decision_id
stringlengths 36
36
| header
stringlengths 59
550
| regeste
stringlengths 7
5.41k
| text
stringlengths 350
179k
| law_area
stringclasses 1
value | law_sub_area
stringclasses 1
value | language
stringclasses 3
values | year
int32 1.95k
2.02k
| court
stringclasses 1
value | chamber
stringclasses 7
values | canton
stringclasses 1
value | region
stringclasses 1
value |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
56e5e448-6dcf-4bd7-92a7-8b5d75447dbe | Urteilskopf
126 II 212
22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Mai 2000 i.S. M.X. und I.X. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; internationale Zuständigkeit des ersuchenden Staates (Art. 1 Abs. 1 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen).
Inwieweit und nach welchen Massstäben muss oder darf der ersuchte Staat die internationale Zuständigkeit des ersuchenden Staates zur Verfolgung der im Ersuchen geschilderten Straftat überprüfen (E. 6)? | Sachverhalt
ab Seite 212
BGE 126 II 212 S. 212
Die Militärstaatsanwaltschaft des Moskauer Militärbezirks ermittelt gegen T.S. und deren Bruder M.X. wegen Veruntreuung ("Aneignung oder Unterschlagung") gemäss Art. 160 Teil 3 russ. StGB im Zusammenhang mit Tabak- und Alkoholeinkäufen der Handelsverwaltung der in Deutschland stationierten Westgruppe der Sowjetischen Truppen ("Western Group of Soviet Military Forces", im Folgenden: WGS). Beide Beschuldigten sind Weissrussen.
BGE 126 II 212 S. 213
Mit Schreiben vom 22. März 1999 übermittelte die Russische Botschaft in Bern dem Bundesamt für Polizei ein Rechtshilfeersuchen des Stellvertreters des Generalstaatsanwaltes der Russischen Föderation, Generaloberst Dejemin, vom 8. Februar 1999 und, diesem beiliegend, das Rechtshilfeersuchen des Sonderuntersuchungsführers der Untersuchungsabteilung der Militärstaatsanwaltschaft des Moskauer Militärbezirkes Major Detischin vom 1. Dezember 1998. Darin wird um Beschlagnahme und Edition der Kontoeröffnungs- und aller einschlägigen Bankunterlagen zum Konto Nr. 001 bei der Banque Y. (im folgenden: die Bank) ersucht.
Mit Schlussverfügung vom 10. Januar 2000 entsprach die Bundesanwaltschaft dem Rechtshilfeersuchen vollumfänglich und ordnete die Übermittlung der kompletten Bankunterlagen zu den Konten Nr. 001 von M.X. und Nr. 002 von I.X., der Ehefrau von M.X., an die Militärstaatsanwaltschaft des Moskauer Militärbezirks an.
Gegen die Schlussverfügung und die dieser vorangegangenen Zwischenverfügungen erhoben die Ehegatten M. und I.X. am 10. Februar 2000 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Sie beantragen, die angefochtenen Verfügungen seien aufzuheben und das Rechtshilfebegehren der Militärischen Staatsanwaltschaft sei abzuweisen. Die Bundesanwaltschaft sei anzuweisen, die beschlagnahmten Kontounterlagen zurückzugeben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
a) Schliesslich rügen die Beschwerdeführer die fehlende Strafkompetenz der russischen Föderation: Die angebliche Straftat sei auf deutschem Territorium begangen worden; beschuldigt seien der Beschwerdeführer und seine Schwester, die beide weissrussische und nicht russische Staatsangehörige seien. Im Zeitraum 1991-1993 sei die Zugehörigkeit der in Deutschland stationierten ehemaligen sowjetischen Streitkräfte zu Russland in keiner Weise gesichert gewesen; dies gelte erst recht für die Militärhandelsverwaltungen.
b) Die Gewährung von Rechtshilfe in Strafsachen setzt grundsätzlich voraus, dass der ersuchende Staat für die Durchführung eines Strafverfahrens zuständig ist, d.h. die dem Rechtshilfeersuchen zugrunde liegende Tat der Strafgewalt des ersuchenden Staates
BGE 126 II 212 S. 214
unterliegt (ROBERT ZIMMERMANN, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, Bern 1999, Rz. 336 S. 256). Die Entscheidung über die Grenzen der eigenen Strafgewalt steht grundsätzlich jedem Staat selbst zu (HANS-HEINRICH JESCHECK/THOMAS WEIGEND, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 5. Auflage, S. 164 f.; ROBERT ZIMMERMANN, a.a.O., Rz. 336 S. 256; JOSÉ HURTADO POZO, Droit pénal, partie générale I, 2. Auflage, Zürich 1997, Rz. 346 S. 121), der hierbei allerdings gewisse, vom Völkerrecht gezogene Grenzen nicht verletzen darf. Inhalt und Tragweite dieser völkerrechtlichen Grenzen sind jedoch umstritten (vgl. JESCHECK/WEIGEND, a.a.O., S. 165; HURTADO-POZO, a.a.O., Rz. 348 S. 122: nur Rechtsmissbrauchsverbot; weitergehend CONSEIL DE L'EUROPE (Hrsg.): Compétence extraterritoriale en matière pénale, Strasbourg 1990, insbes. S. 18, 21-31 ff.). Immerhin gibt es eine Reihe von Anknüpfungspunkten (sog. Prinzipien des internationalen Strafrechts), die international üblich und völkerrechtlich i.d.R. unbedenklich sind. Hierzu gehört neben dem Territorialitätsprinzip (Begehungsort auf dem eigenen Staatsgebiet) das Flaggenprinzip (Begehung der Tat an Bord eines im Staat registrierten Schiffes oder Luftfahrzeugs), das aktive Persönlichkeitsprinzip (Staatsangehörigkeit des Täters), das Domizilprinzip (inländischer Wohnsitz des Täters), das Schutzprinzip (Angriff gegen Rechtsgüter/Interessen des Staates) und das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege; im Grundsatz anerkannt (wenn auch im Einzelnen umstritten) sind auch das passive Personalitätsprinzip (Tat gegen Individualrechtsgüter eines eigenen Staatsangehörigen) und das Weltrechtsprinzip bei Straftaten gegen gewisse übernationale Rechtsgüter (vgl. zu diesen Prinzipien CONSEIL DE L'EUROPE, Compétence extraterritoriale en matière pénale, a.a.O., S. 8 ff.; ANNE-MARIE LA ROSA, Dictionnaire de droit international pénal, Paris 1998, S. 6 ff.; ROBERT ZIMMERMANN, a.a.O., Rz. 337 ff. S. 256 ff.; JESCHECK/WEIGEND, a.a.O., S. 167 ff.). Völkerrechtlich zulässig ist ferner die Ausdehnung des Strafrechts und der Strafgewalt des Sendestaats auf dessen im Ausland stationierte Soldaten (vgl. DIETRICH OEHLER, Internationales Strafrecht: Geltungsbereich des Strafrechts, internationales Rechtshilferecht, Recht der Gemeinschaften, Völkerstrafrecht, 2. Aufl., Köln 1983, S. 403 ff.; LA ROSA, a.a.O., S. 8 a.E.).
c) Fraglich ist jedoch, inwieweit und nach welchen Massstäben der ersuchte Staat die Strafgewalt bzw. die Zuständigkeit des ersuchenden Staates zur Verfolgung der Straftat überprüfen muss bzw. darf.
BGE 126 II 212 S. 215
aa) Gewisse Übereinkommen regeln diese Frage ausdrücklich. So bestimmt Art. 1 Abs. 2 des Auslieferungsvertrags zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 14. November 1990 (AVUS; SR 0.353.933.6), dass die Auslieferung für eine Straftat, die ausserhalb des Hoheitsgebiets des ersuchenden Staates begangen wurde, nur bewilligt wird, wenn eine derartige Straftat unter gleichartigen Umständen nach dem Recht des ersuchten Staates Recht bestraft würde (lit. a) oder der Verfolgte ein Staatsangehöriger des ersuchenden Staates ist oder wegen einer Straftat gegen einen Staatsangehörigen des ersuchenden Staates gesucht wird (lit. b). Dieser Vertrag kombiniert also autonome Kriterien (lit. b) mit der spiegelbildlichen Anwendung des Strafrechts des ersuchten Staates (lit. a). Eine spiegelbildliche Anwendung des Rechts des ersuchten Staates lässt auch Art. 7 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 [EAUe; SR 0.353.1] zu; es handelt sich allerdings um eine Kann-Bestimmung, die den ersuchten Staat berechtigt, nicht aber verpflichtet, die Auslieferung abzulehnen. In der Regel wird dem ersuchten Staat das Recht eingeräumt, die Auslieferung oder die Rechtshilfe abzulehnen, wenn er selbst die Zuständigkeit zur Verfolgung der betreffenden Straftat beansprucht, insbesondere wenn bereits ein Strafverfahren hängig ist oder eine materielle strafrechtliche Entscheidung des ersuchten Staates vorliegt (vgl. Art. 7 Abs. 1,
Art. 8 und 9 EAUe
; Vorbehalt der Schweiz zu
Art. 2 lit. a EUeR
; so auch Art. 5 Abs. 1 lit. a und b, 35 Abs. 1 lit. b und 66 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen [IRSG; SR 351.1]).
bb) Das EUeR enthält keine ausdrückliche Bestimmung über die Prüfung der Strafgewalt des ersuchenden Staates. Zwar setzt
Art. 1 Abs. 1 EUeR
voraus, dass es sich um ein Verfahren hinsichtlich strafbarer Handlungen handelt, "zu deren Verfolgung ... die Justizbehörden des ersuchenden Staates zuständig sind". In aller Regel genügt es hierfür jedoch, dass im ersuchenden Staat ein Untersuchungsverfahren eingeleitet worden ist, d.h. die Justizbehörden des ersuchenden Staates ihre Zuständigkeit nach ihrem innerstaatlichen Recht bejaht haben. Eine Prüfung anhand des Strafrechts des ersuchten Staates (entsprechend
Art. 7 Ziff. 2 EAUe
) lässt das EUeR nicht zu, und zur Prüfung der Strafbarkeit nach dem Recht des ersuchenden Staates sind die schweizerischen Rechtshilfebehörden gemäss
Art. 64 IRSG
nicht verpflichtet. Das Bundesgericht hat daraus in einem Rechtshilfeverfahren betreffend Gesellschaften
BGE 126 II 212 S. 216
mit Sitz in Drittstaaten gefolgert, dass der schweizerische Rechtshilferichter in der Regel nicht abzuklären hat, ob die Zuständigkeit des ersuchenden Staates gegeben sei (
BGE 113 Ib 157
E. 4 S. 164 ). Diese Rechtsprechung wurde in BGE
BGE 116 Ib 89
E. 2c/aa S. 92 f. bestätigt: Die Auslegung des Rechts des ersuchenden Staates sei in erster Linie Sache seiner Behörden; die Rechtshilfe dürfe daher nur in Fällen verweigert werden, in denen der ersuchende Staat offensichtlich unzuständig sei, d.h. die Justizbehörden des ersuchenden Staates ihre Zuständigkeit in willkürlicher Weise bejaht haben.
cc) Eine andere Frage ist, inwieweit der Beschwerdeführer geltend machen kann, die Inanspruchnahme extraterritorialer Strafgewalt durch den ersuchenden Staat verstosse gegen das Völkerrecht. Diese Frage wurde in
BGE 116 Ib 89
(E. 2c/bb S. 93 f.) offen gelassen, weil die fragliche Straftat (Insiderdelikt) einen hinreichenden Bezug zum ersuchenden Staat (Frankreich) aufwies und eine allfällige konkurrierende Zuständigkeit eines Drittstaates die Übermittlung von Informationen an den ersuchenden Staat nicht ausschliesse. Da das Völkerrecht den Staaten einen grossen Ermessensspielraum bei der Absteckung der Grenzen ihrer Strafgewalt einräumt (vgl. oben, E. 6b), kann eine Versagung der Rechtshilfe wegen völkerrechtswidriger Inanspruchnahme der Strafgewalt ohnehin nur in Betracht kommen, wenn der Sachverhalt keine Beziehung zu legitimen Rechtspflegeinteressen des ersuchenden Staates aufweisen würde, die Inanspruchnahme der Strafgewalt also klar rechtsmissbräuchlich wäre (JESCHECK/WEIGEND, a.a.O., S. 165). | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
56f47dfd-a086-46f4-a8e7-00d28015fff5 | Urteilskopf
123 IV 42
6. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 3 décembre 1996 dans la cause P. contre L., diverses sociétés et Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 268 Ziff. 1 BStP
; Zulässigkeit von Rügen bei der Nichtigkeitsbeschwerde.
Tritt die kantonale Behörde auf eine Rüge nicht ein, so ist dieselbe Rüge im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig, weil der kantonale Rechtsmittelweg nicht ausgeschöpft ist (E. 2).
Auslieferung; Bedeutung des Grundsatzes der Spezialität.
Ob sich die Verurteilung im Rahmen der Tatsachen und Straftatbestände bewegt, für die die Auslieferung gewährt worden ist, bestimmt sich in erster Linie anhand des Auslieferungsentscheids des ersuchten Staates (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 43
BGE 123 IV 42 S. 43
A.-
Au début des années quatre-vingt, P. a fondé la société d'investissements X. Inc., dont le siège était à New York. Plusieurs sociétés ont chargé X. Inc. de gérer des fonds. Selon les contrats prévus, le gérant s'engageait à n'entreprendre aucune action sans l'approbation préalable du client, sous réserve d'investissements dans des dépôts à terme, avec des échéances inférieures à six mois.
Les fonds confiés ont transité sur les comptes de diverses sociétés. Le 19 août 1985, l'une d'elles a ouvert à Genève un compte auprès d'une banque suisse sur lequel ont été versés plus de 94 millions de US dollars. En 1986, P. a décidé de transférer ses activités en Suisse et, le 22 août 1986, il a créé à Genève la société Y. SA, qu'il pouvait engager par signature individuelle.
Après résiliation des contrats, il est apparu que les investissements n'avaient pas été opérés sous forme de dépôts bancaires à terme, mais avaient en réalité servi à financer les activités privées de P. et que ce dernier était dans l'impossibilité de rembourser les montants dus aux différents investisseurs. Ceux-ci ont déposé plainte à Genève contre P. au printemps 1988.
B.-
Le 3 décembre 1991, le juge d'instruction genevois saisi de l'affaire a décerné un mandat en vue d'extradition contre P., qui résidait alors aux Etats-Unis. Le magistrat a décrit les faits reprochés à P., en considérant notamment qu'ils étaient constitutifs d'abus de confiance au sens de l'article 140 aCP, disposition dont le texte a été reproduit en entier.
Le 24 janvier 1992, l'Ambassade de Suisse à Washington a requis l'arrestation en vue de l'extradition de P. par une note adressée au Département d'Etat. Ce document indiquait que le magistrat genevois avait délivré son mandat d'arrêt notamment pour abus de confiance, "which is punishable under Article 140 of the Swiss Penal Code by prison of up to five years".
Dans l'ordre d'extradition du 11 janvier 1993, le magistrat américain a retenu que le gouvernement suisse requérait l'extradition de P. notamment pour abus de confiance au sens de l'article 140 CP. Considérant que les infractions décrites étaient énumérées dans le Traité d'extradition liant la Suisse et les Etats-Unis, l'extradition de P. en Suisse a été autorisée "in order that he may stand trial for the three offenses of embezzlement, fraud and unfaithful management as defined in Articles 140, 148 and 159 of the Swiss Penal Code". Le 1er septembre 1993, P. a été remis aux autorités genevoises qui l'ont renvoyé en jugement devant la Cour d'assises.
BGE 123 IV 42 S. 44
C.-
Le 12 juin 1995, après l'ouverture des débats, la Cour d'assises genevoise a décidé que P. devait plaider immédiatement les incidents qu'il avait soulevés concernant entre autres la compétence ratione loci des autorités judiciaires suisses et le respect du principe de la spécialité. Ces incidents ayant été rejetés par la cour, l'accusé a formulé des réserves, notamment parce que les incidents précités avaient dû être plaidés en début d'audience.
Par arrêt du 16 juin 1995, la Cour d'assises du canton de Genève a condamné P., pour abus de confiance qualifiés, à cinq ans de réclusion et à dix ans d'expulsion du territoire suisse.
Le 2 février 1996, la Cour de cassation genevoise a rejeté le pourvoi en cassation formé par P. contre l'arrêt de la Cour d'assises du 16 juin 1995. Les juges ont notamment refusé d'entrer en matière, pour des motifs de procédure, sur la compétence ratione loci de la juridiction genevoise et ils ont nié l'existence d'une violation du principe de la spécialité.
D.-
Contre cet arrêt, P. s'est pourvu en nullité à la Cour de cassation du Tribunal fédéral.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Recevabilité).
2.
Le recourant conteste tout d'abord la compétence ratione loci des autorités judiciaires suisses pour connaître des faits qui lui sont reprochés.
a) Le pourvoi en nullité au Tribunal fédéral revêt un caractère subsidiaire par rapport aux voies de recours de droit cantonal; il suppose donc l'épuisement préalable des instances et voies de droit cantonales permettant de faire réexaminer librement l'application du droit fédéral; il découle de ces principes, tirés de l'
art. 268 ch. 1 PPF
, que si l'autorité cantonale ne peut revoir librement l'application du droit fédéral comme le fait la Cour de céans et si ses pouvoirs sont restreints de quelque manière, l'arrêt qu'elle prononce ne peut pas faire l'objet d'un pourvoi en nullité; ces règles supposent aussi que le recours cantonal a été interjeté dans des formes régulières; quand il est déclaré irrecevable, les voies de droit cantonal ne sont pas épuisées (
ATF 102 IV 59
consid. 1a et les références citées, confirmé à l'
ATF 121 IV 340
s'agissant d'un jugement rendu par défaut). Il en découle que si, pour des motifs de procédure cantonale, une autorité n'examine pas un moyen et n'entre pas en matière sur le problème de fond qu'il soulève, il n'y a pas eu sur ce point d'épuisement
BGE 123 IV 42 S. 45
des instances cantonales. Autrement dit, dans la mesure où plusieurs moyens ont été déclarés irrecevables par l'autorité cantonale, ils ne peuvent être soumis au Tribunal fédéral dans le cadre d'un pourvoi en nullité, l'exigence de l'épuisement des voies de droit cantonales n'étant pas respectée (GÉRARD PIQUEREZ, Précis de procédure pénale suisse, 2e éd. Lausanne 1994, p. 485 s. no 2602; dans ce sens également BERNARD CORBOZ, Le pourvoi en nullité à la Cour de cassation du Tribunal fédéral, SJ 1991 p. 57 ss, 65).
En procédure genevoise, le pourvoi en cassation est une voie de recours qui permet le libre réexamen du droit fédéral (BERNHARD STRÄULI, Pourvoi en nullité et recours de droit public au Tribunal fédéral, thèse Genève 1995, p. 128 no 304 s.). En l'espèce, l'autorité cantonale n'est cependant pas entrée en matière sur la question de la compétence ratione loci de la juridiction suisse pour des motifs de procédure, reprochant au recourant d'avoir renoncé à invoquer l'incompétence des tribunaux suisses lors des plaidoiries devant la Cour d'assises. Il apparaît donc que le recourant n'a pas épuisé les voies de droit cantonales lui permettant de faire réexaminer librement le droit fédéral en matière de compétence, de sorte que, sur ce point, le pourvoi en nullité n'est pas recevable (cf. dans ce sens STRÄULI, op.cit., p. 129 no 305).
Quant au refus d'entrer en matière, il ne peut être examiné dans le cadre d'un pourvoi en nullité, dès lors qu'il repose des motifs relevant de la procédure cantonale (
art. 269 al. 1 PPF
;
ATF 122 IV 71
consid. 2 p. 76, 121 IV 104 consid. 2b). Dans son recours de droit public déposé parallèlement contre l'arrêt du 2 février 1996, le recourant s'est plaint à ce propos d'une application arbitraire du droit cantonal, mais son grief a été rejeté, dans la mesure où il était recevable.
b) Au demeurant, il découle des constatations de faits de l'autorité cantonale - qui lient la Cour de céans (
art. 277bis al. 1 PPF
) - que le recourant n'a pas agi à l'étranger pour tous les actes nécessaires à l'appropriation. Au regard des éléments retenus, la compétence ratione loci des autorités suisses apparaît donc comme justifiée, de sorte que l'on ne discerne de toute manière aucune violation du droit fédéral à ce propos.
3.
En second lieu, le recourant invoque une violation du principe de la spécialité. Il considère en substance que, puisque la note de l'ambassade suisse datée du 24 janvier 1992 s'est référée expressément à l'art. 140 ch. 1 aCP, en précisant que cette infraction était passible d'une peine d'emprisonnement de cinq ans au plus, les autorités suisses se sont liées, de sorte qu'elles ne pouvaient prononcer
BGE 123 IV 42 S. 46
une condamnation de cinq ans de réclusion pour abus de confiance aggravé, en application de l'art. 140 ch. 2 aCP. En outre, cette circonstance aggravante suppose que des faits supplémentaires, tenant à la qualité de gérant de fortune du recourant et ne figurant dans aucun des documents remis en vue de l'extradition, soient pris en considération.
a) Dans son mémoire, le recourant renvoie aux faits développés dans ses conclusions déposées devant la Cour d'assises et aux pièces s'y rapportant, en priant le Tribunal fédéral de s'y référer. Un tel procédé n'est pas admissible. En effet, le mémoire produit à l'appui du pourvoi doit contenir la motivation du recourant et il n'y a pas lieu d'entrer en matière sur les arguments qui résultent seulement d'un renvoi à des pièces du dossier ou à des écritures antérieures (
ATF 118 IV 192
consid. 1 p. 193,
ATF 106 IV 283
consid. 2, 338 consid. 1 et les arrêts cités). Il ne sera donc tenu compte que de la motivation présentée de façon complète dans l'écriture déposée par le recourant à l'appui du pourvoi.
b) La jurisprudence a admis que la violation du principe de la spécialité par une autorité cantonale peut être invoquée par l'extradé dans le cadre d'un pourvoi en nullité au Tribunal fédéral (
ATF 104 IV 77
consid. 2b; cf. également
ATF 117 IV 222
consid. 1b). Le pourvoi est donc recevable sur ce point.
Le principe de la spécialité est un principe généralement reconnu par le droit des gens (PIERRE SCHMID/LIONEL FREI/RUDOLF WYSS/JEAN-DOMINIQUE SCHOUWEY, L'entraide judiciaire internationale en matière pénale, RDS 100/1981 2e vol. p. 247 ss, p. 306; HANS SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, Bâle 1953, p. 363), qui empêche de condamner une personne extradée à raison d'un acte commis antérieurement à sa remise et pour lequel l'extradition n'a pas été consentie (
ATF 117 IV 222
consid. 3a,
ATF 110 Ib 187
consid. 3b).
Pour connaître la portée exacte de ce principe, il convient de se fonder sur les clauses légales ou contractuelles existantes (DOMINIQUE PONCET/PAUL GULLY-HART, Le principe de la spécialité en matière d'extradition, Revue internationale de droit pénal 1991 p. 199 ss, 203; SCHMID/FREI/WYSS/SCHOUWEY, op.cit., p. 306; cf.
ATF 117 IV 222
consid. 3a). Dans le cas d'espèce, le recourant a été extradé sur la base du Traité d'extradition conclu le 14 mai 1900 entre la Suisse et les Etats-Unis d'Amérique (RS 0.353.933.6). L'article IX de ce traité prévoit que: "aucune personne livrée par l'un des Etats contractants à l'autre ne sera poursuivie ou punie pour une infraction commise
BGE 123 IV 42 S. 47
avant la demande d'extradition, autre que celle pour laquelle l'extradition a été accordée, à moins qu'elle n'y consente expressément (...)".
Le principe de la spécialité apparaît non seulement comme une garantie en faveur de la personne extradée, mais tend également à protéger la souveraineté de l'Etat requis (HANS HESS, Der Grundsatz der Spezialität im Auslieferungsrecht, thèse Zurich 1943, p. 83; PONCET/GULLY-HART, op.cit., p. 202), en limitant la souveraineté de l'Etat requérant (SCHMID/FREI/WYSS/SCHOUWEY, op.cit., p. 305). En conséquence, pour déterminer si la condamnation prononcée correspond aux faits et aux infractions pour lesquels l'extradition a été accordée, il faut analyser en premier lieu la décision par laquelle l'Etat requis a autorisé l'extradition et, au besoin, l'examiner à la lumière des documents fournis par l'Etat requérant. Contrairement à ce que soutient le recourant, il ne serait pas conforme à l'esprit du principe de la spécialité de se fonder uniquement sur la demande d'extradition formée par l'Etat requérant pour déterminer à quelles conditions l'extradition a été autorisée.
c) En l'espèce, les extraits de la décision des autorités américaines du 11 janvier 1993 autorisant l'extradition, reproduits dans l'arrêt attaqué, et les faits retenus par la cour cantonale font apparaître qu'en accordant l'extradition, les autorités américaines ont mentionné l'article 140 aCP et décrit des faits pouvant être classés d'abus de confiance qualifiés, sans aucune restriction. Rien ne laisse donc supposer que les autorités américaines ont voulu limiter l'extradition à l'abus de confiance simple au sens de l'article 140 ch. 1 aCP. Comme la décision de l'Etat requis autorisant l'extradition définit clairement sa portée, il n'y a pas lieu de tenir compte de la note diplomatique du 24 janvier 1992 qui, comme l'admet le recourant lui-même, ne constitue même pas la demande officielle d'extradition présentée par les autorités suisses.
En outre, l'article II ch. 7 du Traité du 14 mai 1900, qui énumère les crimes et délits pour lesquels l'extradition peut être accordée, mentionne la fraude ou l'abus de confiance commis par un dépositaire, un mandataire, un banquier, l'administrateur de la fortune d'un tiers, ou par le président, un membre ou un fonctionnaire d'une société ou association, si la perte subie dépasse 1000 fr. Les situations décrites concernent ainsi avant tout l'abus de confiance qualifié au sens de l'article 140 ch. 2 aCP, de sorte que l'on peut même se demander si les Etats-Unis auraient pu, en conformité du traité, autoriser l'extradition pour abus de confiance simple au sens de l'article 140 ch. 1 aCP.
BGE 123 IV 42 S. 48
Il n'apparaît donc pas que le recourant a été poursuivi et puni par les autorités suisses pour une infraction commise avant la demande d'extradition autre que celle pour laquelle l'extradition a été accordée. Partant, la cour cantonale n'a pas violé le droit fédéral en considérant que l'extradition a été accordée pour l'article 140 aCP dans sa totalité et que la condamnation du recourant pour abus de confiance qualifié n'est pas contraire au principe de la spécialité.
d) De surcroît, le grief du recourant tombe à faux, dès lors que l'Etat requérant peut, de toute façon, sans avoir besoin de demander une extension de l'extradition, aggraver la qualification de l'infraction pour laquelle l'extradition a été accordée, puisque, dans cette hypothèse, la nouvelle qualification permet, a fortiori, l'extradition (cf.
ATF 101 Ia 405
consid. 4 p. 410; HESS, op.cit., p. 55 s.; pratiques décrites par HSU CHAO CHING, Du principe de la spécialité en matière d'extradition, thèse Neuchâtel 1950, p. 75 s.; PONCET/GULLY-HART, op.cit., p. 206; SCHULTZ, op.cit., p. 360).
Dans ces circonstances, le pourvoi doit être rejeté, dans la mesure où il est recevable.
4.
(Frais). | null | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
56f48e03-2220-4c91-8655-d6435b963ae0 | Urteilskopf
111 V 357
65. Urteil vom 5. Juli 1985 i.S. Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen gegen Bachmann und Schiedsgericht des Kantons Thurgau gemäss
Art. 25 KUVG | Regeste
Art. 16 Abs. 1 KUVG
.
- Von Gesetzes wegen hat das Karenzjahr gemäss
Art. 16 Abs. 1 KUVG
jeder Nichtvertragsarzt zu bestehen (Erw. 3).
- Nach dem Gesetz besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Befreiung vom Karenzjahr. Sehen die Vertragsparteien die Möglichkeit eines Erlasses vor, so sind ihrer Gestaltungsfreiheit durch das Willkürverbot Schranken gesetzt (Erw. 5).
- Es ist einem Kassenverband unbenommen, eine grosszügige Erlasspraxis aufzugeben und künftig strengere Massstäbe anzulegen; einer Vorankündigung bedarf es hiefür nicht. Kein Vertrauensschutz für einen Nichtvertragsarzt, der in der Annahme, es werde weiterhin eine grosszügige Erlasspraxis gehandhabt, finanzielle Dispositionen getroffen hatte, die er in Kenntnis einer Praxisänderung möglicherweise unterlassen hätte (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 358
BGE 111 V 357 S. 358
A.-
Frau Dr. med. Elsbeth Bachmann ist Spezialärztin für Innere Medizin FMH und Mitglied der Ärztegesellschaft des Kantons Thurgau. Sie beabsichtigte, auf den 1. November 1984 in Frauenfeld eine Praxis zu eröffnen. Im Juni 1984 ersuchte sie den Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen (Kassenverband) um Erlass des Karenzjahres gemäss
Art. 16 Abs. 1 KUVG
. Mit Schreiben vom 9. Juli 1984 teilte ihr der Kassenverband mit, er habe vor knapp einem Jahr beschlossen, dass das Karenzjahr nur noch erlassen werde, wenn für die neue Praxis ein eindeutiger Bedarf nachgewiesen werden könne. Da sich zurzeit auf dem
BGE 111 V 357 S. 359
Platze nicht weniger als 24 freipraktizierende Ärzte - davon 6 Internisten - betätigten, könne dem Erlassbegehren nicht entsprochen werden.
B.-
Hiegegen rief Frau Dr. Bachmann die Paritätische Vertrauenskommission (PVK) des Thurgauischen Kantonalen Ärztevereins und des Kantonalverbandes Thurgauischer Krankenkassen an. Mit Entscheid vom 28. August 1984 erachtete die PVK die Einhaltung einer Wartezeit als Rechtens, reduzierte sie aber auf ein halbes Jahr mit der Begründung, dass Frau Dr. Bachmann seinerzeit während sechs Monaten am Kantonsspital Frauenfeld gearbeitet habe.
Am 4. September 1984 erhob Frau Dr. Bachmann Klage beim Schiedsgericht (
Art. 25 KUVG
) des Kantons Thurgau und machte im wesentlichen geltend, als Mitglied der Ärztegesellschaft des Kantons Thurgau stehe sie automatisch im Genusse der Rechte und Pflichten des Kollektiv-Vertrages zwischen der Ärztegesellschaft des Kantons Thurgau und dem Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen vom 16. Oktober 1980 (Ärztevertrag), womit es ihrerseits keines Vertragsbeitritts mehr bedürfe. Sodann sei das Karenzjahr gemäss
Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KUVG
unter Berücksichtigung der Handels- und Gewerbefreiheit als polizeilich begründete Vorkehr zum Schutze der Öffentlichkeit vor Ärzten ohne ausreichende Berufspraxis zu verstehen. Da die fachliche Kompetenz und Erfahrung im vorliegenden Fall ausser Frage stünden, dürfe für die Zulassung zur Kassenpraxis keine Wartezeit auferlegt werden. Auch bestehe auf dem Platze Frauenfeld ein Bedürfnis nach einer weiteren Ärztin.
In Gutheissung der Klage erkannte das Schiedsgericht mit Entscheid vom 23. November 1984, dass Frau Dr. Bachmann die Wartezeit gemäss
Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KUVG
nicht zu bestehen habe. Nach den Bestimmungen des Ärztevertrages schliesse die Zugehörigkeit zur Ärztegesellschaft nicht von selbst die Unterstellung unter diesen Vertrag mit ein. Was das Karenzjahr gemäss
Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KUVG
angehe, so hätten bei den Gesetzesberatungen zwei Motive eine Rolle gespielt. Den Krankenkassen sei es darum gegangen, auf die Tarifanwendung Einfluss nehmen zu können, was aber nur in Verträgen mit Ärzten möglich sei. Um die Ärzte zu solchen Vereinbarungen bewegen zu können, habe man die Vertragsärzte gesetzlich dadurch bessergestellt, dass für neuzuziehende Berufskollegen eine Wartezeit eingeführt worden sei. Ferner habe der Gesetzgeber mit der Wartezeit auch bezweckt,
BGE 111 V 357 S. 360
dass nur ausreichend ausgebildete und erfahrene Ärzte zur Kassenpraxis zugelassen würden. Für das heutige Verständnis der Karenzjahrregelung sei aber zu bedenken, dass zur Zeit des Inkrafttretens des KUVG die Wartezeit den Arzt nicht stark getroffen habe, weil die Krankenversicherung damals noch nicht sehr verbreitet gewesen sei. Heute sei dagegen praktisch die ganze Bevölkerung krankenversichert, so dass der eine Praxis eröffnende Arzt während des Karenzjahres sozusagen keine Patienten und damit keine wirtschaftliche Existenzgrundlage haben werde. Eine so einschneidende Einschränkung der freien ärztlichen Berufsausübung habe der historische Gesetzgeber nicht gewollt. Der Kassenverband habe sodann den Erlass des Karenzjahres von der Bedarfsfrage abhängig gemacht. Damit gehe es ihm mit der Auferlegung der Wartezeit nicht mehr um den Schutz der Vertragsärzte, sondern um die Bekämpfung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen, womit aber das Karenzjahr in unzulässiger Weise eingesetzt würde. Denn das vom Kassenverband angewendete Kriterium käme der Einführung einer Bedürfnisklausel gleich, die jedoch mit dem Gedanken der Handels- und Gewerbefreiheit nicht vereinbar sei. In zeitgemässer und verfassungskonformer Auslegung der Wartezeitregelung gemäss
Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KUVG
könne ein Erlass nur verweigert werden, wenn es dem Gesuchsteller noch an der nötigen beruflichen Erfahrung fehle. Indem der Kassenverband und die PVK für die Befreiung vom Karenzjahr darauf abgestellt hätten, ob im Raume Frauenfeld ein Bedürfnis nach neuen Ärzten bestehe oder nicht, hätten sie fehlerhaftes Ermessen walten lassen.
C.-
Der Kassenverband führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, der Entscheid des Schiedsgerichts des Kantons Thurgau vom 23. November sei aufzuheben und es sei Frau Dr. Bachmann ein Karenzjahr aufzuerlegen bzw. sei sie erst ein Jahr nach Praxiseröffnung als Kassenärztin zuzulassen.
Frau Dr. Bachmann lässt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliesst auf Gutheissung, gegebenenfalls unter Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu ergänzenden Abklärungen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Kognition; vgl.
BGE 103 V 149
Erw. 1)
BGE 111 V 357 S. 361
2.
Wenn eine Kasse ärztliche Behandlung gewährt, so soll jedem erkrankten Mitglied die Wahl unter den an seinem Aufenthaltsort oder in dessen Umgebung praktizierenden Ärzten freistehen (
Art. 15 Abs. 1 KUVG
). Die Kassen sind befugt, aufgrund der Tarife mit Ärzten oder Vereinigungen von Ärzten Verträge abzuschliessen und ausschliesslich diesen Ärzten die Behandlung der Mitglieder anzuvertrauen. Die Ärzte, die seit mindestens einem Jahr regelmässig im Tätigkeitsgebiet der Kasse praktizieren, können einem solchen Vertrage beitreten (
Art. 16 Abs. 1 KUVG
).
3.
Streitig ist, ob der Kassenverband berechtigt war, die Zulassung der Beschwerdegegnerin zur Kassenpraxis von der Einhaltung des Karenzjahres gemäss
Art. 16 Abs. 1 KUVG
abhängig zu machen, oder ob er den Erlass dieser Wartezeit bewilligen muss. Die Vorinstanz und die Beschwerdegegnerin vertreten die Auffassung, die Kassen hätten nicht uneingeschränkt das Recht, auf der Einhaltung des Karenzjahres zu bestehen. Da ein Karenzjahr den Arzt heute faktisch der wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraube und sich der historische Gesetzgeber einer so einschneidenden Konsequenz dieser Wartezeit nicht bewusst gewesen sei, bedürfe
Art. 16 Abs. 1 KUVG
in diesem Punkte richterlicher Korrektur. Bei der Handhabung des Karenzjahres sei heute darauf abzustellen, ob der sich um die Kassenpraxis bewerbende Arzt genügend ausgebildet sei. Als wirtschaftspolizeiliche Massnahme stehe das Karenzjahr so im Einklang mit der Handels- und Gewerbefreiheit. Die Beschwerdegegnerin macht überdies geltend, dass
Art. 16 Abs. 1 KUVG
blosse Kompetenznorm sei und die Ausgestaltung des Karenzjahres ungeregelt lasse. Letzteres sei Sache der Vertragsparteien; die Bestimmung wolle lediglich verhindern, dass im Tätigkeitsgebiet der Kassen praktizierende Ärzte länger als ein Jahr von der Kassenpraxis ausgeschlossen würden.
Dieser Betrachtungsweise kann aus den nachfolgenden Gründen nicht beigepflichtet werden.
a) Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar bzw. sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich der Auslegung nach dem Zweck, nach dem Sinn und nach den dem Text zugrundeliegenden Wertungen. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten ist die verfassungskonforme zu wählen. Auch wenn das Eidg. Versicherungsgericht die Verfassungsmässigkeit von
BGE 111 V 357 S. 362
Bundesgesetzen nicht überprüfen darf (Art. 113 Abs. 3 und 114bis Abs. 3 BV), so gilt dennoch die Vermutung, dass der Gesetzgeber keine im Widerspruch zur Bundesverfassung stehenden Gesetzesbestimmungen erlässt, es sei denn, das Gegenteil gehe klar aus dem Wortlaut oder aus dem Sinn des Gesetzes hervor (
BGE 110 V 122
, 109 V 33, 108 V 240 Erw. 4b, 107 V 215 Erw. 2b).
aa) Der Wortlaut des
Art. 16 Abs. 1 KUVG
ist eindeutig. Die Krankenkassen sind befugt, mit Ärzten Verträge einzugehen und ausschliesslich diesen Ärzten die Behandlung ihrer Mitglieder anzuvertrauen. Die mit den Kassen vertraglich nicht verbundenen Ärzte haben jedoch das Recht, einem solchen Vertrag beizutreten. Der Anspruch besteht aber nur unter der Voraussetzung, dass die Bewerber seit mindestens einem Jahr regelmässig im Tätigkeitsgebiet der Kasse praktiziert haben. Aus dem gesetzlichen Wortlaut ergibt sich auch nicht andeutungsweise, dass das Karenzjahr nur in bestimmten - vertraglich begrenzten und geregelten - Fällen und nicht generell zu bestehen wäre.
bb) Auch die Systematik und die Rechtsprinzipien, auf welchen
Art. 16 Abs. 1 KUVG
gründet, sprechen dafür, dass die Kassen von Gesetzes wegen uneingeschränkt auf der Einhaltung des Karenzjahres bestehen dürfen.
In der Frage des Arztrechts standen sich bei der Schaffung des Gesetzes zwei Forderungen gegenüber. Die Krankenkassen verlangten im Interesse gesunder Finanzen, wie bis anhin mittels Verträgen frei darüber bestimmen zu können, welche Ärzte zur Kassenpraxis zugelassen werden sollten (Kassenarztsystem), und wünschten überdies, Einfluss auf die Anwendung der Tarife nehmen zu können (Sten.Bull. 1910 N 421). Die Ärzte forderten dagegen die grundsätzlich freie Arztwahl, womit sie hauptsächlich verhindern wollten, dass die Kassen die Behandlung einigen wenigen Ärzten übertragen und damit ein Behandlungsmonopol einzelner Ärzte begründen könnten (SCHÄREN, Die Stellung des Arztes in der sozialen Krankenversicherung, Diss. Zürich 1973, S. 196). Der Gesetzgeber bekannte sich schliesslich grundsätzlich zum Prinzip der freien Arztwahl (
Art. 15 Abs. 1 KUVG
), räumte jedoch den Krankenkassen mit
Art. 16 Abs. 1 KUVG
das Recht ein, mittels Verträgen mit Ärzten das Kassenarztsystem einzuführen. Das beinhaltet auch die freie Wahl der Gegenpartei. Einschränkungen dieses Wahlrechts sind nur aufgrund ausdrücklicher und klarer gesetzlicher Bestimmung möglich und zulässig. Der Gesetzgeber hat in
Art. 16 Abs. 1 KUVG
diese Freiheit der Kassen
BGE 111 V 357 S. 363
durch das Beitrittsrecht der Nichtvertragsärzte eingeschränkt (nach SCHÄREN, a.a.O., S. 199, und GUYER, Die Honorarforderung der Ärzte gegenüber den Krankenkassen, Diss. Bern 1948, S. 102 im Sinne eines öffentlich-rechtlichen Kontrahierungszwangs). Nach dem unmissverständlichen Wortlaut dieser Bestimmung besteht aber ein Rechtsanspruch auf Beitritt zum Vertrag nur für Ärzte mit mindestens einjähriger regelmässiger Praxis im Tätigkeitsgebiet der Kasse. Eine weitergehende Einschränkung müssen sich die Kassen mangels gesetzlicher Grundlage nicht gefallen lassen.
Auch der mit dem Beitrittsrecht verfolgte Zweck, nämlich die Monopolstellung der Vertragsärzte in der sozialen Krankenversicherung zu verhindern, bedingt keine Einschränkung der Kassenrechte beim Karenzjahr.
cc) Der Antrag auf Einführung einer Karenzzeit wurde bei den gesetzgeberischen Arbeiten von Kassenseite mit der Begründung eingebracht, "dass ein in einer Gegend sich niederlassender Arzt von der Kasse nicht sofort zugelassen werden müsse. Der betreffende Arzt solle eine gewisse Beobachtungszeit durchmachen" (Antrag Scherrer in der nationalrätlichen Kommissionssitzung vom 11. Oktober 1910). Auch in den parlamentarischen Beratungen wurde dieser Zweck genannt. Es solle den Krankenkassen die Möglichkeit gegeben werden, "dass sie sich die Ärzte zuerst in jeder Beziehung besehen können, bevor sie genötigt werden, mit denselben Verträge einzugehen" (Sten.Bull. 1910 N 419; siehe ferner Sten.Bull. 1911 S 40). In den Materialien findet sich nirgends ein Hinweis darauf, dass die Kassen in gewissen Fällen von diesem Prüfungsrecht nicht Gebrauch machen dürften und mithin nur eine bestimmte Kategorie von Nichtvertragsärzten die Karenzzeit zu bestehen hätte. Vielmehr sollten Nichtvertragsärzte generell erst dann einen Anspruch auf Beitritt zu einem Vertrag erheben können, wenn sie die Wartezeit erfüllt haben.
dd) Aus dem Gesagten erhellt, dass die Vorinstanz zu Unrecht angenommen hat, das Karenzjahr ziele von den historischen Motiven her auf einen befristeten Schutz der Vertragsärzte vor Neuzuzügern ab. Mag das unter Umständen eine Folge der Wartezeit sein und von seiten der Ärzte allenfalls auch so gedeutet werden, entstehungsgeschichtlicher Zweck war dies (trotz Sten.Bull. 1910 N 414) nicht. Die Wartezeit ist zum Schutze der Kassen eingeführt worden. Die Beschwerdegegnerin kann in Anbetracht des klaren Wortlauts von
Art. 16 Abs. 1 KUVG
nicht daraus ableiten, dass
BGE 111 V 357 S. 364
den der Wartezeit ursprünglich zugrundeliegenden Motiven heute nur geringe Bedeutung und Aktualität beizumessen sein dürfte (
BGE 108 Ia 37
).
b) Die Auslegung von
Art. 16 Abs. 1 KUVG
ergibt somit, dass die Krankenkassen von Gesetzes wegen in jedem Fall auf der Einhaltung der einjährigen Wartezeit bestehen können. Auch in der Literatur ist keine gegenteilige Auffassung geäussert worden (MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Band II, S. 356; GREBER, Droit suisse de la sécurité sociale, 1982, S. 396; BONER/HOLZHERR, Die Krankenversicherung, 1969, S. 79; HÜNERWADEL, Die Krankenversicherung, 1938, S. 86; EGLI, Die rechtliche Stellung des Arztes in der Krankenversicherung, 1938, S. 65 ff.; SCHWEIZER, Die kantonalen Schiedsgerichte für Streitigkeiten zwischen Ärzten oder Apothekern und Krankenkassen, Diss. Zürich 1957, S. 40; PELET, Les relations juridiques entre médecins et caisses d'assurance-maladie, Diss. Lausanne 1925, S. 53; GUYER, a.a.O., S. 102 ff.; SCHÄREN, a.a.O., S. 203/214 ff.; BERTSCHINGER, Das direkte Forderungsrecht des Arztes gegen die anerkannten Krankenkassen, Diss. Zürich 1965, S. 28 ff.).
Da die Auslegung ein klares Ergebnis zeitigt und mithin kollidierende Auslegungsgesichtspunkte fehlen, bleibt für die von der Vorinstanz bezüglich der Handels- und Gewerbefreiheit vorgenommene verfassungskonforme Auslegung kein Raum (
BGE 108 V 240
Erw. 4b,
BGE 107 V 215
Erw. 2b). Der klare Sinn einer Gesetzesnorm darf nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung beiseite geschoben werden (
BGE 109 Ia 302
).
c) Was die von der Vorinstanz in Anspruch genommene objektiv-zeitgemässe Interpretation von
Art. 16 Abs. 1 KUVG
angeht, so darf einer Gesetzesnorm in Anwendung dieser Methode grundsätzlich ein Sinn gegeben werden, der für den historischen Gesetzgeber infolge eines Wandels der tatsächlichen Verhältnisse nicht voraussehbar war und in der bisherigen Praxis auch nicht zum Ausdruck gekommen ist. Doch kann auf einen solchen Sinn nur abgestellt werden, wenn er mit dem Wortlaut des Gesetzes noch vereinbar ist (
BGE 107 Ia 237
Erw. 4a), was im vorliegenden Fall aber gerade nicht zutrifft. Abzulehnen ist ferner die von der Beschwerdegegnerin geforderte richterliche Normenkorrektur, weil das Karenzjahr heute die vom historischen Gesetzgeber nicht vorausgesehene und angestrebte Folge habe, dass der Arzt bis zum Ablauf der Wartezeit wirtschaftlich praktisch nicht existieren könne. Eine richterliche Normberichtigung könnte erst erwogen
BGE 111 V 357 S. 365
werden, wenn die Anwendung des Karenzjahres aufgrund veränderter Verhältnisse in Wertungen schlechthin nicht mehr zu billigen und missbräuchlich wäre (MEIER-HAYOZ, N. 296 und 302 zu
Art. 1 ZGB
). Davon kann - insbesondere im Lichte der Erwägung 3a/bb - hier nicht die Rede sein, zumal schon bei den Gesetzgebungsarbeiten darauf hingewiesen wurde, dass der Ausschluss von der Kassenpraxis in ländlichen Regionen mitunter auch die wirtschaftliche Existenz des Arztes tangieren könnte (Sten.Bull. 1910 N 425, 1909 S 272 und 274, 1910 S 91).
d) Im übrigen ist das vorinstanzliche Auslegungsergebnis, wonach der Zweck des Karenzjahres heute im Schutze des Publikums vor ungenügend ausgebildeten und erprobten Ärzten bestehen soll und die Anwendung der Wartezeit deshalb auf solche Sachverhalte einzuschränken sei, auch sachlich nicht haltbar. Zum Schutze der Öffentlichkeit vor unzureichend ausgebildeten Ärzten wurde gestützt auf
Art. 33 Abs. 2 BV
ein eidgenössischer Fähigkeitsausweis (Arztdiplom) geschaffen und damit die Ausbildungsfrage in polizeilicher Hinsicht grundsätzlich abschliessend geregelt. Entsprechend erachtet das KUVG das eidgenössische Diplom für die Belange der sozialen Krankenversicherung als ausreichend (
Art. 21 Abs. 1 KUVG
). Die Auffassung der Vorinstanz ist auch deswegen wenig verständlich, weil beim System der freien Arztwahl (
Art. 15 Abs. 1 KUVG
) von Gesetzes wegen kein über das eidgenössische Diplom hinausgehender Ausweis beruflicher Befähigung gefordert wird. Das gleiche gilt sinngemäss hinsichtlich des Schutzes vor ungenügender Berufserprobung.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz finden sich auch in den Materialien keine Anhaltspunkte dafür, dass Sinn und Zweck des Karenzjahres darin liege, unerfahrene Ärzte vorübergehend von der Kassenpraxis fernzuhalten (ähnlich SCHÄREN, a.a.O., S. 215 N. 83, und GUYER, a.a.O., S. 102). Die von der Vorinstanz erwähnten wichtigen Gründe betrafen nicht die fachliche Qualifikation des Arztes. Die Räte gingen bei der Schaffung des Gesetzes davon aus, dass sich die Kassen den Beitritt neuzuziehender Ärzte nach Ablauf der Wartezeit nicht vorbehaltlos gefallen lassen müssten, sondern das Recht haben sollten, die Aufnahme zu verweigern, wenn wichtige Gründe dafür sprächen (Sten.Bull. 1910 N 414, 419 und 421, 1911 S 39/40). Gemeint waren im wesentlichen in der Person des Arztes liegende Gründe wie beispielsweise ein anfechtbarer Lebenswandel oder eine nicht zu rechtfertigende Ausbeutung der Patienten (Sten.Bull. 1910 N 425, 1911 S 40). Es handelt
BGE 111 V 357 S. 366
sich also um Gründe, wie sie schliesslich durch den heutigen
Art. 24 KUVG
miterfasst wurden (Sten.Bull. 1911 S 40).
4.
Der Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen hat am 16. Oktober 1980 mit der Ärztegesellschaft des Kantons Thurgau einen Vertrag geschlossen und damit vom Recht gemäss
Art. 16 Abs. 1 KUVG
Gebrauch gemacht. Diesem Vertrag kann die Beschwerdegegnerin nach dem Gesagten grundsätzlich erst nach mindestens einjähriger regelmässiger Praxis im Kanton Thurgau beitreten. Entgegen ihrer Auffassung ist
Art. 16 Abs. 1 KUVG
nach dem Gesagten nicht dahin zu verstehen, dass er bloss zur Einführung einer Wartezeit berechtige und dass diese nicht länger als ein Jahr sein dürfe. Die Pflicht zur Einhaltung des Karenzjahres besteht von Gesetzes wegen, wenn ein Vertrag geschlossen worden ist, und bedarf daher keiner besonderen vertraglichen Verankerung. Im übrigen hat die Vorinstanz zutreffend erkannt und begründet, dass nach den Bestimmungen des Ärztevertrages die Zugehörigkeit zur Ärztegesellschaft nicht von selbst die Unterstellung unter diesen Vertrag miteinschliesse. Die Einwendungen in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen daran nichts zu ändern.
5.
a) Nach dem KUVG hat der Arzt keinen Anspruch auf Befreiung vom Karenzjahr. Doch kann es ihm laut dem Ärztevertrag erlassen werden, wofür im vorliegenden Fall gemäss Art. 2 Abs. 2 beide Vertragspartner einverstanden sein müssen (für die vertraglich nicht geregelte Erlassfrage siehe SCHÄREN, a.a.O., S. 202 mit Hinweisen). Eine Pflicht eines Vertragspartners, unter bestimmten Bedingungen einem Erlass stattzugeben, ist vertraglich nicht statuiert und ebensowenig die von der Beschwerdegegnerin behauptete Pflicht, der Kassenverband habe beim Entscheid über die Verweigerung eines Erlasses mit der Ärztegesellschaft zusammenzuarbeiten. Der Kassenverband kann somit grundsätzlich nicht zum Erlass des Karenzjahres verhalten werden, und es steht ihm frei, zu bestimmen, nach welchen Kriterien und unter welchen Voraussetzungen er eine Befreiung vom Karenzjahr gewähren will. Die einzige Schranke liegt im Willkürverbot.
b) Der Kassenverband hat im vorliegenden Fall einen Erlass verweigert, weil er für den Platz Frauenfeld keinen eindeutigen Bedarf nach weiteren frei praktizierenden Ärzten der allgemeinen oder inneren Medizin sah. Er macht damit den Erlass sinngemäss davon abhängig, dass die in Frage stehende Region ärztlich unzureichend versorgt ist. Es ist nicht ersichtlich, was an diesem
BGE 111 V 357 S. 367
Kriterium willkürlich sein könnte. Vielmehr ist in den parlamentarischen Beratungen darauf hingewiesen worden, dass die Kassen im Falle einer Unterversorgung gar genötigt sein können, auf das Karenzjahr zu verzichten (Sten.Bull. 1910 N 414 und 421; EGLI, a.a.O., S 67 f.). Es kann offensichtlich nicht von einer medizinischen Unterversorgung auf dem Platze Frauenfeld gesprochen werden. Die gegenteilige Feststellung der Vorinstanz ist unhaltbar und bindet daher das Eidg. Versicherungsgericht nicht (
Art. 105 Abs. 2 OG
).
c) Es ist auch zulässig, dass die Kassen den Erlass des Karenzjahres unter dem Blickwinkel der Kosteneindämmung beurteilen, da zumindest das Risiko besteht, dass mit zunehmender Ärztedichte der Umsatz medizinischer Dienstleistungen steigt (SCHMID, Der Einfluss zunehmender Ärztedichte auf die Kosten der Krankenversicherung, in: Schweizerische Krankenkassenzeitung 1984, S. 53). Das Karenzjahr hatte von jeher dem finanziellen Schutz der Krankenkassen zu dienen, und darin liegt auch heute noch eines seiner wesentlichen Ziele.
d) Der Kassenverband erlässt das Karenzjahr praxisgemäss ferner, wenn der Arzt während mindestens eines Jahres als Ober- oder Assistenzarzt an einem Spital im Kanton Thurgau tätig war. Dieses Kriterium ist vertretbar. Es vermag Härten, wie sie mit der gesetzlichen Regelung des Karenzjahres verbunden sein können, wesentlich zu mildern. Auch ist nicht zu beanstanden, dass der Verband der Beschwerdegegnerin die halbjährige Ausbildungszeit am Kantonsspital Frauenfeld nicht anrechnete, da diese Tätigkeit noch vor dem Abschluss des Medizinstudiums lag. Dabei kann offen bleiben, ob die einjährige Praxistätigkeit nach dem Gesetz nicht unmittelbar vor dem Vertragsbeitritt liegen muss, wie das frühere Verwaltungspraxis war (VEB 22/1952 Nr. 115; vgl. SCHÄREN, a.a.O., S. 202; BONER/HOLZHERR, a.a.O., S. 79; EGLI, a.a.O., S. 67; Juristische Kartothek des Konkordats der Schweizerischen Krankenkassen, VIII/b1). An das Zugeständnis des Kassenverbandes im Verfahren der Paritätischen Vertrauenskommission, die halbjährige Ausbildungszeit am Kantonsspital Frauenfeld als Praxiszeit anzurechnen, war der Verband zufolge Erhebung des Klageverfahrens durch die Beschwerdegegnerin nicht mehr gebunden (
BGE 110 V 350
).
6.
a) Die Beschwerdegegnerin macht sodann geltend, das Karenzjahr sei im Kanton Thurgau in den letzten Jahren nicht mehr auferlegt worden; der Kassenverband wende dieses Institut
BGE 111 V 357 S. 368
bei ihr neu an. Sie sei von dieser unzulässigen Praxisänderung völlig überrascht worden und habe erhebliche finanzielle Investitionen getätigt. Sie müsse in ihrem Vertrauen in den Weiterbestand der alten Praxis des Verbandes geschützt werden.
Der Kassenverband hatte laut seinem Schreiben vom 9. Juli 1984 ein knappes Jahr zuvor seine Erlasspraxis verschärft. Dazu war er berechtigt, weil ihm nicht verwehrt werden kann, auf seine Rechte aus
Art. 16 Abs. 1 KUVG
zurückzukommen und von diesen inskünftig vermehrt Gebrauch zu machen. Die Wahrnehmung gesetzlich zustehender und bisher nicht voll ausgeschöpfter Rechte unterscheidet sich wesentlich von einer Praxisänderung, mit welcher einer Norm infolge besserer Erkenntnis oder veränderter Verhältnisse eine neue Auslegung gegeben wird und die nur aufgrund ernsthafter, sachlicher Gründe zulässig ist (
BGE 108 Ia 125
Erw. 2b mit Hinweisen). Der Kassenverband war diesen Einschränkungen nicht unterworfen und auch nicht gehalten, die Änderung voranzukündigen. Die Beschwerdegegnerin behauptet sodann nicht, dass ihr vor oder nach der Einführung der neuen Praxis vom Kassenverband der Erlass des Karenzjahres zugesichert worden wäre. Über die gesetzliche Auflage des Karenzjahres konnte die Beschwerdegegnerin nicht im Zweifel sein. Sie ging deshalb ein Risiko ein, als sie vor einer abschliessenden Klärung der Erlassfrage Dispositionen traf, die sie möglicherweise unterlassen hätte, wenn sie von der Absolvierung der Wartezeit ausgegangen wäre. Daraus erwachsene Verluste hat sie selber zu vertreten. Die blosse Erwartung, der Kassenverband werde wie bis anhin eine grosszügige Erlasspraxis handhaben und sie ohne weiteres zur Kassenpraxis zulassen, stellt ein Vertrauen dar, das keinen Rechtsschutz geniesst (vgl.
BGE 103 Ia 460
).
b) Das Recht des Kassenverbandes, in der Erlassfrage strenger zu sein, bringt es notwendigerweise mit sich, dass die Neuzuzüger im Vergleich zu den dem Ärztevertrag bereits beigetretenen Ärzten schlechtergestellt werden. Darin liegt jedoch keine rechtswidrige Ungleichbehandlung. Soweit die Beschwerdegegnerin eine Ungleichbehandlung gegenüber diesen Berufskollegen geltend macht, erweist sich ihre Rüge als unbegründet. Dass nach der Einführung der neuen Praxis wirklich gleichartige Fälle vom Kassenverband in klarer Weise ungleich behandelt worden wären, ist weder belegt noch auch nur glaubhaft dargetan. Mangels hinreichender Verdachtsmomente ist deshalb von ergänzenden Abklärungen - wie sie das BSV beantragt - abzusehen.
BGE 111 V 357 S. 369
7.
Aus dem Gesagten folgt, dass der Kassenverband mit der Verweigerung des Erlasses des Karenzjahres gemäss
Art. 16 Abs. 1 KUVG
rechtmässig gehandelt hat, womit der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben ist. Der Entscheid der Paritätischen Vertrauenskommission vom 28. August 1984 bedarf keiner formellen Aufhebung, da er mit der Anrufung des Schiedsgerichts hinfällig geworden ist (
BGE 110 V 350
).
8.
(Kostenpunkt.)
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Schiedsgerichts des Kantons Thurgau vom 23. November 1984 aufgehoben und es wird festgestellt, dass der der Beschwerdegegnerin verweigerte Erlass des Karenzjahres gemäss
Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KUVG
rechtmässig war. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
56f555ae-25f6-4fa5-912f-bd4ed4686696 | Urteilskopf
111 V 379
67. Sentenza del 16 settembre 1985 nella causa C. & Co. contro Ufficio cantonale del lavoro del Cantone Ticino e Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino | Regeste
Art. 31 Abs. 1 lit. b und 32 Abs. 1 lit. a AVIG: Kurzarbeitsentschädigung.
- Die Vorschrift des
Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG
darf den Arbeitgeber nicht dazu verleiten, Entlassungen vorzunehmen: Vermeidbar im Sinne dieser Bestimmung ist die Kurzarbeit nicht bereits deshalb, weil der Arbeitgeber ihr durch Personalentlassungen hätte vorbeugen können.
- Die Verneinung des Anspruchs wegen Vermeidbarkeit des Arbeitsausfalls muss sich auf hinreichend konkrete Gründe stützen und die geeigneten Massnahmen nennen, welche der Arbeitgeber zu ergreifen versäumt und auf diese Weise seine Schadenminderungspflicht verletzt hat (Erw. 2a).
Art. 31 Abs. 1 lit. d AVIG
: Kurzarbeitsentschädigung.
- Die in
Art. 31 Abs. 1 AVIG
enthaltene Aufzählung der Voraussetzungen für die Anerkennung der Kurzarbeit ist erschöpfend.
Art. 31 Abs. 1 lit. d AVIG
enthält keine zusätzliche Bedingung in dem Sinne, dass der Anspruch auf die Entschädigung nicht anerkannt wird, wenn die Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, eine andere Beschäftigung bei einem andern Arbeitgeber zu finden.
- Der Umstand, dass ein Arbeitgeber in der Vergangenheit wiederholt Kurzarbeit eingeführt hat, erlaubt für sich allein nicht den Schluss, dass ein neuerlicher Arbeitsausfall wahrscheinlich nicht vorübergehend sein werde und dass mit der Kurzarbeit die Arbeitsplätze nicht erhalten werden könnten.
- Beim Entscheid, ob die Voraussetzungen des
Art. 31 Abs. 1 lit. d AVIG
gegeben sind, ist davon auszugehen, dass ein Arbeitsausfall wahrscheinlich vorübergehend sein wird und die Arbeitsplätze erhalten werden können, solange nicht konkrete Sachverhalte vorliegen, welche die gegenteilige Schlussfolgerung zulassen (Erw. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 381
BGE 111 V 379 S. 381
A.-
La casa di spedizioni C. & Co. è stata messa al beneficio di indennità per lavoro ridotto per tre dei suoi dipendenti dal 2 gennaio al 20 marzo 1984, dal 19 aprile (la domanda di rinnovo essendo stata presentata tardivamente) al 30 giugno seguenti e, infine, da tale data sino al 30 settembre di quell'anno. L'Ufficio cantonale del lavoro del Cantone Ticino, nelle decisioni relative ai due ultimi periodi menzionati, dopo aver dichiarato di non opporsi al pagamento dell'indennità, aveva osservato che in caso di un eventuale rinnovo della domanda la ditta doveva comprovare di aver effettuato una ristrutturazione in modo da ridurre sensibilmente le ore di lavoro perse.
Chiamato a statuire su una nuova domanda 12 settembre 1984, l'Ufficio cantonale del lavoro ha affermato di opporsi ad un'indennizzazione a decorrere dal 1o ottobre 1984 dal momento che l'azienda non aveva comprovato di aver effettuato alcuna ristrutturazione.
B.-
La ditta C. & Co. ha deferito il provvedimento amministrativo con ricorso al Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino, chiedendo il riconoscimento delle prestazioni per il periodo successivo al 30 settembre 1984. Ha osservato che essa, come casa di spedizioni, non poteva procedere a una ristrutturazione alla stessa stregua di una fabbrica: mentre una fabbrica si può ristrutturare con un programma di lavoro stabilito all'inizio di un esercizio, una ditta di trasporti si vede confrontata con improvvisi cali di ordinazioni seguiti da riprese immediate, per cui simile tipo di ditta deve sempre disporre del personale necessario onde far fronte agli impegni suscettibili di presentarsi.
Per giudizio 24 ottobre 1984 il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino ha tutelato il provvedimento dell'Ufficio cantonale del lavoro. I primi giudici, richiamato l'art. 32 cpv. 1 LADI, hanno affermato che non potendo il grado d'occupazione dei dipendenti essere preventivamente fissato in quanto l'attività della ditta soggiaceva a notevoli fluttuazioni congiunturali e alla forte concorrenza internazionale, non si vedeva come un'ulteriore proroga dell'indennizzo del lavoro ridotto potesse portare a una stabilizzazione dell'occupazione: anche alla scadenza dell'ulteriore periodo di indennizzazione il lavoro ridotto sarebbe probabilmente perdurato. In sostanza, ha concluso l'autorità giudiziaria di primo grado, nella proroga dell'indennità per lavoro ridotto non poteva che essere ravvisata una specie di versamento a fondo perso, senza concrete e comprovate prospettive di ripristinare la piena occupazione con adeguate misure di
BGE 111 V 379 S. 382
organizzazione aziendale.
C.-
La C. & Co. interpone ricorso di diritto amministrativo a questa Corte. Chiede implicitamente il riconoscimento delle prestazioni assicurative e rileva di aver fatto tutto il possibile per ristrutturare l'azienda, osservando come l'effettivo della ditta sia passato da 25 a 15, poi a 10 ed, infine, attualmente, a 6 dipendenti.
L'Ufficio cantonale del lavoro postula la reiezione del gravame. L'Ufficio federale dell'industria, delle arti e mestieri e del lavoro (UFIAML), che aveva in un primo tempo pure proposto la reiezione del ricorso, dopo aver preso conoscenza di osservazioni completive del giudice delegato, postula l'accoglimento del gravame nel senso che l'inserto della causa venga rinviato all'amministrazione per complemento di istruttoria e nuova decisione.
Erwägungen
Diritto:
1.
Giusta l'art. 31 cpv. 1 LADI:
"I lavoratori, il cui tempo normale di lavoro è ridotto o il cui lavoro è integralmente sospeso, hanno diritto a un'indennità per lavoro ridotto se:
a. il loro datore di lavoro è soggetto all'obbligo di contribuzione all'assicurazione contro la disoccupazione (art. 2 cpv. 1 lett. b);
b. la perdita di lavoro è computabile (art. 32);
c. il rapporto di lavoro non è stato disdetto;
d. la perdita di lavoro è probabilmente temporanea ed è presumibile che con la diminuzione del lavoro potranno essere conservati i loro posti di lavoro."
L'art. 32 cpv. 1 LADI precisa che una perdita di lavoro è computabile ai sensi della lett. b del predetto disposto se "è dovuta a motivi economici ed è inevitabile" (lett. a) e "per ogni periodo di conteggio è di almeno il 10 per cento delle ore di lavoro normalmente fornite in complesso dai lavoratori dell'azienda" (lett. b).
2.
a) Il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino, per confermare il provvedimento dell'Ufficio cantonale del lavoro denegante alla C. & Co. indennità per lavoro ridotto a decorrere dal 30 settembre 1984 si fonda sull'art. 32 cpv. 1 lett. a LADI. Quando si osservi che ovviamente il rifiuto di indennità non è stato pronunciato perché la perdita di lavoro verificatasi presso la ditta C. & Co. non era dovuta a motivi economici, si pone da questo profilo unicamente il tema di sapere se
BGE 111 V 379 S. 383
tale perdita fosse inevitabile.
Il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino, a conferma del provvedimento dell'Ufficio del lavoro, ha ritenuto che questo presupposto non era adempiuto nella misura in cui la ricorrente non aveva preso le misure adeguate per ristrutturare l'azienda. Ora, né l'autorità giudiziaria, né l'amministrazione hanno esposto che cosa esse intendessero per ristrutturazione dell'azienda, né si sono espresse circa la portata da dare al concetto di perdita di lavoro "inevitabile" e nemmeno, in particolare, hanno ritenuto a proposito che la ditta avrebbe - come essa afferma - drasticamente ridotto nel tempo l'effettivo del proprio personale, passando progressivamente da 25 a 6 dipendenti.
Nella misura in cui la mancata ristrutturazione cui i giudici di prime cure e amministrazione alludono avesse dovuto consistere in un'ulteriore riduzione dei posti di lavoro da parte della ditta ricorrente, dev'essere affermato che simile misura sarebbe in contrasto con gli scopi prefissisi dal legislatore con l'emanazione dell'art. 32 cpv. 1 lett. a LADI.
Nel suo messaggio 2 luglio 1980 concernente una nuova legge federale sull'assicurazione obbligatoria contro la disoccupazione e l'indennità per insolvenza il Consiglio federale, cosciente delle difficoltà suscettibili di presentarsi trattandosi di accertare la necessità di istituire il lavoro ridotto nell'azienda, dopo aver rilevato che "questo controllo esigerebbe infatti l'approntamento di un'organizzazione particolare comprendente un effettivo numeroso di personale altamente qualificato", ma che "anche in questo caso non sarebbe però certo che l'esame potrebbe essere compiuto in tempo utile e che il riscontro sarebbe compatibile con il nostro sistema economico", ha asserito che "è stato pertanto necessario trovare un compromesso che, da un lato, non agevoli eccessivamente l'istaurazione di una riduzione del lavoro ma che, dall'altro, nemmeno la complichi, onde evitare che per questo motivo il datore di lavoro sia indotto a licenziare una parte del suo personale" (FF 1980 III 494). Se ne deduce chiaramente che il legislatore non intendeva introdurre una disposizione che potesse incitare il datore di lavoro a procedere a licenziamenti. Come osserva l'UFIAML, la normativa contenuta nella LADI disciplina in modo più restrittivo, nei confronti della regolamentazione precedentemente in vigore, il diritto all'indennità per lavoro ridotto, nella misura in cui fa partecipare il datore di lavoro ai costi, per cui si dovrà, più di prima, presumere che
BGE 111 V 379 S. 384
il datore di lavoro non introduce l'orario ridotto dove questa misura si riveli evitabile. Un eventuale diniego del diritto per causa dell'evitabilità della perdita di lavoro deve quindi fondarsi su motivi sufficientemente concreti ed indicare i provvedimenti adeguati che il datore di lavoro ha omesso di prendere, non rispettando in tal modo il suo obbligo di diminuire i danni.
In sostanza, visto che praticamente sempre si può provvedendo al licenziamento ovviare al lavoro ridotto, non considerare lo stesso inevitabile ai sensi dell'art. 32 cpv. 1 lett. a LADI qualora sia data la possibilità di sopprimere posti di lavoro condurrebbe a rendere inoperante l'istituzione dell'indennità per lavoro ridotto giusta i disposti di cui agli art. 31 segg. LADI. Quando si noti ora che né il giudice di prime cure, né l'amministrazione accennano ad altre possibili misure suscettibili di entrare in linea di conto per evitare il lavoro ridotto, che difettano peraltro all'incarto elementi idonei a fornire indicazioni in questo senso e che, infine, non si vede concretamente in che cosa esse avrebbero potuto consistere, il giudizio cantonale nella misura in cui denega il diritto a prestazioni per inadempienza del requisito di cui all'art. 32 cpv. 1 lett. a LADI è censurabile.
b) Nei considerandi della querelata pronunzia, il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino fa anche capo nella sua motivazione ad argomenti che apparentemente si fondano sull'art. 31 cpv. 1 lett. d LADI, senza comunque nei motivi citare esplicitamente il disposto.
Orbene, né i primi giudici né l'amministrazione alludono a dati di fatto che consentano di concludere che nel caso in esame il lavoro ridotto presso la ditta C. & Co. non sarebbe stato solo temporaneo, rispettivamente che la diminuzione del lavoro non fosse intesa a mantenere i posti di lavoro ai sensi del predetto disposto. Il fatto segnatamente che la ricorrente abbia nel passato ripetutamente introdotto il lavoro ridotto non permette di per sé di giungere a simile conclusione. Se si dovesse riconoscere come decisiva questa circostanza, il diritto alle indennità per lavoro ridotto dovrebbe essere denegato a tutte le ditte sottoposte alle oscillazioni della congiuntura economica per un periodo di tempo prolungato, il che non è voluto dal legislatore, il quale non ha posto limiti di tempo assoluti per il riconoscimento del diritto alle prestazioni di cui si tratta, fissando solo il numero massimo di indennità per ogni periodo di due anni (cfr. art. 35 LADI).
BGE 111 V 379 S. 385
L'UFIAML, dal canto suo, nell'atto di risposta al gravame affaccia la tesi secondo cui sarebbe giustificato negare il diritto all'indennità qualora i lavoratori possano, nell'ipotesi di un licenziamento, essere senz'altro collocati altrove, senza correre il rischio di diventare disoccupati, proponendo nel caso di specie il rinvio degli atti all'amministrazione per accertamenti su questo punto. Per l'Ufficio federale, l'art. 31 cpv. 1 lett. d LADI si prefigge lo scopo di mantenere i posti di lavoro dei lavoratori colpiti e di evitare la loro disoccupazione totale. Orbene, all'art. 31 cpv. 1 lett. d la legge testualmente prevede che l'indennità per lavoro ridotto è da riconoscere quando è presumibile che con la diminuzione del lavoro ai lavoratori potranno "essere conservati i loro posti di lavoro". Il chiaro testo di legge indica quindi senza ambiguità che il legislatore non intendeva semplicemente evitare ai lavoratori di trovarsi in disoccupazione: esso voleva far sì che il lavoratore potesse - adempiute determinate condizioni - rimanere al proprio posto di lavoro. Che i dipendenti non abbiano la possibilità di trovare un'altra occupazione presso un altro datore di lavoro non è condizione prevista nell'elenco esaustivo dei requisiti posti dalla legge, all'art. 31 cpv. 1, perché possa essere assegnata l'indennità per lavoro ridotto. Nel messaggio del Consiglio federale (FF 1980 III 469 segg.) non sono ravvisabili indicazioni che permettano di corroborare l'opinione restrittiva dell'Ufficio federale. Al contrario, da esso messaggio traspare, come già è stato detto relativamente al punto precedentemente esaminato, l'idea generale che il legislatore intendeva istituire un sistema che non induca il datore a sciogliere il rapporto di lavoro. In particolare, in ingresso al capitolo relativo all'indennità in caso di lavoro ridotto, il messaggio recita che "per motivi di natura economica e sociale, ma anche per ragioni inerenti all'onere finanziario che l'assicurazione disoccupazione deve sopportare, è preferibile versare un'indennità in caso di lavoro ridotto e mantenere i rapporti contrattuali, piuttosto che licenziare i lavoratori in caso di mancanza temporanea di lavoro" (FF 1980 III 494). D'altra parte, infine, aderire alla tesi dell'UFIAML significherebbe voler disattendere l'interesse che può avere un datore di lavoro a mantenere, in caso di temporanea diminuzione dell'attività, l'effettivo del suo personale - essendo lo stesso in grado in occasione di un miglioramento della situazione di immediatamente riprendere l'occupazione con piena efficienza - piuttosto che, una volta licenziati i dipendenti, riassumere del nuovo personale richiedente un inevitabile periodo di
BGE 111 V 379 S. 386
istruzione e di adattamento. Non può certo essere negato che nei periodi di bassa congiuntura l'istituzione delle indennità per lavoro ridotto possa essere soggetta a critiche appunto in quanto suscettibile di determinare una diminuzione dell'offerta di posti di lavoro sul mercato, ma questa considerazione non è decisiva quando si ricordino i predetti interessi per il lavoratore e il datore di lavoro e anche, indirettamente, per l'economia in generale al mantenimento del rapporto. In ogni modo, essa considerazione non autorizza a porre un'ulteriore condizione al riconoscimento di indennità per lavoro ridotto in deroga al chiaro testo di legge.
È lecito comunque chiedersi se non debbano essere posti determinati criteri, che rispecchino la volontà del legislatore, ai fini di stabilire se si possa o meno ammettere che la perdita di lavoro sarà temporanea e che i posti di lavoro saranno conservati ai sensi dell'art. 31 cpv. 1 lett. d LADI. Ora, non c'è chi non veda che, per quanto possano essere diversificati i criteri da porre, un apprezzamento da questo profilo non può che aver carattere aleatorio. Non ci si può quindi che attenere al principio secondo cui si deve presumere che una perdita di lavoro sarà probabilmente temporanea e che i posti di lavoro potranno essere conservati ogni qual volta non sussistono concreti dati di fatto che permettano di concludere in senso contrario.
Nel caso concreto, non emerge a questo riguardo alcun elemento che lasci propendere per la conclusione giusta cui la perdita di lavoro non fosse destinata ad avere solo carattere temporaneo ed a permettere ai dipendenti della ricorrente di conservare i loro posti. La pronunzia dei giudici di prime cure non può quindi essere tutelata nemmeno nella misura in cui ritiene inadempiuto il presupposto dell'art. 31 cpv. 1 lett. d LADI.
3.
Dato quanto precede, nella misura in cui dagli accertamenti della Cassa di disoccupazione emerga essere adempiuti gli altri presupposti del diritto alle prestazioni, le indennità per lavoro ridotto dovrebbero essere assegnate per il periodo successivo al 30 settembre 1984.
Dispositiv
Per questi motivi,
il Tribunale federale delle assicurazioni pronuncia:
Il ricorso di diritto amministrativo è accolto nel senso che, annullati il giudizio querelato e la decisione impugnata, gli atti di
BGE 111 V 379 S. 387
causa sono rinviati alla Cassa di disoccupazione perché statuisca sui diritti della ricorrente alle indennità per lavoro ridotto conformemente ai considerandi. | null | nan | it | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
56f85a99-18e9-459e-a4a9-644ecdbd2ecb | Urteilskopf
107 Ia 64
13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. März 1981 i.S. Progressive Organisationen Basel gegen Regierungsrat und Appellationsgericht als Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit; Verwendung von Lautsprechern bei politischen Kundgebungen auf öffentlichem Grund.
Es bedeutet eine Verletzung der Meinungsäusserungs- und der Versammlungsfreiheit, wenn eine kantonale Behörde anordnet, dass jeweils während vier Wochen vor Wahlen und Abstimmungen die Benützung von Lautsprechern bei politischen Veranstaltungen im Freien generell untersagt sei. | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 107 Ia 64 S. 65
Die Progressiven Organisationen Basel (POB), rechtlich ein Verein, veranstalteten am Samstag, dem 12. Mai 1979 auf dem Marktplatz in Basel eine Kundgebung im Zusammenhang mit der eidgenössischen Volksabstimmung vom 20. Mai 1979 über den Bundesbeschluss betreffend die Neuordnung der Umsatzsteuer und der direkten Bundessteuer. Sie ersuchten am 7. April 1979 um die Bewilligung, an diesem Anlass eine Lautsprecheranlage einsetzen zu dürfen. Die Verwaltungsabteilung des Polizeidepartementes des Kantons Basel-Stadt lehnte das Gesuch am 10. April 1979 ab mit der Begründung, gemäss einem Beschluss des Regierungsrates vom 20. Januar 1976 dürften vier Wochen vor Wahlen und Abstimmungen auf öffentlichem Grund keine Lautsprecher zu Propagandazwecken verwendet werden. Die POB rekurrierten ohne Erfolg zunächst an das Polizeidepartement und hernach an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. Den regierungsrätlichen Entscheid zogen sie an das Appellationsgericht als Verwaltungsgericht weiter. Dieses wies den Rekurs mit Urteil vom 12. September 1980 ab.
Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde der POB gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Verwaltungsgericht bestätigte ebenso wie der Regierungsrat und das Polizeidepartement die Verfügung vom 10. April 1979, mit der dem Beschwerdeführer die Bewilligung zur Verwendung eines Lautsprechers bei der Kundgebung vom 12. Mai 1979 verweigert worden war.
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung der Meinungsäusserungs- und der Versammlungsfreiheit geltend. Ausserdem beruft er sich auf das Willkürverbot gemäss
Art. 4 BV
. Da dem Bundesgericht bei Beschwerden wegen Verletzung von Freiheitsrechten grundsätzlich freie Prüfungsbefugnis zusteht, und da hier keine Verfahrensfragen streitig sind, kommt der Willkürrüge des Beschwerdeführers neben dem Vorwurf der Missachtung der Meinungsäusserungs- und der Versammlungsfreiheit keine selbständige Bedeutung zu.
a) Die Meinungsäusserungsfreiheit gewährleistet das Recht des Bürgers, seine Meinung zu äussern, d.h. sie anderen bekanntzugeben (
BGE 104 Ia 94
E. 4, 378 E. 2 mit Hinweisen). Dieses Freiheitsrecht wird vom Bundesgericht als ungeschriebenes Verfassungsrecht des Bundes anerkannt. Das gleiche gilt für das Recht auf freie
BGE 107 Ia 64 S. 66
Versammlung (
BGE 100 Ia 399
E. 4a mit Hinweisen). Dies bedeutet indessen nicht die Anerkennung eines ungeschriebenen Demonstrationsrechts, d.h. eines Anspruchs, auf öffentlichem Grund politische Veranstaltungen durchzuführen. Solche Kundgebungen sind weitergehenden Beschränkungen unterworfen als Versammlungen auf privatem Boden und andere Formen der Meinungsäusserung. Da sie eine Form des gesteigerten Gemeingebrauchs öffentlichen Grundes darstellen, darf ihre Durchführung von einer Bewilligung abhängig gemacht werden, selbst wenn hiefür keine gesetzliche Grundlage besteht. Der Behörde, welcher die Verfügung über den öffentlichen Grund zusteht, kommt im Bewilligungsverfahren ein gewisses Ermessen zu; doch ist sie bei ihrem Entscheid nicht nur an das Willkürverbot und an den Grundsatz der Rechtsgleichheit gebunden. Sie hat überdies den besonderen ideellen Gehalt der Freiheitsrechte, um deren Ausübung es geht, in die Interessenabwägung einzubeziehen. Insoweit entfalten die Meinungsäusserungs- und die Versammlungsfreiheit ihre Wirkungen auch bei Betätigungsformen, die mit einem gesteigerten Gemeingebrauch des öffentlichen Grundes verbunden sind. Die Behörde hat die verschiedenen Interessen nach objektiven Gesichtspunkten gegeneinander abzuwägen und dabei dem legitimen Bedürfnis, Veranstaltungen mit Appellwirkung an die Öffentlichkeit durchführen zu können, angemessen Rechnung zu tragen. ob die Auffassungen, die durch die fraglichen Veranstaltungen verbreitet werden sollen, der zuständigen Behörde mehr oder weniger wertvoll und wichtig erscheinen, darf dagegen für den Entscheid über eine nachgesuchte Bewilligung nicht ausschlaggebend sein (BGE
BGE 105 Ia 94
E. 3;
BGE 100 Ia 399
ff. E. 4 und 5).
b) Im vorliegenden Fall wurde dem Beschwerdeführer nicht untersagt, am 12. Mai 1979 eine politische Kundgebung auf dem Marktplatz in Basel durchzuführen. Die Behörde verweigerte ihm jedoch die Bewilligung, an dieser Veranstaltung einen Lautsprecher zu benützen. Der Beschwerdeführer wurde dadurch sowohl in der Meinungsäusserungs- als auch in der Versammlungsfreiheit beeinträchtigt. Es ist bekannt, dass Ansprachen auf öffentlichen Plätzen praktisch nur von den sich in unmittelbarer Nähe des Redners aufhaltenden Personen richtig verstanden werden können, wenn zur Verstärkung des gesprochenen Wortes keine Lautsprecheranlage verwendet wird. Die Möglichkeit des Beschwerdeführers, eine politische Versammlung im Freien abzuhalten und dort seine Ansichten zur Volksabstimmung vom 20. Mai 1979
BGE 107 Ia 64 S. 67
einer breiteren Öffentlichkeit kundzugeben, wurde somit erheblich eingeschränkt.
Ob diese Beschränkung der Meinungsäusserungs- und der Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers zulässig war, ist nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen, wie sie (unter E. 2a) mit Bezug auf Versammlungsbewilligungen auf öffentlichem Grund dargestellt worden sind. Dabei kommt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend feststellte, dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entscheidende Bedeutung zu. Ein staatlicher Eingriff hat demnach dann zu unterbleiben, wenn der angestrebte Zweck auch mit weniger einschneidenden Massnahmen als mit dem gerügten Eingriff erreicht werden könnte. Das Bundesgericht prüft grundsätzlich frei, ob der angefochtene Entscheid mit den erwähnten Prinzipien vereinbar ist. Es setzt indessen nicht sein Ermessen anstelle desjenigen der kantonalen Behörden, und es übt Zurückhaltung, soweit es um die Würdigung der besonderen örtlichen Verhältnisse geht (
BGE 105 Ia 94
E. 3 mit Hinweisen).
3.
Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Polizeidepartement und dem Regierungsrat das Verbot der Verwendung eines Lautsprechers auf dem Marktplatz nicht im Hinblick darauf bestätigt, dass die für den 12. Mai 1979 vorgesehene öffentliche Veranstaltung konkret mit besonderen Immissionen für die Bevölkerung verbunden gewesen wäre; es stützte sich ausschliesslich auf den Regierungsratsbeschluss vom 20. Januar 1976, wonach für politische Veranstaltungen vor Wahlen und Abstimmungen generell keine Bewilligungen zum Betrieb von Lautsprechern auf öffentlichem Grund erteilt werden sollen. Das Polizeidepartement scheint in Ausführung dieses Beschlusses seither solche Bewilligungen jeweils während einer Zeitspanne von vier Wochen vor Wahlen und Abstimmungen untersagt zu haben. Es kann demnach nur überprüft werden, ob diese allgemeine Regelung vor der Bundesverfassung standhält.
a) Der Regierungsratsbeschluss vom 20. Januar 1976 stützt sich auf einen Bericht des Polizeidepartements, von dem ohne Kommentar zustimmend Kenntnis genommen wurde und der deshalb als Begründung des Beschlusses gelten kann. Diesem Bericht ist zu entnehmen, dass das Verbot der Verwendung von Lautsprechern für politische Anlässe auf öffentlichem Grund in der Zeit vor Wahlen und Abstimmungen zum Zwecke der Erhaltung einer wohnlichen Stadt angeordnet wurde. Das Departement legte dar, dass 1975 insgesamt 149 Lautsprecherbewilligungen erteilt worden
BGE 107 Ia 64 S. 68
seien, wobei die starke Zunahme gegenüber dem Vorjahr (67 Bewilligungen) vor allem auf die Nationalratswahlen zurückzuführen sei, dass die Bewilligungen meistens für die nämlichen Standorte verlangt worden seien und dass die grosszügige Bewilligungspraxis betreffend Lautsprecher für politische Anlässe zu zahlreichen Beschwerden von Anwohnern geführt habe, die sich durch die Lautsprecherdurchsagen belästigt fühlten. Es dränge sich daher auf, vor Wahlen und Abstimmungen keine derartigen Bewilligungen mehr zu erteilen. Aus Gründen der Rechtsgleichheit könnten dabei keine Unterschiede nach Ort, Tageszeit usw. gemacht werden. Eine übermässige Einschränkung der Freiheitsrechte bedeute ein solches generelles Verbot nicht, da für politische Propaganda vor Wahlen und Abstimmungen genügend andere Möglichkeiten blieben, die keine Belästigung der Öffentlichkeit mit sich brächten. Es sei aber klar, dass nicht jede Art von politischer Propaganda durch Lautsprecher verboten werden solle. So würden weiterhin für Demonstrationen und Aktionen, die nicht im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen stünden und die ohne den Einsatz von Lautsprechern überhaupt nicht erfolgreich durchgeführt werden könnten, entsprechende Bewilligungen erteilt, allerdings nur für Sprachdurchsagen und nicht für das Abspielen von Musik. Selbstverständlich sei, dass für Volksfeste und ähnliche Veranstaltungen (gedacht war offenbar vor allem an solche sportlicher Natur) weiterhin Bewilligungen erteilt würden.
b) Die kantonale Behörde ist zwar befugt, zur Erhaltung einer wohnlichen Stadt und vor allem zur Vermeidung übermässiger Lärmimmissionen die Verwendung von Lautsprecheranlagen auf öffentlichem Grund einzuschränken. Sie darf dabei aber den ideellen Gehalt der verfassungsmässigen Rechte, insbesondere der Meinungsäusserungs- und der Versammlungsfreiheit, nicht unberücksichtigt lassen, und sie hat den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten. Unter diesen beiden Gesichtspunkten kann die hier in Frage stehende Regelung nicht geschützt werden.
Wie dargelegt wurde, ist die Durchführung grösserer öffentlicher Veranstaltungen im Freien zu Propagandazwecken ohne den Einsatz von Lautsprecheranlagen praktisch nicht möglich. Regierungsrat und Polizeidepartement haben dies denn auch anerkannt, indem sie im Beschluss vom 20. Januar 1976 ausführten, es sei klar, dass nicht jede politische Propaganda mittels Lautsprechern verboten werden solle. Indessen vermag der Hinweis darauf, dass Bewilligungen für entsprechende Veranstaltungen zu anderen Zeiten
BGE 107 Ia 64 S. 69
als jeweils vier Wochen vor Wahlen und Abstimmungen erhältlich seien, nicht zu überzeugen. Wer bestimmte Mittel der politischen Propaganda erlauben will oder muss, kann dieser Aufgabe nicht dadurch nachkommen, dass er ihren Einsatz nur in einem Zeitpunkt gestattet, in dem dafür lediglich ein geringes Interesse besteht. Die Meinungsäusserungs- und die Versammlungsfreiheit haben unter anderem gerade den Sinn, innert der durch den Schutz der Polizeigüter gesetzten Grenzen politische Propaganda betreiben zu dürfen, und es gehört zum Leben der schweizerischen Demokratie, dass im Freien mitunter grössere politische Anlässe stattfinden. Stehen aber keine Wahlen oder Abstimmungen bevor, so haben die politischen Parteien und allenfalls weitere Organisationen, die an der Behandlung politischer Fragen aktiv teilnehmen, kaum einen Grund, Zeit und Kosten für solche Kundgebungen aufzuwenden, und die Stimmbürger sind an entsprechenden Veranstaltungen auch nicht besonders interessiert. Wenn also der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt bereit ist, ausserhalb der Periode von jeweils vier Wochen vor Wahlen und Abstimmungen den Einsatz von Lautsprechern auf öffentlichem Grund für politische Zwecke zu gestatten, so wahrt er die Meinungsäusserungs- und die Versammlungsfreiheit wohl mehr nur der äusseren Form und weniger der Sache nach.
Politische Kundgebungen im Freien vermögen ohne den Einsatz von Lautsprecheranlagen ihren Zweck nur zum kleinen Teil zu erreichen. Wird der Gebrauch solcher Anlagen, wie das nach der baselstädtischen Regelung der Fall ist, für Perioden erhöhten politischen Interesses vollständig untersagt, bedeutet das eine erhebliche Beeinträchtigung der Meinungsäusserungs- und der Versammlungsfreiheit der politischen Gruppen. Ein solcher Eingriff müsste freilich dann in Kauf genommen werden, wenn die entgegenstehenden Interessen der Quartieranwohner wirklich nicht anders geschützt werden könnten. Indessen beschränken sich die diesbezüglichen Ausführungen der kantonalen Instanzen auf Allgemeines. Es wird nicht dargelegt, welche Wohnquartiere mit wievielen Anwohnern durch einzelne Veranstaltungen mit Lautsprecheranlagen etwa auf dem Marktplatz, dem Barfüsserplatz und dem Claraplatz besonders betroffen würden und weshalb es für die Bewohner dieser Stadtteile nicht zumutbar sei, die unbestreitbaren Lärmimmissionen durch Lautsprecher vielleicht ein- oder zweimal pro Wahl- oder Abstimmungstermin zu Zeiten zu dulden, in denen im allgemeinen kein erhöhtes Ruhebedürfnis besteht, also etwa an
BGE 107 Ia 64 S. 70
Samstagnachmittagen oder in den frühen Abendstunden. Wenn der Regierungsrat die Auffassung vertritt, eine Aufteilung der Bewilligungen für Veranstaltungen mit Lautsprecheranlagen nach Ort und Zeit sei mit Rücksicht auf die Rechtsgleichheit nicht möglich, so kann ihm nicht beigepflichtet werden. Wohl wird eine derartige Regelung gewisse Schwierigkeiten bereiten, doch müssen diese in Kauf genommen werden. Es wäre z.B. nicht von vornherein ausgeschlossen, aus Gründen der Verkehrssicherheit die Verwendung von Lautsprechern auf bestimmten Plätzen überhaupt zu untersagen. Hingegen werden die Meinungsäusserungs- und die Versammlungsfreiheit der politischen Gruppen zu stark eingeschränkt, wenn gerade in der Zeit, in der das Bedürfnis nach Durchführung von politischen Kundgebungen mit Lautsprechern besonders ausgeprägt ist, nämlich in Wahl- und Abstimmungsperioden, die Verwendung von Lautsprechern für politische Aktivitäten generell verboten wird. Die angefochtene Regelung erscheint um so mehr als unverhältnismässig, als nach den Ausführungen des Regierungsrates Bewilligungen zum Einsatz von Lautsprecheranlagen für Volksfeste und Sportveranstaltungen weiterhin erteilt werden, die Quartiereinwohner also bei solchen Gelegenheiten die entsprechenden Immissionen zu dulden haben. Das Bundesgericht hat zwar in einem zur Publikation bestimmten Urteil vom 19. November 1980 i.S. Rossy ein vom Staatsrat des Kantons Waadt ausgesprochenes Verbot, mit Lautsprecherwagen zum Zwecke der politischen Propaganda im Land herumzufahren, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geschützt. Indessen bestand gegenüber der hier zu beurteilenden Sachlage ein erheblicher Unterschied. Dort sollte sich die Propaganda an alle Einwohner von Dörfern richten, die möglicherweise für das behandelte Thema oder für den Standpunkt der propagandatreibenden politischen Gruppe überhaupt kein Interesse hatten; hier dagegen darf man immerhin davon ausgehen, dass sich die mit Lautsprechern zu verbreitenden Aussagen und Ansprachen in erster Linie an ein Publikum richten, das sich eigens auf den Platz der Veranstaltung begibt oder dort stehen bleibt und damit ein gewisses Interesse bekundet.
Wie dem auch immer sei: Die Behörden dürfen dem Ruhebedürfnis der Bewohner durchaus Rechnung tragen und übermässige Lärmimmissionen auch im Zusammenhang mit politischen Veranstaltungen im Rahmen des Verhältnismässigkeitsprinzips durch entsprechende Verbote verhindern, doch ist es sinnwidrig und vor
BGE 107 Ia 64 S. 71
der Verfassung nicht haltbar, die Verwendung von Lautsprechern bei politischen Anlässen im Freien zwar im allgemeinen zu gestatten, aber ausgerechnet für die Periode der stärksten politischen Aktivität zu verbieten, in der das Bedürfnis nach dem Gebrauch von Lautsprechern besonders ausgeprägt ist. Hält nach dem Gesagten die generelle Regelung gemäss Regierungsratsbeschluss vom 20. Januar 1976 vor der Bundesverfassung nicht stand, so erweist sich auch der angefochtene Entscheid, der sich auf diese Regelung stützt, als verfassungswidrig. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist deshalb aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
56fb663a-56d5-4994-b435-7d6d412ff803 | Urteilskopf
119 IV 260
49. Urteil des Kassationshofes vom 27. Mai 1993 i.S. B. gegen Polizeirichteramt des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 57 Abs. 5 lit. b SVG
,
Art. 3b Abs. 3 VRV
;
Art. 49 BV
und
Art. 9 EMRK
; Helmtragpflicht eines Motorfahrradfahrers; Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Verordnungen des Bundesrates sind vorfrageweise auf ihre Gesetzes- und Verfassungsmässigkeit zu überprüfen (E. 2).
Die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Sikhs wird durch die Pflicht, einen Schutzhelm zu tragen, nicht beeinträchtigt (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 260
BGE 119 IV 260 S. 260
B. ist Angehöriger der Religion der Sikhs. Er missachtete am 1. November 1990 in Zürich als Lenker eines Motorfahrrades ein Rotlicht. Er trug ausserdem bei seiner Fahrt keinen Schutzhelm. Auf Einsprache gegen eine aufgrund dieses Sachverhalts erlassene Strafverfügung sprach der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich B. der Verletzung einer Verkehrsvorschrift im Sinne von
Art. 90 Ziff. 1 SVG
i.V.m.
Art. 68 Abs. 1 SSV
(Missachten eines Rotlichtes) sowie der Übertretung von
Art. 96 VRV
i.V.m.
Art. 3b Abs. 3 VRV
(Nichttragen des Schutzhelmes) schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 30.--.
Eine allein gegen die Bestrafung wegen Nichttragens des Schutzhelms eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde von B. wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 21. Oktober 1992 ab, soweit es darauf eintrat.
BGE 119 IV 260 S. 261
Gegen diesen Entscheid führt B. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Entscheids beantragt. Gleichzeitig ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtete auf Gegenbemerkungen. Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich trägt auf Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde an und verweist zur Begründung auf die Urteile des Einzelrichters und des Obergerichts.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Der erstinstanzliche Richter war aufgrund der Ausführungen des Beschwerdeführers davon ausgegangen, die Religion der Sikhs verbiete ihren Angehörigen zwar, das Haupt in der Öffentlichkeit entblösst zu zeigen, nicht hingegen das Tragen eines Helms. Er hatte daher angenommen, dass die Helmtragpflicht die Religionsfreiheit des Beschwerdeführers nicht tangiere. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit wäre nach dessen Auffassung durch die Helmtragpflicht selbst dann nicht beeinträchtigt, wenn die Religion des Beschwerdeführers das Tragen eines Turbans strikte vorschreiben würde. Denn die Pflicht, einen Helm zu tragen, untersage nicht das Tragen eines Turbans, sondern das Führen eines Motorfahrrades ohne Helm. Der erstinstanzliche Richter war daher zum Schluss gelangt, der Beschwerdeführer habe das Tragen des Schutzhelms lediglich aus Gründen der Bequemlichkeit und aus Furcht vor Spott unterlassen, was keine Ausnahme von der Helmtragpflicht rechtfertige. Die Vorinstanz erachtete diese Feststellung nicht als aktenwidrig oder willkürlich.
b) Die Rüge,
Art. 3b Abs. 3 VRV
sei nicht verfassungs- und EMRK-konform ausgelegt worden, betrachtete die Vorinstanz als unbegründet. Sie führte aus, zu einer verfassungskonformen Auslegung von
Art. 3b Abs. 3 VRV
bestehe schon deshalb kein Anlass, weil die Vorschrift völlig klar sei. Sie habe eine klare gesetzliche Grundlage in
Art. 57 Abs. 5 lit. b SVG
, welche Bestimmung gemäss
Art. 113 Abs. 3 BV
nicht auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüft werden könne. Im übrigen entbänden die Glaubensansichten gemäss
Art. 49 Abs. 5 BV
nicht von der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten.
Art. 3b Abs. 3 VRV
halte sich sodann klar an die delegierte Kompetenz. Die Bestimmung verstosse auch nicht gegen
Art. 9 EMRK
. Die Europäische Menschenrechtskommission habe im Fall eines in
BGE 119 IV 260 S. 262
England lebenden Sikh's festgestellt, das Helmtragobligatorium sei für Motorradfahrer eine notwendige Sicherheitsmassnahme und durch
Art. 9 Abs. 2 EMRK
gedeckt; daran ändere nichts, dass in England das Helmtragobligatorium gegenüber den Sikh's inzwischen aufgehoben worden sei.
c) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe
Art. 3b Abs. 3 VRV
nicht verfassungs- und EMRK-konform ausgelegt. Seine Religion verbiete ihm, das Haupt in der Öffentlichkeit entblösst zu zeigen. Aus diesem Grund bedeute für Sihks jede Handlung, die sie zum Entblössen des Hauptes zwinge, eine klare Diskriminierung. Es sei nicht möglich, über dem Turban einen Helm zu tragen. Das Helmtragobligatorium diene in erster Linie dem Selbstschutz. Ein öffentliches Interesse für einen Vorrang der Helmtragpflicht vor der Ausübung der Religionsfreiheit sei nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes in das verfassungsmässige Recht sei der Entscheid der Vorinstanz aber auch nicht mehr verhältnismässig.
2.
Gemäss
Art. 113 Abs. 3 BV
sind die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze und allgemeinverbindlichen Beschlüsse sowie die von ihr genehmigten Staatsverträge für das Bundesgericht massgebend. Es kann jedoch im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde vorfrageweise Verordnungen des Bundesrats auf ihre Gesetzes- und Verfassungsmässigkeit prüfen, wenn die strafrechtliche Verurteilung gestützt auf eine solche Verordnung erfolgt (
BGE 118 IV 192
E. 1). Bei unselbständigen Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es, ob sich der Bundesrat in den Grenzen der ihm im Gesetz eingeräumten Befugnisse gehalten hat. Ergibt sich bei dieser Prüfung, dass die in Frage stehende Verordnungsbestimmung gesetzmässig ist, ist weiter deren Verfassungsmässigkeit zu überprüfen, es sei denn ein Abweichen von der Verfassung sei in der massgeblichen Gesetzesvorschrift begründet (
BGE 118 Ib 81
E. 3b mit Hinweisen;
BGE 118 IV 192
E. 2b;
BGE 105 IV 251
E. 2a;
BGE 100 IV 98
E. 2;
BGE 92 I 433
; ANDREAS AUER, Die Schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 116 ff.; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, S. 55 ff.).
Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsebene eingeräumt, so ist dieser Spielraum nach
Art. 113 Abs. 3 BV
für das Bundesgericht verbindlich; es darf in diesem Falle bei der Überprüfung der Verordnung nicht sein eigenes Ermessen an die
BGE 119 IV 260 S. 263
Stelle desjenigen des Bundesrates setzen, sondern beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Verordnung den Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen offensichtlich sprengt oder aus anderen Gründen gesetz- oder verfassungswidrig sei (
BGE 118 Ib 81
E. 3b,
BGE 118 IV 192
E. 2b mit weiteren Hinweisen).
In diesem Rahmen ist die Gesetzes- und Verfassungsmässigkeit bzw. EMRK-Konformität von
Art. 3b Abs. 3 VRV
zu überprüfen. Entgegen ihrer geäusserten Auffassung wäre auch die Vorinstanz dazu berechtigt und verpflichtet gewesen (vgl. AUER, a.a.O., S. 19/20 und 111/112).
3.
a) Die Bestimmung von
Art. 3b Abs. 3 VRV
beruht auf
Art. 57 Abs. 5 lit. b SVG
, wonach der Bundesrat vorschreiben kann, dass Führer und Mitfahrer von Zweirädern mit motorischem Antrieb Schutzhelme tragen. Damit beruht die Verordnungsbestimmung auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage und hält sich auch im Rahmen der Delegationsnorm (
BGE 118 IV 192
E. 2c).
b) aa) Gemäss
Art. 49 Abs. 1 BV
ist die Glaubens- und Gewissensfreiheit unverletzlich. Die Religionsfreiheit gewährleistet das Recht, eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu haben, sowie diese, innerhalb gewisser Schranken, zu äussern, zu verbreiten und zu praktizieren (
BGE 118 Ia 46
E. 4c). Unter dem Schutz der Religionsfreiheit stehen Weltanschauungen, soweit sie Ausdruck des Religiösen oder Transzendenten sind und eine Gesamtschau der Welt und des Lebens zum Gegenstand haben (ULRICH HAEFELIN, BV-Kommentar, N 46 zu Art. 49). Als Formen religiöser Betätigung sind Verhaltensweisen geschützt, die als unmittelbarer Ausdruck religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen erscheinen (PETER KARLEN, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, Diss. Zürich 1988, S. 214). Dazu gehört auch das Tragen besonderer religiöser Kleidung (KARLEN, a.a.O., S. 233).
Art. 9 Ziff. 1 EMRK
verleiht jedermann Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, insbesondere die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit andern, öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Nach Ziff. 2 derselben Bestimmung darf die Religions- und Bekenntnisfreiheit nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Massnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind (Ziff. 2).
BGE 119 IV 260 S. 264
Auch
Art. 49 BV
gewährleistet die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht vorbehaltlos. Die Bundesverfassung regelt ihre Schranken allerdings nur lückenhaft. Ausdrücklich erwähnt wird in
Art. 49 Abs. 5 BV
der Vorrang der bürgerlichen Pflichten vor den Glaubensansichten (vgl. dazu
BGE 117 Ia 311
E. 1 mit Hinweisen). Auch wenn das Verfassungsrecht diesen Vorrang der Bürgerpflichten vorsieht, dispensiert es damit nicht von der verfassungsmässigen Ausgestaltung dieser Bürgerpflichten. Die Beschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit setzt wie diejenige anderer Freiheitsrechte eine gesetzliche Grundlage sowie die Wahrung des öffentlichen Interesses sowie des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes voraus. Die religiösen Freiheiten dürfen durch die Festlegung von Bürgerpflichten somit nicht weiter eingeschränkt werden, als dies vom öffentlichen Interesse geboten und verhältnismässig ist bzw. eine notwendige Massnahme im Sinne von
Art. 9 Ziff. 2 EMRK
darstellt (BGE
BGE 117 Ia 311
E. 2b mit weiteren Hinweisen).
bb) Die kantonalen Instanzen haben in tatsächlicher Hinsicht für das Bundesgericht verbindlich festgestellt (
Art. 277bis BStP
), dass die Religion der Sikhs, zu deren Glaubensbrüdern der Beschwerdeführer gehört, ihren Angehörigen verbiete, ihr Haupt in der Öffentlichkeit entblösst zu zeigen. Dieses Verbot, dessen Wichtigkeit für die Sikhs der erstinstanzliche Richter zu Recht nicht angezweifelt hat, geniesst als Ausdruck religiöser Wertvorstellungen ebenso wie religiöse Kleidervorschriften grundsätzlich den Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (siehe oben E. 3b/aa).
Die Vorinstanzen stellten dazu für das Bundesgericht weiter verbindlich fest, die Religion der Sihks schreibe diesen nicht ausdrücklich vor, dass sie einen Turban tragen müssten. Daraus ergibt sich, dass das Tragen eines Helms den religiösen Vorschriften der Sihks nicht zuwiderläuft. Dies wird auch vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellt. Es lässt sich daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht sagen, er werde durch die in
Art. 3b Abs. 3 VRV
festgelegte Pflicht, einen Schutzhelm zu tragen, zum Entblössen seines Hauptes in der Öffentlichkeit gezwungen. Es ist ihm möglich, beim Benützen eines Motorfahrrades den Turban jeweils in privaten Räumlichkeiten gegen den Schutzhelm zu vertauschen, oder auch an anderen Orten, wo er nicht sein entblösstes Haupt der Öffentlichkeit zeigen muss. Dass er in einer Weise auf ein Motorfahrrad als Fortbewegungsmittel angewiesen sei, dass ihm dies unzumutbare Umtriebe verursache, macht er nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Es mag zutreffen, dass es im innerstädtischen Verkehr
BGE 119 IV 260 S. 265
möglicherweise als unzumutbar erscheinen kann, wenn sich der Beschwerdeführer als Fussgänger mit dem aufgesetzten Schutzhelm auf die Suche nach einem Ort machen muss, an dem er sein Haupt vor den Blicken der Öffentlichkeit geschützt entblössen kann. Wenn der Beschwerdeführer insoweit einwendet, er müsse sich dadurch lächerlich machen, ist er indessen darauf hinzuweisen, dass er, um dem zu entgehen, ohne weiteres von den in städtischen Verhältnissen regelmässig bestehenden öffentlichen Verkehrsmitteln Gebrauch machen kann. Bei Fahrten in ländlichen Verhältnissen ist ein diskretes Vertauschen des Turbans gegen den Schutzhelm und umgekehrt leichter möglich und die ihm durch die Helmtragpflicht infolge des Gebots seiner Religionsgemeinschaft verursachten Umtriebe daher zumutbar. Eine Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit durch die Anwendung von
Art. 3b Abs. 3 VRV
gegenüber dem Beschwerdeführer als Angehörigen der Sihks ist daher zu verneinen.
Ob ein Eingriff in das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit infolge eines überwiegenden öffentlichen Interesses am Helmtragobligatorium, das der Verhütung schwerer Unfälle und der daraus resultierenden hohen, auch die Allgemeinheit belastenden Kosten dient, nicht jedenfalls auch verhältnismässig wäre, braucht unter diesen Umständen nicht geprüft zu werden. Immerhin kann darauf verwiesen werden, dass die Europäische Kommission für Menschenrechte in einem Entscheid vom 12. Juli 1978 erkannte, die Helmtragpflicht für Motorradfahrer sei eine im Interesse der öffentlichen Sicherheit notwendige Massnahme, die gemäss
Art. 9 Abs. 2 EMRK
einen Eingriff in die Religionsfreiheit rechtfertige; daran ändere nichts, dass der betroffene Staat inzwischen eine Ausnahme von dieser Verkehrsvorschrift zulasse (X. c/ROYAUME-UNI, DR 14, 234 f.). | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
56fb9da9-3a0c-46d5-88e8-03c926f4a4d2 | Urteilskopf
103 Ib 11
3. Arrêt de la Ire Cour civile du 15 février 1977 dans la cause Barthalos contre Barthalos | Regeste
Art. 937 und
Art. 944 OR
,
Art. 59 Abs. 1 HRegV
; Eintragung ins Handelsregister, Grundsatz der Firmenwahrheit.
Ist eine bestehende Geschäftsfirma im Handelsregister ganz oder teilweise auf einen anderen Namen zu übertragen, so bedarf es eines Rechtsgrundes, der sich aus einer Parteivereinbarung oder aus einem vollstreckbaren Urteil ergibt (E. 2 und 3). Der Registerführer darf die Übertragung nicht schon gestützt auf eine geänderte Sachlage vornehmen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 11
BGE 103 Ib 11 S. 11
Danielle Barthalos-Basmedjian, recourante, a été inscrite le 30 mars 1966 au registre du commerce de Genève en qualité de titulaire de l'entreprise individuelle "Maïdick, Mme D. Barthalos", qui a pour objet la fabrication, la représentation et le commerce de vêtements de prêt à porter pour femmes, à
BGE 103 Ib 11 S. 12
l'enseigne de ses trois magasins "La Folichonnerie" (15-17, place du Bourg-de-Four), "Peppermint" (6, rue de la Boulangerie) et "Primerose" (82, rue du Rhône).
L'intimé son mari, Denis Barthalos, la secondait dans son exploitation moyennant salaire. Il a introduit le 3 novembre 1975 une demande en séparation de corps, convertie ensuite en demande en divorce. Dans une requête en mesures provisionnelles du 17 février 1976, il s'est prétendu "propriétaire avec son épouse" des trois boutiques précitées, cela a été contesté, bien que le bail de "La Folichonnerie" soit établi au nom des deux époux. Le juge a provisoirement prononcé une défense d'aliéner et il a bloqué les comptes bancaires du commerce.
En marge du procès en divorce et sur l'invitation du préposé, Denis Barthalos a entrepris dès le 30 juin 1976 des démarches auprès du registre du commerce pour obtenir son inscription comme chef de la raison "Maïdick", celle de son épouse étant radiée. Il se prétend "seul exploitant de fait" des boutiques "La Folichonnerie" et "Peppermint", alors que son épouse s'occuperait du magasin "Primerose".
Les 7 et 8 octobre 1976, le préposé a écarté l'opposition de dame Barthalos et ordonné l'inscription du mari comme titulaire de la raison individuelle "Denis Barthalos" 15-17, place du Bourg-de-Four, fabrication, représentation et commerce de vêtements de prêt à porter à l'enseigne de la Folichonnerie avec un magasin de vente à l'enseigne "Peppermint" (6, rue de la Boulangerie)". Peu importerait selon lui de savoir qui est juridiquement titulaire de la raison de commerce; seule la qualité d'exploitant de fait justifierait l'inscription.
Reprenant cette argumentation, le Département cantonal genevois de l'économie publique a confirmé la décision du préposé, le 28 octobre 1976.
Dame Barthalos forme un recours de droit administratif au Tribunal fédéral. Elle demande l'annulation du prononcé cantonal et le rejet de la requête de son mari. Elle a sollicité simultanément l'effet suspensif.
Le Président de la Ire Cour civile a accordé l'effet suspensif au recours par ordonnance du 19 novembre 1976. Le préposé ayant fait savoir que l'inscription litigieuse avait déjà été opérée, le 3 novembre précédent, le Président de la Ire Cour civile, à la requête de la recourante, en a ordonné la radiation par voie de mesures provisionnelles.
BGE 103 Ib 11 S. 13
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Quiconque exploite un commerce est tenu de s'inscrire au registre du commerce du lieu de son établissement principal dès son ouverture (
art. 934 al. 1 CO
et 52 ORC). De même, toute modification d'éléments figurant au registre du commerce doit faire l'objet de l'inscription correspondante (
art. 937 CO
et 59 al. 1 ORC).
En l'occurrence, la recourante est inscrite depuis plus de dix ans au registre du commerce de Genève sous la raison individuelle "Maïdick, Mme D. Barthalos". Cette maison de commerce a son siège 15-17, place du Bourg-de-Four, et constitue avec ses trois magasins une seule entreprise au regard du registre du commerce. Il n'est pas allégué qu'il existerait plusieurs entreprises distinctes sous les enseignes de "La Folichonnerie", "Peppermint" et "Primerose"; il eût d'ailleurs fallu à cet effet trois inscriptions séparées. Rien n'établit que la recourante ait cessé son activité commerciale. Non seulement elle affirme le contraire, mais encore l'autorité cantonale elle-même reconnaît expressément et l'existence de sa boutique "Primerose" et le maintien de sa raison "Maïdick".
2.
Avant le 3 novembre 1976, Denis Barthalos n'était pas inscrit au registre du commerce. Il n'était même pas fondé de pouvoir de l'entreprise de sa femme. Il lui était certes loisible d'ouvrir son propre commerce, mais indépendamment de celui de son épouse, et de se faire inscrire au registre du commerce sous son propre nom pour un nouveau commerce. Une telle inscription ne prêterait pas en principe le flanc à la critique, pour autant qu'elle ne puisse faire naître aucune confusion entre la nouvelle raison de commerce et celle de la recourante.
Mais on ne se trouve nullement dans cette hypothèse. L'intimé ne soutient pas avoir ouvert sous son nom un nouveau commerce, diffèrent de celui de sa femme. il se prévaut au contraire de "l'exploitation de fait" de deux des magasins du commerce de sa femme sur lequel il prétend avoir des droits patrimoniaux, qui sont contestés. Son épouse se plaint de ce qu'il en occupe abusivement les locaux, lui en interdisant l'accès par la force, après en avoir changé les clés et les serrures. C'est pourquoi le juge du divorce a pris des mesures provisoires assurant à l'épouse le libre accès et le libre usage des lieux.
BGE 103 Ib 11 S. 14
L'inscription sollicitée par le mari se rapporte ainsi à une partie existante de l'entreprise de l'épouse, dont celle-ci est seule titulaire au regard du registre du commerce et des tiers. Elle présuppose la radiation - au moins partielle - de l'entreprise de l'épouse et sa reprise par le mari. En réalité, la requête de celui-ci n'est donc pas une demande d'inscription de son entreprise indépendante, mais la requête d'un tiers tendant au transfert partiel à son nom d'une raison de commerce existante. Une telle opération implique un titre juridique. Il ne peut être exécuté qu'avec l'accord de la personne inscrite ou en vertu d'une décision judiciaire exécutoire. Dans le cadre du différend opposant des époux en instance de divorce, le préposé au registre du commerce n'était pas autorisé à préjuger du sort de l'entreprise en faisant droit à une telle requête. Dès lors que le mari prétendait à des droits patrimoniaux sur le commerce inscrit au nom de son épouse, le préposé avait l'obligation de renvoyer le requérant à saisir la juridiction civile compétente (cf. HIS, Comm., n. 64 ad
art. 940 CO
). Inscrite en effet au registre du commerce pour l'exercice d'une entreprise indépendante, avec l'autorisation de son mari, la recourante est présumée être valablement titulaire de cette raison individuelle. Quel que soit le régime matrimonial des époux - et en particulier sous le régime de l'union des biens, qui est apparemment celui des parties -, l'
art. 191 ch. 2 CC
constitue en biens réservés de l'épouse les biens de la femme qui servent à l'exercice de sa profession et de son industrie, et cela même si le mari collabore activement à l'entreprise (
ATF 66 II 227
). Seule la juridiction civile peut le cas échéant décider qu'il en va autrement. En se prononçant sur ce point, les autorités administratives genevoises ont préjugé de l'affaire de manière illégale au détriment des intérêts légitimes de la titulaire inscrite de l'entreprise. Elles ont exposé la recourante à des difficultés et à des dommages dont la correspondance déjà produite démontre la nature et la gravité.
3.
La décision attaquée n'est pas seulement manifestement contraire au droit fédéral et au système du registre du commerce, elle est insoutenable. En procédant à la vérification de la requête du mari, à laquelle il était tenu en vertu de l'
art. 21 ORC
, le préposé devait constater dès l'abord que le litige échappait à sa compétence. Ou bien le requérant prétendait
BGE 103 Ib 11 S. 15
ouvrir à son nom un nouveau commerce, et il sautait aux yeux non seulement que ce commerce n'existait pas mais que son existence n'était même pas alléguée; il fallait alors rejeter la requête. Ou bien - et c'est ce qui était expressément demandé - le requérant visait à se substituer partiellement à son épouse comme titulaire du commerce existant; or une telle modification étant impossible sans l'accord de la titulaire, ou la présentation d'un titre juridique clair (contrat ou jugement exécutoire). Le préposé et l'autorité administrative en général étaient dans ce cas incompétents, ce qui ressort déjà de la réglementation de l'
art. 67 ORC
. Les conditions d'une radiation d'office d'une raison individuelle au sens de l'
art. 68 ORC
faisaient de toute manière manifestement défaut.
C'est en vain que le préposé arguë de l'
art. 60 ORC
. Il ne pouvait admettre, une fois renseigné sur les difficultés matrimoniales des époux, c'est-à-dire à partir du 2 août 1976, que les conditions d'une radiation et d'une sommation d'office étaient réunies. On ne se trouve pas non plus en présence d'une inexactitude à rectifier d'office selon l'
art. 8 ORC
, ni d'un changement d'adresse selon l'
art. 25 ORC
.
Tout au plus, la requête du mari pouvait-elle être traitée comme l'opposition à une inscription déjà opérée, émanant d'un tiers dont les droits seraient violés, mais alors, de toute manière, l'
art. 32 al. 1 ORC
imposait à l'administration le renvoi du différend devant le juge compétent.
4.
L'argumentation des autorités genevoises selon lesquelles seule la situation de fait serait déterminante au regard du registre du commerce, indépendamment de la position juridique des parties, est insoutenable. Il revient à faire primer la force sur le droit, en méconnaissant la position juridique acquise par l'effet même du registre du commerce. Certes, l'
art. 944 al. 1 CO
prescrit-il que la raison de commerce doit être conforme à la vérité, qu'elle ne puisse induire en erreur et qu'elle ne lèse aucun intérêt public. Ce même principe de la véracité impose également que toute modification de faits devant figurer sur le registre du commerce y soit inscrite (
art. 937 CO
).
L'autorité cantonale prétend à tort toutefois qu'une telle modification soit intervenue. L'occupation de force par un tiers, fût-il le mari, de deux des trois boutiques de l'entreprise exploitée par l'épouse ne confère à ce tiers aucun droit. Elle ne
BGE 103 Ib 11 S. 16
détruit nullement la présomption légale dont bénéficie la titulaire de la raison déjà inscrite. Dès lors que celle-ci se prévaut de l'exploitation continue de son commerce (qui est attestée), les actes unilatéraux du mari relatifs à cette entreprise sont inopérants et ne sauraient déployer d'effets que ce soit à l'égard des tiers ou à celui du registre du commerce. On ne saurait juger différemment, aussi le Tribunal fédéral ne l'a-t-il pas fait: l'arrêt cité
ATF 100 Ib 458
consid. 4 vise une tout autre espèce relative à la radiation d'une adresse "qui n'existait plus". Le différend relatif à la liquidation du régime matrimonial était et reste du ressort exclusif du juge du divorce, qui seul pourra ordonner les mesures conservatoires indispensables.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et annule la décision du Département de l'économie publique du canton de Genève. | public_law | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
57017214-ce97-4539-b181-3714815ea059 | Urteilskopf
106 Ia 342
59. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Februar 1980 i.S. X. gegen Kanton Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 22ter und 4 BV
(konfiskatorische Besteuerung).
1. Bewertung von Aktien nach ihrem Kurswert oder dem inneren Wert; willkürliche Auslegung des massgebenden kantonalen Rechts verneint (E. 3, 4).
2. Die Eigentumsgarantie verwehrt es dem Gemeinwesen, durch übermässige Besteuerung die Vermögenssubstanz auszuhöhlen oder die Neubildung von Vermögen zu verhindern (E. 6a).
3. Verletzung der Eigentumsgarantie durch die Besteuerung grosser Vermögen im Kanton Aargau: im vorliegenden Fall verneint (E. 6b und c). | Sachverhalt
ab Seite 342
BGE 106 Ia 342 S. 342
Der im Kanton Aargau steuerpflichtige X. ist Selbständigerwerbender und ausserdem Vizepräsident der Y. AG. Die Aktien der Y. AG sollen ganz oder teilweise vinkuliert sein. Sie
BGE 106 Ia 342 S. 343
sind nicht zum Börsenhandel zugelassen, doch werden sie, abgesehen von einzelnen Verkäufen, die ohne Kenntnis der Öffentlichkeit erfolgen, mit einer gewissen Regelmässigkeit vorbörslich gehandelt. Die Gesellschaft hat Genussscheine und Partizipationsscheine ausgegeben. Das Vermögen von X. besteht zum überwiegenden Teil aus Aktien, Partizipationsscheinen und Genussscheinen der Y. AG.
Für die Staats- und Gemeindesteuern der Jahre 1973/74 (Bemessungsperiode 1971/72) wurde X. von den Steuerbehörden des Kantons Aargau mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 489'150.--, wovon Fr. 341'859.-- Wertschriftenertrag, veranlagt. Das steuerbare Vermögen (Bewertungsstichtag 1. Januar 1973) wurde auf Fr. 46'852'953.-- festgesetzt, wobei die Aktien der Y. AG mit rund 35 Millionen bewertet wurden. Auf dieser Grundlage ergab sich für die Steuerjahre 1973/74 (inkl. eidg. Wehrsteuer) bei einem Reineinkommen der Bemessungsperiode von Fr. 498'800.-- eine Gesamtsteuerbelastung von Fr. 523'551.45.
Gegen diese Einschätzung erhebt X. staatsrechtliche Beschwerde. Er vertritt den Standpunkt, die Einkommens- und Vermögenssteuern auf seinen Wertschriften dürften 75% des Wertschriftenertrages nicht übersteigen; eine grössere Belastung führe zu einer konfiskatorischen Besteuerung und verletze deshalb die Eigentumsgarantie. Eventuell macht er geltend, die Aktien der Y. AG seien zu Unrecht aufgrund ihres Kurs- bzw. Verkehrswertes bewertet worden; gemäss § 43 des aargauischen Gesetzes vom 17. Mai 1966 über die direkten Staats- und Gemeindesteuern und den Finanzausgleich unter den Einwohnergemeinden (StG) wäre der innere Wert der Aktien massgebend gewesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Die Besteuerung des Vermögens richtet sich im zu beurteilenden Fall nach
§ 47 StG
, der folgende Steuersätze enthält:
1 Die Vermögenssteuer beträgt bei einem steuerbaren Vermögen
bis und mit Fr. 100'000.-- 1,6%o
von Fr. 100'000.-- bis und mit Fr. 150'000.-- 1,7%o
von Fr. 150'000.-- bis und mit Fr. 200'000.-- 1,8%o
von Fr. 200'000.-- bis und mit Fr. 300'000.-- 1,9%o
BGE 106 Ia 342 S. 344
von Fr. 300'000.-- bis und mit Fr. 400'000.-- 2,0%o
von Fr. 400'000.-- bis und mit Fr. 500'000.-- 2,1%o
von Fr. 500'000.-- bis und mit Fr. 600'000.-- 2,2%o
von Fr. 600'000.-- bis und mit Fr. 700'000.-- 2,3%o
von Fr. 700'000.-- bis und mit Fr. 800'000.-- 2,4%o
von Fr. 800'000.-- bis und mit Fr. 900'000.-- 2,5%o
von Fr. 900'000.-- bis und mit Fr. 1'000'000.-- 2,6%o
von Fr. 1'000'000.-- bis und mit Fr. 1'200'000.-- 2,8%o
von Fr. 1'200'000.-- bis und mit Fr. 1'300'000.-- 2,9%o 17
2 Für steuerbare Vermögen über Fr. 1'300'000.-- beträgt der Steuersatz 3,0%o.
3 Restbeträge des Vermögens unter Fr. 1'000.-- fallen ausser Betracht.
§ 46 nimmt erhebliche Freibeträge von der Besteuerung aus. Von Bedeutung ist im Zusammenhang mit der Vermögenssteuer auch der Einkommenssteuertarif nach
§ 33 Abs. 1 und 2 StG
:
1 Die Einkommenssteuer beträgt:
1% für die ersten Fr. 2'000.--
2% für die weiteren Fr. 2'000.--
3% für die weiteren Fr. 3'000.--
4% für die weiteren Fr. 4'000.--
5% für die weiteren Fr. 4'000.--
6% für die weiteren Fr. 5'000.--
7% für die weiteren Fr. 5'000.--
8,5% für die weiteren Fr. 5'000.--
9,5% für die weiteren Fr. 10'000.--
10,5% für die weiteren Fr. 20'000.--
11% für die weiteren Fr. 20'000.--
11,5% für die weiteren Fr. 40'000.--
11,8% für die weiteren Fr. 80'000.--
12% für Einkommensteile über Fr. 200'000.--
2 Nach diesen Steuersätzzuen ergeben sich die im Anhang aufgeführten Steuerbeträge; Restbeträge des Einkommens unter Fr. 100.-- fallen ausser Betracht.
Zur Einkommens- und Vermögenssteuer des Staates kommen allerdings noch die Gemeindesteuern (§ 144), die variabel sind, und die Kirchensteuer (§ 143) hinzu.
b) Die zahlenmässige Berechnung der Steuern ist nicht angefochten. Angefochten ist vielmehr in erster Linie die Bemessung des Steuerobjektes für die Vermögenssteuer seiner Höhe nach und damit die gestützt darauf errechnete Vermögenssteuer, sodann die Einkommenssteuer, soweit durch sie der Vermögensertrag belastet wird, letzteres aber nur insoweit, als die ganze Belastung des Vermögensertrages durch Vermögens- und
BGE 106 Ia 342 S. 345
Einkommenssteuern den Vermögensertrag übersteigt. Da der Beschwerdeführer eine Steuerbelastung von 75% des Vermögensertrags als verfassungsmässige Höchstgrenze anerkennt, brauchte an sich nur geprüft zu werden, ob eine Belastung des Vermögensertrages im Gesamten mit mehr als 75% Steuern verfassungswidrig ist. Aus der Begründung ergibt sich indessen, dass der Beschwerdeführer die Bewertung des Vermögens, insoweit es aus Anteilen an der Y. AG besteht, anfechten will. Das folgt auch aus dem Eventualbegehren. Dieses geht offenbar von der Voraussetzung aus, dass die Bewertung der Anteilrechte nach ihrem inneren Wert Beträge ergäbe, die wesentlich unter den von den Steuerbehörden angenommenen Steuerwerten liegen. Zudem liesse sich das vom Beschwerdeführer angestrebte Ziel wohl am ehesten durch eine niedrigere Bewertung des Anteilbesitzes an der Y. AG erreichen, ohne dass eine Herabsetzung auch der Einkommenssteuer nötig würde. Es ist daher zunächst die Frage der Wertschriftenbewertung zu beurteilen.
4.
a) Die Bewertung der Beteiligungen stützt sich auf
§ 43 Abs. 1 StG
. Danach sind Wertpapiere nach dem Kurswert und, in Ermangelung eines solchen, nach dem Verkehrswert oder nach dem innern Wert zu bewerten. Nach Abs. 3 ist bei der Bewertung bestrittener oder nachweisbar unsicherer Forderungen dem Grad der Verlustwahrscheinlichkeit Rechnung zu tragen. Bei den genannten Wertschriften handelt es sich nicht um Forderungen, sondern in erster Linie um Beteiligungsrechte verschiedener Art, die als Wertpapiere zu gelten haben.
§ 17 der Vollziehungsverordnung zum StG vom 5. Januar 1967 (VvStG) enthält eine etwas andere Aufteilung als das Gesetz. Er enthält den Begriff des Verkehrswertes nicht, sondern unterscheidet zwischen Wertpapieren mit regelmässiger Kursnotierung und Wertpapieren ohne solche. Zu den erstern gehören sowohl die im Börsenhandel zugelassenen Wertpapiere als auch Wertpapiere, die ausserbörslich regelmässig gehandelt werden. Sodann behandelt die Vorschrift nicht kotierte Werte, für die keine regelmässigen Verkäufe nachgewiesen sind. Sie sind zum innern Wert zu bewerten; nach den gleichen Bewertungsregeln sind dann konsequenterweise auch Wertpapiere zu behandeln, bei denen während längerer Zeit überhaupt keine Verkäufe stattfinden, zum Beispiel bei Einmannaktiengesellschaften.
BGE 106 Ia 342 S. 346
Streitig ist, ob die Veranlagungsbehörden zu Recht die Aktien usw. der Y. AG als nicht kotierte Wertpapiere mit regelmässiger Kursnotierung behandelt haben, obwohl die Zahl der bekannten Verkäufe verhältnismässig gering war. Das prüft das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür. Die Anwendbarkeit von § 17 Abs. 1 VvStG durfte die Veranlagungsbehörde jedenfalls, ohne in Willkür zu verfallen, bejahen, denn aufgrund der bekannten getätigten Geschäfte kann der Schluss gezogen werden, dass doch noch regelmässige Verkäufe stattfinden. Die Veröffentlichung nicht offizieller Kursnotierungen in der Handelspresse deutet ebenfalls darauf hin, dass ein vielleicht geringer, aber doch regelmässiger Handel in diesen Werten stattfindet.
b) Unter diesen Umständen durften die Veranlagungsbehörden ohne Willkür die Bewertung der Beteiligungen nach ihrem sog. innern Wert verweigern, da immerhin ausreichende Verkäufe festzustellen waren. Der Begriff des "inneren Wertes", der sich ausser im Aargauer Steuergesetz auch in zahlreichen andern kantonalen Steuergesetzen findet, bringt zum Ausdruck, dass in Fällen, wo eine Bewertung von aussen, vom Markt her, nicht möglich ist, die "in" einem Wertpapier enthaltenen Elemente, die den Wert der Unternehmung ausmachen, zu berücksichtigen sind (Gutachten über die Bewertung von Wertpapieren ohne Kurswert für die Vermögensbesteuerung, herausgegeben von der Schutzorganisation der privaten Aktiengesellschaften, Zürich 1975, 94). Der Anteilswert der Aktien ist also ein quotaler Unternehmenswert und dieser Unternehmenswert muss bei nicht kotierten Aktien vom Ertragswert und Substanzwert her ermittelt werden (vgl. die von der Konferenz staatlicher Steuerbeamter der Sektion Wertschriftenbewertung erlassene Wegleitung 1977 zur Bewertung von Wertpapieren ohne Kurswert für die Vermögenssteuer, abgedruckt bei MASSHARDT, Kommentar zum WStB Art. 30 N. 7, die die Vorschläge der vorerwähnten Expertenkommission berücksichtigt; dazu kritisch MARCEL CHASSOT, Die Bewertung nicht kotierter Aktien, in: Die schweizerische Aktiengesellschaft 49/1977, 44 ff.). Die Vermögenssteuer richtet sich jedoch allgemein nach dem Verkehrswert der Vermögensstücke zu Beginn der Veranlagungsperiode (vgl. Art. 30 WStB) und auch Art. 43 Abs. 1 des StG ist dahin auszulegen, dass das Zurückgreifen auf den innern Wert nur ein Notbehelf ist, ein Mittel
BGE 106 Ia 342 S. 347
zur Schätzung des Verkehrswertes der Aktien. Deshalb kann sich der Steuerpflichtige, für dessen Aktien "regelmässige Kursnotierungen" bestehen, gegenüber den Steuerbehörden nicht darauf berufen, dass der innere Wert der Aktien unter dem Kurswert liege. Bei der in der zitierten Wegleitung verwendeten Formel geht es um die Konstruktion eines als Verkehrswert anzusehenden Wertansatzes. Eine Wertermittlung nach dieser Methode hat zurückzutreten, wenn sich der Verkehrswert mit genügender Sicherheit aus den tatsächlich getätigten Geschäften ableiten lässt (Urteil vom 13. Oktober 1978, ASA 48/1979/80, S. 347 E. 6).
c) Der Beschwerdeführer wendet weiter ein, sofern § 17 VvStG richtig angewendet worden sei, sei er selbst verfassungswidrig. Der Umstand allein, dass der Gesetzestext und Verordnungstext etwas voneinander abweichen, begründet noch keine Verfassungswidrigkeit. Die Bestimmung wird auch dann nicht willkürlich und verstösst nicht schon deshalb gegen
Art. 4 BV
, weil sie den Ertrag der Beteiligungen an sich ausser acht lässt, sofern Kurse bekannt sind, denn die Höhe des Ertrages spiegelt nicht ohne weiteres den Wert eines Papiers wieder. So kann der Ertrag im Hinblick auf grosse zukünftige Investitionen bewusst tief gehalten werden. Es ist zudem vertretbar, die vom Gesetz und der Verordnung vorgesehenen Abstufungen in der Behandlung der Titel vorzunehmen, ohne dass dies gegen
Art. 4 BV
oder eine andere Verfassungsbestimmung verstösst.
Fraglich könnte allenfalls sein, ob die massgebende Berechnungszeit nicht ausnahmsweise zu stossenden Ergebnissen führen könnte. Die Verordnung schreibt in § 17 vor, es sei der durchschnittliche Kurswert im letzten dem Beginn der Veranlagungsperiode vorangegangenen Monat massgebend. Im vorliegenden Fall hatte sich gezeigt, dass die Kurse gegen anfangs 1973 stark gestiegen waren und nachher wieder absanken und dass zumindest im Zeitpunkt des verwaltungsgerichtlichen Entscheides klar erkennbar und vom Verwaltungsgericht auch anerkannt war, dass der Kurs im massgebenden Zeitpunkt nicht einem länger bemessenen Durchschnittskurs entsprach. Die Gründe für den starken Anstieg sind für den Aussenstehenden nicht eindeutig sichtbar. Immerhin ergibt sich aus den Aufstellungen der Y. AG, dass die Gewinne ab 1971/72 bis 1973/74 stark angestiegen waren und dass in den Jahren 1971-1974 hohe Reservestellungen vorgenommen wurden ( 1,7 Millionen, 2 Millionen,
BGE 106 Ia 342 S. 348
2,5 Millionen). Nachher bildeten sich die Gewinne zurück und Reservestellungen erfolgten anscheinend wenigstens zeitweise nicht mehr. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Steuerbehörden berechtigt gewesen wären, sich starr an die Bewertungsregel von § 17 Abs. 1 VvStG zu halten. Sie haben selber eine solche Bewertung nicht für angemessen erachtet und deshalb den Steuerwert um einen Viertel unter dem massgeblichen Kurswert angesetzt, und es war jedenfalls nicht willkürlich, wenn sie dem späteren weiteren Abfallen der Kurse nicht bereits bei der Veranlagung der Vermögenssteuer 1973/74 Rechnung getragen haben (vgl. auch HANS HUBER, Die Vermögenssteuer auf kotierten Wertpapieren mit übersetztem Kurswert, ASA 30, 161 ff.).
6.
a) Obwohl die Eigentumsgarantie in der schweizerischen Rechtsprechung seit langem als Verfassungsrecht anerkannt ist und 1969 ausdrücklich in der Bundesverfassung verankert wurde, bestanden nie Zweifel darüber, dass die Eigentumsgarantie die Erhebung von Abgaben, insbesondere von Steuern, nicht ausschliesst (im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland, wo sich die Lehre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes mit dem Problem beschäftigte, wie die Besteuerung mit Art. 14 GG vereinbar sei, vgl. MAUNZ/DÜRIG/HERZOG/SCHOLZ, Grundgesetz-Kommentar, N. 51 zu Art. 14 GG). Dagegen hat sich in neuerer Zeit die Frage gestellt, ob die Eigentumsgarantie der Erhebung von Abgaben auch verfassungsrechtliche Schranken setze. Das Bundesgericht hat bis vor kurzem die Frage, ob
Art. 22ter BV
den Bürger gegen die Belastung mit konfiskatorischen Steuern oder anderen Abgaben schütze, offengelassen (
BGE 102 Ia 227
E. 3b;
BGE 99 Ia 648
E. 7;
BGE 94 I 116
E. 4a), sie aber in
BGE 105 Ia 139
E. 3a mit Hinweisen auf die Lehrmeinungen bejaht.
Art. 22ter Abs. 2 BV
ermächtigt die Kantone zwar, auf dem Wege der Gesetzgebung im öffentlichen Interesse liegende Eigentumsbeschränkungen vorzusehen und auf diese Weise im Rahmen ihrer verfassungsmässigen Befugnisse den Inhalt des Eigentums näher zu umschreiben. Vor der Institutsgarantie halten jedoch nur solche Eingriffe stand, die den Wesenskern des Privateigentums als fundamentale Einrichtung der schweizerischen Rechtsordnung unangetastet lassen (
BGE 103 Ia 418
mit Hinweis). Die der Institutsgarantie zugrunde liegende Vorstellung, wonach die Eigentumsordnung in ihrem Kern gegenüber staatlichen Eingriffen zu schützen sei,
BGE 106 Ia 342 S. 349
verwehrt es dem Gemeinwesen in gleicher Weise, den Abgabepflichtigen ihr privates Vermögen oder einzelne Vermögenskategorien (z.B. das Immobiliarvermögen) durch übermässige Besteuerung nach und nach zu entziehen. Das gleiche Ergebnis kann eine Häufung verschiedener Steuern zur Folge haben, z.B. durch Kumulierung von Einkommens- und Vermögenssteuern und steuerähnlichen Sozialabgaben, Konsumsteuern usw., die der Bürger nur bezahlen kann, wenn er nach und nach sein Vermögen veräussert. Schliesslich kann eine solche Folge auch ohne Absicht des Gesetzgebers eintreten, wenn der immer höhere Finanzbedarf der öffentlichen Hand nur durch einen immer höher angesetzten Steuerfuss befriedigt werden kann. Die Gewährleistung des Eigentums verpflichtet mithin das Gemeinwesen, die bestehenden Vermögen in ihrer Substanz zu bewahren und die Möglichkeit der Neubildung von Vermögen in dem Sinn zu erhalten, dass das Einkommen nicht dauernd und vollständig wegbesteuert werden darf. Wo die Grenzen zwischen einer zulässigen steuerlichen Belastung und einem konfiskatorischen Eingriff zu ziehen sind, lässt sich nicht in allgemeingültiger Weise beantworten. Insbesondere kann nicht von einem ziffernmässig bestimmbaren Steuersatz allein abhängen, ob die Vermögenssubstanz ausgehöhlt oder die Neubildung von Vermögen verunmöglicht wird. Zu berücksichtigen sind insbesondere Steuersatz und Steuerfuss, Bemessungsgrundlage, Dauer der Massnahme, relative Tiefe des fiskalischen Eingriffs, Kumulation mit andern Abgaben sowie die Möglichkeit der Überwälzung der Steuer.
Der Vorwurf der konfiskatorischen Besteuerung richtet sich in der Regel gegen die Steuergesetzgebung als solche und kann deshalb, je nach dem anwendbaren Verfahrensrecht, bereits Gegenstand einer primären Normenkontrolle bilden, wie zum Beispiel bei der basellandschaftlichen Reichtumssteuer (
BGE 99 Ia 638
) oder der baselstädtischen Mehrwertabgabe (
BGE 105 Ia 134
). Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle hat das Bundesgericht zu prüfen, wie sich die gesetzlich vorgesehene Belastung auf die betroffene Gruppe von Steuerpflichtigen - gesamthaft betrachtet - auswirkt. Entscheidend ist bei diesem Verfahren somit, ob die Steuer - zusammen mit den übrigen Steuern - geeignet ist, bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen und unter normalen Umständen derart weitreichend in die Vermögensverhältnisse des Pflichtigen
BGE 106 Ia 342 S. 350
einzugreifen, dass diesem angesichts der hohen Steuerbelastung wesentliche Eigentümerbefugnisse zwangsläufig verloren gehen (
BGE 99 Ia 649
). Im abstrakten Normkontrollverfahren vermag die ungewisse Möglichkeit, dass sich die Regelung in besonders gelagerten Einzelfällen als verfassungswidrig auswirken könnte, ein Eingreifen des Verfassungsrichters im allgemeinen noch nicht zu rechtfertigen (
BGE 102 Ia 109
).
Es steht aber nichts entgegen, dass die Rüge konfiskatorischer Besteuerung auch noch im Anschluss an einen einzelnen Besteuerungsakt gerügt wird, wie dies der Beschwerdeführer tut. In diesem Fall beschränkt sich die Prüfung nicht darauf, ob die generell-abstrakte Regelung bezogen auf normale Verhältnisse als verfassungsrechtlich haltbar erscheint, sondern es muss auch geprüft werden, ob sich die Besteuerung im - möglicherweise gesondert gelagerten - Einzelfall des Beschwerdeführers konfiskatorisch auswirkt und damit den Kerngehalt der Eigentumsgarantie verletzt (
BGE 99 Ia 650
). Die in der aargauischen Verfassung enthaltene Eigentumsgarantie gewährleistet demgegenüber keinen weitergehenden Schutz (vgl.
BGE 76 I 334
E. 2;
BGE 42 I 204
).
Mit grosser Zurückhaltung spricht sich auch die bundesdeutsche Rechtsprechung und Lehre darüber aus, wann eine konfiskatorische Besteuerung vorliege. So verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass die Steuer den Bürger geradezu erdrossle, damit sie mit Art. 14 GG nicht vereinbar sei (BVerGE 14, 241; 27, 111; 28, 142; 29, 413; 30, 271; 38, 79; MAUNZ/DÜRIG/HERZOG/SCHOLZ, a.a.O., N. 50 zu Art. 14 GG; SCHMIDT-BLEIBTREU/KLEIN, Kommentar zum Grundgesetz, 4. Aufl., N. 4a zu Art. 14 GG; HESSE, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, 9. Aufl., 182 ff.).
b) Die aargauische Steuergesetzgebung besteuert das Vermögen der Steuerpflichtigen unter normalen Umständen nicht in konfiskatorischer Weise. Das ist auch bei grossen Vermögen und unter Berücksichtigung der Gemeinde- und Kirchensteuer nicht der Fall. Der Beschwerdeführer macht denn auch nicht ausdrücklich geltend und belegt in keiner Weise, dass die Besteuerung des Vermögens allgemein nach und nach zu einem Vermögensentzug führt oder doch die Neubildung von Vermögen verunmöglicht. Für eine summarische Prüfung dieser Frage zieht das Bundesgericht das Heft: "Steuerbelastung in der Schweiz 1973, bearbeitet von der Eidg. Steuerverwaltung,
BGE 106 Ia 342 S. 351
Statistische Quellenwerke der Schweiz, Heft 542, herausgegeben vom Eidg. statistischen Amt" (im folgenden: Statistische Quellenwerke 1973) bei. Da die Statistischen Quellenwerke 1973 lediglich Vermögen bis zu 2 oder 5 Millionen Franken berücksichtigen, wird den folgenden Berechnungen ein Vermögen von 2 Millionen Franken zugrunde gelegt, was - zumindest bezüglich der Vermögenssteuer - auch für grössere Vermögen beschränkt verwendbare Verhältniszahlen ergibt, weil die progressiv steigenden Steuersätze gemäss
§ 47 StG
bei 1,3 Millionen Franken die maximale Höhe erreicht haben.
Zunächst erhebt der Kanton Aargau eine Vermögenssteuer. Ob eine solche wirtschaftlich oder steuerpolitisch zu rechtfertigen ist (vgl. dazu die eingehende Diskussion des Vermögenssteuerproblems bei RATHS, Bedeutung und Rechtfertigung der Vermögenssteuer in historischer und heutiger Sicht, Diss. 1977, S. 119 ff.), hat der Verfassungsrichter nicht zu entscheiden; jedenfalls verstösst eine solche Besteuerung grundsätzlich weder gegen
Art. 22ter BV
noch auch gegen
Art. 4 BV
. Die Vermögenssteuer beträgt bei einem Vermögen von 2 Millionen Franken in der Gemeinde Aarau unter Berücksichtigung der Staats-, Gemeinde- und Kirchensteuer 7,44 Promille (Statistische Quellenwerke 1973, S. 43, Tabelle 8), was einen Betrag von 14'887 Franken ausmacht (Statistische Quellenwerke 1973, S. 33, Tabelle 4), und in der vorliegend massgebenden Gemeinde 7,59 Promille des Vermögens.
Die Vermögenssteuer wird in der Regel aus dem Vermögensertrag bezahlt und wirkt daher funktionell wie eine zusätzliche Belastung des sogenannten fundierten Einkommens. Obwohl die an Vermögenswerte anknüpfende Vermögenssteuer rechtlich keine Einkommenssteuer ist, soll sie ihrer Zielsetzung nach grundsätzlich aus den Erträgen des Vermögens bezahlt werden können (so auch BVerGE 43, 7). Andernfalls würde die Besteuerung, wenn sie während längerer Zeit andauert, zu einem Verzehr der Vermögenssubstanz und praktisch im Endzustand zu einem Vermögensentzug führen. Es ist daher zu prüfen, ob die Einkommenssteuer auf dem Vermögensertrag zusammen mit der Vermögenssteuer unter normalen Verhältnissen im Kanton Aargau zu einer konfiskatorischen Besteuerung führt in dem Sinne, dass die Steuer einen durchschnittlichen Vermögensertrag derart belastet, dass das Vermögen nach und nach aufgelöst oder die Neubildung von Vermögen praktisch nicht mehr
BGE 106 Ia 342 S. 352
möglich ist. Die Statistischen Quellenwerke gehen für das Jahr 1973 von einem durchschnittlichen Vermögensertrag von 4% aus (S. 36/37, Tabelle 5). In der Gemeinde Aarau hat ein Erwerbsfähiger bei einem Vermögen von 2 Millionen Franken und einem Ertrag von 80'000 Franken (= 4%) eine Einkommenssteuer von 35'471 Franken (einschliesslich Wehrsteuer) zu bezahlen (Statistische Quellenwerke 1973, S. 33, Tabelle 4), was bei einem normalen Ertrag eine Gesamtbelastung durch Vermögens- und Einkommenssteuern von 50358 Franken oder ungefähr 60% des Ertrages ausmacht. Bei noch grösseren Vermögen und entsprechend höheren Erträgen steigt die Gesamtbelastung mit Einkommens- und Vermögenssteuer prozentual noch etwas an, weil die Progression bei der Einkommenssteuer erst bei 200'000 Franken endigt. Gesamthaft liegt die Einkommens- und Vermögenssteuerbelastung im Kanton Aargau für das Jahr 1973 ungefähr 5% über dem schweizerischen Durchschnitt (Statistische Quellenwerke 1973, S. 70, Tabelle 17). Die Belastung ist also hoch; doch kann nicht gesagt werden, dass im Kanton Aargau unter normalen Umständen allgemein eine konfiskatorische Besteuerung grosser Vermögen eintritt.
c) Zu prüfen bleibt, ob die Aargauer Steuergesetzgebung in besonders gelagerten Fällen zu einer konfiskatorischen Besteuerung des Vermögens führt und ob dies insbesondere beim Beschwerdeführer zutrifft, ob er also in einer
Art. 22ter BV
verletzenden Weise besteuert wurde. Die Frage stellt sich bei der Besteuerung von Vermögen vor allem dann, wenn dieses dauernd oder langfristig ertraglos bleibt oder einen sehr geringen Ertrag abwirft, der weit unter dem kantonalen Durchschnitt und daher möglicherweise tiefer liegt als die gesamte Steuerbelastung. Eine konfiskatorische Besteuerung liegt in diesen Fällen jedenfalls dann nicht vor, wenn der Eigentümer freiwillig auf einen genügenden Ertrag, etwa mit Rücksicht auf familiäre Beziehungen, verzichtet, oder weil er hofft, bei späterer Veräusserung des Vermögensobjektes einen den Vermögensertrag weit übersteigenden Kapitalgewinn zu erzielen. Das kann etwa beim Besitz von Gold oder andern Edelmetallen der Fall sein, welche überhaupt keinen Ertrag abwerfen oder auch bei der Spekulation mit Bauerwartungsland, das teuer bezahlt wird, aber, weil vorderhand landwirtschaftlich genutzt, nur einen geringen Ertrag einbringt. Aber auch dann, wenn der Eigentümer sein Vermögen nicht in Werte mit durchschnittlichem Vermögensertrag
BGE 106 Ia 342 S. 353
umwandeln kann oder ihm eine Umwandlung seines Vermögens nicht zumutbar wäre, tritt eine konfiskatorische Besteuerung jedenfalls dann nicht ein, wenn die an sich übermässige steuerliche Belastung von beschränkter Dauer ist. Tritt sie nur für die Dauer eines oder einiger weniger Steuerjahre ein, dann ist der Wesenskern der Eigentumsgarantie dadurch nicht berührt.
Art. 22ter BV
ist auch dann nicht verletzt, wenn während verhältnismässig kurzer Zeit das verfügbare Einkommen nicht ausreicht, um die Gesamtsteuerlast ohne Inanspruchnahme des Vermögens zu begleichen (
BGE 102 Ia 226
E. 3; A.M. HÖHN, Verfassungsmässige Schranken der Steuerbelastung ZBl 80/1979, S. 241 ff.). Ausnahmsweise kann
Art. 4 BV
einen weitergehenden Schutz vermitteln, wenn die starke Steuerbelastung - auch wenn sie bloss vorübergehend ist - grob gegen das Gerechtigkeitsdenken verstösst. Das kann möglicherweise dann der Fall sein, wenn der Beschwerdeführer auf den Vermögensertrag zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes angewiesen ist; vorliegend sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt (vgl. E. 5d). Darüber hinaus ist stets zu prüfen, ob die starke steuerliche Belastung tatsächlich nach und nach zu einem Verzehr des Vermögens führt oder die Neubildung von Vermögen verhindert. Wie die Beispiele der Goldhortung und des Besitzes von Bauerwartungsland zeigen, ist das keineswegs stets der Fall; das Vermögen des Pflichtigen kann in diesen Fällen trotz der hohen Steuerbelastung im Ergebnis steigen. Ebensowenig kann beispielsweise aus dem Umstand, dass die Vermögenssteuern und Einkommenssteuern die Wertschriftenerträge langfristig übersteigen, gefolgert werden, es werde dadurch das Wertschriftenvermögen des Steuerpflichtigen in seiner Substanz erschüttert. Vielmehr ist stets noch zu prüfen, in welchem Masse die Gewinnausschüttung der Gesellschaft im Verhältnis zum frei verfügbaren Reingewinn stehen. Wird trotz eines hohen Reingewinns eine geringe Dividende ausgeschüttet, mit welcher die Einkommens- und Vermögenssteuer auf den Wertschriften und deren Erträgen nicht bezahlt werden können, dann wird die Vermögenssubstanz möglicherweise dennoch nicht ausgehöhlt, weil der innere Wert der Gesellschaft und damit der innere Wert der Aktien gleichzeitig steigen. Das wird sich bei den Aktiengesellschaften, deren Titel regelmässig auch von Dritten erworben werden können, mit der Zeit auch in den bezahlten Kursen niederschlagen; ist der Handel beschränkt,
BGE 106 Ia 342 S. 354
weil z.B. der grösste Teil der Aktien sich in Familienbesitz befindet und es auch bleiben soll, kommt diese Entwicklung in der Kursbildung möglicherweise nicht genügend zum Ausdruck. Es kann daher sehr wohl zutreffen, dass zwar die Vermögens- und Einkommenssteuer eines Aktionärs die Ausschüttungen übersteigen, das Vermögen des Aktionärs aber trotz des Steuerdrucks zunimmt.
Im vorliegenden Verfahren ist unbestritten, dass die Belastung des Beschwerdeführers mit der auf den Anteilen der Y. AG zu entrichtenden Vermögenssteuer und mit der Einkommenssteuer auf den Erträgen die Einkünfte aus diesen Beteiligungen erheblich überschritten hat und es ist davon auszugehen, dass die Steuerbelastung auf dem Beschwerdeführer liegen bleibt, er sie also nicht überwälzen kann. Fraglich ist dagegen, ob er seine Beteiligung veräussern könnte und ob ihm dies allenfalls zumutbar wäre, wenn sie dauernd einen ungenügenden Ertrag abwerfen würde. Der Beschwerdeführer führt in seiner Beschwerde zwar aus, die Wertpapiere seien vinkuliert. Indessen fällt auf, dass ein Handel mit den Aktien der Y. AG trotz der behaupteten Vinkulierung oftmals vorkommt. Weiter macht er geltend, es sei ihm nicht zumutbar, seinen Anteil an der Y. AG zu veräussern, weil einerseits die Hauptaktionäre der Gründerfamilien möglichst unter sich bleiben und die Beteiligungsrechte behalten wollten und weil anderseits eine hochgradige affektive Bindung aufgrund der Familientradition bestehe. Schliesslich sei er auch rechtlich nicht in der Lage, die Anteile ohne Zustimmung seiner Frau zu veräussern. Die Frage, ob dem Beschwerdeführer die Umwandlung seiner Vermögenswerte möglich und zumutbar sei, braucht indessen nicht abschliessend beurteilt zu werden, denn entscheidend fällt ins Gewicht, dass die ausserordentlichen Verhältnisse in den Jahren 1973/74 sich nachträglich wieder stabilisierten, wie aus den Akten für die Steuerjahre 1975/76 einwandfrei hervorgeht. Es bleibt zwar stossend, dass der Beschwerdeführer ausser dem Ertrag seines Vermögens in der Steuerperiode 1973/74 sein gesamtes Einkommen der Bemessungsjahre 1971/72 aufwenden muss, um die Steuern zu bezahlen, und daher genötigt ist, die Substanz seines Vermögens vorübergehend anzugreifen. Es kann indessen nicht gesagt werden, der Beschwerdeführer müsse wegen der einmaligen starken Steuerbelastung die Substanz des Steuerobjektes, d.h. vor allem sein Wertschriftenvermögen,
BGE 106 Ia 342 S. 355
weitgehend aufzehren. Das trifft auch dann nicht zu, wenn, was nicht dargetan wird, sich in der nachfolgenden Periode ähnliche Verhältnisse ergeben hätten. Der Beschwerdeführer hat sich in den folgenden Jahren bei den Rechtsmittelinstanzen nicht mehr über eine Verletzung der Eigentumsgarantie beklagt. Eine konfiskatorische Besteuerung ergäbe sich danach allenfalls nur dann, wenn die hohe Steuerbelastung zum Dauerzustand würde, was vorliegend nicht der Fall ist. Die Beschwerde muss aus diesen Gründen abgewiesen werden, ohne dass zusätzlich noch geprüft werden muss, ob die hohe Steuerlast tatsächlich eine Verminderung der Vermögenssubstanz zur Folge hatte, oder ob die Steigerung des inneren Wertes der Papiere die Steuer aufzufangen vermochte. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
57043cd4-95e8-4a5d-8e2b-7c963f28a941 | Urteilskopf
105 Ia 285
54. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 26 septembre 1979 dans la cause Jacques Aeschbacher et consorts contre Conseil d'Etat du canton du Valais (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
; rechtliches Gehör.
Baubewilligung.
Worauf kann sich die Baubewilligung beziehen, wenn Baugesuch und öffentliche Ausschreibung im Baubewilligungsverfahren nicht übereinstimmen? (E. 6b und c).
Die Behörde verweigert den Einspruchsberechtigten das rechtliche Gehör, wenn sie die Ausführung von Bauten oder Anlagen bewilligt, die nicht Gegenstand der öffentlichen Ausschreibung waren (E. 6e). | Erwägungen
ab Seite 285
BGE 105 Ia 285 S. 285
Extrait des considérants:
6.
...
b) Dans la décision attaquée, le Conseil d'Etat s'est expressément prononcé sur la portée de l'autorisation de construire
BGE 105 Ia 285 S. 286
délivrée par la Commission cantonale des constructions (ci-après: CCC) à la suite des demandes de Téléverbier S.A. des 1er et 16 avril 1976. Il a retenu que le texte de la mise à l'enquête publique faisait mention d'un "altiport" et que les documents mis à l'enquête en cause prévoyaient la pose d'un tapis bitumineux; il en a déduit que c'est à juste titre et sans violer la procédure d'autorisation que la CCC s'était prononcée sur le principe de la construction d'un champ d'aviation à caractéristiques spéciales (altiport) et ne s'était pas limitée aux travaux de terrassement.
Tous les recourants contestent la décision du Conseil d'Etat sur ce point. Se référant à divers documents, ils soutiennent que l'autorisation n'a été requise que pour la construction d'un baraquement de chantier, d'une part, et pour les travaux de terrassement en vue de la construction d'un altiport, d'autre part. En accordant une autorisation de construire pour le revêtement en dur de la piste, alors qu'elle n'avait pas été sollicitée, les autorités cantonales auraient violé la loi cantonale sur les constructions et le règlement communal de Riddes sur les constructions.
c) L'argumentation du Conseil d'Etat, qui se fonde sur la publication intervenue au "Bulletin officiel du canton du Valais", sur le mémoire descriptif et sur les plans pour affirmer que c'est à juste titre que la CCC a accordé une autorisation pour la construction d'un aérodrome comportant un tapis bitumineux - et non seulement pour des travaux de terrassement -, ne peut être suivie.
Certes, la mention figurant au "Bulletin officiel" pourrait faire foi dans la mesure où les travaux qui y sont décrits seraient moins importants que ceux qui sont effectivement prévus dans la demande d'autorisation: les citoyens prenant connaissance de la publication pourraient en effet être amenés à s'abstenir de consulter la demande d'autorisation, pensant que leurs intérêts ne sont en aucun cas menaces. Il s'agit cependant là d'un cas exceptionnel, en dehors duquel c'est évidemment la teneur de la demande d'autorisation qui est déterminante; la publication ne fait que s'y référer. Aux termes de l'art. 6 de l'ordonnance du 13 janvier 1967 sur l'organisation et les attributions de la Commission cantonale des constructions (OCCC), celui qui désire obtenir un permis de construire doit adresser à l'administration communale une demande détaillée, établie sur formule spéciale
BGE 105 Ia 285 S. 287
et accompagnée d'une série de documents dont le dépôt est exigé. C'est cette demande, et non pas la publication qui s'y réfère, qui fait l'objet de l'enquête publique prévue à l'
art. 7 OCCC
. Des dispositions analogues figurent dans le règlement des constructions de la commune de Riddes, dont l'art. 7 prévoit que toute demande d'autorisation de construire doit être adressée au Conseil communal et doit être accompagnée des documents énumérés aux art. 6 à 12 du règlement; selon l'art. 13, l'administration communale soumet la demande d'autorisation de bâtir à une enquête publique et publie l'avis par insertion au "Bulletin officiel" et par affichage; les intéressés peuvent prendre connaissance des plans et dossier au greffe communal.
En l'espèce, Téléverbier S.A. n'a pas requis une autorisation générale pour la construction de l'altiport, mais a formé deux demandes partielles: la première concernait la construction d'un baraquement de chantier, la seconde les travaux de terrassement pour l'altiport, ainsi que la requérante l'a expressément spécifié en remplissant le chiffre 1 de la formule de demande d'autorisation de construire. Cela est du reste confirmé par plusieurs documents: notamment, la première décision de la CCC, du 22 juillet 1976, démontre que cette commission a statué à l'époque à la suite de demandes d'autorisation concernant, outre la construction d'un baraquement, "l'exécution des travaux de terrassement d'un aérodrome à trouée unique". C'est d'ailleurs en se fondant sur la demande d'autorisation que le Tribunal fédéral a déjà relevé, dans son arrêt du 10 novembre 1976 (
ATF 102 Ia 355
), que ce document visait exclusivement les terrassements. Or, dans la mesure où le requérant limite lui-même la demande d'autorisation à certains travaux déterminés, il va de soi que les autorités cantonales et communales ne peuvent accorder leur autorisation que pour ceux-ci.
d) ...
e) Le Conseil d'Etat a admis que les recourants étaient "recevables à faire valoir le moyen tiré de la violation d'une loi cantonale contenant des dispositions contre les immissions incommodantes". Il a admis par là qu'ils avaient pu valablement faire opposition à la demande de construction, en application de l'OCCC et du règlement des constructions de la commune de Riddes. Dès lors, dans la mesure où les recourants
BGE 105 Ia 285 S. 288
étaient habilités à faire opposition, ils peuvent exiger que la procédure d'autorisation se rapporte au projet qui a été régulièrement déposé auprès de l'autorité communale et qui leur a été signalé par publication au "Bulletin officiel". Par conséquent, en délivrant une autorisation portant sur un objet sur lequel l'enquête publique n'avait pas porté, ces autorités ont violé le droit des recourants d'être entendus garanti par l'
art. 4 Cst.
(
ATF 99 Ia 132
consid. 3;
ATF 97 I 884
).
Certes, l'
art. 7 al. 2 OCCC
prévoit que, pour les travaux de peu d'importance ou les modifications qui ne touchent pas aux intérêts de tiers, il peut être fait abstraction de l'enquête publique. Cette disposition ne saurait cependant être appliquée en l'occurrence, d'une part parce que la demande d'autorisation n'a subi aucune modification, et d'autre part parce que la pose d'un revêtement bitumineux constitue une partie importante de la construction de l'aérodrome et non une simple modification de l'étape du terrassement. Cette pose est déterminante pour le genre de trafic que doit supporter le champ d'aviation. | public_law | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
57052d73-5f24-41ca-975e-edefd5bf2f1e | Urteilskopf
97 I 353
51. Auszug aus dem Urteil vom 28. April 1971 i.S. Graf und Hochhaus AG gegen Keller AG, Hiltbrunner, Gemeinderat der Stadt Aarau und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. | Regeste
Bauvorschriften zum Zwecke der Wahrung der baulichen Einheit und Eigenart einer Altstadt dienen nicht auch dem Nachbarschutz.
Das blosse Vorhandensein einer Baute kann keine Einwirkungen i.S. von
Art. 684 ZGB
erzeugen (Bestätigung der Rechtsprechung (Erw. 1c). | Sachverhalt
ab Seite 353
BGE 97 I 353 S. 353
Aus dem Tatbestand:
Am 18. August 1969 erteilte der Gemeinderat Aarau Hans Graf und der Hochhaus AG Aarau die Baubewilligung zur Erstellung eines Doppel- Büro- und Wohnhauses auf der Parzelle 1605 am Schanzenweg/Rain in Aarau. Dagegen führten die Einsprecher Buchdruckerei Keller AG, deren Fabrikationsgrundstück südlich, und Werner Hiltbrunner, dessen Liegenschaft östlich an das Baugrundstück stösst, Beschwerde beim kantonalen Baudepartement. Die Beschwerden wurden am 3. April 1970 abgewiesen, wogegen sie an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau rekurrierten. Mit Urteil vom 22. September 1970 hiess dieses die Beschwerden gut und hob die Baubewilligung vom 18. August 1969 auf. Wie sich aus den Erwägungen des Entscheides ergibt, hat dies nicht die Meinung, dass der projektierte Bau überhaupt nicht erstellt werden dürfe, sondern nur, dass verschiedene, im einzelnen umschriebene Änderungen nötig seien, weshalb dem Gemeinderat ein neues Bauprojekt einzureichen sei.
BGE 97 I 353 S. 354
Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts haben Hans Graf und die Hochhaus AG staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie (was nicht substantiiert ist), sowie des Prinzips der Rechtsgleichheit und des Willkürverbotes eingereicht. Es wird beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und in Bestätigung der Entscheide des Gemeinderates Aarau vom 18. August 1969 und des Baudepartementes vom 13. April 1970 die Baubewilligung an Hans Grafzu erteilen, wobei im Sinne der Begründung die Dachvorbauten und die Flügelmauer auf der Südseite wegzulassen seien; eventuell sei die Sache im Sinne der Erwägungen zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde aus formellen Gründen abgewiesen, da schon diejenigen Beanstandungen des Verwaltungsgerichts am Bauprojekt, mit denen sich die Beschwerdeführer abgefunden haben, ein neues Baugesuch bedingen und es somit in jedem Falle bei der vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Aufhebung der Baubewilligung bleibt. Da jedoch die Begründung des angefochtenen Entscheides für das weitere Vorgehen der Beschwerdeführer wegweisend ist, hat es sich dazu wenigstens in den Hauptpunkten geäussert, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Willkür.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Zu den einzelnen Beanstandungen, soweit sie Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde bilden, ist folgendes zu bemerken:
1.
Dachgestaltung:
Aus der Querstellung der Dachfirste zur Längsachse der Bauten ergibt sich eine Firsthöhe über dem Dachgesims von 9 m. Da sich die beiden Dachschrägen in der Mitte überschneiden, entsteht eine kompakte grosse Dachmasse. Das Verwaltungsgericht betrachtet ein solches Dach über der maximal zulässigen Gebäudehöhe von 16 m für den Einsprecher im Süden, die Buchdruckerei Keller AG, als unzumutbar und verlangt die Reduktion der Höhe bis zum Dachgesims um ein Stockwerk oder die Drehung des Firstes in die Längsrichtung (Ost-West), allenfalls beides zusammen.
Das Verwaltungsgericht sagt in seinem Urteil nicht, gegen welche Vorschrift der Bauordnung das beanstandete Dach verstösst. Offenbar ist es sich selbst bewusst, dass sich eine solche in der Bauordnung nicht findet. Indessen wird auch
BGE 97 I 353 S. 355
nicht gesagt, inwiefern gegebenenfalls ein allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz, der dem Gemeinderecht stillschweigend zu Grunde liegt, verletzt sei. Auch wird keine Rechtsprechung namhaft gemacht, nach welcher etwa Bauten nicht bloss den Baupolizeivorschriften zu entsprechen hätten, sondern darüber hinaus ganz allgemein für die Nachbarschaft auch "zumutbar" sein müssten. Das Verwaltungsgericht geht selbst davon aus, dass in der Kernzone 1, in welcher die in Frage stehende Südfassade steht, die zulässige Gebäudehöhe als Höhe bis zum Dachgesims mit 16 m normiert ist (§ 42 Abs. 2 BO) und dass nach § 47 Abs. 1 BO die Dachneigung in der Altstadtzone mindestens 40° zu betragen hat, wobei keine Höchstneigung angegeben wird.
Was für den Nachbar zumutbar ist, entscheiden die positiven Bauvorschriften.
Dem Verwaltungsgericht scheint die Dürftigkeit seiner Begründung selbst nicht entgangen zu sein; in seinen Gegenbemerkungen zur Beschwerde führt es drei weitere Motivierungen an, die sich indessen widersprechen. Es zieht folgendes in Erwägung, dem wie folgt zu entgegnen ist:
a) Mit dem Fehlen von Vorschriften in der BO über die Höhe geneigter Dächer liege eine echte Gesetzeslücke vor, die der Richter zu schliessen habe. Eine echte Gesetzeslücke darf nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des
Art. 1 Abs. 2 ZGB
nur dann angenommen werden, wenn eine Frage, die sich unvermeidlich stellt, vom Gesetz überhaupt nicht oder nur teilweise beantwortet ist (vgl. IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl. S. 122 Nr. 241). Im Bereiche des Baupolizeirechts sind echte Gesetzeslücken, die der Richter mit positiven, das Eigentum einschränkenden Vorschriften ausfüllen müsste und dürfte, kaum denkbar. Im Zweifel ist eben das Eigentum frei. Einschränkungen bedürfen der ausdrücklichen Formulierung. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber bewusst nur die Dachgesimshöhe festlegen wollte und eine Normierung der Firsthöhe nicht als notwendig erachtete.
b) Völlig im Widerspruch zur These, es liege eine echte Gesetzeslücke vor, ist die vom Verwaltungsgericht weiter vertretene Auffassung, es ergebe sich aus einer Auslegung der Bauordnung, dass die Firsthöhe auf das für die Nachbarn noch "Zumutbare" begrenzt sei. Darnach sei der Gesetzgeber nämlich
BGE 97 I 353 S. 356
von einer "normalen" Dachneigung und einer entsprechenden "normalen" Gebäudetiefe ausgegangen. Die Firsthöhe sei daher für den Nachbarn nur zumutbar, wenn und soweit sie sich aus dem Zusammenspiel zwischen einer "normalen" Dachneigung und einer "normalen" Hausbreite - quer zur Firstrichtung - ergebe. Hier entspreche zwar die Dachneigung mit ca. 45° dieser Norm. Dagegen sei die überdachte Haustiefe übermässig gross, woraus eine für den Nachbarn nicht mehr tragbare Dach- und Haushöhe resultiere.
Weder die "normale Dachneigung" noch die "normale Haustiefe" findet aber im Gesetzestext eine Grundlage, und noch weniger eine Präzisierung. Im Gegenteil ergibt sich aus dem Wortlaut der Bauordnung, dass nur die minimale Dachneigung bestimmt werden wollte, und zwar nur für die Altstadt (§ 47 Abs. 1 BO) mit 40°. Hätte der Gesetzgeber wirklich etwas wie "normale Dachneigung" vorschreiben wollen, so hätte er dies in diesem Zusammenhang sicher getan. Auch die Idee, er sei von einer "normalen" Haustiefe ausgegangen, findet im Gesetz keine Stütze. In der Altstadt sind die zu überdachenden Hausflächen sehr verschieden, und es resultieren daraus auch Dächer von ganz verschiedenen Firsthöhen. Solche von 9 m sind bestimmt nicht selten. Das Verwaltungsgericht macht denn auch keinerlei Angaben darüber, was es als Norm betrachtet bzw. was konkret der Gesetzgeber der Stadt Aarau darunter verstanden haben könnte.
Es ergibt sich übrigens aus der Bauordnung zweifelsfrei, dass man weder ausdrücklich noch stillschweigend solche Vorschriften aufstellen wollte. Es ist ihr unschwer zu entnehmen, welchen Zielen die Dachgestaltung in der Altstadt dienstbar zu machen sind und welchen nicht. Zu wahren ist nämlich eindeutig die "bauliche Einheit und Eigenart" dieses Teiles der Stadt, also ein öffentliches Interesse. Für einen Schutz der Nachbarn fehlt jeder Anhaltspunkt.
Das Verwaltungsgericht hätte zu prüfen gehabt, ob die in Frage stehende Dachgestaltung wirklich der Anforderung der §§ 46 und 47 entspricht und ob nicht hier ein Ermessensfehler begangen oder z.B. der Begriff der "baulichen Einheit und Eigenart" unrichtig interpretiert wurde. Es wären demnach die Überlegungen nachzuvollziehen gewesen, welche die Baubewilligungsbehörde auf Grund der ihr auferlegten Aufgabe der Harmonisierung der beiden Dächer auf dem Projekt mit der
BGE 97 I 353 S. 357
Gesamtheit der Dächer der Altstadt, insbesondere der unmittelbaren Umgebung, angestellt hat bzw. hätte anstellen sollen. So hätte man z.B prüfen können, ob nicht die historische Situation und die Wünschbarkeit einer ästhetischen Verbindung der beiden offenen Häuserzeilen am Rain und Schanzweg nach einer Drehung des Firstes rufen würden.
c) Die dritte Begründung in der Vernehmlassung geht dahin, dass die "Dachformen" daraufhin zu prüfen seien, ob sie für den Nachbarn unzumutbare Immissionen bringen, wobei auch wieder von der "normalen Einwirkung üblicher Dächer" auszugehen sei. Über Immissionen könne das Verwaltungsgericht gemäss § 56 Abs. 2 lit. f VRPG frei entscheiden.
Auch diese Begründung findet weder in der Bauordnung von Aarau noch in der Rechtsprechung, noch in der Literatur eine Stütze. Ein Haus oder ein Hausteil können keine Immissionen darstellen (
BGE 88 II 264
und 334; ZIMMERLIN, BO der Stadt Aarau, S. 195 N. 1; HAAB, Kommentar zu
Art. 684 ZGB
N. 11 und 12). Der Versuch, das positive Baupolizeirecht durch ein unbestimmtes Immissionenrecht zu überspielen, müsste schon an der Eigentumsgarantie scheitern. Im Verhältnis zwischen Gemeinde und Kanton liefe der Einbezug der sogenannten negativen Auswirkungen von Bauten in das Immissionenrecht auf eine weitgehende Entwertung des Gemeindebaupolizeirechts und damit der Gemeindeautonomie hinaus.
2.
Grenzabstand der Ostfassade:
Dieser wurde vom Gemeinderat mit 4 m festgelegt. Er ging dabei davon aus, dass die Ostfassade zum grössern Teil in der Altstadtzone liege, wo der Gemeinderat die Abstände frei festlege (§ 48 Abs. 2 BO). Er gibt als wesentliches Kriterium die Wahrung eines Lichteinfallswinkels von 45o, bezogen auf die unterste Fensterbank der gegenüberliegenden Werkstatt Hiltbrunner (Kote 382.90), an. Darüber hinaus wurde auf der Ostseite ein Treppenhaus- und Lift-Vorbau von 6,5 m bzw. 4,1 m Breite und 1,5 m Tiefe zugelassen. Inbezug auf diesen Fassadenteil ist der Lichteinfallswinkel von 45° nicht gewahrt.
Das Verwaltungsgericht betrachtet insbesondere die Bewilligung dieses Vorbaus als unzulässig. Der Gemeinderat habe sich in seiner Praxis an die Regel betreffend Gewährleistung eines Lichteinfallswinkels von 45° gebunden. Von dieser Regel dürfe er nur nach rechtlich beachtlichen Kriterien abweichen.
BGE 97 I 353 S. 358
Auch diese Begründung ist offensichtlich unhaltbar. Die Regel, wonach in der Altstadt ein Lichteinfallswinkel von 45° einzuhalten sei, findet sich in der Bauordnung nicht. Von einer "Praxis" könne, so führt der Gemeinderat in seinem Amtsbericht aus, umso weniger gesprochen werden, als mit dem Lichteinfallswinkel erstmals im vorliegenden Fall operiert worden sei.
In Wirklichkeit ist es so, dass die Grenz- und Bauabstände in der Altstadt offensichtlich mit voller Absicht nicht gleichermassen fixiert wurden wie in den andern Bauzonen (ZIMMERLIN, a.a.O. S. 186 N. 1). Das schliesst aus, dass die "Praxis" die starren Regeln aufstellen könnte, die der Gesetzgeber abgelehnt hat. Die Bauordnung räumt dem Gemeinderat allerdings nicht völlige Freiheit ein. Er ist an die ratio des ihm eingeräumten Ermessens gebunden. Diese geht nun sicher nicht dahin, dass in der Altstadt kleinere Grenz- und Gebäudeabstände zugelassen sind, weil hier Luft und Licht weniger nötig wären als anderswo, oder dass den Bauherren in diesem Bereich ein besonderer Vorteil verschafft werden wollte, sondern nur, dass dem Sachzwang der bestehenden Verhältnisse Rechnung getragen werden kann. Die Altstadt soll wegen der in der Kernzone als erforderlich betrachteten Abstände nicht auseinandergerissen werden müssen. Das Postulat der Sicherstellung genügenden Luft- und Lichtzutritts wird vor dem der Wahrung der "baulichen Einheit und Eigenart" zurückgestellt, soweit dies zur Erhaltung der Altstadt unumgänglich ist.
Richtigerweise hätte das Verwaltungsgericht prüfen müssen, ob und inwiefern ein Anlass besteht, für diesen Neubau an der Grenze zwischen Altstadt und Kernzone 1 die Abstände zu verkürzen. Gerade das hat es unterlassen. Der andern Frage, ob der Gebäudevorsprung als privilegiert im Sinne des § 25 oder § 75 BO zu behandeln ist, käme daneben mehr eine sekundäre Bedeutung zu. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
570a547e-c2cb-43f0-ae9e-8b02d0c568cb | Urteilskopf
97 II 92
14. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. März 1971 i.S. G. gegen S. | Regeste
Anforderungen an Unterlassungsklagen.
Unterlassungsklagen müssen auf das Verbot eines genau umschriebenen Verhaltens gerichtet sein. Das vom Richter ausgesprochene Verbot muss ohne nochmalige materielle Beurteilung der Sache vollstreckt werden können.
Ein Verstoss gegen diesen Grundsatz ist vom Richter von Amtes wegen zu korrigieren. | Sachverhalt
ab Seite 92
BGE 97 II 92 S. 92
Aus dem Tatbestand:
G. und Frau S. waren während mehrerer Jahre intim befreundet. Nachdem Frau S. die Beziehungen zu G. abgebrochen hatte, schrieb er ihr eine Reihe von Briefen mit zum Teil beleidigendem Inhalt, von denen er Kopien an Drittpersonen sandte. Vergebens liess ihn Frau S. durch ihren Anwalt auffordern, den Versand solcher Briefe zu unterlassen. G. fuhr fort, Frau S. Briefe und andere Sendungen unzüchtigen Inhalts zuzustellen. Frau S. erhob daher Klage, wobei sie dem Gericht folgende Streitfrage unterbreitete:
"Ist dem Beklagten unter Androhung der Überweisung an den Strafrichter wegen Ungehorsams im Sinne von
Art. 292 StGB
zu verbieten, der Klägerin persönlichkeitsverletzende Briefe zuzustellen bzw. zustellen zu lassen oder sich gegenüber Dritten über die Klägerin persönlichkeitsverletzend zu äussern?"
BGE 97 II 92 S. 93
Das erstinstanzliche kantonale Gericht hiess dieses Unterlassungsbegehren gut. Eine vom Beklagten hiegegen eingereichte Berufung wies das Obergericht ab. Ziffer 1 des Urteilsdispositivs lautete folgendermassen:
"Dem Beklagten wird untersagt, der Klägerin Briefe, durch die sie in ihren persönlichen Verhältnissen verletzt wird, zuzustellen bzw. zustellen zu lassen oder sich gegenüber Drittpersonen über die Klägerin in einer Art, die deren persönliche Verhältnisse verletzt, zu äussern. Bei Nichtbeachtung dieses Verbotes würde der Beklagte dem Strafrichter zur Bestrafung wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung im Sinne von
Art. 292 StGB
(Haft oder Busse) überwiesen."
Der Beklagte führte Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag, die Klage abzuweisen.
Das Bundesgericht wies die Berufung ab, soweit darauf eingetreten werden konnte, und bestätigte das Urteil des Obergerichts unter Verdeutlichung von Ziffer 1 des Dispositivs im Sinne der Erwägungen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Unterlassungsklagen können nur in demjenigen Umfang geschützt werden, als sie auf das Verbot eines genügend bestimmten Verhaltens gerichtet sind (
BGE 84 II 457
f.,
BGE 78 II 292
f. undBGE 56 II 437; JÄGGI, Fragen des privatrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit, ZSR Bd. 79 II S. 182a sub lit. d; GROSSEN, La protection de la personnalité en droit privé, ZSR Bd. 79 II S. 40a). Die Vollstreckung des verlangten Verbotes muss möglich sein, ohne dass der hiefür zuständige Richter nochmals eine materielle Beurteilung des in Frage stehenden Verhaltens vorzunehmen hat. Das Urteil der Vorinstanz verstösst gegen diesen Grundsatz, indem darin dem Beklagten die Zustellung von Briefen an die Klägerin und Äusserungen gegenüber Drittpersonen, welche die Klägerin in ihren persönlichen Verhältnissen verletzen, verboten werden. Damit bleibt es dem Strafrichter überlassen zu bestimmen, ob das Verhalten des ihm zur Bestrafung wegen Ungehorsams im Sinne von
Art. 292 StGB
überwiesenen Beklagten als persönlichkeitsverletzend zu qualifizieren sei oder nicht. Diese Frage hat aber allein der Zivilrichter zu entscheiden.
Die Vorinstanz hätte daher das von ihr ausgesprochene Verbot unter entsprechender Richtigstellung des bereits zu
BGE 97 II 92 S. 94
weit gefassten Klagebegehrens auf jenes Verhalten des Beklagten beschränken sollen, das Gegenstand des Prozesses war. Das Bundesgericht hat dies von Amtes wegen nachzuholen und Ziffer 1 des Urteilsdispositivs der Vorinstanz in dem Sinne zu verdeutlichen, dass sich das an den Beklagten gerichtete Verbot auf Äusserungen beschränkt, deren Rechtswidrigkeit im vorliegenden Verfahren festgestellt wurde (vgl. hiezuBGE 56 II 437f. und
BGE 96 II 262
). Der Beklagte darf somit der Klägerin keine Briefe mehr zukommen lassen, in denen er sich über die Beziehungen zwischen den Parteien oder über geschlechtliche Dinge äussert oder das Verhalten und den Charakter der Klägerin kritisiert oder ihr gegenüber Drohungen ausspricht. Ebenso hat er alle Äusserungen gegenüber Drittpersonen zu unterlassen, die entweder seine persönlichen Beziehungen zur Klägerin betreffen oder an diese gerichtete Vorwürfe enthalten. Diese Präzisierung bedeutet nicht etwa eine teilweise Gutheissung der Berufung; denn der Beklagte hat im ganzen Verfahren nie geltend gemacht, das auf Unterlassung gerichtete Klagebegehren sei zu weit gefasst. Im übrigen konnte sich die Klage von vorneherein nur auf jenes Verhalten des Beklagten beziehen, dessen Rechtswidrigkeit im Prozess behauptet wurde. Die Vorinstanzen hätten daher das zu allgemein gefasste Unterlassungsbegehren ganz unabhängig von der Stellungnahme des Beklagten nur im Rahmen der sich aus der Klagebegründung ergebenden Konkretisierung zulassen und gutheissen sollen. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
570c0de9-9bfd-41f6-b3b6-929d9d926fb7 | Urteilskopf
122 I 236
32. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Juli 1996 i.S. Jorane Althaus gegen Einwohnergemeinde Mörigen und Erziehungsdirektion des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Sprachenfreiheit,
Art. 116 BV
,
Art. 4, 6, 15 KV/BE
; Besuch einer französischsprachigen Schule durch Kinder, die in einer deutschsprachigen Gemeinde des Kantons Bern wohnen.
Verhältnis zwischen Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip aufgrund von
Art. 116 BV
in der Fassung vom 10. März 1996. Die Sprachenfreiheit verpflichtet die Gemeinwesen nicht, für neu zugewanderte sprachliche Minderheiten einen Schulunterricht in deren Sprache anzubieten (E. 2).
Auch nach bernischem Verfassungs- und Gesetzesrecht hat ein in einer deutschsprachigen Gemeinde wohnhaftes Kind französischer Muttersprache keinen Anspruch auf (unentgeltlichen) Unterricht in französischer Sprache (E. 3).
Sofern aber eine andere Gemeinde freiwillig bereit ist, das Kind in einer französischsprachigen Schule aufzunehmen und die Eltern die daraus entstehenden finanziellen Konsequenzen tragen, ist es eine unverhältnismässige Einschränkung der Sprachenfreiheit, den Besuch einer deutschsprachigen Schule zu verlangen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 237
BGE 122 I 236 S. 237
Jorane Althaus, geboren 1988, wohnt mit ihren Eltern in der deutschsprachigen Berner Gemeinde Mörigen. Ihr Vater ist deutscher, die Mutter französischer Muttersprache. Im Elternhaus wird französisch gesprochen. Jorane Althaus besuchte den (deutschsprachigen) Kindergarten in Mörigen. Im August 1995 wurde sie in der ersten Klasse der französischsprachigen Primarschule Mühlefeld in Biel eingeschult. Ihr Vater ersuchte nachträglich um Bewilligung, seine Tochter in dieser Schule belassen zu dürfen, und verpflichtete sich gleichzeitig, alle finanziellen Konsequenzen zu tragen. Der Gemeinderat Mörigen lehnte das Gesuch am 1. Dezember 1995 ab und verfügte, dass Jorane Althaus ab 8. Januar 1996 die Primarschule in Mörigen zu besuchen habe.
Jorane Althaus reichte dagegen am 28. Dezember 1995 Beschwerde bei der Erziehungsdirektion des Kantons Bern ein. Diese wies mit Entscheid vom 2. April 1996 die Beschwerde ab und verpflichtete Jorane Althaus, ab Schuljahr 1996/97 die Primarschule in Mörigen zu besuchen.
Jorane Althaus erhebt staatsrechtliche Beschwerde und beantragt, den Entscheid der Erziehungsdirektion aufzuheben.
BGE 122 I 236 S. 238
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der Sprachenfreiheit und eine willkürliche Anwendung von Art. 7 des bernischen Volksschulgesetzes vom 19. März 1992 (VSG) sowie Willkür durch Nichtanwendung von Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 3 der bernischen Kantonsverfassung vom 6. Juni 1993 (KV/BE).
a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gehört die Sprachenfreiheit zu den ungeschriebenen Freiheitsrechten der Bundesverfassung (
BGE 91 I 480
E. II.1 S. 485 f.;
BGE 100 Ia 462
E. 2a S. 465;
BGE 106 Ia 299
E. 2a S. 302;
BGE 121 I 196
E. 2a S. 198; ZBl 83/1982 S. 356 E. 1b S. 358). Sie ist zudem durch
Art. 15 KV/BE
ausdrücklich gewährleistet.
b) Die Sprachenfreiheit schützt den Gebrauch der Muttersprache (
BGE 121 I 196
E. 2a S. 198) bzw. einer nahestehenden anderen Sprache (ZBl 83/1982 S. 356 E. 3b S. 361) oder allenfalls jeder Sprache, deren sich jemand bedienen will (GIORGIO MALINVERNI in Kommentar BV, Rz. 5 f. zur Sprachenfreiheit; JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, Bern 1991, S. 82; RUDOLF VILETTA, Abhandlungen zum Sprachenrecht mit besonderer Berücksichtigung des Rechts der Gemeinden des Kantons Graubünden, Band I: Grundlagen des Sprachenrechts, Diss. Zürich 1978, S. 287; RUDOLF VILETTA, Die Regelung der Beziehungen zwischen den schweizerischen Sprachgemeinschaften, ZBl 82/1981 S. 193-217, 206). Soweit diese Sprache zugleich eine Landessprache der Schweiz ist, steht deren Gebrauch sodann unter dem Schutz von
Art. 116 Abs. 1 BV
(in der Fassung vom 10. März 1996, AS 1996 1492). Diese Bestimmung verbietet es den Kantonen insbesondere, Gruppen, die eine Landessprache sprechen, aber im Kanton eine Minderheit darstellen, zu unterdrücken oder in ihrem Fortbestand zu gefährden (
BGE 106 Ia 299
E. 2a S. 302;
BGE 121 I 196
E. 2a S. 198).
c)
Art. 116 BV
gewährleistet nach der Rechtsprechung allerdings auch die überkommene sprachliche Zusammensetzung des Landes (Territorialitätsprinzip)(
BGE 91 I 480
E. II.2 S. 486 f.;
BGE 106 Ia 299
E. 2a S. 303;
BGE 116 Ia 345
E. 5b/aa S. 349; ZBl 94/1993 S. 133 E. 4a; ARTHUR HAEFLIGER, Die Sprachenfreiheit in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in: Mélanges Zwahlen, Lausanne 1977, S. 77-86, 78; DANIEL THÜRER, Zur Bedeutung des sprachenrechtlichen Territorialprinzips für die Sprachenlage
BGE 122 I 236 S. 239
im Kanton Graubünden, ZBl 85/1984 S. 241-271, 248). Er steht damit in einem Spannungsfeld zur Sprachenfreiheit. Zwar ist das Territorialitätsprinzip kein verfassungsmässiges Individualrecht (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts i.S. R. vom 4. März 1993, E. 2b). Es stellt aber eine Einschränkung der Sprachenfreiheit dar und erlaubt den Kantonen, Massnahmen zu ergreifen, um die überlieferten Grenzen der Sprachgebiete und deren Homogenität zu erhalten, selbst wenn dadurch die Freiheit des einzelnen, seine Muttersprache zu gebrauchen, eingeschränkt wird. Solche Massnahmen müssen aber verhältnismässig sein (
BGE 91 I 480
E. II.2 S. 486 f.;
BGE 106 Ia 299
E. 2a S. 303;
BGE 116 Ia 345
E. 6a S. 351 ff.;
BGE 121 I 196
E. 2a S. 198). Im Verkehr mit den Behörden ist die Freiheit des Sprachgebrauchs zudem eingeschränkt durch das Prinzip der Amtssprache (MALINVERNI, a.a.O., Rz. 16; CHARLES-ALBERT MORAND, Liberté de la langue et principe de territorialité. Variations sur un thème encore méconnu, ZSR 112/1993 I S. 11-36, 20, 28; MÜLLER, a.a.O., S. 82); vorbehältlich besonderer, namentlich staatsvertraglicher, Bestimmungen (z.B.
Art. 5 Ziff. 2 und
Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK
) besteht grundsätzlich kein Anspruch darauf, mit Behörden in einer anderen Sprache als der Amtssprache zu verkehren. Die Amtssprache steht ihrerseits in Beziehung zum Territorialitätsprinzip, indem sie normalerweise derjenigen Sprache entspricht, die im betreffenden Gebiet gesprochen wird.
d) Das Territorialitätsprinzip ist kein Selbstzweck. Es dient mehreren Zielen: Soweit staatliche Leistungen, insbesondere der unentgeltliche öffentliche Schulunterricht, zur Diskussion stehen, dient es zunächst dem Anliegen der Praktikabilität und der kostengünstigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Infolge der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung und der Zuwanderung zahlreicher Personen aus sehr unterschiedlichen Sprachgebieten wäre das Gemeinwesen finanziell rasch überfordert, wenn es öffentliche Leistungen, insbesondere den von Verfassungs wegen (
Art. 27 BV
) unentgeltlichen Schulunterricht, für sämtliche Sprachgruppen in deren eigener Sprache anbieten müsste. Das Territorialitätsprinzip gilt deshalb grundsätzlich auch für die Unterrichtssprache. In der öffentlichen Schule wird der Unterricht in der Regel in der Amtssprache des Einzugsgebiets erteilt. Nach der Rechtsprechung geben weder
Art. 27 BV
noch die Sprachenfreiheit einen Anspruch darauf, dass sprachliche Minderheiten in ihrer Muttersprache unterrichtet werden (
BGE 91 I 480
E. II.2 S. 487;
100 Ia 462
E. 2 S. 465 f., und E. 4 S. 470 f.; VEB 40/1976 Nr. 37 S. 46 f.; MARCO BORGHI in Kommentar zur Bundesverfassung, Rz. 35 zu Art. 27;
BGE 122 I 236 S. 240
CHRISTINE MARTI-ROLLI, La liberté de la langue en droit suisse, Thèse Lausanne 1978, S. 20). Diese Praxis wird in der Lehre teilweise kritisiert (MALINVERNI, a.a.O., Rz. 36, 38, 42, mit Hinweisen). Die Kritik ist insofern berechtigt, als das Territorialitätsprinzip in traditionell zwei- oder mehrsprachigen Gebieten das Verhältnis zwischen den Sprachen gerade nicht regeln kann. In solchen Gebieten kann sich deshalb aus der Sprachenfreiheit allenfalls ein Anspruch darauf ergeben, in einer der mehreren traditionellen Sprachen unterrichtet zu werden, sofern dies nicht zu einer unverhältnismässigen Belastung des Gemeinwesens führt (HAEFLIGER, a.a.O., S. 83; MORAND, a.a.O., S. 30; offen gelassen in
BGE 100 Ia 462
E. 2b S. 466). Anders verhält es sich hinsichtlich von Sprachen, die nicht traditionell in einem Gebiet gesprochen werden (MORAND, a.a.O., S. 30). Es kann nicht im Belieben Privater stehen, in ein fremdsprachiges Gebiet zu ziehen und von den dortigen Behörden einen Unterricht in ihrer Sprache zu verlangen. Dadurch würden das Territorialitätsprinzip und die bestehende sprachliche Gliederung geradezu aus den Angeln gehoben. Wer in ein fremdes Sprachgebiet zieht, hat grundsätzlich die Konsequenzen zu tragen, die sich daraus ergeben. Infolgedessen ist daran festzuhalten, dass das Gemeinwesen nicht verpflichtet ist, für neu zugewanderte sprachliche Minderheiten einen Unterricht in deren Sprache anzubieten.
e) Nebst dem Anliegen einer kostengünstigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben wird dem Territorialitätsprinzip aber auch die Funktion zugeschrieben, zur Erhaltung bedrohter Sprachen sowie zur Wahrung des Sprachfriedens und damit zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen (
BGE 121 I 196
E. 2b S. 199; EMILIO CATENAZZI, Libertà di lingua e lingua ufficiale, RDAT 1977, S. 269-274, 271; MARTI-ROLLI, a.a.O., S. 39 f.; MÜLLER, a.a.O., S. 80 f.; MICHEL ROSSINELLI, La question linguistique en Suisse: Bilan critique et nouvelles perspectives juridiques, ZSR 108/1989 I S. 163-193, 169; MICHEL ROSSINELLI, Protection des minorités linguistiques helvétiques et révision de l'article 116 de la Constitution fédérale, Gesetzgebung heute 1991/1, S. 45-68, 54). Dieses Ziel wird in der Schweiz herkömmlicherweise dadurch angestrebt, dass - abgesehen von traditionell zwei- oder mehrsprachigen Gebieten - Personen, die in ein anderssprachiges Gebiet ziehen, die dort gesprochene Sprache übernehmen. Insofern rechtfertigen sich zur Wahrung der sprachlichen Homogenität gewisse Einschränkungen der Sprachenfreiheit, auch soweit nicht staatliche Leistungen zur Diskussion stehen. So hat das Bundesgericht es als zulässig betrachtet, dass für Privatschulen der Gebrauch der Amtssprache
BGE 122 I 236 S. 241
vorgeschrieben wird (
BGE 91 I 480
E. II.3 S. 489 ff.). Gleicher Ansicht ist ein Teil der Lehre, welcher aus dem Territorialitätsprinzip folgert, dass Personen, die in ein fremdsprachiges Gebiet zuwandern, sich im öffentlichen Sprachgebrauch zu assimilieren haben (MARTI-ROLLI, a.a.O., S. 41; VILETTA, a.a.O. (1978), S. 342, (1981), S. 211 f.). Andere Lehrmeinungen betonen demgegenüber eher die individualrechtliche Sprachenfreiheit und sind der Ansicht, das Territorialitätsprinzip sei in
Art. 116 BV
nicht zwingend enthalten; gerade eine bewusste Politik der Mehrsprachigkeit könne der Förderung des sprachlichen Friedens dienen (MALINVERNI, a.a.O., Rz. 40; MÜLLER, a.a.O., S. 84 f.; ROSSINELLI, a.a.O. (1991), S. 54). In der Lehre lässt sich keine einhellige Auffassung über Bedeutung und Tragweite des Territorialitätsprinzips und seine Beziehung zur Sprachenfreiheit erkennen.
f) Die vom Eidg. Departement des Innern eingesetzte Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Professor Saladin, welche den Auftrag hatte, eine Neufassung von
Art. 116 BV
zu formulieren, kritisierte in ihrem Bericht von 1989, dass sich das Territorialitätsprinzip in der bisherigen Praxis vorwiegend zu Lasten sprachlicher Minderheiten ausgewirkt habe (ARBEITSGRUPPE DES EDI, Zustand und Zukunft der viersprachigen Schweiz, Abklärungen, Vorschläge und Empfehlungen einer Arbeitsgruppe des Eidg. Departements des Innern, August 1989, S. 200, 348), und betonte eher die Bedeutung der Sprachenfreiheit (a.a.O., S. 206 ff., 366 f.). Aus dem Territorialitätsprinzip fliessende Einschränkungen der Sprachenfreiheit empfahl sie hauptsächlich zum Schutze der bedrohten Sprachen Italienisch und Rätoromanisch (a.a.O., S. 351 f., 365 ff.). Im Vernehmlassungsverfahren zum neuen Sprachenartikel in der Bundesverfassung beharrten indessen insbesondere die französischsprachigen Kantone auf einer strikten Anwendung des Territorialitätsprinzips (BBl 1991 II 332). Der Bundesrat schlug deshalb eine Formulierung vor, die sowohl die Sprachenfreiheit als auch das Territorialitätsprinzip erwähnte (BBl 1991 II 346). Der Ständerat als Erstrat strich die ausdrückliche Erwähnung der Sprachenfreiheit (AB StR 1992 S. 1044 ff.). Das wurde im Nationalrat als asymmetrisch betrachtet. Eine Minderheit schlug deshalb vor, wieder zum Antrag des Bundesrates zurückzukehren. Nach ausführlichen Debatten beschloss der Nationalrat jedoch angesichts der Schwierigkeiten, eine befriedigende Regelung zu finden, eine Formulierung, welche weder die Sprachenfreiheit noch das Territorialitätsprinzip ausdrücklich festlegte
BGE 122 I 236 S. 242
(AB NR 1993 S. 1541 ff.). Diese Fassung wurde schliesslich in der Volksabstimmung vom 10. März 1996 angenommen.
g) Die ausführlichen Verhandlungen in der Bundesversammlung zeigen auf, dass das Spannungsverhältnis zwischen Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip nicht leicht aufgelöst werden kann und auch heute geeignet ist, Emotionen zu wecken. Es kann davon ausgegangen werden, dass mit der neuen Fassung von
Art. 116 BV
weiterhin die beiden divergierenden Anliegen in einer differenzierten, den Anliegen des Sprachfriedens Rechnung tragenden Weise anzuwenden sind. Je bedrohter eine Sprache ist, desto eher sind Massnahmen zu ihrer Erhaltung und Eingriffe in die individuelle Sprachenfreiheit gerechtfertigt (AB NR 1993 S. 1544, Kommissionssprecher Bundi). Im übrigen ist es weitgehend eine Frage politischen Gestaltungsermessens, ob dem Ziel der Bewahrung bedrohter Sprachen und des Sprachfriedens eher mit der Erhaltung homogener Sprachgebiete oder eher mit einer bewussten Förderung der Mehrsprachigkeit gedient sei (MORAND, a.a.O., S. 31; ROSSINELLI, a.a.O. (1989), S. 191). Es gibt in der Schweiz traditionell zweisprachige Städte oder Gebiete, welche belegen, dass ein friedliches Zusammenleben von Angehörigen verschiedener Sprachen möglich ist. Umgekehrt gibt es zahlreiche Beispiele im In- und Ausland, wonach Verschiebungen von Sprachgrenzen oder Zuwanderungen von nicht assimilationswilligen Anderssprachigen durchaus zu Spannungen führen können.
h) Aufgrund von
Art. 3 BV
sind für die Regelung des Sprachgebrauchs primär die Kantone zuständig (
BGE 100 Ia 462
E. 2a S. 465;
BGE 121 I 196
E. 2c S. 199 f.; ARBEITSGRUPPE EDI, a.a.O., S. 172 ff.; ANDREAS AUER, D'une liberté non écrite qui n'aurait pas dû l'être: la liberté de la langue, AJP 1992 S. 955-964, 961, 964; FRANÇOIS DESSEMONTET, Le droit des langues en Suisse, Québec 1984, S. 112 f.; MARTI-ROLLI, a.a.O., S. 18 f.; THÜRER, a.a.O., S. 254). Bundesverfassungsrechtliche Schranken ergeben sich einerseits daraus, dass es mit dem Territorialitätsprinzip nicht vereinbar wäre, die Sprachgrenzen bewusst und gewollt zu verschieben (
BGE 100 Ia 462
E. 2b S. 466; ARBEITSGRUPPE EDI, a.a.O., S. 202; HAEFLIGER, a.a.O., S. 78; MALINVERNI, a.a.O., Rz. 28); insoweit schützt die Bundesverfassung die überlieferte sprachliche Gebietsaufteilung und damit auch die Homogenität traditionell einsprachiger Gebiete, insbesondere (aber nicht nur) wenn es sich dabei um gesamtschweizerische Minderheitssprachen handelt. Andererseits darf in traditionell zwei- oder mehrsprachigen Gebieten nicht
BGE 122 I 236 S. 243
die eine Sprache unterdrückt werden; insoweit schützt die Sprachenfreiheit insbesondere die Sprache von regionalen Minderheiten (
BGE 106 Ia 299
E. 2b/cc S. 305; ZBl 83/1982 S. 356 E. 3c/bb S. 362). Schliesslich darf auch der Gebrauch anderer Sprachen als der in einem bestimmten Gebiet traditionellerweise gesprochenen nicht unverhältnismässig beeinträchtigt werden; dabei sind umso einschneidendere Massnahmen zulässig, je bedrohter eine herkömmliche Sprache ist (vgl.
BGE 116 Ia 345
E. 5b/cc S. 350; ARBEITSGRUPPE EDI, a.a.O., S. 237; HAEFLIGER, a.a.O., S. 80). Innerhalb dieser bundesverfassungsrechtlichen Schranken steht den Kantonen ein weiter Gestaltungsspielraum offen. Ob diese - wie in Lehre und Praxis teilweise angenommen (
BGE 91 I 480
E. II.2 S. 486 f.;
BGE 116 Ia 345
E. 5b/aa S. 349; ZBl 94/1993 S. 133 E. 4a; CATENAZZI, a.a.O., S. 271; THÜRER, a.a.O., S. 256 ff.) - geradezu verpflichtet sind, für die Erhaltung des Territorialitätsprinzips zu sorgen, kann offenbleiben; jedenfalls sind sie dazu innerhalb der genannten Schranken berechtigt (
BGE 116 Ia 345
E. 5b/cc S. 350). Es ist somit die rechtliche Lage im Kanton Bern zu untersuchen und anschliessend zu prüfen, ob diese allenfalls verfassungsmässige Rechte der Beschwerdeführerin verletzt.
3.
a)
Art. 15 KV/BE
gewährleistet ausdrücklich die Sprachenfreiheit. Gemäss
Art. 6 Abs. 1 KV/BE
sind das Deutsche und das Französische die bernischen Landes- und Amtssprachen.
Art. 6 Abs. 2 KV/BE
legt fest, dass im Berner Jura das Französische, im Amtsbezirk Biel das Deutsche und das Französische und in den übrigen Amtsbezirken das Deutsche die Amtssprachen sind. Damit ist implizit für amtliche Zwecke auf Bezirks- und Gemeindeebene das Territorialitätsprinzip verfassungsmässig festgelegt. In der Gemeinde Mörigen ist demzufolge das Deutsche von Verfassungs wegen Amtssprache. Gemäss
Art. 6 Abs. 3 KV/BE
können Kanton und Gemeinden besonderen Verhältnissen, die sich aus der Zweisprachigkeit des Kantons ergeben, Rechnung tragen. Diese Bestimmung erlaubt dem Kanton und den Gemeinden, in bestimmtem Umfang von dem in Abs. 2 festgelegten Territorialitätsprinzip abzuweichen; sie gibt jedoch keinen individualrechtlichen Anspruch auf eine solche abweichende Regelung, ebensowenig wie
Art. 4 KV/BE
, wonach unter anderem den sprachlichen Minderheiten besondere Befugnisse zuerkannt werden können.
b) Gemäss Art. 7 Abs. 1 VSG besucht jedes Kind die öffentliche Schule an seinem Aufenthaltsort; die Gemeinden können unter sich abweichende Vereinbarungen treffen. Zwischen der Gemeinde Mörigen und der Gemeinde Biel, in welcher die Beschwerdeführerin die Primarschule besuchen möchte,
BGE 122 I 236 S. 244
besteht nach übereinstimmender Darstellung der Beteiligten für diese Schulstufe keine derartige Vereinbarung. Unbegründet ist der Vorwurf der Beschwerdeführerin, die Gemeinde Mörigen habe willkürlich gehandelt, indem sie den entsprechenden Vereinbarungsvorschlag der Gemeinde Biel abgelehnt habe. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 VSG liegt es in der Autonomie der Gemeinden, derartige Vereinbarungen abzuschliessen. Dass angeblich alle oder die meisten anderen deutschsprachigen Gemeinden in der Region Biel eine entsprechende Vereinbarung abgeschlossen haben, ändert nichts. Der Sinn der Autonomie liegt gerade darin, dass auch Lösungen zulässig sind, die von denjenigen abweichen, welche die anderen Gemeinden gewählt haben.
c) Nach der verfassungs- und gesetzmässigen Lage im Kanton Bern hat somit die in Mörigen wohnhafte Beschwerdeführerin keinen Anspruch darauf, dass ihr der Kanton oder die Gemeinde einen französischsprachigen Schulunterricht - sei es in Mörigen oder Biel - anbietet. Das widerspricht nach dem vorne Ausgeführten (E. 2d) auch nicht der Bundesverfassung.
4.
a) Vorliegend hat sich nun freilich einerseits die Gemeinde Biel bereit erklärt, die Beschwerdeführerin in eine französischsprachige Schule aufzunehmen, sofern ihr das Schulgeld vergütet wird; andererseits haben sich die Eltern der Beschwerdeführerin bereit erklärt, für alle finanziellen Konsequenzen aufzukommen. Unter diesen Umständen bedeutet die angefochtene Verfügung, wonach die Beschwerdeführerin in Mörigen die Schule zu besuchen hat, eine Einschränkung der Sprachenfreiheit, die nicht durch das öffentliche Interesse an einer kostengünstigen Gestaltung des Schulwesens gerechtfertigt werden kann. Sie unterliegt den üblichen Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe. Dabei prüft das Bundesgericht frei, ob Einschränkungen von Grundrechten verhältnismässig sind und einem überwiegenden öffentlichen Interesse entsprechen (WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. A. Bern 1994, S. 185, mit Hinweisen). Nur auf Willkür hin prüft es die Auslegung und Anwendung von kantonalem Gesetzesrecht, sofern, wie vorliegend, kein besonders schwerer Eingriff zur Diskussion steht (KÄLIN, a.a.O., S. 175, 177, mit Hinweisen).
b) Nach Ansicht der Erziehungsdirektion erlaubt das Volksschulgesetz nicht, dass die Eltern mittels Übernahme des Schulgeldes den Schulort des Kindes bestimmen können. Es kann offenbleiben, ob diese Gesetzesauslegung - wie
BGE 122 I 236 S. 245
die Beschwerdeführerin vorbringt - geradezu willkürlich ist. Auch wenn sie haltbar ist, fragt sich, ob es mit der Sprachenfreiheit vereinbar ist, den Besuch einer französischsprachigen Schule auch dann zu verbieten, wenn die Eltern die Kosten übernehmen. Dass
Art. 27 BV
einen unentgeltlichen Schulunterricht vorschreibt, ändert daran nichts, da dadurch der freiwillige Besuch einer entgeltlichen Schule nicht ausgeschlossen wird.
c) Eine gesetzliche Grundlage für den Eingriff ist gegeben, indem Art. 7 Abs. 1 VSG vorschreibt, dass - vorbehältlich abweichender Vereinbarungen unter den Gemeinden oder einer im Streitfall durch die Erziehungsdirektion zu erteilenden Bewilligung aus wichtigen Gründen - jedes Kind die öffentliche Schule an seinem Aufenthaltsort besucht.
d) Diese Regelung kann grundsätzlich mit öffentlichen Interessen gerechtfertigt werden.
aa) Die Gemeinde hat ein legitimes Interesse daran, die Klassengrössen planen zu können. Allerdings ist eine Schulplanung nie genau möglich, da durch Wohnortswechsel immer Schwankungen in der Zahl der schulpflichtigen Kinder auftreten können. Doch wird die Planung zusätzlich erschwert, wenn die Wahl des Schulortes auch für die Einwohner der Gemeinde freigestellt wäre.
bb) Zudem ist denkbar, dass insbesondere in kleineren Gemeinden der Fortbestand einer Schule in Frage gestellt wird, wenn den Einwohnern freigestellt würde, ihre Kinder in einer anderen Gemeinde zur Schule zu schicken. Angesichts der erheblichen kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung, welche einer eigenen Schule für eine Gemeinde zukommt, stellt es durchaus ein haltbares öffentliches Interesse dar, wenn das Gesetz dafür sorgt, dass die in einer Gemeinde wohnhaften Kinder die dortige Schule besuchen.
cc) Ein allgemeines Recht der Kinder bzw. Eltern auf freie Wahl der ihnen zusagenden Schule kann daher nicht in Frage kommen. Hingegen ist fraglich, ob die genannten Interessen für eine Einschränkung der Sprachenfreiheit ausreichen. Dafür kommt hauptsächlich das allgemeine staatspolitische Interesse an der Erhaltung sprachlich homogener Gebiete in Betracht. Dieses Interesse ist - wie vorne ausgeführt - grundsätzlich haltbar und berechtigt. Auch soweit der Erhaltung sprachlicher Homogenität keine grosse Bedeutung beigemessen wird, erscheint es doch zumindest erwünscht, dass Binnenwandererfamilien eine zweisprachige Identität entwickeln, um zur sprachlichen Verständigung beizutragen (ARBEITSGRUPPE EDI, a.a.O., S. 96 f.). Das würde gefördert, wenn die Kinder von fremdsprachigen Zuwanderern,
BGE 122 I 236 S. 246
die in der Familie ihre Muttersprache sprechen, durch den Schulbesuch an ihrem Wohnort auch die Ortssprache erlernen. Gerade eine solche Zweisprachigkeit wird von der Beschwerdeführerin bzw. ihren Eltern abgelehnt, indem sie nicht nur zu Hause, sondern auch in der Schule ihre französische Muttersprache sprechen will.
e) Das geltend gemachte öffentliche Interesse an einem Schulbesuch der Beschwerdeführerin in Mörigen muss im Lichte des Verhältnismässigkeitsprinzips die entgegenstehenden privaten Interessen überwiegen.
aa) Die Beschwerdeführerin macht keine persönlichen Gründe geltend, die für sie spezifisch eine Ausnahmebewilligung nahelegen würden. Sie bringt einzig vor, dass sie - bzw. ihre Eltern - einen Schulunterricht in französischer Sprache bevorzugen. Ihre Situation unterscheidet sich in nichts von derjenigen aller anderen Kinder französischsprachiger Eltern, die im deutschen Sprachgebiet wohnen - oder umgekehrt. Wird ihr der Besuch in einer französischsprachigen Schule in Biel bewilligt, so muss dasselbe allen anderen Kindern ebenfalls bewilligt werden, deren Eltern bereit sind, die entsprechenden Kosten auf sich zu nehmen.
bb) Im Lichte des Verhältnismässigkeitsprinzips muss ein Mittel, welches Grundrechte einschränkt, geeignet sein, den angestrebten legitimen Zweck zu erreichen. Es fragt sich, ob die Verpflichtung, die Schule am Aufenthaltsort zu besuchen, ein geeignetes Mittel ist, um einen legitimen Zweck zu erreichen.
cc) Das Territorialitätsprinzip verbietet absichtliche Veränderungen der Sprachgrenze (vorne E. 2h). Hingegen bezweckt es nicht eine Zementierung einmal bestehender Zustände. Es kann nicht natürliche Verschiebungen in der sprachlichen Zusammensetzung verhindern (MALINVERNI, a.a.O., Rz. 28; THÜRER, a.a.O., S. 249 f., 255). Auch soweit eine Assimilation und gesellschaftliche Integration fremdsprachiger Zuwanderer wünschbar erscheint, ist doch fraglich, inwieweit dies mit staatlichen Zwangsmassnahmen sinnvollerweise erreicht werden kann. Insofern ist anzuerkennen, dass dem Recht nur eine beschränkte Steuerungskraft gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen zukommen kann (AUER, a.a.O., S. 963; DESSEMONTET, a.a.O., S. 65 f.; MARTI-ROLLI, a.a.O., S. 67 f.). Beachtet die Rechtsordnung diese Beschränkung nicht, so kann längerfristig ein Widerspruch zwischen Recht und Lebenswirklichkeit entstehen, der seinerseits für den Sprachfrieden eine Gefahr darstellen könnte.
dd) Hinzu kommt, dass so oder so ein Besuch der Gemeindeschule in Mörigen letztlich nicht erzwungen werden kann. Der Besuch der staatlichen
BGE 122 I 236 S. 247
Volksschule ist nämlich ohnehin nicht zwingend. Es stünde der Beschwerdeführerin frei, eine Privatschule zu besuchen (Art. 64 ff. VSG). Zwar hat das Bundesgericht entschieden, dass ein Kanton den Privatschulen vorschreiben kann, in der jeweiligen Amtssprache zu unterrichten (
BGE 91 I 480
E. II.3b S. 491 ff.; dieser Entscheid wurde in der Lehre kritisiert, vgl. HAEFLIGER, a.a.O., S. 82; MALINVERNI, a.a.O., Rz. 33; MARTI-ROLLI, a.a.O., S. 58 ff.; MORAND, a.a.O., S. 24; LUZIUS WILDHABER, Der belgische Sprachenstreit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in: Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht 26 (1969/70), S. 9-38, 37 f.). Der Kanton Bern kennt denn auch grundsätzlich eine entsprechende Regelung (Art. 66 Abs. 1 VSG). Er könnte jedoch aufgrund der gesetzlichen Lage nicht verhindern, dass die Beschwerdeführerin eine französischsprachige Privatschule im französischsprachigen Kantonsteil oder in Biel besucht. Schliesslich könnten die Eltern ihre Tochter privat auf französisch unterrichten (Art. 71 Abs. 1 VSG), anstatt sie in eine Schule zu schicken. Insofern der angefochtene Entscheid die Beschwerdeführerin hoheitlich verpflichtet, in Mörigen die Schule zu besuchen, ist er somit so oder so nicht haltbar. Es kann aufgrund der rechtlichen Situation nicht erzwungen werden, dass die Beschwerdeführerin effektiv auf deutsch unterrichtet wird.
ee) Könnte demnach eine private französische Schulung der Beschwerdeführerin ohnehin nicht verhindert werden, sofern die Eltern für das Schulgeld aufkommen bzw. das Kind selber unterrichten, kann Anknüpfungspunkt des Entscheides der Erziehungsdirektion einzig sein, dass es sich bei der Schule, welche die Beschwerdeführerin in Biel besuchen möchte, um eine öffentliche Schule handelt. Freilich dürfte es nach bernischem Recht nicht zulässig sein, dass eine Gemeinde generell ihre öffentliche Schule gleichsam wie eine Privatschule allen Interessierten gegen Bezahlung zur Verfügung stellt. Doch hat die Gemeinde Mörigen nach dem Gesagten keinen Anspruch darauf, dass die auf ihrem Gebiet wohnhaften Kinder ihre Schule besuchen. Sie hat deshalb kein rechtlich geschütztes Interesse, sich gegen einen Schulbesuch der Beschwerdeführerin in Biel zu wehren, solange ihr daraus keine Kosten oder sonstigen Nachteile erwachsen. Das angestrebte Ziel der sprachlichen Homogenität oder zumindest der Zweisprachigkeit kann durch den angefochtenen Entscheid kaum erreicht werden, während das finanzielle Interesse der öffentlichen Hand solange nicht berührt wird, als die Beschwerdeführerin bereit ist, die finanziellen
BGE 122 I 236 S. 248
Konsequenzen des Schulbesuchs in Biel selber zu tragen. Die Gemeinde Mörigen tut auch nicht dar, dass der Bestand ihrer Primarschule durch den Schulbesuch von französischsprachigen Schülern in Biel gefährdet würde. Unter diesen Umständen erweist sich die Verpflichtung, in Mörigen die Schule zu besuchen, als ein durch kein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigter und daher unverhältnismässiger Eingriff in die Sprachenfreiheit.
5.
Gesamthaft ergibt sich, dass weder die Bundesverfassung noch die Kantonsverfassung den Kanton Bern oder die Gemeinde Mörigen verpflichten, der Beschwerdeführerin einen französischsprachigen Unterricht anzubieten. Ebensowenig ist die Gemeinde Biel verpflichtet, die Beschwerdeführerin in eine französischsprachige Schule aufzunehmen. Solange jedoch die Gemeinde Biel auf freiwilliger Basis dazu bereit ist und die Eltern die daraus resultierenden finanziellen Konsequenzen tragen, ist es ein unverhältnismässiger Eingriff in die Sprachenfreiheit der Beschwerdeführerin, ihr den Besuch der französischsprachigen Schule in Biel zu verunmöglichen. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
570e2b8f-f4a9-478f-85f4-4d2c309fcd43 | Urteilskopf
96 I 598
91. Auszug aus dem Urteil vom 18. November 1970 i.S. Lauener gegen Cadosch und Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. | Regeste
Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde.
Art. 88 OG
.
Der durch eine strafbare Handlung Geschädigte kann mit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Einstellung der Strafuntersuchung geltend machen, die ihm durch das kantonale Recht eingeräumten Parteirechte seien verletzt worden, nicht dagegen, die Einstellungsverfügung beruhe auf willkürlicher Beweiswürdigung oder Rechtsanwendung (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 598
BGE 96 I 598 S. 598
Aus dem Tatbestand:
A.-
Am 14. Oktober 1969 kam es auf der Kantonsstrasse Tiefenkastel-Lenz zwischen einem Motorroller und einem Personenautomobil zu einem Zusammenstoss, bei dem der Rollerfahrer Marcel Lauener so schwer verletzt wurde, dass er nach einigen Tagen starb. Das Untersuchungsrichteramt Chur führte eine Strafuntersuchung wegen fahrlässiger Tötung gegen Erwin Cadosch, den Führer des Automobils, stellte sie aber mit Genehmigung das Staatsanwalts am 24. Juli 1970 ein, da dem Angeschuldigten keine Verletzung von Verkehrsvorschriften nachgewiesen werden könne.
BGE 96 I 598 S. 599
B.-
Gegen diese Einstellungsverfügung hat Georges-André Lauener, der Vater des Verunfallten, staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
erhoben. Er ist der Auffassung, der durch eine strafbare Handlung Geschädigte habe ein schutzwürdiges Interesse am Ausgang des Strafverfahrens und sei daher entgegen der bisherigen Praxis des Bundesgerichts legitimiert, mit der staatsrechtlichen Beschwerde nicht nur Verfahrensmängel zu rügen, sondern die Einstellungsverfügung auch inbezug auf ihren Inhalt anzufechten. Er rügt
a) als formelle Rechtsverweigerung, dass ihm vor Erlass der Einstellungsverfügung nicht der Schluss der Untersuchung mitgeteilt und Gelegenheit zur Akteneinsicht sowie zu Beweisanträgen gegeben worden sei, und
b) als Willkür, dass die Einstellungsverfügung auf einer unhaltbaren Beweiswürdigung und Rechtsanwendung beruhe.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer ist, als Vater und Erbe des tödlich Verunfallten, durch die angeblich strafbare Handlung des Beschwerdegegners geschädigt. Es fragt sich, inwieweit er legitimiert ist, gegen die Einstellung der Strafuntersuchung staatsrechtliche Beschwerde zu erheben.
a) Das Bundesgericht ist während Jahrzehnten auf staatsrechtliche Beschwerden, die der Geschädigte gegen die Einstellung des Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil erhoben hat, eingetreten. Im Jahre 1943 änderte es seine Rechtsprechung und sprach seither dem Geschädigten die Legitimation zu solchen Beschwerden ab ohne Rücksicht auf die Stellung, die ihm das kantonale Recht im Strafverfahren einräumte. Nachdem es in
BGE 94 I 554
E. 1 die Frage einer Änderung dieser Rechtsprechung aufgeworfen, aber offen gelassen hatte, hat es in späteren unveröffentlichten Urteilen die Legitimation des Geschädigten mit den in Erw. 2 jenes Urteils gemachten Ausnahmen weiterhin verneint. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
Sozusagen alle kantonalen Strafprozessordnungen räumen zwar dem Geschädigten neben dem Recht, sich zur Wahrung seiner privatrechtlichen Ansprüche am Strafverfahren zu beteiligen, Befugnisse ein, die auch, ja in erster Linie der Durchsetzung des Strafverfolgungsinteresses dienen. Trotz diesen
BGE 96 I 598 S. 600
Befugnissen, die PFENNINGER (Der Verletzte im schweiz. Strafverfahren, SJZ 1960 S. 185) im einzelnen aufzählt und unter der Bezeichnung "Recht zur Kontrolle der Strafuntersuchung" zusammenfasst, wird jedoch in der Rechtslehre überwiegend angenommen, dass das private Verfolgungsbedürfnis des Geschädigten rechtlich unerheblich sei (BAUMANN, Die Stellung des Geschädigten im schweiz. Strafprozess, Diss. Zürich 1958 S. 33 und die dort in Anm. 7 zitierte Literatur). Dem ist beizupflichten. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren geht, steht ausschliesslich dem Staate zu. Das Interesse des Geschädigten, im Hinblick auf das ihm die Kantone einen mehr oder weniger weitgehenden Einfluss auf den Gang des Strafverfahrens einräumen, erscheint als ein bloss mittelbares. Die Durchführung des Strafverfahrens bis zur gerichtlichen Beurteilung erleichtert ihm vor allem die Verfolgung seiner privatrechtlichen Ansprüche, indem er entweder diese im Strafverfahren adhäsionsweise geltend machen oder aber sich in einem selbständigen Zivilprozess auf das Beweisergebnis der Strafuntersuchung berufen kann. Bei diesem Interesse des Geschädigten an der Erleichterung der Verfolgung seiner zivilrechtlichen Ansprüche wie auch bei seinem Interesse an einer gerechten Bestrafung des Täters handelt es sich um bloss tatsächliche Interessen, nicht um rechtlich erhebliche Interessen oder "Rechte", zu deren Wahrung die staatsrechtliche Beschwerde allein offen steht (
Art. 88 OG
,
BGE 91 I 413
E. 3 mit Hinweis auf frühere Urteile). Solche Rechte sind lediglich diejenigen, die das kantonale Recht dem Geschädigten wegen seiner Stellung als am Verfahren beteiligte Partei einräumt und deren Missachtung einer formellen Rechtsverweigerung gleich oder nahe kommt (
BGE 94 I 554
E. 2). Würde die Legitimation des Geschädigten zur staatsrechtlichen Beschwerde erweitert, so hätte dies die sachlich nicht zu rechtfertigende Folge, dass der Geschädigte Einstellungsbeschlüsse und freisprechende Urteile, gegenüber denen ihm die zu freier rechtlicher Überprüfung führende Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof nach
Art. 273 BStP
nicht zusteht, beim Bundesgericht mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen willkürlicher Anwendung des Bundesrechts anfechten könnte (
BGE 69 I 19
).
Soweit mit der vorliegenden Beschwerde geltend gemacht wird, der angefochtene Einstellungsbeschluss beruhe auf willkürlicher Beweiswürdigung und Rechtsanwendung, ist daher
BGE 96 I 598 S. 601
auf sie nicht einzutreten. Zu prüfen ist nur die Rüge der formellen Rechtsverweigerung.
3.
Der Beschwerdeführer behauptet, der angefochtene Entscheid missachte sowohl seinen unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör als auch Art. 97 Abs. 3 sowie Art. 129 bünd. StPO.
a) Weshalb der unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende Gehörsanspruch verletzt sein soll, wird in der Beschwerde nicht darzutun versucht und ist auch nicht ersichtlich. Im Strafprozess, in dem es um den staatlichen Strafanspruch geht, hat der private Geschädigte nicht unmittelbar aufgrund des
Art. 4 BV
das Recht, die Strafuntersuchung zu kontrollieren und zu beeinflussen. Ein Anspruch, sich am Strafverfahren zu beteiligen, steht ihm nur zu nach Massgabe des kantonalen Rechts, dessen Auslegung und Anwendung das Bundesgericht lediglich unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüft.
b) (Ausführungen darüber, dass die Strafuntersuchung nach
Art. 82 StPO
eingestellt worden ist und, wie ohne jede Willkür angenommen werden kann,
Art. 97 Abs. 2 und
Art. 129 Abs. 1 StPO
nicht anwendbar waren). | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
57150f96-dd07-4a58-ba69-05bae29ccde8 | Urteilskopf
141 III 201
30. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Gesellschaft B. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_92/2015 vom 18. Mai 2015 | Regeste
Art. 189 Abs. 3 lit. a und
Art. 361 Abs. 4 ZPO
; Zulässigkeit von Schiedsgutachten.
Bei der Miete und Pacht von Wohnräumen ist es nicht zulässig, bestimmte Fragen im Streitfall an einen privaten Dritten als Schiedsgutachter zu delegieren (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 201
BGE 141 III 201 S. 201
A.
A.a
A. (Mieter, Beklagter, Beschwerdeführer) schloss am 30. Oktober 1997 mit der Gesellschaft B. (Vermieterin, Klägerin, Beschwerdegegnerin) einen Mietvertrag über eine 10-Zimmer-Villa ab.
Die Parteien vereinbarten einen monatlichen Mietzins von Fr. 7'900.- und erklärten eine vom 17. Oktober 1997 datierende
BGE 141 III 201 S. 202
Zusatzvereinbarung zum integrierenden Bestandteil des Mietvertrags. Darin wird unter anderem festgehalten, dass dem Mieter ein zweimaliges Optionsrecht auf Verlängerung des Vertrags um je fünf Jahre, d.h. bis 31. März 2013 bzw. 31. März 2018 zusteht. Wird das Optionsrecht ausgeübt, haben die Parteien das Recht, auf den 1. April 2008 bzw. 1. April 2013 die Anpassung des Mietzinses an die dannzumal herrschenden orts- und quartierüblichen Marktverhältnisse zu verlangen. Für den Fall, dass sich die Parteien über die Mietzinsanpassung nicht einigen können, soll der massgebende Betrag durch ein Schiedsgutachten der Schatzungsabteilung des Hauseigentümerverbands (HEV) Zürich festgesetzt werden.
A.b
Mit Schreiben vom 15. Juni 2012 teilte der Mieter der Vermieterin mit, er übe das ihm zustehende Optionsrecht aus und verlängere den Mietvertrag um fünf Jahre bis 31. März 2018.
Nachdem sich die Parteien in der Folge nicht über die Anpassung des Mietzinses hatten einigen können, teilte die Vermieterin dem Mieter am 24. Oktober 2012 mit, dass der Mietzins gestützt auf ein Schiedsgutachten der Schatzungsabteilung des Hauseigentümerverbands Zürich per 1. April 2013 auf Fr. 10'255.- erhöht werde. Die entsprechende Mitteilung auf amtlich genehmigtem Formular erfolgte am gleichen Tag.
Mit Eingabe vom 21. November 2012 focht der Mieter die erklärte Mietzinserhöhung bei der Schlichtungsbehörde in Mietsachen des Bezirks Meilen an. Mit Beschluss vom 18. Dezember 2012 stellte die Schlichtungsbehörde Meilen fest, dass anlässlich der an diesem Tag erfolgten Schlichtungsverhandlung keine Einigung erzielt worden sei, und stellte der Vermieterin die Klagebewilligung aus.
B.
B.a
Mit Eingabe vom 31. Januar 2013 erhob die Vermieterin beim Mietgericht des Bezirksgerichts Meilen Klage mit dem Hauptbegehren, es sei festzustellen, dass die Mietzinserhöhung vom 24. Oktober 2012 gültig sei und der ab 1. April 2013 für das fragliche Mietobjekt geltende Mietzins Fr. 10'255.- pro Monat betrage.
Mit Urteil vom 4. Februar 2014 stellte das Mietgericht fest, dass die Mietzinserhöhung vom 24. Oktober 2012 teilweise gültig sei und der ab 1. April 2013 geltende Nettomietzins Fr. 9'655.- pro Monat betrage.
B.b
Auf Berufung des Beklagten hin wies das Obergericht des Kantons Zürich den Antrag auf Durchführung eines Augenscheins im
BGE 141 III 201 S. 203
Berufungsverfahren mit Beschluss vom 6. Januar 2015 ab. Mit Urteil vom gleichen Tag wies das Obergericht die Berufung ab und bestätigte das Urteil des Mietgerichts vom 4. Februar 2014.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beklagte dem Bundesgericht, es seien der Beschluss und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. Januar 2015 aufzuheben und es sei festzustellen, dass die mit amtlichem Formular vom 24. Oktober 2012 angezeigte Mietzinserhöhung missbräuchlich sei und daher der geschuldete Monatsmietzins Fr. 7'400.- betrage. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht hebt den angefochtenen Entscheid in teilweiser Gutheissung der Beschwerde auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer bringt vor, es sei nach Art. 189 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit
Art. 361 Abs. 4 ZPO
entgegen dem angefochtenen Entscheid nicht zulässig, hinsichtlich der vertraglich vereinbarten Anpassung des Mietzinses an die orts- und quartierüblichen Marktverhältnisse ein Schiedsgutachten einzuholen, das für das Gericht verbindlich ist.
3.1
Die Vorinstanz erwog, durch die Vereinbarung eines Schiedsgutachtens verpflichteten sich die Vertragsparteien, bestimmte Tatsachen statt vom mit dem Streit befassten Gericht von einem privaten Gutachter feststellen zu lassen. Ein für das angerufene Gericht verbindliches Schiedsgutachten könne nach
Art. 189 Abs. 3 lit. a ZPO
vereinbart werden, wenn die Parteien über das Rechtsverhältnis frei verfügen könnten. Der Begriff der freien Verfügbarkeit sei mit demjenigen von
Art. 354 ZPO
betreffend die Zulässigkeit der Vereinbarung eines Schiedsgerichts identisch. Frei verfügbar sei ein Anspruch, wenn die Parteien darauf verzichten oder sich durch Vergleich einigen und den Anspruch somit - in einem Gerichtsverfahren - anerkennen oder zum Gegenstand eines Vergleichs machen könnten. Dies treffe auch bei Ansprüchen aus einem Mietvertrag zu. Entgegen der Ansicht der Erstinstanz seien Ansprüche aus Miete und Pacht von Wohnräumen auch dann frei verfügbar im Sinne von
Art. 354 ZPO
, wenn im Entscheidfall die Bestimmungen über den Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen (
Art. 269 ff. OR
) zur Anwendung gelangten, weil der
BGE 141 III 201 S. 204
Streit auch in diesen Fällen durch Vergleich oder Klageanerkennung erledigt werden könne. Entsprechend sei die strittige Anpassung der Mietzinsen schiedsfähig.
Gemäss
Art. 361 Abs. 4 ZPO
könnten die Parteien in Angelegenheiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen zwar einzig die Schlichtungsbehörde als Schiedsgericht einsetzen. Nach dem Wortlaut der Bestimmung werde jedoch nicht die Schiedsfähigkeit, sondern lediglich die Wahlmöglichkeit der Schiedsrichter eingeschränkt. Der Lehrmeinung, nach der aus
Art. 361 Abs. 4 ZPO
abzuleiten sei, dass die Schiedsfähigkeit bei Ansprüchen aus der Miete und Pacht von Wohnräumen nicht bloss beschränkt, sondern gar nicht erst gegeben sei, könne nicht gefolgt werden. Das Argument, dass die freie Wahl der Schiedsrichter ein zentraler Bestandteil der Schiedsgerichtsbarkeit darstelle, sei zwar zutreffend, vermöge am klaren Wortlaut von
Art. 361 Abs. 4 ZPO
, wonach die Schiedsfähigkeit gegeben und nur die Wahl der Schiedsrichter eingeschränkt sei, aber nichts zu ändern. Selbst wenn zutreffe, dass die Bestimmung dogmatisch nicht zu überzeugen vermöge oder gar als gesetzgeberische Fehlleistung zu bezeichnen sei, stehe es den Gerichten aufgrund der Gewaltenteilung nicht zu, einen dogmatischen Grundsatz über das Gesetz zu stellen; vielmehr seien sie nach
Art. 190 BV
an das Gesetz gebunden. Es sei deshalb davon auszugehen, dass auch in Bezug auf Ansprüche aus Miete und Pacht von Wohnräumen die Schiedsfähigkeit zu bejahen und lediglich die Wahl der Schiedsrichter eingeschränkt sei.
Die Vorinstanz erwog weiter, nach
Art. 361 Abs. 4 ZPO
könne ein von den Parteien gewählter Dritter zwar nicht Schiedsrichter, nach zutreffender Auffassung aber Schiedsgutachter sein. Ein Schiedsgutachten sei nämlich kein Schiedsurteil, sondern erfülle bloss eine schiedsrichterliche Teilfunktion. Mit der Vereinbarung eines Schiedsgutachtens würden sich die Parteien somit weniger weitgehend binden als mit der Vereinbarung eines Schiedsgerichts. Ohne besondere gesetzliche Grundlage könne die Vereinbarung eines Schiedsgutachtens in Bezug auf ein schiedsfähiges Rechtsverhältnis nicht als unzulässig betrachtet werden. Eine solche Grundlage bestehe nicht und liege insbesondere nicht in
Art. 361 Abs. 4 ZPO
, da diese Bestimmung nur die Wahl der Schiedsrichter beschränke, nicht aber die Vereinbarung eines Schiedsgutachtens für unzulässig erkläre; bezüglich der Person des Schiedsgutachters bestehe keine Einschränkung. Dies mit gutem Grund, ansonsten die Schlichtungsbehörde die einzige in Frage kommende Gutachterin wäre. Ein Gericht eigne sich in den
BGE 141 III 201 S. 205
meisten Fällen aber nicht als Gutachter, da ihm die nötige Fachkompetenz in der Regel fehle. Entsprechend sei auch in Angelegenheiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen von der Zulässigkeit von Schiedsgutachten auszugehen.
3.2
3.2.1
Nach
Art. 189 Abs. 1 ZPO
können die Parteien vereinbaren, über streitige Tatsachen ein Schiedsgutachten einzuholen. Dieses bindet das Gericht nach
Art. 189 Abs. 3 ZPO
hinsichtlich der darin festgestellten Tatsachen, wenn - zusätzlich zu den beiden weiteren Voraussetzungen (lit. b und c) - die Parteien über das Rechtsverhältnis frei verfügen können (lit. a). Im Gegensatz zum Schiedsspruch, dem die Wirkung eines rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheids zukommt (
Art. 387 ZPO
), wird mit dem Schiedsgutachten zwar nicht über Klageanträge autoritativ entschieden, aber es werden immerhin einzelne Fragen - für das Gericht verbindlich - geklärt (vgl. zur Unterscheidung zwischen Schiedsspruch und Schiedsgutachten das Urteil 4A_254/2011 vom 5. Juli 2011 E. 4.1, das zudem offenlässt, ob
Art. 189 Abs. 3 ZPO
["hinsichtlich der darin festgestellten Tatsachen"] ein Schiedsgutachten über bestimmte Rechtsfragen - im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung [
BGE 129 III 535
E. 2 S. 537] - in jedem Fall ausschliesst). Insoweit erfüllt das Schiedsgutachten - wie die Vorinstanz zutreffend festhält - eine schiedsrichterliche Teilaufgabe (HANS SCHMID, in: ZPO, Oberhammer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 5 zu
Art. 189 ZPO
; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, Rz. 9.122; vgl. auch HOCHSTRASSER/FUCHS, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 2013, N. 295 Einl. 12. Kap. IPRG).
Mit der überwiegenden Lehre stellt die Vorinstanz für die Voraussetzung nach
Art. 189 Abs. 3 lit. a ZPO
daher grundsätzlich zu Recht darauf ab, ob der streitige Anspruch nach
Art. 354 ZPO
schiedsfähig ist (BERNHARD BERGER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N. 17 zu
Art. 189 ZPO
; ANNETTE DOLGE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 21 f. zu
Art. 189 ZPO
; THOMAS WEIBEL, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 12 zu
Art. 189 ZPO
; HEINRICH ANDREAS MÜLLER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 23 zu
Art. 189 ZPO
; JEAN-BAPTISTE ZUFFEREY, Das Schiedsgutachten, 2013, S. 12; KILIAN PERROULAZ, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker
BGE 141 III 201 S. 206
& McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 4 zu
Art. 189 ZPO
; FRANCESCO TREZZINI, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero [CPC] del 19 dicembre 2008, 2011, S. 891; TARKAN GÖKSU, Schiedsgerichtsbarkeit, 2014, Rz. 106). Schiedsgutachtenfähigkeit und Schiedsfähigkeit sind insoweit deckungsgleich, weshalb ein Schiedsgutachten immer dann angeordnet werden kann, wenn auch ein Schiedsgericht zur Beurteilung des entsprechenden Anspruchs eingesetzt werden könnte (GÖKSU, a.a.O., Rz. 106; vgl. bereits FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 1997, N. 4 zu
§ 258 ZPO
/ZH).
3.2.2
Die Möglichkeit, Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen den staatlichen Gerichten durch Vereinbarung zu entziehen und stattdessen von einem Schiedsgericht entscheiden zu lassen, ist nach geltendem Recht stark eingeschränkt. Selbst wenn es sich um einen Anspruch handelt, über den die Parteien frei verfügen können (
Art. 354 ZPO
), dürfen die Parteien in Angelegenheiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen nach
Art. 361 Abs. 4 ZPO
einzig die Schlichtungsbehörde als Schiedsgericht einsetzen.
Diese Bestimmung ersetzt den mit der Einführung der Schweizerischen Zivilprozessordnung aufgehobenen aArt. 274c OR (AS 1990 821), der vorsah, dass die Parteien bei der Miete von Wohnräumen die Zuständigkeit der Schlichtungsbehörden und der richterlichen Behörden nicht durch vertraglich vereinbarte Schiedsgerichte ausschliessen durften; den Parteien stand im Sinne einer Ausnahme lediglich die Möglichkeit offen, solche Mietstreitigkeiten nach aArt. 274a Abs. 1 lit. e OR der Schlichtungsbehörde als Schiedsgericht zu unterbreiten. Die Gesetzesbestimmung dehnte die bis dahin auf Fragen der Mietzinsanfechtung beschränkte Regelung zur Schiedsgerichtsbarkeit (Art. 22 des damaligen Bundesbeschlusses vom 30. Juni 1972 über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen [AS 1972 1507]; vgl. auch aArt. 267e Abs. 1 OR [AS 1970 1277] betr. Erstreckung des Mietverhältnisses) auf sämtliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Miete von Wohnräumen aus (vgl. RAYMOND BISANG UND ANDERE, Das schweizerische Mietrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2008, N. 1 zu aArt. 274c OR; DAVID LACHAT, Le bail à loyer, 2008, S. 135 Fn. 18). Erfasst wurde grundsätzlich jeder Raum, der nach dem übereinstimmend erklärten Willen der Vertragsparteien dem Mieter zum Wohnen dienen soll, mithin auch Luxuswohnungen (PETER HIGI, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 1996, N. 11 zu aArt. 274c OR i.V.m. N. 21 f. Vorb. zu aArt. 271-273c OR).
BGE 141 III 201 S. 207
Die Bestimmung von aArt. 274c OR sah demnach aus Mieterschutzgründen vor, dass Streitfälle aus der Miete von Wohnräumen grundsätzlich nicht schiedsfähig sind (HIGI, a.a.O., N. 6 und 16 zu aArt. 274c OR). Vom strengen Grundsatz der Schiedsunfähigkeit wurde im 2. Satz immerhin zugunsten einer Ausnahme bei der Miete unbeweglicher Sachen abgewichen, indem den Parteien die Wahl vorbehalten wurde, sich zwischen den ordentlichen Gerichten und der Schlichtungsbehörde als Schiedsgericht (aArt. 274a Abs. 1 lit. e OR) zu entscheiden (HIGI, a.a.O., N. 19 zu aArt. 274c OR). Eine Abrede der Parteien, allfällige Streitigkeiten aus der Wohnraummiete von einem privaten Dritten entscheiden zu lassen, war demzufolge rechtswidrig und nichtig (HIGI, a.a.O., N. 16 zu aArt. 274c OR). Tat- und Rechtsfragen in diesem Bereich waren vielmehr zwingend von einer der beiden staatlichen Behörden zu entscheiden.
3.2.3
Ungeachtet der abweichenden Formulierung in
Art. 361 Abs. 4 ZPO
wurde mit dieser Bestimmung keine Änderung der bisherigen Rechtslage angestrebt (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7395 Ziff. 5.25.4 zu Art. 359 E-ZPO). Auch wenn die Parteien über strittige Ansprüche aus der Miete von Wohnräumen grundsätzlich frei verfügen können (vgl.
Art. 354 ZPO
), bleibt es ihnen verwehrt, entsprechende Streitigkeiten privaten Dritten anstatt den vorgesehenen staatlichen Behörden zu unterbreiten. Ob unter diesen Umständen überhaupt von Schiedsgerichtsbarkeit gesprochen werden kann, bei der die Wahl der Schiedsrichter durch die Parteien wesensmässig dazugehört, braucht nicht vertieft zu werden (WERNER WENGER, Schiedsgerichtsbarkeit, ZZZ 2007 S. 405; PHILIPP HABEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 39 zu
Art. 361 ZPO
; URS WEBER-STECHER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 38 zu
Art. 354 ZPO
gehen davon aus, dass die Schiedsfähigkeit von Angelegenheiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen nicht bloss beschränkt, sondern gar nicht erst gegeben ist, während andere Autoren entsprechende Ansprüche als bloss "formell schiedsfähig" betrachten: MARCO STACHER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 12 zu
Art. 354 ZPO
; FELIX DASSER, in: ZPO, Oberhammer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 14 zu
Art. 354 ZPO
; BOOG/STARK-TRABER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. III, 2014, N. 57 zu
Art. 361 ZPO
. Eine weitere Lehrmeinung geht von einer beschränkten Schiedsfähigkeit solcher
BGE 141 III 201 S. 208
Streitigkeiten aus: STEFAN GRUNDMANN, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 35 zu
Art. 361 ZPO
; JOACHIM FRICK, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 7 zu
Art. 354 ZPO
; STEFANIE PFISTERER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. III, 2014, N. 24 zu
Art. 354 ZPO
). Zu kurz greift jedenfalls die vorinstanzliche Erwägung, nach dem Wortlaut von
Art. 361 Abs. 4 ZPO
werde nicht die Schiedsfähigkeit, sondern einzig die Wahlmöglichkeit der Schiedsrichter eingeschränkt.
Entscheidend ist, dass den Parteien bei Angelegenheiten von Miete und Pacht von Wohnräumen nach
Art. 361 Abs. 4 ZPO
keine freie Wahl des Entscheidorgans zusteht, sondern entsprechende Streitigkeiten (in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht) zwingend entweder vom ordentlichen Gericht oder von der Schlichtungsbehörde zu beurteilen sind. Darauf, dass nach dem Willen des Gesetzgebers von dieser besonderen Mieterschutzregelung hinsichtlich einzelner Fragen - wie etwa der Orts- und Quartierüblichkeit von Mietzinsen - durch Vereinbarung eines Schiedsgutachtens sollte abgewichen werden können, bestehen keine Hinweise.
Art. 361 Abs. 4 ZPO
entspricht im Gegenteil dem klaren gesetzgeberischen Willen, zum Schutz des Mieters sämtliche Angelegenheiten aus Miete und Pacht von Wohnräumen umfassend von staatlichen Behörden entscheiden zu lassen, weshalb diese mietrechtliche Sonderbestimmung - über den Wortlaut der allgemeinen Regelung von
Art. 189 Abs. 3 lit. a ZPO
hinaus - auch bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Schiedsgutachtens zu beachten ist. Entsprechend ist es bei der Miete und Pacht von Wohnräumen aufgrund der strengen Einschränkung der Wahl des Entscheidorgans ausgeschlossen, bestimmte Fragen im Streitfall an einen privaten Dritten als Schiedsgutachter zu delegieren (so zutreffend GÖKSU, a.a.O., Rz. 108; DOLGE, a.a.O., N. 24 zu
Art. 189 ZPO
; vgl. bereits BEAT ROHRER, Luxusobjekt - Objet de luxe, MietRecht aktuell 2004 S. 129; wohl auch BISANG UND ANDERE, a.a.O., N. 1 zu aArt. 274c OR; a.M. MÜLLER, a.a.O., N. 25 zu
Art. 189 ZPO
).
Sollte es dem Gericht an der nötigen Fachkompetenz fehlen, wie die Vorinstanz befürchtet, ist nicht ausgeschlossen, dass es im Einzelfall eine sachverständige Privatperson als gerichtliche Gutachterin einsetzt (
Art. 183 Abs. 1 ZPO
). Im Gegensatz zur Miete und Pacht von Wohnräumen ist ausserdem bei allen übrigen Miet- und Pachtverhältnissen (so insbesondere bei der Geschäftsmiete und
BGE 141 III 201 S. 209
-pacht) sowohl die Vereinbarung von Schiedsgutachten (
Art. 189 ZPO
) als auch die Streiterledigung durch ein frei wählbares Schiedsgericht zulässig (DOLGE, a.a.O., N. 24 zu
Art. 189 ZPO
; GÖKSU, a.a.O., Rz. 108; HABEGGER, a.a.O., N. 41 zu
Art. 361 ZPO
; PFISTERER, a.a.O., N. 24 zu
Art. 354 ZPO
; LACHAT, Procédure civile en matière de baux et loyers, 2011, S. 78 Ziff. 11.6; vgl. auch BISANG UND ANDERE, a.a.O., N. 20 zu aArt. 274a OR und N. 1 zu aArt. 274c OR).
4.
Die Vorinstanz ist in Verletzung von Bundesrecht von der Zulässigkeit von Schiedsgutachten privater Dritter in Angelegenheiten von Miete und Pacht von Wohnräumen ausgegangen und hat sich daher zu Unrecht nach
Art. 189 Abs. 3 ZPO
an das vom Hauseigentümerverband erstellte Gutachten gebunden erachtet. Die vertraglich vereinbarte Mietzinsanpassung an die orts- und quartierüblichen Marktverhältnisse wird nach erfolgter Rückweisung erneut zu beurteilen sein. Dabei wird darüber zu befinden sein, welche Beweismassnahmen hierzu erforderlich sind, so unter anderem, ob es gegebenenfalls der Durchführung eines weiteren Augenscheins bedarf. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
571b1419-1e07-49f6-9fd0-b8b01e9a95a0 | Urteilskopf
109 IV 145
40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Oktober 1983 i.S. Montres Rolex SA gegen G. und Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 24 MSchG
;
Art. 3 und 7 StGB
. Räumliche Geltung des Markenschutzes.
Das Inverkehrbringen von unrechtmässig mit einer Marke versehenen Waren im inländischen Schutzland ist mit dem Versand an den ausländischen Käufer vollendet. | Erwägungen
ab Seite 145
BGE 109 IV 145 S. 145
Aus den Erwägungen:
2.
Der in Biel mit Uhrenbestandteilen Handel betreibende ausländische Beschwerdegegner G. liess gegen den Willen der Berechtigten in der Schweiz Bestandteile des Markentyps "Rolex" herstellen, mit dem markenrechtlich geschützten "Rolex"-Krönchen versehen, und verkaufte sie, wie sich aus den in seinen Geschäftsräumen gefundenen Rechnungen ergibt, nach Paraguay der Firma J. B. SA. Damit hat er die Marke eines andern für seine eigenen Erzeugnisse bzw. Waren im Sinne von
Art. 24 lit. b MSchG
verwendet, hat mit rechtswidrig angebrachter Marke versehene Waren im Sinne von
Art. 24 lit. c MSchG
verkauft oder in Verkehr gebracht und zudem Massnahmen getroffen, um Verwechslungen mit den Waren, Werken, Leistungen oder mit dem Geschäftsbetrieb eines andern - im gegebenen Falle der Firma Montres Rolex SA - herbeizuführen (
Art. 13 Abs. 1 lit. d UWG
). G. hat daher alle für die Verwirklichung der eingeklagten Straftatbestände wesentlichen Tathandlungen im Schutzland, in der Schweiz, ausgeführt, womit nach dem in
Art. 3 und 7 StGB
verankerten Territorialprinzip die schweizerische Strafrechtshoheit begründet ist (SCHULTZ, Allgemeiner Teil des Strafrechts, 4. Aufl., 1982, S. 103, 108 mit Hinweisen;
BGE 107 IV 2
;
BGE 99 IV 122
E. 1;
BGE 78 I 49
). Da die schweizerische Gesetzgebung nur für die Schweiz Monopolrechte und strafrechtlichen Schutz gewähren kann, fallen auch nur die im Inland begangenen Handlungen unter
Art. 24 ff. MSchG
. Indessen genügt es, wenn eine Teilhandlung im Inland ausgeführt wurde, "wie der Versand unrechtmässig markierter Ware in das Ausland, wo die Marke nicht geschützt ist" (vgl. DAVID, Kommentar zum schweizerischen Markenschutzgesetz, 1960, 2. Aufl., S. 288 unter Hinweis auf ZR 35, 1936, Nr. 56). Mit dem Verkauf hat der Beschwerdegegner die rechtswidrig mit einer Marke versehene Ware auch in Verkehr gesetzt, welcher Tatbestand beim Distanzkauf mit der Absendung der Ware vollendet ist, und nicht erst mit der Ablieferung an den Käufer (MATTER, Kommentar zum Markenschutzgesetz, 1939, zu Art. 24, IV, S. 228). | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
571cf759-1d96-4b5f-915f-8858e83fea8d | Urteilskopf
109 V 224
39. Urteil vom 18. Oktober 1983 i.S. Boggi gegen Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 20bis des schweizerisch-italienischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 14. Dezember 1962 (eingefügt mit Art. 5 der 2. Zusatzvereinbarung vom 2. April 1980).
Aufgrund von Art. 20bis des Abkommens haben die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden der Vertragsstaaten ungeachtet allfälliger anderslautender Regeln des innerstaatlichen Rechts auf sämtliche in den Amtssprachen des andern Vertragsstaates verfassten Gesuche und Beschwerden einzutreten und hierüber zu entscheiden.
Die Bestimmung geht kantonalen Vorschriften vor, wonach Beschwerden in der (bzw. einer) Amtssprache des betreffenden Kantons abzufassen sind. | Sachverhalt
ab Seite 224
BGE 109 V 224 S. 224
A.-
Mit Verfügung vom 22. April 1982 sprach die Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes dem seit 1954 in der Schweiz erwerbstätigen und hier niedergelassenen italienischen Staatsangehörigen Pietro Boggi eine halbe einfache Invalidenrente,
BGE 109 V 224 S. 225
nebst Zusatzrente für die Ehefrau, ab 1. Dezember 1981 zu.
B.-
Mit einer in italienischer Sprache verfassten Eingabe vom 19. Mai 1982 beschwerte sich Pietro Boggi gegen diese Verfügung, worauf ihn das Versicherungsgericht des Kantons Bern am 14. Juni 1982 aufforderte, die Beschwerde innert gesetzlicher Frist in einer der kantonalen Amtssprachen (Deutsch oder Französisch) einzureichen. Nach unbenütztem Ablauf der Frist trat das Gericht androhungsgemäss auf die Beschwerde nicht ein (Präsidialverfügung vom 23. Juni 1982).
C.-
Pietro Boggi erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde sinngemäss mit dem Begehren um Zusprechung einer ganzen Invalidenrente.
Das Versicherungsgericht des Kantons Bern beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliesst auf Gutheissung der Beschwerde und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, damit sie materiell entscheide. In einem zweiten Schriftenwechsel halten Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherung an ihren Anträgen fest.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Vgl.
BGE 105 V 94
Erw. 1.)
2.
Die Vorinstanz beruft sich auf Art. 17 Abs. 1 der bernischen Kantonsverfassung, wonach das Deutsche und das Französische die anerkannten Amtssprachen und damit auch Gerichtssprachen des Kantons Bern sind. Sie weist ferner darauf hin, dass in Anwendung von Art. 43 Abs. 2, Art. 44 und Art. 54 des kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetzes Eingaben in anderen als den beiden Amtssprachen praxisgemäss zur Verbesserung innert angemessener Frist zurückgewiesen werden mit der Androhung, dass andernfalls darauf nicht eingetreten werde.
Unbestritten ist, dass eine kantonale Behörde - gestützt auf das im schweizerischen Sprachenrecht geltende Territorialitätsprinzip - verlangen kann, dass Eingaben in der Amtssprache (bzw. in einer von mehreren Amtssprachen) des betreffenden Kantons verfasst werden. Das (ungeschriebene) Grundrecht der Sprachenfreiheit wird damit nicht verletzt, noch verstösst das Territorialitätsprinzip gegen die EMRK (
BGE 108 V 208
,
BGE 106 Ia 302
Erw. 2,
BGE 99 V 56
Erw. 2). Fraglich ist, ob im vorliegenden Fall das Staatsvertragsrecht zu einem andern Ergebnis führt.
BGE 109 V 224 S. 226
3.
a) Die staatsvertraglichen Vereinbarungen mit Italien auf dem Gebiet der Sozialversicherung (Abkommen vom 14. Dezember 1962 einschliesslich der Zusatzvereinbarungen und Verwaltungsvereinbarungen) enthielten zunächst keine Vorschriften mit Bezug auf die vorliegende Streitfrage. Eine erste Regelung wurde mit der auf den 1. Juli 1973 in Kraft getretenen Verwaltungsvereinbarung vom 25. Februar 1974 getroffen, indem die Verwaltungsvereinbarung vom 18. Dezember 1963 durch einen Art. 51ter ergänzt wurde, dessen Absatz 3 wie folgt lautet:
"Die Behörden, Gerichte und Versicherungsträger der einen Vertragspartei dürfen Gesuche und sonstige Schriftstücke nicht zurückweisen, weil sie in einer Amtssprache der anderen Vertragspartei abgefasst sind."
Da sich in der praktischen Anwendung Schwierigkeiten ergaben (vgl. BBl 1980 III 1208), war das BSV bestrebt, eine entsprechende Bestimmung in die 2. Zusatzvereinbarung vom 2. April 1980 aufzunehmen, welche am 1. Februar 1982 in Kraft getreten ist. Dies geschah mit dem gemäss Art. 5 der Zusatzvereinbarung in das Abkommen eingefügten Art. 20bis, der folgenden Wortlaut hat:
"Die Behörden, Gerichte und Versicherungsträger eines Vertragsstaates dürfen die Bearbeitung von Gesuchen und die Berücksichtigung von anderen Schriftstücken nicht deshalb verweigern, weil diese in einer Amtssprache des andern Vertragsstaates abgefasst sind."
Zu prüfen ist, ob der angefochtene Nichteintretensentscheid vom 23. Juni 1982 vor dieser Bestimmung standhält.
b) Bei der Beurteilung der rechtlichen Tragweite der fraglichen Bestimmung ist zu berücksichtigen, dass die Auslegung eines Staatsvertrages in erster Linie vom Vertragstext auszugehen hat. Erscheint dieser klar und ist seine Bedeutung, wie sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie aus Gegenstand und Zweck des Übereinkommens ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, so kommt eine über den Wortlaut hinausgehende ausdehnende bzw. einschränkende Auslegung nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten zu schliessen ist (
BGE 105 V 16
mit Hinweisen).
Der Wortlaut von Art. 20bis des Sozialversicherungsabkommens mit Italien entbehrt - auch in dem gemäss Art. 27 Ziff. 2 des Abkommens verbindlichen französischen und italienischen Originaltext - nicht der Klarheit. Es geht daraus unmissverständlich hervor, dass die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden beider
BGE 109 V 224 S. 227
Vertragsstaaten die Behandlung von Eingaben nicht deshalb verweigern dürfen, weil sie in einer Amtssprache des andern Vertragsstaates abgefasst sind. Einschränkungen zu diesem Grundsatz bestehen nicht, noch lässt die Entstehungsgeschichte der Bestimmung auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der Vertragsparteien schliessen. Wie das BSV in seiner Vernehmlassung darlegt, sollte mit Art. 20bis des Abkommens vielmehr klargestellt werden, dass die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden der Vertragsstaaten ungeachtet allfälliger anderslautender Regeln des innerstaatlichen Rechts auf sämtliche in den Amtssprachen des andern Vertragsstaates verfassten Gesuche und Beschwerden einzutreten und hierüber zu entscheiden haben. Gegenüber Art. 51ter Abs. 3 der Verwaltungsvereinbarung sollte insbesondere verdeutlicht werden, dass der Gesuchsteller oder Beschwerdeführer nicht zur Übersetzung seiner Eingabe in die Amtssprache (bzw. eine der Amtssprachen) der entscheidenden Instanz des andern Vertragsstaates verhalten werden kann. Im übrigen wurde lediglich bestätigt, was bereits bisher aufgrund von Art. 51ter der Verwaltungsvereinbarung Geltung hatte.
4.
a) Die Vorinstanz begründet ihren Nichteintretensentscheid in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorab damit, dass auf Ausländer, die - wie der Beschwerdeführer - ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, Art. 20bis des Abkommens nicht Anwendung finde, weil sie aufgrund ihres Wohnsitzes oder ihrer Erwerbstätigkeit in der Schweiz "unmittelbar versichert, also grundsätzlich als Inländer anzusehen" seien, daher die schweizerische Sozialversicherung "direkt nach Massgabe des inländischen Rechts" beanspruchen könnten und somit die Berufung auf den Staatsvertrag nicht benötigten. Zumindest seien die das Verfahren regelnden Bestimmungen des Abkommens nur für Personen im Ausland gedacht und anwendbar, denn nur für diese müssten besondere Verwaltungsorgane und Verwaltungswege vorgesehen werden.
Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, dass das Abkommen sämtliche Angehörigen beider Staaten umfasst und sie in ihren Rechten und Pflichten grundsätzlich gleichstellt (Art. 2). Zahlreiche Einzelbestimmungen bestätigen, dass das Abkommen sowohl auf italienische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Schweiz als auch auf solche ohne schweizerischen Wohnsitz Anwendung findet (vgl. z.B. Art. 8 lit. a). Das BSV weist des weitern zu Recht darauf hin, dass italienische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der
BGE 109 V 224 S. 228
Schweiz in zahlreichen Fällen auf das Abkommen angewiesen sind, wenn sie Leistungen der schweizerischen Sozialversicherung beanspruchen wollen (vgl. z.B.
Art. 6 Abs. 2 IVG
). Es lässt sich unter diesem Gesichtspunkt daher nicht rechtfertigen, den Geltungsbereich von Art. 20bis des Abkommens auf die im Gebiet des anderen Vertragsstaates wohnhaften Angehörigen dieses Staates zu beschränken. Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die verfahrensrechtlichen Regeln des Staatsvertrages in erster Linie auf diese Personen zugeschnitten sind. Eine eingeschränkte Anwendbarkeit der Bestimmung in dem von der Vorinstanz genannten Sinne müsste sich aus dieser selbst ergeben; hiefür fehlen aber jegliche Anhaltspunkte.
b) Die Vorinstanz macht ferner geltend, eine "Exemtion der inländischen Ausländer" würde zu nur schwer begreiflichen Rechtsungleichheiten führen. So werde von einem im Kanton Bern ansässigen Tessiner ohne weiteres verlangt, dass er "mit den hiesigen Behörden in einer der bernischen Amtssprachen verkehre".
Dass die Staatsvertragsbestimmung eine Ungleichbehandlung der genannten Art zur Folge hat, lässt sich nicht bestreiten, und es ist dem kantonalen Richter darin beizupflichten, dass ein solches Ergebnis aus innerstaatlicher Sicht nicht befriedigt. Dies vermag indessen nicht dazu zu führen, die Bedeutung von Art. 20bis des Abkommens entgegen dem (allgemein gehaltenen) Wortlaut der Bestimmung und dem Willen der Vertragsparteien in dem Sinne einzuschränken, dass er für eine wesentliche Gruppe der vom Abkommen erfassten Personen nicht Anwendung findet. Art. 2 des Abkommens behält Ausnahmen vom Gleichbehandlungsprinzip vor, und diese können im Rahmen eines ausgewogenen Vertragswerkes einmal die Angehörigen des einen und ein andermal diejenigen des andern Vertragsstaates bevorteilen bzw. benachteiligen. Im übrigen gewährleistet das Abkommen die Gleichstellung der Angehörigen beider Vertragsstaaten dadurch, dass die in Italien ansässigen Schweizerbürger ihre Eingaben an die dortigen Behörden nicht nur in italienischer, sondern auch in deutscher und französischer Sprache einreichen können.
c) Für den Fall, dass Art. 20bis des Abkommens (und auch analoge Bestimmungen in andern Sozialversicherungsabkommen) Anwendung findet, wirft der kantonale Richter die Frage auf, wer für die Kosten allenfalls vom Gericht zu veranlassender Übersetzungen aufzukommen habe. Auch diese Frage, über die im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden ist, vermag die
BGE 109 V 224 S. 229
Auslegung der streitigen Abkommensbestimmung indessen nicht zu beeinflussen.
5.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass kein stichhaltiger Grund dafür besteht, Art. 20bis des Sozialversicherungsabkommens mit Italien in dem von der Vorinstanz vertretenen Sinne auszulegen. Der vorinstanzliche Richter war daher nicht berechtigt, vom Beschwerdeführer eine Übersetzung der in italienischer Sprache verfassten Eingabe zu verlangen mit der Androhung, dass andernfalls auf die Beschwerde nicht eingetreten werde. Der angefochtene Nichteintretensentscheid ist mithin aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Beschwerde vom 19. Mai 1982 in der vorliegenden Form berücksichtige und behandle.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Bern vom 23. Juni 1982 aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
571d68ab-a420-4668-9940-8c76ddcf8ea6 | Urteilskopf
98 V 183
46. Extrait de l'arrêt du 4 mai 1972 dans la cause Schaeppi contre Caisse cantonale genevoise de compensation et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'assurance-vieillesse et survivants | Regeste
Art. 1 Abs. 2 lit. b AHVG
;
Art. 3 AHVV
.
- Die Befreiung von der obligatorischen Versicherung wegen unzumutbarer Doppelbelastung ist nicht von Amtes wegen anzuordnen.
- Zeitpunkt, von dem an die Befreiung wirkt (Anderung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 183
BGE 98 V 183 S. 183
Extrait des considérants:
a) La question de la nature de l'exemption prévue par l'art. 1er al. 2 lit. b LAVS est importante pour l'issue du présent procès. Aussi a-t-elle été soumise à la Cour plénière.
A cet égard, il serait contradictoire de soutenir à la fois que l'exemption s'impose dès que les motifs en sont réalisés et que l'intéressé peut choisir le moment où il se fera exempter. Si l'exemption s'impose, l'administration et le juge doivent la constater d'office et l'intéressé a l'obligation d'annoncer sa
BGE 98 V 183 S. 184
situation sans délai (art. 209 al. 2 RAVS). Dans cette hypothèse, la décision de la caisse revient à déclarer que l'intéressé n'a pas le droit d'être assuré et elle concerne forcément toute la période pendant laquelle il en est ainsi. Les cotisations néanmoins payées et les prestations d'assurance néanmoins reçues pendant cette période-là l'ont été à tort, et doivent être restituées selon les règles légales (art. 14 al. 4, 16 al. 3 et 47 LAVS, 41 et 78 à 79bis RAVS) et jurisprudentielles. Aussi bien, même en l'absence de décision, l'assurance aurait-elle dû refuser des prestations (cf. RO 97 V 144) et l'affilié aurait-il pu refuser de cotiser.
L'al. 2 de l'art. 1er LAVS commence par les mots "ne sont pas assurés" et continue par l'énumération des personnes exemptées. Cette tournure évoque de prime abord une exclusion absolue. Mais le texte sous lettre b introduit, comme condition de l'exemption des personnes affiliées à une institution étrangère, que le double assujettissement constitue pour elles une charge trop lourde. Cette condition donne à l'exemption de l'art. 1er al. 2 lit. b un caractère relatif. Car, la même somme de cotisations peut être ressentie par l'un comme une charge trop lourde et par l'autre comme une charge supportable. En outre, cette condition montre que la loi n'entend pas protéger les institutions sociales contre la double assurance mais les assurés contre une double cotisation. Dès lors, le Conseil fédéral n'a pas excédé les pouvoirs que lui confère l'art. 154 al. 2LAVS en laissant à la personne doublement affiliée la faculté de requérird'être exemptée de l'assurance-vieillesse et survivants (art. 3 RAVS). Il est au contraire conforme à l'esprit de l'art. 1er al. 2 lit. b LAVS que l'administration exempte de l'assurance suisse celui-là seulement qui déclare ressentir sa double affiliation comme une charge trop lourde, quand effectivement on ne peut raisonnablement attendre de lui qu'il la supporte. Cela sous réserve de règles différentes d'une convention internationale, éventualité qu'il n'y a pas lieu d'examiner ici plus avant.
b) L'exemption de l'art. 1er al. 2 lit. b LAVS étant en principe facultative, c'est en tenant compte de ce caractère qu'il faut décider du moment à partir duquel elle exerce ses effets. Selon une règle fondamentale du droit des assurances, une personne s'assure - ou renonce à s'assurer ou à être assurée - avant la réalisation du risque. Contrairement à ce qui ressort de
BGE 98 V 183 S. 185
l'arrêt Ehler (RCC 1954 p. 109), il est indispensable de s'en tenir à une application stricte de ce principe dans le domaine des assurances sociales: il est tout aussi important pour l'assurance sociale que pour l'assurance privée de savoir si, oui ou non, un individu est couvert lorsqu'un événement qui pourrait. être assuré se produit, et d'empêcher cette personne de faire dépendre de la réalisation du risque - ou de l'imminence de celle-ci - sa volonté de participer à la communauté des cotisants ou de n'y point participer. Qu'il arrive qu'une personne requière d'être exemptée après avoir bénéficié de prestations de l'assurance, cela ne constitue pas forcément un abus. Ou bien elle rend vraisemblable que la double affiliation est une charge trop lourde - cela même si elle l'a supportée jusqu'ici -, et elle a le droit d'être exemptée, ou bien la condition de la charge trop lourden'estpas réalisée et l'exemption est refusée. Au demeurant, le montant des rentes est fixé, dans une certaine mesure, en fonction du montant et de la durée des cotisations.
En conséquence, il est juste, comme le Tribunal fédéral des assurances l'a dit dans l'arrêt Krieger (ATFA 1950 p. 26), que l'exemption de l'assurance-vieillesse et survivants soit prononcée pour l'avenir et non avec effet rétroactif; sauf lorsque l'application d'une convention internationale exige une autre solution. Cependant, ainsi que l'admet aussi l'arrêt Krieger, l'exemption produit ses effets à la date du dépôt de la requête et non à la date de la décision. En effet, du point de vue de l'assuré chargé trop lourdement, il serait inéquitable de lui faire supporter les conséquences de tous les éléments qui font que l'administration prend sa décision plus ou moins rapidement, et, du point de vue de l'assurance, il serait inadmissible que le requérant puisse retirer sa demande si un événement assuré venait à se produire avant que la décision soit prise. La requête d'exemption constitue l'exercice d'un droit formateur; elle est définitive, sous réserve des dispositions sur les vices de la volonté. Elle doit être admise lorsque les conditions de l'art. 1er al. 2 lit. b LAVS sont réalisées et ne peut l'être que dans ce cas (abus de droit réservé).
c) Toutefois, la légitimité d'une règle fondamentale ne doit pas entraîner l'administration et le juge à refuser tout accommodement dans l'application de cette règle. Si la libération de l'assujettissement intervient, règle générale, dès la date de présentation de la demande d'exemption, il est cependant
BGE 98 V 183 S. 186
concevable que l'administration concède certains aménage ments, par exemple dans le cas d'un premier assujettissement sans que des cotisations aient été payées jusqu'au moment du dépôt de la demande, ou encore lors d'une affiliation rétroactive à une assurance obligatoire étrangère.
d) Il y a donc lieu de modifier la jurisprudence (RCC 1954 p. 109) dans le sens indiqué ci-dessus. | null | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
571fe72e-b032-4fe4-9e32-1b2ddc07f0f2 | Urteilskopf
93 I 130
17. Urteil vom 22. Februar 1967 i.S. Erben Schulthess und Erben Bäggli gegen Kanton Zürich und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. | Regeste
Eigentumsgarantie.
Art. 4 BV
. Materielle Enteignung. Zeitpunkt für die Bemessung der Entschädigung.
Bundesrechtliche Eigentumsgarantie; Bedeutung, Verhältnis zu entsprechenden Garantien in den Kantonsverfassungen (Erw. 3).
Umfang der Überprüfung des Bundesgerichts bei staatsrechtlichen Beschwerden wegen Verletzung der Eigentumsgarantie (Erw. 4). Sind die Vorschriften über die formelle Enteignung direkt oder analog auf die materielle Enteignung anwendbar? (Erw. 6).
Zeitpunkt für die Bemessung der Entschädigung bei enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkungen. Die Annahme, mangels gesetzlicher Vorschrift sei der Tag des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung massgebend,
- verstösst jedenfalls dann nicht gegen die Eigentumsgarantie, wenn die enteignungsähnliche Wirkung für den Betroffenen erkennbar ist und er seine Entschädigungsansprüche sofort geltend machen kann (Erw. 7 b und 9);
- ist angesichts der Unterschiede zwischen formeller und materieller Enteignung (Erw. 7 a) auch mit
Art. 4 BV
vereinbar (Erw. 7 c).
Haftung des Enteigners für verspätete Beurteilung und Auszahlung der Entschädigung? (Erw. 8). | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 93 I 130 S. 131
A.-
Am 20. September 1951 erliess der Regierungsrat des Kantons Zürich gestützt auf § 182 zürch. EG/ZGB die Verordnung zum Schutze des Landschaftsbildes beim Wehrmännerdenkmal Forch (Forchschutzverordnung, FSchV). Durch diese wird die Umgebung des Denkmals als geschütztes Gebiet erklärt und in drei Zonen eingeteilt (§ 1), darunter eine Zone I mit
BGE 93 I 130 S. 132
absolutem Bauverbot (§ 7). Die Verordnung trat sofort in Kraft (§ 14) und wurde im kantonalen Amtsblatt vom 9. Oktober 1951 veröffentlicht.
Von der rund 80 000 m2 haltenden Zone I waren drei Parzellen im Ausmass von zusammen 39 668 m2 Eigentum des Emil Bäggli; sie gehörten zu einem landwirtschaftlichen Heimwesen, das Bäggli im Jahre 1930 erworben und zeitweise verpachtet, zeitweise auf eigene Rechnung hatte bewirtschaften lassen. Zwei weitere Parzellen, die zusammen 5466 m2 halten, waren Eigentum des Arnold Schulthess; er hatte im Jahre 1931 zwei Grundstücke erworben und im Jahre 1950 zwecks Abrundung weitere 1390 m2 von Bäggli hinzugekauft.
Im Anschluss an die Veröffentlichung der FSchV erhoben Bäggli und Schulthess beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, die Verordnung wegen Verletzung der Eigentumsgarantie und des
Art. 4 BV
aufzuheben, soweit sie ihre Grundstücke belaste.
Die Beschwerde Bägglis wurde vom Bundesgericht, soweit es darauf eintreten konnte, durch Urteil vom 18. Juni 1952 "im Sinne der Erwägungen" abgewiesen. Dabei wurde erkannt, dass die FSchV auf einer gesetzlichen Grundlage beruhe und im öffentlichen Interesse erlassen worden sei; dagegen wurde die Frage, ob der Eingriff für Bäggli eine materielle Enteignung bedeute und daher den Staat zur Entschädigung verpflichte, offen gelassen, da über die (vom Regierungsrat für 2 Parzellen bestrittene und nur für eine anerkannte) Entschädigungspflicht zunächst im Verfahren gemäss dem zürch. Gesetz vom 30. November 1879 betreffend die Abtretung von Privatrechten (AbtrG) zu entscheiden sei; in den Erwägungen wurde festgehalten, dass Bäggli berechtigt sei, wieder an das Bundesgericht zu gelangen, wenn sich der Regierungsrat weigern sollte, die Frage der Entschädigung im Verfahren gemäss AbtrG abklären zu lassen, oder wenn Bäggli dort keine Entschädigung zugesprochen werde.
Schulthess zog seine staatsrechtliche Beschwerde am 23. Januar 1953 zurück, nachdem der Regierungsrat in der Beschwerdeantwort die Entschädigungspflicht für eine der beiden Parzellen anerkannt und erklärt hatte, dass über die Höhe dieser Entschädigung, sofern es zu keiner Verständigung komme, sowie über die Frage der Entschädigungspflicht für die andere Parzelle im Expropriationsverfahren zu entscheiden sein werde.
BGE 93 I 130 S. 133
In der Folge geschah jedoch vorerst nichts. Weder leitete der Regierungsrat ein Verfahren gemäss AbtrG ein, noch machten Bäggli und Schulthess von den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Gebrauch, neuerdings das Bundesgericht anzurufen oder aber ihre Entschädigungsansprüche gemäss § 1 des Gesetzes vom 23. Juni 1831 über die Streitigkeiten im Verwaltungsfache bei den Zivilgerichten einzuklagen.
B.-
Am 24. Mai 1959 nahmen die Stimmberechtigten des Kantons Zürich eine Gesetzesvorlage an, durch welche dem Abschnitt "Inhalt und Beschränkungen des Grundeigentums" des EG/ZGB als §§ 183 bis - 183 quater Bestimmungen über "Enteignungsähnliche Beschränkungen" beigefügt wurden. § 183 bis gibt dem von solchen Beschränkungen Betroffenen das Recht, vom Gemeinwesen angemessene Entschädigung zu verlangen, und bestimmt in Abs. 3:
"Für die Entschädigungspflicht und die Bemessung der Entschädigung sind die Verhältnisse bei Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkungen massgebend. Die Entschädigung ist von diesem Zeitpunkt an zum Zinsfuss der Zürcher Kantonalbank für erste Hypotheken zu verzinsen."
Der Betroffene hat seine Ansprüche im Regelfall innert 5 Jahren seit dem Inkrafttreten der Beschränkungen dem Gemeinwesen schriftlich anzumelden; werden sie ganz oder teilweise bestritten, so hat das Gemeinwesen das in den §§ 32 ff. AbtrG vorgesehene Verfahren einzuleiten (§ 183 ter).
C.-
Diese Gesetzesrevision veranlasste Emil Bäggli und die Erben des inzwischen verstorbenen Arnold Schulthess, den Regierungsrat im Sommer 1959 neuerdings um Zusprechung einer Entschädigung für das ihre Grundstücke in Zone I auf der Forch belastende Bauverbot zu ersuchen. Der Regierungsrat anerkannte nun für alle Grundstücke der Zone I die materielle Enteignung und die Entschädigungspflicht, konnte sich jedoch mit den Betroffenen über die Höhe der Entschädigung nicht einigen und liess daher am 29. Dezember 1960 das Schätzungsverfahren einleiten.
Die Schätzungskommission betrachtete den Zeitpunkt des Inkrafttretens der FSchV, d.h. den 9. Oktober 1951, als massgebenden Zeitpunkt für die Bewertung des Landes und die Bemessung der Entschädigung, die dem Unterschied zwischen Verkehrswert und landwirtschaftlichem Ertragswert der Grundstücke an diesem Tage entspreche. Den Verkehrswert schätzte
BGE 93 I 130 S. 134
sie auf Grund der um 1950/52 in jenem Gebiet bezahlten Landpreise auf Fr. 13.- (Land der Erben Schulthess) bzw. Fr. 12.- und Fr. 6.- (Land Bägglis) pro m2 und den landwirtschaftlichen Ertragswert auf Fr. -.80 bzw. Fr. -.60 pro m2, was Entschädigungen von Fr. 12.20, 11.20 und 7.40 pro m2 ergab. Demgemäss verpflichtete sie den Kanton Zürich mit Entscheid vom 1. November 1963, an Emil Bäggli Fr. 367'501.80 und an die Erben Schulthess Fr. 66'411.20 zu bezahlen und diese Beträge (in analoger Anwendung von § 54 AbtrG) seit 9. Oktober 1951 zu 5% zu verzinsen.
Bäggli und die Erben Schulthess erhoben Einsprache gegen den Schätzungsentscheid, worauf der Kanton Zürich am 4. Mai 1964 die festgesetzten Entschädigungen samt Zins ausbezahlte und am 10. September 1964 beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Klage einreichte mit dem Begehren um Feststellung, dass die Entschädigungsforderungen der Beklagten durch die ausbezahlten Beträge erfüllt seien.
Bäggli beantragte mit der Klageantwort, der Kanton sei zu verpflichten, ihm eine Entschädigung von Fr. 4'289,094.-- nebst 5% Zins ab Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts (abzüglich der am 4. Mai 1964 erhaltenen Fr. 598'466.45), allenfalls einen Betrag nach richterlichem Ermessen zu bezahlen; eventuell sei der Kanton zu verpflichten, die vom Bauverbot betroffenen Liegenschaften nebst einer Waldparzelle zu Eigentum zu übernehmen und hiefür Fr. 4'436,430.-- nebst 5% ab Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts zu bezahlen, sofern die Entschädigung nicht nach dem Verkehrswert am Schätzungstag, sondern bei Anerkennung des Heimschlagsrechts nach dem Verkehrswert am Tag der ersten Schätzung bemessen werde. Prozessual beantragte er, die Liegenschaften durch gerichtliche Expertise, eventuell durch die kantonale Schätzungskommission neu bewerten zu lassen auf den Stichtag der erneuten Schätzung und über den Verkehrswert im Oktober 1951 eine Oberexpertise einzuholen.
Die Erben Schulthess beantragten, der Kanton sei zu verpflichten, für das Bauverbot auf ihren Liegenschaften eine Entschädigung von Fr. 533'708.-- (abzüglich der Anzahlung von Fr. 108'299.15) zu bezahlen; eventuell seien die Akten an die Schätzungskommission zurückzuweisen mit dem Auftrag, eine Neubewertung auf den Tag der neuen Schätzungsverhandlung vorzunehmen.
BGE 93 I 130 S. 135
Mit Urteil vom 23. November 1965 hiess das Verwaltungsgericht die Klage des Kantons in dem Sinne teilweise gut, dass es ihn - unter Abweisung aller weitergehenden Begehren der Beklagten - verpflichtete, zu den bereits bezahlten Beträgen an Bäggli Fr. 73'500.-- und an die Erben Schulthess Fr. 13'300.-- je mit 5% Zins ab 23. November 1965 zu bezahlen. In den Erwägungen wird zunächst ausgeführt, dass § 183 bis Abs. 3 EG/ZGB auf die vor seinem Erlass rechtskräftig gewordenen Eigentumsbeschränkungen nicht anwendbar sei, so dass es dem Richter zukomme, in Auslegung von Verfassung und Gesetz (gemeint ist offenbar das AbtrG) den Stichtag zu bestimmen, der bei enteignungsähnlichen Beschränkungen, wie sie hier in Frage stünden, für die Festsetzung der Entschädigungsansprüche massgebend sei. Sodann wird mit einlässlicher Begründung, auf die in den nachstehenden Erwägungen zurückzukommen ist, dargelegt, dass der enteignungsähnliche Eingriff mit dem Inkrafttreten der FSchV am 9. Oktober 1951 vollzogen gewesen sei, dass die Enteignungsentschädigung daher nach der in diesem Zeitpunkt gegebenen Grundstücksqualität bemessen werden müsse und dass es nicht angehe, auf eine spätere höhere Baulandqualität abzustellen, die das Land in der Schutzzone I nie besessen habe und wegen des Bauverbots auch niemals habe erreichen können; zu entschädigen sei also, was für eine Bauverbotsservitut im Jahre 1951 mutmasslich bezahlt worden wäre. Hierauf wird ausgeführt, dass und weshalb der Schätzungsentscheid als zutreffend erscheine und kein Anlass zur Anordnung einer Oberexpertise bestehe. Ob das "Heimschlagsrecht", das § 8 AbtrG für die formelle Enteignung vorsehe und das Bäggli eventuell geltend mache, bei enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkungen sinngemäss anzuerkennen sei, erscheine zweifelhaft, brauche aber nicht entschieden zu werden, da Bäggli die Ausdehnung der Enteignung verlange, um die Wertsteigerung zu realisieren, der seine Grundstücke seit 1951 teilhaftig geworden wären, wenn die FSchV kein Bauverbot ausgesprochen hätte, auf die er aber keinen Anspruch habe. Dagegen habe der Kanton den Schaden zu vergüten, der den Beklagten dadurch entstanden sei, dass der Kanton seine vor Bundesgericht abgegebene Zusicherung, das Schätzungsverfahren gemäss AbtrG einzuleiten, innert gehöriger Frist nicht eingehalten habe. Dieser Schaden, der darin bestehe, dass die Beklagten jahrelang über einen wesentlichen Teil ihres Vermögens nicht frei verfügen
BGE 93 I 130 S. 136
konnten, lasse sich ziffernmässig nicht nachweisen und sei ex aequo et bono auf 20% des auf den 9. Oktober 1951 berechneten Schadens festzusetzen.
D.-
Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts haben Emil Bäggli und die Erben Schulthess mit getrennten Eingaben staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie beantragen, das angefochtene Urteil sei wegen Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 4 KV) sowie wegen Verletzung des
Art. 4 BV
durch materielle und formelle Rechtsverweigerung (im Sinne der Erwägungen der Beschwerden) aufzuheben. In den Beschwerden werden im wesentlichen folgende Rügen erhoben:
a) Das Verwaltungsgericht habe dadurch die Eigentumsgarantie und
Art. 4 BV
verletzt, dass es sich geweigert habe, das AbtrG direkt oder zu mindest analog auch "in materieller Beziehung" anzuwenden.
b) Die den Beschwerdeführern zugesprochenen Entschädigungen entsprächen insbesondere wegen der unrichtigen Wahl des Stichtages für die Bewertung des Landes dem aus der Eigentumsgarantie sich ergebenden Anspruch auf volle Entschädigung nicht.
c) Eventuell werde die Eigentumsgarantie durch die Zusprechung eines ungenügenden Verzögerungsschadens verletzt. Zudem liege in der Annahme des Verwaltungsgerichts, die Beschwerdeführer hätten diesen Schaden nicht substantiiert, eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs, da ihnen nicht Gelegenheit geboten worden sei, sich hiezu zu äussern.
d) Eventuell würden die Eigentumsgarantie und
Art. 4 BV
auch dadurch verletzt, dass dem Beschwerdeführer Bäggli das Heimschlagsrecht grundlos verweigert worden sei.
Die Begründung dieser Rügen ist, soweit notwendig, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
E.-
Der Kanton Zürich und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich beantragen Abweisung der Beschwerden.
F.-
Der Beschwerdeführer Emil Bäggli ist am 29. August 1966 gestorben. Am 6. Oktober 1966 erklärten seine Erben, sie träten als Rechtsnachfolger in den Prozess ein.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die beiden staatsrechtlichen Beschwerden richten sich gegen das gleiche Urteil des Verwaltungsgerichts und stimmen in den Anträgen sowie in der Begründung weitgehend überein.
BGE 93 I 130 S. 137
Es rechtfertigt sich daher, sie zu vereinigen und in einem einzigen Urteil über sie zu entscheiden.
2.
Nach
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
sind die Gründe, auf die eine staatsrechtliche Beschwerde gestützt wird, in der Beschwerdeschrift selber anzuführen (
BGE 81 I 56
und 183 und ständige Rechtsprechung). Das Bundesgericht hat sich daher nur mit den in den Beschwerdeschriften enthaltenen Vorbringen der Beschwerdeführer zu befassen. Die in den Eingaben an die kantonalen Instanzen gemachten Ausführungen sind unbeachtlich, soweit die Beschwerdeschriften den Inhalt derselben nicht wiederholen, sondern lediglich auf sie verweisen.
3.
Beide Beschwerden machen vor allem eine Verletzung der Eigentumsgarantie geltend, wobei sich die eine ausschliesslich und die andere in erster Linie auf Art. 4 zürch. KV beruft. Nach der heute herrschenden Auffassung gehört die Eigentumsgarantie dem ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes an (
BGE 89 I 98
und dort angeführtes, in ZBl 1961 S. 69 abgedrucktes Urteil vom 11. Mai 1960 i.S. Keller). Neben der bundesrechtlichen Gewährleistung haben die entsprechenden Garantien in den Kantonsverfassungen keine selbständige Bedeutung, soweit sie nicht weiter gehen als jene. Dass dies für Art. 4 zürch. KV zutreffe, behaupten die Beschwerdeführer mit Recht nicht. Das Bundesgericht hat auf die verschiedenen Formulierungen der Eigentumsgarantie in den Kantonsverfassungen keine Rücksicht genommen, sondern hat den betreffenden Bestimmungen stets die gleiche Bedeutung und Tragweite beigemessen (
BGE 74 I 470
Erw. 3 a mit Verweisungen; MEIER-HAYOZ, Komm. zu
Art. 641 ff. ZGB
, Systemat. Teil N. 209 c). Auch die bundesrechtliche Eigentumsgarantie hat keinen andern Inhalt und Sinn als den, der sich nach der bisherigen Rechtsprechung aus den kantonalrechtlichen Garantien ergab. So gilt nach wie vor, dass öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen nur zulässig sind, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und, sofern sie einer Enteignung gleichkommen, gegen Entschädigung erfolgen (
BGE 90 I 340
Erw. 3 mit Verweisungen). Die Eigentumsgarantie bindet sodann auch den Gesetzgeber und wird insbesondere verletzt durch gesetzgeberische Massnahmen, welche das Privateigentum als fundamentale Einrichtung der schweizerischen Rechtsordnung beseitigen oder aushöhlen (
BGE 88 I 255
,
BGE 90 I 37
). Soweit dies nicht zutrifft, ist der kantonale Gesetzgeber
BGE 93 I 130 S. 138
weitgehend frei beim Erlass von Bestimmungen über Enteignung und öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen. Er ist namentlich befugt, den Begriff der "vollen Entschädigung", auf die der Betroffene bei formeller und materieller Enteignung auf Grund der Eigentumsgarantie Anspruch hat, näher zu umschreiben. Der Umstand, dass diese Umschreibungen in den kantonalen Enteignungsgesetzen nicht übereinstimmen und gelegentlich für den Enteigneten weniger günstig sind als diejenige des eidgenössischen Enteignungsgesetzes (EntG), verstösst nicht gegen die Eigentumsgarantie. Mit ihr können in diesem Punkt wie auch in anderer Hinsicht verschiedene gesetzliche Ordnungen vereinbar sein.
4.
Die Begründungen beider Beschwerden sind weitgehend appellatorisch und beruhen offenbar auf der Annahme, das Bundesgericht könne, wegen der Anrufung der Eigentumsgarantie, den angefochtenen Entscheid sozusagen in allen Punkten frei überprüfen. Das ist indes nicht der Fall. Wohl gehört die Eigentumsgarantie zu den verfassungsmässigen Rechten und ist bei staatsrechtlichen Beschwerden wegen Verletzung solcher Rechte die Kognition des Bundesgerichts grundsätzlich frei. Hievon bestehen jedoch nach feststehender Rechtsprechung verschiedene wichtige Ausnahmen. Ob Bestimmungen eines kantonalen Gesetzes vor der Eigentumsgarantie standhalten, prüft das Bundesgericht zwar frei (vgl.
BGE 88 I 252
). Dagegen hat es die Anwendung kantonaler Gesetze, die wie die Baupolizeigesetze, die Gesetze über Natur- und Heimatschutz, über Güterzusammenlegungen und andere Bodenverbesserungen usw. das Eigentum beschränken, jeweils auch dann nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür geprüft, wenn der Beschwerdeführer neben
Art. 4 BV
auch die Eigentumsgarantie angerufen hat. Das gleiche gilt, sofern der beanstandete Eingriff in das Eigentum nicht besonders schwer ist, für den Entscheid darüber, ob kantonale oder kommunale Verordnungen und Verfügungen auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen (
BGE 91 I 332
Erw. III/1, 341, 422). Auch beim Entscheid darüber, ob eine Enteignung oder Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liege, hat sich das Bundesgericht von jeher Zurückhaltung auferlegt und nur frei geprüft, wenn dabei in erster Linie rechtliche Überlegungen anzustellen waren (
BGE 91 I 335
Erw. 2 mit Verweisungen). Was schliesslich die Enteignungsentschädigung betrifft, so prüft das Bundesgericht die von den
BGE 93 I 130 S. 139
kantonalen Behörden angewandten Methoden zur Bewertung von enteigneten Liegenschaften und das Ergebnis, zu dem sie dabei gelangen, nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (nicht veröffentl. Erw. 3 des Urteils vom 21. Dezember 1966 i.S. Agiva AG c. Kanton Basel-Stadt), wogegen es die Frage, ob ein bestimmter Eingriff in das Eigentum wie eine Enteignung wirke, als ausgesprochene Rechtsfrage frei prüft (
BGE 89 I 384
Erw. 1).
Aus dem Gesagten folgt, dass die Rüge der Beschwerdeführer, das Verwaltungsgericht hätte das AbtrG im vorliegenden Falle direkt oder zumindest analog auch "in materieller Beziehung" anwenden sollen, nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür zu prüfen ist, da es dabei um die Auslegung kantonalen Gesetzesrechtes geht. Anders verhält es sich mit der den Hauptgegenstand des Rechtsstreites bildenden Bestimmung des Stichtages, der für die Bewertung des Landes der Beschwerdeführer vor und nach der Belastung mit dem Bauverbot und damit für die Bemessung der Entschädigung massgebend ist. Wenn der Stichtag durch eine Gesetzesvorschrift festgelegt und deren Verfassungsmässigkeit angefochten wäre, hätte das Bundesgericht frei zu prüfen, ob diese Vorschrift mit dem in der Eigentumsgarantie enthaltenen Gebot der vollen Entschädigung für enteignungsähnliche Eingriffe vereinbar sei. § 183 bis Abs. 3 zürch. EG/ZGB enthält eine solche Vorschrift, ist indessen, wie die Parteien und das Verwaltungsgericht übereinstimmend annehmen, auf den vorliegenden, vor seinem Erlass eingetretenen Tatbestand nicht anwendbar. Da im bisher geltenden Recht eine dahingehende Vorschrift fehlte, suchte das Verwaltungsgericht, vom Gebot der "gerechten Entschädigung" in Art. 4 KV ausgehend, nach einer sachgemässen Lösung. Ob sein in Auslegung einer Gesetzeslücke getroffener Entscheid vor der Eigentumsgarantie standhält, ist, wie wenn eine gesetzliche Vorschrift dieses Inhalts zur Beurteilung stünde, frei zu prüfen.
5.
Die Grundstücke der Beschwerdeführer, auf die sich der vorliegende Rechtsstreit bezieht, sind durch die am 9. Oktober 1951 in Kraft getretene FSchV mit einem gänzlichen Bauverbot belegt worden. Dieses Bauverbot ist, wie das Bundesgericht in dem vom Rechtsvorgänger der heutigen Beschwerdeführer Erben Bäggli erwirkten Urteil vom 18. Juni 1952 festgestellt hat, auf einer gesetzlichen Grundlage und im öffentlichen Interesse erlassen worden. Während die Frage, ob es in
BGE 93 I 130 S. 140
seiner Wirkung einer Enteignung gleichkomme und die Eigentümer dafür zu entschädigen seien, damals für einzelne Parzellen der Beschwerdeführer umstritten war und offen blieb, steht heute fest, dass das Bauverbot in bezug auf alles Land der Beschwerdeführer (mit Ausnahme eines zu einem Schiessplatz gehörenden, 2200 m2 haltenden Teils) einen enteignungsähnlichen Eingriff darstellt. Streitig ist lediglich die Höhe der Entschädigung, und zwar in erster Linie der Stichtag für die Bewertung des Landes vor und nach der Belegung mit dem Bauverbot. Das Verwaltungsgericht hat mit der Schätzungskommission auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der FSchV, d.h. auf den 9. Oktober 1951, abgestellt, wogegen die Beschwerdeführer die Auffassung vertreten, massgebend seien, wie bei der formellen Enteignung, die Verhältnisse am Tage des Entscheids der Schätzungskommission, hier also am 1. November 1963.
6.
Die Beschwerde der Erben Bäggli leitet dies aus dem AbtrG ab und beanstandet als Verletzung der Rechtsgleichheit und der Eigentumsgarantie, dass das Verwaltungsgericht dieses Gesetz nicht direkt oder wenigstens analog angewendet habe. Ob und inwieweit das AbtrG auf die materielle Enteignung anwendbar sei, ist eine Frage, die das Bundesgericht nach dem in Erw. 4 Gesagten trotz der Anrufung der Eigentumsgarantie nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel des
Art. 4 BV
prüfen kann.
a) Soweit die Beschwerde die unmittelbare Anwendbarkeit des AbtrG aus der im früheren Verfahren abgegebenen Zusicherung des Regierungsrates und aus seiner Praxis ableitet, erweist sie sich ohne weiteres als unbegründet. Wenn der Regierungsrat in der Beschwerdeantwort vom 31. Januar 1952 erklärte, Bäggli sei "für den Entzug der Baufreiheit zu entschädigen, und zwar im Verfahren gemäss AbtrG", so wollte er damit offenbar sagen, dass es nach Zürcher Recht möglich sei, das Schätzungsverfahren nach §§ 32 ff. AbtrG auch bei enteignungsähnlichen Tatbeständen durchzuführen, und allenfalls noch, dass er bereit sei, dieses Verfahren einzuleiten. Dass er damit überdies eine Zusicherung über das "in materieller Beziehung" anwendbare Recht abgegeben hätte, ist umso weniger anzunehmen, als er hierüber nicht verfügen konnte, denn der zuständige Richter (damals das Obergericht, heute das Verwaltungsgericht) ist nur dem Gesetz unterworfen und hat das Recht von Amtes wegen anzuwenden (
§
§ 100 ZPO
,
BGE 93 I 130 S. 141
7 und 35 VRG). Ebenso wenig wäre er an eine regierungsrätliche Praxis, die übrigens nur behauptet, nicht nachgewiesen wird, gebunden.
Nach § 182 EG/ZGB ist der Regierungsrat sowohl befugt, auf dem Verordnungswege die nötigen Verfügungen zum Schutze von Landschaften und Aussichtspunkten zu treffen (Abs. 1), als auch berechtigt, diese Objekte "auf dem Wege der Zwangsenteignung, insbesondere auch durch Errichtung einer öffentlichrechtlichen Dienstbarkeit, zu schützen" (Abs. 3). Wenn der Regierungsrat die Gemeinden, von denen in § 182 ebenfalls, aber nur in Abs. 3, die Rede ist, für enteignungsähnliche Natur- und Heimatschutzmassnahmen jeweils auf den Weg der Zwangsenteignung verwiesen hat, so schliesst das nicht aus, dass er selber solche Massnahmen gemäss Abs. 1 auf dem Verordnungswege trifft (in diesem Sinne schon Erw. 4 b des bundesgerichtlichen Urteils vom 13. Mai 1958, ZBl 1959 S. 105), und zwar auch dann, wenn über die dafür geschuldete Entschädigung im Verfahren gemäss AbtrG zu entscheiden ist. Jedenfalls kann die Annahme, er sei hiezu befugt, nicht als willkürlich bezeichnet werden.
Sofern die Beschwerde, was nicht klar ist, geltend machen will, daraus, dass Entschädigungsansprüche bei enteignungsähnlichen Eingriffen im Verfahren nach AbtrG zu beurteilen seien, folge ohne weiteres, dass dieses Gesetz auch "in materieller Beziehung" anwendbar sei, so ginge diese Rüge ebenfalls fehl. Das AbtrG ordnet offensichtlich nur die formelle Enteignung; eine Bestimmung, aus der sich seine Anwendbarkeit auf enteignungsähnliche Eingriffe ergäbe, wird von den Beschwerdeführern nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Solche Eingriffe erwähnt das Gesetz nirgends, was auch nicht verwundert, da es bei Erlass des AbtrG im Jahre 1879 wohl noch fern lag, hierüber zu legiferieren.
b) Für den Fall, dass das AbtrG nicht unmittelbar anwendbar sein sollte, wird geltend gemacht, aus Gründen der Rechtsgleichheit dränge sich die analoge Anwendung zwingend auf. Wie es sich damit verhält, kann dahingestellt bleiben. Einmal wäre den Beschwerdeführern auch mit der analogen Anwendung nicht geholfen, da das AbtrG keine Vorschrift enthält über den Zeitpunkt, auf welchen der nach § 13 für die Festsetzung der Enteignungsentschädigung massgebende Verkehrswert zu schätzen ist. Sodann hat das Verwaltungsgericht die analoge
BGE 93 I 130 S. 142
Anwendung des AbtrG auf enteignungsähnliche Tatbestände keineswegs von vornherein abgelehnt. Es geht offenbar davon aus, dass die in den §§ 11 und 13 AbtrG enthaltenen Grundsätze auch auf die für enteignungsähnliche Eingriffe geschuldete Entschädigung anwendbar seien, denn es nimmt an, dass der Betroffene Anspruch auf volle Entschädigung (§ 11) habe und ihm der Verkehrswert (§ 13 Abs. 1) sowie allfälliger mittelbarer Schaden (§ 13 Abs 2) zu ersetzen seien, und es führt aus, dass und weshalb unter dem "Verkehrswert" nicht der sog. Wiederbeschaffungswert zu verstehen sei. Sodann hat es geprüft, welcher Zeitpunkt für die Bewertung des Landes massgebend sei. Es ist dabei zum Schluss gelangt, dass nicht der bei der formellen Enteignung durch die Praxis als massgebend erklärte Zeitpunkt des Entscheids der Schätzungskommission gelte, sondern dass auf den Tag des Inkrafttretens der FSchV abzustellen sei. Es ist zu untersuchen, ob diese vom Verwaltungsgericht in Ausfüllung einer Gesetzeslücke gefundene Lösung mit der Eigentumsgarantie und dem Gebot der Rechtsgleichheit vereinbar sei. Soweit es um die Eigentumsgarantie geht, steht dem Bundesgericht nach dem in Erw. 4 Gesagten freie Prüfung zu. Inbezug auf die Frage der rechtsgleichen Behandlung dagegen ist die Prüfung jedenfalls keine weitere, als wenn sich die Beschwerden gegen eine entsprechende gesetzliche Vorschrift richteten, in welchem Falle das Bundesgericht nur einschreiten könnte, wenn die Vorschrift rechtliche Unterscheidungen träfe, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden tatächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist (vgl.
BGE 91 I 84
Erw. 2 und dort angeführte frühere Urteile).
7.
Aus der Eigentumsgarantie folgt, dass sowohl die formelle als auch die materielle Enteignung nur gegen volle Entschädigung erfolgen darf. Es scheint daher nahezuliegen und folgerichtig zu sein, diese Entschädigung bei beiden Arten der Enteignung in jeder Hinsicht nach den gleichen Grundsätzen zu bestimmen und insbesondere für die Bewertung des betroffenen Grundstücks auf den gleichen Zeitpunkt abzustellen. In Wirklichkeit bestehen indes zwischen der formellen und der materiellen Enteignung wesentliche Unterschiede, die gerade für die Festsetzung des Bewertungszeitpunkts von erheblicher Bedeutung sind.
a) Bei der formellen Enteignung wird ein privates Recht dem Enteigneten entzogen und auf den Enteigner übertragen. Handelt
BGE 93 I 130 S. 143
es sich, wie es die Regel ist, um Eigentum, so findet mit dessen Übertragung und der Entrichtung der dafür geschuldeten Entschädigung ein Leistungsaustausch statt, der sich mit demjenigen beim freihändigen Kauf vergleichen lässt. Ebenso ist die zwangsweise Begründung einer Dienstbarkeit (Bauverbot, Durchleitungsrecht, Wegrecht usw.) mit der vertraglichen Bestellung einer entsprechenden Dienstbarkeit gegen Entgelt vergleichbar. Bei der materiellen Enteignung fehlt es an einer solchen Übertragung oder Einräumung von Rechten an einen Enteigner. Der Eingriff besteht darin, dass das Gemeinwesen die Benützung von Grundeigentum durch allgemein verbindliche Erlasse, Überbauungs- und Zonenpläne usw. beschränkt. Dem Austauschcharakter der formellen Enteignung entspricht es, dass das Recht erst mit der Bezahlung der Entschädigung auf den Enteigner übergeht, die Entschädigung also Voraussetzung des Eingriffs ist (§§ 53 und 56 AbtrG,
Art. 91 Abs. 1 EntG
). Die enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkungen werden dagegen gleich wie die gewöhnlichen Eigentumsbeschränkungen mit dem Inkrafttreten des betreffenden Erlasses oder Planes wirksam und haben die Entschädigungspflicht des Gemeinwesens zur Folge; Voraussetzung für ihre Zulässigkeit ist lediglich, dass den Betroffenen der Rechtsweg zur Durchsetzung ihrer Entschädigungsansprüche offen steht (
BGE 91 I 337
/8 und dort angeführte Urteile; MEIER-HAYOZ a.a.O. N. 250 a; IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 2. A., Bem. II zu Nr. 65). Die formelle Enteignung hat sodann immer in einem genau geregelten Verfahren zu erfolgen, in dem der Enteignete einerseits das Enteignungsrecht bestreiten, anderseits seine Entschädigungsansprüche geltend machen kann, und dieses Verfahren, dessen Gang und Dauer dem Einfluss der Parteien weitgehend entzogen ist, schliesst mit der Festsetzung der vom Enteigner zu bezahlenden Entschädigung ab. Die öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen dagegen werden vom Gemeinwesen im Rechtsetzungsverfahren angeordnet, in dem die Betroffenen im allgemeinen nicht oder nur in beschränktem Umfange zur Gehör kommen (vgl.
BGE 90 I 338
Erw. 2) und mit dem ein allfälliges Verfahren zur Abklärung der Entschädigungsfrage in keinem notwendigen Zusammenhang steht; vielmehr bleibt es den Betroffenen überlassen, ob und in welchem Zeitpunkt sie Entschädigungsansprüche geltend machen wollen für den Eingriff, dessen Natur, da die Grenze
BGE 93 I 130 S. 144
zwischen gewöhnlichen und enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkungen fliessend ist, häufig zweifelhaft ist.
b) Der Umstand, dass die Entschädigung bei der formellen Enteignung im Rahmen des Enteignungsverfahrens festgesetzt wird, lässt es als gegeben erscheinen, bei der Bestimmung des Zeitpunkts für die Bewertung des enteigneten Rechts an dieses Verfahren anzuknüpfen. Welches der richtige Zeitpunkt sei, war mangels ausdrücklicher Vorschriften hierüber in der Rechtsprechung und Lehre lange umstritten (vgl.
BGE 89 I 344
Erw. 3 und 4). Heute herrscht die Auffassung vor, der Zeitpunkt sei möglichst dem nach Schluss des Enteignungsverfahrens stattfindenden Leistungsaustausch zu nähern. So hat das Zürcher Kassationsgericht, nachdem bisher auf die Planauflage abgestellt worden war, im Jahre 1951 den Zeitpunkt der Schätzung durch die Schätzungskommission als massgebend erklärt (ZR 1952 Nr. 70), und das Verwaltungsgericht ist ihm hierin gefolgt (Rechenschaftsbericht 1961 Nr. 124, 1962 Nr. 131, 1964 Nr. 119). Für das eidg. EntG hat das Bundesgericht in
BGE 89 I 346
Erw. 5 und
BGE 92 I 247
ebenfalls entschieden, dass die Entschädigung grundsätzlich nach dem Verkehrswert des enteigneten Rechts am Tage des Entscheids der Schätzungskommission zu berechnen sei. Ob bei der formellen Enteignung nur dieser oder auch ein anderer Bewertungszeitpunkt mit dem Erfordernis der vollen Entschädigung im Sinne der Eigentumsgarantie vereinbar sei, ist nicht zu prüfen. Streitig ist hier, wie es sich bei der materiellen Enteignung verhält.
Über den bei dieser massgebenden Bewertungszeitpunkt gibt es in der Schweiz noch keine Gerichtspraxis, und auch die Rechtslehre hat sich erst in den letzten Jahren damit befasst. Mehr oder weniger eingehend Stellung genommen zu dieser Frage haben AUBERT und KUTTLER in den dem Schweiz. Juristentag vorgelegten Referaten über "Die Bodenverteuerung als Rechtsproblem" (ZSR 1964 II S. 128/9 und 196/209) sowie WIEDERKEHR in der Zürcher Diss. 1966 über "Die Expropriationsentschädigung" (S. 154/172). Alle drei nehmen mit Recht an, dass die rechtliche und wirtschaftliche Qualität des Grundstücks, von der es auch abhängt, ob der Eingriff enteignungsähnlich sei, sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung beurteile. Verschiedener Auffassung sind sie über den für die Bewertung massgebenden Zeitpunkt. KUTTLER will für den Regelfall ebenfalls
BGE 93 I 130 S. 145
auf jenen Zeitpunkt abstellen, WIEDERKEHR dagegen grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Schätzung durch die Schätzungskommission, während AUBERT den frühesten Zeitpunkt, in dem der Betroffene die Entschädigung hätte erhalten bzw. die von ihm angerufene Behörde darüber hätte entscheiden können, als massgebend bezeichnet. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid auf die Wertverhältnisse bei Inkrafttreten der FSchV abgestellt. Diese Auffassung, die im wesentlichen mit der von KUTTLER vertretenen übereinstimmt, lässt sich mit rechtlichen und wirtschaftlichen Überlegungen begründen. Der Übertragung des enteigneten Rechts auf den Enteigner bei der formellen Enteignung entspricht bei der materiellen Enteignung der durch das Inkrafttreten der enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkung bewirkte Rechtsentzug. Mit diesem tritt die Entwertung des Grundstücks ein, für die der Betroffene zu entschädigen ist. Handelt es sich wie hier um ein Bauverbot für bisher landwirtschaftlich benutztes Land, so nimmt dieses Land vom Inkrafttreten des Verbots an nicht mehr teil an der Wertsteigerung, die das in der Umgebung befindliche, vom Bauverbot nicht betroffene Land dadurch erfährt, dass es zu Bauerwartungsland, Baurohland und endlich, mit der Erschliessung durch Strassen, Kanalisation, Wasser- und Elektrizitätsleitungen usw., zu Bauland wird; es macht nur noch die Wertsteigerung von landwirtschaftlichem Land mit. Wenn aber die Entwertung mit dem Inkrafttreten des Bauverbotes eintritt, endgültig wird und den Entschädigungsanspruch begründet, so muss dies auch der Zeitpunkt für die Bemessung des Schadens sein, der in der Differenz zwischen dem Verkehrswert des Landes vor und nach dem Inkrafttreten des Bauverbotes besteht. Auf die entsprechenden Werte zur Zeit der Beurteilung des Entschädigungsanspruchs abstellen, wie es die Beschwerdeführer verlangen, wäre ungerechtfertigt, müsste doch dabei davon ausgegangen werden, das Land sei inzwischen Bauerwartungs- oder gar Bauland geworden, was durch das Verbot, für das die Entschädigung zu entrichten ist, gerade verhindert worden ist. Zu entschädigen ist nur die Wertsteigerung, die das Land im Hinblick auf die Möglichkeit späterer Überbauung bis zum Erlass des Bauverbots erfahren hat und die in dem für diesen Zeitpunkt festgestellten Verkehrswert zum Ausdruck kommt. Auf den Zeitpunkt der Beurteilung der Entschädigungsansprüche abzustellen, verbietet sich auch deshalb, weil dieser Zeitpunkt weitgehend vom
BGE 93 I 130 S. 146
Verhalten der Beteiligten, d.h. des Gemeinwesens und der betroffenen Grundeigentümer abhängt. Da der enteignungsähnliche Eingriff unabhängig von der Bezahlung der Entschädigung in Kraft tritt, müssen die Beteiligten den Anstoss zur Abklärung der Entschädigungsfrage geben. Dabei wird sich das Gemeinwesen, das den Eingriff vornimmt, zumal wenn zweifelhaft ist, ob dieser enteignungsähnlich wirkt, meistens abwartend verhalten, so dass es dem Betroffenen überlassen bleibt, ob und wann er seine Ansprüche bei der zuständigen Behörde geltend machen will. Er könnte damit aus spekulativen Gründen zuwarten und so, in Zeiten steigender Landpreise, eine höhere Entschädigung erwirken als derjenige, der seine Ansprüche sofort geltend macht. Ein dergestalt ins Belieben der Beteiligten gestellter Bewertungszeitpunkt verträgt sich schlecht mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit. Der Zeitpunkt für die Schätzung des Schadens muss sich nach einem objektiven Kriterium bestimmen, und das kann bei der materiellen Enteignung der Natur der Sache nach nur das Inkrafttreten der enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkung sein. Da mit dieser die Entwertung eintritt, wird der Betroffene, wie es die Eigentumsgarantie erfordert, voll entschädigt, wenn ihm die Differenz zwischen dem Verkehrswert des Landes vor und nach dem Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung vergütet wird.
Gegen diese Betrachtungsweise bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn die enteignungsähnliche Wirkung der Eigentumsbeschränkung im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens für den Betroffenen erkennbar ist und er seinen Entschädigungsanspruch sofort geltend machen kann (vgl. KUTTLER a.a.O. S. 202 und WIEDERKEHR a.a.O. S. 172 unten). Das war aber hier offensichtlich der Fall. Dass das durch die FSchV für die Zone I angeordnete gänzliche Bauverbot einer Enteignung gleichkomme, war den Rechtsvorgängern der heutigen Beschwerdeführer sofort bewusst, haben sie es doch schon in ihren unmittelbar gegen die FSchV erhobenen staatsrechtlichen Beschwerden behauptet. Ferner hatten sie schon damals die Möglichkeit, ihre Entschädigungsansprüche auf dem Rechtsweg geltend zu machen, entweder durch Klage bei den Zivilgerichten gemäss dem Gesetz von 1831 (
BGE 81 I 347
Erw. 3) oder dadurch, dass sie, wie im Urteil vom 18. Juni 1952 i.S. Bäggli festgestellt wurde, den Regierungsrat, nötigenfalls auf dem Wege einer neuen staatsrechtlichen Beschwerde, zur Einleitung des Verfahrens
BGE 93 I 130 S. 147
gemäss §§ 32 ff. AbtrG anhielten. Sie haben indes erst im Sommer 1959 auf Behandlung ihrer Ansprüche gedrungen, worauf dann, nach Vergleichsverhandlungen, Ende Dezember 1960 das Verfahren gemäss AbtrG eingeleitet worden ist. Inwieweit das Zuwarten der Beschwerdeführer durch das Verhalten der Behörden veranlasst wurde, ist in diesem Zusammenhang belanglos. Wenn den Behörden ein Vorwurf zu machen sein sollte, wäre dies kein Grund, den Stichtag für die Schadensbemessung zu verschieben, sondern würde es nur rechtfertigen, den Kanton, wie es das Verwaltungsgericht getan hat, zur Verzinsung der Entschädigung sowie zum Ersatz weiteren Verzögerungsschadens zu verpflichten.
In den letzten Jahren sah sich der Gesetzgeber verschiedentlich veranlasst, den für die Entschädigungspflicht und die Bemessung der Entschädigung bei materieller Enteignung massgebenden Zeitpunkt ausdrücklich festzulegen. Dabei wurden, soweit ersichtlich, stets die Verhältnisse bei Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung als massgebend erklärt. Als erstes ordnete das neuenburgische Baugesetz vom 12. Februar 1957 an, die Entschädigungen für die aus kantonalen und kommunalen Überbauungsplänen sich ergebenden enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkungen seien zu bestimmen auf Grund der Verhältnisse am Tage, an dem der Plan verbindlich geworden sei (Art. 17 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 2). Die gleiche Regelung findet sich in dem am 24. Mai 1959 erlassenen § 183 bis Abs. 2 des zürch. EG/ZGB sowie in Art. 25 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 8. März 1960 über die Nationalstrassen. Ferner bestimmt der am 10. Mai 1962 dem Anhang des baselstädtischen Hochbautengesetzes beigefügte § 4 b, bei Einweisung von (unüberbautem) Land in die Grünzone seien für die Bemessung der Minderwertsentschädigung oder des (im Falle der Übernahme des Landes durch den Kanton zu vergütenden) Verkehrswertes die Verhältnisse im Zeitpunkt der Festlegung der Grünzone massgebend (vgl.
BGE 92 I 476
). Alle diese Bestimmungen erscheinen als sachgemäss und wohl begründet und verstossen nicht gegen die Eigentumsgarantie. Die kantonalen Bestimmungen sind denn auch bis heute beim Bundesgericht nicht als verfassungswidrig angefochten worden, während das Nationalstrassengesetz in Kraft getreten ist, ohne dass das Referendum ergriffen wurde. In der Botschaft zu diesem wurde die in Art. 25 Abs. 2 getroffene Lösung übrigens nicht nur als eine
BGE 93 I 130 S. 148
mögliche, sondern als die richtige bezeichnet (BBl 1959 II 118), wogegen von keiner Seite Widerspruch erhoben worden zu sein scheint. Sind aber die genannten Gesetzesbestimmungen mit der Eigentumsgarantie vereinbar, so ist es auch die damit übereinstimmende Lösung, zu der das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid mangels einer einschlägigen Vorschrift gelangt ist.
c) Was in den Beschwerden gegen sie vorgebracht wird, ist nicht geeignet, eine rechtsungleiche Behandlung oder eine Verletzung der Eigentumsgarantie darzutun.
aa) Aus den Ausführungen unter lit. a und b ergibt sich, dass zwischen der formellen und der materiellen Enteignung in verschiedener Hinsicht wesentliche Unterschiede bestehen, die gerade für den Zeitpunkt der Bewertung von erheblicher Bedeutung sind. Es kann daher nicht gesagt werden, dadurch, dass das Verwaltungsgericht bei der formellen Enteignung auf den Tag der Schätzung durch die Schätzungskommission, bei der materiellen dagegen auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung abstelle, treffe es eine rechtliche Unterscheidung, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich sei.
Es lässt sich auch nicht einwenden, die Beschwerdeführer wären besser gefahren, wenn das Bauverbot zum Schutze des Landschaftsbildes auf der Forch, wie es nach § 182 Abs. 3 EG/ZGB wohl möglich gewesen wäre, als öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit auf dem Wege der formellen Enteignung begründet worden wäre. Hätte der Regierungsrat im Jahre 1951, anstatt die FSchV zu erlassen, ein Enteignungsverfahren eingeleitet, so wäre die den Rechtsvorgängern der Beschwerdeführer zukommende Entschädigung ebenfalls auf Grund des damaligen Verkehrswertes des Landes bemessen worden und wäre die damals noch unbestimmbare Wertsteigerung, die das Land ohne das Bauverbot bis zum Jahre 1963 erfahren hätte und für die die Beschwerdeführer heute entschädigt werden wollen, ausser Betracht geblieben.
bb) Die Beschwerdeführer machen geltend, für die Bewertung des Landes vor und nach dem Erlass eines Bauverbotes dürfe deshalb nicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens desselben, sondern müsse auf den Tag des Entscheids der Schätzungskommission abgestellt werden, weil die Entschädigung erst nachher ausbezahlt werde und es daher dem Betroffenen erst dann möglich
BGE 93 I 130 S. 149
sei, sich ein entsprechendes Ersatzgrundstück zu beschaffen. Sie sind der Auffassung, aus dem sich aus der Eigentumsgarantie ergebenden Erfordernis der "vollen Entschädigung" folge, dass dem von einer - formellen oder materiellen - Enteignung Betroffenen der sog. "Wiederbeschaffungswert" zu vergüten sei, was es ausschliesse, die Entschädigung, wie es hier geschehen ist, auf Grund der Wertverhältnisse in einem weit vor ihrer Auszahlung liegenden Zeitpunkt zu bemessen. Der Einwand ist unbegründet. In den Urteilen, in denen das Zürcher Kassationsgericht und das Bundesgericht bei der formellen Enteignung den Verkehrswert am Tage des Entscheids der Schätzungskommission als massgebend erklärt haben (ZR 1952 Nr. 70 und
BGE 89 I 347
), ist zur Begründung unter anderm zwar auch ausgeführt worden, die zugesprochene Entschädigung müsse dem Enteigneten gestatten, sich ein Objekt zu beschaffen, das dem ihm wider seinen Willen entzogenen gleichwertig sei, und das sei ihm nicht möglich, solange er nicht im Besitze der Entschädigung sei. Diese Formulierung ist insofern missverständlich, als sie den Anschein erwecken könnte, der Enteignete habe Anspruch auf Ersatz des Wiederbeschaffungswertes. Ein solcher Anspruch lässt sich weder aus der Eigentumsgarantie ableiten, noch wird er im allgemeinen durch die Enteignungsgesetze begründet. Nach § 13 AbtrG und
Art. 19 lit. a EntG
ist dem Enteigneten der volle Verkehrswert zu ersetzen, und das ist der Wert, den er bei freihändigem Verkauf hätte erzielen können und der gewöhnlich auf Grund von Landkäufen im gleichen Gebiet um die fragliche Zeit ermittelt wird. Der Standpunkt, dass die Entschädigung dem Enteigneten wirklich den Erwerb eines entsprechenden Ersatzgrundstücks gestatten müsse, ist im Enteignungsrecht stets abgelehnt worden (vgl. BURCKHARDT, Die Entschädigungspflicht im schweiz. Expropriationsrecht, ZSR 1912 S. 152 und
BGE 92 I 479
; ebenso die deutsche Rechtsprechung, RGZ 58 S. 423 und neuestens Urteil des BGH vom 29. November 1965, abgedruckt in der Neuen Juristischen Wochenschrift 1966 S. 497 und im Deutschen Verwaltungsblatt Bd. 81 S. 310 ff.). Anders verhält es sich bloss, wenn das Gesetz dem Betroffenen ausdrücklich einen Anspruch auf Ersatz der Wiederbeschaffungskosten oder gar auf Realersatz einräumt, wovon hier nicht die Rede ist.
cc) Gegen den Zeitpunkt des Inkrafttretens der enteignungsähnlichen Eigentumsbeschränkung als Stichtag für die Bemessung
BGE 93 I 130 S. 150
der Entschädigung lässt sich auch nicht einwenden, der von einem solchen Eingriff Betroffene werde benachteiligt gegenüber demjenigen, dessen Grundstück nach Belegung mit der Eigentumsbeschränkung schliesslich gänzlich enteignet werde. Dass die dem angefochtenen Entscheid zugrundeliegende Auffassung zu einer solchen Bevorzugung des letzteren führe, ist nicht dargetan. Wenn ein Grundstück zunächst mit einem Bauverbot belegt und dann nachträglich ganz enteignet wird, so sind die Schäden beider Eingriffe unabhängig voneinander und nach den für sie geltenden Bestimmungen und Grundsätzen zu beurteilen, auch wenn dies in einem und demselben Verfahren geschieht. So ist Art. 25 des Nationalstrassengesetzes wohl gerade im Hinblick auf die nachfolgende Enteignung des zwischen Baulinien liegenden Landes geschaffen worden. Er gilt daher auch für Grundstücke, die nachträglich auf Grund dieses Gesetzes formell enteignet werden. Entsprechendes ist für § 183 bis des zürch. EG/ZGB anzunehmen; diese Bestimmung würde vor
Art. 4 BV
kaum standhalten, wenn sie bei nachträglicher gänzlicher Enteignung nicht anwendbar wäre auf die zunächst für den enteignungsähnlichen Eingriff geschuldete Entschädigung.
8.
Die Schätzungskommission hat den Kanton Zürich verpflichtet, die von ihm zu bezahlenden, auf den Tag des Inkrafttretens der FSchV berechneten Entschädigungen von diesem Tage an mit 5% zu verzinsen. Zur Begründung ihrer höheren Entschädigungsforderungen legten die Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht dar, dass und weshalb die Entschädigungen nach den Wertverhältnissen nicht bei Inkrafttreten der FSchV, sondern im Zeitpunkt des Entscheids der Schätzungskommission zu berechnen seien. Das Verwaltungsgericht lehnte diese Auffassung ab, sprach den Beschwerdeführern aber ex aequo et bono zusätzlich 20% des auf den 9. Oktober 1951 berechneten Schadens zu für den ziffernmässig nicht nachweisbaren Nachteil aus der erlittenen "Verfahrensunbill", die darin zu erblicken sei, dass der Regierungsrat entgegen seiner im früheren staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren abgegebenen Zusicherung innert gehöriger Frist das Schätzungsverfahren nach AbtrG nicht eingeleitet habe. Die Beschwerdeführer beanstanden diese Bemessung des Verzögerungsschadens als ungenügend und beschweren sich in diesem Zusammenhang wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs
BGE 93 I 130 S. 151
und Willkür, die Erben Bäggli überdies wegen Verletzung der Eigentumsgarantie.
a) Die Beschwerdeführer haben im verwaltungsgerichtlichen Verfahren für den Fall der Bestätigung des Schätzungsentscheids nicht behauptet, sie hätten durch die Verzögerung der Auszahlung der Entschädigung einen durch den Zins von 5% nicht gedeckten Schaden erlitten. Das Verwaltungsgericht hat die Frage des zusätzlichen Verzögerungsschadens von sich aus geprüft. Da die Beschwerdeführer einen solchen Schaden gar nicht geltend gemacht haben, ist es zweifelhaft, ob sie dadurch, dass ihnen das Verwaltungsgericht nicht mehr als 20% zugesprochen hat, beschwert und insoweit zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert sind. Die Frage kann offen bleiben, da die Beschwerden auch in diesem Punkte unbegründet sind.
b) Als Verweigerung des rechtlichen Gehörs rügen die Beschwerdeführer, dass das Verwaltungsgericht die Zusprechung einer höheren Entschädigung abgelehnt habe, ohne ihnen Gelegenheit zu geben, zur Frage des Verzögerungsschadens noch Stellung zu nehmen. Sie berufen sich dabei auf die für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geltende Offizialmaxime (§ 85 VRG) und vertreten die Ansicht, das Verwaltungsgericht hätte von Amtes wegen alles tun müssen, um die Verhältnisse hinsichtlich des Verzögerungsschadens abzuklären. Das Verwaltungsgericht bestreitet dies in den Beschwerdeantworten und erklärt, die Offizialmaxime befreie die Parteien nicht von der Obliegenheit, eine Darstellung des massgebenden Sachverhalts und eine Begründung der Anträge zu geben. Dem ist beizupflichten. Das Bundesgericht hat zwar in einem Urteil vom 18. März 1964 (ZBl 1964 S. 268) ausgeführt, der Richter, der einen Prozess gestützt auf einen von keiner Partei angerufenen Rechtsgrund entscheiden wolle, dessen Heranziehung von ihnen nicht vorausgesehen werden konnte, habe zumindest der dadurch beschwerten Partei Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen. Diese Voraussetzungen treffen hier jedoch alle nicht zu. Wenn das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Verzögerungsschadens prüfte und einen solchen zusprach, obwohl die Beschwerdeführer ihn nicht geltend gemacht hatten, so wäre dadurch allenfalls der Staat beschwert gewesen, nicht die Beschwerdeführer. Auch kann nicht gesagt werden, die Frage eines solchen Schadens als Entscheidungsgrund habe nicht vorausgesehen werden können. Für die Beschwerdeführer, die
BGE 93 I 130 S. 152
sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in einem doppelten Schriftenwechsel äussern konnten, lag es nahe, auch Eventualstandpunkte für den Fall zu erörtern, dass das Verwaltungsgericht die Auffassung der Schätzungskommission über den Bewertungszeitpunkt zur seinigen machen sollte. Sie haben es in anderer Hinsicht auch getan. Wenn wirklich ein Verzögerungsschaden vorlag, so drängte sich dessen Substantiierung den Beschwerdeführern und ihren Anwälten schon im kantonalen Verfahren geradezu auf. Von einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs kann unter diesen Umständen nicht die Rede sein.
c) Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid näher dargelegt, dass und weshalb ein Verzögerungsschaden zwar vorliege, aber nicht hinreichend substantiiert und ziffernmässig nicht nachweisbar sei. Diese Ausführungen und die sie ergänzenden Vorbringen in den Beschwerdeantworten des Verwaltungsgerichts leuchten ein und lassen den in der Beschwerde erhobenen Vorwurf der Willkür als unbegründet erscheinen.
d) Vollends fehl geht die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie. Aus dieser lässt sich kein Anspruch auf erhöhte Fürsorge des Richters für die Partei ableiten, so dass die Eigentumsgarantie nicht dadurch verletzt sein kann, dass das Verwaltungsgericht die Beschwerdeführer nicht aufgefordert hat, sich zur Frage des Verzögerungsschadens nachträglich noch zu äussern. Die Eigentumsgarantie wäre übrigens selbst dann nicht verletzt, wenn die Beschwerdeführer einen (höheren als den ihnen zugesprochenen) Verzögerungsschaden substantiiert geltend gemacht hätten und damit vom Verwaltungsgericht zu Unrecht abgewiesen worden wären. Aus der Eigentumsgarantie folgt nur ein Anspruch auf volle Entschädigung für die Nachteile, die der Betroffene durch den enteignungsähnlichen Eingriff als solchen unmittelbar erleidet. Ob und inwieweit der Staat für den mittelbaren Schaden hafte, den der Betroffene infolge verspäteter Beurteilung und Auszahlung dieser Entschädigung erleidet, bestimmt sich nach den für die Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe geltenden Vorschriften, deren Missachtung nicht gegen die Eigentumsgarantie verstossen würde.
9.
Für den Fall, dass die Entschädigung für das Bauverbot auf Grund der Wertverhältnisse im Zeitpunkt des Inkrafttretens der FSchV bemessen werde, verlangte Bäggli vor Verwaltungsgericht,
BGE 93 I 130 S. 153
der Kanton sei zu verpflichten, das vom Bauverbot betroffene Land gegen Bezahlung von 4'436,430.-- zu Eigentum zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht hat dieses Heimschlagsrecht abgelehnt, was in der Beschwerde der Erben Bäggli als Willkür und Verletzung der Eigentumsgarantie gerügt wird.
a) Die Berufung auf letztere ist offensichtlich unbegründet. Das Heimschlagsrecht ergibt sich nicht aus der Eigentumsgarantie und insbesondere nicht aus dem Erfordernis "voller Entschädigung". Die Eigentumsgarantie begründet nur einen Anspruch auf Entschädigung in Geld, nicht aber aufÜbernahme des durch einen enteignungsähnlichen Eingriff betroffenen Grundstücks. Vor der Eigentumsgarantie können auch gesetzliche Regelungen der materiellen Enteignung bestehen, die (wie z.B. die §§ 183 bis - quater zürch. EG/ZGB oder Art. 25 NatStrG) das Heimschlagsrecht überhaupt nicht kennen.
b) § 8 AbtrG sieht das Heimschlagsrecht für die formelle Enteignung vor. Inwiefern es auch bei der materiellen Enteignung sinngemäss anzuerkennen sei, hat das Verwaltungsgericht als zweifelhaft bezeichnet, aber offen gelassen; es lehnt das eventuell geltend gemachte Heimschlagsrecht ab mit der Begründung, Bäggli wolle damit die Wertsteigerung realisieren, die sein Land seit 1951 erfahren hätte, wenn die FSchV kein Bauverbot ausgesprochen hätte, und hierauf habe er nach den zur Frage des Bewertungszeitpunkts angestellten Erwägungen keinen Anspruch. Diese Betrachtungsweise erscheint als zutreffend und ist keinesfalls schlechthin unhaltbar, willkürlich. Wenn das dem formellen Enteignungsrecht angehörende Institut des Heimschlags auf enteignungsähnliche Tatbestände angewendet würde, so müsste diese Anwendung sinngemäss erfolgen, und das würde dazu führen, dass der Betroffene einerseits für die durch den enteignungsähnlichen Eingriff erlittene Entwertung des Landes zur Zeit des Inkrafttreten desselben und anderseits für den Wert des mit der Eigentumsbeschränkung belasteten Landes im Zeitpunkt der späteren Übernahme durch das Gemeinwesen zu entschädigen ist. Es wäre ungerechtfertigt und mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit nicht vereinbar, wenn beim Heimschlag der entwertende Eingriff nicht berücksichtigt und von der Fiktion ausgegangen würde, das Grundstück sei bisher unbelastet gewesen. Es kann sich beim Heimschlag nicht anders verhalten, als wenn ein mit einem Bauverbot belastetes Grundstück nachträglich vom Gemeinwesen enteignet
BGE 93 I 130 S. 154
wird, wofür auf das in Erw. 7 c/cc hievor Gesagte zu verweisen ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
57211ab3-2a99-432d-9fe5-925d86596217 | Urteilskopf
88 III 12
3. Entscheid vom 2. Februar 1962 i.S. Moor. | Regeste
Widerruf von Verfügungen. Das Betreibungs- oder Konkursamt kann eine von ihm erlassene Verfügung nur während der Beschwerdefrist widerrufen, es wäre denn, sie sei nichtig.
Die Zustellung einer Betreibungsurkunde an eine Person, die nicht berechtigt ist, sie für den Schuldner entgegenzunehmen, ist nicht schlechthin nichtig. Voraussetzungen, unter denen eine solche Zustellung wirksam wird.
Zustellung an eine betriebene Aktiengesellschaft. Zunächst muss die Zustellung an ein Mitglied der Verwaltung oder einen Prokuristen versucht werden (
Art. 65 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
). Nur wenn ein solcher Vertreter der Gesellschaft in dem Lokal, wo er seine Tätigkeit für diese auszuüben pflegt, nicht angetroffen wird, darf die Zustellung an einen andern, im gleich Lokal tätigen Angestellten erfolgen (Verdeutlichung der Rechtsprechung zu
Art. 65 Abs. 2 SchKG
). | Sachverhalt
ab Seite 13
BGE 88 III 12 S. 13
A.-
Am 19. Juni 1961 stellte Ralph R. Moor beim Betreibungsamt Zürich 1 ein Betreibungsbegehren für eine Forderung aus Kreditschädigung und Ehrverletzung von Fr. 100'000 nebst Zins, worin als Schuldnerin angegeben war: "AG für Presseerzeugnisse, Administration, Bahnhofstrasse 69, Zürich 1 (Verlag der Tageszeitung BLICK)." Der vom Betreibungsamt am 20. Juni 1961 erlassene Zahlungsbefehl enthielt die gleiche Schuldnerbezeichnung mit der Abweichung, dass die Angabe "Bahnhofstrasse 69, Zürich 1" durch die Angabe "Bahnhofstrasse 69/Büro Dr. Hugo Gut Verw.R.Präs." ersetzt war. Der mit der Zustellung beauftragte Verwaltungsangestellte Hermann Widmer begab sich am 20. Juni 1961 in das Haus Bahnhofstrasse 69 und betrat im ersten Stock das Büro, dessen Eingangstüre die Aufschriften "AG für Presseerzeugnisse, Administration" und "Ringier-Verlag, Verlagsbüro" trug. Dort traf er weder Dr. Gut noch ein anderes Mitglied der Verwaltung oder einen Prokuristen der Schuldnerin. Er übergab den Zahlungsbefehl gemäss Zustellungsbescheinigung an "Herrn (Walter) Stocker, Angestellten der Betriebenen, zu deren Handen." Das Büro an der Bahnhofstrasse sandte den Zahlungsbefehl sogleich an Dr. Hugo Gut, Löwenstrasse 11, Zürich 1, der dort eine Steuerrechts- und Treuhandpraxis betreibt, doch erhielt dieser infolge eines Versehens seiner Sekretärin erst am 4. Juli 1961 davon Kenntnis. Am 6. Juli 1961 liess die Schuldnerin dem Betreibungsamt durch einen Anwalt mitteilen, der Zahlungsbefehl sei unrichtig zugestellt worden, da sich ihr Domizil gemäss Handelsregister an der Löwenstrasse
BGE 88 III 12 S. 14
11 befinde; vorsorglich erhebe sie Rechtsvorschlag. Daraufhin hob das Betreibungsamt mit Verfügung vom 7. Juli 1961 die Zustellung vom 20. Juni 1961 auf und stellte Dr. Gut zu Handen der Schuldnerin einen neuen Zahlungsbefehl zu, gegen den gleichen Tags Rechtsvorschlag erhoben wurde.
B.-
Die Beschwerde, mit welcher der Gläubiger die Aufhebung dieser Massnahmen und die Wiederinkraftsetzung des am 20. Juni 1961 zugestellten, gemäss Gläubigerdoppel innert der darauf folgenden zehn Tage nicht mit Rechtsvorschlag belegten Zahlungsbefehls verlangte, ist am 29. August 1961 von der untern und am 12. Januar 1962 nach Durchführung eines einlässlichen Beweisverfahrens auch von der kantonalen Aufsichtsbehörde abgewiesen worden.
C.-
Mit dem vorliegenden Rekurs an das Bundesgericht erneuert der Gläubiger sein Beschwerdebegehren.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Kommt das Betreibungs- oder Konkursamt zur Überzeugung, dass eine von ihm getroffene Verfügung gesetzwidrig oder den Verhältnissen nicht angemessen sei, so kann es sie gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes selber aufheben, solange sie noch nicht rechtskräftig geworden, d.h. die Beschwerdefrist des
Art. 17 Abs. 2 SchKG
noch nicht abgelaufen ist (BGE 22 S. 697; Entscheid vom 19. November 1903 i.S. Oberhäusli, Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs 8 Nr. 26 S. 73;
BGE 29 I 555
,
BGE 30 I 422
,
BGE 32 I 732
= Sep. ausg. 6 S. 279, 7 S. 162, 9 S. 314;
BGE 67 III 163
,
BGE 76 III 88
/89,
BGE 78 III 23
u. 51). Der Widerruf ist in einem solchen Falle formell einwandfrei, doch bleibt der dadurch beschwerten Partei die Möglichkeit, durch Beschwerde geltend zu machen, er sei materiell nicht gerechtfertigt (BGE 22 S. 698 und zit. Entscheid i.S. Oberhäusli, Archiv 8 S. 75/76). Nach Ablauf der Beschwerdefrist ist ein Widerruf dagegen aus verfahrensrechtlichen
BGE 88 III 12 S. 15
Gründen (wegen Eintritts der Rechtskraft der betreffenden Verfügung) unzulässig, es wäre denn, die Verfügung sei schlechthin nichtig und habe daher nicht rechtskräftig werden können (
BGE 78 III 51
).
Die Zustellung einer Betreibungsurkunde an eine Person, die nicht berechtigt war, sie für den Schuldner entgegenzunehmen, wird wirksam, wenn die Urkunde tatsächlich gleichwohl dem Schuldner (bzw. im Falle der Betreibung einer Aktiengesellschaft einem Mitglied der Verwaltung im Sinne von
Art. 65 Ziff. 2 SchKG
oder einem Prokuristen) zugeht und der Schuldner (bzw. die betriebene Aktiengesellschaft) binnen zehn Tagen von da an gegen die vorschriftswidrige Zustellung keine Beschwerde einreicht. Erfolgt, was hier nicht zutrifft, die Übergabe an den Schuldner (bzw. an ein Mitglied der Verwaltung oder einen Prokuristen) so zeitig, dass der bei der Zustellung unterlaufene Fehler den Schuldner (bzw. die Aktiengesellschaft) in der Wahrung seiner (ihrer) Rechte nicht behindert, so ist eine Anfechtung der Zustellung mangels eines rechtlich beachtlichen Interesses überhaupt ausgeschlossen (
BGE 61 III 158
). Die Vorinstanz hat daher mit Recht angenommen, die streitige Zustellung sei auch unter der Voraussetzung, dass sie fehlerhaft war, nicht schlechthin nichtig. Das Betreibungsamt konnte sie deshalb nicht zu beliebiger Zeit wieder aufheben. Vielmehr durfte es dies am 7. Juli 1961 nur tun, wenn damals die Beschwerdefrist noch lief, und dies war nur dann der Fall, wenn die dem Verwaltungsratspräsidenten der Schuldnerin am 4. Juli 1961 zur Kenntnis gelangte Zustellung vom 20. Juni gegen
Art. 65 SchKG
verstiess und daher mindestens einstweilen wirkungslos war. War jene Zustellung dagegen in Ordnung, so muss die Schuldnerin sich die Annahme gefallen lassen, dass sie davon schon am 20. Juni 1961 im Sinne von
Art. 17 Abs. 2 SchKG
Kenntnis erhalten habe. Die Beschwerdefrist war also in diesem Fall am 7. Juli 1961 bereits abgelaufen und ein Widerruf der Zustellung folglich nicht mehr zulässig. Der Entscheid darüber, ob
BGE 88 III 12 S. 16
das Betreibungsamt formell berechtigt gewesen sei, die streitige Zustellung aufzuheben, hängt somit davon ab, wie diese Verfügung materiell zu beurteilen sei.
2.
Art. 65 SchKG
bestimmt in Abs. 1 und 2:
"Ist die Betreibung gegen eine juristische Person oder eine Gesellschaft gerichtet, so erfolgt die Zustellung an den Vertreter derselben. Als solcher gilt:
1. .....
2. für eine Aktiengesellschaft, eine Genossenschaft oder einen im Handelsregister eingetragenen Verein jedes Mitglied der Verwaltung oder des Vorstandes, sowie jeder Prokurist;
3. .....
4. .....
Werden die genannten Personen in ihrem Geschäftslokale (à leur bureau, in ufficio) nicht angetroffen, so kann die Zustellung auch an einen andern Beamten oder Angestellten erfolgen."
Nach dieser Bestimmung muss im Falle der Betreibung gegen eine Aktiengesellschaft zunächst versucht werden, die für diese bestimmten Betreibungsurkunden einem Mitglied der Verwaltung oder einem Prokuristen zuzustellen. Die Zustellung an einen andern Angestellten (sog. Ersatzzustellung) ist gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung nur unter der dort genannten Bedingung statthaft.
Im Bedingungssatze: "Wenn die gennanten Personen in ihrem Geschäftslokale nicht angetroffen werden" kann mit dem Geschäftslokale nach dem deutschen und französischen Text sprachlich nur das Geschäftslokal der betreffenden Person gemeint sein. Unter dem Geschäftslokal eines Mitglieds der Verwaltung oder eines Prokuristen der betriebenen Aktiengesellschft ist aber im Rahmen von
Art. 65 SchKG
, der die Zustellung von Betreibungsurkunden an betriebene juristische Personen und Gesellschaften regelt, vernünftigerweise nicht ein Lokal zu verstehen, in welchem der betreffende Vertreter der Aktiengesellschaft lediglich seine eigenen Geschäfte (oder diejenigen Dritter) betreibt, sondern das Lokal, in welchem er seinen Geschäften als Mitglied der Verwaltung oder als Prokurist der betriebenen Gesellschaft obliegt. Mit dieser Verdeutlichung ist anBGE 57 III 48undBGE 72 III 72festzuhalten, wo gesagt wurde, das Geschäftslokal, von dem in
Art. 65
BGE 88 III 12 S. 17
Abs. 2 SchKG
die Rede ist, sei dasjenige der Unternehmung (der betriebenen juristischen Person oder Gesellschaft) selber, nicht das eigene Geschäftslokal eines Mitgliedes der Verwaltung. Die Vorinstanz hat also (in Übereinstimmung mit F. v. STEIGER, Zur Frage der Zustellung von Betreibungsurkunden, welche für eine Aktiengesellschaft bestimmt sind, in der Zeitschrift "Die Schweiz. Aktiengesellschaft", 1931/32, S. 50 ff.) zu Recht angenommen, als Geschäftslokal im Sinne von Art. 65 Abs. 2 könne bei einer Aktiengesellschaft nicht einfach jede Räumlichkeit angesehen werden, in der sich irgendein Teil des technischen Betriebs oder des Verkehrs mit den Kunden abwickelt, sondern in Betracht komme nur ein Lokal, in welchem ein Mitglied der Verwaltung oder wenigstens ein Prokurist seine Tätigkeit für die Gesellschaft ausübt bzw. auszuüben pflegt.
Diese Auslegung wird auch durch die ratio legis gefordert.
Art. 65 SchKG
will nach Möglichkeit dafür sorgen, dass die für eine betriebene juristische Person oder Gesellschaft bestimmten Betreibungsurkunden in die Hände der natürlichen Personen gelangen, die in der Betreibungssache für sie handeln können. Darum sieht Art. 65 Abs. 1 für den Fall der Betreibung einer Aktiengesellschft die Zustellung an ein Mitglied der Verwaltung oder einen Prokuristen vor. Um die Aufgabe des Betreibungsamtes nicht übermässig zu erschweren und um untragbare Verzögerungen zu vermeiden, lässt Art. 65 Abs. 2 ausnahmsweise die Zustellung an einen (andern) Angestellten zu, der bei der Wahrung der Interessen der Betriebenen nur eine Hilfsfunktion ausüben, d.h. die Urkunde an die zum Handeln berufenen Personen weiterleiten kann. Wenn diese Ausnahme nicht zur Regel werden und die Verwirklichung des erwähnten Zwecks nicht zu sehr gefährdet werden soll, darf die Zustellung an einen solchen untergeordneten Angestellten der betriebenen Gesellschaft aber nur erfolgen, nachdem die Zustellung an ein Mitglied der Verwaltung oder an einen Prokuristen in demjenigen Lokal
BGE 88 III 12 S. 18
erfolglos versucht worden ist, wo das betreffende Verwaltungsmitglied bzw. der betreffende Prokurist seine Tätigkeit für die Gesellschaft auszuüben pflegt (und daher normalerweise anzutreffen ist). Aus dem gleichen Grunde kommt für die Ersatzzustellung nur ein Angestellter in Betracht, der in den gleichen Räumlichkeiten wie der in Frage stehende Vertreter der Gesellschaft arbeitet und deshalb ohne weiteres in der Lage ist und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht versäumen wird, die Urkunde unverzüglich an diesen weiterzuleiten, so dass dieser bei seiner Rückkehr ins Geschäftslokal davon Kenntnis erhält.
3.
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die gemäss
Art. 81 und 63 Abs. 2 OG
für das Bundesgericht verbindlich sind, waren diese Voraussetzungen im vorliegenden Falle bei der Zustellung vom 20. Juni 1961 nicht erfüllt. Im Büro an der Bahnhofstrasse 69 pflegt weder ein Mitglied der Verwaltung noch ein Prokurist der AG für Presseerzeugnisse tätig zu sein. Der Verwaltungsratspräsident, der sein Büro an der Löwenstrasse 11 hat, war erst einmal in jenen Räumen, und Verwaltungsrat Heinrich Brunner (der im Hauptamt Generaldirektor und Mitglied des Verwaltungsrats der Verlagsanstalt Ringier & Co. AG in Zofingen ist) erscheint dort nur gelegentlich. Das Büro an der Bahnhofstrasse kann daher nicht als Geschäftslokal im Sinne von
Art. 65 Abs. 2 SchKG
gelten, und der Umstand, dass der zustellende Beamte dort weder ein Mitglied der Verwaltung noch einen Prokuristen antraf, erlaubte ihm folglich nicht, den Zahlungsbefehl dem dort befindlichen Angestellten Stocker auszuhändigen (wogegen hierfür kein Hindernis gewesen wäre, dass Stocker formell nicht von der AG für Presseerzeugnisse, sondern vom Ringierverlag angestellt worden ist; vgl.
BGE 72 III 78
ff.).
Hieran ändert nichts, dass der Verwaltungsratspräsident das im Büro an der Bahnhofstrasse tätige Personal angewiesen hatte, Zahlungsbefehle und ähnliche Urkunden an ihn weiterzuleiten. Diese interne Weisung, die aus begreiflicher Vorsicht erlassen worden war, gab dem Betreibungsamt
BGE 88 III 12 S. 19
nicht das Recht, anders vorzugehen, als
Art. 65 SchKG
es vorschreibt.
Ebenso ist unerheblich, dass die Adressangabe im Betreibungsbegehren den Angaben in der Zeitung "Blick" entsprach. Diese Angaben, die in erster Linie zur Verwendung im normalen Geschäftsverkehr zwischen dem Publikum und der Zeitungsadministration (namentlich im Abonnementsverkehr) bestimmt sind, können für die Zustellung von Betreibungsurkunden nicht ohne weiteres massgebend sein und entbanden das Betreibungsamt so wenig wie die erwähnte Weisung des Verwaltungsratspräsidenten von der Befolgung der gesetzlichen Vorschriften über die Zustellung solcher Urkunden.
Dadurch, dass das Büro an der Bahnhofstrasse den Zahlungsbefehl sogleich an den Verwaltungsratspräsidenten weitersandte, wäre die fehlerhafte Zustellung vom 20. Juni 1961 höchstens dann unanfechtbar geworden, wenn der Verwaltungsratspräsident den Zahlungsbefehl hierauf tatsächlich sofort erhalten hätte (vgl.
BGE 61 III 158
), was nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht der Fall war.
Das Betreibungsamt war. also formell und materiell berechtigt, die Zustellung vom 20. Juni 1961 zu widerrufen. Dass die Schuldnerin innert zehn Tagen von dieser Zustellung an keinen Rechtsvorschlag erhoben hat, kann ihr nicht schaden, weil diese Zustellung fehlerhaft war und deswegen aufgehoben worden ist.
Der Gläubiger hätte die fehlerhafte Zustellung vermeiden können, wenn er das Ragionenbuch konsultiert hätte, wo als Geschäftslokal der betriebenen Gesellschaft entsprechend den Angaben im Handelsregister das Büro des Verwaltungsratspräsidenten Dr. Gut an der Löwenstrasse 11 genannt ist. Hier hätte die Zustellung in Abwesenheit von Dr. Gut ohne weiteres an einen Angestellten seines Büros erfolgen können (
BGE 72 III 71
ff.).
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
57251c26-33c2-43b6-86b8-137731d58666 | Urteilskopf
112 Ia 322
50. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Dezember 1986 i.S. Delta Optik AG gegen Sanitätsdepartement und Appellationsgericht (als Verwaltungsgericht) des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Handels- und Gewerbefreiheit; eidgenössisches Meisterdiplom als Voraussetzung für eine Bewilligung zur selbständigen Führung eines Augenoptikergeschäftes.
1. Unter welchen Voraussetzungen darf ein Kanton die Erteilung einer Bewilligung zur selbständigen Führung eines eigenen Geschäftsbetriebes vom Bestehen einer Fachausbildung und einer Prüfung abhängig machen? (E. 4.)
2. Im heutigen Zeitpunkt ist es unverhältnismässig, für das Führen eines auf die Herstellung und den Verkauf von Brillen nach ärztlichem Rezept beschränkten Augenoptikerbetriebes das eidgenössische Meisterdiplom zu verlangen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 323
BGE 112 Ia 322 S. 323
Die Delta Optik AG, die sich selbst als "Brillendiscounter Nr. 1 in der Schweiz" bezeichnet, plante im Jahre 1983 die Eröffnung eines Brillenverkaufsgeschäftes im Warenhaus Rheinbrücke in Basel. Als verantwortlicher Geschäftsführer war Alfred Waldenmeyer vorgesehen, der im Besitze des Fähigkeitszeugnisses als Augenoptiker im Sinne von
Art. 43 des Bundesgesetzes über die Berufsbildung vom 19. April 1978 (BBG; SR 412.10)
und des "Vorläufigen Reglementes über die Stufenausbildung und die Lehrabschlussprüfungen in den Optikerberufen" vom 9. Mai 1975 (auf den 1. Januar 1986 abgelöst durch das "Reglement über die Ausbildung und die Lehrabschlussprüfung der Augenoptiker" vom 18. September 1985) ist.
Mit Gesuch vom 23. Juni 1983 verlangte die Delta Optik AG vom Sanitätsdepartement des Kantons Basel-Stadt die Erteilung der Bewilligung zur Anfertigung und zum Verkauf von Brillen und anderen Sehhilfen nach ärztlicher Verordnung im Bereich des Kantons Basel-Stadt, wobei die Bewilligung die Vornahme der objektiven Refraktometrie bzw. Skiaskopie, der subjektiven Brillenglasbestimmung und der Kontaktlinsenanpassung nicht umfassen sollte. Das Sanitätsdepartement des Kantons Basel-Stadt wies das Gesuch am 22. Juli 1983 mit der Begründung ab, gemäss § 4 lit. b der baselstädtischen Verordnung betreffend die Augenoptiker vom 29. Februar 1972 (im folgenden: Augenoptikerverordnung) sei zur selbständigen Führung eines Optikergeschäftes das eidgenössische Meisterdiplom als Augenoptiker erforderlich. Dafür umfasse die Augenoptikerbewilligung auch die Bewilligung zur Vornahme der objektiven Refraktometrie bzw. Skiaskopie, der subjektiven Brillenglasbestimmung und der Kontaktlinsenanpassung. Eine auf die Anfertigung und den Verkauf von Brillen beschränkte Teilbewilligung sehe die Augenoptikerverordnung nicht vor.
BGE 112 Ia 322 S. 324
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht wies einen Rekurs der Delta Optik AG gegen die Verfügung des Sanitätsdepartementes ab. Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde der Delta Optik AG gegen das Urteil des Appellationsgerichtes wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit gut aus den folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
3.
a) Wie das Bundesgericht in dem der Beschwerdeführerin bekannten Urteil vom 2. Juli 1985 i.S. V. festgehalten hat, bilden die §§ 2 und 2a des baselstädtischen Gesetzes betreffend Ausübung des Berufs der Medizinalpersonen vom 26. Mai 1879 (SG 310.100) eine genügende gesetzliche Grundlage für die Augenoptikerverordnung und die darin vorgesehene Bewilligungspflicht für die Führung eines Augenoptikerbetriebes. Davon abzugehen besteht im vorliegenden Fall kein Anlass.
Die Kritik der Beschwerdeführerin, die §§ 2 und 2a des Gesetzes würden den heutigen Anforderungen an eine Delegationsnorm nicht genügen, ist nicht stichhaltig. § 2a des Gesetzes ermächtigt im Gegenteil den Regierungsrat ausdrücklich, die Erteilung einer Bewilligung vom Nachweis der erforderlichen Fähigkeiten abhängig zu machen. Darin liegt eine genügende gesetzliche Grundlage für die in der Augenoptikerverordnung enthaltene Regelung, wonach die verantwortliche Führung des Augenoptikerbetriebes in den Händen eines Inhabers des Diploms für die bestandene höhere Fachprüfung (Meisterdiplom) liegen muss. Ob der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt verpflichtet gewesen wäre, die Verordnung so auszugestalten, dass unter gewissen Umständen auch ein Inhaber des blossen Fähigkeitszeugnisses eine Bewilligung erhält - wie die Beschwerdeführerin geltend macht -, ist nicht eine Frage der gesetzlichen Grundlage.
b) Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass ein gewisses öffentliches Interesse an der Reglementierung des Augenoptikerberufes besteht. Sie wirft zwar die Frage auf, wo das öffentliche Interesse daran liege, schon den Verkauf von Brillengläsern nach ärztlicher Verordnung sowie von Brillengestellen solchen Berufsleuten vorzubehalten, die darüber hinaus zur Vornahme der objektiven Refraktometrie bzw. Skiaskopie, subjektiven Brillenglasbestimmung und Kontaktlinsenanpassung ausgebildet seien; eine eigentliche Rüge, die den Anforderungen von
Art. 90 Abs. 1 lit. b
BGE 112 Ia 322 S. 325
OG
genügen würde, erhebt sie in diesem Zusammenhang allerdings nicht, weshalb darauf nicht näher einzugehen ist. Im übrigen fällt diese Frage im wesentlichen mit dem Problem zusammen, ob die Bestimmungen der §§ 1 und 4 der Augenoptikerverordnung diesbezüglich dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen.
4.
a) Wird die Erteilung einer Bewilligung zur Führung eines eigenen Geschäftsbetriebes vom Bestehen einer Fachausbildung und einer Prüfung abhängig gemacht, so schränkt dies den Zugang zum betreffenden Gewerbe erheblich ein. Ein beruflicher Fähigkeitsausweis kann daher ohne Verletzung von
Art. 31 BV
nur verlangt werden, wenn die Prüfungsanforderungen überwiegend den zu schützenden polizeilichen Rechtsgütern dienen (MARTI, Die Wirtschaftsfreiheit der schweizerischen Bundesverfassung, S. 108/9; vgl. auch
BGE 103 Ia 602
).
b) Auf dem Gebiet der beruflichen Fähigkeitsausweise und -diplome kommt dem Grundsatz der Verhältnissmässigkeit in hohem Masse die Bedeutung zu, vor unnötigen und übertriebenen, vielfach gewerbe- oder standespolitisch (konkurrenzschützend) motivierten Erfordernissen zu bewahren, aber auch den Schutzbedürfnissen des Publikums wirksam Rechnung zu tragen (GYGI, Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 89). Dieses Spannungsfeld hat das Bundesgericht im Rahmen einer reichhaltigen Rechtsprechung zu
Art. 31 BV
abzustecken versucht.
Dabei hat es zwar den Kantonen das Recht zuerkannt, die Ausübung gewisser Tätigkeiten vom Besitze eines Meisterdiploms oder eines Fähigkeitsausweises abhängig zu machen (vgl. die Zusammenfassung der Praxis in
BGE 103 Ia 262
/3 E. 2a). Doch wurden solche Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit nur als zulässig erachtet, wenn die fragliche Tätigkeit Gefahren für das Publikum mit sich bringt, die nur durch beruflich besonders befähigte Personen in erheblichem Masse vermindert werden können (
BGE 103 Ia 262
;
BGE 100 Ia 175
/6 E. 3a, mit zahlreichen Hinweisen).
Sodann hat sich das Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit insbesondere auch mit dem Problem befasst, ob und inwieweit allenfalls Kantone und Gemeinden, die die Erteilung einer Bewilligung vom Besitze eines beruflichen Fähigkeitsausweises oder eines Diploms abhängig machen, die gesetzliche Regelung differenziert auszugestalten haben, indem sie nötigenfalls weniger strenge Anforderungen an den Nachweis beruflicher
BGE 112 Ia 322 S. 326
Kenntnisse stellen, wenn ein Gesuchsteller in seinem Geschäftsbetrieb nur einen Teil der sonst in der Branche üblichen Tätigkeiten ausüben will. Es hat ausgeführt, ein Gemeinwesen sei zwar nicht grundsätzlich verpflichtet, eine Teilbewilligung vorzusehen; anders verhalte es sich aber, wenn in klarer und praktikabler Weise einzelne Zweige einer beruflichen Tätigkeit bezeichnet werden können, für welche es sich aufdränge, geringere Anforderungen an die notwendige Fachkunde zu stellen (
BGE 103 Ia 600
E. 3b). Eine Verfeinerung gewerbepolizeilicher Zulassungsbestimmungen dränge sich dagegen dann nicht auf, wenn es sich bei dem vom Gesuchsteller geplanten eingeschränkten Geschäftsbetrieb um einen ausgesprochen seltenen Sonderfall handle (Urteil vom 7. Juli 1984, in ZBl 86/1985 S. 118 ff., speziell S. 120).
c) Diese allgemeinen Überlegungen gelten grundsätzlich auch für den gesamten Bereich des Gesundheitswesens. Einerseits dürfen - in diesem Bereich nicht seltene - standespolitische Überlegungen wie die wirtschaftliche Sicherung der Angehörigen einzelner Medizinalberufe nicht dazu führen, dass mit Hilfe von unverhältnismässigen Anforderungen an berufliche Fähigkeitsausweise einzelne Angehörige dieser Berufe von einer selbständigen Tätigkeit praktisch ausgeschlossen werden (
BGE 111 Ia 186
E. 2b, mit Nachweisen). Andererseits besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass in den Berufen des Gesundheitswesens nur fähige Leute tätig sind, handelt es sich doch gerade bei der Gesundheit um ein Rechtsgut, das des gewerbepolizeilichen Schutzes in hohem Masse bedarf. Aus diesem Grund hat es etwa das Bundesgericht als zulässig erachtet, die Anpassung von Kontaktlinsen den Inhabern des Meisterdiploms als Augenoptiker vorzubehalten (
BGE 103 Ia 272
ff.). Demgegenüber bezeichnete es das Bundesgericht im aufgezeigten Spannungsfeld zwischen polizeilich motiviertem Schutz der Gesundheit und standespolitischen Überlegungen als unverhältnismässig und mit
Art. 31 BV
nicht vereinbar, den diplomierten Optikermeistern die Anpassung von Kontaktlinsen nur auf ärztliches Rezept hin zu gestatten (
BGE 110 Ia 99
ff.).
d) Im Bereiche des Gesundheitswesens können nun allerdings im Zusammenhang mit dem Erfordernis beruflicher Fähigkeitsausweise weitere Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit in Betracht fallen, die nicht bloss auf den unmittelbaren Schutz der Gesundheit des mit einer bestimmten Medizinalperson verkehrenden Kunden oder Patienten abzielen. Im Hinblick darauf, dass die genügende Versorgung bestimmter Gebiete mit Ärzten,
BGE 112 Ia 322 S. 327
Apothekern und anderen Angehörigen medizinischer (Hilfs-)Berufe ein erhebliches öffentliches Interesse darstellt, dürfen die Kantone im Rahmen eines gesundheitspolitischen Gesamtkonzepts unter Umständen gewisse, beruflich an sich befähigte Medizinalpersonen von der Führung bestimmter Geschäftszweige ausschliessen. So hat das Bundesgericht etwa das Verbot der Selbstdispensation von Medikamenten durch praktizierende Ärzte als mit der Handels- und Gewerbefreiheit vereinbar bezeichnet, wenn dadurch die Versorgung einer bestimmten Region mit Apotheken gesichert werden kann, die ein breiteres Sortiment als die Ärzte führen (
BGE 111 Ia 184
ff.). Es wäre eventuell denkbar, im gleichen Sinne auch die Führung von Optikergeschäften den Inhabern des Meisterdiploms vorzubehalten, wenn sich aufgrund einer überzeugenden gesundheitspolitischen Planung zeigen würde, dass ohne diese Massnahme in einem bestimmten Gebiet die Anzahl von Augenoptikern, die nicht bloss Brillen nach ärztlichem Rezept herstellen und verkaufen können, sondern auch in der Lage sind, qualifiziertere Arbeiten wie Refraktometrien, Brillenglasbestimmungen und Kontaktlinsenanpassungen auszuführen, zu gering zu werden droht. Angesichts der hohen Versorgungsdichte mit Optikergeschäften in der Schweiz (vgl. dazu "Die Wettbewerbsverhältnisse im Bereich der Optikerbranche", Veröffentlichungen der Schweizerischen Kartellkommission 1984, S. 265 und S. 294/5) ist dies allerdings schwer vorstellbar. Derartige gesundheitspolitische Bedenken macht denn auch das Sanitätsdepartement des Kantons Basel-Stadt in seiner Vernehmlassung nicht geltend.
5.
a) Die Beschwerdeführerin bestreitet zu Recht nicht, dass ein Kanton die selbständige Führung eines Optikergeschäftes aus gesundheitspolizeilichen Gründen ohne Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit vom Besitze eines Fähigkeitsausweises abhängig machen darf, auch wenn nur Brillen nach ärztlichem Rezept hergestellt und verkauft werden. Sie macht jedoch geltend, dass für die selbständige Führung eines solchen Betriebes das Meisterdiplom nicht verlangt werden könne.
b) Die baselstädtische Augenoptikerverordnung geht im Grunde selbst davon aus, dass ein Augenoptiker mit Fähigkeitszeugnis in der Lage ist, den Kunden Brillen nach Rezeptangabe zu verkaufen. Denn § 2 der Augenoptikerverordnung sieht ausdrücklich vor, dass mit der Abgabe von Korrekturbrillen und geschliffenen Gläsern betraut werden darf, wer sich über den erfolgreichen Lehrabschluss als Augenoptiker ausweisen kann oder im Besitze
BGE 112 Ia 322 S. 328
eines anderen gleichwertigen Ausweises ist; die Aufsicht des verantwortlichen Bewilligungsinhabers mit Meisterdiplom ist dafür - im Gegensatz zur Brillenglasbestimmung und zur Kontaktlinsenanpassung durch einen Angestellten (vgl. § 3 der Augenoptikerverordnung) - nicht erforderlich.
Das Sanitätsdepartement wies das Gesuch der Beschwerdeführerin denn auch nur deshalb ab, weil die Augenoptikerverordnung eine auf die Herstellung und den Verkauf von Brillen nach ärztlichem Rezept beschränkte Bewilligung zur selbständigen Führung eines Optikergeschäftes nicht vorsieht. In seiner Vernehmlassung vor Bundesgericht begründet das Departement diese Regelung damit, dass die als Voraussetzung zur Bewilligungserteilung verlangte höhere Fachprüfung (d.h. das Meisterdiplom) aus Gründen des Publikumsschutzes und einer einfachen Kontrolle der Augenoptikergeschäfte sinnvoll sei. Dem potentiellen Kunden werde damit Gewähr geboten, dass er umfassend und fachlich einwandfrei beraten werde. In Basel erwarte das Publikum von jedem Bewilligungsinhaber, dass er umfassend augenoptisch tätig sei, d.h. dass er z.B. auch Refraktometrien durchführe. Sodann würden beim Vorhandensein verschieden qualifizierter Augenoptikergeschäfte wirksame Kontrollen schwierig sein; der Anwendung zweifelhafter bzw. unstatthafter Kontrollmethoden könnte Vorschub geleistet werden. Der Kanton Basel-Stadt habe sich für eine praktikablere und besser kontrollierbare strengere Lösung als zum Teil andere Kantone entschieden.
c) In seinem Bericht vom 17. Februar 1972 an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt zum damals vorgelegten Verordnungsentwurf führte das Sanitätsdepartement zur vorgeschlagenen Regelung aus:
"... ist ein Augenoptiker nach 3 1/2-jähriger, erfolgreich abgeschlossener Lehrzeit noch nicht zur selbständigen Berufsausübung fähig, da der angehende Optiker während der Lehrlingsausbildung in erster Linie manuell ausgebildet wird und vorwiegend in der Werkstatt des Betriebes arbeitet. In dieser Zeit führt er keine vom Augenarzt verschriebenen Brillenrezepte aus und hat auch keinerlei Kontakt mit der Kundschaft. Die für die spätere verantwortliche Geschäftsführung notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen hingegen erlangt er erst in der dem Lehrabschluss folgenden, mindestens 4-jährigen Vorbereitungstätigkeit zur Erlangung des Meistertitels. Während im Ausland zum Erwerb dieses Meistertitels eigentliche Optikerfachschulen bestehen, können in der Schweiz Augenoptiker mit erfolgreich abgeschlossener Lehrabschlussprüfung nach 4-jähriger praktischer Tätigkeit bei einem Augenoptikermeister und gleichzeitiger Absolvierung zusätzlicher Kurse im Rahmen der gemäss Bundesgesetz über die Berufsbildung
BGE 112 Ia 322 S. 329
vom 20. September 1963 durchgeführten höheren Fachprüfungen den Titel eines Augenoptikermeisters erwerben. ..."
Ob es im Jahre 1972 mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbar war, für die selbständige Führung eines Augenoptikergeschäftes das Meisterdiplom zu verlangen, auch wenn sich der Betrieb auf die Herstellung und den Verkauf von Brillen nach ärztlichem Rezept beschränkt, ist heute nicht zu prüfen. Die vom Sanitätsdepartement in seinem Bericht an den Regierungsrat dargelegten Gründe für die vorgeschlagene und vom Regierungsrat daraufhin verabschiedete Regelung dürften im damaligen Zeitpunkt möglicherweise zutreffend gewesen sein.
d) In der Zwischenzeit haben sich indessen die Anforderungen für den Erwerb des Fähigkeitszeugnisses und des Meisterdiploms im Augenoptikerberuf wesentlich verändert.
aa) Sowohl das "Vorläufige Reglement über die Stufenausbildung und die Lehrabschlussprüfungen in den Optikerberufen" vom 9. Mai 1975, unter dessen Geltungsbereich Alfred Waldenmeyer seinen Fähigkeitsausweis erworben hat, als auch das seit dem 1. Januar 1986 geltende "Reglement über die Ausbildung und die Lehrabschlussprüfung der Augenoptiker" vom 18. September 1985 zeigen, dass bei der Ausbildung und der Prüfung der Augenoptikerlehrlinge jetzt grosses Gewicht auf die Herstellung und den Verkauf von Brillen nach ärztlichem Rezept gelegt wird (vgl. etwa Art. 1 Abs. 1 Stufe 2, Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Stufe 2 und Art. 11 Stufe 2 des Reglementes von 1975; Art. 1 Abs. 2, Art. 5 und insbesondere Art. 11 Abs. 2 lit. b des Reglementes von 1985). Insbesondere der Verkauf von Brillen nach Rezeptvorschrift und die - damit zusammenhängende - Kundenberatung nehmen bei den Prüfungen eine herausragende Stellung ein, wird doch dieses "Prüfungsfach" bei der Notengebung doppelt gezählt (vgl. Art. 13 Abs. 2 Stufe 2 Pos. 3 des Reglementes von 1975 und Art. 12 Abs. 1 [Prüfungsfach Kundenberatung und Brillenverkauf] des Reglementes von 1985). Das "Reglement über die Lehrlingsausbildung und die Lehrabschlussprüfung im Augenoptikerberuf" vom 30. Dezember 1955, das noch in Kraft war, als die baselstädtische Augenoptikerverordnung im Jahre 1972 erlassen wurde, hatte demgegenüber dieses Fach überhaupt nicht gekannt.
Auch in den übrigen Bereichen der Lehrlingsausbildung und der Lehrabschlussprüfungen scheinen - wie eine Durchsicht der Reglemente zeigt - die Anforderungen sowohl in qualitativer (Umschreibung der Fächer) als auch in quantitativer (Erhöhung der
BGE 112 Ia 322 S. 330
Lehrzeit von 3 1/2 auf 4 Jahre) Hinsicht seit 1975 höher zu sein als zum Zeitpunkt, in dem der Kanton Basel-Stadt seine Verordnung erliess. Andere Kantone, die später Regelungen über die Ausübung des Augenoptikerberufes getroffen haben, scheinen dieser Entwicklung Rechnung getragen zu haben, indem sie den gelernten Augenoptikern gestatten, Brillen nach ärztlichem Rezept anzufertigen und zu verkaufen, während sie Brillenglasbestimmungen und Kontaktlinsenanpassungen den Inhabern des Meisterdiploms vorbehalten (Art. 35 der sanktgallischen Verordnung über die Ausübung von Berufen der Gesundheitspflege vom 2. Februar 1982 sowie § 17 lit. b der zugerischen Verordnung I zum Gesundheitsgesetz [medizinische und pharmazeutische Berufe, Hilfsberufe sowie wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungen] vom 22. Dezember 1981; vgl. aber auch bereits schon Art. 3 der bernischen Verordnung über die Augenoptiker vom 1. Mai 1974).
bb) Eine ähnliche Entwicklung wie bei den Fähigkeitsausweisen haben die Anforderungen an die höhere Fachprüfung (Meisterdiplom) durchgemacht. Im "Reglement über die Durchführung der höheren Fachprüfung im Augenoptikerberuf und die Zusatzprüfung in der Kontaktlinsen-Anpassung" vom 5. Juli 1972, das kurze Zeit nach der baselstädtischen Augenoptikerverordnung in Kraft trat, nahm das Fach "Praktisches Arbeiten" - bei dem es vor allem um das Schneiden, Schleifen und Montieren von Brillengläsern nach Rezeptangabe ging - mit 5 von insgesamt 26 Prüfungsstunden einen erheblichen Anteil ein (Art. 15 und 16). Im heute geltenden "Reglement über die Durchführung der höheren Fachprüfung im Augenoptikerberuf" vom 12. Januar 1981 ist dieses Fach nicht mehr aufgeführt (vgl. Art. 15); das Beherrschen dieser Fähigkeiten wird offenbar vom vorangehenden Lehrabschluss und der daran anschliessenden mindestens vierjährigen praktischen Tätigkeit (vgl. dazu Art. 9 lit. c des Reglementes von 1981) her vorausgesetzt. Das Reglement von 1981 legt im Vergleich zum Reglement von 1972 mehr Gewicht auf das Fach "Refraktionsbestimmung und Binokularsehen" (4 von insgesamt 26 1/2 Prüfungsstunden statt 1 1/2 von insgesamt 26 Prüfungsstunden). Ausserdem hat die höhere Fachprüfung heute mit Fächern wie "Anatomie und Physiologie des Sehorgans", "Physiologische Optik und Brillenlehre" und "Pathologie des Sehorgans" mehr den Charakter einer theoretisch-wissenschaftlichen Prüfung als unter dem Reglement von 1972, das diesen Stoff nur teilweise in der für den Erwerb des Meisterdiploms nicht obligatorischen
BGE 112 Ia 322 S. 331
"Zusatzprüfung in der Kontaktlinsen-Anpassung" vorsah (Art. 17 f. und Art. 25 f.).
Diese Tendenz zur vermehrt theoretischen Ausbildung zeigt sich im übrigen auch darin, dass im Reglement von 1981 der Besuch einer höheren Fachschule für Augenoptik als "Praxiszeit" angerechnet wird (Art. 9 lit. c), während im Reglement von 1972 eine solche Anrechnung nicht ausdrücklich vorgesehen war (Art. 9 Abs. 1 lit. c). Nach Auskunft des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit melden sich heute zu den höheren Fachprüfungen denn auch praktisch nur noch Kandidaten an, die die Höhere Fachschule für Augenoptik in Olten absolviert haben. Im Hinblick auf diese Tatsache sowie auf den Umstand, dass der Prüfungskommission unter anderem Mitglieder des Schweizerischen Optikerverbandes angehören (Reglement 1981, Art. 4 Abs. 2), dessen Stiftung Trägerin der Höheren Fachschule in Olten ist, dürfte es heute schwierig sein, die Meisterprüfung ohne Besuch dieser Schule nach der Absolvierung bloss berufsbegleitender Kurse zu bestehen, wie das Sanitätsdepartement noch in seinem Bericht an den Regierungsrat von 1972 meinte. Besonders problematisch ist diesbezüglich auch der faktische Numerus clausus, der aufgrund der beschränkten Kapazität und der restriktiven Aufnahmepraxis bei dieser Schule besteht (vgl. "Die Wettbewerbsverhältnisse im Bereich der Optikerbranche", a.a.O., S. 280, S. 295/6 und S. 301/2).
cc) Im Lichte dieser Entwicklung kann auf jeden Fall im heutigen Zeitpunkt das für einen gelernten Augenoptiker trotz Berufserfahrung nur schwer zu erwerbende Meisterdiplom nicht mehr als angemessener Ausweis über den Erwerb der nötigen praktischen Fähigkeiten zum blossen Herstellen und Verkaufen von Brillen nach ärztlichem Rezept betrachtet werden. Für diese beschränkten Tätigkeiten stellt das Meisterdiplom einen Ausweis dar, der über das Erforderliche hinausgeht.
In den verschiedenen Kantonen, welche die selbständige Führung eines Augenoptikergeschäfts von einem Fähigkeitsausweis abhängig machen, wird im allgemeinen der erfolgreiche Lehrabschluss als genügend anerkannt und ein weitergehender Befähigungsausweis (Meisterdiplom) nur für die Refraktionsbestimmung und Kontaktlinsenanpassung verlangt (vgl. "Die Wettbewerbsverhältnisse im Bereich der Optikerbranche", a.a.O., S. 265 f., und vorne lit. aa). Das heisst nicht, dass ein Kanton nicht auch für die selbständige Führung eines derart beschränkten Betriebes, nebst
BGE 112 Ia 322 S. 332
einem unter den Reglementen von 1975 und 1985 erlangten Fähigkeitszeugnis, unter dem Gesichtspunkt von
Art. 31 BV
mehr verlangen dürfte, wie etwa eine bestimmte Dauer praktischer Tätigkeit im Beruf nach dem Lehrabschluss oder eventuell eine vom Kanton selbst abgenommene Fähigkeitsprüfung. Doch müssten sich die entsprechenden Anforderungen auf das Erforderliche beschränken.
6.
(Dem Kanton Basel-Stadt kann zugemutet werden, die vom Grundsatz der Verhältnismässigkeit geforderte differenzierte Regelung zu schaffen, die eine auf die Herstellung und den Verkauf von Brillen nach ärztlichem Rezept beschränkte Teilbewilligung ermöglicht. Eine solche differenzierte Regelung wird nicht bloss für einen seltenen Sonderfall von Bedeutung sein. Gewichtige Gründe, die dagegen sprechen würden, sind nicht ersichtlich.) | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
5725f42f-2f01-4040-be5f-c77b079e3587 | Urteilskopf
121 IV 240
39. Urteil des Kassationshofes vom 14. Juli 1995 i.S. W. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 61 Abs. 1 lit. a i.V.m.
Art. 12 USG
,
Art. 26a LRV
; Abfallverbrennung im Freien.
Die Abfallverbrennung im Freien ist dann gemäss
Art. 61 Abs. 1 lit. a USG
strafbar, wenn sie nach den Umständen, zu denen insbesondere die Art und die Menge des verbrannten Abfalls gehören, auf eine Umgehung der für die Abfallverbrennungsanlagen geltenden Vorschriften hinausläuft. Das ist bei der Verbrennung von 3 m3 trockenem Holz von Bäumen und Sträuchern nicht der Fall (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 240
BGE 121 IV 240 S. 240
A.-
Am 8. Juli 1993 verbrannten Angestellte der Firma W. AG, im Auftrag des Geschäftsinhabers W. in dessen Abwesenheit auf dem Areal des Unternehmens
BGE 121 IV 240 S. 241
mindestens 3 m3 Schnittholz. Ein rund einen Kilometer vom Brandplatz entfernt wohnender Nachbar fühlte sich durch die nach seiner Beobachtung über dem Tal schwebende Rauchwolke, die infolge der starken Rauchentwicklung entstanden war, belästigt und erstattete Meldung bei der Polizei.
B.-
Der Amtsgerichtspräsident von Olten-Gösgen sprach W. am 3. Dezember 1993 in Anwendung von
Art. 26a LRV
und Art. 61 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 USG der fahrlässigen Übertretung des Umweltschutzgesetzes schuldig und büsste ihn mit 60 Franken.
Das Obergericht des Kantons Solothurn wies die von W. dagegen erhobene Kassationsbeschwerde am 14. September 1994 ab.
C.-
W. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Bundesanwaltschaft beantragt unter Hinweis auf eine Stellungnahme des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft sinngemäss die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Art. 26a der Luftreinhalte-Verordnung (SR 814.318.142.1; LRV)
lautet:
"Werden Abfälle verbrannt, so darf dies nur in dafür geeigneten stationären Anlagen erfolgen.
Die Kantone können das Verbrennen von natürlichen Wald-, Feld- und Gartenabfällen im Freien zulassen, sofern dadurch keine übermässigen Immissionen entstehen."
Die vom Kantonsrat des Kantons Solothurn am 26. Februar 1992 erlassene kantonale Verordnung über die Abfälle, in Kraft seit 1. Januar 1993, bestimmt in § 16 folgendes:
"Im Freien und in dazu nicht geeigneten Anlagen dürfen keine Abfälle verbrannt werden. Ausgenommen sind trockene Feld- oder Gartenabfälle sowie trockenes Schnittholz von Feldobstbäumen, wenn die Kompostierung nicht zumutbar ist und die Nachbarschaft nicht belästigt wird.
Die Gemeinden können strengere Vorschriften erlassen. Sie kontrollieren das Verbot von Absatz 1.
Das Abbrennen von Holzabfällen im Wald ist nicht gestattet. Das Forst-Departement kann Ausnahmen zulassen."
BGE 121 IV 240 S. 242
Gemäss Art. 61 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über den Umweltschutz (USG; SR 814.01) wird mit Haft oder mit Busse bestraft, wer vorsätzlich "aufgrund dieses Gesetzes erlassene Emissionsbegrenzungen verletzt (Art. 12 und 35)". Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse (Abs. 2).
Art. 12 USG
("Emissionsbegrenzungen") lautet:
"Emissionen werden eingeschränkt durch den Erlass von:
a. Emissionsgrenzwerten,
b. Bau- und Ausrüstungsvorschriften;
c. Verkehrs- oder Betriebsvorschriften;
d. Vorschriften über die Wärmeisolation von Gebäuden;
e. Vorschriften über Brenn- und Treibstoffe.
Begrenzungen werden durch Verordnungen oder, soweit diese nichts vorsehen, durch unmittelbar auf dieses Gesetz abgestützte Verfügungen vorgeschrieben."
a) Der Kassationshof hat sich in
BGE 120 IV 78
eingehend mit der Frage befasst, ob und unter welchen Voraussetzungen die Missachtung des sich aus
Art. 26a Abs. 1 LRV
ergebenden Verbots der Abfallverbrennung im Freien bzw. ausserhalb dafür geeigneter stationärer Anlagen nach dem Umweltschutzgesetz strafbar ist. Das Urteil betraf die vom Mitglied einer Gemeindeexekutive veranlasste Verbrennung von ca. 50 m3 Sperrgut auf einer sogenannten "wilden" Deponie.
Nach diesem Entscheid ist eine - bewilligte oder sogenannte "wilde" - Deponie, auf der Siedlungsabfälle in grösseren Mengen abgelagert und in der Folge verbrannt werden, eine Anlage im Sinne von
Art. 7 Abs. 7 USG
und sind daher die bei der Verbrennung entstehenden Luftverunreinigungen Emissionen im Sinne von
Art. 7 Abs. 2 USG
. Eine solche Deponie, auf der Siedlungs- oder andere Abfälle verbrannt werden, sei auch eine Anlage, in der Abfälle behandelt werden (
Art. 3 Abs. 3 und 4 TVA
[SR 814.015]). Entsprechend seien die Bestimmungen von Ziff. 71 und 72 des Anhangs 2 der LRV grundsätzlich anwendbar. Da die für diese Anlagen zum Verbrennen von Siedlungs- und anderen Abfällen insbesondere nach den Ziff. 714 (Emissionsgrenzwerte) und 718 bzw. 728 (betreffend die Feuerungswärmeleistung von mindestens 350 kW) geltenden Vorschriften und damit die gesetzliche Regelung der Emissionsbegrenzungen in
Art. 12 USG
sonst leicht umgangen bzw. unterlaufen werden könnten, erweise sich ein Verbot des Verbrennens von Abfällen auf Deponien als unabdingbar (
BGE 120 IV 86
E. 3a). Die in
BGE 121 IV 240 S. 243
Art. 26a Abs. 1 LRV
unter anderem enthaltene Vorschrift, dass die Anlagen, in denen Abfälle einzig verbrannt werden dürfen, dafür geeignet und stationär sein müssen, sei eine (allgemein gehaltene) Betriebsvorschrift im Sinne von
Art. 12 Abs. 1 lit. c USG
. Geeignet im Sinne von
Art. 26a Abs. 1 LRV
sei eine Anlage nur dann, wenn bei der Verbrennung von Siedlungs- oder anderen Abfällen die Vorschriften gemäss Ziff. 71 und 72 des Anhangs 2 der LRV überhaupt eingehalten werden können. Das sei bei der Verbrennung von Siedlungsabfällen auf einer Deponie von vornherein nicht der Fall (
BGE 120 IV 86
f. E. 3b). Wer Siedlungsabfälle auf einer solchen Deponie verbrennt, erfülle dadurch grundsätzlich jedenfalls den objektiven Tatbestand von
Art. 61 Abs. 1 lit. a USG
i.V.m.
Art. 12 Abs. 1 lit. c USG
und
Art. 26a Abs. 1 LRV
(
BGE 120 IV 87
E. 3c).
Das Bundesgericht hielt im zitierten Entscheid fest, das in
Art. 26a Abs. 1 LRV
festgelegte Verbot der Abfallverbrennung im Freien gehe allerdings sehr weit. Es liege auf der Hand, dass eine Abfallverbrennung im Freien, die als Bagatelle erscheine, jedenfalls nicht (nach dem USG) strafbar sein könne. Wie es sich damit im einzelnen verhalte und wie die Straflosigkeit von Bagatellfällen (nach dem USG) zu begründen sei, musste im zitierten Entscheid nicht geprüft werden, da der ihm zugrunde liegende Fall offensichtlich keine Bagatelle war (
BGE 120 IV 87
E. 4). Das Bundesgericht fügte hinzu, es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber, soweit ihm dies als erforderlich erscheint, das Verbrennen von Abfällen im Freien bzw. ausserhalb dafür geeigneter Anlagen - wie das Ablagern von Abfällen auf nicht bewilligten Deponien - im USG selber verbieten und unmissverständlich mit Strafe bedrohen würde (
BGE 120 IV 88
E. 5).
b) Die Vorinstanz vertritt in Auseinandersetzung mit dem zitierten Bundesgerichtsentscheid die Auffassung, es sei nicht einzusehen, weshalb lediglich die aus Anlagen austretenden Luftverunreinigungen etc. als Emissionen aufgefasst werden sollen. Luftverunreinigungen usw. würden (gemäss
Art. 11 Abs. 1 USG
) durch Massnahmen bei der Quelle (und nicht nur bei der Anlage) begrenzt, worunter ohne Zwang auch der Brandherd im Freien zu subsumieren sei. Nach Ansicht der Vorinstanz ist der Tatbestand von
Art. 61 Abs. 1 lit. a USG
im vorliegenden Fall deshalb erfüllt, weil § 16 Abs. 1 der solothurnischen Abfallverordnung missachtet worden sei.
Die Vorinstanz nimmt zu Gunsten des Beschwerdeführers an, dass es sich beim verbrannten Abfall um trockenes Wurzelholz gehandelt habe, dessen
BGE 121 IV 240 S. 244
Kompostierung nicht zumutbar gewesen sei. Dennoch sei die Verbrennung des Holzes nach § 16 Abs. 1 der solothurnischen Abfallverordnung nicht zulässig gewesen, weil dabei gemäss den Aussagen eines Nachbarn eine über dem Tal schwebende Rauchwolke entstanden sei. Somit sei im Sinne der zitierten kantonalen Bestimmung die Nachbarschaft belästigt worden. Wenn im vorliegenden Fall "die Nachbarschaft durch das Verbrennen von zwar trockenem Holz im Freien belästigt" worden sei, dann stehe fest, "dass eben diese Emissionsbegrenzung (= Betriebsvorschrift, wonach so zu feuern ist, dass die Nachbarschaft nicht belästigt wird) nicht eingehalten" worden sei. Da der Beschwerdeführer die Verbrennung angeordnet, aber deren korrekte Ausführung nicht überwacht habe, sei ihm der Vorwurf des fahrlässigen Verhaltens zu machen. Seine Verurteilung gestützt auf
Art. 26a LRV
und Art. 61 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 USG durch die erste Instanz sei demnach nicht zu beanstanden.
c) Der Beschwerdeführer macht geltend, der Standort, an dem das Feuer entfacht wurde, sei keine Anlage im Sinne von
Art. 7 Abs. 7 USG
. Sodann sei gemäss
Art. 61 Abs. 1 lit. a USG
nur die Verletzung von Emissionsbegrenzungen im Sinne von
Art. 12 und 35 USG
strafbar; für eine Bestrafung wegen Missachtung von
Art. 26a LRV
bzw. § 16 Abs. 1 der solothurnischen Abfallverordnung fehle es im USG an einer gesetzlichen Grundlage. Zudem nenne weder
Art. 26a LRV
noch die solothurnische Abfallverordnung in bezug auf Feuer im Freien effektive Grenzwerte, die verletzt sein müssen. Schliesslich sei dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen, welche Immissionsgrenzwerte im Sinne von Art. 13 f. USG verletzt worden seien. Der Begriff der Belästigung (der Nachbarschaft) im Sinne von § 16 Abs. 1 der solothurnischen Abfallverordnung müsse objektiv definiert werden; das subjektive Empfinden eines einzelnen Nachbarn könne nicht entscheidend sein. Jedes Feuer erzeuge bekanntlich Rauch. Die Verbrennung von rund 3 m3 Holz sei eine Bagatelle im Sinne von
BGE 120 IV 78
E. 4.
In der Stellungnahme des BUWAL, auf welche die Bundesanwaltschaft in ihrer Vernehmlassung verweist, wird geltend gemacht, dass das Areal, auf dem der Abfall verbrannt wurde, eine Anlage im Sinne von
Art. 7 Abs. 7 USG
sei. Diese Anlage sei nicht im Sinne von
Art. 26a Abs. 1 LRV
zur Verbrennung von Abfällen geeignet. Sie vermöge den Anforderungen gemäss Ziff. 72 des Anhangs 2 der LRV für Anlagen zum Verbrennen von Altholz, Papier- und ähnlichen Abfällen nicht zu genügen. Aufgrund der beschriebenen Art und Grösse des Feuers und der Erfahrungen müsse davon ausgegangen werden, dass
BGE 121 IV 240 S. 245
der Emissionsgrenzwert für Kohlenmonoxid (Ziff. 726 des Anhangs 2) nicht eingehalten worden sei. Ferner dürfe als gesichert gelten, dass die Anlage nicht mit einer automatischen Regelung für die Feuerungsführung betrieben worden sei (Ziff. 727 des Anhangs 2). Weiter dürfte mit grosser Wahrscheinlichkeit der Emissionsgrenzwert für organische Stoffe (Ziff. 725 Abs. 2 des Anhangs 2) überschritten worden sein und sei zu bezweifeln, dass das beschriebene Feuer eine Feuerungswärmeleistung von mindestens 350 kW (Ziff. 728 des Anhangs 2) erbracht habe. Im weiteren führt das BUWAL aus, dass die Voraussetzungen einer zulässigen Abfallverbrennung im Freien gemäss
Art. 26a Abs. 2 LRV
i.V.m. § 16 Abs. 1 der solothurnischen Abfallverordnung nicht erfüllt seien. Insbesondere könne angesichts der festgestellten Rauchentwicklung (eine über dem Tal schwebende Rauchwolke) davon ausgegangen werden, dass die Bevölkerung im Sinne von
Art. 14 lit. b USG
in ihrem Wohlbefinden erheblich gestört worden und daher die Immission im Sinne von
Art. 26a Abs. 2 LRV
übermässig gewesen sei.
2.
a) Die Abfallverbrennung kann gemäss
BGE 120 IV 78
E. 3 und 4 den Tatbestand von
Art. 61 Abs. 1 lit. a USG
nur dann erfüllen, wenn eine Anlage im Sinne von
Art. 7 Abs. 7 USG
vorhanden ist. Daran ist entgegen der Ansicht der Vorinstanz festzuhalten. Wohl werden gemäss
Art. 11 Abs. 1 USG
Luftverunreinigungen etc. "durch Massnahmen bei der Quelle begrenzt (Emissionsbegrenzungen)".
Art. 11 Abs. 1 USG
bestimmt aber im "Grundsatz" bloss, dass Luftverunreinigungen etc. durch Massnahmen bei der Quelle begrenzt werden. Welcher Art diese Massnahmen sind, ergibt sich erst aus
Art. 12 USG
, und die darin genannten Massnahmen setzen gemäss Art. 12 i.V.m.
Art. 7 Abs. 2 und Abs. 7 USG
definitionsgemäss das Vorhandensein einer Anlage voraus (siehe zum Ganzen A. SCHRADE in Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Art. 11 N. 10, 15 ff., 52; Art. 12 N. 2 f., 8, 51). Selbst wenn man aber ein Feuer im Freien als "Quelle" und das Verbot der Abfallverbrennung im Freien als "Massnahme bei der Quelle" im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 USG
verstehen wollte, wäre die Missachtung dieses Verbots nicht schon aus diesem Grunde nach
Art. 61 Abs. 1 lit. a USG
strafbar. Denn diese Strafbestimmung verweist nicht auf
Art. 11 USG
und erfasst damit auch nicht die Vorschriften, die gestützt auf
Art. 11 Abs. 1 USG
erlassen worden sind bzw. erlassen werden können.
Ob das Areal, auf dem die inkriminierte Abfallverbrennung vorgenommen wurde, eine Anlage im Sinne von
Art. 7 Abs. 7 USG
sei, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn die Frage bejaht wird, verstösst die Verurteilung des
BGE 121 IV 240 S. 246
Beschwerdeführers gemäss
Art. 61 Abs. 1 lit. a USG
gegen Bundesrecht, da die inkriminierte Handlung aus nachstehenden Gründen eine Bagatelle im Sinne von
BGE 120 IV 78
E. 4 und daher nicht nach dem USG strafbar ist.
b) aa) Das in
Art. 26a Abs. 1 LRV
festgelegte Gebot, wonach Abfälle nur in dafür geeigneten stationären Anlagen verbrannt werden dürfen, soll verhindern, dass die für die Abfallverbrennungsanlagen geltenden Vorschriften (Emissionsgrenzwerte, Betriebsvorschriften etc.) unterlaufen bzw. umgangen werden und damit ihre Wirkung verfehlen. Nur insoweit kann das Gebot als eine (allgemein gehaltene) Betriebsvorschrift (siehe dazu
BGE 120 IV 78
E. 3b S. 86) betrachtet werden, und nur insoweit ist die Abfallverbrennung im Freien gemäss
Art. 61 Abs. 1 lit. a USG
strafbar. Soweit nach den gesamten relevanten Umständen von einer Umgehung bzw. einem Unterlaufen der für die Abfallverbrennungsanlagen geltenden Vorschriften nicht gesprochen werden kann, ist die Abfallverbrennung im Freien eine unter dem Gesichtspunkt des USG nicht strafbare Bagatelle. Zu diesen Umständen gehören insbesondere die Art und die Menge des verbrannten Abfalls.
Die Abgrenzung zwischen dem nicht strafbaren und dem strafbaren Verhalten ist damit nicht einfach. Auch aus diesem Grunde sollte, wie bereits in
BGE 120 IV 78
E. 5 S. 88 betont worden ist, die Abfallverbrennung im Freien im USG selbst klar geregelt werden.
bb) Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz wurden auf dem Areal des Garten- und Landschaftsbaubetriebes des Beschwerdeführers rund 3 m3 trockenes Holz, vor allem Wurzelholz, von einige Zeit zuvor geschnittenen Bäumen und Sträuchern verbrannt, das mit der Häckselmaschine nicht gefahrlos zerkleinert werden konnte und dessen Kompostierung ausser Betracht fiel; der Beschwerdeführer lässt ein- bis zweimal jährlich eine solche Verbrennung durchführen. Bei dieser Sachlage liegt eine unter dem Gesichtspunkt des USG nicht strafbare Bagatelle vor.
Erstens ist nicht ersichtlich, welche Emissionsgrenzwerte oder anderen Emissionsbegrenzungen im Sinne von Art. 61 Abs. 1 lit. a i.V.m.
Art. 12 Abs. 1 USG
durch die Verbrennung von naturbelassenem Holz in dieser vergleichsweise geringen Menge inwiefern verletzt bzw. umgangen worden sein könnten. Die Ziff. 72 des Anhangs 2 der LRV, auf die sich das BUWAL beruft, ist nicht anwendbar; denn das auf Veranlassung des Beschwerdeführers verbrannte Holz ist, auch wenn es sich dabei um Abfall im Sinne von
Art. 7 Abs. 6 USG
handelt, entgegen den Bemerkungen des BUWAL nicht Altholz gemäss
BGE 121 IV 240 S. 247
Ziff. 721 Abs. 1 lit. a des Anhangs 2 der LRV i.V.m. Ziff. 3 Abs. 2 lit. a des Anhangs 5 der LRV, sondern Holzbrennstoff im Sinne der Ziff. 3 Abs. 1 des Anhangs 5 der LRV. Daher sind die Emissionsgrenzwerte und Betriebsvorschriften, die nach der Ansicht des BUWAL nicht eingehalten worden sein sollen, nicht anwendbar.
Zweitens handelt es sich bei den verbrannten Abfällen um natürliche Wald-, Feld- und Gartenabfälle im Sinne von
Art. 26a Abs. 2 LRV
. Danach können die Kantone das Verbrennen solcher Abfälle im Freien zulassen, sofern dadurch keine übermässigen Immissionen entstehen. Übermässig sind nach
Art. 2 Abs. 5 LRV
Immissionen, die einen oder mehrere Immissionsgrenzwerte nach Anhang 7 überschreiten. Bestehen für einen Schadstoff keine Immissionsgrenzwerte, so gelten die Immissionen als übermässig, wenn sie Menschen, Tiere, Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften oder ihre Lebensräume gefährden (
Art. 2 Abs. 5 lit. a LRV
); wenn aufgrund einer Erhebung feststeht, dass sie einen wesentlichen Teil der Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden erheblich stören (lit. b); wenn sie Bauwerke beschädigen (lit. c) oder die Fruchtbarkeit des Bodens, die Vegetation oder die Gewässer beeinträchtigen (lit. d). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern durch die inkriminierte Abfallverbrennung eine übermässige Immission im Sinne dieser Bestimmung (vgl. auch
Art. 14 USG
) entstanden sei. Insbesondere kann keine Rede davon sein, dass durch die über dem Tal schwebende Rauchwolke ein wesentlicher Teil der Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden erheblich gestört worden sei. Davon abgesehen ist eine Handlung nicht schon deshalb nach dem USG strafbar, weil sie eine übermässige Immission zur Folge hat; weder in Art. 60 noch in
Art. 61 USG
wird auf
Art. 13 ff. USG
betreffend Immissionen verwiesen.
cc) Das in § 16 Abs. 1 der solothurnischen Abfallverordnung festgelegte Gebot, die Nachbarschaft nicht zu belästigen, ist entgegen der Ansicht der Vorinstanz keine Betriebsvorschrift im Sinne von
Art. 12 Abs. 1 lit. c USG
, deren Missachtung den Tatbestand von
Art. 61 Abs. 1 lit. a USG
erfüllt. Die Belästigung der Nachbarschaft ist vielmehr allenfalls die Folge einer Missachtung der für eine bestimmte Anlage geltenden Betriebsvorschriften.
c) Ob durch die bei der Abfallverbrennung entstandene Rauchwolke die Nachbarschaft in Sinne von § 16 Abs. 1 der solothurnischen Abfallverordnung belästigt worden ist und ob der Beschwerdeführer gegebenenfalls gemäss § 31 der solothurnischen Abfallverordnung wegen Widerhandlung gegen die
BGE 121 IV 240 S. 248
Vorschriften dieser Verordnung verurteilt werden kann, sind Fragen des kantonalen Rechts, die im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht zu beurteilen sind.
Eine Frage des Bundesrechts ist es allerdings, ob und inwiefern das eidgenössische Recht im Bereich der Abfallverbrennung im Freien für kantonale Strafbestimmungen noch Raum lässt. Die Frage muss im vorliegenden Verfahren an sich nicht entschieden werden, da der Beschwerdeführer nicht in Anwendung einer kantonalen Strafbestimmung verurteilt worden ist. Dennoch rechtfertigen sich aus Gründen der Prozessökonomie die folgenden Hinweise.
Soweit die Kantone zur Regelung der Abfallverbrennung im Freien noch kompetent sind (siehe
Art. 65 Abs. 1 USG
,
Art. 26a Abs. 2 LRV
), können sie die Missachtung der von ihnen erlassenen Vorschriften gestützt auf
Art. 335 Ziff. 1 StGB
mit Strafe bedrohen. Eine kantonale Strafbestimmung, die insoweit auch Verhaltensweisen erfasst, welche unter dem Gesichtspunkt des USG als Bagatellen zu qualifizieren sind, ist nicht bundesrechtswidrig. Denn die Bagatellfälle der Abfallverbrennung im Freien müssen nicht von Bundesrechts wegen straflos bleiben; vielmehr können sie nicht nach dem USG bestraft werden, weil es insoweit im USG an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.
3.
"(Kostenfolgen)" | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
572ab30c-e556-4307-97f4-40f68bda344d | Urteilskopf
139 III 67
10. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Y. AG in Liquidation und Z. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_435/2012 vom 4. Februar 2013 | Regeste a
Streitwert.
Kein Streitwerterfordernis für Beschwerden in Zivilsachen gegen Urteile kantonaler Handelsgerichte (
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
i.V.m.
Art. 6 ZPO
); Streitwert als Voraussetzung der sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts gemäss
Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO
(E. 1.2).
Regeste b
Streitverkündungsklage.
Streitverkündungsklage gemäss Art. 81 f. ZPO; Voraussetzungen und Tragweite des Zulassungsverfahrens (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 67
BGE 139 III 67 S. 67
A.
Am 27. Oktober 2003 wählte die Generalversammlung der Y. AG (Beschwerdegegnerin 1 und Klägerin) die X. AG (Beschwerdeführerin, Beklagte und Streitverkündungsklägerin) als Revisionsstelle.
BGE 139 III 67 S. 68
Diese übte ihre Funktion bis zur Eröffnung des Konkurses über die Y. AG am 22. November 2004 aus. Zuvor hatte die Z. AG (Beschwerdegegnerin 2 und Streitverkündungsbeklagte) die Funktion der Revisionsstelle ausgeübt.
B.
B.a
Mit Klage vom 21. Oktober 2011 beantragte die Y. AG in Liquidation dem Handelsgericht des Kantons Zürich, es sei die X. AG zu verurteilen, ihr Fr. 445'800.- nebst Zins zu 5 % seit 22. November 2004 zu bezahlen.
Die Klägerin macht mit ihrer Klage Ersatz für den Schaden geltend, der durch die aus ihrer Sicht pflichtwidrige Tätigkeit der Beklagten als Revisionsstelle entstanden sei.
B.b
Mit Klageantwort vom 23. März 2012 beantragte die X. AG die Abweisung der Klage und stellte den Antrag auf Zulassung von Streitverkündungsklagen gegenüber der Z. AG und einem ehemaligen Verwaltungsratsmitglied der Y. AG in Liquidation.
Die X. AG weist die ihr von der Klägerin vorgeworfenen Pflichtverletzungen von sich. Für den Fall, dass doch auf eine Verantwortlichkeit erkannt werden würde, sieht sie sich berechtigt, für allfällig zu leistenden Schadenersatz auf das ehemalige Verwaltungsratsmitglied der Y. AG in Liquidation Rückgriff zu nehmen, das in der fraglichen Zeitspanne für die Klägerin tätig war. Dieses sei für einen allfälligen Schaden gegenüber der Klägerin solidarisch haftbar und im Innenverhältnis für den vollen Schaden primär verantwortlich. Gleiches gelte für die Z. AG, gegen welche die X. AG im Rahmen der solidarischen Organhaftung ebenfalls Regress nehmen könne, sofern sich die Z. AG während ihrer Tätigkeit als Revisionsstelle Pflichtverletzungen zuschulden habe kommen lassen.
B.c
Mit Beschluss vom 3. Juli 2012 liess das Handelsgericht die Streitverkündungsklage gegen das ehemalige Verwaltungsratsmitglied der Klägerin zu (Dispositiv-Ziffer 1). Demgegenüber liess das Handelsgericht die Streitverkündungsklage gegen die Z. AG nicht zu (Dispositiv-Ziffer 2), auferlegte die auf Fr. 2'000.- bestimmten Gerichtskosten (Dispositiv-Ziffer 3) der X. AG (Dispositiv-Ziffer 4) und verurteilte diese zur Zahlung einer Parteientschädigung von Fr. 3'000.- (zuzüglich MWSt) an die Z. AG (Dispositiv-Ziffer 5).
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die X. AG dem Bundesgericht, es sei der Beschluss des Handelsgerichts des Kantons
BGE 139 III 67 S. 69
Zürich vom 3. Juli 2012, Dispositiv-Ziffer 2, aufzuheben und die Streitverkündungsklage gegen die Z. AG zuzulassen. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen sowie unter Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 4 und 5 des angefochtenen Entscheids und Auferlegung der vorinstanzlichen Kosten an die Z. AG.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.2
Gemäss
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
ist für die Beschwerde in Zivilsachen kein Streitwert erforderlich, wenn ein Bundesgesetz eine einzige kantonale Instanz vorsieht. Die eidgenössische Zivilprozessordnung sieht nicht nur in Art. 5, sondern auch in
Art. 7 ZPO
eine einzige Instanz vor. Dass es den Kantonen freigestellt ist, für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung eine einzige kantonale Instanz einzurichten, ändert an der Anwendbarkeit von
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
für den Fall nichts, dass eine einzige kantonale Instanz geurteilt hat (
BGE 130 III 2
[recte:
BGE 138 III 2
] E. 1.2.2, bestätigt in
BGE 138 III 799
E. 1.1).
Nicht anders verhält es sich für Entscheide der Handelsgerichte, welche die Kantone gemäss
Art. 6 ZPO
bezeichnen können. Auch die Handelsgerichte sind in der ZPO und damit in einem Bundesgesetz im Sinne von
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
vorgesehen. Freilich gilt nach
Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO
eine Streitigkeit nur dann als handelsrechtlich, wenn gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offensteht. Dies bedeutet nach einhelliger Lehre, dass der Streitwert gemäss
Art. 74 Abs. 1 BGG
bei Einreichung der Klage erreicht sein muss (vgl. BERNHARD BERGER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 35 f. zu
Art. 6 ZPO
; DOMINIK VOCK, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 10 zu
Art. 6 ZPO
; THEODOR HÄRTSCH, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 16 f. zu
Art. 6 ZPO
; DAVID RÜETSCHI, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 22 zu
Art. 6 ZPO
; GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, 2010, N. 4 zu
Art. 6 ZPO
; HAAS/SCHLUMPF, in: ZPO, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 10 zu
Art. 6 ZPO
; HOFMANN/LÜSCHER, Le Code de procédure civile, 2009,
BGE 139 III 67 S. 70
S. 9). Im Anwendungsbereich von
Art. 6 Abs. 2 ZPO
bildet die Streitwertgrenze nach
Art. 74 Abs. 1 BGG
somit eine Voraussetzung der sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts. Für Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften und Genossenschaften gemäss
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
fehlt zwar eine entsprechende Voraussetzung. Nach der Botschaft zur ZPO ist den Kantonen allerdings vorbehalten, mit der Zuweisung dieser Streitigkeiten an das Handelsgericht auch eine Streitwertgrenze einzuführen (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7221, 7261 zu Art. 6). Der Kanton Zürich schreibt gemäss § 44 lit. b des kantonalen Gesetzes vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG; LS 211.1) für Streitigkeiten gemäss
Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO
eine Streitwertgrenze von Fr. 30'000.- vor. Auch für diese Streitigkeiten ist somit der Mindeststreitwert eine Voraussetzung der sachlichen Zuständigkeit des (Zürcher) Handelsgerichts.
Wenn somit die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts im vorliegenden Fall davon abhängt, dass bei Einreichung der Klage ein Mindeststreitwert erreicht ist, hat dies nicht ohne weiteres zur Folge, dass
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
bedeutungslos wird. Denn auch wenn das Handelsgericht seine sachliche Zuständigkeit infolge Erreichens des Streitwerts zutreffend bejaht, kann sich der streitige Betrag im Laufe des Verfahrens vor Handelsgericht reduzieren (etwa durch Klagereduktion, teilweise Klageanerkennung oder teilweise Gegenstandslosigkeit). Es ist in einem solchen Fall denkbar, dass der massgebende Streitwert nach den Begehren, die vor dem Handelsgericht noch streitig geblieben sind (
Art. 51 BGG
), für die Beschwerde an das Bundesgericht im Sinne von
Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG
nicht mehr erreicht wird. Die Beschwerde an das Bundesgericht bleibt in einem solchen Fall gemäss
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
dennoch zulässig. Die Beschwerde ist im Übrigen erst recht zulässig, wenn das Handelsgericht seine sachliche Zuständigkeit zu Unrecht bejaht.
Unter Vorbehalt einer rechtsgenügenden Begründung (Art. 42 Abs. 2 i.V.m.
Art. 106 Abs. 2 BGG
) ist auf die Beschwerde einzutreten.
(...)
2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe die Streitverkündungsklage gegen die Beschwerdegegnerin 2 zu Unrecht nicht zugelassen und damit
Art. 81 und 82 ZPO
sowie
Art. 759 OR
verletzt.
BGE 139 III 67 S. 71
2.1
Gemäss
Art. 81 Abs. 1 ZPO
kann die streitverkündende Partei ihre Ansprüche, die sie im Falle des Unterliegens gegen die streitberufene Person zu haben glaubt, beim Gericht, das mit der Hauptklage befasst ist, geltend machen. Bei dieser sog.
Streitverkündungsklage
("appel en cause"; "azione di chiamata in causa"; so der Titel des Abschnittes, in den die Art. 81 f. ZPO eingeordnet sind), handelt es sich um eine qualifizierte Form der einfachen Streitverkündung (
Art. 78-80 ZPO
): Anders als bei der einfachen Streitverkündung wird bei der Streitverkündungsklage die Drittperson nicht nur um Mitwirkung gerufen, sondern mit Klage unmittelbar ins Recht gefasst (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 7284 zu Art. 79 und 80; zur Entstehung dieses den Prozessrechten der Kantone Genf, Waadt und Wallis entlehnten Instituts vgl. die Urteile 4A_431/2009 vom 18. November 2009 E. 2.2 und 4A_503/2009 vom 7. April 2009 E. 4).
Mit der Erhebung einer Streitverkündungsklage können Ansprüche verschiedener Beteiligter in einem einzigen Prozess - statt in sukzessiven Einzelverfahren - behandelt werden (Botschaft, a.a.O.). Der Prozess erweitert sich dadurch zu einem
Gesamt- bzw. Mehrparteienverfahren
, in dem sowohl über die Leistungspflicht des Beklagten (Hauptprozess) als auch über den Anspruch der unterliegenden Partei gegenüber einem Dritten (Streitverkündungsprozess) befunden wird (LORENZ DROESE, Die Streitverkündungsklage nach Art. 81 f. ZPO, SZZP 2010 S. 307). Dabei wird anders als bei der einfachen Streitverkündung nicht bloss das Urteil aus dem Erstprozess auch gegenüber der streitberufenen Partei mit bindender Wirkung ausgestattet, sondern unmittelbar ein Entscheid über die Ansprüche der streitverkündenden gegen die streitberufene Person gefällt und insofern der Erst- und Folgeprozess zusammengefasst (TANJA DOMEJ, in: ZPO, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 1 zu
Art. 81 ZPO
;RAINER WEY, Die Streitverkündungsklage nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, in: HAVE Haftpflichtprozess 2010, Fellmann/Weber [Hrsg.], 2010, S. 58). Die Erweiterung zu einem Gesamtverfahren ändert freilich nichts daran, dass mit der Haupt- und Streitverkündungsklage je eigene Prozessrechtsverhältnisse begründet werden mit unterschiedlichen Parteikonstellationen und Rechtsbegehren (dazu ausführlich NINA FREI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung 2010, N. 45 f. zu
Art. 81 ZPO
; GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 1 zu
Art. 81 ZPO
; GROSS/ZUBER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung 2012, N. 42 zu
Art. 81 ZPO
; zum Begriff des Prozessrechtsverhältnisses vgl. BOHNET/BERTI, Le lien d'instance
BGE 139 III 67 S. 72
[Prozessrechtsverhältnis] ou l'essence du procès civil suisse - und ein Plädoyer für eine zivilprozessuale Grammatik, SZZP 2011 S. 75 ff.).
2.2
Gemäss der bundesrätlichen Botschaft (a.a.O., S. 7284 zu Art. 79 und 80) bietet das mit Erhebung der Streitverkündungsklage entstehende Gesamtverfahren zahlreiche Vorteile: Da die Streitverkündungsklage nicht nur am Ort des Hauptprozesses, sondern direkt beim befassten Gericht erhoben wird, werden widersprüchliche Urteile im Erst- und Folgeprozess vermieden. Den Parteien bleibt zudem ein möglicherweise aufwendiger Gerichtsstandwechsel erspart. Schliesslich werden Synergien genutzt, da die Aktenkenntnis des Gerichts in zwei Prozessen verwendet werden kann. Auch für die Beweiserhebung bieten sich Vorteile. Es ist beispielsweise möglich, einen Augenschein oder eine Zeugenbefragung am selben Gerichtstag gleichzeitig für beide Prozesse durchzuführen oder ein und dasselbe Sachverständigengutachten in beiden Prozessen zu verwenden. Insgesamt kann sich dadurch eine namhafte Kosten- und Ressourcenersparnis für die Parteien und das Gericht ergeben.
Dennoch ist die Streitverkündungsklage gemäss der Botschaft (a.a.O.) nicht ganz unproblematisch: So zwingt sie die dritte Person je nachdem zur Prozessführung an einen "fremden" Gerichtsstand. Ausserdem hat sie für den hängigen Hauptprozess notwendigerweise Verzögerungen und Komplikationen zur Folge.
2.3
Namentlich wegen solcher Nachteile stellten die ehemaligen Prozessordnungen der Kantone Genf, Waadt und Wallis die Zulassung der Streitverkündungsklage in das (prozessökonomische) Ermessen des Gerichts (GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 8 zu
Art. 81 ZPO
mit Hinweis auf
BGE 132 I 13
). Auch
Art. 82 ZPO
sieht vor, dass das Gericht die Zulassung der Streitverkündungsklage in einem Zwischenverfahren prüfen und darüber mit anfechtbarem Prozessentscheid befinden muss (
Art. 82 Abs. 4 ZPO
; vgl. auch Botschaft, a.a.O., S. 7285 zu Art. 79 und 80 wo dieses Verfahren als "inzidentes Zulassungsverfahren" bezeichnet wird). Anders als die früheren Prozessordnungen der Kantone Genf, Waadt und Wallis stellt die ZPO die Zulassung der Streitverkündungsklage aber nicht in das gerichtliche Ermessen: Dem Gericht steht es nicht frei, ob es die Streitverkündungsklage aus prozessökonomischen Gründen (z.B. wegen einer möglichen Komplizierung des Verfahrens) zulassen will oder nicht (so die herrschende Lehre: JACQUES HALDY, L'appel en cause, in: Procédure civile suisse, Les grands thèmes pour le praticien, Bohnet [Hrsg.], 2010, S. 169;
BGE 139 III 67 S. 73
ders.
, SZZP 2/2012 S. 103; WEY, a.a.O., S. 71; DROESE, a.a.O., S. 310; GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 8 zu
Art. 81 ZPO
; DOMEJ, a.a.O., N. 7 zu
Art. 82 ZPO
; TARKAN GÖKSU, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 6 zu
Art. 81 ZPO
; URS BERTSCHINGER, Streitverkündungsklage und aktienrechtliche Verantwortlichkeit, in: Innovatives Recht, Festschrift für Ivo Schwander, 2011, Lorandi/Staehelin [Hrsg.], S. 822 f.; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, N. 3.71; in diesem Sinne auch GROSS/ZUBER, a.a.O., N. 32 zu
Art. 81 ZPO
, wonach die Zulassung der Streitverkündungsklage nicht vom Ausgang einer Interessenabwägung abhängig sei; a.M. aber FREI, a.a.O., N. 19 f. zu
Art. 81 ZPO
; FRANCESCO TREZZINI, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero [...], 2011, S. 310 f.; DANIEL SCHWANDER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 19 zu
Art. 82 ZPO
; HOFMANN/LÜSCHER, a.a.O., S. 56; vgl. zur Problematik auch BERNARD CORBOZ, Les dispositions générales du CPC [Titres 3 à 6], in: Le Code de procédure civile - Aspects choisis, Foëx/Jeandin [Hrsg.], 2011, S. 55). Sind die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, ist die Streitverkündungsklage ohne weiteres zuzulassen. Prozessökonomischen Anliegen ist nicht mit der Zulassungsverweigerung der Streitverkündungsklage Rechnung zu tragen, sondern mit der in Art. 82 Abs. 3 i.V.m.
Art. 125 lit. a und c ZPO
vorgesehenen Möglichkeit, den Haupt- und Streitverkündungsprozess zu trennen oder allenfalls das Verfahren auf einzelne Fragen oder auf einzelne Rechtsbegehren zu beschränken (HALDY, a.a.O., S. 169; WEY, a.a.O., S. 71; BERTSCHINGER, a.a.O., S. 823; GROSS/ZUBER, a.a.O., N. 6 ff. zu
Art. 82 ZPO
; SCHWANDER, a.a.O., N. 20 zu
Art. 82 ZPO
).
2.4
Nebst den allgemeinen Prozessvoraussetzungen nach
Art. 59 ZPO
, welche für alle Klagen gelten, steht die Zulässigkeit der Streitverkündungsklage unter den besonderen Voraussetzungen gemäss den
Art. 81 und 82 ZPO
(WEY, a.a.O., S. 67; TREZZINI, a.a.O., S. 308):
2.4.1
Als
zeitliche Voraussetzung
gilt nach
Art. 82 Abs. 1 Satz 1 ZPO
, dass die Streitverkündungsklage spätestens mit der Replik im Hauptprozess zu beantragen ist. Aus
Art. 81 Abs. 3 ZPO
folgt sodann, dass die Streitverkündungsklage nur zulässig ist, wenn der Hauptprozess im
ordentlichen Verfahren
durchgeführt wird. Als negative Voraussetzung legt
Art. 81 Abs. 2 ZPO
fest, dass es sich bei der streitverkündenden Partei um eine Partei des Hauptverfahrens handeln muss (FREI, a.a.O., N. 25 zu
Art. 81 ZPO
): Die Streitverkündung darf nicht
BGE 139 III 67 S. 74
durch eine bereits streitberufene Person erfolgen (
Verbot des sog. Kettenappells
; vgl. Botschaft, a.a.O., S. 7285 zu Art. 79 und 80).
2.4.2
Der bundesrätliche Entwurf sah in Art. 79 Abs. 1 lit. b und c E-ZPO weiter vor, dass für die mit der Haupt- und Streitverkündungsklage geltend gemachten Ansprüche die
gleiche sachliche Zuständigkeit
und
gleiche Verfahrensart
gelten müssen, während der nunmehr in Kraft stehende
Art. 81 Abs. 1 ZPO
diese Erfordernisse nicht mehr ausdrücklich enthält. Aus den Protokollen der parlamentarischen Beratungen ergibt sich jedoch, dass die Streichung dieser Erfordernisse lediglich als "redaktionelle Vereinfachung" verstanden wurde, weil deren Erwähnung als "überflüssig" angesehen wurde (Voten Blocher und Wicki, AB 2007 S 509). Daraus ist mit der herrschenden Lehre zu folgern, dass die Voraussetzungen der gleichen sachlichen Zuständigkeit und gleichen Verfahrensart in
Art. 81 ZPO
implizit mitenthalten sind (SCHWANDER, a.a.O., N. 29 zu
Art. 81 ZPO
; FREI, a.a.O., N. 33, 37 zu
Art. 81 ZPO
; GÖKSU, a.a.O., N. 17 zu
Art. 81 ZPO
; in Bezug auf die gleiche sachliche Zuständigkeit auch TREZZINI, a.a.O., S. 309; WEY, a.a.O., S. 64 f.; DROESE, a.a.O., S. 313 sowie in Bezug auf die gleiche Verfahrensart DOMEJ, a.a.O., N. 12 zu
Art. 81 ZPO
; a.M. aber HALDY, a.a.O., S. 165 ff.).
2.4.3
Aus
Art. 81 Abs. 1 ZPO
ergibt sich schliesslich die Voraussetzung, dass der mit der Streitverkündungsklage geltend gemachte Anspruch in einem
sachlichen Zusammenhang
mit dem Hauptklageanspruch stehen muss (FREI, a.a.O., N. 23 zu
Art. 81 ZPO
; TREZZINI, a.a.O., S. 309 f.; GROSS/ZUBER, a.a.O., N. 31 zu
Art. 81 ZPO
; GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 10 zu
Art. 81 ZPO
). Dies ergibt sich aus der Formulierung des Normtextes, gemäss welcher die Streitverkündungsklage einen Anspruch zum Gegenstand haben muss, welchen die streitverkündende Partei "im Falle des Unterliegens gegen die streitberufene Partei zu haben glaubt" (vgl. HALDY, a.a.O., S. 164). Mit der Streitverkündungsklage können somit nur Ansprüche geltend gemacht werden, die vom Bestand des Hauptklageanspruchs abhängen (DOMEJ, a.a.O., N. 3 zu
Art. 81 ZPO
). Dabei handelt es sich namentlich um Regress-, Gewährleistungs- und Schadloshaltungsansprüche, aber etwa auch um vertragliche oder gesetzliche Rückgriffsrechte (SCHWANDER, a.a.O., N. 16 zu
Art. 81 ZPO
; GÖKSU, a.a.O., N. 9 zu
Art. 81 ZPO
; GROSS/ZUBER, a.a.O., N. 33 zu
Art. 81 ZPO
). Werden solche Ansprüche geltend gemacht, besteht der sachliche Zusammenhang zum Hauptklageanspruch und ist auch das Rechtsschutzinteresse gegeben. Eine gesonderte Prüfung von
Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO
erübrigt sich
BGE 139 III 67 S. 75
(DROESE, a.a.O., S. 312; GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 10 zu
Art. 81 ZPO
; GÖKSU, a.a.O., N. 10 zu
Art. 81 ZPO
).
Damit das Gericht den sachlichen Zusammenhang der eingeklagten Ansprüche überprüfen kann, müssen gemäss
Art. 82 Abs. 1 Satz 2 ZPO
die Rechtsbegehren, welche die streitverkündende Partei gegen die streitberufene Person zu stellen gedenkt, genannt und kurz begründet werden (DOMEJ, a.a.O., N. 4 zu
Art. 82 ZPO
; GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 4 zu
Art. 82 ZPO
). Aus der Begründung muss sich ergeben, ob der behauptete Anspruch der streitverkündenden Partei vom Bestand des Hauptklageanspruchs abhängig ist. Zum Zwecke der Zulassungsprüfung ist dabei freilich nicht erforderlich, eine einlässliche Klageschrift einzureichen (Botschaft, a.a.O., S. 7285), denn das Zulassungsverfahren ist kein summarisches Vorprüfungsverfahren (BERTSCHINGER, a.a.O., S. 823): Die Tatbestandsvoraussetzungen des mit der Streitverkündungsklage geltend gemachten Anspruchs brauchen nicht glaubhaft gemacht zu werden und es findet auch keine Prüfung statt, ob der Anspruch im Falle des Unterliegens des Streitverkündungsklägers gegenüber dem Hauptkläger materiell begründet ist (vgl. DROESE, a.a.O., S. 315). Zur Bejahung eines sachlichen Zusammenhangs ist ausreichend, wenn der Anspruch nach der Darstellung der streitverkündenden Partei vom Ausgang des Hauptklageverfahrens abhängig ist und damit ein potentielles Regressinteresse aufgezeigt wird (vgl. BERTSCHINGER, a.a.O., S. 824).
2.5
2.5.1
Gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid bezeichnet die Beschwerdeführerin den mit der Streitverkündungsklage gegen die Beschwerdegegnerin 2 geltend gemachten Anspruch als Regressanspruch. Diesen begründet sie mit der solidarischen Haftung der Organe der Beschwerdegegnerin 1 im Rahmen der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit nach
Art. 759 OR
. Die Beschwerdeführerin machte vor der Vorinstanz geltend, sie habe gerade in der Anfangszeit nach ihrer Wahl aufgrund der Revisionstätigkeit der Beschwerdegegnerin 2 (ihrer Vorgängerin), insbesondere aufgrund der Jahresrevision 2002 und des Revisionsberichts zur Sanierung der Beschwerdegegnerin 1 vom 8. September 2003, ohne weitere Überprüfung davon ausgehen können, es bestehe keine Besorgnis einer Überschuldung bzw. keine Veranlassung zur Vornahme bestimmter Massnahmen. Wenn nun aber die Beschwerdegegnerin 2 vor Amtsantritt der Beschwerdeführerin eine Pflichtverletzung begangen haben sollte, etwa durch unterlassene Anzeige der offensichtlichen
BGE 139 III 67 S. 76
Überschuldung beim Richter, so habe die Beschwerdegegnerin 2 nicht nur den daraus erwachsenden Schaden bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht verhindert, sondern auch den Schaden nicht verhindert, der seit dem Amtsantritt der Beschwerdeführerin bis zur Konkurseröffnung entstanden sei. Die Beschwerdegegnerin 2 sei daher für denjenigen Schaden vollumfänglich solidarisch ersatzpflichtig, zu dessen Ersatz die Beschwerdegegnerin 1 im Falle des Unterliegens im Hauptprozess verurteilt werde.
2.5.2
Die Vorinstanz hielt diesen Ausführungen entgegen, es erscheine als ausgeschlossen, dass beide Revisionsstellen den während der gleichen Zeitperiode aufgelaufenen Fortsetzungsschaden adäquat verursacht haben. Wenn das Gericht bei der Beurteilung der Hauptklage zum Schluss gelange, die Beschwerdeführerin habe es ab einem bestimmten Zeitpunkt X pflichtwidrig unterlassen, den Richter zu benachrichtigen, da zu diesem Zeitpunkt der dafür erforderliche Tatbestand eingetreten war, dann habe die Beschwerdeführerin - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - dafür einzustehen. In Bezug auf diesen Schaden kann nach Auffassung der Vorinstanz "von vornherein keine adäquat kausale Verursachung" durch die Beschwerdegegnerin 2 mehr angenommen werden, da allfällige Pflichtverletzungen aus deren früherer Tätigkeit (z.B. bei der Erstellung des Revisionsberichtes 2002 oder demjenigen vom 8. September 2003 betreffend Sanierung) von den dann stattfindenden Pflichtverletzungen der Beschwerdeführerin aus eigener Revisionstätigkeit "verdrängt" würden. Haftet die Beschwerdeführerin, weil sie selber in pflichtwidriger Weise tätig wurde oder aufgrund der Umstände ein bestimmtes Tätigwerden pflichtwidrig unterliess, wirkt sich gemäss der Vorinstanz eine allfällige Pflichtverletzung der Beschwerdegegnerin 2 "nicht mehr aus". Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung der Vorinstanz eine Regressforderung seitens der Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdegegnerin 2 nicht plausibel gemacht und die Streitverkündungsklage bereits deshalb nicht zuzulassen.
2.6
Mit diesen Erwägungen verkennt die Vorinstanz die Tragweite und den Prüfungsumfang des Zulassungsverfahrens. Anstatt den sachlichen Zusammenhang der Haupt- und Streitverkündungsklage zu prüfen, unterzieht die Vorinstanz den mit der Streitverkündungsklage geltend gemachten Anspruch einer eigentlichen materiellen Prüfung. Dabei kommt sie zum Schluss, dass dieser von vornherein nicht bestehen könne, und nimmt damit das Ergebnis eines allfälligen Erkenntnisverfahrens in unzulässiger Weise bereits vorweg.
BGE 139 III 67 S. 77
Im Rahmen des Zulassungsverfahrens ist lediglich zu prüfen, ob der mit der Streitverkündungsklage geltend gemachte Anspruch vom Bestand des Hauptklageanspruchs abhängig ist. Dies ist bei Regressansprüchen gestützt auf
Art. 759 OR
, wie sie die Beschwerdeführerin vorliegend gegen die Beschwerdegegnerin 2 geltend machen will, ohne weiteres der Fall (vgl. Urteil 4A_431/2009 vom 18. November 2009 E. 2.4). Damit ist der von
Art. 81 Abs. 1 ZPO
geforderte sachliche Zusammenhang gegeben. Ob der Anspruch im Falle des Unterliegens des Streitverkündungsklägers gegenüber dem Hauptkläger auch tatsächlich materiell begründet ist, bildet nicht Gegenstand des Zulassungsverfahrens, sondern des Erkenntnisverfahrens im Streitverkündungsprozess.
Davon abgesehen hält auch die materielle Prüfung des Streitverkündungsanspruchs durch die Vorinstanz vor Bundesrecht nicht stand: Wie die Beschwerdeführerin zu Recht einwendet, lässt sich eine allfällige Pflichtverletzung der Revisionsstelle nicht einfach aus der Welt schaffen, weil deren Nachfolgerin ebenfalls eine Pflicht verletzt. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern eine Pflichtverletzung eine andere so "verdrängen" kann, dass deren Wirkungen von vornherein gänzlich entfallen. Entgegen den apodiktischen Ausführungen der Vorinstanz erscheint jedenfalls nicht
a priori
ausgeschlossen, dass der Schaden, für den eine Revisionsstelle in Anspruch genommen wird, bereits auf eine Pflichtverletzung der Vorgängerin zurückzuführen ist und damit der Tatbestand einer solidarischen Verantwortlichkeit nach
Art. 759 OR
gegeben ist. Gemäss den Schweizer Prüfungsstandards der Treuhand-Kammer enthebt die Neuwahl einer anderen Revisionsstelle die alte Revisionsstelle nicht etwa von der Verpflichtung zur Anzeige der Überschuldung beim Richter, da meist unklar ist, wann die neue Revisionsstelle die finanzielle Situation erkennen kann (Treuhand-Kammer [Hrsg.], Schweizer Prüfungsstandards [PS], Ausgabe 2010, PS 290 NN Abs. 2, S. 134). Daraufist indessen nicht weiter einzugehen, da diese Frage im Streitverkündungsprozess zu prüfen sein wird.
Im Übrigen lässt sich den für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen (
Art. 105 Abs. 1 BGG
) der Vorinstanz nicht entnehmen, dass die Beschwerdegegnerin 1 (Klägerin) mit der Beschwerdegegnerin 2 ausserprozessual einen Vergleich abgeschlossen hätte, wie dies die Beschwerdegegnerin 2 in ihrer Vernehmlassung behauptet. Damit erübrigt sich auch die Prüfung, ob und inwieweit der Geschädigte durch solche Vergleiche die Solidarität und den
BGE 139 III 67 S. 78
Rückgriff überhaupt ausschliessen kann, so dass damit schon die Grundlage einer Streitverkündung entfallen könnte, weil kein sachlicher Zusammenhang zum Hauptklageanspruch (oben E. 2.4.3) mehr bestehen kann.
2.7
Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz die Zulassung der Streitverkündungsklage zu Unrecht verweigert. Da es sich bei dem mit der Streitverkündungsklage gegen die Beschwerdegegnerin 2 geltend gemachten Anspruch um einen Regressanspruch nach
Art. 759 OR
handelt, ist der sachliche Zusammenhang nach
Art. 81 Abs. 1 ZPO
gegeben. Auch die übrigen Zulassungsvoraussetzungen sind erfüllt: Die Beschwerdeführerin hat die Streitverkündungsklage rechtzeitig mit ihrer Klageantwort erhoben (
Art. 82 Abs. 1 ZPO
), beim Hauptverfahren handelt es sich um ein ordentliches Verfahren (
Art. 81 Abs. 3 ZPO
), ein unzulässiger Kettenappell liegt nicht vor (
Art. 81 Abs. 2 ZPO
), gemäss den (unangefochtenen) Ausführungen der Vorinstanz ist diese sowohl für die Haupt- als auch die Streitverkündungsklage sachlich zuständig und auch das Erfordernis der gleichen Verfahrensart (ordentliches Verfahren) ist gegeben. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
572b1325-5e38-4f79-abfb-28200606ac1a | Urteilskopf
84 I 114
17. Estratto della sentenza 12 marzo 1958 nella causa B. e H. contro X. | Regeste
Kantonale Vorschriften über die Berechnung der Notariatsgebühren für die Errichtung öffentlicher letztwilliger Verfügungen.
Eine Gebühr von 7,5 promille des reinen Nachlassvermögens ist insoweit übersetzt, als sie angewendet wird auf ein vom gleichen Notar errichtetes zweites Testament, das von einem kurz zuvor errichteten Testament nur ganz wenig abweicht.
Der Erblasser muss von Bundesrechts wegen die Möglichkeit haben, ohne übermässige Kosten nicht nur eine letztwillige Verfügung zu errichten, sondern auch eine schon getroffene Verfügung abzuändern. | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 84 I 114 S. 115
Riassunto dei fatti:
In data del 15 marzo 1955, il notaio X. rogava il testamento pubblico di Y. Per questa sua prestazione, allestiva una nota di 1339 fr. 10, che il testatore pagava senza contestazioni. Poco più di un mese dopo, e cioè il 21 aprile, il notaio X., richiesto da Y., rogava un secondo testamento pubblico. Rispetto al primo, questo conteneva solo lievi modifiche. In quell'occasione, X. chiedeva a Y. e riceveva un importo di 20 franchi.
Y. morì il 7 marzo 1956 e il notaio X. provvide, il 29 marzo 1956, alla pubblicazione di ambedue i testamenti pubblici e, inoltre, di un testamento olografo davanti al pretore di Locarno-Città.
Con note del 27 giugno 1957, X. chiedeva il pagamento di 413 fr. 85 per la pubblicazione dei tre testamenti e 1765 fr. per la confezione del secondo testamento pubblico. Per il computo degli onorari, X. si fondò su un valore della successione di 230 000 franchi.
L'esecutore testamentario B. contestava tutte e due le note. X. reagiva aumentando l'importo della nota per la confezione del secondo testamento pubblico a 2270 fr., compresi 15 fr. di spese. Egli giustificò questo suo modo di agire dicendo di avere nel frattempo saputo che il valore dei beni della successione non era di 230 000 fr., bensì di 298 000 fr.
Chiamato dal notaio a pronunciarsi sulle due note per onorari, il Consiglio di disciplina notarile riduceva, l'11 dicembre 1957, a 313 fr. 85 la nota per la pubblicazione dei tre testamenti, ma confermava, nel suo ammontare di
BGE 84 I 114 S. 116
2270 fr., quella per la confezione del secondo testamento pubblico.
L'esecutore testamentario e l'erede universale H. hanno interposto in tempo utile un ricorso di diritto pubblico al Tribunale federale per violazione dell'art. 4 CF, del principio della forza derogatoria del diritto federale, come pure delle disposizioni della Costituzione cantonale circa le competenze del potere giudiziario. Essi chiedono che il decreto impugnato sia annullato nella misura in cui ha confermato l'onorario esposto dal notaio per la rogazione del testamento pubblico 21 aprile 1955.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.-3. - .....
4.
Il Tribunale federale si è più volte occupato della questione se gli
art. 6 e 7
della tariffa notarile ticinese fossero conciliabili con il diritto federale. Dopo aver posto il problema nella sentenza inedita 26 febbraio 1945 su ricorso Scazziga, esso disse, nella sentenza RU 73 I 376 sgg., che l'applicazione di una tariffa notarile così onerosa come quella ticinese era suscettibile di rendere difficilmente accessibili se non impraticabili gli istituti - di diritto federale - dell'erezione del testamento pubblico e della pubblicazione del testamento pubblico e olografo. "La soluzione migliore - suggerì allora il Tribunale federale - sarebbe certamente che il legislatore ticinese riducesse, in una revisione della tariffa notarile, l'onorario del 7,5 promille per la pubblicazione di testamenti olografi e l'erezione di testamenti pubblici, o lo limitasse a un importo massimo."
In seguito a questa sentenza, le autorità legislative ticinesi riformavano gli
art. 6 e 7
LTN nel senso che "per i testamenti pubblici e per i contratti successori in nessun caso l'onorario potrà eccedere 5000 fr." e per la pubblicazione di un testamento pubblico od olografo l'onorario sarebbe stato "da 30 fr. a 100 fr., se l'asse ereditario non eccede i 500 000 fr. e sino a 1000 fr. se li eccede" (legge 8 ottobre 1952). Come risulta dal testo delle due modifiche,
BGE 84 I 114 S. 117
le autorità ticinesi hanno dunque lasciato sussistere, per l'erezione del testamento pubblico, l'aliquota del 7,5 promille, limitandosi a fissare un onorario massimo assoluto. Per la pubblicazione dei testamenti, hanno invece stabilito un onorario massimo scalare, in funzione dell'asse ereditario.
Nel loro gravame, i ricorrenti non pretendono che l'ordinamento vigente sarebbe tuttora inconciliabile di massima con il diritto federale già perchè l'aliquota del 7,5 promille non è stata ridotta o l'importo massimo dell'onorario non è stato stabilito in modo scalare. Essi sostengono esclusivamente che detta aliquota è assurda e inammissibile qualora l'onorario sia fissato "sul valore della sostanza anzichè sul valore della disposizione (risp. delle disposizioni deroganti l'ordine legale di successione)".
Su questo punto occorre osservare che, a norma dell'art. 2 LTN, per gli istrumenti e brevetti di valore determinabile (e la confezione di un testamento pubblico è compresa tra questi) i notai hanno diritto a un onorario proporzionato al valore dell'atto. Per valore dell'atto s'intende nel caso di testamenti pubblici - giusta l'art. 3 lett. c LTN - "quello degli enti oggetto della disposizione di ultima volontà". Nella sua decisione, il Consiglio di disciplina notarile ha tenuto conto di tale disposto, che è anzi esplicitamente richiamato. Se ha nondimeno fondato il calcolo sull'"attivo netto della successione", non per questo è incorso nell'arbitrio. In concreto, il de cuius aveva infatti praticamente disposto, con il testamento di cui si tratta, di tutti i suoi beni. Così stando le cose, a torto i ricorrenti pretendono che l'aliquota del 7,5 promille sarebbe inammissibile e assurda già perchè è stata calcolata sul "valore della sostanza anzichè sul valore della disposizione". In realtà, tale questione potrebbe porsi solo nell'ipotesi, qui non attuata, che esistesse un divario tra valore dei beni di cui è stato disposto e attivo netto della successione.
Se la decisione impugnata non è per sè inconciliabile, in concreto, con il diritto federale solo perchè l'onorario
BGE 84 I 114 S. 118
notarile è stato fondato sul valore netto dei beni della successione, essa deve invece essere annullata per il motivo che un'aliquota del 7,5 promille calcolata sull'attivo netto della successione dev'essere giudicata inammissibile quando sia applicata per un secondo testamento rogato dal medesimo notaio e modificante solo in lievissima misura un testamento confezionato poco tempo prima. Come il Tribunale federale ha esposto nella sentenza RU 73 I 376, la somma dovuta al notaio non è infatti nè una tassa nè un'imposta, ma un onorario per l'adempimento di una funzione pubblica. Tale onorario deve stare in un'adeguata proporzione con il lavoro prestato, benchè una gradazione ad valorem non sia per sè esclusa. Tenuto conto di questi principi, non è chi non veda come un onorario di 2255 franchi per un testamento con solo lievi modifiche, ricevuto dal medesimo notaio poco più di un mese dalla rogazione di un primo testamento, non sia più in rapporto alcuno con il lavoro prestato. Certo, un altro notaio avrebbe chiesto, per la confezione del secondo testamento, un onorario pieno secondo tariffa. Tuttavia, precisamente la circostanza che Y. si è rivolto, appena un mese dopo la confezione del primo testamento, al medesimo notaio ha agevolato il compito di questi in misura tale che la richiesta di un onorario superiore ancora a quello che era stato esposto per il primo testamento appare così esorbitante da rendere eccessivamente onerosa l'utilizzazione di un istituto di diritto federale. È pure esatto che il secondo testamento annullava integralmente il primo e questo non aveva dunque più alcun valore giuridico per il testatore. Ma determinante, per il giudizio del presente litigio, rimane la circostanza che, rispetto al primo testamento, il secondo conteneva modifiche di lievissima entità. Così stando le cose, devesi ammettere che il secondo testamento rogato ad opera del medesimo notaio costituì una semplice completazione, di fatto se non di diritto, del primo.
Ne segue che il decreto impugnato, nella misura in cui ha confermato la nota per onorari 5 agosto 1957 del
BGE 84 I 114 S. 119
notaio X. a dipendenza del testamento 21 aprile 1955, dev'essere annullato. Questa conclusione s'impone, dal momento che in virtù del diritto federale il cittadino deve avere la possibilità, senza eccessivi aggravi, non solo di fare testamento ma pure di modificare disposizioni di ultima volontà già prese.
Siccome la LTN non disciplina esplicitamente gli onorari dovuti in casi quali quello qui in esame, spetterà al Consiglio di disciplina notarile dire entro quali limiti il notaio X. potesse esporre una nota per il secondo testamento senza rendere eccessivamente onerosa, nel senso della giurisprudenza del Tribunale federale, l'utilizzazione di un istituto di diritto federale.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è accolto a norma dei considerandi. Di conseguenza, il decreto impugnato è annullato nella misura in cui ha confermato la nota per onorari 5 agosto 1957 del notaio X. a dipendenza del testamento 21 aprile 1955. | public_law | nan | it | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
572eb687-c873-4fce-81d2-94e89f343ad3 | Urteilskopf
122 II 180
25. Estratto della sentenza della Corte di cassazione penale del 10 aprile 1996 nella causa S. contro Consiglio di Stato del Cantone Ticino (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Art. 68 Ziff. 1 und 70 StGB
;
Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG
; Art. 30 Abs. 2 und 33 Abs. 2 VZV; Entzug des Führerausweises.
Berücksichtigung des Ablaufs langer Zeit seit der Verkehrsregelverletzung bei der Bemessung der Entzugsdauer (E. 5a; Bestätigung der Rechtsprechung).
Analoge Anwendung von
Art. 68 Ziff. 1 StGB
, wenn die Rekursinstanz nach vorgängiger Aufhebung von erstinstanzlichen Entscheiden mehrere Widerhandlungen, die einen Führerausweisentzug mit sich bringen können, beurteilen muss (E. 5b/aa).
Hat der Betroffene während der Hängigkeit eines Entzugsverfahrens wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand erneut ein Fahrzeug in angetrunkenem Zustand geführt, gelangt nicht
Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG
zur Anwendung; ein solcher Umstand kann jedoch bei der Bemessung der Dauer der (Gesamt-)Massnahme berücksichtigt werden (E. 5b/bb). | Sachverhalt
ab Seite 181
BGE 122 II 180 S. 181
Con decisione del 30 agosto 1989, il Dipartimento di polizia (ora: Dipartimento delle istituzioni) del Cantone Ticino revocava a S. la licenza di condurre veicoli a motore per la durata di cinque mesi e mezzo, per avere, il 21 luglio 1989, circolando in territorio di Bodio alla guida della vettura TI ..., condotto in stato d'ebrietà, perso la padronanza del veicolo e urtato la segnaletica di cantiere ivi esistente, fuoriuscendo susseguentemente dal campo stradale. In tale circostanza, il ricorrente si era altresì opposto alla prova del sangue.
Adito dall'interessato, il Consiglio di Stato del Cantone Ticino ne respingeva ai sensi dei considerandi il ricorso con decisione del 17 luglio 1995. La durata della revoca della licenza di condurre era tuttavia ridotta a tre mesi.
Con decisione del 18 aprile 1990, il Dipartimento di polizia (ora: Dipartimento delle istituzioni) del Cantone Ticino revocava a S. la licenza di condurre veicoli a motore per la durata di due anni e due mesi, per avere, il 9 marzo 1990, circolando in territorio di Muralto alla guida della vettura TI ..., nuovamente condotto in stato d'ebrietà ed essersi altresì opposto alla prova del sangue.
L'imputato impugnava tale decisione dinanzi al Consiglio di Stato del Cantone Ticino, il quale respingeva ai sensi dei considerandi il ricorso con decisione del 17 luglio 1995. La durata della revoca della licenza di condurre era tuttavia ridotta ad un anno e tre mesi. Contemporaneamente era annullata la clausola che faceva dipendere la riammissione alla guida dalla presentazione di un certificato medico.
S. è insorto con separati, tempestivi ricorsi di diritto amministrativo dinanzi al Tribunale federale contro tali decisioni, chiedendo il loro annullamento e, in via principale, il rinvio della causa all'autorità cantonale per un nuovo giudizio, in via secondaria, la rinuncia ad una
BGE 122 II 180 S. 182
misura di revoca nei suoi confronti. Contemporaneamente, egli ha altresì richiesto che ai gravami sia conferito effetto sospensivo.
Il Presidente della Corte di cassazione del Tribunale federale ha accolto, in data 30 agosto 1995, l'istanza di conferimento dell'effetto sospensivo ai ricorsi.
Con osservazioni del 19 gennaio 1996, rispettivamente, del 14 febbraio 1996, il Consiglio di Stato del Cantone Ticino si riconferma nei suoi giudizi, mentre l'Ufficio federale di polizia propone di annullare le decisioni impugnate, rinviando la causa all'autorità cantonale per un nuovo giudizio globale.
Erwägungen
Considerando in diritto:
5.
Il ricorrente censura infine la mancata applicazione al caso in esame di principi sanciti dal Codice penale. Innanzitutto, le revoche impugnate sono, a suo avviso, prescritte (
art. 70 CP
); esse andrebbero peraltro annullate anche in ragione del lungo periodo di tempo trascorso dai fatti rimproveratigli. Ove tali revoche non fossero prescritte, spetterebbe all'autorità cantonale di pronunciare, giusta l'
art. 68 cpv. 1 CP
, un provvedimento globale anziché due distinte revoche della licenza di condurre. Con riferimento alla risoluzione n. 3948, concernente la revoca per i fatti avvenuti il 9 marzo 1990, il ricorrente sostiene inoltre che, contrariamente a quanto sostenuto dal Consiglio di Stato, non vi sarebbe spazio alcuno per la recidiva specifica prevista dall'art. 17 cpv. 1 lett. d LCStr (RS 741.01), tornando semmai applicabile la citata norma sul concorso di reati.
a) La revoca della licenza di condurre a scopo d'ammonimento è una misura a carattere penale (
DTF 121 II 22
consid. 2b). Essa serve a correggere i conducenti e ad impedire la recidività (
art. 30 cpv. 2 OAC
; RS 741.51). Trattasi quindi di una misura con compiti repressivi, preventivi ed educativi (
DTF 121 II 22
consid. 3b;
DTF 120 Ib 504
consid. 4b;
DTF 115 Ib 159
), la cui durata va stabilita in funzione della gravità della colpa, della reputazione e della necessità professionale di condurre veicoli (
art. 33 cpv. 2 OAC
). Affinché possa esplicare le sue funzioni, tale misura deve stare in un adeguato rapporto temporale con l'infrazione che la giustifica. La legge sulla circolazione stradale non si esprime sulla questione come debba essere tenuto conto del tempo trascorso dai fatti determinanti (
DTF 120 Ib 504
consid. 4d). Il Tribunale federale ha tuttavia colmato tale lacuna (propria), facendo ricorso al principio della proporzionalità (
DTF 120 Ib 504
consid. 4e). Secondo tale giurisprudenza, ove sia trascorso un
BGE 122 II 180 S. 183
periodo di tempo relativamente lungo dai fatti che hanno dato luogo al provvedimento, l'interessato si sia comportato correttamente durante tale periodo e la lunga durata del procedimento non sia a lui imputabile, l'autorità può ordinare una revoca di durata inferiore a quella minima stabilita dalla legge o, se del caso, prescindere da qualsiasi provvedimento (
DTF 120 Ib 504
;
DTF 115 Ib 159
).
I fatti contestati al ricorrente risalgono al 21 luglio 1989, rispettivamente, 9 marzo 1990. Con sentenza del 19 maggio 1995, il Presidente della Corte delle assise correzionali di Locarno ha constatato l'intervenuta prescrizione dell'azione penale per i primi, mentre per i secondi ha inflitto al ricorrente una sanzione nel frattempo passata in giudicato. Il Consiglio di Stato, dal canto suo, ha ritenuto appropriato, in considerazione del periodo di tempo trascorso dalle vicende in esame, ridurre entrambe le revoche pronunciate in prima istanza dall'Ufficio giuridico della Sezione cantonale della circolazione (da cinque e mezzo a tre mesi la prima, da ventisei a quindici mesi la seconda). Senonché, pur considerando la grave colpa dell'interessato, tale riduzione è insufficiente, avuto riguardo ai principi sopra illustrati. Dai fatti determinanti al momento dell'emanazione delle decisioni impugnate sono trascorsi circa sei anni, rispettivamente, cinque anni e quattro mesi. Dagli atti non emerge in alcun modo che il ricorrente abbia nel frattempo commesso ulteriori infrazioni alla LCStr. La lunga durata della procedura di revoca, segnatamente il ritardo con cui il procedimento penale si è concluso, non risultano imputabili a manovre dilatorie, del resto neppure adombrate dall'autorità cantonale, messe in atto dal ricorrente. In tali circostanze, le revoche ordinate non adempiono più, se non parte, la loro funzione, e la loro durata (singola e complessiva) non appare più proporzionata, di modo che le decisioni impugnate vanno annullate.
b) Secondo costante giurisprudenza del Tribunale federale, l'
art. 68 CP
è applicabile per analogia per determinare la durata della revoca di una licenza di condurre (
DTF 120 Ib 54
consid. 2a;
DTF 116 Ib 151
consid. 3c). Qualora sussistano più infrazioni suscettibili di dare luogo ad una revoca della licenza di condurre, l'autorità amministrativa è tenuta, in analogia all'
art. 68 n. 1 CP
, a pronunciare la revoca per l'infrazione più grave aumentandola in misura adeguata. Dalla ponderazione di tutti gli elementi determinanti (
art. 33 cpv. 2 OAC
) risulta un unico provvedimento (globale), che non deve necessariamente indicare la durata della revoca per ogni singola infrazione (
DTF 116 Ib 151
consid. 3c). Ove sia commessa un'infrazione dopo che un'altra sia già stata giudicata ma prima che quest'ultima sia divenuta definitiva, non deve essere pronunciato alcun
BGE 122 II 180 S. 184
provvedimento globale, dato che la nuova infrazione, non essendosi ancora verificata, non avrebbe potuto essere vagliata nel quadro del giudizio relativo alla precedente (
DTF 113 Ib 53
consid. 3;
DTF 109 IV 87
consid. 2a;
DTF 102 IV 242
consid. 4b). Qualora invece la prima sanzione non cresca in forza di cosa giudicata poiché il relativo giudizio viene annullato o modificato nell'ambito della procedura ricorsuale, possono successivamente adempiersi i presupposti per la determinazione di un provvedimento globale (sentenza inedita del Tribunale federale, del 5 aprile 1995, nella causa K., consid. 2a e 2b;
DTF 102 IV 242
consid. 4b).
Giusta l'art. 17 cpv. 1 lett. d LCStr, la durata della revoca della licenza di condurre è di almeno un anno se, entro cinque anni dalla scadenza di una revoca della licenza per avere guidato in stato d'ebrietà, il conducente ha di nuovo guidato in tale stato. Ove sia stato pronunciato un provvedimento globale, il termine di cinque anni previsto dall'art. 17 cpv. 1 lett. d LCStr decorre solo dalla scadenza della durata di tale provvedimento commisurata in applicazione analogica dell'
art. 68 CP
(
DTF 116 Ib 151
consid. 3c).
aa) Nella fattispecie, l'autorità cantonale ha manifestamente omesso di effettuare una valutazione globale ai sensi dell'
art. 68 CP
. Certo, non poteva spettare all'Ufficio giuridico della Sezione cantonale della circolazione di pronunciare una revoca unica, dato che la seconda infrazione alla LCStr - del 9 marzo 1990 - è stata commessa allorché quella precedente era già stata giudicata - il 30 agosto 1989 - e il relativo gravame era pendente dinanzi all'autorità di ricorso. Quest'ultima, per contro, si trovava in una diversa situazione. In effetti, modificando, ossia riducendo simultaneamente la durata di entrambe le revoche di condurre pronunciate in prima istanza, il Consiglio di Stato ha di fatto annullato le decisioni emanate dall'Ufficio giuridico della Sezione cantonale della circolazione, che non sono quindi passate in giudicato. Il Consiglio di Stato, che dispone di piena cognizione (art. 56 LPAmm), si è così venuto a trovare nella medesima condizione di un giudice di prima istanza tenuto a pronunciarsi contemporaneamente su più infrazioni. Il 17 luglio 1995, esso avrebbe pertanto dovuto ordinare un provvedimento globale per le vicende risalenti al 21 luglio 1989, rispettivamente, 9 marzo 1990.
bb) Dato che, come testé illustrato, i fatti in questione andavano giudicati congiuntamente, non risulta applicabile al caso concreto la recidiva specifica prevista dall'art. 17 cpv. 1 lett. d LCStr.
BGE 122 II 180 S. 185
Contrariamente a quanto sostenuto dal Consiglio di Stato, il termine di cinque anni previsto da tale articolo comincia peraltro a decorrere solo dopo che la misura (globale) di revoca sia stata completamente eseguita. La circostanza che il ricorrente si è nuovamente reso colpevole di circolazione in stato d'ebrietà mentre era pendente una procedura (penale e amministrativa) per un'analoga precedente infrazione, può tuttavia essere presa in considerazione nel quadro della determinazione della colpa, segnatamente del provvedimento globale.
c) Per le ragioni esposte, le sentenze impugnate vanno annullate. Visto che gli atti di causa sono sufficienti per pronunciarsi nel merito e che ulteriori ritardi devono essere evitati, non si giustifica di rinviare la causa all'autorità cantonale per un nuovo giudizio. Il Tribunale federale può quindi decidere direttamente (
art. 114 cpv. 2 OG
;
DTF 120 Ib 504
consid. 5).
Il ricorrente ha circolato a due riprese in stato d'ebrietà. Nella prima occasione egli ha pure provocato un incidente, risoltosi senza danni particolari. Al ricorrente era già stata revocata la licenza di condurre nel corso del 1979 per un'analoga infrazione, mentre nel 1987 egli è stato fatto oggetto di un ammonimento per eccesso di velocità. Le due vicende qui in esame sono avvenute a breve distanza di tempo una dall'altra, la seconda allorché era in corso il procedimento relativo alla prima, ciò che denota un atteggiamento noncurante delle norme legali e dell'attività dell'autorità. Tale atteggiamento risulta altresì confermato dal comportamento assunto dal ricorrente, in particolare dal suo rifiuto di sottoporsi alla prova del sangue e, in un'occasione, addirittura a quella dell'alito mediante etilometro. Nel frattempo è tuttavia trascorso un periodo di tempo relativamente lungo - quasi sette anni dalla prima infrazione, poco più di sei anni dalla seconda -, durante il quale, per quanto risulta dagli atti, il ricorrente si è comportato correttamente. Ora, in simili circostanze, non si giustifica di prescindere da ogni misura, vista la grave colpa dell'interessato. In considerazione del lungo tempo trascorso appare però indicato ridurre (ulteriormente) la durata del provvedimento. Nella fattispecie, una revoca (globale) di nove mesi appare proporzionata. Dato che l'esecuzione della revoca è già stata parzialmente effettuata - dal 22 luglio 1989 al 15 settembre 1989 e dal 9 marzo 1990 all'11 maggio 1990 -, il ricorrente dovrà depositare la sua licenza per poco più di cinque mesi. Alla scadenza di tale deposito comincerà a decorrere il termine di due, rispettivamente, cinque anni previsto dall'art. 17 cpv. 1 lett. c e d LCStr. | public_law | nan | it | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
5732555c-7a4a-4e4d-baac-64a820931110 | Urteilskopf
97 IV 229
42. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Juli 1971 i.S. Monteverdi gegen Flück, Stotz und Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
1.
Art. 272 Abs. 6 BStP
. Diese Bestimmung gibt den Parteien keinen Anspruch auf eine weitergehende Akteneinsicht, als sie ihnen im kantonalen Verfahren zustand.
2.
Art. 249 BStP
. Dieser Grundsatz betrifft nicht Beweisbeschränkungen, die sich daraus ergeben, dass das kantonale Recht aus anderen Gründen als der Beweiswürdigung gewisse Beweismittel nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. | Sachverhalt
ab Seite 230
BGE 97 IV 229 S. 230
A.-
In der Nacht vom 1./2. Juni 1970 führten die Polizeileute Flück und Brunner um 22.30 Uhr im Schützenmattpark in Basel Personenkontrollen durch. Dabei fuhren sie mit ihrem Wagen bis auf ungefähr zwei Meter an Monteverdi heran und forderten ihn auf, sich auszuweisen. Dieser antwortete mit Schimpfworten und versuchte sich zu entfernen. In der Folge kam es zwischen Monteverdi und Flück zu einem tätlichen Streit. Auf dem Polizeiposten verhielt sich Monteverdi erneut widersetzlich und leistete den Anforderungen des Polizisten Stotz Widerstand.
Gestützt auf diese Vorkommnisse erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt am 9. September 1970 gegen Monteverdi Anklage wegen wiederholter Gewalt gegen Beamte, und Flück reichte Privatklage wegen Beschimpfung und einfacher Körperverletzung ein, während Monteverdi seinerseits die Polizeileute Flück und Stotz wegen Tätlichkeiten verzeigte.
B.-
Am 25. November 1970 verurteilte das Strafdreiergericht von Basel-Stadt Monteverdi wegen wiederholter Gewalt gegen Beamte und Beschimpfung zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 500.--. Es sprach ihn dagegen von der Privatklage der einfachen Körperverletzung frei, und ebenso wurden Flück und Stotz von der Privatverzeigung der Tätlichkeit freigesprochen.
Auf Appellation hin bestätigte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 26. März 1971 den erstinstanzlichen Entscheid, nachdem es verschiedene Beweisanträge Monteverdis abgelehnt hatte.
C.-
Monteverdi führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
In prozessualer Hinsicht macht der Beschwerdeführer geltend, das Appellationsgericht habe ihm die Einsicht in die Personalakten der Polizeileute Flück und Stotz verweigert; es seien diese
BGE 97 IV 229 S. 231
Akten vom Präsidenten des genannten Gerichtes nicht mehr beigezogen, sondern eliminiert worden, wodurch
Art. 272 Abs. 6 BStP
und der Grundsatz der freien Beweiswürdigung verletzt worden sei. Der Nichtbeizug jener Akten habe es dem Gericht verunmöglicht, Vorleben, Persönlichkeitsadäquanz und Strafempfindlichkeit der Beteiligten zu beurteilen.
a) Soweit der Beschwerdeführer einen Verstoss gegen
Art. 272 Abs. 6 BStP
durch Verweigerung der Einsicht in die Personalakten der Beschwerdegegner im kantonalen Verfahren rügt, ist er nicht zu hören. Die einer Partei in diesem Verfahren zustehenden Verteidigungsrechte werden durch das kantonale Prozessrecht und letztlich durch
Art. 4 BV
geordnet, nicht durch
Art. 272 Abs. 6 BStP
. Diese letztere Vorschrift gilt nur für die Offenhaltung der Strafakten zum Zwecke der Begründung einer eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde. In dem Masse aber als Monteverdi rügen will, das Appellationsgericht habe ihm jene Akten auch zu solchem Behufe nicht geöffnet, könnte von einer Verletzung von
Art. 272 Abs. 6 BStP
nur die Rede sein, wenn nachgewiesen wäre, dass der Beschwerdeführer nach Erhalt des angefochtenen Urteils auch tatsächlich Akteneinsicht verlangt hatte (vgl. das unveröffentlichte Urteil des Kassationshofes vom 16. Februar 1959 i.S. Wenzin). Das ist jedoch nicht der Fall gewesen.
Im übrigen könnte der Beschwerdeführer aus
Art. 272 Abs. 6 BStP
ohnehin nicht einen Anspruch auf weitere Akteneinsicht ableiten, als sie ihm von Rechts wegen im kantonalen Verfahren zustand. Kantonale Verwaltungsakten, die wegen ihres vertraulichen Charakters im Interesse überwiegender öffentlicher oder schutzwürdiger privater Interessen schon während dem kantonalen Verfahren nicht zur Einsicht offengehalten werden konnten, sind dem Beschwerdeführer auch nicht zur Begründung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde zu öffnen. Im vorliegenden Fall hätte Monteverdi im Sinne eines sachlichen Ausgleichs der auf dem Spiele stehenden Interessen (IMBODEN, Verwaltungsrechtssprechung, 3. Aufl., II Nr. 613 IV) höchstens eine Abschrift oder einen schriftlichen Auszug aus denjenigen Schriftstücken der fraglichen Personalakten verlangen können, die in der Hauptverhandlung vor Strafdreiergericht vorgelesen und dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt worden waren. Dass er indessen ein dahingehendes Begehren gestellt habe, behauptet er selber nicht.
BGE 97 IV 229 S. 232
b) Inwiefern sodann das Appellationsgericht den in
Art. 249 BStP
verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung verletzt haben soll, indem es die vertraulichen Personalakten der Polizisten Flück und Stotz nicht erneut beigezogen hat, ist nicht ersichtlich.
Art. 249 BStP
verbietet es dem Richter bloss, bei der Durchführung von Beweisen und der Würdigung erhobener Beweise gesetzlichen Regeln zu folgen, welche die eigene Prüfung und Bewertung ihrer Überzeugungskraft ausschliessen. Dagegen betrifft die genannte Verfahrensvorschrift nicht Beweisbeschränkungen, die sich daraus ergeben, dass das kantonale Recht aus andern Gründen als der Beweiswürdigung, z.B. zur Wahrung schutzwürdiger öffentlicher oder privater Interessen gewisse Beweismittel nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt (
BGE 84 IV 175
). Wenn das Appellationsgericht im vorliegenden Fall die vertraulichen Personalakten der Beschwerdegegner aus solchen Gründen nicht mehr beigezogen hat, so hat es damit in keiner Weise gegen
Art. 249 BStP
verstossen (vgl.
BGE 80 I 5
). | null | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
573440c5-a643-4867-bb08-217ce6a9761b | Urteilskopf
110 II 5
2. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 15 mars 1984 dans la cause H. contre Chambre administrative du Tribunal cantonal du canton du Jura (recours de droit administratif). | Regeste
Art. 101 ZGB
,
Art. 137 ZStV
; Eintragung einer im Ausland geschlossenen Ehe.
Eine Scheidung, die durch eine ausländische diplomatische Vertretung in der Schweiz ausgesprochen wurde, ist von den schweizerischen Behörden nicht zu beachten; eine Ehe, die im Ausland zwischen einer Schweizerin und einem auf die erwähnte Art geschiedenen Ausländer geschlossen wurde, ist deshalb nach schweizerischem Recht als nicht bestehend zu betrachten und kann somit im Familienregister nicht eingetragen werden. | Sachverhalt
ab Seite 5
BGE 110 II 5 S. 5
A.-
Le 19 août 1980, Z., ressortissant marocain, a divorcé, en présence de deux témoins, à l'Ambassade du Maroc à Berne, de son épouse marocaine F. L.
Le 21 août 1980, cette même ambassade a délivré un certificat de coutume attestant que Z. "satisfait aux exigences de la loi islamique et des coutumes marocaines en ce qui concerne les conditions requises pour l'aptitude au mariage et que son extrait
BGE 110 II 5 S. 6
d'acte de naissance (...) et l'acte de divorce établi le 19 août 1980 par l'Ambassade du Royaume du Maroc à Berne sont valables et ont force probante au Maroc pour les formalités de mariage".
Le 29 septembre 1980, Z. s'est fait remettre une attestation par l'Ambassade du Maroc à Berne, selon laquelle lui-même et F.L. sont considérés comme divorcés.
En octobre 1980, Z. et dlle H. ont effectué des démarches auprès de l'Officier de l'état civil de Lausanne en vue de leur mariage. L'autorisation leur a toutefois été refusée, le fiancé ne pouvant être considéré comme divorcé.
Le 6 novembre 1980, Z. et dlle H. se sont mariés à Londres. L'épouse a déclaré vouloir conserver sa nationalité suisse.
Le 11 mai 1981, l'Ambassade du Maroc à Berne a établi une attestation de validation de ce mariage selon la loi marocaine.
B.-
Le 12 mars 1982, la Section de l'état civil et des habitants du canton du Jura a refusé à l'Officier d'état civil de la commune d'origine de dlle H. l'autorisation d'inscrire le mariage de celle-ci avec Z. dans le registre des familles.
Le 1er juin 1982, la même Section a rejeté l'opposition formée par Z. et dlle H. contre la décision du 12 mars.
Le 18 octobre 1983, la Chambre administrative du Tribunal cantonal du canton du Jura a rejeté un recours de dlle H. contre les deux décisions précitées.
C.-
Contre la décision de la dernière autorité cantonale, dlle H. a déposé un recours de droit administratif au Tribunal fédéral. Elle conclut à ce que l'Officier de l'état civil de la commune de B. soit invité à transcrire dans le registre des familles le mariage qu'elle a contracté le 6 novembre 1980 à Londres avec Z.
La Chambre administrative du Tribunal cantonal jurassien se réfère à son jugement. La Section de l'état civil et des habitants du canton du Jura s'en remet à justice quant à l'issue du recours. Le Département fédéral de justice et police conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Aux termes de l'
art. 137 OEC
, les actes provenant de l'étranger ne sont transcrits que sur ordre de l'autorité cantonale de surveillance. La compétence de cette autorité est exclusive et ne laisse aucune place à une procédure cantonale d'exequatur (
ATF 99 Ib 241
consid. 2). Sa décision peut être déférée au
BGE 110 II 5 S. 7
Tribunal fédéral par la voie du recours de droit administratif (
ATF 94 I 239
consid. 1).
b) Contrairement à l'opinion de l'autorité cantonale, le pouvoir d'examen réservé selon l'
art. 137 OEC
à l'autorité de surveillance n'est pas limité aux pures questions formelles, mais est beaucoup plus étendu et peut porter même sur de délicates questions de droit international privé. Il suffit, à cet égard, de se référer à la jurisprudence en la matière (
ATF 103 Ib 69
, 99 Ib 241,
ATF 97 I 392
consid. 2,
ATF 94 I 235
).
2.
a) En l'espèce, contrairement à la citation faite dans la décision du 12 mars 1982 de la Section de l'état civil et des habitants que l'autorité intimée ne rectifie pas, ce n'est pas l'
art 7f LRDC
qui est applicable, mais l'art. 7c, l'une des personnes concernées n'étant pas suisse (
ATF 97 I 403
,
ATF 80 I 433
/434). Il s'ensuit que la validité du mariage est régie pour chacun des époux par sa loi nationale. Il n'en reste cependant pas moins que la décision attaquée est exacte dans son résultat. Certes, Z. était autorisé à se remarier selon son droit national, ainsi que cela résulte du certificat de coutume et de l'attestation de validation du mariage délivrés par l'Ambassade du Maroc à Berne. Toutefois, l'empêchement dirimant du mariage existant déploie ses effets au regard du droit suisse, même s'il n'est réalisé qu'en la personne du fiancé étranger soumis uniquement à son droit national dont il satisfait les exigences, car un tel empêchement relève de l'ordre public suisse (STAUFFER, Praxis zum NAG, n. 5 ad art. 7c; GÖTZ, n. 12 ad
art. 101 CC
). Or le divorce de Z. de sa première épouse a été prononcé à l'Ambassade du Maroc à Berne, alors que, sur le territoire suisse, un tel acte juridictionnel est réservé aux tribunaux civils ordinaires. Dès lors, pas plus qu'une annulation de mariage prononcée en Suisse par une juridiction ecclésiastique (
ATF 106 II 180
), un divorce prononcé en Suisse par une ambassade étrangère ne saurait être invoqué devant les autorités suisses. Un tel divorce n'ayant ainsi pas d'effets en Suisse, le premier mariage de Z. ne peut dès lors pas être considéré comme dissous et son second mariage ne peut être reconnu et inscrit dans les registres de l'état civil suisses. Cela est d'autant plus vrai si, comme certains indices paraissent le démontrer, le divorce prononcé à l'Ambassade du Maroc à Berne équivaut en réalité à une répudiation (
ATF 103 Ib 72
consid. 3a,
ATF 88 I 48
).
b) Il ne saurait être question d'inscrire un mariage entaché de nullité selon le droit suisse, en attendant l'issue d'une action en
BGE 110 II 5 S. 8
nullité comme le voudrait la recourante. Un tel procédé restreindrait d'une manière inadmissible le pouvoir d'examen attribué à l'autorité de surveillance en vertu de l'
art. 137 OEC
. Il comporterait en outre le risque, comme le relève le Département fédéral de justice et police dans ses observations, que des mariages entachés de nullité soient conclus à l'étranger uniquement dans le but que le conjoint étranger retire certains avantages de son mariage avec un conjoint suisse, au moins entre la conclusion du mariage et son annulation; il est encore à craindre que, dans certains cas, l'autorité ne s'abstienne tout simplement d'intenter l'action en nullité. Il y a lieu, à cet égard, de distinguer entre un mariage contracté en Suisse et celui contracté à l'étranger (
ATF 74 II 57
consid. 2). Le premier déploie ses effets jusqu'à l'annulation éventuelle par le juge (
art. 132 CC
), alors que le second doit être "reconnu" par l'autorité d'état civil, laquelle est habilitée à refuser la transcription, si les conditions fixées par le droit suisse ne sont pas remplies.
Cela étant, le recours est manifestement mal fondé et doit partant être rejeté. | public_law | nan | fr | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
573c4beb-3b00-4762-bf94-d69d48c8fc7f | Urteilskopf
115 Ib 152
19. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 4 avril 1989 dans la cause F. c. Tribunal administratif du canton de Genève (recours de droit administratif) | Regeste
Widerruf eines Verwaltungsaktes.
1. Es verstösst nicht gegen Treu und Glauben, die Verfügung betreffend einen Führerausweisentzug zu ändern, dessen Dauer mit
Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG
unvereinbar war (E. 1-3).
2. Der Grundsatz "ne bis in idem" ist hier nicht anwendbar (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 153
BGE 115 Ib 152 S. 153
A.-
Le 7 février 1988, F. a circulé à Lausanne au volant de son automobile. Un contrôle de police à révélé un taux d'alcoolémie de 0,98 à 1,09 g %o.
Par une décision du 7 mars 1988, le Service des automobiles du canton de Genève a prononcé le retrait du permis de conduire de F. pour une durée de deux mois.
Le 25 avril 1988, le Service des automobiles a pris une autre décision, sans que F. ait commis une nouvelle infraction, fixant la durée du retrait du permis à douze mois en raison d'un état de récidive au sens de l'art. 17 al. 1 lettre d LCR. En effet, il avait été constaté dans l'intervalle que F. avait déjà fait l'objet d'un retrait du permis de conduire prononcé le 17 juillet 1986 pour une durée de six mois (conduite à Genève en état d'ébriété, alcoolémie de 2,01 à 2,23 g %o). Dans la décision du 25 avril 1988, il est indiqué notamment:
"que compte tenu de ces nouveaux éléments, il se justifie de modifier la décision du 7.3.88 et de confirmer le retrait du permis de conduire de Monsieur F. pour une durée conforme au minimum légal prévu par la loi."
B.-
Par un arrêt du 19 août 1988, le Tribunal administratif du canton de Genève a rejeté le recours formé par F.
C.-
F. a saisi le Tribunal fédéral d'un recours de droit administratif. Il demande l'annulation de l'arrêt du 19 août 1988, sous suite de dépens.
L'effet suspensif a été requis mais n'a pas été accordé.
D.-
Invité à présenter des observations, l'Office fédéral de la police (OFP) a proposé le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) En bref, le Tribunal administratif a considéré que se posait la question de la révocation d'une décision administrative erronée, due à une erreur sur les faits, dont la solution dépend de la mise en balance de la sécurité des relations juridiques d'une part et d'autre part des principes de la légalité ainsi que de l'égalité de traitement. Cette autorité en conclut que faire prévaloir l'intérêt public de la sécurité du trafic à lutter contre l'ivresse au volant en substituant, dans un délai raisonnable, une décision de retrait d'une autorisation de police à une autre était admissible.
b) D'après le recourant, l'arrêt du Tribunal administratif viole le principe de droit fédéral de l'autorité de la chose jugée ainsi que de l'intérêt à la sécurité des relations juridiques. Il admet que se
BGE 115 Ib 152 S. 154
pose la question de la révocation d'un acte administratif à résoudre par une mise en balance d'une part de la légalité, d'autre part de l'intérêt du particulier à bénéficier de la décision, même illégale. Il souligne que sa bonne foi n'est nullement en cause, qu'il avait pris des dispositions professionnelles en fonction d'un retrait du permis de conduire limité à une durée de deux mois et qu'il a entrepris une période de formation en vue d'un emploi où son permis de conduire est indispensable. La prolongation à douze mois de la durée du retrait de son permis de conduire porte donc une atteinte sensible à ses intérêts légitimes concrets; il produit en effet une lettre par laquelle son employeur déclare devoir se passer de ses services si le Tribunal fédéral n'annule pas le revirement de l'autorité administrative genevoise. Il en conclut que l'intérêt public à la sécurité du trafic ne doit pas primer en l'espèce.
Il rejette encore le motif tiré de l'égalité de traitement, car, s'il devait prévaloir en général, toutes les décisions entachées d'erreur seraient révocables; cela serait contraire à la jurisprudence.
Enfin, le recourant affirme que le caractère sanctionnateur du retrait d'admonestation justifie l'application du principe "ne bis in idem" qui prévaut en droit pénal.
2.
a) Aux termes de l'
art. 104 lettre a OJ
, le recours de droit administratif peut être formé pour violation du droit fédéral. Cela comprend la violation des droits constitutionnels (
ATF 110 Ib 257
; voir C.H. BRUNSCHWILER, Wie die Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde übernimmt in Mélanges Robert Patry, Lausanne 1988, p. 267 ss)
b) En matière de retrait du permis de conduire, la procédure de première instance et celle de deuxième instance sont de la compétence des cantons (art. 22 al. 1 et 24 al. 1 et 2 LCR). Ils les règlent en principe librement, sous réserve des exigences minimales prévues à l'
art. 23 LCR
(BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, 2e éd., Lausanne 1984, ch. 2.1. ad
art. 23 LCR
). Ainsi, la question de savoir si le Service des automobiles du canton de Genève était en droit de modifier, de son propre chef, une décision entachée d'erreur devait être examinée en premier lieu à la lumière des règles cantonales de procédure (voir
ATF 102 Ib 288
consid. b). Or, les griefs du recourant ne sont pas fondés sur la violation du droit cantonal. Faute de précisions à cet égard, le Tribunal fédéral n'est pas tenu de rechercher d'office s'il existe des règles de droit genevois sur la révocation des actes administratifs et, dans l'affirmative, si elles sont conformes à la
BGE 115 Ib 152 S. 155
Constitution fédérale (art. 114 al. 1 et 90 al. 1 lettre b OJ; BRUNSCHWILER, op.cit., p. 272 ss).
c) L'argumentation du recours concerne avant tout la révocation d'un acte administratif. Elle doit être examinée sous l'angle d'une éventuelle violation du principe de la bonne foi, qui est garanti par l'
art. 4 Cst.
3.
a) D'après la jurisprudence, il découle du caractère impératif du droit public qu'un acte administratif, qui ne concorde pas avec le droit positif, puisse être modifié. Cependant, la sécurité du droit peut imposer qu'un acte, qui a constaté ou créé une situation juridique, ne puisse pas être mis en cause. En l'absence de règles sur la révocation prévues dans la loi, l'autorité doit mettre en balance d'une part l'intérêt à une application correcte du droit objectif, d'autre part les exigences de la sécurité du droit. Celles-ci l'emportent en principe lorsque la décision en cause a créé un droit subjectif au profit de l'administré, lorsque celui-ci a déjà fait usage d'une autorisation obtenue, ou encore lorsque la décision est le fruit d'une procédure au cours de laquelle les divers intérêts en présence ont fait l'objet d'un examen approfondi. Cette règle n'est cependant pas absolue et la révocation peut intervenir même dans une des trois hypothèses précitées lorsqu'elle est commandée par un intérêt public particulièrement important. Dans certains cas, une indemnité est due. Au contraire, les exigences de la sécurité du droit peuvent être prioritaires même lorsque aucune de ces trois hypothèses n'est réalisée (
ATF 109 Ib 252
consid. b avec la jurisprudence et la doctrine citées; voir B. KNAPP, Précis de droit administratif, 3e éd., Bâle 1988 p. 229 Nos 1268 ss; F. GYGI, Verwaltungsrecht, Berne 1986, p. 307 ss; A. GRISEL, Traité de droit administratif, Neuchâtel 1984, vol. I, p. 431 ss et, du même auteur, L'apport du Tribunal fédéral des assurances au développement du droit public, in Mélanges Alexandre Berenstein, Lausanne 1989, p. 449).
b) Le Tribunal administratif a procédé à la pesée de l'intérêt au respect du droit objectif, d'une part, et, d'autre part, à la pesée de l'intérêt à la sécurité des relations juridiques. Il en a conclu qu'en l'absence d'intérêt sensible à la sécurité des relations juridiques du recourant, le principe de la légalité l'emportait notamment à cause de l'intérêt public supérieur à la sécurité du trafic et à la lutte contre l'ivresse au volant, ainsi qu'en raison de l'égalité de traitement.
Certaines considérations de l'autorité cantonale sont discutables. Les risques professionnels du recourant découlant de l'erreur
BGE 115 Ib 152 S. 156
de l'administration, dont il avait été déjà question lors de la comparution personnelle devant le Tribunal administratif, paraissent quelque peu minimisés. Au contraire, le danger auquel un retrait d'admonestation d'une durée de deux mois (au lieu de douze mois) exposerait l'intérêt dit supérieur de la sécurité du trafic semble exagéré; en effet, la révocation d'un acte administratif a été refusée dans des cas où il en allait de la protection des eaux et de l'aménagement du territoire, par exemple (
ATF 107 Ib 35
,
ATF 108 Ib 378
). Quant à l'égalité de traitement, elle n'est nullement décisive, car cet argument serait de nature à empêcher la plupart des révocations.
Néanmoins, compte tenu du fait que les règles jurisprudentielles en matière de révocation ne sont pas absolues, du peu de temps séparant la décision viciée de sa révocation et de l'éventualité d'une indemnité à verser au recourant (voir B. KNAPP, op.cit., p. 233 No 1296), la décision attaquée ne viole pas le principe de la bonne foi. Il ne s'agissait pas d'un jugement entré en force de chose jugée, mais d'une décision administrative dont aucune loi ne semble interdire la révocation. De plus, on n'était pas en présence d'une autorisation de police ou d'un acte créateur de droits subjectifs, mais d'une décision qui limitait - dans une trop faible mesure à l'aune de la loi - la liberté personnelle du recourant. La révocation est intervenue car la première décision s'est révélée contraire à la loi fédérale. De plus, à la fin de l'exécution de la première mesure, le recourant n'a pas demandé à récupérer son permis, si bien que la révocation n'a pas eu pour effet pratique un second retrait au sens strict.
4.
Le recourant invoque aussi une violation du principe "ne bis in idem", valable en droit pénal, mais qu'il estime applicable par analogie au retrait admonitoire du permis de conduire, compte tenu du caractère sanctionnateur de cette mesure.
a) Le principe "ne bis in idem" fait partie du droit pénal matériel (
ATF 90 IV 133
,
ATF 86 IV 52
,
ATF 56 I 77
). Il signifie que l'auteur d'une infraction ne peut être jugé plusieurs fois pour les mêmes faits. Or, ce n'est pas tout à fait le cas du recourant, même si l'on acceptait d'assimiler à des sanctions pénales les mesures administratives dont il a été l'objet. En effet, dans la première décision, le Service des automobiles a pris en considération l'ivresse au volant commise le 7 février 1988; dans la seconde, il s'est prononcé sur cette infraction à laquelle s'est ajouté le fait qu'il s'agissait d'une récidive. Ce n'est donc pas exactement le même état
BGE 115 Ib 152 S. 157
de fait qui a été retenu. De la sorte, il n'y a pas eu deux "sanctions" successives des mêmes faits. La première mesure a été rectifiée en fonction d'un fait dont l'autorité a pris conscience après sa décision du 7 mars 1988. Dès lors, il s'agissait de savoir si cette décision entrée en force pouvait être corrigée, non pas si l'autorité de première instance avait "sanctionné" deux fois le même état de fait, au mépris du principe "ne bis in idem".
b) Quant à la nature des décisions du Service des automobiles, il n'est pas contesté que ce sont des décisions administratives. Leur entrée en force, leur révocation et leur revision sont ainsi régies par le droit administratif. Celui-ci admettant la révocation aux conditions examinées ci-avant (consid. 3), le recours doit être rejeté.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
573d680e-c08d-45f6-af15-df24a7f1d5b0 | Urteilskopf
122 III 1
1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. März 1996 i.S. Versicherung X. gegen A. M. (Berufung) | Regeste
Art. 936 und 3 Abs. 2 ZGB
; Gutgläubigkeit des Erwerbers einer abhandengekommenen Sache.
In Geschäftsbereichen, in denen oft Waren zweifelhafter Herkunft angeboten werden, sind bei einem Erwerber mit einschlägigen Branchenkenntnissen hohe Anforderungen an die zu verlangende Aufmerksamkeit gemäss
Art. 3 Abs. 2 ZGB
zu stellen. Auch der Antiquitätenhandel zählt zu diesen Geschäftsbereichen; ob ein Gegenstand zum Eigengebrauch erworben wird oder ob ein Handelskauf vorliegt, ist unerheblich. | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 122 III 1 S. 2
Im April 1979 wurde aus der Villa von R. M. in Versoix (GE) eine antike Waffensammlung gestohlen. C. F. übernahm die Beute von den Dieben und übergab die Waffensammlung A. R., welcher sie im Oktober 1979 an A. M. verkaufte. Die Versicherung X. bezahlte R. M. für die gestohlene Waffensammlung eine Entschädigung von Fr. 553'045.--. Im Gegenzug wurden ihr sämtliche Rechte am Deliktsgut abgetreten.
Am 21. Dezember 1992 erhob die Versicherung X. Klage gegen A. M. und verlangte die Herausgabe sämtlicher Waffen, die aus dem Diebstahl bei R. M. stammten. Mit Urteil vom 2. Dezember 1994 wurde die Herausgabeklage vom Amtsgericht Luzern-Land gutgeheissen. Die von A. M. dagegen erhobene Appellation hiess das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 7. September 1995 gut und wies die Herausgabeklage der Versicherung X. ab.
Mit Berufung vom 6. November 1995 beantragt die Versicherung X. dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Luzern aufzuheben und ihre Herausgabeklage gutzuheissen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Vor Bundesgericht ist zwischen den Parteien nicht mehr strittig, dass die Klägerin durch die Abtretung der Rechte am Deliktsgut berechtigt ist, die Eigentumsherausgabeklage gemäss
Art. 641 Abs. 2 ZGB
zu erheben. Umstritten ist nur noch, ob der Beklagte beim Erwerb der Waffen von A. R. gutgläubig gewesen und damit Eigentümer geworden sei (
Art. 714 Abs. 2 ZGB
in Verbindung mit
Art. 936 ZGB
). Das Obergericht hat den gutgläubigen Besitzes- und Eigentumserwerb des Beklagten bejaht und die klägerische Eigentumsansprache mit dem Hinweis auf das bessere Recht des Beklagten abgewiesen. Die Klägerin hält diese Auffassung für bundesrechtswidrig und wirft dem Obergericht im wesentlichen eine Verletzung von
Art. 3 Abs. 2 ZGB
vor.
a)
Art. 936 Abs. 1 ZGB
bestimmt, dass derjenige, der den Besitz einer beweglichen Sache nicht in gutem Glauben erworben hat, vom früheren Besitzer jederzeit auf Herausgabe belangt werden kann.
BGE 122 III 1 S. 3
Der Erwerber einer Sache gilt grundsätzlich als gutgläubig (
Art. 3 Abs. 1 ZGB
). Der Gutglaubensschutz versagt indessen nicht nur bei Bösgläubigkeit, sondern auch dann, wenn die Unkenntnis des Erwerbers vom Rechtsmangel darauf zurückzuführen ist, dass er beim Erwerb der Sache jene Aufmerksamkeit vermissen liess, die von ihm nach den Umständen verlangt werden durfte (
Art. 3 Abs. 2 ZGB
). Wird nicht die nach dem Umständen gebotene Aufmerksamkeit aufgewendet, zieht dies die gleichen Rechtsfolgen nach sich wie die Bösgläubigkeit (
BGE 121 III 345
E. 2b S. 348 mit Hinweis; EMIL W. STARK, Berner Kommentar, N. 46 zu
Art. 933 ZGB
). Die Nichtbeachtung der gebotenen Aufmerksamkeit ist allerdings nur von Bedeutung, wenn sie für die fehlende Kenntnis vom Rechtsmangel kausal ist; andernfalls ist sie unbeachtlich (
BGE 100 II 8
E. 4b S. 16 mit Hinweisen; STARK, a.a.O., N. 51 zu
Art. 933 ZGB
).
aa) Der Grad der Aufmerksamkeit, der vom Erwerber verlangt werden darf, richtet sich nach den Umständen. Was dies im Einzelfall bedeutet, ist weitgehend eine Ermessensfrage (
Art. 4 ZGB
). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes besteht keine allgemeine Erkundigungspflicht des Erwerbers nach dem Vorliegen der Verfügungsmacht des Veräusserers; nur wenn konkrete Verdachtsgründe vorliegen, müssen die näheren Umstände abgeklärt werden (
BGE 100 II 8
E. 4a S. 14 f.,
BGE 83 II 126
E. 1 S. 133,
BGE 77 II 138
E. 3 S. 147 f., je mit Hinweisen). In einem jüngeren Entscheid hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung in bezug auf Rechtsgeschäfte, die mit besonderen Risiken behaftet sind, dahingehend präzisiert, dass an die Sorgfaltspflicht des Händlers von Occasionsautomobilen der Luxusklasse besonders hohe Anforderungen zu stellen seien (
BGE 113 II 397
E. 2b/c S. 399 f.). Auch wenn damit keine generelle Erkundigungspflicht statuiert wird, ergibt sich in diesen Fällen eine Abklärungs- bzw. Erkundigungspflicht hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des Veräusserers nicht erst bei konkretem Verdacht des Rechtsmangels, sondern bereits, wenn aufgrund der Umstände Anlass zu Misstrauen besteht.
bb) Diese erhöhte Sorgfaltspflicht ist nicht auf die Branche des Auto-Occasionshandels beschränkt. Vielmehr hielt das Bundesgericht fest, dass höhere Anforderungen an diejenigen Geschäftszweige zu stellen sind, die dem Angebot von Waren zweifelhafter Herkunft und folglich mit Rechtsmängeln behafteter Sachen in besonderem Masse ausgesetzt sind, wie es beim Handel mit Gebrauchtwaren aller Art der Fall ist (
BGE 113 II 397
E. 2b S. 399 f.). Ebensowenig ist die erhöhte Sorgfaltspflicht auf den Händler im
BGE 122 III 1 S. 4
kaufmännischen Verkehr beschränkt. Für das Mass der aufzuwendenden Sorgfalt kommt es nicht darauf an, ob ein Handelskauf - d.h. ein Kauf zum Zweck des Weiterverkaufs (
BGE 65 II 171
E. 2 S. 173) - vorliegt; entscheidend ist vielmehr die Branchenvertrautheit des betreffenden Erwerbers. Bei einem Kaufmann werden vertiefte Branchenkenntnisse regelmässig vorausgesetzt und unterstellt. Trifft ihn insoweit eine erhöhte Sorgfaltspflicht, kommt nichts darauf an, ob er eine Ware zum Weiterverkauf oder ausnahmsweise für den eigenen Bedarf erwirbt.
b) Im vorliegenden Fall geht das Obergericht davon aus, dass die konkreten Umstände des Erwerbs der Waffensammlung den Beklagten zu keiner besonderen Aufmerksamkeit hätten veranlassen müssen. Eine generelle Erkundigungspflicht nach der Herkunft der Waffen bestehe nicht, es sei denn, äussere Umstände würden Verdachtsmomente an der Lauterkeit des Händlers oder der "Sauberkeit" der Ware nahelegen. Anders als in
BGE 113 II 397
gelte im vorliegenden Fall der Grundsatz uneingeschränkt, dass eine Erkundigungspflicht nur beim Bestehen eines Verdachtes bestehe, da das Antiquitätengeschäft nicht mit dem Auto-Occasionshandel verglichen werden könne und da es sich vorliegend um den Geschäftsverkehr zwischen Händler und Endabnehmer handle. Da keine allzuhohen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht gestellt werden dürften, habe der Beklagte die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet, so dass er in seinem guten Glauben zu schützen sei.
aa) Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Einerseits sind die erhöhten Anforderungen an die Sorgfaltspflicht wie erläutert nicht nur auf den Auto-Occasionshandel beschränkt, sondern erstrecken sich generell auf Geschäftszweige, die dem Angebot von Waren zweifelhafter Herkunft in besonderem Masse ausgesetzt sind, und bei denen infolgedessen ein erhöhtes Risiko besteht, dass Waren mit Rechtsmängeln behaftet sind. Diese Rechtsprechung, die sich auf den Handel mit Gebrauchtwaren aller Art bezieht, gilt auch für den Antiquitätenhandel. Anderseits ist die erhöhte Sorgfaltspflicht nicht auf den kaufmännischen Verkehr beschränkt. In diesem Zusammenhang hat das Obergericht für das Bundesgericht verbindlich festgehalten (
Art. 63 Abs. 2 OG
), dass der Beklagte Kaufmann sei, der zunächst mit Automobilen und später mit Immobilien gehandelt habe; seit Jahren sammle er Antiquitäten, aber auch Zinnkannen und gelegentlich Waffen. Vor dem Untersuchungsrichter in Neuenburg habe der Beklagte ausgesagt, er kenne sich auf dem Gebiet der Waffen aus. In der Klageantwort bestritt der Beklagte lediglich, "zur
BGE 122 III 1 S. 5
Zeit des Erwerbs des Streitgegenstandes im Antiquitätenhandel tätig gewesen zu sein", gab aber zu, dass es zwischen ihm und A. R. "zu Geschäften über Autos und vereinzelt auch über Antiquitäten" gekommen sei. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass es sich beim Beklagten nicht nur um einen Kaufmann, sondern auch um eine Person handelt, die im Antiquitätenhandel keineswegs unerfahren ist. Es rechtfertigt sich daher, im vorliegenden Fall an die nach
Art. 3 Abs. 2 ZGB
gebotene Aufmerksamkeit erhöhte Anforderungen zu stellen. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
574f993b-d180-4497-9e72-501d36e764c7 | Urteilskopf
113 II 121
23. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 12 mars 1987 dans la cause dame K. contre dame B. et époux F. (recours en réforme) | Regeste
Erbrechtliche Nutzniessung; Miete.
1. Der überlebende Ehegatte, dem an einem Teil der ungeteilten Erbschaft das Eigentum und am übrigen Teil die Nutzniessung zusteht, hat das ausschliessliche Nutzungsrecht am ganzen Nachlass und übt die damit verbundenen Befugnisse alleine aus. Zur Vermietung einer Nachlassliegenschaft und Erhebung des Mietzinses bedarf er somit nicht der Zustimmung des Miterben, dem das nackte Eigentum an seinem Nutzniessungsanteil zusteht (Erw. 2).
2. Beim Untergang der Nutzniessung ist
Art. 259 Abs. 2 OR
sinngemäss anzuwenden: Der Eigentümer, der nun die umfassende Verfügungsgewalt über den Mietgegenstand erwirbt, bleibt, wie ein Käufer, bis zum nächsten gesetzlichen Kündigungstermin an den Mietvertrag gebunden; unterlässt er die Kündigung, wird davon ausgegangen, dass er den Mietvertrag fortführe (Bestätigung der Rechtsprechung) (Erw. 3).
3. Tragweite der Vormerkung der Miete im Grundbuch (
Art. 959 Abs. 1 ZGB
) (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 122
BGE 113 II 121 S. 122
A.-
a) R. est décédé à Montreux le 26 août 1976. Selon jugement rendu le 3 juillet 1980 par la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois, il laissait sa succession à sa demi-soeur Hélène K. (réservataire pour 3/16) et à sa femme Florence, née B. (13/16), qu'il avait instituée seule héritière et exécutrice testamentaire, le 31 mars 1964. Usufruitière de la part réservataire, celle-ci fut mise le 23 août 1977 sous la tutelle de P. Le partage fut ordonné le 30 novembre 1981 par le Président du Tribunal civil du district de Vevey; la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois confirma ce jugement le 28 décembre 1982. Les parties requirent la reprise de la procédure de partage en avril 1983; l'instance suit son cours.
BGE 113 II 121 S. 123
Florence R. décéda à son tour le 15 juin 1981. Elle avait institué seule héritière sa soeur Marie B. Le 23 juin 1981, celle-ci céda sa part, par convention notariée, aux époux F., cession confirmée par une promesse, notariée elle aussi, du 19 février 1982.
Cette seconde convention promettait le transfert aux cessionnaires de la part de Florence R. sur l'un des immeubles de la succession de son mari, sis à Montreux. Les parties se référaient aux difficultés qui les attendaient dans l'exécution de leur accord, dont l'une est l'objet du présent procès.
b) Après un bail dont le renouvellement échoua, l'immeuble de Montreux fit l'objet de deux autres contrats.
aa) Dûment autorisé par la Justice de paix, le tuteur P. conclut, le 3 décembre 1980, un premier bail entre les époux F. et "la succession de feu R.", qu'il déclarait représenter pour la veuve. Le bail est conclu pour dix ans, soit du 1er avril 1981 au 31 mars 1991; il pourra être annoté au registre foncier, à la requête et aux frais des locataires (art. 2 al. 1 et 3). Le 10 décembre 1980, la Justice de paix envoya au tuteur un exemplaire du bail approuvé la veille, "intervenu entre votre pupille et les époux F.". L'accord de dame K. n'avait pas été requis, ni partant obtenu.
bb) Le 26 mai 1981, le tuteur passa un second contrat de bail - lui aussi approuvé par la Justice de paix - avec les époux F., contrat conclu par dame R. seule - mais "en qualité d'usufruitière de l'entier de la succession de feu R." -, pour la même durée exactement (1er avril 1981 - 31 mars 1991) et susceptible d'être annoté. En préambule, les parties exposent qu'elles prennent un nouvel accord en raison du litige né du bail de 1980.
B.-
Dame K. a requis la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois:
I. de constater que le contrat de bail passé le 3 décembre 1980 entre les époux F. et P. au nom de la succession de feu R. est nul et non avenu;
II. de constater que les époux F. ne sont titulaires d'aucun droit personnel ou réel opposable à la demanderesse l'autorisant à occuper l'immeuble sis à Montreux;
III. d'enjoindre auxdits défendeurs, sous la menace des peines d'arrêts ou d'amende prévues par l'
art. 292 CP
, de libérer l'immeuble dans un délai de 30 jours.
Marie B. a conclu à libération des fins de la demande.
Les époux F. ont également requis le rejet de l'action. Ils ont en outre prié la cour de constater:
BGE 113 II 121 S. 124
"Reconventionnellement:
- que la demanderesse est leur débitrice et leur doit paiement de la somme de 17'950 fr. 40 francs (dix-sept mille neuf cent cinquante francs quarante) avec intérêts à 5% l'an dès le 1er janvier 1984, représentant sa part de 3/16 sur tous les impôts, taxes, primes d'assurances, intérêts hypothécaires et droits de mutation concernant l'immeuble ..., tous droits des défendeurs étant réservés pour les sommes dues à ce titre dès le 1er janvier 1984.
Subsidiairement:
- que la demanderesse est leur débitrice et leur doit paiement de la somme de 61'262 fr. 90 francs (soixante et un mille deux cent soixante-deux francs nonante) avec intérêts à 5% l'an dès le 1er janvier 1984 à titre de restitution de toutes les sommes investies par eux dans l'immeuble ... jusqu'au 31 décembre 1983, tous droits des défendeurs demeurant réservés sur les sommes investies dès cette dernière date."
C.-
Le juge instructeur a rendu deux ordonnances de mesures provisionnelles.
Le 16 juillet 1981, il a interdit aux époux F. de requérir l'annotation au registre foncier du bail du 3 décembre 1980.
Le 14 avril 1982, il a rejeté une requête de la demanderesse tendant à faire déguerpir les locataires, par le motif que le bail du 26 mai 1981 n'avait pas pris fin du seul fait du décès de Florence R.
D.-
Par jugement du 1er septembre 1986, la cour cantonale a rejeté les conclusions de la demanderesse et les conclusions reconventionnelles des défendeurs F.
E.-
Agissant par la voie du recours en réforme, la demanderesse a requis le Tribunal fédéral de lui allouer ses conclusions; subsidiairement, d'annuler le jugement attaqué et de renvoyer la cause à la cour cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Feu R. a laissé pour héritières sa demi-soeur Hélène K. (3/16) et son épouse (13/16). Cette dernière était en outre usufruitière de la part échue à la recourante. Elle jouissait donc seule de l'ensemble de la succession, comme pleine propriétaire d'une part et usufruitière du solde (non d'objets distincts, avant le partage); il n'y avait pas communauté de jouissance (PIOTET, Les usufruits du conjoint survivant en droit successoral suisse, Berne 1970, p. 48, et Traité de droit privé suisse, IV, Droit successoral, p. 615).
Avant sa mort, Florence R. a conclu successivement deux baux à loyer (
ATF 97 II 61
consid. 1a,
ATF 93 II 456
consid. 1 et les arrêts
BGE 113 II 121 S. 125
cités) avec les époux F. pour un immeuble de l'hoirie, sans l'accord d'Hélène K.
a) Le jugement attaqué démontre que Florence R., eût-elle été valablement désignée exécuteur testamentaire bien que seule héritière instituée (cf. PIOTET, Droit successoral, p. 143; ESCHER, n. 5 ad
art. 517 CC
), aurait été déchue de cette fonction lorsqu'une tutelle volontaire a été décidée en sa faveur le 23 août 1977 (
art. 517 al. 1 CC
; PIOTET, op.cit., p. 144; ESCHER, n. 20 ad
art. 518 CC
).
b) La recourante ne conteste pas que Florence R ait été valablement représentée par son tuteur, ni que le bail ait été autorisé par l'autorité tutélaire (
art. 421 ch. 6 CC
). Mais elle prétend que la veuve ne pouvait engager qu'elle-même et non la succession. C'est lui dénier le pouvoir de disposer par contrat de bail - en soi et non dans ses modalités - pour la succession.
aa) Ainsi que le constate le jugement attaqué, Florence R., comme propriétaire des 13/16 de la succession et usufruitière du solde, avait seule la jouissance du total et exerçait seule - par l'intermédiaire de son tuteur et, si nécessaire, avec l'accord des autorités de tutelle - toutes les facultés comprises dans cette jouissance. Comme on l'a vu ci-dessus, il n'existait pas une communauté de jouissance. Unique titulaire, la veuve avait les droits et les devoirs de l'usufruitière (art. 745 à 775 CC; PIOTET, Droit successoral, p. 619). Certes, l'usufruit comme tel est incessible (op.cit., p. 620). Mais son exercice est transférable à un tiers, car il ne s'agit pas ici d'un droit éminemment personnel (
art. 758 al. 1 CC
). L'usufruitière pouvait donc donner à bail un immeuble successoral et en percevoir le loyer - et elle seule, sans l'accord de la nue-propriétaire des 3/16 (PIOTET, Droit successoral, p. 619; Les usufruits du conjoint survivant, p. 56).
Ce qui est ainsi cédé, c'est l'exercice de l'usufruit, droit qui compète au seul usufruitier. L'hoirie ne pouvait donner l'immeuble à bail (PIOTET, Les usufruits du conjoint survivant, p. 56). Les règles de l'usufruit régissent les rapports entre la veuve et sa cohéritière. Celles du bail (légales ou conventionnelles) ne concernent que les rapports de la première avec les locataires. Il suit de là que la recourante ne saurait agir contre ceux-ci en restitution de la chose louée au titre du bail. Elle avait en revanche qualité pour revendiquer l'immeuble loué comme cohéritière au titre de sa nue-propriété, si le bail est radicalement nul, comme elle le prétend. Le principe de la conjonction des actes de la
BGE 113 II 121 S. 126
communauté successorale est sauvegardé, sa cohéritière étant partie au procès de l'autre côté de la barre.
bb) ...
3.
La recourante objecte que les baux souffrent d'une nullité absolue et totale en raison de leur durée et du droit, pour les locataires, de les faire annoter au registre foncier (art. 2). Dame R. aurait excédé ses pouvoirs d'usufruitière, dès lors que le tiers possesseur est tenu de restituer la chose louée au nu-propriétaire quand l'usufruit prend fin (
art. 751 CC
), notamment donc à la mort de l'usufruitier (
art. 749 CC
). C'est l'extinction de l'usufruit qui est en cause, non pas la mort du bailleur en soi, débiteur de la prestation caractéristique du bail (GAUCH, System der Beendigung der Dauerverträge, thèse Fribourg 1968, p. 81). L'objection est double aux yeux de la recourante: elle vise la durée et l'annotation.
a) Selon la recourante, la clause relative à la durée du bail ne lui est pas opposable, d'où elle déduit que le bail ne pouvait déployer ses effets au-delà de la mort de Florence R., le 15 juin 1981, date à laquelle les époux F. devaient donc restituer la chose louée, faute d'une décision conjointe et contraire des membres (elle-même et l'intimée) ou d'un représentant de la communauté héréditaire. Cet argument est présenté expressément comme subsidiaire. En réalité, la recourante ne met pas en cause la validité du bail, mais sa continuation au décès de la bailleresse.
Le 15 juin 1981, Marie B. est devenue membre de la succession de feu R. pour 13/16. L'usufruit sur la part de la recourante, en revanche, a pris fin (
art. 749 al. 1 CC
). Il s'agit de savoir quel a été l'effet de cette extinction sur le bail. Selon la cour cantonale, si la loi ne contient pas de disposition topique, comme pour la mort du preneur (
art. 270 CO
), l'
art 259 al. 2 CO
est applicable par analogie, bien qu'il n'y ait pas eu aliénation de l'immeuble ni changement de propriétaire au registre foncier. La communauté devait donc respecter le bail jusqu'au plus prochain terme légal de congé; elle est réputée en avoir assumé la continuation parce qu'elle ne l'a pas dénoncé.
b) Ce fut aussi l'avis du Tribunal fédéral dans un arrêt très ancien (ATF 1892 p. 104/105), où il applique par analogie l'art. 314 du code fédéral des obligations du 14 juin 1881 (281 dès 1912), en matière de bail à ferme (solution que prévoyait expressément l'art. 383 du code civil vaudois). Cette jurisprudence
BGE 113 II 121 S. 127
a été suivie par la Cour d'appel bernoise (RJB 1919 p. 465 = RSJ 1920/1921 p. 107 No 75).
La doctrine dominante partage cette opinion (ROSSEL/MENTHA, Manuel du droit civil suisse, 2e éd., III p. 37 n. 1400; WIELAND, n. 6 ad.
art. 768 CC
; LEEMANN, n. 10 ad
art. 758 CC
; PIOTET, Traité de droit privé suisse, V 3, Les droits réels limités en général, les servitudes et les charges foncières, p. 93/94; BECKER, n. 16 ad
art. 259 CO
; HAFNER, n. 2 ad
art. 281 CO
; REYMOND, Traité de droit privé suisse, VII 1, Le bail à loyer, le bail à ferme, le prêt à usage, p. 221; BEETSCHEN, Der Grundsatz "Kauf bricht Miete" im Schweizerischen Recht, thèse Zurich 1925, p. 27 à 29; FLÜGEL, Die Stellung des Erwerbers eines Grundstücks zum Mieter, thèse Bâle 1930).
Citant deux monographies fort anciennes (JANGGEN, Darstellung und Kritik der Bestimmungen des schweizerischen Obligationenrechts über die Sachmiete, Bâle 1889, p. 69/70; HEUBERGER, Die Sachmiete nach dem schweizerischen Obligationenrechte, Zurich, 1889, p. 87) et une plus récente (LANZ, Parteiwechsel bei Miete und Dienstvertrag, thèse Zurich 1934, p. 37 ss), SCHÖNENBERGER (n. 6 ad
art. 259 CO
) et SCHMID (n. 10 ad
art. 259 CO
) expriment un avis contraire, le second sans motivation explicite, le premier en raison du caractère exceptionnel de l'
art. 259 al. 2 CO
. Mais tous deux concèdent que la doctrine dominante actuelle est de l'autre avis.
C'est en effet l'analogie qui doit l'emporter. Que l'
art. 259 al. 2 CO
constitue une exception n'impose pas nécessairement l'interprétation dite restrictive: c'est la portée la mieux appropriée de la disposition qu'il faut rechercher. Le but de l'
art. 259 al. 2 CO
est de protéger le preneur. A l'extinction de l'usufruit, qui confère un droit plein au cohéritier jusqu'alors nu-propriétaire, le bailleur perd le pouvoir de disposer de la jouissance attachée à son usufruit. Ce pouvoir est transféré - en l'espèce pour une part seulement - comme lorsqu'il aliène la chose louée ou qu'elle lui est enlevée par l'effet de poursuites ou de sa faillite (
art. 259 al. 1 CO
). Le nu-propriétaire reprend la pleine disposition de la chose, ce qui l'oblige à procéder comme un acquéreur s'il entend ne pas assumer la continuation du bail (REYMOND, loc.cit.). Au demeurant, si l'on compare les intérêts en présence, on voit que, comme dans les hypothèses visées à l'
art. 259 al. 1 CO
, le preneur se trouve soudain, et sans sa faute, en présence d'un tiers qui n'est pas lié par le contrat. Certes, il pourrait arriver que le tiers, lui aussi, fût
BGE 113 II 121 S. 128
surpris, comme par un fait accompli, au contraire de ce qui se passe d'ordinaire dans le cas normal de l'aliénation. Mais il est hautement invraisemblable que l'héritier nu-propriétaire, s'il se préoccupe tant soit peu de ses droits et donc du sort des biens de la succession pendant la durée de l'usufruit (longue en général), ignore l'existence d'un bail sur un immeuble appartenant à l'hoirie; et si tel est le cas, l'on pourrait songer à reporter le début du délai de dénonciation, voire rendre l'usufruitier responsable d'une éventuelle faute. En l'espèce, la justice de paix avait interpellé le conseil de la recourante dès le 27 décembre 1979 sur l'offre des époux F.; la recourante elle-même reconnaît avoir connu le contrat du 3 décembre 1980 puis, aussitôt, le décès de Florence R. Au demeurant, l'
art. 259 al. 2 CO
n'impose le respect du bail que dans une mesure très limitée. La comparaison joue donc en faveur du preneur (cf. BEETSCHEN, op.cit., p. 28/29).
c) La recourante élève des objections, qu'il faut examiner autant qu'elles n'ont pas déjà été infirmées ci-dessus.
Que l'usufruit prenne fin par le décès (
art. 749 CC
) n'empêche aucunement d'appliquer l'
art 259 al. 2 CO
pour la continuation éventuelle du bail: ce sont deux choses différentes, comme cette continuation et l'aliénation de la chose (
art. 259 al. 1 CO
). Peu importe également que l'usufruitier et les locataires sachent ou doivent savoir que le bail pourra prendre fin avec l'usufruit: c'est alors précisément que les effets prévus à l'
art. 259 CO
s'appliquent. Il faut certes concéder à la recourante qu'il est plus malaisé à une communauté héréditaire d'agir à temps en commun pour dénoncer le bail. Mais le terme légal de congé (
art. 267 al. 2 ch. 1 CO
, plus les art. 267a ss; REYMOND, op.cit., p. 222), auquel renvoie l'
art. 259 al. 2 CO
, est suffisamment long, dans les baux d'immeubles, pour réaliser l'accord des héritiers, le cas échéant pour faire désigner un représentant (
art. 602 al. 3 CC
) qui, s'il ne peut liquider la succession ni procéder au partage, a le pouvoir de disposer des biens successoraux et d'obliger les héritiers en gérant l'hoirie (PIOTET, Droit successoral, p. 592). Il n'est pas exclu qu'un héritier puisse même agir seul en cas d'urgence, sous réserve de sa responsabilité (mais non, à première vue, de la ratification par ses cohéritiers ou par le représentant officiel de la succession; cf. l'obiter dictum de l'
ATF 102 II 382
in fine).
La recourante objecte enfin que les
art. 259 et 260 CO
forment un tout cohérent et que l'on ne peut appliquer l'un sans l'autre; or l'usufruitier ne pourrait, sans outrepasser ses droits, autoriser
BGE 113 II 121 S. 129
le locataire auquel il cède l'exercice de sa jouissance à annoter le bail au registre foncier: c'est la seconde cause de nullité absolue alléguée par la recourante, qu'il faut maintenant examiner.
4.
La cour cantonale concède à la recourante que l'annotation n'aurait été possible que pour la durée de l'usufruit, et non pour dix ans. Elle se dispense néanmoins d'examiner les conséquences de son opinion, car les parties n'ont pas procédé à l'annotation.
a) La recourante remarque d'abord avec raison que si l'annotation de l'
art. 959 al. 1 CC
n'a pas eu lieu, c'est uniquement en raison de l'interdiction du juge des mesures provisionnelles, le 16 juillet 1981. Cette interdiction serait levée si le jugement au fond n'en dit rien. Il faut donc se prononcer.
b) Selon la recourante, l'usufruitier ne peut que conclure des contrats purement obligatoires, non conférer un jus propter rem qui léserait le propriétaire. Essentielle pour les locataires intimés, la clause invalide le contrat tout entier; on n'en voit d'ailleurs guère l'intérêt, si elle ne peut déployer ses effets que jusqu'à l'extinction de l'usufruit.
La nue-propriété n'est pas en cause ici, ni les actes de disposition de la succession comme telle. La part d'un usufruit légal, comme l'usufruit d'une chose ou d'un patrimoine entiers, est incessible. L'usufruitier légal peut seulement conclure des contrats obligatoires quant à l'exercice de l'usufruit qu'il a d'emblée si, comme en l'espèce, il jouit seul de toute la succession (PIOTET, Droit successoral, p. 620). L'usufruit étant inaliénable, on entrevoit difficilement une hypothèse pratique où l'annotation obligerait tout acquéreur à laisser au preneur la jouissance de la chose louée (
art. 260 al. 2 CO
) et où le bail deviendrait opposable à tout droit postérieurement acquis sur l'immeuble (
art. 959 al. 2 CC
). Quoi qu'il en soit, l'usufruit s'éteint et l'
art. 259 CO
ne s'applique que par analogie, dans la mesure seulement qui est compatible avec cette extinction. Aussi bien l'annotation ne peut-elle entraver le nu-propriétaire dans ses droits propres, ni les héritiers après l'extinction de l'usufruit. En l'espèce, le bail ne sera donc pas opposable à l'adjudicataire lors d'une éventuelle vente aux enchères (
art. 612 CC
). L'effet spécifique légal de l'extinction de l'usufruit, à savoir la fin des droits issus de l'annotation (s'ils ont jamais existé), n'entraîne pas la nullité absolue du contrat de bail. Au demeurant, une application de l'art. 20 al. 2 in fine CO serait difficile à légitimer, car le bail en vigueur - le second -
BGE 113 II 121 S. 130
précise d'emblée que la bailleresse agit en qualité d'usufruitière de l'entier de la succession. De plus, la loi protège la partie qui serait lésée par la nullité partielle: la nullité totale ne peut donc être prononcée lorsque cette partie veut le maintien du contrat (
ATF 80 II 334
consid. 4b); or les époux F. n'ont pas pris de conclusions reconventionnelles en ce sens pour le cas où l'annotation ne serait plus possible depuis l'extinction de l'usufruit. | public_law | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
57501f5b-b1d6-496d-bf87-d626914df1ba | Urteilskopf
138 IV 113
16. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X.A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und Y. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_180/2011 vom 5. April 2012 | Regeste
Art. 49 Abs. 2 StGB
; retrospektive Konkurrenz; Kassation des Ersturteils.
Für die Frage, ob und in welchem Umfang (d.h. ganz oder teilweise) das Gericht eine Zusatzstrafe im Sinne von
Art. 49 Abs. 2 StGB
aussprechen muss, ist auf das Datum der ersten Verurteilung im ersten Verfahren (sog. Ersturteil) abzustellen. Demgegenüber ist für die Bemessung bzw. die Höhe der Zusatzstrafe das rechtskräftige Urteil im ersten Verfahren massgebend (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3.4.2). Für die Beantwortung der ersten Frage (Anwendbarkeit des Asperationsprinzips) ist unerheblich, ob das Ersturteil oder ein Urteil der Rechtsmittelinstanz in Rechtskraft erwächst oder ob nach einer Kassation neu entschieden werden muss. Dies gilt auch, wenn im Rahmen der Neubeurteilung zuungunsten des Verurteilten für die gleiche Tat eine härtere Strafe verhängt wird als im Ersturteil (E. 3.4.3). Eine Gesamtstrafe gestützt auf
Art. 46 Abs. 1 Satz 2 sowie
Art. 62a Abs. 2 und
Art. 89 Abs. 6 StGB
kommt nicht in Betracht, wenn aufgrund einer erneuten Delinquenz in der Zeit zwischen dem Ersturteil und dem Vollzug der ersten Strafe zwei Freiheitsstrafen zum Vollzug anstehen (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 114
BGE 138 IV 113 S. 114
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Der Beschwerdeführer rügt, die Zusatzstrafe von 3 1/2 Jahren sei massiv übersetzt und verletze
Art. 49 Abs. 2 StGB
. Zusammen mit der Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten gemäss Urteil vom 28. April 2009 bzw. 19. Juli 2010 betrage die Gesamtstrafe 8 Jahre und 3 Monate. Hätte er die beiden Taten zusammen verübt, wäre er nicht zu einer derart hohen Strafe verurteilt worden.
3.2
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte den Beschwerdeführer am 28. April 2009 in erster Instanz (in Anwendung von § 198a Abs. 1 Ziff. 3 lit. c der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH]) wegen schwerer Körperverletzung (
Art. 122 Abs. 1 StGB
) und Raufhandels (
Art. 133 Abs. 1 StGB
), begangen am 4. November 2007, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren, davon 23 Monate bedingt. Das Bundesgericht hiess am 28. Januar 2010
BGE 138 IV 113 S. 115
eine Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft Zürich gegen dieses Urteil im Strafpunkt gut und wies die Sache zur neuen Strafzumessung an die Vorinstanz zurück (Urteil 6B_584/2009). Das Obergericht setzte die Freiheitsstrafe mit Urteil vom 19. Juli 2010 neu auf 4 Jahre und 9 Monate fest. Dagegen erhob der Beschwerdeführer kantonale Nichtigkeitsbeschwerde und Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Das Kassationsgericht Zürich trat am 15. September 2011 auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ein. Das Bundesgericht wies die Beschwerde am 2. Dezember 2011 ab, soweit darauf einzutreten war (Urteil 6B_755/2010).
3.3
Die Vorinstanz geht im angefochtenen Entscheid davon aus, die Voraussetzungen von
Art. 49 Abs. 2 StGB
seien erfüllt. Sie spricht eine Zusatzstrafe zum Urteil vom 28. April 2009 aus. Dem Umstand, dass die Strafe für die schwere Körperverletzung und den Raufhandel vom Obergericht mit Urteil vom 19. Juli 2010 auf 4 Jahre und 9 Monate erhöht wurde, trägt sie in ihren Erwägungen Rechnung.
3.4
3.4.1
Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen (
Art. 49 Abs. 1 StGB
). Hat das Gericht eine Tat zu beurteilen, die der Täter begangen hat, bevor er wegen einer andern Tat verurteilt worden ist, so bestimmt es die Zusatzstrafe in der Weise, dass der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn die strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären (
Art. 49 Abs. 2 StGB
).
Art. 49 Abs. 2 StGB
gelangt zur Anwendung, wenn das Gericht Delikte beurteilen muss, die der Täter begangen hat, bevor er wegen anderer Straftaten verurteilt wurde (vgl.
BGE 129 IV 113
E. 1.1). Die Bestimmung will im Wesentlichen das Asperationsprinzip auch bei retrospektiver Konkurrenz gewährleisten. Der Täter, der mehrere Freiheitsstrafen verwirkt hat, soll nach einem einheitlichen, für ihn relativ günstigen Prinzip der Strafschärfung beurteilt werden, unabhängig davon, ob die Verfahren getrennt durchgeführt werden oder nicht. Der Täter soll damit trotz Aufteilung der Strafverfolgung in mehrere Verfahren gegenüber jenem Täter, dessen Taten gleichzeitig beurteilt wurden, nicht benachteiligt und so weit als möglich auch nicht bessergestellt werden (
BGE 132 IV 102
E. 8.2 mit Hinweisen). Für das Vorgehen bei
BGE 138 IV 113 S. 116
der Festsetzung der Zusatzstrafe bei retrospektiver Konkurrenz kann auf die ausführliche Rechtsprechung verwiesen werden (
BGE 132 IV 102
E. 8;
BGE 129 IV 113
E. 1.1; je mit zahlreichen Hinweisen). Die unter aArt. 68 StGB (Fassung vor Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils des StGB am 1. Januar 2007) ergangene Rechtsprechung ist auch im Rahmen von
Art. 49 StGB
massgebend (Urteil 6B_28/2008 vom 10. April 2008 E. 3.3.2; vgl. auch BBl 1999 2062).
3.4.2
Die Rechtsprechung stellt für die Frage, ob überhaupt und in welchem Umfang (d.h. ganz oder teilweise) das Gericht eine Zusatzstrafe aussprechen muss, auf das Datum der ersten Verurteilung im ersten Verfahren ab (sog. Ersturteil, bei welchem es sich oftmals, aber nicht zwingend um das erstinstanzliche Urteil handelt). Demgegenüber ist für die Bemessung bzw. die Höhe der Zusatzstrafe das rechtskräftige Urteil im ersten Verfahren massgebend (
BGE 129 IV 113
E. 1.3 und 1.4 mit Hinweisen sowie die in Bestätigung dieser Rechtsprechung ergangenen Urteile 6S.237/2006 vom 10. November 2006 E. 2.2.2; 6S.193/2006 vom 3. November 2006 E. 4; vgl. auch TRECHSEL/AFFOLTER-EIJSTEN, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2008, N. 13 zu
Art. 49 StGB
, sowie JÜRG-BEAT ACKERMANN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 58 zu
Art. 49 StGB
mit weiteren Hinweisen auf die Lehre und die früher nicht immer einheitliche Rechtsprechung). Das Gericht muss sich in einem ersten Schritt somit fragen, ob die neue Tat vor der ersten Verurteilung im ersten Verfahren begangen wurde. Bejaht es dies, hat es eine Zusatzstrafe auszusprechen, für deren Bemessung es in einem zweiten Schritt prüfen muss, ob der Schuldspruch und das Strafmass des ersten Urteils rechtskräftig sind. Verneint es die erste Frage, ist das neue Delikt mit einer selbständigen Strafe zu ahnden (zum Ganzen auch EICKER/VEST, Bemerkungen zu
BGE 129 IV 113
, AJP 2004 S. 209 ff.).
3.4.3
Für die Beantwortung der ersten Frage (Anwendbarkeit des Asperationsprinzips) ist unerheblich, ob später das erste Urteil (mangels Berufung oder nach Abweisung eines kassatorischen Rechtsmittels) oder dasjenige der Rechtsmittelinstanz in Rechtskraft erwächst oder ob nach einer Kassation des erst- oder zweitinstanzlichen Urteils gar neu entschieden werden muss.
Das Bundesgericht befasste sich mit dieser Frage im Entscheid
BGE 124 II 39
. Es kam damals der Lehre von NIGGLI (vgl. MARCEL ALEXANDER NIGGLI, Retrospektive Konkurrenz - Zusatzstrafe bei
BGE 138 IV 113 S. 117
Kassation des Ersturteils?, SJZ 91/1995 S. 377 ff.) folgend und entgegen seiner früheren Rechtsprechung (vgl. das unter
BGE 124 II 39
E. 3b zitierte Urteil 6A.139/1994 vom 5. April 1995) zum Schluss, das Gericht müsse sich bloss fragen, ob die im zweiten Verfahren zu beurteilenden Straftaten vor dem Ersturteil begangen wurden.Es wies darauf hin, dass nach der ratio legis der Bestimmung von aArt. 68 Ziff. 2 StGB derjenige in den Genuss der in der Regel vorteilhaften Zusatzstrafe kommen soll, bei dem der erstinstanzliche Richter die mehreren Straftaten gleichzeitig hätte aburteilen können, nicht aber derjenige, der erneut delinquiert, nachdem er wegen anderer Delikte erstinstanzlich verurteilt und mithin eindringlich gewarnt worden sei (
BGE 124 II 39
E. 3c). An dieser Rechtsprechung wurde auch in
BGE 129 IV 113
ausdrücklich festgehalten. Sie wurde jedoch dahin gehend präzisiert, dass nicht die "Eröffnung", sondern das Datum des Ersturteils entscheidend sein soll. Auf das Datum des Ersturteils ist auch abzustellen, wenn dieses später im Rechtsmittelverfahren reformiert wird (vgl.
BGE 129 IV 113
). Gleich verhält es sich, wenn das Ersturteil wie vorliegend kassiert wird und sich das erste Gericht oder eine Rechtsmittelinstanz mit der Angelegenheit erneut befassen muss. Diese sind bei der Neubeurteilung nicht frei, sondern an die Begründung der Kassation gebunden (
BGE 123 IV 1
E. 1;
Art. 409 Abs. 3 StPO
[SR 312.0]; vgl. auch
BGE 135 III 334
E. 2;
BGE 131 III 91
E. 5.2). Kommt es im Rahmen der Neubeurteilung in der gleichen Sache aufs Neue zu einer Verurteilung, ist für die Anwendbarkeit des Asperationsprinzipsnach wie vor das Datum des Ersturteils entscheidend (vgl. NIGGLI, a.a.O., S. 382 f.; gl.M. MARTIN BADER, Die retrospektive Konkurrenz, Auslegung und Anwendung des Art. 68 Ziff. 2 des StGB, 1948,S. 14 f.; a.M. STEFAN WEHRLE, Die Bedeutung erstinstanzlicher Urteile bei der retrospektiven Konkurrenz [
Art. 68 Ziff. 2 StGB
], SJZ 96/2000 S. 56 ff.; a.M. auch ACKERMANN, a.a.O., N. 60 lit. b zu
Art. 49 StGB
, wonach die Möglichkeit einer gemeinsamen Beurteilung im Rahmen einer Zusatzanklage ausschlaggebend sein soll, weshalbdas Asperationsprinzip auch bei einer Kassation des Ersturteils zum Tragen kommen soll, wenn nach dem anwendbaren Strafprozessrecht bei der Neubeurteilung eine Zusatzanklage für weitere Straftaten mitberücksichtigt werden kann). Dies muss auch gelten, wenn im Rahmen der Neubeurteilung zuungunsten des Verurteilten für die gleiche Tat eine (deutlich) härtere Strafe ausgesprochen wird als im Ersturteil.
BGE 138 IV 113 S. 118
Massgeblich für die Anwendung des Asperationsprinzips ist damit, ob die zweite Tat vor der ersten Verurteilung im ersten Verfahren verübt wurde. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, kommt
Art. 49 StGB
auch im Rahmen einer allfälligen nachträglichen Verfahrensvereinigung (welcher unter der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen StPO ohnehin enge Grenzen gesetzt sind, vgl. Art. 34 Abs. 2,
Art. 333 Abs. 2 und 3 StPO
; BBl 2006 1142 und 1281; dazu auch
BGE 135 III 334
E. 2 für das bundesgerichtliche Verfahren) nicht zum Tragen, d.h. es sind ungeachtet der späteren Verfahrensvereinigung selbständige Strafen auszusprechen, da es um einen Fall von retrospektiver Konkurrenz geht und verfahrensleitende Entscheide betreffend die Verfahrensvereinigung keinen Einfluss auf die Strafhöhe haben können.
3.5
Der Beschwerdeführer beging die vorliegend zu beurteilende versuchte schwere Körperverletzung, nachdem er am 28. April 2009 vom Obergericht erstinstanzlich für die am 4. November 2007 begangene Tat wegen schwerer Körperverletzung und Raufhandels verurteilt worden war. Das begründete Urteil des Obergerichts wurde am 8. Juni 2009 versandt. Der Beschwerdeführer wurde damit während der laufenden Rechtsmittelfrist für die Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht Zürich und die Beschwerde an das Bundesgericht erneut straffällig. Unter diesen Umständen geht das Obergericht zu Unrecht von der Anwendbarkeit von
Art. 49 Abs. 2 StGB
aus. Vielmehr hätte es eine selbständige Strafe aussprechen müssen. Die bundesrechtswidrige Anwendung von
Art. 49 Abs. 2 StGB
wirkte sich nicht zuungunsten des Beschwerdeführers aus. Sie führt daher nicht zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids.
Nicht zu hören ist der Beschwerdeführer, soweit er geltend macht, die Vorinstanz habe dem Asperationsprinzip gemäss
Art. 49 Abs. 2 StGB
ungenügend Rechnung getragen, da dieses nicht zur Anwendung gelangt.
4.
Eine Gesamtstrafe kann seit Inkrafttreten des revidierten Allgemeinen Teils des StGB auch gestützt auf
Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB
(Gesamtstrafe bei Widerruf des bedingten Vollzugs einer früheren Strafe, vgl. dazu
BGE 134 IV 241
E. 4;
BGE 137 IV 249
E. 3 und 4) sowie
Art. 62a Abs. 2 und
Art. 89 Abs. 6 StGB
(Gesamtstrafe bei Nichtbewährung nach bedingter Entlassung aus dem Straf- bzw. Massnahmenvollzug, vgl.
BGE 135 IV 146
E. 1 und 2.4;
BGE 137 IV 312
E. 2) ausgesprochen werden. Beides kommt vorliegend jedoch nicht in Betracht.
BGE 138 IV 113 S. 119
Art. 46 StGB
betrifft die erneute Straffälligkeit während der für eine (teil-)bedingte Strafe angesetzten Probezeit. Die Bildung einer Gesamtstrafe bei Widerruf des (teil-)bedingten Vollzugs ist von vornherein ausgeschlossen, wenn die widerrufene und die neue Strafe gleichartig sind (
BGE 134 IV 241
E. 4).
Art. 89 StGB
regelt die Folgen der Nichtbewährung des bedingt aus dem Strafvollzug Entlassenen.
Art. 89 Abs. 6 StGB
verpflichtet das Gericht, im Falle einer Rückversetzung aus dem zu vollziehenden Strafrest und der neuen Freiheitsstrafe eine Gesamtstrafe zu bilden, wenn aufgrund der neuen Straftat die Voraussetzungen für eine unbedingte Freiheitsstrafe erfüllt sind und diese mit der durch den Widerruf vollziehbar gewordenen Reststrafe zusammentrifft (
BGE 135 IV 146
E. 2.4).
Art. 89 Abs. 6 StGB
wurde mit der Revision des Allgemeinen Teils des StGB neu geschaffen. Anders als unter dem früher geltenden Recht kumuliert der Richter nicht einfach die beiden Strafen, sondern bildet aus ihnen eine Gesamtstrafe (BBl 1999 2123). Voraussetzung ist, dass die neue Freiheitsstrafe unbedingt auszusprechen ist und die Reststrafe ebenfalls für vollziehbar erklärt wurde. Der Gesetzgeber wollte mit
Art. 89 Abs. 6 StGB
dem Täter in sinngemässer Anwendung des Asperationsprinzips - im Vergleich zum Kumulationsprinzip - eine gewisse Privilegierung gewähren, wenn zwei Freiheitsstrafen zum Vollzug anstehen (vgl.
BGE 135 IV 146
E. 2.4). Die Bestimmung gelangt jedoch nur zur Anwendung, wenn das Gericht nach einer bedingten Entlassung über die Rückversetzung befinden muss und eine unbedingte Freiheitsstrafe mit einem durch Widerruf vollziehbaren Strafrest zusammentrifft.
Bei einer erneuten Delinquenz nach der bedingten Entlassung muss unter Umständen daher eine Gesamtstrafe ausgesprochen werden, während bei zusätzlichen, in der Zeit zwischen dem Ersturteil und dem Vollzug der ersten Strafe verübten Taten das Kumulationsprinzip zur Anwendung gelangt. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der nicht nur auf die Verankerung einer generellen Pflicht zur Bildung einer Gesamtstrafe bei Zusammentreffen zweier vollziehbaren Freiheitsstrafen verzichtete, sondern diese Möglichkeit in
Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB
bei gleichartigen Strafen gerade ausschloss (vgl.
BGE 134 IV 241
E. 4.4). | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
576003b6-273c-4f3d-b175-712a46164ba3 | Urteilskopf
99 Ia 638
76. Urteil vom 20. Juni 1973 i.S. Weber und Mitbeteiligte gegen Kanton Basel-Landschaft. | Regeste
Art. 4, 22ter, 31 Abs. 1 BV
; Art. 2 Üb. Best. BV;
Art. 85 lit. a OG
. Verfassungsmässigkeit der basel-landschaftlichen Reichtumsteuer; Anforderungen an die Einheit der Materie bei Gesetzesinitiativen.
1. Frist zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen Erlasse (Erw. 2).
2. Legitimation (Erw. 4).
3. Bei Gesetzesinitiativen sind an die Einheit der Materie weniger hohe Anforderungen zu stellen als bei Verfassungsinitiativen und beim Finanzreferendum (Verdeutlichung der Rechtsprechung). Die Verbindung einer Vorlage zur Einführung der Reichtumsteuer mit einer Revision des Steuergesetzes (hier: teilweise Steuerbefreiung für AHV- und IV-Renten) in einer einzigen formulierten Gesetzesinitiative verstösst nicht gegen das Stimmrecht der Bürger (Erw. 5).
4. Die basel-landschaftliche Reichtumsteuer gehört als Einkommens- und Gewinnsteuer zu den allgemeinen Steuern (Hauptsteuern) und ist deshalb unter dem Gesichtswinkel der Handels- und Gewerbefreiheit (
Art. 31 Abs. 1 BV
) nicht zu beanstanden (Erw. 6).
5. Bietet die Eigentumsgarantie (
Art. 22ter BV
) Schutz vor einer sog. konfiskatorischen Besteuerung? Frage offengelassen, da im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle nicht gesagt werden kann, die basel-landschaftliche Reichtumsteuer wirke konfiskatorisch (Erw. 7).
6. Die basel-landschaftliche Reichtumsteuer verstösst nicht gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Erw. 8).
7. Bedeutung der unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden Grundsätze der Allgemeinheit, Gleichmässigkeit und Verhältnismässigkeit der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Überprüfungsbefugnis des Verfassungsrichters im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle (Erw. 9).
8. Mit der Einführung der basel-landschaftlichen Reichtumsteuer auf den 1. Januar 1973 ist keine unzulässige Rückwirkung verbunden (Erw.11). | Sachverhalt
ab Seite 640
BGE 99 Ia 638 S. 640
A.-
Am 29. Juni 1972 reichte die Sozialdemokratische Partei des Kantons Basel-Landschaft bei der Landeskanzlei eine von 2447 Stimmberechtigten unterzeichnete formulierte Volksinitiative ein, mit welcher sie den Erlass eines Gesetzes über die befristete Besteuerung von Steuereinkommen über 80 000 Franken (Reichtumsteuergesetz) bezweckte. Mit Bericht vom 15. August 1972 beantragte der Regierungsrat dem Landrat, dem Volk die Ablehnung dieser formulierten Gesetzesinitiative zu empfehlen. Gestützt auf § 12 KV entsprach der Landrat diesem Antrag, indem er am 25. September 1972 beschloss, den Stimmberechtigten die Verwerfung der Gesetzesinitiative zu empfehlen. Über die Gründe dieses Beschlusses wurden die Stimmbürger in der Folge mit "erläuternden Bemerkungen" des Regierungsrats orientiert ("Abstimmungsvorlagen Nr. 4/1972").
In der Volksabstimmung vom 3. Dezember 1972 wurde die Initiative jedoch entgegen dem Antrag von Regierungsrat und Landrat mit 37 093 Ja gegen 29 565 Nein angenommen. Die Stimmbeteiligung betrug 55,41%. Dieses Abstimmungsergebnis wurde im kantonalen Amtsblatt Nr. 49 vom 7. Dezember 1972 veröffentlicht. Das angenommene Gesetz als solches wurde in der Beilage zum Amtsblatt vom 21. Dezember 1972 öffentlich bekanntgemacht. Es hat folgenden Wortlaut:
"Gesetz über die befristete Besteuerung von Steuereinkommen über 80 000 Franken (Reichtumsteuer-Gesetz) vom 3. Dezember 1972.
§ 1
Bis zum Inkrafttreten eines neuen Steuergesetzes wird auf dem steuerbaren Einkommen der natürlichen Personen sowie auf dem steuerbaren Gewinn oder Ertrag der juristischen Personen eine Reichtumsteuer erhoben. Diese fliesst zu neun Zehntel dem Staat zu, der restliche Zehntel geht gemäss Verteilungsschlüssel der jährlichen Gemeindehilfe (§ 138 Absätze 2 und 3 des Gesetzes über die kantonalen Steuern vom 7. Juli 1952) an die Gemeinden.
BGE 99 Ia 638 S. 641
§ 2
Die Reichtumsteuer wird jeweils zu der gemäss § 16 des Gesetzes über die kantonalen Steuern vom 7. Juli 1952 durch den Landrat festgelegten Staatssteuer erhoben.
§ 3
Die Reichtumsteuer der natürlichen Personen beträgt vom Steuerbetrag bei einem Einkommen von 80 001 Franken 0,5 Prozent und erhöht sich nach je 1000 Franken Mehreinkommen gleichmässig um 0,5 Prozent bis auf 40 Prozent bei 160 000 Franken. Für jedes um 1000 Franken höhere Einkommen erhöht sich der Reichtumsteuersatz in entsprechender Weise, und zwar von Einkommen von
160 001 bis 200 000 Franken um je 1 Prozent bis auf 80 Prozent,
200 001 bis 500 000 Franken um je 0,2 Prozent bis auf 140 Prozent. Für Einkommen über 500 000 Franken beträgt die Reichtumsteuer einheitlich 140 Prozent vom Steuerbetrag.
Steuerbare Einkommen bis 80 000 Franken sind von der Reichtumsteuer befreit.
§ 4
Die Reichtumsteuer der juristischen Personen beträgt einheitlich 10 Prozent der Steuer auf dem Gewinn oder Ertrag. Davon sind Wohngenossenschaften ausgenommen.
§ 5
Die Reichtumsteuer wird als Teil der Staatssteuer erhoben.
§ 6
§ 23 Absatz 3 des Gesetzes über die kantonalen Steuern vom 7. Juli 1952 wird wie folgt geändert:
AHV- und IV-Renten sowie die entsprechenden Ergänzungsleistungen werden als Einkommen nur zur Hälfte angerechnet.
§ 7
Dieses Gesetz tritt vorbehältlich der Annahme durch das Volk auf den 1. Januar 1973 in Kraft."
B.-
Gegen das Reichtumsteuergesetz vom 3. Dezember 1972 sind beim Bundesgericht folgende staatsrechtliche Beschwerden erhoben worden:
- Beschwerde P 206/72 des Dr. Darius Weber, Reinach, vom 27. Dezember 1972, mit welcher eine Verletzung des Grundsatzes der Rechtsgleichheit (
Art. 4 BV
) und der Eigentumsgarantie (
Art. 22ter BV
) gerügt wird;
- Beschwerde P 5/73 des Curt Ciapparelli, Reinach, vom 30. Dezember 1972, mit welcher ebenfalls ein Verstoss gegen die Rechtsgleichheit sowie eine Verletzung des Willkürverbots (
Art. 4 BV
) geltend gemacht wird;
BGE 99 Ia 638 S. 642
- Beschwerde P 9/73 des Dr. Hans Steiner, Oberwil, des Dr. Albert Rossi, Oberwil, und des Dr. Georg Huber, Allschwil, vom 12. Januar 1973 mit folgenden Verfassungsrügen: Widersprüchlichkeit des Gesetzestextes, rechtsungleiche Behandlung der Steuerpflichtigen, Verstoss gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung, Willkür, Verletzung des Prinzips der Verhältnismässigkeit;
- Beschwerde P 12/73 des Edwin Frei-Schneider, Sissach, und weiterer sechs im Kanton Basel-Landschaft steuerpflichtiger Bürger vom 18. Januar 1973, mit welcher eine Verletzung der Rechtsgleichheit, des Grundsatzes der Allgemeinheit und Verhältnismässigkeit der Besteuerung, der Eigentumsgarantie (
Art. 22 ter BV
), der Handels- und Gewerbefreiheit (
Art. 31 Abs. 1 BV
) und der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV) gerügt wird;
- Beschwerde P 13/73 des Dr. Leo Fromer, Binningen, und weiterer zwölf Steuerpflichtiger vom 18. Januar 1973 wegen angeblicher Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV) und des
Art. 4 BV
;
- Beschwerde P 14/73 des Dr. Peter Böckli, Binningen, vom 11. Januar 1973 (Postaufgabe 19. Januar 1973) wegen angeblicher Verletzung von
Art. 4 BV
(irreführende Bezeichnung der Volksinitiative) und des politischen Stimmrechts (
Art. 85 lit. a OG
, fehlende Einheit der Materie).
Sämtliche Beschwerdeführer beantragen, das Reichtumsteuergesetz vom 3. Dezember 1972 aufzuheben. Die Begründung der von ihnen erhobenen Verfassungsrügen ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.
C.-
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft hat unter Hinweis auf seine Ausführungen in der Erläuterung der Abstimmungsvorlagen vom 3. Dezember 1972 auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
I.
Formelles
1.
Sämtliche Beschwerden richten sich gegen den nämlichen Erlass (Reichtumsteuergesetz vom 3. Dezember 1972). Sie enthalten zudem teilweise übereinstimmende Verfassungsrügen.
BGE 99 Ia 638 S. 643
Es rechtfertigt sich daher, die hängigen Verfahren zu vereinigen und über sämtliche Beschwerden in einem einzigen Urteil zu entscheiden.
2.
Richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde gegen einen Erlass, so beginnt die Beschwerdefrist mit dessen Veröffentlichung im Amtsblatt zu laufen (
Art. 89 OG
,
BGE 99 Ia 180
/1,
BGE 91 I 83
/4 Erw. 1). Das angefochtene Gesetz wurde im Amtsblatt vom 21. Dezember 1972 bekanntgemacht. Die Veröffentlichung fiel demnach in eine Zeit, während welcher die Fristen von Gesetzes wegen stillstanden (
Art. 34 Abs. 1 lit. c OG
). Die Anfechtungsfrist begann somit erst am 2. Januar 1973 zu laufen und endigte am 1. Februar 1973 (Art. 34 in Verbindung mit
Art. 32 Abs. 1 OG
; vgl. auch BIRCHMEIER, Handbuch der Bundesrechtspflege, S. 37). Sämtliche Beschwerden sind somit unter diesem Gesichtswinkel rechtzeitig eingereicht worden. Dass die Beschwerde P 206/72 (Dr. Darius Weber) bereits am 27. Dezelnber 1972 erhoben wurde, schadet in diesem Zusammenhang nichts (
BGE 98 Ia 204
). Offen bleibt jedoch die Frage, ob die Beschwerde P 14/73 (Dr. Peter Böckli) nicht in Anbetracht der darin erhobenen Rügen (irreführende Bezeichnung der Volksinitiative, fehlende Einheit der Materie) wegen Verwirkung als verspätet bezeichnet werden muss (vgl. dazu unten Erw. 5 a).
3.
Die Beschwerde P 13/73 (Dr. Leo Fromer und Mitbeteiligte) enthält eine Reihe von unzulänglichen Parteibezeichnungen, indem als Beschwerdeführer die "Gesellschafter" einzelner Personengesellschaften angegeben werden (Beschwerdeführer Ziff. 3, 4, 6, 10, 12). Insoweit liegt nur seitens jener Personen eine gültige Beschwerde vor, die sich aufgrund der vorhandenen Prozessvollmachten identifizieren lassen. Dies ist nur für die in Ziff. 12 genannten Beschwerdeführer (Hans und Peter Rosenmund) zweifelsfrei möglich.
4.
Zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen Erlass ist legitimiert, wer durch die darin enthaltenen Vorschriften aktuell oder virtuell betroffen wird (
BGE 98 Ia 511
/12 Erw. 2,
BGE 88 I 175
Erw. 1,
BGE 85 I 52
Erw. 2; Urteil vom 2. April 1969 i.S. H., abgedruckt in ZBl 70/1969 S. 549 Erw. 1). Mit Ausnahme jener Personen, deren Identität nach dem Gesagten nicht eindeutig feststeht (vgl. oben Erw. 3), sind sämtliche Beschwerdeführer im Kanton Basel-Landschaft steuerpflichtig. Sie sind demnach unbekümmert darum, ob sie bereits heute ein mit der angefochtenen
BGE 99 Ia 638 S. 644
Reichtumsteuer zu erfassendes Einkommen erzielen, zur Beschwerde gegen das Reichtumsteuergesetz als solches legitimiert. Der Beschwerdeführer Dr. Peter Böckli ist unbestrittenermassen im Kanton Basel-Landschaft stimmberechtigt. Er ist deshalb befugt, mit staatsrechtlicher Beschwerde gemäss
Art. 85 lit. a OG
Mängel des Abstimmungsverfahrens und der Volksinitiative zu rügen.
II.
Zur Kritik an der Initiative
5.
Der Beschwerdeführer Dr. Peter Böckli macht geltend, dass dem Stimmbürger eine irreführende Frage gestellt worden sei, weil aus dem Titel des auf dem Wege einer formulierten Volksinitiative zu erlassenden Gesetzes nicht hervorgehe, dass neben der Einführung der Reichtumsteuer auch eine teilweise Steuerbefreiung für AHV- und IV-Renten (§ 6 des Gesetzes) zur Diskussion gestanden habe. Er erblickt darin einen Verstoss gegen
Art. 4 BV
. Weiter bringt er vor, die erwähnte Verknüpfung von zwei sachlich verschiedenen Postulaten in einer einzigen Abstimmungsvorlage verstosse gegen den Grundsatz der Einheit der Materie und sei deshalb verfassungswidrig.
a) Beide Rügen enthalten sinngemäss eine Kritik an der Ausgestaltung der Volksinitiative und richten sich im einzelnen gegen die Fragestellung an den Stimmbürger. Solche Beanstandungen sind in der Regel sofort und vor der Abstimmung vorzubringen, denn nach der Rechtsprechung verwirkt ein Stimmberechtigter grundsätzlich das Recht zur Anfechtung eines Abstimmungsergebnisses, wenn er es unterlässt, Fehler bei der Vorbereitung des Urnengangs sofort durch Einsprache oder Beschwerde zu rügen, damit der Mangel noch vor der Abstimmung behoben werden kann und diese nicht wiederholt zu werden braucht (
BGE 98 Ia 620
Erw. 2 mit Verweisungen). Zu den sofort zu rügenden Mängeln bei der Vorbereitung einer Volksabstimmung gehören insbesondere auch Fehler bei der Formulierung der Abstimmungsfrage (vgl.
BGE 89 I 400
) und eine Missachtung des Grundsatzes der Einheit der Materie (vgl. dazu auch
BGE 99 Ia 177
ff.). Unter diesen Umständen scheint fraglich, ob auf die Beschwerde des Dr. Peter Böckli überhaupt eingetreten werden kann, da sie erst nach der Volksabstimmung über die angefochtene Initiative und nach der Veröffentlichung des Reichtumsteuergesetzes eingereicht wurde. Wie es sich damit verhält, mag indessen offenbleiben, da sich die von Dr. Peter
BGE 99 Ia 638 S. 645
Böckli erhobenen Verfassungsrügen, wie im folgenden näher auszuführen ist, ohnehin als unbegründet erweisen.
b) Der Beschwerdeführer Dr. Peter Böckli macht geltend, der Stimmbürger sei durch die Volksinitiative irregeführt worden, weil aus dem Titel des Reichtumsteuergesetzes nicht hervorgehe, dass es auch eine Abänderung des kantonalen Steuergesetzes vom 7. Juli 1952 enthalte und eine teilweise Steuerbefreiung der AHV- und IV-Renten einführe. Damit rügt der Beschwerdeführer sinngemäss eine unzulässige Verknüpfung von zwei Volksbegehren in einer einzigen Vorlage. Neben dem zusätzlich erhobenen Vorwurf, die fragliche Vorlage verstosse gegen den Grundsatz der Einheit der Materie und verletze damit das Stimmrecht der Bürger (
Art. 85 lit. a OG
), kommt der soeben erwähnten Rüge der Irreführung mithin keine selbständige Bedeutung zu. Sie wäre im übrigen von vorneherein unbegründet. Die Erläuterungen des Regierungsrats zur Abstimmungsvorlage vom 3. Dezember 1972 enthielten für jeden durchschnittlich aufmerksamen Stimmbürger klare Angaben über den Gegenstand der Volksinitiative; jeder Stimmberechtigte war gestützt darauf ohne weiteres in der Lage zu erkennen, was die Initiative bezweckte.
Der Grundsatz der Einheit der Materie ist in der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft nicht ausdrücklich verankert. Er gilt jedoch von Bundesrechts wegen und ergibt sich aus dem verfassungsmässigen Anspruch des Bürgers darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt werde, das den Willen der Stimmberechtigten nicht unverfälscht und zuverlässig zum Ausdruck bringe (vgl.
BGE 96 I 652
Erw. 7 sowie
BGE 99 Ia 183
mit weiteren Hinweisen). Auf dem Gebiet des Finanzreferendums hat dies zur Folge, dass sich die dem Stimmbürger vorzulegende Frage nur auf einen einzigen Gegenstand beziehen darf, es sei denn, dass sich mehrere Ausgaben gegenseitig bedingen oder aber einem gemeinsamen Zweck dienen, der zwischen ihnen eine enge sachliche Verbindung schafft (
BGE 99 Ia 183
). Ähnlich verhält es sich bei Verfassungsrevisionen, wo sich der Grundsatz der Einheit der Materie geradezu aus der Natur der Sache und aus dem Wesen der Partialrevision ergibt (
BGE 96 I 652
Erw. 7). Er gewährleistet dem Stimmbürger namentlich die unverfälschte Kundgabe seines Willens bei der Unterzeichnung einer Initiative und bei der Abstimmung darüber (vgl.
BGE 96 I 652
/3 mit Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung). Immerhin dürfen an die Einheit der Materie, zumal wo der Grundsatz (wie im Kanton
BGE 99 Ia 638 S. 646
Basel-Landschaft) nicht ausdrücklich aufgestellt ist und überdies die Verfassungsinitiative nur die Bedeutung einer allgemeinen Anregung hat, keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn zwischen den verschiedenen Vorschlägen im Falle von Neuerungen vor allem im Hinblick auf ihren Zweck, bei Änderungen auch im Hinblick auf die bisherige Regelung ein Zusammenhang besteht, der die Verbindung zu einer Initiative und zu einer Abstimmungsfrage als sachlich gerechtfertigt erscheinen lässt (
BGE 96 I 653
).
Wohl ist richtig, dass sich die Frage nach der Einheit der Materie grundsätzlich bei allen Vorlagen stellt, die einer Volksabstimmung unterliegen (
BGE 99 Ia 182
mit Verweisungen). Auf dem Gebiet der Gesetzesinitiative sind die soeben dargestellten Grundsätze jedoch nur beschränkt anwendbar. Dass hier an die Einheit der Materie weniger hohe Anforderungen zu stellen sind als bei der Verfassungsinitiative, liegt im Wesen der Gesetzesinitiative selbst begründet. Sofern sich die Vorlage nicht von vorneherein als verfassungswidrig erweist (vgl.
BGE 98 Ia 640
), so werden Exekutive und Legislative durch eine formulierte Gesetzesinitiative zur Anordnung einer entsprechenden Volksbefragung verpflichtet, wobei dem Gesetzesentwurf der Initianten ein behördlicher Gegenvorschlag gegenübergestellt werden darf (vgl. § 12 Abs. 5 KV;
BGE 91 I 193
Erw. 2). Gleich wie bei Referendumsabstimmungen über behördliche Gesetzesvorlagen ist dabei der Grundsatz der Einheit der Materie gewahrt, sofern mit dem fraglichen Gesetz (oder mit dem behördlichen Gegenvorschlag) eine bestimmte Materie geregelt werden soll und die einzelnen, zu diesem Zweck aufgestellten Vorschriften zueinander in einer sachlichen Beziehung stehen. Der Stimmbürger hat mithin keinen verfassungsmässigen Anspruch darauf, dass ihm einzelne, allenfalls besonders wichtige Vorschriften eines Gesetzes, das eine bestimmte Materie regelt, gesondert zur Abstimmung vorgelegt werden. Er muss sich vielmehr auch dann für die Gutheissung oder Ablehnung der ganzen Gesetzesvorlage entscheiden, wenn er mit einzelnen Vorschriften nicht einverstanden ist (
BGE 97 I 672
; J.-F. AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, Nr. 1133 S. 423).
Auch im vorliegenden Fall beschlägt das angefochtene Gesetz eine bestimmte Materie: die Erhebung von kantonalen direkten Steuern. Nichts hinderte deshalb die Initianten, dem Stimmbürger im Zusammenhang mit der Einführung der Reichtumsteuer auch eine teilweise Steuerbefreiung von AHV- und IV-Renten zu
BGE 99 Ia 638 S. 647
beantragen. Dass dieser Teil der Vorlage aus dem Titel des Gesetzes nicht hervorgeht, ändert daran nichts. Unter dem Gesichtswinkel der Einheit der Materie ist nach dem Gesagten vielmehr bloss massgebend, ob alle Vorschriften des angefochtenen Reichtumsteuergesetzes das materielle oder formelle Recht der direkten Steuern angehen. Dass dies zutrifft, kann nicht bestritten werden. Die Beschwerde des Dr. Peter Böckli ist daher abzuweisen.
III.
Zur Kritik am Gesetz als solchem
6.
In der Beschwerde P 12/73 (Edwin Frei-Schneider und Mitbeteiligte) wird unter anderem gerügt, die Reichtumsteuer verletze die Handels- und Gewerbefreiheit (
Art. 31 Abs. 1 BV
), weil sie eine sogenannte Klassensteuer sei, die einer verfassungswidrigen prohibitiven, besonderen Gewerbesteuer gleichkomme.
Diese Rüge ist unbegründet. Die Reichtumsteuer wird sowohl von natürlichen wie auch von juristischen Personen als Teil der Staatssteuer erhoben (§ 5 des Gesetzes). Sie ist demnach ihrem Wesen nach eine Einkommens- bzw. Gewinnsteuer und gehört als solche zu den allgemeinen Steuern (Hauptsteuern), die mit Rücksicht auf ihren regelmässigen Fortbestand Gewähr bieten sollen für eine ergiebige und gleichmässig fortdauernde Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs (E. BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 3. Aufl., S. 130). Daran ändert nichts, dass die Reichtumsteuer nicht direkt vom Einkommen bzw. Gewinn, sondern vielmehr als zusätzlicher Teil oder als Vielfaches des Staatssteuerbetrags erhoben wird (vgl. zur Würdigung dieser Besonderheit unten Erw. 9 b). Nach ständiger Rechtsprechung bietet die Handels- und Gewerbefreiheit indessen keinen Schutz gegen eine allgemeine Steuer, und zwar selbst dann nicht, wenn mit der Belastung durch diese allgemeine Steuer eine Erschwerung des Konkurrenzkampfs verbunden ist (
BGE 96 I 572
mit Verweisungen; W. BURCKHARDT, Kommentar zur Bundesverfassung, 3. Aufl., S. 247; J. HENSEL, Die Verfassung als Schranke des Steuerrechts, Bern 1973, S. 167/8). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Damit kann von einem Verstoss gegen die Handels- und Gewerbefreiheit von vorneherein nicht die Rede sein. Eine Verletzung dieses verfassungsmässigen Freiheitsrechts käme vielmehr nur dann in Betracht, wenn in der Reichtumsteuer eine besondere Gewerbesteuer zu erblicken wäre (vgl.
BGE 96 I 572
). So verhält es sich jedoch nach dem Gesagten nicht. Ob die Reichtumsteuer eine unzulässige "Klassensteuer"
BGE 99 Ia 638 S. 648
darstelle, wie die Beschwerdeführer annehmen, ist mithin nicht unter dem Blickwinkel der Handels- und Gewerbefreiheit, sondern allenfalls unter jenem der Eigentumsgarantie und in erster Linie in Würdigung der allgemeinen verfassungsmässigen Grundsätze der Besteuerung (Prinzip der Allgemeinheit der Steuer, Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) zu entscheiden.
7.
Ein Teil der Beschwerdeführer macht geltend, die Reichtumsteuer verletze die Eigentumsgarantie (
Art. 22ter BV
), weil sich die Initianten vorgenommen hätten, die Bildung neuen Vermögens zu verhindern und durch andauernde Einkommens- und Vermögensabschöpfung eine soziale Umschichtung zu bewerkstelligen. Ferner bringen sie vor, die Reichtumsteuer schränke die private Nutzung des Eigentums in prohibitiver Weise ein und wirke konfiskatorisch, weshalb sie auch unter diesem Gesichtspunkt gegen die Eigentumsgarantie in ihrer Erscheinungsform als Institutsgarantie verstosse.
Einzelne Vertreter der Rechtslehre nehmen in der Tat an, die Eigentumsgarantie sei geeignet, als Schranke für die Belastung mit öffentlichen Abgaben zu dienen, indem sie einer sogenannten konfiskatorischen Besteuerung entgegenstehe (vgl. insbesondere WACKERNAGEL, Über die Steuergerechtigkeit, 1956, S. 16 ff., M. IMBODEN, Die verfassungsmässige Gewährleistung des Privateigentums als Schranke der Besteuerung, ASA Bd. 29, S. 2 ff., ferner HANS HUBER, Berner Kommentar, Einleitungsband, N. 231 zu
Art. 6 ZGB
, sowie neuerdings auch P. SALADIN, Grundrechte im Wandel, S. 140 ff. und J. HENSEL, a.a.O., S. 138 ff.). Ein solcher Schutz vor übermässiger Besteuerung wäre der Eigentumsgarantie vorab in ihrer Erscheinungsform als Institutsgarantie zuzuordnen (in diesem Sinne auch P. SALADIN, a.a.O., S. 144 und J. HENSEL, a.a.O., S. 145 ff.; vgl. dazu auch
BGE 99 Ia 37
und
BGE 96 I 558
sowie HANS HUBER in ZBJV 107/1971, S. 396). Das Bundesgericht hat bisher jedoch offengelassen, ob die Eigentumsgarantie einer sogenannten konfiskatorischen Besteuerung grundsätzlich entgegenstehe (
BGE 94 I 116
). Auch im vorliegenden Fall braucht nicht entschieden zu werden, ob neben den anerkannten, unmittelbar aus dem ungeschriebenen oder expliziten Verfassungsrecht sich ergebenden Besteuerungsprinzipien (Grundsatz der Gesetzmässigkeit, der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) auch die Eigentumsgarantie zum Tragen kommen kann, wenn die Verfassungsmässigkeit
BGE 99 Ia 638 S. 649
einer allgemeinen Steuer in Frage steht, denn wie im folgenden näher auszuführen ist, verstiesse die angefochtene Reichtumsteuer nicht gegen die in diesem Sinne verstandene Eigentumsgarantie.
Wie bereits erwähnt, könnte sich aus der Eigentumsgarantie höchstens ein Schutz vor sogenannter konfiskatorischer Besteuerung ergeben. Unzulässig wäre demnach eine allgemeine Steuer, die durch die Höhe ihres Satzes zu einem ausserordentlich schwerwiegenden Eingriff in das private Vermögen eines Steuerpflichtigen führt, die Substanz des Steuerobjekts weitgehend aufzehrt und die Vermögensverhältnisse des Pflichtigen derart erschüttert, dass ihm wesentliche Eigentumsrechte faktisch entzogen werden (vgl. J. HENSEL, a.a.O., S. 144). Beim Entscheid darüber, ob dies zutreffe, müsste im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle abgeklärt werden, wie sich die gesetzlich vorgesehene Belastung auf die betroffene Gruppe von Steuerpflichtigen - gesamthaft betrachtet - auswirkt. Entscheidend wäre somit, ob die Reichtumsteuer - zusammen mit den übrigen allgemeinen (direkten) Steuern - geeignet ist, bei den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen und unter normalen Umständen derart weitreichend in die Vermögensverhältnisse der Pflichtigen einzugreifen, dass diesen angesichts der hohen Steuerbelastung wesentliche Eigentümerbefugnisse zwangsläufig verloren gehen (vgl. dazu auch J. HENSEL, a.a.O., S. 155). Was die proportionale Reichtumsteuer der juristischen Personen anbelangt (10% der Staatssteuer auf dem Gewinn oder Ertrag gemäss § 4 des Gesetzes), so könnte von einer konfiskatorischen Besteuerung im soeben umschriebenen Sinn von vorneherein nicht die Rede sein. Die Reichtumsteuer der natürlichen Personen verläuft dagegen progressiv bis zu einem steuerbaren Einkommen von Fr. 500 000 (140% des Staatssteuerbetrags als Maximalsatz). Damit ergibt sich bei einem steuerbaren reinen Erwerbseinkommen von Fr. 500 000 folgende Belastung für das Steuerjahr 1973:
Staatssteuer normal: Fr. 71 500.--
Reichtumsteuer 140%: Fr. 100 100.--
Gemeindesteuer (3%): Fr. 15 000.--
Eidg. Wehrsteuer gemäss Tarif 1972: Fr. 45 065.--
Total: Fr. 231 665.-- oder 46,3%
BGE 99 Ia 638 S. 650
Selbst wenn berücksichtigt wird, dass sich diese Steuerbelastung noch erhöht, wenn das Einkommen ganz oder teilweise aus Vermögensertrag stammt, weil diesfalls zusätzlich die Vermögenssteuer entrichtet werden muss, könnte indessen das Vorliegen einer konfiskatorischen Besteuerung nicht bejaht werden; denn im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle besteht auch in solchen Fällen kein Grund zur Annahme, dass dem Steuerpflichtigen, der seine finanziellen Bedürfnisse allein aus dem Ertrag seines Vermögens befriedigt, infolge der Steuerbelastung die wesentlichen Eigentumsrechte verloren gehen. Ob in Einzelfällen eine solche Wirkung eintreten könnte, müsste der Prüfung im Rahmen der konkreten Normenkontrolle vorbehalten bleiben. Die Rüge, die angefochtene Reichtumsteuer verstosse angesichts der Belastung mit anderen Hauptsteuern gegen die Eigentumsgarantie, erwiese sich daher als unbegründet.
8.
Einzelne Beschwerdeführer bringen vor, das Reichtumsteuergesetz verstosse gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV), indem es den Inhaber einer ertragsstarken Einzelfirma oder die Gesellschafter einer entsprechenden Personengesellschaft faktisch dazu zwinge, ihre Unternehmung in eine juristische Person umzuwandeln. Sie machen geltend, damit werde das aus dem Bundesprivatrecht sich ergebende freie Wahlrecht unter den gesetzlich vorgesehenen Unternehmungsformen in unzulässiger Weise beschränkt.
Richtig ist, dass kantonale öffentlichrechtliche Bestimmungen - und damit auch Vorschriften über die Ausgestaltung der kantonalen Steuern - vor Art. 2 Üb. Best. BV nur standhalten, wenn sie dem Sinn und Geist des Bundeszivilrechts nicht widersprechen und seine Anwendung nicht vereiteln (
BGE 98 Ia 495
Erw. 3 a,
BGE 91 I 198
). Von vorneherein unbehelflich ist jedoch in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Steuerbelastung von Einzelfirmeninhabern und Personengesellschaftern nach dem ausserkantonalen Recht. Ein Verstoss gegen den Vorrang des Bundesrechts könnte vielmehr nur durch den direkten Nachweis eines Widerspruchs zwischen dem basel-landschaftlichen Reichtumsteuergesetz und dem Bundesprivatrecht dargetan werden. Allein hierzu reichen die Vorbringen der Beschwerdeführer nicht aus. Wohl wird die Wahl der privatrechtlichen Unternehmungsform durch das Mass der zu erwartenden Steuerbelastung beeinflusst. Insbesondere bei grösseren und ertragsstarken Betrieben sind daneben aber auch betriebswirtschaftliche und rein privatrechtliche
BGE 99 Ia 638 S. 651
(v.a. gesellschaftsrechtliche und erbrechtliche) Gesichtspunkte massgebend. Nach den Erkenntnissen der modernen Unternehmungsplanung dürfte sich für solche Betriebe die Rechtsform der Einzelfirma oder der Personengesellschaft wohl nur in Ausnahmefällen als - gesamthaft betrachtet - zweckmässig anbieten. Damit hat der Einwand, die Reichtumsteuer schränke die freie Wahl der privatrechtlichen Unternehmungsform in unzulässiger Weise ein, bereits entscheidend an Gewicht verloren. Dass die Beschwerdeführer damit zumindest im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle nicht durchdringen können, ergibt sich sodann auch aus dem Umstand, dass sie selber nicht nachzuweisen versuchen, dass die Reichtumsteuer im Einkommensbereich zwischen Fr. 80 000 und Fr. 500 000 zu einer Vereitelung des Bundeszivilrechts führe. Sie beschränken sich vielmehr auf eine Würdigung von Belastungsvergleichen im Bereich des Maximalsatzes, d.h. bei steuerbaren Einkommen von über Fr. 500 000. Nach der Steuerstatistik 1968 (Basellandschaftliche Steuerpraxis 1971, S. 447), welche die Beschwerdeführer selber als Beweismittel zu den Akten gegeben haben, geht hervor, dass 377 Steuerpflichtige ein Einkommen von mehr als Fr. 200 000 erzielten, während nur 74 Pflichtige ein solches von mehr als Fr. 500 000 versteuerten. Im Jahre 1970 betrug die Zahl der Steuerpflichtigen mit einem Einkommen von über Fr. 200 000 452 (Steuerfaktoren 1970 der kantonalen Steuerverwaltung). Nimmt man an, dass höchstens ein Drittel von ihnen ein Einkommen von mehr als Fr. 500 000 erzielt und daher zum Maximalsatz besteuert wird, und berücksichtigt man, dass nur eine kleine Minderheit Inhaber einer Einzelfirma oder Teilhaber an einer Personengesellschaft sein dürfte, so wird augenfällig, dass die Zahl der Steuerpflichtigen, die dem in der Beschwerde behaupteten Zwang ausgesetzt sein könnten, verschwindend klein sein muss. Nach den gesamten Umständen, insbesondere in Würdigung der erwähnten anderen, rechtlichen Gesichtspunkte, welche die Wahl der Unternehmungsform beeinflussen, besteht deshalb kein Grund zur Annahme, dass die Reichtumsteuer dem Bundesprivatrecht zuwiderlaufe. Auch die auf Art. 2 Üb. Best. BV gestützte Verfassungsrüge erweist sich daher als unbegründet.
9.
Die Mehrheit der Beschwerdeführer rügt ferner, die Reichtumsteuer verstosse gegen die anerkannten Grundsätze der Allgemeinheit, der Gleichmässigkeit und der Verhältnismässigkeit
BGE 99 Ia 638 S. 652
der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, weil sie eine als Klassensteuer ausgestaltete Sondersteuer darstelle, die bloss von 2,3% der Steuerpflichtigen erhoben werde, die bereits rund 40% des Gesamtertrags der allgemeinen Einkommenssteuer aufzubringen hätten.
Die moderne Finanzwissenschaft erblickt im Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung ein ethisch-sozialpolitisches Gerechtigkeitspostulat, wonach alle natürlichen und juristischen Personen, die über ein bestimmtes Mindestmass an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verfügen, grundsätzlich ohne Rücksicht auf ausserökonomische Gesichtspunkte zur Steuer heranzuziehen sind, wobei Ausnahmen von der objektiven und subjektiven Steuerpflicht nur insoweit zugelassen werden sollen, als sie aus gesamtwirtschafts-, sozial-, kultur- und gesundheitspolitischen oder steuertechnischen Gründen als geboten erscheinen (vgl. F. NEUMARK, Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuerpolitik, 1970, S. 75).
Desgleichen anerkennt die Rechtslehre den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung als Prinzip einer rechtsstaatlichen Steuergesetzgebung, und zwar in dem Sinn, dass eine sachlich unbegründete Ausnahme einzelner Personen oder Personenkreise von der Besteuerung als unzulässig bezeichnet wird (vgl. E. BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 3. Aufl., S. 136; J. HENSEL, a.a.O., S. 51 ff.). Das Prinzip der Allgemeinheit der Besteuerung stellt eine auf das Gebiet des Steuerwesens zugeschnittene Konkretisierung des in
Art. 4 BV
verankerten Grundsatzes der Rechtsgleichheit dar und steht in engem Zusammenhang mit dem auf der gleichen verfassungsrechtlichen Grundlage beruhenden Prinzip der Lastengleichheit der Bürger, wonach der Finanzaufwand für die allgemeinen öffentlichen Aufgaben bzw. die Kosten des Aufwands für das Gemeinwohl grundsätzlich von der Gesamtheit der Bürger getragen werden soll (vgl. dazu J. HENSEL, a.a.O., S. 39 ff. sowie B. WEBER-DURLER, Die Rechtsgleichheit in ihrer Bedeutung für die Rechtsetzung, Diss. Zürich 1973, S. 134 ff.). Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung der Bürger ergibt sich sodann auch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit der Besteuerung. Dieser verlangt, dass sich die Steuerbelastung nach den einem Steuerpflichtigen zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zur Verfügung stehenden Wirtschaftsgütern und nach seinen persönlichen Verhältnissen richtet. Da mithin von Verfassungs wegen auf die
BGE 99 Ia 638 S. 653
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen Rücksicht zu nehmen ist, müssen wesentlich verschiedene Verhältnisse auch zu einer unterschiedlichen Steuerbelastung führen, zumal nach dem allgemeinen Gleichheitssatz der Bundesverfassung Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit dagegen ungleich zu behandeln ist (vgl. z.B.
BGE 94 I 654
Erw. 5). Daraus ergibt sich die grundsätzliche Zulässigkeit einer progressiven Besteuerung (vgl. bereits
BGE 38 I 378
sowie E. BLUMENSTEIN, a.a.O., S. 253/4 und J. HENSEL, a.a.O., S. 53).
Das Bundesgericht hat wiederholt ausdrücklich anerkannt, dass
Art. 4 BV
die Allgemeinheit und Gleichheit der Besteuerung gewährleistet (
BGE 90 I 162
Erw. 2, 243; ASA Bd. 39 S. 300 Erw. 5), indem nicht einzelne Personen oder Personengruppen trotz im wesentlichen gleichen tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten von der Besteuerung ausgenommen werden dürfen. Das bedeutet, dass zu einer Einkommens- und Gewinnsteuer (d.h. zu einer Hauptsteuer, vgl. oben Erw. 6) grundsätzlich alle Personen nach Massgabe ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit heranzuziehen sind, sofern sie tatsächlich Einkommen und Gewinn erzielen. Einkommens- und Gewinnsteuern dürfen somit nicht in Form einer Sondersteuer nur von einzelnen, wirtschaftlich besonders starken Steuerpflichtigen erhoben werden. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung verbietet ferner, einer kleinen Gruppe von Steuerpflichtigen im Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit erheblich grössere Lasten aufzuerlegen als der Masse der übrigen Steuerpflichtigen (ASA Bd. 39 S. 300 Erw. 5 mit Verweisungen). In diesem Sinn enthält der Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung auch einen verfassungsmässigen Minderheitenschutz. Nach dem Gesagten schliesst
Art. 4 BV
indessen eine progressive Besteuerung nicht aus, sofern dabei nur der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen angemessen Rechnung getragen wird. Gerade in diesem Zusammenhang steht dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum der Gestaltungsfreiheit offen, zumal sich aus
Art. 4 BV
keine bestimmte Methode der Besteuerung ableiten lässt (vgl.
BGE 96 I 567
mit Verweisungen) und die Ausgestaltung des Steuertarifs in besonderem Mass von politischen Wertungen abhängt (vgl. H. HALLER, Die Steuern, Grundlinien eines rationalen Systems öffentlicher Abgaben, Tübingen 1964, S. 332, ferner J. HENSEL, a.a.O., S. 105). Bei der Überprüfung von
BGE 99 Ia 638 S. 654
Steuertarifen - insbesondere bei der Würdigung des Progressionssatzes - hat sich der Verfassungsrichter daher Zurückhaltung aufzuerlegen. Er hat in diesem Zusammenhang bloss zu untersuchen, ob sich die fragliche Ordnung auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt und ob damit rechtliche Unterscheidungen getroffen werden, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht zu finden ist. Ob ein Steuergesetz diesen Anforderungen genüge, kann nicht aufgrund formaler Kriterien entschieden werden, sondern fällt letzlich zusammen mit der Frage, ob das Gesetz gerecht sei. Gerechtigkeit aber ist ein relativer Begriff, der sich mit den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen wandelt. Das gilt insbesondere mit Bezug auf die Verteilung der Steuerlasten und die Ausgestaltung der Steuern (
BGE 96 I 567
a). Im Lichte dieser Grundsätze ist im folgenden zu prüfen, ob die angefochtene Reichtumsteuer vor
Art. 4 BV
standhält.
a) Die Reichtumsteuer der natürlichen Personen wird gestützt auf einen besonderen Erlass bloss von jenen Personen erhoben, die ein der gewöhnlichen Staatssteuer unterliegendes steuerbares Einkommen von mehr als Fr. 80 000 erzielt haben, wobei die Steuer aufgrund eines progressiven Prozentsatzes vom verfallenen Staatssteuerbetrag berechnet wird. Mit Rücksicht darauf liesse sich bei formeller Betrachtungsweise allenfalls die Auffassung vertreten, die Reichtumsteuer stelle nach dem Gesagten eine unzulässige Sondersteuer dar, weil sie als Hauptsteuer (vgl. oben Erw. 6) nicht von sämtlichen Steuerpflichtigen erhoben werde. Allein ihre enge Verknüpfung mit der Staatssteuer (Einkommenssteuer) spricht gegen eine solche formelle Betrachtungsweise. Der Umstand, dass die Reichtumsteuer nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes (§ 5) als Teil der Staatssteuer erhoben wird, lässt vielmehr den Schluss zu, dass mit der formell selbständigen Erhebung der Reichtumsteuer sinngemäss bloss im Rahmen der gewöhnlichen Einkommenssteuerpflicht die hohen Einkommen stärker als bisher belastet werden sollen. Der angefochtene Erlass bezweckt demnach sinngemäss nichts anderes als eine bestimmt umschriebene Verschärfung des Progressionstarifs für die staatliche Einkommenssteuer. Die angefochtene Reichtumsteuer ist deshalb nach der hier vorliegenden Ausgestaltung noch keine echte Sondersteuer und verstösst daher unter diesem Gesichtswinkel nicht gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung.
BGE 99 Ia 638 S. 655
b) Näher zu prüfen ist jedoch, ob die materielle Ausgestaltung der Reichtumsteuer, d.h. insbesondere der ihr zugrunde liegende Progressionstarif selbst gegen die in
Art. 4 BV
verankerten und soeben umschriebenen Besteuerungsprinzipien verstösst.
Die Reichtumsteuerpflicht setzt bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 80 001 ein. Die Berechnung der Steuer erfolgt nach einem Progressionssatz, der mit 0,5% des Staatssteuerbetrags beginnt, sich bis zu einem steuerbaren Einkommen von Fr. 160 000 um je 0,5% pro Fr. 1000 Mehreinkommen in regelmässigen Stufen bis auf 40% erhöht, hernach bis zu einem steuerbaren Einkommen von Fr. 200 000 auf je 1% pro Fr. 1000 Mehreinkommen ansteigt (was für ein steuerbares Einkommen von Fr. 200 000 einen Steuerbetrag von 80% der Staatssteuer ergibt) und anschliessend, d.h. von einem steuerbaren Einkommen von Fr. 200 001 an auf je 0,2% pro Fr. 1000 Mehreinkommen absinkt und bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 500 000 (Steuerbetrag= 140% der Staatssteuer) endigt. Für schweizerische Verhältnisse ist diese Art der Besteuerung in zweifacher Hinsicht ungewöhnlich: Zunächst fällt auf, dass die Reichtumsteuer als Prozentsatz einer anderen Steuer (Einkommenssteuer) erhoben wird und damit ein Phänomen darstellt, das dem schweizerischen Steuerrecht bisher fremd war. Sodann kann nicht übersehen werden, dass die Progression im Einkommensbereich zwischen Fr. 160 001 und Fr. 200 000 ausserordentlich stark ansteigt (1% des Staatssteuerbetrags mehr je Fr. 1000 Mehreinkommen) und damit einer verhältnismässig geringen Zahl von Steuerpflichtigen eine relativ grosse Steuerbelastung auferlegt. Wenn auch zuzugeben ist, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bürgers mit zunehmendem Einkommen vor allem in bestimmten höheren Einkommensbereichen progressiv ansteigt, so leuchtet diese schematische Art der Besteuerung doch nicht ohne weiteres ein. Anderseits kann nicht gesagt werden, dass es bar jeder vernünftigen Begründung sei, die Progression zunächst weniger stark, dann stärker ansteigen zu lassen, um für die sehr hohen Einkommen ab Fr. 200 000 offensichtlich aus der Furcht vor steuerlich bedingter Abwanderung wieder zu einem flacheren Verlauf der Progressionskurve überzugehen. Wird sodann berücksichtigt, dass der Verfassungsrichter bei der Überprüfung des Progressionsverlaufs nach dem Gesagten nur eingreifen darf, wenn rechtliche Unterscheidungen getroffen werden, die offensichtlich sinnwidrig sind und dem
BGE 99 Ia 638 S. 656
Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit klarerweise widersprechen, so kann aufgrund einer gesamthaften Würdigung sowohl des gewählten Steuersystems als auch des gesetzlich vorgesehenen Progressionsverlaufs nicht gesagt werden, dass es sich bei der angefochtenen Reichtumsteuer so verhalte. Mit ihrer Rüge, die Reichtumsteuer verstosse als solche gegen die in
Art. 4 BV
verankerten Besteuerungsprinzipien, vermögen die Beschwerdeführer somit nicht durchzudringen, zumal auch berücksichtigt werden mag, dass die angefochtene Reichtumsteuer ein Provisorium darstellt und nach der unmittelbar bevorstehenden Totalrevision des kantonalen Steuergesetzes wiederum wegfallen soll. Für einzelne Einkommenskategorien liegen der Progressionsverlauf und die Steuerbelastung freilich an der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen. Es erscheint ferner nicht als ausgeschlossen, dass gegen Steuern von der Art und Ausgestaltung der basel-landschaftlichen Reichtumsteuer volkswirtschaftliche und finanzpolitische Bedenken vorgebracht werden können. Ob solche Einwendungen begründet seien, hat jedoch vorab der Gesetzgeber und nicht der Verfassungsrichter zu entscheiden.
Wenn die angefochtene Reichtumsteuer auch - gesamthaft betrachtet - vor
Art. 4 BV
standhält, so muss doch festgestellt werden, dass die Anwendung des gesetzlichen Progressionstarifs in einem Einzelfall offensichtlich gegen die Verfassung verstösst, nämlich im Grenzbereich bei jener Einkommenserhöhung, die gleichzeitig eine Verschärfung der Progression auslöst. Bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 160 000 betragen Staatssteuer und Reichtumsteuer zusammen Fr. 32 032.-- (Staatssteuer: Fr. 22 880.--, Reichtumsteuer: 40%=Fr. 9152.--). Bei einem steuerbaren Einkommen von Fr. 160 100 erhöht sich die Gesamtbelastung aber bereits auf Fr. 32 281.15 (Staatssteuer: Fr. 22 894.43; Reichtumsteuer: 41%=Fr. 9386.72). In diesem Grenzbereich führt eine Einkommenserhöhung um Fr. 100 somit zu einer steuerlichen Mehrbelastung von nicht weniger als Fr. 249.15 oder rund 250% des Mehreinkommens, so dass dem Steuerpflichtigen mit einem Einkommen von Fr. 160 100 nach Abzug der gesetzmässig berechneten Steuer weniger verbleibt als dem Empfänger eines Einkommens von Fr. 160 000. Eine solche Besteuerung ist sinn- und zweckwidrig und hält vor
Art. 4 BV
nicht stand. In diesem Fall darf mit der Reichtumsteuer höchstens das Mehreinkommen von Fr. 100 abgeschöpft werden.
BGE 99 Ia 638 S. 657
10.
In der Beschwerde P 9/73 (Dr. Hans Steiner und Mitbeteiligte) wird geltend gemacht, das angefochtene Reichtumsteuergesetz sei in sich widersprüchlich und verstosse auch aus diesem Grund gegen
Art. 4 BV
, weil bei einer Erhöhung des Steuersatzes für je Fr. 1000 Mehreinkommen der nächsthöhere Progressionstarif nicht schon bei Fr. 160 000, sondern erst bei Fr. 161 000 anwendbar sei, was der Regelung in § 3 des Gesetzes selber widerspreche.
Auch dieser Vorwurf hält indessen einer näheren Prüfung nicht stand, denn es ist zwanglos eine vernünftige Auslegung des Gesetzes in dem Sinne möglich, dass die für den Steuersatz massgebenden Einkommensklassen je bis zum nächsten vollen Tausend reichen (Fr. 80 001 bis Fr. 81 000, Fr. 81 001 bis Fr. 82 000 usw.) und dass der Wechsel zum höheren Progressionstarif (1% statt 0,5%) bei Fr. 160 000/160 001 stattfindet, wie dies im Gesetz vorgesehen ist.
11.
Zu prüfen bleibt, ob mit dem Inkrafttreten des Reichtumsteuergesetzes auf den 1. Januar 1973 eine unzulässige Rückwirkung verbunden ist, wie in der Beschwerde P 13/73 (Dr. Leo Fromer und Mitbeteiligte) vorgebracht wird. Die Beschwerdeführer machen geltend, eine unzulässige Rückwirkung des Reichtumsteuergesetzes ergebe sich daraus, dass das Vorjahreseinkommen für selbständig Erwerbstätige endgültige und unabänderliche Bemessungsgrundlage bilde. Ferner bestehe hinsichtlich dieser Rückwirkung eine Rechtsungleichheit insofern, als auf Grundstückgewinnen keine Reichtumsteuer erhoben werden, wohl aber auf den Vermögensgewinnen, die im Jahre 1972 erzielt worden seien und der Veranlagung für 1973 zugrunde gelegt würden.
Das Reichtumsteuergesetz ordnet selbst keine echte Rückwirkung an (vgl.
BGE 97 I 340
Erw. 2 mit Verweisungen), sondern setzt gegenteils das Inkrafttreten ausdrücklich auf den 1. Januar 1973 fest (§ 7). Die Rüge der unzulässigen Rückwirkung wird denn auch nicht unter Berufung auf das Reichtumsteuergesetz selbst, sondern unter Hinweis auf die Praxis zu §§ 11, 67 und 68 des kantonalen Steuergesetzes vom 7. Juli 1952 begründet. Diese Bestimmungen bilden indessen nicht Bestandteil des angefochtenen Gesetzes. Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle hinsichtlich des Reichtumsteuergesetzes kann demnach auf diese Beschwerdevorbringen nicht näher eingegangen werden. Es steht den Beschwerdeführern indessen frei, mit staatsrechtlicher Beschwerde
BGE 99 Ia 638 S. 658
eine konkrete Reichtumsteuerveranlagung anzufechten, sofern diese unter unzulässiger Berufung auf die Praxis zu §§ 11, 67 und 68 des kantonalen Steuergesetzes erfolgen sollte (vgl.
BGE 97 I 340
Erw. 1). Im übrigen scheint durchaus denkbar, dass § 7 des Reichtumsteuergesetzes eine Auslegung zulässt, die im Ergebnis zu keiner verfassungswidrigen Rückwirkung führt, so dass die Beschwerde insoweit ohnehin als unbegründet abzuweisen ist (vgl.
BGE 91 I 85
Erw. 2; F. GYGI, Mittelbare Verfassungsverletzung als Beschwerdegrund im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, in: Der Staat als Aufgabe, Gedenkschrift für M. Imboden, S. 169). - Endlich liegt auch im Umstand, dass die Grundstückgewinne nicht mit der Reichtumsteuer, sondern bloss mit der Grundstückgewinnsteuer (§ 56 ff. des kantonalen Steuergesetzes) erfasst werden, kein Verstoss gegen die Rechtsgleichheit, denn dieser Ordnung wohnt keine sinn- und zweckwidrige Unterscheidung inne, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich wäre (vgl. oben Erw. 9).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden im Sinne der Erwägungen abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
57609897-1aff-4252-99b5-f703d0c74039 | Urteilskopf
95 II 306
41. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. April 1969 i.S. Basler -Unfall gegen Graf. | Regeste
Genugtuung (
Art. 47 OR
). Alter und Mitverschulden des Verunfallten bei der Bemessung des Anspruchs der Hinterbliebenen (Erw. 4).
Art. 45 Abs. 1 OR
. Kein Anspruch auf Ersatz der Kosten des Grabunterhaltes (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 307
BGE 95 II 306 S. 307
Aus dem Tatbestand:
A.-
Der 68-jährige Otto Graf fuhr am 2. September 1966 mit seinem Personenwagen Fiat 1100 ausserorts auf der geteerten 5,5 m breiten Strasse durch den Wangenerwald Richtung Kindhausen. Aus der entgegengesetzten Richtung fuhr Ernst Maurer mit dem Kastenwagen Ford-Transit der Firma Meierhans. Beim Kreuzen streiften sich die beiden Fahrzeuge. Sie wurden seitlich abgetrieben und gerieten, in ihrer Fahrrichtung gesehen, über den rechten Strassenrand hinaus. Graf prallte mit seinem Wagen frontal gegen eine am Strassenrand stehende Tanne und wurde auf der Stelle getötet.
B.-
Die Ehefrau (Klägerin 1) und die im Jahre 1950 geborene Tochter (Klägerin 2) des Verunfallten belangten die Basler-Unfall als Haftpflichtversicherung des Halters Meierhans beim Bezirksgericht Uster auf Zahlungvon Schadenersatz (Klägerin 1) und Genugtuung (Klägerin 1 und 2).
C.-
Das Obergericht des Kantons Zürich hiess in zweiter Instanz die Klagen teilweise gut.
Indem es in bezug auf die Fahrweise Maurers und die Bestimmung des massgebenden Ortes des Zusammenstosses zu einem andern Schluss gelangte als das Bezirksgericht, sprach es - mit Ausnahme der ebenfalls abgelehnten Forderung für Grabunterhalt- der Klägerin 165% der Schadenersatzforderung zu und setzte ihren Genugtuungsanspruch auf Fr. 5000.--, denjenigen der Klägerin 2 auf Fr. 2000.-- fest.
D.-
Das Bundesgericht bestätigte auf Berufung der Beklagten und Anschlussberufung der Klägerinnen das Urteil des Obergerichts.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Nach
Art. 47 OR
, auf den
Art. 62 SVG
verweist, kann der Richter bei Tötung eines Menschen unter Würdigung der besonderen Umstände den Angehörigen des Getöteten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen. Die Bestimmung der Summe richtet sich nach richterlichem Ermessen.
BGE 95 II 306 S. 308
Dabei fällt, obwohl das Gesetz es nicht ausdrücklich sagt, das Verschulden erheblich ins Gewicht (vgl.
BGE 90 II 83
Erw. 2 und 190,
BGE 91 II 225
).
Die Beklagte behauptet, das Obergericht habe den Klägerinnen zu Unrecht eine Genugtuungssumme zugesprochen, weil Graf den Zusammenstoss selbst verschuldet habe. Die Beklagte geht auch hier von falschen Voraussetzungen aus. Massgebend für die Beurteilung des Verschuldens ist nicht die Beweiswürdigung der Beklagten, sondern die verbindliche Feststellung der Vorinstanz (vgl. dazu Erw. 2). Dass diese mit Rücksicht auf das Verschulden Grafs (35%) den Anspruch der Klägerinnen auf Genugtuung nicht ausgeschlossen, sondern bloss herabgesetzt hat, ist nicht zu beanstanden. Sie weist mit Recht auf die schwere Unbill hin, welche die Klägerinnen durch den plötzlichen Tod ihres Ehemannes und Vaters erlitten haben. Wenn sie in Anbetracht des Alters des Verunfallten und seines Mitverschuldens am Zusammenstoss der Klägerin 1 Fr. 5000.-- (statt Fr. 12'000.--) und der Klägerin 2 Fr. 2000.-- (statt Fr. 5000.--) zugesprochen hat, kann von einer Ermessensüberschreitung nicht die Rede sein.
5.
Das Obergericht hat die Forderung von Fr. 468.-- für Grabunterhalt abgelehnt, weil es sich dabei um eine Pietätspflicht handle. Diese Auffassung verstösst nach Ansicht der Klägerinnen gegen
Art. 45 Abs. 1 OR
.
Nach der Rechtsprechung gehören zu den Bestattungskosten im Sinne von
Art. 45 Abs. 1 OR
nur solche Aufwendungen, die mit dem Tod unmittelbar zusammenhangen. Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang ist bei den Kosten des Grabunterhaltes, die erst später, im Verlaufe der Zeit entstehen, offenbar nicht gegeben. Der Grabunterhalt ist in erster Linie eine Pietätspflicht der Angehörigen, so dass damit ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten, der den Tod des Verstorbenen zu verantworten hat, unvereinbar ist (
BGE 65 II 254
und die dort erwähnten Entscheide). Der Einwand der Klägerinnen, mit der gleichen Begründung könnten Ersatzansprüche für Todesanzeigen, Beerdigungskosten, Grabmal usw. abgewiesen werden, trifft nicht zu. Gewiss spielen auch bei diesen Auslagen die Pietätsgefühle der Angehörigen eine Rolle. Sie hangen aber mit dem Tod unmittelbar zusammen und entstehen nicht erst später. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
5762e055-6e3e-4285-accc-fbdd9a80fe02 | Urteilskopf
105 IV 213
56. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 16 octobre 1979 dans la cause B. contre Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 35, 36 und 37 VRV
.
Besondere Regeln auf Autobahnen, Verbot des Rückwärtsfahrens und sonstwie ein Hindernis für den Verkehr auf den Fahrbahnen zu bilden. | Sachverhalt
ab Seite 214
BGE 105 IV 213 S. 214
A.-
Le 10 janvier 1978, vers 21 h.45, un accident de circulation s'est produit sur l'autoroute Lausanne-Genève, côté Jura, à la jonction de Coppet. Au moment de l'accident, une nappe de fumée opaque provenant des gadoues de Divonne-les-Bains s'étendait sur une distance d'environ 200 m., annihilant presque totalement la visibilité. Lorsque B. est arrivée à cet endroit, à une vitesse de 80 km/h environ, elle s'est arrêtée aussitôt sur la voie droite de l'autoroute. Imaginant que la fumée provenait d'un véhicule en train de brûler à la suite d'un accident, à quelque distance de là, elle a entrepris de faire marche arrière pour se garer sur la bande d'arrêt d'urgence. Elle commençait cette manoeuvre lorsqu'elle aperçut dans son rétroviseur les feux d'un véhicule se rapprochant. Elle s'arrêta derechef et engagea la première vitesse dans l'intention de repartir en marche avant et de se remettre en ligne droite par rapport à la chaussée. Sa voiture fut alors atteinte par celle de K. qui, comme elle, roulait en direction de Genève sur la voie normale et avait été surpris par la nappe de fumée. Le choc ne fut pas violent, si bien que personne ne fut blessé. B. et la passagère assise à côté d'elle sortirent du véhicule endommagé et déporté vers la gauche chacune de leur côté, la première vers la berme centrale de l'autoroute, qui était toute proche, la seconde sur la voie normale. Alors qu'elles se trouvaient toujours sur les pistes de circulation, la passagère de B. fut atteinte par le fourgon piloté par G., lequel, surpris également par la fumée, avait freiné énergiquement, mais n'avait pas réussi à éviter les deux voitures accidentées, qu'il avait aperçues au dernier moment. Projetée contre la voiture de B., la passagère de celle-ci subit des blessures si graves qu'elle est décédée lors de son admission à l'Hôpital de Nyon. Quelques instants plus tard, un quatrième véhicule vint emboutir le fourgon de G.
B.-
Le 28 février 1979, le Tribunal correctionnel du district de Nyon a libéré K. et G. de l'accusation d'homicide par négligence. Il a en revanche reconnu B. coupable de cette infraction et lui a infligé une amende de 300 fr. avec délai de radiation d'un an.
La condamnée ayant recouru, ce jugement a été confirmé par la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois, statuant le 18 juillet 1979.
C.-
B. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Considérant que la présence de la fumée sur l'autoroute constituait un
BGE 105 IV 213 S. 215
cas de force majeure, elle conteste avoir commis une faute ou avoir fait preuve d'une négligence en relation de causalité avec la mort de sa passagère. Elle invoque en outre, à sa décharge, la faute commise par la victime elle-même.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Chaque automobiliste doit savoir aujourd'hui qu'un véhicule ne doit pas s'arrêter sur les pistes de circulation des autoroutes. Ainsi, même un véhicule qui ne peut plus rouler à la vitesse de 60 km/h au moins doit-il sortir de l'autoroute aussitôt que possible (cf.
art. 35 al. 1 et 3 OVR
) et ceux qui se trouvent dans l'incapacité d'avancer doivent-ils être conduits immédiatement, pour autant que cela soit possible, sur les accotements, soit sur la piste d'arrêt d'urgence, voire, en cas de nécessité, sur la berme centrale, tout contre la glissière (cf.
art. 36 al. 3 OCR
); tel sera notamment le cas à la suite de pannes de moteur, de lumière ou d'essence, de crevaisons, de bris de pare-brise, etc., lorsque le conducteur ou un passager est pris d'un malaise ou lorsqu'un obstacle interdit tout passage. Il est par ailleurs, pour les mêmes motifs, mais aussi parce qu'il est interdit de faire route à contresens (cf.
art. 37 al. 3 OCR
), expressément défendu de faire marche arrière sur une autoroute (
art. 36 al. 1 OCR
).
L'observation de ces règles, qui sont des normes de sécurité, est d'autant plus importante que l'expérience enseigne que les vitesses élevées admises sur les autoroutes ne laissent que peu de temps aux usagers pour réagir devant un obstacle imprévu et que leurs réactions sont souvent dans ce cas de nature à provoquer des accidents et collisions en série, en raison de la précipitation et de la trop grande énergie qu'ils mettent à manoeuvrer (cf.
ATF 99 IV 232
). Enfin, ce qui vient d'être dit vaut d'une manière accrue, cela tombe sous le sens, de nuit, lorsque la visibilité est réduite et à fortiori lorsque ces deux conditions sont réunies et que la visibilité est presque totalement annihilée, comme en l'espèce.
2.
La recourante a grossièrement violé les règles qui précèdent. Si l'on peut certes admettre qu'elle a été prise au dépourvu devant l'épaisseur du nuage de fumée dans lequel elle s'est engouffrée avec son véhicule - on note toutefois qu'en janvier une nappe de brouillard dense ne devrait surprendre
BGE 105 IV 213 S. 216
personne - il reste que si elle estimait devoir renoncer à poursuivre sa route, il lui fallait obliquer en ralentissant pour ne s'arrêter qu'une fois sur la piste d'arrêt d'urgence. A supposer encore qu'elle se soit arrêtée sous le coup de la surprise, elle devait aussitôt repartir, mais dans son sens de marche, pour mettre son véhicule à l'abri sur le bord de la chaussée. En revanche, elle ne pouvait à aucun prix reculer; d'abord parce qu'elle violait ainsi l'
art. 36 al. 1 OCR
précité, mais surtout parce qu'elle restait de ce fait plus longtemps qu'il n'était nécessaire sur les pistes de circulation. Le comportement de la recourante étant de nature à provoquer des accidents et collisions en chaîne qui, sur une autoroute, présentent toujours un risque mortel, on doit admettre qu'il se trouve non seulement en relation de causalité naturelle mais également en relation de causalité adéquate avec la mort de la victime.
3.
La recourante soutient, il est vrai, que le nuage de fumée représentait un cas de force majeure qui interrompait l'enchaînement des causalités. On relève que l'autorité cantonale a fait justice de cet argument, mais, de toute façon, celui-ci était dénué de toute pertinence. En effet, si l'on peut imaginer - et c'est ce qui s'est vraisemblablement passé lors de la collision du 8 janvier 1978 à laquelle se réfère la recourante - qu'une nappe de fumée ou de brouillard d'une densité extrême surprenne par temps clair des automobilistes roulant en file et qu'il en résulte une collision en chaîne, à la suite du brusque ralentissement du véhicule de tête, il reste que les circonstances de l'espèce étaient toutes différentes. La recourante n'était suivie immédiatement de personne et rien ne l'empêchait de se garer - sans perdre de temps mais sans hâte excessive - sur la piste d'arrêt d'urgence. Ni la fumée, ni l'absence de visibilité en tout cas ne l'obligeaient à faire marche arrière au mépris d'une règle de la circulation. En particulier, s'il est vrai qu'elle a cru à un incendie, elle n'a vu ni flammes ni lueur qui auraient pu l'engager à s'éloigner par crainte des risques d'explosion. On ne saurait donc dire que la recourante a été contrainte par la force majeure à agir de la façon incohérente qui a été décrite plus haut.
4.
Quant aux fautes qui pourraient être imputées à des tiers ou à celle - évidente au regard de l'
art. 36 al. 3 OCR
- commise par la victime, elles ne constituent évidemment pas des comportements si imprévisibles et aberrants qu'elles soient
BGE 105 IV 213 S. 217
de nature à interrompre le lien de causalité. Par ailleurs, il n'existe aucune compensation des fautes en droit pénal (
ATF 85 IV 91
), chacun étant puni pour celles qu'il a commises. Dés lors que la recourante a violé les règles de la circulation routière d'une manière et dans des circonstances propres à provoquer mort d'homme et qu'il y a eu accident mortel, c'est à bon droit qu'elle a été condamnée pour homicide par négligence.
5.
C'est en vain enfin que la recourante soutient ne plus avoir été en état de déterminer son orientation dans l'espace. Il s'agit là en effet d'une version des faits irrecevable en ce qu'elle ne trouve aucun fondement dans l'arrêt attaqué (
art. 277bis al. 1 PPF
). De plus, une telle allégation est invraisemblable dans la mesure où elle est pertinente. Ce qui est reproché à la recourante, c'est son comportement avant que son véhicule n'ait été percuté par l'arrière. Or, jusqu'à ce moment, la recourante ne pouvait ignorer le sens dans lequel elle roulait sur l'autoroute, soit en direction de Genève, et sa visibilité n'était pas nulle, puisqu'elle manoeuvrait pour essayer de gagner la piste d'arrêt d'urgence en marche arrière et qu'elle a pu voir s'approcher les feux de la voiture qui allait percuter la sienne. Elle ne saurait donc soutenir qu'en faisant marche arrière elle ne pouvait avoir conscience de rouler à contresens de la circulation.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
5763069b-c763-4d61-a4fa-c820d547e845 | Urteilskopf
118 Ia 497
65. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. Dezember 1992 i.S. Eheleute M. gegen Kantonale Steuerverwaltung und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; Schenkungssteuer.
Der Wille der unentgeltlichen Zuwendung bildet ein begriffsnotwendiges Merkmal der gemischten Schenkung. Es ist willkürlich, auf einem Rechtsgeschäft allein aufgrund des objektiven Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung eine Schenkungssteuer zu erheben, ohne das Vorliegen eines Zuwendungswillens zu prüfen. | Sachverhalt
ab Seite 497
BGE 118 Ia 497 S. 497
A.-
Mit Kaufvertrag vom 29. Dezember 1986 erwarben die Eheleute M. das Hotel Regina-Blüemlisalp mit Umschwung in Wengen von der Immobilien AG "Am See", mit Sitz in Zürich, für den Preis von Fr. 4'100'000.--, wobei davon der Betrag von Fr. 100'000.-- für Mobiliar und Zubehör bezahlt wurde.
B.-
Da der amtliche Wert der Liegenschaft Fr. 4'601'720.-- betrug, forderte die kantonale Steuerverwaltung die Eheleute M. am
BGE 118 Ia 497 S. 498
3. Dezember 1987 auf, für die Differenz zwischen dem amtlichen Wert und dem Kaufpreis, d.h. für den Betrag von Fr. 601'720.--, eine Schenkungssteueranzeige einzureichen. Demgegenüber machten die Eheleute M. am 9. August 1988 geltend, aufgrund der zu Beginn des Jahres 1988 erfolgten Schätzung müsse davon ausgegangen werden, dass der amtliche Wert am massgebenden Stichtag unter dem angenommenen Wert von Fr. 4'601'720.-- gelegen habe.
Ein daraufhin im Auftrag der kantonalen Steuerverwaltung erstelltes Verkehrswertgutachten der Abteilung für amtliche Bewertung der Grundstücke und Wasserkräfte vom 28. Februar 1989 bestimmte den Ertragswert der Liegenschaft auf Fr. 5'105'500.-- sowie deren Realwert auf Fr. 11'627'000.--. Der objektive Verkehrswert der Parzelle wurde auf Fr. 6'190'000.-- geschätzt. In der Folge gab die kantonale Steuerverwaltung den Eheleuten M. Gelegenheit, mittels einer neutralen Begutachtung den Gegenbeweis zu erbringen, dass der Verkehrswert der Hotelliegenschaft am Stichtag den Kaufpreis nicht überstieg. Die dafür angesetzte Frist lief unbenutzt ab.
C.-
Mit Verfügung vom 24. Januar 1990 stellte die kantonale Steuerverwaltung für einen steuerpflichtigen Vermögensanfall von Fr. 601'720.-- eine Schenkungssteuer von Fr. 215'688.-- in Rechnung.
Gegen diese Verfügung erhoben die Eheleute M. am 23. Februar 1990 Einsprache. Gestützt auf eine Ertragswertberechnung der Schweizerischen Gesellschaft für Hotelkredit sowie auf ein privates Verkehrswertgutachten eines Architekten machten sie geltend, der effektive Verkehrswert am Datum der Verurkundung habe höchstens dem verurkundeten Verkaufspreis entsprochen und der amtliche Wert sei viel zu hoch angesetzt. Ein Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung habe deshalb nicht vorgelegen.
D.-
Am 7. Dezember 1990 bestätigte die kantonale Steuerverwaltung die Schenkungssteuerfestsetzung vom 24. Januar 1990 und wies die Einsprache vom 23. Februar 1990 ab.
E.-
In der gegen den Einspracheentscheid beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern erhobenen Beschwerde machten die Eheleute M. geltend, es fehle sowohl an einem offenbaren Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung als auch an der Zuwendungsabsicht seitens der Verkäuferin.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die Beschwerde am 27. Mai 1991 ab.
F.-
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 18. Juli 1991 beantragen die Eheleute M., das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons
BGE 118 Ia 497 S. 499
Bern vom 27. Mai 1991 sei aufzuheben. Sie machen geltend, das angefochtene Urteil sei unter Verletzung und willkürlicher Anwendung von Verfassungsrecht und kantonalem Gesetzesrecht sowie unter willkürlicher und unvollständiger Tatsachenfeststellung ergangen. Gerügt wird in verschiedener Hinsicht eine Verletzung von
Art. 4 BV
(Rechtsgleichheit, Willkür, rechtliches Gehör) sowie von Art. 72 (Rechtsgleichheit) der Staatsverfassung des Kantons Bern vom 4. Juni 1893.
Die kantonale Steuerverwaltung verzichtete auf Vernehmlassung. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Bezüglich der gerügten Verletzung des rechtlichen Gehörs führt es ergänzend aus, den Vertretern der Beschwerdeführer seien sämtliche Expertenberichte und Gutachten zur Kenntnis gebracht worden. Von einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs könne daher keine Rede sein.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts machen die Beschwerdeführer geltend, es sei willkürlich, das vorliegende Rechtsgeschäft unabhängig davon, ob eine Zuwendungsabsicht vorhanden sei, als gemischte Schenkung zu besteuern.
Das Verwaltungsgericht ist dagegen der Auffassung, nach dem Wortlaut der massgebenden Gesetzesbestimmung sei nur das objektive Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen. Es hat daher die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Zuwendungsabsicht gegeben sei, gar nicht geprüft.
a) Nach konstanter Rechtsprechung liegt Willkür nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen oder sogar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht weicht vom Entscheid einer kantonalen Behörde nur ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem und offensichtlichem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (
BGE 110 Ia 4
E. 2a;
BGE 117 Ia 414
E. 1c, je mit Hinweisen).
b) Auszugehen ist vom Wortlaut des bernischen Gesetzes vom 6. April 1919 über die Erbschafts- und Schenkungssteuer (662.1;
BGE 118 Ia 497 S. 500
ESchG). Das fragliche Rechtsgeschäft fand noch unter der Herrschaft der alten Fassung des Gesetzes statt. Die Teilrevision von 1989 hat jedoch, soweit ersichtlich, am Wortlaut der hier massgebenden Bestimmungen nichts geändert (vgl. MARC SUTER, Das neue bernische Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz, in: ZBJV 1989, S. 185). Art. 2 ESchG umschreibt unter dem Marginale "Grundsatz" den Gegenstand der Schenkungssteuer. Danach unterliegen der "schenkungsweise" Erwerb von Grundstücken sowie die "Schenkung" von beweglichem Vermögen nach Massgabe der nachfolgenden Bestimmungen einer Schenkungssteuer. Diese Bestimmungen sind folglich im Lichte von Art. 2 ESchG auszulegen.
Art. 3 ESchG lautet:
"1. Als Schenkung im Sinne dieses Gesetzes gilt jede freiwillige und unentgeltliche Zuwendung von Geld, Sachen oder Rechten irgendwelcher Art mit Einschluss des Erbauskaufes (
Art. 495 ZGB
), des Vorempfanges (
Art. 626 ZGB
) und der Stiftung (
Art. 80 ff. ZGB
), sowie der schenkungsweise Erlass von Verbindlichkeiten.
2. Entgeltliche Rechtsgeschäfte, bei welchen die Leistungen des einen Teils in einem offenbaren Missverhältnis zur Gegenleistung stehen, werden für den durch die Gegenleistung nicht gedeckten Wert der Leistung einer Schenkung gleichgestellt.
3. Die Gründe und Absichten, aus welchen die Schenkung erfolgte, üben auf die Steuerpflicht keinen Einfluss aus."
aa) Art. 3 Abs. 1 ESchG umschreibt den Begriff der Schenkung. Der steuerrechtliche Schenkungsbegriff deckt sich nicht in jeder Hinsicht mit jenem des Zivilrechts; er kann Besonderheiten aufweisen, die sich aus dem Zweck des Gesetzes oder aus Gründen der Praktikabilität ergeben. Beiden Begriffen sind jedoch die Merkmale der Vermögenszuwendung, der Unentgeltlichkeit und des Zuwendungswillens gemeinsam. Das objektive Merkmal der Unentgeltlichkeit der Vermögenszuwendung liegt vor, wenn der Zuwendungsempfänger für seinen Vermögenserwerb keine Gegenleistung erbracht hat. Die subjektive Voraussetzung des Zuwendungswillens bedeutet, dass der Zuwendende Wissen und Wollen bezüglich der Vermögenszuwendung und der Unentgeltlichkeit haben muss (PIERRE ROCHAT, L'impôt sur les donations et la notion de donation imposable en Suisse, Thèse Lausanne 1953, S. 5 und 59; THOMAS RAMSEIER, Die basellandschaftliche Erbschafts- und Schenkungssteuer, Liestal 1989, S. 64; FREDY STYGER, Objekt und Bemessung der kantonalen Erbanfall- und Schenkungssteuern, Dissertation Zürich 1950, S. 63).
BGE 118 Ia 497 S. 501
bb) Art. 3 Abs. 2 ESchG regelt den Tatbestand der gemischten Schenkung. Danach werden entgeltliche Rechtsgeschäfte mit offensichtlichem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung in bezug auf die Wertdifferenz einer "Schenkung gleichgestellt". Aus dieser letzten Formulierung abzuleiten, dass bei solchen zweiseitigen Geschäften eine Schenkungssteuer auch ohne Vorliegen des Schenkungswillens geschuldet sei, ist unhaltbar. Das fragliche bernische Gesetz will, wie bereits aus seinem Titel und aus den Umschreibungen in Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 ESchG hervorgeht, nur Vermögensanfälle, die eine Schenkung darstellen oder - trotz eines äusserlich zweiseitigen Leistungsverhältnisses - auf eine Schenkung hinauslaufen (gemischte Schenkung), nicht aber blosse Verkehrsvorgänge erfassen. Der steuerrechtliche Schenkungsbegriff braucht zwar, wie allgemein anerkannt ist, mit jenem des Zivilrechtes nicht übereinzustimmen. Immerhin muss es sich um ein Rechtsgeschäft handeln, das, wenn nicht im zivilrechtlichen Sinn, so doch nach dem allgemeinen Wortsinn, noch als Schenkung bezeichnet werden kann. Eine Auslegung, welche jeden günstigen Kauf (Verkauf) einer Sache, ungeachtet der konkreten Umstände und des fehlenden Zuwendungswillens der Beteiligten, allein wegen der Wertdifferenz zwischen den beidseitigen Leistungen als Schenkung betrachten will, sprengt die durch Wortlaut und Zweck des Gesetzes gegebenen Schranken. Wie das Bundesgericht bereits betreffend die damals gleichlautende Bestimmung des basellandschaftlichen Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes festgestellt hat, kann es unmöglich Sinn des zweiten Absatzes von Artikel 3 sein, in allen Fällen vertragliche Leistungen, denen keine auch nur annähernd gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht, mit einer besondern Steuer zu belegen (
BGE 65 I 212
; bestätigt in
BGE 98 Ia 263
,
BGE 102 Ia 426
). Es besteht kein Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Aufgrund des Wortlauts und des Zwecks der massgeblichen Gesetzesbestimmungen ist somit auch für den Tatbestand der gemischten Schenkung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 ESchG ein Zuwendungswille erforderlich (vgl. ADRIAN MUSTER, Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht, Muri bei Bern 1990, S. 303 ff.; THOMAS RAMSEIER, a.a.O., S. 63 ff. und 73 ff.).
Allein aus der Tatsache, dass der Veräusserungspreis unter dem objektiven Verkehrswert bzw. amtlichen Wert liegt, kann noch nicht auf das Vorliegen eines Zuwendungswillens geschlossen werden. Die Vertragsparteien können vielerlei Gründe haben, für eine Sache oder Leistung einen über bzw. unter dem objektiven Verkehrswert
BGE 118 Ia 497 S. 502
liegenden Betrag zu bezahlen bzw. zu verlangen. Der Preis einer Sache oder Leistung bestimmt sich nämlich nicht nur nach ihrem objektiven Marktwert, sondern vielfach können auch unterschiedliche Beurteilungen der künftigen Marktentwicklung oder sonstige subjektive Gesichtspunkte der Parteien (Lagerprobleme, Liquiditätsbedürfnis, Spekulationsabsicht usw.) für die Preisgestaltung massgebend sein.
Da das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Frage, ob im vorliegenden Fall ein Zuwendungswille gegeben sei, gar nicht geprüft hat, kann sich das Bundesgericht nicht dazu äussern. Bei der Beurteilung dieser Frage wird die Vorinstanz unter anderem die allgemeine wirtschaftliche Lage im Zeitpunkt der Veräusserung der Liegenschaft zu berücksichtigen haben. Offenbar ging es der Hotellerie im fraglichen Zeitpunkt nicht besonders gut. Weiter bedurfte die Hotelliegenschaft einer umfassenden Sanierung. Ausser den Beschwerdeführern schien niemand am Kauf der Liegenschaft interessiert zu sein. Im übrigen hatten die Beschwerdeführer das Hotel bereits vorher bewirtschaftet. Auch dieser Umstand mag für die Verkäuferin bei der Festsetzung des Preises eine Rolle gespielt haben. Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass die Beschwerdeführer weder Verwandte noch nahe Bekannte der Verkäuferin sind, so dass in dieser Hinsicht seitens der Verkäuferin kein Anlass bestand, die Beschwerdeführer zu bereichern.
cc) Im übrigen ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 ESchG zum Erfordernis des Zuwendungswillens nichts anderes. Danach üben die Beweggründe (Dankbarkeit, Grosszügigkeit, sittliche Pflicht usw.), aus welchen die Schenkung erfolgte, auf die Steuerpflicht keinen Einfluss aus. Diese Bestimmung befasst sich somit nicht mit der Frage des animus donandi. Sie hat lediglich zur Folge, dass es auf die Motive der Schenkung nicht ankommt und insofern der steuerrechtliche begriff der Schenkung weiter sein kann als der zivilrechtliche (ADRIAN MUSTER, a.a.O., S. 296; VICTOR MONTEIL, Das Objekt der Erbschafts- und Schenkungssteuern in der Schweiz, Dissertation Bern 1949, S. 155 f.).
Aus Art. 16 und 17 ESchG kann hinsichtlich des Erfordernisses des Schenkungswillens ebenfalls nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Danach erfolgt die Steuerfestsetzung bei geerbten oder geschenkten beweglichen Sachen nach ihrem Verkehrswert und bei Grundstücken nach dem amtlichen Wert. Namentlich kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber schon die Unterschreitung des amtlichen Werts an sich als steuerbaren Tatbestand
BGE 118 Ia 497 S. 503
betrachten wollte. Die Regelung von Art. 17 ESchG besagt lediglich, dass dann, wenn eine Erbschaft oder Schenkung vorliegt, die Berechnung der Steuer bei Grundstücken nach dem festgelegten amtlichen Wert zu erfolgen hat und keine besondere neue Verkehrswertschätzung stattfindet.
c) Die Annahme des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, der Wille der unentgeltlichen Zuwendung bilde kein begriffsnotwendiges Merkmal der gemischten Schenkung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 ESchG, widerspricht offensichtlich dem Wortlaut und Sinn des massgebenden kantonalen Gesetzes. Indem das Verwaltungsgericht auf dem vorliegenden Rechtsgeschäft allein aufgrund des objektiven Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung eine Schenkungssteuer erhob, ohne das Vorliegen eines Zuwendungswillens zu prüfen, handelte es willkürlich.
Sein Entscheid ist daher wegen Verletzung von
Art. 4 BV
aufzuheben. Unter diesen Umständen erübrigt es sich, auf die Vorbringen der Beschwerdeführer betreffend Verletzung des Gleichbehandlungsgebots näher einzugehen. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
57631c18-0480-4430-aa72-7522b95a1d97 | Urteilskopf
121 IV 293
47. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. August 1995 i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 7 BetmG
; Finanzierung des unerlaubten Verkehrs mit Betäubungsmitteln.
Der Tatbestand der Finanzierung des unerlaubten Verkehrs mit Betäubungsmitteln erfasst die Finanzierung des Handels mit Drogen. Wer jemandem Geld gibt für den Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum, erfüllt den Tatbestand nicht (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 293
BGE 121 IV 293 S. 293
A.-
Dr. med. M. lernte im Jahr 1990 den drogenabhängigen E. als Notfallarzt kennen, nachdem sich E. in Suizidabsicht aus dem 4. Stock eines Hauses gestürzt und sich dabei einen Lendenwirbelbruch zugezogen hatte. M. kümmerte sich nach der Entlassung von E. aus dem Spital weiter um ihn, suchte einen Therapieplatz für ihn und nahm ihn zeitweise bei sich auf.
Ende April/Anfang Mai 1993 gab M. dem E. dreimal Geldbeträge von jeweils zwischen Fr. 150.-- und Fr. 250.-- in der Annahme, dass dieser für je ca. Fr. 80.-- (insgesamt also für ca. Fr. 240.--) Heroin und/oder Kokain kaufen und konsumieren werde. E. erwarb damit Heroin. Die ersten beiden Geldübergaben erfolgten, als E., der zuvor einen weiteren Suizidversuch
BGE 121 IV 293 S. 294
unternommen hatte, auf den Balkon im 7. bzw. 8. Stock einer Liegenschaft trat und M. erklärte, er werde sich hinunterstürzen. Die dritte Geldübergabe erfolgte, kurz bevor M. in den Militärdienst einrücken musste. M. wollte mit der Geldhingabe sicherstellen, dass E. einen Termin bei der Beratungsstelle "Drop-In" einhalte. M. nahm an, dass E., der unter Entzugserscheinungen mit Schweissausbrüchen und Schmerzen litt, sonst erneut auf der Gasse abstürzen und den Termin nicht einhalten würde.
B.-
Am 24. März 1994 sprach der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich M. von der Anklage der mehrfachen Finanzierung des unerlaubten Verkehrs mit Betäubungsmitteln frei.
C.-
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin sprach das Obergericht des Kantons Zürich M. am 22. September 1994 gemäss Anklage schuldig und bestrafte ihn mit Fr. 500.-- Busse.
D.-
M. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
E.-
Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
a) Der Einzelrichter nahm an, die Geldübergaben fielen nicht unter den Tatbestand der Finanzierung des unerlaubten Verkehrs mit Betäubungsmitteln. Im übrigen seien die Voraussetzungen der Notstandshilfe gegeben.
Die Vorinstanz kommt zum gegenteiligen Schluss. Auch wenn
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 7 BetmG
(SR 812.121) in erster Linie den eigentlichen Drogenhandel anvisiere, stehe mangels einer gesetzgeberischen Einschränkung nichts im Wege, die Bestimmung auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Bei der ersten Geldübergabe lasse sich das Verhalten des Beschwerdeführers allenfalls noch rechtfertigen oder doch entschuldigen. An den Voraussetzungen der Notstandshilfe fehle es dagegen bei den beiden weiteren Geldübergaben.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, der Auffassung des Einzelrichters sei zu folgen. Zur Vermeidung stossender Ergebnisse brauche es keine Gesetzesänderung, sondern eine vernünftige Auslegung.
BGE 121 IV 293 S. 295
c) Die Staatsanwaltschaft führt aus, zwar stelle die Finanzierung des Eigenkonsums wie hier nicht den typischen, klassischen Fall der Finanzierung des Betäubungsmittelverkehrs dar, den der Gesetzgeber im Visier gehabt habe und den die Strafverfolgungsbehörden in erster Linie verfolgen wollten und sollten. Gleichwohl werde das Verhalten des Beschwerdeführers von
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 7 BetmG
erfasst.
2.
Gemäss
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 7 BetmG
ist strafbar:
wer den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln finanziert;
celui qui finance un trafic illicite de stupéfiants;
chiunque finanzia un traffico illecito di stupefacenti.
a)
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 7 BetmG
erhebt die Gehilfenschaft zur Inverkehrsetzung von Betäubungsmitteln, soweit sie in der Form der Finanzierung erfolgt, zu einem selbständigen Tatbestand. Nach der Rechtsprechung fallen unter den Begriff "Verkehr" im Sinne dieser Bestimmung die in
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-5 BetmG
genannten Tätigkeiten sowie die Anstalten dazu nach Abs. 6 (
BGE 115 IV 256
E. 6d). Den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln finanziert, wer die notwendigen finanziellen Mittel für die Beschaffung, den Transport oder den Absatz von Betäubungsmitteln zur Verfügung stellt. Eine direkte Beteiligung des Geldgebers am Risiko ist nicht erforderlich. Jeder Geldgeber, der weiss oder zumindest in Kauf nimmt, dass er mit seinem Darlehen, seiner Beteiligung oder seinem Geschenk den Betäubungsmittelhandel ermöglicht, macht sich der vorsätzlichen Widerhandlung gemäss Ziff. 1 Abs. 7 schuldig (
BGE 111 IV 28
).
b) aa) Nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 7 BetmG
macht sich strafbar, wer den "unerlaubten Verkehr" mit Betäubungsmitteln finanziert. Wie sich aus den romanischen Gesetzestexten ergibt, wo von "trafic illicite" bzw. "traffico illecito" die Rede ist, geht es dabei um den Handel mit Betäubungsmitteln. Der Begriff "trafic" bedeutet "commerce". Abwertend versteht man darunter einen "commerce plus ou moins clandestin, immoral et illicite". Entsprechend verwendet man den Ausdruck "trafic de drogue" bzw. "narcotrafic" (Le Nouveau Petit Robert, 1993, S. 2285). "Faire le trafic des stupéfiants" bedeutet: mit Rauschgift handeln (Langenscheidts Grosswörterbuch Französisch, Teil I, 7. Aufl., 1991, S. 952). Entsprechendes gilt für die italienische Sprache (vgl. Langenscheidts Grosswörterbuch Italienisch, Teil I, 1987, S. 754). Das Betäubungsmittelgesetz geht selbst von diesem Begriffsinhalt aus: Für "in Verkehr bringt" nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG
verwendet es in den
BGE 121 IV 293 S. 296
romanischen Gesetzestexten den Ausdruck "met dans le commerce" bzw. "mette in commercio".
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 7 BetmG
erfasst somit die Finanzierung des Handels mit Betäubungsmitteln.
bb) E. erwarb mit dem vom Beschwerdeführer empfangenen Geld Drogen für den Eigenkonsum. Ein derartiger Erwerb stellt keinen Handel dar. Wer als Konsument eine Sache kauft, treibt nicht damit Handel. Der Beschwerdeführer hat sich deshalb nicht nach
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 7 BetmG
strafbar gemacht. Mit Drogenhändlern hatte er keinen Kontakt. Zwar gelangte das dem E. übergebene Geld später in die Hände von Drogenhändlern. Das genügt jedoch nicht für die Annahme einer Finanzierung des Betäubungsmittelhandels (vgl. PETER ALBRECHT, Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, Sonderband Betäubungsmittelstrafrecht, Bern 1995, Art. 19 N. 76 und Art. 19a N. 33). Wer einem andern Geld gibt, damit dieser im Lebensmittelgeschäft etwas einkaufe, finanziert nicht den Lebensmittelhandel. Das tut, wer mit Händlern in Kontakt steht und ihnen Kapital für den Handel zur Verfügung stellt.
Der Beschwerdeführer hat dem E. Hilfe geleistet zu dessen Widerhandlung gegen
Art. 19a Ziff. 1 BetmG
. Da es sich bei dieser Bestimmung um eine Übertretung handelt, ist die Gehilfenschaft dazu nicht strafbar (
Art. 26 BetmG
i.V.m.
Art. 104 Abs. 1 StGB
).
c) Der Beschwerdeführer ist somit schon mangels Tatbestandsmässigkeit nicht strafbar. Ob die Voraussetzungen der Notstandshilfe gegeben wären, kann daher offenbleiben.
3.
(Kostenfolgen). | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
57679f3c-65bd-4d01-8425-c982969c4ec4 | Urteilskopf
136 V 258
31. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen gegen B. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_627/2009 vom 23. Juli 2010 | Regeste
Art. 9 Abs. 1 AHVG
und
Art. 20 Abs. 3 AHVV
.
Art. 20 Abs. 3 AHVV
ist gesetzmässig (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 4).
Ein in der Schweiz wohnhafter Kommanditist einer in Deutschland domizilierten GmbH & Co. KG ist für die ihm aus der Gesellschaft zugeflossenen Einkünfte als Selbstständigerwerbender beitragspflichtig, unabhängig davon, ob er selbst in der Gesellschaft mitarbeitet oder ob er Einfluss auf die Geschäftsführung hat (E. 4.8 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 259
BGE 136 V 258 S. 259
A.
Der deutsche Staatsangehörige B. wohnt seit 2001 in der Schweiz. Er ist Kommanditist der deutschen Firma X. GmbH & Co. KG. Das kantonale Steueramt meldete am 10. Oktober 2007 und am 13. Juni 2008 im Ausland erzieltes Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit sowie investiertes Eigenkapital für die Jahre 2003 bis 2006. Mit Nachtragsverfügungen vom 1. Juli und 5. September 2008 setzte die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen die Beiträge des B. für das Jahr 2003 auf Fr. 182'721.40, für 2004 auf Fr. 266'234.80, für 2005 auf Fr. 355'480.80 und für 2006 auf Fr. 296'294.40 fest. Am 3. Juli und am 11. August 2008 verfügte sie des Weitern Verzugszinse in der Höhe von Fr. 22'345.55 und von Fr. 66'689.75. An diesen Verfügungen hielt sie mit Einspracheentscheid vom 24. September 2008 fest.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 8. Juni 2009 gut und hob den Einspracheentscheid vom 24. September 2008 auf. Zur Begründung führte es an, der Beschwerdeführer leiste mit seiner Beteiligung als Kommanditist der deutschen X. GmbH & Co. KG keinen persönlichen Einsatz, der in einem relevanten Zusammenhang mit den ihm zufliessenden Einkünften stehe. Es handle sich um blosse Vermögensverwaltung. Der Beteiligungsgewinn komme einem Kapitalertrag gleich, auf welchem keine sozialversicherungsrechtlichen Beiträge geschuldet seien.
C.
Die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei der Einspracheentscheid vom 24. September 2008 zu bestätigen.
BGE 136 V 258 S. 260
Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. B. lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) deren Gutheissung beantragt.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Im Streit liegt, ob die in betraglicher Hinsicht nicht bestrittenen Einkünfte des Beschwerdegegners, welche er in den Jahren 2003 bis 2006 als Kommanditist der X. GmbH & Co. KG erzielte, als selbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 AHVG
und
Art. 20 Abs. 3 AHVV
(SR 831.101) zu qualifizieren sind. Die Beteiligten sind sich darin einig, dass sich die Beitragspflicht aufgrund der Beteiligung des in der Schweiz wohnhaften und in der Schweiz zuletzt unselbstständig erwerbstätigen Beschwerdegegners an einer deutschen Kommanditgesellschaft allein nach schweizerischem Recht richtet (Art. 13 Abs. 2 lit. b, Art. 14a Abs. 2 und Art. 14c der Verordnung [EWG] Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern [SR 0.831.109.268.1] in Verbindung mit
Art. 153a Abs. 1 lit. a AHVG
und mit dem am 1. Juni 2002 in Kraft getretenen Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit [Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681]). Vor Inkrafttreten des FZA galt das Abkommen vom 25. Februar 1964 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit (SR 0.831.109.136.1), welches in Art. 5 eine Kollisionsregel enthalten hatte, wonach der Arbeitsort bzw. das Erwerbsortsprinzip massgeblich gewesen waren und somit in der vorliegenden Konstellation das deutsche Recht anwendbar gewesen war, soweit es um die einzig strittige sozialversicherungsrechtliche Qualifikation der aus der Beteiligung an der deutschen Kommanditgesellschaft erzielten Einkünfte ging (Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 60/80 vom 27. November 1980 E. 1, in: ZAK 1981 S. 517, und H 280/92 vom 4. August 1993, in: AHI 1994 S. 134). Schliesslich stimmen die Beteiligten auch darin überein, dass es sich bei der Kommanditgesellschaft X. GmbH & Co. KG nicht um eine juristische Person, sondern um eine Personengesellschaft handelt (vgl.
BGE 136 V 258 S. 261
BAUMBACH/HOPT/MERKT, Handelsgesetzbuch [HGB], 34. Aufl. 2010, N. 1 zu § 124 HGB, N. 2 und 10 zu § 161 HGB).
2.2
2.2.1
Gemäss
Art. 4 Abs. 1 AHVG
werden die Beiträge der erwerbstätigen Versicherten in Prozenten des Einkommens aus unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit festgesetzt. Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit ist jedes Erwerbseinkommen, das nicht Entgelt für in unselbstständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt (
Art. 9 Abs. 1 AHVG
). Den Begriff des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit konkretisiert
Art. 17 AHVV
(in der hier anwendbaren Fassung gemäss Änderung vom 1. März 2000, in Kraft seit 1. Januar 2001, i.V.m. Abs. 1 SchlBest. der Änderung) wie folgt:
"Als Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 AHVG gelten alle in selbstständiger Stellung erzielten Einkünfte aus einem Handels-, Industrie-, Gewerbe-, Land- und Forstwirtschaftsbetrieb, aus einem freien Beruf, sowie aus jeder anderen selbstständigen Erwerbstätigkeit, einschliesslich der Kapital- und Überführungsgewinne nach Artikel 18 Absatz 2 DBG [SR 642.11] und der Gewinne aus der Veräusserung von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken nach Artikel 18 Absatz 4 DBG, mit Ausnahme der Einkünfte aus zu Geschäftsvermögen erklärten Beteiligungen nach Artikel 18 Absatz 2 DBG."
2.2.2
Nicht unter den Begriff der selbstständigen Erwerbstätigkeit im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 AHVG
und
Art. 17 AHVV
fällt die blosse Verwaltung des eigenen Vermögens; der daraus resultierende reine Kapitalertrag unterliegt daher nicht der Beitragspflicht. Gleiches gilt in Bezug auf Gewinne aus privatem Vermögen, welche in Ausnützung einer zufällig sich bietenden Gelegenheit erzielt worden sind. Anderseits stellen Kapitalgewinne aus der Veräusserung oder Verwertung von Gegenständen des Privatvermögens, wie Wertschriften oder Liegenschaften, auch bei nicht buchführungspflichtigen (Einzel-)Betrieben, Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit dar, wenn und soweit sie auf gewerbsmässigem Handel beruhen (
BGE 134 V 250
E. 3.1 S. 253;
BGE 125 V 383
E. 2a S. 385 mit Hinweisen; Urteil 9C_551/2008 vom 16. Januar 2009 E. 2.1).
2.2.3
Art. 20 Abs. 3 AHVV
in der ab 1. Januar 1996 in Kraft stehenden Fassung lautet:
"Die Teilhaber von Kollektiv- und Kommanditgesellschaften sowie von anderen auf einen Erwerbszweck gerichteten Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit haben die Beiträge von ihrem Anteil am Einkommen der Personengesamtheit zu entrichten."
BGE 136 V 258 S. 262
Nach der geltenden Regelung und der gestützt darauf ergangenen Rechtsprechung sind sämtliche Teilhaber von Kollektiv- und Kommanditgesellschaften für ihre Anteile am Einkommen der Personengesamtheit der Beitragspflicht aus selbstständiger Erwerbstätigkeit unterstellt (
BGE 121 V 80
E. 2a S. 82;
BGE 114 V 72
E. 4 S. 75 ff.;
BGE 105 V 4
E. 2 S. 7; Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 68/85 vom 25. April 1986, in: ZAK 1986 S. 459; H 233/84 vom 31. Mai 1985, in: ZAK 1985 S. 523; H 147/84 vom 15. März 1985, in: ZAK 1985 S. 316; H 60/80 vom 27. November 1980 E. 2b, in: ZAK 1981 S. 519; H 72/79 vom 8. November 1979, in: ZAK 1980 S. 222).
3.
3.1
Die Vorinstanz stellte für das Bundesgericht verbindlich fest, dass die deutsche X. GmbH & Co. KG eine grosse, international tätige Unternehmung mit Sitz in Deutschland ist, in der der Beschwerdegegner im streitigen Zeitraum 2003 bis 2006 Teilhaber (Kommanditist) war, und dass diese Unternehmung einen erwerblichen Zweck verfolgt. Ferner stellte sie fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner weder Mitglied der Geschäftsführung noch des Beirates der Komplementärin ist und dass ein Widerspruchsrecht der Kommanditisten gesellschaftsvertraglich wegbedungen worden ist.
Unter Berufung auf die Angaben des Beschwerdegegners und des in den Akten liegenden Gesellschaftsvertrags stellte die Vorinstanz sodann fest, dass bei der Firma X. GmbH & Co. KG eine juristische Person - eine GmbH - als Komplementärin vorgesehen sei. Die Vorinstanz erwog, dies sei nach deutschem Recht im Unterschied zum schweizerischen Recht möglich, nach welch letzterem die Komplementärin zwingend eine natürliche Person sein müsse (
Art. 594 Abs. 2 OR
). Als Folge der Ausgliederung bzw. der "Vorverschiebung" einer mit sämtlichen Entscheidbefugnissen ausgestatteten juristischen Person (als Komplementärin) habe der Beschwerdegegner als Kommanditist keine Möglichkeit, Einfluss auf die Betriebsführung zu nehmen, dies nicht einmal für Handlungen, die über den gewöhnlichen Betrieb hinausgingen. Der personenbezogene Charakter der (kleinen) Kommanditgesellschaft nach schweizerischem Recht, welcher für das Bundesgericht in erster Linie Anlass gewesen sei, die blosse Kapitaleinlage der Kommanditäre als Erwerbstätigkeit zu qualifizieren, werde in der vorliegenden Konstellation weitgehend in den Hintergrund gedrängt. Kapitalbezogene Elemente der Unternehmensstruktur würden hier bei dem grossen länderübergreifenden Firmenkonglomerat die Oberhand gewinnen. Die Stellung des Beschwerdegegners in der
BGE 136 V 258 S. 263
Unternehmung entspreche somit im Ergebnis derjenigen eines Kapitalgebers/Aktionärs.
3.2
Die Beschwerde führende Ausgleichskasse vertritt die Auffassung, dass kein reiner Kapitalertrag, sondern ein beitragspflichtiger Gewinnanteil eines Personengesellschafters vorliege. Gegen einen reinen Kapitalertrag würden nur schon die hohen prozentualen Erträge sprechen; diese hätten im Jahr 2003 16 %, im Jahr 2004 21 %, im Jahr 2005 24 % und im Jahr 2006 19 % betragen. Eine Kapitalverzinsung von 16 % oder gar 24 % erscheine überhöht und könne mit einer "normalen" Kapitalanlage ohne hohe Risiken nicht erzielt werden. Nicht nur der Kommanditist nach deutschem Recht, sondern auch der Kommanditär nach schweizerischem Recht dürften keinen Einfluss auf die Geschäftsführung ausüben, insofern seien sich die beiden Personengesellschaften ähnlich: Kommanditär nach schweizerischem Recht und Kommanditist nach deutschem Recht seien gleichermassen grundsätzlich reine Kapitalgeber. Die fehlende Entscheidbefugnis könne nicht Grund dafür sein, dass der deutsche Kommanditist anders behandelt werde als der Kommanditär. Bei der Frage, ob Kapitalertrag vorliege oder nicht, spiele sodann die Grösse der Unternehmung keine Rolle. Auch der Unterschied, dass im Gegensatz zur schweizerischen Regelung betreffend die Kommanditgesellschaft nach deutschem Recht eine juristische Person als Komplementär eingesetzt werden könne, sei nicht massgebliches Kriterium für eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht. Dieser Unterschied sei lediglich im Zusammenhang mit der Minimierung der Haftungsrisiken des Komplementärs als natürlicher Person von Bedeutung.
3.3
Der Beschwerdegegner bringt vor, er sei Kapitalgeber ähnlich wie ein Aktionär in einer AG. Die Frage der Beitragspflicht der Kommanditisten nach deutschem Recht stelle sich erst seit Inkrafttreten der Verordnung (EWG) 1408/71. Der Kommanditist einer deutschen GmbH & Co. KG könne nicht mit einem Kommanditär einer schweizerischen Kommanditgesellschaft verglichen werden. Beim Kommanditisten seien - wie auch bei der neuen schweizerischen Kommanditgesellschaft für kollektive Kapitalanlagen (
Art. 9 und 98 ff. des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2006 über die kollektiven Kapitalanlagen [Kollektivanlagengesetz, KAG; SR 951.31]
in Kraft seit 1. Januar 2007) die beiden Funktionen der Geschäftsführung und der Kapitalgewährung bewusst und strikt voneinander getrennt. Er habe in der Funktion als Kommanditist keine Möglichkeit, auf die
BGE 136 V 258 S. 264
Geschäftsführung einzuwirken und trage dementsprechend auch kein über seine Kommandite hinausgehendes Risiko. Auch für die Eidg. Steuerverwaltung sei bei der steuerlichen Qualifikation der Kommanditäre entscheidend, ob der Kommanditär Einfluss auf die Geschäftsführung der Komplementärin nehmen könne oder nicht.
4.
4.1
Art. 20 Abs. 3 AHVV
ist vom Eidg. Versicherungsgericht in konstanter Rechtsprechung als gesetzmässig betrachtet worden (
BGE 131 V 97
E. 4.3.3 S. 103;
BGE 105 V 8
E. 3; Urteil H 68/85 vom 25. April 1986 E. 4a mit weiteren Hinweisen, in: ZAK 1986 S. 460; H 116/97 vom 16. September 1997). Der Beschwerdegegner wirft nun aber die Frage der Gesetzmässigkeit von
Art. 20 Abs. 3 AHVV
auf. Er stellt sich auf den Standpunkt, es liege keine "Erwerbstätigkeit" im Sinne des Gesetzes vor. Es sei nicht haltbar, dass alleine aus seiner Eigenschaft als Kapitalgeber gestützt auf
Art. 20 AHVV
eine "Erwerbstätigkeit" abgeleitet werde.
4.2
Eine Auslegung von
Art. 20 Abs. 3 AHVV
nach dem Wortlaut ergibt vorerst klar, dass es sich bei der Firma X. GmbH & Co. KG um eine Kommanditgesellschaft oder eine "auf einen Erwerbszweck gerichtete Personengesamtheit ohne juristische Persönlichkeit" handelt. Es ist nicht ersichtlich und wird auch nicht behauptet, dass die vorliegende Gesellschaft diese Kriterien nicht erfüllt.
4.3
Die Entstehungsgeschichte von
Art. 20 Abs. 3 AHVV
zeigt Folgendes:
In der ursprünglichen Fassung von
Art. 20 Abs. 3 AHVV
hatten die Teilhaber von Kollektivgesellschaften,
die unbeschränkt haftenden Teilhaber von Kommanditgesellschaften
und die Teilhaber anderer auf einen Erwerbszweck gerichteten Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit Beiträge von dem gemäss
Art. 17 lit. c AHVV
berechneten Anteil am Einkommen der Personengesamtheiten zu bezahlen. In einem 1974 ergangenen Gesamtgerichtsentscheid (
BGE 100 V 140
E. 3) präzisierte das Eidg. Versicherungsgericht die Beitragspflicht der Kommanditäre als Selbstständigerwerbende. Dabei wurde grundsätzlich an der bisherigen Praxis der beitragsrechtlichen Erfassung der Gewinnanteile von Teilhabern an Kommanditgesellschaften festgehalten. Die Rechtsprechung bezüglich der ausnahmsweisen Beitragspflicht des Kommanditärs als Selbstständigerwerbender sei zudem, so das Gericht damals, in dem Sinne zu bestätigen und zu präzisieren, dass als massgebende Kriterien hiefür der
BGE 136 V 258 S. 265
Umfang der im Einzelfall bestehenden Dispositionsbefugnis und des Geschäftsrisikos zu gelten habe. Der von der bisherigen Rechtsprechung ebenfalls verwendete Begriff des "Einsatzes mit der Person" komme demgegenüber lediglich die Bedeutung eines zusätzlichen Abgrenzungskriteriums zu in Fällen, in welchen der Kommanditär ohne entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung eine massgebende Stellung in der Gesellschaft einnehme. Das Gericht verkannte in jenem Entscheid im Jahre 1974 nicht, dass die bisherige Praxis mit Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden gewesen war, die de lege ferenda eine einfachere Regelung als wünschenswert erscheinen liessen. Weiter führte das Gericht aus, angesichts der sich aus den
Art. 17 lit. c und 20 Abs. 3 AHVV
ergebenden Ordnung, welche nicht als gesetzeswidrig erachtet werden könne, sei es dem Gericht verwehrt, diesem Umstand durch Änderung der Rechtsprechung Rechnung zu tragen. Bereits 1974 wurde somit die grundsätzliche Gesetzeskonformität der Beitragspflicht von Kommanditären höchstrichterlich festgestellt.
In der ab 1. Januar 1976 geltenden neuen Formulierung von
Art. 20 Abs. 3 AHVV
hatte der Verordnungsgeber die Beitragspflicht der unbeschränkt haftenden Teilhaber der Kommanditgesellschaft (= den Komplementären) auf alle Teilhaber, also auf die Kommanditäre ausgedehnt (ZAK 1974 S. 446 ff., insbesondere S. 448). Die Ausweitung der Beitragspflicht auch auf die Kommanditäre, die "als solche(r) zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft weder berechtigt noch verpflichtet" sind (
Art. 600 Abs. 1 OR
), war durch die Aufsichtsbehörden in ZAK 1974 S. 448 f. wie folgt erläutert worden:
"Der Kommanditär ist Teilhaber der Kommanditgesellschaft. Das Einkommen, das ihm als Gesellschafter zufliesst, insbesondere der Gewinnanteil, gehört deshalb zu den aus selbstständiger Erwerbstätigkeit, wie das des Komplementärs (...). Die bisherige Regelung, wonach der nicht mitarbeitende Kommanditär lediglich als Kapitalgeber betrachtet wird, entsprach dessen rechtlicher und wirtschaftlicher Stellung nicht. Die Neuregelung tritt erst am 1. Januar 1976 in Kraft."
Der ab 1976 geltende
Art. 20 Abs. 3 AHVV
lautete:
"Die Teilhaber von Kollektiv- und Kommanditgesellschaften sowie von anderen auf einen Erwerbszweck gerichteten Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit haben die Beiträge von dem gemäss Artikel 17 Buchstabe c berechneten Anteil am Einkommen der Personengesamtheiten zu entrichten."
Art. 17 lit. c AHVV
verwies auf
Art. 18 Abs. 2 AHVV
: 6,5 % ist Grenze (in Kraft ab 1. Januar 1992).
BGE 136 V 258 S. 266
Die seit dem 1. Januar 1996 in Kraft stehende Fassung von
Art. 20 Abs. 3 AHVV
behält das Prinzip der generellen Beitragspflicht aus selbstständiger Erwerbstätigkeit gleichermassen für "die Teilhaber von Kollektiv- und Kommanditgesellschaften sowie von anderen auf einen Erwerbszweck gerichteten Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit" bei. Neu wird der Anteil am Einkommen der Personengesamtheit nicht mehr in Prozentzahlen beziffert, sondern in allgemeiner Form formuliert, wonach Beiträge "von ihrem Anteil am Einkommen der Personengesamtheit" zu entrichten sind.
4.4
Diese Entstehungsgeschichte des
Art. 20 Abs. 3 AHVV
zeigt, dass seit Anfang 1976 eine generelle und konstante Beitragspflicht der Kommanditäre bestanden hat und besteht. Grundgedanke dieser Beitragspflicht war und ist, dass der Kommanditär - anders als ein blosser Kapitalgeber - direkt, ähnlich dem Komplementär, am Gesellschaftsgewinn teilnimmt.
4.5
Auch aus gesetzessystematischer Sicht ergibt sich nichts Gegenteiliges: Weder die offene Formulierung in
Art. 9 Abs. 1 AHVG
, wonach Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit
jedes
Erwerbseinkommen ist, das nicht Entgelt für in unselbstständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt, noch
Art. 17 AHVV
, welcher die Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit näher umschreibt, stehen
Art. 20 Abs. 3 AHVV
entgegen. Auch ist nicht ersichtlich, dass
Art. 18 DBG
in Widerspruch stünde zu
Art. 20 Abs. 3 AHVV
(vgl. auch
Art. 10 Abs. 1 DBG
).
4.6
Schliesslich ist die Beitragspflicht der Kommanditäre auch mit dem Sinn und Zweck von
Art. 20 Abs. 3 AHVV
zu begründen. Entsprechend seiner wirtschaftlichen Stellung in der Gesellschaft nimmt der Kommanditär als solcher direkt am wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft teil. Wer sich als Teilhaber einer Kommanditgesellschaft anschliesst, nimmt nicht in erster Linie eine private Vermögensanlage vor (
BGE 105 V 4
; Urteil H 60/80 vom 27. November 1980, in: ZAK 1981 S. 517).
4.7
Art. 20 Abs. 3 AHVV
steht auch im Einklang mit dem Zivilrecht, was für die AHV zwar nicht unbedingt ausschlaggebend, aber im Sinne der Einheit der Rechtsordnung soweit möglich anzustreben ist. Zivilrechtlich ist man entweder Einzelfirma oder Mitglied einer Personengesellschaft und damit Selbstständigerwerbender; oder man ist an einer juristischen Person beteiligt und ist dann blosser Kapitalgeber und/oder allenfalls unselbstständigerwerbender Angestellter der
BGE 136 V 258 S. 267
juristischen Person. Erst in letzter Konstellation muss im Einzelfall geprüft werden, wie viel als Dividende und wie viel als Lohn gemäss
BGE 134 V 297
, auf den sich das kantonale Gericht beruft, zu qualifizieren ist. Es ist daher sinnvoll, wenn der Verordnungsgeber auf die zivilrechtliche Regelung abstellt.
4.8
Die Gesetzmässigkeit von
Art. 20 Abs. 3 AHVV
ist vom Eidg. Versicherungsgericht und vom Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung bejaht worden (
BGE 121 V 80
E. 2a S. 81 f.; Urteil H 167/87 vom 25. April 1988 E. 3, nicht publ. in:
BGE 114 V 72
, aber in: ZAK 1988 S. 455;
BGE 105 V 4
; Urteile H 68/85 vom 25. April 1986 E. 4a, in: ZAK 1986 S. 460; H 147/84 vom 15. März 1985, in: ZAK 1985 S. 316; H 60/80 vom 27. November 1980 E. 2a, in: ZAK 1981 S. 519; H 72/79 vom 8. November 1979 E. 1, in: ZAK 1980 S. 223; 9C_455/2008 vom 5. November 2008 E. 5). Das Einkommen, das Gesellschaftern einer auf Gewinn ausgerichteten Personengesamtheit zufliesst, insbesondere der Gewinnanteil der Gesellschaft, gilt gestützt auf
Art. 20 Abs. 3 AHVV
- unabhängig von einer persönlichen Arbeitsleistung - als Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit. Vorbehalten bleiben Fälle von Rechtsmissbrauch. So hat die Rechtsprechung als Rechtsmissbrauch den Umstand qualifiziert, dass im Rahmen der Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft der AHV die Funktion eines reinen Finanzanlageobjekts zugedacht worden ist (
BGE 131 V 97
).
5.
Nach dem Gesagten ist
Art. 20 Abs. 3 AHVV
gesetzmässig. Es besteht daher kein Anlass, von der bisherigen langjährigen und konstanten Rechtsprechung abzuweichen. Entscheidend für die Anwendbarkeit von
Art. 20 Abs. 3 AHVV
ist damit einzig, ob es sich um eine auf einen Erwerbszweck gerichtete Personengesamtheit ohne juristische Persönlichkeit handelt. Dies trifft für die deutsche GmbH & Co. KG zu (E. 2.1 hievor). Es kommt daher nicht darauf an, wie im Einzelfall die Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft sind, ob diese eine familienbezogene Struktur hat und ob sie international tätig ist. Es braucht auch nicht geprüft zu werden, ob die im deutschen Recht vorgesehene Gesellschaftsform der GmbH & Co. KG eine mit der schweizerischen Kommanditgesellschaft vergleichbare Gesellschaftsform darstellt, da
Art. 20 Abs. 3 AHVV
nicht nur Teilhaber von Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, sondern auch Teilhaber "von anderen auf einen Erwerbszweck gerichteten Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit" aufführt. Wegen dem Erwerbszweck (vgl.
Art. 594 Abs. 1 OR
und § 161 Abs. 1 HGB) lässt sich, wie das
BGE 136 V 258 S. 268
BSV zu Recht einwendet, auch nicht ein Vergleich mit der Kommanditgesellschaft für kollektive Kapitalanlagen ziehen, deren ausschliesslicher Zweck die kollektive Kapitalanlage ist (
Art. 98 Abs. 1 KAG
). Die Beschwerde führende Ausgleichskasse hat daher zu Recht die Einkünfte des Beschwerdegegners in den Jahren 2003 bis 2006 als Kommanditist der X. GmbH & Co. KG als Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit qualifiziert. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
576a6ffd-19b9-4cf0-a1e4-102634f7c3b3 | Urteilskopf
85 IV 95
25. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Mai 1959 i.S. Meynadier & Cie. A.-G. gegen Justiz- und Polizei- departement des Kantons Wallis. | Regeste
1. Art. 21 FischG,
Art. 4 GSchG
. Verhältnis dieser Bestimmungen zueinander (Erw. 1).
2. Deliktsfähigkeit der juristischen Personen.
a) Die Strafdrohung des
Art. 15 Abs. 1 GSchG
richtet sich nur gegen natürliche Personen; juristische Personen können wegen Widerhandlungen gegen das GSchG nicht bestraft werden (Erw. 2).
b) Die allgemeinen Bestimmungen des StGB schliessen in ihrem Anwendungsbereich die strafrechtliche Verurteilung juristischer Personen aus (Erw. 2 Abs. 4). | Sachverhalt
ab Seite 96
BGE 85 IV 95 S. 96
A.-
Im Mai 1957 waren Arbeiter des Bauunternehmens Meynadier & Cie. A.-G. damit beschäftigt, den Erd- und Steinwall des Ausgleichsbeckens Fionnay durch Einspritzen von Zementmilch abzudichten. Dabei floss ein Teil des Abdichtungsmittels in die Dranse, wo es zur Vergiftung von Fischen führte.
B.-
Mit Strafbefehl vom 7. Februar 1958 verurteilte das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Wallis die Firma Meynadier & Cie. A.-G. wegen Widerhandlung gegen Art. 21 des BG betreffend die Fischerei vom 21. Dezember 1888 (FischG) zu einer Busse von Fr. 200.--.
Der Staatsrat des Kantons Wallis bestätigte als Rekursinstanz am 7. Februar 1959 den Entscheid des Justiz- und Polizeidepartementes.
C.-
Die Gebüsste führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrage, der Entscheid des Staatsrates sei aufzuheben. Zur Begründung wird vor allem geltend gemacht, die Deliktsfähigkeit der juristischen Personen sei auch auf dem Gebiete des Polizei- und Verwaltungsstrafrechtes nicht allgemein anerkannt und bestehe nur insoweit, als sie durch Gesetzesvorschriften ausdrücklich bejaht werde; eine solche Bestimmung bestehe mit Bezug auf die Straftatbestände des Fischereigesetzes jedoch nicht.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Die in der angefochtenen Entscheidung beurteilte Tat ist im Mai 1957 begangen worden. Damals galt Art. 21
BGE 85 IV 95 S. 97
FischG, auf den sich die Verurteilung der Beschwerdeführerin stützt, jedoch nicht mehr, da er durch Art. 16 des BG vom 16. März 1955 über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (GSchG), das am 1. Januar 1957 in Kraft trat (vgl. Beschluss des Bundesrates vom 28. Dezember 1956, AS 1956 S. 1538) aufgehoben worden ist. Die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen Widerhandlung gegen Art. 21 FischG ist daher schon aus diesem Grunde nicht haltbar. Es ist jedoch zu prüfen, ob nicht die Gebüsste wegen Übertretung von
Art. 4 GSchG
strafbar ist, der in weiterer Fassung als Art. 21 FischG u.a. untersagt, in Gewässer feste Stoffe aller Art einzuwerfen oder abzulagern, die geeignet sind, das Wasser zu verunreinigen, oder die in anderer Weise dem Schutze der Gewässer gegen Verunreinigung und andere schädliche Beeinträchtigung zuwiderlaufen.
2.
Vorsätzliche Widerhandlungen gegen das GSchG werden nach Art. 15 Abs. 1 dieses Gesetzes mit Busse bis zu Fr. 20'000.--, fahrlässige Widerhandlungen mit Busse bis zu Fr. 5000.-- bestraft. Eine Vorschrift, wonach auf Grund dieser Bestimmung auch juristische Personen gebüsst werden können, enthält das Gesetz nicht. Die Frage ist daher gemäss
Art. 15 Abs. 3 GSchG
, wonach die allgemeinen Bestimmungen des schweizerischen Strafgesetzbuches Anwendung finden, soweit das GSchG nicht selbst Vorschriften aufstellt, auf Grund jener Bestimmungen zu entscheiden, es sei denn, die strafrechtliche Haftung der juristischen Personen für Widerhandlungen gegen das GSchG werde in diesem Erlass implicite bejaht (vgl.
BGE 72 IV 190
Erw. 2;
BGE 74 IV 26
;
BGE 83 IV 125
, 177).
Dafür spricht höchstens die in den Botschaften des Bundesrates vom 28. April 1953 über die Aufnahme eines Art. 24quater in die Bundesverfassung und vom 9. Februar 1954 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung enthaltene Feststellung, dass die in Art. 31 Ziff. 2 FischG angedrohte Strafe (Busse von 50-400 Franken) sich als ungenügend
BGE 85 IV 95 S. 98
erwiesen habe, da sie wohl Einzelpersonen abzuschrecken vermöge, nicht aber grössere Unternehmungen, die es vorzögen, diese verhältnismässig bescheidene Busse zu entrichten, statt mit erheblichem Geldaufwand Reinigungsanlagen erstellen zu lassen und zu unterhalten (BBl 1953 II S. 14 lit. e; 1954 I S. 343 ad Art. 13). Diese Äusserungen haben jedoch nicht nur dann einen vernünftigen Sinn, wenn man davon ausgeht, sie setzten die Deliktsfähigkeit der juristischen Personen voraus. Sie können auch als Hinweis auf den Umstand aufgefasst werden, dass Unternehmungen erfahrungsgemäss häufig die gegen ihre Organe oder Bediensteten ausgefällten Bussen wegen Widerhandlungen, die sie im Geschäftsbetriebe begangen haben, übernehmen. Jedenfalls sind jene Äusserungen, die sich vor allem mit dem Strafrahmen und höchstens mittelbar mit dem Kreis der mit Strafe Bedrohten befassen und die juristischen Personen überhaupt nicht erwähnen, zu unbestimmt, als dass eindeutig daraus abgeleitet werden könnte, die in Lehre und Rechtsprechung umstrittene Frage der Deliktsfähigkeit der juristischen Personen habe dadurch mit Bezug auf die Widerhandlungen gegen das Gewässerschutzgesetz entschieden, nämlich bejaht werden wollen. Dieser Schluss drängt sich umso weniger auf, als der Bundesgesetzgeber, entsprechend der überwiegenden Lehrmeinung, eher dazu neigt, die Delikts- und Straffähigkeit der juristischen Personen auch für das Gebiet des Polizei- und Verwaltungsstrafrechts zu verneinen.
So hat er beispielsweise ausdrücklich mit der Begründung, in der modernen Strafrechtswissenschaft würden die juristischen Personen und Gesellschaften nicht als deliktsfähig anerkannt (BBl 1918 IV 453/4), für Widerhandlungen gegen die
Art. 38 - 42 LG
, die im Geschäftsbetriebe einer juristischen Person oder Gesellschaft begangen werden, ausschliesslich die handelnden Organe oder Gesellschafter als strafbar erklärt (
Art. 45 LG
). Eine entsprechende Regelung enthält Art. 8 des BG vom 5. Oktober 1929 über die Spielbanken. Von der Voraussetzung, dass
BGE 85 IV 95 S. 99
juristische Personen nicht deliktsfähig seien, geht ferner die in zahlreichen, neueren Erlassen enthaltene Regelung aus, wonach die Gesellschaft oder juristische Person solidarisch für die Bussen haften, die gegen ihre Gesellschafter bzw. Organe wegen Straftaten ausgefällt werden, die die Gebüssten in Ausübung der geschäftlichen Verrichtungen begehen (vgl. beispielsweise
Art. 100 Abs. 1 ZG
,
Art. 55 StG
,
Art. 56 Abs. 2 und 3 AlkG
, Art. 49 des BG vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen,
Art. 15 UWG
, Art. 60 des BG vom 22. Juni 1951 über die Arbeitslosenversicherung, Art. 9 Abs. 3 des BG vom 25. März 1954 betreffend den Schutz des Zeichens und des Namens des Roten Kreuzes, Art. 16 Abs. 4 des BG vom 26. September 1958 über die Export-Risikogarantie). Freilich sehen daneben einige Erlasse auch vor, dass bei Widerhandlungen im Geschäftsbetriebe einer juristischen Person oder Handelsgesellschaft ohne juristische Persönlichkeit die einschlägigen Strafbestimmungen auf die juristische Person oder Handelsgesellschaft Anwendung finden. Doch handelt es sich bei diesen Erlassen vor allem um ältere Gesetze, die zudem blosse Ordnungsstrafe androhen (vgl. Art. 10 des BG vom 25. Juni 1885 betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens, Art. 19 des BG vom 4. Februar 1919 über die Kautionen der Versicherungsgesellschaften, Art. 31 des BG über die Sicherstellung von Ansprüchen aus Lebensversicherungen inländischer Lebensversicherungsgesellschaften), oder um reine Fiskalgesetze (vgl. Art. 130 Abs. 4 WStB,
Art. 40 WUStB
).
Ist demnach davon auszugehen, dass die strafrechtliche Haftung der juristischen Personen für Widerhandlungen gegen das GSchG in diesem Erlass weder ausdrücklich noch implicite bejaht wird, so ist gemäss
Art. 15 Abs. 3 GSchG
die Frage, ob sich die Strafdrohung des
Art. 15 Abs. 1 GSchG
auch gegen juristische Personen richte, nach den allgemeinen Bestimmungen des StGB zu entscheiden. Diese schliessen aber in ihrem Anwendungsbereich
BGE 85 IV 95 S. 100
die strafrechtliche Verurteilung einer juristischen Person aus (HAFTER, Allg. Teil S. 72 f.; THORMANN/OVERBECK, N. 4 zu Art. 6; SCHWANDER, Das schweiz. Strafgesetzbuch, S. 56; LOGOZ, Allg. Teil S. 31). Das ergibt sich schon daraus, dass nach den allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches wegen Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen (
Art. 102 StGB
) nur strafbar ist, wer schuldhaft handelt. Zwar kommt dieser Grundsatz im Gesetz nicht unmittelbar zum Ausdruck; es sieht nur vor, dass das Gesetz es ausdrücklich bestimme, wenn ein Täter, der nicht vorsätzlich handelt, strafbar sein soll (
Art. 18 Abs. 1 StGB
). In allen diesen Fällen verlangt es jedoch wenigstens Fahrlässigkeit. Schuldfähig ist jedoch nur der einzelne Mensch, nicht eine juristische Person, da dieser naturgemäss die psychischen Eigenschaften, die Voraussetzung der Zurechnungsfähigkeit und damit der Schuldfähigkeit sind (Einsicht in das Unrecht der Tat und Fähigkeit gemäss dieser Einsicht zu handeln), fehlen. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
576f2a63-2484-4cd1-bc8e-74e42b296f38 | Urteilskopf
81 II 279
46. Arrêt de la He Cour civile du 22 septembre 1955 dans la cause Genier contre Masse en failllte Allaz. | Regeste
Gesetzliches Grundpfand der Handwerker und Unternehmer (
Art. 837 ZGB
).
Ein Unternehmer, der sein Pfandrecht nicht vor dem Konkurs des Bauherrn und Eigentümers des Grundstückes eintragen liess, kann es nicht gegen die Masse geltend machen (Bestätigung der Rechtsprechung).
Kann das Pfandrecht im Hinblick auf einen Konkurswiderruf eingetragen werden? (Frage vorbehalten). | Sachverhalt
ab Seite 279
BGE 81 II 279 S. 279
A.-
Victor Allaz est propriétaire à Lonay d'un terrain sur lequel il a fait édifier trois bâtiments. Il a confié les travaux de plâtrerie, peinture et papiers peints à Jacques Genier. Ces travaux ont été exécutés au cours des années 1953 et 1954.
Le 3 juillet 1954, Victor Allaz a obtenu un sursis concordataire de quatre mois.
Le 24 août, Genier, se fondant sur l'art. 839 CC, a demandé au Président du Tribunal de Morges d'inviter le conservateur du registre foncier à procéder à l'inscription d'une hypothèque légale du montant de 16 276 fr. destinée à garantir sa créance contre Allaz.
La faillite d'Allaz a été prononcée le 9 septembre 1954. Par ordonnance du 13 septembre, le Président du Tribunal de Morges a fait droit à la demande de Genier et fixé au demandeur un délai au 15 décembre pour introduire action aux fins de convertir l'inscription provisoire en inscription définitive.
BGE 81 II 279 S. 280
Cette décision a été confirmée par le Tribunal cantonal le 25 novembre 1954. Un recours a été interjeté contre cet arrêt par la masse auprès du Tribunal fédéral. Ce recours a été déclaré irrecevable.
B.-
La masse s'étant opposée à l'inscription définitive par le motif que cette inscription n'était plus possible à la suite de la faillite, les parties sont convenues de porter leur différend directement devant le Tribunal fédéral, le délai pour l'inscription ayant été prolongé jusqu'au 28 février 1955.
C.-
Par demande du 26 février 1955, dirigée tant contre la masse que contre Allaz personnellement, Genier a conclu à ce qu'il plaise au Tribunal fédéral:
1. le reconnaître, dès le 13 septembre 1954, au bénéfice d'une hypothèque légale d'entrepreneur, du montant de 16 276 fr. 50 plus intérêt à 5% à compter du 13 septembre 1954, sur l'immeuble pour lequel il avait fourni du travail et des matériaux;
2. dire que cette hypothèque était opposable à la masse;
3. ordonner au conservateur du registre foncier de Morges de procéder à titre définitif à l'inscription de cette hypothèque;
4. mettre les frais à la charge des défendeurs, la question des dépens étant réglée conformément à la convention de procédure du 15 février 1955.
La masse et Victor Allaz ont conclu à ce qu'il plaise au Tribunal fédéral débouter le demandeur de ses conclusions; inviter le conservateur du registre foncier du district de Morges à procéder immédiatement à la radiation de l'inscription provisoire opérée en faveur de Jacques Genier sur les immeubles de Victor Allaz; condamner le demandeur aux frais de la cause et régler la question des dépens conformément à la convention du 15 février 1955.
A l'audience préliminaire du 2 juin 1955, Genier a déclaré retirer sa demande en tant qu'elle était dirigée
BGE 81 II 279 S. 281
contre Allaz. Il l'a maintenue envers la masse en en réduisant toutefois le montant à 13 476 fr. 50 avec intérêt à 5% dès le 13 septembre 1955.
A l'audience de ce jour, les conseils des parties ont plaidé et persisté dans leurs conclusions.
Erwägungen
Considérant en droit:
... 2.- Au fond, la question qui se pose en l'espèce est celle-là même que le Tribunal fédéral avait à trancher dans la cause masse Waldvogel contre Frutiger fils, jugée le 18 novembre 1914 (RO 40 II 452 et suiv.), autrement dit celle de savoir si le droit que l'art. 837 CC confère à l'entrepreneur de requérir l'inscription d'une hypothèque en garantie de sa créance contre le maître de l'ouvrage peut être encore exercé utilement après que la faillite de ce dernier a été déclarée. La question de savoir s'il peut être exercé contre le tiers acquéreur de l'immeuble peut demeurer indécise en l'espèce. Le Tribunal fédéral a exposé de façon détaillée les motifs pour lesquels on ne pouvait ni admettre que l'entrepreneur soit au bénéfice de l'hypothèque légale avant l'inscription, ni attribuer au droit que la loi lui reconnaît de requérir cette inscription le caractère réel qui lui serait nécessaire pour pouvoir être opposé à la masse. Il ne voit pas de raisons de modifier son opinion. Comme il a été dit alors, la thèse selon laquelle l'hypothèque légale de l'entrepreneur existe déjà avant l'inscription, celle-ci n'ayant pour effet que de l'empêcher de devenir caduque à l'expiration du délai de trois mois prévu à l'art. 839 CC, n'est pas conciliable avec les principes qui régissent l'acquisition des droits de gage immobiliers en droit suisse, que rappelle du reste expressément la note marginale de l'art. 837, en opposant les hypothèques qui prennent naissance "avec inscription" et parmi lesquelles figure l'hypothèque légale de l'entrepreneur, à celles qui existent "sans inscription" (cf. WIELAND, SJZ IX p. 83; SCHEIDEGGER,
BGE 81 II 279 S. 282
ZSR N.F. 32 p. 19; SIMOND, L'hypothèque légale de l'entrepreneur en droit suisse, p. 54 et suiv.).
Il est exact que la solution à laquelle le Tribunal fédéral a été conduit dans l'arrêt masse Waldvogel contre Frutiger fils n'a pas rencontré l'adhésion unanime des auteurs ni des tribunaux. Mais les arguments qui ont été avancés à ce propos ne sont pas convaincants.
C'est à tort tout d'abord que l'on a cru pouvoir opposer à l'arrêt masse Waldvogel contre Frutiger fils la décision rendue par la Cour de droit public dans la cause Meier-Maurer contre Labhart (RO 41 I 284 et suiv.). Il s'agissait alors uniquement de savoir si l'action tendant à la reconnaissance de la créance de l'entrepreneur et à l'inscription définitive de l'hypothèque légale, provisoirement inscrite pour ce montant, devait être portée devant le tribunal du lieu de situation de l'immeuble ou devant le tribunal du domicile du maître de l'ouvrage, lorsque ces tribunaux ne se trouvaient pas dans le même canton, et la Cour a expressément relevé que cette question n'était pas préjujée par l'arrêt masse Waldvogel contre Frutiger fils. Elle a relevé en effet que même si l'inscription de l'hypothèque était nécessaire pour conférer à la prétention de l'entrepreneur le caractère d'un droit réel pourvu de tous ses effets, cette prétention pouvait néanmoins être considérée comme impliquant virtuellement ("hypothetisch"), autrement dit "en puissance", un élément de réalité suffisant pour devoir être soustrait à l'application de l'art. 59 Cst. On ne saurait donc, comme le fait notamment LEEMANN dans son commentaire (art. 837 notes 25 et suiv.), invoquer cette décision à l'appui de la thèse selon laquelle le Tribunal fédéral aurait admis lui-même le caractère réel du droit à l'inscription.
Il est clair, d'autre part, que lorsque la loi ne confère au créancier que le droit d'exiger la constitution d'un droit réel, tel que l'hypothèque, ce droit ne peut être constitué que moyennant l'accomplissement des formalités nécessaires à son existence, et que jusqu'alors le
BGE 81 II 279 S. 283
droit ne peut être pourvu d'effet réel. Faute de pouvoir considérer le droit à l'inscription comme un droit réel avant même que cette inscription ait eu lieu, on a cherché également à le définir comme un droit personnel dont les effets seraient cependant "renforcés." (cf. GUHL 'Festgabe der Jur. Fakultät Bern für das Bundesgericht, 1924, p. 149). Le Tribunal fédéral n'a pas, à l'occasion de la présente affaire, à se prononcer sur la question de savoir si l'existence de ces droits particuliers, qui tiendraient, semble-t-il, à la fois de la nature des droits réels et de celle des droits personnels, est compatible avec le système général des droits tel qu'il découle de la législation suisse. Il suffit ici de relever que pour Guhl lui-même cette théorie pourrait justifier le droit de l'entrepreneur de requérir l'inscription de l'hypothèque légale contre le tiers acquéreur de l'immeuble mais non pas permettre à l'entrepreneur de faire valoir l'hypothèque à l'encontre du créancier du maître de l'ouvrage une fois sa faillite déclarée. La faillite n'empêcherait pas, il est vrai, selon lui, l'inscription de l'hypothèque; celle-ci ne produirait effet que si la faillite venait à être révoquée. Mais, en l'espèce, les parties sont précisément d'accord pour exclure cette hypothèse, et c'est aussi bien la raison pour laquelle le demandeur, après avoir d'abord formulé ses conclusions tant contre Victor Allaz personnellement que contre la masse, ne les a plus maintenues finalement que contre cette dernière, partant évidemment de l'idée que c'est uniquement contre la masse que sa prétention pourrait présenter encore quelque intérêt.
Au regard des motifs qui précèdent, l'argument consistant à dire que cela serait aller à l'encontre du but visé par le législateur que de refuser à l'entrepreneur la possibilité de garantir sa créance une fois déclarée la faillite de son débiteur, c'est-à-dire au moment précisément où il en aurait le plus besoin (cf. HOMBERGER et MARTI, Fiches juridiques suisses, no 611), est sans valeur. Lorsque la loi est claire, ainsi qu'il en est en la matière
BGE 81 II 279 S. 284
présentement en question, le juge doit se borner à l'appliquer, sans se demander si le législateur aurait pu ou dû disposer autrement qu'il ne l'a fait. Il est possible, d'autre part, que l'entrepreneur tarde à faire valoir sa prétention pour des motifs respectables, par crainte, par exemple, d'être évincé au profit d'un concurrent plus accommodant ou d'indisposer le maître de l'ouvrage. Mais ce n'est pas une raison non plus pour étendre son droit au-delà des limites fixées par la loi.
Dispositiv
Le Tribunal fédéral prononce:
La demande est rejetée et les conclusions de la défen deresse sont admises. | public_law | nan | fr | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
576f9b53-d039-4599-acb6-b586ae19b559 | Urteilskopf
89 IV 98
20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 13. März 1963 i.S. Bernet gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen. | Regeste
Art. 25 Abs. 1 MFG. Pflichten des Vortrittsberechtigten gegenüber Fahrzeugen, die von links kommen.
Der Vortrittsberechtigte ist nicht verpflichtet, seine Geschwindigkeit zum vorneherein zugunsten Nichtberechtigter herabzusetzen, mag für ihn die Sicht nach links auch völlig verdeckt sein. Darauf Rücksicht zu nehmen, ist Sache des von links kommenden, vortrittsbelasteten Führers. | Sachverhalt
ab Seite 99
BGE 89 IV 98 S. 99
A.-
Bernet fuhr am 14. September 1959, um 17.25 Uhr, am Steuer seines Personenwagens Hillmann auf der 5,2 m breiten Tiefenackerstrasse in Altstätten von Osten her gegen die Kreuzung mit der Elsenackerstrasse. Diese ist etwa 6 m breit und mit Fussgängersteigen versehen, wird aber eher weniger befahren als die Querstrasse. Die Sicht in die linke Einmündung der Elsenackerstrasse war für Bernet durch einen hohen Lattenzaun, der das anliegende Grundstück gegen beide Strassen abgrenzt, sowie durch eine Reihe Laubbäume und Tannen verdeckt. Nach rechts war die Sicht namentlich durch einen Hag von ungefähr 1 m Höhe und durch Gartensträucher beeinträchtigt. Als Bernet die Kreuzung mit mindestens 35 km/Std. überquerte, prallte der Mopedfahrer Stieger, der die Kreuzung auf der Elsenackerstrasse durchfahren wollte, von links her gegen die Mitte seines Wagens. Stieger erlitt schwere Verletzungen, die zu seinem Tode führten. Bernet bremste erst nach dem Zusammenstoss.
B.-
Das Bezirksgericht Oberrheintal verurteilte Bernet am 25. April 1961 wegen fahrlässiger Tötung (
Art. 117 StGB
) zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 200.-- und setzte ihm zwei Jahre Probezeit.
Das Kantonsgericht St. Gallen wies am 20. November 1962 die auf Freisprechung abzielende Berufung Bernets ab. Es führte insbesondere aus, der Angeklagte sei gegenüber dem von links kommenden Mopedfahrer zwar vortrittsberechtigt gewesen, was ihn aber nicht der Pflicht enthoben habe, auch nach links zu beobachten. Dies sei erst unmittelbar vor der Einfahrt in die Kreuzung möglich gewesen. Da Bernet die Kreuzung aus einer Entfernung von etwa 40 m erkannt habe, hätte er sich wegen der mangelnden Sicht nach links gleichsam in sie hineintasten müssen. Es sei ein grober Fehler gewesen, darauf abzustellen, dass einige Sicht nach rechts bestand und dass von dort her sich kein Fahrzeug näherte, die Einmündung von links aber ausser acht zu lassen. Der Angeklagte habe deshalb Art. 25 Abs. 1 MFG verletzt.
BGE 89 IV 98 S. 100
C.-
Bernet führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er bestreitet, Art. 25 Abs. 1 MFG verletzt zu haben.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach Art. 25 Abs. 1 MFG und ständiger Rechtsprechung (
BGE 84 IV 58
Erw. 2 und dort angeführte Urteile) darf der Vortrittsberechtigte nicht in blindem Vertrauen auf den Vortritt beliebig schnell in die Strassengabelung oder -kreuzung einfahren. Auch er hat aufmerksam zu sein und die Geschwindigkeit den gegebenen Strassen- und Verkehrsverhältnissen anzupassen. Nähert er sich einer Kreuzung, so ist er seinerseits gehalten, einem gleichzeitig von rechts kommenden Fahrzeug den Vortritt zu lassen (Art. 27 Abs. 1 MFG). Damit er dieser Pflicht nachkommen kann, hat er seine Aufmerksamkeit, ausser seiner Fahrbahn, vor allem dem für ihn von rechts kommenden Verkehr zuzuwenden und namentlich die Geschwindigkeit den diesbezüglichen Sichtverhältnissen anzupassen. Dieser erhöhten Sorgfaltspflicht nach rechts entspricht eine erheblich geringere nach links. Letzterer genügt der Vortrittsberechtigte im allgemeinen, wenn er sich durch einen raschen Blick nach links vergewissert, ob er nicht durch besondere Verkehrsverhältnisse an der Ausübung des Vortrittes gehindert werde. Das ist z.B. anzunehmen, wenn ein von links kommendes Fahrzeug mit solcher Geschwindigkeit fährt, dass es dem Berechtigten den Vortritt nicht mehr gewähren kann. In einem solchen Falle hat auch der Vortrittsberechtigte nach den Vorschriften des Art. 25 Abs. 1 MFG alles vorzukehren, was zur Abwendung der von einem andern geschaffenen Gefahr geeignet und zumutbar ist. Dagegen braucht er, wie in
BGE 84 IV 59
/60 hervorgehoben wurde, seine
BGE 89 IV 98 S. 101
Geschwindigkeit nicht schon zuvor auf diese Möglichkeit einzustellen; er hat sie nur so zu mässigen, dass er in jedem Falle einem von rechts kommenden Fahrzeug den Vortritt lassen und einem von links kommenden ermöglichen kann, auf seine Fahrweise richtig zu reagieren, um ihm, dem Berechtigten, den Vortritt zu gewähren.
Das Kantonsgericht vertritt die Auffassung, die Anforderung an den Vortrittsberechtigten, einen raschen Blick nach links zu werfen, habe nur einen Sinn, wenn dieser Führer so langsam fahre, dass er in jedem Falle in der Lage sei, zweckmässig zu reagieren; daraus folge aber, dass bei schlechten Sichtverhältnissen nach links auch der Vortrittsberechtigte, gerade wegen dieser Verhältnisse, seine Geschwindigkeit herabsetzen müsse, selbst wenn dies die Sicht nach rechts nicht verlange. Diese Pflicht kann dem Vortrittsberechtigten indes gerade nach dem Urteil in
BGE 84 IV 58
ff., auf das sich das Kantonsgericht beruft, nicht auferlegt werden. Die Auffassung der Vorinstanz hätte zur Folge, dass der Vortrittsberechtigte in Fällen wie dem vorliegenden im Schrittempo fahren müsste. Damit aber würde der Rechtsvortritt als elementare Verkehrsregel entwertet, ja illusorisch. Diese Folge zeigt, dass der Berechtigte nicht verpflichtet werden kann, seine Geschwindigkeit zum vorneherein zugunsten Nichtberechtigter herabzusetzen, mag für ihn die Sicht nach links auch völlig verdeckt sein. Darauf Rücksicht zu nehmen, ist Sache des von links kommenden, vortrittsbelasteten Führers. Dieser hat nötigenfalls im Schritttempo zu fahren und sich in die Kreuzung hineinzutasten (
BGE 84 IV 112
). Das Erfordernis, einen raschen Blick nach links zu werfen, ist auch dann nicht sinnlos, wenn der Vortrittsberechtigte seine Geschwindigkeit, besondere Umstände vorbehalten, nicht im Hinblick auf Gefahren, die von dieser Seite auftauchen könnten, zu mässigen hat. Nähert sich von links ein Fahrzeug zu schnell, um ihm den Vortritt lassen zu können, so hat auch der Berechtigte alles zu unternehmen, was zur Vermeidung eines
BGE 89 IV 98 S. 102
Zusammenstosses geeignet und zumutbar ist. Kommt es trotzdem zum Zusammenstoss, trifft den Vortrittsbelasteten die ganze Verantwortung.
Indem Bernet mit 35 km/Std. in die Kreuzung einfuhr, ermöglichte er Stieger, ihm den Vortritt zu lassen. Die Geschwindigkeit des Beschwerdeführers war daher insofern nicht übersetzt.
2.
Das Kantonsgericht ist allerdings der Ansicht, der Beschwerdeführer sei selbst dann zu schnell gefahren, wenn von der Kreuzung abgesehen werde. Die Tiefenackerstrasse sei ein enges Quartiersträsschen, welches von privaten Liegenschaften mit Gartenausgängen und Garageausfahrten gesäumt werde und keine Fussgängersteige aufweise. Ein Fahrzeug müsse deshalb, namentlich wenn es von einem Ortsunkundigen geführt werde, auf dieser Strasse innert 10 m anhalten können, dürfe also höchstens mit 25 km/Std. fahren.
Welche Geschwindigkeit nach Art. 25 Abs. 1 MFG den Strassen- und Verkehrsverhältnissen angepasst sei, ist eine Rechtsfrage, die der Kassationshof frei überprüfen kann. Die Beantwortung der Frage hängt allerdings wesentlich von der Würdigung der örtlichen Verhältnisse ab, die der kantonale Richter im allgemeinen aus eìgener Wahrnehmung kennt. Der Kassationshof weicht deshalb von der Ansicht der kantonalen Instanzen über die zulässige Geschwindigkeit nur ab, wenn es sich aufdrängt. Davon kann hier nicht die Rede sein. Mag eine Geschwindigkeit von 25 km/Std. unter Verhältnissen wie den vorliegenden auch niedrig erscheinen, zumal nichts in den Akten darauf hindeutet, dass die Tiefenackerstrasse zur Zeit des Unfalls unter Verkehr gestanden habe, so hat der Kassationshof doch keinen Anlass, eine höhere Geschwindigkeit als zulässig zu erklären als das Kantonsgericht, das einen Augenschein vorgenommen hat. Bernets Geschwindigkeit von 35 km/Std. war somit nicht den gegebenen Strassenverhältnissen angepasst.
Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob
BGE 89 IV 98 S. 103
es dem Beschwerdeführer auch noch bei einer Geschwindigkeit von 40 km/Std. möglich gewesen wäre, einem gleichzeitig von rechts kommenden Fahrzeug den Vortritt zu gewähren, wie in der Beschwerde gestützt auf ein privates Gutachten behauptet wird.
3.
Ein Fehler war es auch, dass der Beschwerdeführer bei der Einfahrt in die Kreuzung keinen Blick nach links warf, um sich zu vergewissern, ob von dort her ein Fahrzeug in die Kreuzung einzufahren im Begriffe sei, mit dem es zum Zusammenstoss kommen könnte. Das hätte er tun müssen, als er freie Sicht nach links hatte, und auch tun können, da er nicht behauptet, dass ihn von rechts kommender Verkehr daran gehindert hätte. | null | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
57706c5b-2d9c-4528-8c78-f2dbbab221e4 | Urteilskopf
99 IV 178
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. November 1973 i.S. S. gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 91 Abs. 3 SVG
; Vereitelung einer Blutprobe.
Ein angetrunkener Automobilist, der einen Verkehrsunfall verursacht und sich sofort mit dem Geschädigten verständigt, ohne dass die Polizei herbeigerufen wird, muss nach dem Verlassen der Unfallstelle nicht mehr mit einer Blutprobe rechnen. | Sachverhalt
ab Seite 178
BGE 99 IV 178 S. 178
A.-
Am 3. August 1972 verliess S. um ca. 18.45 Uhr sein Büro in Biel, um die Heimfahrt anzutreten. Als er mit seinem
BGE 99 IV 178 S. 179
Auto sich einer Strassenverzweigung näherte, folgten ihm F. und N., denen die unsichere Fahrweise von S. auffiel; vor ihm fuhr K. Als dieser auf der erwähnten Kreuzung nach links abbiegen wollte, musste er wegen vortrittsberechtigtem Verkehr anhalten. Ohne zu bremsen, fuhr darauf S. in das Heck des Wagens von K.
Nach dem Zusammenstoss begab sich S. sofort zu K., dem er eine schriftliche Schuldanerkennung gab und den er dazu veranlassen konnte, auf den Beizug der Polizei zu verzichten, da er angetrunken war. Dann verliess er im Einverständnis von K. die Unfallstelle und fuhr an seinen ca. 900 m entfernten Wohnort.
Um 19.30 Uhr avisierte K. trotzdem die Polizei. Zwei Polizeibeamte begaben sich an die Adresse von S., der trotz mehrmaligem Läuten an der Hausglocke die Türe nicht öffnete. Er hatte nach seiner Ankunft zu Hause u.a. 3,5 dl Bier und 2 Ricards zu sich genommen. Dann war er zu Bett gegangen und hatte die Polizei nicht gehört.
B.-
Am 30. April 1973 verurteilte der a.o. Gerichtspräsident III von Biel S. u.a. wegen Vereitelung der Blutprobe zu 10 Tagen Gefängnis und einer Busse von 200 Franken.
Auf Appellation hin bestätigte das Obergericht des Kantons Bern den erstinstanzlichen Schuldspruch und bestrafte S. mit 20 Tagen Gefängnis.
C.-
S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Entgegen der Auffassung des Obergerichts musste S. nicht mit dem Eingreifen der Polizei rechnen, nachdem er sich mit dem geschädigten Automobilisten verständigt und die Unfallstelle verlassen hatte. Die Vorinstanz ist der Auffassung, Drittpersonen, die die Angetrunkenheit des Beschwerdeführers bemerkt hatten - insbesondere die beiden Autolenker F. und N., die vor dem Unfall hinter ihm fuhren -, hätten ihn verzeigen können. Es kommt zwar tatsächlich nicht selten vor, dass ein Automobilist, der im Zickzack fährt, von anderen Strassenbenützern bei der Polizei angezeigt wird. Im vorliegenden Fall sind denn auch die Zeugen F. und N. auf die unsichere Fahrweise des Beschwerdeführers aufmerksam geworden. Sie haben aber auch gesehen, wie dieser nach dem Unfall sich zum Geschädigten
BGE 99 IV 178 S. 180
begab. In einem solchen Fall ist es ungewöhnlich, dass Drittpersonen aus eigener Initiative die Polizei herbeirufen. Sie überlassen es in der Regel dem Geschädigten, die ihm notwendig erscheinenden Massnahmen zu treffen, sofern er dazu noch in der Lage ist oder nicht jemand anderen damit beauftragt. Aus diesem Grund musste der Beschwerdeführer, der sich mit K. verständigt hatte, im vorliegenden Fall nicht mit einer Verzeigung rechnen. Das Risiko, dass im Verlauf der zweiten Phase, d.h. nachdem S. den Unfallort mit dem Einverständnis von K. verlassen hatte, plötzlich ein Polizeibeamter auftauchen und eine Kontrolle vornehmen könnte, durfte ausser acht gelassen werden. Als deshalb S., zu Hause angelangt, alkoholische Getränke zu sich nahm, musste er nicht mit einer Blutentnahme als realer Wahrscheinlichkeit rechnen (
BGE 95 IV 148
E. 2). Er wurde daher zu Unrecht wegen Vereitelung einer Blutprobe im Sinne von
Art. 91 Abs. 3 SVG
verurteilt. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
5775ef09-53ef-4e32-9370-1b5134cdfaed | Urteilskopf
108 II 254
53. Extrait du jugement de la IIe Cour civile du 30 septembre 1982 dans la cause Caisse de prévoyance en faveur du personnel de la Banque Leclerc et Cie contre Banque Leclerc et Cie en liquidation concordataire (procès direct) | Regeste
Ertragsgarantie für Vermögensanlagen einer Personalfürsorgestiftung.
1. Die Ertragsgarantie des Stifters zugunsten der Stiftung ist eine Widmung von Vermögen zu Stiftungszwecken; als solche kann sie nicht Gegenstand eines widerrufbaren Schenkungsversprechens bilden (E. 3).
2. Wenn die Liquidatoren das Personal einer Bank im Liquidationsvergleich wiederanstellen und sich dabei ausdrücklich auf den alten Arbeitsvertrag beziehen, so übernehmen sie damit auch die Verpflichtungen des Arbeitgebers, die sich aus der Ertragsgarantie ergeben. Diese Verpflichtungen sind deshalb von der Bewilligung der Bank- oder Nachlassstundung an Masseschulden (E. 4).
3. Enthält das Reglement keinen Vorbehalt in bezug auf die Qualität der Anlagen, so wird der Stifter von seiner Verpflichtung aus der Ertragsgarantie selbst dann nicht entbunden, wenn die Stiftungsorgane eine riskante Anlage in Immobilien tätigen (E. 5b).
4. Im vorliegenden Fall unterliegt die Ertragsgarantie nicht der Regel von
Art. 21 Abs. 2 VNB
, wonach die während des Nachlassstundungsverfahrens auf den nicht pfandgesicherten Forderungen auflaufenden Zinsen als nachgelassen gelten (E. 5c). | Sachverhalt
ab Seite 255
BGE 108 II 254 S. 255
A.-
La Caisse de prévoyance en faveur du personnnel de la Banque Leclerc et Cie (ci-après: la Caisse) est une fondation au sens des
art. 80 ss CC
. Elle a été constituée par acte authentique du 22 février 1950 et inscrite au registre du commerce de Genève le 6 mars 1950. Elle a pour but d'assurer le personnel de la Banque Leclerc et Cie, fondatrice, (ci-après: la Banque) et ses ayants droit contre les conséquences économiques résultant de la vieillesse, de l'invalidité et du décès.
A la suite d'une intervention de la Commission fédérale des banques, la Banque Leclerc et Cie, société en commandite, a fermé ses guichets le 6 mai 1977. Le 9 mai, elle a saisi la Cour de justice de Genève d'une requête en sursis bancaire à laquelle il a été donné suite le 10 mai 1977. Le 6 juillet 1977, la Commission fédérale des banques a retiré à Leclerc et Cie l'autorisation d'exercer des activités bancaires et ordonné sa liquidation. Le 8 juillet, Leclerc et Cie a déposé une requête de sursis concordataire, renonçant ainsi au sursis bancaire précédemment sollicité. Par arrêt du 13 juillet 1977, la Cour de justice lui a octroyé un sursis de six mois, ultérieurement prolongé au 5 mai 1978. A cette date, les
BGE 108 II 254 S. 256
commissaires au sursis ont déposé un rapport accompagné d'un projet de concordat par abandon d'actifs, que la Cour de justice a homologué par arrêt du 23 novembre 1978, communiqué à la Banque le 1er décembre suivant.
B.-
L'entrée en liquidation de la Banque n'a pas entraîné le congédiement immédiat de l'ensemble de son personnel affilié à la Caisse de prévoyance. Une trentaine d'employés furent réengagés par les commissaires au sursis pour les besoins de la liquidation. Le 30 août 1977, les commissaires écrivirent à ce sujet aux personnes concernées, précisant pour chacune sa fonction, son traitement, la durée du contrat, en principe indéterminée, ainsi que l'entrée en vigueur de celui-ci fixée au 1er août 1977. Ils ajoutaient dans la même lettre: "Pour le surplus, les termes de votre contrat actuel avec la banque et, subsidiairement, les dispositions légales en matière de contrat de travail restent applicables." Le "contrat actuel" disposait notamment ce qui suit:
"Caisse de Prévoyance: La cotisation de 7% est déduite des salaires mensuels, les statuts et règlements vous seront délivrés séparément."
Parallèlement, les commissaires au sursis ont décidé, avec le conseil de fondation de la Caisse, que le personnel en activité continuerait à cotiser et à bénéficier de la couverture des risques assurés par ladite Caisse. Aussi la Caisse fit-elle parvenir aux employés de la Banque une circulaire datée du 22 septembre 1977, à laquelle les commissaires donnèrent leur accord exprès, dans laquelle on peut lire notamment ce qui suit:
"Lors de sa séance du 6 août 1977, le Conseil de Fondation a proposé de conserver le statu quo en ce qui concerne les déductions opérées sur les salaires des employés. (...)"
C.-
Aux termes de l'art. 4 de l'acte de fondation de la Caisse, les ressources de cette dernière se composent d'un capital initial de 10'000 francs versés par la fondatrice, des versements de la fondatrice qui ne peuvent être inférieurs aux retenues de salaire du personnel, des retenues de salaire elles-mêmes, ainsi que d'éventuels dons et legs. Le règlement de la Caisse, dans ses éditions successives de 1969, 1971 et 1977, précise à son tour, à l'art. 6, quelles sont les ressources de la Caisse. C'est ainsi que sont fixées, aux art. 7 à 9, les contributions des bénéficiaires adhérents, dont notamment l'obligation pour eux de verser à la Caisse une cotisation égale à 7% de leur salaire de base. L'art. 10 fixe les contributions ordinaires de la Banque; outre une contribution mensuelle égale à 9% du salaire de
BGE 108 II 254 S. 257
base du bénéficiaire adhérent, il prévoit, à son dernier alinéa, que "la Banque garantit un rendement de 5 1/2% des placements de la caisse". Fixée dans l'édition de 1969 à 5%, cette garantie de rendement a été portée à 5,5% dès 1971. Le règlement de 1977, notamment, a été soumis, le 22 février 1977, à l'autorité de surveillance, qui n'a pas fait d'observations à son sujet.
D.-
Lors d'une assemblée extraordinaire du 30 octobre 1973, le conseil de fondation proposa l'achat d'un immeuble par la Caisse. Celle-ci devrait utiliser ses liquidités à cette fin et, dès l'achat, la Banque n'assurerait plus le rendement de 5 1/2% sur la part des liquidités consacrées à cette opération. Il s'agissait plus précisément d'acquérir une part de promotion dans un immeuble à construire à Luserna, part qui ne devait pas excéder le quart de la fortune de la Caisse. Le rendement d'exploitation, difficile à évaluer d'une façon exacte, était estimé à 8%, la part de promotion étant acquise à 100%. Après quelques hésitations, l'assemblée accepta la proposition de son conseil de fondation d'acheter, dans un premier temps, une part de promotion débouchant sur l'acquisition d'un immeuble à Luserna. L'opération se révéla malheureuse. Le plan de financement, budgeté à 27 millions, fut porté à 35'735'000 francs, soit une augmentation de 32%. Les appartements ne se vendirent pas sur plan comme prévu; en outre, les locaux se louaient mal, de sorte que l'immeuble ne trouvait pas acquéreur.
E.-
Dans son rapport relatif à la vérification des comptes annuels de la Caisse arrêtés au 31 décembre 1976, la fiduciaire mandatée a relevé, à propos de l'investissement de la Caisse dans l'immeuble Luserna:
"Nous avons (...) à faire à un investissement sans rendement et de ce fait la Caisse de prévoyance a le droit de se prévaloir de la garantie prévue à l'art. 10 litt c) de son règlement entré en vigueur, à l'époque, avec effet rétroactif au 1er janvier 1971.
En l'état actuel des choses, nous considérons comme nulle la décision de l'assemblée extraordinaire des membres de la Caisse du 30 octobre 1973 par laquelle ladite assemblée avait relevé la banque fondatrice de son obligation d'assurer un rendement de 5 1/2% sur ce placement en particulier, ce qui est en contradiction flagrante avec l'engagement général de la banque fondatrice selon l'article 10 litt. c) déjà mentionné. Cette exception n'a pas non plus été soumise à l'Autorité de Surveillance pour approbation. La Caisse se trouve ainsi lésée d'un montant de revenu de Fr. 357'000.-- en chiffre rond, qui ne figure pas dans les comptes arrêtés au 31 décembre 1976."
Le Service de surveillance des fondations, tenu au courant de ces observations, écrivit à la Caisse le 12 janvier 1978 que les remarques
BGE 108 II 254 S. 258
de l'organe de contrôle lui paraissaient tout à fait pertinentes au vu de la garantie de rendement assumée par la Banque selon l'art. 10 in fine du règlement de la Caisse.
Ces pièces ayant été soumises aux commissaires au sursis concordataire de la Banque, ceux-ci écrivirent à la Caisse, le 10 février 1978:
"Concerne: garantie d'un rendement de 5 1/2% (...) Les pièces remises (...) nous ont convaincus du bien-fondé du principe de la réclamation. Toutefois, (...) il vous appartient de compléter la production de la Caisse par le montant dû au 6 mai 1977, étant entendu que vous voudrez bien accompagner cette production complémentaire d'un calcul précis, détaillé et approuvé par votre organe de contrôle.
Il est entendu que cette prétention sera colloquée de la même façon que celle faite pour la créance principale de votre Caisse, à savoir en deuxième classe."
Par lettre du 14 février 1980, la Caisse fit parvenir aux liquidateurs de la Banque une récapitulation des productions de la Caisse, en spécifiant que celles-ci devaient être colloquées en deuxième classe dans l'état de collocation. Elle précisait en outre ce qui suit:
"(...) nous vous prions de bien vouloir nous confirmer que la Banque Leclerc et Cie, en liquidation concordataire, représentée par les commissaires-liquidateurs, reprend les engagements de la Banque Leclerc et Cie dès le 6 mai 1977 et versera régulièrement la garantie de rendement de 5,5% telle qu'elle est stipulée dans l'article 10 alinéa 2 du Règlement de la Caisse de Prévoyance jusqu'à la liquidation complète de cette dernière.
D'ailleurs vous pouvez constater que nous avons fait une provision de
Fr. 1'500'000.-- pour cette garantie de rendement."
Dans leurs réponses des 13 et 27 mars 1980, les liquidateurs de la Banque se déclarèrent prêts à porter à la deuxième classe de l'état de collocation les sommes produites, dont la garantie de rendement à 5,5% pour les années 1973 à 1976 par 357'000 francs, ainsi que la somme due au même titre du 1er janvier 1977 au 6 mai 1977, par 52'910 francs.
En revanche, en ce qui concerne le versement des montants correspondant à la garantie de rendement à 5,5% pour la période postérieure au 6 mai 1977, date de fermeture des guichets, les commissaires refusèrent de reprendre les engagements de la Banque et se bornèrent à prévoir des provisions à ce sujet. Il s'agissait des montants suivants:
Garantie de rendement à 5,5%
- part du 7 mai au 31 décembre 1977 Fr. 99'472.--
- année 1978 Fr. 94'665.--
- supplément année 1978 Fr. 19'386.--.
BGE 108 II 254 S. 259
F.-
Dans leur expertise technique de la Caisse au 31 décembre 1976/1er janvier 1977, les actuaires de PRASA S.A., conseillers en prévoyance professionnelle, constatent que la garantie de rendement de 5,5% découlant de l'art. 10 in fine du règlement n'a pas été appliquée sur le placement immobilier Luserna, de sorte que le taux de rendement effectivement réalisé sur la fortune moyenne ne s'est élevé qu'à 4,05% en 1976. Ce taux de rendement effectif permet de déterminer, par capitalisation, le montant qui sera nécessaire au paiement des prestations dues aux bénéficiaires au moment de leur échéance. Mais, pour une saine gestion qui doit tenir compte d'une situation à moyenne échéance, on ne peut se borner à calculer cette capitalisation sur la base d'un taux de rendement effectif variable. On doit au contraire recourir à un "taux technique" constant à moyenne échéance. Ce taux technique peut, selon l'expérience actuarielle, être fixé à 4% si les investissements de la Caisse sont conformes au cours ordinaire des choses. Si, en revanche, la Banque garantit un revenu de 5,5% des investissements de la Caisse, le taux technique peut être fixé, selon l'expérience actuarielle, à 4,5%. Dans la mesure où le taux technique augmente, le même capital actuel permet d'assurer des prestations plus élevées aux bénéficiaires.
Le montant, capitalisé selon le taux technique, qui est nécessaire - au moment de l'échéance des prestations dues aux bénéficiaires - au paiement desdites prestations, est qualifié par la technique actuarielle de "réserve technique". Pour établir si une caisse de pension comme la demanderesse est solvable, il faut déterminer la "réserve mathématique", à savoir la différence entre la valeur actuelle des prestations assurées totales et la valeur actuelle des cotisations futures. Ces deux termes s'expriment également par une capitalisation faite au taux technique constant. Leur montant varie en proportion inverse de l'importance du taux technique, c'est-à-dire que plus le taux technique est élevé, moins la capitalisation des prestations assurées, la capitalisation des cotisations futures et par conséquent la réserve mathématique sont élevées. Ainsi, la même fortune de la Caisse couvre ou ne couvre pas la réserve mathématique, et laisse subsister un excédent d'actif plus ou moins important, selon que le taux technique est plus ou moins élevé.
PRASA pouvait ainsi conclure que la situation financière de la Caisse était excellente et qu'une augmentation du plafond de salaire assuré, qui n'était que de 33'000 francs, était envisageable. Si la garantie de rendement à 5,5% n'était pas maintenue et si le
BGE 108 II 254 S. 260
taux technique devait en conséquence être fixé à 4%, le plafond de salaire assuré pouvait être porté à 36'700 francs. Si, au contraire, la garantie de rendement à 5,5% était maintenue, avec un taux technique de 4,5%, le plafond des salaires assurés pouvait être porté à 39'000 francs.
Quant à la valeur de l'immeuble Luserna retenue au bilan par les experts PRASA, rien n'indique qu'il s'agissait d'une valeur réalisable, compte tenu des difficultés rencontrées dans la vente de l'immeuble dont il a déjà été question précédemment.
Dans un nouveau rapport au 31.12.1978/1.1.1979, les actuaires PRASA affirment que la situation financière de la Caisse est équilibrée dans la mesure seulement où la réalisation de l'immeuble Luserna et ses prétentions contre la Banque permettent de couvrir le solde déficitaire provisoire, s'élevant à plus de 2 millions de francs, à quoi il faut ajouter l'augmentation de la réserve mathématique, par quelque 110'000 francs, résultant du taux technique plus bas pratiqué par la compagnie d'assurance sur la vie qui serait appelée à reprendre le service des rentes et pensions assuré par la Caisse.
Enfin, dans un rapport au 1.1.1980, les experts PRASA, après avoir réaffirmé ce qu'ils avaient déjà dit dans leur précédent rapport au sujet de l'équilibre financier de la Caisse, chiffrent le solde négatif provisoire à fin 1979 à une somme variant entre 1'200'000 et 1'400'000 francs.
C'est donc un tel montant que devrait laisser la vente de l'immeuble Luserna pour que les engagements de la Caisse soient couverts; or, un tel résultat n'est de loin pas démontré.
Contrairement donc à ce qu'affirme la Banque défenderesse, on ne saurait dire que l'écart entre la fortune de la Caisse et ses engagements à l'égard de ses bénéficiaires ait toujours été positif durant toute la période litigieuse, soit du 7.5.1977 au 31.12.1979.
G.-
Lors de l'assemblée générale ordinaire des membres adhérents de la Caisse, qui s'est déroulée le 31 mai 1978 en présence des commissaires au sursis concordataire, les comptes de la Caisse pour 1976 et 1977 ont été discutés et adoptés. Lors de la discussion, il fut relevé que la Banque n'avait pas fait face à son obligation de garantir un revenu de 5,5% sur le placement immobilier Luserna. L'un des commissaires s'en remit à la décision de la Banque sur le point de savoir si cette garantie de 5,5% pourrait être maintenue. Il ajouta qu'il appartiendrait aux commissaires d'examiner, au vu des productions, s'ils pourraient garantir ce taux de 5,5% jusqu'au
BGE 108 II 254 S. 261
6 mai 1977 (date de la fermeture des guichets) ou si l'engagement de la Banque devait se prolonger au-delà.
H.-
Par demande du 8.9.1980, la Caisse a ouvert action contre la Banque. Elle concluait au paiement des montants suivants au titre de la garantie de rendement pour les années 1977, 1978, 1979:
Fr. 99'472 + intérêts à 5% du 31.12.1977
Fr. 114'051 + intérêts à 5% du 31.12.1978
Fr. 216'143 + intérêts à 5% du 31.12.1979
Elle concluait en outre à ce que ses droits découlant de la même garantie soient réservés pour la période postérieure au 1.1.1980.
L'action a été portée directement devant le Tribunal fédéral en application de l'art. 41 lettre c al. 2 OJ.
Dans sa réponse du 9 décembre 1980, la Banque a conclu à libération des conclusions prises contre elle. Elle a soulevé expressément l'exception révocatoire, tendant à ce que soient révoqués "la garantie de rendement et tous autres actes que celle-ci peut impliquer".
Dans sa réplique du 2 mars 1981, la Caisse a fait précéder les conclusions prises dans sa demande des conclusions suivantes:
"Dire et prononcer que Leclerc et Cie en liquidation concordataire est demeurée liée, postérieurement au 6 mai 1977 et jusqu'à la liquidation complète de la Caisse de Prévoyance, par la clause de garantie de rendement prévue à l'art. 10 in fine du règlement de ladite Caisse.
"Dire et prononcer que les prestations dues de ce chef par la défenderesse constituent des dettes de la Masse concordataire payables comme telles par frais de Masse."
Dans sa duplique du 29 avril 1981, la Banque a confirmé ses conclusions libératoires.
Erwägungen
Extrait des motifs:
1.
Fondement des prétentions de la demanderesse
La demanderesse fonde ses prétentions contre la défenderesse sur l'art. 10 in fine du règlement de la Caisse (ci-après: le règlement), aux termes duquel la Banque, entre autres contributions, garantit un rendement de 5,5% des placements de la Caisse. Elle soutient que la masse concordataire de la Banque a repris cette obligation dès l'instant qu'elle a réengagé une partie des employés de la Banque en vue de la liquidation de cette dernière. Elle exige le paiement des prestations dues au titre de la garantie réglementaire invoquée, échues ou à échoir à partir de la fermeture des
BGE 108 II 254 S. 262
guichets de la Banque, le 6 mai 1977. Selon elle, les créances qu'elle fait valoir ayant été contractées par la Banque avec l'assentiment des commissaires au sursis, respectivement des liquidateurs, elles constituent des dettes de la masse et, par conséquent, ne rentrent pas dans le concordat.
Les prestations dues au même titre par la Banque pour la période antérieure au 6 mai 1977 ne font pas l'objet du présent procès; elles ont du reste été reconnues par les liquidateurs, qui ont accepté de les colloquer en deuxième classe, sous réserve du droit des autres créanciers d'attaquer l'état de collocation en temps opportun.
2.
Définition des dettes de la masse
Aux termes de l'art. 25 al. 2 et 3 de l'Ordonnance du Tribunal fédéral du 11 avril 1935 concernant la procédure de concordat pour les banques et les caisses d'épargne (OCB), les dettes contractées pendant le sursis bancaire et le sursis concordataire, avec l'assentiment du commissaire, constituent des dettes de la masse, même dans une faillite subséquente. Pour justifier ses prétentions contre la masse défenderesse, la demanderesse doit donc établir que la Banque a contracté une dette à son égard sur la base de l'art. 10 in fine du règlement avec l'assentiment des commissaires au sursis bancaire, puis concordataire, enfin avec l'assentiment des liquidateurs.
3.
Nature de la clause de garantie et exception révocatoire
La défenderesse objecte à la prétention de la demanderesse qu'en édictant l'art. 10 in fine du règlement, la Banque a fait une promesse de donner soumise à l'action révocatoire.
a) (...)
b) Portée du règlement
L'art. 10 du règlement détermine les contributions de la fondatrice à la fondation. Peu importe que certaines des prestations de la fondatrice ne soient pas expressément articulées dans l'acte de fondation lui-même. En effet, cet acte, à son art. 2, déclare que le but de la fondation est d'assurer le personnel de la fondatrice sous les formes et dans la mesure à fixer par le conseil de fondation selon le règlement qu'il établit et qu'il peut modifier en tout temps, sous la seule réserve de l'approbation de l'autorité de surveillance (cf. également art. 12 du même acte). Cette dernière exigence est
BGE 108 II 254 S. 263
du reste reprise dans le règlement lui-même à son art. 37. Il n'est pas douteux ni litigieux que les règlements successifs, notamment ceux de 1971 et 1977 qui prévoient la garantie par la Banque d'un rendement à 5,5% des placements de la Caisse, ont été approuvés par l'autorité de surveillance des fondations. Il est au surplus admis en doctrine que l'acte de fondation s'interprète à la lumière du règlement (cf. notamment RIEMER, Die Stiftungen, Berner Kommentar I.3, Systematischer Teil, n. 72, 87).
c) Définition du patrimoine affecté à la fondation
La fondation se caractérise comme l'affectation d'un patrimoine à un but déterminé. La doctrine enseigne que le patrimoine affecté peut consister non seulement en droits réels, mais aussi en droits personnels de toutes sortes, dans la mesure où le patrimoine affecté est déterminé ou du moins objectivement déterminable (RIEMER, op.cit., n. 24 et 25 ad
art. 80 CC
). Il peut consister en des droits personnels contre le fondateur, en un droit de percevoir des revenus futurs hautement vraisemblables, de même qu'en une promesse de garantie (n. 27 et 28 ibid.). Le montant du patrimoine affecté à la fondation doit être proportionné au but de la fondation (n. 29 ibid.). Mais si tel n'est pas le cas au départ, le fondateur peut prévoir que les intérêts ou d'autres attributions seront affectés à la fondation jusqu'à ce qu'elle puisse atteindre son but, ces attributions complémentaires pouvant être mises à la charge du fondateur lui-même ou de tiers (n. 30 ibid.). C'est particulièrement le cas pour les fondations de prévoyance en faveur du personnel, où le capital affecté au départ joue un rôle souvent insignifiant; ce qui est alors déterminant, c'est l'alimentation ultérieure du fonds par les employeurs et les travailleurs (n. 32 ibid.). Le même auteur relève encore, au dernier endroit cité, que pour les fondations en faveur du personnel qui sont conçues comme des assurances, l'exigence d'un patrimoine adapté au but n'est réalisée que si les principes techniques régissant l'assurance sont respectés dès le début.
En l'espèce, on a affaire à une fondation dont le but est l'assurance du personnel de la fondatrice. Le capital initial de fondation, par 10'000 francs, est en soi minime. Pour atteindre son but, la Caisse peut toutefois compter sur des affectations complémentaires qui s'expriment en pour-cent du salaire des bénéficiaires, et qui sont versées tant par les employés que par l'employeur. La garantie de rendement à 5,5% correspond - les
BGE 108 II 254 S. 264
parties sont d'accord sur ce point - aux données techniques régissant les assurances couvertes par la Caisse, car elle permet de déterminer le taux technique qui sert de base au calcul des réserves techniques, des engagements de la Caisse à longue échéance, de la valeur actuelle des cotisations futures et, par conséquent, de la réserve mathématique, comme on l'a vu ci-dessus sous lettre F.
On doit dès lors constater que la garantie de rendement prévue par l'art. 10 in fine du règlement, comme les cotisations à la charge de l'employeur prévues à l'art. 10 initio et comme celles des employés prévues à l'art. 7 (pour ne pas parler des cotisations de rappel et des finances d'entrée), constituent en l'espèce l'affectation des divers éléments d'un patrimoine au but de la fondation.
Dans la mesure où ce patrimoine affecté à la fondation ne consiste encore qu'en créances, il ne fait nullement l'objet d'une promesse de donner sujette à révocation (RIEMER, op.cit., n. 21 ad
art. 80 CC
). Même les auteurs qui admettraient une application analogique de l'
art. 250 CO
dans de telles circonstances l'excluent toutefois en matière de fondations en faveur du personnel, car la créance de la fondation contre le fondateur représente dans ce cas-là, à la charge de ce dernier, un devoir moral à remplir (ibid.).
On peut donc conclure sur ce point que la garantie de rendement assumée par la fondatrice doit s'interpréter comme l'affectation d'un patrimoine à la fondation. Sa nature est la même que l'engagement de verser une contribution calculée en pour-cent des salaires des bénéficiaires. Il ne s'agit donc pas d'une promesse de donner.
d) Rejet de l'exception révocatoire
Dès lors, l'exception que la défenderesse veut déduire de l'action révocatoire n'est pas fondée. On remarque au surplus que l'action révocatoire ne pourrait viser que les engagements souscrits par la Banque avant l'homologation du concordat et dans les six mois ayant précédé l'octroi du sursis concordataire (
art. 31 OCB
). En l'espèce, l'octroi du sursis remonte au 13 juillet 1977. La révocation pourrait donc remonter au 13 janvier 1977. Or, on sait que la Banque a admis la créance de la Caisse découlant de la garantie de rendement jusqu'au 6 mai 1977 et qu'elle s'est déclarée prête à la porter en deuxième classe de l'état de collocation.
4.
Reprise de la dette par les commissaires
La nature de la créance étant déterminée, il y a lieu d'examiner
BGE 108 II 254 S. 265
si les commissaires au sursis bancaire, puis au sursis concordataire, et si les liquidateurs ont approuvé ou repris un tel engagement.
a) (...)
b) Reprise par actes concluants
La demanderesse soutient que les commissaires, respectivement les liquidateurs, ont implicitement repris la dette dont elle poursuit le recouvrement en réengageant le personnel de la Banque pour les nécessités de sa liquidation.
Il est constant à ce sujet que les commissaires ont réengagé expressément à partir du 1er août 1977 une trentaine d'employés en précisant que les termes de leur contrat alors en vigueur avec la Banque et, subsidiairement, les dispositions légales en matière de contrat de travail, restaient applicables. Le contrat repris se référait expressément à l'existence de la Caisse, en stipulant que la cotisation due par l'employé est déduite de son salaire mensuel et en précisant que les statuts et règlement de la Caisse étaient remis séparément à l'employé. On doit en déduire que le règlement de la Caisse régit pour sa part le contrat de travail dans la mesure où il détermine les droits et obligations des contractants découlant de l'
art. 331 CO
. En déclarant applicable à la nouvelle situation le contrat de travail antérieur, la Banque en sursis concordataire, respectivement en liquidation, a donc repris toutes les obligations de l'employeur, telles qu'elles découlent - pour ce qui touche les prestations rentrant dans le cadre de l'
art. 331 CO
- du règlement de la Caisse. Celles-ci comprennent aussi bien l'engagement de l'employeur fondateur de verser à la Caisse des cotisations de 9% du salaire de l'employé que l'engagement de garantir le rendement à 5,5% des placements de la Caisse, dont on a vu ci-dessus qu'il ne constituait pas une libéralité.
Certes, les commissaires n'ont repris que les engagements de l'employeur à l'égard de l'employé, non ceux de la fondatrice à l'égard de la fondation. Mais au nombre des premiers figure l'engagement découlant de l'
art. 331 CO
. Celui-ci comporte aussi bien à la charge de l'employé qu'à la charge de l'employeur, tous deux parties au contrat de travail, une stipulation pour autrui au bénéfice de la Caisse (BURGI, Der Wohlfahrtsfonds privatwirtschaftlicher Unternehmungen im schweizerischen Recht, p. 48). Cette dernière, en tant que bénéficiaire de la stipulation pour autrui, a un droit propre au paiement des prestations stipulées (ibid. p. 49). Peu importe, dans ces conditions, que les
BGE 108 II 254 S. 266
commissaires n'aient pas expressément repris, à l'égard des employés, les obligations de la fondatrice envers la fondation. Ils l'ont fait implicitement en se référant à l'ancien contrat de travail, lequel se référait lui-même au règlement de la Caisse. Aussi bien la défenderesse ne met-elle pas en doute son obligation de verser à la Caisse des contributions mensuelles correspondant aux 9% des salaires de ses employés, alors même qu'elle n'a fait aucune allusion à cette obligation dans sa lettre aux employés du 30 août 1977, et qu'il n'en est pas fait mention non plus dans la circulaire, expressément approuvée par les commissaires au sursis, que la Caisse a adressée à ses bénéficiaires le 22 septembre 1977. L'
art. 331 CO
, d'où découle l'obligation assumée de ce chef par la défenderesse, prescrit impérativement que les contributions de l'employeur à l'institution de prévoyance sont au moins égales à celles du travailleur. Les parties peuvent ainsi librement convenir que les prestations du premier seront supérieures à celles du second. C'est bien ce qui résulte en l'espèce de l'art. 10 du règlement - auquel le contrat de travail se réfère - prévoyant que l'employeur verse, d'une part, une cotisation mensuelle de 2% plus élevée que celle du travailleur et, d'autre part, garantit le rendement des placements de la Caisse à 5,5%.
On se trouve donc, en l'espèce, dans une situation tout à fait comparable à celle examinée dans l'arrêt
ATF 100 III 30
ss. L'obligation assumée in casu par l'employeur à l'égard du travailleur, qui a été reprise par les commissaires, est intimement liée à la dette à l'égard de la Caisse, tout comme elle l'était, dans l'arrêt cité, à la dette de droit public à l'égard des caisses AVS, AI et APG, lesquelles exercent une fonction analogue dans le cadre du "premier pilier". Le commissaire ne peut ratifier le contrat de travail sans ratifier du même coup les prestations sociales qui lui sont liées. S'agissant d'un contrat à long terme comportant des prestations périodiques, la masse est tenue des prestations qui échoient après l'octroi du sursis (BÖNI, Die Masseverbindlichkeiten im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung, in BlSchK 1962, p. 68/69). Pour échapper à cette conséquence, les commissaires auraient dû recourir à un nouveau contrat avec le personnel réengagé en vue de la liquidation de la Banque, et y prévoir d'autres prestations sociales que celles découlant du règlement de la Caisse. On n'a pas à examiner si, reprenant le contrat précédent, ils auraient pu demander la modification des obligations découlant pour la Banque de l'art. 10 du règlement, avec l'approbation de
BGE 108 II 254 S. 267
l'autorité de surveillance des fondations, puisque cette démarche n'a pas été faite.
On doit donc conclure, sur ce point, que l'assentiment des commissaires, qui peut être tacite et ultérieur (
ATF 100 III 31
), a bien été donné aux engagements de la Banque découlant de toutes les dispositions de l'art. 10 du règlement. Dès lors, ces engagements constituent des dettes de la masse à partir de l'octroi du sursis bancaire, soit du 10 mai 1977, conformément à l'
art. 25 al. 2 et 3 OCB
.
5.
Etendue de la clause de garantie
Il reste dès lors à examiner quelle est l'étendue de la clause de garantie litigieuse, afin de pouvoir déterminer le montant de la dette de la masse, dont le principe a été admis ci-dessus.
a) (...)
b) Garantie du rendement du placement immobilier
La défenderesse se plaint de devoir garantir un rendement de 5,5% notamment sur l'investissement dans l'immeuble Luserna qu'elle juge critiquable.
ba) Portée de la renonciation à la garantie
Ainsi que la défenderesse le relève en duplique, l'assemblée générale des bénéficiaires a décidé, en même temps qu'elle donnait son accord à l'investissement Luserna, le 30 octobre 1973, que la Banque serait libérée de son obligation de garantie d'un revenu de 5,5% en ce qui concerne ledit investissement (cf. à ce sujet supra, litt. D). On peut déduire de cette décision que le conseil de fondation, qui proposait l'opération et qui avait seul qualité pour la réaliser de façon à engager la Caisse (en vertu des art. 6 de l'acte de fondation et 31 du règlement), a fait remise à la Banque de sa dette future découlant de la garantie de rendement, dans la mesure où cette garantie s'appliquait aux sommes investies dans l'immeuble. Peu importe que l'autorité de surveillance n'y ait pas consenti, du moment qu'il ne s'agissait pas, en l'espèce, de modifier l'art. 10 in fine du règlement et de supprimer entièrement et définitivement l'obligation de la Banque dans son principe, mais seulement de lui faire remise de la dette découlant dudit principe pour un investissement déterminé. Le Conseil de fondation était compétent pour le faire et l'on n'a pas à examiner ici quelles conséquences en découlaient, le cas échéant, sur le plan de sa
BGE 108 II 254 S. 268
responsabilité à l'égard de la fondation. Mais la fondatrice, de son côté, a expressément renoncé à cette remise, par la lettre des commissaires en date du 10 février 1978. Elle y admettait devoir les sommes découlant de la garantie de rendement sur l'entier des investissements de la Caisse. Il ne saurait dès lors être question pour elle d'invoquer aujourd'hui la remise de dette qui lui avait été consentie à l'époque et à laquelle elle a entre-temps clairement renoncé.
bb) Qualité du placement immobilier
Aux termes de l'art. 4 de l'acte de fondation, la fortune de la Caisse doit être placée en biens et valeurs sûres, dans la règle en obligations de personnes de droit public suisses, voire en immeubles de rapport sis en Suisse et en créances hypothécaires en premier rang sur des immeubles sis en Suisse. Bien qu'on puisse douter que l'investissement dans la promotion Luserna réponde à cette exigence, cette question n'a pas à être examinée dans le détail ici. En effet, les règles posées par la fondatrice pour le placement des biens s'adressent au conseil de fondation. Celui-ci, ayant pleins pouvoirs pour gérer la fortune et les ressources de la fondation (cf. art. 6 de l'acte de fondation et art. 31 du règlement), est seul compétent pour procéder au placement. Dans la mesure où le conseil de fondation excède ses pouvoirs, ses actes ne sont pas nuls ou annulables. Cette circonstance donne seulement ouverture à l'intervention de l'autorité de surveillance dans le cadre de l'
art. 84 al. 2 CC
. C'est cette autorité qui doit veiller à ce que le capital ne soit pas placé de manière spéculative ou comportant de trop grands risques, et qu'il ne soit pas détourné de son but. Dans ce cadre, l'autorité de surveillance des fondations peut donner au conseil de fondation des instructions contraignantes et prendre des sanctions indirectes pour les faire respecter (
ATF 101 Ib 235
,
ATF 100 Ib 144
,
ATF 99 Ib 259
). Il ne saurait toutefois s'agir là de mesures tutélaires, la fondation ayant pleine capacité d'agir sans le concours de l'autorité de surveillance (
ATF 100 Ib 135
consid. 3). La fondation mal gérée, par exemple celle dont le conseil de fondation procède à des placements hasardeux ou contraires au règlement de la fondation, ne peut rendre responsables du dommage qui en découle pour elle que les membres du conseil de fondation; l'autorité de surveillance, qui ne peut prévenir l'action du conseil dans la mesure où celui-ci ne lui soumet pas ses projets, n'encourt quant à elle aucune responsabilité de ce chef.
BGE 108 II 254 S. 269
En l'espèce, la garantie de rendement stipulée par l'art. 10 in fine du règlement ne fait aucune réserve sur la qualité des placements auxquels elle s'applique. Le fait que le placement immobilier soit hasardeux ne saurait donc libérer la Banque de son obligation telle qu'elle découle de la disposition réglementaire précitée.
Tout au plus est-on en droit de se demander si la Banque pourrait soulever l'exception de l'abus de droit au moment où la Caisse lui demanderait la garantie de rendement pour un placement excluant tout revenu, par exemple le placement en or évoqué par la défenderesse. Il paraît toutefois que les aménagements ordonnés par la fondatrice excluent la possibilité d'une telle hypothèse. En effet, le conseil de fondation est composé en majorité de représentants de la Banque, de sorte qu'il est pratiquement impossible qu'il prenne une décision de placement préjudiciable aux intérêts de la Banque contre la volonté de celle-ci. En l'espèce, il est possible que les représentants de la Banque, majoritaires au sein du conseil de fondation, n'ont consenti à l'investissement immobilier qu'en raison de la remise de dette que lui faisait la Caisse concernant la garantie de rendement du placement. Mais cela n'est ni allégué ni démontré. Au surplus, même si tel était le cas, la Banque, par ses commissaires, a renoncé à la remise de dette le 10 février 1978, comme on l'a vu ci-dessus sous litt. ba. Il serait dès lors exclu qu'elle puisse reprocher un abus de droit à la Caisse, lorsque celle-ci se prévaut d'une renonciation émanant de la Banque elle-même.
Dans ces conditions, on ne saurait admettre une diminution de la dette de la masse découlant de la garantie de rendement, du fait que le placement immobilier serait critiquable et comporterait un rendement anormalement bas, voire négatif.
c) Placement du patrimoine de la Caisse en créances contre la Banque
ca) En principe
Dans la mesure où le patrimoine de la Caisse consiste en créances contre la Banque, on peut se demander si de telles créances constituent un placement au sens de l'art. 10 in fine du règlement dont la Banque garantit le rendement à 5,5%.
Cette question doit être tranchée affirmativement. Il résulte expressément de l'
art. 89bis al. 4 CC
que le patrimoine de la fondation peut consister en une créance contre l'employeur, à la condition que cette créance soit garantie dans la mesure où elle
BGE 108 II 254 S. 270
correspond aux prestations des travailleurs. Si même cette garantie n'est pas fournie, cela ne saurait entraîner la nullité du placement, mais seulement l'intervention de l'autorité de surveillance des fondations.
Il a toujours été admis que le patrimoine de fondations de toutes espèces peut aussi consister en des créances contre le fondateur, respectivement qu'il peut être placé à long terme dans de telles créances (RIEMER, op.cit., n. 21 ad
art. 89bis CC
). Il est même bien connu que le patrimoine de la fondation peut être investi en créances contre l'employeur, le cas échéant pour assainir la situation financière de ce dernier et maintenir ainsi les postes de travail des bénéficiaires de la fondation (RIEMER, op.cit., n. 29 ss ad
art. 89bis CC
).
cb) Effet du sursis concordataire
On peut se demander ensuite si l'
art. 21 al. 2 OCB
, selon lequel la débitrice est tenue quitte des intérêts des créances non garanties par gage qui courent durant le sursis concordataire, s'applique en l'occurrence à la garantie de rendement, calculée à un taux de 5,5%, des placements de la Caisse. Cette question doit être résolue par la négative. En effet, ainsi qu'on l'a vu précédemment, ladite garantie constitue, dès l'octroi du sursis bancaire ou concordataire, une dette de la masse qui repose sur une cause juridique indépendante. Celle-ci ne consiste pas en une convention d'intérêts entre la Caisse et la Banque, mais découle de l'art. 10 du règlement régissant sur ce point le contrat de travail. En vertu de cette disposition, la Caisse a droit à une garantie sur le rendement de ses placements; eu égard à la continuation des rapports de travail entre la Banque et une partie du personnel, ce droit subsiste pendant la durée du concordat. Il s'agit là d'un engagement particulier de l'employeur, que les commissaires, respectivement les liquidateurs de la Banque ont repris en faveur de la Caisse (cf. supra, consid. 4b). La garantie de rendement litigieuse reste ainsi due, pendant la durée du concordat, à l'égard de la Caisse. Elle s'étend également à l'absence de rendement qui affecte - en vertu de la règle de l'
art. 21 al. 2 OCB
rappelée ci-dessus - la créance de la Caisse à l'encontre de la Banque représentant le rappel de la garantie de 5,5% de 1973 à 1976.
d) Conséquences du fait qu'une partie des bénéficiaires de la Caisse ont quitté la Banque
BGE 108 II 254 S. 271
On peut enfin se demander, vu l'étroite relation entre les obligations de la Banque envers la Caisse résultant de l'art. 10 in fine du règlement et les contrats de travail repris par les commissaires, s'il n'y aurait pas lieu de considérer ici uniquement comme dettes de la masse les montants représentant la garantie de rendement des placements de la Caisse destinés à couvrir les prétentions des seuls employés restés au service de la Banque. On doit toutefois également répondre par la négative à cette question. En effet, la Caisse est tenue envers tous ses bénéficiaires, qu'ils soient ou non employés de la Banque, à des prestations proportionnellement égales à leurs droits. Dès lors, pour pouvoir offrir à ceux qui sont restés au service de la Banque postérieurement au sursis - ou à leurs ayants droit - les pleines prestations qui découlent du règlement, elle doit être aussi à même de satisfaire aux prétentions de ceux qui l'ont quittée, ou de leurs ayants droit. On peut en conséquence se passer d'examiner combien d'employés sont restés au service de la Banque, et combien l'ont quittée, ou quelles sont les prétentions respectives de chacune de ces deux catégories.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet la demande. | public_law | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
577788d2-1213-45c4-bcad-30fe43d71725 | Urteilskopf
118 Ia 137
21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Juni 1992 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft und Kantonsgericht von Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde). | Regeste
Art. 4 BV
; Legalitätsprinzip im Bereich des kantonalen Strafrechts (extraterritoriale Anwendung von kantonalem Recht, Begründung der kantonalen Strafrechtshoheit nach dem "Auswirkungsprinzip").
Das bündnerische Jagdpolizeirecht verbietet unter gewissen Voraussetzungen das Verwenden von Motorfahrzeugen auf ausserkantonalem Gebiet zum Zweck der späteren Jagdausübung im Kanton Graubünden. Die Kollisionsregeln von
Art. 3 und
Art. 7 StGB
("Territorialitäts-" bzw. "Ubiquitätsprinzip") begründen keinen Anknüpfungsgrund für die entsprechende Strafnorm. Dennoch liegt keine unzulässige Ausdehnung der kantonalen Strafrechtshoheit auf ausserkantonale Sachverhalte vor. Das durch das bündnerische Jagdpolizeirecht geschützte Rechtsgut wird durch das inkriminierte Verhalten nämlich in erheblicher Weise berührt, so dass insofern eine ausreichende Binnenbeziehung besteht ("Auswirkungsprinzip"). | Sachverhalt
ab Seite 138
BGE 118 Ia 137 S. 138
Am 7. September 1990, dem Vorabend der bündnerischen Hochjagd 1990, fuhr B. mit seinem Personenwagen über Pfäfers - St. Margrethenberg bis zum auf st. gallischem Kantonsgebiet gelegenen Standort "Fürggli" und stellte dort sein Fahrzeug ab. Danach überschritt er die Kantonsgrenze zum Kanton Graubünden und ging auf Bündner Territorium bis zum 13. September 1990 der Hochjagd nach. Mit Strafmandat vom 30. November 1990 legte der Kreispräsident Fünf Dörfer B. wegen Widerhandlung gegen die bündnerischen Jagdvorschriften eine Busse von Fr. 100.-- auf. Auf Einsprache hin verurteilte der Kreisgerichtsausschuss Fünf Dörfer B. am 30. Mai 1991 zu der gleichen Strafe. Die dagegen von B. erhobene Berufung wies der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden mit Urteil vom 9. Oktober 1991 ab.
Gegen das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses gelangte B. mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10. Februar 1992 an das Bundesgericht. Er rügt die Verletzung von
Art. 4 BV
(Legalitätsprinzip) und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Art. 17 der bündnerischen Vollziehungsverordnung zum kantonalen Jagdgesetz vom 28. Februar 1989 (ABzKJG) schränkt die Verwendung von Motorfahrzeugen zur Jagdausübung im Kanton Graubünden ein. Diese dürfen nur zur Anfahrt bis zu gewissen Standorten, die in Art. 17 Abs. 1-2 ABzKJG ausdrücklich genannt sind, benutzt werden. Gemäss Abs. 3 der Bestimmung gilt die Einschränkung "auch für die Benützung von motorisierten Transportmitteln auf ausserkantonalem Gebiet, wenn diese zur Jagdausübung im Kanton Graubünden erfolgt". Unbestrittenermassen erfolgte die Anfahrt des Beschwerdeführers zur bündnerischen Hochjagd 1990 bis zum auf st. gallischem Kantonsgebiet gelegenen Standort "Fürggli",
BGE 118 Ia 137 S. 139
welcher die Kriterien von Art. 17 Abs. 1-2 ABzKJG nicht erfüllt. In Anwendung von Abs. 3 der gleichen Bestimmung lag demnach ein Verstoss gegen Art. 17 ABzKJG vor, der gemäss Art. 47 des kantonalen Jagdgesetzes vom 4. Juni 1989 (KJG) mit Haft oder Busse bis zu Fr. 20'000.-- bestraft werden kann.
b) Der Beschwerdeführer wendet gegen seine Verurteilung ein, Art. 17 Abs. 3 ABzKJG könne "nicht als rechtsbeständig angesehen werden", weil die Bestimmung gegen das "Territorialitätsprinzip kantonaler Polizeivorschriften" verstosse. Mangels einer gültigen Strafnorm verletze die Verurteilung daher den aus
Art. 4 BV
folgenden Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz".
Im angefochtenen Entscheid wird demgegenüber argumentiert, die Ausdehnung der Strafrechtshoheit des Kantons Graubünden auf Sachverhalte, die das Territorium des Kantons St. Gallen berühren, sei in Anwendung des in
Art. 7 StGB
verankerten Ubiquitätsprinzips zulässig. "Der Erfolgseintritt, nämlich die Anwesenheit im Jagdgebiet zum Zwecke der Jagdausübung nach unerlaubter Benützung eines Motorfahrzeuges", habe sich nämlich "in Graubünden verwirklicht". Ausserdem sei der Kanton Graubünden durch das inkriminierte Verhalten an seiner Kantonsgrenze erheblich berührt. Es sei nämlich "offensichtlich, dass ein unbeschränktes Aufsuchen des Jagdgebietes mit Motorfahrzeugen durch eine Vielzahl von Patentjägern mit den entsprechenden Massierungen nicht nur dann eine waid- und umweltgerechte Jagd in Frage stellt, wenn dies auf Alp- und Flurwegen in Graubünden geschieht, sondern auch, wenn dies in unmittelbarer Nähe zur Kantonsgrenze erfolgt". Ein Verstoss gegen das Territorialitätsprinzip liege daher nicht vor.
c) Der Grundsatz "nulla poena sine lege" ist vom Bundesgesetzgeber ausdrücklich in
Art. 1 StGB
verankert worden. Explizit findet sich die Regel auch in
Art. 7 EMRK
. Im Rahmen des kantonalen Strafrechts gilt das Legalitätsprinzip nicht gestützt auf
Art. 1 StGB
, sondern es fliesst direkt aus
Art. 4 BV
oder aus dem kantonalen Verfassungsrecht. Soweit die Anwendung von Bundesrecht in Frage stünde, wäre die Verletzung des Legalitätsprinzips daher mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde geltend zu machen (
Art. 269 BStP
). Im Bereich der Anwendung des kantonalen Strafrechts dagegen steht für die Rüge der Verletzung des Grundsatzes "nulla poena sine lege" nur die staatsrechtliche Beschwerde offen (
BGE 112 Ia 112
E. 3a;
BGE 103 Ia 96
E. 4;
BGE 96 I 28
; vgl. STEFAN TRECHSEL, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Zürich 1989,
Art. 1 N 8
). Nach der Praxis des Bundesgerichtes ist der in
BGE 118 Ia 137 S. 140
Art. 4 BV
enthaltende Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" insbesondere dann verletzt, wenn ein Bürger wegen einer Handlung, die im Gesetz überhaupt nicht als strafbar bezeichnet ist, strafrechtlich verfolgt wird, oder wenn ein Verhalten zwar gesetzlich mit Strafe bedroht ist, dieses Gesetz aber nicht als rechtsbeständig angesehen werden kann (
BGE 112 Ia 112
E. 3a mit Hinweisen).
d) Nachfolgend ist im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren somit zu prüfen, ob Art. 17 Abs. 3 ABzKJG, der das genannte Verbot der Verwendung von Motorfahrzeugen zur Jagdausübung im Kanton Graubünden auf ausserkantonales Gebiet ausdehnt, als rechtsbeständig anzusehen ist, oder ob mangels Strafrechtshoheit des Kantons Graubünden im vorliegenden Fall der Grundsatz "nulla poena sine lege" als Teilgehalt von
Art. 4 BV
verletzt worden ist.
2.
Es fragt sich, ob der Kanton Graubünden in Art. 17 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung zum kantonalen Jagdgesetz seine Strafrechtshoheit in Missachtung der strafrechtlichen Anknüpfungsregeln auf ausserkantonale Sachverhalte ausgedehnt hat.
a) Gemäss
Art. 1 StPO
/GR finden die Allgemeinen Bestimmungen des Schweizerischen Strafgesetzbuches auf die nach kantonalem Recht strafbaren Handlungen entsprechende Anwendung. Der Kantonsgerichtsausschuss hat im angefochtenen Urteil kantonales Strafrecht angewendet und für die Beurteilung seiner räumlichen Geltung analog die bundesrechtlichen Anknüpfungsregeln von
Art. 3 und 7 StGB
für das internationale (kollisionsrechtliche) Strafrecht herangezogen. Der Beschwerdeführer macht geltend, durch die Ausdehnung der bündnerischen Strafrechtshoheit auf den Tatbestand des Fahrens auf dem Gebiet des Kantons St. Gallen sei in seinem Fall das für das Bundesrecht in
Art. 3 StGB
verankerte Territorialitätsprinzip verletzt worden. Als Grundlage des grenzüberschreitenden Strafrechts weist dieses dem Staat die Strafrechtshoheit über die auf dem eigenen Territorium verübten Straftaten zu (
BGE 111 IV 3
E. 2a;
BGE 108 IV 146
f. mit Hinweisen). Der moderne Staat ist ein Territorialstaat, an dessen Grenzen gemäss dem völkerrechtlichen Grundsatz der Souveränität und Gleichberechtigung grundsätzlich auch seine strafrechtliche Hoheitsgewalt endet (vgl. PETER NOLL/STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., Zürich 1990, S. 46; OSKAR ADOLF GERMANN, Rechtsstaatliche Schranken im internationalen Strafrecht, ZStrR 69 (1954) 237; VITAL SCHWANDER, Das Territorialitätsprinzip im schweizerischen Strafrecht, in: Recueil de travaux suisses présentés au VIIIe Congrès international de droit comparé, Basel 1970, S. 365 f.). Das Territorialitätsprinzip findet
BGE 118 Ia 137 S. 141
auch auf kantonale Polizeivorschriften Anwendung (vgl. MAX IMBODEN/RENÉ RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. 1, 5. Aufl., Basel 1976, S. 119 f.). Ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten als intra- oder extraterritorial zu betrachten ist, beurteilt sich nach dem in
Art. 7 StGB
verankerten Ubiquitätsprinzip (vgl. TRECHSEL, Kurzkommentar,
Art. 3 StGB
N 4). Eine Straftat gilt da als verübt, wo der Täter sie ausführt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist (
Art. 7 Abs. 1 StGB
).
Beim Verwenden von Motorfahrzeugen zur Jagdausübung gemäss Art. 17 Abs. 3 ABzKJG handelt es sich nicht um ein Erfolgsdelikt im technischen Sinne, sondern um ein Tätigkeitsdelikt. Der objektive Tatbestand verlangt keine räumlich und zeitlich vom Täterverhalten getrennte Veränderung der Aussenwelt (
BGE 109 IV 3
E. 3b;
BGE 105 IV 327
ff. E. 3c-g; vgl. ROBERT HAUSER/JÖRG REHBERG, Strafrecht I, Verbrechenslehre, 4. Aufl., Zürich 1988, S. 44, 61; NOLL/TRECHSEL, a.a.O., S. 48 f.; TRECHSEL, Kurzkommentar,
Art. 7 StGB
N 6). Der objektive Tatbestand von Art. 17 Abs. 3 ABzKJG umfasst sodann nicht das Jagen im Kanton Graubünden, sondern das Verwenden von Motorfahrzeugen auf ausserkantonalem Gebiet zum Zweck der späteren Jagdausübung in Graubünden. Das Jagen gehört nicht zum objektiven Tatbestand, es stellt allenfalls eine selbständige Strafbarkeitsvoraussetzung oder ein subjektives Tatbestandsmerkmal dar. Die Norm liesse sich typologisch als Absichtsdelikt interpretieren. Verboten wäre danach eine bestimmte Verwendung von Motorfahrzeugen auf ausserkantonalem Gebiet, in der Absicht, später auf Bündner Gebiet die Jagd auszuüben. Über die dogmatische Einordnung der kantonalen Strafbestimmung braucht indessen vorliegend nicht entschieden zu werden. Da es sich beim inkriminierten Verhalten nicht um ein Erfolgsdelikt im technischen Sinne handelt, führt das Ubiquitätsprinzip von
Art. 7 StGB
zu keinem unmittelbaren Anknüpfungspunkt für die Bündner Strafrechtshoheit. Weil der objektive Tatbestand von Art. 17 Abs. 3 ABzKJG aber auch nicht das Jagen im Kanton Graubünden verbietet, sondern (unter bestimmten Voraussetzungen) das Verwenden von Motorfahrzeugen ausserhalb der Bündner Kantonsgrenzen, ist ebensowenig das Territorialitätsprinzip (Art. 3 i.V.m.
Art. 7 Abs. 1 StGB
) anwendbar. Es liegt im vorliegenden Fall vielmehr eine extraterritoriale Anwendung von Bündner Recht auf einen ausserhalb des Kantons gesetzten Sachverhalt vor.
b) Es fragt sich, ob dem Kanton Graubünden aus diesem Grund eine unzulässige Ausdehnung seiner Strafrechtshoheit vorzuwerfen
BGE 118 Ia 137 S. 142
ist, welche mit dem Legalitätsprinzip von
Art. 4 BV
unvereinbar erschiene. Dabei ist zu beachten, dass die extraterritoriale Anwendung des eigenen Rechts auch im Völkerrecht und im internationalen Strafrecht nicht a priori als unzulässig betrachtet wird. Vielmehr darf sich die interne Gesetzgebung nach vorherrschender Lehre und Praxis auch auf extraterritoriale Sachverhalte beziehen, wenn eine eindeutige Binnenbeziehung dieser Sachverhalte zum inländischen Recht besteht (
BGE 76 IV 210
; VPB 40 (1976) Nr. 89, S. 102; "Lotus"-Entscheid des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im Haag, Publications de la Cour Permanente de Justice Internationale, Série A, vol. 10, S. 18 f.; vgl. ROLF BÄR, Extraterritoriale Wirkung von Gesetzen, in: Die schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen, Bern 1988, S. 12 f.; JÖRG PAUL MÜLLER/LUZIUS WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 2. Aufl., Bern 1982, S. 248 f.; HANS-JÜRGEN SCHLOCHAUER, Die extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, Frankfurt/M. 1962, S. 41 f.; TRECHSEL, Kurzkommentar, Vor
Art. 3 StGB
, N 1 f.; TRECHSEL, Neuer Zündstoff im Justizkonflikt Schweiz-USA, in: Roger Zäch (Hrsg.), Geheimnisschutz, St. Galler Studien zum Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bd. 11, Bern 1986, S. 71 f.). Der die Strafrechtshoheit begründende Anknüpfungspunkt kann dabei insbesondere im geschützten inländischen Rechtsgut liegen (vgl. TRECHSEL, Kurzkommentar, Vor
Art. 3 StGB
, N 1). Diese Anknüpfungskriterien gründen auf dem "Real- oder Schutzprinzip", welches im Bundesrecht für gewisse Staatsschutzdelikte in
Art. 4 StGB
verankert ist. Fälle von "extraterritorialer" Anwendung von ausländischem Recht mit Wirkung auf die Schweiz betrafen in neuerer Zeit etwa das Kartellrecht der Europäischen Gemeinschaft und der USA sowie amerikanische Straf- und Verfahrensbestimmungen betreffend "Insider-Trading" (vgl. JOHN W. BRIDGE, Extraterritorial Conflict, Issues of Law and Policy, in: Roger Zäch (Hrsg.), Geheimnisschutz, St. Galler Studien zum Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bd. 11, Bern 1986, S. 41 ff.; ROBERT E. HERZSTEIN, The Effect of the Extraterritorial Application of United States Laws, in: Festschrift Probst, Zürich 1984, S. 153 ff.; ERIC HOMBURGER, Zur extraterritorialen Anwendung der amerikanischen Antitrustgesetze, SJZ 54 (1958) 97 ff.; ERIC J. MC FADDEN, Extraterritoriality: Swiss Supreme Court Refuses United States Request for Information Concerning Insider Trading, Harvard International Law Journal 25 (1984) 456 ff.). Aber auch das Bundesgericht hat die Anwendung von schweizerischem Kartellrecht schon an den Auswirkungen der Kartellabrede am schweizerischen Markt angeknüpft
BGE 118 Ia 137 S. 143
(vgl.
BGE 93 II 192
ff. = Pra 56 Nr. 144). Dementsprechend liegt nach der Praxis des Bundesgerichtes keine unzulässige Ausdehnung des Geltungsbereiches des kantonalen Rechtes vor, wenn dieses ausserkantonale Sachverhalte erfasst, welche das Kantonsgebiet erheblich berühren (
BGE 95 I 427
mit Hinweisen
;
54 I 28
f.).
c) In Berücksichtigung von Sinn und Zweck der fraglichen Bündner Regelung lässt sich im vorliegenden Fall eine ausreichende Binnenbeziehung im Sinne der erwähnten Lehre und Praxis willkürfrei annehmen. Die unbeschränkte Zufahrt zu den Bündner Jagdgebieten über die angrenzenden Strassen der Nachbarkantone kann gemäss den Darlegungen im angefochtenen Entscheid eine umwelt- und waidgerechte Jagd im Kanton Graubünden beeinträchtigen. Dass der Jagdverkehr auf bündnerischem Gebiet sachgerechten Einschränkungen im Interesse des Jagd- und Naturschutzes und aus flurpolizeilichen Gründen unterliegt, ist nicht zu beanstanden. In der Tat sind negative Auswirkungen auf die bündnerische Tier- und Pflanzenwelt aber auch dann zu befürchten, wenn sich die Jagdberechtigten in der Absicht, möglichst schnell und bequem optimale Jagdstandorte zu erreichen, auf die günstigsten Zufahrtswege über das Gebiet angrenzender Kantone konzentrieren. Eine entsprechende unbeschränkte Massierung des Jagdverkehrs wäre nicht nur aus umwelt- und waidpolizeilichen Gründen unerwünscht, eine einheitliche Zufahrtsregelung für alle im Kanton Graubünden Jagdberechtigten liegt auch im Interesse der Chancengleichheit unter den Jägern (vgl. PKG 1985 Nr. 40). In Anbetracht dieser Umstände liegt eine ausreichend erhebliche Berührung des Kantons Graubünden durch ein Verhalten ausserhalb der Kantonsgrenzen vor, auch wenn von diesem Verhalten kein tatbeständlicher Erfolg im engen strafrechtsdogmatischen Sinne ausgeht. In der neueren Literatur ist in diesem Zusammenhang auch vom "Auswirkungsprinzip" als besonderer Anknüpfungsregel die Rede, welche gleichzeitig die Gesichtspunkte des Territorial- und Schutzprinzips sowie des passiven Personalitätsprinzips berücksichtigt (vgl. BÄR, a.a.O., S. 16 f.). Der Anknüpfungsgrund besteht im gefährdeten Rechtsgut, nämlich vor allem in den schützenswerten Interessen der bündnerischen Wildhege sowie des allgemeinen Tier- und Umweltschutzes im Kanton Graubünden. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
5778fc7a-e9ed-4e57-9664-b93d8d9fd316 | Urteilskopf
118 Ib 381
48. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. September 1992 i.S. World Wildlife Fund (Schweiz) gegen Rebbergmeliorationsgenossenschaft "Poja-Tschanderünu-Undri Zell" (PTUZ), Gemeinderat Salgesch, Meliorationsamt Oberwallis, Kantonale Rekurskommission für Bodenverbesserungen Wallis, Staatsrat des Kantons Wallis sowie Verwaltungsgericht des Kantons Wallis (Verwaltungsgerichtsbeschwerden) | Regeste
Genehmigung des definitiven Projektes der Rebbergmelioration; Beschwerdebefugnis der gesamtschweizerischen Umweltvereinigungen im kantonalen und im bundesgerichtlichen Verfahren;
Art. 55 USG
und
Art. 12 NHG
,
Art. 33 RPG
; Koordination in materieller und formeller Hinsicht, massgebliches Verfahren.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; Legitimation des WWF sowohl gemäss Art. 103 lit. a als auch gemäss
Art. 103 lit. c OG
bzw.
Art. 55 USG
und
Art. 12 NHG
(E. 2).
2. Das kantonale Recht hat einer beschwerdeberechtigten Umweltorganisation dieselben Parteirechte zu gewähren wie das Bundesrecht. Der WWF ist im kantonalen Verfahren in Missachtung von
Art. 55 USG
und
Art. 12 NHG
als nicht beschwerdebefugt erachtet worden. Zudem haben die kantonalen Behörden die Grundsätze gemäss
Art. 33 Abs. 2 und 3 RPG
missachtet (E. 3).
3. Pflicht zur materiell und verfahrensmässig koordinierten Rechtsanwendung insbesondere im erstinstanzlichen, wie aber auch im Rechtsmittelverfahren, wobei in bezug auf die hier umstrittene Rebbergmelioration das raumplanungsrechtliche Bewilligungsverfahren zum massgeblichen Verfahren zu bestimmen ist. Die kantonalen Behörden haben die Koordinationspflicht verletzt. Rückweisung der Sache an den Staatsrat, der im raumplanungsrechtlichen Bereich als erste Rechtsmittelinstanz und im übrigen (namentlich in bezug auf
Art. 18 ff. NHG
, Art. 24 f. FG und die Frage der UVP-Pflicht) als Bewilligungs- bzw. Genehmigungsinstanz in einem koordinierten, einheitlichen Entscheid darüber zu befinden hat, ob die Voraussetzungen zur Genehmigung des Meliorationsvorhabens erfüllt sind. Gegen diesen Entscheid steht ebenso einheitlich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht offen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 383
BGE 118 Ib 381 S. 383
A.-
Im Gebiet Poja-Tschanderünu-Undri Zell (PTUZ) in der Gemeinde Salgesch soll eine Rebbergmelioration durchgeführt werden, um die Bewirtschaftung der bestockten Flächen zu erleichtern; gleichzeitig soll die Rebfläche vergrössert werden. Das Vorhaben berührt forstrechtliche Fragen und solche des Landwirtschafts-, Bau-, Raumplanungs-, Natur- und Landschaftsschutz- sowie des Umweltschutzrechts. Die im Jahre 1979 eingeleiteten Abklärungen endeten vorläufig mit Urteil des Bundesgerichts vom 20. Januar 1988, mit dem die Koordinationspflicht hinsichtlich der verschiedenen Verfahren und die raumplanungsrechtliche Bewilligungspflicht bejaht wurden, währenddem die Rodungsbewilligung verweigert wurde (s.
BGE 114 Ib 224
ff.).
B.-
In der Folge überarbeitete die Rebbergmeliorationsgenossenschaft PTUZ ihr Vorhaben nochmals. Das definitive Projekt wurde hierauf durch die Gemeinde Salgesch gestützt auf Art. 44 des kantonalen Gesetzes vom 2. Februar 1961 über die Bodenverbesserungen und andere Massnahmen zu Gunsten der Landwirtschaft
BGE 118 Ib 381 S. 384
(BVG) vom 28. August 1988 bis am 19. September 1988 öffentlich aufgelegt. Ebenso wurde das von der Genossenschaft in bezug auf die erforderlichen Nivellierungs- und Umbrucharbeiten sowie den Bau der Rebstrassen und Bewässerungsanlagen eingereichte Baugesuch gemäss Art. 24 der kantonalen Bauverordnung vom 5. Januar 1983 (BauV) ab dem 26. August 1988 öffentlich aufgelegt.
a) Im Baubewilligungsverfahren erhob der World Wildlife Fund Schweiz (WWF), Sektion Wallis, am 2. September 1988 Einsprache. Mit der Begründung, der WWF sei hiefür nicht legitimiert, trat der Gemeinderat Salgesch am 29. September 1988 auf die Einsprache nicht ein und erteilte die nachgesuchte Baubewilligung. Mit Entscheid vom 11. Januar 1990 erteilte auch die kantonale Baukommission die Baubewilligung nach Massgabe von
Art. 22 RPG
, dies gestützt auf die von den zuständigen Fachstellen erstatteten Berichte; die vom WWF erhobene Einsprache wies sie ab, soweit darauf eingetreten wurde, und die übrigen Einsprachen konnten als gegenstandslos geworden abgeschrieben werden oder wurden zurückgezogen. In Berücksichtigung der Fachberichte wurde die Erteilung der Baubewilligung von verschiedenen Auflagen und Bedingungen abhängig gemacht. Sodann schloss sich die Baukommission den Folgerungen eines Gutachtens zur Frage der Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) an, das die Genossenschaft in Auftrag gegeben hatte. Den Ausführungen des Expertenberichtes vom 15. September 1989 entsprechend ging die Kommission davon aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine UVP-Pflicht nach Massgabe der am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPV, SR 814.011) nicht erfüllt seien, weil keine Gesamtmelioration zur Diskussion stehe. Dagegen sei das Projekt an sich UVP-pflichtig, weil Terrainveränderungen von mehr als 5 ha vorgesehen seien. Diese Frage sei allerdings übergangsrechtlicher Natur. Im Meliorationsverfahren sei eine UVP im Verfahren der Genehmigung des Vorprojektes einzuholen. Im vorliegenden Fall sei dies nicht mehr möglich, da das Vorprojekt bereits im Jahre 1983 genehmigt worden sei. Daraus ergebe sich, dass das für das zur Diskussion stehende Projekt geeignete oder ursprüngliche Verfahren bereits abgeschlossen sei. Diesem Umstand sei nicht durch die nachträgliche Durchführung einer formellen UVP, sondern - in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichts - dadurch Rechnung zu tragen, dass das Ausführungsprojekt dahingehend überprüft werde, ob es mit dem Bundesrecht übereinstimme; diese Prüfung habe nicht nur im Meliorationsverfahren, das als
BGE 118 Ib 381 S. 385
dominierendes und damit als Leitverfahren zu erachten sei, sondern auch in jedem anderen Verfahren zu erfolgen, somit ebenfalls im Baubewilligungsverfahren. Im vorliegenden Fall ergebe sich namentlich gestützt auf die verschiedenen Fachstellenberichte, dass bundesrechtliche - vor allem raumplanungs- und umweltschutzrechtliche - Hindernisse der Melioration nicht entgegenstünden. Um schliesslich dem Koordinationsgebot Nachachtung zu verschaffen, seien die Baubewilligung und die noch ausstehende Genehmigung des Ausführungsprojektes in einem einzigen beschwerdefähigen Entscheid zusammenzufassen. Entsprechend stellte die Baukommission den Baubewilligungsentscheid dem Meliorationsamt zu; es sei dann dessen Sache, ihn gemeinsam mit den übrigen das Vorhaben betreffenden Entscheiden unter Angabe der Rechtsmittelbelehrung schriftlich zu eröffnen.
Nachdem der WWF vom Entscheid vom 11. Januar 1990 Kenntnis erhalten hatte, erhob er am 22. Februar 1990 Beschwerde an den Staatsrat des Kantons Wallis; er wollte offenbar verhindern, dass ihm später ein unbenutzter Fristenlauf entgegengehalten werden könne. Diese Beschwerde ergänzte der WWF aufgrund des ihm vom Baudepartement nachträglich zugestellten Entscheidexemplars.
Mit Entscheid vom 20. März 1991 trat der Staatsrat auf die Beschwerde nicht ein, im wesentlichen mit der Begründung, das bau- und raumplanungsrechtliche Verfahren werde in Erfüllung der Koordinationspflicht in das Meliorationsverfahren eingebettet; bei Meliorationen der vorliegenden Art gehe dieses Verfahren allfälligen planungs- und baurechtlichen Fragen voraus, was zur Folge habe, dass es als massgebliches Verfahren (Leitverfahren) bezeichnet werden müsse. Das mit den Bodenverbesserungen betraute Departement habe deshalb in jenem Leitverfahren bei den zuständigen Behörden die erforderlichen Bewilligungen einzuholen, welche in der Folge in den Genehmigungsentscheid zu integrieren seien. Entsprechend sei eine selbständige Anfechtung der Baubewilligungen nicht zulässig. Vielmehr werde sich der Staatsrat in einem einzigen Entscheid über die Genehmigung des endgültigen Projektes und damit sowohl über die bodenverbesserungsrechtlichen Fragen als auch über diejenigen der weiteren Rechtsbereiche wie Raumplanung und Baurecht äussern, weshalb sich die erst gegen den Bauentscheid gerichtete Beschwerde des WWF im jetzigen Zeitpunkt mangels anfechtbarem Entscheid als unzulässig erweise. Schliesslich werde in jenem erst noch zu fällenden Genehmigungsentscheid das Rechtsmittel angegeben sein, welches ergriffen werden könne.
BGE 118 Ib 381 S. 386
b) Sodann erhob der WWF am 19. September 1988 Einsprache gegen das überarbeitete endgültige Meliorationsprojekt. Diese Einsprache wurde vom Vorstand der Rebbergmeliorationsgenossenschaft PTUZ am 27. Januar 1990 abgewiesen, im wesentlichen mit der Begründung, dass bereits die Gemeinde auf die vom WWF im Baubewilligungsverfahren erhobene Einsprache mangels Legitimation nicht eingetreten sei und dass die kantonale Baukommission in ihrer Verfügung vom 11. Januar 1990 ebenfalls einen negativen Einspracheentscheid getroffen habe; im übrigen sei gemäss dem vorliegenden Gutachten eine UVP nicht erforderlich. Auf die vom WWF gegen diesen Entscheid des Genossenschaftsvorstandes eingereichte Beschwerde vom 22. Februar 1990 trat die kantonale Rekurskommission für Bodenverbesserungen mit Entscheid vom 14. August 1990 nicht ein. Diesen Entscheid stützte sie auf den Wortlaut von
Art. 30 BVG
, wonach (einzig) Eigentümer, Grundpfandgläubiger oder andere Interessierte Einsprache erheben können (
Art. 30 Abs. 3 BVG
); dabei können nach der Praxis der Rekurskommission nur Personen, die in einem besonders engen Verhältnis zur geplanten Bodenverbesserung stehen, als einspracheberechtigte Dritte nach
Art. 30 Abs. 3 BVG
betrachtet werden. Diese Voraussetzung erachtete die Kommission in bezug auf den WWF als nicht erfüllt. Im übrigen erwog die Kommission, bei ihrem Entscheid, der nur in Anwendung kantonalen Rechts ergehe und somit lediglich der staatsrechtlichen Beschwerde (und nicht gestützt auf
Art. 12 NHG
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde) unterliege, gehe es bloss um den ersten Schritt in Richtung der staatsrätlichen Genehmigung des Projektes und der damit verbundenen Subventionszusprache. Liege einmal die Genehmigung vor und sei die kantonale Subventionierung beschlossen, erfolge die bundesrechtliche Einwirkung, indem das eidgenössische Bodenverbesserungsrecht und damit auch die übrigen Bundesbestimmungen über den Weinbau usw. anzuwenden seien. Erst in jenem Zeitpunkt werde der WWF die Beschwerdeberechtigung erlangen und könne er sich gegen das Projekt wehren. Das Verfahren vor der Kommission stelle nur den bodenverbesserungsrechtlichen Teil des Verfahrens dar, der zusammen mit dem raumplanerischen und baupolizeilichen Aspekt zur Genehmigung durch den Staatsrat führe. Die Koordination werde in dem Zeitpunkt erfolgen, in dem beide Teilverfahren so weit gediehen seien, dass dem Staatsrat das endgültige Projekt zur Genehmigung unterbreitet werden könne. Es handle sich somit beim Entscheid der Bodenverbesserungskommission - wie bei der
BGE 118 Ib 381 S. 387
Verfügung des Genossenschaftsvorstandes - lediglich um eine "Teilzwischenverfügung".
Ebenfalls am 20. März 1991, an dem der bereits genannte Nichteintretensentscheid im Baubewilligungsverfahren gefällt wurde, genehmigte der Staatsrat mit separatem Entscheid das endgültige Meliorationsprojekt mit verschiedenen Bedingungen und Auflagen (namentlich der Umweltschutzfachstelle und der Forstpolizei); in Berücksichtigung der von den verschiedenen Fachstellen zum endgültigen Projekt abgegebenen Stellungnahmen sah sich der Staatsrat unter Bezugnahme auf den Wortlaut von
Art. 24 UVPV
nicht veranlasst, im nachhinein noch eine förmliche UVP zu verlangen. Vielmehr hielt er dafür, das endgültige Projekt könne in Anbetracht der von den verschiedenen Fachstellen vorgenommenen Abklärungen, die als Bericht im Sinne der Umweltgesetzgebung zu gelten hätten, als umweltverträglich erachtet werden, weshalb der Realisierung des Projektes unter Einhaltung der verschiedenen Auflagen und Bedingungen auch insoweit nichts entgegenstehe. Der Staatsrat hielt ausdrücklich fest, dass die vom 11. Januar 1990 datierte Verfügung der kantonalen Baukommission integrierender Bestandteil des Genehmigungsentscheides bilde und den Einsprechern zusammen mit diesem Entscheid eröffnet werde; in der Genehmigung des definitiven Projektes sei somit die Bewilligung für den Strassen- und Wegebau inbegriffen. Sodann entschied der Staatsrat im selben Entscheid über die Subventionierung der vorgesehenen Melioration. Im übrigen fügte er seinem Entscheid die Rechtsmittelbelehrung bei, dass dieser "in allen Punkten, die der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegen", mit Beschwerde beim kantonalen Verwaltungsgericht angefochten werden könne.
c) Gegen den im Baubewilligungsverfahren gefällten Nichteintretensentscheid des Staatsrates vom 20. März 1991 erhob der WWF am 19. April 1991 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Wallis, und mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 22. April 1991 zog er auch den ebenfalls vom 20. März 1991 datierten Genehmigungsentscheid des Staatsrates an das Verwaltungsgericht weiter. Mit Urteil vom 13. Juni 1991 trat das Verwaltungsgericht auf die Beschwerden nicht ein. Im wesentlichen erwog es folgendes: Beim zur Diskussion stehenden Projekt handle es sich um eine Güterzusammenlegung mit Terrainveränderungen von mehr als 5 ha. Unabhängig davon, ob aufgrund von
Art. 24 UVPV
eine formelle UVP durchzuführen sei, handle es sich damit nach Ziff. 80.1 des Anhangs zur UVPV um eine UVP-pflichtige Anlage.
BGE 118 Ib 381 S. 388
Gemäss Ziff. 80.1 des Anhangs zu dem zur UVPV erlassenen kantonalen Ausführungsreglement vom 28. November 1990 (ARzUVPV) sei das massgebliche Verfahren auf der in Frage stehenden Stufe des endgültigen Projektes (2. Stufe) das Genehmigungsverfahren gemäss
Art. 31 BVG
und sei die hiefür zuständige Behörde der Staatsrat, der demnach auch für die gesamte und zusammengefasste Eröffnung der erstinstanzlichen Entscheide zuständig sei. Die verbleibende Frage, ob als einheitliches Rechtsmittel gegen diese Entscheide die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht offenstehe, könnte nur bejaht werden, wenn dieses Rechtsmittel im Leitverfahren selber gegeben wäre. Aber nach Art. 76 lit. f des kantonalen Gesetzes vom 6. Oktober 1976 über das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsrechtspflege (VVRG) sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen auf dem Gebiete der Bodenverbesserungen unzulässig, weshalb auf die Beschwerde gegen den Genehmigungsentscheid des Staatsrates und die damit zusammen eröffneten Verfügungen nicht eingetreten werden könne. Was die den Nichteintretensentscheid des Staatsrates betreffende Beschwerde anbelange, handle es sich dabei um eine Rechtsverweigerungsbeschwerde. Eine solche sei nach Art. 77 lit. a VVRG ebenfalls nur zulässig, wenn die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch gegen die Endverfügung selber zulässig sei. Wie ausgeführt, treffe dies aber in bezug auf den staatsrätlichen Genehmigungsentscheid nicht zu, weshalb auch auf die Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid nicht eingetreten werden könne.
C.-
Gegen den vom 14. August 1990 datierten Entscheid der kantonalen Rekurskommission für Bodenverbesserungen, gegen den vom 20. März 1991 datierten Genehmigungsentscheid des Staatsrates sowie gegen den vom 13. Juni 1991 datierten Nichteintretensentscheid des kantonalen Verwaltungsgerichtes erhob der WWF je separat Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht; er beantragte im wesentlichen, diese Entscheide seien aufzuheben, da durch sie in verschiedener Hinsicht Bundesrecht verletzt werde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob es auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde eintreten kann (
BGE 117 Ib 138
E. 1, 156 E. 1, 183 E. 1, mit Hinweisen,
BGE 118 Ib 329
E. 1).
BGE 118 Ib 381 S. 389
a) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist gemäss
Art. 97 OG
in Verbindung mit
Art. 5 VwVG
zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen, sofern diese von den in
Art. 98 OG
genannten Vorinstanzen erlassen worden sind und keiner der in
Art. 99 ff. OG
oder in der Spezialgesetzgebung vorgesehenen Ausschlussgründe vorliegt. Dies gilt auch für gemischtrechtliche Verfügungen, die sowohl auf kantonalem bzw. kommunalem wie auch auf Bundesrecht beruhen, falls und soweit die Verletzung von unmittelbar anwendbarem Bundesrecht in Frage steht (
Art. 104 OG
;
BGE 117 Ib 138
E. 1a, 158 E. 1a, 116 Ib 162 f. E. 1a, 169 ff., je mit Hinweisen).
Im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind auch auf unselbständiges kantonales Ausführungsrecht zum Bundesrecht gestützte Anordnungen zu überprüfen sowie auf übrigem kantonalem Recht beruhende Anordnungen, die einen hinreichend engen Sachzusammenhang mit der im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu beurteilenden Frage des Bundesverwaltungsrechts aufweisen. Soweit dem angefochtenen Entscheid hingegen selbständiges kantonales Recht ohne den genannten engen Sachzusammenhang zum Bundesrecht zugrunde liegt, steht ausschliesslich die staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung (
BGE 117 Ib 10
ff., 139 f., je mit weiteren Hinweisen, s. zudem
BGE 118 Ib 199
E. 1c und 328 ff. E. 1, mit weiteren Hinweisen).
b) aa) Anfechtungsobjekt der ersten Beschwerde bildet der Nichteintretensentscheid der kantonalen Bodenverbesserungskommission vom 14. August 1990, mit welchem dem WWF die Befugnis aberkannt wurde, bei dieser Kommission gestützt auf
Art. 30 Abs. 3 BVG
Einsprache gegen das definitive Meliorationsprojekt zu führen und dabei in verschiedener Hinsicht Bundesrechtsverletzungen zu rügen. Sodann bildet der vom Staatsrat in bezug auf das definitive Meliorationsprojekt im Rahmen des zum Leitverfahren bestimmten Meliorationsverfahrens gefällte koordinierte Genehmigungsentscheid vom 20. März 1991, in den namentlich auch der Baubewilligungsentscheid der kantonalen Baukommission integriert wurde, Anfechtungsgegenstand der zweiten Beschwerde. Anfechtungsobjekt der dritten Beschwerde bildet schliesslich der vom kantonalen Verwaltungsgericht gefällte Nichteintretensentscheid vom 13. Juni 1991, mit welchem auf die vom WWF sowohl gegen den vom Staatsrat im Baubewilligungsverfahren gefällten Nichteintretensentscheid als auch gegen dessen Genehmigungsentscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit der Begründung nicht eingetreten wurde,
BGE 118 Ib 381 S. 390
dieses Rechtsmittel sei im Lichte von Art. 76 lit. f wie auch gemäss Art. 77 lit. a VVRG unzulässig, da das Meliorationsverfahren das Leitverfahren sei und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen auf dem Gebiete der Bodenverbesserungen nicht offenstehe. Bei diesen Entscheiden, die vom Beschwerdeführer angefochten werden, handelt es sich um solche im Sinne von
Art. 97 OG
in Verbindung mit
Art. 5 VwVG
; der Genehmigungsentscheid des Staatsrates ist nach Auffassung des Beschwerdeführers jedenfalls teilweise in Missachtung von Bundesrecht ergangen, und die Nichteintretensentscheide der Bodenverbesserungskommission und des Verwaltungsgerichtes sind nach der Meinung des Beschwerdeführers in gänzlicher Missachtung von Bundesrecht gefällt worden (s. hiezu im übrigen nachf. lit. cc). Gegen den Nichteintretensentscheid der Bodenverbesserungskommission stand dem WWF kein kantonales Rechtsmittel offen (
Art. 58 Abs. 1 BVG
, Art. 76 lit. f VVRG), ebensowenig gegen den Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichtes. In bezug auf den Genehmigungsentscheid des Staatsrates hatte der Beschwerdeführer zwar gemäss der beigefügten Rechtsmittelbelehrung, wonach die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht nach Massgabe der gesetzlichen Bestimmungen zulässig sei, vorsorglich nebst der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht auch dieses kantonale Rechtsmittel erhoben, doch fällte das Verwaltungsgericht - wie erwähnt - einen Nichteintretensentscheid, da es die kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Anwendung von Art. 76 lit. f VVRG als unzulässig erachtete. Damit fällte es nicht ein Sachurteil, sondern lediglich ein Prozess- bzw. Unzuständigkeitsurteil. In einem solchen Fall, in dem das kantonale Verwaltungsgericht auf eine Beschwerde mangels Zuständigkeit nicht eintritt, betrachtet das Bundesgericht praxisgemäss den Regierungsratsentscheid als kantonal letztinstanzlichen Entscheid (nicht publ. E. 5c von
BGE 117 Ib 216
ff., nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 26. März 1991 i.S. G., E. 1a).
Bei den drei angefochtenen Entscheiden handelt es sich somit um letztinstanzliche kantonale Entscheide im Sinne von
Art. 98 lit. g OG
. Ein Ausschlussgrund gemäss
Art. 99-102 OG
liegt nicht vor.
bb) Die Legitimation des WWF ist bereits insoweit gegeben (
Art. 103 lit. a OG
), als er rügt, die kantonale Rekurskommission für Bodenverbesserungen und das kantonale Verwaltungsgericht seien zu Unrecht nicht auf seine Rechtsmittel eingetreten und hätten
BGE 118 Ib 381 S. 391
dadurch eine Rechtsverweigerung begangen (s.
BGE 114 Ib 157
f. E. 1c, 104 Ia 317 E. 3a,
BGE 100 Ib 335
E. 1, nicht publizierte E. 3a von
BGE 118 Ib 28
ff.), kann doch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde insbesondere auch gegen einen allein auf kantonalem Recht beruhenden Nichteintretensentscheid ergriffen werden, wenn damit - wie der WWF dies im vorliegenden Fall geltend macht (s. nachf. cc) - Bundesverwaltungsrecht zu Unrecht nicht angewendet worden sein soll (vgl.
BGE 117 Ib 11
,
BGE 103 Ib 146
E. 2a,
BGE 100 Ib 370
E. 1).
cc) Sodann steht dem WWF die Beschwerdebefugnis in allen drei Verfahren, in denen er im wesentlichen dieselben Bundesrechtsverletzungen rügt, aus folgenden Gründen zu:
Soweit gegen Verfügungen der kantonalen oder Bundesbehörden über die Planung, Errichtung oder Änderung von Anlagen, für die eine UVP nach
Art. 9 USG
erforderlich ist, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht zulässig ist, steht das Beschwerderecht auch den gesamtschweizerischen Umweltschutzorganisationen zu, sofern sie mindestens zehn Jahre vor Einreichung der Beschwerde gegründet wurden (
Art. 55 Abs. 1 USG
). Gemäss
Art. 55 Abs. 2 USG
bezeichnet der Bundesrat die zur Beschwerde berechtigten Organisationen. Diese können auch von den Rechtsmitteln im kantonalen Bereich Gebrauch machen (
Art. 55 Abs. 3 USG
). Der WWF ist vom Bundesrat in der Verordnung über die Bezeichnung der beschwerdeberechtigten Umweltschutzorganisationen vom 27. Juni 1990 (VBUO, SR 814.016) als solche Organisation anerkannt worden. Deren Beschwerdebefugnis erstreckt sich insbesondere auch auf Verfügungen, in welchen eine UVP-Pflicht verneint wird. Nach der Praxis des Bundesgerichts betrifft die Rüge,
Art. 9 USG
sei zu Unrecht nicht angewendet worden, eine materielle Rechtsfrage. Der WWF ist somit nach
Art. 55 USG
legitimiert, die Rüge zu erheben, der Staatsrat habe in bezug auf das in Frage stehende Meliorationsprojekt die UVP-Pflicht zu Unrecht verneint (s.
BGE 117 Ib 140
E. 1c,
BGE 118 Ib 5
ff.).
Im weiteren ist der WWF befugt, geltend zu machen, durch die angefochtenen Entscheide, durch die seine in den kantonalen Verfahren vorgebrachten Bundesrechtsverletzungen ungeprüft geblieben seien, werde das aufgrund von
Art. 12 NHG
gewährleistete Beschwerderecht der ideellen Vereinigungen verletzt (
Art. 104 lit. a OG
,
Art. 103 lit. c OG
in Verbindung mit
Art. 12 Abs. 1 NHG
; s.
BGE 118 Ib 5
ff., 117 Ib 99 f., 116 Ib 121 E. 1, 115 Ib 338 und 479 f., 112 Ib 71 f. E. 2). Im Rahmen von
Art. 12 NHG
ist der WWF zur Rüge legitimiert, das nach seiner Auffassung überdimensionierte
BGE 118 Ib 381 S. 392
und unzweckmässige Meliorationsprojekt, das die Natur und Landschaft auf unzulässige Weise beeinträchtige, sei zu Unrecht nicht umfassend im Lichte von
Art. 24 RPG
geprüft worden. Als mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbare Entscheide im Sinne von
Art. 24 RPG
gelten nicht nur letztinstanzliche Verfügungen, mit denen eine Bewilligung nach
Art. 24 RPG
erteilt wird, sondern auch Entscheide, mit denen Bauten und Anlagen gestützt auf diese Bestimmung nicht bewilligt werden; weiter unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aber auch jene Entscheide über Bauten und Anlagen, die einer raumplanerischen Ausnahmebewilligung bedürften und bei deren Beurteilung
Art. 24 RPG
zu Unrecht nicht angewendet wurde (vgl.
BGE 117 Ib 38
E. 2,
BGE 115 Ib 400
und 510,
BGE 114 Ib 348
f.). Diese Rechtsprechung entspricht dem Grundsatz, dass auch Anordnungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes hätten stützen sollen, als Verfügungen im Sinne von
Art. 5 VwVG
zu betrachten und daher im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren zu beurteilen sind (
BGE 117 Ib 11
E. 2a). Da der Anwendungsbereich von
Art. 24 Abs. 1 RPG
von der Beurteilung der Zonenkonformität im Sinne von
Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG
abhängig ist, kann die vom WWF erhobene Rüge der Verletzung von
Art. 24 RPG
somit im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht werden. Dieser enge Zusammenhang zwischen den beiden genannten Bestimmungen kommt im Wortlaut von
Art. 24 Abs. 1 RPG
deutlich zum Ausdruck. Danach können abweichend von
Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG
Bewilligungen erteilt werden, Bauten und Anlagen zu errichten oder ihren Zweck zu ändern, wenn dieser einen Standort ausserhalb der Bauzonen erfordert (
Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
) und keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
). Das Bundesgericht hat denn auch stets das Verhältnis zwischen Bauvorhaben und massgeblicher Nutzungszone im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geprüft, wenn sich die Frage einer Ausnahmebewilligung im Sinne von
Art. 24 RPG
stellte (
BGE 112 Ib 259
ff. und 271 E. 1a,
BGE 111 Ib 215
E. 2). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist in der Handhabung dieser Bestimmung die Erfüllung einer Bundesaufgabe gemäss
Art. 12 NHG
zu erblicken, wenn - wie hier vom WWF - geltend gemacht wird, eine auf sie gestützte Baubewilligung verstosse gegen die nach
Art. 24sexies BV
bzw. nach den Vorschriften des NHG notwendige Rücksichtnahme auf Natur und Heimat. Dies trifft entsprechend auch auf die vom Beschwerdeführer gerügte Verletzung fischereirechtlicher Bestimmungen (Art. 24 f. FG), die auf
Art. 24sexies BV
beruhen, sowie auf die ebenfalls
BGE 118 Ib 381 S. 393
gerügte Verletzung von
Art. 18 ff. NHG
zu. Gestützt auf
Art. 12 NHG
ist der WWF somit auch insoweit beschwerdebefugt.
dd) Im vorliegenden Verfahren ist ebenfalls umstritten, bei welcher Behörde auf welche Weise die erforderliche Koordination der Rechtsanwendung unter weitestmöglicher Beachtung des kantonalen Verfahrensrechts gewährleistet werden kann. Die dabei zu beurteilenden Verfahrensfragen stellen sich im Zusammenhang mit der Überprüfung der angefochtenen Entscheide bzw. Bewilligungen, deren Grundlagen bzw. Voraussetzungen im direkt anwendbaren Bundesrecht geregelt sind bzw. gemäss Auffassung des Beschwerdeführers geregelt sein sollen (USG/UVPV,
Art. 24 RPG
,
Art. 18 ff. NHG
, Art. 24 f. FG). Zwischen diesem Bundesrecht, dessen Anwendung nach dem Gesagten im Rahmen des Verwaltungsgerichtsverfahrens zu überprüfen ist (
Art. 104 lit. a OG
, oben lit. cc), und dem (unselbständigen) kantonalen Recht, das der Verwirklichung des anwendbaren Bundesrechts dienen soll, besteht ein derart enger Sachzusammenhang, dass ebenfalls die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beanstandet werden kann. Dies ist selbst dann der Fall, wenn in der Beschwerde - wie in der vom WWF gegen den Nichteintretensentscheid der Bodenverbesserungskommission erhobenen Beschwerde - insbesondere auch eine Verletzung des selbständigen, aber in engem Sachzusammenhang mit dem Bundesrecht stehenden kantonalen Verfahrensrechts geltend gemacht wird, da bereits eine solche Rechtsverletzung zu einer Vereitelung von Bundesrecht führen kann (vgl.
BGE 118 Ib 329
E. b,
BGE 117 Ib 41
und 219,
BGE 116 Ib 8
ff. und 169 ff.,
BGE 103 Ib 314
E. 2b,
BGE 99 Ib 326
). Soweit im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Auslegung und Anwendung des selbständigen kantonalen Verfahrensrechts zu überprüfen ist, richtet sich die Kognition des Bundesgerichts allerdings nach den für die staatsrechtliche Beschwerde geltenden Grundsätzen (vgl.
BGE 118 Ib 199
E. 1c, 329 E. 1b,
BGE 117 Ib 139
, 116 Ib 10, je mit Hinweisen).
ee) Die weiteren Prozessvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt; sie geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerden ist somit einzutreten.
3.
a) Die kantonale Rekurskommission für Bodenverbesserungen stützte ihren Nichteintretensentscheid auf den Wortlaut von
Art. 30 Abs. 3 BVG
, wonach Eigentümer, Grundpfandgläubiger oder andere Interessierte Einsprache führen können. Nach der Kommissionspraxis können nur Personen, die in einem besonders engen Verhältnis zur geplanten Bodenverbesserung stehen, als
BGE 118 Ib 381 S. 394
einspracheberechtigte Dritte im Sinne der genannten Bestimmung betrachtet werden. Dieses Erfordernis erachtete die Kommission in bezug auf den WWF als nicht erfüllt, weshalb sie auf seine gegen das definitive Meliorationsprojekt gerichtete Einsprache, mit welcher namentlich das Fehlen einer UVP beanstandet wurde, nicht eintrat. Dabei wies sie darauf hin, bei ihrem Entscheid handle es sich ohnehin nur um eine (an sich unnötige) "Teilzwischenverfügung", werde doch der Staatsrat in seinem koordinierten Genehmigungsentscheid gemäss
Art. 31 BVG
umfassend zum Projekt Stellung nehmen. Diese Verfahrenskonstellation ergab sich, weil der Staatsrat im Hinblick auf die Abwicklung der verschiedenen, mit der Verwirklichung des Meliorationsvorhabens zusammenhängenden Bewilligungsverfahren das Meliorationsverfahren als massgebendes bzw. als Leitverfahren im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (s.
BGE 117 Ib 42
ff. und 325 ff.,
BGE 116 Ib 50
ff., je mit Hinweisen) bestimmte, wobei er aber auch in Betracht zog, dass er gemäss dem - allerdings erst am 1. April 1991 und damit erst nach seinem Entscheid vom 20. März 1991 in Kraft getretenen - kantonalen Ausführungsreglement zur UVPV, das vom Bundesrat am 6. März 1991 genehmigt wurde, die zuständige Behörde ist.
Auch der Staatsrat behandelte die vom WWF im Bodenverbesserungsverfahren erhobene Einsprache nicht, und auf die gegen den Baubewilligungsentscheid der Baukommission erhobene Einsprache trat er nicht ein; dieser Baubewilligungsentscheid wurde vielmehr in den koordinierten Genehmigungsentscheid des Staatsrates integriert. Dies führte dazu, dass der Staatsrat in bezug auf das definitive Meliorationsprojekt insgesamt, also namentlich auch in bezug auf die Baubewilligung, zur erst- und letztinstanzlichen Entscheidbehörde wurde. Denn das Verwaltungsgericht seinerseits trat auf die gegen die staatsrätlichen Entscheide gerichteten Verwaltungsgerichtsbeschwerde des WWF nicht ein mit der Begründung, dieses Rechtsmittel sei im Lichte von Art. 76 lit. f wie auch gemäss Art. 77 lit. a VVRG unzulässig, da das Meliorationsverfahren das Leitverfahren sei und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen auf dem Gebiete der Bodenverbesserungen nicht offenstehe. Damit setzte es sich insbesondere über den kantonalen Rechtsmittelweg für Baubewilligungssachen hinweg, der vorsieht, dass Entscheide der kantonalen Baukommission zunächst beim Staatsrat und dessen Entscheide beim Verwaltungsgericht angefochten werden können (s. Art. 36 BauV und Art. 74 ff. VVRG, kein gesetzlicher Ausschlussgrund). - Die Regelung, wonach die
BGE 118 Ib 381 S. 395
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht in Bodenverbesserungssachen ausgeschlossen ist (Art. 76 lit. f VVRG), soll geändert werden; da das Verfahren vor der Rekurskommission gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht in allen Belangen zu genügen vermag (s.
BGE 117 Ia 378
ff. und nicht publ. Urteil vom 3. April 1992 betr. Baulandumlegungsgenossenschaft Erschmatt), ist zu begrüssen, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht inskünftig auch in Bodenverbesserungssachen offenstehen soll, doch ist diese Regelung im vorliegenden Fall ohne direkte Bedeutung, da sie erst auf den 1. Januar 1993 in Kraft treten soll und da ohnehin die Meliorationsfragen und entsprechend auch "civil rights" im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
jedenfalls unter den am hier in Frage stehenden Vorhaben Beteiligten nicht streitig sind.
Demnach ergibt sich, dass dem WWF durch die vor Bundesgericht angefochtenen Entscheide jedenfalls im kantonalen Rechtsmittelverfahren insgesamt verwehrt wurde, seinen Rechtsstandpunkt in bezug auf das definitive Meliorationsprojekt vorzutragen.
b) Auch wenn der Staatsrat die Projektgenehmigung in das von ihm zum Leitverfahren ernannte Meliorationsverfahren eingebettet hat, das grundsätzlich dem kantonalen Recht untersteht, müssen die diesbezüglichen kantonalen Bestimmungen bundesrechtskonform angewandt werden, wenn und soweit durch das Vorhaben Bundesrecht betroffen wird. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung verlangt, dass das kantonale Recht den beschwerdeberechtigten Organisationen dieselben Parteirechte zu gewähren hat wie das Bundesrecht (s.
BGE 117 Ib 99
und 270 ff.,
BGE 116 Ib 122
und 426,
BGE 112 Ib 71
). Ob die beabsichtigten Meliorationsarbeiten einer UVP unterstehen, wie der Beschwerdeführer und übrigens auch das BUWAL darlegen, und ob sie zudem einer Bewilligung nach
Art. 24 RPG
,
Art. 18 ff. NHG
sowie Art. 24 f. FG bedürfen, wie der Beschwerdeführer ebenfalls geltend macht, sind Fragen des Bundesrechts, selbst wenn sie im Rahmen des kantonalen Rechts und in einem nicht zum vornherein zwingend baurechtlichen Verfahren behandelt werden.
Mit seiner Einsprache vor der kantonalen Rekurskommission wie auch vor dem Staatsrat und vor dem Verwaltungsgericht verlangte der WWF - wie ausgeführt - in verschiedener Hinsicht die Anwendung von Bundesrecht. Nach
Art. 55 USG
steht dem WWF auf Bundesebene das Recht zu, Anliegen des Umweltschutzes geltend zu machen, wie er nach
Art. 12 NHG
auf Bundesebene befugt ist, Anliegen
BGE 118 Ib 381 S. 396
des Natur- und Heimatschutzes und damit zusammenhängend insbesondere auch solche der Raumplanung (
Art. 24 RPG
) wahrzunehmen (s. oben E. 2b/cc). In diesem Umfange steht dem WWF somit auch die Beschwerdeberechtigung im kantonalen Verfahren zu.
Art. 55 Abs. 3 USG
schreibt denn auch ausdrücklich vor, dass eine Organisation berechtigt ist, sich am kantonalen Verfahren zu beteiligen. Daraus folgt, dass der Kanton die freiwillig am Verfahren teilnehmenden Umweltvereinigungen nicht ohne Bundesrechtsverletzung ausschliessen darf. Indem der Gesetzgeber die Befugnis der gesamtschweizerischen Vereinigungen zur Ergreifung der Rechtsmittel im Rahmen des kantonalen Rechts einführte, hat er die entsprechende Verpflichtung der Kantone festgeschrieben, diese Organisationen vor ihren Behörden zuzulassen (s.
BGE 116 Ib 424
ff.). Zudem verpflichtet das Bundesrecht die Kantone in
Art. 33 RPG
, gegen Verfügungen und Nutzungspläne, die sich auf das Raumplanungsgesetz und seine kantonalen und eidgenössischen Ausführungsbestimmungen stützen (bzw. stützen sollten), ein Rechtsmittel zu gewähren (
Art. 33 Abs. 2 RPG
), für welches die Legitimation im gleichen Umfang wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Abs. 33
Art. 3 lit. a RPG
) und die volle Überprüfung durch wenigstens eine Beschwerdebehörde gewährleistet sein muss (
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
;
BGE 115 Ib 405
f. E. 4c,
BGE 114 Ia 119
E. 4c/ca und 235 E. 2b, s. zudem
BGE 118 Ib 29
ff.). Jedenfalls beim Baubewilligungsentscheid der kantonalen Baukommission, welcher dann allerdings nicht selbständig formell eröffnet, sondern in den vom Staatsrat in bezug auf das definitive Meliorationsprojekt gefällten Genehmigungsentscheid integriert wurde, und ohnehin auch bei diesem Entscheid selber (vgl.
Art. 20 RPG
) handelt es sich um derartige raumwirksame Entscheide im Sinne von
Art. 33 RPG
(vgl.
BGE 118 Ib 29
ff.), sind doch dadurch mit dem Meliorationsvorhaben selber umfangreiche Terrainveränderungen sowie Rebstrassen und Bewässerungsanlagen bewilligt worden.
Entsprechend sind die Nichteintretensentscheide der Rekurskommission für Bodenverbesserungen und des Verwaltungsgerichtes bereits deshalb aufzuheben, weil dem WWF durch diese Entscheide verwehrt wurde, die ihm nach dem Gesagten zustehenden Parteirechte im kantonalen Verfahren auszuüben. Dasselbe trifft an sich auch in bezug auf den vom Staatsrat im Baubewilligungsverfahren gefällten Nichteintretensentscheid zu. Dieser Entscheid bildet allerdings im vorliegenden Verfahren nicht selbständiges Anfechtungsobjekt, was indes nichts daran ändert, dass auch ihm
BGE 118 Ib 381 S. 397
durch die nachfolgenden Erwägungen die Grundlage entzogen wird.
c) Das Vorgehen der kantonalen Rekurskommission für Bodenverbesserungen sowie dasjenige des Staatsrates und der Nichteintretensentscheid des kantonalen Verwaltungsgerichtes führten - wie dargelegt - dazu, dass der Staatsrat in bezug auf das gesamte Meliorationsvorhaben und damit auch in bezug auf die zu erteilende Baubewilligung zur ersten und zugleich letzten kantonalen Instanz wurde. Da es sich - wie ebenfalls schon erwähnt worden ist - beim Genehmigungs- und Baubewilligungsentscheid um einen raumwirksamen Entscheid im Sinne von
Art. 33 RPG
handelt, wurde durch das genannte Vorgehen nicht nur das Recht des WWF verletzt, am kantonalen Verfahren als Partei teilzunehmen (oben lit. b), sondern insbesondere auch die Bestimmung von
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
missachtet, wonach das kantonale Recht die volle Überprüfung solcher Verfügungen durch mindestens eine Beschwerdebehörde gewährleistet.
Dem Staatsrat steht zwar - sei es als erstinstanzliche Genehmigungsbehörde oder als Beschwerdeinstanz in Baubewilligungssachen - unbestrittenermassen die volle Überprüfungsbefugnis zu (s. Art. 17 ff. und 47 VVRG), doch hat er eben im vorliegenden Fall das Meliorations- bzw. Bauvorhaben nicht im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens genehmigt, sondern als erst- und zugleich letztinstanzliche kantonale Behörde darüber entschieden.
Die Rekurskommission für Bodenverbesserungen und das Verwaltungsgericht haben zwar als Rekurs- bzw. Beschwerdeinstanzen entschieden, allerdings nur über prozessuale Fragen und nicht in der Sache selber. Aus diesem Grunde vermögen daher auch ihre Entscheide dem Erfordernis von
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
nicht zu genügen. Abgesehen davon kommt diesen beiden Instanzen nicht die von der letztgenannten Bestimmung verlangte freie Überprüfungsbefugnis zu. Wo das Verfahrensrecht "volle Überprüfung" verlangt, sind dreierlei Rügen erlaubt: (1.) Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung, Unterschreitung oder Missbrauch des Ermessens, (2.) unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes und (3.) Unangemessenheit (s. EJPD/BRP, Erläuterungen zum RPG, N. 28 ff. zu Art. 33). Die Rekurskommission überprüft eine Melioration bzw. Neuzuteilung lediglich auf Willkür bzw. Rechtsgleichheit hin (s. das bereits zitierte Urteil vom 3. April 1992, E. 3c und 5b), während das Verwaltungsgericht bei Bauvorhaben die Frage der Unangemessenheit nicht prüft (vgl.
BGE 118 Ib 381 S. 398
Art. 78 VVRG). Beide Instanzen hätten somit
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
auch dann nicht zu genügen vermocht, wenn sie gestützt auf die ihnen zustehende Überprüfungsbefugnis einen Sachentscheid getroffen hätten (vgl.
BGE 116 Ib 64
E. c).
Somit haben die Entscheide der kantonalen Instanzen gesamthaft betrachtet insbesondere auch zu einer Verletzung von
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
geführt. Entsprechend sind die Beschwerden auch aus diesem Grunde gutzuheissen.
4.
a) Das Bundesgericht hat bereits wiederholt - so auch schon in dem das vorliegende Meliorationsvorhaben betreffenden Urteil vom 20. Januar 1988 (
BGE 114 Ib 224
ff., insb. 227 E. 5b) - ausgeführt, unter welchen Umständen und auf welche Weise die für ein Vorhaben erforderlichen verschiedenen Bewilligungsverfahren zu koordinieren sind, damit die massgebenden Gesetzgebungen gleichzeitig und vollumfänglich zum Zuge kommen (
BGE 118 Ib 331
E. 2,
BGE 117 Ib 35
ff., 42 ff., 135 ff. und 178 ff.,
BGE 116 Ib 50
ff., je mit Hinweisen).
Wenn für ein Vorhaben in mehreren getrennten kantonalen und kommunalen Verfahren dieselben bundesrechtlichen Vorschriften umfassend anzuwenden sind, so dass aus verfassungsrechtlichen Gründen eine wirksame materielle und verfahrensmässige Koordination erfolgen muss (
Art. 22quater Abs. 3 BV
), ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht der Grundsatz zu beachten, dass das kantonale Recht nicht so ausgestaltet oder angewendet werden darf, dass dadurch die Verwirklichung des Bundesrechts vereitelt, verunmöglicht oder wesentlich erschwert wird (
BGE 116 Ib 56
E. 4a mit Hinweisen). Dies verlangt, dass die Koordination gewährleistet wird. Der Grundsatz gilt insbesondere für das erstinstanzliche, wie aber auch für das Rechtsmittelverfahren. Andernfalls besteht die Gefahr materiell unkoordinierter, mitunter sogar einander widersprechender Entscheide sowie der Vereitelung des Bundesrechts, was dem Prinzip der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest.BV) widerspräche und zu sachlich unhaltbaren Ergebnissen (
Art. 4 BV
) führen könnte. So hat das Bundesgericht in einem Fall entschieden, dass ein kantonales Verwaltungsgericht gegen die beiden soeben genannten Verfassungsbestimmungen verstossen hat, weil es sich gestützt auf das kantonale Verfahrensrecht mit der Rüge der Verletzung des Umweltschutzrechts des Bundes nicht befasste, obwohl ein enger Sachzusammenhang zwischen materiellem eidgenössischem und kantonalem Recht bestand, der eine Aufteilung der zu beurteilenden Fragen nicht erlaubte. Damit war die Durchsetzung des
BGE 118 Ib 381 S. 399
Bundesrechts ohne sachliche Gründe erschwert worden (
BGE 114 Ib 351
ff.).
Sind für die Verwirklichung eines Projektes verschiedene materiellrechtliche Vorschriften anzuwenden und besteht zwischen diesen Vorschriften ein derart enger Sachzusammenhang, dass sie nicht getrennt und unabhängig voneinander angewendet werden dürfen, so muss diese Rechtsanwendung materiell koordiniert erfolgen (s. etwa
BGE 117 Ib 39
f. E. 3e und 325 ff.,
BGE 116 Ib 57
E. 4b, 114 Ib 129 f. E. 4). Dies kann auf verschiedene Weise erreicht werden. So kann etwa vorgeschrieben werden, dass dafür eine einzige Instanz zuständig ist. Sind hingegen - wie dies häufig der Fall ist - zur Beurteilung einzelner der materiellen Koordination bedürftiger Rechtsfragen verschiedene Behörden zuständig, so müssen diese die Rechtsanwendung in einer Weise abstimmen, dass qualitativ ein gleichwertiges Koordinationsergebnis erzielt wird, wie wenn eine Instanz über alle der Koordinationspflicht unterworfenen Fragen entscheiden würde. Unterbleibt ein erstinstanzlicher Gesamtentscheid, so kann ein solcher Verfahrensablauf beispielsweise so erfolgen, dass mehrere getrennt getroffene, jedoch zur Sicherstellung der materiellen Koordination mit dem Vorbehalt der Erteilung der weiteren Bewilligungen versehene Entscheide gleichzeitig eröffnet werden, am besten gesamthaft und zusammengefasst durch die erstinstanzliche Behörde, die für dasjenige Verfahren zuständig ist, das eine frühzeitige und umfassende Prüfung ermöglicht (Leitverfahren, massgebliches Verfahren, "procédure décisive", vgl.
Art. 5 Abs. 3 UVPV
; s. CHARLES-ALBERT MORAND, La coordination matérielle des décisions: Espoir ultime de systématisation du droit des politiques publiques, in: Droit de l'environnement: mise en oeuvre et coordination, Collection Genevoise, Basel und Frankfurt am Main 1992, S. 162, und - im selben Band - JACQUES-HENRI MEYLAN, La coordination formelle, S. 189). Bei einer solchen einheitlichen und gleichzeitigen Eröffnung verschiedener getrennt getroffener kantonaler bzw. kommunaler erstinstanzlicher Entscheide durch eine Behörde sollte zur Vereinfachung des Verfahrens und aus Gründen des Sachzusammenhanges ein gegen alle Entscheide zulässiges Rechtsmittel vorgesehen werden, am zweckmässigsten dasjenige, das für das Leitverfahren gegeben ist. Werden die einzeln getroffenen Entscheide zwar zeitlich und inhaltlich koordiniert, aber getrennt eröffnet (was sich in der Regel als unzweckmässig erweist), so sollte sichergestellt werden, dass dasjenige Rechtsmittel offensteht, welches gegen den Entscheid gegeben ist, der im Leitverfahren
BGE 118 Ib 381 S. 400
getroffen wird. Nur so kann bei bestehendem engem Sachzusammenhang die sachgerechte Anwendung des materiellen Rechts gewährleistet und erreicht werden, dass jedenfalls eine Rechtsmittelinstanz alle Einwendungen in einem Gesamtentscheid umfassend beurteilen kann (s.
BGE 118 Ib 331
E. 2,
BGE 116 Ib 58
; vgl. auch
BGE 114 Ib 129
ff. E. 4). Dabei ist darauf zu achten, dass die Überprüfungsbefugnis dieser Rechtsmittelinstanz die Anforderungen von
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
erfüllt. Diese Grundsätze gelten bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen sowohl für nicht UVP-pflichtige als auch für UVP-pflichtige Vorhaben, wobei das Leitverfahren bei UVP-pflichtigen Projekten grundsätzlich dem massgeblichen Verfahren im Sinne von
Art. 5 UVPV
entspricht.
Ein von den genannten Darlegungen abweichendes Vorgehen drängt sich auf, wenn die zur Bewilligung eines Vorhabens zu beurteilenden Rechtsfragen mit engem Sachzusammenhang erstinstanzlich durch Bundesbehörden und teils durch kantonale Behörden zu beurteilen sind. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Projekt, für das mehrere kantonale Bewilligungen erforderlich sind, noch einer in der Zuständigkeit einer Bundesbehörde liegenden Bewilligung bedarf (z.B. Rodungsbewilligung oder Subventionsbewilligung). In solchen Fällen muss die materielle Koordination zwischen den Behörden im kantonalen Verfahren ebenfalls sichergestellt werden. Eine verfahrensrechtlich und zeitlich verbundene Eröffnung der Bewilligungen mit anschliessendem einheitlichem Rechtsmittelverfahren ist indessen hier bei der gegebenen Rechtslage nicht möglich. Wie in solchen Situationen vorzugehen ist, muss ebenfalls im Einzelfall entschieden werden. Je nachdem können sich verschiedene Lösungsmöglichkeiten ergeben (vgl. etwa
BGE 116 Ib 58
f.). Im vorliegenden Fall stellen sich insoweit keine zusätzlichen Fragen, nachdem die vom EDI zunächst erteilte Rodungsbewilligung vom Bundesgericht mit Urteil vom 20. Januar 1988 verweigert wurde (
BGE 114 Ib 233
ff.) und nachdem das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) laut seiner vom 14. Januar 1992 erstatteten Vernehmlassung mit Schreiben vom 31. Juli 1991 zuhanden der Rebbergmeliorationsgenossenschaft PTUZ festgestellt hat, mit seinem definitiven Entscheid betreffend Aufnahme der Parzellen in den Rebbaukataster und mit seinem Entscheid betreffend Ausrichtung eines allfälligen Bundesbeitrages bis zum Abschluss der in bezug auf die Projektgenehmigung noch hängigen Verfahren zuzuwarten (s. in diesem Zusammenhang
BGE 117 Ib 42
ff. mit Hinweisen).
BGE 118 Ib 381 S. 401
b) In ihrem ausführlich begründeten Entscheid hatte die kantonale Baukommission im vorliegenden Fall erwogen, dass die Meliorationsgesetzgebung nicht darauf angelegt sei, inhaltlich alle rechtsrelevanten Aspekte zu berücksichtigen; dies sei nur im raumplanungsrechtlichen Bewilligungsverfahren möglich. Das Meliorationsverfahren gehe aber allfälligen planungs- und baurechtlichen Fragen voraus. Aus dieser zeitlichen Abfolge und dem Umstand, dass im Meliorationsverfahren planungs- und baurechtliche Aspekte gegenüber dem Grundsatzentscheid über ein gesamtes Meliorationsprojekt von untergeordneter Bedeutung seien, schloss die Baukommission, dass das Meliorationsverfahren das massgebende bzw. das Leitverfahren sei und das Baubewilligungsverfahren daher darin eingebettet werden müsse. Entsprechend bezeichnete auch die Rekurskommission für Bodenverbesserungen ihren Entscheid im Hinblick auf den Genehmigungsentscheid des Staatsrates als blosse "Teilzwischenverfügung". Der Staatsrat seinerseits bezeichnete ebenfalls das Meliorationsverfahren als das massgebende Verfahren. Er führte aus, dass das mit der Bodenverbesserung betraute Departement bei der zuständigen Behörde die Baubewilligung einholen müsse, welche dann in den Genehmigungsentscheid zu integrieren sei. Das Verwaltungsgericht übernahm die Begründungen der Vorinstanzen und folgerte, mit dieser Einbettung seien die Vorschriften des Baubewilligungsverfahrens durch die Vorschriften des Leitverfahrens (Art. 76 lit. f VVRG) konsumiert.
Die Baukommission hatte als kantonalrechtlich für die Raumplanung zuständige Stelle einen Entscheid gefällt und ihn als Verfügung bezeichnet; sie erteilte damit die raumplanungsrechtliche Baubewilligung, setzte Auflagen fest und wies gleichzeitig die vom WWF gegen das Bauvorhaben eingereichte Einsprache ab, soweit auf sie einzutreten war. Zum parallel verlaufenden Meliorationsverfahren nahm sie nicht Stellung, doch behielt sie in ihrem Entscheid die Genehmigung des Ausführungsprojektes durch das mit den Bodenverbesserungen betraute Departement vor. Dass der Entscheid der Rebbergmeliorationsgenossenschaft PTUZ vorläufig - im Hinblick auf die durch den Staatsrat geplante Eröffnung - nicht förmlich (sondern nur ausserordentlich) eröffnet wurde, ändert nichts daran, dass die kantonale Baukommission die Baubewilligung selber in Form einer Verfügung erteilte. Dementsprechend hätte diese Bewilligung gemäss Art. 36 BauV zunächst beim Staatsrat angefochten und hernach mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht weitergezogen werden können (kein Ausschlussgrund
BGE 118 Ib 381 S. 402
gemäss Art. 74 ff. VVRG); entsprechend hatte der WWF denn auch Beschwerde an den Staatsrat erhoben, sobald er vom Entscheid der Baukommission Kenntnis erhielt, auch wenn dies nicht durch förmliche Eröffnung erfolgte. Die Auffassung des Staatsrates, den Entscheid der Baukommission wegen damals noch fehlender Koordination als nicht selbständig zu erachten, überzeugt nicht. Rechtsfolge der mangelnden Koordination hätte - wie das BRP zutreffend ausführt - höchstens sein können, den von der Baukommission getroffenen Entscheid wegen dieses Mangels aufzuheben; dass der Entscheid aber als nicht ergangen bezeichnet wurde, kann sich aus den aufgezeichneten Koordinationsgrundsätzen nicht ergeben. Unabhängig von der Frage, ob das Meliorationsverfahren tatsächlich als Leitverfahren geeignet ist (was das Bundesgericht ebenfalls zu prüfen hat, s.
BGE 116 Ib 62
E. 6a), wäre bei den gegebenen Verhältnissen der raumplanungsrechtlichen Bewilligung der Baukommission somit im Rahmen der weiteren Entscheide eine gewisse eigenständige Bedeutung beigekommen. Entsprechend hätten sich der Staatsrat und das Verwaltungsgericht als Rechtsmittelinstanzen mit den vom WWF hinsichtlich der Baubewilligung erhobenen Beschwerden materiell befassen müssen. Gleichzeitig wäre der Staatsrat dadurch in die Lage versetzt worden, einen den Erfordernissen von
Art. 33 RPG
wie auch den Koordinationsgrundsätzen genügenden Entscheid zu fällen. Die kantonalen Behörden wären gehalten gewesen, eine solche Lösung von Anfang an anzustreben. Die Verfahrenskoordination im Sinne der aufgezeigten Grundsätze darf nicht dazu führen, für einen Entscheid, für den gemäss kantonaler und bundesrechtlicher Regelung ein Rechtsmittelverfahren vorgesehen ist, dieses Rechtsmittelverfahren gänzlich auszuschalten, wie dies im vorliegenden Fall geschehen ist. Das kantonale Recht ist so auszulegen und anzuwenden, dass es der Verwirklichung des Bundesrechtes zum Durchbruch verhelfen kann; bundesrechtliche Grundsätze gehen allenfalls widersprechendem kantonalem Recht vor (
BGE 118 Ib 333
E. 2c).
Dem Staatsrat selber ist zwar zugute zu halten, dass er im Rahmen seines Genehmigungsentscheides vom 20. März 1991 bereits umfangreiche Abklärungen veranlasst hatte und versuchte, dem Bundesgerichtsurteil vom 20. Januar 1988 Nachachtung zu verschaffen, soweit dies aus seiner Sicht noch nötig war, und in bezug auf das definitive Meliorationsprojekt einen koordinierten Entscheid zu fällen, wobei er vor allem darauf achtete, alle Teilbewilligungen zusammen in einem einzigen Entscheid gleichzeitig zu eröffnen. Sein
BGE 118 Ib 381 S. 403
Versuch kommt aber der Vielschichtigkeit einer rechtsstaatlichen Koordination nur ungenügend nach. Insbesondere übergeht er - wie soeben aufgezeigt worden ist - ohne sachlichen Grund geschriebenes kantonales Verfahrensrecht, zusätzlich aber auch Bundesrecht, dessen Verwirklichung er verunmöglicht. Vor allem wirkt sich dabei im vorliegenden Fall negativ aus, dass das für einen ganz bestimmten Sachverhalt geschaffene Meliorationsverfahren und nicht das umfassendere Baubewilligungsverfahren als Leitverfahren bezeichnet wurde, obwohl das Hauptgewicht und die Hauptauswirkung des Vorhabens bei den beabsichtigten Terrainveränderungen liegt. Die von den kantonalen Instanzen gewählte Koordination führte zwar in bezug auf die mit der erstinstanzlichen Projektgenehmigung verbundenen Bewilligungserteilungen zu einem einheitlichen Eröffnungsdatum, doch war sie nicht geeignet, ein einheitliches Rechtsmittel im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Verfahrenskoordination auszulösen. Vielmehr führte der in der Hauptsache gewählte Koordinationsweg dazu, dass die vom WWF erhobenen Rügen im kantonalen Rechtsmittelverfahren übergangen wurden, indem die nach der kantonalen Gesetzgebung vorhandenen Beschwerdemöglichkeiten ausgeschaltet und dadurch auch die bundesrechtlichen Erfordernisse an ein rechtsstaatliches Verfahren missachtet wurden (oben E. 3).
c) Demnach gilt es, im vorliegenden Fall eine verfahrensrechtliche Lösung zu finden, welche die formelle und materielle Koordination der verschiedenen anwendbaren Gesetzgebungen in Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze ermöglicht. Dabei ist den besonderen Verhältnissen der vorliegenden Streitsache angemessen Rechnung zu tragen. Insbesondere ist auch zu berücksichtigen, dass das Verfahren bereits weit fortgeschritten ist und dass der Staatsrat schon umfangreiche Abklärungen getroffen hat. Sodann ist festzustellen, dass die vom Beschwerdeführer - wie aufgezeigt zulässigerweise - gerügten materiellen Bundesrechtsverletzungen mittlerweile umfassend bekannt sind.
Bei den gegebenen Verhältnissen drängt es sich zunächst auf, das Baubewilligungsverfahren zum Leitverfahren zu bestimmen (vgl. MORAND, a.a.O., S. 163), denn dieses Verfahren vermag den Koordinationsgrundsätzen im vorliegenden Fall am besten nachzukommen, dies sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht. Wie das Bundesamt für Raumplanung (BRP) zutreffend festgestellt hat, ist das Meliorationsverfahren nur auf einen ganz bestimmten Sachverhalt - die Neuzuteilung der betroffenen Parzellen -
BGE 118 Ib 381 S. 404
zugeschnitten, während das raumplanungsrechtliche Bewilligungsverfahren eine viel umfassendere Prüfung des in erster Linie raumwirksamen Vorhabens ermöglicht; dessen Realisierung erfordert umfangreiche Terrainveränderungen sowie das Erstellen von Rebwegen und Bewässerungsanlagen, wozu nicht nur nach der Auffassung des WWF, sondern auch gemäss den Ausführungen des BRP jedenfalls teilweise eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
erforderlich ist.
Werden insbesondere die bereits erfolgten Abklärungen und der Umstand berücksichtigt, dass die vom Beschwerdeführer gerügten materiellen Bundesrechtsverletzungen umfassend bekannt sind, so erscheint es - nicht zuletzt auch aus prozessökonomischen Gründen - als sinnvoll, die Sache zur weiteren Behandlung und zu neuem Entscheid direkt an den Staatsrat zurückzuweisen, wodurch sich zusätzliche Verfahrensverzögerungen vermeiden lassen. Derart hat der Staatsrat zunächst über die vom WWF mit seiner Beschwerde vom 23. November 1990 gerügte Verletzung des Akteneinsichtsrechts zu befinden, ihm allenfalls bisher vorenthaltene entscheidrelevante Aktenstücke vorzulegen und diesbezüglich das rechtliche Gehör zu gewähren (vgl.
BGE 115 Ia 95
f., 112 Ia 99 und 201 f.). Sodann wird der Staatsrat angehalten, einerseits die vom WWF erhobenen Beschwerden im raumplanungsrechtlichen Bereich als erste Rechtsmittelinstanz (gemäss Art. 36 BauV) frei zu prüfen (Art. 47 VVRG), dies in Berücksichtigung der vom WWF bereits im kantonalen und nunmehr vor Bundesgericht insgesamt vorgetragenen Rügen; dadurch lässt sich den dem WWF zustehenden Parteirechten und insbesondere auch den verfahrensmässigen Grundsätzen von
Art. 33 RPG
Nachachtung verschaffen. Zugleich hat der Staatsrat andererseits auch als Bewilligungs- bzw. Genehmigungsinstanz die weiteren bundesrechtlichen Erfordernisse in Beurteilung der vom WWF vorgetragenen Rügen umfassend und in gegenseitiger Abstimmung zu prüfen. Dabei hat er die bereits vorhandenen Fachstellenberichte zu würdigen, zudem aber soweit nötig zusätzliche Abklärungen vorzunehmen: So hat er - wie dies in anderen Fällen im raumplanungsrechtlichen Bewilligungsverfahren zu geschehen hat (vgl. ZWR 1989 S. 175 ff.) - ebenfalls darüber zu entscheiden, ob eine naturschutzrechtliche Bewilligung erforderlich ist, wie vom WWF unter Berufung auf
Art. 18 ff. NHG
behauptet wird; und je nachdem hat er diesbezüglich einen negativen oder einen positiven Bewilligungsentscheid zu fällen. Dasselbe gilt in bezug auf die laut WWF ebenfalls erforderliche fischereirechtliche Bewilligung
BGE 118 Ib 381 S. 405
(gemäss Art. 24 f. FG), zu deren Erteilung der Staatsrat zuständig ist (s. ZWR 1991 S. 44 ff.). Zudem hat dieser im Lichte der Ausführungen des WWF und des BUWAL darüber neu zu entscheiden, ob das Vorhaben der UVP-Pflicht untersteht, wie dies der WWF und aber auch das BUWAL annehmen. Ist die UVP-Pflicht zu bejahen, hat er auch diesbezüglich die noch nötigen Berichte einholen zu lassen, bevor er seinen Genehmigungsentscheid fällt.
Derart hat der Staatsrat in bezug auf das Meliorationsprojekt in einem koordinierten, einheitlichen Entscheid darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen zur Genehmigung des Vorhabens erfüllt sind. Gegen den Staatsratsentscheid steht ebenso einheitlich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht offen, da nach dem Gesagten das Baubewilligungsverfahren zum Leitverfahren zu bestimmen ist und gegen den Koordinationsentscheid das Rechtsmittel offensteht, das für das Leitverfahren gegeben ist (vorstehende lit. a und b). Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht im Weiterzugsfall sämtliche gerügten, in engem Zusammenhang stehenden Rechtsverletzungen prüfen müsste und nicht die Möglichkeit hätte, auf einzelne Bereiche, die allenfalls für sich alleine gemäss VVRG nicht weiterziehbar wären, nicht einzutreten. Mit der Weiterzugsmöglichkeit des Staatsratsentscheides an das Verwaltungsgericht werden übrigens auch die Erfordernisse von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
an eine gerichtliche Überprüfung erfüllt (vgl.
BGE 118 Ib 334
E. d,
BGE 115 Ia 191
), was allerdings im vorliegenden Fall ohne direkte Bedeutung ist, da - wie ausgeführt - die Meliorationsfragen und entsprechend auch "civil rights" im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
jedenfalls unter den am Meliorationsvorhaben Beteiligten nicht streitig sind. Im übrigen sieht Ziff. 1 Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen der OG-Änderung vom 4. Oktober 1991 vor, dass die Kantone innert fünf Jahren seit Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung (am 15. Februar 1992, AS 1992 S. 337) Ausführungsbestimmungen über Zuständigkeit, Organisation und Verfahren letzter kantonaler Instanzen im Sinne von
Art. 98a OG
zu erlassen haben. Namentlich haben sie richterliche Behörden als letzte kantonale Instanzen zu bestellen, soweit gegen deren Entscheide unmittelbar die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig ist (
Art. 98a Abs. 1 OG
), wobei deren Zuständigkeit, Organisation und Verfahren im Rahmen des Bundesrechts zu regeln (Abs. 2) und Beschwerdelegitimation sowie Beschwerdegründe mindestens im gleichen Umfang wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zu gewährleisten sind (Abs. 3).
BGE 118 Ib 381 S. 406
Bei den gegebenen Verhältnissen hat das BLW mit Schreiben vom 31. Juli 1991 zuhanden der Rebbergmeliorationsgenossenschaft PTUZ zu Recht festgestellt, mit seinem definitiven Entscheid betreffend Aufnahme der Parzellen in den Rebbaukataster und mit seinem Entscheid betreffend Ausrichtung eines allfälligen Bundesbeitrages bis zum Abschluss der in bezug auf die Projektgenehmigung noch hängigen Verfahren zuzuwarten (vgl.
BGE 117 Ib 42
ff. mit Hinweisen). Auf dieselbe Weise hat auch der Staatsrat in bezug auf die allfällige kantonale Subventionierung des Meliorationsvorhabens (
Art. 31 BVG
) vorzugehen. Integriert er einen diesbezüglichen Vorbescheid in den in bezug auf das Projekt zu fällenden koordinierten Genehmigungsentscheid, so hat er mindestens den Vorbehalt anzubringen, der kantonale Subventionsentscheid werde erst rechtskräftig, wenn feststeht, dass das Vorhaben allen einschlägigen Anforderungen genügt und daher genehmigt werden kann (vgl.
BGE 117 Ib 42
ff. mit Hinweisen). Auch das kantonale Recht sieht nichts anderes vor (s.
Art. 31 BVG
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden werden gutgeheissen; der Nichteintretensentscheid der kantonalen Rekurskommission für Bodenverbesserungen vom 14. August 1990, der Genehmigungsentscheid des Staatsrates des Kantons Wallis vom 20. März 1991 und der Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichtes des Kantons Wallis vom 13. Juni 1991 werden aufgehoben, und die Sache wird zur weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen an den Staatsrat des Kantons Wallis zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
577b2199-52ef-4914-86c9-7d0f45eab59b | Urteilskopf
138 III 107
16. Estratto della sentenza della I Corte di diritto civile nella causa A. e consorti contro Commissione paritetica cantonale delle Case per anziani (ricorso in materia civile)
4A_466/2011 del 30 gennaio 2012 | Regeste
Art. 329d Abs. 1 und
Art. 356c Abs. 1 OR
; Berechnung des auf die Ferien entfallenden Lohnes; Abänderung eines Gesamtarbeitsvertrages.
Die Zulagen für Nacht-, Feiertags- und Wochenendarbeit sind bei der Berechnung des Lohnes gemäss
Art. 329d Abs. 1 OR
nur zu berücksichtigen, wenn sie einen andauernden und regelmässigen Charakter haben (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3).
Ein Schiedsgericht, das in einem Gesamtarbeitsvertrag vorgesehen ist, hat nicht die Kompetenz, diesen abzuändern (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 108
BGE 138 III 107 S. 108
A.
L'
art. 30 cpv. 4 del
"Regolamento Organico cantonale per il personale occupato presso le Case per anziani" (ROCA), edizione 2008, prevede che le indennità notturne e festive non sono riconosciute in caso di malattia, infortunio e vacanze. L'11 febbraio 2009 due sindacati si sono rivolti alla Commissione paritetica cantonale delle Case per anziani (qui di seguito: Commissione paritetica), affinché questa verifichi se il predetto contratto collettivo di lavoro (CCL) sia conforme alla
DTF 132 III 172
concernente il salario (da pagare durante le vacanze) determinante ai sensi dell'
art. 329d cpv. 1 CO
.
Il 16 marzo 2009 la Commissione paritetica ha deciso "di far applicare" dal 1° gennaio 2008 la menzionata sentenza del Tribunale federale in merito al pagamento delle indennità per lavoro festivo e notturno durante le assenze pagate del dipendente, precisando che l'applicazione viene finanziata nel quadro del contratto di prestazione (punto n. 1), di subordinare il pagamento di tali indennità arretrate nel periodo 2003-2007 all'approvazione da parte del Cantone Ticino di un credito supplementare per il sussidiamento delle case per anziani, specificando che in caso di mancata o parziale approvazione il tema verrà ridiscusso (punto n. 2). Nel punto 3 della sua decisione, la Commissione paritetica ha precisato che quanto precede vale per il personale ancora in servizio presso le case per anziani, mentre il personale nel frattempo partito deve avanzare una richiesta di rimborso e ha indicato che l'importo annuale supplementare da versare al dipendente va calcolato con la seguente formula: indennità festive e notturne versate durante l'anno in franchi moltiplicate con le ore di assenza giustificate annuali divise dalle ore di presenza annuali.
B.
Quattro case per anziani che hanno firmato individualmente il ROCA sono insorte contro la summenzionata decisione alla Commissione speciale di ricorso ai sensi degli
art. 68 cpv. 3 e 72 del
ROCA (qui di seguito: Commissione speciale). Questa ha, quale tribunale arbitrale, parzialmente accolto i rimedi nel senso che ai dipendenti delle Case per anziani aderenti al ROCA è riconosciuto il pagamento del salario anche in caso di assenze pagate per vacanze, malattie e infortunio con effetto dall'11 febbraio 2009, che sono riconosciute indennità arretrate per il periodo 12.2.2004-10.2.2009
BGE 138 III 107 S. 109
alle medesime condizioni già stabilite al punto n. 2 della decisione della Commissione paritetica e ha lasciato sostanzialmente invariato il dispositivo n. 3 di tale decisione. Il Tribunale arbitrale ha reputato che, alla luce della citata DTF, l'art. 30 cpv. 4 ROCA si rivela contrario all'
art. 329d cpv. 1 CO
con riferimento alla retribuzione delle vacanze e quindi nullo.
C.
Con ricorso in materia civile del 16 agosto 2011 le menzionate case per anziani hanno chiesto al Tribunale federale di annullare il lodo arbitrale.
La Commissione speciale e la Commissione paritetica hanno proposto la reiezione dell'impugnativa con risposte 16 settembre 2011, rispettivamente 3 ottobre 2011.
Il Tribunale federale ha accolto il ricorso in materia civile e ha annullato il lodo.
(riassunto)
Erwägungen
Dai considerandi:
3.
Giova innanzi tutto ribadire che l'
art. 329d cpv. 1 CO
, in virtù del quale il datore di lavoro deve pagare al lavoratore il salario completo per la durata delle vacanze e della cui applicazione si è occupata la
DTF 132 III 172
, è giusta l'
art. 362 CO
una norma inderogabile a svantaggio del lavoratore. Nel consid. 3.1 della predetta decisione, il Tribunale federale ha stabilito che nel salario determinante nel senso dell'
art. 329d cpv. 1 CO
devono essere computati i supplementi versati per il lavoro di notte, nei giorni festivi e del fine settimana, se questi hanno un carattere duraturo e regolare. In altre parole, come rilevato dalle ricorrenti, il computo di tali indennità non è stato generalizzato, ma circoscritto al caso in cui esse hanno un carattere duraturo e regolare. Nella fattispecie invece, dal dispositivo del lodo impugnato non risulta alcuna limitazione all'inclusione di tali supplementi nel salario da versare durante le vacanze e le altre assenze.
4.
4.1
Nella propria decisione il Tribunale arbitrale ha indicato di avere, come la Commissione paritetica prima di lui, la competenza di abrogare in tutto o in parte norme del ROCA in conflitto con il diritto federale, rispettivamente di "pronunciarsi nell'ipotesi di due o più norme ROCA in contrasto tra loro".
BGE 138 III 107 S. 110
4.2
Le ricorrenti, prevalendosi del motivo di ricorso dell'art. 393 lett. e CPC (RS 272), affermano che con il lodo impugnato, in cui sono state in sostanza confermate - fatta eccezione delle date - le decisioni prese dalla Commissione paritetica, è stato praticamente abrogato l'art. 30 cpv. 4 ROCA. Esse sostengono che, riconoscendo alla Commissione paritetica la competenza di modificare una disposizione del ROCA, la Commissione speciale ha emanato una decisione arbitraria basata su una manifesta violazione degli
art. 356c e 13 cpv. 1 CO
. La fattispecie in esame, asseverano le ricorrenti, non concerne infatti le possibilità di modifica previste dal ROCA all'art. 76 cpv. 2 e cpv. 5, che riguardano sostanzialmente il caso di modifiche attinenti al sistema di finanziamento delle case per anziani con una conseguente grave situazione finanziaria, rispettivamente il verificarsi di eventi in campo economico e sociale che modificano sostanzialmente le condizioni acquisite.
4.3
Giusta l'
art. 356c cpv. 1 CO
la conclusione, la modificazione, lo scioglimento del contratto per accordo delle parti, l'adesione di una nuova parte e la disdetta richiedono per la loro validità la forma scritta. Da questa norma discende che la competenza a cambiare un CCL spetta - esclusivamente - alle parti contraenti. Un'eventuale modifica del CCL avviene in primo luogo mediante un documento firmato da tutti gli stipulanti (JEAN-FRITZ STÖCKLI, Commento bernese, 2
a
ed. 1999, n. 3 ad
art. 356c CO
). L'
art. 358 CO
prevede poi che il diritto imperativo federale e cantonale prevale sul contratto collettivo. Ciò significa che il disposto di diritto imperativo in contrasto con una disposizione normativa del contratto collettivo è direttamente applicabile (CHRISTIAN BRUCHEZ, in Handbuch zum kollektiven Arbeitsrecht, 2008, pag. 295 n. 7 ad
art. 358 CO
; VISCHER/ALBRECHT, Commento zurighese, 4
a
ed. 2006, n. 29 ad
art. 358 CO
; STÖCKLI, op.cit., n. 4 ad
art. 358 CO
).
Nella fattispecie è pacifico che la concessione, generalizzata a tutti i dipendenti che ricevono o hanno ricevuto delle indennità notturne e festive, di un importo supplementare al salario previsto dal CCL durante le assenze pagate per vacanze, malattia e infortunio deroga a quanto previsto dal ROCA. È pure incontestato che essa è stata decisa dalla Commissione paritetica e confermata dalla Commissione speciale. Non si è quindi in presenza di una modifica del CCL concordata dagli stipulanti, né di un semplice parere giuridico sull'interpretazione delle norme del contratto collettivo stilato dalla Commissione speciale in applicazione dell'art. 72 cpv. 2 ROCA.
BGE 138 III 107 S. 111
Contrariamente a quanto indicato nella risposta al ricorso dall'opponente, l'adozione del menzionato complemento di salario non concerne nemmeno un caso di esecuzione comune del CCL ai sensi dell'
art. 357b CO
. Visto l'
art. 358 CO
, non sussiste inoltre neppure la necessità di formalmente abrogare disposizioni normative del CCL in contrasto con il diritto imperativo per il personale, il cui salario determinante ai sensi dell'
art. 329a CO
include pure i menzionati supplementi a causa del loro carattere regolare e duraturo. Ne segue che con la contestata decisione il tribunale arbitrale, arrogandosi la competenza di modificare il CCL, ha emanato un lodo arbitrario nel suo esito che poggia su una manifesta violazione dell'
art. 356c cpv. 1 CO
, norma che invece demanda tale competenza alle parti contraenti. | null | nan | it | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
577bfc3d-bada-498a-8b87-84bb221ee902 | Urteilskopf
136 V 7
2. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. N. und S. gegen IV-Stelle Basel-Stadt (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_194/2009 vom 15. Dezember 2009 | Regeste
Art. 28 IVG
;
Art. 573 Abs. 2 ZGB
;
Art. 196, 260 und 269 SchKG
;
Art. 48 VwVG
;
Art. 59 ATSG
;
Art. 89 Abs. 1 BGG
; Anfechtung einer den Nachlass betreffenden Rentenverfügung durch einen ausschlagenden Erben.
Ein Erbe, welcher die Erbschaft ausgeschlagen und nicht den Antritt der Erbschaft vor Abschluss des Konkursverfahrens erklärt hat, ist nicht legitimiert, einen in den Nachlass fallenden öffentlich-rechtlichen Rechtsanspruch - in casu Rentenverfügung einer IV-Stelle - in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu verfolgen (E. 2.2).
Art. 573 Abs. 2 ZGB
ist grundsätzlich auch in einem Nachkonkurs anwendbar (E. 2.2.2.2). | Sachverhalt
ab Seite 7
BGE 136 V 7 S. 7
A.
A.a
Der 1959 geborene K. erlitt im Mai 1989 und März 1995 je einen Berufsunfall mit Beteiligung des rechten Kniegelenks. Am 6. Mai 1999 und 15. Februar 2002 wurden arthroskopische Eingriffe durchgeführt. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) kam für die gesundheitlichen und erwerblichen Unfallfolgen auf und richtete Taggelder aus, u.a. im Zeitraum vom 14. September 1989 bis 31. Juli 2000 und vom 7. Februar 2001 bis 11. August 2003 auf
BGE 136 V 7 S. 8
Grund einer Arbeitsunfähigkeit von 100 %. Die IV-Stelle Basel-Stadt, bei welcher sich K. im April 2001 zum Rentenbezug angemeldet hatte, übernahm mit Verfügungen vom 6. August 2003 und 24. Februar 2004 die Umschulung zum Kaufmann mit Eidg. Fähigkeitszeugnis und Handelsdiplom VSH. Wegen unbegründeter Absenzen verfügte sie am 26. Oktober 2004 den sofortigen Abbruch der Massnahme, wogegen der Versicherte Einsprache erhob. Da vermehrt Beschwerden im rechten Knie bestanden, schlug der behandelnde Arzt Dr. med. F. eine ausgedehnte Gelenkstoilette mit Osteophytenresektion am rechten Knie vor. Zu diesem Zweck sollte K. am 9. Februar 2005 ins Spital Z. eintreten. Der Kreisarzt der SUVA, Dr. med. I., hielt zudem in seinem Bericht über die Untersuchung vom 24. November 2004 fest, es bestehe dringender Verdacht auf eine mediale Meniskusläsion am linken Kniegelenk. Er schlug bei Einwilligung des Versicherten eine arthroskopische Teilmeniskektomie links vor.
A.b
Im Januar 2005 verstarb K. Sämtliche Erben, darunter die 1990 geborene, bei ihrer Mutter lebende (ältere) Tochter S., schlugen die Erbschaft aus. Am (...) 2005 wurde über den Nachlass der Konkurs eröffnet. Am (...) 2006 schloss das Konkursamt das summarisch durchgeführte Verfahren.
A.c
Die IV-Stelle schrieb mit Entscheid vom 2. Juni 2005 die Einsprache des K. sel. gegen den Abbruch der Umschulung zum Kaufmann als gegenstandslos geworden ab. Mit Verfügungen vom 27. Februar 2006 stellte sie fest, dass der verstorbene Versicherte für die Zeit vom 1. April bis 31. Juli 2000 und vom 1. Februar 2001 bis 31. März 2003 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente sowie u.a. auf zwei Kinderrenten für die beiden Töchter gehabt habe und setzte die Leistungen fest. Die Rentenbetreffnisse von insgesamt Fr. 97'612.- zahlte die Ausgleichskasse Basel-Stadt an das Konkursamt, welches eine Nachverteilung vornahm. Nach Deckung aller Forderungen verblieb ein Überschuss von Fr. 29'289.85, welcher an das Erbschaftsamt zur Auszahlung an die Erben überwiesen wurde.
N., die Mutter von S., liess gegen die Verfügungen vom 27. Februar 2006 Einsprache erheben, welche die IV-Stelle mit Entscheid vom 22. August 2007 abwies.
B.
Die Beschwerde der N. wies das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt nach zweifachem Schriftenwechsel, Beizug der Pensionskasse X. AG zum Verfahren und nach Einsichtnahme in die Unfallversicherungsakten mit Entscheid vom 3. Dezember 2008 ab.
BGE 136 V 7 S. 9
C.
N. und S. lassen gemeinsam Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, Gerichtsentscheid und Einspracheentscheid seien aufzuheben und die IV-Stelle sei zu verpflichten, vom 1. April 2000 bis 31. März 2003 eine ganze Rente und ab 1. April 2003 eine Viertelsrente der Invalidenversicherung auszurichten, unter Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses und unter Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.
IV-Stelle und kantonales Sozialversicherungsgericht beantragen die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
D.
Der Instruktionsrichter hat beim Rechtsvertreter von N. und S. eine Beweisauskunft betreffend die konkursamtliche Liquidation der ausgeschlagenen Erbschaft des K. sel. eingeholt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen die formellen Gültigkeitserfordernisse auch des vorinstanzlichen Verfahrens. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben, wenn das kantonale Versicherungsgericht in der Sache entschieden hat, obschon es an einer Eintretensvoraussetzung fehlte (
BGE 132 V 93
E. 1.2 S. 95 mit Hinweis; vgl. auch
BGE 123 V 280
E. 1 S. 283).
2.1
Nach dem kraft
Art. 2 ATSG
(SR 830.1) und
Art. 1 Abs. 1 IVG
auch in Streitigkeiten betreffend eine Rente der Invalidenversicherung anwendbaren
Art. 59 ATSG
ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung oder den Einspracheentscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Der Begriff des schutzwürdigen Interesses für das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht ist gleich auszulegen wie derjenige nach
Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG
für das Verfahren der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor dem Bundesgericht (
BGE 134 II 120
E. 2.1 S. 122;
BGE 133 II 400
E. 2.2 S. 404; SVR 2009 BVG Nr. 27 S. 97, 8C_539/2008 E. 2.1). Ein schutzwürdiges Interesse liegt somit vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des oder der Rechtsuchenden durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann. Dabei wird verlangt, dass die Beschwerde führende Person durch den angefochtenen Verwaltungsakt (Verfügung oder Einspracheentscheid) stärker als jedermann betroffen ist und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen
BGE 136 V 7 S. 10
Beziehung zur Streitsache steht (
BGE 133 V 239
E. 6.2 S. 242;
BGE 120 Ib 48
E. 2a S. 51 f.).
2.1.1
Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren war N., die Mutter der damals noch unmündigen Tochter S. des im Januar 2005 verstorbenen Versicherten. Sie beantragte zur Hauptsache die Aufhebung des Einspracheentscheides vom 22. August 2007 und die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente rückwirkend per Anspruchsbeginn. Das kantonale Gericht hat die Beschwerdeberechtigung der Mutter von S. als Inhaberin der elterlichen Sorge für die Tochter im Sinne einer Prozessstandschaft bejaht. Es hat erwogen, es gehe um deren Anspruch auf eine Kinderrente nach
Art. 35 Abs. 1 IVG
und eine Waisenrente nach
Art. 20 BVG
(SR 831.40). Der Anspruch auf Hinterlassenenleistungen der beruflichen Vorsorge setze voraus, dass der verstorbene Vater von der Vorsorgeeinrichtung im Zeitpunkt des Todes eine Alters- oder Invalidenrente erhalten habe (
Art. 18 lit. d BVG
). S. habe somit ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des Einspracheentscheids, welcher für die Zeit vom 1. August 2000 bis 31. Januar 2001 und ab 1. April 2003 den Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung verneine. In der Beschwerde war zudem ausgeführt worden, gemäss neuerer Praxis seien Erben legitimiert, wenn die Voraussetzungen nach
Art. 103 lit. a OG
erfüllt seien, was in casu zutreffe.
2.1.2
Der Anspruch auf Kinderrente nach
Art. 35 Abs. 1 IVG
steht dem rentenbeziehenden Elternteil zu und nicht dem Kind, für dessen Unterhalt die einzelnen Betreffnisse bestimmt sind (
BGE 134 V 15
E. 2.3.3 und 2.3.4 S. 17; Urteil 5A_104/2009 vom 19. März 2009 E. 2.1). Ein zu Lebzeiten entstandener Rentenanspruch geht mit dem Tod des Berechtigten auf dessen Erben über (
Art. 560 Abs. 2 ZGB
;
BGE 99 V 165
E. 2a S. 167; Urteil 8C_146/2008 vom 22. April 2008 E. 1.1; HANS MICHAEL RIEMER, Vererblichkeit und Unvererblichkeit von Rechten und Pflichten im Privatrecht und im öffentlichen Recht, recht 1/2006 S. 31). In
BGE 99 V 58
entschied das ehemalige Eidg. Versicherungsgericht, dass nicht nur die Erben gemeinsam zu gesamter Hand (
Art. 602 Abs. 2 ZGB
), sondern auch einzelne Mitglieder der Erbengemeinschaft zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend vermögensrechtliche Interessen des Nachlasses berechtigt sind, sofern sie die Bedingungen von
Art. 103 lit. a OG
erfüllen (ebenso ARV 1980 S. 61, C 90/79 E. 1 und AHI 1995 S. 92, I 147/92 E. 2). Zu den vermögensrechtlichen Interessen des Nachlasses gehören auch der Umfang des Anspruchs auf eine Kinderrente der
BGE 136 V 7 S. 11
Invalidenversicherung bis zum Tod des Versicherten sowie Höhe und Beginn der Leistung. Im Urteil U 201/98 vom 30. März 1999 liess das Eidg. Versicherungsgericht unter Hinweis auf das Urteil der I. Öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts ZBl 89/1988 S. 553, A.30/1986 offen, ob an der Rechtsprechung, wonach einzelne Mitglieder einer Erbengemeinschaft zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend vermögensrechtlicher Interessen des Nachlasses berechtigt sind, sofern die Bedingungen von
Art. 103 lit. a OG
erfüllt sind, festzuhalten sei. Im Urteil SVR 2008 UV Nr. 20 S. 74, 8C_146/2008, hat die I. sozialrechtliche Abteilung entschieden, dass einzelne Mitglieder einer Erbengemeinschaft nach
Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG
selber berechtigt sind, in einer sozialversicherungsrechtlichen Leistungsstreitigkeit Beschwerde beim Bundesgericht zu erheben (vgl. auch Urteil 1C_73/2008 vom 1. Oktober 2008 E. 1.4, nicht publiziert in:
BGE 134 II 308
, aber in: ZBl 109/2008 S. 593). Die Beschwerdelegitimation der kurz vor Erlass des angefochtenen Entscheids mündig gewordenen S. ist somit grundsätzlich zu bejahen.
2.2
Sämtliche (nächsten gesetzlichen) Erben des verstorbenen Versicherten, darunter auch S., schlugen die Erbschaft aus. Der Nachlass wurde durch das Konkursamt liquidiert (
Art. 573 Abs. 1 ZGB
;
Art. 193 Abs. 1 Ziff. 1 und Abs. 2 SchKG
; SJ 2006 I S. 365, 4C.252/2005 E. 4). Dabei wurde das Verfahren nicht mangels Aktiven eingestellt (
Art. 230a Abs. 1 SchKG
). Ebenfalls hatte keiner der Erbberechtigten vor Schluss des Verfahrens den Antritt der Erbschaft erklärt und für die Bezahlung der Schulden hinreichende Sicherheit geleistet, was zur Einstellung der konkursamtlichen Liquidation geführt hätte (
Art. 196 SchKG
). Am (...) 2006 schloss das zuständige Zivilgericht das Konkursverfahren. In diesem Zeitpunkt waren lediglich die in der 1. Klasse kollozierten Forderungen voll gedeckt. Die übrigen Forderungen blieben in der Höhe von insgesamt Fr. 68'322.15 ungedeckt. Gestützt auf die Verfügungen der IV-Stelle Basel-Stadt vom 27. Februar 2006 zahlte die kantonale Ausgleichskasse Fr. 97'612.- an das Konkursamt, was zu einer Nachverteilung unter den Gläubigern führte. Es verblieb ein Überschuss von Fr. 29'289.85, welcher an das Erbschaftsamt zur Verteilung unter den Erben überwiesen wurde (
Art. 269 Abs. 1 SchKG
).
2.2.1
2.2.1.1
Die Ausschlagung der Erbschaft hat den Verlust der Erbenstellung resp. der Erbenqualität zur Folge (PAUL-HENRI STEINAUER, Le droit des successions, 2006, S. 462 ff. Rz. 951 und 982; JEAN NICOLAS
BGE 136 V 7 S. 12
DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 5. Aufl. 2002, S. 222 Rz. 42). Ausschlagende Erben verzichten auf ihr Erbrecht (ARNOLD ESCHER, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1960, N. 9 zu
Art. 573 ZGB
). Ein zu Lebzeiten entstandener Anspruch der verstorbenen Person auf eine Rente der Invalidenversicherung geht mit deren Tod somit nicht - endgültig - auf ihre die Erbschaft ausschlagenden Erben über (resolutiv bedingter Erwerb; ESCHER, a.a.O., N. 6 f. Vorbemerkungen zu
Art. 560 ZGB
), sondern fällt in die Konkursmasse der ausgeschlagenen Erbschaft (
BGE 119 V 165
E. 3c S. 168).
2.2.1.2
Gemäss
Art. 573 Abs. 2 ZGB
wird zwar ein allfälliger Überschuss in der Liquidation nach Deckung der Schulden den Berechtigten überlassen, wie wenn keine Ausschlagung stattgefunden hätte. Diese Vorschrift macht indessen eine rechtsgültige Ausschlagung mit Bezug auf bestimmte (nachträglich entdeckte) Aktiven des Nachlasses nicht wirkungslos (vgl. ESCHER, a.a.O., N. 14 in fine zu
Art. 573 ZGB
). Die Berechtigung am Liquidationserlös besteht nicht als (insoweit wieder eingesetzte) Erben (TUOR/PICENONI, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1964, N. 9 zu
Art. 573 ZGB
). Vielmehr handelt es sich um einen Anspruch obligationenrechtlicher Natur gegen die ausgeschlagene Erbschaft, vergleichbar dem Anspruch des Vermächtnisnehmers gegen die Erben auf Herausgabe des Vermachten (ESCHER, a.a.O., N. 13 zu
Art. 573 ZGB
; BERNHARD SCHNYDER UND ANDERE, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 13. Aufl. 2009, S. 615 Rz. 10; diesbezüglich unklar PAUL PIOTET, Erbrecht, in: SPR, Bd. IV/2, 1981, S. 560). Aus einem Überschuss in der konkursamtlichen Liquidation des ausgeschlagenen Nachlasses werden denn auch zuerst die Vermächtnisse entrichtet (ESCHER und TUOR/PICENONI, a.a.O., je N. 8 zu
Art. 573 ZGB
; SCHNYDER UND ANDERE, a.a.O., S. 722 Rz. 11; IVO SCHWANDER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. II, 3. Aufl. 2007, N. 6 zu
Art. 573 ZGB
).
2.2.2
Art. 573 Abs. 2 ZGB
gibt den ausschlagenden Erben lediglich Anspruch auf das positive Ergebnis der Liquidation. Die Bestimmung kommt erst zur Anwendung, wenn alle Aktiven liquidiert und alle Nachlassschulden gedeckt sind. Die Rechte der Gläubiger des Erblassers gehen der Berechtigung der ausschlagenden Erben zur Geltendmachung von umstrittenen Rechtsansprüchen jedenfalls vor und dürfen nicht geschmälert oder gefährdet werden. Gestützt auf
Art. 573 Abs. 2 ZGB
können somit keine Liquidationshandlungen mehr durchgeführt werden.
BGE 136 V 7 S. 13
2.2.2.1
Zur Liquidation gehört auch das Recht, einen umstrittenen Rechtsanspruch durchzusetzen. Handelt es sich bei diesem Aktivum um eine anfechtbare Rentenverfügung, sind - abgesehen von den in
Art. 196 und 230a Abs. 1 SchKG
geregelten Tatbeständen - die Gesamtheit der Gläubiger oder bei deren Verzicht die Abtretungsgläubiger nach
Art. 260 Abs. 1 SchKG
(vgl. dazu AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. Aufl. 2008, S. 431 Rz. 32) berechtigt, an Stelle des ausgeschlagenen Nachlasses in konkursamtlicher Liquidation eine höhere Rente auf gerichtlichem Wege zu erstreiten (
BGE 122 III 488
E. 3b S. 489). Wird trotz hinreichender Kenntnis von der Existenz und Massezugehörigkeit eine Rentenverfügung nicht angefochten, ist zu vermuten, dass die Konkursverwaltung und die Konkursgläubiger bewusst darauf verzichtet haben, wodurch der Konkursbeschlag als entfallen und die Verfügungsmacht der Masse darüber als wieder auf den Gemeinschuldner übergegangen gilt (
BGE 116 III 96
E. 2a S. 98; NICOLAS JEANDIN, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2008, N. 13 zu
Art. 269 SchKG
; vgl. auch
BGE 27 I 552
). Im Falle der Liquidation einer ausgeschlagenen Erbschaft verbleibt sie bei der Masse.
2.2.2.2
Ergeht die Verfügung, wie vorliegend, erst nach Abschluss des Konkurses, wird der damit bejahte oder verneinte Anspruch in einem Nachkonkurs liquidiert, sofern er als neu entdeckt im Sinne von
Art. 269 Abs. 1 SchKG
zu gelten hat (vgl. dazu
BGE 116 III 96
). Dabei findet
Art. 260 SchKG
entsprechende Anwendung (
Art. 269 Abs. 3 SchKG
; JEANDIN, a.a.O., N. 4 zu
Art. 269 SchKG
). Der zweifelhafte Rechtsanspruch resp. das Anfechtungsrecht ist denjenigen Gläubigern, welche im Konkurs zu Verlust gekommen sind, zur Abtretung anzubieten (MATTHIAS STAEHELIN, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. III, 1998, N. 22 zu
Art. 269 SchKG
). Im Nachkonkurs ist
Art. 573 Abs. 2 ZGB
ebenfalls grundsätzlich anwendbar (Zustimmung der I. zivilrechtlichen und der I. sozialrechtlichen Abteilung im Verfahren nach
Art. 23 Abs. 2 BGG
). Es kann offenbleiben, ob dasselbe auch für
Art. 196 SchKG
gilt und ein Erbberechtigter vor Schluss des Verfahrens den Antritt der Erbschaft in Bezug auf einen neu entdeckten zweifelhaften Rechtsanspruch nach
Art. 269 Abs. 3 SchKG
erklären kann. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die am Recht stehende ältere Tochter des Verstorbenen in diesem Sinne vorgegangen war.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass S. weder erbrechtlich noch konkursrechtlich auf mehr als den Anteil am Überschuss in der
BGE 136 V 7 S. 14
Liquidation der ausgeschlagenen Erbschaft ihres verstorbenen Vaters Anspruch hat. Insbesondere hat sie kein eigenes Recht, die - im Original dem Erbschaftsamt eröffneten - Verfügungen vom 27. Februar 2006 anzufechten und allenfalls höhere Rentenleistungen zu erstreiten. Eine Beschwerdeführung "pro Adressat" (
BGE 131 V 298
E. 4 S. 300) fällt schon deshalb ausser Betracht, weil die Forderungen der Gläubiger durch die zugesprochenen Rentenleistungen von Fr. 97'612.- vollumfänglich gedeckt wurden. Somit besteht im erb- und konkursrechtlichen Kontext auch kein schutzwürdiges Interesse im Sinne von
Art. 48 VwVG
(SR 172.021),
Art. 59 ATSG
und
Art. 89 Abs. 1 BGG
der am Recht stehenden Tochter des verstorbenen Versicherten an der Geltendmachung einer höheren Rente in einem Einsprache- und verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren (Zustimmung der I. zivilrechtlichen und der I. sozialrechtlichen Abteilung im Verfahren nach
Art. 23 Abs. 2 BGG
).
2.3
Ob die Ausschlagung der Erbschaft durch S. sinngemäss als nichtiger und daher unwirksamer Verzicht auf Versicherungsleistungen nach
Art. 23 Abs. 1 ATSG
aufzufassen ist mit der Folge, dass sie gleichwohl berechtigt ist, die Zusprechung lediglich einer befristeten Kinderrente zur Rente ihres verstorbenen Vaters anzufechten, kann offenbleiben. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, ergäbe sich daraus nichts zu ihren Gunsten. Gemäss Verteilungsplan im Konkurs des Nachlasses des verstorbenen Versicherten wurden alle eingegebenen und kollozierten Forderungen, insbesondere für unbezahlt gebliebene und von der Sozialhilfe bevorschusste Alimente, vollumfänglich gedeckt. Durch die Ausschlagung der Erbschaft wurden somit keine im Sinne von
Art. 23 Abs. 2 ATSG
schutzwürdigen Interessen von anderen Personen, von Versicherungen oder Fürsorgestellen beeinträchtigt (vgl. dazu UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 16 ff. zu
Art. 23 ATSG
und SVR 2006 AHV Nr. 2 S. 3, H 234/04 E. 6.1 und 6.2).
2.4
Die Einsprache- und Beschwerdeberechtigung von S., bis zur Mündigkeit ausgeübt durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin, danach in eigenem Namen, ergibt sich auch nicht daraus, dass unter der Voraussetzung von
Art. 18 lit. d BVG
Anspruch auf eine Waisenrente der obligatorischen beruflichen Vorsorge nach
Art. 20 BVG
besteht. Ein erleichterten Voraussetzungen unterliegender reglementarischer Anspruch auf Hinterlassenenleistungen wird nicht geltend gemacht. Der Anspruch auf eine Waisenrente nach
Art. 20 BVG
fällt nicht in den Nachlass (
BGE 129 III 305
E. 2.1 S. 307;
BGE 136 V 7 S. 15
vgl. auch
BGE 134 V 15
E. 2.3.3 S. 17). Wie in E. 1 (nicht publiziert) dargelegt, präjudiziert indessen der von der IV-Stelle festgesetzte Leistungsbeginn am 1. April 2000 den berufsvorsorgerechtlich relevanten Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (aArt. 23 BVG), nicht. Dasselbe gilt somit auch in Bezug auf die für eine Waisenrente massgebende Frage, ob der Verstorbene im Zeitpunkt des Todes Anspruch auf eine Invalidenrente der (obligatorischen) beruflichen Vorsorge hatte. Darüber hat gegebenenfalls auf Klage hin das örtlich zuständige Berufsvorsorgegericht nach
Art. 73 BVG
zu entscheiden.
2.5
Schliesslich wird zu Recht nicht geltend gemacht, die Mutter von S. sei zur Anfechtung der Verfügungen vom 27. Februar 2006 mit Einsprache und des Einspracheentscheides vom 22. August 2007 mit Beschwerde in eigenem Namen berechtigt gewesen. Selbst bei gegebenem Anspruch auf Drittauszahlung der Kinderrente (
Art. 35 Abs. 4 IVG
in Verbindung mit
Art. 82 IVV
[SR 831.201] und
Art. 71
ter
AHVV
[SR 831.101];
BGE 134 V 15
E. 2.3.4 S. 17) hatte sie keine über den Auszahlungsmodus hinausgehende, den Leistungsanspruch als solchen grundsätzlich und umfangmässig betreffende Beschwerdebefugnis (
BGE 130 V 560
E. 4.2 S. 568; vgl. auch SVR 2002 IV Nr. 5 S. 11, I 245/01 E. 4b und
BGE 135 V 2
E. 1.1 S. 4).
Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die IV-Stelle nicht auf die Einsprache gegen die Verfügungen vom 27. Februar 2006 hätte eintreten dürfen und die Vorinstanz die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 22. August 2007 mit dieser Begründung hätte abweisen müssen (vgl.
BGE 129 V 289
). (...) | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
577fc807-51e7-4348-b4b5-2b1a3df59b89 | Urteilskopf
113 Ia 38
7. Arrêt de la IIe Cour de droit public du 13 février 1987 en la cause Dr K. contre Conseil d'Etat du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Art. 31 BV
: Schliessung einer Zahnarztpraxis.
Ein allgemeines Verbot zur Führung von mehr als zwei Zahnarztpraxen, wie es das Waadtländer Gesetz kennt, wird nicht durch ein überwiegendes öffentliches Interesse am Schutz der Gesundheit gerechtfertigt und verletzt das Verhältnismässigkeitsprinzip. | Sachverhalt
ab Seite 38
BGE 113 Ia 38 S. 38
La loi vaudoise sur l'organisation sanitaire du 9 décembre 1952 (LOS) prévoyait que:
"Le médecin-dentiste exerce son art personnellement dans son cabinet.
Il peut avoir deux cabinets, dans deux localités différentes. Dans ce
cas, il exerce son art personnellement dans chacun de ces cabinets, qui ne
seront ainsi ouverts qu'alternativement."
Cette disposition a été remplacée par l'art. 103 de la loi vaudoise du 29 mai 1985 sur la santé publique (LSP), entrée en vigueur le 1er janvier 1986, qui dispose:
"Un médecin-dentiste ne peut pratiquer dans plusieurs cabinets. Le
Département peut toutefois autoriser, à titre temporaire, l'ouverture d'un
cabinet secondaire lorsque les besoins de la santé publique l'exigent.
Dans ce cas, le médecin-dentiste exerce son art personnellement dans
chacun de ses cabinets, qui ne seront ainsi ouverts qu'alternativement.
Aucun médecin-dentiste ne peut pratiquer dans plus d'un cabinet
secondaire."
Le Dr K., médecin-dentiste, exploite trois cabinets: le premier à Morat (Fribourg), le deuxième à Chavornay (Vaud) et le troisième au Landeron (Neuchâtel).
BGE 113 Ia 38 S. 39
Estimant que cette situation était contraire à la loi, le Département de l'intérieur et de la santé publique du canton de Vaud demanda au Dr K. de renoncer à l'exploitation de l'un de ses cabinets. L'intéressé n'ayant jamais donné suite à cette injonction, le Département le dénonça à la Préfecture du district d'Orbe le 3 juillet 1981. Le Dr K., qui n'avait pas fait opposition en temps utile, paya l'amende de 1'000 fr. prononcée contre lui.
Comme il poursuivait l'exploitation de ses trois cabinets dentaires, une nouvelle procédure pénale fut ouverte le 30 septembre 1982. Le Dr K. contesta cependant la nouvelle amende qui lui fut infligée et fut acquitté par le Tribunal de police du district d'Orbe. Cette décision fut ensuite confirmée par la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois le 16 janvier 1984. La Cour estima que l'exploitation du cabinet de Chavornay ne pouvait constituer une infraction aussi longtemps que l'autorisation de pratiquer accordée au Dr K. ne lui avait pas été retirée.
Le 10 juillet 1985, le Département de l'intérieur et de la santé publique, se fondant sur l'art. 133 LOS, retira ainsi au Dr K. l'autorisation de pratiquer la médecine dentaire dans le canton de Vaud.
Saisi d'un recours contre cette décision, le Conseil d'Etat vaudois estima que les conditions de l'art. 133 LOS n'étaient pas remplies et qu'une sanction disciplinaire ne pouvait donc pas être prononcée. Par décision du 26 mars 1986, il admit alors partiellement le recours en ce sens que l'autorisation de pratiquer la médecine dentaire n'était pas retirée au recourant, mais qu'il lui était ordonné de fermer son cabinet de Chavornay dans un délai échéant au 15 mai 1986. Le Conseil d'Etat prononça également que, si le Dr K. procédait à la fermeture de l'un de ses deux cabinets dentaires situés à l'extérieur du canton, il pourrait solliciter l'autorisation du Département de continuer à pratiquer la médecine dentaire dans son cabinet de Chavornay.
Le Dr K. a formé un recours de droit public contre la décision du Conseil d'Etat vaudois, en invoquant une violation des
art. 4 et 31 Cst.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et annulé la décision attaquée dans le sens des considérants.
BGE 113 Ia 38 S. 40
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Le recourant soutient principalement que l'ordre de fermer son cabinet de Chavornay constitue une violation de la liberté du commerce et de l'industrie.
a) Le médecin qui exerce sa profession de manière indépendante et qui déploie l'activité économique correspondante est en principe protégé par l'
art. 31 Cst.
(
ATF 111 Ia 186
consid. 2a et les arrêts cités).
Les cantons peuvent cependant apporter à la liberté constitutionnelle du commerce et de l'industrie des restrictions consistant notamment en des mesures de police justifiées par l'intérêt public. Ces mesures doivent tendre à sauvegarder la tranquillité, la sécurité, la santé et la moralité publiques, à préserver d'un danger ou à l'écarter, ou encore à prévenir les atteintes à la bonne foi en affaires par des procédés déloyaux et propres à tromper le public (
ATF 109 Ia 70
consid. 3a,
ATF 106 Ia 269
consid. 1). Ne sont toutefois pas admises les mesures qui tendent à porter atteinte à la libre concurrence, à avantager certaines entreprises ou certaines formes d'entreprises et qui tendent à diriger la vie économique selon un plan déterminé (
ATF 111 Ia 186
consid. b).
L'atteinte doit en outre reposer sur une base légale, être justifiée par un intérêt public prépondérant et, selon le principe de la proportionnalité, se limiter à ce qui est nécessaire à la réalisation des buts d'intérêt public poursuivis (
ATF 111 Ia 105
consid. 4,
ATF 110 Ia 102
consid. 5a et les arrêts cités).
b) La loi cantonale interdit aux médecins-dentistes d'avoir plus de deux cabinets. Ce principe, contenu déjà à l'art. 56 LOS, a été repris à l'
art. 103 LSP
qui pose des conditions plus restrictives pour l'ouverture d'un second cabinet. Toutefois, en l'espèce, il s'agit uniquement de déterminer si l'interdiction générale d'exploiter plus de deux cabinets est justifiée par un motif suffisant d'intérêt public.
Il découle de la liberté du commerce et de l'industrie que l'exercice d'une activité économique ne peut en principe pas être subordonné à l'exigence d'un besoin. Il n'existe, en ce qui concerne les cabinets dentaires, aucune disposition comparable aux
art. 31ter et 32quater al. 1 Cst.
En soi, l'augmentation du nombre des cabinets ne constitue d'ailleurs pas un risque pour la santé publique. Le canton ne peut donc pas justifier la disposition querellée par le souci d'éviter une trop forte
BGE 113 Ia 38 S. 41
concurrence entre les médecins-dentistes; il ne saurait davantage empêcher que ceux qui peuvent faire les investissements nécessaires à l'acquisition de plusieurs cabinets soient avantagés par rapport aux autres membres de la profession. En effet, de telles mesures devraient être considérées comme des mesures de politique économique, tendant à influer sur la libre concurrence, que les cantons n'ont précisément pas la compétence d'adopter.
Ainsi, l'intérêt à prendre en considération est celui de la population, sous l'angle de la protection de la santé publique, et non pas l'intérêt économique des membres de la profession. Or, il peut être dans l'intérêt public, surtout dans une zone rurale, d'avoir un cabinet dentaire ouvert dans un village, par exemple un jour par semaine, plutôt que d'obliger la population à faire un déplacement important, ce qui pourrait l'inciter à négliger les soins dentaires. Dans ce cas, il existe un intérêt public qui s'oppose à l'application d'une règle absolue limitant à deux le nombre des cabinets exploités par un seul et même médecin-dentiste.
c) L'autorité cantonale entend certes "réfréner les abus qui pourraient résulter de l'industrialisation de la médecine dentaire". Cette argumentation est cependant peu claire, dans la mesure où la mécanisation ne saurait supprimer les soins en bouche donnés par le médecin-dentiste, celui-ci ayant en outre l'obligation d'exercer son art personnellement. On ne conçoit pas non plus que la qualité des soins soit inférieure lorsque le médecin exerce son activité le lundi dans un village et le mardi dans un autre. Si les cabinets devaient être sous-équipés en installations, il suffirait d'adopter des dispositions imposant l'équipement minimum.
Le Conseil d'Etat explique aussi qu'il convient d'éviter "que le médecin-dentiste disperse ses efforts". Il semble qu'il envisage ici la fatigue qui pourrait résulter des déplacements. Outre que les causes de fatigue sont innombrables et que l'on pourrait s'inquiéter aussi de la distance séparant le logement du lieu de travail, cette argumentation n'a de sens que si l'on examine de manière concrète l'importance et la fréquence des déplacements. On ne peut pas raisonnablement soutenir qu'un médecin-dentiste ne pourrait pas parcourir, en voiture ou à l'aide des transports publics, 50 ou 100 km par semaine sans qu'il en résulte pour lui une fatigue préjudiciable à la qualité des soins. Cet argument ne peut donc pas être admis pour justifier de manière absolue et dans tous les cas l'interdiction d'avoir plus de deux cabinets.
BGE 113 Ia 38 S. 42
L'autorité cantonale envisage encore le risque que le médecin-dentiste engage des aides moins qualifiés que lui pour exercer certains travaux qui lui incombent. Ce risque constitue un argument sérieux. Il faut cependant observer que le droit cantonal soumet à autorisation l'engagement d'un assistant (
art. 93 al. 2 LSP
) et interdit à un médecin-dentiste de s'adjoindre plus d'un assistant (
art. 93 al. 6 LSP
). L'accomplissement de certains actes est réservé exclusivement au médecin-dentiste (
art. 100 al. 1 LSP
) et l'exercice illégal de la médecine dentaire est pénalement réprimé (
art. 186 al. 1 LSP
). L'
art. 103 LSP
prévoit enfin que, si le médecin-dentiste pratique dans plus d'un cabinet, il doit exercer son art personnellement dans chacun de ses cabinets, qui ne seront ainsi ouverts qu'alternativement. Il s'agit là d'un éventail de mesures très large, qui devrait garantir que les soins soient donnés par le médecin-dentiste lui-même.
Dans la mesure où l'autorité cantonale éprouve des difficultés de contrôle, on pourrait concevoir que le médecin-dentiste doive indiquer très précisément au Département les jours d'ouverture de chacun de ses cabinets et qu'il soit contraint de les fermer lorsqu'il ne s'y trouve pas. Compte tenu des mesures qui peuvent être prises, les difficultés de contrôle ne suffisent cependant pas à justifier une décision aussi lourde que celle d'ordonner la fermeture d'un cabinet. Le recourant observe d'ailleurs à juste titre que, si un médecin-dentiste dispose de plusieurs fauteuils dans le même cabinet, il existe un risque tout à fait comparable que des soins soient donnés par des personnes non qualifiées.
d) Il s'ensuit que la décision attaquée n'est pas fondée sur des motifs précis et convaincants, déduits d'une analyse de la situation particulière du recourant. En réalité, l'autorité cantonale a appliqué strictement l'
art. 103 LSP
, prévoyant qu'aucun médecin-dentiste ne peut pratiquer dans plus d'un cabinet secondaire. Une règle aussi absolue, qui ne tient pas compte des intérêts en jeu, viole le principe de la proportionnalité auquel est soumise toute atteinte à la liberté du commerce et de l'industrie.
Le recours doit dès lors être admis pour violation de l'
art. 31 Cst.
et la décision attaquée annulée en tant qu'elle ordonne au recourant de fermer son cabinet de Chavornay ou l'invite à procéder à la fermeture de l'un de ses deux autres cabinets situés à l'extérieur du canton. | public_law | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
5784f031-ac90-4a5c-9874-b0d880f53124 | Urteilskopf
119 Ib 423
44. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 14 décembre 1993 dans la cause S. C. contre Office fédéral des réfugiés (recours de droit administratif) | Regeste
Internierung eines Ausländers.
1. Voraussetzungen der Internierung gemäss
Art. 14a und 14d ANAG
(E. 3).
2. Vereinbarkeit mit
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
(E. 4).
3. Der Umstand, dass der Ausländer illegal in die Schweiz eingereist ist, rechtfertigt für sich allein die Internierung nicht (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 423
BGE 119 Ib 423 S. 423
A.-
S. C., ressortissant algérien, est, selon ses dires, entré en Suisse en 1988. Depuis lors, il s'est rendu coupable de nombreux délits.
BGE 119 Ib 423 S. 424
Le 3 juillet 1989, il a, par exemple, été condamné par le Tribunal de district de Zurich à une peine de 8 mois d'emprisonnement avec sursis et à l'expulsion pour une durée de 10 ans sans sursis pour vol par métier, dommages à la propriété, faux dans les certificats, infractions aux prescriptions légales de la police des étrangers, violence et menace contre un fonctionnaire et voies de fait.
B.-
En 1989 et 1990 déjà, la police cantonale bernoise a tenté en vain d'obtenir de l'ambassade algérienne des papiers d'identité pour S. C.; selon ladite ambassade, de tels papiers ne pouvaient être délivrés, la nationalité de l'intéressé n'étant pas établie. En 1992, la police cantonale de Zurich a également sans succès sollicité la délivrance d'un laissez-passer pour S. C. A deux reprises, soit le 7 octobre 1991 et le 4 juillet 1992, S. C. a été renvoyé en Algérie; les autorités de ce pays ne l'ont cependant pas laissé entrer et l'ont à chaque fois mis dans un avion à destination de Zurich.
C.-
A la requête de la police des étrangers du canton de Zurich, l'Office fédéral des réfugiés a, le 21 mai 1993, ordonné l'internement de S. C. pour une période de six mois, soit jusqu'au 15 novembre 1993. N'ayant pas été attaquée, la décision est entrée en force.
Par décision du 15 novembre 1993, l'Office fédéral des réfugiés a prolongé l'internement de six mois, soit jusqu'au 15 mai 1994, au motif que l'exécution de l'expulsion de S. C., dont l'identité n'était toujours pas établie, demeurait impossible, faute de documents de voyage.
D.-
Agissant par la voie du recours de droit administratif, S. C. demande au Tribunal fédéral d'annuler la décision prise le 15 novembre 1993 par l'Office fédéral des réfugiés.
Le recours a été admis.
Erwägungen
Considérant en droit:
3.
a) Selon l'
art. 14a LSEE
(RS 142.20), si l'exécution du renvoi ou de l'expulsion n'est pas possible, n'est pas licite ou ne peut être raisonnablement exigée, l'Office fédéral des réfugiés décide d'admettre provisoirement l'étranger ou de l'interner. Conformément à l'
art. 14d al. 2 LSEE
, l'internement dans un établissement approprié n'a lieu que si l'étranger compromet la sûreté intérieure ou extérieure de la Suisse ou la sûreté intérieure d'un canton (lettre a) ou met gravement en danger l'ordre public par sa présence (lettre b).
BGE 119 Ib 423 S. 425
L'internement constitue ainsi une mesure de substitution pour le cas où l'exécution du renvoi ou de l'expulsion n'est pas possible, du moins dans l'immédiat (cf. consid. 4 ci-dessous). Cela présuppose que l'étranger est tenu de quitter le territoire suisse et que la mesure ne peut pas être immédiatement exécutée; encore faut-il que la présence de l'étranger présente un danger pour l'ordre public ou la sécurité.
b) Le juge pénal a prononcé à l'encontre du recourant une expulsion pour 10 ans. Le recourant est donc sommé de quitter le pays et de ne plus y pénétrer pendant cette durée. L'expulsion prononcée par le juge pénal est ainsi comparable à celle prononcée par les autorités de police des étrangers. Lorsque l'exécution de l'une de ces mesures n'est pas possible, l'internement peut alors être ordonné pour peu que les autres conditions soient réalisées. Dans le cas particulier, l'exécution de l'expulsion apparaît à tout le moins pour le moment comme impossible, puisque le recourant ne dispose pas de papiers et que les autorités algériennes refusent de le laisser entrer sur leur territoire. Par ailleurs, il est constant que le recourant met gravement en danger l'ordre public par sa présence. En effet, depuis son arrivée en Suisse, le recourant a commis un grand nombre de délits. II a subi de ce fait une longue peine privative de liberté; à peine sortait-il de prison qu'il récidivait.
c) En résumé, les conditions légales pour prononcer l'internement sont réunies: l'expulsion du recourant est provisoirement impossible et sa présence met gravement en danger l'ordre public.
Reste à examiner si la prolongation de l'internement est en l'occurrence compatible avec les exigences posées par la Convention européenne des droits de l'homme.
4.
a) Selon l'
art. 5 par. 1 CEDH
, toute personne a droit à la liberté et à la sûreté. Nul ne peut être privé de sa liberté, sauf dans les cas expressément énumérés sous lettres a à f de cet article. En l'espèce, seule la lettre f de l'
art. 5 par. 1 CEDH
entre en ligne de compte. Selon cette disposition, une personne peut être privée de sa liberté s'il s'agit de l'arrestation ou de la détention régulière d'une personne pour l'empêcher de pénétrer irrégulièrement dans le territoire, ou contre laquelle une procédure d'expulsion ou d'extradition est en cours. Il convient dès lors d'examiner s'il existe une procédure d'expulsion en cours et partant si l'internement est justifié.
b) L'internement suppose, selon l'
art. 14a LSEE
, que l'exécution du renvoi ou de l'expulsion n'est pas possible, n'est pas licite ou ne peut pas être raisonnablement exigée. Il faut que celle-ci apparaisse
BGE 119 Ib 423 S. 426
comme inexécutable pour le moment. Aussi longtemps que les autorités s'emploient activement à exécuter le renvoi ou l'expulsion de l'étranger, il existe, au sens de l'art. 5 par. 1 lettre f CEDH, une procédure d'expulsion en cours pouvant, en principe, justifier une privation de liberté de l'étranger.
On ne saurait en revanche parler de procédure d'expulsion en cours lorsqu'il est établi que l'exécution de la mesure d'éloignement n'est pas possible dans un avenir prévisible. Il en va de même lorsque les autorités ne s'appliquent pas à mener à bien cette mesure avec toute la diligence nécessaire (
ATF 119 Ib 202
consid. 3a p. 207).
c) Dans la décision attaquée, l'Office fédéral des réfugiés a prononcé pour la deuxième fois à l'encontre du recourant un internement de six mois. Plus un internement dure longtemps, plus l'on peut exiger des autorités qu'elles travaillent prioritairement à ce que les obstacles à l'exécution des mesures d'éloignement soient levés et que celles-ci soient rapidement exécutées. Il faut par ailleurs aussi tenir compte du comportement de l'étranger, en particulier de sa collaboration aux préparatifs de son départ ou de son obstruction.
En l'occurrence, plusieurs années déjà avant le premier internement, les autorités savaient que l'ambassade algérienne n'était guère disposée à délivrer les papiers requis sur la base de l'identité du recourant, et ce quand bien même, d'après la police cantonale de Zurich, il ne subsistait que peu de doutes sur cette identité (cf. décision concernant le refoulement du 2 juillet 1992). Dans la première décision d'internement du 21 mai 1993, l'Office fédéral des réfugiés a certes retenu que l'identité du recourant n'était pas établie et que celui-ci n'était disposé ni à collaborer à l'obtention des documents de voyage ni à décliner sa véritable identité. Cette allégation n'est pas motivée et il ne ressort d'aucune pièce du dossier que les indications du recourant sur sa personne aient été autrement mises en doute. Il n'est ainsi pas établi que les difficultés liées au renvoi du recourant soient imputables de manière prépondérante à son comportement.
En ce qui concerne les démarches entreprises par les autorités en vue du refoulement du recourant, il ressort d'une décision de la police cantonale zurichoise du 24 janvier 1993 qu'une demande de laissez-passer a été présentée à l'ambassade algérienne. Les pièces du dossier ne permettent pas de savoir si cela a effectivement eu lieu. Il résulte au contraire d'une lettre du 25 octobre 1993 de la police des étrangers du canton de Zurich adressée à la police cantonale que les dernières démarches entreprises auprès de l'ambassade algérienne
BGE 119 Ib 423 S. 427
en vue d'obtenir des papiers remontent à l'année précédente, respectivement au 3 janvier et au 22 juin 1992. Force est donc de constater que, depuis le début de l'internement, soit mai 1993, les autorités ne semblent pas avoir fait tout leur possible pour expulser le recourant du territoire suisse. En revanche, le recourant paraît, de son côté, avoir pris contact avec l'ambassade en vue de se faire délivrer des papiers. Dans une notice du 11 novembre 1993 adressée à la police des étrangers, la police cantonale zurichoise indique qu'elle a entendu l'intéressé en vue de la prolongation de l'internement et qu'à cette occasion, celui-ci aurait fourni de nouveaux renseignements sur sa personne; dès lors, à la lumière de ces nouveaux faits, elle prétend avoir l'intention de revenir à la charge auprès du consulat algérien et d'Interpol pour obtenir les documents nécessaires au départ du recourant. L'Office fédéral des réfugiés confirme dans sa prise de position adressée au Tribunal fédéral que le recourant a maintenant donné de nouveaux et de plus amples détails sur sa personne. Or, si l'on compare les déclarations récentes du recourant avec celles qu'il a faites auparavant, on s'aperçoit qu'il n'existe aucune divergence: lors de cette dernière audition, le recourant a certes été interrogé sur sa situation personnelle plus largement que cela n'avait été le cas précédemment. Un tel interrogatoire aurait toutefois très bien pu avoir lieu lors du premier internement.
d) Sur la base du dossier produit par l'Office fédéral des réfugiés, il apparaît que depuis le premier internement du recourant aucune démarche sérieuse n'a été entreprise en vue de son refoulement. Les dernières démarches pour obtenir des papiers remontent à 1992. C'est uniquement en vue de la prolongation de l'internement que les autorités ont vraisemblablement prétendu vouloir prendre contact avec Interpol et le consulat. On ne saurait cependant admettre au vu de cette simple intention que les autorités se sont employées avec toute la diligence voulue au refoulement du recourant. Il s'ensuit qu'aucune procédure d'expulsion n'est en cours au sens de l'art. 5 par. 1 lettre f CEDH contre le recourant et que par conséquent l'internement n'est pas justifié sous cet angle.
5.
a) Il convient encore d'examiner si le recourant peut être interné pour le seul motif qu'il était initialement entré en Suisse de manière illégale. Dans un arrêt publié aux
ATF 110 Ib 1
ss, le Tribunal fédéral a considéré qu'en cas d'entrée illégale en Suisse d'étrangers, il s'agissait d'empêcher que de telles personnes puissent se déplacer librement dans le pays. Point n'est besoin cependant d'interner les étrangers pour atteindre ce but; il suffit, par exemple,
BGE 119 Ib 423 S. 428
de leur imposer des charges liées à leur admission provisoire en Suisse. Il en va différemment en cas de circonstances extraordinaires telles qu'elles résultent de l'arrêt susmentionné: il s'agissait de l'entrée illégale en Suisse d'un étranger qui était soupçonné d'avoir participé à l'assassinat d'un journaliste turc et d'entretenir également en Suisse des contacts avec des milieux terroristes d'extrême droite. La présence de l'étranger créait un risque particulièrement élevé pour la sécurité de l'Etat. Son internement était donc justifié du point de vue du droit des étrangers: il fallait parer au risque du déroulement en Suisse d'actes de violence liés à des conflits de politique étrangère.
b) La présente situation est très différente de celle décrite ci-dessus: les mesures en vue de l'expulsion du recourant n'ont pas été poursuivies avec la diligence voulue et il a été interné afin qu'il n'ait plus la possibilité de commettre d'autres actes délictueux. Or, un tel enfermement à titre préventif n'est prévu ni pour les Suisses ni pour les étrangers autorisés à séjourner en Suisse. Le fait d'admettre l'internement pour les étrangers qui sont entrés irrégulièrement en Suisse, et ce indépendamment de la question de l'existence d'une procédure d'expulsion en cours, ne serait pas compatible avec le principe d'égalité de traitement consacré par la Constitution fédérale. Lorsque la présence d'un étranger en Suisse est admise de fait, la législation en matière de police des étrangers ne permet pas pour cette seule raison la détention d'un étranger en situation irrégulière. A l'instar des Suisses, les étrangers ne peuvent être privés de liberté que par le juge pénal, sous réserve de la détention en vue d'expulsion ou de renvoi selon l'
art. 14 LSEE
ou de l'internement aux conditions de l'
art. 14d LSEE
telles que précisées ci-dessus. Il n'est pas admissible de prononcer l'internement à la suite de l'exécution d'une peine, sans qu'il s'agisse de mener à bien le renvoi de l'étranger; sinon, l'exécution de la peine serait indûment prolongée. Dès lors, l'internement du recourant ne saurait non plus être justifié par le fait qu'il est entré illégalement en Suisse. | public_law | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
5788f16b-d532-4af1-9229-fe117b736aca | Urteilskopf
108 IV 172
43. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 25 novembre 1982 dans la cause Ministère public du canton de Vaud contre B. (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 210 StGB
. Veröffentlichung von Gelegenheiten zur Unzucht.
1. Der Wortlaut dieser Bestimmung schliesst deren Anwendung auf Personen, welche der eigenen Unzucht Vorschub leisten, nicht aus (E. 1).
2. Voraussetzungen, unter denen
Art. 210 StGB
anwendbar ist (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 173
BGE 108 IV 172 S. 173
A.-
B., divorcée B., née en 1950, s'est livrée à la prostitution depuis 1968. Depuis quelques années, elle ne travaillait plus sur la voie publique, mais exerçait son activité à domicile, alors à Lausanne. Pour se faire connaître et assurer sa publicité, elle a fait insérer des annonces dans la revue "Minuit Plaisir". Une de ces annonces avait le contenu suivant:
"FANNY
Reçoit messieurs distingués et généreux dans un cadre sympathique et
discret.
Du lundi au vendredi, dès 13 h...
Pour prendre rendez-vous, téléphonez entre 9-13 h.
Tél. (021) 27'34'80."
La revue "Minuit Plaisir" est un mensuel contenant notamment des reportages et feuilletons, au caractère nettement polisson et érotique que soulignent des photos de nus, ainsi que de nombreuses annonces qui émanent de prostituées et de masseuses faisant allusion aux relations sexuelles. Ces annonces sont dénommées "Annonces contact privées".
La Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral a, dans son arrêt Di Giovanni c. Vaud du 24 août 1981, considéré que l'impression d'ensemble qui se dégage de cette publication en fait apparaître clairement le caractère obscène.
B.-
Le 18 novembre 1981, le Tribunal de police du district de Lausanne a condamné l'intimée, pour racolage (
art. 206 CP
) et publicité donnée aux occasions de débauche (
art. 210 CP
), à une peine de 1'000 francs d'amende.
B. ayant recouru en réforme contre ce jugement, demandant à être libérée de toute peine, la Cour de cassation pénale du canton de Vaud lui a donné raison le 17 mai 1982 en la libérant des fins de l'action pénale tant sur le chef d'accusation de racolage que sur celui de publicité donnée aux occasions de débauche.
C.-
Le Ministère public du canton de Vaud se pourvoit en nullité auprès de la Cour de cassation du Tribunal fédéral. Conformément au préavis qu'il avait déposé en instance cantonale, il conclut à la condamnation de B. pour publicité donnée aux occasions de débauche au sens de l'
art. 210 CP
.
L'intimée quant à elle conclut au rejet du pourvoi.
BGE 108 IV 172 S. 174
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'
art. 210 CP
, celui qui, dans le dessein de favoriser la débauche, aura publiquement attiré l'attention sur une occasion de débauche sera puni des arrêts ou de l'amende.
Les commentateurs ne sont pas unanimes lorsqu'il s'agit de déterminer le but visé par cette disposition. Selon LOGOZ (Partie spéciale I, n. 1 ad art. 210), le but visé est d'enrayer le recrutement pour la débauche et, d'autre part, de protéger le sentiment de la pudeur. Pour Clerc (t. 2 p. 37), ce que la loi interdit, c'est la propagande destinée au recrutement de clients pour ceux qui vivent de la prostitution. Pour cet auteur, la propagande est répréhensible, non seulement parce que c'est un moyen de favoriser le vice, mais encore parce que le sentiment de pudeur est heurté, à la vue d'annonces dans les gazettes, de papillons distribués dans la rue, d'affiches placardées dans les hôtels, qui sont autant de moyens d'inviter le quidam à se rendre en un lieu de débauche. SCHWANDER (no 646.1.6) y voit un cas particulier du délit de l'
art. 200 CP
(favoriser la débauche). Plusieurs auteurs y voient une espèce d'acte préparatoire que l'art. 210 déclare punissable (LOGOZ, op.cit., N. 1; HAFTER, Partie spéciale, p. 142 n. 6; STRATENWERTH, Bes. Teil II, p. 60). Quant à l'auteur de l'infraction, il peut être n'importe qui. Le plus souvent, ce sera un proxénète ou une personne qui se livre elle-même à la prostitution (LOGOZ, n. 1, 2 et 4 ad
art. 210 CP
; THORMANN/VON OVERBECK, II, n. 2 ad
art. 210 CP
; HAFTER, p. 142 ch. 6 et n. 8, ce dernier auteur parlant de "Kundenwerbung"). Rien dans le texte clair de la loi n'autorise à penser que l'art. 210 ne s'applique pas à celui qui favorise sa propre débauche. Il est vrai que la même expression "favoriser la débauche" figure aux
art. 198 et 200 CP
, mais on ne saurait en tirer aucun argument. En effet, si la personne qui se livre à la prostitution n'est en principe pas visée par ces dispositions, cela ne découle pas du sens donné à l'expression précitée, mais de l'hypothèse envisagée par le législateur, laquelle ne peut le plus souvent être réalisée que par un tiers. Preuve en est que, le cas échéant, une prostituée peut être condamnée pour proxénétisme en raison du seul fait qu'elle s'est procuré un client - qui autrement ne serait pas venu - par la favorisation de la débauche (arrêt non publié K. c. Lucerne du 18 novembre 1965, cité aux
ATF 107 IV 127
).
BGE 108 IV 172 S. 175
2.
L'application de l'
art. 210 CP
est subordonnée à trois conditions nécessaires, mais suffisantes: a) il faut que l'attention ait été attirée sur une occasion de débauche, b) cela doit avoir été fait publiquement et c) l'auteur doit avoir voulu favoriser la débauche. Ces trois conditions sont à l'évidence réunies en l'espèce. En effet, l'annonce de l'intimée ayant paru dans un périodique imprimé, son caractère public ne saurait être discuté, même si le périodique en cause est très spécialisé. Il suffit qu'il soit accessible à un nombre élevé et indéterminé ou difficilement déterminable de personnes (cf. par analogie
ATF 106 IV 299
consid. 2, portant sur l'annonce publique au sens de l'OL; cf. item LOGOZ, n. 3 ad
art. 210 CP
et MEIER, Die Behandlung der Prostitution im Schweizerischen Strafrecht, thèse Zurich 1948, p. 124). De plus, l'autorité cantonale a constaté à juste titre que l'intimée, dans son annonce, proposait ou acceptait de se livrer sinon à toutes les pratiques sexuelles, du moins à certaines d'entre elles, qui relèvent de la débauche au sens de la loi. Enfin, il ne fait aucun doute que l'intimée entendait favoriser son commerce ou tout au moins son activité. Il s'ensuit que le pourvoi doit être admis et la cause renvoyée à l'autorité cantonale pour qu'elle condamne l'intimée en application de l'
art. 210 CP
. | null | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
578e9efa-f8ac-439f-8a0e-f2468d3edfd0 | Urteilskopf
140 III 337
50. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_890/2013 vom 22. Mai 2014 | Regeste
Eheschutz; Unterhalt des Ehegatten; Steuern und Leasingraten (
Art. 163 ZGB
;
Art. 92 Abs. 1 und
Art. 93 SchKG
;
Art. 9 BV
).
Die Berücksichtigung der laufenden und aufgelaufenen Steuern im betreibungsrechtlichen Existenzminimum des Unterhaltsschuldners ist willkürlich (E. 4.2-4.4). Verfassungskonform ist hingegen die Aufnahme der vollen Raten für ein geleastes Fahrzeug mit Kompetenzcharakter (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 337
BGE 140 III 337 S. 337
A.
Die Eheleute X. (Ehefrau) und Y. (Ehemann) sind die gemeinsamen Eltern zweier Kinder. Im Rahmen eines Eheschutzverfahrens wurde der Ehemann durch Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Bucheggberg-Wasseramt insbesondere verpflichtet, an den Unterhalt der Ehefrau ab 1. Juni 2013 Fr. 870.- pro Monat zu bezahlen. In teilweiser Gutheissung der Berufung der Ehefrau verhielt das
BGE 140 III 337 S. 338
Obergericht des Kantons Solothurn den Ehemann dazu, an den Unterhalt der Ehefrau monatlich ab 1. Juni 2013 mit Fr. 1'015.- beizutragen.
B.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Ehefrau (Beschwerdeführerin) dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und dem Ehemann (Beschwerdegegner) aufzutragen, ihr persönlich mit Wirkung ab 1. Juni 2013 und für die weitere Dauer des Verfahrens monatlich und zum Voraus Fr. 1'738.50 zu bezahlen. Strittig ist die Berücksichtigung der laufenden Steuern sowie der vollen Leasingraten im betreibungsrechtlichen Existenzminimum des Beschwerdegegners. Dieser schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
C.
Die Beschwerde wurde an der Sitzung der II. zivilrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 22. Mai 2014 öffentlich beraten und das Urteil anschliessend an die Beratung und Abstimmung mündlich eröffnet. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und verpflichtet den Beschwerdegegner, der Beschwerdeführerin ab 1. Juni 2013 für die weitere Dauer des Getrenntlebens monatlich und im Voraus Fr. 1'660.- zu bezahlen.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.2
4.2.1
Haben die Ehegatten den gemeinsamen Haushalt aufgehoben, sind die Folgen des Getrenntlebens zu regeln. Selbst wenn mit einer Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushaltes nicht mehr ernsthaft gerechnet werden kann, bleibt
Art. 163 ZGB
die Rechtsgrundlage der gegenseitigen Unterhaltspflicht der Ehegatten im Rahmen gerichtlicher Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft. Im Stadium des Eheschutzverfahrens geht es ausschliesslich um Verbrauchsunterhalt. Ausgangspunkt für die Ermittlung des Beitrages an den Unterhalt des fordernden Ehegatten ist der während des gemeinsamen Haushaltes zuletzt gelebte Standard, auf dessen Fortführung bei genügenden Mitteln beide Teile Anspruch haben (
BGE 119 II 314
E. 4b/aa S. 318). Der Kinderunterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen (
BGE 137 III 59
E. 4.2.1). Die derart ermittelten Beiträge stellen gleichzeitig die Obergrenze des Unterhaltsanspruchs dar. Reichen die vorhandenen Mittel nicht aus, um diesen Standard aufrecht zu erhalten, haben Kinder und Ehegatten Anspruch auf den gleichen Lebensstandard (
BGE 137 III 102
E. 4.2).
BGE 140 III 337 S. 339
4.2.2
Das Gesetz schreibt keine bestimmten Berechnungsmethoden vor. Dem Grundsatze nach stehen die einstufig konkrete oder die zweistufige Methode zur Verfügung. Die zweistufige Methode eignet sich für alle finanziellen Verhältnisse, in denen die Ehegatten - gegebenenfalls trotz guter finanzieller Verhältnisse - nichts angespart haben oder aber die bisherige Sparquote durch die scheidungsbedingten Mehrkosten aufgebraucht wird (
BGE 137 III 102
E. 4.2.1.1 S. 106 f.;
BGE 134 III 577
E. 3 S. 578; Urteil 5A_908/2011 vom 8. März 2012 E. 4.2). Zweistufig bedeutet, dass zuerst der konkrete Bedarf (aller Personen) dem Gesamteinkommen gegenübergestellt und alsdann der rechnerische Überschuss auf die unterhaltsberechtigten Kinder und die Ehegatten verteilt wird (
BGE 137 III 59
E. 4.2.3).
4.2.3
Basis für die Bedarfsberechnung sind die Positionen, wie sie auch für die
betreibungsrechtliche
Existenzminimumsberechnung verwendet werden. Indes sind die von den Betreibungsämtern für die Ermittlung des pfändbaren Einkommens verwendeten Zahlen nicht direkt massgebend. Vielmehr müssen die eingesetzten Beträge im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien stehen. In guten finanziellen Verhältnissen ist es beispielsweise ohne Weiteres zulässig, unter der Position Krankenversicherungsprämien diejenigen der überobligatorischen Versicherung zu berücksichtigen. Ebenso ist bei günstigen Verhältnissen zulässig bzw. vorgeschrieben, effektiv bezahlte Steuerschulden, einschliesslich rechtskräftig veranlagter Steuern aus vorausgegangenen Steuerperioden in die Bedarfsberechnung einzurechnen (Urteil 5A_592/2011 vom 31. Januar 2012 E. 4.2; 5A_302/2011 vom 30. September 2011 E. 6.3.1 mit Hinweisen, in: FamPra.ch 2012 S. 160). Indes, je knapper die finanziellen Verhältnisse, desto enger müssen sich die Gerichte für die Ermittlung des Bedarfs an die in Anwendung des
Art. 93 SchKG
entwickelten Grundsätze über die Pfändbarkeit des schuldnerischen Einkommens anlehnen.
4.3
Nach der mit den
BGE 121 I 97
,
BGE 121 III 301
und
BGE 123 III 1
begründeten und in den
BGE 126 III 353
E. 1a/aa S. 356,
BGE 127 III 68
E. 2c S. 70,
BGE 133 III 57
E. 3 und
BGE 135 III 66
E. 2 S. 67,
BGE 137 III 59
E. 4.2.1 S. 62 (und in zahlreichen weiteren Urteilen) bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichts ist dem Unterhaltsverpflichteten für alle familienrechtlichen Unterhaltskategorien und in Abweichung zum Gleichbehandlungsgrundsatz stets das
betreibungsrechtliche
Existenzminimum zu belassen, mit der Folge, dass die Unterhaltsberechtigten das ganze Manko zu tragen haben. Daraus folgt aber
BGE 140 III 337 S. 340
auch, dass dem Unterhaltsschuldner nicht mehr zu belassen ist als das
betreibungsrechtliche
Existenzminimum, solange die
betreibungsrechtlichen
Existenzminima der unterhaltsberechtigten Personen nicht gedeckt sind. Wenn die Mittel sehr eingeschränkt sind, ist mithin zunächst das betreibungsrechtliche Existenzminimum des Unterhaltsschuldners, in zweiter Linie dasjenige der Kinder und zuletzt dasjenige des unterhaltsberechtigten Ehegatten zu ermitteln und zu decken. Erst wenn das betreibungsrechtliche Existenzminimum aller Betroffenen gedeckt ist, kann es darum gehen, einen allfälligen Überschuss in eine erweiterte Bedarfsrechnung aufzunehmen oder auf die Betroffenen zu verteilen.
4.4
4.4.1
Im vorliegenden Fall liegen nach der Feststellung der Vorinstanz knappe Verhältnisse vor, ergibt sich doch für die hier massgebende Periode (ab Juni 2013) eine Unterdeckung von Fr. 898.-. Daher kann der Beschwerdegegner lediglich den Schutz seines betreibungsrechtlichen Existenzminimums beanspruchen. Nach der amtlich publizierten Rechtsprechung sind die laufenden und verfallenen Steuern nicht als Zuschlag zum Grundbetrag in das Existenzminimum gemäss
Art. 93 SchKG
des Schuldners aufzunehmen (
BGE 126 III 89
E. 3b und c,
BGE 126 III 353
E. 1a/aa S. 356;
BGE 127 III 289
E. 2a/bb S. 292;
BGE 134 III 37
E. 4.3 S. 41). Diese Rechtsprechung wird von einem bedeutenden Teil der Lehre als massgebend bezeichnet (so namentlich: GEORGES VONDER MÜHLL, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 23 zu
Art. 93 SchKG
; MICHEL OCHSNER, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 150 zu
Art. 93 SchKG
; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 5. Aufl. 2012, S. 254, Rz. 998). Ihr ist indes auch Kritik erwachsen: So bemängelt THOMAS M. KULL (in: JAEGER/WALDER/KULL, Das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs [SchKG], 5. Aufl. 2006, N. 26 f. zu
Art. 93 SchKG
) den Ausschluss der Steuern vom Existenzminimum, weil es sich dabei um eine Verpflichtung handelt, auf die der Schuldner keinen Einfluss nehmen kann. MICHEL OCHSNER (a.a.O., N. 151 zu
Art. 93 SchKG
, und
derselbe
, Le minimum vital [art. 93 al. 1 LP], SJ 2012 II S. 119 ff., 145) wendet dagegen ein, die Nichtberücksichtigung der Steuern habe unweigerlich neue Betreibungen zur Folge, die dem Schuldner letztlich nur den Ausweg der Insolvenzerklärung offenliessen. Im gleichen Sinn äussert sich JOLANTA KREN KOSTKIEWICZ (in: SchKG, 2. Aufl. 2014, N. 52 zu
Art. 93 SchKG
). Für weitere
BGE 140 III 337 S. 341
kritische Äusserungen wird auf das Urteil 5P.119/2002 vom 1. Juli 2002 E. 2b sowie auf PICHONNAZ/RUMO-JUNGO (La protection du minimum vital du débirentier en droit de divorce: évolution récente, SJZ 100/2004 S. 81, 87 ff.) verwiesen.
4.4.2
Die Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz vom 1. Juli 2009 für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums (Notbedarf) nach
Art. 93 SchKG
vom 1. Juli 2009 (BlSchK 2009 S. 193 ff.) sowie die Praxis der meisten Kantone, soweit sie eigene Richtlinien erlassen haben, folgen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Als Ausnahmen sind die Kantone Solothurn und St. Gallen zu erwähnen, die in ihren kantonalen Richtlinien eine Berücksichtigung der Steuern im Existenzminimum ausdrücklich vorsehen. Dies hat das Bundesgericht in einem den Kanton Solothurn betreffenden Fall unter Willkürgesichtspunkten als verfassungskonform bewertet (Urteil 5P.119/2002 vom 1. Juli 2002 E. 2). Die Praxis der Kantone St. Gallen und Solothurn ist indes im Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts 7B.221/2003 vom 17. November 2003 E. 3.1 als mit
Art. 93 SchKG
nicht vereinbar bezeichnet worden. In einem späteren Entscheid 5A_764/2007 vom 23. Januar 2008 E. 2.1 hat das Bundesgericht zwar die Solothurner Richtlinien gelten lassen, ohne allerdings auf die anderslautende publizierte Rechtsprechung Bezug zu nehmen und diese zu relativieren oder zu hinterfragen. In einem knapp zwei Jahre später ergangenen Entscheid hat es die Praxis des Kantons Solothurn erneut ausdrücklich als bundesrechtswidrig bezeichnet (Urteil 5A_757/2009 vom 15. Dezember 2009 E. 4.1). Schliesslich wurde die bisherige publizierte Rechtsprechung des Bundesgerichts in weiteren Entscheiden bestätigt (
BGE 135 I 221
E. 5.2.1 S. 224; Urteile 5A_27/2010 vom 15. April 2010 E. 3.3.1; 5A_187/ 2011 vom 13. Mai 2011 E. 6; 5A_222/2013 vom 12. Juni 2013 E. 2.3 a.E.).
4.4.3
Zusammenfassend liegt somit eine konstante bundesgerichtliche Rechtsprechung vor, wonach laufende oder aufgelaufene Steuern im betreibungsrechtlichen Existenzminimum nicht zu berücksichtigen sind.
(...)
5.
5.1
Die Beschwerdeführerin beanstandet im Weiteren die Berücksichtigung des ganzen Leasingbetrages von Fr. 306.- im
BGE 140 III 337 S. 342
Existenzminimum des Beschwerdegegners als willkürlich, da ein gewisser Anteil dieses Betrages als Amortisation zu werten sei, die bei den Fahrzeugkosten nach der herrschenden Rechtsprechung nicht berücksichtigt werden dürfe. Im vorliegenden Fall betrage dieser Amortisationsanteil Fr. 76.50 und sei daher nur ein Leasingbetrag von Fr. 229.50 (statt Fr. 306.-) aufzunehmen.
5.2
Gemäss den Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz vom 1. Juli 2009 (BlSchK 2009 S. 193 ff.) sind bei einem Automobil mit Kompetenzqualität die festen und veränderlichen Kosten
ohne Amortisation
zu berechnen. Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdegegner indes nicht Eigentümer eines Fahrzeuges mit Kompetenzcharakter, hat er doch sein Fahrzeug geleast. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, die sich auf die Richtlinien der Konferenz stützt, sind Leasingraten für ein Auto mit Kompetenzcharakter sowohl beim betreibungsrechtlichen Existenzminimum als auch in der prozessualen Bedarfsberechnung zu berücksichtigen (Urteil 5A_27/2010 vom 15. April 2010 E. 3.2.2 mit zahlreichen Hinweisen). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin geht es dabei nicht um eine teilweise Aufnahme von Amortisationskosten. Vielmehr handelt es sich bei den Leasingraten für ein Kompetenzgut wirtschaftlich gesehen um zeitlich gestaffelte Anschaffungskosten von nicht pfändbarem Vermögen im Sinne von Art. 92 Abs. 1 oder
Art. 93 Abs. 1 SchKG
. Dies ist der Grund, weshalb die Raten (grundsätzlich in vollem Umfang) zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil 5A_27/2010 vom 15. April 2010 E. 3.2.2; siehe auch die dortigen Ausführungen betreffend "zu teure" Leasingfahrzeuge). Da dem geleasten Fahrzeug im konkreten Fall unbestrittenermassen Kompetenzcharakter zukommt und auch nicht behauptet und belegt worden ist, dass ein zu teures Fahrzeug geleast worden ist, hat das Obergericht die Kosten von Fr. 306.- zu Recht in vollem Umfang berücksichtigt. Von willkürlicher Rechtsanwendung kann keine Rede sein. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
579a13c6-273a-432d-b57e-f5f5a861f8dd | Urteilskopf
105 IV 18
5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. März 1979 i.S. G. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 18 Abs. 3,
Art. 117 StGB
.
Bei fahrlässigen Erfolgsdelikten wie der fahrlässigen Tötung ist der Erfolg dem Täter nur dann zuzurechnen, wenn er bei Anwendung pflichtgemässer Vorsicht mit hoher Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 18
BGE 105 IV 18 S. 18
A.-
Am 27. Oktober 1977, um 18.05 Uhr, fuhr G. mit einem Kleinbus auf der 7 m breiten, gut beleuchteten, nassen Kantonsstrasse mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h durch die Ortschaft Mörel in Richtung Brig. 7,5 m vor einem die Strasse querenden Fussgängerstreifen überfuhr er den Fussgänger E., der im Begriffe war, die Strasse von links nach rechts zu überqueren. E. wurde schwer verletzt und starb unmittelbar nach seiner Einlieferung ins Spital. Eine ihm zwei Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe ergab eine Alkoholkonzentration von 1,26 bzw. 1,21 Gewichtspromille im Blut.
B.-
Das Kreisgericht Oberwallis verurteilte G. am 30. Mai 1978 wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 400.-- bei einer Probezeit von 2 Jahren. Das Kantonsgericht des Kantons Wallis bestätigte mit Urteil vom 14. Dezember 1978 den Schuldspruch, setzte jedoch die Busse auf Fr. 200.-- herab.
C.-
G. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen.
Der Staatsanwalt für das Oberwallis beantragt sinngemäss, die Beschwerde sei abzuweisen.
BGE 105 IV 18 S. 19
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Vorinstanz hat den natürlichen wie den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Beschwerdeführers und dem Tod des Fussgängers bejaht. Demgegenüber macht G. geltend, die Vorinstanz habe nicht abgeklärt, ob er bei pflichtgemässem Verhalten überhaupt in der Lage gewesen wäre, noch vor dem Fussgänger anzuhalten und den Unfall zu vermeiden. Wenn nämlich der eingetretene Erfolg auch bei sofortiger und zweckmässiger Reaktion nicht zu vermeiden gewesen wäre, müsste der Beschwerdeführer freigesprochen werden. Sollte der Fussgänger beispielsweise im Schrittempo die Strasse überquert haben, hätte G. reagieren müssen, als der Fussgänger die Mitte der Strasse verliess, da keine Anzeichen eines verkehrswidrigen Verhaltens in einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hätten. In diesem Falle hätte ein Zusammenstoss nicht vermieden werden können. Gehe man aber davon aus, dass der Fussgänger die Strasse laufend überquerte, so hätte der Beschwerdeführer reagieren müssen, als jener den Strassenrand verliess. Vom Strassenrand bis zur Kollisionsstelle seien es 3,50 m. Der Fussgänger habe diese in zwei Sekunden durchlaufen. Da der Beschwerdeführer im Augenblick, da E. den Strassenrand verlassen habe, 22 m von der Kollisionsstelle entfernt gewesen sei und der Bremsweg bei einer Geschwindigkeit von 40 km/h auf nasser Strasse 27,5 m betrug, hätte der Zusammenstoss auch in diesem Fall nicht vermieden werden können.
a) Die damit zur Entscheidung gestellte Frage berührt nach der neueren Rechtsprechung des Kassationshofes nicht den adäquaten, sondern den natürlichen Kausalzusammenhang (
BGE 103 IV 291
,
BGE 102 IV 101
f.,
BGE 101 IV 31
, 152). Diese Betrachtungsweise hat der Kritik gerufen, indem geltend gemacht wurde, bei Unterlassungsdelikten gebe es keine natürliche Kausalität (SCHULTZ, ZBJV 112/1976 S. 416; 113/1977 S. 534), bzw. es könne höchstens im übertragenen Sinne von Kausalität die Rede sein (SCHULTZ, AT, Bd I, 3. Aufl., S. 118). Tatsächlich kann bei Unterlassungsdelikten nicht im gleichen Sinn von Kausalität gesprochen werden wie bei positiven Handlungen. Bei Unterlassungen kann es nur um eine Kausalität der nicht erfolgten Handlungen gehen, die hypothetisch zum eingetretenen
BGE 105 IV 18 S. 20
Erfolg in Beziehung gesetzt werden (SCHÖNKE/SCHRÖDER, Strafgesetzbuch, 19. Auflage, N. 61 zu § 13 und N. 163 zu § 15 mit Verweisungen). Dass aber eine solche Ursachenfolge bei Erfolgsdelikten vom Gesetz selber gefordert wird, erhellt schon aus dem Wortlaut von
Art. 18 Abs. 3 StGB
("ist die Tat darauf zurückzuführen..."). Entsprechend sind denn auch die oben erwähnten Entscheide zu verstehen.
Die Kontroverse ist übrigens im konkreten Fall für den Ausgang der Sache nicht von Belang. So oder anders geht es nämlich um die objektive Zurechnung eines Erfolgs und ist bei fahrlässigen Erfolgsdelikten wie der fahrlässigen Tötung jener dem Täter nur zuzurechnen, wenn er durch Anwendung pflichtgemässer Vorsicht höchstwahrscheinlich vermieden worden wäre; wäre er gleichwohl eingetreten, so beruht er nicht auf der Pflichtwidrigkeit, wobei es keinen Unterschied ausmacht, ob diese in einem Tun oder Unterlassen liegt. In jedem Fall hat der Richter, soweit Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jener Zusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg fehlen könnte, sich die in
BGE 102 IV 102
formulierte hypothetische Frage zu stellen und sie zu beantworten.
b) Das angefochtene Urteil enthält keine Ausführungen darüber, dass der Tod des Fussgängers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre, wenn der Beschwerdeführer mit der von ihm verlangten Aufmerksamkeit gefahren wäre. Das Urteil ist deshalb gemäss
Art. 277 BStP
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dabei wird das Kantonsgericht neben den bereits bekannten Umständen (Sicht, Ortskenntnis des Beschwerdeführers) das Verhalten des Fussgängers (Gehgeschwindigkeit, erkennbare Nichtbeachtung des Verkehrs, event. Erkennbarkeit von Angetrunkenheit usw.) sowie die Anhaltezeit und den Anhalteweg des Beschwerdeführers abzuklären haben. Die Vorinstanz wird zudem berücksichtigen müssen, dass der Fussgänger die Strasse 7,5 m neben einem Fussgängerstreifen betreten hat und dass der vortrittsberechtigte Führer deshalb zunächst davon ausgehen durfte, E. werde sich nach rechts vergewissern ob Fahrzeuge nahen, und gegebenfalls spätestens in der Strassenmitte einen Halt einschalten.
Sollte sich im Rückweisungsverfahren ergeben, dass der Tod des Fussgängers auch bei der gebotenen Aufmerksamkeit des Beschwerdeführers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht hätte
BGE 105 IV 18 S. 21
vermieden werden können, wäre G. nur wegen Übertretung von
Art. 31 SVG
(Unaufmerksamkeit) zu bestrafen. Falls die neue Prüfung dagegen erweisen sollte, dass bei der gebotenen Handlungsweise des Beschwerdeführers E. mit hoher Wahrscheinlichkeit lediglich Körperverletzungen erlitten hätte, wäre G. nach
Art. 125 StGB
zu verurteilen, sofern dies nach kantonalem Verfahrensrecht zulässig ist und für den Fall einer Körperverletzung nach
Art. 125 Abs. 1 StGB
die Angehörigen von E. innert Frist Strafantrag gestellt haben. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
579a965f-26ce-440f-914e-aacad93c89e5 | Urteilskopf
109 V 1
1. Urteil vom 16. Februar 1983 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Honegger und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 41bis AHVV
, lit. a der Übergangsbestimmungen zur Verordnungsnovelle vom 5.4.1978.
- Rz. 66 des Kreisschreibens über Verzugs- und Vergütungszinsen (gültig ab 1. Januar 1979) ist verordnungswidrig (Erw. 3a).
-
Art. 41bis Abs. 3 lit. c AHVV
ist sinngemäss auch auf Nichterwerbstätige anzuwenden, wenn infolge Anpassung der kasseneigenen Einschätzung an das durch die Steuerbehörde gemeldete Vermögen eine Nachzahlungsverfügung im Sinne von
Art. 25 Abs. 5 AHVV
erlassen werden muss (Erw. 3c).
- Durch die Erhebung einer Beschwerde gegen eine Beitragsverfügung wird weder der Beginn des Zinsenlaufs hinausgeschoben noch der einmal begonnene Zinsenlauf unterbrochen (Erw. 4a).
- Aus
Art. 41bis Abs. 2 AHVV
folgt die Verpflichtung der Ausgleichskassen, in einer Nachzahlungsverfügung gleichzeitig auch über die bis dahin geschuldeten Verzugszinsen abzurechnen (Erw. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 109 V 1 S. 2
A.-
Honegger, geb. am 27. September 1913, wurde Ende 1973 im Alter von 60 Jahren pensioniert. Während er in den Jahren 1974 sowie 1977 und 1978 noch ein Erwerbseinkommen erzielte, ging er 1975 und 1976 keiner Erwerbstätigkeit nach. Die Ausgleichskasse des Kantons Bern (Gemeindeausgleichskasse Muri bei Bern) erfasste ihn deshalb für diese beiden Jahre als Nichterwerbstätigen und setzte die Sozialversicherungsbeiträge mit Verfügungen vom 6. Dezember 1979 auf insgesamt Fr. 14'762.10 (einschliesslich Verwaltungskosten) fest. Nach Rückzug einer dagegen erhobenen Beschwerde überwies Honegger die Beiträge im Mai 1980. Mit Schreiben vom 18. Juli 1980 forderte die Ausgleichskasse die Bezahlung von Verzugszinsen in der Höhe von Fr. 1'180.95 und erliess am 27. August 1980 eine entsprechende Verfügung, in welcher ausgeführt wurde, dass die Verzugszinsen für den Zeitraum vom 1. Januar 1979 bis 30. April 1980 geschuldet seien.
B.-
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Bern gut und hob die Kassenverfügung vom 27. August 1980 auf. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, für das Jahr 1979 entfalle eine Verzugszinspflicht im Hinblick auf die Übergangsregelung in Randziffer 66 des Kreisschreibens des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) über Verzugs- und Vergütungszinsen (gültig ab 1. Januar 1979); für 1980 sei entscheidend, dass die Verwaltung in den Beitragsverfügungen vom 6. Dezember 1979 einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht entzogen und damit auf die sofortige Beitragsentrichtung verzichtet habe, weshalb nachträglich nicht eine Verspätung der Bezahlung und Verzugszinsen geltend gemacht werden könnten (Entscheid vom 18. November 1981).
BGE 109 V 1 S. 3
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das BSV Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und Wiederherstellung der Kassenverfügung vom 27. August 1980. Auf die Begründung wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Honegger trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Kognition gemäss Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG
.)
2.
Mit dem am 1. Januar 1979 in Kraft getretenen
Art. 14 Abs. 4 lit. e AHVG
erhielt der Bundesrat die Kompetenz, u.a. Vorschriften über die Erhebung von Verzugszinsen beim Bezug von Beiträgen zu erlassen. Davon machte er in
Art. 41bis AHVV
Gebrauch. Nach dessen Abs. 3 laufen die Verzugszinsen
"a. im allgemeinen vom Ende der Zahlungsperiode an;
b. bei Nachzahlung vom Ende des Kalenderjahres an, für das die Beiträge geschuldet sind;
c. bei der Nachzahlung von Beiträgen von Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit, wenn diese im ausserordentlichen Verfahren festgesetzt wurden, von dem Monat an, der auf den Erlass der Verfügung folgt, aus der sich die Nachzahlung ergibt".
Abs. 1 bestimmt, dass - ausser im Falle der Betreibung oder der Konkurseröffnung - Verzugszinsen nur zu entrichten sind, sofern die Beiträge nicht innert vier Monaten nach Beginn des Zinsenlaufs bezahlt werden; dies gilt namentlich, wenn die Ausgleichskasse eine ausserordentliche Zahlungsfrist setzt oder Beiträge nachfordert. Im Falle der Beitragsnachforderung sind - gemäss Abs. 2 - u.a. keine Verzugszinsen zu entrichten für die vier Monate, die auf die Nachzahlungsverfügung folgen, sofern die nachgeforderten Beiträge und die bis dahin geschuldeten Verzugszinsen innert dieser Frist entrichtet werden. Nach Abs. 4 sind keine Verzugszinsen geschuldet, wenn die Beiträge weniger als Fr. 3'000.-- ausmachen; Abs. 5 sieht einen Zinssatz von 0,5 Prozent je abgelaufenen Monat vor. Schliesslich halten die Übergangsbestimmungen der Verordnungsnovelle vom 5. April 1978 in lit. a fest, dass Verzugszinsen von Beitragsschulden, die vor dem 1. Januar 1979 entstanden sind, von diesem Zeitpunkt an erhoben werden, soweit die Beiträge nicht bis zum 30. April 1979 entrichtet werden.
BGE 109 V 1 S. 4
Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich schon verschiedentlich mit der Verzugszinsregelung in
Art. 41bis AHVV
befasst. In
BGE 107 V 205
Erw. 3b hat es
Art. 41bis Abs. 1 AHVV
ausdrücklich als gesetzmässig erklärt. Ferner hat es in
BGE 107 V 129
und im nicht veröffentlichten Urteil Stemmle vom 2. Juni 1981
Art. 41bis Abs. 3 lit. b und c AHVV
sowie im Urteil Stemmle auch lit. a der Übergangsbestimmungen als gesetzmässig betrachtet und angewendet. Daran ist festzuhalten.
3.
Streitig ist, ob der Beschwerdegegner auf den mit Verfügungen vom 6. Dezember 1979 festgesetzten und im Mai 1980 bezahlten Beiträgen für 1975 und 1976 ab 1. Januar 1979 Verzugszinsen schuldet.
a) Für das Jahr 1979 verneint die Vorinstanz die Verpflichtung zu Verzugszinsen mit dem Hinweis auf Randziffer 66 des bundesamtlichen Kreisschreibens über Verzugs- und Vergütungszinsen (gültig ab 1. Januar 1979). Diese Randziffer lautet wie folgt:
"Werden für die Zeit vor dem 1. Januar 1979, aber nach diesem Zeitpunkt Beiträge nachgefordert, so sind für die Zeit vom 1. Januar 1979 bis zum Erlass der Nachzahlungsverfügung keine Zinsen geschuldet. Dagegen sind Zinsen von der Zustellung der Nachzahlungsverfügung an zu entrichten, sofern die Beiträge 3000 Franken erreichen und nicht innert vier Monaten nach Erlass der Nachzahlungsverfügung entrichtet werden."
Nach der Rechtsprechung ist der Sozialversicherungsrichter an Verwaltungsweisungen nicht gebunden. Er weicht allerdings davon nur ab, soweit sie Vorschriften enthalten, welche den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen widersprechen (
BGE 107 V 154
Erw. 2b mit Hinweisen). Dies trifft - wie schon vom BSV in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde angedeutet wird - im vorliegenden Fall zu. Die Übergangsbestimmungen der Verordnungsnovelle vom 5. April 1978 besagen in lit. a, dass auf Beitragsschulden, die vor dem 1. Januar 1979 entstanden sind, von diesem Zeitpunkt an Verzugszinsen erhoben werden, soweit die Beiträge nicht bis zum 30. April 1979 entrichtet werden. Demnach spielt es keine Rolle, ob Beiträge für 1978 und frühere Jahre noch vor oder erst nach dem 1. Januar 1979 verfügungsweise festgesetzt wurden; auch wird nicht berücksichtigt, ob es sich um eine Nachforderung im Sinne von lit. b oder von lit. c des
Art. 41bis Abs. 3 AHVV
handelt. Aus dem Fehlen solcher Unterscheidungen kann aber im Gegensatz zur Vorinstanz nicht gefolgert werden, die fragliche Übergangsbestimmung sei ungenau und das BSV habe sie in Randziffer 66 des Kreisschreibens zu Recht näher konkretisiert.
BGE 109 V 1 S. 5
Wie auch die Vorinstanz selber einräumt, soll das Übergangsrecht bei Einführung eines neuen Instituts wie der Verzugszinspflicht im Beitragsbereich einfach und praktikabel sein. Diesem Erfordernis entspricht lit. a der Übergangsbestimmungen vollumfänglich. Nach ihrem klaren Wortlaut gibt es für die vor dem 1. Januar 1979 entstandenen Beitragsschulden eine "Schonfrist" nur bis zum 30. April 1979, während auf den erst nach diesem Zeitpunkt bezahlten Beiträgen immer Verzugszinsen erhoben werden müssen (vorbehältlich
Art. 41bis Abs. 4 AHVV
). Wenn Randziffer 66 für die erst nach dem 1. Januar 1979 erlassenen Nachforderungsverfügungen eine Sonderregelung aufstellt und die Verzugszinspflicht auf die Zeit nach der Zustellung dieser Verfügungen beschränkt, so steht diese Weisung im Widerspruch zum Verordnungsgrundsatz in lit. a der Übergangsbestimmungen. Randziffer 66 ist somit verordnungswidrig und für den Richter unbeachtlich.
b) Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdegegner als Nichterwerbstätiger von Gesetzes wegen für die Kalenderjahre 1975 und 1976 beitragspflichtig (Art. 3 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AHVG). Mit dem Ablauf der für Nichterwerbstätige in der Regel vierteljährlichen Zahlungsperioden wurden die gesetzlich geschuldeten Beiträge fällig (
Art. 34 Abs. 1 lit. c und Abs. 4 AHVV
). Der Beschwerdegegner entrichtete sie jedoch erst im Mai 1980. Im Sinne von
Art. 41bis Abs. 3 lit. b AHVV
, welcher die Nachzahlung von Beiträgen für bereits abgelaufene Kalenderjahre betrifft (
BGE 107 V 132
), wäre der Beschwerdegegner demnach an sich ab Ende 1975 bzw. 1976 verzugszinspflichtig;
Art. 41bis AHVV
trat indessen am 1. Januar 1979 in Kraft, weshalb die Verzugszinspflicht von diesem Zeitpunkt an besteht (lit. a der Übergangsbestimmungen). Dass die fraglichen Beiträge des Beschwerdegegners erst im Dezember 1979 verfügungsweise festgesetzt wurden, ändert hieran nichts. Dadurch wird weder die Entstehung der Beitragsschuld in den Jahren 1975 und 1976 noch der Beginn des Zinsenlaufs am 1. Januar 1979 beeinflusst. Denn lit. b von
Art. 41bis Abs. 3 AHVV
knüpft an das Ende des Kalenderjahres an und - dies im Gegensatz zu lit. c - nicht an das Vorliegen einer Verfügung.
c) In diesem Zusammenhang drängen sich zwei Hinweise auf.
Art. 64 Abs. 5 AHVG
bestimmt unter anderem, dass Nichterwerbstätige, die von keiner Ausgleichskasse erfasst werden, sich bei der kantonalen Ausgleichskasse zu melden haben. Wird dieser Verpflichtung nachgelebt, so können die geschuldeten Beiträge in der Regel ohne wesentliche zeitliche Verzögerung definitiv festgesetzt
BGE 109 V 1 S. 6
werden und die Verzugszinsfrage stellt sich unter Umständen überhaupt nicht. Im vorliegenden Fall unterblieb offenbar eine derartige Meldung; die Ausgleichskasse erfuhr anscheinend erst gegen Ende 1978, dass der Beschwerdegegner in den Jahren 1975 und 1976 nicht erwerbstätig war. Der Beschwerdegegner kann jedoch aus dem Umstand, dass er die ihm obliegende Meldepflicht möglicherweise nicht kannte, sondern annahm, der frühere Arbeitgeber werde bis zum Erreichen des 65. Altersjahres die AHV-Beitragsbelange automatisch regeln (Schreiben des Beschwerdegegners vom 7. April 1980 an die Gemeindeausgleichskasse), nichts zu seinen Gunsten ableiten (ZAK 1977 S. 263 Erw. 3). Unerheblich für die Verzugszinspflicht ist auch, dass vorliegend das in Randziffer 259 der bundesamtlichen Wegleitung über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen vorgezeichnete Meldesystem nicht gespielt haben dürfte, wonach die Ausgleichskassen die bei ihnen angeschlossenen Arbeitgeber zu verhalten haben, diejenigen Arbeitnehmer zu melden, welche in einem Alter pensioniert werden, in dem sie noch als Nichterwerbstätige beitragspflichtig sind.
Sodann mag die Frage aufgeworfen werden, weshalb der Beginn des Zinsenlaufs im Falle des Beschwerdegegners nicht in analoger Anwendung von
Art. 41bis Abs. 3 lit. c AHVV
festzusetzen ist. In gleicher Weise wie beim Wechsel von der unselbständigen zur selbständigen Erwerbstätigkeit kann es auch beim Übergang von der Erwerbstätigkeit zur Nichterwerbstätigkeit vorkommen, dass der Ausgleichskasse im Zeitpunkt, da sie ihre Beitragsverfügung erlässt, noch keine definitiven Angaben der kantonalen Steuerbehörde vorliegen, und zwar beim Nichterwerbstätigen mit Bezug auf das Vermögen, welches neben dem Renteneinkommen für die Beitragsermittlung massgebend ist (
Art. 10 Abs. 1 AHVG
,
Art. 28 AHVV
). Kraft Verweisung in
Art. 29 Abs. 1 AHVV
finden in diesem Fall die Verfahrensgrundsätze über die Festsetzung der Beiträge der Selbständigerwerbenden im ordentlichen und im ausserordentlichen Verfahren (Art. 22 bis 27 AHVV) sinngemäss Anwendung. Beim Fehlen verbindlicher Angaben hat demnach die Ausgleichskasse das Vermögen zunächst selber einzuschätzen (
Art. 26 Abs. 1 und 2 AHVV
) und die Beiträge provisorisch festzusetzen (
Art. 24 AHVV
) und einzuverlangen. Ergibt sich später aus der Meldung der Steuerbehörde ein höheres Vermögen, so hat die Ausgleichskasse die entsprechenden Beiträge nachzufordern (
Art. 25 Abs. 5 AHVV
), d.h. eine Differenzzahlung anzuordnen.
BGE 109 V 1 S. 7
Verzugszinsmässig betrachtet, fällt eine solche Differenzzahlung bei einem Selbständigerwerbenden unter die Sonderregel des
Art. 41bis Abs. 3 lit. c AHVV
mit der Folge, dass Verzugszinsen erst von dem auf die Verfügung folgenden Monat an laufen (
BGE 107 V 131
Erw. 4a). Es macht jedoch sachlich keinen Unterschied, ob eine Differenzzahlung im Sinne von
Art. 25 Abs. 5 AHVV
einen Selbständigerwerbenden oder aber einen Nichterwerbstätigen betrifft. Deshalb rechtfertigt es sich, beide gleich zu behandeln und
Art. 41bis Abs. 3 lit. c AHVV
auch auf den Nichterwerbstätigen anzuwenden, wenn infolge Anpassung der kasseneigenen Einschätzung an das durch die Steuerbehörde gemeldete Vermögen Beiträge nachgefordert werden müssen. Die vorgenannten Umstände sind beim Beschwerdegegner aber nicht gegeben. Die Beitragsverfügungen vom 6. Dezember 1979 betrafen nicht Differenzzahlungen, sondern eine einmalige rückwirkende Erfassung für die Jahre 1975 und 1976, wobei sich die Ausgleichskasse auf definitive Angaben der Steuerbehörde über die Vermögensverhältnisse stützen konnte. Es besteht somit kein Anlass,
Art. 41bis Abs. 3 lit. c AHVV
sinngemäss anzuwenden. Demnach bleibt es bei der in Erw. 3b hievor getroffenen Feststellung, dass der Beschwerdegegner ab 1. Januar 1979 verzugszinspflichtig ist.
4.
Zu prüfen ist noch, bis zu welchem Zeitpunkt der Beschwerdegegner Verzugszinsen schuldet.
a) Die Vorinstanz hält in ihrem Entscheid fest, für das Jahr 1980 entfalle eine Verzugszinspflicht, weil die Verwaltung einer allfälligen Beschwerde gegen die Beitragsverfügungen vom 6. Dezember 1979 die aufschiebende Wirkung nicht entzogen und damit auf eine sofortige Entrichtung der Beiträge verzichtet habe; dies schliesse eine nachträgliche Berufung auf verspätete Bezahlung und die Geltendmachung von Verzugszinsen aus.
Im bereits erwähnten Urteil Stemmle hat das Eidg. Versicherungsgericht entschieden, dass mit der Erhebung einer Beschwerde weder der Beginn des Zinsenlaufs hinausgeschoben noch der einmal begonnene Zinsenlauf unterbrochen werden kann. Daran ist festzuhalten. Wie das BSV in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde zutreffend ausführt, bewirkt die einer Beschwerde gegebenenfalls zukommende aufschiebende Wirkung bloss, dass die Verfügung nicht vollstreckt und die Beiträge somit vorläufig nicht auf dem Betreibungsweg eingefordert werden können (
Art. 97 Abs. 4 AHVG
e contrario; vgl. auch
Art. 39 lit. c VwVG
), während der Zinsenlauf dadurch in keiner Weise berührt wird. Der
BGE 109 V 1 S. 8
Umstand, dass die Verwaltung einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht entzieht, kann im Gegensatz zur Vorinstanz nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die Verwaltung eine verspätete Beitragszahlung in Kauf nehme und daher keine Verzugszinsen für die Zwischenzeit verlangen könne. Eine solche Auffassung widerspricht dem Zweck des Verzugszinses als einem Ausgleich dafür, dass der Schuldner bei verspäteter Bezahlung einen Zinsvorteil geniessen kann, während der Gläubiger einen Zinsnachteil erleidet. Die vorinstanzliche Auffassung geht somit fehl.
b) Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Beschwerdegegner im Sinne von Ausgleichskasse und BSV bis 30. April 1980 verzugszinspflichtig ist. Denn sie lassen
Art. 41bis Abs. 2 AHVV
ausser acht. Danach wird für die vier der Nachzahlungsverfügung folgenden Monate eine "Schonfrist" eingeräumt und von weitern Verzugszinsen abgesehen, und zwar unter der doppelten Voraussetzung, dass der Beitragspflichtige sowohl die nachgeforderten Beiträge als auch die bis dahin geschuldeten Verzugszinsen entrichtet. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass die Ausgleichskasse im Falle von Beiträgen, die mittels einer Verfügung nachgefordert werden müssen und für welche der Zinsenlauf in einem zurückliegenden Zeitpunkt bereits begonnen hat, in der Nachzahlungsverfügung gleichzeitig auch die Verzugszinsen für die abgelaufenen Monate (
Art. 41bis Abs. 5 AHVV
), d.h. bis zum Ende des der Nachzahlungsverfügung vorangehenden Monats zu ermitteln und in Rechnung zu stellen hat (vgl. die Beispiele in den Erläuterungen des BSV zur Verzugszinsregelung; ZAK 1978 S. 440 f.); dabei dürfte es zweckmässig sein, in der Verfügung auch auf die viermonatige Schonfrist aufmerksam zu machen. Nur auf diese Weise ist es möglich, dass der Beitragspflichtige sowohl die nachgeforderten Beiträge als auch die aufgelaufenen Verzugszinsen entrichten und von der Schonfrist Gebrauch machen kann. Bezahlt er innerhalb der vier auf die Nachzahlungsverfügung folgenden Monate, so bleibt es beim ermittelten Verzugszins; andernfalls ist er durchgehend verzugszinspflichtig bis zum Ende des Monats, der der tatsächlichen Beitragszahlung vorangeht (vgl. ZAK 1978 S. 440 f. sowie Randziffer 27 f. des Kreisschreibens über Verzugs- und Vergütungszinsen, gültig ab 1. Januar 1979).
Im vorliegenden Fall ist die Ausgleichskasse nicht gemäss
Art. 41bis Abs. 2 AHVV
vorgegangen. Ihre Nachzahlungsverfügungen vom 6. Dezember 1979 enthielten keinen Hinweis auf die
BGE 109 V 1 S. 9
Verzugszinspflicht. Der Beschwerdegegner erfuhr davon erst im nachfolgenden Beschwerdeverfahren aufgrund der Vernehmlassung der Ausgleichskasse, welche ihm Ende April 1980 vom kantonalen Versicherungsgericht zugestellt wurde. Eine Abrechnung über die geschuldeten Verzugszinsen nahm die Ausgleichskasse erst vor, nachdem der Beschwerdegegner seine Beschwerde zurückgezogen und die Beiträge im Mai 1980 bezahlt hatte. Richtigerweise hätte die Ausgleichskasse aber bereits in ihren Nachzahlungsverfügungen vom 6. Dezember 1979 die vom 1. Januar 1979 bis 30. November 1979 geschuldeten Verzugszinsen ermitteln und in Rechnung stellen müssen. Es ist nicht auszuschliessen, dass der Beschwerdegegner bei bundesrechtsgemässem Vorgehen der Ausgleichskasse innert der Schonfrist die Beiträge für 1975 und 1976 sowie auch die aufgelaufenen Verzugszinsen entrichtet hätte. Daher rechtfertigt es sich, die Verzugszinspflicht des Beschwerdegegners auf den Zeitraum vom 1. Januar 1979 bis 30. November 1979 zu begrenzen. Es ist Sache der Ausgleichskasse, darüber neu zu verfügen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Bern vom 18. November 1981 und die Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Bern vom 27. August 1980 aufgehoben mit der Feststellung, dass der Beschwerdegegner für die Zeit vom 1. Januar 1979 bis 30. November 1979 Verzugszinsen schuldet. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
57a4fc45-5042-4340-8802-09b61bd2eec5 | Urteilskopf
120 II 155
31. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 19 avril 1994 dans la cause Emirats Arabes Unis et consorts contre Westland Helicopters Limited et Tribunal arbitral (recours de droit public) | Regeste
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit: Zuständigkeit des Schiedsgerichts; Ordre public (
Art. 190 Abs. 2 lit. b und e IPRG
).
Jede Partei, selbst eine säumige, verwirkt das Anfechtungsrecht hinsichtlich eines Zwischenentscheides über die Zuständigkeit, der zu ihren Ungunsten erging und ihr ordnungsgemäss mitgeteilt wurde, wenn sie ihn nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist anficht (E. 3).
Begriff und Bezugspunkt des negativen Ordre public (E. 6a). Ein Entscheid, welcher den Ordre public verletzt, ist im allgemeinen nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar (E. 6b). Nicht gegen den Ordre public verstösst die Wahl einer rechtlichen Form, welche die Mitgliedstaaten eines internationalen Unternehmens zu Garanten der von diesem eingegangenen Verpflichtungen macht (E. 6c). | Sachverhalt
ab Seite 156
BGE 120 II 155 S. 156
A.-
Le 29 avril 1975, la République Arabe d'Egypte (RAE), le Royaume d'Arabie Saoudite (RAS), l'Etat du Qatar et les Emirats Arabes Unis (EAU) ont conclu un traité en vue de la fondation d'un organisme supranational, doté de la personnalité juridique, appelé "The Arab Organization for Industrialization" (AOI). Cet organisme avait pour but de développer une industrie à caractère militaire dans les pays arabes.
Le 27 février 1978, l'AOI et la société britannique Westland Helicopters Limited (WHL) ont signé, entre autres contrats, un "Shareholders Agreement" ayant pour objet leur participation commune à une société par actions, dénommée "The Arab British Helicopter Company" (ABH), dont le but devait consister dans la fabrication d'hélicoptères en Egypte et la vente des appareils. Cette convention comprenait une clause arbitrale.
A la même date, WHL et l'ABH ont conclu une série de contrats (contrats de licence, d'assistance technique et de fourniture de matériel) contenant tous une clause similaire.
B.-
Le 26 mars 1979, la RAE a signé avec l'Etat d'Israël un accord impliquant la cessation des hostilités entre ces deux pays. Ce faisant, elle est entrée en conflit avec les autres membres de l'AOI, qui décidèrent de mettre fin à l'existence de cet organisme, avec effet au 1er juillet 1979, et de le liquider.
Après l'échec de pourparlers, WHL prit note de la rupture et notifia, en juillet 1979, sa décision de réclamer des dommages-intérêts à l'AOI dissoute et aux Etats membres. Le 12 mai 1980, elle déposa auprès de la Chambre de Commerce Internationale (CCI), à Paris, une requête d'arbitrage
BGE 120 II 155 S. 157
dirigée contre l'AOI en liquidation, les quatre Etats membres de cette organisation et l'ABH. Le 29 octobre 1980, la Cour d'arbitrage de la CCI constitua un tribunal arbitral de trois membres. Le siège de l'arbitrage fut fixé à Genève.
La procédure arbitrale fut émaillée d'incidents divers. L'un d'eux avait trait à la compétence du Tribunal arbitral. Statuant le 5 mars 1984, celui-ci se déclara compétent à l'égard de toutes les parties défenderesses. La RAE recourut avec succès contre la sentence incidente rendue à cette date et fut mise hors de cause, motif pris de ce que cette défenderesse - à l'instar des EAU, du RAS et du Qatar, lesquels Etats n'avaient toutefois pas attaqué ladite sentence - n'était pas liée par les clauses compromissoires figurant dans les contrats conclus par l'AOI et l'ABH avec WHL. En revanche, l'AOI et l'ABH recoururent en vain contre cette sentence incidente.
Le 21 juin 1991, le Tribunal arbitral rendit une sentence partielle dans le dispositif de laquelle il constata que les différents contrats conclus par WHL avec l'AOI et l'ABH constituaient un tout indissociable (ch. 1), que l'AOI était responsable de leur inexécution et du dommage qui en était résulté pour WHL (ch. 2), et que le RAS, les EAU et le Qatar étaient responsables - solidairement entre eux, mais subsidiairement par rapport à l'AOI - du paiement des dommages-intérêts qui seraient alloués à WHL (ch. 3 et 4), dommages-intérêts dont le montant serait fixé dans la sentence finale (ch. 7). Quant à WHL, le Tribunal arbitral admit qu'elle était fondée à ne plus exécuter les contrats conclus par elle avec l'ABH (ch. 5) et qu'elle n'assumait aucune responsabilité envers cette dernière (ch. 6).
Après de nouveaux rebondissements procéduraux, le Tribunal arbitral rendit sa sentence finale le 28 juin 1993. Il condamna l'AOI, à titre principal, ainsi que les EAU, le RAS et le Qatar, à titre subsidiaire et solidairement entre eux, à payer à WHL un montant total de 364'747'000 £, intérêts en sus. Il dénia, en outre, à WHL le droit de compenser ses propres créances avec celles de l'ABH tendant au remboursement du solde des avances qu'elle lui avait versées pour l'exécution des contrats litigieux, sans toutefois ordonner la restitution de ces avances, faute d'une conclusion condamnatoire prise par l'ABH. Les frais de la procédure arbitrale furent mis, pour l'essentiel, à la charge de l'AOI et des trois Etats défendeurs.
C.-
Les EAU, le RAS et le Qatar ont formé trois recours de droit public, comportant les mêmes motifs, en vue d'obtenir l'annulation tant de la sentence partielle du 21 juin 1991 que de la sentence finale du 28 juin 1993.
BGE 120 II 155 S. 158
Après les avoir joints, le Tribunal fédéral a rejeté les trois recours, dans la mesure où ils étaient recevables.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Dans un premier moyen, les recourants soutiennent que le Tribunal arbitral s'est déclaré à tort compétent à leur égard (
art. 190 al. 2 let. b LDIP
; RS 291). A l'instar de la RAE, ils contestent être liés par les conventions d'arbitrage passées entre WHL et l'AOI ou l'ABH; de plus, ils affirment n'avoir jamais reconnu implicitement la compétence du Tribunal arbitral puisqu'ils n'ont participé d'aucune manière à la procédure conduite sous son autorité. Aussi, la conclusion qu'impose à leur avis la prétendue incompétence ratione personae du Tribunal arbitral est la nullité absolue de l'ensemble de la procédure qu'il a dirigée et de toutes les sentences qu'il a rendues au cours de celle-ci. Cette nullité pourrait être invoquée en tout temps, selon eux, d'autant que le Tribunal arbitral et les juridictions étatiques n'auraient jamais rendu de décision ayant force de chose jugée sur la question de la compétence de jugement en tant qu'elle a trait à leur personne.
L'intimée estime, quant à elle, que les sentences partielles ou incidentes rendues par le Tribunal arbitral avant le 1er janvier 1989 - date d'entrée en vigueur de la loi fédérale sur le droit international privé - ne peuvent plus être remises en cause en même temps que la sentence finale, du moment qu'elles ont déjà toutes été revues par la Cour de justice et le Tribunal fédéral dans le cadre de la procédure concordataire, le défaut des recourants dans la procédure arbitrale ne changeant rien à la situation juridique ainsi établie définitivement. Qui plus est, toujours selon l'intimée, les décisions incidentes en matière de compétence doivent être attaquées immédiatement, de sorte que, pour n'avoir pas formé de recours en temps utile contre la sentence incidente rendue le 5 mars 1984 par le Tribunal arbitral, les recourants seraient déchus une fois pour toutes de leur droit de remettre en cause cette sentence.
a) La sentence incidente, par laquelle un tribunal arbitral statue sur sa compétence (art. 8 al. 1 CIA,
art. 186 al. 3 LDIP
), peut faire immédiatement l'objet d'un recours (art. 9 CIA,
art. 190 al. 3 LDIP
). Selon une jurisprudence fermement établie, la partie qui n'attaque pas une telle sentence dans le délai prévu à cet effet est déchue du droit de soulever ultérieurement l'exception d'incompétence du tribunal arbitral et elle ne peut plus remettre en cause la sentence incidente par le biais d'un recours
BGE 120 II 155 S. 159
dirigé contre la sentence finale (ATF du 26 novembre 1980, in: SJ 1982 p. 613 ss, consid. 6a; consid. 2, non publié, de l'
ATF 119 II 380
;
ATF 118 II 508
consid. 2b/bb). Cette jurisprudence, qui correspond à celle relative à l'
art. 87 OJ
(
ATF 118 II 508
consid. 2b/bb,
ATF 117 Ia 396
consid. 2,
ATF 116 Ia 181
consid. 3a), se situe dans le droit fil des arrêts qui proscrivent la tactique consistant à tarder, sans raison valable, à invoquer des vices de procédure (
ATF 113 Ia 67
; voir aussi l'
ATF 116 Ia 135
consid. 4, 387 consid. 1 et 485 consid. 2c). Elle est approuvée par la doctrine (JOLIDON, Commentaire du Concordat suisse sur l'arbitrage, n. 3 ad art. 9; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, n. 2 ad art. 9 CIA et n. 5b ad
art. 190 LDIP
; RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, 2e éd., p. 237 et 240; WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, n. IV/1 ad art. 182-186, apparemment en contradiction avec l'opinion émise par les mêmes auteurs sous le n. IV/3 ad
art. 190 al. 2-194 LDIP
; HEINI, in: IPRG-Kommentar, n. 65 ad
art. 190 LDIP
; DUTOIT/KNOEPFLER/LALIVE/MERCIER, Répertoire de droit international privé suisse, vol. 1, p. 289, n. 208). Par conséquent, il n'y a pas lieu d'y revenir.
b) Les recourants objectent que la compétence du Tribunal arbitral à leur égard n'a jamais été constatée positivement par une juridiction étatique pendant toute la durée de la procédure arbitrale. Ils considèrent, par ailleurs, que la sentence incidente touchant la compétence du Tribunal arbitral n'est pas revêtue de l'autorité de la chose jugée envers eux, opinion qu'ils assoient tant sur les principes généraux régissant la procédure que sur le droit procédural et le droit constitutionnel de la Suisse. Les divers arguments présentés par eux dans ce cadre-là appellent les remarques suivantes:
aa) Les recourants déduisent des principes généraux en matière de procédure une compétence différente du tribunal arbitral saisi pour statuer sur sa propre compétence, selon qu'est en cause la validité ou l'interprétation d'une convention d'arbitrage ou qu'il s'agit de décider si une telle convention lie une partie qui ne l'a ni signée ni fait signer en son nom. A leur avis, dans la première hypothèse, une éventuelle erreur des arbitres ne pourrait être rectifiée que sur recours de la partie lésée (art. 36 CIA ou
art. 190 LDIP
), la sentence viciée n'étant entachée que de nullité relative. En revanche, dans la seconde hypothèse, la partie assignée devant le tribunal arbitral qu'elle estime incompétent relativement à sa personne ne serait pas tenue d'y soulever l'exception d'incompétence et les arbitres
BGE 120 II 155 S. 160
n'auraient pas le droit de trancher d'office la question de leur compétence à l'égard de cette partie. Le feraient-ils néanmoins qu'ils statueraient ultra petita, si bien que la sentence incidente rendue par eux sur ce point serait absolument nulle, ce dont la partie intéressée pourrait se prévaloir à n'importe quel stade de la procédure, quand bien même elle n'aurait pas attaqué immédiatement la sentence incidente par laquelle le Tribunal arbitral s'est déclaré compétent à son endroit.
A première vue, certaines dispositions ou décisions ayant trait au domaine de l'arbitrage viennent étayer la thèse des recourants, selon laquelle il n'est pas indifférent, pour régler la question de la compétence des arbitres, de savoir s'il existe ou non, prima facie, une convention d'arbitrage imposant aux parties l'obligation de soumettre à un tribunal arbitral le différend qui les divise. Référence peut être faite, à ce sujet, à l'
art. 179 al. 3 LDIP
, par exemple, qui autorise le juge appelé à nommer un arbitre à ne pas donner suite à la demande de nomination si un examen sommaire démontre qu'il n'existe entre les parties aucune convention d'arbitrage (cf. l'
ATF 118 Ia 20
consid. 5b p. 27). Dans le même ordre d'idées, il sied de mentionner un arrêt du Tribunal fédéral de 1979 où il est écrit que la garantie du juge naturel (
art. 58 Cst.
) de même que le caractère exceptionnel de l'arbitrage par rapport à la juridiction ordinaire interdisent que l'on puisse contraindre une partie qui n'a pas signé de convention d'arbitrage à plaider devant les arbitres la question de leur compétence, alors qu'il n'y a même pas l'apparence d'une telle compétence (SJ 1980 p. 443 ss, consid. 4). Encore convient-il de préciser que l'arrêt cité ne porte que sur la conduite à adopter par le juge étatique saisi d'une demande de nomination d'un arbitre, lorsqu'il n'existe même pas l'apparence d'une convention d'arbitrage, et non pas, comme en l'espèce, sur celle des effets, à l'égard de la partie défaillante, d'une sentence incidente rendue par un tribunal arbitral au sujet de sa propre compétence. Dans le même contexte, on notera encore que le droit français réserve à la juridiction ordinaire saisie d'un litige la possibilité de faire abstraction d'une exception d'arbitrage qui se fonde sur une convention d'arbitrage manifestement nulle (art. 1458 al. 2 ncpc fr.; sur cette question, cf. ROBERT, L'arbitrage: droit interne, droit international privé, 6e éd., p. 103, n. 125).
Il faut toutefois bien se garder de mélanger les différentes questions qui se posent dans le domaine considéré. En effet, les dispositions et les précédents mentionnés ci-dessus à titre d'exemples visent, soit la
BGE 120 II 155 S. 161
participation du juge étatique à la constitution d'un tribunal arbitral, soit sa compétence pour se prononcer sur le bien-fondé d'une exception d'arbitrage; ils ne règlent pas le problème de la compétence du tribunal arbitral lui-même pour statuer sur sa propre compétence. Sur ce dernier point, les recourants ne peuvent rien tirer de concluant des principes généraux gouvernant l'arbitrage international, sans compter que - en dehors du champ d'application de l'art. II de la convention de New York du 10 juin 1958 pour la reconnaissance et l'exécution des sentences arbitrales étrangères (RS 0.277.12) - la réglementation du pouvoir de trancher la question de la compétence matérielle, du fait qu'elle ressortit généralement à l'Etat où le tribunal arbitral a son siège ou à celui dans lequel la sentence doit être exécutée, varie sensiblement suivant l'ordre juridique national déterminant (voir, par ex., HABSCHEID, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2e éd., p. 541, n. 885). Dans le cas particulier, il se justifie donc d'examiner au regard du droit suisse la portée de la sentence incidente que le Tribunal arbitral a rendue le 5 mars 1984.
bb) A suivre les recourants, ladite sentence serait absolument nulle en ce qui les concerne, attendu que le Tribunal arbitral aurait violé le concordat intercantonal sur l'arbitrage en y examinant d'office sa compétence. Pour cette raison, le moyen fondé sur l'
art. 190 al. 2 let. b LDIP
, qu'ils soulèvent dans leur recours de droit public dirigé contre la sentence finale du 28 juin 1993, serait recevable à leur avis.
Peut-être est-ce parce que la RAE avait entrepris d'emblée des démarches en vue de faire constater son incompétence, que le Tribunal arbitral décida, le 6 juin 1981, de restreindre, dans un premier temps, la procédure à la question de sa compétence. Toujours est-il qu'après avoir ordonné un double échange d'écritures et un débat oral, il rendit, le 5 mars 1984, une sentence incidente par laquelle il se déclara compétent à l'égard de tous les défendeurs assignés par l'intimée. Les recourants n'avaient participé, ni par écrit ni verbalement, à la procédure arbitrale. Malgré qu'ils en aient, leur abstention ne s'opposait pas à ce que le Tribunal arbitral rendît, au sujet de sa propre compétence, une sentence qui les liât également.
Dans un arrêt du 1er juillet 1970, relatif à l'application d'une disposition du code de procédure civile de Bâle-Campagne, le Tribunal fédéral avait jugé qu'un arbitre devait examiner d'office sa compétence, à l'instar du juge étatique (
ATF 96 I 334
consid. 2). Il a expressément réaffirmé ce principe, sous l'empire du concordat intercantonal sur l'arbitrage, dans un arrêt non publié du 10 octobre 1979 (pour un extrait
BGE 120 II 155 S. 162
du considérant topique, cf. JdT 1981 III 78 ch. 5). Une partie de la doctrine approuve sans réserve cette jurisprudence (DUTOIT/KNOEPFLER/LALIVE/MERCIER, op.cit., p. 288, n. 204 et p. 345, n. 464), tandis que d'autres auteurs la critiquent en faisant valoir qu'à l'inverse de celle des tribunaux ordinaires, la compétence des arbitres ne découle pas de la loi mais de la volonté des parties, de sorte que le tribunal arbitral ne doit la contrôler que si elle est contestée, ce que confirmerait, au demeurant, le texte même de l'art. 8 al. 1 CIA (POUDRET/REYMOND/WURZBURGER, L'application du Concordat intercantonal sur l'arbitrage par le Tribunal cantonal vaudois, in: JdT 1981 II 65 ss, 78; POUDRET, in: LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., n. 2 ad art. 8 CIA, avec d'autres références). Cependant, les auteurs qui contestent le principe posé dans les arrêts précités admettent, eux aussi, que le tribunal arbitral doit examiner d'office sa compétence à l'égard des parties défaillantes (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., n. 2 ad art. 8 CIA et n. 12 ad
art. 186 LDIP
). On ne peut que leur donner raison. Si l'art. 8 al. 2 CIA et l'
art. 186 al. 2 LDIP
exigent que l'exception d'incompétence soit soulevée préalablement à toute défense sur le fond, c'est parce qu'il est loisible à la partie assignée devant un tribunal arbitral incompétent de couvrir ce vice en entrant en matière sur le fond et de contraindre ainsi ce tribunal à connaître d'un différend arbitrable dans lequel elle est impliquée. Toutefois, l'entrée en matière sur le fond suppose nécessairement un acte concluant de la partie qui pourrait contester la compétence du tribunal arbitral, c'est-à-dire la participation de l'intéressée à la procédure arbitrale. En d'autres termes, les effets que la loi attribue à l'entrée en matière sur le fond ne se produisent que si la procédure se déroule en contradictoire, la partie défaillante ne pouvant pas couvrir le vice d'incompétence puisqu'elle ne procède pas sur le fond. Par conséquent, dans une telle situation, l'économie de la procédure justifie que le tribunal arbitral mis en oeuvre statue d'office - et de préférence par une sentence incidente directement attaquable - sur sa compétence à l'égard de la partie défaillante.
Certains auteurs considèrent, il est vrai, que le tribunal arbitral n'est pas compétent pour statuer sur sa propre compétence si la partie qui le saisit n'est pas en mesure de rendre à tout le moins vraisemblable, prima facie, l'existence d'une convention d'arbitrage (JOLIDON, op.cit., n. 22 et 3 ad art. 8 CIA; A. BUCHER, Die neue internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, p. 56, n. 130; WENGER, Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Das neue Bundesgesetz über das
BGE 120 II 155 S. 163
Internationale Privatrecht in der praktischen Anwendung, p. 115 ss, 130). Pour les recourants, la réserve ainsi formulée devrait être étendue à l'hypothèse où une convention d'arbitrage existe certes, mais où il n'est pas établi que toutes les parties défenderesses l'aient signée.
La thèse défendue par ces auteurs ne se concilie guère avec le principe général de procédure, qui régit également la procédure arbitrale, selon lequel même le tribunal incompétent a le pouvoir de statuer sur sa compétence (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3e éd., p. 610, note de pied 86). Elle est, en outre, de nature à soulever de délicats problèmes d'interprétation, étant donné qu'elle fait appel à la notion pour le moins vague de l'"apparence" d'une convention d'arbitrage. Qui plus est, en matière d'arbitrage international, elle pourrait donner lieu à de vaines disputes dans la recherche du juge étatique compétent pour décider de l'existence ou de la validité d'une convention d'arbitrage. Aussi de sérieuses raisons militent-elles contre son admission (cf. POUDRET, Une action en constatation de droit au sujet de l'existence ou la validité d'une clause arbitrale est-elle recevable en droit fédéral ou cantonal?, in: Recht und Rechtsdurchsetzung, Festschrift für Hans Ulrich Walder, p. 341 ss). Point n'est toutefois besoin d'adopter une position définitive à son sujet en l'espèce. En effet, dans sa sentence incidente du 5 mars 1984, le Tribunal arbitral ne s'est pas prononcé sur la question de l'existence d'une convention d'arbitrage, mais - s'agissant du problème présentement envisagé - sur le point de savoir quelle était la portée subjective d'une clause compromissoire dont la validité n'était pas litigieuse, c'est-à-dire quelles étaient les parties visées par une telle clause. A cet égard, il n'est pas douteux qu'une convention d'arbitrage peut obliger même des personnes qui ne l'ont pas signée (héritiers, cessionnaires, associés, etc.; cf. SCHWAB/WALTER, Schiedsgerichtsbarkeit, 4e éd., p. 58 ss). La question de l'extension de la convention d'arbitrage à des parties non signataires (ROBERT, op.cit., p. 206/207, n. 236) peut d'ailleurs également se poser en matière de groupes de sociétés ou d'entreprises contrôlées par l'Etat (SCHLOSSER, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2e éd., p. 324 ss, n. 426; CHAPELLE, L'arbitrage et les tiers: II. - le droit des personnes morales, in: Revue de l'arbitrage 1988, p. 475 ss, cet auteur faisant référence à la présente affaire). Or, c'est assurément au tribunal arbitral qui doit examiner si le litige dont il est saisi est de son ressort ou de celui de la juridiction ordinaire qu'il incombe de décider si telle ou telle personne assignée devant lui est liée ou non par la convention d'arbitrage. Sous l'angle de
BGE 120 II 155 S. 164
la compétence, l'existence, la validité et la portée de la convention d'arbitrage constituent donc des problèmes indissociables. On ne saurait, partant, assimiler à une décision inexistante la sentence qu'un tribunal arbitral régulièrement constitué et oeuvrant sous l'égide d'une institution reconnue - en l'occurrence, la CCI - a rendue au sujet de sa propre compétence, dans le respect des règles de procédure généralement admises. Pour le surplus, ce n'est pas le lieu de décider si la conclusion inverse s'imposerait relativement à une sentence émanant d'un pseudo-tribunal arbitral ayant manifestement usurpé sa compétence (cf. HEINI, op.cit., n. 50/51 ad
art. 190 LDIP
).
En droit suisse, la question de la compétence - la "compétence de la compétence" (Kompetenz-Kompetenz) - est tranchée en dernier ressort par le juge étatique (art. 36 let. b CIA;
art. 190 al. 2 let. b LDIP
). Cependant, il appartient dans la règle au tribunal arbitral de la traiter en priorité (art. 8 CIA;
art. 186 LDIP
). Il n'en va autrement - sous réserve de l'admissibilité, sujette à caution, d'une action en constatation de l'existence, de la validité ou des effets d'une convention d'arbitrage (POUDRET, FS Walder, loc.cit.) - que lorsque la juridiction ordinaire est saisie en premier d'une action au fond et qu'une exception d'arbitrage est soulevée devant elle. Si elle décline sa compétence, sa décision ne lie pas le tribunal arbitral saisi en second lieu; en revanche, si elle l'admet, elle le lie en raison de l'autorité de la chose jugée attachée à sa décision (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., n. 1 ad art. 8 CIA).
Encore faut-il, pour que le juge étatique puisse connaître en dernier lieu du problème de la compétence du tribunal arbitral, qu'il soit valablement invité à le faire, par le biais d'un recours, au sens des art. 36 CIA et 190 LDIP, interjeté en temps utile. Si tel n'est pas le cas, la sentence rendue au préalable par le tribunal arbitral acquiert force de chose jugée. S'il s'agit d'une sentence incidente, celle-ci ne peut plus être remise en cause après l'expiration du délai prévu à cette fin, même dans le cadre d'un recours dirigé contre la sentence finale, comme on l'a déjà indiqué plus haut. Quoi qu'en disent les recourants, le défaut de la partie assignée contre son gré n'y change rien. De fait, la péremption de l'exception d'incompétence est une chose, la péremption du droit de soulever cette exception en est une autre. Celui qui entre en matière sans réserve sur le fond dans une procédure arbitrale reconnaît, par cet acte concluant, la compétence du tribunal arbitral et perd, en conséquence, définitivement le droit d'exciper de l'incompétence dudit tribunal. Inversement, celui qui fait défaut n'encourt pas semblable déchéance, en
BGE 120 II 155 S. 165
règle générale, car son abstention ne saurait être assimilée à une reconnaissance tacite de la compétence du tribunal arbitral (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., n. 3 ad art. 8 CIA et n. 12 ad
art. 186 LDIP
); il lui est donc permis de se raviser et d'intervenir dans la procédure pendante pour contester la compétence du tribunal arbitral à son égard, tout ceci sous réserve du respect du principe de la bonne foi (
art. 2 al. 1 CC
). Cela étant, il n'en reste pas moins que toute partie, même défaillante, doit attaquer, dans le délai prévu à cet effet, une sentence incidente en matière de compétence qui lui donne tort. Si elle ne le fait pas, elle devra s'y soumettre jusqu'à la fin de la procédure arbitrale, y compris la procédure de recours, et seule demeurera en suspens la question de savoir si elle pourra encore soulever l'exception d'incompétence dans le cadre de la procédure d'exécution subséquente. En résumé, son inaction ne la prive pas de l'exception d'incompétence, mais bien du droit de faire valoir cette exception dans la procédure arbitrale lato sensu par opposition à la procédure de reconnaissance et d'exécution de la sentence. Conformément à ces principes, les recourants s'en prennent en pure perte à la sentence incidente du 5 mars 1984 dans le présent recours, puisqu'ils ne l'ont pas attaquée en temps utile au moment où elle leur a été communiquée.
Quant au grief fait au tribunal arbitral d'avoir statué ultra petita dans cette sentence incidente, il tombe manifestement à faux. En saisissant ce tribunal d'une demande visant notamment les recourants, l'intimée l'a requis par là même de se déclarer compétent envers ceux-ci. C'est ce qu'il a fait. Les parties défaillantes, qui ne lui ont soumis aucune conclusion par la force des choses, ne sauraient donc lui reprocher d'avoir statuer au-delà de la demande en admettant sa compétence à leur égard.
cc) Toujours à propos de leur exception d'incompétence, les recourants invoquent enfin la violation des
art. 58 et 59 Cst.
Seul le débiteur domicilié en Suisse peut se prévaloir de l'
art. 59 Cst.
Cette condition n'est évidemment pas réalisée en ce qui concerne les trois Etats souverains qui ont interjeté le présent recours.
Quant à l'
art. 58 Cst.
, qui protège également les étrangers (KÖLZ, Commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse, vol. III, n. 6 ad art. 58), il garantit à l'intéressé le droit à un tribunal compétent et régulièrement constitué, que ce soit un tribunal étatique ou un tribunal arbitral privé ou institué par la loi (KÖLZ, op.cit., n. 7 ad art. 58). Selon une opinion aujourd'hui dominante, cette disposition revêt
BGE 120 II 155 S. 166
un caractère absolu et imprescriptible; elle permet donc aussi de contester des actes d'exécution (KÖLZ, op.cit., n. 33 ad art. 58). Cela ne signifie cependant pas que l'intéressé puisse attendre aussi longtemps qu'il le souhaite pour faire valoir la violation de l'
art. 58 Cst.
Au contraire, celui qui laisse procéder une juridiction, alors qu'il connaît le vice censé affecter sa constitution ou sa composition, est déchu de la protection que lui confère la garantie du juge constitutionnel (
ATF 114 Ia 348
; KÖLZ, op.cit., n. 35 ad art. 58). D'où il suit que les recourants ne sauraient déduire de l'
art. 58 Cst.
le droit d'attaquer la sentence finale pour cause d'incompétence du tribunal arbitral qui l'a rendue.
Point n'est dès lors besoin d'examiner si l'
art. 113 al. 3 Cst.
, qui interdirait au Tribunal fédéral de contrôler la constitutionnalité des dispositions de la loi fédérale sur le droit international privé invoquées par les recourants, n'eût pas déjà fait obstacle, à lui seul, à la prise en considération des
art. 58 et 59 Cst.
dans le cas particulier (
ATF 115 II 294
consid. 1).
6.
Les recourants font encore valoir une violation de l'ordre public, au sens de l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP.
a) Alors que l'
art. 36 let
. f CIA permet d'attaquer la sentence arbitrale qui repose sur des constatations manifestement contraires aux faits résultant du dossier ou qui constitue une violation évidente du droit ou de l'équité, l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP restreint sensiblement - de par la volonté du législateur - la portée du grief correspondant en matière d'arbitrage international. Une sentence rendue dans ce domaine ne sera donc pas annulée pour le seul motif qu'elle prend appui sur des constatations de fait arbitraires ou qu'elle aboutit à une solution juridiquement insoutenable. Elle ne pourra être attaquée avec succès que si elle est incompatible avec l'ordre public. Selon la jurisprudence, une sentence est contraire à l'ordre public lorsqu'elle viole des principes juridiques fondamentaux au point de ne plus être conciliable avec l'ordre juridique et le système de valeurs déterminants. Au nombre de ces principes figurent, notamment, la fidélité contractuelle ("pacta sunt servanda"), le respect des règles de la bonne foi, l'interdiction de l'abus de droit, la prohibition des mesures discriminatoires ou spoliatrices, ainsi que la protection des personnes civilement incapables (
ATF 117 II 604
consid. 3,
ATF 116 II 634
consid. 4). Il faut souligner, à cet égard, que l'ordre public, au sens de l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP, ne constitue qu'une simple clause de réserve ou d'incompatibilité, ce qui signifie qu'il a uniquement une fonction protectrice (ordre public négatif) et qu'il ne sortit aucun effet
BGE 120 II 155 S. 167
normatif (ordre public positif ou formateur) sur les rapports juridiques litigieux (HEINI, op.cit., n. 39 ad
art. 190 LDIP
avec une référence, au n. 45 sous le même art., à l'opinion divergente de BUCHER). Au demeurant, la sentence attaquée ne sera annulée que si le résultat auquel elle aboutit est incompatible avec l'ordre public. Il ne suffit donc pas que ses motifs le soient (
ATF 116 II 634
consid. 4); encore faut-il pouvoir tirer la même conclusion relativement à son dispositif (HEINI, op.cit., n. 37 ad
art. 190 LDIP
).
Le Tribunal fédéral n'a pas tranché jusqu'ici la question de savoir à quel ordre juridique ou à quel système de valeurs - suisse, étranger, supranational ou universel - la notion d'ordre public de l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP fait appel (
ATF 117 II 604
consid. 3,
ATF 116 II 634
consid. 4 p. 637), bien qu'il se soit référé, de manière quelque peu contradictoire, dans le premier arrêt cité, à l'ordre juridique et au système de valeurs suisses. Les avis divergent à ce sujet au sein de la doctrine. Pour l'essentiel, la controverse met aux prises les partisans du rattachement exclusif de l'ordre public à l'ordre juridique suisse (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op.cit., n. 5e ad
Art. 190 LDIP
et les références) et ceux qui optent pour un ordre public à vocation universelle ou qui soit, à tout le moins, affranchi du système de valeurs propre à la Suisse (HEINI, op.cit., n. 41 ad
art. 190 LDIP
et les références; BUCHER, op.cit., p. 130 ss, n. 352 ss). Par son origine, l'ordre public de l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP est suisse, mais il est international par sa fonction. Cette constatation ne fournit cependant aucun élément décisif pour la détermination du contenu de la notion en cause et elle ne permet pas d'affilier l'ordre public, au sens de la disposition précitée, à un ordre juridique plutôt qu'à un autre. La teneur de l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP tendrait à faire pencher la balance en faveur d'une notion élargie de l'ordre public, étant donné que ne figure pas dans cette disposition l'adjectif "suisse" que l'on trouve aux art. 17 et 27 al. 1 de la même loi (VISCHER, in: IPRG-Kommentar, n. 31 ad
art. 17 LDIP
; HEINI, op.cit., n. 43 ad
art. 190 LDIP
). La logique paraît du reste militer contre une interprétation restrictive de cette notion. En effet, l'application des dispositions topiques de la loi fédérale sur le droit international privé à un arbitrage n'est pas subordonnée à l'existence d'une attache subjective ou objective de la cause avec la Suisse (Binnenbeziehung), pas plus d'ailleurs qu'à l'applicabilité du droit matériel de ce pays; en revanche, le tribunal arbitral est tenu, dans tous les cas, de respecter l'ordre public du pays dont il doit appliquer le droit (HEINI, op.cit., n. 47 ad
art. 190 LDIP
). Si l'on veut donc assurer une interprétation uniforme de l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP et
BGE 120 II 155 S. 168
une application cohérente du motif de recours qu'il prévoit, il semble nécessaire de dissocier l'ordre public, au sens de cette disposition, et celui qui entre en ligne de compte dans l'application du droit par le tribunal arbitral (VISCHER, op.cit., n. 31 ad
art. 17 LDIP
). Aussi, lorsque le tribunal arbitral doit appliquer un autre droit matériel que le droit suisse et qu'il n'est donc pas tenu de respecter l'ordre public suisse, rien ne justifie apparemment de corriger sa sentence, dans la procédure du recours de droit public, par une référence à l'ordre public de la Suisse. Par conséquent, l'application uniforme de l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP paraît devoir commander une interprétation extensive de la notion d'ordre public, soit le choix d'un ordre public transnational ou universel incluant "les principes fondamentaux du droit qui s'imposent sans égard aux liens du litige avec un pays déterminé" (A. BUCHER, Le nouvel arbitrage international en Suisse, p. 121, n. 358; voir aussi: HEINI, op.cit., n. 41 ad art.
art. 190 LDIP
, avec une référence à GUTZWILLER pour qui est incompatible avec l'ordre public la sentence qui "den in den Kulturstaaten und daher überstaatlich geltenden rechtlichen oder sittlichen Grundauffassungen widerspricht"). Il est vrai, cependant, que, dans la plupart des cas - en particulier dans le domaine commercial ou contractuel -, le choix de l'ordre public suisse en matière internationale plutôt que d'un ordre public transnational ne devrait pas conduire à un résultat différent (HEINI, op.cit., n. 44 ad
art. 190 LDIP
). C'est la raison pour laquelle il convient de privilégier une approche pragmatique de la question controversée, au lieu de chercher à la trancher définitivement dans un sens ou dans l'autre, d'autant plus qu'elle porte sur une notion juridique indéterminée - l'ordre public - qu'il est difficile de cerner et de définir une fois pour toutes.
b) La sentence qui viole l'ordre public n'est, en principe, pas entachée de nullité absolue, mais seulement attaquable, à moins qu'elle ne porte atteinte à des intérêts publics prépondérants (HEINI, op.cit., n. 53/54 ad
art. 190 LDIP
). Cette dernière condition n'est pas remplie en ce qui concerne les vices de procédure que les recourants imputent au Tribunal arbitral. Que ces derniers invoquent également une violation de l'ordre public formel à l'égard de tels vices ne change donc rien au fait qu'ils auraient dû articuler les griefs fondés sur l'
art. 190 al. 2 let. a et b LDIP
dans le cadre d'un recours formé contre la sentence incidente du 5 mars 1984. Peut ainsi demeurer indécise la question de l'applicabilité du motif de recours prévu par l'
art. 190 al. 2 let
. e LDIP à des vices affectant la procédure arbitrale et, en cas de réponse affirmative, celle
BGE 120 II 155 S. 169
des rapports qu'il pourrait y avoir entre ce motif de recours et ceux qui ont trait à la procédure arbitrale (cf. HEINI, op.cit., n. 38 ad
art. 190 LDIP
et les références).
c) Les recourants voient une violation de l'ordre public suisse et de l'ordre public international dans la condamnation subsidiaire des Etats membres de l'AOI. Ils invoquent, à cet égard, l'autonomie de l'AOI, en tant que personne morale indépendante, et, partant, la relativité des engagements contractuels souscrits par cette organisation (pacta tertiis nec prosunt nec nocent), qui constitue le pendant négatif du principe de la fidélité contractuelle (pacta sunt servanda).
aa) A l'appui de ses prétentions en dommages-intérêts dirigées contre les Etats membres de l'AOI, WHL soutenait que ceux-ci ne formaient qu'une seule et même partie avec l'organisation interétatique à laquelle ils étaient affiliés. Elle fondait cette thèse sur plusieurs arguments: le premier voulait que ces Etats eussent toujours manifesté leur volonté de s'engager directement envers les cocontractants de l'AOI; le deuxième était tiré du passage d'un protocole d'accord où il est indiqué que "[the] states comprise the AOI"; dans un troisième argument, WHL affirmait qu'elle n'aurait jamais conclu le "Shareholders Agreement" sans l'engagement des Etats défendeurs de garantir l'exécution des obligations de l'AOI; la prétendue absence de toute indépendance décisionnelle de l'AOI par rapport à ses Etats membres formait l'objet d'un quatrième argument. Dans sa sentence partielle du 21 juin 1991, le Tribunal arbitral a écarté ces quatre arguments ainsi que deux arguments subsidiaires fondés sur l'acte illicite et la reprise de dette. Il en a retenu, en revanche, un autre, lui aussi développé à titre éventuel par WHL, en déduisant la responsabilité subsidiaire des Etats membres des règles du droit international public. Les considérations qu'il a émises à propos de ce dernier argument peuvent être résumées comme il suit: les fondateurs de l'AOI n'ont pas choisi pour cette organisation une forme juridique excluant la responsabilité de ses membres et ils ont adopté des dispositions statutaires leur imposant un engagement financier important, justifiant ainsi la confiance des tiers appelés à traiter avec cette organisation quant à la capacité de celle-ci de faire face à ses engagements grâce au soutien continu des Etats membres. Cette même confiance avait d'ailleurs amené WHL à renoncer aux garanties usuelles dans ce genre d'opérations. L'attente légitime ainsi créée dans l'esprit de la demanderesse mérite la protection du droit. Dès lors, si l'AOI n'était pas en mesure de faire face à ses obligations financières à l'égard de WHL, il appartiendrait aux Etats membres d'y pourvoir.
BGE 120 II 155 S. 170
bb) Les recourants ne peuvent rien tirer en leur faveur des arrêts du 23 octobre 1987 et du 19 juillet 1988 par lesquels la Cour de justice du canton de Genève et le Tribunal fédéral ont nié que les Etats membres de l'AOI aient été liés par la convention d'arbitrage passée entre cette organisation et WHL. En effet, d'une part, l'incompétence formelle du Tribunal arbitral pour se prononcer sur une prétention élevée devant lui n'exclut pas l'existence de cette prétention; d'autre part, si le Tribunal fédéral examine librement la question de la compétence, il ne revoit, en revanche, la sentence au fond que sous l'angle de sa compatibilité avec l'ordre public.
cc) La reconnaissance d'une responsabilité subsidiaire des recourants envers l'intimée ne contredit aucun principe juridique ou moral fondamental du système de valeurs suisse ou transnational. Le droit des personnes morales, en particulier dans le domaine industriel ou commercial, peut être réglé de différentes manières, et il a effectivement été codifié ainsi, sans qu'il y ait quoi que ce soit à y redire du point de vue de l'ordre public négatif. Considérée sous cet angle, même une réglementation emportant renonciation à l'autonomie totale de la personne morale et mise en jeu de la responsabilité des membres de celle-ci ne justifierait pas l'intervention du juge étatique. Du reste, même en l'absence d'une telle réglementation, il arrive que l'on fasse abstraction de l'indépendance de la personne morale à l'égard de ses membres, notamment lorsque l'on a affaire à des entreprises contrôlées par une seule personne ou par un Etat ou encore à un groupe de sociétés, en appliquant le principe dit de la "transparence" ("Durchgriff"). Aucun principe juridique fondamental n'est donc heurté par la conception voulant qu'une interdépendance économique puisse créer des liens juridiques ou que l'unité économique force à relativiser l'indépendance juridique. Il suit de là que l'on peut également tenir pour conforme à l'ordre public négatif la théorie de "l'émanation d'Etat", qui permet de rendre l'Etat responsable des engagements contractés par des entreprises juridiquement indépendantes de lui mais qui sont entièrement sous sa coupe (cf. CHAPELLE, loc.cit., avec de nombreuses références). Cette conclusion s'impose avec davantage de force encore dans l'hypothèse où le sujet économique juridiquement autonome institué par l'Etat n'est pas soumis à une réglementation nationale familière au contractant ou à tout le moins accessible à celui-ci, mais est créé sous la forme d'une entreprise à caractère international qui n'est pas rattachée à un quelconque ordre juridique national.
BGE 120 II 155 S. 171
Si le fait même d'adopter une forme juridique qui rende les Etats membres d'une entreprise à vocation internationale garants de l'exécution des engagements souscrits par celle-ci n'est déjà pas incompatible en soi avec l'ordre public négatif, à plus forte raison en va-t-il ainsi lorsque - comme c'est le cas en l'espèce - la responsabilité subsidiaire des Etats affiliés à l'entreprise supranationale est déduite, de surcroît, de la confiance que ces Etats ont éveillée, par leur comportement, chez le partenaire contractuel de cette entreprise, quant à leur volonté de se substituer à elle au cas où elle ne pourrait pas faire face à ses obligations envers lui. Il n'est, en effet, pas contraire à des principes fondamentaux de l'ordre juridique international d'admettre que des liens contractuels puissent se créer, sans que cela corresponde à la volonté interne d'une partie, lorsque celle-ci adopte une attitude qui autorise l'autre partie à conclure de bonne foi à l'existence d'une telle volonté (cf.
ATF 69 II 319
, 322). Or, c'est précisément sur une considération de ce genre que le Tribunal arbitral a fondé, pour l'essentiel, sa sentence. Savoir s'il l'a fait à juste titre, c'est-à-dire en conformité avec le droit matériel applicable, importe peu du point de vue de l'ordre public négatif, au sens où on l'entend ici, dans la mesure où le contenu du droit applicable ne constitue pas un critère en la matière, étant donné la fonction purement protectrice de la réserve de l'ordre public.
Les principes de la fidélité contractuelle et de la relativité des obligations issues d'un contrat, que les recourants invoquent dans ce contexte, n'imposent pas une autre conclusion. Aussi bien, le Tribunal arbitral n'a pas empêché l'exécution d'obligations contractuelles dûment établies, ni prêté la main à l'exécution d'obligations contractuelles qu'il aurait su ne pas lier la partie recherchée de ce chef. Le moyen tendant à faire admettre que le Tribunal arbitral aurait violé l'ordre public en couvrant de son autorité la mise en cause des recourants est, en conséquence, infondé.
d) Les recourants voient encore une violation de l'ordre public dans le fait que le Tribunal arbitral aurait rendu des sentences contradictoires. Ils relèvent, à ce propos, que, pour admettre leur compétence, les arbitres ont considéré que les Etats membres de l'AOI étaient directement liés par les contrats que cette organisation avait passés avec des tiers, dont WHL, motif pris de ce que cette organisation et les Etats qui en faisaient partie ne formaient qu'une seule et même entité, tandis que, pour condamner subsidiairement ces mêmes Etats à indemniser l'intimée, ils ont expressément écarté la thèse de l'identité entre les défendeurs et l'AOI et en ont retenu une autre.
BGE 120 II 155 S. 172
En argumentant ainsi, les recourants confondent deux problèmes - l'effet obligatoire d'une clause compromissoire pour la personne qui ne l'a pas signée, d'une part, l'existence, à la charge de cette personne, d'une obligation contractuelle découlant du droit matériel applicable, d'autre part - qui n'obéissent pas aux mêmes règles et à l'égard desquels le pouvoir d'examen de l'autorité de recours n'est, de plus, pas le même. Le problème de la compétence du Tribunal arbitral, qui aurait dû être examiné avec un plein pouvoir de cognition par la juridiction étatique saisie d'un recours à ce sujet, ne peut plus être soulevé par les recourants dans le cadre de la présente procédure de recours pour les motifs sus-indiqués, quand bien même il n'aurait pas été traité d'une manière juridiquement correcte par les arbitres. Pour le surplus, il n'était pas interdit à ces derniers d'invoquer également, à l'appui de leur décision sur le fond, des arguments qui n'eussent pas suffi, à eux seuls, à justifier leur compétence. Au demeurant, qu'un tribunal arbitral ne soit pas compétent pour se prononcer sur l'existence de la prétention qui lui est soumise n'implique nullement l'inexistence de ladite prétention, et cette constatation, de portée générale, s'impose avec davantage de force encore sous l'angle restrictif, seul déterminant en l'occurrence, de l'ordre public négatif. C'est dire que l'on ne saurait parler de sentences contradictoires du seul fait que des manifestations de volonté ont été interprétées différemment, selon qu'elles se rapportaient à la compétence de la juridiction saisie ou à l'existence de la prétention litigieuse. L'objection des recourants ne résiste donc pas à l'examen. | public_law | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
57a682f6-00e6-4f4f-89d1-5e49747bce10 | Urteilskopf
110 V 109
18. Urteil vom 11. April 1984 i.S. Biochimica AG gegen Bundesamt für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des Innern | Regeste
Art. 12 Abs. 6 KUVG
, Art. 4 und 6 Vo VIII,
Art. 12 und 13 VwVG
; Streichung von Arzneimitteln aus der Spezialitätenliste.
- Bedeutung des Untersuchungsgrundsatzes und der Mitwirkungspflichten der Parteien (Erw. 3).
- Voraussetzungen, unter welchen die für die Ablehnung eines Aufnahmegesuches ausschlaggebende Begründung (in casu Unwirksamkeit des Präparates) auf andere, in der Spezialitätenliste enthaltene Präparate übertragen werden kann (Erw. 4b).
- Verfahrensgrundsätze, wenn Präparate mehrerer Arzneimittelhersteller gleichzeitig aus der Spezialitätenliste gestrichen werden (Erw. 5).
Art. 4 BV
,
Art. 29, 33 und 35 VwVG
. Verletzung des rechtlichen Gehörs durch fehlende bzw. ungenügende Begründung des Entscheides und durch Nichtberücksichtigung eingereichter Beweismittel (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 110
BGE 110 V 109 S. 110
A.-
Die Biochimica AG vertreibt das von der Lipha S.A. hergestellte Bakterienlysat DIRIBIOTINE, welches als Mittel gegen Infektionskrankheiten seit 1962 in der Spezialitätenliste gemäss Art. 3 ff. der Vo VIII über die Krankenversicherung vom 30. Oktober 1968 figuriert.
Im Juni 1979 wurde von einem anderen Hersteller das Bakterienlysat BRONCHO-VAXOM zur Aufnahme in die Spezialitätenliste angemeldet. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) lehnte die Aufnahme aufgrund eines Beschlusses der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) ab, weil der Nachweis der Zuverlässigkeit und der Zweckmässigkeit in bezug auf die Wirkung gemäss dem Stand der medizinisch-pharmazeutischen Wissenschaft für Bakterienlysate im allgemeinen und für BRONCHO-VAXOM im besonderen nicht erbracht sei. Die hiegegen erhobene Beschwerde wurde vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) am 24. Dezember 1982 abgewiesen. Dieser Entscheid ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
Im Frühjahr 1981 leitete das BSV das Verfahren zur Streichung der in der Spezialitätenliste enthaltenen Bakterienlysate DIRIBIOTINE, SPREMUNAN und IRS 19 ein. Am 10. April 1981 teilte es der Biochimica AG mit, die Experten der EAK hätten am 6. November 1980 beschlossen, das Präparat DIRIBIOTINE aus der Spezialitätenliste zu streichen, falls nicht ein ausreichender klinischer Nachweis erbracht werde, welcher die Kosten einer solchen Therapie zu rechtfertigen vermöchte. Die Firma antwortete hierauf mit der Einreichung von sechs "Originalarbeiten", welche die Wirksamkeit und Verträglichkeit des Präparates beweisen sollten. Das BSV unterbreitete die Arbeiten einem Experten der EAK, welcher sie als ungenügend erachtete, und verfügte am 29. September 1982 die Streichung des DIRIBIOTINE aus der Spezialitätenliste auf den 31. Oktober 1982; gleichzeitig entzog es einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung.
B.-
Auf Beschwerde hin hob das EDI den Entzug der aufschiebenden Wirkung auf (Entscheid vom 3. Dezember 1982). In der Sache selbst erkannte es am 5. Juli 1983 auf Abweisung der
BGE 110 V 109 S. 111
Beschwerde mit der Feststellung, die Streichung des DIRIBIOTINE bzw. des in der Zwischenzeit an dessen Stelle in die Spezialitätenliste aufgenommenen DIRIBIOTINE CK - welches nach übereinstimmender Meinung der Beteiligten Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bildet - beruhe auf einer sorgfältigen Prüfung und verstosse nicht gegen Bundesrecht.
C.-
Die Biochimica AG lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und es sei der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen. Das EDI enthält sich eines Antrages hinsichtlich des Begehrens, der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu erteilen, und schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
D.-
Am 6. September 1983 hat der Präsident des Eidg. Versicherungsgerichts der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsorglich die aufschiebende Wirkung erteilt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) (Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, Kognition des Eidg. Versicherungsgerichts: vgl.
BGE 108 V 132
Erw. 1.)
b) (Rechtsstellung der EAK, Kognition des EDI: vgl.
BGE 108 V 138
Erw. 4.)
2.
Nach
Art. 12 Abs. 6 KUVG
bezeichnet der Bundesrat nach Anhören der von ihm bestellten EAK die Arzneimittel, die nicht als Pflichtleistung gelten, deren Übernahme jedoch den Krankenkassen empfohlen wird. Die Empfehlung erfolgt in Form einer vom BSV herausgegebenen Spezialitätenliste (Art. 3 Vo VIII). Nach Art. 4 Abs. 1 Vo VIII sind für die Aufnahme eines Arzneimittels massgebend das medizinische Bedürfnis (lit. a), die Zweckmässigkeit und Zuverlässigkeit in bezug auf Wirkung und Zusammensetzung (lit. b) sowie die Wirtschaftlichkeit (lit. c). Nach Abs. 6 der Bestimmung ordnet das EDI nach Anhören der EAK das Nähere über die Aufnahmebedingungen. Dies ist mit der Verfügung 10 des EDI über die Krankenversicherung betreffend die Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste vom 19. November 1968 geschehen (
BGE 102 V 79
Erw. 2).
Gemäss Art. 6 Abs. 1 Vo VIII ist ein in die Spezialitätenliste aufgenommenes Arzneimittel u.a. dann zu streichen, wenn es nicht mehr alle Voraussetzungen gemäss Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung erfüllt (lit. a). Nach Abs. 2 der Bestimmung sind Streichungen
BGE 110 V 109 S. 112
erst nach Anhören der Betroffenen zulässig und im Bulletin des Gesundheitsamtes zu veröffentlichen; sie treten drei Monate nach der Veröffentlichung in Kraft, sofern nicht besondere Gründe für eine sofortige Inkraftsetzung vorliegen.
3.
a) Die materielle Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für die Aufnahme eines Arzneimittels in die Spezialitätenliste gegeben sind, trägt die antragstellende Firma. Das gleiche gilt im Streichungsverfahren, indem für den Fall, dass die Voraussetzungen für die Beibehaltung eines Präparates in der Spezialitätenliste nicht mehr erwiesen sind, die Beweislosigkeit zu Lasten der betroffenen Firma geht. Dies ergibt sich daraus, dass der Verbleib eines Arzneimittels in der Spezialitätenliste nur so lange gerechtfertigt ist, als die Aufnahmevoraussetzungen nach Massgabe der im jeweiligen Zeitpunkt geltenden Erkenntnisse erfüllt sind (
Art. 12 Abs. 6 KUVG
, Art. 6 Vo VIII).
b) Die Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes hat nach dem Untersuchungsgrundsatz von Amtes wegen zu erfolgen (
Art. 12 VwVG
). Der Untersuchungsgrundsatz gilt indessen nicht uneingeschränkt und findet sein Korrelat in den Mitwirkungspflichten der Parteien (
Art. 13 VwVG
;
BGE 110 V 52
Erw. 4a).
Im Verfahren betreffend die Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste besteht praxisgemäss eine weitgehende Mitwirkungspflicht der antragstellenden Firma. Es ist auch im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes nicht Sache der Verwaltung, primäre und eigenständige Forschungsarbeit zu leisten. Diese Aufgabe obliegt vielmehr dem Antragsteller, welcher der Verwaltung die bezüglich der Aufnahmevoraussetzungen wesentlichen Forschungsergebnisse vorzulegen hat. Dem Untersuchungsgrundsatz wird in der Regel Genüge getan, wenn die zuständige Behörde die eingereichte Dokumentation objektiv überprüft und die allenfalls notwendigen zusätzlichen Abklärungen hinsichtlich deren Zuverlässigkeit vornimmt.
Im Streichungsverfahren ist in Anwendung dieser Grundsätze die vom Aufnahmeverfahren abweichende Ausgangssituation zu berücksichtigen. Während das Aufnahmeverfahren von der antragstellenden Firma eingeleitet wird, welche damit zugleich im Sinne der erwähnten Mitwirkungspflicht die Unterlagen vorzulegen hat, die zumutbarerweise von ihr verlangt werden können, geht das Streichungsverfahren von der zuständigen Behörde aus. Diese darf das Verfahren nicht willkürlich in Gang setzen und von der Firma ohne ersichtlichen Grund Unterlagen dafür verlangen,
BGE 110 V 109 S. 113
dass die Aufnahmevoraussetzungen weiterhin erfüllt sind. Sie wird vielmehr (aufgrund bestimmter Anhaltspunkte oder nur routinemässig) zunächst von sich aus den Fortbestand der Voraussetzungen überprüfen, soweit ihr dies möglich ist und nach den Umständen als geboten erscheint; erst wenn ernsthafte Zweifel bestehen, wird sie das Streichungsverfahren eröffnen, unter Bekanntgabe der Gründe und Gewährung des rechtlichen Gehörs einerseits und unter Inanspruchnahme der Mitwirkungspflicht der betroffenen Firma anderseits.
4.
a) Im vorliegenden Fall kam das BSV aufgrund des Ergebnisses des Aufnahmeverfahrens betreffend das Präparat BRONCHO-VAXOM, dessen Aufnahme abgelehnt wurde, zum Schluss, dass es sich beim DIRIBIOTINE um ein gleichartiges Produkt (Bakterienlysat) handle, das nach neuester Erkenntnis unwirksam sei. Demgemäss teilte das Bundesamt der Beschwerdeführerin am 10. April 1981 mit, das DIRIBIOTINE werde aus der Spezialitätenliste gestrichen, falls nicht ein hinreichender klinischer Nachweis erbracht werde, um die Kosten einer solchen Therapie zu rechtfertigen.
Die Beschwerdeführerin rügt zu Recht, dass sie vom BSV in diesem Stadium des Verfahrens lediglich mit dem behaupteten Untersuchungsergebnis (Unwirksamkeit der Bakterienlysate) konfrontiert wurde, ohne nähere Begründung dieses Ergebnisses und ohne dass der Firma Einsicht in die entsprechenden Unterlagen gegeben wurde. Die Firma ist damit in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden (
Art. 29 VwVG
; vgl. auch GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 69). In der Folge scheint dieser Mangel allerdings insoweit geheilt worden zu sein, als das BSV im vorinstanzlichen Verfahren das "Beschwerdedossier DIRIBIOTINE" einreichte und die Beschwerdeführerin hierin Einsicht nehmen konnte.
b) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird des weitern gerügt, das BSV habe bezüglich des DIRIBIOTINE kein selbständiges Streichungsverfahren durchgeführt, sondern lediglich den Entscheid der EAK betreffend ein anderes Präparat (BRONCHO-VAXOM) auf das DIRIBIOTINE übertragen. Somit sei der Sachverhalt, welcher Grundlage des Streichungsverfahrens hätte bilden sollen, gar nicht ermittelt worden.
Aus der Verfügung vom 29. September 1982 und dem vorinstanzlichen Entscheid geht hervor, dass den Bakterienlysaten, zu denen unbestrittenermassen auch das DIRIBIOTINE gehört, von
BGE 110 V 109 S. 114
der EAK - und dieser folgend vom BSV und vom EDI - generell die Wirksamkeit abgesprochen wird. Die Übertragung dieser im Verfahren betreffend BRONCHO-VAXOM erfolgten Beurteilung auf das DIRIBIOTINE erscheint nicht von vornherein als unzulässig. Voraussetzung wäre indessen, dass es sich in jeder Hinsicht um gleichartige Präparate handelt und der Beschwerdeführerin die wissenschaftliche Begründung für die angebliche Unwirksamkeit im einzelnen bekanntgegeben worden ist. In der Verfügung vom 29. September 1982 hat das BSV bezüglich der grundsätzlichen Unwirksamkeit von Bakterienlysaten aber lediglich auf seine Mitteilung vom 10. April 1981 verwiesen, welche ihrerseits nur besagte, die EAK habe "in Zusammenhang mit der Ablehnung eines zur Aufnahme in die Spezialitätenliste angemeldeten Präparates" beschlossen, das DIRIBIOTINE aus der Spezialitätenliste zu streichen, "falls der klinische Nachweis nicht ausreichend belegt werden kann, um die Kosten einer solchen Therapie zu rechtfertigen". Dies stellt indessen keine hinreichende Begründung im Sinne von
Art. 35 Abs. 1 VwVG
und Art. 16 Vo VIII dar (vgl. auch
BGE 108 V 140
). Der Beschwerdeführerin ist das rechtliche Gehör jedenfalls insofern verweigert worden, als ihr die Begründung für die angenommene Unwirksamkeit des Präparates vorenthalten worden ist, womit es ihr verwehrt wurde, allfällige Fehler oder Schwächen in der Argumentation der Verwaltung aufzuzeigen. Aus den vorhandenen Akten ergibt sich nicht, dass dieser Mangel nachträglich geheilt worden wäre. Die Sache ist daher schon aus diesem Grunde an die Verwaltung zurückzuweisen, damit sie der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör gewähre und alsdann neu entscheide.
c) Die Beschwerdeführerin hat auf die Mitteilung des BSV vom 10. April 1981 sechs Originalarbeiten eingereicht, um den klinischen Wirkungsnachweis für das Präparat DIRIBIOTINE zu erbringen. Das Bundesamt unterbreitete die Arbeiten einem kommissionsinternen Experten der EAK (Prof. Reubi) und stellte in der Verfügung vom 29. September 1982 zusammenfassend fest, das Präparat könne nach Auffassung des Experten die Häufigkeit der akuten Schübe bei gewissen Infektionskrankheiten mindern, wenn es zusätzlich zur konventionellen Behandlung angeordnet werde; die eingereichten Arbeiten erlaubten jedoch nicht, "das Präparat zu bejahen", da sie ungenügend seien; es seien weder Doppelblindversuche angestellt noch Placebos verwendet worden.
Im vorinstanzlichen Verfahren reichte die Beschwerdeführerin eine in der Zeitschrift "Ars Medici" (Heft 10/1982) veröffentlichte
BGE 110 V 109 S. 115
Arbeit der Dres. Kühni und Perret nach, welche auf einer Doppelblindstudie DIRIBIOTINE CK/Placebo beruht. Das EDI ist hierauf nicht näher eingetreten mit der Begründung, das Verfahren betreffend die Nichtaufnahme bzw. Streichung von Bakterienlysaten habe bereits ein Stadium erreicht, in dem für die beförderliche Behandlung der Beschwerde weitere Arbeiten nicht mehr in Betracht gezogen werden könnten. Zudem genüge die eingereichte 4seitige Veröffentlichung den wissenschaftlichen Anforderungen nicht und sei in einer Zeitschrift erschienen, die reinen Informationscharakter trage und nicht als wissenschaftliches Publikationsorgan betrachtet werden könne. In der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das EDI des weitern darauf hin, dass die Studie nicht an einer Universitätsklinik durchgeführt worden sei, was zwecks Wahrung der Objektivität in der Regel erforderlich sei. Zudem biete im allgemeinen nur die Publikation in einer anerkannten Zeitschrift, welche alle eingereichten Manuskripte durch Experten begutachten und überprüfen lasse, Gewähr dafür, dass die veröffentlichten Gutachten mit den Originaldaten übereinstimmten.
Hiezu ist zunächst festzustellen, dass zwar gegebenenfalls im Streichungsverfahren einer missbräuchlichen Verzögerung des vom Betroffenen als wahrscheinlich vorausgesehenen Streichungsentscheides begegnet werden muss. Im vorliegenden Fall fehlen aber Anhaltspunkte für einen Missbrauch. Die Beschwerdeführerin hat die vermutlich im Oktober 1982 publizierte Studie mit der Replik vom 15. April 1983 im vorinstanzlichen Verfahren eingereicht, und es steht keineswegs fest, dass sie ihr schon anlässlich der Einreichung der Beschwerdeschrift vom 1. November 1982 vorgelegen hat. Hinsichtlich der eingereichten Doppelblindstudie erhebt das EDI Einwendungen allgemeiner Art, die zwar bei der Beweiswürdigung mit berücksichtigt werden können, eine materielle Auseinandersetzung mit den eingereichten Beweismitteln jedoch nicht zu ersetzen vermögen. Indem die Vorinstanz auf die Studie nicht näher eingetreten ist, hat sie der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör verweigert (vgl.
BGE 104 V 210
); auch hat sie zumindest indirekt den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Die Sache ist daher an die Verwaltung zurückzuweisen, damit sie das Beweisverfahren ergänze und über die streitige Rechtsfrage neu entscheide. Dabei wird auch die im letztinstanzlichen Verfahren eingereichte weitere Studie (GRUMEL/BETBEDER) zu berücksichtigen sein.
BGE 110 V 109 S. 116
5.
Zu einem andern Ergebnis vermag auch der Hinweis der Vorinstanz auf den Grundsatz der Rechtsgleichheit nicht zu führen. Zwar ist das Streichungsverfahren bezüglich sämtlicher identischer Präparate unter den gleichen Voraussetzungen und nach den gleichen Regeln durchzuführen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung enthebt die Verwaltung und den Richter indessen nicht von der Pflicht zur selbständigen Prüfung der Vergleichsprodukte im Einzelfall. Im Sinne des Gleichbehandlungsprinzips ist dabei auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass den vom Streichungsverfahren betroffenen Firmen häufig nicht eine auf den neuesten Stand gebrachte Dokumentation zur Verfügung steht, wie es für die Gesuchsteller im Aufnahmeverfahren in der Regel zutrifft. Im übrigen kann die Verwaltung zur Beschleunigung des Streichungsverfahrens beitragen, indem sie den betroffenen Firmen möglichst frühzeitig, d.h. sobald ernsthafte Zweifel am Fortbestand der Aufnahmevoraussetzungen bestehen, hievon Kenntnis gibt und sie zur Vernehmlassung einlädt, ohne zunächst ein einzelnes Verfahren zu Ende zu führen. Damit wird gleichzeitig sichergestellt, dass die Verwaltung in Kenntnis der Argumente sämtlicher Betroffener entscheiden kann.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des EDI vom 5. Juli 1983 und die Verfügung vom 29. September 1982 aufgehoben, und es wird die Sache zur näheren Abklärung im Sinne der Erwägungen und zur Neubeurteilung an das BSV zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
57afb356-7cc2-4644-89c3-fb45ae4d87ca | Urteilskopf
106 IV 121
39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Juni 1980 i.S. P. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 237 Ziff. 1 StGB
. Störung des öffentlichen Verkehrs.
1. Abs. 1 dieser Bestimmung ist auch dann anwendbar, wenn bei einer Flugzeugentführung die Möglichkeit noch besteht, das durch die Störung geschaffene Risiko zu meistern (E. 3c).
2. Das Qualifikationsmerkmal von Abs. 2 (vieler Menschen) ist nicht einschränkend zu interpretieren, sondern ist erfüllt, wenn wissentlich eine grössere, unbestimmte Zahl von Menschen in Gefahr gebracht wird (E. 3d). | Erwägungen
ab Seite 122
BGE 106 IV 121 S. 122
Aus den Erwägungen:
3.
Gemäss
Art. 237 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
wird mit Gefängnis bestraft, "wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser oder in der Luft hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt". Abs. 2 enthält eine verschärfte Strafdrohung bis zu zehn Jahren Zuchthaus für den qualifizierten Fall, dass der Täter wissentlich Leib und Leben vieler Menschen in Gefahr bringt.
a) Durch seine Entführung einer Kursmaschine und durch die Landungen auf den verschiedenen Flugplätzen, verbunden mit erpresserischen Forderungen und schweren Drohungen, hat P. den durch
Art. 237 StGB
geschützten öffentlichen Luftverkehr in erheblichem Masse vorsätzlich gestört. Dies wird in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht bestritten.
b) Der Straftatbestand setzt jedoch weiter voraus, dass der Täter durch seine Störung oder Gefährdung des Verkehrs wissentlich Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt.
In der Nichtigkeitsbeschwerde bestreitet P., Leib und Leben von Luftverkehrsteilnehmern in Gefahr gebracht zu haben; insbesondere stellt er in Abrede, dass die zeitweilige Sperre von
BGE 106 IV 121 S. 123
Pisten (wegen der Landung des entführten Flugzeuges) eine Gefahr für Leib und Leben mit sich gebracht habe; die Sperrung habe gerade die Verhinderung jeder Gefahr bezweckt; P. habe auch keine Gefährdung "seiner" Passagiere, etwa wegen Brennstoffmangel oder infolge Übermüdung der Besatzung in Kauf genommen.
c) Was in der Judikatur zur Auslegung von
Art. 237 StGB
zu finden ist, bezieht sich fast ausschliesslich auf die fahrlässige Begehung und überdies regelmässig auf den Strassenverkehr (vgl.
BGE 71 IV 100
,
BGE 73 IV 182
,
BGE 85 IV 137
). Im Bestreben, die Bestrafung wegen fahrlässiger Störung oder Gefährdung des Strassenverkehrs einzuschränken und zweckmässig gegen blosse Verkehrsübertretungen abzugrenzen, hat die Rechtsprechung den Grad der verursachten konkreten Gefährdung restriktiv umschrieben: Eine Verletzung oder Tötung von Personen müsse "nicht nur objektiv möglich, sondern wahrscheinlich" sein (
BGE 71 IV 100
), die "nahe und ernstliche Wahrscheinlichkeit" des Erfolgseintritts müsse bestehen (
BGE 85 IV 137
,
BGE 73 IV 183
).
Bei vorsätzlicher Störung des Luftverkehrs verbunden mit dem Wissen des Täters um die Gefahr für Leib und Leben von Menschen, wäre es kriminalpolitisch verfehlt, die Anwendung von
Art. 237 Ziff. 1 StGB
überdies vom Nachweis eines besonders hohen Grades der Wahrscheinlichkeit eines konkreten Erfolgseintrittes abhängig zu machen. Während eine gewisse Zurückhaltung bei der Kriminalisierung fahrlässigen Verhaltens angezeigt erscheint, gibt es keinen triftigen Grund, den Täter, der vorsätzlich den Luftverkehr stört und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt, nur dann zu bestrafen, wenn die vorsätzlich geschaffene Gefahr besonders ernstlich und der Erfolgseintritt höchst wahrscheinlich war, so dass das Ausbleiben von Tötungen oder Verletzungen (Absturz?) nur einem ausserordentlichen Glücksfall zuzuschreiben ist. Wer durch vorsätzliche Störungshandlungen wissentlich das erhöhte Risiko eines Flugzeugabsturzes schafft, ist gemäss
Art. 237 Ziff. 1 StGB
zu bestrafen, auch wenn die Möglichkeit, das durch die Störung geschaffene Risiko zu meistern, noch gegeben ist und hinterher nicht eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit der Katastrophe festgestellt werden kann.
Ausser den Gefahren, die jede Flugzeugentführung mit sich bringt, hat P. am 15. März 1977 eine Schliessung des Flughafens
BGE 106 IV 121 S. 124
Kloten während elf Minuten sowie eine Sperrung der wichtigsten Piste während fast vier Studen verursacht. Damit entstanden zusätzliche Risiken für alle Menschen in Flugzeugen, die wegen dieser Störung nicht planmässig in Kloten landen konnten. Flugkapitän R. musste - nach den Feststellungen der Vorinstanz - infolge der von P. geforderten Irrfahrt während 46 Stunden die volle flugtechnische Verantwortung für das entführte Flugzeug tragen. Er war übermüdet; durch die Übermüdung des Piloten entstand für die Insassen seiner Maschine und für die Insassen anderer Flugzeuge (Kollisionsrisiko beim Starten und Landen) eine erhebliche Gefahr. Das Geschworenengericht nimmt an, es habe auch die reale Möglichkeit eines Absturzes infolge Treibstoffmangels bestanden, weil die Landeerlaubnis zum Auftanken an einzelnen Orten verweigert wurde. Schliesslich wird im angefochtenen Entscheid noch festgestellt, R. habe in Zürich beim überstürzten Abflug Richtung Lyon starten müssen, obschon die Abflugpiste durch Panzerfahrzeuge blockiert war, dieser Start sei daher äusserst gefährlich gewesen.
Nach diesen Feststellungen im angefochtenen Entscheid, die hier in tatsächlicher Hinsicht nicht zu überprüfen sind, hat der Beschwerdeführer durch die erzwungenen Flugbewegungen ein erhebliches Potential zusätzlicher Risiken geschaffen. Die Schlussfolgerung, dass er damit wissentlich Leib und Leben der in der entführten Maschine befindlichen Personen, aber in einem unbestimmbaren Ausmass auch Leib und Leben anderer Luftverkehrsteilnehmer in Gefahr gebracht habe, verletzt
Art. 237 Ziff. 1 StGB
nicht.
d) Das Geschworenengericht hat angenommen, die geschaffene Gefahr habe viele Menschen betroffen, und demgemäss Abs. 2 von
Art. 237 Ziff. 1 StGB
zur Anwendung gebracht.
Die vorwiegend am Strassenverkehr orientierte Doktrin formuliert keine Richtlinien für die Abgrenzung des unbestimmten Qualifikationsmerkmals der Gefährdung vieler Menschen (HAFTER, E., Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil, 2. Hälfte, S. 526/527) und geht davon aus, dass es sich dabei um extrem seltene Ausnahmefalle handle (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil II, 2. Aufl., S. 135). Wenn es aber um vorsätzliche Störung des Luftverkehrs geht, erscheint die praktische Bedeutung des Abs. 2 von Art. 237 Ziff. 1 in einem andern Licht. Wer durch seine Störungshandlung die Gefahr
BGE 106 IV 121 S. 125
des Absturzes einer Kursmaschine oder einer Kollision zwischen Kursmaschinen auf einem Flughafen schafft, bringt damit stets Leib und Leben einer grösseren Anzahl von Menschen in Gefahr. Da Abs. 1 als Höchststrafe 3 Jahre Gefängnis vorsieht, ist es angebracht, eine Tat unter Abs. 2 zu subsumieren, sobald die wissentlich herbeigeführte Gefahr nicht nur einzelne Personen betraf, so etwa wenn sich schon im direkt gefährdeten Flugzeug auf jeden Fall mehr als zehn Personen befanden. Angesichts der gesetzlichen Strafdrohungen in Art. 237 Ziff. 1 drängt es sich auf, das Qualifikationsmerkmal der "vielen Menschen" in Abs. 2 nicht einschränkend zu interpretieren, sondern die schärfere Strafdrohung anzuwenden, sobald der Täter in Kauf genommen hat, dass Leib und Leben einer grösseren, unbestimmten Zahl von Menschen infolge seiner deliktischen Handlung in akute Gefahr geraten. Im vorliegenden Fall hat das Geschworenengericht daher zu Recht Abs. 2 von
Art. 237 Ziff. 1 StGB
angewendet.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
57b01a72-6a22-4837-a8fa-b4e0dceeabcd | Urteilskopf
111 V 27
6. Extrait de l'arrêt du 24 janvier 1985 dans la cause Jilkova contre Caisse-maladie et accidents ASSURA et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 5 Abs. 3 KUVG
: Begriff des Verschweigens.
Verschweigen liegt vor, wenn der Aufnahmebewerber oder Versicherte eine bestehende Krankheit oder eine früher bestandene, zu Rückfällen neigende Krankheit, die er kannte oder bei der ihm zumutbaren Aufmerksamkeit hätte kennen müssen, in schuldhafter Weise nicht anzeigt. | Erwägungen
ab Seite 27
BGE 111 V 27 S. 27
Extrait des considérants:
1.
a) L'
art. 5 al. 3 LAMA
dispose que, si l'admission ne peut être refusée pour raisons de santé, les caisses peuvent cependant excepter de l'assurance, en en faisant l'objet d'une réserve, les maladies existant au moment de l'admission; il en va de même pour les maladies antérieures si, selon l'expérience, une rechute est possible. Les réserves sont caduques après cinq ans au plus.
Lorsque l'assuré, en cours de sociétariat, s'assure pour des prestations plus étendues, la caisse peut introduire des réserves en ce qui concerne les prestations supérieures à celles qui étaient assurées jusqu'alors, dans les mêmes conditions que lors d'une admission. Ces réserves sont elles aussi caduques après cinq ans au plus (art. 2 al. 2 Ord. III).
Si, dans l'un et l'autre cas, la caisse n'a pas formulé de réserve, elle ne peut le faire après coup qu'en cas de réticence.
BGE 111 V 27 S. 28
b) Jusqu'à présent, la jurisprudence publiée en langue française qualifiait de réticence le fait de ne pas annoncer à la caisse, en la passant sous silence de manière "dolosive", une maladie existante ou une maladie antérieure sujette à rechute que le candidat - ou l'assuré - connaissait ou aurait dû connaître en faisant preuve de l'attention que l'on pouvait exiger de lui (
ATF 109 V 38
consid. 1b,
ATF 108 V 28
consid. 1 avec les références). En vérité, cette définition est partiellement inexacte et ne correspond pas au sens réel que le Tribunal fédéral des assurances donne à la notion de réticence. L'expression "de manière dolosive" peut en effet prêter à confusion et laisser penser qu'il s'agit en l'espèce d'un dol au sens de l'
art. 28 CO
, de sorte que la réticence impliquerait toujours la volonté du candidat ou de l'assuré d'induire en erreur la caisse-maladie, au moins à titre éventuel. Or, c'est un comportement fautif, intentionnel ou par négligence, qui est visé par la jurisprudence susmentionnée, dès lors qu'il est question d'une maladie que l'intéressé "connaissait ou aurait dû connaître en faisant preuve de l'attention que l'on pouvait exiger de lui". A cet égard, la terminologie des arrêts publiés à ce sujet en langue allemande, qui utilisent le terme "schuldhaft", est exacte (ATF
ATF 108 V 248
consid. 2b avec les références). Ainsi donc, le qualificatif "dolosive" doit-il être remplacé, dans la définition rappelée ci-dessus, par "fautive". | null | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
57bdbcb7-dde5-4a58-b3ae-ec7dd5a4bfa6 | Urteilskopf
92 II 270
40. Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. November 1966 i.S. "Sihl" Zürcher Papierfabrik an der Sihl gegen Aktiebolaget Bonnierföretagen. | Regeste
Markenschutz
1. Voraussetzungen, unter denen eine geographische Bezeichnung (hier: Sihl) nicht als Gemeingut (
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2,
Art. 3 Abs. 3 MSchG
) anzusehen, sondern als Marke schutzfähig ist (Erw. 2).
2. Unterscheidbarkeit der Marken der Parteien (COSIL einerseits, Sihl und SYNTOSIL anderseits).
Art. 6 Abs. 1 MSchG
(Erw. 3, 4).
Unlauterer Wettbewerb
1. Der markenmässige Gebrauch eines nach MSchG als Marke zulässigen Zeichens verstösst nicht gegen
Art. 1 UWG
(Erw. 5).
2. Begründet die nicht markenmässige Verwendung des Zeichens COSIL für die Erzeugnisse der Beklagten die Gefahr von Verwechslungen mit den durch die Zeichen Sihl oder SYNTOSIL gekennzeichneten Erzeugnissen der Klägerin?
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
(Erw. 6).
Schutz der Firma, des Namens und der Persönlichkeit.
Liegt darin, dass die Beklagte für ihre Erzeugnisse das Wort COSIL verwendet, ein unbefugter Gebrauch der Firma der Klägerin(
Art. 956 Abs. 2 OR
) oder eine Anmassung ihres Namens (
Art. 29 Abs. 2 ZGB
), oder wird die Klägerin dadurch in ihren persönlichen Verhältnissen verletzt (
Art. 28 ZGB
)? (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 271
BGE 92 II 270 S. 271
A.-
Die Aktiengesellschaft "Sihl" Zürcher Papierfabrik an der Sihl (hier abgekürzt "Sihl"), die Papier und Papierwaren aller Art herstellt, verarbeitet und in den Handel bringt, hinterlegte im Jahre 1897 beim eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum die für Papiere bestimmte Marke Sihl und liess sie
BGE 92 II 270 S. 272
in der Folge mit erweitertem Warenverzeichnis wiederholt erneuern, zuletzt am 21. Mai 1953. Ferner ist sie Inhaberin weiterer für Papiere und andere Waren bestimmter schweizerischer Marken mit dem Worte oder der Silbe Sihl, so der Wortmarken Sihl Mills und Sihl Mills PURE LINEN (beide erneuert am 15. April 1955 und 20. März 1964), Sihl Mills FOR TYPE-WRITER (erneuert am 6. Januar 1944 und 5. Dezember 1963), SIHLPLEX (erneuert am 21. Mai 1953), Japon-Surfin-Sihl (hinterlegt am 21. Mai 1953), AN DER SIHL, SUR SIHL, ON SIHL, SULLA SIHL (hinterlegt am 21. Mai 1953) und der Wort und Bild-Marken SIHL VALLEY (hinterlegt am 23. März 1948), SIHL auf vier Wellenlinien stehend (hinterlegt am 21. Mai 1953) und SIHL in der Mitte eines Flusses stehend, der ein von einem Schwan gekröntes Wappen durchquert (erneuert am 25. Juli 1957).
Am 17. September 1960 ersuchte die "Sihl" das eidgenössische Amt für geistiges Eigentum um den Schutz der Wortmarke SYNTOSIL, die unter anderem für Papier, Pappe, Karton, Zellulose, Artikel aus Zellulose, Fasern enthaltende Gebilde in der Art von Papieren und "bonded fabrics" bestimmt ist.
Am 14. April 1961 hinterlegte die in Stockholm niedergelassene Aktiebolaget Bonnierföretagen beim eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum die Marke COSIL. Sie wurde für Verpackungsmaterial, bestehend aus belegten und unbelegten Stoffen, nämlich Papier, Karton und anderen Fasermaterialien aus Zellulose, Kunstharzfilmen, Metallfolien und Laminaten daraus bestimmt und vom Amt unter Nr. 186 198 registriert. Sie wird zur Kennzeichnung eines kaltsiegelfähigen Hüllstoffes verwendet, den die Firma Jacques Schindler & Co. in Zürich als Lizenznehmerin herstellt.
Die "Sihl" hinterlegte in der Folge beim eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum weitere für Papiere, Pappe, Karton usw. bestimmte Wortmarken, nämlich am 25. Mai 1963 die Zeichen ARTOSIL und MEDIASIL und am 20. März 1964 das Zeichen SECURSIL.
B.-
Die "Sihl" klagte am 23. August 1965 beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die AB Bonnierföretagen mit den Rechtsbegehren:
"1. Es sei festzustellen, dass die Beklagte das Recht der Klägerin an ihrem Firmennamen und Markenzeichen 'Sihl' verletzt und unlauteren Wettbewerb begeht, indem sie in der Schweiz die Bezeichnung
BGE 92 II 270 S. 273
'Cosil' für ihre Papiererzeugnisse, spez. für Verpackungszwecke, deren Verpackung sowie im geschäftlichen Verkehr, insbesondere auch in der Werbung (Inserate, Reklame, Geschäftsdrucksachen und dergleichen) selbst und durch Dritte gebraucht.
2. Es sei der Beklagten die Fortsetzung der unerlaubten Handlung gemäss Rechtsbegehren 1 zu untersagen und sie sei zu verpflichten, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen, alles unter der Androhung der Überweisung an den Strafrichter wegen Ungehorsams gemäss
Art. 292 StGB
zur Bestrafung mit Haft oder Busse im Falle der Zuwiderhandlung.
3. Es sei die Marke 'Cosil', Nr. 186198/1961, der Beklagten für Verpackungsmaterial, bestehend aus belegten und unbelegten Stoffen, nämlich Papier, Karton und anderen Fasermaterialien aus Zellulose, Kunstharzfilmen, Metallfolien und Laminaten daraus, ungültig zu erklären.
4. Es sei die Klägerin berechtigt zu erklären, das Urteilsdispositiv auf Kosten der Beklagten im Schweiz. Handelsamtsblatt und in drei von ihr zu wählenden Tages- bzw. Fachzeitschriften je einmal in angemessener Form zu veröffentlichen."
Am 18. Februar 1966 ersuchte die Beklagte das eidgenössische Amt für geistiges Eigentum, die Marke Nr. 186 198 mit der Warenangabe "beschichteter, kaltsiegelfähiger Hüllstoff" zu erneuern. Die Klägerin erklärte hierauf, sie ändere das Klagebegehren 3 dahin ab, dass sie es auf die neue Register nummer beziehe.
Das Handelsgericht wies am 9. März 1966 die Klage entspre chend dem Antrag der Beklagten ab.
C.-
Die Klägerin hat die Berufung erklärt. Sie beantragt, die Klage gutzuheissen, und zwar die Klagebegehren 1, 2 und 4 unverändert und das Klagebegehren 3 in folgender Fassung:
"3. Es sei die Marke 'Cosil' Nr. 186198/1961 der Beklagten für Verpackungsmaterial, bestehend aus belegten und unbelegten Stoffen, nämlich Papier, Karton und anderen Fasermaterialien aus Zellulose, Kunstharzfilmen, Metallfolien und Laminaten daraus, erneuert unter Nr. 216230/1966 mit abgeänderter Warenangabe: beschichteter, kaltsiegelfähiger Hüllstoff (IR-Kl. 17, 22, 24), ungültig zu erklären."
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beklagte hat das eidgenössische Amt für geistiges Eigentum im Verlaufe des kantonalen Verfahrens ersucht, die Marke Cosil nur noch für beschichteten kaltsiegelfähigen Hüllstoff einzutragen. Dieses Erzeugnis kann aus Papier bestehen,
BGE 92 II 270 S. 274
also aus einem Material, dessen Kennzeichnung auch die Marken der Klägerin dienen.
Art. 6 Abs. 3 MSchG
, wonach die Marken verschiedener Hinterleger sich nicht voneinander zu unterscheiden brauchen, wenn sie für gänzlich voneinander abweichende Erzeugnisse bestimmt sind, kommt daher der Beklagten nicht zugute. Sie beruft sich denn auch nicht auf diese Bestimmung.
2.
Die Klägerin hat die Marken mit dem Wort oder der Silbe Sihl eintragen lassen, bevor die Beklagte das Zeichen COSIL hinterlegte. Die Beklagte hält jedoch diese Marken der Klägerin nicht für schutzfähig, weil Sihl der Name des Flusses ist, an dem die Fabrik der Klägerin steht.
Zeichen, die als Gemeingut anzusehen sind, dürfen nicht in das Markenregister eingetragen werden und geniessen den gesetzlichen Schutz als Marken nicht (
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2,
Art. 3 Abs. 2 MSchG
). Als Gemeingut gelten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes unter anderem geographische Namen, soweit sie nicht offensichtlich als blosse Phantasiebezeichnungen verwendet werden, die nichts darüber aussagen, aus welcher Ortschaft oder Gegend die Ware kommt (z.B.
BGE 43 II 96
,
BGE 55 I 271
,
BGE 72 I 240
,
BGE 79 II 101
,
BGE 81 I 299
,
BGE 82 II 355
; vgl. auch
BGE 89 I 51
, 295, 301). Das Bundesgericht hat jedoch auch entschieden, dass ein die Herkunft kennzeichnender geographischer Name, der während langer Zeit nur von einem einzigen Unternehmer als Marke verwendet wird, die Natur eines Freizeichens verlieren und zum Individualzeichen des betreffenden Unternehmers werden kann (
BGE 55 I 271
,
BGE 59 II 212
,
BGE 82 II 355
f.). Wie es im Urteil vom 9. Oktober 1951 im Prozesse der Klägerin gegen die Silta Werke AG (
BGE 77 II 324
ff.) ausführte, hat gerade das Wort Sihl dank seiner selten langen und intensiven firmen-, marken- und wettbewerbsmässigen Ausnützung die Eigenschaft eines geläufigen Kennwortes für das Unternehmen der Klägerin und dessen Erzeugnisse erlangt.
Die Auffassung der Beklagten, die Klägerin habe infolge der seit 1951 eingetretenen Entwicklung ihre Sonderrechte an diesem Worte eingebüsst, hält offensichtlich nicht stand. Die Klägerin erneuerte ihre Marken mit dem Worte Sihl auch seither und schuf weitere Marken mit diesem Bestandteil. Die anderen Zeichen, die sie daneben gebraucht, schwächen seine Kennzeichnungskraft nicht ab. Unerheblich ist auch, dass längs des Flusses, an dem die Fabrik der Klägerin steht, noch andere
BGE 92 II 270 S. 275
Unternehmen niedergelassen sind, die das Wort oder die Silbe Sihl in der Firma führen; denn die Beklagte behauptet nicht, diese Unternehmen ständen mit der Klägerin im Wettbewerb.
Die Marken der Klägerin mit dem Worte oder der Silbe Sihl waren somit noch immer schutzfähig, als die Beklagte das Zeichen COSIL hinterlegte. Sie geniessen den Schutz auch heute noch, umso mehr, als die Klägerin die individualisierende Kraft des Wortes Sihl inzwischen noch erhöhte, indem sie laut Handelsregistereintrag vom 18. Juli 1962 ihre frühere Firma Zürcher Papierfabrik an der Sihl durch das vorangestellte "Sihl" ergänzte.
3.
Die Klägerin hält die Marke COSIL für ungültig, weil sie sich nicht durch wesentliche Merkmale von ihren Marken mit dem Worte oder der Silbe Sihl unterscheide (
Art. 6 Abs. 1 MSchG
).
Die Unterscheidbarkeit hängt vom Gesamteindruck ab, den die Marken, jede für sich betrachtet, in der Erinnerung des letzten Käufers der Ware hinterlassen (z.B.
BGE 46 II 183
,
BGE 47 II 234
,
BGE 48 II 140
und 299 Erw. 2,
BGE 50 II 76
f.,
BGE 52 II 166
,
BGE 58 II 455
Erw. 2,
BGE 61 II 56
Erw. 2,
BGE 77 II 334
Erw. 3,
BGE 78 II 380
,
BGE 79 II 222
Erw. 4,
BGE 82 II 233
,
BGE 83 II 220
Erw. 3,
BGE 84 II 445
,
BGE 87 II 36
,
BGE 88 II 378
, 467, 469,
BGE 90 II 48
).
Der schweizerische Käufer der Erzeugnisse der Klägerin wird beim Lesen oder Hören der Marke oder des Markenbestandteiles Sihl an den Fluss gleichen Namens erinnert. Gerade auf Erweckung dieser Vorstellung ging denn auch die Klägerin von Anfang an aus, indem sie den in ihrer Firma in der Wendung "Papierfabrik an der Sihl" vorkommenden Flussnamen zur Marke machte und später Wortmarken wie Sihl Mills und AN DER SIHL und die Wort- und Bild-Marken SIHLVALLEY, SIHL auf vier Wellenlinien und SIHL in der Mitte eines Flusses auf einem Wappen mit einem Schwan schuf. Die Marke COSIL besteht dagegen aus einem reinen Phantasiewort. Ob sie, wie die Beklagte geltend macht, auf den englischen Begriff coldsealing anspielt und damit andeutet, dass der Hüllstoff der Beklagten kalt versiegelt werde, kann offen bleiben. Jedenfalls erinnert sie auch nicht entfernt an den Fluss Sihl. Die Behauptung der Klägerin, dieser sei auf alten Karten mit Sil und Syl bezeichnet, ändert nichts. Die Klägerin hat sich diese Schreibweise in ihrer Firma und ihren Marken nie zu eigen gemacht, und den Durchschnittskäufern der Erzeugnisse der Parteien ist sie überhaupt
BGE 92 II 270 S. 276
nicht bekannt. Auch wer das Wort Cosil nur sprechen hört, denkt nicht an die Sihl. Der Flussname wird gedehnt und betont ausgesprochen, die Silbe sil dagegen kurz und in der Regel unbetont. Im übrigen schliesst die Silbe Co selbst dann, wenn "sil" betont wird, jeden gedanklichen Zusammenhang mit der Sihl aus, weil das Wort Cosil ein charakteristisches Ganzes bildet. Der Einwand der Klägerin, über die Silbe Co müsse hinweggesehen werden, weil sie als Abkürzung von Compagnie vorkomme und freigehalten werden müsse, ist abwegig.Auch die Auffassung, "Cosil" werde als "Co-Sihl" verstanden, weil "Co" wie z.B. in den Begriffen Copilot und Copräsident den Sinn von "mit" habe, hält nicht stand; kein Durchschnittskäufer von kaltsiegelfähigem Hüllstoff und dergleichen wird auf diesen Gedanken kommen. Dass das Bundesgericht "Silta" und "Sihl" als nicht genügend unterscheidbar erachtet hat (
BGE 77 II 324
ff.), ändert nichts. Im Worte Silta steht Sil als Hauptbestandteil am Anfang und kann die Endsilbe ta leicht als tal oder als Anspielung auf den Begriff Tal verstanden werden, womit der gedankliche Zusammenhang mit dem Sihltal und der sie durchfliessenden Sihl hergestellt ist. Vom Worte Cosil kann Ähnliches nicht gesagt werden. Eine Gefahr der Verwechslung mit der Marke oder dem Markenbestandteil Sihl besteht umsoweniger, als die Vorinstanz verbindlich feststellt, kaltsiegelfähiger Verpackungsstoff sei nicht für die grosse Masse des Volkes bestimmt, sondern nur für Grossverbraucher, Transporteure und dergleichen. Diese Geschäftsleute sind beim Einkaufen aufmerksamer als Personen, die an einem Marktstand oder in einem Warenhaus eine einzelne Sache von geringem Wert erstehen. Sie wissen übrigens in der Regel, aus welcher Fabrik die Ware stammt.
Die Klägerin behauptet denn auch nicht, dass jemals Verwechslungen vorgekommen seien. Sie dachte zunächst auch selber nicht an eine Verwechslungsgefahr, ging sie doch drei Jahre lang gegen die Beklagte nicht vor, obschon sie festgestelltermassen das Erscheinen neuer Marken mit dem Bestandteil sil laufend verfolgte. Ob dieses Zuwarten geradezu als Rechtsmissbrauch gewürdigt werden müsste, kann offen bleiben.
4.
Die Marke SYNTOSIL der Klägerin und die Marke COSIL der Beklagten haben den gleichen Bestandteil sil. Wie bereits ausgeführt, erinnert dieser aber nicht an den Fluss Sihl, dessen Name zum Individualzeichen für die Erzeugnisse der Klägerin
BGE 92 II 270 S. 277
geworden ist. Er ist eine blosse Endung, die für die Marke SYNTOSIL umso weniger charakteristisch ist, als nach der Feststellung des Handelsgerichtes auch viele Marken Dritter gleich enden, z.B. das für Waschmittel bestimmte Zeichen Persil. Es gibt sogar eine Marke für Reinigungsmittel, die nur aus dem Worte Sil besteht (Nr. 171 996). Als Endsilbe wäre diese Folge von Buchstaben selbst dann schwach - oder sogar Gemeingut -, wenn sie in der Papierindustrie als Nachbildung des englischen Wortes seal (= versiegeln oder verschliessen) verstanden werden sollte, also auf eine Beschaffenheit der Ware, auf deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung anspielen würde (vgl.
BGE 49 II 315
Erw. 2,
BGE 52 II 306
,
BGE 54 II 406
,
BGE 56 II 230
f.,
BGE 59 II 81
,
BGE 63 II 427
f.,
BGE 70 I 196
,
BGE 70 II 243
,
BGE 79 II 101
Erw. 2,
BGE 83 II 218
,
BGE 84 II 431
f.). An der Schwäche des Bestandteiles sil ändert auch der Umstand nichts, dass die Klägerin noch die Marken ARTOSIL, MEDIASIL und SECURSIL führt. Da diese drei Zeichen erst nach der Marke COSIL hinterlegt wurden, müssen sie hier ausser Betracht bleiben. Die Klägerin steht also nicht als Inhaberin von Serienmarken mit dem Bestandteil sil da, der für ihre Erzeugnisse, und nur gerade für sie, charakteristisch wäre.
Angesichts der Schwäche der Endsilbe können die Marken SYNTOSIL und COSIL, als Ganzes betrachtet, von den Käufern kaltsiegelfähiger Hüllstoffe und ähnlicher Erzeugnisse nicht verwechselt werden. Erstere besteht aus drei, letztere nur aus zwei Silben, und der hervorstechende Bestandteil Synto der einen weicht vom Bestandteil Co der anderen im Schriftbild und im Klang so stark ab, dass auch die Verbindung mit der gemeinsamen Endsilbe sil in der Erinnerung der Kunden nicht den Eindruck hinterlassen kann, die beiden Marken seien identisch oder gehörten dem gleichen Fabrikanten. Wie das Handelsgericht feststellt, hat denn auch die Klägerin nicht behauptet, die Marken SYNTOSIL und COSIL könnten verwechselt werden. Auch in der Berufung macht sie nicht geltend, die Verwechslungsgefahr bestehe selbst dann, wenn die Silbe sil die Gedanken nicht auf den Flussnamen Sihl und damit auf die Klägerin und ihre Erzeugnisse lenke.
5.
Da sich das Zeichen COSIL unter dem Gesichtspunkt der
Art. 6 und 24 lit. c MSchG
von den Marken der Klägerin genügend unterscheidet, kann sein markenmässiger Gebrauch auch nicht dem
Art. 1 UWG
, besonders Abs. 2 lit. d, widersprechen;
BGE 92 II 270 S. 278
denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes darf die Verwendung einer Marke nicht als Verstoss gegen Treu und Glauben gewürdigt werden, wenn das Markenschutzgesetz sie als erlaubt erachtet (
BGE 73 II 136
).
6.
Soweit die Beklagte das Zeichen COSIL nicht auf der Ware oder ihrer Verpackung anbringen, sondern anderswie im geschäftlichen Verkehr verwenden lässt, besonders in der Werbung, kann sie von vornherein nicht nach dem Markenschutzgesetz belangt werden. Dagegen unterstehen diese Handlungen dem Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb.
Wenn die Beklagte ihren kaltsiegelfähigen Hüllstoff im Geschäftsverkehr als Cosil bezeichnet, handelt sie diesem Gesetz jedoch nicht zuwider. Insbesondere trifft sie damit nicht im Sinne des
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
eine Massnahme, die bestimmt oder geeignet wäre, Verwechslungen mit den Waren oder dem Geschäftsbetrieb der Klägerin herbeizuführen. Das Wort Cosil enthält auch hier, wo es hin und wieder nur mündlich oder telephonisch mitgeteilt werden mag und daher allenfalls weniger deutlich in Erscheinung tritt als bei markenmässiger Verwendung, keine Anspielung auf den die Erzeugnisse und den Geschäftsbetrieb der Klägerin individualisierenden Flussnamen Sihl. Selbst wenn jemand die Silbe sil gedehnt und betont ausspricht, unterscheidet sich das Wort Cosil genügend von Sihl. Der Hüllstoff der Beklagten wird nur von Geschäftsleuten gekauft, also von Personen, die in erhöhtem Masse darauf achten, welches Erzeugnis sie bestellen und von wem es fabriziert wird. Dazu kommt, dass die Vorinstanz verbindlich feststellt, die Klägerin geniesse ihren Ruf nur als Herstellerin von Feinwaren (Schreibpapieren und dergleichen), nicht auch von Packpapieren. Umso weniger ist zu befürchten, dass sie wegen ihrer Firma, ihrer Sihl-Marken oder ihrer Marke Syntosil als Lieferantin von Cosil angesehen werde.
7.
Die Klägerin will auch feststellen lassen, die Beklagte habe ihr Recht am Firmennamen Sihl verletzt.
Ein Eingriff in das Recht auf ausschliesslichen Gebrauch ihrer Firma (
Art. 956 OR
) liegt schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte das Wort Cosil nicht als Firma, sondern nur zur Bezeichnung eines Erzeugnisses verwendet hat. Dagegen könnte an sich trotz dieses Umstandes eine Namensanmassung (
Art. 29 Abs. 2 ZGB
) oder eine Verletzung in den persönlichen Verhältnissen (
Art. 28 ZGB
) vorliegen (
BGE 44 II 85
f.,
BGE 63 II 75
BGE 92 II 270 S. 279
Erw. 2,
BGE 72 II 188
Erw. 6,
BGE 76 II 93
,
BGE 77 II 327
,
BGE 80 II 140
,
BGE 91 II 19
). Dass die Firma der Klägerin nicht ausschliesslich aus dem Worte Sihl besteht, ändert nichts. Schon in der bis am 18. Juli 1962 gültigen Fassung "Zürcher Papierfabrik an der Sihl" war dieses Wort ein Hauptbestandteil. Die Anmassung eines solchen kann
Art. 29 ZGB
widersprechen (
BGE 44 II 86
f.,
BGE 82 II 342
Erw. 3,
BGE 90 II 319
). Allerdings folgt daraus nicht, dass die Klägerin ein ausschliessliches Recht auf den Gebrauch des Wortes Sihl habe. Trotz der individualisierenden Kraft, die es zugunsten des Unternehmens und der Erzeugnisse der Klägerin erlangt hat, ist es in dem Sinne Gemeingut geblieben, dass jedermann es als geographische Bezeichnung verwenden darf. Wer das tut, masst sich den Namen der Klägerin nicht an und verletzt die Klägerin auch nicht in den persönlichen Verhältnissen (vgl.
BGE 58 II 314
,
BGE 90 II 319
).
Die Beklagte gebraucht das Wort Cosil nicht im Sinne eines geographischen Begriffes, sondern zur Bezeichnung eines Erzeugnisses. Trotzdem kann von einer Namensanmassung oder einer Verletzung in den persönlichen Verhältnissen nicht die Rede sein, weil das erwähnte Wort nicht einmal entfernt an Sihl erinnert. Die Auffassung der Klägerin, unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Namens komme nichts darauf an, ob man Sihl oder Sil schreibe, wie der Fluss früher bezeichnet worden sein soll, hält nicht stand. Die Klägerin hat nur die Schreibweise Sihl in ihre Firma aufgenommen und kann sich daher unter dem Gesichtspunkt des Namens- und Persönlichkeitsschutzes nur auf sie berufen. Auch das Argument, die Kennzeichnungskraft des Firmenbestandteils Sihl werde durch die Verwendung des Wortes Sil geschwächt, hilft der Klägerin nicht, denn die Beklagte nennt ihr Erzeugnis nicht Sil, sondern Cosil.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 9. März 1956 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
57c1dfd1-b63f-4d06-8813-99657021c07f | Urteilskopf
115 Ib 88
10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Mai 1989 i.S. X. und Mitbeteiligte gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Bundesgesetz zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 3. Oktober 1975 (BG-RVUS); aufschiebende Wirkung der Einsprache nach
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
.
Auslegung des
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
, welcher die Frage der aufschiebenden Wirkung der Einsprache regelt. Die Vorschrift ist im gleichen Sinne zu interpretieren wie die entsprechende Bestimmung des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (
Art. 24 Abs. 3 IRSG
). | Sachverhalt
ab Seite 88
BGE 115 Ib 88 S. 88
Das Justizdepartement der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) stellte am 16. Dezember 1988 beim Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) gestützt auf den Rechtshilfevertrag Schweiz/USA vom 25. Mai 1973 und die Vereinbarung vom 10. November 1987 zwischen der Schweiz und den USA betreffend Rechtshilfe in ergänzenden Verwaltungsverfahren bei Insider-Untersuchungen ein Begehren um Rechtshilfe in einer Untersuchung, welche die Securities and Exchange Commission wegen Verdachts von Insider-Geschäften im Zusammenhang mit dem Kauf und Verkauf von Aktien der Firma T. führt. Die USA verlangen, es seien bei bestimmten Banken in der Schweiz Erhebungen über Konten vorzunehmen, über die sich die betreffenden Geschäfte abgewickelt hätten, die entsprechenden Belege seien herauszugeben, und es seien Zeugen einzuvernehmen. Aufgrund des Ersuchens ordnete das BAP am 19. Dezember 1988 in Anwendung von Art. 8 Abs. 1
BGE 115 Ib 88 S. 89
des Bundesgesetzes zum Rechtshilfevertrag mit den USA vom 3. Oktober 1975 (BG-RVUS) an, dass die bei der Schweizerischen Volksbank in Zürich oder Lugano befindlichen Konten, die im Ersuchen ausdrücklich erwähnt seien oder den im Ersuchen genannten (Juristischen) Personen gehörten, "ab sofort und bis zum Abschluss des Rechtshilfeverfahrens im Umfang der unzulässigen Gewinne gesperrt" seien. Gegen diese vorsorgliche Massnahme wurde keine Einsprache erhoben.
Mit Schreiben vom 27. Januar 1989 übermittelte das BAP das amerikanische Rechtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich zuhanden der Bezirksanwaltschaft Zürich. Es führte in dem Schreiben aus, das Ersuchen entspreche den Formerfordernissen des RVUS und sei nicht offensichtlich unzulässig. Der im Begehren geschilderte Sachverhalt betreffe das Ausnützen der Kenntnis vertraulicher Tatsachen, welche Handlung nach schweizerischem Recht gemäss
Art. 161 StGB
strafbar sei. Die Bedeutung der Tat rechtfertige die Anwendung von Zwangsmassnahmen. Die Staatsanwaltschaft werde daher ersucht, für den Vollzug der im Ersuchen verlangten Handlungen besorgt zu sein.
Am 9. Februar 1989 erhoben X. und Mitbeteiligte, deren Konten bei der Schweizerischen Volksbank in Lugano aufgrund der vom BAP in Anwendung von
Art. 8 Abs. 1 BG-RVUS
getroffenen Anordnung gesperrt worden waren, gegen die Anordnungen des BAP vom 27. Januar 1989 Einsprache. Sie beantragten, es sei dieser aufschiebende Wirkung zu erteilen. Das BAP stellte mit Zwischenverfügung vom 10. März 1989 fest, dass die betreffende Einsprache keine aufschiebende Wirkung habe.
Gegen diese Verfügung haben X. und Mitbeteiligte Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintreten kann.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführer rügen, das BAP habe
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
unrichtig ausgelegt, indem es festgestellt habe, dass der von ihnen gegen die Anordnungen des BAP vom 27. Januar 1989 erhobenen Einsprache keine aufschiebende Wirkung zukomme.
a) Gemäss
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
hat die Einsprache aufschiebende Wirkung, ausgenommen, es sei Gefahr im Verzuge oder der vom Einsprecher geltend gemachte Nachteil könne erst infolge der Übermittlung der Vollzugsakten an die amerikanischen
BGE 115 Ib 88 S. 90
Behörden eintreten. Das BAP stützte sich bei der Auslegung dieser Vorschrift auf die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichts (
BGE 115 Ib 65
ff.) zur Frage des Suspensiveffektes der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach
Art. 17 Abs. 5 BG-RVUS
, welcher vorsieht, dass die Beschwerde - abgesehen von derjenigen gegen vorsorgliche Massnahmen - aufschiebende Wirkung hat. In der Präsidialverfügung wurde ausgeführt, diese Vorschrift sei im gleichen Sinne auszulegen wie Art. 21 Abs. 4 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG), nach welcher Bestimmung die Beschwerde gegen einen Entscheid, der die Erteilung von Auskünften aus dem Geheimbereich bewilligt, in Abweichung von
Art. 111 Abs. 2 OG
aufschiebende Wirkung hat. Entsprechend der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu
Art. 21 Abs. 4 IRSG
(
BGE 113 Ib 259
und 267 f. E. 4b) müsse
Art. 17 Abs. 5 BG-RVUS
so verstanden werden, dass nur jenen Beschwerden von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukomme, die sich gegen Entscheide richteten, welche die Weiterleitung von Auskünften oder Dokumenten an den ersuchenden Staat bewilligten oder den Vollzug von Massnahmen anordneten, bei dem solche Auskünfte dem ersuchenden Staat zur Kenntnis gelangten. Das BAP vertrat in der angefochtenen Verfügung die Ansicht, in derselben Weise müsse auch
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
interpretiert werden. Es hielt gestützt auf diese Auslegung fest, bei den hier in Frage stehenden Massnahmen gehe es noch in keiner Weise um die Weiterleitung von Auskünften oder Dokumenten aus dem Geheimbereich der Einsprecher an den ersuchenden Staat. Auch gehe im vorliegenden Fall das Interesse daran, dass das Rechtshilfeverfahren seinen Fortgang nehmen könne, dem Interesse der Einsprecher an der Wahrung des Bankgeheimnisses vor. Aus diesen Gründen gelangte das BAP zum Schluss, dass die von den Beschwerdeführern eingereichte Einsprache keine aufschiebende Wirkung habe.
b) Die Beschwerdeführer machen geltend, eine solche Auslegung des
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
halte "weder vor dem Gesetzeswortlaut noch vor den Materialien zu dieser Bestimmung stand". Der Wortlaut der Vorschrift sei klar und unmissverständlich. Danach komme einer Einsprache - abgesehen von zwei Ausnahmefällen - immer Suspensivwirkung zu. Dies müsse, entgegen der Ansicht des BAP, auch im vorliegenden Fall gelten, sei doch weder Gefahr im Verzug, noch könnten die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Nachteile erst infolge der
BGE 115 Ib 88 S. 91
Übermittlung der Vollzugsakten an die amerikanischen Behörden eintreten. Aus dem Materialien zu
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Suspensivwirkung nur jenen Beschwerden habe zuerkennen wollen, die sich gegen Entscheide richten, mit welchen die Weiterleitung von Auskünften oder Dokumenten an den ersuchenden Staat bewilligt wurde. Hätte er dies gewollt, so hätte er
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
auch entsprechend formuliert. Dass das nicht geschehen sei, lasse darauf schliessen, dass der Gesetzgeber die vom BAP vorgenommene Unterteilung von Beschwerden "eben gerade nicht" gewollt habe. Eine grammatikalische und systematische Auslegung von
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
führe jedenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Auch eine teleologische Interpretation der Bestimmung führe zum Schluss, dass Einsprachen im Sinne von
Art. 16 BG-RVUS
- abgesehen von zwei Ausnahmefällen - immer aufschiebende Wirkung hätten, denn der Zweck dieser Vorschrift bestehe darin, dem von einer Rechtshilfehandlung Betroffenen einen minimalen Rechtsschutz zu gewähren; insbesondere sollten keine Vollzugsmassnahmen erfolgen, solange über die Zulässigkeit der Gewährung der Rechtshilfe noch kein rechtskräftiger Entscheid vorliege.
c) Sowohl das BG-RVUS als auch das IRSG sehen vor, dass gegen Anordnungen der Zentralstelle bzw. des BAP das Rechtsmittel der Einsprache zulässig ist. Hinsichtlich des Suspensiveffektes des Rechtsmittels bestimmt
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
, die Einsprache habe "aufschiebende Wirkung, ausgenommen, es sei Gefahr im Verzuge oder der vom Einsprecher geltend gemachte Nachteil könne erst infolge der Übermittlung der Vollzugsakten an die amerikanischen Behörden eintreten". Demgegenüber hat nach
Art. 24 Abs. 3 IRSG
die Einsprache "nur aufschiebende Wirkung, wenn der Vollzug der Anordnung für den Einsprecher einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte oder wenn andere wichtige Gründe es rechtfertigen". Der Wortlaut der beiden Vorschriften ist zwar unterschiedlich. Indessen verfolgen die Bestimmungen den gleichen Zweck; sie wollen beide den von einer Anordnung des BAP Betroffenen vor dem Vollzug derselben schützen. Schon das legt es nahe,
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
und
Art. 24 Abs. 3 IRSG
im gleichen Sinne zu interpretieren. Hinzu kommt, dass eine gleichförmige Auslegung der beiden Vorschriften dem Willen des Gesetzgebers entspricht, wie sich den Materialien zum IRSG deutlich entnehmen lässt. In den Erläuterungen zu Art. 20 des Entwurfs für ein IRSG, dessen Absatz 3
BGE 115 Ib 88 S. 92
hinsichtlich der Frage des Suspensiveffektes der Einsprache wörtlich mit dem heutigen
Art. 24 Abs. 3 IRSG
übereinstimmt, wird ausdrücklich festgestellt, die Regelung der Einsprache entspreche im wesentlichen der Ordnung im Bundesgesetz zum Rechtshilfevertrag mit den USA (Botschaft des Bundesrates zum IRSG vom 8. März 1976, BBl 1976 II S. 480). Nach dem Grundsatz, dass das jüngere Recht dem früher erlassenen vorgeht (lex posterior derogat legi priori), ist bei der Auslegung der genannten Vorschriften vom Wortlaut des
Art. 24 Abs. 3 IRSG
als der später erlassenen Bestimmung auszugehen, auch wenn an sich das IRSG ein allgemeines, das BG-RVUS hingegen ein spezielles Gesetz ist, das sich nur auf einen bestimmten Staatsvertrag bezieht (vgl.
BGE 96 I 490
f. E. 4 und ferner
BGE 113 Ib 85
f., in welchem Fall das Bundesgericht bereits
Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS
im Sinne der entsprechenden Bestimmung des IRSG - Art. 21 Abs. 3 - ausgelegt hat). Gemäss
Art. 24 Abs. 3 IRSG
hat die Einsprache gegen eine vom BAP getroffene Anordnung nur dann von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung, "wenn der Vollzug der Anordnung für den Einsprecher einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte oder wenn andere wichtige Gründe es rechtfertigen". Abgesehen vom Fall, in dem Gefahr im Verzug ist, hat die Einsprache nach dem Sinn des
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
keine aufschiebende Wirkung, solange mit der fraglichen Anordnung nicht der Weg für die Bekanntgabe der Auskünfte an die amerikanischen Behörden geöffnet ist; erst dann kann von einem im Sinne des
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
beachtlichen Nachteil gesprochen werden. Unter dem Gesichtspunkt der
Art. 24 Abs. 3 IRSG
und 16 Abs. 4 BG-RVUS kann von einem nicht wieder gutzumachenden Nachteil, den der Vollzug einer vom BAP getroffenen Anordnung für den Einsprecher bewirken könnte, nur dann die Rede sein, wenn der Vollzug der Anordnung für sich allein genügt, um Auskünfte aus dem Geheimbereich des Einsprechers dem ersuchenden Staat zur Kenntnis zu bringen. Das ist in der Regel erst dann der Fall, wenn das BAP gestützt auf die betreffende Anordnung nach Eintritt der Rechtskraft ohne weiteres, d.h. ohne dass es einer zusätzlichen Verfügung seitens der kantonalen Behörde bedarf, die vom ersuchenden Staat verlangten Auskünfte, Dokumente oder Vermögenswerte an diesen weiterleiten kann (vgl.
Art. 13 BG-RVUS
und
Art. 83 IRSG
über den Abschluss des Rechtshilfeverfahrens). Ein irreparabler Nachteil liegt somit nicht schon dann vor, wenn das BAP nach Eingang des Rechtshilfeersuchens und Prüfung der
BGE 115 Ib 88 S. 93
Eintretensvoraussetzungen gemäss
Art. 78 Abs. 1 IRSG
und
Art. 10 BG-RVUS
das Ersuchen samt Unterlagen an die kantonale Behörde zur Ausführung bzw. Vornahme der im Ersuchen verlangten Handlungen weiterleitet. Es ist klar, dass das BAP allein gestützt auf diese sogenannte Eröffnungsverfügung nicht in der Lage ist, Auskünfte oder Dokumente dem ersuchenden Staat zu übermitteln, liegen doch die sogenannten Vollzugsakten (vgl.
Art. 83 Abs. 2 IRSG
und
Art. 13 Abs. 3 BG-RVUS
) noch gar nicht vor. Bei der hier in Frage stehenden Anordnung des BAP vom 27. Januar 1989, gegen welche die Beschwerdeführer Einsprache erhoben haben, handelt es sich um eine solche Eröffnungsverfügung. Das BAP überwies der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich zuhanden der Bezirksanwaltschaft Zürich das amerikanische Rechtshilfeersuchen in Sachen T. mit der Bitte, für den Vollzug der im Ersuchen verlangten Untersuchungshandlungen besorgt zu sein. Wie dargelegt wurde, ist die Eröffnungsverfügung keine Anordnung, deren Vollzug für den Einsprecher einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte. Die Beschwerdeführer legten in ihrer Einsprache vom 9. Februar 1989 dar, weshalb ihrer Ansicht nach die betreffenden Anordnungen des BAP für sie irreversible Nachteile bewirken könnten. Sie machten in erster Linie geltend, sie würden dadurch, dass die kantonale Behörde Erhebungen über ihre Bankkonten vornehme, als Bankkunden in Misskredit geraten. Das ist an sich wenig überzeugend, und auf jeden Fall kann darin kein irreparabler Nachteil im Rechtssinn gesehen werden. Im weiteren brachten die Beschwerdeführer vor, es entständen ihnen auch prozessuale Nachteile, wenn der Einsprache keine aufschiebende Wirkung beigelegt werde, denn in einem solchen Fall würden sie Gefahr laufen, dass die kantonale Behörde "Nachforschungen (betreffend Angelegenheiten ihrer Privatsphäre)" anstellten, "ohne dass ihnen vorgängig ihr rechtliches Gehör gewährt" werde. Auch diese Argumentation ist unbehelflich. Die Beschwerdeführer werden dadurch, dass Auskünfte aus ihrem Geheimbereich an die schweizerischen Rechtshilfebehörden erteilt werden, nicht in ihren Interessen beeinträchtigt, da diese Behörden an das Amtsgeheimnis gebunden sind. Ein irreparabler Nachteil wäre für die Beschwerdeführer erst dann gegeben, wenn die kantonale Ausführungsbehörde eine Anordnung träfe, bei deren Vollzug Auskünfte aus dem Geheimbereich dem ersuchenden Staat zur Kenntnis gelangen würden (z.B. Anordnung der Einvernahme eines Zeugen oder der Sichtung der
BGE 115 Ib 88 S. 94
eingelegten Bankakten in Gegenwart von Vertretern des ersuchenden Staates). Eine derartige Anordnung der kantonalen Behörde steht hier nicht in Frage.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das BAP
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
nicht unrichtig ausgelegt hat, wenn es die Ansicht vertrat, es liege hier kein Fall vor, in welchem der Einsprache gegen eine Anordnung des BAP von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukomme. Der angefochtene Zwischenentscheid verstösst daher nicht gegen Bundesrecht. Die vorliegende Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
57c53e26-9b29-4547-ac43-68445c80dda9 | Urteilskopf
89 I 499
70. Arrêt du 4 octobre 1963 dans la cause Recordon contre commission vaudoise de recours en matière d'impôt. | Regeste
Militärpflichtersatz.
Dauer der Ersatzpflicht der Wehrpflichtigen, deren Aushebung auf Grund des BRB vom 18. September 1939 um ein Jahr vorgeschoben worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 499
BGE 89 I 499 S. 499
A.-
Pendant la seconde guerre mondiale - comme pendant la première du reste - le recrutement a été avancé d'une année en vertu de l'art. 201 OM, de sorte que les hommes y furent appelés, par exception à l'art. 4 al. 2 OM, au cours de l'année où ils atteignirent l'âge de 18 ans; par exception à l'art. 2 al. 1 OM, ils furent astreints au service dans une école de recrues au cours de l'année où ils atteignirent l'âge de 19 ans.
C'est pourquoi Recordon, né en 1925, a servi comme recrue en 1944. Il entra, par la suite, au service des CFF, fut dispensé du service personnel en vertu de l'art. 13 ch. 6 OM et, partant, astreint au paiement de la taxe. Après avoir payé la taxe entière de 1945 à 1960, comme cela est prévu pour les hommes en âge de servir dans
BGE 89 I 499 S. 500
l'élite, il demanda, en 1961, une réduction de la taxe aux deux sixièmes en vertu de l'art. 14 lit. b LTM, parce que, disait-il, dès lors qu'il avait été astreint au service personnel une année avant l'âge normalement prévu, il devait aussi être versé dans la landwehr une année plus tôt.
Il fut débouté, en dernier lieu par la Commission vaudoise de recours en matière d'impôt, le 8 mai 1963, en bref par les motifs suivants:
Selon les art. 35 et 37 OM, le passage dans la landwehr a lieu le 31 décembre de l'année où le militaire a accompli sa 36e année. La loi ne prévoit aucune exception. Le recourant se trouve dans la même situation que tous les autres hommes astreints au paiement de la taxe d'exemption, qui doivent payer cet impôt en entier jusqu'à la fin de leur 36e année, même s'ils ont fait leur service comme recrues à 19 ans déjà.
B.-
Recordon a formé un recours de droit administratif; il y renouvelle sa demande pour lui-même d'abord et pour tous ceux qui se trouvent dans son cas. Il allègue en résumé ce qui suit:
La décision entreprise constitue une injustice flagrante à l'égard des contribuables qui ont servi comme recrues à 19 ans déjà. Les militaires doivent suivre huit cours de répétition en élite, qu'ils aient été à l'école de recrues alors qu'ils avaient 20 ou 19 ans, peu importe. En revanche, ceux qui se trouvent dans le second de ces cas doivent éventuellement payer la taxe pendant 17 ans, les autres pendant 16 seulement. Depuis longtemps les circonstances spéciales qui, durant la guerre, ont justifié le recrutement des hommes une année plus tôt n'existent plus; on appelle néanmoins encore des hommes pour l'école de recrues à 19 ans déjà. Cet avancement du service personnel dans l'intérêt du Département militaire fédéral ne doit pas entraîner une inégalité dans l'imposition.
C.-
La Commission vaudoise de recours et l'Administration fédérale des contributions concluent au rejet du recours.
BGE 89 I 499 S. 501
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recourant déclare agir pour lui-même et pour tous ceux qui se trouvent dans son cas. Mais il n'a qualité pour recourir que dans la mesure où la décision entreprise l'intéresse comme partie ou le lèse dans ses droits (art. 103 al. 1 OJ). Il n'est pas recevable à recourir pour autrui, contre une décision qui ne concerne directement que lui seul.
2.
L'art. 14 LTM répartit les contribuables en deux classes d'âge; en élite, ils paient la taxe entière, en landwehr deux sixièmes seulement (sous réserve de l'augmentation prévue à l'art. 21, qui n'est pas litigieuse en l'espèce, et des réductions qu'accordent les
art. 15 à 19
). La loi sur l'organisation militaire définit les termes "élite" et "landwehr"; selon son art. 35 (teneur du 1er avril 1949), le service dans l'élite dure de la 20e jusqu'à la 36e année, le service dans la landwehr, de la 37e jusqu'à la 48e année. Selon l'art. 37, le passage d'une classe à l'autre se fait le 31 décembre de l'année où le militaire atteint l'âge maximal prévu pour la classe considérée.
Il suit de là que le recourant, né en 1925, a passé, le 31 décembre 1961, de l'élite dans la landwehr et doit la taxe entière pour l'année 1961. Cette réglementation est claire et impérative; elle lie aussi bien le Tribunal fédéral que la Commission cantonale de recours. Elle ne prévoit notamment aucune exception pour les contribuables qui, conformément à l'ACF du 18 septembre 1939, ont été recrutés une année d'avance et ont servi comme recrues, une année avant l'âge normal. Il en a été de même sous l'empire de la réglementation analogue, promulguée pendant la première guerre mondiale (arrêt du 13 février 1936 en la cause Curchod, non publié).
3.
Les moyens élevés par le recourant ne sauraient justifier une autre solution. Les allégations de fait sur lesquelles ils se fondent ne sont du reste pas exactes.
BGE 89 I 499 S. 502
Le recrutement une année avant l'âge normal, ordonné, en vertu de l'art. 201 OM, par le Conseil fédéral et respectivement, en vertu d'une délégation de pouvoirs, par le général, pendant les années de guerre, a prolongé d'une année les obligations militaires de tous les hommes qu'il a touchés; tel est le cas aussi bien pour les hommes soumis à la taxe d'exemption que pour les hommes astreints au service personnel. Manifestement, cette mesure était justifiée au moment où on l'a prise; le recourant lui-même ne le conteste pas, du reste. Elle a sorti immédiatement ses effets, même pour les hommes astreints au paiement de la taxe; lorsqu'elle a été rapportée, les hommes qu'elle avait atteints se sont trouvés dans la même situation que tous ceux qui sont soumis aux obligations militaires. Ils appartiennent à l'élite ou à la landwehr, soit aux classes correspondantes pour le paiement de la taxe jusqu'à ce qu'ils aient accompli leur 36e et leur 48e année.
La prolongation des obligations militaires entraîne, il est vrai, pour ceux qu'elle touche, un total de prestations plus élevé. Mais c'est là une conséquence de l'avancement, pendant la guerre, de l'âge normal où débute l'obligation de faire le service personnel ou de payer la taxe. Ceux qui en ont été les plus atteints sont les hommes astreints au service personnel qui ont été appelés au service actif; par comparaison, les hommes assujettis au paiement de la taxe d'exemption n'ont vu leurs charges augmenter que beaucoup moins; il ne se justifierait pas de réduire la durée de leurs obligations. Sans doute ceux de la première de ces catégories n'ont-ils pas été appelés à faire du service personnel pendant les dernières années de leur appartenance à l'élite et respectivement à la landwehr. Mais, tant qu'ils appartenaient à l'une des classes d'âge de l'armée, ils restaient à disposition pour les périodes de service que ces classes auraient dû éventuellement accomplir. Cette charge aussi se compense par le paiement de la taxe d'exemption.
Enfin, le recourant se trompe lorsqu'il affirme qu'aujourd'hui
BGE 89 I 499 S. 503
encore, des militaires de 19 ans seraient appelés à l'école de recrues et pourraient, de ce fait, être astreints, le cas échéant, à payer la taxe pendant une année de plus. Selon l'art. 2 al. 2 OM, des jeunes gens peuvent demander à entrer dans l'armée avant l'âge légal. Mais ils ne peuvent néanmoins être soumis au paiement de la taxe avant leur 20e année, car le service à l'école de recrues, accompli pendant la 19e année, vaut comme service accompli pendant la 20e (v. ch. 3. 4. des instructions provisoires de l'Administration fédérale des contributions, du 20 juin 1962).
Dispositiv
Par ces motifs, le Triunal fédéral
Rejette le recours dans la mesure où il est recevable. | public_law | nan | fr | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
57c66eb1-3472-43e6-a2c9-923c70d25e21 | Urteilskopf
99 Ib 351
44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. November 1973 i.S. A. gegen Staatsrat des Kantons Freiburg. | Regeste
Art. 43 StGB
; Massnahmen an geistig Abnormen.
1. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist zulässig gegen einen Entscheid des Staatsrates des Kantons Freiburg, der eine Verfügung des Strafvollzuges sein will (Erw. 1).
2. Der Vollzug einer Verwahrung gemäss
Art. 43 StGB
muss sich auf eine gültige richterliche Anordnung dieser Massnahme stützen (Erw. 3).
3. Anspruch auf rechtliches Gehör beim Vollzug einer Massnahme, deren Anordnung längere Zeit zurückliegt (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 351
BGE 99 Ib 351 S. 351
A.-
In der Nacht vom 30. September 1968 legte A. in einem Abfalldepot in Murten Feuer oder liess es durch einen Dritten legen.
Am 1. Dezember 1970 stellte die Anklagekammer des Kantonsgerichts Freiburg die gegen A. wegen Brandstiftung, eventuell wegen Anstiftung hierzu eröffnete Strafuntersuchung ein und leitete die Akten "im Hinblick auf eine administrative
BGE 99 Ib 351 S. 352
Verwahrung in einer Heil- oder Pflegeanstalt" an den Staatsrat des Kantons Freiburg weiter. Sie stützte sich auf ein psychiatrisches Gutachten vom 4. November 1970 von Dr. X. des kantonalen psychiatrischen Spitals Marsens, das A. wegen Schizophrenie ("processus schizophrénique simple") als unzurechnungsfähig erklärte und empfahl, ihn zu entmündigen und unter ständige ärztliche Kontrolle zu stellen. Die Anklagekammer stellte fest, die Absicht von A., das Abfalldepot in ein Wohnhaus umzuwandeln und die Abfälle mit Hilfe eines Brandes zu beseitigen, hätte ganz seinen krankhaften Ideen entsprochen.
B.-
Gestützt auf Berichte von Dr. X. vom 20. Dezember 1971 und von Dr. Z. vom 14. November 1972, die eine ambulante ärztliche Kontrolle ohne Hospitalisierung für angemessen hielten, sah der Staatsrat ohne formellen Entscheid zunächst von einer Anstaltseinweisung ab. Im Frühjahr 1973 geriet A. wegen Entzuges von Autoschildern mit der Polizei von Murten in Konflikt. Wegen "unreglementärem Vorgehen, Verweigerung von Aussagen und handgreiflicher Abweisung" verzeigte er am 9. April 1973 die Polizei und Unbekannt beim Oberamt Seebezirk. Ein gegen ihn eingeleitetes Strafverfahren wegen Nachtlärm und Ruhestörung gemäss Art. 11 EG StGB für den Kanton Freiburg stellte der Untersuchungsrichter am 5. Juli 1973 wegen Unzurechnungsfähigkeit von A. ein.
Aufgrund des Gutachtens vom 4. November 1970, des Beschlusses der Anklagekammer vom 1. Dezember 1970 und der Vorfälle von 1973 verfügte der Staatsrat am 25. Juni 1973, A. werde für unbestimmte Dauer im kantonalen psychiatrischen Spital von Marsens interniert, aus dem er nur unter Vorbehalt des positiven Vorentscheides der medizinischen Direktion von Marsens bedingt entlassen werden könne. Unter Umständen könne er in die Klinik von Münchenbuchsee überführt werden. Der Beschluss wurde am 3. Juli 1973 ohne ordnungsgemässe Eröffnung an den Betroffenen und ohne Benachrichtigung der Angehörigen vollzogen.
C.-
A. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der Staatsratsbeschluss vom 25. Juni 1973 sei aufzuheben. Er rügt, er sei nie angehört und der Entscheid sei nicht ordnungsgemäss eröffnet worden. Er habe unter regelmässiger ambulanter Behandlung gestanden, so dass nicht die geringste Gemeingefahr vorgelegen habe. Das psychiatrische Gutachten,
BGE 99 Ib 351 S. 353
auf das sich der Staatsrat stütze, liege bald drei Jahre zurück. Die Internierung und das Vorgehen der Polizei überschritten in krasser Weise das Ermessen.
D.-
Im Namen des Staatsrates beantragt der Staatsanwalt, die Beschwerde abzuweisen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement schliesst auf Gutheissung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Es fragt sich, ob der vorliegende Beschluss des Staatsrates mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann. Zu prüfen ist somit, ob dieser Beschluss eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwG und
Art. 97 ff. OG
ist.
Der Staatsrat ist eine Verwaltungsbehörde. Diese stützt ihren Beschluss:
"auf die früheren Art. 14 und 17 des schweiz. Strafgesetzbuches und 27 der Vollzugsverordnung des StGB, vom 7. Februar 1940; auf Art. 43 des neuen StGB;
auf den medizinischen Bericht des psychiatrischen Spitals von Marsens, vom 4. November 1970;
auf den Urteilsspruch der Anklagekammer des Kantonsgerichtes, vom 1. Dezember 1970;
auf die Akten."
Unter dieser "Vollzugsverordnung des StGB" ist in Wirklichkeit das "Einführungsgesetz zum Schweizerischen Strafgesetzbuch für den Kanton Freiburg vom 7. Februar 1940" gemeint. Dessen Art. 27 lautet:
"Der Staatsrat ist die zuständige Behörde für den Vollzug der Verwahrung und Versorgung von Unzurechungsfähigen oder vermindert Zurechnungsfähigen (Art. 17 des Schweizerischen Strafgesetzbuches)."
In der Vernehmlassung führt der Staatsanwalt im Namen des Staatsrates aus:
"Der Entscheid des Staatsrates basiert auf alt Art. 14 bzw. 17 StGB und auf neu
Art. 43 StGB
, wonach die zuständige Behörde den Beschluss des Richters auf Verwahrung ... vollzieht. Gemäss Art. 27 EG StGB ist der Staatsrat Vollzugsbehörde. Der Entscheid. ist ergangen in Ausübung einer langjährigen Praxis, wonach der Überweisungsbeschluss der Anklagekammer als hinreichender richterlicher Auftrag angesehen wurde (vgl.: Logoz, 1939 ad
Art. 14 StGB
, S. 52 Ziff. 1)."
Die Staatsanwaltschaft betrachtet somit den Beschluss der Anklagekammer als "richterlichen Auftrag" zum Vollzug der
BGE 99 Ib 351 S. 354
Massnahmen gemäss alt Art. 14 ff. und neu
Art. 43 StGB
. Die Anklagekammer stellte die Strafuntersuchung ein und beschloss: "Das Strafaktenheft wird dem Staatsrat zur weiteren Entscheidung übersandt." In den Erwägungen hierzu heisst es lediglich, die Strafakten seien "an den Staatsrat im Hinblick auf eine administrative Verwahrung in einer Heil- oder Pflegeanstalt weiterzuleiten". Darunter versteht der Staatsrat aber nicht eine verwaltungsrechtliche Verwahrung, sondern jene gemäss Strafgesetzbuch. Zuständig zum Vollzug einer richterlich angeordneten Massnahme sind die von den Kantonen bezeichneten Behörden (
Art. 345 Ziff. 2 StGB
), im Kanton Freiburg gemäss Art. 27 EG StGB der Staatsrat.
Der angefochtene Staatsratsbeschluss will somit eineVerfügung des Strafvollzuges sein, die von der letzten kantonalen Instanz ausging, so dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als zulässig erscheint (
Art. 98 lit. g OG
, Art. 5 VwG).
2.
Der Staatsratsbeschluss wurde weder dem Beschwerdeführer noch dessen Angehörigen ordnungsgemäss eröffnet. Auf die Beschwerde ist aber einzutreten, weil die Internierung bereits vollstreckt wurde.
3.
Die Massnahmen werden vom Strafrichter angeordnet (
Art. 43 StGB
, alt
Art. 14 ff. StGB
). Der Vollzug der richterlich verhängten Massnahmen obliegt der zuständigen Behörde, im Kanton Freiburg gemäss Art. 27 EG StGB dem Staatsrat. Diese Aufteilung der Kompetenzen anerkennt der Staatsrat, beruft er sich doch ausdrücklich "auf den Urteilsspruch der Anklagekammer des Kantonsgerichtes vom 1. Dezember 1970" und seine Vollzugsbefugnis gemäss Art. 27 EG StGB. Es ist jedoch fraglich, ob jener Beschluss tatsächlich die Verwahrung des Beschwerdeführers gemäss alt
Art. 14 StGB
anordnet. Im Dispositiv heisst es nur, das Strafaktenheft werde dem Staatsrat zur weiteren Entscheidung übersandt. In den Erwägungen führt die Anklagekammer dazu aus, die Akten würden an den Staatsrat im Hinblick auf eine administrative Verwahrung in einer Heil- oder Pflegeanstalt weitergeleitet. In dieser Begründung und in der blossen Übersendung der Akten kann aber keine gültige richterliche Anordnung der Verwahrung gemäss alt
Art. 14 StGB
erblickt werden. Zudem fehlte auf dem Einstellungsbeschluss die Rechtsmittelbelehrung (
Art. 251 Abs. 2 BStP
), die hätte angebracht werden müssen, wenn die Anklagekammer eine Verwahrung hätte anordnen wollen. Fehlte somit ein
BGE 99 Ib 351 S. 355
richterlicher Verwahrungsbeschluss im Sinne von alt Art. 14 bzw. neu
Art. 43 StGB
, so stellte die zwangsweise Verbringung in die Anstalt eine klare Rechtsverletzung dar. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben.
4.
Der Beschwerdeführer macht u.a. geltend, der Staatsrat habe ihn nie angehört, bevor der Internierungsbeschluss gefasst worden sei, obwohl der Entscheid der Anklagekammer fast 3 Jahre zurückliege. Damit rügt er eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs.
a) Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör bestimmt sich nach den kantonalen Verfahrensvorschriften. Wo jedoch dieser kantonale Rechtsschutz ungenügend ist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden, also bundesrechtlichen Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz (
BGE 98 Ia 6
E. 2 a).
b) Der Beschwerdeführer rügt keine Verletzung kantonaler Verfahrensvorschriften. Es stellt sich deshalb nur die Frage, ob die aus
Art. 4 BV
sich ergebenden Regeln verletzt worden sind. Diese Frage ist zu bejahen. Eine vom Richter angeordnete Verwahrung - diese ist für die Prüfung der oben gestellten Frage vorauszusetzen - konnte ca. 21/2 Jahre später nur in Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vollstreckt werden, wenn nicht zuvor in einem rechtsstaatlichen Grundsätzen genügenden Verfahren geprüft wurde, ob der Beschwerdeführer auch heute noch der Verwahrung bedürfe. Diese Frage stellte sich im vorliegenden Fall umso mehr, als aus der Brandstiftung von A. vom 30. September 1968 nicht auf eine Pyromanie geschlossen werden konnte, und die Gutachter wohl eine dauernde ärztliche Betreuung, nicht aber unbedingt eine Verwahrung empfahlen. Eine solche Überprüfung hätte auch deshalb dem Geiste des Gesetzes entsprochen, weil schon alt
Art. 17 Ziff. 2 StGB
die zuständige Behörde verpflichtete, die Massnahmen aufzuheben, sobald deren Grund weggefallen ist, und die probeweise Entlassung anzuordnen, sobald sie gerechtfertigt erscheint. Der neue
Art. 45 Ziff. 1 Abs. 2 und 3 StGB
verpflichtet die vollziehende Behörde darüber hinaus, jährlich mindestens einmal die bedingte oder probeweise Entlassung nach Anhören des zu Entlassenden zu prüfen. Den Fall, dass der Vollzug einer Massnahme gemäss alt Art. 14 ff. und neu
Art. 43 StGB
lange Zeit nicht angeordnet wurde, regelt das Gesetz allerdings nicht. Da gerichtlich angeordnete Massnahmen
BGE 99 Ib 351 S. 356
in der Regel in verhältnismässig kurzer Zeit vollstreckt werden, bestand hierzu auch kein Anlass. Das Fehlen einer entsprechenden Norm schliesst aber die Verpflichtung zu einer neuen Überprüfung der Verwahrungsbedürftigkeit nicht aus.
Nachdem im vorliegenden Fall ca. 21/2 Jahre verstrichen sind, ohne dass der Staatsrat die Verbringung in eine Anstalt für notwendig hielt, hätte er prüfen müssen, ob diese unter den jetzt herrschenden Umständen noch erforderlich sei. Vor dem Entscheid hätte er zudem den Beschwerdeführer anhören müssen. Indem er dies unterliess, verweigerte er A. das rechtliche Gehör. Der angefochtene Entscheid müsste aus diesem Grunde auch aufgehoben werden, wenn er sich auf eine vom Richter gültig angeordnete Verwahrung stützen könnte.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 25. Juni 1973 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
57c67910-54f1-4853-84d1-b0b5a00109da | Urteilskopf
103 Ib 335
54. Auszug aus dem Urteil von 9. Dezember 1977 i.S. S. AG gegen Eidg. Volkswirtschaftsdepartement | Regeste
Pflichtlagervertrag; Beschwerdelegitimation,
Art. 5 und 48 VwVG
.
- Rechtsnatur der Weisung des Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge an einen Pflichtlagerhalter, sein bei einem namentlich genannten Dritten eingelagertes Pflichtlager aufzuheben.
- Legitimation dieses Dritten zur Anfechtung der Weisung. | Sachverhalt
ab Seite 335
BGE 103 Ib 335 S. 335
Das Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) schloss am 27. September 1976 mit der C. AG einen Vertrag, wonach diese während einer gewissen Zeit ein Pflichtlager von 29835 Tonnen Futtermittel verschiedener Art zu unterhalten hat. Aus Art. 4 und 8 des Vertrages ergibt sich, dass die C. AG mit der Lagerhaltung auch einen Dritten beauftragen kann. Die C. AG schloss in der Folge mit der S. AG einen Lagervertrag ab, in dem sich die S. AG verpflichtete, gegen ein jährliches Lagergeld von rund Fr. 110'000.-- ein Pflichtlager von ca. 3000 Tonnen Futtermittel für die C. AG zu halten. Eine Kontrolle, welche die Schweizerische Genossenschaft für Getreide und
BGE 103 Ib 335 S. 336
Futtermittel (GGF) am 18. April 1977 durchführte, ergab, dass das im Auftrag der C. AG gehaltenen Pflichtlager bei der S. AG nicht im vollen Umfang vorhanden war. Nach Kenntnisnahme des diesbezüglichen Berichts der GGF teilte der Delegierte für wirtschaftliche Kriegsvorsorge (nachstehend: Delegierter) der C. AG mit, die S. AG biete unter diesen Umständen nicht mehr Gewähr für eine korrekte Pflichtlagerhaltung; er mache darum von seinem Recht Gebrauch, die S. AG als Lagerhalterin für Pflichtvorräte der C. AG zu sperren. Gleichzeitig wurde die C. AG angewiesen, ihre Pflichtlager bei dieser Unternehmung bis spätestens 31. Dezember 1977 umzulagern. Die C. AG erhob gegen diese Weisung keine Einwendungen, leitete die sich daraus für sie ergebenden Schritte ein und erklärte der S. AG, sie mache sie für den ihr erwachsenen Schaden verantwortlich.
Auf eine Verwaltungsbeschwerde der S. AG gegen die Weisung des Delegierten trat das EVD mit Entscheid vom 17. August 1977 nicht ein, weil es die Schiedskommission für Streitigkeiten aus Pflichtlagerverträgen in dieser Sache als zuständig erachtete. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt die S. AG, der Entscheid des EVD sei aufzuheben und die Sache zur materiellen Behandlung an das EVD zurückzuweisen; eventuell habe das EVD die Sache an die zuständige Behörde zu überweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Bei den Verträgen, die der Bund auf Grund des KVG mit privaten Lagerhaltern abschliesst, handelt es sich um verwaltungsrechtliche Verträge, nicht um solche des Privatrechts (BBl. 1955 I 827; GRISEL, Droit administratif suisse, 221; IMBODEN, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, ZSR 77 II 176 a ff.; REDLI, Der Pflichtlagervertrag, Diss. 1953, 58). Die Rechtsfolgen bestimmen sich, soweit sie nicht durch den Vertrag selber geregelt sind, nach öffentlichem Recht. Die verwaltungsrechtlichen Sanktionen bei Vertragsverletzung und die Ausgestaltung des Rechtsmittelweges sind Folgen der öffentlich-rechtlichen Natur des Vertrages. Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Pflichtlagerhalter und einem Dritten, der das Pflichtlager für den durch den verwaltungsrechtlichen Vertrag
BGE 103 Ib 335 S. 337
Verpflichteten tatsächlich hält, sind jedoch privatrechtlicher Natur (in diesem Sinn auch REDLI, a.a.O., S. 70). Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes ein verwaltungsrechtlicher Vertrag auch zwischen Privaten abgeschlossen werden (
BGE 99 Ib 120
E. 2 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur, insbesondere ZWAHLEN, Le contrat de droit administratif, ZSR 77 I 494 a ff.). Das setzt voraus, dass die vertraglichen Beziehungen zwischen ihnen vom öffentlichen Recht beherrscht werden. In bezug auf das Verhältnis zwischen einem Pflichtlagerhalter und einem Dritten trifft das jedoch nicht zu. Das KVG regelt die Beziehungen zwischen dem Pflichtlagerhalter und dem Dritten nicht.
Durch den verwaltungsrechtlichen Vertrag werden Rechtsbeziehungen nur zwischen dem Bund und dem Pflichtlagerhalter geschaffen; nur letzterer ist durch den Pflichtlagervertrag gebunden, nicht allfällige Dritte, die für ihn die Einlagerung übernehmen. Wenn Streitigkeiten zwischen dem Pflichtlagerhalter und diesem Dritten entstehen, betreffen diese nicht den Pflichtlagervertrag, sondern die privatrechtliche Vereinbarung, die ihren Beziehungen zugrunde liegt. Daraus folgt, dass solche Streitigkeiten nicht von der im Gesetz vorgesehenen Schiedskommission (
Art. 33 KVG
) zu behandeln sind, denn diese ist nur für die Beurteilung von Streitigkeiten aus dem Pflichtlagervertrag selbst zuständig. Es handelt sich auch nicht um eine Streitigkeit zwischen einer Vertragspartei oder einem andern in seinen Interessen verletzten Lagerpflichtigen mit dem Träger eines Garantiefonds. Die
Art. 33 und 34 KVG
unterscheiden ferner zwischen Streitigkeiten aus den Pflichtlagerverträgen und administrativen Sanktionen. Mit den administrativen Sanktionen des Art. 34 sind die Massnahmen im Sinne von
Art. 25 KVG
gemeint. Die Entscheidung über letztere ist nicht der Schiedskommission übertragen, sondern dem EVD, dessen Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden kann.
Angesichts dieser gesetzlichen Ordnung kann dem Eventualantrag der Beschwerdeführerin, wonach die Sache an die Schiedskommission zu überweisen wäre, von vornherein nicht entsprochen werden.
4.
Das EVD hätte auf die Beschwerde eintreten und sie materiell behandeln müssen, wenn die Anordnung des Delegierten für Kriegsvorsorge eine Verfügung im Sinne von
BGE 103 Ib 335 S. 338
Art. 5 VwVG
ist und der Beschwerdeführerin nach
Art. 48 lit. a VwVG
die Legitimation zur Beschwerde gegen die Verfügung des Delegierten zukommt.
a) Wäre die Pflichtlagerhaltung nicht durch verwaltungsrechtlichen Vertrag, sondern durch einseitiges Gebot des Bundes geregelt, könnten keine Zweifel darüber bestehen, dass das Schreiben des Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge vom 7. Juli 1977 eine beschwerdefähige Verfügung im Sinne von
Art. 5 VwVG
darstellt. Der Bund kann aber unter Umständen auch in Bereichen, in denen er verwaltungsrechtliche Verträge abschliesst, Verfügungen erlassen (vgl. ZWAHLEN, a.a.O., S. 635 a ff., GRISEL, a.a.O., S. 226).
Im genannten Schreiben macht der Delegierte nicht einen vertraglichen Anspruch geltend, sondern tritt als staatlicher Hoheitsträger auf. Er verpflichtet nämliche die C. AG in imperativer Form, ihr Pflichtlager bei der Beschwerdeführerin bis zum 31. Dezember 1977 aufzuheben. Die Weisung des Delegierten vom 7. Juli 1977 erscheint somit als Verfügung, deren Überprüfung im Verfahren der Verwaltungsbeschwerde zulässig sein muss. Es trifft nicht zu, dass diese Weisung nur als "Meinungsäusserung einer Vertragspartei" angesehen werden musste, wie das EVD nachträglich in seiner Vernehmlassung ausführt.
Im vorliegenden Verfahren ist nicht zu entscheiden, ob der Delegierte überhaupt befugt war, mit einer Verfügung die angefochtene Sperrung eines Lagerhalters anzuordnen. Diese Frage wird Gegenstand der materiellen Beurteilung der angefochtenen Verfügung bilden.
b) Zur Anfechtung der Verfügung ist in erster Linie die C. AG legitimiert. Sie wird durch sie betroffen und hat gegebenenfalls ein schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung oder Änderung. Bei der Weisung des Delegierten handelt es sich nicht um eine administrative Sanktion im Sinne von
Art. 25 Abs. 1 KVG
; sie kann aber unter Umständen die Grundlage für eine solche abgeben. Vielmehr handelte es sich, falls die C. AG die Weisung angefochten hätte, um einen Streit über Rechte und Pflichten aus dem Pflichtlagervertrag. Zur Beurteilung dieses Rechtsstreites wäre erstinstanzlich die Schiedskommission zuständig. Im vorliegenden Fall stellt sich jedoch die Frage, ob neben der Vertragspartei auch eine Nichtvertragspartei eine im Rahmen des verwaltungsrechtlichen
BGE 103 Ib 335 S. 339
Vertrages ergangene Verfügung anfechten kann, wenn sie ihr Nachteile bringt.
Nach
Art. 48 lit. a VwVG
ist zur Anfechtung einer Verfügung berechtigt, wer durch diese berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung oder Änderung hat. Zur Auslegung dieser Bestimmung kann die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu
Art. 103 lit. a OG
herangzogen werden, da diese Bestimmung die Beschwerdelegitimation gleich regelt wie
Art. 48 lit. a VwVG
(
BGE 98 Ib 71
E. 3). Nach dieser Rechtsprechung hängt die Legitimation nicht davon ab, ob der Beschwerdeführer einen vom materiellen Recht geschützten Anspruch hat, denn das Interesse des Beschwerdeführers kann sowohl rechtlicher als auch tatsächlicher Natur sein (
BGE 101 Ib 109
). Immerhin soll durch die in
Art. 48 lit. a VwVG
und 103 lit. a OG gestellten Anforderungen die Popularbeschwerde ausgeschlossen werden. Deshalb kann sich auf diese Bestimmungen nicht berufen, wer durch die angefochtene Verfügung nicht mehr als irgend ein anderer Bürger berührt ist. Für die Legitimation ist ferner Voraussetzung, dass der Beschwerdeführer durch die Verfügung besonders und unmittelbar betroffen ist. Sein Interesse an der Aufhebung oder Änderung der Verfügung muss sich aus einer nahen Beziehung zum Gegenstand des Streites ergeben (
BGE 103 Ib 149
f. mit Hinweisen). Die Beschwerdelegitimation steht ausser Zweifel, wenn sich der Beschwerdeführer gegen eine Verfügung wendet, die ihm etwas untersagt, eine vollstreckbare Verpflichtung auferlegt, ein Recht abspricht oder eine begünstigende Verfügung widerruft. Ein Bürger ist aber auch befugt, eine Verfügung, die einen anderen begünstigt, anzufechten, wenn er durch diese Verfügung in einem genügend hohen Mass berührt ist(
BGE 101 Ib 185
E. 4).
Die angefochtene Verfügung richtet sich gegen die C. AG und auferlegt dieser eine Pflicht. Die Beschwerdeführerin hingegen wird von der Weisung des Delegierten nur indirekt betroffen. Diese Weisung wirkt sich aber auf die Beschwerdeführerin mehr als auf jeden anderen Drittinteressierten aus, denn die Verfügung, in welcher sie namentlich genannt wird, hat den alleinigen Zweck, sie als Lagerhalterin für die Zukunft auszuschalten. Unter diesen Umständen hat die S. AG eine so nahe Beziehung zum Gegenstand des Streites, dass sie als legitimiert betrachtet werden muss, die fragliche Verfügung im
BGE 103 Ib 335 S. 340
Verfahren der Verwaltungsbeschwerde überprüfen zu lassen. Die Vorinstanz hätte aus diesen Gründen auf die Beschwerde der S. AG eintreten müssen. Ihr Nichteintretensentscheid verletzt Bundesrecht und muss aufgehoben werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
57c8b0c8-96ca-4c03-ab36-ebdad383d807 | Urteilskopf
112 Ib 161
28. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Mai 1986 i.S. S. K.-I. gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 9 Abs. 4 lit. a und 17 Abs. 2 ANAG; Widerruf einer Niederlassungsbewilligung.
Wird eine Ehe ausschliesslich darum geschlossen, damit die Ehefrau gestützt auf
Art. 17 Abs. 2 ANAG
die Niederlassungsbewilligung erhält, und ist kein gemeinsames Eheleben geplant, so wird die Bewilligungsbehörde über einen nach
Art. 17 Abs. 2 ANAG
wichtigen Umstand getäuscht; damit ist der Widerrufsgrund von
Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG
erfüllt. | Sachverhalt
ab Seite 161
BGE 112 Ib 161 S. 161
Die türkische Staatsangehörige S. K.-I. heiratete am 30. Dezember 1983 ihren Landsmann M. K., der in der Schweiz über die Niederlassungsbewilligung verfügte. Gestützt auf diese Heirat wurde ihr am 10. Januar 1984 die Niederlassungsbewilligung im Kanton Basel-Landschaft erteilt. Mit Urteil eines türkischen Zivilgerichts vom 14. Februar 1985 wurde die Ehe geschieden. Nachdem bekannt geworden war, dass S. K.-I. schon ab Herbst 1983 meistens in Wohngemeinschaft mit einem anderen türkischen
BGE 112 Ib 161 S. 162
Staatsangehörigen, kaum aber mit M. K. zusammengelebt hatte, widerrief die Fremdenpolizei des Kantons Basel-Landschaft am 16. Juli 1985 ihre Niederlassungsbewilligung. Eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft am 17. Dezember 1985 ab. Gegen diesen Entscheid erhob S. K.-I. am 20. Januar 1986 Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Gemäss
Art. 17 Abs. 2 ANAG
hat die Ehefrau eines Ausländers mit Niederlassungsbewilligung Anspruch darauf, in die Bewilligung des Ehemannes einbezogen zu werden, sofern sie mit ihm in gemeinsamem Haushalte leben wird. Das Einbezugsrecht ist selber keine Bewilligung, sondern verschafft nur einen Anspruch auf die Erteilung einer solchen. Daher ist stets ein Bewilligungsverfahren erforderlich; nicht nur der Form halber, sondern weil die Behörde das Vorliegen aller Erfordernisse prüfen muss (M. RUTH, Fremden-Polizeirecht der Schweiz, Zürich 1934, S. 70). Wegen des durch
Art. 17 Abs. 2 ANAG
eingeräumten Anspruchs auf die Niederlassungsbewilligung ist die Behörde bloss nicht frei in ihrem Entscheid. Sie hat aber jedenfalls u.a. zu prüfen, ob die Ausländerin wirklich verheiratet ist und mit ihrem niedergelassenen Ehemann in gemeinsamem Haushalte leben wird. Erst wenn sie sich davon überzeugt hat, wird sie der Ausländerin die Niederlassungsbewilligung erteilen. Dies hat zur Folge, dass die Ehefrau - wenn auch dank ihrer Ehe erleichtert - selber ein Niederlassungsrecht erwirbt. Die so erteilte Niederlassungsbewilligung erlischt daher - weil dies nicht gesetzlich vorgesehen ist - mit dem Wegfall der Ehe nicht automatisch, sondern sie muss widerrufen werden.
Da für den Widerruf der erleichtert erworbenen Niederlassungsbewilligung keine besonderen gesetzlichen Regeln geschaffen worden sind, ist im folgenden zu prüfen, ob die Niederlassungsbewilligung der Beschwerdeführerin gestützt auf
Art. 9 Abs. 4 ANAG
oder nach den allgemeinen Regeln für den Widerruf von Verfügungen widerrufen werden konnte.
b)
Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG
bestimmt, dass eine Niederlassungsbewilligung widerrufen werden kann, wenn der Ausländer sie durch falsche Angaben oder wissentliches Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat.
BGE 112 Ib 161 S. 163
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft ist der Ansicht, dass die Beschwerdeführerin zwar die Niederlassungsbewilligung erschlichen habe; da man ihr jedoch nicht vorwerfen könne, sie habe falsche Angaben gemacht oder wissentlich wesentliche Tatsachen verschwiegen, falle
Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG
ausser Betracht; hingegen sei ihr Vorgehen rechtsmissbräuchlich gewesen, weshalb die Niederlassungsbewilligung zu Recht widerrufen worden sei. Er geht damit wohl vom Aufsatz von PETER KOTTUSCH, Scheinehen aus fremdenpolizeilicher Sicht, in ZBl 84 (1983), S. 426 ff., aus, wo der Autor ausführt, dass in Fällen einer sogenannten "Ausländerrechtsehe"
Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG
kaum als Widerrufsgrundlage in Frage komme (S. 438).
Wie vorne ausgeführt, wird auch im Falle von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
ein Bewilligungsverfahren durchgeführt. Dabei ist die Bewilligungsbehörde darauf angewiesen, dass die Gesuchstellerin ihr alle Angaben macht und Unterlagen (z.B. Eheschein) vorlegt, die im Hinblick auf die Bewilligungserteilung erforderlich sind. Bei dieser Gelegenheit ist es einer Gesuchstellerin ohne weiteres möglich, falsche Angaben zu machen bzw. wesentliche Tatsachen zu verschweigen und auf diese Weise die Niederlassungsbewilligung im Sinne von
Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG
zu erschleichen.
c) Im vorliegenden Fall ist nach den gesamten Umständen darauf zu schliessen, dass die Beschwerdeführerin den Niedergelassenen M. K. ohne fremdenpolizeilichen Hintergrund nie geheiratet hätte und die Ehe bloss zwecks Erlangung der Niederlassungsbewilligung inszenierte. Mit der formell zustande gekommenen Ehe täuschte sie der Bewilligungsbehörde vor, sie wolle mit ihrem "Ehemann" in einer Ehegemeinschaft zusammenleben, was gemäss
Art. 17 Abs. 2 ANAG
Voraussetzung für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung wäre, in Tat und Wahrheit aber gerade nicht beabsichtigt war. Indem sie tat, als sei ein wirkliches Eheleben beabsichtigt, spiegelte sie falsche Tatsachen vor und erschlich sich dadurch die Niederlassungsbewilligung, die sie bei Darstellung der wahren Sachlage nie erhalten hätte. Damit hat sie den Widerrufsgrund von
Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG
gesetzt.
d) Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage einer allfälligen Ehenichtigkeit und die in dieser Hinsicht von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Zuständigkeitsfrage. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
57cee5d5-11bf-47e9-9014-4de1daa2ba13 | Urteilskopf
115 Ia 123
25. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 21 juillet 1989 dans la cause dame B. contre B. (recours de droit public) | Regeste
Teilentscheid; Bindung des Richters.
Teilentscheid des kantonalen Richters in der Sache selbst. Auch wenn diese Entscheidung nicht in Rechtskraft erwächst, kann der Richter im Endurteil nicht darauf zurückkommen; soweit er über einen Teil der Streitfrage materiell bereits entschieden hat, kann er darauf nicht zurückkommen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 124
BGE 115 Ia 123 S. 124
Le 27 mars 1981, J.-P. B. a ouvert une action en partage contre R.B. devant le Tribunal de première instance de Genève. En raison de divergences entre les parties quant à la composition des biens, le tribunal a ordonné une expertise, puis statué à ce sujet par jugement du 30 janvier 1984. La Cour de justice du canton de Genève a confirmé ce jugement par arrêt du 15 février 1985, sauf en ce qui concerne certains immeubles sis dans le district de B. Un recours en réforme interjeté par R.B. contre cet arrêt a été déclaré irrecevable par le Tribunal fédéral le 24 octobre 1985.
Le Tribunal de première instance a statué sur l'action en partage par jugement du 1er septembre 1988, confirmé, sur recours de R.B., par la Cour de justice le 10 février 1989. R.B. exerce un recours de droit public au Tribunal fédéral contre l'arrêt de la Cour de justice du 10 février 1989.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
La recourante reproche à la cour cantonale d'avoir considéré que le jugement du Tribunal de première instance du 30 janvier 1984 et son arrêt du 15 février 1985 avaient autorité de chose jugée. Ces décisions constitueraient des ordonnances préparatoires au sens des
art. 197 ss CPC
gen.; or, l'
art. 197 al. 3 CPC
gen. dispose que le juge n'est pas liée par de telles ordonnances. C'est donc à tort que la cour cantonale se serait estimée liée par ces décisions. Conséquemment, la recourante aurait été privée du droit à ce que son dossier soit examiné librement, en fait et en droit, par les juridictions cantonales, d'où une violation de son droit d'être entendue.
a) La violation du droit d'être entendu dont se plaint la recourante n'a pas, en l'espèce, de portée propre mais se confond en réalité avec le grief de violation du principe de l'autorité de la chose jugée. Le fait que la recourante aurait été privée à tort de la possibilité de faire valoir ses moyens, ainsi qu'elle le soutient, n'aurait en effet pas de cause distincte, mais ne serait que la conséquence de la violation, cas échéant, du principe de l'autorité de la chose jugée.
BGE 115 Ia 123 S. 125
b) S'agissant des décisions des 30 janvier 1984 et 15 février 1985, la cour cantonale a relevé que l'irrecevabilité du recours en réforme interjeté par la recourante à leur encontre ne signifiait pas que ces décisions pouvaient être revues au stade actuel de la procédure. Elle a estimé que celles-ci tranchaient une partie du litige et que, dans cette mesure, elles revêtaient, au niveau cantonal, l'autorité de la chose jugée.
Ce raisonnement est erroné, du moins dans les termes utilisés. Dès lors qu'il s'agissait de décisions partielles - lesquelles ne constituent pas des décisions finales au sens de l'
art. 48 OJ
, ni des décisions incidentes selon l'
art. 50 OJ
-, elles ne pouvaient être attaquées par la voie du recours en réforme qu'au stade où la cause serait examinée par le Tribunal fédéral sur toutes les questions litigieuses (
ATF 104 II 287
; cf. également l'arrêt du Tribunal fédéral rendu entre les parties le 24 octobre 1985). Le recours en réforme formé directement à leur encontre était donc prématuré; mais cette voie de droit est ouverte contre ces décisions, puisqu'elles peuvent être attaquées conjointement avec la décision finale (art. 48 al. 3 première phrase OJ). Conséquemment, ces décisions n'ont pas acquis force de chose jugée et ne sont pas revêtues de l'autorité de la chose jugée.
Il ne suffit cependant pas que les motifs de la décision critiquée soient insoutenables; encore faut-il que cette dernière soit arbitraire dans son résultat (
ATF 109 Ia 22
consid. 2). En l'espèce, bien que la cour cantonale ait utilisé à tort le terme d'autorité de la chose jugée, il n'en demeure pas moins que les décisions des 30 janvier 1984 et 15 février 1985 ne pouvaient être revues par les juridictions cantonales, dès lors que, ayant statué au fond sur une partie du litige, elles en étaient dessaisies dans cette mesure. C'est à tort que la recourante soutient qu'il ne pouvait y avoir dessaisissement du juge parce que les décisions en question ne constituaient ni des décisions finales, ni des décisions incidentes susceptibles de recours séparé (cf. W. HABSCHEID, Droit judiciaire privé suisse, 2e éd., p. 302; également M. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3e éd., p. 362 ss). Une fois prononcés, les jugements ne peuvent être modifiés que de la manière et dans les cas prévus par la loi. L'
art. 147 CPC
gen. le dit expressément. Certes, cette disposition n'est pas applicable aux ordonnances préparatoires (
art. 197 al. 3 CPC
gen.). Mais, contrairement à ce que soutient la recourante, qui se réfère à la jurisprudence de la Cour de justice publiée dans la SJ 1952, p. 321 et SJ 1959, p. 583, les décisions des 30 janvier
BGE 115 Ia 123 S. 126
1984 et 15 février 1985 ne constituaient pas des décisions préparatoires. La référence au premier de ces arrêts, rendu en application de l'art. 21 de la loi générale sur les contributions publiques, est manifestement erronée. Quant au second, rendu en application de l'art. 108 ancien CPC gen., il a trait au jugement sur partie et est sans relation aucune avec l'
art. 197 CPC
gen. En revanche, il ressort de l'alinéa 1 de cette dernière disposition que sont des ordonnances préparatoires les décisions par lesquelles le juge, dans les causes où le fond n'est pas en état d'être jugé tout de suite,ordonne certaines mesures probatoires préliminaires. Tel n'est manifestement pas le cas en l'espèce, puisque par les décisions en question il a été statué sur une partie du litige au fond, à savoir la liquidation du régime matrimonial. Au demeurant, dans son mémoire d'appel, la recourante n'a pas prétendu que ces décisions constitueraient des ordonnances préparatoires, ni même invoqué une violation de l'
art. 197 CPC
gen., de sorte que, dans la mesure où elle s'en prévaut dans son recours de droit public, il s'agit d'un moyen nouveau.
Au vu de ce qui précède, la décision attaquée ne saurait être qualifiée d'arbitraire dans son résultat. Dans la mesure où le moyen est pris d'une application arbitraire de l'
art. 197 CPC
gen., seule disposition invoquée par la recourante, il est même irrecevable parce que nouveau. | public_law | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
57d1b19f-3d45-49f8-91be-e7407f7b3a80 | Urteilskopf
117 III 76
23. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 20 août 1991 dans la cause C. R. contre L. SA (recours de droit public) | Regeste
Art. 271 ff. SchKG
; Arrestierung einer Bankgarantie.
1. Kriterien zur Unterscheidung zwischen selbständiger und akzessorischer Sicherung (E. 6b).
2. Die auf Verlangen des Auftraggebers verfügte Arrestierung einer zugunsten des Arrestschuldners ausgestellten Bankgarantie ist selbst dann nicht unhaltbar und somit willkürlich, wenn die Forderungen sich aus dem Grundvertrag ergeben (E. 7). | Erwägungen
ab Seite 77
BGE 117 III 76 S. 77
Extrait des considérants:
5.
(Est laissée indécise la question de savoir si le bénéficiaire de la garantie bancaire, dont la créance à l'égard de la banque émettrice est séquestrée à la requête du donneur d'ordre, doit intenter l'action en contestation du cas de séquestre (
art. 279 LP
), ou procéder par la voie de la plainte aux autorités de surveillance (
art. 17 ss LP
) au lieu de celle du recours de droit public.)
6.
a) La banque émettrice s'est engagée en l'espèce, "au sens de l'acceptation d'une assignation", à verser à la recourante le montant de la garantie.
Dans un arrêt Banca A. contre C.-Bank du 22 mars 1977 (cité par NOBEL, Praxis zum öffentlichen und privaten Bankenrecht der Schweiz, p. 387 ss), le Tribunal fédéral a qualifié d'assignation acceptée au sens de l'
art. 468 al. 1 CO
une garantie bancaire, bien que la doctrine soit, dans l'ensemble, plutôt opposée à une telle assimilation (cf. DOHM, Les garanties bancaires dans le commerce international, p. 65 No 93; GUGGENHEIM, Les contrats de la pratique bancaire suisse, 2e éd., p. 178/179; KLEINER, Bankgarantie, 4e éd., p. 115 ss; SCYBOZ, Le contrat de garantie et le cautionnement, in Traité de droit privé suisse, t. VII/2, p. 29; cf. toutefois SCHÖNLE, Missbrauch von Akkreditiven und Bankgarantien, in RSJ 79/1983 p. 57). L'opinion soutenue dans cet arrêt doit être rapprochée de la jurisprudence qui qualifie l'accréditif comme une combinaison de l'assignation et du mandat (
ATF 114 II 48
let. a et les références). Dans la relation d'assignation, à la base de l'accréditif (
ATF 115 II 69
), la banque qui ouvre l'accréditif accepte une assignation au sens de l'
art. 468 al. 1 CO
(KLEINER, Die Zahlungspflicht der Bank bei Garantien und unwiderruflichen Akkreditiven,
BGE 117 III 76 S. 78
in RSJ 72/1976 p. 353; NOBEL, op.cit., p. 409; cf.
ATF 114 II 49
let. b). Les termes utilisés dans le texte de la garantie bancaire émise le 27 août 1990 ne portent pas à conséquence; la doctrine soumet en effet l'admissibilité des mesures conservatoires aux mêmes conditions, tant pour la garantie bancaire que pour l'accréditif (cf. DOHM, op.cit., p. 150 No 329).
b) Selon la recourante, les parties seraient convenues d'une garantie indépendante du rapport de base, dont le paiement ne pouvait se heurter à aucune exception ou objection. L'intimée soutient en revanche que tel ne serait pas le cas; la garantie bancaire aurait été émise à seule fin de débloquer son matériel retenu en Espagne. Les parties n'auraient ainsi pas entendu convenir d'une garantie abstraite.
Il importe d'examiner la nature de l'engagement assumé par la banque garante. En effet, si la garantie n'est pas indépendante, mais au contraire accessoire, la doctrine affirme qu'il ne saurait y avoir d'abus à requérir des mesures conservatoires portant sur le montant de la sûreté, car la garantie dépend alors du rapport de base (GUGGENHEIM, op.cit., 2e éd., p. 191 let. c; idem, Die Verträge der schweizerischen Bankpraxis, 3e éd., p. 161 ab initio). La garantie accessoire se confond ici avec le cautionnement au sens des
art. 492 ss CO
(GUGGENHEIM, op.cit., 2e éd., p. 174 ch. 5). Pour qualifier l'engagement en cause de garantie indépendante ou de cautionnement, il faut l'interpréter (ATF
ATF 113 II 437
let. c,
ATF 111 II 279
let. b), sauf si son texte est parfaitement clair (
ATF 111 II 287
), ce qui n'est pas le cas en l'espèce.
Il faut remarquer d'emblée que la garantie a été émise par une banque, ce qui constitue un indice en faveur d'un engagement autonome (
ATF 113 II 438
consid. 2c). Le texte de la garantie se réfère "à l'exécution des travaux de réhabilitation du chantier d'Alicante". Cette référence au contrat de base ne permet toutefois pas à lui seul de conclure toujours à l'existence d'un engagement accessoire (DOHM, op.cit., p. 60 No 77). Comme le relève GUGGENHEIM (op.cit., 2e éd., p. 179), même la garantie indépendante n'est jamais totalement "dégagée" du contrat de base. Quant à l'expression selon laquelle le garant s'est engagé "irrévocablement", elle n'est pas non plus déterminante. KLEINER (op.cit., p. 51/52) remarque qu'il s'agit là d'une formule usuelle de la pratique bancaire et qu'elle ne saurait toujours être comprise dans le sens d'une renonciation à opposer les exceptions ou objections découlant du rapport de base. Le fait que la banque garante se soit engagée à payer
BGE 117 III 76 S. 79
"à première réquisition" ne constitue, en soi, qu'un indice en faveur de l'existence d'une garantie indépendante, qui doit être renforcé par d'autres éléments (VASSEUR, Garantie indépendante, in Recueil Dalloz Sirey 1991, Somm. p. 191; cf. également KLEINER, op.cit., p. 46 ss). Si la renonciation du garant à opposer "une quelconque exception ou objection" ne constitue pas nécessairement, selon la jurisprudence (
ATF 113 II 440
let. d), une raison d'opter en faveur d'une garantie indépendante, la doctrine lui attribue au contraire une portée décisive (DOHM, op.cit., p. 60 No 79; KLEINER, op.cit., p. 48/49; VASSEUR, op.cit., p. 191). Il faut toutefois relever que la banque garante s'est engagée en l'espèce "au sens de l'acceptation d'une assignation". En vertu du caractère abstrait du rapport d'assignation (cf. pour l'accréditif
ATF 115 II 71
let. a,
ATF 100 II 145
consid 4a), l'acceptation au sens de l'
art. 468 al. 1 CO
a pour effet de créer une dette nouvelle abstraite à la charge de l'assigné (
ATF 92 II 338
consid. 3). Dans le cas présent, la banque garante s'obligerait donc à payer sans pouvoir opposer les exceptions ou objections fondées sur le rapport contractuel de base. Enfin, les sûretés fournies dans le cadre d'un contrat international, comme en l'espèce, relèvent en principe du contrat de garantie et non du cautionnement (
ATF 113 II 438
consid. 2c).
Pris isolément, aucun des éléments de la garantie litigieuse ne permet de conclure à l'existence d'un engagement indépendant. Mais leur réunion permet de l'admettre, du moins prima facie.
7.
La faculté pour le donneur d'ordre de requérir le séquestre de la créance du bénéficiaire en paiement du montant de la garantie indépendante à l'égard de la banque émettrice est controversée.
a) La doctrine se prononce dans sa majorité, bien qu'avec diverses nuances, contre l'admissibilité d'une requête de séquestre de la part du donneur d'ordre. Elle considère qu'en convenant d'une telle garantie bancaire, ou d'un paiement par accréditif irrévocable, les parties au contrat de base sont liées par un pactum de non petendo, interdisant d'entraver de quelque manière que ce soit le paiement en faveur du bénéficiaire. La requête de séquestre du donneur d'ordre constitue ainsi un venire contra factum proprium, autrement dit un abus de droit (DALLÈVES, Exécution forcée dans les opérations d'accréditif, in SAS 57/1985 p. 22; DOHM, op.cit., p. 153 No 340; HARTMANN, Der Akkreditiv-Eröffnungsauftrag, thèse Zurich 1974, p. 124; ROSSI, La garantie bancaire à première demande, thèse Fribourg 1989, p. 140; SCHÖNLE, op.cit.,
BGE 117 III 76 S. 80
p. 77; EGGER, Probleme des einstweiligen Rechtsschutzes bei auf erstes Verlangen zahlbaren Bankgarantien, in RSDA 1990 p. 19 ch. 2.1). KLEINER (op.cit., p. 223 ss et 238 ss), pour qui le recours à un pactum de non petendo n'est pas nécessaire, parvient au même résultat, en prenant pour point de départ le but et la nature abstraite de la garantie bancaire (pour une démarche analogue, cf. GAUTSCHI, Berner Kommentar, n. 20a ad
art. 407 CO
, pour qui la requête de séquestre équivaut à la révocation de l'ordre irrévocable donné à la banque; NOBEL, op.cit., p. 410 ch. 4). Mais, parmi ces auteurs, certains admettent une telle requête lorsque le donneur d'ordre fait valoir une créance qui n'a pas sa cause dans le rapport contractuel de base que la garantie a pour but d'assurer (DOHM, op.cit., p. 152 No 335; ROSSI, op.cit., p. 139/140; pour l'accréditif: DALLÈVES, op.cit., p. 22/23; HARTMANN, op.cit., p. 124; contra KLEINER, op.cit., p. 240 ch. 22.25; EGGER, op.cit., p. 19 ch. 2.1). La rigueur de l'inadmissibilité des mesures conservatoires requises par le donneur d'ordre est cependant tempérée. En vertu du principe fraus omnia corrumpit, le donneur d'ordre n'est plus lié par une éventuelle renonciation préalable à requérir de telles mesures, lorsque le bénéficiaire abuse manifestement de la position juridique que lui confère la garantie (DOHM, op.cit., p. 151 No 330; cf. également DALLÈVES, op.cit., p. 22).
Le Tribunal fédéral n'a pas rendu, à ce jour, un arrêt de principe sur cette question. Dans l'arrêt Finagrain du 27 février 1984, la Chambre des poursuites et des faillites a considéré que l'attitude de l'acheteur qui, après avoir émis un accréditif et fait déposer les documents à la banque confirmatrice, ferait séquestrer le montant que cette dernière doit verser au vendeur, irait à l'encontre de l'ordre irrévocable de payer qu'il a donné (
ATF 110 III 40
ab initio). Elle s'est référée sur ce point aux opinions de GAUTSCHI (ibid.) et de KLEINER (op.cit., RSJ 72/1976 p. 354). Dans l'arrêt Union de Banques Suisses contre Finagrain du 24 mars 1986 (SJ 108/1986, p. 529 ss), la Ire Cour civile a d'abord considéré que le caractère abstrait de l'accréditif ne prive pas les parties de la faculté de faire valoir entre elles des créances fondées sur d'autres causes juridiques (p. 532 consid. 2) ni de requérir un séquestre sur la chose vendue ou les titres représentatifs de marchandises acquis contre remise du montant de l'accréditif en se fondant sur les créances qui en découlent (p. 533 s. let. e). Elle a ensuite affirmé que l'on ne saurait raisonnablement présumer que, dans une vente internationale (au comptant ou avec paiement par accréditif), le
BGE 117 III 76 S. 81
vendeur se montre d'emblée disposé à renoncer à la possibilité d'obtenir un séquestre portant sur la chose vendue pour le cas où il aurait une raison de le requérir. Cette considération empêche d'admettre l'existence d'un accord tacite à ce sujet (p. 534). Il paraît douteux de prétendre, comme TEVINI DU PASQUIER (Le crédit documentaire en droit suisse, thèse Genève, Bâle 1990, p. 309/310), que le Tribunal fédéral ait entendu limiter la portée de cette dernière affirmation au cas où la créance à raison de laquelle le séquestre est requis dérive d'un autre rapport juridique que celui qui fonde la créance séquestrée. En effet, un éventuel pactum de non petendo ne peut se rapporter qu'à la relation juridique qui a donné lieu à l'émission de la garantie ou à l'ouverture de l'accréditif; il ne concerne pas les prétentions que le donneur d'ordre pourrait déduire d'autres causes (dans ce sens: DALLÈVES, op.cit., p. 22/23; DOHM, op.cit., p. 152 No 335).
Plusieurs auteurs s'opposent toutefois à l'opinion de la doctrine dominante et admettent la possibilité d'un séquestre requis par le donneur d'ordre sur le montant de la garantie, même à raison d'une créance découlant du contrat de base (GUGGENHEIM, op.cit., 2e éd., p. 195 ss et 3e éd., p. 166 ss; GANI, La saisissabilité des droits patrimoniaux en matière d'accréditif documentaire, thèse Lausanne 1987, p. 229 ss, spéc. 234 ss; TEVINI DU PASQUIER, op.cit., p. 289 ss, spéc. 307 ss). Ces auteurs contestent le principe même d'un pactum de non petendo, qui ne pourrait résulter ni de la volonté hypothétique des parties ni d'une manifestation de volonté tacite du donneur d'ordre (TEVINI DU PASQUIER, op.cit., p. 308 s. et n. 390) ou qui serait contraire à l'
art. 27 al. 2 CC
(GUGGENHEIM, op.cit., 2e éd., p. 196 et 3e éd., p. 166; GANI, op.cit., p. 234). On ne peut admettre en effet que les parties aient entendu exclure à l'avance tout séquestre, alors que le donneur d'ordre n'est pas en état de connaître les créances dont il pourrait être ultérieurement titulaire à l'égard du bénéficiaire. Du reste la créance invoquée par le donneur d'ordre à l'appui de sa requête, notamment une créance en dommages-intérêts pour mauvaise exécution du contrat de base, n'existe pas en principe au moment de la conclusion de ce dernier, ni même lors de l'émission de la garantie bancaire ou de l'ouverture de l'accréditif. En admettant même l'existence d'un tel pacte, un séquestre sera pratiquement autorisé et exécuté, faute pour le débiteur de pouvoir s'en prévaloir devant l'autorité de séquestre et pour cette dernière d'en avoir connaissance (GANI, op.cit., 235). Ces auteurs contestent également que
BGE 117 III 76 S. 82
le donneur d'ordre commette un abus de droit en requérant un séquestre. Il faut d'abord examiner quel intérêt, du donneur d'ordre ou du bénéficiaire est, dans le cas particulier, le plus digne de protection. S'agissant d'une question d'appréciation, il n'est pas possible d'affirmer, d'une manière générale, que le donneur d'ordre commet systématiquement un abus de droit en recourant à cette mesure conservatoire (GUGGENHEIM, op.cit., 2e éd., p. 197 et 3e éd., p. 167; GANI, op.cit., p. 237). Celle-ci n'équivaut pas à une révocation de l'ordre donné à la banque, dont la nature de l'engagement n'est pas modifié (GUGGENHEIM, op.cit., 2e éd., p. 197 et 3e éd., p. 168; TEVINI DU PASQUIER, op.cit., p. 307 et 310). Le caractère abstrait de la garantie bancaire ou de l'accréditif n'a en effet de portée que sur la situation juridique de la banque, non sur celle du donneur d'ordre (GANI, op.cit., p. 238). A supposer que le rapport de base soit mal exécuté et qu'il en dérive de ce chef une créance exigible de ce dernier à l'égard du bénéficiaire, celui-là ne pourrait demander à la banque de ne pas honorer son engagement. Mais ceci n'implique pas que, dans ses rapports avec le bénéficiaire, le donneur d'ordre ne puisse s'en prendre à une créance qui appartient à ce dernier pour garantir une poursuite future (TEVINI DU PASQUIER, op.cit., p. 310). Au demeurant, le caractère abstrait de ces opérations doit procurer au bénéficiaire une sécurité accrue quant au paiement de sa prestation, en le mettant à l'abri des aléas financiers de son cocontractant ou d'une rupture abusive du contrat; elles n'ont pas pour but de lui assurer l'impunité en cas de manoeuvres frauduleuses ou de mauvaise exécution du contrat de base (GANI, op.cit., p. 239). Aucune des conditions de saisissabilité n'a trait à la personne du créancier; un droit patrimonial ne peut donc pas a priori être soustrait à l'exécution forcée sur le patrimoine de son titulaire en fonction de la personnalité du créancier séquestrant (GANI, op.cit., p. 237/238). Du point de vue de l'exécution forcée, il n'y a donc aucune raison de restreindre l'admissibilité d'un séquestre au seul cas de fraude du bénéficiaire et d'exclure ainsi les créances nées de l'inexécution ou de la mauvaise exécution du contrat de base (GANI, op.cit., p. 240; cf. également TEVINI DU PASQUIER, op.cit., p. 311/312).
b) Dans sa requête de séquestre, l'intimée a allégué que deux représentants de la recourante s'étaient rendus à son siège le 20 février 1991. Un accord verbal aurait alors été conclu, aux termes duquel la recourante renonçait à appeler la garantie. Le jour suivant, les deux représentants en question se sont pourtant
BGE 117 III 76 S. 83
rendus au siège de la banque garante pour percevoir le montant de la sûreté. Dans son mémoire au Tribunal fédéral, l'intimée qualifie ce comportement de frauduleux. Elle ne fait toutefois pas valoir une créance en dommages-intérêts du chef d'un appel abusif de la garantie, mais bien pour l'inexécution du contrat d'entreprise et le blocage de ses matières premières en Espagne. Ses prétentions dérivent bien du contrat de base. Il est vrai que certains auteurs soutiennent que le bénéficiaire qui appelle abusivement la garantie n'a aucun droit à faire valoir contre la banque garante et que, dans ce cas, le donneur d'ordre requiert le séquestre d'une créance inexistante (DOHM, op.cit., p. 153/154 No 341; SCHÖNLE, op.cit., p. 76/77; TEVINI DU PASQUIER, op.cit., p. 299). Mais cet argument pour le moins subtil est contesté (GANI, op.cit., p. 230 n. 2; ROSSI, op.cit., p. 141 n. 22); au reste le donneur d'ordre, qui invoque à l'appui de sa demande de séquestre une créance découlant du contrat de base pour demeure du bénéficiaire, inexécution ou mauvaise exécution, requiert des mesures conservatoires pour empêcher précisément que son cocontractant n'appelle la garantie, alors qu'il a eu une attitude contraire à ses devoirs contractuels.
c) Selon la jurisprudence, une décision n'est pas arbitraire du seul fait qu'une solution autre que celle de l'autorité cantonale apparaît concevable ou même préférable (
ATF 116 Ia 104
consid. 4a,
ATF 115 III 130
,
ATF 114 Ia 27
consid. 3b,
ATF 114 III 70
consid. 3). Cette seule considération suffit en l'espèce pour rejeter le grief de la recourante. L'ordonnance attaquée, qui peut se réclamer de l'avis de "quelques bons auteurs" (AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, vol. II, p. 662 No 1846), n'est pas insoutenable. Elle n'est pas non plus arbitraire du seul fait qu'elle s'écarte de la jurisprudence du Tribunal fédéral (AUBERT, ibid.), dans la mesure où l'on voudrait déduire de l'arrêt Finagrain (
ATF 110 III 40
ab initio) une affirmation de principe contre l'admissibilité du séquestre requis par le donneur d'ordre. | null | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
57dc80e2-4ec4-4975-b6e6-f63963a69d6a | Urteilskopf
98 Ib 30
6. Auszug aus dem Urteil vom 25. Februar 1972 i.S. Verband nordostschweizerischer Käserei- und Milchgenossenschaften gegen Gwerder und Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. | Regeste
Milchstatut: Bewilligung der Einrichtung und des Betriebs neuer Anlagen zur Herstellung und Abfüllung von Pastmilch.
Auslegung des
Art. 21bis Abs. 4 MB
. | Sachverhalt
ab Seite 30
BGE 98 Ib 30 S. 30
A.-
Anton Gwerder bezieht die Pastmilch beim Verband nordostschweizerischer Käserei- und Milchgenossenschaften in
BGE 98 Ib 30 S. 31
Winterthur (nachfolgend "Milchverband" genannt); dabei handelt es sich bis anhin um bloss geringfügige Quantitäten von wenigen hundert Litern pro Jahr. Die Lieferungen erfolgen jeweils am Montag, Mittwoch und Freitag gemäss vorheriger Bestellung, wobei jene für den Freitag telephonisch bis spätestens Donnerstag, 15.00 Uhr, aufgegeben werden kann. Anton Gwerder möchte dazu übergehen, die Pastmilch selber herzustellen. Er erhofft sich davon eine massive Umsatzsteigerung, weil er sich dann dem wetterabhängigen Touristenverkehr im Muotathal anpassen könnte, was nach der bisherigen Regelung nicht möglich sei. Sein entsprechendes Gesuch vom 18. Dezember 1970 wurde von der Abteilung für Landwirtschaft am 15. April 1971 abgelehnt, weil sich die Selbstherstellung nach Massgabe der Gestehungskostenrechnung nicht kostensparend auswirke und deshalb die Voraussetzungen des Art. 21 bis Abs. 4 Milchbeschluss nicht erfüllt seien.
Gegen diesen Entscheid erhob Anton Gwerder Beschwerde. Diese wurde vom EVD am 31. August 1971 mit der Begründung gutgeheissen, dass gesamthaft die geordnete und kostensparende Konsummilchversorgung und die zweckmässige Milchverarbeitung durch die Selbstherstellung nicht gestört würden und dass örtlich von der Eigenfabrikation eine Verbesserung der Verhältnisse in bezug auf die Deckung des Pastmilchbedarfes und die zweckmässige Milchverwertung zu erwarten seien.
B.-
Gegen diesen Entscheid erhebt der Milchverband Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er beantragt, das Bewilligungsgesuch des Anton Gwerder sei abzulehnen.
Anton Gwerder beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; ebenso das EVD für den Fall, dass auf die Beschwerde eingetreten werde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Eintretensfrage).
2.
Nach Art. 21 bis Abs. 4 Milchbeschluss sind die Erstellung und der Betrieb neuer Anlagen für die Herstellung und Abfüllung von Pastmilch nur zu bewilligen, "wenn dadurch gesamthaft die geordnete und kostensparende Konsummilchversorgung und die zweckmässige Milchverarbeitung nicht gestört werden und eine einwandfreie Qualität gewährleistet wird". Die Qualitätsfrage ist nicht streitig. Die Handelsstelle des Schweizerischen Milchkäuferverbandes hat der Abteilung für
BGE 98 Ib 30 S. 32
Landwirtschaft mitgeteilt, dass die Anlage von Anton Gwerder die Herstellung qualitativ einwandfreier Pastmilch gewährleiste. Überdies sind im angefochtenen Entscheid die Bestimmungen der Lebensmittelverordnung ausdrücklich vorbehalten worden. Zu prüfen sind die übrigen Voraussetzungen zur Erteilung der Bewilligung. Diese müssen nach Art. 21 bis Abs. 4 Milchbeschluss "gesamthaft" beurteilt werden, was bedingt, dass die einzelnen Beurteilungsfaktoren gegeneinander abgewogen werden; die Gegenüberstellung von sämtlichen Vor- und Nachteilen muss ihren Ausdruck in einer Gesamtwürdigung finden.
a) Das EVD ging im angefochtenen Entscheid davon aus, bei Selbstherstellung könnte Anton Gwerder einen Jahresumsatz von 12 000 l erreichen. Nach Ansicht des Milchverbandes ist eine derartige Entwicklung des Pastmilchumsatzes "völlig unwahrscheinlich". Wie es sich damit verhält, kann das Bundesgericht frei prüfen (
Art. 104 lit. b OG
und Umkehrschluss aus
Art. 105 Abs. 2 OG
). Dabei ist indes zu berücksichtigen, dass es sich um eine Schätzung für die Zukunft handelt und zwar auf einem Spezialgebiet, in dem die zuständige Verwaltungsbehörde über grosse Erfahrung verfügt. Das Bundesgericht hat daher seine Überprüfung auf die Frage zu konzentrieren, ob die möglichen und zumutbaren Abklärungen getroffen wurden und ob die angestellte Schätzung den Beurteilungsfaktoren in vernünftiger Weise Rechnung trägt.
Entgegen der Darstellung des Milchverbandes ist die von der Vorinstanz getroffene Schätzung nicht "ohne Abklärung der wirklichen Verhältnisse" erfolgt. Das EVD hat Abklärungen getroffen, die insofern erst ermöglicht wurden, als Anton Gwerder die Anlage im April 1971 eigenmächtig angeschafft und vorübergehend betrieben hatte. Während dieser Zeit konnte bereits eine erhebliche Umsatzsteigerung festgestellt werden. Hinzukommt, dass der Gemeinderat Muotathal das Gesuch des Anton Gwerder unterstützte und dass insbesondere der Milchkäuferverband Schwyz und Umgebung auf die Anstrengungen für den touristischen Aufschwung im Muotathal hinwies. Dass noch weitere Abklärungen hätten getroffen werden können und müssen, ist nicht ersichtlich; der Milchverband macht diesbezüglich denn auch keine Vorschläge.
Aufgrund ihrer Feststellungen durfte das EVD eine Umsatzsteigerung bis auf 30-351 pro Tag im Jahresdurchschnitt oder rund 12 0001 im Jahr schätzen. Gestützt darauf sowie auf die
BGE 98 Ib 30 S. 33
übrigen, heute nicht mehr umstrittenen Bemessungsfaktoren errechnete die Abteilung für Landwirtschaft im Auftrag des EVD den Gestehungspreis der Pastmilch bei Selbstherstellung durch Anton Gwerder auf 99,05 Rp/l. Gegenüber dem Verkaufspreis des Milchverbandes - 90,2 Rp/l - ergeben sich bei der Selbstherstellung somit Mehrkosten von rund 9 Rp/l. Da Anton Gwerder den Verkaufspreis von Fr. 1.05/l im Laden und von Fr. 1.10/l auf der Strasse nicht erhöht, verringert sich seine Marge um die genannten 9 Rappen. Dem steht eine massive Umsatzsteigerung gegenüber, welche die verringerte Marge weitgehend kompensieren dürfte. Es könnte daher - auf das Geschäft von Anton Gwerder allein bezogen - kaum von einem Verstoss gegen den Grundsatz der "kostensparenden Konsummilchversorgung" gesprochen werden. Wird dagegen auch die Produktion beim Milchverband mit in Betracht gezogen, ist eine gewisse Verteuerung nicht zu bestreiten. Zwar fällt diese deshalb nicht so schwer ins Gewicht, weil es eine normale Erscheinung ist, dass eine Grossanlage kostengünstiger produziert als eine Kleinanlage, und weil es sicher nicht der Wille des Gesetzgebers sein kann, in Zukunft nur noch Grossanlagen zu bewilligen. Trotzdem kann unter dem alleinigen Gesichtspunkt der Gestehungskosten die Selbstherstellung durch Anton Gwerder nicht als "kostensparend" qualifiziert werden.
b) Anton Gwerder hat glaubwürdig dargetan und das EVD mit Recht darauf abgestellt, dass die Ausnützung des Touristenkonsumbedarfs wegen dessen wetterbedingten Schwankungen eine flexible und kurzfristig anpassungsfähige Produktionsmöglichkeit voraussetzt. Die Zulieferung aus Winterthur vermag dem offensichtlich nicht zu entsprechen. Bei den im Gebirge oft unsicheren und rasch wechselnden Wetterlagen dürfte es nur selten möglich sein, bereits am Donnerstagnachmittag mit hinreichender Zuverlässigkeit den Touristenbedarf des Wochenendes abzuschätzen. Wegen der beschränkten Haltbarkeit der Pastmilch ist aber eine Anpassung des Angebotes an die Nachfrage unabdingbar. Mit ihr steht und fällt die Deckung des Touristenbedarfs im abgelegenen Muotathal und damit ganz allgemein die Absatzsteigerung von Pastmilch. Daraus ergibt sich, dass die von Anton Gwerder angestrebte Selbstherstellung von Pastmilch die "geordnete Konsummilchversorgung" nicht nur nicht stört, sondern erheblich verbessert. Dasselbe gilt bezüglich
BGE 98 Ib 30 S. 34
der "zweckmässigen Milchverarbeitung". Durch das erhöhte Angebot und den vermehrten Konsum von Pastmilch wird eine volkswirtschaftlich erwünschte Milchverwertung erreicht.
Wenn der Milchverband die wenigen hundert Liter Pastmilch pro Jahr dem Anton Gwerder nicht mehr liefern kann, ändert dies für ihn hinsichtlich der Milchverwertung und Milchversorgung kaum Wesentliches. Er macht aber zusätzlich geltend, eine large Bewilligungspraxis könnte das gesamte System aus den Fugen geraten lassen. Der Entscheid des EVD ist jedoch nicht dazu angetan, eine generell large Bewilligungspraxis einzuleiten. Darin wird lediglich Rücksicht genommen auf die in concreto besonders gelagerten Verhältnisse, namentlich auf die Abgelegenheit und Abgeschlossenheit des in Frage stehenden Versorgungsgebietes, die verhältnismässig komplizierte Zulieferung aus Winterthur sowie die nur kurzfristig erkennbaren Schwankungen der Nachfrage. Überdies fällt positiv ins Gewicht, dass durch die angestrebte Selbstherstellung ein neues Absatzgebiet für Pastmilch überhaupt erst erschlossen werden kann. Der vorliegende Fall dürfte sich daher von zahlreichen andern, namentlich solchen aus dem Mittelland, wesentlich unterscheiden. In diesem Lichte kann er auch nicht mit dem vom Bundesgericht beurteilten "Fall Villmergen" (Urteil vom 28.4.1967), den der Milchverband zur Begründung seiner Auffassung heranzieht, verglichen werden.
c) Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass dem Nachteil hinsichtlich der Gestehungskosten im vorliegenden Fall der Vorteil der wesentlich bessern Milchversorgung gegenübersteht. Durch diesen Vorteil wird der Nachteil zumindest ausgeglichen. Auch stört die Selbstherstellung von Pastmilch die zweckmässige Milchverarbeitung im Sinne von Art. 21 bis Abs. 4 Milchbeschluss nicht. Das EVD hat daher die Bewilligung zu Recht erteilt. Die Beschwerde des Milchverbandes ist unbegründet.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
57dc8a1a-f775-4d86-b3cb-04dd8736f439 | Urteilskopf
135 II 328
33. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause Association suisse pour la protection des oiseaux (ASPO) et consorts contre Conseil d'Etat du canton de Fribourg (recours en matière de droit public)
1C_408/2008 du 16 juillet 2009 | Regeste
Art. 14 und 33 RPG
; Rechtsnatur einer "Verordnung" des Staatsrates des Kantons Freiburg.
Rechtsnatur des Nutzungsplanes (E. 2.1). Angesichts der darin enthaltenen (ausreichend präzisen und detaillierten) Anordnungen, ist die angefochtene "Verordnung" materiell gleich zu behandeln wie ein Nutzungsplan; demzufolge unterliegt sie den Rechtsschutzanforderungen von
Art. 33 RPG
(E. 2.2). | Sachverhalt
ab Seite 328
BGE 135 II 328 S. 328
A.
Depuis les années 1920, et jusqu'en 1962, des chalets de vacances ont été érigés par des privés sur la rive sud du lac de Neuchâtel, dans le domaine public de l'Etat de Fribourg, sur la base de concessions ou autres autorisations à bien plaire.
BGE 135 II 328 S. 329
La rive sud du lac de Neuchâtel ("Grande Cariçaie") figure sur différents inventaires fédéraux, sur celui des paysages, sites et monuments naturels depuis 1983, sur celui des réserves d'oiseaux d'eau et de migrateurs d'importance internationale et nationale depuis 1991, sur celui des zones alluviales d'importance nationale depuis 1992, sur celui des bas-marais d'importance nationale depuis 1994 et sur celui des sites marécageux d'une beauté particulière et d'importance nationale depuis 1996.
B.
Face au développement des chalets de vacances, le Conseil d'Etat du canton de Fribourg a adopté, le 1
er
juin 1982, le "plan directeur de la rive sud du lac de Neuchâtel et des rives du lac de Morat" (ci-après: le plan directeur de 1982), prévoyant la suppression progressive, au fur et à mesure de l'expiration de la durée des autorisations d'utilisation du terrain public, de toutes les résidences secondaires sises dans les zones protégées. Un arrêté du Conseil d'Etat du canton de Fribourg du 26 avril 1983 "instaurant des mesures concernant les maisons de vacances sur le domaine public et privé de l'Etat au bord du lac de Neuchâtel" et complétant ce plan directeur, prévoyait que les autorisations d'utiliser le domaine public à l'intérieur des périmètres des zones naturelles étaient incessibles et non renouvelables et qu'elles arriveraient à échéance le 31 décembre 1998. Ce délai a toutefois été repoussé au 31 décembre 2008 par arrêté du 24 juin 1997.
C.
Le 6 mars 2002, la Direction des travaux publics de l'Etat de Fribourg (actuellement la Direction de l'aménagement, de l'environnement et des constructions) a adopté un "plan d'affectation cantonal des réserves naturelles sur la rive sud du lac de Neuchâtel". Ce plan d'affectation ne règle pas expressément le sort des chalets de vacances, mais réserve à ce sujet "la législation spéciale".
En date du 27 novembre 2007, le Conseil d'Etat a édicté une ordonnance abrogeant l'arrêté du 26 avril 1983 et instituant un "contrat nature" permettant la pérennisation des chalets. Moyennant la signature d'un "contrat nature" avec l'Etat de Fribourg, chaque actuel propriétaire de chalet pourra continuer à occuper les lieux sa vie durant, et après lui son conjoint ou partenaire enregistré et leurs descendants en ligne directe. Le 27 novembre 2007 également, le Conseil d'Etat a modifié le plan directeur de 1982, en ce que l'obligation de suppression progressive des chalets de vacances a été complétée par la mention "sous réserve de la conclusion de contrats nature selon l'ordonnance du 27 novembre 2007".
BGE 135 II 328 S. 330
D.
Le 24 janvier 2008, l'Association suisse pour la protection des oiseaux (ci-après: l'ASPO), Pro Natura, Pro Natura Fribourg, le WWF Suisse et le WWF Fribourg ont recouru auprès de la II
e
Cour administrative du Tribunal cantonal du canton de Fribourg (ci-après: le Tribunal cantonal) contre l'ordonnance du Conseil d'Etat du 27 novembre 2007 "relative à l'établissement d'un contrat nature pour les chalets de vacances sur le domaine de l'Etat au bord du lac de Neuchâtel" et contre l'arrêté du Conseil d'Etat du 27 novembre 2007 modifiant le "plan directeur de la rive sud du lac de Neuchâtel et des rives du lac de Morat", dans la mesure où ces deux actes portent sur les chalets de vacances sis sur le domaine de l'Etat de Fribourg, à l'intérieur des réserves naturelles dans les communes de Font, Forel et Delley-Portalban. Par arrêt du 12 août 2008, le Tribunal cantonal a déclaré le recours irrecevable. Il a considéré en substance que l'ordonnance et l'arrêté litigieux n'étaient pas des décisions susceptibles de recours mais des actes généraux et abstraits. Le droit fribourgeois ne connaissant pas le contrôle abstrait des normes, le recours devait être déclaré irrecevable.
E.
Agissant par la voie du recours en matière de droit public, l'ASPO, Pro Natura, Pro Natura Fribourg, le WWF Suisse et le WWF Fribourg (ci-après: les recourants ou l'ASPO et consorts) demandent au Tribunal fédéral d'annuler l'arrêt du Tribunal cantonal et de retourner le dossier à celui-ci pour qu'il statue sur le fond du recours du 24 janvier 2008. Les recourants estiment que les deux actes litigieux ont un caractère décisionnel et que dès lors la compétence du Tribunal cantonal est donnée. (...)
Le Tribunal fédéral a admis le recours dans la mesure de sa recevabilité, annulé l'arrêt attaqué et renvoyé la cause au Tribunal cantonal.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Les recourants considèrent que le Tribunal cantonal a rendu à tort un prononcé d'irrecevabilité. Ils estiment que les actes attaqués ont un caractère décisionnel évident et que, dès lors, le refus du Tribunal cantonal de leur reconnaître la qualité pour agir consacrerait une violation de l'
art. 111 LTF
et de l'
art. 12 LPN
.
Le Tribunal cantonal a, au contraire, qualifié l'ordonnance du 27 novembre 2007 d'acte normatif, au motif qu'elle ne portait pas sur un
BGE 135 II 328 S. 331
objet déterminé, mais sur le champ d'application, la conclusion et les effets juridiques des "contrats nature". Par conséquent, le recours devait être déclaré irrecevable, dès lors qu'à l'exception des règlements communaux, le Tribunal cantonal n'est pas habilité à procéder au contrôle abstrait des normes (Revue fribourgeoise de jurisprudence [RFJ] 1993 p. 329). Les juges cantonaux ont également considéré que l'arrêté du Conseil d'Etat du 27 novembre 2007 faisait partie du "plan directeur intercantonal du 1
er
juin 1982 de la rive sud du lac de Neuchâtel et des rives du lac de Morat", lequel constituait un plan directeur sectoriel qui selon la législation fribourgeoise n'était pas susceptible de recours (art. 76 al. 2 de la loi du 9 mai 1983 sur l'aménagement du territoire et les constructions [RSF 710.1]).
La contestation porte donc uniquement sur la qualification juridique de l'ordonnance et de l'arrêté du Conseil d'Etat du 27 novembre 2007.
2.1
En droit public, la notion de "décision" au sens large vise habituellement toute résolution que prend une autorité et qui est destinée à produire un certain effet juridique ou à constater l'existence ou l'inexistence d'un droit ou d'une obligation; au sens étroit, c'est un acte qui, tout en répondant à cette définition, intervient dans un cas individuel et concret (
ATF 106 Ia 65
consid. 3). A teneur de l'art. 4 al. 1 du code de procédure et de juridiction administrative du canton de Fribourg du 23 mai 1991 (CPJA; RSF 150.1), sont considérées comme des décisions "les mesures de caractère obligatoire prises dans un cas d'espèce en application du droit public et qui ont pour objet de créer, de modifier ou d'annuler des droits ou des obligations (let. a), de constater l'existence, l'inexistence ou le contenu de droits ou d'obligations (let. b) ou de rejeter ou de déclarer irrecevables des demandes tendant à créer, modifier, annuler ou constater des droits ou des obligations (let. c)". Cette disposition définit la notion de décision de la même manière que l'art. 5 al. 1 de la loi fédérale du 20 décembre 1968 sur la procédure administrative (PA; RS 172.021; BENOÎT BOVAY, Procédure administrative, 2000, p. 77).
Au contraire, ce qui caractérise les actes normatifs est le fait qu'ils sont généraux et abstraits. Un acte est général lorsqu'il s'applique à un nombre indéterminé de personnes. Il est abstrait lorsqu'il se rapporte à un nombre indéterminé de situations ou, en d'autres termes, lorsque le nombre de ses cas d'application peut varier durant la période de sa validité (AUER/HOTTELIER/MALINVERNI, Droit constitutionnel suisse, vol. I, 2
e
éd. 2006, n° 1733 s.).
BGE 135 II 328 S. 332
Il existe toutefois des actes qui se situent entre la norme et la décision, et dont la nature juridique précise doit être déterminée de cas en cas. Il en va ainsi du plan d'affectation (
ATF 121 II 317
consid. 12c p. 346). Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, un plan d'affectation peut être assimilé matériellement à une décision lorsqu'il contient des mesures suffisamment détaillées pouvant préjuger d'une procédure d'autorisation subséquente (arrêts 1C_153/2007 du 6 décembre 2007 consid. 1.3; 1A.44/1991 du 19 novembre 1992 consid. 1a, non publié in
ATF 118 Ib 485
; cf.
ATF 132 II 209
consid. 2.2.2 p. 214;
ATF 129 I 337
consid. 1.1 p. 339;
ATF 123 II 231
consid. 2 p. 234;
ATF 121 II 72
consid. 1b p. 75 et les arrêts cités). Ainsi, un plan d'affectation spécial réglant la protection des marais et des sites marécageux d'une beauté particulière et d'importance nationale a été qualifié matériellement de décision, au sens de l'
art. 5 PA
, fondée sur le droit fédéral de la protection de la nature et du paysage (
ATF 124 II 19
consid. 1a, in DEP 1998 p. 31; cf. ZBl 97/1996 p. 122 consid. 1a p. 124 et les références citées).
2.2
En l'occurrence, l'ordonnance du 27 novembre 2007 règle "la situation des chalets de vacances construits sur le domaine public ou privé de l'Etat au bord du lac de Neuchâtel" (art. 1). L'article 3 de ladite ordonnance prévoit que les autorisations, accordées à bien plaire, en vue de l'utilisation du domaine public et privé de l'Etat pour des chalets de vacances dans les périmètres des réserves naturelles du plan d'affectation cantonal prennent fin le 31 décembre 2008, à moins qu'un "contrat nature" soit conclu. L'article 6 définit le "contrat nature" comme étant un contrat de droit administratif entre l'Etat propriétaire du fonds et un propriétaire de chalet qui règle les droits et les obligations des propriétaires qui veulent maintenir leurs chalets de vacances au-delà du 31 décembre 2008 (al. 1 et 2). Les articles 6 à 10 de l'ordonnance du 27 novembre 2007 fixent l'objet du contrat, les principes, la durée et la résiliation, le contrôle et l'exécution des mesures. Il en ressort que la surface mise à disposition du propriétaire est louée, que l'utilisation des constructions et des surfaces extérieures est soumise à des restrictions, que les aménagements existants doivent être régularisés voire supprimés s'ils sont contraires aux buts de protection, que les travaux aux chalets se limitent aux travaux d'entretien, que les contrats conclus pour cinq ans sont renouvelables et que les bâtiments faisant l'objet du contrat peuvent être transmis aux descendants en ligne directe du bénéficiaire, son conjoint ou son partenaire enregistré.
BGE 135 II 328 S. 333
L'ordonnance du 27 novembre 2007 règle donc les droits et les obligations des propriétaires de chalets de vacances sur le territoire des communes de Font, de Forel et de Delley-Portalban de façon concrète, impérative et contraignante, sans laisser de marge de manoeuvre aux intéressés soumis à l'obligation de conclure ledit contrat sous peine de devoir démolir leurs chalets. Par conséquent, les "contrats nature" subséquents ne devront plus que préciser les noms des propriétaires et la désignation du chalet de vacances, qui sont par ailleurs connus. De plus, les chalets ont été localisés et cadastrés: leur nombre est strictement limité aux constructions existantes, toute nouvelle édification étant expressément exclue. L'ordonnance ne s'applique dès lors pas à un nombre indéterminé de situations. Le cercle des propriétaires est également défini et connu de l'Etat.
Sur le vu des mesures suffisamment précises et détaillées qu'elle contient, l'ordonnance litigieuse doit être assimilée matériellement à un plan d'affectation. En effet, comme un plan d'affectation, elle règle l'utilisation du sol (
art. 14 al. 1 LAT
[RS 700]) en déterminant de façon contraignante pour chaque parcelle, le mode, le lieu et la mesure de l'utilisation admissible du sol (cf.
ATF 123 II 91
consid. 1a/aa p. 91; WALDMANN/HÄNNI, Raumplanungsgesetz, 2006, n° 3 ad
art. 14 LAT
; PIERRE MOOR, in Commentaire de la loi fédérale sur l'aménagement du territoire, 1999, n° 1 ad
art. 14 LAT
et les références citées). S'ajoute à cela le fait que le règlement du 6 mars 2002 accompagnant le plan d'affectation cantonal des réserves naturelles sur la rive sud du lac de Neuchâtel prévoit à son article 12 que "la situation des résidences secondaires existantes est réglée par la législation spéciale". L'ordonnance du 27 novembre 2007 peut ainsi être comprise comme étant la "législation réservée" par ledit article. Partant, elle est soumise aux exigences prévues par l'
art. 33 LAT
en matière de protection juridique. Cet article ordonne en effet aux cantons de prévoir au moins une voie de recours contre les décisions et les plans d'affectation fondés sur la LAT et sur les dispositions cantonales et fédérales d'exécution, auprès d'une autorité ayant un libre pouvoir d'examen.
2.3
Quant à l'arrêté du 27 novembre 2007, il se fonde sur l'ordonnance du même jour et y opère un renvoi. Il n'a pas de portée propre. Dès lors, l'annulation de l'ordonnance aurait pour conséquence que les modifications apportées au plan directeur de 1982 n'auraient plus de portée. Il convient donc de rattacher son sort à celui de ladite ordonnance.
BGE 135 II 328 S. 334
2.4
En définitive, le jugement attaqué viole le droit fédéral en tant qu'il déclare le recours d'ASPO et consorts irrecevable, au motif que les objets du recours cantonal sont des actes généraux et abstraits. Il doit par conséquent être annulé. Il convient de renvoyer la cause au Tribunal cantonal pour qu'il statue sur les autres conditions de recevabilité et sur les arguments de fond développés contre l'ordonnance et l'arrêté du Conseil d'Etat du 27 novembre 2007. | public_law | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
57dcfc8e-350f-4d6b-afb2-3a1919523092 | Urteilskopf
114 Ib 257
39. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Dezember 1988 i.S. S. gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Verlust des Schweizerbürgerrechts bei Geburt im Ausland;
Art. 10 Abs. 1 und
Art. 21 BüG
.
Ein im Ausland geborener Schweizer, der sein Schweizerbürgerrecht im Alter von 22 Jahren mangels Meldung bei einer schweizerischen Behörde verloren hat, kann aufgrund von
Art. 21 BüG
nur wiedereingebürgert werden, wenn er sich über eine gewisse Verbundenheit mit der Schweiz ausweist. Wer bis zur Stellung des Wiedereinbürgerungsgesuchs weder einen Kontakt mit der Schweiz noch mit der Schweizer Vertretung oder der Schweizer Kolonie im ausländischen Staat unterhalten und die Schweiz auch nie besucht hat, weist keine solche Verbundenheit auf. | Sachverhalt
ab Seite 257
BGE 114 Ib 257 S. 257
C.S. wurde am 4. Januar 1963 als Sohn Schweizer Eltern in Chile geboren und erwarb die chilenische Staatsangehörigkeit. Da er nie einer schweizerischen Behörde im Ausland oder Inland gemeldet
BGE 114 Ib 257 S. 258
worden war und sich auch nicht selbst meldete, erlosch sein Schweizerbürgerrecht am 4. Januar 1985. In der Folge stellte er bei der Schweizer Botschaft in Santiago de Chile am 29. Dezember 1986 gestützt auf
Art. 21 des Bundesgesetzes über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts vom 29. September 1952 (BüG; SR 141.0)
ein Gesuch um Wiedereinbürgerung. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement ist auf dieses Gesuch mit Entscheid vom 28. März 1988 nicht eingetreten.
Gegen diesen Entscheid erhebt C.S. beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde, in welcher er sinngemäss die Gutheissung seines Wiedereinbürgerungsgesuchs beantragt.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 10 Abs. 1 BüG
in der bis zum 30. Juni 1985 gültigen Fassung verwirkte das im Ausland geborene Kind eines ebenfalls im Ausland geborenen Schweizerbürgers, das noch eine andere Staatsangehörigkeit besass, das Schweizerbürgerrecht mit der Vollendung des 22. Lebensjahres, wenn es nicht bis dahin einer schweizerischen Behörde im Ausland oder Inland gemeldet worden war oder sich selber gemeldet oder schriftlich erklärt hatte, das Schweizerbürgerrecht beibehalten zu wollen. Aufgrund dieser Bestimmung verlor der Beschwerdeführer, der sich erst nach dem vollendeten 22. Altersjahr bei einer schweizerischen Behörde gemeldet hatte, am 4. Januar 1985 das Schweizerbürgerrecht.
Nach der bis zum 30. Juni 1985 geltenden Fassung von
Art. 10 Abs. 1 BüG
wurden nur die im Ausland geborenen Schweizer der zweiten Generation von der Verwirkung betroffen. Mit der am 1. Juli 1985 in Kraft getretenen Gesetzesrevision wurden die Verwirkungsfolgen unter den gleichen Bedingungen auf sämtliche im Ausland geborenen Kinder eines schweizerischen Elternteils, die noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzen, ausgedehnt. Ziel der Revision war es, Kinder verheirateter Schweizerinnen mit denjenigen verheirateter Schweizer beim Erwerb des Schweizerbürgerrechts gleichzustellen. Diese neue Regelung, die mit der automatischen Weitergabe des Schweizerbürgerrechts durch die Mutter verbunden ist, musste zur Folge haben, dass es vermehrt
BGE 114 Ib 257 S. 259
Doppelbürger ohne Beziehung zur Schweiz geben wird. Um diese unerwünschte Nebenwirkung der Gleichstellung von Mann und Frau etwas zu mildern, wurde die Verwirkungsregelung in
Art. 10 BüG
verschärft. Dadurch wurde auch die Praxis zu
Art. 21 BüG
beeinflusst. Nach dieser Bestimmung kann derjenige wiedereingebürgert werden, der aus entschuldbaren Gründen die nach Art. 10 erforderliche Meldung oder Erklärung unterlassen und damit das Schweizerbürgerrecht verwirkt hat, sofern er das Gesuch innert zehn Jahren seit der Verwirkung stellt. Diese letzte Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt. Doch müssen sich die Personen, welche die Wiedereinbürgerungsmöglichkeit von
Art. 21 BüG
in Anspruch nehmen wollen, zusätzlich noch über eine gewisse Verbundenheit mit der Schweiz ausweisen. Das wird in der Botschaft des Bundesrates zur Änderung des BüG vom 18. April 1984 deutlich ausgesprochen (BBl 1984 II 216 und 221 f.) und ist vom Parlament bestätigt worden (Amtl.Bull. NR 1984 II 1049 f. und 1061 f.; StR 1984/617 und 619). Dazu kommt, dass nach
Art. 21 BüG
eine Wiedereinbürgerung erfolgen kann, der Gesetzgeber somit der entscheidenden Behörde in dieser Beziehung ein gewisses Ermessen einräumt.
3.
In tatsächlicher Hinsicht lässt sich den Akten entnehmen, dass der Grossvater des Beschwerdeführers am Anfang des Jahrhunderts die Schweiz verlassen hat, um nach Chile auszuwandern. Der Vater wurde im Jahre 1932 in Chile geboren und erwarb mit der Geburt sowohl die schweizerische als auch die chilenische Staatsangehörigkeit. Die Mutter ist gebürtige Chilenin. Schon der Grossvater verlor den Kontakt zu seiner Familie in der Schweiz. Weder die Eltern des Beschwerdeführers noch er selber waren bei der schweizerischen Vertretung in Chile immatrikuliert. Kontakte mit Vereinigungen der Auslandschweizerkolonie oder mit Auslandschweizern in Chile unterhielten der Beschwerdeführer und seine Familie nicht. Auch verkehrten sie nicht mit Verwandten und Bekannten in der Schweiz. Weder er noch seine Familie hielten sich je in der Schweiz auf. In bezug auf die schweizerischen Landessprachen gibt der Gesuchsteller an, dass er ein wenig Französisch spreche.
Bis zur Stellung seines Wiedereinbürgerungsgesuchs Ende 1986 hatte der Beschwerdeführer somit überhaupt keine Verbindung zur Schweiz. Erst in diesem Zeitpunkt hat er angefangen, sich für seine schweizerische Abstammung zu interessieren und mit Personen in der Schweiz, die den gleichen Familiennamen tragen, brieflichen
BGE 114 Ib 257 S. 260
Kontakt aufzunehmen. Der Beschwerdeführer begründet sein Verhalten damit, dass er bis zum Abschluss seines Studiums, der erst nach Vollendung seines 22. Altersjahres erfolgte, nicht über genügend finanzielle Mittel verfügte, um Verbindung mit seinem ehemaligen Heimatland und mit Kreisen von Auslandschweizern in Chile aufzunehmen. Doch kann darin nicht eine ausreichende Erklärung dafür erblickt werden, dass der Beschwerdeführer bis nach seinem 22. Altersjahr überhaupt keinen Kontakt mit der Schweizer Vertretung oder mit der Schweizer Kolonie in Chile gesucht hat. Die Unterlassung der nach
Art. 10 Abs. 1 BüG
erforderlichen Meldung oder Erklärung hat unter diesen Umständen als nicht entschuldbar zu gelten. Dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement kann somit keine Ermessensüberschreitung vorgeworfen werden, wenn es dem Wiedereinbürgerungsgesuch des Beschwerdeführers nicht stattgegeben hat. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
57e43b27-705a-4513-8afe-5f899ea23b36 | Urteilskopf
91 IV 113
32. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Oktober 1965 i.S. Neuhaus gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn | Regeste
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
,
Art. 35 Abs. 2 und 3 SVG
.
Das gewissenlose vorschriftswidrige Überholen kann allein zur Verweigerung des bedingten Strafvollzuges führen. | Sachverhalt
ab Seite 113
BGE 91 IV 113 S. 113
A.-
Neuhaus fuhr am Nachmittag des 10. September 1964 mit dem Personenwagen Ford-Corsaire seines Arbeitgebers auf der Hauptstrasse Nr. 5/12 von Wiedlisbach gegen Solothurn. Ausgangs Flumenthal schickte er sich an, zwei vor ihm fahrende Wagen, einen PW Morris und einen Lieferwagen, zu überholen. Die mit Betonbelag versehene, zweispurige Strasse ist dort 7,5 m breit und beschreibt eine leichte Rechtskurve. Die vor Neuhaus befindlichen Fahrzeuge bewegten sich mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 80 km/Std. Nach Einleitung des Überholmanövers sah er sich auf kurze Strecke einem ihm entgegenkommenden andern Fahrzeug, dem Studebaker des Louis Vonlanthen, gegenüber. Um einen Zusammenstoss zuvermeiden, beschleunigte er seine Fahrt und bog in die rund 8 m lange Lücke zwischen dem überholten PW Morris und dem noch vor ihm fahrenden Lieferwagen ein, worauf er gleich wieder stark bremsen musste, um nicht auf diesen zu stossen. Der Führer des PW Morris, Henri Lagier, wurde durch das überraschend knappe Einbiegen des Neuhaus veranlasst, ebenfalls zu bremsen und nach rechts auszuweichen. Beim Versuch, seinen Wagen wieder auf die richtige Bahn zu bringen, geriet dieser ins Schleudern und wurde dabei in die linke Fahrbahn hineingetragen, wo er mit dem Studebaker Vonlanthens zusammenstiess; dadurch wieder auf die eigene Fahrbahn zurückgeworfen, stiess er dort mit dem ihm in gleicher Fahrtrichtung gefolgten
BGE 91 IV 113 S. 114
PW Ford-Corsaire des Edgar Wälti zusammen. Henri Lagier wurde beim Zusammenstoss durch Genickbruch getötet, Louis Vonlanthen musste mit einer Brustbeinfraktur und Schnittquetschwunden ins Bürgerspital Solothurn eingeliefert werden und seine Ehefrau erlitt ebenfalls Verletzungen. Die PW Morris und Studebaker waren zerstört, und am Wagen des Wälti entstand ein Schaden von rund Fr. 3000.--.
B.-
Das Amtsgericht Solothurn-Lebern verurteilte am 17. März 1965 Neuhaus wegen fahrlässiger Tötung und grober Verletzung von Verkehrsregeln (
Art. 35 Abs. 2 und 3 SVG
) infolge unvorsichtigen Überholens zu drei Monaten Gefängnis sowie zu einer Busse von Fr. 200.--. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde mit einer Probezeit von drei Jahren aufgeschoben. Auf Berufung des Angeklagten und derjenigen der Staatsanwaltschaft hin bestätigte das Obergericht des Kantons Solothurn am 14. Mai 1965 den erstinstanzlichen Schuldspruch sowie die Busse von Fr. 200.--, erhöhte aber die Freiheitsstrafe auf vier Monate Gefängnis und verweigerte den bedingten Strafvollzug. Zur Begründung dieser Verweigerung führt es im wesentlichen aus, der Angeklagte sei durchaus uneinsichtig und sei sich der schrecklichen Tragweite seines Deliktes nicht bewusst; er habe bis jetzt auch nichts Zumutbares unternommen, den angerichteten Schaden lindern zu helfen, vielmehr bestreite er seine Schuld; die verschiedenen Tatbestände, deretwegen sich die Polizei bereits früher mit ihm zu befassen gehabt habe, sowie der heute zu beurteilende Tatbestand, insbesondere sein Verhalten, liessen nicht auf einen Charakter schliessen, der den Angeklagten bei Gewährung des bedingten Strafvollzuges sicher von der Begehung neuer Delikte abhalten würde; das Gericht könne ihm in dieser Hinsicht nicht das erforderliche Vertrauen entgegenbringen.
C.-
Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten mit dem Antrag, es aufzuheben und die Sache zur Gewährung des bedingten Strafvollzuges an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Staatsanwaltschaft hat sich einer Stellungsnahme enthalten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist gemäss
Art. 269 Abs. 1 BStP
nur wegen Verletzung von Bundesrecht zulässig, was bei Nichtgewährung des bedingten Strafvollzuges bedeutet, dass die
BGE 91 IV 113 S. 115
damit verbundene ungünstige Voraussage über das künftige Verhalten des Verurteilten bei Zubilligung einer blossen Warnungsstrafe einzig wegen Überschreitung des dem Richter gemäss
Art. 41 Ziff. 1 StGB
zustehenden Ermessens angefochten werden kann.
3.
... Die Verweigerung der genannten Rechtswohltat ist auch auf Grund von Überlegungen zulässig, die sich auf die Umstände der Tat stützen, soweit dabei nicht gegen den Grundgedanken dieser Massnahme verstossen wird (vgl.
BGE 73 IV 78
und ständige Rechtsprechung). Ein solcher dem Sinn und Geist des Gesetzes nicht widersprechender Grund ist in Fällen fahrlässiger Tötung durch Missachtung von Verkehrsvorschriften in einer rücksichtslosen, von besonderer Hemmungslosigkeit zeugenden Fahrweise zu sehen, die, selbst wenn sie früher unerkannt geblieben ist, das Vertrauen nicht gibt, der Verurteilte werde auch ohne den Vollzug der Strafe künftig ähnlichen Versuchungen widerstehen, wie sie an ihn als Motorfahrzeugführer täglich herantreten können (BGE 73 IV Bl;
BGE 74 IV 137
f., 196;
BGE 76 IV 72
;
BGE 77 IV 68
Erw. 2;
BGE 80 IV 13
;
BGE 88 IV 7
;
BGE 90 IV 261
und weitere Urteile). Diese Rechtsprechung bezieht sich zur Hauptsache auf die Angetrunkenheit am Steuer. Das Fahren in angetrunkenem Zustande ist aber nur ein besonderer Fall gewissenloser Gefährdung des Verkehrs; diese kann, wie aus den angeführten Entscheidungen, so
BGE 73 IV 81
und
BGE 76 IV 72
, ersichtlich ist, auch in der fahrlässigen Missachtung wichtiger Verkehrsregeln liegen.
Der Beschwerdeführer hat den Tod Lagiers durch vorschriftswidriges Überholen verschuldet. Eine solche Übertretung ist an sich nicht notwendig ein Zeichen besonderer Gewissenlosigkeit. Der Fahrzeugführer kann sich beispielsweise in der Einschätzung der Geschwindigkeit eines entgegenkommenden Fahrzeuges täuschen, ohne dass ihn deswegen schon der genannte Vorwurf trifft. So war es aber im vorliegenden Falle nicht. Der Beschwerdeführer hat die beiden vor ihm fahrenden Wagen zu überholen versucht, obwohl ihm der Lieferwagen infolge einer leichten Strassenbiegung die Sicht verdeckte, die für ein gefahrloses Vorfahren hätte frei sein müssen. Er liess sich von seinem Manöver auch nicht durch den Umstand abhalten, dass er sich auf einer verkehrsreichen Strasse bewegte und daher mit der nahen Möglichkeit zu rechnen hatte, dass ihm auf der linken Strassenhälfte jederzeit Fahrzeuge begegnen könnten, bevor er ohne Gefährdung
BGE 91 IV 113 S. 116
anderer Verkehrsteilnehmer wieder in die rechte Strassenseite eingebogen sein würde. Dazu kommt, dass sich die Wagenreihe, aus der er ausbrach, bereits mit der namhaften Geschwindigkeit von 80 km in der Stunde bewegte, sowie dass der Abstand zwischen den beiden vordern Wagen, auf den er - für ein allenfalls notwendig werdendes Einbiegen nach Überholen des ersten Wagens - angewiesen war, nur rund 8 m, also erheblich weniger als der bei jener Geschwindigkeit benötigte Reaktionsweg betrug. Das sind Umstände, welche die mit dem Vorfahren an sich schon verbundenen Gefahren noch beträchtlich erhöhten. Der Beschwerdeführer hat dadurch die Sicherheit des Verkehrs, Leib und Leben anderer um eines schnöden kurzen Zeitgewinnes willen, aus Ungeduld oder sogar aus barer Rennsucht freventlich aufs Spiel gesetzt. Ein solches Verhalten ist, wie das Obergericht mit Recht erklärt, offensichtlich nicht mehr nur mit einem augenblicklichen Versagen, sondern mit einer Charakterschwäche des Täters zu erklären. Diese Annahme lässt sich um so mehr vertreten, als es dem Beschwerdeführer wie heute wohl jedem Motorfahrzugführer bekannt sein musste, dass das vorschriftswidrige Überholen sozusagen täglich zu schweren Unfällen führt und dass deshalb in der Öffentlichkeit von den massgeblichen Stellen aus, namentlich durch die Presse, immer wieder eindringlich auf diese Gefahren hingewiesen wird. Wie wenig der Beschwerdeführer sich um diese Warnungen kümmerte, geht daraus hervor, dass er gemäss einer weiteren Feststellung der Vorinstanz schon etwa drei Kilometer vor der Unfallstelle trotz Gegenverkehr ein verwegenes Überholungsmanöver ausgeführt hatte. Wer sich über die allgemein bekannten, so erheblichen Gefahren und die ständigen Mahnungen derart hinwegsetzt, verdient auch nicht das Vertrauen, dass er sich schon durch eine blosse Warnungsstrafe nachhaltig eines Bessern besinne und sich wirklich bessere. Die Vorinstanz überschritt das ihr zustehende Ermessen deshalb keineswegs, wenn sie dem Beschwerdeführer dieses Vertrauen nicht entgegenbrachte und von der Zubilligung des bedingten Strafvollzuges absah. Ob zudem die früheren Anlässe, an denen sich die Polizei mit ihm zu befassen hatte, und ob auch sein Verhalten nach der Tat gegen die erforderliche Erwartung sprechen, kann bei dieser Sachlage offen bleiben. Die in der zu beurteilenden Tat allein bekundete Hemmungs- und Bedenkenlosigkeit genügt (
BGE 79 IV 68
;
BGE 88 IV 7
;
BGE 90 IV 261
).
BGE 91 IV 113 S. 117
Die Überlegungen, die von der Rechtsprechung hinsichtlich der Angetrunkenheit am Steuer angestellt wurden, treffen in gleichem oder noch vermehrtem Masse auf das gewissenlose Überholen zu. Bei der Häufigkeit der durch solche Manöver verschuldeten Verkehrsunfälle mit ihren vielfach unheilvollen Folgen ist hier nicht minder als dort zusätzlich auch aus Gründen der Generalprävention eine entsprechende Strenge am Platze.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
57ecd1aa-0285-4172-9c49-cf166e6f39ac | Urteilskopf
125 II 492
49. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Oktober 1999 i.S. Bundesamt für Strassen gegen S. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG
,
Art. 16 Abs. 1 SVG
,
Art. 17 Abs. 1bis SVG
,
Art. 9 Abs. 1 VZV
,
Art. 30 Abs. 1 VZV
,
Art. 35 Abs. 3 VZV
; Sicherungsentzug, Abklärung der Fahreignung, vorsorglicher Entzug.
Wenn hinreichend begründete Anhaltspunkte vorliegen, dass der Fahrzeuglenker rücksichtslos fahren wird, ist ein Sicherungsentzug anzuordnen; in Zweifelsfällen ist der Lenker verkehrspsychologisch oder psychiatrisch begutachten zu lassen (E. 2a).
Bis zur Abklärung von Ausschlussgründen kann der Führerausweis vorsorglich entzogen werden, wenn Anhaltspunkte den Fahrzeugführer als besonderes Risiko für die anderen Verkehrsteilnehmer erscheinen lassen und ernsthafte Bedenken an seiner Fahreignung erwecken (E. 2b).
Da die Vorinstanz zu Recht Zweifel an der charakterlichen Eignung des Fahrzeuglenkers hatte, hätte sie zur Eignungsabklärung ein verkehrspsychologisches oder psychiatrisches Gutachten anordnen müssen; die konkreten Anhaltspunkte rechtfertigten auch einen sofortigen vorsorglichen Ausweisentzug (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 493
BGE 125 II 492 S. 493
Das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern entzog S. am 19. März 1999 den Führerausweis wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (78 km/h statt 50 km/h und 153 km/h statt 80 km/h) für die Dauer von sieben Monaten (Warnungsentzug). Eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Betroffenen wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern am 20. Juli 1999 ab.
Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache an das Strassenverkehrsamt zur verkehrspsychologischen Abklärung der charakterlichen Eignung zum Führen von Motorfahrzeugen von S. zurückzuweisen; bis zum Vorliegen der Untersuchungsergebnisse sei S. der Führerausweis sofort vorsorglich zu entziehen. Sollte die verkehrspsychologische Untersuchung ergeben, dass bei S. kein Eignungsmangel vorliege, sei die Verfügung vom 19. März 1999 zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Das beschwerdeführende Amt macht geltend, der Beschwerdegegner habe, nur gerade vier Monate nach dem Erwerb des Führerausweises, die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit massiv, nämlich um mehr als 50%, überschritten. Obwohl er sogleich von der polizeilichen Verzeigung in Kenntnis gesetzt worden sei, habe er nur eine Woche später in einem Autobahntunnel die zulässige
BGE 125 II 492 S. 494
Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um beinahe das Doppelte (73 km/h) überschritten. Damit habe er zwei Mal innert kürzester Zeit den Verkehr in schwerer Weise gefährdet. Hinzu komme, dass ihn bei beiden Widerhandlungen ein schweres Verschulden treffe, habe er doch anlässlich der Gewährung des rechtlichen Gehörs ausgeführt, bei der ersten Fahrt habe er einer «hübschen Lady» zeigen wollen, wie das Auto laufe, und bei der zweiten habe er einen Kollegen nach Hause gebracht, wobei er wegen dessen strengen Eltern habe «etwas pressieren» müssen. Auf Grund der Verzeigung anlässlich der ersten Verfehlung hätte ihm bewusst sein müssen, welche Gefahr er mit seiner Fahrweise für die anderen Verkehrsteilnehmer geschaffen habe und dass er deswegen mit einer Sanktion zu rechnen gehabt habe. Dies habe ihn aber nicht daran gehindert, nur gerade eine Woche später einen Autobahntunnel mit einer massiv übersetzten Geschwindigkeit zu befahren. Die von ihm anerkannten Widerhandlungen und seine Beweggründe dafür liessen mit hinreichender Deutlichkeit darauf schliessen, dass er sich der Gefahren, die mit dem Führen eines Motorfahrzeugs verbunden sind, entweder nicht bewusst sei oder ihm die Fähigkeit oder der Wille fehle, diesen Gefahren Rechnung zu tragen. Insbesondere der Umstand, dass er eigene private Interessen (Imponiergehabe) und private Interessen Dritter höher bewerte als diejenigen anderer Verkehrsteilnehmer, nicht gefährdet oder verletzt zu werden, offenbarten einen derart schweren Mangel an Verantwortungsbewusstsein im Strassenverkehr, dass seine charakterliche Eignung zum Führen von Motorfahrzeugen ernsthaft bezweifelt werden müsse.
Die Vorinstanz erwähne zwar, dass die Entzugsbehörde angesichts der schwerwiegenden Verfehlungen auch einen Sicherungsentzug auf unbestimmte Zeit hätte in Erwägung ziehen können. Doch hätte sie selbst prüfen müssen, ob sich im vorliegenden Fall ein Sicherungsentzug wegen charakterlicher Nichteignung aufdränge. Indem sie eine eingehende Prüfung in diesem Punkt unterlassen habe, habe sie Bundesrecht verletzt.
b) Gemäss Art. 35 Abs. 3 der Verordung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) könne bis zur Abklärung von Ausschlussgründen der Führerausweis sofort vorsorglich entzogen werden. Beim Beschwerdegegner bestünden gewichtige Bedenken an der Eignung zum Führen von Motorfahrzeugen, und weil aus den Akten keine ausserordentlichen Umstände ersichtlich seien, die
BGE 125 II 492 S. 495
einen vorsorglichen Entzug verbieten würden, sei ein solcher sofort anzuordnen.
2.
a) Der Führerausweis ist zu entziehen, wenn festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen (Art. 16 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 1958 über den Strassenverkehr [SVG; SR 741.0]). Sicherungsentzüge dienen der Sicherung des Verkehrs vor ungeeigneten Führern (
Art. 30 Abs. 1 VZV
). Der Ausweis wird auf unbestimmte Zeit entzogen, unter anderem wenn der Führer «aus charakterlichen oder anderen Gründen nicht geeignet ist, ein Motorfahrzeug zu führen»; mit dem Entzug ist eine Probezeit von mindestens einem Jahr zu verbinden (
Art. 17 Abs. 1bis SVG
; vgl. auch
Art. 33 VZV
). Nach
Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG
darf der Führerausweis nicht erteilt werden, wenn der Bewerber aufgrund seines bisherigen Verhaltens nicht Gewähr bietet, dass er als Motorfahrzeugführer die Vorschriften beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht nehmen wird. Anzeichen hierfür bestehen, wenn Charaktermerkmale des Betroffenen, die für die Eignung im Verkehr erheblich sind, darauf hindeuten, dass er als Lenker eine Gefahr für den Verkehr darstellt (
BGE 104 Ib 95
E. 1 S. 97). Für den Sicherungsentzug aus charakterlichen Gründen ist die schlechte Prognose über das Verhalten als Motorfahrzeugführer massgebend (PETER STAUFFER, Der Entzug des Führerausweises, Diss. Bern 1966, S. 40). Die Behörden dürfen gestützt hierauf den Ausweis verweigern oder entziehen, wenn hinreichend begründete Anhaltspunkte vorliegen, dass der Führer rücksichtslos fahren wird (vgl. Botschaft vom 24. Juni 1955 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Strassenverkehr, BBl 1955 II S. 21 f.). Die Frage ist anhand der Vorkommnisse (unter anderem Art und Zahl der begangenen Verkehrsdelikte) und der persönlichen Umstände zu beurteilen; in Zweifelsfällen ist ein verkehrspsychologisches oder psychiatrisches Gutachten gemäss
Art. 9 Abs. 1 VZV
anzuordnen.
b) Bis zur Abklärung von Ausschlussgründen kann der Führerausweis sofort vorsorglich entzogen werden (
Art. 35 Abs. 3 VZV
). Diese Regelung trägt der besonderen Interessenlage Rechnung, welche bei der Zulassung von Fahrzeugführern zum Strassenverkehr zu berücksichtigen ist. Angesichts des grossen Gefährdungspotentials, welches dem Führen eines Motorfahrzeugs eigen ist, erlauben schon Anhaltspunkte, die den Fahrzeugführer als besonderes Risiko für die anderen Verkehrsteilnehmer erscheinen lassen und ernsthafte Bedenken an seiner Fahreignung erwecken, den vorsorglichen Ausweisentzug.
BGE 125 II 492 S. 496
Der strikte Beweis für die Fahreignung ausschliessende Umstände ist nicht erforderlich; wäre dieser erbracht, müsste unmittelbar der Sicherungsentzug selber verfügt werden. Können die notwendigen Abklärungen nicht rasch und abschliessend getroffen werden, soll der Ausweis schon vor dem Sachentscheid selber entzogen werden können und braucht eine umfassende Auseinandersetzung mit sämtlichen Gesichtspunkten, die für oder gegen einen Sicherungsentzug sprechen, erst im anschliessenden Hauptverfahren zu erfolgen (
BGE 122 II 359
E. 3a mit Hinweisen).
3.
Der Beschwerdeführer hat am 14. Februar 1999, lediglich vier Monate nach dem Erwerb des Führerausweises, die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 28 km/h überschritten und dadurch den Verkehr in schwerer Weise gefährdet (
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
;
BGE 123 II 106
E. 2a-c). Obwohl er sogleich von der polizeilichen Verzeigung in Kenntnis gesetzt wurde - weshalb er mit entsprechenden Sanktionen rechnen musste -, überschritt er bloss eine Woche später in einem Autobahntunnel die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 73 km/h und schuf dadurch eine überaus gefährliche Situation. Nachdem ihn einerseits das eingeleitete Strafverfahren wegen des ersten Vorfalls nicht beeindruckte und anderseits seine Beweggründe bei beiden Vorfällen (Imponiergehabe und weil es «etwas pressierte») gegen ein verantwortungsbewusstes Verhalten des Beschwerdegegners im Strassenverkehr sprechen, hatte die Vorinstanz zu Recht hinreichende Zweifel an der charakterlichen Eignung des Beschwerdegegners als Motorfahrzeugführer. Unter diesen Umständen hätte die Vorinstanz aber nicht einfach den siebenmonatigen Warnungsentzug bestätigen dürfen, sondern hätte gemäss
Art. 9 Abs. 1 VZV
ein verkehrspsychologisches oder psychiatrisches Gutachten zur Abklärung der charakterlichen Eignung des Beschwerdegegners als Motorfahrzeugführer anordnen müssen. Sollte sich herausstellen, dass die Voraussetzungen eines Sicherungsentzugs beim Beschwerdegegner nicht gegeben sind, so wäre der ursprünglich angeordnete Warnungsentzug von sieben Monaten, der von Bundesrechts wegen nicht zu beanstanden wäre, zu bestätigen.
Insbesondere angesichts der Schwere der zweiten Geschwindigkeitsüberschreitung während eines laufenden Verfahrens und der Beweggründe des Beschwerdegegners rechtfertigt es sich auch, bis zur Abklärung der charakterlichen Geeignetheit des Beschwerdegegners als Motorfahrzeuglenker ihm den Führerausweis vorsorglich zu entziehen.
BGE 125 II 492 S. 497
4.
Nach dem Gesagten ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen. Im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung ist es angezeigt, die Sache an das Strassenverkehrsamt zurückzuweisen (
Art. 114 Abs. 2 OG
). (...) | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
57f07a24-a9cf-4c10-aaa6-ef2edd7ee707 | Urteilskopf
83 II 41
8. Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. März 1957 i.S. Michel gegen Reinhardt. | Regeste
1. Internationales Privatrecht. Welches Recht ist auf die Verjährung anwendbar? (Erw. 1).
2.
Art. 591 Abs. 1 OR
.
a) Die Veröffentlichung der Auflösung der Gesellschaft im Schweizerischen Handelsamtsblatt setzt die Verjährung gegen die Gesellschafter nur in Gang, wenn der Veröffentlichung eine gültige Eintragung im Handelsregister zugrunde liegt (Erw. 3).
b) Art. 591 Abs. 1 schneidet dem Gesellschafter die Einreden aus
Art. 127 ff. OR
, die der Forderung als solcher entgegen3. Argehalten werden können, nicht ab (Erw. 4).
3.
Art. 135 Ziff. 2 OR
. Das Betreibungsbegehren unterbricht die Verjährung auch dann, wenn der Zahlungsbefehl am unrichtigen Ort ergeht, der Schuldner sich aber nicht dagegen beschwert (Erw. 5).
4.
Art. 136, 593 OR
. Die gegen die Kollektivgesellschaft wirkende Unterbrechung der Verjährung wirkt auch gegen die nicht ausgeschiedenen Gesellschafter (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 83 II 41 S. 42
1. - Carl Reinhardt, Kaufmann in Bern, und J. A. Michel, Staatsrat in Addis Abeba, schlossen sich am 19. Dezember 1919 zur Kollektivgesellschaft C. Reinhardt & Cie zusammen, um "Handelsgeschäfte (Import, Export und Inlandgeschäfte) mit und in Abessinien zu betreiben" und einen in Karaba (Abessinien) stehenden Wald und "damit verbundene weitere kommerzielle und industrielle Unternehmen in Abessinien auszubeuten". Das Recht, den Wald zu nutzen, war Michel am 17. Juni
BGE 83 II 41 S. 43
1918 auf die Dauer von dreissig Jahren verliehen worden. Michel übertrug es auf die Gesellschaft, wogegen Reinhardt einen Beitrag in Geld leistete. Die Gesellschaft sollte am 1. März 1920 beginnen, zehn Jahre dauern und sich mangels Kündigung jeweilen für zehn Jahre erneuern. Als Sitz wurde Bern bestimmt. Durch Art. 10 des Vertrages unterstellten die Vertragschliessenden ihr Rechtsverhältnis dem schweizerischen Obligationenrecht.
Am 16. August 1922 vereinbarten Reinhardt und Michel unter anderem, die finanziellen Mittel der Gesellschaft seien "vorderhand in der Hauptsache für die Ausbeutung der Waldkonzession zu verwenden". Sie verlegten den Sitz der Gesellschaft nach Addis Abeba und bestimmten, von der Eröffnung einer Filiale in der Schweiz werde vorderhand abgesehen. Sie erklärten, Art. 10 des Vertrages vom 19. Dezember 1919 bleibe unverändert.
Ein Gesuch der Gesellschaft um Eintragung in das Handelsregister von Bern wurde vom Regierungsrat des Kantons Bern am 20. Januar 1925 abgewiesen.
Am 5. Juli 1942 starb Carl Reinhardt. Sein Erbe Rudolf Reinhardt, der den Nachlass unter öffentlichem Inventar annahm, stellte am 18. Mai 1946 beim Gerichtspräsidenten von Bern das Gesuch, J. A. Michel sei die Befugnis zur Vertretung der Gesellschaft C. Reinhardt & Cie in Liquidation einstweilen zu entziehen und es sei ein Liquidator zu ernennen. Am 14. Juni 1946 verglichen die Parteien sich dahin, dass sie Notar Niklaus in Bern als Liquidator einsetzten, und am 5. Juli 1946 meldeten sie die Gesellschaft in Liquidation gemeinsam zur Eintragung in das Handelsregister von Bern an, wobei sie als Auflösungsgrund den Tod des Carl Reinhardt angaben. Die Eintragung erfolgte und wurde am 15. Juli 1946 im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht.
Am 17. September 1946 ersuchte Rudolf Reinhardt das Handelsregisteramt Bern, die Eintragung zu löschen, weil die Gesellschaft ihren Sitz in Addis Abeba habe. Die Akten wurden dem Regierungsrat des Kantons Bern überwiesen,
BGE 83 II 41 S. 44
und dieser entschied am 14. Januar 1947, die Eintragung werde "annulliert" und die Firma C. Reinhardt & Cie in Liq. sei von Amtes wegen zu löschen. Eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die Michel gegen diesen Entscheid führte, wurde am 3. Juni 1947 vom Bundesgericht abgewiesen. Beide Instanzen kamen zum Schluss, die Kollektivgesellschaft habe ihren Sitz seit 1922 nicht mehr in Bern, sondern in Abessinien; die Eintragung vom 5. Juli 1946 habe somit der Wahrheit nicht entsprochen.
Erwägungen
2.
Am 1. Januar 1925 versprachen die Eheleute Gustav und Jeanne Goetz-Kessel in Nizza der Firma C. Reinhardt & Cie ein Darlehen von höchstens franz. Fr. 800'000.--. Der Vertrag bestimmte unter anderem:
Art. 4 Abs. 2:
"Au surplus, nous nous considérons suffisamment couverts par les Art. 561, 563, 564 et 568 du Code Civil Suisse du 1er janvier 1912 auquel la Société C. Reinhardt se déclare soumise par l'art. XI du contrat principal du mois de décembre 1919."
Art. 9:
"Le capital engagé par les époux Goetz-Kessel devra leur être remboursé dès que la trésorerie de la Société C. Reinhardt & Co. disposera des fonds nécessaires et en tout cas au plus tard à l'expiration de la dite société ou à sa liquidation éventuelle.
Mr. J. A. Michel se déclare solidairement responsable avec son associé Mr. C. Reinhardt, et cela suivant le droit des obligations suisse, dont les époux Goetz-Kessel acceptent d'avance les prescriptions comme base, sans prévaloir aucune autre juridiction."
Art. 10:
"Les sommes successivement investies dans la Société C. Reinhardt & Co. en francs français seront commuées en francs suisses au cours du jour au für et à mesure des versements.
Le remboursement devra se faire au siège social en Suisse par cette seule monnaie effective.
En ce qui concerne les intérêts, ceux-ci peuvent toutefois être réglés en France en francs français au gré des parties à condition qu'il n'y ait pas de retard.
Chacun des créanciers pourra à n'importe quel moment délivrer valable quittance, soit pour le capital, soit pour les intérêts, sans que les deux signatures soient nécessaires."
Die tatsächlichen Leistungen der Eheleute Goetz beliefen sich auf franz. Fr. 750'000.--. Die Gesellschaft anerkannte am 1. Februar 1925 durch die Unterschrift Michels, ihnen dafür 226'965.80 Schweizerfranken zu schulden.
BGE 83 II 41 S. 45
Am 2. Februar 1930 anerkannte Jeanne Goetz-Kessel, an diesem Tage von Michel "pour le compte de la Sté. C. Reinhardt & Cie" teils in bar, teils in Form von Kunstgegenständen franz. Fr. 150'000.-- als erste Anzahlung auf die für die Jahre 1925-1928 geschuldeten Darlehenszinsen erhalten zu haben.
Am 13. März 1933 starb Gustav Goetz. Er wurde von Jeanne Goetz-Kessel und seiner Tochter Suzanne Goetz beerbt.
Am 10. März 1937 anerkannte Jeanne Goetz-Kessel, an diesem Tage von Michel "pour le compte de la société C. Reinhardt & Co" teils in Geld, teils in anderen Sachen franz. Fr. 187'500.-- als Anzahlung auf den Zins der Jahre 1929-1933 erhalten zu haben.
Mit Zahlungsbefehl vom 25./28. September 1946 des Betreibungsamtes Bern forderte Jeanne Goetz-Kessel von der Firma C. Reinhardt & Cie in Liq. unter Berufung auf die Schuldanerkennung vom 1. Februar 1925 Fr. 226'965.80 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1934. Der Liquidator Niklaus erhob Rechtsvorschlag.
Jeanne Goetz-Kessel heiratete im Jahre 1948 den J. A. Michel. Sie und ihre Tochter liessen auf 9. Januar 1952 Rudolf Reinhardt durch den Gerichtspräsidenten von Bern zum Aussöhnungsversuch vorladen. Gegenstand desselben bildete das Begehren, er habe ihnen Fr. 226'965.80 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1934, eventuell die Hälfte dieses Betrages, zu bezahlen. Eine Einigung kam nicht zustande.
Am 25. Februar und 18. März 1952 traten Jeanne Michel-Goetz und Suzanne Goetz ihre Ansprüche aus dem Vertrage vom 1. Januar 1925 an René Michel, den Sohn des J. A. Michel ab.
B.-
Am 19. Februar 1953 klagte René Michel gegen Rudolf Reinhardt beim Handelsgericht des Kantons Bern auf Bezahlung von Fr. 226'965.80 nebst Zins zu 5% seit 1. Januar 1934. Das Handelsgericht verneinte seine sachliche Zuständigkeit, worauf der Appellationshof des
BGE 83 II 41 S. 46
Obergerichts die ordentlichen Zivilgerichte als zuständig erklärte und die Sache seiner I. Kammer überwies.
Diese hiess am 2. Mai 1956 die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung gut und wies die Klage ab. Die Kammer nahm an, die Vereinbarung vom 16. August 1922 habe den Zweck der Gesellschaft C. Reinhardt & Cie auf die Ausbeutung der Waldkonzession beschränkt. Am 30. Juni 1929 sei er unerreichbar geworden, weil die Gesellschaft seit 1922 die Konzessionsgebühren nicht mehr bezahlt habe, die Konzession dadurch hinfällig geworden sei und keine Möglichkeit bestanden habe, sie wieder zu erlangen. Die Gesellschaft sei daher seit 30. Juni 1929 aufgelöst. Gemäss Art. 9 des Vertrages vom 1. Januar 1925 sei damit das Darlehen zur Rückzahlung fällig geworden und habe die zehnjährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen. Die Zinszahlung vom 10. März 1937 habe sie unterbrochen. Dann habe während mehr als zehn Jahren keine Unterbrechung mehr stattgefunden. Die Betreibung vom September 1946 habe die Verjährung gegenüber dem Beklagten nicht unterbrochen; da die Gesellschaft längst aufgelöst gewesen sei, hätten die einzelnen Gesellschafter betrieben werden müssen. Würde man von der Unerreichbarkeit des Zweckes absehen, so wäre die Gesellschaft spätestens mit dem Tode des Carl Reinhardt aufgelöst worden. Damit, dass die Auflösung am 15. Juni 1946 im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht worden sei, habe die fünfjährige Verjährungsfrist des
Art. 591 OR
zu laufen begonnen. Sie sei nicht unterbrochen worden. Dass der Regierungsrat den ungültigen Eintrag wieder habe löschen lassen, ändere nichts; denn der Grund für die Verkürzung der Verjährungsfrist auf fünf Jahre liege einzig darin, dass die Auflösung der Gesellschaft mit Sicherheit jedermann zur Kenntnis gelange, was vom Gesetzgeber dann angenommen werde, wenn die diesbezüglichen Tatsachen im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht worden seien.
C.-
Der Kläger hat gegen dieses Urteil die Berufung
BGE 83 II 41 S. 47
erklärt. Er beantragt, es sei aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung der Klage an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Der Beklagte beantragt, die Berufung sei abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts bestimmt jenes Recht, dem der Vertrag untersteht, ob der aus ihm abgeleitete Anspruch verjährt sei (BGE 12 682, 38 II 360, 59 II 358, 66 II 236, 72 II 414, 75 II 61, 78 II 148). Im vorliegenden Falle ist es das schweizerische Recht, dem die Kollektivgesellschaft C. Reinhardt & Cie und die Eheleute Goetz das Darlehensverhältnis durch Art. 9 Abs. 2 des Vertrages vom 1. Januar 1925 unterstellt haben. Auch soweit die Verjährung von der Auflösung der Gesellschaft abhängt, gilt schweizerisches Recht, das die Gesellschafter durch Art. 10 des Gesellschaftsvertrages vom 19. Dezember 1919 und den Nachtrag vom 16. August 1922 anwendbar erklärt haben. Unerheblich ist, dass die Gesellschafter durch den Nachtragsvertrag die Hauptniederlassung der Gesellschaft nach Addis Abeba verlegt und in der Schweiz keine Zweigniederlassung beibehalten haben. Art. 4 Abs. 2 des Darlehensvertrages nimmt Bezug darauf, dass das Gesellschaftsverhältnis dem schweizerischen Recht unterstehe. Damit anerkannte die Borgerin, dass auch im Verhältnis zu den Darlehensgebern die Frage der Auflösung der Gesellschaft nach schweizerischem Recht zu beurteilen sei. Die Parteien machen der Vorinstanz denn auch keinen Vorwurf daraus, dass sie den Streit in jeder Beziehung nach schweizerischem Recht beurteilt hat.
2.
-- Der Gesellschafter haftet für alle Verbindlichkeiten der Kollektivgesellschaft mit seinem ganzen Vermögen, kann aber, solange weder er selbst in Konkurs geraten, noch die Gesellschaft aufgelöst oder erfolglos betrieben worden ist, für Gesellschaftsschulden nicht persönlich belangt werden (
Art. 568 OR
).
BGE 83 II 41 S. 48
Die Kollektivgesellschaft C. Reinhardt & Cie ist spätestens mit dem Tode des Carl Reinhardt, am 5. Juli 1942, aufgelöst worden. Der Beklagte, der die Erbschaft unter öffentlichem Inventar angenommen hat, kann daher für die vom Kläger behauptete Gesellschaftsschuld belangt werden. Immerhin kann das nur unter den Voraussetzungen des
Art. 590 Abs. 2 ZGB
geschehen, da die Schuld in das Inventar nicht aufgenommen worden ist. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, steht noch dahin.
3.
Für Forderungen von Gesellschaftsgläubigern gegen einen Gesellschafter aus Verbindlichkeiten der Kollektivgesellschaft sieht
Art. 591 OR
eine besondere Verjährungsfrist vor. Sie dauert fünf Jahre und beginnt im Zeitpunkt, da die Auflösung der Gesellschaft (oder das Ausscheiden des Gesellschafters) im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht wird (Abs. 1), es wäre denn, die Forderung werde erst später fällig (Abs. 2).
Unter der Veröffentlichung im Schweizerischen Handelsamtsblatt versteht Art. 591 die amtliche Veröffentlichung der Eintragung im Handelsregister gemäss
Art. 931 OR
. Das ergibt sich daraus, dass
Art. 586 a OR
die Verjährung mit dem Zeitpunkt beginnen liess, in dem die Auflösung der Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen wurde. Der Zweck der Revision erschöpfte sich darin, die Bestimmung dem
Art. 932 Abs. 2 OR
anzupassen, wonach gegenüber Dritten nicht schon die Eintragung im Handelsregister, sondern erst deren Veröffentlichung im Handelsamtsblatt Wirkungen auslöst.
Art. 591 Abs. 1 OR
setzt daher ausser der Veröffentlichung eine gültige Eintragung im Handelsregister voraus. Die Veröffentlichung heilt das Fehlen oder die Nichtigkeit der Eintragung nicht. Das Gesetz bestimmt nicht, dass alle Mitteilungen im Handelsamtsblatt, seien sie zu Recht oder zu Unrecht erfolgt, wirksam seien und als bekannt zu gelten hätten, sondern es verleiht der Veröffentlichung nur die Kraft, eine gültige Eintragung auch Dritten gegenüber wirksam zu machen (
Art. 932 Abs. 2 OR
), und nur
BGE 83 II 41 S. 49
wenn diese Wirkung eintritt, schliesst es die Einwendung des Dritten aus, er habe die Eintragung nicht gekannt (
Art. 933 Abs. 1 OR
). Die Überlegung der Vorinstanz, Art. 591 Abs. 1 lasse die fünfjährige Verjährungsfrist mit der Veröffentlichung laufen, weil davon auszugehen sei, diese habe die Auflösung der Gesellschaft jedermann zur Kenntnis gebracht, trifft daher nicht zu, wenn der Veröffentlichung keine gültige Eintragung zu Grunde liegt. Ob die Gesellschaft wirklich aufgelöst worden ist und der Gläubiger die Veröffentlichung der zu Unrecht erfolgten Eintragung gelesen hat, ist unerheblich. Nicht die tatsächliche Kenntnis von der Auflösung der Gesellschaft, sondern nur die gültige Eintragung der Auflösung in Verbindung mit der nachfolgenden Veröffentlichung setzt die fünfjährige Verjährung in Gang.
Die Auflösung der Gesellschaft C. Reinhardt & Cie ist am 15. Juli 1946 im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht worden, aber auf Grund einer Eintragung, die der Regierungsrat des Kantons Bern am 14. Januar 1947 nichtig erklärt hat und die daher unwirksam ist. Die Veröffentlichung vom 15. Juli 1946 hat die Verjährung nach
Art. 591 Abs. 1 OR
nicht in Gang gesetzt.
4.
Art. 591 Abs. 1 OR
will lediglich, dass der Gesellschafter, der ausgeschieden oder durch Auflösung der Gesellschaft belangbar geworden ist, sich durch eine besondere Einrede der Haftung für die Gesellschaftsschulden entschlagen könne. Die Bestimmung schneidet ihm die Einreden aus
Art. 127 ff. OR
, die der Forderung als solcher entgegengehalten werden können, nicht ab.
Art. 591 Abs. 1 OR
behält denn auch ausdrücklich den Fall vor, dass "wegen der Natur der Forderung eine kürzere Verjährungsfrist gilt". Ebenso kann der Gesellschafter sich auf eine Verjährungsfrist berufen, die fünf Jahre übersteigt, aber trotzdem vor jener des Art. 591 Abs. 1 abläuft, weil sie früher begonnen hat (HAFNER Art. 585 N. 8; HABERSTICH 408; SIEGWART Art. 591-593 N. 3). Ist die Forderung gegen die Gesellschaft verjährt, so steht auch dem
BGE 83 II 41 S. 50
Gesellschafter die entsprechende Einrede zu, selbst wenn die Verjährung im Zeitpunkt seines Ausscheidens oder der Auflösung der Gesellschaft noch nicht abgelaufen war (HARTMANN Art. 568 N. 29).
5.
Alle Forderungen, für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt, verjähren mit Ablauf von zehn Jahren (
Art. 127 OR
). Diese Frist gilt für die Forderung des Klägers gegen die Gesellschaft C. Reinhardt & Cie. Sollte die Forderung, wie die Vorinstanz annimmt, gemäss Art. 9 Abs. 1 des Vertrages vom 1. Januar 1925 am 30. Juni 1929 wegen Hinfalles der Waldkonzession fällig geworden sein, so wäre die damit in Gang gesetzte Verjährung (
Art. 130 Abs. 1 OR
) zunächst am 2. Februar 1930 und dann am 10. März 1937 durch die im Namen der Gesellschaft erfolgten Zinszahlungen unterbrochen worden (
Art. 135 Ziff. 1 OR
). Unterbrochen wurde die Verjährung, gleichgültig, ob sie schon am 30. Juni 1929 oder erst mit dem Tod des Carl Reinhardt am 5. Juli 1942 begonnen habe, auch durch das Betreibungsbegehren, das Jeanne Goetz-Kessel im September 1946 gegen die Firma C. Reinhardt & Cie in Liq. stellte. Zwar hatte die Gesellschaft in Bern schon seit 1922 keine Niederlassung und daher auch keinen Betreibungsort mehr. Ein am unzuständigen Ort ergangener Zahlungsbefehl ist aber nicht nichtig (
BGE 68 III 35
,
BGE 79 III 15
). Wenn er dem Schuldner zugestellt und nicht auf Beschwerde hin aufgehoben wird, ist er gültig und daher die Verjährung durch das Betreibungsbegehren unterbrochen (
BGE 69 II 172
ff.; vgl. auchBGE 71 II 155). Das trifft hier zu. Der Liquidator der Gesellschaft hat gegen den Zahlungsbefehl nicht Beschwerde geführt, sondern nur Rechtsvorschlag erhoben.
6.
Gemäss
Art. 593 OR
vermag die Unterbrechung der Verjährung gegenüber der fortbestehenden Gesellschaft oder einem andern Gesellschafter die Verjährung gegenüber einem ausgeschiedenen Gesellschafter nicht zu unterbrechen. Aus dieser nur zugunsten des ausgeschiedenen Gesellschafters aufgestellten Bestimmung ergibt sich, dass
BGE 83 II 41 S. 51
die gegen die Gesellschaft wirkenden Unterbrechungsgründe auch die Verjährung gegen die nicht ausgeschiedenen Gesellschafter unterbrechen.
Das war schon in der Literatur zu Art. 155 und 588 aoR anerkannt und ist auch heute vorherrschende Lehrmeinung (HAFNER Art. 588 Anm. 5; HABERSTICH 409 f.; SCHNEIDER/FICK 2. Aufl. Art. 588 N. 1; ROSSEL 248; ZELLER Art. 588 N. 2; WIELAND, Handelsrecht 633, 730; SIEGWART Art. 591-593 N. 4; MANGOLD, Die Verjährung der Haftung des Kollektivgesellschafters, Zürich 1947 22, 45; a. M. HARTMANN Art. 593 N. 3). Der Grundsatz entspricht der Natur der Kollektivgesellschaft und der Stellung des Gesellschafters zu ihren Verbindlichkeiten (
Art. 568 OR
). Die Gesellschaftsschulden sind für die Gesellschafter nicht fremde, sondern (gemeinsame) eigene Schulden (
BGE 39 I 298
,
BGE 41 III 333
,
BGE 42 III 39
,
BGE 45 II 302
,
BGE 71 II 40
). Wird die Verjährung gegen die Gesellschaft unterbrochen, so geschieht es für eine Forderung, die gegen die Gesellschafter selbst gerichtet ist, wenn auch für sie zunächst nur in die den Gesellschaftern gemeinsam gehörenden Vermögenswerte und erst unter den Voraussetzungen des
Art. 568 Abs. 3 OR
auch in das persönliche Gut der Gesellschafter vollstreckt werden kann. Der Gesellschafter ist mit der Gesellschaftsschuld enger verbunden als der Solidarschuldner mit der Verbindlichkeit der Mitschuldner oder der Bürge mit der Verpflichtung des Hauptschuldners. Da
Art. 136 OR
die Unterbrechung der Verjährung gegen den Solidarschuldner und den Hauptschuldner auch zulasten der anderen Solidarschuldner bzw. des Bürgen wirken lässt (
Art. 136 Abs. 1 und 2 OR
), kann die Verjährung gegen den Kollektivgesellschafter nicht von den Unterbrechungshandlungen gegen die Gesellschaft, der er noch angehört, unberührt bleiben.
Es wäre auch nicht zu verstehen, weshalb das Vorgehen gegen die Gesellschaft die Verjährung gegen den Gesellschafter nicht sollte unterbrechen können, während Handlungen gegen einen Mitgesellschafter nach Art. 136 Abs. 1
BGE 83 II 41 S. 52
in Verbindung mit
Art. 568 Abs. 1 OR
diese Wirkung zweifellos haben. Die Belangung der Gesellschaft berührt den Gesellschafter mehr als das Vorgehen gegen Mitgesellschafter, weil ihm deren Privatvermögen ferner steht als das Gesellschaftsvermögen. Er ist an den Aktiven der Gesellschaft auch noch während der Liquidation beteiligt und erhält nach deren Beendigung seinen Anteil heraus. Es rechtfertigt sich, ihn grundsätzlich auch hinsichtlich der Schulden das Schicksal der Gesellschaft bis zu Ende teilen zu lassen, in dem Sinne, dass, mit der in
Art. 591 OR
vorgesehenen Einschränkung, die Haftung mit seinem persönlichen Vermögen erst verjährt, wenn die Gesellschaftsschuld verjährt. Er befindet sich in anderer Lage als der Ausgeschiedene, dem die Sonderbehandlung nach
Art. 593 OR
zugute kommt, weil er an den Aktiven der Gesellschaft und der Geschäftsführung nicht mehr teilhat. Würde die Unterbrechung der Verjährung gegen die Gesellschaft gegen den ihr noch angehörenden Gesellschafter nicht wirken, so müssten die Gläubiger unter Umständen entgegen allgemeiner Übung noch vor der Liquidation des Gesellschaftsvermögens, selbst wenn es zur Deckung der Gesellschaftsschulden ausreicht, gegen die Gesellschafter vorgehen, und der Zahlende hätte auf die Mitgesellschafter Rückgriff zu nehmen. Mit diesem Umweg wäre dem Gesellschafter sowenig gedient wie dem Gläubiger.
Das Begehren der Gläubigerin vom September 1946 um Betreibung der Gesellschaft C. Reinhardt & Cie in Liq. hat somit die ordentliche Verjährungsfrist des
Art. 127 OR
auch gegen den Beklagten unterbrochen. In gleichem Sinne hätten die Zinszahlungen der Gesellschaft vom 2. Februar 1930 und 10. März 1937 gewirkt, wenn damals die Gesellschaft schon wegen Hinfalles der Waldkonzession aufgelöst gewesen und die Forderung fällig geworden sein sollte. Da die Verjährung auch seit September 1946 unterbrochen worden ist, nämlich im Januar 1952 durch die Vorladung des Beklagten zum amtlichen Sühneversuch
BGE 83 II 41 S. 53
und nachher durch Einreichung der Klage, ist die Forderung nicht verjährt. Die Vorinstanz hat über die materiellen Einwendungen zu urteilen, die der Beklagte gegen seine Schuldpflicht erhoben hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil der I. Zivilkammer des Appellationshofes des Kantons Bern vom 2. Mai 1956 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
57f4c0ba-708c-4f15-9cd0-19659dc07b0f | Urteilskopf
85 II 344
55. Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Juni 1959 i.S. Waadtländische Versicherung auf Gegenseitigkeit gegen Lehmann. | Regeste
Einzel- Unfallversicherung.
a) Begriff des Unfalls gemäss AVB: Einspritzung eines falschen Kontrastmittels in zu starker Dosis bei Myelographie mit Todesfolge ist ein "vom Willen des Verletzten unabhängiges Ereignis" und daher ein Unfall.
b) Die Myelographie ist (trotz Einspritzung eines Kontrastmittels in den Rückenmarkskanal) keine Operation im Sinne des Sprachgebrauchs. | Sachverhalt
ab Seite 344
BGE 85 II 344 S. 344
A.-
Robert Lehmann, der an Ischiasschmerzen litt, wurde am 7. November 1955 von seinem Hausarzt wegen Verdachts einer Diskushernie in das Kantonsspital Aarau eingewiesen. Zur genauen Untersuchung der Wirbelsäule wurde eine Myelographie (Röntgenaufnahme des Rückenmarkes) angeordnet, bei der folgendermassen vorgegangen wird: Zuerst erhält der Patient eine Lokalanästhesie mit Novokain in die Haut. Darauf wird mittelst einer metallenen
BGE 85 II 344 S. 345
Hohlnadel der Rückenmarkskanal angestochen und ca. 15 cm3 Flüssigkeit abgelassen. Dann wird eine Lumbalanästhesie in den Rückenmarkskanal verabreicht. Nach ca. 10 Minuten wird als Kontrastmittel 10 cm3 des 20%igen Jodpräparats Abrodil eingeführt, worauf die notwendigen 5 Röntgenaufnahmen in verschiedenen Strahlenrichtungen gemacht werden.
Bei der Untersuchung Lehmanns am 8. November 1955 kam eine Verwechslung vor, indem die Narkoseschwester dem Arzt eine Spritze reichte, die statt 10 cm3 Abrodil 20 cm3 des 50% igen Jodpräparats Uroselectan enthielt, das für eine andere Untersuchung ebenfalls bereitstand und nur intravenös verwendet werden darf. Der Arzt kontrollierte die Ampulle nicht und applizierte die ihm gereichte Spritze. Der Irrtum wurde unmittelbar nach der Einspritzung entdeckt. Wenige Minuten nach erfolgter Röntgenaufnahme erlitt Lehmann einen schweren Herzkollaps. Eine sofort vorgenommene Thorakotomie und Herzmassage brachte das Herz wieder zum Schlagen. Nach anfänglicher Besserung verschlimmerte sich der Zustand Lehmanns, und 16 Tage später (am 24. November 1955) starb er. Es ist unbestritten und festgestellt, dass der Tod ausschliesslich auf die Verwendung des falschen Kontrastmittels zurückzuführen ist.
In einem Strafverfahren wurden der Assistenzarzt und die Krankenschwester, welchen die Verwechslung unterlaufen war, wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.
B.-
Lehmann war bei der Waadtländischen Versicherung auf Gegenseitigkeit gemäss Einzel-Unfallversicherung (Police Nr. 602 422) gegen Unfall versichert, für den Todesfall mit Fr. 10'000.--; begünstigt ist die Ehefrau. Diese erhob auf die Versicherungssumme Anspruch. Die "Waadtländische" lehnte eine Zahlung ab, da kein Unfall im Sinne des Art. 2 Abs. 1 ihrer allgemeinen Bedingungen vorliege, lautend:
"Als Unfälle werden nur von aussen wirkende, heftige, plötz liche und vom Willen des Verletzten unabhängige Ereignisse angesehen, die ihm eine nachweisbare Körperverletzung verursachen."
BGE 85 II 344 S. 346
Die Umstände, die zum Tode Lehmanns führten, könnten nicht als "heftiges, plötzliches Ereignis" angesprochen werden. Namentlich fehle das Moment der Unfreiwilligkeit; denn Lehmann habe sich mit Wissen und Willen dem Eingriff der Myelographie-Vorbereitungen unterzogen und damit auch die möglichen schweren Folgen des Eingriffs auf sich genommen. An der Freiwilligkeit des Eingriffs vermöge auch das teilweise Versagen der ausführenden Personen nichts zu ändern.
Übrigens sei der Ausschlussgrund der Operation gemäss AVB Art. 3 lit. c gegeben ("... die Folgen von Operationen, welche nicht durch einen entschädigungsberechtigten Unfall notwendig wurden."). Der operative Charakter der Myelographie ergebe sich schon daraus, dass sie nicht von der medizinischen, sondern von der chirurgischen Abteilung des Kantonsspitals vorgenommen werde. Daran ändere nichts, dass die Myelographie diagnostischen Zwecken diene; sie habe diese Zweckbestimmung mit vielen andern operativen Eingriffen gemeinsam. Sie sei erfahrungsgemäss mit den typischen Operationsrisiken (Herzstörung, Kollaps, Atmungsinsuffizienz, Lähmungen und Todesgefahr) verbunden, welche selbst bei korrekter Durchführung entstehen und die Art. 3 lit. c der AVB gerade ausschliesse.
C.-
Das von den Parteien direkt angerufene Obergericht des Kantons Aargau hat, nach Durchführung eines Beweisverfahrens, mit Urteil vom 20. Februar 1959 den Versicherungsfall bejaht und die Klage im vollen Betrag nebst 5% Zins seit 25. November 1955 gutgeheissen.
D.-
Mit der vorliegenden Berufung hält der beklagte Versicherer an seinen Einreden (Operation; kein Unfall) und dem Antrag auf Abweisung der Klage fest.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der geltend gemachte Anspruch stützt sich auf eine Einzel-Unfallversicherung. Für den Umfang der Versicherung gelten daher die wiedergegebene Umschreibung des Unfallbegriffs sowie die Ausschlussklauseln der
BGE 85 II 344 S. 347
der Police beigehefteten Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Der Kausalzusammenhang zwischen der Verwendung des unrichtigen Kontrastmittels in zu hoher Dosierung und dem Tode ist durch die Vorinstanz auf Grund des Befundes des Experten Dr. Vetter bejaht worden; da die Kausalität tatsächlicher Natur ist, liegt hierin eine für das Bundesgericht verbindliche Feststellung, die vor ihm nicht mehr angefochten werden kann.
a) Dass bei der Todesursache ein "von aussen wirkendes, heftiges und plötzliches Ereignis" vorliegt, liegt auf der Hand und wird auch von der Berufungsklägerin nicht mehr bestritten. Dagegen vertritt diese den Standpunkt, es handle sich nicht um ein "vom Willen des Verletzten unabhängiges Ereignis". Lehmann habe sich mit Wissen und Willen dem Eingriff unterzogen und damit auch die Risiken übernommen, welche mit diesem Auftrag an den Arzt bzw. das Spital verbunden gewesen seien; ohne die ausdrückliche Zustimmung des Patienten hätte sein Körper nicht geöffnet und der Rückenmarkskanal nicht angestochen werden können.
Dieser Auffassung gegenüber hat jedoch die Vorinstanz mit Recht ausgeführt, dass die Einspritzung eines falschen Kontrastmittels völlig ausserhalb der einem Spitalaufenthalt normalerweise inhärenten Risiken liege. Lehmann hat dieses Risiko nie in Kauf genommen, sondern wollte sich einer sachgemäss durchzuführenden Myelographie unterziehen und war bereit, die normalen Risiken, die mit diesem Eingriff an sich allerdings auch verbunden sind, auf sich zu nehmen. Er war aber keinesfalls gewillt, auch die Folgen der Verwendung eines falschen Mittels in zu hoher Dosis, das in dieser Anwendung nicht nur speziell für ihn, sondern für jeden Patienten tödliche Gefahren in sich birgt, in Kauf zu nehmen. Zur Eingehung eines so hohen Risikos nötigte ihn der Zweck des Eingriffs, nämlich die Diagnostizierung einer allfälligen, keinesfalls lebensgefährlichen Diskushernie nicht. Wie die Vorinstanz zutreffend sagt, trägt der ganze Vorgang so sehr den
BGE 85 II 344 S. 348
Stempel des Aussergewöhnlichen, dass die Einwirkung als Unfallereignis anerkannt werden muss. Mit einer derart groben und ausserordentlichen Verwechslung braucht ein Patient, der zur Untersuchung in das Spital eintritt, nicht zu rechnen.
Diese Auffassung des Begriffs der "Unfreiwilligkeit" des Ereignisses entspricht sowohl der Doktrin als der Praxis (vgl. ROSENSTIEL, "Der Unfallbegriff", in Schweiz. Juristische Kartothek, Karte 717 S. 4 ff. und dort zit. Literatur und Judikatur). Eine derartige aussergewöhnliche, für den Tod kausale Fehlleistung würde, selbst wenn im Rahmen einer Operation vorgekommen, welche an sich mitsamt ihren möglichen Folgen von der Unfallversicherung ausgeschlossen ist, einen Unfall für sich darstellen und unter die Versicherung fallen, wie z.B. eine nicht beabsichtigte Verletzung durch ungeschickte Handhabung eines Instrumentes oder Verabreichung von Kohlensäure statt Sauerstoff bei einer Operation (vgl. a.a.O.; MAURER, Recht und Praxis der schweiz. oblig. Unfallversicherung, S. 102).
b) Die zweite Einrede der Berufungsklägerin geht dahin, es handle sich bei dem vorgenommenen Eingriff um eine Operation. Nach Art. 3 lit. c der AVB sind von der Versicherung ausgeschlossen die Folgen von Operationen, sofern diese nicht durch einen entschädigungsberechtigten Unfall notwendig wurden. Letzteres sei nicht der Fall gewesen; vielmehr habe Lehmann sich freiwillig dem riskanten Eingriff der Myelographie unterzogen, die eine eigentliche Operation darstelle und erhebliche Gefahren in sich schliesse.
Dem Begriff "Operation", für den die AVB, im Gegensatz zu dem des Unfalls, keine Definition geben, darf nach herrschender Auffassung nicht ein spezifisch versicherungstechnischer Sinn unterlegt werden, ohne dass dies ausdrücklich in der Police gesagt wäre. Vielmehr müssen Begriffe, die in der Umgangssprache einen bestimmten Sinn haben, bei der Auslegung der Police in diesem Sinne
BGE 85 II 344 S. 349
verwendet werden (ROELLI, Komm. zu Art. 11 N. 7, Art. 33 N. 6 S. 392). Nach allgemeinem Sprachgebrauch versteht man unter einer Operation einen chirurgischen Eingriff zwecks Änderung oder Beseitigung eines bestehenden Zustandes im Sinn einer therapeutischen Massnahme (z.B. Herausschneiden des entzündeten Wurmfortsatzes, Zunähen des Bruchsackes bei Hernie, etc.). Als Operation im medizinischen Sinne kann nur ein Eingriff gelten, der eine Heilung unmittelbar herbeiführen oder vorbereiten soll. Die Operation selbst muss also den Gesundheitszustand des Patienten zu bessern bestimmt sein.
Im vorliegenden Falle war dies nicht der Zweck des Eingriffs. Vielmehr sollte die Myelographie lediglich abklären, ob eine Diskushernie vorliege oder nicht. Sie stellte also eine blosse Untersuchungsmassnahme dar, die der Diagnose diente, mag die Technik dieser Massnahme auch insofern operationsähnlichen Charakter aufweisen, als sie einen Einstich in den Rückenmarkskanal, also eine Verletzung der körperlichen Integrität des Patienten erfordert. Die Untersuchungsmassnahme soll zwar die Bestimmung der richtigen Therapie ermöglichen, ist aber selber noch kein Bestandteil derselben. Als Lehmann sich zur Vornahme der Myelographie ins Kantonsspital begab, hat zweifellos niemand weder ihm noch seinen Angehörigen gesagt, dies geschehe, um sich "operieren zu lassen". Übrigens wird von der Verabreichung von Einspritzungen auch zu therapeutischen Zwecken in grossem Umfange Gebrauch gemacht, ohne dass es jemandem einfiele, dabei von Operationen zu reden, obwohl ebenfalls der bisher intakte Körper mit einem Einstich verletzt wird.
Im übrigen stellt die Vorinstanz auf Grund der Beweisaufnahme fest, dass die Myelographie bei richtiger Ausführung gefahrlos ist.
Wenn nun der Versicherungsvertrag mit seiner Klausel über den Ausschluss des Risikos nicht unfallbedingter Operationen auch derartige Eingriffe zu Untersuchungszwecken von der Haftung ausschliessen wollte, so hätte
BGE 85 II 344 S. 350
dies in der Police oder in den AVB klar und unzweideutig gesagt, also der landläufige Begriff der "Operation" in diesem Sinn erweitert umschrieben werden müssen. Da die Beklagte dies nicht getan hat und daher zum mindesten eine Unklarheit über den verwendeten Begriff der Operation in der Ausschlussklausel besteht, kann sie nach der allgemeinen Regel über die Auslegung von Versicherungsverträgen im vorliegenden Falle diese Klausel nicht anrufen.
Übrigens wäre, wie die Vorinstanz zutreffend andeutet, selbst dann, wenn man es wirklich mit einer Operation zu tun hätte, immer noch zu untersuchen, ob ein bei Vornahme einer solchen eingetretener Unfall von der Deckung ausgeschlossen sein soll. Lehmann ist nicht an den Folgen eines lege artis durchgeführten Eingriffs gestorben; vielmehr ist sein Tod auf einen so schweren Kunstfehler zurückzuführen, dass dieser an sich als Unfall qualifiziert werden muss.
2.
..............
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, II. Abteilung, vom 20. Februar 1959 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
57f8846b-eadd-4e45-b64a-ef37f85a4ebb | Urteilskopf
136 III 294
44. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. B. gegen K. Krankenkasse (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_277/2010 vom 14. Juni 2010 | Regeste
Art. 174 SchKG
; Konkurshinderungsgründe; Befristung.
Konkurshinderungsgründe müssen sich innert der Rechtsmittelfrist verwirklicht haben und geltend gemacht werden (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 294
BGE 136 III 294 S. 294
In der Betreibung für Prämienforderungen von Fr. 858.80 nebst Zins und Kosten stellte die K. Krankenkasse als Gläubigerin das Konkursbegehren gegen B. als Schuldnerin und als im Handelsregister eingetragene Inhaberin einer Einzelfirma. Das Bezirksgericht eröffnete den Konkurs. B. gelangte an das Obergericht des Kantons Zürich, das ihren Rekurs abwies. Das Obergericht hielt dafür, ein nach Ablauf der Rekursfrist eingetretener Konkurshinderungsgrund könne nicht berücksichtigt werden. Da diese Frist am 30. November 2009 abgelaufen sei, B. den Betrag von Fr. 1'120.- aber erst am 4. Dezember 2009 hinterlegt habe, erweise sich die Aufhebung der Konkurseröffnung als unzulässig. Das Bundesgericht weist die von B. (Beschwerdeführerin) dagegen erhobene Beschwerde ab.
(
Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Nach dem Wortlaut von
Art. 174 Abs. 2 SchKG
setzt die Aufhebung der Konkurseröffnung voraus, dass "mit der Einlegung des Rechtsmittels" ("en déposant le recours"; "impugnando la decisione") die Zahlungsfähigkeit glaubhaft zu machen und ein "inzwischen" ("depuis lors"; "nel frattempo") eingetretener Konkurshinderungsgrund gemäss Ziff. 1-3 durch Urkunden zu beweisen ist.
3.1
Gestützt auf den Gesetzeswortlaut hat das Bundesgericht unter Hinweis auf die Lehre festgehalten, dass das Gesetz mit der Umschreibung "mit der Einlegung des Rechtsmittels" selber eine zeitliche Schranke für das Beibringen von Unterlagen setzt, die die
BGE 136 III 294 S. 295
Zahlungsfähigkeit belegen. Das Gesetz geht davon aus, dass der Konkurseröffnung ein längeres Betreibungsverfahren vorausgegangen ist, in dessen Verlauf sich der Konkursit über seine finanziellen Verhältnisse Klarheit verschaffen konnte und musste. Werden daher innert Frist keine Unterlagen vorgelegt, besteht grundsätzlich kein Grund für Weiterungen. Insbesondere besteht kein Raum für weitergehende kantonale Regelungen (Urteil 5A_80/2007 vom 4. September 2007 E. 5.2 mit Hinweis auf JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 4. Aufl. 1997/99, N. 12 und 14 zu
Art. 174 SchKG
; JÜRGEN BRÖNNIMANN, Novenrecht und Weiterziehung [...] gemäss
Art. 174 E SchKG
, in: Festschrift Walder, 1994, S. 442, 448 und 451; GIROUD, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 1998, N. 19 und 26 zu
Art. 174 SchKG
). Das Bundesgericht hat dabei nicht übersehen, dass kantonale Gerichte es mitunter zulassen, Unterlagen sogar nach Ablauf der Rechtsmittelfrist nachzureichen, und dass sie dazu eine Nachfrist ansetzen (zit. Urteil 5A_80/2007 E. 5.2 mit Hinweis auf GIROUD, a.a.O., N. 26 zu
Art. 174 SchKG
). Es hat dazu festgehalten, dass die fragliche kantonale Praxis dem Gesetzestext widerspricht und dass aus
Art. 174 SchKG
keine Verpflichtung der oberen kantonalen Gerichte abgeleitet werden kann, Vorbringen nach Ablauf der Rechtsmittelfrist zu berücksichtigen oder eine Nachfrist anzusetzen (Urteile 5P.146/2004 vom 14. Mai 2004 E. 2, 5P.178/2005 vom 11. Juli 2005 E. 2.2.1 und 5P.456/2005 vom 17. Februar 2006 E. 4.1).
3.2
Für die Konkurshinderungsgründe gemäss
Art. 174 Abs. 2 Ziff. 1-3 SchKG
muss folgerichtig gelten, was für das Beibringen der Urkunden zu ihrem Beweis gilt. Konkurshinderungsgründe sind gemäss
Art. 174 SchKG
nur zu berücksichtigen, wenn sie sich innert der Rechtsmittelfrist verwirklicht haben und geltend gemacht werden (ADRIAN STAEHELIN, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Ergänzungsband, 2005, N. 20 ff. zu
Art. 174 SchKG
; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. III, 2001, N. 47 zu
Art. 174 SchKG
, und Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 4. Aufl. 2005, N. 1466 S. 279; COMETTA, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 6 zu
Art. 174 SchKG
; vgl. auch PIERRE-YVES BOSSHARD, Le recours contre le jugement de faillite, JdT 158/2010 II S. 113, S. 125 f., und MAGDALENA RUTZ, Weiterziehung des Konkursdekretes, in: Schuldbetreibung und Konkurs im Wandel, Festschrift 75 Jahre Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz, 2000, S. 343 ff., S. 348; so auch ausdrücklich für neue
BGE 136 III 294 S. 296
Tatsachen gemäss
Art. 174 Abs. 1 SchKG
: Urteil 5P.263/2003 vom 25. August 2003 E. 3.3.1).
3.3
Gemäss den verbindlichen und unangefochtenen Feststellungen des Obergerichts ist die Rechtsmittelfrist von zehn Tagen am 30. November 2009 abgelaufen, die Hinterlegung im Sinne von
Art. 174 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
aber erst am 4. Dezember 2009 erfolgt. Der Konkurshinderungsgrund hat sich somit nach Ablauf der Rechtsmittelfrist verwirklicht und war deshalb unbeachtlich. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin geben keinen Anlass, die Rechtsprechung zu überprüfen. Namentlich das gerügte Verbot des überspitzten Formalismus vermag eine Auslegung gegen den Gesetzeswortlaut nicht zu begründen. Mit Blick auf die in E. 3.1 genannten Gründe und unter Berücksichtigung, dass der Gesetzgeber für Entscheide, die vom Konkursgericht getroffen werden, ein summarisches Verfahren vorsieht (
Art. 25 Ziff. 2 lit. a SchKG
), erscheint es als sachlich und durch schutzwürdige Interessen gerechtfertigt, dass nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingetretene Konkurshinderungsgründe unbeachtlich bleiben. Bei diesem Ergebnis ist die weitere Voraussetzung nicht zu prüfen, wonach zusätzlich die Zahlungsfähigkeit glaubhaft gemacht werden muss. Eine Verletzung von
Art. 174 SchKG
kann dem Obergericht nicht vorgeworfen werden. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
57fa2889-41e9-454c-b925-2826d05e0aeb | Urteilskopf
111 III 5
2. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 25. Februar 1985 i.S. St. (Rekurs) | Regeste
Art. 66 Abs. 5 SchKG
; Verlängerung der Frist für die Einreichung der Beschwerde.
Art. 66 Abs. 5 (in Verbindung mit Art. 66 Abs. 3) SchKG ist auf den Schuldner nicht anwendbar, der zwar Wohnsitz im Ausland hat, dem aber die Arresturkunden anlässlich eines Aufenthaltes in der Schweiz zugestellt wurden.. | Erwägungen
ab Seite 5
BGE 111 III 5 S. 5
Aus den Erwägungen:
2.
Es ist unbestritten, dass der Rekurrent im Zeitpunkt der Zustellung der Arresturkunden Nrn. 1/1984 und 2/1984 Wohnsitz in Thailand hatte, dass ihm die erwähnten Arresturkunden, anlässlich eines vorübergehenden Aufenthalts in der Schweiz, spätestens am 29. Juni 1984 ausgehändigt wurden und dass er in der Folge - an einem nicht festgestellten Datum - die Schweiz wieder verliess. Das Vorbringen in der Vernehmlassung des Betreibungsamtes Pfäffikon, wonach der Schuldner am 13. Juli 1984 von Zürich nach Bangkok weggezogen sein soll, ist neu; es kann darauf, da diese Tatsache schon im kantonalen Verfahren hätte angebracht werden können, nicht eingetreten werden (
Art. 79 Abs. 1 OG
).
3.
a) Somit stellt sich die Frage, ob - wie er geltend macht - dem Arrestschuldner für die Einreichung der Beschwerde Fristverlängerung
BGE 111 III 5 S. 6
hätte gewährt werden müssen, wie dies insbesondere
BGE 106 III 4
E. 2 verlangt. Dieser Entscheid stützt sich auf
Art. 66 Abs. 5 SchKG
, wonach der die Betreibungsurkunden zustellende Betreibungsbeamte die Fristen den Umständen entsprechend verlängern kann. Unter Fristen im Sinne dieser Bestimmung fällt nach der soeben zitierten Rechtsprechung auch die Beschwerdefrist (vgl. auch
BGE 91 III 7
mit Hinweisen). Gewährt der Betreibungsbeamte dem im Ausland wohnenden Schuldner von sich aus keine Fristverlängerung, so kann dies im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden (vgl. auch
BGE 91 III 6
E. 4 mit Hinweisen). Eine an sich verspätete Beschwerde ist als rechtzeitig zu betrachten, sofern sie innert der Frist erhoben wurde, die dem Schuldner von Anfang an hätte eingeräumt werden müssen. Bezüglich der konkreten Dauer dieser Frist ist in
BGE 106 III 4
E. 2 erkannt worden, dass die Frist um wenigstens so viele Tage zu erstrecken ist, als es der normalen Beförderungsdauer einer Postsendung vom Ausland in die Schweiz entspricht. Mit anderen Worten genügt es somit, wenn die Beschwerde- oder Rekursschrift innert der Frist von zehn Tagen bei einer ausländischen Poststelle aufgegeben wird; um die für die Beförderung von jener Poststelle in die Schweiz nötige Zeit ist die Beschwerde- oder Rekursfrist zu verlängern.
Die in der zitierten Rechtsprechung entwickelten Regeln können indessen auf den vorliegenden Fall nicht angewandt werden. Abs. 5 von
Art. 66 SchKG
bezieht sich ausdrücklich auf die Abs. 2-4 derselben Bestimmung, von welchen in der hier zu beurteilenden Streitfrage nur Abs. 3 zur Diskussion steht.
Art. 66 Abs. 3 SchKG
nun aber hat den im Ausland wohnenden Schuldner im Auge, welchem eine Betreibungsurkunde durch die Vermittlung der dortigen Behörden oder durch die (dortige) Post zugestellt wird. So wohnte denn auch der in
BGE 106 III 4
E. 2 erwähnte Rekurrent in Alexandria (Ägypten) und nahm den von ihm angefochtenen Entscheid dort entgegen. Die in
BGE 91 III 1
ff. erwähnte Schuldnerin hatte ihren Geschäftssitz in Mülheim an der Ruhr (BRD), wohin ihr aus der Schweiz ein Zahlungsbefehl zugestellt wurde. Laut
BGE 73 III 27
ff. war der Schuldner im damals besetzten Deutschland domiziliert und hatte dort auf diplomatischem Wege zwei Zahlungsbefehle aus der Schweiz zugestellt bekommen. Zustellort für Arresturkunde und Zahlungsbefehl war in
BGE 73 III 152
ff. Brüssel. Aus
BGE 70 III 76
ff. geht hervor, dass sich der Geschäftssitz des Schuldners, dem aus der Schweiz die Arresturkunde und der Zahlungsbefehl zugestellt wurden, in Valencia
BGE 111 III 5 S. 7
(Spanien) befand. Der Rekurrent in
BGE 52 III 11
ff. schliesslich hielt sich in Buenos Aires auf, als ihm durch die schweizerische Gesandtschaft in Argentinien ein Zahlungsbefehl übermittelt wurde.
Demgegenüber hielt sich im vorliegenden Fall der Schuldner unbestrittenermassen in der Schweiz auf, als ihm die Arresturkunden zugestellt wurden. Der von
Art. 66 Abs. 3 SchKG
zur Voraussetzung gemachte Wohnsitz im Ausland war daher nicht gegeben und somit
Art. 66 Abs. 5 SchKG
nicht anwendbar. Sollte aber der Rekurrent angenommen haben, es könnte Bangkok als sein Wohnsitz betrachtet und ihm aus diesem Grund Fristverlängerung gewährt werden, so hätte er sich während seines Aufenthaltes in der Schweiz wenigstens (bei einem Betreibungsamt oder einem Rechtsanwalt) erkundigen können, ob seine Auffassung richtig sei. Der Rekurrent behauptet im übrigen auch nicht, dass die Ende Juni 1984 erfolgte Zustellung der Arresturkunden in den Arresten Nrn. 1/1984 und 2/1984 des Betreibungsamtes Pfäffikon an einem rechtlichen Mangel gelitten hätte.
b) Im Hinblick auf seinen Aufenthalt in der Schweiz zur Zeit der Zustellung der beiden Pfändungsurkunden führt der Rekurrent auch vergeblich ins Feld, dass er damals Rechtsanwalt Sch. noch nicht mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt habe. Es genügt die Feststellung, dass es ihm auf jeden Fall möglich gewesen wäre, innert der Beschwerdefrist von zehn Tagen einen Rechtsanwalt in der Schweiz mit der Rechtsmittelergreifung in dieser Sache zu beauftragen.
c) Zu Unrecht beruft sich der Rekurrent auch auf den Umstand, dass ihm das Betreibungsamt eine Frist von 20 Tagen angesetzt hat, um allfällige Rechte Dritter an beschlagnahmten Vermögenswerten bekanntzugeben. Diese Fristansetzung stützt sich entgegen der Darstellung Rekurrenten nicht auf
Art. 66 Abs. 5 SchKG
. Über die Frist, innert welcher der Dritte seine Rechte im Widerspruchsverfahren anmelden muss, damit sie noch berücksichtigt werden können, enthält das Gesetz keine ausdrückliche Bestimmung (
BGE 104 III 44
). Es erlaubt im Gegenteil dem Dritten, seinen Anspruch an der gepfändeten Sache oder an deren Erlös geltend zu machen, solange dieser nicht verteilt ist (
Art. 107 Abs. 4 SchKG
). Nur bei grundloser Verzögerung der Anmeldung bezeichnet die Rechtsprechung den Drittanspruch als verwirkt (
BGE 109 III 58
ff.). Dieselbe Rechtsprechung hat auch erkannt, dass die Praxis eines Betreibungsamtes, die Anmeldefrist für Drittansprüche
BGE 111 III 5 S. 8
auf zehn Tage zu beschränken, in klarem Widerspruch zum Bundesrecht stehe (
BGE 109 III 27
). So darf denn auch die 20tägige Frist, welche das Betreibungsamt in den Arresturkunden angesetzt hat, nicht als Verwirkungsfrist verstanden werden. Das hat das Betreibungsamt selber gesehen, wenn es hinzugefügt hat, bei verspäteter Geltendmachung von Drittansprüchen bestehe die Gefahr, "dass diese Ansprüche nicht mehr berücksichtigt werden können, wenn festgestellt wird, dass die Verzögerung arglistig erfolgte".
Das Betreibungsamt Pfäffikon hat also dadurch, dass es für die Bekanntgabe allfälliger Drittansprüche 20 Tage eingeräumt hat, nicht eine gesetzliche Frist verlängert. Daher kann ihm nicht vorgeworfen werden, es habe zwar die - vom Gesetz nirgends fixierte - Frist für die Anmeldung von Drittansprüchen aufgrund von
Art. 66 Abs. 5 SchKG
verlängert, nicht aber die - gesetzliche - Frist für die Beschwerde gemäss
Art. 17 SchKG
. Nicht heranziehen lässt sich aus demselben Grund
BGE 73 III 154
E. 3. Hier verlängerte das Betreibungsamt die - wiederum gesetzliche - Frist von
Art. 106 Abs. 2 SchKG
zur Bestreitung (nicht Bezeichnung!) des Drittanspruches durch den Schuldner; die Nichtbeachtung dieser Frist hat gemäss
Art. 106 Abs. 3 SchKG
zur Folge, dass der Anspruch des Dritten als anerkannt gilt. Demgegenüber handelt es sich bei der Frist von 20 Tagen, welche das Betreibungsamt Pfäffikon dem Arrestschuldner zur Bezeichnung allfälliger Rechte Dritter angesetzt hat, um eine Ordnungsvorschrift ohne gesetzliche Sanktion. Der Widerspruch in der Fristansetzung, den der Rekurrent entdeckt zu haben glaubt, besteht somit nicht. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
57fc788c-5b62-40a1-b457-d5a963620f37 | Urteilskopf
120 V 392
54. Arrêt du 23 décembre 1994 dans la cause B. contre Caisse cantonale genevoise de chômage et Commission cantonale de recours en matière d'assurance-chômage, Genève | Regeste
Art. 8 lit. f und
Art. 15 Abs. 1 AVIG
: Vermittlungsfähigkeit eines ausländischen Studenten.
Die Vermittlungsfähigkeit setzt eine Arbeitsbewilligung voraus.
Die Tatsache, dass jemand eine Aufenthaltsbewilligung zum Besuch einer Universität erhalten hat, schliesst die Erteilung einer Arbeitsbewilligung nicht aus: Ein ausländischer Student kann grundsätzlich eine Arbeitsbewilligung erhalten, wenn er eine positive Stellungnahme des kantonalen Arbeitsamtes und eine Bestätigung der Universitätsbehörden über die Vereinbarkeit der ausgeübten oder gesuchten Tätigkeit mit den besuchten Kursen vorweisen kann.
Prüfung der Vermittlungsfähigkeit anhand dieser Voraussetzungen. | Sachverhalt
ab Seite 393
BGE 120 V 392 S. 393
A.-
B., né en 1964, de nationalité équatorienne, est entré en Suisse le 23 août 1988, en vue d'y accomplir des études. Il est au bénéfice d'une autorisation de séjour de type B et est immatriculé à l'Université de Genève.
Parallèlement à des études de psychologie, il a travaillé du 1er août 1992 au 19 août 1993 comme maître de mathématiques au service de l'école DIDAC, à Genève. Son horaire de travail était de 17 heures 30 par semaine. Les rapports de travail ont été résiliés avec effet immédiat par l'employeur, en raison, selon ses termes, d'un "rapport exclusif avec une élève".
Le 31 août 1993, B. s'est annoncé à l'Office cantonal genevois de l'emploi et a présenté une demande d'indemnité de chômage.
Par décision du 18 octobre 1993, la Caisse cantonale genevoise de chômage a nié le droit à l'indemnité prétendue, au motif que le requérant, étant au bénéfice d'un permis de séjour temporaire "étudiant", n'était pas apte à être placé.
B.-
Saisie d'un recours de l'assuré, l'Autorité cantonale et de recours l'a rejeté par décision du 23 novembre 1993. Elle a considéré, à l'instar de la caisse de chômage, qu'un étudiant au bénéfice d'un permis B strictement temporaire, aux fins de mener des études, était inapte au
BGE 120 V 392 S. 394
placement; l'autorisation de séjour est accordée, dans ce cas, pour permettre à l'intéressé de poursuivre des études et non pour exercer une activité lucrative.
C.-
Par jugement du 2 juin 1994, la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'assurance-chômage a rejeté le recours formé contre cette décision par l'assuré.
D.-
B. interjette un recours de droit administratif en concluant à l'annulation des décisions précédentes et au renvoi de la cause à la caisse de chômage pour versement en sa faveur d'indemnités journalières "conformément aux dispositions légales".
La Caisse cantonale genevoise de chômage conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'assuré n'a droit à l'indemnité de chômage que s'il est apte au placement (
art. 8 al. 1 let
. f LACI). Est réputé apte à être placé le chômeur qui est disposé à accepter un travail convenable et est en mesure et en droit de le faire (
art. 15 al. 1 LACI
). L'aptitude au placement comprend ainsi deux éléments: la capacité de travail d'une part, c'est-à-dire la faculté de fournir un travail - plus précisément d'exercer une activité lucrative salariée - sans que l'assuré en soit empêché pour des causes inhérentes à sa personne, et d'autre part la disposition à accepter un travail convenable au sens de l'
art. 16 LACI
, ce qui implique non seulement la volonté de prendre un tel travail s'il se présente, mais aussi une disponibilité suffisante quant au temps que l'assuré peut consacrer à un emploi et quant au nombre des employeurs potentiels. L'aptitude au placement peut dès lors être niée notamment en raison de recherches d'emploi continuellement insuffisantes, en cas de refus réitéré d'accepter un travail convenable, ou encore lorsque l'assuré limite ses démarches à un domaine d'activité dans lequel il n'a, concrètement, qu'une très faible chance de trouver un emploi (
ATF 115 V 436
consid. 2a et les références; DTA 1993/1994 no 8 p. 54 consid. 1, 1992 no 2 p. 73 consid. 1a, no 3 p. 78 consid. 2, no 10 p. 123 consid. 1, no 11 p. 127 consid. 1, no 12 p. 131 consid. 2a, no 13 p. 135 consid. 2a, 1991 no 2 p. 19 consid. 2, no 3 p. 23 consid. 2a, 1990 no 3 p. 26 consid. 1).
2.
a) Partant de ces principes, le Tribunal fédéral des assurances a jugé qu'un étudiant est apte à être placé s'il est disposé à exercer durablement, à côté de ses études, une activité lucrative, à temps partiel
BGE 120 V 392 S. 395
ou à temps complet, et est en mesure de le faire. En revanche, un étudiant est inapte à être placé s'il ne peut accepter que quelques travaux ou emplois de relativement courte durée, notamment pendant les périodes de vacances entre deux semestres académiques (
ATF 120 V 385
et arrêt non publié M. du 31 août 1994, qui confirment tous deux la jurisprudence développée sous l'empire de l'ancien droit:
art. 24 al. 2 let
. c LAC et
art. 15 al. 2 OAC
;
ATF 108 V 100
).
En l'espèce, il n'est pas douteux que le recourant est disposé à prendre un emploi durable, à côté de ses études, par exemple une activité d'enseignant. Ce n'est donc pas son statut d'étudiant, comme tel, qui ferait obstacle à son aptitude au placement. Ni la caisse de chômage ni les autorités cantonales de recours ne le prétendent au demeurant.
En fait, la question que pose le présent recours est de savoir si l'aptitude au placement du recourant, ressortissant étranger, doit être niée du fait qu'il ne posséderait pas l'autorisation d'exercer une activité salariée en Suisse. En effet, l'aptitude au placement suppose, logiquement, que l'intéressé soit au bénéfice d'une autorisation de travail, qui lui permette, le cas échéant, d'accepter l'offre d'un employeur potentiel. A défaut d'une telle autorisation, l'aptitude au placement et, partant, le droit à l'indemnité, doivent être niés (DTA 1993/1994 no 2 p. 12 consid. 1; GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, notes 10 et 55 ad art. 15).
b) Selon l'art. 3 al. 3 de la loi fédérale sur le séjour et l'établissement des étrangers (LSEE; RS 142.20), un étranger qui ne possède pas de permis d'établissement ne peut prendre un emploi en Suisse, et un employeur ne peut l'occuper, que si une autorisation de séjour lui en donne la faculté. D'après l'
art. 14c al. 3 LSEE
, les autorités cantonales autorisent les étrangers à exercer une activité lucrative dépendante, pour autant que le marché de l'emploi et la situation économique le permettent.
La procédure d'autorisation est réglée de telle manière que, lorsqu'il s'agit de la prise d'un emploi, l'autorité prendra au préalable l'avis de l'office de placement compétent (
art. 16 al. 2 LSEE
). Avant que les autorités cantonales de police des étrangers n'accordent l'autorisation d'exercer une activité, elles doivent ainsi requérir une décision préalable (dans le cas d'une première demande) ou un avis (en particulier en cas de prolongation d'une autorisation ou de changement de place) de l'office cantonal de l'emploi, qui déterminera si les conditions prévues par les art. 6 ss de l'ordonnance limitant le nombre des étrangers (OLE; RS 823.21)
BGE 120 V 392 S. 396
sont remplies et si la situation de l'économie et du marché permet l'engagement (art. 42 al. 1 et 43 al. 2 OLE). La décision préalable ou l'avis de l'office cantonal de l'emploi lie les autorités cantonales de police des étrangers; celles-ci peuvent, malgré une décision préalable positive ou un avis favorable, refuser l'autorisation si des considérations autres que celles qui ont trait à la situation de l'économie ou du marché du travail l'exigent (art. 42 al. 4 et 43 al. 4 OLE).
D'autre part, certaines catégories de personnes ne sont pas comptées dans les nombres maximums d'étrangers autorisés à exercer une activité lucrative. Ainsi les élèves et étudiants qui sont inscrits à des écoles supérieures pour y suivre un enseignement à plein temps et qui effectuent pendant leur formation un travail rémunéré, pour autant que la direction de l'école certifie que cette activité est compatible avec le programme de l'école et ne retarde pas la fin des études (
art. 13 let. 1 OLE
). Cette exigence, de toute évidence, permet d'éviter que des étrangers ne prétextent leur qualité d'étudiant pour entrer en Suisse dans l'intention première d'y exercer une activité lucrative.
c) Sur cette base, il y a lieu de constater, en résumé et contrairement à l'opinion des autorités cantonales de recours, qu'un étudiant étranger peut, en principe, obtenir une autorisation de travail, moyennant une décision favorable de l'office cantonal du travail et une attestation des autorités universitaires quant à la compatibilité de l'activité envisagée avec le programme suivi.
En l'absence d'une décision de l'autorité cantonale de police des étrangers (et de l'office cantonal du travail), l'administration de l'assurance-chômage ou, en cas de recours, le juge ont le pouvoir de trancher préjudiciellement le point de savoir si, au regard de la réglementation applicable, le ressortissant étranger serait en droit d'exercer une activité lucrative; lorsqu'ils ne disposent pas d'indices concrets suffisants, ils s'informeront auprès des autorités compétentes pour savoir si l'intéressé peut s'attendre à obtenir une autorisation de travail, dans l'hypothèse où il trouverait un travail convenable (
ATF 120 V 378
; à propos de l'examen par le juge de questions préjudicielles non encore tranchées par l'autorité normalement compétente, voir:
ATF 112 IV 119
consid. 4a,
ATF 108 II 460
consid. 2,
ATF 105 II 311
consid. 2; GRISEL, Traité de droit administratif, vol. I, p. 187 ss; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, volume complémentaire, Bâle 1990, no 142 B I, p. 448).
BGE 120 V 392 S. 397
d) En l'espèce, le recourant a produit une attestation de l'Office cantonal genevois de la population, du 3 janvier 1994, selon laquelle les étudiants immatriculés à l'Université de Genève, titulaires d'une autorisation de séjour délivrée en application de l'
art. 32 OLE
(octroi d'autorisations de séjour à des étudiants), peuvent être autorisés à exercer une activité lucrative durant l'année académique, à raison d'un maximum de 20 heures par semaine, et à plein temps pendant deux mois durant les vacances universitaires (et, en outre, sans être soumis aux mesures de contingentement de la main-d'oeuvre étrangère); l'étudiant devra néanmoins produire une attestation du bureau de placement de l'Université, précisant que cette activité est compatible avec l'avancement normal des études. A ce dernier propos, le recourant a déposé une attestation du bureau de placement de l'Université de Genève, du 3 février 1994, d'où il ressort qu'une activité de 20 heures par semaine au maximum est compatible avec le déroulement régulier de ses études.
Sur le vu de ces pièces et en l'absence d'éléments au dossier qui justifieraient un refus au regard de considérations autres que celles qui ont trait à la situation de l'économie ou du marché du travail, on peut admettre que le recourant obtiendrait sans difficultés une nouvelle autorisation de travail, s'il trouvait un emploi convenable.
e) C'est dès lors à tort que les autorités cantonales ont considéré le recourant comme inapte au placement au motif que les dispositions en matière de police des étrangers l'empêchaient d'exercer une activité lucrative. L'Autorité cantonale et de recours invoque erronément l'arrêt L. du 9 décembre 1983: dans cette affaire, il s'agissait d'une ressortissante étrangère qui était autorisée à ne prendre qu'un emploi temporaire comme assistante-doctorante à l'Université de Genève; tout placement en dehors de l'Université était exclu. C'est donc, principalement, en raison de cette limitation à une seule activité que le Tribunal fédéral des assurances a nié l'aptitude au placement dans ce cas (dans le même sens: DTA 1980 no 5 p. 11, concernant un étudiant étranger qui n'était autorisé à prendre un emploi temporaire qu'en qualité d'assistant à l'Université). Or, le recourant n'est pas soumis à ce genre de limitation.
3.
Il convient, dès lors, de renvoyer la cause à la caisse de chômage pour qu'elle réexamine le cas en regard des considérants qui précèdent et compte tenu, également, de toutes les conditions dont dépend le droit à l'indemnité (
art. 8 al. 1 LACI
). Elle rendra ensuite une nouvelle décision sur le droit à l'indemnité prétendue. Le cas échéant, elle examinera si le
BGE 120 V 392 S. 398
droit à l'indemnité de l'assuré doit être suspendu, au motif, en particulier, qu'il aurait pu, notamment par la violation de ses obligations contractuelles de travail, donner à son employeur un motif de résiliation du contrat de travail (
art. 30 al. 1 let. a LACI
en corrélation avec l'
art. 44 let. a OACI
). | null | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
57fe2b80-0a2c-42e7-b549-bbc31fa48358 | Urteilskopf
113 V 241
40. Auszug aus dem Urteil vom 5. November 1987 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Bern gegen M. und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 5 Abs. 5 AHVG
,
Art. 8bis AHVV
: Beitragsbefreiung bei geringfügigen Entgelten aus Nebenerwerb.
- Auslegung von Gesetz und Verordnung unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte: Voraussetzungen, unter denen geringfügige Entgelte aus Nebenerwerb von der Beitragserhebung ausgenommen werden können (Erw. 4a-c).
- Die Verwaltungsweisungen sind grundsätzlich gesetzes- und verordnungskonform, dies mit Ausnahme des Vorbehalts, wonach bei einem Versicherten, dessen Haupttätigkeit im Führen des eigenen Familienhaushaltes besteht, eine anderweitige Beschäftigung vermutungsweise nicht als Nebenerwerb gelte; Bedeutung der Vermutungsregel (Erw. 4d). | Erwägungen
ab Seite 242
BGE 113 V 241 S. 242
Aus den Erwägungen:
2.
a) Nach Art. 5 Abs. 5 erster Satz AHVG (in der Fassung gemäss BG vom 24. Juni 1977, in Kraft seit 1. Januar 1979) kann der Bundesrat Vorschriften erlassen, wonach geringfügige Entgelte aus Nebenerwerb mit Zustimmung des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers nicht in den massgebenden Lohn einbezogen werden.
Unter dem Marginale "Geringfügige Entgelte aus Nebenerwerb" machte der Bundesrat von dieser Kompetenz in
Art. 8bis AHVV
Gebrauch. Diese Bestimmung lautet in der seit 1. Januar 1986 geltenden Fassung: Die von einem Arbeitgeber ausgerichteten Entgelte, die für den Arbeitnehmer einen Nebenerwerb bilden und Fr. 2'000.-- im Kalenderjahr nicht übersteigen, können von der Beitragserhebung ausgenommen werden.
Eine analoge Befreiungsregelung besteht für geringfügigen Nebenerwerb aus selbständiger Erwerbstätigkeit (Art. 8 Abs. 2 zweiter Satz AHVG in Verbindung mit
Art. 19 AHVV
).
b) Die vorliegend wesentlichen Verwaltungsweisungen sind in der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) über den Bezug der Beiträge (WBB) enthalten und lauten in der seit 1. Januar 1982 geltenden Fassung unter Berücksichtigung der Nachträge 2 (gültig seit 1. Januar 1984) und 4 (gültig seit 1. Januar 1986):
Rz. 139: "Auf die Erhebung der Beiträge von Entgelten, die zum massgebenden Lohn gehören, kann verzichtet werden, wenn
- die Entgelte einen Nebenerwerb bilden,
- die Entgelte geringfügig sind,
- Arbeitgeber und Arbeitnehmer dem Verzicht zustimmen.
Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein ..."
Rz. 140: "Der Nebenerwerb setzt einen Haupterwerb voraus. Das von einer Frau erzielte Einkommen, deren Haupttätigkeit im Führen des eigenen Familienhaushaltes besteht, gilt als Nebenerwerb. Vorbehalten bleibt Rz 142."
Rz. 141: "Kein Nebenerwerb liegt vor, wenn
- das Erwerbseinkommen durch mehrere Tätigkeiten erzielt wird, ohne dass eine davon als Haupttätigkeit angesprochen werden kann;
- ..."
Rz. 142 (Abs. 1): "Bis zum Beweis des Gegenteils wird vermutet, dass nicht Nebenerwerb sind die Entgelte von Taglöhnern, Waschfrauen, Putzfrauen, Glätterinnen, Aushilfen (so namentlich im Gastwirtschaftsgewerbe, in der Landwirtschaft und im Hausdienst), Heimarbeitern und ähnlich tätigen Personen."
BGE 113 V 241 S. 243
Rz. 143 (Satz 1): "Als geringfügig gilt ein Entgelt, wenn es weniger als 2000 Franken in einem Kalenderjahr beträgt."
Rz. 145: "Der Grenzbetrag bezieht sich auf die Entgelte, die von einem Arbeitgeber gewährt werden. Sämtliche vom Arbeitgeber einem Arbeitnehmer für nebenerwerbliche Tätigkeit gewährten Entgelte sind zusammenzuzählen."
3.
a) Die Vorinstanz ging davon aus, dass Rosmarie E. nebst ihrer Beschäftigung als Raumpflegerin bei der Familie M. keinen weiteren Nebenerwerb habe; denn aus dem Schreiben der Ausgleichskasse vom 24. Juni 1986 sei zu schliessen, dass aufgrund eines Kontenzusammenrufs oder nach Anfrage der Steuerbehörden - somit aufgrund der in der Praxis üblichen Vorkehren - keine weiteren Erwerbstätigkeiten vorlägen. Die fragliche gegen Entgelte geleistete Arbeit werde zweifellos neben der Hauptbeschäftigung als Hausfrau ausgeübt und stelle deshalb einen Nebenerwerb dar. Da dieser die Grenze von Fr. 2'000.-- im Jahr nicht erreiche, sei die Beitragsbefreiung zu gewähren.
b) Die beschwerdeführende Ausgleichskasse verweist zunächst auf das Kreisschreiben Nr. 71 des BSV an die Ausgleichskassen über die Beiträge von gelegentlichen geringfügigen Entgelten aus Nebenerwerb vom 3. Juli 1957, welches mit der ersten bundesamtlichen WBB vom 1. Juli 1966 aufgehoben worden war. Dieses schrieb vor, dass dann kein Nebenerwerb vorliege, "wenn der Erwerb zwar durch eine Nebentätigkeit erzielt wird, die Haupttätigkeit aber keinen Erwerb bringt", was beispielsweise auf eine Hausfrau zutreffe, "die sich daneben einer Erwerbstätigkeit widmet; denn die Hausfrau übt ... wohl einen Beruf, aber keine Erwerbstätigkeit aus". Die nachfolgende Bestimmung, wonach bis zum Beweis des Gegenteils zu vermuten sei, "dass nicht Nebenerwerb sind die Entgelte von Taglöhnern, Waschfrauen, Putzfrauen (Spetterinnen), Glätterinnen, Aushilfen (so namentlich im Gastwirtschaftsgewerbe, in der Landwirtschaft und im Hausdienst), Heimarbeitern und ähnlich tätigen Personen" und dass somit in diesen Fällen Beiträge zu entrichten seien, habe dem Schutze der sozial Schwachen gedient, könne sich doch für solche Personen die Beitragserhebung auch auf geringen Löhnen auf den Rentenanspruch vorteilhaft auswirken. Einerseits sei diese Vermutungsregel auch in der gegenwärtig geltenden WBB unter Rz. 142 enthalten. Anderseits habe die Verwaltungsweisung bezüglich der Hausfrauenarbeit als Haupttätigkeit geändert, da gemäss Rz. 140 WBB - im Gegensatz zum Kreisschreiben Nr. 71 - das von einer Frau
BGE 113 V 241 S. 244
erzielte Einkommen, deren Haupttätigkeit im Führen des eigenen Familienhaushaltes bestehe, als Nebenerwerb gelte. Damit sei die Regelung von Rz. 142, soweit sie sich auf Hausfrauen beziehe, im Ergebnis hinfällig geworden. Es sei zu prüfen, ob der der Vermutungsregel von Rz. 142 zugrunde liegende Schutzgedanke heute noch beachtenswert oder ob im Gegensatz zu der bis anhin befolgten Verwaltungspraxis auf den geringfügigen Nebenerwerb einer Hausfrau
Art. 8bis AHVV
uneingeschränkt anwendbar sei.
c) Das BSV macht in seiner Vernehmlassung geltend, Rz. 140 und 142 WBB würden sich auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung stützen. Die Vermutungsregel in Rz. 142 WBB sei auf Tätigkeiten zugeschnitten, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht bloss für einen, sondern für mehrere Arbeitgeber ausgeführt würden und damit gesamthaft gesehen nicht mehr einen Nebenerwerb bildeten; mit den rechtlichen Grundlagen (
Art. 5 Abs. 5 AHVG
und
Art. 8bis AHVV
) unvereinbar sei es jedoch, die in Rz. 142 WBB aufgezählten Tätigkeiten generell als haupterwerbliche Beschäftigungen zu qualifizieren. Daher sehe Rz. 142 WBB die Möglichkeit vor, die Vermutung umzustossen. Im vorliegenden Fall gehe aus den Akten nicht hervor, ob Rosmarie E. nur im Haushalt der Familie M. oder noch an weiteren Orten als Raumpflegerin tätig sei. Die "pauschale Feststellung der Vorinstanz, es handle sich um die einzige entlöhnte Arbeit von Frau E.", sei "unter dem Gesichtspunkt von Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 132 OG
... unverbindlich", weshalb das kantonale Versicherungsgericht diese Frage näher abzuklären habe.
4.
a) Vorliegend ist zu prüfen, welches die Voraussetzungen für eine Beitragsbefreiung wegen Geringfügigkeit des Einkommens aus Nebenerwerb gemäss
Art. 8bis AHVV
sind. Dabei ist der Rechtssinn dieser Bestimmung als Norm des objektiven Rechts nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln, wobei die hiezu ergangene Verwaltungspraxis mit zu berücksichtigen ist, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulässt (
BGE 112 V 232
Erw. 2a in fine mit Hinweisen).
b) In der ursprünglichen Fassung sah das AHVG weder für unselbständige noch für selbständige Erwerbstätigkeiten eine Beitragsbefreiung wegen Geringfügigkeit des Einkommens vor (
Art. 5 und 8 AHVG
in der ursprünglichen Fassung vom 20. Dezember 1946; BS 8 449 f.).
Art. 8 Abs. 2 AHVG
ordnete für den Selbständigerwerbenden einen festen Beitrag von Fr. 1.-- im Monat an,
BGE 113 V 241 S. 245
wenn das Einkommen weniger als Fr. 600.-- im Jahr betrug (BS 8 450). Ungeachtet dieser formellgesetzlichen Ausgangslage bestimmte
Art. 19 AHVV
in der Fassung vom 31. Oktober 1947, dass auf Einkommen aus einer nebenberuflich ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit die Beiträge nur erhoben würden, soweit diese Einkünfte den Betrag von Fr. 600.-- im Jahr übersteigen, es sei denn, der Versicherte verlange die Beitragserhebung (BS 8 511).
Die Gesetzmässigkeit dieser Verordnungsbestimmung wurde in der Folge verschiedentlich in Frage gestellt (vgl. BBl 1950 II 193). Aus diesem Grunde sowie "im Interesse der Vereinfachung der Verwaltung und zwecks Vermeidung einer zu weit gehenden Erfassung kleiner und kleinster Nebenverdienste" wie auch zur Gewährung einer einheitlichen Praxis (BBl 1950 II 193) wurde
Art. 8 Abs. 2 AHVG
anlässlich der 1. AHV-Revision mit Wirkung ab 1. Januar 1951 neu gefasst: Beträgt das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit weniger als Fr. 600.-- im Jahr, so ist ein fester Beitrag von Fr. 1.-- im Monat zu entrichten; dieser Beitrag wird vom Einkommen aus einer nebenberuflich ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit von weniger als Fr. 600.-- nur auf Verlangen des Versicherten erhoben (AS 1951 392). Gleichzeitig wurde
Art. 19 AHVV
aufgehoben (AS 1951 395).
In der hiezu ergangenen Rechtsprechung stellte das Eidg. Versicherungsgericht fest, das Gesetz begünstige in
Art. 8 Abs. 2 AHVG
nur die Unselbständigerwerbenden, indem es deren allfälliges selbständiges Nebeneinkommen nicht mit relativ hohen Beiträgen belasten wolle; hingegen sei bei Selbständigerwerbenden das gesamte Einkommen (mit oder ohne Nebenerwerb) der Beitragspflicht unterworfen (EVGE 1952 S. 247 ff. Erw. 1 und 2). Anders liege der Fall bei einer Hausfrau; ihrem Wirken komme zwar die Bedeutung eines Berufes zu, doch könne sie die Beitragsbefreiung von geringfügigem Einkommen aus einer selbständigen Nebenerwerbstätigkeit in Anspruch nehmen (ZAK 1954 S. 112, 1951 S. 417).
Mit der 4. AHV-Revision wurde eine Regelung angestrebt, bei welcher sich die Beitragsbefreiung nicht auf bestimmte Berufskategorien beziehen sollte, weil damit die Grenze zwischen Einkommen aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit verschoben und einer solchen Regelung die Gefahr innewohnen würde, dass beispielsweise Raumpflegerinnen und Heimarbeiterinnen nicht beitragspflichtig wären und somit - zu ihrem Nachteil - keine
BGE 113 V 241 S. 246
rentenbildenden Beiträge äufnen könnten (Sten.Bull. 1956 S. 292 f.). Mit Wirkung ab 1. Januar 1957 trat daher neu
Art. 5 Abs. 5 AHVG
in Kraft, wonach der Bundesrat anordnen konnte, dass bei Übereinkunft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geringfügige Entgelte aus unselbständigem Nebenerwerb, die einmalig oder gelegentlich ausgerichtet werden, von der Beitragspflicht auszunehmen seien (AS 1957 263). Demgemäss wurde neu
Art. 8bis AHVV
eingeführt, der unselbständige Nebenerwerbseinkommen von weniger als Fr. 600.-- im Kalenderjahr als beitragsbefreit erklärte, falls der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht für dessen Haupterwerbstätigkeit entlöhne (AS 1957 406). Hinsichtlich des Nebenerwerbs aus selbständiger Tätigkeit wurde nichts geändert (AS 1957 263 und 406).
Die Erfordernisse der einmaligen oder gelegentlichen Ausübung einer Nebenbeschäftigung erwiesen sich als kaum praktikabel (vgl. ZAK 1973 S. 373 Erw. 5) und wurden daher anlässlich der 9. AHV-Revision aus dem Gesetz gestrichen (BBl 1976 III 51 f.).
Art. 5 Abs. 5 AHVG
erhielt die heute gültige Fassung (AS 1978 I 392), und neu wurde auch wieder ein
Art. 19 AHVV
bezüglich des geringfügigen Nebenerwerbs aus selbständiger Tätigkeit eingeführt (AS 1978 I 422). Sodann wurde der Grenzbetrag auf Fr. 2'000.-- festgesetzt (AS 1978 I 421 f., 1985 II 913).
c) Diese die Erfahrungen der früheren Rechtspraxis jeweils berücksichtigende Entwicklung zu den heute geltenden Rechtsgrundlagen hin macht deutlich, dass - abgesehen vom Einverständnis der Beitragspflichtigen - die Beitragsbefreiung eine Haupttätigkeit voraussetzt. Diese kann in einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit, darüber hinaus aber auch in einer nichterwerblichen Beschäftigung, namentlich in der Besorgung des Familienhaushaltes bestehen. Die allfälligen Einkünfte aus einem solchen Nebenerwerb dürfen den Grenzbetrag nicht überschreiten, wobei sich die Geringfügigkeit auf die jeweils in Frage stehende einzelne Tätigkeit bezieht. Die Beitragsbefreiung hinsichtlich mehrerer, jeweils unter dem Grenzbetrag liegender Nebenerwerbstätigkeiten ist grundsätzlich möglich; doch dürfen einzelne oder alle der betriebenen Nebenerwerbstätigkeiten hinsichtlich Zeit und Beanspruchung nicht so intensiv ausgeübt werden, dass kein Raum mehr für eine davon zu unterscheidende Haupttätigkeit bleibt bzw. dass die verschiedenen Nebenerwerbstätigkeiten zusammen die Haupttätigkeit darstellen.
BGE 113 V 241 S. 247
d) Im Lichte dieser Auslegungsergebnisse sind die wiedergegebenen Rz. 139 ff. WBB grundsätzlich nicht zu beanstanden. Sie dürfen aber nicht dahingehend verstanden und gehandhabt werden, dass bei einer Versicherten, deren Haupttätigkeit im Führen des eigenen Familienhaushaltes besteht (Rz. 140), eine anderweitige Beschäftigung vermutungsweise nicht als Nebenerwerb gilt; der Verweis in Rz. 140 in fine WBB auf Rz. 142 ist diesbezüglich unzulässig. Denn weil die Besorgung des Familienhaushaltes als Haupttätigkeit anerkannt ist, besteht in diesen Fällen kein Anlass, solche Versicherte, die nebenher als Raumpflegerinnen oder Waschfrauen etc. arbeiten, verfahrensmässig schlechter als zum Beispiel einen hauptberuflich Unselbständigerwerbenden zu stellen und von ihnen die Widerlegung der in Rz. 142 WBB aufgestellten Vermutung zu verlangen. Diese Vermutung ist nur bei Versicherten gerechtfertigt, die sich nicht von vornherein über eine von den dort erwähnten Beschäftigungen verschiedene Haupttätigkeit ausweisen können, wie dies beispielsweise auf eine alleinstehende Versicherte zutreffen mag, die in mehreren Privathaushalten als Glätterin arbeitet. Aber auch solchen Versicherten, bei denen eine Haupttätigkeit nicht evident ist, muss der Beweis des Gegenteils offenstehen, wie das BSV zu Recht bemerkt; denn auf dem Wege von Verwaltungsweisungen eingeführte Verfahrens- und Beweisregelungen dürfen nicht den Nachweis rechtserheblicher Tatsachen ausschliessen (vgl.
BGE 111 V 199
Erw. 6a in fine). Sodann ist mit der Vorinstanz darauf hinzuweisen, dass eine Vermutungsregelung wie die in Rz. 142 WBB vorliegende die Verwaltung nicht von den Pflichten enthebt, die ihr nach dem Untersuchungsgrundsatz zufallen (
BGE 110 V 52
Erw. 4a). Die gegenteilige Auffassung liefe auf eine Beweisführungslast hinaus, welche dem Sozialversicherungsprozess und dem nichtstreitigen Verwaltungsverfahren in der Sozialversicherung fremd ist (
BGE 107 V 164
oben).
5.
Im vorliegenden Fall gab Rosmarie E. im Beitragsbefreiungsgesuch vom 10. Januar 1986 an, sie sei Hausfrau und im Nebenerwerb als Raumpflegerin tätig, wodurch sie ein Jahreseinkommen von ca. Fr. 1'400.-- erziele. Wenn das kantonale Gericht gestützt auf diese Angaben und die glaubwürdigen Ausführungen in der vorinstanzlichen Beschwerde feststellte, die Hauptbeschäftigung von Rosmarie E. sei ihre Arbeit als Hausfrau und die Reinigungsarbeiten im Haushalt der Familie M. würde die einzige entlöhnte Nebenerwerbstätigkeit darstellen, so ist diese Sachverhaltsfeststellung nach Massgabe von
Art. 105 Abs. 2 OG
für das Eidg.
BGE 113 V 241 S. 248
Versicherungsgericht verbindlich. Denn angesichts der Aktenlage spricht nichts für eine offensichtlich unrichtige oder unvollständige Tatsachenfeststellung. Entgegen der Auffassung des BSV wären weitere Abklärungen nur am Platz, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, Rosmarie E. sei zusätzlich bei weiteren Arbeitgebern in einem Masse beschäftigt, dass diese Einsätze gesamthaft als ihre Haupttätigkeit zu beachten wären (vgl. Erw. 4c in fine). Für eine solche Annahme ergibt sich indessen nichts aus den Akten. Da somit sämtliche rechtlichen Erfordernisse, insbesondere auch die Geringfügigkeit und die Übereinkunft, erfüllt sind, hat die Vorinstanz die Beitragsbefreiung zu Recht gewährt. | null | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
58031ce4-82dd-4d73-aa5b-cc0c71d0d651 | Urteilskopf
118 II 157
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. März 1992 i.S. Marie-Therese B. gegen Y. R.-AG (Berufung) | Regeste
Franchisevertrag.
1. Grundsätzliches zur Rechtsanwendung auf Franchiseverträge (E. 2).
2. Keine Anwendung der zum Schutz des Mieters und des Pächters erlassenen Vorschriften auf einen Franchisevertrag, der ein bloss untergeordnetes miet- bzw. pachtvertragliches Element enthält (E. 3).
3. Steht der Franchisenehmer faktisch in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis vom Franchisegeber wie ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber, so rechtfertigt sich die sinngemässe Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften. Das führt im vorliegenden Fall zur Zusprechung einer Entschädigung an den Franchisenehmer wegen missbräuchlicher Kündigung des Vertrages durch den Franchisegeber (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 158
BGE 118 II 157 S. 158
A.-
Nachdem Marie-Therese B. ein Y. R.-Schönheitszentrum in Luzern seit dem Frühjahr 1984 als Directrice im Angestelltenverhältnis geleitet hatte, übertrug ihr die Y. R.-AG mit Vertrag vom 23. Oktober 1984 dessen Nutzung auf eigene Rechnung. Der Vertrag, der am 1. November 1984 in Kraft trat und auf unbestimmte Zeit abgeschlossen war, sah unter anderem eine umsatzabhängige Nutzungsgebühr vor.
Am 9. Oktober 1986 fand eine Besprechung über neue Budgetwerte und neue Ansätze für die Nutzungsgebühr statt. Bei diesem Anlass gab die Y. R.-AG ihre Absicht bekannt, die Nutzungsgebühr von 1 auf 7% des Umsatzes zu erhöhen. Mit Schreiben vom 30. Oktober 1986 wies der Anwalt von Marie-Therese B. diese Erhöhung zurück. Nach ergebnislosen Verhandlungen hielt die Y. R.-AG mit Schreiben vom 23. März 1987 an der Nutzungsgebühr von 7% fest.
Am 27. März 1987 erschien ein Vertreter der Y. R.-AG im Ladengeschäft und verlangte von Marie-Therese B., dass sie dieses am 31. März 1987 räume. Zugleich behändigte er die Kundenkartei. Noch am gleichen Tag kündigte die Y. R.-AG den Vertrag vom 23. Oktober 1984 auf den 30. Juni 1987, wobei sie Marie-Therese B. mit Wirkung ab 1. April 1987 von der Verpflichtung zur Führung des Geschäfts entband und sie aufforderte, auf den 31. März 1987 das Inventar zu erstellen und die Schlüssel zu übergeben. Nachdem Marie-Therese B. sich schriftlich gegen diese "fristlose Kündigung" verwahrt hatte, erklärte die Y. R.-AG mit Brief vom 30. März 1987 die sofortige Auflösung des Vertrages aus wichtigem Grund für den Fall, dass Marie-Therese B. nicht Hand zur Geschäftsübergabe bieten sollte.
Am Morgen des 1. April 1987 verklebten zwei Vertreter der Y. R. AG das Schaufenster des Ladens mit einem Plakat "Wegen Umbau geschlossen".
B.-
Mit superprovisorischer Verfügung vom gleichen Tag verbot der Präsident des Amtsgerichtes von Luzern-Stadt der Y. R.-AG,
BGE 118 II 157 S. 159
den Geschäftsbetrieb - ausser während des Umbaus des Ladenlokals vom 3. bis 10. April 1987 - zu betreten. Die von der Y. R.-AG dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 8. April 1987 ab. Am 12. Mai 1987 bestätigte der Amtsgerichts-Präsident die superprovisorische Verfügung vom 1. April 1987. Das Obergericht hiess jedoch am 18. August 1987 einen Rekurs der Y. R.-AG gegen diesen Entscheid gut. Eine staatsrechtliche Beschwerde von Marie-Therese B. gegen den obergerichtlichen Rekursentscheid wies das Bundesgericht am 15. Oktober 1987 ab.
Inzwischen hatte die Y. R.-AG ein Ausweisungsverfahren eingeleitet. Am 1. September 1987 wies der Befehlsrichter des Amtsgerichts Luzern-Stadt das Ausweisungsbegehren ab. Das Obergericht des Kantons Luzern hob diesen Entscheid jedoch am 27. Oktober 1987 auf und wies Marie-Therese B. an, die Geschäftsräumlichkeiten innert 20 Tagen zu verlassen. Am 23. November 1987 räumte Marie-Therese B. das Ladenlokal.
C.-
Am 13. Juni 1988 reichte die Y. R.-AG beim Handelsgericht des Kantons Zürich Klage ein mit dem Begehren, Marie-Therese B. sei zu verpflichten, der Klägerin Fr. 85'000.-- nebst Zins zu bezahlen. Die Beklagte erhob Widerklage auf Bezahlung von Fr. 148'176.60 nebst Zins.
Mit Urteil vom 10. September 1991 sprach das Handelsgericht der Klägerin Fr. 3'474.65 nebst Zins zu und wies im übrigen Haupt- und Widerklage ab.
D.-
Das Bundesgericht heisst die von der Beklagten eingelegte Berufung teilweise gut und ändert das handelsgerichtliche Urteil dahin ab, dass die Klägerin verpflichtet wird, der Beklagten Fr. 6'525.35 nebst Zins zu bezahlen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Handelsgericht hat den Vertrag der Parteien vom 23. Oktober 1984 als Franchiseverhältnis aufgefasst.
a) Franchiseverträge dienen dem Vertrieb von Waren und Dienstleistungen über selbständige Händler oder Unternehmer, aber nach einer einheitlichen Vertriebskonzeption. Der einzelne Franchisenehmer vertreibt die vom Franchisegeber hergestellten bzw. organisierten Waren und Dienstleistungen zwar auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko, befolgt dabei aber das einheitliche Absatz- und
BGE 118 II 157 S. 160
Werbekonzept, das ihm der Franchisegeber zur Verfügung stellt, erhält dessen Beistand, Rat und Schulung und verwendet dessen Namen, Marken, Ausstattungen oder sonstige Schutzrechte. Der Franchisegeber behält sich in der Regel das Recht vor, Weisungen zu erteilen und eine Kontrolle über die Geschäftstätigkeit auszuüben (SCHLUEP, Der Franchisevertrag, SPR VII/2, S. 853; BAUDENBACHER, Die Behandlung des Franchisevertrags im schweizerischen Recht, in: Neue Vertragsformen der Wirtschaft: Leasing, Factoring, Franchising, S. 210; BAUDENBACHER/ROMMÉ, Ausgewählte Rechtsprobleme des Franchising, in: Mélanges Pierre Engel, Lausanne 1989, S. 1 ff.; vgl. auch
BGE 109 II 487
E. 4a).
b) Dem Handelsgericht ist darin beizupflichten, dass diese Merkmale auf den Vertrag der Parteien zutreffen. Die Beklagte konnte ihre Tätigkeit zwar auf eigene Rechnung und Gefahr ausüben. Sie hatte ihr Verkaufs- und Schönheitspflegegeschäft jedoch unter der Bezeichnung "Y. R." zu führen und sich in jeder Hinsicht in das Vertriebskonzept der Klägerin einzufügen. So hatte sie sich insbesondere "im Interesse und zur Wahrung einer einheitlichen Geschäftspolitik und Präsentation von Y. R. an die allgemeinen und speziellen Weisungen und Empfehlungen von Y. R. in bezug auf die Verkaufstechniken, Werbung, Gestaltung von Schaufenstern, Sortiment, Kundenkarteiführung etc." zu halten. Im weiteren schrieb der Vertrag der Beklagten sowie deren Personal vor, auf Verlangen der Klägerin an "Schulungs-, Auffrischungs- und Weiterbildungskursen" teilzunehmen. Schliesslich stand der Klägerin ein umfassendes Kontrollrecht über die Geschäftstätigkeit der Beklagten zu.
c) Mit der Qualifikation des Vertrages als Franchiseverhältnis ist allerdings noch nicht viel gewonnen. Franchiseverträge treten in derart vielgestaltigen Erscheinungsformen auf, dass weder eine hinreichend scharfe begriffliche Umschreibung dieses Vertragstypus möglich erscheint, noch ein für allemal gesagt werden könnte, welchen Rechtsregeln solche Verträge unterstehen (zur analogen Situation im deutschen Recht MARTINEK, Franchising, Heidelberg 1987, S. 6 ff.; vgl. ferner SCHULTHESS, Der Franchise-Vertrag nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1975, S. 22 ff.; DE HALLER, Le contrat de franchise en droit suisse, Diss. Lausanne 1978, S. 21 ff.). Das anwendbare Recht muss deshalb in jedem Einzelfall aufgrund des konkreten Vertrages ermittelt werden. Dabei wird der Vertrag selten einheitlich einem bestimmten gesetzlichen Vertragstypus zugeordnet werden können (vgl. aber SCHLUEP, a.a.O., S. 856 bei Anm. 24; BAUDENBACHER, a.a.O., S. 221 f.), herrscht doch bei Franchiseverträgen
BGE 118 II 157 S. 161
gewöhnlich nicht die Natur eines einzigen gesetzlichen Vertragstypus derart vor, dass typenfremde Elemente ohne weiteres darin aufgingen (Absorptionsprinzip; dazu SCHLUEP, Innominatverträge, SPR VII/2, S. 801 und 804; Beispiel:
BGE 110 II 378
f.). In der Regel muss vielmehr für jede sich stellende Rechtsfrage gesondert geprüft werden, nach welchen gesetzlichen Bestimmungen oder nach welchen Rechtsgrundsätzen sie zu beurteilen ist. Denn Franchiseverträge werden meist von mehreren verschiedenartigen Komponenten entscheidend geprägt, so namentlich von Elementen eines Überlassungsvertrages (Überlassung des Franchisepackage durch den Franchisegeber) und eines Arbeitsleistungsvertrages (Absatzförderungspflicht des Franchisenehmers). Häufig finden sich auch Elemente des Warenlieferungsvertrages (BAUDENBACHER, a.a.O., S. 211 f.). Im gemeinsamen Ziel der Maximierung des Umsatzes kann - ähnlich wie beim Alleinvertretungsvertrag - zudem ein gesellschaftsvertraglicher Einschlag erblickt werden (
BGE 107 II 220
Nr. 29 E. 4; KUHN, Der Alleinvertriebsvertrag im Verhältnis zum Agenturvertrag, in: FS Keller 1989, S. 197 f.; vgl. aber auch BAUDENBACHER, a.a.O., S. 212). Das rechtfertigt die Heranziehung von Normen des Gesellschaftsrechts insbesondere dann, wenn zwischen den Parteien nicht ein Unterordnungs-, sondern ein partnerschaftliches Verhältnis besteht (sog. Partnerschaftsfranchising; BAUDENBACHER/ROMMÉ, a.a.O., S. 6). Ist hingegen der Franchisenehmer, wie dies typischerweise - und auch vorliegend (E. b hievor und 4a hienach) - der Fall ist, dem Franchisegeber untergeordnet (sog. Subordinationsfranchising), tritt die Frage einer analogen Anwendung arbeitsvertrags- oder agenturvertragsrechtlicher Schutzvorschriften in den Vordergrund (E. 4 hienach).
3.
Zu den Vertragsleistungen der Klägerin gehörte unter anderem die Überlassung des Geschäftslokals (...) mitsamt Ladeneinrichtung. Die Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, dabei handle es sich um einen selbständigen Vertragsbestandteil, auf welchen die zwingenden Vorschriften des BMM und des OR über Miete und Pacht anzuwenden seien; nach diesen Bestimmungen aber sei die von der Klägerin ausgesprochene Vertragskündigung nichtig. Das Handelsgericht billigt demgegenüber dem miet- bzw. pachtrechtlichen Element keine selbständige Bedeutung zu und unterstellt den Vertrag der Parteien insgesamt dem "Recht des Franchising".
a) Die Anwendung der zum Schutz des Mieters und des Pächters erlassenen Vorschriften über die Beendigung des Vertragsverhältnisses setzt das Vorliegen eines eigentlichen Miet- oder Pachtvertrages
BGE 118 II 157 S. 162
voraus. Bei aus verschiedenen Einzelverträgen zusammengesetzten Vertragskomplexen und bei gemischten Verträgen, die neben miet- oder pachtrechtlichen auch andere Elemente enthalten, ist nach der Rechtsprechung auf den Regelungsschwerpunkt abzustellen. Demgemäss ist die Anwendung der miet- und pachtrechtlichen Vorschriften über die Vertragsbeendigung ausgeschlossen, wenn die Überlassung des Miet- bzw. Pachtobjektes bloss als untergeordnete Nebenabrede erscheint, die Rechtsbeziehungen der Parteien mithin schwergewichtig durch andere Vertragsbestandteile geprägt werden. In jedem Einzelfall ist daher, ausgehend von der Interessenlage der Parteien, wie sie in der von ihnen getroffenen vertraglichen Regelung zum Ausdruck gelangt, zu prüfen, welche Bedeutung den einzelnen Vertragsbestandteilen im Hinblick auf die Gestaltung der Gesamtrechtslage zukommt (
BGE 115 II 454
E. a).
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Stehen verschiedene Parteivereinbarungen nicht als selbständige Verträge nebeneinander, sondern sind nach dem Willen der Parteien mehrere Vertragsbestandteile in der Weise miteinander verknüpft und voneinander abhängig, dass ein gemischter oder ein zusammengesetzter Vertrag vorliegt, so ist dieser als Einheit aufzufassen. Das wirkt sich insbesondere hinsichtlich der Vertragsbeendigung aus. Die einzelnen Vertragsbestandteile einem unterschiedlichen rechtlichen Schicksal zu unterwerfen, ginge angesichts ihrer gegenseitigen Abhängigkeit nicht an. In
BGE 109 II 466
hat deshalb das Bundesgericht einen Architektenvertrag mit auftrags- und werkvertraglichen Elementen gesamthaft der Auflösungsregel von
Art. 404 OR
unterstellt und es ausdrücklich abgelehnt, die einzelnen Vertragsbestandteile in bezug auf die Vertragsbeendigung gesondert zu behandeln. Entsprechendes hat, wie Barbey (Commentaire du droit de bail, Chapitre III, Genève 1991, Introduction, N 160) zutreffend ausführt, für gemischte oder zusammengesetzte Verträge mit miet- oder pachtvertraglicher Komponente zu gelten (im gleichen Sinne bereits
BGE 41 II 111
E. 3).
b) Im vorliegenden Fall kommt, wie im angefochtenen Urteil mit Recht festgehalten wird, dem miet- bzw. pachtvertraglichen Element im Rahmen des gesamten Franchiseverhältnisses bloss untergeordnete Bedeutung zu. Der Zweck des Vertrages vom 23. Oktober 1984 bestand im Vertrieb der Produkte und Dienstleistungen der Klägerin. Allein diesem Zweck diente auch die Überlassung des Ladenlokals zur Nutzung durch die Beklagte. Einzig darauf waren die mit einer Y. R.-Ladeneinrichtung ausgestatteten Räumlichkeiten denn auch ausgelegt. Unter diesen Umständen kann von einem selbständigen
BGE 118 II 157 S. 163
Miet- oder Pachtvertrag keine Rede sein. Die Überlassung des Ladenlokals erscheint vielmehr als Bestandteil des sogenannten Franchisepackage, d.h. des Leistungsbündels, das die Klägerin der Beklagten im Hinblick auf die Förderung des Absatzes ihrer Produkte erbrachte. Da das pachtvertragliche Element mithin in jeder Hinsicht vom Zweck des gesamten Franchiseverhältnisses abhängt, teilt es dessen rechtliches Schicksal. Die miet- bzw. pachtrechtliche Beendigungsordnung kommt nicht zur Anwendung, da kein eigentliches Miet- oder Pachtverhältnis vorliegt.
c) Abwegig ist die Berufung der Beklagten auf
Art. 254 OR
, welcher Koppelungsgeschäfte, die im Zusammenhang mit der Miete von Wohn- oder Geschäftsräumen stehen, unter bestimmten Voraussetzungen für nichtig erklärt. Abgesehen davon, dass diese Bestimmung erst mit der am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen Mietrechtsrevision eingeführt worden und auf den vorliegenden Sachverhalt daher noch die entsprechende Vorschrift des alten Rechts (Art. 16 in Verbindung mit
Art. 2 Abs. 3 BMM
) anwendbar ist (
Art. 1 SchlT ZGB
), kann von einem unzulässigen Koppelungsgeschäft nur gesprochen werden, wenn das Interesse des Mieters an sich bloss auf den Mietvertrag gerichtet ist, der Vermieter dessen Abschluss oder Weiterführung aber davon abhängig macht, dass der Mieter Hand zu einem anderweitigen Nebengeschäft bietet (SVIT-Kommentar zum Schweizerischen Mietrecht, N 12 ff., insbesondere N 15 und 16 zu
Art. 254 OR
). Der Vertrag vom 23. Oktober 1984 war indessen von Anfang an in seinem Kern gerade kein Miet- oder Pachtvertrag (E. b hievor); er verschaffte der Beklagten in erster Linie eine berufliche Stellung und nicht bloss ein Gebrauchs- bzw. Nutzungsrecht an Geschäftsräumlichkeiten. Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, dass die Klägerin das Interesse der Beklagten an einem Miet- bzw. Pachtverhältnis dazu missbraucht hätte, sie zur Eingehung weiterer Verpflichtungen zu bewegen.
4.
Ist die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung somit nicht nach Miet- bzw. Pachtrecht zu beurteilen, so bleibt zu prüfen, ob allenfalls andere gesetzliche Bestimmungen herangezogen werden können.
a) aa) Bei Dauerschuldverhältnissen, in welchen die eine Partei wirtschaftlich von der andern abhängig ist, kann die Schutzbedürftigkeit der schwächeren Vertragspartei die sinngemässe Anwendung zwingender Vorschriften erheischen, welche das Gesetz für verwandte Vertragstypen vorsieht (vgl. BAUDENBACHER, a.a.O., S. 213 f.). Voraussetzung ist allerdings stets, dass sich der Regelungsgedanke
BGE 118 II 157 S. 164
bestimmter gesetzlicher Schutzvorschriften auf das konkrete Vertragsverhältnis übertragen lässt. Ob und für welche Bestimmungen dies zutrifft, ist im Einzelfall ausgehend von der Bedeutung zu beurteilen, die der Vertrag für die schwächere Vertragspartei einnimmt. Massgebend sind die Art und das Ausmass der Abhängigkeit der schwächeren von der stärkeren Vertragspartei.
bb) Im Franchiseverhältnis ist regelmässig der Franchisenehmer die schwächere Vertragspartei, vorliegend demnach die Beklagte (BAUDENBACHER/ROMMÉ, a.a.O.). Unter den Vertragspflichten der Beklagten steht die Arbeitsleistung im Vordergrund. Der Beklagten oblag einerseits die Ausübung einer Verkaufs- und Schönheitspflegetätigkeit, anderseits die Ausbildung und Führung ihres Personals. Sie hatte sich dieser Aufgaben vollberuflich anzunehmen; die Aufnahme einer anderweitigen selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit war ihr ausdrücklich verwehrt. Ferner stand die Beklagte in einem ausgesprochenen Unterordnungsverhältnis zur Klägerin. Ihr Entscheidungsspielraum war durch die Weisungen der Klägerin und durch deren Kontrollrecht eng eingegrenzt. Der Vertrag enthält in seinem Anhang 2 genaue und ins einzelne gehende Vorschriften über die Geschäftsführung der Beklagten, worunter beispielsweise detaillierte Anordnungen über Erstellung und Nachführung der Kundenkartei, der Lagerkartei, der Absatzstatistik, über den Umfang des Warenlagers und über die Ladenöffnungszeiten. Im weiteren wurde der Beklagten in umfassender Weise die Pflicht auferlegt, die "allgemeinen und speziellen Weisungen und Empfehlungen" der Klägerin hinsichtlich Verkaufstechniken und Werbung zu befolgen. Schliesslich übte die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit mit den ihr von der Klägerin zur Verfügung gestellten Betriebsmitteln, insbesondere in den ihr von dieser überlassenen Räumlichkeiten aus.
All das rückt den Vertrag in seiner Bedeutung für die Beklagte in die Nähe eines Arbeitsverhältnisses, bestand doch, obschon die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit formell selbständig ausübte, faktisch eine Abhängigkeit von der Klägerin, die derjenigen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber zumindest sehr nahe kommt. Damit rechtfertigt sich die sinngemässe Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften. Die Heranziehung von Arbeitsrecht für Franchiseverträge mit ausgeprägtem Unterordnungsverhältnis zwischen Franchisenehmer und -geber wird denn auch in der Lehre befürwortet (MEYER, Der Alleinvertrieb, Diss. St. Gallen 1990, S. 10 ff.; im gleichen Sinne, wenn auch zurückhaltender BAUDENBACHER, a.a.O., S. 221 f.; zur vergleichbaren Rechtslage bei den sogenannten
BGE 118 II 157 S. 165
Tankstellenverträgen SCHLUEP/WERDER, Die Tankstellenverträge, SPR VII/2, S. 866 f.).
b) aa) Die Klägerin hat ihre Kündigung am 27. März 1987 mit Wirkung auf den 30. Juni 1987 ausgesprochen. Abzustellen ist daher nicht auf die
Art. 336 ff. OR
in ihrer am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen revidierten Fassung, sondern auf die vorher geltende gesetzliche Regelung (
Art. 1 SchlT ZGB
), bei deren Auslegung das neue Recht allerdings mitberücksichtigt werden darf (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N 160 und 225 zu
Art. 1 ZGB
).
Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung fand bereits unter der Herrschaft des alten Rechts die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers ihre Schranke am Rechtsmissbrauchsverbot (
BGE 111 II 243
;
BGE 107 II 170
E. 2 mit Hinweisen). Umstritten war hingegen, ob Missbräuchlichkeit zur Nichtigkeit der Kündigung führe (so REHBINDER, Grundriss des Arbeitsrechts, 9. Aufl. 1988, S. 103) oder ob die Kündigung zwar gleichwohl gültig, der Kündigende jedoch zur Leistung einer Entschädigung verpflichtet sei (so MERZ, Berner Kommentar, N 317 f. zu
Art. 2 ZGB
; VISCHER, Der Arbeitsvertrag, SPR VII/1, S. 417 f.). Für letztere Auffassung sprechen einerseits Praktikabilitätserwägungen sowie die Analogie zu Art. 336g aOR (MERZ, a.a.O.; VISCHER, a.a.O.). Anderseits rechtfertigt es sich auch im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers, wie er im neuen Recht zum Ausdruck gelangt, die bisherige Regelung entsprechend dem heute geltenden
Art. 336a OR
dahin auszulegen, dass die Missbräuchlichkeit einer Kündigung deren Gültigkeit nicht berührt, sondern lediglich eine Entschädigungspflicht des Kündigenden nach sich zieht.
bb) Nach den verbindlichen Feststellungen des Handelsgerichts hat die Klägerin ihre Kündigung mit der Weigerung der Beklagten begründet, die Erhöhung der Nutzungsgebühr auf 7% zu akzeptieren. Bei dieser Begründung hat sie sich behaften zu lassen.
Der Vertrag vom 23. Oktober 1984 sah zwar vor, dass die Klägerin die Ansätze für die Nutzungsgebühr nachträglich ändern könne. Wie das Handelsgericht zutreffend darlegt, hatte die Klägerin dieses einseitige vertragliche Gestaltungsrecht jedoch nach billigem Ermessen auszuüben (VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. I, S. 191), und die Klausel, wonach die Änderung der Nutzungsgebühr nur unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist erfolgen könne, kann nur dahin verstanden werden, dass die Beklagte berechtigt war, statt die Änderung anzunehmen, den Vertrag aufzulösen. Der Vorinstanz ist in jeder Hinsicht darin
BGE 118 II 157 S. 166
beizupflichten, dass eine Erhöhung der Nutzungsgebühr von 1 auf 7% des Umsatzes aufgrund der gesamten Umstände des vorliegenden Falles als unbillig bezeichnet werden muss. Gegen die entsprechenden Urteilserwägungen wendet die Klägerin in ihrer Berufungsantwort lediglich ein, alle übrigen Franchisenehmerinnen in der Schweiz hätten die Gebührenerhöhung auf 7% anstandslos angenommen, ohne dass ihre Verdienstmöglichkeiten beeinträchtigt worden wären, hätten doch verkaufsfördernde Massnahmen, Produktivitätssteigerungen und erhöhtes Kostenbewusstsein die angehobenen Nutzungsgebühren problemlos wettgemacht. Dem angefochtenen Urteil lässt sich indessen nicht entnehmen, dass das bereits im kantonalen Verfahren vorgebracht worden wäre, und die Beklagte macht auch nicht geltend, das Handelsgericht habe entsprechende Vorbringen zu Unrecht nicht berücksichtigt. Die Behauptungen haben deshalb als neu und damit im Berufungsverfahren als unzulässig zu gelten (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
).
Ist demnach davon auszugehen, dass die Klägerin nicht befugt war, die Nutzungsgebühr auf 7% zu erhöhen, so hat sich die Beklagte mit Recht gegen die Erhöhung zur Wehr gesetzt. Dass die Klägerin die Weigerung der Beklagten, die neuen Ansätze für die Nutzungsgebühr zu akzeptieren, dennoch zum Anlass für eine Vertragsauflösung genommen hat, ist deshalb nicht gerechtfertigt. Immerhin kann dahingestellt bleiben, ob dies für sich allein bereits ausreichen würde, um die Kündigung als missbräuchlich erscheinen zu lassen. Denn die Missbräuchlichkeit ergibt sich zusätzlich auch aus der Art und Weise, wie die Klägerin ihr Kündigungsrecht ausgeübt hat.
cc) Darüber ist dem angefochtenen Urteil folgendes zu entnehmen: Im Anschluss an Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien über die Erhöhung der Nutzungsgebühr hat die Klägerin bereits am 31. Dezember 1986 ohne Wissen der Beklagten einen Vertrag mit Kerstin S. abgeschlossen, wonach diese das Geschäft der Beklagten auf den 1. April 1987 übernehmen sollte. Noch in einem Brief vom 9. März 1987 hat jedoch die Klägerin die Beklagte mit dem Hinweis beruhigt, sie habe bezüglich der Nutzungsgebühr noch keinen Entscheid getroffen, die Beklagte könne aber mit einem Bericht in der zweiten Hälfte des Monats rechnen. Mit Schreiben vom 23. März 1987 hat sie dann an der Nutzungsgebühr von 7% festgehalten. Am 27. März 1987 ist ein Vertreter der Klägerin im Laden der Beklagten erschienen, hat von dieser die Räumung des Geschäfts auf den 31. März 1987 verlangt und zugleich die Kundenkartei behändigt. In ihrer Kündigung vom gleichen Tag hat die Klägerin die Beklagte
BGE 118 II 157 S. 167
mit Wirkung ab 1. April 1987 von der Verpflichtung zur Führung des Geschäfts entbunden und sie zur Erstellung des Inventars und zur Schlüsselübergabe auf den 31. März 1987 aufgefordert.
Das Handelsgericht bezeichnet das Vorgehen der Klägerin mit Recht als falsches und verstecktes Spiel, das Treu und Glauben krass widerspreche. Die Klägerin hat in krasser Weise dem Gebot der schonenden Rechtsausübung zuwidergehandelt. Die dadurch bewirkte Missbräuchlichkeit der Kündigung führt nach dem Gesagten (E. aa hievor) dazu, dass der Vertrag zwar auf den 30. Juni 1987 als beendet zu gelten hat, der Beklagten jedoch ein Entschädigungsanspruch gegen die Klägerin zusteht.
dd) Die Entschädigung wegen Kündigungsmissbrauchs gemäss Art. 336g aOR und
Art. 336a OR
soll neben allfälligem, aus der Missbräuchlichkeit der Kündigung entstandenem Schaden des Kündigungsempfängers vor allem die von diesem erlittene seelische Unbill angemessen abgelten. Da der Entschädigung zudem auch pönaler Charakter zukommt, ist der Nachweis eines konkreten Schadens oder einer konkreten seelischen Beeinträchtigung nicht erforderlich (vgl. Botschaft des Bundesrates zur Volksinitiative "betreffend Kündigungsschutz im Arbeitsvertragsrecht" und zur Revision der Bestimmungen über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Obligationenrecht vom 9. Mai 1984, BBl 1984 II, S. 600 f.; missverständlich BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, N 2 zu
Art. 336a OR
).
Die Zusprechung einer derartigen Entschädigung ist im vorliegenden Fall durch die Widerklagebegehren der Beklagten auf Schadenersatz und Genugtuung gedeckt. Dass die Beklagte diese Forderungen aus anderen rechtlichen Überlegungen ableitet, schadet ihr nichts, da das Bundesgericht an die Rechtsauffassung der Parteien nicht gebunden ist (
Art. 63 Abs. 1 Satz 2 OG
).
ee) Den Betrag der Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung setzt der Richter unter Würdigung der gesamten Umstände ermessensweise fest (Art. 336g Abs. 3 aOR;
Art. 336a Abs. 2 OR
). Dabei berücksichtigt er insbesondere die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeit des Kündigungsempfängers, die Enge und die Dauer der vertraglichen Beziehungen sowie die Art und Weise, wie das Vertragsverhältnis gekündigt worden ist (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 601; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, a.a.O., N 4 zu
Art. 336a OR
).
Dass die stossende Art und Weise, in welcher die Klägerin ihr Kündigungsrecht ausgeübt hat (E. cc hievor), auch einen entsprechend schweren Eingriff in die Persönlichkeit der Beklagten darstellt,
BGE 118 II 157 S. 168
versteht sich von selbst. Auf der anderen Seite ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kündigung keine sehr langen vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien vorausgegangen sind. Aufgrund dieser Umstände rechtfertigt es sich insgesamt, der Beklagten eine Entschädigung von Fr. 10'000.-- zuzubilligen. Die Widerklage der Beklagten ist daher abweichend vom angefochtenen Urteil nicht bloss im Umfang von Fr. 23'245.--, sondern im Betrag von Fr. 33'245.-- als ausgewiesen zu erachten. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
5803eef1-d73b-47b9-af9f-09566054865f | Urteilskopf
116 II 450
84. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Juli 1990 i.S. S. AG gegen B. (Berufung) | Regeste
Werkvertrag; Vertragsrücktritt ex nunc (
Art. 366 Abs. 1 OR
); Mängelhaftung (
Art. 368 OR
, Art. 169 SIA-Norm 118).
Tritt der Besteller vom Werkvertrag nach
Art. 366 Abs. 1 OR
zurück und beansprucht er gegen Vergütung das begonnene Werk, liegt eine Vertragsauflösung ex nunc vor (E. 2a/aa). Ein solches Teilwerk ist hinsichtlich der Rechtsfolgen, insbesondere der Mängelrechte, dem vollendeten Werk gleichgestellt; Anwendung von Art. 169 SIA-Norm 118 bei entsprechender vertraglicher Abmachung (E. 2b/aa). | Sachverhalt
ab Seite 450
BGE 116 II 450 S. 450
A.-
Gestützt auf eine Offerte vom 31. Januar 1985 übertrug die S. AG B. die Ausführung der Zimmerarbeiten für zwei
BGE 116 II 450 S. 451
Einfamilienhäuser in Würenlos zu einem Werklohn von Fr. 76'144.-- abzüglich 4% Rabatt und 2% Skonto. Beide Parteien anerkannten den nicht unterzeichneten Vertragsentwurf vom 6. März 1985, welcher u.a. die SIA-Norm 118 zum Vertragsinhalt erklärte, als verbindlich. Nachdem B. die Balkenlage und den Dachstuhl termingerecht ausgeführt hatte, kam es zu Auseinandersetzungen, in denen sich die Parteien gegenseitig Verzögerung der Ausführungsarbeiten bzw. der Vorbereitungshandlungen vorwarfen. Im Anschluss an eine erfolglose Besprechung vom 21. Juni 1985 erklärte die S. AG gleichentags den Rücktritt vom Vertrag. B. verwahrte sich mit Schreiben vom 28. Juni 1985 dagegen und stellte für die ausgeführten Arbeiten am 2. Juli 1985 Rechnung im Betrage von Fr. 24'457.70, an welche die S. AG eine Akontozahlung von Fr. 15'000.-- leistete. Mit der Fertigstellung und der Verbesserung beauftragte die S. AG die Firma K.
Am 14. März 1986 belangte B. die S. AG auf Fr. 9'457.50, d.h. auf die Differenz aus seiner Rechnung abzüglich der Akontozahlung, nebst Zins. Die Beklagte erhob Widerklage in der Höhe von Fr. 5'821.60 für Mängelbehebungen und Preisdifferenzen.
B.-
Mit Urteil vom 14. Juni 1988 wies das Bezirksgericht Baden die Klage ab, hiess die Widerklage teilweise gut und verpflichtete den Kläger zur Bezahlung von Fr. 5'821.60 nebst Zins.
In teilweiser Gutheissung einer Appellation des Klägers hob das Obergericht des Kantons Aargau am 22. September 1989 das angefochtene Urteil auf, verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von Fr. 2'045.10 nebst Zins und wies die Widerklage ab. Es bejahte einen restanzlichen Werklohnanspruch des Klägers von Fr. 8'357.10, welchen es mit einem der Beklagten zustehenden Schadenersatzanspruch im Umfang von Fr. 6'312.-- verrechnete.
Das Bundesgericht weist die Berufung der Beklagten ab, soweit es darauf eintritt, und bestätigt den angefochtenen Entscheid.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beklagte macht geltend, die Vorinstanz unterstelle ihren Rücktritt zu Recht
Art. 366 Abs. 1 OR
. Unzutreffend seien jedoch ihre Ausführungen über die Wirkungen des Rücktritts gemäss
Art. 366 Abs. 1 OR
. Sie wende überdies zu Unrecht Art. 169 SIA-Norm 118 an. Die Mängelrechte entstünden erst mit Ablieferung des mangelhaften Werkes, so dass beim Rücktritt des
BGE 116 II 450 S. 452
Bestellers nach
Art. 366 Abs. 1 OR
kein Tatbestand von
Art. 368 OR
und Art. 169 SIA-Norm 118 vorliege. Die Beklagte vertritt die Auffassung, ihre Aufwendungen für die von der Firma K. vorgenommenen Mängelbehebungsarbeiten könnten zur Verrechnung mit den grundsätzlich anerkannten Werklohnansprüchen des Klägers gebracht werden.
a) aa) Zu den möglichen Verzugsfolgen, die sich mit dem Schuldnerverzug des Unternehmers verbinden, gehört das Recht des Bestellers, vom Werkvertrag entweder nach Art. 107 Abs. 2, falls Verzug des Unternehmers mit der Ablieferung des Werkes vorliegt, oder bei Verzug vor Eintritt des Ablieferungstermins nach
Art. 366 Abs. 1 OR
zurückzutreten. Der Rücktritt des Bestellers bewirkt, dass der Vertrag mit Wirkung ex tunc aufgelöst wird. Ein solcher Rücktritt lässt die noch offenen Leistungspflichten erlöschen und begründet die Pflicht zur Rückgabe des bereits Empfangenen (GAUCH, Der Werkvertrag, 3. Aufl. 1985, S. 141 Rz. 487 f.). Hat indessen der Unternehmer im Zeitpunkt des Rücktritts mit der Ausführung des Werkes schon begonnen, so steht es dem Besteller frei, den Vertrag gegen Vergütung der bereits geleisteten Arbeit ex nunc aufzulösen und das Werk, soweit es ausgeführt ist, zu beanspruchen. Verlangt der Besteller diese Auflösung, so erfolgt keine Rückabwicklung des Vertrages. Der Unternehmer wird dabei von der Pflicht zur Vollendung des Werkes und der Besteller von der Vergütungspflicht für den noch nicht ausgeführten Teil des Werkes befreit (GAUCH, a.a.O., S. 141 f. Rz. 488-490 mit Hinweisen, ferner S. 469 Rz. 1776).
bb) Nach den für das Bundesgericht im Berufungsverfahren verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat die Beklagte den Kläger in ihrem Rücktrittsschreiben vom 21. Juni 1985 aufgefordert, für die geleistete Arbeit Rechnung zu stellen. Die zu erbringende Vergütung ist bis auf die Abzüge für Rabatt, Skonto und Baureinigung unbestritten. Damit wurde der Vertrag ex nunc aufgelöst. Die Frage nach den gegenseitigen Rechten und Pflichten bezüglich der Mängelbehebung bezieht sich damit nur auf diesen Werkteil. Die Frage, welche Regeln dagegen bei Vertragsrücktritt ex tunc (
Art. 109 Abs. 1 OR
) anzuwenden sind, kann vorliegend offenbleiben.
b) aa) Tritt der Besteller nach Art. 366
Art. 1 OR
vom Vertrag zurück, verunmöglicht er dem Unternehmer die Vollendung des Werkes. Ist er indessen bereit, die bereits gelieferten Arbeiten und Materialien entgegenzunehmen und den dafür geschuldeten
BGE 116 II 450 S. 453
Werklohn zu begleichen, akzeptiert er das Teilwerk als solches. Dieses ist hinsichtlich der Rechtsfolgen dem vollendeten Werk gleichzustellen. Der Besteller verfügt über die gleichen Mängelrechte. Demgegenüber hat er bei entsprechender vertraglicher Abmachung dem Unternehmer auch das Nachbesserungsrecht gemäss Art. 169 SIA-Norm 118 einzuräumen. Das begonnene, jedoch noch unvollendete Werk stellt keinen Werkmangel dar; es wird jedoch verlangt, dass es im Zeitpunkt des Vertragsrücktritts mängelfrei ist.
Zum gleichen Ergebnis führt die Fortentwicklung des Ansatzes von GAUCH (a.a.O., S. 469 Rz. 1778) zur Frage der Mängelhaftung bei vorzeitiger Vertragsauflösung. Er will die Bestimmungen über die Mängelhaftung sinngemäss anwenden und den Unternehmer entsprechend den
Art. 367-371 OR
haften lassen, wenn das unvollendete Werk mangelhaft ist, weil ihm eine Eigenschaft fehlt, die es ungeachtet der Nichtvollendung in diesem Stadium der Ausführung bereits aufweisen sollte. Dementsprechend ist
Art. 368 OR
auch hier sinngemäss anzuwenden. Da diese Bestimmung nur subsidiär gilt, kommt bei entsprechender Vereinbarung Art. 169 SIA-Norm 118 zur Anwendung, wonach der Bauherr bei jedem Mangel zunächst einzig das Recht hat, vom Unternehmer die Beseitigung des Mangels innerhalb angemessener Frist zu verlangen (
BGE 110 II 53
,
BGE 116 II 311
E. 3a).
bb) Nach den tatbeständlichen Feststellungen des Obergerichts haben die Parteien die Anwendung der SIA-Norm 118 verbindlich anerkannt. Entgegen Art. 169 SIA-Norm 118 habe die Beklagte die mangelhaften Arbeiten des Klägers, ohne diesem eine Frist zur Nachbesserung anzusetzen, durch die Firma K. beheben lassen. Es treffe nicht zu, dass sich der Kläger ausdrücklich geweigert habe, die Mängel zu beheben. Ebensowenig könne gesagt werden, dass dieser offensichtlich nicht dazu imstande gewesen sei. Diese Feststellungen binden das Bundesgericht. Das Obergericht geht zu Recht von einem Vertragsrücktritt der Beklagten mit Wirkung ex nunc aus und wendet hinsichtlich der Mängelrechte die hiefür massgebenden gesetzlichen und vertraglichen Regeln an. Da nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz die SIA-Norm 118 Vertragsbestandteil bildete, hat die Beklagte gemäss Art. 169 SIA-Norm grundsätzlich nur ein Recht auf Nachbesserung; entgegen ihrer Auffassung stehen ihr die übrigen Mängelrechte, Wandelung und Minderung (
Art. 368 OR
), nicht alternativ zur Verfügung. Die Beklagte hat vom
BGE 116 II 450 S. 454
Kläger nicht Nachbesserung verlangt und infolgedessen ihre übrigen Ansprüche verwirkt. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
5808aa53-a96b-4746-a164-d034fbeaf039 | Urteilskopf
139 V 212
28. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. B. gegen Unia Arbeitslosenkasse (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_754/2012 vom 15. März 2013 | Regeste a
Art. 13 Abs. 1 und
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
; Beitragszeit bei Teilnahme an arbeitsmarktlichen Massnahmen.
Obwohl
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung lediglich die Ermittlung des versicherten Verdienstes beschlägt, erfüllt eine Person durch eine Tätigkeit, welche unter diese Bestimmung fällt, auch keine Beitragszeit im Sinne von
Art. 13 Abs. 1 AVIG
(E. 3.3).
Regeste b
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
;
Art. 38 Abs. 1 AVIV
; arbeitsmarktliche Massnahmen.
Arbeitsmarktliche Massnahmen im Sinne von
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
sind nicht nur Massnahmen im Sinne von
Art. 59 ff. AVIG
, sondern alle voll oder teilweise durch die öffentliche Hand finanzierten Integrationsmassnahmen;
Art. 38 Abs. 1 AVIV
ist gesetzeskonform (E. 4.1).
Für den Entscheid, ob eine Tätigkeit als Teilnahme an einer Integrationsmassnahme zu werten ist, ist nicht entscheidend, ob die ausgeübte Tätigkeit auch in der freien Wirtschaft nachgefragt wird. Entscheidend ist vielmehr der Zweck der Beschäftigung (E. 4.2). | Erwägungen
ab Seite 213
BGE 139 V 212 S. 213
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Gemäss
Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG
(SR 837.0) besteht ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nur dann, wenn die versicherte Person die Beitragszeit erfüllt hat oder von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist. Die Beitragszeit hat nach
Art. 13 Abs. 1 AVIG
erfüllt, wer innerhalb der dafür vorgesehenen Rahmenfrist (
Art. 9 Abs. 3 AVIG
) während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat.
BGE 139 V 212 S. 214
3.2
In Anwendung von
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
ist ein Verdienst, den eine Person durch Teilnahme an einer von der öffentlichen Hand finanzierten arbeitsmarktlichen Massnahme erzielt, nicht versichert. Ausgenommen sind Massnahmen nach den
Art. 65 und 66a AVIG
. Als arbeitsmarktliche Massnahmen nach Art. 23 Abs. 3
bis
erster Satz AVIG gelten gemäss
Art. 38 Abs. 1 AVIV
(SR 837.02) alle voll oder teilweise durch die öffentliche Hand finanzierten Integrationsmassnahmen.
3.3
Obwohl
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung lediglich die Ermittlung des versicherten Verdienstes beschlägt, ist zu Recht unbestritten, dass eine Person durch eine Tätigkeit, welche unter diese Bestimmung fällt, auch keine Beitragszeit im Sinne von
Art. 13 Abs. 1 AVIG
erfüllt (vgl. die Weisung des Staatssekretariats für Wirtschaft [SECO], ALE 023-AVIG-Praxis 2011/16; PIA BUSER, Gesetzgebung, Jahrbuch des Schweizerischen Arbeitsrechts [JAR] 2011, S. 1 ff., 67sowie die Botschaft vom 3. September 2008 zur Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes, BBl 2008 7733, 7750 zu
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
).
4.
4.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, entgegen den Erwägungen des kantonalen Gerichts sei
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
eng auszulegen. Der in dieser Norm verwendete Begriff der arbeitsmarktlichen Massnahme werde durch das Gesetz selber definiert. Demgemäss würden nur jene Personen unter diese Norm fallen, die an einer arbeitsmarktlichen Massnahme im Sinne von
Art. 59 ff. AVIG
teilnehmen würden. Dies treffe aber auf sie selber nicht zu.
Das AVIG will unter anderem bestehende Arbeitslosigkeit bekämpfen und die rasche und dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt fördern (
Art. 1a Abs. 2 AVIG
). Damit verfolgen die Organe der Arbeitslosenversicherung die gleichen Ziele wie Sozialbehörden, welche in ihrem Zuständigkeitsbereich Beschäftigungsprogramme organisieren. Solche Programme sollen stets dazu dienen, Stellensuchende wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Allerdings sollen in verschiedenen Kantonen arbeitslose Personen zwölf Monate in ein vom Kanton finanziertes Programm aufgenommen worden sein, um alsdann wieder eine neue Leistungspflicht der Arbeitslosenversicherung auszulösen (vgl. Votum des Ständerats Schwaller, AB 2009 S 578).
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
soll verhindern, dass Sozialbehörden Beschäftigungsprogramme nicht zur Wiedereingliederung der
BGE 139 V 212 S. 215
Stellensuchenden, sondern einzig zur Generierung von Beitragszeiten organisieren (Botschaft, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund erschiene es als wenig zielführend, die Norm eng auszulegen und lediglich auf arbeitsmarktliche Massnahmen im Sinne von
Art. 59 ff. AVIG
anzuwenden. Bei diesen Massnahmen besteht denn auch ein bedeutend geringeres Missbrauchspotenzial als bei den direkt von Sozialhilfebehörden organisierten Beschäftigungsprogrammen, bei denen die Arbeitslosenversicherung zunächst in keiner Weise involviert ist. Zudem beziehen die versicherten Personen, welche an einer arbeitsmarktlichen Massnahme im Sinne von
Art. 59 ff. AVIG
teilnehmen, in aller Regel keinen Lohn, sondern erhalten ein Taggeld nach
Art. 59b Abs. 1 AVIG
. Dass ein solches Taggeld weder in die Bemessung des versicherten Lohnes einfliesst noch Beitragszeiten generiert, ist auch ohne
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
selbstverständlich. Die von der Beschwerdeführerin postulierte enge Auslegung von
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
würde somit dazu führen, dass dem Absatz kaum mehr praktische Bedeutung zukommen würde. Eine Auslegung, welche einer Norm jeden Sinn raubt, ist aber in der Regel abzulehnen. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin erweist sich demnach
Art. 38 Abs. 1 AVIV
, wonach alle voll oder teilweise durch die öffentliche Hand finanzierten Integrationsmassnahmen in den Anwendungsbereich von
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
fallen, als gesetzeskonform.
4.2
Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, selbst bei einer weiten Auslegung von
Art. 23 Abs. 3
bis
AVIG
falle ihre Tätigkeit nicht unter diese Norm, da sie als Küchenmitarbeiterin eine Tätigkeit ausgeübt habe, die gleichermassen in der freien Wirtschaft nachgefragt werde. Eine Ausübung einer solchen Tätigkeit könne aber nicht als Teilnahme an einer Integrationsmassnahme gewertet werden.
Für den Entscheid, ob eine Tätigkeit als Teilnahme an einer Integrationsmassnahme zu qualifizieren ist, ist entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht entscheidend, ob die von ihr ausgeübte Tätigkeit auch in der freien Wirtschaft nachgefragt wird. Es ist vielmehr danach zu fragen, welchem Zweck die Beschäftigung dient. Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz führt der Verein Y. den Gastronomiebetrieb nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zur beruflichen und sozialen Integration von Personen, die nur erschwert Zugang zum ersten Arbeitsmarkt haben. Damit diente auch der Einsatz der Versicherten als Küchenmitarbeiterin in erster
BGE 139 V 212 S. 216
Linie ihrer beruflichen und sozialen Integration. Es ist demnach nicht zu beanstanden, dass das kantonale Gericht die Beschäftigung der Beschwerdeführerin beim Verein Y. als Teilnahme an einer Integrationsmassnahme gewertet hat. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
580caa9d-002f-48c3-8c84-25b0caa51921 | Urteilskopf
113 V 180
29. Auszug aus dem Urteil vom 17. September 1987 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen K. und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 82 Abs. 1 AHVV
: Kenntnis des Schadens.
- Kenntnis des Schadens im Sinne von
Art. 82 Abs. 1 AHVV
ist im Falle eines Konkurses in der Regel schon bei Eröffnung der Kollokation der Forderungen gegeben (Bestätigung der Rechtsprechung).
- Kann in diesem Zeitpunkt die Schadenshöhe zufolge ungewisser Konkursdividende nicht bzw. auch nicht annähernd genau ermittelt werden, so ist die Schadenersatzverfügung derart auszugestalten, dass die Belangten zur Ersetzung des ganzen der Ausgleichskasse entzogenen Betrages gegen Abtretung einer allfälligen Konkursdividende verpflichtet werden (Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 180
BGE 113 V 180 S. 180
A.-
Werner K. war Verwaltungsratspräsident der Firma S. und K. AG. Dem Verwaltungsrat gehörten ferner seine Ehefrau Elisabeth sowie T. B. als Mitglieder an. Am 5. März 1980 wurde über die Firma der Konkurs eröffnet. In diesem Verfahren meldete die Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes dem Konkursamt eine Forderung von Fr. 67'522.40 an, die sich u. a. aus paritätischen bundesrechtlichen Sozialversicherungsbeiträgen sowie Betreibungs- und Mahngebühren zusammensetzte. Nachdem der Kollokationsplan und das Inventar am 26. April 1980 bzw. am 24. Oktober 1981 aufgelegt worden waren, gab das
BGE 113 V 180 S. 181
Konkursamt der Ausgleichskasse mit Verlustschein vom 7. November 1984 bekannt, dass die geltend gemachte und in der zweiten Klasse kollozierte Forderung lediglich im Umfang von Fr. 7'120.25 befriedigt werden könne, während der Betrag von Fr. 60'402.15 ungedeckt bleibe. In der Folge wurde der Konkurs geschlossen und die Firma von Amtes wegen im Handelsregister gelöscht.
Gestützt auf
Art. 52 AHVG
machte die Ausgleichskasse einen Betrag von Fr. 48'729.70 gegenüber Werner und Elisabeth K. sowie T. B. als Schadenersatzforderung geltend (Verfügungen vom 27. November 1984). Die Betroffenen erhoben gegen diese Verfügungen Einspruch im Sinne von
Art. 81 Abs. 2 AHVV
.
B.-
Am 23. Januar 1985 reichte die Ausgleichskasse gegen Werner und Elisabeth K. Schadenersatzklagen ein. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern vereinigte die Klageverfahren, ordnete eine mündliche Verhandlung sowie einen zweiten Schriftenwechsel an und wies die Klagen mit Entscheid vom 20. Januar 1986 ab.
C.-
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, der vorinstanzliche Entscheid sei, soweit damit bezüglich der bundesrechtlich geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge die Klage der Ausgleichskasse abgewiesen worden sei, aufzuheben und die Sache an das kantonale Gericht zur Neubeurteilung zurückzuweisen. - Werner und Elisabeth K. lassen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
In einem zweiten Schriftenwechsel haben die Parteien zur Frage der Verwirkung der Schadenersatzforderung Stellung genommen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach
Art. 82 Abs. 1 AHVV
"verjährt" die Schadenersatzforderung, wenn sie nicht innert Jahresfrist seit Kenntnis des Schadens durch Erlass einer Schadenersatzverfügung geltend gemacht wird. Bei dieser Frist handelt es sich entgegen dem Wortlaut der Bestimmung um eine Verwirkungsfrist, die von Amtes wegen zu berücksichtigen ist (
BGE 112 V 8
Erw. 4c).
Kenntnis des Schadens im Sinne von
Art. 82 Abs. 1 AHVV
ist von dem Zeitpunkt an gegeben, in welchem die Ausgleichskasse unter Beachtung der ihr zumutbaren Aufmerksamkeit und unter Berücksichtigung der Praxis erkennen muss, dass die tatsächlichen
BGE 113 V 180 S. 182
Gegebenheiten nicht mehr erlauben, die Beiträge einzufordern, wohl aber eine Schadenersatzpflicht begründen können (
BGE 108 V 52
Erw. 5). Im Falle eines Konkurses hat die Kasse nicht notwendigerweise erst in dem Zeitpunkt Kenntnis des Schadens, wenn sie in die konkursamtliche Verteilungsliste und Schlussabrechnung Einsicht nehmen kann oder einen Verlustschein erhält; denn wer im Rahmen eines Konkurses oder Nachlassvertrages einen Verlust erleidet und auf Ersatz klagen will, hat praxisgemäss in der Regel bereits dann eine ausreichende Kenntnis des Schadens, wenn die Kollokation der Forderungen eröffnet bzw. der Kollokationsplan (und das Inventar) zur Einsicht aufgelegt wird. In diesem Zeitpunkt ist oder wäre der Gläubiger im allgemeinen in der Lage, den Stand der Aktiven, die Kollokation seiner Forderung und die voraussichtliche Dividende zu kennen (
BGE 112 V 9
Erw. 4d, 158 und 161 mit Hinweisen; ZAK 1986 S. 523 Erw. 3a).
3.
a) Die Beschwerdegegner machen in ihren Stellungnahmen zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend, bei Erlass der Schadenersatzverfügungen am 27. November 1984 sei die Forderung der Ausgleichskasse bereits "verwirkt bzw. verjährt" gewesen. Die Kasse hätte nämlich spätestens am 24. Oktober 1981, als die Neuauflage des Kollokationsplanes erfolgt sei, "Kenntnis über das genaue Ausmass ihres Verlustes" haben können. Jedenfalls wäre ihr diese Kenntnis beim Abschluss der Vergleiche zwischen der Konkursmasse und den Beschwerdegegnern vom 4. November 1981 betreffend Abgeltung der Verantwortlichkeitsansprüche zuteil geworden, wenn sie sich mit der gebotenen Aufmerksamkeit um eine Schadensermittlung bemüht hätte.
Das BSV hält in seiner im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels erstatteten Vernehmlassung dafür, es könne nicht in jedem Fall die Auflage des Kollokationsplanes mit dem Zeitpunkt der Kenntnis des Schadens gleichgesetzt werden. Dies erscheine zwar dort als gerechtfertigt, wo - wie etwa in dem vom Eidg. Versicherungsgericht am 26. Juni 1986 beurteilten und in ZAK 1986 S. 522 publizierten Fall - im Zeitpunkt der Auflegung des Kollokationsplanes das Ausmass des (vollständigen) Verlustes für die Ausgleichskasse mit zumutbarem Aufwand ermittelt werden könne. Anderseits könne dies dann nicht uneingeschränkt gelten, wenn "ein Verlust im Bereich des Möglichen" liege, "dessen Umfang aber überhaupt nicht oder zumindest nicht mit zumutbarem Aufwand einigermassen zuverlässig abgeschätzt werden" könne. Namentlich in solchen Fällen, in denen - wie vorliegend - mit einer
BGE 113 V 180 S. 183
Teildividende zu rechnen sei, sollte der Zeitpunkt der Auflage des Kollokationsplanes nicht "verabsolutiert" werden, zumal die "in einem Inventar aufgeführten Aktiven oft nur sehr vage bewertet werden" und auch nachträgliche Änderungen des Kollokationsplanes in Grenzfällen wieder zu völlig veränderten Situationen führen könnten. Im vorliegenden Fall seien denn auch in dem am 24. Oktober 1981 zusammen mit dem Kollokationsplan aufgelegten Inventar Anfechtungs- und Verantwortlichkeitsansprüche angeführt worden; erst bei Vorlage der Vergleiche mit den als verantwortlich erachteten Verwaltungsratsmitgliedern im Oktober 1984 habe sich der für die Kasse zu erwartende Schaden ermitteln lassen. Mit den Schadenersatzverfügungen vom 27. November 1984 habe deshalb die Ausgleichskasse innert der einjährigen Verwirkungsfrist des
Art. 82 Abs. 1 AHVV
gehandelt. Im übrigen wäre die Verwirkung insoweit ohnehin nicht eingetreten, als der Schaden auf einer Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen beruhe, wofür gemäss
Art. 82 Abs. 2 AHVV
die strafrechtliche Verjährungsfrist von fünf Jahren gälte.
b) Die in Erw. 2 hievor dargelegten Grundsätze, wonach die Kenntnis des Schadens im Falle eines Konkurses in der Regel schon bei Eröffnung der Kollokation der Forderungen bzw. bei Auflegung des Kollokationsplanes (und des Inventars) gegeben ist, finden auch im Bereiche des Zivilrechts (
BGE 111 II 167
Erw. 1a) sowie auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts (
BGE 108 Ib 100
betreffend
Art. 20 VG
) Anwendung. Damit erlaubt es die Rechtsprechung dem Gläubiger - entgegen der vom BSV anscheinend vertretenen Auffassung - nicht, die Geltendmachung seiner Forderung bis zu dem Zeitpunkt hinauszuschieben, in welchem er das genaue Ausmass seines Verlustes kennt. Dies stimmt mit den im Zivilrecht anwendbaren Grundsätzen überein. Danach beginnt die in
Art. 60 Abs. 1 und
Art. 67 Abs. 1 OR
festgelegte einjährige Frist in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Geschädigte von der Existenz, der Beschaffenheit und den wesentlichen Merkmalen des Schadens Kenntnis erlangt hat, d. h. alle tatsächlichen Umstände kennt, die geeignet sind, eine Klage zu veranlassen. Von diesem Zeitpunkt an kann von ihm verlangt werden, dass er sich über die Einzelheiten informiert, die geeignet sind, seine Klage zu begründen (
BGE 112 V 162
,
BGE 111 II 57
und 167,
BGE 109 II 435
mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 108 Ib 100
).
Kann indessen im Zeitpunkt der Auflegung des Kollokationsplanes und des Inventars die Schadenshöhe infolge ungewisser
BGE 113 V 180 S. 184
Konkursdividende nicht bzw. auch nicht annähernd zuverlässig ermittelt werden, so rechtfertigt sich deren Berücksichtigung in dem Sinne, dass der Belangte gegen Abtretung einer allfälligen Konkursdividende zur Ersetzung des ganzen dem Geschädigten entzogenen Betrages verpflichtet wird. Diese auf den Gebieten des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts (
BGE 111 II 164
; vgl. auch
BGE 108 Ib 97
) angewandte Methode ist auch im Rahmen von Schadenersatzforderungen gemäss
Art. 52 AHVG
und
Art. 82 Abs. 1 AHVV
der vom Bundesamt vorgeschlagenen Lösung mit der grundsätzlich erst bei Abschluss des Konkurses gegebenen Kenntnis der genauen Schadenshöhe vorzuziehen. Denn abgesehen davon, dass es aus Gründen der Verfahrensökonomie und der Rechtssicherheit fragwürdig erscheint, den Beginn des Fristenlaufes im jeweiligen Einzelfall verschieden festzulegen, widerspricht es auch der zitierten Rechtsprechung sowie den Interessen der Verfahrensbeteiligten, die Geltendmachung einer Forderung - namentlich bei aufwendigen konkursamtlichen Liquidationen (
BGE 108 Ib 101
) - während längerer Zeit hinauszuschieben. Zudem entspricht es der - grundsätzlich auch im vorliegend erörterten Zusammenhang geltenden - Zielsetzung des Schadenersatzrechts, dass der Geschädigte wieder so gestellt wird, wie wenn ihm der geschuldete Betrag nicht entzogen worden wäre; dabei hat der Schädiger die Ungewissheit über die endgültige Konkursdividende zu tragen, was als billig erscheint.
Somit hat eine Ausgleichskasse, deren Verlust im Zeitpunkt der Auflegung des Kollokationsplanes und des Inventars zufolge ungewisser Konkursdividende noch nicht bzw. auch nicht annähernd genau bestimmt werden kann, ihre Schadenersatzverfügung derart auszugestalten, dass sie die Belangten zur Ersetzung des ganzen, der Schadenersatzforderung entsprechenden Betrages gegen Abtretung der Konkursdividende verpflichtet.
c) In dem am 5. März 1980 über die Firma S. und K. AG eröffneten Konkurs ist die Auflegung des Kollokationsplanes und des Inventars erstmals am 26. April 1980 erfolgt, was das Konkursamt im Schweizerischen Handelsamtsblatt sowie im Kantonsblatt bekanntgab. In diesem Zeitpunkt hätte die Ausgleichskasse dem Kollokationsplan und dem Inventar entnehmen können, dass - beim Fehlen von Erstklassgläubigern - den Forderungen der Zweitklassgläubiger (Kasse und SUVA) von insgesamt Fr. 69'985.70 inventarisierte Aktiven von total Fr. 10'492.-- gegenüberstanden, wobei im Inventar noch "evtl. Anfechtungsansprüche"
BGE 113 V 180 S. 185
und "evtl. Verantwortlichkeitsansprüche" angeführt waren. Damit stand für die Ausgleichskasse die Schadenshöhe infolge ungewisser Konkursdividende noch nicht fest, zumal die von der Konkursmasse abgeschlossenen Vergleiche mit den Beschwerdegegnern betreffend Abgeltung der Verantwortlichkeitsansprüche in der Höhe von insgesamt Fr. 13'000.-- erst am 4. November 1981 unterzeichnet bzw. im Oktober 1984 vom Konkursamt als genehmigt erklärt wurden. Indessen hätte die Kasse gemäss den in Erw. 3b hievor dargelegten Grundsätzen bereits am 26. April 1980 die Schadenersatzverfügungen erlassen können, als die erstmalige Auflegung des Kollokationsplanes und des Inventars erfolgte, und dabei die Betroffenen gegen Abtretung der Konkursdividende zur Ersetzung des ganzen ihr entzogenen Betrages verpflichten können. Indem die Ausgleichskasse ihre Schadenersatzforderungen erst am 27. November 1984 verfügungsweise geltend machte, handelte sie nach Ablauf der einjährigen Verwirkungsfrist des
Art. 82 Abs. 1 AHVV
. Im übrigen bestehen - entgegen der vom BSV in seiner nachträglichen Vernehmlassung anscheinend vertretenen Meinung - aufgrund der Akten und der Parteivorbringen (
BGE 110 V 53
Erw. 4a) keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen strafbarer Handlungen, was gegebenenfalls die Prüfung der im Strafrecht vorgesehenen längern Verjährungsfristen im Sinne von
Art. 82 Abs. 2 AHVV
rechtfertigen würde. Es muss daher bei der Feststellung bleiben, dass die Schadenersatzverfügungen nach Ablauf der einjährigen Verwirkungsfrist des
Art. 82 Abs. 1 AHVV
und mithin verspätet erlassen worden sind. Der Schadenersatzanspruch der Kasse gegenüber den Beschwerdegegnern ist demzufolge verwirkt. | null | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
580cd8b5-cea0-45c7-a6b8-73b9b22f2efc | Urteilskopf
109 Ib 203
35. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 26 mai 1983 dans la cause B. contre Tribunal administratif du canton de Genève (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 16 SVG
: Führerausweisentzug.
Strafurteile binden die Verwaltungsbehörde nicht. Wenn aber das Verschulden oder die rechtliche Qualifikation der Tat bestritten ist, soll der Führerausweis in der Regel erst nach Abschluss des Strafverfahrens entzogen werden. Voraussetzungen, unter denen die Verwaltungsbehörde in einem solchen Fall vom Strafurteil abweichen darf. | Erwägungen
ab Seite 204
BGE 109 Ib 203 S. 204
Considérant en droit:
1.
Les autorités administratives ne peuvent prendre une mesure de retrait de permis de conduire admonitoire que s'il est prouvé que le conducteur a commis une infraction à la LCR. En principe, un jugement pénal ne lie pas l'autorité administrative. Cependant, l'indépendance des juges pénal et administratif peut conduire à des jugements opposés, fondés sur les mêmes faits, ce qui met en péril la sécurité du droit. Afin d'éviter le plus possible ces contradictions, le Tribunal fédéral a récemment confirmé que lorsque la qualification de l'acte ou la culpabilité sont douteuses, il convient de statuer sur le retrait du permis de conduire après seulement que la procédure pénale se sera achevée par un jugement entré en force; car, fondamentalement, il appartient d'abord au juge pénal de se prononcer sur la réalisation d'une infraction (
ATF 106 Ib 398
consid. 2).
Selon la jurisprudence, l'autorité administrative ne peut s'écarter du jugement pénal que si elle est en mesure de fonder sa décision sur des constatations de fait inconnues du juge pénal ou qu'il n'a pas prises en considération, s'il existe des preuves nouvelles dont l'appréciation conduit à un autre résultat, si l'appréciation à laquelle s'est livré le juge pénal se heurte clairement aux faits constatés, ou si le juge pénal n'a pas élucidé toutes les questions de droit, en particulier celles qui touchent à la violation des règles de la circulation (
ATF 105 Ib 19
/20).
En l'espèce, le jugement du Tribunal de police du district de Lausanne a été rendu le 2 novembre 1982 alors que l'arrêt attaqué est du 10 novembre 1982. La première de ces décisions a libéré le recourant de l'accusation de conduite en état d'ivresse alors que la seconde l'a reconnu coupable de cette infraction. Au mépris de la jurisprudence précitée, le Tribunal administratif n'a pas indiqué les raisons pour lesquelles il s'est écarté du jugement pénal.
Certes, le Tribunal administratif du canton de Genève semble avoir ignoré au moment où il a statué l'existence du jugement pénal rendu depuis 8 jours. L'autorité administrative devait cependant se douter qu'une procédure pénale serait ouverte, la police ayant saisi le juge informateur (rapport de police du 15 avril 1982). Si
BGE 109 Ib 203 S. 205
malgré cela elle entendait se prononcer avant le juge pénal, il lui appartenait d'établir les faits - contestés - avec un soin et une précision particuliers, afin d'éviter une solution par trop éloignée du jugement pénal. Il convient en conséquence d'examiner sous l'angle de l'
art. 105 al. 2 OJ
si l'arrêt attaqué répond à ces exigences. | public_law | nan | fr | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
5810b621-7266-4ae2-8f61-04c8b876a6b8 | Urteilskopf
139 I 330
32. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen Migrationsamt und Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_983/2012 vom 5. September 2013 | Regeste
Art. 8 EMRK
;
Art. 23 FK
;
Art. 13 Abs. 1 BV
;
Art. 83 lit. c Ziff. 2 und lit. d BGG
; Art. 14 Abs. 1,
Art. 49 ff., 51 sowie 60 AsylG
; Art. 44 und 51 Abs. 2 i.V.m.
Art. 62 lit. e AuG
;
Art. 73 und 74 Abs. 5 VZAE
; ausländerrechtlicher Familiennachzug von anerkannten Flüchtlingen mit Asyl in der Schweiz.
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid, durch den das Familiennachzugsgesuch eines anerkannten Flüchtlings für einen nach der Flucht geheirateten Partner abgewiesen wird, ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (E. 1).
Im Rahmen von
Art. 8 EMRK
und 13 BV zu beachtende Kriterien bei Zuwanderungsfragen mit asyl- und flüchtlingsrechtlichem Hintergrund (E. 2); konventions- und verfassungskonforme Auslegung von
Art. 44 AuG
in einem solchen Fall (E. 3).
Unternimmt ein anerkannter Flüchtling mit Asyl alles ihm Zumutbare, um sich - auch in wirtschaftlicher Hinsicht - möglichst rasch zu integrieren, kann ihm die Sozialhilfeabhängigkeit des nachzuziehenden Gatten nicht entgegengehalten werden, wenn sich der künftige Fehlbetrag in vertretbarer Höhe hält und in absehbarer Zeit vermutlich ausgeglichen werden kann (Bestätigung von
BGE 122 II 1
; E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 331
BGE 139 I 330 S. 331
X. (geb. 1976) stammt aus Eritrea. Er reiste am 20. September 2008 in die Schweiz ein. Am 21. Mai 2010 gewährte das Bundesamt für Migration ihm Asyl, worauf er im Kanton Zürich eine Aufenthaltsbewilligung erhielt, welche regelmässig verlängert wurde.
Am 20. Dezember 2010 heiratete X. im Sudan seine Landsfrau Y. (geb. 1990), mit der er bereits in der Heimat seit mehreren Jahren eine Beziehung gepflegt haben will.
BGE 139 I 330 S. 332
Mit Verfügung vom 21. September 2011 wies das Migrationsamt des Kantons Zürich das Einreise- und Familiennachzugsgesuch der Ehegatten ab, da X. seit seiner Einreise in erheblichem Masse (1. Februar 2009 bis 7. September 2011: Fr. 63'000.-) von der Sozialhilfe habe unterstützt werden müssen und er nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfüge, um den Lebensunterhalt für sich und seine Frau bestreiten zu können. Die Sicherheitsdirektion und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich bestätigten diese Verfügung auf Rekurs bzw. Beschwerde hin am 3. April 2012 bzw. 22. August 2012.
Das Bundesgericht weist die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingereichte Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (
Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG
). Für das Eintreten genügt, wenn die betroffene Person in vertretbarer Weise dartut, dass
potenziell
ein solcher besteht (
BGE 136 II 177
E. 1.1 S. 179 f.,
BGE 136 II 497
E. 3.3. S. 500 f.); in diesem Fall bildet die Frage, ob der Familiennachzug zu bewilligen ist, Gegenstand der materiellen Beurteilung (
BGE 137 I 284
E. 1.3 S. 287).
1.2
Der beschwerdeführende Gatte ist ein anerkannter eritreischer Flüchtling, dem in der Schweiz Asyl gewährt wurde (vgl. Art. 49 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31]). Er hat Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung im Kanton, in dem er sich rechtmässig aufhält, sowie nach fünfjähriger rechtmässiger Anwesenheit - längerfristige Freiheitsstrafen bzw. erhebliche Verstösse gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorbehalten - auf die Niederlassungsbewilligung (
Art. 60 AsylG
; WALTER STÖCKLI, Asyl § 11, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, § 11, N. 11.47). Zwar kann der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Familiennachzug in direkter Anwendung von
Art. 44 AuG
([SR 142.20] Familiennachzug von Personen mit Aufenthaltsbewilligung) geltend machen (
BGE 137 I 284
E. 1.2 S. 287 mit Hinweisen; MARTINA CARONI, Der Familiennachzug in der Schweiz - Gratwanderung zwischen Menschenrechten, Gleichberechtigung und restriktiver Zulassungspolitik, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013,
BGE 139 I 330 S. 333
Achermann und andere [Hrsg.], 2013, S. 3 ff., dort 19 f.). Er verfügt wegen seiner flüchtlings- und asylrechtlichen Situation indessen über ein
gefestigtes Anwesenheitsrecht
, welches ihm erlaubt, sich auf den konventions- bzw. verfassungsrechtlich garantierten Schutz seines Familienlebens zu berufen (
Art. 8 EMRK
und
Art. 13 BV
;
BGE 137 I 284
E. 1.3 S. 287;
BGE 122 II 1
E. 1e S. 5 [altrechtlich]; vgl. auch
BGE 139 II 65
E. 4.1; UEBERSAX/REFAEIL/BREITENMOSER, Die Familienvereinigung im internationalen und schweizerischen Flüchtlingsrecht, in: Schweizer Asylrecht, EU-Standards und internationales Flüchtlingsrecht, UNHCR/SFH [Hrsg.], 2009, S. 471 ff., dort 518).
1.3
1.3.1
Dem steht der Ausschlussgrund von
Art. 83 lit. d BGG
nicht entgegen: Danach ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide auf dem
Gebiet des Asyls
unzulässig, die vom Bundesverwaltungsgericht getroffen wurden oder von einer kantonalen Vorinstanz ausgehen und sich auf eine Bewilligung beziehen, auf deren Erteilung weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen. Das Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention, FK; SR 0.142.30) umfasst kein Recht auf Familienzusammenführung; das Exekutivkomitee hat die Signatarstaaten lediglich aufgefordert, in Beachtung des Grundsatzes der Einheit der Familie, die Familienzusammenführung zu fördern; ökonomische Kriterien sowie fehlender Wohnraum dürften den Familiennachzug nicht "übermässig verzögern"; es seien diesbezüglich vielmehr geeignete Unterstützungsmassnahmen vorzusehen (UEBERSAX/REFAEIL/BREITENMOSER, a.a.O., S. 487).
1.3.2
Asylrechtlich
werden Ehegatten von Flüchtlingen und ihre minderjährigen Kinder in der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt und erhalten Asyl, wenn keine besonderen Umstände hiergegen sprechen (
Art. 51 Abs. 1 AsylG
). Wurden die anspruchsberechtigten Personen durch die Flucht getrennt und befinden sie sich im Ausland, so ist ihre Einreise auf Gesuch hin zu bewilligen (
Art. 51 Abs. 4 AsylG
; "Familienasyl"). Das Asylgesetz geht beim Einschluss des Ehegatten und der minderjährigen Kinder in den Flüchtlingsstatus davon aus, dass diese engsten Familienangehörigen ebenfalls unter der Verfolgung im Heimatstaat gelitten haben oder selbst der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt gewesen sind ("Reflexverfolgung" bzw. "abgeleitete" oder "formelle" Flüchtlingseigenschaft). Mit dem
BGE 139 I 330 S. 334
"Familienasyl" erhalten die Angehörigen die gleiche Rechtsstellung und damit auch denselben flüchtlingsrechtlichen Schutz wie der nachziehende anerkannte Flüchtling (vgl. CARONI/MEYER/OTT, Migrationsrecht, 2. Aufl. 2011, N. 706). Soweit die Familienmitglieder sich noch im Ausland befinden, wird ihre Einreise bewilligt, wenn sie durch die Flucht getrennt wurden (
Art. 51 Abs. 4 AsylG
). Ist dies nicht der Fall, können sie grundsätzlich weder einreisen, noch erhalten sie "Familienasyl" (TARKAN GÖKSU, Familiennachzug im Asylrecht, Asyl 1/2004 S. 11 ff., dort 19). Dieses setzt demnach eine
vorbestandene
, durch die Flucht getrennte eheliche Lebensgemeinschaft voraus (CARONI/MEYER/OTT, a.a.O., N. 708; UEBERSAX/REFAEIL/BREITENMOSER, a.a.O., S. 517 F.; THOMAS HUGI YAR, von Trennungen, Härtefällen und Delikten - Ausländerrechtliches rund um die Ehe- und Familiengemeinschaft, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, a.a.O., S. 31 ff., dort 44 f.).
1.3.3
Ziel dieser Regelung ist es, zu verhindern, "dass etwa durch die wiederholte Heirat eines anerkannten Flüchtlings verschiedene weitere Personen einzig wegen des mit der Heirat verbundenen Einbezugs in die Flüchtlingseigenschaft automatisch ebenfalls zu Flüchtlingen werden, ohne dass bei ihnen die Voraussetzungen einer Reflexverfolgung tatsächlich gegeben" wären (vgl. die Botschaft vom 4. Dezember 1995 zur Totalrevision des Asylgesetzes, BBl 1996 II 1 ff., dort 69 zu Art. 48). Die Prüfung, ob der sich im Ausland befindende Familienangehörige die Flüchtlingseigenschaft originär (bzw. materiell) erfüllt, d.h. aufgrund eigener persönlicher Gefährdung, geht der Anerkennung eines allfälligen derivativen Anspruchs auf "Familienasyl" jeweils vor (
Art. 37 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen [AsylV 1; SR 142.311]
;
BVGE 2007/19
E. 3.3; CARONI/MEYER/OTT, a.a.O., N. 707; UEBERSAX/REFAEIL/BREITENMOSER, a.a.O., S. 518).
1.4
1.4.1
Ist die Familie des asylberechtigten Flüchtlings - wie hier - nicht durch die Flucht getrennt, sondern die Ehe erst danach eingegangen worden, haben die Ausländerbehörden die Familienvereinigung und allfällige diesbezüglich bestehende Rechtsansprüche
ausländerrechtlicher
Natur in Anwendung von Art. 43 f. AuG bzw.
Art. 8 EMRK
oder
Art. 13 BV
zu prüfen (BBl 1996 II 69; Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission
EMARK 2006 Nr. 8
; Handbuch zum Asyl- und Wegweisungsverfahren, Schweizerische Flüchtlingshilfe [Hrsg.], 2009, S. 255;
BGE 139 I 330 S. 335
UEBERSAX/REFAEIL/BREITENMOSER, a.a.O., S. 519; STÖCKLI, a.a.O., N. 11.47 Fn. 99; PETER UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, in: EMRK und die Schweiz, Breitenmoser/Ehrenzeller [Hrsg.], 2010, S. 203 ff., dort 226 Fn. 102; SPESCHA/KERLAND/BOLZLI, Handbuch zum Migrationsrecht, 2010, S. 313 Fn. 34; GÖKSU, a.a.O., S. 19; HUGI YAR, a.a.O., S. 45). Die Rechtsstellung der Flüchtlinge richtet sich in diesem Fall - mangels besonderer asylrechtlicher Bestimmungen - nach den für die entsprechenden ausländischen Personen allgemein geltenden Regeln (
Art. 58 AsylG
).
1.4.2
Der Grundsatz des
Vorrangs des Asylverfahrens
(
Art. 14 Abs. 1 AsylG
) schliesst dies nicht aus: Zwar hat die Beschwerdeführerin aus dem Sudan über die Botschaft ein eigenes Asylgesuch gestellt, das vom Bundesamt für Migration bearbeitet wird, doch bezieht sich der Vorrang des asylrechtlichen Verfahrens, wie sich aus dem Wortlaut von
Art. 14 Abs. 1 AsylG
ergibt ("bis zur Ausreise"), auf Verfahren im Inland, nicht auf solche, bei denen sich der Gesuchsteller noch im Ausland befindet. Der Grundsatz des Vorrangs des Asylverfahrens wird zudem durchbrochen, wenn ein konventionsrechtlicher Anspruch auf die Erteilung der beantragten ausländerrechtlichen Bewilligung besteht, wie die Beschwerdeführer dies in ihrem Fall geltend machen (
Art. 14 Abs. 1 AsylG
[in fine]; vgl. Urteil 2C_459/2011 vom 26. April 2012 E. 1.1, nicht publ. in:
BGE 138 I 246
ff.;
BGE 137 I 351
E. 3.1 mit Hinweisen). Auf die frist- (
Art. 100 Abs. 1 BGG
) und formgerecht (
Art. 42 BGG
) gegen den negativen, kantonal letztinstanzlichen
ausländerrechtlichen
Nachzugsentscheid eingereichte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist einzutreten.
2.
2.1
Die Europäische Menschenrechtskonvention verschafft praxisgemäss keinen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt oder auf einen besonderen Aufenthaltstitel (vgl.
BGE 138 I 246
E. 3.2.1;
BGE 137 I 247
E. 4.1.1;
BGE 130 II 281
E. 3.1 S. 285 f.). Sie hindert die Konventionsstaaten nicht daran, die Anwesenheit auf ihrem Staatsgebiet zu regeln und den Aufenthalt ausländischer Personen unter Beachtung überwiegender Interessen des Familien- und Privatlebens gegebenenfalls auch wieder zu beenden (
BGE 138 I 246
E. 3.2.1 mit Hinweisen). Dennoch kann es das in
Art. 8 EMRK
geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzen, wenn einer ausländischen Person, deren Familienangehörige sich hier aufhalten, die Anwesenheit untersagt und damit ihr Zusammenleben vereitelt
BGE 139 I 330 S. 336
wird (
BGE 135 I 143
E. 1.3.1 S. 145,
BGE 135 I 153
E. 2.1 S. 154 f.). Das entsprechende, in
Art. 8 EMRK
bzw.
Art. 13 BV
geschützte Recht ist berührt, wenn eine staatliche Entfernungs- oder Fernhaltemassnahme eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz
gefestigt anwesenheitsberechtigten Person
beeinträchtigt, ohne dass es dieser möglich bzw. zumutbar wäre, das entsprechende Familienleben andernorts zu pflegen (vgl.
BGE 116 Ib 353
E. 3c S. 357;
BGE 137 I 247
E. 4.1.2).
2.2
Der Anspruch gilt auch dann nicht absolut: Liegt eine aufenthaltsbeendende oder -verweigernde Massnahme im Schutz- und Anwendungsbereich von
Art. 8 EMRK
, erweist sich diese als zulässig, falls sie gesetzlich vorgesehen ist, einem legitimen Zweck im Sinne von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
entspricht und zu dessen Realisierung in einer demokratischen Gesellschaft "notwendig" erscheint. Sowohl bei positiven wie bei negativen staatlichen Massnahmen muss im Anwendungsbereich von
Art. 8 EMRK
jeweils ein angemessener Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen des Einzelnen und jenen der Gemeinschaft beachtet werden. Nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
ist ein Eingriff in das durch Ziff. 1 geschützte Rechtsgut statthaft, soweit er einen Akt bildet, der sich in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, für das wirtschaftliche Wohl des Landes und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesellschaft und Moral sowie der Rechte und Freiheiten anderer als nötig erweist. Die Konvention verlangt, dass die individuellen Interessen an der Erteilung bzw. am Erhalt des Anwesenheitsrechts und der öffentlichen Interessen an dessen Verweigerung gegeneinander abgewogen werden (vgl.
BGE 135 I 153
E. 2.2.1,
BGE 135 I 143
E. 2.1;
BGE 122 II 1
E. 2 S. 6;
BGE 116 Ib 353
E. 3 S. 357 ff.). Das öffentliche Interesse überwiegt, wenn die Massnahme durch ein "herausragendes soziales Bedürfnis" gerechtfertigt und in Bezug auf das rechtmässig verfolgte Ziel verhältnismässig erscheint bzw. einer "fairen" Interessenabwägung entspricht (vgl. ZÜND/HUGI YAR, Aufenthaltsbeendende Massnahmen im schweizerischen Ausländerrecht, insbesondere unter dem Aspekt des Privat- und Familienlebens, EuGRZ 40/2013 S. 1 ff. N. 17 mit Hinweisen).
2.3
In Fällen, die - wie hier - sowohl das Familienleben als auch die
Zuwanderung
betreffen, hängt der Umfang der Pflicht, ausländische Familienmitglieder auf dem Staatsgebiet dulden bzw. ihnen den Aufenthalt ermöglichen zu müssen, jeweils von den
BGE 139 I 330 S. 337
Umständen des Einzelfalls ab (EGMR-Urteile
Nunez gegen Norwegen
vom 28. Juni 2011 [Nr. 55597/09] § 70;
Darren Omoregie gegen Norwegen
vom 31. Juli 2008 [Nr. 265/07] § 57). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt dabei eine Gesamtbetrachtung, wobei der Grad der konkreten Beeinträchtigung des Familienlebens, der Umstand, ob und wieweit dieses in zumutbarer Weise im Heimatstaat oder allenfalls in einem Drittstaat gelebt werden kann, sowie die Natur der Bindungen zum und im Aufenthaltsstaat ins Gewicht fallen. Von wesentlicher Bedeutung ist zudem, ob Gründe der Migrationsregulierung (illegaler Aufenthalt usw.), andere Motive zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder solche des wirtschaftlichen Wohlergehens des Landes der Bewilligung entgegenstehen. Von besonderem Gewicht erscheint schliesslich, ob die betroffenen Personen aufgrund ihres migrationsrechtlichen Status vernünftigerweise davon ausgehen durften, ihr Familienleben künftig im Konventionsstaat pflegen zu können. Ist dies nicht der Fall, bedarf es besonderer Umstände, damit
Art. 8 EMRK
den einzelnen Staat verpflichten kann, die Anwesenheit von Familienangehörigen zu dulden (etwa schutzwürdiger Kindsinteressen; vgl. EGMR-Urteil
Nunez
, § 84; siehe auch die Urteile
Biraga gegen Schweden
vom 3. April 2012 [Nr. 1722/10] § 49 ff.;
Antwi und Mitb. gegen Norwegen
vom 14. Februar 2012 [Nr. 26940/10] § 87 ff.;
Darren Omoregie
, § 57;
Konstantinov gegen Niederlande
vom 26. April 2007 [Nr. 16351/03]§ 48;
Abdulaziz, Cabales und Balkandali gegen Vereinigtes Königreich
vom 28. Mai 1985, Serie A Bd. 138 § 67 ff.; ZÜND/HUGI YAR, a.a.O., N. 16; MINH SON NGUYEN, Migrations et relations familiales: de la norme à la jurisprudence et vice versa, in: Migrations et regroupement familial, Amarelle/Christen/Nguyen [Hrsg.], 2012, S. 109 ff.,dort 146 ff.).
2.4
2.4.1
Der Gesetzgeber hat den ausländerrechtlichen Familiennachzug in den
Art. 42 ff. AuG
geregelt. Bezüglich eines solchen von ausländischen Personen, deren Aufenthaltsbewilligung auf einem gefestigten Anwesenheitsrecht beruht, ist trotz Fehlens eines gesetzlichen Bewilligungsanspruchs (
Art. 44 AuG
) das behördliche Ermessen beschränkt (vgl.
Art. 96 AuG
). Mit Blick auf den Schutz des Familienlebens der betroffenen Personen sind gute Gründe erforderlich, um den Nachzug der Familienangehörigen zu verweigern (
BGE 137 I 284
E. 2.6 S. 293). Solche liegen vor, wenn die Betroffenen die Bewilligungsvoraussetzungen von
Art. 44 AuG
i.V.m.
BGE 139 I 330 S. 338
Art. 73 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) nicht erfüllen oder Erlöschensgründe im Sinne von
Art. 51 Abs. 2 AuG
bestehen. Die meisten europäischen Staaten gewähren das Recht auf Nachzug der engeren Familie erst, wenn deren Unterhalt gesichert erscheint bzw. die Familie über eine geeignete Wohnung verfügt (vgl.
BGE 126 II 335
E. 3c/aa S. 344). Zudem ist jeweils den vom EGMR bei der Einzelfallbeurteilung mitberücksichtigten weiteren Umständen Rechnung zu tragen (vgl. E. 2.3).
2.4.2
Der Nachzugsanspruch bei einer gefestigten Aufenthaltsbewilligung eines der Ehepartner besteht in diesem Rahmen unter Berücksichtigung des gesetzlichen Systems, wenn der ausländische Ehegatte mit der hier gefestigt anwesenden Person zusammenwohnt (
Art. 44 lit. a AuG
), die Eheleute über eine bedarfsgerechte Unterkunft verfügen (
Art. 44 lit. b AuG
) und sie nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind. Zudem müssen die jeweiligen Nachzugsfristen eingehalten sein (
Art. 73 Abs. 1-3 VZAE
). Der Anspruch entfällt, wenn er rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird (bspw. Umgehungs- oder Scheinehe) oder einer der Widerrufsgründe von
Art. 62 AuG
vorliegt, d.h. insbesondere, wenn der Partner, für den die anwesende Person (mit) zu sorgen hat, der Sozialhilfe bedarf (Art. 51 Abs. 2 i.V.m.
Art. 62 lit. e AuG
, vgl. zu diesem Kriterium das EGMR-Urteil
Hasanbasic gegen Schweiz
vom 11. Juni 2013 [Nr. 52166/09] § 59 mit weiteren Hinweisen).
3.
3.1
Der Beschwerdeführer ist im September 2008 in die Schweiz gekommen. Am 21. Mai 2010 wurde ihm Asyl gewährt und gestützt hierauf eine Aufenthaltsbewilligung erteilt. Erst nach der Flucht heiratete er am 20. Dezember 2010 seine heutige Gattin. Seine Rechtsstellung hat in dem Sinne als gesichert zu gelten, dass er selber nur noch unter besonderen Umständen ausgewiesen oder in seine Heimat zurückgeschafft werden kann (vgl. Art. 63 bzw. 65 AsylG und
BGE 135 II 110
ff.;
BGE 139 II 65
E. 4 und 5). Seine Beziehung zur Schweiz als Asylland ist damit eng (
BGE 122 II 1
E. 3d S. 10): Sozialhilferechtliche Probleme können ihm persönlich flüchtlings- und asylrechtlich nicht entgegengehalten und seine ausländerrechtliche Anwesenheit darf nicht wegen solcher beendet werden; auf seine eigene finanzielle Situation kommt es somit nicht unmittelbar an (vgl.
BGE 122 II 1
E. 3c S. 8). Nach
Art. 23 FK
ist ihm als anerkanntem Flüchtling ohne ausländerrechtliche Folgen vielmehr "die
BGE 139 I 330 S. 339
gleiche Fürsorge und öffentliche Unterstützung wie den Einheimischen" geschuldet.
3.2
Birgt der Nachzug eines Familienangehörigen die Gefahr der Fürsorgeabhängigkeit der
nachzuziehenden Person
oder eine Erhöhung der finanziellen Abhängigkeit des anwesenden Flüchtlings, kann es sich im öffentlichen Interesse indessen rechtfertigen, von der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abzusehen. Das Zulassungskriterium des Vorhandenseins hinreichender finanzieller Mittel und damit der Entlastung der Sozialhilfe und der öffentlichen Finanzen ist als Voraussetzung des Familiennachzugs konventionsrechtlich anerkannt (vgl. die EGMR-Urteile
Konstantinov
, § 50 ["wirtschaftliches Wohl des Landes"] und
Hasanbasic
, § 59), doch sind die statusspezifischen Umstände beim (nachträglichen, ausländerrechtlichen) Familiennachzug von Flüchtlingen mit Asylstatus jeweils mitzuberücksichtigen (vgl.
BGE 122 II 1
E. 2 S. 6). Dies ergibt sich bereits aus
Art. 74 Abs. 5 VZAE
, wonach der "besonderen Situation von vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen [...] beim Entscheid über die Gewährung des Familiennachzugs Rechnung" getragen wird, was umso mehr für anerkannte Flüchtlinge gelten muss, denen die Schweiz Asyl gewährt hat und die damit über eine bessere Rechtsstellung verfügen als die vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge. Bei einem anerkannten Flüchtling mit Asyl überwiegen regelmässig die privaten Interessen am Familiennachzug, wenn eine Ausreise unzumutbar erscheint und keine fremdenpolizeilichen Entfernungs- oder Fernhaltegründe bestehen (vgl.
BGE 122 II 1
E. 2e S. 6;
BGE 120 Ib 1
E. 3c). Hieran ändert nichts, dass der Gesetzgeber im Ausländergesetz die Anspruchssituationen im Vergleich zur vorherigen Rechtslage (Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAG; BS 1 121]) umfassender geregelt und auf einen Bewilligungsanspruch im Rahmen von
Art. 44 AuG
ausdrücklich verzichtet hat. Dieser bezieht sich in erster Linie auf die Fälle eines freiwilligen Aufenthalts in der Schweiz und schliesst eine konventions- und verfassungskonforme Auslegung im Sinne der bisherigen Rechtsprechung (
BGE 122 II 1
ff.) in Fällen nicht aus, in denen eine Person wegen staatlicher Verfolgung ihr Heimatland verlassen musste und eine Rückkehr bzw. ein Aufenthalt in einem Drittstaat, um das nachträglich begründete Familienleben pflegen zu können, nicht ernstlich in Betracht fällt.
3.3
Die Gattin des Beschwerdeführers ist selber Eritreerin und hält sich nach ihren Angaben ohne Aufenthaltsberechtigung im Sudan
BGE 139 I 330 S. 340
auf, wobei die Verhältnisse, denen sie dort ausgesetzt ist, allgemein und wegen ihrer gesundheitlichen Probleme ("chronische Rückenschmerzen, Irritation des Ischiasnervs und ständig wiederkehrendes Typhus-Fieber") als schwierig zu gelten haben. Zwar heiratete der Beschwerdeführer sie erst, nachdem er in der Schweiz Asyl erhalten hatte, doch riskierte der Beschwerdeführer, seinen Asylstatus zu verlieren, entschlösse er sich, zu seiner Frau in den Sudan zu ziehen. Zudem hat sich das Paar gemäss eigenen Angaben bereits vor der Flucht in Eritrea gekannt und dort eine Beziehung gepflegt. Entgegen den Überlegungen der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich kann unter diesen Umständen nicht ohne weitere Abklärungen und rein vermutungsweise davon ausgegangen werden, das Zusammenleben sei "wohl auch" im Sudan möglich, wo die Heirat stattgefunden habe. Aufgrund der dortigen spezifischen Verhältnisse von eritreischen Flüchtlingen (vgl. hierzu etwa das Urteil des BVGer D-5921/2009 vom 30. März 2012 E. 5) und mit Blick auf den Asylentscheid zugunsten des Beschwerdeführers kann nicht gesagt werden, dass die Eheleute ihre Beziehung im gemeinsamen Heimatstaat oder (legal) in einem (anderen) Drittstaat leben könnten, zu dem engere Beziehungen bestünden als zur Schweiz (vgl.
BGE 130 II 281
E. 3.3 S. 289).
3.4
Die kantonalen Behörden gehen davon aus, dass die Ehe nicht missbräuchlich eingegangen worden ist und keine anderen Verweigerungsgründe als die allfälligen finanziellen Probleme des Paares bestehen. Sie weisen darauf hin, dass bei einem aktuellen Mietzins von Fr. 990.- pro Monat nicht gesagt werden könne, dass der Beschwerdeführer eine "sehr kleine Wohnung" miete, was zu berücksichtigen sei, "wenn [er], nachdem sich seine Einkommenssituation gefestigt hat, ein neues Nachzugsgesuch stellen sollte". Die Vorinstanz stellt auch nicht infrage, dass der Beschwerdeführer die Beziehung zu seiner Frau, die er bereits seit Jahren aus der gemeinsamen Heimat kennt, im Rahmen des faktisch und rechtlich Möglichen über die Grenzen hinweg gepflegt hat und die beiden künftig in der Schweiz einen gemeinsamen Haushalt begründen wollen. Wäre dies nicht der Fall oder ergäben sich nachträglich Anhaltspunkte dafür, dass die Ehe dazu dient, die schweizerischen Migrationsbehörden zu täuschen, könnte die vom Beschwerdeführer abgeleitete Aufenthaltsbewilligung der Gattin gegebenenfalls widerrufen bzw. nicht mehr erneuert werden (vgl.
Art. 62 AuG
). Da die
BGE 139 I 330 S. 341
Beschwerdeführerin ausländer- und nicht flüchtlings- bzw. asylrechtlich in die Schweiz zu ihrem Mann nachzieht (
Art. 8 EMRK
/
Art.13 BV
i.V.m.
Art. 44 AuG
), gelten für sie ausschliesslich die Regeln über die ausländerrechtliche Aufenthaltsbeendigung; sie selber verfügt nicht über den Status als Flüchtling, solange ihr dieser nicht zuerkannt worden ist.
4.
Zu prüfen bleibt ausschliesslich noch, ob die finanzielle Situation der Beschwerdeführer dem Familiennachzug zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids entgegengestanden hat.
4.1
Nach der bundesgerichtlichen Praxis zum Familiennachzug von Flüchtlingen (mit Asyl) stehen finanzielle Gründe der Familienzusammenführung entgegen, wenn die Gefahr einer
fortgesetzten
und
erheblichen
Fürsorgeabhängigkeit besteht. Dabei ist von den aktuellen Verhältnissen auszugehen, die wahrscheinliche finanzielle Entwicklung aber auf
längere Sicht
mit zu berücksichtigen. Zudem ist nicht nur das Einkommen des hier anwesenheitsberechtigten Familienangehörigen in die Beurteilung miteinzubeziehen, sondern die finanziellen Möglichkeiten aller Familienmitglieder über längere Sicht hinweg (vgl.
BGE 122 II 1
E. 3c S. 8). Das Einkommen der Angehörigen, die an die Lebenshaltungskosten der Familie beitragen sollen und können, ist daran zu messen, ob und in welchem Umfang sich dieses grundsätzlich als tatsächlich realisierbar erweist. In diesem Sinn müssen die Erwerbsmöglichkeiten und das damit verbundene Einkommen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf mehr als nur kurze Frist hin gesichert erscheinen (
BGE 122 II 1
E. 3c S. 8 f.; Urteil 2C_31/2012 vom 15. März 2012 E. 2.2).
4.2
Die entsprechende Praxis gilt unter dem neuen Recht fort (vgl. oben E. 3.2; siehe auch die Urteile 2C_639/2012 vom 13. Februar 2013 E. 4.5.2 und 2C_31/2012 vom 15. März 2012 E. 2.2): Das Interesse, die öffentliche Fürsorge vor dem Risiko zusätzlicher Belastung zu bewahren, rechtfertigt nur dann eine massive Erschwerung oder gar ein Verunmöglichen des Familienlebens von anerkannten Flüchtlingen mit Asyl, wenn die entsprechende Gefahr in zeitlicher und umfangmässiger Hinsicht als erheblich zu gewichten ist; die Schweiz hat diesbezüglich gewisse Konsequenzen aus der Asylgewährung, der Ehefreiheit der Betroffenen (
Art. 14 BV
) und der damit verbundenen allfälligen künftigen Familienbildung zu tragen (
BGE 122 II 1
E. 3a). Unternimmt der anerkannte Flüchtling mit Asylstatus alles ihm Zumutbare, um auf dem Arbeitsmarkt seinen
BGE 139 I 330 S. 342
eigenen und den Unterhalt der (sich noch im Ausland befindenden, nach der Flucht begründeten) Familie möglichst autonom bestreiten zu können, und hat er auf dem Arbeitsmarkt zumindest bereits teilweise Fuss gefasst, kann dies genügen, um den Ehegattennachzug zu gestatten und das Familienleben in der Schweiz zuzulassen, falls er trotz dieser Bemühungen innerhalb der für den Familiennachzug geltenden Frist unverschuldet keine Situation zu schaffen vermag, die es ihm erlaubt, die Voraussetzungen von
Art. 44 lit. c AuG
zu erfüllen, sich der Fehlbetrag in vertretbarer Höhe hält und in absehbarer Zeit ausgeglichen werden kann. Dem gefestigt anwesenden Flüchtling mit Asyl kommt ein Aufenthaltsrecht zu, das einen Familiennachzug ausserhalb des Familienasyls gebieten und die Schweiz im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verpflichten kann, den Betroffenen zu ermöglichen, die hierfür erforderlichen Voraussetzungen zu erfüllen (vgl.
BGE 126 II 335
E. 2b/cc) bzw. im Sinne einer verfassungs- und konventionsrechtlichen Schutzpflicht zumindest weniger hohe Anforderungen an die finanzielle Unabhängigkeit zu stellen als in nicht asyl- und flüchtlingsrechtlich relevanten Fällen.
4.3
Nach dem verbindlich und nicht willkürlich festgestellten Sachverhalt der Vorinstanz (
Art. 105 Abs. 2 BGG
) hat sich der Beschwerdeführer um seine Integration bemüht. Er besuchte verschiedene Deutschkurse und nahm an Beschäftigungsprogrammen teil. Seit dem 8. Mai 2012 ist er erwerbstätig. Zwar hat er anfangs "nur" Fr. 1'961.30 (117,95 Stunden in drei Wochen) verdient und garantiert ihm seine Festanstellung bloss ein Pensum von 17 Stunden pro Woche, doch betrugen seine Einkünfte in der Folge dennoch zwischen Fr. 3'198.- und Fr. 3'621.80, was es ihm erlauben würde, für die von der Vorinstanz errechneten gemeinsamen Kosten des Ehepaars von Fr. 2'900.- aufzukommen, selbst wenn seine Gattin nicht selber rasch zu den Ausgaben beitragen sollte. Umgekehrt ist nicht zu verkennen, dass seine bessere wirtschaftliche Situation zum Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids (August 2012) erst seit kurzer Zeit bestand und diese aufgrund des Arbeitsvertrags im Rahmen der Beweiswürdigung bzw. der prospektiven Abschätzung der Entwicklung durch das Verwaltungsgericht ohne Verletzung von Bundesrecht noch nicht als hinreichend gesichert erachtet werden konnte, um im Falle des Nachzugs eine nicht auf Dauer ins Gewicht fallende Fürsorgeabhängigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschliessen. Der angefochtene Entscheid verletzt deshalb -
BGE 139 I 330 S. 343
entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführer - kein Bundesrecht. Sollte sich die sich beim Entscheid der Vorinstanz erst abzeichnende finanzielle Entwicklung inzwischen indessen bestätigt haben und keine anderen Verweigerungsgründe vorliegen, wäre das Familiennachzugsgesuch gutzuheissen, andernfalls die Garantien von
Art. 8 EMRK
bzw.
Art. 13 BV
in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigt würden. | public_law | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
5815a143-599f-432a-801e-a58b7a52746f | Urteilskopf
110 V 164
26. Arrêt du 28 août 1984 dans la cause Clot contre Caisse cantonale vaudoise de compensation et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 14 IVG
,
Art. 5 VwVG
.
Beanstandet ein Versicherter die Bemessung des Barbetrages, der ihm zurückvergütet wird nach Durchführung einer medizinischen Massnahme - die aufgrund einer in Rechtskraft erwachsenen früheren Verfügung zugesprochen worden ist -, so hat die Ausgleichskasse eine neue beschwerdefähige Verfügung zu erlassen.
Der Versicherte, der eine solche Verfügung erhalten will, muss jedoch innert einer angemessenen Überprüfungs- und Überlegungsfrist kundtun, dass er mit der von der Kasse vorgeschlagenen Erledigungsart nicht einverstanden ist (analoge Anwendung der bezüglich des
Art. 30 KUVG
entwickelten Grundsätze). | Sachverhalt
ab Seite 165
BGE 110 V 164 S. 165
A.-
Philippe Clot, né en 1963, a sollicité des mesures médicales de l'assurance-invalidité en date du 21 septembre 1978. Pour une première opération, l'assuré fut hospitalisé en division privée (2e classe), du 13 au 25 novembre 1978, au Felix-Platter-Spital, à Bâle. Il en est résulté une facture de 6'302 francs, que Marcel Clot, père de l'assuré, paya. Le 22 décembre 1978, la Caisse cantonale vaudoise de compensation a notifié à ce dernier une décision par laquelle elle accordait les mesures médicales requises dans les limites suivantes:
"Hospitalisation, intervention chirurgicale par le Professeur E.
Morscher, un assistant et un anesthésiste à l'Hôpital Félix-Platter, à
Bâle, en division commune, selon convention tarifaire, y compris
radiographies."
Au mois de mars 1979, l'assurance-invalidité adressa au père de l'assuré un décompte aux termes duquel elle admettait de lui rembourser le montant du forfait convenu avec le Felix-Platter-Spital en cas de séjour en division commune, soit 2'730 francs (210 francs par jour pour 13 jours d'hospitalisation). Ce remboursement fut effectué au mois d'avril suivant.
Ultérieurement, l'assuré a subi une seconde intervention chirurgicale qui fut également pratiquée par le professeur Morscher; il a séjourné dans la division privée de l'établissement hospitalier précité du 16 au 27 juillet 1979 et les frais se sont élevés à 6162 fr. 60. La caisse de compensation rendit une nouvelle décision, le 3 août 1979, dont le contenu était pratiquement identique à celle prise le 22 décembre 1978.
BGE 110 V 164 S. 166
B.-
A la suite de cette dernière décision et après un échange de correspondance entre les parties, Marcel Clot écrivit à la caisse de compensation, le 23 août 1979, - à propos de la deuxième opération subie par son fils - qu'il faisait "recours" contre "le système de liquidation financière sur la base d'un forfait journalier tout compris". Celle-ci lui confirma, le 28 août 1979, que l'assurance-invalidité ne prenait à sa charge que les frais d'hospitalisation en division commune, soit en l'espèce 210 francs par jour d'hospitalisation, comme auparavant. A la suite d'une nouvelle réclamation du père de l'assuré, du 27 octobre 1979, la caisse transmit le dossier au Tribunal des assurances du canton de Vaud, qui traita l'affaire comme un recours. Il ordonna un échange d'écritures entre les parties, au terme duquel Marcel Clot remit également en cause le règlement opéré par la caisse de compensation à la suite de la première hospitalisation de l'assuré; il demanda que l'assurance-invalidité lui accorde "les prestations nommément citées dans les décisions de la Commission de l'assurance-invalidité et de laisser à (sa) charge la différence entre le prix de pension de la 2e classe et la classe commune, soit 70 francs par jour".
Après avoir instruit la cause au fond, le tribunal cantonal décida néanmoins d'écarter "préjudiciellement" le recours. Il considéra que Marcel Clot ne contestait pas les décisions du 22 décembre 1978 et du 3 août 1979, mais qu'il s'en prenait uniquement aux décomptes de l'administration qui en étaient résultés; il estima que de tels décomptes n'étaient que des mesures d'exécution desdites décisions, de sorte qu'ils ne pouvaient pas faire l'objet d'une décision administrative, elle-même susceptible de recours, et qu'ils étaient, par conséquent, soustraits au contrôle du juge. Pour le surplus, il nota que le cas relevait de l'autorité fédérale de surveillance et qu'il serait loisible au père de l'assuré, s'il ne s'estimait pas satisfait, de s'adresser à l'Office fédéral des assurances sociales (jugement du 26 mars 1982).
C.-
Agissant au nom de son fils, Marcel Clot interjette recours de droit administratif en reprenant ses conclusions de première instance. La caisse intimée conclut au rejet du recours, ce que propose également l'Office fédéral des assurances sociales.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Voir
ATF 109 V 120
consid. 1,
ATF 105 V 94
consid. 1.)
BGE 110 V 164 S. 167
2.
a) Les premiers juges ont retenu que Marcel Clot s'en prenait uniquement au "système de liquidation financière du cas" et ont déclaré son recours irrecevable, pour le motif que "de simples décomptes ne sont pas des décisions sujettes à recours, parce que les positions d'un décompte proviennent généralement d'anciennes décisions déjà passées en force". Le tribunal cantonal ajoute que, dans la mesure où il viserait la décision du 22 décembre 1978, le recours devrait de toute manière être considéré comme tardif, du fait qu'il n'a été interjeté que le 23 août 1979.
Ainsi formulée, cette argumentation n'est pas soutenable. En effet, les décisions du 22 décembre 1978 et du 3 août 1979, par lesquelles la caisse de compensation a accordé des mesures médicales au recourant, ne contenaient aucune indication en ce qui concerne le montant des frais qui serait pris en charge ultérieurement par l'assurance-invalidité; tout au plus se référaient-elles à une "convention tarifaire". Or, Marcel Clot n'avait vraisemblablement pas connaissance des dispositions contenues dans une telle convention, laquelle ne concerne d'ailleurs que les relations juridiques qui se nouent entre l'assurance et l'agent d'exécution désigné par celle-ci (
ATF 100 V 180
). C'est dire que, dans des cas de ce genre, la détermination du montant des prestations accordées par l'assurance touche les droits et obligations de l'assuré et, par conséquent, influe sur sa situation juridique; une telle mesure doit donc, contrairement à l'opinion de la juridiction cantonale, être considérée comme une décision susceptible de recours au sens de l'
art. 5 PA
. Le fait qu'une caisse de compensation rend - alors qu'elle a déjà statué sur l'octroi d'une mesure médicale - une nouvelle décision sujette à recours, qui se rapporte uniquement au remboursement des frais occasionnés par l'exécution de cette mesure, n'a au demeurant rien d'inhabituel et la jurisprudence n'a jamais remis en cause cette manière de procéder (v. p.ex. ATFA 1966 p. 114, 1965 p. 169; arrêt non publié Chaperon, du 10 mars 1975). A cet égard, l'autorité inférieure interprète de manière inexacte les arrêts parus dans la RCC 1976 p. 567 et 1970 p. 30, dans lesquels elle voit des précédents en faveur de sa thèse. S'il est vrai que dans ces arrêts, qui concernent d'ailleurs un autre domaine de l'assurance sociale, le Tribunal fédéral des assurances a jugé que de simples décomptes de cotisations ne peuvent et ne doivent pas être communiqués sous la forme de décisions, c'est que, dans de semblables situations, le montant des cotisations dues par l'assuré a déjà été fixé dans une
BGE 110 V 164 S. 168
décision antérieure, elle-même susceptible de recours. Les circonstances du cas d'espèce sont donc différentes.
b) Pour autant, cela ne signifie pas qu'il faille admettre, lorsque des mesures médicales ont été accordées à un assuré et que les décomptes ou remboursements qui en sont résultés n'ont pas fait l'objet d'une décision formelle, que l'intéressé peut, en tout temps, requérir le prononcé d'une telle décision. Il faut bien plutôt, en pareille circonstance, s'inspirer des principes posés par la jurisprudence en matière d'assurance-maladie, à propos de l'
art. 30 LAMA
. A cet égard, le Tribunal fédéral des assurances a jugé que l'on contreviendrait aux principes de l'équité et de la sécurité du droit si l'on considérait comme sans importance, du point de vue juridique, une renonciation - expresse ou tacite - à des prestations; savoir si l'on est en présence d'une telle renonciation doit être examiné de cas en cas; on peut toutefois attendre de l'assuré qui n'admet pas une certaine solution et entend voir statuer sur ses droits dans un acte administratif susceptible de recours, qu'il fasse connaître son point de vue dans un délai d'examen et de réflexion convenable (RJAM 1981 No 464 p. 244 et les arrêts cités).
3.
a) Il ne fait pas de doute, en l'espèce, que le père du recourant a manifesté en temps utile, par sa lettre du 23 août 1979, son opposition à la manière dont l'assurance-invalidité entendait lui rembourser les frais de la seconde intervention subie par son fils. En effet, cette communication faisait immédiatement suite à la décision du 3 août 1979, par laquelle la caisse de compensation accordait, pour la deuxième fois, des mesures médicales à l'assuré, et à un échange de correspondance entre les parties au sujet du montant en espèces qui serait versé en exécution de cette décision. La caisse de compensation devait donc, au vu de ce qui a été dit plus haut, rendre une décision formelle pour confirmer son point de vue ou, éventuellement, transmettre le dossier à l'autorité cantonale de recours. Or, dans un premier temps, elle n'a rien fait de tel, sa réponse du 28 août 1979 ne pouvant à l'évidence être considérée comme une décision. Ce n'est qu'à la suite d'une nouvelle réclamation de Marcel Clot que l'administration a transmis l'affaire au tribunal cantonal. Saisi du cas, celui-ci pouvait certes déclarer le recours irrecevable, d'entrée de cause, du fait qu'aucune décision n'avait été rendue en l'espèce, et inviter l'administration à statuer formellement sur le remboursement des frais litigieux. Il avait également la possibilité d'entrer en matière
BGE 110 V 164 S. 169
sur le recours, pour des raisons d'économie de procédure, même en l'absence de décision de la caisse de compensation (voir par exemple RJAM 1982 No 481 p. 74 consid. 1, No 516 p. 301 consid. 1). Mais il n'était pas fondé à "écarter préjudiciellement" le recours et à priver en outre Marcel Clot de toute faculté de soumettre le litige au contrôle du juge.
b) La situation est moins claire, en revanche, en ce qui concerne la première opération subie par le recourant. En effet, la caisse de compensation a adressé à Marcel Clot, au mois de mars 1979, un décompte de la somme qu'elle entendait lui verser du chef de cette intervention et le remboursement correspondant a été effectué au mois d'avril suivant. Or, ce n'est qu'au cours de la procédure cantonale que le père de l'assuré a remis en cause ce mode de règlement. On peut dès lors se demander, dans ce cas, s'il ne s'est pas écoulé une période qui excède un temps d'examen et de réflexion convenable au sens de la jurisprudence précitée.
Il n'est toutefois pas nécessaire de trancher cette question au stade actuel de la procédure. Le Tribunal fédéral des assurances ne saurait, ainsi qu'on l'a vu, se prononcer sur le fond du litige. Il convient donc de renvoyer le dossier au tribunal cantonal pour qu'il statue, en tout cas, sur l'étendue des prestations dues par l'assurance-invalidité pour la seconde des opérations litigieuses. A cet égard, il serait contraire au principe d'économie de la procédure d'inviter maintenant la caisse intimée à rendre une décision formelle et cela d'autant plus que les premiers juges ont instruit la cause au fond. La juridiction cantonale se prononcera donc, également, sur le point de savoir si Marcel Clot a manifesté en temps utile son désaccord avec le règlement des frais consécutifs au premier séjour de l'assuré à l'hôpital. Ainsi, les parties - à qui une telle faculté devra être offerte - pourront être entendues à ce sujet. S'il admet d'entrer en matière en ce qui concerne la première hospitalisation, le tribunal examinera alors l'ensemble du litige que Marcel Clot entendait lui soumettre.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Dans la mesure où il est recevable, le recours est admis en ce sens que le jugement du Tribunal des assurances du canton de Vaud du 26 mars 1982 est annulé, la cause étant renvoyée à ce tribunal pour instruction complémentaire et nouveau jugement au sens des motifs. | null | nan | fr | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
5815ab9b-c5a6-4446-8543-5032f751ec2a | Urteilskopf
134 III 446
73. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. contre A. (recours en matière civile)
4A_181/2008 du 24 juin 2008 | Regeste
Vorzeitige Kündigung eines Mietverhältnisses (
Art. 257f Abs. 3 OR
); Untervermietung ohne Zustimmung des Vermieters (
Art. 262 OR
); Rechtsmissbrauch (
Art. 2 ZGB
).
Mieter, der das Mietobjekt ohne Zustimmung untervermietet und einer schriftlichen Abmahnung nicht nachkommt. In diesem Fall kann der Vermieter das Mietverhältnis vorzeitig kündigen, wenn er berechtigt gewesen wäre, sich der Untervermietung zu widersetzen, da mit dieser ein Mieterwechsel bezweckt wurde (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 446
BGE 134 III 446 S. 446
A.
Le 1
er
avril 1998, A. a pris à bail un appartement de trois pièces dans un immeuble sis à Genève. Conclu pour un an, le contrat se renouvelait ensuite d'année en année, sauf résiliation signifiée trois
BGE 134 III 446 S. 447
mois avant l'échéance. Le loyer annuel, charges comprises, s'élevait à 8'232 fr.
En 2003, X. est devenue propriétaire de l'immeuble précité.
La locataire a vécu dans l'appartement avec son fils majeur, B., jusqu'au 1
er
avril 1999. A cette date, elle a quitté les lieux et sous-loué le logement à son fils. Ce dernier a épousé C. en juillet 2003; le couple a occupé l'appartement sous-loué jusqu'à sa séparation en décembre 2004. Par jugement du 27 mai 2005, le Tribunal de première instance de Genève a, dans le cadre de mesures protectrices de l'union conjugale, attribué la jouissance exclusive du logement susmentionné à C. L'avocat de celle-ci a communiqué la décision judiciaire à la régie représentant la bailleresse.
Par lettre du 19 août 2005, la gérance s'est étonnée auprès de A. d'apprendre qu'elle ne semblait plus occuper le logement loué; la locataire était mise en demeure de fournir des explications, faute de quoi elle s'exposait à une résiliation du bail.
Dans sa réponse du 28 août 2005, A. a confirmé avoir quitté l'appartement en avril 1999, le laissant à son fils à partir de cette date; elle affirmait avoir demandé alors à la régie si le bail pouvait être transféré à B.; il lui aurait été répondu que cela n'était pas nécessaire dès lors qu'il avait le droit d'habiter dans l'appartement en tant que fils de la locataire. A. précisait que, lorsqu'elle avait appris l'attribution judiciaire du logement familial à sa belle-fille, elle avait immédiatement demandé à la gérance, par téléphone, si le bail pouvait être transféré à C., possibilité que la régie s'était engagée à examiner.
Par pli recommandé du 7 octobre 2005, la gérance a mis A. en demeure de réintégrer le logement sous-loué sans autorisation jusqu'au 15 novembre 2005, l'avertissant qu'à défaut, le bail serait résilié pour justes motifs. La locataire n'a pas donné suite à cette correspondance.
Par courrier recommandé et avis officiel du 23 mars 2006, X. a résilié le bail de manière anticipée pour le 31 mai 2006.
B.
Par requête déposée le 21 avril 2006, A. a contesté le congé.
Dans une décision du 23 octobre 2006, la Commission de conciliation en matière de baux et loyers a déclaré valable le congé notifié pour le 31 mai 2006 et accordé à la locataire une prolongation unique du bail jusqu'au 31 janvier 2007.
A. a porté la cause devant le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève, reprenant notamment ses conclusions en annulation du congé.
BGE 134 III 446 S. 448
Par jugement du 4 avril 2007, le Tribunal des baux et loyers a déclaré inefficace le congé notifié le 23 mars 2006.
La bailleresse a interjeté appel; elle faisait valoir notamment que la locataire n'avait aucunement l'intention de revenir vivre un jour dans l'appartement loué. Statuant le 3 mars 2008, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers du canton de Genève a confirmé le jugement de première instance. En substance, la cour cantonale a jugé que la sous-location incriminée était admissible au regard de l'
art. 262 al. 2 CO
, dès lors qu'elle intervenait à des conditions extrêmement proches de celles du bail principal et que la bailleresse n'avait pas démontré son besoin d'attribuer le logement en cause à une autre personne que "son occupant actuel"; la bailleresse ne pouvait ainsi résilier le bail de manière anticipée sur la base de l'
art. 257f al. 3 CO
.
C.
X. forme un recours en matière civile, demandant que l'arrêt cantonal soit annulé et que le congé notifié le 23 mars 2006 soit déclaré valable.
Le Tribunal fédéral a admis le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La recourante reproche aux juges cantonaux d'avoir violé les
art. 257f al. 3 et 262 CO
en ne reconnaissant pas son droit de résilier le bail de manière anticipée en raison d'une sous-location non autorisée présentant des inconvénients majeurs. A cet égard, elle fait valoir que la locataire n'a manifestement pas l'intention de revenir vivre un jour dans l'appartement loué, comme le démontre en particulier le fait qu'elle a demandé le transfert du bail à sa belle-fille. La sous-location tendrait ainsi à une substitution détournée de locataires. Il s'agirait là d'un inconvénient majeur au sens de l'
art. 262 al. 2 let
. c CO, qui aurait permis à la bailleresse de s'opposer à la sous-location si son consentement avait été requis. La recourante relève également que la locataire n'a pas répondu à l'avertissement adressé par la régie lorsque celle-ci a eu connaissance de la sous-location. Cette absence de réaction suffirait déjà à fonder une résiliation du bail sur la base de l'
art. 257f al. 3 CO
.
2.1
A titre liminaire, il convient de préciser que, si elle a bien sous-loué l'appartement en cause à son fils, la locataire n'a pas, selon les constatations cantonales, conclu par la suite un contrat de sous-location avec sa belle-fille. C. occupe le logement litigieux en tant qu'épouse du sous-locataire. Le jugement sur mesures protectrices
BGE 134 III 446 S. 449
de l'union conjugale a certes attribué le logement à la belle-fille de l'intimée sur la base de l'
art. 176 al. 1 ch. 2 CC
, mais il n'a pas modifié la relation contractuelle entre locataire et sous-locataire (cf. DESCHENAUX/STEINAUER/BADDELEY, Les effets du mariage, n. 719 et 721, p. 300). Ce n'est qu'en cas de divorce que le juge peut attribuer à l'un des conjoints les droits et obligations résultant du (sous-)bail (cf.
art. 121 al. 1 CC
).
Par ailleurs, il n'est pas contesté que la sous-location litigieuse n'a pas été autorisée, la locataire n'ayant pas informé la bailleresse à ce sujet. Cette constatation du jugement de première instance n'est pas remise en cause dans l'arrêt cantonal, qui part bien de la prémisse selon laquelle la sous-location débutant le 1
er
avril 1999 a été "effectuée sans autorisation préalable du bailleur".
2.2
Le congé litigieux est fondé sur l'
art. 257f al. 3 CO
. Cette disposition permet notamment au bailleur de résilier un bail d'habitation dans un délai de trente jours pour la fin d'un mois lorsque le locataire, malgré un avertissement écrit, persiste à enfreindre son devoir de diligence de manière à rendre le maintien du bail insupportable pour son cocontractant ou les habitants de l'immeuble.
Dans un arrêt récent, le Tribunal fédéral a rappelé qu'une sous-location sans le consentement du bailleur - notamment lorsque le locataire s'abstient de demander l'autorisation de sous-louer - pouvait justifier une résiliation anticipée du bail selon l'
art. 257f al. 3 CO
. Le seul fait de ne pas requérir le consentement du bailleur ne suffit toutefois pas à justifier un congé anticipé, sans avertissement préalable. Pour respecter la condition de la protestation prescrite à l'
art. 257f al. 3 CO
, le bailleur qui apprend que l'objet remis à bail est sous-loué sans son consentement, doit inviter le locataire, par écrit, à se conformer aux exigences légales, en l'enjoignant à mettre un terme à la sous-location ou en protestant contre l'absence de demande d'autorisation. Si le bailleur choisit la première injonction, le preneur a tout de même la possibilité de requérir le consentement de son cocontractant, qui peut être donné après coup. Si le locataire ne réagit pas à l'avertissement écrit du bailleur, un congé anticipé sera fondé, en tout cas, lorsqu'un examen rétrospectif des faits permet de conclure que le bailleur aurait disposé d'un motif valable au sens de l'
art. 262 al. 2 CO
pour s'opposer à la sous-location. Dans ce cas, l'exigence du caractère insupportable du maintien du contrat pour le bailleur posée à l'
art. 257f al. 3 CO
n'a pas de portée indépendante (
ATF 134 III 300
consid. 3.1 et 3.2).
BGE 134 III 446 S. 450
2.3
En l'espèce, la bailleresse, représentée par la gérance, a protesté contre la sous-location non autorisée une première fois dans sa lettre du 19 août 2005, puis par le pli recommandé du 7 octobre 2005 mettant en demeure la locataire de réintégrer le logement loué. L'intimée n'a pas réagi à cette dernière missive. Le 28 août 2005, elle avait répondu à la première mise en demeure en admettant avoir sous-loué l'appartement à son fils à partir du 1
er
avril 1999 et en précisant avoir demandé à la régie le transfert du bail à sa belle-fille lorsqu'elle avait pris connaissance du jugement sur mesures protectrices de l'union conjugale. En revanche, la locataire n'a pas requis, après coup, le consentement de la bailleresse pour la sous-location à son fils; elle n'a pas non plus demandé l'autorisation préalable de sous-louer dorénavant l'appartement à sa belle-fille. Il s'avère ainsi qu'au moment où la résiliation anticipée a été signifiée, la recourante avait protesté valablement par écrit contre la sous-location non autorisée et que la locataire n'avait pas mis fin à cette sous-location, ni même demandé le consentement a posteriori de la bailleresse.
2.4
Examinant si la recourante aurait été en droit de s'opposer à la sous-location, la cour cantonale a nié l'existence d'inconvénients majeurs pour la bailleresse au motif que celle-ci n'avait pas démontré un besoin d'attribuer le logement en cause à une autre personne que le sous-locataire actuel. La question n'est toutefois pas là, dès lors que la recourante faisait valoir, à titre d'inconvénient majeur, l'absence de volonté de l'intimée de réintégrer un jour le logement loué. Or, ce point est juridiquement pertinent. En effet, si le locataire a perdu toute idée de reprendre un jour l'usage de la chose louée et qu'il a procédé en réalité à une substitution de locataires par la voie détournée de la sous-location, il y a abus de droit (
art. 2 CC
) et le preneur ne saurait se prévaloir de son droit de sous-louer (cf. arrêts 4C.199/1994 du 11 octobre 1994, consid. 4c, publié in SJ 1995 p. 227; 4C.124/1999 du 6 octobre 1999, consid. 4a, b et c; 4C.155/2000 du 30 août 2000, consid. 2b et c, publié in SJ 2001 I p. 17).
2.5
A l'époque de la résiliation, l'intimée sous-louait l'appartement à son fils depuis près de sept ans. Dans sa réponse du 28 août 2005 à la régie, elle déclare avoir demandé à celle-ci, au moment où elle a quitté le logement en avril 1999, le
transfert
du bail à B. Dans la même lettre, elle précise que, lorsqu'elle a appris l'attribution judiciaire du logement à sa belle-fille, elle a tout de suite demandé à la gérance si le bail pouvait être
transféré
à C.
BGE 134 III 446 S. 451
Le transfert de bail et la sous-location se distinguent notamment par une intention différente du locataire. Par la sous-location, le locataire veut toujours revendiquer l'usage de la chose et disposer de son droit d'usage alors que, par le transfert, il veut au contraire remettre son droit d'usage à un tiers et se libérer en même temps du bail (arrêt précité du 6 octobre 1999, consid. 4a). Ainsi, lorsqu'elle prétend avoir demandé le transfert du bail à son fils, puis à sa belle-fille, la locataire démontre que son intention n'était pas de réintégrer un jour ou l'autre l'appartement en cause, mais bien de se libérer définitivement des obligations résultant du bail. Comme aucun transfert du bail, avec l'accord de la bailleresse, n'a eu lieu, la sous-location à B., représenté ensuite par son épouse, consistait en réalité pour la locataire à laisser indéfiniment l'usage de la chose louée à un membre de sa famille. Ce faisant, l'intimée a utilisé la sous-location dans un but qui lui est étranger, soit la substitution de locataires. Or, lorsqu'un preneur voit son bail résilié de manière anticipée en raison d'une sous-location non autorisée, il ne saurait contester le congé en se prévalant d'un droit de sous-louer exercé en violation des règles de la bonne foi. En d'autres termes, la bailleresse aurait pu, en l'espèce, s'opposer à une sous-location utilisée dans un but - illégitime - de substitution de locataires. Il s'ensuit que la résiliation anticipée signifiée le 23 mars 2006 pour le 31 mai 2006 est valable. | null | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
5815fb65-88e4-4241-a54b-85ab4a40fcc7 | Urteilskopf
114 III 62
20. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 22 avril 1988 dans la cause Société générale de surveillance SA (recours LP) | Regeste
Bezeichnung des Gläubigers auf dem Zahlungsbefehl (
Art. 67 SchKG
).
Wenn die mangelhafte Bezeichnung des Gläubigers es gleichwohl erlaubt, dessen wahre Identität ohne Schwierigkeiten zu erkennen, so ist der Zahlungsbefehl zu berichtigen und die Betreibung fortzusetzen (E. 1). Der Zahlungsbefehl, der die genaue Adresse des Gläubigers nicht angibt, wird auf Beschwerde des Betriebenen nur dann aufgehoben, wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz auf Aufforderung des Betreibungsamtes nicht innert Frist angibt (E. 2). | Erwägungen
ab Seite 63
BGE 114 III 62 S. 63
Considérant en droit:
1.
Il est constant que la poursuite, telle qu'elle a été engagée, est frappée d'un vice dans la désignation et l'adresse du créancier, à savoir que le Haut-Commissariat des Nations Unies pour les Réfugiés (HCR) n'a pas la personnalité juridique et que l'adresse mentionnée est postale, mais pas celle d'un siège (cf. art. 67 al. 1 ch. 1, 69 al. 2 ch. 1, 160 al. 1 ch. 1 LP).
a) Est nulle de plein droit la poursuite requise par une entité dépourvue de la capacité d'être partie, parce qu'elle ne jouit pas de la personnalité juridique, ainsi une personne morale inexistante (
ATF 105 III 111
,
ATF 104 III 4
ss pour la capacité d'ester en justice).
En revanche, la désignation inexacte, impropre ou équivoque, voire totalement fausse, ou incomplète d'une partie n'entraîne la nullité de la poursuite que lorsqu'elle était de nature à induire les intéressés en erreur et que tel a effectivement été le cas. Si ces conditions ne sont pas réalisées, si la partie qui fait état de la désignation vicieuse ne pouvait douter de l'identité de la personne en cause et qu'elle n'ait pas été lésée dans ses intérêts, la poursuite ne sera pas annulée; on se bornera à ordonner, en cas de besoin, que les actes de poursuite déjà établis soient rectifiés ou complétés (
ATF 102 III 135
/6: pseudonyme; cf. l'exposé de SCHWARTZ, JdT 1954 III 66 ss, spéc. p. 81 et BlSchK 1955 p. 1 ss, spéc. p. 15/16).
Ainsi, selon le Tribunal fédéral, doit être annulée la poursuite introduite par un créancier qui emploie un faux nom (
ATF 62 III 134
ss)
BGE 114 III 62 S. 64
ou dont la désignation est imprécise (
ATF 80 III 7
ss), quand, de ce fait, le débiteur n'est pas au clair sur l'identité réelle du poursuivant. En revanche, le moyen tiré de la nullité d'une poursuite pour cause de désignation inexacte du créancier ne peut plus être invoqué lorsque l'équivoque a été dissipée par la suite et que le poursuivi n'a pas subi de préjudice (
ATF 65 III 97
ss; cf.
ATF 79 III 62
/63 consid. 2, où le même principe est exprimé dans un cas où un jugement de mainlevée a suppléé à l'insuffisance des indications du commandement de payer quant à la personne du débiteur). Si la désignation défectueuse du créancier permet de reconnaître sans plus le véritable créancier, l'acte doit être rectifié et la poursuite continuée (
ATF 85 III 48
,
ATF 90 III 12
,
ATF 98 III 25
ss, arrêts ayant tous trois trait à des cas où était indiqué comme créancier, non la commune, qui a seule qualité pour intenter une poursuite, mais la chancellerie ou un service administratif qui lui était subordonné; cf. aussi ATF 31 I No 88). Certes, le débiteur a un intérêt éminent à connaître de manière précise la personne du créancier poursuivant, pour savoir s'il a des exceptions à lui opposer (
ATF 62 III 135
). Mais il s'ensuit seulement que ne doit pas être soumise à des exigences trop strictes la preuve que des intéressés ont été induits en erreur en cas d'utilisation d'un pseudonyme ou d'indications inexactes ou imprécises (
ATF 102 III 136
consid. b). Si la désignation défectueuse du créancier permet néanmoins de reconnaître sans difficulté, et sans recourir à autrui, le véritable créancier qui a la capacité d'être partie et l'exercice des droits civils, l'acte doit être rectifié et la poursuite continuée; le rapport juridique à la base de la poursuite contribue à éclairer le poursuivi, s'il lui indique clairement la personne de son créancier (
ATF 98 III 25
ss,
ATF 93 III 50
ss, 31 I No 79; cf. aussi ZR 1905 p. 305 et les décisions cantonales publiées in BlSchK 1980 p. 45, 1978 p. 45, 1952 p. 170).
b) En l'espèce, la décision attaquée est fondée. Elle concilie la nécessité de maintenir l'ordre dans toute procédure et les exigences du bon sens et de la bonne foi (cf. SCHWARTZ, JdT 1954, p. 74) sans qu'il soit nécessaire de recourir à la notion spécifique d'abus de droit, comme l'a fait l'autorité de surveillance à titre surérogatoire.
La recourante prétend avoir ignoré que "c'étaient les Nations Unies qui se dissimulaient sous le nom du Haut-Commissariat pour les Réfugiés, ... désignation (qui n'est pas) courante pour l'Organisation des Nations Unies"; "Chacun admettra ... qu'il a fallu de longues recherches à la SGS pour arriver à la conclusion
BGE 114 III 62 S. 65
que le HCR n'avait aucune existence juridique ..."; le commandement de payer ne mentionnait "guère" les Nations Unies; il n'y figurait aucune indication permettant de le rattacher à cette institution internationale, dont la recourante admet qu'elle a un siège européen à Genève, où elle peut exercer ses droits civils.
En vérité, il ne fallait au contraire aucun effort à la recourante pour reconnaître son créancier poursuivant. Selon le commandement de payer, conforme à la réquisition de poursuite, ledit poursuivant était le HCR à Genève et la poursuite se fondait sur l'obligation de la SGS de vérifier des marchandises avant la livraison par le créancier. C'était là, à la rubrique titre de la créance, la référence claire et manifeste au contrat qui liait les parties à la poursuite. Selon les documents mêmes produits par la recourante, lesquels émanent des deux parties, le mandat avait été confié par les Nations Unies, Haut-Commissariat pour les Réfugiés, Palais des Nations, Genève (sigle: UNHCR). Le HCR apparaissait donc d'emblée, à l'évidence, comme un organe, un service ou un représentant de l'ONU au siège de Genève. D'autant que la recourante est une grande entreprise de cette ville, où le HCR est établi et où se situe le siège européen de l'ONU. Le mandat et la poursuite concernaient une affaire importante, dont l'intérêt ne pouvait échapper au directeur de la recourante à qui le commandement de payer fut notifié. On n'est au vrai pas loin d'une notoriété publique, du moins dans le monde des affaires genevois.
2.
a) Lorsque l'indication du domicile du créancier - dont l'identité n'est pas douteuse - fait défaut dans le commandement de payer, voire déjà dans la réquisition de poursuite, ces actes seront complétés; on n'annulera ceux de l'Office que si la créancière n'indique pas son domicile dans le délai qui lui aura été fixé (
ATF 102 III 136
consid. a,
ATF 93 III 50
/51 et les arrêts cités; décision de l'autorité genevoise de surveillance du 22 août 1984 in BlSchK 1986, p. 99).
La réquisition de poursuite et le commandement de payer, en effet, doivent indiquer le domicile du créancier à côté de son nom, lors même que ce domicile serait hors de doute et qu'un fondé de pouvoir dont l'adresse serait correctement indiquée agirait pour lui (
ATF 87 III 57
consid. 2); ce qu'il faut indiquer, c'est le domicile réel du créancier (
ATF 47 III 122
,
ATF 87 III 59
consid. 4). Le débiteur peut avoir intérêt à ce que cet endroit soit indiqué; ainsi pour effectuer des paiements directement au créancier ou l'atteindre personnellement au sujet de l'affaire ou d'une affaire connexe, plus
BGE 114 III 62 S. 66
généralement pour sauvegarder ses droits (
ATF 47 III 122
,
ATF 87 III 59
consid. 3). Il ne suffit dès lors pas d'indiquer un domicile fictif. Si le créancier abandonne complètement son domicile et ne se trouve donc pas seulement d'une façon passagère (serait-ce même pour un temps assez long) dans un autre lieu, il faut indiquer l'endroit où il habite désormais, celui où il peut être réellement atteint, même s'il ne possède pas de domicile au sens propre du mot.
Si la réquisition de poursuite ne contient aucune indication au sujet du domicile du créancier, il faut refuser d'y donner suite (
ATF 47 III 123
/124, 82 III 129 consid. 2). Il en est de même lorsque l'Office des poursuites sait que le créancier n'a pas indiqué son véritable domicile. En revanche, il n'y a pas de raison de considérer comme radicalement nul un commandement de payer qui n'indique pas exactement le domicile du créancier et de l'annuler d'office, ainsi que les autres opérations, sans tenir compte de la question de savoir s'il a fait ou non l'objet d'une plainte dans le délai fixé à l'
art. 17 al. 2 LP
. On doit au contraire exiger du débiteur qui entend critiquer un commandement de payer à raison de ce défaut qu'il porte plainte dans les dix jours à compter de la notification de cette pièce, et l'on ne doit annuler ce commandement de payer que si le créancier n'indique pas son domicile réel dans le délai qui lui aura été fixé, à lui ou à son représentant (
ATF 47 III 124
, 82 III 129 consid. 2; cf. aussi
ATF 87 III 55
).
b) Devant le Tribunal fédéral, la recourante se borne à "rappeler" que l'adresse indiquée était l'adresse postale, figurant dans l'annuaire des téléphones. Rendu attentif à la difficulté, l'Office des poursuites devait intervenir spontanément, ce qu'a fait l'autorité de surveillance. Cela clôt le débat. On ne saurait en revanche juger la plainte tardive, car la recourante y prétend en outre qu'elle ne connaissait même pas l'identité de son créancier poursuivant.
Au demeurant, si l'adresse postale indiquée est celle d'un bureau, elle était exacte de ce point de vue. Quant au domicile, c'est la relation à un lieu, une commune politique. C'est en l'espèce Genève, quelle que soit l'adresse du siège européen ou d'un bureau; l'adresse dudit siège était d'ailleurs donnée dans les documents produits par la recourante (Palais des Nations). Aucune erreur "d'aiguillage" n'était possible, ni aucune confusion.
Peu importe que le HCR, dans l'organigramme interne, soit un service subsidiaire de l'Assemblée générale, établie à New York, au siège principal de l'ONU. La seule personne juridique - l'ONU
BGE 114 III 62 S. 67
- exerce ses activités aussi au siège européen de Genève, où elle a installé le HCR. Cela suffit à une désignation correcte, sous l'angle des actes de poursuite, du créancier et de son domicile.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours. | null | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
581cd410-c111-42cf-bd83-2972542cff75 | Urteilskopf
125 III 263
46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. April 1999 i.S. Lobos Informatik AG gegen Debita AG (Berufung) | Regeste
Software-Lizenzvertrag.
Das in den allgemeinen Vertragsbedingungen vorgesehene Recht, die lizenzierte Software zu ändern, gilt nur insoweit, als die Abänderbarkeit der Software durch die individuellen Vertragsergänzungen nicht eingeschränkt wird. Tragweite der Aufklärungspflicht der Lizenzgeberin als Verfasserin des Lizenzvertrages über darin verwendete EDV-technische Begriffe (E. 4b).
Wurde vertraglich vereinbart, dass die Installation der Software im Object Code erfolge, in der Folge aber auch der Source Code installiert, darf die Lizenznehmerin darin nach Treu und Glauben keine Offerte zur Vertragsänderung, mit der ihr ein unentgeltliches Nutzungsrecht am Source Code eingeräumt werden soll, erblicken (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 264
BGE 125 III 263 S. 264
A.-
Die Lobos Informatik AG und die Debita AG sind Parteien eines Lizenzvertrages vom 19. Dezember 1988 über Buchhaltungs-Software. Im Nachtrag zu diesem Vertrag wurde festgehalten, die Installation erfolge im Object Code; die Programme wurden dann aber sowohl im Object Code als auch im Source Code installiert.
Am 25. Januar 1996 ersuchte die Debita AG die Lobos Informatik AG um Support per Modem. Letztere stellte bei dieser Gelegenheit fest, dass das Programmmaterial seit dem 3. Mai 1993, d.h. seit der letzten von ihr selbst vorgenommenen Änderung, modifiziert worden war. Sie remonstrierte dagegen bei der Debita AG, doch kam es in der Folge zu keiner Einigung.
B.-
Mit Klage vom 6. November 1996 beantragte die Lobos Informatik AG dem Kantonsgericht des Kantons Schwyz unter anderem, die Debita AG zur Herausgabe der im Source Code abgespeicherten Programme und Programmteile sowie zur Rückgängigmachung der seit 4. Mai 1993 vorgenommenen Änderungen an diesen, eventuell zu deren ausschliesslicher Verwendung im Zustand vom 3. Mai 1993
BGE 125 III 263 S. 265
zu verpflichten. Das Kantonsgericht wies die Klage mit Urteil vom 4. August 1998 ab.
C.-
Die Klägerin hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts sowohl Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut, hebt das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Schwyz vom 4. August 1998 insoweit auf, als es die genannten Begehren der Klägerin abweist, und weist die Streitsache insoweit zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Kantonsgericht zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Die Vorinstanz nahm an, da die Beklagte die Bedeutung der im Nachtrag zum Lizenzvertrag verwendeten Formulierung «Die Installation erfolgt im Object-Code» nicht habe kennen müssen, habe sie aufgrund des in Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages statuierten umfassenden Rechts auf Abänderung des Lizenzmaterials davon ausgehen dürfen, ihr werde auch das Recht eingeräumt, über den Source Code zu verfügen. Diese Auffassung werde durch die Tatsache gestützt, dass die Klägerin den Source Code während Jahren bei der Beklagten beliess. Diese sei daher berechtigt, daran Änderungen vorzunehmen, und sei nicht zur Herausgabe verpflichtet.
Die Klägerin macht geltend, der Source Code werde weder im Lizenzvertrag noch im Nachtrag je erwähnt und sei damit nicht Gegenstand der der Beklagten eingeräumten Rechte. Entgegen der Annahme der Vorinstanz hätte die Beklagte die Einschränkung ihres Änderungsrechts aufgrund der Formulierung «Die Installation erfolgt im Object-Code» auch ohne entsprechende Aufklärung seitens der Klägerin erkennen müssen. Zudem seien Lizenzverträge nach einer allgemeinen Regel in dem Sinne restriktiv auszulegen, als im Zweifel die Nichtübertragung einzelner Teilrechte anzunehmen sei; dies gelte vorliegend bezogen auf den Source Code umso mehr, als dieser allgemein nur ausnahmsweise an Dritte weitergegeben werde. Da gemäss Ziff. 5.1, 10.1 und 10.5 des Lizenzvertrages alle nachträglichen Vertragsänderungen der Schriftlichkeit bedürften, dürfe auch nicht von einer stillschweigenden Ausdehnung des Lizenzvertrages auf den Source Code ausgegangen werden. Dieser Auffassung stehe das im Lizenzvertrag statuierte Änderungsrecht nicht entgegen, weil Programmänderungen auch dann möglich seien, wenn das Programm allein in Form des Object Code zur Verfügung stehe. Es bestehe demnach kein Rechtsgrund für die Verweigerung
BGE 125 III 263 S. 266
der Herausgabe des Source Code an die Klägerin; allein die Tatsache, dass die Klägerin den Source Code bei der Beklagten beliess, vermöge keinen Rechtsübergang zu bewirken.
a) Ein Nutzungsrecht an Software kann auf verschiedenen Rechtsgrundlagen erworben werden. In der Regel wird entweder ein - durch die vertraglichen Bestimmungen eingeschränktes - Eigentumsrecht an einer Programmkopie übertragen oder aber, im Falle eines echten Lizenzvertrages, die Software unter Einräumung eines Nutzungsrechts bloss leihweise überlassen (THOMANN, Grundriss des Softwareschutzes, Zürich 1992, S. 51 f.). Der Umfang des Nutzungsrechtes des Nehmers ergibt sich aus den Parteivereinbarungen, welche grundsätzlich nicht formpflichtig sind (Rehbinder, Schweizerisches Urheberrecht, 2. Auflage, Bern 1996, S. 132). Dies gilt auch für die Frage, ob dem Lizenznehmer der Source Code zur Verfügung gestellt wird oder nicht (BLICKENSTORFER, Der Sourcecode-Escrow, in: Thomann/Rauber (Hrsg.), Softwareschutz, Bern 1998, S. 213 f.).
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist bezüglich der Frage, ob die Beklagte aufgrund des Lizenzvertrages auch den Source Code nutzen, insbesondere diesen verändern dürfe, kein übereinstimmender tatsächlicher Parteiwille festzustellen. In diesem Fall sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzipes so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten. Das Bundesgericht prüft diese objektivierte Vertragsauslegung im Berufungsverfahren als Rechtsfrage (
BGE 123 III 165
E. 3a S. 168;
121 III 118
E. 4b/aa S. 123 mit Hinweisen).
b) aa) Die massgebliche Parteivereinbarung besteht aus einem «Lizenzvertrag für Programmprodukte» vom 19. Dezember 1988 und einem irrtümlich mit 13. Dezember 1988 datierten Nachtrag dazu. Der Lizenzvertrag sieht in Ziff. 1.3 und 6.1 vor, dass der Beklagten das Lizenzmaterial leihweise zur Verfügung gestellt wird, während das Eigentum daran bei der Klägerin verbleibt. Die Nutzungsdauer ist gemäss Ziff. 7 Abs. 1 des Nachtrages unbeschränkt, doch wurde die im Lizenzvertrag (Ziff. 2.6) vorgesehene Möglichkeit der Vertragskündigung beibehalten. Ein Anspruch der Beklagten auf Übertragung des Eigentums am Source Code, wie auch am Object Code, lässt sich demnach aus Lizenzvertrag und Nachtrag nicht ableiten.
bb) Der Lizenzvertrag enthält allgemeine Vertragsbestimmungen, welche durch die Vereinbarungen im Nachtrag individuell konkretisiert werden. Ziff. 1.2 des Lizenzvertrages statuiert bei Widersprüchlichkeiten
BGE 125 III 263 S. 267
den Vorrang ausdrücklich anderslautender Bestimmungen des Nachtrages, was den allgemeinen Grundsätzen über das Verhältnis von individuellen zu allgemeinen Vertragsbedingungen entspricht (
BGE 123 III 35
E. 2c/bb S. 44 mit Hinweis; KRAMER, Berner Kommentar, N. 210 f. zu
Art. 1 OR
; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, 7. Auflage, Zürich 1998, S. 235 Rz. 1139; BUCHER, Basler Kommentar, N. 54 zu
Art. 1 OR
). Die Beklagte hat gemäss Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages das Recht, das Lizenzmaterial ganz oder teilweise zu ändern und an ihre Bedürfnisse anzupassen. Demgegenüber sieht Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages vor, die Installation der Programme erfolge im Object Code. Da ein im Object Code geschriebenes Programm nur unter stark erschwerten Bedingungen lesbar ist, was eine Abänderung praktisch verunmöglicht, wird damit das im Lizenzvertrag vorgesehene Abänderungsrecht der Beklagten stark eingeschränkt. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz handelt es sich dabei um eine «ausdrückliche» Andersregelung im Sinne von Ziff. 1.2 des Lizenzvertrages, ist doch die Einschränkung des Abänderungsrechtes durch die Installation im Object Code für jeden ohne weiteres einsichtig, dem die Bedeutung des Begriffes «Object Code» geläufig ist. Auch sonst sind keine Umstände erkennbar, aufgrund derer die grundsätzliche Einräumung eines Abänderungsrechts als Zusicherung der Anpassungsfähigkeit des im Nachtrag zu konkretisierenden Lizenzmaterials zu verstehen sein und damit den individuellen Bestimmungen des Nachtrages vorgehen sollte. Vielmehr hatte die Beklagte aufgrund von Ziff. 1.2 des Lizenzvertrages zu gewärtigen, dass die allgemeinen Vertragsbestimmungen durch die individuellen Abreden im Nachtrag modifiziert würden. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz wäre die Klägerin nach Treu und Glauben nicht verpflichtet gewesen, die Beklagte von sich aus auf die Bedeutung der Nachtragsbestimmung, wonach die Installation im Object Code erfolge, hinzuweisen. Es oblag vielmehr der Beklagten selbst, sich über die Tragweite der von ihr unterzeichneten Vertragsbestimmungen kundig zu machen. Selbst wenn diesbezüglich ein grosses Wissensgefälle zwischen den Parteien bestand, war es doch der Beklagten bzw. deren Organen ohne weiteres möglich und zumutbar, die Bedeutung des Begriffes «Object Code» herauszufinden. So hätten sie sich z.B. vor der Unterzeichnung bei der Klägerin darüber erkundigen können. Die Klägerin durfte nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass der Beklagten, soweit sie keine Fragen stellte, die im Vertrag verwendeten
BGE 125 III 263 S. 268
EDV-technischen Begriffe vertraut waren, und dass sie demnach die Einschränkung ihres Abänderungsrechts erkannte und dieser zustimmte. Damit ist der Vertrag in diesem Sinne für beide Parteien bindend; ob sich die Beklagte allenfalls in einem Erklärungsirrtum befand, ist vorliegend nicht zu prüfen. Aus dem Lizenzvertrag und Nachtrag vom 19. Dezember 1988 kann demnach die Beklagte kein Recht auf Nutzung und Abänderung des Source Code ableiten.
c) Nach dem Gesagten erbrachte die Klägerin mit der Installation des Source Code eine Leistung, zu der sie nicht verpflichtet war. Ob die Beklagte dies als Offerte zu einer Vertragsänderung verstehen durfte, mit welcher ihr ein Nutzungsrecht auch am Source Code eingeräumt werden sollte, ist, da die Vorinstanz keine tatsächliche Willensübereinstimmung feststellen konnte, wiederum nach Treu und Glauben zu beurteilen. Der im Lizenzvertrag vorgesehene Schriftlichkeitsvorbehalt steht der Annahme einer entsprechenden Vertragsänderung nicht von vornherein entgegen, kann doch namentlich auch durch konkludentes Handeln nachträglich auf die vorbehaltene Form verzichtet werden (
BGE 105 II 75
E. 1 S. 78; SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 45 zu
Art. 16 OR
; MERZ, Vertrag und Vertragsschluss, 2. Auflage, Freiburg 1992, S. 225 N. 422). Ausser Betracht hat aber entgegen der Ansicht der Vorinstanz zu bleiben, dass die Klägerin den Source Code während Jahren bei der Beklagten belassen hatte, denn für die Vertrauensauslegung sind lediglich Umstände zu berücksichtigen, welche den Parteien beim Vertragsschluss - bzw. hier bei der Vertragsänderung - bekannt oder erkennbar waren (
BGE 107 II 417
E. 6 S. 418).
Die Überlassung des Source Code vereinfacht die Abänderung der Programme in massgeblicher Weise und ermöglicht die Verwertung des im Programm enthaltenen Know-How. Sie würde gegenüber den anfänglich vereinbarten Vertragsleistungen der Klägerin eine substanzielle Mehrleistung darstellen, welche im Allgemeinen gar nicht, höchstens aber gegen Bezahlung eines diese zusätzlichen Möglichkeiten abgeltenden Preises gewährt wird (BLICKENSTORFER, a.a.O., S. 213 unten f.; FREI, Softwareschutz durch das Patentrecht, in: THOMANN/RAUBER, Softwareschutz, Bern 1998, S. 105). Die Beklagte durfte unter diesen Umständen nicht davon ausgehen, dass die Klägerin ihr diese Leistung freiwillig und ohne entsprechende Gegenleistung zusätzlich zum vertraglich Geschuldeten erbringen wollte. Zu welchem anderen Zweck die Klägerin den Source Code bei der Beklagten installierte, kann dabei offen bleiben, vermöchte doch angesichts des Nachteils, den die Nutzung und Änderung des Source
BGE 125 III 263 S. 269
Code durch die Beklagte für die Klägerin bedeutet, selbst die aus einem der Beklagten nicht verständlichen Grund erfolgte Installation deren Annahme, sie sei hierzu berechtigt, nicht zu rechtfertigen.
d) Nach dem Gesagten ist die Beklagte nicht berechtigt, über den Source Code zu verfügen. Die Klägerin kann demnach die Herausgabe der im Source Code gespeicherten Programme sowie die Beseitigung bestehender bzw. das Verbot künftiger Schutzrechtsverletzungen verlangen, sofern sie für die Programme urheberrechtlichen Schutz beanspruchen kann. Computerprogramme gelten als Werke im Sinne des Urheberrechtsgesetzes (
Art. 2 Abs. 3 URG
) und sind damit durch dieses geschützt, sofern sie individuellen Charakter haben (
Art. 2 Abs. 1 URG
; BBl 1989 III 522; Thomann, Softwareschutz durch das Urheberrecht, in: Thomann/Rauber, Softwareschutz, Bern 1998, S. 13). Da die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil zur Beurteilung dieser Frage durch das Bundesgericht nicht ausreichen, ist die Streitsache insoweit zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
581e0915-9081-49dd-8738-6a7bba8e0bb9 | Urteilskopf
80 I 402
67. Urteil vom 5. November 1954 i.S. Britix Watch Co. S. A. und Josef Flück gegen Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. | Regeste
Betriebsbewilligungen:
1. Rechtlicher Charakter der Betriebsbewilligung.
2. Übernahme einer Unternehmung mit Aktiven und Passiven durch eine Unternehmung der Uhrenindustrie. Zahl der Arbeitskräfte nach der Übernahme, wenn die zufolge der Übernahme untergehende Unternehmung das ihr zuerkannte Arbeiterkontingent nicht voll ausgenützt hatte. | Sachverhalt
ab Seite 403
BGE 80 I 402 S. 403
A.-
Die Britix Watch Co. SA, ursprünglich -in La Chaux-de-Fonds, seit 1945 in Lengnau, betreibt eine Uhrenfabrik und hat ihren Arbeiterbestand nach und nach auf 22 (Stand seit 1949) gebracht.
B.-
Der Beschwerdeführer F. Flück führte in Günsberg (Solothurn) ein Terminage-Atelier, das seit November 1945 mit 36 Arbeitern eingetragen war, entsprechend dem Arbeiterbestand, den der Betrieb in den Jahren 1929-1933 aufgewiesen hatte. Zur Zeit der Eintragung (1945) betrug die Zahl der tatsächlich beschäftigten Arbeiter nur 6. Sie war auch seither auf diesem Stande geblieben.
C.-
Am 1. August 1952 übernahm die Britix Watch Co. das Uhrenterminage-Geschäft des J. Flück in Günsberg mit Aktiven und Passiven und verlangte im Anschluss daran die Bewilligung zur Vereinigung der beiden Betriebe und die Übertragung des auf diese Firma eingetragenen Arbeiterbestandes auf sie. Danach erhöhe sich die Zahl der ihr bewilligten Arbeiter auf maximal 64 (22 + 3 + 36 + 3).
D.-
Mit Entscheid vom 18. Januar 1954 hat das Eidg. Volkswirtschaftsdepartement die Übernahme des Terminagebetriebes Flück durch die Britix Watch Co. genehmigt und festgestellt, dass die Arbeiterzahl der Britix Watch Co. nun (mit Einschluss der jedem der beiden Betriebe nach Art. 10 UV zustehenden 3 zusätzlichen Arbeitseinheiten) 35 (25 + 10) betrage. Das Terminage-Atelier des Josef Flück wurde im Verzeichnis der Unternehmungen der Uhrenindustrie gestrichen.
E.-
Hiegegen erheben sowohl die Britix Watch Co. SA, wie auch Josef Flück Verwaltungsgerichtsbeschwerden mit den Anträgen, den angefochtenen Entscheid aufzuheben, soweit er sich auf die Arbeiterzahl bezieht, und der Britix Watch Co. zufolge der Übernahme des Ateliers J. Flück weitere 36, statt nur 10 Arbeiter zu bewilligen, oder - im Umfange der nicht bewilligten Angliederung - eventuell der Britix Watch Co. die Führung des Ateliers als selbständige Unternehmung zu bewilligen, subeventuell
BGE 80 I 402 S. 404
die Wiedereintragung des Betriebes J. Flück anzuordnen.
Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt:
a) Die Beschwerde richte sich nicht gegen den angefochtenen Entscheid in seiner Gesamtheit, sondern er werde nur insofern angefochten, als der Beschwerdeführerin trotz der grundsätzlich bewilligten Übernahme und Angliederung des Betriebes Flück eine Erhöhung ihrer Arbeiterzahl um nur 10 Einheiten zugestanden worden sei, und als im übrigen die Streichung des Betriebes Flück aus dem Register der Unternehmungen der Uhrenindustrie angeordnet worden sei.
b) Der letzte Satz des Art. 9 der UV stehe mit Art. 3 al. 1 letzter Satz UB in Widerspruch und sei deshalb nicht "rechtskräftig". Die vorliegende Übernahme des Geschäftsbetriebes Flück durch die Beschwerdeführerin bedürfe überhaupt keiner Genehmigung.
c) Die Übernahme eines bestehenden Betriebes mit Aktiven und Passiven durch einen andern Betrieb sei nicht bewilligungspflichtig, solange keine Angliederung erfolge. Die Übernahme des Ateliers sei zweifellos zum mindesten solange nicht bewilligungspflichtig, als es als getrennte Terminage-Abteilung weitergeführt werde.
d) Völlig unhaltbar sei es, von dem im Verzeichnis der Unternehmungen der Uhrenindustrie eingetragenen Recht auf 36 Arbeiter nur das Recht auf 10 zu übertragen und im Umfang der nicht eingetragenen Rechte die Streichung im Register anzuordnen. Ein solches Vorgehen entbehre jeder gesetzlichen Grundlage.
F.-
Das eidg. Volkswirtschaftsdepartement beantragt Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen
Erwägungen
in Erwägung:
1.
Ob die Angliederung im Wege der Übernahme mit Aktiven und Passiven eines bestehenden an ein anderes Unternehmen der Uhrenindustrie der Bewilligung bedarf,
BGE 80 I 402 S. 405
oder ob - wie die Beschwerdeführer annehmen - Art. 9 UV, der für diesen Fall die Bewilligungspflicht vorsieht, der Ordnung in Art. 3, Abs. 1, letzter Satz UB widerspricht, kann dahingestellt bleiben. Das Departement hat die Angliederung anerkannt, und sein Entscheid ist in dieser Beziehung nicht angefochten. Die Frage, ob die Bewilligung notwendig war oder nicht, ist daher gegenstandslos.
2.
Streitig ist einzig, wie sich die von den beiden Beschwerdeführern vorgenommene Geschäftsübertragung im Rahmen der für die Uhrenindustrie aufgestellten Ordnung auswirkt. Diese Frage ist von den mit der Überwachung dieser Ordnung betrauten Behörden notwendigerweise auch dann zu prüfen, wenn die Übernahme des Geschäftes an sich keiner Bewilligung bedarf. Auch in diesem Falle muss der durch die Geschäftsübertragung entstandene Status der beteiligten Unternehmungen festgestellt werden (Urteil vom 22. Dezember 1953 i.S. Roseba AG, Erw. 1, nicht publiziert). Dies gilt sowohl dann, wenn die den Betrieb übernehmende Unternehmung der Uhrenindustrie bereits angehört, als auch, wenn sie zufolge der Geschäftsübernahme neu in die Uhrenindustrie eintritt. Die Auffassung, eine der Uhrenindustrie bisher nicht angehörende Unternehmung hätte nach Übernahme des Terminage-Betriebes J. Flück die Arbeiterzahl ohne weiteres um 26 erhöhen dürfen, ist nicht haltbar. Auch bei ihr würde sich die Frage nach dem Arbeiterbestand erheben, mit dem der Betrieb in das Verzeichnis der Unternehmen der Uhrenindustrie aufzunehmen ist.
3.
Die Betriebsbewilligung in der Uhrenindustrie ist eine Polizeierlaubnis, mit der festgestellt wird, dass der Führung des Betriebes unter den in der Bewilligung umschriebenen Voraussetzungen keine polizeilichen Hindernisse entgegenstehen. Eine Polizeierlaubnis begründet keine subjektiven Rechte und kann nicht übertragen werden, also auch nicht Objekt eines Kaufes sein (FLEINER, Institutionen, 8. Aufl. S. 410 f.). Dagegen kann sie, wenn sie sich nicht auf die persönlichen Eigenschaften des Unternehmers,
BGE 80 I 402 S. 406
sondern lediglich auf die Mittel bezieht, mit denen ein Unternehmen betrieben wird, mit dem Unternehmen verbunden bleiben, auch wenn der Unternehmer wechselt. In diesem Falle wirkt sie auch zugunsten dessen, der an Stelle des ursprünglichen Empfängers der Erlaubnis tritt. Die Polizeierlaubnis wird dann scheinbar mitübertragen, bei Rechtsgeschäften sogar manchmal als deren Gegenstand erwähnt. In Wahrheit ist Gegenstand des Rechtsüberganges indessen nur das Unternehmen. Dies auch dann, wenn für dessen Bewertung die vorhandene Polizeierlaubnis nicht ohne Bedeutung ist. Auch dann ist die Polizeierlaubnis selbst nicht Gegenstand des Vertrages, sondern sie folgt diesem aus eigener Bewegung von sich aus (MAYER, Verwaltungsrecht I, 3. Aufl., S. 246 f.).
4.
Nach dem Uhrenstatut werden bei Erteilung von Betriebsbewilligungen die persönlichen Eigenschaften des Unternehmers in der Regel mitberücksichtigt. Der Bewerber hat sich über seine Befähigung zur Betriebsführung auszuweisen. Die Bewilligung wird nur erteilt, wenn der Bewerber bestimmten persönlichen Voraussetzungen genügt - sei es ganz (Art. 4 Abs. 1 UB), sei es wenigstens teilweise (Art. 4, Abs. 2 UB). Eine Ausnahme wird gemacht bei der Übernahme eines Unternehmens mit Aktiven und Passiven. Diese bedarf grundsätzlich keiner Bewilligung (Art. 3, Abs. 1 letzter Satz UB). Die Bewilligung folgt der Unternehmung, obgleich der Unternehmer, dessen persönliche Eigenschaften bei der Erteilung der Bewilligung polizeilich wesentlich waren, wegfällt.
Mit der Bewilligung darf jedoch nicht Handel getrieben werden; jedes Geschäft dieser Art ist nichtig (Art. 4, Abs. 7 UB). Die Bewilligung als solche ist also kein übertragbares Aktivum. Sie scheidet als Gegenstand des Kaufvertrages von Gesetzes wegen aus. Zu den übertragbaren "Aktiven und Passiven" gehört nur das tatsächlich betriebene Geschäft, das "bestehende Unternehmen" (Art. 3, Abs. 1 letzter Satz). Nicht ausgenützte Möglichkeiten einer Betriebsbewilligung, sei es dass diese die Ausdehnung
BGE 80 I 402 S. 407
der Geschäftstätigkeit auf andere Branchen oder eine Vergrösserung des Betriebes durch Vermehrung der Arbeiterzahl erlaubt hätte, fallen nicht in die Übernahme. Die Unternehmung geht - ob ohne oder mit Bewilligung - in dem Stande über, in dem sie sich zur Zeit der Übernahme mit Aktiven und Passiven befunden hat.
Die Zahl der Arbeiter wird in der Uhrenindustrie für jeden Betrieb bemessen nach seinen Verhältnissen und Bedürfnissen. Wenn ein Betrieb die ihm zugebilligte Zahl von Arbeitskräften aus irgendwelchen Gründen nicht voll ausnützen kann oder will, dann soll, nach Art. 4, Abs. 7 UB, die nicht ausgenützte Produktionskapazität nicht aufeinen andern Betrieb übertragen werden können, da sonst dadurch eine nicht gerechtfertigte, den allgemeinen Interessen der Uhrenindustrie abträgliche Vermehrung der Gesamtproduktionskapazität entstehen würde. Kann sie das Unternehmen aus irgendwelchen Gründen nicht ausnützen, so beweist das, dass ihm eine Produktionskapazität beigemessen worden war, die für seine Verhältnisse nicht gerechtfertigt ist, also den allgemeinen Interessen der Uhrenindustrie entgegensteht; will der Unternehmer sie nicht ausnützen, dann soll er damit auch nicht Handel treiben, sie nicht auf einen andern übertragen können.
Die Beschwerdeführerin Britix Watch Co. darf daher - sei es mit, sei es ohne Bewilligung - gestützt auf Art. 3, Abs. 1, letzter Satz UB die Zahl ihrer Arbeiter höchstens um 10 erhöhen. Für eine weitere Erhöhung ist eine nach Art. 4 UB zu erledigende Bewilligung notwendig, weil Art. 3, Abs. 1 UB hiefür keine Grundlage und Rechtfertigung darbietet.
5.
Auch das Begehren der Britix Watch Co., das Atelier Flück im Umfange der nicht bewilligten (resp. gesetzlich nicht zulässigen) Angliederung als selbständiges Atelier und unabhängig vom bestehenden Fabrikationsbetrieb zu betreiben, ist unbegründet. Denn wenn ein solches Recht sich nicht aus der Übernahme des Betriebes Flück mit Aktiven und Passiven ergibt, dann bedeutet die
BGE 80 I 402 S. 408
"Weiterführung" dieses Teils des Betriebes. Flück die Eröffnung eines Unternehmens, die gemäss Art. 3 Abs. 1 bewilligungspflichtig ist. Mit der Übernahme des Betriebes Flück, dem einzigen hier vorgetragenen Argument, lässt sie sich nicht rechtfertigen.
6.
Das Subeventualbegehren schliesslich, es sei die Wiedereintragung des Betriebes Flück im Umfange der nichtbewilligten Übertragung der Rechte auf die Britix in das Verzeichnis der Unternehmungen der schweizerischen Uhrenindustrie anzuordnen, ist ebenfalls unbegründet. Nachdem Flück sein Geschäft mit Aktiven und Passiven abgetreten hat, sein Unternehmen somit untergegangen ist, war es im Verzeichnis der Unternehmungen der Uhrenindustrie zu löschen. Die Betriebsbewilligung, auf Grund der Flück sein Unternehmen geführt hatte, wird insoweit gegenstandslos, als sie nicht mit dem Geschäftsbetrieb auf den neuen Inhaber übergangen ist. Sie war es übrigens schon seit Jahren, da Flück dafür in dem Betrieb, für den sie erteilt war, keine Verwendung hatte. Die Festsetzung der Arbeiterzahl, die mit dem Geschäftsbetriebe des J. Flück auf den Übernehmer übergegangen ist, auf 10 Einheiten ist die Verurkundung eines Zustandes, der seit Jahren bestanden hatte.
Wenn sich Flück, nachdem er seine Unternehmung mit Aktiven und Passiven abgetreten hat, weiterhin in einem Zweige der Uhrenindustrie als Unternehmer betätigen will, so bedarf er dazu einer neuen Betriebsbewilligung. Die Frage, ob eine solche in derartigen Fällen erteilt werden kann, ist bisher offen gelassen worden (
BGE 80 I 91
, Erw.5). Sie kann auch hier offen bleiben. | public_law | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
58223175-9162-4801-bf9b-3263ba667960 | Urteilskopf
100 V 154
38. Urteil vom 5. September 1974 i.S. Heim gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Verjährung der Beitragsforderung (
Art. 16 Abs. 1 AHVG
).
Verjährte Beiträge können auch dann nicht nachträglich entrichtet werden, wenn die Beitragslücke auf ein vorschriftswidriges Verhalten der Ausgleichskasse zurückgeht.
Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben in diesem Zusammenhang. | Sachverhalt
ab Seite 154
BGE 100 V 154 S. 154
A.-
Margreth Heim wurde mit Wirkung ab Dezember 1972 altersrentenberechtigt. Am 4. Januar 1973 sprach ihr die Ausgleichskasse zunächst eine ordentliche einfache Altersrente von Fr. 154.--, ab Januar 1973 von Fr. 280.-- im Monat zu. Die Ausrichtung einer Teilrente erfolgte im Hinblick auf eine von 1948 bis 1956 dauernde Beitragslücke. Auf Gesuch hin hob die Ausgleichskasse die Verfügung wieder auf und richtete der Versicherten anstelle der niedrigeren ordentlichen Teilrente eine ausserordentliche Rente im Betrage von Fr. 220.-- für Dezember 1972 und Fr. 350.-- ab Januar 1973 aus (Verfügung vom 20. Februar 1973).
B.-
Beschwerdeweise beantragte die Versicherte die Ausrichtung einer ordentlichen Vollrente. In den Jahren 1948 bis 1956 habe sie kein Einkommen erzielt. Sie habe sich damals wiederholt bei der AHV-Zweigstelle über ihre Beitragspflicht erkundigt und jeweils die Antwort erhalten, mangels eines Verdienstes sei- sie nicht beitragspflichtig. Es gehe nicht an, dass sie zufolge dieser unzutreffenden Auskunft in ihrem Rentenanspruch geschmälert werde.
Mit Entscheid vom 16. Mai 1973 wies das Versicherungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde ab. Auf die Beitragspflicht für die Jahre 1948 bis 1956 könne wegen Verjährung
BGE 100 V 154 S. 155
nicht zurückgekommen werden, unabhängig davon, ob eine falsche Auskunfterteilung vorgelegen habe. Im übrigen erweise sich die Rentenberechnung als zutreffend.
C.-
Margreth Heim lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit dem Antrag auf Zusprechung einer "ordentlichen AHV-Rente ohne Kürzung wegen fehlender Beitragsjahre", eventuell "gegen Nachzahlung der Beiträge für die Jahre 1948 bis 1955". Die Beschwerdeführerin beanstandet, die Vorinstanz habe es unterlassen, die näheren Umstände der seinerzeitigen Auskunfterteilung abzuklären. Dieser Sachverhalt sei entscheidend für die Beurteilung des Falles, da sämtliche Voraussetzungen zu einer vom Gesetz abweichenden Behandlung im Sinne des Grundsatzes von Treu und Glauben erfüllt seien: Die Beschwerdeführerin habe sich bei der zuständigen Stelle über ihre Beitragspflicht erkundigt; die Verwaltung habe ihr vorbehaltlos die Auskunft erteilt, sie habe keine Beiträge zu leisten; schliesslich habe sie die Unrichtigkeit der Auskunft nicht erkennen können. Zur Begründung ihres Begehrens stellt die Beschwerdeführerin verschiedene Béweisanträge, insbesondere auf Einvernahme von Zeugen; eventuell seien die Akten zur Beweisergänzung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin anstelle der ihr mit Verfügung vom 20. Februar 1973 zugesprochenen ausserordentlichen Rente mit Einkommensgrenze Anspruch auf eine ordentliche Vollrente (
Art. 34 AHVG
) hat. Nicht Gegenstand der Beschwerde ist die Berechnung der verfügten ausserordentlichen Rente, die nach den Ausführungen der Vorinstanz auch nicht zu beanstanden ist.
Für den Ausgang des Verfahrens ist entscheidend, ob die Jahre 1948 bis 1956, während welchen von der Beschwerdeführerin zu Unrecht keine Beiträge erhoben worden sind, nachträglich - eventuell unter Nachzahlung der Beiträge - als Beitragsjahre anzuerkennen seien.
2.
a) Nach
Art. 16 Abs. 1 AHVG
können Beiträge, die nicht innert 5 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, für welches sie geschuldet sind, geltend gemacht werden, nicht
BGE 100 V 154 S. 156
mehr eingefordert oder entrichtet werden. Gemäss ständiger Rechtsprechung zeitigt diese Frist Verwirkungsfolge. Mit ihrem Ablauf erlischt die Beitragsschuld, ohne dass eine Naturalobligation bestehen bleibt, die freiwillig erfüllt werden könnte. Dem Versicherten ist es daher grundsätzlich, ungeachtet der Gründe, die für das Fehlen von Beiträgen massgebend sind, verwehrt, diese später als 5 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, für welches sie geschuldet sind, noch zu erbringen (EVGE 1955 S. 194, 1958 S. 199; ZAK 1961 S. 226, 1964 S. 85).
b) Die für die Jahre 1948 bis 1956 geschuldeten Beiträge konnten demnach spätestens in den Jahren 1953 bis 1961 nachgefordert werden. Als die Ausgleichskasse im Jahre 1961 auf die fehlenden Beiträge aufmerksam wurde, verfügte sie eine Nachzahlung mit Wirkung ab 1957. Unter Berücksichtigung dieser Beiträge legte sie im Jahre 1973 der Rentenberechnung eine Beitragsdauer von 15 Jahren (1957 bis 1971) zugrunde und setzte die Rente nach Skala 17 - bzw. 22 für die Zeit ab 1. Januar 1973 - unter Annahme eines durchschnittlichen Jahreseinkommens von Fr. 4800.-- auf Fr. 154.-- bzw. Fr. 280.-- fest.
Bei einer Beitragsdauer der Versicherten von 15 Jahren gegenüber einer solchen ihres Jahrganges von 24 Jahren wäre nach
Art. 52 AHVV
für die Zeit ab 1. Januar 1973 jedoch Rentenskala 21 anwendbar gewesen, was der Beschwerdeführerin lediglich Anspruch auf eine Rente von Fr. 260.-- im Monat gegeben hätte. Dies wäre zu beachten, falls die einfache Altersrente wegen Änderung in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin künftig als ordentliche Rente zur Ausrichtung gelangen sollte.
Anderseits hätte sich die Beitragsnachforderung im Jahre 1961 auch auf die noch nicht verjährte Beitragsschuld des Jahres 1956 erstrecken sollen. Da der Beitrag für dieses Jahr im Zeitpunkt der Rentenverfügung ebenfalls verjährt war, ist hierauf jedoch nicht zurückzukommen.
3.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beruft sich die Beschwerdeführerin auf den Grundsatz von Treu und Glauben und macht geltend, sie habe sich in den Jahren 1948 bis 1950 wiederholt bei der AHV-Zweigstelle nach ihrer Beitragspflicht erkundigt und die Auskunft erhalten, mangels eines Einkommens habe sie keine Beiträge zu leisten.
BGE 100 V 154 S. 157
a) Der Grundsatz von Treu und Glauben, wie er im Verwaltungsrecht Geltung hat, schützt den Bürger in seinem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten. Er bedeutet unter anderem, dass Verfügungen auf dem Gebiete der Sozialversicherung so zu gelten haben, wie sie nach gemeinverständlichem Wortlaut zu verstehen sind, und dass falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten. Gemäss Rechtsprechung und Doktrin ist eine falsche Auskunft bindend, wenn die Behörde für die Erteilung der Auskunft zuständig war, der Bürger deren Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennen konnte, wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können, und wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunfterteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 99 I b 101, 99 V 8, 97 V 220; EVGE 1967 S. 40).
b) Ob die genannten Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt seien, lässt sich auf Grund der Akten nicht mit Sicherheit beurteilen. Es ist nicht auszuschliessen, dass sich die Beschwerdeführerin in der Zeit nach Inkrafttreten der AHV bei der Zweigstelle über ihre Beitragspflicht erkundigt hatte und die Auskunft erhielt, sie habe mangels eines Einkommens keine Beiträge zu entrichten. Spätestens im Jahre 1961, als die Ausgleichskasse eine Beitragsnachzahlung mit Wirkung ab 1957 verfügte, musste der Beschwerdeführerin indessen klar sein, dass sie seit 1948 irrtümlicherweise nicht der Beitragspflicht unterstellt worden war. Auch musste ihr - insbesondere auf Grund der regelmässigen amtlichen Publikationen (
Art. 67 Abs. 2 AHVV
) - bekannt sein, dass die fehlenden Beitragszahlungen die künftige Rentenhöhe beeinflussen würden. Sie kann sich daher jedenfalls im Leistungsverfahren nicht mehr auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen, nachdem sie anlässlich der Beitragsverfügung im Jahre 1961 und auch während der folgenden Zeit Stillschweigen gewahrt hat.
c) Des weitern ist zu beachten, dass die Bestimmung von
Art. 16 AHVG
auf die Erhaltung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit gerichtet ist. Wie in der bundesrätlichen Botschaft vom 5. Mai 1953 zur Änderung von
Art. 16 AHVG
ausgeführt wurde, muss im Interesse der Rechtssicherheit und aus verwaltungstechnischen Erwägungen hinsichtlich der einzelnen
BGE 100 V 154 S. 158
Beitragsforderung nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes im Verhältnis zwischen Versicherung und Beitragspflichtigem "Ruhe eintreten" (BBl 1953 II S. 119). Nachforschungen der Verwaltung und des Richters über weit zurückliegende Tatsachen sollen vermieden werden. Aus diesem Grunde ist mit dem Ablauf der in
Art. 16 AHVG
genannten Fristen die Wirkung des Erlöschens der Forderung bzw. der Schuld verbunden. Auf Grund dieser Erwägungen hat das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt entschieden, dass eine verjährte Beitragsschuld selbst dann nicht mehr erfüllt werden kann, wenn die Beitragslücke auf ein vorschriftswidriges Verhalten der Ausgleichskasse zurückzuführen ist (EVGE 1958 S. 199, ZAK 1961 S. 227). Insofern tritt das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz gegenüber der unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebenden Sonderregelung zurück. Eine Nachzahlung nicht entrichteter Beiträge kann somit lediglich im Rahmen der Bestimmung von
Art. 16 AHVG
erfolgen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
5822aceb-e8cc-4dc9-b8e5-1e99f5219abf | Urteilskopf
100 II 76
14. Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. Juni 1974 i.S. L. gegen H. | Regeste
Art. 157 ZGB
: Einem Begehren um Abänderung der im Scheidungsurteil getroffenen Gestaltung der Elternrechte darf nur stattgegeben werden, falls sich die Verhältnisse seit der Scheidung derart geändert haben, dass sich eine andere Entscheidung zwingend aufdrängt. Diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn sich zeigt, dass die Verhältnisse, die bei der Gestaltung der Elternrechte massgebend waren, sich wesentlich anders entwickeln als vom Scheidungsrichter erwartet (Erw. 1-3).
Art. 156 ZGB
: Die Anordnung, wonach die Kinder ab dem 14. Altersjahr nach ihrem Willen entscheiden können, ob sie den Elternteil, dem die elterliche Gewalt bei der Scheidung entzogen wurde, besuchen wollen, lässt sich mit
Art. 156 ZGB
nicht vereinbaren (Erw. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 76
BGE 100 II 76 S. 76
Das Zivilamtsgericht von Bern schied am 21. Juni 1968 die Ehe H.-W. Die elterliche Gewalt über die fünf ehelichen Kinder übertrug es auf den Vater. Der Mutter wurde das Recht eingeräumt, die Kinder jeweils am zweiten Wochenende eines jeden Monats von 12.00 Uhr samstags bis 18.00 Uhr sonntags
BGE 100 II 76 S. 77
zu besuchen und 14 Tage der Sommerschulferien mit ihnen zu verbringen. Sodann verpflichtete es die Mutter, dem Vater an den Unterhalt eines jeden Kindes monatlich Fr. 30.- zu bezahlen.
Am 29.. März 1969 beantragte der Vater beim Zivilgericht Basel-Stadt, das erwähnte Besuchs- und Ferienrecht der Mutter gänzlich aufzuheben, eventuell für eine bestimmte Frist zu sistieren, subeventuell zu modifizieren. Die Mutter antwortete mit einer Widerklage. Sie stellte die Anträge, die Klage abzuweisen, die Kinder ihr zuzuteilen, den Vater zu Unterhaltsbeiträgen an die Kinder zu verpflichten und ihm ein Besuchsrecht einzuräumen.
Das Zivilgericht Basel-Stadt änderte das Scheidungsurteil teilweise ab. Es räumte der Mutter bloss noch einen Besuchstag alle zwei Monate und am 26. Dezember ein, wobei es jedoch den Kindern freistellte, nach Vollendung des 14. Altersjahres die Mutter noch zu besuchen. Dieses Urteil wurde vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigt, welches sich die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht vollständig zu eigen machte.
Gegen das zweitinstanzliche Urteil hat die Beklagte, die inzwischen Herrn L. geheiratet hat, beim Bundesgericht Berufung eingereicht. Sie stellt den Antrag, ihre Widerklage gutzuheissen, eventuell die Klage abzuweisen und die bisherige Regelung zu bestätigen, wobei sie jedoch von der Pflicht, Unterhaltsbeiträge zu entrichten, befreit werden möchte. Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 157 ZGB
kann die im Scheidungsurteil getroffene Gestaltung der Elternrechte abgeändert werden, falls infolge von Heirat, Wegzug oder Tod eines der Eltern oder aus andern Gründen eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist. Aus den in dieser Bestimmung angeführten Beispielen ergibt sich indessen, dass eine Abänderung nicht schon dann zulässig ist, wenn sich die Umstände irgendwie verändert haben, sondern nur dann, wenn die eingetretene Änderung eine andere Entscheidung zwingend erfordert. Eine
BGE 100 II 76 S. 78
Abänderung der Elternrechte bei nur unwesentlichen Änderungen der Verhältnisse würde dem Interesse der Kinder, das eine möglichst ruhige und konstante Erziehung verlangt, zuwiderlaufen. Ob eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist, die auch die Abänderung der Elternrechte erfordert, ist nach der Gesamtheit der Umstände, vor allem unter Berücksichtigung der Interessen der Kinder, zu entscheiden (
BGE 43 II 476
).
Die nötigen Verfügungen über die Gestaltung der Elternrechte und der persönlichen Beziehungen der Eltern zu den Kmdern trifft der Richter bei der Scheidung in der Regel aufgrund einer Prognose über die künftige Entwicklung der Kinder und des Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern. Stellt sich nun nachträglich heraus, dass die Prognose falsch war, und erweist sich, dass die Anordnungen sich deshalb auf das Wohl der Kinder offensichtlich nachteilig auswirken, so darf die sich aufdrängende Abänderung des Scheidungsurteils nicht an einer allzu strengen Auslegung des
Art. 157 ZGB
scheitern. Das Kindesinteresse gebietet vielmehr eine geschmeidige Auslegung dieser Bestimmung. In solchen Fällen muss folglich das Vorliegen veränderter Verhältnisse, wie sie
Art. 157 ZGB
für die Abänderung des Scheidungsurteils voraussieht, bejaht werden. Indessen darf aber auch eine geschmeidige Auslegung nicht dazu dienen, vom Scheidungsrichter getroffene Entscheidungen in Wiedererwägung zu ziehen oder unglücklich ausgefallene Urteile zu korrigieren.
Art. 157 ZGB
kann nicht zu einer revisio in iure Anlass geben. Nicht bloss die Rechtssicherheit, sondern auch die Entwicklung der Kinder, die durch derartige Prozesse notgedrungen gestört wird, verlangen, dass einer Abänderungsklage nur stattgegeben wird, falls sich die Sachlage wesentlich anders darbietet als im Zeitpunkt des Scheidungsurteils.
2.
Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt wies das Begehren der Beklagten ab, wonach die Kinder in Abänderung des Scheidungsurteils dem Kläger entzogen und ihr zugeteilt werden sollten. Dem Urteil, das sich auf die psychiatrischen Gutachten stützt, die vom Zivilgericht in diesem Verfahren eingeholt wurden, ist in tatsächlicher Hinsicht zu entnehmen, der Kampf zwischen den Eltern um die Kinder habe letztere in schwerste Loyalitätskonflikte gestürzt. Die Kinder litten deshalb unter erheblichen psychischen Störungen. Eine
BGE 100 II 76 S. 79
Beruhigung sei erst in letzter Zeit eingetreten, seit die Beklagte das Besuchsrecht nur noch selten ausüben könne. Die Kinder ständen mit der Beklagten heute nicht mehr in engem Kontakt. Würden sie der Beklagten zugewiesen, so entstünden neue Schwierigkeiten und die Kinder würden wieder beunruhigt.
Das Bundesgericht ist an diese tatsächlichen Feststellungen der ersten Instanz, die sich das Appellationsgericht zu eigen machte, im Berufungsverfahren gemäss
Art. 63 Abs. 2 OG
gebunden, es sei denn, sie wären unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen oder beruhten offensichtlich auf Versehen. Einen solchen Mangel weisen aber die Feststellungen der Vorinstanzen nicht auf. Die Beklagte macht das auch nicht geltend. Das Bundesgericht hat infolgedessen seinem Urteil diese tatsächlichen Feststellungen zugrunde zu legen.
a) Wie bereits dargelegt, ist einem Begehren um Abänderung des Scheidungsurteils nur stattzugeben, falls die Verhältnisse sich derart geändert haben, dass sich eine andere Entscheidung zwingend aufdrängt. Dem angefochtenen Urteil und den psychiatrischen Gutachten, auf welche das Urteil verweist, ist zu entnehmen, dass sich die Kinder in letzter Zeit beruhigt haben. Sollten die Kinder der gewohnten Umgebung entrissen werden, so würden sie gemäss den Feststellungen im angefochtenen Urteil psychisch Schaden nehmen. Das Interesse der Kinder verlangt demnach geradezu, dass sie beim Vater belassen werden. Die Vorinstanzen haben das Begehren der Beklagten um Zuteilung der Kinder demnach zu Recht abgewiesen. Inwiefern sie dadurch Bundesrecht, insbesondere
Art. 157 ZGB
, verletzt haben sollen, ist nicht ersichtlich und ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen der Beklagten. Diese richten sich vorwiegend gegen die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, was unzulässig ist (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
); im übrigen versucht die Beklagte mit ihren Vorbringen, das Scheidungsurteil in Wiedererwägung zu ziehen. Dass sich die Verhältnisse seit der Scheidung derart veränderten, dass sich eine Umteilung der Kinder in deren Interesse aufdrängen würde, kann den Ausführungen der Beklagten jedenfalls nicht entnommen werden. Die Berufung ist in diesem Punkte infolgedessen unbegründet.
b) Die Beklagte verlangt im weitern, dass sie von der Verpflichtung,
BGE 100 II 76 S. 80
an ihre Kinder Unterhaltsbeiträge zu entrichten, befreit werde. Diesen Antrag stellte sie, soweit aus den Akten ersichtlich ist, im kantonalen Verfahren noch nicht. Es handelt sich demnach um ein neues Begehren, auf welches das Bundesgericht im Berufungsverfahren gemäss
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
nicht eintreten kann. Der Antrag könnte aber auch aus materiellen Gründen nicht geschützt werden, denn die Beklagte hat auch zu diesem Punkte nicht nachgewiesen, dass sich seit der Ausfällung des Scheidungsurteils die Verhältnisse derart verändert haben, dass sich eine Abänderung aufdrängen würde.
3.
Die Beklagte beantragt, dass ihr das Besuchsrecht im bisherigen Umfang gewahrt bleibe, falls ihr die Kinder nicht zugesprochen werden. Die Vorinstanzen hatten ihr Besuchsrecht eingeschränkt. Sie bejahten damit indirekt, dass seit der Ausfällung des Scheidungsurteils eine Änderung in den Verhältnissen eingetreten ist, die eine Abänderung des Besuchsrechtes aufdrängt.
Der Experte Züblin, auf dessen Ausführungen die kantonalen Instanzen im Detail verweisen und die das Bundesgericht bei seiner Entscheidung demnach berücksichtigen darf, gelangte nach einer gründlichen Untersuchung zum Schluss, alle Kinder seien psychisch eindeutig schwer gestört; gegenwärtig lebten sie in einem bekömmlichen Milieu; sie seien aber auch heute noch durch die ganze Scheidungsangelegenheit schwer belastet; die schwere neurotische Charakterentwicklung, die sie durchgemacht hätten, beeinträchtige ihre Beziehungsfähigkeit ganz allgemein noch auf lange Zeit, wenn nicht für immer. Die Kinder selbst seien der Ansicht, dass das Scheidungsurteil zu häufige Besuche der Mutter vorsehe. Durch die neu aufgenommenen Besuche der Mutter sei erwiesen, dass der Kontakt mit der Mutter die Scheidungssituation in gefährlicher Weise aktualisiere. Es sei damit zu rechnen, dass jeder Besuch zu einer zusätzlichen und schädlichen Spannung bei den Kindern führe, die gefährlich werde, wenn sie zu häufig eintrete.
Aus dem psychiatrischen Gutachten ergibt sich somit, dass die psychisch bereits schwer geschädigten Kinder durch relativ häufige Besuche der Mutter in ihrem psychischen Gleichgewicht, das noch sehr labil ist, gefährdet werden. Diese Entwicklung wurde vom Scheidungsrichter nicht vorausgesehen.
BGE 100 II 76 S. 81
Sie steht in wesentlichem Gegensatz zu der Prognose, die zur bisherigen Regelung führte. Obwohl nicht von einer eigentlichen Änderung in den Verhältnissen gesprochen werden kann, sondern lediglich ursprüngliche Prognose und tatsächliche Entwicklung wesentlich auseinanderklaffen, liegen heute dennoch Verhältnisse vor, die eine Abänderung des Scheidungsurteils im Interesse der Kinder aufdrängen. Den kantonalen Instanzen kann daher keine Verletzung von Bundesrecht vorgeworfen werden, wenn sie die Voraussetzungen des
Art. 157 ZGB
zur Abänderung des Scheidungsurteils als gegeben erachteten.
4.
Der Ehegatte, dem die Kinder entzogen werden, hat ein Recht auf angemessenen persönlichen Verkehr mit diesen (
Art. 156 Abs. 3 ZGB
). Die nähere Ausgestaltung des Besuchsrechtes soll dem Kindeswohl angepasst sein. Um zu vermeiden, dass das Kind zwischen seinen Eltern hin- und hergerissen und dadurch verunsichert wird, ist das Besuchsrecht mit Zurückhaltung zu gewähren. Das Besuchsrecht, das dem nicht gewalthabenden Elternteil um seiner Persönlichkeit willen zusteht, darf diesem indessen nur ganz abgesprochen werden, falls sein Interesse an der Ausübung des Besuchsrechtes in klarem Widerspruch zu den Interessen der Kinder steht und keine die Interessen der Kinder wahrende Besuchsordnung getroffen werden kann (vgl. hiezu
BGE 89 II 4
ff., insbesondere 9). Bei der Festsetzung des Besuchsrechtes steht dem Richter ein weiter Ermessensspielraum zu, der ihm eine Entscheidung ermöglichen soll, die dem Einzelfall gerecht zu werden vermag. Das Bundesgericht übt bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen Zurückhaltung und schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz bei ihrer Entscheidung Umstände berücksichtigt hat, die nach dem Sinne des Gesetzes keine Rolle spielen dürfen, oder wenn sie wesentliche Gesichtspunkte ausser acht gelassen hat (vgl.
BGE 83 II 361
).
a) Die Vorinstanz schränkte das Besuchsrecht der Beklagten einmal in der Weise ein, dass diese die Kinder bloss noch alle zwei Monate an einem Tag und zudem jeweils am 26. Dezember besuchen kann. Eine solche Regelung erscheint gegenüber dem sonst üblicherweise zugestandenen Besuchsrecht von einem Tag pro Monat und zwei Wochen Ferien sehr eingeschränkt. Aufgrund der Ausführungen im Gutachten kann es mdessen keinem Zweifel unterliegen, dass sich eine
BGE 100 II 76 S. 82
sehr zurückhaltende Regelung des Besuchsrechtes im Interesse der Kinder aufdrängt. Unter diesen Umständen kann jedenfalls nicht gesagt werden, die Vorinstanzen hätten durch die getroffene Einschränkung des Besuchsrechtes das ihnen nach
Art. 156 ZGB
zustehende Ermessen überschritten.
b) Die Vorinstanzen räumten den Kindern sodann die Befugnis ein, nach Vollendung des 14. Altersjahres die Mutter nach ihrem Willen zu besuchen.
Gemäss
Art. 156 ZGB
hat der Richter die nötigen Verfügungen über die persönlichen Beziehungen der Eltern zu den Kindern zu treffen. Der Richter hat mfolgedessen das Besuchsrecht dem Grundsatz und auch dem Umfange nach selbst zu ordnen (Urteil des Bundesgerichtes vom 7. Februar 1974 i.S. Haag c. Rast,
BGE 100 II 4
Erw. 1). Das Bundesgericht lehnte bereits im Entscheid
BGE 61 II 215
/216 eine Regelung ab, die es einem 17-jährigen Sohn und seinem Vater, dem die elterliche Gewalt nicht zugesprochen worden war, freistellte, das Besuchsrecht über ein fixiertes Minimum hinaus zu erweitern, weil diese Anordnung nicht berücksichtigte, dass die Ausübung des Besuchsrechtes immer eine Einschränkung der elterlichen Gewalt des andern Elternteils mit sich bringt und dieser demnach berechtigt ist, unter Berufung auf seine elterliche Gewalt einem nicht fixierten Besuchsrecht des von der elterlichen Gewalt ausgeschlossenen Elternteils entgegenzutreten. Zudem erklärte es in jenem Entscheid, auf die Einstellung des Kindes, auch eines bald mündigen, zum Besuchsrecht komme nichts an, weil das Urteil nicht über eine Verpflichtung des Kindes entscheide.
Entgegen den damaligen Auffassungen dürfte es heute wohl nicht mehr angebracht sein, den Wünschen von Kindern, die beinahe erwachsen sind, bei der Regelung des Besuchsrechtes überhaupt nicht Rechnung zu tragen. Die Vorinstanzen räumten den Kindern aber sogar die uneingeschränkte Befugnis ein, ab dem 14. Altersjahr über das Besuchsrecht selbst zu entscheiden. Die Eltern wären demnach den Entscheidungen der Kinder machtlos ausgeliefert; der Vater müsste jeden Besuch dulden, während die Mutter selbst keinen Anspruch mehr hätte, die Kinder zu besuchen.
Diese Anordnung mag aus der Sicht des Psychiaters wünschenswert erscheinen. Denn erzwungene Besuche, gegen die sich die Kinder sträuben, können Anlass zu weitern psychischen
BGE 100 II 76 S. 83
Schwierigkeiten bieten und dem ohnehin labilen seelischen Gleichgewicht der Kinder abträglich sein. Doch birgt diese Regelung allzu grosse Gefahren in sich. Es ist wohl zuzugeben, dass sich Kinder heute allgemein grosser Freiheit erfreuen und Entscheide zu treffen haben, die bis vor kurzem einem Kinde niemals zugemutet wurden. Die von den Vorinstanzen angeordnete Regelung dürfte die Kinder mdessen überfordern. Von der Ausübung des Besuchsrechtes wird nämlich das künftige Verhältnis der Kinder zur Mutter abhängen. Für die Kinder handelt es sich demnach um Entscheidungen von besonderer Tragweite. Die Kinder sind nun aber kaum in der Lage, jeweils entgegen momentanen Neigungen und Versuchungen ihre langfristigen Interessen zu wahren. Zweifellos ist es der Entwicklung der Kinder weniger abträglich und insbesondere wird der bereits bestehende Loyalitätskonflikt weniger vertieft, falls sie sich einer festen Besuchsordnung zu unterziehen haben, als wenn sie jeweils selbst entscheiden müssen, ob sie gegen den vermuteten Willen des Vaters die Mutter besuchen wollen. Schliesslich dürfte die von den Vorinstanzen vorgeschlagene Lösung den Kindern wohl kaum die vorgesehene Freiheit verschaffen, sondern in Anbetracht des erbitterten Kampfes, den sich die Eltern liefern, sie eher dem Drucke der Eltern und allenfalls auch der andern Kinder aussetzen. Die Folge wäre, dass sie noch mehr in den Kampf der Eltern hineingezogen würden, was notgedrungen wieder zu einer Aktualisierung der Scheidungssituation führen müsste. Die von den Vorinstanzen getroffene Anordnung wird daher den Kindesinteressen eindeutig nicht gerecht.
Die Regelung im vorinstanzlichen Urteil würde aber auch das Recht der Mutter auf angemessenen Verkehr mit den Kindern verletzen. Sie würde wahrscheinlich dazu führen, dass die Kinder ab dem 14. Altersjahr die Mutter überhaupt nicht mehr besuchen würden. Eine gänzliche Unterdrückung des Besuchsrechtes oder eine Regelung, die eine ähnliche Wirkung zeitigt, darf aber nur zugelassen werden, falls das Kindesinteresse dies zwingend gebietet und keine die Kindesinteressen wahrende Besuchsordnung gefunden werden kann. Wie sich dem psychiatrischen Gutachten entnehmen lässt, liegt es im Interesse der Kinder, dass sie in angemessenen Zeitabständen mit der Mutter zusammentreffen. Indem die Vorinstanzen eine Regelung trafen, welche die Gefahr in sich birgt, einerseits
BGE 100 II 76 S. 84
die Scheidungssituation wieder zu aktivieren und anderseits das Besuchsrecht der Beklagten überhaupt zu unterbinden, verstiessen sie nicht bloss gegen das Recht der Beklagten auf angemessenen Verkehr mit den Kindern, sondern auch gegen die Interessen der Kinder selbst. Die Anordnung, wonach die Kinder ab dem 14. Altersjahr nach ihrem Willen entscheiden können, ob sie die Mutter besuchen wollen, ist deshalb als bundesrechtswidrig aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
582718a7-660c-407a-9696-9e9cd088c190 | Urteilskopf
135 III 92
13. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. und C. Versicherungs Gesellschaft (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_372/2008 vom 11. November 2008 | Regeste
Internationales Privatrecht; Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht.
Auslegung des Begriffs der Unfallbeteiligung im Sinne von Art. 4 lit. a und b des Übereinkommens (E. 3.2). | Sachverhalt
ab Seite 92
BGE 135 III 92 S. 92
A.
B. (Beschwerdegegner) ist Halter des Fahrzeuges Mercedes Benz C 180 mit dem Kennzeichen ZG x. Sein Bruder A. (Beschwerdeführer) lenkte das vorerwähnte Fahrzeug in der Nacht vom 16. auf den 17. August 2000 in der Nähe von D. in Nordostbosnien. In einer Linkskurve verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug. Er kam nach der Kurve von der Strasse ab und prallte gegen die Wand eines Bauernhauses.
B.
Am 6. Dezember 2005 reichte der Beschwerdeführer gegen den Beschwerdegegner und dessen obligatorische Haftpflichtversicherung, die C. Versicherungs Gesellschaft (Beschwerdegegnerin), beim Kantonsgericht Zug Klage ein mit dem Begehren, sie solidarisch zu verpflichten, ihm einen Betrag nach freiem richterlichem
BGE 135 III 92 S. 93
Ermessen zu bezahlen. Den Streitwert bezifferte er auf Fr. 200'000.-. Zur Begründung führte er insbesondere aus, er sei von einem entgegenkommenden Fahrzeug, bei dem das Fernlicht eingeschaltet gewesen sei, geblendet worden. In einer Panikreaktion habe er das Steuer herumgerissen, wobei sein Fahrzeug ins Schleudern geraten und von der Strasse abgekommen sei. Während die drei Mitfahrer nur leichte Verletzungen erlitten hätten, sei er in schwerster Weise in seiner körperlichen Integrität beeinträchtigt worden und seit dem Unfall auf den Rollstuhl angewiesen. Das Kantonsgericht wies die Klage am 2. April 2007 infolge fehlender Passivlegitimation der Beschwerdegegner ab.
Gegen dieses Urteil gelangte der Beschwerdeführer mit kantonaler Berufung an das Obergericht des Kantons Zug. Er begehrte, in Aufhebung des angefochtenen Urteils seien die Beschwerdegegner zu verpflichten, ihm einen Betrag nach freiem richterlichem Ermessen zu bezahlen. Der Streitwert betrage Fr. 200'000.-. Eventuell sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem sei Vormerk zu nehmen, dass es sich um eine Teilklage handle. Das Obergericht wies am 10. Juni 2008 die Berufung ab und bestätigte das Urteil des Kantonsgerichts. Es hielt mit dem Kantonsgericht dafür, dass die vorliegende Streitigkeit gemäss
Art. 134 IPRG
i.V.m. Art. 3 des Haager Übereinkommens vom 4. Mai 1971 über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht nach innerstaatlichem Recht von Bosnien-Herzegowina zu beurteilen sei. Nach bosnisch-herzegowinischem Recht trete die Haftung der Person, der das Fahrzeug anvertraut wurde, vollständig an die Stelle der Haftung des Fahrzeughalters. Der Beschwerdeführer habe demnach den von ihm geltend gemachten selbst erlittenen Schaden alleine zu tragen und die Beschwerdegegner seien diesbezüglich nicht passivlegitimiert.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des Urteils des Obergerichts vom 10. Juni 2008. Die Beschwerdegegner seien zu verpflichten, ihm bei einem Streitwert von Fr. 200'000.- einen Betrag nach freiem richterlichem Ermessen zu bezahlen. Eventuell sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese ein Beweisverfahren vor dem Kantonsgericht anordne. Es sei Vormerk zu nehmen, dass es sich um eine Teilklage handle.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
BGE 135 III 92 S. 94
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
(...)
3.1
Das anwendbare Recht, dem die geltend gemachten Ansprüche des Beschwerdeführers aus dem Strassenverkehrsunfall in Bosnien- Herzegowina unterstehen, richtet sich gemäss
Art. 134 IPRG
(SR 291) nach dem Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (SR 0.741.31; im Folgenden: SVÜ).
Art. 3 SVÜ erklärt grundsätzlich das Recht jenes Staates für anwendbar, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat. Neben dieser Grundsatzanknüpfung enthalten die Art. 4 ff. SVÜ Sonderanknüpfungen. Nach Art. 4 lit. a SVÜ ist insbesondere auf die Haftung gegenüber dem Fahrzeughalter das Recht des Zulassungsstaates anzuwenden, wenn nur ein Fahrzeug an dem Unfall beteiligt und dieses Fahrzeug in einem anderen als dem Staat zugelassen ist, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat. Sind mehrere Fahrzeuge an dem Unfall beteiligt und alle Fahrzeuge im selben Staat zugelassen, gelangt ebenso das Recht des Zulassungsstaates zur Anwendung (Art. 4 lit. b SVÜ).
3.2
Der Beschwerdeführer bringt vor, entgegen der Auffassung der Vorinstanz sei nur das von ihm gelenkte Fahrzeug und nicht auch das entgegenkommende am Unfall beteiligt gewesen. Die Vorinstanz hätte somit seine Ansprüche gegenüber den Beschwerdegegnern in Anwendung von Art. 4 lit. a SVÜ nach Schweizer Recht beurteilen müssen.
3.2.1
Zur Auslegung des Begriffs der Unfallbeteiligung im Sinne von Art. 4 lit. a und b SVÜ ist zunächst der Wortlaut der englischen und französischen Originalfassungen zu konsultieren. Der englische Vertragstext verwendet in Art. 4 lit. a und b SVÜ den Begriff "involved" und der französische Text den Begriff "impliqué". Während "involved" kein schuldhaftes Mitwirken am Unfallgeschehen voraussetzt, kann dem Begriff "impliqué" zusätzlich auch die Bedeutung der schuldhaften Verursachung zukommen (ERIC W. ESSEN, Rapport explicatif, Conférence de La Haye de droit international privé, Actes et documents de la onzième session, 7 au 26 octobre 1968, Bd. III, Accidents de la circulation routière, 1970, Ziff. 7.1 f. zu Art. 4 SVÜ). In Art. 4 lit. a und b SVÜ ist der Begriff "impliqué" jedoch einzig in seiner objektiv neutralen Bedeutung zu verstehen, ohne dass darin eine Form von Schuldzuweisung zum Ausdruck
BGE 135 III 92 S. 95
käme (ESSEN, a.a.O., Ziff. 7.1 f. zu Art. 4 SVÜ; Botschaft vom 24. Oktober 1984 betreffend das Haager Übereinkommen über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht, BBl 1984 III 915 ff., 924; DUTOIT, Commentaire de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 4. Aufl. 2005, N. 12 zu
Art. 134 IPRG
; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. II: Haftpflicht und Versicherung, 1988, N. 1945; VOLKEN, in: Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 2004, N. 77 zu
Art. 134 IPRG
). Der Begriff der Unfallbeteiligung im Sinne von Art. 4 lit. a und b SVÜ ist in einem weiten Sinn auszulegen (BBl 1984 III 924; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, a.a.O., N. 1945). Jede Mitwirkung am Unfallgeschehen gilt in Bezug auf die Fahrzeuge als Beteiligung, das heisst, beteiligt im Sinne von Art. 4 lit. a und b SVÜ sind alle in den Unfall aktiv oder passiv verwickelten Fahrzeuge (MARTIN METZLER, Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung: Eine Übersicht zur internationalen Schadenregulierung, in: Haftpflicht- und Versicherungsrechtstagung 2003, Alfred Koller [Hrsg.], S. 175; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, a.a.O., N. 1945; VOLKEN, a.a.O., N. 91 zu
Art. 134 IPRG
). Zum Begriff der Unfallbeteiligung im Sinne von Art. 4 lit. a und b SVÜ kann auch die Rechtsprechung und Lehre zu
Art. 51 SVG
beigezogen werden (SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, a.a.O., N. 1945; VOLKEN, a.a.O., N. 77 zu
Art. 134 IPRG
; vgl. auch ESSEN, a.a.O., Ziff. 7.1 zu Art. 4 SVÜ), wonach an einem Unfall nicht nur als beteiligt gilt, wer einen Fehler begangen oder den Unfall direkt verursacht bzw. dazu beigetragen hat, sondern ebenso, wer in anderer Weise, auch nur indirekt, beim Zustandekommen des Unfalls mitgewirkt hat oder aufgrund der Umstände annehmen musste, als Unfallverursacher in Frage zu kommen (Urteil 6S.275/1995 vom 22. August 1995 E. 3b/aa, in: Pra 85/1996 Nr. 177 S. 647 ff.;
BGE 83 IV 46
E. 2), so zum Beispiel durch Blenden oder Erschrecken eines am Unfall direkt Beteiligten (GIGER, Strassenverkehrsgesetz, 6. Aufl. 2002, N. 2 zu
Art. 51 SVG
).
3.2.2
Die Vorinstanz hat demnach zu Recht das Vorliegen eines Selbstunfalles verneint und das entgegenkommende Fahrzeug als beteiligt im Sinne von Art. 4 lit. a und b SVÜ betrachtet. Wie sie in tatbeständlicher Hinsicht feststellte, wurde der Unfall nicht ausschliesslich durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers verursacht, sondern hat das entgegenkommende Fahrzeug am Unfall durch das Blenden mitgewirkt. Als den Unfall mitverursachendes Fahrzeug ist dieses daher in den Unfall verwickelt. Dass es dabei nicht zu einem Zusammenstoss resp. nicht einmal zu einem
BGE 135 III 92 S. 96
Berühren der beiden Fahrzeuge kam, ändert nach der oben dargelegten Auslegung nichts daran.
Soweit der Beschwerdeführer bei seinen rechtlichen Vorbringen zur Anwendung von Art. 4 lit. a SVÜ davon ausgeht, dass einzig sein Fahrfehler für den Unfall ursächlich gewesen sei und das entgegenkommende Fahrzeug bloss ein untergeordnetes und zufälliges Moment dargestellt habe, ist er nicht zu hören. Denn er legt damit seinen Ausführungen einen Sachverhalt zugrunde, der nicht den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz entspricht und auch aufgrund seiner erhobenen Sachverhaltsrüge nicht entsprechend korrigiert worden ist (vgl. nicht publ. E. 2;
BGE 130 III 102
E. 2.2 S. 106;
BGE 127 III 248
E. 2c;
BGE 115 II 484
E. 2a). Dies gilt insbesondere, wenn er sich auf den österreichischen Obersten Gerichtshof beruft, der in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass der Ausdruck "beteiligt" in Art. 4 lit. a und b SVÜ im objektiven, weiteren Sinn dahingehend zu verstehen sei, dass das Fahrzeug beim Unfall eine aktive oder passive, aber nicht bloss eine zufällige Rolle gespielt habe (Urteile des OGH 2Ob314/97h vom 2. September 1999; 2Ob48/93 vom 16. September 1993; 2Ob59/89 vom 14. November 1989). Der Beschwerdeführer verkennt dabei, dass vorliegend in tatbeständlicher Hinsicht feststeht, dass das entgegenkommende, blendende Fahrzeug nicht bloss eine untergeordnete, rein zufällige Rolle gespielt hat.
Unerheblich sind zudem die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Rechtslage vor der Ratifizierung des SVÜ sowie zum Umstand, dass sich die Schweiz als Sozialstaat mit dem Beschwerdeführer finanziell auseinandersetzen müsse. Ebenso nicht stichhaltig sind seine Vorbringen zum Gutachten des Instituts für Rechtsvergleichung. Er verkennt, dass das Institut für Rechtsvergleichung nicht die Frage des anwendbaren Rechts, sondern einzig die Frage der Haftung nach bosnisch-herzegowinischem Recht darzustellen hatte. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
582bc9a7-cdb9-4d93-baa3-4ea80a63d3f3 | Urteilskopf
134 II 124
12. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Steuerverwaltung des Kantons Schwyz gegen X. AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_583/2007 vom 6. März 2008 | Regeste
Art. 9 BV
, Art. 89 Abs. 2 lit. d, Art. 90, 93 Abs. 1 lit. a und
Art. 95 lit. a BGG
sowie
Art. 12 und 73 StHG
; kantonalrechtliche, das Steuerharmonisierungsgesetz ergänzende Regelung der bei der Grundstückgewinnsteuer massgeblichen Besitzesdauer.
Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen Steuerentscheid, mit dem die Streitsache an die untere Instanz zurückgewiesen wird (E. 1).
Die kantonale Steuerverwaltung ist gemäss der entsprechenden Legitimationsbestimmung im Steuerharmonisierungsgesetz zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt, und zwar unabhängig davon, ob es um eine vom Steuerharmonisierungsgesetz abschliessend geregelte Frage oder um eine solche geht, in der den Kantonen ein gewisser Gestaltungsspielraum verbleibt (E. 2).
Die zur Beschwerde berechtigte Behörde kann, im Rahmen ihres Aufgabenbereichs, jede Rechtsverletzung geltend machen, die mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gerügt werden kann, mithin auch eine Verletzung von Bundesverfassungsrecht und insbesondere des Willkürverbots (E. 3).
Prüfung der Auslegung einer kantonalen übergangsrechtlichen Ordnung zur Berechnung der für die Grundstückgewinnsteuer massgeblichen Besitzesdauer auf Willkür hin (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 125
BGE 134 II 124 S. 125
Am 23. Januar 1961 erwarb die K. AG drei Liegenschaften auf dem Gebiet der schwyzerischen Gemeinde I. (Grundbuchblätter GB xx1 und xx2 sowie xx3). Am 25. Januar 2000 änderte die Gesellschaft ihren Namen auf H. AG und wurde von der C. AG (U.) übernommen. In weiteren Schritten wurde die H. AG ohne Liquidation aufgelöst, während die C. AG in die Z. AG umfirmiert wurde. Die drei Liegenschaften in I. gelangten dadurch ins Eigentum der Z. AG. Am 6. April 2004 löste die Generalversammlung die Z. AG (U.) infolge Fusion mit der X. AG in W. auf. Noch vor der Fusion veräusserte die Z. AG die drei Liegenschaften in I.
Am 30. Juli 2003 verkaufte sie das Grundstück GB xx2. Mit Verfügung vom 25. März 2004 ging die kantonale Steuerverwaltung Schwyz dafür von einer massgeblichen Besitzesdauer seit dem 25.
BGE 134 II 124 S. 126
Januar 2000 aus und ermittelte einen Grundstückgewinn von Fr. 33'450.-, den sie mit einer Grundstückgewinnsteuer von Fr. 6'680.- veranlagte.
Ebenfalls am 30. Juli 2003 verkaufte die Z. AG die Liegenschaft GB xx1. Auch für diesen Verkauf ging die kantonale Steuerverwaltung von einer massgeblichen Besitzesdauer seit dem 25. Januar 2000 aus. Bei einem berechneten Grundstückgewinn von Fr. 9'300.- veranlagte sie die Z. AG am 25. März 2004 zu einer Grundstückgewinnsteuer von Fr. 2'709.-.
Mit Vertrag vom 2. Juli 2003 bzw. 21. Juli 2004 veräusserte die Z. AG bzw. ihre Rechtsnachfolgerin X. AG die Liegenschaft GB xx3. Für diesen Landverkauf ermittelte die kantonale Steuerverwaltung am 5. Oktober 2004 einen Grundstückgewinn von Fr. 2'240'000.-, den sie, erneut ausgehend von einer massgeblichen Besitzesdauer seit dem 25. Januar 2000, mit einer Grundstückgewinnsteuer von Fr. 667'710.- veranlagte.
Gegen alle Veranlagungsverfügungen wurde Einsprache erhoben. Mit Entscheid vom 28. März 2007 vereinigte die kantonale Steuerkommission Schwyz die drei Einsprachen und wies sie ab.
Am 23. August 2007 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz eine dagegen erhobene Beschwerde der X. AG gut, hob den Einspracheentscheid vom 28. März 2007 auf und wies die Sache im Sinne der Erwägungen an die Steuerkommission Schwyz zurück, damit diese die geschuldeten Grundstückgewinnsteuern auf der Grundlage einer anrechenbaren Besitzesdauer von über 25 Jahren neu ermitteln könne.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 19. Oktober 2007 an das Bundesgericht beantragt die kantonale Steuerverwaltung Schwyz, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. August 2007 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an dieses zurückzuweisen.
Die X. AG schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht und die Eidgenössische Steuerverwaltung haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Im Streit stehen drei Veranlagungen für Grundstückgewinnsteuern gemäss den §§ 104 ff. des Steuergesetzes des Kantons Schwyz
BGE 134 II 124 S. 127
vom 9. Februar 2000 (StG/SZ) für Landverkäufe der Beschwerdegegnerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin in den Jahren 2003 und 2004. Strittig ist die für die Bemessung der Grundstückgewinnsteuern anrechenbare Besitzesdauer. Das Verwaltungsgericht gelangte in Auslegung der übergangsrechtlichen Bestimmungen des Steuergesetzes, insbesondere von
§ 247 StG
/SZ, zum Ergebnis, die Fusion vom 25. Januar 2000 sei für die Berechnung der Besitzesdauer unbeachtlich, weshalb auf den 23. Januar 1961 abzustellen sei. Demgegenüber ist die beschwerdeführende kantonale Steuerverwaltung der Auffassung, die Besitzesdauer habe am 25. Januar 2000 zu laufen begonnen. Unbestritten ist, dass die späteren Umstrukturierungen nach
§ 107 lit. e StG
/SZ steueraufschiebende Wirkung entfalteten.
1.2
Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid einer letzten kantonalen Instanz in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Eine Ausnahme gemäss
Art. 83 BGG
liegt nicht vor. Im Hinblick auf die Vorinstanz und den Streitgegenstand erweist sich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten damit grundsätzlich als zulässig (vgl.
Art. 82 lit. a und
Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG
).
1.3
Nach
Art. 90 BGG
steht die Beschwerde an das Bundesgericht offen gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Endentscheide). Angefochten ist hier ein Rückweisungsentscheid. Solche sind grundsätzlich Zwischenentscheide, gegen die nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 oder 93 BGG beim Bundesgericht Beschwerde erhoben werden kann, selbst wenn damit über materielle Teilaspekte der Streitsache entschieden wird (vgl.
BGE 133 V 477
E. 4.2 und 4.3 S. 481 f.;
BGE 132 III 785
E. 3.2 S. 790). Wenn jedoch der unteren Instanz, an welche die Sache zurückgewiesen wird, kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt und die Rückweisung nur noch der (rechnerischen) Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient, handelt es sich in Wirklichkeit um einen Endentscheid (Urteil des Bundesgerichts 9C_684/2007 vom 27. Dezember 2007, E. 1.1; vgl. auch FELIX UHLMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N. 9 zu
Art. 90 BGG
).
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Angelegenheit an die Steuerkommission Schwyz zurückgewiesen zur neuen Ermittlung der Grundstückgewinnsteuer auf der Grundlage einer anrechenbaren Besitzesdauer von über 25 Jahren. Dabei hat sich diese in erster Linie mit rein rechnerischen Fragen zu befassen, zu deren Beantwortung kein Beurteilungsspielraum verbleibt. Das angefochtene Urteil ist daher als Endentscheid zu behandeln.
BGE 134 II 124 S. 128
Abgesehen davon wäre nach
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
ausnahmsweise die Beschwerde gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt ein solcher irreversibler Nachteil unter anderem dann vor, wenn die beschwerdeführende Behörde einen neuen Entscheid fällen muss, den sie in der Folge nicht weiterziehen könnte (vgl. dazu
BGE 133 II 409
E. 1.2 S. 412;
BGE 133 V 477
E. 5.2 S. 483 ff.). Auch diese Voraussetzung wäre vorliegend erfüllt.
2.
2.1
Die beschwerdeführende kantonale Steuerverwaltung behauptet nicht, der Kanton Schwyz sei wie ein Privater betroffen, und sie leitet ihre Beschwerdeberechtigung folgerichtig nicht aus
Art. 89 Abs. 1 BGG
ab. Es erscheint denn auch ausgeschlossen, den Staat als Steuergläubiger einem Privaten gleichzustellen. Das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung verschafft keine Beschwerdebefugnis im Sinne dieser Regelung; insbesondere ist die im Rechtsmittelverfahren unterlegene Behörde nicht ohne weiteres berechtigt, gegen den sie desavouierenden Entscheid an das Bundesgericht zu gelangen (
BGE 131 II 58
E. 1.3 S. 62;
BGE 127 II 31
E. 2e S. 38 mit Hinweisen). Zur Begründung des allgemeinen Beschwerderechts genügt namentlich nicht jedes beliebige, mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe direkt oder indirekt verbundene finanzielle Interesse des Gemeinwesens (
BGE 133 II 400
E. 2.4.2 S. 407;
BGE 133 V 188
E. 4.4.2 S. 194;
BGE 131 II 58
E. 1.3 S. 62; vgl. nunmehr auch
BGE 134 II 45
E. 2.2.1).
2.2
Die beschwerdeführende Steuerverwaltung beruft sich hingegen auf
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
. Danach sind zur Beschwerde berechtigt Personen, Organisationen und Behörden, denen ein anderes Bundesgesetz dieses Recht einräumt.
2.3
Gemäss Art. 73 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (Steuerharmonisierungsgesetz, StHG; SR 642.14) unterliegen Entscheide der letzten kantonalen Instanz, die eine in den Titeln 2-5 und 6 Kapitel 1 geregelte Materie betreffen, nach Massgabe des Bundesgerichtsgesetzes der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Beschwerdeberechtigt sind nach
Art. 73 Abs. 2 StHG
die Steuerpflichtigen, die nach kantonalem Recht zuständige Behörde und die Eidgenössische
BGE 134 II 124 S. 129
Steuerverwaltung.
Art. 73 Abs. 2 StHG
bildet grundsätzlich einen Anwendungsfall von
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
(vgl. BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N. 68 zu
Art. 89 BGG
).
§ 168 StG
/SZ bezeichnet die Veranlagungsbehörde als zuständige kantonale Behörde. Nach
§ 124 Abs. 1 StG
/SZ handelt es sich dabei um die kantonale Steuerverwaltung.
2.4
Art. 12 StHG
regelt die Besteuerung der Grundstückgewinne durch die Kantone. Die Bestimmung befindet sich im Zweiten Titel des Steuerharmonisierungsgesetzes, der die Vorschriften zur Vereinheitlichung der Steuern der natürlichen Personen enthält. Sie fällt damit in den Anwendungsbereich von
Art. 73 StHG
. Allerdings macht das beschwerdeführende Amt nicht eine Verletzung des Steuerharmonisierungsgesetzes geltend, sondern eine willkürliche Auslegung und Anwendung des ergänzenden kantonalen Steuerrechts. Es fragt sich, ob es dazu berechtigt ist.
2.5
Unter der Geltung des alten Verfahrensrechts (Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege [OG; BS 3 S. 531]) ging das Bundesgericht - übrigens in einem eine Grundstückgewinnsteuer betreffenden Fall - davon aus, dass es für die Frage der Legitimation nach
Art. 73 StHG
keine Rolle spiele, ob sich die Streitsache auf den Bereich abschliessender bundesrechtlicher Regelungen beziehe oder den Kantonen im Rahmen des harmonisierten Rechts Freiräume verblieben seien (
BGE 130 II 202
E. 1 S. 204). Allerdings beschränkte das Bundesgericht trotz Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde seine Prüfungsbefugnis gemäss den für die staatsrechtliche Beschwerde geltenden Grundsätzen, soweit der Bundesgesetzgeber dem kantonalen Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum einräumte (
BGE 130 II 202
E. 3.1 S. 206). Da die kantonale Steuerverwaltung zur staatsrechtlichen Beschwerde jedoch nicht legitimiert war, entfiel für sie die Möglichkeit, insoweit selbst Beschwerde zu führen (
BGE 131 II 710
E. 1.2 S. 713).
2.6
Neurechtlich ist die Unterscheidung von Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtlicher Beschwerde weggefallen bzw. sind die Funktionen der beiden Rechtsmittel weitgehend in der neuen Einheitsbeschwerde vereinigt.
2.6.1
Im öffentlichen Recht dient die Behördenbeschwerde an das Bundesgericht grundsätzlich dazu, die einheitliche und richtige Anwendung des Bundes(verwaltungs)rechts sicherzustellen (vgl. ETIENNE POLTIER, Le recours en matière de droit public, in: La nouvelle loi sur
BGE 134 II 124 S. 130
le Tribunal fédéral, Urs Portmann [Hrsg.], Lausanne 2007, S. 160 f.; WALDMANN, a.a.O., N. 47 zu
Art. 89 BGG
; BBl 2001 S. 4330). In
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
wird dieser enge Konnex zwischen Legitimation und Beschwerdegrund bei der allgemeinen Behördenbeschwerde ausdrücklich verlangt, indem die Beschwerdeberechtigung davon abhängt, dass der angefochtene Akt die Bundesgesetzgebung verletzen kann. Die gleiche Voraussetzung wird in
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
bei der besonderen Behördenbeschwerde nicht ausdrücklich wiederholt. Der Bundesgesetzgeber hat sich damit die Möglichkeit vorbehalten, in den entsprechenden Sonderbestimmungen spezifische Legitimationsvoraussetzungen zu definieren (vgl. SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, N. 64 zu
Art. 89 BGG
; WALDMANN, a.a.O., N. 64 und 67 zu
Art. 89 BGG
). Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, dass die Voraussetzungen der Beschwerdelegitimation von den zulässigen Beschwerdegründen systematisch strikt zu trennen sind, wenn der Bundesgesetzgeber nicht ausdrücklich eine spezifische Verknüpfung der beiden Gesichtspunkte vorsieht.
2.6.2
In analoger Weise hat das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Beschwerdebefugnis der Staatsanwaltschaft zur Beschwerde in Strafsachen entschieden, das Bundesgerichtsgesetz behandle die Beschwerdegründe systematisch getrennt vom Legitimationserfordernis. Dies beruhte auf dem Hintergrund, dass sich die Legitimation der Staatsanwaltschaft (gemäss
Art. 81 BGG
) aus dem staatlichen Strafanspruch ableitet und sich mithin auf jede Rechtsverletzung bezieht, die bei der Anwendung von materiellem Strafrecht oder Strafprozessrecht begangen wird. Die Staatsanwaltschaft ist daher nach der Rechtsprechung zur neuen Einheitsbeschwerde in Strafsachen auch berechtigt, ein kantonales Strafurteil wegen willkürlicher Beweiswürdigung, aktenwidriger Sachverhaltsfeststellung oder willkürlicher Anwendung des kantonalen Prozessrechts anzufechten (
BGE 134 IV 36
E. 1.4.3 S. 40 f.).
2.6.3
Kommt es somit massgeblich auf die gesetzliche Regelung der Beschwerdelegitimation an, ist vorliegend die Tragweite von
Art. 73 StHG
entscheidend. Mit der Justizreform erfuhr der Wortlaut dieser Bestimmung nur eine redaktionelle Änderung, indem in Abs. 1 der Begriff der Verwaltungsgerichtsbeschwerde durch denjenigen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ersetzt wurde (BBl 2001 S. 4440). Aus den Materialien ergibt sich nirgends ein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber Änderungen bei der
BGE 134 II 124 S. 131
Beschwerdelegitimation beabsichtigte. Die Frage der Beschwerdeberechtigung ist daher gleich zu beantworten wie unter dem alten Verfahrensrecht. Das bedeutet insbesondere, dass die kantonale Steuerverwaltung unabhängig von der Frage der zulässigen Beschwerdegründe weiterhin zur Beschwerde legitimiert ist, wenn der angefochtene Entscheid eine Materie des Steuerharmonisierungsgesetzes gemäss der entsprechenden Umschreibung in
Art. 73 StHG
, nämlich eine in den Titeln 2-5 und 6 Kapitel 1 geregelte Materie, betrifft. Dabei ist für die Frage der Beschwerdeberechtigung unmassgeblich, ob das Steuerharmonisierungsrecht dem Kanton insofern einen gewissen Gestaltungsspielraum belässt oder nicht.
2.7
Nun hat allerdings das Bundesgericht entschieden, dass die kantonalen Durchführungsstellen im Zusammenhang mit Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung in Anwendung von
Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
in Verbindung mit Art. 62 Abs. 1
bis
des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) und
Art. 38 der Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV; SR 831.301)
nur zur Beschwerdeerhebung an das Bundesgericht legitimiert sind, soweit es um Ergänzungsleistungen geht, die im Bundesrecht geregelt sind, und nicht um solche, die sich auf kantonales Recht stützen. Das Bundesgericht hielt dazu ausdrücklich fest, die Bestimmungen über die Beschwerdeberechtigung könnten sich einzig auf den Vollzug des Bundesrechts beziehen (vgl.
BGE 134 V 53
E. 2). Die rechtliche Ausgangslage unterscheidet sich jedoch wesentlich vom vorliegenden Fall: Anders als bei der nach
Art. 12 StHG
zwingend zu erhebenden Grundstückgewinnsteuer sind die Kantone von Bundesrechts wegen frei, ob und in welchem Umfang sie Unterstützungsleistungen erbringen wollen, die über das bundesgesetzliche Obligatorium hinausgehen (vgl.
Art. 2 Abs. 2 ELG
[SR 831.30]). Bei der Grundstückgewinnsteuer bestehen keine solchen Spielräume. Zwar verfügen die Kantone über gewisse Freiheiten bei der Ausgestaltung der Steuer, nicht aber bei deren Erhebung. Das rechtfertigt insofern eine uneingeschränkte Beschwerdelegitimation auch der kantonalen Steuerbehörden.
3.
3.1
Ist die kantonale Steuerverwaltung zur Beschwerde legitimiert, bleibt zu prüfen, welche Beschwerdegründe sie anrufen kann. Auszugehen ist dabei von der entsprechenden gesetzlichen Regelung in
BGE 134 II 124 S. 132
Art. 95-98 BGG
, wobei die Geltendmachung einer Verletzung von Bundesrecht im Vordergrund steht (
Art. 95 lit. a BGG
).
3.2
Zum Bundesrecht zählt namentlich das Bundesgesetzesrecht.
Art. 12 StHG
enthält freilich nur wenige Vorschriften zur Grundstückgewinnsteuer bei der Veräusserung von Liegenschaften des Geschäftsvermögens. Vorgeschrieben wird zwar die Erhebung einer Grundstückgewinnsteuer; das Gesetz bleibt aber hinsichtlich der Ausgestaltung derselben und insbesondere betreffend die anrechenbare Besitzesdauer vage und enthält nur wenige Vorgaben an die Kantone. Die Kantone sind frei, die Grundstückgewinnsteuer über die ordentliche Einkommens- oder Gewinnsteuer oder mit einer besonderen Einkommenssteuer zu erheben (vgl.
Art. 12 Abs. 4 StHG
; BERNHARD ZWAHLEN, in: Martin Zweifel/Peter Athanas, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/1, Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG], 2. Aufl., Basel/Genf/München 2002, N. 3 ff. zu
Art. 12 StHG
). Für den Fall, dass ein Kanton, wie hier, eine solche besondere Steuer erhebt, schreibt das Gesetz vor, wie bestimmte Grundstücke bei Umstrukturierungen zu behandeln sind (
Art. 12 Abs. 4 lit. a StHG
in Verbindung mit Art. 8 Abs. 3 und 4 sowie
Art. 24 Abs. 3 und 3
quater
StHG
) und dass die Überführung einer Liegenschaft vom Privat- ins Geschäftsvermögen nicht einer Veräusserung gleichgestellt werden darf (
Art. 12 Abs. 4 lit. b StHG
). Ebenfalls zu beachten ist die allgemeine Regel, dass kurzfristig realisierte Grundstückgewinne stärker besteuert werden müssen als langfristige (
Art. 12 Abs. 5 StHG
).
Alle diese Grundsätze ruft das beschwerdeführende Amt indessen nicht direkt an. Vielmehr macht es einzig geltend, die Auslegung und Anwendung des kantonalen Steuergesetzes durch die Vorinstanz sei willkürlich. Die vorliegende Beschwerde der Steuerverwaltung zielt demnach nicht unmittelbar auf die Überprüfung des angefochtenen Entscheids mit dem Steuerharmonisierungsrecht des Bundes ab, sondern auf eine Kontrolle der Anwendung des kantonalen Rechts im Bereich eines entsprechenden Gestaltungsspielraums des Kantons.
3.3
Zu entscheiden ist somit, ob die Steuerverwaltung auch die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügen kann. Altrechtlich verfügte die staatliche Steuerverwaltung nicht über diese Möglichkeit, da sie insoweit zur staatsrechtlichen Beschwerde nicht legitimiert war (
BGE 131 II 710
E. 1.2 S. 713; vgl. auch E. 2.5). Neurechtlich ist die
BGE 134 II 124 S. 133
Frage der Legitimation von derjenigen der zulässigen Beschwerdegründe jedoch zu trennen (vgl. E. 2.6.1). Im neuen System der Einheitsbeschwerde bestimmt das Gesetz die Beschwerdegründe einheitlich (in
Art. 95-98 BGG
). Die zur Beschwerde berechtigte Behörde kann - im Rahmen ihres Aufgabenbereichs - jede Rechtsverletzung geltend machen, die bei der Rechtsanwendung begangen wird, mithin auch eine Verletzung von Bundesverfassungsrecht als Teil des Bundesrechts im Sinne von
Art. 95 lit. a BGG
(
BGE 134 IV 36
E. 1.4.3 S. 41).
3.4
Von der Steuerverwaltung angerufen werden kann vorliegend insbesondere das Willkürverbot nach
Art. 9 BV
als Bestandteil des Bundesverfassungsrechts. Das Willkürverbot räumt nicht nur dem Einzelnen im Sinne eines Grundrechts einen Anspruch auf willkürfreies Handeln der Behörden ein, sondern es beansprucht auch Geltung als objektives, für die gesamte Staatstätigkeit verbindliches Grundprinzip (
BGE 134 IV 36
E. 1.4.4 S. 41 f.). Gestützt auf diesen objektiv-rechtlichen Gehalt von
Art. 9 BV
kann die kantonale Steuerverwaltung daher vorliegend geltend machen, die Vorinstanz habe das kantonale Recht willkürlich ausgelegt und angewendet.
4.
4.1
Nach der ständigen Praxis des Bundesgerichts liegt Willkür in der Rechtsanwendung dann vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist; dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (
BGE 132 I 175
E. 1.2 S. 177;
BGE 131 I 467
E. 3.1 S. 473 f., je mit Hinweisen).
4.2
Strittig ist die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des Steuergesetzes des Kantons Schwyz vom 9. Februar 2000 (StG/SZ) über die Berechnung der für die Grundstückgewinnsteuer massgeblichen Besitzesdauer. Fraglich ist, wie sich die Kombination der ordentlichen gesetzlichen Regelung mit der entsprechenden Übergangsordnung im vorliegenden Fall auswirkt.
Nach
§ 113 StG
/SZ entspricht der Grundstückgewinn dem Betrag, um den der Veräusserungserlös die Anlagekosten übersteigt (Abs. 1). Für die Gewinnbemessung bei der Veräusserung eines unter
BGE 134 II 124 S. 134
Steueraufschub erworbenen Grundstücks ist auf die letzte Veräusserung abzustellen, die keinen Steueraufschub bewirkt hat (Abs. 2). Gemäss
§ 121 StG
/SZ bestimmen sich Beginn und Ende der Besitzesdauer nach dem Datum des Grundbucheintrages bzw. bei Fehlen eines solchen nach dem Zeitpunkt des Übergangs der Verfügungsgewalt oder der Beteiligungsrechte (Abs. 1). Massgebend für die Berechnung der Besitzesdauer ist die letzte Veräusserung (Abs. 2). Wurde das Grundstück aus steueraufschiebender Veräusserung erworben, wird für die Berechnung der Besitzesdauer auf die letzte steuerbegründende Veräusserung abgestellt. Bei Erwerb des Grundstücks durch Ersatzbeschaffung kommt nur für den nicht besteuerten Gewinn die Besitzesdauer des bei der Ersatzbeschaffung veräusserten Grundstücks zur Anrechnung (Abs. 3).
Übergangsrechtlich sieht das Gesetz in
§ 246 StG
/SZ als Grundsatz vor, dass die Grundstückgewinnsteuer nach neuem Recht für alle Veräusserungen erhoben wird, die nach dem 31. Dezember 2000 im Grundbuch eingetragen werden. Für Veräusserungen ohne Grundbucheintrag ist das Datum des Übergangs der Verfügungsgewalt oder der Beteiligungsrechte massgebend.
§ 247 StG
/SZ enthält eine spezifische Ergänzung für altrechtliche Sonderfälle. Danach ist insbesondere für die Gewinnbemessung und die Berechnung der Besitzesdauer bei der Veräusserung eines vor dem 1. Januar 2001 steuerfrei erworbenen Grundstücks auf die letzte besteuerte Veräusserung abzustellen. Dasselbe gilt für die Veräusserung eines Grundstücks, das vor dem 1. Januar 2001 aus einer Handänderung erworben wurde, die nach bisherigem Recht besteuert wurde, nach neuem Steuergesetz jedoch einen Steueraufschub bewirken würde.
4.3
Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass für die drei hier fraglichen Grundstückverkäufe in den Jahren 2003 und 2004 gemäss
§ 246 StG
/SZ das neue Recht anwendbar sei, was an sich unter den Verfahrensbeteiligten auch unbestritten ist. Demgegenüber habe für die früheren Handänderungen der Vorgängergesellschaft, die am 25. Januar 2000 im Grundbuch eingetragen wurden, noch das alte Grundstückgewinnsteuerrecht gegolten. In Übereinstimmung mit der Steuerverwaltung nahm das Verwaltungsgericht sodann an, dass ein altrechtlicher Sonderfall im Sinne von
§ 247 Abs. 1 StG
/SZ vorliege, da die Auswirkungen der mit Grundbucheintrag vom 25. Januar 2000 erfolgten Umstrukturierung zu prüfen seien; dabei seien damals nach Durchführung der Umstrukturierung mit Fusion und Grundbucheintrag per 25. Januar 2000 Veranlagungsverfügungen
BGE 134 II 124 S. 135
getroffen worden, wonach keine Grundstückgewinnsteuern anfielen, weil die Übertragung zu Buchwerten erfolgt sei.
Zur hier strittigen Frage hielt das Verwaltungsgericht fest, dass die übergangsrechtliche Regelung in
§ 247 Abs. 1 StG
/SZ bei den erfassten Sondertatbeständen eine Verlängerung der Besitzesdauer bewirke, wenn eine steuerfreie Handänderung stattgefunden habe, weil einzig auf den Zeitpunkt der letzten besteuerten Veräusserung abzustellen sei. Mithin solle in solchen Fällen die Besitzesdauer nicht unterbrochen werden. Vielmehr sei sie von der letzten besteuerten Veräusserung bis zur aktuellen Handänderung zu berechnen. Das gelte auch für die Veräusserung eines Grundstücks, die nach bisherigem Recht besteuert worden sei, nach neuem Steuergesetz jedoch einen Steueraufschub erhielte.
4.4
Der Standpunkt der Steuerverwaltung in der Beschwerdeschrift ist nicht ohne weiteres verständlich. Sie scheint jedoch im Wesentlichen einzuwenden, die im früheren Recht vorgesehenen (echten) Steuerbefreiungstatbestände hätten - im Unterschied zu so genannten unechten Befreiungs- sowie zu Steueraufschubtatbeständen - altrechtlich dazu geführt, dass die Besitzesdauer neu zu laufen beginne (vgl. dazu die Darstellung bei XAVER METTLER, Die Grundstückgewinnsteuer des Kantons Schwyz, Zürich 1990, S. 126 ff.). Solche Steuerbefreiungen widersprächen heute jedoch dem Steuerharmonisierungsrecht des Bundes und seien deshalb abgeschafft worden. Die Auslegung des Verwaltungsgerichts führe nunmehr dazu, dass übergangsrechtlich eine altrechtliche Steuerbefreiung die Besitzesdauer nicht mehr unterbreche, was im Ergebnis krass stossend erscheine.
4.5
Der Standpunkt der beschwerdeführenden Steuerverwaltung ist insbesondere aus systematischen Gründen bis zu einem gewissen Grade nachvollziehbar. Die früheren, damals zulässigen Tatbestände der Steuerbefreiung beeinflussen übergangsrechtlich die Rechtslage und führen zu systematisch fragwürdigen Folgen. Demgegenüber spricht für die Auffassung der Vorinstanz zunächst der Wortlaut des Gesetzes. Der angefochtene Entscheid steht sodann im Einklang mit dem gesetzgeberischen Willen, im Grundstückgewinnsteuerrecht Umstrukturierungen grundsätzlich steuerneutral auszugestalten. Insofern entspricht er auch besser dem heute geltenden Harmonisierungsrecht.
Art. 23 Abs. 4 StHG
(in der Fassung des Fusionsgesetzes vom 3. Oktober 2003, in Kraft seit dem 1. Juli 2004 [SR 221.301]) sieht
BGE 134 II 124 S. 136
nämlich vor, dass bei Umstrukturierungen wie Fusion, Spaltung oder Umwandlung die stillen Reserven nicht zu besteuern sind, wenn die bisher massgeblichen Werte weitergeführt werden, was bei der Grundstückgewinnsteuer als steueraufschiebende Veräusserung zu behandeln ist (
Art. 12 Abs. 4 lit. a StHG
, ebenfalls in der Fassung des Fusionsgesetzes vom 3. Oktober 2003 [SR 221.301]).
4.6
Nach dem neuen kantonalen Steuergesetz wird dementsprechend bei Eigentumserwerb infolge Fusion in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Steuerharmonisierungsgesetzes die Besteuerung des Grundstückgewinns aufgeschoben. Wird die Liegenschaft weiterveräussert, ist sowohl bei der Gewinnbemessung als auch bei der Berechnung der Besitzesdauer auf die letzte steuerbegründende Handänderung abzustellen (§ 113 Abs. 2 und § 121 Abs. 3 erster Satz StG/SZ). Diese Rechtsfolge tritt nach der Übergangsbestimmung von
§ 247 Abs. 1 StG
/SZ auch dann ein, wenn das Grundstück unter der Geltung des alten Rechts steuerfrei erworben wurde. Im vorliegenden Fall erfolgte zwar im Anschluss an den Eigentumserwerb durch Fusion am 28. März 2000 formell eine Veranlagung für die Grundstückgewinnsteuer; diese stellte aber einzig auf den Buchwert ab, was dazu führte, dass die Steuer, ob zu Recht oder zu Unrecht, auf Fr. 0.- festgesetzt wurde, obwohl die fraglichen Grundstücke seit dem ursprünglichen Erwerb im Jahre 1961 offensichtlich eine beträchtliche Wertsteigerung erfahren hatten. Im Ergebnis wurde der mit der Fusion erzielte Wertzuwachs damit, unabhängig davon, ob es sich um eine (echte) Steuerbefreiung handelte oder nicht, nicht besteuert. Dass bei dieser Ausgangslage für die Bestimmung der Besitzesdauer auf den ursprünglichen Erwerb zurückgegriffen wird, ist nicht stossend. Zwar wäre allenfalls auch die Auffassung der Steuerverwaltung vertretbar. Der angefochtene Entscheid beruht aber auf einer möglichen und zulässigen Auslegung des kantonalen Rechts. Er ist damit nicht unhaltbar. | public_law | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
582da46f-09e9-497e-a27e-25ca2c1c4872 | Urteilskopf
102 IV 256
59. Urteil des Kassationshofes vom 21. Oktober 1976 i.S. J. gegen Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Graubünden | Regeste
Art. 90 SVG
,
Art. 1 StGB
.
Es ist unzulässig, den Motorfahrzeughalter für eine Verkehrsregelverletzung des Fahrzeuglenkers mit der Begründung zu bestrafen, dass die Person des Lenkers unbekannt sei (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 256
BGE 102 IV 256 S. 256
A.-
Am Abend des 14. November 1975 ergab die automatische Radarkontrolle in Küblis, dass ein mit Kontrollschildern der Bundesrepublik Deutschland versehener Personenwagen mit einer Geschwindigkeit gefahren ist, welche die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 10 km/h überschritt. Als Halter wurde J. ermittelt. In der polizeilichen Befragung an seinem Wohnort bestritt er, den Wagen selbst geführt zu haben. Unter Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber Verwandten lehnte er es ab, den Namen des tatsächlichen Fahrzeuglenkers zu nennen.
B.-
Am 15. März 1976 verfällte die Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Graubünden J. in eine Busse von Fr. 40.--.
Der Gebüsste erhob gegen diese Verfügung Rekurs beim Verwaltungsgericht Graubünden. Der Ausschuss dieses Gerichts wies die Beschwerde am 21. Mai 1976 ab. Er bezeichnete
BGE 102 IV 256 S. 257
es als gerechtfertigt, in Fällen geringfügiger Verkehrsübertretungen den Halter eines Motorfahrzeuges zur Rechenschaft zu ziehen, wenn dieser durch den Einwand, nicht selbst gefahren zu sein, die Verantwortung nicht übernehmen wolle und den Namen des fehlbaren Lenkers nicht bekanntgebe. In solchen Fällen könne den Polizeiorganen nicht zugemutet werden, zeitraubende und regelmässig erfolglose Nachforschungen nach dem wirklichen Täter anzustellen.
C.-
Der Verteidiger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts-Ausschusses sei aufzuheben und J. von Schuld und Strafe freizusprechen.
Die Motorfahrzeugkontrolle beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen hat rein kassatorischen Charakter. Das Bundesgericht kann daher, wenn es eine Beschwerde für begründet hält, nicht selber ein materiell neues Urteil fällen, sondern nur das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur Entscheidung an die Vorinstanz zurückweisen (
Art. 277ter BStP
). In diesem Sinne ist das Rechtsbegehren des Beschwerdeführers entgegenzunehmen.
2.
Die Verletzung einer allgemeinen Verkehrsregel, wie das Fahren mit übersetzter Geschwindigkeit (
Art. 32 SVG
), wird auf Grund der allgemeinen Strafbestimmung des
Art. 90 SVG
geahndet. Nach dieser macht sich jeder Strassenbenützer strafbar, der durch sein Verhalten einer Verkehrsregel zuwiderhandelt. Ausser dem Täter sind auch Teilnehmer im Sinne der
Art. 24 und 25 StGB
strafbar (
Art. 102 Ziff. 1 SVG
), soweit nicht die besonderen Bestimmungen des SVG über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitgebers oder Vorgesetzten des Fahrzeugführers und der Begleiter von Fahrschülern Anwendung finden (
Art. 100 Ziff. 2 und 3 SVG
).
Im vorliegenden Falle ist weder festgestellt, dass der Beschwerdeführer die in Frage stehende Geschwindigkeitsübertretung als Fahrzeuglenker begangen habe, noch dass er als Teilnehmer gemäss StGB oder SVG an der Widerhandlung eines andern Fahrzeuglenkers beteiligt gewesen sei. Die Vorinstanz hat ihn ausschliesslich in seiner Eigenschaft als Halter des von der Radaranlage erfassten Fahrzeuges zur Rechenschaft
BGE 102 IV 256 S. 258
gezogen und gebüsst. Hiefür fehlt indessen eine gesetzliche Grundlage. Die besonderen Pflichten der Halter und ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit für Widerhandlungen anderer Lenker ihres Fahrzeuges werden im SVG und in den dazu gehörenden Verordnungen einzeln umschrieben und abschliessend geregelt. So macht sich der Halter vor allem strafbar, wenn er ein Fahrzeug Dritten überlässt, obschon es sich in nicht betriebssicherem Zustande befindet (Art. 93 Ziff. 2 Abs. 2) oder der Dritte keinen Führerausweis besitzt (Art. 95 Ziff. 1 Abs. 3), ferner wenn er ein Fahrzeug ohne Fahrzeugausweis, Kontrollschilder oder ohne Haftpflichtversicherung oder ohne die für die Fahrt erforderliche Bewilligung usw. benützen lässt (Art. 96 Ziff. 3). Das SVG enthält aber keine Norm, die den Halter für die von einem andern Lenker begangene Verletzung einer der im 3. Titel aufgestellten allgemeinen Verkehrsregeln (Art. 26-57) generell mitverantwortlich erklärte. Ebensowenig ermächtigt das SVG den Richter, für solche Übertretungen, seien sie auch geringfügiger Art, den Motorfahrzeughalter anstelle des Fahrzeuglenkers strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen, wenn der Halter seine Täterschaft bestreitet und den Namen des wirklichen Lenkers nicht bekanntgibt. Die Vorinstanz stützt ihren Entscheid denn auch einzig auf Überlegungen der Zweckmässigkeit, die aber die fehlende Strafbestimmung nicht zu ersetzen vermögen. Damit verstösst das angefochtene Urteil gegen den auch im Strassenverkehrsrecht geltenden Grundsatz des
Art. 1 StGB
, wonach eine Tat nur dann strafbar ist, wenn sie vom Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht wird. Die Motorfahrzeugkontrolle hätte, wenn sie weitere Erhebungen zur Feststellung des tatsächlichen Fahrzeuglenkers für nutzlos hielt, das Verfahren richtigerweise einstellen müssen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts-Ausschusses des Kantons Graubünden vom 21. Mai 1976 aufgehoben und die Sache zum Freispruch des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
582dd8fc-d520-4cb2-8737-24f3e18f46f1 | Urteilskopf
139 III 444
63. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. contre B. (recours en matière civile)
5A_236/2013 du 12 août 2013 | Regeste
Art. 80 ff. SchKG
; Prüfungsbefugnis des Rechtsöffnungsrichters.
Der mit einem Rechtsöffnungsgesuch befasste Richter ist nicht zur Prüfung zuständig, ob die strittige Betreibung unzulässig sei, weil der Betreibende bereits eine oder mehrere Betreibungen für die gleiche Forderung eingeleitet hat (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 445
BGE 139 III 444 S. 445
A.
B. a introduit deux poursuites successives contre A. en se fondant sur la même créance.
A.a
Dans la première de ces poursuites (poursuite n° 1 de l'Office des poursuites de Morges), pour le montant de x fr. avec intérêts à 3 % l'an dès le 1
er
novembre 2001, indiquant comme cause de l'obligation la transaction judiciaire valant jugement définitif, conclue par les parties le 30 octobre 2001 devant la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois, le commandement de payer a été notifié au débiteur le 7 février 2012, lequel y a fait opposition.
A.b
Dans la seconde poursuite (poursuite n° 2 de l'Office des poursuites de Morges), requise le 1
er
mai 2012, pour le montant de x fr. avec intérêts à 3 % l'an dès le 15 juin 2011 et des frais, indiquant comme cause de l'obligation: "Validation du séquestre n° 3, selon procès-verbal du 19 avril 2012; reprise de l'acte de défaut de biens n° 4 pour un montant de x fr. du 14 juin 2011 délivré par l'Office des poursuites de Morges, ayant pour origine des saisies infructueuses et transaction judiciaire valant jugement définitif, conclue par les parties le 30 octobre 2001 auprès de la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois. Emolument du juge. Frais procès-verbal de séquestre", le commandement de payer a été notifié au débiteur le 7 mai 2012, lequel y a fait opposition.
Ainsi que cela ressort de l'arrêt du Tribunal fédéral du 5 avril 2013 (arrêt 5A_925/2012) rendu entre les mêmes parties (
art. 105 al. 2 LTF
), le créancier poursuivant avait en effet requis le 8 mars 2012 et obtenu du Juge de paix du district de Morges le 2 avril 2012 le séquestre de plusieurs comptes bancaires du débiteur, séquestre exécuté par l'Office des poursuites du district de Morges le 19 avril 2012 (procès-verbal n° 3). Dans son arrêt, le Tribunal fédéral a toutefois réformé l'arrêt du 30 novembre 2012 de la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois qui statuait sur oppositions au séquestre et a rejeté la requête de séquestre du créancier et levé le séquestre.
B.
Dans les deux poursuites, l'opposition du débiteur a été levée définitivement par le Juge de paix du district de Morges, par décisions séparées du 3 septembre 2012.
Dans les deux poursuites, statuant par arrêts séparés datés du même jour, à savoir le 28 février 2013, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours du débiteur et confirmé le prononcé de mainlevée définitive du premier juge. (...)
BGE 139 III 444 S. 446
Par arrêt du 12 août 2013, le Tribunal fédéral a rejeté, par substitution de motifs, le recours interjeté par A. contre l'arrêt cantonal rendu dans la seconde poursuite (poursuite n° 2).
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Saisi d'un recours en matière civile, le Tribunal fédéral applique le droit d'office (
art. 106 al. 1 LTF
), sans être lié ni par les motifs de l'autorité précédente, ni par les moyens des parties; il peut donc admettre le recours en se fondant sur d'autres arguments que ceux invoqués par le recourant, comme il peut le rejeter en opérant une substitution de motifs (
ATF 133 III 545
consid. 2.2).
4.1
Selon le système de la LP, l'énumération des tâches du juge est limitative: celui-ci ne peut intervenir dans la procédure de poursuite que dans les cas où la loi le prévoit expressément (
art. 17 al. 1 et
art. 23 LP
); en dehors de ces cas-là, toute intervention du juge dans la procédure de poursuite est donc exclue (
ATF 95 I 313
consid. 3 et la référence).
4.1.1
La levée de l'opposition du débiteur au commandement de payer est de la compétence du juge (
art. 80 ss LP
). En vertu des
art. 80 et 81 LP
, le juge doit prononcer la mainlevée définitive de l'opposition lorsque le créancier produit un jugement exécutoire ou un titre y assimilé, à moins que le débiteur ne prouve par titre que la dette a été éteinte ou qu'il a obtenu un sursis postérieurement au jugement, ou qu'il ne se prévale de la prescription. En vertu de l'
art. 82 LP
, le juge doit prononcer la mainlevée provisoire de l'opposition lorsque le créancier produit une reconnaissance de dette et que le débiteur ne rend pas immédiatement vraisemblable sa libération.
La procédure de mainlevée est une pure procédure d'exécution forcée (
ATF 94 I 365
consid. 6 p. 373;
72 II 52
p. 54), un incident de la poursuite: le juge n'est compétent que pour examiner le jugement exécutoire ou les titres y assimilés dans le cas d'une requête de mainlevée définitive, respectivement le titre - public ou privé - qu'est la reconnaissance de dette dans le cas d'une requête de mainlevée provisoire, ainsi que les trois identités: l'identité entre le poursuivant et le créancier désigné dans ce titre, l'identité entre le poursuivi et le débiteur désigné et l'identité entre la prétention déduite en poursuite et la dette reconnue (pour la mainlevée provisoire:
ATF 132 III 140
consid. 4.1.1; P.-R. GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur
BGE 139 III 444 S. 447
la poursuite pour dettes et la faillite, vol. I, 1999, n
os
73 s. ad
art. 82 LP
; pour la mainlevée définitive: arrêt 5P.239/2002 du 22 août 2002 consid. 3.1; GILLIÉRON, op. cit., n° 22 ad
art. 80 LP
) et enfin statuer sur le droit du créancier de poursuivre le débiteur, c'est-à-dire décider si l'opposition doit ou ne doit pas être maintenue. Il peut également examiner d'office si la poursuite est à l'évidence périmée ou nulle (arrêt 5P.174/2005 du 7 octobre 2005 consid. 2.1; PANCHAUD/CAPREZ, Die Rechtsöffnung, La mainlevée d'opposition, 1980, § 43 n. 1-5 p. 96; GILLIÉRON, op. cit., n° 27 ad
art. 80 LP
). En revanche, il ne peut pas relever, ni retenir un vice de la procédure de poursuite dont l'intéressé doit se prévaloir par la voie de la plainte à l'autorité de surveillance (arrêt précité consid. 2.1; GILLIÉRON, op. cit., n° 76 ad
art. 82 LP
).
4.1.2
Lorsque le poursuivant introduit plusieurs poursuites pour la même créance, le débiteur qui entend empêcher que celui-ci ne s'en prenne plusieurs fois à son patrimoine peut faire annuler par la voie de la plainte à l'autorité de surveillance la ou les poursuites superflues (
ATF 100 III 41
p. 42 et 43;
ATF 128 III 383
consid. 1.1; GILLIÉRON, op. cit., n° 51 ad
art. 85a LP
). Ainsi, saisi d'un recours (
art. 19 LP
) contre une décision, rendue sur plainte (
art. 17 et 18 LP
), concernant la notification d'un second commandement de payer, le Tribunal fédéral a jugé qu'une seconde poursuite pour la même créance n'est inadmissible que si, dans la première poursuite, le créancier a déjà requis la continuation de la poursuite ou est en droit de le faire. Ce n'est en effet que dans ces cas qu'il y a un risque sérieux que le patrimoine du débiteur fasse l'objet d'une exécution à plusieurs reprises. En revanche, si la première poursuite a été arrêtée à la suite d'une opposition ou qu'elle est devenue caduque en raison d'une renonciation du créancier, il n'y a pas de motif d'empêcher ce dernier d'engager une nouvelle poursuite pour la même créance.
4.1.3
Il ressort de ce qui précède que le juge de la mainlevée n'est compétent que pour l'examen de l'existence d'un titre à mainlevée - définitive ou provisoire -, alors que l'office et les autorités de surveillance le sont pour ce qui concerne l'exécution de la poursuite, en particulier l'abus de droit du créancier à obtenir la saisie de plus de biens qu'il n'est nécessaire pour être désintéressé (cf.
art. 97 al. 2 LP
).
4.2
C'est ainsi en violation des règles sur les compétences respectives du juge de la mainlevée et de l'autorité de surveillance LP que la cour cantonale a examiné, dans le cadre de la présente procédure
BGE 139 III 444 S. 448
de mainlevée définitive, si la seconde poursuite - à supposer qu'elle concerne la même créance - était ou non admissible.
Dès lors qu'en l'espèce, le créancier avait produit un titre exécutoire, ce qui n'est pas contesté, et que le débiteur ne soutenait pas avoir payé sa dette (
art. 81 al. 1 LP
), la mainlevée définitive devait être prononcée. Le recours du débiteur doit donc être rejeté, par substitution de motifs. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
58381a1a-1447-405a-b81a-f10e9cf3db40 | Urteilskopf
106 III 97
20. Sentenza della II Corte civile del 9 ottobre 1980 nella causa Mafer S.A. in liquidazione contro Banca popolare svizzera (ricorso di diritto pubblico) | Regeste
Art. 82 Abs. 1 SchKG
: Begriff der Schuldanerkennung.
1. Erfordernisse der durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung (E. 3).
2. Die stillschweigende Genehmigung eines Kontokorrentauszugs zusammen mit dem vom Schuldner unterzeichneten Krediteröffnungsvertrag stellt keine Schuldanerkennung für den Passivsaldo des Kontos dar (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 97
BGE 106 III 97 S. 97
La Banca popolare svizzera di Locarno fece intimare alla Mafer S.A. in liquidazione un precetto esecutivo di Fr. 161'067.95. Il debito si fondava sull'avere della banca relativo ad un conto corrente intestato alla debitrice. L'opposizione interposta al precetto esecutivo venne rigettata in prima istanza dal Pretore di Bellinzona e in seconda istanza dalla Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello del Cantone Ticino, con sentenza del 26 giugno 1980. Contro quest'ultima decisione insorse la debitrice con ricorso di diritto pubblico fondato sulla
BGE 106 III 97 S. 98
violazione dell'
art. 4 Cost.
Il Tribunale federale ha accolto il gravame.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Il ricorso di diritto pubblico ha di regola natura esclusivamente cassatoria: le conclusioni ricorsuali tendenti al rinvio degli atti all'autorità cantonale sono irricevibili (
DTF 106 Ia 54
).
2.
L'istanza di rigetto dell'opposizione si fondava sul contratto di apertura di credito in conto corrente, sottoscritto dalle parti il 20 maggio 1974, e sull'estratto conto del 19 settembre 1979, dal quale risultava un saldo a favore della banca di Fr. 161'067.95. La ricorrente insorge in primo luogo contro l'affermazione dell'autorità cantonale, secondo cui l'estratto succitato è menzionato nel precetto esecutivo.
Questa affermazione della Camera di esecuzione e fallimenti appare invero poco comprensibile: nel precetto esecutivo notificato alla ricorrente - sotto la rubrica "Titolo di credito con la data, o causa del credito" - è indicato solo il numero del conto corrente, senza riferimento all'estratto conto del 19 settembre 1979. Tuttavia, malgrado questa lacuna, sin dall'inizio della procedura esecutiva non v'è stato alcun dubbio sull'identità tra il credito posto in esecuzione e quello risultante dai documenti prodotti dalla creditrice a sostegno dell'istanza di rigetto dell'opposizione. Sotto questo aspetto il giudizio impugnato non è quindi arbitrario.
3.
La Camera di esecuzione e fallimenti ha rilevato che sull'estratto conto del 19 settembre 1979, inviato alla ricorrente, è indicato che esso è considerato accettato se non è contestato per scritto entro un mese. Dopo aver accertato che in concreto l'estratto del 19 settembre 1979 non è stato contestato, l'autorità cantonale ha ravvisato nell'accettazione per atti concludenti del saldo passivo del conto corrente la volontà del correntista di riconoscere il debito. A sostegno delle proprie conclusioni essa ha fatto riferimento, oltre che alla giurisprudenza cantonale, al parere di diversi autori. Secondo la ricorrente tali considerazioni sono insostenibili e rendono arbitrario il giudizio impugnato.
La dottrina citata dall'autorità cantonale non è pertinente: OSER e SCHÖNENBERGER,
art. 117 CO
n. 2, trattano tutt'altre
BGE 106 III 97 S. 99
questioni, mentre HESS, Die materiellen Grundlagen der provisorischen Rechtsöffnung und der Aberkennungsklage, pag. 61, e JÄGER,
art. 82 LEF
n. 4, considerano come riconoscimento di debito il benestare scritto. Il parere di questi autori è senz'altro esatto (cfr. MEYER, Die Rechtsöffnung auf Grund synallagmatischer Verträge, tesi Zurigo 1979, pag. 165; CAPREZ, FJS 186 pag. 6); esso si riferisce tuttavia a una fattispecie differente da quella in esame. Infatti la questione che si pone in concreto è quella di sapere se un contratto di apertura di credito in conto corrente, firmato dal debitore, possa costituire, unitamente ad un estratto conto non firmato, un valido riconoscimento di debito per il saldo passivo del conto. In altre parole occorre esaminare se l'autorità cantonale abbia violato in modo insostenibile la nozione di "riconoscimento di debito constatato mediante scrittura privata" dell'
art. 82 cpv. 1 LEF
. Questa nozione, che non è definita dalla legge, implica necessariamente il riconoscimento di un'obbligazione in relazione ad una somma di denaro determinata o facilmente determinabile (JÄGER,
art. 82 LEF
n. 4; FAVRE, Droit des poursuites, 3a edizione, pag. 154). Il riconoscimento di debito può essere dedotto anche da un insieme di documenti a condizione che da essi risultino gli elementi necessari (PANCHAUD et CAPREZ, Die Rechtsöffnung, § 6).
4.
Il contratto di apertura di credito sottoscritto dalla debitrice contiene la clausola seguente:
"Il titolare del Conto deve accusare immediatamente ricevuta
dell'estratto, dandone benestare. Se tale benestare non si troverà nelle
mani della Banca al più tardi 5 giorni dopo l'avvenuta spedizione
dell'estratto, si riterrà che il debitore ne approva in ogni sua parte le
risultanze ed il saldo. Il debitore si obbliga a versare od a garantire
adeguatamente, entro il più breve termine, la eventuale eccedenza passiva
sorpassante il credito accordatogli."
Ciò significa che la ricorrente si è impegnata per scritto e senza riserve a pagare il saldo del conto corrente e a riconoscere come esatto quello risultante dall'estratto conto non contestato. Nella fattispecie il saldo passivo di Fr. 161'067.95 è determinabile sulla base dell'estratto conto del 19 settembre 1979; esso non è stato contestato e non è stato riportato a nuovo. Neppure è contestato l'adempimento del contratto da parte della banca creditrice.
Nondimeno, l'unico documento firmato dalla debitrice è il
BGE 106 III 97 S. 100
contratto d'apertura di credito, da cui l'ammontare del debito posto in esecuzione non è determinabile. Infatti, ovviamente, il saldo del conto corrente non era determinabile al momento della conclusione del contratto. Di conseguenza la Banca popolare svizzera non dispone di un riconoscimento di debito firmato dalla ricorrente, sulla base del quale sia possibile determinare la somma di denaro dovuta: i documenti da lei prodotti a sostegno dell'istanza di rigetto dell'opposizione non adempiono i requisiti del riconoscimento di debito ai sensi dell'
art. 82 LEF
(cfr. HESS, op.cit. pag. 22; cfr. tuttavia ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, pag. 521 lett. F, che sembra voler conferire la qualità di riconoscimento di debito anche all'estratto di conto corrente approvato tacitamente). È del resto opportuno precisare che la Camera di esecuzione e fallimenti ticinese, nella sentenza del 19 luglio 1956 in re Banco di Roma per la Svizzera, era giunta alla medesima conclusione, considerando irrilevante dal punto di vista esecutivo la clausola contrattuale secondo cui un estratto conto non contestato equivale al riconoscimento del saldo (Rep. 1965 pag. 400).
La sentenza impugnata viola quindi in modo arbitrario l'
art. 82 LEF
e deve essere annullata. Siffatta soluzione s'impone, anche se nella procedura ordinaria il giudice, nell'ambito del suo libero apprezzamento delle prove, può prendere in considerazione l'approvazione tacita o per atti concludenti del saldo di un conto corrente. Il rigetto dell'opposizione è infatti retto dalle rigide esigenze della procedura sommaria, che permette al creditore di evitare la procedura ordinaria e di ottenere il rigetto provvisorio dell'opposizione qualora egli disponga di un riconoscimento di debito scritto. | null | nan | it | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
583e1ffd-e9bf-4c37-b8a1-c75d5eb60c95 | Urteilskopf
89 III 12
4. Arrêt du 5 avrll 1963 dans la cause Saunders | Regeste
Art. 93 SchKG
.
Das aus einem englischen Trust herrührende Einkommen ist auch bei unregelmässigen Bezügen pfändbar. In welcher Weise ist die Pfändung vorzunehmen? | Sachverhalt
ab Seite 12
BGE 89 III 12 S. 12
A.-
Margareth Saunders, à Ursins, fait l'objet de deux poursuites, l'une requise par Georg Ulber pour le recouvrement du solde de factures de taxis (363 fr. 20), l'autre intentée par Madeleine Jay après la délivrance d'un acte de défaut de biens (4805 fr. 80).
Selon le procès-verbal établi le 21 août 1962, l'Office des poursuites d'Yverdon a saisi un montant de 1000 fr. que la débitrice prélèvera chaque mois, sous la menace des peines prévues par les art. 169 et 292 CP, sur ses revenus (RO 79 III 155 et 86 III 15). Celle-ci a reconnu en effet qu'elle reçoit mensuellement d'Angleterre, comme "trustee", une somme de 1860 fr. environ qu'elle touche soit en Suisse, soit à Londres en cas de retard prolongé dans le paiement. La perception irrégulière du revenu a été assimilée par l'office au cas du travail futur ou irrégulier (RO 78 III 126) et le minimum insaisissable fixé à 850 fr., la débitrice étant invitée à chercher un logement meilleur marché (RO 87 III 100; peu auparavant, elle payait un loyer annuel de 14 000 fr.).
B.-
Margareth Saunders a formé une plainte contre la saisie. Elle exposait que le transfert des fonds se heurte actuellement à des difficultés (contrôle des changes, nature du trust alimentaire, souverainetés fiscales). A son avis, la menace de sanctions pénales devait être annulée et la part insaisissable fixée à un montant plus élevé.
Le président du Tribunal du district d'Yverdon, autorité
BGE 89 III 12 S. 13
inférieure de surveillance en matière de poursuites pour dettes et de faillites, a annulé la saisie le 21 décembre 1962. Statuant sur un recours de Madeleine Jay, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois l'a rétablie, en principe, le 21 février 1963. A son avis, une prétention à des aliments, comme le revenu d'une activité indépendante, est saisissable de par l'art. 93 LP, sous réserve du bénéfice de compétence; la seule difficulté réside dans le mode de la saisie, le droit issu du trust anglais n'étant pas transférable; aussi a-t-elle renvoyé la cause à l'autorité inférieure pour qu'elle fixe la part insaisissable.
C.-
La débitrice recourt à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. Elle requiert l'annulation de la saisie, mais ne critique plus la menace de sanctions pénales.
Erwägungen
Considérant en droit:
De son propre aveu, la recourante bénéficie d'un "trust" alimentaire anglais; elle n'apporte aucune précision, mais elle vit des prestations de cette institution; elle n'en conteste pas sérieusement le montant. Ce revenu est saisissable selon l'art. 93 LP, sous réserve du bénéfice de compétence.
Peu importe à cet égard que le versement effectif soit irrégulier et ne respecte pas toujours les échéances mensuelles. Cette particularité n'empêche pas la saisie, qui se réalisera lors de la perception des aliments. Le cas est analogue à celui où le débiteur ne gagne pas pendant un certain temps (RO 78 III 128 sv.). La seule conséquence est que la mesure ne produit pas son effet, et que l'on ne saurait donc punir la recourante, aussi longtemps que celle-ci ne peut s'acquitter du montant saisi, faute de recevoir les aliments. Les difficultés temporaires qu'elle dit rencontrer, mais qu'elle se garde de préciser, ne paraissent toutefois pas si graves. Son loyer actuel n'est pas modeste et elle a pu payer récemment 14 000 fr. par an pour une villa qu'elle qualifie elle-même de luxueuse;
BGE 89 III 12 S. 14
en outre, elle touche personnellement en Angleterre les aliments lorsque le retard devient inquiétant; il est significatif, enfin, qu'elle puisse se permettre des frais de taxis de l'ordre de 400 fr.
Quant au mode de saisie, il est parfaitement justifié, comme dans les cas analogues du pourboire et du revenu provenant d'une activité indépendante (RO 79 III 156 sv.;
86 III 15
et les citations), par l'impossiblité pratique de saisir la prétention lors du paiement ou, auparavant, en main du tiers débiteur ou donateur (v. art. 99 LP). En l'espèce, cette impossibilité a pour cause le domicile du trust, sis à l'étranger. Quant à l'analogie, elle ne repose pas sur l'activité - dépendante ou non - du débiteur (opposée à son inaction), mais sur la nature du revenu relativement à la possibilité et au mode de le saisir. Il serait choquant que la recourante échappât à l'exécution forcée. Elle n'aurait qu'à dépenser son revenu pour des achats payables au comptant et contracter sans risques des dettes pour satisfaire tous ses autres besoins, nécessaires ou non,
En conséquence, le recours doit être rejeté; la saisie, justifiée en principe et dans son mode d'exécution, sera précisée, conformément à la décision attaquée, par la détermination de la part insaisissable. | null | nan | fr | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
58472712-0327-4ea8-971c-f2f180cfa3c5 | Urteilskopf
121 I 30
4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. Februar 1995 i.S. Schweizerische Nationalbank und AG Hotel Bellerive au Lac gegen Stadt Zürich und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung bei Erlass von Denkmalschutzmassnahmen und im Baubewilligungsverfahren.
Stehen die in der EMRK gewährleisteten Rechte und Freiheiten auch juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu? Frage mit Bezug auf die Schweizerische Nationalbank offengelassen, da sich jedenfalls die in ihrem Eigentum stehende private Aktiengesellschaft auf die Rechte der EMRK berufen kann (E. 5a und b).
Anwendbarkeit von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
auf die Unterschutzstellung eines ehemaligen Hotelgebäudes bejaht (E. 5c).
Inhalt und Einschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(E. 5d und e). Voraussetzungen des Verzichts auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung (E. 5f).
Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Verfahren um Unterschutzstellung des Hotelgebäudes (E. 5f-j).
Anwendbarkeit von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
auf das konkrete Baubewilligungsverfahren offengelassen, da unter den gegebenen Umständen Verwirkung des Anspruchs auf eine öffentliche Verhandlung angenommen (E. 6a). | Sachverhalt
ab Seite 31
BGE 121 I 30 S. 31
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist Eigentümerin von Liegenschaften am Stadthausquai und an der Börsenstrasse in Zürich sowie Inhaberin der AG Hotel Bellerive au Lac, der die gleichnamige ehemalige Hotelliegenschaft am Utoquai in Zürich gehört. In diesen Liegenschaften möchte die SNB im Rahmen des Projekts "SNB 2000" zahlreiche Bauarbeiten ausführen. Im ehemaligen Hotel Bellerive au Lac sollen die wirtschaftswissenschaftliche Bibliothek und die Büros der geld-, währungs- und bankwirtschaftlichen Studienabteilungen untergebracht werden.
Am 2. März 1990 verweigerte die damalige Bausektion II des Stadtrates von Zürich die für den Umbau und die Umnutzung des ehemaligen Hotels Bellerive au Lac erforderliche Baubewilligung. Die gegen diesen Entscheid ergriffenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
BGE 121 I 30 S. 32
Der Stadtrat von Zürich stellte am 28. März 1990 das Gebäude des ehemaligen Hotels Bellerive au Lac unter Denkmalschutz. Von der Schutzmassnahme wurden nebst dem Gebäudeäusseren auch Teile des Gebäudeinnern erfasst. Sämtliche dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben erfolglos.
Gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, die hinsichtlich des ehemaligen Hotelgebäudes Bellerive au Lac den Bauabschlag und die Unterschutzstellung bestätigten, sowie gegen die Entscheide, die das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang als Revisionsinstanz fällte, erhoben die SNB und die AG Hotel Bellerive au Lac beim Bundesgericht je eine staatsrechtliche Beschwerde. Sie rügen die Verletzung von
Art. 4, 22ter und 58 BV
sowie von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
In seinem Urteil vom 28. Januar 1994 verneint das Verwaltungsgericht die Anwendbarkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention mit der Begründung, bei der SNB handle es sich um eine öffentliche Anstalt des Bundes, die keine nichtstaatliche Organisation im Sinne von
Art. 25 EMRK
sei und die sich daher nicht auf
Art. 6 EMRK
berufen könne. Dies gelte auch für die von der SNB beherrschte AG Hotel Bellerive au Lac.
a) Die EMRK enthält keine ausdrückliche Regelung des persönlichen Geltungsbereichs der in ihr garantierten Rechte und Freiheiten.
Art. 1 EMRK
statuiert die Verpflichtung der vertragschliessenden Staaten, allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I der Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zuzusichern. Gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist angehört wird. Präzisere Hinweise über den persönlichen Anwendungsbereich der Konvention fehlen.
Allerdings bestimmt
Art. 25 EMRK
, dass neben natürlichen Personen auch nichtstaatliche Organisationen oder Personenvereinigungen berechtigt sind, eine Individualbeschwerde bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte einzureichen. Aus dieser Norm, die nur die Berechtigung zur Individualbeschwerde regelt, wird zum Teil abgeleitet, dass sich staatliche Organisationen generell nicht auf die Konventionsrechte berufen können (JOCHEN ABR. FROWEIN/WOLFGANG PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, Kommentar, 1985, Art. 6 N. 6; Art. 25 N. 14;
BGE 121 I 30 S. 33
HEINZ GURADZE, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1968, Art. 6 N. 4). Nach anderen Auffassungen reicht der persönliche Anwendungsbereich der Konvention über
Art. 25 EMRK
hinaus (vgl. JACQUES VELU, La Convention européenne des droits de l'homme et les personnes morales, Miscellanea W.J. Ganshof van der Meersch, 1972, Band I, S. 591 ff.). Dabei wird zum Teil zwischen dem Staat und ihm unterstellten Personen des öffentlichen Rechts unterschieden sowie nach der Art des angerufenen Rechts differenziert (vgl. HERIBERT GOLSONG, La Convention européenne des droits de l'homme et les personnes morales, in: Université catholique de Louvain (Hrsg.), Les droits de l'homme et les personnes morales, 1970, S. 23, 31; HUBERT SCHORN, Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 1965, Art. 6 N. 3). JACQUES VELU (a.a.O., S. 596 ff.) vertritt eine weitgehende Gleichstellung von juristischen Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, allerdings nur in deren speziellem Zuständigkeitsbereich und soweit dies nicht mit den Grundsätzen des öffentlichen Dienstes unvereinbar sei.
Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat bisher Beschwerden von Trägern öffentlicher Gewalt, insbesondere von Gemeinden, grundsätzlich für unzulässig erklärt (Entscheid vom 14. Dezember 1988, Nr. 13252/87, i.S. Gemeinde Rothenthurm, DR 59/1989, S. 251 ff.; Entscheid vom 31. Mai 1974 betr. 16 österreichische Gemeinden, Nr. 5767/72 u.a., CD 46/1974, S. 118 ff., 125 f.). Soweit aus diesen Entscheiden erkennbar, wurde die Beschwerdeberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts allgemein abgelehnt, ohne nach der hoheitlichen oder privatrechtlichen Rechtsnatur ihres Handelns oder dem angerufenen Recht zu unterscheiden.
b) Die SNB ist eine spezialgesetzliche Aktiengesellschaft des Bundesrechts, deren Rechtsnatur umstritten ist. Sie wird als öffentlichrechtliche Anstalt, aber auch als Körperschaft oder überhaupt als juristische Person sui generis betrachtet (vgl.
BGE 105 Ib 348
E. 4c S. 357). Formell ist sie als Aktiengesellschaft konzipiert, allerdings mit einer spezifischen, vom sonstigen Gesellschaftsrecht abweichenden Ausgestaltung (SCHWEIZERISCHE NATIONALBANK [Hrsg.], Aufgaben, Instrumente, Organisation, 1989).
Die SNB regelt gemäss
Art. 39 BV
den Geldumlauf des Landes, erleichtert den Zahlungsverkehr und führt eine den Gesamtinteressen des Landes dienende Kredit- und Währungspolitik. Sie erfüllt somit öffentliche Aufgaben. Hierzu stehen ihr aufgrund des Nationalbankgesetzes vom 23. Dezember 1953 (NBG; SR 951.11) hoheitliche Befugnisse zu. Trotz ihrer formal privatrechtlichen
BGE 121 I 30 S. 34
Organisationsform trägt sie daher ein stark öffentlichrechtliches Gepräge (LEO SCHÜRMANN, Nationalbankgesetz und Ausführungserlasse, 1980, Art. 1 N. 3).
Ob ihr eine Berufung auf
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
aus diesem Grund verwehrt ist, kann jedoch im vorliegenden Fall offenbleiben, da dieses Recht - wie sich nachstehend ergibt - jedenfalls der zweiten Beschwerdeführerin zusteht.
Die AG Hotel Bellerive au Lac ist eine privatrechtliche Aktiengesellschaft, deren Anteile sich zu 100% im Eigentum der Nationalbank befinden. Dieser Aktienbesitz ändert aber nichts an der privatrechtlichen Natur der AG Hotel Bellerive au Lac, die rechtlich von der SNB zu unterscheiden ist und selbst keine öffentlichen Aufgaben erfüllt. Sie kann sich daher wie jede juristische Person des Privatrechts auf die EMRK berufen. Unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs, der vorliegend ausser Frage steht, gibt es keinen Grund, der privaten Grundeigentümerin die Berufung auf die EMRK unter Durchgriff auf den öffentlichrechtlichen Status ihrer Alleinaktionärin zu versagen.
c) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Begriff der zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
entsprechend der Praxis der Strassburger Organe auszulegen. Er umfasst nicht nur zivilrechtliche Streitigkeiten im engeren Sinne, sondern auch Verwaltungsakte einer hoheitlich handelnden Behörde, sofern diese massgeblich in Rechte und Verpflichtungen privatrechtlicher Natur eingreifen (
BGE 119 Ia 88
E. 3b S. 92). Im angeführten Entscheid ging es um die Unterschutzstellung eines Kino- und Theatersaals einschliesslich seiner Nebenräume und des Foyers. Das Bundesgericht hielt eine Massnahme, die zur Erhaltung der Räume in ihrem gegenwärtigen Zustand verpflichtet, für eine sehr weitgehende Beschränkung des Eigentums ("un caractère quasi expropriatif"), die in den Anwendungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
falle.
Im vorliegenden Fall betrifft die Unterschutzstellung ebenfalls wesentliche Teile des ehemaligen Hotelgebäudes Bellerive au Lac: Neben dem Gebäudeäussern mit allen Fassaden und Dachflächen samt An- und Aufbauten sind auch die konstruktiven Gebäudestrukturen - umfassend die Geschossdecken sowie die tragenden Wände und Stützen - sowie, in den vier Obergeschossen und im Dachgeschoss, zahlreiche Innenräume mit ihrer architektonischen Ausstattung unter Schutz gestellt. An den geschützten
BGE 121 I 30 S. 35
Teilen dürfen keine Änderungen vorgenommen werden, die ihren kunst- oder kulturhistorischen Charakter beeinträchtigen. Die Schutzobjekte müssen ordnungsgemäss im Original erhalten und dürfen auch durch Unterhaltsarbeiten nicht beeinträchtigt werden. Die Erstellung weiterer Gebäude auf der Liegenschaft sowie die Volumenvergrösserung des bestehenden Gebäudes sind untersagt. Dies hat zur Folge, dass die Grundeigentümerin das bestehende Gebäude weitgehend erhalten muss und Änderungen nur noch beschränkt möglich sind.
Unter diesen Umständen stellt die umstrittene Schutzverfügung eine wesentliche Eigentumsbeschränkung dar, die in den Anwendungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
fällt. Daraus ergibt sich, dass die von der Schutzmassnahme betroffene Grundeigentümerin grundsätzlich einen Anspruch hat, dass ihre Sache in billiger Weise öffentlich gehört wird.
d) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung ein fundamentales Prinzip dar, das nicht nur für den Einzelnen wichtig ist, sondern ebensosehr als Voraussetzung für das Vertrauen in das Funktionieren der Justiz erscheint (
BGE 119 Ia 99
E. 4a S. 104;
119 Ib 311
E. 6b S. 328 f.). Die Rechtsprechung steht mit derjenigen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang (vgl. Urteil i.S. Håkansson und Sturesson vom 21. Februar 1990, Série A, Vol. 171-A, Ziff. 66; Urteil i.S. Sutter vom 22. Februar 1984, Série A, Vol. 74, Ziff. 26; Urteil i.S. Pretto vom 8. Dezember 1983, Série A, Vol. 71, Ziff. 21; Urteil i.S. Axen vom 8. Dezember 1983, Série A, Vol. 72, Ziff. 25).
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verleiht dem Einzelnen einen Anspruch, seine Argumente mündlich in einer öffentlichen Sitzung dem Gericht vorzutragen (vgl. den Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte i.S. Fredin vom 9. Februar 1993, Série A, Vol. 283, Ziff. 42, sowie i.S. Adler c. Schweiz, Nr. 9486/81, VPB 1985 Nr. 74 § 51). Zwar erwähnt
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
die Mündlichkeit nicht ausdrücklich. Diese ist jedoch unentbehrliche Voraussetzung für die Teilnahme der Allgemeinheit an einem Verfahren (MIEHSLER/VOGLER, IntKommMRK Art. 6 N. 332; JEAN-MAURICE FRÉSARD, L'applicabilité de l'art. 6 § 1 CEDH au contentieux de l'assurance sociale et ses conséquences sous l'angle du principe de la publicité des débats, SVZ 62/1994 193, 195; vgl. auch
BGE 120 V 1
E. 3d S. 8).
e)
Art. 6 Ziff. 1 Satz 2 EMRK
sieht selber Ausnahmen von der Öffentlichkeit vor im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit oder wenn die Interessen von Jugendlichen, der Schutz
BGE 121 I 30 S. 36
des Privatlebens von Prozessparteien oder die Gefahr der Beeinträchtigung der Rechtspflege es gebieten (vgl. ARTHUR HAEFLIGER, Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung, in: Verfassungsrechtsprechung und Verwaltungsrechtsprechung, 1992, S. 247 f.; MIEHSLER/VOGLER, IntKommMRK, Art. 6 N. 334 ff.).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erachtet überdies gewisse Einschränkungen des Öffentlichkeitsprinzips im Rechtsmittelverfahren als konventionskonform. So entschied er, dass eine Rechtsmittelinstanz, die auf eine reine Rechtskontrolle beschränkt sei, im schriftlichen Verfahren entscheiden bzw. unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandeln könne, sofern in erster Instanz eine öffentliche Verhandlung stattgefunden habe (Urteil i.S. Ekbatani vom 26. Mai 1988, Série A, Vol. 134, Ziff. 31; Urteil i.S. Sutter vom 22. Februar 1984, Série A, Vol. 74, Ziff. 30; Urteil i.S. Axen vom 8. Dezember 1983, Série A, Vol. 72, Ziff. 28).
In anderen Fällen (Urteil i.S. Helmers vom 29. Oktober 1991, Série A, Vol. 211-A, Ziff. 36; Urteil i.S. Andersson vom 29. Oktober 1991, Série A, Vol. 212-B, Ziff. 27; Urteil i.S. Fejde vom 29. Oktober 1991, Série A, Vol. 212-C, Ziff. 31) ging der Gerichtshof noch einen Schritt weiter: Danach räumt
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
auch bei einem Berufungsgericht, das einen Fall hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen und der Rechtsausführungen überprüfen kann, nicht immer, unabhängig von der Art der zu entscheidenden Fragen, ein Recht auf eine öffentliche Verhandlung ein. Das Erfordernis der Öffentlichkeit sei sicherlich eines der Mittel, durch welches das Vertrauen in die Gerichte aufrechterhalten werde. Es gebe jedoch noch andere Gesichtspunkte, die bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer öffentlichen Verhandlung in Verfahrensstadien nach der Durchführung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung berücksichtigt werden müssten, wie das Recht auf ein Verfahren innerhalb angemessener Frist und das damit zusammenhängende Erfordernis einer raschen Erledigung der dem Gericht unterbreiteten Fälle. Wenn in erster Instanz eine öffentliche Verhandlung stattgefunden habe, könne daher das Fehlen einer solchen Verhandlung in zweiter oder dritter Instanz durch besondere Merkmale der betreffenden Verfahren gerechtfertigt sein. Dabei komme es insbesondere auf die Natur der konkret streitigen, von der Rechtsmittelinstanz zu beurteilenden Fragen an (vgl. dazu auch
BGE 119 Ia 316
E. 2b S. 318 sowie HAEFLIGER, a.a.O., S. 245 f.; FRANZ MATSCHER, Heilung von konventionswidrigen Mängeln unterinstanzlicher Verfahren durch Rechtsmittel; konventionswidrige Rechtsmittelverfahren bei konventionskonformen unterinstanzlichen
BGE 121 I 30 S. 37
Verfahren, in: Festschrift Adamovich, 1992, S. 420).
In jüngsten Entscheiden hat der Europäische Gerichtshof angedeutet, dass die Durchführung eines schriftlichen und damit nicht öffentlichen Verfahrens ausnahmsweise selbst dann konventionskonform sein könnte, wenn der Rechtsuchende bei der Vorinstanz keine Gelegenheit hatte, seine Sache öffentlich vor Gericht vorzutragen. Im Fall Fredin entschied der oberste Verwaltungsgerichtshof Schwedens als einzige gerichtliche Instanz über den Widerruf einer Schotterabbaugenehmigung. Die Europäische Kommission für Menschenrechte leitete den Verstoss gegen
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
bereits daraus ab, dass der Verwaltungsgerichtshof als einzige gerichtliche Instanz entschieden habe. Unter solchen Umständen habe der Betroffene immer das Recht auf eine öffentliche Verhandlung (Entscheid vom 9. Februar 1993, Série A, Vol. 283-A, Ziff. 42 f.). Der Europäische Gerichtshof bestätigte den Kommissionsentscheid, führte aber in seiner Begründung an, dies gelte jedenfalls, wenn die gerichtliche Instanz Rechts- und Tatsachenfragen überprüfen und die Beschwerde Fragen in beiden Bereichen aufwerfen könne, zumal zumindest zwei der fünf schwedischen Verwaltungsrichter eine mündliche Anhörung für erforderlich gehalten hätten (Urteil vom 23. Februar 1994, Série A, Vol. 283-A, Ziff. 22). Ferner ist zu beachten, dass das Eidgenössische Versicherungsgericht aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs i.S. Schuler-Zgraggen vom 24. Juni 1993 (Série A, Vol. 263, Ziff. 58) es für zulässig erachtet, in gewissen Fällen trotz Vorliegens eines entsprechenden Antrags von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abzusehen. Dabei würden namentlich die Gesichtspunkte der besseren Eignung des schriftlichen Verfahrens bei hochtechnischen Fragen und die im Sozialversicherungsprozess gebotene Einfachheit und Raschheit des Verfahrens ins Gewicht fallen (
BGE 120 V 1
E. 3d S. 8;
119 V 375
E. 4b/dd S. 381; vgl. auch FRÉSARD, a.a.O., S. 196).
f) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist schliesslich auch ein Verzicht auf die Öffentlichkeit der Verhandlung möglich. Er kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen (Urteil i.S. Zumtobel vom 21. September 1993, Série A, Vol. 268-A, Ziff. 80 f.; Urteil i.S. Schuler-Zgraggen gegen die Schweiz vom 24. Juni 1993, Série A, Vol. 263, Ziff. 58; Urteil i.S. Håkansson und Sturesson vom 21. Februar 1990, Série
BGE 121 I 30 S. 38
A, Vol. 263, Ziff. 58; Urteil i.S. Albert und Le Compte vom 10. Februar 1983, Série A, Vol. 58, Ziff. 35; Urteil i.S. Le Compte, Van Leuven und De Meyere vom 23. Juni 1981, Série A, Vol. 43, Ziff. 59). In den beiden erwähnten Fällen Håkansson und Sturesson und Schuler-Zgraggen nahm der Gerichtshof einen unzweideutigen Verzicht an, weil der Beschwerdeführer keinen Antrag auf öffentliche Verhandlung gestellt hatte, obwohl die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen diese Möglichkeit vorsahen und er wusste, dass in der Regel im schriftlichen Verfahren entschieden werde (vgl. auch
BGE 119 Ib 311
E. 6d und e S. 330 f.).
Zum gleichen Ergebnis kommt die Rechtsprechung des Bundesgerichts gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben und das Verbot des Rechtsmissbrauchs, welche auch im Verfahrensrecht Geltung haben (vgl.
BGE 107 Ia 206
E. 3a S. 211; vgl. auch Jean-François Egli, La protection de la bonne foi dans le procès, in: Verfassungsrechtsprechung und Verwaltungsrechtsprechung, 1992, S. 238 ff.). Danach ist es nicht zulässig, formelle Rügen, welche in einem frühen Stadium hätten geltend gemacht werden können, bei ungünstigem Ausgang noch später vorzubringen (
BGE 111 Ia 161
E. 1a S. 162 f.). In bezug auf die Garantie auf einen unvoreingenommenen Richter hat das Bundesgericht erkannt, dass Ablehnungs- oder Ausstandsgründe so früh wie möglich geltend zu machen sind und ein verspätetes Vorbringen gegen Treu und Glauben verstossen und daher die Verwirkung mit sich bringen kann (
BGE 118 Ia 282
E. 3a S. 284 und 209 E. 2d S. 215). Diese Rechtsprechung findet auch auf die Garantie eines öffentlichen Verfahrens gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
Anwendung (
BGE 119 Ia 221
E. 5a und b S. 228 ff.).
g) Die Beschwerdeführerinnen rügen, dass im Hauptverfahren vor dem Verwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung stattfand. Ob im erstinstanzlichen Rekursverfahren öffentlich hätte verhandelt werden müssen, ist dagegen nicht Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde. Einer der in der Konvention aufgezählten Ausnahmegründe, welcher ein Absehen von der Öffentlichkeit rechtfertigen würde, ist nicht gegeben. Namentlich sind auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die im Interesse der Rechtspflege eine nichtöffentliche Verhandlung erfordern würden. Im Gegensatz zum Sachverhalt, der den erwähnten Urteilen i.S. Ekbatani, Helmers, Andersson und Fejde zugrunde lag, wurde im vorliegenden Fall auch das vorinstanzliche Verfahren vor der Baurekurskommission schriftlich, also ohne öffentliche Verhandlung, durchgeführt. Der
BGE 121 I 30 S. 39
Augenschein vom 13. März 1991, an dem nur die Parteien teilnehmen konnten, war nicht öffentlich und genügte in dieser Hinsicht den Anforderungen von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht (vgl. dazu das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Mai 1994 in ZBl 95/1994 568 f. E. 5c).
Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Beschwerdeführerinnen allenfalls auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtet haben oder ob nach der angeführten jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Umstände vorliegen, welche es rechtfertigen, von einer öffentlichen Verhandlung abzusehen.
h) Im Verfahren betreffend die Unterschutzstellung des ehemaligen Hotels Bellerive au Lac beantragten die Beschwerdeführerinnen mit Schreiben vom 29. Juli 1993 die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung. Im Rekursverfahren hatten sie dagegen die Öffentlichkeit nicht verlangt. Es geht nicht an, darin einen für das Verwaltungsgerichtsverfahren wirksamen Verzicht zu erblicken. Dies ergibt sich namentlich aus den folgenden Umständen.
Zur Abklärung der Schutzwürdigkeit des ehemaligen Hotels Bellerive au Lac und des erforderlichen Schutzumfangs holte das Verwaltungsgericht eine Expertise ein. Die Beschwerdeführerinnen waren mit der Wahl des Gutachters durch das Verwaltungsgericht nicht einverstanden. Sie bezeichneten sein Gutachten als nicht schlüssig und reichten dem Verwaltungsgericht eine Stellungnahme der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege ein. Für den Fall, dass eine Einigung nicht möglich sein sollte, stellten sie den erwähnten Antrag, es sei das Verfahren mit einer öffentlichen Verhandlung abzuschliessen.
Da das Verwaltungsgericht somit den Sachverhalt mit einer Expertise einer gründlichen Überprüfung unterzog, konnte ein allfälliger Verzicht auf eine öffentliche Verhandlung vor der Baurekurskommission von vornherein keine Wirksamkeit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren haben. Vielmehr zeigen die weitreichenden und umstrittenen Beweismassnahmen des Verwaltungsgerichts, dass die Beschwerdeführerinnen durchaus ein berechtigtes Interesse an der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung haben konnten.
i) Die Voraussetzungen, um trotz eines Antrags auf eine öffentliche Verhandlung zu verzichten, sind im vorliegenden Fall ebenfalls nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht hat als Beschwerdeinstanz entschieden. Hebt es eine angefochtene Anordnung auf, entscheidet es gemäss § 63 Abs. 1 VRG grundsätzlich selbst. Dabei darf es über die gestellten Rechtsbegehren
BGE 121 I 30 S. 40
nicht hinausgehen und die aufgehobene Anordnung nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers abändern (§ 63 Abs. 2 VRG). Das Verwaltungsgericht ist nicht auf eine Rechtskontrolle beschränkt, sondern es überprüft auch die Feststellung des Sachverhalts (vgl. § 51 Abs. 2 VRG). Im vorliegenden Fall hat es wie erwähnt von dieser Befugnis Gebrauch gemacht und die Schutzwürdigkeit und den allenfalls erforderlichen Schutzumfang mit einer Expertise abklären lassen. Angesichts der erfolgten umfassenden Prüfung konnte nicht von einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden, soll das Öffentlichkeitsprinzip gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht seiner Substanz entleert werden.
j) Es ergibt sich somit, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren betreffend die Unterschutzstellung des ehemaligen Hotels Bellerive au Lac zu Unrecht eine öffentliche, mündliche Verhandlung abgelehnt und dadurch
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verletzt hat. Da der verletzte Anspruch formeller Natur ist, führt die Gutheissung der Rüge zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids, unbekümmert darum, ob dieser anders ausgefallen wäre, wenn eine öffentliche Verhandlung stattgefunden hätte, oder ob er in der Sache vor der Verfassung standhält. Der Mangel lässt sich im vorliegenden Verfahren nicht beheben. Es ist daher der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 28. Januar 1994 aufzuheben, ohne die weiteren, dagegen erhobenen Rügen zu prüfen.
6.
Im Verfahren betreffend die Verweigerung der Baubewilligung hielt das Verwaltungsgericht
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
für sachlich nicht anwendbar. Es argumentierte im Revisionsentscheid vom 4. März 1993, es werde weder ein Bauverbot noch eine neue Nutzungsbeschränkung ausgesprochen, sondern es gehe lediglich um die Einhaltung der bestehenden Vorschriften über den vorgeschriebenen Wohnanteil, und dies stelle keine Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen dar.
a) Im Baubewilligungsverfahren stellten die Beschwerdeführerinnen weder vor der Baurekurskommission noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren einen Antrag auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Sie verlangten die Ansetzung einer öffentlichen Verhandlung erstmals im Revisionsgesuch.
Aufgrund der gesamten Umstände hätten die Beschwerdeführerinnen aber in verschiedener Hinsicht Anlass gehabt, ein öffentliches Verfahren zu verlangen: Die §§ 57 ff. VRG gehen grundsätzlich von einem schriftlichen Verfahren auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen
BGE 121 I 30 S. 41
Vernehmlassungen der Parteien aus (ALFRED KÖLZ, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 1978, § 59 N. 2 f. und § 67 N. 1). Das Verwaltungsgericht oder dessen Vorsitzender kann allerdings gemäss § 59 Abs. 1 VRG eine mündliche Verhandlung anordnen. Diese ist gemäss § 62 Abs. 1 Satz 1 VRG öffentlich. Öffentliche Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht sind also grundsätzlich möglich. Streitsachen über Baubewilligungen werden jedoch üblicherweise im schriftlichen Verfahren durchgeführt. In dieser Situation wusste der mit der Zürcher Rechtslage und Praxis vertraute Rechtsvertreter der Beschwerdeführerinnen, dass eine öffentliche Verhandlung nur auf ausdrücklichen Antrag hin stattfinden werde. Das Verwaltungsgericht war angesichts der klaren Rechtslage und Praxis auch nicht verpflichtet, die Beschwerdeführerinnen darauf hinzuweisen, dass sie ausdrücklich um ein öffentliches Verfahren ersuchen müssten, wenn sie ein solches wünschten (
BGE 119 Ia 221
E. 5b S. 229).
In Anbetracht all dieser Umstände wäre es geboten gewesen, eine mündliche Verhandlung ausdrücklich schon im kantonalen Verfahren zu verlangen, und zwar spätestens im Hauptverfahren vor dem Verwaltungsgericht. Das Revisionsverfahren diente nur noch der Berichtigung prozessualer Versehen, nicht aber der Stellung neuer, im Hauptverfahren versäumter Verfahrensanträge. Es verstösst daher gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sich die Beschwerdeführerinnen erst nachträglich - im Revisionsgesuch bzw. in ihrer staatsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht - auf das Öffentlichkeitsprinzip nach
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
berufen. Sie haben damit ihren Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung verwirkt und können ihn nicht mehr geltend machen. Demnach muss auf die Rüge nicht weiter eingegangen werden. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
584a961b-1e9c-4643-806c-f7f1fe92fcd2 | Urteilskopf
112 Ib 320
51. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Mai 1986 i.S. Müller gegen Bischof AG, Gemeinde Speicher und Regierungsrat des Kantons Appenzell A.Rh. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 29 Abs. 1 und 2 der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei vom 1. Oktober 1965 (FPolV); Verwaltungsgerichts- oder staatsrechtliche Beschwerde.
Abgrenzung des bundesrechtlichen Walderhaltungsgebotes (
Art. 29 Abs. 1 FPolV
) zu den kantonalrechtlichen Waldabstandsvorschriften (
Art. 29 Abs. 2 FPolV
) (Ergänzung zu
BGE 107 Ia 337
) (E. 3a, b).
Legitimation im kantonalen Verfahren -
Art. 103 lit. a OG
.
Das kantonale Recht hat die Einsprache- und Beschwerdebefugnis für die im Baubewilligungsverfahren aufgeworfene Frage der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit dem eidgenössischen Forstpolizeirecht mindestens im gleichen Umfang zu gewähren wie nach Bundesrecht (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 321
BGE 112 Ib 320 S. 321
Die Firma E. Bischof AG plant im Rahmen einer Sanierung ihrer Tankanlagen, auf dem Grundstück Nr. 294 ein Tanklager zu erstellen. Gegen dieses Vorhaben erhob Hans R. Müller erfolglos Einsprache u.a. mit der Begründung, die geplante Baute sei nicht zonenkonform und unterschreite den zulässigen Wald- und Gewässerabstand. Gegen den Einsprachentscheid rekurrierte Hans R. Müller beim Regierungsrat des Kantons Appenzell A.Rh., der indessen mangels Legitimation des Rekurrenten auf die Beschwerde nicht eintrat. Eine dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Beschwerdeführer macht geltend, Art. 29 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei vom 1. Oktober 1965 (FPolV) sei verletzt.
Art. 29 Abs. 1 FPolV
schreibt als Gebot des Bundesrechts vor, dass Bauten in Waldesnähe, welche die Erhaltung des Waldes beeinträchtigen, unzulässig seien. Dieses Gebot werde verletzt, weil der beanstandete Bau unmittelbar an die Waldgrenze zu stehen käme (Abstand null); es seien sogar widerrechtlich bereits Bäume gefällt worden.
b) Die Kantone erlassen gemäss
Art. 29 Abs. 2 FPolV
"Vorschriften über einen angemessenen Abstand der Bauten vom Waldrand (
Art. 686 ZGB
)". Diese Vorschriften haben als kantonales Recht selbständige Bedeutung, auch wenn sie sich auf das eidgenössische Forstpolizeirecht stützen; ihre Verletzung wäre mit staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen (
BGE 107 Ia 337
ff.). Der Kanton Appenzell A.Rh. besitzt solche Abstandsvorschriften. Offenbar hat die kantonale Forstdirektion für die Unterschreitung des Waldabstandes eine Ausnahmebewilligung erteilt (vgl. Umzonungsbeschluss des Regierungsrates vom 25. Februar 1986, Abschnitt "Formelles"). Auch wenn das kantonale Recht solche Ausnahmebewilligungen vorsieht, dürfen diese nicht zur Verletzung des bundesrechtlichen Gebots gemäss
Art. 29 Abs. 1 FPolV
führen. Wenn - wie im vorliegenden Fall - die Baute direkt am Waldrand, d.h. mit einem Waldabstand null, erstellt werden soll und dafür sogar einige Bäume gefällt werden müssen, wird auf die Einhaltung eines Waldabstandes überhaupt verzichtet; damit ist
BGE 112 Ib 320 S. 322
das bundesrechtliche Walderhaltungsgebot gemäss
Art. 29 Abs. 1 FPolV
gefährdet. Eine Verletzung dieses Gebotes ist - wie der Beschwerdeführer richtigerweise geltend macht - mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu rügen.
c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat das kantonale Recht die Einsprache- und Beschwerdebefugnis für die im Baubewilligungsverfahren aufgeworfene Frage der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit dem eidgenössischen Forstpolizeirecht mindestens im gleichen Umfang zu gewähren wie nach Bundesrecht (
BGE 109 Ib 216
E. 2b mit Hinweisen). Es bleibt demnach zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zur Rüge der Verletzung von
Art. 29 Abs. 1 FPolV
gemäss
Art. 103 lit. a OG
legitimiert ist. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
584e1c50-7d89-4fac-9ac1-91519f77e0a0 | Urteilskopf
88 II 241
35. Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Juli 1962 i.S. Eheleute W. | Regeste
Klage auf Ehescheidung wegen tiefer Zerrüttung (
Art. 142 ZGB
).
Vorwiegende Schuld des klagenden Ehemannes, der nach langjähriger, ohne wesentliche Trübung verlaufener Ehe ein ehewidriges Verhältnis mit einer andern Frau anknüpft (
Art. 142 Abs. 2 ZGB
). Es ist nicht zulässig, die Scheidung in der Hauptsache auf verallgemeinernde Schlüsse über die Entwicklung und die Auswirkungen des Charakters des beklagten Ehegatten zu stützen (
Art. 158 Ziff. 1 ZGB
). | Sachverhalt
ab Seite 242
BGE 88 II 241 S. 242
Die Eheleute W., geb. 1909 bezw. 1911, sind seit dem Jahre 1936 verheiratet. In den Jahren 1946 und 1949 kamen ihre beiden Kinder zur Welt.
Im Frühjahr 1959 klagte der Ehemann auf Scheidung der Ehe wegen tiefer Zerrüttung. Das Bezirksgericht Zürich wies die Klage am 7. Oktober 1960 gemäss Antrag der Beklagten in Anwendung von
Art. 142 Abs. 2 ZGB
ab, weil die bestehende Störung des ehelichen Verhältnisses, das vor 1955 nicht ernsthaft getrübt gewesen sei, in erster Linie auf die im Jahre 1955 beginnenden, zum mindesten grob ehewidrigen Beziehungen des Klägers mit Fräulein X (geb. 1918) zurückgeführt werden müsse. Das Obergericht des Kantons Zürich hat dagegen nach Durchführung eines Beweisverfahrens mit Urteil vom 10. November 1961 die Scheidung ausgesprochen und deren Neben olgen geordnet.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Hauptantrag auf Abweisung der Klage.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Vorinstanz nimmt in Übereinstimmung mit dem Bezirksgericht an, die Ehe der Parteien sei im Jahre 1955, als der Kläger ehewidrige Beziehungen mit Fräulein X anknüpfte, noch nicht so tief zerrüttet gewesen, dass der Scheidungsgrund von
Art. 142 Abs. 1 ZGB
zugetroffen hätte. Auf Grund der Tatsachen, die sie für die Zeit vom Eheschluss (1936) bis zum Jahre 1955 festgestellt hat, ist
BGE 88 II 241 S. 243
dieser Annahme beizupflichten. Was der Kläger aus jenen 19 Jahren vorgebracht hat, sind gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz teils Dinge, denen er seinerzeit selber keine Bedeutung beimass (sog. Laienabtreibung im Jahre 1937), teils unbewiesene oder gar widerlegte Behauptungen oder Übertreibungen. Die wenigen Feststellungen der Vorinstanz über ein tadelnswertes Verhalten der Beklagten in jener Zeit erlauben keineswegs den Schluss, dass der Kläger schon 1955 die Scheidung hätte verlangen können. Wenn auf S. 5 des angefochtenen Urteils erklärt wird, die Beklagte habe anfangs der fünfziger Jahre begonnen, viel allein auszugehen, so ist dies schon deshalb unerheblich, weil weder über das Ausmass dieser Ausgänge bis zum Jahre 1955 noch über deren Wirkung auf die Beziehungen zwischen den Parteien nähere Feststellungen vorliegen. Bei der "lieblosen Kritik", welche die Beklagte gemäss S. 17 des Urteils in den Jahren 1948/49 an den beruflichen Fähigkeiten des Klägers geübt hat, handelt es sich um zwei vereinzelte belanglose Begebenheiten. Die Vorinstanz bemerkt zwar, von der fraglichen Stellungnahme der Beklagten könne nicht angenommen werden, "es habe sich um eine einmalige Äusserung zur Schwägerin gehandelt und (sie) sei nicht auch dem Kläger gegenüber ausdrücklich oder verhüllt zum Ausdruck gelangt". Damit hat sie aber keine Feststellung getroffen, sondern nur eine Vermutung geäussert. Im übrigen hat sie selber nicht gefunden, dass diese weit zurückliegende Angelegenheit im Jahre 1955 zur Stützung eines Scheidungsbegehrens hätte dienen können.
Hinsichtlich des Verhältnisses mit Fräulein X, das der Kläger demnach bei noch nicht ernstlich gestörter Ehe eingegangen ist, geht die Vorinstanz über die Einzelheiten, die für die Beurteilung der Schuld des Klägers bedeutsam sind, mit Stillschweigen hinweg. Aus dem bezirksgerichtlichen Urteil, auf dessen tatsächliche Ergebnisse die Vorinstanz verweist, und aus den Zugeständnissen des Klägers erhellt, dass er in den Jahren 1955/1957 mit Fräulein
BGE 88 II 241 S. 244
X drei Ferienreisen in seinem Auto unternahm, die u.a. nach Paris, Hamburg und Wien führten. Der Beklagten gab er an, er reise mit einem Franz Müller. Ausserdem begab er sich mit ihr nach Arosa, Genf, Grosswangen (Arbeitsort von Fräulein X), in die Umgebung von Zürich und nach Stuttgart. Manchmal war seine Schwester dabei, manchmal nicht. Es handelte sich also um sehr rege Beziehungen. Ob es dabei zu geschlechtlichen Vertraulichkeiten gekommen sei oder ob solche unterblieben seien, wie dies die Vorinstanz auf Grund der Zeugenaussagen von Fräulein X annimmt, ist im angefochtenen Urteil mit Recht als nebensächlich bezeichnet worden. Die Beziehungen mit dieser andern Frau haben auf jeden Fall eine Intensität erreicht und Formen angenommen, wie sie sonst nur bei ehebrecherischen Verhältnissen vorzukommen pflegen. Für einen in dieser Weise hintergangenen und beiseitegeschobenen Ehegatten ist es ein schlechter Trost, wenn ihm beteuert wird, es sei zu keinen Intimitäten gekommen. Selbst wenn er dies zu glauben vermag, steht er nach aussen doch als betrogener Ehegatte da. Zudem muss eine aussereheliche "Freundschaft" der in Frage stehenden Art den andern Ehegatten in gewissem Sinn eher noch mehr kränken als ein ehebrecherisches Verhältnis, bei dem er sich immerhin vorstellen kann, der untreue Ehegatte sei vielleicht einfach einer sinnlichen Begierde erlegen.
Vor diesem Hintergrund betrachtet, erscheint als wenig bedeutsam, dass der Kläger, wie die Vorinstanz erklärt, nach der Wienerreise vom Jahre 1957 seine "engen" freundschaftlichen Beziehungen zu Fräulein X "abgebrochen" hat. Dieser Abbruch bestand im wesentlichen nur darin, dass keine gemeinsamen Ferienreisen mehr unternommen wurden. Autofahrten wurden dagegen nach der eigenen Darstellung des Klägers immer noch gemacht. Wenn dies, wie der Kläger behauptet, nur noch selten und in Begleitung seiner Schwester geschah, so lag darin nach dem Vorausgegangenen trotzdem eine grobe Ungehörigkeit. Die
BGE 88 II 241 S. 245
Vorinstanz übersieht, dass in solchen Dingen der Schein nicht minder wichtig ist als die für den andern Teil nicht erkennbare Wirklichkeit und dass ein Ehegatte verpflichtet ist, auch den bösen Schein zu vermeiden, zumal wenn er wie hier für sein Verdacht erregendes Verhalten nicht die geringste erwägenswerte Begründung geben kann.
Verglichen mit dem langjährigen grob ehewidrigen Verhalten, das dem Kläger hienach zur Last fällt, sind die Handlungen, welche die Vorinstanz der Beklagten vorwirft, von so untergeordneter Bedeutung, dass es eine Bundesrechtsverletzung bedeutet, das Benehmen der Beklagten im gleichen Masse wie dasjenige des Klägers für die Zerrüttung der Ehe verantwortlich zu machen. Ohne erhebliche Bedeutung sind namentlich die abendlichen Ausgänge der Beklagten zu einer Zeit, da der Kläger ihr nichts mehr nachfragte, sondern - kurz vor und nach Einreichung des Scheidungsbegehrens - Prozessmaterial sammelte und zu diesem Zweck ein Verzeichnis ihrer Ausgänge anlegte. Die bereits erwähnten "lieblosen" Äusserungen erfolgten in den Jahren 1948/49, zu einer Zeit also, da die Ehe der Parteien nach Feststellung der Vorinstanz von der Zerrüttung noch weit entfernt war. Um jene Zeit wurde ja das zweite Kind der Parteien gezeugt. Bei den auf S. 17/18 des angefochtenen Urteils angeführten Äusserungen zum Thema der Untreue handelt es sich um unüberlegte Geschmacklosigkeiten, wie sie in weiten Kreisen als witzig gelten. Jedenfalls sieht man nicht, inwiefern diese einem Dritten gegenüber beiläufig erfolgten Bemerkungen die ehelichen Beziehungen gestört haben sollen. Was die Vorinstanz über das Verhältnis der Beklagten zu den Kindern der Parteien feststellt, hat sich alles während des Prozesses abgespielt. Zudem besagen diese Vorfälle nichts über das vorangegangene Verhältnis zwischen den Parteien selber. Ebenfalls in die Zeit nach Einreichung des Scheidungsbegehrens fällt die Weigerung der Beklagten, für die Familie zu kochen. Der Kläger hatte dieses Verhalten im übrigen provoziert, indem er das Haushaltungsgeld
BGE 88 II 241 S. 246
selbstherrlich von ca. Fr. 700. - auf Fr. 450.-- herabgesetzt hatte.
Zu Unrecht versucht die Vorinstanz, aus den "wenigen Beispielen, die im Prozess zu Tage traten oder nachgewiesen werden konnten", den Schluss zu ziehen, dass sich die ungünstigen Charaktereigenschaften, die sie der Beklagten vorwirft, auch sonst in der Ehe und im Familienleben nachteilig ausgewirkt haben. Dieses Vorgehen verstösst gegen
Art. 158 Ziff. 1 ZGB
, weil es darauf hinausläuft, die Scheidung zu einem wesentlichen Teil auf Tatsachen zu stützen, über die keinerlei konkrete Angaben gemacht werden können und von deren Vorhandensein der kantonale Richter sich darum auch nicht überzeugen konnte. Vollends unzulässig ist es, auf Grund der "allgemeinen Lebenserfahrung" bei einer Partei eine Charakterentwicklung anzunehmen, die zwar gelegentlich vorkommt, im gegebenen Fall aber nicht durch bestimmte Tatsachen sichtbar geworden ist. Im übrigen müssten eine bei der Beklagten in den letzten Jahren allenfalls eingetretene Verhärtung des Wesens und deren Auswirkungen in der Hauptsache auf das ehewidrige Verhalten des Klägers zurückgeführt werden.
Man hat es also in Wirklichkeit nur mit dem alltäglichen Falle eines Mannes zu tun, der sich, nachdem die Ehe viele Jahre ohne wesentliche Trübung verlaufen ist, einer andern Frau zuwendet und fortan an seiner Ehefrau alles Erdenkliche auszusetzen findet, was ihn bisher nicht erheblich gestört hat. Gerade solche Fälle will
Art. 142 Abs. 2 ZGB
treffen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Berufung wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
58533a66-1319-4a76-902b-8f17d6d068bb | Urteilskopf
121 IV 23
5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Januar 1995 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
(a.F.); unrechtmässige Verwendung anvertrauten Guts; Verheimlichen eines Zahlungseinganges.
Die tatbestandsmässige Handlung bei der Gutsveruntreuung besteht in einem Verhalten des Täters, durch welches er eindeutig seinen Willen bekundet, den obligatorischen Anspruch des Treugebers zu vereiteln. Bekundung dieses Willens bejaht bei einem Notar und Grundbuchverwalter, der die Einnahme von Steuergeldern gegenüber dem Steuerhoheitsträger mittels unwahrer Belege verschleiert hat. | Sachverhalt
ab Seite 24
BGE 121 IV 23 S. 24
Das Kantonsgericht des Kantons Schwyz verurteilte X. am 3. Mai 1994 zweitinstanzlich wegen qualifizierter Veruntreuung, Urkundenfälschung im Amt, Amtsmissbrauchs und Betrugs zu 24 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 3 Tagen.
Eine von X. dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der Beschwerdeführer amtete als Notar und Grundbuchverwalter des Kreises Y. In zwei Fällen leitete er dem Notariat zuhanden des Bezirks Y. überwiesene Handänderungssteuern im Betrage von Fr. 3'000.-- bzw. Fr. 23'500.-- nicht bzw. erst auf Reklamation hin an den Bezirk weiter. In den entsprechenden Handänderungsanzeigen erklärte er gegenüber dem Bezirk jeweils wahrheitswidrig, es sei infolge Steuerbefreiung keine Handänderungssteuer bezahlt worden. Die Vorinstanz verurteilte den Beschwerdeführer in diesem Anklagepunkt wegen Veruntreuung.
Der Beschwerdeführer wendet ein, er habe sich das Geld nicht angeeignet. Eine Aneignung wäre nur zu bejahen, wenn er die Steuereinnahmen, anstatt sie auf dem Notariat zu belassen, in seine Tasche hätte fliessen lassen. Das habe er nicht getan. Selbst wenn er den Willen gehabt hätte, die Gelder zu behalten, hätte er diesen nicht betätigt.
b) Gemäss
Art. 140 Ziff. 1 StGB
in seiner vor dem 1. Januar 1995 geltenden alten Fassung (im wesentlichen identisch mit
Art. 138 Ziff. 1 StGB
n.F.) ist wegen Veruntreuung strafbar, wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern (Abs. 1), oder wer anvertrautes Gut, namentlich Geld, unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen verwendet (Abs. 2). Bei den auf das Notariatskonto überwiesenen Steuerbeträgen handelt es sich um Buchgeld, also um unkörperliche Werte. Damit geht es hier um die
BGE 121 IV 23 S. 25
Tatbestandsvariante nach Abs. 2 (
BGE 118 IV 32
E. 2a mit Hinweisen). Da das Tatbestandsmerkmal des Anvertrautseins unstrittig gegeben ist, ist entscheidend, ob der Beschwerdeführer das auf das Notariatskonto überwiesene Geld unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen verwendet hat.
c) Im eigentlichen Veruntreuungstatbestand nach Abs. 1 besteht die Tathandlung in der Aneignung. Aneignung setzt voraus, dass der Täter einerseits den Willen auf dauernde Enteignung des Eigentümers und anderseits den Willen auf zumindest vorübergehende Zueignung der Sache an sich selbst hat. Dabei genügt es aber nicht, dass der Täter den Aneignungswillen hat, er muss ihn vielmehr auch betätigen; denn strafbar ist niemals der Wille als solcher, sondern immer nur ein bestimmt geartetes Verhalten (
BGE 118 IV 148
E. 2a mit Hinweisen). Eine Aneignung wird in der Literatur unter anderem bei Leugnen des Besitzes angenommen (SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 2. Band, Art. 141 N. 5; NOLL, ZStrR 71/1956, S. 164).
Die Auslegung der Tathandlung der unrechtmässigen Verwendung anvertrauten Gutes nach Abs. 2 hat sich an diese Überlegungen anzulehnen (SCHUBARTH, a.a.O., Art. 140 N. 46). Abs. 2 schützt nicht das Eigentum, sondern den dem Treugeber aus der Übereignung an den Treuhänder entstandenen obligatorischen Anspruch. Entsprechend besteht die tatbestandsmässige Handlung nach Abs. 2 in einem Verhalten des Täters, durch welches er eindeutig seinen Willen bekundet, den obligatorischen Anspruch des Treugebers zu vereiteln (REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 6. Aufl., S. 97; REHBERG, ZStrR 92/1976, S. 38 f.; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Aufl., § 13 N. 58). In
BGE 98 IV 29
bejahte das Bundesgericht die unrechtmässige Verwendung in einem Fall, wo der Täter den Treugeber über einen Zahlungseingang nicht unterrichtete und die Zahlung abmachungswidrig seiner Aktiengesellschaft überliess (E. 1c). Im Schrifttum wird ebenfalls angenommen, die Tathandlung von Abs. 2 sei erfüllt, wenn der Täter ein Inkasso verheimlicht (vgl. NOLL, a.a.O.; SCHULTZ, ZBJV 109/1973, S. 417; REHBERG/SCHMID, a.a.O.; REHBERG, a.a.O., S. 39; STRATENWERTH, a.a.O.; SCHUBARTH, a.a.O., Art. 140 N. 47; LUKAS SCHAUB, Die unrechtmässige Verwendung anvertrauten Gutes, Basel 1979, S. 127).
d) Die Handänderungssteuern wurden hier auf das Notariatskonto einbezahlt, damit sie der Beschwerdeführer an den Bezirk weiterleite. Der Beschwerdeführer unterrichtete den Bezirk über die Zahlungseingänge jedoch
BGE 121 IV 23 S. 26
nicht. Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
), hatte der Beschwerdeführer den Willen, dem Bezirk die Einnahme der Handänderungssteuern zu verheimlichen. Diesen Willen hat er auch betätigt. In den beiden Handänderungsanzeigen erklärte er gegenüber dem Bezirk wahrheitswidrig, es seien infolge Steuerbefreiung keine Handänderungssteuern bezahlt worden. Er ist somit nicht untätig geblieben, sondern hat aktiv die Zahlungseingänge verschleiert. Seine Verurteilung wegen Veruntreuung in diesem Punkt verletzt deshalb Bundesrecht nicht. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
5854eee0-1428-414c-9025-a7e2420eb2b1 | Urteilskopf
107 III 84
20. Estratto della sentenza 2 ottobre 1981 della Camera delle esecuzioni e dei fallimenti nella causa G. S.A. (ricorso) | Regeste
Art. 242 SchKG
, 45 ff. KOV; Aussonderungsverfahren.
1. Die Konkursverwaltung verfügt nach Ablauf der Eingabefrist über die Herausgabe von Sachen, welche sich in der Verfügungsgewalt der Masse befinden und von einem Dritten zu Eigentum angesprochen werden (
Art. 242 Abs. 1 SchKG
und 45 KOV): Entweder bestreitet sie den Anspruch des Dritten und setzt diesem unverzüglich eine Frist von zehn Tagen zur Anhebung der Klage an (
Art. 242 Abs. 2 SchKG
und 46 KOV) oder sie anerkennt ihn und gibt dem Dritten von ihrer Verfügung erst Kenntnis, wenn feststeht, dass die zweite Gläubigerversammlung nichts anderes beschlossen oder kein Gläubiger die Abtretung der Ansprüche der Masse auf den Gegenstand verlangt hat (
Art. 47 ff. KOV
) (E. 2).
2. Eigentumsansprache an einer Sache, an der zugleich ein Retentionsrecht geltend gemacht wird (
Art. 53 KOV
): Die Konkursverwaltung hat sich erst dann über das Retentionsrecht auszusprechen, wenn das die Eigentumsansprache abweisende Urteil in Rechtskraft erwachsen ist; bleibt die Eigentumsansprache unbestritten, so hat sich die Konkursverwaltung nicht mit dem allfälligen Streit zwischen dem Drittansprecher und dem Gläubiger, der das Retentionsrecht geltend macht, zu befassen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 85
BGE 107 III 84 S. 85
La G. S.A., fondandosi sul patto di riserva della proprietà, ha chiesto la restituzione del veicolo Unimog-Ruthmann da lei venduto e successivamente inventariato nel fallimento dell'acquirente. L'Ufficio di esecuzione e fallimenti (UEF) ha comunicato alla G. S.A. di avere annotato la rivendicazione della proprietà, ma di rinviare ogni decisione a dopo la crescita in giudicato della graduatoria, poiché sul medesimo veicolo la I. S.A. ha fatto valere un diritto di ritenzione dipendente da pigioni arretrate. Il 2 settembre 1981 la Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello ticinese, in evasione del reclamo presentato dalla G. S.A., ha invitato l'UEF a fissare alla rivendicante un termine per il promovimento dell'azione di rivendicazione secondo gli
art. 242 cpv. 2 LEF
e 45 e 46 del regolamento concernente l'amministrazione
BGE 107 III 84 S. 86
degli uffici dei fallimenti del 13 luglio 1911 (RUF). La G. S.A. ha presentato ricorso contro la sentenza dell'autorità di vigilanza, asserendo che il mancato riconoscimento della proprietà sul veicolo, non essendo contestata la validità del patto di riserva della proprietà, viola l'
art. 242 LEF
. La ricorrente ha chiesto che la decisione impugnata sia annullata e che sia ordinato all'UEF di separare il veicolo dalla massa fallimentare, di restituirlo alla rivendicante e di dichiarare senza effetto il diritto di ritenzione della I. S.A.
Il Tribunale federale ha annullato la sentenza impugnata ed ha respinto il reclamo presentato dalla G. S.A. all'autorità di vigilanza.
Erwägungen
Considerando in diritto:
2.
L'amministrazione del fallimento decide circa la restituzione delle cose rivendicate da un terzo (
art. 242 cpv. 1 LEF
). Queste decisioni, se le cose rivendicate sono detenute dalla massa, devono essere prese dopo la scadenza del termine per l'insinuazione dei crediti previsto dall'
art. 232 cpv. 2 n. 2 LEF
(
art. 45 RUF
). In sostanza l'amministrazione del fallimento ha due possibilità: ovvero contesta la pretesa del terzo, ovvero la riconosce. Nella prima ipotesi essa deve fissare al terzo rivendicante, subito dopo la scadenza del termine d'insinuazione, un termine di dieci giorni per promuovere l'azione civile, conformemente agli
art. 242 cpv. 2 LEF
e 46 RUF; nella seconda eventualità essa deve procedere secondo gli art. 47 segg. RUF, segnatamente dilazionando la comunicazione della decisione e la restituzione della cosa al terzo rivendicante fino al momento in cui è accertato che la seconda assemblea dei creditori non ha preso una decisione contraria e che nessun creditore ha chiesto la cessione delle pretese della massa sulla cosa rivendicata, in conformità con l'
art. 260 LEF
. Infine, se la pretesa del terzo è contestata e la massa non è detentrice della cosa rivendicata, spetta alla massa, o a eventuali creditori cessionari, di promuovere l'azione contro il terzo, senza essere vincolata all'osservanza di un termine (
DTF 99 III 14
/15,
DTF 93 III 102
e riferimenti; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, pag. 334 segg.).
Nel caso concreto l'UEF, com'è facilmente desumibile dallo scambio di corrispondenza avvenuto con la ricorrente e dalle osservazioni al reclamo presentate all'autorità di vigilanza, ha inteso unicamente
BGE 107 III 84 S. 87
rinviare la decisione sulla rivendicazione della proprietà avanzata dalla G. S.A. fino al deposito della graduatoria. Verosimilmente esso intendeva quindi riconoscere la pretesa della rivendicante: l'autorità di vigilanza sbaglia laddove asserisce il contrario. In queste circostanze, in applicazione delle norme di cui si è detto, la comunicazione della decisione dell'amministrazione del fallimento e la restituzione del furgone al terzo rivendicante potevano avvenire solo dopo la seconda assemblea dei creditori; la G. S.A. non invoca la ricorrenza delle circostanze eccezionali che potrebbero giustificare l'immediata restituzione della cosa rivendicata (
art. 51 RUF
).
Ne discende che la sentenza impugnata, nella misura in cui invita l'UEF a fissare alla ricorrente un termine per il promovimento dell'azione di rivendicazione, viola il diritto federale e dev'essere annullata. Il reclamo presentato all'autorità di vigilanza avrebbe dovuto essere respinto. È comunque manifestamente infondata l'argomentazione della ricorrente secondo la quale i beni su cui un terzo fa valere una riserva di proprietà non possono essere pignorati (cfr.
art. 95 cpv. 3 LEF
: JAEGER, art. 91 n. 7). Essendo pignorabili, sia pure quale ultima risorsa, questi beni fanno di regola parte della massa fallimentare (
art. 197 cpv. 1 LEF
). I diritti di proprietà dei terzi sono garantiti, appunto, dalla procedura di rivendicazione sopra descritta (cfr.
DTF 90 III 22
/23 con i riferimenti alle circolari del Tribunale federale).
3.
Nel frattempo, il 10 settembre 1981, l'UEF ha comunicato alla ricorrente che l'amministrazione del fallimento riconosce la rivendicazione di proprietà sul furgone Unimog-Ruthmann, precisando nel contempo che la restituzione potrà avvenire solo dieci giorni dopo la seconda assemblea dei creditori. L'UEF ha inoltre segnalato alla ricorrente che la graduatoria sarebbe stata pubblicata il 16 settembre successivo ed ha attirato la sua attenzione sugli art. 249/250 LEF. Questo scritto è posteriore all'emanazione del giudizio impugnato; tuttavia, dal momento che la sentenza dell'autorità di vigilanza deve essere annullata, esso può essere preso in considerazione.
La comunicazione del 10 settembre 1981 è in primo luogo la conferma del fatto che l'amministrazione del fallimento non intendeva contestare la pretesa della rivendicante; in secondo luogo essa mostra che l'UEF intende proseguire correttamente la procedura, conformemente alle disposizioni commentate nel considerando precedente. In concreto il diritto di proprietà
BGE 107 III 84 S. 88
rivendicato dalla G. S.A. è in concorrenza con il diritto di ritenzione della I. S.A.; la fattispecie è prevista dall'
art. 53 RUF
. Se anche la seconda assemblea dei creditori dovesse riconoscere la pretesa della rivendicante e nessun creditore dovesse chiedere la cessione dei diritti della massa, l'amministrazione del fallimento non dovrà occuparsi della lite che potesse eventualmente insorgere fra il terzo che ha rivendicato la proprietà della cosa e il creditore che vanta sopra di essa un diritto di pegno. Se invece la rivendicazione dovesse condurre a un processo - a causa del mancato riconoscimento da parte della seconda assemblea dei creditori o di un creditore cessionario - l'amministrazione del fallimento potrà pronunciarsi sul diritto di ritenzione solo dopo la crescita in giudicato della sentenza che respinge la rivendicazione del terzo. In questo caso la decisione dell'amministrazione si concreterà nella forma di un'aggiunta alla graduatoria. Pertanto, le argomentazioni ricorsuali concernenti l'esistenza del diritto di ritenzione della I. S.A. sono, nella presente procedura, affatto impertinenti. | null | nan | it | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
5855b0e3-68f8-4df0-8c6d-b8337a3ed98a | Urteilskopf
105 IV 73
19. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 7 février 1979 dans la cause L. et consorts contre Ministère public du canton du Valais (recours en nullité) | Regeste
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
; schwerer Fall; Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen.
Anwendung im Falle wiederholter Widerhandlungen (Erw. a), im Falle strafbarer Vorbereitungshandlungen (Erw. b) und bei der Teilnahme mehrerer Täter (Erw. c).
Massgebliche Betäubungsmittelmenge (Erw. d). | Erwägungen
ab Seite 73
BGE 105 IV 73 S. 73
Extrait des considérants:
3.
a) Il n'est nullement contraire à l'
art. 19 ch. 2 LStup
, notamment pour apprécier la quantité de stupéfiants pouvant mettre en danger un grand nombre de personnes, de tenir compte, en cas de délits répétés entrant entre eux en concours réel, de l'addition des quantités de stupéfiants sur lesquelles ont porté les infractions, même lorsqu'elles ne présentent aucun autre lien entre elles que d'avoir le même auteur.
b) La loi sur les stupéfiants réprimant, au titre d'infraction sui generis, même des actes préparatoires, comme les mesures visées à l'art. 19 ch. 1 al. 6, il n'est évidemment contraire ni à l'esprit ni à la lettre de la loi d'appliquer le ch. 2 de l'art. 19 à de
BGE 105 IV 73 S. 74
tels cas, ou de tenir compte de la quantité et du danger constitué par les stupéfiants visés par les actes préparatoires. Le résultat concret de l'opération envisagée et notamment son échec, pas plus que le fait que le danger prévisible ne s'est pas réalisé, ne sauraient dès lors exclure l'application de l'
art. 19 ch. 2 LStup
.
c) Il est à la fois conforme à la loi et aux principes généraux du droit pénal, pour apprécier le danger et la gravité d'une infraction commise par plusieurs coauteurs ou associés, de tenir compte de la quantité totale de stupéfiants visée par l'opération et de la mise de fonds globale investie par les auteurs. Le fait qu'en l'espèce chacun des deux coauteurs ait avancé la moitié de la somme nécessaire importe peu; ce qui compte, c'est l'opération appréciée dans son entier. Sans quoi, plus le nombre des coauteurs d'une infraction serait grand et moins grande serait la sanction.
Une telle conséquence ne peut être envisagée sérieusement.
d) Les calculs auxquels s'est livrée l'autorité cantonale ne souffrent aucune critique. Ils se fondent à la fois sur les données concrètes et sur les données scientifiques et statistiques ressortant des enquêtes et études effectuées en matière de consommation de stupéfiants (cf. notamment DELACHAUX, Drogue et législation, thèse Lausanne 1977, p. 19-23). Quant à la fixation du prix de gros du gramme de morphine ou d'héroïne, afin de déterminer ensuite la quantité qui pouvait être obtenue avec les fonds investis, il s'agit d'une constatation de fait qui ne saurait être remise en cause (art. 273 al. 1 lit. b et 277bis PPF) et qui d'ailleurs n'est en rien infirmée par les données générales de l'expérience résultant de cas similaires.
Les chiffres ainsi obtenus, pour l'opération de Bâle, soit 20 g de morphine ou 13 g d'héroïne, permettent de retenir la mise en danger de la santé de 30 à 60 personnes, si l'on tient compte d'une accoutumance après 10 doses, et de doses pouvant varier entre 30 et 45 mg. Si l'on admet la possibilité, avec ces quantités, de la mise en danger de personnes pouvant bénéficier d'autres sources d'approvisionnement encore, et de l'éventualité, dans ces conditions, d'une atteinte à la santé résultant d'un nombre de doses bien inférieur à dix, on arrive à une nombre de victimes potentielles bien plus élevé (cf.
ATF 103 IV 281
/282). Si l'on ajoute encore le haschich concerné par les autres opérations et les 6 g de morphine de la troisième opération, le nombre des personnes mises en danger] augmente encore.
BGE 105 IV 73 S. 75
Or la jurisprudence a déjà admis sans hésitation le cas grave au sens de l'
art. 19 ch. 2 LStup
pour des quantités de l'ordre de 15 g d'héroïne ou pour la mise en danger de la santé de 20 à 40 personnes, même avec du haschich seulement (cf.
ATF 103 IV 281
/282; arrêt non publié C., du 29 juin 1977). La décision attaquée est donc loin d'être en contradiction avec la jurisprudence. | null | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
5859fce2-e96c-47db-a8dd-b875cdb95aaf | Urteilskopf
106 III 100
21. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 18 décembre 1980 dans la cause General United Incorporated (recours LP) | Regeste
Pfändungsvollzug.
Die Pfändung von Vermögenswerten, die nicht genügend individualisiert sind, ist nichtig. | Sachverhalt
ab Seite 101
BGE 106 III 100 S. 101
A.-
a) Sur requête de la société General United Incorporated (G.U.T.), l'Office des poursuites de Genève exécuta les 5 et 11 avril 1979 des saisies provisoires dans la poursuite No 8.284.762 dirigée contre Marcel Porquerel. La mesure frappait les biens et avoirs du débiteur et de diverses sociétés, dont Occidentalia S.A., Occidentalia Inc., Sejapor Inc., Tobis Inc., Plantagenet Inc., West Fund Inc., West Meridian Fund Inc. et Niala Inc., auprès d'une vingtaine de banques et sociétés commerciales établies à Genève.
Les sociétés prénommées, tiers saisis, et l'un des tiers détenteurs, la société Boucheron S.A., portèrent plainte et furent déboutés. Par arrêts des 11 décembre 1979 et 17 janvier 1980, le Tribunal fédéral renvoya la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants. Statuant à nouveau le 18 juin 1980, l'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève annula les saisies des 5 et 11 avril 1979. Elle jugea qu'à s'en tenir à sa formulation, la mesure avait frappé des biens considérés comme appartenant juridiquement aux tiers saisis, mais appréhendés en raison d'une prétendue identité économique entre le débiteur et ces tiers. La créancière G.U.I. renonça à recourir contre cette décision.
b) Le 6 février 1980, la société G.U.I. avait requis, dans la même poursuite 8.284.762, une saisie complémentaire pour sa créance de 22 millions de francs. La saisie demandée devait être définitive à concurrence de 4'292'040 fr. et provisoire pour le solde. Le 1er juillet 1980, l'Office des poursuites exécuta les saisies requises en mains de Lombard, Odier et Cie, de la Banque Bruxelles (Suisse) S.A., de l'Union de banques suisses, de la Société de banque suisse, de la Société mandataire S.A., d'Occidentalia S.A., d'A.C. Good S.A., de Hornblower & Weeks Hemphill Noyers S.A. et de Boucheron S.A. La mesure frappait "toutes espèces, titres, objets, avoirs, créances, comptes courants, comptes de dépôt, comptes numéros, actions nominatives ou au porteur, dépôts numéros, coffres-forts, nantis ou gagés de quelque manière que ce soit, au nom de Marcel Porquerel, ou déposés sous le nom des sociétés Sulam
BGE 106 III 100 S. 102
Inc., Expinter Inc., Sejapor Inc., Tobis Inc., Occidentalia Inc., Investa International Inc., West Fund Inc., Plantagenet Inc., West Meridian Fund Inc., Niala Inc., Occidentalia S.A., biens dont la créancière affirme qu'ils appartiennent en réalité au débiteur". Les tiers détenteurs furent avisés le jour même.
B.-
Les sociétés Occidentalia S.A., Occidentalia Inc., Sejapor Inc., Tobis Inc., Plantagenet Inc., West Fund Inc., West Meridian Fund Inc., Niala Inc. et Boucheron S.A. ont porté plainte.
Par décision du 19 novembre 1980, l'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève a confirmé les saisies provisoires et définitives exécutées en mains de tiers le 1er juillet 1980, autant qu'elles portent sur les choses et les droits inscrits au nom du débiteur Marcel Porquerel. Elle les a annulées pour le surplus, soit dans la mesure où elles frappaient des biens figurant au nom de tiers.
C.-
La société G.U.I. a interjeté un recours au Tribunal fédéral. Elle conclut à l'annulation de la décision de l'autorité cantonale de surveillance et à la confirmation des saisies exécutées le 1er juillet 1980.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La saisie, provisoire ou définitive, constitue le fondement de la continuation de la poursuite. Son but et son objet sont de déterminer et de sauvegarder les éléments du patrimoine du débiteur dont le produit servira à couvrir le montant de la créance (
ATF 102 III 8
s. consid. 2a; FAVRE, Droit des poursuites, 3e éd., p. 170). Or, la réalisation ne peut porter que sur des droits ou des choses individualisés de manière suffisante. Il s'ensuit que la saisie est affectée d'un vice essentiel lorsque le fonctionnaire chargé de son exécution n'indique pas avec précision les biens qu'elle est censée frapper. Seuls peuvent être considérés comme valablement saisis les droits et les choses désignés de manière à permettre à l'office, le cas échéant, de les mettre en vente sans devoir les individualiser préalablement. Aussi la jurisprudence a-t-elle toujours tenu pour nulle la saisie de biens non individualisés, notamment celle frappant, d'une manière globale, l'ensemble des valeurs qu'un tiers détient pour le débiteur ou toutes les créances que le débiteur a contre lui (
ATF 50 III 194
ss,
ATF 47 III 86
ss consid. 2,
ATF 46 III 3
,
ATF 43 III 218
; cf.
BGE 106 III 100 S. 103
également
ATF 97 III 22
). Ce principe est approuvé en doctrine (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, p. 155; FAVRE, op. cit., p. 174 et 176; JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs- und Konkurs-Praxis, n. 1 ad art. 95). Et la Chambre de céans ne s'est pas écartée de sa pratique dans les arrêts Boucheron S.A., Niala Inc., Occidentalia S.A. et consorts, rendus les 11 décembre 1979 et 17 janvier 1980 sur recours contre une saisie exécutée antérieurement dans la présente poursuite; elle n'a fait que statuer sur une condition préalable de validité de la saisie, examinant si la mesure attaquée devait, dans l'idée du créancier, frapper les seuls biens de son débiteur ou également ceux de tiers formant une unité économique avec lui (
ATF 105 III 112
ss consid. 3).
La jurisprudence admet, après l'avoir nié, qu'un séquestre soit à certaines conditions considéré valable même si les biens appréhendés n'ont pu être désignés que par leur genre, tant dans l'ordonnance que dans le procès-verbal d'exécution (
ATF 80 III 87
s. consid. 2,
ATF 75 III 107
s. consid. 1,
ATF 63 III 65
ss). Le caractère exclusivement conservatoire du séquestre justifie une telle atténuation des exigences de nature formelle. La mesure doit empêcher le débiteur de disposer de ses biens ou de les dissimuler et de compromettre ainsi le résultat d'une poursuite pendante ou future. Elle permet au créancier d'obtenir la mise sous main de justice de biens que, faute d'avoir accompli les formalités de la poursuite, il ne peut faire saisir ou inventorier. L'exécution du séquestre n'est toutefois pas, à l'instar de la saisie, le dernier stade de la procédure où l'autorité puisse et doive déterminer avec précision les choses et les droits dont le produit servira, au besoin, à désintéresser le créancier. Rien n'empêche de différer jusqu'à la saisie la désignation exacte des biens à réaliser (
ATF 63 III 66
). La procédure d'exécution ne saurait cependant être menée à chef sans cette individualisation, qui doit se faire au plus tard au moment de la saisie (
ATF 80 III 88
consid. 2). On ne peut dès lors étendre à la saisie la pratique admettant le séquestre qui est ordonné et exécuté sur des biens désignés par leur genre seulement.
2.
C'est à bon droit que l'autorité cantonale a jugé invalides les saisies exécutées le 1er juillet 1980, parce qu'affectées d'un vice de forme essentiel. La décision mettant globalement sous main de justice les biens et avoirs qui sont inscrits auprès d'un tiers détenteur au nom d'un tiers saisi, mais appartiennent
BGE 106 III 100 S. 104
au débiteur, ne suffit pas à individualiser les droits ou les choses dont le produit servira, au besoin, à désintéresser le créancier. Une telle formule ne permet en outre pas de distinguer, parmi les biens et avoirs inscrits au nom du tiers saisi, ceux qui seraient reconnus lui appartenir réellement, et seraient donc soustraits à l'exécution, de ceux qui, dans l'idée du créancier, seraient la propriété du débiteur saisi.
La recourante relève qu'il appartient à l'office de faire les investigations nécessaires auprès des tiers qui, de l'avis du créancier, détiennent des biens appartenant au débiteur et inscrits en son nom ou à celui d'autres personnes (cf. pour le séquestre:
ATF 100 III 29
; pour la saisie: FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2e éd., t. I p. 171 ss; AMONN, op. cit., p. 152). Ce moyen est sans pertinence. L'office ne saurait exécuter valablement une saisie tant qu'il ne possède pas, en fait, les renseignements lui permettant d'individualiser de manière suffisante les biens à mettre sous main de justice. Peu importe qu'il ait ou n'ait pas entrepris à cet égard tout ce qu'on peut attendre de lui. Une saisie imprécise reste invalide même si le vice tient à la faute du fonctionnaire chargé de l'exécution.
3.
La Chambre de céans n'est saisie que d'un recours de la créancière. Elle n'a pas à examiner si, par identité de motifs, la saisie exécutée le 1er juillet 1980 n'est pas également affectée d'un vice dans la mesure où elle porte, globalement, sur tous les biens et avoirs du débiteur auprès de divers tiers détenteurs.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours. | null | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
Subsets and Splits
No community queries yet
The top public SQL queries from the community will appear here once available.