten Vermögenswerts" nicht vereinbar. Auch moniert er, der Maximalwert der Überbrückungsrente hätte von den Spezialisten der Ausgleichskasse ohne Weiteres festgestellt werden können.
Wie der Beschwerdeführer zu Recht anerkennt, ist die von der beruflichen Vorsorgeeinrichtung bis zum Erreichen des ordentlichen AHV-Rentenalters erbrachte Überbrückungsrente praxisgemäss als massgebendes Renteneinkommen zu qualifizieren (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 117/89 vom 12. Oktober 1989 E. 3 mit Hinweisen). Damit im Widerspruch steht indes sein Vorbringen, die Überbrückungsrente sei gleich zu behandeln wie eine temporäre Leibrente, deren Vermögenswert bezifferbar ist, denn in einem solchen Fall läge gerade
kein
Renteneinkommen im Sinne der Rechtsprechung vor (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 160/05 vom 2. Februar 2006 E. 4.1 mit Hinweisen; vgl. auch Rz. 2089 neuntes Lemma e contrario der Wegleitung des BSV über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen [WSN] in der AHV, IV und EO in der ab 1. Januar 2013 gültigen Fassung). Bei
BGE 141 V 186 S. 189
Renteneinkommen erübrigt sich die vom Beschwerdeführer anbegehrte, genaue Berechnung des Maximalwerts jedoch von vornherein: Wie das BSV in seiner Stellungnahme zutreffend darlegt, ermöglicht die Regelung von
Art. 28 AHVV
der Massenverwaltung ein pauschales, durchführungstechnisch einfach zu bewältigendes Verfahren, bei welchem auf eine versicherungsmathematisch korrekte Umrechnung von Rentenleistungen in Vermögen verzichtet wird. Das Bundesgericht hat diese Regelung in ständiger Rechtsprechung als verfassungs- und gesetzeskonform erachtet (
BGE 127 V 65
E. 3a S. 67;
BGE 125 V 230
E. 3a S. 233 f.;
BGE 120 V 163
E. 2 i.f. S. 166;
BGE 105 V 241
E. 2 S. 243; Urteil H 29/06 vom 6. Februar 2007 E. 5.2, in: SVR 2007 AHV Nr. 16 S. 45). Auch hat es sich bereits mit dem vom Beschwerdeführer erhobenen Einwand, die Kapitalisierung könne nur bei einer lebenslänglichen Rente und nicht bei einer Zeitrente vorgenommen werden, auseinandergesetzt und diesen verworfen (
BGE 120 V 163
E. 4c S. 169). Auf diese Rechtsprechung kann verwiesen werden, ohne dass näher zu prüfen wäre, ob der Beschwerdeführer hinsichtlich der geltend gemachten Grundrechtsverletzung den Anforderungen der qualifizierten Rügepflicht gemäss
Art. 106 Abs. 2 BGG
genügt.
3.2
3.2.1
Zum anderen macht der Beschwerdeführer sinngemäss geltend, Beschwerdegegnerin und Vorinstanz hätten
Art. 10 Abs. 1 AHVG
i.V.m.
Art. 28 Abs. 1 AHVV
verletzt, indem sie davon ausgegangen seien, er habe im Jahr 2010 ein Renteneinkommen von Fr. 102'054.- statt Fr. 94'370.- erzielt. Bei dem die Differenz ausmachenden Betrag von Fr. 7'684.- handle es sich um eine
einmalige
Auszahlung freier Stiftungsmittel, welche - da es sich nicht um eine wiederkehrende Leistung handle - nicht als Renteneinkommen zu qualifizieren sei. Vielmehr habe diese Leistung das massgebende Vermögen erhöht und sei dadurch bei der Beitragsbemessung erfasst worden.
Dagegen verweisen Vorinstanz und Beschwerdegegnerin auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach der Begriff des Renteneinkommens im weitesten Sinne zu verstehen ist (
BGE 125 V 230
E. 3b S. 234;
BGE 120 V 163
E. 4a S. 167; Urteil 9C_117/2014 vom 28. Juli 2014 E. 3.2; je mit Hinweisen). Entscheidend sei daher nicht, ob die Leistungen mehr oder weniger die Merkmale einer Rente aufwiesen, sondern ob die Leistungen zum Unterhalt der versicherten Person beitrügen, d.h. ob es sich um
BGE 141 V 186 S. 190
Einkommensbestandteile handle, welche die sozialen Verhältnisse der nichterwerbstätigen Person beeinflussten. Dies sei hier der Fall, womit die Qualifikation als Renteneinkommen nicht zu beanstanden sei.
3.2.2
Vorinstanz und Beschwerdegegnerin ist insoweit beizupflichten, als die Rechtsprechung im Kontext der Beitragsbemessung der Nichterwerbstätigen mehr als die Einkünfte, die gemeinhin als "Renteneinkommen" bezeichnet werden, unter diesen Begriff subsumiert. Nichtsdestotrotz muss es sich bei den Einkünften, wenn auch im weitesten Sinne (vgl. E. 3.2.1 Abs. 2 hievor), um Renteneinkommen handeln. Bereits der Begriff der Rente bzw. derjenige des Einkommens geht von einer
Regelmässigkeit
(und nicht von einer Einmaligkeit) der Leistung aus (vgl. Duden, Das Bedeutungswörterbuch, Bd. 10, 4. Aufl. 2010, S. 307 und 761). In diesem Sinne sind nach der Lehre sämtliche
wiederkehrenden
Leistungen (revenus
périodiques
), die die sozialen Verhältnisse des Nichterwerbstätigen beeinflussen und die weder durch eine Erwerbstätigkeit erzielt werden, noch einen Vermögensertrag darstellen, Renteneinkommen (FRANZISKA GROB, Die Beiträge der Nichterwerbstätigen in der AHV, in: AHV-Beitragsrecht, Schaffhauser/Kieser [Hrsg.], 2011, S. 85; GROB/KLEINLOGEL, Die Beiträge der Nichterwerbstätigen in der AHV, der IV und der EO, Soziale Sicherheit [CHSS] 2/2008 S. 117; PIERRE-YVES GREBER, in: Commentaire des articles 1 à 16 de la loi fédérale sur l'assurance-vieillesse et survivants [LAVS], N. 27 zu
Art. 10 AHVG
; MICHEL VALTERIO, Droit de l'assurance-veillesse et survivants [AVS] et de l'assurance-invalidité [AI], 2011, S. 159 Rz. 517). Dass es sich beim Renteneinkommen um wiederkehrende Leistungen handeln muss, hält die WSN in Rz. 2087 ausdrücklich fest. Nichts anderes ergibt sich aus Rz. 2088 WSN, wonach auch unregelmässig (aber damit ebenfalls: mehr als einmalig) erbrachte Leistungen zum Renteneinkommen zählen. Im Einklang damit hat die Rechtsprechung u.a. Renten, Taggelder, den Mietwert einer unentgeltlich zur Verfügung gestellten Wohnung, regelmässig erbrachte Zuwendungen von Dritten und andere periodische Leistungen als Renteneinkommen qualifiziert (vgl. UELI KIESER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Alters- und Hinterlassenenversicherung, 3. Aufl. 2012, N. 32 zu
Art. 10 AHVG
; VALTERIO, a.a.O., S. 159 Rz. 518; vgl. auch Rz. 2089 WSN). Lehre und Rechtsprechung gehen davon aus, dass durch die in
Art. 28 Abs. 2 AHVV
vorgesehene Umrechnung des Renteneinkommens ein Vermögen berechnet werden soll, das einen jährlichen Ertrag in
BGE 141 V 186 S. 191
der Höhe des Renteneinkommens abwirft, dass also ein fiktiv hinter der Rente stehendes Deckungskapital zu ermitteln ist (GROB, a.a.O., S. 91 mit Hinweis auf
BGE 120 V 163
E. 4c S. 168 und HANSPETER KÄSER, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 1996, S. 235).
Vorliegend ist unbestritten und aktenmässig erstellt (vgl. Rentenmeldung der Pensionskasse B. vom 25. Oktober 2010), dass die fragliche Leistung - es handelt sich um eine Barauszahlung freier Mittel aufgrund der Fusion der Ergänzungskasse der B. und der Pensionskasse der B. - in der Höhe von Fr. 7'684.-
einmalig
erfolgte. Dies schliesst nach dem hievor Dargelegten - namentlich wäre es bei einer einmaligen Leistung sinnwidrig, ein (fiktiv) dahinter stehendes Deckungskapital zu ermitteln (vgl. E. 3.2.2 erster Abs. i.f.) - die Qualifikation als Renteneinkommen aus. Daran ändert im Übrigen der Umstand nichts, dass die Steuerverwaltung Basel-Landschaft in der Veranlagungsverfügung vom 21. Februar 2013 - auch was den fraglichen Betrag betrifft - von Renteneinkommen ausgegangen ist: Der Begriff des Renteneinkommens gemäss
Art. 28 AHVV
ist unabhängig vom Begriff der Rente oder des Einkommens im Sinne des Steuerrechts (Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 233/01 vom 4. Februar 2002 E. 2d; H 186/91 vom 2. Juni 1992 E. 4c mit Hinweisen; vgl. auch Rz. 2092 und 2108 WSN).
3.2.3
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde insoweit begründet, als der Betrag von Fr. 7'684.- nicht als Renteneinkommen zu qualifizieren ist. Der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid vom 19. August 2013 sind aufzuheben und die Sache ist an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie im Sinne der Erwägungen über die Beiträge für das Jahr 2010 neu verfüge. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
6819a761-da9a-4abf-ad7a-6ce821d9bba9 | Urteilskopf
120 V 224
32. Urteil vom 29. Juli 1994 i.S. G. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Aargau | Regeste
Art. 37 Abs. 2 und 3 UVG
.
- Zur Abgrenzung der Bestimmungen von
Art. 37 Abs. 2 und 3 UVG
(Erw. 2c).
- Begriff des Vergehens gemäss
Art. 37 Abs. 3 UVG
(Erw. 2d).
Art. 37 Abs. 3 UVG
,
Art. 91 Abs. 1 SVG
,
Art. 12 StGB
,
Art. 263 StGB
. Kürzung oder Verweigerung von Geldleistungen nach Unfällen, die sich beim Führen eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand ereignet haben (Erw. 3).
Art. 37 Abs. 3 UVG
.
-
Art. 37 Abs. 3 UVG
räumt kein Entschliessungsermessen in dem Sinne ein, dass der UVG-Versicherer frei darüber entscheiden könnte, ob eine Sanktion zu verfügen ist oder nicht (Erw. 4b).
- Bestätigung der SUVA-Praxis, wonach bei Unfällen unter Alkoholeinfluss der Kürzungssatz vom Ausmass der Trunkenheit abhängig ist (Erw. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 225
BGE 120 V 224 S. 225
A.-
Der 1951 geborene R. G. war als Inhaber der Firma P. Metallbau-Montagen bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) für Betriebs- und Nichtbetriebsunfall versichert. Am 2. Februar 1991, kurz nach 21.00 Uhr, fuhr er mit seinem Personenwagen auf der Hauptstrasse von N. Richtung M. In einer leichten Linkskurve kam er von der Strasse ab, überfuhr den Dorfbach und kollidierte mit einem Stromleitungsmasten. R. G. wurde aus dem sich überschlagenden Fahrzeug geschleudert und war auf der Stelle tot. Die im Pathologischen Institut des Kantonsspitals Aarau durchgeführte Blut-Alkoholbestimmung ergab eine Alkoholkonzentration von 2,85 bis 3,15%o.
Mit Verfügung vom 14. Januar 1992 sprach die SUVA der hinterlassenen Ehefrau und dem Sohn des Verstorbenen ab 1. März 1991 eine Witwen- sowie eine Waisenrente zu, welche sie nach
Art. 37 Abs. 3 UVG
um 50% kürzte. Mit Einspracheentscheid vom 9. April 1992 bestätigte sie diese Verfügung.
B.-
Die von den Hinterlassenen gegen die verfügte Leistungskürzung erhobene Beschwerde wurde vom Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 23. November 1992 abgewiesen.
C.-
D. G. und S. G. lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben, sinngemäss mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und des Einspracheentscheids vom 9. April 1992 sei die SUVA zu verpflichten, die Hinterlassenenrenten ungekürzt auszurichten; eventuell sei die Kürzung auf 10% herabzusetzen.
Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, hat sich das Bundesamt für Sozialversicherung zur Sache nicht vernehmen lassen.
BGE 120 V 224 S. 226
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Kognition)
2.
Streitig und im folgenden zu prüfen ist, ob die SUVA die den Beschwerdeführern zustehenden Hinterlassenenleistungen zu Recht wegen schuldhafter Herbeiführung des Unfalls um 50% gekürzt hat.
a) Wie das Eidg. Versicherungsgericht in Änderung seiner früheren Praxis (
BGE 111 V 201
) festgestellt hat, sind die Bestimmungen von Art. 32 Ziff. 1 lit. e des Übereinkommens Nr. 128 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und Art. 68 lit. f der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit (EOSS) direkt anwendbar (
BGE 119 V 171
ff.). Daraus folgt, dass auch im Rahmen der obligatorischen Unfallversicherung Leistungskürzungen wegen grobfahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls (
Art. 37 Abs. 2 UVG
) ausgeschlossen sind (RKUV 1994 Nr. U 193 S. 152 ff.,
BGE 120 V 128
), wogegen die Kürzung oder Verweigerung von Leistungen infolge Herbeiführung eines Unfalles bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens insoweit zulässig bleibt, als sie Leistungen an den anspruchsberechtigten Versicherten zum Gegenstand hat (vgl. Art. 68 lit. e in Verbindung mit
Art. 33 EOSS
sowie
BGE 119 V 244
ff. Erw. 3). Der staatsvertragliche Ausschluss der Leistungskürzung oder -verweigerung beschränkt sich indessen auf die Berufsunfallversicherung und findet auf die Versicherung von Nichtberufsunfällen keine Anwendung (
BGE 118 V 309
Erw. 4b). Ob die im vorliegenden Fall angefochtene Kürzung der Hinterlassenenleistungen rechtmässig ist, beurteilt sich somit allein nach dem Landesrecht.
b) Hat der Versicherte den Unfall grobfahrlässig herbeigeführt, so werden die Geldleistungen gekürzt. Die Kürzung beträgt jedoch höchstens die Hälfte der Leistungen, wenn der Versicherte im Zeitpunkt des Unfalles für Angehörige zu sorgen hat, denen bei seinem Tode Hinterlassenenrenten zustehen würden, oder wenn er an den Unfallfolgen stirbt (
Art. 37 Abs. 2 UVG
).
Hat der Versicherte den Unfall bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens herbeigeführt, so können die Geldleistungen gekürzt oder in besonders schweren Fällen verweigert werden. Hat der Versicherte im Zeitpunkt des Unfalles für Angehörige zu sorgen, denen bei seinem Tode Hinterlassenenrenten zustünden, oder stirbt er an den Unfallfolgen, so werden Geldleistungen höchstens um die Hälfte gekürzt (
Art. 37 Abs. 3 UVG
).
BGE 120 V 224 S. 227
c) Die Bestimmung von
Art. 37 Abs. 3 UVG
unterscheidet sich von derjenigen gemäss Abs. 2 dieses Artikels zunächst dadurch, dass die Geldleistungen im Falle der Herbeiführung des Unfalles bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens nicht nur gekürzt, sondern in besonders schweren Fällen auch verweigert werden können. Bezüglich ihrer Anwendbarkeit unterscheiden sich die Bestimmungen darin, dass Abs. 3 die Erfüllung eines objektiven Straftatbestandes und nicht notwendigerweise Absicht oder Grobfahrlässigkeit voraussetzt. Der Unfall muss nicht zwingend schuldhaft herbeigeführt worden sein; es genügt, wenn er bei (anlässlich) der Begehung eines Verbrechens oder Vergehens herbeigeführt wurde (vgl. MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 482). Wird der Unfall gleichzeitig grobfahrlässig und bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens herbeigeführt, findet
Art. 37 Abs. 3 UVG
als lex specialis Anwendung. Ist eine strafbare Handlung lediglich als Übertretung zu qualifizieren und wurde der Unfall grobfahrlässig herbeigeführt, gelangt
Art. 37 Abs. 2 UVG
zur Anwendung (RUMO-JUNGO, Die Leistungskürzung oder -verweigerung gemäss
Art. 37-39 UVG
, Diss. Freiburg 1993, S. 170).
d) Der Begriff des Vergehens gemäss
Art. 37 Abs. 3 UVG
bestimmt sich nach
Art. 9 Abs. 2 StGB
(
BGE 119 V 245
Erw. 3a mit Hinweisen). Danach gelten als Vergehen die mit Gefängnis als Höchststrafe bedrohten Handlungen. Soweit es das Gesetz vorsieht, gehören dazu auch fahrlässig begangene Handlungen (
Art. 18 StGB
). Kein Vergehen im Sinne von
Art. 37 Abs. 3 UVG
liegt vor, wenn der Versicherte die strafbare Handlung im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begangen hat (
Art. 11 StGB
). Wurde der Zustand der Unzurechnungsfähigkeit vom Handelnden selbst herbeigeführt, um in diesem Zustand eine strafbare Tat auszuführen, oder hat der Handelnde die Unzurechnungsfähigkeit insofern fahrlässig herbeigeführt, als er die Erfüllung eines Straftatbestandes voraussehen konnte oder musste, findet
Art. 11 StGB
nicht Anwendung (
Art. 12 StGB
;
BGE 117 IV 294
Erw. 2 mit Hinweisen). Die Leistungen sind alsdann trotz Unzurechnungsfähigkeit im Zeitpunkt der Tat gemäss
Art. 37 Abs. 3 UVG
zu kürzen oder zu verweigern (RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 171).
3.
Zu prüfen ist zunächst, ob der Unfall vom 2. Februar 1991 im Sinne von
Art. 37 Abs. 3 UVG
bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens herbeigeführt wurde.
a) Gemäss
Art. 91 Abs. 1 SVG
wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer ein Motorfahrzeug in angetrunkenem Zustand führt. Nach der
BGE 120 V 224 S. 228
Legaldefinition des
Art. 9 Abs. 2 StGB
handelt es sich um ein Vergehen im strafrechtlichen Sinn, welches nicht nur strafbar ist, wenn es vorsätzlich, sondern auch wenn es fahrlässig begangen wird (
Art. 100 Ziff. 1 SVG
).
War der Täter zum Zeitpunkt der Tatbegehung nicht zurechnungsfähig, kann er nur unter den Voraussetzungen von
Art. 12 StGB
betreffend die sog. actio libera in causa oder von
Art. 263 StGB
betreffend die Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit bestraft werden. Für das Fahren in angetrunkenem Zustand bedeutet dies, dass eine allfällige Unzurechnungsfähigkeit des Fahrzeuglenkers unbeachtlich ist, wenn er zur Zeit, als er noch nicht unzurechnungsfähig war, zumindest in Kauf nahm, dass er in angetrunkenem Zustand noch ein Fahrzeug lenken würde ([eventual]-vorsätzliche actio libera in causa). Hätte der Fahrzeuglenker zur Zeit, als er noch nicht unzurechnungsfähig war, bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit voraussehen können, dass er in angetrunkenem Zustand noch fahren würde (fahrlässige actio libera in causa), ist er wegen fahrlässigen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu verurteilen (
BGE 117 IV 295
Erw. 2). Ist weder der Tatbestand der vorsätzlichen noch der fahrlässigen actio libera in causa gegeben, kommt
Art. 263 StGB
zur Anwendung, wonach mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bestraft wird, wer infolge selbstverschuldeter Trunkenheit oder Betäubung unzurechnungsfähig ist und in diesem Zustand eine als Verbrechen oder Vergehen bedrohte Tat verübt (
BGE 104 IV 249
,
BGE 93 IV 41
Erw. 2; SUVA-Rechtsprechungsbericht 1987 Nr. 7 S. 13).
b) Im vorliegenden Fall steht aufgrund der polizeilichen Ermittlungen fest, dass R. G. am Freitag, dem 1. Februar 1991, um ca. 20.00 Uhr die eheliche Wohnung verliess und die Nacht auswärts verbrachte. Am darauffolgenden Samstag besuchte er einen Kollegen in M., mit welchem er das Mittagessen einnahm. Um ca. 16.00 Uhr verabschiedete er sich, wobei er erwähnte, er werde sich nach Hause begeben. Vor dem Unfall hielt er sich indessen noch im Restaurant K. in N. auf. In der Folge ereignete sich der tödliche Unfall, bei welchem R. G. eine Blutalkoholkonzentration von 2,85 bis 3,15%o aufwies.
In welchem Zeitpunkt R. G. mit dem Trinken begonnen hatte, lässt sich den Akten nicht entnehmen und heute nicht mehr abklären. Fest steht indessen, dass R. G. seinen Wohnort mit dem eigenen Personenwagen verlassen und bei Trinkbeginn vorausgesehen hat bzw. bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit voraussehen musste, dass er noch ein Motorfahrzeug steuern werde. Ob er bei Antritt der Unfallfahrt im Sinne von
Art. 10 StGB
unzurechnungsfähig war,
BGE 120 V 224 S. 229
ist nicht entscheidend. Denn wer die Weichen für den ins Delikt führenden Geschehensablauf schon in einem Zeitpunkt gestellt hat, in dem er noch uneingeschränkt verantwortlich war, hat die strafrechtlich bedeutsame Handlung bereits und noch im Zustand der vollen Zurechnungsfähigkeit begangen. Hat er im Zustand der vollen Zurechnungsfähigkeit fahrlässig die spätere Deliktsbegehung nicht bedacht, so ist er in Anwendung der allgemeinen Zurechnungsregeln, d.h. insbesondere von
Art. 18 StGB
, wegen fahrlässiger Tatbegehung (fahrlässige actio libera in causa) strafbar (
BGE 117 IV 295
Erw. 2; nicht veröff. Urteil des Bundesgerichts i.S. W. vom 1.3.93; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Bern 1982, S. 251; SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, Bd. I, 4. Aufl., Bern 1982, S. 185; NOLL/TRECHSEL, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., Zürich 1990, S. 133).
Wenn SUVA und Vorinstanz zum Schluss gelangt sind, dass der Verstorbene den Unfall im Sinne von
Art. 37 Abs. 3 UVG
bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens herbeigeführt hat, verstösst dies in beweisrechtlicher Hinsicht weder gegen
Art. 4 BV
noch gegen
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer bedurfte es keines Beweises hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit des Versicherten vor dem Unfallereignis. Denn selbst wenn der Verstorbene unmittelbar vor Antritt der Unfallfahrt unzurechnungsfähig gewesen wäre, hat er den Unfall im Sinne einer fahrlässigen actio libera in causa schuldhaft herbeigeführt. Würde anders entschieden, wäre jedenfalls der Tatbestand von
Art. 263 StGB
gegeben, weil sich der Verstorbene schuldhaft in den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit versetzt und in diesem Zustand ein Vergehen (Fahren in angetrunkenem Zustand) verübt hat (
BGE 93 IV 41
Erw. 2). SUVA und Vorinstanz haben die Voraussetzungen für eine Kürzung bzw. Verweigerung der Versicherungsleistungen gemäss
Art. 37 Abs. 3 UVG
somit zu Recht bejaht.
4.
Zu prüfen bleibt das Massliche der verfügten Leistungskürzung.
a) Die Beschwerdeführer berufen sich darauf, dass der SUVA bei der Kürzung oder Verweigerung von Leistungen gemäss
Art. 37 Abs. 3 UVG
ein Entschliessungsermessen zustehe und nach dem Wortlaut der Bestimmung von einer Sanktion abgesehen werden könne. Im Rahmen des Entschliessungsermessens sei zu berücksichtigen, dass in der Nichtbetriebsunfallversicherung die Prämien nur in geringem Masse vom Risiko abhängig seien und die Leistungen eher einen sozialen Ausgleich denn
BGE 120 V 224 S. 230
eine Versicherungsleistung entsprechend dem Äquivalenzprinzip darstellten. Der Zweck von
Art. 37 Abs. 3 UVG
liege in der Prävention; die Bestimmung richte sich gegen denjenigen, welcher ein Verbrechen oder Vergehen begangen habe, und nicht gegen die Hinterlassenen. Von der Lehre werde in solchen Fällen daher der Verzicht auf die Verweigerung von Leistungen postuliert (SCHAER/DUC/KELLER, Das Verschulden im Wandel des Privatversicherungs-, Sozialversicherungs- und Haftpflichtrechts, Basel 1992, S. 144 f.). Hiefür spreche auch die systematische Auslegung des Gesetzes, werde doch in
Art. 37 Abs. 2 UVG
für den Fall der grobfahrlässigen Verursachung des Unfalls eine Kürzung verlangt, wogegen
Art. 37 Abs. 3 UVG
als "Kann-Vorschrift" formuliert sei. Für die von der SUVA nach dem Grad der Alkoholkonzentration abgestufte Leistungskürzung fehle es bezüglich der Hinterlassenenleistungen an einem vernünftigen Grund.
b) Wie bereits die Vorinstanz festgestellt hat, räumt
Art. 37 Abs. 3 UVG
kein Entschliessungsermessen in dem Sinne ein, dass der UVG-Versicherer frei darüber entscheiden könnte, ob eine Sanktion zu verfügen ist oder nicht. Richtig ist, dass nach dem Wortlaut von
Art. 37 Abs. 3 UVG
die Geldleistungen gekürzt oder in besonders schweren Fällen verweigert werden können, wenn der Versicherte den Unfall bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens herbeigeführt hat, wogegen die Geldleistungen nach
Art. 37 Abs. 2 UVG
gekürzt werden, wenn der Versicherte den Unfall grobfahrlässig herbeigeführt hat. Der SUVA ist indessen darin beizupflichten, dass aus der unterschiedlichen Formulierung nicht auf eine grundlegend andere Regelung der Rechtsfolgen geschlossen werden kann. Vielmehr ergibt sich aus Sinn und Zweck der Bestimmungen, dass die Pflicht zur Kürzung der Leistungen gemäss
Art. 37 Abs. 2 UVG
grundsätzlich auch im Rahmen von
Art. 37 Abs. 3 UVG
Geltung hat. Denn es liesse sich nicht rechtfertigen, die Sanktion beim qualifizierten Tatbestand des bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens herbeigeführten Unfalls milder ausfallen zu lassen als beim verschuldensmässig in der Regel weniger ins Gewicht fallenden Tatbestand der grobfahrlässigen Herbeiführung des Unfalls. Die "Kann"-Formulierung von Art. 37 Abs. 3 erlaubt es indessen, Ausnahmefällen Rechnung zu tragen, so beispielsweise, wenn der bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens herbeigeführte Unfall nur mit einem geringen oder überhaupt mit keinem Verschulden des Versicherten in Zusammenhang steht (vgl. RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 219). Ferner kann berücksichtigt werden, dass Verbrechen und Vergehen in Notwehr oder
BGE 120 V 224 S. 231
Notstand (
Art. 33 und 34 StGB
) nicht strafbar sind und daher auch zu keiner Sanktion gemäss
Art. 37 Abs. 3 UVG
Anlass geben (MAURER, a.a.O., S. 512; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 169).
Dem Umstand, dass bei den Hinterlassenenleistungen die Sanktion nicht den Unfallverursacher trifft, hat der Gesetzgeber mit
Art. 37 Abs. 3 UVG
in der Weise Rechnung getragen, dass die Leistungen nicht gänzlich verweigert und höchstens im Umfang von 50% gekürzt werden dürfen. Soweit in der Lehre die Auffassung vertreten wird, gegenüber den Hinterlassenen des bei Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens Getöteten sei auf jede Leistungskürzung zu verzichten, handelt es sich um Erwägungen de lege ferenda, die gegebenenfalls vom Gesetzgeber zu berücksichtigen sind. Sie vermögen den Richter, welcher an das Gesetz gebunden ist (
Art. 113 Abs. 3 und
Art. 114bis Abs. 3 BV
), zu keinem andern Schluss zu führen.
c) Die SUVA ist bei der Festsetzung der Leistungskürzung von den Empfehlungen der inoffiziellen Ad-hoc-Kommission der Schadenleiter der UVG-Versicherer ausgegangen. Diese stellen zwar keine Weisungen an die Durchführungsorgane der obligatorischen Unfallversicherung dar und sind insbesondere für den Richter nicht verbindlich. Sie sind jedoch geeignet, eine rechtsgleiche Praxis sicherzustellen, weshalb sie bei der Festsetzung der Leistungskürzung zu berücksichtigen sind (
BGE 114 V 318
Erw. 5c). Die Praxis der SUVA hält sich auch insofern im Rahmen der gesetzlichen Ordnung, als sie bei Unfällen unter Alkoholeinfluss den Kürzungssatz vom Ausmass der Trunkenheit abhängig macht. Denn es ist offensichtlich, dass mit zunehmendem Alkoholisierungsgrad die Fahrtüchtigkeit abnimmt und gleichzeitig die Unfallgefahr zunimmt. Es ist dem Grundsatze nach daher nicht zu beanstanden, wenn die SUVA bei Unfällen unter Alkoholeinfluss bei einer Alkoholkonzentration von 0,8 bis 1,2%o in der Regel eine Kürzung von 20% vornimmt und den Kürzungssatz für je 0,4 zusätzliche Promille um jeweils 10% erhöht (vgl. auch RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 222).
Der im vorliegenden Fall festgestellten Blutalkoholkonzentration von 2,85 bis 3,15%o entspricht praxisgemäss ein Kürzungssatz in Höhe von 70%. Besondere Umstände, welche das Verschulden des Verstorbenen in einem milderen Licht erscheinen liessen oder sonstwie zu berücksichtigen wären, ergeben sich aus den Akten nicht und werden auch von den Beschwerdeführern nicht geltend gemacht. Indem die SUVA die Leistungskürzung auf den gesetzlich zulässigen Höchstsatz von 50% festgesetzt hat, hat sie weder ihr Ermessen missbraucht, noch ist der Entscheid unter dem Gesichtspunkt der
BGE 120 V 224 S. 232
Angemessenheit rechtsfehlerhaft. Hieran ändert entgegen den Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts, dass die Beschwerdeführer am Unfall völlig unbeteiligt waren. Diesem Umstand wird vom Gesetz insoweit Rechnung getragen, als die Leistungskürzung gemäss
Art. 37 Abs. 3 UVG
auf höchstens 50% begrenzt ist. Im übrigen bestimmt sich der Umfang der Leistungskürzung allein nach dem Verschulden des Versicherten. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
681d7b16-0a17-4723-aba5-875976392e51 | Urteilskopf
93 II 379
50. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. Oktober 1967 i.S. Rothenberger gegen Gefa, Gesellschaft für Absatzfinanzierung m.b.H. | Regeste
Bürgschaft. Internationales Privatrecht.
Sind die Formvorschriften des
Art. 493 OR
(öffentliche Beurkundung, Angabe des Höchstbetrages der Haftung) als um der schweizerischen öffentlichen Ordnung willen aufgestellte Vorschriften zu betrachten? | Sachverhalt
ab Seite 380
BGE 93 II 379 S. 380
A.-
Der Schweizerbürger Dr.rer.pol. J. Rothenberger gründete 1955 in Düsseldorf die WAMEX GmbH, Wäschereimaschinenfabrik. Mit Vertrag vom 5./9. Juni 1959 verpflichtete sich die Gefa, Gesellschaft für Absatzfinanzierung m.b.H., Wuppertal-Elberfeld, im Rahmen eines bestimmten Kreditkontingentes "kreditwürdigen Käufern der Wiederverkäufer der Firma WAMEX Darlehen zum Einkauf langlebiger Wirtschaftsgüter zu gewähren". Gemäss § 6 des Vertrages übernahm die Firma WAMEX die selbstschuldnerische Bürgschaft für alle Verpflichtungen der Käufer aus solchen Darlehensverträgen.
Durch Vertrag vom 11. Juni 1959, der in Düsseldorf abgeschlossen wurde, übernahm Rothenberger die selbstschuldnerische Bürgschaft für alle Forderungen, die der Gefa gegenüber der von ihm beherrschten Firma WAMEX "aus der Gewährung von Krediten in irgendwelcher Form oder Art, aus laufender Rechnung, aus Wechsel- oder sonstigen Geschäften jetzt oder künftig zustehen mögen". Für die Verpflichtungen Rothenbergers aus dieser Bürgschaft wurde Wuppertal als Erfüllungsort bezeichnet und das dort geltende Recht als massgebend erklärt.
Auf Grund ihrer Bürgschaftsverpflichtung vom 5./9. Juni 1959 musste die WAMEX für Verluste im Betrage von DM 11 686.52 einstehen, welche die Gefa aus Darlehen an Käufer von Waschmaschinen erlitten hatte. Die WAMEX kamjedoch im Mai 1963 in Konkurs.
B.-
Die Gefa belangte Rothenberger gestützt auf seine Bürgschaftsverpflichtung vom 11. Juni 1959 auf Bezahlung des oben genannten Betrages nebst 8% Zins seit 10. August 1964.
Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage mit der Begründung, seine Bürgschaftsverpflichtung sei ungültig, weil die Formvorschriften des massgebenden schweizerischen Rechts (
Art. 493 OR
) nicht eingehalten worden seien; eventuell sei einer nach deutschem Recht gültigen Bürgschaft der Schutz in der Schweiz wegen Unvereinbarkeit mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung zu verweigern.
BGE 93 II 379 S. 381
C.-
Das Bezirksgericht Zürich und das Obergericht des Kantons Zürich schützten die Klage.
D.-
Gegen das Urteil des Obergerichts vom 10. März 1967 hat der Beklagte die Berufung erklärt, mit der er am Antrag auf Abweisung der Klage festhält.
Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gegenstand des Streits der Parteien sind Verpflichtungen aus einem vom Beklagten in Düsseldorf abgeschlossenen Bürgschaftsvertrag. Da das Bundesgericht nur über die richtige Anwendung des schweizerischen Rechts zu wachen hat (
Art. 43 OG
), ist vorerst von Amtes wegen die Zulässigkeit der Berufung zu prüfen.
Schuldrechtliche Verträge - also auch die Bürgschaft - unterstehen nach dem Grundsatz der Parteiautonomie in erster Linie dem Recht, dem die Parteien ihre Rechtsbeziehungen unterstellt haben. Von dieser Befugnis haben die Parteien Gebrauch gemacht, indem sie im Bürgschaftsvertrag vom 11. Juni 1959 das in Wuppertal geltende Recht, d.h. also das deutsche Recht, als massgebend bezeichnet haben. Die Gültigkeit dieser Rechtswahl, die sich nach schweizerischem Recht bestimmt, steht ausser Zweifel, da die Bürgschaft für Verpflichtungen einer deutschen Firma (der WAMEX GmbH) gegenüber einer andern deutschen Firma (der Gefa) geleistet wurde und darum die Möglichkeit ausscheidet, dass die Rechtswahl nur erfolgte, um die Formvorschriften des schweizerischen Bürgschaftsrechtes zu umgehen.
Dass eine nach deutschem Recht gültige Bürgschaft vorliegt und die Voraussetzungen für die Belangung des Bürgen nach diesem Recht erfüllt sind, bestreitet der Beklagte nicht. Diese Frage wäre übrigens, weil vom deutschen Recht beherrscht, der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen.
Nach schweizerischem Recht zu beurteilen und daher der Berufung zugänglich ist dagegen der vom Beklagten erhobene Einwand, die Durchsetzung der nach deutschem Recht der Klägerin zustehenden Bürgschaftsansprüche sei mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung unvereinbar, weil die vom schweizerischen Recht für den Bürgschaftsvertrag zwingend vorgeschriebenen Formerfordernisse (öffentliche Beurkundung.
BGE 93 II 379 S. 382
Angabe des Höchstbetrages der Bürgenhaftung) nicht erfüllt sind. Auf die Berufung ist daher einzutreten.
4.
Der Beklagte macht geltend, die Durchsetzung eines nach ausländischem Recht bestehenden Anspruchs in der Schweiz sei ausgeschlossen, wenn sie gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstiesse. Das werde für das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland in Art. 4 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens vom 2. November 1929 ausdrücklich festgehalten. Der dort aufgestellte Vorbehalt habe allgemein zu verhindern, dass ausländisches Recht, das mit der eigenen Rechtsordnung unvereinbar ist, im Inland Beachtung finde. Im Bürgschaftsrecht müsse die Schutzvorschrift des
Art. 493 OR
als Rechtssatz der schweizerischen öffentlichen Ordnung betrachtet werden, zum mindesten dann, wenn der Bürge zur Zeit der Eingehung der Bürgschaft in der Schweiz Wohnsitz gehabt habe, wie das hier zutreffe. Die Auffassung der Vorinstanz, das Fehlen der öffentlichen Beurkundung und der Angabe des Höchsthaftungsbetrages im Bürgschaftsvertrag vom 11. Juni 1959 erheische das Eingreifen der Vorbehaltsklausel nicht, verletze daher Bundesrecht.
a) Die Vorschriften von
Art. 493 OR
, dass der Bürgschaftsvertrag der öffentlichen Beurkundung bedürfe und den Höchstbetrag der Haftung angeben müsse, sind zwingender Natur. Das bedeutet jedoch nicht ohne weiteres, dass sie auch den um der öffentlichen Ordnung willen aufgestellten Vorschriften zuzurechnen sind. Auch zwingende Bestimmungen bilden nur dann Bestandteil der öffentlichen Ordnung, wenn das ausländische Recht, das im Inland angewendet werden soll, mit der hier geltenden Rechtsordnung unvereinbar ist. Das trifft nur zu, wenn mit der Berücksichtigung des ausländischen Rechts grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden, wenn dadurch das einheimische Rechtsgefühl in unerträglicher Weise verletzt wird und wenn das schweizerische Rechtsdenken zwingend den Vorrang gegenüber dem anwendbaren ausländischen Recht erheischt (
BGE 84 I 121
f. und dort aufgeführte Rechtsprechung und Literatur).
Diese Voraussetzungen für das Eingreifen des Vorbehalts der öffentlichen Ordnung sind vorwiegend bei Entscheiden über die Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile in der Schweiz entwickelt worden. Sie gelten aber im wesentlichen auch bei der direkten Gesetzesanwendung durch den schweizerischen Richter.
BGE 93 II 379 S. 383
Jedoch sind nach der Rechtsprechung der Anwendung der Vorbehaltsklausel mit Bezug auf die Vollstreckung ausländischer Urteile engere Grenzen gezogen als im Gebiete der direkten Gesetzesanwendung (
BGE 84 I 123
und dort erwähnte Entscheide). Das bedeutet, dass die Nichtbeachtung einer Vorschrift des schweizerischen Rechtes beim Entscheid über die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils noch als mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung vereinbar betrachtet werden kann, bei der direkten Gesetzesanwendung dagegen unter Umständen Anlass zum Eingreifen der Vorbehaltsklausel gibt. Im einen wie im andern Falle lässt sich aber die Frage des Verstosses gegen die öffentliche Ordnung nur aus den Gegebenheiten des Einzelfalles heraus beantworten. Als Ausnahmevorschrift ist die Vorbehaltsklausel einschränkend auszulegen, weshalb denn auch das Bundesgericht von ihr stets nur mit grosser Zurückhaltung Gebrauch gemacht hat (
BGE 84 I 123
und dort angeführte Rechtsprechung).
b) Der Zweck der Formvorschriften des
Art. 493 OR
besteht darin, dem Bürgen die Tragweite seiner Verpflichtung vor Augen zu führen und ihn von übereilten Bürgschaftsversprechen abzuhalten. Damit soll neben ihm auch seine Familie davor geschützt werden, in Not zu geraten. Im Hinblick auf diese sozialpolitische Zwecksetzung wurde früher vereinzelt die Auffassung vertreten, die Formvorschriften des
Art. 493 OR
hätten ganz allgemein als um der öffentlichen Ordnung willen aufgestellt zu gelten (HOMBERGER, Die obligatorischen Verträge im internationalen Privatrecht ..., S. 58, Fussnote l;
BGE 64 II 350
Erw. 1 i.f.). Die herrschende Meinung ging jedoch (entgegen
BGE 84 I 124
) nicht so weit. Sie nahm an, der Vorbehaltscharakter der schweizerischen Formvorschriften gelte gegenüber dem ausländischen Recht unterstehenden Bürgschaftsverträgen nur für Bürgen, die zur Zeit der Eingehung der Bürgschaft ihren Wohnsitz in der Schweiz hatten, während im übrigen nach der Regel "locus regit actum" das Recht des ausländischen Errichtungsortes massgebend bleibe (OSER/SCHÖNENBERGER, Vorbem. zu
Art. 492 - 512 OR
, N. 33; BECK, ZbJV 71 S. 516; derselbe, Das neue Bürgschaftsrecht, Einleitung N. 54). Seither hat sich jedoch die Auffassung Bahn gebrochen, auch bei Wohnsitz des Bürgen in der Schweiz sei eine auf die öffentliche Ordnung gestützte Einschränkung der Regel "locus regit actum" abzulehnen, da sie die Vorbehaltsklausel
BGE 93 II 379 S. 384
überspanne und für den Handelsverkehr bedenklich wäre (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, OR Bd. V/1 a, Allgemeine Einleitung, IPR N. 128; VISCHER, Internationales Vertragsrecht, S. 127, der sogar noch weitergeht und die Auffassung vertritt, nicht einmal jede in der Schweiz abgeschlossene Bürgschaft erfordere die Erfüllung der schweizerischen Formvorschriften, sondern es genüge die Beachtung der Formvorschriften des z.B. kraft Rechtswahl massgebenden ausländischen Bürgschaftsstatuts).
5.
Das Erfordernis der öffentlichen Beurkundung ist erst durch die Revision des Bürgschaftsrechts von 1941 eingeführt worden. Die Meinungen darüber, ob sie notwendig sei, waren keineswegs einhellig (vgl. die Botschaft des Bundesrates, BBl 1939 II S. 858 f.). Sie ist nach
Art. 493 Abs. 2 OR
nur für die Bürgschaft natürlicher Personen und bei einem Bürgschaftsbetrag von mehr als Fr. 2000.-- vorgeschrieben. Aber selbst in diesen Fällen ist sie nicht erforderlich für Bürgschaften gegenüber der Eidgenossenschaft oder ihren öffentlichrechtlichen Anstalten, gegenüber einem Kanton für öffentlichrechtliche Verpflichtungen, sowie für Frachten. Eine Bestimmung, die soviele Ausnahmen zulässt, kann nicht als grundlegende Vorschrift der schweizerischen Rechtsordnung angesehen werden, deren Missachtung das einheimische Rechtsgefühl in unerträglicher Weise verletzen würde, und noch weniger lässt sich sagen, das schweizerische Rechtsdenken erheische zwingend den Vorrang vor dem anwendbaren ausländischen Recht. Denn wie in
BGE 84 I 125
zutreffend ausgeführt wurde, kommt der Freiheit des Rechtsverkehrs, die das ausländische Recht mit dem Verzicht auf die öffentliche Beurkundung in den Vordergrund stellt, auch im schweizerischen Recht zentrale Bedeutung zu und setzt dem Schutze des Bürgen Schranken.
Das Fehlen der öffentlichen Beurkundung steht somit der Durchsetzung des streitigen Bürgschaftsanspruchs in der Schweiz nicht im Wege.
6.
Es bleibt zu prüfen, ob die Vorschrift des schweizerischen Rechts, dass in der Bürgschaftsurkunde selbst der zahlenmässig bestimmte Höchstbetrag der Bürgenhaftung angegeben sein müsse, als Rechtssatz der schweizerischen öffentlichen Ordnung zu betrachten sei.
a) Schon Art. 493 des OR von 1911 verlangte die Angabe eines bestimmten Betrages der Haftung des Bürgen. Diese
BGE 93 II 379 S. 385
Vorschrift wurde jedoch von Lehre und Rechtsprechung lange Zeit sehr weitherzig ausgelegt: Der Haftungsbetrag brauchte nicht ziffernmässig angegeben zu werden; es genügte, wenn der Bürge beim Vertragsabschluss aus den im Bürgschein enthaltenen Angaben durch logische Überlegung oder durch einfache rechnerische Operation den Betrag seiner Haftung ohne weiteres mit Sicherheit erkennen konnte. Sodann mussten der Haftungsbetrag oder die dafür genügenden Angaben nicht im Bürgschein selber enthalten sein, sondern es genügte schon die in den Bürgschein aufgenommene Verweisung auf die Haupturkunde, sofern der Haftungsbetrag entweder in dieser genannt wurde oder sich im oben umschriebenen Sinne feststellen liess und sich aus diesen sämtlichen Angaben der Höchstbetrag der Haftung in eindeutiger Weise ergab (
BGE 42 II 152
,
BGE 43 II 514
,
BGE 47 II 306
,
BGE 49 II 378
,
BGE 50 II 291
,
BGE 57 II 526
; OSER/SCHÖNENBERGER OR Art. 493 N. 3).
In der Folge erhöhte das Bundesgericht die Anforderungen hinsichtlich der Angabe des Höchstbetrages. Diese musste aus der Bürgschaftsurkunde selbst hervorgehen, sei es durch ausdrückliche Bezifferung des Gesamtbetrages oder mindestens durch ziffernmässige Angabe der ihm zugrunde liegenden Elemente, so dass er aus diesen durch einfache rechnerische Operation und ohne Zuhilfenahme sonstigen Wissens festgestellt werden konnte; der Angabe des Betrages im Bürgschein selbst wurde die Verweisung auf die vom Hauptschuldner ausgestellte Schuldanerkennung gleichgestellt, falls Bürgschaftserklärung und Schuldanerkennung in der gleichen Urkunde vereinigt waren (
BGE 64 II 353
). In einem weiteren Entscheid (
BGE 65 II 35
) wurde jedoch auch eine Verweisung auf eine vom Bürgschein getrennte Schuldurkunde beim Vorliegen besonderer Umstände als zulässig erklärt.
Die heute geltende strenge Regelung, wonach der Höchstbetrag der Bürgenhaftung in der Bürgschaftsurkunde selbst genau beziffert sein muss, wurde erst durch die Revision von 1941 eingeführt.
b) Angesichts dieser in schrittweiser Entwicklung vorgenommenen Verschärfung der Anforderungen an die Form der Bürgschaftserklärung lässt sich nicht sagen, die heutige gesetzliche Regelung sei derart tief im schweizerischen Rechtsbewusstsein verwurzelt, dass die Durchsetzung einer auf ausländischem, in dieser Hinsicht weniger strengen Recht beruhenden
BGE 93 II 379 S. 386
Bürgschaftsverpflichtung in der Schweiz aus Gründen der öffentlichen Ordnung unter allen Umständen abgelehnt werden müsse. An der in
BGE 64 II 350
Erw. 1 i.f. beiläufig geäusserten gegenteiligen Meinung kann nicht festgehalten werden. Aber auch die früher im Schrifttum teilweise vertretene Ansicht, dass bei schweizerischem Wohnsitz des Bürgen im Zeitpunkt der Eingehung seiner Verpflichtung die Vorbehaltsklausel eingreife, ist mit Recht als eine Überspannung der Vorbehaltsklausel aufgegeben worden. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb in diesem Falle die schweizerische öffentliche Ordnung verletzt sein sollte, nicht dagegen auch. wenn die vom ausländischen Recht beherrschte Bürgschaftsforderung deshalb vor dem schweizerischen Richter geltend gemacht wird, weil der Bürge inzwischen seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt hat. Im einen wie im andern Falle legen die Bestrebungen zur Vereinfachung der internationalen wirtschaftlichen Beziehungen eine zurückhaltende Handhabung der Vorbehaltsklausel nahe.
Kommt somit nichts darauf an, wo der Bürge zur Zeit der Eingehung seiner Verpflichtung Wohnsitz hatte, so erübrigt sich eine Abklärung der von der Vorinstanz offen gelassenen Behauptung des Beklagten, er habe zur Zeit der Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung in Zürich gewohnt.
c) Ein Vorbehalt ist immerhin am Platze: Ein Eingreifen der Vorbehaltsklausel liesse sich in Erwägung ziehen für den Fall, dass das massgebende ausländische Recht die Gültigkeit einer Bürgschaft auch bejahen sollte, wenn jeder Anhaltspunkt fehlt, der es dem Bürgen ermöglichen würde, sich über die finanzielle Tragweite seiner Verpflichtungen einigermassen Rechenschaft zu geben. Diese Frage kann jedoch offen bleiben, da die Voraussetzungen hiefür im vorliegenden Falle nicht erfüllt sind. Nach den tatbeständlichen Feststellungen der Vorinstanz war der Beklagte am Gesellschaftskapital der WAMEX GmbH von DM 21'000.-- mit DM 196'000.-- beteiligt. Als Beherrscher und Geschäftsführer der GmbH konnte er sich jederzeit über deren Verpflichtungen gegenüber der Klägerin genau Rechenschaft geben. Er wusste infolgedessen auch, in welchem Umfang er auf Grund seiner Bürgschaftsverpflichtung gegebenenfalls einzustehen hätte. Ob seine Verpflichtungen wuchsen oder sich verminderten, hing zudem von ihm ab; denn die Darlehensanträge waren von der GmbH, also von ihm selber, nicht von
BGE 93 II 379 S. 387
den Käufern der Ware, bei der Klägerin einzureichen. Angesichts dieser Umstände fällt ein Eingreifen der Vorbehaltsklausel im Sinne der oben gemachten Ausführungen von vornherein ausser Betracht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 10. März 1967 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
68277205-7a4f-4348-98c0-743f75480446 | Urteilskopf
121 V 71
13. Auszug aus dem Urteil vom 21. Juli 1995 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen H. und R. O. und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 16 Abs. 1,
Art. 29, 29bis und 30 AHVG
,
Art. 4 BV
.
- Bei der Schliessung von Beitragslücken gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben sind für die Anrechnung von zusätzlichen Einkommen die Einkommensverhältnisse in erster Linie so zu rekonstruieren, wie sie in den fraglichen Jahren geherrscht haben.
- Auf den zusätzlich angerechneten Einkommen hat der Versicherte die entsprechenden Beiträge ohne Zins nachzuzahlen. | Sachverhalt
ab Seite 72
BGE 121 V 71 S. 72
A.-
Der am 23. Dezember 1923 geborene H. O., seit September 1954 mit R. O. (geboren 1924) verheiratet, wohnte ab 1946 in Brasilien. Vom 1. Juli bis 30. September 1962 übte er während drei Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung bei der X AG aus. Anschliessend gehörte er ab 1. Oktober 1962 aufgrund einer Beitrittserklärung vom 23. November 1962 ununterbrochen der freiwilligen Versicherung an. Im August 1988 meldete er sich zum Bezug einer Altersrente an. Mit zwei Verfügungen vom 9. Dezember 1988 sprach die Schweizerische Ausgleichskasse (SAK) H. und R. O. mit Wirkung ab 1. Januar 1989 je eine halbe ordentliche Ehepaar-Altersrente im Betrage von je Fr. 487.-- zu. Den Rentenverfügungen wurde ein massgebendes durchschnittliches Jahreseinkommen von Fr. 25'200.-- und die Rentenskala 28 für eine anrechenbare Beitragsdauer von 26 Jahren und 5 Monaten zugrundegelegt.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die Eidg. Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen mit Entscheid vom 30. Mai 1989 ab. Die daraufhin von R. und H. O. eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiess das Eidg. Versicherungsgericht mit Entscheid vom 21. Juni 1990 in dem Sinne gut, dass es die Sache in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der beiden Rentenverfügungen an die SAK zurückwies, damit diese die Renten im Sinne der Erwägungen neu festsetze. Zur Begründung führte es im wesentlichen an, gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben seien die Beitragslücken ab 1951 bis zur Aufnahme der beitragspflichtigen Beschäftigung in der Schweiz ab 1. Juli 1962 zu schliessen. Die Ausgleichskasse habe daher die Ehepaar-Altersrente unter Berücksichtigung der Beitragsjahre ab 1951 neu festzusetzen. Dabei werde sie auch für die Zeit ab 1. Januar 1990 der auf diesen Zeitpunkt in Kraft getretenen neuen Fassung von
Art. 52bis AHVV
Beachtung zu schenken haben (ZAK 1990 S. 434).
B.-
Im Anschluss an das Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 21. Juni 1990 berechnete die Ausgleichskasse mit Verfügungen vom 9. August 1990 die Ehepaar-Altersrente neu und sprach R. und H. O. ab 1. Januar 1989 je eine halbe Ehepaar-Altersrente in Höhe von Fr. 619.-- bzw. von Fr. 696.-- ab 1. Januar bis 31. August 1990 zu. Die Rentenbetreffnisse wurden nach der Rentenskala 41 und aufgrund eines massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens von Fr. 17'100.-- für eine Beitragsdauer von 38 Jahren bzw.
BGE 121 V 71 S. 73
ab dem 1. Januar 1990 nach der Rentenskala 44 aufgrund eines anrechenbaren Jahreseinkommens von Fr. 17'280.-- für eine Beitragsdauer von 41 Jahren ermittelt. Bei der Aufwertung der Jahreseinkommen wandte die Ausgleichskasse den dem im Jahr 1962 erfolgten ersten Eintrag im individuellen Konto (IK) entsprechenden Aufwertungsfaktor 1,486 an.
C.-
Mit Entscheid vom 7. September 1993 hiess die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich die daraufhin eingereichte Beschwerde von R. und H. O. teilweise gut und wies die Sache zur Neuberechnung der halben ordentlichen Ehepaar-Altersrenten im Sinne der Erwägungen an die SAK zurück. Im übrigen wies es die Beschwerde, soweit damit Verzugszinsen auf den Nachzahlungen beantragt wurden, ab.
D.-
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Sache an die SAK zur Neufestsetzung der Renten zurückzuweisen.
R. und H. O. schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter Erneuerung ihres Antrages auf Zusprechung von Verzugszinsen. Die Ausgleichskasse beantragt die Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
E.-
Im Anschluss an das Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 30. August 1994 in Sachen Sch. (AHI 1995 S. 109) zu den Wirkungen des Vertrauensschutzes bei Schliessung von Beitragslücken wurde ein zweiter Schriftenwechsel durchgeführt. Das BSV zeigt drei verschiedene Möglichkeiten auf, welches Einkommen den Beschwerdegegnern im Rahmen des Vertrauensschutzes für die Jahre der Beitragslücken von 1951 bis 1. Juli 1962 anzurechnen ist. H. und R. O. machen geltend, als erster für die Ermittlung des Aufwertungsfaktors massgebender Eintrag im IK sei das Jahr 1951 mit dem Faktor 1,899 anzunehmen. Das Jahresgehalt habe ab Oktober 1946 mindestens Fr. 15'000.-- betragen und sei bis 1965 unverändert geblieben; ab 1966/67 sei es auf Fr. 18'000.-- erhöht worden.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die ordentlichen Renten der AHV und IV gelangen als Vollrenten oder Teilrenten zur Ausrichtung, wobei Anspruch auf die volle Rente besteht, wenn die Beitragsdauer vollständig ist (
Art. 29 Abs. 2 AHVG
). Als vollständig gilt die Beitragsdauer, wenn der Versicherte vom 1. Januar des
BGE 121 V 71 S. 74
der Vollendung des 20. Altersjahres folgenden Jahres bis zur Entstehung des Rentenanspruches während der gleichen Anzahl von Jahren wie sein Jahrgang Beiträge geleistet hat (
Art. 29bis Abs. 1 AHVG
). Bei unvollständiger Beitragsdauer besteht Anspruch auf eine Teilrente, entsprechend dem gerundeten Verhältnis zwischen den vollen Beitragsjahren des Versicherten und denjenigen seines Jahrganges (
Art. 38 Abs. 2 AHVG
). Innerhalb der anwendbaren Rentenskala (
Art. 52 AHVV
) bestimmt sich der Rentenbetrag nach dem durchschnittlichen Jahreseinkommen des Versicherten (
Art. 30 Abs. 1 AHVG
). Dieses wird ermittelt, indem die Summe der Erwerbseinkommen, von denen der Versicherte bis zum 31. Dezember des Jahres, das der Entstehung des Rentenanspruchs vorangeht, Beiträge geleistet hat, durch die Anzahl Jahre geteilt wird, während welcher der Versicherte seit dem 1. Januar des der Vollendung des 20. Altersjahres folgenden Jahres bis zum genannten Zeitpunkt Beiträge geleistet hat (
Art. 30 Abs. 2 AHVG
). Nach
Art. 32 AHVG
ist für die Berechnung der Ehepaar-Altersrente das durchschnittliche Jahreseinkommen des Ehemannes massgebend (Abs. 1). Bei der Ermittlung des durchschnittlichen Jahreseinkommens des Ehemannes werden Erwerbseinkommen, von denen die Ehefrau vor oder während der Ehe bis zur Entstehung des Anspruches auf die Ehepaar-Altersrente Beiträge entrichtet hat, den Erwerbseinkommen des Ehemannes hinzugerechnet (Abs. 2).
Nach
Art. 30 Abs. 4 AHVG
wird die Summe der Erwerbseinkommen entsprechend dem Rentenindex gemäss Art. 33ter aufgewertet. Der Bundesrat lässt die Aufwertungsfaktoren jährlich durch das BSV festlegen (
Art. 51bis AHVV
).
2.
a) Im Streit liegt nach wie vor die Berechnung der Ehepaar-Altersrente. Dabei stellt sich in erster Linie die Frage, ob die Wirkung der Schliessung von Beitragslücken gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben lediglich die Beitragsjahre oder auch die weiteren rentenbildenden Faktoren (Erwerbseinkommen, Aufwertungsfaktor) erfasst.
Zu diesen Fragen hat das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil vom 30. August 1994 in Sachen Sch. (publiziert in AHI 1995 S. 109) folgendes ausgeführt:
"Welche Wirkung der Vertrauensschutz im Einzelfall hat, lässt sich nicht in genereller Weise beantworten. Dem Vertrauensschutz wird in der Regel jedoch Genüge getan, wenn der Bürger vor dem im Vertrauen erlittenen Nachteil bewahrt wird. Je nach Sachlage ist dieses Ziel durch Vermeiden von Rechtsnachteilen, durch Übergangslösungen oder durch den - im Gesetz
BGE 121 V 71 S. 75
vorgesehenen - Ersatz des Vertrauensschadens zu erreichen. Neben einer Abwägung zwischen dem Interesse des Bürgers und dem öffentlichen Interesse sind für die Auswahl der Lösung auch die Umstände des konkreten Falles (Art der getroffenen Vorkehrungen, Möglichkeiten des Ausgleichs, Auswirkungen für die Zukunft usw.) zu berücksichtigen (GEORG MÜLLER, Kommentar BV, N. 71 und 72 zu
Art. 4 BV
, S. 32; WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, S. 128 ff., S. 146).
Im Lichte dieser Grundsätze kann sich im vorliegenden Fall die Beseitigung der Nachteile der unrichtigen Auskunft nicht darauf beschränken, dass bei der Rentenberechnung lediglich die fehlenden Beitragsjahre berücksichtigt werden. Auszugehen ist davon, dass das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil vom 30. Oktober 1990 angenommen hat, der Beschwerdeführer wäre im Jahre 1950 der freiwilligen Versicherung beigetreten, wenn er darüber von der Schweizerischen Gesandtschaft in Rio auf seine Anfragen hin richtige Informationen erhalten hätte. Er hätte mithin nach seinem Beitritt die entsprechenden Beiträge geleistet, welche sich ab 1950 nicht nur hinsichtlich der Beitragsjahre, sondern auch hinsichtlich des Aufwertungfaktors und der Höhe des massgebenden durchschnittlichen Renteneinkommens ausgewirkt hätten. Der Nachteil durch die unrichtige Information beschränkt sich demnach nicht auf die fehlenden Beitragsjahre allein. Es geht hier um den Fall einer "negativ lautenden Vertrauensgrundlage" (RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Nr. 74 B XIV b, S. 238; WEBER-DÜRLER, a.a.O., S. 131), indem sich der Beschwerdeführer auf die damaligen ausweichenden Auskünfte verlassen und dadurch eine für ihn günstige Möglichkeit zum Beitritt zur freiwilligen Versicherung verfehlt hat. In diesem Falle ist er so zu halten, dass ihm daraus kein Nachteil erwächst. Es ist daher im vorliegenden Fall der ganze Nachteil auszugleichen, zumal einer solchen Lösung das öffentliche Interesse nicht mehr entgegensteht als bei einer bloss teilweisen Beseitigung des Nachteils. Dieses Vorgehen ist um so gerechtfertigter, als Verwaltung und Vorinstanz mit der Berücksichtigung lediglich der Beitragsjahre letztlich auf halbem Weg stehengeblieben sind. Sie haben zwar die Beitragsjahre angerechnet, was sich zugunsten der Höhe der Rente auswirkte. Anderseits haben sie jedoch diese Beitragsjahre auch beim Divisor berücksichtigt, was zu einem niedrigeren jährlichen Erwerbseinkommen geführt hat. Dies zeigt die Widersprüchlichkeit des Vorgehens von Verwaltung und Vorinstanz. Eine befriedigende Lösung kann im vorliegenden Fall lediglich dadurch erreicht werden, wenn der ganze entstandene Nachteil beseitigt wird.
Der Vergleich der Vorinstanz im Zusammenhang mit der Anwendung von
Art. 52bis AHVV
ist nicht stichhaltig. Die Schliessung von Beitragslücken gestützt auf
Art. 52bis AHVV
erfolgt unabhängig davon, weshalb die entsprechenden Beitragsjahre fehlen, und insbesondere unabhängig davon, ob die Verwaltung in irgendeiner Art und Weise ein Versäumnis trifft. Demgegenüber geht es beim Vertrauensschutz gerade darum, die Folgen einer unzutreffenden Auskunft der staatlichen Behörde zu beseitigen
BGE 121 V 71 S. 76
(Erw. 2c/bb)."
Zusammenfassend hielt das Gericht fest, dass bei der Schliessung von Beitragslücken, die vor dem ersten Eintrag im IK entstanden sind, im Rahmen des Vertrauensschutzes bei Fällen der vorliegenden Art der ganze erlittene Nachteil auszugleichen ist. Die Wirkungen sind bei der Rentenberechnung nebst zusätzlichen Beitragsjahren auf die weiteren rentenbildenden Faktoren wie Erwerbseinkommen und Aufwertungsfaktor auszudehnen (AHI 1995 S. 114 Erw. 2d).
Offengelassen hat hingegen das Eidg. Versicherungsgericht die Frage, welches fiktive Einkommen bei der Schliessung von Beitragslücken anzurechnen ist (AHI 1995 S. 116 Erw. 3c).
b) Die vorstehenden Ausführungen sind in genau gleicher Weise auf den vorliegenden, gleichgelagerten Fall anzuwenden. Das heisst, die Ehepaar-Altersrente der Beschwerdegegner ist so zu berechnen, wie wenn der Beschwerdegegner gestützt auf eine richtige Auskunft der freiwilligen Versicherung für Auslandschweizer beigetreten und ab 1951 Beiträge geleistet hätte. Als erster für die Ermittlung des Aufwertungsfaktors massgebender Eintrag im IK ist demzufolge das Jahr 1951 anzusehen. Gemäss Rententabelle 1989 beträgt der Aufwertungsfaktor für das Jahr 1989, als der Anspruch auf eine Ehepaar-Altersrente entstanden ist, beim ersten IK-Eintrag im Jahre 1951 1,899.
Die vollständige Beitragsdauer des Jahrganges 1923 beträgt bis zur Entstehung des Rentenanspruchs im Januar 1989 41 Jahre. Der Beschwerdegegner weist für die Jahre 1948 bis und mit 1950 eine Beitragslücke auf, so dass die anrechenbare Beitragsdauer 38 Jahre beträgt. Gemäss der Rententabelle 1989 entspricht dies der Rentenskala 41. Für den Rentenanspruch ab 1. Januar 1990 resultiert durch Anrechnung von Zusatzjahren aufgrund der neuen Fassung von
Art. 52bis AHVV
die Skala 44.
c) Es bleibt zu prüfen, welches Einkommen den Beschwerdegegnern für die Jahre der zu schliessenden Beitragslücken von 1951 bis 1. Juli 1962 anzurechnen ist.
Das BSV vertritt in der Eingabe vom 4. November 1994 die Auffassung, im vorliegenden Fall seien die Einkommensverhältnisse in den fraglichen Jahren so zu rekonstruieren, wie sie seinerzeit beim Beschwerdegegner geherrscht oder annähernd geherrscht haben dürften. Die sicherste und wohl praktikabelste Lösung sei es, wenn der Beschwerdegegner mittels Lohnbescheinigungen oder Lohnabrechnungen Aufschluss über die seinerzeitigen Einkommen geben könne. Möglicherweise sei sogar die frühere Arbeitgeberin noch in der Lage, Angaben über die damals ausgerichteten
BGE 121 V 71 S. 77
Löhne zu liefern. Unter Umständen sei es dem Beschwerdegegner auch möglich, Lohndokumente eines Arbeitskollegen aus der damaligen Zeit beizubringen, welcher im selben Betrieb und in der gleichen Funktion tätig gewesen sei. Die solchermassen ausgewiesenen Einkommen könnten sodann für die Rentenberechnung berücksichtigt werden. Eine andere Variante bestehe darin, die im Jahre 1962 für den Beschwerdegegner unter dem Erwerbszweig 32 angerechneten AHV/IV-Beiträge in der Höhe von Fr. 60.-- entsprechend den "Tabellen zur Ermittlung der mutmasslichen Beitragsdauer in den Jahren 1948 bis 1968" für die zu schliessenden Beitragsjahre zu verwenden. Bei dieser Variante liege der hauptsächliche Vorteil darin, dass sich die Ermittlung der Einkommen verhältnismässig einfach gestalten würde. Indessen könne dieser Lösung eine gewisse Problematik nicht abgesprochen werden, da die in den Tabellen enthaltenen Werte dem gewogenen Mittel der jeweiligen Branche, die das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) aufgrund der allgemeinen Lohn- und Gehaltserhebungen in der Schweiz ermittelt habe, entsprächen. Daher dürften diese Löhne nicht den in Brasilien erzielten Einkommen entsprechen. Eine dritte Variante bestehe darin, indem von den im IK eingetragenen Beiträgen ausgegangen und im Sinne einer Vermutungsregel die Einkommen bzw. Beiträge festgelegt würden. Gemäss IK der SAK weise der Beschwerdegegner für die Jahre 1963 bis 1966 je Fr. 600.-- an entrichteten Beiträgen auf. Da dieser ab 1. Oktober 1962 der freiwilligen Versicherung angehört habe, würden die für dieses Jahr in der freiwilligen Versicherung pro rata entrichteten und auf ein ganzes Jahr aufgerechneten Beiträge ebenfalls eine Eintragung von Fr. 600.-- zulassen. Würden die Eintragungen mit den damals gültigen Werten der in der freiwilligen Versicherung gültigen Beitragssätze mit der sinkenden Beitragsskala verglichen, ergebe sich, dass die Einkommen des Beschwerdegegners in der Regel über dem minimalen Beitragssatz gelegen seien. Würden die Einkommen für diejenigen Jahre, in denen der AHV-Beitragssatz 4% betragen habe (1962 bis 1968), addiert und mit den ebenfalls durch Addition ermittelten Ansätzen der sinkenden Beitragsskala verglichen, könne daraus eine Verhältniszahl errechnet werden. Diese Verhältniszahl wäre in der Folge mit den Maximalwerten der in Frage stehenden Jahre der sinkenden Beitragsskala zu multiplizieren, um so die approximativen Einkommen zu eruieren.
In der Eingabe vom 29. November 1994 macht der Beschwerdegegner geltend, er habe ab Oktober 1946 bis 1965 jeweils ein Jahresgehalt von Fr. 15'000.--
BGE 121 V 71 S. 78
bezogen, welches ab 1966/67 auf Fr. 18'000.-- erhöht worden sei.
d) Dem BSV ist darin beizupflichten, dass bei Schliessung von Beitragslücken gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben die Einkommensverhältnisse in erster Linie so zu rekonstruieren sind, wie sie in den fraglichen Jahren geherrscht haben. Aus den der Eingabe vom 29. November 1994 beigelegten Fotokopien ergibt sich, dass der Beschwerdegegner von der E. SA in den Jahren 1960 bis 1965 den Gegenwert in Cruzeiros von Fr. 15'000.-- als Salär erhalten hat. In den Jahren 1966 und 1967 betrug das Salär Fr. 18'000.--. Gestützt auf diese Belege ist davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner in den Jahren 1960 bis 1962 pro Jahr Fr. 15'000.-- verdient hat. Diese Einkommen sind der Rentenberechnung für die Jahre 1960 bis 1962 (bis 30. Juni) zugrundezulegen. Für die Jahre 1951 bis und mit 1959 bedarf es zusätzlicher Abklärungen, welche durch die Verwaltung vorzunehmen sind. Dementsprechend wird der Beschwerdegegner aufzufordern sein, Lohnbescheinigungen oder Lohnabrechnungen für die fraglichen Jahre einzureichen. Sollte er hiezu nicht in der Lage sein, sind Abklärungen bei der früheren Arbeitgeberin über die damaligen Lohnverhältnisse im Betrieb und des Beschwerdegegners in Brasilien im speziellen zu tätigen. Insbesondere ist die damalige Arbeitgeberin auch darüber zu befragen, ob die Darstellung des Beschwerdegegners zutrifft, wonach er ab Oktober 1946 in den fraglichen Jahren jeweils Fr. 15'000.-- jährlich verdient hat. Allfällige auf diese Weise glaubhaft gemachte Einkommen sind sodann, wie das BSV in der Eingabe vom 4. November 1994 zutreffend festhält, für die Rentenberechnung zu berücksichtigen.
Sollte es aufgrund der zusätzlichen Abklärungen nicht möglich sein, die Einkommensverhältnisse in den Jahren 1951 bis und mit 1959 zu rekonstruieren, so sind die Jahreseinkommen den "Tabellen zur Ermittlung der mutmasslichen Beitragsdauer in den Jahren 1948 bis 1968" entsprechend dem Erwerbszweig 32 gestützt auf die vom Beschwerdegegner für die Jahre 1962 (ab 1. Oktober) bis 1966 geleisteten jährlichen Beiträge von Fr. 600.-- zu entnehmen (Variante 2). Trotz der vom BSV geäusserten Bedenken rechtfertigt sich dieses Vorgehen im vorliegenden Fall, da aufgrund der vom Beschwerdegegner eingereichten Belege feststeht, dass er in den Jahren 1960 und 1961 in Brasilien einen Lohn von Fr. 15'000.-- bezogen hat.
BGE 121 V 71 S. 79
e) Die Sache geht daher an die Verwaltung zurück, damit diese die zusätzlichen Abklärungen vornehme und hernach die Ehepaar-Altersrente ab 1. Januar 1989 neu berechne. Dabei wird auch, wie das BSV in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht ausführt, die Anrechnung der drei Zusatzjahre nach
Art. 52bis AHVV
bei der Bestimmung des Divisors für die Berechnung des massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens für die Renten ab 1. Januar 1990 mitzuberücksichtigen sein (ZAK 1985 S. 630 Erw. 3c).
Da die Beschwerdegegner seit 26. Januar 1990 in Y wohnhaft sind und in der Zwischenzeit bereits der Kassenwechsel stattgefunden hat (vgl.
Art. 125 lit. b AHVV
), rechtfertigt es sich, mit den vorzunehmenden Abklärungen die nunmehr zuständige Ausgleichskasse des Kantons Zürich zu betrauen.
3.
Da den Beschwerdegegnern für die Jahre 1951 bis 1962 (bis 30. Juni) Einkommen anzurechnen sind, stellt sich die Frage, ob sie für diese Zeitspanne die entsprechenden Beiträge nachzuzahlen haben. Vorinstanz und BSV bejahen diese Frage, wobei insbesondere das BSV in diesem Zusammenhang auf die Verwirkungsregel des
Art. 16 Abs. 1 AHVG
hinweist. Diese Bestimmung stehe an und für sich der nachträglichen Beitragserfassung entgegen, habe sie doch nach konstanter Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts absolute Verwirkungsfolge (Hinweis auf
BGE 100 V 155
Erw. 2a).
Mit
BGE 116 V 298
hat das Eidg. Versicherungsgericht seine bisherige Rechtsprechung im Bereich des Vertrauensschutzes dahingehend geändert, dass inskünftig bei Erfüllung der fünf Voraussetzungen auf die Prüfung der Frage zu verzichten ist, ob eine unmittelbar und zwingend sich aus dem Gesetz ergebende Sonderregelung vorliegt, vor welcher das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz zurückzutreten hat. Eine solche Sonderregelung stellte
Art. 16 Abs. 1 AHVG
nach dem vom BSV zitierten Entscheid
BGE 100 V 154
dar. Da diese Verwirkungsregel der Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr entgegensteht, sind folgerichtig bei Schliessung von Beitragslücken mit Anrechnung von zusätzlichem Einkommen die entsprechenden Beiträge nachzuzahlen. Dies ergibt sich auch daraus, dass - wie bereits ausgeführt (Erw. 2a und b hievor) - der ganze durch die unzutreffende Auskunft entstandene Nachteil beseitigt wird und der Beschwerdegegner so zu halten ist, wie wenn er gestützt auf eine richtige Auskunft der freiwilligen Versicherung für Auslandschweizer beigetreten und ab 1951 Beiträge geleistet hätte. Letzterer Umstand verbietet es indessen, auf den
BGE 121 V 71 S. 80
noch vom Beschwerdegegner nachzuzahlenden Beiträgen Verzugszinsen zu erheben.
Die Ausgleichskasse hat demzufolge auf den ab 1951 noch nachträglich anzurechnenden Einkommen Beiträge zu erheben und mit den Rentennachzahlungen zu verrechnen (
Art. 20 Abs. 2 AHVG
). | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
68333e7f-da78-44dd-bedd-51cfe12a2ec7 | Urteilskopf
99 Ia 216
25. Urteil vom 20. Juni 1973 i.S. Kiechler und Mitbeteiligte gegen Kanton Schwyz. | Regeste
Art. 85 lit. a OG
. Volksabstimmung über die Wiedereinführung des Frühjahrsschulbeginns. Formulierung der Abstimmungsfrage. Schulkonkordat.
1. Beschwerdefrist (Erw. 2 a).
2. Anforderungen an die Klarheit der Abstimmungsfrage und an die Richtigkeit und Vollständigkeit des behördlichen Berichtes (Erw. 2 b und c).
3. Wegen Verletzung von Konkordatsvorschriften, die sich nur an die Kantone richten und kein unmittelbar auf die einzelnen Bürger anwendbares Recht enthalten, kann nicht staatsrechtliche Beschwerde geführt werden (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 217
BGE 99 Ia 216 S. 217
A.-
Am 22. April 1971 beschloss der Kantonsrat des Kantons Schwyz, dem Interkantonalen Schulkonkordat beizutreten. Dieses Konkordat vom 29. Oktober 1970 enthält in Art. 2 unter dem Titel "Verpflichtungen" folgende Vorschrift:
"Die Konkordatskantone verpflichten sich, ihre Schulgesetzgebung in den folgenden Punkten anzugleichen:
a) ...
b) ...
c) ...
d) Das Schuljahr beginnt zwischen Mitte August und Mitte Oktober."
Der Schwyzer Kantonsrat beschloss gleichzeitig mit dem Beitritt die sich aus dem Konkordat ergebende Revision der kantonalen Schulverordnung und setzte dabei in § 12 den Schulbeginn auf den Zeitpunkt nach den Sommerferien fest. Der Kantonsratsbeschluss vom 22. April 1971 war dem fakultativen Referendum unterstellt. Dieses wurde nicht benützt, so dass der Beschluss und die darin angeordnete Verlegung des Schuljahrbeginns rechtskräftig geworden sind.
B.-
Am 7. Dezember 1972 wurde der Staatskanzlei ein Initiativbegehren mit folgendem Text eingereicht:
"Die unterzeichneten stimmberechtigten Einwohner des Kantons Schwyz stellen dem Regierungsrat das Begehren, dass im Sinne von Art. 31 Abs. 2 der Kantonsverfassung möglichst bald eine Volksabstimmung betreffs Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr anzuordnen sei (in Abänderung des § 12 der revidierten Schulverordnung)."
BGE 99 Ia 216 S. 218
Diese Initiative wurde den Stimmberechtigten vom Regierungsrat mit dem Antrag auf Verwerfung unterbreitet. Die Frage auf dem Stimmzettel lautete:
"Wollt Ihr die Initiative 'betreffs Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr (in Abänderung des § 12 der revidierten Schulverordnung)' annehmen?"
Mit einem knappen Mehr von 10544 Ja gegen 10202 Nein nahmen die Stimmbürger am 4. März 1973 die Initiative an.
C.-
Gegen diesen Volksentscheid reichte eine Gruppe von fünf Lehrern am 15. März 1973 eine staatsrechtliche Beschwerde ein mit folgenden Anträgen:
"1. Die Volksinitiative sei wegen der Unklarheit der Fragestellung und wegen der Unvereinbarkeit mit dem Konkordatsrecht als unzulässig zu erklären.
2. Das Resultat der Volksabstimmung vom 4. März 1973 sei aus denselben Überlegungen als nichtig zu erklären."
Zur Begründung wird geltend gemacht, Initiativtext und Abstimmungsfrage seien irreführend gewesen, weil von einer "Beibehaltung" des Schulbeginns im Frühjahr gesprochen wurde, obwohl die Umstellung auf den Herbstschulbeginn rechtskräftig beschlossen und auch praktisch so weit vorbereitet gewesen sei, dass ein Abbruch des auf 1973 angesetzten Langschuljahres nicht mehr in Betracht kam. Viele Stimmbürger hätten angenommen, die vorgeschlagene "Beibehaltung" des Frühjahrsschulbeginnes hebe das Langschuljahr auf; die frühere Ordnung könne einfach beibehalten werden. Weil der Grundsatz der Klarheit und Unmissverständlichkeit der Fragstellung missachtet worden sei, liege eine Verletzung des Stimmrechts vor, und die Abstimmung sei aus diesem Grunde zu kassieren. Die Initiative verletze aber auch das Konkordat über die Schulkoordination.
D.-
Am 3. April 1973 wurde von den gleichen Beschwerdeführern und einem weitern Unterzeichner eine zweite staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem materiellen Hauptantrag, der Volksentscheid vom 4. März 1973 über die Initiative "betreffs Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr" sei nichtig zu erklären und aufzuheben.
Die Begründung der zweiten Beschwerde unterscheidet sich von der Begründung der ersten Beschwerde nicht grundsätzlich. Zur Rüge der Unklarheit der Abstimmungsfrage wird die Einvernahme
BGE 99 Ia 216 S. 219
namentlich genannter Zeugen beantragt. Überdies wird dem Regierungsrat vorgeworfen, er habe im Bericht zur Initiative erklärt, die Umstellung auf den Frühjahrsschulbeginn wäre im Frühling 1974 möglich; das treffe jedoch nicht zu, weil ein Austritt aus dem Konkordat vor 1976 nicht zulässig sei und die Verlegung des Schulbeginns auf das Frühjahr erst 1977 in Frage komme. Die vom Regierungsrat verschuldete falsche Information habe manchen Stimmbürger veranlasst, für die Initiative zu stimmen oder nicht an die Urne zu gehen. Schliesslich wiederholen die Beschwerdeführer die schon in der ersten staatsrechtlichen Beschwerde erhobene Rüge, die Initiative verletze das Konkordat, die durch den Beitritt zum Konkordat eingegangene vertragliche Bindung könne durch die Initiative nicht gelöst werden.
E.-
Der Regierungsrat des Kantons Schwyz beantragt, die erste Beschwerde abzuweisen und auf die zweite Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie ebenfalls abzuweisen. Auf die in den Vernehmlassungen vorgebrachten Argumente wird - soweit notwendig - in den nachfolgenden Erwägungen Bezug genommen.
F.-
Der Präsident der staatsrechtlichen Kammer hat das in beiden Beschwerdeschriften enthaltene Gesuch, es sei den Beschwerden aufschiebende Wirkung zu erteilen, abgewiesen, da die Schwyzer Behörden ohnehin beschlossen, bis zur Entscheidung über die beiden staatsrechtlichen Beschwerden dem Ergebnis der Volksabstimmung vorläufig keine Folge zu geben.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Prozessuales).
2.
Die Beschwerdeführer machen in erster Linie geltend, durch die Formulierung der Abstimmungsfrage sei die richtige Ausübung des Stimmrechts beeinträchtigt und das Resultat der Abstimmung beeinflusst worden.
a) Als im Kanton Schwyz stimmberechtigte Bürger sind die Beschwerdeführer legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde gemäss
Art. 85 lit. a OG
eine Verletzung der politischen Stimmberechtigung zu rügen.
Wird die Formulierung der Abstimmungsfrage angefochten, so läuft die dreissigtägige Frist zur Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde von dem Zeitpunkt an, in welchem der massgebende Beschluss über die beanstandete Formulierung
BGE 99 Ia 216 S. 220
publiziert wurde (
BGE 74 I 22
,
BGE 81 I 208
,
BGE 89 I 400
und 442,
BGE 90 I 72
,
BGE 99 Ia 180
, E.1). Im vorliegenden Fall ist die Abstimmungsfrage den Stimmberechtigten mit dem Bericht des Regierungsrates zur Initiative "betreffs Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr" bekanntgegeben worden. Dieser vom 29. Januar 1973 datierte Bericht wurde im Bezirk Küssnacht am 15. Februar 1973 zuhanden der Stimmberechtigten verschickt. Durch die am 15. März 1973 der Post übergebene erste staatsrechtliche Beschwerde ist die mit der Publikation der Abstimmungsfrage beginnende Frist somit auf jeden Fall gewahrt. Hingegen ist die zweite, erst am 3. April 1973 der Post übergebene Beschwerde, soweit darin ebenfalls die Formulierung der Abstimmungsfrage angefochten wird, verspätet, und es kann daher auf Vorbringen zu diesem Punkt, die nur in der zweiten Beschwerde enthalten sind, nicht eingetreten werden.
b) Die Beschwerdeführer beanstanden vor allem die Verwendung des Wortes "Beibehaltung" im Initiativtext und in der Abstimmungsfrage und machen geltend, es hätte korrekterweise von "Wiedereinführung" gesprochen werden müssen.
Der Ausdruck "Beibehaltung" konnte die Rechtslage nicht vollständig zum Ausdruck bringen. Dadurch, dass aber sowohl im Initiativtext als auch auf dem Stimmzettel in einer Klammer deutlich gesagt wurde, es gehe um eine Abänderung des § 12 der revidierten Schulverordnung, konnte selbst einem Stimmbürger, der nur die Abstimmungsfrage las, nicht entgehen, dass der Vorstoss eine Änderung der beschlossenen Ordnung anstrebte und nicht eine blosse Bestätigung des geltenden Rechtszustandes. Von "Beibehaltung" des Frühjahrschulbeginns zu sprechen, liess sich damit rechtfertigen, dass der Herbstschulbeginn wohl beschlossen, aber noch nicht eingeführt war. Da der Frühjahrsschulbeginn wohl rechtlich (für die Zukunft), aber nicht faktisch abgeschafft war, hätte es der wirklichen Situation nur teilweise entsprochen, wenn das Ziel der Initiative mit "Wiedereinführung" umschrieben worden wäre; grössere Klarheit hätte man damit nicht erreicht. Jeder Stimmberechtigte, der sich auch nur einigermassen für das sachliche Problem interessierte, konnte nicht darüber im Zweifel sein, dass die Initianten die bereits beschlossene Umstellung auf den Herbstschulbeginn verhindern und durch Änderung der revidierten Schulverordnung die Beibehaltung der bisherigen Regelung erreichen wollten.
BGE 99 Ia 216 S. 221
Aus der Formulierung der Abstimmungsfrage war nicht ersichtlich, welche Lösung bei Annahme der Initiative im Frühling 1973 Platz greifen würde. Es mag auch sein, dass einzelne von Sachkenntnis unbelastete Stimmbürger davon ausgingen, bei einer Annahme der Initiative in der Volksabstimmung vom 4. März 1973 könne das zur Umstellung auf den Herbstschulbeginn eingeschaltete Langschuljahr einfach abgebrochen werden und es bleibe ohne Schwierigkeit beim herkömmlichen Schulbeginn im Frühjahr. Im Bericht des Regierungsrates an die Stimmberechtigten (S. 6/7, 9) wurde jedoch in unmissverständlicher Weise dargelegt, dass es eigentlich irreführend sei, von "Beibehaltung" des Frühjahrsschulbeginns zu sprechen, weil das im Gang befindliche Langschuljahr nicht abgebrochen werden könne und so auf jeden Fall für 1973 der Schulbeginn im Spätsommer sich nicht vermeiden lasse. "Unmöglichkeit einer Rückkehr zum Schulbeginn im Frühjahr 1973" lautet ein fettgedruckter Zwischentitel des Berichtes (S. 7), und auf die Notwendigkeit eines Kurzschuljahres 1973/74 im Falle der Annahme der Initiative wird nachdrücklich hingewiesen (S. 10 Randtitel). Der Leser des Berichtes des Regierungsrates war über die mit der Annahme der Initiative verbundenen praktischen Komplikationen sicher nicht im Zweifel. Das wird von den Beschwerdeführern auch nicht behauptet. In der Abstimmungsfrage selber konnten natürlich nicht alle eventuellen Übergangsschwierigkeiten zum Ausdruck kommen. Vom Stimmberechtigten muss erwartet werden, dass er nicht nur den Stimmzettel liest, sondern auch die ihm zugestellten Unterlagen. In den meisten Fällen stellt die Abstimmungsfrage bei weitem keine genügende, mögliche Irrtümer ausschliessende Information dar. Die Formulierung der Frage war im vorliegenden Fall nicht irreführend, sondern umschrieb die Rechtslage genau, ohne die praktischen Schwierigkeiten einer nochmaligen Änderung des revidierten § 12 der Schulverordnung zum Ausdruck bringen zu können. Der Bericht des Regierungsrates beleuchtete die Konsequenzen einer Annahme der Initiative in klarer und eindeutiger Weise. Die Beanstandung der Abstimmungsfrage erweist sich somit als unbegründet.
c) Im Sinne einer Kritik der Abstimmungsvorbereitung wird - vor allem in der zweiten staatsrechtlichen Beschwerde - noch geltend gemacht, die Auswirkungen einer Annahme der Initiative auf das Verhältnis zu den übrigen Konkordatskantonen
BGE 99 Ia 216 S. 222
sei im Bericht der Regierung nicht richtig dargestellt worden. Es fragt sich, ob diese Rüge in der ersten Beschwerde schon mitenthalten ist oder ob sie sich erst aus der - in diesem Punkt verpäteten - zweiten Beschwerde ergibt.
Auf jeden Fall kann auch diese Rüge aus materiellen Gründen nicht zu einer Aufhebung der Volksabstimmung führen. Der Regierungsrat hat in seinem Bericht (S. 6) recht deutlich dargelegt, dass die Annahme der Initiative den Verpflichtungen des Konkordates zuwiderlaufe und als "Änderung der Marschrichtung um 180 Grad" zu werten sei. Er hat allerdings nicht erklärt, bei Annahme der Initiative müsse der Kanton Schwyz das Konkordat kündigen, und er hat im Gegensatz zu den Beschwerdeführern auch nicht angenommen, es müsse auf jeden Fall bis zum Ablauf der dreijährigen Kündigungsfrist der Schuljahrbeginn im Spätsommer beibehalten werden. Dass Kantone, welche den Herbstschulbeginn noch nicht einführen können, zur Kündigung des Konkordates veranlasst werden, ist nach der neuesten Entwicklung unwahrscheinlich. Auch nach dem Wortlaut des Konkordates (insbes. Art. 8 Abs. 3) durfte der Regierungsrat davon ausgehen, dass die Mitgliedschaft auch bei Nichterfüllung der Verpflichtungen von Art. 2 lit. d mindestens vorläufig geduldet werde. Wenn der Regierungsrat sich im Bericht darauf beschränkte, die negativen politischen und praktischen Folgen einer Annahme der Initiative aufzuzeigen, und es vermied, aus dem erst in Realisierung begriffenen Konkordat in dieser oder jener Richtung formelle Konsequenzen zu ziehen, so blieb er damit auf dem Boden der Realität des schweizerischen Konkordatsrechts, und diese Zurückhaltung kann ihm nicht als Irreführung der Stimmberechtigten zum Vorwurf gemacht werden.
3.
Als zweiten Anfechtungsgrund machen die Beschwerdeführer geltend, die Initiative verletze Konkordatsrecht.
a) Gemäss
Art. 84 Abs. 1 lit. b OG
kann wegen Verletzung von Konkordaten staatsrechtliche Beschwerde erhoben werden. Diese Möglichkeit besteht aber nur, wenn eine interkantonale Vereinbarung die Privaten direkt berechtigt oder verpflichtet und nicht nur Rechte und Pflichten der beteiligten Kantone begründet (
BGE 47 I 321
ff,
BGE 61 I 196
ff; Urteil des Bundesgerichtes vom 22. Dezember 1965, publiziert in ZBl 1966 S. 306 E. 3; HÄFELIN, Aktuelle Fragen des Konkordatsrechts, SJZ 1973 S. 259). Ob man dies als eine Frage der Legitimation
BGE 99 Ia 216 S. 223
oder als eine solche der materiellen Begründetheit der Beschwerde ansehen will (vgl.
BGE 96 I 645
,
BGE 88 I 358
E. 3), ist praktisch ohne Bedeutung.
b) Das Konkordat über die Schulkoordination enthält in Art. 2 lit. d eine Verpflichtung der beteiligten Kantone, das Schuljahr zwischen Mitte August und Mitte Oktober beginnen zu lassen. Bei den Übergangsbestimmungen in Art. 8 Abs. 3 findet sich die Regel, dass die Festsetzung des Schuljahrbeginns im Sinne von Art. 2 lit. d grundsätzlich auf den Beginn des Schuljahres 1973/74 erfolgen soll. Diese Vorschriften bilden kein in den Vertragskantonen direkt anwendbares Recht, auf das sich der Bürger unmittelbar berufen könnte, sondern es handelt sich eindeutig um eine Verpflichtung der beteiligten Kantone, ihr internes Recht entsprechend anzupassen.
Dem irgendwie betroffenen Privaten fehlt somit von vornherein die Möglichkeit, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Nichteinhaltung dieser Konkordatsverpflichtung zu rügen. Ob Lehrer an sich zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung direkt anwendbaren interkantonalen Schulrechts legitimiert sein könnten, ist hier nicht zu prüfen. Auf die Rüge der Verletzung des Konkordates über die Schulkoordination kann wegen Fehlens der Legitimation nicht eingetreten werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden im Sinne der Erwägungen abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
6833a023-4a8e-4db6-a1d3-ee11b04fca4d | Urteilskopf
101 II 257
43. Arrêt de la Ire Cour civile du 1er juillet 1975 dans la cause Thury et Assurance mutuelle vaudoise contre les accidents contre Bertrand. | Regeste
Art. 45 Abs. 3 OR
. Versorgerschaden infolge Todes der Mutter. Voraussetzungen unter denen eine Ehefrau und Mutter, die nur den Haushalt führt, Versorgerin der Familie ist (Erw. 1a).
Festsetzung des Versorgerschadens des Ehemannes und der Kinder unter Berücksichtigung der Aufwendungen, die aus dem Einkommen des Ehemannes für die Getötete gemacht worden wären (Erw. 1 b-e).
Berechnung des kapitalisierten Wertes der temporären Renten, die dem Ehemann und den Kindern geschuldet sind (Erw. 2).
Herabsetzung wegen Wiederverheiratungsmöglichkeit (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 258
BGE 101 II 257 S. 258
A.-
Monique Bertrand est décédée le 6 novembre 1970 des suites d'un accident survenu le même jour à Etoy. Alex Arnold, chef de culture de Jacques Thury, arboriculteur, conduisait à son lieu de travail le personnel employé à la cueillette des pommes au moyen d'un tracteur agricole accouplé à une remorque surbaissée à un essieu, dont les roues dépassaient latéralement le pont. Dix-huit personnes avaient pris place sur cette remorque; dame Bertrand était assise juste devant la roue droite. Alors que le convoi roulait lentement et sans secousses, dans une légère courbe à gauche, dame Bertrand est tombée de la remorque dont la roue droite lui a passé sur le corps, provoquant la rupture du foie.
De nationalité française, Monique Bertrand, née le 13 septembre 1938, était mariée à Robert Bertrand, Français également, né le 18 août 1937. Ils étaient domiciliés à Collonges-sur-Thonon-les-Bains et avaient trois enfants: Carole, née le 23 septembre 1962; Béatrice, née le 28 juillet 1964; Rémy, né le 27 juillet 1967. Robert Bertrand, qui travaille comme chef d'équipe dans une usine à Thonon, gagnait 2'009.30 fr. français au 31 décembre 1972.
Jacques Thury est assuré en responsabilité civile, en tant que détenteur du tracteur agricole impliqué dans l'accident du 6 novembre 1970, auprès de l'Assurance mutuelle vaudoise contre les accidents. Il avait assuré auprès de la même compagnie son personnel contre les accidents. L'Assurance mutuelle vaudoise a payé à Robert Bertrand 25'000 fr., représentant le capital prévu en cas de décès par la police d'assurance-accidents, et 17'050 fr. au titre de l'assurance-responsabilité civile. Elle a en outre réglé les factures consécutives à la mort de dame Bertrand par 2'100 fr. 70.
B.-
Robert Bertrand et ses enfants Carole, Béatrice et Rémy ont ouvert action contre Jacques Thury et l'Assurance mutuelle vaudoise contre les accidents, solidairement, en paiement de 217'360 fr. 55 avec intérêt.
Les défendeurs ont conclu à libération.
Par jugement du 21 février 1975, la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois a condamné les défendeurs, solidairement entre eux, à payer avec intérêt à 5% dès le 6 novembre 1970 les sommes de 41'144 fr. 85 à Robert Bertrand, 22'410 fr. 50 à Carole Bertrand, 25'277 fr. à Béatrice Bertrand et 29'583 fr. 50 à Rémy Bertrand.
BGE 101 II 257 S. 259
Le Tribunal cantonal admet l'entière responsabilité des défendeurs, fondée sur les art. 58, 65 et 69 al. 1 LCR, une faute concurrente de la victime n'ayant pas été prouvée. Il considère que la victime était le soutien de son mari et de ses trois enfants, et calcule l'indemnité due à ce titre sur la base du salaire qu'il conviendrait de payer à une gouvernante pour accomplir les tâches qu'assumait la défunte, fixé ex aequo et bono à 1'200 fr. suisses par mois, nourrie mais non logée. Cette indemnité est répartie à raison de 2/3 pour les enfants (800 francs) et d' 1/3 pour le mari (400 fr.) dont la part est réduite d'un montant correspondant aux dépenses qu'il aurait consacrées à son épouse, estimées à 120 fr., sans la nourriture. Le Tribunal cantonal opère en outre sur l'indemnité due au mari une réduction de 30% pour chances de remariage. Quant au tort moral, le jugement alloue 10'000 fr. à Robert Bertrand et 4'000 fr. à chacun des enfants. Les montants versés par la défenderesse sont déduits des indemnités dues aux demandeurs (art. 62 al. 3 LCR), en proportion de l'importance de celles-ci. Enfin, le Tribunal cantonal alloue à Robert Bertrand des dommages-intérêts pour frais funéraires, par 1'082 fr. 85.
C.-
Les défendeurs recourent en réforme au Tribunal fédéral en prenant les conclusions suivantes:
"a) les indemnités dues aux intimés sont réduites de 25% pour faute
concurrente;
b) les indemnités pour perte de soutien sont calculées sur un montant
annuel non supérieur à 1'100 fr. par personne;
c) l'indemnité pour perte de soutien réclamée par Robert Bertrand
est limitée à une durée de 15 ans et réduite de 68% pour chance de
remariage",
le tout conformément aux calculs opérés dans le mémoire de recours.
Les intimés proposent le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
S'agissant du dommage issu de la perte de soutien en général, les défendeurs contestent la nécessité pour les demandeurs d'avoir une gouvernante à plein temps, compte tenu notamment de leur milieu modeste, de l'âge des enfants et du fait que ceux-ci ne rentrent pas de l'école pour le repas de midi. Ils tiennent également pour excessif le salaire de la gouvernante
BGE 101 II 257 S. 260
estimé à 1'200 fr. suisses par mois plus la nourriture, ce qui correspond au salaire de Robert Bertrand lui-même. Ils considèrent enfin comme dérisoire la déduction de 120 fr. pour l'ensemble des dépenses du mari en faveur de la femme.
a) Le jugement déféré constate que la victime n'exerçait plus de profession rémunérée mais tenait son ménage; le travail pour lequel elle avait été engagée en automne 1970 était temporaire. Les demandeurs eux-mêmes ne tirent pas argument de ce travail.
L'épouse est le soutien de sa famille au sens de l'art. 45 al. 3 CO, même si elle ne fait que tenir son ménage (RO 57 II 182, 66 II 176 ss, 82 II 39). Mais elle ne peut être considérée comme le soutien de son mari que dans la mesure où la contribution qu'elle apporte par son travail à l'entretien du foyer dépasse ce qu'elle reçoit de son mari, de sorte que son décès contraint ce dernier à réduire son train de vie (arrêt non publié K. c. S., du 28 juin 1960, consid. 7 a; STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 3e éd., p. 61 in fine, 63; cf. aussi OFTINGER, Haftpflichtrecht, 2e éd., I p. 207 n. 303). Il convient de comparer la situation des différents membres de la famille après la mort de leur épouse et mère avec celle dans laquelle ils se seraient trouvés si elle n'était pas décédée prématurément (RO 82 II 39 in fine).
b) Le décès accidentel de dame Bertrand a désorganisé la vie familiale. Après avoir dû cesser son travail pendant dix jours pour s'occuper des enfants, le mari a eu recours à des solutions temporaires, soit à des aides féminines rémunérées, notamment pour la garde des enfants en dehors des heures d'école. Il assume les charges du ménage pour le surplus. Après une période de vie en commun, d'avril 1972 à septembre 1973, avec une femme qu'il songeait à épouser, cette liaison s'est soldée par un échec. A dire de tiers, Robert Bertrand ne supportera plus longtemps les charges qui lui sont imposées depuis la mort de sa femme.
La solution sur laquelle s'est fondée l'autorité cantonale, à savoir l'engagement d'une gouvernante à plein temps, aurait certes pour effet de rétablir, dans la mesure du possible, les conditions de vie antérieures de la famille. Mais les défendeurs relèvent avec raison que Robert Bertrand n'a pas pris jusqu'ici de gouvernante, ni d'aide permanente, bien qu'il eût déjà reçu 42'050 fr. de la défenderesse. Compte tenu de cette dernière
BGE 101 II 257 S. 261
circonstance, on ne saurait suivre les premiers juges lorsqu'ils admettent que c'est en raison de ses revenus modestes "que Bertrand n'a jamais pu engager une gouvernante pour s'occuper des enfants et du ménage". A la date du jugement cantonal, les trois enfants avaient passé 12, 10 et 7 ans. Dans le cours normal des choses, les deux filles, en particulier l'aînée, pourront contribuer dans une mesure croissante à la tenue du ménage. On peut dès lors admettre que le recours à des aides ménagères à temps partiel, dans une mesure accrue si nécessaire, continuera à apparaître aux demandeurs comme une solution préférable à l'engagement d'une gouvernante à plein temps, d'autant plus que deux des enfants en tout cas prennent leur repas de midi à la cantine scolaire.
Mais même si l'on retient l'hypothèse d'une gouvernante à plein temps, l'autorité cantonale a excédé son pouvoir d'appréciation en fixant à 1'200 fr. le salaire de celle-ci, nourrie mais non logée. La disproportion est manifeste entre le salaire de Robert Bertrand - servant à l'entretien de cinq personnes - comme chef d'équipe dans une usine et celui presque équivalent, au cours de 59,5% admis par le jugement déféré, de la ménagère nourrie. La rémunération à prendre en considération dans l'hypothèse retenue par les premiers juges ne devrait pas dépasser les deux tiers environ du revenu du père de famille, soit 1'333 FF. par mois, en chiffre rond 16'000 FF. par an. Cette somme suffit à compenser, compte tenu d'un certain renchérissement et de besoins accrus des soutenus, le travail que consacrait la victime à sa famille. Elle couvrirait aussi, dans l'hypothèse d'aides ménagères à temps partiel, la rémunération de ces auxiliaires et les autres frais dus à l'absence de l'épouse et mère au foyer. Quant à la privation de toute une partie de la vie sociale et familiale que cette absence entraîne pour les demandeurs, c'est un élément du préjudice qui ne peut être pris en considération que dans le cadre de la réparation du tort moral (RO 82 II 40 s.).
c) Il y a lieu de déduire de la somme de 16'000 FF. destinée à compenser le travail de dame Bertrand la part du revenu du mari qui lui aurait été consacrée. Le Tribunal cantonal admet le principe de cette déduction, et estime à 120 fr. par mois, soit 1'440 fr. par an, le "montant correspondant à l'ensemble des dépenses que Bertrand aurait effectuées en faveur de son épouse si elle avait vécu (habillement, divertissements,
BGE 101 II 257 S. 262
cadeaux)". Ce montant est insuffisant, quand bien même il ne comprend pas la nourriture. Sans doute la situation modeste de la famille Bertrand limitait-elle les frais d'entretien de l'épouse. Mais rien ne justifie un écart d'une telle ampleur entre ces frais et la somme retenue pour la rémunération du travail qu'elle aurait continué d'accomplir sans l'accident. On peut admettre que le revenu annuel de 24'000 FF. de Robert Bertrand se répartissait à raison d'1/3 pour lui, 1/3 pour les enfants et 1/3 pour sa femme, la part consacrée à celle-ci étant ainsi de 8'000 FF. (cf. l'exemple cité par STAUFFER/SCHAETZLE, op.cit. p. 63: famille de quatre enfants de 4, 6, 9 et 12 ans dont le père gagne 18'000 fr. par an; nécessité du recours à une gouvernante admise, les frais étant fixés à 9'000 fr.; part de l'épouse au revenu du mari estimée à 30%, soit 5'400 fr.). Après déduction de cette somme, le dommage consécutif à la perte de soutien subie par les demandeurs s'élève à 8'000 FF. par an.
d) Quant à la répartition de l'indemnité entre les demandeurs, on doit considérer que le recours à une ou des aides rémunérées est surtout dû à la présence des enfants. Il est dès lors équitable d'accorder à chaque demandeur une part égale à cette indemnité, ce qui représente par personne 2'000 FF., soit en chiffre rond 1'200 fr. au cours incontesté de 59,5%.
e) La durée du soutien, fixée par le jugement déféré à 18 ans pour chaque enfant, n'est pas litigieuse en instance fédérale.
Quant à Robert Bertrand, la Cour civile a appliqué sans autre la table 47 de STAUFFER/SCHAETZLE (rente sur deux têtes, soutien actif féminin, au taux de 4%). Mais les défendeurs objectent avec raison que le veuf n'aura plus besoin de soutien lorsque son dernier enfant aura atteint ses 18 ans, les frais éventuels occasionnés par une femme de ménage à temps partiel étant dès lors compensés par ce qu'il aurait dû dépenser pour son épouse. En effet, une fois les trois enfants élevés, ces dépenses auraient contrebalancé la contribution que l'épouse aurait apportée par son travail à l'entretien du foyer. Avec son salaire, Robert Bertrand ne jouira donc pas d'une situation inférieure à celle qu'il aurait eue sans l'accident. La durée du soutien doit ainsi être limitée à 15 ans, période au terme de laquelle le fils cadet, âgé de 3 ans au moment du décès de sa mère, atteindra l'âge de 18 ans.
BGE 101 II 257 S. 263
2.
Vu ce qui précède, les indemnités pour perte de soutien se calculent comme il suit:
a) Robert Bertrand.
L'âge du soutien femme au décès (32 ans), celui de la personne
soutenue (33 ans), le taux de capitalisation (4%, vu le
taux d'escompte élevé en France) ne sont pas litigieux. La
perte annuelle s'élève à 1'200 fr. (consid. 1d, et la durée du
soutien à 15 ans (consid. 1e).
Il convient de corriger le coefficient résultant de l'application
de la table 47 selon la méthode proposée par STAUFFER/SCHAETZLE
(p. 470 s., exemple 81).
Coefficient selon table 47 (âges 32/33 ans) 1886
Coefficient selon table 47 (âges 47/48 ans) 1438
Probabilité de survie et d'activité de la femme après 15 ans,
selon table 62:
femme active de 47 ans / femme active de 32 ans =
95771 / 97804 = 0,97921
Probabilité de survie de l'homme après 15 ans, selon
table 62:
homme survivant 48 ans / homme survivant 33 ans =
94820 / 96740 = 0,98015
facteur d'escompte selon table 63, 15 ans à 4% 0,55526
Coefficient de correction pour la rente à 47/48 ans:
0,97921 x 0,98015 x 0,55526 = 0,53292
rente différée de 15 ans: 0,53292 x 1'438 = - 766 fr.
Coefficient de la rente temporaire pour 15 ans 1'120 fr.
Le capital s'élève donc à 1'120 x 12, soit à 13'440 fr.
b) Carole Bertrand.
Le coefficient 825 selon table 44 n'est pas litigieux. Le capital
s'élève à 825 x 12, soit à 9'900 fr.
c) Béatrice Bertrand.
Le coefficient 954 selon table 44 n'est pas non plus litigieux.
Le capital s'élève à 954 x 12, soit à 11'448 fr.
d) Rémy Bertrand.
Coefficient selon table 44 (non litigieux): 1'128. Le capital
s'élève à 1'128 x 12, soit à 13'536 fr.
BGE 101 II 257 S. 264
3.
Le Tribunal cantonal considère comme trop élevé, en l'espèce, le taux de réduction de 68% pour chances de remariage fixé par la table 60 de STAUFFER/SCHAETZLE pour un homme de 33 ans. Compte tenu du revenu modeste de Robert Bertrand, des trois enfants à sa charge, du temps qu'il leur consacre, de son manque de loisirs, de sa fatigue et de l'atteinte à sa santé, il estime que l'indemnité pour perte de soutien du mari ne doit pas être réduite de plus de 30% pour chances de remariage. Les défendeurs contestent cette appréciation en faisant valoir que les tables de STAUFFER/SCHAETZLE se fondent sur des statistiques de veufs qui, en grande majorité, ont aussi plusieurs enfants et que Robert Bertrand a démontré par sa liaison avec dame Favre son intention de se remarier à la première occasion.
Il est vrai que la table 60 de STAUFFER/SCHAETZLE repose sur les données statistiques suisses les plus sérieuses, et que le remariage des veufs ne doit pas être moins courant en France qu'en Suisse. En l'espèce, le handicap que constituent les charges de famille et la modicité du budget est atténué par l'effet des indemnités allouées, qui tendent précisément à remédier aux difficultés ménagères et financières. Mais il faut aussi considérer que l'indemnité accordée au mari pour perte de soutien est limitée à quinze ans, dont quatre se sont écoulés sans remariage. Compte tenu de toutes les circonstances, le taux de 30% admis par les premiers juges peut ainsi être confirmé. L'indemnité de 13'440 fr. allouée au mari doit dès lors être déduite de 4'032 fr., ce qui la ramène à 9'408 fr.
4.
Le Tribunal cantonal ne retient pas de faute concurrente de la victime. Après avoir constaté qu'on ignore comment s'est produit l'accident, il considère que celui-ci peut s'expliquer par diverses circonstances, notamment par le fait que dame Bertrand aurait été involontairement poussée par une des personnes assises sur la remorque, sans qu'une faute de la victime entre en ligne de compte, une telle faute n'étant donc pas établie. Les défendeurs estiment au contraire que pour toute personne raisonnable, le fait de s'asseoir juste devant la roue d'une remorque surbaissée doit apparaître comme dangereux; une collègue de travail aurait d'ailleurs recommandé à la victime de faire attention, et le conducteur aurait mis en garde les ouvriers contre le danger de s'asseoir devant les roues.
BGE 101 II 257 S. 265
Mais cette argumentation méconnaît qu'un rapport de causalité entre la chute et la proximité de la roue n'est pas prouvé. Le jugement déféré constate expressément qu'il n'est nullement établi que dame Bertrand se soit trop approchée de la roue qui l'aurait précipitée au sol; cela n'est même pas probable lorsqu'on voit que la victime n'a pas subi de lésions aux jambes, mais à l'abdomen. Puis il indique diverses hypothèses de nature à expliquer l'accident, indépendamment de toute imprudence, voire même d'une inattention de la victime. Peu importe dès lors que l'autorité cantonale n'ait pas repris le témoignage du conducteur, confirmant avoir recommandé la prudence à ses passagers. Le jugement déféré doit être confirmé en tant qu'il admet l'entière responsabilité des défendeurs.
5.
Les indemnités pour tort moral de 10'000 fr. pour le mari et de 4'000 fr. pour chaque enfant sont incontestées, de même que la somme de 1'082 fr. 85 allouée à Robert Bertrand pour frais funéraires.
... (Calcul des sommes restant dues aux demandeurs, après déduction des prestations déjà reçues.)
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et réforme le jugement de la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois du 21 février 1975 en ce sens que les défendeurs sont condamnés, solidairement entre eux, à payer, avec intérêts à 5% dès le 6 novembre 1970:
a) à Robert Bertrand 8'296 fr. 35
b) à Carole Bertrand 5'069 fr. 50
c) à Béatrice Bertrand 5'776 fr. 50
d) à Rémy Bertrand 6'182 fr. 50 | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
6834c898-2706-4802-b5c7-ac3f0bcecaa8 | Urteilskopf
122 III 488
86. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 22 novembre 1996 dans la cause B. AG et P. SpA contre F. (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
;
Art. 190 Abs. 1 SchKG
; Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung.
Es ist nicht willkürlich, wenn dem Zessionar einer auf
Art. 754 ff. OR
gestützten Forderung das Recht abgesprochen wird, die Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung gegen den zur Verantwortung gezogenen Verwaltungsrat zu verlangen. | Sachverhalt
ab Seite 488
BGE 122 III 488 S. 488
A.-
Du 17 décembre 1990 au 22 août 1991 - date de sa démission -, F. a été l'administrateur unique avec signature individuelle de K. SA.
B.-
Le Tribunal de première instance du canton de Genève a prononcé la faillite de cette société le 31 janvier 1992.
En mai 1994, la masse en faillite de K. SA a cédé à B. AG, P. SpA et à la banque X. sa prétention en responsabilité fondée sur les
art. 754 ss CO
, laquelle était portée à l'inventaire à hauteur de 3'646'718 fr., montant correspondant au découvert prévisible de ces créancières.
Le 8 juillet suivant, ces dernières ont reçu à concurrence de, respectivement, 2'242'580 fr., 634'471 fr. et 268'327 fr., un acte de défaut de biens après faillite.
BGE 122 III 488 S. 489
C.-
Par demande du 21 avril 1995, B. AG, P. SpA et la banque X. ont ouvert action contre F. en paiement de 3'145'378 fr., représentant le préjudice subi dans la faillite de K. SA. Cette procédure a été suspendue jusqu'à l'issue du procès pénal dirigé contre F. pour diverses infractions.
D.-
Le 11 octobre 1995, les créancières cessionnaires ont notamment requis la faillite sans poursuite préalable de F., en application de l'
art. 190 al. 1 ch. 1 LP
. Elles lui ont en substance reproché un acte frauduleux, à savoir la donation à ses enfants de sa propriété de C.
Le 27 octobre 1995, le Président du Tribunal du district de Nyon a rejeté cette requête.
Statuant sur recours des requérantes, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal du canton de Vaud a confirmé ce jugement le 18 avril 1996.
E.-
B. AG et P. SpA exercent un recours de droit public au Tribunal fédéral. Elles concluent, principalement, à l'annulation de cet arrêt et, "cela fait", au prononcé de la faillite sans poursuite préalable et, subsidiairement, au renvoi de la cause pour nouvelle décision.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
L'arrêt attaqué repose sur une double motivation. D'une part, la Cour des poursuites et faillites a relevé que la cession de l'
art. 260 LP
ne confère aux créanciers qu'un droit d'action, lequel n'a pas nécessairement pour corollaire le droit de requérir la faillite sans poursuite préalable de l'administrateur recherché en responsabilité; cette faculté ne peut en effet appartenir qu'à celui qui se prétend titulaire d'une créance personnelle contre le débiteur, ce qui n'est pas le cas du créancier cessionnaire exerçant l'action oblique de la société faillie. D'autre part, elle a jugé que les requérantes n'avaient rendu suffisamment vraisemblable ni l'existence ni la quotité de leur créance.
Les recourantes s'en prennent à ces deux motifs, en sorte que, de ce point de vue, leur recours est recevable (
ATF 117 II 432
consid. 2a p. 441 et la jurisprudence citée).
3.
Concernant la première motivation, les recourantes prétendent qu'en cas de dommage direct, les parties lésées disposent - indépendamment de toute cession au sens de l'
art. 260 LP
- d'une
BGE 122 III 488 S. 490
créance directe contre les organes de la société anonyme qui les autorise à plaider en leur propre nom et, le cas échéant, à requérir la faillite sans poursuite préalable des responsables. Elles soutiennent en outre que le créancier cessionnaire des droits de la masse obtient tant la cession du droit d'exécution forcée portant sur sa prétention que tous les autres moyens prévus par celui-ci.
a) Les actions et omissions à raison desquelles les administrateurs sont recherchés en responsabilité sont soumises à l'ancien droit si elles sont intervenues avant le 1er juillet 1992 (
ATF 122 III 324
consid. 2).
b) En l'espèce, la critique des recourantes - qui se bornent à opposer leur propre appréciation à celle de l'autorité cantonale - ne répond manifestement pas aux exigences de motivation posées par l'
art. 90 al. 1 let. b OJ
, en sorte qu'elle est irrecevable (
ATF 120 Ia 369
consid. 3a p. 373 et les références).
Au demeurant, le grief serait mal fondé. Dans sa jurisprudence publiée aux
ATF 117 II 432
ss, le Tribunal fédéral a abandonné l'opinion selon laquelle le créancier cessionnaire des droits de la masse peut faire valoir, d'une part, les prétentions de la société contre ses organes responsables (
art. 260 LP
) et, d'autre part, des prétentions personnelles pour son dommage indirect (art. 756 al. 2 aCO). Il a considéré que le droit d'action que confèrent aux créanciers les art. 753/754 aCO n'a pas un caractère individuel. Dans une procédure d'exécution générale et collective, l'administration de la faillite - qui exerce en premier lieu l'action en responsabilité (art. 756 al. 1 aCO) - ne se fonde pas sur le droit personnel de chacun des créanciers, mais sur l'ensemble de leurs prétentions. Le créancier cessionnaire agit de même, mais le montant obtenu à l'issue du procès sert prioritairement à couvrir sa créance.
L'art. 756 al. 2 aCO n'est qu'un cas d'application de l'
art. 260 LP
(ATF précité consid. 1b/ee et ff p. 439/440). La cession au sens de cette dernière disposition est un mandat procédural (
ATF 56 III 70
) qui autorise le créancier à faire valoir les droits litigieux, c'est-à-dire à conduire le procès (Prozessführungsrecht) à la place de la masse, en son nom propre et à ses risques et périls (
ATF 113 III 135
consid. 3a p. 137 et les arrêts cités). Le cessionnaire ne devient pas titulaire de la prétention (
ATF 61 III 1
consid. 2 p. 3; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5e éd., § 47, n. 26, p. 380; JAEGER, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, tome II, p. 379). Sous cet angle, les recourantes ne sont aucunement titulaires de la prétention en responsabilité; elles ne
BGE 122 III 488 S. 491
sauraient dès lors être reconnues comme créancières selon l'
art. 190 al. 1 LP
.
4.
Nonobstant l'avis de l'autorité cantonale, la prétention du créancier en réparation de son dommage direct subsiste. En effet, la jurisprudence publiée aux
ATF 117 II 432
ss n'a pas supprimé la distinction entre dommage direct et indirect du créancier, mais uniquement la double nature de son action (cf. sur la question: supra, consid. 3b et
ATF 122 III 176
consid. 7a et b p. 189 à 193). Contrairement à ce que soutiennent les recourantes, l'arrêt attaqué ne procède pas sur ce point d'un défaut de motivation (
art. 4 Cst.
), mais d'une interprétation inexacte de l'arrêt sur lequel il se fonde. Quoi qu'il en soit, le Tribunal fédéral a récemment précisé que, lorsque l'organe a violé une norme - comme l'art. 725 aCO - destinée à protéger tant la société que les créanciers, l'action de l'ensemble des créanciers en réparation de leur dommage indirect exclut, dès l'ouverture de la faillite, les actions concurrentes des créanciers en réparation de leur propre dommage direct. De telles prétentions ne trouvent place que si d'autres normes visant la protection exclusive des créanciers sont violées ou si l'organe recherché engage sa responsabilité personnelle en vertu d'une culpa in contrahendo (ATF précité, consid. 7c p. 193 à 195). | null | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
68354795-98ea-4c78-b224-7137e9c80bc6 | Urteilskopf
105 IV 326
83. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 2 novembre 1979 dans la cause Ministère public du canton de Neuchâtel contre G. (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 215 CP.
Die Bigamie ist ein Zustandsdelikt, nicht ein Dauerdelikt (Erw. 3b).
Art. 7 Abs. 1 StGB
.
"Erfolg" im Sinne dieser Bestimmung ist der als Tatbestandselement umschriebene Aussenerfolg eines sogenannten Erfolgsdeliktes (Praxisänderung) (Erw. 3 c-g). | Sachverhalt
ab Seite 326
BGE 105 IV 326 S. 326
Le Suisse G. a épousé le 31 décembre 1975 une Camerounaise. Il a ouvert action contre sa première épouse qui était de nationalité suisse le 26 janvier 1976; le divorce est entré en force le 3 mai 1976. La polygamie est admise au Cameroun où le deuxième mariage a eu lieu.
Inculpé de bigamie, G. a été acquitté par les Tribunaux neuchâtelois de première et deuxième instances.
Le Ministère public du canton de Neuchâtel se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) La seule question qui puisse être examinée en l'espèce
BGE 105 IV 326 S. 327
est celle de l'application du Code pénal suisse, et plus particulièrement celle de l'
art. 215 CP
, à l'acte de bigamie commis par l'intimé. Il convient de déterminer en premier lieu, à la lumière de l'
art. 7 al. 1 CP
, où l'acte a été commis et s'il a produit un résultat en Suisse. De la réponse à cette question dépendra l'application de l'
art. 3 CP
, qui conduirait à l'admission du pourvoi, ou celle de l'
art. 6 CP
au regard duquel l'intimé a été libéré à bon droit par les autorités cantonales de première et seconde instances.
b) On peut d'emblée constater que c'est au Cameroun que l'intimé a agi. En effet, à l'instar de la Cour cantonale et de la doctrine unanime, on doit admettre que la bigamie, au sens de l'
art. 215 CP
, est un délit instantané (Zustandsdelikt) et non pas un délit continu (Dauerdelikt), c'est-à-dire un délit consommé par la célébration du mariage et non pas par le fait de demeurer en état de bigamie (HAFTER, Bes. Teil, p. 417; THORMANN-VON OVERBECK, n. 11 ad art. 215; LOGOZ, n. 6 ad art. 215; SCHWANDER, n. 655; STRATENWERTH, Bes. Teil II, 2e éd., p. 84; GAUTSCHI, Die mehrfache Ehe im Schweiz. Strafrecht, thèse Zurich 1953, p. 104/105; PFENNINGER, in RSJ 1967 (63), p. 370/ 371; Division de justice, in JAAC 1978, no 46, ch. I, 1; cf. SCHÖNKE-SCHRÖDER, n. 6 et 8 ad par. 171).
c) Reste alors à déterminer si l'acte commis par l'intimé a produit en Suisse un résultat, au sens de l'
art. 7 al. 1 CP
.
Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, il faut entendre par résultat, au sens de l'
art. 7 CP
, le dommage à cause duquel le législateur a rendu un acte punissable. Un tel dommage ne se produit pas seulement dans les infractions qui sont constituées par un résultat, au sens technique du terme (délit matériel; Erfolgsdelikt), mais aussi dans celles qui sont constituées par une simple activité (délit formel; schlichtes Tätigkeitsdelikt), même si la loi ne fait pas état du dommage; la seule différence entre les deux cas est que, dans le premier, le résultat peut être distingué de l'acte, alors que, dans le second, en tant qu'effet nécessaire de l'acte, il est inclus dans celui-ci, comme en découlant nécessairement et sans qu'il ait été nécessaire d'en faire un élément constitutif de l'infraction; la théorie de l'ubiquité, consacrée à l'
art. 7 CP
, ne saurait avoir pour conséquence que le droit suisse n'est applicable que si le résultat est un élément nécessaire de l'infraction et non pas lorsqu'il est implicitement contenu dans celle-ci comme conséquence nécessaire de l'acte (
ATF 91 IV 231
/232;
87 IV 154
).
BGE 105 IV 326 S. 328
En dépit des critiques qu'elle a soulevées, cette jurisprudence a été maintenue, mais avec une réserve concernant les délits de mise en danger: pour les délits formels qui sont en même temps des délits de mise en danger abstraite, on ne pourra prendre en considération, pour appliquer les
art. 3 et 7 CP
, que le lieu où l'auteur a agi (
ATF 97 IV 209
/210).
d) Si l'on se réfère à la jurisprudence qui vient d'être rappelée, on devrait in casu, puisqu'il ne s'agit pas d'un délit de mise en danger abstraite, rechercher quel est le dommage à cause duquel le législateur a entendu réprimer la bigamie, considérer ensuite ce dommage comme le résultat de l'acte, au sens de l'
art. 7 CP
, sans se préoccuper de la distinction entre délit formel et délit matériel et en abandonnant notamment l'idée que le résultat doit être nécessairement l'un des éléments constitutifs de l'infraction. Or, le dommage à raison duquel la bigamie a été érigée en infraction est défini comme l'atteinte portée au principe du mariage monogamique, qui est à la base de l'institution du mariage telle qu'elle est conçue dans notre pays (cf. notamment HAFTER, Bes. Teil, p. 414; SCHWANDER, n. 655; LOGOZ, n. 1 ad art. 215; GAUTSCHI, op. cit., p. 69-72), si bien que le résultat au sens de l'
art. 7 CP
se confondrait dans ce cas avec l'atteinte portée au bien juridiquement protégée (geschütztes Rechtsgut), même s'agissant d'un bien purement abstrait. Un tel raisonnement conduirait logiquement à considérer que toute personne étrangère mariée, vivant en Suisse ou dont le conjoint vivrait en Suisse, et qui contracterait où que ce soit un nouveau mariage serait punissable au regard de l'
art. 215 CP
. Il en résulterait de telles conséquences tant sur le plan théorique que pratique, qu'aucun des auteurs qui ont traité de la bigamie n'a même envisagé une telle possibilité; bien au contraire, tous ceux qui ont abordé le cas du second mariage conclu à l'étranger ont considéré que l'infraction était commise à l'étranger et que c'était l'
art. 6 CP
qui devait s'appliquer (THORMANN-VON OVERBECK, Bes. Teil, n. 12 ad art. 215; LOGOZ, n. 5 ad art. 215; GAUTSCHI, op. cit., p. 81; PFENNINGER, op. cit., p. 372). Tel est également l'avis de la Division de la justice (JAAC 1978, n. 46, ch. 4 et 5).
e) Dans une affaire comme la présente espèce, les critiques formulées par SCHULTZ de manière répétée à l'encontre de la jurisprudence précitée se révèlent comme particulièrement pertinentes et doivent conduire à un nouvel examen du contenu de la notion de résultat au sens de l'
art. 7 CP
(cf. SCHULTZ, in
BGE 105 IV 326 S. 329
textes suivants: RPS 72 (1957), p. 313 ss.; FJS 1210, p. 3 ss.; Annuaire suisse de droit international XX (1963), p. 192/193; RSJ 60 (1964) p. 84/85; RJB 99 (1963), p. 42 ss.; 102 (1966), p. 331/332; 108 (1972), p. 336; Einführung in den allg. Teil, I, 3e éd., p. 114/115).
Il convient en effet d'admettre, avec SCHULTZ, que le résultat est une notion technique fondée sur la seule atteinte portée à l'objet de l'infraction; elle désigne alors une modification du monde extérieur, imputable à l'auteur et faisant partie des éléments constitutifs de l'infraction. Ainsi défini, il ne peut y avoir de résultat au sens technique que pour une seule sorte d'actes punissables, à savoir les délits matériels (Erfolgsdelikte); et cette notion doit alors être clairement distinguée de celle d'atteinte au bien juridique protégé, qui est commune à toutes les infractions. Ainsi, les délits formels (schlichte Tätigkeitsdelikte) sont caractérisés en ceci que seul le comportement de l'auteur, action ou omission, est à même de mettre en danger ou de léser le bien juridique, tandis que, pour les délits matériels, c'est l'avènement du résultat qui amène la mise en danger ou la lésion du bien juridique protégé.
Si, à l'exemple de la jurisprudence rendue jusqu'ici on persiste à assimiler au résultat l'atteinte portée au bien juridique protégé, on donne au champ d'application du Code pénal suisse et à la compétence des tribunaux suisses une extension telle qu'elle apparaît comme inacceptable, tant en regard du droit des gens que de la loi elle-même. Une telle extension conduirait dans certains cas le juge à assurer la répression en Suisse sans se préoccuper de savoir si l'acte en cause est réellement punissable là où il a été commis. Par ailleurs on ne voit pas dans cette éventualité quelle serait la raison d'être et la signification des
art. 4 et 5 CP
, puisque de toute manière il y aurait, lorsque leur hypothèse est réalisée, un résultat en Suisse qui suffirait à justifier la compétence des tribunaux suisses et l'application du Code pénal au regard des
art. 3 et 7 al. 1 CP
.
f) Le législateur n'a pas voulu cela. Le Tribunal fédéral non plus d'ailleurs. On doit en effet constater qu'en jugeant comme il l'a fait, le Tribunal fédéral n'avait pas autre chose en vue que de résoudre le problème qui lui était posé par les délits par omission (Unterlassungsdelikte), notamment par la violation d'une obligation d'entretien (
art. 217 CP
) et par l'enlèvement de mineur (
art. 220 CP
). Or on constate que la question du lieu de commission de ce genre de délits par omission peut parfaitement
BGE 105 IV 326 S. 330
être résolue, en aboutissant probablement aux mêmes solutions pratiques, par une interprétation de la notion de "lieu où l'auteur a agi" au sens de l'art. 7 al. 1; dans de tels cas il s'agirait notamment du "lieu où l'auteur aurait dû agir" (cf., à cet égard, les divers textes de SCHULTZ déjà cités; WAIBLINGER, RJB 94 (1958), p. 169/170;
ATF 98 IV 205
;
ATF 82 IV 70
;
ATF 69 IV 129
).
g) On doit donc admettre en définitive que la notion de résultat au sens de l'
art. 7 CP
(et de l'
art. 346 CP
) recouvre la notion technique du résultat, élément constitutif de l'infraction, qui caractérise les seuls délits matériels (Erfolgsdelikte) et que c'est seulement le lieu de ce résultat qui, à côté du lieu où l'auteur a agi, est propre à déterminer le lieu de commission d'une infraction ou le for de la poursuite pénale.
Si l'on s'en tient à cette interprétation dans le cas d'espèce, on constate que la bigamie est un délit formel caractérisé par le seul comportement de l'auteur consistant à conclure un second mariage. Une telle infraction ne saurait comporter un résultat distinct de l'action même de l'auteur, si bien que le lieu de commission de l'infraction ne peut être ailleurs que là où l'auteur a agi, même si le bien juridiquement protégé, soit l'institution suisse du mariage, est évidemment lésé en Suisse.
Cela dit, l'intimé ayant agi au Cameroun, c'est dans ce pays seulement qu'il a commis l'acte de bigamie qui lui est reproché. C'est ainsi l'
art. 6 CP
qui doit s'appliquer. Et comme la bigamie est admise au Cameroun et n'est donc pas réprimée dans cet Etat, l'intimé ne peut pas être condamné en application de l'
art. 215 CP
. C'est ainsi à juste titre qu'il a été acquitté par les juges précédents, ce qui entraîne le rejet du pourvoi du Ministère public. | null | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
683601d8-9893-4dab-b12a-dd478f3a600b | Urteilskopf
138 I 367
33. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause X. SA contre Département des infrastructures du canton de Vaud (recours en matière de droit public)
2C_1022/2011 du 22 juin 2012 | Regeste a
Art. 11 Abs. 1 lit. e und
Art. 19 IVöB
; Art. 14a des Gesetzes des Kantons Waadt vom 24. Juni 1996 über das öffentliche Beschaffungswesen (LMP/VD),
Art. 78 und 83 BGG
; Rechtsnatur der vom kantonalen Recht vorgesehenen Sanktion bei einem Verstoss gegen die Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens.
Unter Berücksichtigung der anderen Sanktionen, welche vom kantonalen Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen vorgesehen werden, namentlich der Verwarnung oder des Widerrufs des Zuschlags, des Ausschlusses von sämtlichen künftigen Vergabeverfahren für eine Maximaldauer von fünf Jahren und der Streichung aus der ständigen Liste der qualifizierten Anbieter, erscheint die Busse, welche bei Verstössen gegen die Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens zusätzlich oder anstelle der anderen Sanktionen ausgesprochen werden kann, als reine Verwaltungsmassnahme. Als Folge davon steht ausschliesslich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (E. 1).
Regeste b
Art. 7 EMRK
, Art. 5, 9 und 164 Abs. 1 lit. c BV;
Art. 22 AuG
; Art. 14a LMP/VD; Verstoss gegen die Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens.
Wer sich während eines Vergabeverfahrens oder bei der Umsetzung des Vertrages nicht an die Vorgaben von
Art. 22 AuG
hält, einer Norm, die den Schutz der Arbeitnehmer sowie die Arbeitsbedingungen betrifft, verletzt die Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens im Sinne von Art. 14a Abs. 1 LMP/VD (E. 5.6). Diese Bestimmung sanktioniert nicht den Arbeitgeber sondern den Submittenten, welcher vertraglich mit der Umsetzung des öffentlichen Auftrags betraut wurde, wobei es unerheblich ist, ob dieser das betreffende Werk selbst erstellt oder es durch einen Subunternehmer erstellen lässt (E. 5.7). | Sachverhalt
ab Seite 368
BGE 138 I 367 S. 368
Le 8 mai 2009, le Service des routes du canton de Vaud a publié un appel d'offres portant sur la construction du viaduc sur l'A9 dans le cadre de la réalisation de la RC787-H144 Transchablaisienne (Rennaz-Les Evouettes). Les documents d'appel d'offres prescrivaient aux soumissionnaires d'annoncer leurs sous-traitants et leurs fournisseurs au moment de la calculation des prix; en outre, il était exigé des sous-traitants qu'ils respectent les conditions de l'appel d'offre notamment s'agissant des conditions de travail fixées par les conventions collectives et les contrats-types de travail.
BGE 138 I 367 S. 369
Le 13 août 2009, X. SA a soumissionné, annonçant, pour la pose de l'armature (ferraillage), trois sous-traitants: A., B. et C. Le Service des routes a contacté X. SA, pour lui faire savoir que les sous-traitants A. et Cie SA et E. SA n'étaient pas admis. Entre 1999 et 2000 et entre 2007 et 2008, deux des entreprises dirigées par M.B., soit B. (depuis lors en faillite), à K., et E. SA, à L., avaient été surprises sur plusieurs chantiers alors qu'elles enfreignaient la législation en matière de police des étrangers et celle régissant le droit du travail et des assurances sociales.
Le 5 novembre 2009, le Département des infrastructures du canton de Vaud a adjugé à X. SA le marché public.
Le 3 juin 2010, le mandataire du maître de l'ouvrage s'est enquis par courrier électronique de la raison sociale du ferrailleur engagé sur le chantier. Dans sa réponse du même jour, X. SA a désigné l'entreprise O. Sàrl, à F. Au courrier électronique de ce dernier était joint un extrait scanné du Registre du commerce du canton du Valais concernant cette entreprise. La partie inférieure, faisant apparaître l'identité des organes de la société, n'a pas été transmise.
Un contrôle effectué le 26 octobre 2010 sur le chantier du viaduc a révélé que, sur cinq ouvriers occupés aux travaux de ferraillage, deux n'étaient pas autorisés à travailler en Suisse. Tous ont déclarés être employés par E. SA, à E. Appelé sur les lieux, M.B., directeur de E. SA et gérant de O. Sàrl, a admis les faits.
Le 17 février 2011, le Département des infrastructures a prononcé à l'encontre de X. SA une amende de 61'219 fr. pour contravention à l'art. 14a al. 1 de la loi vaudoise du 24 juin 1996 sur les marchés publics (LMP/VD; RSV 726.01). Un recours contre cette décision a été rejeté par arrêt du Tribunal cantonal du 2 septembre 2011.
Le Tribunal fédéral a rejeté les recours en matière pénale et en matière de droit public dirigés par X. SA contre l'arrêt du 2 septembre 2011 en séance publique du 22 juin 2012.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office sa compétence (
art. 29 al. 1 LTF
). Il contrôle donc librement la recevabilité des recours qui sont déposés devant lui (
ATF 136 II 470
consid. 1 p. 472).
1.1
La voie de droit ouverte devant le Tribunal fédéral, recours en matière pénale (
art. 78 ss LTF
) ou recours en matière de droit
BGE 138 I 367 S. 370
public (
art. 82 ss LTF
), dépend de la nature pénale ou publique de la matière en cause. Hormis le cumul avec un recours constitutionnel subsidiaire (
art. 119 LTF
), il n'est en effet pas possible de saisir le Tribunal fédéral de recours distincts contre une même décision. La désignation erronée de la voie de droit toutefois ne saurait nuire à la recourante si son recours remplit les exigences légales de la voie de droit qui lui est ouverte (
ATF 133 I 300
consid. 1.2 p. 302 s.). Lorsque les deux mémoires répondent à ces exigences, tous les griefs soulevés doivent être examinés, pour autant que, comme en l'espèce, il soit aisé de les identifier. A défaut, les mémoires doivent être renvoyés pour rédaction d'une seule écriture, en application analogique de l'
art. 42 al. 6 LTF
.
1.2
Le litige a pour objet une amende de 61'219 francs prononcée en application de l'
art. 14a al. 1 LMP
/VD. A la différence d'autres lois, p. ex. de la loi fédérale du 6 octobre 1995 sur les cartels et autres restrictions à la concurrence (loi sur les cartels, LCart; RS 251), la loi vaudoise sur les marchés publics ne distingue pas clairement entre les sanctions administratives (art. 49a à 53 LCart) et d'éventuelles conséquences de droit pénal (
art. 54 ss LCart
). L'
art. 14a LMP
/VD a la teneur suivante:
"Art. 14a Sanctions
1
Les violations, intentionnelles ou par négligence, des règles régissant les marchés publics par un soumissionnaire pendant la procédure d'adjudication ou l'exécution du contrat peuvent selon leur gravité être sanctionnées par l'adjudicateur par l'avertissement ou la révocation de l'adjudication.
2
Le Département des infrastructures, sur dénonciation, peut prononcer une amende allant jusqu'à 10 % du prix final de l'offre et/ou l'exclusion de tout nouveau marché pour une durée maximale de cinq ans et l'exclusion de la liste permanente des soumissionnaires qualifiés. Il est également l'autorité compétente pour prononcer l'exclusion des futurs marchés publics au sens de l'article 13 de la loi fédérale du 17 juin 2005 concernant des mesures en matière de lutte contre le travail au noir (LTN).
3
Les sanctions n'excluent pas d'autres poursuites judiciaires à l'encontre du soumissionnaire fautif."
L'
art. 14a LMP
/VD s'inscrit dans le prolongement de l'art. 11 de l'accord intercantonal du 25 novembre 1994 sur les marchés publics (AIMP; RSV 726.91) qui prévoit notamment:
" Art. 11 Principes généraux
1
Lors de la passation de marchés, les principes suivants doivent être respectés:
(...)
BGE 138 I 367 S. 371
e. respect des dispositions relatives à la protection des travailleurs et aux conditions de travail;
(...)
Art. 19 Vérification et sanctions
1
Chaque canton vérifie le respect, par les soumissionnaires et les pouvoirs adjudicateurs, des dispositions en matière de marchés publics, tant durant la procédure de passation qu'après l'adjudication.
2
Chaque canton détermine les sanctions encourues en cas de violation des dispositions en matière de marchés publics."
La réglementation intercantonale et l'
art. 14a LMP
/VD sont encore complétés, dans le canton de Vaud, par le règlement d'application du 7 juillet 2004 de la loi cantonale du 24 juin 1996 sur les marchés public (RLMP/VD; RSV 726.01.1), qui prévoit ce qui suit:
"Art. 6 Participants à l'exécution du marché
1
Le soumissionnaire doit notamment indiquer:
(...)
b. le nom et le siège des participants à l'exécution du marché;
c. la preuve de l'aptitude des participants à l'exécution du marché.
2
L'adjudicateur s'assure que les soumissionnaires:
a. respectent les dispositions relatives à la protection des travailleurs et aux conditions de travail, ainsi que l'égalité de traitement entre hommes et femmes;
b. garantissent par contrat que les sous-traitants respectent ces prescriptions.
3
Les conditions de travail sont celles fixées par les conventions collectives et les contrats-types de travail; en leur absence, ce sont les prescriptions usuelles de la branche professionnelle qui s'appliquent.
4
Sur demande, le soumissionnaire doit prouver qu'il respecte les dispositions relatives à la protection des travailleurs et aux conditions de travail, qu'il a payé ses cotisations aux institutions sociales et ses impôts ou qu'il donne plein pouvoir à l'adjudicateur pour effectuer les contrôles."
1.3
Les termes utilisés par le législateur, spécialement celui d'"amende", peuvent se référer tant à une sanction de droit administratif que de droit pénal. Il convient donc d'interpréter la notion au regard des autres sanctions prévues par la loi cantonale sur les marchés publics, telles que l'avertissement ou la révocation de l'adjudication, l'exclusion de tout nouveau marché pour une durée maximale de cinq ans et l'exclusion de la liste permanente des soumissionnaires qualifiés. Il s'agit de mesures administratives, comme le montre également le fait que l'amende peut être prononcée, alternativement ou
BGE 138 I 367 S. 372
cumulativement à l'exclusion de tout nouveau marché pour une durée maximale de cinq ans et à l'exclusion de la liste permanente des soumissionnaires qualifiés. Prononcée par une autorité administrative en lieu et place d'un juge (TANQUEREL, Manuel de droit administratif, 2011, ch. 1204 p. 402), l'amende en cause ne peut au demeurant pas être convertie en peine privative de liberté (cf. MOOR/POLTIER, Droit administratif, vol. II, 3
e
éd. 2011, p. 161). Enfin, l'
art. 14a al. 3 LMP
/VD réserve explicitement d'autres poursuites judiciaires.
Dans ces conditions, la cause relève du droit public au sens de l'
art. 82 LTF
, ce qui ne préjuge pas du champ d'application des garanties ancrées aux
art. 6 et 7 CEDH
.
1.4
Les recours devant être examinés par la II
e
Cour de droit public (
art. 30 al. 1 let
. c ch. 8 du règlement du 20 novembre 2006 du Tribunal fédéral [RTF; RS 173.110.131]), il n'y a pas lieu de suspendre letraitement du recours en matière de droit public jusqu'à droit connu sur celui en matière pénale. La requête tendant à se voir accorder la possibilité de retirer un des recours dès lors que l'autre serait déclaré recevable est ainsi sans objet.
(...)
5.
Invoquant les
art. 5, 27 et 36 Cst.
ainsi que l'
art. 7 CEDH
, la recourante se plaint de la violation du principe de la légalité (nulla poena sine lege). Elle soutient que l'
art. 14a LMP
/VD n'indique pas de manière précise les comportements incriminés ni l'instance compétente ni les sanctions.
5.1
Aux termes de l'
art. 7 CEDH
, nul ne peut être condamné pour une action ou une omission qui, au moment où elle a été commise, ne constituait pas une infraction d'après le droit national ou international.
5.2
L'
art. 7 CEDH
a pour objet les accusations en matière pénale telles qu'elles sont décrites par l'
art. 6 par. 1 CEDH
(STEFAN SINNER, in EMRK, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Kommentar, Karpenstein/Mayer [éd.],Munich 2012, n° 8 ad
art. 7 CEDH
et les références citées). En effet, le libellé de l'article 7 par. 1, seconde phrase, CEDH, indique que le point de départ de toute appréciation de l'existence d'une peine consiste à déterminer si la mesure en question est imposée à la suite d'une condamnation pour une infraction. Selon la CourEDH, ce qui est pertinent à cet égard, c'est la nature et le but de la mesure en cause, sa qualification en droit interne, les procédures associées à son adoption et à son
BGE 138 I 367 S. 373
exécution, ainsi que sa gravité (arrêts de la CourEDH
Scoppola contre Italie
(n° 2) du 17 septembre 2009, requête n° 10249/03 § 97;
Welch contre Royaume-Uni
du 9 février 1995, requête n° 17440/90 § 28). La CourEDH a ainsi jugé qu'une amende de 500'000 drachmes infligée à une société de transport pour avoir enfreint les règles applicables au commerce international lors de l'importation de marchandises pour une valeur totale de 15'050 marks allemands constituait une infraction pénale au sens de l'
art. 6 CEDH
, en raison de l'enjeu pour la société qui risquait une amende maximale équivalent à la valeur des marchandises soit le triple de celle qui avait été infligée (arrêt de la CourEDH
Garyfallou Aebe contre Grèce
du 24 septembre 1997, requête 18996/91 § 32 et 33).
En l'espèce, bien que la présente affaire doive être considérée, sous l'angle de l'
art. 82 LTF
, comme une cause de droit public, la quotité de l'amende infligée à la recourante, soit 61'219 fr., dont le montant maximal aurait pu s'élever à 1'137'899 fr., justifie que l'infraction définie à l'
art. 14a LMP
/VD soit qualifiée de pénale au sens des
art. 6 et 7 CEDH
. Le grief de violation de l'
art. 7 CEDH
, au demeurant dûment motivé (cf.
art. 106 al. 2 LTF
), est par conséquent recevable.
5.3
L'article 7 par. 1 CEDH ne se borne pas à prohiber l'application rétroactive du droit pénal au détriment de l'accusé. Il consacre aussi, de manière plus générale, le principe de la légalité des délits et des peines (
nullum crimen, nulla poena sine lege
). S'il interdit en particulier d'étendre le champ d'application des infractions existantes à des faits qui, antérieurement, ne constituaient pas des infractions, il commande en outre de ne pas appliquer la loi pénale de manière extensive au détriment de l'accusé. Il s'ensuit que la loi doit définir clairement les infractions et les peines qui les répriment. Cette condition se trouve remplie lorsque le justiciable peut savoir, à partir du libellé de la disposition pertinente et, au besoin, à l'aide de l'interprétation qui en est donnée par les tribunaux, quels actes et omissions engagent sa responsabilité pénale. On ne saurait interpréter l'
art. 7 CEDH
comme proscrivant la clarification graduelle des règles de la responsabilité pénale par l'interprétation judiciaire d'une affaire à l'autre, à condition que le résultat soit cohérent avec la substance de l'infraction et raisonnablement prévisible. Savoir jusqu'à quel point la sanction doit être prévisible dépend dans une large mesure du contenu du texte dont il s'agit, du domaine qu'il couvre ainsi que du nombre et de la qualité de ses destinataires. La prévisibilité d'une loi
BGE 138 I 367 S. 374
ne s'oppose pas à ce que la personne concernée soit amenée à recourir à des conseils éclairés pour évaluer, à un degré raisonnable dans les circonstances de la cause, les conséquences pouvant résulter d'un acte déterminé (arrêt
Scoppola
précité, § 93 ss et les nombreuses références à la jurisprudence de la CourEDH).
5.4
Les exigences du principe de la légalité (
nulla poena sine lege
) de l'
art. 7 CEDH
résultent aussi des
art. 5, 9 et 164 al. 1 let
. c Cst. Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, la loi doit être formulée de manière telle qu'elle permette au citoyen d'y conformer son comportement et de prévoir les conséquences d'un comportement déterminé avec un certain degré de certitude, lequel ne peut être fixé abstraitement, mais doit au contraire tenir compte des circonstances. Le juge peut, sans violer ce principe, donner du texte légal une interprétation même extensive, afin d'en dégager le sens véritable, celui qui est seul conforme à la logique interne et au but de la disposition en cause. Si une interprétation conforme à l'esprit de la loi peut s'écarter de la lettre du texte légal, le cas échéant au détriment de l'accusé, il reste que le principe
nulla poena sine lege
interdit au juge de se fonder sur des éléments que la loi ne contient pas, c'est-à-dire de créer de nouveaux états de fait punissables (
ATF 138 IV 13
consid. 4.1 p. 19 s. et les nombreuses références citées). Le principe de la légalité n'interdit toutefois pas les normes de renvoi, qui sanctionnent la violation de prescriptions légales, insérées dans la loi elle-même, dans ses dispositions d'application ou encore dans d'autres actes législatifs, fédéraux ou cantonaux. La disposition pénale doit être lue comme si la règle de concrétisation faisait partie intégrante de son texte. Le comportement incriminé n'est donc pas indéterminé (arrêt 6B_15/2012 du 13 avril 2012 consid. 4.1 et les références de jurisprudence et de doctrine citées).
5.5
Aux termes de l'
art. 14a al. 1 LMP
/VD, les violations, intentionnelles ou par négligence, des règles régissant les marchés publics par un soumissionnaire pendant la procédure d'adjudication ou l'exécution du contrat peuvent selon leur gravité être sanctionnées par l'adjudicateur par l'avertissement ou la révocation de l'adjudication. Selon l'
art. 14a al. 2 LMP
/VD, le Département des infrastructures, sur dénonciation, peut prononcer une amende allant jusqu'à 10 % du prix final de l'offre et/ou l'exclusion de tout nouveau marché pour une durée maximale de cinq ans et l'exclusion de la liste permanente des soumissionnaires qualifiés. Il est également l'autorité compétente pour prononcer l'exclusion des futurs marchés publics au sens de
BGE 138 I 367 S. 375
l'article 13 de la loi fédérale du 17 juin 2005 concernant des mesures en matière de lutte contre le travail au noir (loi sur le travail au noir, LTN; RS 822.41). L'
art. 14a al. 1 LMP
/VD est une "Blankettnorm" de droit pénal. De telles normes sont fréquentes parmi les dispositions pénales des lois spéciales et en principe admissibles sous l'angle constitutionnel (
ATF 106 Ia 100
consid. 7a p. 106 s.;
ATF 98 Ia 356
consid. 3a p. 360).
5.6
Parmi les règles régissant les marchés publics figure l'
art. 6 al. 1 let
. e LMP/VD selon lequel lors de la passation des marchés, il y a lieu de respecter les dispositions relatives à la protection des travailleurs et aux conditions de travail. C'est affaire d'interprétation que de désigner quelles sont les dispositions relatives à la protection des travailleurs, une interprétation extensive au détriment de l'inculpé n'étant à cet égard pas contraire au principe de la légalité (cf. consid. 5.4 ci-dessus).
Selon l'art. 22 de la loi fédérale du 16 décembre 2005 sur les étrangers (LEtr; RS 142.20), un étranger ne peut être admis, autrement dit recevoir une autorisation de séjour (
art. 11 LEtr
) en vue de l'exercice d'une activité lucrative, qu'aux conditions de rémunération et de travail usuelles du lieu, de la profession et de la branche. Il résulte du Message du 8 mars 2002 concernant la loi sur les étrangers que l'art. 22 (21 du projet) LEtr a été conçu comme une disposition ayant pour but non seulement de protéger le travailleur en Suisse contre le dumping salarial et social mais également la main d'oeuvre étrangère contre l'exploitation financière (FF 2002 3469, 3539 ad art. 21). Selon l'art. 6 al. 3 RLMP/VD, il faut entendre par conditions de travail celles fixées par les conventions collectives et les contrats-types de travail ou, à défaut, celles qui résultent des prescriptions usuelles de la branche professionnelle.
Par conséquent celui qui, pendant la procédure d'adjudication ou l'exécution du contrat, ne respecte pas l'
art. 22 LEtr
, qui constitue une disposition relative à la protection des travailleurs et aux conditions de travail, viole les règles régissant les marchés publics au sens de l'
art. 14a al. 1 LMP
/VD. L'
art. 14a LMP
/VD est ainsi formulé de façon suffisamment précise pour permettre à la recourante d'y conformer son comportement et de prévoir les conséquences d'actes déterminés.
5.7
La recourante soutient que l'obligation de surveillance dont l'instance précédente lui reproche la violation incombe, selon la loi cantonale, à l'adjudicateur et non pas à l'adjudicataire. En confirmant sa condamnation, l'arrêt attaqué aurait créé, en violation du principe
BGE 138 I 367 S. 376
nulla poena sine lege
et de l'interdiction de l'arbitraire, un nouvel état de fait punissable qui ne ressort d'aucune disposition légale. Ce grief doit être écarté.
En effet, le comportement sanctionnée par l'
art.14a al. 1 LMP
/VD ne consiste pas à surveiller un éventuel sous-traitant comme le soutient à tort la recourante. Le comportement délictueux consiste à ne pas respecter les exigences de l'
art. 22 LEtr
dans la passation et l'exécution d'un marché public. Les termes "exécution d'un marché public" couvrent en particulier l'acte de construire un ouvrage. En d'autres termes, l'
art. 14a LMP
/VD ne sanctionne pas l'employeur, mais bien le soumissionnaire à qui l'exécution du marché public a été accordée par contrat, qu'il construise lui-même l'ouvrage en cause ou le fasse construire par un sous-traitant. En conséquence, le soumissionnaire qui fait exécuter le marché par un sous-traitant dont les employés travaillent en violation de l'
art. 22 LEtr
remplit les conditions objectives de l'infraction sanctionnée par l'
art. 14a LMP
/VD. La question de savoir s'il remplit également les conditions subjectives de l'infraction dépend de celle de savoir s'il agit au moins par négligence.
5.8
En l'espèce, l'instance précédente a confirmé à bon droit la décision de première instance affirmant que la recourante réalisait les conditions objectives de l'
art. 14a LMP
/VD puisque deux ouvriers occupés aux travaux de ferraillage n'étaient effectivement pas autorisés à travailler en Suisse.
6.
(Le Tribunal fédéral a confirmé que les conditions subjectives de l'infraction prévues par l'
art. 14a LMP
/VD étaient remplies.) | public_law | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
683a9d03-687f-4194-ae8d-68c87ced7a3f | Urteilskopf
136 V 195
24. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. J. gegen Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_517/2009 vom 25. Mai 2010 | Regeste
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
;
Art. 43 Abs. 1 IVG
;
Art. 24b AHVG
; Leistungen der Arbeitslosenversicherung bei rückwirkender Ausrichtung einer ganzen IV-Invalidenrente zufolge gleichzeitigen Anspruchs auf eine Invalidenrente der IV und auf eine Witwen- oder Witwerrente der AHV.
Erbringt die Invalidenversicherung zufolge des gleichzeitigen Anspruchs auf eine Witwen- oder Witwerrente der AHV bei einem Invaliditätsgrad von 63 % anstelle einer Dreiviertelsrente rückwirkend eine ganze Invalidenrente, bildet unverändert der Invaliditätsgrad Referenzgrösse für die Anpassung des versicherten Verdienstes und die Berechnung eines allfälligen Rückforderungsanspruchs der Arbeitslosenkasse (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 196
BGE 136 V 195 S. 196
A.
Die 1949 geborene, geschiedene J., Mutter zweier 1976 und 1982 geborener Kinder, war ab 1. September 1995 als Lageristin/Verkaufsmitarbeiterin bei der Firma X. angestellt. Wegen Krankheit hat sie diese Beschäftigung ab 21. Mai 2003 nicht mehr ausüben können. Mit Schreiben vom 18. November 2003 hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis auf den 31. Januar 2004 durch Kündigung aufgelöst. In der Bezugsrahmenfrist vom 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2006 richtete die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich J. Taggelder der Arbeitslosenversicherung aus. Am 10. August 2005 ist der vormalige Ehemann von J. gestorben.
Bereits am 13. April 2004 hatte sich J. ausserdem bei der Invalidenversicherung zum Bezug von Leistungen angemeldet. Die IV-Stelle des Kantons Zürich sprach ihr mit Verfügung vom 29. März 2006 für die Zeit von Mai bis Oktober 2004 und ab Juli 2005 eine halbe Invalidenrente, basierend auf einem Invaliditätsgrad von 57 %, zu. In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Einsprache stellte die IV-Stelle fest, J. habe ab Mai 2004 - bei einem Invaliditätsgrad von 63 % - Anspruch auf eine Dreiviertelsrente (undatierter Einspracheentscheid). Dementsprechend verfügte sie am 18. Oktober 2006 für die Zeit von Mai bis Oktober 2004 und von Juli bis August 2005 eine Dreiviertelsrente. Mit den Verwaltungsakten vom 31. August 2006 und 18. Oktober 2006 bejahte sie einen Anspruch auf eine ganze Invalidenrente für die Zeit ab September 2005 bei einem unveränderten Invaliditätsgrad von 63 %; zur Begründung gab sie an, Witwen, welche gleichzeitig die Anspruchsvoraussetzungen für eine Witwen- und eine Invalidenrente erfüllten, würden nur die Invalidenrente erhalten, wobei diese unabhängig vom Invaliditätsgrad immer als ganze Rente ausgerichtet werde.
Die Arbeitslosenkasse forderte daraufhin von J. Arbeitslosentaggelder in der Höhe von Fr. 16'511.05 zurück, wobei sie die Verrechnung mit den Leistungen der Invalidenversicherung im Umfang von Fr. 7'858.25 und - vorbehältlich einer möglichen Verrechnung mit Leistungen der beruflichen Vorsorge - die Abschreibung des
BGE 136 V 195 S. 197
Restbetrages von Fr. 8'652.80 ankündigte (Verfügung vom 22. März 2006). Mit einer als "Nachrechnung" bezeichneten Verfügung vom 3. Oktober 2006 stellte die Kasse fest, von der Rückforderungssumme im Betrag von Fr. 16'511.05 seien Fr. 7'858.25 bereits zurückerstattet worden; damit ergebe sich eine Nachrechnung von Fr. 6'380.30, wovon - vorbehältlich einer möglichen Verrechnung mit Leistungen der beruflichen Vorsorge - Fr. 2'272.50 abzuschreiben seien. Mit Verwaltungsakt vom 4. Oktober 2006 forderte sie Arbeitslosentaggelder im Umfang von Fr. 8'652.80 zurück und hielt fest, Fr. 6'380.30 seien zur Verrechnung mit den Leistungen der Invalidenversicherung angemeldet und Fr. 2'272.50 werde sie abschreiben. Die zusätzliche Rückforderung begründete sie mit der Erhöhung der Invalidenrente durch die IV-Stelle auf den 1. Mai 2004 (Dreiviertelsrente), den 1. Juli 2005 (Dreiviertelsrente) und den 1. September 2005 (ganze Invalidenrente). Die gegen die Verfügung vom 4. Oktober 2006 erhobene Einsprache wies sie ab (Einspracheentscheid vom 28. Februar 2007).
B.
In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid vom 28. Februar 2007 auf und wies die Sache an die Kasse zurück, damit sie die Rückforderung im Sinne der Erwägungen neu festsetze (Dispositivziffer 1); ausserdem verpflichtete es die Kasse, J. eine Prozessentschädigung von Fr. 1'600.- auszurichten (Dispositivziffer 3; Entscheid vom 7. April 2009).
C.
J. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in teilweiser Aufhebung von Dispositivziffer 1 des kantonalen Gerichtsentscheids sei festzustellen, dass die Arbeitslosenkasse keinen Rückforderungsanspruch habe; eventualiter sei die Angelegenheit zur Berechnung der Rückforderung "im Sinne der nachfolgenden Ausführungen" an die Kasse zurückzuweisen.
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Stellungnahme.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Gemäss
Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG
(SR 837.0) in Verbindung mit
Art. 15 Abs. 1 AVIG
hat der Versicherte Anspruch auf
BGE 136 V 195 S. 198
Arbeitslosenentschädigung, wenn er (unter anderem) vermittlungsfähig ist, d.h. wenn er bereit, in der Lage und berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen und an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen. Nach
Art. 15 Abs. 2 Satz 1 AVIG
gilt der körperlich oder geistig Behinderte als vermittlungsfähig, wenn ihm bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage, unter Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem Arbeitsmarkt eine zumutbare Arbeit vermittelt werden könnte. Bestehen erhebliche Zweifel an der Arbeitsfähigkeit eines Arbeitslosen, so kann die kantonale Amtsstelle eine vertrauensärztliche Untersuchung auf Kosten der Versicherung anordnen (
Art. 15 Abs. 3 AVIG
). Die Kompetenz zur Regelung der Koordination mit der Invalidenversicherung ist in
Art. 15 Abs. 2 Satz 2 AVIG
dem Bundesrat übertragen worden. Dieser hat in
Art. 15 Abs. 3 AVIV
(SR 837. 02) festgelegt, dass ein Behinderter, der unter der Annahme einer ausgeglichenen Arbeitsmarktlage nicht offensichtlich vermittlungsunfähig ist und der sich bei der Invalidenversicherung (oder einer anderen Versicherung nach
Art. 15 Abs. 2 AVIV
) angemeldet hat, bis zum Entscheid der anderen Versicherung als vermittlungsfähig gilt.
3.2
Art. 70 Abs. 1 ATSG
(SR 830.1) sieht vor, dass die berechtigte Person Vorleistung verlangen kann, wenn ein Versicherungsfall einen Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen begründet, aber Zweifel darüber bestehen, welche Sozialversicherung die Leistungen zu erbringen hat. Gemäss
Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG
ist die Arbeitslosenversicherung für Leistungen, deren Übernahme durch die Arbeitslosenversicherung, die Krankenversicherung, die Unfallversicherung oder die Invalidenversicherung umstritten ist, vorleistungspflichtig.
3.3
Gemäss
Art. 71 ATSG
erbringt der vorleistungspflichtige Versicherungsträger die Leistungen nach den für ihn geltenden Bestimmungen; wird der Fall von einem anderen Träger übernommen, so hat dieser die Vorleistungen im Rahmen seiner Leistungspflicht zurückzuerstatten.
3.4
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
legt fest, dass eine versicherte Person, die Arbeitslosenentschädigung bezogen hat und später für denselben Zeitraum Renten oder Taggelder der Invalidenversicherung, der beruflichen Vorsorge, der Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende in Armee, Zivildienst und Zivilschutz, der Militärversicherung, der obligatorischen Unfallversicherung, der Krankenversicherung oder
BGE 136 V 195 S. 199
gesetzliche Familienzulagen erhält, zur Rückerstattung der in diesem Zeitraum bezogenen Arbeitslosentaggelder verpflichtet ist. In Abweichung von
Art. 25 Abs. 1 ATSG
beschränkt sich die Rückforderungssumme auf die Höhe der von den obgenannten Institutionen für denselben Zeitraum ausgerichteten Leistungen.
Rückforderungen und fällige Leistungen aufgrund des AVIG können sowohl untereinander als auch mit Rückforderungen sowie fälligen Renten und Taggeldern der AHV, der Invalidenversicherung, der beruflichen Vorsorge, der Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende in Armee, Zivildienst und Zivilschutz, der Militärversicherung, der obligatorischen Unfallversicherung, der Krankenversicherung sowie von Ergänzungsleistungen zur AHV/IV und von gesetzlichen Familienzulagen verrechnet werden (
Art. 94 Abs. 1 AVIG
).
3.5
Art. 24b AHVG
und
Art. 43 Abs. 1 IVG
regeln die Konkurrenz der Ansprüche auf eine Witwen- oder Witwerrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung und auf eine Rente der Invalidenversicherung.
3.5.1
Nach
Art. 24a Abs. 1 AHVG
ist eine geschiedene Person einer verwitweten gleichgestellt (und hat somit nach dem Tod des früheren Ehepartners Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente im Sinne der Art. 23 f. AHVG), wenn sie eines oder mehrere Kinder hat und die geschiedene Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat (lit. a) oder die geschiedene Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat und die Scheidung nach Vollendung des 45. Altersjahres erfolgte (lit. b) oder das jüngste Kind sein 18. Altersjahr vollendet hat, nachdem die geschiedene Person ihr 45. Altersjahr zurückgelegt hat (lit. c). Erfüllt eine Person gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Witwen- oder Witwerrente und für eine Altersrente oder für eine Rente gemäss dem IVG, so wird nur die höhere Rente ausbezahlt (
Art. 24b AHVG
).
3.5.2
Art. 43 Abs. 1 Satz 1 IVG
sieht vor, dass Witwen, Witwer und Waisen, welche sowohl die Anspruchsvoraussetzungen für eine Hinterlassenenrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung als auch für eine Rente der Invalidenversicherung erfüllen, Anspruch auf eine ganze Rente haben. Übereinstimmend mit
Art. 24b AHVG
wird gemäss
Art. 43 Abs. 1 Satz 2 IVG
aber nur die höhere der beiden Renten ausgerichtet.
4.
Es steht fest, dass die geschiedene Beschwerdeführerin, welche ab Mai 2004 eine Rente der Invalidenversicherung bezieht, nach
BGE 136 V 195 S. 200
dem am 10. August 2005 erfolgten Tod ihres früheren Ehemannes seit dem 1. September 2005 (vgl.
Art. 23 Abs. 3 AHVG
) zusätzlich die Anspruchsvoraussetzungen für eine Witwenrente erfüllt (Art. 24a Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 23 Abs. 1 AHVG
). Ebenso steht ausser Frage, dass die rückwirkende Zusprechung einer Invalidenrente ab Mai 2004 bzw. die vorliegend massgebende nachträgliche Erhöhung der Invalidenrente hinsichtlich der formlos - im Rahmen der Vorleistungspflicht im Sinne von
Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG
und
Art. 15 Abs. 2 AVIG
in Verbindung mit
Art. 15 Abs. 3 AVIV
(E. 3.1 und 3.2 hiervor) - erbrachten Taggeldleistungen der Arbeitslosenversicherung vom 1. Juli 2004 bis 31. Oktober 2004 und vom 1. Juli 2005 bis 28. Februar 2006 eine neue erhebliche Tatsache darstellt, deren Unkenntnis die Arbeitslosenkasse nicht zu vertreten hat, weshalb ein Zurückkommen auf die ausgerichteten Leistungen auf dem Wege der prozessualen Revision (
BGE 132 V 357
E. 3.1 mit Hinweisen) zulässig war. Streitig ist der Umfang der Rückerstattungspflicht der Beschwerdeführerin bzw. der Verrechnungsmöglichkeit mit Leistungen der Invalidenversicherung hinsichtlich der von der IV-Stelle mit den Verfügungen vom 31. August und 18. Oktober 2006 vorgenommenen Erhöhung ihrer Leistungen. Dabei ist zu differenzieren zwischen der Dauer, während welcher der Beschwerdeführerin neben der Arbeitslosenentschädigung eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung zusteht (1. Juli 2004 bis 31. August 2005: E. 5 hiernach) und dem Zeitraum, in welchem gleichzeitig Anspruch auf Arbeitslosentaggelder und eine ganze Invalidenrente besteht (1. September 2005 bis 28. Februar 2006: E. 6 und 7 nachfolgend).
5.
Wie sich nachträglich ergeben hat, ist die Beschwerdeführerin zu 63 % invalid (undatierter Einspracheentscheid der IV-Stelle). Die neue Tatsache der dementsprechend rückwirkend erhöhten Invalidenrente führt unter den vorliegenden Umständen zu einer anderen rechtlichen Beurteilung im Sinne der prozessualen Revision und die Bemessungsgrundlage des versicherten Verdienstes ändert sich. Um die Höhe der Rückforderung bzw. der Verrechnung mit Leistungen der Invalidenversicherung festlegen zu können, ist mit Bezug auf die formlos erbrachten Taggelder der Arbeitslosenversicherung in der Zeit vom 1. Juli 2004 bis 31. Oktober 2004 und vom 1. Juli bis 31. August 2005 der versicherte Verdienst im Sinne von
Art. 40b AVIV
zu korrigieren. Im vorliegenden Fall ergibt sich der berichtigte versicherte Verdienst aus dem in der letzten Anstellung als
BGE 136 V 195 S. 201
Lageristin/Verkaufsmitarbeiterin erzielten Einkommen, multipliziert mit dem Faktor, der aus der Differenz zwischen 100 % und dem Invaliditätsgrad in der Höhe von 63 % (gemäss undatiertem Einspracheentscheid der IV-Stelle) resultiert (
BGE 132 V 357
E. 3.2.4.2 S. 360). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kasse im Hinblick auf die ursprünglich von der IV-Stelle zugesprochene halbe Invalidenrente mit Verfügung vom 22. März 2006 (und "Nachrechnung" vom 3. Oktober 2006) bereits eine Korrektur im Sinne einer Rückforderung bzw. Verrechnung mit Leistungen der Invalidenversicherung vorgenommen hat. Zu beachten ist in diesem Rahmen zudem, dass die Rückforderungssumme maximal der Höhe der von der Invalidenversicherung für denselben Zeitraum ausgerichteten Leistungen entsprechen darf (Art. 95 Abs. 1
bis
letzter Satz AVIG; E. 3.4 hiervor).
6.
Streitig ist sodann insbesondere der Umfang der Rückerstattungspflicht bzw. die Verrechnungsmöglichkeit bezüglich der ab 1. September 2005 erbrachten Taggeldleistungen der Arbeitslosenversicherung, mithin für einen Zeitraum, in welchem infolge Todes des vormaligen Ehemannes neben den Voraussetzungen für die Ausrichtung einer Invalidenrente auch Anspruch auf eine Witwenrente der AHV bestand, weshalb fortan nur die höhere der beiden Renten, somit eine ganze Invalidenrente zur Auszahlung gelangte.
6.1
Die Arbeitslosenkasse geht mit Verweis auf
Art. 43 Abs. 1 IVG
davon aus, dass die ganze Invalidenrente, welche ab September 2005 ausgerichtet wird, nicht in zwei Anteile Invalidenrente und Witwenrente aufgeteilt werden könne. Dies führe dazu, dass die Invalidenrente in ihrer Gesamtheit mit dem Rückforderungsbetrag der Arbeitslosenkasse verrechnet werden müsse.
6.2
Das kantonale Gericht hält fest, die Rückerstattungsregelung des
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
beziehe sich bezüglich Leistungen der Invalidenversicherung auf den Invaliditätsgrad als entscheidende Referenzgrösse. Der Rückforderungsanspruch beschränke sich auf die dem festgestellten Invaliditätsgrad entsprechenden Leistungen der Invalidenversicherung. Werde eine dem Invaliditätsgrad entsprechende Rente, wie vorliegend, infolge Verwitwung auf eine ganze Rente der Invalidenversicherung erhöht, so unterliege demgemäss die Differenz zwischen Witwenrente und im Sinne von
Art. 43 Abs. 1 IVG
auf eine ganze Rente erhöhter Leistung der Invalidenversicherung der Rückerstattungspflicht nicht. In casu sei
BGE 136 V 195 S. 202
demzufolge zur Berechnung der Rückforderung während der gesamten in Frage stehenden Dauer als rückerstattungspflichtige Leistung der Betrag einer Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung einzusetzen.
6.3
Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die volle Invalidenrente, welche ihr ab September 2005 gestützt auf
Art. 43 Abs. 1 IVG
ausbezahlt werde, decke im Wesentlichen das Risiko Todesfall und nicht Invalidität. Die Kongruenz dieser Rentenleistung mit den Taggeldern der Arbeitslosenkasse bestehe somit nur in ganz bescheidenem Mass. Der Anspruch der Beschwerdegegnerin auf Rückerstattung erstrecke sich lediglich auf die Differenz, um welche die Invalidenrente die Witwenrente übersteige. Diesen Anteil habe die Kasse mit der ersten Rückforderung gemäss Verfügung vom 22. März 2006, mit welcher die damals zugesprochene hälftige Invalidenrente verrechnet worden sei, längst erhalten. Würde man der Kasse einen Rückforderungsanspruch im Umfang des Invaliditätsgrades zugestehen, wie dies von Vorinstanz und Verwaltung vertreten werde, müsste die invalide Witwe mehr zurückerstatten als die nicht invalide Witwe. Diese Betrachtungsweise führe zu einer Ungleichbehandlung, welche besonders dann zu stossenden Resultaten führe, wenn die Witwenrente Unterhaltsleistungen des verstorbenen Mannes ersetze, welche mit dem Tod des Unterhaltspflichtigen in der Regel dahinfallen würden. Es bleibe demzufolge für die Berechnung der Rückforderung nur eine Methode, nämlich der Vergleich zwischen Witwenrente und Invalidenrente. Ein solcher Vergleich gebe auch zu keinen Diskussionen Anlass, da er rein arithmetisch sei. Indem die Vorinstanz den Invaliditätsgrad als Referenzgrösse für die Berechnung des Rückforderungsanspruchs gemäss
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
nehme, verstosse sie gegen Bundesrecht. Da die Beschwerdeführerin das geschuldete Geld der Kasse bereits zurückerstattet habe, sei festzustellen, dass kein Rückforderungsanspruch mehr bestehe. Allenfalls sei die Angelegenheit zur Neuberechnung des Anspruchs im Sinne der Ausführungen in der Beschwerdeschrift an die Kasse zurückzuweisen.
7.
Die Vorinstanz, die Verwaltung und die Beschwerdeführerin messen
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
im Zusammenhang mit der Frage, in welchem Umfang eine versicherte teilinvalide Person, welcher infolge Verwitwung eine ganze Invalidenrente zugesprochen wird, die gleichzeitig bezogene Arbeitslosenentschädigung zurückzuerstatten hat, einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt zu.
BGE 136 V 195 S. 203
7.1
Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen (
BGE 128 I 34
E. 3b S. 40). Es können auch die Gesetzesmaterialien beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben und dem Gericht damit weiterhelfen (
BGE 134 V 170
E. 4.1 S. 174).
7.2
Wird von der Invalidenversicherung (in den Fällen, in welchen die Arbeitslosenversicherung mit Blick auf
Art. 15 Abs. 3 AVIV
Vorleistungen erbringt) rückwirkend ein Invaliditätsgrad festgestellt, so verfügt die Arbeitslosenversicherung laut Botschaft vom 28. Februar 2001 zu einem revidierten Arbeitslosenversicherungsgesetz (BBl 2001 2245) gemäss dem neuen
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
im Rahmen dieses Invaliditätsgrades eine Rückforderung. Soweit eine Verrechnung erfolgen könne, stelle dies kein Problem dar; als problematisch und allenfalls auch stossend werde heute die Rückforderung des nicht durch Verrechnung abgedeckten Teils direkt beim Versicherten empfunden. Dies werde durch die neue Bestimmung geändert (BBl 2001 2303 Ziff. 2.1 zu
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
).
Mit dem seit 1. Juli 2003 geltenden
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
soll gemäss Botschaft vermieden werden, dass die versicherte Person für den nicht durch die Verrechnung gedeckten Teil der Rückforderung erstattungspflichtig wird (BBl 2001 2303 Ziff. 2.1 zu
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
). Am Grundsatz der zeitlichen Kongruenz, wonach eine Rückforderung (
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
) und Verrechnung (
Art. 94 Abs. 1 AVIG
) nur für Leistungen erfolgen kann, die für den gleichen Zeitraum erbracht wurden, ist festgehalten worden.
7.3
Die Vorinstanz leitet aus den bundesrätlichen Erörterungen zu
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
ab, die Rückforderung der Arbeitslosenversicherung beziehe sich bei späterer Leistungszusprechung der Invalidenversicherung offenkundig auf die IV-Leistungen, welche nach
BGE 136 V 195 S. 204
Massgabe des Invaliditätsgrades zugesprochen worden seien. Dies ergebe sich ohne Interpretationsspielraum aus der Formulierung in der Botschaft, wonach die Rückforderung "im Rahmen dieses IV-Grades" verfügt werde. Die Argumentation des kantonalen Gerichts steht im Einklang mit dem Umstand, dass die Arbeitslosenversicherung nur in dem Rahmen Leistungen zu erbringen hat, welcher der verbleibenden Erwerbsfähigkeit entspricht (
Art. 40b AVIV
). Nach dem Grundsatzurteil
BGE 132 V 357
besteht die ratio legis des
Art. 40b AVIV
darin, über die Korrektur des versicherten Verdienstes die Koordination zur Eidgenössischen Invalidenversicherung zu bewerkstelligen, um eine Überentschädigung durch das Zusammenfallen einer Invalidenrente mit Arbeitslosentaggeldern zu verhindern (
BGE 132 V 357
E. 3.2.3 S. 359). Diese Interpretation des Normzwecks greift allerdings zu kurz, wie dem präzisierenden
BGE 133 V 524
zu entnehmen ist.
Art. 40b AVIV
betrifft nicht allein die Leistungskoordination zwischen Arbeitslosen- und Invalidenversicherung, sondern - in allgemeinerer Weise - die Abgrenzung der Zuständigkeit der Arbeitslosenversicherung gegenüber anderen Versicherungsträgern nach Massgabe der Erwerbsfähigkeit. Sinn und Zweck der Verordnungsbestimmung ist mit anderen Worten, die Leistungspflicht der Arbeitslosenversicherung auf einen Umfang zu beschränken, welcher sich nach der verbleibenden Erwerbsfähigkeit der versicherten Person während der Dauer der Arbeitslosigkeit auszurichten hat (
BGE 133 V 524
E. 5.2 S. 527). Damit steht fest, dass - gleichermassen wie für die Arbeitslosenentschädigung, welche für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Oktober 2004 und vom 1. Juli bis 31. August 2005 (E. 5 hiervor) - auch für die ab 1. September 2005 erbrachten Taggeldleistungen der Arbeitslosenversicherung im Rahmen der nachträglich festgestellten bzw. korrigierten Invalidität von 63 % eine Rückerstattungspflicht der Versicherten gegenüber der Arbeitslosenkasse besteht. Die Kasse hat im Hinblick auf die ursprünglich von der IV-Stelle zugesprochene halbe Invalidenrente mit Verfügung vom 22. März 2006 (und "Nachrechnung" vom 3. Oktober 2006) bereits eine Korrektur im Sinne einer Rückforderung bzw. Verrechnung mit Leistungen der Invalidenversicherung vorgenommen, was bei der Ermittlung der Rückforderungs- oder Verrechnungssumme, welche im Übrigen gemäss Art. 95 Abs. 1
bis
letzter Satz AVIG maximal der Höhe der von der Invalidenversicherung für denselben Zeitraum ausgerichteten Leistungen - vorliegend demgemäss maximal der Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung -
BGE 136 V 195 S. 205
entsprechen darf (E. 3.4 hiervor), zu berücksichtigen ist. In diesem Sinne ist der angefochtene Gerichtsentscheid zu bestätigen.
7.4
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin vermag der Umstand, dass der Anspruch auf eine Witwenrente vorliegend wegen des Eintritts des Risikos Todesfall des vormaligen Ehepartners entstanden ist und "nur" formell als Teil der Invalidenrente ausbezahlt wird, an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Massgebend für die (definitive) Höhe der Arbeitslosenentschädigung ist allein die Erwerbsfähigkeit (E. 7.3 hiervor). Die gesetzliche Vermutung der grundsätzlich gegebenen Vermittlungsfähigkeit von Behinderten (
Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG
und
Art. 15 Abs. 2 AVIG
in Verbindung mit
Art. 15 Abs. 3 AVIV
) führt für die Zeit, in welcher der Anspruch auf Leistungen einer anderen Versicherung abgeklärt wird und somit noch nicht feststeht (Schwebezustand), zu einer Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung (E. 3.1 und 3.2 hiervor). Damit sollen Lücken im Erwerbsersatz vermieden werden (
BGE 136 V 95
E. 7.1 S. 101). Die Vorleistungspflicht ist aber auf die Dauer des Schwebezustandes begrenzt, denn sobald das Ausmass der Erwerbsunfähigkeit feststeht, muss die Arbeitslosenversicherung den versicherten Verdienst (
Art. 23 Abs. 1 AVIG
in Verbindung mit
Art. 37 AVIV
) im Sinne von
Art. 40b AVIV
anpassen (
BGE 133 V 530
E. 4.1.2 S. 534) und die Arbeitslosenentschädigung im entsprechenden Rahmen zurückfordern (
Art. 25 ATSG
in Verbindung mit
Art. 95 Abs. 1 AVIG
sowie
Art. 95 Abs. 1
bis
AVIG
). Die Vorleistung der Arbeitslosenversicherung steht notwendigerweise in Korrelation mit der Rückerstattungspflicht der versicherten Person im Ausmass der später festgestellten Erwerbsunfähigkeit. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob während der Arbeitslosigkeit ein Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente entsteht. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn eine Spezialnorm existieren würde, welche eine Vorleistungspflicht während des beschriebenen Schwebezustandes verneinen würde, sobald eine Situation eintritt, welche den Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente auslöst; nur in diesem Fall wäre auch die Rückleistung obsolet. Dass eine solche Ausnahmeklausel existiert, wird allerdings von der Versicherten zu Recht nicht behauptet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann demzufolge nicht die Rede davon sein, dass das kantonale Gericht gegen Bundesrecht verstösst, indem es den Invaliditätsgrad als Referenzgrösse für die Berechnung des Rückforderungsanspruchs heranzieht.
BGE 136 V 195 S. 206
7.5
Die Beschwerdeführerin lässt schliesslich einwenden, die Betrachtungsweise der Vorinstanz führe zu einer stossenden Ungleichbehandlung. Die invaliden Verwitweten seien gegenüber den gesunden Verwitweten deutlich schlechtergestellt, weil letztere keine Rückerstattungspflicht treffe. Zudem müsste die zu 40 % invalide Witwe nach der Berechnungsmethode des kantonalen Gerichts nur 40 % der Invalidenrente an die Arbeitslosenversicherung zurückbezahlen, während die zu 65 % invalide Witwe entsprechend mehr zu leisten hätte. Je höher also der Invaliditätsgrad wäre, desto grösser wäre auch die Rückforderung und desto weniger würde für die Witwe bleiben. Eine voll invalide Witwe hätte gar den gesamten Rentenbetrag der Arbeitslosenversicherung abzuliefern. Die in hohem Grad invalide Witwe erleide dadurch einen grossen Verlust, während die Arbeitslosenkasse über die Rückforderung in den Genuss einer Versicherungsleistung komme, welche Unterhaltsersatz darstelle. Auf diese Weise sei der Grundsatz der Kongruenz offensichtlich verletzt.
Das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (
Art. 8 Abs. 1 BV
) ist verletzt, wenn ein Erlass hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn er Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen. Die Rechtsgleichheit ist verletzt, wenn Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird (
BGE 134 I 23
E. 9.1 S. 42 mit Hinweisen).
Vorliegend übersieht die Beschwerdeführerin bei ihrer Argumentation, dass die von ihr erwähnten Konstellationen nicht vergleichbar sind. Invalide Verwitwete haben der Arbeitslosenversicherung nicht die Witwen- oder Invalidenrente abzugeben, sondern die vorgeleisteten Taggelder der Arbeitslosenversicherung zurückzuerstatten, welche der Höhe der Erwerbsunfähigkeit entsprechen; dass die Arbeitslosenversicherung Rückforderungen auch mit fälligen Renten und Taggeldern der Invalidenversicherung (und weiteren Versicherungsträgern) verrechnen kann, wird vom Gesetz so vorgegeben (
Art. 94 Abs. 1 AVIG
und
Art. 71 ATSG
). Für arbeitslose, invalide Versicherte, bei welchen der Verwitwungsfall eintritt, bleibt die gesetzliche Vermutung der grundsätzlich gegebenen Vermittlungsfähigkeit bestehen, weshalb sie während des Schwebezustandes (E. 7.4
BGE 136 V 195 S. 207
hiervor) unverändert in den Genuss der arbeitslosenversicherungsrechtlichen Vorleistungen gelangen. Nicht invalide, arbeitslose Verwitwete können sich nicht auf diese Präsumtion berufen. Sie sind ohne Einschränkungen vermittlungsfähig, müssen grundsätzlich jede zumutbare Arbeit annehmen (
Art. 16 Abs. 1 AVIG
) und sind nicht rückerstattungspflichtig, während die invaliden Verwitweten nur Beschäftigungen antreten müssen, welche ihrem Gesundheitszustand entsprechen (
Art. 15 Abs. 2 AVIG
). Die Ungleichbehandlung (dieser ungleichen Sachverhalte) resultiert aus dem gesetzlichen Koordinationssystem der 1. Säule: Invalide, voll arbeitslose Versicherte, bei welchen der Verwitwungsfall eintritt, haben - unter den vorliegenden Umständen - neben den vorgeleisteten Taggeldern der Arbeitslosenversicherung, welche im Umfang der Erwerbsunfähigkeit rückerstattungspflichtig sind, höchstens Anspruch auf eine Erhöhung ihrer Invalidenrente, während den nicht invaliden, voll arbeitslosen Versicherten Witwen- oder Witwerrenten (welche Unterhaltsersatz darstellen) und gleichzeitig bei voller Erwerbsfähigkeit ganze Taggelder der Arbeitslosenversicherung (zur Abdeckung des Erwerbsausfalls) zustehen. Unter den dargelegten Umständen ist eine Verletzung der Rechtsgleichheit zu verneinen.
8.
Im Rahmen der vorinstanzlich angeordneten Rückweisung wird die Beschwerdegegnerin die allfällige Rückforderungs- bzw. Verrechnungssumme für den Zeitraum, in welchem gleichzeitig Anspruch auf Arbeitslosentaggelder und Invalidenrente besteht, neu berechnen und hernach erneut verfügen. Dabei wird sie zu berücksichtigen haben, dass sie mit der vorliegend nicht zur Diskussion stehenden Verfügung vom 22. März 2006 (und "Nachrechnung" vom 3. Oktober 2006) für den massgebenden Zeitraum bereits Verrechnungen mit Leistungen der Invalidenversicherung vorgenommen hat (vgl. E. 5 und 7.3 hiervor). | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
683b55c5-a2fb-4341-80f9-1d249ccfd97f | Urteilskopf
122 V 295
44. Extrait de l'arrêt du 24 octobre 1996 dans la cause Caisse de compensation de l'industrie suisse des machines contre D. & Cie SA, en liquidation concordataire et Tribunal administratif, Neuchâtel | Regeste
Art. 5 Abs. 2 AHVG
: massgebender beitragspflichtiger Lohn.
Die Zinsen (und Zinseszinsen) auf rückständigen Lohnzahlungen - in casu einer AG in Nachlassliquidation - bilden nicht Bestandteil des massgebenden beitragspflichtigen Lohnes. | Sachverhalt
ab Seite 296
BGE 122 V 295 S. 296
A.-
Le 30 juin 1988, le Tribunal cantonal neuchâtelois a homologué le concordat par abandon d'actif proposé par la société D. & Cie SA. Le 7 juillet 1994, le liquidateur a informé les créanciers que la liquidation permettrait le paiement d'un intérêt moratoire de 5 % sur les créances reconnues, ainsi qu'un intérêt de même montant sur ledit intérêt.
La Caisse de compensation de l'industrie suisse des machines (ci-après: la caisse) a porté plainte contre le tableau de distribution des deniers devant l'autorité cantonale de surveillance. Elle faisait valoir que les intérêts dus sur les rémunérations tardivement versées aux salariés de la société en liquidation concordataire faisaient partie du salaire déterminant au sens de l'
art. 5 al. 2 LAVS
et qu'ils étaient ainsi soumis à cotisations AVS/AI/APG/AC. Partant, la caisse demandait que ses créances relatives aux cotisations arriérées dues sur les rémunérations précitées soient augmentées d'autant et que le tableau de distribution des deniers soit corrigé en conséquence.
L'autorité cantonale ayant rejeté la plainte dont elle était saisie par jugement du 10 août 1994, la caisse a recouru devant la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral, en concluant à l'annulation de ce prononcé et du tableau de distribution litigieux. Par arrêt du 5 octobre 1994 (
ATF 120 III 163
), la juridiction fédérale a rejeté le recours, motif pris que les intérêts moratoires litigieux ne constituaient pas un revenu tiré d'une activité lucrative mais représentaient une forme de réparation due par le débiteur du seul fait de sa demeure.
B.-
Par décision du 16 janvier 1995, la caisse a réclamé à la société D. & Cie SA en liquidation concordataire le paiement d'un montant de 29'526 fr. 30, somme représentant les cotisations AVS/AI/APG/AC - frais d'administration compris - dues sur les intérêts moratoires versés aux salariés de la société. Elle a considéré, en bref, que le point de savoir si lesdits intérêts font partie du salaire déterminant n'avait été tranché qu'à titre préjudiciel par la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. Or, la solution arrêtée par cette autorité n'était pas compatible avec la notion de salaire déterminant, telle qu'elle est définie par le Tribunal fédéral des assurances. La caisse indiquait en outre qu'en raison du litige opposant la caisse à la société en liquidation
BGE 122 V 295 S. 297
concordataire, le liquidateur n'avait versé aux salariés que les intérêts nets courant sur les créances de salaire, déduction faite de 6,05 %, taux correspondant aux cotisations AVS/AI/APG/AC dues par le salarié. En outre, une somme de 100'000 francs avait été réservée pour le paiement éventuel des cotisations.
C.-
Saisi d'un recours de la société D. & Cie SA en liquidation concordataire (ci-après: la société en liquidation), le Tribunal administratif du canton de Neuchâtel l'a admis et a annulé la décision de la caisse du 16 janvier 1995 (jugement du 13 mars 1995). Il a considéré, en résumé, que le fondement de l'obligation de payer des intérêts moratoires réside dans la perte d'intérêts subie par le créancier et le gain réalisé par le débiteur. Aussi, le versement desdits intérêts n'est-il pas économiquement lié au contrat de travail, de sorte que ceux-ci ne font pas partie du salaire déterminant soumis à cotisation.
D.-
La caisse interjette recours de droit administratif contre ce jugement, dont elle requiert l'annulation.
La société en liquidation, agissant par son liquidateur, conclut, sous suite de frais et dépens, au rejet du recours.
L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) qui, dans un premier temps, avait renoncé à se déterminer sur le pourvoi, a été invité par le Tribunal fédéral des assurances à fournir des renseignements au sujet de la pratique administrative suivie en cas de versement d'intérêts (et d'intérêts composés) sur des salaires payés en retard. Par lettre du 5 mars 1996, l'OFAS a informé le Tribunal qu'il n'existe aucune pratique en la matière. Il est néanmoins d'avis que les intérêts litigieux font partie du salaire déterminant soumis à cotisation.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
En l'occurrence, la caisse a tenté de faire valoir ses droits par la voie de la plainte à l'autorité cantonale de surveillance en matière de LP, contre le tableau de distribution des deniers (
art. 316n LP
), puis du recours LP contre la décision de ladite autorité devant la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. Celle-ci a rejeté les conclusions de la caisse par arrêt du 5 octobre 1994 (
ATF 120 III 163
).
Comme l'a pertinemment jugé la juridiction cantonale, l'arrêt en cause ne jouit pas de l'autorité de la chose jugée et la Cour de céans n'est pas liée par les conclusions tirées de l'interprétation de l'
art. 5 al. 2 LAVS
BGE 122 V 295 S. 298
par la Chambre des poursuites et des faillites.
3.
a) Au sens de l'
art. 5 al. 2 LAVS
, le salaire déterminant, comprend toute rémunération pour un travail dépendant, fourni pour un temps déterminé ou indéterminé. Font partie de ce salaire déterminant, par définition, toutes les sommes touchées par le salarié, si leur versement est économiquement lié au contrat de travail; peu importe à ce propos, que les rapports de service soient maintenus ou aient été résiliés, que les prestations soient versées en vertu d'une obligation ou à titre bénévole. On considère donc comme revenu d'une activité salariée, soumis à cotisations, non seulement les rétributions versées pour un travail effectué, mais en principe toute indemnité ou prestation ayant une relation quelconque avec les rapports de service, dans la mesure où ces prestations ne sont pas franches de cotisations en vertu de prescriptions légales expressément formulées (
ATF 110 V 231
consid. 2a et la jurisprudence citée; RCC 1988 p. 33 consid. 3a).
b) La recourante est d'avis que les intérêts moratoires font partie du salaire déterminant, dès lors qu'aux termes de la définition consacrée par la jurisprudence, celui-ci englobe toutes les sommes perçues par le salarié, dont le versement est économiquement lié au contrat de travail.
Ce point de vue n'est pas fondé. Certes, si l'on se réfère strictement aux termes de la définition extensive de la notion de salaire déterminant, on peut considérer que celui-ci englobe les intérêts moratoires courant sur les salaires. Mais le but visé par cette définition consiste cependant à délimiter le gain tiré d'une activité lucrative dépendante, du revenu déduit d'un capital. Elle reflète la volonté du législateur de soumettre à l'obligation de payer des cotisations paritaires tous les revenus du salarié qui sont en relation avec l'exercice d'une activité dépendante, ce qui explique pourquoi la définition en cause est extensive. On ne peut toutefois déduire du caractère extensif donné à la définition du salaire que les intérêts moratoires courant sur les salaires arriérés font partie du salaire déterminant soumis à cotisations: ils ne constituent en effet pas un revenu correspondant à une prestation de travail mais les intérêts d'une créance de salaire, analogue dans ce sens au revenu du capital.
La Cour de céans ne saurait non plus suivre l'argumentation de la recourante, selon laquelle l'obligation de payer des cotisations sur les intérêts moratoires courant sur des créances de salaire est destinée à compenser le retard dans le paiement des cotisations dues sur les salaires.
BGE 122 V 295 S. 299
En effet, le prélèvement d'intérêts sur les cotisations ne revêt pas en l'occurrence une importance décisive, dans la mesure où l'AVS repose sur un système de répartition et non de capitalisation. | null | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
683bae08-3c48-49f1-a2fc-65279b847160 | Urteilskopf
91 I 312
50. Auszug aus dem Urteil vom 10. November 1965 i.S. Genossenschaft Migros Luzern gegen Regierungsrat des Kantons Obwalden. | Regeste
Verkaufswagengebühr, Überprüfung der Verfassungsmässigkeit kantonalen Rechtes, Rechtsgleichheit, Handels- und Gewerbefreiheit.
Art. 4 und 31 BV
.
1. Wird im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens geltend gemacht, eine Bestimmung des kantonalen Rechtes sei bundesverfassungswidrig, so können sich die Verwaltungsbehörden der Prüfung dieser Frage nicht entschlagen (Erw. 3 lit. a).
2. Die Belastung von Kantonseinwohnern und Kantonsfremden mit unterschiedlichen Hausiergebühren (hier Verkaufswagengebühren) verstösst grundsätzlich gegen die Rechtsgleichheit und gegen die Handels- und Gewerbefreiheit (Erw. 3 lit. b). | Sachverhalt
ab Seite 312
BGE 91 I 312 S. 312
Aus dem Tatbestand:
Die Genossenschaft Migros Luzern nahm am 7. August 1964 einen Verkaufswagenbetrieb im Kanton Obwalden auf. Sie erzielte damit bis Ende des Jahres einen bestimmten Bruttoerlös. Mit Verfügung vom 1. März 1965 setzte hierauf die Polizeidirektion des Kantons Obwalden die Verkaufswagengebühr für das Jahr 1964 auf 3% des Bruttoumsatzes fest. Zur Begründung wurde auf den Beschluss des Kantonsrates des
BGE 91 I 312 S. 313
Kantons Obwalden vom 21. November 1963 betreffend Neuregelung der Bewilligungsgebühren für die Ausübung des Hausier- und Wandergewerbes verwiesen, wo unter Ziffer I bestimmt wird:
"Die Bewilligungsgebühr bei Hausierhandel mit Fahrzeugen, die dem Warenverkauf dienen, nach einem bestimmten Plan fahren und zum Zwecke des Warenverkaufs anhalten, beträgt:
a) für Kantonseinwohner oder im Kanton domizihierte Firmen zwei Prozent des Bruttoumsatzes pro Verkaufswagen;
b) für Ausserkantonale oder ausserhalb des Kantons domizilierte Firmen drei Prozent des Bruttoumsatzes."
Die in der Folge gegen diesen Entscheid von der Genossenschaft Migros erhobene Beschwerde, mit welcher im wesentlichen beantragt wurde, es sei die Gebühr für den Verkaufswagenbetrieb auf höchstens 2% des erzielten Umsatzes herabzusetzen, wies der Regierungsrat des Kantons Obwalden mit Beschluss vom 3. Mai 1965 ab.
Die staatsrechtliche Beschwerde, mit welcher die Genossenschaft Migros Luzern beantragte, es sei der Beschluss des Regierungsrates vom 3. Mai 1965 wegen Verletzung von
Art. 4, 31 und 46 Abs. 2 BV
aufzuheben und der Regierungsrat anzuweisen, "die monatliche Gebühr für den von der Beschwerdeführerin betriebenen Verkaufswagen auf höchstens Fr. X, eventuell aufhöchstens 2% des vom Verkaufswagen im Kantonsgebiet erzielten Umsatzes festzusetzen", wurde vom Bundesgericht teilweise gutgeheissen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(Legitimation).
2.
(Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges).
3.
Im Verfahren vor dem Regierungsrat hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, es verstosse gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit, wenn ausserkantonale Betriebe eine höhere Gebühr zu bezahlen hätten als im Kanton domizilierte Firmen. Darin war auch der in der staatsrechtlichen Beschwerde wieder aufgenommene Vorwurf enthalten, der Kantonsratsbeschluss vom 21. November 1963 und der darauf beruhende Entscheid des Regierungsrates vom 3. Mai 1965 seien verfassungswidrig.
a) Im angefochtenen Entscheid wird dazu ausgeführt, es sei weder Sache der Polizeidirektion noch des Regierungsrates, die Verfassungsmässigkeit der vom Kanton erlassenen Bestimmungen
BGE 91 I 312 S. 314
zu überprüfen. Die Frage der Rechtsungleichheit stelle sich praktisch nicht, da keineVerkaufswagenvonKantonseinwohnern oder von im Kanton domizilierten Firmen im Verkehr stünden. Abgesehen davon liege eine tatsächliche Rechtsungleichheit nicht vor, weil nicht gleiche, sondern ungleiche Verhältnisse ungleich behandelt würden. Was darunter zu verstehen ist, hat der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung zur Beschwerde dargetan, wo gesagt wird, die Verhältnisse eines Unternehmens, das im Kanton Obwalden Einkommens- und Vermögenssteuern bezahle, seien nicht gleich wie diejenigen eines kantonsfremden Unternehmens, das wegen seines auswärtigen Domizils im Kanton nicht steuerpflichtig sei. Die unterschiedliche Behandlung von Kantonseinwohnern und Ausserkantonalen im Zusammenhang mit Hausiergebühren sei im Kanton Obwalden schon lange gesetzlich verankert.
Diesen Überlegungen des Regierungsrates kann nicht gefolgt werden. Insbesondere ist ohne Bedeutung, wie lange die heute beanstandete Regelung bereits gesetzlich verankert ist. Unrichtig ist auch die Auffassung, es sei nicht Sache des Regierungsrates, die Verfassungsmässigkeit der vom Kanton erlassenen Bestimmungen zu überprüfen. Wird im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens geltend gemacht, eine Bestimmung des kantonalen Rechtes sei bundesverfassungswidrig, so können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Verwaltungsbehörden der Prüfung dieser Frage nicht entschlagen (vgl. Urteil vom 29. Januar 1958 i.S. Migros Bern, Erw. 4;
BGE 82 I 219
Erw. 1). Erweist sich dann bei dieser Prüfung, dass der Einwand berechtigt ist, so haben nicht nur die Gerichte, sondern auch die Verwaltungsbehörden der als bundesverfassungswidrig erkannten Norm die Anwendung zu versagen. - Unerheblich ist sodann, dass die unterschiedliche Behandlung der Migros gegenüber gleichartigen innerkantonalen Firmen nur theoretischer Natur wäre, weil die Beschwerdeführerin allein einen Verkaufswagenbetrieb im Kanton Obwalden führe. Es handelt sich dabei um rein zufällige Verhältnisse, die sich jederzeit ändern können. Eine Verletzung der Rechtsgleichheit liegt aber schon dann vor, wenn zur Zeit etwas angeordnet wird, das in andern Fällen bei gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen nicht zulässig wäre.
b) Mit der Frage der Zulässigkeit unterschiedlicher Hausiergebühren für Einheimische und Fremde hatte sich das Bundesgericht
BGE 91 I 312 S. 315
schon im Jahre 1938 im Zusammenhang mit einer Beschwerde gegen den Kanton Nidwalden zu befassen. Es gelangte damals (
BGE 64 I 386
ff.) auf Grund einer eingehenden Überprüfung des ganzen Fragenkomplexes und in Abänderung der früheren Praxis zur Feststellung, die Belastung von Kantonseinwohnern und Kantonsfremden mit unterschiedlichen Hausiergebühren verstosse gegen die Rechtsgleichheit und gegen die Handels- und Gewerbefreiheit; eine Erhöhung der "Hausierpatenttaxe" für Einwohner anderer Kantone sei aber nicht völlig ausgeschlossen, denn die Abgabe stelle zum Teil eine Gebühr für die Patenterteilung dar und dürfe deshalb für Einwohner anderer Kantone dann entsprechend höher angesetzt werden, wenn die Erteilung der Patente an diese Personen mehr Arbeit und Kosten verursache als bei Kantonseinwohnern. Von den in diesem Entscheid entwickelten Grundsätzen abzuweichen, besteht kein Anlass; sie stimmen auch mit der neuesten Lehrmeinung überein (MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit S. 248; SCHLUMPF, Zum Doppelbesteuerungsrecht, 3. Aufl. S. 39).
Dafür, dass der Verkaufswagenbetrieb der Beschwerdeführerin einen grösseren Verwaltungsaufwand erfordert, als dies bei einem gleichartigen innerkantonalen Unternehmen der Fall wäre, bestehen keine Anhaltspunkte. Eine Differenzierung der Gebühren aus diesem Grunde liesse sich daher nicht rechtfertigen. Soweit demnach mit dem Kantonsratsbeschluss vom 21. November 1963 ermöglicht wird, die Umsatzgebühr für die Verkaufswagen der Beschwerdeführerin höher anzusetzen (auf mehr als 2% des Bruttoumsatzes), als dies für eine einheimische Firma gleicher Art zulässig wäre, liegt demnach eine Verletzung der Rechtsgleichheit und der Handels- und Gewerbefreiheit vor. In gleicher Weise und im nämlichen Umfange ist auch der angefochtene Entscheid vom 3. Mai 1965, der sich auf diesen Kantonsratsbeschluss stützt, verfassungswidrig und deshalb in teilweiser Gutheissung der Beschwerde aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
683d838d-6263-4bfd-b991-6b2031b3386f | Urteilskopf
100 IV 268
67. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 3 octobre 1974, dans la cause Vonlanthen contre Ministère public du canton de Vaud. | Regeste
Art. 269 Abs. 1 BStP
.
Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist nicht eine Regel des Bundesrechts, deren Verletzung mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden könnte (Erw. 1).
Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277bis Abs. 1 BStP;
Art. 91 Abs. 1 SVG
.
Der Blutalkoholgehalt einer Person in einem bestimmten Zeitpunkt ist Tatfrage, die vom kantonalen Richter verbindlich beantwortet wird. Rechtsfrage ist hingegen, ob ein Fahrzeugführer in einem bestimmten Zustand der Alkoholisierung als angetrunken zu betrachten ist (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 268
BGE 100 IV 268 S. 268
A.-
Le 23 janvier 1974 vers 18 h, René Vonlanthen a heurté l'arrière du véhicule qui le précédait. Les freins de son
BGE 100 IV 268 S. 269
fourgon automobile étaient défectueux. Des examens de l'alcoolémie effectués sur lui ont donné les résultats suivants:
analyse de l'haleine (sachet) à 18 h 30: 0,7‰
analyse de l'haleine à 19 h 10: 0,95‰
analyse du sang à 19 h 30: 1,13 à: 1,33 gr‰
B.-
Retenant qu'au moment de l'accident Vonlanthen présentait une alcoolémie de 0,9 gr‰, le Tribunal de police du district de Boudry l'a condamné le 17 mars 1974, pour ivresse au volant et infraction à la LCR, à 7 jours d'emprisonnement et à 200 fr. d'amende. Un sursis antérieur a été révoqué et la publication du jugement ordonnée.
Le 12 juin 1974, la Cour de cassation pénale du canton de Neuchâtel a rejeté le pourvoi déposé par Vonlanthen à l'encontre de la condamnation pour ivresse au volant. Elle a considéré que les calculs du premier juge étaient corrects et elle a refusé de prendre en considération, comme nouvelle, une allégation du recourant selon laquelle il prenait des médicaments susceptibles de modifier le processus d'élimination de l'alcool.
C.-
Vonlanthen se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral; il se prévaut de la violation des art. 91 al. 1 ss. LCR, de l'art. 4 al. 3 de l'ACF sur la constatation de l'ébriété et du principe de procédure "in dubio pro reo".
Le Ministère public conclut au rejet du pourvoi.
D.-
Un recours de droit public interjeté par Vonlanthen a été rejeté ce jour.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le principe "in dubio pro reo" concerne l'appréciation des preuves (RO 83 IV 203); il est qualifié par le recourant lui-même de "principe de procédure". C'est dire qu'il ne constitue pas une règle de droit fédéral (RO 96 I 444 et cit.) dont la violation ouvrirait la voie du pourvoi en nullité, conformément à l'art. 269 al. 1 PPF.
2.
La détermination du dégré d'alcoolémie présenté par une personne à un moment donné est une question de fait (BUSSY-RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, art. 91, n. 2.5; GRISEL, JdT 1958 IV 130 et cit.) tranchée
BGE 100 IV 268 S. 270
souverainement par l'autorité cantonale (art. 273 al. 1 lit. b et 277 bis al. 1 PPF). Le recourant n'est donc pas recevable à revenir sur le taux d'alcoolémie de 0,9 gr‰ qui lui a été reconnu au moment de l'accident.
En revanche, c'est une question de droit que de juger si un conducteur présentant un certain état éthylique doit être considéré comme pris de boisson au sens de l'art. 91 al. 1 LCR (RO 90 IV 226). En l'occurrence toutefois, l'autorité cantonale n'a nullement violé le droit fédéral en estimant qu'un taux d'alcoolémie de 0,9‰ justifiait l'imputation d'ivresse au volant (cf. RO 90 IV 159).
3.
La cour de céans, liée par les constatations de l'autorité cantonale (art. 277 bis al. 1 PPF), ne saurait prendre en considération l'affirmation - nouvelle et que rien au dossier ne vient corroborer - selon laquelle le recourant prendrait des médicaments susceptibles de retarder la résorption de l'alcool.
4.
Enfin, dès lors que l'examen auquel le recourant a été soumis était approprié, que l'appréciation d'un médecin légiste n'a pas été demandée par l'intéressé et que le résultat de l'analyse du sang ne suscitait aucun doute au regard des éléments de la cause, on ne voit pas en quoi l'art. 55 LCR ou l'art. 4 al.3 de l'ACF sur la constatation de l'ébriété auraient été violés.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi dans la mesure où il est recevable. | null | nan | fr | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
6840ce2b-5cb0-4151-b5c2-f0b6ce3c498c | Urteilskopf
101 Ia 533
83. Auszug aus dem Urteil vom 12. Dezember 1975 i.S. Lynas gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft und Eidg. Justiz- und Polizeidepartement | Regeste
Auslieferungsgesetz und Auslieferungsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika
Der Verfolgte kann bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens Einsprachen nach
Art. 23 AuslG
erheben, die vom Bundesgericht zu beurteilen sind (E. 1).
Art. I des Auslieferungsvertrages: Wann gilt ein Verbrechen oder Vergehen als auf dem Gebiet der USA begangen? (E. 5).
Verhältnis zwischen dem Auslieferungsvertrag und dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 533
BGE 101 Ia 533 S. 533
William Posnett Lynas ist irischer Staatsbürger. Er wurde von den Zürcher Strafverfolgungsbehörden wegen Urkundenfälschung im Schweizerischen Polizeianzeiger ausgeschrieben,
BGE 101 Ia 533 S. 534
am 17. April 1972 in Genf verhaftet und der Bezirksanwaltschaft Zürich zugeführt, die ihn bis am 28. Juli 1972 in Untersuchungshaft hielt. Am 19. April 1972 ersuchte die amerikanische Botschaft in Bern die Polizeiabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes (EJPD), Lynas gemäss Art. VI des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika von 14. Mai 1900 (Auslieferungsvertrag, AV) provisorisch zu verhaften. Ferner verlangte sie die Beschlagnahme der im Besitz von Lynas befindlichen Gegenstände sowie seiner Barschaft und seiner Bankguthaben. Am 14. Juni 1972 stellte die amerikanische Botschaft bei der Polizeiabteilung das Begehren um Auslieferung, gestützt auf Art. II Ziff. 13 AV. Nach der dem Gesuch beigelegten Anklageschrift der Grand Jury des District Court für den Central District of California wird Lynas Verschwörung (conspiracy) zur Einfuhr von Betäubungsmitteln sowie deren Einfuhr in die USA zur Last gelegt.
Lynas wurde am 28. Juli 1972 in Auslieferungshaft versetzt.
Die Gegenstände, die sich in seinem Besitz befanden, sowie ein Bankguthaben wurden beschlagnahmt. Er bestritt, die in der Anklageschrift erwähnten Straftaten begangen zu haben, und machte geltend, er habe sich zur Tatzeit nicht in den USA aufgehalten. Zudem rügte er formelle Mängel des Auslieferungsbegehrens. Sein Anwalt brachte in einer Eingabe vom 6. September 1972 vor, die von den USA eingelegten Dokumente genügten nicht, um die Auslieferung zu gestatten.
Die Polizeiabteilung bewilligte die Auslieferung am 16. November 1972. Ein Gesuch um provisorische Freilassung wies sie ab.
Lynas wandte sich mit einem Rekurs an das EJPD, wobei er wiederum den Einwand erhob, es fehle an den formellen Voraussetzungen für eine Auslieferung. Er verlangte erneut seine provisorische Freilassung, die mit Zwischenentscheid des EJPD vom 1. Februar 1973 und auf Beschwerde hin am 17. September 1973 vom Bundesrat verweigert wurde.
Am 25. März 1974 reichte Lynas beim EJPD eine weitere Rechtsschrift ein, in der er behauptete, einen Alibibeweis erbringen zu können, und geltend machte, die amerikanischen Behörden verfolgten mit dem Auslieferungsbegehren in Wirklichkeit nur den Zweck, ihn aus politischen Gründen zu verfolgen. Zum Beweis für seine Behauptungen legte er verschiedene
BGE 101 Ia 533 S. 535
Dokumente ein, namentlich eine von einem Zürcher Notar am 14. Dezember 1973 ausgestellte Urkunde mit den Aussagen einer Person, die sich als chilenischer Staatsbürger und ehemaliger Geheimagent des amerikanischen Geheimdienstes CIA ausgab. Lynas stellte den Antrag, die Akten seien dem Bundesgericht zum Entscheid zu überweisen, soweit die Beurteilung des Auslieferungsbegehrens aufgrund der neuen Vorbringen in dessen Zuständigkeit falle.
Das EJPD wies die gegen die Auslieferungsverfügung der Polizeiabteilung erhobene Beschwerde am 18. September 1974 ab. Es entschied, die Akten seien nicht dem Bundesgericht zu überweisen. Sowohl die formellen wie die materiellen Voraussetzungen für die Auslieferung hielt es für gegeben.
Eine dagegen eingereichte Beschwerde hiess der Bundesrat am 9. Juni 1975 teilweise gut und hob die Verfügung der Polizeiabteilung vom 16. November 1972 auf. Die Einwendungen des Beschwerdeführers wurden, soweit in die Kompetenz des Bundesrates fallend, abgewiesen, ebenso das Begehren um Freigabe der beschlagnahmten Gegenstände und des Bankguthabens. Das EJPD wurde jedoch beauftragt, die Einsprache dem Bundesgericht zu überweisen, damit es die übrigen Einwände beurteile.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Erhebt in einem Auslieferungsverfahren der Verfolgte eine Einsprache, die sich auf das Auslieferungsgesetz, einen Staatsvertrag oder eine Gegenrechtserklärung stützt, so übersendet der Bundesrat die Akten dem Bundesgericht zum Entscheid, ob die Auslieferung zu bewilligen ist oder nicht (Art. 23 f. AuslG). Lynas hat erst in seiner Eingabe vom 25. März 1974 Einwände erhoben, zu deren Prüfung das Bundesgericht nach
Art. 23 AuslG
zuständig ist. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizeiabteilung die Auslieferung bereits bewilligt. Es ist zu prüfen, ob eine Einsprache an das Bundesgericht in diesem Stadium noch erhoben werden kann.
In der Rechtslehre ist die Ansicht vertreten worden, der Verfolgte könne keine solche Einsprache mehr erheben, wenn die Polizeiabteilung oder das EJPD bereits über ein Auslieferungsbegehren entschieden hätten. Dieser Schluss ergebe sich zwingend aus der Zuständigkeitsordnung des Auslieferungsgesetzes,
BGE 101 Ia 533 S. 536
denn die Zuständigkeiten der Polizeiabteilung und des Bundesgerichtes stünden nebeneinander (SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, Basel 1953, S. 211). Das Bundesgericht hat sich indessen in einem Meinungsaustausch mit dem Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartement auf den Standpunkt gestellt, eine derartige Einsprache könne während des ganzen Verwaltungsverfahrens, also bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens, erhoben werden. Wohl stünden in Auslieferungssachen die Zuständigkeiten von Verwaltungsinstanzen und Bundesgericht nebeneinander; das Bundesgericht sei jedoch in seiner Entscheidungsbefugnis jenen Instanzen nachgeordnet. Die Kompetenzbereiche von Verwaltung und Gericht blieben daher auch dann unangetastet, wenn dem Verfolgten bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens die Möglichkeit offen stehe, die zusätzliche Überprüfung seiner Einwendungen durch das Bundesgericht zu verlangen. In diesem Fall sei eine Stellungnahme der Vorinstanz einzuholen. Der Bundesrat hat sich in seinem Entscheid vom 9. Juni 1975 dieser Auffassung angeschlossen. Auf die Einsprache, die sich auf
Art. 23 AuslG
stützt, ist deshalb einzutreten. Dabei kann das Bundesgericht beim Entscheid über das Auslieferungsbegehren auch Vorbringen berücksichtigen, die Lynas nicht in der Einsprache, sondern in andern Rechtsschriften geltend gemacht hat, denn es ist von Amtes wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Auslieferung erfüllt sind (
BGE 100 Ia 410
).
5.
a) Der Auslieferungsvertrag ist nach seinem Artikel I anwendbar gegenüber Personen, die eines auf dem Gebiet des einen Vertragsstaates begangenen Verbrechens oder Vergehens beschuldigt oder überführt sind und auf dem Gebiet des andern Staates betroffen werden.
Eine solche Vertragsbestimmung ist selten. In den meisten Verträgen wird bloss verlangt, dass die Behörden des ersuchenden Staates zur Verfolgung und Beurteilung der Tat zuständig sind, und die Auslieferung allenfalls bloss dann ausgeschlossen, wenn das Delikt auf dem Gebiet des ersuchten Staates begangen wurde. Das bedeutet, dass die Auslieferung auch für in einem Drittstaat begangene Straftaten zu bewilligen ist, sofern sie dem Strafrecht des ersuchenden Staates unterstehen. Der mit den USA abgeschlossene Auslieferungsvertrag gehört zu den wenigen, welche die Auslieferung nur für
BGE 101 Ia 533 S. 537
strafbare Handlungen vorsehen, die auf dem Gebiet des ersuchenden Staates begangen wurden.
Der Einsprecher hat in seiner Eingabe vom 25. März 1974 im Sinne eines Eventualstandpunktes geltend gemacht, es seien ihm keine Tathandlungen auf dem Gebiet der USA vorgeworfen. In der Anklageschrift wird ausgeführt, Lynas habe in West Los Angeles ein Postfach gemietet. Diese Tat ist blosse Teilhandlung der conspiracy. Abgesehen von dieser Postfachmiete ist zum Teil unklar, wo der Einsprecher die ihm vorgeworfenen Taten ausgeführt hat, obwohl die Angaben im Auslieferungsgesuch über den Ort der Tatbegehung den Anforderungen von
Art. 15 AuslG
durchaus genügen. Nach der Umschreibung im ersten Anklagepunkt wurden die Verschwörungshandlungen der beschuldigten Personen "im Central District of California und anderswo" begangen, und im vierten Anklagepunkt wird dem Einsprecher vorgeworfen, zusammen mit Illene Felshaw Kokain "in das Gebiet von Los Angeles County im Central District of California" eingeführt zu haben. Nach der Darstellung der Anklagebehörde scheint sich die Tätigkeit von Lynas vor allem in Südamerika abgewickelt zu haben, indem er von da aus den Absatz der Rauschgifte in den USA organisierte und die Betäubungsmittel in Filmbehältern nach Los Angeles schickte. Es stellt sich die Frage, ob die Straftat gemäss Art. I AV auf dem Gebiete der USA begangen ist, wenn ein Täter von einem Drittstaat aus illegal Rauschgift in die USA einführt und durch eine Verschwörung mit andern vor allem von einem Drittstaat aus in den USA einen Rauschgiftvertrieb organisiert.
b) Für das schweizerische Recht wäre die Frage zu bejahen, denn nach dem in
Art. 7 Abs. 1 StGB
festgehaltenen Ubiquitätsprinzip gilt ein Verbrechen oder Vergehen als da verübt, wo der Täter es ausführt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist (vgl.
BGE 97 IV 208
f.,
BGE 91 IV 231
f., je mit Hinweisen). Durch den Aufbau der Vertriebsorganisation in den USA und durch die illegale Einfuhr des Rauschgiftes ist in den Vereinigten Staaten ein Erfolg im Sinne dieser Gesetzesvorschrift eingetreten, die Tat also - auch - dort verübt worden.
Massgebend ist aber nicht in erster Linie das schweizerische Landesrecht, vielmehr ist in Auslegung des Auslieferungsvertrages zu entscheiden, wann eine Tat als auf dem Gebiet des
BGE 101 Ia 533 S. 538
ersuchenden Staates begangen gilt. Die Vertragsregel ist nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien zu interpretieren, wobei Gegenstand und Zweck des Übereinkommens zu berücksichtigen sind (
BGE 97 I 364
f.). Nach dem Zweck des Auslieferungsvertrages sind Straftaten, wie sie dem Einsprecher zur Last gelegt werden, nicht nur dann auf dem Gebiete des ersuchenden Staates begangen, wenn sie auf dessen Territorium ausgeführt wurden, sondern auch dann, wenn die vom Täter beabsichtigte Wirkung dort eintrat. Eine andere Auslegung widerspräche dem Zweck des Übereinkommens. Würde im vorliegenden Fall angenommen, die Tat sei nur in einem südamerikanischen Staat begangen worden, so hätte dieser Staat, wenn die Handlung nach seinem Recht überhaupt strafbar wäre, kaum ein Interesse an der Strafverfolgung, da sich die Tat, entsprechend der Absicht des Täters, einzig in den USA auswirkte. In vielen Fällen könnte sich der Täter der Strafe entziehen, wenn er in einem Drittstaat Straftaten begeht, deren Erfolg nach seinem Willen in den USA eintritt und die gegen die Strafgesetze dieses Landes verstossen (vgl. dazu allgemein E. KALTCHAS, De l'extradition en cas de concours de compétences de plusieurs Etats, Diss. Lausanne 1934, S. 34).
Dass im Recht der zwischenstaatlichen Auslieferung der Begriff der Verbrechensbegehung in Anlehnung an die Ubiquitätstheorie auszulegen ist, geht auch aus andern Staatsverträgen hervor. Der am 21. November 1910 abgeschlossene Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Griechenland bestimmt in Art. I ebenfalls, dass die Auslieferung nur erfolgt für Delikte, die auf dem Gebiet des ersuchenden Staates begangen wurden. In Art. 4 wird die Auslieferung ausgeschlossen für im ersuchten Staat begangene Taten. Diese Regelung hat nur ihren guten Sinn, wenn davon ausgegangen wird, dass eine Tat im Sinne der Ubiquitätstheorie in zwei Staaten begangen werden kann (vgl.
BGE 43 I 75
f., Frage offen gelassen).
c) Selbst wenn angenommen würde, das amerikanische Landesrecht sei allein massgebend (so SCHULTZ, a.a.O., S. 70 oben), ergäbe sich dieselbe Lösung. Das ist bei der Auslegung des Auslieferungsvertrages deshalb von besonderer Bedeutung, weil die für die Schweiz ungebräuchliche Einschränkung, die Auslieferung nur zu bewilligen, wenn die Tat auf
BGE 101 Ia 533 S. 539
dem Gebiet des ersuchenden Staates begangen wurde, mit Rücksicht auf das in den USA geltende angelsächsische Territorialitätsprinzip in den Vertragstext aufgenommen wurde (SCHULTZ, a.a.O., S. 68). Nach amerikanischem Recht schliesst das Territorialitätsprinzip das Ubiquitätsprinzip durchaus nicht aus, sondern steht mit ihm in Einklang. Es gilt der Grundsatz, dass ein Staat Taten und Unterlassungen bestrafen darf, deren Erfolg bewusst oder gewollt in ihm durch ein Handeln ausserhalb seiner Grenze herbeigeführt worden ist. Das gilt insbesondere auch für Verschwörungen zu kriminellen Zwecken (D. OEHLER, Internationales Strafrecht, Köln usw. 1973, S. 235 mit Hinweisen auf die amerikanische Rechtsprechung; M. C. BASSIOUNI, International Criminal Law, Band II, Springfield, Ill., 1973, S. 20 f.). Demnach gelten die dem Einsprecher zur Last gelegten Straftaten nach dem Recht der Vereinigten Staaten - gleich wie nach schweizerischem Recht - als in den USA begangen, und zwar auch insoweit, als Handlungen in einem Drittstaat ausgeführt wurden, die vom Täter beabsichtigte Wirkung aber in den USA eintrat.
Die amerikanischen Gerichte scheinen Art. I AV ebenfalls im Sinne des Ubiquitätsprinzips auszulegen. So entsprach ein amerikanisches Bundesgericht einem schweizerischen Auslieferungsbegehren, obwohl der Verfolgte die ihm zur Last gelegte Tat nicht in der Schweiz ausgeführt hatte (Urteil Eatessami v. Marasco, 275 F. Supp. 492, District Court Southern District of New York 1967).
Dem Einsprecher wird zur Last gelegt, im Sinne von Art I AV Delikte auf dem Gebiete der USA begangen zu haben, da er durch sein Handeln den Aufbau des Rauschgiftvertriebes in den Vereinigten Staaten und die Einfuhr von Kokain in dieses Land bewusst und gewollt unmittelbar bewirkt habe. Da nach dem Gesagten Art. I des Auslieferungsvertrages im Sinne des Ubiquitätsprinzips auszulegen ist, ist der Einwand Lynas unbehelflich, er habe auf dem Gebiet der USA keine Tathandlungen ausgeführt.
7.
a) Art. VII Abs. 1 AV bestimmt, dass die Auslieferung wegen eines politischen Verbrechens oder Vergehens nicht bewilligt wird. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung fallen unter den Begriff des politischen Delikts nicht nur Straftaten, die gegen die politische und gesellschaftliche Ordnung eines Staates gerichtet sind (rein politische
BGE 101 Ia 533 S. 540
Delikte), sondern auch solche, die an sich den Tatbestand eines gemeinrechtlichen Delikts erfüllen, aber wegen der Umstände, unter denen sie begangen wurden, vor allem mit Rücksicht auf Beweggrund und Ziel, einen überwiegend politischen Charakter haben (relativ politische Delikte; vgl.
BGE 95 I 468
f.
;
90 I 299
f.). Dem Einsprecher werden Betäubungsmitteldelikte zur Last gelegt, die ohne Zweifel nicht als politische Verbrechen oder Vergehen im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gelten können.
Lynas anerkennt das selber. Er ist aber der Ansicht, die moderne Auffassung über die Rechtsschutzgarantie eines Auszuliefernden, die im Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuA) ihren Niederschlag gefunden habe, gebiete es, auch die politisch motivierte Verfolgung zu beachten. Nach Art. 3 Ziff. 2 EuA wird die Auslieferung nicht bewilligt, wenn der ersuchte Staat ernstliche Gründe hat anzunehmen, dass das Auslieferungsersuchen wegen einer nach gemeinem Recht strafbaren Handlung gestellt worden ist, um eine Person aus rassischen, religiösen, nationalen oder auf politischen Anschauungen beruhenden Erwägungen zu verfolgen oder zu bestrafen, oder dass die verfolgte Person der Gefahr einer Erschwerung ihrer Lage aus einem dieser Gründe ausgesetzt wäre.
Die Schweiz ist dem Übereinkommen am 20. März 1967 beigetreten, dagegen sind die Vereinigten Staaten von Amerika nicht Vertragspartei. Das Bundesgericht hat in seinem Urteil
BGE 99 Ia 547
ff. entschieden, Art. 3 Ziff. 2 EuA, der seinem Gehalt nach mit dem schweizerischen Landesrecht übereinstimmt, sei auch dann anwendbar, wenn mit dem ersuchenden Staat kein bilateraler Auslieferungsvertrag besteht und dieser Staat auch dem Auslieferungsübereinkommen nicht angeschlossen ist. Diese Lösung kann jedoch nicht übertragen werden auf die Fälle, in denen das Auslieferungsbegehren von einem Staat ausgeht, der dem Übereinkommen nicht beigetreten ist, mit dem aber die Schweiz einen Auslieferungsvertrag abgeschlossen hat, der die in Art. 3 Ziff. 2 EuA bzw. Art. 3 Ziff. 4 EuA enthaltene Einschränkung nicht kennt (vgl.
BGE 91 I 132
E. 3c, 43 I 74 E. 1). Art. 3 Ziff. 2 EuA bzw. Art. 3 Ziff. 4 EuA lässt ausdrücklich diejenigen Verpflichtungen unberührt, welche die Vertragsparteien auf Grund eines anderen mehrseitigen internationalen Übereinkommens übernommen haben oder übernehmen werden. Der
BGE 101 Ia 533 S. 541
Auslieferungsvertrag geht somit dem Übereinkommen vor, und die Schweiz kann deshalb die Auslieferung nicht unter Hinweis auf den schweizerischen ordre public oder das Übereinkommen verweigern. Die Schweiz könnte sich der gegenüber den USA eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen nur durch Kündigung des Auslieferungsvertrages entschlagen, wenn die zuständigen Behörden zur Auffassung gelangten, das Vertrauen in ein rechtsstaatliches Strafverfahren des Vertragspartners sei nicht mehr gerechtfertigt (SCHULTZ, a.a.O., S. 239 f.). Das ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Die Auslieferung kann somit nicht unter Hinweis auf Art. 2 Ziff. 3 EuA verweigert werden.
b) In der neueren Rechtslehre wird hingegen angenommen, dass eine Auslieferung gegen zwingende Regeln des Völkerrechts verstossen würde, wenn sie zu einer mit den Sätzen über die Achtung der Menschenrechte in Widerspruch stehenden Behandlung des Ausgelieferten im ersuchenden Staat führen würde (T. VOGLER, Auslieferungsrecht und Grundgesetz, Berlin 1970, S. 220). Auch wenn man den Einwand des Einsprechers unter diesem Gesichtspunkt eines internationalen ordre public betrachtet, vermag er nicht durchzudringen. Es besteht kein hinreichender Grund zur Annahme, dass das Verfahren vor dem zuständigen amerikanischen Gericht, der Grand Jury des Distriktsgerichts des Central District of California, zu einem Zweck durchgeführt und Lynas in einer Art behandelt werden könnte, die mit dem Grundsatz der Wahrung der Menschenrechte in Widerspruch stünden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Einsprache des William Posnett Lynas wird abgewiesen.
2. Die Auslieferung des Einsprechers an die Vereinigten Staaten von Amerika wird bewilligt. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
6842b8c5-cdff-43cb-af3a-1f59eaf8399e | Urteilskopf
105 IV 261
67. Urteil des Kassationshofes vom 26. September 1979 i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 98 Abs. 3 SVG
. Anbringung eines unzulässigen Signals.
Wer mit einer in der Hand gehaltenen Kartontafel, auf der das Wort "RADAR" geschrieben ist, vorbeifahrende Automobilisten vor einer Radarkontrolle warnt, macht sich nicht nach
Art. 98 Abs. 3 SVG
strafbar. | Sachverhalt
ab Seite 261
BGE 105 IV 261 S. 261
A.-
M. stellte sich am 14. Februar 1978 gegen Abend in Anglikon am Strassenrand mit einer Kartontafel in der einen Hand auf, auf welcher er in schwarzen Buchstaben das Wort "RADAR" geschrieben hatte. Gleichzeitig machte er mit der anderen Hand Auf- und Abwärtsbewegungen, um die gegen Wohlen fahrenden Automobilisten vor der Radarkontrolle zu warnen und zum Langsamfahren zu veranlassen. Er wurde wegen Widerhandlung gegen
Art. 98 SVG
verzeigt.
B.-
Das Bezirksgericht Bremgarten sprach M. am 14. September 1978 von Schuld und Strafe frei.
Das Obergericht des Kantons Aargau hiess dagegen am 21. Juni 1979 eine Berufung der Staatsanwaltschaft gut, hob das erstinstanzliche Urteil auf und verfällte M. wegen Anbringung eines unzulässigen Signals ohne behördliche Ermächtigung in Anwendung von
Art. 98 Abs. 3 SVG
in Verbindung mit
Art. 72 Abs. 1 SSV
in eine Busse von Fr. 70.-.
C.-
M. führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt sinngemäss die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache zu seiner Freisprechung.
BGE 105 IV 261 S. 262
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hat sich mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde vernehmen lassen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 98 SVG
wird mit Haft oder Busse bestraft, wer vorsätzlich ein Signal versetzt oder beschädigt und wer vorsätzlich ein Signal oder eine Markierung entfernt, unleserlich macht oder verändert (Abs. 1), wer eine von ihm unabsichtlich verursachte Beschädigung eines Signals nicht der Polizei meldet (Abs. 2), und wer ohne behördliche Ermächtigung ein Signal oder eine Markierung anbringt (Abs. 3).
Wie sich aus der Gesamtheit der genannten Tatbestände ergibt, bezweckt
Art. 98 SVG
den strafrechtlichen Schutz der durch
Art. 5 Abs. 1 SVG
vorgesehenen Signale und Markierungen. Da diese Zeichen der Regelung des Verkehrs und allgemein der Verkehrssicherheit dienen, soll durch die erwähnten Verbote und Gebote eine Beeinträchtigung dieser Sicherheit verhindert werden. Dass durch unbefugtes Versetzen, Beschädigen, Entfernen, Unleserlichmachen und Verändern von behördlich angebrachten Verkehrszeichen oder durch unbefugtes Anbringen solcher Zeichen die Strassenbenützer zu einem Fehlverhalten verleitet werden können und dadurch eine Gefahr für die Sicherheit des Verkehrs geschaffen wird, liegt auf der Hand. Zu einer solchen Verkehrsgefährdung kann auch der in Absatz 3 umschriebene Tatbestand führen, wenn ohne behördliche Bewilligung eine den Vorschriften der SSV (Art. 72 ff.) entsprechende Signaltafel angebracht wird, namentlich, wenn sie der geltenden Verkehrsregelung widerspricht oder sonstwie irreführend ist. Das kann selbst dann zutreffen, wenn das unbefugt angebrachte Kennzeichen nicht genau den gesetzlichen Vorschriften entspricht (SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des SVG, S. 315). Doch muss im letztern Fall vorausgesetzt werden, dass das Signal in seiner äusseren Gestalt einem in der SSV vorgesehenen Verkehrszeichen derart ähnlich ist, dass für den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer bei rascher Beobachtung eine Verwechslung mit einem ordentlichen Signal naheliegt. Bei Phantasiezeichen dagegen, die nach Form, Farbe oder Beschriftung mit den gesetzlich vorgesehenen Signaltafeln schon auf den ersten Blick nichts gemein haben, besteht die Gefahr einer Irreführung der Strassenbenützer
BGE 105 IV 261 S. 263
nicht, so dass auch das in
Art. 98 SVG
vorausgesetzte Schutzbedürfnis entfällt.
2.
Im vorliegenden Fall kann nicht davon die Rede sein, dass der vom Beschwerdeführer in der Hand gehaltene braune Karton, auf dem in grossen schwarzen Buchstaben das Wort "RADAR" gemalt war, Anlass zur Irreführung gegeben habe. Für jeden vorbeifahrenden Verkehrsteilnehmer war sofort erkennbar, dass die Kartontafel mit einem behördlichen Verkehrszeichen keinerlei Ähnlichkeit hatte. Die Gefahr einer Verwechslung mit einer ordentlichen Signaltafel war also zum vornherein ausgeschlossen. Im übrigen hat der Beschwerdeführer, wie auch die Vorinstanz anerkennt, durch sein Verhalten weder die Sicherheit des Verkehrs noch die Polizei an der Ausübung der Radarkontrolle in irgendeiner Weise behindert (vgl.
BGE 103 IV 189
).
Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Übertretung von
Art. 98 Abs. 3 SVG
in Verbindung mit
Art. 72 Abs. 1 SSV
verstösst gegen Bundesrecht und ist deshalb aufzuheben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts - 2. Strafkammer - des Kantons Aargau vom 21. Juni 1979 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
6844df37-47bc-40f1-861f-9d798bf32bb1 | Urteilskopf
116 Ib 217
29. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Juni 1990 i.S. X. AG gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 2 Abs. 2 lit. a Bundesratsbeschluss betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes. Art. 23 Abs. 1 lit. c Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen.
Eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Doppelbesteuerungsabkommens, und damit eine ungerechtfertigte Entlastung von deutschen Quellensteuern liegt vor, wenn von aus der Bundesrepublik Deutschland stammenden Lizenzerträgen mehr als die Hälfte zur Erfüllung von Ansprüchen nicht abkommensberechtigter, d.h. nicht in der Schweiz ansässiger Personen verwendet werden; dies gilt insbesondere auch dann, wenn dies bei direkter Zuordnung des Aufwands zu den Einkünften aus einem einzelnen Lizenzvertrag der Fall ist. | Sachverhalt
ab Seite 218
BGE 116 Ib 217 S. 218
A.-
Die X. AG mit Sitz in A. gehört der Y. AG in B. (BRD). Sie erwirbt von in- und ausländischen Autoren Verlagsrechte, die sie mit Lizenzgebühren entschädigt. Die erworbenen Verlagsrechte überträgt sie alsdann ihrer deutschen Muttergesellschaft gegen eine um 10 Prozent höhere Lizenzgebühr.
B.-
Im Jahre 1986 stellte die Eidgenössische Steuerverwaltung bei einer Buchprüfung fest, dass die X. AG in den Geschäftsjahren ... von ihrer Muttergesellschaft Lizenzgebühren in der Höhe von total rund Fr. ... bezogen und für diesen Betrag beim deutschen Bundesamt für Finanzen nach dem schweizerisch-deutschen Doppelbesteuerungsabkommen die Freistellung von den an der Quelle erhobenen Steuern erwirkt hatte. Rund 90 Prozent dieser Bezüge ... hatte sie an die Autoren weitergeleitet, hievon Fr. ... an in der Schweiz und Fr. ... an nicht in der Schweiz ansässige Personen. Der Anteil der an nicht in der Schweiz ansässige Personen weitergeleiteten Beträge belief sich in den erwähnten Geschäftsjahren - gesamthaft gesehen - auf (zwischen) 17,4 bis 42,8 Prozent.
Weil indessen an nicht in der Schweiz ansässige Personen im Einzelfall mehr als 50 Prozent der abkommensbegünstigten Erträge (Lizenzgebühren) weitergeleitet worden waren, hielt die Eidgenössische Steuerverwaltung dafür, dass die Entlastung von den deutschen Quellensteuern in diesen Fällen ungerechtfertigterweise beansprucht worden sei.
Mit Entscheid vom 12. April 1988 widerrief sie die entsprechenden Freistellungsanträge; gleichzeitig verpflichtete sie die X. AG für die Zeit vom Geschäftsjahr ... an bis 31. Dezember 1986 zur Erstattung der nicht erhobenen deutschen Quellensteuern (DM ...); dies gestützt auf Art. 4 Abs. 1 lit. c und d sowie Art. 5 Abs. 1 des Bundesratsbeschlusses vom 14. Dezember 1962 betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes (im folgenden Missbrauchsbeschluss; SR 672.202), ferner wegen Verletzung von Art. 2 Abs. 2 lit. b des Missbrauchsbeschlusses und von Art. 23
BGE 116 Ib 217 S. 219
Abs. 1 lit. c des Abkommens vom 11. August 1971 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (im folgenden DBA-D; SR 0.672.913.62; AS 1972 3075).
C.-
Eine hiegegen erhobene Einsprache wies die Eidgenössische Steuerverwaltung ab.
D.-
Die X. AG führt rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Begehren, der Einspracheentscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung ... sei aufzuheben und es sei von der Einforderung der deutschen Quellensteuern (DM ...) abzusehen.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
E.-
In ihrer Replik hält die Beschwerdeführerin in Ergänzung ihrer Begründung an den Beschwerdebegehren fest. Die Eidgenössische Steuerverwaltung verzichtet auf eine Duplik.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Nach
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
dürfen höchstens 50 Prozent der Einkünfte zur Erfüllung von Ansprüchen von nicht in der Schweiz ansässigen Personen verwendet werden.
Die Beschwerdeführerin macht im wesentlichen geltend, sie habe von den (Lizenz-)Einkünften insgesamt stets weniger als 50 Prozent an nicht in der Schweiz ansässige Personen weitergeleitet. Nach dem klaren Wortlaut und Sinn von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
und der bisherigen Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung sei die Weiterleitungsquote auf Grund des Gesamtbetrages der Einkünfte aus dem Quellenstaat, jedenfalls nicht unter Berücksichtigung von Einzelverträgen, massgeblich.
b) Gestützt auf Art. 2 Abs. 1 lit. b des Bundesbeschlusses über die Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen des Bundes zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vom 22. Juni 1951 (SR 672.2) erliess der Bundesrat am 14. Dezember 1962 den Missbrauchsbeschluss. Dieser bezweckt, dass die von einem andern Vertragsstaat zugesicherte Herabsetzung von an der Quelle erhobenen Steuern nicht Personen zugute kommt, die darauf nach dem Abkommen keinen Anspruch haben.
Laut Art. 2 Abs. 1 des Missbrauchsbeschlusses wird eine Steuerentlastung von einer natürlichen oder juristischen Person oder
BGE 116 Ib 217 S. 220
Personengesellschaft mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz dann ungerechtfertigterweise beansprucht, wenn die Inanspruchnahme dazu führen würde, dass die Steuerentlastung zu einem wesentlichen Teil direkt oder indirekt nicht abkommensberechtigten Personen zugute kommt. Diese allgemeine Umschreibung missbräuchlicher Inanspruchnahme einer Steuerentlastung wird in Art. 2 Abs. 2 lit. a wie folgt konkretisiert:
"2 Eine Steuerentlastung wird insbesondere dann missbräuchlich beansprucht, wenn sie Einkünfte betrifft,
a) die zu einem wesentlichen Teil direkt oder indirekt zur Erfüllung von Ansprüchen nicht abkommensberechtigter Personen verwendet werden; der Erfüllung von Ansprüchen ist in der Regel gleichgestellt die Verwendung der Einkünfte zur Abschreibung von Vermögenswerten, deren Gegenwert direkt oder indirekt nicht abkommensberechtigten Personen zugekommen ist oder zukommt."
c) Art. 23 Abs. 1 lit. c des neun Jahre später, am 11. August 1971 abgeschlossenen DBA-D lautet wie folgt:
"(1) Eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft, an der nicht in diesem Staat ansässige Personen überwiegend, unmittelbar oder mittelbar, durch Beteiligung oder in anderer Weise interessiert sind, kann die in den Artikeln 10 bis 12 vorgesehenen Entlastungen von den Steuern, die auf den aus dem andern Staat stammenden Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren erhoben werden, nur beanspruchen, wenn
c) höchstens 50 vom Hundert der in Rede stehenden und aus dem anderen Vertragsstaat stammenden Einkünfte zur Erfüllung von Ansprüchen (Schuldzinsen, Lizenzgebühren, Entwicklungs-, Werbe-, Einführungs- und Reisespesen, Abschreibungen auf Vermögenswerten jeder Art, einschliesslich immaterieller Güterrechte, Verfahren usw.) von nicht im ersten Staat ansässigen Personen verwendet werden."
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
ist weitgehend den Regeln nachgebildet, wie sie die Eidgenössische Steuerverwaltung in einem Kreisschreiben vom 31. Dezember 1962 betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes (ASA 31 247 ff., insbesondere Ziff. II/1, S. 248/9) im Hinblick auf die einheitliche Anwendung von Art. 2 Abs. 2 des Missbrauchsbeschlusses für sog. Durchlaufgesellschaften formuliert hatte. Bereits damals wurde die Höchstgrenze auf 50 Prozent festgesetzt (R. V. SIEBENTHAL, Handbuch des internationalen Steuerrechts der Schweiz, im folgenden: Handbuch, S. 120; M. WIDMER, Die Auswirkungen des neuen Doppelbesteuerungsabkommens mit Deutschland, ASA 40 305 ff., insbesondere S. 333; derselbe, Neue Entwicklungen im internationalen Steuerrecht, StR 29/1974, S. 90 ff., insbesondere S. 95). Die Vorschrift
BGE 116 Ib 217 S. 221
von Art. 2 Abs. 2 lit. a des Missbrauchsbeschlusses und ihre Anwendung durch die Eidgenössische Steuerverwaltung können daher für die Auslegung von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
herangezogen werden.
3.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung legt
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
dahingehend aus, dass die Entlastung der aus der Bundesrepublik Deutschland stammenden Lizenzerträge von deutschen Steuern wegen missbräuchlicher Inanspruchnahme namentlich auch dann ausgeschlossen sei, wenn von diesen Erträgen bei direkter Zuordnung des Aufwands zu den Einkünften aus einem einzelnen Lizenzvertrag mehr als die Hälfte zur Erfüllung von Ansprüchen von nicht abkommensbegünstigten Personen verwendet werden. Eine direkte Zuordnung sei in der Praxis im Rahmen des Möglichen stets geschehen. Zudem sei dies die einzige Auslegung, die der Zielsetzung der Bestimmung entspreche. Eine globale Betrachtungsweise sei nur ausnahmsweise zulässig.
a) Die Beschwerdeführerin beruft sich zur Stützung ihres Begehrens zunächst auf den Wortlaut von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
.
Für die Auslegung einer Staatsvertragsbestimmung ist der Wortlaut massgebend, wie ihn die Parteien nach dem Vertrauensprinzip im Hinblick auf den Vertragszweck verstehen durften, solange sich der Entstehungsgeschichte nicht ein abweichender wirklicher Vertragswille der Parteien entnehmen lässt (
BGE 113 II 362
E. 3;
BGE 113 V 103
E. b;
BGE 97 I 363
E. 3, mit Hinweisen). Das gilt auch für die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, wenn diese nicht selber besondere Auslegungsregeln (Definitionen) enthalten oder subsidiär auf die Bedeutung der verwendeten Begriffe in der lex fori verweisen (
Art. 1 Abs. 2 DBA-D
; R. V. SIEBENTHAL, Handbuch, 71 ff.).
In der deutschen Literatur, auf die die Beschwerdeführerin verweist (Kommentar FLICK/WASSERMEYER/WINGERT/KEMPERMANN, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, N 182 zu Art. 23, S. 52), wird der in
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
verwendete Begriff "Einkünfte" dahingehend verstanden, dass die Dividenden, Zinsen sowie Lizenzgebühren addiert zusammengefasst am Aufwand zugunsten nicht Ansässiger gemessen werden müssten (a.a.O., N 78 zu Art. 23, S. 51).
Trotz dieser Kommentierung lässt der Wortlaut der Bestimmung jedoch durchaus auch die Auslegung zu, dass der Begriff "Einkünfte" - wie die Eidgenössische Steuerverwaltung
BGE 116 Ib 217 S. 222
einwendet - bloss als vertragstechnischer, zur gerafften Darstellung dienender Verweis verstanden werden könnte.
b) Die Beschwerdeführerin vertritt ferner - unter Hinweis auf KORN/DEBATIN (Doppelbesteuerung, Sammlung der zwischen der Bundesrepublik und dem Ausland bestehenden Abkommen über die Vermeidung der Doppelbesteuerung, München 1954 ff.) sowie den Kommentar FLICK/WASSERMEYER/WINGERT/KEMPERMANN (Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, N 182 zu Art. 23, S. 52) - die Auffassung, die Vertragsparteien hätten
Art. 2 Abs. 1 lit. c DBA-D
nach der Entstehungsgeschichte in dem von ihr geltend gemachten Sinne verstanden.
KORN/DEBATIN gehen indessen nicht so weit wie die Beschwerdeführerin, nach deren Auffassung die Verwendungsgrenze von 50 Prozent stets nur in einer Gesamtrechnung zu ermitteln sei. Die Gesamtrechnung wird vielmehr deswegen als notwendig bezeichnet, um zu prüfen, ob eine Verkettung zwischen den Einkünften und ihrer Verwendung zugunsten nicht abkommensberechtigter Personen in der Form verschiedenster Aufwendungen, namentlich der Zinsaufwendungen, bestehe (a.a.O.,
Art. 23, N 2
/g/cc/2-4 und dd, S. 683 ff.). Dass deswegen eine direkte Zuordnung von Aufwendungen zu bestimmten abkommensbegünstigten Einkünften ausgeschlossen wäre, wird weder ausdrücklich gesagt, noch ergibt sich dies aus der Kommentierung zwingend.
FLICK/WASSERMEYER/WINGERT/KEMPERMANN berufen sich insbesondere auf LOCHER/MEYER/V. SIEBENTHAL (Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Deutschland, B. 23.1 Nr. 23), worin folgende Stellungnahme der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 5. September 1974 enthalten ist: "Bei der Prüfung der Frage, ob eine Gesellschaft von ihren abkommensbegünstigten Erträgen nicht mehr als 50 Prozent ins Ausland weitergeleitet hat, werden die abkommensbegünstigten Erträge in der Regel gesamthaft betrachtet und die darauf entfallenden Schuldzinsen proportional ermittelt, d.h. die Schuldzinsen werden im Verhältnis der Anlagen in DBA-Staaten zu den Gesamtaktiven aufgeteilt. Wenn jedoch in einem Einzelgeschäft ein enger Zusammenhang zwischen der Auslandanlage und der Schuld besteht, kann das Einzelgeschäft aus der Gesamtrechnung herausgenommen und von den Abkommensvorteilen ausgeschlossen werden. Die Gesellschaft kann für den übrigen Teil trotzdem die Voraussetzungen erfüllen und deshalb die Abkommensvorteile beanspruchen."
BGE 116 Ib 217 S. 223
Daraus lässt sich ableiten, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung in Anwendung ihres Kreisschreibens zum Missbrauchsbeschluss - zumindest im Hinblick auf die Verteilung von Schuldzinsen - eine direkte Zuordnung des weitergeleiteten Aufwands zu den abkommensbegünstigten Einkünften in Einzelgeschäften nicht ausschliessen wollte, sofern eine solche Zuordnung möglich ist. - Das Kreisschreiben (ASA 31 247) enthält im übrigen keine Erläuterung, ob die Grenze von höchstens 50 Prozent bezogen auf einzelne Vertragsverhältnisse oder für die Gesamtheit der Einkünfte gelten solle. Der Anhang zum Kreisschreiben (ASA 31 255 ff.) beschränkt sich ebenfalls nur auf die schematische Darstellung von Beispielen für die Anwendung von Art. 2 Abs. 2 lit. a und b des Missbrauchsbeschlusses.
Auch aus den von der Beschwerdeführerin zitierten weiteren Publikationen (M. WIDMER, Die schweizerischen Massnahmen gegen den Missbrauch von Doppelbesteuerungsabkommen, in Steuer und Wirtschaft, herausgegeben von Boettcher u.a. bei J. Bergmann, München, und Springer Verlag Berlin, Göttingen, Heidelberg, 40/1963, Spalte 381 ff., insbesondere 387; D. LÜTHI, Handbuch, S. 346; vgl. auch H. MASSHARDT, Die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, ASA 31 225 ff., insbesondere 234 ff.; A. MATTHEY, Les mesures contre l'utilisation sans cause légitime des conventions conclues par la Confédération en vue d'éviter les doubles impositions, RDAF 19/1963 53 ff., insbesondere 59; M. B. LUDWIG, Die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, StR 18/1963 50 ff., insbesondere 57) kann nichts zum Willen der Vertragsparteien in der Frage abgeleitet werden.
Den Formularen schliesslich, die für die Entlastung von den deutschen (Quellen-)Steuern auf Lizenzgebühren geschaffen wurden, ist ebenfalls nichts Konkretes zu entnehmen.
Die Entstehungsgeschichte von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
zeigt demnach, gesamthaft gesehen, einzelne Anhaltspunkte, wonach die Vertragsparteien die Auffassung der Beschwerdeführerin gehabt haben könnten, aber mindestens ebenso viele für diejenige der Eidgenössischen Steuerverwaltung, die nicht klar widerlegt wird.
c) Die Beschwerdeführerin beruft sich ferner auf den Zusammenhang von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
mit den übrigen Vertragsbestimmungen. Insbesondere weist sie auch auf die wirtschaftlichen Auswirkungen hin. Sie wendet ein, wenn nur die maximale Quote von 50 Prozent der Lizenzgebühren weitergeleitet
BGE 116 Ib 217 S. 224
werden dürfe, entspreche dies einer Bruttomarge von 100 Prozent, die im internationalen Lizenzgeschäft ausgeschlossen sei. Es sei zudem anzunehmen, dass die deutschen Steuerbehörden gegen einen derart unüblichen Gewinnaufschlag durch die schweizerische Gesellschaft gestützt auf
Art. 9 DBA-D
einschreiten würden.
Nach
Art. 9 DBA-D
dürfen Gewinne, die eine von zwei verbundenen Unternehmungen nicht erzielt, weil die Bedingungen von denen abweichen, die unabhängige Unternehmungen miteinander vereinbart hätten, den Gewinnen der Unternehmung zugerechnet und von deren Sitzstaat besteuert werden. Wenn sich die Vertragsparteien in
Art. 9 DBA-D
die Aufrechnung von zwischen verbundenen Unternehmungen künstlich verschobenen Gewinnen ausdrücklich vorbehielten, ist nicht einzusehen, weshalb sie nicht auch einen Missbrauch der Abkommensbegünstigung darin sehen wollten, wenn eine verbundene, in der Schweiz domizilierte Gesellschaft nur eine bescheidene Marge für sich beansprucht und die von der deutschen Quellensteuer befreiten Lizenzgebühren zum grössten Teil - als Aufwand verbucht - unversteuert an nicht abkommensberechtigte Personen in Drittstaaten weiterleitet.
Auch unter dem Blickwinkel von
Art. 23 Abs. 1 lit. d DBA-D
ergibt sich keine abweichende Würdigung. Danach kann eine ausländisch beherrschte (schweizerische) Gesellschaft die Befreiung von den Steuern des Vertragsstaats (Bundesrepublik Deutschland) nur beanspruchen, wenn die
"Aufwendungen, die mit den in Rede stehenden und aus dem andern Vertragsstaat stammenden Einkünften zusammenhängen, ausschliesslich aus diesen Einkünften gedeckt werden."
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf FLICK/WASSERMEYER/WINGERT/KEMPERMANN (a.a.O., N 94 und 95, S. 55/6), die eine von der Eidgenössischen Steuerverwaltung abweichende Auffassung auch hinsichtlich der Zuordnung von Aufwendungen (insbesondere Abschreibungen) zu den abkommensbegünstigten Einkünften nach
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
vertreten. Die positive Formulierung, wonach die Entlastung nur beansprucht werden kann, wenn Aufwendungen, die mit den betrachteten Einkünften zusammenhängen, ausschliesslich aus diesen Einkünften gedeckt werden, hat durchaus einen naheliegenden und verständlichen Grund; es soll damit verhindert werden, dass eine Gesellschaft, die noch über andere Einkünfte verfügt, geltend macht, aus diesen anderen Einkünften die Leistungen an Personen in Drittstaaten erbracht zu haben, die in Wirklichkeit als Aufwendungen im
BGE 116 Ib 217 S. 225
Zusammenhang mit den abkommensbegünstigten Einkünften zu betrachten sind (MASSHARDT, a.a.O., ASA 31 48/9; KORN/DEBATIN, a.a.O.,
Art. 23 N 2
/g/cc/2, S. 684). Es scheint gerade bedeutsam, dass
Art. 23 Abs. 1 lit. d DBA-D
den Zusammenhang von Aufwendungen der Lizenzgeber-Gesellschaft mit den Einkünften ausdrücklich in die zu betrachtenden Voraussetzungen ihrer Befreiung von Steuern des Quellenlands einbezieht.
Der Zusammenhang im Abkommen spricht daher für und nicht gegen die Auffassung der Eidgenössischen Steuerverwaltung.
d) Die Beschwerdeführerin beruft sich schliesslich auf den Sinn und Zweck von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
. Diese Bestimmung solle nicht "jegliche Lizenzdurchleitung", sondern bloss die unangemessene Ausnutzung der im Abkommen vorgesehenen Entlastung verhindern; diese sei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Die objektiven mathematischen Massstäbe, namentlich die Höchstgrenze von 50 Prozent, die die Vertragsparteien zu diesem Zwecke gewählt hätten, würden von der Eidgenössischen Steuerverwaltung verkannt. Es könne der Auffassung der Eidgenössischen Steuerverwaltung nicht gefolgt werden, wonach es der Zielsetzung von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
krass widersprechen würde, wenn allein durch Poolung in einer schweizerischen Vermittlergesellschaft mit einem relativ grossen Kreis schweizerischer Lizenzgebührenempfänger auch im Ausland ansässige Personen in den Genuss der Quellensteuerentlastung gelangten, obwohl ihnen 90 Prozent der aus Deutschland stammenden Lizenzeinkünfte weitergeleitet werden. Bei einer solchen Betrachtungsweise werde verkannt, dass eine Vermittlergesellschaft mit einem grossen inländischen Empfängerkreis "das frei verfügbare Kontingent" ohne erkennbaren Gestaltungsmissbrauch dazu benützen könne, einem (zahlenmässig) kleinen Teil im Ausland ansässiger Personen Abkommensvorteile zu verschaffen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung sei den Nachweis schuldig geblieben, dass mit
Art. 23 DBA-D
auch solche Gesellschaften erfasst werden sollten.
Ähnlich äussern sich auch deutsche Kommentatoren. Danach braucht zwischen den (Lizenz-)Einkünften und den zur Erfüllung von Ansprüchen nicht ansässiger Personen erbrachten Aufwendungen kein wirtschaftlicher Zusammenhang zu bestehen, weshalb der davon losgelöste rein mathematische und gesamthafte Vergleich "erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet" (FLICK/WASSERMEYER/WINGERT/KEMPERMANN, a.a.O., N 79, S. 52; a. M.
BGE 116 Ib 217 S. 226
wohl eher KORN/DEBATIN, a.a.O., N 2/c/2, S. 677 und N 2e/g/dd/3, S. 686).
Laut sämtlichen Publikationen in der schweizerischen Literatur entspricht dies jedoch nicht der Auffassung, die die Eidgenössische Steuerverwaltung von der Höchstgrenze von 50 Prozent in ihrem Kreisschreiben zum Missbrauchsbeschluss und in
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
erkennen liess. Diese Grenze soll ausländisch beherrschten Gesellschaften in der Schweiz nicht die Inanspruchnahme der Befreiung von deutschen Steuern zugunsten nicht Abkommensberechtigter in einem bestimmten Verhältnis zu ihrer Grösse und gesamten Geschäftstätigkeit ermöglichen; sie bedeutet auch nicht, dass ein frei verfügbares Kontingent steuerbegünstigter Auslandseinkünfte abkommenswidrig in Anspruch genommen werden kann. Vielmehr soll damit die Abgrenzung, von welchem Ausmass an die Inanspruchnahme der Befreiung von deutschen Steuern auf den Lizenzgebühren, Dividenden und Zinsen zugunsten nicht abkommensberechtigter Personen wesentlich und missbräuchlich ist, objektiviert werden. Die in der schweizerischen Literatur (W. RYSER, Introduction au droit fiscal international, 187 ff.) als rein schematisch kritisierte feste zahlenmässige Grenze hat zur Folge, dass die Weiterleitung von höchstens 50 Prozent der Einkünfte an solche Ausländer als noch nicht übermässig bezeichnet (D. LÜTHI, Handbuch, S. 346; vgl. auch S. 357, wo von "Sicherheitszonen" für die Inanspruchnahme der Doppelbesteuerungsabkommen die Rede ist) und ein Abkommensmissbrauch allein durch Weiterleitung von maximal 50 Prozent der Einkünfte als noch nicht eingetreten betrachtet wird.
Jedenfalls entspricht es nicht dem Sinn der festen zahlenmässigen Grenze, dass eine ausländisch beherrschte Gesellschaft, die mehr als 50 Prozent als Aufwand an im Ausland ansässige Personen weiterleiten muss, die Befreiung von der Steuer im Quellenstaat beanspruchen kann oder dass die Abkommensbestimmungen so zu verstehen seien, auch ihr müsse bei geeigneter Gestaltung der übrigen Geschäfte die Erfüllung der Bedingungen möglich sein. Dem Sinn und Zweck der Bestimmung, die die missbräuchliche Inanspruchnahme der Abkommensbegünstigung verhindern soll, entspricht ganz offensichtlich die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung vertretene, von der Beschwerdeführerin beanstandete Auslegung von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
besser:
Die Befreiung von den Quellensteuern auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren wurde vereinbart, um eine doppelte
BGE 116 Ib 217 S. 227
Besteuerung des Empfängers im Quellenstaat und im andern Vertragsstaat, wo er als Ansässiger solche Einkünfte grundsätzlich zu versteuern hat, zu vermeiden. Der auf sog. Durchlaufgesellschaften abzielende Missbrauchsvorbehalt von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
soll somit verhindern, dass die Befreiung von der (Quellen-)Steuer nicht durch nicht Abkommensberechtigte in Drittstaaten in Anspruch genommen wird; insbesondere soll verhindert werden, dass die ausländisch beherrschte Gesellschaft gestützt auf eine vertragliche Verpflichtung mehr als 50 Prozent der Lizenzgebühren in einer als Aufwand verbuchten Form weiterleitet, über welche die Empfänger ohne steuerliche Belastung verfügen können (
BGE 94 I 666
f.; a. M. J.-M. RIVIER, Le droit fiscal international, S. 251, nach dessen einschränkenderer Ansicht der Missbrauchsbeschluss nur Betrug oder Umgehung der Steuern verhindern sollte).
e) Die Auslegung von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
nach dem Wortlaut und nach der Entstehungsgeschichte ergibt insgesamt wohl kein ganz einheitliches Bild und könnte die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Auffassung nicht schlechthin ausschliessen. Anderseits wird aber die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung vertretene Auslegung nicht widerlegt. Nach ihrem Sinn und Zweck sowie dem Zusammenhang mit andern Vertragsbestimmungen schlägt die behördlicherseits vertretene Ansicht durch. Sie wird auch durch die bei der zuständigen Amtsstelle des deutschen Vertragspartners eingeholte, weitgehend übereinstimmende Meinungsäusserung bekräftigt. Es wäre in der Tat nicht vertretbar, wenn in Drittstaaten ansässige nicht abkommensberechtigte Personen allein durch die Poolung von Einkünften in einer grossen Vermittlergesellschaft in Einzelfällen Abkommensvorteile erlangen könnten, wie dies die Beschwerdeführerin anstrebt.
In Würdigung all dieser Gesichtspunkte hat daher die Eidgenössische Steuerverwaltung mit ihrer Betrachtungsweise und der entsprechenden Anwendung von
Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA-D
im Falle der Beschwerdeführerin Bundesrecht nicht verletzt.
4.
Bei diesem Verfahrensausgang kann die weitere Frage, ob eine Gesellschaft, die (wie die Beschwerdeführerin) 90 Prozent der vereinnahmten Entgelte an Dritte weiterleitet, als wirklich Nutzungsberechtigte an den Vermögenswerten die Abkommensbegünstigung ihrer Erträge überhaupt in Anspruch nehmen kann, offengelassen werden. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
684b5d4b-baba-4ea3-adfa-dee9ca40af7b | Urteilskopf
110 II 181
38. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. März 1984 i.S. K. gegen P. (Berufung) | Regeste
Art. 400 Abs. 1 OR
, Rechenschaftsablegung.
Die Rechenschaftspflicht des Beauftragten besteht unabhängig von seinen persönlichen Beziehungen zum Auftraggeber; Inhalt der Pflicht im einzelnen. | Sachverhalt
ab Seite 181
BGE 110 II 181 S. 181
Am 15. Februar 1968 erteilte Frau K. ihrem Sohn P. eine "Generalvollmacht mit Substitutionsbefugnis", die ihn ermächtigte, alle Arten von Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen vorzunehmen, Gelder, Wertschriften und andere Vermögenswerte in Empfang zu nehmen und nötigenfalls auch Verpflichtungen irgendwelcher Art einzugehen; vor allem hatte er Zugang zu ihrem Konto bei der Zürcher Kantonalbank. Am 5. Juli 1979 widerrief sie die Vollmacht und verlangte von ihrem Sohn eine Abrechnung samt Belegen. P. lieferte ihr eine Aufstellung sämtlicher Zahlungen von 1971 bis 1977 in der Höhe von Fr. 53'730.-.
Daraufhin klagte Frau K. gegen ihren Sohn auf Zahlung von Fr. 49'877.10 nebst Zins sowie auf definitive Rechtsöffnung für diesen Betrag. Das Bezirksgericht Pfäffikon wies die Klage ab. Das
BGE 110 II 181 S. 182
Obergericht des Kantons Zürich hob auf Berufung der Klägerin hin das bezirksgerichtliche Urteil auf und wies die Sache zur Durchführung des Beweisverfahrens und zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die erste Instanz zurück.
Der Beklagte hat Berufung eingereicht mit dem Antrag, den Rückweisungsbeschluss des Obergerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt den angefochtenen Beschluss.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beklagte rügt, das Obergericht verletze
Art. 400 OR
, indem es von ihm trotz seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zur Klägerin verlange, vollständig, wahrheitsgemäss und detailliert Rechenschaft abzulegen und die notwendigen Belege vorzuweisen. Mit der Vorinstanz anerkennt er immerhin, dass das streitige Rechtsverhältnis dem Auftragsrecht unterliegt. Danach ist der Beauftragte in jedem Fall, unabhängig von seinen persönlichen Beziehungen zum Auftraggeber, gehalten, über seine Geschäftsführung Rechenschaft abzulegen und alles, was ihm im Verlauf seiner Tätigkeit aus irgendeinem Grunde zugekommen ist, zu erstatten (
Art. 400 Abs. 1 OR
). Das leuchtet auch ohne weiteres ein; selbst wenn er mit dem Auftraggeber verwandt ist, besorgt er doch fremde, nicht eigene Geschäfte. Seine Pflicht, Rechenschaft abzulegen, ist ein essentiale des Auftragsrechts und ein Minimum dessen, was er zu erfüllen hat, damit wirklich angenommen werden kann, er habe Geschäfte im fremden Interesse zu besorgen; sie stellt sicher, dass der Auftraggeber Klarheit darüber gewinnen kann, wie der Auftrag ausgeführt worden ist (HOFSTETTER, in Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/2, S. 89/90 mit Verweisungen). Sie bildet ferner Voraussetzung und Grundlage der nicht weniger wichtigen Ablieferungspflicht, die zu einer unechten Obligation würde, soweit die Rechenschaftspflicht wegen verwandtschaftlicher Verhältnisse eingeschränkt wäre; alles, was der Beauftragte nicht abzuliefern hätte, würde ihm dann geschenkt, womit indes kein Auftrag mehr anzunehmen wäre, sondern eine formbedürftige Schenkung mit Auflage (GAUTSCHI, N. 38c zu
Art. 400 OR
). Der Auftraggeber könnte nicht mehr prüfen, ob der Beauftragte die Geschäfte vertragsgemäss und getreu besorgt hat und - falls das zu verneinen wäre - Schadenersatz geltend machen.
BGE 110 II 181 S. 183
Die Verpflichtung, Rechenschaft abzulegen, verlangt vom Beauftragten vorerst, eine vollständige und detaillierte schriftliche Abrechnung zu erstatten (HOFSTETTER, S. 92 mit Verweisungen). Dazu bedarf es entgegen der Meinung des Beklagten nicht notwendigerweise Quittungen, sondern es genügen jene schriftlichen Aufzeichnungen, die der Beauftragte nach Vertrag gehalten ist, über seine Tätigkeit zu verfassen (HOFSTETTER, S. 90). Der Beklagte vermag daher seiner Abrechnungspflicht nicht mit dem Einwand zu entgehen, im Verhältnis zwischen Mutter und Sohn würden in der Regel keine Quittungen ausgestellt; noch weniger vermag er das aus allfälligen Bitt- und Dankesbriefen der Klägerin an ihn abzuleiten. Er räumt selber ein, keine derartigen Abrechnungen erstellen zu können, und die von ihm vorgelegten Dokumente geben, wie aus dem angefochtenen Urteil hervorgeht, ohnehin nicht über seine Tätigkeit während der ganzen Vertragsdauer Auskunft.
Der Beauftragte muss ferner dem Auftraggeber die zur Abrechnung gehörenden Belege unterbreiten (HOFSTETTER, S. 92 mit Hinweisen). Sollte es unter bestimmten Umständen nicht üblich sein, für jede einzelne Verwendung einen Beleg abzufassen und zu verlangen, so läge darin lediglich eine Ausnahme vom erwähnten Grundsatz, die höchstens dazu führen könnte, im Einzelfall eine Verletzung der Rechenschaftspflicht zu verneinen; dem Beauftragten steht es ohnehin offen, in anderer Weise als durch Vorlage von Belegen zu beweisen, dass er die betreffende Verwendung tatsächlich gemacht hat. Mit der Behauptung, namentlich bei Bargeldzusendungen in bescheidenem Umfang sowie bei Kleineinkäufen würden keine Quittungen verlangt und ausgestellt, vermag der Beklagte deshalb der Pflicht zur Rechenschaftsablegung nicht zu entgehen. Aus
BGE 108 II 204
f. ergibt sich nichts für seinen Standpunkt. Gegenstand dieses Urteils bildete nicht ein Auftrag, sondern ein Konkubinatsverhältnis, dessen Parteien sich nach gesellschaftsrechtlichen Regeln auseinanderzusetzen hatten; an der vom Beklagten zitierten Stelle (S. 212 E. b) ist zudem nicht von der Rechnungslegung die Rede, sondern von den Folgen des Beweisnotstandes. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
684b60eb-58dd-4cdf-b3fc-ac8680e075ac | Urteilskopf
136 V 362
42. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. IV-Stelle des Kantons Zürich gegen B. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_55/2010 vom 8. Oktober 2010 | Regeste
Art. 99 Abs. 1 und 2 BGG
;
Art. 21 ATSG
; Eintreten auf den vor Bundesgericht neu gestellten Antrag der Rentenkürzung.
Der erstmals in der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gestellte Antrag der Durchführungsstelle auf Kürzung der Invalidenrente gestützt auf
Art. 21 Abs. 1 ATSG
(wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand) ist zulässig, auch wenn die Kürzung weder Gegenstand der Verwaltungsverfügung noch des vorinstanzlichen Entscheides war. Streitgegenstand ist die Rente, deren betragliche Kürzung ein Teilaspekt. Als solcher bildet die Kürzung ein neues rechtliches Argument im Rahmen des Streitgegenstandes (E. 3.4.4), welches jedenfalls dann zulässig ist, wenn sich der Antrag auf Rentenkürzung auf aktenkundige Tatsachen stützt (E. 4.1). | Sachverhalt
ab Seite 363
BGE 136 V 362 S. 363
A.
Die 1951 geborene B. erlitt am 1. August 2003 einen Verkehrsunfall. Am 25. Juni 2004 meldete sie sich wegen der Unfallfolgen ("Rückenprobleme, Brustkorb und Halswirbel") bei der IV-Stelle des Kantons Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) zum Rentenbezug an. Gestützt auf einen Bericht des Universitätsspitals X. vom 7. August 2004 verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 5. Januar 2005 den Anspruch auf eine Invalidenrente (Invaliditätsgrad 20 %). B. erhob dagegen Einsprache, worin sie geltend machte, nicht nur an physischen, sondern auch an psychischen Unfallfolgen zu leiden. Im Rahmen des Einspracheverfahrens liess die Invalidenversicherung die Versicherte durch das Institut Y. polydisziplinär begutachten. Gestützt auf das Gutachten vom 20. März 2006 hiess die IV-Stelle mit Einspracheentscheid und Verfügungen vom 25. Oktober 2007 die Einsprache teilweise gut und sprach der Versicherten eine ganze Invalidenrente von August 2004 bis September 2005, eine
BGE 136 V 362 S. 364
Dreiviertelsrente von Oktober 2005 bis Mai 2006 und eine halbe Rente ab Juni 2006 zu.
B.
B. erhob dagegen Beschwerde an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Dieses hiess mit Urteil vom 23. November 2009 die Beschwerde gut und sprach der Versicherten auch nach dem 30. September 2005 eine ganze Rente zu.
C.
Die IV-Stelle erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, das Urteil des Sozialversicherungsgerichts sei aufzuheben und die auszurichtenden Rentenleistungen seien um 30 % zu kürzen. B. beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat keine Vernehmlassung eingereicht.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Zu beurteilen bleibt der Antrag der Beschwerdeführerin, die Rente sei um 30 % zu kürzen. Sie begründet dieses Begehren damit, dass die Beschwerdegegnerin den Unfall, der zur Invalidität führte, selber in alkoholisiertem Zustand verursacht hatte und deshalb wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand bestraft worden sei. Dies rechtfertige gemäss
Art. 21 Abs. 1 ATSG
(SR 830.1) eine Kürzung der Rente. Die Beschwerdegegnerin bringt vor, dieser Antrag beruhe auf unzulässigen neuen Tatsachen und stelle ein unzulässiges neues Begehren dar.
3.2
Im Verfahren vor Bundesgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (
Art. 99 Abs. 1 BGG
). Neue Begehren sind unzulässig (
Art. 99 Abs. 2 BGG
).
3.3
3.3.1
Neue Tatsachen und Beweismittel im Sinne von
Art. 99 Abs. 1 BGG
sind Tatsachen, die weder im vorangegangenen Verfahren vorgebracht noch von der Vorinstanz festgestellt worden sind (BERNARD CORBOZ, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 13 zu
Art. 99 BGG
). Eine Tatsache, die sich aus den vorinstanzlichen Akten ergibt, ist nicht neu (ULRICH MEYER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 20 zu
Art. 99 BGG
). Das gilt auch dann, wenn die Vorinstanz diese Tatsache in ihrem Entscheid nicht
BGE 136 V 362 S. 365
ausdrücklich festgestellt hat, wäre doch sonst von vornherein die Rüge unzulässig, die Vorinstanz habe den Sachverhalt unter Missachtung vorhandener Akten festgestellt (siehe auch e contrario
BGE 135 V 194
E. 3.1 S. 196, wo ein Vorbringen als unzulässiges Novum betrachtet wurde, weil es sich auf einen Bericht stützte, der sich nicht in den Akten befand).
3.3.2
In diesem Sinne ist die sachverhaltliche Grundlage für den Antrag der Beschwerdeführerin nicht ein unzulässiges Novum: Die Polizei- und Strafakten über den Unfall befinden sich in den IV-Akten und die Beschwerdeführerin hat bereits in ihrem Feststellungsblatt vom 4. Januar 2005 festgehalten, dass die Beschwerdegegnerin den Unfall selber in angetrunkenem Zustand verursacht hatte.
3.4
Fraglich ist demgegenüber, ob ein unzulässiges neues Begehren im Sinne von
Art. 99 Abs. 2 BGG
vorliegt.
3.4.1
Weder in ihrer Verfügung noch in ihrem Einspracheentscheid hat die Beschwerdeführerin eine auf
Art. 21 Abs. 1 ATSG
gestützte Rentenkürzung angeordnet. Auch im Verfahren vor der Vorinstanz hat sie keine solche Kürzung geltend gemacht. Erst in ihrer Beschwerde vor Bundesgericht beantragt sie die Kürzung, unter Hinweis auf die von der heutigen Beschwerdegegnerin am Schluss des vorinstanzlichen Verfahrens eingereichte Verfügung des Unfallversicherers, der eine analoge Kürzung vorgenommen hatte.
3.4.2
Die Neuheit eines Begehrens bezieht sich auf den Streitgegenstand: Dieser kann vor Bundesgericht nur noch eingeschränkt (minus), aber nicht ausgeweitet (plus) oder geändert (aliud) werden (MEYER, a.a.O., N. 60-62 zu
Art. 99 BGG
; CORBOZ, a.a.O., N. 32 f. zu
Art. 99 BGG
; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, 2008, N. 4069 zu
Art. 99 BGG
).
3.4.3
Der vorinstanzlich beurteilte Streitgegenstand bestimmt sich durch das Dispositiv des angefochtenen Entscheids (MEYER, a.a.O., N. 58 zu
Art. 99 BGG
). Einzelne Teilaspekte stellen nur die Begründung dar (MEYER/VON ZWEHL, L'objet du litige en procédure de droit administratif fédéral, in: Mélanges Pierre Moor, 2005, S. 435 ff., 441 f.).
3.4.4
Bei Zusprache einer Rente ist Streitgegenstand die Versicherungsleistung als solche, d.h. der monatliche Rentenbetrag (MEYER/VON ZWEHL, a.a.O., S. 442), nicht aber sind es die einzelnen Teilaspekte, welche die Leistung bestimmen (
BGE 125 V 413
E. 2b
BGE 136 V 362 S. 366
S. 416). Solche Teilaspekte können daher auch vor Bundesgericht noch neu vorgebracht werden (Urteil 9C_115/2008 vom 23. Juli 2008 E. 6.2). Auch wenn die Rente gekürzt wird, ist Streitgegenstand die gekürzte Rente, nicht die Kürzung für sich allein (
BGE 125 V 413
E. 2b S. 416 in Präzisierung von
BGE 122 V 351
E. 4b S. 356). Deshalb kann vor Bundesgericht noch die Kürzung in Frage gestellt werden, selbst wenn sie im vorangegangenen Verfahren nie beanstandet wurde (
BGE 122 V 351
E. 4b S. 356; vgl. auch Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 301/85 vom 20. Juni 1986 E. 1, nicht publ. in:
BGE 112 V 174
). Demzufolge muss umgekehrt auch die Kürzung neu ins Spiel gebracht werden können, selbst wenn sie bisher nicht thematisiert worden ist. Sie ändert nicht den Streitgegenstand, sondern ist ein rechtliches Argument im Rahmen desselben.
4.
4.1
Neue rechtliche Begründungen sind vor Bundesgericht im Rahmen des Streitgegenstands zulässig (
Art. 95 lit. a und
Art. 106 Abs. 1 BGG
; CORBOZ, a.a.O., N. 43 zu
Art. 99 BGG
; MEYER, a.a.O., N. 23 und 27 zu
Art. 99 BGG
, N. 2 f. sowie 11 f. zu
Art. 106 BGG
; SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Bundesgerichtsgesetz, 2007, N. 4 und 6 zu
Art. 106 BGG
; Urteil 8C_1080/2009 vom 19. März 2010 E. 3). Da das Bundesgericht seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde legt (
Art. 105 Abs. 1 BGG
), wird die Zulässigkeit neuer rechtlicher Argumentation grundsätzlich an die Voraussetzung geknüpft, dass sie sich auf einen im angefochtenen Urteil festgestellten Sachverhalt stützt (vgl. Urteil 4A_28/2007 vom 30. Mai 2007 E. 1.3, nicht publ. in:
BGE 133 III 421
;
BGE 130 III 28
E. 4.4 S. 34;
BGE 129 III 135
E. 2.3.1 S. 144; CORBOZ, a.a.O., N. 42 zu
Art. 99 BGG
). Das Bundesgericht kann aber als Ausnahme von der Bindung an den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt auch selber eine Sachverhaltsfeststellung ergänzen (
Art. 105 Abs. 2 BGG
), dies namentlich dann, wenn die Vorinstanz einen Sachverhalt mangels Relevanz gar nicht zu beurteilen hatte, dieser aber infolge einer anderen rechtlichen Betrachtung des Bundesgerichts rechtserheblich wird (vgl. Urteile 8C_1080/2009 vom 19. März 2010 E. 3; 9C_330/2009 vom 19. Juni 2009 E. 4; 9C_145/2008 vom 24. Juni 2008 E. 3.2; MEYER, a.a.O., N. 14 zu
Art. 106 BGG
). Unzulässig ist dies nur, wenn dazu neue Tatsachen im Sinne von
Art. 99 Abs. 1 BGG
festgestellt werden müssten (so der von MEYER, a.a.O., N. 27 zu
Art. 99 BGG
zitierte
BGE 114 Ib 27
E. 8b S. 32). Hingegen kann
BGE 136 V 362 S. 367
eine neue rechtliche Begründung jedenfalls dann erfolgen, wenn sie sich auf aktenkundige Tatsachen stützt.
4.2
Die Neuheit eines Begehrens bemisst sich im Verhältnis zu den vorinstanzlich gestellten Begehren (Urteil 9C_476/2009 vom 7. Dezember 2009 E. 1.2, in: SVR 2010 IV Nr. 33 S. 105; CORBOZ, a.a.O., N. 30-32 zu
Art. 99 BGG
; MEYER, a.a.O., N. 59 zu
Art. 99 BGG
). Die Beschwerdeführerin hatte vor der Vorinstanz beantragt, die Beschwerde abzuweisen, d.h. den Einspracheentscheid vom 25. Oktober 2007 zu bestätigen. Darin bzw. in den angehefteten neuen Rentenverfügungen, welche integrierenden Bestandteil des Einspracheentscheids bildeten, wurden die monatlichen Rentenbeträge von Fr. 1'985.- (ab 1. August 2004), Fr. 2'032.- (ab 1. Januar 2005), Fr. 1'518.- (ab 1. Oktober 2005 bis 31. Mai 2006), Fr. 1'012.- (ab 1. Juni 2006 bis 31. Dezember 2006) und Fr. 1'040.- (ab 1. Januar 2007) festgelegt. Die Bestätigung dieser Rentenbeträge bildete das von der Beschwerdeführerin vor der Vorinstanz gestellte Rechtsbegehren. Wenn sie vor Bundesgericht eine auf
Art. 21 Abs. 1 ATSG
gestützte Rentenkürzung beantragt, so liegt darin keine Veränderung des Streitgegenstands und kein unzulässiges neues Begehren, sondern eine andere rechtliche Begründung für das vorinstanzlich gestellte Begehren (
BGE 136 V 268
E. 4.5 S. 277). Da die Beschwerdeführerin aber nicht vor Bundesgericht weniger beantragen kann als das, was sie selber zugesprochen hat (erwähntes Urteil 9C_476/2009 E. 1.2), dürfen die Rentenbeträge nicht tiefer ausfallen als die mit dem Einspracheentscheid festgesetzten. In diesem Rahmen ist der auf aktenkundige Tatsachen gestützte Antrag der Beschwerdeführerin, die Rente sei zu kürzen, zulässig.
4.3
Zieht das Bundesgericht ein vom vorinstanzlichen Streitgegenstand erfasstes, jedoch im kantonalen Verfahren nicht beurteiltes Teilelement des streitigen Rechtsverhältnisses aufgrund der Rechtsmittelbegehren in die materielle Beurteilung mit ein, so hat es das Anhörungsrecht der von einer möglichen Schlechterstellung bedrohten Partei zu beachten (
BGE 125 V 413
E. 2c S. 417; Urteil 9C_115/2008 vom 23. Juli 2008 E. 6.3, in: SZS 2008 S. 575). Diese muss sich zu der neu aufgeworfenen Streitfrage äussern können (MEYER, a.a.O., N. 13 zu
Art. 106 BGG
). Vorliegend hatte die Beschwerdegegnerin in ihrer Beschwerdevernehmlassung Gelegenheit, sich zur neuen rechtlichen Begründung zu äussern. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
6851efdb-d603-4a4b-969a-15a902e3e612 | Urteilskopf
104 Ib 307
49. Extrait de l'arrêt du 2 juin 1978 en les causes Association des riverains de l'aéroport de Genève (ARAG) et Rusbach, d'une part, ARAG, Grandjean et Rusbach, d'autre part, contre Département fédéral des transports et communications et de l'énergie | Regeste
Verfahren; Art. 97 Abs. 2,
Art. 98 lit. b, lit. c und lit. d,
Art. 103 lit. a OG
.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Eidg. Luftamtes, mit dem die Flugpläne des regelmässigen Linienverkehrs einerseits und diejenigen des Nichtlinienverkehrs andererseits genehmigt werden (
Art. 98 lit. b, lit. c und lit. d OG
). Beschwerde wegen Rechtsverweigerung (
Art. 97 Abs. 2 OG
) (E. 2).
2. Legitimation zur Anfechtung eines Entscheides, mit dem auf eine Beschwerde wegen fehlender Legitimation nicht eingetreten worden ist (E. 3a); Legitimation der Nachbarn eines Flugplatzes zur Anfechtung von Entscheiden des Eidg. Luftamtes, welche Nachtflüge im Nichtlinienverkehr bewilligen (E. 3b und c). | Sachverhalt
ab Seite 308
BGE 104 Ib 307 S. 308
A.-
Le 21 mai 1971, l'Association des riverains de l'aéroport de Genève (en abrégé: ARAG) a demandé à l'Office fédéral de l'air (OFA) de lui communiquer notamment, en ce qui concernait l'aéroport de Genève-Cointrin, les décisions d'approbation des horaires des compagnies de lignes aériennes et les décisions relatives à la fixation de contingents globaux pour les vols charters ou l'ensemble des décisions individuelles d'approbation des programmes des compagnies charters, prises dès le 1er mai 1971.
Dans sa réponse du 23 juillet 1971, l'OFA a donné à l'ARAG divers renseignements et documents relatifs au nombre de vols de nuit effectués au cours des dernières années sur les aéroports suisses et indiqué les efforts qu'il avait entrepris, dès 1968, pour réduire le nombre de ces vols (atterrissages et décollages d'avions sur les aéroports en Suisse entre 10 h du soir et 6 h du matin). En revanche, l'OFA semble n'avoir pas communiqué les décisions demandées par l'ARAG.
Constatant qu'au "lieu de diminuer, le trafic commercial nocturne augmente de plus en plus fortement", l'ARAG a demandé, le 19 août 1971, la remise d'autres documents (en particulier, le cahier des charges du directeur de l'aéroport de Genève).
B.-
Le 20 août 1971, l'ARAG, Maurice Rusbach et Philippe Grandjean ont recouru au Département fédéral des transports et communications et de l'énergie (en abrégé: le DFTCE) à la fois contre le refus de l'OFA de communiquer ses décisions et contre lesdites décisions:
"- approuvant les horaires applicables aux lignes régulières dès le 1er novembre 1971,
- fixant des contingents globaux pour l'année 1971 en faveur des entreprises suisses et étrangères avec autorisation générale d'exploitation,
- délivrant des autorisations de mouvements commerciaux d'avions entre 22 h et 6 h tant aux entreprises avec autorisation générale qu'à d'autres détenteurs ou exploitants d'avions." C.- Le 10 octobre 1972, l'ARAG, Maurice Rusbach et Philippe Grandjean ont demandé à l'OFA de communiquer "les décisions de votre office relativement à l'approbation des horaires des compagnies de ligne, en tant que ces horaires touchent le trafic de nuit:. espérant que votre office aura remédié pour la période prochaine à l'illégalité de la situation dont
BGE 104 Ib 307 S. 309
ils vous ont fait part le 19 août 1971". Ils ont aussi demandé la communication schématique des ligues aériennes valables dès le 1er novembre 1972.
Le 10 novembre 1972, l'OFA a rejeté cette demande, considérant que les requérants n'avaient pas la qualité de parties dans la procédure d'approbation des horaires.
D.-
Agissant par la voie du recours de droit administratif, formé par acte déposé le 28 octobre 1972 (recours A 248), l'ARAG et Maurice Rusbach demandent au Tribunal fédéral:
"I. Concernant leur recours du 20 août 1971, de leur attribuer les conclusions prises dans ce document,
II. de leur donner acte de ce qu'ils modifient, en tant qu'il est besoin, leurs conclusions antérieures, pour les adapter à la situation actuelle,
et, statuant à nouveau:
de prononcer la nullité, respectivement annuler ou révoquer les autorisations délivrées par l'Office fédéral de l'air d'accomplir les mouvements d'envols et d'atterrissages sur l'aéroport de Genève aux compagnies et pour les vols suivants ayant lieu entre 22 h et 5 h 59, du 1er novembre 1972 au 31 mars 1973 ou pendant une partie de cette période."
E.-
Le 18 janvier 1973, le Tribunal fédéral a ouvert avec le Conseil fédéral la procédure d'échange de vues prévue à l'
art. 96 al. 2 OJ
. Considérant l'approbation des horaires comme une partie intégrante de la concession octroyée au transporteur aérien régulier, le Tribunal fédéral a proposé de tenir pour irrecevable, en vertu de l'art. 99 lettre d OJ, le recours de droit administratif dirigé contre les décisions d'approbation des horaires et, par voie de conséquence, de transmettre le dossier au Conseil fédéral pour qu'il se saisisse de ce recours considéré comme un recours administratif. En outre, bien que la question de la recevabilité du recours de droit administratif se pose autrement en ce qui concerne les autorisations pour les vols commerciaux qui ne sont pas soumis à concession, il a exprimé l'opinion que des motifs d'opportunité - en particulier, la connexité avec la concession d'exploitation de l'aéroport, qui faisait déjà l'objet d'un recours administratif devant le Conseil fédéral - commanderaient d'en confier aussi l'examen en dernière instance au Conseil fédéral. La Division fédérale de la justice, par lettre du 19 mars 1973, a déclaré se saisir du recours dirigé contre le Département fédéral des transports et communications et de l'énergie pour déni de justice et retard injustifié "dans la mesure où il concerne les vols réguliers". Le 26 mars
BGE 104 Ib 307 S. 310
1973, le Tribunal fédéral s'est rallié aux conclusions de la Division fédérale de la justice; il en a informé le mandataire des recourants.
F.-
Le 11 mai 1973, le DFTCE a rendu sa décision sur le recours du 20 août 1971. Il a retenu en substance que les recourants n'avaient pas réagi à la lettre du 10 novembre 1972 par laquelle l'OFA avait refusé de produire les actes d'approbation des horaires des compagnies de lignes; cette décision de l'Office, qui avait indiqué les voies de droit, était donc devenue définitive. Quant à la documentation relative à des contingents de vols de nuit au profit d'entreprises du trafic non régulier, l'Office avait pratiquement donné suite à la demande des recourants par sa lettre du 23 juillet 1971. Par ailleurs, le Département fait encore observer que les recourants n'avaient pas soumis à l'OFA la requête, formulée dans l'acte de recours du 20 août 1971, tendant à fixer, selon l'
art. 25 PA
, les droits des administrés et les obligations de l'Office. Le Département a donc déclaré irrecevables, en tant qu'ils ne sont pas sans objet, les recours de même que la demande en fixation ou en constatation des droits et des obligations.
L'ARAG, Maurice Rusbach et Philippe Grandjean ont recouru contre cette décision au Tribunal fédéral (recours A 142) et au Conseil fédéral, demandant: d'annuler cette décision du 11 mai 1973; cela fait: - de leur attribuer les conclusions prises dans leur recours du 20 août 1971, et - de leur donner acte de ce qu'ils modifient, en tant qu'il est besoin, leurs conclusions antérieures pour les adapter à la situation actuelle, soit - dire que c'est à tort que l'OFA dénie aux recourants la qualité pour obtenir, sur leur demande, les décisions d'approbation d'horaires, - prononcer la nullité, respectivement annuler ou révoquer les décisions d'approbation d'horaires concernant les périodes quotidiennes de 22 h à 6 h du 1er novembre 1972 au 31 mars 1973 et du 1er avril au 31 octobre 1973, - enjoindre à l'OFA de refuser l'approbation d'horaires des compagnies de lignes ayant effet dès le 1er novembre 1973 en tant qu'ils comportent des mouvements d'avions entre 22 h et 6 h.
BGE 104 Ib 307 S. 311
A l'appui de ces conclusions, les recourants reprennent en substance les arguments qu'ils avaient développés dans leurs recours des 20 août 1971 et 28 octobre 1972.
G.-
Le 7 mars 1977, le Conseil fédéral a déclaré irrecevable le recours en tant qu'il concerne le trafic commercial de lignes.
Toutefois, il a décidé de donner suite à ce recours au titre de dénonciation "dans la mesure où il est constaté que les voisins de l'aéroport de Genève-Cointrin avaient qualité pour recourir au Département fédéral des transports et communications et de l'énergie contre les décisions de l'Office fédéral de l'air approuvant des horaires des compagnies de navigation aérienne prévoyant des atterrissages et des envols entre 22 h et 6 h". Il a transmis l'affaire au Tribunal fédéral pour qu'il statue sur le recours dans les limites de sa compétence (trafic commercial hors des lignes). Le Conseil fédéral considère qu'en matière de navigation aérienne le législateur n'a voulu ouvrir la voie du recours au Conseil fédéral que sur la question de l'octroi et du refus de la concession. Sont donc définitives les décisions que le Département prend sur les recours interjetés contre les décisions de l'Office fédéral de l'air approuvant les horaires. Considérant le recours comme une dénonciation, il précise que les voisins de l'aéroport ont qualité, au sens de l'
art. 48 PA
, pour recourir au Département contre ces décisions de l'Office fédéral de l'air.
H.-
Dans un mémoire complétif du 9 septembre 1977, les recourants demandent au Tribunal fédéral:
- de leur donner acte qu'ils s'en rapportent à justice quant à la constatation que le recours du 27 octobre 1972 est devenu sans objet en tant qu'il touche le déni de justice,
- de leur donner acte qu'ils persistent dans leurs précédentes
conclusions.
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
Dans ses observations du 5 octobre 1977, le département intimé considère que le recours du 28 octobre 1972 est devenu sans objet; concernant le recours du 18 juin 1973, il déclare s'en remettre au Tribunal fédéral pour dire si c'est à tort ou à raison que, dans sa décision du 11 mai 1973, il avait déclaré irrecevables, en tant qu'ils n'étaient pas sans objet, le recours et la demande en fixation ou en constatation du 20 août 1971. Le DFTCE ne s'oppose donc pas à l'entrée en matière sur
BGE 104 Ib 307 S. 312
le second recours dont le Tribunal fédéral est saisi. Pour leur part, les recourants déclarent, dans leur mémoire du 9 septembre 1977, persister dans leurs précédentes conclusions, mais s'en rapporter à justice sur la question de savoir si le recours du 28 octobre 1972 est devenu sans objet. Il convient donc de dire d'abord si et dans quelle mesure les recours des 28 octobre 1972 et 18 juin 1973 sont recevables comme recours de droit administratif au sens des
art. 97 ss OJ
. C'est là une question que le Tribunal fédéral examine d'office.
a) Il ressort clairement du texte de l'art. 99 lettre d OJ que l'octroi et le refus de concessions auxquelles le droit fédéral ne donne pas un droit ne sont pas susceptibles de recours de droit administratif. A plus forte raison, le recours doit-il être exclu en ce qui concerne les modalités de ces concessions.
Selon l'art. 27 de la loi sur la navigation aérienne (LNA), le transport professionnel de personnes et de biens sur des ligues de navigation aérienne exploitées régulièrement doit être l'objet d'une concession (al. 1), octroyée sous forme d'une concession générale du droit d'exploiter ou d'une concession particulière pour l'exploitation d'une ligne déterminée (al. 2). Les entreprises étrangères qui sont admises au transport aérien commercial régulier en vertu d'un accord international peuvent être considérées comme concessionnaires dans la mesure où elles sont soumises au droit interne (art. 139 al. 2 du règlement d'exécution de la loi - RELNA - remplacé dès le 1er janvier 1974 par l'art. 103 de l'ordonnance sur la navigation aérienne, du 14 novembre 1973 - ONA). Or, aux termes de l'art. 145 lettre d RELNA (ou de l'art. 106 lettre c ONA), la concession doit contenir la réserve que les horaires et tarifs seront soumis à l'approbation de l'OFA. De plus, l'art. 146 RELNA précisait encore que le concessionnaire est tenu d'exploiter selon l'horaire approuvé, sauf allègements dûment autorisés par le DFTCE (voir aussi les art. 106 et 107 ONA).
Il en résulte qu'en vertu de l'art. 99 lettre d OJ, les recours du 28 octobre 1972 et du 18 juin 1973 sont irrecevables comme recours de droit administratif devant le Tribunal fédéral dans la mesure où ils concernent les décisions par lesquelles l'OFA a approuvé les horaires des lignes aériennes régulières touchant l'aéroport de Genève. C'est ce qui a été admis dans la procédure d'échange de vues et confirmé expressément par le Conseil fédéral dans son arrêté du 7 mars 1977. Il est vrai que, dans leur mémoire du 9 septembre 1977, les recourants semblent vouloir
BGE 104 Ib 307 S. 313
remettre en cause cette décision, car ils demandent "au Tribunal fédéral d'examiner librement le problème de sa compétence aussi bien pour les vols de lignes que hors des lignes". Ils ne font toutefois valoir aucun argument juridique sérieux à l'appui de cette requête; ils affirment simplement que "le Conseil fédéral s'est arrogé la connaissance des recours formés en 1972 et 1973 pour mieux les ensevelir au mépris de la constitution pour tenter d'ancrer irrémédiablement dans les faits, au cours des années, les violations du texte clair de l'art. 132 RELNA". Une telle accusation, inadmissible de la part de l'avocat qui a signé ce mémoire, est sans fondement; elle est au surplus dénuée de toute pertinence sur le plan juridique.
Il n'y a en réalité aucune raison de modifier cette jurisprudence, que le Tribunal fédéral a d'ailleurs récemment confirmée, en déclarant irrecevable un nouveau recours de droit administratif que l'ARAG a formé au sujet de l'approbation, par l'Office fédéral de l'air, d'horaires des vols de lignes pour la période du 1er avril au 31 octobre 1977 (arrêt du 24 avril 1978 dans la cause ARAG c. Département fédéral des transports et communications et de l'énergie).
b) Conformément à ce qui a été décidé dans la procédure d'échange de vues, le Conseil fédéral s'est prononcé définitivement sur les recours dans la mesure où ils concernent l'approbation des horaires des lignes aériennes régulières (trafic dit de lignes). Il a renvoyé les dossiers au Tribunal fédéral pour qu'il statue dans les limites de sa compétence. Il faut donc fixer ces limites en considérant que les recours ne portent plus que sur les questions relatives au trafic hors des lignes.
Selon l'art. 33 LNA, des vols professionnels de tout genre autres que ceux qui sont prévus à l'art. 27 ne font pas l'objet de concessions, mais doivent être autorisés par l'Office fédéral de l'air, qui délivre les autorisations soit à titre général - sous forme de contingents annuels de vols - soit à titre particulier (art. 156 RELNA; art. 115, 117 et 118 ONA). L'art. 99 lettre d OJ n'est pas applicable aux recours formés contre les autorisations de vols hors des lignes. En outre, les conditions d'application des autres dispositions légales excluant le recours de droit administratif (en particulier celles de l'art. 99 lettres b, c et e OJ) ne sont pas non plus remplies en l'espèce.
L'art. 6 al. 1 LNA dispose qu'un recours peut être porté, en dernière instance, devant le Conseil fédéral par la voie ordinaire contre des décisions rendues en vertu de certaines dispositions
BGE 104 Ib 307 S. 314
légales qui y sont énumérées; parmi celles-ci figure notamment l'art. 33 LNA. Il en résulte qu'en matière d'autorisations de vols commerciaux hors des lignes, le DFTCE ne statue pas à titre définitif. Ses décisions peuvent encore faire l'objet d'un recours par la voie ordinaire. Or, depuis l'entrée en vigueur de la loi de procédure administrative, la voie ordinaire de recours contre les décisions des départements est, en vertu de l'
art. 74 lettre a PA
, celle du recours de droit administratif au Tribunal fédéral, dans les conditions fixées aux
art. 97 ss OJ
.
Ainsi, en tant qu'ils portent sur des questions relatives aux autorisations de vols de nuit hors des lignes à l'aéroport de Genève, les deux recours dirigés contre le DFTCE doivent être considérés comme des recours de droit administratif. Il faut donc examiner s'ils satisfont aux exigences de recevabilité énoncées aux
art. 97 ss OJ
.
c) Le 20 août 1971, l'ARAG, Maurice Rusbach et Philippe Grandjean ont formé un recours contre des décisions de l'Office fédéral de l'air; le 24 août de la même année, le Département a accusé réception de cet acte de recours. Quatorze mois plus tard, l'ARAG et Maurice Rusbach ont formé, devant le Tribunal fédéral, un recours contre le refus du Département de statuer en temps utile sur leur recours du 20 août 1971.
L'art. 97 al. 2 assimile à une décision - susceptible de recours pour déni de justice - le silence d'une autorité qui, sans droit, refuse de statuer ou tarde à se prononcer. Lorsque cette inaction est imputable à une autorité dont les décisions sont susceptibles d'être déférées au Tribunal fédéral en vertu de l'
art. 98 OJ
, ce qui est le cas en l'espèce, le recours pour déni de justice doit être porté devant le Tribunal fédéral comme recours de droit administratif. Contrairement à l'opinion soutenue par le Département, il n'a pas à être traité comme une dénonciation adressée à l'autorité de surveillance (soit, en l'occurrence, le Conseil fédéral).
Le Département a statué sur le recours du 20 août 1971 par une décision qu'il a rendue le 11 mai 1973. Le recours déposé le 28 octobre 1972 pour déni de justice est ainsi devenu sans objet.
Dès lors, même dans les limites de sa compétence, le Tribunal fédéral n'a pas à dire si le Département a commis un déni de justice, au sens de l'
art. 97 al. 2 OJ
, en ne statuant pas avant le 11 mai 1973 sur le recours dont il avait été saisi le 20 août 1971.
d) Selon l'art. 98 lettre c OJ, les décisions rendues en Première instance par un service subordonné à un département du
BGE 104 Ib 307 S. 315
Conseil fédéral ne peuvent être attaquées par un recours de droit administratif que si le droit fédéral le prévoit. Or, lorsqu'il est appelé à délivrer des autorisations de vols occasionnels, l'OFA se prononce en première instance comme organe subordonné au DFTCE, sans qu'aucun texte de droit fédéral n'ouvre la voie du recours de droit administratif contre les décisions à prendre. Les recourants ne peuvent donc pas attaquer directement auprès du Tribunal fédéral des décisions de l'OFA qu'ils n'auraient pas, préalablement, soumises au département précité par la voie du recours administratif.
Dans leur mémoire du 20 août 1971, l'ARAG, Maurice Rusbach et Philippe Grandjean ont demandé au DFTCE d'annuler les décisions par lesquelles l'OFA avait accordé aux entreprises du trafic aérien hors des lignes l'autorisation d'exécuter des vols de nuit pendant la période en cours, c'est-à-dire durant l'année 1971. Par la suite, ils ont repris ces conclusions dans leurs deux recours de droit administratif, demandant au Tribunal fédéral, " concernant leur recours du 20 août 1971, de leur attribuer les conclusions prises dans ce document". On peut donc considérer comme recevables en principe, au sens de l'
art. 98 lettre b OJ
, ces conclusions qui concernent la seule année 1971.
En revanche, les autorisations que l'Office fédéral de l'air a accordées pour les années suivantes n'ont jamais fait l'objet d'un recours administratif adressé au DFTCE. Il est d'ailleurs évident que les recourants ne pouvaient pas, en août 1971, attaquer des décisions que l'autorité inférieure n'avait pas encore prises. C'est seulement devant le Tribunal fédéral, soit dans les recours des 28 octobre 1972 et 14 juin 1973, que la question (des vols de nuit autorisés pour les périodes postérieures au 31 décembre 1971) a été posée. Les recourants ont en effet demandé au Tribunal fédéral de leur donner acte de ce qu'ils modifient leurs conclusions antérieures pour les adapter à la situation actuelle et d'annuler les autorisations délivrées pour la période du 1er novembre 1972 au 31 mars 1973, ainsi que du 1er avril au 31 octobre 1973 et dès le 1er novembre 1973.
De telles conclusions concernant les autorisations de vols de nuit dans le trafic aérien hors des lignes pour les périodes postérieures au 31 décembre 1971 sont irrecevables devant le Tribunal fédéral, parce qu'elles n'ont pas été soumises préalablement au DFTCE (
art. 98 lettre b OJ
); d'après la jurisprudence, le Tribunal fédéral n'a pas à connaître de conclusions nouvelles et
BGE 104 Ib 307 S. 316
qui sortent du cadre de la décision attaquée (
ATF 100 Ib 120
ATF 99 Ib 126
consid. la et les arrêts cités). Par ailleurs, c'est à tort que les recourants entendent se prévaloir de l'
art. 62 al. 1 PA
. Certes, aux termes de cette disposition, l'autorité de recours peut modifier la décision attaquée à l'avantage d'une partie; cela ne signifie toutefois pas qu'elle peut sortir du cadre de la décision déférée et trancher des questions qui n'avaient pas été soulevées dans la procédure devant l'instance inférieure.
De toute façon, il convient de relever que les recourants ne peuvent pas demander au Tribunal fédéral de statuer au fond et l'obliger ainsi, en vertu du principe posé à l'
art. 31 PA
, à entendre lui-même les parties adverses, c'est-à-dire toutes les entreprises qui ont reçu l'autorisation d'effectuer, en 1971, des vols de nuit hors des lignes sur l'aéroport de Genève. Certes, l'
art. 114 al. 2 OJ
dispose que, s'il annule une décision attaquée par la voie du recours de droit administratif, le Tribunal fédéral peut, soit statuer lui-même sur le fond, soit renvoyer l'affaire pour nouvelle décision à l'autorité inférieure. Mais cela suppose normalement que cette autorité a déjà examiné les questions de fond. En revanche, lorsque l'autorité inférieure n'est pas entrée en matière, le Tribunal fédéral ne peut que l'inviter à le faire, s'il admet le recours. En statuant lui-même sur le fond, il priverait les parties d'un degré de juridiction au niveau duquel les questions d'opportunité peuvent être examinées (art. 49 lettre c PA), alors qu'elles ne peuvent pas l'être dans un recours de droit administratif, sauf dans les cas exceptionnels mentionnés à l'art. 104 lettre c OJ.
e) Devant le Tribunal fédéral, la seule question qui se pose est ainsi de savoir si, en déclarant le recours du 20 août 1971 irrecevable pour défaut de légitimation active des recourants, la décision attaquée viole le droit fédéral. C'est là un motif de recours, admissible en vertu de l'
art. 104 lettre a OJ
, que les recourants n'invoquent pas de manière formelle, mais que l'on peut déduire de plusieurs passages de leur mémoire. Ils revendiquent en effet clairement la qualité pour former, devant le Département, un recours contre les décisions de l'Office fédéral de l'air autorisant l'exécution sur l'aéroport de Genève de vols nocturnes hors des lignes. De plus, ils se réfèrent expressément à la disposition de l'
art. 48 PA
. Selon la jurisprudence, cela suffit pour répondre aux exigences de forme posées à l'
art. 108 al. 2 OJ
(
ATF 101 V 127
, 96 I 96 consid. 2a).
BGE 104 Ib 307 S. 317
3.
En procédure administrative fédérale, la qualité pour recourir est soumise aux mêmes conditions, qu'il s'agisse du recours de droit administratif au Tribunal fédéral (
art. 103 lettre a OJ
) ou du recours administratif à une autorité fédérale de recours (
art. 48 lettre a PA
) (
ATF 100 Ib 335
consid. 1,
ATF 98 Ib 71
consid. 3). Dès lors, en l'espèce, la question de la qualité des recourants pour agir devant le Tribunal fédéral et celle de leur légitimation active devant le Département fédéral des transports et communications et de l'énergie se confondent.
a) Lorsque la décision attaquée a déclaré un recours irrecevable - pour défaut de légitimation active du recourant ou pour tardiveté - le recourant a qualité pour faire contrôler par l'autorité ordinaire de recours si c'est à tort ou à raison que l'irrecevabilité a été prononcée (
ATF 100 Ib 335
consid. 1,
ATF 98 Ib 69
ss consid. 2; voir aussi l'arrêt non publié du 30 janvier 1976 dans la cause Association de l'industrie vaudoise des transports routiers et Friderici S.A. c. Conférence des directeurs-accidents, consid. 1 b).
Les recourants ont en principe qualité pour former le présent recours de droit administratif, puisqu'ils attaquent une décision dans laquelle le Département a déclaré leur recours irrecevable pour défaut de légitimation active. pour la même raison, il faut reconnaître aux recourants la qualité pour recourir au Département, au moins dans la mesure où l'Office fédéral de l'air leur avait contesté la faculté d'intervenir dans la procédure d'autorisation des vols hors des lignes et leur avait refusé la communication de ces autorisations pour 1971.
b) Au surplus, le Département ne pouvait dénier aux recourants la qualité pour recourir sans violer la disposition claire de l'
art. 48 lettre a PA
.
Il n'est pas nécessaire de dire si l'art. 132 RELNA (dans sa teneur du 30 octobre 1968) est une simple directive adressée à l'administration ou une norme juridique conférant des droits subjectifs à des particuliers. Ni l'
art. 48 lettre a PA
, ni l'
art. 103 lettre a OJ
n'exigent du recourant qu'il puisse se prévaloir d'un intérêt juridiquement protégé; point n'est besoin qu'il soit affecté dans ses droits ou ses obligations. Aux termes de ces deux dispositions légales, l'essentiel est que le recourant soit touché par la décision attaquée; il peut l'être d'une manière quelconque, matériellement aussi bien que juridiquement (
ATF 101 Ib 213
consid. a; voir aussi GRISEL, Droit administratif
BGE 104 Ib 307 S. 318
suisse, p. 478 et 504). En outre, le recourant doit avoir un intérêt digne de protection à obtenir l'annulation ou la modification de la décision déférée.
En l'espèce, ces conditions d'application de l'
art. 48 lettre a PA
et de l'
art. 103 lettre a OJ
sont réalisées en ce qui concerne les décisions de l'OFA autorisant l'exécution de vols commerciaux occasionnels (hors des lignes). Les voisins d'un aéroport ont, comme tous les autres citoyens, un intérêt digne de protection à jouir d'un repos nocturne aussi peu troublé que possible. Or l'atterrissage, le décollage et le passage à basse altitude d'avions sont de nature à troubler ce repos. Les personnes qui habitent aux abords de l'aéroport ou dans le prolongement de la piste ont donc qualité pour recourir contre les décisions de l'OFA autorisant l'exécution de vols de nuit. Ces décisions les touche directement ou, tout au moins, plus directement que les habitants de régions éloignées de l'aéroport. De plus, les voisins de l'aéroport ont un intérêt digne de protection à obtenir l'annulation ou la modification de ces décisions, c'est-à-dire la suppression ou la réduction du nombre des vols nocturnes.
Il n'est pas contesté que Maurice Rusbach et Philippe Grandjean habitent à proximité de l'aéroport de Genève. Quant à l'ARAG, elle jouit de la personnalité juridique en tant qu'association de droit privé au sens des
art. 60 ss CC
. Formellement, n'importe quelle personne physique ou morale peut être reçue membre de cette association (voir l'art. 3 des statuts), mais les recourants ont précisé que la grande majorité des membres habitent à proximité de l'aéroport; il n'y a pas lieu de mettre en doute cet allégué, que ni l'Office fédéral de l'air, ni le Département n'ont contesté. Enfin, l'ARAG a pour buts la "protection de la population contre le bruit intempestif produit par les avions " et la " sauvegarde des droits et intérêts des personnes intéressées" (art. 2 lettres a et c des statuts). D'après la jurisprudence, elle remplit ainsi les conditions requises des associations de droit privé pour recourir contre des décisions touchant les intérêts de leurs membres (
ATF 101 Ib 110
consid. 2a). Elle a donc qualité pour recourir contre les décisions de l'OFA.
D'ailleurs, le Conseil fédéral, dans ses décisions de septembre 1974 et de mars 1977, a reconnu à l'ARAG - et, sur un plan général, aux voisins de l'aéroport de Genève - la qualité, au sens de l'
art. 48 lettre a PA
, pour recourir au Département
BGE 104 Ib 307 S. 319
contre les décisions de l'OFA approuvant les horaires des lignes aériennes touchant régulièrement l'aéroport de Genève. Dans les limites de sa compétence, le Tribunal fédéral doit adopter le même principe en ce qui concerne les décisions par lesquelles l'office précité autorise l'exécution, à l'aéroport de Genève, de vols commerciaux hors des lignes. Pour les personnes qui habitent à proximité, il n'y a aucune différence entre ces deux catégories de vols (dits de lignes et hors des lignes).
c) Aux termes de l'
art. 103 lettre a OJ
, a qualité pour recourir quiconque est atteint par la décision attaquée et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit annulée ou modifiée. Dans le domaine du droit public, cet intérêt doit en principe être actuel, mais la jurisprudence renonce à cette exigence lorsque le recours vise un acte dont le Tribunal fédéral ne pourrait sinon jamais revoir la constitutionnalité ou la légalité et qui peut se reproduire en tout temps (
ATF 92 I 29
consid. 1,
ATF 91 I 326
consid. 1,
ATF 87 I 245
consid. 2) ou lorsque l'acte attaqué, qui a déjà sorti tous ses effets, pourrait se reproduire dans les mêmes conditions (
ATF 94 I 33
consid. 1). Or le même principe et son exception doivent être admis en droit administratif (voir GRISEL, op.cit., p. 478;
ATF 99 Ib 301
consid. 1b,
ATF 97 I 733
ss consid. 2).
En l'espèce, les décisions contestées (autorisations de vols hors des lignes pour l'année 1971) ont sorti tous leurs effets. Toutefois, les recourants ont encore un intérêt digne de protection à se voir reconnaître définitivement la qualité pour former, devant le département compétent, un recours administratif contre les décisions de l'OFA relatives à l'ensemble des mouvements d'avions commerciaux pouvant être effectués pendant la nuit sur l'aéroport de Genève. En ce qui concerne le trafic des lignes régulières, cela est définitivement acquis; depuis le prononcé de l'arrêté du Conseil fédéral du 7 mars 1977, l'OFA publie ses décisions approuvant les horaires des lignes régulières, et le Département ne conteste plus la légitimation active de l'ARAG pour former un recours administratif contre ces décisions. En revanche, aucune décision définitive n'a encore été prise au sujet de la qualité des recourants pour attaquer devant le Département les décisions de l'OFA approuvant les vols hors des lignes. Il apparaît ainsi nécessaire d'annuler formellement la décision du 11 mai 1973 par laquelle le DFTCE avait refusé d'admettre cette qualité.
BGE 104 Ib 307 S. 320
En revanche, il n'est pas justifié de renvoyer le dossier au département précité pour qu'il se prononce sur les conclusions au fond que les recourants avaient présentées dans leur recours du 20 août 1971. La situation et les données du problème ont trop évolué au cours des sept dernières années pour que l'appréciation des décisions prises en 1971 puisse, en 1978, présenter encore quelque utilité pratique. Il convient au surplus de relever que, dès le 1er janvier 1974, la disposition de l'art. 132 RELNA a été remplacée par celle de l'art. 95 ONA; l'interprétation de l'art. 132 RELNA, qui devrait être faite s'il fallait statuer au fond, ne serait donc pas applicable à la situation actuelle.
Dispositiv
Par ces motifs,le Tribunal fédéral:
1. Dit que, dans la mesure où il était recevable, le recours A 248 est devenu sans objet; raie l'affaire du rôle.
2. Admet le recours A 142 au sens des considérants, dans la mesure où il est recevable, et annule la décision attaquée. | public_law | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
685393fc-a06d-43d4-a95e-b69836590b95 | Urteilskopf
103 Ia 233
41. Urteil vom 22. Juni 1977 i.S. X.-Versicherungsgesellschaft gegen Kanton Zürich und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 4 BV
; Steuerausscheidung gegen über dem Ausland aufgrund des kantonalen Rechts.
1. Kassatorische Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 1).
2. Ist für die Steuerausscheidung gegenüber dem Ausland ausschliesslich das kantonale Recht massgebend, so erfolgt die Überprüfung durch das Bundesgericht auch dann nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür, wenn das kantonale Recht die bundesrechtlichen Grundsätze zur Vermeidung der interkantonalen Doppelbesteuerung als anwendbar erklärt (E. 2).
3. Es ist nicht willkürlich, wenn die Steuerausscheidung hinsichtlich des Ertrags einer international tätigen Versicherungsgesellschaft nach Quoten geschieht und die Quoten aufgrund der Prämieneinnahmen ermittelt werden, sofern auf diese Weise die Bedeutung der Betriebsstätten für die Erzielung des Gesamtertrags richtig zum Ausdruck gebracht wird (E. 3, E. 4a); diese Voraussetzung ist im vorliegenden Falle nicht erfüllt (E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 234
BGE 103 Ia 233 S. 234
Die X.-Versicherungsgesellschaft mit Sitz im Kanton Y. unterhält sowohl in der Schweiz (u.a. im Kanton Zürich) als auch im Ausland zahlreiche Betriebsstätten. In ihrer indischen Niederlassung erzielte sie 1971 eine Prämieneinnahme von 6,5 Mio. Franken (= 1,434% der damaligen gesamten Prämieneinnahme) und einen Gewinn von 2,1 Mio. Franken (= 23% des damaligen Gesamtgewinns), für welchen sie in Indien Steuern von 1,5 Mio. Franken zu entrichten hatte. Die indische Betriebsstätte wurde Ende 1972 verstaatlicht.
Im Rahmen einer Zwischenveranlagung wurde die Gesellschaft im Kanton Zürich für die Jahre 1971 und 1972 aufgrund des Geschäftsjahres 1971 mit einem Gesamtertrag von 9,2 Mio. Franken eingeschätzt, d.h. dem in der Steuererklärung angegebenen Gesamtertrag von 7,7 Mio. Franken, vermehrt um den Betrag von 1,5 Mio. Franken, den die Gesellschaft als "Steuern Indien" vom Gesamtertrag abgezogen hatte. Der indische Anteil wurde entsprechend der indischen Prämieneinnahme auf 1,434% des Gesamtertrags festgesetzt.
Die Gesellschaft erhob gegen diese Einschätzung Einsprache bei der Steuerkommission Zürich und machte geltend, die in Indien erhobenen Steuern dürften nicht aufgerechnet werden oder es müsse, wenn man an der Aufrechnung festhalte, bei der Steuerausscheidung der gesamte Gewinn der
BGE 103 Ia 233 S. 235
indischen Betriebsstätte dem Ausland zugewiesen werden. Die Einsprache sowie ein Rekurs an die Rekurskommission I und eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich blieben ohne Erfolg.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde kann in der Regel nur Aufhebung des angefochtenen Entscheids verlangt werden. Die Voraussetzungen, die nach der Rechtsprechung einen weitergehenden Antrag rechtfertigen, sind im vorliegenden Falle nicht erfüllt (
BGE 101 Ia 439
E. 2). Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten, soweit begehrt wird, die Steuerverwaltung des Kantons Zürich sei anzuweisen, den steuerbaren Ertrag der Beschwerdeführerin für die Jahre 1971 und 1972 neu festzusetzen. Das Begehren wäre auch deswegen unzulässig, weil es bei Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde Sache des kantonalen Verwaltungsgerichts ist, aufgrund der Erwägungen des Bundesgerichts einen neuen Entscheid zu fällen und, je nach der Ausgestaltung des kantonalen Verfahrensrechts, den steuerbaren Ertrag der Beschwerdeführerin selber neu festzusetzen oder die Angelegenheit an eine untere Instanz zurückzuweisen.
2.
Zwischen der Schweiz und Indien besteht kein umfassendes Doppelbesteuerungsabkommen, sondern lediglich eine hier nicht in Betracht fallende Vereinbarung betreffend die Doppelbesteuerung von Unternehmungen der Luftfahrt.
Art. 46 Abs. 2 BV
betrifft nur die interkantonale Doppelbesteuerung, unter Vorbehalt des Grundsatzes, dass eine in der Schweiz steuerpflichtige Person für ihre im Ausland gelegenen und dort tatsächlich zur Steuer herangezogenen Grundstücke sowie deren Ertrag nicht auch noch in der Schweiz besteuert werden darf (
BGE 73 I 199
mit Hinweisen). Dieses Prinzip steht hier jedoch nicht in Frage. Für die Steuerausscheidung hinsichtlich der indischen Betriebsstätte der Beschwerdeführerin sind deshalb ausschliesslich die Vorschriften des kantonalen Steuergesetzes massgebend, deren Anwendung das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüft. Das gilt auch dann, wenn - wie im hier zu beurteilenden Fall noch darzulegen sein wird - das kantonale Recht für die Steuerausscheidung gegenüber dem Ausland auf
BGE 103 Ia 233 S. 236
die bundesrechtlichen Grundsätze zur Vermeidung der interkantonalen Doppelbesteuerung verweist. Die Kognition des Bundesgerichts ist in diesem Falle enger, als wenn es unmittelbar aufgrund von
Art. 46 Abs. 2 BV
entscheidet (
BGE 73 I 199
f.).
3.
a) Nach § 5 Abs. 1 des zürcherischen Steuergesetzes sind Personen mit Sitz in anderen Kantonen oder im Ausland im Kanton Zürich steuerpflichtig für diejenigen Teile ihres Ertrages oder Kapitals, welche auf im Kanton befindliche Betriebsstätten oder Liegenschaften entfallen. Gemäss
§ 6 Abs. 1 StG
erfolgt die Steuerausscheidung für Betriebsstätten und Liegenschaften im Verhältnis zu anderen Kantonen und zum Ausland nach den Grundsätzen des Bundesrechts über das Verbot der Doppelbesteuerung. Aus dieser Regelung ist nicht zu folgern, dass das zürcherische Steuergesetz eine Doppelbesteuerung gegenüber dem Ausland unter allen Umständen ausschliessen wolle; sie soll nach den §§ 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 StG aber doch soweit vermieden werden, als dies bei Anwendung der Grundsätze möglich ist, die unter entsprechenden Voraussetzungen im interkantonalen Verhältnis zu beachten wären (vgl. auch REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, N. 1 zu
§ 6 StG
). Vorbehalten bleibt aufgrund von
§ 6 Abs. 2 StG
, dass Steuerpflichtige mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland für im Kanton befindliche Betriebsstätten mindestens ein Einkommen oder einen Ertrag zu versteuern haben, der dem im Kanton erzielten Einkommen oder Ertrag entspricht. Diese Vorschrift stimmt mit den bundesrechtlichen Grundsätzen zur Vermeidung der interkantonalen Doppelbesteuerung nicht überein.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 46 Abs. 2 BV
dürfen die Kantone, in welchen sich Niederlassungen eines interkantonalen Unternehmens befinden, nicht den auf ihrem Gebiet erzielten Ertrag besteuern (objektmässige Ausscheidung), sondern nur eine Quote des Gesamtertrags des ganzen Unternehmens (quotenmässige Ausscheidung). Dabei können die Quoten aufgrund der Buchhaltungen der einzelnen Betriebsstätten (direkte Methode) oder aufgrund von Hilfskriterien, d.h. nach Massgabe äusserer betrieblicher Merkmale, wie Erwerbsfaktoren (Kapital und Arbeit), Umsatz usw. (indirekte Methode), bestimmt werden. Ziel ist, unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles einen Massstab zu
BGE 103 Ia 233 S. 237
finden, welcher die Bedeutung der Betriebsstätten im Rahmen des Gesamtunternehmens, d.h. ihren Anteil an der Erzielung des Gesamtertrags am zuverlässigsten zum Ausdruck bringt (
BGE 93 I 422
mit Hinweisen).
Bei Versicherungsgesellschaften werden nach der herrschenden Praxis die Prämieneinnahmen als Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Betriebsstätten betrachtet und die Quoten nach diesem Kriterium bestimmt (
BGE 71 I 357
mit Hinweisen; HÖHN, Doppelbesteuerungsrecht, S. 320, N. 61; REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, a.a.O., N. 37 zu
§ 6 StG
). Dabei wird in Kauf genommen, dass die einzelnen Sparten des Versicherungsgeschäfts nicht unbedingt gleich gewinnbringend sind (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, a.a.O., N. 37 zu
§ 6 StG
), und es herrscht nicht die Meinung, dass der gewählte Massstab in jeder Veranlagungsperiode den genauen Anteil wiedergebe, den eine einzelne Betriebsstätte an den Gesamtgewinn beisteuert. Es ist möglich, dass dieser Anteil zeitweise geringer ist, als den eingenommenen Prämien entspricht, was vor allem dann der Fall sein mag, wenn eine Betriebsstätte ihre Geschäftstätigkeit neu aufnimmt. Indes kann auch das Gegenteil zutreffen. Es ist deshalb anzunehmen, dass sich Abweichungen der erwähnten Art auf die Dauer gesehen ausgleichen. Solange sie nicht auf veränderte Betriebsgrundlagen zurückzuführen sind, besteht deshalb weder zugunsten noch zulasten des Steuerpflichtigen ein hinreichender Grund, vom Kriterium der Prämieneinnahmen abzuweichen und die Steuerausscheidung nach einem anderen Massstab vorzunehmen.
c) Der Gesamtertrag des interkantonalen Unternehmens ist von jedem Kanton nach seinem eigenen Steuerrecht zu berechnen, wie wenn das Unternehmen ganz seiner Steuerhoheit unterstände und nur von ihm besteuert würde. Der so errechnete Gesamtgewinn ist (nach Abzug eines allfälligen Vorausanteils für den Hauptsitz) mit derjenigen Quote zu erfassen, die nach den bundesrechtlichen Grundsätzen ermittelt worden ist (
BGE 93 I 423
;
BGE 71 I 339
E. 4 mit Hinweisen).
4.
a) Verweist das kantonale Recht zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gegenüber dem Ausland auf die Grundsätze des Bundesrechts, die unter entsprechenden Umständen im interkantonalen Verhältnis Anwendung finden würden, so ist es nicht willkürlich, wenn die Steuerausscheidung gegenüber
BGE 103 Ia 233 S. 238
dem Ausland nach Quoten vorgenommen wird. Zwar ist richtig, dass in den Doppelbesteuerungsabkommen, welche die Schweiz abgeschlossen hat, die objektmässige Ausscheidung vorherrscht (vgl. HÖHN, a.a.O., S. 305 ff.) und dass das Bundesgericht in
BGE 73 I 200
f. unter Hinweis auf die in der Literatur überwiegende Auffassung erklärt hat, im internationalen Verhältnis eigne sich eine objektmässige Steuerausscheidung besser als eine Aufteilung des Gesamtgewinns nach Quoten (vgl. auch REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, N. 70 zu
§ 6 StG
). Indes lassen auch Abkommen, die grundsätzlich eine objektmässige Ausscheidung vorsehen, eine quotenmässige Ausscheidung zu, sofern deren Resultat nicht jenem widerspricht, das sich bei der Ermittlung eines Sonderertrages für die Betriebsstätten ergäbe (vgl. HÖHN, a.a.O., S. 306, N. 12). In zahlreichen Abkommen ist überdies ausschliesslich eine quotenmässige Ausscheidung vereinbart. Ferner ist im Bundesrecht, soweit sich dieses als Landesrecht mit der internationalen Steuerausscheidung befasst, eine quotenmässige Steuerausscheidung vorgesehen, wenngleich diese in der Regel nicht nach Hilfskriterien (wie Prämienanteilen), sondern aufgrund der Zahlen der Gesamtbuchhaltung und der Betriebsstättebuchhaltungen vorgenommen werden soll (Art. 55 Abs. 1 WStB; KÄNZIG, Die eidgenössische Wehrsteuer, N. 7 zu Art. 55 WStB; MASSHARDT, Kommentar zur eidgenössischen Wehrsteuer, N. 6 zu Art. 55 WStB). Indes ist nicht willkürlich, wenn die Quoten bei Anwendung des kantonalen Rechts nach Hilfskriterien ermittelt werden, sofern diese die Bedeutung der Betriebsstätten im Rahmen der Gesamtunternehmung richtig zum Ausdruck bringen. Auf diese Weise wird in den Kantonen bei Fehlen abweichender staatsvertraglicher Vorschriften in aller Regel vorgegangen (HÖHN, a.a.O., S. 315, N. 37; vgl. für die zürcherische Praxis: REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, N. 70, 71 und 74 zu
§ 6 StG
). Die Beschwerdeführerin tut nicht dar, dass im Falle eines international tätigen Versicherungsunternehmens die Prämieneinnahmen keinen tauglichen Massstab darstellten, um die Leistungsfähigkeit der einzelnen Niederlassungen zum Ausdruck zu bringen. Sie macht dies auch gar nicht in allgemeiner Weise geltend. Bei dieser Sachlage kann offensichtlich nicht gesagt werden, dass eine quotenmässige Ausscheidung nach diesem Kriterium schlechthin ungeeignet sei, um eine Besteuerung der Betriebsstätten nach
BGE 103 Ia 233 S. 239
ihrem Anteil an der Erzielung des Gesamtgewinns der ganzen Unternehmung zu erreichen. Dabei gilt auch für die internationale Steuerausscheidung das in E. 3b Gesagte, dass von dieser Methode weder zugunsten noch zulasten des Steuerpflichtigen abzugehen ist, wenn sich der Prämienanteil und der Anteil einer Betriebsstätte am Gesamtgewinn in einer einzelnen Veranlagungsperiode nicht decken (vgl. auch
BGE 73 I 202
). Sofern solche Abweichungen nicht auf einer Änderung der Betriebsgrundlagen beruhen, sondern auf den üblichen Geschäftsgang zurückzuführen sind, darf auch im internationalen Verhältnis angenommen werden, dass sie sich auf die Dauer gesehen und für die verschiedenen Betriebsstätten ausgleichen.
b) Rechnet man im vorliegenden Fall dem Gesamtgewinn von 7,7 Mio. Franken, den die Beschwerdeführerin für 1971 deklarierte, den Betrag der indischen Steuern hinzu, so ergibt sich nach der Einschätzung der Zürcher Behörden für das Jahr 1971 ein Gesamtgewinn von 9,2 Mio. Franken. Davon entfallen 2,1 Mio. oder 23% auf die indische Betriebsstätte, die im Jahre 1971 Prämien von 6,5 Mio. Franken einnahm, was lediglich 1,434% der gesamten Prämieneinnahme des Unternehmens entspricht. Es ist offensichtlich, dass der Gewinn der indischen Betriebsstätte nicht in einem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zu den erzielten Prämieneinnahmen steht, sondern übersetzt ist. In der staatsrechtlichen Beschwerde wird ausgeführt, dies sei einerseits auf die indischen Gewinnermittlungsvorschriften zurückzuführen, welche Rückstellungen nicht in gleichem Masse zuliessen, wie sie in der Schweiz von einem vernünftigen Kaufmann getätigt würden; anderseits darauf, dass die Beschwerdeführerin selber angesichts der zu erwartenden Verstaatlichung der indischen Niederlassung kein Interesse mehr daran gehabt habe, in dem Masse Rückstellungen vorzunehmen, wie es den eingegangenen Verpflichtungen entsprochen hätte.
Wird bei dieser Sachlage der indische Ertrag mit dem Gewinn der übrigen Betriebsstätten zusammengerechnet, so ergibt sich ein unhaltbares Resultat, wenn die Steuerbehörde den für die Besteuerung in Indien auszuscheidenden Teil des Gesamtertrags aufgrund der Prämieneinnahmen bestimmt. Soweit der aus der indischen Betriebsstätte stammende Teil des Gesamtertrags nach besonderen Gewinnermittlungsvorschriften
BGE 103 Ia 233 S. 240
berechnet worden ist, wie die Beschwerdeführerin geltend macht, und das nicht korrigiert wird, eignen sich die Prämieneinnahmen offensichtlich nicht, um den Anteil der fraglichen Niederlassung an der Erzielung des Gesamtertrags zu bestimmen. Sie können auch nicht herangezogen werden, wenn - wie das hier offenbar hauptsächlich der Fall ist - der indische Ertrag deswegen so hoch ausgefallen ist, weil wegen der bevorstehenden Verstaatlichung der Niederlassung nicht mehr die üblichen Rückstellungen vorgenommen wurden. Führt man die Steuerausscheidung aufgrund der Prämieneinnahmen durch, wie das die Zürcher Behörden getan haben, so sind aus dem Gesamtertrag von 9,2 Mio. für Indien lediglich Fr. 133'134.-- auszuscheiden, (1,434% von 9,2 Mio.), obwohl die indische Betriebsstätte an den Gesamtgewinn des Unternehmens 2,1 Mio. Franken (23% von 9,2 Mio.) beigetragen hat und dafür in Indien besteuert worden ist. Eine solche Steuerausscheidung ist nicht haltbar. Insbesondere liegt nicht eine Abweichung zwischen Prämienanteil und Gewinnanteil vor, die bei der quotenmässigen Ausscheidung nach der indirekten Methode hinzunehmen ist. Geht man davon aus, der indische Gewinn betrage auch nach dem zürcherischen Recht 2,1 Mio. Franken, so ist das erzielte Ergebnis offensichtlich nicht mehr auf den normalen Geschäftsgang zurückzuführen, sondern auf die ausserordentliche Geschäftslage angesichts der bevorstehenden Verstaatlichung der Niederlassung. Bei dieser Sachlage durfte die indische Quote am Gesamtgewinn nicht aufgrund der Prämieneinnahmen der dortigen Betriebsstätte bestimmt werden. Gegenüber Indien konnte einzig eine quotenmässige Ausscheidung aufgrund der Betriebsstättebuchhaltung oder allenfalls aufgrund einer Schätzung in Frage kommen, sofern die Steuerbehörden nicht die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene objektmässige Ausscheidung vornehmen wollten. Beizufügen ist, dass die Auffassung wohl nicht zutrifft, das Steuergesetz lasse ein Abweichen von der quotenmässigen Ausscheidung nur insoweit zu, als ein Staatsvertrag das gebiete. Der Verweis auf die Grundsätze des Bundesrechts zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (
§ 6 Abs. 1 StG
) zwingt im internationalen Verhältnis jedenfalls nicht zu einem solchen Schluss (
BGE 73 I 203
). Dass ein solches Verbot nicht besteht, lässt sich zudem aus
§ 6 Abs. 2 StG
folgern, welcher für zürcherische Betriebsstätten
BGE 103 Ia 233 S. 241
von Steuerpflichtigen mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland die quotenmässige Ausscheidung nach unten durch die objektmässige Ausscheidung begrenzt (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, a.a.O., N. 78 f. zu
§ 6 StG
; vgl. auch PESTALOZZI, Hand-Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, N. 5 f. zu
§ 6 StG
).
c) Nach dem Gesagten ist im vorliegenden Fall an sich nicht die Aufrechnung der indischen Steuern zu beanstanden, welche die Beschwerdeführerin vom Ertrag der indischen Niederlassung abgezogen hatte, sondern - sofern man von einem indischen Ertrag von 2,1 Mio. Franken ausgeht - die Bestimmung der indischen Quote aufgrund der dortigen Prämieneinnahmen.
Steuerobjekt der zürcherischen Ertragssteuer ist gemäss
§ 45 Abs. 1 StG
der Gewinn vor Abzug der Steuern für Ertrag und Kapital. Der Erfolgsrechnung belastete Steuern für Ertrag und Kapital sind nach der Rechtsprechung der Zürcher Behörden dem bilanzmässigen Reingewinn zuzurechnen, unabhängig davon, ob es sich um zürcherische, ausserkantonale, eidgenössische oder ausländische Abgaben handle und ohne Rücksicht darauf, ob sie höher seien als die entsprechenden Zürcher Steuern. Darin kann keine Willkür erblickt werden. Insbesondere kann ungeachtet der Höhe der indischen Abgabe (ca. 70% des indischen Gewinns) offensichtlich nicht gesagt werden, dass es sich nicht um eine Ertragssteuer im Sinne von
§ 45 Abs. 2 lit. b StG
handle.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 9. Juli 1976 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
685a4107-d810-4415-b78f-7a21fd2ea208 | Urteilskopf
138 III 41
5. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. contre Z. (recours en matière civile)
5A_622/2011 du 12 janvier 2012 | Regeste
Art. 75 Abs. 2 BGG
;
Art. 404 Abs. 1 und
Art. 405 Abs. 1 ZPO
; kantonale Vorinstanzen des Bundesgerichts bei der Anfechtung von Zwischenentscheiden; übergangsrechtliche Behandlung solcher Entscheide.
Die Beschwerde in Zivilsachen ist seit dem 1. Januar 2011 nur zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen, die zugleich obere Gerichte sind und - unter Vorbehalt der Ausnahmen gemäss
Art. 75 Abs. 2 lit. a-c BGG
- auf Rechtsmittel hin entschieden haben. Dies gilt auch für die Anfechtung von Zwischenentscheiden, ausser das obere Gericht fälle im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens einen Zwischenentscheid (E. 1.1).
Rechtsmittel gegen Zwischenentscheide richten sich nach
Art. 405 Abs. 1 ZPO
(E. 1.2). | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 138 III 41 S. 42
A.
A. est le neveu du peintre de renommée internationale feu X.
Le 25 août 2006, A. a ouvert action en annulation de testament et en pétition d'hérédité à l'encontre de la "Fondation à la mémoire de X." (ci-après: la Fondation) devant la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois.
B.
Par courrier du 6 juin 2011, A. a sollicité la récusation de la magistrate Z., juge instructeur de la Cour civile.
Statuant le 13 juillet 2011, la Cour administrative du Tribunal cantonal du canton de Vaud a rejeté la demande de récusation.
C.
Le 14 septembre 2011, A. (ci-après: le recourant) a adressé un recours en matière civile au Tribunal fédéral. Après avoir attribué au recours le bénéfice de l'effet suspensif, la Cour de céans l'a déclaré irrecevable par arrêt du 12 janvier 2012.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office la recevabilité des recours qui lui sont soumis.
1.1
Suite à l'entrée en vigueur, le 1
er
janvier 2011, du Code de procédure civile fédéral du 19 décembre 2008 (CPC; RS 272), le recours en matière civile est exclusivement ouvert contre des jugements rendus par des tribunaux supérieurs de dernière instance cantonale, statuant sur recours (art. 75 al. 2, 2
e
phrase, et
art. 130 al. 2 LTF
;
ATF 137 III 238
consid. 2.2). Aucune exception particulière n'est prévue pour les décisions incidentes, hormis le cas, en l'occurrence non réalisé, où le tribunal supérieur a pris la décision incidente dans le cadre de la procédure de recours (
ATF 137 III 424
consid. 2.2 et les références citées).
La double instance cantonale n'est toutefois pas exigée dans certains cas particuliers, précisément délimités par l'art. 75 al. 2 let. a-c LTF. Ainsi, le recours immédiat au Tribunal fédéral est ouvert lorsqu'une loi fédérale prévoit une instance cantonale unique (let. a), quand un tribunal spécialisé dans les litiges de droit commercial juge en instance cantonale unique (let. b) ou encore dans l'hypothèse où un tribunal supérieur statue sur une action d'une valeur litigieuse d'au moins 100'000 fr., portée directement devant lui avec l'accord de toutes les parties (let. c).
BGE 138 III 41 S. 43
En l'espèce, la Cour administrative du Tribunal cantonal n'a pas statué sur la récusation de l'intimée comme instance de recours et aucune des exceptions prévues par l'art. 75 al. 2 let. a-c LTF n'entre en considération.
1.2
Il convient néanmoins d'examiner encore si le droit transitoire permettrait l'admission d'un recours immédiat au Tribunal fédéral sans que l'exigence de la double instance cantonale ne soit réalisée.
1.2.1
Avant l'entrée en vigueur du CPC, l'art. 44 al. 1 de l'ancien code de procédure civile vaudois (CPC/VD) prévoyait que la récusation d'un magistrat était jugée par le Tribunal cantonal. Conformément au règlement organique du 13 novembre 2007 dudit Tribunal (ROTC; RSV 173.31.1), la compétence appartenait à la Cour administrative (art. 6 al. 1 ROTC dans sa teneur avant l'entrée en vigueur du CPC), dont la décision pouvait être immédiatement déférée au Tribunal fédéral, ce règlement ne prévoyant pas d'instance de recours.
L'
art. 50 al. 2 CPC
prévoit désormais que la décision sur la demande de récusation peut faire l'objet d'un recours au sens des
art. 319 ss CPC
.
1.2.2
Les procédures en cours à l'entrée en vigueur du CPC demeurent régies par l'ancien droit de procédure jusqu'à la clôture de l'instance (
art. 404 al. 1 CPC
). L'
art. 405 al. 1 CPC
précise toutefois que les recours sont régis par le droit en vigueur au moment de la communication de la décision aux parties.
Cette dernière disposition soumet ainsi au nouveau droit les recours contre toutes les décisions, qu'elles soient finales ou incidentes, si elles ont été communiquées - à savoir envoyées (
ATF 137 III 127
consid. 2,
ATF 137 III 130
consid. 2) - après son entrée en vigueur. Que la procédure au fond poursuive son cours selon l'ancien droit de procédure en vertu de l'
art. 404 al. 1 CPC
est à cet égard sans incidence (
ATF 137 III 424
consid. 2.3.2 et les références citées).
La procédure principale a en l'occurrence été ouverte devant la Cour civile du Tribunal cantonal en 2006, soit avant l'entrée en vigueur du CPC, de sorte que l'ancien code de procédure civile vaudois lui demeure applicable, conformément à l'
art. 404 al. 1 CPC
. La décision objet du présent recours, portant sur la récusation de la magistrate en charge de l'instruction de l'affaire au fond, a néanmoins été rendue le 13 juillet 2011. Aux termes de l'
art. 405 al. 1 CPC
, le recours contre cette décision incidente est par conséquent soumis au nouveau code de procédure civile fédéral et non plus à l'ancien code
BGE 138 III 41 S. 44
de procédure cantonal, de sorte que, conformément aux
art. 50 al. 2 CPC
et 18 ROTC, le recourant aurait dû s'adresser à la Chambre des recours civile du Tribunal cantonal. De même, le CPC régira la procédure d'appel contre le jugement rendu sur le fond par la Cour civile, laquelle se déroulera devant la Cour d'appel civile, la cause ne relevant pas, selon les
art. 5-8 CPC
, d'une instance cantonale unique (
art. 84 de la loi d'organisation judiciaire vaudoise du 12 décembre 1979 [LOJV; RSV 173.01]
; DENIS TAPPY, Le droit transitoire applicable lors de l'introduction de la nouvelle procédure civile unifiée, JdT 2010 III 11 p. 43 s. [sur le canton de Vaud spécifiquement]).
1.3
Il s'ensuit que le droit transitoire ne permet pas le recours immédiat au Tribunal fédéral contre la décision attaquée et que l'exigence de la double instance cantonale s'applique. En tant que cette condition n'est ici pas réalisée, l'écriture du recourant ne peut qu'être déclarée irrecevable, en vertu de l'
art. 75 al. 2 2
e
phrase LTF. | null | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
685ced50-6ac4-4a0d-b9f5-31f6479ab0d4 | Urteilskopf
106 IV 257
66. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Oktober 1980 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
.
1. Arbeitsvertrag: Der Gerant eines Hotels, der entgegen ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung oder Geschäftsübung die von Lieferanten bezahlten Umsatzvergütungen nicht der Arbeitgeberin abliefert, sondern für sich verwendet, erfüllt den Tatbestand der Veruntreuung (E. 1, 2).
2. Der Veruntreuung macht sich auch der Arbeitnehmer schuldig, der die Unfallentschädigung für sich behält und nicht der Arbeitgeberin zukommen lässt, obwohl diese sowohl die Versicherungsprämien bezahlt als auch dem Arbeitnehmer für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit den vollen Lohn ausrichtet (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 258
BGE 106 IV 257 S. 258
K. führte vom 1. Juni 1969 bis 31. Oktober 1976 als Gerant zusammen mit seiner Frau ein Hotel in D., das einer Hotel-Betriebs-Aktiengesellschaft gehört. Er bezog ein festes Grundgehalt sowie eine fixe Spesenentschädigung und war zusätzlich am Bruttoumsatz beteiligt. Darüber hinaus wurde ihm ohne Berechnung eines Mietzinses eine 3-4-Zimmerwohnung zur Verfügung gestellt, und er hatte auch für sich und seine Familie Anspruch auf freie Verpflegung und Gratisbesorgung der Wäsche. Als Gerant war K. unter anderem gehalten, den laufenden Zahlungsverkehr zu besorgen sowie zuhanden der mit der Buchhaltung betrauten Treuhandfirma die Hilfsbücher zu führen.
Während seiner Gerantentätigkeit erhielt K. von verschiedenen Lieferanten Umsatzrückvergütungen (Umsatzboni) im Gesamtbetrage von Fr. 21'238.95. Diese Rückvergütungen liess er nicht der Arbeitgeberin zukommen, sondern behielt sie für sich.
Am 25. Juni 1976 bezahlte die Waadt-Unfallversicherung K., der wegen eines Unfalles dreissig Tage arbeitsunfähig gewesen war,
BGE 106 IV 257 S. 259
eine Taggeldentschädigung von Fr. 4'230.--. Er trug diese Zahlungen nicht als Einnahme ins Kassabuch ein, sondern verwendete das Geld für sich, obwohl die Abrechnung an seine Arbeitgeberin als Versicherungsnehmerin adressiert war. Die Hotel-Betriebs-Aktiengesellschaft hatte jeweils die Versicherungsprämien entrichtet und überdies K. für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit den vollen Lohn bezahlt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Wer sich eine ihm anvertraute, fremde, bewegliche Sache aneignet oder wer anvertrautes Gut, namentlich Geld, unrechtmässig in seinem oder eines anderen Nutzen verwendet, um sich oder einen anderen damit unrechtmässig zu bereichern, macht sich der Veruntreuung im Sinne von
Art. 140 Ziff. 1 StGB
schuldig.
Anvertraut ist dem Täter Geld, wenn er es nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse eines anderen empfängt mit der Verpflichtung, es in einem bestimmten Sinne zu verwenden, insbesondere um es zu verwahren, zu verwalten oder abzuliefern. Eine solche Verpflichtung kann auf ausdrücklicher oder stillschweigender Abmachung beruhen. Es ist belanglos, ob der Täter die Sache oder das Geld vom Verletzten oder Dritten erhalten hat (
BGE 101 IV 163
E. 2a mit Hinweisen).
2.
Nach Auffassung der Vorinstanz standen die von den Lieferanten gezahlten Rückvergütungen im Betrage von Fr. 21'238.95 ausschliesslich der Arbeitgeberin zu und nicht dem Beschwerdeführer. Zu diesem Schluss gelangte die Vorinstanz aufgrund von drei verschiedenen, selbständigen Überlegungen: in den Arbeitsverträgen sei das Entgelt des Beschwerdeführers abschliessend geregelt, ohne Erwähnung von solchen Rückvergütungen; aus dem Gutachten von Dr. H. T. folge, dass solche Rückvergütungen (Umsatzboni) nach den Gepflogenheiten im Gastgewerbe mangels gegenteiliger Absprache dem Arbeitgeber zukämen; das Verhalten des Beschwerdeführers beweise, dass dies auch für ihn gegolten habe.
Was letzteres betrifft, stellt die Vorinstanz auf die Aussagen von drei langjährigen Verwaltungsratsmitgliedern der Geschädigten ab, die zu Protokoll gaben, sie hätten sich mehrfach bei K. erkundigt, aus welchen Gründen in den Geschäftsbüchern fast keine Umsatzvergütungen ausgewiesen würden und ihn
BGE 106 IV 257 S. 260
gefragt, ob er als Gerant über seinen Lohn hinaus noch andere finanzielle Zuwendungen einkassiere. Der Beschwerdeführer habe jeweils den Empfang zusätzlicher Zahlungen entrüstet bestritten und geltend gemacht, er vereinbare mit den Lieferanten in der Regel Nettopreise. Daraus schloss die Vorinstanz, dass sich der Beschwerdeführer nicht berechtigt fühlte, die Umsatzboni für sich zu verwenden, ansonst er den Eingang dieser Beträge nicht verschwiegen hätte. Die Vorinstanz hat aufgrund dieser Sachlage den Schluss gezogen, dass sowohl nach Meinung der Arbeitgeberin als auch nach Ansicht des Beschwerdeführers die Einnahmen aus den Umsatzboni gemäss vertraglicher Vereinbarung ausschliesslich der Arbeitgeberin zustehen.
Der tatsächliche Wille der Vertragsparteien ist eine Tatfrage, welche der Sachrichter für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat (
BGE 96 II 148
E. 1 mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 104 IV 36
E. 1). Die vom Beschwerdeführer an dieser Feststellung der Vorinstanz geübte Kritik ist daher nicht zu hören (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
). Das Gleiche gilt für die Geschäftsübung, welche die Vorinstanz gestützt auf ein Gutachten verbindlich festgestellt hat.
Es besteht für den Kassationshof kein Anlass, den Vertrag nach Treu und Glauben anders auszulegen, als es die Vorinstanz nach den Umständen getan hat.
Geht man davon aus, dass die Umsatzboni nach Vertrag der Arbeitgeberin zukommen, kann offenbleiben, wie der Vertrag mit der früheren Arbeitgeberin zu verstehen war. Auf die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen ist daher nicht einzutreten. Kritik am Verfahren und der Beweiswürdigung der Vorinstanz sowie die Rügen wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs können nur im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde geltend gemacht werden.
3.
Der Beschwerdeführer hat ferner die Taggeldentschädigung der Waadt-Unfallversicherung von Fr. 4'230.-- für sich behalten. Auch in diesem Verhalten erblickte die Vorinstanz eine Veruntreuung.
a) Rechtsfrage ist, ob nach den gegebenen Umständen die Unfallentschädigung vertraglich der Arbeitgeberin oder dem Beschwerdeführer zufiel.
Die Vorinstanz hat ersteres angenommen, im wesentlichen mit der Begründung, dass die Arbeitgeberin die Versicherungsprämien
BGE 106 IV 257 S. 261
selbst entrichtet und dem Beschwerdeführer während der Arbeitsunfähigkeit den vollen Lohn bezahlt habe. Auch lautete die Entschädigungsabrechnung der Versicherung welche der Beschwerdeführer unterschrieben hatte, ausdrücklich auf die Hotel-Betriebs-Aktiengesellschaft. Analog sieht Ziff. 6 des Gerantenvertrages vor, dass bei Lohnzahlungen während militärdienstlicher Abwesenheit die Erwerbsausfallentschädigung der Arbeitgeberin zufalle.
Der Kassationshof hat keinen Anlass, von dieser Vertragsauslegung der Vorinstanz abzuweichen. Der Umstand, dass im Versicherungsvertrag der Beschwerdeführer als Versicherungsnehmer figuriert, ändert nichts daran, dass die Unfallentschädigung an den Versicherten billigerweise der Arbeitgeberin zufalle, wenn diese sowohl die Versicherungsprämie zahlt als auch dem Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit den vollen Lohn ausrichtet.
b) Der Beschwerdeführer will die Unfallentschädigung für sich genommen haben, ohne daran zu denken, dass diese der Arbeitgeberin zustehen könnte.
Der Beschwerdeführer bestreitet damit sinngemäss, vorsätzlich gehandelt zu haben.
Was der Beschwerdeführer zur Zeit der Tat gedacht und gewollt hat (innerer Sachverhalt), ist eine Tatfrage, welche der Sachrichter für den Kassationshof verbindlich entschieden hat (
Art. 273 Abs. 1 lit. b,
Art. 277bis Abs. 1 BStP
). Die Vorinstanz hat die den Vorsatz begründenden Tatumstände bejaht. Auf diese Rüge kann daher nicht eingetreten werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
685fb678-42f7-49b6-b412-8e713cb42e8a | Urteilskopf
115 II 288
51. Arrêt de la Ire Cour civile du 3 octobre 1989 dans la cause A. contre B. (recours de droit public) | Regeste
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen Teilentscheid.
- Die staatsrechtliche Beschwerde gegen einen im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ergangenen Teilentscheid unterliegt der Regelung von
Art. 87 OG
(E. 2).
- Ein Zwischenentscheid kann nur dann wegen Unvereinbarkeit mit dem schweizerischen Ordre public (
Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG
) angefochten werden, wenn er für den Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von
Art. 87 OG
zur Folge hat (E. 3).
- Vermag die Hauptbegründung den angefochtenen Entscheid zu tragen, sind ausschliesslich gegen die Hilfsbegründung gerichtete Rügen unzulässig (E. 4).
- Der Beschwerdegrund der Nichtbeurteilung von Rechtsbegehren (
Art. 190 Abs. 2 lit. c IPRG
) deckt sich mit der Rüge der formellen Rechtsverweigerung gemäss
Art. 4 BV
(E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 289
BGE 115 II 288 S. 289
Dans le litige qui l'oppose à B. à propos de la cession de ses participations dans le groupe X., A. a formé une demande d'arbitrage. B. a déposé une demande reconventionnelle. Le Tribunal arbitral a décidé de statuer par sentence partielle sur la question de la résiliation des accords passés entre parties ainsi que sur celle du principe de la réparation du dommage allégué par chacune d'elles. Après une dernière audience, le 16 juin 1988, le Tribunal arbitral a notifié sa décision aux parties le 19 janvier 1989. Il a jugé que A. avait résilié de plein droit le contrat conclu le 18 juin 1984 avec B., qu'il avait en principe droit au remboursement de certains dommages pour lesquels l'instruction était désormais ouverte et que B. avait droit à la restitution des sommes versées à A.
BGE 115 II 288 S. 290
B. a déposé un recours de droit public selon l'art. 190 de la loi fédérale sur le droit international privé (LDIP). Il conclut notamment à l'annulation de la sentence attaquée. Parallèlement, il a formé un recours en nullité auprès de la juridiction cantonale compétente selon le concordat sur l'arbitrage (CIA). L'instruction de ce recours a été suspendue jusqu'à droit connu sur la décision du Tribunal fédéral.
A. conclut principalement à l'irrecevabilité et, subsidiairement, au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Au moment de la conclusion de leur convention d'arbitrage, l'une des parties, l'intimé, n'avait ni domicile ni résidence habituelle en Suisse. L'arbitrage présentait donc un caractère international, au sens des
art. 176 ss LDIP
. Les dispositions topiques de cette loi sont applicables à toutes les sentences rendues après le 1er janvier 1989, que la procédure ait commencé avant ou après cette date (
ATF 115 II 105
consid. 3a).
En l'espèce, la sentence attaquée mentionne, d'une part, la date de la dernière séance du Tribunal arbitral, tenue le 16 juin 1988, et, d'autre part, la date d'expédition, soit le 19 janvier 1989. C'est cette date qui doit être retenue pour déterminer le droit applicable. En effet, le président du Tribunal arbitral a indiqué au Tribunal fédéral qu'il avait signé la sentence ce jour-là, après que les modifications apportées par les coarbitres eurent été discutées le 17 janvier encore.
L'application des dispositions du concordat sur l'arbitrage est donc exclue au profit du recours direct au Tribunal fédéral (
art. 190 ss LDIP
).
2.
Le Tribunal fédéral doit examiner d'office si les autres conditions de recevabilité sont réunies (
ATF 114 Ia 81
). Comme on est en présence d'une sentence partielle, on doit ainsi se demander dans quelle mesure la voie du recours de droit public est ouverte contre ce genre de sentence.
a) Les notions de sentence partielle et de décision incidente ne sont pas définies dans la loi fédérale sur le doit international privé, qui maintient d'ailleurs à cet égard les imprécisions terminologiques du concordat sur l'arbitrage (BUCHER, Le nouvel arbitrage international Suisse, p. 111, n. 322 et 323). La doctrine, qui
BGE 115 II 288 S. 291
admet le recours de droit public contre une sentence partielle pour les griefs énumérés à l'
art. 190 al. 2 LDIP
, se fonde uniquement sur les textes de la loi fédérale ou du concordat (cf. BUCHER, op. cit., p. 115, n. 337 et 338; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, p. 422; implicitement BLESSING, Das neue internationale Schiedsgerichtsrecht der Schweiz, in Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, II, p. 76). Or, les dispositions de la loi fédérale d'organisation judiciaire (OJ) et la jurisprudence relative à la procédure de recours de droit public sont seules déterminantes. L'
art. 191 al. 1 LDIP
manifeste en effet clairement la volonté du législateur d'ouvrir, de manière directe, contre les sentences arbitrales internationales, la même voie de recours, sur le plan de la procédure, que celle ouverte contre les décisions de dernière instance cantonale en matière d'arbitrages relevant du concordat sur l'arbitrage ou d'une loi cantonale; seuls les moyens de recours divergent (
art. 190 al. 2 LDIP
).
b) Le recours de droit public contre les décisions incidentes, préjudicielles ou partielles, n'est ouvert qu'aux conditions de l'
art. 87 OJ
. Cette disposition a ainsi été appliquée lorsque sont invoquées des normes du concordat sur l'arbitrage qui n'ont pas une portée plus étendue que celle de l'
art. 4 Cst.
, comme l'
art. 36 let
. e (
ATF 107 Ia 248
), let. f (
ATF 105 Ib 436
) et l'art. 25 let. a CIA (
ATF 112 Ia 169
). Il s'agit d'empêcher que la procédure soit inutilement prolongée et enchérie par des recours formés contre chaque décision incidente et que le Tribunal fédéral ait à s'occuper à réitérées fois de la même affaire (
ATF 105 Ib 435
). La jurisprudence veut aussi éviter de traiter différemment, sur le plan de la procédure, les recours dirigés contre les décisions rendues par des arbitres soumis au concordat, ceux dirigés contre des arbitres soumis à la loi d'un canton non concordataire et ceux dirigés contre les décisions de la juridiction ordinaire (
ATF 105 Ib 436
).
Rien dans les dispositions de la loi fédérale sur le droit international privé, dans le sens de cette loi et dans les intentions du législateur, ne permet de croire que l'application de l'
art. 87 OJ
serait exclue en matière d'arbitrage international. En limitant les griefs qui peuvent être invoqués (
art. 190 al. 2 LDIP
), le législateur a voulu restreindre les voies de recours par rapport au concordat ou aux lois des cantons non concordataires. Il serait absurde et paradoxal d'écarter l'application de l'
art. 87 OJ
et d'ouvrir le
BGE 115 II 288 S. 292
recours de droit public plus largement en matière d'arbitrage international que dans les autres arbitrages.
3.
Le recourant soutient que la sentence attaquée est contraire à l'ordre public suisse (
art. 190 al. 2 let
. e LDIP).
a) La ratio legis de l'
art. 87 OJ
consiste à limiter les voies de recours dans les cas où le pouvoir d'examen du Tribunal fédéral est restreint. Aussi l'application de l'
art. 87 OJ
doit-elle s'imposer également lorsque le pouvoir d'examen et la portée des griefs pouvant être invoqués sont encore plus étroits ou plus restrictifs que dans les recours pour violation de l'
art. 4 Cst.
Que le moyen de l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP ne se confonde pas avec le grief d'arbitraire ne fait donc pas obstacle à l'application de l'
art. 87 OJ
, car il s'agit d'un moyen beaucoup plus restrictif et beaucoup plus étroit que celui d'arbitraire fondé sur l'
art. 4 Cst.
ou sur l'
art. 36 let
. f CIA (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., p. 431; BLESSING, op.cit., p. 77).
b) Selon la jurisprudence (
ATF 115 II 104
consid. 2a,
ATF 110 Ia 134
), la décision finale est celle qui met un terme à la procédure, qu'il s'agisse d'une décision sur le fond ou d'une décision qui clôt l'action judiciaire en raison d'un motif tiré des règles de la procédure. Est, en revanche, une décision incidente celle qui est prise en cours de procès et qui ne constitue qu'une étape vers la décision finale; elle peut avoir pour objet une question de procédure tout comme une question de fond, jugée préalablement à la décision finale (
ATF 106 Ia 228
consid. 2, 233 consid. 3a et les références).
La décision attaquée ne met pas un terme à la procédure arbitrale. En effet, la sentence partielle objet du recours ne scelle pas une fois pour toutes le sort des prétentions en cause; elle se borne à admettre le principe du droit du demandeur d'avoir résilié le contrat litigieux et le principe de son droit au remboursement des dommages subis, tout en réservant la fixation de la quotité des dommages-intérêts (cf.
ATF 108 Ia 204
). Peu importe, à cet égard, que les conclusions, notamment reconventionnelles, du recourant aient été rejetées par le Tribunal arbitral (
ATF 115 II 104
consid. 2a). La question du montant des dommages-intérêts prétendus par l'intimé demeure ainsi en suspens, de sorte que la sentence entreprise ne peut être qualifiée de décision finale, mais de décision incidente d'après la jurisprudence précitée.
c) Comme la sentence attaquée ne cause pas au recourant un dommage irréparable au sens de l'
art. 87 OJ
(
ATF 115 II 104
BGE 115 II 288 S. 293
consid. 2b et les arrêts cités:
ATF 108 Ia 204
,
ATF 106 Ia 228
/229, 234 et les références), le moyen fondé sur l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP doit être déclaré irrecevable, en vertu de l'
art. 87 OJ
. Le recourant pourra évidemment attaquer la sentence partielle en cause en se prévalant de ce moyen - si tant est qu'il ait encore de l'importance à ce moment-là - en même temps que la sentence finale (
ATF 105 Ib 438
).
4.
Pour le recourant, le Tribunal arbitral se serait déclaré à tort incompétent pour statuer sur le dommage dont il demandait réparation (
art. 190 al. 2 let. b LDIP
).
Bien que la motivation, confuse, de ce grief ne soit pas conforme aux exigences de l'
art. 90 al. 1 let. b OJ
(
ATF 110 Ia 3
consid. 2a), force est de constater que les prétentions en dommages-intérêts du recourant ont été rejetées pour des raisons de fond; ce n'est qu'une motivation subsidiaire qui pourrait, à la rigueur, être qualifiée de déclaration d'incompétence. Or, les motifs de fond suffisent au maintien de la décision attaquée, puisqu'ils ne pourront être critiqués qu'une fois prononcée la sentence finale. Les reproches adressés à la motivation subsidiaire se résument donc à une querelle sur les motifs, qui est irrecevable (
ATF 113 Ia 95
et les arrêts cités).
5.
Le recourant soutient que la motivation, de quelques lignes, du Tribunal arbitral sur ses conclusions en réparation du dommage est assimilable à une omission de se prononcer, au sens de l'
art. 190 al. 2 let
. c LDIP.
A propos de l'
art. 36 let
. c CIA dont la teneur est proche de celle de la disposition invoquée par le recourant -, le Tribunal fédéral s'était demandé si le grief ne se confondait pas avec celui de violation de l'
art. 4 Cst.
(
ATF 105 Ib 437
). Or, le moyen fondé sur l'omission de statuer aurait été mieux à sa place sous l'
art. 36 let
. e CIA (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., p. 210), soit sous une norme qui n'a pas une portée différente de celle de l'
art. 4 Cst.
(
ATF 107 Ia 248
).
Aussi faut-il admettre que le moyen tiré de l'
art. 190 al. 2 let
. c LDIP se confond avec le déni de justice formel rattaché à l'
art. 4 Cst.
L'
art. 87 OJ
étant applicable, le grief est irrecevable pour les mêmes raisons que celles exposées à propos de l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP (consid. 3c).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Déclare le recours irrecevable. | public_law | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
686027cd-a223-44b7-a8a7-317768797eb6 | Urteilskopf
94 IV 54
15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Mai 1968 i.S. Uehli gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. | Regeste
Art. 68 Ziff. 2 StGB
.
Eine Zusatzstrafe ist nur auszufällen, wenn der Täter die noch nicht beurteilte Tat schon begangen hat, bevor er wegen einer andern erstinstanzlich verurteilt wurde. | Erwägungen
ab Seite 54
BGE 94 IV 54 S. 54
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er den Diebstahl vom 23. November 1966 zwar nach der wegen andern strafbaren Handlungen ergangenen erstinstanzlichen Verurteilung vom 28. September 1966, aber vor dem 12. Dezember 1966, als dieses Urteil zufolge Abweisung der Berufung rechtskräftig wurde, begangen habe, so dass für den Diebstahl nicht eine selbständige Strafe, sondern nur eine Zusatzstrafe zu der am 28. September 1966 ausgesprochenen Gefängnisstrafe hätte ausgefällt werden dürfen.
Dieser Einwand hält nicht stand. Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes gilt der Täter im Sinne von
Art. 68 Ziff. 2 StGB
als wegen einer andern Tat verurteilt, sobald das erstinstanzliche Urteil eröffnet ist, ohne Rücksicht darauf, ob es weitergezogen und wann es rechtskräftig wird (
BGE 69 IV 59
,
BGE 73 IV 162
). Daran ist festzuhalten. Art. 68 Ziff. 2 bezweckt nur, dass der in Ziff. 1 niedergelegte Grundsatz, nach welchem die für mehrere strafbare Handlungen auszufällende Gesamtstrafe
BGE 94 IV 54 S. 55
nach dem Schärfungsprinzip zu bestimmen ist, auch dann Anwendung findet, wenn eine der konkurrierenden Handlungen erst beurteilt wird, nachdem der Täter für die andern bereits verurteilt worden ist. Die Bestimmung schreibt deshalb vor, dass die für die nicht beurteilte Tat zu verhängende Zusatzstrafe so zu bemessen ist, dass der Täter durch sie und die frühere Strafe zusammen nicht schwerer bestraft wird, als wenn alle strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären. Daraus ergibt sich, dass von retrospektiver Realkonkurrenz nur die Rede sein kann, wenn es an sich möglich gewesen wäre, die noch nicht beurteilte Tat zusammen mit den bereits beurteilten Handlungen gleichzeitig zu beurteilen und für alle eine Gesamtstrafe auszufällen. Das setzt notwendig voraus, dass auch die noch nicht beurteilte Tat vor der erstinstanzlichen Verurteilung begangen worden ist. Erst nach diesem Zeitpunkt verübte Handlungen könnten andernfalls erst vom zweitinstanzlichen Richter in die gemeinsame Beurteilung miteinbezogen werden. Im allgemeinen kann aber der zweitinstanzliche Richter, der als Rechtsmittelinstanz urteilt, nicht gleichzeitig Tatbestände beurteilen, die nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils waren. Die Voraussetzung, die nach Art. 68 Ziff. 2 gegeben sein müsste, damit für eine zwischen der erst- und zweitinstanzlichen Beurteilung begangene Tat nachträglich eine Zusatzstrafe ausgefällt werden könnte, wäre also in den meisten Kantonen nicht erfüllt, so dass jedenfalls die einheitliche Anwendung des Art. 68 Ziff. 2 in Frage gestellt wäre.
Würde nicht auf die Ausfällung, sondern auf die Vollstreckbarkeit oder den Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils abgestellt, hinge die Anwendbarkeit des Art. 68 Ziff. 2 auch noch von weiteren Zufälligkeiten ab, so von den kantonal unterschiedlich geregelten Vorschriften über die Rechtsmittelfristen, von der Einlegung eines Rechtsmittels und der Dauer des Rechtsmittelverfahrens. Eine solche Ordnung wäre zugleich auch unbillig, könnten doch gerade diejenigen Rechtsbrecher, die trotz der erstinstanzlichen Verurteilung ihre strafbare Tätigkeit fortsetzen, aus der Ergreifung von Rechtsmitteln unverdientermassen Nutzen ziehen, während der Täter, der sich dem erstinstanzlichen Urteil unterzieht und demzufolge für eine später begangene Tat eine selbständige Strafe erlitte, demgegenüber benachteiligt wäre. Solche Unzukömmlichkeiten können nicht im Sinne des Strafgesetzes liegen. | null | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
6863996d-44f4-4b21-83d7-ae933417cb88 | Urteilskopf
111 II 313
62. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Dezember 1985 i.S. S. gegen S. und Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; Kindeszuteilung und Herausgabebefehl.
Der Vollstreckungsrichter ist nicht befugt, unter genereller Berufung auf das Kindeswohl die Elternrechte neu und abweichend vom Scheidungsurteil zu ordnen. Der Vollstreckungsrichter kann aber die Herausgabe des Kindes an den Elternteil, unter dessen elterliche Gewalt und Obhut es durch das Scheidungsurteil gestellt wurde, verweigern und ein psychiatrisches Gutachten einholen, welches Antwort darauf gibt, ob der vom Scheidungsrichter angeordneten Kindeszuteilung durch Zwangsvollzug Geltung verschafft werden soll, wenn der herausgabeverpflichtete Elternteil das Kind während längerer Zeit betreut hat. | Sachverhalt
ab Seite 314
BGE 111 II 313 S. 314
A.-
Mit Urteil des Bezirksgerichts Bülach wurde die Ehe der Eheleute S. geschieden. Die 1975 geborene Tochter T. der Parteien wurde unter die elterliche Gewalt der Mutter gestellt. Sie lebt aber, nachdem sich bei der Ausübung des Besuchsrechts Schwierigkeiten ergeben hatten, seit nun mehr als einem Jahr bei ihrem Vater.
Im Mai 1985 stellte die Mutter beim Bezirksgericht Bülach das Begehren, es sei die Tochter unverzüglich ihr als Inhaberin der elterlichen Gewalt herauszugeben. Dieses Begehren wurde mit Beschluss der II. Abteilung des Bezirksgerichts Bülach an den Einzelrichter im summarischen Verfahren überwiesen.
Der Einzelrichter führte im Juli 1985 mit den Parteien eine mündliche Verhandlung und am folgenden Tag einen Augenschein durch. Er verfügte ferner, es sei bei der Psychiatrischen Universitätspoliklinik für Kinder und Jugendliche ein Gutachten über das Kind einzuholen.
B.-
Gegen diese Verfügung erhob die Mutter Nichtigkeitsbeschwerde beim Obergericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit darauf eingetreten wurde.
Hierauf gelangte die Mutter mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht, welchem sie beantragte, "es seien die vorinstanzlichen Entscheide aufzuheben und die verlangte Herausgabe
BGE 111 II 313 S. 315
zu befehlen". Das Bundesgericht wies die staatsrechtliche Beschwerde ab mit folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
4.
Nach der Auffassung des Obergerichts des Kantons Zürich steht die Vollstreckung des Scheidungsurteils generell unter dem Vorbehalt des Kindesinteresses, insofern durch das Urteil das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern geregelt wird. Unter Hinweis auf Lehre und Rechtsprechung (STRÄULI/MESSMER, N. 4 f. zu
§ 222 ZPO
;
BGE 107 II 301
ff.) führt das Obergericht aus, das Kindesinteresse sei oberste Richtschnur, deshalb bedürfe es keiner besonderen gesetzlichen Grundlage, um dem Richter zu erlauben, bei Auseinandersetzungen um Kinder grundsätzlich im Interesse und zum Wohl des Kindes zu entscheiden.
Grundsätzlich zu Recht wendet sich die Beschwerdeführerin dagegen, dass dem Vollstreckungsrichter aufgrund eines solchen allgemeinen Vorbehaltes die Befugnis eingeräumt wird, von sich aus neu über die Kindeszuteilung zu befinden. Ist es unbestritten, dass für den Scheidungsrichter, welcher gestützt auf
Art. 156 Abs. 1 ZGB
über die Gestaltung der Elternrechte und der persönlichen Beziehungen der Eltern zu den Kindern die nötigen Verfügungen zu treffen hat, allein das Wohl des Kindes wegleitend sein kann (
BGE 109 II 193
E. 2,
BGE 108 II 370
E. 3a mit Hinweisen; vgl. auch ZVW 38/1983, S. 121 ff.), so würde das Anliegen des Kindeswohls pervertiert, wenn unter Berufung darauf der Vollstreckungsrichter sich anmasste, die Frage der Kindeszuteilung ab initio zu prüfen. Es liegt vielmehr im richtig verstandenen Kindesinteresse, dass die Auseinandersetzungen unter den Eltern vor und während des Scheidungsprozesses mit dem Richterspruch ihr Ende finden. Zur Beruhigung der Situation sollen nicht zuletzt auch die Anordnungen beitragen, welche der Scheidungsrichter nach Massgabe von Art. 156 bezüglich der Elternrechte trifft. Aus der Sicht des Kindes, dessen Eltern sich zur Ehescheidung entschlossen haben, besteht ein besonderes Interesse, dass sich das Scheidungsverfahren nicht ungebührlich in die Länge zieht, aber auch daran, dass der Konflikt vor dem Vollstreckungsrichter nicht neu auflebt, weil ein Elternteil sich den im Scheidungsurteil getroffenen Anordnungen widersetzt.
Veränderungen, die nach dem Scheidungsurteil eintreten können und auch Auswirkungen auf die Elternrechte zeitigen, trägt
BGE 111 II 313 S. 316
Art. 157 ZGB
Rechnung. Aber auch bei einer gestützt auf diese Bestimmung verfügten Abänderung eines Scheidungsurteils hinsichtlich der Zuteilung der elterlichen Gewalt kann es nicht einfach darum gehen, die Interessenabwägung des Scheidungsrichters neu vorzunehmen. Vielmehr sind neue Anordnungen nur zulässig, wenn eine Veränderung der massgeblichen Verhältnisse eine andere Regelung zwingend erfordern (
BGE 109 II 380
E. 4c,
BGE 100 II 77
; ZVW 38/1983, S. 132 f.). Über die Abänderung des Scheidungsurteils entscheidet wiederum der ordentliche Richter (und nicht der Vollstreckungsrichter), doch sind im Hinblick auf das Abänderungsverfahren allenfalls vorsorgliche Massnahmen in Betracht zu ziehen (BÜHLER/SPÜHLER, N. 48 ff. zu
Art. 157 ZGB
).
Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt eindeutig, dass der Vollstreckungsrichter nicht unter genereller Berufung auf das Kindeswohl die Elternrechte neu und abweichend vom Scheidungsurteil ordnen kann. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem angerufenen
BGE 107 II 301
ff. ableiten. In jenem Entscheid ging es nicht um die Herausgabe eines Kindes an den Inhaber der elterlichen Gewalt, sondern um die Ausübung des Besuchsrechts und die Möglichkeit, dieses mittels Zwangsmassnahmen, die vom Vollstreckungsrichter begehrt wurden, durchzusetzen. Hier indessen ist die Frage streitig, ob im kantonalen Vollstreckungsverfahren zu Recht ein psychiatrisches Gutachten eingeholt worden ist, von welchem abhängig gemacht werden soll, ob dem Scheidungsurteil Nachachtung zu verschaffen ist oder nicht.
5.
Wie dargelegt, sind mit dem Scheidungsurteil grundsätzlich endgültige und dauerhafte Anordnungen zu treffen. Dennoch ist nicht auszuschliessen, dass von den Betroffenen den Anordnungen des Scheidungsrichters nicht oder nur teilweise nachgelebt wird. So mag es - wie im vorliegenden Fall - vorkommen, dass dem Inhaber der elterlichen Gewalt die Obhut über das Kind faktisch entzogen bleibt. Nimmt der Elternteil, dem das Kind zugesprochen wurde, diesen Zustand über längere Zeit hin, so wird sich das Kind psychisch auf die tatsächliche Situation einstellen. Jedenfalls das Kind, welches bezüglich der Herausgabe ein eigenes Urteil hat, darf deshalb - selbst gestützt auf ein Scheidungsurteil - nicht einer Sache dergestalt gleichgestellt werden, dass die Herausgabe mittels Zwangsvollzug durchgesetzt wird (HEGNAUER, N. 88 zu Art. 273 aZGB).
Aus dieser Sicht hat deshalb der Vollstreckungsrichter in angemessener Weise dem Kindeswohl Rechnung getragen, wenn er ein
BGE 111 II 313 S. 317
Gutachten veranlasst hat, durch welches abzuklären ist, ob der vom Scheidungsrichter getroffenen Anordnung - d.h. der Unterstellung der Tochter T. unter die elterliche Gewalt ihrer Mutter - durch Zwangsvollzug Geltung verschafft werden kann. Die Mutter hat erst neun Monate, nachdem ihr die Obhut über das Kind entzogen worden war, den Vollstreckungsrichter angerufen. Während all dieser Zeit hat sich die jetzt zehnjährige T. bei ihrem Vater aufgehalten; sie fühlt sich, nach den Feststellungen der kantonalen Instanzen, dort wohl. Eine vom Vollstreckungsrichter befohlene Herausgabe des Kindes an die Mutter ist möglicherweise geeignet, diesem Schaden zuzufügen. Um dem vorzubeugen, hat der Vollstreckungsrichter - vollauf im Kindesinteresse - das Gutachten bei der Psychiatrischen Universitätspoliklinik für Kinder und Jugendliche in Auftrag gegeben.
Der Erledigungsbeschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, mit welchem die Nichtigkeitsbeschwerde der Mutter abgewiesen und damit die Anordnung eines Gutachtens durch den Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichts Bülach geschützt wurde, kann deshalb nicht als willkürlich bezeichnet werden. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Vollstreckungsrichter in seinem Auftrag an den Experten u.a. gefragt hat, ob die elterliche Gewalt dem Vater zu übertragen oder der Mutter zu belassen sei - eine Frage, die nicht Gegenstand des von der Beschwerdeführerin angestrengten Vollstreckungsverfahrens sein kann. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
686634fe-9073-4630-8b54-98b9757134d0 | Urteilskopf
119 V 425
60. Arrêt du 6 septembre 1993 dans la cause L. contre 1. Caisse cantonale neuchâteloise de compensation, 2. L. et Tribunal administratif du canton de Neuchâtel | Regeste
Art. 84 Abs. 1 AHVG
,
Art. 103 lit. a OG
.
In einem Prozess zwischen einer Ausgleichskasse mit einem Versicherten betreffend Zusatzrente für die Ehefrau hat diese Parteistellung (E. 1).
Art. 22bis Abs. 2 AHVG
,
Art. 34 Abs. 3 IVG
;
Art. 163 ZGB
.
- Der Begriff "Sorgen" im Sinne der oben erwähnten Bestimmungen (in Kraft seit 1. Januar 1973) muss im Lichte des neuen
Art. 163 ZGB
ausgelegt werden. Eine Anwendung der
Art. 22bis Abs. 2 AHVG
und 34 Abs. 3 IVG nur nach dem Wortlaut ist nicht mehr zulässig, wenn der Ehemann für die Ehefrau sorgt (E. 5b).
- Abweichende Anordnungen des Zivilrichters bleiben vorbehalten. Es obliegt weder den Organen der AHV oder IV noch dem Sozialversicherungsrichter, über familienrechtliche Fragen zu entscheiden (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 426
BGE 119 V 425 S. 426
A.-
Michel L. a été victime, en 1970, d'un accident de la circulation qui l'a rendu invalide. Il bénéficiait mensuellement d'une rente entière de l'assurance-invalidité de 1'800 francs, d'une allocation pour impotence moyenne de 450 francs, d'une rente complémentaire pour l'épouse de 540 francs, ainsi que d'une rente simple pour enfant de 720 francs.
Son épouse, Marie L., travaille en qualité de gérante d'un kiosque; son salaire annuel brut s'est élevé à 48'659 francs en 1991, selon une attestation de son employeur du 31 décembre 1991. Le 25 avril 1992, Marie L. a demandé à la Caisse cantonale neuchâteloise de compensation (la caisse) de lui verser en mains propres la rente complémentaire pour l'épouse que son mari percevait. Elle a allégué que les époux faisaient comptes séparés, qu'elle devait supporter elle-même toutes ses dépenses personnelles et participer par moitié aux frais du ménage, y compris aux frais d'études de leur fils par 740 francs, le mari refusant de lui verser "ce qu'il devait pour elle". La caisse a accueilli sa demande.
Michel L. ayant protesté, la caisse lui a confirmé, par décision du 16 juin 1992, que la rente complémentaire pour l'épouse serait payée à cette dernière depuis le 1er juin 1992, et non plus à lui-même. La caisse a aussi informé l'assuré qu'il continuerait de bénéficier personnellement des autres prestations de l'assurance-invalidité.
B.-
Michel L. a recouru contre cette décision devant le Tribunal administratif du canton de Neuchâtel, en concluant à son annulation et à ce que la caisse fût condamnée à continuer de lui verser la rente complémentaire pour l'épouse.
Par jugement du 2 octobre 1992, la Cour cantonale a admis le pourvoi et annulé la décision attaquée.
C.-
Marie L. interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont elle demande l'annulation, en concluant au rétablissement de la décision administrative.
Par ordonnance du 20 novembre 1992, le Président de la IIIe Chambre du Tribunal fédéral des assurances a accordé l'effet suspensif au recours.
BGE 119 V 425 S. 427
La caisse intimée s'en remet à justice. Quant à Michel L., il conclut au rejet du recours et requiert la production d'une attestation de salaire de l'employeur de son épouse, portant sur les revenus bruts perçus par elle en 1992. De son côté, l'Office fédéral des assurances sociales propose également de rejeter le recours.
Les moyens des parties seront exposés ci-après en tant que de besoin.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En l'occurrence, Marie L. recourt contre un jugement qui lui a été notifié en qualité de tiers intéressé. Selon la jurisprudence, lorsqu'un litige oppose une caisse de compensation à un assuré au sujet de la rente complémentaire pour l'épouse, le conjoint de cet assuré acquiert de plein droit la qualité de partie au procès aux côtés de la caisse, même à son corps défendant (
art. 84 al. 1 LAVS
en corrélation avec l'
art. 69 LAI
;
art. 103 let. a OJ
; RJAM 1969 no 51 p. 119 consid. 1; arrêts non publiés W. du 22 juin 1982, P. du 21 mai 1981 et L. du 13 novembre 1967). Michel L. est donc coïntimé.
2.
Selon l'
art. 34 al. 3 LAI
, en vigueur depuis le 1er janvier 1973, si le mari ne subvient pas à l'entretien de son épouse, si les époux vivent séparés ou s'ils sont divorcés, la rente complémentaire doit, sur demande, être versée à l'épouse. Les décisions contraires du juge civil sont réservées.
La réglementation est identique en matière d'AVS (cf.
art. 22bis al. 2 LAVS
, également en vigueur depuis le 1er janvier 1973).
3.
a) La recourante fonde son argumentation sur la première hypothèse envisagée par l'
art. 34 al. 3 LAI
, soit le défaut d'entretien marital. Selon elle, le montant que son époux lui verse mensuellement - 450 francs - représente à peine la part de celui-ci aux dépenses du ménage (qu'elle estime à 980 francs au moins), et ne contribue en rien à son propre entretien.
La recourante allègue aussi qu'elle se charge des tâches ménagères, notamment de l'entretien du logement, de la lessive, du repassage et des courses.
b) De son côté, l'époux intimé allègue que chaque conjoint supporte par moitié les dépenses communes du ménage, que lui-même s'occupe de la préparation des repas, de l'administration du ménage (factures, déclarations d'impôts, assurances, etc.), et qu'il participe également aux divers travaux ménagers, dans la mesure de ses possibilités
BGE 119 V 425 S. 428
physiques. Quant à la rente complémentaire simple pour enfant, elle sert à financer les études de leur fils.
Enfin, l'intimé conteste qu'il manque à son devoir d'entretien de la recourante, puisque chaque conjoint participe selon ses facultés à celui de la famille.
c) On peut déduire des allégués des parties que ces dernières contribuent chacune aux dépenses communes du ménage, et cela approximativement par moitié. En revanche, on doit également admettre, sur la base de leurs déclarations, que le mari ne pourvoit pas à "l'entretien" proprement dit de son épouse, du moment qu'il ne lui verse pas de sommes affectées uniquement à ses dépenses personnelles, et que la recourante, quant à elle, ne remet également aucun montant à l'intimé, pour les besoins personnels de ce dernier.
En conséquence, seul doit être tranché le point de savoir si la recourante peut prétendre, à titre de prestations d'entretien (
art. 34 al. 3 LAI
), au versement entre ses mains de la rente complémentaire pour l'épouse, en sus de la contribution mensuelle de 450 francs que son époux lui alloue pour les dépenses du ménage.
4.
a) Les rentes de l'assurance-invalidité n'ont pas uniquement pour but d'assurer l'entretien de leurs seuls bénéficiaires, mais aussi de subvenir à celui de leur famille. Mais si le rentier de l'assurance-invalidité est certes le créancier de ces prestations, il n'en demeure pas moins que les rentes complémentaires pour l'épouse et les enfants sont destinées uniquement à permettre l'entretien de ces derniers, ainsi que l'éducation des enfants (
ATF 103 V 134
consid. 3; GEISER, Das EVG als heimliches Familiengericht?, in Mélanges pour le 75e anniversaire du TFA, pp. 361 ss).
b) Les premiers juges ont rappelé que jusqu'à l'entrée en vigueur de la 8e révision de l'AVS (cf. le Message du Conseil fédéral du 11 octobre 1971, FF 1971 II 1057 ss, en particulier pp. 1128 et 1141), la femme qui faisait ménage commun avec son mari ne pouvait prétendre pour elle-même la demi-rente de vieillesse pour couple que lorsqu'il était manifeste que son mari ne subvenait pas à son entretien, ou qu'il ne le faisait que dans une mesure insuffisante. Dans les cas douteux, il appartenait à l'épouse de s'adresser au juge civil (
art. 22 al. 2 LAVS
, dans sa teneur valable jusqu'au 31 décembre 1972; ATFA 1955 p. 105).
Or, si la 8e révision de l'AVS a certes permis à l'épouse d'obtenir - sur sa demande - le versement entre ses mains de la demi-rente d'invalidité pour couple (
art. 33 al. 3 LAI
), on doit en revanche constater que les conditions qui prévalaient auparavant dans l'ancien
BGE 119 V 425 S. 429
art. 22 al. 2 LAVS
pour l'octroi de ces prestations figurent désormais aux
art. 22bis al. 2 LAVS
et 34 al. 3 LAI, s'agissant du paiement des rentes complémentaires (de l'AVS et de l'AI) pour l'épouse. Le législateur avait alors justifié cette solution en affirmant que "le système en vigueur jusqu'ici ne doit pas être modifié, attendu que le droit à cette prestation, en raison tant de son genre que de sa destination, ne peut être dévolu qu'au mari" (FF 1971 II 1129, ad
art. 22bis LAVS
).
5.
a) La loi s'interprète en premier lieu selon sa lettre. Selon la jurisprudence, il n'y a lieu de déroger au sens littéral d'un texte clair par voie d'interprétation que lorsque des raisons objectives permettent de penser que ce texte ne restitue pas le sens véritable de la disposition en cause. De tels motifs peuvent découler des travaux préparatoires, du but et du sens de la disposition, ainsi que de la systématique de la loi (
ATF 118 Ib 452
consid. 3c,
ATF 118 II 342
consid. 3e,
ATF 117 III 45
consid. 1,
ATF 117 V 5
consid. 5a et les arrêts cités; IMBODEN/RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, no 21 B IV). Si le texte n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, il convient de rechercher quelle est la véritable portée de la norme, en la dégageant de tous les éléments à considérer, soit notamment des travaux préparatoires, du but de la règle, de son esprit, ainsi que des valeurs sur lesquelles elle repose ou encore de sa relation avec d'autres dispositions légales (
ATF 118 Ib 191
consid. 5a,
ATF 117 V 109
consid. 5b, VSI 1993, p. 73 consid. 3 et les références; cf. aussi
ATF 116 II 415
consid. 5b, 527 consid. 2b et 578 consid. 2b).
b) L'
art. 34 al. 3 LAI
de même que l'
art. 22bis al. 2 LAVS
sont entrés en vigueur le 1er janvier 1973 lors de la 8e révision de l'AVS, alors que l'entretien de la famille se concevait encore selon l'esprit et les dispositions du Code civil dans sa version originale. Or, si le mari devait, à l'époque, pourvoir en principe seul à cette tâche (art. 160 aCC), l'
art. 163 al. 1 CC
prescrit désormais que mari et femme contribuent, chacun selon ses facultés, à l'entretien convenable de la famille.
Il s'ensuit que le terme "entretien" figurant dans les dispositions précitées ne doit plus être interprété comme relevant d'une tâche dévolue uniquement au mari (cf. FF 1971 II 1129, ad
art. 22bis LAVS
, et 1141 ad
art. 34 al. 3 LAI
), mais bien comme un devoir légal incombant dorénavant à chaque époux (
art. 163 CC
;
ATF 117 V 196
-198 consid. 4b, 290 consid. 3a,
ATF 114 II 15
-16 consid. 3 et 4; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, Berne 1988,
BGE 119 V 425 S. 430
nos 25-30 ad art. 163). En ce sens, et contrairement à ce que la recourante demande, une application littérale de l'
art. 34 al. 3 LAI
(et a fortiori de l'
art. 22bis al. 2 LAVS
) n'est plus admissible, s'agissant de l'entretien de l'épouse par le mari.
c) Il n'y a par conséquent aucune raison, en l'état actuel du droit, que la rente complémentaire pour l'épouse soit allouée à la recourante, du moment que les conditions qui président à l'octroi de ces prestations (
art. 34 al. 3 LAI
, 30 RAI et 45 RAVS) ne sont manifestement pas remplies en l'occurrence. Les parties font en effet ménage commun et l'époux intimé semble participer dans une mesure apparemment convenable aux dépenses de celui-ci, compte tenu de ses revenus. Que l'intimé utilise à ces fins la rente complémentaire pour l'épouse ou les autres rentes de l'assurance-invalidité dont il dispose ne joue en définitive aucun rôle pour la solution du litige.
La recourante n'a donc pas établi à satisfaction de droit que les conditions de l'
art. 34 al. 3 LAI
étaient remplies en l'espèce. Elle n'a par conséquent pas droit à la rente complémentaire pour l'épouse. Le recours, mal fondé, doit être rejeté, sans qu'il soit nécessaire de donner une suite positive aux réquisitions de preuve formulées par l'intimé.
6.
S'agissant par ailleurs des décisions contraires du juge civil qui sont réservées aux
art. 22bis al. 2 LAVS
et 34 al. 3 LAI, la Cour cantonale a exposé à juste titre, en se référant à l'arrêt ATFA 1955 p. 105 (cf. consid. 3b du jugement attaqué), qu'il n'appartient pas aux organes de l'AVS ou de l'AI et pas davantage au juge des assurances sociales de statuer sur des questions relevant du droit de la famille (RCC 1965 p. 54 consid. 4 et 5; KOLLER, AHV und Eherecht - Standortbestimmung und Ausblick, in RJB 1985 p. 315).
Il est par conséquent loisible aux parties de saisir le juge civil, si elles entendent faire fixer le montant des contributions pécuniaires prévues à l'
art. 173 CC
. Sur ce point, le droit des assurances sociales (
art. 22bis al. 2 LAVS
et 34 al. 3 LAI) renvoie aux règles du droit de la famille et donc implicitement aux
art. 177 et 291 CC
, ces dispositions conférant au juge civil la possibilité de prescrire aux débiteurs de l'époux d'opérer tout ou partie de leurs paiements entre les mains du conjoint ou de celles du représentant légal de l'enfant (GEISER, op.cit., pp. 361 ss).
7.
(Dépens) | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
6867b3cc-054a-4eec-90d1-fd40aa2e41d4 | Urteilskopf
107 II 209
27. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Juni 1981 i.S. Z. gegen X. (Berufung) | Regeste
Klage auf Feststellung des Kindesverhältnisses, die von einem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kind deutscher Staatsangehörigkeit gegen einen in der Schweiz wohnhaften Schweizer erhoben wird; anwendbares Recht (
Art. 8e NAG
). | Erwägungen
ab Seite 209
BGE 107 II 209 S. 209
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Feststellung des Kindesverhältnisses bestimmt sich nach schweizerischem Recht, wenn - wie hier - die beiden Eltern und das Kind ihren Wohnsitz nicht im gleichen Land haben und auch kein gemeinsames Heimatrecht besteht (
Art. 8e Abs. 1 Ziff. 3 NAG
). Überwiegt jedoch der Zusammenhang mit einem andern Land, so ist das Recht dieses Landes anwendbar (
Art. 8e Abs. 3 NAG
).
a) Die Vorinstanz hält dafür, dass im vorliegenden Fall ein engerer Zusammenhang mit der Bundesrepublik Deutschland als mit der Schweiz bestehe. Zur Begründung weist sie darauf hin, dass der Kläger dort geboren worden sei und dass er wie auch seine Mutter deutsche Staatsangehörige seien mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland, wo über den Kläger auch eine Pflegschaft geführt werde. Ausserdem wachse der Kläger zusammen mit einem ehelichen Kind in der von seiner Mutter mit Y.Z. gegründeten Familie auf. Seit dem 15. Oktober 1973 trage er
BGE 107 II 209 S. 210
schliesslich auf Grund einer Erklärung seines Stiefvaters den Familiennamen Z. Der Zusammenhang mit der Schweiz bestehe demgegenüber nur darin, dass der als Vater ins Recht gefasste Beklagte, der ausser seinen finanziellen Verpflichtungen keine Beziehungen zum Kläger und zu dessen Mutter habe, Schweizer sei und in der Schweiz wohne.
b) Wohnsitz und Staatsangehörigkeit des Kindes sowie von Vater und Mutter sind bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts gemäss
Art. 8e NAG
in der Tat von Bedeutung. Indessen kann sich der Richter nicht mit einer gewissermassen rechnerischen Operation begnügen, bei der er die erwähnten Faktoren ohne jede Gewichtung einander einfach gegenüberstellt. Einmal ist zu beachten, dass in den meisten Fällen das Kind naturgemäss den gleichen Wohnsitz haben wird wie die Mutter. Vor allem aber sind Wohnsitz und Staatsangehörigkeit der Beteiligten zu dem in Frage stehenden Rechtsverhältnis und dessen Wirkungen in Beziehung zu setzen. Geht es um die Feststellung eines Kindesverhältnisses zum Vater, liegt ein gewisses Schwergewicht bei den einschlägigen Verhältnissen auf seiten des als Vater ins Recht Gefassten. Ist dieser wie der Beklagte in der Schweiz heimatberechtigt und wohnt er auch hier, so vermögen ausländische Staatsangehörigkeit und ausländischer Wohnsitz von Kind und Mutter keinen überwiegenden Zusammenhang mit dem betreffenden ausländischen Staat zu begründen. Es kann in einem Fall wie dem vorliegenden keine Rede davon sein, dass das schweizerische Recht den gegebenen Verhältnissen nicht gerecht würde und dass sich deshalb die Anwendung der Ausweichklausel von
Art. 8e Abs. 3 NAG
aufdrängen würde. Daran ändert im Falle des Klägers auch nichts, dass er in der von seiner Mutter mit Y.Z. gegründeten Familie aufwächst und den Familiennamen seines Stiefvaters führt.
2.
Nach dem Gesagten ist auf das streitige Rechtsverhältnis schweizerisches Recht anzuwenden. Die Berufung ist daher gutzuheissen und die Sache zur materiellen Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
686da2ca-291c-4d2d-84e1-f9284fe38520 | Urteilskopf
141 V 521
58. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Familienausgleichskasse Arbeitgeber Basel (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_227/2015 vom 14. September 2015 | Regeste
Art. 13 FamZG
;
Art. 7 Abs. 1 FamZV
; Art. 2 in Verbindung mit Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit; Anspruch eines Drittstaatsangehörigen auf Familienzulagen.
Ein Drittstaatsangehöriger, welcher für einen Schweizer Arbeitgeber tätig ist und dessen Kinder eine EU-Staatsbürgerschaft haben und in einem EU-Mitgliedsstaat wohnen, fällt nicht unter den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004; mangels Vereinbarung in einem zwischenstaatlichen Abkommen hat er daher nach
Art. 7 Abs. 1 FamZV
keinen Anspruch auf Familienzulagen für seine Kinder (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 522
BGE 141 V 521 S. 522
A.
A., geboren 1974, ist Staatsangehöriger von Guatemala. Er lebt mit seiner bulgarischen Frau und den gemeinsamen beiden Söhnen (B. und C.) in Bulgarien. Ab 5. Mai 2013 war er bei dem in Basel domizilierten Unternehmen D. AG angestellt. Am 26. März 2014 stellte er das Gesuch um Ausrichtung von Kinderzulagen für seine beiden Söhne. Die Familienausgleichskasse Arbeitgeber Basel (nachfolgend: FAK) verneinte einen Anspruch auf Kinderzulagen mit Verfügung vom 29. April 2014, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 24. Juni 2014.
B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 11. Februar 2015 ab.
C.
A. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids, des Einspracheentscheids und der Verfügung vom 29. April 2014 seien ihm Kinderzulagen für seine beiden Söhne zuzusprechen.
Die FAK verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherungen schliessen auf Abweisung der Beschwerde. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf Kinderzulagen für seine beiden Söhne B. und C.
3.
Die Vorinstanz hat den Anspruch auf Familienzulagen abgelehnt, da der Beschwerdeführer, dessen Kinder im Ausland wohnen, nach
BGE 141 V 521 S. 523
Art. 13 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die Familienzulagen (Familienzulagengesetz, FamZG; SR 836.2) in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung vom 31. Oktober 2007 über die Familienzulagen (Familienzulagenverordnung, FamZV; SR 836.21) nur gestützt auf eine Vereinbarung in einem zwischenstaatlichen Abkommen Anspruch auf Familienzulagen für seine Kinder habe, er aber nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681) in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.1; nachfolgend: Verordnung [EG] Nr. 883/2004) falle und weder mit Bulgarien noch mit Guatemala ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen bestehe, das einen solchen Anspruch statuiere.
4.
4.1
Nach
Art. 7 Abs. 1 FamZV
besteht nur dann Anspruch auf Familienzulagen für im Ausland lebende Kinder, wenn dies eine zwischenstaatliche Vereinbarung vorschreibt. Das Bundesgericht hat festgestellt, dass diese Bestimmung sich an die Vorgaben gemäss FamZG hält und weder
Art. 8 Abs. 1 und 2 BV
(Gleichbehandlungsgebot, Diskriminierungsverbot) noch Bestimmungen des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention, KRK; SR 0.107) verletzt (
BGE 136 I 297
; vgl. auch
BGE 138 V 392
).
4.2
Wie die Vorinstanz zutreffend festhält - und vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten wird - gibt es keine zwischenstaatliche Vereinbarung zwischen der Schweiz und Bulgarien (nach Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 des Abkommens vom 15. März 2006 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Bulgarien über Soziale Sicherheit [SR 0.831.109.214.1], werden bezüglich der Schweiz nur Leistungen gemäss Bundesgesetz über die Familienzulagen in der Landwirtschaft erfasst) resp. zwischen der Schweiz und Guatemala, die ihm einen Anspruch auf Familienzulagen nach FamZG einräumen würde.
4.3
Zu prüfen bleibt, ob der Beschwerdeführer unter Anwendung des FZA einen Anspruch auf Familienzulagen hat.
4.3.1
Gemäss
Art. 8 FZA
gewähren die Vertragsparteien die Koordination der sozialen Systeme gemäss den in Anhang II
BGE 141 V 521 S. 524
aufgeführten Erlassen.
Art. 1 Ziff. 1 Anhang II FZA
erklärt die in Abschnitt A dieses Anhangs genannten Rechtsakte der Europäischen Union in der durch diesen Abschnitt geänderten Fassung oder gleichwertige Vorschriften für massgebend. Dabei handelt es sich einerseits um die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sowie die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 831.109.268.11; je mit den explizit aufgeführten Änderungen und Abweichungen für einzelne Bereiche) und um deren Vorgängerverordnungen (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 und (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 (soweit darauf in den Verordnungen [EG] Nr. 883/2004 oder [EG] Nr. 987/2009 Bezug genommen wird oder Fälle aus der Vergangenheit betroffen sind) sowie andererseits um die Richtlinie 98/49/EG des Rates vom 29. Juni 1998 zur Wahrung ergänzender Rentenansprüche von Arbeitnehmern und Selbständigen, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 209 vom 25. Juli 1998 S. 46; vgl. zum Ganzen auch den Beschluss Nr. 1/2012 des gemischten Ausschusses, eingesetzt im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, vom 31. März 2012 zur Ersetzung des Anhangs II dieses Abkommens über die Koordinierung der sozialen Sicherheit, ABl. L 103 vom 13. April 2012 S. 51-59, sowie
BGE 141 V 43
E. 3.2 S. 46).
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers werden Drittstaatsangehörige nicht grundsätzlich von der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 erfasst; dies erfolgt vielmehr durch die von den beiden Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009 unabhängige Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Ausdehnung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die ausschliesslich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen (ABl. L 344 vom 29. Dezember 2010 S. 1), auf welche sich der Beschwerdeführer denn auch massgeblich beruft. Diese ist jedoch im Anhang II Abschnitt A des FZA nicht aufgeführt, weshalb sie im Verhältnis Schweiz-EU auch keine Anwendung findet (vgl. auch MAXIMILIAN FUCHS, in: Europäisches Sozialrecht,
derselbe
[Hrsg.], 6. Aufl. 2013, N. 42
BGE 141 V 521 S. 525
Einführung, sowie BERNHARD SPIEGEL, in: Europäisches Sozialrecht, a.a.O., N. 4 zu Art. 2 VO 883/2004). Bereits gemäss der früheren Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 galt die damalige Verordnung (EG) Nr. 859/2003 des Rates vom 14. Mai 2003 zur Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschliesslich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen (ABl. L 124 vom 20. Mai 2003 S. 1) im Verhältnis zwischen der Schweiz und EU-Mitgliedstaaten nicht, da diese Verordnung von der Schweiz nicht explizit übernommen wurde (GÄCHTER/BURCH, § 1 Nationale und internationale Rechtsquellen, in: Recht der sozialen Sicherheit, Steiger-Sackmann/Mosimann [Hrsg.],2014, S. 30 f. Rz. 1.87; ebenso EDLYN HÖLLER, in: Europäisches Sozialrecht, a.a.O., N. 91 Sozialrecht in den Assoziationsabkommen). Folglich findet auch die Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 ohne explizite Übernahme durch die Schweiz keine Anwendung im Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz. Der Beschwerdeführer kann somit nichts zu seinen Gunsten aus dieser allein im Verhältnis zwischen EU-Mitgliedstaaten geltenden Verordnung für Drittstaatsangehörige ableiten.
4.3.2
Ein Leistungsbezug nach Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 setzt voraus, dass die Person, welche für ihre in einem andern als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnhaften Familienangehörigen Anspruch auf Familienleistungen erhebt, selbst in den personellen Anwendungsbereich der Verordnung fällt (vgl. auch GERHARD IGL, in: Europäisches Sozialrecht, a.a.O., N. 2 zu Art. 67 VO 883/2004). Nach Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen. Mit anderen Worten muss im Rahmen des FZA einerseits eine entsprechende Nationalität (oder Staatenlosigkeit resp. Flüchtlingseigenschaft mit Wohnort in der EU oder der Schweiz) oder ein ausreichender Familienstatus sowie andererseits ein grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben sein.
4.3.3
Der Beschwerdeführer ist weder Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaates noch Schweizerbürger. Auch ist er weder Staatenloser noch Flüchtling. Damit erfüllt er die Voraussetzung der Nationalität nicht. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass seine
BGE 141 V 521 S. 526
Familienangehörigen (Ehefrau und Kinder) als Bulgaren Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates sind. Denn im Rahmen der Verträge zwischen der EU und der Schweiz können Drittstaatsangehörige mangels Geltung der Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 (vgl. dazu E. 4.3.1) in ihrer Eigenschaft als Familienangehörige oder Hinterlassene nur einen abgeleiteten Anspruch auf Leistungen bei Krankheit oder Witwen-/Witwerversorgung in der Unfall- oder Rentenversicherung geltend machen (vgl. SPIEGEL, a.a.O., N. 5 zu Art. 2 VO 883/2004). Nachdem aber der Beschwerdeführer Drittstaatsangehöriger ist und (allenfalls) anspruchsberechtigt wäre, kann er sich nicht auf diese Regelung für Familienangehörige berufen.
4.3.4
Schliesslich kann er auch nichts zu seinen Gunsten daraus ableiten, dass seine Ehefrau und Kinder bulgarische und damit EU-Staatsangehörige sind. Denn diese leben in Bulgarien und haben somit von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht, so dass bei ihnen der für die Unterstellung unter die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 notwendige grenzüberschreitende Sachverhalt nicht gegeben ist. Sie unterstehen der bulgarischen Rechtsordnung. Als ihr Familienangehöriger kann der Beschwerdeführer daher keine weitergehenden Ansprüche und insbesondere keinen Diskriminierungstatbestand geltend machen.
4.4
Nach dem Gesagten hat der Beschwerdeführer weder gestützt auf das FZA noch auf eine andere zwischenstaatliche Vereinbarung Anspruch auf Familienzulagen für seine beiden Söhne. Daran ändert auch
BGE 139 V 393
(auch veröffentlicht in: Pra 2014 Nr. 10 S. 71 ff.) nichts. Bei diesem Entscheid ging es um einen peruanischen Staatsangehörigen, der mit einer britischen Staatsangehörigen verheiratet ist und mit seiner Ehefrau nach mehreren Jahren Wohnsitz und Erwerbstätigkeit in der Schweiz den Wohnsitz nach Grossbritannien verlegt hatte. Das Bundesgericht entschied, dieser Drittstaatsangehörige habe in seiner Eigenschaft als Familienangehöriger gestützt auf das FZA weiterhin Anspruch auf seine AHV-Altersrente. Dieser Sachverhalt, bei welchem es um den Anspruch eines Drittstaatsangehörigen ging, welcher mit einer EU-Bürgerin verheiratet war, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hatte, ist nicht mit dem vorliegenden vergleichbar. Denn anders als bei
BGE 139 V 393
, bei welchem es um eine Leistung ging, die sowohl Erwerbstätigen wie Nichterwerbstätigen zukommt, hängt der Leistungsanspruch des Beschwerdeführers von seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer ab. In diesen Konstellationen aber, bei welchen es
BGE 141 V 521 S. 527
um eine Leistung geht, die an die Eigenschaft als Arbeitnehmer anknüpft, ist keine Ausdehnung auf Drittstaatsangehörige als Familienmitglieder denkbar (
BGE 139 V 393
E. 5.3 S. 398 sowie SPIEGEL, a.a.O., N. 18 zu Art. 2 VO 883/2004).
4.5
Ebenso ist unerheblich, dass auf dem erzielten Arbeitseinkommen Beiträge an die Familienausgleichskasse geleistet werden. Zwar können die Kantone vorsehen, dass auch die Arbeitnehmer einen Teil der Beitragszahlungen zu leisten haben (
Art. 17 Abs. 2 lit. j FamZG
); mit wenigen Ausnahmen haben sämtliche Kantone davon abgesehen. Somit ist denn auch entgegen seiner Ansicht nicht der Beschwerdeführer Beitragszahler, sondern diese Beiträge gehen vollumfänglich zu Lasten des Arbeitgebers (vgl. dazu auch die aufgelegten Lohnabrechnungen, welche keine entsprechenden Abzüge ausweisen). | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
686e98ad-833d-4408-861f-50e6f38ba6c1 | Urteilskopf
126 III 14
5. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 30 septembre 1999 dans la cause Epoux M. contre l'Etat de Berne (recours en réforme) | Regeste
Haftung des Tierhalters (
Art. 56 OR
).
Die Haftung einer öffentlichrechtlichen Körperschaft für Schaden, der durch eigene, nicht zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse dienende Tiere verursacht wird, beurteilt sich nach Zivilrecht (E. 1a).
Beurteilungskriterien für die vom Tierhalter aufzuwendende Sorgfalt (E. 1b).
Sorgfaltspflichten des Eigentümers einer offen weidenden Kuhherde, die zwei von Hunden begleitete Spaziergänger angegriffen und verletzt haben. Der Befreiungsbeweis nach Art. 56 Abs. 1 in fine OR gelingt insbesondere aufgrund der Ungewöhnlichkeit des Unfalles (E. 1c). | Sachverhalt
ab Seite 15
BGE 126 III 14 S. 15
A.-
Le 17 juillet 1995, Les époux M. descendaient du Chasseral, avec leurs deux chiens de race Samoyède tenus en laisse, par un sentier qui n'est pas indiqué comme chemin pédestre. Ce sentier traverse un pâturage, clôturé par un fil de fer barbelé, où se trouvaient, en stabulation libre, 25 vaches allaitantes avec leurs veaux; ce bétail appartenait aux Etablissements pénitentiaires de Witzwil, qui sont un service du canton de Berne. Pour accéder au pâturage, il fallait passer une ouverture en triangle et, pour en sortir, ouvrir un fil électrifié au moyen d'une griffe isolante.
Lorsque les époux M. ont pénétré dans le pâturage avec leurs chiens, les vaches, qui étaient couchées à une centaine de mètres environ, ont commencé à mugir et se sont rapidement rapprochées. Prenant peur, les époux M. ont lâché leurs chiens. Au lieu de s'éloigner, ceux-ci se sont mis à courir autour de leurs maîtres. Les vaches, très excitées, ont bousculé, renversé et piétiné les époux M. Ceux-ci ont été gravement blessés.
Le lendemain de l'accident, le vétérinaire d'arrondissement a constaté que les vaches avaient un comportement normal. Les tests effectués par la police ont montré qu'elles adoptaient immédiatement un comportement typique de défense de leur progéniture en présence d'un chien, mais qu'elles ne manifestaient pas d'hostilité à l'égard des personnes. Le troupeau était placé sous la surveillance d'un berger expérimenté, qui l'inspectait deux fois par jour. Il n'a pas été établi qu'un accident de ce genre se soit déjà produit ailleurs. Le matin du 17 juillet 1995, les vaches-mères étaient calmes.
B.-
Les époux M. ont introduit une action en paiement fondée sur l'
art. 56 CO
contre l'Etat de Berne. Les tribunaux bernois ont
BGE 126 III 14 S. 16
rejeté la demande. Saisi d'un recours en réforme, le Tribunal fédéral a confirmé la décision cantonale.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
a) Il n'est pas contesté que les animaux en cause, appartenant au canton, n'étaient pas utilisés en l'espèce dans l'accomplissement d'une tâche d'autorité, de sorte que la responsabilité du détenteur relève de l'
art. 56 CO
et qu'il s'agit bien d'une contestation civile (cf.
ATF 115 II 237
consid. 2c). Le défendeur ne remet pas en question sa qualité de détenteur au sens de cette dernière disposition.
b) La responsabilité du détenteur d'un animal, prévue par l'
art. 56 CO
, est indépendante de toute faute, mais elle suppose une violation objective du devoir de diligence incombant à l'intéressé (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, II/1, 4ème éd., § 21, no 3 p. 357 s.; ROLAND BREHM, Commentaire bernois, no 38 ad
art. 56 CO
; ANTON K. SCHNYDER, Commentaire bâlois, no 1 ad
art. 56 CO
; PIERRE WIDMER, in Münch/Geiser, Schaden-Haftung-Versicherung, no 2.13; ALFRED KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, I, 5ème éd., p. 161).
Le détenteur ne peut être amené à répondre du fait de son animal que si l'on parvient à la conclusion, à la suite d'une analyse purement objective, qu'il n'a pas déployé toute la diligence commandée par les circonstances. Il faut donc pouvoir indiquer ce qu'il devait faire ou ne pas faire. Par exemple, s'agissant d'un chien, le détenteur doit prendre les mesures adéquates pour que l'animal ne puisse pas sortir d'une propriété et s'engager sur la route toute proche (cf.
ATF 110 II 136
consid. 2b) ou il doit interdire clairement au public l'accès à un jardin où se trouve un animal dangereux (ATF non publié du 25 septembre 1984 dans la cause 4C.210/1984, consid. 2c).
La diligence due se détermine au regard de l'ensemble des circonstances concrètes. Ainsi, on peut exiger davantage d'un détenteur qui sait, en raison d'un précédent, que son animal est agressif (cf.
ATF 81 II 512
consid. 3).
Comme il résulte implicitement de l'argumentation des recourants qui se réfèrent à la jurisprudence en matière de risque d'avalanche (cf.
ATF 122 IV 193
consid. 2a;
ATF 117 IV 415
consid. 5a et 6a;
ATF 115 IV 189
consid. 3a), la détermination de la diligence due a donné lieu à une jurisprudence abondante dans le domaine pénal, qui peut être largement transposée ici.
BGE 126 III 14 S. 17
Pour déterminer concrètement quels sont les devoirs de la prudence, on peut se référer à des normes édictées en vue d'assurer la sécurité et d'éviter des accidents (
ATF 122 IV 17
consid. 2b/aa, 61 consid. 2a/bb, 133 consid. 2a, 145 consid. 3b/aa, 225 consid. 2a;
ATF 121 IV 207
consid. 2a, 249 consid. 3a/aa). A défaut de dispositions légales ou réglementaires, on peut aussi se référer à des règles analogues qui émanent d'associations privées ou semi-publiques, lorsqu'elles sont généralement reconnues (
ATF 122 IV 17
consid. 2b/aa, 145 consid. 3b/aa;
ATF 121 IV 207
consid. 2a).
Si aucune norme de sécurité imposant ou interdisant un comportement n'a été transgressée, il faut encore se demander si le défendeur a respecté les principes généraux de la prudence (
ATF 122 IV 17
consid. 2b/aa, 145 consid. 3b/aa;
121 IV 207
consid. 2a).
Si des mesures de sécurité non imposées par une réglementation étaient envisageables, on recherchera, en procédant à une pesée des intérêts en présence, ce qui pouvait être raisonnablement exigé (BREHM, op. cit., no 53 ad
art. 56 CO
). On tiendra compte, d'une part, du degré d'efficacité de la mesure, de son coût et de ses inconvénients et, d'autre part, du degré de probabilité du risque et de l'importance du dommage envisagé.
Il appartient au détenteur de prouver qu'il a déployé la diligence commandée par les circonstances (
art. 56 al. 1 CO
); en cas de doute quant à la réalité des faits invoqués par le détenteur pour se libérer, ce dernier ne saurait être exonéré de sa responsabilité (
ATF 110 II 136
consid. 2a).
c) En l'espèce, le pâturage était clôturé par un fil de fer barbelé. Les promeneurs qui souhaitaient s'y engager devaient se glisser par un étroit passage, qui ne laissait aucun doute sur le fait qu'ils pénétraient dans un pâturage. Les animaux étaient bien visibles. Un berger expérimenté inspectait deux fois par jour le troupeau.
Il n'apparaît pas que le détenteur ait violé une norme de sécurité imposée par l'ordre juridique. Il n'est pas établi non plus qu'il ait transgressé une directive généralement reconnue d'une association professionnelle. Il faut par conséquent se demander s'il s'est conformé aux devoirs de la prudence, tels qu'on peut les déduire de l'ensemble des circonstances.
Les vaches qui paissent dans un pâturage, même si elles sont allaitantes, ne sont en principe pas des animaux dangereux pour l'être humain. Les animaux en cause n'avaient donné lieu à aucun problème précédemment, de sorte que l'on ne saurait exiger des précautions inhabituelles.
BGE 126 III 14 S. 18
On a déjà relevé que la responsabilité du détenteur suppose que l'on puisse dire ce qu'il aurait dû faire ou ne pas faire pour éviter l'accident (cf.
ATF 117 IV 130
consid. 2a et 2d). En l'occurrence, la question de savoir dans quelle mesure des améliorations auraient éventuellement dû être apportées à la clôture du pâturage - les demandeurs tirent en effet argument du fait qu'une vache aurait réussi à s'échapper - est sans pertinence; en effet, est seule déterminante une violation du devoir de diligence qui soit en rapport de causalité avec le dommage (cf.
ATF 117 IV 130
consid. 2b et 2c); or, le dommage invoqué par les demandeurs n'a pas été causé par une vache qui se serait échappée en raison d'une clôture insuffisante ou mal entretenue.
Exiger la présence constante d'un berger pour garder 25 vaches entraînerait des frais disproportionnés, compte tenu de la faible probabilité d'un accident du genre de celui qui s'est produit. Les demandeurs ne tentent d'ailleurs pas de démontrer le contraire.
On pourrait imaginer de fermer complètement le pâturage par des barrières et des cadenas. Il en résulterait des inconvénients notables pour l'exploitation rurale et même pour les promeneurs, auxquels le législateur a voulu garantir en principe un libre accès aux pâturages (
art. 699 al. 1 CC
). Compte tenu de la faible probabilité d'un accident du type de celui en cause, une telle exigence serait disproportionnée. Les demandeurs ne soutiennent au reste pas le contraire.
Il reste à déterminer si, comme le prétendent les demandeurs, le détenteur aurait dû placer un panneau indiquant le danger.
Il faut observer tout d'abord que l'efficacité d'une telle mesure n'est pas garantie, puisqu'il serait toujours possible que des promeneurs, faisant confiance aux animaux, traversent néanmoins le pâturage. On peut d'autre part penser que presque tous les pâturages reçoivent, de temps à autre, des vaches allaitantes avec leurs veaux. Les panneaux devraient donc être apposés sur un très grand nombre de pâturages du pays; comme il est probable que les exploitants ne les enlèveraient pas lorsqu'il n'y a plus de vaches allaitantes, on peut craindre que des panneaux aussi généralisés n'aient qu'un faible effet dissuasif.
L'essentiel réside cependant dans la probabilité d'un dommage sérieux. Des panneaux de danger ont été exigés en matière d'avalanches, parce qu'il s'agit d'un phénomène naturel qui tue chaque année de nombreuses personnes. En l'espèce, la situation est fort différente. Certes, les vaches ont peur des chiens, et des vaches allaitantes peuvent se montrer agressives; les parties en tirent des conclusions
BGE 126 III 14 S. 19
différentes: les demandeurs soutiennent qu'il s'agit d'un danger suffisamment évident pour justifier des panneaux, tandis que le défendeur estime que le danger est notoire pour les détenteurs de chiens, de sorte que des panneaux sont superflus. Mais la question est ailleurs. Si les vaches ont peur des chiens, on peut redouter que des chiens ne poursuivent des vaches ou que celles-ci, faisant front, ne réussissent à les mettre en fuite. Dans le pire des cas, on peut imaginer qu'un animal soit blessé, ce qui est un dommage sans rapport avec celui causé par les avalanches. En revanche, la vache n'étant pas agressive à l'égard de l'être humain, on ne peut guère s'attendre à ce que des gens soient piétinés dans un affrontement entre vaches et chiens. Seules des circonstances extraordinaires ont pu provoquer une telle situation. Il est à cet égard symptomatique qu'aucun précédent n'ait pu être cité. Le risque d'un accident grave apparaît donc si faible qu'il n'est pas raisonnable d'exiger de couvrir d'écriteaux les pâturages suisses.
En considérant en l'espèce que le détenteur s'était conformé aux devoirs de la prudence imposés par les circonstances et que l'on ne pouvait pas exiger raisonnablement d'autres mesures de sa part, la cour cantonale n'a pas violé le droit fédéral. C'est donc à juste titre que l'action fondée sur l'
art. 56 CO
a été rejetée. | null | nan | fr | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
686f1cd1-1d5d-4442-a846-825a12876f0c | Urteilskopf
122 III 341
63. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 27. September 1996 i.S. H. und Mitbeteiligte (Rekurs) | Regeste
Überschuss des von Abtretungsgläubigern erzielten Erlöses (
Art. 260 Abs. 2 SchKG
).
Der Überschuss geht auch dann an das Konkursamt (zu Handen der Masse), wenn das Konkursverfahren in der Zwischenzeit abgeschlossen worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 341
BGE 122 III 341 S. 341
A.+B. H. E. sowie S. hatten sich im Konkurs der X. AG die Geltendmachung von Rechtsansprüchen nach Massgabe von
Art. 260 SchKG
abtreten lassen und in der Folge einen Erlös von insgesamt Fr. 169'319.55 erzielt. Zu diesem Zeitpunkt war das Konkursverfahren bereits geschlossen.
Aus dem Erlös bezogen die genannten Gläubiger ihre durch Verlustscheine ausgewiesenen Ansprüche, bezahlten die Kosten, beanspruchten die Zinsen und
BGE 122 III 341 S. 342
bildeten eine Rückstellung. Den verbleibenden Überschuss von Fr. 60'227.55 wollte der Rechtsvertreter der Abtretungsgläubiger vorderhand zwecks Verwaltung auf einem eigenen Konto belassen. Demgegenüber verlangte das Konkursamt am 5. Juli 1996 die Auszahlung des Überschusses zu Handen der Konkursmasse.
Im wesentlichen mit dem Begehren, es sei ihnen die Hinterlegung des aus der Geltendmachung der Rechtsansprüche verbleibenden Überschusses zu bewilligen, gelangten die Gläubiger am 12. Juli 1996 an das Bezirksgerichtspräsidium Y. Dieses leitete die Eingabe zur Behandlung als Beschwerde gegen das Konkursamt an das Kantonsgericht St. Gallen als kantonale Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs weiter.
Das Kantonsgericht St. Gallen wies die Beschwerde mit Entscheid vom 21. August 1996 ab.
Mit Rekurs gemäss
Art. 19 Abs. 1 SchKG
vom 9. September 1996 haben A.+B. H. E. sowie S. die Sache an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen. Sie verlangen mit ihrem Hauptantrag die Aufhebung des angefochtenen Entscheides sowie der konkursamtlichen Verfügung vom 5. Juli 1996.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weist den Rekurs ab, soweit darauf einzutreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
In der Sache geht es um die Frage, ob das Konkursamt nach Schluss des Konkursverfahrens noch befugt ist, einen Überschuss aus dem Erlös, der sich nach der Geltendmachung von gemäss
Art. 260 SchKG
abgetretenen Rechtsansprüchen ergeben hat, zuhanden der Konkursmasse an sich zu ziehen.
Das ist klar zu bejahen. Wie das Kantonsgericht St. Gallen unter Hinweis auf
Art. 240 SchKG
und unter analoger Anwendung von
Art. 269 SchKG
erklärt hat, ist das Konkursamt auch bei einer Konstellation, wie sie im vorliegenden Fall gegeben ist, zur Behändigung von Vermögenswerten und zur Verteilung des nach Schluss des Konkurses sich ergebenden Erlöses (bzw. eines Überschusses über den Erlös hinaus, der den Abtretungsgläubigern zukommt) befugt. Die Befugnis des Konkursamtes hiezu drängt sich aus praktischen Gründen auf, und sie wird auch - wie die schon von der Vorinstanz zitierte Literatur zeigt (WALDER, SchKG, 12. Auflage Zürich 1990, Ziff. 1 zu
Art. 269 SchKG
; WALDER in BlSchK 1981, S. 34; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht,
BGE 122 III 341 S. 343
Band II, Zürich 1993, § 54 Rz. 16; Kommentar JAEGER, N. 3 zu
Art. 269 SchKG
(Ziff. b); RALF C. SCHLAEPFER, Abtretung streitiger Rechtsansprüche im Konkurs, Zürcher Diss. 1990, S. 193 und 290) - von der Lehre in keinem Moment in Frage gestellt.
Die Gegenargumente der Rekurrenten stossen - unabhängig davon, dass sie sich zum Teil auf allenfalls in unzulässiger Weise vorgebrachte Behauptungen tatsächlicher Natur abstützen - ins Leere. Insbesondere kann keine Rede von der Verletzung von
Art. 260 Abs. 2 SchKG
sein, sieht doch gerade diese Vorschrift die Ablieferung des Überschusses an die Masse vor. Sodann ist nicht über die Voraussetzungen eines Nachkonkurses zu diskutieren; denn mit einem solchen hat man es im vorliegenden Fall nicht zu tun, vielmehr ist - wie dargelegt -
Art. 269 SchKG
analog anzuwenden ... | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
68721773-2e80-429c-a3e6-a85557cb0890 | Urteilskopf
116 Ib 141
18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. August 1990 i.S. Schweiz. Bund für Naturschutz und Mitbeteiligte gegen Rhätische Bahn und Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Rechtzeitigkeit der Einsprache im kombinierten Enteignungs- und Plangenehmigungsverfahren für Eisenbahnbauten (Art. 25 V über die Planvorlagen für Eisenbahnbauten).
Ob eine Einsprache im kombinierten Verfahren rechtzeitig erhoben worden sei, beurteilt sich nach Art. 35 und 39 f. des Bundesgesetzes über die Enteignung; erfolgt die Einsprache verspätet, so verwirkt der Einsprecher das Recht zur Teilnahme am Genehmigungsverfahren (E. 1).
In der Einräumung der Gelegenheit, die Akten während einer bestimmten Zeit auch an einem anderen als am gesetzlich vorgesehenen Auflage-Ort einsehen zu können, liegt keine vertrauensbegründende Zusicherung, dass innert dieser Frist auch die Möglichkeit der Rechtswahrung bestehe. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich aus dem Gesetz ohne weiteres ergibt, dass es sich bei der zur Akteneinsicht angesetzten Frist nicht um die Einsprachefrist handeln kann (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 142
BGE 116 Ib 141 S. 142
Mit Eingabe vom 4. September 1987 unterbreitete die Rhätische Bahn dem Bundesamt für Verkehr die Pläne und weiteren Unterlagen für den Bau und Betrieb der Vereina-Linie und ersuchte dieses um Durchführung des Genehmigungsverfahrens. Nach Prüfung der Vorlagen forderte das Bundesamt für Verkehr die Bahn bzw. den Präsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 12, am 5. November 1987 auf, das kombinierte Verfahren gemäss den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Enteignung, des Eisenbahngesetzes und der Verordnung über die Planvorlagen für Eisenbahnbauten zu eröffnen. Mit Schreiben vom 12. November 1987 teilte das Bundesamt der Schweizerischen Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege, der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung, der Stiftung WWF Schweiz, dem Schweizerischen Bund für Naturschutz, dem Schweizer Heimatschutz sowie dem Schweizerischen Alpenclub mit, dass für das Bauprojekt Vereina-Linie das eisenbahnrechtliche Plangenehmigungsverfahren eröffnet worden sei und die Pläne des Projekts nach vorheriger Anmeldung bis Ende Januar 1988 beim Bundesamt für Verkehr in Bern sowie zu gegebener Zeit anlässlich der öffentlichen Auflage in den Gemeinden Klosters, Susch und Lavin eingesehen werden könnten.
Ebenfalls am 12. November 1987 wandte sich der Präsident der Eidgenössischen Schätzungskommission an die betroffenen Gemeinden und ersuchte sie, das Plangenehmigungsprojekt vom 23. November bis 22. Dezember 1987 im Sinne von Art. 29 und 30 des Bundesgesetzes über die Enteignung öffentlich aufzulegen. Diese Planauflage wurde im Amtsblatt des Kantons Graubünden Nr. 46 vom 20. November 1987 angekündigt. In der Bekanntmachung wurde auf Art. 39 f. des Enteignungsgesetzes hingewiesen und Art. 25 Abs. 4 der Planvorlagenverordnung in seinem Wortlaut wiedergegeben.
Während der Auflagefrist erhoben verschiedene Grundeigentümer und weitere Betroffene, jedoch keine der erwähnten Organisationen
BGE 116 Ib 141 S. 143
bei den drei Gemeinden Einsprache. Vielmehr reichten der Schweizerische Bund für Naturschutz, die Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz und der WWF Schweiz mit gemeinsamer Eingabe vom 25. Januar 1988 und die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege mit Eingabe vom 29. Januar 1988 direkt beim Bundesamt für Verkehr Einsprache ein.
Die Einigungsverhandlungen vor dem Präsidenten der Schätzungskommission, an denen die erwähnten Vereinigungen nicht teilnahmen, fanden in der Zeit vom 18. Februar bis 15. März 1988 statt. Das Bundesamt für Verkehr führte am 20. April 1988 in Bern eine Einigungsverhandlung im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Planvorlagenverordnung mit den vier Organisationen durch.
Mit Verfügung vom 8. Juli 1988 genehmigte das Bundesamt für Verkehr im wesentlichen die ihm unterbreiteten Pläne und Berichte nach Behandlung der erhobenen Einwendungen, ohne sich indessen mit irgendwelchen Eintretensfragen auseinanderzusetzen und auch ohne die Einsprecher im einzelnen zu nennen. Die Plangenehmigungsverfügung wurde den sechs durch das Schreiben vom 12. November 1987 benachrichtigten Organisationen - also auch jenen, die keine Einsprache eingereicht hatten - sowie der Schweizerischen Gesellschaft für Umweltschutz zugestellt.
Auf Beschwerde verschiedener Einsprecher änderte das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement die Plangenehmigungsverfügung in gewissen Punkten ab und wies die weitergehenden Begehren mit Entscheid vom 21. März 1990 ab.
Gegen diesen Beschwerdeentscheid haben der Schweizerische Bund für Naturschutz, die Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz, die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege sowie die Stiftung WWF Schweiz beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 20 lit. c der am 24. November 1984 revidierten Verordnung über die Planvorlagen für Eisenbahnbauten vom 23. Dezember 1932 (PVV-EB; SR 742.142.1) wird bei Vorhaben der Bahn, für die ein Enteignungsverfahren nötig ist und gleichzeitig mit dem Plangenehmigungsverfahren durchgeführt werden kann, das sog. kombinierte Verfahren angeordnet. In diesem Fall richten sich öffentliche Auflage und Einsprachen grundsätzlich
BGE 116 Ib 141 S. 144
nach den Bestimmungen des Enteignungsgesetzes (Art. 25 Abs. 1 PVV-EB). Insbesondere schliesst, wie in Art. 25 Abs. 4 PVV-EB ausdrücklich festgehalten wird, der Verzicht auf Einsprache jegliche spätere Mitwirkung am Verfahren aus.
Einsprachen gegen die Enteignung und Begehren nach den Artikeln 7-10 des Bundesgesetzes über die Enteignung (EntG), wie sie die gesamtschweizerischen Natur-, Heimat- und Umweltschutzorganisationen aufgrund von Art. 12 Abs. 3 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz und Art. 55 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz erheben können, sind gemäss
Art. 35 EntG
innert der Eingabe- bzw. Auflagefrist beim Gemeinderat einzureichen. Nach Ablauf der Eingabefrist können Einsprachen gegen die Enteignung nur noch geltend gemacht werden, wenn die Ausführung des Werkes noch nicht in Angriff genommen worden ist und die Einhaltung der Frist wegen unverschuldeter Hindernisse nicht möglich war (
Art. 39 Abs. 1 EntG
). Die nachträgliche Einsprache kann innert dreissig Tagen nach Wegfall des Hindernisses beim Präsidenten der Schätzungskommission eingereicht werden (
Art. 39 Abs. 2 EntG
). Können Begehren zur Wahrung der öffentlichen Interessen im Sinne von
Art. 7 Abs. 3 EntG
wegen unverschuldeter Hindernisse innert der Eingabefrist nicht geltend gemacht werden, so dürfen sie nach
Art. 40 EntG
noch bis zum Schlusse der Einigungsverhandlung angebracht werden (
Art. 40 EntG
). Diese Fristen zur Erhebung von Einsprachen im engeren und weiteren Sinne sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes Verwirkungsfristen (vgl. etwa
BGE 111 Ib 284
und dort zitierte Entscheide).
Gemäss dieser gesetzlichen Ordnung hätten die als Einsprecher auftretenden Organisationen ihre Begehren während der Projektauflage, die in den Gemeinden Klosters, Susch und Lavin vom 23. November bis 22. Dezember 1987 erfolgte, bei einer der Gemeinden anbringen oder sie als nachträgliche Begehren im Sinne von
Art. 39 und 40 EntG
direkt dem Schätzungskommissions-Präsidenten zukommen lassen sollen. Dass die Einsprachen beim Bundesamt für Verkehr und damit bei der falschen Stelle eingegangen sind, spielt allerdings für deren Zulässigkeit keine Rolle, gelten doch die innert Frist einer unzuständigen Behörde unterbreiteten Begehren als rechtzeitig (
Art. 21 Abs. 2 VwVG
) und hätte das Bundesamt die bei ihm eingereichten Rechtsschriften aufgrund von
Art. 8 Abs. 1 VwVG
der zuständigen Instanz überweisen sollen. Erheblich ist dagegen, dass die Einsprachen erst rund einen
BGE 116 Ib 141 S. 145
Monat nach Ablauf der Eingabefrist erhoben worden sind und daher nur unter den in
Art. 39 und 40 EntG
umschriebenen Voraussetzungen als zulässig gelten können. Über diese Frage der Rechtzeitigkeit der Einsprachen, die zu prüfen der erstinstanzlich zuständige Schätzungskommissions-Präsident keine Gelegenheit erhielt, ist nunmehr im Verwaltungsgerichtsverfahren zu befinden.
2.
Nach den Artikeln 39 und 40 EntG können Einsprachen und Planänderungsbegehren nur dann nach Ablauf der Eingabefrist noch erhoben werden, wenn die Einhaltung der Frist "wegen unverschuldeter Hindernisse" nicht möglich war. Es stellt sich daher hier die Frage, ob das Schreiben des Bundesamtes für Verkehr vom 12. November 1987 als solches Hindernis gelten könne, mit anderen Worten, ob die Beschwerdeführer nach Treu und Glauben annehmen durften, in diesem sei ihnen zugesichert worden, dass sie von ihrer Einsprachemöglichkeit ungeachtet der gesetzlichen Frist jedenfalls bis Ende Januar 1988 Gebrauch machen könnten. Eine solche Zusicherung ist jedoch nicht abgegeben worden. Im fraglichen Schreiben ist von Einsprachen nicht die Rede und wird - unter Hinweis auf die öffentliche Planauflage in den Gemeinden - den Adressaten lediglich Gelegenheit geboten, die Projektunterlagen während einer gewissen Zeit direkt beim Bundesamt für Verkehr einzusehen. Das Bundesgericht hat unlängst in einem ähnlichen Fall festgestellt, dass die Ansetzung einer Frist zur Akteneinsicht, selbst wenn diese im Amtsblatt publiziert werde, die ordentliche Rechtsmittelfrist nicht zu verlängern vermöge (unveröffentlichtes Urteil vom 18. Mai 1990 i.S. Gemeinde Bösingen). Demnach kann auch im Schreiben des Bundesamtes für Verkehr vom 12. November 1987 keine Zusicherung auf die Möglichkeit der Rechtswahrung bis Ende Januar 1988 gesehen werden. Im übrigen hätten die Beschwerdeführerinnen allen Anlass gehabt, sich aufgrund des im Schreiben enthaltenen Hinweises auf die öffentliche Planauflage beim Bundesamt danach zu erkundigen, wann diese stattfinde und wie es sich mit der Eingabefrist verhalte.
Selbst wenn aber hier die in der Praxis entwickelten Regeln über die unrichtige Rechtsmittelbelehrung anzuwenden wären, wäre damit den Beschwerdeführerinnen nicht geholfen. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung haben falsche Auskünfte von Behörden nur dann eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden zur Folge, wenn dieser die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte (
BGE 115 Ib 18
ff. E. 4,
BGE 114 Ia 106
ff. und dort zitierte Entscheide). So
BGE 116 Ib 141 S. 146
geniesst der Private keinen Vertrauensschutz, wenn er die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung kennt oder sie bei genügender Aufmerksamkeit hätte kennen müssen, insbesondere wenn er oder sein Anwalt die Mängel der Belehrung schon allein durch Konsultierung des massgebenden Gesetzestextes hätte ersehen können (
BGE 112 Ia 310
,
BGE 106 Ia 16
ff. E. 3). Nun wird, wie bereits erwähnt, in Art. 25 Abs. 1 und 4 PVV-EB klar festgehalten, dass sich die öffentliche Auflage und die Einsprachen im kombinierten Plangenehmigungsverfahren nach den Bestimmungen des Enteignungsgesetzes richten und dass der Verzicht auf Einsprache jegliche spätere Mitwirkung im Verfahren ausschliesst. Ein Blick auf diese Vorschrift und das Enteignungsgesetz hätte genügt, um zu erkennen, dass es sich bei der vom Bundesamt für Verkehr genannten Frist nicht um die gesetzliche Einsprachefrist handeln konnte. Zwar wird im Brief vom 12. November 1987 nicht erwähnt, welche Art von Verfahren eröffnet worden sei, doch wäre den Organisationen auch in dieser Hinsicht eine Rückfrage zuzumuten gewesen. Selbst wenn diese aber von der falschen Annahme ausgegangen wären, es sei ein ordentliches Verfahren im Sinne von Art. 20 lit. b und 22 ff. PVV-EB eingeleitet worden, so hätten sie der Verordnung ebenfalls ohne weiteres entnehmen können und müssen, dass auch im ordentlichen Plangenehmigungsverfahren die Stellungnahmen zum Projekt und Planänderungsbegehren während der dreissigtägigen Auflagefrist einzureichen sind (Art. 22b Abs. 1). Die Beschwerdeführer hätten sich deshalb nicht auf das fragliche Schreiben als Vertrauensgrundlage berufen können. Dieses kann deshalb auch nicht als "Hindernis" im Sinne der Artikel 39 und 40 EntG gelten. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
68783929-f497-4fb2-aff0-da828407ade8 | Urteilskopf
97 IV 218
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. November 1971 i.S. Leu gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn. | Regeste
Vorsichtspflichten des Linksabbiegers (
Art. 34 Abs. 3 SVG
) und des in zweiter Position Überholenden (Art. 32 Abs. 1, 35 Abs. 5 und 6 SVG). | Sachverhalt
ab Seite 218
BGE 97 IV 218 S. 218
A.-
Am Samstag, den 9. April 1970, fuhren bei schönem, trockenem Wetter vier Autos in grösseren Abständen ausserorts auf der geraden, 7,5 m breiten Betonstrasse von Oberbuchsiten nach Egerkingen. Zuvorderst der spanische Arbeiter Vasquez im VW-Kombiwagen seines Arbeitgebers, gefolgt vom jugoslawischen Kellner Mladen in einem Opel-Rekord; ihre Geschwindigkeit betrug ca. 60-70 km/h. Von hinten näherte sich ihnen mit gut 100 km/h der Opel-Kadett des Lehrers Martin von Arx. Noch rascher, nämlich mit ca. 120-150 km/h holte der weiter zurückliegende Otto Leu mit seinem Jaguar auf die vorausfahrenden Personenwagen auf. Von Arx überholte korrekt den vor ihm fahrenden Mladen und schickte sich an, auch Vasquez zu überholen. Er bemerkte frühzeitig, dass Vasquez den linken Blinker betätigte, gegen die Strassenmitte einspurte und seine Geschwindigkeit
BGE 97 IV 218 S. 219
auf ca. 50 km/h herabsetzte. Von Arx schloss richtig, dass Vasquez beabsichtigte, nach links in den Steinbruchweg einzuschwenken. Es handelte sich dabei um eine 5 m breite Naturstrasse. An der Abzweigung ist die Betonstrasse mit Signal 307 als Hauptstrasse, der Steinbruchweg mit Signal 116 als Nebenstrasse gekennzeichnet.
Da von Arx das Einspur-Abschwenkmanöver des Vasquez auf genügende Distanz bemerkt hatte, überholte er den VW korrekt und gefahrlos auf der rechten Seite.
Der Jaguarfahrer Leu hatte inzwischen aufgeholt und wollte mit unvermindertem Tempo die drei vor ihm fahrenden Autos überholen. Während Mladen durch von Arx überholt wurde, verdeckte dieser für kurze Zeit dem Leu die Sicht auf den Kastenwagen des Vasquez. Leu glaubte, Vasquez fahre rechts weiter, und beabsichtigte, ihn hinter von Arx und anschliessend auch diesen zu überholen. Für Leu überraschend bog dann aber von Arx nach rechts und begann auf der rechten Strassenseite den in die Mitte eingespurten Kastenwagen zu überholen. Leu sah jetzt auch, dass am Kastenwagen der linke Blinker eingeschaltet war. Der Jaguar war in diesem Augenblick noch ca. 70 m vom VW-Bus entfernt. Wegen seiner hohen Geschwindigkeit vermochte Leu weder seinen Wagen hinter von Arx abzubremsen und diesem rechts am VW vorbei zu folgen, noch hinter dem verlangsamten Kastenwagen anzuhalten. So versuchte er noch links an Vasquez vorbeizukommen. Durch Hupsignal will er Vasquez gewarnt haben, um ihn zum Anhalten zu veranlassen. Vasquez weiss nichts von einem solchen Signal. Als er nach links in die Nebenstrasse einbog, bremste Leu im letzten Moment ab und fuhr noch weiter nach links. Auf dem Radfahrweg ausserhalb der eigentlichen Fahrstrasse prallte der Jaguar mit grosser Wucht auf die linke hintere Flanke des Kastenwagens, der zur Seite geschleudert und umgekippt wurde.
Es entstand grosser Sachschaden. Die Mitfahrer in beiden Autos erlitten leichtere Verletzungen.
B.-
Der Amtsgerichtspräsident von Balsthal verurteilte am 13. November 1970 Leu wegen schwerer Verletzung der Art. 31 Abs. 1, 32 Abs. 1, 35 Abs. 5 und 6 in Verbindung mit
Art. 90 Ziff. 2 SVG
zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 150.--, Vasquez wegen Verletzung von
Art. 34 Abs. 3 und 90 Ziff. 1 SVG
zu einer Busse von Fr. 50.-.
Leu führte Kassationsbeschwerde an das Obergericht des
BGE 97 IV 218 S. 220
Kantons Solothurn. Dieses bestätigte am 19. Mai 1971 die Verurteilung gemäss Art. 31 Abs. 1, 32 Abs. 1 und 2, 35 Abs. 5 und 6 SVG. In teilweiser Gutheissung der Kassationsbeschwerde verneinte es dagegen eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
. In Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 wurde die Busse auf Fr. 120.-- herabgesetzt.
Das erstinstanzliche Urteil gegen Vasquez ist in Rechtskraft erwachsen.
C.-
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Leu Freisprechung.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1./2. - ...
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Schuld am Zusammenstoss treffe ausschliesslich den Mitbeteiligten Vasquez. Dieser habe ungenügend nach hinten gesichert, bevor er auf der geraden Hauptstrasse sein Abbiegemanöver nach links in eine Nebenstrasse einleitete. Er hätte den Unfall noch im letzten Moment verhindern können, wenn er auf das Hupsignal des Beschwerdeführers durch einen Sicherheitshalt reagiert hätte.
Mit Recht verweist der Beschwerdeführer auf den Umstand, dass im heutigen Strassenverkehr die Linksabbieger eine wesentliche Gefahrenquelle darstellen und dass besonders derjenige, der im flüssigen Überlandverkehr auf einer Hauptstrasse verlangsamen und nach links in eine Nebenstrasse einbiegen will, zu allergrösster Vorsicht verpflichtet ist. Er wird auf die entgegenkommenden aber nicht minder auf die von hinten nahenden schnelleren Fahrzeuge achten und stets mit der Gefahr rechnen müssen, dass seine Zeichengebung übersehen oder missachtet werden könnte (
BGE 91 IV 11
, 20, 205;
BGE 93 II 495
).
In dieser Hinsicht liegt auf Seiten der kantonalen Instanzen keine Rechtsverletzung vor. Vasquez wurde gebüsst, obwohl er so früh den Blinker betätigte und nach links einspurte, dass der ihm nachfolgende Personenwagen, der noch nicht zum Überholen angesetzt hatte, rechtzeitig reagieren und daher ungefährdet rechts am eingespurten Kastenwagen vorbeifahren konnte. Wenn Vasquez trotzdem bestraft wurde, so nur deshalb, weil er nicht noch zusätzlich im letzten Augenblick sich nach hinten vergewisserte und dem sehr rasch heranfahrenden Beschwerdeführer die an sich nicht mehr erlaubte Vorfahrt auf der linken
BGE 97 IV 218 S. 221
Seite (
BGE 97 IV 36
) ermöglichte. Damit ist dem in der Nichtigkeitsbeschwerde hervorgehobenen Erfordernis des modernen Strassenverkehrs zutreffend und ausreichend Rechnung getragen worden.
Der Umstand, dass Vasquez sich insoweit nicht vorschriftsgemäss verhielt, vermöchte den Beschwerdeführer nur dann zu entlasten, wenn das Verhalten des Abschwenkenden so ausserhalb der normalen Lebenserfahrung gewesen wäre, dass Leu vernünftigerweise nicht damit rechnen musste, und wenn das Fehlverhalten des Beschwerdeführers nur durch diese unvorhersehbare Situation ausgelöst worden wäre (
BGE 86 IV 155
ff. E. 1). Von beidem kann keine Rede sein. Dass ein Fahrzeug an einer Strassenkreuzung ohne Linksabbiege-Verbot von einer Hauptstrasse nach links in eine Nebenstrasse gesteuert wird, nachdem der Führer rechtzeitig den Blinker betätigte und nach links einspurte, ist alltäglich. Es liegt auch keineswegs ausserhalb normaler Erfahrung, dass sich ein solcher Abbieger, wenn er sein Manöver rechtzeitig vor dem ihm folgenden Fahrzeug durchführt, nicht noch weiter nach hinten sichert, auch wenn er dies an sich tun müsste. Besonders fällt aber ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer nicht erst durch das verkehrswidrige Verhalten des Dritten zu einem Fehlverhalten veranlasst wurde, sondern dass ihm unabhängig davon mehrfache Verletzungen von Verkehrsregeln vorzuwerfen sind. Eine Schuldkompensation ist jedoch im Strafrecht ausgeschlossen (
BGE 85 IV 91
).
4.
An sich wäre nach der Feststellung der kantonalen Instanzen auf jener Strasse eine Geschwindigkeit von 150 km/h nicht übersetzt. Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, wenn er darauf verweist, dass eine Fahrzeugkolonne in einem Zug überholt werden darf, sofern der Überholende weder entgegenkommende noch überholte Fahrzeuge behindert und er insbesondere die Gewissheit hat, nach Überholen der Kolonne oder in eine bestehende grössere Lücke ohne Behinderung des übrigen Verkehrs einbiegen zu können (
BGE 95 IV 178
). Liegt eine solche eindeutige Situation vor, so ist der Überholende auch nicht verpflichtet, seine Geschwindigkeit bis nahezu auf diejenige der überholten Fahrzeuge herabzusetzen,
Diese Rechtslage entbindet den überholenden Fahrer nicht von der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht, im Gegenteil. Er hat während des ganzen Überholmanövers darauf zu achten, ob nicht Anzeichen für ein verkehrswidriges Verhalten eines andern
BGE 97 IV 218 S. 222
Fahrzeuges bestehen (Ausbrechen aus der Kolonne usw.). Tritt ein Hindernis in Erscheinung, z.B. dadurch, dass weiter vorne ein Wagen seinerseits überholt, so darf er zwar sein Manöver fortsetzen, muss aber die Geschwindigkeit und den Abstand auf den Vorausfahrenden der Situation anpassen. Verdeckt das vorausfahrende Fahrzeug die Sicht nach vorne, so hat der Überholende seine Fahrweise und Geschwindigkeit wiederum so einzurichten, dass er allen Gegebenheiten gewachsen ist.
Der Beschwerdeführer hat es offensichtlich an der nötigen Sorgfalt fehlen lassen. Er hat den mit etwas über 100 km/h fahrenden von Arx gesehen, als dieser Mladen überholte. Leu nahm an, von Arx werde auch den vorher vor ihm auf der rechten Strassenseite fahrenden Kastenwagen Vasquez überholen und nachher einbiegen, worauf er, Leu, auch von Arx überholen könne. Solange aber von Arx die Überholspur benutzte und den Kastenwagen verdeckte, bestand für Leu keine Gewissheit, wie sich der weitere Überholvorgang abwickeln werde. Insbesondere konnte er nicht beobachten, ob der Kastenwagen unverändert rechts und mit gleicher Geschwindigkeit weiterfahren werde. Beschleunigte er, so konnte sich der Überholvorgang für von Arx stark verlängern. Der Beschwerdeführer hätte schon deshalb seine Geschwindigkeit herabsetzen und so viel Abstand auf von Arx halten müssen, dass er diesem gefahrlos hätte folgen und auch bei einem Bremsmanöver des von Arx seinerseits rechtzeitig abbremsen können.
Leu behauptet denn auch in der Beschwerde, er habe einen genügenden Abstand gehalten. Er hat aber früher selbst das Gegenteil zugegeben. Als von Arx den links eingespurten Kastenwagen rechts überholte, "versperrte er" Leu den Weg, d.h. Leu kam mit so grosser Geschwindigkeit und bereits so kleinem Abstand auf von Arx zugefahren, dass er nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte, um ihm gefahrlos rechts am Kastenwagen vorbei folgen zu können. Aus dem gleichen Grund konnte er auch nicht hinter dem Kastenwagen abbremsen (der zum Abschwenken verlangsamt hatte), um dann zwischen dem abschwenkenden Wagen und von Arx durchzufahren. Es blieb ihm tatsächlich nur noch der Versuch übrig, links am Kastenwagen vorbeizukommen.
Es hilft dem Beschwerdeführer nichts, dass, wie er sagt, "bei der Einleitung und beim Beginn seines Überholmanövers ... von der Absicht des Vasquez, nach links abzubiegen noch nichts zu
BGE 97 IV 218 S. 223
erkennen ... war". Fehlerhaft war sein Verhalten nicht bei Einleitung des Überholmanövers, sondern in dem Augenblick, wo von Arx vor ihm auf der Überholspur fuhr, ihm damit den Weg für die ungehinderte Weiterfahrt mit gleicher Geschwindigkeit verlegte und ausserdem die Sicht auf den vordersten Wagen verdeckte. In diesem Augenblick hätte der Beschwerdeführer seine Geschwindigkeit herabsetzen und einen genügenden Abstand auf von Arx halten müssen. Er fuhr mit übersetzter Geschwindigkeit und vermochte in der plötzlich aufgetauchten Notsituation sein Fahrzeug nicht mehr richtig zu beherrschen. Hätte er sich richtig verhalten, so wäre ihm kein Verstoss gegen das SVG vorzuwerfen und es wäre ausserdem trotz dem von Vasquez begangenen Fehler mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Kollision gekommen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68799d47-df96-421d-8711-cb79fa67cd1b | Urteilskopf
82 IV 100
21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Juni 1956 i.S. Zeller gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. | Regeste
Unter
Art. 213 StGB
fällt auch der Beischlaf zwischen ausserehelichen Blutsverwandten der dort genannten Grade. | Sachverhalt
ab Seite 101
BGE 82 IV 100 S. 101
A.-
Durch Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 22. November 1935 wurde Josef Zeller als ausserehelicher Vater (ohne Standesfolge) der am 23. August 1934 geborenen Marlene Siegfried erklärt und zu Beiträgen an ihren Unterhalt verpflichtet. In der Zeit vom Herbst 1953 bis Anfang März 1954 hatte Zeller mit Marlene Siegfried ungefähr 6-7 mal Geschlechtsverkehr. In der darüber angehobenen Strafuntersuchung bestritt er, der Vater des Mädchens zu sein. Es wurde deshalb über seine Vaterschaft ein Beweisverfahren mit Blutgruppenuntersuchung, anthropologisch-erbbiologischer Begutachtung usw. durchgeführt.
Gestützt darauf sprach das Schwurgericht des Kantons Aargau am 22. Dezember 1955 Zeller der fortgesetzten qualifizierten Blutschande im Sinne des
Art. 213 Abs. 2 StGB
, Marlene Siegfried, nunmehr verheiratete Duttweiler, der fortgesetzten Blutschande gemäss
Art. 213 Abs. 1 StGB
schuldig und verurteilte den Vater zu 19 Monaten Zuchthaus, die Tochter - unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges - zu zwei Monaten Gefängnis.
B.-
Zeller führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung. Zur Begründung macht er geltend, er habe stets geglaubt, eine aussereheliche Tochter müsse mit Standesfolge zugesprochen worden sein, damit Blutsverwandtschaft im Sinne des
Art. 213 StGB
vorliege.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Art. 213 StGB
stellt die Blutschande unter Strafe. Abs. 1 droht auf den Beischlaf zwischen Blutsverwandten in gerader Linie und zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern Zuchthaus bis zu drei Jahren oder Gefängnis
BGE 82 IV 100 S. 102
nicht unter einem Monat an. Nach Abs. 2 wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft, wer mit einem unmündigen mehr als sechzehn Jahre alten Verwandten gerader Linie den Beischlaf vollzieht. Dabei wird nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes kein Unterschied zwischen ehelicher oder ausserehelicher Blutsverwandtschaft gemacht. Das entspricht dem Wesen des Inzestes als einer Schändung der Bande des Blutes (HAFTER, Bes. Teil S. 427; LOGOZ, Kommentar, N. 2 lit. b und c zu Art. 213; THORMANN/v. OVERBECK, Kommentar, N. 4 zu Art. 213; COMTESSE in Festgabe Egger, S. 311/17; PFENNINGER in Festgabe Egger, S. 278/81). Zwar sind die nachteiligen Folgen der Inzucht umstritten (HAFTER, a.a.O. S. 426; COMTESSE, a.a.O. S. 312). Ob man aber das geschützte Rechtsgut mehr in der Rasseneugenik oder in der Reinheit der Beziehungen zwischen Familienangehörigen (vgl.
BGE 77 IV 171
) erblicken will, die Strafwürdigkeit des Beischlafes zwischen nahen ehelichen wie ausserehelichen Blutsverwandten ist in jedem Falle gegeben und auch allgemein anerkannt.
Fällt aber unter Art. 213 auch der Beischlaf zwischen ausserehelichen Blutsverwandten der dort genannten Grade, so kommt nichts darauf an, ob das aussereheliche Kind gemäss
Art. 325 ZGB
anerkannt oder mit Standesfolge zugesprochen worden ist oder nicht. Die Blutschande ist kein Zivilstandsdelikt. Darüber hätte offenbar auch kein Zweifel aufkommen können, wenn
BGE 39 II 504
nicht die Frage aufgeworfen, aber dahingestellt gelassen hätte, ob für das Ehehindernis des
Art. 100 Ziff. 1 ZGB
der Nachweis einer bestimmten natürlichen Verwandtschaft genüge oder ob nicht vielmehr unter der ausserehelichen Verwandtschaft des Art. 100 ausschliesslich eine solche im Sinne des Art. 325 zu verstehen sei. Daraus ist nichts abzuleiten. Diese Vorsicht entsprach dem Grundsatz, nicht mehr zu entscheiden, als für das Urteil nötig ist. Im vorliegenden Fall hingegen stellt sich die Frage zur Entscheidung; denn trotz Wortlaut und Sinn des
BGE 82 IV 100 S. 103
Art. 213 StGB
wäre es kaum vereinbar, den Geschlechtsverkehr zwischen Personen, die sich heiraten können, als Blutschande zu bestrafen.
Art. 20 ZGB
umschreibt die Blutsverwandtschaft als das durch gemeinsame Abstammung, durch Blutsgemeinschaft gegebene Familienverhältnis ohne Unterschied, ob es ein bloss natürliches sei oder auch die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Familie begründe (EGGER, Kommentar, N. 2 zu Art. 20). Dafür, dass der Begriff der Blutsverwandtschaft in
Art. 100 Ziff. 1 ZGB
anders auszulegen wäre, liegt nichts vor. Art. 28 Ziff. 2 lit. a des Bundesgesetzes betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe vom 24. Dezember 1874 (AS 1874-75 S. 506) hatte für das Ehehindernis der Blutsverwandtschaft sogar ausdrücklich bestimmt, dass gleichgültig sei, ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder ausserehelicher Zeugung beruhe. Im gleichen Sinne muss
Art. 100 Ziff. 1 ZGB
verstanden werden (ebenso EGGER, a.a.O. N. 4 zu Art. 100; GMÜR, Kommentar, N. 4 i. f. zu Art. 100; COMTESSE, a.a.O. S. 315). Somit begründet auch die aussereheliche Blutsverwandtschaft das Ehehindernis des
Art. 100 Ziff. 1 ZGB
. | null | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
687ad9d2-03b5-43d3-9664-bb0732721a67 | Urteilskopf
113 II 157
29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Februar 1987 i.S. Hans Schmidlin AG gegen die Stockwerkeigentümer der Überbauung "Vogelsang" in Zürich (Berufung) | Regeste
Bauhandwerkerpfandrecht;
Art. 648 Abs. 3 ZGB
.
Art. 648 Abs. 3 ZGB
findet auch auf das Bauhandwerkerpfandrecht Anwendung. Das Gesamtgrundstück einer in Stockwerkeigentum unterteilten Liegenschaft kann daher nicht mit einem Bauhandwerkerpfandrecht belastet werden, wenn bereits auf einer Stockwerkeinheit ein Grundpfand oder eine Grundlast besteht. | Sachverhalt
ab Seite 157
BGE 113 II 157 S. 157
A.-
Am 6. August 1980 schlossen die Hausbau Zürich AG und Otto Scramoncin mit der Bautreuhand AG einen Generalunternehmervertrag für die Überbauung "Vogelsang" in Zürich ab. In der Folge verpflichtete sich die Hans Schmidlin AG in einem Werkvertrag vom 22. Januar/24. März 1982, Holz-Leichtmetallfenster zum Preise von Fr. 551'675.-- zu liefern und zu montieren.
Am 3. Mai 1983 forderte die Hans Schmidlin AG von der Hausbau Zürich AG und Otto Scramoncin einen Restwerklohn
BGE 113 II 157 S. 158
von Fr. 160'540.--. Die beiden verweigerten jedoch die Zahlung, da nicht sie, sondern einzig die Bautreuhand AG als Generalunternehmerin Schuldnerin des Werklohnes sei. Hierauf verfügte der Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirks Zürich am 6. Mai 1983 auf Begehren der Hans Schmidlin AG die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts über Fr. 160'540.-- plus Zins zu 5% seit dem 15. März 1983 auf der Gesamtliegenschaft Kat. Nr. 4176. Dabei wurde ausdrücklich die Aufteilung der Forderung auf die einzelnen Stockwerkeinheiten vorbehalten und die Zustellung diesbezüglicher Verfügungen in Aussicht gestellt. Am 9. Mai 1983 wurde das Pfandrecht auf der Gesamtliegenschaft Kat. Nr. 4176/GB-Blatt 559 eingetragen.
B.-
Auf Begehren der Hans Schmidlin AG verfügte der Einzelrichter am 16. Juni 1983 die "Aufhebung" bzw. Löschung der Eintragung auf der Gesamtliegenschaft, verteilte die Forderungssumme nach Massgabe der Wertquoten auf die einzelnen Stockwerkeigentumseinheiten und ordnete die provisorische Eintragung entsprechender Bauhandwerkerpfandrechte auf den Grundbuchblättern Nr. 1758-1779 der einzelnen Stockwerkeigentumseinheiten an. Die Eintragung erfolgte am 21. Juni 1983 durch das Grundbuchamt Zürich-Fluntern.
Mit Urteil vom 3. Mai 1985 wies das Bezirksgericht Zürich die Klage der Hans Schmidlin AG auf definitive Eintragung von Bauhandwerkerpfandrechten auf den einzelnen Stockwerkeinheiten der Liegenschaft Kat. Nr. 4176 ab und wies das Grundbuchamt Zürich Fluntern an, die vorläufige Eintragung der Bauhandwerkerpfandrechte zu löschen.
Eine Berufung der Hans Schmidlin AG wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 25. Februar 1986 ab. Das angefochtene Urteil wurde bestätigt.
C.-
Gegen dieses Urteil wendet sich die Hans Schmidlin AG mit Berufung an das Bundesgericht. Sie beantragt dessen Aufhebung und die definitive Eintragung der Bauhandwerkerpfandrechte auf den Stockwerkeigentumseinheiten der Beklagten gemäss der Aufteilung, wie sie am 21. Juni 1983 im Grundbuch eingetragen worden sei.
Die beklagten Stockwerkeigentümer beantragen die Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
BGE 113 II 157 S. 159
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz waren die Bauarbeiten am 28. Februar 1983 beendet. Mit der am 16. Juni 1983 erfolgten provisorischen Eintragung von Bauhandwerkerpfandrechten auf den einzelnen Stockwerkeinheiten wurde daher die dreimonatige Eintragungsfrist von
Art. 839 Abs. 2 ZGB
nicht eingehalten.
Bereits am 9. Mai 1983 hatte die Klägerin ein Bauhandwerkerpfandrecht mit der gleichen Pfandsumme auf der Gesamtliegenschaft der Stockwerkeigentümer eintragen lassen. Gemäss
Art. 648 Abs. 3 ZGB
können die Miteigentümer die Sache selbst indessen nicht mehr mit Grundpfandrechten oder Grundlasten belasten, wenn solche Rechte bereits an den einzelnen Miteigentumsanteilen bestehen. Im vorliegenden Fall waren die einzelnen Stockwerkeinheiten nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz im Zeitpunkt, als die Klägerin auf der Gesamtliegenschaft ein Bauhandwerkerpfandrecht eintragen liess, bereits anderweitig belastet. Es stellt sich daher die Frage, ob
Art. 648 Abs. 3 ZGB
auch auf die nachträgliche Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts auf der Gesamtliegenschaft anwendbar ist oder nicht.
a) In
BGE 95 I 574
E. 3a hat das Bundesgericht auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die bei der Zwangsverwertung entstehen, wenn nach der Verpfändung von Miteigentumsanteilen die Sache selbst mit weiteren Pfandrechten belastet wird, die jenen an den einzelnen Miteigentumsanteilen nachgehen. Es sei sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, in einem solchen Fall einerseits die Rechte des Gläubigers zu wahren, dem die Sache selbst verpfändet ist, andererseits aber zu vermeiden, dass die Miteigentümer, die ihre Anteile nicht verpfändet haben, gegenüber den anderen in ungerechtfertigter Weise benachteiligt werden.
Bei einer Zwangsvollstreckung in das ganze Grundstück wird tatsächlich derjenige Miteigentümer, der durch die Verpfändung seines Anteils einen Gegenwert erhalten hat, weniger betroffen als der Miteigentümer, der seinen Anteil nicht verpfändet hat (EGGEN, Die Entwürfe der Eidg. Justizabteilung über Miteigentum und Stockwerkeigentum, in ZBGR 40/1959, S. 326 oben; vgl. hierzu auch
BGE 95 I 572
f. E. 2). Diese Benachteiligung gilt es nach Möglichkeit zu vermeiden. Der Gesetzgeber war bestrebt, das Stockwerkeigentum so auszugestalten, dass die einzelne Stockwerkeinheit wie eine Einzelliegenschaft behandelt werden kann,
BGE 113 II 157 S. 160
soweit nicht die gemeinschaftlichen Interessen der Stockwerkeigentümer in Frage stehen (vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Abänderung des vierten Teils des Zivilgesetzbuches (Miteigentum und Stockwerkeigentum) vom 7. Dezember 1962, BBl 1962 II S. 1490; 1498 f.). Dank der teilweisen Verselbständigung der Stockwerkeigentümergemeinschaft, die in gewisser Hinsicht wie eine juristische Person behandelt wird, konnte grundsätzlich auch auf die solidarische Haftung der einzelnen Stockwerkeigentümer für Gemeinschaftsschulden verzichtet werden (TUOR/SCHNYDER, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 10. Aufl., S. 653). Selbst für Pfandschulden, die auf der Gesamtliegenschaft lasten, sollen die Stockwerkeigentümer in persönlicher Hinsicht grundsätzlich nicht solidarisch, sondern nur anteilsmässig haften (Botschaft, a.a.O., S. 1502; OTTIKER, Pfandrecht und Zwangsvollstreckung bei Miteigentum und Stockwerkeigentum, Diss. Zürich 1972, S. 47, je mit Hinweisen). Die Haftung greift indessen gegenüber allen Stockwerkeigentümern Platz, soweit die Gesamtliegenschaft Haftungsobjekt ist. Die Stockwerkeigentümer können somit die Vollstreckung in die Gesamtliegenschaft nur verhindern, wenn sie auch für die anteilsmässigen Schulden eines säumigen Stockwerkeigentümers aufkommen. Die angestrebte Beschränkung der persönlichen Haftung kommt insoweit nicht zum Tragen, was im allgemeinen nicht im Interesse der Stockwerkeigentümer liegt.
Abgesehen von diesen unterschiedlichen Interessen der Miteigentümer gilt es auch jene solcher Gläubiger zu wahren, denen bereits eine Stockwerkeinheit verpfändet ist. Denn bei einer Zwangsverwertung der Gesamtliegenschaft erhält der Ersteigerer diese als Ganzes, womit die Miteigentumsanteile untergehen und die Gläubiger, denen diese verpfändet sind, ihr Pfandobjekt verlieren. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist dem Anliegen von
Art. 648 Abs. 3 ZGB
Rechnung zu tragen.
b) Anderseits erfordert die Privilegierung, die der Gesetzgeber den Bauhandwerkern mit dem Bauhandwerkerpfandrecht einräumt, keineswegs, dass für diese Grundpfandgläubiger in jedem Fall eine Wahlmöglichkeit zwischen der Belastung der Liegenschaft als Ganzes und der Belastung der einzelnen Stockwerkeinheiten bestehen muss. Der den Bauhandwerkern zugedachte Rechtsschutz ist auch gewahrt, wenn
Art. 648 Abs. 3 ZGB
beachtet wird. Zudem würde die Besserstellung der Bauhandwerker, die bewirkt würde, wenn
Art. 648 Abs. 3 ZGB
auf das Bauhandwerkerpfandrecht
BGE 113 II 157 S. 161
nicht angewendet würde, in keinem Verhältnis zur Benachteiligung stehen, die andere Pfandgläubiger und bestimmte Stockwerkeigentümer damit in Kauf zu nehmen hätten.
c) Es entspricht somit dem Sinne des Gesetzes, dass
Art. 648 Abs. 3 ZGB
auch auf das Bauhandwerkerpfandrecht Anwendung findet, welches als mittelbares gesetzliches Pfandrecht den früher begründeten Pfandrechten nachgeht. Dies widerspricht auch dem Wortlaut von
Art. 648 Abs. 3 ZGB
nicht. Es ist zu beachten, dass das Bauhandwerkerpfandrecht nach heute herrschender Ansicht grundsätzlich nur unter Mitwirkung der betroffenen Miteigentümer zustandekommen kann (OTTIKER, a.a.O., S. 72 mit Hinweisen; TUOR/SCHNYDER, a.a.O., S. 746), so dass die Stockwerkeigentümer bei der Begründung zumindest nicht völlig unbeteiligt sind. Zudem hat das Bundesgericht bereits in
BGE 95 I 575
darauf hingewiesen, dass der von den Eidg. Räten verabschiedete Gesetzestext allgemeiner formuliert war: "Bestehen Grundpfandrechte oder Grundlasten an Miteigentumsanteilen, so kann die Sache selbst nicht mehr mit solchen Rechten belastet werden." Die nachträglich erfolgte Änderung, dass "die Miteigentümer die Sache selbst nicht mehr mit solchen Rechten belasten" können, ist als rein redaktionell anzusehen.
In Übereinstimmung mit diesen Erwägungen bejaht denn auch die herrschende Lehre die Anwendung von
Art. 648 Abs. 3 ZGB
auf das Bauhandwerkerpfandrecht (EGGEN, a.a.O., S. 325 f.; FRIEDRICH, Das Stockwerkeigentum, N 10 zu § 47; LIVER, Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/1, S. 78; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N 44 zu
Art. 648 ZGB
; OTTIKER, a.a.O., S. 65; OTTIKER, Zum Bauhandwerkerpfandrecht beim Stockwerkeigentum, in: ZBGR 52/1971, S. 195 ff.; vgl. auch SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 2. Aufl. 1982, S. 92 ff.). Die in
BGE 95 I 574
f. und
BGE 111 II 34
f. offengelassene Frage, ob die Gesamtliegenschaft mit einem Bauhandwerkerpfandrecht belastet werden könne, wenn bereits auf einer Stockwerkeinheit ein Grundpfand oder eine Grundlast besteht, ist demnach negativ zu beantworten.
d) An der Unzulässigkeit der Eintragung auf der Gesamtliegenschaft würde sich im übrigen auch nichts ändern, wenn die Stockwerkeigentümer entsprechend der Behauptung der Klägerin ihr Einverständnis zur Eintragung gegeben hätten. Zwar ist das Bundesgericht in
BGE 95 I 574
ff. davon ausgegangen, dass unter den Betroffenen eine entsprechende Vereinbarung getroffen werden könne. Voraussetzung ist jedoch, dass einer solchen Abmachung
BGE 113 II 157 S. 162
auch die Gläubiger von Pfandrechten an den einzelnen Anteilen zustimmen (MEIER-HAYOZ, a.a.O., N 41 zu
Art. 648 ZGB
). Dies ist im vorliegenden Fall nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht der Fall. Dem Vorwurf eines Verstosses gegen Treu und Glauben, der in diesem Zusammenhang von der Klägerin erhoben wird, weil sich die Beklagten im nachhinein nicht mehr an diese Vereinbarung halten würden, ist damit zum vornherein die Grundlage entzogen. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
687c991b-ccfb-45ba-8ea0-aa9d26486c1e | Urteilskopf
117 V 261
34. Auszug aus dem Urteil vom 4. Dezember 1991 i.S. A. gegen Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn | Regeste
Art. 141 Abs. 3 AHVV
.
Die Beweisregelung von
Art. 141 Abs. 3 AHVV
, wonach die Kontoberichtigung bei Eintritt des Versicherungsfalles den vollen Beweis voraussetzt, schliesst den Untersuchungsgrundsatz nicht aus.
Der volle Beweis ist nach den üblichen Beweisführungs- und Beweislastgrundsätzen der im Sozialversicherungsrecht geltenden Untersuchungsmaxime zu leisten, wobei der Mitwirkungspflicht des Betroffenen erhöhtes Gewicht zukommt. | Erwägungen
ab Seite 262
BGE 117 V 261 S. 262
Aus den Erwägungen:
1.
Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidg. Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (
Art. 132 OG
). Da sich der Streit um die Rentenhöhe dreht, betrifft er Versicherungsleistungen, weshalb hier, auch wenn Fragen der Richtigkeit des individuellen Kontos bzw. dessen Berichtigung eine Rolle spielen, die umfassende Kognition gilt (ZAK 1990 S. 250 Erw. 2).
3.
a) Gemäss
Art. 138 Abs. 1 AHVV
sind die von einem Arbeitnehmer erzielten Erwerbseinkommen, von welchen der Arbeitgeber die gesetzlichen Beiträge abgezogen hat, in das individuelle Konto (des Arbeitnehmers) einzutragen, selbst wenn der Arbeitgeber die entsprechenden Beiträge der Ausgleichskasse nicht entrichtet hat. Die gleiche Ordnung gilt auch dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Nettolohnvereinbarung getroffen haben, d.h. wenn der Arbeitgeber sämtliche Beiträge zu seinen Lasten übernimmt. Diese beiden Sondertatbestände müssen aber einwandfrei nachgewiesen sein. Ist der Nachweis nicht erbracht, dass der Arbeitgeber tatsächlich die Beiträge vom Lohn seines Arbeitnehmers abgezogen hat, oder lässt sich eine behauptete Nettolohnvereinbarung nicht eindeutig feststellen, so dürfen die entsprechenden Einkommen nicht ins individuelle Konto eingetragen werden (EVGE 1960 S. 203; ZAK 1982 S. 413 Erw. 1a).
Laut
Art. 141 AHVV
hat der Versicherte das Recht, bei jeder Ausgleichskasse, die für ihn ein individuelles Konto führt, einen Auszug über die darin gemachten Eintragungen zu verlangen
BGE 117 V 261 S. 263
(Abs. 1). Versicherte, welche die Richtigkeit einer Eintragung nicht anerkennen, können innert 30 Tagen seit Zustellung des Kontoauszuges bei der Ausgleichskasse Einspruch erheben (Abs. 2). Wird kein Kontoauszug verlangt, gegen einen erhaltenen Kontoauszug kein Einspruch erhoben oder ein erhobener Einspruch abgewiesen, so kann bei Eintritt des Versicherungsfalles die Berichtigung von Eintragungen nur verlangt werden, "soweit deren Unrichtigkeit offenkundig ist oder dafür der volle Beweis erbracht wird" (Abs. 3). Das gilt nicht nur für unrichtige, sondern auch für unvollständige Eintragungen im individuellen Konto, wie beispielsweise die Nichtregistrierung tatsächlich geleisteter Zahlungen (
BGE 110 V 97
Erw. 4, ZAK 1984 S. 178 Erw. 1 und S. 441, 1982 S. 372 Erw. 2b). Diese Kontenbereinigung erstreckt sich alsdann auf die gesamte Beitragsdauer des Versicherten, betrifft also auch jene Beitragsjahre, für welche gemäss
Art. 16 Abs. 1 AHVG
jede Nachzahlung von Beiträgen ausgeschlossen ist. Die Kasse darf aber im Rahmen von
Art. 141 Abs. 3 AHVV
nicht über Rechtsfragen entscheiden, welche der Versicherte schon früher durch Beschwerde im Sinne von
Art. 84 AHVG
zur richterlichen Beurteilung hätte bringen können, sondern nur allfällig vorhandene Buchungsfehler korrigieren (ZAK 1984 S. 441 Erw. 1 mit Hinweisen).
b) Wenn
Art. 141 Abs. 3 AHVV
voraussetzt, dass für die Berichtigung unzutreffender oder unvollständiger Eintragungen im individuellen Konto der "volle Beweis" erbracht sein muss (la rectification peut être exigée si l'inexactitude des inscriptions est "pleinement prouvée", la rettificazione può essere richiesta quando gli errori di registrazione siano "debitamente provati"), so hat der Verordnungsgeber damit zweifellos eine Beweiserschwerung getroffen. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Norm in zweifacher Hinsicht auf eine Beweisverschärfung abzielt, nämlich dass zum einen praktisch ein sicherer Beweis gefordert wird, der weitergeht als der übliche im Sozialversicherungsrecht geltende Beweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (
BGE 115 V 142
Erw. 8b), und dass zum andern die Beweisführung durch den Versicherten selbst unter Ausschaltung des Untersuchungsgrundsatzes zu erfolgen hat. Dieser Grundsatz besagt, dass die verfügende - im Beschwerdefall die urteilende - Instanz den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen, aus eigener Initiative und ohne Bindung an die Vorbringen oder Beweisanträge der Parteien, abklären und feststellen muss. Der Grundsatz der Offizialmaxime gilt indessen nicht uneingeschränkt; er findet sein Korrelat in den Mitwirkungspflichten
BGE 117 V 261 S. 264
der Parteien (
BGE 116 V 26
Erw. 3c mit Hinweisen; Maurer, Sozialversicherungsrecht, Bd. I, S. 438, Ziff. 6). Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne der Beweisführungslast begriffsnotwendig aus, da es Sache des Sozialversicherungsrichters (oder der verfügenden Verwaltungsstelle) ist, für die Zusammentragung des Beweismaterials besorgt zu sein (
BGE 115 V 113
Erw. 3d/bb; MAURER, a.a.O., S. 438, Ziff. 7a). Im Sozialversicherungsprozess tragen mithin die Parteien in der Regel eine Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (
BGE 115 V 142
Erw. 8a). Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufgrund einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (
BGE 115 V 142
Erw. 8a mit Hinweis).
c) Das Eidg. Versicherungsgericht hatte schon mehrmals Gelegenheit, die Frage der Zulässigkeit der Kontenberichtigung zu prüfen. In ZAK 1969 S. 72 Erw. 2 hat es erkannt, die Beweiskraft eines individuellen Kontos, dessen Eintragungen vor Eintritt des Versicherungsfalles unbestritten waren, entspreche derjenigen eines öffentlichen Registers; seine Unrichtigkeit müsse von demjenigen nachgewiesen werden, der sie geltend mache (bestätigt im nicht veröffentlichten Urteil F. vom 12. November 1984). Im unpublizierten Urteil B. vom 13. November 1987, in welchem ein Streitfall im Berichtigungsverfahren vor Eintritt des Versicherungsfalles (
Art. 141 Abs. 2 AHVV
) zur Diskussion stand, wurde erwähnt, diesfalls bestehe grundsätzlich keine Bindung an die in
Art. 141 Abs. 3 AHVV
festgesetzten einschränkenden Beweisregeln, es sei denn, der Versicherte mache geltend, Beiträge in Marken entrichtet zu haben. Die Aussage, wonach im Berichtigungsverfahren bei Eintritt des Versicherungsfalles einschränkende Beweisregeln gelten, hat das Gericht in einem weiteren unveröffentlichten Urteil A. vom 28. September 1988 wiederholt, wobei es - mehr beiläufig - bemerkte, die Untersuchungsmaxime sei ausgeschlossen. Wiederum in einem nicht veröffentlichten Urteil N. vom 24. Oktober 1989, wo ein Sohn wegen des Zerwürfnisses mit seinem Vater nicht in der Lage war, die zur Beweisführung notwendigen vollständigen Akten zu beschaffen, hat das Eidg. Versicherungsgericht hingegen die vorinstanzlich angeordnete Rückweisung an die Ausgleichskasse
BGE 117 V 261 S. 265
mit der Auflage zu weiteren Abklärungen bestätigt; die kantonale Instanz hatte erwogen, die Kasse, welche vor Erlass der angefochtenen Verfügung keine umfassenden Abklärungen getätigt und keine Beweise erhoben habe, sei der Untersuchungsmaxime nur unzureichend nachgekommen. Ebenfalls in Befolgung dieses Grundsatzes hat das Höchstgericht in einem neueren Urteil die Vorinstanz zu ergänzenden Beweismassnahmen angehalten (nicht veröffentlichtes Urteil T. vom 19. Oktober 1990). Schliesslich hat das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil P. vom 19. Juni 1991, wo es in einem Rentenfall um den Nachweis der behaupteten Beitragszahlung eines Versicherten als Student ging, ausgeführt, angesichts des Untersuchungsgrundsatzes hätte der kantonale Richter von Amtes wegen die notwendigen Abklärungen treffen müssen, um die tatsächliche Beitragszahlung festzustellen.
d) Ein Teil der erwähnten Urteile, namentlich dasjenige in Sachen A. vom 28. September 1988, geht von der Annahme einer in diesem Bereich vorhandenen subjektiven Beweisführungslast aus. Davon weichen die letzten Urteile in Fällen ab, in denen der Versicherte, aufgrund der gegebenen besonderen Umstände, einerseits ausserstande war, selber den vollen Beweis für den von ihm behaupteten Sachverhalt zu erbringen, in denen anderseits nach der Aktenlage gewichtige Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Verwaltung (oder die urteilende Instanz) kraft der ihr zur Verfügung stehenden Mittel, somit von Amtes wegen, mehr Licht in die Angelegenheit zu bringen vermöchte. Eine Überprüfung der Sache ergibt, dass an der Formulierung im Urteil A. vom 28. September 1988, wonach die Beweisregelung von
Art. 141 Abs. 3 AHVV
die Untersuchungsmaxime ausschliesse, nicht festgehalten werden kann. Diese Bestimmung stellt wohl für die Kontoberichtigung bei Eintritt des Versicherungsfalles die qualifizierte Beweisanforderung auf, dass dafür der volle Beweis erbracht sein muss. Darin erschöpft sich Sinn und Zweck von
Art. 141 Abs. 3 AHVV
. Diese Norm schreibt aber nicht vor, dass der Versicherte selber den geforderten Beweis zu erbringen hat. Zu einer anderen Auslegung besteht auch unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs kein Anlass. Dieses dient einerseits der Sachaufklärung, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung des einzelnen eingreift (
BGE 115 Ia 11
Erw. 2b mit Hinweis). Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern,
BGE 117 V 261 S. 266
erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (
BGE 116 Ia 302
Erw. 5a,
BGE 116 V 33
Erw. 4a und 184 Erw. 1a, je mit Hinweisen auf die Rechtsprechung und Lehre). Der "volle Beweis" im Sinne des erhöhten Beweisgrades ist somit nach den üblichen Verfahrensgrundsätzen des Sozialversicherungsrechts zu leisten. Dabei kommt allerdings der Mitwirkungspflicht des Betroffenen in diesem Zusammenhang erhöhtes Gewicht zu, indem er von sich aus alles ihm Zumutbare zu unternehmen hat, um die Verwaltung oder den Richter in der Beschaffung des Beweismaterials zu unterstützen.
4.
a) Wie schon im vorinstanzlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer auch vor dem Eidg. Versicherungsgericht geltend, er habe in den Jahren 1948 und 1949 im Sozialtherapeutischen Institut M. gearbeitet, wo er als Entschädigung Kost und Logis sowie ein monatliches Taschengeld von Fr. 75.-- erhalten habe. Von Januar bis Mai 1951 sei er ferner bei der K. AG beschäftigt gewesen. Der dort erzielte Verdienst belaufe sich gesamthaft auf Fr. 1'153.55, wie ihm die Schwiegertochter seines damaligen Vorgesetzten, Frau G., welche heute die Buchhaltung der Firma führe, auf telefonische Anfrage hin bestätigt habe. Neu wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgeführt, Frau G. habe auf weitere mündliche Anfrage erklärt, "im Keller tatsächlich betreffende Lohnliste gefunden" zu haben. Sie habe ihm nicht nur die Lohnsumme von Fr. 1'153.55 erwähnt, sondern auch den Betrag, der ihm abgezogen worden sei, an den er sich aber nicht mehr erinnern könne. Obschon es auf der Hand liege, dass die Firma K. AG nach 40 Jahren nichts mehr zu befürchten habe, getraue die Firma sich nun nicht, ihm die Auskunft von Frau G. zu bestätigen.
b) Dass der Beschwerdeführer die Frage der Verbuchung fehlender Beitragszahlungen nicht schon früher im Rahmen eines Berichtigungsverfahrens nach
Art. 141 AHVV
aufgeworfen hat, kann ihm nicht angelastet werden. Zum einen sind die Versicherten nicht verpflichtet, periodisch Kontenauszüge zu verlangen und hernach allenfalls ein Berichtigungsverfahren nach
Art. 141 Abs. 2 AHVV
durchzuführen. Zum andern kann ein Berichtigungsverfahren auch noch bei Eintritt des Versicherungsfalles eingeleitet
BGE 117 V 261 S. 267
werden. Entgegen der Annahme der Vorinstanz sind jedoch die nötigen Abklärungen für die Kontobereinigung in einem Fall wie dem vorliegenden im Rahmen des hängigen Beschwerdeverfahrens betreffend Rentenberechnung vorzunehmen.
Es steht unbestrittenermassen fest, dass für die Jahre 1948-1950 keine Beiträge in das individuelle Konto des Beschwerdeführers eingetragen wurden und im Jahre 1951 eine Eintragung bezüglich des Lohnes der K. AG fehlt. Mit den von den Ausgleichskassen getätigten Abklärungen wurde vorerst nur festgestellt, ob offenkundige Eintragungsfehler bestehen, was nach den vorliegenden Akten zu verneinen ist. Damit ist aber das Beweisthema von
Art. 141 Abs. 3 AHVV
nicht erschöpft; es kann sein, dass zwar Sozialversicherungsbeiträge abgezogen, aber nicht abgeliefert worden sind, ein Sachverhalt, worüber die Beschwerdegegnerin vorliegend nichts Schlüssiges aussagen kann. Da der Beschwerdeführer die üblichen "vollen" Beweismittel, wie Zahltagstäschlein, Lohnausweise, nicht mehr zur Hand hat, kann der Beweis des Beitragsabzugs praktisch nur noch über Firmendokumente geliefert werden. Solche Abklärungen sind zu tätigen, wenn glaubwürdige Vorbringen und konkrete Anhaltspunkte im gegebenen Einzelfall dies nahelegen. Der Arbeitgeber ist zur Auskunft verpflichtet; er hat der Ausgleichskasse - im Beschwerdefall dem Richter - insbesondere alle nötigen Angaben für die Verbuchung der Beiträge und für die Eintragung in das individuelle Konto zu liefern (
Art. 51 Abs. 3 Satz 2 AHVG
in Verbindung mit Art. 35 Abs. 1 und 209 Abs. 1 AHVV).
c) Aufgrund der Einwände des Beschwerdeführers im vorinstanzlichen wie im vorliegenden Verfahren sind zusätzliche Abklärungen bezüglich der Lohnzahlungen der K. AG im Jahre 1951 notwendig. Die Sache wird daher an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie prüfe, ob der Beschwerdeführer 1951 einen Lohn von der K. AG bezogen hat und gegebenenfalls in welchem Umfang ihm damals AHV-Beiträge tatsächlich abgezogen worden sind. Sollte der Arbeitgeber die Beiträge bei der Lohnzahlung tatsächlich in Abzug gebracht haben, wäre die entsprechende Nachtragsbuchung vorzunehmen und die Rente neu zu berechnen.
Keine weiteren Abklärungen drängen sich hingegen bezüglich des Sozialtherapeutischen Instituts M. auf. Aus den von der zuständigen Ausgleichskasse des Kantons Tessin im kantonalen Verfahren eingereichten Lohnlisten 1948 und 1949 geht eindeutig hervor, dass unter den abgerechneten Löhnen keine Zahlungen
BGE 117 V 261 S. 268
betreffend den Beschwerdeführer figurieren. In seinem Schreiben vom 13. Mai 1987 bestätigt zwar das Institut M., dass der Beschwerdeführer in den fraglichen Jahren in diesem Heim gearbeitet und seine Entlöhnung in Kost und Logis sowie einem Taschengeld bestanden hat. Entgegen der Darstellung in der vorinstanzlichen Replik wird darin aber nicht bestätigt, die Beiträge seien vom damaligen Lohn auch tatsächlich abgezogen worden, was erforderlich wäre, damit sie nachträglich bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden könnten. Es wird lediglich gesagt, die Beitragsabrechnung erfolge über die "Kasse Nr. 21, Bellinzona", was über den tatsächlichen Abzug der Beiträge vom Lohn nichts aussagt. Dass eine Nettolohnvereinbarung bestand, der Arbeitgeber also nebst seinem Anteil auch den Arbeitnehmerbeitrag hätte entrichten müssen, wird weder vom Beschwerdeführer behauptet, noch bieten die Akten stichhaltige Anhaltspunkte für eine solche Abmachung. Somit ist der verlangte volle Beweis für eine Berichtigung des individuellen Kontos bezüglich der Jahre 1948 bis 1950 nicht erbracht. Es muss daher bei der Feststellung sein Bewenden haben, dass diesbezüglich keine zusätzlichen Beiträge bei der Berechnung der Rente berücksichtigt werden können, wie Verwaltung und Vorinstanz zu Recht erkannt haben. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
687dc63e-8162-4e98-958e-3ab95413ac63 | Urteilskopf
126 V 241
41. Auszug aus dem Urteil vom 28. Juni 2000 i. S. K. gegen IV-Stelle für Versicherte im Ausland und Eidg. Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen | Regeste
Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 29 Abs. 2 und
Art. 22 IVG
: Eingliederung vor Rente.
Der Rentenanspruch kann nicht entstehen, solange Eingliederungsmassnahmen durchgeführt und dafür Taggelder ausgerichtet werden. | Sachverhalt
ab Seite 241
BGE 126 V 241 S. 241
A.-
Gestützt auf ein Schreiben des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) vom 10. März 1998 hob die IV-Stelle für Versicherte im Ausland die der spanischen Staatsangehörigen K. (geboren in der Schweiz am 7. März 1971 und seit 1. August 1991 wohnhaft in Spanien) seit 1. April 1990 ausgerichtete ganze Invalidenrente mit Wirkung ab 1. Dezember 1998 auf (Verfügung vom 2. Oktober 1998). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Eintritt der Invalidität sei seinerzeit bei der ursprünglichen Rentenfestsetzung fälschlicherweise auf 1. April 1990 statt 1. April 1989, den ersten Monatsbeginn nach Vollendung des 18. Altersjahres der nicht weiter eingliederungsfähigen Versicherten, festgelegt worden. Könne sich K. somit über kein Mindestbeitragsjahr vor Eintritt der Invalidität am 1. April 1989 ausweisen, was bisher übersehen worden sei, stehe ihr mangels Erfüllung der versicherungsmässigen Voraussetzungen
BGE 126 V 241 S. 242
keine ordentliche und, da in Spanien wohnhaft, auch keine ausserordentliche Invalidenrente zu.
B.-
Die seitens der Versicherten dagegen erhobene Beschwerde wies die Eidg. Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen ab (Entscheid vom 7. Juni 1999).
C.-
K. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihr, unter Aufhebung von vorinstanzlichem Entscheid und Verwaltungsverfügung, über den 1. Dezember 1998 hinaus weiterhin eine ganze Invalidenrente zu gewähren.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das BSV lässt sich nicht vernehmen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
In dem von der IV-Stelle eingeholten Schreiben vom 10. März 1998 hat das BSV die Auffassung vertreten, die Beschwerdeführerin sei als Geburtsinvalide zu betrachten. Dies habe zur Folge, dass der Rentenfall am 1. April 1989 eingetreten sei, nachdem die Versicherte am 7. März 1989 das 18. Altersjahr vollendet habe. Die Tatsache, dass sie bei und nach Vollendung des 18. Altersjahres im Rahmen einer erweiterten Sonderschulung in Eingliederung stand und deswegen bis zum 31. März 1990 ein der AHV-Beitragspflicht unterliegendes kleines Taggeld bezog (Art. 22 in Verbindung mit
Art. 25 IVG
), betrachtete die Aufsichtsbehörde mit Blick auf den Eintritt des Versicherungsfalles (
Art. 4 Abs. 2 IVG
) und die Erfüllung des Mindestbeitragsjahres (
Art. 36 Abs. 1 IVG
) als unerheblich.
4.
Unter der Geltung von
Art. 4 Abs. 2 IVG
in der ursprünglichen Fassung (in Kraft seit 1. Januar 1960) blieb unklar, ob derselbe Gesundheitsschaden mehrere (sukzessive) Versicherungsfälle bewirken kann (EVGE 1966 S. 175, insbes. S. 178 f. Erw. 4). Diese Unsicherheit bewog den Gesetzgeber im Rahmen der am 1. Januar 1968 in Kraft getretenen 1. IV-Revision (Bundesgesetz vom 5. Oktober 1967), den Invaliditätseintritt leistungsbezogen zu normieren. Diesem Zweck dient
Art. 4 Abs. 2 IVG
, wonach die Invalidität als eingetreten gilt, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat. Es entspricht ständiger Rechtsprechung zu dieser Bestimmung, dass das IVG nicht einen einheitlichen Versicherungsfall kennt, sondern dem System des leistungsspezifischen Versicherungsfalles folgt (MEYER-BLASER, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung
BGE 126 V 241 S. 243
[IVG], in: MURER/STAUFFER [Hrsg.], Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Zürich 1997, S. 22 f. mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung).
5.
Der Eintritt des Rentenfalles wird durch
Art. 29 IVG
positivrechtlich geregelt. Abs. 1 lit. a und b dieser Bestimmung umschreiben die beiden Entstehungsgründe des Rentenanspruches. Ausgerichtet wird die Rente gemäss
Art. 29 Abs. 2 IVG
von Beginn des Monats an, in dem der Anspruch entsteht, jedoch frühestens von jenem Monat an, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt. Im Rahmen der seit 1. Januar 1988 in Kraft stehenden 2. IV-Revision (Bundesgesetz vom 9. Oktober 1986) erfuhr die letztgenannte Norm eine Ergänzung, nach welcher der Anspruch nicht entsteht, solange der Versicherte ein Taggeld nach
Art. 22 IVG
beanspruchen kann. Damit wurde nunmehr auf der Ebene des Gesetzes - und nicht wie früher nur auf Verordnungsstufe (vgl.
Art. 28 Abs. 1 und 2 IVV
in der bis 31. Dezember 1984 gültig gewesenen Fassung) - die Priorität der Eingliederungsmassnahmen, welche durch den akzessorischen Taggeldanspruch (
BGE 114 V 140
Erw. 1a) begleitet sind, vor der Invalidenrente festgeschrieben (Botschaft über die zweite Revision der Invalidenversicherung vom 21. November 1984; BBl 1985 I 41f.). Der Rentenanspruch kann daher nicht entstehen, solange Eingliederungsmassnahmen durchgeführt werden (
BGE 121 V 190
). Die Auffassung von Aufsichtsbehörde und Rekurskommission, wonach der Rentenfall - unabhängig davon, ob ein Taggeld gemäss
Art. 22 IVG
ausgerichtet werde - eintrete, falls die versicherte Person nach Abschluss von Sonderschulung oder erstmaliger beruflicher Ausbildung invalid sei, ist somit unbegründet.
6.
Als die Beschwerdeführerin am 7. März 1989 ihr 18. Altersjahr vollendete, war sie freilich - wegen der Folgen des im Alter von fünf Jahren erlittenen schweren Verkehrsunfalles - invalid in dem Sinne, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Versicherungsfälle z.B. für Sonderschulung (
Art. 19 IVG
) und Hilfsmittel (
Art. 21 IVG
) usw. eingetreten waren. Der Rentenanspruch hingegen konnte nach dem Gesagten gerade nicht entstehen, weil sie sich als damals 18-Jährige in der erweiterten Sonderschulung befand und ein kleines Taggeld bezog, auf dem Beiträge erhoben wurden. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass die Beschwerdeführerin das Mindestbeitragsjahr vor Eintritt des Invaliditätsfalles, der nach Abbruch der Eingliederungsbemühungen auf den 1. April 1990 festgelegt wurde, erfüllt. Es steht ihr somit eine ordentliche Invalidenrente zu. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
6881b495-b60f-4b25-8754-0e22c5c7e974 | Urteilskopf
110 IV 68
22. Urteil des Kassationshofes vom 29. Oktober 1984 i.S. K. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 223 und 125 StGB
. Fahrlässige Verursachung einer Explosion und fahrlässige schwere Körperverletzung.
Wer als Betriebsleiter einem Dritten Geräte zur Verwendung von Flüssiggas überlässt, ohne ihn über die speziellen Unfallgefahren zu instruieren, verletzt seine Sorgfaltspflicht. | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 110 IV 68 S. 69
A.-
W. K. ist Geschäftsführer der Firma Z. in Biel. Sein Bruder P. K. hatte als Unterakkordant von dieser Firma den Auftrag erhalten, im Rahmen des vor dem Abschluss stehenden Umbaus einer Metzgerei in Biel den Boden des Tiefkühlraumes zu streichen. Am 15. Dezember 1978, d.h. am Tage der Wiedereröffnung der Metzgerei, stellte P. K. fest, dass der vom Bauführer dringend verlangte Anstrich nicht möglich war, ohne dass der gefrorene Boden aufgetaut und erwärmt wurde. Er ersuchte seinen Bruder, ihm für diese Arbeit einen Gasbrenner zur Verfügung zu stellen. W. K. entsprach dem Begehren, übergab seinem Bruder den Schlüssel zum Magazin und stellte ihm den Mitarbeiter Ba. als Chauffeur für den Transport zur Verfügung. P. K. und Ba. holten einen Gasbrenner und eine Gasflasche. Sie stellten beides im Tiefkühlraum auf und entzündeten bei offener Türe um ca. 10.00 Uhr die Flamme, um durch die Erwärmung des Raumes den Boden zu heizen. Darauf entfernten sie sich. Als P. K. um ca. 14.00 Uhr wieder erschien, war die Flamme des Gasbrenners erloschen und die Türe zum Kühlraum zugestossen. Gemeinsam mit Bü. und Sch. prüfte P. K. die Situation. Wahrscheinlich weil Bü. mit seinem Feuerzeug den Brenner in Funktion zu setzen versuchte, kam es dann zu einer Verpuffung ("Explosion" im Rechtssinn) des ausgeströmten Gases. Es wurden 6 Personen verletzt, am schwersten Bü., der über ein Jahr arbeitsunfähig war. Der Sachschaden belief sich auf Fr. 15'000.--.
B.-
In Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils hat das Obergericht des Kantons Bern (2. Strafkammer) am 13. Dezember 1983 W. K. der fahrlässigen Verursachung einer Explosion und der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig erklärt und ihn zu einer Busse von Fr. 600.-- (bei Bewährung löschbar nach 2 Jahren) verurteilt.
C.-
Gegen diesen Entscheid führt W. K. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde.
Die ebenfalls eingereichte staatsrechtliche Beschwerde hat der Kassationshof am 29. Oktober 1984 abgewiesen.
BGE 110 IV 68 S. 70
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach den Feststellungen der Vorinstanz führte folgende Ursachenreihe zum Schadenereignis: P. K. und Ba. setzten den ihnen für das Wärmen des Bodens von W. K. überlassenen Gasbrenner im Kühlraum der Metzgerei in Funktion. Die Flamme der während Stunden nicht beaufsichtigten Einrichtung erlosch mangels Sauerstoffzufuhr. Das Gas strömte aus und es entstand im Raum ein Gemisch, das beim Versuch, den Brenner wieder in Betrieb zu setzen, schnell abbrannte (verpuffte, im Rechtssinne: "explodierte").
An dieser Kausalkette ist der Beschwerdeführer dadurch beteiligt, dass er seinem Bruder die Flüssiggas-Flasche und den Brenner für den Einsatz im Kühlraum überliess, ohne ihn über die Gefahren der Flüssiggas-Verwendung und die dabei zu beachtenden Vorschriften zu instruieren.
2.
Dem Beschwerdeführer wird Fahrlässigkeit vorgeworfen. Seine strafrechtliche Verantwortung für die eingetretenen Folgen (Explosion und Körperverletzung) hängt davon ab, ob sein Verhalten im Sinne von
Art. 18 Abs. 3 StGB
eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit darstellt und ob gegebenenfalls das pflichtwidrige Verhalten für die eingetretenen tatbestandsmässigen Folgen kausal war.
Die Lehre von der Garantenstellung, auf welche die Vorinstanz Bezug genommen hat, wurde in der Doktrin vor allem zur Abgrenzung der vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikte entwickelt. Sie befasst sich daher in erster Linie mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein vorsätzliches Unterlassen dem vorsätzlichen Handeln gleichzusetzen ist und zur Verurteilung wegen eines Begehungsdeliktes führen kann. Im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte stellt sich diese Frage nicht in gleicher Weise, da als Fahrlässigkeit von vornherein auch eine Unterlassung in Frage kommen kann und die pflichtwidrige Unvorsichtigkeit sehr häufig in einer die Sorgfaltspflicht verletzenden Unterlassung besteht. Wenn es darum geht, das Bestehen und das Ausmass der Sorgfaltspflicht zu begründen, so kann es allerdings zweckmässig sein, auf die Grundlagen der Lehre von der Garantenstellung zurückzugreifen
BGE 110 IV 68 S. 71
(vgl. dazu STRATENWERTH, AT I, S. 420;
BGE 108 IV 5
ff.). Die Vorsichtspflicht im Sinne von
Art. 18 Abs. 3 StGB
lässt sich aber in den meisten Fällen direkt und einfacher begründen ohne Bezugnahme auf die Kriterien des Garanten, die im Bereich der vorsätzlichen Unterlassungsdelikte restriktiv sein müssen.
3.
Wer über eine Einrichtung verfügt, deren Gebrauch besondere, nicht ohne weiteres erkennbare oder allgemein bekannte Unfallrisiken mit sich bringt, hat nicht nur selber die Regeln zur Vermeidung dieser Risiken zu beachten, sondern auch dafür zu sorgen, dass Drittpersonen, denen er die Verwendung seiner Einrichtung gestattet, über die Unfallrisiken und die zu beachtenden Vorschriften gebührend orientiert sind.
Geräte für die Verwendung von Flüssiggas sind solche Einrichtungen, welche spezielle Unfallgefahren bewirken können und eine entsprechende Instruktion des für die Bedienung Verantwortlichen erfordern. Dass der Gebrauch von Flüssiggas mit Risiken verbunden ist, denen durch besondere Vorsicht und Einhaltung bestimmter Regeln begegnet werden muss, ergibt sich aus den einschlägigen Brandschutzvorschriften und Flüssiggas-Richtlinien sowie aus den Publikationen der SUVA (vgl. SJZ 1977 S. 205). Der Beschwerdeführer als Leiter eines Betriebes, in welchem oft Gasbrenner verwendet werden, musste über die Gefahren dieser Geräte und die Notwendigkeit entsprechender Instruktion bei Abgabe an Drittpersonen orientiert sein. Er bestreitet nicht, die Vorsichtspflicht gekannt zu haben, wenn er sich auch um die Vorschriften nie besonders kümmerte.
Unbestritten ist, dass W. K. im konkreten Fall den Gasbrenner und die Gasflasche seinem Bruder zum Gebrauch überliess, ohne ihn zu instruieren oder abzuklären, ob er Erfahrung im Umgang mit einem solchen Gasverbrauchsgerät habe. Diese Sorglosigkeit bei der Überlassung des Gerätes an eine Drittperson wird dem Beschwerdeführer als Fahrlässigkeit zur Last gelegt; insbesondere hätte P. K. auf das Risiko bei Verwendung in Unterflurräumen aufmerksam gemacht und vor unbeaufsichtigtem Betrieb des Gasbrenners nachdrücklich gewarnt werden müssen.
a) Gegen diese Vorwürfe wird in der Nichtigkeitsbeschwerde eingewendet, W. K. habe das Gasverbrauchsgerät nicht einfach seinem Bruder überlassen, sondern ihm für die Erledigung des Auftrages den Mitarbeiter Ba. zur Verfügung gestellt, der mit Gasflaschen und Brennern vertraut war. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer seinen
BGE 110 IV 68 S. 72
Mitarbeiter Ba. in erster Linie als Chauffeur, nicht als Fachmann für den Einsatz und die Bedienung des Gasbrenners zur Verfügung gestellt. Wohl wirkte Ba. nachher beim Aufstellen des Gasbrenners mit, aber P. K., der in der Verwendung von Flüssiggas keine Erfahrung hatte, trug die Verantwortung für das Trocknen des Bodens. Dass der Beschwerdeführer den Mitarbeiter Ba. als Chauffeur mitschickte, kann er nicht hinterher als Entschuldigung für das Unterlassen jeder Instruktion anführen.
b) Der Beschwerdeführer wusste, dass ein längere Zeit dauernder Einsatz des Gasbrenners geplant war. Das ergab sich aus dem Zweck der Verwendung. Es war auch erkennbar, dass der Kühlraum sich möglicherweise unter Flur befinde und dass die genügende Luftzufuhr problematisch sein könnte. In dieser Situation war es dringend geboten, bei der Erteilung der Erlaubnis zur Verwendung des Gasbrenners auf die speziellen Risiken hinzuweisen und dauernde Überwachung des Gerätes zu empfehlen. Dass W. K. sich um die möglichen Gefahren gar nicht kümmerte und die Verwendung des Flüssiggas-Gerätes ohne jede Instruktion gestattete, widerspricht der elementaren Vorsichtspflicht des Halters einer solchen Einrichtung.
c) Dieser Verstoss gegen die Sorgfaltspflicht kann auch nicht mit dem Einwand entschuldigt werden, der Beschwerdeführer habe angenommen, das Aufwärmen und Trocknen des Bodens erfolgten im direkten Flammenkontakt mit dem Brenner in der Hand; auf jeden Fall habe er nicht damit rechnen müssen, sein Bruder werde die Flamme unbeaufsichtigt lassen.
Bei einer derartigen Trocknungsarbeit war vorauszusehen, dass der Brenner über längere Zeit verwendet werden musste. Der Gedanke, mit dem Brenner den Raum zu heizen, wie das offenbar etwa bei Aufenthaltsräumen in Neubauten gemacht wird, lag daher nicht fern. Auf jeden Fall hätte der Beschwerdeführer bei pflichtgemässer Sorgfalt allen Grund gehabt, mit seinem Bruder genau zu besprechen, wie der Gasbrenner eingesetzt werden soll, und ihn zur nötigen Vorsicht anzuhalten. Er konnte und durfte sich nicht darauf verlassen, die offene Flamme werde gewiss nicht unbeaufsichtigt bleiben.
4.
Ob die verwendete Flasche (nach ihrem Gewicht) gemäss den Flüssiggas-Richtlinien ausnahmsweise auch unter Flur hätte eingesetzt werden dürfen, ist hier nicht zu entscheiden; denn der Fahrlässigkeits-Vorwurf wird ja nicht einfach durch die Flüssiggas-Verwendung in einem Unterflurraum begründet.
BGE 110 IV 68 S. 73
Die Vorinstanz hat lediglich festgehalten, dass gemäss den Richtlinien Gasflaschen prinzipiell nicht in Unterflurräumen aufgestellt werden dürfen, und daran die Folgerung geknüpft, der Umgang mit solchen Gasbrenneranlagen bedürfe - "insbesondere in Unterflurräumen - zumindest besonderer Vorsicht ..., zumal der hier verwendete Brenner keine Zündflammsicherung" besitze. Diese Erwägung ist auch im Lichte des vollständigen Textes der Richtlinien nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz führt nicht etwa aus, die Flüssiggas-Verwendung hätte am vorgesehenen Ort vom Beschwerdeführer gar nicht erlaubt werden dürfen. Als Fahrlässigkeit wird dem Beschwerdeführer ausschliesslich das Unterlassen jeder Instruktion vorgeworfen.
5.
Die Gasflasche war im vorliegenden Fall nicht oder ganz ungenügend odoriert. Bei ausreichender Odoration wäre das ausgeströmte Gas durch seinen Geruch aufgefallen.
Das Fehlen der Odoration kann nicht dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werden. Auch im angefochtenen Urteil wird ihm diese Mitursache richtigerweise nicht angelastet. Das Obergericht führt lediglich aus, das Fehlen der Odorierung könne den Beschwerdeführer nicht stark entlasten, weil er es zu vertreten habe, dass im Betrieb keine Lagerkontrolle geführt wurde und daher das Vorhandensein nicht odorierter Flaschen nicht bekannt war.
Die genügende Odoration hätte möglicherweise dazu beigetragen, die Auswirkungen der fehlenden Instruktion zu verhindern, weil der ausgeprägte Gasgeruch zur Vorsicht veranlasst hätte. Durch dieses Ausbleiben einer Warnung wird aber die Sorglosigkeit beim Überlassen der Einrichtung weder aufgehoben, noch vermindert. Anderseits stellt der Vorwurf des Fehlens einer Lagerkontrolle (betr. Odorierung) kein separates Schuldelement dar, das bei der Beurteilung des Beschwerdeführers ins Gewicht fallen würde.
6.
Der in der Nichtigkeitsbeschwerde vorgebrachte Vergleich mit der Überlassung eines Motorfahrzeuges kann durchaus zutreffend sein, sofern man die Randbedingungen richtig beachtet. Ein Auto darf man einer Drittperson höchstens dann ohne weitere Erkundigung zum Gebrauch überlassen, wenn man nach den Umständen in guten Treuen überzeugt sein darf, dass der Dritte den für die betreffende Fahrzeugkategorie erforderlichen Führerschein besitzt. Sobald Zweifel bestehen, hat man sich zu erkundigen.
Der Beschwerdeführer hatte keinen Grund anzunehmen, sein Bruder sei mit den besondern Risiken der Flüssiggas-Verwendung
BGE 110 IV 68 S. 74
vertraut. Er vergewisserte sich auch nicht über die Erfahrungen von Ba. und machte ihn nicht zum Verantwortlichen für die geplante Trocknung des Bodens. Aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich vielmehr, dass der Beschwerdeführer das Gerät seinem Bruder für eine etwas aussergewöhnliche Verwendung überliess, ohne sich um das Unfallrisiko zu kümmern.
7.
Dass der vorgeworfene Mangel an Instruktion für das Schadenereignis kausal gewesen sei, wird in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht in Frage gestellt. Es darf davon ausgegangen werden, dass ein genügender Hinweis auf die Gefahren bei unbeaufsichtigtem Betrieb des Brenners und speziell bei der Verwendung in einem Unterflurraum ohne genügende Luftzufuhr mit hoher Wahrscheinlichkeit geeignet gewesen wäre, den zur Explosion und zur Körperverletzung führenden Ablauf zu verhindern, weil der genügend gewarnte P. K. von einem stundenlangen Betrieb des Gasbrenners ohne Aufsicht abgesehen hätte.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68833692-5cc7-4146-aba0-ae2180338ec2 | Urteilskopf
111 IV 134
35. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 13. August 1985 i.S. St. c. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 148 StGB
; Checkkartenmissbrauch.
Wer durch Checkkarte garantierte Checks (Eurochecks) trotz Fehlens einer Deckung verwendet, erfüllt den Tatbestand des Betrugs nicht (E. 5a-d). Der Tatbestand der Veruntreuung ist ebenfalls nicht erfüllt (E. 5f). Betrug kann aber dann vorliegen, wenn der Täter bereits bei der Eröffnung des Lohnkontos bzw. bei der Entgegennahme des Checkhefts den Willen hatte, die garantierten Checks missbräuchlich zu verwenden (E. 5h). | Erwägungen
ab Seite 135
BGE 111 IV 134 S. 135
Aus den Erwägungen:
5.
a) Am 5. Juni 1979 eröffnete der Beschwerdeführer bei der St. Gallischen Creditanstalt, St. Gallen, ein Lohnkonto, indem er Fr. 5.-- einlegte. Gleichzeitig liess er sich ein Eurocheckheft aushändigen. In der Folge verzeichnete das Konto am 29. Oktober 1979 eine Einlage von Fr. 2933.20, die aber vom Kontoinhaber bereits am 30. Oktober 1979 wieder bezogen wurde. Obwohl nun auf dem Konto lediglich noch ein Habensaldo von Fr. 5.-- bestand, stellte der Beschwerdeführer in der Zeit vom 20. März bis zum 21. Mai 1980 sieben Eurochecks über insgesamt Fr. 2044.20 aus. Trotz Mahnung der Bank deckte er den entstandenen Sollsaldo nicht ab. Im nachfolgenden Betreibungsverfahren erhielt die Bank einen Pfändungsverlustschein.
Der Beschwerdeführer macht gegen seine Verurteilung wegen Betrugs geltend, die Bank habe die minimalsten Vorkehren zur Überprüfung seiner Zahlungsfähigkeit und seines Zahlungswillens unterlassen; eine Kontrolle sei umso eher geboten gewesen, als ein Lohnkonto mit einem Betrag von lediglich Fr. 5.-- eröffnet wurde; im übrigen sei das Überziehen derartiger Konti geschäftsüblich.
Nach den Ausführungen des Kantonsgerichts stellen Abhebungen von einem ungedeckten Konto im Eurochecksystem "gemäss Praxis" eine arglistige Täuschung dar und sind auch die übrigen Tatbestandsmerkmale des Betrugs erfüllt. Das Gericht verweist zur Begründung auf ein Urteil der II. Strafkammer des Zürcher Obergerichts vom 29. April 1980 (ZR 1980 Nr. 97), dessen
BGE 111 IV 134 S. 136
Erwägungen es teilweise wiedergibt, und es beruft sich zudem auf
BGE 99 IV 75
ff. (Vorlage eines ungedeckten Postchecks zur Auszahlung).
b) Der Kassationshof hatte sich bis heute noch nie mit der strafrechtlichen Qualifikation der Verwendung von ungedeckten, durch Checkkarte garantierten Checks - um solche handelt es sich vorliegend - zu befassen. Das Zürcher Obergericht hat im bereits erwähnten Urteil (ZR 1980 Nr. 79) abweichend von der 1. Instanz Betrug angenommen. Die schweizerischen Autoren, die sich zur Frage äusserten, verneinen das Vorliegen von Betrug im wesentlichen mit der Begründung, dass den Checknehmer die Frage der Deckung nicht interessiere, da der Check (bis zum Betrag von Fr. 300.--) von der Bank garantiert ist, dass der Checknehmer sich mithin keine Vorstellungen über das Vorliegen oder das Fehlen einer Deckung mache und sich daher diesbezüglich nicht in einem Irrtum befinden könne (vgl. SCHUBARTH, Vom Vermögensstrafrecht zum Wirtschaftsstrafrecht, SJZ 75/1979 S. 187, NIKLAUS SCHMID, Missbräuche im modernen Zahlungs- und Kreditverkehr, Bankwirtschaftliche Forschungen Bd. 73, 1982, S. 59). In der BRD ist die Frage zwischen Rechtsprechung und Lehre kontrovers. Der Bundesgerichtshof qualifizierte in einem Urteil vom 26. Juli 1972 die Zahlung mit einem durch Checkkarte garantierten, ungedeckten Check als Betrug (nicht Untreue) (NJW 1973 63, NJW 1972 1904). Gleich entschied etwa das Oberlandesgericht Köln in einem Urteil vom 22. November 1977 (NJW 1978 713 f.). Die herrschende deutsche Lehre lehnt dagegen die Annahme von Betrug ab im wesentlichen mit der Begründung, dass der Checknehmer angesichts der Garantie der Bank sich nicht um die Deckung kümmern müsse, daher diesbezüglich keine bestimmten Vorstellungen habe und sich deshalb nicht in einem Irrtum befinde (LEIPZIGER KOMMENTAR (Lackner), N. 89, 321 zu § 263 (dt.)StGB; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER, Kommentar, N. 50 zu § 263 (dt.)StGB; DREHER/TRÖNDLE, Kurzkommentar, N. 19 und N. 39 zu § 263 (dt.)StGB; RUDOLPHI/HORN/SAMSON, Kommentar, N. 61 zu § 263 (dt.)StGB; alle mit zahlreichen Hinweisen).
c) In
BGE 99 IV 75
ff. wurde die arglistige Täuschung damit begründet, dass, wie der Täter wusste, der Postbeamte gemäss allgemeiner Anordnung Auszahlungen aus dem Konto des ihm bekannten Kunden ohne Rückfrage beim Postcheckamt nach dem Umfang der Deckung vornimmt, falls es sich um Beträge von weniger als Fr. 2000.-- (heute Fr. 4000.--) handelt (S. 78). Wer
BGE 111 IV 134 S. 137
als Kunde der Post wissentlich einen ungedeckten Postcheck vorlegt, nützt diese ihm bekannte Tatsache aus und verhält sich arglistig (S. 79).
d) Der Eurochecknehmer ist im Unterschied zum Postbeamten, der in Vertretung der Post den Postcheck entgegennimmt, nicht daran interessiert zu wissen, ob der Eurocheck (bis zum garantierten Betrag von Fr. 300.--) gedeckt sei; denn er erhält das Geld von der bezogenen Bank auch bei Fehlen einer Deckung. Der Sinn der von der Bank gegebenen Garantie besteht gerade darin, den Checknehmer von der Sorge um das Vorhandensein der Deckung zu befreien. Der Checknehmer braucht sich um die Deckung nicht zu kümmern, und er muss diesbezüglich keine Abklärungen vornehmen. Die Bank sichert dem Checknehmer nicht nur Zahlung für den Fall zu, dass er auch bei Anwendung von Sorgfalt das Fehlen der Deckung nicht erkennen konnte, sondern sie befreit ihn von der Aufgabe, sich überhaupt irgendwelche Gedanken über die Deckung machen zu müssen. Denn nur dadurch wird das angestrebte Ziel, nämlich die Erleichterung der Zahlung mittels Eurochecks, erreicht.
Der Checknehmer weiss nicht, ob eine Deckung vorhanden sei oder nicht, und er kann sich daher auch nicht in einem Irrtum befinden. Gewiss darf und wird er den Check nicht entgegennehmen, wenn er weiss, dass die Deckung fehlt. Daraus lässt sich indessen nach der zutreffenden Auffassung der herrschenden Lehre und entgegen den Meinungsäusserungen in Gerichtsentscheiden nicht der Schluss ziehen, wer den Eurocheck entgegennehme, vertraue darauf, dass der Check gedeckt sei. Aus der Tatsache, dass der Checknehmer den Check entgegennimmt, lässt sich nur ableiten, dass er um das Fehlen der Deckung nicht weiss, nicht aber, dass er positiv das Vorhandensein einer Deckung annimmt.
e) Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Betrugs kann auch nicht mit dem Verhältnis zwischen ihm und der bezogenen Bank im Zeitpunkt der Verwendung der Checks begründet werden. ...
f) Auch der Tatbestand der Veruntreuung (
Art. 140 StGB
) ist nicht erfüllt. Der Kontoinhaber hat eine Forderung gegen die Bank im Umfang seines Guthabens (Deckung) unabhängig davon, ob die Bank ihm Checks aushändigt. Durch die Übergabe von Checks wird dem Kontoinhaber nicht ein Gut anvertraut, sondern es wird ihm die Möglichkeit gegeben, seine Forderung gegen die Bank auf einfache Art, durch Ausstellung von Checks, an Dritte
BGE 111 IV 134 S. 138
zu übertragen. Dass der Kontoinhaber, der über Eurochecks verfügt, die Möglichkeit hat, die Bank zur Zahlung von sein Guthaben übersteigenden Beträgen zu verpflichten, bedeutet nicht, dass die Bank dem Kontoinhaber mit der Aushändigung der Checks diesen Differenzbetrag anvertraut habe. Die faktisch bestehende Möglichkeit, die bezogene Bank in einem die Deckung übersteigenden Betrag zu verpflichten, ist kein "anvertrautes Gut" im Sinne von
Art. 140 StGB
.
g) Die Verwendung von ungedeckten Eurochecks bis zum von der Bank garantierten Betrag (von Fr. 300.-- pro Check) durch den Kontoinhaber ist somit nach schweizerischem Recht nicht strafbar. Dass der Checkkartenmissbrauch allenfalls strafwürdig ist, ist in diesem Zusammenhang belanglos. Die Banken haben im übrigen genügend Mittel in der Hand, dem - relativ seltenen - Missbrauch vorzubeugen und ihr Verlustrisiko zu vermindern (siehe dazu auch SCHUBARTH, op.cit., S. 188, LEIPZIGER KOMMENTAR (Hübner), N. 38 zu § 266 (dt.)StGB).
h) Betrug kann aber dann vorliegen, wenn der Beschwerdeführer bereits bei der Eröffnung des Lohnkontos bzw. bei der Entgegennahme des Eurocheckhefts den Willen hatte, die garantierten Checks missbräuchlich zu verwenden.
Der kantonale Untersuchungsrichter für Wirtschaftsdelikte warf dem Beschwerdeführer vor, er habe unter anderem dadurch arglistig gehandelt, dass es ihm gelang, "aufgrund dieses Lohnkontos, das er mit einem Fünffrankenstück eröffnete, Eurochecks zu erhalten, um sich zu seinen Einkünften zusätzliche Geldquellen zu verschaffen. Er verschwieg der Bank, dass die Kontoeröffnung nur eine Alibifunktion hatte, um an die Eurochecks heranzukommen, von denen er 7 Stück einlöste, aber nie daran dachte, die bezogenen Gelder abzudecken." Nach Auffassung des Untersuchungsrichters erfüllte der Beschwerdeführer somit bereits bei der Eröffnung des Lohnkontos unter Entgegennahme des Eurocheckhefts das Tatbestandsmerkmal der arglistigen Täuschung.
Der angefochtene Entscheid setzt sich mit jener Phase des Geschehens nicht auseinander und legt nicht dar, aus welchem Grunde sich die Vorinstanz zu dem in der Überweisungsverfügung erhobenen Vorwurf nicht äusserte, dass der Beschwerdeführer bereits bei Eröffnung des Lohnkontos bzw. bei der Entgegennahme des Checkhefts die Absicht der missbräuchlichen Verwendung der Checks hatte. Nachdem eine Bestrafung wegen Verwendung der Eurochecks entfällt, wird das Kantonsgericht bei der Neubeurteilung
BGE 111 IV 134 S. 139
- soweit dies nach dem kantonalen Verfahrensrecht zulässig ist - auch zu prüfen haben, ob der Beschwerdeführer allenfalls bei der Eröffnung des Lohnkontos bzw. beim Bezug der Eurochecks den Tatbestand des Betruges erfüllte. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68884a53-8679-46f7-b9a4-8a6db58667e2 | Urteilskopf
112 II 59
11. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Januar 1986 i.S. Circus Montis AG gegen Eidgenössisches Amt für das Handelsregister (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 38 Abs. 1 HRegV
und
Art. 944 Abs. 1 OR
. Firmenwahrheit.
1. Firmenbildung mit einem Künstlernamen, der sich insbesondere mit einem weit verbreiteten Familiennamen deckt. Umstände, welche die Aufnahme des Namens in die Firma einer AG nicht als unzulässig erscheinen lassen (E. 1).
2. Privaten Klagen aus Namensrecht vorzubeugen, ist im Normalfall nicht Aufgabe des Amtes (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 59
BGE 112 II 59 S. 59
A.-
Die Circus Montis AG, Wohlen, wollte im Juni 1985 ihre Firma in "Circus Monti AG" abändern und im Handelsregister eintragen lassen.
Mit Verfügung vom 3. Juli 1985 weigerte sich das Eidgenössische Amt für das Handelsregister, die Eintragung zu genehmigen; es fand, die neue Firma müsse als täuschend im Sinne von
Art. 944 Abs. 1 OR
und
Art. 38 Abs. 1 HRegV
betrachtet werden, weil kein unmittelbarer Zusammenhang der Gesellschaft mit einem Träger des Familiennamens "Monti" bestehe.
BGE 112 II 59 S. 60
B.-
Die Circus Montis AG führt gegen diese Verfügung Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, sie aufzuheben und das Amt anzuweisen, die Änderung zu bewilligen.
Das Amt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 38 Abs. 1 HRegV
müssen alle Eintragungen in das Handelsregister wahr sein, dürfen zu keinen Täuschungen Anlass geben und keinem öffentlichen Interesse widersprechen. Das gleiche gilt gemäss
Art. 944 Abs. 1 OR
für den Inhalt der Firma, insbesondere für die nähere Umschreibung der darin erwähnten Personen und für Hinweise auf die Natur des Unternehmens. In
Art. 950 OR
wird ergänzend dazu für Aktiengesellschaften bestimmt, dass sie unter Wahrung der allgemeinen Grundsätze über die Firmenbildung auch Personennamen in die Firma aufnehmen dürfen.
a) Der Hinweis auf das Zirkusunternehmen, das Mitglieder der Familie Muntwyler-Wülser Mitte Februar 1985 in Form einer Aktiengesellschaft gegründet haben, wird vom Amt zu Recht nicht beanstandet; es hält einzig den Namen "Monti" in der Firma der Beschwerdeführerin für unzulässig, weil es sich dabei um einen alteingesessenen Tessiner Familiennamen handle, der heute nach dem sechsbändigen "Familiennamenbuch der Schweiz" (herausgegeben vom Polygraphischen Verlag, Zürich 1968-1971, Bd. IV S. 137) auch in elf anderen Kantonen vorkomme und daher als allgemein bekannt gelten müsse. "Monti" sei bloss der Künstlername der Gesellschaftsgründer, die früher unter diesem Namen aufgetreten seien und in Fachkreisen wohl einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hätten. Das rechtfertige die Zulassung aber nicht; andernfalls könnte jedermann willkürlich einen anderen Familiennamen wählen und ihn nach einiger Zeit in die Firma aufnehmen. Vorliegend sei die Täuschungsgefahr zu bejahen, da ein Zusammenhang mit dem Familiennamen "Monti" hervorgerufen werde. Mit der Zulassung würden auch die Interessen einer unbestimmten Zahl von Personen mit diesem Namen und damit das öffentliche Interesse verletzt.
Die Beschwerdeführerin ist dagegen der Meinung, für die Aufnahme eines Personennamens in die Firma einer AG genüge irgendein Zusammenhang zwischen dem Träger des Namens und der Gesellschaft. Das Recht zur Verwendung des eigenen Namens
BGE 112 II 59 S. 61
für solche Firmen werde nur durch das UWG beschränkt und stehe dem Gründer einer AG, der den Künstlernamen anstelle seines Familiennamens in die Firma der Gesellschaft aufnehmen wolle, ebenfalls zu. Diesfalls sei auch der vom Amt verlangte Zusammenhang gegeben, der ohnehin kein enger sein könne, weil von der Firma nicht auf die beteiligten Personen geschlossen werden dürfe. Von einem Verstoss gegen den Grundsatz der Firmenwahrheit könne daher keine Rede sein.
b) Es geht vorliegend nicht um die Gefahr einer Verwechslung mit einer älteren Firma im Sinne von
Art. 951 Abs. 2 OR
, sondern ausschliesslich darum, ob das Publikum durch den Bestandteil "Monti" in der Firma der Beschwerdeführerin getäuscht werden kann. Es besteht daher zum vornherein kein Anlass, Umstände mitzuberücksichtigen, die eine solche Verwechslungsgefahr zwischen Unternehmen mit ähnlichen Zwecken begründen oder erhöhen können, oder das gesetzliche Täuschungsverbot bei der Verwendung von Familiennamen sonstwie nach wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten auszurichten, wie das Amt mit seinen Beispielen zu angeblich naheliegenden Missbräuchen anzunehmen scheint. Ob eine Täuschungsgefahr besteht, beurteilt sich zudem nicht allgemein, sondern nach den Umständen des Einzelfalles, wobei grundsätzlich von der Firmenbezeichnung als Ganzes auszugehen ist, selbst wenn einem einzelnen Bestandteil eine erhöhte Bedeutung zukommt (
BGE 108 II 133
E. 4 mit Hinweisen).
An solchen Umständen vermag das Amt hier bloss die Tatsache zu nennen, dass es sich bei "Monti" um einen alteingesessenen Tessiner Familiennamen handelt, der bereits vor 1962 in elf weiteren Kantonen verbreitet gewesen, aber bloss der Künstlername der Gesellschaftsgründer sei; seine Verbreitung als Familienname sei ein starkes Indiz dafür, dass er dem Publikum bekannt sei. Dass eine bestimmte Bezeichnung sich als Familienname schon vor Jahrzehnten oder gar vor Jahrhunderten eingebürgert und in zahlreichen Kantonen verbreitet hat, taugt für sich allein indes nicht zur Unterscheidung, ob eine Täuschungsgefahr im Einzelfall zu bejahen oder zu verneinen sei, lässt sich doch eher sagen, je seltener, aber berühmter oder aktueller ein Name ist, um so grösser sei diese Gefahr (vgl.
BGE 98 Ib 192
E. 4,
BGE 77 I 77
ff.). Ohne eine solche, besondere Geltung spricht ein weit verbreiteter oder häufig vorkommender Name jedenfalls nicht für, sondern gegen eine Täuschungsgefahr, weshalb er das Amt nicht zur Annahme einer
BGE 112 II 59 S. 62
solchen Gefahr verleiten darf, soll das gesetzliche Kriterium seinem Sinn und Zweck entsprechend angewendet werden. In seiner ergänzenden Vernehmlassung zur Beschwerde macht das Amt denn auch selber Vorbehalte.
Selbst wenn insbesondere das italienischsprachige Publikum die streitige Firma mit dem weit verbreiteten Familiennamen "Monti" verbinden und annehmen sollte, die Aktiengesellschaft sei aus einer Familie mit diesem Namen hervorgegangen, kann vernünftigerweise nicht von einer Täuschungsgefahr gesprochen werden. Für den unbefangenen Leser steht der klare Hinweis auf das Zirkusunternehmen im Vordergrund und ist der Name "Monti" in erster Linie als Bezeichnung dieses Unternehmens zu verstehen. Zu bedenken ist ferner, dass der streitige Bestandteil als Mehrzahl des italienischen Wortes "monte" (Berg) auch eine Sachbezeichnung ist und deshalb, wie das Amt einräumt, ebenfalls als Phantasiename verstanden werden kann. Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass einem Familiennamen in der Firma einer Aktiengesellschaft im Unterschied zu anderen Gesellschaftsformen (Art. 945 und 947 f. OR) rechtlich keine besondere Bedeutung zukommt, weil Aktionäre nicht persönlich haften. Es besteht daher entgegen der Auffassung des Amtes auch kein Grund, zwischen dem Träger des Namens und der Gesellschaft einen unmittelbaren oder besonders engen Zusammenhang zu verlangen, um nach
Art. 944 Abs. 1 OR
eine Gleichbehandlung aller Gesellschaftsformen zu gewährleisten (F. VON STEIGER, Schweizerisches Firmenrecht, S. 44; F. VON STEIGER in ZBJV 74/1938, S. 329; J. HARTMANN, in Sieben Vorträge über das neue Obligationenrecht, Basel 1937, S. 218; R. PATRY, in Schweiz. Privatrecht, Bd. VIII/1 S. 162/63).
c) Abgesehen davon darf vorliegend mitberücksichtigt werden, dass der Hauptaktionär und -gründer der Beschwerdeführerin in den Jahren 1979/81 zusammen mit seiner Familie in einem Zirkusunternehmen unter dem Künstlernamen "Monti" als Clown aufgetreten und bekannt geworden ist; das eine wie das andere darf aus Beilagen zur Beschwerde geschlossen werden. Es leuchtet daher ein, dass er diesen Namen nicht bloss beibehalten, sondern auch in die Firma der Gesellschaft aufnehmen wollte, als er im Februar 1985 zusammen mit seiner Familie ein eigenes Zirkusunternehmen gründete. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sollte mit diesem Vorhaben, dem das Amt sich bereits mit Schreiben vom 26. Februar 1985 widersetzte, denn auch bloss der Zusammenhang zwischen der "Zirkusfamilie Monti" und der Gesellschaft deutlich
BGE 112 II 59 S. 63
gemacht werden. Pseudonyme geniessen grundsätzlich aber den gleichen Schutz wie Familien- und Vornamen (
BGE 92 II 310
; PEDRAZZINI/OBERHOLZER, Grundriss des Personenrechts, 2. Aufl. S. 167). Es ist deshalb nicht einzusehen, warum ein Künstlername in der Firma einer AG nur dann zulässig sein sollte, wenn er aus einer reinen Phantasiebezeichnung besteht, nicht aber, wenn er mit einem weit verbreiteten Familiennamen identisch ist, der sich seinerseits mit einer Sachbezeichnung deckt.
2.
Das Amt verfügt über ein gewisses Ermessen, wenn es eine Firmenbezeichnung auf ihren Wahrheitsgehalt und auf eine allfällige Täuschungsgefahr zu prüfen hat. Es hat sich aber auch innerhalb des ihm zustehenden Ermessens von sachlichen Gesichtspunkten leiten zu lassen und nach Recht und Billigkeit zu entscheiden (
BGE 97 I 75
E. 1 und
BGE 92 I 300
E. 4 mit Hinweisen). Vorliegend hat es das ihm erlaubte Ermessen offensichtlich überschritten. Sein Bestreben, die täuschende Verwendung alteingesessener und weit verbreiteter Familiennamen in Firmen zu verhindern, will genau besehen nicht das Publikum vor irreführenden Angaben schützen; es läuft in Fällen wie dem vorliegenden vielmehr darauf hinaus, Träger solcher Familiennamen davor zu bewahren, dass Dritte ihre Namen zur Bildung von Firmen missbrauchen. Das erhellt insbesondere daraus, dass das Amt seine Prüfung "in erster Linie" nach dem Familiennamenbuch der Schweiz richtet und in der Zulassung täuschender Künstlernamen nicht nur die Interessen einer unbestimmten Zahl von Personen mit dem gleichen Familiennamen, sondern auch das öffentliche Interesse verletzt sieht. Namensschutz zu treiben, insbesondere privaten Klagen aus Namensrecht vorzubeugen, ist indes im Normalfall nicht Aufgabe des Amtes, lässt sich folglich auch nicht anführen, um einer Eintragung ins Handelsregister die Genehmigung gemäss
Art. 115 HRegV
wegen Verstosses gegen ein öffentliches Interesse zu verweigern. Vorbehalten bleiben allenfalls eindeutige Fälle der Anmassung von Namen ganz bestimmter Personen.
Die angefochtene Verfügung, mit der das Amt eine Täuschungsgefahr zu Unrecht bejaht hat, ist somit aufzuheben und die von der Beschwerdeführerin beantragte Änderung ihrer Firma zuzulassen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung des Eidgenössischen Amtes für das Handelsregister vom
BGE 112 II 59 S. 64
3. Juli 1985 aufgehoben und das Amt angewiesen, die Änderung der Firma "Circus Montis AG" in "Circus Monti AG" zu bewilligen. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
688cb068-41b5-46d0-bc15-b7fa78c0da88 | Urteilskopf
121 IV 358
58. Urteil des Kassationshofes vom 24. November 1995 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen J. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Widerhandlungen gegen das Kriegsmaterialgesetz; Art. 4, 9 und 17 Abs. 1 lit. a KMG.
Wer im Inland Kriegsmaterial in einer Zahl umsetzt, die dem Umsatz eines nebenberuflichen Händlers nicht wesentlich nachsteht, bedarf ungeachtet seiner Absichten und Motive einer Grundbewilligung im Sinne von
Art. 4 KMG
und erfüllt den objektiven Tatbestand von
Art. 17 Abs. 1 lit. a KMG
, wenn er diese Bewilligung nicht besitzt. Nur der gelegentliche Kauf und Verkauf einer unter das Kriegsmaterialgesetz fallenden Waffe im Inland bedarf keiner Grundbewilligung (E. 3a und b; Klarstellung der Rechtsprechung).
Die Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr von Kriegsmaterial bedarf ungeachtet des Umfangs der Transaktionen einer Bewilligung im Sinne von
Art. 9 KMG
(E. 3c).
Erfordernis einer Grundbewilligung im konkreten Fall (Kauf und Weiterveräusserung zum Selbstkostenpreis von über 70 unter das KMG fallenden Schusswaffen innerhalb von rund acht Monaten) bejaht (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 359
BGE 121 IV 358 S. 359
A.-
J. kaufte in der Zeit zwischen März 1992 und Herbst 1992 an verschiedenen Orten insgesamt 73 Faustfeuerwaffen mit einem Kaliber von mehr als 6,2 mm. Er gab diese Waffen seinem Onkel W. weiter und zahlte damit und durch Übergabe weiterer Waffen ein Darlehen von Fr. 30'000.-- zurück, welches sein Onkel ihm zwecks Aufbaus einer Fahrradwerkstatt gewährt hatte.
Beim Kauf dieser und anderer, ein Kaliber von weniger als 6,2 mm aufweisenden Waffen legte J. in insgesamt 56 Fällen Waffenerwerbsscheine vor, welche auf seine Veranlassung hin von F. gefälscht worden waren.
In den Monaten August und September 1993 lieferte J. seine gepfändete Lohnquote von Fr. 300.-- nicht ab.
B.-
Das Bezirksgericht Rheinfelden sprach J. am 21. September 1994 der mehrfachen Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 2 aStGB), der mehrfachen Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz gemäss
Art. 17 Abs. 1 lit. a KMG
sowie der Verfügung über gepfändete Sachen (Lohnquote) im Sinne von Art. 169 aStGB schuldig und bestrafte ihn mit acht Monaten Gefängnis und mit Fr. 3'000.-- Busse, zum Teil als Zusatzstrafe zu den Urteilen des
BGE 121 IV 358 S. 360
Bezirksamtes Rheinfelden vom 30. Juni 1989 und vom 23. Oktober 1989.
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach J. am 11. Mai 1995 in teilweiser Gutheissung von dessen Berufung vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz frei und verurteilte ihn wegen mehrfacher Urkundenfälschung gemäss Art. 251 nStGB und wegen Verfügung über gepfändete Sachen gemäss Art. 169 aStGB zu drei Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren.
C.-
Die Staatsanwaltschaft und die Schweizerische Bundesanwaltschaft erheben in getrennten Eingaben eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Die Staatsanwaltschaft stellt die Anträge, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung des J. wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz, zur neuen Bemessung der Strafe und zur Neubeurteilung der Frage des bedingten Strafvollzugs an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Bundesanwaltschaft beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, soweit J. darin vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das KMG freigesprochen worden ist, und die Sache sei zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
J. beantragt die Abweisung der Beschwerden. Zudem ersucht er um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerden gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Nach Art. 17 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über das Kriegsmaterial (KMG; SR 514.51) ist strafbar, wer vorsätzlich ohne entsprechende Bewilligung oder entgegen den in einer Bewilligung festgesetzten Bedingungen und Auflagen Kriegsmaterial herstellt, beschafft, vertreibt, dessen Beschaffung und Vertrieb vermittelt oder Kriegsmaterial einführt, ausführt oder durchführt. Gemäss
Art. 4 Abs. 1 KMG
ist es ohne Grundbewilligung des Bundes untersagt, Kriegsmaterial herzustellen, zu beschaffen, zu vertreiben oder dessen Beschaffung oder Vertrieb zu vermitteln. Nach
Art. 9 Abs. 1 KMG
sind ohne Bewilligung des Bundes die Einfuhr, die Ausfuhr und die Durchfuhr von Kriegsmaterial untersagt.
Das Bundesgericht hat in drei nicht publizierten Urteilen vom 11. Februar 1987 (i.S. Z.S. gegen VD), vom 12. März 1987 (i.S. J.-L.M. gegen VD) und vom 29. April 1987 (i.S. J.-J.T. gegen VD), die alle den gleichen
BGE 121 IV 358 S. 361
Tatkomplex betrafen, festgehalten, dass das KMG nicht nur internationale Transaktionen mit Kriegsmaterial, sondern auch Transaktionen innerhalb der Schweiz erfasse. Es hat erkannt, dass das KMG aber nur berufsmässige Handelsaktivitäten ("activités commerciales professionnelles touchant le matériel de guerre") der Bewilligungspflicht unterstelle. Dies wurde aus verschiedenen Bestimmungen des KMG und der Verordnung über das Kriegsmaterial (VKM; SR 514.511) abgeleitet, wonach der Gesuchsteller die erforderliche Gewähr für eine "ordnungsgemässe Führung der Geschäfte" bieten muss (
Art. 5 Abs. 1 lit. a KMG
), die Kontrollorgane zum Betreten und Besichtigen der "Geschäftsräume der Unternehmen" befugt sind (
Art. 14 KMG
), "die Inhaber und das Personal der Unternehmen" auskunftspflichtig sind (
Art. 15 KMG
) und dem Gesuch um eine Grundbewilligung "ein Auszug aus dem Handelsregister" beizulegen ist (
Art. 5 lit. c VKM
). Es hat erkannt, dass alle bundesrechtlich nicht geregelten Sachverhalte unter die Regelungskompetenz der Kantone fallen, so beispielsweise der gelegentliche Verkauf und Kauf von Kriegsmaterial unter Einzelpersonen im Landesinnern ("la vente et l'achat occasionnel de matériel de guerre entre particuliers, à l'intérieur de la Suisse").
2.
a) Nach Auffassung der Vorinstanz kann dem Beschwerdegegner nicht berufsmässiger Handel im Sinne dieser Rechtsprechung vorgeworfen werden. Heranzuziehen sei insoweit die bundesgerichtliche Praxis zur Gewerbsmässigkeit, welche in
BGE 116 IV 319
ff. neu definiert worden sei. Danach handelt der Täter berufsmässig, wenn sich aus der Zeit und den Mitteln, die er für die deliktische Tätigkeit aufwendet, aus der Häufigkeit der Einzelakte innerhalb eines bestimmten Zeitraums sowie aus den angestrebten und erzielten Einkünften ergibt, dass er die deliktische Tätigkeit nach der Art eines Berufes ausübt (
BGE 116 IV 319
E. 4 S. 330). Gemäss den weiteren Ausführungen im angefochtenen Urteil hat der Beschwerdegegner nicht in diesem Sinne berufsmässig gehandelt. Er habe für den Erwerb der an seinen Onkel zwecks Tilgung der Darlehensschuld von Fr. 30'000.-- weitergegebenen Waffen seinerseits insgesamt nicht weniger als Fr. 30'000.-- aufgewendet. Damit sei "er- stellt", dass er durch den Kauf der Waffen und deren Weitergabe an seinen Onkel "keinen Gewinn erzielen konnte". Zwar habe er "mit seinem Vorgehen die Darlehensschuld getilgt". Er habe diese Art von Geschäften indessen auf Druck seines Onkels getätigt. Deshalb könne nicht gesagt werden, er habe "die durch den Waffenhandel erreichte Verringerung seiner Passiven angestrebt".
BGE 121 IV 358 S. 362
b) Die Staatsanwaltschaft macht geltend, das dem Beschwerdegegner zur Last gelegte Verhalten stelle eine "activité commerciale professionnelle" im Sinne der zitierten nicht publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts dar. Dieses Kriterium sei entgegen der Ansicht der Vorinstanz unabhängig von der Definition der Gewerbsmässigkeit gemäss der in
BGE 116 IV 319
ff. geänderten Rechtsprechung zum Begriff der Gewerbsmässigkeit bei Vermögensdelikten auszulegen. Im übrigen sei vorliegend auch Gewerbsmässigkeit bzw. Berufsmässigkeit in diesem Sinne gegeben.
c) Die Bundesanwaltschaft ist ebenfalls der Auffassung, das dem Beschwerdegegner zur Last gelegte Verhalten stelle eine "activité commerciale professionnelle" im Sinne der zitierten Rechtsprechung dar und sei daher nach dem KMG bewilligungspflichtig. Das Bundesgericht habe nämlich im nicht publizierten Urteil vom 29. April 1987 erkannt, dass derjenige, welcher ohne Bewilligung neun Waffen kaufe und sieben davon weiterverkaufe, den Tatbestand von
Art. 17 Abs. 1 lit. a KMG
erfülle, wenn er diese Transaktionen nicht als Sammler zwecks Vergrösserung seiner Waffensammlung durchführe, sondern um sich als Gelegenheits-Waffenhändler ("marchand d'armes occasionnel") ein Einkommen zu verschaffen. Indem der Beschwerdegegner an verschiedenen Orten insgesamt über 70 unter das KMG fallende Faustfeuerwaffen erworben und diese nebst andern Waffen zwecks Tilgung einer Darlehensschuld von Fr. 30'000.-- an seinen Onkel weitergegeben habe, habe er im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung als Gelegenheits-Waffenhändler gehandelt und damit, da er nicht über die erforderlichen Bewilligungen verfügte, den Tatbestand von
Art. 17 Abs. 1 lit. a KMG
erfüllt. Dass der Beschwerdegegner durch die inkriminierten Transaktionen nicht seine Aktiven vermehrt, sondern seine Passiven vermindert habe, sei unerheblich. Dass er auf Druck seines Onkels gehandelt habe, sei allenfalls gemäss
Art. 64 StGB
strafmildernd zu berücksichtigen.
d) Der Beschwerdegegner weist darauf hin, dass er gemäss den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz einen Gewinn weder erzielt noch angestrebt habe. Daher habe er trotz der relativ grossen Zahl der umgesetzten Waffen nicht gewerbsmässig bzw. berufsmässig im Sinne der Praxis gehandelt.
3.
a) Aus der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts geht nicht deutlich hervor, ob das darin als massgebend erachtete Kriterium der "activité commerciale professionnelle" der "Gewerbsmässigkeit"
BGE 121 IV 358 S. 363
gleichzusetzen sei oder aber weiter oder weniger weit als diese gehe.
Im Urteil vom 29. April 1987 wurde entschieden, dass derjenige, welcher neun Waffen kauft und davon sieben weiterverkauft, als "marchand d'armes occasionnel" eine "activité commerciale professionnelle" ausübe, wenn er diese Transaktion nicht zur Vergrösserung seiner Waffensammlung, sondern zwecks Erzielung eines Einkommens durchführe; die Sache wurde gemäss
Art. 277 BStP
zur Abklärung dieser Tatfrage an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Im Urteil vom 12. März 1987 hat der Kassationshof die Nichtigkeitsbeschwerde des wegen Widerhandlung gegen das KMG Verurteilten gutgeheissen, weil dieser die Waffen für seine Sammlung erworben hatte, was nicht gemäss KMG bewilligungspflichtig sei, sondern unter das kantonale Recht bzw. unter das Konkordat über den Handel mit Waffen und Munition falle.
Im Entscheid vom 11. Februar 1987 hat der Kassationshof die Verurteilung wegen der Vermittlung des Verkaufs einiger Waffen bestätigt, da der Verurteilte diese Leistung zwar unentgeltlich, aber in seiner Eigenschaft als Angestellter einer Waffenhandlung erbracht hatte.
b) Die "activité commerciale professionnelle" im Sinne der zitierten Bundesgerichtsentscheide ist nicht dem gewerbsmässigen Handeln im Sinne der damaligen oder aktuellen Rechtsprechung zum Begriff der Gewerbsmässigkeit bei den Vermögensdelikten gleichzusetzen. Insbesondere kann es nicht entscheidend darauf ankommen, ob der Täter in der Absicht gehandelt hat, sich ein Erwerbseinkommen zu verschaffen. Vielmehr bedarf auch die Veräusserung zum Selbstkostenpreis sowie die unentgeltliche Weitergabe von Kriegsmaterial unter der gebotenen Berücksichtigung des Gesetzeszweckes einer Grundbewilligung im Sinne von
Art. 4 KMG
, wenn die Transaktionen nicht nur einige wenige Waffen betreffen. Zwar deuten die in den zitierten Bundesgerichtsentscheiden genannten Bestimmungen des KMG und der VKM darauf hin, dass der Gesetz- und der Verordnungsgeber die eigentlichen Waffenhändler bzw. Waffenhandelsunternehmen im Auge hat. Dafür mag auch sprechen, dass in
Art. 4 und
Art. 17 KMG
vom "Vertreiben" bzw. vom "Vertrieb" von Kriegsmaterial die Rede ist, wofür im französischen und im italienischen Gesetzestext die Begriffe "commerce" bzw. "commercio" verwendet werden. Die Gewerbsmässigkeit bzw. das Handeln in kaufmännischer Ausrichtung (so ein Urteil des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft
BGE 121 IV 358 S. 364
vom 19. April 1983, zusammenfassend wiedergegeben in SJZ 80/1984 S. 321) ist indessen keine Voraussetzung der Bewilligungspflicht gemäss
Art. 4 KMG
und damit kein Tatbestandsmerkmal von
Art. 17 Abs. 1 lit. a KMG
(anderer Auffassung WALTER RUDOLF HÄBERLING, Waffenhandel, Erwerb, Besitz und Tragen von Waffen aus der Sicht des Nebenstrafrechts, Diss. Zürich 1990, S. 126 ff., insbesondere S. 133 ff., 159 ff.).
Für eine Einschränkung der Bewilligungspflicht nach
Art. 4 KMG
und damit des Anwendungsbereichs von
Art. 17 Abs. 1 lit. a KMG
auf gewerbsmässiges Handeln bzw. auf ein Handeln in kaufmännischer Ausrichtung fehlt im Gesetzestext eine Grundlage, und eine derart erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs widerspricht auch Sinn und Zweck des Gesetzes. Wohl ist das KMG auf den eigentlichen Waffenhandel zugeschnitten. Das bedeutet aber nicht, dass es nur diesen erfasse. Durch die zitierten Bundesgerichtsentscheide sollte lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass der bloss gelegentliche Verkauf und Kauf von Kriegsmaterial unter Einzelpersonen im Landesinnern ("la vente et l'achat occasionnel de matériel de guerre entre particuliers, à l'intérieur de la Suisse") keiner Grundbewilligung gemäss
Art. 4 KMG
bedarf. Wer aber Kriegsmaterial in einer Zahl umsetzt, die dem Umsatz eines nebenberuflichen Händlers nicht wesentlich nachsteht, bedarf ungeachtet seiner Absichten und Motive einer Grundbewilligung im Sinne von
Art. 4 KMG
.
c) Von der Grundbewilligung gemäss
Art. 4 KMG
ist die Bewilligung im Sinne von
Art. 9 KMG
für die Einfuhr, die Ausfuhr und die Durchfuhr von Kriegsmaterial zu unterscheiden. Insoweit ist jede einzelne Transaktion, also auch die bloss gelegentliche Ein- oder Ausfuhr von Kriegsmaterial, bewilligungspflichtig. Das Bundesstrafgericht hat denn auch in
BGE 115 IV 8
, allerdings ohne sich mit den vorstehend zitierten nicht publizierten Entscheiden auseinanderzusetzen, erkannt, dass sich der in jenem Fall angeschuldigte Flugzeugentführer der Widerhandlung im Sinne von
Art. 17 KMG
schuldig machte, indem er mit der Landung des Flugzeugs in Genf einverstanden war und auf diese Weise die unter das KMG fallenden Waffen, die er bei sich hatte, ohne Bewilligung in die Schweiz einführte (S. 13).
4.
a) Der Beschwerdegegner hat in einem Zeitraum von einigen Monaten insgesamt über 70 unter das KMG fallende Faustfeuerwaffen gekauft und sie nebst andern Waffen zwecks Tilgung einer Darlehensschuld von Fr. 30'000.-- an seinen Onkel weitergegeben. Transaktionen betreffend Kriegsmaterial in
BGE 121 IV 358 S. 365
diesem Umfang bedürfen einer Grundbewilligung im Sinne von
Art. 4 KMG
, auch wenn damit ein Gewinn weder erzielt noch angestrebt wird. Soweit der Beschwerdegegner unter das KMG fallende Waffen aus dem Ausland in die Schweiz einführte, bedurfte er zudem, ungeachtet des Umfangs dieser Transaktionen, einer Bewilligung im Sinne von
Art. 9 KMG
.
Da der Beschwerdegegner nicht über die erforderlichen Bewilligungen verfügte, hat er durch das inkriminierte Verhalten den objektiven Tatbestand von
Art. 17 Abs. 1 lit. a KMG
erfüllt.
Die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und der Bundesanwaltschaft sind demnach gutzuheissen, das Urteil des Obergerichts ist aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
b) Die Vorinstanz wird im neuen Verfahren auch prüfen, ob für die beiden Pistolen, die der Beschwerdegegner am 9. Januar 1990 in Deutschland erworben und in der Folge an W. weitergegeben hatte, im Sinne von
Art. 2 lit. f VKM
verwendbare Munition im öffentlichen Handel erhältlich war, wie die Bundesanwaltschaft in ihrer Beschwerde unter Berufung auf eine Auskunft der Sektion Kriegsmaterialkontrolle noch geltend macht. Die gegenteilige Annahme im angefochtenen Urteil stützt sich einzig auf eine knappe Bemerkung in einem Bericht der Kantonspolizei Aargau, die im übrigen offenbar allein auf die Pistole Mauser Bolo, Cal. 7,63 mm, und nicht auch auf die Pistole 08 Original, Cal. 9 mm para, Bezug nimmt.
5.
(Kostenfolgen). | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
688dd683-4281-4cef-804a-929dbc0af8ce | Urteilskopf
114 III 29
9. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 31. August 1988 i.S. Sh. (Rekurs) | Regeste
Art. 9 Abs. 2 VZG
; Anwendbarkeit im Konkursverfahren.
Im summarischen Konkursverfahren besteht kein Anspruch auf Vornahme einer zweiten Schätzung von Fahrnis gemäss
Art. 9 Abs. 2 VZG
. | Erwägungen
ab Seite 30
BGE 114 III 29 S. 30
Aus den Erwägungen:
3.
(...) c) Gemäss
Art. 9 Abs. 2 VZG
ist jeder Beteiligte berechtigt, bei der Aufsichtsbehörde gegen Vorschuss der Kosten eine neue Schätzung durch Sachverständige zu verlangen. Diese Bestimmung bezieht sich auf die Schätzung von Grundstücken. Sie gilt jedoch sinngemäss auch für Fahrnis, sofern die neue Schätzung innert nützlicher Frist vorgenommen werden kann. Diese Voraussetzung ist dort erfüllt, wo anerkannte Schätzungskriterien bestehen (
BGE 110 III 70
f.;
BGE 101 III 34
f.). Ob sie auch bei Kunstobjekten gegeben ist, erscheint als zweifelhaft, kann hier jedoch dahingestellt bleiben. Eine neue Schätzung ist bereits aus einem anderen Grund abzulehnen:
Die von der Rekurrentin angerufene Bestimmung befindet sich in der VZG im Abschnitt über die Verwertung im Pfändungsverfahren. Gemäss
Art. 99 VZG
findet sie auch bei der Verwertung im Pfandverwertungsverfahren Anwendung. Die Verwertung im Konkursverfahren richtet sich indes gemäss ausdrücklicher Gesetzesvorschrift nach den besonderen Bestimmungen der
Art. 122 ff. VZG
und nach den Vorschriften der Verordnung des Bundesgerichts über die Geschäftsführung der Konkursämter (
Art. 122 VZG
). In dieser Verordnung findet sich ebensowenig wie in den
Art. 122 ff. VZG
eine analoge Vorschrift zu
Art. 9 VZG
oder ein Verweis auf diese Bestimmung. Aus
Art. 122 VZG
und der systematischen Stellung von
Art. 9 VZG
ist demnach zu folgern, dass
Art. 9 VZG
im Konkursverfahren keine Anwendung findet.
d) In
BGE 61 III 65
hat das Bundesgericht erkannt,
Art. 9 Abs. 2 VZG
finde auch im Nachlassverfahren Anwendung. Der Schuldner sei im Nachlassverfahren nicht weniger an einer richtigen Schätzung interessiert als bei einer Pfändung oder Pfandverwertung. Auch im übrigen komme der Schätzung im Nachlassverfahren eine ebenso grosse Bedeutung zu, vor allem für verpfändete Vermögensstücke, bei denen sich die Berücksichtigung allfälliger ungedeckter Pfandforderungen im Bestätigungsverfahren nach dieser Schätzung richte.
Bei jenem Entscheid hat es sich indes um einen Prozentvergleich gehandelt, bei dem die Sanierung des Schuldners im Vordergrund steht, nicht die Vermögensliquidation (vgl. AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 4. Aufl., N. 15 bis 17 zu § 53). Ein Bestätigungsverfahren, bei dem der allfällig ungedeckte Teil einer pfandgesicherten Forderung eine Rolle spielen könnte,
BGE 114 III 29 S. 31
ist beim Konkurs nicht vorgesehen. Ein Pfandrecht steht im vorliegenden Fall überhaupt nicht in Frage; bezüglich des Retentionsrechts besteht die aussergewöhnliche Situation, dass der interessierte Freihandkäufer zugleich Retentionsgläubiger und alleiniger Gläubiger im Konkurs ist. Solange diese Voraussetzung erfüllt ist, muss auf dieses Recht nicht besondere Rücksicht genommen werden.
e) Für die unterschiedliche gesetzliche Regelung der Schätzung im Pfändungs- bzw. Pfandverwertungsverfahren im Vergleich zum Konkursverfahren lassen sich sachliche Gründe anführen. Bei der Pfändung ist die Schätzung notwendig, damit das Betreibungsamt einerseits für eine genügende Deckung der Betreibungsforderung sorgen und anderseits die Pfändung auf das notwendige Mass beschränken kann, ferner damit der Gläubiger gegebenenfalls in die Lage versetzt wird, einen Arrest zu erwirken oder die Anfechtungsklage anzuheben (
BGE 97 III 20
). Beim Konkurs entfällt zumindest die Hauptfunktion, den Deckungsumfang zu bestimmen und die Gläubiger über das voraussichtliche Verwertungsergebnis zu orientieren, da der Konkurs ohnehin das ganze Vermögen erfasst (bezüglich der Pfandverwertung vgl.
BGE 101 III 34
).
Dennoch ist diese Frage hier nicht abschliessend zu beurteilen, Es genügt festzustellen, dass jedenfalls im summarischen Konkursverfahren kein Anspruch auf eine zweite Schätzung von Fahrnis gemäss
Art. 9 Abs. 2 VZG
besteht, zumal wenn die Schätzung des Konkursverwalters auf objektiven Bewertungsgrundlagen beruht. Das summarische Konkursverfahren soll möglichst einfach und rasch erfolgen (vgl. AMONN, N. 1 zu § 49). Ein allfälliges Interesse einer zweiten Schätzung, zur Aufklärung allfälliger Steigerungs- bzw. Kaufsinteressenten beizutragen, hat unter diesen Umständen zurückzutreten (vgl. dazu
BGE 101 III 34
oben). | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
6890719b-f5d2-4f19-ad4a-f6db782f3955 | Urteilskopf
101 IV 419
96. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. Dezember 1975 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 37 Abs. 1 GSchG
.
Während Alinea 1 dieser Bestimmung nur die tatsächliche Beifügung schädlicher Stoffe in geschützte Gewässer zum Gegenstand hat, erfasst Alinea 2 bereits die Gefahr, dass solche Stoffe durch Ablagern oder Versickernlassen mittelbar in die Gewässer gelangen können. | Sachverhalt
ab Seite 419
BGE 101 IV 419 S. 419
A.-
Am 7. September 1972 geriet ölhaltiges Abwasser vom Grundstück des X. an der Nidelbadstrasse in Kilchberg ZH in die in den Kanalisationsschacht A führende Leitung. Von der Kanalisation gelangte das Abwasser in den Krebsbach, der in die Sihl mündet.
B.-
Gestützt auf diesen Sachverhalt wurde X. als Eigentümer der Liegenschaft und Unternehmer durch Urteil des Bezirksgerichtes Horgen vom 20. September 1974 der Widerhandlung gegen Art. 37 Abs. 1 und 2 des BG vom 8. Oktober 1971 über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (SR 814.20; GSchG) schuldig befunden und mit Fr. 2'000.--, bedingt löschbar, bestraft.
BGE 101 IV 419 S. 420
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 30. April 1975 das erstinstanzliche Urteil.
C.-
X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung von Schuld und Strafe.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Art. 37 Abs. 1 Alinea 1 GSchG verlangt, dass der Täter schädliche Stoffe in die Gewässer ablagere oder "einbringe" ("introduit", "immette", ebenso
Art. 14 Abs. 1 GSchG
). Einbringen bedeutet die Beifügung schädlicher Stoffe im festen, flüssigen und gasförmigen Aggregatzustand. Vom Versickernlassen gemäss Alinea 2 unterscheidet sich das Einbringen dadurch, dass Versickern nicht den Nachweis erfordert, dass die schädliche versickerte Flüssigkeit auch in die geschützten Gewässer gelangte. Es genügt, dass Gefahr hierfür bestand. Gelangt aber die versickerte Flüssigkeit in geschützte Gewässer, ist sie im Sinne von Alinea 1 in die Gewässer eingebracht.
Vor allem reicht aus, dass schädliche Stoffe mittelbar in die Gewässer eingebracht werden. Jene müssen also nicht direkt ins Wasser geschüttet oder geleitet werden. Es genügt beispielsweise, dass sie auf das Erdreich geschüttet werden und durch dieses hindurch in das Grundwasser gelangen oder in Abwasserläufe, welche in offene Gewässer führen. Träger der schädlichen Stoffe können auch Gegenstände sein, welche als solche die Gewässer nicht verschmutzen, an denen aber schädliche Stoffe wie Öl haften, welche Gewässer verunreinigen.
6.
Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz aus den Verhältnissen, die auf der Liegenschaft des Beschwerdeführers herrschten und dem im Schacht A tatsächlich vorhandenen Öl, das nach den Umständen nur aus der Liegenschaft des Beschwerdeführers stammen konnte, geschlossen, der Beschwerdeführer habe selber oder durch Gewährenlassen seines Personals dieses Öl in den Schacht A und dadurch in das öffentliche Gewässer fliessen lassen. Wie das Öl konkret in den Schacht und damit in die Gewässer gelangte, hat die Vorinstanz nicht eindeutig festgestellt. Sie liess verschiedene Möglichkeiten offen. Sie nimmt an, durch unsorgfältigen Umgang mit Öl sei dieses in erheblichen Mengen ins Erdreich versickert; damit ist aber, weil hier vom Ölgehalt des Wassers im
BGE 101 IV 419 S. 421
Schacht A die Rede ist, gemeint, dieses Öl sei (teilweise) auch in den Schacht gelangt. Die Vorinstanz lässt auch die Möglichkeit offen, Öl könnte direkt in die Leitung geflossen sein, was besonders bei den ungenügenden Sicherheitseinrichtungen in den betreffenden Gebäulichkeiten nicht von der Hand zu weisen ist. Ferner habe Öl durch herumliegendes Material und Abfälle zum Kontrollschacht gelangen können. Auf welchem Wege auch immer das Öl in das Abwasser und damit in die Gewässer gelangte, ist rechtlich unerheblich. In allen diesen Fällen wurde das Öl in die Gewässer eingebracht, und damit ist der Tatbestand von Alinea 1 erfüllt.
Das Gesetz verlangt auch nicht, dass der Tag, an dem das Öl fahrlässig in die Gewässer eingebracht wurde, genau festgestellt werde, wie der Beschwerdeführer meint. Dass es von dessen Liegenschaft stammte und zu einem bestimmten Zeitpunkte im Schacht A festgestellt wurde, muss genügen. Auf der Liegenschaft herrschte übrigens hinsichtlich der fraglichen Einrichtungen ein Dauerzustand, der jederzeit eine Verschmutzung der Gewässer befürchten liess.
Völlig fehl geht auch die Rüge, das bei der Öl-Zapfstelle und in der Garage verschüttete oder ausgetropfte Öl sei durch Erde bzw. Sägemehl gebunden worden und habe daher nicht in die Kanalisation gelangen können. Dass sämtliches verschüttetes oder ausgetropftes Öl in die Kanalisation gelangte, wird nicht behauptet. Es genügte für die Verurteilung gemäss Alinea 1, dass ein Teil desselben in die Kanalisation gelangt ist. Das aber wurde, wie bereits früher erwähnt, durch Kontrolle im Schacht A festgestellt. Einen sorgfältigen Umgang mit Öl kann der Beschwerdeführer mit seiner Behauptung jedenfalls nicht beweisen.
7.
Der Beschwerdeführer bestreitet sodann, sich nach Art. 37 Abs. 1 Alinea 2 GSchG verfehlt zu haben. Er bestreitet zwar nicht, dass auf seinem Grundstück verschüttetes oder ausgetropftes Öl in den Boden habe versickern können. Doch fehle der Nachweis des Kausalzusammenhanges zwischen dem möglichen Versickern von Öl und dem Ölgehalt des Wassers im Schacht A. Dieser Nachweis sei aber Voraussetzung, da dieser Tatbestand voraussetze, dass "dadurch" die Gefahr der Verunreinigung des Wassers geschaffen werde.
Alinea 2 enthält einen Gefährdungstatbestand, verlangt also, im Gegensatz zu Alinea 1, gerade nicht, dass das Wasser
BGE 101 IV 419 S. 422
verschmutzt wird. Demnach braucht der Kausalzusammenhang im genannten Sinne nicht nachgewiesen zu sein. Soweit tatsächlich eine Verschmutzung stattgefunden hat, ist Alinea 1, nicht Alinea 2 anwendbar. Alinea 2 ist schon erfüllt, wenn das verschüttete Öl nicht (oder nicht nachweislich) in das Wasser gelangt ist, aber nach den Umständen mit Wahrscheinlichkeit ins Gewässer hätte gelangen können. Die Kausalität braucht also nicht real zu sein; es genügt, wenn sie nach den Umständen wahrscheinlich ist. Das verschüttete Öl musste mit andern Worten für die Verschmutzung der Gewässer eine konkrete Gefahr darstellen (vgl. SCHWANDER, Das schweiz. Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Nr. 151-152a, und dort zitierte Entscheide).
Eine solche konkrete Gefahr durften die kantonalen Gerichte ohne Verletzung von Bundesrecht annehmen. Ein Teil des verschütteten Öls führte zur Verunreinigung des Wassers. wenn schon erhebliche Mengen des Öls in die Gewässer gelangten, durfte ohne Verletzung von Bundesrecht angenommen werden, ein weiterer Teil des unsachgemäss gehandhabten Öls hätte leicht ebenfalls in die Gewässer gelangen können.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
6896c362-ceeb-48c0-b559-31d33d596e69 | Urteilskopf
99 Ib 250
31. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Juli 1973 i.S. Scherico Ltd. gegen Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum. | Regeste
Patentgesetz.
Art. 2 Ziff. 2 PatG
. Ausschluss von der Patentierung eines Herstellungsverfahrens für Arzneimittel, das aus einer chemischen und einer davon unabhängigen nichtchemischen Stufe besteht. | Sachverhalt
ab Seite 250
BGE 99 Ib 250 S. 250
A.-
Die Scherico Ltd. unterbreitete dem Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum am 27. Januar 1970 das Patentgesuch Nr. 1182/70 mit dem Erfindungstitel "Substituierte Anilide". Es betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Arzneimittels und umfasste ursprünglich 50 Patentansprüche. Auf eine erste Beanstandung des Amtes hin fasste die Gesuchstellerin am 9. Juli 1970 die Ansprüche neu, gliederte sie in die Hauptansprüche I und II sowie in 24 Unteransprüche. Mit einer zweiten Beanstandung verlangte das Amt u.a. die Streichung mehrerer Unteransprüche. Die Gesuchstellerin antwortete in ihrer Stellungnahme vom 31. Dezember 1970 mit dem Begehren, auf die Streichungsanforderung zurückzukommen oder einen neuen Patentanspruch I anzunehmen. Beides lehnte das Amt in einer dritten Beanstandung unter Hinweis auf
Art. 2 Ziff. 2 PatG
ab. Wegen Versäumnis der Frist zur Erledigung dieser Beanstandung wies es sodann am 9. Juni 1971 das Patent zurück. Am 23. Juni/3. August 1971 verlangte die Gesuchstellerin
BGE 99 Ib 250 S. 251
Wiederherstellung, die das Amt gewährte, und legte eine Neufassung des Patentanspruches I vor, welche die Synthese der Verbindungen der chemischen Formel und die Mischung dieser Verbindungen mit einem pharmazeutisch annehmbaren Trägerstoff zu einem formulierten Arzneimittel umschrieb. Zugleich passte sie die weiteren Ansprüche an, die aus Patentanspruch II betreffend Verwendung des nach dem Verfahren gemäss Anspruch I erhaltenen Mittels und aus 14 Unteransprüchen bestehen. Das Amt erliess eine vierte Beanstandung, mit der es u.a. die Streichung des Mischverfahrens aus dem Patentanspruch I forderte und darauf hinwies, dass von der Herstellung eines Arzneimittels auf chemischem Wege im Sinne des Patentgesetzes nur die Rede sein könne, wenn das erfinderische Element des Verfahrens im chemischen und/oder im physikalischen Teil liege, sofern dieser mit dem chemischen Teil direkt kausal verbunden sei, was vorliegend nicht zutreffe; ferner dass nach
Art. 8 PatG
die Beanspruchung der chemischen Stufe genüge, um auch den Schutz für das mit dem Trägerstoff formulierte Arzneimittel zu erlangen, sofern die Synthese zu neuen therapeutisch anwendbaren Substanzen führe. Die Gesuchstellerin nahm in der Entgegnung vom 22. Juni 1972 die Streichung des Mischverfahrens nicht vor und beliess auch sonst, von einigen Bereinigungen abgesehen, die Unterlagen in der nach der dritten Beanstandung eingereichten Form. Danach hat der Patentanspruch I den nachstehenden Wortlaut.
"Verfahren zur Herstellung von antiandrogen wirksamen Mitteln, dadurch gekennzeichnet, dass man eine Verbindung der Formel I ... oder ein pharmazeutisch anwendbares Salz einer solchen Verbindung der Formel I, die zur Salzbildung befähigt ist, worin ... bedeutet, herstellt, indem man ein Amin der allgemeinen Formel II ..., worin ... darstellt, mit einem den gewünschten Rest ... beisteuernden Acylierungsmittel behandelt; im Anschluss an die Behandlung mit dem Acylierungsmittel eine vorhandene Schutzgruppe abspaltet; und dass man die so erhaltene Verbindung der Formel I oder deren pharmazeutisch annehmbares Salz mit einem pharmazeutisch annehmbaren Trägerstoff mischt."
Das Amt wies mit Verfügung vom 23. Februar 1973 das Patentgesuch zurück.
B.-
Hiegegen richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Gesuchstellerin mit den Begehren, die angefochtene Verfügung aufzuheben, die Sache zu neuer Behandlung an das Amt
BGE 99 Ib 250 S. 252
zurückzuweisen und dieses zu verpflichten, auf Grund des Gesuches Nr. 1182/70 ein Patent mit den Ansprüchen I und II sowie 14 Unteransprüchen in den Fassungen vom 22. Juni 1972 zu erteilen. Die Gesuchstellerin rügt die unrichtige Anwendung von
Art. 2 Ziff. 2 PatG
.
Das Amt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 2 Ziff. 2 PatG
sind von der Patentierung ausgeschlossen Erfindungen von Verfahren zur Herstellung von Arzneimitteln auf anderem als chemischem Wege. Diese Bestimmung bezweckt nach ihrer Entstehungsgeschichte die Wahrung von Allgemeininteressen, insbesondere die Förderung der Gesundheitspflege. Man befürchtete bei der Gesetzesrevision der Jahre 1950/54, die Gewährung des Patentschutzes für Erfindungen von Arzneimitteln und von Verfahren zur Herstellung solcher auf anderem als chemischem Wege würde zu einer Verteuerung der Arzneimittel führen, und hielt deswegen an der gegebenen Ordnung fest (vgl.
BGE 91 I 220
/21 Erw. 2 und die dort erwähnten Gesetzesmaterialien).
Unbestritten ist, dass das von der Beschwerdeführerin beanspruchte Verfahren zur Herstellung eines Arzneimittels dienen und sich in zwei Stufen, einer ersten chemischen und einer zweiten nichtchemischen, vollziehen soll. Zu prüfen ist, ob
Art. 2 Ziff. 2 PatG
die Patentierung für dieses ausdrücklich als Gesamtheit beanspruchte Verfahren zulässt oder wegen fehlender Schutzfähigkeit der zweiten Stufe verbietet.
2.
Die Beschwerdeführerin trägt vor, "die therapeutisch aktive Verbindung sei noch kein Heilmittel; sie könne nicht als solche, sondern erst dann als Arzneimittel verwendet werden, wenn sie "in der Dosierung mit einem pharmazeutisch annehmbaren Trägerstoff gemischt" sei. Sie kann daraus nichts für sich ableiten.
a) Nach dem Patentanspruch sind die beiden Verfahrensstufen nach Ablauf und Funktion klar getrennt. Der synthetischen Gewinnung des Wirkstoffes in der ersten Stufe folgt dessen rein physikalische Vermischung mit einem Trägerstoff in der zweiten. Selbst bei einschränkender Auslegung des
Art. 2 Ziff. 2 PatG
, welche im Schrifttum befürwortet, aber von der Rechtsprechung unter Hinweis auf die Materialien abgelehnt wird (
BGE 91 I 221
Erw. 2), sind unter dem Begriff des Arzneimittels
BGE 99 Ib 250 S. 253
nicht nur Zubereitungen, sondern auch und vorab Substanzen oder Substanzgemische, wie sie hier aus der ersten Verfahrensstufe hervorgehen, zu verstehen (Botschaft, BBl 1950 I S. 1004; BLUM/PEDRAZZINI, Das Schweizerische Patentrecht I S. 207 ff. Anm. 9 zu
Art. 2 PatG
; TROLLER, Immaterialgüterrecht I, 2. Aufl. S. 244 ff.).
b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Herstellungsbegriff. Das patentrechtlich massgebende Herstellungsverfahren endet mit der Erzeugung des zu bestimmungsgemässer Verwendung als Arzneimittel bestgeeigneten Wirkstoffes, nicht erst bei der Formung dieser Substanz zu einer gebrauchsfertigen Medizin, soweit letztere keine chemisch gekennzeichnete substanzielle Änderung bedingt oder mit sich bringt (BLUM/PEDRAZZINI, a.a.O. S. 220 ff. Anm. 13 zu
Art. 2 PatG
; vgl.
BGE 91 I 221
und
BGE 82 I 206
/7).
c) Die Beschwerdeführerin will die Patentierbarkeit des beanspruchten Verfahrens auch damit begründen, dass
Art. 111 PatG
für die Veredelung von Textilfasern durch "Anwendung nicht rein mechanischer Verfahren" den Patentschutz verweigert, während
Art. 2 Ziff. 2 PatG
für Arzneimittel die "Verfahren zur Herstellung... auf anderem als chemischen Wege" nicht als Erfindung anerkennt.
Patentbegründend ist der im Erfindungsgedanken liegende chemische Vorgang.
Art. 2 Ziff. 2 PatG
lässt weder dem Wortlaut noch dem Sinne nach den Schluss zu, die blosse Verbindung der nichtchemischen mit einer chemischen Verfahrensstufe genüge für die Schutzfähigkeit des gesamten Verfahrens. Auch trifft entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerin nicht zu, dass für die beanspruchte Kombination das Motiv des Gesetzgebers für den Ausschluss nichtchemischer Verfahren von der Patentierung entfalle. Massgebend für die Beibehaltung der überkommenen Regelung bei der Gesetzesrevision war, wie erwähnt, das Bestreben, die Verteuerung der Arzneimittel zu vermeiden. Darum schlossen sich Bundesrat und Parlament der Meinung einer Minderheit der Expertenkommission an, wider die Kommissionsmehrheit, welche die anhand eines Postulats aus Kreisen der chemischen Industrie im I. Vorentwurf (1945) vorgesehene Patentierbarkeit gewisser nicht chemischer Herstellungsverfahren - der sogenannten physikalisch-analytischen Verfahren - guthiess. Die Kommissionsminderheit wies u.a. darauf hin, dass den Naturstoffe
BGE 99 Ib 250 S. 254
darstellenden Arzneimitteln (Vitamine, Hormone usw.) immer grössere Bedeutung zukomme und dass z.B. der Preis für Penizillin in den Jahren 1946 bis 1948 nicht um annähernd 90% gesunken wäre, wenn dieser Stoff hätte patentiert werden können (Botschaft, a.a.O. S. 1004/5). Wollte der Gesetzgeber den physikalisch-analytischen Verfahren zur Isolierung hochempfindlicher Naturstoffe den Patentschutz versagen, so erst recht auch den nachgehenden Verfahren zur Überführung von Arzneistoffen in Arzneimittelzubereitungen oder Anwendungsformen. Es ist denn auch nicht einzusehen, weshalb solche Herstellungsverfahren für synthetisch erzeugte Wirkstoffe verschieden behandelt werden sollten. Das Amt betrachtet es mit Recht als selbstverständlich, einen Wirkstoff, der nicht als Arzneimittel (so wie er in der Apotheke erhältlich ist) verwendet werden kann, mit einem "pharmazeutisch annehmbaren Trägerstoff" zu vermischen.
d) Das Amt bezeichnet die Überführung eines Arzneistoffes in eine Arzneimittelzubereitung dann als Herstellung auf chemischem Wege, "wenn dabei ein chemischer Vorgang eine wesentliche Rolle spielt". Es wirft im weiteren die Frage auf, ob ein Patentanspruch, der die Zusammenlegung der Synthese eines Wirkstoffes mit dessen Verarbeitung zu einer Arzneimittelzubereitung zum Gegenstand hat, dann mit
Art. 2 Ziff. 2 PatG
vereinbar wäre, wenn "ein ursächlicher technisch notwendiger oder vorteilhafter Zusammenhang, eine gegenseitige technische Abhängigkeit bestünde". Weder der eine noch der andere Gesichtspunkt ist zu beurteilen, weil der Patentanspruch der Beschwerdeführerin keine der beiden Voraussetzungen erfüllt. Es wird darin weder ein Mischverhältnis noch eine Dosierung noch eine Zubereitungsform genannt. Zudem ist ein irgendwie gearteter Sachzwang, mit der synthetischen Herstellung des Wirkstoffes dessen Vermischung mit dem Trägerstoff unmittelbar zu verbinden, weder dargetan noch ersichtlich.
3.
Die Beschwerdeführerin hält dafür, das beanspruchte Verfahren dürfe aus schwerwiegenden praktischen Gründen nicht auseinandergerissen werden. Sie verkennt nach dem Gesagten, dass das Verfahren nicht bloss theoretisch getrennt werden kann. Zudem lässt sich aus den Erwägungen in
BGE 79 II 232
/33 zu
Art. 2 Ziff. 4 a PatG
nichts zu ihren Gunsten ableiten. Im erwähnten Entscheid ging es um ein sogenanntes Formalisierungsverfahren, das an künstlichen Polyamidfasern
BGE 99 Ib 250 S. 255
eine "Strukturänderung in chemischem Sinne" bewirkt, während in der zweiten Stufe des streitigen Verfahrens nichts dergleichen geschieht. Daher sind hier produtionstechnische und betriebswissenschaftliche Erfordernisse, wie sie nach
BGE 79 II 232
/3 für die Schutzfähigkeit des Formalisierungsverfah rens vorausgesetzt werden, nicht zu berücksichtigen. Abgesehen davon, legt die Beschwerdeführerin nicht dar, inwiefern produktionstechnisch und betriebswirtschaftlich die Verbindung der beiden Verfahrensstufen von Vorteil sein soll.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
68aaaf68-73a3-495d-b57e-90ce02fa22cb | Urteilskopf
99 Ib 493
68. Urteil vom 16. November 1973 i.S. Dillier AG gegen Eidg. Volkswirtschaftsdepartement | Regeste
BRB vom 6. Juli 1973 über die Begrenzung der Zahl der erwerbstätigen Ausländer; "Verfügung" vom 6. Juli 1973 betreffend den Vollzug dieses BRB.
1. Begriff des Betriebes mit saisonalem Charakter im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. a des BRB.
2. Begriff der Saisonarbeitskraft im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der VV zum BRB.
3. Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 lit. b des BRB. | Sachverhalt
ab Seite 493
BGE 99 Ib 493 S. 493
Sachverhalt:
A.-
Die Firma Dillier AG Sarnen betreibt ein Car- und Transportunternehmen. Neben dem Transport von Waren und der Organisation von Carreisen führt sie für die PTT seit Jahren die Postautokurse Sarnen-Melchtal-Stöckalp, Sarnen-Wilen und Sachseln-Flüeli. Auf den 1. Januar 1973 hat sie ausserdem die Kehrichtabfuhr in sechs Gemeinden übernommen.
Die Firma erzielt während der Sommermonate regelmässig wesentlich höhere Monatsumsätze als während des übrigen Jahres.
BGE 99 Ib 493 S. 494
Auch der Personalbestand unterliegt gewissen Schwankungen.
Laut einer Erklärung des kantonalen Arbeitsamtes Obwalden hat die Firma Dillier AG zur Bewältigung der in den Sommermonaten anfallenden zusätzlichen Arbeiten bisher schon auch ausländische Saisonarbeitskräfte eingestellt. Im Jahre 1971 hatte sie um Bewilligung der Einstellung eines italienischen Mechanikers als Saisonarbeitskraft nachgesucht, ihr Gesuch aber in der Folge wieder zurückgezogen mit der Erklärung, der Chauffeurmangel sei durch intensiven Einsatz der beiden Firmeninhaber und zweier Söhne überbrückt worden. Für 1972 kündigte sie damals ein neues Gesuch an.
B.-
Am 23. März 1973 ersuchte die Eidg. Fremdenpolizei das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA), zu einem Gesuch der Firma Dillier AG um Bewilligung von zwei Saisonarbeitskräften Stellung zu nehmen. Das BIGA stellte daraufhin am 10. April 1973 fest, der Firma fehle der Saisoncharakter im Sinne von
Art. 18 Abs. 2 lit. c ANAG
,
Art. 18 Abs. 5 ANAV
und Art. 8 lit. a des BRB über die Begrenzung der Zahl der erwerbstätigen Ausländer vom 21. April 1971. Damit falle jeder Anspruch auf Erteilung von Bewilligungen zur Beschäftigung von Saisonarbeitskräften dahin.
Das Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) hat diese Verfügung auf Beschwerde der Firma Dillier AG hin am 27. Juli 1973 bestätigt. Dabei stützte es sich auf den am 6. Juli 1973 erlassenen und am 15. Juli 1973 in Kraft getretenen BRB über die Begrenzung der Zahl der erwerbstätigen Ausländer sowie auf die Vollziehungsverordnung dazu. Es führt u.a. aus, die Beschwerdeführerin befinde sich in der gleichen Lage wie andere Betriebe in Fremdenorten. Ob dem durch die Übernahme der Kehrichtabfuhr in sechs Gemeinden erhöhten Arbeitsanfall durch Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zulasten des kantonalen Kontingents für Jahresaufenthalter Rechnung getragen werden könne, hätten die kantonalen Behörden zu entscheiden.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Firma Dillier AG, den Entscheid des EVD aufzuheben und ihr die Anstellung von Saisonarbeitskräften "im nachgesuchten Umfang" zu bewilligen. In tatsächlicher Hinsicht macht sie geltend, sie müsse für die Postautokurse im Sommer einen bis zwei zusätzliche Wagenführer einsetzen; die sechs Gemeinden, deren Kehricht sie abführe, zählten im Sommer
BGE 99 Ib 493 S. 495
bis doppelt so viele Einwohner wie im Winter: der Reisecarbetrieb liege im Winter zum grössten Teile still, würden doch jeweils vier der insgesamt sieben Cars stillgelegt: der Lastwagenbetrieb ermögliche keinen Ausgleich dieser Ausfälle, liege doch die Beschäftigungsspitze auch dieses Betriebszweiges in den Sommermonaten.
D.-
Das EVD beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Der BRB vom 21. April 1971 über die Begrenzung der Zahl der erwerbstätigen Ausländer ist durch den gleich betitelten BRB vom 6. Juli 1973 aufgehoben. Der neue Erlass will insbesondere die Zahl der Saisonarbeitskräfte wirksam begrenzen (Art. 1 Abs. 1). Der Bundesrat bestimmt zu diesem Zwecke für jedes Jahr die zulässige Höchstzahl von Saisonarbeitskräften pro Kanton und für die ganze Schweiz (Art. 7 Abs. 1 und 2). Saisonbewilligungen dürfen innerhalb der Höchstzahlen nur erteilt werden, wenn
"a. es sich um einen Betrieb handelt, der saisonalen Charakter hat;
b. der nachgesuchte Ausländer in diesem Betrieb tatsächlich eine Saisontätigkeit ausübt" (Art. 8 Abs. 1).
a) Zunächst fragt sich, was unter einem Betrieb mit saisonalem Charakter im Sinne der zitierten Vorschrift zu verstehen ist.
Nach Art. 6 Abs. 1 der Vollzugsverordnung zum BRB vom 6. Juli 1973 dürfen Saisonbewilligungen erteilt werden "für Saisonbetriebe der Bauwirtschaft und des Gastgewerbes sowie für Saisonbetriebe in den übrigen Erwerbszweigen, die regelmässig Saisonarbeitskräfte beschäftigen".
Als Betriebe saisonalen Charakters im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. a BRB sind demnach neben den ausdrücklich erwähnten Betrieben der Bauwirtschaft und des Gastgewerbes nicht einfach alle übrigen Betriebe mit saisonbedingter Tätigkeit zu betrachten, sondern nur die Betriebe ganz bestimmter Erwerbszweige, nämlich der Erwerbszweige, die regelmässig Saisonarbeitskräfte beschäftigen. Dass ein bestimmter Betrieb jedes Jahr Saisonarbeitskräfte benötigt, genügt deshalb nicht für die Erteilung einer Saisonbewilligung. Die Bewilligung darf vielmehr nur erteilt werden, wenn der Betrieb einem Erwerbszweig angehört, in dem regelmässig Saisonarbeitskräfte beschäftigt werden.
Mit dieser Beschränkung lehnt sich die Vollzugsverordnung
BGE 99 Ib 493 S. 496
an Art. 7 des ausser Kraft gesetzten BRB vom 21. April 1971 an. Dass sie damit den BRB vom 6. Juli 1973 in unzulässiger Weise einschränke, lässt sich umso weniger sagen, als dieser BRB gegenüber dem BRB vom 21. April 1971 ja eine weitere Erschwerung der Zulassung von Saisonarbeitskräften bezweckt.
Der Begriff der Saisonarbeitskraft im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung zum BRB vom 6. Juli 1973 ist auf Grund des BG über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (ANAG) und der dazugehörigen Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 (ANAV) zu bestimmen, stützt sich der BRB doch ausdrücklich auf Bestimmungen des ANAG. Nach
Art. 18 Abs. 5 ANAV
sind Saisonarbeiter und -angestellte "Ausländer, deren Beruf ausgesprochene Saisonzeiten hat und die in einem solchen Beruf eine Saisonstelle bekleiden".
Unter einem Betrieb mit saisonalem Charakter im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. a des BRB vom 6. Juli 1973 ist somit ein Betrieb zu verstehen, der zu einem Erwerbszweig gehört, in dem regelmässig Saisonarbeitskräfte, also Ausländer, die in einem Saisonberuf saisonweise tätig sind, beschäftigt werden. Ob der Betrieb, der um eine Saisonbewilligung nachsucht, bereits früher Saisonarbeitskräfte beschäftigt hat, ist ebenso bedeutungslos wie, ob er zu bestimmten Perioden des Jahres regelmässig Beschäftigungsspitzen aufweist. Für die Erteilung einer Saisonbewilligung ist nötig und genügt, dass er die dargelegten Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 1 lit. a des BRB vom 6. Juli 1973 erfüllt.
b) Art. 8 Abs. 1 lit. b verlangt überdies, dass der Ausländer, für den die Saisonbewilligung beantragt wird, im betreffenden Betrieb tatsächlich eine Saisontätigkeit ausübt. Diese Bedingung ist aber, wie sich aus dem Gesagten ergibt, bereits in der ersten Bedingung enthalten und entbehrt deshalb eigener Bedeutung.
2.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um Erteilung von zwei Saisonbewilligungen wurde im vorliegenden Falle mit Rücksicht auf den dargelegten Sinn der anwendbaren Bestimmungen zu Recht abgewiesen.
Keiner der Betriebszweige der Beschwerdeführerin zählt zu einer Branche, in der regelmässig Saisonarbeitskräfte beschäftigt werden. Weder die Führung von Reisecars oder Lastwagen, noch die Kehrichtabfuhr sind in der Schweiz im allgemeinen Saisonarbeitskräften übertragen. All dies sind vielmehr grundsätzlich ganzjährige Beschäftigungen, mit denen - jedenfalls zu
BGE 99 Ib 493 S. 497
einem grossen Teil - einheimische Arbeitskräfte betraut sind. Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin während der Sommermonate einen verhältnismässig wesentlich höheren Umsatz erzielt, als während des übrigen Jahres, macht sie noch nicht zu einem Betrieb mit saisonalem Charakter im Sinne der zitierten Vorschrift. Das EVD bringt übrigens zu Recht vor, dass die Zuteilung von Saisonarbeitskräften an alle Betriebe, die in Fremdenverkehrsgebieten saisonale Umsatzspitzen aufweisen, den Erfolg der Stabilisierungspolitik des Bundesrates gefährden würde.
Die beiden Ausländer, die in die Dienste der Beschwerdeführerin treten sollten, können ausserdem nicht als Saisonarbeitskräfte im Sinne der massgebenden Vorschriften betrachtet werden. Einer der beiden wird als Garagearbeiter, der andere als Garagearbeiter/Chauffeur bezeichnet. Keiner dieser beiden Berufe hat aber als solcher "ausgesprochene Saisonzeiten". Das EVD weist auch darauf hin, dass es nicht üblich ist, Ausländer für die Führung von Reisecars einzustellen.
Die Beschwerde wird deshalb abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
68abb992-5352-4d00-ab42-6b2472cb879d | Urteilskopf
88 III 28
6. Entscheid vom 28. Februar 1962 i.S. Konkursmasse Parkhof AG | Regeste
Konkurs. Verwertung einer Liegenschaft vor Erledigung der Kollokationsprozesse über ihre Pfandbelastung (
Art. 128 Abs. 2 VZG
). Beschwerde gegen den Konkursverwalter, der einen Freihandverkauf als verfrüht ablehnt.
1. Beschwerdefrist (
Art. 17 Abs. 2 SchKG
).
Art. 63 SchKG
gilt im Konkursverfahren nicht. - Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung (
Art. 17 Abs. 3 SchKG
).? Die einstweilige Ablehnung einer beantragten Verwertungsmassnahme kann eine Rechtsverzögerung bedeuten. (Erw. 1.)
2. Beschwerdelegitimation. Der Gemeinschuldner kann Verfügungen der Konkursverwaltung und Gläubigerbeschlüsse über die Verwertung von Aktiven nur anfechten, wenn sie in seine gesetzlich geschützten Rechte und Interessen eingreifen. Wann ist dies der Fall? - Für eine im Konkurs befindliche Aktiengesellschaft können in einem solchen Fall die bisherigen Organe handeln (
Art. 740 Abs. 5 OR
). Den einzelnen Aktionären fehlt die Beschwerdelegitimation. (Erw. 2.)
3. Voraussetzungen für die Erteilung der Bewilligung nach
Art. 128 Abs. 2 VZG
. Diese Bewilligung ist zu erteilen, wenn ein ernsthaftes Kaufsangebot zu einem Preise vorliegt, der neben der Deckung der Kosten und Masseschulden die vollständige Befriedigung aller angemeldeten und noch nicht rechtskräftig abgewiesenen Konkursforderungen gestattet. In einem solchen Falle kann die vorzeitige Verwertung nicht bloss auf dem Wege der Versteigerung, sondern auch auf dem Wege des Freihandverkaufs erfolgen. (Erw. 3, 4.)
4. Ein Freihandverkauf zu einem solchen Preise bedarf der Zustimmung der Gläubiger nicht, doch ist allen Gläubigern (und im Falle des Konkurses einer Aktiengesellschaft auch allen Aktionären) Gelegenheit zu geben, den angebotenen Preis zu überbieten. (Erw. 5, 6.)
5. Einzelheiten des Vorgehens. (Erw. 7, 8.) | Sachverhalt
ab Seite 30
BGE 88 III 28 S. 30
A.-
In dem am 21. Dezember 1959 eröffneten Konkurs über die Parkhof AG in Basel fassten die Gläubiger auf Antrag des ausseramtlichen Konkursverwalters Eugen D. Merki vom 1. September 1961 auf dem Zirkularwege den Beschluss, die Konkursverwaltung sei zu ermächtigen, das Hauptaktivum der Masse, die Liegenschaft Sektion IV Parzelle 6723 des Grundbuchs Basel-Stadt, Aeschengraben 21, nach rechtskräftiger Entscheidung über Bestand oder Nichtbestand der daran geltend gemachten Grundpfandrechte freihändig zu verkaufen. Auf Beschwerde des Konkursgläubigers Dr. G. Bollag hob die kantonale Aufsichtsbehörde diesen Beschluss mit Entscheid vom 14. Oktober 1961 als verfrüht auf. Das Bundesgericht wies den Rekurs des Konkursverwalters am 9. November 1961 ab.
B.-
Am 6. Dezember 1961 teilte Dr. Bollag dem Substituten des Konkursverwalters mündlich mit, ein Zürcher Rechtsanwalt habe einen solventen Käufer an der Hand, der bereit sei, für die Liegenschaft Aeschengraben 21 den Betrag von 12 Millionen Franken zu bezahlen, d.h. soviel, dass sämtliche angemeldeten Forderungen samt Zins gedeckt seien. Er verlangte vom Konkursverwalter unter Berufung auf das Einverständnis aller Aktionäre der Parkhof AG, dass er die Liegenschaft ohne vorherige Begrüssung der Gläubiger an den erwähnten Interessenten verkaufe. Der Konkursverwalter lehnte dieses Vorgehen mit Schreiben vom 7. Dezember 1961 als rechtswidrig und den Beschwerdeentscheiden vom 14. Oktober und 9. November 1961 widersprechend ab mit dem Bemerken, auch Dr. Bollag werde zu gegebener Zeit Gelegenheit erhalten, eine Kaufsofferte einzureichen. Nachdem ihm dieser am
BGE 88 III 28 S. 31
14. Dezember 1961 ein schriftliches Kaufsangebot von Rechtsanwalt Dr. X. in Zürich zum Preise von Fr. 12'220,000.-- vorgelegt und ihn aufgefordert hatte, bis zum 18. Dezember 1961 seine Bereitschaft zu erklären, den Freihandverkauf zu den von Dr. X. genannten Bedingungen durchzuführen, bestätigte er mit Schreiben vom 18. Dezember 1961 seinen ablehnenden Bescheid vom 7. Dezember.
C.-
Hierauf führte Dr. Bollag am 19. Dezember 1961 im eigenen Namen sowie namens der Konkursgläubigerin Hans Seligman-Schürch & Co., des einzigen Verwaltungsrats der Parkhof AG, Franz Klarer, und "sämtlicher Aktionäre der Parkhof AG" Beschwerde mit dem Antrag:
"Es sei der Konkursverwalter anzuweisen, sofort den freihändigen Verkauf der Liegenschaft Aeschengraben 21 ... mit Herrn Dr. X., Rechtsanwalt in Zürich, namens und für Rechnung einer noch zu gründenden Immobiliengesellschaft, zum Kaufpreis von Fr. 12'220,000.--, inklusive allfälliger Vermittlungsprovisionen und der Handänderungssteuer sowie der Notariats- und Grundbuchgebühren, abzuschliessen, unter der Bedingung, dass Herr Dr. X. den Finanzausweis über die Zahlungsfähigkeit seiner Gruppe für den Kaufpreis erbringt und die Kosten der Konkursverwaltung, die durch die Vorkehrungen zum Abschluss des Vertrages entstehen, sicherstellt."
Am 10. Februar 1962 hat die kantonale Aufsichtsbehörde erkannt:
"Auf die angeblich von den Inhabern der Aktien Nr. 15-59 und 90-100 der Parkhof AG angehobene Beschwerde wird mangels Vollmacht ihres Vertreters nicht eingetreten.
In teilweiser Gutheissung der von den übrigen Beschwerdeführern angehobenen Beschwerde wird der Konkursverwalter ... angewiesen, das ihm ... unterbreitete, einen Kaufpreis von Fr. 12'220,000.-- vorschlagende Kaufsangebot, sobald der Offerent seine Bereitschaft, die Konkursverwaltung für Kosten und Auslagen bei Scheitern der Verhandlungen zu entschädigen, erklärt und im vom Konkursverwalter verlangten Betrage hiefür Sicherhet geleistet hat, unverzüglich im Sinne der Entscheidungsgründe zu prüfen, den zu fordernden Kaufpreis festzulegen und alles zum Abschluss des Kaufes Dienliche von seiner Seite aus vorzukehren. Das weitergehende Begehren der Beschwerde sowie die Kostenanträge der Parteien werden abgewiesen..."
Über die Prüfung des Angebots von Dr. X., die der Konkursverwalter gemäss diesem Entscheid nach Sicherstellung
BGE 88 III 28 S. 32
der daraus entstehenden Kosten vorzunehmen hat, wird in den Erwägungen im wesentlichen ausgeführt, der Konkursverwalter habe zu ermitteln, welcher Kaufpreis zur vollen Deckung aller Gläubiger und der Massakosten und Massaforderungen (gemeint: Massaschulden) erforderlich sei. Wenn das Angebot X. neben den Massakosten und -schulden sämtliche angemeldeten und noch nicht rechtskräftig abgewiesenen Konkursforderungen decke oder wenn Dr. X. einen allfälligen Fehlbetrag noch zusätzlich zahlen wolle, habe der Konkursverwalter dieses Angebot nach Sicherstellung des Kaufpreises anzunehmen, falls keiner der Gläubiger oder Aktionäre mehr biete. "Die - angemessen befristete - Möglichkeit hiezu wäre durch Zirkular den Gläubigern einerseits dafür zu bieten, dass ihre Forderungen V. Klasse ab Konkurseröffnung unverzinslich werden, und den Aktionären anderseits, um den Konkursverwalter gegen deren allfällige Behauptung, er habe zu niedrig verkauft, zu schützen." Ein Zirkularbeschluss wegen des Freihandverkaufs selber sei unter den gegebenen Umständen unnötig. Das Zirkular an die Aktionäre erübrige sich, falls diese dem Angebot X. zum voraus einhellig zustimmen sollten. Vom Zirkular an die Gläubiger dürfte nur abgesehen werden, "falls ihnen bereits von Gesetzes wegen oder dann seitens der Gemeinschuldnerin ein Anrecht auf Verzinsung ihrer Konkursforderung bis zum Auszahlungstag, nicht bloss bis zum Konkurseröffnungstag eingeräumt wird und sie hiefür gedeckt sein sollten." Da kein Gläubiger mehr als die volle Deckung seiner Forderung fordern dürfe und keinem ein Anrecht auf bestimmte Teile des schuldnerischen Vermögens zustehe, sei ein Gläubiger nicht zu begrüssen, wenn ihm durch eine Verwertungshandlung volle Deckung (wie wenn es nie zum Konkurs gekommen wäre) gewährleistet werden könne.
Weitere Erörterungen der kantonalen Aufsichtsbehörde beziehen sich auf das Kollokationsverfahren und einen allfälligen Konkurswiderruf.
D.-
Diesen Entscheid hat der Konkursverwalter an
BGE 88 III 28 S. 33
das Bundesgericht weitergezogen mit den Anträgen, auf die Beschwerde sei wegen Verspätung nicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen; subeventuell seien die Beschwerdeführer Dr. Bollag und Mitbeteiligte, soweit sie überhaupt aktivlegitimiert seien, zur Vorlegung eines vollständigen und vorbehaltlosen, von einer schweizerischen Grossbank ausgestellten Kapitalnachweises bzw. zur Hinterlegung des Betrags von Fr. 12'220,000.-- aufzufordern und der Konkursverwalter zu ermächtigen, nach Leistung dieser Sicherheit den Gläubigern die Genehmigung des Freihandverkaufs an Dr. X. zu beantragen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerde vom 19. Dezember 1961 richtet sich ihrem Sinne nach gegen die Verfügung des Konkursverwalters vom 7. Dezember 1961, die dieser am 18. Dezember nicht etwa durch eine neue Verfügung ersetzt, sondern ohne neue Sachprüfung durch einen blossen Hinweis auf sie bestätigt hat. Die Verfügung vom 7. Dezember 1961 ist Dr. Bollag unstreitig vor dem 9. Dezember 1961 zugegangen. Die Beschwerde vom 19. Dezember 1961 ist also erst nach Ablauf der zehntägigen Frist von
Art. 17 Abs. 2 SchKG
eingereicht worden. Diese Frist wurde dadurch, dass ihr Ende in die am 17. Dezember 1961 beginnenden Weihnachts-Betreibungsferien fiel, nicht verlängert, da
Art. 63 SchKG
für die Fristen im Konkursverfahren nicht gilt (
BGE 40 III 328
). Die Beschwerde ist also wegen Verspätung unwirksam, wenn sie nicht als Beschwerde wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung im Sinne von
Art. 17 Abs. 3 SchKG
entgegengenommen werden kann.
Wird in einem Zwangsvollstreckungsverfahren eine bestimmte Massnahme unter Angabe sachlicher Gründe (wegen Fehlens von verfahrensrechtlichen Voraussetzungen) eindeutig abgelehnt, so liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts mindestens in der Regel keine Rechtsverweigerung
BGE 88 III 28 S. 34
vor, derentwegen nach
Art. 17 Abs. 3 SchKG
jederzeit Beschwerde geführt werden könnte, sondern hat man es mit einer Sachentscheidung zu tun, die grundsätzlich nur innert der zehntägigen Frist des
Art. 17 Abs. 2 SchKG
angefochten werden kann (
BGE 77 III 85
/86,
BGE 78 III 22
Erw. 2,
BGE 79 III 166
,
BGE 80 III 24
und 135,
BGE 85 III 9
). Im vorliegenden Falle hat der Konkursverwalter die sofortige Annahme des ihm vorgelegten Kaufsangebots unter Berufung darauf verweigert, dass das ihm zugemutete Vorgehen nach Konkursrecht unzulässig sei. Unter diesen Umständen kann ihm nach den erwähnten Präjudizien eine Rechtsverweigerung kaum vorgeworfen werden.
Die Verfügung vom 7. Dezember 1961 hat jedoch die Besonderheit, dass der Konkursverwalter damit die beantragte Verwertungsmassnahme nicht ein für allemal, sondern nur einstweilen abgelehnt hat, weil er einen Freihandverkauf in jenem Zeitpunkt als verfrüht ansah. Es handelt sich also wie im FalleBGE 50 III 91ff. um eine Unterlassung der Verwertung "bis auf weiteres", die, falls sie ungerechtfertigt ist, eine Rechtsverzögerung im Sinne von
Art. 17 Abs. 3 SchKG
darstellt. Auf die Beschwerde, mit der geltend gemacht wird, der Freihandverkauf sei unverzüglich durchzuführen, ist daher auf Grund der eben erwähnten Bestimmung einzutreten, obwohl sie erst mehr als zehn Tage nach Empfang der Verfügung vom 7. Dezember 1961 eingereicht worden ist.
2.
Der Konkursverwalter bestreitet die Beschwerdelegitimation der Konkursgläubiger Dr. Bollag und Hans Seligman-Schürch & Co. mit Recht nicht, wendet sich jedoch gegen die Annahme der Vorinstanz, dass auch der einzige Verwaltungsrat und die Aktionäre der Gemeinschuldnerin befugt gewesen seien, wegen der einstweiligen Ablehnung der Offerte X. Beschwerde zu führen.
a) Verfügungen der Konkursverwaltung und Gläubigerbeschlüsse über die Verwertung von Aktiven kann der Gemeinschuldner nur anfechten, wenn sie in seine gesetzlich geschützten Rechte und Interessen eingreifen, was
BGE 88 III 28 S. 35
namentlich der Fall ist, wenn sie gegen gesetzliche Vorschriften über das Verwertungsverfahren verstossen und dadurch sein Interesse an der Erzielung eines möglichst günstigen Verwertungserlöses verletzen (
BGE 33 I 483
= Sep. ausg. 10 S. 149,
BGE 42 III 88
und 428,
BGE 72 III 29
,
BGE 85 III 180
). Blosse Fragen der Angemessenheit von Verwertungsmassnahmen kann der Gemeinschuldner nach diesen Präjudizien nicht vor die Aufsichtsbehörden bringen, doch haben Willkür, Ermessensmissbrauch und Ermessensüberschreitung wie Verstösse gegen positive Verfahrensvorschriften als Gesetzesverletzungen zu gelten (
BGE 85 III 181
).
Die Verfügung, mit welcher der Konkursverwalter das Eintreten auf das Kaufsangebot X. einstweilen ablehnte, wird in der vorliegenden Beschwerde mit der Begründung angefochten, aus dem Konkursrecht ergebe sich die Pflicht des Konkursverwalters, ein Angebot, das alle Konkursforderungen decke und darüber hinaus noch zu einem Überschuss zu Handen der Aktionäre führe, sofort anzunehmen, wenn wie hier alle Aktionäre einverstanden seien; durch einen solchen Freihandverkauf werde nämlich der Zweck des Konkursverfahrens vollständig erreicht, und es könne nicht Sache des Konkursverwalters sein, "auf dem Rücken und gegen den Willen der Aktionäre zu spekulieren." Damit wird eine Gesetzesverletzung behauptet, die zu rügen der Gemeinschuldner nach dem Gesagten befugt ist. Für eine im Konkurs befindliche Aktiengesellschaft können in einem solchen Falle gemäss
Art. 740 Abs. 5 OR
die bisherigen Organe handeln. Die Vorinstanz hat daher die Beschwerdelegitimation des einzigen Verwaltungsrats der Parkhof AG, Franz Klarer, zu Recht bejaht.
b) Den einzelnen Aktionären kommt diese Legitimation dagegen nachBGE 53 III 112(Nr. 27) nicht zu. Diese Rechtsprechung ist wohlbegründet. Die Interessen der Aktionäre verdienen im Konkursverfahren nur insoweit Schutz, als sie mit denjenigen der im Konkurs befindlichen
BGE 88 III 28 S. 36
Gesellschaft übereinstimmen, und diese letztere ist in der Lage, ihre Interessen ohne Hilfe der Aktionäre durch ihre eigenen Organe zu wahren. Der vorliegende Rekurs ist daher gutzuheissen, soweit damit beanstandet wird, dass die Vorinstanz den Aktionären die Beschwerdelegitimation zuerkannt hat.
3.
In der Sache selbst macht der Konkursverwalter geltend, der Entscheid der Vorinstanz verletze
Art. 252 Abs. 1 SchKG
und
Art. 128 Abs. 1 VZG
.
Inwiefern der angefochtene Entscheid
Art. 252 Abs. 1 SchKG
verletzen soll, wonach die Konkursverwaltung die Gläubiger der von ihr anerkannten Forderungen zu einer zweiten Versammlung einberuft, ist unerfindlich. Die zweite Gläubigerversammlung hat im vorliegenden Falle längst stattgefunden (6. April 1961).
Nach
Art. 128 Abs. 1 VZG
darf die Verwertung eines Grundstücks selbst im Falle der Dringlichkeit erst stattfinden, nachdem das Kollokationsverfahren über Pfandrechte oder andere beschränkte dingliche Rechte am Grundstück durchgeführt ist und allfällige Kollokationsprozesse rechtskräftig erledigt sind. Diese Bedingung ist hier nicht erfüllt, da noch mehrere Prozesse über die Pfandbelastung der Liegenschaft Aeschengraben 21 hängig sind. Nach
Art. 128 Abs. 1 VZG
dürfte diese Liegenschaft also noch nicht verwertet werden. Der zweite Absatz von
Art. 128 BZG
schränkt jedoch den im ersten Absatz ausgesprochenen Grundsatz ein, indem er bestimmt: "Ausnahmsweise können die Aufsichtsbehörden die Versteigerung schon vorher bewilligen, wenn keine berechtigten Interessen verletzt werden." Auf diese (von der Vorinstanz freilich nicht angerufene) Bestimmung kann sich die angefochtene Entscheidung stützen.
Dem steht nicht entgegen, dass die Anwendbarkeit von
Art. 128 Abs. 2 VZG
im Rekursentscheide der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 9. Dezember 1961 (Erw. 3 a) verneint worden war; denn seither ist mit dem Kaufangebot von Dr. X. eine wesentliche neue Tatsache
BGE 88 III 28 S. 37
eingetreten. Dieses Angebot bietet konkrete Anhaltspunkte dafür, dass heute ein Verkauf der Liegenschaft zu einem Preise möglich ist, der neben den Konkurskosten und Massaschulden alle angemeldeten und noch nicht rechtskräftig abgewiesenen gesicherten und ungesicherten Konkursforderungen deckt. Bestätigt sich, dass Dr. X. bereit und in der Lage ist, einen solchen Preis zu zahlen, so liegt darin ein Umstand, der die Anwendung von
Art. 128 Abs. 2 VZG
rechtfertigt.
4.
Die bisherige Rechtsprechung (
BGE 72 III 29
,
BGE 75 III 102
,
BGE 78 III 79
,
BGE 80 III 80
,
BGE 88 III 25
) machte die Anwendung dieser Bestimmung freilich davon abhängig, dass ganz besondere Umstände gebieterisch für eine unverzügliche Verwertung sprechen (die Verwertung als "überdringlich" erscheinen lassen), und diese Voraussetzung scheint bisher nur in Fällen bejaht worden zu sein, wo ein Zuwarten bis zur Erledigung aller Kollokationsprozesse über die dingliche Belastung der Liegenschaft aussergewöhnliche Nachteile (insbesondere eine starke, nur durch sofortige Verwertung abwendbare Entwertung der Liegenschaft) befürchten liess. Wortlaut und Sinn von
Art. 128 Abs. 2 VZG
verlangen indessen nicht, dass die Anwendung dieser Bestimmung auf solche Fälle beschränkt bleibe. Von besonderer Dringlichkeit (in zeitlicher Beziehung) ist darin nicht die Rede, sondern es heisst einfach, die vorzeitige Verwertung könne "ausnahmsweise" (exceptionnellement) bewilligt werden (welchen Ausdruck der italienische Text nicht wiedergibt). Als Ausnahmefall im Sinne dieser Bestimmung kann und muss auch der Fall angesehen werden, dass ein ernsthaftes Kaufsangebot zu einem Preise vorliegt, der neben der Deckung der Kosten und Massaschulden die vollständige Befriedigung aller angemeldeten und noch nicht rechtskräftig abgewiesenen Konkursforderungen gestattet. Wenn ein Verkauf zu einem solchen Preise möglich ist, hat es keinen vernünftigen Sinn, mit der Verwertung bis zur Erledigung aller Kollokationsstreitigkeiten über beschränkte dingliche Rechte an der
BGE 88 III 28 S. 38
Liegenschaft zuzuwarten. Die sofortige Verwertung verletzt in einem solchen Falle keine berechtigten Interessen, sondern liegt ganz im Gegenteil im klaren Interesse aller Beteiligten.
Die Bewilligung der Aufsichtsbehörde, die nach
Art. 128 Abs. 2 VZG
für eine vorzeitige Verwertung erforderlich ist, wurde durch den angefochtenen Entscheid für den Fall, dass von Dr. X. tatsächlich ein die Befriedigung aller Gläubiger erlaubender Preis erhältlich ist, implicite bereits erteilt, so dass es sich erübrigt, den Konkursverwalter einzuladen, diese Bewilligung noch einzuholen.
Dass
Art. 128 Abs 2 VZG
in seiner deutschen Fassung nicht wie Art. 128 Abs. 1 allgemein von "Verwertung (Versteigerung oder Verkauf aus freier Hand)", sondern nur von "Versteigerung" spricht und dass auch die beiden andern Fassungen von Art. 128 Abs. 2 im zweiten Satze durch Erwähnung der von der Konkursverwaltung festzusetzenden Steigerungsbedingungen (conditions de vente, condizioni d'incanto) auf diese Verwertungsart hinweisen, kann mindestens in einem Falle wie dem vorliegenden kein Hindernis dafür sein, die vorzeitige Verwertung auf dem Wege des Freihandverkaufs zuzulassen. Die Fassung von
Art. 128 Abs. 2 VZG
ist auf den Regelfall zugeschnitten, dass mindestens ein Teil der Gläubiger einen Verlust zu erwarten hat. Wo dies zutrifft, mag es sich rechtfertigen, die ausnahmsweise zu bewilligende Verwertung einer Liegenschaft vor Erledigung aller auf ihre dingliche Belastung bezüglichen Kollokationsstreitigkeiten nur auf dem normalen, mit besondern Kautelen umgebenen Wege der Versteigerung zu gestatten. Bietet sich dagegen einmal die aussergewöhnliche Gelegenheit, eine Liegenschaft vor Erledigung dieser Prozesse freihändig zu einem Preise zu verkaufen, der die Deckung sämtlicher Konkursforderungen erlaubt, so besteht kein sachlicher Grund, diese Verwertungsart auszuschliessen.
Art. 128 Abs. 2 VZG
muss also auch in einem solchen Falle anwendbar sein (wenn nicht direkt, so doch analog).
BGE 88 III 28 S. 39
5.
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz den Freihandverkauf für den Fall, dass er wirklich zu einem alle Kosten und Forderungen deckenden Preis erfolgen kann, nicht von der Zustimmung der Gläubiger abhängig gemacht hat. Die zur Masse gehörenden Vermögensgegenstände dürfen zwar nach
Art. 256 Abs. 1 SchKG
grundsätzlich nur dann aus freier Hand verkauft werden, wenn die Gläubiger es beschliessen, und
Art. 256 Abs. 2 SchKG
schreibt überdies vor, dass verpfändete Vermögensgegenstände nur mit Zustimmung der Pfandgläubiger anders als durch Verkauf an öffentlicher Steigerung verwertet werden dürfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes braucht jedoch die Zustimmung der Pfandgläubiger, -die "aus dem Freihandverkauf voll und ganz bar befriedigt bzw. bis zur Erledigung des Kollokationsprozesses sichergestellt werden" können, nicht vorzuliegen (
BGE 72 III 32
). Aus entsprechenden Gründen ist bei einem Freihandverkauf zu einem Preis, der die Befriedigung bzw. Sicherstellung aller Konkursgläubiger ermöglicht, auch die Befragung und Beschlussfassung der nicht pfandgesicherten Gläubiger überflüssig.
6.
Der Vorinstanz ist auch darin recht zu geben, dass der Konkursverwalter den Gläubigern und Aktionären der Gemeinschuldnerin Gelegenheit zu geben hat, das Angebot von Dr. X. zu überbieten. Dagegen kann ihr nicht gefolgt werden, wenn sie der Meinung ist, dass diese Gelegenheit denjenigen Gläubigern vorenthalten werden dürfe, die bei Annahme der Offerte X. für ihre Forderung einschliesslich Zinsen bis zum Auszahlungstag volle Deckung erhalten, wie wenn die Parkhof AG nicht in Konkurs gefallen wäre. Zwar ist richtig, dass kein Gläubiger mehr als eine solche Deckung verlangen kann, doch dürfen die Gläubiger unabhängig davon, wieweit ihre Forderungen gedeckt werden, vom Konkursverwalter erwarten, dass er unparteiisch vorgeht und namentlich alle Gläubiger gleich behandelt. Im vorliegenden Fall ist nun keineswegs ausgeschlossen, dass der Urheber des Angebots von Fr. 12'220,000.--,
BGE 88 III 28 S. 40
wenn er selber nicht Gläubiger ist, doch mit einer Gläubigergruppe in Verbindung steht. Unter diesen Umständen verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger, dass die Möglichkeit, einen höhern Preis zu bieten, ihnen allen ohne Unterschied eingeräumt wird.
7.
Die übrigen Weisungen der Vorinstanz an den Konkursverwalter entspringen dem billigenswerten Bestreben, neue Beschwerden zu verhüten, und erscheinen weder als gesetzwidrig, noch beruhen sie auf einem Ermessensmissbrauch. Man kann höchstens darüber streiten, ob und wieweit der Konkursverwalter verpflichtet sei, bei der Herbeiführung eines Konkurswiderrufs mitzuwirken (vgl. hiezu
BGE 85 III 86
ff.). Das Dispositiv des angefochtenen Entscheids bezieht sich jedoch nicht auf diesen Punkt, so dass darüber heute nicht entschieden zu werden braucht.
Dass die Vorinstanz vor ihrer Entscheidung in die Konkursakten, die letzte Ergänzung des Kollokationsplans und die Akten der Strafuntersuchung gegen S., M. und Mitbeteiligte hätte Einsicht nehmen müssen, trifft entgegen der Auffassung des Konkursverwalters nicht zu. Die Vorinstanz hat nicht selber geprüft, ob das Angebot X. bei Erhältlichkeit des offerierten Preises allen nicht bereits rechtskräftig abgewiesenen Gläubigern volle Deckung gewährleiste, was nur anhand der Konkursakten festgestellt werden kann, sondern den Konkursverwalter beauftragt, diese Frage zu prüfen. Ob die Parkhof AG wegen betrügerischer Handlungen in Konkurs gekommen sei, wie der Konkursverwalter unter Hinweis auf die Strafakten behauptet, ist für die Behandlung des erwähnten Angebots unerheblich.
Der Rekurs ist daher im Hauptpunkte nur insoweit zu schützen, als der Konkursverwalter anzuweisen ist, die Möglichkeit zur Stellung höherer Offerten allen Gläubigern zu gewähren.
8.
Das Eventualbegehren des Konkursverwalters, die Beschwerdeführer seien anzuweisen, ihm einen gehörigen Kapitalausweis vorzulegen, stellt kein Abänderungsbegehren
BGE 88 III 28 S. 41
im Sinne von
Art. 79 OG
dar, soweit damit die Anordnung verlangt wird, dass der Freihandverkauf erst nach Vorlegung eines solchen Ausweises abzuschliessen sei; denn dies hat die Vorinstanz bereits angeordnet. Es bleibt daher nur die Frage, wer nach Leistung der gemäss Weisung der Vorinstanz von Dr. X. einzufordernden Kostensicherheit den ersten Schritt zu tun habe: ob der Konkursverwalter dannzumal die Initiative zu den erforderlichen weitern Verhandlungen ergreifen müsse oder zuwarten dürfe, bis Dr. X. von sich aus den Kapitalnachweis erbracht haben wird. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um einen blossen Rangstreit. Indem die Vorinstanz die Initiative dem Konkursverwalter zuwies, hat sie das ihr zustehende Ermessen nicht überschritten.
Das Eventualbegehren auf Ermächtigung des Konkursverwalters, den Freihandverkauf nach Sicherstellung des Kaufpreises den Gläubigern zur Genehmigung vorzulegen, ist bereits in Erwägung 5 hievor als unbegründet erklärt worden.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass
a) den Aktionären der Parkhof AG die Beschwerdelegitimation abgesprochen wird;
b) der Konkursverwalter angewiesen wird, allen Konkursgläubigern ohne Unterschied die Möglichkeit zu gewähren, das von Rechtsanwalt Dr. X. gestellte Kaufsangebot zu überbieten.
Im übrigen wird der Rekurs abgewiesen. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
68ae6d3f-c50b-4b5e-a3b7-af151953d282 | Urteilskopf
99 Ia 52
8. Urteil vom 24. Januar 1973 i.S. Badertscher gegen Gemeinde Wünnewil und Staatsrat des Kantons Freiburg. | Regeste
Art. 85 lit. a OG
.
Verletzung des politischen Stimmrechtes durch unrichtige Ermittlung des Abstimmungsergebnisses. Auslegung von Art. 79 des freiburgischen Gesetzes über die Gemeinden und Pfarreien vom 19. Mai 1894, wonach ein Gemeindeversammlungsbeschluss die "absolute Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder" auf sich zu vereinen hat. | Sachverhalt
ab Seite 52
BGE 99 Ia 52 S. 52
A.-
Das freiburgische Gesetz vom 19. Mai 1894 über die Gemeinden und Pfarreien (GGP) enthält im I. Titel des ersten Teils Vorschriften über die Gemeindeversammlungen. Es unterscheidet dabei zwischen "Wahlversammlungen" (Art. 19-66) und den "übrigen Gemeindeversammlungen" (Art. 67-83). Über diese "übrigen Gemeindeversammlungen" bestimmt Art. 79:
"1 Eine Entscheidung ist nur dann gültig, wenn sie die absolute Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder erlangt hat.
2 Das Protokoll muss jedesmal, bei Strafe der Nichtigkeit, erwähnen:
a) die Zahl der anwesenden Mitglieder;
b) die Zahl des Stimmenmehrs für jede Entscheidung."
BGE 99 Ia 52 S. 53
Die französische Fassung des Art. 79 lautet:
"1 Une décision n'est valide que pour autant qu'elle réunit la majorité absolue des suffrages des membres présents.
2 Le protocole doit mentionner chaque fois, sous peine de nullité: a) Le nombre des membres présents.
b) Le chiffre de la majorité qu'a obtenue une décision."
Gemäss Art. 21 der freiburgischen Kantonsverfassung gilt der französische Gesetzestext als Urtext. Eine mit der heutigen französischen Fassung des Art. 79 GGP wörtlich übereinstimmende Vorschrift fand sich schon im Gesetz über die Gemeinden und Pfarreien vom 5. Juli 1848 (Art. 43). Sie wurde in die späteren Gemeindegesetze vom 7. Mai 1864 (Art. 46) und vom 26. Mai 1879 (Art. 52) und auch in das heute geltende Gesetz vom 19. Mai 1894 offenbar diskussionslos übernommen. Demgegenüber hatte das Gesetz von 1848 in seiner deutschen Übersetzung ursprünglich einen etwas anderen Wortlaut, indem in Absatz 1 nur von der "absoluten Stimmenmehrheit" die Rede war; Absatz 2 unterschied sich von der jetzigen Fassung nur redaktionell. Im Gesetz von 1864 erhielt Absatz 1 die heutige Fassung. Der deutsche Text von 1879 entspricht wörtlich demjenigen von 1894.
B.-
Art. 79 GGP wurde während langer Zeit in konstanter Praxis dahin ausgelegt, dass für das gültige Zustandekommen eines Gemeindeversammlungsbeschlusses die Zustimmung der absoluten Mehrheit der im Zeitpunkt der Abstimmung anwesenden Gemeindemitglieder erforderlich sei, gleichgültig, ob sich ein Teil der Anwesenden der Stimme enthalten habe oder nicht. Noch in einem Schreiben der kantonalen Direktion der Gemeinden und Pfarreien aus dem Jahre 1936 wurde ausgeführt: "Laut Art. 79 des Gemeindegesetzes ... ist eine Entscheidung nur dann gültig, wenn sie die absolute Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder erlangt hat. Die Anwesenden sollen demnach, auch wenn sie sich der Stimme enthalten haben, mitgezählt werden, um die absolute Stimmenmehrheit festzustellen. Die Zahl der Anwesenden muss im Augenblick der Abstimmung festgestellt werden. Bei geheimen Abstimmungen wird die Zahl der anwesenden Mitglieder durch die ausgeteilten Zettel festgesetzt." In einem Entscheid vom 17. August 1951 vertrat der Staatsrat des Kantons Freiburg, offenbar in Anlehnung an eine inzwischen geänderte Praxis, erstmals die Auffassung, dass die sich der Stimme enthaltenden Gemeindemitglieder
BGE 99 Ia 52 S. 54
bei der Ermittlung des absoluten Mehrs nicht mitzuzählen seien; zur Begründung verwies er auf die (inzwischen aufgehobenen) Art. 43 und 44 GGP, welche die Wahlversammlungen betreffen und vorschreiben, dass nicht oder nicht ordnungsgemäss ausgefüllte Zettel ungültig und bei der Ermittlung des Wahlergebnisses nicht zu berücksichtigen seien. Spätere Anfragen kommunaler Behörden wurden unter Hinweis auf den Staatsratsentscheid vom 17. August 1951 von der kantonalen Verwaltung nunmehr dahin beantwortet, dass die sich der Stimme enthaltenden Gemeindemitglieder bei der Ermittlung des absoluten Mehrs nicht mitzuzählen seien.
C.-
Am 3. Dezember 1971 fand in der Gemeinde Wünnewil eine Gemeindeversammlung statt, welche unter Traktandum 3 die Detailpläne, das Ausführungsbegehren und das Kreditbegehren über Fr. 4'300,000.-- für die bauliche Erweiterung des Schulzentrums Wünnewil zu behandeln hatte. Von den erschienenen 259 Stimmberechtigten stimmten 106 für und 68 (bzw. 72 laut Angabe des Beschwerdeführers) gegen das Projekt; der Rest enthielt sich der Stimme. Gestützt auf die vom Staatsrat vertretene neue Auslegung des Art. 79 GGP behandelte der Gemeinderat das Projekt als genehmigt.
D.-
Hiegegen erhob Fritz Badertscher, der als stimmberechtigter Bürger an der Versammlung teilgenommen hatte, am 5. Dezember 1971 beim Staatsrat des Kantons Freiburg fristgerecht Rekurs. Er machte geltend, bei richtiger Auslegung von Art. 79 GGP sei die zur Gültigkeit des Beschlusses erforderliche Mehrheit nicht zustandegekommen. Bei 259 anwesenden Personen betrage das absolute Mehr 130 Stimmen. Mit bloss 106 befürwortenden Stimmen sei die in Art. 79 GGP verlangte absolute Mehrheit nicht erreicht worden.
Am 24. Juli 1972 führte Fritz Badertscher staatsrechtliche Beschwerde, mit der er rügte, dass sich der Staatsrat des Kantons Freiburg durch die Nichtbehandlung seines am 5. Dezember 1971 eingereichten Rekurses einer Rechtsverzögerung bzw. Rechtsverweigerung schuldig mache. In seiner Vernehmlassung erklärte der Staatsrat, dass der ausstehende Entscheid demnächst ergehen werde, und wies in der Folge am 3. Oktober 1972 den Rekurs ab. Die staatsrechtliche Beschwerde wurde daraufhin am 28. November 1972 vom Bundesgericht als gegenstandslos geworden abgeschrieben.
Zur Begründung seines Rekursentscheides vom 3. Oktober
BGE 99 Ia 52 S. 55
1972 verwies der Staatsrat auf die seit 1951 geänderte Praxis. Da nur 174 (106+68) Mitglieder sich an der Abstimmung beteiligt und die übrigen sich der Stimme enthalten hätten, betrage das absolute Mehr 88 (174: 2 = 87 + 1 = 88). Mit 106 Ja-Stimmen sei das unter Traktandum 3 vorgelegte Projekt demnach genehmigt worden. Anstelle der nunmehr aufgehobenen Art. 43 und 44 GGP sehe das neue Gesetz über die Ausübung der bürgerlichen Rechte vom 15. Juli 1966 in Art. 49-51 vor, dass in kantonalen und kommunalen Abstimmungen leere und ungültige Stimmzettel bei der Auszählung des Abstimmungsergebnisses ausser Betracht fielen. Diese Vorschrift müsse analog auch auf Art. 79 GGP Anwendung finden; denn leere Stimmzettel bei der geheimen Abstimmung seien gleichbedeutend mit Stimmenthaltung bei der offenen Abstimmung.
E.-
Gegen den Rekursentscheid des Staatsrates richtet sich die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde, mit der Fritz Badertscher eine Verletzung von
Art. 4 BV
sowie seiner politischen Stimmberechtigung geltend macht.
Im Namen des Staatsrates beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg Abweisung der Beschwerde. Die Gemeinde Wünnewil hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Gemeindeversammlungsbeschluss vom 3. Dezember 1971 über die Erweiterung des Schulzentrums Wünnewil sei, entgegen der Auffassung des Gemeinderates und des Staatsrates, nicht gültig zustandegekommen. Er rügt damit eine Verletzung der politischen Rechte der Bürger (
Art. 85 lit. a OG
). Hiezu ist er als stimmberechtigter Einwohner der Gemeinde Wünnewil legitimiert.
Bei Beschwerden gemäss
Art. 85 lit. a OG
prüft das Bundesgericht die Auslegung kantonaler Vorschriften, die den Umfang und Inhalt des Stimm- und Wahlrechtes normieren oder mit diesem in einem engen Zusammenhang stehen, grundsätzlich frei (
BGE 97 I 663
E. 3, 32 E. 4 a;
BGE 96 I 61
E. 3 mit Hinweisen). Der vom Beschwerdeführer zusätzlich erhobenen Willkürrüge kommt daher keine selbständige Bedeutung zu; dasselbe gilt für die Rüge der Verletzung von Art. 9 KV, welcher lediglich den bereits in
Art. 4 BV
verankerten Gleichheitssatz wiederholt.
2.
Dass sich die Frage, ob der Gemeindeversammlungsbeschluss vom 3. Dezember 1971 gültig zustandegekommen sei,
BGE 99 Ia 52 S. 56
in erster Linie nach Art. 79 GGP beantwortet, ist unbestritten. Das am 15. Juli 1966 erlassene Gesetz über die Ausübung der bürgerlichen Rechte (GABR) hat zwar die Durchführung der eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Wahlen und Abstimmungen neu geregelt. Doch enthält dieses Gesetz nur Vorschriften über solche Abstimmungen, die ausserhalb einer Gemeindeversammlung durch Urnengang erfolgen. Für die Ausübung der politischen Rechte in Gemeindeversammlungen wird in Art. 223 GABR ausdrücklich auf die Spezialgesetzgebung, mithin auf das GGP, verwiesen, allerdings unter dem Vorbehalt, dass das GABR selber keine anderweitige Regelung getroffen hat. Eine gleichartige Bestimmung findet sich in Art. 32 Abs. 3 GABR, welcher die Vorschriften des GGP "betreffend die Gemeinde-Abstimmungen" vorbehält. Es liegt nahe, anzunehmen, dass der Gesetzgeber damit u.a. die Vorschrift des Art. 79 GGP über die Ausmittlung des Abstimmungsergebnisses in Gemeindeversammlungen weiterhin in Kraft lassen wollte. Dafür spricht insbesondere auch, dass in Art. 229 lit. c GABR, der eine Reihe von widersprechenden Bestimmungen des GGP als aufgehoben erklärt, von Art. 79 GGP nicht die Rede ist. Wenn auch die Aufzählung der aufgehobenen Bestimmungen nicht abschliessend ist, so darf doch angenommen werden, dass der Gesetzgeber diese wichtige, in jüngerer Zeit häufig diskutierte Vorschrift des GGP wohl ausdrücklich als aufgehoben erklärt hatte, wenn für sie neben der Regelung des GABR kein Raum mehr bestünde. Es lag offenbar sogar in der Absicht des Gesetzgebers von 1966, die Sondervorschrift des Art. 79 GGP weiterbestehen zu lassen. Dass diese nach wie vor Gesetzeskraft besitzt, wird denn auch vom Staatsrat nicht in Frage gestellt. Er geht selber davon aus, dass lediglich die Auslegung und Handhabung des Art. 79 GGP streitig ist, wobei er allerdings die Vorschriften des neuen GABR "analog" angewendet haben will. Er verweist u.a. auf die Bestimmung des Art. 50 Abs. 6 GABR, welcher vorsieht, dass leere und ungültige Zettel bei der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses nicht mitzuzählen sind. Der Staatsrat übersieht jedoch, dass eine analoge Anwendung dieser Regel auf den vorliegenden Fall nur dann und nur soweit in Betracht kommt, als der in erster Linie massgebende Art. 79 GGP keine anderweitige Ordnung enthält. Es könnte sich einzig fragen, ob der Gesetzgeber mit Art. 50 Abs. 6 GABR ein für sämtliche Abstimmungen gültiges Prinzip statuieren
BGE 99 Ia 52 S. 57
wollte, wonach bei der Feststellung der Mehrheit Stimmenthaltungen unberücksichtigt bleiben sollen, so dass die allfällig abweichenden Vorschriften des GGP als in diesem Sinne korrigiert anzusehen wären. Hiefür bestehen jedoch keine genügenden Anhaltspunkte. Art. 50 Abs. 6 GABR wie auch die übrigen Bestimmungen der vom Staatsrat herangezogenen Art. 49 und 50 betreffen nach Wortlaut und Systematik nur das Verfahren bei Urnenabstimmungen, und der in diesem Zusammenhang ebenfalls angerufene Art. 51 gilt einzig für das Wahlverfahren. Aufgrund der erwähnten Vorbehalte in Art. 32 Abs. 3 und Art. 223 GABR ist vielmehr anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Sondervorschrift des Art. 79 GGP über die Abstimmungen in Gemeindeversammlungen unberührt in Kraft lassen wollte.
3.
a) Geht man davon aus, so kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass nicht die vom Staatsrat heute vertretene, sondern die frühere Auslegung des Art. 79 GGP, auf die sich der Beschwerdeführer beruft, die richtige ist. Wenn im massgebenden französischen Text bestimmt wird, ein Gemeindeversammlungsbeschluss sei nur gültig, wenn er "la majorité absolue des suffrages des membres présents" (deutscher Text: "die absolute Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder") auf sich vereint, so kann dies nicht anders verstanden werden als dahin, dass die absolute Mehrheit sämtlicher an der Versammung anwesenden - d.h. einschliesslich der sich der Stimme enthaltenden - Bürger gegeben sein muss. Zwar spricht Art. 79 nicht schlechthin von der "majorité absolue des membres présents", sondern er verlangt die "majorité absolue des suffrages des membres présents", woraus zur Unterstützung der gegenteiligen These abgeleitet werden könnte, die absolute Mehrheit sei nur inbezug auf die Zahl der abgegebenen - positiven oder negativen - Stimmen zu berechnen, wer keine Stimme abgegeben habe, falle bei der Ermittlung der "majorité des suffrages" ausser Betracht. Bei dieser Betrachtungsweise wäre jedoch der Zusatz "des membres présents" überflüssig und unverständlich. Gegen die vom Staatsrat vertretene Auslegung spricht auch die Vorschrift in Art. 79 Abs. 2, wonach das Protokoll für jede einzelne Abstimmung einerseits die Zahl der anwesenden Bürger und andererseits die Zahl des anfallenden Stimmenmehrs enthalten muss. Dies ist offensichtlich nichts anderes als die Wiedergabe der beiden Grössen, die
BGE 99 Ia 52 S. 58
sich für die Ermittlung des Mehrheitsverhältnisses gegenübergestellt werden müssen.
b) Eine Art. 79 GGP entsprechende und in der französischen Fassung wörtlich übereinstimmende Vorschrift fand sich bereits im Gesetz über die Gemeinden und Pfarreien von 1848; sie wurde offenbar diskussionslos in die späteren Gesetze von 1864 und 1879 und auch in das heutige GGP von 1894 übernommen. Das Protokoll der grossrätlichen Beratungen von 1848 gibt über die hier strittige Frage keinen Aufschluss. Es ist lediglich ersichtlich, dass ursprünglich vorgesehen war, dass das Gemeindeversammlungsprotokoll auch die Zahl der in der Gemeinde stimmberechtigten Bürger angeben sollte, wovon dann aber aus praktischen Gründen abgesehen wurde. Die Gesetzesmaterialien geben jedenfalls keinen Anhaltspunkt dafür, dass die obige, anhand des Wortlautes sich aufdrängende Auslegung nicht dem wirklichen Sinn der Bestimmung entspricht. Wesentlich ins Gewicht fällt schliesslich auch die Tatsache, dass die Vorschrift zunächst während langer Zeit in jener naheliegenden Weise ausgelegt und gehandhabt worden ist. Es könnte immerhin eingewendet werden, der Gesetzgeber habe beim Erlass des GABR im Jahre 1966 von einer Abänderung oder Aufhebung des Art. 79 GGP deshalb abgesehen, weil er mit der seit 1951 geänderten Praxis des Staatsrates einverstanden gewesen sei und daher keinen Anlass für eine Korrektur gesehen habe. Dies wäre für die Auslegung des Art. 79 GGP jedoch höchstens dann von Bedeutung, wenn der Gesetzgeber von 1966 eine dahingehende Auffassung irgendwie verbindlich zum Ausdruck gebracht hätte, was nicht zutrifft. Da er die Vorschrift unberührt weiterbestehen liess, ist sie unabhängig von seiner allenfalls abweichenden Meinung nach ihrem objektiven Gehalt und nach dem Willen des historischen Gesetzgebers, auf dem ihre Rechtskraft beruht, auszulegen.
c) Die Berechnung der Stimmenmehrheit anhand der Gesamtzahl der Stimmbürger bzw. der an einer Versammlung Anwesenden (sog. Personenprinzip) war in älteren Gesetzen häufig vorgesehen (KERN, Über die Äusserung des Volkswillens in der Demokratie, S. 46). Auch in der Freiburger Staatsverfassung vom 7. Mai 1857 fand sich eine derartige - inzwischen revidierte - Vorschrift, indem in Art. 79 KV die Revision der Verfassung von der Zustimmung der Mehrheit der eingeschriebenen Aktivbürger abhängig gemacht wurde (vgl. CASTELLA, L'organisation des pouvoirs politiques dans les constitutions
BGE 99 Ia 52 S. 59
du canton de Fribourg, S. 267, 273). Schliesslich kennt das GGP selber noch zwei weitere Bestimmungen, welche für die Gültigkeit eines Beschlusses die Zustimmung der Mehrheit der Anwesenden verlangen, nämlich in Art. 95 für Abstimmungen im Generalrat (Gemeindeparlament) und in Art. 106 für Abstimmungen im Gemeinderat (Exekutive). Dass dieses Verfahren mit Nachteilen behaftet ist, lässt sich nicht bestreiten (vgl. KERN, a.a.O., S. 47 f.). In neueren Gesetzen finden sich denn auch derartige Regelungen kaum mehr; massgebend für das Abstimmungsergebnis ist im allgemeinen die Mehrheit der Stimmenden bzw. der gültigen Stimmzettel (GIACOMETTI, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 258 ff.). Es besteht hier jedoch kein Anlass, sich mit den Vor- und Nachteilen der beiden Systeme näher auseinanderzusetzen. Den diesbezüglichen Überlegungen im Entscheid des Staatsrates käme nur dann eine gewisse Bedeutung zu, wenn über die Auslegung des Art. 79 GGP überhaupt noch Zweifel bestünden, was nicht zutrifft. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die vom historischen Gesetzgeber in Art. 79 GGP getroffene Regelung mit den Grundsätzen der Demokratie oder mit
Art. 4 BV
unvereinbar und deshalb nicht anwendbar wäre. Für die unterschiedliche Behandlung von Abstimmungen in Gemeindeversammlungen und solchen durch Urnengänge lassen sich immerhin sachliche Gründe anführen. Vom Bürger, der an einer Gemeindeversammlung teilnimmt und sich dort bei der Abstimmung der Stimme enthält, kann mit einer gewissen Berechtigung angenommen werden, dass er dadurch seinen Unwillen über die Vorlage zum Ausdruck bringt, ihr jedenfalls die Zustimmung bewusst verweigert; demgegenüber ist das Verhalten des einer Urnenabstimmung Fernbleibenden eher dahin zu verstehen, dass er den Entscheid den an der Abstimmung teilnehmenden Bürgern überlassen und sich selber einer Stellungnahme enthalten will. Es ginge im übrigen auch nicht an, die Bestimmungen der Art. 49-51 GABR "analog" auf die Abstimmungen in den Gemeindeversammlungen anzuwenden, wie dies der Staatsrat im angefochtenen Entscheid getan hat, da dies mit der in Art. 79 GGP getroffenen Regelung in klarem Widerspruch stünde. Die vom Staatsrat angestrebte Verbesserung der jetzigen Ordnung lässt sich weder durch eine Neuinterpretation noch durch eine analoge Anwendung anderweitiger Vorschriften, sondern nur durch eine Gesetzesänderung erreichen.
4.
Der angefochtene Rekursentscheid des Staatsrates beruht
BGE 99 Ia 52 S. 60
demnach auf einer unrichtigen Auslegung des Art. 79 GGP. Legt man die Vorschrift richtig aus, so ergibt sich, dass die an der Gemeindeversammlung vom 3. Dezember 1971 unter Traktandum 3 zur Abstimmung gebrachte Vorlage nicht die erforderliche Stimmenmehrheit erreicht hat. Bei insgesamt 259 anwesenden Bürgern betrug die absolute Mehrheit 130 Stimmen; zugestimmt haben jedoch nur 106 Bürger. Welche rechtlichen und finanziellen Auswirkungen dies für die inzwischen bereits im Rohbau erstellte Schulhausbaute haben wird, ist nicht zu prüfen. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet nur die Frage, ob der streitige Gemeindeversammlungsbeschluss die erforderliche Stimmenmehrheit auf sich vereint hat, und mit der Gutheissung der Beschwerde in diesem Punkte sind die politischen Rechte des Beschwerdeführers gewahrt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Rekursentscheid des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 3. Oktober 1972 aufgehoben; es wird festgestellt, dass an der Gemeindeversammlung von Wünnewil vom 3. Dezember 1971 über Traktandum 3 ein zustimmender Beschluss nicht zustandegekommen ist. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
68ae8148-81b3-4776-8556-69e31616ae16 | Urteilskopf
106 IV 115
37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. April 1980 i.S. Schawinski gegen Bourgknecht (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 173 StGB
. Üble Nachrede; Wahrheitsbeweis.
1. Im Gegensatz zum Gutgläubigkeitsbeweis kann der Wahrheitsbeweis sich auf Umstände stützen, die dem Täter erst nach der eingeklagten Äusserung bekannt werden oder sich aus einer späteren Abklärung ergeben (Erw. 2a).
2. Der Wahrheitsbeweis für die Behauptung oder Verdächtigung, jemand habe ein Delikt begangen, ist grundsätzlich durch eine entsprechende Verurteilung zu erbringen (Erw. 2 b-e). | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 106 IV 115 S. 115
A.-
(Gekürzt.) Roger Schawinski, damals Chefredaktor der Tageszeitung "Tat", hat die Verantwortung übernommen
BGE 106 IV 115 S. 116
für die einem Artikel des Journalisten Christian Fehr auf der Titelseite der "Tat" vom 30. Juni 1977 vorangestellte grosse Überschrift:
"Ständerat Jean-François Bourgknecht in der Steuerfalle: Sitzt im
Ständerat ein Steuerbetrüger?"
B.-
Auf Klage Bourgknechts wurde Schawinski vom Bezirksgericht Zürich am 12. Juni 1979 der üblen Nachrede schuldig erklärt und zu einer Busse von Fr. 200.-- verurteilt. Das Obergericht bestätigte am 7. November 1979 den Schuldspruch und erhöhte die Busse auf Fr. 600.--.
C.-
Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Schawinski Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und Rückweisung der Sache zur Aktenergänzung und Neubeurteilung. Er rügt, die Vorinstanz habe zu Unrecht eine Bindung des Strafrichters an die Einstellung des Steuerstrafverfahrens angenommen und durch die Ablehnung des beantragten Aktenbeizugs den Wahrheitsbeweis unter Verletzung von
Art. 173 Ziff. 2 StGB
praktisch ausgeschlossen.
Bourgknecht beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Schawinski bestreitet nicht, dass er mit dem massiven Vorwurf des Steuerbetrugs eine ehrverletzende Verdächtigung geäussert hat, für welche er mit den ihm damals zur Verfügung stehenden Unterlagen (insbesondere Entscheid der Steuerrekurskommission Fribourg vom 4. März 1977) den Gutgläubigkeitsbeweis im Sinne von
Art. 173 Ziff. 2 StGB
nicht erbringen kann. Er macht jedoch sinngemäss geltend, mit Hilfe der im kantonalen Verfahren angerufenen, von der Vorinstanz nicht zugelassenen Beweismittel wäre der Wahrheitsbeweis möglich.
2.
a) Während der Entlastungsbeweis in der Form des Gutgläubigkeitsbeweises nur durch den Nachweis von Tatsachen und Umständen erbracht werden kann, welche der Täter im Zeitpunkt der inkriminierten Äusserung kannte, ist es möglich, dass der Wahrheitsbeweis sich auf Umstände stützt, die dem Täter erst nachträglich bekannt geworden sind oder sich im Laufe einer spätern Abklärung (Strafverfahren, amtliche Untersuchung) ergeben. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass ein Täter den Gutgläubigkeitsbeweis für den Zeitpunkt seiner
BGE 106 IV 115 S. 117
Äusserung nicht zu erbringen vermag, weil er aufgrund geringer Anhaltspunkte eine massive Verdächtigung verbreitete, dass aber der zu leichtfertig geäusserte Verdacht sich nachher als zutreffend erweist und der Täter sich somit durch den Wahrheitsbeweis entlasten kann (vgl.
BGE 102 IV 182
E. 1c).
b) Im vorliegenden Fall hat sich Schawinski damit abgefunden, dass er den Gutgläubigkeitsbeweis nicht zu erbringen vermag. Er ist jedoch der Auffassung, durch Dokumente, welche das Ergebnis der inzwischen durchgeführten Abklärungen enthalten sollen, könne er den Wahrheitsbeweis erbringen. In diesem Sinne hat er im Berufungsverfahren vor Obergericht folgende Anträge gestellt:
- Es sei der Beschluss der kantonalen Steuerrekurskommission Fribourg vom 25. November 1977 durch den Ankläger bzw. die Steuerrekurskommission zu edieren.
- Es sei der Bericht des Sekretärs der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats beizuziehen, bzw. von dieser Geschäftsprüfungskommission zu edieren.
- Es seien die Akten über das Strafverfahren gegen den Ankläger wegen versuchter Steuerhinterziehung von der Wehrsteuerverwaltung des Kantons Fribourg zu edieren.
Das Obergericht hat den Beizug dieser Akten abgelehnt. Es geht in seinem Entscheid davon aus, dass der Wahrheitsbeweis für die Behauptung oder den Verdacht eines Deliktes in der Regel nur durch die Verurteilung des Verdächtigten wegen Begehung dieses Deliktes erbracht werden könne; bei Freispruch, Einstellung des Verfahrens oder Verzicht auf die Einleitung einer Strafuntersuchung (mangels ausreichender Verdachtsgründe) durch die zuständige Instanz sei es nicht möglich, in einem Ehrverletzungsprozess durch abweichende Würdigung der Untersuchungsergebnisse den Wahrheitsbeweis für die Begehung des Deliktes doch zu leisten. Aufgrund dieser Erwägung hat das Obergericht den Beizug weiterer Akten als unbehelflich betrachtet, weil damit der Wahrheitsbeweis nicht zu erbringen sei.
c) Der Vorinstanz ist zuzustimmen. Der Wahrheitsbeweis für die Behauptung oder Verdächtigung, es habe jemand ein Delikt begangen, ist grundsätzlich durch eine entsprechende Verurteilung zu erbringen. Welche Ausnahmen allenfalls von dieser Regel zu machen sind (wenn etwa ein Strafverfahren nicht oder nicht mehr durchgeführt werden kann), braucht im
BGE 106 IV 115 S. 118
vorliegenden Fall nicht erörtert zu werden. Der gegen Jean-François Bourgknecht geäusserte Verdacht von Steuerdelikten konnte von den zuständigen Behörden untersucht und beurteilt werden. Es wurden Abklärungen vorgenommen, doch erfolgte unbestrittenermassen keine Verurteilung; die zuständigen Instanzen kamen offenbar zum Schluss, ein steuerrechtlicher Straftatbestand sei nicht erfüllt. Bezüglich der kantonalen Steuern wurde nie eine eigentliche Strafuntersuchung eingeleitet. Das von der Eidg. Steuerverwaltung angeordnete Verfahren wegen versuchter Hinterziehung der Wehrsteuer wurde durch Verfügung vom 31. Oktober 1978 eingestellt. Der Wahrheitsbeweis für Steuerdelikte ist also nicht erbracht.
Der für die Beurteilung einer Ehrverletzungsklage zuständige Richter hat nicht zu überprüfen, ob jene Behörden, welche nach der Kompetenzordnung die gegen den Ehrverletzungskläger erhobenen Anschuldigungen untersuchen und beurteilen müssen, ihrer Aufgabe gerecht wurden oder ob eventuell das behauptete Delikt entgegen der formellen Erledigung doch als bewiesen zu betrachten sei. Er darf und muss in dieser Frage auf den Entscheid der zuständigen Instanz abstellen. Dass dem wegen der ehrverletzenden Verdächtigung oder Bezichtigung Beklagten bei der amtlichen (strafrechtlichen) Untersuchung die wegen seiner Äusserung gegen die von ihm kritisierte Person geführt wird, keine Parteistellung zukommt, ist rechtsstaatlich nicht zu beanstanden. Die Tatsache, dass ein Aussenstehender (als Privatmann oder als Journalist) einen Verdacht geäussert oder Vorwürfe erhoben hat, verschafft ihm keine besondere Position in einer durch seine Äusserung ausgelösten Untersuchung. Wird er wegen übler Nachrede ins Recht gefasst, so kann er sich allenfalls schon mit dem Gutgläubigkeitsbeweis gänzlich entlasten, sofern der Entlastungsbeweis zulässig ist (Art. 173 Ziff. 2/3 StGB). Er hat aber nicht darüber hinaus eine Sonderstellung bei der Ermittlung der Wahrheit. Erweist sich seine aufgrund schwacher Anhaltspunkte gemachte Äusserung schliesslich als wahr, so kommt ihm das zugut. Führt die amtliche Untersuchung nicht zur Verurteilung des von ihm Beschuldigten, so kann er nicht im Rahmen des Wahrheitsbeweises gemäss
Art. 173 Ziff. 2 StGB
die Überprüfung der Entscheidung der zuständigen Behörden durch den Ehrverletzungsrichter verlangen. Wie gerade das vorliegende Verfahren zeigt, hätte die vom Beschwerdeführer Schawinski
BGE 106 IV 115 S. 119
vertretene Auffassung zur Folge, dass im Ehrverletzungsprozess unter Umständen Freisprüche und Einstellungsbeschlüsse von Behörden anderer Kantone zu überprüfen wären, wobei eine abweichende Auffassung des Ehrverletzungsrichters sich aber selbstverständlich formell nur im Ehrverletzungsprozess auswirken könnte und die Rechtskraft der vorangehenden Entscheidungen nicht berühren würde. Aus
Art. 173 Ziff. 2 StGB
lässt sich kein solcher Anspruch des Beklagten auf Überprüfung der die ehrverletzende Äusserung betreffenden Entscheidungen zuständiger Behörden ableiten.
d) Ist der Wahrheitsbeweis für Verdacht oder Behauptung eines Deliktes aber im Prinzip nur durch die Verurteilung zu leisten, so hat die Vorinstanz den beantragten Beizug von Akten mit Recht abgelehnt; denn aus diesen weitern Unterlagen könnten sich höchstens neue Indizien für den Verdacht von Steuerdelikten entnehmen lassen; an der Tatsache, dass die zuständigen Behörden den Nachweis eines Steuerstraftatbestandes nicht für erbracht hielten, wäre damit nichts zu ändern und somit ein den Beschwerdeführer entlastender Wahrheitsbeweis nicht zu erbringen. Die gerügte Ablehnung von Beweisanträgen verletzt daher
Art. 173 Ziff. 2 StGB
nicht.
e) In der Nichtigkeitsbeschwerde wird auf
BGE 101 IV 296
Bezug genommen. In jenem Fall ging es jedoch nicht um die Frage, ob ein nach der inkriminierten Äusserung ergangener Entscheid (Einstellungsbeschluss) trotz des anderslautenden Dispositivs als Wahrheitsbeweis für die behauptete Begehung eines Deliktes dienen könne, sondern zu urteilen war dort über die Tragweite und Bedeutung eines im Leitpunkt der inkriminierten Äusserung dem Täter bekannten Einstellungsbeschlusses. Die Frage, ob ein Täter ernsthafte Gründe hatte, seine Verdächtigungen erneut vorzubringen, obschon in der Sache bereits ein Verfahren geführt und eingestellt worden war, unterscheidet sich klar von dem hier zu beurteilenden Problem der Zulässigkeit einer selbständigen Überprüfung der Strafbarkeit eines Verhaltens durch den Ehrverletzungsrichter, unabhängig vom Entscheid des zur Strafverfolgung zuständigen Organs. Aus BGE
BGE 101 IV 296
, der vorwiegend den Gutgläubigkeitsbeweis betrifft, lassen sich keine Schlüsse für den vorliegenden Fall (Wahrheitsbeweis) ziehen. Die oben dargelegte Auffassung steht nicht im Widerspruch zu den Erwägungen jenes Entscheides. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68b2f02c-163c-46d2-be61-f88a30669e96 | Urteilskopf
102 Ia 513
70. Extrait de l'arrêt du 11 février 1976 dans la cause Grandjean contre Commission de recours en matière d'impôt du canton de Vaud | Regeste
Kantonales Steuerverfahren.
1. Kantonale Beschwerde gegen eine Einschätzung, die der Steuererklärung des Steuerpflichtigen entspricht (E. 1).
2. Beginn des Fristenlaufes für die Beschwerde (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 513
BGE 102 Ia 513 S. 513
Pierre Grandjean a vendu pour le prix de 600'000 fr. un immeuble qu'il avait acquis de son père par voie successorale. Dans une première déclaration pour l'imposition des gains immobiliers, son mandataire a indiqué un montant de 600'000 fr. comme prix d'acquisition et de 43'800 fr. pour les impenses. La Commission d'impôt du district de Lausanne a pris en considération un montant de 305'000 fr. qui avait été admis à l'époque à titre de réinvestissement et a fixé le montant imposable à 261'200 fr., "sous réserve de la production des pièces relatives aux impenses". Le mandataire du contribuable a alors déposé une déclaration rectificative en faisant état d'impenses pour un montant de 88'400 fr., ce qui donnait un gain imposable de 216'000 fr. Par lettre du 20 février 1973, la Commission de district a fait savoir au mandataire du
BGE 102 Ia 513 S. 514
recourant qu'elle admettait les impenses indiquées, ramenait le gain imposable à 216'000 fr. et chargeait la recette de district de lui envoyer un bordereau pour le montant de 32'490 fr. Ce bordereau a été expédié le 28 février 1973.
Le 21 mars 1973, le mandataire de Pierre Grandjean a transmis à la Commission de taxation du district une lettre du 18 mars 1973, par laquelle son client déclarait recourir contre cette taxation. La Commission cantonale de recours en matière d'impôt du canton de Vaud a rejeté préjudiciellement le recours, le déclarant irrecevable parce que sans objet et tardif.
Agissant par la voie du recours de droit public, Pierre Grandjean requiert le Tribunal fédéral d'annuler la décision attaquée, notamment pour déni de justice formel (
art. 4 Cst.
).
Erwägungen
Extrait des motifs:
1.
La Commission cantonale de recours semble dénier à Pierre Grandjean la possibilité de recourir contre la décision de la Commission de district parce que la taxation du 20 février 1973 correspondait exactement à la déclaration déposée le même mois par le contribuable. Dans son recours de droit public, Pierre Grandjean qualifie cette opinion d'insoutenable, parce que contraire aux dispositions claires des art. 100 et 91 de la loi du 26 nov. 1956 sur les impôts directs cantonaux (LI).
L'art. 100 LI dispose que "tout contribuable qui a déposé sa déclaration peut recourir contre la décision de l'autorité de taxation" (al. 1); la déchéance du droit de recours n'est prévue que pour le contribuable qui n'a pas déposé sa déclaration après avoir été sommé de le faire, et à moins qu'il n'établisse en avoir été empêché par des motifs impérieux (al. 3). Quant à l'art. 91 LI, il prévoit que "la taxation définitive est notifiée par écrit au contribuable, soit sous forme d'un bordereau, soit sous forme d'une décision motivée lorsqu'elle s'écarte de la déclaration" (al. 1) et que "dans les deux cas, la notification doit mentionner le délai et l'autorité de recours" (al. 2). En vertu de l'art. 89 al. 2 LI, ces dispositions s'appliquent également à la procédure de taxation et de recours pour l'impôt sur les gains immobiliers.
Il ressort clairement des art. 91 et 100 LI que le contribuable qui a déposé sa déclaration à temps peut recourir
BGE 102 Ia 513 S. 515
contre sa taxation, même si celle-ci est conforme au contenu de sa déclaration. La Commission cantonale de recours ne pouvait donc pas, sans violer le texte clair de ces dispositions, dénier au contribuable le droit de recourir contre sa taxation. Or, selon la jurisprudence, l'autorité qui applique le droit ne peut s'écarter du texte clair d'une disposition légale, sans commettre d'arbitraire, que s'il existe de sérieuses raisons de penser que cette disposition ne rend pas le sens véritable de la loi; de telles raisons peuvent résulter de la genèse du texte, de son fondement, de son but ou de ses rapports avec d'autres dispositions légales (
ATF 99 Ia 169
et 575). L'administration fiscale ne prétend pas que tel serait le cas en l'espèce. Aussi la Commission cantonale de recours devait-elle admettre que le recours était possible en vertu des dispositions expresses de la législation cantonale.
On pourrait sans doute imaginer un système où le recours serait exclu en cas de taxation conforme à la déclaration du contribuable, seule la voie de la revision étant réservée pour corriger les erreurs et oublis que le contribuable pourrait avoir commis lors de sa déclaration. Mais il faudrait alors que la loi le dise expressément, ou qu'en tout cas l'exclusion du recours ne se heurte pas à des dispositions précises et claires de la loi.
2.
La Commission de recours a également considéré comme tardif le recours dont elle était saisie.
Selon l'art. 91 LI, la taxation définitive est notifiée par écrit au contribuable, par simple bordereau si elle est conforme à la déclaration, sous forme d'une décision motivée si elle s'en écarte. Dans les deux cas, la notification doit mentionner le délai et l'autorité de recours.
Il n'est pas contesté que la lettre du 20 février 1973 ne contenait aucune indication sur la possibilité de recourir et sur le délai de recours, mais annonçait l'envoi d'un bordereau. C'est ce dernier seul qui comportait la mention du délai et de l'autorité de recours. On doit donc considérer que seul le bordereau constituait une notification conforme à la loi et pouvait dès lors faire courir le délai de recours.
Or le bordereau a été expédié le 28 février 1973; il est ainsi parvenu à son destinataire au plus tôt le 1er mars. Transmis à l'autorité fiscale le 21 mars 1973, le recours de Pierre Grandjean était donc formé à temps et ne pouvait être déclaré irrecevable pour cause de tardiveté.
BGE 102 Ia 513 S. 516
La décision attaquée doit dès lors être annulée, de sorte que la Commission cantonale de recours devra examiner le fond du recours.
3.
...
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et annule la décision attaquée. | public_law | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
68b3932c-536e-473d-80bc-c9db32d00382 | Urteilskopf
104 III 95
22. Arrêt de la IIe Cour civile du 23 mai 1978 dans la cause H. et Cie contre G. | Regeste
Wechselbetreibung: nicht bewilligter Rechtsvorschlag.
1.
Art. 86,
Art. 87 OG
. Der Entscheid, durch den die Bewilligung des Rechtsvorschlages in der Wechselbetreibung verweigert wird, kann Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde sein (E. 1).
2.
Art. 182 Ziff. 4 SchKG
,
Art. 4 BV
. Der Entscheid, durch den die Bewilligung des Rechtsvorschlages verweigert wird mit der Begründung, die Forderungssumme sei spätestens in der erstinstanzlichen Verhandlung, d. h. vor der Urteilsfällung, zu hinterlegen, verstösst nicht gegen
Art. 4 BV
(E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 95
BGE 104 III 95 S. 95
G. a introduit une poursuite pour effets de change contre H. et Cie, à Delémont, lui faisant notifier, le 13 janvier 1978, un commandement de payer la somme de 26565.- fr. en capital. La poursuivie a formé opposition motivée, en temps utile.
Le 27 janvier 1978, le président du Tribunal civil de Delémont a repoussé l'opposition, pour la raison, notamment, que, soulevant des moyens fondés sur l'
art. 1007 CO
, l'opposante
BGE 104 III 95 S. 96
n'avait pas déposé le montant de l'effet en espèces ou autres valeurs, comme l'exige l'
art. 182 ch. 4 LP
.
Le 6 février 1978, H. et Cie a interjeté appel auprès de la Cour d'appel du canton de Berne, déposant le même jour la somme de 26565.- fr. au greffe du Tribunal de Delémont.
Le 16 mars 1978, la Cour d'appel a déclaré l'opposition irrecevable, par le motif que le dépôt du montant de l'effet doit être effectué, au plus tard, au cours des débats de première instance, soit avant le prononcé du jugement.
H. et Cie a formé un recours de droit public, pour violation de l'
art. 4 Cst.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon la jurisprudence, la décision qui déclare recevable l'opposition formée à une poursuite pour effets de change constitue une décision finale susceptible de faire l'objet d'un recours de droit public, lorsqu'elle émane de la juridiction cantonale de dernière instance (
ATF 95 I 255
256 consid. 2 et 3). Il en va de même, par identité de motifs, de la décision qui repousse l'opposition. Le dépôt opéré en vertu de l'
art. 182 ch. 4 LP
est un paiement anticipé, soit un paiement conditionnel jusqu'à droit connu, qui libère le débiteur (
ATF 90 II 116
117 consid. 5;
ATF 42 III 364365
; cf. JAEGER, n. 12 ad
art. 182 LP
; I. RIEMER, Die Wechselbetreibung nach schweizerischem Recht, thèse Zurich 1924, p. 99). Si le débiteur a payé une somme qu'il ne devait pas, notamment après opposition déclarée non recevable, l'
art. 187 LP
le renvoie à ouvrir action en répétition de l'indu (
art. 86 LP
): le procès à intenter ne se distingue pas d'un procès ayant pour objet l'existence de la créance, partant indépendant de la procédure d'exécution forcée. On est sur la voie d'un procès ordinaire, qui, pas plus que l'action du créancier en reconnaissance de la dette, ne saurait être considéré comme un moyen dans le sens des
art. 86, 87 OJ
.
Le présent recours est dès lors recevable.
2.
a) Selon le texte français de l'
art. 182 ch. 4 LP
, l'opposant qui allègue un autre moyen fondé sur l'
art. 1007 CO
"est tenu de déposer au préalable le montant de l'effet en espèces ou autres valeurs". Le texte allemand et le texte italien posent des conditions moins strictes: le dépôt doit être fait simultanément ("gegen gleichzeitige Hinterlegung der Forderungssumme",
BGE 104 III 95 S. 97
"se è simultaneamente depositata... la somma per cui si procede"). Se conformant à la jurisprudence des tribunaux bernois, la Cour d'appel s'en est tenue à la lettre du texte français.
b) La recourante voit là un formalisme excessif. La Cour d'appel du canton de Berne, dit-elle, a un pouvoir d'examen étendu, qui lui permet de revoir la cause dans son entier, en se substituant, jusque dans le moindre détail, au juge de première instance; elle a d'ailleurs accepté, à titre de moyen de preuve, l'exposé présenté par l'appelante: il serait incompréhensible qu'elle ait appliqué des mesures différentes selon qu'il s'est agi, en deuxième instance, du dépôt à faire par l'opposante ou de la présentation des moyens de preuve.
Ce raisonnement repose sur une confusion. Découlant du droit fédéral, le dépôt de l'
art. 182 ch. 4 LP
est, on l'a vu, un paiement anticipé qui éteint la dette (
ATF 42 III 364365
). On ne se trouve donc pas dans le cadre d'une règle de procédure cantonale, simple prescription formelle, dont l'interprétation trop restrictive complique de manière insoutenable l'application du droit matériel (
ATF 96 I 318
, 523 consid. 4;
ATF 95 I 4
consid. 2 et les arrêts cités). La décision de la Cour d'appel ne doit pas être examinée dans l'optique du formalisme excessif, équivalant à un défi de justice formel, mais sous l'angle de l'arbitraire: il s'agit de savoir si l'interprétation conforme à la lettre du texte français va manifestement à l'encontre du sens et du but qu'a la disposition légale (
ATF 91 I 167
), conduisant ainsi à des résultats que le législateur ne peut pas avoir voulus et qui heurtent le sens de la justice et le principe de l'égalité de traitement (
ATF 103 Ia 229
c et les arrêts cités).
c) La recourante parle d'une "rigueur que l'on rencontre rarement" et, relevant que, dans certains cantons, la jurisprudence admet le dépôt après le jugement, ou même en seconde instance, elle voit une inégalité de traitement choquante dans le fait que le droit fédéral n'est pas appliqué de manière uniforme dans tous les cantons.
aa) Certes, dans sa tendance générale, la doctrine considère que l'expression "au préalable" ne doit pas être interprétée dans un sens strict, admettant que l'opposant consigne le montant de l'effet dans un court délai après le jugement, voire en seconde instance seulement (JAEGER, n. 13 ad
art. 182 LP
; RIEMER, op. cit., p. 102; FAVRE, Fiche juridique suisse 699 p. 4; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2e éd., II p. 25).
BGE 104 III 95 S. 98
Mais il n'y a pas arbitraire du seul fait qu'une autre solution serait concevable, ou même préférable; il faut que la solution adoptée par l'autorité cantonale soit insoutenable (
ATF 99 Ia 346
consid. 1;
ATF 96 I 627
consid. 4). Tel n'est pas le cas en l'espèce. L'interprétation littérale des mots "au préalable", qui, ainsi entendus, signifient que le dépôt doit être effectué avant le jugement (
ATF 90 I 205
consid. 2), n'est pas manifestement contraire à l'esprit de l'
art. 182 ch. 4 LP
: on peut concevoir qu'on la juge plus conforme aux exigences de la poursuite pour effets de change et qu'on craigne de par trop diminuer la protection accordée par la loi au créancier contre d'éventuelles manoeuvres dilatoires du débiteur (cf. l'arrêt du Tribunal fédéral partiellement reproduit in RJB 59 (1923) 432/433).
bb) On peut sans doute regretter qu'en une matière où l'application uniforme du droit fédéral est particulièrement souhaitable le débiteur ne soit pas traité de la même façon dans tous les cantons. Mais il n'y a pas là inégalité de traitement contraire à l'
art. 4 Cst.
: ce n'est le cas que lorsque la même autorité soumet, sans motifs sérieux, deux situations semblables à des règles juridiques différentes (
ATF 96 I 201
consid. 2 et les références). Or, en l'espèce, la cour cantonale s'en est tenue à sa jurisprudence constante (cf. RJB 96 (1960) 201 et les arrêts cités).
3.
Au vu de ce qui précède, il n'y a pas eu violation de l'
art. 4 Cst.
: le recours doit dès lors être rejeté.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | null | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
68b4bec0-3188-4035-8bc5-0f7293f8dd0e | Urteilskopf
140 IV 19
3. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach (Beschwerde in Strafsachen)
1B_456/2013 vom 27. Januar 2014 | Regeste
Ersatzmassnahmen (
Art. 237 StPO
) zur Verminderung von Ausführungsgefahr (
Art. 221 Abs. 2 StPO
).
Ein Rayon- und Kontaktverbot (
Art. 237 Abs. 2 lit. c und g StPO
) kann die bestehende Ausführungsgefahr (
Art. 221 Abs. 2 StPO
) vermindern. Anwendung auf den zu beurteilenden Fall auf der Grundlage eines psychiatrischen Gutachtens, nötigenfalls durch Anordnung weiterer geeigneter Ersatzmassnahmen und den Einsatz von Electronic Monitoring (
Art. 237 Abs. 3 StPO
; E. 2.6). | Sachverhalt
ab Seite 19
BGE 140 IV 19 S. 19
A.
Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach führt eine Strafuntersuchung gegen X. wegen einfacher Körperverletzung (
Art. 123 Ziff. 2
BGE 140 IV 19 S. 20
Abs. 6 StGB
), versuchter Sachbeschädigung (
Art. 144 Abs. 1 StGB
), Drohung (
Art 180 Abs. 2 lit. b StGB
), Nötigung (
Art. 181 StGB
), Pornografie (
Art. 197 Ziff. 3 und 3
bis
StGB
) sowie wegen Tierquälerei (Art. 28 Abs. 1 des Tierschutzgesetzes vom 16. Dezember 2005 [TSchG; SR 455]).
(...)
B.
Am 11. August 2013 wurde X. polizeilich angehalten und vorläufig festgenommen. Mit Verfügung vom 14. August 2013 wies das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau den Haftantrag der Staatsanwaltschaft vom 12. August 2013 ab. Es erwog in Bezug auf den besonderen Haftgrund der Ausführungsgefahr, die Wahrscheinlichkeit, dass X. seine Todesdrohung umsetze, sei "recht gering"; eine Präventivhaft rechtfertige sich nicht. Das Zwangsmassnahmengericht ordnete an Stelle von Untersuchungshaft Ersatzmassnahmen in Form eines Rayon- und Kontaktverbots an. Es verbot X., sich der gemeinsamen Liegenschaft in N. auf weniger als 500 m zu nähern, und auferlegte ihm ein Kontaktverbot in jeglicher Form (insbesondere persönlich, schriftlich, telefonisch oder elektronisch) gegenüber seiner Lebenspartnerin und den beiden gemeinsamen Kindern.
Aufgrund neuer Untersuchungsergebnisse - nämlich der Auswertung der beiden iPhones von X. - stellte die Staatsanwaltschaft am 24. August 2013 erneut den Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft. Das Zwangsmassnahmengericht gab diesem Antrag statt und ordnete mit Verfügung vom 28. August 2013 Untersuchungshaft bis zum 22. November 2013 an.
Im Auftrag der Staatsanwaltschaft wurde ein psychiatrisches Gutachten über X. erstellt, welches seit dem 30. Oktober 2013 vorliegt.
Das von X. am 4. November 2013 gestellte Haftentlassungsgesuch wies das Zwangsmassnahmengericht mit Verfügung vom 11. November 2013 mit der Begründung ab, der Haftgrund der Ausführungsgefahr bestehe weiterhin. Gegen diese Verfügung reichte X. am 13. November 2013 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Aargau ein.
Mit Verfügung vom 25. November 2013 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 18. November 2013 die Haft von X. um drei Monate bis zum 18. Februar 2014. Auch diese Verfügung focht X. mit Beschwerde vom 4. Dezember 2013 beim Obergericht an.
BGE 140 IV 19 S. 21
Das Obergericht vereinigte die beiden Beschwerdeverfahren. Mit Entscheid vom 16. Dezember 2013 schrieb es die Beschwerde vom 4. November 2013 infolge Gegenstandslosigkeit ab; die Beschwerde vom 4. Dezember 2013 wies es ab.
C.
X. führt Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt in der Hauptsache die Aufhebung des angefochtenen Entscheids vom 16. Dezember 2013 und seine unverzügliche Haftentlassung. Des Weiteren stellt er den Antrag, es sei ihm zu verbieten, in irgendeiner Form (persönlich, schriftlich, telefonisch oder elektronisch) mit der Strafklägerin Y. in Kontakt zu treten und sich der gemeinsamen Liegenschaft auf weniger als 500 m zu nähern.
(...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache an das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau zurück mit der Anweisung, den Beschwerdeführer nach Anordnung eines Rayon- und Kontaktverbots - allenfalls verbunden mit weiteren geeigneten, den tatsächlichen Umständen regelmässig anzupassenden Ersatzmassnahmen - unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Vorinstanz erachtet die Verlängerung der Untersuchungshaft bis zum 18. Februar 2014 als rechtmässig, da der besondere Haftgrund der Ausführungsgefahr vorliege und ein Rayon- und Kontaktverbot als Ersatzmassnahme nicht gleich geeignet sei wie die Haft.
2.1
2.1.1
Ausführungsgefahr im Sinne von
Art. 221 Abs. 2 StPO
besteht, wenn ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen.
Die Ausführungsgefahr stellt einen selbstständigen gesetzlichen Haftgrund dar. Er verlangt nicht zwangsläufig noch zusätzlich einen dringenden Tatverdacht eines bereits begangenen (untersuchten) Delikts (MARC FORSTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 16 zu
Art. 221 StPO
; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, CPC, Code de procédure pénale, 2013, N. 48 zu
Art. 221 StPO
).
Die Haft wegen Ausführungsgefahr als freiheitsentziehende Zwangsmassnahme muss verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3 i.V.m.
Art. 10
BGE 140 IV 19 S. 22
Abs. 2 BV
). Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung von Delikten sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen nicht aus, um Haft wegen Ausführungsgefahr zu begründen. Bei der Annahme, dass eine Person ein schweres Verbrechen begehen könnte, ist Zurückhaltung geboten. Erforderlich ist eine sehr ungünstige Prognose. Nicht Voraussetzung ist hingegen, dass die verdächtige Person bereits konkrete Anstalten getroffen hat, um die befürchtete Tat zu vollenden. Vielmehr genügt es, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Ausführung aufgrund einer Gesamtbewertung der persönlichen Verhältnisse sowie der Umstände als sehr hoch erscheint. Besonders bei drohenden schweren Gewaltverbrechen ist dabei auch dem psychischen Zustand der verdächtigen Person bzw. ihrer Unberechenbarkeit oder Aggressivität Rechnung zu tragen (
BGE 137 IV 122
E. 5.2 S. 129 f. mit Hinweisen). Je schwerer die angedrohte Straftat ist, desto eher rechtfertigt sich eine Inhaftierung, wenn die vorhandenen Fakten keine genaue Risikoeinschätzung erlauben (MARKUS HUG, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2010, N. 44 zu
Art. 221 StPO
; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, a.a.O., N. 49 f. zu
Art. 221 StPO
).
2.1.2
Nach
Art. 237 Abs. 1 StPO
ordnet das zuständige Gericht an Stelle der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen. Mit dieser Bestimmung wird der Grundsatz der Verhältnismässigkeit konkretisiert. Die Voraussetzungen für Ersatzmassnahmen sind die gleichen wie für Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Fehlt es an einem besonderen Haftgrund, so sind auch Ersatzmassnahmen unzulässig.
Als Ersatzmassnahmen kommen gemäss
Art. 237 Abs. 2 StPO
namentlich die Auflage, sich nur oder sich nicht an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Haus aufzuhalten (lit. c), und das Verbot, mit bestimmten Personen Kontakte zu pflegen (lit. g), in Frage. Die Aufenthaltsbeschränkung nach
Art. 237 Abs. 2 lit. c StPO
besteht entweder in der Verpflichtung, ein bestimmtes Gebiet nicht zu verlassen (Eingrenzung), oder in jener, eine bestimmte Gegend nicht zu betreten (Ausgrenzung). Die Weisung kann mithin ein Aufenthaltsgebot oder ein Aufenthalts- bzw. Rayonverbot zum Gegenstand haben. Letzteres kann insbesondere bei häuslicher Gewalt zur Verminderung der Ausführungsgefahr angebracht sein und mit einem Kontaktverbot gemäss
Art. 237 Abs. 2 lit. g StPO
verbunden
BGE 140 IV 19 S. 23
werden. So kann etwa ein Ehemann, der seine Ehefrau massiv bedroht und schlägt, aus der ehelichen Wohnung gewiesen und ihm verboten werden, mit seiner Ehefrau in Kontakt zu treten und sich der Wohnung zu nähern (MATTHIAS HÄRRI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 11 und N. 26 zu
Art. 237 StPO
). Nach
Art. 237 Abs. 3 StPO
kann das Gericht zur Überwachung von Ersatzmassnahmen den Einsatz technischer Geräte und deren feste Verbindung mit der zu überwachenden Person anordnen. Angesprochen ist damit primär die elektronische Überwachung ("Electronic Monitoring") von Ein- bzw. Ausgrenzungen gemäss
Art. 237 Abs. 2 lit. c StPO
(HÄRRI, a.a.O., N. 34 f. zu
Art. 237 StPO
; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, a.a.O., N. 21 und 37 f. zu
Art. 237 StPO
; JO PITTELOUD, Code de procédure pénale suisse [CPP], Commentaire à l'usage des practiciens, 2012, N. 526).
Gemäss
Art. 237 Abs. 5 StPO
kann das Gericht die Ersatzmassnahmen jederzeit widerrufen, andere Ersatzmassnahmen oder die Untersuchungs- oder die Sicherheitshaft anordnen, wenn neue Umstände dies erfordern oder die beschuldigte Person die ihr gemachten Auflagen nicht erfüllt.
2.2
Die Vorinstanz begründet das Vorliegen von Ausführungsgefahr mit der im Rahmen der Strafuntersuchung vorgenommenen Auswertung der beiden iPhones des Beschwerdeführers (vgl. Sachverhalt lit. B. hiervor).
Bei dieser Auswertung konnten unbestrittenermassen zwei vom Beschwerdeführer verfasste Textpassagen eruiert werden. Die erste stammt vom 11. Juni 2013 (letzter Änderungsstand): "Hallo, es geht mir nicht gut, ich steh kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ich weiss echt nicht mehr weiter mit Y. Schlimmer noch, ich mach mir sogar ständig Gedanken sie kalt zu machen und verschwinden zu lassen. Einziger Grund warum ich es nicht mache sind die Kinder, das ich kein ruhiges gewissen hätte sie ohne Mutter aufwachsen zu sehen. Aber die Frau macht mich fix und fertig." Und: "Egal, jetzt mag ich nicht mehr, Scheiss auf die verlorenen 10 Jahre. Aber wie weiter? Die 100 % Lösung ist sie verschwinden zu lassen. So bin ich sie los, hab das Haus und die Kinder. Wird nicht einfach." Die zweite Textpassage schrieb er am 20. Juli 2013 einige Stunden nach der Auseinandersetzung mit der Strafklägerin: "bring sie um".
2.3
Die Vorinstanz hat erwogen, diese Texte machten deutlich, dass sich der Beschwerdeführer intensiv und über einen längeren
BGE 140 IV 19 S. 24
Zeitraum mit dem Gedanken auseinandergesetzt habe, seine Lebenspartnerin zu töten. Die Gutachterin sei am 30. Oktober 2013 nach Abwägung aller wesentlichen Faktoren zum Schluss gekommen, dass bei einer Aufhebung der räumlichen Trennung zwischen der Strafklägerin und dem Beschwerdeführer von einer hohen Ausführungsgefahr der Todesdrohung auszugehen sei. Für das Gericht bestehe kein Grund, von der Gesamtbewertung des Gutachtens abzuweichen. Der Gefahr könne durch ein Rayon- und Kontaktverbot nicht wirksam begegnet werden. Dass der Beschwerdeführer sich nach seiner ersten Freilassung am 14. August 2013 bis zu seiner erneuten Festnahme am 24. August 2013 an das Rayon- und Kontaktverbot gehalten habe, sei aufgrund der kurzen Zeitspanne von zehn Tagen nicht genügend aussagekräftig und garantiere nicht, dass er die Ersatzmassnahmen auch künftig befolgen würde. Vielmehr sei es aufgrund der nach wie vor bestehenden engen emotionalen und finanziellen Verbundenheit zwischen dem Beschwerdeführer und der Strafklägerin schwer vorstellbar, dass er das Rayon- und Kontaktverbot einhalten würde. Zudem bringe der Beschwerdeführer zum Ausdruck, dass er sehr an seinen Kindern hänge. Sollte er den Kontakt zu ihnen suchen, würde er, solange ein Besuchsrecht noch nicht verbindlich fixiert sei, auf die Strafklägerin treffen. Zusammenfassend hält die Vorinstanz fest, es stünden hochwertige Rechtsgüter (Leib und Leben) auf dem Spiel, deren Schutz nur durch eine Fortführung der Untersuchungshaft gewährleistet werden könne.
2.4
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz begründe die Ausführungsgefahr mit den von ihm verfassten, jedoch nicht verschickten Textpassagen auf seinen iPhones und stütze sich in ihrem Entscheid auf das psychiatrische Gutachten vom 30. Oktober 2013 ab. Dieses Gutachten sei in der Tat korrekt. Die Gutachterin komme nämlich zum Schluss, dass er zur Tätergruppe mit einer geringen Risikowahrscheinlichkeit für die Ausübung häuslicher Gewalt in einer Intimbeziehung gehöre, solange sich die Beteiligten an eine räumliche Distanz und ein Kontaktverbot halten würden. Vorliegend bestünden keinerlei Indizien, dass er das Rayon- und Kontaktverbot missachten würde, zumal er dieses bereits früher einwandfrei befolgt habe. Entgegen der Behauptung der Vorinstanz sei er mit seiner ehemaligen Lebenspartnerin emotional nicht mehr eng verbunden. Dass er sehr an seinen Kindern hänge, treffe zwar zu. Bis das Besuchsrecht verbindlich geregelt sei, werde er sich aber bei seiner Haftentlassung an das Rayonverbot halten und seine Kinder nicht besuchen.
BGE 140 IV 19 S. 25
2.5
Sowohl die Vorinstanz als auch der Beschwerdeführer stützen sich in ihrer Argumentation somit auf das psychiatrische Gutachten vom 30. Oktober 2013 und stufen die Ausführungen der Gutachterin als überzeugend ein; sie ziehen daraus jedoch unterschiedliche Schlussfolgerungen. Nachfolgend ist näher auf das Gutachten einzugehen.
2.5.1
Die Gutachterin erachtet es als kriminalprognostisch günstig, dass der Beschwerdeführer die Bereitschaft zeige, sich nach der Haftentlassung eine eigene Wohnung zu mieten. Er könne einen Auszug aus seinem Haus gut annehmen, auch wenn ihm die Trennung von seinen Kindern nicht leicht falle. Als positiv zu werten sei auch, dass der Beschwerdeführer die emotionale und räumliche Trennung von der Lebenspartnerin selber anstrebe und sich zunehmend emotional von ihr distanziere, was emotionale Zuspitzungen unwahrscheinlicher erscheinen lasse. Als günstig erweise sich ferner, dass der Beschwerdeführer den Trennungswunsch mit nachvollziehbaren, objektiven Argumenten untermauern könne.
Die Feststellung der Vorinstanz, es bestehe nach wie vor eine enge emotionale Verbundenheit zwischen dem Beschwerdeführer und der Strafklägerin, ist damit zu relativieren.
2.5.2
Bei der Beurteilung des Risikos der Ausführung der Todesdrohungen und zukünftiger häuslicher Gewalt gelangt die Gutachterin zu folgenden Ergebnissen:
Der Beschwerdeführer weise mehrere kriminalprognostisch günstige Merkmale auf. Seine Vergangenheit (insbesondere keine Vorstrafen), die Analyse der lebensüberdauernden, gewaltfördernden Eigenschaften (keine Gewaltausübung in der Vergangenheit insbesondere auch nicht gegenüber seinen Kindern und keine Zeichen einer gewaltbereiten Persönlichkeit, kein Waffengebrauch, keine psychischen Störungen, kein Substanzmissbrauch, keine Beschäftigungsprobleme) und die beim Beschwerdeführer vorhandenen deliktprotektiven Faktoren (gute Intelligenz, gute Kindheit, gutes soziales Netzwerk) liessen die Ausführungsgefahr der Todesdrohungen genüber der Lebenspartnerin als unwahrscheinlich erscheinen. Auch hätten sich beim Beschwerdeführer keine konkreten Hinweise auf aktuell vorhandene, ernsthafte Hassgefühle, Racheimpulse oder andere Schädigungsabsichten gegenüber seiner Partnerin ergeben.
Andererseits seien beim Beschwerdeführer diverse Risikofaktoren festzustellen, die das Auftreten zukünftiger häuslicher Gewalt und
BGE 140 IV 19 S. 26
die Ausführungsgefahr der Todesdrohungen wahrscheinlicher machen würden (wiederkehrende partnerschaftliche Probleme ohne adäquate Lösungsstrategien, ungünstiges Aussageverhalten mit Verleugnung, mindestens zweimalige Bedrohung der Partnerin mit dem Tod und eine Progredienz in der Schwere der Gewalt). Als besonderer Risikofaktor sei zu werten, dass beim Beschwerdeführer Tötungsgedanken als aggressive Fantasien entstanden und diese im Rahmen von Krisensituationen als Handlungsalternative gedanklich aufgegriffen worden seien. Die Analyse der Todesdrohungen lasse aber nicht erkennen, dass der Beschwerdeführer einen konkreten Ausführungsplan habe. Auch besitze er genügend kognitive Ressourcen und deliktprotektive Faktoren, um die Konsequenzen eines Tötungsdelikts abzuwägen und sich dagegen zu entscheiden. Tötungsimpulse würden beim Beschwerdeführer daher nicht in Form einer geplanten Handlung, sondern als eruptive Affektentladung nach einer akuten Auslösesituation durchbrechen.
2.5.3
Gestützt auf diese Analyse zieht die Gutachterin die folgenden Schlussfolgerungen: Der Beschwerdeführer gehöre zur Tätergruppe mit einer geringen Risikowahrscheinlichkeit für die Ausübung zukünftiger häuslicher Gewalt in einer Intimbeziehung, solange die Beteiligten eine räumliche Distanz und ein Kontaktverbot einhielten. Sollte der Beschwerdeführer aber die konflikthafte Beziehung fortsetzen oder gar bei seiner Lebenspartnerin wieder einziehen, dann müsse von einer hohen Rückfallgefahr für ähnliche Straftaten wie die Anlasstat und einer hohen Ausführungsgefahr der Todesdrohungen (in einer eruptiven Affektentladung) ausgegangen werden. Die räumliche Trennung und das Kontaktverbot zur Verhinderung weiterer partnerschaftlicher Krisen seien somit von essenzieller Bedeutung, zumindest bis beide Lebenspartner neue und befriedigende Lebensperspektiven hätten, was längere Zeit in Anspruch nehmen könne. Für den Fall der Haftentlassung empfiehlt die Gutachterin ein Rayon- und ein Kontaktverbot, wobei dem Beschwerdeführer jeglicher Kontakt mit seiner Lebenspartnerin und den beiden gemeinsamen Kindern (ausserhalb der Besuchszeiten) verboten werden sollte. Der Beschwerdeführer habe nach seiner Haftentlassung am 14. August 2013 demonstriert, dass er bereit sei, sich an Ersatzmassnahmen zu halten, auch weil die Inhaftierung bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen habe.
Zur Frage der Rückfallgefahr führt die Gutachterin aus: "Ausgehend von den Anlasstaten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit
BGE 140 IV 19 S. 27
Gewalttaten nach dem Muster der bisherigen, partnerbezogenen Delinquenzzu erwarten, sobald die räumliche Trennung aufgehoben wird. Insolch einem Fall - räumliches Zusammenleben - sind bei erneut aufkommenden Krisensituationen auch schwere Opferschäden, aus einem affektgeladenen Impuls, nicht auszuschliessen."
2.6
Der Beschwerdeführer gehört somit gemäss Gutachten grundsätzlich zur Tätergruppe mit einer geringen Risikowahrscheinlichkeit für die Ausübung häuslicher Gewalt in einer Intimbeziehung. Als problematisch erweist sich die besonders gelagerte Beziehungskonstellation zur Strafklägerin. Insoweit aber ist entscheidend, dass die Gutachterin die Ausführungsgefahr der Todesdrohungen einzig dann als hoch einstuft, wenn der Beschwerdeführer und die Strafklägerin die
konflikthafte Beziehung fortsetzen bzw. wieder aufnehmen oder sogar wieder zusammenwohnen sollten.
Bei dieser Ausgangslage ist die Fortführung der Untersuchungshaft nicht erforderlich, da auch mit einem Rayon- und Kontaktverbot eine Fortsetzung bzw. Wiederaufnahme der Beziehung und ein räumliches Zusammenleben mit aufkommenden Krisensituationen verhindert werden kann. Zur Gewährleistung des Kontaktverbots gegenüber seiner Lebenspartnerin ist es angezeigt, zugleich ein Kontaktverbot gegenüber den beiden gemeinsamen Töchtern ausserhalb der - möglichst umgehend behördlich festzusetzenden - Besuchszeiten anzuordnen, wie dies bereits das Zwangsmassnahmengericht am 14. August 2013 verfügt hatte und von der Gutachterin ausdrücklich empfohlen wird.
Aufgrund der gesamten Umstände ist zu erwarten, dass sich diese Ersatzmassnahmen als wirksam erweisen werden. Der Beschwerdeführer distanziert sich nach Einschätzung der Gutachterin zunehmend emotional von seiner Lebenspartnerin und hat bereits ein früheres Rayon- und Kontaktverbot befolgt (vgl. Sachverhalt lit. B. hiervor), was darauf hindeutet, dass er willens und in der Lage ist, die Ersatzmassnahmen zu erfüllen. Allenfalls könnte deren Einhaltung in Anwendung von
Art. 237 Abs. 3 StPO
mittels Electronic Monitoring überwacht werden. Aber selbst bei einem allfälligen, auch durch technische Überwachung nicht mit Bestimmtheit zu verhindernden Verstoss des Beschwerdeführers und einem einmaligen Kontakt mit seiner Lebenspartnerin ist nach dem Gutachten nicht von einer hohen Ausführungsgefahr der Todesdrohung auszugehen, zumal sich beim Beschwerdeführer keine konkreten Hinweise auf aktuell vorhandene, ernsthafte Hassgefühle, Racheimpulse oder
BGE 140 IV 19 S. 28
andere Schädigungsabsichten gegenüber seiner Partnerin ergeben haben. Indes müsste er bei einer Missachtung des Rayon- oder Kontaktverbots gestützt auf
Art. 237 Abs. 5 StPO
mit dem Widerruf der Ersatzmassnahmen und seiner neuerlichen Versetzung in Untersuchungshaft rechnen. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68b65224-11b1-4ecf-9961-23de6b608458 | Urteilskopf
87 II 263
36. Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. September 1961 i.S. Kolly gegen Wolf. | Regeste
Gesetzliche Vorkaufsrechte Verwandter und des Pächters nach
Art. 6 und 7 EGG
und kantonalem Gesetz. "Verwandtenkauf".
1. Das Vorkaufsrecht des Pächters geht demjenigen eines Verwandten nach und kommt daher auch nicht zur Geltung, wenn ein vorkaufsberechtigter Verwandter selbst der Käufer ist (Erw. 1).
2. Liegt Erwerb des Verkäufers aus dem Nachlass der Eltern (im Sinne des
Art. 6 Abs. 2 EGG
) auch dann vor, wenn er das Heimwesen bei der konkursamtlichen Liquidation des ausgeschlagenen väterlichen Nachlasses ersteigert hatte? Frage offen gelassen. (Erw. 2).
3. Beim Verkauf an einen Verwandten im Hinblick auf sein künftiges Erbrecht (hier: Verkauf an einen zu den nächsten Erb. anwärtern gehörenden Neffen zu einem Vorzugspreis) kommt das gesetzliche Vorkaufsrecht eines Pächters nicht zur Geltung, selbst wenn dem Käufer kein solches Recht zusteht (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 264
BGE 87 II 263 S. 264
A.-
Der im Jahre 1932 gestorbene Johann Wolf in Alterswil hatte das Heimwesen Obermaggenberg im Halte von 52 Jucharten bewirtschaftet, das ihm bei einer Erbteilung zugefallen war. Seine gesetzlichen Erben, die Söhne Albert, Gottfried und Alfred Wolf sowie die Tochter Frau Bertha Scheuner-Wolf, schlugen die infolge von Bürgschaftsverpflichtungen überschuldete Erbschaft aus. In der konkursamtlichen Liquidation ersteigerten dann aber am 1. Februar 1934 drei der erwähnten Kinder des Erblassers, Albert und Gottfried Wolf sowie Frau Bertha ScheunerWolf, das Heimwesen für Fr. 65'000.-- zu je einem Drittel Miteigentum. Am gleichen Tage teilten sie diese Liegenschaften in zwei Besitzungen auf; die eine blieb im Miteigentum
BGE 87 II 263 S. 265
der drei Erwerber, die andere von etwa 30 Jucharten erhielt der eine von ihnen, Albert Wolf, zu Alleineigentum durch Zukauf der Anteile der Mitersteigerer an diesem Teilstück zum Preise von Fr. 24'000.--.
B.-
Während einer Reihe von Jahren bewirtschaftete der ledige Albert Wolf das in sein Alleineigentum gefallene Heimwesen selber. Nachher gab er es in Pacht. Durch öffentlich beurkundeten Vertrag vom 24. Februar 1960 verkaufte er das Gut zum Preise von Fr. 100 000.--, also unter dem Katasterschätzungswert von Fr. 116'169.--, seinem Neffen Ernst Scheuner, Landwirt in Cormanon, einem Sohn der verstorbenen Frau Bertha Scheuner-Wolf.
C.-
Binnen gesetzlicher Frist erklärte Josef Kolly, der die Kaufliegenschaften bereits seit 16 Jahren in Pacht hatte, das ihm nach dem freiburgischen Einführungsgesetz zum EGG zustehende Vorkaufsrecht ausüben zu wollen. Gegen den widersprechenden Verkäufer erhob er beim Friedensgericht des Kreises Tafers Klage mit dem Begehren, der Beklagte habe das dem Kläger zustehende Vorkaufsrecht anzuerkennen und sei zu verpflichten, ihm das Eigentum an den in Frage stehenden Grundstücken zuzuweisen und im Grundbuch eintragen zu lassen.
D.-
Das Friedensgericht hat die Klage des Pächters gutgeheissen. Auf Appellation des beklagten Verkäufers hat dann aber die Zivilabteilung des Kantonsgerichts Freiburg mit Urteil vom 14. April 1961 die Klage abgewiesen. Dieses Urteil hebt zunächst verschiedene Tatsachen hervor, die gegen den Abschluss eines gewöhnlichen Kaufvertrages und vielmehr für das Vorliegen eines sogen. Kinds- oder Verwandtenkaufes sprechen. Das Kantonsgericht hält aber dafür, die Entscheidung sei nicht auf dieser Grundlage, sondern nach den besondern Normen des EGG zu fällen. Hiebei ergebe sich in Verbindung mit dem kantonalen Einführungsgesetz ein gesetzliches Vorkaufsrecht des Neffen, das demjenigen des Pächters vorgehe und jenem auch dann ein besseres Recht gebe, wenn er selber der Käufer sei. Zwar habe der Beklagte das landwirtschaftliche
BGE 87 II 263 S. 266
Gut nicht von seinem Vater geerbt, sondern nach Ausschlagung der Erbschaft gemeinsam mit zwei Geschwistern im Erbschaftskonkurs ersteigert. Auch so sei das Gut aber ohne Zwischenbesitz eines Dritten aus dem zur konkursamtlichen Liquidation gekommenen väterlichen Vermögen auf die drei Ersteigerer übergegangen und somit ohne Unterbrechung Familiengut geblieben. Damit erscheine die in
Art. 6 Abs. 2 EGG
aufgestellte besondere Voraussetzung eines gesetzlichen Vorkaufsrechtes der Geschwister des Verkäufers und der Nachkommen verstorbener Geschwister - Erwerb des Verkäufers aus dem Nachlass der Eltern - als erfüllt.
E.-
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung an das Bundesgericht eingelegt und seine Rechtsbegehren erneuert.
Der Antrag des Beklagten geht auf Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Vorinstanz ist darin beizustimmen, dass dann, wenn der Käufer als Sohn der verstorbenen Schwester des Verkäufers zu dessen gesetzlich vorkaufsberechtigten Verwandten gemäss
Art. 6 Abs. 2 EGG
und Art. 3 des kantonalen EG zum EGG gehört, das Vorkaufsrecht des Pächters bei diesem Verkaufe nicht geltend gemacht werden kann. Denn das Vorkaufsrecht eines Pächters geht demjenigen eines Verwandten des Verkäufers nach (
Art. 7 Abs. 2 EGG
). Könnte somit der Neffe Ernst Scheuner ein ihm zustehendes solches Vorkaufsrecht bei einem Verkauf des Heimwesens an irgendeinen Dritten gegenüber dem Pächter durchsetzen, so muss ihm in der Tat ein dem Vorkaufsrecht des Pächters vorgehender Anspruch auch dann zuerkannt werden, wenn er selbst der Käufer ist.
2.
Bedenken erweckt indessen die Ansicht der Vorinstanz, als Erwerb "aus dem Nachlass der Eltern" könne nach
Art. 6 Abs. 2 EGG
auch ein Steigerungserwerb durch ein Kind (oder durch mehrere Kinder) nach Ausschlagung
BGE 87 II 263 S. 267
der Erbschaft, bei der konkursamtlichen Liquidation, gelten. Das Gesetz fasst sicher mit jener Wendung nur die Erbfolge und -teilung ins Auge, nicht auch den Erwerb aus einer Konkursmasse, wobei jedermann als Bieter auftreten kann und das (durch Ausschlagung preisgegebene) Erbrecht keine Rolle spielt. Eine ausdehnende, diesen Erwerbsfall einbeziehende Auslegung des Gesetzes ist nicht wohl zulässig, wenn man davon ausgeht, dieses wolle die Einräumung eines gesetzlichen Vorkaufsrechtes an Geschwister und Nachkommen verstorbener Geschwister durch das kantonale Recht nur ausnahmsweise unter den bestimmt umschriebenen Voraussetzungen gestatten. Allerdings spricht nun
Art. 6 Abs. 2 EGG
nicht ausdrücklich von erbrechtlichem Erwerb. Der gesetzliche Tatbestand des Erwerbes "aus dem Nachlass der Eltern" lässt sich nach dem Wortlaut auch auf einen Erwerb aus konkursamtlicher Nachlassliquidation beziehen. Ferner lässt sich als Rechtfertigungsgrund dieses gesetzlichen Vorkaufsrechtes der blosse Umstand denken, dass das Gut aus Familienbesitz stammt. Bei der Gesetzesberatung wurde denn auch hauptsächlich darauf Gewicht gelegt, dass es sich um den väterlichen Hof handle. Freilich war dabei auch vom "ererbten Heimwesen" die Rede, ohne dass ersichtlich ist, ob der Erwerb kraft Erbrechtes (neben dem Erwerb infolge Rechtsgeschäftes zwischen Eltern und Kindern unter Lebenden) als wesentlich betrachtet wurde (vgl. Sten.Bull. 1948, NR S. 410/11, 1949, StR S. 336/37). Ob es angehe, die Herkunft des Heimwesens aus dem Vermögen der Eltern des Verkäufers immer dann als Voraussetzung des in Frage stehenden, im kantonalen Einführungsgesetz im Sinne des
Art. 6 Abs. 2 EGG
vorgesehenen Vorkaufsrechtes genügen zu lassen, wenn inzwischen kein Übergang in fremdes Eigentum stattgefunden hat, wie es die Vorinstanz annimmt, kann nun aber offen bleiben. Wie dem auch sein mag, ist die vorliegende Klage des Pächters, auch wenn dem Neffen des Verkäufers kein gesetzliches Vorkaufsrecht und daher auch
BGE 87 II 263 S. 268
kein aus einem solchen Vorkaufsrecht abzuleitendes "besseres Recht" als Käufer zustehen sollte, aus einem andern Grunde abzuweisen.
3.
Wie sich nämlich aus den tatbeständlichen Feststellungen der Vorinstanz einwandfrei ergibt, ist der Verkauf an den Neffen, wie er am 24. Februar 1960 abgeschlossen wurde, kein gewöhnlicher Kaufvertrag, dem gegenüber ein Vorkaufsrecht ausgeübt werden könnte. Dieser Verkauf kennzeichnet sich vielmehr als sogen. "Verwandtenkauf", der das Vorkaufsrecht gemäss der im angefochtenen Urteil erwähnten Rechtsprechung nicht auszulösen vermag (
BGE 44 II 380
,
BGE 70 II 149
). In der Tat spricht schon die Wahl des Käufers als solche für die Absicht, durch diese Übereignung die vermutliche künftige Erbfolge vorwegzunehmen. Sodann lässt ausser dem Vorbehalt eines Wohnrechtes des Verkäufers namentlich der dem Käufer gewährte Vorzugspreis (wie ihn die Vorinstanz feststellt) erkennen, dass es dem Beklagten wesentlich darum zu tun war, sein Heimwesen eben auf den zu seinen nächsten gesetzlichen Erben gehörenden Neffen übergehen zu lassen. Gegenüber einem solchen Verwandtenkaufe kommen auch die auf dem EGG und den kantonalen Einführungsgesetzen beruhenden Vorkaufsrechte nicht zur Geltung (vgl. A. COMMENT, Le droit de préemption agricole, ZBGR 39/1958, S. 5; J.-P. CHATELAIN, Les droits de préemption du nouveau droit foncier rural, in "Notar und Recht", 1953, S. 192). Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob immerhin beim Verkauf an einen Blutsverwandten, der das Gut nicht selber bewirtschaften will, ein im gleichen Range stehender Verwandter, der es zur Selbstbewirtschaftung beansprucht, sein gesetzliches Vorkaufsrecht geltend machen könne (vgl. F. E. JENNY, Das bäuerliche Vorkaufsrecht, Diss. 1955, S. 84/85 und Fussnoten 10 und 11). Die Rechtsprechung hat jedoch auch dies verneint (
BGE 82 II 468
; in gleichem Sinne A. JOST, N. 8 zu
Art. 6 EGG
). Hier hat man es überhaupt nicht mit einer solchen Sachlage zu tun. Das Vorkaufsrecht des Klägers beruht
BGE 87 II 263 S. 269
gar nicht auf Verwandtschaft mit dem Verkäufer und kann auf keinen Fall, so wenig wie ein durch Rechtsgeschäft gewährtes Vorkaufsrecht, bei einem Verwandtenkauf zur Geltung kommen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil der Zivilabteilung des Kantonsgerichts Freiburg vom 14. April 1961 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
68b85eb8-f2d5-4450-a573-49479990c2aa | Urteilskopf
107 IV 7
3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Februar 1981 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 11 StGB
. Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit aufgrund mehrerer, voneinander abweichender psychiatrischer Gutachten.
Muss die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit des Täters aufgrund von zwei oder mehreren psychiatrischen Gutachten beantwortet werden, die sich in wesentlichen Punkten ganz oder teilweise widersprechen, kommt den betreffenden Aussagen der Fachleute nicht mehr jene Überzeugungskraft zu, die dem Richter ein Abweichen von ihnen ohne triftigen Grund verbieten würde (Präzisierung der Rechtsprechung) | Sachverhalt
ab Seite 7
BGE 107 IV 7 S. 7
A.-
Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte K. am 23. Oktober 1980 wegen wiederholter Unzucht mit einem Kinde im Sinne von
Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB
, wiederholter und fortgesetzter Unzucht mit einem Kinde gemäss Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1 und 2, wegen fortgesetzter Unzucht mit einer unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als 16 Jahren im Sinne von
Art. 192 Ziff. 1 StGB
, fortgesetzter Unzucht mit einer unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als 16 Jahren im Sinne von
Art. 192 Ziff. 2 StGB
sowie wegen wiederholter Unzucht mit einem Kinde im Sinne von
Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
zu 27 Monaten Zuchthaus. Das Obergericht verneinte eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit von K. und ebenso den Strafmilderungsgrund des
Art. 64 Abs. 3 StGB
.
B.-
K. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache an die
BGE 107 IV 7 S. 8
Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie dem Beschwerdeführer verminderte Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grad und mildernde Umstände im Sinne von
Art. 64 Abs. 3 StGB
zubillige.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
5.
Sodann geht in diesem Zusammenhang die Rüge fehl, das Obergericht sei ohne triftige Gründe von der Auffassung der Experten abgewichen. Im eigentlichen Sinne abgewichen ist die Vorinstanz einzig von den Schlussfolgerungen des Obergutachters. Dem Gutachten der Psychiatrischen Klinik Königsfelden ist es in seinen wichtigsten Prämissen gefolgt und hat lediglich die übrigens offensichtlich unsichere Aussage über eine leichte Verminderung der Zurechnungsfähigkeit nicht übernommen. Vom Gutachten der Heil- und Pflegeanstalt Rosegg ist es überhaupt nicht abgewichen. Des weiteren hat das Obergericht eingehend begründet, warum es dem Obergutachten nicht gefolgt ist, und die dabei angeführten Gründe haben sich im Verfahren auf staatsrechtliche Beschwerde als sachlich vertretbar erwiesen. Das aber muss hier genügen. Die Rechtsprechung, der zufolge der Richter in Fachfragen von der Auffassung eines Experten nur abweichen darf, wenn er dafür triftige Gründe anführen kann (
BGE 102 IV 226
,
BGE 101 IV 129
), kann nicht ohne weiteres auch auf den Fall Anwendung finden, wo die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit des Täters aufgrund von zwei oder mehreren psychiatrischen Gutachten beantwortet werden muss, die voneinander in wesentlichen Punkten ganz oder teilweise abweichen. Hier muss der Sachrichter in freier Würdigung seine Wahl treffen können, ohne an eine andere Schranke als diejenige des Willkürverbots gebunden zu sein; denn sind schon die Fachleute unter sich nicht einig, dann kommt auch ihren Aussagen nicht jene Überzeugungskraft zu, die ein Abweichen von ihnen ohne "triftigen" Grund verbieten würde. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68b8d014-6e47-45a3-904a-5f2b71c95281 | Urteilskopf
139 V 335
43. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Sozialversicherungen gegen M. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_109/2013 vom 8. Juli 2013 | Regeste
Abkommen vom 8. Juni 1962 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der (ehemaligen) Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über Sozialversicherung (Sozialversicherungsabkommen); intertemporalrechtliche Anwendbarkeit.
Gemäss dem Grundsatz, wonach in zeitlicher Hinsicht regelmässig diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben, bildet für die Frage, ob das für Angehörige der heutigen Republik Kosovo per Ende März 2010 ausser Kraft gesetzte Sozialversicherungsabkommen (vgl.
BGE 139 V 263
) weiterhin zur Anwendung gelangt, die Entstehung des IV-Rentenanspruchs und nicht der Zeitpunkt des Verfügungserlasses den massgebenden Anknüpfungspunkt. Soweit dem IV-Rundschreiben des Bundesamtes für Sozialversicherungen Nr. 290 vom 29. Januar 2010 etwas Gegenteiliges zu entnehmen ist, kann darauf nicht abgestellt werden (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 336
BGE 139 V 335 S. 336
Der kosovarische Staatsangehörige M., geb. 1963, wohnhaft in der Schweiz, ist verheiratet und Vater von sechs Kindern (geb. 1986, 1987, 1990, 1992, 1994 und 1994), die in Kosovo leben. Die IV-Stelle des Kantons Aargau (nachfolgend: IV-Stelle) sprach ihm mit Verfügung vom 12. Juli 2011 rückwirkend ab 1. August 2009 eine Dreiviertelsrente auf der Grundlage einer Invalidität von 67 % zu. Kinderrenten wurden keine zugesprochen.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 13. Dezember 2012 in
BGE 139 V 335 S. 337
Bezug auf den Anspruch auf Kinderrenten für die 1992 und 1994 geborenen Kinder gut und wies die Verwaltung an, M. Kinderrenten zuzusprechen.
Das Bundesgericht weist die vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) erhobene Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Gemäss
Art. 35 Abs. 1 IVG
haben Männer und Frauen, denen eine Invalidenrente zusteht, für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente. Diese beträgt 40 % der dem massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen entsprechenden Invalidenrente, wobei die gleichen Berechnungsregeln gelten wie für die jeweilige Invalidenrente (
Art. 38 IVG
). Nach
Art. 6 Abs. 2 IVG
werden für im Ausland wohnhafte Angehörige von ausländischen Rentenberechtigten keine Leistungen gewährt. Abweichende staatsvertragliche Regelungen bleiben vorbehalten.
3.2
Streitig und zu prüfen ist, ob sich der in der Schweiz lebende Beschwerdegegner als kosovarischer Staatsangehöriger und Hauptrentenberechtigter bezüglich des Anspruchs auf Kinderrenten für seine in Kosovo lebenden Kinder auf das Abkommen vom 8. Juni 1962 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der (ehemaligen) Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über Sozialversicherung (SR 0.831.109.818.1 [in Kraft getreten am 1. März 1964]; nachfolgend: Sozialversicherungsabkommen) berufen kann. Während die Vorinstanz dies bejaht, sprechen sich BSV und IV-Stelle dagegen aus.
4.
(...)
4.2
Im Grundsatzurteil
BGE 139 V 263
hat das Bundesgericht erkannt, dass die ehemals serbische Provinz und heutige Republik Kosovo mit ihrer Sezession eine - sowohl in territorialer als auch (vertrags-)rechtlicher Hinsicht - völkerrechtlich wirksame Änderung herbeigeführt hat und die Nichtweiteranwendung des Sozialversicherungsabkommens durch die Schweiz auf die neue Gebietskörperschaft ab 1. April 2010 rechtmässig ist (E. 2-8).
5.
5.1
Im Weiteren wurde in
BGE 139 V 263
erwogen, aus der Tatsache, dass die Republik Kosovo die multiple Staatsbürgerschaft
BGE 139 V 335 S. 338
zulasse, könne nicht abgeleitet werden, dass kosovarische Staatsangehörige ohne weiteres kosovarisch-serbische Doppelbürger seien. Ein Automatismus oder der Grundsatz, dass Personen aus dem Kosovo neben der Staatsangehörigkeit des Kosovos auch die serbische Staatsangehörigkeit besässen, sei zu verneinen. Dennoch könne das Vorliegen einer kosovarisch-serbischen Doppelbürgerschaft aber nicht ausgeschlossen werden. Eine solche sei indessen nicht nur überzeugend zu behaupten, sondern rechtsgenüglich zu belegen (E. 9-12, insb. E. 12.2; vgl. auch Mitteilungen des BSV an die AHV-Ausgleichskassen und EL-Durchführungsstellen Nr. 326 vom 20. Februar 2013).
(...)
6.
6.1
Die Nichtweiterführung des Sozialversicherungsabkommens mit Kosovo hat zur Folge, dass Staatsangehörige des Kosovos künftig nicht mehr die Rechtsstellung als Vertragsausländerinnen und -ausländer innehaben. Sie gelten neu als Nichtvertragsausländerinnen und -ausländer. Dieser Statuswechsel hat einerseits Auswirkungen auf die Anspruchsvoraussetzungen (versicherungsmässige Voraussetzungen) und führt anderseits dazu, dass Renten der Invalidenversicherung von Staatsangehörigen des Kosovos, die für den Zeitraum nach dem 31. März 2010 zugesprochen werden, gemäss
Art. 6 Abs. 2 Satz 2 IVG
nicht mehr ins Ausland exportierbar sind. Sie werden nurmehr innerhalb der Schweiz gewährt. Die laufenden Renten geniessen demgegenüber gemäss Art. 25 des Sozialversicherungsabkommens den Besitzstand.
6.2
Die IV-Stelle hat dem Beschwerdegegner mit Verfügung vom 12. Juli 2011 rückwirkend per 1. August 2009 eine Dreiviertelsrente zugesprochen. Die versicherungsmässigen Voraussetzungen für die Ausrichtung einer Rente waren mithin ab Anfang August 2009 gegeben. In zeitlicher Hinsicht sind regelmässig diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (
BGE 130 V 445
E. 1.2.1 S. 447;
BGE 127 V 466
E. 1 S. 467). Dieser auch im vorliegenden Fall geltende Grundsatz führt zum Schluss, dass im Moment der Entstehung des Rentenanspruchs des Beschwerdegegners das Sozialversicherungsabkommen für ihn noch Gültigkeit besass. Keine relevante Bedeutung beizumessen ist im betreffenden Zusammenhang demgegenüber dem Zeitpunkt des Verfügungserlasses, haftet diesem doch stets eine gewisse Willkür an bzw. hängt er stark von nicht oder nur durch die
BGE 139 V 335 S. 339
Verwaltung beeinflussbaren Faktoren ab. Soweit dem IV-Rundschreiben des BSV Nr. 290 vom 29. Januar 2010 in Bezug auf den zeitlich relevanten Anknüpfungspunkt etwas Gegenteiliges zu entnehmen ist, kann darauf nicht abgestellt werden.
Findet das Sozialversicherungsabkommen auf den Beschwerdegegner nach dem Gesagten intertemporalrechtlich dennoch Anwendung, woraus die Zulässigkeit eines Exports von ihm zustehenden Kinderrenten in den Kosovo resultiert, erweist sich der vorinstanzliche Entscheid im Ergebnis als rechtens. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
68bbbdc6-60d0-42ea-8a53-8cfd2bb1c801 | Urteilskopf
107 IV 194
55. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. Oktober 1981 i.S. H. gegen Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 40 SVG
,
Art. 29 VRV
.
1. Die Beschränkung des Gebrauchs der Lichthupe bei Tage auf die Ankündigung eines Überholmanövers gemäss
Art. 29 Abs. 3 VRV
widerspricht
Art. 40 SVG
(Erw. 1a und b).
2. Radarwarnungen mittels der Lichthupe sind unnötige Warnsignale und sind deshalb nicht erlaubt (Erw. 1c). | Erwägungen
ab Seite 194
BGE 107 IV 194 S. 194
Aus den Erwägungen:
1.
a) Die Vorinstanz stützte ihren Entscheid auf
Art. 29 Abs. 3 VRV
, wonach Lichtsignale am Tage nur zulässig sind, um ausserorts einem voranfahrenden Motorfahrzeugführer das Überholen anzukündigen. Der Beschwerdeführer macht geltend, der Wortlaut dieser Bestimmung sei zu eng und werde durch
Art. 40 SVG
nicht gedeckt. Die Verordnungskompetenz des Bundesrats nach
Art. 106 SVG
erlaube diesem nicht, den Begriff der Sicherheit
BGE 107 IV 194 S. 195
des Verkehrs so einzuschränken, dass er am Tage Lichtsignale nur unter einer einzigen Voraussetzung als zulässig bezeichne. Nach der herrschenden allgemeinen Praxis würden am Tage Lichtsignale im Interesse der Verkehrssicherheit auch zu andern Zwecken verwendet.
b) Nach
Art. 40 SVG
hat der Fahrzeugführer, wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert, die übrigen Strassenbenützer zu warnen, unnötige oder übermässige Warnsignale und Rufzeichen mit der Warnvorrichtung jedoch zu unterlassen. Ein Warnsignal ist also immer nötig und erlaubt, "wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert".
In Ausführung dieser Bestimmung erliess der Bundesrat
Art. 29 Abs. 3 VRV
, wonach am Tage Lichtsignale nur zulässig sind, um ausserorts einem voranfahrenden Fahrzeugführer das Überholen anzukündigen. Der Wortlaut dieser Bestimmung ist, gemessen an
Art. 40 SVG
, tatsächlich zu eng. Die Beschränkung des
Art. 29 Abs. 3 VRV
ist, wie das Bundesgericht kürzlich in einem nicht publizierten Entscheid (vom 15. Januar 1981 i.S. T.) ausführte, auch nicht sinnvoll und wird im täglichen Strassenverkehr vernünftigerweise nicht in vollem Umfange eingehalten, was die Polizei weiss und duldet. So wird regelmässig ein Fahrer, der im Nebel ohne Licht oder mit Standlicht fährt, durch Entgegenkommende mit der Lichthupe darauf aufmerksam gemacht - im Interesse der beidseitigen und der allgemeinen Sicherheit. Wer aus nebligem Tal in sonnige Höhen oder aus einem Tunnel ins Freie fährt und vergisst, die Scheinwerfer auszuschalten, dem wird dies zur Vermeidung unnötiger Blendung Entgegenkommender durch die Lichthupe angezeigt. Im dichten Strassenverkehr lädt ein Vortrittsberechtigter durch Verlangsamung und Lichtzeichen einen bei einer Verzweigung wartenden Automobilisten ein, vor ihm sich einzufädeln ("Reissverschluss") oder durchzufahren. Wer bei Gegenverkehr zu einem Überholmanöver ansetzen will oder schon angesetzt hat, wird oft, wiederum im Interesse der Verkehrssicherheit, durch ein Blinkzeichen des Entgegenkommenden auf die Gefahrensituation hingewiesen. Ein Signal mit der Lichthupe ist gelegentlich auch die zweckmässigste Warnung für einen Fussgänger, der ausserhalb des Fussgängerstreifens unachtsam auf die Fahrbahn tritt. In allen diesen nicht abschliessend aufgezählten Fällen kann die Verkehrssicherheit die Abgabe eines Warnsignals im Sinne von
Art. 40 SVG
erfordern oder rechtfertigen und ein Signal mit der Lichthupe kann hier wirkungsvoller und/oder für
BGE 107 IV 194 S. 196
die übrigen Verkehrsteilnehmer und Anwohner weniger belästigend sein als der Gebrauch des Horns. Die Beschränkung der Lichthupe bei Tag auf die Ankündigung eines Überholmanövers widerspricht daher
Art. 40 SVG
. Die Verwendung der Lichthupe als Warnsignal muss auch bei Tag in allen Fällen erlaubt sein, wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert.
c) Anders verhält es sich jedoch, wenn die Lichthupe ohne vernünftigen Grund verwendet wird, etwa zur Begrüssung eines andern Fahrers oder um diesem sein Missfallen wegen eines Fahrfehlers zu bekunden.
Die private Radarwarnung ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht strafbar, sofern sie mit erlaubten Mitteln erfolgt (
BGE 103 IV 186
ff.). Zu prüfen ist, ob die Radarwarnung mittels der Lichthupe zulässig sei.
Im erwähnten nicht publizierten Entscheid hat das Bundesgericht die Verwendung der Lichthupe zum Zwecke der Radarwarnung als Verstoss gegen
Art. 29 VRV
bezeichnet. Daran ist festzuhalten. Radarwarnungen dienen zwar dazu, andere Verkehrsteilnehmer zur Einhaltung der im Interesse der Verkehrssicherheit aufgestellten Geschwindigkeitsbegrenzung anzuhalten. Es ist indessen grundsätzlich nicht Sache der Privaten, sondern der Behörden, die Fahrzeugführer zu regelgemässer Fahrweise zu veranlassen. Private sind nicht Verkehrspolizisten und "Belehrungen" auf der Strasse sind unerwünscht und verpönt. Der private Motorfahrzeugführer hat nicht darüber zu befinden, ob ein anderer die Höchstgeschwindigkeit überschreite (
BGE 104 IV 195
E. 4). Wer mit der Lichthupe entgegenkommende Fahrzeugführer vor der Radarkontrolle warnt, tut dies im übrigen meist wahllos gegenüber jedem Entgegenkommenden und ist in der Regel (abgesehen von ganz krassen Fällen) nicht in der Lage zu beurteilen, ob der Entgegenkommende die vorgeschriebene Geschwindigkeit einhalte oder nicht. Lichtsignale gegenüber korrekt Fahrenden sind aber unnötig und können zu Verwirrung Anlass geben. Radarwarnungen mit der Lichthupe sind demnach unnötige Warnsignale im Sinne von
Art. 40 SVG
und
Art. 29 Abs. 4 VRV
und deshalb nicht erlaubt. Die Schuldigerklärung des Beschwerdeführers erfolgte deshalb zu Recht. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68c004e2-1bec-49aa-b7f7-08aa2e83ba4b | Urteilskopf
99 IV 13
4. Sentenza 11o gennaio 1973 della Corte di cassazione nella causa X. contro Procuratore pubblico sottocenerino. | Regeste
Art. 312 StGB
.
1. Der Polizeibeamte, der anlässlich der Einvernahme des Angeschuldigten diesen prügelt, macht sich des Amtsmissbrauchs strafbar, unabhängig davon, ob sein Verhalten Gegenstand eines Disziplinarverfahrens ist (Erw. 1 und 2).
2. Idealkonkurrenz zwischen
Art. 123 und 312 StGB
(Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 13
BGE 99 IV 13 S. 13
A.-
Dal 10 al 18 novembre 1971, X., agente di pubblica sicurezza, si è occupato dell'inchiesta preliminare aperta nei confronti di tre cittadini italiani. Nel corso degli interrogatori, svolti separatamente, li percosse tutti e tre.
B.-
Sulla base di questi fatti, la Corte delle Assise correzionali di Mendrisio-Nord l'ha riconosciuto colpevole di lesioni semplici nonchè di abuso di autorità, e l'ha condannato alla pena, condizionalmente sospesa, di 45 giorni di detenzione.
C.-
Il suo ricorso alla Corte cantonale di cassazione e di revisione penale essendo stato respinto, il condannato ha interposto un ricorso per cassazione al Tribunale federale. Egli contesta unicamente l'applicazione dell'art. 312 CP.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Il ricorrente non contesta di aver agito in qualità di funzionario. Occorre pertanto stabilire se ha abusato dei poteri della sua carica.
Certo è che non ogni funzionario è investito dei poteri indicati all'art. 312 CP, il cui campo di applicazione è stato limitato dalla giurisprudenza (RU 88 IV 70). Questa disposizione concerne soltanto quei poteri, aventi regolarmente
BGE 99 IV 13 S. 14
carattere coercitivo, di cui dispone il funzionario per l'esercizio delle sue funzioni (HAFTER, Bes. Teil, p. 831). Tali sono evidentemente quelli dell'agente di polizia quando interroga il prevenuto (HAFTER, p. 831; LOGOZ, n. 3 all'art. 312; ZIMMERLIN, Der Missbrauch der Amtsgewalt im schweiz. Strafrecht, p. 24). Invece, e contrariamente a quanto esposto nel ricorso, poco importa che l'agente disponga degli anzidetti poteri per legge o per regolamento oppure per mandato conferitogli da un magistrato (procuratore pubblico o giudice istruttore): ciò non cambia la sua posizione nè il suo ruolo rispetto alla persona interrogata.
Ne consegue che l'agente di polizia il quale, non avendone diritto, percuote il prevenuto interrogato, abusa della sua autorità (LOGOZ, n. 4 all'art. 312).
X., non essendo stato aggredito nè minacciato, ha percosso senza diritto. Poichè non contesta, nè lo può, che sapeva di nuocere così ad altri, gli elementi del reato di cui all'art. 312 CP sono completamente adempiuti.
2.
E'pertanto indifferente che gli atti commessi da X. siano già passibili di pene disciplinari (HAFTER, p. 289; LOGOZ, osservazioni generali sugli articoli 312 a 322; RU 97 I 835/836, 98 IV 89).
3.
Vero è che, nel corso dei lavori preparatori, è stata esposta l'opinione, secondo cui l'art. 312 CP costituirebbe una norma sussidiaria. Ma tale opinione è erronea: in concreto, l'art. 123 CP, che il ricorrente ritiene il solo applicabile, non assorbe completamente gli atti commessi da X. Con il suo agire, questi non ha conseguito solo delle lesioni corporali ma ha inoltre commesso un abuso di potere, che richiama l'applicazione dell'art. 312 CP. Trattasi di un caso di concorso ideale (THORMANN/OVERBECK, n. 10 all'art. 312; LOGOZ, n. 7 all'art. 312; SCHWANDER, N. 778 cifra 4). | null | nan | it | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68c0c89f-cfcf-48bf-a457-8a2df570c1e9 | Urteilskopf
98 V 220
54. Auszug aus dem Urteil vom 19. Oktober 1972 i.S. Boehringer gegen Bundesamt für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des Innern | Regeste
Art. 55 VwG.
Aufschiebende Wirkung der Beschwerde: Voraussetzungen des Entzugs dieser Wirkung. | Erwägungen
ab Seite 220
BGE 98 V 220 S. 220
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 128 OG
beurteilt das Eidg. Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von
Art. 97 und 98 lit. b-h OG
auf dem Gebiete der Sozialversicherung. Hinsichtlich des Begriffes der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren Verfügungen verweist
Art. 97 OG
auf Art. 5 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren. Nach Art. 5 Abs. 1 VwG gelten als Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (und im übrigen noch weitere, nach dem Verfügungsgegenstand näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen). Verfügungen im Sinne dieser Umschreibung können nach dem Wortlaut des zweiten Absatzes von Art. 5 VwG auch Zwischenverfügungen sein, insoweit sie den Anforderungen des vorangehenden ersten Absatzes entsprechen. Zudem verweist Art. 5 Abs. 2 VwG bezüglich der Zwischenverfügungen auf Art. 45 des gleichen Gesetzes. Diese Bestimmung enthält die weitere Einschränkung, dass nur solche Zwischenverfügungen anfechtbar sind, die einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können
BGE 98 V 220 S. 221
(Art. 45 Abs. 1 VwG). Dieser grundsätzliche Vorbehalt gilt als Voraussetzung für die Zulässigkeit eines selbständigen, der Endverfügung vorangehenden Beschwerdeverfahrens, insbesondere für alle in Art. 45 Abs. 2 VwG - nicht abschliessend - aufgezählten Zwischenverfügungen (
BGE 97 V 248
,
BGE 97 I 478
, 96 I 294/295; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, S. 90). Für das letztinstanzliche Beschwerdeverfahren ist ferner zu beachten, dass gemäss Art. 129 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 101 lit. a OG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Zwischenverfügungen nur zulässig ist, wenn sie auch gegen die Endverfügung offensteht; dies trifft hier zu (
Art. 98 lit. b OG
).
Das Eidg. Versicherungsgericht hat daher auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur dann einzutreten, wenn die angefochtene Zwischenverfügung einen irreversiblen Nachteil bringen kann.
2.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann nicht behauptet werden, eine - auch nur vorübergehende - Streichung in der Spezialitätenliste (SL) sei für die betroffene Firma wirtschaftlich belanglos. Zwar könnte man sich auf den Standpunkt stellen, nach erfolgter Streichung komme es nicht mehr so sehr darauf an, ob diese gegebenenfalls vorzeitig oder erst durch den Entscheid in der materiellen Streitsache aufgehoben wird. Dabei wird indessen übersehen, dass bis zur Urteilsfällung wegen oft umfangreicher Beweiserhebungen viel Zeit verstreichen kann und die wirtschaftlichen Folgen unter Umständen bedeutend, ja sogar nicht wieder gutzumachend sein können. Es ist im vorliegenden Fall nach den Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht ausgeschlossen, dass dies zutreffen würde. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.
3.
Die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen die Zwischenverfügung des Eidgenössischen Departementes des Innern, worin das Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen wird. Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt unrichtig oder unvollständig festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 1 OG
).
BGE 98 V 220 S. 222
4.
Zu entscheiden ist, ob der Entzug der Suspensivwirkung rechtmässig erfolgte.
Es ist Aufgabe der nach Art. 55 VwG zuständigen Behörde, zu prüfen, ob die Gründe, die für die sofortige Vollstreckbarkeit der Verfügung sprechen, gewichtiger sind als jene, die für die gegenteilige Lösung angeführt werden können. Dabei verfügt die Behörde, wie das Bundesgericht im Urteil vom 23. Juli 1971 i.S. E.Z. (Erw. 3 am Schluss) erkannt hat, über einen gewissen Beurteilungsspielraum. Im allgemeinen wird sie ihren Entscheid auf den Sachverhalt gründen, der sich aus den vorhandenen Akten ergibt, ohne zeitraubende weitere Erhebungen anzustellen. Bei der Abwägung der Gründe für und gegen die sofortige Vollstreckbarkeit können auch die Aussichten auf den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache ins Gewicht fallen; sie müssen allerdings eindeutig sein. Im Zweifelsfalle sind sie ausser acht zu lassen, da die Hauptsache selbst noch nicht abgeklärt zu werden braucht (Urteil des Bundesgerichts vom 14. Februar 1972 i.S. Milchgenossenschaft Schwadernau, Erw. 4). In einem bei IMBODEN (Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung II, Nr. 635, S. 686 f.) wiedergegebenen Fall stellte das zürcherische Verwaltungsgericht zur Beurteilung der Frage, ob der Suspensiveffekt zu entziehen sei, auf die schwere Gefährdung der geschützten Güter ab; wo es an einer solchen fehle, sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Dieser Standpunkt verdient Beachtung vor allem deswegen, weil der Entzug des Suspensiveffekts gegenüber den belastenden Gestaltungsverfügungen regelmässig eine vorzeitige Zustandsänderung für den Betroffenen eintreten lässt, ohne dass die verfügungsweise angeordnete Massnahme im Hinblick auf eingelegte Rechtsmittel bereits materiell rechtskräftig geworden wäre. Auch wenn der Betroffene keinen Anspruch auf die Beibehaltung des bisherigen Zustandes im Sinne eines wohlerworbenen Rechts besitzt, soll er ohne objektive Notwendigkeit durch die Verweigerung der Aufschubwirkung nicht vor Abschluss des ordentlichen Rechtsmittelverfahrens in seiner Situation verändert werden. Diese Betrachtungsweise verhindert zudem, dass die Beurteilung der Frage, ob einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu entziehen sei, vornehmlich unter dem Gesichtspunkt tangierter wirtschaftlicher Interessen vorgenommen wird. Sie ist insbesondere dann am Platz, wenn das Gesetz einer Beschwerde grundsätzlich aufschiebende
BGE 98 V 220 S. 223
Wirkung zuerkennt (Art. 55 Abs. 1 VwG). Die verfügende Behörde wird in einem solchen Fall überzeugende Gründe geltend machen müssen, um die aufschiebende Wirkung zu entziehen. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
68cab67c-72fb-47f5-9a24-b18bab185b87 | Urteilskopf
94 IV 65
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Mai 1968 i.S. Huser & Kons. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 68 Ziff. 1,
Art. 137 Ziff. 2,
Art. 148 Abs. 2 StGB
.
Der Dieb, der gestohlene Sachen unter Verschweigung ihrer Herkunft verkauft, ist auch dann sowohl wegen Diebstahls als auch wegen Betruges zu bestrafen, wenn er die Verbrechen gewerbsmässig begangen hat. | Erwägungen
ab Seite 65
BGE 94 IV 65 S. 65
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, dass der Dieb, der beim Verkauf der gestohlenen Sache dem gutgläubigen Erwerber vortäuscht, er sei der rechtmässige Eigentümer, sowohl wegen Diebstahls als auch wegen Betruges strafbar ist. Mit Recht nicht, denn die zweite Tat, durch die der Dieb den Erwerber durch Verschweigung der Herkunft der
BGE 94 IV 65 S. 66
Kaufsache um den Kaufpreis prellt, ist weder eine notwendige oder bloss untergeordnete Folge des vorausgehenden Diebstahls, noch wird der Betrug durch die Bestimmung über den Diebstahl oder diese Tat durch
Art. 148 StGB
miterfasst (
BGE 72 IV 9
ff. und ständige Rechtsprechung).
b) Dagegen machen die Beschwerdeführer unter Berufung auf einen nicht veröffentlichten Entscheid des Kassationshofes vom 3. Dezember 1943 geltend, dass eine doppelte Bestrafung dann nicht am Platze sei, wenn der dem Betrug vorausgehende Diebstahl gewerbsmässig begangen wurde. In diesem Falle schliesse die Absicht des Täters, sich aus der strafbaren Tätigkeit ein Erwerbseinkommen zu verschaffen, notwendig auch den Vorsatz in sich, das Diebesgut in Geld umzusetzen, den er praktisch nicht anders als durch arglistige Täuschung der Käufer verwirklichen könne. Der Verkauf des gestohlenen Gutes sei somit nur eine Teilhandlung des gewerbsmässigen Diebstahls.
Das Bundesgericht hat indessen die im erwähnten Entscheid vertretene Theorie der straflosen Nachtat, wonach bei zwei Einzelhandlungen, die objektiv oder subjektiv miteinander verbunden sind, die Nachtat durch die auf die Haupttat anwendbare Bestimmung mitgesühnt werden soll, bereits im Entscheid Behrenstamm vom 19. Oktober 1945 (
BGE 71 IV 207
) aufgegeben und seither zwischen den Einzelhandlungen eines Tatkomplexes ständig Realkonkurrenz angenommen, soweit nicht dem Sinn des Strafgesetzes deutlich zu entnehmen ist, dass die für die Haupttat ausgefällte Strafe auch die Vor- oder Nachtat abgelten soll (
BGE 72 IV 116
,
BGE 77 IV 16
und 92,
BGE 79 IV 62
,
BGE 80 IV 256
,
BGE 81 IV 248
,
BGE 84 IV 127
,
BGE 87 IV 8
,
BGE 89 IV 87
). Von dieser in der Beschwerde nicht angefochtenen Rechtsprechung abzugehen oder sie dann nicht anzuwenden, wenn der Täter die Delikte gewerbsmässig begeht, besteht kein Grund.
Unzutreffend ist schon die Annahme der Beschwerdeführer, dass die Absicht des Diebes, zu einem Erwerbseinkommen zu gelangen, praktisch nur durch den Verkauf der gestohlenen Sachen, also durch gewerbsmässige Betrüge verwirklicht werden könne. Denn der Täter, der Bargeld, Inhaberpapiere oder Sachen zum Eigengebrauch stiehlt, hat sein Ziel bereits erreicht, ohne dass eine betrügerische Veräusserung dazu kommen muss. Auch begeht der Dieb den nachfolgenden Betrug trotz der Absicht, sich ein Erwerbseinkommen zu verschaffen, dann
BGE 94 IV 65 S. 67
nicht gewerbsmässig, wenn er die gestohlenen Güter ohne die Bereitschaft, gegen unbestimmt viele zu handeln, nur an einen einzigen Abnehmer verkauft. Es ist daher sowohl unter dem Gesichtspunkt der Schuld als auch unter dem des Erfolges nicht das gleiche, ob sich der Täter darauf beschränkt, gewerbsmässig zu stehlen, oder ob er sich zusätzlich auch noch des gewerbsmässigen Betruges schuldig macht. Im letzteren Falle liegen nicht weniger als dann, wenn der Täter einen einfachen Diebstahl und Betrug verübt, zwei selbständige Verbrechen vor, für die ebenso eine nach
Art. 68 Ziff. 1 StGB
verschärfte Strafe auszusprechen ist. Hievon eine Ausnahme zu machen und den gewerbsmässig handelnden Täter nachsichtiger zu behandeln, wäre um so widerspruchsvoller, als derjenige, der das Verbrechen zu einer Verdienstquelle macht und bereit ist, unbestimmt viele zu bestehlen und zu betrügen, eine erhöhte Strafe verdient, weshalb denn auch das Strafgesetz den gewerbsmässigen Dieb und gewerbsmässigen Betrüger strenger als den gewöhnlichen Täter bestraft wissen will. Dabei macht das Gesetz keinen Unterschied, ob der gewerbsmässige Diebstahl und Betrug unabhängig voneinander begangen werden oder ob zwischen ihnen irgendein Zusammenhang besteht.
Unwesentlich ist auch, ob den nacheinander begangenen Diebstählen und Betrügen verschiedene Willensentschlüsse zugrunde liegen oder ob sich der Täter zu den mehreren Verbrechen gleichzeitig entschlossen hat. Wie der Kassationshof schon wiederholt entschieden hat, macht die Einheit des Willensentschlusses allein einen Komplex von strafbaren Handlungen nicht zu einem einzigen Verbrechen (
BGE 79 IV 62
,
BGE 80 IV 256
,
BGE 89 IV 88
). Der einheitliche Willensentschluss ändert nichts daran, dass der Täter verschiedene Verbrechen begehen will und dass sein Vorsatz, Diebstähle und Betrüge zu verüben, auch noch im Zeitpunkt fortbesteht, in dem er seinen Entschluss in die Tat umsetzt. Nicht anders verhält es sich mit der Absicht, Diebstähle und Betrüge gewerbsmässig zu begehen. Dass der dahingehende Entschluss für beide Verbrechen gemeinsam gefasst worden ist, bedeutet nicht, dass das gewerbsmässige Vorgehen nur bei der Bemessung der Strafe für die Diebstähle berücksichtigt werden dürfe; soweit es auch die nachfolgenden Betrüge auszeichnet, fallen auch diese dem grösseren Verschulden und dem schwereren Erfolg entsprechend unter die dafür vorgesehene erhöhte Strafandrohung. Ebensowenig folgt
BGE 94 IV 65 S. 68
aus der Gemeinsamkeit des gleichen Tatbestandsmerkmales der Gewerbsmässigkeit, dass deswegen die nacheinander begangenen Delikte ihre Selbständigkeit verlören und die Strafe für das eine auch das andere abgelte. Ein solcher Schluss ist dem Strafgesetz nicht zu entnehmen und vertrüge sich mit den Grundsätzen des Schuldstrafrechts, namentlich mit
Art. 68 StGB
auch nicht. | null | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68cb9be7-93e1-453b-9ce3-7c45ea1437a4 | Urteilskopf
104 Ib 348
55. Estratto della sentenza parziale del 13 dicembre 1978 nella causa Stato del Cantone Ticino c. Consorzio correzione Fiume Ticino e Commissione federale di stima del 13o circondario | Regeste
Enteignung von Grundstücken, die öffentlichen Zwecken dienen.
1. a) Dingliche Rechte an Grundstücken, die öffentlichen Zwecken dienen, können grundsätzlich ebenfalls Gegenstand der Enteignung bilden (Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 5 Abs. 1 EntG
). Die Enteignung setzt aber voraus, dass der Enteigner der ihm in
Art. 7 Abs. 2 EntG
auferlegten Pflicht zu Ersatzvorkehren nachkommen kann (E. 2a).
b) Für die Anwendbarkeit von
Art. 7 Abs. 1 EntG
ist ohne Bedeutung, wem das Eigentum zusteht; entscheidend ist allein die Bestimmung der betreffenden Grundstücke (E. 2a).
c) Über den Umfang der Ersatzvorkehren gemäss
Art. 7 Abs. 2 EntG
entscheidet nicht die ESchK sondern die Verwaltungsbehörde, die über die Einsprachen zu befinden hat, und bei Nationalstrassen die Behörde, welche die Ausführungsprojekte zu genehmigen hat (vgl.
Art. 35 lit. b,
Art. 55 Abs. 1 EntG
,
Art. 27 Abs. 2 NSG
) (E. 2a).
d) Die Unzuständigkeit der ESchK zum Entscheid über die Ersatzvorkehren hindert sie indessen nicht zu prüfen, ob die vorgesehene Ersatzvorkehr im betreffenden Fall alle Ansprüche des Enteigneten erfüllt oder ob noch ein zu ersetzender Schaden verbleibt (E. 3).
2. Jene Grundstücke einer öffentlichrechtlichen Körperschaft, die nicht öffentlichen Zwecken dienen, müssen gleich behandelt werden wie die Grundstücke, die Teil des Finanzvermögens bilden (E. 2b).
3. Das kantonale Recht kann öffentlichrechtliche Körperschaften verpflichten, für die Ausführung öffentlicher Werke unentgeltlich eigenes Land abzutreten; über Bestand und Umfang einer solchen Pflicht, die eine Enteignung überflüssig macht, hat die zuständige kantonale Behörde zu entscheiden und nicht die ESchK, der einzig die Anwendung des EntG obliegt (E. 2d).
4. Anwendbarkeit von
Art. 20 Abs. 2 EntG
; dieser Bestimmung kommt einzig dann praktische Bedeutung zu, wenn die besonderen Lasten auf Grundstücken ruhen, die Gegenstand der Enteignung sind (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 350
BGE 104 Ib 348 S. 350
Per l'acquisto del terreno necessario alla costruzione della Strada nazionale N. 2 dal km 47.880 al km 55.039 in territorio dei Comuni di Camorino, Giubiasco, Sementina, Montecarasso e Bellinzona, lo Stato del Cantone Ticino ha deciso di procedere in via espropriativa. La procedura fu dichiarata aperta con decreto del 17 ottobre 1967 dal Presidente della Commissione federale di stima (CFS) del 7o circondario (ora circondario 13). Essa concerne anche numerosi fondi del Consorzio correzione Fiume Ticino. La notificazione delle pretese avvenne il 16 novembre 1967 e l'immissione in possesso fu accordata dal Consorzio all'udienza di conciliazione del 12 gennaio 1968. Poi la procedura fu sospesa perché le parti intendevano trattare direttamente. Fallita l'intesa, una nuova udienza di conciliazione e di stima fu tenuta il 2 dicembre 1974: si convenne che le parti avrebbero esposto le rispettive tesi e domande in due allegati scritti.
Nella memoria del 30 gennaio 1975, lo Stato asseriva che, in virtù della legge cantonale sui consorzi del 21 luglio 1913 (LCons), il Consorzio, il cui scopo è quello di costruire opere di premunizione, non può legittimamente esser proprietario che di beni amministrativi. Ammetteva invero che terreni sottratti
BGE 104 Ib 348 S. 351
al pubblico demanio con opere di premunizione diventano per legge proprietà del Consorzio, ma rilevava che quest'ultimo li può cedere di regola solo a consorziati, e che per l'eccezionale vendita a terzi occorre il consenso del Consiglio di Stato. Ne deduceva che il patrimonio finanziario del Consorzio si è formato in contrasto con la legge, sia pure con l'approvazione del Governo. Da codeste premesse veniva tratta la conclusione che il Consorzio non potesse in espropriazione richiedere indennità superiore al valore che i fondi avevano avuto prima dell'esecuzione delle opere di premunizione, oltretutto largamente sussidiate da Cantone e Confederazione, e che, ove in origine si fosse trattato di letto di fiume, nessun indennizzo fosse dovuto dallo Stato per l'espropriazione. Lo Stato rilevava inoltre di aver provveduto, con la costruzione della Strada nazionale, ad opere di arginatura nuove ed alla sistemazione di rialzi laterali, con corrispondente sgravio del Consorzio e chiedeva che, in applicazione diretta o almeno analogica dell'
art. 20 cpv. 2 LEspr
., codesti vantaggi si imputassero. Lo Stato concludeva pertanto che - tenuto conto di un volontario pagamento di Fr. 208 000.- effettuato senza pregiudizio - fosse riconosciuto che nessuna indennità era dovuta dall'espropriante. Nella risposta del 5 marzo 1975, il Consorzio rilevava che, in virtù della legge, è determinante il valore venale; che un'espropriazione delle opere di premunizione è possibile solo se vengono adottati dall'espropriante gli opportuni provvedimenti sostitutivi, e che anche in questi casi, ricorrendo determinate circostanze, l'espropriato ha diritto ad un indennizzo giusta l'
art. 16 LEspr
.; che per gli altri terreni l'esproprio obbedisce alle regole normali. Dopo aver sottolineato che nessuna disposizione legale obbliga un consorzio a cedere allo Stato terreni per la costruzione delle strade nazionali gratuitamente o a condizioni preferenziali, l'espropriato contestava nei particolari le allegazioni e argomentazioni dello Stato.
La CFS si è pronunciata con decisione del 14 maggio 1976. Dopo aver rilevato che il Consorzio è proprietario di fondi destinati ad adempiere lo scopo consortile e di fondi che a tale scopo non servono direttamente, che questi ultimi debbono - ai fini espropriativi - essere assimilati ai beni patrimoniali di un ente pubblico, e che l'
art. 20 cpv. 2 LEspr
. non era applicabile in casu nei confronti del Consorzio, la Commissione è passata all'esame delle singole particelle espropriate; in particolare, ha negato ogni indennità per i fondi destinati a suo giudizio
BGE 104 Ib 348 S. 352
al raggiungimento dei fini consortili, quali gli argini, le golene, ecc., eccezion fatta tuttavia per gli alberi delle piantagioni.
Tanto il Consorzio, quanto l'ente espropriante hanno impugnato la decisione della CFS con tempestivo ricorso di diritto amministrativo. Per quanto concerne le questioni di principio che qui interessano, i gravami portano in sostanza sul trattamento dei fondi di proprietà consortile nell'ambito della procedura espropriativa, in special modo sui criteri che debbono applicarsi alla determinazione delle indennità, nonché sull'eventuale applicazione degli
art. 60 e 20 cpv. 2 LEspr
.
Decidendo con sentenza parziale le suddette questioni di principio, il Tribunale federale ha respinto il ricorso dello Stato nella misura in cui chiedeva l'annullamento puro e semplice della decisione impugnata con o senza rinvio degli atti alla CFS, ed ha stabilito che l'istruttoria di causa sarebbe continuata per quanto concerne le valutazioni dei singoli fondi espropriati.
Erwägungen
Considerando in diritto:
2.
Il primo quesito concerne i fondi di proprietà del Consorzio che non costituiscono opere di arginatura e non servono quindi direttamente all'adempimento degli scopi perseguiti dalla corporazione.
a) Oggetto dell'espropriazione a' sensi dell'
art. 5 LEspr
. possono essere, in linea di principio, anche i diritti costituiti sopra fondi usati per scopi di pubblica utilità: ciò risulta espressamente dall'
art. 7 cpv. 1 LEspr
. Per l'applicabilità di questo disposto, è indifferente che i fondi da espropriare siano di proprietà pubblica o privata, e a chi tale proprietà appartenga. Determinante è esclusivamente, secondo la volontà del legislatore, la destinazione dei fondi, cioè lo scopo d'interesse pubblico ch'essi servono (cfr. Boll. sten. CN 1928, pag. 616; F. HESS, Enteignungsrecht des Bundes, ad
art. 7 LEspr
., ni. 1 e 2, pag. 21; v. inoltre,
DTF 104 Ib 337
e segg.). Se i fondi servono al perseguimento di un fine di pubblica utilità, la loro espropriazione è subordinata alla possibilità per l'espropriante di adottare quei provvedimenti sostitutivi che la legge riserva al cpv. 1 dell'art. 7 e menziona nel cpv. 2 della stessa disposizione (Boll. sten. CN 1928, pag. 597; HESS, op.cit., ad
art. 7 LEspr
., n. 5, pagg. 24/25; per le strade nazionali, cfr. inoltre gli art. 42 e 43
BGE 104 Ib 348 S. 353
della relativa legge dell'8 marzo 1960 - LSN). Su tali provvedimenti non statuisce la CFS, ma l'autorità amministrativa chiamata a pronunciarsi sulle opposizioni (cfr.
art. 35 lett. b e 55 cpv. 1 LEspr
.; HESS, op.cit., ad
art. 7 LEspr
., ni. 36/39, pagg. 31/32) e, in materia di strade nazionali, dato che il procedimento di opposizione è disgiunto da quello d'espropriazione e lo precede (
art. 39 cpv. 2 LSN
; cfr.
DTF 104 Ib 32
consid. 3b;
DTF 99 Ib 204
consid. 1 e riferimenti), l'autorità chiamata ad approvare i progetti esecutivi (
art. 27 cpv. 2 LSN
).
b) La categoria di fondi ora in discussione non è adibita direttamente al conseguimento dei fini di utilità pubblica perseguiti dal Consorzio. L'adozione di provvedimenti sostitutivi ai sensi dell'art. 7 cpv. 2 non è quindi neppure configurabile. Ciò stante, non può porsi nemmeno il problema di sapere se e quali conseguenze l'esecuzione di misure previste all'
art. 7 cpv. 2 LEspr
., imposta all'espropriante, possa o debba avere per riguardo all'indennità dovuta all'espropriato.
A giusta ragione la Commissione ha pertanto ritenuto che questi fondi di proprietà del Consorzio debbono esser trattati alla stessa stregua di quelli che costituiscono il patrimonio finanziario di un ente pubblico. L'indennità dovuta deve commisurarsi seguendo il principio ancorato nell'
art. 16 LEspr
. ed i criteri specificati negli art. 19 e 20 della stessa legge.
c) A torto, nel ricorso, l'espropriante rimprovera alla CFS di non aver seguito, cadendo in un diniego di giustizia, la procedura prevista dall'
art. 69 LEspr
. Tale disposizione si applica infatti nei casi in cui l'espropriante contesti l'esistenza del diritto per il quale l'espropriato chiede un'indennità. Le premesse per l'applicazione dell'
art. 69 LEspr
. non sono date in casu: non solo l'espropriante non contesta che il Consorzio sia proprietario dei fondi in questione, ma anzi l'ha riconosciuto, includendo quest'ente nelle tabelle di espropriazione.
d) L'espropriante vuol tuttavia sostenere che, in virtù del diritto cantonale, il Consorzio sarebbe tenuto a cedergli i fondi suddetti a condizioni particolari, anzi a titolo gratuito.
Certo, la legislazione cantonale può prevedere che determinati enti pubblici, segnatamente comuni o corporazioni, siano astretti a mettere gratuitamente a disposizione fondi o materiali di loro proprietà per l'esecuzione di opere pubbliche (v. ad es. l'art. 20 della legge stradale del Cantone dei Grigioni del
BGE 104 Ib 348 S. 354
3 marzo 1957; cfr. in proposito la sentenza inedita del 17 novembre 1971 in re Comune di Susch c. Piccolo Consiglio grigionese, in part. consid. 4). Un simile obbligo, statuito dal diritto cantonale, costituisce una contribuzione in natura ed è suscettibile di rendere superflua la procedura espropriativa. Spetta tuttavia all'autorità cantonale competente decidere circa l'esistenza e la portata d'un tale obbligo, ed una procedura espropriativa fondata sul diritto federale sarà in simili casi aperta solo dopo che l'autorità cantonale avrà riconosciuto l'insussistenza dell'obbligo di cessione fondato sul diritto cantonale (v.
DTF 27 I 467
segg., in part. 473; HESS, op.cit., ad
art. 7 LEspr
. n. 3b, note 11 e 12, pagg. 25/26). Ma, come giustamente ha rilevato la CFS, non ci si trova qui in un caso del genere: lo Stato del Cantone Ticino non ha fatto capo ad alcuna procedura fondata sul diritto cantonale, ma è invece ricorso immediatamente alla procedura espropriativa prevista dal diritto federale. Ora, l'ente pubblico che, munito del potere d'espropriazione del diritto federale (
art. 1, 2, 3 LEspr
.;
art. 39 cpv. 1 LSN
; cfr.
DTF 104 Ib 31
consid. 3b), lo esercita, come in casu ha fatto il Cantone, deve farlo nei modi, nelle forme e con le conseguenze che la legge federale d'espropriazione comporta, e la CFS non ha da esaminare se, seguendo altre vie, il Cantone sarebbe potuto pervenire allo stesso risultato in modo più economico, così come non ha da esaminare se, in virtù dei suoi poteri di vigilanza sui consorzi, il Cantone sia per avventura in grado di influire sulla destinazione che il Consorzio vorrà dare all'indennità d'espropriazione versatagli.
e) D'altronde, come osservato dalla Commissione, le disposizioni del diritto cantonale invocate dallo Stato non contraddirebbero comunque, se si volesse tenerle in considerazione, questo risultato. Disponendo all'art. 24 cpv. 1 LCons che la corporazione consortile - riservate eccezioni che qui non interessano - diventa proprietaria di "tutti i terreni conquistati che prima erano letto di fiume, torrente o corso d'acqua o lago", la legge stessa ha consentito la formazione di patrimonio finanziario dei consorzi. Contrariamente a quanto sembra sostenere lo Stato, tale conclusione non è smentita, ma confermata dal par. 2 dello stesso capoverso. Il fatto che la legge imponga che la realizzazione di questo patrimonio (senza peraltro, come giustamente rileva la CFS, fissarne il momento) avvenga nelle vie della licitazione fra i consorziati, e che essa esiga
BGE 104 Ib 348 S. 355
per la vendita eccezionale ai confinanti il consenso del Consiglio di Stato, significa che il legislatore ha voluto assicurare al consorzio un introito quanto più possibile prossimo al valore venale dei fondi alienandi, e che tale introito deve servire al finanziamento degli oneri del consorzio. Il riferimento ai disposti della legge cantonale non fa quindi che confortare il risultato cui porta l'applicazione della legge federale.
3.
Il secondo quesito concerne quei fondi (argini, canali, golene) che servono immediatamente allo scopo d'utilità pubblica perseguito dal Consorzio, e costituiscono pertanto indubbiamente patrimonio amministrativo.
a) Codeste opere pubbliche sono state sostituite dallo Stato con la costruzione delle strade nazionali. Sull'adeguatezza di tale sostituzione, che poteva formar oggetto di contestazione in sede di approvazione dei progetti esecutivi (cfr. sopra, consid. 2a), la CFS non aveva da pronunciarsi per mancanza di competenza. Neppure il Tribunale federale, che non è stato adito a suo tempo con ricorsi di diritto amministrativo volti contro l'approvazione del progetto esecutivo (cfr.
art. 28 LSN
; 5 PA
; 97, 98 lett. g, 99 lett. c e 115 OG), deve occuparsene in questa sede.
Nemmeno è da statuire in questa sede su un eventuale riparto della spesa tra gli interessati a' sensi degli
art. 45 e 47 cpv. 2 LSN
e 116 lett. k OG (cfr. sul tema,
DTF 96 I 485
segg.;
DTF 97 I 706
segg.).
b) L'incompetenza della Commissione a pronunciarsi circa le misure sostitutive richieste dall'
art. 7 cpv. 2 LEspr
. e, per il caso specifico delle strade nazionali, dall'
art. 42 cpv. 2 LSN
, non trae però seco anche l'incompetenza a pronunciarsi sul problema di sapere se la sostituzione delle opere di premunizione soppresse, ordinata nei progetti esecutivi, esaurisca nel concreto caso ogni pretesa di risarcimento dell'espropriato nella procedura espropriativa, oppure se, nonostante questa sostituzione, sussista ancora un pregiudizio risarcibile. La competenza ed il dovere della CFS di pronunciarsi in proposito sono espressamente ancorate nell'art. 64 cpv. 1 lett. c LEspr., secondo il quale la Commissione statuisce "sulle domande di indennità derivanti dall'obbligo di tutelare l'interesse pubblico e quello dei fondi vicini (art. 7)" (HESS, op.cit., ad
art. 7 LEspr
., ni. 3 e 39, pagg. 24 e 32). Tale competenza di principio stabilita dalla LEspr. non è toccata né modificata dalla LSN, che s'è limitata
BGE 104 Ib 348 S. 356
a disgiungere il procedimento di opposizione da quello di espropriazione, ed a limitare quest'ultimo al trattamento delle domande di indennità (cfr. sopra, consid. 2a in fine).
c) La Commissione di stima non ha d'altronde disatteso questo problema di principio, sì vero che essa, pur negando ogni risarcimento per il terreno delle golene espropriate, ha concesso un indennizzo per i pioppi che vi si trovavano. Essa ha ammesso pertanto che i fondi espropriati, oltre a costituire patrimonio amministrativo, erano almeno in linea di principio suscettibili di assicurare al Consorzio anche certe entrate finanziarie. Nel suo gravame, lo Stato non critica d'altronde la corresponsione di queste indennità. Se ne deve dedurre che la pretesa del Consorzio di ottenere un indennizzo anche per le golene, nella misura in cui avrebbero assicurato un reddito finanziario che le opere sostitutive più non dessero, non può esser respinta in limine per motivi di principio. Altra questione è evidentemente quella di sapere se la pretesa di indennizzo sia concretamente fondata, ed a quanto l'indennizzo ammonti, questioni sulle quali sarà possibile pronunciarsi soltanto previa istruttoria.
4.
Il terzo quesito concerne l'applicabilità del principio sancito dall'
art. 20 cpv. 2 LEspr
. al caso in esame, negata dalla Commissione, affermata invece nel ricorso dell'espropriante.
Come la CFS ha giustamente sottolineato, la regola dell'
art. 20 cpv. 2 LEspr
. non ha praticamente importanza in caso di espropriazione totale, perché gli oneri, il cui valore venale andrebbe dedotto da quello del fondo secondo questo disposto, non possono esser né diritti di pegno (che si estinguono con l'esproprio) né servitù gravanti sul fondo espropriato, del cui effetto sul valore venale dello stesso già va tenuto conto nel quadro dell'
art. 21 cpv. 1 LEspr
., e ciò indipendentemente dall'indennità che per la loro estinzione potessero richiedere gli aventi diritto a norma dell'
art. 23 LEspr
. (HEss, op.cit., ad art. 20, n. 7, pag. 66; ad art. 21, n. 1, pag. 68; ad
art. 23 LEspr
., n. 11 segg., pagg. 74/75). D'altronde, è superfluo esaminare oltre tale questione, perché gli oneri di cui l'espropriante vorrebbe si tenesse conto, non gravano sui fondi oggetti dell'esproprio, ma sono costituiti dai compiti che l'espropriato, nella sua qualità di corporazione del diritto pubblico, deve assolvere: compiti che - secondo il ricorso - sarebbero stati assolti parzialmente, a sgravio del Consorzio, dalle Strade Nazionali.
BGE 104 Ib 348 S. 357
Quel che l'espropriante vuol dedurre dall'indennizzo espropriativo è quindi in realtà un contributo del Consorzio all'opera eseguita dalle Strade Nazionali per i vantaggi che a questo Consorzio (e indirettamente ai suoi membri contribuenti) ridonderebbero dai lavori. È evidente che tale problema esorbita chiaramente dai limiti della controversia espropriativa, e che esso non può esser né posto, né risolto in codesta sede, ma eventualmente nel quadro - regolato dal diritto cantonale dei rapporti Stato-Consorzio, oppure in quello - regolato dalla LSN - della ripartizione delle spese per la costruzione delle strade nazionali. Anche sotto questo profilo, la critica di principio contenuta nel ricorso dell'espropriante si avvera pertanto infondata. | public_law | nan | it | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
68cbe88f-8518-405a-9e2b-73db0dd3b099 | Urteilskopf
124 III 341
60. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. Mai 1998 i.S. A. gegen C., Grundbuchamt Z. und Obergericht des Kantons Luzern (Verwaltunsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Eintragung eines Grundstückkaufs im Grundbuch; Prüfungsbefugnis des Grundbuchverwalters (
Art. 965 Abs. 3 ZGB
;
Art. 26 Abs. 2 GBV
).
Die Abklärung der Handlungsfähigkeit obliegt vorab der Urkundsperson. Der Grundbuchverwalter hat die Urteilsunfähigkeit des Verfügenden nur dann zu prüfen, wenn diese manifest ist, d.h. wenn sie sofort in die Augen springt oder der Schluss auf sicherem Wissen gründet (E. 2c/bb; Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 342
BGE 124 III 341 S. 342
Der Grundbuchverwalter von Z. wies mit Verfügung vom 3. April 1997 die Grundbuchanmeldungen Nr. 1 und 2 vom 10./13. Januar 1997 des C. betreffend Eintrag des Kaufvertrages und der Errichtung eines Inhaberschuldbriefes auf dem Hauptbuchblatt Nr. 3 ab. Er begründete seinen Entscheid damit, aufgrund eigener Kenntnis aus einem zurückliegenden Verfahren und nach zusätzlichen Erhebungen sei von der Urteilsunfähigkeit und somit von der fehlenden Handlungsfähigkeit der Veräusserer im Vertragszeitpunkt auszugehen.
Auf Beschwerde von C. hob die Justizkommission des Obergerichts des Kantons Luzern mit Entscheid vom 27. Oktober 1997 die Abweisungsverfügung des Grundbuchamtes Z. auf. Das Amt wurde angewiesen, die Grundbuchanmeldungen Nr. 1 und 2 im Grundbuch einzutragen, sofern die übrigen Voraussetzungen hierzu erfüllt seien.
A. hat gegen den Entscheid des Obergerichts Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht und beantragt dessen Aufhebung sowie Bestätigung der Verfügung vom 3. April 1997. Das Obergericht, der Beschwerdegegner und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (Bundesamt für Justiz) schliessen in ihren Vernehmlassungen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht weist die Verwaltunsgerichtsbeschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Obergericht führt (gestützt auf
BGE 112 II 26
E. 2) aus, der Grundbuchverwalter habe zwar zu prüfen, ob der Verfügende handlungsfähig sei; es gehe dabei aber nur um die formelle Seite, also darum, ob die Handlungsfähigkeit nicht zufolge Entmündigung,
BGE 124 III 341 S. 343
Verbeiratung oder vorläufigen Entzugs beschränkt sei. Ob der Verfügende urteilsfähig sei, habe der Grundbuchverwalter nicht zu prüfen; er wäre hierzu auch gar nicht in der Lage. Solange ein nach dem Grundbuch Verfügungsberechtigter nicht aufgrund eines förmlichen Entscheids der zuständigen Behörde in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt sei, habe der Grundbuchverwalter einer im übrigen ordnungsgemässen Anmeldung grundsätzlich Folge zu leisten (
BGE 117 II 541
E. 4 S. 545). Die Urteilsfähigkeit werde im Rechtsverkehr vermutet.
In tatsächlicher Hinsicht wird im angefochtenen Urteil festgehalten, gemäss Bestätigung der Vormundschaftsbehörde der Stadt W. vom 28. Januar 1997 sei mit Beschluss vom Vortag für die beiden Veräusserer eine Vertretungs- und Verwaltungsbeistandschaft im Sinne von
Art. 392 Ziff. 1 und
Art. 393 Ziff. 2 ZGB
errichtet worden. Der Kaufvertrag datiere vom 10. Januar 1997 und sei gleichentags beim Grundbuchamt zur Eintragung angemeldet worden. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor dem Notar habe somit noch keine vormundschaftliche Massnahme für die Verkäufer der Liegenschaft bestanden. Das Obergericht fährt fort, die erst nachträglich angeordnete Beistandschaft tangiere im übrigen laut
Art. 417 Abs. 1 ZGB
die Handlungsfähigkeit der beiden verbeiständeten Veräusserer nicht. Der beurkundende Notar habe ferner gegenüber dem Grundbuchamt bescheinigt, dass er anlässlich der Beurkundung des Kaufvertrages vom 10. Januar 1997 die Handlungsfähigkeit der Parteien überprüft habe. Die formellen Kriterien der Handlungsfähigkeit, welche der Grundbuchverwalter einzig habe prüfen müssen, seien vorliegend erfüllt gewesen.
2.
a) Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, es habe Bundesrecht verletzt, weil es unbesehen der Tatsache, dass er und seine inzwischen verstorbene Ehefrau nicht handlungs- und urteilsfähig gewesen seien, die Eintragung der Liegenschaft in das Grundbuch zum Preis von Fr. 600'000.-- (Schätzungswert Fr. 2'108'000.--) angeordnet habe. Dass ein aussergewöhnlicher Fall im Sinne von
BGE 112 II 26
vorliege, sei durch das gegen den Käufer eingeleitete Strafverfahren belegt. Es kann offen gelassen werden, ob die Ausführungen zur Strafuntersuchung nicht unzulässige Noven gemäss
Art. 105 Abs. 2 OG
darstellen (vgl. dazu
BGE 121 II 127
E. 2), denn die Beschwerde erweist sich als unbegründet.
b) Der Grundbuchführer hat im wesentlichen nur zu prüfen, ob die Formerfordernisse erfüllt sind (vgl.
Art. 965 Abs. 3 ZGB
; STEINAUER, Les droits réels, Bd. I, 3. Auflage, Rz. 846 S. 232).
BGE 124 III 341 S. 344
Dagegen hat er sich grundsätzlich nicht um den materiellen Bestand des vorgebrachten Rechtsgrundes zu kümmern; ob etwa ein Willensmangel zu einer Anfechtung des Rechtstitels Anlass geben könnte, hat der Grundbuchverwalter nicht zu beurteilen; immerhin hat er eine Anmeldung abzuweisen, wenn sich diese auf einen offensichtlich nichtigen Rechtstitel stützt (
BGE 114 II 324
E. 2b mit Hinweisen). Der Vorwurf des Beschwerdeführers, er sei übervorteilt worden, kann somit nicht im Beschwerdeverfahren gemäss
Art. 101 ff. GBV
(SR 211.432.1) überprüft werden (vgl. dazu auch DESCHENAUX, Das Grundbuch, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/3, I, S. 499; B. DEILLON-SCHEGG, Grundbuchanmeldung und Prüfungspflicht des Grundbuchverwalters im Eintragungsverfahren, Diss. Zürich 1997, S. 324 f.).
c) Der Beschwerdeführer macht jedoch weiter geltend, seine Urteilsunfähigkeit sei dem Grundbuchverwalter bekannt gewesen, weshalb dieser die Anmeldung zu Recht abgewiesen habe.
aa) Die Vermutung der Urteilsfähigkeit kann nicht von einer Behörde entkräftet werden, die zur Überprüfung der Bedingungen einer solchen Fähigkeit nicht in der Lage ist, insbesondere wenn ein Gutachten erforderlich ist (BUCHER, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, 2. Auflage Basel 1995, N. 92a S. 42; zur Vermutung der Urteilsfähigkeit siehe
BGE 124 III 5
E. 2b und zum Gutachten hierüber E. 1c und E. 2 ebd.). So hat denn der Grundbuchverwalter die Urteilsfähigkeit des Verfügenden grundsätzlich nicht zu untersuchen, ausser dann, wenn das Fehlen dieser Fähigkeit offensichtlich oder notorisch ist (BGE
BGE 112 II 26
E. 2 S. 30/31,
BGE 117 II 541
E. 4 S. 545).
bb) Gemäss § 26 des Gesetzes über die öffentlichen Beurkundungen des Kantons Luzern hat der Notar sich u.a. über die Fähigkeit der Parteien zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen möglichst zuverlässige Kenntnis zu verschaffen. Im vorliegenden Fall ist die Anmeldung durch die Urkundsperson erfolgt, welche die Beurkundung vorgenommen hat. Der Grundbuchverwalter konnte deshalb grundsätzlich davon ausgehen, der Notar habe geprüft, ob die Parteien handlungs- bzw. urteilsfähig seien. Die Abklärung der Handlungsfähigkeit obliegt vorab der Urkundsperson; der Grundbuchverwalter hat sie nur dann zu prüfen, wenn die Urteilsunfähigkeit einer Partei manifest ist (vgl. MÜLLER, Die neuste Rechtsprechung des Bundesgerichts in Grundbuchsachen, in: Der Bernische Notar 52/1991, S. 213). Im Gegensatz zum Grundbuchführer hat die Urkundsperson bei leichten Zweifeln an der Handlungsfähigkeit
BGE 124 III 341 S. 345
bzw. Urteilsfähigkeit einer Partei die Meinung eines Arztes, bei erheblichen Zweifeln ein eigentliches psychiatrisches Gutachten einzuholen. Die Prüfungspflicht und die Prüfungsbefugnis des Grundbuchführers ist diesbezüglich enger als diejenige der Urkundsperson (BRÜCKNER, Schweizerisches Beurkundungsrecht, Rz. 991 ff. und Fn zu Rz. 992, S. 297/298).
Der Grundbuchverwalter führt in seiner Abweisungsverfügung vom 3. April 1997 aus, er habe unmittelbar nach Eingang der Anmeldung den Notar aufgefordert, ihm ein Handlungsfähigkeitszeugnis über die Verkäuferschaft beizubringen. Zu diesem ungewöhnlichen Schritt habe er sich entschlossen, da er aus einem zurückliegenden Verfahren um den "angeschlagenen geistigen Gesundheitszustand der Verkäufer" gewusst habe. Nach dem angefochtenen Urteil hatte er deshalb am 13. Januar 1997 den Hausarzt ersucht, zur Handlungs- und Urteilsfähigkeit des Ehepaares Stellung zu nehmen. Die Antwort fiel negativ aus; und zum gleichen Befund führten die Untersuchungen in der psychiatrischen Poliklinik des Kantonsspitals W. Der Grundbuchführer hat jedoch im Eintragungsverfahren grundsätzlich allein gestützt auf die ihm vorgelegten Urkunden zu entscheiden (
BGE 112 II 26
E. 2 S. 29), und er hat die Eintragung so bald wie möglich nach der Anmeldung im Hauptbuch zu vollziehen (
Art. 26 Abs. 2 GBV
). Massgeblich für die Beurteilung der Urteilsfähigkeit ist der Zeitpunkt der Anmeldung. Es ist dem Grundbuchverwalter jedoch nicht verwehrt, bei seinem Entscheid Kenntnisse zu berücksichtigen, die ihm kraft seines Amtes zugekommen sind, sei dies aus dem Grundbuch selbst oder aus früherem Verkehr mit dem Anmeldenden. Ebenso kann er Tatsachen aus öffentlichen Registern beachten oder Auskünfte bei Administrativbehörden einholen. In all diesen Fällen erwirbt er Wissen aufgrund seiner amtlichen Stellung (vgl. dazu DESCHENAUX, a.a.O., S. 486; STEINAUER, a.a.O., N. 847a, S. 233). Der Grundbuchführer hat in seiner Verfügung nicht festgehalten, ihm sei die Urteilsunfähigkeit im Moment der Anmeldung bekannt gewesen. Er führt nur aus, er erinnere sich aus einem früheren Verfahren, dass die Verkäufer "gesundheitlich angeschlagen" seien; er hat denn auch die Anmeldung nicht sofort abgewiesen, sondern ein Handlungsfähigkeitszeugnis angefordert, wozu er im Zweifelsfalle befugt war (
BGE 112 II 26
E. 2 S. 29). Das Bundesgericht hat in diesem Entscheid weiter erwogen, der Grundbuchverwalter dürfe die Eintragung nur in aussergewöhnlichen Fällen ablehnen, z.B. wenn eine völlig betrunkene Person auf dem Grundbuchamt erscheine und dort eine Erklärung unterschreibe oder wenn die
BGE 124 III 341 S. 346
Urteilsfähigkeit des Verfügenden notorisch sei. Das kann nur heissen, dass ein Umstand vorliegen muss, der keiner weiteren Abklärungen durch den Grundbuchverwalter bedarf. Das Fehlen der Fähigkeit zu vernunftgemässem Handeln muss somit offensichtlich sein, wie etwa bei einem Kleinkind oder einer anerkannt geisteskranken Person; in diesen Fällen kann die Lebenserfahrung die Vermutung der Urteilsfähigkeit nicht begründen (BUCHER, a.a.O., N. 92, S. 42). Der Grundbuchverwalter darf also nur annehmen, eine Partei sei urteilsunfähig, wenn dies sofort in die Augen springt oder der Schluss auf sicherem Wissen gründet.
Im vorliegenden Fall hat der Grundbuchverwalter seine P rüfungsbefugnis überschritten, indem er zur Abklärung der Urteilsfähigkeit der Verfügenden um die Meinung des Hausarztes nachgesucht hat. Er hätte deshalb, da ein förmlicher Entscheid oder eine vorsorgliche Massnahme im Sinne von
Art. 386 Abs. 2 ZGB
nicht vorlag, die Anmeldung nicht zurückweisen dürfen. | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
68d8001d-527b-439f-8c3c-55be4671a51f | Urteilskopf
103 V 90
23. Urteil vom 5. September 1977 i.S. Z. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Art. 45 Abs. 1 IVG
.
- Die rechtskräftig entschiedene Frage, welche Renten in die Überversicherungsrechnung einzubeziehen sind, kann bei einer Neuberechnung der Überversicherung neu geprüft werden (Erw. I).
- Über die Anrechnung der IV-Zusatzrente für die geschiedene Frau und der IV-Kinderrente bei der Ermittlung der Überversicherung (Erw. II). | Sachverhalt
ab Seite 91
BGE 103 V 90 S. 91
A.-
Mit Urteil vom 24. Juni 1968 hat das Bezirksgericht Sissach die Ehe des bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) versicherten Eugen Z. geschieden und diesen verurteilt, der geschiedenen Frau Marcella Z.-T. einen Unterhaltsbeitrag gemäss
Art. 152 ZGB
von monatlich Fr. 150.-- und den vier unter die elterliche Gewalt der Mutter gestellten Kindern abgestufte Unterhaltsbeiträge von je Fr. 130.-- bzw. Fr. 150.-- zu bezahlen. Später hat sich der Beschwerdeführer Wieder verheiratet.
Am 6. März 1972 erlitt Eugen Z. einen Unfall, der vollständige Invalidität zur Folge hatte. Mit Verfügungen vom 1. August 1974 sprach ihm die Invalidenversicherung rückwirkend ab 1. März 1973 folgende Renten zu:
- ordentliche ganze einfache Invalidenrente Fr. 800.--
- ordentliche ganze Zusatzrente für die Ehefrau Fr. 280.--
- ordentliche ganze Zusatzrente für die geschiedene
Marcella Z.-T. Fr. 280.--
- ordentliche ganze einfache Kinderrente für das
1960 geborene Kind Eliane Z. Fr. 320.--
------------
total pro Monat Fr. 1'680.--
Ferner gewährte ihm auch die SUVA mit Wirkung ab 1. September 1974 eine Rente. Diese wurde auf monatlich Fr. 1'734.-- nebst 15% Teuerungszulage von Fr. 261.--, total somit auf Fr. 1'995.-- festgesetzt. Indessen kürzte die SUVA ihre Rente gestützt auf
Art. 45 IVG
wegen Überversicherung um Fr. 640.-- gemäss folgender Berechnung:
BGE 103 V 90 S. 92
- SUVA-Rente Fr. 1'995.--
- Invalidenrente Fr. 1'680.--
------------
zusammen Fr. 3'675.--
./. mutmasslich entgehender Verdienst Fr. 3'035.--
------------
Kürzung Fr. 640.-- Die gekürzte SUVA-Rente belief sich demnach auf Fr. 1'355.-- im Monat. Diese Rentenverfügung vom 23. September 1974 ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
B.-
Auf den 1. Januar 1975 wurden die IV-Renten im Rahmen der 8. AHV-Revision um 25% angehoben, woraus für Eugen Z. folgende Rentenbeträge resultierten:
- ordentliche ganze einfache Invalidenrente Fr. 1'000.--
- ordentliche ganze Zusatzrente für die Ehefrau Fr. 350.--
- ordentliche ganze Zusatzrente für die geschiedene
Marcella Z-.T. Fr. 350.--
- ordentliche ganze einfache Kinderrente für
das Kind Eliane Z. Fr. 400.--
------------
total pro Monat Fr. 2'100.--
Ebenfalls auf den 1. Januar 1975 erhöhte die SUVA die Teuerungszulage von 15% auf 25% oder Fr. 434.--, womit die ungekürzte SUVA-Rente auf Fr. 2'168.-- anstieg.
Im Rahmen der Neuberechnung der Überversicherung veranschlagte die SUVA den mutmasslich entgehenden Monatsverdienst des Eugen Z. auf Fr. 3'360.-- und ermittelte nun gemäss
Art. 45 IVG
eine Kürzung von Fr. 908.-- entsprechend folgender Berechnung:
- SUVA-Rente Fr. 2'168.--
- IV-Renten Fr. 2'100.--
------------
zusammen Fr. 4'268.--
./. mutmasslich entgehender Verdienst Fr. 3'360.--
------------
Kürzung Fr. 908.-- Demnach setzte die SUVA die um Fr. 908.-- gekürzte Rente mit Wirkung ab 1. Januar 1975 auf Fr. 1'260.-- im Monat fest (Verfügung vom 13. August 1975).
C.-
Gegen diese Verfügung liess Eugen Z. beim Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft Beschwerde einreichen und beantragen, die Kürzung der SUVA-Rente sei auf Fr. 158.-- zu reduzieren, womit sich ein Rentenbetreffnis von
BGE 103 V 90 S. 93
Fr. 2'010.-- ergäbe. Begründet wurden diese Anträge damit, dass die der geschiedenen Ehefrau und dem Kind Eliane zustehenden IV-Zusatzrenten von Fr. 350.-- bzw. 400.-- bei der Kürzungsberechnung nicht berücksichtigt werden dürften.
Die Vorinstanz ist entgegen dem Antrag der SUVA auf die Beschwerde eingetreten und hat diese mit Entscheid vom 14. Januar 1976 abgewiesen.
D.-
Mit der gegen diesen Entscheid erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Eugen Z. die erstinstanzlich gestellten Anträge erneuern.
Die SUVA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sofern auf diese überhaupt eingetreten werden könne.
Auf die Begründung der gestellten Anträge ist in den rechtlichen Erwägungen zurückzukommen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
I
I.1.
Unbestritten sind alle vorn aufgeführten ungekürzten Rentenbeträge und ebenso der zugrunde gelegte mutmasslich entgehende Verdienst. Der Beschwerdeführer anerkennt ferner, dass neben seiner SUVA-Rente (inkl. Teuerungszulage) seine ganze einfache IV-Rente sowie die Zusatzrente für seine jetzige Ehefrau in die Überversicherungsrechnung einzubeziehen sind. Streitig ist dagegen, ob die IV-Zusatzrente für die geschiedene Frau un die IV-Kinderrente bei dieser Rechnung mitberücksichtigt werden dürfen.
Die SUVA hat schon vor dem kantonalen Richter die Auffassung vertreten, bei dieser Streitfrage handle es sich um eine Grundsatzfrage, die mit ihrer unangefochtenen Verfügung vom 23. September 1974 endgültig und rechtskräftig entschieden sei, und zwar eben gemäss Inhalt jener Verfügung, wonach die heute streitigen Renten in die Berechnung einbezogen worden sind; es müsse hier analog verfahren werden wie bei Kürzungsentscheiden nach
Art. 98 Abs. 3 KUVG
, der vorschreibt, dass bei grobfahrlässiger Herbeiführung des Unfalles die Versicherungsleistungen in einem dem Verschuldensgrad entsprechenden Verhältnis zu kürzen sind; gemäss ständiger Praxis dazu (EVGE 1961 S. 111 und unveröffentlichtes
BGE 103 V 90 S. 94
Urteil vom 27. Dezember 1973 i.S. Chavaillaz) dürfe nicht mehr auf den einmal verfügten Kürzungssatz zurückgekommen werden. Die SUVA stellte deshalb dem kantonalen Versicherungsgericht den Antrag auf Nichteintreten.
Die Vorinstanz hat die Einrede der SUVA mit einlässlicher Begründung verworfen: Zwar gehe es auch im vorliegenden Fall um einen Grundsatzentscheid, weshalb man versucht sei, gleich zu verfahren wie im Zusammenhang mit
Art. 98 Abs. 3 KUVG
. Für die Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts zu diesem Artikel sei aber entscheidend gewesen, dass in einer Kürzungsverfügung nach
Art. 98 Abs. 3 KUVG
ein vergangener, abgeschlossener Sachverhalt beurteilt werden müsse, der sich nicht mehr ändere, und dass aufgrund dieses Sachverhalts die Frage nach der groben Fahrlässigkeit ein für allemal nach pflichtgemässem Ermessen entschieden werden könne; überdies müsse nach Auffassung des Eidg. Versicherungsgerichts berücksichtigt werden, dass der Beweis der groben Fahrlässigkeit mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Unfallereignis immer schwieriger werde. Im Fall Z. dagegen gehe es nicht um eine solche Tatfrage, sondern um eine reine Rechtsfrage, die zwar auch grundsätzlicher Natur sei, aber nicht in einem Prozentsatz zum Ausdruck komme, der den Leistungsumfang für alle Zukunft bestimme; im übrigen sei die neue Verfügung vom 13. August 1975 wegen einer Gesetzesänderung notwendig gewesen.
Der Beschwerdeführer pflichtet diesbezüglich der Vorinstanz bei: In der Überversicherungsrechnung müssten ständig alle Elemente neu überprüft werden. So sei namentlich der entgangene mutmassliche Verdienst eine variable Grösse; aber auch die IV-Renten seien in ihrer Höhe nicht konstant, weshalb jeweils bei jeder Änderung die ganze Überversicherungsrechnung in Frage gestellt werden könne. Es wäre daher stossend, einzelne dieser Elemente der Überprüfung zu entziehen. Im Gegensatz zur Kürzung nach
Art. 98 Abs. 3 KUVG
sei nicht ein in der Vergangenheit liegender, abgeschlossener Sachverhalt zu beurteilen, sondern es müsse von der jeweiligen neuen Situation ausgegangen werden.
In ihrer Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde hält die SUVA an ihrem Standpunkt fest. Vorzustandsverfügungen gemäss
Art. 91 KUVG
betrachte die Praxis zu Recht als abänderlich, weil dort die Verhältnisse, d.h.
BGE 103 V 90 S. 95
die Gewichtung von Unfallfolgen und Vorzustand im Verlaufe der Unfallbehandlung ständig fluktuierten. Hierzu sei aber der vorliegende Fall nicht analog, sondern vielmehr zu
Art. 98 Abs. 3 KUVG
. Wenn die Grundsatzfrage, welche Renten einzubeziehen sind, einmal entschieden sei, stehe eine zukünftige Änderung des Sachverhalts nicht mehr zur Diskussion; es ändere nur noch das Quantitativ, wie dies auch bei
Art. 98 Abs. 3 KUVG
der Fall sei. Es hätte wenig Sinn, ein und dieselbe Frage bei sich jährlich folgenden Überversicherungsentscheiden ständig neu zu prüfen. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei daher "korrekterweise nicht einzutreten".
I.2.
Der Nichteintretensantrag der SUVA ist offensichtlich unbegründet. Nachdem das kantonale Versicherungsgericht auf die Beschwerde eingetreten ist und diese abgewiesen hat, ist gegen diesen materiellen Entscheid die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Die Rügen der SUVA betreffen denn auch gar nicht diese Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sondern den vorinstanzlichen Entscheid. Sie könnten gar nicht geprüft werden, wenn auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eingetreten würde. Nach Auffassung der SUVA hätte die Vorinstanz die Beschwerde nicht materiell abweisen, sondern auf sie nicht eintreten sollen. In diesem Sinne ist ihr heutiger Antrag zu verstehen.
I.3.
a) Die SUVA macht geltend, wenn einmal die Grundsatzfrage entschieden sei, gehe es bei den periodisch sich wiederholenden Neuberechnungen der Überversicherung nur noch ums Quantitativ, und da habe es wenig Sinn, "ein und dieselbe Frage" jedesmal wieder neu aufzuwerfen.
Im Unterschied zu den Verhältnissen bei
Art. 98 Abs. 3 KUVG
geht es aber hier nicht notwendigerweise immer nur um das Quantitativ. Während mit dem Kürzungsentscheid nach Art. 98 Abs. 3 das massgebliche Verhältnis ein für allemal festgelegt wird, können sich bei der Überversicherung die Relationen zwischen den einzelnen Berechnungselementen wiederholt verschieben: Abgesehen von dem immer wieder neu festzusetzenden mutmasslichen Verdienst ist es möglich, dass einzelne der bisher einbezogenen Renten wegfallen, andere sich erhöhen oder neue Rentenarten hinzutreten. Dann verändert sich die Gewichtung der einzelnen Elemente, und die Rechtsfrage nach deren Einbezug in die Überversicherungsrechnung erhält eine
BGE 103 V 90 S. 96
ganz andere Dimension. Es ist dann eben nicht mehr "ein und dieselbe Frage". Wann eine solche Neugewichtung gerechtfertigt ist, lässt sich nicht generell und zum voraus festlegen. Der Versicherte muss die Möglichkeit haben, dies von Fall zu Fall durch den Richter beurteilen zu lassen. Deshalb kann die "Grundsatzfrage" nicht als ein für allemal rechtskräftig entschieden betrachtet werden.
b) Die vorliegenden Verhältnisse haben mehr Ähnlichkeit mit denjenigen des
Art. 91 KUVG
über die Leistungskürzung, wenn der Körperschaden nur teilweise die Folge eines versicherten Unfalles ist. Hier Wie dort können sich im Laufe der Zeit die massgebenden Relationen verschieben, dies im Gegensatz zu Art. 98 Abs. 3, wo eben - wie bereits dargelegt - die massgebliche Relation, ausgedrückt in einer aus einem abgeschlossenen Sachverhalt resultierenden Verhältniszahl, keine Änderungen mehr erfahren kann.
c) Schliesslich ist auch zu beachten, dass eine Verwaltungsverfügung grundsätzlich mit Beschwerde anfechtbar ist, und zwar bezüglich ihres gesamten Inhalts. Davon eine Ausnahme zu machen und einen Teil des Verfügungsinhalts der richterlichen Überprüfung zu entziehen, rechtfertigt sich nur bei besondern Verhältnissen. Solche bestehen im Zusammenhang mit
Art. 98 Abs. 3 KUVG
, dies hauptsächlich deshalb, weil hier aus einem einmaligen, in der Vergangenheit liegenden und abgeschlossenen Sachverhalt die rechtlichen Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Bei der Überversicherungsfrage ist keine derartige Ausnahmesituation gegeben.
d) Das kantonale Versicherungsgericht ist daher zu Recht auf die Beschwerde eingetreten. Es bleibt zu prüfen, ob es sie zu Recht auch abgewiesen hat.
II
II.1.
Materiell ist - wie in Erw. I/1 bereits erwähnt - streitig, ob die dem Beschwerdeführer von der Invalidenversicherung ausgerichtete Zusatzrente für die geschiedene Ehefrau und die Kinderrente für sein (nicht unter seiner elterlichen Gewalt stehendes) Kind Eliane bei der Überversicherungsrechnung gemäss
Art. 45 IVG
mitberücksichtigt werden müssen oder nicht.
BGE 103 V 90 S. 97
Art. 45 Abs. 1 bestimmt: Hat ein nach diesem Gesetz Rentenberechtigter Anspruch auf eine Rente der SUVA oder der Militärversicherung, so werden die Renten dieser Versicherungen gekürzt, soweit sie zusammen mit der Rente der Invalidenversicherung den entgangenen mutmasslichen Jahresverdienst übersteigen. Der Artikel spricht also ganz generell von "Rente der Invalidenversicherung". In Abs. 2 des
Art. 39bis IVV
, der sich auf
Art. 45 IVG
gründet, ist ebenfalls generell von "zusammenfallenden Renten" die Rede.
Art. 39bis Abs. 3 lit. b IVV
bestimmt ferner, dass nicht angerechnet Wird "der Betrag, den die Ehefrau des Versicherten vor Entstehen der Ehepaar-Invalidenrente als Invaliden- oder Altersrente unter Einschluss allfälliger Zusatzrenten bezogen hat". Dieser Abs. 3 schliesst also Renten, wie sie im vorliegenden Fall streitig sind, von der Anrechnung nicht aus. Bei wörtlicher Auslegung der zitierten Bestimmungen wären sämtliche "Renten" der Invalidenversicherung in die Überversicherungsrechnung einzubeziehen, insbesondere auch die Zusatzrenten für die geschiedene Frau und die Kinderrente für das nicht unter der elterlichen Gewalt des Invaliden stehende Kind.
Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, eine solche Lösung führe zu unhaltbaren Konsequenzen. Die SUVA ihrerseits räumt ein, dass die heutige Formulierung von IVG und IVV je nach Situation unbefriedigende Folgen habe und zu Unstimmigkeiten bei der Berechnung der Überversicherung führen könne; sie meint aber, es sei Sache des Gesetzgebers, diese Mängel zu beseitigen.
Es ist daher zu prüfen, ob und allenfalls welche Mängel eine wörtliche Auslegung des Gesetzes zeitigt und ob solche allfällige Mängel durch eine sinngemässe Auslegung des Gesetzes bzw. durch richterliche Lückenfüllung zu vermeiden sind oder ob die Lösung dem Gesetzgeber zu überlassen ist.
II.2.
Bezüglich der Ehepaar-Invalidenrente hat das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 100 V 83
erkannt, dass immer der ganze Rentenbetrag im Sinne von
Art. 45 Abs. 1 IVG
anzurechnen ist, also auch die auf die Ehefrau entfallende Rentenhälfte, selbst wenn die Ehefrau vom Teilungsanspruch gemäss
Art. 33 Abs. 3 IVG
(bzw.
Art. 22 Abs. 2 AHVG
) Gebrauch gemacht hat. Das Gericht stellte damals fest, dass das Rentensystem der AHV und Invalidenversicherung weitgehend
BGE 103 V 90 S. 98
der familienrechtlichen Konzeption des ZGB folgt und, was die versicherungsrechtliche Stellung Verheirateter betrifft, in besonderem Masse von der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht des Ehemannes (
Art. 160 Abs. 2 ZGB
) geprägt ist. Beansprucht die Ehefrau die Hälfte der Ehepaarrente in eigenem Namen, so darf sie diesen Rententeil nicht seiner Zweckbestimmung entfremden, sondern muss ihn ebenfalls für den Lebensunterhalt einsetzen, wodurch der Ehemann in diesem Rahmen von seinen Unterhaltspflichten entlastet wird.
Es besteht keine Veranlassung, diese Rechtsprechung zu ändern. Aber es ist zu beachten, dass sie sich auf Verheiratete bezieht und dass die Verhältnisse geschiedener Eheleute grundlegend anders geregelt sind. Zunächst entfällt bei diesen die umfassende Unterhaltspflicht des Mannes gegenüber der geschiedenen Frau. Sofern eine Leistungspflicht des Mannes überhaupt noch besteht, beschränkt sie sich auf einen Beitrag an den Unterhalt, und dieser Beitrag Wird vom Richter oder durch Konvention genau limitiert.
Neben diese zivilrechtliche Regelung der Unterhaltspflicht geschiedener Eheleute tritt die sozialversicherungsrechtliche:
Art. 34 Abs. 2 IVG
(bzw.
Art. 22bis Abs. 1 AHVG
) stellt die geschiedene Frau unter der Voraussetzung, dass sie für die ihr zugesprochenen Kinder überwiegend aufkommt und selber keine Invalidenrente beanspruchen kann, der Ehefrau gleich und sieht für sie ebenfalls eine Zusatzrente gemäss
Art. 34 Abs. 1 IVG
vor. Diese Zusatzrente ist für den Unterhalt der geschiedenen Frau, die für das ihr zugesprochene Kind überwiegend aufkommt, bestimmt, weshalb es nichts ändert, ob sie dem geschiedenen Ehemann ausbezahlt und von diesem weitergeleitet wird oder ob die Frau auf Grund von
Art. 34 Abs. 3 IVG
(bzw.
Art. 22bis Abs. 2 AHVG
) erreicht hat, dass ihr die Zusatzrente direkt ausbezahlt wird. In jedem Fall bleibt die soziale Zweckbestimmung dieser Rente gleich, nämlich die Bestreitung des Unterhalts der für ihr Kind sorgenden geschiedenen Frau und nicht des Unterhalts des geschiedenen Ehemannes. Sie tritt daher auch nicht an die Stelle der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht des geschiedenen Mannes. Im Gegensatz zu den Verhältnissen in der bestehenden Ehe führt also die Zusatzrente für die geschiedene Frau in der Regel zu keiner Entlastung des geschiedenen Mannes.
BGE 103 V 90 S. 99
Die Zusatzrente soll aber anderseits auch nicht eine Belastung im Sinne einer finanziellen Schlechterstellung des geschiedenen Mannes zur Folge haben. Im Normalfall ist eine solche Wirkung zwar nicht zu befürchten: Der geschiedene Ehemann, der nur von der Invalidenversicherung eine Rente bezieht, wird von der Zusatzrente für seine geschiedene Frau finanziell nicht berührt, weil diese Zusatzrente entweder direkt an die geschiedene Frau geht oder beim Ehemann nur transitorisch in Erscheinung tritt. Ganz anders verhält es sich aber, wenn der geschiedene Ehemann neben der Invalidenrente noch eine SUVA-Rente (oder MV-Rente) bezieht. Der Wortlaut des
Art. 45 IVG
führt dann dazu, dass die Invalidenversicherung zugunsten der geschiedenen Frau eine Leistung erbringt und damit auf Kosten des geschiedenen Mannes die SUVA entlastet. Denn der geschiedene Ehemann muss sich den Betrag der Zusatzrente, die (direkt oder indirekt) der geschiedenen Frau zukommen soll, bei der Ermittlung der Überversicherung anrechnen und damit von der SUVA-Rente abziehen lassen. Die SUVA-Rente wäre um den Betrag der Zusatzrente höher, wenn die Invalidenversicherung für die Ehefrau keine Leistung erbringen müsste.
Diese Überlegungen gelten sinngemäss auch bei der Ausrichtung einer Kinderrente der Invalidenversicherung (
Art. 35 IVG
) für das der Mutter zugesprochene Kind.
II.3.
Es ergibt sich somit, dass die wörtliche Anwendung des
Art. 45 Abs. 1 IVG
zu stossenden Konsequenzen führt.
Art. 45 IVG
bezweckt, dass dem Invaliden nicht mehr als sein gesundheitlich bedingter Erwerbsausfall ersetzt wird. Es soll vermieden werden, dass er sich finanziell besser stellt, als wenn er nicht invalid geworden wäre. Darüber hinaus darf diese Gesetzesbestimmung nicht zur Folge haben, dass sich eine andere Gesetzesbestimmung, nämlich
Art. 34 IVG
(bzw.
Art. 22bis AHVG
) unsozial auswirkt, obschon sie einen sozialen Zweck verfolgt. Die Gesetzesauslegung darf ferner nicht zu widersprüchlichen, zufälligen und stossenden Resultaten führen.
Die wörtliche Anwendung des
Art. 45 Abs. 1 IVG
widerspricht somit dem Sinn und Zweck des Sozialversicherungsrechts. Eine sinngemässe Auslegung des Art. 45 in Verbindung mit
Art. 34 IVG
(bzw.
Art. 22bis AHVG
) führt anderseits
BGE 103 V 90 S. 100
dazu, Zusatzrenten für geschiedene Frauen und Kinderrenten für Kinder, die der Mutter zugesprochen sind und von dieser überwiegend unterhalten werden, insoweit von der Anrechnung auszunehmen, als eine solche Anrechnung eine vom Gesetz nicht gewollte Schlechterstellung des geschiedenen Mannes zur Folge hätte. Damit werden die Mängel und Nachteile, die sich notwendigerweise aus einer wörtlichen Anwendung des
Art. 45 Abs. 1 IVG
ergeben, vermieden.
Da sich der Sinn der fraglichen Bestimmungen dem Gesetze selber entnehmen lässt, hat man es nicht mit einer Gesetzeslücke zu tun, die vom Richter zu füllen wäre. Eine solche echte Gesetzeslücke liegt nur vor, wenn das Gesetz eine sich unvermeidlicherweise stellende Rechtsfrage nicht direkt beantwortet und die Lösung auch nicht aus der sinngemässen Auslegung des Gesetzes resultiert (
BGE 100 Ib 157
Erw. 5 b,
BGE 99 V 21
Erw. 2). Wie dargelegt, ergibt sich aber die Antwort auf die heute zu beantwortende Rechtsfrage aus der sinngemässen Interpretation des Gesetzes.
II.4.
Vorliegend stellt sich also die Frage, ob und allenfalls inwieweit der Beschwerdeführer durch die von der Invalidenversicherung gewährte Zusatzrente für die geschiedene Frau und durch die IV-Kinderrente entlastet wurde.
Im Scheidungsurteil aus dem Jahre 1968 konnten diese Renten noch nicht berücksichtigt worden sein. Dass seit Zusprechung jener Renten vom Beschwerdeführer erfolgreich ein Verfahren auf Alimentenherabsetzung durchgeführt worden wäre, wird von keiner Seite behauptet und ist anhand der Akten nicht anzunehmen.
Es fragt sich somit, ob der Beschwerdeführer die für die geschiedene Frau und für das Kind Eliane bestimmten Renten vollumfänglich weitergeleitet und auch die Unterhaltsbeiträge gemäss Scheidungsurteil regelmässig überwiesen hat. Träfe dies zu, so wären die streitigen Renten der Invalidenversicherung nicht in die Überversicherungsrechnung einzubeziehen. Die SUVA hat hierüber verständlicherweise keine Abklärungen getroffen, und eine Rückfrage des Eidg. Versicherungsgerichts beim Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ergab kein hinreichend zuverlässiges Resultat. Es wird Sache der SUVA sein, dies näher abzuklären und alsdann über den Rentenanspruch bzw. über eine allfällige Kürzung gemäss
Art. 45 Abs. 1 IVG
und den heutigen Erwägungen neu zu verfügen.
BGE 103 V 90 S. 101
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinn gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 14. Januar 1976 sowie die SUVA-Verfügung vom 13. August 1975 aufgehoben werden und die Sache an die SUVA zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
68d84d8a-ba25-479c-b778-f2271732bf8a | Urteilskopf
124 IV 73
12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. April 1998 i.S. C.S. und H.S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 3 UWG
und
Art. 23 UWG
;
Art. 4 LG
und
Art. 38 LG
;
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
,
Art. 7 Abs. 1 StGB
und
Art. 333 Abs. 1 StGB
.
Werbe- und Verkaufsmethoden durch Versand von Werbematerial, Bestellscheinen und Waren von der Schweiz aus fallen auch dann unter den Anwendungsbereich der Strafbestimmungen des UWG, wenn sie ausschliesslich auf Kunden im Ausland zielen (E. 1).
Die zwecks Durchführung von lotterieähnlichen Preisausschreiben in der Schweiz vorgenommenen Handlungen fallen auch dann unter den Anwendungsbereich der Strafbestimmung des Lotteriegesetzes, wenn ausschliesslich Personen im Ausland an den Werbegewinnspielen teilnehmen können (E. 2a und b). | Sachverhalt
ab Seite 74
BGE 124 IV 73 S. 74
A.-
C.S. und H.S. waren Gesellschafter der Firma X. mit Hauptsitz in Staad/SG. C.S. war der Geschäftsführer, H.S. war teilzeitlich vor allem im kaufmännischen Bereich des Unternehmens tätig. Die X. betrieb unter anderem für Firmen mit Sitz in Costa Rica und in Nassau/Bahamas die EDV-mässige Verarbeitung von Warenbestellungen, die Auslieferung von Waren und das Inkasso. Sie stellte diesen beiden Unternehmen, die seit ca. 1989 per Post verschiedene Werbegewinnspiele in Deutschland, Polen und in der damaligen Tschechoslowakei veranstalteten, ihre schweizerische Postfachadresse zur Verfügung und wirkte an der Durchführung dieser Veranstaltungen mit.
B.-
Das Bezirksgericht Unterrheintal sprach C.S. und H.S. am 21. Juni 1995 der Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG, SR 241; im Sinne von Art. 23 i.V.m. Art. 3 lit. b und lit. h) sowie der Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten (LG, SR 935.51; Art. 38 i.V.m.
Art. 43 Ziff. 2 der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten [LV; SR 935.511]
) schuldig und bestrafte sie mit sechs Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von vier Jahren, und mit 50'000 Franken Busse.
Das Kantonsgericht St. Gallen reduzierte mit Urteil vom 11. November 1997 die von der 1. Instanz festgesetzten Probezeiten auf zwei Jahre und wies im übrigen die Berufungen der Verurteilten ab.
C.-
C.S. und H.S. führen in einer gemeinsamen Eingabe eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
1.
a) Gemäss den Ausführungen im angefochtenen Urteil waren die ausländischen Kunden aufgrund der von den Beschwerdeführern zur Verfügung gestellten Postfachadresse und deren Kundenkontakten von der Schweiz aus der Meinung, hinter den Werbegewinnspielen stehe eine schweizerische (seriöse) Unternehmung, während in Tat und Wahrheit Gesellschaften von den Bahamas und Costa Rica verantwortlich zeichneten. Diese Irreführung über die Person und Identität der Werbenden sei unlauter im Sinne von
Art. 3 lit. b UWG
, wonach unter anderem unlauter handelt, wer über sich,
BGE 124 IV 73 S. 75
seine Firma, seine Geschäftsbezeichnung unrichtige oder irreführende Angaben macht. Ebenfalls unlauter im Sinne dieser Bestimmung handelten die Beschwerdeführer gemäss den weiteren Ausführungen im angefochtenen Entscheid dadurch, dass sie irreführende Angaben über die Gewinnchancen und damit über die Leistungen des Wettbewerbsveranstalters machten. Die Vorinstanz wirft in Übereinstimmung mit der 1. Instanz den Beschwerdeführern zudem vor, sie hätten die Adressaten im Ausland im Sinne von
Art. 3 lit. h UWG
durch besonders aggressive Verkaufsmethoden in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. Zwar habe kein Kaufzwang bestanden, doch seien die Bedingungen zur Teilnahme an den Werbegewinnspielen auf einen solchen hinausgelaufen. Der Prospekt habe den Eindruck vermittelt, dass sich eine Warenbestellung nur positiv auf die Gewinnchancen auswirken könne. Zudem seien die Adressaten zur sofortigen Retournierung des Gewinn-Zertifikats (mit Bestellschein) aufgefordert worden, so dass ihnen kaum Zeit zum Überlegen und Überprüfen der Unterlagen geblieben sei. Wer ohne Warenbestellung am Gewinnspiel habe teilnehmen wollen, habe DM 2.- in Briefmarken beilegen müssen und den letztlich gewonnenen Warengutschein nur bei Bestellung eines wesentlich teureren Produkts einlösen können, was ebenfalls als besonders aggressive Verkaufsmethode im Sinne von
Art. 3 lit. h UWG
zu qualifizieren sei.
b) Die Beschwerdeführer machen geltend, das UWG sei nicht anwendbar, da sie ausschliesslich Kunden im Ausland (Deutschland, Polen, damalige Tschechoslowakei) durch direkt adressierte Schreiben angesprochen hätten und Kunden in der Schweiz unstreitig nicht betroffen seien. Der Hinweis der Vorinstanz auf das Territorialitätsprinzip gemäss
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
, welches nach
Art. 333 Abs. 1 StGB
auch für das UWG gelte, greife zu kurz. Er führe im Grunde dazu, den Anwendungsbereich des UWG auf das Gebiet unter anderem der Bundesrepublik Deutschland auszudehnen, wo ein Verhalten der hier inkriminierten Art nicht strafbar sei. Dadurch werde zudem der schweizerische Anbieter gegenüber deutschen Anbietern benachteiligt. Nach Ansicht der Beschwerdeführer käme höchstens eine stellvertretende Strafverfolgung in der Schweiz unter den in Art. 85 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) genannten Voraussetzungen in Betracht, wobei gemäss
Art. 86 Abs. 2 IRSG
das mildere ausländische Recht anwendbar wäre.
c) aa) Gemäss
Art. 333 Abs. 1 StGB
finden die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches auf Taten, die in andern
BGE 124 IV 73 S. 76
Bundesgesetzen mit Strafe bedroht sind, insoweit Anwendung, als diese Bundesgesetze nicht selbst Bestimmungen aufstellen. Das UWG enthält keine Vorschriften über den räumlichen strafrechtlichen Geltungsbereich. Daher sind
Art. 3-7 StGB
anwendbar (siehe auch PEDRAZZINI, Unlauterer Wettbewerb, 1992, S. 265). Nach
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
ist diesem Gesetz unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder ein Vergehen verübt. Gemäss
Art. 7 Abs. 1 StGB
gilt ein Verbrechen oder ein Vergehen als da verübt, wo der Täter es ausführt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist. Von der Schweiz aus vorgenommene Werbe- und Verkaufsmethoden fallen mithin auch dann unter
Art. 3 UWG
, wenn sie sich ausschliesslich gegen Kunden im Ausland richten. Weder das UWG noch das StGB noch das IRSG enthalten eine Art. 136 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291) entsprechende Bestimmung, wonach (zivilrechtliche) Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb dem Recht des Staates unterstehen, auf dessen Markt die unlautere Handlung ihre Wirkung entfaltet (sogenanntes Auswirkungsprinzip). Die Voraussetzungen einer stellvertretenden Strafverfolgung in der Schweiz unter Anwendung des allenfalls milderen ausländischen Rechts gemäss Art. 85 f. IRSG sind entgegen der Meinung der Beschwerdeführer schon deshalb nicht erfüllt, weil die inkriminierten Straftaten nicht im Sinne von
Art. 85 IRSG
im Ausland, sondern in der Schweiz begangen worden sind.
bb) Dass auch von der Schweiz aus vorgenommene Werbe- und Verkaufsmethoden, die ausschliesslich auf Kunden im Ausland zielen, unter Art. 23 i.V.m.
Art. 3 UWG
fallen können, ergibt sich im übrigen auch aus den Ausführungen in der bundesrätlichen Botschaft zum Klagerecht des Bundes gemäss
Art. 10 Abs. 2 lit. c UWG
(BBl 1992 I 355 ff.). In der Botschaft wird festgehalten, dass seit Jahren unseriöse Firmen den guten Ruf der Schweiz für die weltweite Verbreitung ihrer zweifelhaften Angebote von Telex- und Telefaxverzeichnissen, privaten Patent- und Markenregistern usw. missbrauchen. Zum Teil hätten diese Firmen ihren Sitz tatsächlich in der Schweiz, zum Teil operierten sie mittels Postfachadressen von der Schweiz aus. Unternehmen in Ländern, die einen strengeren Betrugstatbestand als die Schweiz kennen, verstünden nicht, weshalb die Schweizer Behörden gegenüber solchen Machenschaften nicht von Amtes wegen einschritten. In jüngster Zeit werde der Absender Schweiz zudem für unlautere Werbegewinnspiele und Werbesendungen im Gebiet der ehemaligen DDR missbraucht. Auch diese Art von Vertriebsmethoden bringe das Ansehen der
BGE 124 IV 73 S. 77
Schweiz im Ausland in Verruf. Da einerseits in diesen Fällen ein von Amtes wegen zu verfolgender Betrug mangels der erforderlichen Arglist selten vorliege und andererseits die betroffenen Unternehmen und Kunden im Ausland auf eine Zivil- oder Strafklage in der Schweiz wegen des damit verbundenen beträchtlichen Aufwands verzichteten, fehle ein wirksamer Rechtsschutz. Um gegen Praktiken der genannten Art vorgehen zu können, werde dem Bund ein Klagerecht und damit auch das Strafantragsrecht eingeräumt (S. 356 ff.). Unlautere Werbe- und Verkaufsmethoden dieser Art gegenüber Personen im Ausland, die das Ansehen der schweizerischen Wirtschaft in Verruf bringen, wirken sich indirekt auch auf die Wettbewerbsstellung von seriösen Schweizer Unternehmen nachteilig aus.
cc) Die den Beschwerdeführern zur Last gelegten Werbe- und Verkaufsmethoden fallen somit nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanz unter die Strafbestimmungen des UWG, auch wenn sie ausschliesslich auf Kunden im Ausland (Deutschland, Polen, damalige Tschechoslowakei) zielten.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher in diesem Punkt abzuweisen.
d Dass das inkriminierte Verhalten auch im Falle der Anwendung des UWG die Straftatbestände von Art. 23 i.V.m. Art. 3 lit. b und lit. h nicht erfülle, machen die Beschwerdeführer nicht geltend.
2.
a) Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, auch das Lotteriegesetz sei nicht anwendbar, da sie die Unterlagen betreffend die Preisausschreiben ausschliesslich direkt an Personen im Ausland adressiert hätten und somit eine Teilnahme von Personen in der Schweiz an den fraglichen Veranstaltungen ausgeschlossen gewesen sei. Eine Bestrafung käme daher nur in Betracht, wenn diese Veranstaltungen auch nach dem entsprechenden ausländischen Recht verboten und strafbar seien, was nicht zutreffe.
b) Nach
Art. 38 Abs. 1 LG
macht sich strafbar, wer eine durch dieses Gesetz verbotene Lotterie ausgibt oder durchführt. Untersagt sind gemäss
Art. 4 LG
die Ausgabe und die Durchführung einer durch dieses Gesetz verbotenen Lotterie. Die Durchführung einer Lotterie umfasst die dem Lotteriezweck dienenden Handlungen, wie die Ankündigung oder Bekanntmachung einer Lotterie, die Ausgabe der Lose, die Empfehlung, das Feilbieten, die Vermittlung und den Verkauf von Losen, Coupons oder Ziehungslisten, die Losziehung, die Ausrichtung der Gewinne, die Verwendung des Ertrages. Die Beschwerdeführer wirkten in mehrfacher Hinsicht in der Schweiz
BGE 124 IV 73 S. 78
an der Abwicklung der Werbegewinnspiele mit. Sie stellten den ausländischen Veranstaltern ein Postfach zur Verfügung, holten die eingegangene Post ab, sortierten und bearbeiteten diese und benachrichtigten die Gewinner; sie besorgten das Inkasso, leiteten Checks und Geld weiter und übernahmen, zusammen mit einem deutschen Verlag, die Organisation des Gewinnversands. Damit nahmen die Beschwerdeführer in der Schweiz Durchführungshandlungen im Sinne von
Art. 4 LG
vor und fallen sie daher gemäss Art. 333 Abs. 1 i.V.m.
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 und
Art. 7 Abs. 1 StGB
unter den Anwendungsbereich von
Art. 38 LG
. Daran ändert nichts, dass nur Personen im Ausland an den Werbegewinnspielen teilnehmen konnten. Das Lotteriegesetz will nach seinem Sinn und Zweck nicht nur verhindern, dass Personen in der Schweiz an verbotenen Lotterien und lotterieähnlichen Unternehmungen teilnehmen, sondern es will auch verhindern, dass auf dem Gebiet der Schweiz verpönte Lotterien und lotterieähnliche Unternehmungen, für wen auch immer, ausgegeben und durchgeführt werden.
Dass das inkriminierte Verhalten auch bei Anwendung des Lotteriegesetzes den Tatbestand von
Art. 38 Abs. 1 LG
nicht erfülle, machen die Beschwerdeführer nicht geltend.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit auch in diesem Punkt abzuweisen. | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68df9d19-a830-4a78-919e-b52a8b1a9625 | Urteilskopf
125 I 276
26. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. Juni 1999 i.S. X. gegen Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Verbot der selbständigen Berufsausübung als Zahnprothetiker;
Art. 31 BV
; Art. 2 und 4 Binnenmarktgesetz.
Ein Verbot der selbständigen Berufsausübung als Zahnprothetiker ist mit
Art. 31 BV
vereinbar (E. 3).
Auf
Art. 2 BGBM
kann sich berufen, wer von seinem Sitz aus in anderen Kantonen Waren oder Dienstleistungen anbieten will, nicht aber, wer sich in einem anderen Kanton niederlassen will (E. 4).
Auf
Art. 4 BGBM
kann sich nicht berufen, wer einen ausserkantonalen Fähigkeitsausweis besitzt für einen Beruf, der als solcher im Kanton, in dem er sich niederlassen will, gar nicht erlaubt ist (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 276
BGE 125 I 276 S. 276
F. erwarb 1981 den zürcherischen kantonalen Fähigkeitsausweis als Zahnprothetiker und betreibt seither eine Praxis für Zahnprothetik in H. (Kt. Zürich). Sein Wohnsitz ist in O. (Kt. Graubünden). Am 22. August 1997 reichte F. beim Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement des Kantons Graubünden ein Gesuch um Erteilung einer Berufsausübungsbewilligung als Zahnprothetiker ein. Das Departement wies das Gesuch am 23. Februar 1998 ab, da
BGE 125 I 276 S. 277
der Beruf des Zahnprothetikers in der kantonalen Gesetzgebung nicht vorgesehen sei.
Dagegen erhob F. Rekurs an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, wobei er geltend machte, die Nichtzulassung verstosse gegen das Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über den Binnenmarkt (Binnenmarktgesetz, BGBM; SR 943.02). Das Verwaltungsgericht wies den Rekurs mit Urteil vom 10. Juni 1998 ab. Es erwog, das im Kanton Graubünden geltende Verbot der selbständigen Tätigkeit als Zahnprothetiker erfülle die Voraussetzungen von
Art. 3 BGBM
und sei deshalb nicht bundesrechtswidrig.
F. erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Angelegenheit zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Er rügt eine Verletzung von
Art. 4 und 31 BV
sowie von Art. 2 ÜbBest. BV in Verbindung mit
Art. 2-4 BGBM
.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
3.
a) Unter dem Schutz des
Art. 31 BV
steht jede gewerbsmässig ausgeübte, privatwirtschaftliche Tätigkeit, die der Erzielung eines Gewinnes oder Erwerbseinkommens dient (
BGE 124 I 310
E. 3a S. 313;
BGE 123 I 212
E. 3a S. 217; je mit Hinweisen), somit auch die gewerbsmässige Tätigkeit als Zahnprothetiker.
Art. 31 BV
behält jedoch in Abs. 2 kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerben vor. Solche Einschränkungen können dem Schutz der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit, Sittlichkeit und Sicherheit oder von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr dienen (
BGE 124 I 310
E. 3a S. 313;
BGE 118 Ia 175
E. 1 S. 176 f.;
BGE 114 Ia 34
E. 2a S. 36). Unzulässig sind wirtschaftspolitische oder standespolitische Massnahmen, die den freien Wettbewerb behindern, um gewisse Gewerbezweige oder Bewirtschaftungsformen zu sichern oder zu begünstigen. Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit bedürfen sodann einer gesetzlichen Grundlage, müssen durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit sowie der Rechtsgleichheit wahren (
BGE 124 I 310
E. 3a S. 313;
BGE 123 I 12
E. 2a S. 15, 212 E. 3a S. 217; je mit Hinweisen).
b) Vorliegend besteht - wie der Beschwerdeführer mit Recht nicht bestreitet - eine gesetzliche Grundlage dafür, dass die selb- ständige Ausübung von Berufen des Gesundheitswesens einer
BGE 125 I 276 S. 278
Bewilligung bedarf, wobei eine Bewilligung für Zahnprothetiker jedoch nicht vorgesehen ist (Art. 45 ff. des kantonalen Gesundheitsgesetzes vom 2. Dezember 1984).
c) Das Bundesgericht hat bereits in einem nicht publizierten Urteil vom 18. November 1988 i.S. L. (E. 4a-c) entschieden, dass eine kantonale Regelung, welche die selbständige Ausübung der Tätigkeit als Zahnprothetiker nicht zulässt, mit Gründen des öffentlichen Interesses gerechtfertigt werden kann und verhältnismässig ist. Es hat erwogen, der Zahnprothetiker müsste, wenn er selbständig tätig wäre, Patienten selber untersuchen und Diagnose stellen können. Er sei dafür jedoch nicht so gut ausgebildet wie ein Zahnarzt: Seine Ausbildung für die Arbeit am Patienten dauere nur 400 Stunden. Dieser Unterschied werde auch durch die Berufserfahrung des Zahnprothetikers als Zahntechniker nicht aufgewogen, da diesem nicht erlaubt sei, in seinem Beruf derartige Arbeiten auszuführen. Dieser Entscheid wurde in einem Urteil vom 8. März 1994 bestätigt (ZBl 96/1995 S. 28, E. 3d/dd und E. 4). Wenn der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, dass Zahnprothetiker ja nur in einem Teilbereich tätig sein müssten und in diesem Bereich ihre Ausbildung derjenigen der Zahnärzte ebenbürtig sei, so übersieht er, dass die Untersuchung und Diagnose, die mit einer zahnprothetischen Tätigkeit in Verbindung steht, umfassenderes zahnmedizinisches Wissen verlangt. Zudem kann die Tätigkeit am Patienten für diesen mit bestimmten gesundheitlichen Risiken verbunden sein, die zu erkennen und zu vermeiden eine medizinische Ausbildung voraussetzt (vgl. bezüglich Dentalhygiene
BGE 116 Ia 118
E. 5 S. 123 f.). Die bündnerische Regelung verstösst somit nicht gegen
Art. 31 BV
.
d) Dass andere Kantone die selbständige Tätigkeit als Zahnprothetiker zulassen, ändert daran nichts. Die Kantone können in ihren Zuständigkeitsbereichen innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken unterschiedliche Regelungen erlassen (vgl. 122 I 44 E. 3b/cc S. 47;
120 Ia 126
E. 6c S. 145). Eine gesetzliche Vorschrift ist nicht allein deshalb schon verfassungswidrig, weil andere Kantone eine andere Lösung getroffen haben.
4.
Es fragt sich, ob das seit dem 1. Juli 1996 in Kraft stehende Binnenmarktgesetz an dieser bisherigen Rechtslage etwas geändert hat. Der Beschwerdeführer rügt pauschal eine Verletzung der
Art. 2-4 BGBM
. Diese Bestimmungen betreffen unterschiedliche Tatbestände.
a) Nach
Art. 2 Abs. 1 BGBM
hat jede Person das Recht, Waren, Dienstleistungen und Arbeitsleistungen auf dem gesamten Gebiet
BGE 125 I 276 S. 279
der Schweiz anzubieten, soweit die Ausübung der betreffenden Erwerbstätigkeit im Kanton oder der Gemeinde ihrer Niederlassung bzw. ihres Sitzes zulässig ist. Der Gesetzgeber wollte damit das im EG-Recht geltende sogenannte Cassis-de-Dijon-Prinzip verankern, wonach ein Produkt, welches den in einem Land geltenden Anforderungen entspricht, auch in anderen Ländern vertrieben werden darf (vgl. Botschaft zum Binnenmarktgesetz, BBl 1995 I 1213, 1257, 1263 f.). Einschränkungen dieses Grundsatzes sind zwar möglich, müssen jedoch die Voraussetzungen von
Art. 3 BGBM
erfüllen.
Art. 2 und 3 BGBM
enthalten insoweit eine Präzisierung und Konkretisierung der seit je in
Art. 31 BV
enthaltenen interkantonalen Komponente der Handels- und Gewerbefreiheit (vgl.
BGE 122 I 109
E. 4c/d S. 117 f., mit Hinweisen; THOMAS COTTIER/BENOÎT MERKT, La fonction fédérative de la liberté du commerce et de l'industrie et la loi sur le marché intérieur suisse: l'influence du droit européen et du droit international économique, Festschrift Aubert, Basel 1996, S. 449-471, 459; VINCENT MARTENET/CHRISTOPHE RAPIN, Le marché intérieur suisse, Bern 1999, S. 9; RENÉ RHINOW, Kommentar BV, Rz. 52 ff. zu Art. 31; KILIAN WUNDER, Die Binnenmarktfunktion der schweizerischen Handels- und Gewerbefreiheit im Vergleich zu den Grundfreiheiten in der Europäischen Gemeinschaft, Diss. Basel 1998, S. 124 ff.).
b) Voraussetzung, damit der in
Art. 2 BGBM
gewährleistete freie Zugang zum Markt überhaupt zum Tragen kommt, ist jedoch, dass die angebotene Ware oder Dienstleistung im Kanton, in welchem die anbietende Person ihren Sitz oder ihre Niederlassung hat, zulässig ist (vgl. Karl Weber, Das neue Binnenmarktgesetz, Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1996 S. 164-176, 166). Das ergibt sich aus dem 2. Halbsatz von
Art. 2 Abs. 1 BGBM
und wird in Abs. 3 Satz 1 noch verdeutlicht. Unter Sitz oder Niederlassung ist dabei der Geschäftssitz oder die Geschäftsniederlassung zu verstehen. Das Binnenmarktgesetz regelt die Rechtsstellung von auswärtigen Anbietern im interkantonalen bzw. interkommunalen Verhältnis, nicht aber diejenige der Ortsansässigen (BBl 1995 I 1285; THOMAS COTTIER/MANFRED WAGNER, Das neue Bundesgesetz über den Binnenmarkt [BGBM], AJP 1995 S. 1582-1590, 1583). Es bezieht sich mit andern Worten auf den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr: Dafür ist unter Vorbehalt von
Art. 3 BGBM
das Herkunftsprinzip, das heisst das Recht des Herkunftskantons, massgebend. Hingegen gilt der freie Zugang nicht für die Niederlassung. Wer sich in einem Kanton niederlassen
BGE 125 I 276 S. 280
will, hat sich nach dem dort geltenden Recht zu richten und kann sich nicht darauf berufen, in einem anderen Kanton würden für eine entsprechende Niederlassung andere Regeln gelten. Das ergibt sich auch aus
Art. 3 Abs. 1 BGBM
, welcher sich nur auf die für ortsfremde - das heisst nicht im Kanton niedergelassene - Anbieter geltenden Einschränkungen bezieht. Die interkantonale Niederlassungsfreiheit wird in der Schweiz durch
Art. 45 BV
und in Bezug auf gewerbliche Niederlassungen durch
Art. 31 BV
garantiert;
Art. 60 BV
gewährleistet sodann, dass Kantonsfremde, die sich auf dem Gebiet eines Kantons zu Geschäftszwecken niederlassen wollen, dies unter gleichen Voraussetzungen tun dürfen wie Kantonsangehörige. Hingegen kann weder aus diesen Verfassungsbestimmungen noch aus dem Binnenmarktgesetz abgeleitet werden, dass auf die Geschäftsniederlassung in einem Kanton die (für den Gewerbetreibenden allenfalls weniger strengen) Vorschriften eines anderen Kantons anwendbar sind.
c) Das kann auch nicht anders sein, wenn - wie vorliegend - der Betroffene bisher in einem anderen Kanton eine entsprechende Niederlassung betrieb. Bisweilen wird zwar in der Lehre angenommen, das Herkunftsprinzip gelte auch für die Niederlassungsfreiheit, so dass derjenige, der bisher in einem anderen Kanton niedergelassen war, sich auf die dort erfolgte Zulassung berufen könnte (WUNDER, a.a.O., S. 225 ff.). Diese Auffassung steht jedoch im Widerspruch zum klaren Wortlaut von
Art. 2 BGBM
wie auch zu allgemeinen Grundsätzen des territorialen Geltungsbereichs verschiedener Rechtsordnungen. Sie würde dazu führen, dass innerhalb eines Kantons Gewerbetreibende unterschiedlich zu behandeln sind, je nachdem ob sie zufälligerweise bisher in einem anderen Kanton die entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben oder nicht. Im vorliegenden Fall könnte sich der Beschwerdeführer auf das Binnenmarktgesetz berufen, weil er bisher in Zürich bereits als Zahnprothetiker tätig war, nicht aber ein anderer Zahnprothetiker, der nach seiner Ausbildung direkt in Graubünden eine Praxis eröffnen will. Diese Ungleichbehandlung innerhalb eines Kantons wäre noch unbefriedigender als die in einem föderalistischen Staat systembedingte Ungleichbehandlung von einem Kanton zum andern. Im Übrigen gilt auch das EG-rechtliche Cassis-de-Dijon-Prinzip, welches dem Binnenmarktgesetz ausdrücklich als Vorbild dient, bloss für den Warenverkehr und sinngemäss für den Dienstleistungsverkehr (MARTENET/RAPIN, a.a.O., S. 19, mit Hinweisen), nicht aber für die Niederlassungsfreiheit.
BGE 125 I 276 S. 281
d) Im Ergebnis kann somit der in einem Kanton rechtmässig Niedergelassene sich für den Vertrieb seiner Waren und Dienstleistungen ausserhalb dieses Kantons auf
Art. 2 BGBM
berufen; hingegen äussert sich das Binnenmarktgesetz - unter Vorbehalt von Art. 4 (dazu hinten E. 5) - nicht zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Niederlassung zulässig ist. Diese richtet sich vielmehr nach dem Recht des Niederlassungskantons. Insoweit hat das Binnenmarktgesetz gegenüber der bisherigen Rechtslage keine Änderung zur Folge. Das schliesst nicht aus, im Rahmen einer Überprüfung der Verfassungsmässigkeit kantonaler Regelungen dem Binnenmarktaspekt der Handels- und Gewerbefreiheit Rechnung zu tragen und so die Absicht des Gesetzgebers zu berücksichtigen, Hindernisse der wirtschaftlichen Tätigkeit, die sich aus unterschiedlichen kantonalen Gesetzgebungen ergeben, abzubauen.
e) Es ist einzuräumen, dass aufgrund dieser Rechtslage der Ortsansässige möglicherweise schlechter gestellt ist als der ausserhalb des Kantons Niedergelassene, der sich auf den freien Dienstleis- tungsverkehr gemäss
Art. 2 BGBM
berufen kann. Diese Konsequenz entspricht jedoch derjenigen des EG-Rechts, welches dem Binnenmarktgesetz als Vorbild diente: Das im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten geltende Cassis-de-Dijon-Prinzip kann eine umgekehrte Diskriminierung zu Lasten der Ortsansässigen zur Folge haben, wenn die inländischen Vorschriften strenger sind als die im Herkunftsland eines ausländischen Konkurrenten geltenden. Trotzdem ist es grundsätzlich nicht Sache des EG-Rechts, sondern allenfalls des mitgliedstaatlichen Rechts, diese Inländerdiskriminierung zu beseitigen (EuGH, Rs. C-153/91, Urteil vom 22. September 1992, Slg. 1992-I 4973 ff.; vgl. DORIS KÖNIG, Das Problem der Inländerdiskriminierung - Abschied von Reinheitsgebot, Nachtbackverbot und Meisterprüfung? AöR 118/1993 S. 591-616, 594 ff.; GERT NICOLAYSEN, Inländerdiskriminierung im Warenverkehr, EuR 1991 S. 95-120, 99 ff.). Im Bereich des freien Warenverkehrs hat zwar der Europäische Gerichtshof die Art. 30 ff. EGV unter Umständen auch auf die innerstaatliche Handhabung einer nationalen Regelung angewendet. Das bezieht sich aber auf Massnahmen, die sich diskriminierend zu Lasten ausländischer Anbieter auswirken, insbesondere den Vertrieb inländischer Ware zum Nachteil eingeführter Ware begünstigen (EuGH, Rs. C-321/94, C-322/94, C-323/94 und C-324/94, Urteil vom 7. Mai 1997, Slg. 1997-I 2343 ff., 2374 [Pistre]). Hingegen bietet das EG-Recht keinen Schutz gegenüber innerstaatlichen Regelungen, die - ohne spezifisch
BGE 125 I 276 S. 282
die inländischen Anbieter zu bevorzugen - den Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen einschränken (EuGH, Rs. C-267/91 und C-268/91, Urteil vom 24. November 1993, Slg. 1993-I 6097 ff., 6131 f. [Keck und Mithouard]; Rs. C-391/92, Urteil vom 29. Juni 1995, Slg. 1995-I 1621 ff.), und auch keinen generellen Schutz vor nicht-diskriminierenden inländischen Bestimmungen oder vor umgekehrter Diskriminierung (ASTRID EPINEY, Umgekehrte Diskriminierungen, Köln 1995, S. 189 ff., 200; THOMAS OPPERMANN, Europarecht, 2. Aufl., München 1999, Rz. 1511 und 1522; HARTMUT WEYER, Freier Warenverkehr, rein innerstaatliche Sachverhalte und umgekehrte Diskriminierung, EuR 1998 S. 435-461, 449 ff.).
f) Der schweizerische Gesetzgeber wollte mit dem Binnenmarktgesetz analog zum EG-Recht eine Diskriminierung Kantonsfremder und einen offenen oder verdeckten Protektionismus zu Gunsten einheimischer Wirtschaftsinteressen vermeiden (vgl. auch
Art. 3 Abs. 4 BGBM
). Aus dieser Zielsetzung folgt nicht ein über
Art. 31 BV
hinausgehender bundesrechtlicher Schutz gegen jegliche kantonalrechtliche Einschränkung des Wirtschaftsgeschehens. Auch
Art. 6 BGBM
garantiert nur die Gleichbehandlung von kantonsfremden schweizerischen gegenüber ausländischen Personen im internationalen Verhältnis (Abs. 1 und 2; vgl. COTTIER/MERKT, a.a.O., S. 468) oder von Angehörigen von Drittkantonen im interkantonalen Verhältnis (Abs. 3; COTTIER/MERKT, a.a.O., S. 463), nicht aber die Nichtdiskriminierung von im Kanton Ansässigen. Es ist daher davon auszugehen, dass das Binnenmarktgesetz keine Anwendung findet auf innerkantonale Regelungen, die weder rechtlich noch faktisch ausserkantonale Anbieter diskriminieren, auch wenn sie einen Wettbewerbsnachteil für innerkantonale Anbieter gegenüber ausserkantonalen Konkurrenten zur Folge haben können.
g) Die vorliegend streitige Regelung bezweckt und bewirkt nicht eine spezifische Beschränkung des interkantonalen Marktes, sondern findet in erster Linie auf innerkantonale Sachverhalte Anwendung und trifft keine Unterscheidung nach Kantonszugehörigkeit. Wenn - wie der Beschwerdeführer geltend macht - das Verbot der selbständigen Tätigkeit als Zahnprothetiker eine gewisse konkurrenzschützende Wirkung zu Gunsten der Zahnärzte haben mag, so liegt darin nicht ein spezifischer Schutz der bündnerischen Zahnärzte, sondern der Zahnärzte schlechthin. Das Binnenmarktgesetz visiert jedoch nicht generell alle wettbewerbserheblichen Auswirkungen, die sich als Folge wirtschaftspolizeilicher Regelungen ergeben mögen, sondern spezifisch das interkantonale Verhältnis.
BGE 125 I 276 S. 283
Der Sache nach kann zudem die hier streitige Regelung kaum Einschränkungen des interkantonalen freien Dienstleistungsverkehrs zur Folge haben: Zahnprothetiker sind zur Ausübung ihres Berufs praktisch auf gewisse Einrichtungen angewiesen, die in der Regel stationär sind. Der Beruf kann insoweit nur am Ort der Niederlassung ausgeübt werden. Interkantonaler freier Dienstleistungsverkehr bedeutet unter diesen Umständen im Wesentlichen, dass ein Zahnprothetiker in einer ausserkantonalen Praxis auch Patienten aus dem Kanton Graubünden behandeln darf. Das wird dem Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid nicht verboten. Soweit er hingegen im Kanton Graubünden eine Praxis eröffnen will, ist dies nicht eine Frage des interkantonalen Dienstleistungsverkehrs, sondern ein innerkantonaler Sachverhalt, der - unter Vorbehalt von
Art. 4 BGBM
- nicht unter das Binnenmarktgesetz fällt.
5.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass ihn sein zürcherischer Fähigkeitsausweis für Zahnprothetik gemäss
Art. 4 BGBM
auch im Kanton Graubünden zur Ausübung dieses Berufs berechtige.
a) Nach
Art. 4 Abs. 1 BGBM
gelten kantonale oder kantonal an- erkannte Fähigkeitsausweise zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf dem gesamten Gebiet der Schweiz, sofern sie nicht einer Einschränkung nach
Art. 3 BGBM
unterliegen. Anders als
Art. 2 BGBM
beschränkt sich dies nicht auf das Anbieten von Waren, Dienst- und Arbeitsleistungen, sondern gilt auch für die Niederlassung.
Art. 4 BGBM
erweitert damit den Anwendungsbereich des Herkunftsprinzips auf die Niederlassung, soweit diese von einem Fähigkeitsausweis abhängig ist.
b)
Art. 4 BGBM
visiert in erster Linie Berufe, die zwar in allen Kantonen bekannt und grundsätzlich zulässig sind, deren Ausübung jedoch eines kantonalen Fähigkeitsausweises bedarf, wie z.B. den Anwaltsberuf (vgl.
BGE 125 II 56
;
BGE 123 I 313
). Das Binnenmarktgesetz legt fest, dass diese kantonalen Ausweise grundsätzlich zur Ausübung des entsprechenden Berufs in der ganzen Schweiz berechtigen. Das Bundesgericht hat dazu präzisiert, dass die Kantone weiterhin berechtigt sind, eine förmliche Bewilligung zur Berufsausübung zu verlangen und - in den Schranken von
Art. 3 BGBM
- dafür auch strengere Anforderungen zu stellen als der Niederlassungskanton (
BGE 125 II 56
E. 4a S. 61). Zugleich hat das Bundesgericht aber festgehalten, dass nach der binnenmarktgesetzlichen Freizügigkeitskonzeption die Gleichwertigkeit der kantonalen Fähigkeitsausweise vermutet wird (
BGE 125 II 56
E. 4b S. 61 f.).
BGE 125 I 276 S. 284
Es hat diese Vermutung sodann auch auf die persönlichen Voraussetzungen wie Ehrenhaftigkeit oder Vertrauenswürdigkeit bezogen, weil angenommen werden dürfe, dass sich diese Anforderungen von Kanton zu Kanton nicht wesentlich unterscheiden; der Inhaber eines ausserkantonalen Ausweises sei deshalb in der Regel ohne weitere Prüfung der persönlichen Voraussetzungen zur Berufsausübung zuzulassen (
BGE 125 II 56
E. 4b S. 62;
BGE 123 I 313
E. 4c S. 321 f.).
c) Der Beschwerdeführer geht offensichtlich davon aus, dass diese Grundsätze gleichermassen gelten für Berufe, die als solche in einem Kanton gar nicht zulässig sind. Es fragt sich, ob diese Auffassung zutrifft.
aa) Die Ansicht des Beschwerdeführers entspricht nicht dem Wortlaut von
Art. 4 Abs. 1 BGBM
. Diese Bestimmung bezieht sich nur auf die «Fähigkeitsausweise» («certificats de capacité», «certificati di capacità»). Ein Fähigkeitsausweis ist die Bestätigung dafür, dass der Erwerber die fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten be- sitzt, um den betreffenden Beruf richtig auszuüben. Die Zulässigkeit einer bestimmten Berufstätigkeit hängt jedoch nicht zwingend einzig von den fachlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ab. Sie kann von weiteren polizeilich begründeten Voraussetzungen abhängig sein. In Frage kommen namentlich persönliche Eigenschaften, wie Leumund, Fehlen von Vorstrafen oder Vertrautheit mit den Verhältnissen (
BGE 119 Ia 35
E. 5 S. 40), allenfalls fremdenpolizeiliche Anforderungen (vgl.
BGE 123 I 19
), formelle Erfordernisse wie Bewilligung, Eintragung in ein Register und dergleichen (
BGE 125 II 56
E. 4b und 5a S. 62 f.), finanzielle Anforderungen (Sicherstellungen, Kautionen, Haftpflichtversicherung) oder andere sachliche Voraussetzungen (z.B. Vorhandensein geeigneter Geschäftsräumlichkeiten). Desgleichen kann - wie vorne ausgeführt - die kantonale Gesetzgebung innert der verfassungsmässigen Schranken einen bestimmten Beruf überhaupt als unzulässig erklären. Fehlt eine dieser Zulässigkeitsvoraussetzungen, darf der betreffende Beruf auch dann nicht ausgeübt werden, wenn ein Fähigkeitsausweis vorliegt.
Art. 4 Abs. 1 BGBM
bezieht sich gemäss seinem Wortlaut einzig auf die Fähigkeitsausweise, mithin bloss auf eine der persönlichen Voraussetzungen, während jedoch die übrigen persönlichen oder sachlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gar nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen.
bb) Diese wörtliche Auslegung entspricht auch der Systematik des Gesetzes. Ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen eine
BGE 125 I 276 S. 285
bestimmte Dienstleistung überhaupt zulässig ist, richtet sich gemäss Art. 2 Abs. 1 und 3 nach dem Recht des Kantons, in dem der Anbieter Sitz oder Niederlassung hat (vorne E. 4). Die Ansicht des Beschwerdeführers hätte jedoch zur Folge, dass derjenige, der einen kantonalen Fähigkeitsausweis besitzt für eine Tätigkeit, die nur im betreffenden Kanton überhaupt zugelassen ist, befugt wäre, sich in jedem Kanton niederzulassen und die entsprechende Tätigkeit auszuüben, auch wenn sie nach der Gesetzgebung des Sitzkantons nicht zugelassen wäre. Die Regel von
Art. 2 BGBM
würde dadurch in ihr Gegenteil verkehrt.
cc) Aus den Materialien geht nicht hervor, dass
Art. 4 BGBM
über seinen Wortlaut hinaus auch andere Zulässigkeitsvoraussetzungen als die beruflichen Fähigkeiten erfassen sollte. Gemäss Botschaft zum Binnenmarktgesetz soll diese Bestimmung ermöglichen, dass ein kantonaler oder kantonal anerkannter Fähigkeitsausweis für die Ausübung der Erwerbstätigkeit in der ganzen Schweiz genügen sollte (BBl 1995 I 1266 f.). In der Bundesversammlung wurde Art. 4 angenommen (AB 1995 N 1155, 875), ohne näher diskutiert zu werden, abgesehen von der Frage des Verhältnisses zwischen dem Binnenmarktgesetz und interkantonalen Konkordaten (
Art. 4 Abs. 4 BGBM
).
dd) Das Ziel des Binnenmarktgesetzes besteht darin, dass Personen mit Niederlassung oder Sitz in der Schweiz für die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit auf dem gesamten Gebiet der Schweiz freien und gleichberechtigten Zugang zum Markt haben (
Art. 1 Abs. 1 BGBM
). Der Gesetzgeber wollte damit Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr beseitigen, die sich daraus ergeben, dass je nach Bestimmungsort unterschiedliche Regelungen gelten (BBl 1995 I 1227). Mit dieser Zielsetzung steht an sich jede kantonale Gesetzgebung in Widerspruch, soweit sie von der in einem anderen Kanton geltenden abweicht. Die völlige und konsequente Verwirklichung des Binnenmarktes bzw. des freien Dienstleistungsverkehrs liesse sich nur realisieren, wenn die ganze kantonale Gesetzgebung, soweit sie einen Einfluss auf die wirtschaftliche Tätigkeit hat, durch eine bundesrechtliche ersetzt oder zumindest völlig harmonisiert würde, denn jede kantonale Gesetzgebungszuständigkeit kann zur Folge haben, dass die einschlägigen Regelungen von Kanton zu Kanton unterschiedlich sind, was in jedem Fall den Wettbewerb beeinflusst (BBl 1995 I 1226 f.). Der Grundsatz des freien Wettbewerbs bzw. des Binnenmarktes steht daher in einem prinzipiellen Spannungsverhältnis zum föderalistischen
BGE 125 I 276 S. 286
Prinzip, wonach den Kantonen eigene Gesetzgebungskompetenzen zustehen (
Art. 3 BV
;
Art. 3 und 47 nBV
; WUNDER, a.a.O., S. 43 ff., 139). Der Gesetzgeber war sich dieses Spannungsfeldes bewusst; bei den Vorarbeiten zum Binnenmarktgesetz bildete das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen eine zentrale Frage (BBl 1995 I 1282 f.; AB 1995 N 1144, 1153 [Berichterstatter Strahm], S 872 [Bundesrat Delamuraz]). Der Gesetzgeber wollte kantonale Unterschiede nicht einfach einebnen, sondern ihnen entgegentreten, soweit sie ortsfremde Wirtschaftssubjekte diskriminieren (BBl 1995 I 1219, 1257; AB 1995 N 1149). Doch war, um den Föderalismus zu schonen, keine Rechtsharmonisierung beabsichtigt (BBl 1995 I 1235, 1258, 1285; AB 1995 S 871 [Berichterstatterin Simmen]).
ee) Angesichts dieses dem Gesetzgeber bewussten Spannungsverhältnisses zwischen Binnenmarkt und Föderalismusprinzip und der Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen den beiden widerstrebenden Grundsätzen kann angenommen werden, dass der Gesetzgeber diesen Ausgleich bewusst und bedacht so geregelt hat, dass keines der beiden Prinzipien seines Gehalts völlig entleert wird. Unter solchen Umständen scheint eine ausdehnende Auslegung über den Wortlaut hinaus, welche das eine oder das andere der gegenläufigen Prinzipien auf Kosten des andern verstärken würde, nicht angebracht.
ff)
Art. 4 BGBM
steht im Zusammenhang mit den Bemühungen der Kantone, auf dem Konkordatsweg eine gegenseitige Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen zu erreichen. Die Notwendigkeit dieses Artikels wurde damit begründet, dass der Konkordatsweg das Ziel der gegenseitigen Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen nicht ohne weiteres sicherstelle (AB 1995 N 1144 [Berichterstatter Strahm], 1155 [Bundesrat Delamuraz]; S 871 [Berichterstatterin Simmen]). Doch sollten die kantonalen Harmonisierungsbemühungen nicht verdrängt, sondern unterstützt werden (BBl 1995 I 1258 f., 1266 f.).
Art. 4 Abs. 4 BGBM
enthält deshalb einen ausdrücklichen Vorrang interkantonaler Vereinbarungen gegenüber dem Binnenmarktgesetz. Damit wurde insbesondere die Interkantonale Vereinbarung vom 18. Februar 1993 über die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen (SR 413.21; AS 1997 2399) anvisiert (BBl 1995 I 1221). Diese Vereinbarung regelt gemäss ihrem Art. 1 die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen in der Schweiz und fördert den freien Zugang zu weiterführenden Schulen und zur Berufsausübung. Sie regelt im Detail die Anerkennung von
BGE 125 I 276 S. 287
Ausbildungsabschlüssen. Die aufgrund der Vereinbarung anerkannte Ausbildung weist gemäss Art. 8 Abs. 1 aus, dass der Ausbildungsabschluss den in dieser Vereinbarung und im betreffenden Anerkennungsreglement festgelegten Voraussetzungen entspricht. Nach Abs. 2 gewähren die Vereinbarungskantone den Inhabern eines anerkannten Ausbildungsabschlusses den gleichen Zugang zu kantonal reglementierten Berufen wie den entsprechend diplomierten Angehörigen des eigenen Kantons. Die Vereinbarung beschränkt sich somit auf die Ausbildung, enthält jedoch keinerlei Aussagen über die sonstigen Voraussetzungen der Berufsausübung. Es kann daraus nicht abgeleitet werden, dass - abgesehen von der Anerkennung des Fähigkeitsausweises - die Inhaber ausserkantonaler Ausweise Rechte geltend machen können, die auch den im Kanton Ansässigen gemäss der kantonalen Gesetzgebung nicht zustehen.
gg) Dieses Ergebnis entspricht auch der in der revidierten Bundesverfassung vom 18. April 1999 enthaltenen Regelung: Die mit dem Binnenmarktgesetz konkretisierte Binnenmarktdimension der Wirtschaftsfreiheit wird umgesetzt durch
Art. 95 Abs. 2 nBV
(Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung [nBV], BBl 1997 I 1, 298 f.). Dadurch soll das bisherige Verfassungsrecht mit Einschluss der dazu ergangenen bundesgerichtlichen Praxis übernommen werden (AB Sonderausgabe Reform der Bundesverfassung, N 317, Bundesrat Koller). Gemäss
Art. 95 Abs. 2 nBV
sorgt der Bund für einen einheitlichen schweizerischen Wirtschaftsraum. Er gewährleistet, dass Personen mit einer wissenschaftlichen Ausbildung oder mit einem eidgenössischen, kantonalen oder kantonal anerkannten Ausbildungsabschluss ihren Beruf in der ganzen Schweiz ausüben können. Nach
Art. 196 Ziff. 5 nBV
sind die Kantone bis zum Erlass einer entsprechenden Bundesgesetzgebung zur gegenseitigen Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen verpflichtet. Auch in der neuen Verfassung wird somit nur die Ausbildung angesprochen, nicht aber die weiteren Voraussetzungen für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit.
d) Im Ergebnis ist
Art. 4 BGBM
gemäss seinem Wortlaut so auszulegen, dass sich sein Geltungsbereich auf die Fähigkeitsausweise bezieht, das heisst auf Ausweise, welche die beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse belegen. Dazu gehören auch die weiteren persönlichen Voraussetzungen, die einen Zusammenhang mit der Befähigung zur korrekten Berufsausübung haben (
BGE 125 II 56
E. 4b S. 62). Hingegen fallen die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen
BGE 125 I 276 S. 288
für die Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten nicht in den Geltungsbereich von
Art. 4 BGBM
.
e) Der Beschwerdeführer könnte sich auf
Art. 4 BGBM
berufen, wenn das bündnerische Recht die selbständige Berufsausübung als Zahnprothetiker grundsätzlich zuliesse und dafür einen Fähigkeitsausweis verlangte. Jedoch wurde dem Beschwerdeführer die Bewilligung nicht deswegen verweigert, weil die bündnerischen Behörden seine beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse als Zahnprothetiker in Zweifel gezogen hätten, sondern deshalb, weil das bündnerische Recht die selbständige Ausübung dieses Berufs gar nicht zulässt, und zwar mit der gesundheitspolizeilichen Über- legung, dass auch ein ausgebildeter Zahnprothetiker mit Fähigkeitsausweis nicht hinreichend qualifiziert ist, um selbständig am Patienten zu arbeiten. Nachdem diese Regelung sowohl im Lichte der Verfassung als auch des Binnenmarktgesetzes zulässig ist (vorne E. 3 und 4), kann ein Fähigkeitsausweis als Zahnprothetiker gerade nicht genügen, um im Kanton Graubünden zugelassen zu werden. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
68e3540b-6121-4dea-bd28-84dc2ecf6145 | Urteilskopf
98 II 88
12. Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. Januar 1972 i.S. X. | Regeste
Niederlassungs- und Konsularvertrag mit Italien vom 22. Juli 1868. Gerichtsstand.
Die Verletzung einer in einem Staatsvertrag enthaltenen Gerichtsstandsbestimmung in einer berufungsfähigen Zivilsache ist mit der Berufung gemäss
Art. 43 OG
und nicht mit der staatsrechtlichen Beschwerde gemäss
Art. 84 Abs. 1 lit. c OG
zu rügen (Erw. 1).
Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und Konsularvertrages mit Italien findet auf Streitigkeiten hinsichtlich eines in der Schweiz gelegenen Nachlasses eines Italieners Anwendung, gleichgültig ob der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz oder in Italien hatte (Erw. 2).
Die Ansprüche, die der überlebende Ehegatte aus ehelichem Güterrecht geltend macht, fallen nicht unter Art. 17 Abs. 3 des Staatsvertrages mit Italien (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 89
BGE 98 II 88 S. 89
A.-
Der im Jahre 1969 in Italien verstorbene italienische Staatsangehörige X. hat seine beiden Töchter testamentarisch als Alleinerbinnen zu gleichen Teilen eingesetzt. Seiner Ehefrau räumte er die Nutzniessung am ganzen Nachlass ein. X. hatte bei einer Schweizer Bank in Zürich ein Wertschriftenvermögen hinterlegt. Gestützt auf eine Vollmacht des Verstorbenen bezog die Witwe am 2. Februar 1970 dieses Wertschriftenvermögen.
Die beiden Erbinnen liessen am 12. Oktober 1970 sämtliche Guthaben der Witwe X. bei drei Schweizer Banken in Zürich verarrestieren und leiteten am 29. Oktober 1970 Betreibung ein. Zur Beseitigung des von der Witwe X. erhobenen Rechtsvorschlages liessen die beiden Töchter den Arrest durch Klage rechtzeitig prosequieren.
B.-
Mit Urteil vom 4. Juni 1971 wies das Bezirksgericht Zürich die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit von der Hand. Die erste kantonale Instanz stellte sich auf den Standpunkt, es handle sich um eine erbrechtliche Streitigkeit, welche
BGE 98 II 88 S. 90
gemäss Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien vom 22. Juli 1868 am Heimatgerichtsstand des Erblassers anzubringen sei.
Das Obergericht des Kantons Zürich hiess den Rekurs der Klägerinnen am 3. September 1971 gut und wies das Bezirksgericht an, die Klage an Hand zu behalten. Die Vorinstanz stimmte mit dem Bezirksgericht darin überein, dass es sich hier um eine erbrechtliche Streitigkeit handle. Hingegen vertrat sie die Auffassung, der schweizerisch-italienische Niederlassungs- und Konsularvertrag finde nur auf diejenigen Staatsangehörigen des einen Vertragsstaates Anwendung, die sich im anderen aufhalten. Da der gemeinsame Erblasser der Parteien in Italien, seinem Heimatstaat, gestorben ist, sei er dem Staatsvertrag nie unterworfen gewesen. Der besondere kantonalrechtliche Gerichtsstand des Arrestortes sei deshalb nicht ausgeschaltet worden.
C.-
Die Beklagte führt Berufung an das Bundesgericht. Sie beantragt, der Entscheid des Zürcher Obergerichts sei aufzuheben und es sei in Gutheissung ihrer Unzuständigkeitseinrede die Klage wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit von der Hand zu weisen.
D.-
Die Klägerinnen schliessen auf Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das angefochtene Urteil ist ein selbständiger Vorentscheid einer oberen kantonalen Instanz über die örtliche Zuständigkeit der von den Klägerinnen angerufenen Zürcher Gerichte. Es ist daher gemäss
Art. 49 OG
berufungsfähig, wobei es keine Rolle spielt, ob die fragliche Gerichtsstandsvorschrift in einem Bundesgesetz oder in einem Staatsvertrag des Bundes enthalten ist (
Art. 43 Abs. 1 OG
;
BGE 84 II 489
; BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 77, 175 und 176 N. 2 lit. c). Es steht heute fest, dass die Verletzung von Gerichtsstandsbestimmungen der Staatsverträge in einer berufungsfähigen Zivilsache ebenfalls mit Berufung zu rügen ist (WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, S. 217 Anm. 31; frühere widersprechende Entscheide sind angeführt bei BIRCHMEIER, a.a.O., S. 174). Die staatsrechtliche Beschwerde gemäss
Art. 84 Abs. 1 lit. c OG
kann sich nur gegen die Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften eines Vertrages
BGE 98 II 88 S. 91
richten (vgl.
BGE 93 I 166
,
BGE 95 II 378
Erw. 2 und
BGE 96 I 390
Erw. 1, die mit Bezug auf Streitigkeiten, welche die Vollstreckung eines ausländischen Urteils in der Schweiz betreffen, nur die staatsrechtliche Beschwerde als zulässig erklären).
2.
Der in Frage stehende Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien vom 22. Juli 1868 (BS 11 S. 671 ff.) hat folgenden Wortlaut:
"Die Streitigkeiten, welche zwischen den Erben eines in der Schweiz verstorbenen Italieners hinsichtlich seines Nachlasses entstehen könnten, sollen vor den Richter des letzten Wohnortes, den der Italiener in Italien hatte, gebracht werden."
Art. 17 Abs. 4 des Vertrages enthält eine ähnliche Regelung bezüglich Streitigkeiten, die zwischen den Erben eines in Italien verstorbenen Schweizers entstehen könnten, wofür im Protokoll betreffend die Vollziehung dieses Staatsvertrages vom 1. Mai 1869 der Richter des Heimatortes des Erblassers als zuständig bezeichnet wird (Art. 1V). Art. 17 Abs. 3 gibt eine entsprechende Vorschrift in Art. 1II des damals geltenden schweizerisch-französischen.Staatsvertrages vom 18. Juli 1828 wieder, die in Art. 5 des neuen Vertrages mit Frankreich über den Gerichtsstand und die Vollziehung von Urteilen in Zivilsachen vom 15. Juni 1869 lediglich eine etwas ausführlichere Fassung erhielt (
BGE 23 I 592
; Botschaften des Bundesrates zu den Verträgen mit Italien, BBl 1868 III 440, und zum Vertrag mit Frankreich, BBl 1869 II 490).
Die von der Vorinstanz im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung, wonach der Staatsvertrag vom 22. Juli 1868 nur auf Italiener mit letztem Wohnsitz in der Schweiz bzw. auf Schweizer mit letztem Wohnsitz in Italien anwendbar sei, hat somit den Wortlaut von Art. 17 Abs. 3 und 4 des Vertrages für sich. Das Bundesgericht war ursprünglich bei der Auslegung des ähnlich lautenden Art. 5 Abs. 1 des schweizerisch-französischen Staatsvertrages vom 15. Juni 1869 der gleichen Auffassung (BGE 1 S. 391 Erw. 3 und 14 S. 596 Erw. 4). Indessen änderte es seinen Standpunkt bereits im Entscheid 24 I 307 ff. und gab einer freieren Auslegung von Art. 5 Abs. 1 des Staatsvertrages mit Frankreich den Vorzug. Danach gilt für schweizerische und französische Erblasser der in Art. 5 enthaltene Grundsatz der Einheit der Erbfolge mit dem Gerichtsstand im Heimatland, gleichgültig in welchem der beide n
BGE 98 II 88 S. 92
Vertragsstaaten der Erblasser den letzten Wohnsitz gehabt habe und der Nachlass sich befinde. Die Nichtanwendung dieses Grundsatzes auf Erblasser mit letztem Wohnsitz im Heimatstaat würde nach Auffassung des Bundesgerichts in krassem Widerspruch zu dem von den Vertragsparteien verfolgten Ziel stehen (vgl.
BGE 97 I 365
Erw. 3). Diese Rechtsprechung bezüglich des schweizerisch-französischen Staatsvertrages vom 15. Juni 1869 ist vom Bundesgericht wiederholt bestätigt worden (
BGE 29 I 335
Erw. 2 und
BGE 62 I 241
Erw. 1). Es besteht auch hier kein Anlass, von ihr abzuweichen; denn der Grundsatz der Einheit der Erbfolge und der Einheit des Gerichtsstandes ist unbestrittenermassen auch in Art. 17 Abs. 3 und 4 des schweizerisch-italienischen Niederlassungs- und Konsularvertrages enthalten (
BGE 58 I 320
Erw. 2 mit Verweisungen; MASPOLI, Le successioni e il trattato italo-svizzero del 22 luglio 1868, Diss. Bern 1934, S. 59 ff.). Wohl lässt
BGE 65 I 127
die Frage offen, ob Art. 17 Abs. 3 des Vertrages auch auf einen Erblasser mit letztem Wohnsitz im Heimatstaat Anwendung finde. Die konsequente Durchführung des erwähnten Grundsatzes, welcher dem zur Zeit des Vertragsabschlusses geltenden Nationalitätsprinzip entspricht, legt indessen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Staatsvertrag mit Frankreich auch eine ausdehnende Auslegung des schweizerisch-italienischen Staatsvertrages nahe. Wenn Streitigkeiten hinsichtlich des Nachlasses eines in der Schweiz verstorbenen Italieners dem Heimatgerichtsstand unterworfen sind, so muss dies umso eher der Fall sein bezüglich der in der Schweiz gelegenen Nachlasswerte eines Italieners mit letztem Wohnsitz in Italien. Die Abwicklung des Nachlasses soll in beiden Fällen einheitlich den heimatlichen Behörden vorbehalten bleiben. Selbstverständlich gilt dies auch für schweizerische Erblasser.
Dementsprechend sind im vorliegenden Fall Streitigkeiten betreffend den Nachlass des in Italien verstorbenen X. von den italienischen Gerichten zu behandeln. Der schweizerische Richter ist hiefür unzuständig (anderer Ansicht MASPOLI, a.a.O., S. 76-78). Dass im übrigen Art. 17 Abs. 3 des Vertrages nicht nur den Gerichtsstand, sondern auch das anwendbare materielle Recht, nämlich dasjenige des Heimatstaates, bestimme, ist längst anerkannt (
BGE 91 III 24
Erw. 2 b mit Verweisungen).
BGE 98 II 88 S. 93
3.
Damit ist aber der Streit der Parteien noch nicht entschieden. Es stellt sich nämlich die weitere Frage, ob es sich hier um eine Streitigkeit "hinsichtlich des Nachlasses" ("au sujet de sa succession", "riguardo all'eredità") des gemeinsamen Erblassers der Parteien im Sinne von Art. 17 Abs. 3 des schweizerisch-italienischen Staatsvertrages vom 22. Juli 1868 handelt (dazu allgemein MASPOLI, a.a.O., S. 96 ff.). Dass die Beklagte als Nutzniesserin nicht Erbin im eigentlichen Sinne, sondern Legatarin ist (Art. 978 in Verbindung mit Art. 581 CCI), ist unerheblich; denn der Staatsvertrag kann auch für Streitigkeiten zwischen Erben und Vermächtnisnehmern angerufen werden (
BGE 58 I 320
bezüglich des schweizerisch-italienischen Staatsvertrages;
BGE 58 I 111
Erw. 4 und
BGE 62 I 243
Erw. 3 bezüglich des schweizerisch-französischen Staatsvertrages).
Für die Anwendung von Art. 17 Abs. 3 des Staatsvertrages spricht, dass sich der Streit in einem weiteren Sinne um den Nachlass des gemeinsamen Erblassers der Parteien dreht. Dazu kommt, dass die Klägerinnen sich auf ihre Erbenstellung berufen, die sie als einzige Nachkommen des Erblassers und testamentarisch eingesetzte Erben innehaben, und dass erst die Eröffnung des Nachlasses die Klage ermöglicht hat. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass sie ihre Klage als eine solche aus unerlaubter Handlung oder aus ungerechtfertigter Bereicherung bezeichnen. Anderseits ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihre Ansprüche nicht aus ihrer Stellung als Vermächtnisnehmerin, sondern aus ehelichem Güterrecht ableitet. In ihrer Rekursantwort an das Zürcher Obergericht vom 14. Juli 1971 beruft sich die Beklagte darauf, dass der erbrechtlichen Auseinandersetzung die güterrechtliche vorauszugehen habe und dass sie lediglich Werte an sich genommen habe, welche ihr kraft Güterrechts zuständen.
Es ist daher die Frage zu prüfen, ob der in Art. 17 Abs. 3 des Staatsvertrages vorgesehene Gerichtsstand für Streitigkeiten zwischen Erben hinsichtlich des Nachlasses auch für Ansprüche des überlebenden Ehegatten aus ehelichem Güterrecht gilt. Das Bundesgericht hat diese Frage in seinem Entscheid 80 II 364 Erw. 1 betreffend den schweizerisch-italienischen Staatsvertrag offen gelassen. Hingegen hat es sie in negativem Sinne beantwortet bezüglich Art. 5 des schweizerisch-französischen Staatsvertrages, indem es ausführte, Art. 5 dieses Vertrages statuiere den heimatlichen Gerichtsstand
BGE 98 II 88 S. 94
nur für erbrechtliche Klagen. Der vom überlebenden Ehegatten auf Grund des ehelichen Güterrechts erhobene Anspruch auf Herausgabe von Nachlassobjekten oder Nachlassquoten sei aber nicht erbrechtlicher Natur. Der überlebende Ehegatte nehme den ihm nach dem gesetzlichen oder vertraglichen Güterrecht gebührenden Anteil am ehelichen Vermögen nicht als Erbe des Verstorbenen kraft Erbrechts in Anspruch; er mache vielmehr umgekehrt geltend, dass der betreffende Vermögensteil bzw. die betreffende Vermögensquote nicht kraft Erbrechts an die Erben des Verstorbenen falle, sondern kraft ehelichen Güterrechts ihm als dem überlebenden Ehegatten gehöre (BGE 11 S. 341 Erw. 4 und 9 S. 505 Erw. 3).
Später hat das Bundesgericht diese Rechtsprechung bestätigt. Es wies zuerst darauf hin, dass Art. 5 Abs. 1 des Gerichtsstandsvertrages mit Frankreich wohl nur an den überwiegenden Regelfall anknüpfe, wo sich Erben, Erbprätendenten oder eventuell Legatäre gegenüberstehen. Damit werde aber noch nicht ausgeschlossen, dass ausnahmsweise auch die Klage gegen einen Nichterben vor den heimatlichen Gerichtsstand gehöre, vorausgesetzt dass sie materiell erbrechtlichen Charakter habe und sofern eine solche freiere Auslegung im übrigen dem Sinn des Vertrages entspreche (
BGE 50 I 415
Erw. 2 und
BGE 62 I 243
Erw. 3). Der Frage, ob gewisse Vermögenswerte, welche die Witwe eines Erblassers besitzt, zu deren Eigengut oder zu der der Tochter des Erblassers zufallenden, mit dem Nutzniessungsrecht der Witwe belasteten Hälfte der Errungenschaft gehörten und deshalb dem Ehevertrag gemäss zu inventarisieren seien, komme jedoch kein erbrechtlicher Charakter zu. Ob diese Nachlasswerte Frauengut oder Errungenschaft darstellten, entscheide sich nach ehelichem Güterrecht und nicht nach Erbrecht. Wenn sich eine Partei auf ihr Erbrecht berufe, so geschehe dies nur, um ihre Klagelegitimation darzutun, während der eigentliche Streitpunkt im ehelichen Güterrecht liege (
BGE 62 I 244
).
Diese Darlegungen haben aber auch für den vorliegenden Fall und die Anwendung von Art. 17 Abs. 3 des schweizerischitalienischen Staatsvertrages ihre Gültigkeit. Weder hat die Beklagte das Erbrecht der Klägerinnen angefochten, noch hat sie selber einen erbrechtlichen Titel geltend gemacht. Der Streitpunkt liegt auch hier ausserhalb des Erbrechts, da es um die Frage geht, ob das in Zürich gelegene Wertschriftenvermögen
BGE 98 II 88 S. 95
des Erblassers der Beklagten als dem überlebenden Ehegatten kraft Güterrechts zustehe oder nicht. Materiell ist der Anspruch der Beklagten daher nach der angeführten Rechtsprechung nicht erbrechtlicher Natur. Entgegen der Auffassung des Bezirksgerichts handelt es sich auch nicht um eine Erbschaftsklage. Diese ist nach schweizerischem Recht nur zulässig gegen den, der sich für seinen Besitz auf eigenes Erbrecht beruft, und gegen den, der überhaupt keinen Titel für sich beansprucht. Dagegen versagt sie gegen den Besitzer, der einen besonderen Titel geltend macht (ESCHER, N. 7 zu
Art. 598 ZGB
; vgl. auch Art. 533 CCI). Es wäre auch denkbar gewesen, dass sich die Beklagte der Klage unter Berufung auf den Besitz an den Nachlasssachen, den auch das italienische Recht unter Vorbehalt der Inventarisation und der Sicherheitsleistung dem Nutzniesser einräumt (Art. 982 und 1002 CCI), widersetzt hätte. Damit wäre aber der Streit doch nur ein sachenrechtlicher und nicht ein erbrechtlicher gewesen.
Unter diesen Umständen ist der Klage der beiden Töchter des Erblassers der erbrechtliche Charakter im Sinne von Art. 17 Abs. 3 des schweizerisch-italienischen Staatsvertrages abzusprechen. Da der Niederlassungs- und Konsularvertrag damit nicht zur Anwendung gelangt, ist der kantonalrechtliche Gerichtsstand des Arrestortes gegeben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und der Beschluss des Obergerichts (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 3. September 1971 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
68f19fa8-873c-4480-a96c-bc8024b5f0f3 | Urteilskopf
81 IV 1
1. Urteil des Kassationshofes vom 21. Januar 1955 i.S. Wenger gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
1.
Art. 13 StGB
. Der Richter darf den Sachverhalt, den er als Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit würdigt, auch ohne psychiatrisches Gutachten oder in Abweichung von einem solchen feststellen (Erw. 1).
2.
Art. 14 StGB
setzt nicht voraus, dass der Täter geheilt werden könne oder gepflegt werden müsse (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 81 IV 1 S. 1
A.-
Robert Wenger, geb. 1927, Sohn wiederholt vorbestrafter und liederlicher Eltern, zeigte sich schon vom dritten Altersjahr an in der Obhut von Pflegeeltern und später im Erziehungsheim Oberbipp und in der Anstalt Bächtelen als unverbesserlicher Lügner, Dieb und Vagabund. Einmal beging er auch Unzucht mit Kindern. Im Jahre 1943 wurde er in die Erziehungsanstalt Tessenberg versetzt. Wegen seines Charakters, mangelnder Begabung und Faulheit konnte ihm kein Beruf gelehrt werden. Im Jahre 1944 riss er aus, beging mehrere Einbruchsdiebstähle und versuchte, Fahrräder zu entwenden. Auf den Tessenberg zurückversetzt, simulierte er eine Geisteskrankheit. Er wurde daher in der Heil- und Pflegeanstalt Münsingen begutachtet, wobei der Sachverständige am 27. Dezember
BGE 81 IV 1 S. 2
1945 schloss, Wenger sei nicht geisteskrank, wohl aber ein haltloser, geltungssüchtiger und moralisch defekter und hochgradig gemeingefährlicher Psychopath, der für lange Zeit verwahrt werden sollte. Der Regierungsrat des Kantons Bern entsprach dem Antrag. Wenger weilte vom Februar 1946 bis Februar 1949 in der Abteilung für Jugendliche der Anstalt Witzwil. Bedingt entlassen, wurde er hierauf für eine Übergangszeit im Gutshof Enggistein untergebracht und hätte er bei Wohlverhalten anfangs April 1949 eine Stelle antreten können. Am Abend des 5. März 1949 verliess er den Hof. Er kehrte spät in der Nacht betrunken zurück und machte sich am folgenden Tage davon. Er versetzte Kleidungsstücke und andere Sachen und lockte zwei Pfarrern mit unwahren Angaben Geld ab Am 10. März 1949 wurde er mittellos in Chiasso festgenommen, als er im Begriffe war, nach Italien zu ziehen-Inzwischen war auch bekannt geworden, dass er seit seiner Entlassung aus der Anstalt Witzwil eine Handharmonika im Werte von Fr. 1100.-- gekauft hatte, obschon er kein Geld besass.
Am 26. April 1949 beschloss der Regierungsrat des Kantons Bern, Wenger wegen Liederlichkeit, Haltlosigkeit und geistiger Minderwertigkeit in die Arbeitsanstalt Lindenhof einzuweisen. Nach Ablauf eines Jahres wurde Wenger mit der Weisung, vorerst während mindestens zwei Monaten im Gutshof Enggistein zu arbeiten, bedingt entlassen und unter Schutzaufsicht gestellt. Vier Tage nach seinem Eintritt in den Hof versuchte er am 10. April 1950 in Worb, eine Handharmonika im Werte von Fr. 800.-- zu erschwindeln. Er begann nachts zu streunen, knüpfte mit einem schlecht beleumdeten, geistig und körperlich zurückgebliebenen Mädchen ein intimes Verhältnis an und schwindelte ihm Fr. 140.-- ab. Schliesslich lief er von Enggistein fort und trat in der Nacht vom 5./6. Mai freiwillig in die Heil- und Pflegeanstalt Münsingen ein, eine Geisteskrankheit vortäuschend. Die Anstaltsdirektion bestätigte das Gutachten vom 27. Dezember 1945. In der
BGE 81 IV 1 S. 3
Folge wurde Wenger nochmals in Enggistein aufgenommen. Er lief aber in der Nacht auf den 28. Juli 1950 wieder davon und stellte sich am folgenden Morgen in Witzwil. Da er auf der Flucht ein fremdes Fahrrad mitgenommen hatte, wurde er wegen Diebstahls zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt. Im Herbst 1950 wurde er administrativ in die Arbeitserziehungsanstalt Lindenhof zurückversetzt. Im August 1951 entliess man ihn probeweise unter der Bedingung, dass er sich vorerst mindestens sechs Monate lang im Arbeiterheim Tannenhof aufhalte. Dort kehrte er jedoch oft erst nach Mitternacht heim und war am folgenden Tage bei der Arbeit schlapp. Am 28. September 1951 riss er aus. Da er bald darauf in einem Gasthof die Zeche nicht beglich und eine Militäruniform wegnahm, wurde er verhaftet. Er gebärdete sich bei diesem Anlass wie ein Verrückter und wurde daher in die Heil- und Pflegeanstalt Waldau versetzt. Dort gab er jedoch bald die Simulation von Geisteskrankheiten auf. Am 11. November 1951 wurde er wieder in den Tannenhof gewiesen. Die Untersuchung wegen Zechprellerei und Diebstahls war am Vortage aufgehoben worden.
Da Wenger den Tannenhof schon am 16. Dezember 1951 eigenmächtig wieder verliess und nach Birsfelden zog, wurde er im Februar 1952 administrativ in die Arbeitsanstalt Lindenhof zurückversetzt. Am 25. März 1952 wies man ihn in die Heil- und Pflegeanstalt Waldau ein, weil er gedroht hatte, er werde alle zur Domäne Witzwil gehörenden Scheunen in Brand stecken, sobald sie mit Getreide gefüllt sein würden. Die Diagnose der früheren Gutachten wurde bestätigt.
Ab 16. Mai 1952 war Wenger in der Arbeitsanstalt St. Johannsen. Da er einen Fluchtversuch unternahm, beschloss der Regierungsrat des Kantons Bern am 6. Juni 1952, ihn in die Verwahrungsanstalt Thorberg zu versetzen. Wegen Platzmangels blieb Wenger aber zunächst im Bezirksgefängnis Bern. Zufolge Verwechslung mit einem anderen Wenger entliess man ihn dort am 23. Juni 1952,
BGE 81 IV 1 S. 4
wies ihm auf einer Baustelle in Unterbach Arbeit an und rüstete ihn mit Kleidern und Schuhen aus.
B.-
In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1952 brach Wenger in Unterbach in eine Baukantine ein. Er stahl Zigaretten, Schokolade und Bargeld sowie von einem Lastwagen einen Zündschlüssel. Hierauf floh er nach Basel und Rheinfelden. Am Abend des 26. Juni 1952 zog er zu einem Landwirt in Effingen. Am folgenden Tage betastete er dem achtjährigen Töchterchen seines Gastgebers den Geschlechtsteil und versuchte ihm den Finger in die Scheide zu stossen. Am 28. Juni 1952 stahl er seinem Gastgeber Fr. 75.-. Am Abend des gleichen Tages mietete er in einem Gasthof in Mumpf ein Zimmer, und am folgenden Morgen borgte er beim Stiefsohne des Wirtes ein Kleid und ein Paar Schuhe. Er behielt diese Sachen, kehrte nicht zurück und blieb auch die Miete für das Zimmer schuldig. Am 29. Juni 1952 betrog er ein Mädchen um Fr. 50.-. Am 2. Juli 1952 stahl er in Thielle ein Fahrrad und verkaufte es in Le Landeron für Fr. 35.-. In der Nacht vom 2./3. Juli 1952 wurde er in Hellsau verhaftet. Bei der Einvernahme vom 5. Juli 1952 durch den Untersuchungsrichter schilderte er eingehend, wie er in der Nähe von Serrières einen unbekannten Österreicher während einer Kahnpartie getötet, beraubt und in den See geworfen habe. Die Überprüfung ergab, dass diese Angaben erfunden waren, was Wenger schliesslich auch gestand.
C.-
Im Strafverfahren wurde Wenger psychiatrisch begutachtet. Der Sachverständige Dr. Hans Bührer kam am 7. August 1952 zum Schluss, der Angeschuldigte sei zur Zeit seiner Taten vollständig fähig gewesen, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen und gemäss Einsicht zu handeln. Wenger sei körperlich und geistig gesund. Er sei ein moralisch defekter Psychopath. Sein Zustand erfordere keine ärztliche Behandlung und Wenger müsse auch nicht in einer Heil- oder Pflegeanstalt versorgt werden (
Art. 15 StGB
). Er gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Er sei in hohem Grade gemeingefährlich und müsse daher
BGE 81 IV 1 S. 5
verwahrt werden. Eine Verwahrung nach
Art. 14 StGB
komme aber angesichts der vollen Zurechnungsfähigkeit nicht in Frage. Wenger gehöre in eine Verwahrungsanstalt.
Das Amtsgericht Oberhasli, dem Gutachten folgend, erachtete Wenger als voll zurechnungsfähig, erklärte ihn wegen der in der Zeit vom 24. Juni bis 5. Juli 1952 begangenen strafbaren Handlungen des Diebstahls, der Veruntreuung, der Sachbeschädigung, des Betruges, der Zechprellerei, der Irreführung der Rechtspflege und der Unzucht mit einem Kinde schuldig, verurteilte ihn zu vier Jahren Zuchthaus und stellte ihn für vier Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein.
D.-
Das Obergericht des Kantons Bern, an das Wenger hinsichtlich der Strafzumessung appellierte, setzte am 24. April 1953 die Strafe auf zwei Jahre Gefängnis, abzüglich 41 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft, herab, stellte den Strafvollzug ein und beschloss, Wenger gemäss
Art. 14 StGB
in einer Pflegeanstalt zu verwahren.
Das Obergericht führte aus, den Schlussfolgerungen des Sachverständigen könne nicht in allen Teilen beigepflichtet werden. Zwar seien nicht alle kriminellen Psychopathen vermindert zurechnungsfähig, sondern es sei im Einzelfalle zu prüfen, ob der Täter fähig gewesen sei, das Unrecht der Tat einzusehen und gemäss dieser Einsicht zu handeln. Die Zurechnungsfähigkeit sei aber jedenfalls dann vermindert, wenn die Psychopathie nach Art und Grad zu einem völlig abnormen Geisteszustand führe, d.h. in ihren Auswirkungen einer Geisteskrankheit gleichkomme. Wenger sei eine hochgradig moralisch defekte Person. Seine seit frühester Jugend zu Tage tretende Assozialität, seine Gefühlsroheit und Hemmungslosigkeit beim Begehen der Straftaten bewiesen das genügend. Die Einzelheiten jedoch zeigten, dass er mehr als ein blosser Psychopath sei. Es sei schon auffällig, dass er sich nicht nur in diesem Verfahren, sondern schon im Jahre 1944 vor der Polizei fälschlicherweise des Mordes bezichtet habe. Seine Geltungssucht wirke krankhaft. Er gebe sich immer wieder
BGE 81 IV 1 S. 6
als gelernter Mechaniker, Traktor- oder Autocarführer, als Musiker oder Inhaber einer Handharmonikaschule aus. Er scheine überhaupt an einem "Handharmonika-Komplex" zu leiden. Sobald er in Freiheit sei, kaufe er sich eine teure Handharmonika, ohne einen Rappen Geld zu besitzen. In seiner Lebensbeschreibung ersuche er das Gericht um die Todesstrafe, weil sein Leben ohne chromatische Handorgel unbrauchbar sei, und in einem Schreiben an die "Herren Chirurgen" in London wolle er den englischen Studenten seinen Körper zum Zwecke der Erlernung chirurgischer Eingriffe und, falls ihm dabei etwas zustossen sollte, sein Skelett zu Studienzwecken zur Verfügung stellen, alles zum Preise einer chromatischen vierchörigen Handharmonika mit Registern. Er wende sich auch an den I. Adjunkten der Polizeidirektion des Kantons Bern, ersuchte ihn um Freilassung, um eine starke sozialkommunistische Arbeiterpartei zu gründen, und sichere ihm in der Distanzlosigkeit des Debilen den Posten eines Präsidenten dieser Partei zu. Wenger lebe in einer Welt, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun habe. Er sei denn auch tatsächlich nicht in der Lage, sein Leben in der Gemeinschaft anderer zu gestalten. Seine schwere Psychopathie und seine leichte Debilität, die in Verbindung mit seiner Geltungssucht den Charakter eines eigentlichen Salonblödsinnes angenommen habe, hätten zu einem ganz abnormen Geisteszustand geführt. Die Einsicht in das Unrecht seiner Taten habe ihm deswegen zwar nicht gefehlt, wohl aber sei seine Fähigkeit, gemäss seiner Einsicht zu handeln, etwas herabgesetzt gewesen. Er sei daher zumindest in leichtem Masse als vermindert zurechnungsfähig zu betrachten. - Wenger sei in sämtlichen über ihn abgegebenen psychiatrischen Gutachten als gemeingefährlich bezeichnet worden. Dass dem so sei, habe er genügend bewiesen. Er habe sich kaum je einen Tag lang in der Freiheit halten können, ohne straffällig zu werden. Seine Delikte hätten zwar bis heute noch nicht allzu grosse Ausmasse angenommen. Dem moralisch defekten, aggressiven
BGE 81 IV 1 S. 7
und impulsiven Angeschuldigten seien jedoch nach Ansicht der Psychiater auch schwere Verbrechen zuzutrauen, und es müsse vor allem mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass er seine Drohungen durch Brandstiftung oder Angriff auf das Leben anderer verwirkliche. Da Wenger vermindert zurechnungsfähig sei, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und daher verwahrt werden müsse, jedoch keiner ärztlichen Behandlung bedürfe, seien die Voraussetzungen des
Art. 14 StGB
erfüllt.
E.-
Wenger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrage, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an diese Instanz zurückzuweisen. Er macht geltend, da das Obergericht dem Gutachten des Dr. Bührer nicht habe folgen wollen, hätte es ein Obergutachten einholen sollen; indem es das nicht getan und ohne genügende Grundlage angenommen habe, der Beschwerdeführer habe seine Taten im Zustande verminderter Zurechnungsfähigkeit begangen, habe es
Art. 11 StGB
verletzt. Sodann habe es
Art. 14 StGB
zu Unrecht angewendet. Diese Bestimmung setze ausser verminderter Zurechnungsfähigkeit und Gemeingefährlichkeit des Täters dessen Heil- oder Pflegebedürftigkeit voraus. Der Beschwerdeführer aber habe nach den psychiatrischen Gutachten weder eine Heilbehandlung noch Pflege nötig. Das Obergericht nehme das auch gar nicht an; die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung verneine es sogar ausdrücklich.
F.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Indem das Obergericht entgegen dem Sachverständigen Dr. Bührer angenommen hat, der Beschwerdeführer habe die ihm zur Last gelegten Taten im Zustande verminderter Zurechnungsfähigkeit begangen, hat es nicht gegen eidgenössisches Recht verstossen. Weder
Art. 11 StGB
noch eine andere Bestimmung des Bundesrechts verbietet dem Richter, einen bestimmten biologisch-psychologischen
BGE 81 IV 1 S. 8
Sachverhalt, den er als verminderte Zurechnungsfähigkeit würdigt, anders als durch ein psychiatrisches Gutachten festzustellen, noch ist der Richter verpflichtet, einem Gutachten, das er eingeholt hat, unbesehen zu folgen (
BGE 75 IV 148
). Der Kassationshof hat auf Nichtigkeitsbeschwerde hin auch nicht zu prüfen, ob der von der kantonalen Behörde ermittelte Sachverhalt in den Akten eine genügende Grundlage hat. Denn er ist an tatsächliche Feststellungen gebunden (Art. 277bis Abs. 1, 273 Abs. 1 lit. b BStP) und hat lediglich zu entscheiden, ob die festgestellten Tatsachen rechtlich richtig gewürdigt worden sind, im vorliegenden Falle also, ob der biologischpsychologische Zustand, in dem der Beschwerdeführer nach Auffassung des Obergerichts seine Verbrechen und Vergehen begangen hat, die rechtlichen Merkmale der verminderten Zurechnungsfähigkeit aufweist. Dass das nicht der Fall sei, macht jedoch der Beschwerdeführer nicht geltend. Es Ist denn auch nicht zu ersehen, inwiefern das Obergericht den Rechtsbegriff der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit verkannt haben könnte. Zwar ist der Begriff des normalen Menschen nicht eng zu fassen (
BGE 78 IV 212
). Das hat das Obergericht aber nicht getan, indem es dem Beschwerdeführer angesichts seines ganzen Vorlebens und seines sonderbaren Verhaltens einen geringfügigen Teil der Willensfreiheit abgesprochen hat, die der Mensch normalerweise besitzt.
2.
Art. 14 StGB
bestimmt: "Gefährdet der unzurechnungsfähige oder vermindert zurechnungsfähige Täter die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, und ist es notwendig, ihn in einer Heil- oder Pflegeanstalt zu verwahren, so ordnet der Richter diese Verwahrung an. - Der Richter stellt den Strafvollzug gegen den verurteilten vermindert Zurechnungsfähigen ein."
InBGE 73 IV 151hat der Kassationshof angenommen, es sei dann im Sinne dieser Bestimmung notwendig, den die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdenden vermindert zurechnungsfähigen Täter in einer Heil- oder
BGE 81 IV 1 S. 9
Pflegeanstalt zu verwahren, wenn er entweder einer Heilbehandlung oder der Pflege bedürfe (vgl. auch schonBGE 71 IV 71). Das wurde daraus abgeleitet, dass Art. 14 gleich wie Art. 15, der um der "Behandlung" oder "Versorgung" des Täters willen erlassen worden ist, von einer Heil- oder Pflegeanstalt spricht.
Diese Rechtsprechung entspricht dem wahren Sinne des
Art. 14 Abs. 1 StGB
indessen nicht und ist denn auch schon in einem Urteil vom 28. September 1951 in Sachen Rittermann aufgegeben worden.
Es fehlt ein Grund, der den Gesetzgeber bewogen haben könnte, die Verwahrung Unzurechnungsfähiger oder vermindert Zurechnungsfähiger, die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden, nur dann zu gestatten, wenn sie behandlungs- oder pflegebedürftig sind. Mit den Behandlungs- und den Pflegebedürftigen befasst sich Art. 15, lautend: "Erfordert der Zustand des unzurechnungsfähigen oder vermindert zurechnungsfähigen Täters seine Behandlung oder Versorgung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, so ordnet der Richter diese Behandlung oder Versorgung an. - Der Richter stellt den Strafvollzug gegen den verurteilten vermindert Zurechnungsfähigen ein." Neben dieser Bestimmung wäre Art. 14 überflüssig, wenn er voraussetzte, dass die Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt wegen Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit des Täters notwendig sei. Die Einweisung kann und muss, wenn diese Voraussetzung zutrifft, schon nach Art. 15 erfolgen. Nur weil Verwahrung die "strengere Form" sei als die Versorgung (vgl. ZStrR 62 59), kann Art. 14 nicht aufgestellt worden sein, umsoweniger als dieser Sinn nur zwischen den Zeilen herausgelesen werden müsste. Art. 14 hätte auch nicht etwa die über Art. 15 hinausgehende Wirkung, dass der Eingewiesene nach der Heilung oder nach dem Hinfall der Pflegebedürftigkeit noch weiter verwahrt werden dürfte. Nach der Heilung des Täters ist die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht mehr gefährdet, und wenn Fälle denkbar sind, in denen nach Hinfall der Pflegebedürftigkeit
BGE 81 IV 1 S. 10
diese Gefährdung noch weiterbesteht, so könnte es doch nicht der Sinn des Art. 14 sein, dass der Eingewiesene nur ihretwegen weiterverwahrt werden dürfte; es wäre nicht zu verstehen, dass die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung allein kein Grund zur Anordnung der Verwahrung, wohl aber Grund zu ihrer Aufrechterhaltung wäre; das widerspräche Art. 17 Ziff. 2 Abs. 1, wonach die Verwahrung nicht länger dauern soll als der Grund, der zu ihr Anlass gegeben hat. Art. 14 ist nur sinnvoll, wenn er die Verwahrung ohne Rücksicht auf die Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit des Täters einzig wegen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung gestattet. Es wäre auch verwunderlich, wenn das Strafgesetzbuch sich zwar der Behandlungs- oder Pflegebedürftigen annähme - und das gerade in zwei Bestimmungen (Art. 14 und 15) -, den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor anderen unzurechnungsfähigen oder vermindert zurechnungsfähigen Tätern dagegen vernachlässigte. Es kennt die Verwahrung rein zur Sicherung der Gesellschaft schon in Art. 42. Daher liegt nahe, dass ihr auch Art. 14 ohne Rücksicht auf die Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit des Täters dienen will. Hiefür spricht auch
Art. 12 MStG
, wonach der Militärrichter den Unzurechnungsfähigen oder vermindert Zurechnungsfähigen, der die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und dessen Verwahrung geboten erscheint, schon allein wegen dieser Gefährdung der bürgerlichen Verwaltungsbehörde zu überweisen hat. Das Strafgesetzbuch müsste eine entsprechende Bestimmung enthalten, wenn der bürgerliche Richter den Unzurechnungsfähigen oder vermindert Zurechnungsfähigen nicht ohne Rücksicht auf seine Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit selber in Verwahrung setzen dürfte. Dass die Öffentlichkeit nur vor dem Heilbaren oder dem Pflegebedürftigen geschützt werde, kann es schon deshalb nicht wollen, weil der weder heilbare noch pflegebedürftige Unzurechnungsfähige oder vermindert Zurechnungsfähige die öffentliche Sicherheit und Ordnung in
BGE 81 IV 1 S. 11
ebenso hohem Masse gefährden kann, ja sie gewöhnlich noch mehr gefährdet als der Behandlungs- oder Pflegebedürftige.
Ein gegenteiliger Schluss lässt sich nicht daraus ziehen, dass
Art. 14 StGB
bestimmt, die Verwahrung sei in einer "Heil- oder Pflegeanstalt" zu vollziehen. Es ist nicht zu ersehen, weshalb diese Norm die Behandlungs- oder Pflegebedürftigkeit nur in so verkappter Form zur Voraussetzung der Verwahrung erheben würde, statt sie ausdrücklich zu verlangen, wie
Art. 15 Abs. 1 StGB
es tut. Die Worte in Art. 14 Abs. 1 "und ist es notwendig, ihn in einer Heil- oder Pflegeanstalt zu verwahren", haben einen vernünftigen Sinn auch dann, wenn die Betonung nicht auf "Heil" und "Pflege", sondern auf "notwendig" und "verwahren" gelegt wird: Der die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdende unzurechnungsfähige oder vermindert zurechnungsfähige Täter soll nur dann nach Art. 14 verwahrt werden, wenn diese Verwahrung (auf unbestimmte Zeit) notwendig ist. Kann die Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung anders behoben werden, z.B. durch Vollzug einer langen Freiheitsstrafe, Verwahrung nach Art. 42, Bevormundung, Massnahmen nach kantonalem Verwaltungsrecht, Beaufsichtigung durch Angehörige, so soll der Richter Art. 14 nicht anwenden.
Gewiss leuchtet nicht ohne weiteres ein, weshalb in einer "Heil- oder Pflegeanstalt" auch Personen verwahrt werden sollen, die weder geheilt werden können, noch gepflegt werden müssen. Es gibt denn auch Psychiater, die es für unzweckmässig halten, gewisse Kategorien solcher Rechtsbrecher in die von ihnen geleiteten Anstalten einzuweisen (vgl. BLEULER, ZStrR 58 14; WYRSCH, ZStrR 59 13 f., 68 19 ff.; DUKOR, ZStrR 59 292; KIELHOLZ, ZStrR 60 238). Geradezu sinnlos ist diese Ordnung jedoch nicht. Dass dem zu Verwahrenden die Zurechnungsfähigkeit ganz oder teilweise fehlt, kann allein schon als genügender Grund erachtet worden sein, unter den vorhandenen Anstalten die Heil- und die Pflegeanstalten, die
BGE 81 IV 1 S. 12
ja vorwiegend vermindert Zurechnungsfähige und Unzurechnungsfähige beherbergen, als die geeignetsten Verwahrungsorte zu betrachten. Die Errichtung besonderer Anstalten zur Verwahrung unheilbarer und nicht pflegebedürftiger vermindert Zurechnungsfähiger und Unzurechnungsfähiger kam nicht in Frage, und die Einweisung in Verwahrungsanstalten für Gewohnheitsverbrecher im Sinne des
Art. 42 StGB
oder in Strafanstalten widerspräche den berechtigten Interessen des Einzuweisenden. Wie schon in Sachen Rittermann ausgeführt wurde, ist übrigens weder der Begriff der Heilanstalt noch der der Pflegeanstalt so eng, dass darunter, Verwahrungsanstalten für Gewohnheitsverbrecher und Strafanstalten ausgenommen, nicht irgendwelche Anstalt verstanden werden könnte, die die Öffentlichkeit vor ihren Insassen, ohne diese einer Heilbehandlung zu unterziehen oder sie zu pflegen, in geeigneter Weise schützt. Nur wenn der zu Verwahrende einer Heilbehandlung oder der Pflege bedarf, muss die Massnahme in einer Anstalt vollzogen werden, in der geheilt bzw. gepflegt werden kann. Dann aber hat der Richter es nicht bei der Anwendung des
Art. 14 StGB
bewenden zu lassen, der sich mit den Unzurechnungsfähigen oder vermindert Zurechnungsfähigen nur unter dem Gesichtspunkt der Verwahrung (internement, internamento; vgl. Randtitel), d.h. einer dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienenden reinen Absonderung von der Gesellschaft, befasst, sondern ausdrücklich daneben auch Heilbehandlung oder Pflege im Sinne des
Art. 15 StGB
anzuordnen.
Der Bundesrat, der in zwei Entscheidungen vom 21. Oktober 1946 und 26. April 1947 i.S. Keller von der Auffassung ausgegangen ist, die Verwahrung nach
Art. 14 StGB
setze voraus, dass der Täter einer Heilbehandlung oder der Pflege bedürfe (ZStrR 62 59, 399), hat denn auch am 27. Dezember 1954 in einem Meinungsaustausch mit dem Kassationshof dessen gegenteiligen neuen Rechtsprechung beigepflichtet.
BGE 81 IV 1 S. 13
Dass der Beschwerdeführer weder einer Heilbehandlung noch der Pflege bedarf, steht somit seiner Verwahrung nicht im Wege.
3.
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen über das Vorleben des Beschwerdeführers liegt auf der Hand, dass er die öffentliche Sicherheit gefährdet und die Gefahr nur durch Verwahrung behoben werden kann. Das wird denn auch mit der Beschwerde nicht bestritten. Auch steht ausser Frage, dass die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auf die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zurückzuführen ist. Alle Voraussetzungen zur Anwendung des
Art. 14 StGB
sind daher erfüllt.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
68f4c984-8a5a-4bcc-8127-7b113703b839 | Urteilskopf
94 II 119
18. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. März 1968 i.S. Gerber & Mitbeteiligte gegen Müller & Mitbeteiligte | Regeste
Art. 545 OR
sieht bei Vorliegen wichtiger Gründe nur die Auflösung der einfachen Gesellschaft und nicht auch die Ausschliessung (eines oder mehrerer Gesellschafter) vor.
Diese ist nur auf vertraglicher Grundlage zulässig. | Erwägungen
ab Seite 119
BGE 94 II 119 S. 119
Aus den Erwägungen:
a) Im Gegensatz zu
Art. 577 OR
wird in
Art. 545 OR
für die einfache Gesellschaft die Möglichkeit, einen oder mehrere Gesellschafter auszuschliessen, nicht erwähnt. Daraus darf nach Ansicht der Kläger nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber habe den Ausschluss bei der einfachen Gesellschaft von Gesetzes wegen abgelehnt und nur auf Grund einer entsprechenden Vereinbarung als zulässig erklärt. Zudem wollen die Kläger
Art. 577 OR
auch auf das Recht der einfachen Gesellschaft angewendet wissen.
Diese Auffassung ist mit der Vorinstanz auf Grund der Entstehungsgeschichte, welche über den Willen des Gesetzgebers klaren Aufschluss gibt, abzulehnen.
Die Kommissionsentwürfe von 1869/72 und 1876 sehen in Art. 545 vor, dass ein Gesellschafter die Auflösung der Gesellschaft verlangen kann, wenn "wichtige Ursachen" vorhanden sind; liegt die Ursache vorwiegend in der Person eines Gesellschafters,
BGE 94 II 119 S. 120
so kann vom Richter, sofern alle übrigen Gesellschafter darauf antragen, auch bloss auf Ausschliessung jenes Gesellschafters erkannt werden. Der Entwurf des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom Jahre 1879 sieht indessen für die einfache Gesellschaft nur noch die Auflösung aus "wichtigen Ursachen" vor (Art. 557), für die Kollektivgesellschaft dagegen zusätzlich die "Ausschliessung" des von den "wichtigen Ursachen .... vorwiegend" betroffenen "Gesellschafters" (Art. 586). Diese inhaltliche Unterscheidung fand den entsprechenden Niederschlag in Art. 547 (einfache Gesellschaft) und Art. 576 (Kollektivgesellschaft) des OR von 1881. Bei der Revision des OR von 1911 wurde Art. 547 des OR von 1881 in Art. 545 Abs. 2 - der heute geltenden Bestimmung - untergebracht. Art. 576 des OR von 1881 wurde erst von der grossen Revision im Jahre 1936 (
Art. 552 ff. OR
) erfasst und durch den Zusatz ergänzt, dass der Richter nicht nur auf Ausschliessung eines, sondern "mehrerer Gesellschafter" ... "und auf Ausrichtung ihrer Anteile am Gesellschaftsvermögen erkennen" könne. Der Gesetzgeber hat somit die Ausschlussmöglichkeit in
Art. 545 OR
bewusst abgelehnt und nicht - wie die Kläger behaupten - zu erwähnen unterlassen.
Die Auffassung,
Art. 545 OR
sehe bei Vorliegen wichtiger Gründe nur die Auflösung der Gesellschaft und nicht auch die Möglichkeit des Ausschlusses vor, stützt sich nicht nur auf die Entstehungsgeschichte, sondern wird auch im Schrifttum einhellig vertreten (BECKER, N. 27 e zu
Art. 545 OR
, FUNK, N. 8 zu Art. 545/46 OR, GLATTFELDER, Die Aktionärbindungs-Verträge, ZSR 78 II 346 a, GUHL/KUMMER, SJK Nr. 678, STUBER, Aktionär-Consortien, Diss. Zürich 1944 S. 60, FRAEFEL, Die Auflösung der Gesellschaft aus wichtigem Grunde, Diss. Zürich 1929, S. 107/108, ZOELLY, Die rechtliche Behandlung der Kartelle in der Schweiz, Diss. Zürich 1916, S. 77/78, VOGELSANG, Essai d'une étude dogmatique de la société simple en droit suisse, Diss. Lausanne 1931, S. 139/40).
Auch SIEGWART (Das Obligationenrecht, 4. Teil: Die Personengesellschaften, Art. 530-619) bietet für die Ansicht der Kläger,
Art. 577 OR
sei auf die einfache Gesellschaft anzuwenden, keine hinreichende Stütze. Zwar hält er es nicht für ausgeschlossen, die Sonderordnung der Kollektiv- und Kommanditgesellschaft in einzelnen Teilen auf die einfache Gesellschaft zu übertragen (N. 5 der Vorbemerkungen zu
Art. 530-551
BGE 94 II 119 S. 121
OR
). Doch lässt er keine Zweifel darüber offen, dass bei der einfachen Gesellschaft die Ausschlussmöglichkeit nicht von Gesetzes wegen bestehe, sondern nur auf vertraglicher Grundlage zulässig sei. Wenn er demnach von Ausschliessung spricht, so unter der Voraussetzung, dass der Gesellschaftsvertrag das Ausscheiden vorsieht oder wenigstens bestimmt, dass bei Eintritt eines Ausscheidungstatbestandes die davon nicht Betroffenen das Ausscheiden einstimmig oder mit Mehrheit beschliessen können (vgl. N. 39 zu Art. 545/47 OR). Die Besonderheit der Kollektivgesellschaft liegt nach SIEGWART gerade darin, dass der Ausschluss auch ohne darauf hin abzielende Vertragsbestimmung möglich sei (N. 43 zu Art. 545/47 OR). Allerdings ist nach seinem Dafürhalten "eine analoge Anwendung des Kollektivgesellschaftsrechtes auf gewisse einfache Gesellschaften nicht ausgeschlossen" (N. 39 zu Art. 545/47 OR). Welche Gesellschaften gemeint sind, sagt SIEGWART aber nicht, noch begründet er diese abweichende Auffassung. Es ist denn auch schwerlich einzusehen, inwiefern in der streitigen Frage die Ordnung der einfachen Gesellschaft trotz des eindeutigen gesetzgeberischen Willens für "gewisse einfache Gesellschaften" nicht gelten sollte (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 346 zu
Art. 1 ZGB
).
b) Die Kläger wenden ferner unter Hinweis auf
BGE 88 II 482
/83 ein, die Absicht des Gesetzgebers sei für den Richter auch dann nicht verbindlich, wenn sie klar feststehe; vielmehr sei zu prüfen, ob triftige Gründe für eine Rechtsfortbildung sprechen. Gerade die einfache Gesellschaft habe im Wirtschaftsleben (z.B. als Baukonsortium, Aktionärkonsortium) eine ungeahnte Entwicklung durchgemacht. Es sei daher nicht mehr zeitgemäss, dass dem vertragstreuen Gesellschafter nur bei einer entsprechenden Vereinbarung das Recht zustehe, den Ausschluss des fehlbaren Partners zu verlangen.
Ob die einfache Gesellschaft tatsächlich die behauptete Bedeutung im Wirtschaftsleben erlangt hat, kann dahingestellt bleiben; denn dieser Umstand ist für die Frage, ob die Ausschlussmöglichkeit von Gesetzes wegen anzuerkennen sei, belanglos. Insbesondere ist nicht zu verstehen, weshalb ein solches Bedürfnis ausgerechnet bei einem Aktionärkonsortium bestehen sollte. Denn wie jede andere einfache Gesellschaft kann auch dieses Zweckgebilde nach erfolgter Auflösung von den dazu entschlossenen Vertragspartnern formlos wieder hergestellt werden. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
68f5106c-f824-4050-9ce7-5c5b2685f9bb | Urteilskopf
106 Ib 241
36. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Oktober 1980 i.S. Zimmermann und Steiner gegen Kanton Zürich und Eidg. Schätzungskommission, Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Anspruch der Mieter und Pächter auf Enteignungsentschädigung.
Welche Ansprüche auf Enteignungsentschädigung Mietern und Pächtern zustehen, bestimmt sich ausschliesslich nach dem Bundesgesetz über die Enteignung (E. 2, 4a).
Bei der Expropriation nachbarrechtlicher Abwehransprüche wird auf dem enteigneten Grundstück eine Grunddienstbarkeit errichtet, deren Inhalt in der Pflicht zur Duldung der Immissionen besteht. Die Entschädigung für diese Dienstbarkeit bzw. die damit verbundene Entwertung des belasteten Grundstückes steht einzig dem Grundeigentümer zu (E. 3).
Ein Entschädigungsanspruch von Mietern und Pächtern besteht nur
- wenn durch die Enteignung der Vertrag vorzeitig aufgelöst oder in die vertraglichen Rechte eingegriffen wird (E. 4a);
- für die Dauer des Vertrages bis zum nächsten Kündigungstermin (E. 4b);
- für Schäden, die nach Vertragsabschluss entstehen (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 242
BGE 106 Ib 241 S. 242
Werner Zimmermann und Johann Steiner, beide Mieter einer Wohnung in Nähe des Flugplatzes Kloten, ersuchten im September 1973 den Kanton Zürich als Halter des Flughafens Zürich-Kloten um Eröffnung eines Enteignungsverfahrens und verlangten eine Entschädigung für die vom Flughafenbetrieb ausgehenden Immissionen. Der Kanton Zürich hielt die Entschädigungsbegehren für unbegründet, stellte jedoch an den
BGE 106 Ib 241 S. 243
Präsidenten der Eidg. Schätzungskommission, Kreis 10, ein Gesuch um Einleitung des Schätzungsverfahrens. Dieser gab dem Begehren statt und setzte den Enteigneten Frist zur Anmeldung ihrer Entschädigungsansprüche an. Zimmermann und Steiner forderten vom Kanton für die bisherige Mietdauer bis 31. Dezember 1974 eine Kapitalzahlung sowie für die Zeit ab 1. Januar 1975 bis zur Auflösung des Mietvertrages eine jährliche Rente. Die Schätzungskommission wies die Entschädigungsbegehren mit der Begründung, ein materieller Schaden sei nicht nachgewiesen worden, vollständig ab. Gegen diesen Entscheid haben Zimmermann und Steiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Es ist unbestritten, dass dem Kanton Zürich als Inhaber der Konzession für den Flugplatz Kloten das Enteignungsrecht im Sinne von
Art. 2 und 3 Abs. 2 EntG
in Verbindung mit
Art. 50 Abs. 1 LFG
(nach alter, vor dem 1. Januar 1974 geltender Fassung) verliehen worden ist. Der Präsident der Schätzungskommission hat daher zu Recht auf Begehren des Kantons ein Enteignungsverfahren zur Beurteilung der angemeldeten Entschädigungsforderungen eröffnet. Ein Vorentscheid über die Rechtzeitigkeit der Forderungseingaben im Sinne von
Art. 41 Abs. 2 EntG
und Art. 19 V für die eidg. Schätzungskommissionen musste nicht gefällt werden, da die Verwirkung nach
Art. 41 EntG
nur dann eintreten kann, wenn bereits ein Enteignungsverfahren stattgefunden hat, d.h. wenn eine öffentliche Planauflage (
Art. 30 EntG
) durchgeführt oder den Betroffenen eine persönliche Anzeige (Art. 33 f. EntG) zugestellt worden ist, was hier beides nicht zutrifft (vgl.
BGE 106 Ib 235
E. 2;
BGE 105 Ib 9
ff. E. 2 mit Hinweisen).
2.
Die auf
Art. 679 und 684 ZGB
gestützten zivilrechtlichen Klagen gegen den Grundeigentümer, der sein Eigentumsrecht überschreitet, stehen jedem zu, der durch die übermässigen Einwirkungen in der Nutzung, Benutzung oder Bewirtschaftung eines benachbarten Grundstückes beeinträchtigt wird; klageberechtigt ist also nicht bloss der Eigentümer eines Nachbargrundstückes, sondern auch der Obligatorisch Berechtigte - Mieter oder Pächter - sofern er am betroffenen Grundstück Besitz hat
BGE 106 Ib 241 S. 244
(
BGE 59 II 136
f.;
BGE 104 II 17
f. E. 1,
BGE 83 II 379
f. E. 1,
BGE 79 I 204
,
BGE 75 II 120
; MEIER-HAYOZ, N. 51 zu
Art. 679 ZGB
, N. 186 f. zu
Art. 684 ZGB
, HAAB, N. 10 zu
Art. 679 ZGB
, N. 14 zu
Art. 684 ZGB
, STARK, Das Wesen der Haftpflicht des Grundeigentümers nach
Art. 679 ZGB
, S. 195).
Die Schätzungskommission hat hieraus den Schluss gezogen, dass Mieter und Pächter eines Grundstückes in der Eigenschaft als geschädigte Nachbarn auch im Enteignungsverfahren die gleiche Stellung einnähmen wie der Grundeigentümer. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Welche Entschädigungsansprüche in einem Enteignungsverfahren nach eidgenössischem Recht dem Eigentümer und welche den Mietern und Pächtern zustehen, bestimmt sich ausschliesslich nach dem Bundesgesetz über die Enteignung. Das gilt auch für die aus dem nachbarlichen Verhältnis entstehenden Ersatzansprüche für Immissionen (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 75 zu
Art. 679 ZGB
).
3.
Um Unklarheiten zu vermeiden, hat der Gesetzgeber in
Art. 5 EntG
ausdrücklich festgehalten, dass neben den anderen dinglichen Rechten an Grundstücken auch die aus dem Grundeigentum hervorgehenden Nachbarrechte Gegenstand der Enteignung bilden können (vgl. HESS, N. 2 zu
Art. 5 EntG
). Damit wird insbesondere auf das in
Art. 679 und 684 ZGB
umschriebene Recht des Grundeigentümers verwiesen, übermässige, von benachbarten Grundstücken ausgehende Immissionen abzuwehren. Gehen solche Immissionen von einem Werk aus, das im öffentlichen Interesse liegt und für welches dem Werkeigentümer das Enteignungsrecht verliehen wurde, und können die Einwirkungen nicht oder nur mit einem unverhältnismässigen Kostenaufwand vermieden werden, so steht dem betroffenen Nachbarn keine Unterlassungsklage zu, da seine Abwehransprüche dem vorrangigen öffentlichen Interesse am Unternehmen weichen müssen (
BGE 102 Ib 351
,
BGE 100 Ib 195
E. 7a,
BGE 96 II 348
f. E. 6,
BGE 94 I 297
E. 6,
BGE 93 I 300
ff.,
BGE 79 I 203
,
BGE 62 I 269
,
BGE 40 II 290
f.; vgl. auch
BGE 105 Ib 14
). Es bleibt dem Betroffenen einzig die Möglichkeit, für die Unterdrückung seines nachbarrechtlichen Abwehranspruches auf dem Enteignungswege gestützt auf
Art. 5 EntG
eine Entschädigung zu fordern. Diese Unterdrückung des Abwehranspruches ist nichts anderes als die - zwangsweise - Errichtung einer Grunddienstbarkeit auf dem Grundstück des Nachbarn zugunsten des Grundstücks des Werkeigentümers, deren Inhalt in der Pflicht zur Duldung der Immissionen besteht
BGE 106 Ib 241 S. 245
(HESS, N. 3, 17, 23 zu
Art. 5 EntG
, MEIER-HAYOZ, N. 155 zu
Art. 679 ZGB
; VPB 17, 144/45 Nr. 143). Nach
Art. 91 EntG
erwirbt der Werkeigentümer bzw. Enteigner die von ihm beanspruchte Dienstbarkeit durch die Bezahlung der Enteignungsentschädigung oder der nach
Art. 19bis Abs. 2 EntG
festgesetzten Anzahlung, ohne dass es der Eintragung ins Grundbuch bedürfte.
Handelt es sich somit bei der Enteignung von Nachbarrechten um die zwangsweise Einräumung einer Servitut, so gelangen für die Bemessung der Entschädigung die Regeln über die Teilenteignung zur Anwendung. Der Enteignete hat Anspruch auf Ersatz des Minderwertes, den sein Grundstück durch die dingliche Belastung erleidet, d.h. auf die Vergütung der Wertdifferenz, die sich zwischen dem Verkehrswert des unbelasteten Grundstückes und jenem des belasteten Grundstückes ergibt (
Art. 19 lit. b EntG
;
BGE 103 Ib 99
,
BGE 102 Ib 176
; ZBl 77/1976 S. 158; HESS, N. 16 zu
Art. 19 EntG
). Die Enteignungsentschädigung ist vom ersten Auftreten der übermässigen Einwirkungen an zu verzinsen, da von diesem Zeitpunkt an die beanspruchten Rechte faktisch in Besitz genommen werden (vgl.
Art. 76 Abs. 5 EntG
; nicht publ. Entscheid vom 8. Mai 1974 i.S. Knecht E. 6).
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der Entschädigungsanspruch für die Auferlegung der Dienstbarkeit und die mit der Immissionsduldungspflicht verbundene Entwertung des belasteten Grundstücks nur dem Grundeigentümer, dem Träger des enteigneten dinglichen Rechtes, zustehen kann.
4.
Nach
Art. 5 Abs. 1 EntG
können indessen neben den dinglichen Rechten an Grundstücken auch die persönlichen - obligatorischen - Rechte von Mietern und Pächtern des von der Expropriation betroffenen Grundstückes Enteignungsobjekt sein. Hiezu wird in
Art. 23 Abs. 2 EntG
bestimmt, dass Mieter und Pächter Ersatz allen Schadens verlangen können, der ihnen aus der vorzeitigen Aufhebung ihrer vor Einleitung des Enteignungsverfahrens abgeschlossenen Miet- und Pachtverträge entsteht. Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit den Mietern und Pächtern auf Grund dieser Bestimmungen auch ein Entschädigungsanspruch für Immissionen zustehe.
a) Das Bundesgericht anerkannte noch unter dem alten Enteignungsrecht eine Verpflichtung des Enteigners, den Mietern und Pächtern den durch die Enteignung bedingten, aus der vorzeitigen Auflösung der Verträge entstehenden Schaden zu
BGE 106 Ib 241 S. 246
ersetzen, obschon das Bundesgesetz vom 1. Mai 1850 keine entsprechende Vorschrift enthielt (vgl. Geschäftsbericht des Bundesgerichtes für das Jahr 1874, BBl 1875 I S. 146 f.; BGE 8 S. 302 f. und 21 S. 401 ff. E. 2, 3). Anknüpfend an diese Rechtsprechung sah JAEGER in seinem Entwurf für ein neues Enteignungsgesetz den Grundsatz vor, dass die Enteignungsentschädigung auch den Schaden umfasse, "der Mietern und Pächtern des Enteigneten infolge der Enteignung notwendig entsteht" (Art. 10 Ziff. 4 des Vorentwurfes; Erläuternder Bericht zum Vorentwurf, S. 25 f.). Ins Gesetz wurde schliesslich der eingeschränktere Text von
Art. 23 Abs. 2 EntG
aufgenommen, und zwar auf Anregung der Sekundärbahnen hin, welche den Schadenersatzanspruch der Mieter und Pächter auf den Fall der vorzeitigen Auflösung des bestehenden Vertrages beschränken wollten (vgl. Ergänzender Bericht zum zweiten Entwurf JAEGER, S. 18 f.). Das heisst nun allerdings nicht, dass nach geltendem Recht eine Entschädigung nur bei vorzeitiger Vertragsauflösung zu leisten sei. Eine Entschädigungspflicht des Enteigners kann sich auch in jenen Fällen ergeben, in denen die den Mietern und Pächtern aus dem Vertrag zustehenden Rechte eingeschränkt werden, d.h. der vertragsgemässe Gebrauch der Sache beeinträchtigt wird. Bei der Auslegung von
Art. 23 Abs. 2 EntG
ist nämlich der erst im Laufe der parlamentarischen Beratungen ins Gesetz eingefügte
Art. 5 Abs. 2 EntG
mitzuberücksichtigen, wonach die Gegenstand der Enteignung bildenden Rechte "dauernd oder vorübergehend entzogen oder beschränkt" werden können, ohne dass eine Unterscheidung zwischen dinglichen und obligatorischen Rechten getroffen würde. So ist bereits in
BGE 93 I 303
E. 4 (letzter Absatz) festgehalten worden, dass die als Folge der Enteignung eintretende Schmälerung des vertragsgemässen Gebrauches (Störung eines Hotelbetriebes durch Bauarbeiten an der Nationalstrasse) für den Enteigner eine Entschädigungspflicht auslösen kann.
Auch bei solchen Eingriffen des Enteigners in Miet- und Pachtverhältnisse bilden nicht dingliche Rechte an Grundstücken - einschliesslich des Abwehranspruches gegenüber Immissionen - das Enteignungsobjekt, sondern das durch den Vertrag verliehene Recht auf ungestörten Gebrauch und volle Nutzung der Miet- oder Pachtsache. Zwar hat das Bundesgericht in
BGE 93 I 302
E. 4 (zweiter Absatz) selbst erklärt, der Mieter sei deshalb für die Immissionen zu entschädigen, weil
BGE 106 Ib 241 S. 247
der obligatorisch Berechtigte gleich wie der Eigentümer auf Unterlassung der übermässigen Einwirkungen klagen könne. Wie bereits dargelegt, ist jedoch die zivilrechtliche Stellung der Mieter und Pächter nicht bestimmend für deren Rechtsstellung im Enteignungsverfahren; diese wird allein durch das Enteignungsrecht umschrieben. Nach dem Enteignungsgesetz steht aber dem Mieter oder Pächter, falls ihm die in
Art. 679 ZGB
vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen übermässige Immissionen nicht zur Verfügung stehen, nur dann und insoweit ein Anspruch auf Schadenersatz zu, als durch die Enteignung des Grundeigentümers und Vertragspartners in seine vertragliche Rechte eingegriffen wird.
b) Daraus folgt, dass der Entschädigungsanspruch von Mietern und Pächtern nicht über den Wert dessen hinausgehen kann, was ihnen an Gebrauchs- und Nutzungsrechten nach Inhalt und Dauer des abgeschlossenen Vertrages tatsächlich zusteht. In dieser Hinsicht hat das Bundesgericht in Übereinstimmung mit der Lehre entschieden, dass dem obligatorisch Berechtigten keine Entschädigung zu entrichten ist, wenn der Enteigner in den Vertrag eintritt, ihn auf einen vertragsgemässen Termin kündigt und dem Mieter oder Pächter bis zu diesem Zeitpunkt den vollen Gebrauch der Sache überlässt. So kann sich der Mieter oder Pächter den Vermögensnachteil nicht ersetzen lassen, den er dadurch erleidet, dass er bis zum nächsten Kündigungstermin ein neues, ihm genehmes Vertragsverhältnis nicht mehr eingehen oder dass er das Geschäftsinventar nicht vollständig abschreiben kann. Solche Schäden stehen in keinem kausalen Zusammenhang mit der Enteignung; sie sind eine Folge zu kurzer Vertragsdauer oder Kündigungsfristen (
BGE 95 I 309
f.). Der Enteigner hat für rein tatsächliche Nachteile nicht einzustehen und braucht sich, wie das Bundesgericht hervorgehoben hat, nicht entgegenhalten zu lassen, dass der Vertrag, hätte die Enteignung nicht stattgefunden, möglicherweise erneuert worden wäre (zit. Entscheid S. 311 E. 3). Diese Rechtsprechung ist im nicht veröffentlichten Entscheid vom 8. Juli 1970 i.S. Azienda elettrica ticinese c. Bontà bestätigt und dem enteigneten Pächter jede Entschädigung über die Vertragsdauer hinaus verweigert worden, obschon nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge damit zu rechnen war, dass der seit mehr als dreissig Jahren bestehende Vertrag weiterhin verlängert worden wäre (E. 2 und 3; vgl. auch
BGE 106 Ib 226
f. E. 2).
BGE 106 Ib 241 S. 248
Gleiches muss gelten, wenn die dem Mieter oder Pächter zustehenden vertraglichen Rechte durch die Enteignung nicht vorzeitig aufgehoben, sondern nur beschränkt werden. Auch in diesen Fällen ist eine Entschädigung nur für die Zeit bis zum Vertragsablauf oder bis zu einem Kündigungstermin geschuldet. Es ist unerheblich, ob der Vertrag auf diesen Zeitpunkt tatsächlich aufgelöst oder ob er erneuert werde. Ausschlaggebend ist einzig, dass der Mieter Oder Pächter bei Vertragserneuerung eine Zinsreduktion verlangen kann, falls seiner Meinung nach das Miet- oder Pachtobjekt infolge der Enteignung an Wert verloren hat. Die gleiche Meinung hat schon JAEGER, der Verfasser des Vorentwurfes, in seinem Bericht vom Oktober 1916 vertreten, wo er zum Entschädigungsanspruch des Pächters bei Errichtung eines Durchleitungsrechtes auf dem Pachtgrundstück wörtlich ausführte:
"Man wird eben, wenn der Pachtvertrag und die Servitutsdauer nicht zusammenfallen, dem Pächter nur für die Dauer seines Vertrages, bzw. bis zur nächsten Kündigungsmöglichkeit, eine Entschädigung zusprechen. Will er dann nachher das Verhältnis fortsetzen, so kann er ja vorher eine Reduktion des Pachtzinses verlangen (Ergänzender Bericht S. 19)."
Auch die deutsche Lehre und Rechtsprechung wendet übrigens im wesentlichen die gleichen Grundsätze an (vgl. Entscheide des Bundesgerichtshofes vom 11. Mai 1967 und 1. Juli 1968, wiedergegeben in THIEL/GELZER, Baurechtssammlung, Bd. 19 Nr. 145 und 146; GELZER/BUSSE, Der Umfang des Entschädigungsanspruches aus Enteignung und enteignungsgleichem Eingriff, S. 182 N. 605-607; AUST/JACOBS, Die Enteignungsentschädigung, S. 74 ff., 106).
c) Nach
Art. 23 Abs. 2 EntG
können Mieter und Pächter nur den Ersatz des Schadens verlangen, der ihnen aus der vorzeitigen Auflösung ihrer vor Einleitung des Enteignungsverfahrens abgeschlossenen Verträge entsteht.
Art. 25 EntG
schliesst zudem in allgemeiner Weise jede Entschädigung für Rechte und Ansprüche aus, die durch widerrechtliche oder missbräuchliche Handlungen oder nur zu dem Zwecke begründet wurden, eine Entschädigung zu erwirken. Wenn nun, wie dargelegt, eine Entschädigung nicht nur im Falle vorzeitiger Auflösung der Miet- und Pachtverträge geschuldet wird, sondern auch dann, wenn die vertraglichen Gebrauchs- und Nutzungsrechte geschmälert werden, so ergibt sich aus diesen Bestimmungen, dass für Beeinträchtigungen, die schon bei Vertragsschluss
BGE 106 Ib 241 S. 249
bestanden haben, kein Ersatzanspruch erhoben werden kann. Allerdings ist
Art. 23 Abs. 2 EntG
, sofern Immissionsentschädigungen im Spiele sind, nicht in dem Sinne zu verstehen, dass die Entschädigungspflicht nur für jene Verträge dahinfalle, die erst nach formeller Verfahrenseröffnung abgeschlossen werden; massgebend muss hier der Zeitpunkt des Immissionseintrittes sein. Da ein Werkeigentümer kaum aus eigenem Antrieb ein Verfahren zur ausschliesslichen Abgeltung von Immissionen einleiten wird - schon weil er die Enteigneten nicht kennt (vgl. HESS, N. 4 zu
Art. 5 EntG
) - und es in der Regel den Betroffenen obliegt, ein Gesuch um Verfahrenseröffnung zu stellen, ist in solchen Fällen der Zeitpunkt der formellen Verfahrenseinleitung mehr oder weniger zufällig. Die zu enteignenden Rechte der Nachbarn werden indessen, sobald Immissionen auftreten, vom Werkeigentümer faktisch in Besitz genommen. Dieser Eingriff des Enteigners ist, wie hinsichtlich der Verzinsungspflicht schon dargelegt (E. 3a), der vorzeitigen Inbesitznahme im Sinne von
Art. 76 EntG
gleichzustellen. Immissionen sind ausserdem ihrem Wesen nach wahrnehmbar und somit publik; sie können den Vertragsschliessenden nicht unbekannt sein. Wenn auch diese Form der Publizität nicht genügt, um die in
Art. 41 EntG
vorgesehene Verwirkungsfrist auszulösen, da dieser Rechtsnachteil den Enteigneten ausdrücklich angedroht werden muss, so unterliegen doch die Entschädigungsbegehren für Immissionen vom Zeitpunkt des Schadenseintritts an der Verjährung (
BGE 105 Ib 9
ff. E. 2, 15 ff. E. 3d).
Bestehen bei Vertragsabschluss die von einem öffentlichen Werk herrührenden Beinträchtigungen schon, so kann der Mieter oder Pächter diesem Umstand bei der Zinsfestsetzung Rechnung tragen und wird in der Regel nicht den gleichen Zins bezahlen, den er für den ungestörten Gebrauch der Sache zu leisten bereit gewesen wäre. Nimmt er seine eigenen Interessen in dieser Hinsicht nicht wahr, so kann er sich nicht nachträglich am Enteigner schadlos halten. Wenn für Mieter und Pächter im Enteignungsverfahren die Möglichkeit geschaffen wurde, ihre Ersatzbegehren direkt an den Enteigner zu richten, so geschah dies einzig zur Vermeidung der Schwierigkeiten, die entstünden, wenn die Geschädigten mit ihren Ersatzansprüchen an den Grundeigentümer verwiesen würden, den an der Nichteinhaltung der Verträge keine Schuld trifft (vgl. Botschaft des
BGE 106 Ib 241 S. 250
Bundesrates zum Bundesgesetz über die Enteignung, BBl 1926 II S. 37). Dagegen war es wohl kaum die Absicht des Gesetzgebers, die Mieter und Pächter ihrer Sorgfaltspflichten zu entledigen die ihnen bei Abschluss oder Erneuerung eines Vertrags obliegen, noch wollte er ihr Stillhalten dem Eigentümer gegenüber damit honorieren, dass er ihnen die Mittel zur - jederzeitigen - Haftbarmachung des Staates als Werkeigentümer zur Verfügung stellt.
d) Werden Mieter und Pächter von übermässigen Immissionen eines öffentlichen Werkes betroffen, so besteht demnach eine Entschädigungspflicht des Enteigners nur, sofern die Einwirkungen während der Dauer des Miet- oder Pachtverhältnisses eingetreten sind, und lediglich für die Zeit bis zum Ablauf des Vertrages oder bis zur nächsten Kündigungsmöglichkeit. Eine Haftung des Enteigners ist ausgeschlossen, wenn die Immissionen bei Vertragsabschluss schon bestanden haben.
5.
Der Beschwerdeführer Steiner mietete die Wohnung in Rümlang ab 1. September 1958. Der Vertrag war, unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist, erstmals auf den 31. März 1959 und im folgenden jeweils auf Ende März, Ende Juni oder Ende September kündbar. Eine ähnliche Regelung galt für den Mietvertrag des Beschwerdeführers Zimmermann: Die Miete begann am 1. Mai 1967 und konnte durch Kündigung auf Ende März, Ende Juni oder Ende September, jedoch frühestens auf den 30. Juni 1968 aufgelöst werden. Beide Beschwerdeführer fordern eine Entschädigung für die ganze Mietdauer; das heisst, dass übermässige Immissionen ihrer Ansicht nach bereits bei Mietbeginn bestanden. Hiezu wurde zwar ausgeführt, die Beschwerdeführer hätten bei Vertragsschluss von den Immissionen nichts gewusst Oder seien sich jedenfalls über das Ausmass der vom Flughafen ausgehenden Belästigungen nicht im klaren gewesen. Diese Behauptung ist jedoch kaum glaubhaft und steht im Widerspruch zu dem, was die Beschwerdeführer an anderer Stelle vorgebracht haben, nämlich dass sie sich beim Einzug in die Wohnungen auf die Erklärungen der Zürcher Behörden hätten verlassen dürfen, wonach der Flugzeuglärm im Laufe der Jahre keine Steigerung, sondern eher eine Milderung erfahren werde. Die Entschädigungsbegehren sind daher schon abzuweisen, weil die von den Beschwerdeführern als übermässig bezeichneten Einwirkungen bei Vertragsabschluss bereits bestanden haben.
BGE 106 Ib 241 S. 251
Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Immissionen erst während der Dauer der Miete ein Übermass erreicht hätten, könnte die Beschwerde wegen ungenügender Substantiierung der Schadenersatzbegehren nicht gutgeheissen werden. Angaben über eine Verschärfung der Einwirkungen, über deren Intensität sowie über die Schadenelemente im einzelnen haben die Beschwerdeführer nicht gemacht. Es kann aber nicht Aufgabe des Enteignungsrichters sein, anstelle des Enteigneten den Schadensnachweis zu erbringen. Zudem erstrecken sich hier die Beeinträchtigungen, für welche der Enteigner einzustehen hat, nur auf eine sehr kurze Zeit, im für die Enteigneten günstigsten Falle auf die ganze Zeit zwischen zwei Kündigungsterminen, also höchstens auf eine Dauer von drei bzw. sechs Monaten. Störungen gleicher Dauer, wie sie von irgendeiner Baustelle ausgehen können, müssen in der Regel von Grundeigentümern und Mietern entschädigungslos hingenommen werden.
Damit will das Bundesgericht das Problem der Flugplatz-Immissionen nicht etwa minimalisieren und nicht bestreiten, dass weite Teile der Bevölkerung erheblich unter dem Fluglärm leiden. Es will einzig klarstellen, dass die mit der Beschwerde verfolgten Ziele der Lärmbekämpfung den Rahmen des Enteignungsgesetzes sprengen, auf welches bei der Beurteilung der Entschädigungsbegehren, die die Beschwerdeführer eingereicht haben, ausschliesslich abzustellen ist.
Die Beschwerden sind somit vollständig abzuweisen, ohne dass die Frage zu beantworten wäre, ob die hier umstrittenen Immissionen im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung übermässig gewesen seien und an sich einen Schadenersatzanspruch hätten begründen können. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
690155ab-71b0-4427-b6be-7936d97c4a87 | Urteilskopf
101 V 139
27. Extrait de l'arrêt du 30 septembre 1975 dans la cause Beyeler contre Caisse-maladie suisse d'entreprises et Cour de justice du canton de Genève | Regeste
Art. 5bis Abs. 4 KUVG
und Art. 12 Vo II.
- Von der Pflicht der Kassen, die Versicherten darüber aufzuklären, dass sie von der Kollektiv- in die Einzelversicherung übertreten können.
- Ein Versicherter, der sich wider Treu und Glauben auf die fehlende schriftliche Aufklärung beruft, begeht Rechtsmissbrauch. | Erwägungen
ab Seite 139
BGE 101 V 139 S. 139
Extrait des considérants:
Aux termes de l'art. 5bis al. 4 LAMA
"Lorsqu'il cesse d'appartenir au cercle des personnes auxquelles s'étend une assurance collective, ou lorsque le contrat d'assurance collective prend fin, l'assuré a le droit de passer dans l'assurance individuelle de la caisse, à la condition qu'il réside dans le rayon d'activité de celle-ci ou qu'il fasse partie de l'entreprise, de la profession ou de l'association professionnelle à laquelle la caisse limite son activité.
Les caisses ont, dans les limites de l'assurance individuelle, l'obligation de garantir à l'assuré qui sort de l'assurance collective les prestations qui lui étaient accordées jusqu'alors."
Conformément à la délégation de compétence que lui fait l'art. 5bis al. 5 LAMA, le Conseil fédéral a émis le 22 décembre 1964 une ordonnance sur l'assurance-maladie collective pratiquée par les caisses reconnues (ci-après, Ord. II), dont l'art. 11 dispose:
"1 Un délai peut être fixé pour l'exercice du droit de passage dans l'assurance individuelle; il doit toutefois être d'au moins un mois à compter du jour de la sortie de l'assurance collective.
BGE 101 V 139 S. 140
2 Si l'assuré demande dans le délai prévu de passer dans l'assurance individuelle, la caisse est tenue de l'y admettre rétroactivement au jour où l'assurance collective a pris fin. Il en est de même lorsque l'assuré n'a pu, en raison d'une faute de la caisse, faire valoir son droit au passage dans le délai prévu."
Quant à l'art. 12 Ord. II, il précise que les caisses doivent faire en sorte que les assurés, lorsqu'ils cessent d'appartenir au cercle des personnes auxquelles s'étend une assurance collective ou lorsque le contrat d'assurance collective prend fin, soient renseignés sur leur droit de passage dans l'assurance individuelle. Elles doivent également renseigner les assurés qui peuvent faire valoir un droit de libre passage.
Suivant la jurisprudence, l'obligation de renseigner faite à la caisse-maladie par l'art. 12 Ord. II doit être remplie en la forme écrite, comme c'est le cas des indications relatives aux moyens de droit, des sommations et des réserves d'assurance (RO 100 V 135). Ainsi qu'en a décidé la Cour plénière, il y a lieu de s'en tenir à cette jurisprudence. Il est évident cependant qu'un ex-assuré collectif qui, contrairement aux règles de la bonne foi, entendrait se prévaloir de l'absence de communication écrite de la caisse commettrait un abus de droit, au sens de l'art. 2 al. 2 CCS. La portée de cette dernière disposition dépasse le cadre du droit civil fédéral; elle s'étend en particulier au droit public (MERZ, ad art. 2 CCS, p. 246, n. 72-75, Berner Kommentar). Dans la mesure où elle impose aux caisses d'aviser les assurés de leur droit de passer à l'assurance individuelle au moment où l'emploi a pris fin, la législation genevoise ne saurait s'opposer à cette règle. | null | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
6904896d-50c8-4d3e-85dc-42183624dacf | Urteilskopf
111 II 173
37. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Juli 1985 i.S. X. und Konsorten gegen Firma Y. (Berufung) | Regeste
Werkvertrag; Nachbesserungsanspruch des Bestellers. Begriff der übermässigen Kosten im Sinne von
Art. 368 Abs. 2 OR
.
Die Nachbesserungskosten sind dann übermässig, wenn sie in einem Missverhältnis zum Nutzen stehen, den die Mängelbeseitigung dem Besteller bringt. Bei der Abwägung von Kosten und Nutzen können auf seiten des Bestellers nicht nur wirtschaftliche, sondern auch nichtwirtschaftliche Interessen berücksichtigt werden. | Erwägungen
ab Seite 173
BGE 111 II 173 S. 173
Aus den Erwägungen:
5.
Gemäss
Art. 368 Abs. 2 OR
kann der Besteller die unentgeltliche Verbesserung des Werkes nur verlangen, sofern dies dem Unternehmer nicht übermässige Kosten verursacht. Die Kläger werfen dem Appellationshof vor, diese Bestimmung falsch ausgelegt und angewendet zu haben.
Der Appellationshof hat gestützt auf die neuere schweizerische Literatur, welche der deutschen Lehre zum inhaltsgleichen § 633 Abs. 2 BGB entspricht, den Begriff der übermässigen Kosten grundsätzlich richtig ausgelegt. Nach diesen Lehrmeinungen muss ein Missverhältnis zwischen den voraussichtlichen Nachbesserungskosten
BGE 111 II 173 S. 174
und dem Nutzen bestehen, den die Mängelbeseitigung dem Besteller bringt; Kosten und Nutzen sind gegeneinander abzuwägen (GAUCH, Der Werkvertrag, 3. Aufl., Nr. 1236 ff.; REBER, Rechtshandbuch für Bauunternehmer, Bauherr, Architekt und Bauingenieur, 4. Aufl., S. 149; CORBOZ, SJK Nr. 460 S. 15, Fussnote 125; STAUDINGER/RIEDEL, Recht der Schuldverhältnisse, 11. Aufl., N. 24 zu § 633 BGB; MÜNCH KOMM/SOERGEL, N. 100 zu § 633 BGB; INGENSTAU/KORBION, Kommentar zur VOB, 10. Aufl., N. 193 zu
§ 13 VBO
/B). Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beurteilung, wie sie der Appellationshof im Ergebnis vorgenommen hat, ist das Verhältnis der Nachbesserungskosten zu den Baukosten oder zum vereinbarten Werklohn nicht massgebend (GAUCH, a.a.O., Nr. 1237; REBER, a.a.O., S. 150; MÜNCH KOMM/SOERGEL, N. 100 zu § 633 BGB; INGENSTAU/KORBION, N. 193 zu
§ 13 VBO
/B; anderer Ansicht: GAUTSCHI, N. 13b zu
Art. 368 OR
; ähnlich PEDRAZZINI, SPR Bd. VII/1, S. 517). Bei der Abwägung von Kosten und Nutzen können auf seiten des Bestellers nicht nur wirtschaftliche, sondern auch nichtwirtschaftliche Interessen berücksichtigt werden (GAUCH, a.a.O., Nr. 1241). Die Nachbesserungskosten umfassen neben dem Aufwand für die eigentliche Mängelbeseitigung auch die damit verbundenen Begleitkosten für Vorbereitungs- und Wiederherstellungsarbeiten sowie die Mängelbehebungsfolgekosten, zu denen zum Beispiel solche für Ausquartierung und anderweitige Unterbringung von Hausbewohnern zählen (GAUCH, a.a.O., Nr. 1239). Da der Ausschluss des Nachbesserungsanspruchs bei übermässigen Kosten als Anwendungsfall der Untunlichkeit einer Realerfüllung den Unternehmer vor nach Treu und Glauben unzumutbaren Forderungen schützen soll, genügt es für den Wegfall des Nachbesserungsrechts, dass der Nutzen des Bestellers die mit der Verbesserung verbundenen Kosten vernünftigerweise nicht mehr zu rechtfertigen vermag (KLAUSER, Die werkvertragliche Mängelhaftung und ihr Verhältnis zu den allgemeinen Nichterfüllungsfolgen, Diss. ZH 1973, S. 113; GAUCH, a.a.O., Nr. 1236). Es besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, von diesen in der neueren Lehre überwiegend für massgebend erklärten Grundsätzen, denen die Rechtsprechung kantonaler Gericht gefolgt ist (vgl. den Entscheid des Zürcher Obergerichts in SJZ 78 (1982) S. 9), abzugehen. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
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