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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
4a7bb0ed-0881-4ebd-a114-41f1bac13f14 | Urteilskopf
116 Ia 73
12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Januar 1990 i.S. W. gegen Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 86 Abs. 2 OG
; letztinstanzlicher kantonaler Entscheid.
Zu den Prozessrechtsverletzungen, die gemäss Art. 328 StrV/BE mit kantonaler Nichtigkeitsklage gerügt werden können, gehört auch eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör sowie des sich daraus ergebenden Rechts auf Begründung des Entscheides. Wurde dieses Rechtsmittel nicht ergriffen, kann auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden. | Erwägungen
ab Seite 74
BGE 116 Ia 73 S. 74
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer erblickt unter anderem eine Verletzung von
Art. 4 BV
darin, dass der angefochtene Entscheid einer genügenden Begründung ermangle; zudem sei er in mehreren für die Frage des Eintritts der Verjährung wesentlichen Punkten nicht zu ihm zur Last gelegten Akten und Tatsachen befragt worden, worin zugleich eine Verletzung von
Art. 6 EMRK
liege.
a) Wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und der EMRK - bei letzterer die Rügen, wenn ihnen selbständige Bedeutung zukommt, ausgenommen, die materiell identisch sind mit einer aufgrund einer Bestimmung der Bundesverfassung erhobenen Rüge, für die die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht erforderlich ist - ist die staatsrechtliche Beschwerde erst zulässig, nachdem der Beschwerdeführer von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hat, mit denen die in der Beschwerde vorgebrachten Rügen ebenfalls erhoben werden können (
Art. 86 Abs. 2 OG
;
BGE 114 Ia 201
E. 1,
BGE 113 Ia 229
E. bb,
BGE 112 Ia 86
).
b) Die Rügen der mangelnden Begründung und der ungenügenden Befragung zu einzelnen Punkten bedürfen demnach, soweit sie sich auf
Art. 4 BV
stützen, der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges. Auch soweit
Art. 6 EMRK
, dessen Ziff. 3 hier in Betracht fällt, angerufen wird, ist dies der Fall.
Art. 6 Ziff. 3 EMRK
geht in seiner Tragweite nicht über
Art. 4 BV
hinaus (
BGE 114 Ia 179
mit Hinweisen) und betrifft daher auch nicht eine Rüge, für die die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht erforderlich wäre.
c) Gegen Urteile des Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern kann beim kantonalen Kassationshof Nichtigkeitsklage geführt werden (Art. 328 i.V.m. 330 Ziff. 2 StrV/BE; obwohl in Art. 328 neben dem Geschworenengericht und der Kriminalkammer das, wie sich aus Art. 208a und 208b ergibt, der letzteren gleichgestellte Wirtschaftsstrafgericht nicht ausdrücklich aufgeführt ist, ist dies nicht zweifelhaft: vgl. Urteil des Kassationshofes des Kantons Bern vom 5.6.1989 i.S. H.). Die Nichtigkeitsklage ist nach Art. 328 Ziff. 2 StrV unter anderem zulässig, "wenn in anderer Weise im Hauptverfahren ein Prozessrechtssatz verletzt wurde, sofern angenommen werden kann, dass dies für das Urteil von Bedeutung war". Zu den Prozessrechtsverletzungen, die gerügt werden können, zählen der Anspruch auf rechtliches Gehör und das sich daraus ergebende Recht auf Begründung des Entscheides (vgl.
BGE 116 Ia 73 S. 75
JÜRG AESCHLIMANN, Das bernische Strafverfahren, 3 - Besonderer Teil II, S. 87 § 248 und S. 105 sowie die dort zitierten Gerichtsentscheide; unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 30.9.1988 i.S. S. E. 1a). Vom in der erwähnten Gesetzesbestimmung genannten Erfordernis der Kausalität sind die sich aus
Art. 4 BV
und
Art. 6 EMRK
ergebenden, den Parteien rein formal zustehenden Ansprüche, wie insbesondere jener auf rechtliches Gehör, ausgenommen; in solchen Fällen ist der Kassationsgrund ein absoluter, zwingender (AESCHLIMANN, a.a.O., S. 86 unten).
Das Urteil des Wirtschaftsstrafgerichts hätte daher, was die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs mangels genügender Begründung und mangels Anhörung zu wesentlichen Punkten betrifft, beim Kassationshof des Kantons Bern aus den gleichen Gründen angefochten werden können, wie dies mit der vorliegenden Beschwerde geschieht, auf die daher insoweit nicht einzutreten ist (unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 30.9.1988 i.S. S. E. 1; ebenso
BGE 101 Ia 89
für die analoge Rechtslage bei staatsrechtlichen Beschwerden gegen Urteile des bernischen Handelsgerichts, gegen die eine kantonalrechtliche Nichtigkeitsklage ebenfalls zur Verfügung steht). Der Beschränkung, nach welcher mit der kantonalen Nichtigkeitsklage allein eine Prozessrechtsverletzung "im Hauptverfahren" gerügt werden kann, kommt dabei keine Bedeutung zu, stellt doch die Fällung eines Urteils trotz Verweigerung des rechtlichen Gehörs im Untersuchungsverfahren - wenn diese nicht ohnehin geheilt wurde - gleichzeitig auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Hauptverfahren dar (so auch JACKOWSKY, Die Nichtigkeitsklage im bernischen Strafprozessrecht, Bern 1965, S. 41; unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 30.9.1988 i.S. S. E. 1b und c). Es ändert sich auch nichts dadurch, dass vor dem Kassationshof Bern die Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung nicht vorgebracht werden konnte (AESCHLIMANN, a.a.O., S. 105 Abs. 2 a.E. mit Hinweisen); die zulässigen Beschwerdegründe hätten gleichwohl mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden müssen, wobei in der staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Kassationsentscheid innert der gleichen Frist auch das Urteil des Wirtschaftsstrafgerichts hätte mit der Willkürrüge mitangefochten werden können (
BGE 114 Ia 311
E. 3a,
BGE 111 Ia 353
und
BGE 94 I 462
E. bb; zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil des Bundesgerichts vom 22.12.1989 i.S. H.). | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
4a7d7c39-84c0-4c4d-be5a-b14e83aa6c0c | Urteilskopf
102 IV 172
40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. September 1976 i.S. Sch. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Betrügerischer Konkurs, Ungehorsam im Konkursverfahren (
Art. 163 Ziff. 1,
Art. 323 StGB
).
1. Blosses Schweigen gilt nur dann als Vermögensverminderung zum Schein, wenn ein geringerer als der wirkliche Vermögensbestand vorgetäuscht wird. Wer sich nur weigert, Auskunft über seinen Vermögensstand zu geben, macht sich lediglich des Ungehorsams nach
Art. 323 StGB
schuldig (Erw. 2).
2. Eine Gläubigerbenachteiligung kann schon in einer vorübergehenden Erschwerung oder Verzögerung der Zwangsvollstreckung bestehen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 172
BGE 102 IV 172 S. 172
A.-
Am 9. Mai 1974 wurde über Sch. der Konkurs eröffnet und drei Monate später versuchte das Konkursamt, das zur Konkursmasse gehörende Vermögen zu inventieren. Sch. verweigerte jedoch jede Auskunft über seine finanziellen Verhältnisse. Insbesondere verschwieg er, dass in dem auf seinen Namen lautenden freien Depot der Bank vom Linthgebiet Wertschriften im damaligen Kurswert von Fr. 20'500.-- lagen und dass er bei der gleichen Bank ein Kontokorrentguthaben von Fr. 886.40 besass. Gegen Ende August holte Sch. die genannten Wertschriften bei der Bank und versteckte sie in
BGE 102 IV 172 S. 173
seiner Wohnung, wo sie bei einer späteren Hausdurchsuchung beschlagnahmt wurden.
B.-
Auf Strafanzeige des Konkursamtes hin sprach das Bezirksgericht Horgen den Angeklagten des Ungehorsams im Konkursverfahren (
Art. 323 Ziff. 4 StGB
) und anderer Vergehen schuldig und verurteilte ihn zu zwei Monaten Gefängnis.
Das Obergericht des Kantons Zürich änderte am 13. Februar 1976 den erstinstanzlichen Entscheid insbesondere dahin ab, dass es den Angeklagten statt des Ungehorsams im Konkursverfahren des betrügerischen Konkurses nach
Art. 163 Ziff. 1 StGB
schuldig fand und zu fünf Monaten Gefängnis verurteilte.
C.-
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde verlangt der Verteidiger die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und die Rückweisung der Sache zum Freispruch vom Tatbestand des betrügerischen Konkurses.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer bestreitet, sein Vermögen zum Schein vermindert zu haben, denn er habe nie behauptet, kein Vermögen zu besitzen, sondern gegenteils betont, nicht überschuldet zu sein. Er habe sich vielmehr darauf beschränkt, den nach seiner Ansicht rechtsmissbräuchlichen Konkurs zu boykottieren, keine Auskünfte zu geben und insbesondere keine Aktiven zu nennen oder zur Verfügung zu stellen. Durch sein Verhalten habe er nur den Tatbestand des Ungehorsams im Konkursverfahren gemäss
Art. 323 StGB
erfüllt, nicht dagegen den ihm zur Last gelegten betrügerischen Konkurs nach
Art. 163 StGB
.
a) Das entscheidende Merkmal der Vermögensverminderung zum Schein besteht darin, dass der Schuldner anstelle des wirklichen Vermögensbestandes einen geringeren vorspiegelt.
Art. 163 Ziff. 1 Abs. 3 StGB
zählt einige der täuschenden Machenschaften auf, durch die der wahre Vermögensbestand verschleiert werden kann, darunter auch das Verheimlichen von Vermögensstücken. Die Verheimlichung kann auf positiven Angaben beruhen, indem z.B. wahrheitswidrig behauptet wird, weitere Vermögensgegenstände als die angegebenen
BGE 102 IV 172 S. 174
seien nicht vorhanden oder ein bestimmter Vermögensbestandteil stehe im Eigentum Dritter. Verheimlichen kann der Schuldner auch, wenn er nur einen Teil seines Vermögens angibt, im übrigen sich aber ausschweigt, um so den falschen Anschein zu erwecken, über seine gesamten Vermögensverhältnisse Auskunft gegeben zu haben, während er in Wirklichkeit einen Teil verschleiert. Blosses Schweigen kann somit Verheimlichen im Sinne des Art. 163 bedeuten, aber nur dann, wenn es betrügerischen Charakter hat, also dazu dient, einen geringeren als den wirklichen Vermögensbestand vorzutäuschen. Der in
BGE 93 IV 92
Erw. 1 enthaltene Satz, dass zur Verheimlichung schon genüge, wenn der Vermögenswert durch Unterlassung der vorgeschriebenen Anmeldung dem Konkursamt verschwiegen werde, kann daher in dieser zu allgemein gehaltenen Form nicht aufrecht erhalten werden.
b) Der Übertretungstatbestand des
Art. 323 Ziff. 4 StGB
ist demgegenüber blosses Ungehorsamsdelikt. Es schützt nicht Vermögensinteressen, sondern die Rechtspflege auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung. Bestraft wird der Gemeinschuldner einzig dafür, dass er im Konkursverfahren den ihm obliegenden Pflichten nicht nachkommt, sich ihnen passiv widersetzt. Weder wird eine vorsätzliche Täuschung verlangt, noch ist der Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung erforderlich (
BGE 81 IV 328
,
BGE 88 IV 26
Erw. 1b; HAEFLIGER, BlSchK 1954 S. 97; SCHWANDER, SJK Ersatzkarte 1133; HAFTER, Bes. Teil S. 372 Ziff. 3).
c) Soweit sich der Beschwerdeführer darauf beschränkt hat, dem Konkursbeamten auf entsprechende Aufforderung hin jede Auskunft über seinen Vermögensstand mit dem Hinweis darauf zu verweigern, dass er das Konkursverfahren verunmöglichen oder verzögern wolle, fällt ihm lediglich Ungehorsam im Sinne des
Art. 323 Ziff. 4 StGB
zur Last. Das angefochtene Urteil, das auch die blosse Auskunftsverweigerung des Beschwerdeführers als Verstoss gegen
Art. 163 Ziff. 1 StGB
bewertete, ist daher aufzuheben und in diesem Punkt zur Änderung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Was die Wertschriften anbetrifft, hat der Beschwerdeführer dagegen nicht nur das Gebot des
Art. 222 Abs. 1 SchKG
, dem Konkursamt alle Vermögensgegenstände anzugeben und zur Verfügung zu stellen, verletzt. Indem er die bei der Bank deponierten Titel abholte und bei sich zu Hause versteckte,
BGE 102 IV 172 S. 175
hat er sie gemäss
Art. 163 Ziff. 1 Abs. 3 StGB
verheimlicht, um eine scheinbare Verminderung seines Vermögens vorzuspiegeln. Die Beschwerde ist in diesem Punkt unbegründet.
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er die scheinbare Vermögensverminderung nicht zum Nachteil der Gläubiger gewollt habe.
In erster Linie hält die Beschwerde die auch von der Vorinstanz übernommene bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach eine Benachteiligung der Gläubiger bereits in einer Erschwerung oder Verzögerung der Zwangsvollstreckung, d.h. in einem bloss vorübergehenden Verheimlichen von Vermögenswerten, bestehen könne, für unhaltbar; ein mit Zuchthaus bedrohtes Delikt erfordere zumindest den Eventualvorsatz des Schuldners, dass die Gläubiger ganz oder teilweise zu Verlust kommen. Diese Kritik verkennt, dass der betrügerische Konkurs nicht ein Verletzungs-, sondern ein Gefährdungsdelikt ist, was sich daraus ergibt, dass der Gesetzgeber schon die Konkurseröffnung, nicht erst das Vorliegen eines Konkursverlustscheins, als Strafbarkeitsbedingung genügen lässt (
Art. 163 Ziff. 1 Abs. 4 StGB
). Dass schon die Erschwerung der Zwangsvollstreckung eine erhebliche Gefahr der Benachteiligung der Gläubiger bewirken kann, wurde in
BGE 85 IV 220
eingehend dargelegt. Und dass bei Vermögensdelikten, die zudem Verletzungsdelikte sind, nach der Rechtsprechung (z.B.
BGE 82 IV 90
,
BGE 84 IV 14
,
BGE 87 IV 11
) schon eine vorübergehende Schädigung zur Erfüllung des Tatbestandes genügt, ist auch von der herrschenden Lehre gebilligt worden (vgl. STRATENWERTH, BT I 231, SCHWANDER, S. 350 Nr. 563). Zu einer Änderung der Praxis gibt auch nicht Anlass, dass beim analogen Tatbestand des
Art. 164 StGB
die Ausstellung eines Verlustscheines als Strafbarkeitsbedingung erforderlich ist. Die unterschiedliche Gestaltung der Art. 163 und 164 wurde vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen und erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte der beiden Bestimmungen (
BGE 74 IV 96
).
Fehl geht auch der Hinweis darauf, dass Erschwerungen und Verzögerungen in der Zwangsvollstreckung ebenso auf andere Weise, z.B. durch die Einlegung von Rechtsmitteln, möglich seien und dass für die Anwendung des
Art. 323 Ziff. 4 StGB
kein Raum mehr bleibe, da auch Ungehorsamshandlungen zur Verzögerung des Verfahrens führten. Was den ersten
BGE 102 IV 172 S. 176
Einwand anbetrifft, kann nicht im Ernst angenommen werden, dass die Beschwerdeführung des Schuldners als eine die Gläubiger benachteiligende Handlung gewürdigt wird. Beim zweiten Einwand übersieht die Beschwerde, dass
Art. 163 StGB
nur anwendbar ist, wenn der Täter mit dem Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung gehandelt hat, ein Merkmal, das in
Art. 323 StGB
nicht erfüllt zu sein braucht.
Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ist die Gläubigerbenachteiligung im Sinne der Rechtsprechung objektiv und subjektiv erfüllt. Übrigens wird im angefochtenen Urteil darüber hinaus festgestellt, dass auch ein Verlust der Gläubiger eingetreten und dieser vom Beschwerdeführer eventualvorsätzlich gebilligt worden sei. | null | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4a8d1389-84fd-4cf3-bb59-140fe61b59ee | Urteilskopf
97 I 591
80. Auszug aus dem Urteil vom 1. Oktober 1971 i.S. Stadt bernischer Apothekerverein und Konsorten gegen Generaldirektion SBB und Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement. | Regeste
Eisenbahngesetz vom 20. Dezember 1957 (EG)
Sind Privatpersonen berechtigt, die Einrichtung von Nebenbetrieben auf Bahngebiet bei der Eisenbahnaufsichtsbehörde anzufechten? (Art. 40 EG). | Sachverhalt
ab Seite 592
BGE 97 I 591 S. 592
Aus dem Sachverhalt:
A.-
Die SBB beabsichtigen, im Neubau des Berner Hauptbahnhofs eine Apotheke einzurichten und zu verpachten. Diese Apotheke soll im Unterschied zu den anderen Apotheken in Bern werktags und sonntags durchgehend von 6 bis 20 Uhr geöffnet sein.
Der Stadtbernische Apothekerverein und 23 stadtbernische Apotheker beantragten in einer als "Einsprache" bezeichneten Eingabe vom 24. August 1970 beim Eidg. Energie- und Verkehrswirtschaftsdepartement (EVED), den SBB die Einrichtung der Apotheke mangels Bedürfnisses zu untersagen bzw. nicht zu gestatten. Sie stützten sich dabei auf Art. 10, 39 und 40 des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 (EG).
Am 11. März 1971 stellte das EVED fest, die Antragsteller seien nicht legitimiert, bei der Eisenbahnaufsichtsbehörde einen Entscheid über das Bedürfnis zur Errichtung von Nebenbetrieben und deren Öffnungs- und Schliessungszeiten zu erzwingen und trat auf die Eingabe nicht ein.
B.-
Mit der vorliegenden Beschwerde vom 5. April 1971, die sie der Rechtsmittelbelehrung des EVED gemäss beim Bundesrat einreichten, verlangen der Stadtbernische Apothekerverein und die 23 stadtbernischen Apotheker, aufihre Einsprache sei einzutreten und den SBB mangels Bedürfnisses zu untersagen bzw. nicht zu gestatten, im Hauptbahnhof Bern eine Apotheke als Nebenbetrieb einzurichten oder betreiben zu lassen und es seien diesbezüglich bereits getroffene Vereinbarungen aufzuheben. Eventuell sei dem Begehren von Amtes wegen zu entsprechen.
C.-
In ihren Vernehmlassungen beantragen die SBB und das EVED, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
Die Justizabteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements, die sich zuerst mit der Beschwerdeinstruktion befasste, überwies am 13. August 1971 die Akten zuständigkeitshalber dem Bundesgericht.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach
Art. 103 lit. a OG
berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung
BGE 97 I 591 S. 593
oder Änderung hat. Dass die Beschwerdeführer im Verfahren vor der Vorinstanz Parteistellung hatten, begründet deshalb für sich allein ihre Beschwerdeberechtigung noch nicht, erfüllt jedoch die Voraussetzung des Berührtseins. Das überdies erforderliche schutzwürdige Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides kann rechtlicher oder aber auch bloss tatsächlicher Natur sein. Es kommt nicht darauf an, ob es durch das anwendbare materielle Recht geschützt wird; vielmehr genügt, dass es im Beschwerdeverfahren geprüft zu werden verdient (GRISEL, Droit administratif suisse, S. 504; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund S. 108).
Durch die Eröffnung einer Apotheke im Bahnhofsareal werden die Erwerbschancen der bereits in Bern tätigen Apotheker in Mitleidenschaft gezogen, besonders da vorgesehen ist, die neue Apotheke auch zu Zeiten offen zu halten, zu denen die übrigen Apotheken in der Regel geschlossen sein müssen. Die beschwerdeführenden Apotheker haben deshalb ein Interesse daran, feststellen zu lassen, dass die SBB auf ihrem Areal keine Apotheke eröffnen dürfen und zu diesem Zwecke den in Art. 40 EG vorgesehenen Rechtsbehelf für sich in Anspruch zu nehmen. Dieses Feststellungsinteresse ist schutzwürdig. Auf die Beschwerde der Apotheker ist daher einzutreten. Zur Beschwerde berechtigt ist aber auch der Beschwerdeführer Nr. l'der Stadtbernische Apothekerverein, der schon am Verfahren vor der Vorinstanz beteiligt war, vertritt er doch schutzwürdige Interessen seiner Mitglieder (vgl. GRISEL, a.a.O. 505, 479,
BGE 93 I 127
).
3.
Wo die Bedürfnisse des Bahnbetriebes und des Verkehrs es rechtfertigen, sind die Bahnunternehmungen befugt, auf Bahngebiet und in Zügen Nebenbetriebe einzurichten. Über die Bedürfnisfrage entscheiden in erster Linie die Bahnunternehmungen selber. Nötigenfalls haben die Aufsichtsbehörden von Amtes wegen dafür zu sorgen, dass sich solche Entscheide im Rahmen des Gesetzes nach pflichtgemässem Ermessen richten. Der von einer Bahnunternehmung eingerichtete Nebenbetrieb tritt oft in Konkurrenz mit privaten Betrieben der gleichen Branche. Die Einrichtung eines solchen Nebenbetriebes kann aber auch die Verwaltungshoheit des Kantons berühren, so etwa, wenn der Kanton für die Zulassung der in Frage stehenden Art von Betrieben den Nachweis eines Bedürfnisses
BGE 97 I 591 S. 594
verlangt, das sich nicht mit dem Bedürfnis im Sinne von Art. 39 EG deckt, vor allem aber, wenn die Bahnunternehmung ihren Nebenbetrieb von den kantonalen Vorschriften über die Öffnungs- und Schliessungszeiten ausnehmen will. Die Kantone können deshalb gegen die Errichtung eines Nebenbetriebes Einsprache erheben und damit das Verfahren nach Art. 40 EG in Gang setzen.
Wie weit kantonale Genehmigungen z.B. baulicher oder gesundheitspolizeilicher Massnahmen die Anerkennung eines Bedürfnisses nach Art. 39 EG durch die kantonalen Behörden in sich schliessen, muss von Fall zu Fall gesondert entschieden werden; dies schon deshalb, weil unter Umständen eine Bewilligungsbehörde sich auf die Prüfung rein technischer Fragen beschränken muss und ihr eine Bestreitung des Bedürfnisses gar nicht zusteht. Das Bedürfnis für einen Nebenbetrieb rechtfertigt nicht ohne weiteres eine Ausnahme von den Öffnungs- und Schliessungszeiten; für eine solche Ausnahme muss darüber hinaus ein besonderes Bedürfnis bestehen.
4.
Unter Vorbehalt der Beschwerde entscheidet nach Art. 40 Abs. 1 lit. g EG die Aufsichtsbehörde nach Anhörung der beteiligten Behörden und öffentlichen Transportunternehmungen Anstände über: "das Bedürfnis zur Einrichtung von Nebenbetrieben und deren Öffnungs- und Schliessungszeiten (Art. 39)."
Im vorliegenden Falle stellt sich die Frage, ob auch Private einen solchen Entscheid herbeiführen und mithin die Einrichtung eines Nebenbetriebes gestützt auf diese Vorschrift anfechten können, oder ob ein Anstand im Sinne von Art. 40 EG, wie die Vorinstanz und die SBB annehmen, nur bei Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bahnunternehmung und den zuständigen kantonalen und eventuell kommunalen Behörden entsteht. Das EG enthält keine besonderen Vorschriften über das Verfahren, in welchem ein Entscheid im Sinne von Art. 40 Abs. 1 lit. g EG herbeizuführen ist. Insbesondere sagt es nicht, ob auch Private dieses Verfahren einleiten können. Aus Art. 40 EG selbst ergibt sich lediglich, dass ein solcher Entscheid eine wenn auch nur formlose Stellungnahme der Bahnunternehmung zur Frage der Einrichtung eines Nebenbetriebes bzw. der Abweichung von den kantonalen und kommunalen Vorschriften über die Öffnungs- und Schliessungszeiten voraussetzt und dass er von der Eisenbahnaufsichtsbehörde gefällt wird. Private sind
BGE 97 I 591 S. 595
somit jedenfalls nicht ausdrücklich von der Einleitung des fraglichen Verfahrens ausgeschlossen. Weder die Systematik des Gesetzes noch dessen Zweck zwingen zum Schluss, nur Behörden könnten einen Entscheid der Eisenbahnaufsichtsbehörde veranlassen. Im Gegenteil erklärt Art. 1 EG ausdrücklich, das Gesetz finde Anwendung auf die Beziehungen der Eisenbahnen zu anderen öffentlichen Transportunternehmungen, zu öffentlichen Verwaltungen, aber auch zu Dritten. Auch aus den Materialien ergibt sich nichts, das gegen die Zulassung Privater in diesem Verfahren sprechen könnte. Ein Ausschluss Privater vom Verfahren nach Art. 40 EG wäre umso weniger sinnvoll, als diese ja nach dem revidierten OG vor Bundesgericht, wie gesehen, als Beschwerdeführer zugelassen sind. Das Verfahren nach Art. 40 EG ist dem Beschwerdeverfahren vor Bundesverwaltungsbehörden nach Art. 44 ff. VwG ähnlich, ohne ihm allerdings ganz zu entsprechen. Mit Rücksicht darauf, dass das VwG gleichzeitig und in inhaltlichem Zusammenhang mit den revidierten Bestimmungen des OG über die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erlassen worden ist, die den Privaten in dieser Sache den Weg der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht öffnen, scheint es jedoch richtig, die Lösung der vorliegenden Frage in Anlehnung an das Verwaltungsbeschwerdeverfahren zu suchen.
Nach Art. 48 lit. a VwG ist zur Verwaltungsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Der Entschluss der SBB, im Bahnhofneubau in Bern eine Apotheke einzurichten, ist zwar keine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwG, darf aber im Rahmen der übertragenen Anwendung von Art. 48 lit. a VwG auf das Verfahren nach Art. 40 EG einer solchen gleichgesetzt werden. Dass die Beschwerdeführer durch die Errichtung einer Apotheke im Bahnhofneubau berührt sind, insbesondere weil vorgesehen ist, die neue Apotheke auch zu Zeiten offen zu halten, da die übrigen Apotheken in der Regel geschlossen sein müssen, wurde bereits in Erw. 2 festgestellt. Das Interesse der Beschwerdeführer daran, feststellen zu lassen, dass die SBB auf ihrem Areal keine Apotheke eröffnen dürfen, erscheint auch in diesem Zusammenhang schutzwürdig. Aus der Übertragung der Grundsätze des Verwaltungsbeschwerdeverfahrens auf das Verfahren nach Art. 40 EG ergibt sich somit, dass die Beschwerdeführer berechtigt sind,
BGE 97 I 591 S. 596
bei der Eisenbahnaufsichtsbehörde zu bestreiten, dass für die Einrichtung einer Apotheke im Bahnhofneubau in Bern ein Bedürfnis im Sinne von Art. 39 EG besteht und damit einen materiellen Entscheid dieser Behörde im Sinne von Art. 40 Abs.1 lit. g EG herbeiführen können. Art. 3 Ziff. 3 lit. a der VV zum BG über die Schweizerischen Bundesbahnen vom 15. Februar 1946 kann jedenfalls heute nicht mehr gegen diese Lösung angeführt werden. Zu Unrecht ist deshalb die Vorinstanz nicht auf die "Einsprache" der Beschwerdeführer eingetreten.
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4a94f303-167d-493d-a008-8de6a8f099fa | Urteilskopf
103 IV 255
70. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Oktober 1977 i.S. L. gegen Generalprokurator des Kantons Bern | Regeste
Art. 31 Abs. 1 SVG
. Aufmerksamkeit.
Auch während der täglichen Verkehrsspitzen darf damit gerechnet werden, dass sich andere Verkehrsteilnehmer ebenfalls verkehrsgerecht verhalten. | Erwägungen
ab Seite 255
BGE 103 IV 255 S. 255
Aus den Erwägungen:
Der Vorwurf ungenügender Aufmerksamkeit kann auch nicht damit begründet werden, der Unfall habe sich morgens kurz vor Arbeitsbeginn und in der Nähe einer Bushaltestelle zugetragen. Diese Umstände erforderten zwar eine erhöhte Konzentration der Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Verkehrsabläufe, nicht aber auf eine Stelle, die ausserhalb des zu erwartenden Verkehrsgeschehens lag. Insbesondere kann der Vorinstanz nicht gefolgt werden, wenn sie erklärt, bei grösserer Verkehrsdichte müsse vermehrt mit verkehrswidrigem Verhalten von Fussgängern gerechnet werden. Dieses Argument würde zu einer gefährlichen Verunsicherung führen und widerspräche dem Vertrauensgrundsatz des
Art. 26 Abs. 1 SVG
. Gerade in Stosszeiten muss sich der Verkehrsteilnehmer erst recht darauf verlassen können, dass sich auch die andern verkehrsgerecht verhalten. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4a993abd-4f6a-4619-bad5-b26667edc062 | Urteilskopf
125 V 193
29. Arrêt du 26 avril 1999 dans la cause R. contre Caisse publique cantonale vaudoise de chômage et Tribunal administratif du canton de Vaud | Regeste
Art. 28 Abs. 1,
Art. 30 Abs. 1 lit. e und f AVIG
;
Art. 42 Abs. 2 AVIV
: Einstellung in der Anspruchsberechtigung und Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung.
- Eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung gestützt auf
Art. 30 Abs. 1 lit. f AVIG
kann nur verfügt werden, wenn der Versicherte mit Absicht, d.h. mit Wissen und Willen gehandelt hat.
- Liegt eine bloss einmalige Meldepflichtverletzung vor, ist es mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht vereinbar, einen Versicherten mit der in
Art. 30 Abs. 1 lit. e AVIG
vorgesehenen Sanktion zu belegen, wenn er überdies aus demselben Grund bereits nach Massgabe von
Art. 42 Abs. 2 AVIV
seines Anspruchs auf Arbeitslosentaggelder verlustig gegangen ist. | Sachverhalt
ab Seite 194
BGE 125 V 193 S. 194
A.-
R. a présenté une demande d'indemnité de chômage le 27 juin 1996. Il requérait l'allocation de l'indemnité à partir du 12 juin précédent. Invité par la Caisse publique cantonale vaudoise de chômage (ci-après: la caisse) à apporter la preuve de recherches d'emploi durant la période du 12 au 30 juin 1996, l'assuré a produit, le 14 août 1996, un certificat du docteur K., aux termes duquel il était incapable de travailler pendant cette période.
La caisse a statué sur le cas par deux décisions, le 3 septembre 1996. Par la première, elle a prononcé une suspension du droit à l'indemnité d'une durée de 15 jours indemnisables dès le 1er juillet 1996, motif pris que l'assuré avait enfreint son devoir de renseigner en omettant d'annoncer spontanément son incapacité de travail. Par la seconde, la caisse a nié le droit à une indemnité de chômage durant la période du 12 au 30 juin 1996, au motif que l'incapacité de travail avait été annoncée tardivement et sans excuse valable.
Par deux décisions du 28 février 1997, l'Office cantonal vaudois de l'assurance-chômage (ci-après: l'office cantonal) a rejeté les recours formés contre les décisions de la caisse.
B.-
R. a saisi le Tribunal administratif du canton de Vaud. Par jugement du 30 mars 1998, la juridiction cantonale a ramené de 15 à 10 jours la durée de la suspension du droit à l'indemnité et a rejeté le recours, dans la mesure où il était dirigé contre le refus du droit à l'indemnité durant la période du 12 au 30 juin 1996.
C.-
R. interjette recours de droit administratif contre ce jugement en concluant, sous suite de dépens, à l'annulation de la suspension du droit à l'indemnité de chômage et à l'octroi d'une telle prestation pour la période du 12 au 30 juin 1996.
La caisse conclut au rejet du recours. De leur côté, l'office cantonal et l'Office fédéral du développement économique et de l'emploi n'ont pas présenté de détermination.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Les assurés qui, passagèrement, ne sont aptes ni à travailler ni à être placés ou ne le sont que partiellement en raison de maladie, d'accident ou de maternité, et qui de ce fait ne peuvent satisfaire aux prescriptions de contrôle, ont droit à la pleine indemnité journalière, s'ils remplissent les autres conditions dont dépend le droit à l'indemnité; leur droit persiste au plus jusqu'au 30ème jour suivant le début de l'incapacité totale ou partielle de travail et se limite à 34 indemnités journalières durant le délai-cadre (
art. 28 al. 1 LACI
, dans sa teneur en vigueur depuis le 1er janvier 1996).
BGE 125 V 193 S. 195
Faisant usage de la délégation de compétence prévue à l'
art. 28 al. 3 LACI
, le Conseil fédéral a édicté l'
art. 42 OACI
dont le Tribunal fédéral des assurances a reconnu la légalité (
ATF 117 V 247
consid. 3c). Aux termes de cette disposition réglementaire (dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 1996), les chômeurs qui, passagèrement, ne sont aptes ni à travailler ni à être placés ou ne le sont que partiellement en raison de maladie, d'accident ou de maternité et qui veulent faire valoir leur droit à l'indemnité journalière sont tenus d'annoncer leur incapacité de travail à l'office du travail, dans un délai d'une semaine à compter du début de celle-ci; l'assuré peut la communiquer par téléphone ou par l'intermédiaire d'une tierce personne, s'il n'est pas en mesure de se présenter audit office, en raison de son état (al. 1). Si l'assuré annonce son incapacité de travail tardivement et sans excuse valable, il perd son droit à l'indemnité journalière pour les jours précédant sa communication (al. 2).
2.
Dans le domaine des assurances sociales, le juge fonde sa décision, sauf dispositions contraires de la loi, sur les faits qui, faute d'être établis de manière irréfutable, apparaissent comme les plus vraisemblables, c'est-à-dire qui présentent un degré de vraisemblance prépondérante. Il ne suffit donc pas qu'un fait puisse être considéré seulement comme une hypothèse possible. Parmi tous les éléments de fait allégués ou envisageables, le juge doit, le cas échéant, retenir ceux qui lui paraissent les plus probables (
ATF 121 V 47
consid. 2a, 208 consid. 6b et la référence).
Par ailleurs, la procédure est régie par le principe inquisitoire, selon lequel les faits pertinents de la cause doivent être constatés d'office par le juge. Mais ce principe n'est pas absolu. Sa portée est restreinte par le devoir des parties de collaborer à l'instruction de l'affaire (
ATF 122 V 158
consid. 1a,
ATF 121 V 210
consid. 6c et les références). Celui-ci comprend en particulier l'obligation des parties d'apporter, dans la mesure où cela peut être raisonnablement exigé d'elles, les preuves commandées par la nature du litige et des faits invoqués, faute de quoi elles risquent de devoir supporter les conséquences de l'absence de preuves (
ATF 117 V 264
consid. 3b et les références).
3.
En l'espèce, l'assuré n'a annoncé son incapacité de travail à l'administration que bien après l'expiration du délai d'une semaine prévu à l'
art. 42 OACI
. Par ailleurs, il ne saurait se prévaloir d'une excuse valable pour justifier son retard. En effet, en se contentant de produire, en procédure cantonale, un certificat du docteur K. (du 14 mars 1997), aux
BGE 125 V 193 S. 196
termes duquel il était dans un "état dépressif" au mois de juin 1996, le recourant n'a pas rendu vraisemblable, au degré requis par la jurisprudence, qu'il n'était pas en mesure d'informer l'administration de son incapacité de travail ou de charger une tierce personne de le faire à sa place. Cela étant, la caisse intimée était en droit de lui refuser l'allocation d'une indemnité journalière pour la période du 12 au 30 juin 1996.
4.
a) Selon l'
art. 30 al. 1 LACI
, le droit de l'assuré à l'indemnité est suspendu lorsqu'il est établi, notamment, que celui-ci a donné des indications fausses ou incomplètes ou a enfreint, de quelque autre manière, l'obligation de fournir des renseignements spontanément ou sur demande et d'aviser (let. e) ou qu'il a obtenu ou tenté d'obtenir indûment l'indemnité de chômage (let. f).
b) La juridiction cantonale a admis, en vertu de la let. f de l'
art. 30 al. 1 LACI
, le bien-fondé de la suspension du droit à l'indemnité prononcée par la caisse. Selon les premiers juges, il n'est pas exclu qu'en omettant d'annoncer son incapacité de travail, l'assuré "ait cherché à préserver son droit à 34 indemnités journalières durant le délai cadre, à compter du 30ème jour suivant le début de l'incapacité de travail totale ou partielle; s'il n'en était pas réellement conscient, (il) semble bien avoir violé l'
art. 30 al. 1 let
. f LACI, à tout le moins de manière implicite".
Ce point de vue est mal fondé. Une suspension ne peut être prononcée en vertu de l'
art. 30 al. 1 let
. f LACI que si l'assuré a agi intentionnellement (NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], n. 707), c'est-à-dire avec conscience et volonté (cf.
ATF 112 V 159
consid. 4,
ATF 111 V 202
consid. 2a; DTA 1992 no 7 p. 105 consid. 4a). Dans la mesure où, en l'espèce, les premiers juges considèrent que l'assuré a (peut-être) recherché un avantage, mais sans en être "réellement conscient", le caractère intentionnel de l'acte doit être nié et une sanction ne peut être infligée en vertu de l'
art. 30 al. 1 let
. f LACI.
c) Par ailleurs, il n'est pas nécessaire d'examiner si l'omission d'annoncer l'incapacité de travail tombe sous le coup de la let. e de l'
art. 30 al. 1 LACI
. En effet, la suspension du droit à l'indemnité selon cette disposition légale a pour but de combattre les abus en matière d'assurance-chômage (
ATF 124 V 227
consid. 2b,
ATF 123 V 151
consid. 1c; JACQUELINE CHOPARD, Die Einstellung in der Anspruchsberechtigung, thèse Zurich 1998, p. 26). Quant à l'
art. 42 al. 2 OACI
, il vise le même but par le biais d'une sanction radicale, à savoir la déchéance du droit à l'indemnité journalière pour les jours précédant l'avis (
ATF 117 V 247
consid. 3c;
BGE 125 V 193 S. 197
NUSSBAUMER, op.cit. n. 74). Or, le juge des assurances sociales appelé à se prononcer sur une sanction doit observer le principe de proportionnalité (ATF
ATF 108 V 252
consid. 3a et les références; cf. aussi
ATF 122 V 380
consid. 2b/cc,
ATF 119 V 254
consid. 3a et les arrêts cités; ALFRED MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, vol. I, p. 170) et, dans le cas d'une violation unique du devoir d'aviser (
art. 96 al. 2 LACI
), il serait contraire à ce principe d'infliger la sanction prévue à l'
art. 30 al. 1 let
. e LACI à un assuré, par ailleurs déchu, pour le même motif, de son droit à l'indemnité journalière en vertu de l'
art. 42 al. 2 OACI
. La situation ici en cause diffère de celle dans laquelle des motifs de suspension distincts ou de même nature coexistent, de manière à justifier plusieurs sanctions (cf.
ATF 123 V 151
consid. 1c et la référence).
Cela étant, il n'est pas possible, pour un manquement unique, de cumuler les sanctions prévues aux
art. 42 al. 2 OACI
et 30 al. 1 let. e LACI, et la suspension prononcée par la caisse à l'encontre du recourant doit être annulée.
5.
(Dépens) | null | nan | fr | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4a9c1313-fa97-4699-899b-3e4db3237007 | Urteilskopf
117 V 359
50. Auszug aus dem Urteil vom 4. Februar 1991 i.S. S. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht von Appenzell Ausserrhoden | Regeste
Art. 6 und 18 UVG
: Unfall mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle.
- Bei einem typischen Beschwerdebild mit einer Häufung von Beschwerden ist der natürliche Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit in der Regel anzunehmen (Erw. 4b).
- Ein solcher Unfall kann nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit herbeiführen (Änderung der Rechtsprechung; Erw. 5d/aa).
- Für die Wertung im Einzelfall ist analog zur Methode vorzugehen, wie sie für psychische Störungen entwickelt wurde (
BGE 115 V 138
Erw. 6; Erw. 5d/bb). | Erwägungen
ab Seite 360
BGE 117 V 359 S. 360
Aus den Erwägungen:
4.
a) Die Leistungspflicht eines Unfallversicherers gemäss UVG setzt zunächst voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht. Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhanges sind alle Umstände, ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder nicht als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedacht werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die körperliche oder geistige Integrität des Versicherten beeinträchtigt hat, der Unfall mit andern Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele (
BGE 115 V 405
Erw. 3, 134 Erw. 3,
BGE 112 V 32
Erw. 1a mit Hinweisen).
Ob zwischen einem schädigenden Ereignis und einer gesundheitlichen Störung ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, ist eine Tatfrage, worüber die Verwaltung bzw. im Beschwerdefall der Richter im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu befinden hat. Die blosse Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt für die Begründung eines Leistungsanspruches nicht (
BGE 115 V 405
Erw. 3, 134 Erw. 3,
BGE 113 V 311
Erw. 3a und 322 Erw. 2a mit Hinweisen).
b) Ist ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule diagnostiziert und liegt ein für diese Verletzung typisches Beschwerdebild mit einer Häufung von Beschwerden wie diffuse Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Übelkeit, rasche Ermüdbarkeit, Visusstörungen, Reizbarkeit, Affektlabilität, Depression, Wesensveränderung usw. vor, so ist der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und der danach eingetretenen Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit in der Regel anzunehmen. Es ist zu betonen, dass es gemäss obiger Begriffsumschreibung für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs genügt, wenn der Unfall für eine bestimmte gesundheitliche Störung eine Teilursache darstellt.
BGE 117 V 359 S. 361
Die vom Beschwerdeführer nach dem Unfall geklagten Kopfschmerzen sowie die in mehreren SUVA-Berichten beschriebenen Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und eine ausgeprägte Müdigkeit bei der Arbeit sind Symptome, welche häufig nach einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule auftreten und persistieren. Die getroffenen Abklärungen beim Lehrmeister ergaben das Bild eines fleissigen, aufgeschlossenen Lehrlings vor dem Unfall und eines in den Leistungen um rund ein Drittel gegenüber dem früheren Niveau abgefallenen (und in seinem Wesen zu seinem Nachteil deutlich veränderten) Lehrlings nach dem Unfall. Die Arbeitgeberin führte die Leistungseinbusse im wesentlichen auf die gleichen Ausfälle zurück, die auch der Neuropsychologe Prof. P. festgestellt und als - unfallbedingte - Hirnleistungsschwäche diagnostiziert hat (Gutachten vom 23. Juli 1984 in Verbindung mit Ergänzungsgutachten vom 13. September 1985).
Nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (
BGE 115 V 142
Erw. 8b) sind die Ausfälle und die dadurch eingetretene teilweise Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit auf den Unfall zurückzuführen. Auf den Einwand der SUVA, dass die Neuropsychologie allein keinen strikten Nachweis für die Unfallkausalität von Hirnleistungsstörungen erbringen könne, ist unter den gegebenen Umständen des vorliegenden Falles nicht näher einzugehen.
5.
a) Die Leistungspflicht der Unfallversicherung setzt im weiteren voraus, dass zwischen dem Unfall und der dadurch verursachten Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit ein adäquater Kausalzusammenhang besteht.
Nach der Rechtsprechung hat ein Ereignis dann als adäquate Ursache eines Erfolges zu gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolges also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint (
BGE 115 V 135
Erw. 4a und 405 Erw. 4a,
BGE 113 V 312
Erw. 3b und 323 Erw. 2b,
BGE 112 V 33
Erw. 1b,
BGE 109 V 152
Erw. 3a,
BGE 107 V 176
Erw. 4b, je mit Hinweisen).
b) Die Vorinstanz hat den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom 24. Juli 1983, bei welchem sich der Beschwerdeführer u.a. ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule zuzog, und der in der Folge eingetretenen teilweisen Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit verneint. Dabei stützte sie sich auf das in SZS 1986 S. 84 publizierte Urteil K. vom 18. November 1985, welches
BGE 117 V 359 S. 362
sich auf eine ausschliesslich psychisch bedingte Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit nach einem Unfall mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule bezog und in welchem das Eidg. Versicherungsgericht die Frage offengelassen hat, ob an der Rechtsprechung festzuhalten sei, wonach die generelle Eignung eines Unfallereignisses, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, auf den normal veranlagten Versicherten zu beziehen und eine allfällige Prädisposition nicht zu berücksichtigen sei. In
BGE 112 V 36
Erw. 3c hat es die offengelassene Frage dahingehend beantwortet, die Adäquanz des Kausalzusammenhangs dürfe nicht deshalb verneint werden, weil die durch den Unfall ausgelösten - in jenem Fall psychischen - Störungen auf einer besonderen Veranlagung des Betroffenen beruhten. Es liefe dem Zweck der sozialen Unfallversicherung zuwider, wenn deren Schutz bestimmten Versicherten wegen einer sich im Anschluss an einen Unfall auswirkenden besonderen Veranlagung abgesprochen würde. In
BGE 115 V 135
Erw. 4b hat das Gericht präzisiert, für die Frage, ob ein Unfall nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sei, eine (psychische) Gesundheitsschädigung herbeizuführen, sei auf eine weite Bandbreite der Versicherten abzustellen. Hiezu gehörten auch jene Versicherten, die aufgrund ihrer Veranlagung für psychische Störungen anfälliger seien und einen Unfall seelisch weniger gut verkraften als Gesunde. Im Rahmen der erwähnten weiten Bandbreite bildeten auch solche Versicherte Bezugspersonen für die Adäquanzbeurteilung, welche im Hinblick auf die erlebnismässige Verarbeitung eines Unfalles zu einer Gruppe mit erhöhtem Risiko gehören, weil sie aus versicherungsmässiger Sicht auf einen Unfall nicht optimal reagieren. Aus diesem Grund ist für die Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs kein allzu strenger, sondern im dargelegten Sinn ein realitätsgerechter Massstab anzulegen.
c) Im bereits erwähnten Urteil K. vom 18. November 1985 (SZS 1986 S. 89 Erw. 5) wurde der adäquate Kausalzusammenhang mit der Begründung verneint, einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule ohne Vorliegen neurologischer Ausfälle und ohne nachweisbare Veränderungen im Röntgenbild fehle die generelle Geeignetheit, psychische Fehlentwicklungen mit Krankheitswert im Sinne eines Dauerschadens zu verursachen. Zwar wurde eine Publikation von WIESNER/MUMENTHALER, Schleuderverletzungen der Halswirbelsäule, Mechanismus, Diagnostik, Therapie und Begutachtung, in: Therapeutische Umschau, 31/1974, S. 648, zitiert, wonach ein
BGE 117 V 359 S. 363
solches Schleudertrauma in grösserem Ausmass als bisher angenommen echte und langdauernde Beschwerden verursachen könne, und zwar auch in Fällen, wo keine fassbaren organischen Ausfälle vorliegen. Das Eidg. Versicherungsgericht verneinte die Adäquanz des Kausalzusammenhangs bei diesem Beschwerdebild gleichwohl generell mit dem Hinweis darauf, dass nur die schweren Fälle bekannt seien und begutachtet würden, nicht aber das durchschnittliche Krankheitsbild aller Schleuderverletzungen, weil diese offenbar ohne Dauerschäden abklängen. Selbst wenn es zutreffen möge, dass auch in Fällen ohne organische Unfallfolgen mehr als bisher angenommen längerdauernde psychische und psychosomatische Folgen auftreten könnten, ergäben sich aus der vorhandenen medizinischen Literatur unter Berücksichtigung der erwähnten negativen Auslese keine genügend gesicherten Anhaltspunkte, dass eine Schleuderverletzung der Halswirbelsäule allgemein geeignet sein könnte, psychische Fehlentwicklungen mit Krankheitswert zu verursachen. Es dürfe nicht ausser acht gelassen werden, dass die meisten Schleudertraumen ohne fassbare organische Befunde in der Regel harmlos verliefen.
d) Diese Rechtsprechung hält einer erneuten Prüfung aus zwei Gründen nicht stand.
aa) Nach den Ergebnissen der medizinischen Forschung ist bekannt, dass bei einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule auch ohne nachweisbare pathologische Befunde noch Jahre nach dem Unfall funktionelle Ausfälle verschiedenster Art auftreten können. Der Umstand, dass die für ein Schleudertrauma typischen Beschwerden (vgl. Erw. 4b) in manchen Fällen mit den heute verwendeten bildgebenden Untersuchungsmethoden wie Röntgen, Computertomogramm und EEG nicht objektivierbar sind, darf nicht dazu verleiten, sie als rein "subjektive" Beschwerden zu qualifizieren und damit deren Relevanz für die Unfallversicherung in Abrede zu stellen (siehe z.B. DVORAK, Radiologischer Abklärungsvorgang bei Wirbelsäulenverletzungen, in: Schweizerische Medizinische Wochenschrift 120/1990, Nr. 51/52, S. 1990; WIESNER/MUMENTHALER, a.a.O., S. 644 f., 648; DVORAK/VALACH/SCHMID, Verletzungen der Halswirbelsäule in der Schweiz, in: Zeitschrift "Orthopäde", 1987, S. 11). Gemäss fachärztlichen Publikationen bestehen nämlich Anhaltspunkte dafür, dass der Unfallmechanismus bei einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule zu Mikroverletzungen führt, welche für das erwähnte bunte Beschwerdebild mit Wahrscheinlichkeit ursächlich oder zumindest
BGE 117 V 359 S. 364
im Sinne einer Teilursache mitverantwortlich sind. In Änderung der Rechtsprechung (
BGE 108 V 17
Erw. 3b) ist davon auszugehen, dass ein Unfall mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule in der charakteristischen Erscheinungsform einer Häufung von typischen Beschwerden nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit verursachen kann, auch wenn die festgestellten Funktionsausfälle organisch nicht nachweisbar sind. Dabei ist es im Hinblick auf die Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs als einer Rechtsfrage (
BGE 112 V 33
Erw. 1b) nicht entscheidend, ob die im Anschluss an ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule auftretenden Beschwerden medizinisch eher als organischer und/oder psychischer Natur bezeichnet werden (vgl.
BGE 116 V 159
), zumal diese Differenzierung angesichts des komplexen und vielschichtigen Beschwerdebildes in heiklen Fällen gelegentlich grosse Schwierigkeiten bereitet (vgl. dazu KRÄMER, HWS-Schleudertraumen, Zur Pathogenese der zerebralen Beteiligung und persistierender posttraumatischer Störungen, in: medwelt, Bd. 34, Heft 41/83, S. 1138; RADANOV/DVORAK/VALACH, Psychische Veränderungen nach Schleuderverletzungen der Halswirbelsäule, in: Schweizerische Medizinische Wochenschrift 119/1989, Nr. 17, S. 536 ff.). Entscheidend ist einzig, dass die Beschwerden zu einer ausgewiesenen Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit führen.
bb) Die Rechtsprechung gemäss Urteil K. vom 18. November 1985 (SZS 1986 S. 89 Erw. 5) kann auch deshalb nicht mehr aufrechterhalten werden, weil sie ausschliesslich an der erlittenen Verletzung und deren Geeignetheit, eine Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit zu verursachen, anknüpft. Bei - psychischen - Störungen hat das Eidg. Versicherungsgericht eine neue Rechtsprechung entwickelt, wonach die Frage, ob eine Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit für die Unfallversicherung adäquat, d.h. rechtlich erheblich ist, nicht allein auf die beim Unfall erlittenen Verletzungen zu beziehen ist, sondern auf das Unfallereignis (
BGE 115 V 135
Erw. 4a), d.h. den Unfall mit seinen Begleitumständen. Darunter sind objektiv erfassbare Umstände zu verstehen, welche unmittelbar mit dem Unfall im Zusammenhang stehen oder als direkte bzw. indirekte Folgen davon erscheinen und ihrerseits nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, in Verbindung mit dem Unfall zu einer Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit zu führen oder diese allenfalls zu erhöhen. Die Schwere und gegebenenfalls die besondere Art der
BGE 117 V 359 S. 365
erlittenen Verletzungen kann bei der Beurteilung der Adäquanz des Kausalzusammenhangs - neben anderen - ein Kriterium sein (vgl. dazu Erw. 6 nachfolgend;
BGE 115 V 140
Erw. 6c/aa).
Für die Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen einem Unfall und der infolge eines Schleudertraumas der Halswirbelsäule auch nach Ablauf einer gewissen Zeit nach dem Unfall weiterbestehenden Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit, die nicht auf organisch nachweisbare Funktionsausfälle zurückzuführen ist, rechtfertigt es sich, im Einzelfall analog zur Methode vorzugehen, wie sie für psychische Störungen nach einem Unfall entwickelt worden ist (
BGE 115 V 138
Erw. 6). Denn in beiden Fällen sind nach dem Unfall festgestellte Ausfälle in rechtlich vergleichbarer oder ähnlicher Weise nicht (hinreichend) organisch nachweisbar. Da der adäquate Kausalzusammenhang bei einer psychisch bedingten Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit unter Umständen auch bejaht wird, wenn keine organisch nachweisbare Verletzung vorliegt, liefe es auf eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Versicherten hinaus, bei einem Unfall mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule für die Adäquanz des Kausalzusammenhangs den Nachweis einer organischen Verletzung zu verlangen.
Es ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass klar fassbare physische Befunde nach einem Unfall praxisgemäss ohne weiteres diesem zugeordnet werden, selbst wenn es sich um eine singuläre bzw. aussergewöhnliche Unfallfolge handelt (
BGE 107 V 177
Erw. 4b). Nach der Rechtsprechung hat der Unfallversicherer sogar für mittelbare adäquate Unfallfolgen einzustehen wie z.B. für Fehler, die bei der ärztlichen Behandlung eines Unfallopfers begangen wurden und durch welche Unfallfolgen verschlimmert wurden (EVGE 1967 S. 19 Erw. 2; MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. I, S. 343). Bei organisch nachweisbar behandlungsbedürftigem Befund deckt sich somit bei der Beurteilung gesundheitlicher Störungen die adäquate, d.h. rechtserhebliche Kausalität weitgehend mit der natürlichen Kausalität; die Adäquanz hat hier gegenüber dem natürlichen Kausalzusammenhang praktisch keine selbständige Bedeutung (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl., 1989, S. 462; MEYER-BLASER, Die Zusammenarbeit von Richter und Arzt in der Sozialversicherung, in: Schweizerische Ärztezeitung, Bd. 71, Heft 26/1990, S. 1093 f.). Im Hinblick auf das verfassungsmässige Gebot der Rechtsgleichheit ist die auf fällige Diskrepanz in der Behandlung
BGE 117 V 359 S. 366
der Versicherten je nachdem, ob eine Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit nach einem Unfall auf organisch nachweisbare Ausfälle zurückzuführen ist oder nicht, zu überwinden und durch eine den tatsächlichen Unfallfolgen Rechnung tragende Lösung zu ersetzen. Insbesondere müssen die grosse Anfälligkeit und dementsprechend die leichte Verletzlichkeit der Halswirbelsäule als eines auf äussere Krafteinwirkungen in mehrfacher Hinsicht ausgesprochen sensibel reagierenden Organs bei der Beurteilung der Adäquanz angemessen berücksichtigt werden. Der jeweilige Stand der medizinischen Wissenschaft spielt in diesem Zusammenhang lediglich eine untergeordnete Rolle, geht es doch hier wie bei allen anderen Verletzungen darum, im Einzelfall unter Wertung von Indizien, die für oder gegen die - rechtliche - Zuordnung bestimmter Funktionsausfälle zum Unfall sprechen, im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu einer versicherungsmässig vernünftigen und gerechten Abgrenzung haftungsbegründender und haftungsausschliessender Unfälle zu gelangen.
6.
a) In analoger Anwendung der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen ist für die Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs im Einzelfall zu verlangen, dass dem Unfall für die Entstehung der Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit eine massgebende Bedeutung zukommt. Dies trifft dann zu, wenn er objektiv eine gewisse Schwere aufweist oder mit anderen Worten ernsthaft ins Gewicht fällt (vgl.
BGE 115 V 141
Erw. 7 mit Hinweisen). Für die Beurteilung dieser Frage ist gemäss
BGE 115 V 138
Erw. 6 an das Unfallereignis anzuknüpfen, wobei - ausgehend vom augenfälligen Geschehensablauf - folgende Einteilung vorgenommen wurde: banale bzw. leichte Unfälle einerseits, schwere Unfälle anderseits und schliesslich der dazwischen liegende mittlere Bereich.
Wie das Eidg. Versicherungsgericht im genannten Urteil erwogen hat, kann bei leichten Unfällen wie z.B. einem gewöhnlichen Sturz der adäquate Kausalzusammenhang zwischen Unfall und nachfolgenden Gesundheitsstörungen in der Regel ohne weiteres verneint werden, weil aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung, aber auch unter Einbezug unfallmedizinischer Erkenntnisse davon ausgegangen werden darf, dass ein solcher Unfall nicht geeignet ist, einen erheblichen Gesundheitsschaden zu verursachen (vgl.
BGE 115 V 139
Erw. 6a).
Bei schweren Unfällen dagegen ist der adäquate Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Folgen in der Regel zu bejahen.
BGE 117 V 359 S. 367
Denn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung sind solche Unfälle geeignet, entsprechende Gesundheitsschäden zu bewirken (vgl.
BGE 115 V 140
Erw. 6b).
Bei Unfällen aus dem mittleren Bereich lässt sich die Frage, ob zwischen Unfall und Folgen ein adäquater Kausalzusammenhang besteht, nicht aufgrund des Unfalles allein schlüssig beantworten. Das Eidg. Versicherungsgericht hat daher festgestellt, dass weitere, objektiv erfassbare Umstände, welche unmittelbar mit dem Unfall im Zusammenhang stehen oder als direkte bzw. indirekte Folgen davon erscheinen, in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Als wichtigste Kriterien sind im Zusammenhang mit dem Schleudertrauma der Halswirbelsäule zu nennen: - besonders dramatische Begleitumstände oder besondere Eindrücklichkeit des Unfalls; - die Schwere oder besondere Art der erlittenen Verletzungen; - ungewöhnlich lange Dauer der ärztlichen Behandlung; - Dauerbeschwerden; - ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert; - schwieriger Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen; - Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Im Gegensatz zu den bei psychischen Fehlentwicklungen relevanten Kriterien gemäss
BGE 115 V 140
Erw. 6c/aa wird für die Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen einem Unfall mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule und in der Folge eingetretenen Beschwerden auf eine Differenzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet, weil es hier nach dem in Erw. 5d/aa Gesagten nicht entscheidend ist, ob Beschwerden medizinisch eher als organischer und/oder psychischer Natur bezeichnet werden.
b) Der Einbezug sämtlicher objektiver Kriterien in die Gesamtwürdigung ist nicht in jedem Fall erforderlich. Je nach den konkreten Umständen kann für die Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs ein einziges Kriterium genügen. Dies trifft einerseits dann zu, wenn es sich um einen Unfall handelt, welcher zu den schwereren Fällen im mittleren Bereich zu zählen oder sogar als Grenzfall zu einem schweren Unfall zu qualifizieren ist. Anderseits kann im gesamten mittleren Bereich ein einziges Kriterium genügen, wenn es in besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist. Kommt keinem Einzelkriterium besonderes bzw. ausschlaggebendes Gewicht
BGE 117 V 359 S. 368
zu, so müssen mehrere unfallbezogene Kriterien herangezogen werden. Handelt es sich beispielsweise um einen Unfall im mittleren Bereich, der aber dem Grenzbereich zu den leichten Unfällen zuzuordnen ist, müssen die weiteren zu berücksichtigenden Kriterien in gehäufter oder auf fallender Weise erfüllt sein, damit die Adäquanz bejaht wird. Diese Würdigung des Unfalles zusammen mit den objektiven Kriterien führt zur Bejahung oder Verneinung des adäquaten Kausalzusammenhangs. Damit entfällt die Notwendigkeit, nach andern Ursachen zu forschen, welche möglicherweise die nach einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule aufgetretenen Beschwerden mitbegünstigt haben könnten (vgl.
BGE 115 V 140
Erw. 6c/bb).
7.
a) Aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufes ist der vorliegende Unfall weder der Gruppe der leichten noch jener der schweren Unfälle zuzuordnen. Er gehört in den mittleren Bereich. Für die Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhangs sind somit weitere unfallbezogene Kriterien in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen.
b) Der seitlichen Kollision des Motorradfahrers mit dem ebenfalls zum Überholen ausscherenden Personenwagen mit anschliessendem Sturz von ca. 15 m über die Strassenböschung kann eine gewisse Eindrücklichkeit nicht abgesprochen werden. Es handelt sich aber um einen Schrecken, wie er üblicherweise bei einem Unfall auftritt (vgl.
BGE 115 V 145
). Von besonders dramatischen Begleitumständen oder einer besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls kann nicht gesprochen werden. Die vollständige Arbeitsunfähigkeit nach dem Unfall dauerte ca. zwei Monate. Während einer weiteren Phase von etwa 7 Monaten betrug die Arbeitsunfähigkeit 50%, und in der Zeit von Mai 1984 bis zum Abschluss der Lehre im März 1985, also während ca. 11 Monaten, war sie auf 25 bis 33 1/3% zu beziffern, bezogen auf die Tätigkeit als kaufmännischer Lehrling. Dem in der Folge mit der Firma V. AG abgeschlossenen Arbeitsvertrag wurde unbefristet eine Arbeitsunfähigkeit als Hilfsarbeiter von 25% zugrunde gelegt. Aufgrund der Aktenlage ist von einer dauernden Arbeitsunfähigkeit als kaufmännischer Angestellter von ca. 30% auszugehen. Ausmass und Dauer dieser Arbeitsunfähigkeit sprechen als Indizien für die Bejahung der Adäquanz des Kausalzusammenhangs zum Unfall.
Sodann fällt der schleppende Heilungsverlauf auf, klangen doch die Beschwerden wie Kopfschmerzen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie schnelle Ermüdbarkeit nur anfänglich
BGE 117 V 359 S. 369
etwas ab; in der Folge dauerten sie unvermindert fort. Der Heilungsverlauf muss als schwierig im Sinne der dargelegten Rechtsprechung bezeichnet werden. Ferner liegt eine Häufung der für das Schleudertrauma der Halswirbelsäule typischen Beschwerden vor, wie sie in Erw. 4b näher umschrieben wurden, verbunden mit einem leichten reversiblen Schädelhirntrauma. Der Beschwerdeführer litt jahrelang unter starken Kopfschmerzen, welche insbesondere beim Versuch einer Leistungssteigerung noch zunahmen. Damit ist auch das Kriterium der Dauerbeschwerden erfüllt. Neben den jahrelang persistierenden - vom Neuropsychologen Prof. P. als Hirnleistungsschwäche diagnostizierten - Konzentrations- und Gedächtnisstörungen fiel eine ausgeprägte Wesensveränderung auf. Der vor dem Unfall als unbeschwerter und fleissiger Lehrling beschriebene Beschwerdeführer wurde nach dem Unfall als verschlossen und sich selber bemitleidend geschildert; er machte einen lustlosen und verlangsamten Eindruck und hatte mit den Arbeitskollegen kaum noch Kontakt. Auch wenn er in der Folge im Betrieb wieder ein angepassteres Verhalten und vermehrt Initiative zeigte, bestand nach wie vor eine massive Verlangsamung. In Anbetracht der Häufung verschiedener, für das Schleudertrauma der Halswirbelsäule typischer Beschwerden und namentlich ihrer schwerwiegenden Auswirkungen ist im vorliegenden Fall auch das Kriterium der besonderen Art der Verletzung erfüllt.
Aufgrund dieser Gesamtwürdigung kommt dem Unfall vom 24. Juli 1983 eine massgebende Bedeutung für die Entstehung der festgestellten teilweisen Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit zu, weshalb die Adäquanz des Kausalzusammenhangs entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der SUVA zu bejahen ist. Es wird Aufgabe der SUVA sein, an welche die Sache zurückzuweisen ist, den Grad der Erwerbsunfähigkeit festzulegen. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4a9cff26-f024-41c7-93a0-bef37c0e703b | Urteilskopf
115 II 276
48. Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. September 1989 i.S. Ch. AG gegen Aufsichtsbehörde über das Handelsregister des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Wiedereintragung einer Gesellschaft im Handelsregister.
Will ein Dritter auf Ungültigkeit von Marken einer Aktiengesellschaft klagen, die im Handelsregister bereits gelöscht worden ist, so kann er verlangen, dass die Gesellschaft im Register wieder eingetragen wird. | Erwägungen
ab Seite 276
BGE 115 II 276 S. 276
Erwägungen:
1.
Die X. AG in Liquidation wurde am 10. Mai 1988 gestützt auf
Art. 66 Abs. 2 HRegV
im Handelsregister des Kantons St. Gallen gelöscht, nachdem das über sie eröffnete Konkursverfahren mangels Aktiven eingestellt worden war. Am 5. September 1988 ersuchte die Ch. AG das Handelsregisteramt des Kantons St. Gallen um Wiedereintragung der X. AG, weil sie auf Ungültigkeit deren Marken 312 837 und 313 206 klagen wolle, die ihre Rechte verletzten. Das Handelsregisteramt und auf Beschwerde hin am 14. Februar 1989 auch die kantonale Aufsichtsbehörde wiesen das Gesuch ab.
Die Ch. AG führt gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde Verwaltungsgerichtsbeschwerde, mit der sie an ihrem Gesuch festhält.
Die Aufsichtsbehörde hat unter Verweis auf ihren Entscheid auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Eidgenössische Amt für das Handelsregister beantragt, die Beschwerde gutzuheissen.
2.
Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Gläubiger, der die Wiedereintragung einer Aktiengesellschaft verlangt, die Voraussetzungen dafür und den Bestand seiner Forderung bloss glaubhaft zu machen, weil es nicht Sache der Registerbehörden, sondern des Richters ist, darüber endgültig zu entscheiden. Würde den Registerbehörden eine solche Befugnis eingeräumt, so könnten sie dem Gläubiger einen Prozess gegen die Gesellschaft verwehren;
BGE 115 II 276 S. 277
anders verhält es sich nur, wenn der Gläubiger seine Ansprüche auf einem andern, ihm ebenfalls zumutbaren Wege durchsetzen kann (
BGE 110 II 396
E. 2,
BGE 100 Ib 37
/38).
Die letztgenannte Einschränkung beruht auf der Überlegung, dass ein schutzwürdiges Interesse an der Wiedereintragung fehlt und damit Rechtsmissbrauch vorliegt, wenn die Durchsetzung eines Anspruchs auf anderem Weg als zumutbar erscheint. Gleiches gilt, wenn von vornherein feststeht, dass der Ansprecher den Zweck, den er mit der Wiedereintragung der Firma verfolgt, nicht erreicht (
BGE 64 I 337
). Wie jede Rechtsausübung setzt auch das Begehren um Wiedereintragung ein schutzwürdiges Interesse voraus, das vom Ansprecher nachzuweisen ist (
BGE 95 I 67
E. 5,
BGE 87 I 303
mit Hinweis). Da nach
Art. 2 Abs. 2 ZGB
nur der offenbare Rechtsmissbrauch keinen Schutz findet, ist der Begriff eines solchen Interesses indes nicht eng zu fassen (
BGE 100 Ib 38
,
BGE 95 I 68
).
3.
Die Aufsichtsbehörde geht zu Recht davon aus, dass die Beschwerdeführerin ihren Anspruch auf Löschung der Marken glaubhaft gemacht hat. Sie hält der Beschwerdeführerin jedoch entgegen, dass ihrem Anspruch keine Verpflichtung der X. AG gegenüberstehe, sie ihn schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte geltend machen können und ihr zudem ein schutzwürdiges Interesse an einer Löschungsklage abzusprechen sei, da sie keine Verletzung eigener Markenrechte mehr zu befürchten habe.
a) Die Löschungsklage dient insbesondere der Feststellung, dass eine Marke nichtig oder materiell untergegangen ist; im einen wie im andern Fall hat sie den Sinn einer negativen Feststellungsklage (
BGE 40 II 288
; MATTER, Kommentar zum MSchG, S. 213 und 216; H. DAVID, N. 1 zu
Art. 34 MSchG
; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 3. Aufl. II S. 968). Wird sie gutgeheissen, so gilt das Urteil darüber als Vollstreckungsausweis (
Art. 9 Abs. 1 MSchG
). Eine Verpflichtung des Markeninhabers, an der Löschung mitzuwirken, besteht nicht (
BGE 40 II 288
). Dies nimmt auch die Aufsichtsbehörde an, ist aber nicht entscheidend. Die Wiedereintragung ist schon zu bewilligen, wenn der Gesuchsteller einen Anspruch glaubhaft gemacht und ein Interesse an dessen Durchsetzung nachgewiesen hat; dass er auch eine Leistung beanspruchen könne, ist nicht erforderlich.
Eine Löschung des Markeneintrages von Amtes wegen sieht das Gesetz nur als Folge des Zeitablaufs (
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 2 MSchV
) sowie für besondere, hier nicht gegebene Ausnahmetatbestände vor (
Art. 16bis MSchG
,
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 MSchV
). In andern Fällen
BGE 115 II 276 S. 278
setzt sie eine schriftliche Verzichtserklärung des Inhabers oder ein rechtskräftiges gerichtliches Urteil voraus (
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1 und 4 MSchV
). Das Bundesamt für geistiges Eigentum hat es denn auch abgelehnt, die streitigen Marken auf einfaches Begehren der Beschwerdeführerin im Register zu löschen. Nachdem die Inhaberin dieser Marken untergegangen ist, lässt sich der Löschungsanspruch der Beschwerdeführerin nur noch durch ein gerichtliches Urteil und damit nur auf dem Umweg über eine Wiedereintragung der X. AG durchsetzen (
BGE 59 I 164
; MATTER, a.a.O., S. 216).
b) Fragen kann sich bloss, ob die Beschwerdeführerin sich dafür auf ein hinreichendes Interesse berufen kann. Nach Ansicht der Aufsichtsbehörde ist dies zu verneinen, weil nach dem Untergang der X. AG faktisch nicht mehr mit dem Gebrauch der beanstandeten Marken, folglich auch nicht mehr mit der Verletzung von Markenrechten anderer zu rechnen sei. Eine ähnliche Auffassung vertritt MATTER (S. 216), da die dahingefallene, nur noch ein Registerdasein fristende Marke nicht geeignet sei, Interessen Dritter zu verletzen.
Eine Marke geht bei Auflösung des Geschäftes oder Geschäftszweiges, dessen Erzeugnissen sie zur Unterscheidung dient, durch Aufgabe ihres Gebrauchs unter (MATTER, a.a.O., S. 148; H. DAVID, N. 3 und 4 zu
Art. 9 MSchG
; SCHLUEP, Das Markenrecht als subjektives Recht, S. 207/8). Wie nach Ablauf der Karenzfrist gemäss
Art. 9 Abs. 1 MSchG
hat diesfalls jedermann, der ein persönliches Interesse nachweisen kann, Anspruch darauf, die Löschung der untergegangenen Marke durch den Richter anordnen zu lassen (
BGE 99 II 112
/13). Dieses Interesse ist gewöhnlich wirtschaftlicher Natur und beruht auf der Behinderung, welche die Marke eines Konkurrenten für den Antragsteller bedeutet. Ob die materiell untergegangene, formell aber noch eingetragene Marke als solche gültig oder - beispielsweise als Freizeichen - nichtig sei, ist ohne Belang (
BGE 103 II 341
E. 3b). Wenn es um Marken geht, deren Gebrauch wie hier aufgegeben oder während drei Jahren unterbrochen worden ist, kann daher der prioritätsberechtigte Inhaber eines Warenzeichens wegen dessen Verletzung ohne weitern Nachweis einer Rechtsgefährdung verlangen, dass die beanstandeten Marken im Register gelöscht werden. Von einem solchen Begehren lässt sich im Ernst auch nicht sagen, dass es offenbar rechtsmissbräuchlich sei.
Das schutzwürdige Interesse an der Löschung der Marken reicht diesfalls auch aus, um die Wiedereintragung einer Gesellschaft im
BGE 115 II 276 S. 279
Handelsregister zu verlangen, wenn diese wie hier bereits liquidiert ist, ihre Marken aber im Register bestehen liess. Insoweit ist die Liquidation nicht abgeschlossen, weshalb der Beschwerdeführerin weder vorgeworfen werden kann, sie hätte schon früher auf Löschung klagen müssen, noch sich sagen lassen muss, sie habe ihren Anspruch verwirkt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid der Aufsichtsbehörde über das Handelsregister des Kantons St. Gallen vom 14. Februar 1989 aufgehoben und die kantonale Aufsichtsbehörde angewiesen, die Wiedereintragung der X. AG in Liquidation im Handelsregister zu veranlassen. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4a9ec386-2172-47be-b001-4ecebaa941de | Urteilskopf
115 Ib 197
27. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 19 mai 1989 dans la cause A. contre Cour de justice du canton de Genève (recours de droit public) | Regeste
Art. 17 Ziff. 2 des Vertrages zwischen der Schweiz und Frankreich über den Gerichtsstand und die Vollziehung von Urteilen in Zivilsachen vom 15. Juni 1869; gehörige Vorladung.
Der Umstand, dass die älteren Vollstreckungsabkommen wie das Abkommen zwischen Frankreich und der Schweiz, anders als die jüngeren Übereinkünfte, das Erfordernis der gehörigen Vorladung nicht ausdrücklich auf die Einleitung des Verfahrens beschränken, lässt den Schluss noch nicht zu, die beteiligten Staaten hätten dieses Erfordernis auf alle Verhandlungen ausdehnen wollen (E. 4a). | Erwägungen
ab Seite 198
BGE 115 Ib 197 S. 198
Extrait des considérants:
4.
Le recourant se plaint de n'avoir été assigné qu'à l'audience du tribunal parisien du 18 février 1988, mais non à celle du 16 mars 1988, ni à l'audience de jugement du 11 mai 1988.
a) Cette omission constituerait un motif de nullité en vertu de l'art. 114 al. 2 du nouveau code de procédure civile français (NCPC). Dans tous les cas, même si elle ne violait pas les conditions de la lex fori, cette omission contreviendrait à l'art. 17 ch. 2 de la Convention entre la Suisse et la France sur la compétence judiciaire et l'exécution des jugements en matière civile du 15 juin 1869 (RS 0.276.193.491) dans la mesure où la partie défenderesse n'aurait pas été citée à toutes les audiences et particulièrement à celle des débats, déterminante pour l'issue de la cause. En effet, la Convention ne limiterait pas l'exigence de la citation régulière à la seule audience d'introduction; les dispositions divergentes contenues dans nombre d'autres conventions montreraient que l'intention des Etats signataires de la Convention franco-suisse, qui ont renoncé à cette restriction, était bien de garantir la citation régulière à toutes les audiences. Cette manière de voir se justifierait d'autant plus qu'en l'espèce le recourant, n'ayant pas de domicile connu et n'ayant pu être atteint par la citation, le jugement a été rendu en son absence.
Dans son recours en appel, le recourant ne s'est pas prévalu du fait qu'il n'aurait pas été cité aux audiences des 16 mars et 11 mai 1988. Il s'agit par conséquent d'un moyen nouveau, qu'il soulève pour la première fois dans son recours de droit public. Il est néanmoins recevable à le faire dans un recours fondé sur l'art. 84 al. 1 lettre c OJ (
ATF 107 Ia 191
consid. 2b in fine,
ATF 105 Ib 40
consid. 2), même si les instances cantonales ont été épuisées (
ATF 101 Ia 524
consid. 1b,
ATF 98 Ia 553
consid. 1c), ce qui n'est pas obligatoire (
art. 86 al. 3 OJ
).
aa) Les art. 15 ss de la Convention franco-suisse invoquée, relatifs à l'exécution des jugements, s'appliquent à tous les jugements rendus dans les deux Etats contractants sans égard à la
BGE 115 Ib 197 S. 199
nature juridique du litige (
ATF 64 II 71
) ou à la nationalité des parties; elles régissent donc aussi les jugements rendus en France entre Français (
ATF 58 I 181
).
L'art. 17 ch. 2 de ladite Convention dispose que l'autorité saisie de la demande d'exécution pourra refuser de l'ordonner si la décision a été rendue sans que les parties aient été dûment citées et légalement représentées, ou défaillantes. Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, qu'il s'agisse d'un jugement rendu en contradictoire ou par défaut, le traité exige la réalisation d'une condition préalable: la citation régulière des parties (
ATF 58 I 186
). Un plaideur n'est "dûment cité" au sens de l'art. 17 ch. 2 de la Convention que si la citation satisfait aux exigences de forme et de fond posées par la lex fori et si elle lui est notifiée dans les formes requises par la législation du lieu de sa résidence et assez tôt pour lui permettre de défendre ses intérêts aux débats (
ATF 75 I 149
consid. 4a et les références).
bb) Le fait que, contrairement à des conventions d'exécution plus récentes, des conventions plus anciennes, notamment la Convention franco-suisse, ne limitent pas expressément l'exigence de citation régulière à l'audience introductive, ne permet pas encore d'en déduire que l'intention des Etats signataires des conventions plus anciennes ait été d'étendre cette exigence à toutes les audiences, ainsi que l'affirme le recourant, qui se réfère à l'
ATF 105 Ib 46
/47.
Dans cet arrêt, le Tribunal fédéral a certes relevé qu'alors que les conventions anciennes, notamment la Convention franco-suisse, exigent que les parties aient été dûment citées, les autres conventions précisent que cette exigence ne vaut que pour les citations ou actes introduisant le procès. Il a ainsi souligné que ces autres conventions, contrairement aux anciennes, prévoient expressément qu'il suffit que les parties aient été dûment citées à l'audience introductive. Il n'a en revanche pas tranché à cette occasion la question de savoir si, en l'absence d'une restriction expresse à ce sujet dans les conventions anciennes, on doit en déduire que les parties doivent être dûment citées à toutes les audiences.
GULDENER, qui se réfère à plusieurs conventions anciennes, en particulier à la Convention franco-suisse et notamment à son art. 17 ch. 2, estime qu'il n'est pas nécessaire qu'une partie soit "dûment citée" à chaque audience intervenant au cours du procès. Lorsqu'une partie a pu avoir connaissance de l'ouverture d'une
BGE 115 Ib 197 S. 200
procédure en étant dûment citée à l'audience introductive, elle est supposée avoir été mise en mesure de faire usage des voies de recours prévues par la lex fori au cas où des citations ultérieures ne lui seraient pas signifiées. Aussi, dans le domaine de ces conventions (anciennes), notamment de la Convention franco-suisse (art. 17 ch. 2), il n'y a pas lieu d'admettre que toutes les citations intervenant au cours du procès doivent être dûment notifiées (Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, p. 149/150, lettre f ch. 1 et les notes, notamment n. 108).
STRÄULI/MESSMER ne se prononcent pas sur cette question particulière, mais, s'agissant de l'exécution de décisions étrangères en vertu de traités, renvoient notamment à l'ouvrage précité de GULDENER ainsi qu'à une publication de KAUFMANN, qui ne traite cependant pas de cette question spéciale (cf. STRÄULI/MESSMER, ZPO, 2e éd., par. 302, p. 609; H. KAUFMANN, Grundlinien und Entwicklungstendenzen der von der Schweiz geschlossenen zweiseitigen Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile, in ZBJV 112/1976, p. 361 ss).
PETITPIERRE et LERESCHE, qui consacrent tous deux un paragraphe particulier à la régularité de la citation au sens de l'art. 17 ch. 2 de la Convention franco-suisse, ne traitent pas non plus de cette question spéciale (cf. MAX PETITPIERRE, La reconnaissance et l'exécution des jugements civils étrangers en Suisse, p. 109 ss, par. 3; ARMAND LERESCHE, L'exécution des jugements civils étrangers en Suisse et des jugements civils suisses dans quelques Etats étrangers, p. 34 ss, par. 8).
En revanche, PROBST aborde cette question précise. Se référant à diverses conventions anciennes, notamment à la Convention franco-suisse (art. 17 ch. 2), cet auteur considère comme déterminant que les parties soient dûment citées à l'audience qui introduit le procès; il est donc sans importance qu'elles ne le soient pas à une tentative de conciliation antérieure ou à des audiences ultérieures en cours de procédure (cf. RUDOLF PROBST, Die Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz nach den geltenden Staatsverträgen, thèse Berne 1936, p. 107 ss, notamment ch. III.1 in fine).
cc) Vu ce qui précède, quand bien même le recourant n'aurait pas été cité aux audiences des 16 mars et 11 mai 1988, on ne saurait en déduire qu'il n'aurait pas été dûment cité au sens de l'art. 17 ch. 2 de la Convention, dès lors qu'il l'a été à l'audience introductive du 18 février 1988.
BGE 115 Ib 197 S. 201
Au demeurant, il est constant que, si le recourant n'a pu être atteint par l'assignation à l'audience introductive, c'est parce qu'il avait quitté son domicile, depuis plus d'un mois, sans laisser d'adresse. Il est également acquis que depuis son départ il s'est établi aux USA, où il demeure toujours. Or, en tant que directeur général de la société A., il ne pouvait ignorer l'état du solde débiteur de cette société, dont il s'était porté caution solidaire le 4 mai 1984, avant de se volatiliser sans honorer ses obligations. Il devait dès lors s'attendre à être recherché. Le fait qu'il ait quitté la France sans laisser d'adresse, alors que la société qu'il avait cautionnée était, à la même époque, devenue sans siège connu, est pour le moins significatif. Le recourant ne saurait dès lors se plaindre sans abuser de son droit de n'avoir pas été "dûment cité" à des audiences postérieures à l'audience introductive, à laquelle il l'a été sans succès pour s'être mis lui-même dans la situation de ne pouvoir être atteint par la citation. La partie qui s'est elle-même mise dans le cas de ne pouvoir être atteinte par la citation à l'audience introductive ne saurait se prévaloir de garanties consacrées par un traité à des fins autres que celles voulues par les Etats signataires. Qu'elle s'étende à toutes les audiences ou à la seule audience introductive d'instance, la garantie de citation régulière a pour but d'assurer à chaque partie le droit de ne pas être condamnée sans avoir été mise en demeure de défendre ses intérêts (
ATF 105 Ib 46
/47 consid. 2a précité, 58 I 187) et non de lui permettre de se prévaloir de l'irrégularité de la citation à des audiences postérieures alors qu'elle s'est elle-même mise dans la situation de ne pouvoir être atteinte par l'assignation à l'audience introductive. Admettre le contraire équivaudrait à consacrer un abus de droit.
Le grief doit par conséquent être rejeté. | public_law | nan | fr | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
4aa430d7-40f5-430c-8897-fe1294d33c80 | Urteilskopf
123 V 122
21. Auszug aus dem Urteil vom 30. Juni 1997 i.S. A. gegen Pensionskasse der E. AG und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Art. 13 Abs. 1 lit. a,
Art. 26 Abs. 3 und
Art. 49 BVG
,
Art. 25 Abs. 1 BVV 2
.
Anspruch auf eine Altersrente im Bereich der weitergehenden Vorsorge wegen fehlender Versicherteneigenschaft verneint bei einem Arbeitnehmer, der zur IV- und UV-Invalidenrente gestützt auf
BGE 116 V 189
eine im Reglement ausgeschlossene (gekürzte) BVG-Invalidenrente erhält. | Sachverhalt
ab Seite 122
BGE 123 V 122 S. 122
A.-
A. (geboren am 5. Mai 1930) war aufgrund seiner Anstellung bei der Firma E. AG bei deren Pensionskasse versichert. Am 3. März 1987 erlitt er einen schweren Unfall. Mit Verfügung vom 23. Dezember 1988 sprach ihm die Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes ab 1. März 1988 eine ganze Invalidenrente zu. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) anerkannte ihrerseits einen Invaliditätsgrad von 100% ab 1. Oktober
BGE 123 V 122 S. 123
1990 und setzte die entsprechende Invalidenrente als Komplementärrente auf einem Jahresverdienst von Fr. 62'655.-- fest (Verfügung vom 13. Februar 1991). Die Pensionskasse der E. AG richtete A. ebenfalls eine Invalidenrente aus, welche ab 1. Oktober 1990 im Monat Fr. 420.20, zuzüglich eine Kinderrente von Fr. 84.05, betrug (Schreiben vom 23. April 1991).
Am 15. August 1991 wandte sich A. an die Pensionskasse mit der Bitte um Bestätigung, dass ihm bei Erreichen des AHV-Alters eine Altersrente von voraussichtlich Fr. 16'887.-- im Jahr zugesprochen werde. Die Pensionskasse verneinte einen Anspruch auf Altersrente unter Hinweis auf eine Stellungnahme der Firma Y Versicherungsberatung vom 6. Januar und 17. Februar 1992. Darin ging die Versicherungsberaterin von Art. 15 des Reglementes aus, wonach die Invalidenrenten lebenslänglich ausgerichtet würden und das Erreichen des Rentenalters kein Erlöschensgrund sei. Folglich bleibe es bei der laufenden BVG-Invalidenrente, weshalb kein Raum für die Zusprechung einer zusätzlichen Altersrente bestehe.
B.-
Am 8. April 1994 erhob A. Klage beim Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit dem Rechtsbegehren, die Pensionskasse sei zu verpflichten, ihm ab 1. Juni 1995 eine lebenslänglich zahlbare Altersrente in jährlicher Höhe von mindestens Fr. 11'790.50 zu bezahlen. Nach Durchführung eines Schriftenwechsels und einer Parteiverhandlung wies das Versicherungsgericht die Klage mit Entscheid vom 5. Mai 1995 ab.
C.-
A. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und erneuert das im kantonalen Verfahren gestellte Rechtsbegehren (...)
Die Pensionskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) äussert sich zur Sache, ohne einen Antrag zu stellen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Auszugehen ist davon, dass der Beschwerdeführer die ihm auf der Grundlage der BVG-Altersgutschriften festgesetzte Invalidenrente gemäss
Art. 26 Abs. 3 BVG
(in der bis Ende 1996 gültig gewesenen und hier anwendbaren Fassung) über die Vollendung des 65. Altersjahres hinaus weiterhin beziehen wird. Diese - im Umfange und nach Massgabe der BVG-Vorschriften - dem Beschwerdeführer ausgerichtete Invalidenrente lässt den im Falle der Konkurrenz zu UV- und MV-Leistungen vorgesehenen reglementarischen Leistungsausschluss (Art. 4 des Kassenreglements)
BGE 123 V 122 S. 124
unberührt. Der Entscheid
BGE 116 V 189
, mit welchem das Eidg. Versicherungsgericht Art. 25 Abs. 1 BVV2 für gesetzwidrig erklärt hat, insoweit er die Vorsorgeeinrichtungen ermächtigt, die Gewährung von Hinterlassenen- oder Invalidenleistungen auszuschliessen, wenn die Unfall- oder die Militärversicherung für den gleichen Versicherungsfall leistungspflichtig ist, bezieht sich nur auf die Mindestvorsorge nach BVG, nicht jedoch auf die weitergehende berufliche Vorsorge.
b) Im Streit liegt, ob der Beschwerdeführer nebst der Invalidenrente gemäss
Art. 26 Abs. 3 BVG
ab Vollendung des 65. Altersjahres zusätzlich einen Anspruch auf eine Altersrente hat. Zur Begründung seines Standpunktes bringt er in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vor, aufgrund der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts gemäss
BGE 116 V 189
sei die Beschwerdegegnerin gezwungen, Invalidenleistungen nach BVG zu erbringen, obwohl dies im Falle der Konkurrenz zu UV- und MV-Leistungen in Art. 4 des Reglementes nicht vorgesehen sei. Spreche aber das Reglement von Invalidenrenten, so werde damit eine reglementarische Invalidenrente und nicht eine solche gemeint, welche erst durch die erwähnte Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts ins Leben gerufen worden sei. Daher könne der reglementarische Ausschluss der Altersrentenberechtigung bei Vorliegen eines Anspruchs auf eine Invalidenrente nicht zum Zuge kommen.
Die Beschwerdegegnerin bringt vor, bei der aufgrund von
BGE 116 V 189
entgegen dem Wortlaut von Art. 4 des Reglementes ausgerichteten BVG-Invalidenrente handle es sich trotzdem um eine Invalidenrente im Sinne von Art. 15 des Reglementes. Dieses unterscheide zwischen Versicherten und Rentenbezügern. Als Rentenbezüger und mit einer Arbeitsunfähigkeit von 100% sei der Beschwerdeführer entgegen den Behauptungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht mehr Arbeitnehmer seiner früheren Arbeitgeberfirma.
Das BSV hält unter anderem fest, der Anspruch gemäss
Art. 26 Abs. 3 BVG
auf Invalidenleistungen erlösche mit dem Tod des Anspruchsberechtigten oder mit dem Wegfall der Invalidität. Somit werde die Invalidenleistung nicht durch eine Altersleistung abgelöst. Gestützt auf
Art. 34 Abs. 2 BVG
habe der Bundesrat in Art. 25 Abs. 1 BVV2 Vorschriften zur Verhinderung ungerechtfertigter Vorteile des Versicherten oder seiner Hinterlassenen beim Zusammentreffen mehrerer Leistungen aufgestellt. Diese (in der Fassung vom 18. April 1984) habe das Eidg. Versicherungsgericht
BGE 123 V 122 S. 125
in
BGE 116 V 189
als insoweit gesetzeswidrig bezeichnet, als sie die Vorsorgeeinrichtung ermächtigen, die Gewährung von Hinterlassenen- oder Invalidenleistungen auszuschliessen, wenn die Unfallversicherung oder die Militärversicherung für den gleichen Versicherungsfall leistungspflichtig ist. Diese Regelung habe sich auf die obligatorische Versicherung bezogen. Mit Verordnungsänderung vom 28. Oktober 1992, welche am 1. Januar 1993 in Kraft getreten sei, habe der Bundesrat Art. 25 Abs. 1 BVV2 so neu gefasst, dass die Vorsorgeeinrichtung in diesem Fall analog Art. 24 BVV2 kürzen könne. Da die Invalidenleistungen über das Rücktrittsalter hinaus ausgerichtet werden, seien die Vorsorgeeinrichtungen im Rahmen des Obligatoriums und ihrer Reglemente berechtigt, entsprechende Kürzungen weiterhin vorzunehmen.
4.
a) Zu prüfen ist, wie es sich mit der gesetzlichen und reglementarischen Lage verhalten würde, wenn die Vorsorgeeinrichtungen nicht durch
BGE 116 V 189
und ihm folgend durch die Revision von Art. 25 Abs. 1 BVV2 ab 1. Januar 1993 verhalten worden wären, anstelle des vorher zulässigen Leistungsausschlusses im Falle der Konkurrenz zur Unfallversicherung oder Militärversicherung Invalidenleistungen unter Beachtung des Überentschädigungsverbotes zu erbringen. Dabei ist im folgenden mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberfirma steht. Er ist vollständig arbeitsunfähig, bezieht keinen Lohn mehr und ist Bezüger von IV-, UV- und BVG-Leistungen aus der firmeneigenen Pensionskasse. Unter diesen Umständen kann nicht die Rede davon sein, er sei nach wie vor Arbeitnehmer. Selbst wenn das Arbeitsverhältnis nicht ausdrücklich aufgelöst worden sein sollte, so ist es durch konkludentes Verhalten beendet worden (vgl. auch
BGE 121 V 277
).
b) Wäre es nicht zu
BGE 116 V 189
und der daraus resultierenden Neufassung von Art. 25 Abs. 1 BVV2 gekommen, so wäre dem Beschwerdeführer aus dem SUVA-versicherten Unfall vom 3. März 1987 gegenüber der Pensionskasse kein Anspruch auf Invalidenleistungen erwachsen. Der in Art. 4 des Reglementes angeordnete Leistungsausschluss ("Bei einem Versicherungsfall nach dem Bundesgesetz über die Unfallversicherung [UVG] vor dem Rücktrittsalter besteht kein Anspruch auf Invalidenrenten ...") hätte integral gewirkt, indem der Beschwerdeführer keine Invalidenrente, auch nicht eine solche nach Massgabe des BVG-Obligatoriums hätte beanspruchen können. Er hätte bei dieser Rechtslage aber auch keinen Anspruch auf Altersrentenleistungen erheben können. Denn er
BGE 123 V 122 S. 126
hätte wegen des zwar invaliditätsbedingten, aber keine Invalidenleistungen auslösenden Dienstaustrittes die Versicherteneigenschaft verloren, da die Versicherung gemäss Art. 10 Ziff. 1 des Reglementes mit dem Dienstaustritt aus der Firma endet, sofern und soweit kein Anspruch auf Invaliden- oder Altersrenten besteht bzw. beginnt. Eine freiwillige Weiterführung der Versicherung schliesst Art. 10 Ziff. 1 (Satz 3) des Reglementes ausdrücklich aus. Damit ist als Ergebnis der nicht durch
BGE 116 V 189
und die dadurch ausgelöste Revision von Art. 25 Abs. 1 BVV2 geprägten Rechtslage festzuhalten, dass der Beschwerdeführer von der Pensionskasse weder Invaliden- noch Altersleistungen hätte beanspruchen können.
c) aa) Demgegenüber ergibt sich als Folge von
BGE 116 V 189
und der Revision von Art. 25 Abs. 1 BVV2 zunächst, dass der Beschwerdeführer seit Invaliditätseintritt gegenüber der Beschwerdegegnerin Anspruch auf eine Invalidenrente hat, festgesetzt aber nur nach Massgabe des BVG, somit auf der Grundlage der obligatorisch zu verbuchenden Altersgutschriften. Diese BVG-Invalidenrente steht ihm in zeitlicher Hinsicht über das gesetzliche Rücktrittsalter (
Art. 13 Abs. 1 lit. a BVG
) hinaus bis zu seinem Ableben zu (
BGE 118 V 100
). Dieser Anspruch liegt hier denn auch nicht im Streit, weil der Beschwerdeführer ihn an den gemäss Rechtsbegehren eingeklagten Anspruch in betraglicher Hinsicht anrechnen zu lassen bereit ist.
bb) Da, wie dargetan (Erw. 3a), der reglementarische Ausschluss für eine aus weitergehender Vorsorge geschuldete Invalidenrente (Art. 4 des Reglementes) bestehen bleibt, entfällt unter dem Titel des Art. 15 des Reglementes ein Invalidenrentenanspruch ohne weiteres auch in der Zeit nach Erreichen des reglementarischen Schlussalters. Denn es gibt keine vorher entstandene reglementarische Invalidenrente, die sich über dieses Datum hinaus verlängerte und erst beim Tod des Versicherten erlöschen würde (Art. 15 Ziff. 2 des Reglementes).
cc) Damit stellt sich als nächstes die Frage, ob der Beschwerdeführer einen originären Altersrentenanspruch im Rahmen der weitergehenden beruflichen Vorsorge nach Art. 13 des Reglementes zugute hat. Danach entsteht "für jeden Versicherten" mit Erreichen des Rücktrittsalters der Anspruch auf eine lebenslängliche Altersrente (Ziff. 1). Die Höhe der jährlichen Altersrente entspricht dem vorhandenen Altersguthaben, multipliziert mit dem vom Stiftungsrat, mindestens aber mit dem vom Bundesrat festgelegten Umwandlungssatz (Ziff. 2 erster Satz).
BGE 123 V 122 S. 127
Insoweit der Beschwerdeführer aufgrund seiner Invalidität von der Beschwerdegegnerin eine im Rahmen des BVG-Minimums festgesetzte Invalidenleistung bezieht, ist er zwar noch deren Versicherter geblieben. Er ist wohl aus der Firma ausgetreten, tatsächlich hat er aber einen Anspruch auf Invalidenrente erworben. Hingegen kann er nach Massgabe von Art. 13 Ziff. 1 des Reglementes insoweit nicht mehr als der Versichertengemeinschaft zugehörig betrachtet werden, als es um die weitergehende berufliche Vorsorge geht. Der Beschwerdeführer ist aus der Firma ausgetreten und es ist ihm - wegen des im Bereich der weitergehenden Vorsorge weiterhin gültigen Leistungsausschlusses gemäss Art. 4 Ziff. 1 des Reglementes (Erw. 3a hievor) - kein Anspruch auf Invaliden- oder Altersrente entstanden. Infolgedessen kann er in bezug auf die eingeklagten Altersleistungen nicht weiter als Versicherter im Sinne von Art. 13 Ziff. 1 des Reglementes betrachtet werden. | null | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4aa80c7e-4856-4b1b-a448-521915e80513 | Urteilskopf
116 II 202
37. Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. April 1990 i.S. Koch und Grayo gegen Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Familienname der in der Schweiz heiratenden Ausländerin (
Art. 37 Abs. 1 IPRG
).
Beim Entscheid über die Namenführung einer Ehefrau, die bis zu ihrer Trauung Wohnsitz im Ausland gehabt und deren Partner schon vor der Eheschliessung in der Schweiz gewohnt hat, darf grundsätzlich auf die von den Brautleuten im Vorverfahren oder im Verkündverfahren geäusserte Absicht abgestellt werden, in der Schweiz den ersten ehelichen Wohnsitz zu begründen. Führen die Brautleute überzeugende Hinweise zur Stützung ihrer Absicht, in der Schweiz Wohnsitz zu nehmen, an und lassen nicht gewichtige gegenteilige Anzeichen eine solche Wohnsitznahme als eher unwahrscheinlich erscheinen, so untersteht der Name der Braut nach Massgabe von Art. 37 Abs. 1 (und unter Vorbehalt von Art. 37 Abs. 2) IPRG schweizerischem Recht. | Sachverhalt
ab Seite 203
BGE 116 II 202 S. 203
A.-
Gerhard Koch ist deutscher Staatsangehöriger und wohnt seit über dreissig Jahren in der Schweiz; er hat seit 1970 Wohnsitz in Reinach BL. Léone Grayo, die sich am 24. Februar 1989 mit Gerhard Koch verheiratet hat, ist französische Staatsangehörige und wohnte bis zu ihrer Trauung in Guebwiller (Frankreich).
Bei der Eheschliessung verurkundete die Zivilstandsbeamtin von Reinach unter der Rubrik "Familienname des Mannes / der Frau nach der Eheschliessung" je den ledigen Namen der Brautleute. Hiegegen beschwerte sich das Ehepaar mit Eingabe vom 26. Februar 1989 bei der Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft als Aufsichtsbehörde über das Zivilstandswesen. Die Eheleute begründeten ihre Beschwerde damit, dass sich Léone Grayo "vom Datum der Eheschliessung an" in Reinach niederlasse und dass Gerhard Koch überdies das Einbürgerungsverfahren eingeleitet habe. Die Pflicht zur unterschiedlichen Namenführung innerhalb der gleichen Ehegemeinschaft sei ihnen unverständlich und empfänden sie als diskriminierend.
Die Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft wies die Beschwerde mit Verfügung vom 31. Juli 1989 ab.
B.-
Gerhard Koch und Léone Grayo erhoben gegen die Verfügung der kantonalen Aufsichtsbehörde über das Zivilstandswesen beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragten, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und es sei
BGE 116 II 202 S. 204
ihnen zu gestatten, den Namen des Ehemannes als Familiennamen zu führen. Dementsprechend sei das Zivilstandsamt Reinach anzuweisen, den Familiennamen Koch zu verurkunden.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Die Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft stützt sich bei ihrem Entscheid zur Frage, welchem Namensrecht die Ausländerin bei ihrer Heirat in der Schweiz unterworfen sein soll, auf den Grundsatz des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291), wonach die Namenführung selbständig angeknüpft werde und sich nicht nach dem Recht des zugrunde liegenden Kausalverhältnisses richte. Auch wenn sich die Eheschliessung als solche nach schweizerischem Recht richte, gelte dies nicht zwangsläufig auch für die Namenführung nach der Eheschliessung.
Gemäss
Art. 37 Abs. 1 IPRG
, führt die kantonale Aufsichtsbehörde über das Zivilstandswesen weiter aus, unterstehe der Name einer Person mit Wohnsitz in der Schweiz schweizerischem Recht. Der Name einer Person mit Wohnsitz im Ausland unterstehe demgegenüber dem Recht, auf welches das Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates verweise.
Bezüglich des Zeitpunkts, der für die Bestimmung des Wohnsitzes und damit für die Bestimmung des Namens massgebend sein soll, enthalte das IPRG keine ausdrückliche Regelung. Indessen sei das Zivilstandsamt zu Recht vom Zeitpunkt der Eheschliessung ausgegangen. Da im vorliegenden Fall die Braut als französische Staatsangehörige im Zeitpunkt der Eheschliessung Wohnsitz in Frankreich gehabt habe, gelte für die Bestimmung ihres Namens nach der Heirat französisches Recht. Nach diesem werde der Name einer Person durch die Eheschliessung nicht berührt, so dass eine Französin zeitlebens ihren ledigen Namen behalte. Somit habe das Zivilstandsamt Reinach zu Recht unter der Rubrik "Familienname des Mannes/der Frau nach der Eheschliessung" je den ledigen Namen der Brautleute verurkundet.
2.
a) Nach
Art. 160 Abs. 1 ZGB
ist der Name des Ehemannes der Familienname der Ehegatten.
Art. 160 Abs. 2 ZGB
räumt der Braut das Recht ein, gegenüber dem Zivilstandsbeamten zu erklären, dass sie ihren bisherigen Namen dem Familiennamen voranstellen wolle.
BGE 116 II 202 S. 205
Diese Regelung gilt nach
Art. 37 Abs. 1 IPRG
für Personen - Schweizer wie Ausländer - mit Wohnsitz in der Schweiz. Hingegen untersteht gemäss derselben Bestimmung (zweiter Satz) der Name einer Person mit Wohnsitz im Ausland dem Recht, auf welches das Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates verweist. Gestützt auf
Art. 37 Abs. 2 IPRG
kann zudem eine Person verlangen, dass ihr Name dem Heimatrecht unterstehe; doch hat diese Vorschrift ausser für Auslandschweizer nur Bedeutung für Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz (MARTIN JÄGER, La situation juridique dans le domaine de l'état civil après la mise en vigueur de la loi de DIP, Zeitschrift für Zivilstandswesen 57/1989, S. 120). Unbestritten ist auch, dass das schweizerische IPRG den Ausländern mit Wohnsitz im Ausland keine Möglichkeit einräumt, sich für die Anwendung des schweizerischen Namensrechts zu entscheiden.
b) Im vorliegenden Fall steht fest, dass Gerhard Koch seit vielen Jahren in der Schweiz wohnt und hier arbeitet. Seit 1970 hat er Wohnsitz in Reinach, und dort haben die Beschwerdeführer denn auch am 24. Februar 1989 geheiratet. Für die Namenführung des Ehemannes gilt demnach ohne Zweifel schweizerisches Recht.
Fest steht sodann, dass Léone Grayo bis zur Heirat in Frankreich gewohnt hat. In ihrer am 26. Februar 1989 bei der Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft eingereichten Beschwerde haben die Beschwerdeführer aber festgehalten, dass die Ehefrau mit der Eheschliessung endgültig Wohnsitz in Reinach nehmen werde. Je nachdem, wie der für die Namenführung massgebende Zeitpunkt bestimmt wird, wenn die Braut durch Heirat ihren Wohnsitz wechselt, gelangt demnach auf sie französisches Recht (Art. 3 Ccfr) oder ebenfalls schweizerisches Recht zur Anwendung. Das bedeutet - unter Vorbehalt der Wahl des Heimatrechts (
Art. 37 Abs. 2 IPRG
), welches die Braut aber im vorliegenden Fall gerade nicht angewandt wissen will -, dass die Ehefrau den Namen des Ehemannes als Familiennamen nur tragen dürfte, wenn auf den künftigen Wohnsitz der Eheleute in der Schweiz abgestellt würde. Zur Frage, ob dies zulässig sei, lässt sich dem IPRG keine unmittelbare Antwort entnehmen.
c) Die Zivilstandsbeamtin von Reinach, die kantonale Aufsichtsbehörde über das Zivilstandswesen und das Bundesamt für Justiz gehen davon aus, dass nur das Recht des Staates, wo die betroffene Person bei Eintritt des namensrechtlich bedeutsamen Ereignisses ihren Wohnsitz hat, für die Namenführung bestimmend sein könne. Der massgebende Zeitpunkt wäre in einem Fall
BGE 116 II 202 S. 206
wie dem vorliegenden der Tag der Trauung. Während das Bundesamt für Justiz nur meint, das liege in der Natur der Sache, stützt sich die Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft für ihre gleiche Auffassung auf die Wahl des Heimatrechts, die
Art. 37 Abs. 2 IPRG
einräumt, und verweist auf die Konkretisierung dieser Wahlmöglichkeit in
Art. 177d ZStV
. Massgebend für die Bestimmung des Wohnsitzes könne nach dieser Vorschrift nur der Zeitpunkt des Eintrags in das Einzelregister sein; und in Analogie hiezu müsse auch für die Bestimmung des Namens einer Person gemäss
Art. 37 Abs. 1 IPRG
der Zeitpunkt des Eintrags in das Eheregister, also der Zeitpunkt der Eheschliessung, ausschlaggebend sein.
d) Der von der kantonalen Aufsichtsbehörde über das Zivilstandswesen gezogene Analogieschluss hinkt schon deswegen, weil für die Ausübung des Wahlrechts nach
Art. 37 Abs. 2 IPRG
vorausgesetzt wird, dass die ausländische Braut oder der ausländische Bräutigam spätestens in der Zeit des Vorverfahrens und des Verkündverfahrens (
Art. 148 ff. ZStV
) und folglich auch im Zeitpunkt der Eheschliessung Wohnsitz in der Schweiz hat, um überhaupt verlangen zu können, dass der Name dem Heimatrecht unterstehe. Andernfalls - das heisst, wenn die Braut oder der Bräutigam erst nach der Trauung Wohnsitz in der Schweiz erwürbe - könnte dieses Wahlrecht wegen Art. 37 Abs. 1 zweiter Satz IPRG gar nicht mehr ausgeübt werden.
Dennoch weist die Auffassung der Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft insofern in die richtige Richtung, als der Zivilstandsbeamte nicht erst anlässlich der Trauung, sondern bereits im Vorverfahren und im Verkündverfahren Abklärungen treffen muss, die sich gerade bei Ausländern unter anderem auch auf den Wohnsitz beziehen (vgl.
Art. 150 ff., 168 ff. ZStV
).
e) Wenn die ausländische Braut - wie im vorliegenden Fall - bis zur Eheschliessung ihren Wohnsitz im Ausland hat, so kann der erste eheliche Wohnsitz grundsätzlich in der Schweiz oder im Ausland liegen. Es kommt diesbezüglich entscheidend auf die Absicht der künftigen Ehegatten an (vgl.
Art. 23 ZGB
,
Art. 20 Abs. 1 lit. a IPRG
).
Richtet sich die Absicht der Eheleute darauf, in der Schweiz den ersten ehelichen Wohnsitz zu begründen und stehen dieser Absicht keine Hindernisse (etwa fremdenpolizeilicher Natur) entgegen, so ist nicht einzusehen, weshalb unter dem Gesichtswinkel von
Art. 37 Abs. 1 IPRG
nicht auf diesen ehelichen Wohnsitz
BGE 116 II 202 S. 207
abgestellt werden sollte bei der Prüfung der Frage, welcher Name für den ausländischen Ehegatten im Zivilstandsregister einzutragen ist. Solche Prüfung kann, wie das aus praktischen Gründen auch hinsichtlich anderer Fragen geschieht, schon im Vorverfahren und im Verkündverfahren vorgenommen werden. Sie stösst überall dort auf keine nennenswerten Schwierigkeiten, wo der eine Ehegatte, selber Ausländer, schon vor der Eheschliessung Wohnsitz in der Schweiz begründet hat oder wo die Absicht zur Wohnsitznahme in der Schweiz mit Hilfe fremdenpolizeilicher Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligungen oder mit anderen Mitteln nachgewiesen oder wenigstens wahrscheinlich gemacht werden kann. Die Brautleute können also, im Rahmen des Vorverfahrens und des Verkündverfahrens, nach ihrem gegenwärtigen Wohnsitz, aber insbesondere auch nach den Absichten, die sie hinsichtlich des ersten ehelichen Wohnsitzes hegen, gefragt werden; und damit lässt sich die Grundlage für den Entscheid über die Namenführung schaffen. Kommen Zweifel auf, ob schweizerisches oder ausländisches Recht auf den Namen anwendbar sei, so kann die Frage der Namenführung der kantonalen Aufsichtsbehörde zur Prüfung unterbreitet werden (
Art. 43a ZStV
).
3.
Für die Beantwortung der Frage, welchen Namen die Braut, die bis zur Eheschliessung Wohnsitz im Ausland hat und deren Partner bereits in der Schweiz wohnt, nach ihrer Trauung tragen soll, kann umso unbedenklicher auf den von den Brautleuten bezeichneten ersten ehelichen Wohnsitz abgestellt werden, als diese Lösung kaum häufig beansprucht werden dürfte, für die wenigen vorkommenden Fälle sich aber als sachgerecht erweisen wird. Es dürfte auch kaum die Gefahr von Missbräuchen bestehen, vor allem dann nicht, wenn der Zivilstandsbeamte sich nicht damit begnügt, dass die Brautleute ihre Absicht äussern, nach der Heirat Wohnsitz in der Schweiz zu nehmen, sondern konkrete Hinweise für die Verwirklichung dieser Absicht fordert. Fehlt es an überzeugenden Hinweisen oder bestehen gar klare Anzeichen dafür, dass der behauptete Wohnsitzwechsel mit der Heirat nicht erfolgen wird (das Bundesamt für Justiz nennt offensichtlich starke berufliche Bindungen an den bisherigen Wohnsitzstaat oder den Weiterbestand fremdenpolizeilicher Hindernisse), so soll für die Namenführung nach der Eheschliessung an den Wohnsitz angeknüpft werden, den die Braut bis zur Trauung hatte.
In Übereinstimmung mit den Beschwerdeführern weist das Bundesamt für Justiz auch zutreffend darauf hin, dass nicht an den
BGE 116 II 202 S. 208
Wirkungen vorbeigesehen werden darf, die von der Eheschliessung für die Zukunft und mit dauernder Wirkung ausgehen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat denn auch in einem Kreisschreiben vom 11. Oktober 1989 an die kantonalen Aufsichtsbehörden im Zivilstandswesen - die Bestimmung und Eintragung des Namens in die Zivilstandsregister in Fällen mit Auslandberührung betreffend - ausgeführt, wenn aus Anlass eines namensrechtlich bedeutsamen Ereignisses (z.B. Eheschliessung, Scheidung) ein Wohnsitzwechsel geltend gemacht werde, könne in der Regel auf eine entsprechende Absichtsäusserung des Namensträgers abgestellt werden, soweit nicht objektive Anzeichen gegen eine Verlegung des Wohnsitzes in einen andern Staat sprächen.
4.
Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass beim Entscheid über die Namenführung einer Ehefrau, die bis zu ihrer Trauung Wohnsitz im Ausland gehabt hat und deren Partner schon vor der Eheschliessung in der Schweiz gewohnt hat, grundsätzlich auf die von den Brautleuten im Vorverfahren oder im Verkündverfahren geäusserte Absicht abgestellt werden darf, in der Schweiz den ersten ehelichen Wohnsitz zu begründen. Führen die Brautleute überzeugende Hinweise zur Stützung ihrer Absicht, in der Schweiz Wohnsitz zu nehmen, an und lassen nicht gewichtige gegenteilige Anzeichen eine solche Wohnsitznahme als eher unwahrscheinlich erscheinen, so untersteht der Name der Braut nach Massgabe von
Art. 37 Abs. 1 IPRG
schweizerischem Recht.
a) In ihrer unmittelbar nach der Eheschliessung der kantonalen Aufsichtsbehörde eingereichten Beschwerde haben Gerhard Koch und Léone Grayo den Wunsch geäussert, dass die Ehefrau den Namen des Ehemannes führen dürfe. Sie haben darauf hingewiesen, dass die Ehefrau sich vom Datum der Eheschliessung an endgültig mit dem Ehemann in der Schweiz niederlasse und dass der Ehemann, als deutscher Staatsangehöriger seit über dreissig Jahren in der Schweiz wohnhaft, das Einbürgerungsverfahren eingeleitet habe. Sodann erklären die Beschwerdeführer vor Bundesgericht mit Blick auf die Rechtsprechung zu
Art. 23 ZGB
, dass sich im Verlauf ihrer bereits vor der Ehe über zwölf Jahre dauernden Beziehung der Lebensmittelpunkt beider Partner je länger desto mehr nach Reinach, wo der Beschwerdeführer wohne und eine selbständige Existenzgrundlage aufgebaut habe, ausgerichtet habe.
b) Obschon sich in der angefochtenen Verfügung der Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft vom 31. Juli 1989
BGE 116 II 202 S. 209
keine tatsächlichen Feststellungen finden, welche diese Vorbringen stützen, und aus den Akten als wesentlich nur die Tatsache hervorgeht, dass Gerhard Koch seit über dreissig Jahren in der Schweiz wohnt, kann auf die Parteibehauptungen abgestellt werden. Es wird ihnen weder in der angefochtenen Verfügung noch in der dem Bundesgericht eingereichten Vernehmlassung der Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft widersprochen, so dass - ohne dass die Sache zur Aktenergänzung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird - tatsächlich davon ausgegangen werden darf, Léone Grayo habe schon vor der Eheschliessung die feste Absicht gehabt, nach der Trauung zusammen mit ihrem Ehemann Wohnsitz in Reinach zu nehmen.
Die angefochtene Verfügung, der eine zu enge Auslegung von
Art. 37 Abs. 1 IPRG
zugrunde liegt, erweist sich damit als bundesrechtswidrig. Sie ist aufzuheben, und es wird - gemäss
Art. 160 Abs. 1 ZGB
- festgestellt, dass der Name des Ehemannes der Familienname der Ehegatten ist. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4aaf42fc-a4bb-45e4-8978-325c55cda9b7 | Urteilskopf
83 IV 1
1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. März 1957 i.S. Wüst gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art.21 Abs.2 StGB
.
Wann tritt der Täter "aus eigenem Antrieb" vom Versuch zurück? | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 83 IV 1 S. 1
Die Beschwerdeführerin, welche am 5. Januar der Suva einen Unfall anmelden liess und am 19. Januar das Begehren um Ausrichtung des Krankengeldes bis 14. Januar stellte, verheimlichte arglistig, dass sie zwei Tage nach dem Unfall die Arbeit an einer neuen Stelle aufgenommen hatte. Nachdem am Morgen des 20. Januar der Suvavertreter beim neuen Arbeitgeber vorgesprochen hatte, gab die Beschwerdeführerin am Mittag des gleichen Tages, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, der Suva schriftlich bekannt, dass sie auf jede Versicherungsleistung verzichte. Die Unfallkarte, ohne deren Vorweisung kein Krankengeld ausbezahlt worden wäre, hatte sie noch nicht eingeschickt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Nach
Art. 21 Abs. 2 StGB
kann von Bestrafung Umgang genommen werden, wenn der Täter "aus eigenem Antrieb" die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende führt. Aus eigenem Antrieb tritt er zurück, wenn sein Entschluss, von der Vollendung der Tat abzustehen, auf freiem Willen beruht, er nicht zum Ziel kommen will, obschon er es könnte. Nicht freiwillig ist dagegen der Rücktritt, wenn für den Entschluss äussere, von seinem Willen unabhängige Umstände, die sich tatsächlich oder vermeintlich der Vollendung
BGE 83 IV 1 S. 2
entgegenstellen, bestimmend sind. Ob die Beweggründe, die dem Rücktritt zugrunde liegen, sittlich wertvoll sind oder nicht, ist für die Frage, ob er aus eigenem Antrieb erfolgte, unerheblich. Der sittliche Wert des Beweggrundes kann aber eine Rolle spielen, wenn darüber zu entscheiden ist, ob von einer Bestrafung abzusehen sei.
Die Beschwerdeführerin ist nicht aus eigenem Antrieb zurückgetreten, da der Beendigung der strafbaren Tätigkeit der begründete Verdacht im Wege stand, die Suva traue ihren Angaben nicht. Denn wenn auf Seiten der Suva Misstrauen bestand, so lag die Möglichkeit der Entdeckung derart nahe, dass die Beschwerdeführerin ernsthaft damit rechnete und sich sagte, sie werde zum beabsichtigten Ziel nicht mehr kommen, selbst wenn sie es wollte. Die Möglichkeit, von einer Bestrafung Umgang zu nehmen, scheidet damit aus. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4ab6e23c-aad8-4790-9723-083cdb83fc03 | Urteilskopf
120 IV 194
34. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Juni 1994 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen L. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 187, 191 StGB
; Konkurrenz zwischen sexuellen Handlungen mit Kindern und Schändung.
Wird ein Kind zu sexuellen Handlungen missbraucht, bezüglich welcher es altersbedingt nicht urteilsfähig ist, so ist zwischen den
Art. 187 und 191 StGB
Idealkonkurrenz anzunehmen (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 194
BGE 120 IV 194 S. 194
A.-
Am 4. März 1991 legte sich L. (geb. 4.10.1940) zum Sohn seiner Tochter, R. (geb. 29.5.1986), ins Bett, entblösste vor ihm seinen Geschlechtsteil und befriedigte sich selbst. Am 15. März 1991 liess er im Hühnerstall dem Knaben die Hosen herunter, betastete ihn am Geschlechtsteil und masturbierte. Vermutlich am 23. März 1991 führte er R. in die Tenne, wo er seinen eigenen Geschlechtsteil entblösste und das Kind bis zum Samenerguss daran saugen liess. Am 20. April 1991 liess er dem Knaben im Hühnerstall die Hosen herunter, entblösste seinen Geschlechtsteil und stiess damit zwischen den Oberschenkeln des Knaben bis zum Samenerguss hin und her.
B.-
Das Bezirksgericht Aarau sprach mit Urteil vom 16. Dezember 1992 L. der
BGE 120 IV 194 S. 195
mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind gemäss
Art. 187 Ziff. 1 StGB
schuldig, verurteilte ihn zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus und ordnete eine ambulante Behandlung nach
Art. 44 Ziff. 1 StGB
während des Strafvollzuges an.
C.-
Mit Urteil vom 26. August 1993 wies das Obergericht des Kantons Aargau die von L. erhobene Berufung und die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft ab.
D.-
Dagegen erhebt die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Angeklagten wegen mehrfacher Schändung im Sinne von
Art. 191 StGB
, eventuell wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kinde gemäss
Art. 187 Ziff. 1 StGB
in Idealkonkurrenz mit mehrfacher Schändung nach
Art. 191 StGB
, an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht verzichtet unter Hinweis auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil auf Gegenbemerkungen.
L. führt aus, er bestreite die strafbaren Handlungen, die das Obergericht rechtlich richtig gewürdigt habe, so dass sich eine weitere Vernehmlassung erübrige.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, beide Instanzen hätten eingeräumt, der Gesetzgeber habe das Verhältnis von Art. 187 zu
Art. 191 StGB
nicht klar durchdacht und Praxis und Lehre müssten diese Konkurrenzfrage lösen. Beide Instanzen gingen auch davon aus, dass das zur Zeit der Tat noch nicht fünfjährige Opfer als urteilsunfähig im Sinne von
Art. 191 StGB
zu betrachten sei. Die Botschaft über die Änderung des Sexualstrafrechts scheine sich bei solchen Fällen für den Schändungstatbestand auszusprechen. Dass gemäss altem Sexualstrafrecht der Tatbestand der Schändung nicht zur Anwendung habe gelangen können, dürfe keinen Grund bilden, im neuen Recht den Tatbestand der sexuellen Handlungen mit Kindern vorzuziehen. Wichtig sei auch der höhere Strafrahmen des
Art. 191 StGB
: Es wäre stossend, wenn sexuelle Handlungen mit einer urteilsunfähigen erwachsenen Person mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, sexuelle Handlungen mit einem urteilsunfähigen Kind unter 16 Jahren hingegen nur mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft werden könnten. Mit
BGE 120 IV 194 S. 196
der Bemerkung, dass fünf Jahre Zuchthaus für solche Fälle ohnehin genügen sollten, könnten die unterschiedlichen Strafmaxima nicht einfach übergangen werden.
Eventualiter beantragt die Beschwerdeführerin, es seien sowohl Art. 187 als auch
Art. 191 StGB
in Idealkonkurrenz anzuwenden, da nach der Systematik des neuen Sexualstrafrechts zwei Rechtsgüter tangiert seien, nämlich die ungestörte sexuelle Entwicklung von Unmündigen (
Art. 187 und 188 StGB
) sowie die sexuelle Freiheit (Art. 189 bis 194 StGB). Wer also unzüchtige Handlungen mit einem Kind begehe, das zusätzlich bezüglich solcher Handlungen als urteilsunfähig zu betrachten sei, müsse wegen sexueller Handlungen mit Kindern und Schändung bestraft werden.
b) Die Vorinstanz ging entsprechend den zu Art. 189 Abs. 2 aStGB vertretenen Lehrmeinungen davon aus, dass der Tatbestand der sexuellen Handlungen mit Kindern (
Art. 187 StGB
) immer jenem der Schändung vorgehe.
2.
a)
Art. 191 StGB
, der an die Stelle von Art. 189 und 190 aStGB getreten ist, schützt unabhängig vom Alter eine urteilsunfähige oder wehrlose Person männlichen oder weiblichen Geschlechts, die der Täter in Kenntnis ihres Zustandes zu einer geschlechtlichen Handlung missbraucht (Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes vom 26. Juni 1985, BBl 1985 II 1009, bes. S. 1077).
Das Gesetz spricht sich nicht über die Abgrenzung zu
Art. 187 StGB
aus, wenn das Opfer ein (infolge seines Alters oder einer Krankheit) urteilsunfähiges Kind unter 16 Jahren ist. In der Botschaft wird zu dieser Abgrenzung ausgeführt:
"Handelt es sich beim Opfer um ein irgendwie geistig behindertes Kind, wird es nicht immer leicht sein, zu entscheiden, ob die Tat den Unrechtsgehalt der Schändung erfüllt. Denn je jünger das Kind ist, desto schwerer lässt sich die Einsichtsunfähigkeit infolge seines Alters von der Urteilsunfähigkeit infolge geistiger Behinderung unterscheiden. Die Expertenkommission hatte aus diesen Gründen jegliche Fälle von Urteilsunfähigkeit bis zum Alter von 14 Jahren (Schutzalter gemäss ihrem Vorschlag) in Artikel 187 des Vorentwurfs über geschlechtliche Handlungen mit Kindern verwiesen. Wir sehen von dieser Lösung, die den Absichten des Täters nicht gerecht wird, ab. Beruht die Urteilsunfähigkeit des Opfers vor allem darauf, dass es das 16. Altersjahr noch nicht vollendet hat, soll Art. 187 unseres Entwurfes anwendbar sein; tritt dagegen der eigentliche Missbrauch einer Urteils- oder Widerstandsunfähigkeit in den Vordergrund, soll die Tat von der Bestimmung über die Schändung erfasst werden. Zu denken ist namentlich an die Fälle des Missbrauchs von Bewusstlosen, z.B. eines unter Drogeneinfluss stehenden Jugendlichen" (Botschaft, a.a.O., S. 1078).
BGE 120 IV 194 S. 197
STRATENWERTH (Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 4. Aufl., Bern 1993, § 8 N. 34 und N. 41) tritt dafür ein, analog zum bisherigen Verhältnis zwischen Art. 189 Abs. 2 aStGB und Art. 191 aStGB den Tatbestand der Unzucht mit Kindern vorrangig anzuwenden, um
Art. 187 Ziff. 2 und 3 StGB
nicht ganz oder teilweise um ihre Wirkung zu bringen.
b) Die
Art. 187 und 191 StGB
schützen nicht das gleiche Rechtsgut:
Art. 187 StGB
will die "Gefährdung der Entwicklung von Unmündigen" (1. Untertitel zum Fünften Titel des Strafgesetzbuches) verhindern, das heisst die ungestörte Entwicklung des Kindes gewährleisten, bis es die notwendige Reife erreicht hat, die es zur verantwortlichen Einwilligung in sexuelle Handlungen befähigt (Botschaft, a.a.O., S. 1065), wobei diese Reife vor dem 16. Altersjahr nach dem Willen des Gesetzgebers immer zu verneinen ist.
Art. 191 StGB
hingegen soll gemäss dem 2. Untertitel vor "Angriffen auf die sexuelle Freiheit und Ehre" bewahren, das heisst Personen schützen, die seelisch oder körperlich nicht in der Lage sind, sich gegen sexuelle Zumutungen zu wehren (Botschaft, a.a.O., S. 1077).
Art. 187 StGB
ist auch erfüllt, wenn das Opfer im Sinne des Gesetzes urteilsfähig und mit den sexuellen Handlungen voll einverstanden ist. Bei der Schändung kann es eine gültige Einwilligung wegen der Urteilsunfähigkeit des Opfers nicht geben. Der Strafrahmen ist unterschiedlich:
Art. 187 StGB
droht Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis an; die Widerhandlung gegen
Art. 191 StGB
kann mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis bestraft werden.
Gegen eine alternative Anwendung von
Art. 187 und
Art. 191 StGB
spricht, dass durch die Anwendung bloss einer dieser Strafnormen das deliktische Verhalten nicht vollständig erfasst und abgegolten wäre: In der Ausnützung der durch Urteilsunfähigkeit bedingten Hilflosigkeit eines Kindes liegt eine weitergehende Rechtsgutverletzung, die mit der Bestrafung wegen sexueller Handlungen mit einem Kind nicht berücksichtigt ist. Umgekehrt umfasst der Tatbestand der Schändung nicht den Schaden, welcher der Entwicklung des Kindes zugefügt wird.
Weder in der Botschaft noch in den parlamentarischen Debatten wurde die Möglichkeit der Idealkonkurrenz zwischen den beiden Artikeln erörtert. Die Botschaft und die Rechtsprechung nehmen eine solche hingegen zwischen Art. 187 und sexueller Nötigung oder Vergewaltigung (
Art. 189 und 190 StGB
) sowie zu Inzest (
Art. 213 StGB
) an (Botschaft, a.a.O., S. 1067;
BGE 119 IV 309
). Wenn aber zwischen Art. 187 und den Art. 189/190 StGB Idealkonkurrenz
BGE 120 IV 194 S. 198
möglich ist, liegt es nahe, diese auch zwischen
Art. 187 und
Art. 191 StGB
anzunehmen, denn ebenso wie die
Art. 189 und 190 StGB
schützt der Tatbestand der Schändung das Rechtsgut der sexuellen Freiheit, und es gibt keinen Grund, diese Freiheit bei Kindern und Jugendlichen weniger zu schützen als bei Erwachsenen (
BGE 119 IV 309
E. 7a). Auch vom Ergebnis her wäre es stossend, wenn die Unzucht mit einem kleinen (urteilsunfähigen) Kind nicht gleich streng bestraft werden könnte wie der Beischlaf mit einer (erwachsenen) urteilsunfähigen Person. Deshalb ist in solchen Fällen zwischen den
Art. 187 und 191 StGB
grundsätzlich echte Konkurrenz (Idealkonkurrenz) anzunehmen.
c) Da die Urteilsunfähigkeit im Sinne von
Art. 191 StGB
relativ ist, hat der Richter konkret abzuklären, ob das Opfer in bezug auf die sexuellen Handlungen seelisch in der Lage war, sich gegen diese zu wehren (Botschaft, a.a.O., S. 1077), und ob es darüber entscheiden konnte, die sexuellen Kontakte haben zu wollen oder nicht (STRATENWERTH, a.a.O., § 8 N. 34). Die notwendige Reife im Sinne von
Art. 187 StGB
ist vor dem 16. Altersjahr von Gesetzes wegen stets zu verneinen, wobei im übrigen Urteils- und Widerstandsfähigkeit vorausgesetzt ist.
Art. 191 StGB
bedingt "eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person". Ist also der Tatbestand von
Art. 187 StGB
bei sexuellen Handlungen mit einer Person unter 16 Jahren wegen ihrer mangelnden Reife erfüllt, so rechtfertigt sich eine zusätzliche Anwendung von
Art. 191 StGB
nur, wenn zur Ausnützung der mangelnden Reife offenkundig ein Missbrauch der Urteilsunfähigkeit oder anderen Widerstandsunfähigkeit hinzukommt. Deshalb darf eine allein altersbedingte Urteilsunfähigkeit nur zurückhaltend angenommen werden; sexuelle Handlungen berühren denn auch das Kind in seiner körperlichen und intimen Sphäre, in welcher es eher als in anderen Gebieten zum Bewusstsein und zu einer (Abwehr-)Reaktion fähig ist.
Unter welchen Voraussetzungen in Fällen, in denen die Urteils- oder Widerstandsunfähigkeit des jungen Opfers nicht bloss altersbedingt ist, Idealkonkurrenz zwischen
Art. 187 und
Art. 191 StGB
angenommen werden muss, kann hier offenbleiben.
d) Nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz ist R. aufgrund seines Alters von 4 Jahren und 11 Monaten zum Tatzeitpunkt als urteilsunfähig zu betrachten. Auch das Urteil der ersten Instanz und die Akten drängen nicht einen anderen Schluss auf. Zwar konnte das Kind die an ihm verübten Handlungen der Polizei gegenüber beschreiben, doch realisierte es
BGE 120 IV 194 S. 199
offensichtlich deren Bedeutung nicht; auch hat es sich nicht gegen die gleichgeschlechtlichen und sehr weit gehenden Handlungen gewehrt, sondern erduldete sie. Der Beschwerdegegner macht nicht geltend, die Urteilsunfähigkeit sei zu bezweifeln. Die von ihm verübten Taten erfüllen demnach sowohl Art. 187 als auch
Art. 191 StGB
, weshalb bei der Strafzumessung gemäss
Art. 68 StGB
zu verfahren ist. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4ab89e8f-04ed-41e9-b491-4e848c215e1a | Urteilskopf
118 III 10
4. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 28. Oktober 1992 i.S. X. Versicherungsgesellschaft (Rekurs) | Regeste
Zustellung von Betreibungsurkunden (
Art. 65 SchKG
).
Entsprechend der Vorschrift von
Art. 65 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
sind an eine Aktiengesellschaft gerichtete Betreibungsurkunden - insbesondere der Zahlungsbefehl - einem Mitglied der Verwaltung oder einem Prokuristen zuzustellen. Eine Ersatzzustellung gemäss
Art. 65 Abs. 2 SchKG
ist nur zulässig, wenn die Zustellung an einen Vertreter im Sinne der zuerst erwähnten Bestimmung erfolglos versucht worden ist. Das Recht der Stellvertretung im Sinne der
Art. 32 ff. OR
(im vorliegenden Fall die Anscheins- oder Duldungsvollmacht) hat neben der präzisen Anweisung des
Art. 65 SchKG
keinen Platz. | Sachverhalt
ab Seite 11
BGE 118 III 10 S. 11
Auf Begehren von Sch. erliess das Betreibungsamt gegen die X. Versicherungsgesellschaft den Zahlungsbefehl für eine Forderung von einer Million Franken zuzüglich Zins und Kosten. Der Zahlungsbefehl wurde am Sitz der Gesellschaft von deren Kassier entgegengenommen. Nachdem innert Frist kein Rechtsvorschlag erhoben worden war, stellte der Gläubiger das Fortsetzungsbegehren, worauf das Betreibungsamt die Konkursandrohung erliess.
Die X. Versicherungsgesellschaft beschwerte sich über die Zustellung des Zahlungsbefehls bei der kantonalen Aufsichtsbehörde, indem sie die Aufhebung des Zahlungsbefehls und der Konkursandrohung begehrte, wurde jedoch abgewiesen. Demgegenüber hiess die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts den hierauf bei ihr erhobenen Rekurs der X. Versicherungsgesellschaft gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Die präzise Anweisung, die
Art. 65 SchKG
für die Zustellung von Betreibungsurkunden an eine juristische Person oder eine Gesellschaft erteilt, erklärt sich aus dem System des schweizerischen Zwangsvollstreckungsrechtes: Der Zahlungsbefehl beruht ausschliesslich auf den Behauptungen des Gläubigers im Betreibungsbegehren. Völlig einseitig macht dieser darin geltend, dass ein materiellrechtlicher Anspruch bestehe, dass ihm die Sachlegitimation dafür gegenüber dem Schuldner zukomme und dass der Anspruch erzwingbar und vollstreckbar sei. Dabei kann es sich um ein streitiges Rechtsverhältnis handeln, oder der Anspruch ist noch gar nicht fällig, oder es steht die betreibungsrechtliche Vollstreckbarkeit in Frage. Der Schuldner muss sich deshalb der Eintreibung der Forderung widersetzen können, wenn er mit den Behauptungen des Gläubigers nicht oder nur bedingt einverstanden ist (AMONN,
BGE 118 III 10 S. 12
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 4. Auflage Bern 1988, § 18 N. 1; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Band I, Zürich 1984, § 16 Rz. 1 und 3 sowie Anm. 4; § 17 Rz. 17; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, Lausanne 1988, S. 121 f.). Hiefür ist der Rechtsvorschlag, den der Schuldner innert zehn Tagen nach Zustellung des Zahlungsbefehls zu erheben hat, die erste und letzte Gelegenheit, die sich ihm im Zwangsvollstreckungsverfahren bietet.
Wenn nun das Gesetz bestimmt, dass in der Betreibung gegen eine juristische Person oder eine Gesellschaft die Zustellung an deren Vertreter zu erfolgen habe und in
Art. 65 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
für die Aktiengesellschaft im besonderen als deren Vertreter jedes Mitglied der Verwaltung und jeden Prokuristen bezeichnet, so soll damit sichergestellt werden, dass die für die Aktiengesellschaft bestimmte Betreibungsurkunde in die Hände jener natürlichen Personen gelangt, die in Betreibungssachen für die Aktiengesellschaft handeln, insbesondere Rechtsvorschlag erheben können (
BGE 117 III 12
f. E. 5a). Komplementär dazu verlangt
Art. 67 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
, dass Name und Wohnort des gesetzlichen Vertreters im Betreibungsbegehren, das die Grundlage für den Zahlungsbefehl bildet, anzugeben seien. In diesem Erfordernis liegt, wie die Rechtsprechung festgehalten hat, kein überspitzter Formalismus; vielmehr sind diese Angaben - damit die Vorschriften über die Zustellung des
Art. 65 SchKG
befolgt werden können - unerlässlich. Das Betreibungsamt hat daher, wenn die Angaben im Betreibungsbegehren fehlen, den Gläubiger unverzüglich davon in Kenntnis zu setzen und ihm Gelegenheit zur Ergänzung zu geben (
BGE 117 III 13
E. 5b,
BGE 116 III 10
,
BGE 109 III 4
ff.).
b) Dadurch, dass die kantonale Aufsichtsbehörde dem angefochtenen Entscheid die im Bereich des Obligationenrechts anerkannte Figur der Anscheins- oder Duldungsvollmacht zugrunde gelegt hat, hat sie das aufgezeigte System des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts aus den Augen verloren. Sie hat damit, neben der - von ihr zu Recht nicht in Betracht gezogenen - Ersatzzustellung gemäss
Art. 65 Abs. 2 SchKG
, die Gesetz und Rechtsprechung nur unter der Voraussetzung zulassen, dass die Zustellung an einen Vertreter im Sinne von
Art. 65 Abs. 1 SchKG
erfolglos versucht worden ist (
BGE 117 III 13
E. 5a, mit Hinweis auf
BGE 88 III 17
f. und
BGE 96 III 6
), eine neue Möglichkeit der Ersatzzustellung geschaffen. Doch hat das Bundesgericht, wie die Rekurrentin zutreffend vorbringt, schon in
BGE 43 III 22
erkannt, dass die Fälle, in welchen die Zustellung an
BGE 118 III 10 S. 13
andere Personen zuhanden des Schuldners zulässig sind, von den
Art. 64 und 65 SchKG
abschliessend aufgezählt werden.
c) Im Hinblick auf die präzisen und unumstösslichen Anweisungen, die das Gesetz für die Zustellung der Betreibungsurkunden erteilt, kann es nicht entscheidend sein, dass an die X. Versicherungsgesellschaft gerichtete Zahlungsbefehle während vieler Jahre und bis zum heutigen Zeitpunkt von deren Kassier, der weder Mitglied der Verwaltung noch Prokurist ist, entgegengenommen worden sind. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine rechtlich fehlerhafte Praxis erst im Streitfall aufgedeckt wird. Aus diesem Grund kann sich auch die Frage, ob die Rekurrentin sich rechtsmissbräuchlich auf die gesetzlichen Vorschriften berufe, nicht stellen. | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4abdc2be-e28c-461e-8cf2-7015b1bcb99e | Urteilskopf
105 Ia 396
70. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Dezember 1979 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Basel-Landschaft (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
.
Aufgrund dieser Vorschrift ist dem Angeklagten - von gewissen Ausnahmefällen abgesehen - wenigstens einmal während des Strafverfahrens Gelegenheit zu geben, der Einvernahme von Belastungszeugen beizuwohnen und Ergänzungsfragen zu stellen oder aber nach Einsicht in das Einvernahmeprotokoll schriftlich Ergänzungsfragen an diese Zeugen zu stellen. | Erwägungen
ab Seite 396
BGE 105 Ia 396 S. 396
Aus den Erwägungen:
3.
b) Gemäss
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
hat der Angeklagte das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken. Diese Bestimmung geht, wie in
BGE 104 Ia 319
festgestellt wurde, zum Teil über die dem Angeklagten
BGE 105 Ia 396 S. 397
aufgrund von
Art. 4 BV
in der Praxis gewährleisteten Rechte hinaus. Es ist dem Angeklagten unabhängig von der Ausgestaltung des kantonalen Prozessrechts mindestens einmal während des Verfahrens Gelegenheit zu geben, der Einvernahme von Zeugen, die ihn belasten, beizuwohnen und Ergänzungsfragen zu stellen oder aber, sofern er dem Verhör nicht beiwohnen kann, nach Einsicht in das Einvernahmeprotokoll schriftlich ergänzende Fragen zu stellen. Das hindert nicht, dass auch dieses Recht den kantonalen Verfahrensvorschriften untersteht. Es kann den Kantonen nicht verwehrt sein, die Einhaltung gewisser Vorschriften bei der Ausübung des erwähnten Rechtes zu verlangen, so etwa, dass entsprechende Anträge frist- und formgerecht gestellt werden. Auf das aus der EMRK abgeleitete Recht kann ausdrücklich oder stillschweigend verzichtet werden. Ein solcher Verzicht macht die Zeugenaussagen weder nichtig noch lässt er einen Anspruch auf Wiederholung entstehen (
BGE 104 Ia 319
).
Aufgrund von
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
darf demnach in einem Strafverfahren im allgemeinen nur dann auf die Aussagen eines Belastungszeugen abgestellt werden, wenn der Angeklagte bei dessen Einvernahme wenigstens einmal anwesend sein konnte oder zumindest Gelegenheit hatte, nach Einsicht in das Einvernahmeprotokoll schriftlich Ergänzungsfragen an den Zeugen zu stellen, die diesem in einer weitern Einvernahme vorgelegt wurden. Es kann freilich Fälle geben, in welchen dieser Grundsatz nicht eingehalten werden kann, z.B. beim Tod eines Zeugen oder dann, wenn ein Zeuge dauernd oder für lange Zeit einvernahmeunfähig wird. In diesen Fällen darf die Aussage des Zeugen verwertet werden, auch wenn der Angeklagte keine Gelegenheit hatte, Ergänzungsfragen zu stellen. Es kann nicht dem Sinn der EMRK entsprechen, dass z.B. in einem Mordprozess der Angeklagte freizusprechen wäre, wenn der einzige Zeuge der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat stirbt, bevor ihm Ergänzungsfragen des Angeklagten gestellt werden konnten. In der Regel wird es geboten sein, eine Konfrontation zwischen dem Angeklagten und dem Belastungszeugen durchzuführen. Im Einzelfall können aber Gründe vorliegen, die dem entgegenstehen, so etwa, wenn sich der Zeuge vor dem Angeklagten fürchtet, ferner unter Umständen bei Sexualdelikten oder wenn der Zeuge in erheblicher Entfernung vom Gerichtsort abgehört wird. In solchen Fällen
BGE 105 Ia 396 S. 398
kann es durchaus bei schriftlichen Ergänzungsfragen sein Bewenden haben, wobei nach allgemeinen Grundsätzen solche Fragen nur zuzulassen sind, wenn sie irgendwie erheblich sind. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
4ac1ad6e-af29-4896-915a-e39d8264b2a2 | Urteilskopf
87 II 244
34. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Oktober 1961 i.S. Baginski gegen J. H. Kunz AG | Regeste
Art. 197, 219 OR
.
Der Verkäufer eines Hauses hat für das zugesicherte Bauvolumen nach
Art. 197 ff. OR
Gewähr zu leisten, wenn die Zusicherung den Entschluss des Käufers beeinflusst. | Sachverhalt
ab Seite 244
BGE 87 II 244 S. 244
Die J. H. Kunz AG, die sich um den Verkauf einer Villa bemühte, schrieb dem Interessenten Baginski am 21. Februar 1959, das Haus weise ein Bauvolumen von ca. 2'500 m3 auf. Diese Zahl entsprach ungefähr dem sich aus den Akten der J. H. Kunz AG ergebenden Mass eines Baues, der geplant, aber nicht ausgeführt worden war. Das erstellte Haus mass nur rund 1850 m3. Nachdem Baginski es am 24. April 1959 gekauft hatte, wurde er im Sommer 1959 von Dritten über den Unterschied zwischen dem zugesicherten und dem wirklichen Rauminhalt aufgeklärt. Er klagte gegen die J. H. Kunz Ats.G. auf Ersatz des Minderwertes der Kaufsache. Gegen das die Klage abweisende Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich erklärte er die Berufung.
BGE 87 II 244 S. 245
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Gemäss
Art. 197 OR
, der auf den Grundstückkauf entsprechend anwendbar ist (
Art. 221 OR
), haftet der Verkäufer dem Käufer sowohl für die zugesicherten Eigenschaften als auch dafür, dass die Sache nicht körperliche oder rechtliche Mängel habe, die ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zu dem vorausgesetzten Gebrauche aufheben oder erheblich mindern.
a) Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Zusicherung einer bestimmten Eigenschaft nicht wie der körperliche oder rechtliche Mangel nur dann gewährspflichtig macht, wenn der vorausgesetzte Gebrauch der Sache aufgehoben oder erheblich gemindert ist, sondern dass der Verkäufer für die Zusicherung schlechthin einzustehen hat. Nötig ist nach der Rechtsprechung nur, dass die Zusicherung den Entschluss des Käufers, die Sache überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen zu erwerben, beeinflusst habe (
BGE 71 II 240
,
BGE 73 II 222
,
BGE 81 II 209
). Das Bundesgericht lässt deshalb nicht nur körperliche und rechtliche Eigenschaften als im Sinne des
Art. 197 OR
zugesichert gelten, sondern auch rein wirtschaftliche, z.B. den Zinsertrag einer Liegenschaft (
BGE 45 II 444
f.), den Umsatz einer in der Liegenschaft betriebenen Gastwirtschaft (
BGE 63 II 78
f.), die Zahl der mit einem Motorwagen gefahrenen Kilometer (
BGE 71 II 240
f.).
Ähnlich verhält es sich, wenn der Verkäufer einer Liegenschaft dem Käufer erklärt, der Bau habe einen bestimmten Rauminhalt. Diese Zusicherung ist nicht zum vornherein ungeeignet, Ansprüche aus Gewährleistung entstehen zu lassen, weil sie an der Vorstellung über den körperlichen Zustand des Hauses, den der Käufer während der Vertragsverhandlungen sieht, nichts ändert. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Käufer dem Kubikinhalt nur deshalb Bedeutung beilegt, weil er ein Gebäude von ganz bestimmtem Inhalt oder Mindestinhalt nötig hat, z.B. ein Lagerhaus, oder ob er sich durch die Angabe über
BGE 87 II 244 S. 246
den Inhalt nur aus wirtschaftlichen Überlegungen zum Kauf bestimmen lässt, besonders weil er den Preis im Hinblick auf den Rauminhalt für vorteilhaft hält. Dieser Fall ist unter dem Gesichtspunkt des
Art. 197 OR
nicht grundsätzlich anders zu behandeln als etwa die Zusicherung eines bestimmten Mietertrages, an dem der Käufer die Tragbarkeit des verlangten Preises ermisst.
b) Äusserungen über den Rauminhalt sind Quantitätsangaben, gleich wie z.B. Mitteilungen über die Länge, die Fläche, das Gewicht, die Stückzahl. Von unzutreffenden Quantitätsangaben hat nun aber das Bundesgericht gesagt, sie beträfen "an sich nicht Sachmängel im Sinne von
Art. 197 ff. OR
", da in der Lieferung cines geringeren als des vereinbarten Quantums nicht die Lieferung einer mangelhaften Sache, sondern eine teilweise Nichterfüllung liege, bei welcher der Käufer Nachlieferung der fehlenden Menge verlangen könne (
BGE 62 II 162
; vgl.
BGE 81 II 140
).
Das gilt bei den im Schrifttum so genannten "eigentlichen Quantitätsmängeln", d.h. wenn vertretbare Sachen nach Mass, Gewicht oder Stückzahl gekauft und nicht im versprochenen Umfange geliefert werden (BECKER Art. 197 N. 1; OSER/SCHÖNENBERGER Art. 197 N. 13). Hier bedarf der Käufer des Schutzes nach den Bestimmungen über die Gewährleistung nicht. Er kann die fehlende Menge nachfordern oder nach den Bestimmungen über den Verzug des Verkäufers (Art. 107 ff., 190 f. OR) vorgehen. Anders verhält es sich, wenn Angaben über Mass, Gewicht oder Stückzahl nicht zur Bestimmung der gekauften Menge dienen, sondern Eigenschaften einer unvertretbaren Sache, einer einzelnen Gattungssache oder eines ganz bestimmten Postens von Gattungssachen bezeichnen, so wenn der Verkäufer dem Käufer die Länge eines bestimmten Kühltisches unrichtig angibt (
BGE 57 II 290
) oder ihm ein zu hohes Gewicht oder eine zu hohe Stückzahl nennt, die eine in Bausch und Bogen angebotene bestimmte Wagenladung einer Handelsware aufweise. In solchen Fällen
BGE 87 II 244 S. 247
liegt nicht ein "eigentlicher Quantitätsmangel" vor, sondern fehlt dem Kaufgegenstand eine zugesicherte Eigenschaft im Sinne des
Art. 197 OR
.
Die Ausführungen in
BGE 62 II 162
und
BGE 81 II 140
stehen daher der Anwendung dieser Bestimmung auf den vorliegenden Fall nicht im Wege. Der zu beurteilende Kauf betrifft eine unvertretbare Sache. Der Kläger kaufte nicht umbauten Raum nach Kubikinhalt, so dass er Nachlieferung des fehlenden Masses verlangen könnte. Die Angabe des Bauvolumens diente der Beschreibung des Kaufgegenstandes. Die Beklagte sicherte dem Kläger zu, die verkaufte Sache habe cine bestimmte Eigenschaft.
c) Dass die Angabe des Rauminhaltes eines Hauses nicht als Zusicherung einer Eigenschaft Ansprüche aus Gewährleistung geben könne, darf auch nicht aus
Art. 219 Abs. 1 und 2 OR
geschlossen werden. Diese Bestimmungen wurden nicht erlassen, weil die gesetzgebenden Behörden der Auffassung gewesen wären, Quantitätsangaben würden nie von
Art. 197 OR
erfasst. Die Norm des
Art. 219 Abs. 1 OR
, wonach der Verkäufer eines Grundstückes unter Vorbehalt anderer Abrede dem Käufer Ersatz leisten muss, wenn das Grundstück nicht das im Kaufvertrag angegebene Mass besitzt, ist gegenüber Art. 197 insofern eine Sondervorschrift, als sie nur Anspruch auf Ersatz des Minderwertes, nicht auch den in
Art. 205 OR
wahlweise vorgesehenen Wandelungsanspruch gibt, wie er für Fälle nach Art. 197 besteht. Ausserdem soll Art. 219 Abs. 1 jeden Streit darüber ausschliessen, ob im einzelnen Falle die Angabe des Flächenmasses im Kaufvertrag wirklich den Sinn einer Zusicherung hatte oder z.B. aus blosser Gewohnheit der Urkundsperson oder als Mittel zur Auslegung der Grenzbeschreibung aufgenommen wurde (BECKER Art. 219 N. 2).
Art. 219 Abs. 2 OR
sodann betrifft den Fall, wo das Grundstück nicht das im Grundbuch auf Grund amtlicher Vermessung angegebene Mass aufweist. Der Käufer hat hier wiederum nicht wie nach Art. 205 in Verbindung mit
Art. 197 OR
wahlweise Anspruch
BGE 87 II 244 S. 248
auf Wandelung, sondern in dem für ihn günstigsten Falle nur Anspruch auf Ersatz des Minderwertes. Ferner kann er diesen nur unter einer Voraussetzung geltend machen, die strenger ist, als die Anforderungen des Art. 197. Art. 219 Abs. 2 gibt den Anspruch nur, wenn der Verkäufer die Gewährleistung ausdrücklich übernommen hat (
BGE 81 II 140
), wogegen nach Art. 197 die Zusicherung der Eigenschaft auch stillschweigend und ohne Erwähnung der Gewährspflicht erfolgen kann. Der Grund der abweichenden Regelung liegt darin, dass der Verkäufer sich auf das im Grundbuch auf Grund amtlicher Vermessung angegebene Mass nicht minder soll verlassen können als der Käufer. Ist bei den Vertragsunterhandlungen oder im Vertrag davon die Rede, so soll der Käufer ihn dabei nur behaften können, wenn der Verkäufer ausdrücklich erklärt hat, er leiste Gewähr (BECKER Art. 219 N. 4).
d) Man könnte sich auf den Standpunkt stellen,
Art. 219 Abs. 2 OR
sei auf unrichtige Angaben über das Bauvolumen sinngemäss anzuwenden, so dass nur ausdrückliche Gewährleistung den Käufer haftbar mache. Das geht jedoch deshalb nicht an, weil das Bauvolumen weder auf amtlicher Vermessung beruht noch im Grundbuch steht.
e) Die Beklagte ist der Auffassung,
Art. 197 Abs. 1 OR
sei im vorliegenden Falle nicht anwendbar, weil die Kaufsache ein "Liebhaberobjekt" mit "luxuriösem Ausbau" sei, weshalb der Kubikmeterpreis für den Kläger keine Rolle habe spielen können, jedenfalls nicht mehr, nachdem er das Haus besichtigt hatte. Der Wert des Hauses habe denn auch im vorliegenden Falle mit dem umbauten Raume nichts zu tun.
Das Handelsgericht bejaht den ursächlichen Zusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe über das Bauvolumen und dem Entschluss des Klägers, die Liegenschaft zum Preise von Fr. 540'000.-- zu kaufen. Darin liegt eine Feststellung über tatsächliche Verhältnisse. Da sie nicht offensichtlich auf Versehen beruht, sondern in Würdigung
BGE 87 II 244 S. 249
des Beweises zustande gekommen ist, ohne dass bundesrechtliche Beweisvorschriften verletzt worden wären, ist das Bundesgericht an sie gebunden (
Art. 63 Abs. 2 OG
).
Nach Treu und Glauben durfte der Kläger in der Angabe über das Bauvolumen eine Zusicherung im Sinne des
Art. 197 OR
sehen. Solche Angaben eignen sich dazu, die Preiswürdigkeit der Kaufsache zu beurteilen. Dass der Kläger das Haus besichtigte und von dessen Aussehen beeindruckt worden sein mag, ändert nichts. Die Beklagte musste sich sagen, dass er ihrer Angabe Bedeutung beimesse und sie dabei behaften wolle. Das konnte ihr Beauftragter Meier daraus ersehen, dass der Kläger am 23. April 1959 an der Richtigkeit der Angabe zweifelte. Meier bemühte sich denn auch, die Zweifel zu zerstreuen. Übrigens war ihm und der Beklagten schon vor dieser Besprechung bewusst, dass die Nennung des Rauminhaltes nicht bedeutungslos sei, sonst hätten sie nicht, nachdem sie in den ersten Inseraten davon nichts gesagt hatten, in einem Schreiben vom 19. Februar 1959 an einen anderen Interessenten, im Briefe vom 21. Februar 1959 an den Kläger und in den Inseraten vom 27. März und 10. April 1959 das "Bauvolumen von ca. 2'500 m3" erwähnt, um, wie das Handelsgericht verbindlich feststellt, "das Objekt attraktiver zu machen".
Die Bestimmungen über die Gewährleistung (
Art. 197 ff. OR
) sind daher anwendbar. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4ac34e15-a071-4813-aa08-e8998c3406dc | Urteilskopf
119 III 92
26. Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. Februar 1993 i.S. W.G. gegen M. G.-M. und Kreisamt Fünf Dörfer (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Arrest;
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
.
Wer den Gläubiger durch Vorenthaltung von Unterlagen daran hindert, Bestand und Höhe der behaupteten Forderung zu ermitteln, schafft damit nicht Vermögensgegenstände beiseite. Ohne das Willkürverbot zu verletzen, hat daher die Arrestbehörde den Arrestgrund des
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
verneinen dürfen. | Sachverhalt
ab Seite 92
BGE 119 III 92 S. 92
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
(Willkür) verlangte W.G. die Aufhebung eines Entscheides des Kreisamtes Fünf Dörfer vom 27. November 1992. Mit jenem Entscheid hatte die Arrestbehörde ein Gesuch des W.G. um Arrestierung der auf den Namen von M. G.-M. im Grundbuch Mastrils eingetragenen Liegenschaft für eine Forderung von Fr. 361'155.80 abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 279 Abs. 1 SchKG
findet gegen den Arrestbefehl weder Berufung noch Beschwerde statt. Diese Bestimmung bezieht sich aber nur auf die Bewilligung des Arrestes und schliesst deshalb nicht aus, dass das kantonale Verfahrensrecht gegen die Verweigerung eines Arrestgesuches Rechtsmittel einräumt (
BGE 91 III 28
E. 1).
3.
Der Beschwerdeführer hat sein Arrestgesuch auf
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
gestützt. Darnach kann der Gläubiger für eine Forderung, soweit dieselbe nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners mit Arrest belegen lassen, wenn der Schuldner in der Absicht, sich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten
BGE 119 III 92 S. 93
zu entziehen, Vermögensgegenstände beiseite schafft, sich flüchtig macht oder Anstalten zur Flucht trifft.
b) Vermögensgegenstände beiseite schafft der Schuldner dadurch, dass er sie verbirgt, verschenkt, zu Schleuderpreisen verkauft oder sie ins Ausland bringt (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 4. Auflage Bern 1988, § 51 N. 8; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 2. Auflage Lausanne 1988, S. 365 § 2; JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, Band II, Zürich 1911, N. 10 zu
Art. 271 SchKG
). Mit dem Arrestgrund des
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
soll der Gläubiger vor Machenschaften des Schuldners geschützt werden, die auf Vereitelung einer Belangung am schweizerischen Betreibungsort zielen (
BGE 71 III 188
E. 1).
Die wesentliche Behauptung des Beschwerdeführers besteht nun darin, M. G.-M. enthalte ihm alle Unterlagen vor, womit er seine Forderung begründen könnte; und er wirft ihr vor, ihm falsche Angaben bezüglich seines Guthabens zu liefern. Als Beispiele vorenthaltener Unterlagen nennt er Mieterkarten, Mietverträge, Zahlungsbelege, Abrechnungen über Nebenkosten. Damit aber hat M. G.-M. nicht versucht, ihr gehörende Vermögensgegenstände beiseite zu schaffen, um sie dem Zugriff des Arrestgläubigers, welcher die Verwertung anstrebt, zu entziehen. Sie mag damit den Beschwerdeführer zwar daran hindern, Bestand und Höhe seiner Forderung zu ermitteln, vereitelt dadurch aber nicht ihre Belangung auf dem Wege der Zwangsverwertung. Das Kreisamt Fünf Dörfer hat deshalb den Arrestgrund des
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
nicht nur willkürfrei, sondern zu Recht verneint. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4ac4f5f8-a66f-48af-9e80-b648e929fcdc | Urteilskopf
140 II 460
41. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Amt für Migration und Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_772/2013 vom 4. September 2014 | Regeste
Art. 4 FZA
in Verbindung mit
Art. 6 und 12 Abs. 1 Anhang I FZA
; Art. 10 Abs. 4c in Verbindung mit Abs. 1b Unterabs. 2 sowie Abs. 2b Unterabs. 2 FZA;
Art. 16 Abs. 2 FZA
; Prostitution; Zulassung zum Arbeitsmarkt; selbstständige und unselbstständige Erwerbstätigkeit im Anwendungsbereich der Übergangsbestimmungen des FZA.
Übergangsrechtliche Höchstzahlen und Vorzugsregelungen für inländische Arbeitnehmer gegenüber unselbstständig Erwerbstätigen aus Bulgarien und Rumänien (E. 3). Hat die Erwerbstätigkeit einer Prostituierten in einem sog. Club als selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne des FZA zu gelten (E. 4)? Kriterien zur Bestimmung der Art der Tätigkeit nach der Rechtsprechung des EuGH und nach dem nationalen Recht (E. 4.1 und 4.2). Prüfung der Kriterien anhand der konkreten Ausgestaltung der Tätigkeit im Club (E. 4.3). | Sachverhalt
ab Seite 461
BGE 140 II 460 S. 461
A.
Die B. AG, Club C.B., ersuchte am 19. April 2012 beim Amt für Migration des Kantons Luzern um eine Kurzaufenthaltsbewilligung (19. April 2012 bis 26. Mai 2012) für die rumänische Staatsangehörige A. (geb. 1990) als Masseuse (Prostituierte). Einen Nachweis, dass für die betreffende Erwerbstätigkeit keine inländischen Arbeitskräfte gefunden werden konnten, legte der Club C.B. nicht bei.
B.
Nachdem das Gesuch zurückgewiesen worden war, verlangte A. eine beschwerdefähige Verfügung. Am 10. Mai 2012 lehnte das Amt für Migration das Gesuch um Erteilung einer Kurzaufenthaltsbewilligung an A. förmlich ab und wies sie an, die Schweiz nach ihrer bewilligungsfreien Aufenthaltsdauer wieder zu verlassen. Die gegen diese Verfügung beim Justiz- und Sicherheitsdepartement des
BGE 140 II 460 S. 462
Kantons Luzern geführte Verwaltungsbeschwerde wurde am 9. April 2013 abgewiesen. Eine hiergegen erhobene Beschwerde beim Kantonsgericht des Kantons Luzern lehnte dieses mit Urteil vom 25. Juli 2013 ab.
C.
Mit Eingabe vom 4. September 2013 beantragt A. dem Bundesgericht, den Entscheid des Kantonsgerichts vom 25. Juli 2013 aufzuheben. Es sei festzustellen, dass sie als selbstständige Erwerbstätige zu gelten und Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Bewilligung habe.
(...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Das Freizügigkeitsabkommen (FZA; SR 0.142.112.681) bestimmt im Rahmen seines sachlichen Anwendungsbereichs das Recht der EU-Ausländer auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit nach Massgabe der folgenden Bestimmungen:
3.1
Art. 4 FZA
in Verbindung mit
Art. 12 Abs. 1 Anhang I FZA
gewährt selbstständig Erwerbstätigen eine Aufenthaltsberechtigung mit einer Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren, wenn sich diese zum Zweck der Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit in der Schweiz niederlassen. Die Aufenthaltserlaubnis wird automatisch um mindestens fünf Jahre verlängert, sofern der Selbstständige den zuständigen nationalen Behörden nachweist, dass er eine entsprechende Erwerbstätigkeit ausübt (
Art. 12 Abs. 2 Anhang I FZA
). Aufenthaltsunterbrechungen, die sechs aufeinanderfolgende Monate nicht überschreiten, berühren die Gültigkeit einer solchen Aufenthaltserlaubnis nicht (
Art. 4 Abs. 1 und
Art. 12 Abs. 5 Anhang I FZA
; vgl. Urteil 2C_471/2012 vom 18. Januar 2013 E. 4.4). Selbstständige Erwerbstätige, die sich in der Schweiz niederlassen wollen, sind hinsichtlich des Zugangs zu einer Erwerbstätigkeit und deren Ausübung nicht weniger günstig zu behandeln als schweizerische Staatsangehörige (
Art. 15 Anhang I FZA
; vgl. auch
Art. 7 lit. a FZA
; "Inländerbehandlung").
3.2
Gemäss
Art. 4 FZA
in Verbindung mit
Art. 6 Abs. 1 Anhang I FZA
hat ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei, der mit einem Arbeitgeber des Aufnahmestaates ein Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von mindestens einem Jahr eingegangen ist, Anspruch auf
BGE 140 II 460 S. 463
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren. Ein Arbeitnehmer, der mit einem Arbeitgeber des Aufnahmestaates ein Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von mehr als drei Monaten und weniger als einem Jahr eingegangen ist, erhält eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer, die der Dauer des Arbeitsvertrags entspricht (Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Anhang I FZA). Ein Arbeitnehmer, der ein Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von höchstens drei Monaten eingeht, benötigt keine Aufenthaltserlaubnis (Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 Anhang I FZA). Ein EU-ausländischer Arbeitnehmer darf in der Schweiz hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlöhnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer (
Art. 9 Abs. 1 Anhang I FZA
).
3.3
Sind die oben genannten Voraussetzungen erfüllt, besteht ein Anspruch für Angehörige von Bulgarien und Rumänien auf Aufnahme der selbstständigen oder aber unselbstständigen Erwerbstätigkeit sowie auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Dieser Anspruch steht jedoch unter dem Vorbehalt der Zulassung zum Arbeitsmarkt (
Art. 4 FZA
), d.h. der übergangsrechtlichen Beschränkungen im Sinne von
Art. 10 FZA
(vgl. Urteil 2C_244/2011 vom 3. Februar 2012 E. 4.2.2):
3.3.1
Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird für Angehörige von Rumänien und Bulgarien zunächst mittels Höchstzahlen beschränkt. Gemäss
Art. 10 Abs. 1b FZA
kann die Schweiz bis zwei Jahre nach Inkrafttreten des Protokolls im Hinblick auf die Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens als Vertragsparteien vom 27. Mai 2008 (Protokoll II; Inkrafttreten: 1. Juni 2009) für die Kategorie der Aufenthalte von mehr als 4 Monaten und weniger als einem Jahr und die Kategorie der Aufenthalte von einem Jahr und mehr weiterhin Höchstzahlen für den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit von Arbeitnehmern und Selbstständigen aufrechterhalten. Aufenthalte von weniger als vier Monaten unterliegen nach dem Abkommenstext keinen Höchstzahl-Beschränkungen (Art. 10 Abs. 1b Unterabs. 1 FZA).
Beschränkungen hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt sieht das Abkommen für Angehörige von Rumänien und Bulgarien sodann in Form einer - von den Höchstzahlen grundsätzlich unabhängigen -
Vorzugsregelung
für inländische Arbeitnehmer vor: Nach Art. 10 Abs. 2b Unterabs. 1 FZA kann die Schweiz während eines Zeitraums von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Protokolls für
BGE 140 II 460 S. 464
Arbeitnehmer
"die Kontrolle der Einhaltung des Vorrangs der in den regulären Arbeitsmarkt integrierten Arbeitnehmer und die Kontrolle der Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen für die Staatsangehörigen der betreffenden Vertragspartei beibehalten". Das Abkommen ermächtigt die Schweiz, die Kontrollen nach Art. 10 Abs. 2b Unterabs. 2 FZA bis maximal 5 Jahre nach dem Inkrafttreten des Protokolls vom 28. Mai 2008 gegenüber rumänischen und bulgarischen Arbeitnehmern weiterhin anzuwenden.
Art. 10 Abs. 4c FZA
sieht sodann vor, dass die in den Absätzen 2b (sowie 1b und 3b) genannten Massnahmen bei ernsthaften Störungen auf ihrem Arbeitsmarkt oder bei Gefahr solcher Störungen bis 7 Jahre nach Inkrafttreten des Protokolls II angewendet werden dürfen.
3.3.2
Mit Beschluss vom 28. Mai 2014 hat der Bundesrat die Übergangsfrist für Beschränkungen für unselbstständig Erwerbstätige aus Bulgarien und Rumänien bis zum 31. Mai 2016 verlängert (AS 2014 1893 f.; die vorgesehene Maximalfrist von 5 Jahren in Art. 10 Abs. 4c in Verbindung mit Abs. 1b Unterabs. 2 sowie Abs. 2b Unterabs. 2 FZA wird ausgeschöpft). Für unselbstständig Erwerbstätige aus Rumänien und Bulgarien finden demnach - wie die Vorinstanz korrekt darlegt - weiterhin Beschränkungen hinsichtlich der Zulassung zum Arbeitsmarkt im Sinne von
Art. 10 FZA
Anwendung, namentlich die Prüfung der "Einhaltung des Vorrangs der in den regulären Arbeitsmarkt integrierten [inländischen] Arbeitnehmer" im Sinne von
Art. 10 Abs. 2b FZA
(vgl. Urteil 2C_434/2014 vom 7. August 2014 E. 1.1). Aufgrund der Anwendbarkeit von übergangsrechtlichen Beschränkungen gilt für unselbstständig Erwerbstätige aus Rumänien und Bulgarien namentlich auch keine Bewilligungsfreiheit von Arbeitsaufenthalten von weniger als drei Monaten (
Art. 10 FZA
; Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 Anhang I FZA; vgl. oben E. 3.2).
3.3.3
Art. 27 der Verordnung vom 22. Mai 2002 über die Einführung des freien Personenverkehrs (VEP; SR 142.203), welche Art. 10 des Freizügigkeitsabkommens konkretisiert (
Art. 1 VEP
; Urteil 2C_217/2009 vom 11. September 2009 E. 2.1), sieht für Angehörige aus Rumänien und Bulgarien entsprechend vor, dass die kantonale Arbeitsmarktbehörde (
Art. 26 VEP
) vor einem allfälligen Bewilligungsentscheid darüber befindet, ob die "arbeitsmarktlichen Voraussetzungen" für die Erteilung der Bewilligung zur unselbstständigen Erwerbstätigkeit erfüllt sind. Unter die arbeitsmarktrechtlichen Voraussetzungen fallen namentlich die Prüfung des
BGE 140 II 460 S. 465
Inländervorrangs im Sinne von
Art. 21 AuG
(SR 142.20) sowie die Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen (vgl. Urteil 2C_434/2014 vom 7. August 2014 E. 1.1 und 2.2 mit Hinweis; vgl. auch die Weisungen des Bundesamts für Migration vom Mai 2014 zur Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs, S.15 ff., 36).
Die Vorinstanz durfte demnach annehmen, die Beschwerdeführerin unterliege der Bewilligungspflicht und hätte nur Anspruch auf Erteilung der Bewilligung, wenn sie selbstständig erwerbstätig wäre. Sie durfte namentlich davon ausgehen, der Zugang zum Arbeitsmarkt sei bei unselbstständig erwerbstätigen Rumänen oder Bulgaren gestützt auf die Übergangsbestimmungen vom (Nicht-)Vorhandensein von inländischen Arbeitnehmenden abhängig (
Art. 10 Abs. 2b FZA
in Verbindung mit
Art. 21 AuG
). Da der Club C.B. nicht nachgewiesen hat, dass für die beabsichtige Tätigkeit keine inländische Arbeitskraft gefunden werden konnte, durfte die Vorinstanz davon ausgehen, der Beschwerdeführerin könne unter dem Titel der Arbeitnehmerfreizügigkeit derzeit keine Bewilligung erteilt werden.
4.
Die Beschwerdeführerin anerkennt grundsätzlich diese übergangsrechtlichen Beschränkungen. Sie bringt jedoch vor, das Kantonsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, die Übergangsbestimmungen wären auch auf sie anwendbar. Die Beschwerdeführerin selbst führe - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - eine selbstständige Erwerbstätigkeit aus.
Es stellt sich demnach die Frage, ob die Beschwerdeführerin von der Vorinstanz zu Recht als unselbstständige Erwerbstätige im Sinne des FZA betrachtet wurde.
4.1
Die Interpretation des Begriffs der Arbeitnehmertätigkeit bestimmt sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht (ausschliesslich) nach nationalem Recht (
Art. 5 Abs. 4 BV
;
Art. 27 VRK
[SR 0.111];
BGE 138 II 524
E. 5.1 S. 533;
BGE 125 II 417
E. 4d S. 424 f.;
BGE 122 II 234
E. 4e S. 239). Ausgangspunkt der Interpretation ist vielmehr der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von
Art. 10 FZA
, der materiell dem Begriff der unselbstständigen Erwerbstätigkeit im Sinne von
Art. 1 lit. a FZA
bzw. des Arbeitnehmers nach
Art. 6 ff. Anhang I FZA
entspricht. Der Begriff des Arbeitnehmers wird im FZA (gleich wie im Primär- und Sekundärrecht der EU) nicht definiert, ist jedoch ein unionsrechtlicher (vgl.
BGE 131 II 339
E. 3.1 S. 344 f.; MINH SON NGUYEN, Le travailleur, l'indépendant, le prestataire de services et le travailleur détaché en droit suisse des migrations économiques,
BGE 140 II 460 S. 466
in: Migrations et économie, Cesla Amarelle und andere [Hrsg.], 2010, S. 67 ff.; CHRISTINA SCHNELL, Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Schweiz, 2010, S. 133 ff.). Für dessen Auslegung - insbesondere mit Blick auf die Abgrenzung zur selbstständigen Erwerbstätigkeit nach
Art. 12 ff. Anhang I FZA
- ist die hierfür einschlägige Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen (
Art. 16 Abs. 2 FZA
;
BGE 140 II 112
E. 3.2 S. 117 f. mit zahlreichen Hinweisen). Dabei ist die Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung (21. Juni 1999) massgebend. Da es Ziel des Abkommens ist, die Freizügigkeit auf der Grundlage der in der Europäischen Union geltenden Bestimmungen zu verwirklichen (Präambel), und die Vertragsstaaten übereingekommen sind, in den vom Abkommen erfassten Bereichen alle erforderlichen Massnahmen zu treffen, damit in ihren Beziehungen eine möglichst parallele Rechtslage besteht (
Art. 16 Abs. 1 FZA
), weicht das Bundesgericht praxisgemäss von der Auslegung abkommensrelevanter unionsrechtlicher Bestimmungen durch den EuGH nach dem Unterzeichnungsdatum nicht leichthin, sondern nur beim Vorliegen "triftiger" Gründe ab (
BGE 140 II 112
E. 3.2 S. 117;
BGE 139 II 393
E. 4.1.1 S. 397 f.;
BGE 136 II 65
E. 3.1 S. 70 f.).
4.1.1
Nach der Rechtsprechung des EuGH steht der Arbeitnehmer bzw. der unselbstständig Erwerbende in einem weisungsgebundenen Abhängigkeitsverhältnis, wobei er eine (tatsächliche und echte) Tätigkeit für einen anderen für eine bestimmte Zeit verrichtet und dafür ein Entgelt bezieht (Urteile des EuGH vom 3. Juli 1986 66/85
Lawrie-Blum
, Slg. 1986 02121 Randnr. 12, 18; vom 21. Juni 1988 197/86
Brown
, Slg. 1988 3205 Randnr. 21; vom 8. Juni 1999 C-337/97
Meeusen
, Slg. 1999 I-03289 Randnr. 13). Der Begriff des Arbeitnehmers wird vom EuGH weit ausgelegt, um den Schutzbereich dieser Grundfreiheit möglichst vielen Personen zugutekommen zu lassen (vgl. Urteile des EuGH vom 3. Juni 1986 139/85
Kempf
, Slg. 1986 01741 Randnr. 13;
Lawrie-Blum
, Randnr. 21; vom 23. März 1982 53/81
Levin
, Slg. 1982 1035 Randnr. 17; vgl. auch vom 12. Mai 1998 C-85/96
Martínez Sala
, Slg. 1998 I-02691 Randnr. 32). Demgegenüber sind Anhaltspunkte für eine selbstständige Erwerbstätigkeit die Beteiligung an den geschäftlichen Risiken, die freie Bestimmung der Arbeitszeit, die Weisungsfreiheit und die Auswahl der Mitarbeiter (Urteile des EuGH vom 28. Januar 1986 270/83
Kommission gegen Frankreich
, Slg. 1986 273, Randnr. 13; vom 7. September 2004 C-456/02
Trojani
, Slg. 2004 I-07573 Randnr. 27 [zurNiederlassungsfreiheit];WINFRIED BRECHMANN, in: EUV/AEUV,
BGE 140 II 460 S. 467
Kommentar, Calliess/Ruffert [Hrsg.], 4. Aufl. 2011, N. 14 zu Art. 45AEUV; ULRICH FORSTHOFF, in: Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Grabitz/Hilf/Nettesheim [Hrsg.],Stand Juli 2010, N. 69, 73 und 77 zu Art. 45 AEUV). Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV (bzw. Art. 39 EGV) können auch Geschäftsführer sein (Urteil des EuGH vom 7. Mai 1998 C-350/96
Clean Car
, Slg. 1998 I-2521 Randnr. 9 ff., 30); die Arbeitnehmereigenschaft ist auch nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass die betreffende Person im Wege einer Ertragsbeteiligung entlöhnt wird (Urteil des EuGH vom 14. Dezember 1989 C-3/87
Agegate
, Slg. 1989 4459 Randnr. 36). Auch der Umstand, dass ein Arbeitsverhältnis nur von kurzer Dauer oder befristet war, schliesst die Arbeitnehmereigenschaft nicht aus (Urteile vom 26. Februar 1992 C-3/90
Bernini
, Slg. 1992 I-1071 Randnr. 16; vom 26. Februar 1992 C-357/89
Raulin
, Slg. 1992 I-1027 Randnr. 13). In einem neueren Urteil bezieht sich der EuGH für die Abgrenzung der Arbeitnehmereigenschaft von derjenigen des Arbeitgebers auf das Über- und Unterordnungsverhältnis (Urteil vom 15. Dezember 2012 C-151/04 / C-152/04
Nadin
, Slg. 2005 I-11203 Randnr. 10, 31 f.). Die Arbeitnehmereigenschaft untersteht dabei einer Gesamtbetrachtung nach objektiven Gesichtspunkten (vgl. Urteile
Agegate
, Randnr. 36 ff.; vom 6. November 2003 C-413/01
Ninni-Orasche
, Slg. 2003 I-13187 Randnr. 27), wobei für die Einordnung der Tätigkeit die Unternehmensorganisation entscheidend ist (vgl. FORSTHOFF, a.a.O., N. 72 zu Art. 45 AEUV; BRECHMANN, a.a.O., N. 12 ff. zu Art. 45 AEUV).
4.1.2
Unter dem Vorbehalt der Inländergleichbehandlung fällt die Prostitution als selbstständig oder unselbstständig ausgeübte Erwerbstätigkeit in den Schutzbereich der Grundfreiheiten (Urteil des EuGH vom 20. November 2001 C-268/99
Jany und andere
, Slg. 2001 I-8615 Randnr. 56 ff.; vgl. bereits vom 18. Mai 1982 115/81 und 116/81
Adoui und Cornuaille
, Slg. 1982 1665 Randnr. 6, 8). Dabei lässt der EuGH die Mitgliedstaaten die Frage, ob die Prostitution von der betreffenden Person selbstständig (oder unselbstständig) ausgeübt wird, anhand der Beweisvoraussetzungen prüfen, ob die Ausübung
ohne
Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses erfolgt "in Bezug auf die Wahl dieser Tätigkeit, die Arbeitsbedingungen und das Entgelt (sowie) in eigener Verantwortung und gegen ein Entgelt, das der betreffenden Person vollständig und unmittelbar gezahlt wird" (Urteil
Jany und andere
, Randnr. 71). Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Prostitution als eine von Selbstständigen
BGE 140 II 460 S. 468
ausgeübte Erwerbstätigkeit gelten (Urteil
Jany und andere
, Randnr. 70 f. im Zusammenhang mit der Dienstleistungsfreiheit; die Beschwerdeführerinnen hatten für die Erwerbstätigkeit eigenständig je eine Räumlichkeit gemietet; es bestanden keine sachverhaltlichen Hinweise auf einen Bordell-/Clubbetrieb; vgl. Randnr. 17; vgl. zu den Kriterien im Allgemeinen auch die Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 19. Februar 2004 zu C-327/02
Panayotova und andere
, Slg. 2004 I-11055 Randnr. 83).
4.1.3
Auf ähnliche Kriterien zur Bestimmung der Art der (selbstständigen oder unselbstständigen) Tätigkeit stützt sich denn auch das nationale Recht: Gemäss
Art. 11 Abs. 1 AuG
benötigen Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben wollen, eine Bewilligung (vgl. oben E. 3.3.2). Als Erwerbstätigkeit gilt hierbei jede üblicherweise gegen Entgelt ausgeübte unselbstständige oder selbstständige Tätigkeit, selbst wenn sie unentgeltlich erfolgt (
Art. 11 Abs. 2 AuG
). Als
unselbstständige
Erwerbstätigkeit (Art. 1a der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit[VZAE; SR 142.201]) gilt jede Tätigkeit für einen Arbeitgeber mit Sitz in der Schweiz oder im Ausland, wobei es ohne Belang ist, ob der Lohn im In- oder Ausland ausbezahlt wird und eine Beschäftigung nur stunden- oder tageweise oder vorübergehend ausgeübt wird (
Art. 1a Abs. 1 VZAE
). Als
selbstständige
Erwerbstätigkeit gilt demgegenüber die Ausübung einer Tätigkeit im Rahmen einer eigenen, frei gewählten Organisation, die auf die Einkommenserzielung ausgerichtet ist, wobei der Erwerbende unter eigener Weisungsgewalt steht und das unternehmerische Risiko selbst trägt. Diese frei gewählte Organisation tritt nach aussen in Erscheinung, indem beispielsweise ein Handels-, Fabrikations-, Dienstleistungs-, Gewerbe- oder anderer Geschäftsbetrieb geführt wird (
Art. 2 Abs. 1 VZAE
).
4.2
Prostitution kann in der Schweiz sowohl als selbstständige als auch als unselbstständige Form von Erwerbstätigkeit ausgeübt werden (Urteile 9C_347/2013 vom 3. Juli 2013 E. 5.3; 9C_246/2011 vom 22. November 2011 E. 3 und 6; vgl. Bundesamt für Migration, Bericht vom Januar 2012 zur Rotlichtproblematik, S. 6 ff., 10). Die Beschwerdeführerin sieht die von ihr angestrebte Tätigkeit als
selbstständige
Prostitution an. Nach ihrer Ansicht zeige sich dies namentlich anhand der Benutzungsvereinbarung, welche sie mit dem Club C.B. abgeschlossen habe. Aus dieser gehe hervor, dass ihr für ein Entgelt von Fr. 90.- täglich "selbstständig und auf freiwilliger Basis und
BGE 140 II 460 S. 469
ohne jeglichen Zwang die Infrastruktur des Clubs" zur Verfügung gestellt werde. Der Club C.B. garantiere ihr weder, dass sie Kunden bedienen könne, noch schreibe er ihr vor, zu welchen Preisen sie Dienstleistungen anbietet oder wie lange sie sich in dessen Räumlichkeiten aufzuhalten habe. Sie sei demnach vom Club
unabhängig
erwerbstätig. Dass sie selbst nach aussen kaum in Erscheinung trete, liege am durch sie ausgeübten Beruf und sei kein Hinweis auf eine unselbstständige Tätigkeit.
4.3
Gestützt auf die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen, die von der Beschwerdeführerin nicht substanziiert bestritten werden, durfte das Kantonsgericht - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - von einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit ausgehen:
4.3.1
Zwar trifft es zu, dass zahlreiche selbstständig Erwerbende mit der Situation konfrontiert sind, dass sie ihre Tätigkeit in Räumen ausüben, über welche einer anderen Person das Hausrecht zusteht. Auch können Prostituierte, die etwa eigenständig eine Räumlichkeit mieten oder Freier in einer Bar treffen, gleich wie Ärzte oder Anwälte als selbstständig Erwerbende gelten (vgl. Urteil des EuGH
Jany und andere
, Randnr. 56 ff.). Demgegenüber gestaltet sich die Erwerbstätigkeit vorliegend trotz der zur Verfügung gestellten Infrastruktur nicht entsprechend unabhängig: Die Beschwerdeführerin ist im Rahmen der Benutzungsverordnung an die Weisungen des Club C.B. gebunden. Gemäss den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen entscheidet der Club C.B. darüber, wer als Prostituierte im Salon arbeitet. Er wählt die Interessentinnen zum einzigen Zweck aus, dass sie in den Räumlichkeiten des Clubs als Prostituierte tätig sind (vgl. bereits den Sachverhalt in Urteil 6B_412/2009 vom 24. August 2009 E. 1.3.4). Der Club C.B. kann demnach die Prostituierten auswählen und über den verlangten Tageseintritt die Anwesenheit der Prostituierten
steuern
.
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen erfolgt eine gewisse
Eingliederung
in den Club C.B. auch dahin gehend, dass die Prostituierten auf der Homepage des Clubs C.B. vorgestellt werden und abrufbar ist, wer am jeweiligen Tag im Club C.B. anzutreffen sei. So kann beispielsweise eine Kontaktaufnahme nur über die Homepage des Clubs bzw. erst nach Betreten desselben erfolgen. Ein direkter Kontakt zwischen potenziellen Kunden und der Beschwerdeführerin ist nicht möglich, sondern erfolgt vielmehr über die Vermittlungstätigkeit des Clubs. Die Beschwerdeführerin ist zur Erzielung ihres Erwerbseinkommens auf die Kundschaft im Club C.B. angewiesen,
BGE 140 II 460 S. 470
was zu einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Club führt. Sodann tritt
nach aussen
nicht die Beschwerdeführerin, sondern vielmehr der Club C.B. in Erscheinung, der im Übrigen dem Amt für Migration auch das die Beschwerdeführerin betreffende Gesuch eingereicht hat. Nach den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen finden sich sodann auf der Homepage Hinweise auf Tarife und Sonderangebote. Dies durfte die Vorinstanz als weiteres Indiz werten, dass bei solchen Anlässen entsprechend viele Arbeiterinnen anwesend sind bzw. dass die Beschwerdeführerin und andere Frauen die Arbeitsbedingungen und ihre Anwesenheit nicht völlig frei selbst bestimmen können.
Gerade mit Blick auf die kurze Dauer der beantragten Erwerbstätigkeit erscheinen die Vorbringen der Beschwerdeführerin wenig realistisch,sie sei gegenüber dem Club völlig unabhängig, könne jederzeit an einen anderen Ort ausweichen und es bestünden daher für sie zahlreiche Alternativen zum Club C.B.; jedenfalls belegt die Beschwerdeführerin eine beabsichtigte Erwerbstätigkeit auch andernorts nicht. Aufgrund der festgestellten organisatorischen Abhängigkeit kann für die beabsichtigte Tätigkeit - selbst wenn die Beschwerdeführerin das Entgelt der Freier vollumfänglich selbst beziehen sollte - auch auf eine hinreichende
wirtschaftliche
Abhängigkeit vom Club C.B. geschlossen werden.
4.3.2
Die Frage der (mehrwert-)steuerrechtlichen Behandlung in Clubs tätiger Prostituierter hat sich dem Bundesgericht bereits verschiedentlich gestellt. Bei Sachverhalten, in denen eine direkte Kontaktnahme der Prostituierten ohne Zuhilfenahme des Clubs mit dem Kunden nicht vorgesehen war, mithin eine arbeitsorganisatorische Abhängigkeit zum Club besteht, waren die Einnahmen mehrwertsteuerrechtlich dem Club anzurechnen und die im Club tätigen Frauen in dieser Hinsicht als unselbstständig erwerbstätig zu betrachten (Urteile 2C_261/2012 und 2C_262/2012 vom 23. Juli 2012 E. 4.3; 6B_39/2011 vom 10. Juni 2011 E. 1.4.3; 2C_426/2008 / 2C_432/2008 vom 18. Februar 2009 E. 2 und 4.4; 2C_430/2008 vom 18. Februar 2009 E. 4.2 und 4.4; 2C_518/2007 / 2C_519/2007 vom 11. März 2008 E. 3). Gemäss den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen rechnet der Club C.B. für die in den Räumlichkeiten tätigen Prostituierten sodann die Quellensteuer und die Sozialversicherungsbeiträge selbst ab. In sozialversicherungsrechtlicher Sicht werden demnach die Prostituierten vom Club als unselbstständig Erwerbstätige angesehen (vgl. dazu die Urteile 9C_347/2013 vom 3. Juli 2013 E. 5.3; 9C_246/2011
BGE 140 II 460 S. 471
vom 22. November 2011 E. 3, 5.2 und 6.6). Vor dem Hintergrund der angeführten Rechtsprechung ist dies im Rahmen der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit im FZA als weiteres Indiz zu werten, dass die Beschwerdeführerin eine unselbstständige Erwerbstätigkeit anstrebt (vgl. Art. 1 lit. a der Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166 vom 30. April 2004 S. 1 [SR 0.831.109.268.1]; bzw. bis Ende März 2012 Art. 1 lit. a Ziff. i der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 [...] [AS 2004 121, 2008 4219 4273, 2009 4831]) in Verbindung mit Anhang II des FZA).
4.3.3
Das Bundesgericht hat sich zur Frage, ob ausländische Prostituierte in Clubs einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgehen, auch im Kontext der Strafbestimmungen zur Ausländergesetzgebung bereits geäussert. Es hielt fest,
Art. 117 Abs. 1 AuG
("Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung") sei nicht nur auf einen Arbeitgeber im zivilrechtlichen Sinne anwendbar (
Art. 319 ff. OR
), der gegenüber Arbeitnehmern weisungsbefugt sei (
Art. 321d OR
; Urteil 6B_1112/2013 vom 20. März 2014 E. 3.3; vgl. auch
BGE 137 IV 159
E. 1.4 S. 162 ff. und E. 1.5.2 S. 165 f.;
BGE 128 IV 170
E. 4.1 und 4.2 S. 174 ff.). Vielmehr sei der Anwendungsbereich der Bestimmung mit Rücksicht auf deren Sinn und Zweck weit zu fassen (vgl. auch Urteile 6B_329/2012 vom 12. November 2012 E. 2.4; 6B_412/2009 vom 24. August 2009 E. 1.3.3; ANDREAS ZÜND, in: Migrationsrecht, Spescha/Thür/Zünd [Hrsg.], 3. Aufl. 2012, N. 1 zu
Art. 117 AuG
). Aus dem weiten faktischen Arbeitgeberbegriff in
Art. 117 AuG
lässt sich, wie die Vorinstanz zurecht erwog, nicht im Umkehrschluss ableiten, dass es sich bei den Beschäftigten zwingend um unselbstständige Erwerbstätige handelt (vgl. Urteil 6B_329/2012 vom 12. November 2012 E. 2.4). Gleichwohl hat das Bundesgericht auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten festgestellt, dass Frauen auch dann als unselbstständig Beschäftigte im Sinne der Ausländergesetzgebung gelten, wenn sie selbst bestimmen, wann und wie lange sie im sog. Massagesalon arbeiteten, wie viele und welche Kunden sie akzeptierten und welche Dienstleistungen sie diesen anboten. Unerheblich sei hierbei, ob der Club oder dessen Geschäftsführer den Frauen keinerlei Weisungen betreffend die Arbeitszeit, die Anzahl der zu bedienenden Kunden, die Art der zu erbringenden Dienstleistungen etc. erteilte und die Frauen darüber selbst bestimmen konnten. Eine solche
BGE 140 II 460 S. 472
weitgehende Weisungsbefugnis, bei deren Ausübung der Club im Übrigen Gefahr liefe, wegen Förderung der Prostitution (
Art. 195 lit. c StGB
) verfolgt zu werden, sei zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses beziehungsweise der Arbeitgeberstellung im Sinne der Ausländergesetzgebung nicht erforderlich (siehe
BGE 137 IV 159
E. 1.4.4 S. 164 f.;
BGE 128 IV 170
E. 4.2 S. 175 f. mit Hinweisen; Urteil 6B_412/2009 vom 24. August 2009 E. 1.3.4).
4.4
Gestützt auf die umfassenden, von der Beschwerdeführerin nicht substanziiert gerügten Sachverhaltsfeststellungen zu den Rahmenbedingungen der Arbeit (Entscheid über den Stellenantritt, zur Verfügung gestellte Infrastruktur, Homepage des Clubs, Kontakt mit den Freiern) geht die Vorinstanz in zutreffender Weise von einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit aus. Die Beschwerdeführerin bringt auch nicht vor, sie beabsichtige, die Erwerbstätigkeit in einer anderen Form, etwa grenzüberschreitend, auszuüben. Das Kantonsgericht hat demnach weder Bundes- noch Freizügigkeitsrechte verletzt, wenn es einen Nachweis einforderte, dass für die betreffende Erwebstätigkeit keine inländischen Arbeitnehmer gefunden werden konnten, und einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gestützt auf das FZA zum gegenwärtigen Zeitpunkt verneinte. | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4ac799e2-cf73-40de-a70d-4a2316e43fb5 | Urteilskopf
126 III 8
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. November 1999 i.S. Z. gegen Y. und Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Unterhalt im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen nach
Art. 145 ZGB
; Aufteilung des Überschusses nach Abzug des Zwangsbedarfs beider Ehegatten von ihrem Gesamteinkommen.
Bleibt nach Abzug des Zwangsbedarfs der Haushalte beider Ehegatten von deren Gesamteinkommen ein Überschuss, so ist dieser lediglich dann jedem Ehegatten zur Hälfte gutzuschreiben, wenn sich zwei Einpersonenenhaushalte gegenüberstehen. Eine Aufteilung nach Hälften rechtfertigt sich nicht, wenn ein Ehegatte für minderjährige Kinder aufzukommen hat (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 126 III 8 S. 8
A.-
Im Scheidungsverfahren der Eheleute Z. (nachstehend: Klägerin oder Beschwerdeführerin) und Y. (nachstehend: Beklagter oder Beschwerdegegner) erliess das Gerichtspräsidium Bremgarten vorsorgliche Massnahmen für die Dauer des Verfahrens; es stellte die drei ehelichen Kinder X. (geb. 29. September 1993), W. (geb.
BGE 126 III 8 S. 9
4. Februar 1995) und V. (geb. 1. April 1997) unter die Obhut der Klägerin und verpflichtete den Beklagten, zu Beginn jeden Monats zum Unterhalt der Kinder mit je Fr. 900.- und zu jenem der Klägerin mit Fr. 2'700.- beizutragen.
B.-
Gegen die Regelung der Unterhaltsbeiträge für Klägerin und Kinder führten beide Parteien Beschwerde, die das Obergericht (5. Zivilkammer) des Kantons Aargau jedoch abwies.
C.-
Die Klägerin hat die Festsetzung der Unterhaltsbeiträge für sie und die Kinder mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
angefochten.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
c) Die kantonalen Instanzen haben nicht vorab den Beitrag an den Unterhalt der Kinder gemäss den Kriterien des
Art. 285 ZGB
festgesetzt und erst in einem zweiten Schritt jenen für die Ehefrau bestimmt. Vielmehr wurde ein Gesamtunterhalt ermittelt und in der Folge auf Frau und Kinder aufgeteilt. Dabei haben sie die erweiterten Existenzminima der beiden Haushalte errechnet, alsdann die Minima vom berücksichtigten Einkommen des Beschwerdegegners abgezogen und anschliessend den verbleibenden Betrag beiden Haushalten je zur Hälfte gutgeschrieben. Die Beschwerdeführerin beanstandet in diesem Zusammenhang zu Recht als willkürlich, dass die Aufteilung des Freibetrages streng nach Hälften vorgenommen und damit dem Umstand nicht Rechnung getragen worden sei, dass sich nicht zwei Einpersonenhaushalte gegenüberstehen.
Die kantonalen Instanzen haben nicht begründet, weshalb auch im vorliegenden Fall der Nettoüberschuss hälftig aufzuteilen ist. Dies dürfte wohl daher rühren, dass die bundesgerichtliche Rechtsprechung jeweils kantonale Entscheide als willkürlich betrachtet hat, welche ohne nähere Begründung eine andere als die hälftige Aufteilung des Überschusses in Betracht gezogen haben (vgl.
BGE 111 II 103
;
BGE 114 II 26
E. 7;
BGE 115 II 424
E. 3 und
BGE 119 II 314
E. 4b/dd). Bei diesen Entscheiden fällt indessen auf, dass die Ehen entweder kinderlos waren (
BGE 114 II 26
;
BGE 115 II 424
und
BGE 119 II 314
) oder aber die Eltern für den Unterhalt der Kinder nicht mehr aufzukommen hatten (
BGE 111 II 103
), womit sich im Ergebnis bei der Aufteilung des Freibetrages zwei Einpersonenhaushalte gegenüberstanden; dass sich die hälftige Aufteilung unter solchen Umständen ohne weiteres aufdrängt und somit keiner näheren Begründung
BGE 126 III 8 S. 10
bedarf, versteht sich von selbst. In der Lehre wird indessen dafürgehalten, dass die hälftige Aufteilung des Überschusses zu unhaltbaren Ergebnissen führe, wenn eine Partei - wie im konkreten Fall - mit dem Unterhaltsbeitrag auch die Kosten für die Kinder begleichen müsse (GEISER, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zu den familienrechtlichen Unterhaltspflichten, AJP 1993 S. 907; LÜCHINGER/GEISER, Basler Kommentar, N. 17 zu
Art. 145 ZGB
). Begründet wird eine verschiedene Aufteilung des Freibetrages damit, dass auch die Kinder an der höheren Lebenshaltung der Parteien teilhaben sollen. Dem angefochtenen Entscheid ist nicht zu entnehmen, weshalb dem Umstand nicht Rechnung getragen wurde, dass sich nicht zwei gleichartige Haushalte, sondern auf der einen Seite jener der Beschwerdeführerin und der drei minderjährigen Kinder, auf der anderen hingegen der Einpersonenhaushalt des Beschwerdegegners gegenüberstehen. Damit aber hat das Obergericht ohne erkennbaren Grund einem wesentlichen Kriterium, das bei der Aufteilung des Freibetrages hätte berücksichtigt werden müssen, keine Beachtung geschenkt und folglich sein Ermessen überschritten (
BGE 109 Ia 107
E. 2c mit Hinweisen). | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4acabee3-4909-4dff-8522-9c155ff931ef | Urteilskopf
89 I 138
21. Urteil vom 15. März 1963 i.S. Alphons Glutz-Blotzheim AG gegen Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit | Regeste
Fabrikgesetz: Unterstellung eines Betriebes, in dem Eisenstäbe für Bauzwecke (Armierung des Betons) hergerichtet werden (Eisenabschneiderei und -biegerei). | Sachverhalt
ab Seite 138
BGE 89 I 138 S. 138
A.-
Die Beschwerdeführerin Alphons Glutz-Blotzheim AG in Solothurn befasst sich unter anderm mit dem Baumaterialienhandel. Sie lässt in einer Abteilung ihres Betriebes Eisenstäbe, die sie von Eisenwerken bezieht, für Bauzwecke (Armierung des Betons) herrichten; die Stäbe werden in der vom Kunden bestimmten Länge abgeschnitten und die abgeschnittenen Stück in die von ihm gewünschte Form gebogen.
Am 13. November 1962 hat das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit diese Abteilung, die es als Eisenbiegerei bezeichnet, dem Fabrikgesetz unterstellt. Die Verfügung wird begründet mit der Feststellung; "10 männliche Personen, ca. 100 PS El."
B.-
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird beantragt, die Unterstellungsverfügung sei aufzuheben.
Es wird geltend gemacht, die unterstellten Betriebsteile seien nicht eine industrielle Anstalt im Sinne des Fabrikgesetzes. Das Abschneiden und Abbiegen des Baueisens nach den Bedürfnissen der Kunden sei nicht Warenproduktion, sondern blosse Zurüstung für den Verkauf, welche
BGE 89 I 138 S. 139
über den Rahmen eines Handelsgeschäftes nicht hinausgehe. Die Verwaltung anerkenne denn auch, dass das Abschneiden nicht industriellen Charakter habe. Für das Abbiegen könne aber nichts anderes gelten. Zudem seien in der Eisenbiegerei der Beschwerdeführerin regelmässig nur 5 Arbeiter beschäftigt; schon deshalb könne dieser Betrieb dem Fabrikgesetz nicht unterstellt werden. Übrigens sei die Praxis des Bundesamtes nicht einheitlich; im Kreis I des eidg. Fabrikinspektorates seien keine und im Kreis II nicht alle Eisenbiegereien dem Fabrikgesetz unterstellt worden.
Die Anwendung dieses Gesetzes auf Eisenbiegereien sei auch wirtschaftlich nicht gerechtfertigt. Da in dem ihm nicht unterstehenden Baugewerbe während der günstigen Jahreszeit vielfach länger als 8 Stunden im Tag gearbeitet werde und der Bedarf an Baueisen dann besonders gross sei, müsse auch in den Eisenbiegereien die nach Fabrikgesetz zulässige Arbeitszeit überschritten werden können.
C.-
Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit beantragt Abweisung der Beschwerde.
D.-
Eine Delegation des Gerichts hat die Eisenabschneiderei und -biegerei der Beschwerdeführerin besichtigt.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Art. 1 Abs. 2 FG
bezeichnet als Fabrik die industrielle Anstalt, die eine Mehrzahl von Arbeitern ausserhalb ihrer Wohnräume beschäftigt. Unter einer industriellen Anstalt ist ein Betrieb zu verstehen, welcher der Warenproduktion dient, zum Unterschied von Unternehmungen der Landwirtschaft (Urproduktion) und des Handels, die nicht in den Bereich des Fabrikgesetzes fallen. Unternehmungen der Warenproduktion werden dem Gesetz unterstellt, wenn sie die in der Vollziehungsverordnung des Bundesrates näher umschriebenen Voraussetzungen erfüllen. Die Verordnung stellt im wesentlichen
BGE 89 I 138 S. 140
auf die Grösse des Betriebes ab, die nach dessen Einrichtung und nach der Arbeiterzahl bestimmt wird (
BGE 80 I 394
). Hier kommt einzig
Art. 1 Abs. 1 lit. a FV
in Betracht, wonach Betriebe unterstellt werden, die Motoren verwenden und mehr als 5 Arbeiter beschäftigen.
2.
Unternehmungen, in denen Bauteile hergestellt werden, sind Betriebe der Warenproduktion, industrielle Anstalten im Sinne des Fabrikgesetzes. Deshalb werden z.B. Betriebe, welche Bausteine produzieren, dem Gesetz unterstellt (
BGE 55 I 203
, 360; Urteil vom 20. Dezember 1957 i.S. Fischer, nicht publiziert); ebenso Zimmereien, Bauschreinereien und Bauspenglereien (
BGE 75 I 86
und dort zitierte Entscheide.)
Die Beschwerdeführerin macht geltend, in ihrer Eisenabschneiderei und -biegerei werde nicht, wie etwa in einer Bauspenglerei, aus Rohmaterial eine neue Ware hergestellt. Vielmehr bleibe das vom Eisenwerk gelieferte Erzeugnis auch nach der Bearbeitung auf ihrem Werkplatz das, was es schon beim Einkauf gewesen sei, nämlich Baueisen. Die Ware werde in ihrem Betrieb lediglich nach den Bedürfnissen der Kunden zugerüstet, für den Verkauf vorbereitet. Eine solche Zurüstung habe nach der Rechtsprechung (
BGE 60 I 404
/5) nicht industriellen Charakter, sondern gehöre zum Handel. Das Eisen werde in Ausführung eines Kaufvertrages geschnitten und gebogen; es handle sich nicht um einen Werkvertrag, wie ihn z.B. der Bauspengler abschliesse.
Der Beschwerdeführerin ist zuzugeben, dass zweifelhaft ist, ob das blosse Abschneiden des Eisens als Warenproduktion angesehen werden kann, obwohl es mit einer Maschine ausgeführt wird. Die Verwaltung betrachtet es als zum Handel gehörend und unterstellt daher Betriebe, welche Eisen nur abschneiden und nicht auch biegen, dem Fabrikgesetz nicht (BBl 1916 II S. 209 f.;
BGE 60 I 405
).
Aber auf jeden Fall hat die Eisenbiegerei eindeutig industriellen Charakter. Die abgeschnittenen Eisenstäbe
BGE 89 I 138 S. 141
werden in eine Maschine gespannt, von dieser erfasst und um eine Walze in die gewünschte Form gebogen. Neben dem einfachen Abbiegen der Enden werden mannigfache andere Umformungen vorgenommen (mehrfache Biegungen für Betonpfeiler, Unterzüge usw.). Das ist nicht bloss eine dem Handelsbetrieb untergeordnete Zurüstung für den Verkauf, wie sie nach dem Urteil des Bundesgerichts i.S. Magazine zum Globus AG (
BGE 60 I 397
ff.) in gewissen Ateliers von Warenhäusern besorgt wird. Vielmehr liegt eine eigentliche, selbständige Bearbeitung vor, durch welche das Material erst für den Gebrauch zu Bauzwecken verwendbar gemacht wird. Sie wird dem Kunden in einem besonderen Zuschlag in Rechnung gestellt, der vielfach einen grossen Teil des gesamten Fakturabetrages ausmacht. Sie gehört zweifellos zur Warenproduktion und nicht zum Handel, gleich wie die Herstellung von Bauelementen in Betrieben der Steinindustrie, in Zimmereien, Bauschreinereien und Bauspenglereien. Die Frage, ob sie auf Grund eines Werk- oder eines Kaufvertrages ausgeführt wird, ist für die Anwendung des Fabrikgesetzes ohne Bedeutung und braucht daher nicht geprüft zu werden.
Die Beschwerdeführerin liefert mitunter Eisenstücke, die sie nur abgeschnitten und nicht auch gebogen hat; das Biegen ist dann Sache des Kunden. Sehr oft führt aber die Beschwerdeführerin beide Operationen aus, und zwar auf Grund einer und derselben Bestellung. In diesem Fall nimmt sie in zwei Arbeitsgängen eine Bearbeitung vor, die ein Ganzes bildet. Beide Verrichtungen werden auf dem gleichen Werkplatz ausgeführt. Von der Schneidemaschine weg werden die abgeschnittenen Stücke direkt zur Biegemaschine verbracht und dort weiter bearbeitet. Freilich werden die Schneide- und die Biegemaschinen von verschiedenen Arbeitern bedient. Der Einwand, die beiden Verrichtungen könnten auch in räumlich getrennten Abteilungen ausgeführt werden, hilft indessen der Beschwerdeführerin nicht. Die Zwischenschaltung eines längeren
BGE 89 I 138 S. 142
Transportes wäre derart unwirtschaftlich, dass sie praktisch nicht in Frage kommt. Übrigens wären die beiden Betriebsteile bei räumlicher Trennung jedenfalls dann noch als ein Ganzes anzusehen, wenn sie sich in derselben Gemeinde oder in benachbarten Gemeinden befänden (vgl.
Art. 5 und 6 FV
). Entscheidend ist, dass sie nicht nur örtlich, sondern auch betriebstechnisch eine Einheit bilden.
Angesichts dieses engen Zusammenhanges ist unerheblich, dass die Biegerei der Beschwerdeführerin für sich allein die in
Art. 1 Abs. 1 lit. a FV
genannte Mindestzahl von Arbeitern (6) nicht erreicht. Da die beiden Betriebsteile zusammen regelmässig 10-11 Arbeiter beschäftigen und Motoren verwenden und da mindestens die Biegerei der Warenproduktion angehört, ist mit Recht die ganze von ihnen gebildete Abteilung des Betriebes der Beschwerdeführerin dem Fabrikgesetz unterstellt worden.
3.
Es ist nicht bestritten, dass nicht alle Eisen abschneidenden und biegenden Betriebe, die nach den tatsächlichen Verhältnissen in den Bereich des Fabrikgesetzes fallen, ihm unterstellt worden sind. Das ist jedoch kein Grund, die - nach der gesetzlichen Ordnung begründete - Unterstellung der Werkstätte der Beschwerdeführerin aufzuheben. Vielmehr werden dem Gesetz auch die noch nicht erfassten Betriebe zu unterstellen sein, wofür übrigens, wie das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit erklärt, bereits Vorbereitungen getroffen worden sind.
4.
Wenn der Beschwerdeführerin die Anpassung an die Vorschriften der Fabrikgesetzgebung über die Arbeitszeit Schwierigkeiten bereitet, so steht dies der Unterstellung nicht entgegen. Die Fabrikgesetzgebung hat den Zweck, der Führung der ihr unterworfenen Betriebe diejenigen Beschränkungen aufzuerlegen, die nach heute bestehender Auffassung zum Schutz der Arbeiter notwendig erscheinen. Übrigens werden der Beschwerdeführerin aus der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften auf ihren industriellen
BGE 89 I 138 S. 143
Betrieb keine unüberwindlichen Schwierigkeiten entstehen, da das Gesetz für die Berücksichtigung besonderer Verhältnisse Raum lässt (
BGE 55 I 201
Erw. 4).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4acdfeef-507c-4e18-8d80-e25c8ec88777 | Urteilskopf
126 I 95
13. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 27 mars 2000 dans la cause J.-M. C. contre J.-P. C. et divers consorts (recours de droit public) | Regeste
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
; Zulässigkeit von neuen tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen.
Zulässigkeit eines Rechtsgutachtens, das ein bereits im kantonalen Verfahren eingereichtes Gutachten ergänzt und einzig zum Ziel hat, den Standpunkt des Beschwerdeführers zu bekräftigen. | Erwägungen
ab Seite 95
BGE 126 I 95 S. 95
Extrait des considérants:
4.
b) Le recourant se fonde notamment sur un avis de droit du professeur Yves Lequette du 22 janvier 1999, donc postérieur à
BGE 126 I 95 S. 96
l'arrêt attaqué. Toutefois, devant la juridiction cantonale, il s'est appuyé sur un précédent avis de droit du même professeur, daté du 22 mai 1998 et préconisant la même solution au problème juridique posé.
Dans les recours de droit public dirigés contre des décisions de dernière instance cantonale au sens des
art. 86 et 87 OJ
, le Tribunal fédéral admet la production d'expertises juridiques visant uniquement à renforcer et à développer le point de vue du recourant, pour autant que ces pièces soient déposées dans le délai de recours (
ATF 108 II 69
consid. 1 p. 71 et les arrêts cités). Tel est le cas de l'avis de droit produit avec le présent recours et confirmant, en le complétant, celui produit en instance cantonale. Le recourant ne se contente d'ailleurs pas seulement d'y renvoyer, sans autre motivation, mais il s'y réfère en le résumant et en en reproduisant les conclusions, afin de conforter son argumentation (cf.
ATF 81 I 52
consid. 1). | public_law | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4acfec65-5cfa-4599-b3ca-164ddf43fe60 | Urteilskopf
83 II 445
61. Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Dezember 1957 i.S. Internationale Industrie- und Handelsbeteiligungen AG gegen Carlebach und Mitkläger. | Regeste
Klage auf Ausstellung von Ersatztiteln für vernichtete Inhaberaktien.
1.
Art. 971 OR
. Wer ein Wertpapier kraftlos erklären lassen will, muss es durch Angabe besonderer Merkmale des Stückes so genau bezeichnen, dass es von Wertpapieren gleicher Gattung unterschieden werden kann (Erw. 1 und 2). Ein Entscheid, der ein nur der Gattung nach bezeichnetes Wertpapier kraftlos erklärt, ist nichtig (Erw. 3).
2. Art. 660 ff., 965 f. OR,
Art. 2 ZGB
. Bestehen die Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs weiter, wenn seine Inhaberaktien vernichtet worden sind? (Erw. 4). Missbraucht die Aktiengesellschaft das Recht, wenn sie dem Aktionär, dessen Aktien vernichtet sind, aber wegen Unmöglichkeit der Angabe ihrer Nummern nicht kraftlos erklärt werden können, keine Ersatztitel ausstellt? (Erw. 5).
3. Auslegung eines auf Ausstellung von Ersatztiteln lautenden Rechtsbegehrens als Eventualantrag auf Feststellung der sich aus der Aktionäreigenschaft ergebenden Rechte (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 446
BGE 83 II 445 S. 446
A.-
Die Eheleute Carlebach und die acht Mitkläger hinterlegten vor 1940 bei deutschen Banken je eine bestimmte Zahl, insgesamt 33 Stück, auf den Inhaber lautende Stammaktien der I.G. Chemie, Basel, im Nennwert von je Fr. 500.--. Die Banken lieferten sie einer Stelle der Deutschen Reichsbank in Frankfurt a.M. ab, die sie in ein Sammeldepot (Effektengirodepot) nahm. Dort liess im März 1945 ein Direktor der Reichsbank sie zusammen mit einem grossen Bestand anderer Wertpapiere vernichten, damit sie nicht den heranrückenden feindlichen Armeen in die Hände fielen.
Am 19. Dezember 1945 beschloss die I.G. Chemie, ihre auf den Inhaber lautenden Stammaktien in Namenaktien umzuwandeln und ihre Firma in "Internationale Industrieund Handelsbeteiligungen AG" (Interhandel) abzuändern.
BGE 83 II 445 S. 447
Am 31. Dezember 1954 ersuchte die Deutsche Reichsbank das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt, die 33 vernichteten Inhaberaktien kraftlos zu erklären. Sie vermochte die Vollmacht der zehn Hinterleger beizubringen, nicht aber die Nummern der Papiere zu nennen, da sie die Verzeichnisse, die sie seinerzeit in Berlin geführt hatte, nicht mehr auffinden konnte. Das Zivilgericht sah von einer öffentlichen Aufforderung im Sinne der
Art. 983 und 984 OR
ab, gab dagegen der Interhandel Gelegenheit, sich zu äussern. Die Interhandel widersetzte sich dem Gesuch. Das Zivilgericht hiess es am 8. Juli 1955 gut, indem es "die 33 auf den Inhaber lautenden, voll einbezahlten Stammaktien der I.G. Chemie, Basel, zu Fr. 500. - nominal, welche seinerzeit bei der Reichsbankhauptstelle Reichsbankgirokonto Wertpapiersammelstelle, Frankfurt a.M., deponiert und vorher im Besitze folgender Personen waren. ..", kraftlos erklärte. Es führte die Namen der Hinterleger der Aktien an und fügte bei, wie manches Stück jeder hinterlegt hatte. Die durch
Art. 986 Abs. 2 OR
vorgeschriebene Veröffentlichung des Entscheides unterblieb.
B.-
Am 8. September 1955 klagten die zehn Hinterleger beim Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt mit dem Begehren, die Interhandel sei zu verurteilen, ihnen gleichviele neue Aktien auszufertigen, wie kraftlos erklärt worden waren.
Entgegen dem Antrage der Beklagten hiessen das Zivilgericht und das Appellationsgericht, letzteres mit Urteil vom 8. Februar 1957, die Klage gut.
C.-
Die Beklagte hat die Berufung erklärt mit den Anträgen, das Urteil des Appellationsgerichts sei aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie macht geltend, sie könne nicht verpflichtet werden, den Klägern neue Aktien auszustellen, denn sonst liefe sie Gefahr, doppelt leisten zu müssen, weil das Zivilgericht die Nummern der kraftlos erklärten Aktien im Entscheid
BGE 83 II 445 S. 448
vom 8. Juli 1955 nicht genannt und die zwingenden Normen der
Art. 983 und 986 Abs. 1 und 2 OR
nicht beachtet habe. Da die angeblich vernichteten Aktien nicht individualisiert seien, habe es diesen Bestimmungen gar nicht nachleben können und seien die Voraussetzungen der Kraftloserklärung nicht erfüllt. Die Beklagte sei in jenem Verfahren nicht Partei gewesen und könne daher diese Einwendungen heute erheben. Ob es sehr wahrscheinlich sei, dass die 33 Aktien vernichtet wurden, sei unerheblich. Das Appellationsgericht lasse sich übrigens nur von unbestimmten Vermutungen leiten. Es habe an den Beweis der Vernichtung nicht den richtigen Massstab angelegt. Es könne gar nicht wissen und auch die Beklagte könne nicht feststellen, ob nicht etwa die angeblich vernichteten Aktien schon gegen neue eingetauscht worden seien. Dass die Beklagte noch mehrere hundert Inhaberaktien nicht zurückerhalten habe, beweise die Vernichtung der Aktien der Kläger nicht. Wenn die Kläger um ihre Aktien gekommen seien, stünden ihnen Ansprüche gegen die Deutsche Reichsbank zu, die sie ohne Aufnahme der Nummern vernichtet haben wolle. Hätte die Beklagte den Klägern neue Aktien auszustellen, so müssten sie entweder unter Hinweis auf den Entscheid über die Kraftloserklärung Nummern erhalten, die über der statutarischen Zahl ausgegebener Aktien lägen, oder es müsste auf Numerierung verzichtet werden, womit die Aktien für die Kläger wenig Wert hätten. Jedenfalls sei die Beklagte nicht verpflichtet, den Klägern Couponsbogen zu übergeben, da keine solchen kraftlos erklärt worden seien. Diese Bogen seien heute von den Aktien getrennt und schon mit den Inhaberaktien nicht in ein und demselben Papier vereinigt gewesen. Die Kläger behaupteten auch gar nicht, dass die Couponsbogen vernichtet worden seien, und sie sagten nicht, ob der Coupon Nr. 13, der mit der Inhaberaktie in Tausch gegen die Namenaktie gegeben werden müsse, vorhanden gewesen sei.
D.-
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil
BGE 83 II 445 S. 449
sei zu bestätigen. Sie machen geltend, der Entscheid über die Kraftloserklärung sei rechtskräftig und daher verbindlich; jedenfalls könne den Klägern nicht zugemutet werden, zu überprüfen, ob das Verfahren ordnungsgemäss durchgeführt wurde. Die Kraftloserklärung wirke rechtsgestaltend und sei auch gegenüber dem wirksam, der nicht Gelegenheit hatte, seine Interessen wahrzunehmen. Die Beklagte habe sich aber in jenem Verfahren äussern können. Sie habe nicht versucht, den Entscheid vom 8. Juli 1955 anzufechten. Der Einwand, das Aufgebot sei unterblieben und der Entscheid nicht veröffentlicht worden, könne nicht mehr berücksichtigt werden. Übrigens sei das Aufgebot nicht mangels Individualisierung der Titel unterblieben, sondern weil diese vernichtet worden seien. Die Vernichtung, weil Tatsache, sei für das Bundesgericht verbindlich festgestellt. Das schweizerische Recht habe auf die Numerierung der Inhaberaktien verzichtet. Daher könne nicht verlangt werden, dass sie durch Nummern zu individualisieren seien. Die Aktien der Kläger seien durch Bezeichnung des Depots, in dem sie gelegen haben, genügend individualisiert worden. Die Angabe von Nummern wäre sogar irreführend, da die Aktien zusammen mit andern gleichartigen Papieren in einem Sammeldepot gelegen hätten und aus einem solchen irgendwelche Stücke herausgegeben werden könnten, so dass andere Aktien der betreffenden Art im Miteigentum der übrigen Berechtigten verblieben. Auch auf den Einwand, die Beklagte sei der Gefahr doppelter Leistung ausgesetzt, sei nicht einzutreten. Das Gesetz wolle nicht davor schützen, dass der Schuldner doppelt in Anspruch genommen werde; es verlange nicht einmal, dass Besitz und Verlust des Papiers nachzuweisen, sondern nur, dass sie glaubhaft zu machen seien. Im vorliegenden Fall seien Eigentum und Verlust sogar bewiesen und sei daher die Gefahr doppelter Leistung viel geringer, als das Gesetz in Kauf genommen habe. Das Fehlen der Nummern möge der Beklagten buchhalterische Schwierigkeiten verursachen,
BGE 83 II 445 S. 450
sei aber kein Grund, den Klägern das Recht zu verweigern; sie hätten Anspruch auf voll handelsfähige Papiere. Auch getrennte Couponsbogen seien Bestandteil der Aktien. Die Kraftloserklärung der Aktien mache auch die dazu gehörenden Coupons hinfällig. Die Beklagte sei daher verpflichtet, den Klägern neue Titel mit Couponsbogen zu übergeben.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Wer ein Wertpapier vermisst, an dem er berechtigt ist, kann es durch den Richter kraftlos erklären lassen (
Art. 971 OR
). Der Gesuchsteller hat den Besitz und den Verlust des Papiers glaubhaft zu machen (
Art. 981 Abs. 3 OR
). Er muss es so genau bezeichnen, dass es von allen anderen Urkunden, insbesondere von Wertpapieren der gleichen Art, zuverlässig unterschieden werden kann. Das ist im Gesetz nicht ausdrücklich gesagt, ergibt sich aber aus der Natur der Sache. Gemäss
Art. 983 und 984 OR
hat der Richter, wenn er die Darstellung des Gesuchstellers über seinen früheren Besitz und den Verlust der Urkunde als glaubhaft erachtet, den unbekannten Inhaber durch öffentliche Bekanntmachung aufzuforden, das Papier innerhalb bestimmter Frist vorzulegen, widrigenfalls es kraftlos erklärt werde. Diese Aufforderung will den, der die Urkunde allenfalls inne hat und daran ein Recht beansprucht, auf die drohende Entkräftung und auf die Möglichkeit, sie durch Vorlegung des Papiers abzuwenden (
Art. 985 OR
), aufmerksam machen. Diesen Zweck kann sie nur erreichen, wenn das Papier genau bezeichnet wird, und zwar nicht nur durch Angabe der Gattung, der es angehört, sondern durch Nennung eines Merkmals, das nur ihm allein eigen ist. Nur wenn das geschieht, können die Inhaber von Papieren gleicher Art wissen, ob sie das gesuchte Papier besitzen. Es kann ihnen nicht zugemutet werden, alle Papiere der Gattung vorzulegen, mit der in
Art. 985 OR
vorgesehenen Folge, vom Gesuchsteller allenfalls auf Herausgabe verklagt zu werden. Würden sie
BGE 83 II 445 S. 451
diese Papiere dennoch vorzeigen, so wäre dem Gesuchsteller übrigens nicht geholfen, denn er müsste nun entweder gegen einen ganz bestimmten Gegner auf Herausgabe klagen und dabei beweisen, dass das von ihm angesprochene Papier das verlorene sei, oder er hätte, um es gemäss Art. 986 kraftlos erklären zu lassen, dem Richter darzutun, dass keines der vorgelegten Papiere das abhanden gekommene sei. Das vermisste Stück wäre also spätestens in diesem Stadium des Verfahrens nun doch so genau zu beschreiben, dass der Richter es von den andern unterscheiden und es im Entscheide über die Kraftloserklärung und in der durch
Art. 986 Abs. 2 OR
vorgeschriebenen Veröffentlichung des Entscheides genau bezeichnen könnte. Denn es geht nicht an, ein unbestimmtes Stück der betreffenden Gattung kraftlos zu erklären. Der Öffentlichkeit ist zu sagen, aus welchem Papiere keine Rechte mehr geltend gemacht werden können. Würde es nur der Gattung nach bezeichnet, so könnte niemand wissen, welches davon kraftlos sei. Auch wüsste der Schuldner nicht, welchem der mehreren Inhaber von Papieren dieser Gattung er die Leistung zu verweigern hat.
Der Entwurf des alten Obligationenrechts sah denn auch vor, dass das Gesuch um Kraftloserklärung "eine die Identität des zu amortisierenden Papiers ausser Zweifel stellende Beschreibung" zu enthalten habe (Art. 870). Diese Bestimmung verstand sich von selbst. Nichts spricht dafür, dass sie aus einem andern Grunde nicht in das Gesetz aufgenommen worden sei. In der Literatur wird von jeher angenommen, dass ein Wertpapier nur kraftlos erklärt werden kann, wenn der Gesuchsteller es so genau bezeichnet, dass das betreffende Stück bestimmt werden kann (GOETZINGER N. 4 zu Art. 850 aoR; ZIMMERLI, Die gerichtliche Kraftloserklärung, Berner Diss. 1919 S. 16 f.; CUDKOWICZ, Wertpapierverlust, Zürich 1941 S. 94; STROHMEIER, Die gerichtliche Kraftloserklärung der Wertpapiere im schweizerischen Recht, Zürcher Diss. 1952 S. 58 f.; JÄGGI, Komm. Art. 971/2 N. 14, 61, 135 f.;
BGE 83 II 445 S. 452
zum deutschen Recht s. JACOBI, Die Wertpapiere, in Ehrenberg, Handbuch des Handelsrechts IV 1 S. 391, und ZPO § 1007; zum österreichischen Recht: Kraftloserklärungsgesetz 1951 § 3 Abs. 2 Ziff. 1, § 5 Abs. 2 Ziff. 2, § 12 Abs. 2). In gleichem Sinne ist in
BGE 40 II 37
hinsichtlich eines Wechselblankettes entschieden worden.
Das zu entkräftende Stück muss selbst dann genau bezeichnet werden, wenn Gesuchsteller und Richter überzeugt sind, dass es nicht mehr besteht. Die Bezeichnung lässt sich nicht mit der Begründung umgehen, ein Aufgebot sei in diesem Falle sinnlos und daher überflüssig. Sie ist auch hier nötig, und zwar auch dann, wenn der Gesuchsteller Besitz und Untergang der Urkunde, statt sie nur glaubhaft zu machen, beweist und der Richter ausserdem überzeugt ist, dass der Gesuchsteller am Papier im Zeitpunkt seines Unterganges berechtigt war. Denn die Überzeugung des Richters kommt auf einen einseitig vom Gesuchsteller geführten Beweis hin zustande. Dritten muss unter allen Umständen das Recht gewahrt bleiben, die angeblich vernichtete Urkunde vorzulegen und auf die Klage des Gesuchstellers hin (
Art. 985 Abs. 1 OR
) den von diesem angetretenen Beweis seines Rechtes zu entkräften. Legt auf das Aufgebot hin niemand die Urkunde vor, so bleibt dennoch möglich, dass die einseitige Darstellung des Gesuchstellers den Tatsachen nicht entspricht. Für den Fall, dass sie falsch sei, hat die Öffentlichkeit ein Interesse, zu wissen, welches Papier kraftlos erklärt worden ist. Auch die Veröffentlichung des Entscheides, unter Bezeichnung des betroffenen Stückes, lässt sich daher nicht umgehen.
2.
Genau bezeichnet ist das Papier nur dann, wenn die besonderen Merkmale des Stückes hervorgehoben sind. Es müssen Merkmale sein, die nur ihm allein eigen sind und überall, wo es sich befinden mag, es zu erkennen erlauben. Hinweise auf den Ort, an dem es vor seinem Verluste gelegen, oder auf die Person, die es aufbewahrt, weggenommen oder vernichtet hat, und dergleichen genügen
BGE 83 II 445 S. 453
nicht. Sie kennzeichnen das Papier nicht für jedermann, sondern sagen höchstens dem Eingeweihten, dass es dem Richter vorzulegen oder dass es kraftlos erklärt sei. Auch der gutgläubige und über die Herkunft des Papiers nicht unterrichtete Erwerber muss indes dem Aufgebot und dem veröffentlichten Entscheide entnehmen können, dass seine Urkunde davon betroffen wird. Sind mehrere gleichartige Papiere ausgegeben worden, so ist daher die Angabe der Serie und der Nummer unerlässlich. Dass das Gesetz die Numerierung nicht vorschreibt, ändert nichts. Wer aus einer Gattung Papiere ohne Nummer erwirbt, trägt die Gefahr, sie im Falle des Verlustes nicht kraftlos erklären lassen zu können, es wäre denn, er vermöge sie durch Angabe anderer besonderer Merkmale genügend zu kennzeichnen.
3.
Der Entscheid des Zivilgerichtes vom 8. Juli 1955 nennt keinerlei Merkmale, die den Papieren der Kläger und nur gerade ihnen eigen gewesen wären, so dass sie von anderen "Stammaktien der I.G. Chemie, Basel, zu Fr. 500.-- nominal" unterschieden werden könnten. Der Hinweis darauf, dass sie "seinerzeit bei der Reichsbankhauptstelle Reichsbankgirokonto Wertpapiersammelstelle, Frankfurt a.M." hinterlegt waren, genügt sowenig wie die Nennung ihrer Besitzer. Der Entscheid, der einen Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit darstellt, ist somit ein Schlag ins Leere, weil ihm nicht entnommen werden kann, welche Stücke aus der Gattung der Inhaberaktien der Beklagten fortan kraftlos sein sollen. Schon deshalb geht ihm jede Wirkung ab. Es fehlt ihm auch jede rechtliche Grundlage, da das Gesetz die Kraftloserklärung von Teilen einer Gattung ohne Bezeichnung der betroffenen Stücke anhand unterscheidender Merkmale nicht kennt. Das Kraftloserklärungsurteil ist auch aus diesem Grunde nicht zu beachten. Amtshandlungen, die ins Leere fallen und folglich sinnlos sind, wie auch solche, die jeder rechtlichen Grundlage entbehren, weil das Gesetz sie nach Sinn und Auslegung gar nicht kennt, sind nach bewährter Lehre
BGE 83 II 445 S. 454
nichtig (GULDENER, Grundzüge der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Schweiz, Zürich 1954 S. 78 f.). Es verhält sich nicht anders, als wenn der Richter z.B. aus dem Kreise aller fünfzig- bis sechzigjährigen Männer einer Stadt zwei ohne Nennung ihrer Personalien als verschollen erklären würde, weil ihm gemeldet wurde, zwei Unbekannte dieser Altersstufe seien in den Strom gefallen und ertrunken. Solchen oder ähnlichen Entscheiden vermag der Umstand, dass materielle Mängel die Amtshandlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit im allgemeinen sonst nicht unwirksam machen (GULDENER S. 77), nicht Sinn und Kraft zu verleihen.
Die Frage, ob der Entscheid des Zivilgerichtes auch deshalb nichtig sei, weil das Aufgebot nach Art. 983 f. OR unterblieben und weil der Entscheid nicht im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht worden ist (
Art. 986 Abs. 2 OR
), stellt sich bei dieser Sachlage nicht.
4.
Gemäss
Art. 965 OR
kann das in einem Wertpapier verurkundete Recht ohne die Urkunde weder geltend gemacht noch auf andere übertragen werden. Ferner bestimmt
Art. 966 Abs. 1 OR
, dass der Schuldner aus einem Wertpapier nur gegen Aushändigung der Urkunde zu leisten verpflichtet ist.
Daraus folgt nicht, dass das Recht untergeht, wenn das Papier vernichtet wird. Ob es stets ohne das Papier weiterbesteht (vgl. hiezu JÄGGI Art. 971/2 N. 61 ff.), kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hangen die Mitgliedschaftsrechte in der Aktiengesellschaft nicht notwendigerweise vom Bestand des Papiers ab. Das Bundesgericht hat unter der Herrschaft des alten Obligationenrechts z.B. entschieden, dass sie schon vor der Ausgabe der Aktien übertragen werden können (
BGE 48 II 402
f.). Wie zutreffend gelehrt wird, verhält es sich unter dem geltenden Obligationenrecht gleich (BÜRGI Vorbem. zu Art. 683 ff. N. 35 ff.). Die Lehre geht einen Schritt weiter, indem sie in dieser Hinsicht den Fall der zerstörten Urkunde dem Falle des noch nicht verurkundeten Rechtes gleichsetzt
BGE 83 II 445 S. 455
(JÄGGI Art. 967 N. 30), in der Erkenntnis, dass die Urkunde nur Hilfsmittel des Rechtsverkehrs ist und daher die materielle Rechtslage nicht nur nach der Kraftloserklärung des Papiers, sondern auch sonst womöglich den Vorrang vor dem Schicksal der Urkunde verdient (vgl. JÄGGI Art. 971/2 N. 1-4). Dieser Auffassung ist in dem Sinne beizupflichten, dass Treu und Glauben (
Art. 2 ZGB
) jedenfalls unter den Verhältnissen des vorliegenden Falles den Fortbestand der Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs erfordern. Für das Bundesgericht ist verbindlich festgestellt (
Art. 63 Abs. 2 OG
), dass 33 den Klägern gehörende Inhaberaktien der Beklagten absichtlich vernichtet worden sind, um sie dem Zugriff Unberechtigter zu entziehen. Ihre Kraftloserklärung scheitert nur daran, dass die Nummernverzeichnisse in den Wirren des Krieges untergegangen oder abhanden gekommen sind. Da die Schweiz keine Bestimmungen erlassen hat, wie sie die durch die ungewöhnlichen Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse veranlasste deutsche Gesetzgebung über die Bereinigung der Wertpapiere (Gesetze vom 19. August 1949 mit Ergänzungsgesetzen vom 26. August 1953 und 16. November 1956) und die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten aus Aktien während der Bereinigung (Gesetz vom 9. Oktober 1950) kennt, wäre es für die Kläger unvernünftig hart, wenn sie nicht weiterhin als Aktionäre der Beklagten auftreten könnten. Der Fortbestand ihrer Rechte verletzt keine berechtigten Interessen der Beklagten. Da die Vernichtung der Papiere sicher ist und zweifelsfrei feststeht, wer im Zeitpunkt der Zerstörung aus ihnen berechtigt war, hat die Beklagte nicht damit zu rechnen, mangels Kraftloserklärung der Urkunden jemals von Dritten nach Wertpapierrecht belangt zu werden. Sie wäre ohne Grund bereichert, wenn die Rechte der Kläger mit den Papieren untergegangen wären. Aus der Bestimmung, wonach die Nationalbank für vernichtete Banknoten keinen Ersatz zu leisten hat (Art. 23 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1953 über die Schweizerische Nationalbank),
BGE 83 II 445 S. 456
lässt sich nichts zu Gunsten der Beklagten ableiten. Das ist eine Sondernorm für ein Zahlungsmittel, das an Stelle von Geld sich in grosser Menge in Umlauf befindet und auch durch Ausschluss der Kraftloserklärung (
Art. 988 OR
) anders behandelt wird als die übrigen Wertpapiere.
5.
Sind demnach den Klägern die Rechte aus den vernichteten Aktien erhalten geblieben, so bedeutet das jedoch nicht, dass ihnen die Beklagte Ersatztitel auszustellen und auszuhändigen habe. Die Beklagte ist ihrer Pflicht zur Verurkundung dieser Rechte dadurch nachgekommen, dass sie den Klägern oder deren Rechtsvorgängern seinerzeit die nunmehr zerstörten Inhaberaktien ausgefertigt und übergeben hat. Einen Anspruch auf erneute Verurkundung hätten die Kläger nur, wenn diese Aktien wirksam kraftlos erklärt wären (
Art. 986 Abs. 3 OR
). Der Richter würde die Bestimmungen über die Kraftloserklärung missachten, wenn er anders entschiede. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Beklagte am 19. Dezember 1945 beschlossen hat, ihre auf den Inhaber lautenden Stammaktien in Namenaktien umzuwandeln. Die Eigenschaft als Stammaktionär gibt nicht Anspruch auf Übergabe von Namenaktien schlechthin, sondern nur Anspruch auf Austausch solcher Aktien gegen die entsprechende Anzahl Inhaberaktien. Da die Kläger solche nicht zurückgeben können, ist die Beklagte nicht verpflichtet, ihnen Namenaktien auszustellen und auszuhändigen. Wenn sie das nicht freiwillig tut, missbraucht sie auch nicht das Recht (
Art. 2 Abs. 2 ZGB
). Sie macht geltend, die von den Klägern begehrten Titel müssten Nummern tragen, die über der statutarischen Zahl der ausgegebenen Aktien lägen. Dieser Einwand hat etwas für sich und schliesst den Vorwurf aus, die Beklagte habe kein schützenswertes Interesse, sich dem Wunsche der Kläger auf Neuverurkundung ihrer Rechte zu widersetzen. Das Klagebegehren kann daher in der Form, die es hat, nicht gutgeheissen werden.
6.
Indem die Kläger die Ausfertigung neuer Aktien
BGE 83 II 445 S. 457
verlangen, wollen sie sich nicht nur ein Legitimationspapier verschaffen, d.h. nicht nur den Schein beanspruchen, Aktionäre zu sein. Obwohl sie, wenn die behauptete Kraftloserklärung gültig wäre, die Ausfertigung neuer Urkunden verlangen könnten, ohne das Recht am vernichteten Papier nachweisen zu müssen (
Art. 986 Abs. 3 OR
), ist ihr Begehren dahin zu verstehen, dass sie, weil schon an den vernichteten Aktien berechtigt, weiterhin als Aktionäre anzuerkennen und dass ihnen daher neue Aktien auszustellen und zu übergeben seien. Dem letzteren Teil dieser Schlussfolgerung kann jedoch, wie in Erw. 5 dargelegt, nicht entsprochen werden. Dagegen ist unter den Umständen des vorliegenden Falles das Klagebegehren im übrigen sinngemäss auch zu verstehen als Antrag auf Feststellung der sich aus der Aktionäreigenschaft ergebenden Rechte. Die Klage ist daher in diesem Sinne teilweise gutgeheissen.
7.
Die Feststellung darf jedoch nur die sich aus den vernichteten Aktien ergebenden Rechte betreffen, nicht auch die Rechte aus den Coupons; denn noch in der Berufungsbegründung stellt die Beklagte sich auf den Standpunkt, die Couponsbogen, die sie getrennt ausgegeben habe, seien nicht vernichtet worden, und die Kläger bestreiten das in der Berufungsantwort nicht.
Welche Rechte sich aus den vernichteten Aktien ergeben, ist nicht abgeklärt. Insbesondere steht nicht fest, ob die Kläger auf Grund dieser Aktien inzwischen neue Couponsbogen hätten beziehen können und ob nicht möglicherweise die Beklagte die mit den vernichteten Aktien ausgegebenen Couponsbogen schon ersetzt hat, z.B. auf Grund eines mit den alten Bogen verbundenen Erneuerungsscheines. Ohne diese Abklärung wäre die Feststellung, dass die Kläger die in den vernichteten Aktien verbrieften Rechte ausüben können, nicht bestimmt genug. Das Appellationsgericht hat daher den Sachverhalt zu ermitteln und neu zu urteilen.
Falls sich ergibt, dass in den vernichteten Papieren
BGE 83 II 445 S. 458
alle Rechte der Aktionäre verbrieft waren - mindestens mittelbar, indem neue Couponsbogen nur auf Grund der Aktien erhältlich sind -, so kann auch festgestellt werden, dass die Beklagte die Kläger in das Aktienbuch einzutragen hat. Andernfalls sind die in den Aktien verurkundeten Rechte im Feststellungsurteil aufzuzählen.
Für beide Fälle ist festzuhalten, dass die Rechte der Kläger als Aktionäre trotz der mangelnden Verurkundung vererbt und durch gewöhnliche Abtretung übertragen werden können. Statutarische Beschränkung der Übertragung bleibt vorbehalten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 8. Februar 1957 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4ad473de-4373-48de-a708-9da4401fe10a | Urteilskopf
84 IV 111
33. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 11 septembre 1958 dans la cause Steiner. | Regeste
Art. 27 MFG.
Vorsichtspflicht des nicht vortrittsberechtigten Führers an einer unübersichtlichen Einmündung.
Fall eines Führers, der nur den von rechts kommenden Fahrzeugen die Durchfahrt frei zu geben hat (Art. 27 Abs. 1 MFG).
Bedeutung des Umstandes, dass der Vortrittsberechtigte vorschriftswidrig fährt. | Sachverhalt
ab Seite 111
BGE 84 IV 111 S. 111
A.-
Le chemin de la Colline, fortement incliné, débouche à angle droit sur le chemin de Marcolet, large de 4 m 75, à Crissier. Steiner, qui le descendait le 14 juillet 1957 au volant d'une voiture VW, s'arrêta avant de pénétrer sur le chemin de Marcolet. Constatant que des arbustes supprimaient la visibilité à droite, il avança lentement. Entendant un véhicule arriver sur sa droite, il stoppa immédiatement; l'avant de sa voiture se trouvait à 43 cm du milieu du chemin de Marcolet. L'autre véhicule, une voiture "Vauxhall", pilotée par Becker, longeait ce chemin à la vitesse de 50 km/h; il occupait le milieu de la chaussée, tout en étant plus près du bord gauche que du bord droit. Quand il aperçut la VW, Becker freina et donna un coup de volant à droite, mais ne put éviter une collision.
B.-
Estimant que Steiner aurait dû s'arrêter à l'endroit d'où il pouvait voir arriver un véhicule prioritaire et non 20 ou 30 cm plus loin, le Tribunal de simple police du district de Lausanne lui a infligé une amende de 20 fr. pour contravention à l'art. 27 al. 1 LA.
La Cour de cassation vaudoise a confirmé ce jugement le 9 juin 1958.
BGE 84 IV 111 S. 112
C.-
Le condamné se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral, en concluant à libération.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La Cour cantonale rappelle que le conducteur tenu de céder le passage en vertu de l'art. 27 al. 1 LA n'est pas autorisé à s'avancer jusqu'au milieu de la route empruntée par le véhicule prioritaire (RO 66 I 122). Le recourant n'a pas méconnu ce principe, puisqu'il s'est arrêté à 43 cm de l'axe médian du chemin de Marcolet. Cette circonstance n'exclut cependant pas nécessairement une contravention à l'art. 27 LA.
La plus grande prudence s'impose en effet à l'automobiliste qui, sans bénéficier de la priorité, débouche sur une route masquée. Il est tenu d'y pénétrer en quelque sorte en tâtonnant (RO 66 I 122). La jurisprudence a précisé qu'il doit commencer par n'y avancer que de façon à signaler sa présence et s'arrêter; après quelques secondes, son véhicule ayant été vu, il reprendra lentement sa marche jusqu'au point où l'artère à priorité entre dans son champ visuel; il sera alors en mesure d'apprécier s'il peut achever la manoeuvre ou s'il doit attendre que d'autres véhicules aient passé (arrêts Huser du 1er mars 1951 consid. 4 b, Laube du 11 septembre 1953 consid. 3; RO 83 IV 89). Steiner ne s'est pas conformé à cette méthode. Certes, il s'est arrêté à la bifurcation, mais cette halte était inutile, car sa voiture n'était alors pas visible pour les usagers circulant sur le chemin de Marcolet. Lui-même ne prétend pas le contraire. Ensuite, tandis qu'il n'aurait dû s'avancer que jusqu'au point d'où il pouvait observer le tronçon ouest du chemin prénommé, il a dépassé cette limite, selon une constatation souveraine (art. 277bis al. 1 PPF), de 20 ou 30 cm.
2.
Il importe toutefois de relever que les trois derniers arrêts cités concernent des cas où le conducteur non prioritaire devait céder le passage aussi bien à gauche qu'à droite, soit qu'il débouchât sur une route principale
BGE 84 IV 111 S. 113
au sens de l'art. 27 al. 2 LA, soit qu'il sortît d'un chemin privé. Steiner était seulement tenu de laisser passer les véhicules venant de droite (art. 27 al. 1 LA). Cette différence ne paraît pas négligeable. Le maximum de précautions s'impose, lorsque la visibilité est mauvaise, à l'automobiliste obligé de respecter également la priorité des véhicules venant de gauche. Ces précautions sont celles que prescrivent ces trois arrêts. On peut se demander s'il n'est pas excessif de les exiger aussi du conducteur qui doit seulement accorder le passage aux véhicules venant de droite. Sa pénétration sur la route où il débouche crée un moindre danger - un danger moins imminent -, car il est en droit de compter que les véhicules pouvant surgir de gauche s'arrêteront au besoin pour le laisser passer. Si, conformément à l'arrêt RO 66 I 122, on ne lui permet pas de s'avancer d'emblée jusqu'au milieu de la chaussée, devrait-on cependant lui reconnaître le droit de traverser la première moitié de la route, moitié sur laquelle des véhicules venant de droite ne se trouvent pas normalement (art. 26 al. 1 et 3 LA), avec moins de timidité que s'il devait en outre céder le pas à des véhicules venant de gauche? Ne peut-on se départir d'une certaine rigueur au moins dans le cas où la chaussée n'est pas particulièrement étroite? C'est cette considération qui a amené la Cour à juger, dans l'affaire Bär, qu'à une croisée ou à un débouché masqués, le conducteur peut, en règle générale, s'avancer prudemment (sich hervorwagen), au-delà de l'objet masquant la vue, aussi loin qu'il est possible sans mettre en danger un prioritaire roulant correctement à droite (RO 80 IV 200 consid. 2).
D'après les constatations des juridictions cantonales, la voiture du recourant a laissé sur le chemin de Marcolet, à vrai dire étroit, un espace libre de 2 m 80. Si Becker avait correctement tenu sa droite, il aurait pu passer aisément. S'ensuit-il, vu l'arrêt Bär, que le recourant doive être libéré?
3.
Une réponse affirmative ne se justifie pas. Outre
BGE 84 IV 111 S. 114
que le principe énoncé par l'arrêt Bär n'est pas absolu, il est en effet de jurisprudence constante que le conducteur astreint à céder le pas doit compter avec la vitesse effective du titulaire de la priorité, laquelle n'est pas supprimée par une allure exagérée (RO 79 II 214 et les références;
82 II 538
). Il faut admettre que la priorité ne dépend pas non plus de la position du véhicule prioritaire par rapport aux côtés de la route; elle subsiste même si, au mépris de la règle légale (art. 26 al. 1 LA), il roule à gauche. La faute de circulation commise par le prioritaire ne le prive pas de son droit; il en est tenu compte dans l'appréciation de son propre cas (RO 79 II 214). La Cour de cassation belge s'est prononcée dans ce sens. Elle a jugé que la disposition légale relative à la priorité de droite est d'une portée générale et ne subordonne pas le droit qu'elle consacre à une quelconque condition touchant la marche du véhicule jouissant de la priorité; il suit de là que la priorité s'étend à toute la largeur de la voie que l'usager parcourt et que le débiteur de la priorité ne doit poursuivre sa marche que s'il peut le faire sans risque d'accident eu égard à la position réelle de l'autre conducteur (arrêt cité et approuvé par VAN ROYE, Le Code de la circulation, p. 391).
Cette règle claire et simple mérite la préférence. Elle oblige le conducteur qui débouche sur une artère masquée à prendre les précautions indiquées par les arrêts Huser, Laube et RO 83 IV 89, même s'il doit seulement céder le passage aux véhicules venant de droite; il doit s'attendre, notamment quand la route n'est pas très large, qu'ils roulent au milieu, voire à gauche de la chaussée.
4.
Le recourant a donc violé la priorité de Becker; cette violation procède d'une négligence. Il aurait dû stopper 20 à 30 cm plus haut, car, de cet endroit, il aurait déjà été en mesure d'inspecter le chemin de Marcolet. Cette manoeuvre ne présentait aucune difficulté technique. | null | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4ad92f32-8177-4f3a-a88e-e1813b2f671b | Urteilskopf
91 II 362
53. Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. Oktober 1965 i.S. Massoni gegen Meier. | Regeste
Wechselrecht
1. Ermittlung der Rechtsordnung, nach der im internationalen Verhältnis die Wirkungen der Wechselbürgschaft und die Verjährung der Wechselforderungen zu beurteilen sind (Erw. 1).
2. Verjährung der Wechselforderung:
Art. 1070 OR
bestimmt nur die für die Wechselforderung geltenden Unterbrechungsgründe. Unter welchen Voraussetzungen und wann die durch Rechtshandlungen des Gläubigers unterbrochene Verjährung wieder zu laufen beginnt, geht aus der allgemeinen Verjährungsbestimmung von
Art. 138 OR
hervor, deren Absätze 1-3 in Ergänzung zu
Art. 1070 OR
anzuwenden sind (Erw. 2-9). | Sachverhalt
ab Seite 363
BGE 91 II 362 S. 363
A.-
Angelo Giusti stellte am 5. Oktober 1959 in Mailand zugunsten des Giovanni Massoni drei in Mailand zahlbare, nach zwei, drei und vier Monaten verfallende eigene Wechsel über je eine Million Lire aus. Oskar Meier unterzeichnete sie an seinem Wohnsitz Zürich als Bürge.
Da weder Giusti noch Meier zahlten, liess Massoni diesem am 27. Februar 1960 durch das Betreibungsamt Zürich 9 einen auf Fr. 20'925.-- nebst Zins, Protest- und Betreibungskosten lautenden Zahlungsbefehl zustellen. Meier erhob Rechtsvorschlag. Der Einzelrichter des Bezirksgerichtes Zürich wies das Rechtsöffnungsbegehren des Massoni am 31. März 1960 ab.
Am 8. März 1963 stellte Massoni gegen Meier beim Betreibungsamt Zürich 9 für Fr. 21'057.80 nebst Zins ein neues Betreibungsbegehren, doch konnte der am 9. März 1963 ausgestellte Zahlungsbefehl nicht zugestellt werden, weil Meier nunmehr im Betreibungskreis Zürich 10 wohnte. Am 21. März 1963 wiederholte Massoni das Betreibungsbegehren beim Betreibungsamt Zürich 10. Am 22. März 1963 erhielt Meier den Zahlungsbefehl. Er erhob Rechtsvorschlag.
B.-
Massoni klagte im Juni 1963 gegen Meier auf Zahlung von Lit. 3'011,200 nebst Zins, Protest- und Betreibungskosten. Das Bezirksgericht Zürich und das Obergericht des Kantons Zürich, dieses mit Urteil vom 9. März 1965, wiesen die Klage ab.
Das Obergericht wandte gemäss
Art. 1090 Abs. 2 OR
schweizerisches Recht an und kam in Gutheissung der Verjährungseinrede des Beklagten zum Schluss, die Forderung sei drei Jahre, nachdem das erste Betreibungsbegehren gestellt wurde,
BGE 91 II 362 S. 364
also spätestens am 27. Februar 1963 verjährt.
Art. 1070 OR
sei eine Sondervorschrift, welche die Anwendung des
Art. 138 Abs. 2 OR
ausschliesse. Das Rechtsöffnungsbegehren des Klägers und die Rechtsöffnungsverfügung vom 31. März 1960 wirkten daher nicht verjährungsunterbrechend.
C.-
Der Kläger hat die Berufung erklärt. Er beantragt, die Klage gutzuheissen, eventuell die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
Der Beklagte verlangt, die Berufung abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Welcher Rechtsordnung die vom Kläger geltend gemachte Forderung untersteht, beurteilt sich in erster Linie nach dem Abkommen vom 7. Juni 1930 über Bestimmungen auf dem Gebiete des internationalen Wechselprivatrechts, dem Italien mit Wirkung ab 1. Januar 1934 und die Schweiz mit Wirkung ab 1. Juli 1937 beigetreten sind (BS 11 868 f.), und in zweiter Linie nach den Art. 1086 ff. des schweizerischen Obligationenrechtes betreffend den Geltungsbereich der wechselrechtlichen Normen (vgl.
BGE 90 II 123
Erw. 1).
Die Wirkungen, welche die Erklärung des Wechselbürgen hat, bestimmen sich gemäss Art. 4 Abs. 2 des erwähnten Abkommens und
Art. 1090 Abs. 2 OR
nach dem Rechte des Landes, in dessen Gebiete die Erklärung unterschrieben wurde, im vorliegenden Falle also nach schweizerischem Recht.
Es ist fraglich, ob diese Regelung in allen Teilen auch für die Verjährung der Forderung gilt. Das Abkommen über Bestimmungen auf dem Gebiete des internationalen Wechselprivatrechts macht zwar hierauf bezüglich keine Ausnahme, aber in Art. 17 Abs. 1 der Anlage II zu dem am gleichen Tage abgeschlossenen Abkommen über das einheitliche Wechselgesetz wird bestimmt, es bleibe der Gesetzgebung jedes der vertragschliessenden Teile überlassen, die Gründe für die Unterbrechung und die Hemmung der Verjährung der von seinen Gerichten zu beurteilenden wechselmässigen Ansprüche zu bestimmen (BS 11 863). Die Schweiz hat von der Möglichkeit, das Abkommen über das einheitliche Wechselgesetz nur unter Vorbehalt dieser Bestimmung zu genehmigen, Gebrauch gemacht (Bundesbeschluss vom 8. Juli 1932, BS 11 928). Die Gründe für die Unterbrechung der Verjährungsfrist nannte sie in
Art. 1070 OR
. Eine besondere Norm über den zwischenstaatlichen Geltungsbereich
BGE 91 II 362 S. 365
dieser Bestimmung erliess sie nicht. Die staatsrechtliche Kammer des Bundesgerichts hat jedoch aus dem Erlass des Art. 1070 gefolgert, der schweizerische Gesetzgeber scheine den Willen gehabt zu haben, die Unterbrechungsgründe stets dem schweizerischen Recht zu unterstellen, welches Recht auf die Wirkungen der Wechselverbindlichkeit auch immer anwendbar sein möge; jedenfalls sei diese Auffassung nicht willkürlich (
BGE 77 I 11
).
Es erübrigt sich, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, denn im vorliegenden Falle müsste - welches auch die Lösung wäre - durchwegs schweizerisches Recht angewendet werden, sei es auf Grund obiger Überlegungen, sei es gemäss
Art. 1090 Abs. 2 OR
.
2.
Die Verjährung wechselmässiger Ansprüche ist in den
Art. 1069-1071 OR
geregelt, die unter den Bestimmungen über den gezogenen Wechsel stehen, aber gemäss
Art. 1098 Abs. 1 OR
auch für den eigenen Wechsel gelten.
Art. 1070 erklärt, die Verjährung werde durch Anhebung der Klage, durch Einreichung eines Betreibungsbegehrens, durch Streitverkündung oder durch Eingabe im Konkurs unterbrochen. Diese Vorschrift trat an die Stelle des etwas anders gefassten, aber inhaltlich ungefähr gleichen Art. 806 aoR, in dem im übrigen dem Sinne nach auch der heutige Art. 1071 Abs. 1 enthalten war.
Die Fassung des Art. 806 aoR und der verschiedenen Entwürfe verraten deutlich, dass ihnen Art. 80 der Allgemeinen deutschen Wechselordnung von 1848 (WO) Vorbild war, wie denn überhaupt das Wechselrecht des alten Obligationenrechts sich eng an diese Ordnung anlehnte (Botschaft des Bundesrates vom 27. November 1879, BBl 1880 I 225, 226).
3.
Nach Art. 80 WO wurde ursprünglich die Verjährung nur durch Behändigung der Klage oder durch Streitverkündigung unterbrochen. Die Einführungsgesetze zur Konkursordnung und zur Zivilprozessordnung änderten diese Bestimmung ab, indem sie weitere Handlungen, besonders die Anmeldung im Konkurs, zu Unterbrechungsgründen erhoben. Von wann an die unterbrochene Verjährung wieder laufe, wurde in der Wechselordnung nicht gesagt; man hielt die hiefür geltenden allgemeinen Grundsätze für massgebend (THÖL, Handelsrecht Bd. 2, Leipzig 1873 S. 789 f.; BERNSTEIN, Allgem. deutsche und allgem. österreichische Wechselordnung, Breslau 1898 S. 296
BGE 91 II 362 S. 366
§ 3, mit Hinweis auf S. LXXIII der Motive zum Entwurf). Lehre und Rechtsprechung nahmen an, die Klage unterbreche die Verjährung für solange, als der Kläger den Prozess fortsetze, die Streitverkündung unterbreche sie bis zur Beendigung des Prozesses und die unterbrechende Wirkung der Anmeldung im Konkurs daure bis zum Prüfungstermin oder bis zur Bekanntmachung der Beendigung des Konkurses (HARTMANN, Das deutsche Wechselrecht, Berlin 1869 S. 457 f.; VON WÄCHTER, Encyclopädie des Wechselrechts, Stuttgart 1880 S. 978 f.; LEHMANN, Lehrbuch des deutschen Wechselrechts, Stuttgart 1886 S. 578; STAUB, Komm. zur WO, Berlin 1895 Art. 80 §§ 15-19; GRÜNHUT, Wechselrecht, Leipzig 1897 2 553; Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts 16 362 f., vgl. 13 269; BOLZE, Die Praxis des Reichsgerichts in Zivilsachen 18 Nr. 139).
Es ist zu vermuten, dass Art. 806 aoR gleich wie sein Vorbild nur bestimmen wollte, durch welche Rechtshandlungen (und mit Wirkung gegen welchen Verpflichteten) der Wechselgläubiger die Verjährung unterbrechen könne, dass er dagegen offen liess, unter welchen Voraussetzungen und wann die durch Anhebung der Betreibung, Eingabe im Konkurs, Klage oder Streitverkündung unterbrochene Verjährung wieder zu laufen beginne. Diese Frage bedurfte für das Wechselrecht keiner besonderen Ordnung, weil sie in Art. 157 aoR allgemeingültig beantwortet war.
4.
Ein Blick auf die Entwürfe bestätigt die Richtigkeit dieser Auffassung.
Noch der nach den Beschlüssen einer Kommission vom Jahre 1876 bearbeitete Entwurf bestimmte in Art. 197 gleich wie die frühern Entwürfe, die Unterbrechung der Verjährung durch Anhebung einer Klage dauere bis zum Abschluss des Rechtsstreites, die Unterbrechung durch ein Betreibungsbegehren bis zur letzten vergeblichen Vollstreckungshandlung und die Unterbrechung durch Konkurseingabe bis zur Rehabilitation oder bis zum Tode des Schuldners. Dabei war klar, dass Art. 197 des Entwurfes auch für Wechselverpflichtungen gelten sollte. Es bestand kein Anlass, Klage, Betreibungsbegehren und Konkurseingabe im Wechselrecht nicht ebenfalls die Wirkung einer bis zum Abschluss des Verfahrens andauernden Unterbrechung der Verjährung beizumessen. Der dem Art. 806 aoR entsprechende Art. 857 des Entwurfes hatte nur den Zweck, den in Art. 195 neben der Klage usw. miterwähnten Unterbrechungsgrund
BGE 91 II 362 S. 367
der Schuldanerkennung für das Wechselrecht auszuschalten und ausserdem klarzustellen, die Unterbrechung wirke nur gegen jenen Wechselverpflichteten, gegen den die Handlung gerichtet sei. Diese Regelung wurde in weitern Entwürfen und Vorlagen im wesentlichen beibehalten.
Erst in der das ganze Kapitel der Verjährung neu gestaltenden Vorlage vom 24. Januar 1881 wurde vorgeschlagen, im Verlaufe des Rechtsstreites mit jeder gerichtlichen Handlung der Parteien und mit jeder Verfügung oder Entscheidung des Richters und im Falle der Schuldbetreibung am Tage nach der Zustellung des Betreibungsaktes eine neue Verjährungsfrist beginnen zu lassen (Art. 163 Abs. 1 und 3). Bei der Unterbrechung durch Konkurseingabe jedoch hielt das Justiz- und Polizeidepartement daran fest, dass die neue Verjährungsfrist erst mit der Aufhebung des Konkurses, der Rehabilitation oder dem Tode des Schuldners laufe (Art. 163 Abs. 2). Der Ständerat pflichtete am 17. Februar 1881 dieser Ordnung bei, wobei er immerhin forderte, dass mit dem Zeitpunkt, in welchem die im Konkurs eingegebene Forderung nach dem Konkursrecht wieder geltend gemacht werden könne, auch die neue Verjährungsfrist beginne (Art. 162).
In der endgültigen Fassung von Art. 157 aoR wurde dann noch verdeutlicht, im Falle der Unterbrechung durch Schuldbetreibung fange mit jedem Betreibungsakt eine neue Verjährungsfrist an. In den Entwürfen zu Art. 806 aoR anderseits wurde nie etwas darüber gesagt, wann die unterbrochene Verjährung wieder beginne. Man ging offensichtlich davon aus, für das Wechselrecht seien die allgemeinen Bestimmungen massgebend. Als man dann den Grundsatz, dass während des Rechtsstreites, der Betreibung und des Konkurses keine neue Verjährungsfrist laufe, nur noch für den Konkursfall aufrecht hielt und im übrigen zum System der Unterbrechung durch gerichtliche Handlung der Parteien, durch Verfügungen und Entscheidungen des Richters und durch Betreibungsakte überging, unterliess man, in Art. 806 aoR ausdrücklich zu sagen, diese Unterbrechungsgründe gälten auch für Wechselforderungen. Es fehlt aber jeder Anhaltspunkt dafür, die gesetzgebenden Behörden wären der Meinung gewesen, die durch Klage, Streitverkündung oder Betreibung unterbrochene Verjährungsfrist bei Wechselforderungen werde nicht erneut unterbrochen durch jede gerichtliche Handlung der Parteien, durch Verfügung und Entscheidungen des Richters, beziehungsweise durch jeden Betreibungsakt.
BGE 91 II 362 S. 368
Entweder schenkte man der Frage, welche Rechtslage bei Wechselforderungen mit der Unterbrechungshandlung eintrete, keine Beachtung, oder man ging davon aus, sie werde nach wie vor durch die allgemeinen Verjährungsbestimmungen beantwortet. So oder so liegt auf der Hand, dass Art. 157 aoR auch im Wechselrecht zu gelten hatte.
5.
Dabei blieb es, als im Jahre 1911 Art. 157 aoR durch den gleich lautenden
Art. 138 OR
und im Jahre 1936 Art. 806 aoR durch Art. 1070 ersetzt wurde. In der Botschaft des Bundesrates von 1928, S. 132 (= BBl 1928 I 336), wurde ausdrücklich gesagt, die Unterbrechungsgründe würden in Übereinstimmung mit dem (damals) geltenden Recht geordnet.
6.
Diese Auslegung des alten und des neuen Gesetzes ist auch vernünftig. Mit Art. 806 aoR und
Art. 1070 OR
wollte der Gesetzgeber den Gläubiger veranlassen, die Wechselforderung innerhalb der Verjährungsfrist durch Klage, Betreibung, Eingabe im Konkurs oder Streitverkündung geltend zu machen und den in Art. 154 Ziff. 1 aoR bzw. 135 Ziff. 1 OR aufgezählten Handlungen des Schuldners im Wechselrecht die verjährungsunterbrechende Kraft nehmen. Dagegen bestand kein Anlass, den Wechselgläubiger, der seine Forderung durch eine der erwähnten Rechtshandlungen rechtzeitig geltend macht, im Verlaufe des Prozesses, der Betreibung oder des Konkurses ungünstiger zu behandeln als andere Gläubiger. Während des Prozesses kommt eine Wiederholung der Klage oder eine Streitverkündung des Gläubigers gegen den Beklagten nicht in Frage und entbehrt ein Betreibungsbegehren eines Sinnes. Es ist nicht zu ersehen, weshalb der Kläger ein solches stellen sollte und nicht auch die gerichtlichen Handlungen der Parteien und die Verfügungen oder Entscheidungen des Richters die Verjährungsfrist unterbrechen könnten. Es ist auch sinnlos, den Wechselgläubiger während einer Betreibung, solange Betreibungsakte noch möglich sind, zur Einreichung eines neuen Betreibungsbegehrens oder einer Klage oder zu einer Streitverkündung zu verhalten. Ebenso unvernünftig wäre es, die durch Konkurseingabe unterbrochene Verjährungsfrist in Abweichung von
Art. 138 Abs. 3 OR
für Wechselforderungen während des Konkurses neu laufen zu lassen. All das legt nahe, für Wechselforderungen die Absätze 1-3 des Art. 138 in Ergänzung von
Art. 1070 OR
anzuwenden.
7.
Auch
Art. 1071 Abs. 2 OR
steht der Anwendung des
BGE 91 II 362 S. 369
Art. 138 auf Wechselforderungen nicht im Wege. Vorgänger des
Art. 1071 Abs. 2 OR
war Art. 807 aoR, der mit der Unterbrechung eine neue dreijährige Verjährungsfrist laufen liess. Es lag dieser Norm fern, den Ausgangspunkt der neuen Verjährungsfrist festzulegen; ihr Sinn erschöpfte sich darin, dass die neue Frist in allen Fällen drei Jahre dauere, wie lange auch immer die alte gewesen sein möge. Das Gleiche gilt für
Art. 1071 Abs. 2 OR
; er stellt klar, dass nunmehr in Abweichung zum früheren Recht die neue Verjährungsfrist von gleicher Dauer sei wie die ursprüngliche (Botschaft des Bundesrates S. 132 = BBl 1928 I 336).
8.
Unter der Herrschaft des Art. 806 aoR war in der Lehre unbestritten, das weitere Schicksal der durch Klage, Streitverkündung, Betreibung und Konkurseingabe unterbrochenen Verjährung sei für wechselmässige Ansprüche in Art. 157 aoR bzw.
Art. 138 OR
geregelt (HAFNER, 2. Aufl., Art. 807 Anm. 3; ROSSEL, Manuel du droit fédéral des obligations, 2. Aufl. S. 945 Nr. 1030, 4. Aufl. S. 262 Nr. 431; SCHNEIDER/FICK, Art. 807 Anm. 2; GOETZINGER in der 4. Auflage des Kommentars Schneider/Fick Art. 807 Anm. 2; RENNEFAHRT, Anm. zu Art. 807; vgl. auch MEILI, Das internationale Civil- und Handelsrecht 2 § 198 II 2).
Seit dem Inkrafttreten des
Art. 1070 OR
hat die Lehre zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen, besonders auch nicht Guhl in seinem Obligationenrecht, auf den sich die Vorinstanz beruft (GUHL, 5. Aufl. S. 751).
9.
Das deutsche Recht kennt heute für die Verjährung von Wechselforderungen keine besonderen Unterbrechungsgründe mehr. Art. 80 WO wurde auf 1. Januar 1900 durch Art. 8 des EG zum HGB ausser Kraft gesetzt. Von da an galten die Unterbrechungsgründe der §§ 208 f. BGB auch im Wechselrecht (REHBEIN, Allgem. deutsche Wechselordnung, 6. Aufl. Art. 80 Bem. 7). Unter dem Wechselgesetz von 1933 ist es gleich geblieben (BAUMBACH/HEFERMEHL N. 1 zu Art. 71 Wechselgesetz). Gemäss § 211 BGB dauert die Unterbrechung durch Klageerhebung fort, bis der Prozess rechtskräftig entschieden oder anderswie erledigt ist. Die Unterbrechung durch Zustellung eines Zahlungsbefehls im Mahnverfahren dauert ebenfalls während des ganzen Verfahrens an (§ 213 in Verbindung mit § 212a BGB), desgleichen die Unterbrechung durch Anmeldung im Konkurs (§ 214 BGB).
BGE 91 II 362 S. 370
Das österreichische Wechselgesetz von 1955 schränkt die in § 1497 ABGB genannten Unterbrechungsgründe nicht ein, sondern erweitert sie, indem es in Art. 71 Abs. 2 bestimmt, der Anbringung der Klage ständen in bezug auf die Unterbrechung der wechselrechtlichen Verjährung die vom Beklagten bewirkte Streitverkündung und die Geltendmachung des Anspruchs in der mündlichen Verhandlung gleich.
Im französischen Recht ist die wechselrechtliche Verjährung in Art. 179 Ccom geregelt. Aus welchen Gründen sie unterbrochen werden könne, sagt diese Bestimmung nicht. Es besteht in der Lehre und Rechtsprechung sozusagen einhellig die Auffassung, die Unterbrechungsgründe des gemeinen Zivilrechts, also der Art. 2244 und 2248 Cciv, seien anwendbar. Im übrigen ergibt sich aus Art. 179 Abs. 4 Ccom, dass die durch Klage unterbrochene Verjährung erst vom letzten Tag der gerichtlichen Verfolgung an wieder läuft. Unterbrechungsgründe sind unter anderem auch der Zahlungsbefehl und die Pfändung. Diese unterbricht die Verjährung bis zum Zeitpunkt, in dem das Pfändungsverfahren beendet ist. (Siehe LESCOT/ROBLOT, Les effets de commerce 2 S. 190 f. Nr. 722-725).
Auch das italienische Wechselgesetz von 1933 befasst sich in seinen Bestimmungen über die Verjährung (Art. 94 und 95) nicht mit den Unterbrechungsgründen. Sie sind in den Art. 2943 und 2944 des Codice civile allgemeingültig geregelt. Nach der Unterbrechung durch Klage beginnt die neue Verjährung erst mit der Rechtskraft des Urteils zu laufen (Art. 2945 Abs. 2 Cciv).
Verglichen mit den Rechten der Nachbarstaaten, nimmt also
Art. 1070 OR
eine Sonderstellung ein, die noch ausgeprägter wäre, wenn man
Art. 138 OR
auf die Verjährung wechselmässiger Ansprüche nicht anwenden würde. Das ist ein Grund mehr, die vorinstanzliche Auslegung abzulehnen. Es kann nicht gesagt werden, sie entspreche bewährter Lehre und Überlieferung.
lo. - Der Beklagte hat sich für den Aussteller des Wechsels verbürgt. Gemäss Art. 1022 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 1098 Abs. 3 OR
haftet er daher wie der Aussteller. Dieser haftet seinerseits in gleicher Weise wie der Annehmer eines gezogenen Wechsels (Art. 1099 Abs. 1). Der wechselmässige Anspruch gegen den Beklagten untersteht daher der dreijährigen Verjährungsfrist des Art. 1069 Abs. 1 (vgl.
BGE 38 II 70
f.).
BGE 91 II 362 S. 371
Diese Frist lief von den Verfalltagen der Wechsel an und wurde durch das Betreibungsbegehren, das zum Zahlungsbefehl vom 27. Februar 1960 führte, unterbrochen. Gemäss
Art. 138 Abs. 2 OR
begann hierauf mit jedem Betreibungsakt die Verjährung von neuem zu laufen. Ausser dem Zahlungsbefehl war der Rechtsöffnungsentscheid des Bezirksgerichtes Zürich vom 31. März 1960 ein Betreibungsakt (HAFNER, Art. 157 Anm. 4 a, und OSER/SCHÖNENBERGER, Art. 138 N. 4; vgl. auch
BGE 81 II 136
). Dass das Rechtsöffnungsbegehren des Klägers abgewiesen wurde, ist unerheblich. Auch in der Abweisung, durch die der Kläger endgültig auf die Geltendmachung seiner Forderung im ordentlichen Prozessverfahren verwiesen wurde (
Art. 79 SchKG
), liegt ein Akt, der die Betreibung in ein vorgerückteres Stadium bringt. Damit ist die bestrittene Voraussetzung des Begriffes des Betreibungsaktes erfüllt (
BGE 81 II 136
). Keine Rolle spielt endlich, ob der gesetzlichen Unterbrechungshandlung in der gleichen Betreibung weitere Amtshandlungen nachfolgen oder nicht.
Die dreijährige Verjährungsfrist begann demnach mit dem Rechtsöffnungsentscheid vom 31. März 1960 neu zu laufen. Sie wurde durch den Zahlungsbefehl vom 21. März 1963, der am folgenden Tage dem Beklagten zugestellt wurde, unterbrochen. Die Forderung des Klägers ist deshalb nicht verjährt.
11.
Da sich der Beklagte im kantonalen Verfahren der Klage noch mit anderen Einwendungen widersetzte und die kantonalen Instanzen dazu nicht Stellung nahmen, muss die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückgewiesen werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich - II. Zivilkammer - vom 9. März 1965 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4adb6c4f-0d07-4db0-ae01-2ad77aff7ca4 | Urteilskopf
116 II 184
33. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 22 mai 1990 dans la cause époux C. contre Fondation A. (recours en réforme) | Regeste
Mietzinserhöhung. Sozialwohnungen. Übermässiger Ertrag im Sinne von
Art. 14 BMM
.
1. Anwendbarkeit des BMM (E. 1).
2. Gemäss dem klaren Wortlaut von
Art. 14 BMM
beurteilt sich die Missbräuchlichkeit eines Mietzinses nur nach dem Ertrag der vermieteten Wohnung und nicht nach dem Ertrag der gesamten Liegenschaft (Bestätigung der Rechtsprechung). Ein Abweichen von diesem Grundsatz rechtfertigt sich auch bei Sozialwohnungen nicht, bei denen die Mietzinse nach einem Prozentsatz des erzielten Einkommens der Mieter festgesetzt werden (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 184
BGE 116 II 184 S. 184
A.-
Les époux C. sont locataires d'un appartement de 3 pièces, cuisine comprise, au 5e étage de l'immeuble 31, rue du Grand-Bureau, à Genève, propriété de la Fondation A.
Le loyer annuel de ce logement a été fixé à 6'600 francs, plus charges, dès le 1er juillet 1984.
BGE 116 II 184 S. 185
Le 17 mars 1987, la Fondation a notifié aux époux C. un avis de majoration, visant à porter le loyer à 8'400 francs l'an, dès le 1er juillet 1987.
A l'appui de cette hausse de 27%, la bailleresse invoquait l'"adaptation à la valeur objective des locaux, selon l'
art. 15a AMSL
(application du règlement de la Fondation HLM de la Ville de Genève)".
La Fondation s'est en effet dotée d'un règlement, contenant notamment les clauses suivantes:
"1. Le loyer sera fixé en tenant compte du salaire du locataire, auquel
sera ajouté le salaire des personnes cohabitant avec lui. Il ne devra pas
dépasser dans la règle de 15% du revenu ci-dessus défini.
2. L'évolution dudit revenu sera prise en considération, à concurrence de
15%.
3. Pour ce faire, chaque année, 4 mois avant l'échéance du bail, la
situation financière du locataire sera revue par le bailleur, aux fins de
réadapter les conditions du bail à son échéance.
4. Le comité de la Fondation se réserve le droit de déroger aux règles
susmentionnées après examen de cas particuliers où l'application desdites
règles serait problématique."
Conformément au point 3 du règlement précité, la Fondation s'est enquise, préalablement à l'envoi de l'avis de majoration, des revenus obtenus par les époux C. Ils ont déclaré un revenu global mensuel brut de 6'182 francs.
B.-
Les époux C. se sont opposés à la majoration de loyer. Après échec de la conciliation, la Fondation a porté la cause devant le Tribunal des baux de Genève. Par jugement du 10 novembre 1988, il a admis la hausse de loyer, l'arrêtant à 8'400 francs, charges non comprises, dès le 1er juillet 1987.
Par arrêt du 27 novembre 1989, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers de Genève a déclaré infondé l'appel des locataires et a confirmé le jugement du Tribunal des baux.
C.-
En temps utile, les époux C. interjettent un recours en réforme. Ils concluent à la réforme de l'arrêt cantonal en ce sens que, principalement, le loyer est maintenu à 6'600 francs.
La Fondation conclut au rejet du recours.
Le Tribunal fédéral a admis partiellement le recours, annulé l'arrêt attaqué et renvoyé la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants.
BGE 116 II 184 S. 186
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Même si les logements présentent un caractère social, car vraisemblablement construits avec l'aide des pouvoirs publics, aucun élément ne fait ressortir qu'ils seraient soumis au contrôle des autorités au sens de l'
art. 4 al. 2 OSL
. Dès lors, l'AMSL est applicable sans restriction (cf. BARBEY, L'AMSL, p. 21).
3.
Selon les recourants, l'immeuble étant soumis à l'AMSL, la propriétaire ne peut pas, sous prétexte d'adaptation au revenu du locataire, pratiquer un loyer supérieur à celui autorisé par les
art. 14 et 15 AMSL
.
a) Un contrat de bail prévoyant la possibilité d'une réadaptation du loyer en fonction du revenu du locataire, dans des délais conventionnels acceptables, n'est pas contraire à l'AMSL. Mais, comme l'admettent à juste titre la cour cantonale et les parties, le loyer ainsi fixé ou réadapté doit être apprécié conformément à l'
art. 14 AMSL
, c'est-à-dire ne pas procurer au bailleur un rendement excessif du logement ou du local loué.
N'est pas excessif, au sens de la disposition précitée, un loyer qui permet au bailleur de couvrir ses charges et d'obtenir un rendement convenable du capital propre investi. Un état locatif qui, outre la couverture des charges, sert à renter équitablement les fonds propres théoriques (40% de la valeur de l'immeuble), réévalués à un taux n'excédant pas de plus de 1/2% le taux de l'intérêt hypothécaire de premier rang pratiqué par les grandes banques, est admissible (cf.
ATF 112 II 152
, consid. 2b).
Lors d'une contestation du loyer par un preneur, la fixation de l'état locatif admissible d'un immeuble ou d'un groupe d'immeubles n'est, sauf exception, qu'une étape dans l'appréciation particulière du cas. Selon le texte même de l'
art. 14 al. 1 AMSL
, le caractère admissible ou excessif d'un loyer ne s'apprécie qu'au regard du local pris à bail par le preneur partie à la procédure; le fait que le rendement du reste de l'immeuble soit insuffisant ou abusif n'a aucune incidence sur l'issue du litige (BARBEY, op.cit., p. 24, § 6.3). La jurisprudence du Tribunal fédéral en a nettement posé le principe, en tout cas lorsque se dégage une disparité manifeste entre les loyers d'un même immeuble; doit être apprécié de cas en cas le rendement des logements en cause et non pas le rendement des autres appartements de l'immeuble considéré (
ATF 103 II 51
). L'application de ce principe impose alors une ventilation des
BGE 116 II 184 S. 187
comptes, soit du revenu locatif, entre les divers appartements et locaux, selon les clés de répartition usuelles pour les immeubles constitués en propriété d'étages (arrêt du Tribunal fédéral, du 17.2.1981 dans la cause SI Ciel-Bleu "B" c. dame Panissod, publié in SJ 1981 p. 504 ss, consid. 4 in fine).
aa) En règle générale, la cour cantonale admet ces principes et leur application. Mais, "dans le cas des immeubles sociaux où les loyers sont fixés en fonction d'un pourcentage des revenus des locataires", elle a adopté une jurisprudence propre tout à fait différente, voire contraire. Dans ces cas, elle se réfère au rendement de l'immeuble entier "afin de corriger et de compenser les éventuelles pertes de rendement résultant de l'application des mêmes critères de fixation des loyers à d'autres locataires disposant de revenus plus modestes". Et elle justifie sa solution par un souci de solidarité entre divers preneurs, les uns devant s'acquitter d'un loyer dépassant le montant nécessaire à renter équitablement le montant des fonds propres, afin que les autres, compte tenu de leurs faibles moyens, puissent bénéficier de logements à des prix particulièrement bas (elle se réfère à cet égard à un de ses arrêts publié in MP - Mietrechtspraxis -, 1988, p. 149 ss, et à BARBEY, Vom Umsatz oder Einkommen des Mieters abhängige Mietzinse, in MP 1989, p. 93). Toutefois, elle limite l'application de sa solution aux cas où le pourcentage du revenu consacré au loyer reste dans les proportions usuelles (comme dans le cas de la Fondation qui applique généralement la règle du 15%); les "dérapages" seraient ainsi évités.
bb) En dépit de son application exceptionnelle et bien particulière, la solution retenue par la cour cantonale ne peut pas être admise.
Tout d'abord, elle est contraire au texte clair de l'
art. 14 al. 1 AMSL
, ainsi qu'au sens et au but de cette disposition, qui implique une analyse de la quotité du bénéfice net que le bailleur tire du loyer au regard, non pas de l'entier de son investissement dans l'immeuble, mais de son investissement dans les locaux faisant l'objet du contrat (BARBEY, L'AMSL, p. 43, § 11, ch. 3).
Contraire à la loi et à la jurisprudence précise du Tribunal fédéral, la solution cantonale n'est non seulement pas fondée de lege lata, mais elle est même difficilement concevable de lege ferenda. Elle introduit un système de fixation et de modification des loyers qui ne tient aucun compte de l'importance de chaque logement, puisqu'elle permet de fixer, en fonction des revenus du
BGE 116 II 184 S. 188
locataire, des loyers identiques pour des locaux loués aussi différents qu'un studio ou un 5 pièces. Certes, ce genre d'inconvénient pourrait être évité par l'adoption de clés de répartition différenciées et affinées, où le 15% des revenus - comme en l'espèce - ne serait qu'un plafond maximum. Mais cela nécessiterait à tout le moins une réglementation très détaillée et non les quelques principes sommairement élaborés par la cour cantonale.
Le sens et le but de l'AMSL étant d'éviter la perception d'un loyer excessif pour un logement ou un local déterminé, aucun motif raisonnablement soutenable ne permet de traiter plus défavorablement le locataire d'un immeuble social par rapport à celui d'un autre immeuble. Cette différence de traitement ne saurait être justifiée par le fait que, dans le même immeuble social, d'autres locataires bénéficient de meilleures conditions. La notion de solidarité entre locataires, sur laquelle se fonde la jurisprudence cantonale, est totalement étrangère à l'AMSL. Aussi la perte que peut subir le bailleur qui accepte, pour des motifs sociaux, de fournir à bas prix des locaux aux personnes à bas revenus, doit-elle être couverte par des ressources ad hoc, émanant d'offices, de personnes ou d'autorités agissant précisément dans le but social ainsi recherché; elle ne peut l'être par le biais de l'augmentation, à la charge de locataires plus favorisés quant aux revenus, de loyers allant au-delà d'un rendement convenable du local loué.
Ce que le Tribunal fédéral a clairement posé dans l'arrêt SI Ciel-Bleu "B" c. dame Panissod - déjà cité - à propos du locataire à bas loyer qui n'a pas été admis à se prévaloir de l'existence de hauts loyers dans l'immeuble, vaut également pour le locataire à haut loyer, qui ne doit pas pouvoir se voir opposer l'existence dans l'immeuble de loyers plus bas; en conséquence, un preneur ne peut être autorisé "à mettre à profit l'abus, voire l'usure, commis à l'endroit de ses colocataires, pour ne payer lui-même qu'un loyer objectivement insuffisant"; une telle solution doit être rejetée "tout comme son corollaire qui permettrait au bailleur d'exiger un loyer excessif d'un preneur lorsque ceux des autres locataires ne suffisent pas à rentabiliser l'immeuble" (consid. 4 in fine).
Au surplus, le Tribunal fédéral ne peut revenir sur ces principes au moment où il vient de poser le principe de l'égalité de traitement entre locataire et propriétaire, et entre rendement abusif et
BGE 116 II 184 S. 189
rendement convenable, au sens de l'AMSL et en particulier de son art. 14 (
ATF 116 II 74
).
b) Non conforme à la loi et à la jurisprudence du Tribunal fédéral, la conception adoptée par la jurisprudence genevoise pour les immeubles dits sociaux, dont les loyers sont fixés en fonction d'un pourcentage du revenu des locataires, doit ainsi être rejetée. En conséquence, pour déterminer le loyer convenable ou non excessif applicable aux recourants, l'état locatif admissible devra être ventilé appartement par appartement, soit au prorata du nombre de pièces par logement, soit en fonction de leur surface. Comme l'état de fait de l'arrêt attaqué ne contient aucune donnée quant au nombre d'appartements entrant en considération dans l'état locatif, ni quant aux surfaces - si elles devaient être éventuellement prises en considération -, l'arrêt ne peut qu'être annulé en application de l'
art. 64 al. 1 OJ
. La cause doit être renvoyée à la cour cantonale pour qu'elle statue à nouveau après complètement des constatations de fait nécessaires. | public_law | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4adbc321-1261-4c57-9863-04075206b854 | Urteilskopf
138 III 2
1. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen X. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_416/2011 vom 30. Januar 2012 | Regeste a
Art. 7 ZPO
;
Art. 74 Abs. 2 lit. b und
Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG
; Art. 76 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 2005; § 2 Abs. 2 lit. b des kantonalzürcherischen Gesetzes vom 7. März 1993 über das Sozialversicherungsgericht; Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen bei Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach KVG.
Da das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach KVG als einzige kantonale Instanz im Sinne von
Art. 7 ZPO
beurteilt, ist die Beschwerde in Zivilsachen gegen dessen Entscheide nach
Art. 74 Abs. 2 lit. b und
Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG
zulässig, auch wenn der Streitwert Fr. 30'000.- nicht erreicht (E. 1).
Regeste b
Art. 20 Abs. 1-3,
Art. 21 Abs. 1 und 2 VVG
; Anforderungen an eine Mahnung nach
Art. 20 Abs. 1 VVG
.
Die Folgen des Zahlungsverzugs nach Art. 20 f. VVG (insbesondere gemäss
Art. 20 Abs. 3 und
Art. 21 Abs. 1 VVG
) müssen der versicherten Person in der Mahnung explizit, klar und umfassend angedroht werden (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 3
BGE 138 III 2 S. 3
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Zu beurteilen ist die Leistungspflicht aus einer Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung. Derartige Zusatzversicherungen unterstehen gemäss Art. 12 Abs. 2 und 3 des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) dem Versicherungsvertragsgesetz vom 2. April 1908 (VVG; SR 221.229.1). Streitigkeiten aus solchen Versicherungen sind privatrechtlicher Natur, weshalb als Rechtsmittel an das Bundesgericht die Beschwerde in Zivilsachen gemäss
Art. 72 ff. BGG
in Betracht kommt (
BGE 133 III 439
E. 2.1 S. 441 f. mit Hinweis).
1.2
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Endentscheid (
Art. 90 BGG
), welcher durch Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich anfechtbar ist. Bei der vorliegenden Streitsache, mit welcher Taggeldleistungen verlangt werden, handelt es sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Demnach ist die Beschwerde in Zivilsachen u.a. zulässig, sofern der Streitwert mindestens Fr. 30'000.- beträgt (
Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG
) oder ein Bundesgesetz eine einzige kantonale Instanz vorsieht (
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
). Ferner bedingt das Eintreten auf die Rechtsvorkehr das Vorliegen des Entscheids einer als Rechtsmittelinstanz eingesetzten letzten kantonalen Instanz
BGE 138 III 2 S. 4
im Sinne von Art. 75 Abs. 1 und 2 (Satz 1 und 2 Teilsatz 1) BGG bzw. einer vom Bundesgesetz vorgesehenen einzigen kantonalen Instanz gemäss Art. 75 Abs. 1 und 2 (Satz 1 und 2 Teilsatz 2) lit. a BGG.
1.2.1
Unbestrittenermassen liegt der massgebliche Streitwert in casu unter Fr. 30'000.-. Fraglich ist indes, ob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den angefochtenen Entscheid als einzige kantonale Instanz im Sinne von
Art. 74 Abs. 2 lit. b und
Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG
gefällt hat.
1.2.2
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich entscheidet in Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach KVG gemäss kantonalem Recht als einzige kantonale Instanz (Art. 76 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 2005 [KV/ZH; SR 131.211] sowie § 2 Abs. 2 lit. b des Gesetzes vom 7. März 1993 über das Sozialversicherungsgericht [GSVGer; LS 212.81]). Es nimmt zwar von seiner Einbettung in die zürcherische Gerichtsorganisation her die Stellung eines oberen kantonalen Gerichts ein (
Art. 74 Abs. 2 KV/ZH
), fungiert aber im vorliegenden Fall nicht als Rechtsmittelinstanz im Sinne von Art. 75 Abs. 2 Satz 1 und 2 Teilsatz 1 BGG (
BGE 133 III 439
E. 2.2.2.2 S. 442 ff.; Urteil des Bundesgerichts 4A_572/2010 vom 20. Dezember 2010 E. 1; vgl. auch ROLF KUHN, Krankentaggeldversicherung nach VVG: Verfassungswidrige Verkürzung des Rechtsmittelzuges im Kanton Zürich-, Jusletter vom 25. Juni 2007 Rz. 17).
Dieser Umstand steht einem Eintreten auf das Rechtsmittel aus folgendem Grund jedoch nicht entgegen: Nach Art. 7 der auf 1. Januar 2011 in Kraft getretenen schweizerischen Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO; SR 272) können die Kantone für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach KVG ein Gericht bezeichnen, welches als einzige kantonale Instanz zuständig ist. Gleichzeitig wurde Art. 75 Abs. 2 lit. a (sowie Art. 74 Abs. 2 lit. b) BGG dahingehend geändert, dass als Ausnahme vom doppelten Instanzenzug eine einzige kantonale Instanz nicht mehr von einem Bundesgesetz vorgeschrieben sein muss, sondern dass es genügt, wenn ein Bundesgesetz eine solche vorsieht (Anhang 1 zur ZPO Ziff. II [Änderung bisherigen Rechts]; Sitzungsprotokoll der nationalrätlichen Kommission für Rechtsfragen vom 3. April 2008, S. 9 oben; Urteile des
BGE 138 III 2 S. 5
Bundesgerichts 4A_158/2011 vom 6. April 2011 E. 1.1; 4A_584/2010 vom 1. Februar 2011 E. 2.1, in: SJ 2011 I S. 262; 4A_572/2010 vom 20. Dezember 2010 E. 1; 4A_532/2009 vom 5. März 2010 E. 1).
Art. 7 ZPO
hat demnach in erster Linie die bedeutsame Änderung mit sich gebracht, dass die Kantone das bundesrechtlich in
Art. 75 Abs. 2 BGG
vorgeschriebene Prinzip der "double instance" durchbrechen dürfen. Die Bestimmung soll weiterhin eine einheitliche Zuständigkeitsordnung für Prozesse nach KVG und VVG ermöglichen respektive den Kantonen die Beibehaltung des bisherigen Systems erlauben (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7221 ff., insb. 7247 f. Ziff. 3.4.3; AB 2007 S 500 f.; AB 2008 N 644; ferner UELI SPITZ, Eidgenössische ZPO und Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung, Jusletter vom 20. Dezember 2010 Rz. 6 und 8 ff.). In der Volksabstimmung vom 26. September 2010 wurde
Art. 76 Abs. 1 KV/ZH
denn auch nicht zuletzt als Folge der in
Art. 7 ZPO
stipulierten Regelung insofern ergänzt, als das Gesetz nun in begründeten Fällen Ausnahmen vom zweistufigen Instanzenzug vorsehen kann, wenn das Bundesrecht die Beurteilung durch eine einzige Instanz zulässt (SPITZ, a.a.O., Rz. 15). In Umsetzung dieser Norm modifizierte der kantonale Gesetzgeber § 2 Abs. 2 lit. b GSVGer in dem Sinne, als das Sozialversicherungsgericht, soweit es das Bundesrecht vorschreibt oder zulässt, als einzige kantonale Gerichtsinstanz für Klagen über Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach dem KVG im Sinne von
Art. 7 ZPO
zuständig ist.
Nach dem Dargelegten hat das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich als einzige kantonale Instanz im Sinne von
Art. 7 ZPO
(in Verbindung mit
Art. 76 Abs. 1 Satz 2 KV/ZH
und § 2 Abs. 2 lit. a GSVGer) entschieden, sodass sich die Beschwerde gestützt auf
Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
trotz Unterschreitung der Streitwertgrenze nach
Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG
als zulässig erweist (so auch: PAUL OBERHAMMER, ZPO, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 4 zu
Art. 7 ZPO
; GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, 2010, N. 2 zu
Art. 7 ZPO
; nicht länger einschlägig:
BGE 133 III 439
E. 2.2.2.2 S. 442 ff.; anders für das Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 über den unlauteren Wettbewerb [UWG; SR 241] betreffende Streitigkeiten: Urteil des Bundesgerichts 4A_584/2010 vom 1. Februar 2011 E. 2.1, in: SJ 2011 I S. 262). Da es sodann als Vorinstanz nach
Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG
tätig
BGE 138 III 2 S. 6
geworden ist, kann auf die fristgerecht erhobene Beschwerde eingetreten werden. (...)
4.
4.1
Wird die Prämie zur Verfallzeit oder während der im Vertrag eingeräumten Nachfrist nicht entrichtet, so ist der Schuldner unter Androhung der Säumnisfolgen auf seine Kosten schriftlich aufzufordern, binnen 14 Tagen, von der Absendung der Mahnung an gerechnet, Zahlung zu leisten (
Art. 20 Abs. 1 VVG
). Bleibt die Mahnung ohne Erfolg, so ruht die Leistungspflicht des Versicherers vom Ablauf der Mahnfrist an (
Art. 20 Abs. 3 VVG
). Wird die rückständige Prämie nicht binnen zwei Monaten nach Ablauf der in
Art. 20 VVG
festgesetzten Frist rechtlich eingefordert, so wird angenommen, dass der Versicherer, unter Verzicht auf die Bezahlung der rückständigen Prämie, vom Vertrag zurücktritt (
Art. 21 Abs. 1 VVG
).
Das Gesetz räumt dem Versicherer somit bei Nichtbezahlung der ausstehenden Prämie durch den Versicherungsnehmer ein Wahlrecht ein: Er kann zwischen der Weiterführung des Vertrags oder - unter Verzicht auf die rückständige Prämie - dessen Beendigung entscheiden (
BGE 128 III 186
E. 2a S. 188 mit Hinweis). Wählt er die Auflösung des Vertragsverhältnisses, steht es ihm offen, diese durch eine vorzeitige Rücktrittserklärung oder durch Fristablauf herbeizuführen. Verhält der Versicherer sich während zweier Monate seit Verzugseintritt, d.h. dem Zeitpunkt des Ablaufs der 14-tägigen Mahnfrist, passiv, indem er die rückständige Prämie nicht rechtlich einfordert, so wird angenommen, dass er vom Vertrag zurücktrete (
Art. 21 Abs. 1 VVG
). Er ist indes nicht gehalten, bis zum Ablauf der zweimonatigen Frist mit der Vertragsbeendigung zuzuwarten. Vielmehr kann er bereits auf den Verzugseintritt hin mit der Rücktrittserklärung reagieren (FRANZ HASENBÖHLER, in: Basler Kommentar, Versicherungsvertragsgesetz, 2001, N. 4 ff. zu
Art. 21 VVG
; FELIX RAJOWER, Die Einforderung von Versicherungsprämien nach VVG, AJP 2002 S. 500 ff., insb. 505).
4.2
Diese Regelung des Zahlungsverzugs weicht von derjenigen des OR erheblich ab. Sie statuiert einschneidende Folgen für die versicherte Person. In Anbetracht der gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen hat die Mahnung nach
Art. 20 Abs. 1 VVG
strengen Anforderungen hinsichtlich Form und Inhalt zu genügen, um die Interessen des Schuldners in geeigneter Weise zu wahren
BGE 138 III 2 S. 7
(
BGE 128 III 186
E. 2d S. 189; ANDREA KIEFER, Prämienzahlungsverzug nach VVG, 2000, S. 56 oben mit weiteren Hinweisen und S. 60 in fine). Die schriftliche Mahnung muss die Beträge nennen, für die Zahlung verlangt wird, und ebenso die Zahlungsfrist von 14 Tagen (Urteil des Bundesgerichts 5C.97/2005 vom 15. September 2005 E. 4.3, in: SJ 2006 I S. 271). Vor allem hat sie ausdrücklich die Säumnisfolgen anzugeben, um diese in das Bewusstsein des Schuldners zu rücken. Die Androhung der Verzugsfolgen muss explizit, klar und umfassend erfolgen, wobei sämtliche Säumnisfolgen zu nennen sind, mithin nicht nur das Ruhen der Leistungspflicht des Versicherers nach
Art. 20 Abs. 3 VVG
, sondern auch das Recht des Versicherers, vom Vertrag zurückzutreten, beziehungsweise die Vermutung des Rücktritts gemäss
Art. 21 Abs. 1 VVG
(
BGE 128 III 186
E. 2 S. 187 ff.; Urteil des Bundesgerichts 4A_397/2010 vom 28. September 2010 E. 4.3). Ein blosser Hinweis auf die (dem Mahnschreiben beigefügten) Gesetzesnormen von Art. 20 f. VVG reicht dabei ebenso wenig aus wie eine Verweisung auf entsprechende Bestimmungen der Allgemeinen oder Besonderen Versicherungsbedingungen. Ungenügend ist ferner die Angabe, dass beim Versicherer zusätzliche Auskünfte über die Folgen der unterlassenen Zahlung eingeholt werden können (Urteil des Bundesgerichts 4A_397/2010 vom 28. September 2010 E. 4.3 und 4.4; HASENBÖHLER, a.a.O., N. 42 zu
Art. 20 VVG
; KIEFER, a.a.O., S. 66; RAJOWER, a.a.O., S. 504; BERNARD CORBOZ, Le contrat d'assurance dans la jurisprudence récente, SJ 2011 II S. 247 ff., insb. 258 f.; STEPHAN FUHRER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 2011, N. 9.32 S. 244; ROELLI/KELLER, Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, Bd. I, 1968, S. 344; ROLAND SCHAER, Modernes Versicherungsrecht, 2007, § 13 Rz. 71 f. und § 15 Rz. 51; ALFRED MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl. 1995, S. 293). Eine Mahnung, welche nicht auf diese Folgen hinweist, ist rechtswidrig und kann die Wirkungen, auf die zu verweisen sie unterlässt, nicht erzeugen (
BGE 128 III 186
E. 2b in fine S. 188 mit diversen Hinweisen und E. 2f S. 190; ferner Urteil des Bundesgerichts 4A_397/2010 vom 28. September 2010 E. 4.4 in fine; KIEFER, a.a.O., S. 61 oben und 66).
5.
5.1
Das Mahnschreiben der Beschwerdegegnerin vom 13. Februar 2008 enthält im Anschluss an die Bezifferung der unbeglichen gebliebenen Prämien und der Mahngebühr sowie den Hinweis, dass
BGE 138 III 2 S. 8
der ausstehende Betrag zur Aufrechterhaltung der Versicherungsdeckung vollständig bis zum 27. Februar 2008 bei ihr einzutreffen habe, nachstehenden Passus:
"Bleibt Ihre Zahlung aus, würden nach dem 27. Februar 2008 folgende Verzugsfolgen eintreten:
- Die Leistungspflicht der X. ruht, d.h. Sie haben bei einem versicherten Ereignis nach dem 27. Februar 2008 keinen Versicherungsschutz mehr.
- Die X. kann unter Verzicht auf die Prämie vom Versicherungsvertrag zurücktreten.
- Die X. kann den ausstehenden Betrag inkl. Zinsen und Kosten aber auch auf dem Betreibungsweg einfordern. Zudem fallen weitere Betreibungskosten für Sie an, welche von den Behörden erhoben werden.
- Verspätete Überweisung des uns geschuldeten Betrages genügt zur Abwendung dieser Verzugsfolgen dann nicht mehr."
Dem Schreiben können somit die Elemente der Zahlungsaufforderung, der Angabe und Aufschlüsselung des ausstehenden Betrages sowie der Fristansetzung entnommen werden. Was die Verzugsfolgen anbelangt, geht daraus für den Fall, dass der ausstehende Betrag nicht bis zum 27. Februar 2008 beglichen würde, klar die Androhung des Ruhens der Versicherungsdeckung hervor. Ebenfalls vorhanden ist sodann die Anmerkung, wonach der Versicherer unter Verzicht auf die Prämie nach Ablauf der 14-tägigen Mahnfrist, d.h. nach Inverzugsetzung, vom Vertrag zurücktreten oder den ausstehenden Betrag mittels Betreibung einfordern könne und verspätete Überweisungen die Verzugsfolgen nicht mehr zu beheben vermöchten. Demgegenüber fehlt der Hinweis auf die in
Art. 21 Abs. 1 VVG
festgehaltene Rücktrittsvermutung (bzw. -fiktion;
BGE 128 III 186
E. 2c S. 189 mit Hinweisen; HASENBÖHLER, a.a.O., N. 10 zu
Art. 21 VVG
; KIEFER, a.a.O., S. 105 f.).
5.2
Hintergrund der unwiderlegbaren Rechtsvermutung nach
Art. 21 Abs. 1 VVG
bildet das Bestreben des Gesetzgebers, zu verhindern, dass der Versicherer während längerer Zeit untätig bleibt und erst in einem späteren Zeitpunkt die rückständigen sowie mittlerweile fällig gewordenen Prämien einfordert, ohne aber für die Zwischenzeit leistungspflichtig zu werden (HASENBÖHLER, a.a.O., N. 10 zu
Art. 21 VVG
mit weiteren Hinweisen). Der Versicherungsnehmer soll rechtzeitig wissen, woran er ist, damit er gegebenenfalls anderswo Versicherungsschutz finden kann. Der Zweckgedanke liegt
BGE 138 III 2 S. 9
mit anderen Worten darin, Klarheit in Bezug auf die Weitergeltung des Vertrages zu schaffen. Die Suspension des Versicherungsschutzes bei (vorläufig) weiter bestehendem Vertragsverhältnis bewirkt einen Schwebezustand, der im Interesse des Versicherungsnehmers - gerade auch im Rahmen von Kollektivkrankentaggeldversicherungsverträgen und den dabei unmittelbar betroffenen Arbeitnehmenden als versicherten Personen (siehe im Detail FUHRER, a.a.O., N. 9.46 S. 248; KIEFER, a.a.O., S. 112) - nicht lange andauern darf (HASENBÖHLER, a.a.O., N. 2 zu
Art. 21 VVG
; KIEFER, a.a.O., S. 114 oben). Wird der Versicherungsnehmer bezüglich der Rücktrittsvermutung im Unklaren gelassen, ist für ihn ein stillschweigendes Zuwarten des Versicherers (ohne Einforderung der ausstehenden Prämien und ohne Erklärung des Rücktritts unmittelbar nach Ablauf der 14-tägigen Mahnfrist) nicht ohne Weiteres einzuordnen. Diese Rechtsunsicherheit gilt es mit einem entsprechenden klaren Hinweis im Mahnschreiben zu verhindern. Im vorliegenden Fall wurde das Vertragsverhältnis denn auch erst mit Annullationsschreiben vom 3. Juni 2008 - und damit mehr als drei Monate nach Inverzugsetzung - für rückwirkend beendet erklärt.
5.2.1
Das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 13. Februar 2008 genügt folglich den Anforderungen an eine rechtswirksame Mahnung nach Art. 20 f. VVG, insbesondere
Art. 21 Abs. 1 VVG
, nicht und ist, entgegen der Rechtsauffassung des kantonalen Gerichts, als unvollständig zu bezeichnen. Konnten sich die gesetzlich vorgesehenen Säumnisfolgen damit nicht entfalten, ist mithin weder von einem Ruhen der Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin gemäss
Art. 20 Abs. 3 VVG
auszugehen, noch gilt die Annahme eines Vertragsrücktritts laut
Art. 21 Abs. 1 VVG
.
5.2.2
An diesem Ergebnis vermag der Hinweis der Beschwerdegegnerin auf die "gesamten Umstände rund um die Mahnung bzw. Vertragsaufhebung", welche ebenfalls zu berücksichtigen und näher abzuklären seien, nichts zu ändern, haben sich die Verzugsfolgen gemäss Art. 20 f. VVG doch unmittelbar aus dem Mahnschreiben selber zu ergeben. Einer Befragung des ehemaligen Geschäftsführers der Y. GmbH zu diesem Punkt, wie seitens der Beschwerdegegnerin beantragt, bedarf es demnach nicht. Ebenso wenig spielt bei der Beurteilung der Rechtsgültigkeit des Mahnschreibens der Grund für die Prämienausstände eine entscheidwesentliche Rolle. Selbst wenn die ehemalige Arbeitgeberin des Beschwerdeführers aus wirtschaftlichen Motiven auf die Zahlung der Prämien bewusst verzichtet hätte, würde dieser Umstand den Versicherer nicht von
BGE 138 III 2 S. 10
seiner Pflicht entbinden, das Mahnverfahren gemäss Art. 20 f. VVG im vorstehend beschriebenen Sinne durchzuführen. Für die Behauptung der Beschwerdegegnerin, die Y. GmbH sei bereits im Januar 2008 von der Sistierung der Versicherungsdeckung ausgegangen, bestehen ferner vor dem Hintergrund, dass die Leistungspflicht bei rechtswirksam erfolgter Mahnung vom 13. Februar 2008 erst ab Ende Februar 2008 geruht hätte, keine Anhaltspunkte, zumal die Beschwerdegegnerin auch diesfalls eine ordentliche Mahnung hätte vornehmen müssen. Schliesslich kann die Beschwerdegegnerin aus dem Argument, dass die in
Art. 21 Abs. 1 VVG
verankerte Rechtsfolge ohnehin von der späteren Vorgehensweise des Versicherers (Eintreiben der Prämien oder nicht), nicht aber vom Verhalten des Versicherungsnehmers (mehr) abhänge, ebenfalls nichts zu Gunsten ihres Standpunktes ableiten. Das Bundesgericht hat mit
BGE 128 III 186
(letztmals bestätigt durch Urteil 4A_397/2010 vom 28. September 2010) klar deklariert, dass das Mahnschreiben alle Säumnisfolgen zu nennen hat, d.h. nicht nur das - durch den Versicherungsnehmer mittels Begleichung der ausstehenden Prämien samt Kosten innert 14-tägiger Frist noch abwendbare - Ruhen der Leistungspflicht des Versicherers nach
Art. 20 Abs. 1 VVG
, sondern auch das Recht des Versicherers, vom Vertrag zurückzutreten, beziehungsweise die Vermutung des Rücktritts gemäss
Art. 21 Abs. 1 VVG
. Überdies tritt, sofern die rückständige Prämie (samt Zinsen und Kosten) nachträglich innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf der 14-tägigen Mahnfrist beglichen und vom Versicherer angenommen wird, der suspendierte Vertrag gemäss
Art. 21 Abs. 2 VVG
ohne Weiteres wieder (ex nunc) in Kraft (ROELLI/KELLER, a.a.O., S. 362; HASENBÖHLER, a.a.O., N. 25 zu
Art. 21 VVG
). Der Versicherungsnehmer ist mithin auch nach Beendigung der Frist nach
Art. 20 Abs. 1 VVG
noch in der Lage, das Schicksal des Vertragsverhältnisses durch eigene Handlungen zu beeinflussen. Um diese (rechtzeitig) vornehmen zu können, ist indes eine vorgängige Aufklärung bezüglich der nach zwei Monaten eintretenden Rücktrittsfiktion erforderlich. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4adbc999-588f-42be-96c3-4871db076f71 | Urteilskopf
125 III 86
16. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Dezember 1998 i.S. O.S. gegen B. (Berufung) | Regeste
Haftung des Verwaltungsrates einer Aktiengesellschaft für unmittelbaren Gläubigerschaden (Art. 754 aOR).
Abgrenzung von mittelbarem und unmittelbarem Gläubigerschaden (E. 3a).
Die blosse Unterzeichnung eines Anlagevertrages durch das Organ der mit der Kapitalanlage betrauten, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits überschuldeten Aktiengesellschaft, begründet noch keinen unmittelbaren Gläubigerschaden. Ein solcher liegt nur vor, wenn aktienrechtliche Bestimmungen zum ausschliesslichen Gläubigerschutz verletzt werden, oder ein Tatbestand der culpa in contrahendo vorliegt (E. 3b/3c). | Sachverhalt
ab Seite 87
BGE 125 III 86 S. 87
Im September 1984 wurde die Y. AG mit einem Aktienkapital von Fr. 50'000.-- gegründet. Zweck der Gesellschaft bildete die Durchführung von Finanzierungen und Beteiligungen an Finanzgeschäften jeglicher Art. Einziger Verwaltungsrat der Gesellschaft war Rechtsanwalt B. (Beklagter), an dessen Büroadresse die Y. AG Domizil hatte. Am 2. März 1990 bewilligte das Amtsgericht München die Eintragung einer Zweigniederlassung der Y. in das deutsche Handelsregister, für deren Geschäftsbetrieb C. und D. mit Einzelprokura verantwortlich zeichneten. Die Genannten waren daneben noch Geschäftsführer und Gesellschafter der Z. GmbH, einer Gesellschaft für Vermittlung von Kapitalanlagen mit Sitz in München.
Am 1. November 1989 schlossen die Eheleute O.S. (Kläger) und B.S. mit der Y. AG einen Anlagevertrag über $ 50'000.--. Darin wurde dem Anleger garantiert, dass die Kapitaleinlage ('«Einschuss'«) nicht angegriffen werde und mit 3,75% pro Quartal rentiere. Eine erste Zahlung von DM 46'775.- hatten die Eheleute S. bereits am 1. August 1989 zu Handen der Z. GmbH überwiesen; die restlichen DM 46'000.-- zahlten sie am 2. November 1989 ein. In der Folge erhielten sie lediglich zweimal Zinsen in Höhe von insgesamt $ 3'125 ausbezahlt, weshalb sie in der Folge gegen C. und D. Strafanzeige einreichten. Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom 10. Dezember 1990 seinen sofortigen Rücktritt als Verwaltungsrat der Y. AG.
BGE 125 III 86 S. 88
Nach Abtretung der Ansprüche seiner Ehefrau belangte der Kläger den Beklagten am 1. Juni 1994 auf Zahlung von Fr. 74'000.-- nebst Zins. Mit Urteil vom 2. Mai bzw. 5. September 1997 wies das Obergericht des Kantons Glarus die Klage in zweiter Instanz ab. Während des Appellationsverfahrens wurde über die Y. AG der Konkurs eröffnet, welcher dann mangels Aktiven wieder eingestellt wurde.
Das Bundesgericht weist die Berufung des Klägers ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Kläger begründet sein Rechtsbegehren mit unmittelbarem Gläubigerschaden, welchen er erlitten haben will. Das Obergericht verneinte eine Ersatzpflicht des Beklagten, weil aus dessen Pflichtverletzungen nur mittelbarer und kein unmittelbarer Gläubigerschaden resultiere. Diese Auffassung rügt der Kläger in seiner Berufung als bundesrechtswidrig.
a) Massgebliches Kriterium für die Abgrenzung von unmittelbarem und mittelbarem Gläubigerschaden bildet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die Rechtsgrundlage der jeweiligen Schadenersatzpflicht, mithin die Art der Pflichtverletzung, die dem ins Recht gefassten Organ vorgeworfen wird, und die Interessen, deren Schutz die missachtete Vorschrift dient (
BGE 122 III 176
f.). Ein unmittelbarer Gläubigerschaden liegt danach vor, wenn das Verhalten eines Gesellschaftsorgans gegen aktienrechtliche Bestimmungen verstösst, die ausschliesslich dem Gläubigerschutz dienen, oder die Schadenersatzpflicht auf einem anderen widerrechtlichen Verhalten des Organs i.S. von
Art. 41 OR
oder einem Tatbestand der culpa in contrahendo gründet. Werden Bestimmungen verletzt, welche sowohl den Interessen der Gesellschaft wie auch dem Schutz der Gläubiger dienen, liegt ein mittelbarer Schaden vor, welcher ausserhalb des Konkurses durch die Gesellschaft, nach Konkurseröffnung jedoch durch die Gläubigergesamtheit, allenfalls durch den an ihrer Stelle klagenden Gläubiger im Sinne von Art. 756 Abs. 2 aOR geltend zu machen ist (
BGE 122 III 176
E. 7 S. 189 f.; kritisch: PETER V. KUNZ, in: AJP/PJA 11/98 S. 1267 f., 1273 und 1274; ROLF WATTER in: AJP/PJA 12/96 S. 1573 ff. und 1581 f.). An dieser Abgrenzung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Gläubigerschaden ist festzuhalten, auch wenn sie in der Literatur teilweise auf Kritik gestossen ist.
BGE 125 III 86 S. 89
b) Der Kläger qualifiziert den zum Ersatz verstellten Schaden als unmittelbar, da die Gesellschaft nach den Feststellungen des Obergerichts bereits Ende 1987 überschuldet gewesen und es somit bei pflichtgemässem Verhalten des Beklagten nicht mehr zum Abschluss des Anlagevertrages am 1. November 1989 gekommen wäre.
Die Ersatzpflicht eines fehlbaren Organs für einen unmittelbaren Gläubigerschaden setzt die Widerrechtlichkeit der Schadenszufügung voraus. Der Geschädigte muss die Verletzung einer Schutznorm nachweisen, welche nach ihrem Zweck vor (reinen) Vermögensschäden schützen soll (
BGE 119 II 127
E. 3). Das Bundesgericht hat in
BGE 122 III 176
E. 7c hervorgehoben, dass die Verletzung von aktienrechtlichen Bestimmungen, welche - wie Art. 725 Abs. 3 aOR - nicht nur im Interesse der Gesellschaftsgläubiger, sondern auch in demjenigen der Gesellschaft selbst aufgestellt worden sind, zur Begründung der Widerrechtlichkeit nicht ausreicht. Vielmehr muss sich der geschädigte Gläubiger im Verhältnis zum fehlbaren Organ etwa auf die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten berufen können oder einen anderen Tatbestand der culpa in contrahendo nachweisen. Das Obergericht hat deshalb zutreffend festgehalten, dass der Kläger aus der Verletzung von Art. 725 aOR, einer Bestimmung mit doppelter Schutzfunktion, keinen unmittelbaren Schadenersatzanspruch gegenüber dem Beklagten ableiten kann.
c) Der Kläger macht geltend, der Beklagte habe als Organ der Gesellschaft am 1. November 1989 im Wissen um ihre Überschuldung mit ihm kontrahiert. Das Verheimlichen des schlechten Vermögensstandes der Gesellschaft begründe eine unmittelbare Haftung des Beklagten.
Der Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet die Parteien bei Aufnahme von Vertragsverhandlungen zur gegenseitigen richtigen Aufklärung mit Bezug auf erhebliche Tatsachen, welche die Gegenpartei nicht kennt und nicht zu kennen verpflichtet ist, die aber ihren Entscheid über den Vertragsabschluss oder dessen Bedingungen beeinflussen können (
BGE 121 III 350
E. 6c;
BGE 108 II 305
E. 2d;
BGE 105 II 75
E. 2a;
BGE 102 II 81
E. 2; BREHM, Berner Kommentar, 2. Aufl., N. 45 zu
Art. 41 OR
). Insbesondere bei vorbestehendem oder vom Vertrag vorausgesetztem Vertrauensverhältnis kann eine - unaufgeforderte - Aufklärung über Tatsachen, welche für den Vertragsabschluss bedeutsam erscheinen, zumutbar sein. Unzumutbar ist demgegenüber in aller Regel die spontane Aufklärung über die eigene Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit (GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Schweiz. Obligationenrecht, Allg. Teil, 7. Aufl., Zürich 1998,
BGE 125 III 86 S. 90
Rz. 863 mit Hinweisen; VON TUHR/PETER, Schweiz. Obligationenrecht, Band I, Zürich 1979, S. 322; ANDRÉ WAHRENBERGER, Vorvertragliche Aufklärungspflichten im Schuldrecht, Diss. Zürich 1992, S. 81 f.). Deutsche Lehre und Rechtsprechung bejahen grundsätzlich eine Offenbarungspflicht des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft hinsichtlich des Bestehens einer Überschuldung (SOERGEL/HUBER, Kommentar BGB, 12. Aufl., Anh. I § 433, Rz. 136).
Voraussetzung einer Haftpflicht des ins Recht gefassten Organs bildet - auch nach den vom Kläger zitierten Entscheiden - dessen persönliches Handeln gegenüber dem betroffenen Gläubiger. Beim Anlagevertrag vom 1. November 1989 bestand das eigene Handeln des Beklagten jedoch einzig in dessen Unterzeichnung. Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts wurden ihm die Anlageverträge jeweils aus München zugesandt, worauf er diese prüfte und unterzeichnet retournierte. Im Rahmen der Vertragsausfertigung und -abwicklung kam es indes zu keinen Kontakten zwischen den Prozessparteien. Die Verhandlungen zum Abschluss des Anlagevertrages führte der Kläger einzig mit den Herren C. oder D., welche am 29. September 1989 zu Prokuristen für den Geschäftsbetrieb der Zweigniederlassung in München bestellt worden waren. Weiter ist auch erstellt, dass der Kläger eine erste (Teil-)Zahlung von DM 46'775.- am 1. August 1989, drei Monate vor Vertragsunterzeichnung, der Z. GmbH - welcher die beiden Prokuristen als Geschäftsführer vorstanden - überwies und in der Folge auch gegen die beiden Prokuristen Strafanzeige erstattete. Deren Verhalten kann dem Beklagten jedoch nicht persönlich angerechnet werden. Im Übrigen finden sich im angefochtenen Urteil keine Feststellungen, wonach sich der Kläger nach der finanziellen Situation der Gesellschaft erkundigt hätte oder ihm deren Vertreter darüber falsche Angaben gemacht hätten. Die blosse Unterzeichnung eines Vertrages durch das Organ einer überschuldeten Gesellschaft ohne vorangehenden persönlichen Kontakt in den Vertragsverhandlungen vermag dessen Haftpflicht für Gläubigerschäden noch nicht zu begründen. Weder sind damit aktienrechtliche Bestimmungen zum ausschliesslichen Gläubigerschutz verletzt, noch liegt darin ein Tatbestand der culpa in contrahendo. Das Obergericht hat deshalb bundesrechtskonform eine persönliche Haftung des Beklagten für den in Streit gesetzten Schadenersatzanspruch verneint. | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4ae0b38e-96b9-4389-9364-4bf2b91f4bc8 | Urteilskopf
138 I 162
14. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Amt für Volksschulen und Sport und Landammann des Kantons Schwyz (Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten)
2C_971/2011 vom 13. April 2012 | Regeste
Art. 8 Abs. 2, Art. 19, 62 Abs. 1-3 und
Art. 197 Ziff. 2 BV
;
Art. 20 Abs. 1-3 BehiG
; Sonderschulung von behinderten Kindern.
Im Bereich der Sonderschulung kommt den Kantonen ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu. Die bundesrechtlichen Minimalanforderungen verlangen nur ein angemessenes, erfahrungsgemäss ausreichendes Bildungsangebot an öffentlichen Schulen, nicht aber die optimale bzw. geeignetste Schulung eines Kindes (E. 3).
Es besteht ein grundsätzlicher Vorrang der integrierten gegenüber der separierten Sonderschulung. Im vorliegenden Fall durfte die Vorinstanz willkürfrei zum Schluss gelangen, dass die integrierte Sonderschulung in der Regelschule mittels der Behinderung angepassten Massnahmen (Logopädie usw.) mindestens gleichwertig ist, wie eine separierte Sonderschulung in einer externen Institution (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 163
BGE 138 I 162 S. 163
A.
X., geboren (...) 1998, wohnhaft in C., hatte infolge einer hochgradigen zentral-auditiven Wahrnehmungsstörung seit seinem ersten Schuljahr Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen. Das kantonale Amt für Schuldienste sprach X. ab 1. August 2008 nebst Logopädie eine audiopädagogische Therapie zu. Der Schulpsychologe beantragte am 13. April 2011 beim Amt für Volksschulen und Sport für X. ab dem 1. August 2011 eine interne Sonderschulung durch die Institution D. in E., vorerst für ein Jahr, da X. nicht in der Regelschule integriert werden könne. Mit Verfügung vom 18. Mai 2011 wies das Amt für Volksschulen und Sport den Antrag auf interne Sonderschulung ab und wies die Abteilung Schulpsychologie an, zusammen mit der Mittelpunktschule in C., dem audiopädagogischen Dienst Zürich, den Eltern und X. eine integrative Lösung auf der Sekundarstufe 1 mit sonderschulischen Massnahmen (audiopädagogische Beratung und Therapie) abzuklären und zu organisieren.
B.
X. erhob dagegen Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Schwyz. Dieser wies die Beschwerde am 11. Juli 2011 ab und ordnete an, dass X. ab August 2011 die Sek 1 in C. zu besuchen habe. Er auferlegte X. bzw. seinen Eltern die Verfahrenskosten von Fr. 500.-.
C.
Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Urteil vom 26. Oktober 2011 insofern teilweise gutgeheissen, als der Regierungsrat verpflichtet wurde, die Verfahrenskosten von Fr. 500.- zurückzuerstatten. Im Übrigen wurde die Beschwerde aber im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
D.
X., vertreten durch seine Eltern X.A. und X.B., lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben mit dem
BGE 138 I 162 S. 164
Antrag, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben, soweit er nicht die Kostenrückerstattung betreffe, und es sei anzuordnen, dass er in eine interne Sonderschulung in der Institution D. zuzuweisen sei. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Für das Schulwesen sind die Kantone zuständig (
Art. 62 Abs. 1 BV
). Sie müssen aber einen ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht gewähren (
Art. 19 und 62 Abs. 2 BV
). Der Unterricht muss für den Einzelnen angemessen und geeignet sein und genügen, um die Schüler angemessen auf ein selbstverantwortliches Leben im modernen Alltag vorzubereiten (
BGE 133 I 156
E. 3.1 S. 158 f.;
BGE 129 I 35
E. 7.3 S. 38 f.). Behinderte haben schon aufgrund von
Art. 19 BV
einen Anspruch auf geeignete Sonderschulung (
BGE 130 I 352
E. 3.3 S. 354). Mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs wurde zudem ein neuer Abs. 3 von
Art. 62 BV
aufgenommen (in der Fassung vom 24. November 2004, in Kraft seit 1. Januar 2008; AS 2007 5765), wonach die Kantone namentlich für eine ausreichende Sonderschulung aller behinderten Kinder und Jugendlichen bis längstens zum vollendeten 20. Altersjahr sorgen. Diese Bestimmung steht im Zusammenhang damit, dass die Sonderschulung bis Ende 2007 wesentlich in der Verantwortung der eidgenössischen Invalidenversicherung lag (aArt. 19 IVG, aufgehoben per Ende 2007 [AS 2007 5808]; STÉPHANIE EMERY, Les mesures de formation scolaire spéciale des mineurs, en particulier sous l'angle de la loi fédérale du 6 octobre 2006 sur la réforme de la péréquation financière et de la répartition des tâches entre la Confédération et les cantons [RPT], in: La 5
e
révision de l'AI, Kahil-Wolff/Simonin [Hrsg.], 2009, S. 225 ff., 226 ff.), mit der Neuregelung des Finanzausgleichs jedoch den Kantonen übertragen wurde (vgl. Botschaft vom 14. November 2001 zur Neugestaltung des Finanzausgleichs [...], BBl 2002 2291 ff., 2467; Urteile 2C_913/2008 und 2C_105/2009 vom 18. September 2009, je E. 1.1, in: RtiD 2010 I S. 83, 176; PETER UEBERSAX, Der Anspruch Behinderter auf ausreichende Grund- und Sonderschulung, in: Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, Gabriela Riemer-Kafka [Hrsg.], 2011, S. 17 ff., 26 f.; EMERY, a.a.O., S. 241 ff.). Gemäss
Art. 197 Ziff. 2 BV
übernehmen die
BGE 138 I 162 S. 165
Kantone die bisherigen Leistungen der Invalidenversicherung an die Sonderschulung, bis sie über kantonal genehmigte Sonderschulkonzepte verfügen, mindestens jedoch während dreier Jahre, d.h. bis Ende 2010. Bis zu diesem Zeitpunkt sind somit noch die früheren Kriterien der Invalidenversicherung massgebend (vgl. Urteil 2C_105/2009 vom 18. September 2009 E. 6.1 und E. 6.2, in: RtiD 2010 I S. 83). Gemäss Art. 20 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG; SR 151.3) sorgen sodann die Kantone dafür, dass behinderte Kinder und Jugendliche eine Grundschulung erhalten, die ihren besonderen Bedürfnissen angepasst ist (
Art. 20 Abs. 1 BehiG
). Sie fördern, soweit dies möglich ist und dem Wohl des behinderten Kindes oder Jugendlichen dient, mit entsprechenden Schulungsformen die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in die Regelschule (
Art. 20 Abs. 2 BehiG
). Insbesondere sorgen sie dafür, dass wahrnehmungs- oder artikulationsbehinderte Kinder und Jugendliche und ihnen besonders nahestehende Personen eine auf die Behinderung abgestimmte Kommunikationstechnik erlernen können (
Art. 20 Abs. 3 BehiG
). Diese Bestimmung konkretisiert die Grundsätze von
Art. 19 und
Art. 62 Abs. 3 BV
, geht aber kaum über sie hinaus (SCHEFER/HESS-KLEIN, Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung bei Dienstleistungen, in der Bildung und in Arbeitsverhältnissen, Jusletter vom 19. September 2011, Rz. 35 f.; KURT GIEZENDANNER, Sonderschulung nach dem Inkrafttreten des "Neuen Finanzausgleichs", Jusletter vom 17. September 2007, Rz. 20).
3.2
Im Rahmen dieser Grundsätze haben die Kantone einen erheblichen Gestaltungsspielraum (
BGE 133 I 156
E. 3.1 S. 158 f.;
BGE 130 I 352
E. 3.2 S. 354). Das gilt auch für die Sonderschulung. Der verfassungsrechtliche Anspruch umfasst nur ein angemessenes, erfahrungsgemäss ausreichendes Bildungsangebot an öffentlichen Schulen. Ein darüber hinausgehendes Mass an individueller Betreuung, das theoretisch immer möglich wäre, kann mit Rücksicht auf das staatliche Leistungsvermögen nicht gefordert werden (
BGE 130 I 352
E. 3.3 S. 354 f.;
BGE 129 I 12
E. 6.4 S. 20). Der verfassungsmässige Anspruch auf unentgeltlichen Grundschulunterricht ist nicht gleichbedeutend mit dem Anspruch auf die optimale bzw. geeignetste Schulung eines Kindes (Urteile 2C_446/2010 vom 16. September 2010 E. 5.2; 2P.216/2002 vom 5. Februar 2003 E. 5.4, in: ZBl 108/2007 S. 162; GIEZENDANNER, a.a.O., Rz. 41).
BGE 138 I 162 S. 166
3.3
Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, dass die Ausgestaltung der Sonderschulung für behinderte Kinder grundsätzlich Sache des kantonalen Rechts ist, dessen Auslegung und Anwendung vom Bundesgericht nur auf Willkür hin überprüft wird (vgl. nicht publ. E. 2). Die dargelegten bundesrechtlichen Mindestgrundsätze müssen jedoch eingehalten werden, was das Bundesgericht frei prüft (vgl. Urteile 2P.101/2004 vom 14. Oktober 2004 E. 3.2 und E. 3.3, in: ZBl 106/2005 S. 430; 2P.216/2002 vom 5. Februar 2003 E. 4.4, in: ZBl 108/2007 S. 162).
4.
4.1
Die Vorinstanz hat erwogen, es bestehe im Kanton Schwyz ein kantonales Sonderschulkonzept im Sinne von
Art. 197 Ziff. 2 BV
. Aufgrund dieses Konzepts und der massgebenden kantonalen Rechtsgrundlagen sollen sonderschulbedürftige Kinder nach Möglichkeit in das kommunale Volksschulangebot integriert werden. Integrative Lösungen seien wenn möglich separativen Lösungen vorzuziehen, solange sie mindestens gleichwertig seien. Sie hat sodann die vorhandenen Berichte und Akten gewürdigt und gefolgert, der Beschwerdeführer habe bisher, wenn auch mit grossem Aufwand, dem Unterricht in der Regelschule folgen können und gute Leistungen erzielt (Notendurchschnitt 5 in den Promotionsfächern im Schuljahr 2010/2011). Unter Berücksichtigung der vorgesehenen flankierenden Massnahmen könne die integrierte Schulung als einer separierten Schulung mindestens gleichwertig betrachtet werden. Daran könnten auch die vom Schulpsychologen den Sonderschulen zugeschriebenen Vorteile nichts ändern; es handle sich dabei im Wesentlichen um Aspekte, die einen individualisierten Unterricht charakterisierten, wie er auf jeder Schulstufe und für jeden Schüler wünschenswert wäre und einer optimierten Schulung gleichkäme. Als Messlatte für die Beurteilung der Gleichwertigkeit der integrierten Schulung dürfe jedoch nicht auf die bestmögliche Lösung abgestellt werden. Das ergebe sich einerseits aus dem Grundsatz von
Art. 62 Abs. 3 BV
, wonach kein Anspruch auf eine optimale, sondern nur auf eine angemessene Schulung bestehe und eine Sonderschullösung nur subsidiär zu ergreifen sei, und andererseits auch aus dem Gleichbehandlungsgebot. Es könne auch davon ausgegangen werden, dass die integrierte Schulung kostengünstiger sei als eine dem Beschwerdeführer angemessene separierte Schulung.
4.2
Der Beschwerdeführer beanstandet mit Recht nicht, dass die Vorinstanz von einem grundsätzlichen Vorrang der integrierten
BGE 138 I 162 S. 167
Sonderschulung gegenüber der separierten ausgegangen ist. Eine gewisse Präferenz für die integrierte Schulung ergibt sich nicht nur aus dem kantonalen Recht, sondern auch aus
Art. 8 Abs. 2 BV
und
Art. 20 Abs. 2 BehiG
(MARGRITH BIGLER-EGGENBERGER, Das behinderte Kind und das schweizerische Verfassungsrecht, in: Das behinderte Kind im schweizerischen Recht, Sprecher/Sutter [Hrsg.], 2006, S. 55 ff., 68; HARDY LANDOLT, Das behinderte Kind im Schul- und Ausbildungsrecht, a.a.O., S. 175 ff., 197 f.; EHRENZELLER/SCHOTT, in: Die schweizerische Bundesverfassung, BV, Kommentar, Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 36 zu
Art. 62 BV
; SCHEFER/HESS-KLEIN, a.a.O., Rz. 51; ANDREA AESCHLIMANN-ZIEGLER, Der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung, 2011, S. 223 f.; UEBERSAX, a.a.O., S. 42; BERNHARD WALDMANN, Das Diskriminierungsverbot von
Art. 8 Abs. 2 BV
als besonderer Gleichheitssatz, 2003, S. 740 ff.; vgl.
BGE 130 I 352
E. 6 S. 356 ff.). Ebenso lag dieser Grundsatz auch der Botschaft zur Neugestaltung des Finanzausgleichs zugrunde, wonach die Kantone verfassungsrechtlich die Möglichkeit erhalten, das Schulwesen integrativ anzugehen, d.h. eigentliche Spezialschulen nur dann vorzusehen, wenn auch bei Vornahme individueller Sondermassnahmen eine Integration in der Grundschule nicht möglich oder sinnvoll erscheint (BBl 2002 2467). Der Vorrang der integrierten gegenüber der separierten Sonderschulung entspricht sodann einem Grundgedanken des Behindertengleichstellungsgesetzes: In
Art. 1 Abs. 2 BehiG
wird als Gesetzeszweck u.a. genannt, es Menschen mit Behinderungen zu erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und insbesondere selbstständig soziale Kontakte zu pflegen, sich aus- und fortzubilden und eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Diesem Ziel trägt eine durch angemessene Fördermassnahmen begleitete Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen in die Regelschule Rechnung, zumal hierdurch der Kontakt zu nichtbehinderten Gleichaltrigen erleichtert wird, was einer gesellschaftlichen Eingliederung zuträglich ist.
4.3
Hingegen rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe sich über die einhelligen Empfehlungen der zuständigen Fachpersonen hinweggesetzt, welche alle zum Ergebnis kämen, dass einzig die separierte Sonderschulung zur Anwendung kommen könne. Der Schluss der Vorinstanz, die integrierte Schulung könne als gleichwertig mit der separierten bezeichnet werden, sei aktenwidrig, willkürlich und
BGE 138 I 162 S. 168
fachlich nicht abgestützt. Er verstosse auch gegen Art. 12 Abs. 1 der kantonalen Vollzugsverordnung vom 14. Juni 2006 zur Verordnung über die Volksschule (VVzVSV/SZ; SRSZ 611.211). Könne nur eine Sonderschulung dem Kindeswohl gerecht werden, könnten sich die Behörden auch nicht aus finanziellen Gründen für eine andere Lösung entscheiden.
4.4
Die Rüge, Art. 12 VVzVSV/SZ sei verletzt, ist offensichtlich unbegründet, soweit sie überhaupt rechtsgenüglich erhoben worden ist (vgl. nicht publ. E. 2): Der blosse Umstand, dass die zuständige Behörde anders entscheidet, als dies die Abteilung Schulpsychologie beantragt hat, begründet jedenfalls keine willkürliche Anwendung dieser Norm.
4.5
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, es komme
einzig
die separierte Sonderschulung in Betracht, vermag er keine willkürliche Sachverhaltswürdigung durch die Vorinstanz darzulegen. Diese hat sich sorgfältig und eingehend mit den bei den Akten liegenden Stellungnahmen und Berichten auseinandergesetzt und ist willkürfrei zum Ergebnis gekommen, dass die integrierte Schulung noch möglich ist. Unbestritten hat der Beschwerdeführer im Schuljahr 2010/2011 gute Noten erzielt, wenn auch unter Dispensation vom Französischunterricht und unter grossem Aufwand. Es gibt viele Schulkinder, die einen grossen Aufwand betreiben müssen, um dem Unterricht zu folgen oder gute Noten zu erzielen. Das führt für sich allein nicht zum Schluss, dass der Unterricht unmöglich oder unzumutbar wäre. Sodann führen die Stellungnahmen der Schulbehörden teilweise auch Aspekte an, die eher organisatorischer Natur sind und nach den willkürfreien Annahmen der Vorinstanz zu bewältigen sind. Wie auch die Vorinstanz erkannt hat, bestehen zwar Zweifel, ob der Beschwerdeführer auch im folgenden Schuljahr dem Unterricht in der Regelklasse noch folgen kann. Es ist aber auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Fachinstanzen nicht offensichtlich unrichtig, wenn die Vorinstanz diese Frage für das hier allein zur Diskussion stehende erste Semester des Schuljahres 2011/2012 (vgl. nicht publ. E. 1.2.2) bejaht hat.
4.6
Zu prüfen bleibt, ob der vorinstanzliche Schluss willkürlich ist, wonach die integrierte Schulung als
mindestens gleichwertig
mit der separierten betrachtet werden könne.
4.6.1
Die Vorinstanz hat nicht verkannt, dass die Fachleute wie auch die lokalen Schulbehörden die separierte Schulung als besser
BGE 138 I 162 S. 169
geeignet und für den Beschwerdeführer vorteilhaft beurteilen. Ausschlaggebend für ihr Ergebnis war jedoch die Überlegung, die Messlatte für die Beurteilung der Gleichwertigkeit der integrierten im Vergleich zur separierten Schulung sei nicht die bestmögliche Lösung; für jeden Schüler wäre ein individualisierter Unterricht wünschenswert, doch bestehe nur Anspruch auf eine angemessene Schulung.
4.6.2
Wie in anderen Bereichen staatlicher Leistung (vgl. für die Krankenversicherung
BGE 137 V 295
E. 6 S. 302 ff.;
BGE 136 V 395
E. 7.4-7.6 S. 407 ff.; für die Invalidenversicherung
BGE 134 I 105
E. 3 und E. 6 S. 107 f,
BGE 134 I 109
f. mit Hinweisen; für die Ergänzungsleistungen
BGE 131 V 263
E. 5.2.1 S. 267) kann auch im Schulwesen das staatliche Leistungsangebot nicht ohne Rücksicht auf Kostenüberlegungen ausgestaltet werden (
BGE 130 I 352
E. 3.3 S. 354 f.;
BGE 129 I 12
E. 6.4 S. 20). Mit Rücksicht auf das begrenzte staatliche Leistungsvermögen haben sowohl behinderte als auch nichtbehinderte Kinder Anspruch auf ausreichenden, aber nicht auf idealen oder optimalen Unterricht (
Art. 19, 62 Abs. 2 und 3 BV
; vgl. E. 3.2 hiervor). Jedes Kind ist auf seine Weise einzigartig. Ein standardisierter Unterricht im Klassenverband kann nie jedem einzelnen Kind in idealer Weise gerecht werden. Um dies zu erreichen, wäre eine weitgehende Individualisierung des Unterrichts erforderlich, was aber erhebliche Kosten zur Folge hätte. Dabei stellt sich aus Rechtsgleichheitsgründen die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit. Da staatliche Mittel nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, ist eine möglichst rechtsgleiche Verteilung anzustreben; mit der Rechtsgleichheit wäre es nicht vereinbar, ohne sachlichen Grund den einen wesentlich mehr Leistungen zu erbringen als anderen (
BGE 136 V 395
E. 7.7 S. 413 mit Hinweisen). Es ist zwar gerechtfertigt bzw. geboten, für behinderte Kinder einen höheren Schulungsaufwand zu betreiben als für nichtbehinderte, um die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen und eine elementare Chancengleichheit herzustellen (vgl.
BGE 134 I 105
E. 5 S. 108;
BGE 130 I 352
E. 3.2 S. 354;
BGE 130 V 441
E. 6.2 S. 443 f.;
BGE 129 I 35
E. 7.3 S. 39; Urteil 2C_864/2010 vom 24. März 2011 E. 4.4; AESCHLIMANN-ZIEGLER, a.a.O., S. 192; GIEZENDANNER, a.a.O., Rz. 41). Indes wäre es rechtsungleich, den Behinderten mehr als das für sie Erforderliche zu gewähren, wenn die Nichtbehinderten bloss das für sie Erforderliche erhalten (AESCHLIMANN-ZIEGLER, a.a.O., S. 177). Behinderten Kindern muss nicht ungeachtet von Kostenüberlegungen ein individuell optimiertes Schulangebot zur Verfügung gestellt werden, wenn gleichzeitig für
BGE 138 I 162 S. 170
nichtbehinderte Kinder bloss ein standardisiertes, nicht individuell optimiertes Angebot zur Verfügung gestellt wird. Diesen Grundsätzen entspricht die vorinstanzliche Überlegung, als Messlatte für die Beurteilung der Gleichwertigkeit der integrierten Schulung nicht auf die bestmögliche, sondern auf die angemessene Schulung abzustellen. Im Übrigen ist nochmals zu betonen, dass der integrierte Unterricht für behinderte Kinder und Jugendliche nicht nur negative Aspekte aufweist, sondern in Einklang mit der Zielsetzung von
Art. 1 Abs. 2 BehiG
ihre Integration in die Gesellschaft zu fördern vermag (vgl. E. 4.2 in fine).
4.6.3
Der Beschwerdeführer hat besondere, seiner Behinderung angepasste Leistungen (Logopädie, audiopädagogische Therapie) erhalten, die ihm nach der willkürfreien Feststellung der Vorinstanz bisher ermöglicht haben, dem Unterricht in der Regelschule zwar nicht in optimaler, aber in ausreichender Weise zu folgen (vgl. E. 4.5 hiervor). Er ist damit in Berücksichtigung seiner Behinderung rechtsgleich behandelt worden wie nichtbehinderte Kinder. Die Vorinstanz hat weder das kantonale Recht willkürlich angewendet noch den bundesrechtlichen Mindestanspruch des Beschwerdeführers verletzt. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4ae2306d-27b8-47bc-a23c-b25bd281eb03 | Urteilskopf
94 II 211
35. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. August 1968 i.S. Billari gegen EMB, Elektromotorenbau AG. | Regeste
Nichtigkeitsbeschwerde,
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
.
Art. 29 Abs. 5 des Fabrikgesetzes bezieht sich nur auf die eigentlichen Verfahrenskosten und wird daher durch die Zusprechung einer Parteientschädigung an die Gegenpartei aufgrund des kantonalen Prozessrechts nicht verletzt. | Erwägungen
ab Seite 211
BGE 94 II 211 S. 211
4.
Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, dass ihm im angefochtenen Entscheid die Bezahlung einer Parteientschädigung
BGE 94 II 211 S. 212
von Fr. 200.-- an die Beschwerdegegnerin auferlegt worden ist. Er hält dies für unzulässig, weil Art. 29 Abs. 5 des Fabrikgesetzes (der auch nach Inkrafttreten des Arbeitsgesetzes vom 13. März 1964 auf industrielle Betriebe anwendbar bleibt; Art. 72 Abs. 2 lit. a Arbeitsgesetz) bestimmt: "Das Verfahren ist kostenlos". Durch den Zuspruch einer Parteientschädigung an die Beschwerdegegnerin habe das Obergericht zu Unrecht kantonales Prozessrecht anstelle des eidgenössischen Rechts angewendet und damit gleichzeitig eidgenössisches Recht verletzt.
a) Art. 29 Abs. 5 Fabrikgesetz schreibt die Kostenlosigkeit des Verfahrens vor. Bedeutet dies, dass die unterliegende Partei auch nicht zur Leistung einer Parteientschädigung an die Gegenpartei verurteilt werden dürfe, so heisst das zugleich, dass das kantonale Prozessrecht in dieser Hinsicht nicht anwendbar sei. Zu entscheiden ist somit, ob der Bundesgesetzgeber mit dieser Regelung kantonales Prozessrecht in Bezug auf Parteientschädigungen ausschalten wollte. Diese Frage ist vom Bundesgericht bisher noch nie entschieden worden. InBGE 62 II 232wurde lediglich die Auferlegung von Verfahrenskosten im eigentlichen Sinne aufgehoben.
b) Die Botschaft des Bundesrates zum Fabrikgesetz (FG) (BBl 1910 III S. 575) spricht sich über die Frage der Kosten bei Streitigkeiten aus Arbeitsverhältnissen in Fabrikbetrieben nicht aus. Das erklärt sich daraus, dass der bundesrätliche Entwurf zum FG in Art. 23 lediglich bestimmte:
"Zivilstreitigkeiten aus dem Dienstverhältnis entscheidet der zuständige Richter.
Die Kantone sorgen dafür, dass die Streitigkeiten in raschem und billigem Verfahren erledigt werden können."
Die nationalrätliche Kommission ging wesentlich weiter und schlug in einem neuen Art. 25 den Text vor:
"Zivilstreitigkeiten aus dem Dienstverhältnis entscheidet der zuständige Richter.
Die Kantone werden diejenigen Gerichtsstellen bezeichnen, die solche Streitigkeiten zu entscheiden haben.
Die Entscheidung soll auf Grund mündlichen und beschleunigten Verfahrens erfolgen. Berufsmässige Prozessvertretung ist unzulässig. sofern solche nicht durch besondere, in der Person einer Partei begründete Verhältnisse als gerechtfertigt erscheint.
BGE 94 II 211 S. 213
Der Richter hat von amtswegen die für den Entscheid erheblichen Tatsachen zu erforschen; er ist nicht an die Anträge der Parteien gebunden.
Das Verfahren soll kostenlos sein.
In Fällen von mutwilliger Prozessführung ist der Richter befugt, gegen die fehlbare Partei Bussen auszusprechen."
c) In der ersten Beratung im Nationalrat wurde der von der Kommission vorgeschlagene Text mit einer Reihe von Anträgen und Anregungen an die Kommission zurückgewiesen (StenBull NR 1913 S. 620-626). Die Kommission hielt jedoch im wesentlichen an dem von ihr vorgeschlagenen Text fest (StenBull NR 1913 S. 865). In der zweiten Beratung setzte sich der deutschsprachige Berichterstatter, NR Göttisheim, insbesondere mit dem Antrag von NR Eisenring auseinander, den ursprünglichen Text des Entwurfs wieder herzustellen, weil der von der Kommission vorgeschlagene Text einen unzulässigen Eingriff in die nach
Art. 64 BV
den Kantonen vorbehaltene Prozessrechtshoheit bedeute (StenBull NR 1913 S. 623). Gegenüber dem Antrag, die Bestimmung betreffend die grundsätzliche Unzulässigkeit berufsmässiger Prozessvertretung zu streichen, hielt die Kommission an ihrem Entwurf fest unter Hinweis auf die erhöhte Möglichkeit einer Vermittlung des Richters bei persönlichem Erscheinen der Parteien, sowie auf die Bestimmung, dass der Richter die für den Entscheid erheblichen Tatsachen von Amtes wegen zu erforschen habe und hiefür nicht an die Anträge der Parteien gebunden sei (StenBull NR 1913 S. 867 ff.).
Was unter der Kostenlosigkeit des Verfahrens zu verstehen sei, wurde nie eindeutig umschrieben. Der Berichterstatter deutscher Sprache wies darauf hin, dass den Kantonen daraus keine wesentliche Erhöhung der Justizausgaben erwachsen werde, weil in den meisten Fällen dem Arbeitnehmer ohnedies das Armenrecht gewährt werden müsste (StenBull NR 1913 S. 868). In der ersten Beratung hatte NR Schubiger die Frage aufgeworfen, ob sich die Kostenlosigkeit auch auf die Parteikosten beziehe (StenBull NR 1913 S. 625 i.f.). Er erhielt jedoch weder in der ersten noch in der zweiten Beratung eine klare Antwort. Lediglich zur Frage der Kostenlosigkeit im allgemeinen erklärte der Berichterstatter in der zweiten Beratung: "Die Kommission findet, dass die Einrichtung des Armenrechts kein würdiger Zustand ist und dass dieser Zustand sehr wohl dadurch beseitigt werden kann, dass man im Gesetz die absolute Kostenlosigkeit
BGE 94 II 211 S. 214
ausspricht, die Befreiung von Gebühren, Vorschüssen und dergl." (StenBull NR 1913 S. 868).
Bei der Beratung im Ständerat wurde über die Frage, was unter dem "Verfahren" zu verstehen sei, überhaupt nicht gesprochen (StenBull StR 1914 S. 74-83).
Aus dem Ergebnis der parlamentarischen Beratung ist zunächst der Schluss zu ziehen, dass unter den "Kosten des Verfahrens" die Kosten verstanden wurden, welche aus der Tätigkeit des Richters entstehen, also Kosten, die eine Partei nach dem kantonalen Prozessrecht ordentlicherweise dem Staat für das Tätigwerden des Gerichtes zu bezahlen hat.
d) In seinem Kommentar zum FG führt EICHHOLZER in Bezug auf die Kostenlosigkeit des Verfahrens lediglich einen Verwaltungsentscheid an, wonach die Kostenlosigkeit nicht die Befreiung vom Ersatz der dem Gericht erwachsenden Barauslagen, wie Zeugen- und Expertenentschädigungen, bedeute (VEB 1929 Nr. 102). Danach war also die Verwaltungsbehörde 15 Jahre nach dem Inkrafttreten des FG der Auffassung, nur die staatliche Tätigkeit, d.h. die Arbeit des Gerichts, sei von den Parteien nicht zu bezahlen. Wenn dem aber so ist, dann betrifft die Vorschrift der Kostenlosigkeit in
Art. 29 Abs. 5 FG
nicht die nach kantonalem Prozessrecht allenfalls zu leistende Parteientschädigung in den Fällen, in denen gemäss
Art. 29 Abs. 3 FG
ein berufsmässiger Prozessvertreter zugelassen wurde
e) Die Verfahrensregelung in
Art. 29 FG
ist zweifellos ein Eingriff in die kantonale Prozessrechtshoheit im Sinne von
Art. 64 BV
. Ein solcher Eingriff ist im Zweifel einschränkend auszulegen. Hätte der Bundesgesetzgeber für den Fall der Zulässigkeit einer berufsmässigen Vertretung dafür sorgen wollen, dass die Kosten dieser Vertretung (entgegen den Vorschriften des kantonalen Prozessrechtes) vom Staat oder unabhängig vom Ausgang des Streites von jeder Partei selbst zu tragen sind, so hätte er dies ausdrücklich sagen müssen. Liess er die berufsmässige Vertretung für bestimmte Fälle zu, ohne bezüglich der Vertretungskosten eine besondere Regelung zu treffen, so musste ihm klar sein, dass in diesem Punkte das kantonale Zivilprozessrecht anwendbar bleibe, nach welchem die unterliegende Partei eine Prozessentschädigung an die obsiegende zu bezahlen hat.
f) Das Fabrikgesetz will die schwächere Vertragspartei, d.h. den Arbeitnehmer, schützen. Es scheint daher auf den ersten Blick im Sinne dieses Bestrebens zu liegen, dass man die Kostenlosigkeitsvorschrift
BGE 94 II 211 S. 215
als Verbot des Zuspruchs und der Auferlegung von Parteientschädigungen auslegt. Bei näherem Zusehen erkennt man jedoch, dass dem nicht so ist. Denn diese Auslegung würde sich zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken, der zu Recht geklagt und hiezu - mit Bewilligung des Gerichts - einen berufsmässigen Vertreter beigezogen hat, während derjenige, der zu Unrecht klagt, aus dieser Auslegung Vorteil zöge. Das kann aber nicht der Sinn des Gesetzes sein; der Schutz der schwächeren Vertragspartei erfordert gegenteils, dass sie in den Genuss der Parteientschädigung gelangt, wenn sie obsiegt. Wer unterliegt, verdient dagegen keinen besonderen Schutz.
g) Aus den oben dargelegten Gründen kann
Art. 29 Abs. 5 FG
nicht den Sinn haben, dass auch in Bezug auf die Parteientschädigung die Anwendung kantonalen Prozessrechts ausgeschlossen sei. Dessen Anwendung durch das Obergericht verstiess daher nicht gegen Bundesrecht.
5.
Art. 29 Abs. 5 FG
hat zur Folge, dass auch das vorliegende bundesgerichtliche Verfahren grundsätzlich kostenlos zu sein hat; denn wo das Bundesrecht die Möglichkeit gibt, ein Rechtsmittel zu ergreifen, gehört auch dieses zum "Verfahren" im Sinne der in Frage stehenden Gesetzesbestimmung. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4ae65dd8-2a98-4fc4-85ae-65dfaae29e49 | Urteilskopf
121 I 279
39. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. September 1995 i.S. Circus Gasser Olympia AG gegen Regierungsrat und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 und 31 BV
; Gleichbehandlung von Zirkusunternehmen bei der Zurverfügungstellung öffentlichen Grundes.
Eintreten auf die staatsrechtliche Beschwerde trotz fehlenden aktuellen Rechtsschutzinteresses (E. 1).
"Bedingter Anspruch" auf Bewilligung des gesteigerten Gemeingebrauchs. Einschränkung durch formell-gesetzliche Grundlage, die keine Kriterien für die Bewilligungserteilung enthält (E. 2).
Zulässigkeit einer zurückhaltenden Bewilligungserteilung für Zirkusdarbietungen mit Rücksicht auf örtliche Verhältnisse (E. 3).
Ableitung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen;
Art. 31 BV
bietet einen über
Art. 4 BV
hinausreichenden Schutz bei der Regelung des gesteigerten Gemeingebrauchs (Bestätigung der Rechtsprechung) (E. 4).
Direktes Konkurrenzverhältnis; verneint für das Verhältnis zwischen einem herkömmlichen Zirkus und einem Jugendzirkus (E. 5a).
Zulässigkeit der Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen hinsichtlich der Benützung öffentlicher Sachen, jedenfalls im Lichte von
Art. 4 BV
(E. 5c).
Tragweite des Anspruchs auf Gleichbehandlung der Gewerbegenossen: keine absolute Gleichbehandlung, aber Pflicht zur Schaffung fairer Wettbewerbsverhältnisse (E. 6b). Berücksichtigung objektiver Unterschiede zwischen den Bewerbern; Zulässigkeit kulturpolitischer Anliegen; Unzulässigkeit gewerbe- oder wirtschaftspolitischer Überlegungen (E. 6c).
Verhältnismässigkeit und Pflicht zur sachgemässen Interessenabwägung. Diese Pflicht ist verletzt, wenn ohne überzeugende Begründung direkte Konkurrenten im Verhältnis von 1 zu 5-6 ungleich behandelt werden (E. 6d/e). | Sachverhalt
ab Seite 281
BGE 121 I 279 S. 281
A.-
Mit Schreiben vom 15. Oktober 1992 an die Administrativen Dienste des Polizei- und Militärdepartements des Kantons Basel-Stadt ersuchte die Circus Gasser-Olympia AG um Erteilung einer Spielbewilligung für das Jahr 1994. Mit Verfügung vom 31. August 1993 lehnte der Gewerbepolizeiliche Dienst der Administrativen Dienste das Gesuch ab. Den gegen diesen Bescheid geführten Rekurs wies das Polizei- und Militärdepartement mit Entscheid vom 24. September 1993 ab. Gegen den Entscheid des Departements erhob die Circus Gasser-Olympia AG am 6. Oktober 1993 Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt, welcher den Rekurs an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht überwies. Mit Urteil vom 26. Mai 1994 wies das Appellationsgericht den Rekurs ab.
B.-
Die Circus Gasser-Olympia AG beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 7. Juli 1994, das Urteil des Appellationsgerichts sei wegen Verletzung von
Art. 4 und 31 BV
aufzuheben. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt und das Polizei- und Militärdepartement namens des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
C.-
Mit Noveneingabe vom 13. September 1995 wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass die Verwaltung inzwischen die Bewilligungspraxis zu ihrem Nachteil verändert habe. Das Polizei- und Militärdepartement bestritt diese Behauptung mit Stellungnahme vom 19./20. September 1995.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit einer staatsrechtlichen Beschwerde von Amtes wegen und mit freier Kognition (
BGE 120 Ia 101
E. 1 S. 102).
Nach ständiger Rechtsprechung setzt die staatsrechtliche Beschwerde in der Regel ein aktuelles Rechtsschutzinteresse voraus, doch wird von diesem
BGE 121 I 279 S. 282
Erfordernis abgesehen, wenn sich die aufgeworfene Frage jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte, an ihrer Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und eine rechtzeitige verfassungsgerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (
BGE 120 Ia 165
E. 1a S. 166 f.;
BGE 118 Ia 46
E. 3c S. 53 f., 488 E. 3a S. 493 f.). Streitig ist eine Bewilligung für das Jahr 1994, womit ein aktuelles Rechtsschutzinteresse nicht mehr besteht; doch ist die aufgeworfene Frage von grundsätzlicher Bedeutung und kann sich jedes Jahr wieder auf ähnliche Weise stellen. Die kantonalen Behörden pflegen jeweils im August eines Jahres die Aufführungsbewilligungen für Zirkusse für das folgende Jahr zu erteilen. In Anbetracht der Verfahrensdauer vom erstinstanzlichen kantonalen Entscheid bis zum Urteil des Bundesgerichts besteht kaum je die Möglichkeit, eine Verweigerung zeitgerecht verfassungsgerichtlich zu überprüfen, zumal ein Zirkusunternehmen seine Saisonplanung eine gewisse Zeit vor Saisonbeginn abschliessen muss. Auf das Erfordernis des aktuellen Rechtsschutzinteresses ist daher vorliegend zu verzichten und auf die Beschwerde einzutreten.
2.
a) Die Beschwerdeführerin beruft sich gegenüber der beanstandeten Bewilligungspraxis auf die Handels- und Gewerbefreiheit (
Art. 31 BV
). Nach der Rechtsprechung kann, wer zur Ausübung eines Gewerbes öffentlichen Grund beansprucht, sich auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen; es besteht insoweit ein "bedingter Anspruch" auf Bewilligung des gesteigerten Gemeingebrauchs (
BGE 119 Ia 445
E. 1a bb S. 447 und E. 2a S. 449;
BGE 108 Ia 135
E. 3 S. 136 f.;
BGE 101 Ia 473
E. 5 S. 479 ff.; ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 3. A. Zürich 1993, S. 447 Rz. 1394; TOBIAS JAAG, Gemeingebrauch und Sondernutzung öffentlicher Sachen, ZBl 93/1992 S. 145-168, 159; RENÉ RHINOW, Kommentar BV, Rz. 112 zu Art. 31). Die Verweigerung einer entsprechenden Bewilligung erscheint damit als Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit (
BGE 119 Ia 445
E. 2a S. 449) und unterliegt bestimmten Schranken: sie muss im öffentlichen Interesse notwendig sein, wobei freilich nicht nur polizeilich motivierte Einschränkungen zulässig sind, auf sachlich vertretbaren Kriterien beruhen und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit wahren; die Bewilligungspraxis darf zudem die Freiheitsrechte weder allgemein noch zu Lasten einzelner Bürger aus den Angeln heben (
BGE 108 Ia 135
E. 3 S. 137, mit Hinweisen).
BGE 121 I 279 S. 283
b) Die Beschwerdeführerin rügt das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die beschränkte Erteilung von Bewilligungen für Zirkusdarbietungen. Gemäss § 23 des baselstädtischen Gesetzes vom 7. Dezember 1933 über das Hausierwesen, die Wanderlager, den zeitweiligen Gewerbebetrieb, die öffentlichen Aufführungen und Schaustellungen sowie das Trödel- und Pfandleihgewerbe (Hausiergesetz) bedürfen öffentliche Aufführungen, Vorstellungen, Konzerte, sportliche Veranstaltungen und dergleichen einer "polizeilichen Bewilligung". Das Gesetz enthält keine Kriterien für die Erteilung oder Verweigerung der Bewilligungen. Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch auch ohne besondere gesetzliche Grundlage die über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung öffentlicher Sachen von einer Bewilligung abhängig gemacht werden (
BGE 119 Ia 445
E. 2a S. 449, mit Hinweisen). Um so mehr kann die zuständige Behörde auch ohne formellgesetzliche Grundlage die Kriterien festlegen, die sie zur Konkretisierung einer formellgesetzlich festgelegten Bewilligungspflicht anwendet. Im Interesse einer rechtsgleichen und vorhersehbaren Verwaltungspraxis ist zwar eine rechtssatzmässige Normierung der Bewilligungsvoraussetzungen wünschbar, doch macht das Fehlen einer solchen die Verweigerung einer Bewilligung noch nicht verfassungswidrig. Die Rüge der fehlenden gesetzlichen Grundlage erweist sich daher als unbegründet.
3.
a) Nach der Bewilligungspraxis des Kantons Basel-Stadt werden jährlich vier Bewilligungen für Zirkusvorstellungen auf der Rosental-Anlage erteilt. Nach Ansicht der kantonalen Behörden handelt es sich dabei um die einzige Anlage, die für Zirkusvorstellungen im traditionellen Stil in Frage kommt; einzig für reine Personen-Zirkusse ohne Tiere werden bisweilen Bewilligungen für die Kasernenanlage erteilt. Die vier Bewilligungen für die Rosental-Anlage wurden nach der bisherigen Praxis so aufgeteilt, dass die drei Zirkusse Basilisk, Knie und Nock jedes Jahr eine Bewilligung erhielten, während die vierte Bewilligung auf die zehn übrigen interessierten Zirkusse im Turnus verteilt wurde. Das hatte zur Folge, dass die übrigen Zirkusse nur alle zehn Jahre einmal in Basel gastieren konnten. Im Jahre 1993 änderte die Verwaltung die Bewilligungspraxis dahingehend, dass der Zirkus Nock von der Liste der jährlich Anspruchsberechtigten gestrichen wurde und demzufolge jährlich zwei Bewilligungen für die übrigen Zirkusse erteilt werden; das hat zur Folge, dass diese nun je alle 5-6 Jahre einmal in Basel gastieren dürfen.
Massgebend für die bundesgerichtliche Beurteilung sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse, wie sie im Zeitpunkt des angefochtenen
BGE 121 I 279 S. 284
Entscheides gegeben waren (
BGE 120 Ia 126
E. 3b S. 130 f.). Dem Urteil des Appellationsgerichts lag eine (neue) Bewilligungspraxis zugrunde, wonach die Beschwerdeführerin alle 5-6 Jahre in Basel gastieren kann. Die (bestrittene) Noveneingabe der Beschwerdeführerin, wonach diese Praxis im Sinne einer Verschlechterung nachträglich wieder geändert worden sei, ist im vorliegenden Verfahren unbeachtlich.
b) Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist die Beschränkung auf vier jährliche Bewilligungen zu restriktiv, zumal neben der Rosental-Anlage auch das Kasernenareal zur Verfügung stünde und nur wegen der wirtschaftslenkenden Bewilligungspraxis der Behörden dort keine Bewilligungen erteilt würden.
c) Die kantonalen Behörden machen geltend, dass die Rosental-Anlage nicht nur für Zirkus-Gastspiele diene, sondern auch für Messen und als Naherholungsraum benutzt werde. Zudem seien die Interessen der Anwohner sowie der Schutz des Baumbestandes zu beachten. Das Kasernenareal sei für traditionelle Zirkusse mit Tierhaltung ungeeignet und komme höchstens für Personen-Zirkusse in Betracht. Für den Jugend-Zirkus Basilisk, für den das Kasernenareal rein technisch in Frage käme, sei dieses jedoch aus Gründen des Jugendschutzes ungeeignet, weil es im Zentrum des Basler Nachtlebens liege.
d) Nach ständiger Praxis übt das Bundesgericht Zurückhaltung, wenn besondere örtliche Umstände zu würdigen sind, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken (
BGE 119 Ia 378
E. 6a S. 383). Die von den kantonalen Behörden geltend gemachten Gründe für eine beschränkte Erteilung von Zirkusbewilligungen sind jedenfalls nicht unhaltbar. Dass in städtischen Gebieten mit einer beschränkten Anzahl von öffentlichen Plätzen eine Vielzahl von Bewerbern mit unterschiedlichsten Bedürfnissen diese Plätze benützen möchte, macht eine Auswahl unter diesen Bedürfnissen und eine Beschränkung in der Zulassung unvermeidlich. Ebenso ist es gerechtfertigt, ausser auf die Interessen von Veranstaltern auch auf die Interessen und das Ruhebedürfnis der Anwohner Rücksicht zu nehmen. Die Praxis, jährlich nur vier Bewilligungen für Zirkusse zu erteilen, kann deshalb nicht als verfassungswidrig betrachtet werden.
4.
Die Beschwerdeführerin rügt insbesondere die Praxis, zwei der Bewilligungen fix an die Zirkusunternehmen Basilisk und Knie zu vergeben, als Verstoss gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen.
BGE 121 I 279 S. 285
a) Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen sind Massnahmen verboten, die den Wettbewerb unter direkten Konkurrenten verzerren bzw. nicht wettbewerbsneutral sind (
BGE 121 I 129
E. 3b S. 132;
BGE 120 Ia 236
E. 1a S. 237 f.;
BGE 119 Ia 59
E. 6a S. 68, je mit Hinweisen; HÄFELIN/HALLER, a.a.O., S. 458 Rz. 1435; JAAG, a.a.O., S. 159; TOBIAS JAAG, Wettbewerbsneutralität bei der Gewährung von Privilegien im Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1994, Zürich 1994, S. 477-496, 478; RHINOW, a.a.O., Rz. 178 ff.; KLAUS A. VALLENDER, Wirtschaftsfreiheit und begrenzte Staatsverantwortung, 3. A., Bern 1995, S. 69). Als direkte Konkurrenten gelten Angehörige der gleichen Branche, die sich mit den gleichen Angeboten an das gleiche Publikum richten, um das gleiche Bedürfnis zu befriedigen (
BGE 121 I 129
E. 3b S. 132;
BGE 120 Ia 236
E. 1b S. 238;
BGE 119 Ia 445
E. 1a/cc S. 448, mit weiteren Hinweisen). In der Lehre ist umstritten, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen einen besonderen, nicht schon aus
Art. 4 BV
fliessenden Anspruch auf Gleichbehandlung gewähre. Das Bundesgericht hat diese Frage kürzlich nunmehr bejaht (
BGE 121 I 129
E. 3d S. 134 f., mit Darstellung der unterschiedlichen Lehrmeinungen):
Art. 31 Abs. 2 BV
verbietet staatliche Massnahmen, die dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit zuwiderlaufen. Gegen diesen Grundsatz können auch Differenzierungen verstossen, die an sich auf ernsthaften, sachlichen Gründen beruhen und damit vor
Art. 4 BV
standhalten, gleichzeitig aber einzelne Konkurrenten begünstigen oder benachteiligen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen ergibt sich insoweit nicht aus
Art. 4 BV
, sondern leitet sich aus
Art. 31 BV
ab und ergänzt das allgemeine Gleichbehandlungsgebot, indem er einen darüber hinausreichenden Schutz bietet gegen staatliche Ungleichbehandlungen.
b) Unbestrittenermassen wird die Beschwerdeführerin nicht gleich behandelt wie die beiden Zirkusse Basilisk und Knie. Es ist zu prüfen, ob durch diese Ungleichbehandlung die Handels- und Gewerbefreiheit verletzt wird.
5.
a) Der in Basel ansässige Jugend-Zirkus Basilisk ist gemäss seinen Statuten ein Verein, welcher "die Führung eines nicht wirtschaftlichen Circusbetriebes mit Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter als Darsteller" bezweckt. Er will damit den beteiligten Kindern und Jugendlichen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung bieten. Die Darbietungen erfolgen unter Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen und unterscheiden
BGE 121 I 279 S. 286
sich somit von denjenigen eines herkömmlichen Zirkusbetriebes. Es ist anzunehmen, dass die Zuschauer des Zirkus Basilisk diesen nicht nur besuchen, um herkömmliche Zirkus-Kunst zu geniessen, sondern zumindest auch, um die Jugendarbeit des Vereins zu unterstützen. Daher fehlt es an einem direkten Konkurrenzverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und dem Zirkus Basilisk. Die Rüge der Ungleichbehandlung der beiden Unternehmen ist daher nicht nach
Art. 31 BV
, sondern nur nach dem in dieser Beziehung weniger weit gehenden
Art. 4 BV
zu beurteilen.
b) Die kantonalen Behörden betrachten den Betrieb des Jugend-Zirkusses Basilisk als sinnvolle Jugendarbeit. Auch wenn seine Tätigkeit in gewisser Hinsicht Ähnlichkeiten aufweist mit derjenigen eines traditionellen Zirkusses, so lässt es sich doch im Lichte des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots mit sachlichen Überlegungen rechtfertigen, ihn als besondere Kategorie neben den traditionellen Unternehmen zu behandeln.
c) Nach der Praxis des Bundesgerichts ist es mit
Art. 4 BV
vereinbar, die in einem Gemeinwesen Niedergelassenen hinsichtlich der Benützung öffentlicher Anstalten oder öffentlicher Sachen dieses Gemeinwesens besser zu stellen als Auswärtige (
BGE 119 Ia 123
E. 2b S. 128;
BGE 114 Ia 8
E. 3b S. 13;
BGE 103 Ia 369
E. I 2 S. 374;
BGE 100 Ia 287
E. 3b S. 292;
BGE 99 Ia 394
E. 2b S. 399 ff.). Das lässt sich nicht nur mit der vom Appellationsgericht hervorgehobenen Steuerpflicht der einheimischen Unternehmen begründen, sondern generell mit der Überlegung, dass die öffentlichen Anlagen, die ein Gemeinwesen mit seinen eigenen Mitteln erstellt, zulässigerweise in erster Linie für die Einwohner dieses Gemeinwesens gedacht sind. Wieweit diese Betrachtungsweise aufgrund des Gebots der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen allenfalls Einschränkungen erfahren kann, braucht vorliegend nicht weiter untersucht zu werden, nachdem das Verhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und dem Zirkus Basilisk nur nach
Art. 4 BV
zu beurteilen ist.
d) Gesamthaft lässt sich folglich die Bevorzugung des Jugend-Zirkusses Basilisk gegenüber den anderen Zirkusunternehmen verfassungsrechtlich nicht beanstanden.
6.
a) Der Zirkus Knie ist demgegenüber, wie das Bundesgericht schon 1993 entschieden hat, ein direkter Konkurrent der Beschwerdeführerin (
BGE 119 Ia 445
E. 1a cc S. 448). Deren Benachteiligung gegenüber jenem ist daher aufgrund von
Art. 31 BV
zu beurteilen. Insbesondere hat der Zirkus Knie ungeachtet der Bezeichnung "Schweizerischer National-Circus", die er als
BGE 121 I 279 S. 287
Firmenbestandteil führt, keine rechtlich privilegierte Stellung, die es rechtfertigen würde, ihn anders als die übrigen privaten Zirkusse zu behandeln.
b)
Art. 31 BV
garantiert keine durchgehende, absolute Gleichbehandlung der Gewerbegenossen. Systembedingte oder sonstwie sachlich unumgängliche Ungleichheiten sind zulässig, müssen jedoch minimiert werden. Geht es, wie hier, um die Zuteilung öffentlichen Grundes, bei der wegen des Überhanges der Nachfrage von vornherein nur ein kleiner Teil der interessierten Konkurrenten berücksichtigt werden kann, kommt dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen nicht die gleiche Tragweite zu wie in Bereichen, wo die Regelung der Zulassungsvoraussetzungen nicht durch Kapazitätsschranken beeinflusst wird. Das beschränkte Platzangebot macht von vornherein eine Auswahl unter den Interessenten erforderlich (vgl.
BGE 117 Ia 387
E. 6d S. 395). Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht alle Bewerber zugleich berücksichtigt werden können. Einen "freien Wettbewerb" kann es somit auf dem Sektor des Zirkuswesens nicht geben, weil die Platzzuteilung sachbedingt regelmässig einer staatlichen (bzw. kommunalen) Behörde obliegt, welche (in der Regel) eine Auswahl unter den Konkurrenten bzw. Interessenten vornehmen muss. Der wirtschaftliche Erfolg eines Zirkusunternehmens hängt insofern naturgemäss weitgehend auch von der Zuteilungspraxis der Gemeinden ab. Nicht in der Natur der Sache liegt hingegen, dass bestimmte Unternehmen in der Platzzuteilung gegenüber andern regelmässig bevorzugt werden. Gerade der Umstand, dass es naturgemäss keinen freien Wettbewerb gibt, verpflichtet die Behörden dazu, dem institutionellen Gehalt der Handels- und Gewerbefreiheit Rechnung zu tragen und ihre Bewilligungspraxis so auszugestalten, dass möglichst faire Wettbewerbsverhältnisse geschaffen werden. Der Staat darf nicht bei der Benutzung öffentlichen Grundes einzelnen Gewerbetreibenden gegenüber ihren direkten Konkurrenten ungerechtfertigte wirtschaftliche Vorteile verschaffen (
BGE 121 I 129
E. 3d S. 135, mit Hinweisen).
c) Das bedingt allerdings nicht eine völlige Gleichbehandlung aller Bewerber in der Platzzuteilung.
aa) Einerseits verlangt der Grundsatz der Behandlung der Gewerbegenossen selber, dass objektiven Unterschieden zwischen den Bewerbern Rechnung getragen wird, würde doch sonst Ungleiches gleich behandelt. Hätte jeder Zirkus ungeachtet seiner Grösse gleichen Anspruch auf Platzzuteilung, so wäre das ebenfalls kein freier Wettbewerb. Es ist daher zulässig, sachliche Unterschiede, die in der Struktur der konkurrierenden Unternehmen begründet
BGE 121 I 279 S. 288
sind, mitzuberücksichtigen. So darf namentlich dem Umstand Rechnung getragen werden, dass kleinere Zirkusse eher auch in kleinen Ortschaften auftreten können, in denen ein Grosszirkus keinen Platz findet. Diese Überlegung rechtfertigt bis zu einem gewissen Masse, die Grosszirkusse in Grossstädten bevorzugt zu behandeln. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass es auch für einen kleinen Zirkus einträglicher ist, in grösseren Städten zu gastieren. Diese Chance darf ihm nicht allein wegen seiner Kleinheit verbaut werden, würden doch sonst mit Hilfe der staatlichen Bewilligungspraxis die bestehenden Grössenunterschiede zementiert. Die Ungleichbehandlung muss sich daher in Grenzen halten und durch objektivierbare Überlegungen rechtfertigen lassen.
bb) Andererseits können haltbare öffentliche Interessen und Anliegen eine Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung in gewissen Grenzen rechtfertigen. Dem Gemeinwesen steht ein grosses Ermessen zu in der Frage, wie es seine öffentlichen Anlagen nutzen will; es kann deshalb bei der Bewilligungserteilung auch andere als rein polizeiliche Interessen zugrunde legen, wie zum Beispiel kulturpolitische Anliegen (
BGE 119 Ia 445
E. 3c und 4a, S. 451 f.;
BGE 113 Ib 97
E. 2 S. 101). In diesem Rahmen erscheint es daher zulässig, Unterschiede im Programm der verschiedenen Bewerber zu berücksichtigen. So ist es ein haltbares Anliegen, dem Publikum den Besuch eines Grosszirkusses mit seinem umfangreicheren Angebot zu ermöglichen (
BGE 119 Ia 445
E. 4b S. 452). Allerdings muss eine solcherart begründete Ungleichbehandlung verhältnismässig sein und darf das Gleichbehandlungsgebot nicht seiner Substanz berauben. Geht es darum, die Gesuche direkter Konkurrenten zu beurteilen, die sich auf das aus
Art. 31 BV
abgeleitete Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen berufen können, ist das Ermessen des Gemeinwesens kleiner als bei der Beurteilung verschiedenartiger Nutzungsbegehren, bei der nur das diesbezüglich weniger weit gehende allgemeine Gleichbehandlungsgebot (
Art. 4 BV
) zur Anwendung kommt.
cc) Mit
Art. 31 BV
unvereinbar und daher unzulässig sind Ungleichbehandlungen, die mit gewerbe- oder wirtschaftspolitischen Überlegungen begründet sind, namentlich wenn sie bezwecken, in den Wettbewerb einzugreifen, um einzelne Konkurrenten gegenüber anderen zu bevorzugen oder zu benachteiligen (
BGE 121 I 129
E. 3d S. 135;
BGE 119 Ia 35
E. 3b S. 39, 378 E. 4b S. 381 f.; RHINOW, a.a.O., Rz. 24 und 166, mit weiteren Hinweisen). Unzulässig ist namentlich, privilegierende Bewilligungen in einer Hand zu häufen (
BGE 102 Ia 438
E. 4 S. 444)
BGE 121 I 279 S. 289
oder allein aufgrund des Herkommens einzelne Bewerber unbesehen weiterhin zu bevorteilen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen verlangt, dass bisher Berechtigte nicht allein aufgrund ihrer bisherigen Bevorzugung weiterhin privilegiert werden, sondern dass im Gegenteil auch neue Interessenten zum Zuge kommen können (JAAG, a.a.O. [1992], S. 166); zumindest muss die Zuteilungspraxis regelmässig überprüft werden, um eine Zementierung einmal geschaffener Privilegien zu vermeiden.
dd) Die zum Teil gegenläufigen Interessen rufen nach einer sorgfältigen Abwägung, welche den Interessen der einzelnen konkurrierenden Unternehmen, den Interessen an einer zweckmässigen Nutzung öffentlicher Plätze wie auch dem Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen angemessen Rechnung trägt (
BGE 108 Ia 135
E. 4 S. 138).
d) aa) Das Bundesgericht hat vor kurzem bereits eine staatsrechtliche Beschwerde der gleichen Beschwerdeführerin gegen die Gemeinde Schaffhausen beurteilt (
BGE 119 Ia 445
) und dabei entschieden, dass eine Regelung, wonach der Zirkus Knie jährlich, die anderen interessierten Zirkusse nur alle zwei Jahre eine Spielbewilligung erhalten, nicht verfassungswidrig sei (a.a.O. E. 4 S. 451 f.). Das bedeutet allerdings nicht, dass nun jede beliebige Ungleichbehandlung zulässig wäre. Die Bevorzugung muss sich mit sachlich haltbaren Überlegungen begründen lassen und verhältnismässig sein. Je gravierender die Ungleichbehandlung ist, desto gewichtiger müssen die dafür geltend gemachten Gründe sein und desto sorgfältiger muss die Interessenabwägung erfolgen.
bb) Der vorliegende Fall ist mit dem Schaffhauser Fall sachverhaltsmässig nicht vergleichbar. Dort ging es darum, dass der Zirkus Knie jährlich, die andern Zirkusse alle zwei Jahre in Schaffhausen gastieren durften, mithin um eine Ungleichbehandlung im Verhältnis von 1 : 2. Im vorliegenden Fall können hingegen der Zirkus Knie jährlich, alle andern Zirkusse, namentlich auch die Beschwerdeführerin, nur alle 5-6 Jahre in Basel gastieren. Diese bedeutend weitergehende Ungleichbehandlung erweckt unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit Bedenken; zumindest bedürfte sie einer besonders überzeugenden Begründung, um verfassungsrechtlich haltbar zu sein. Angesichts dieser erheblichen absoluten Ungleichbehandlung erscheint zudem die Bewilligungspraxis der Basler Behörden auch in sich zu wenig differenziert: soweit die unterschiedliche Grösse der Bewerber ein zulässiges Differenzierungskriterium ist (vorne E. 6c aa), erscheint eine Regelung als zu starr, die in die eine Kategorie einzig den
BGE 121 I 279 S. 290
Zirkus Knie, in die zweite, um den Faktor 5-6 benachteiligte Kategorie alle anderen Unternehmen einreiht, finden sich doch auch zwischen diesen erhebliche Unterschiede.
cc) Das Appellationsgericht führt zur Begründung seines Entscheides einzig aus, dass es nach dem erwähnten Urteil des Bundesgerichts zulässig sei, dem Zirkus Knie jährlich eine Bewilligung zu erteilen, während die anderen Bewerber nur in einem bestimmten Turnus zum Zuge kommen. Damit trägt es der erheblichen Unterschiedlichkeit der beiden Fälle nicht Rechnung und verletzt es seine Pflicht zur sorgfältigen und begründeten Interessenabwägung: weshalb und inwiefern eine so deutliche Privilegierung eines einzelnen Unternehmens zulässig sein soll, lässt sich dem angefochtenen Entscheid nicht entnehmen.
dd) Das Polizei- und Militärdepartement begründete in seinem Rekursentscheid die Bewilligungspraxis damit, dass ein Überangebot in der Branche bestehe, welches eine zurückhaltende Bewilligungspraxis rechtfertige, um den gastierenden Zirkusunternehmen gute Rahmenbedingungen zu schaffen, und dass es sich beim Zirkus Knie um einen seit vielen Jahren erprobten und bewährten Zirkus handle. Diese Argumentation ist im Lichte der Handels- und Gewerbefreiheit problematisch. Sie kann den Eindruck erwecken, dass der Bewilligungspraxis unzulässigerweise (vorne E. 6c cc) wirtschaftspolitische Überlegungen oder das blosse Herkommen zugrunde liegen. Das Appellationsgericht äussert sich zu dieser Argumentation des Departements nicht, so dass nicht ersichtlich ist, ob es sie teilt oder nicht.
e) Die kantonalen Behörden haben gesamthaft keine hinreichenden Gründe vorgebracht, welche auf verfassungsrechtlich zulässige Weise die beanstandete Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Sie haben angesichts der Schwere der Ungleichbehandlung die Interessenabwägung nicht in der durch
Art. 31 BV
gebotenen Weise vorgenommen (vgl.
BGE 108 Ia 135
E. 4 S. 138). Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich insoweit als begründet, als sie sich dagegen richtet, dass die Beschwerdeführerin gegenüber dem Zirkus Knie ungleich behandelt wird. Das Urteil des Appellationsgerichts muss daher aufgehoben werden. Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, im heutigen Urteil festzulegen, welche Art der Bewilligungserteilung
Art. 31 BV
am besten entspricht. Vielmehr wird es Sache der kantonalen Behörden sein, einen Bewilligungsturnus festzulegen, der eine mit
Art. 31 BV
vereinbare, weniger krasse Ungleichbehandlung der Konkurrenten zur Folge hat. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4ae7cda5-88a8-43c2-a918-85ffb54d0ef2 | Urteilskopf
100 III 44
13. Arrêt du 7 août 1974 dans la cause Choremi. | Regeste
Ein ohne Einschränkungen erhobener Rechtsvorschlag bezieht sich auf die ganze Forderung, selbst wenn er mit einer Begründung versehen wird, die schembar nur auf einen Teil derselben zutrifft. | Sachverhalt
ab Seite 44
BGE 100 III 44 S. 44
A.-
Les avocats Lalive et Budin ont adressé à l'Office des poursuites de Genève, le 26 février 1974, une réquisition de poursuite contre Elisabeth Choremi à Genève.
Ils demandaient paiement des montants suivants:
a) 533 fr. 80, avec intérêts à 5% dès le 8 avril 1972, représentant les dépens fixés par le Tribunal dans une affaire contre sieur Melas et la S.I. rue du Port 8-10;
b) 429 fr. 50, avec intérêts à 5% dès le 3 février 1972, en remboursement des frais exposés dans la même affaire;
c) 1046 fr., avec intérêts à 5% dès le 11 août 1971, selon trois notes d'honoraires du 11 août 1970, prétendument reconnues par la débitrice.
Le commandement de payer no 415 724 a été établi le 28 février 1974 par l'Office des poursuites et notifié le 6 mars 1974 à dame Choremi. Sous la rubrique "opposition" de l'exemplaire du commandement pour le créancier, elle a apposé sa signature, qu'elle a fait précéder de la mention: "J'ai payé intégralement la somme fixée par taxation du Tribunal."
L'Office des poursuites a renvoyé le 8 mars 1974 le commandement de payer à l'étude Lalive et Budin avec la mention "opposition totale". Le 12 mars, le créancier a écrit á l'Office des poursuites qu'à son avis, la déclaration d'opposition de dame Choremi devait être considérée comme une opposition partielle concernant seulement les dépens fixés par le Tribunal, soit 533 fr. 80, mais que la poursuite devait être continuée pour les autres montants réclamés. Le 19 mars 1974, il a requis la continuation de la poursuite.
BGE 100 III 44 S. 45
Le 3 avril 1974, dame Choremi a signé une déclaration selon laquelle elle confirmait que son opposition faite le 6 mars 1974 était totale et qu'elle se rapportait aux "trois postes". Le 10 avril 1974, l'Office des poursuites a rejeté la réquisition de continuer la poursuite, admettant que l'opposition formée par la poursuivie au commandement de payer était une opposition totale.
B.-
Par décision du 15 mai 1974, l'autorité genevoise de surveillance a admis la plainte formée par les avocats Lalive et Budin et prononcé que la poursuite no 415 724 devait être continuée en conformité de la réquisition du 19 mars 1974 et la somme de 4 fr. 80 prélevée à titre de frais, restituée.
C.-
Elisabeth Choremi a recouru, le 29 mai 1974, contre ce prononcé auprès de la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral.
Le créancier a conclu à l'irrecevabilité du recours.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et annulé la décision attaquée.
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
a) L'opposition est une déclaration à l'Office dont émane le commandement de payer, par laquelle le poursuivi manifeste sa volonté d'arrêter la poursuite. L'apposition de la signature du poursuivi sous la rubrique "opposition" du commandement de payer constitue une opposition valable (JAEGER, n. 4 ad art. 74 LP; FAVRE, Droit des poursuites, 3e éd., 1974, p. 139; HINDERLING, Der Inhalt des Rechtsvorschlages, BlSchK 1945 p. 67; WALDER, Der Rechtsvorschlag, BlSchK 1972 p. 136).
b) Lorsqu'une opposition, énoncée sans restriction, est suivie d'une adjonction qui laisse entendre que le poursuivi ne considère pas nécessairement toute la créance comme dépourvue de fondement, il faut considérer que l'opposition est totale, à moins que, dans l'adjonction, le débiteur manifeste la volonté de ne s'opposer à la poursuite que pour une partie de la créance (RO 79 III 98). Dans le même sens, une déclaration d'opposition formulée sans réserve doit être considérée comme se rapportant à toute la créance, même si elle est complétée par des motifs qui ne concernent qu'une partie de celle-ci (RO 86 III 85); le fait que le poursuivi accompagne
BGE 100 III 44 S. 46
son opposition d'une motivation quant à la contestation d'une partie de la créance ne doit en effet pas emporter de préjudice pour lui (WALDER, op.cit., p. 136). En conformité avec ces principes, l'art. 75 LP dispose d'ailleurs que le poursuivi qui a motivé son opposition n'est pas limité dans la suite aux moyens énoncés.
c) En vertu de l'art. 74 al. 2 LP, le débiteur qui ne conteste qu'une partie de la dette doit indiquer exactement le montant contesté, faute de quoi son opposition est réputée non avenue. Mais ce cas ne peut être assimilé à celui du poursuivi qui a fait une opposition sans réserve en l'accompagnant d'une motivation selon laquelle il ne considère pas d'une manière absolue que toute la créance soit dénuée de fondement; on ne saurait, du seul fait que le débiteur a fait une adjonction à son opposition, considérer qu'il s'agit d'une opposition partielle non valable, faute d'indication exacte du montant contesté; l'opposition doit être tenue pour totale, à moins que l'adjonction ne manifeste la volonté du poursuivi d'empêcher la poursuite pour une partie seulement de la créance (RO 79 III 98). En revanche, pour qu'une opposition partielle soit valable, il n'est pas nécessaire que le montant contesté de la dette soit indiqué en chiffres, mais il suffit qu'il ressorte clairement des indications comparées du commandement de payer et de l'opposition (RO 89 III 11).
3.
En l'espèce, le commandement de payer no 415 724 porte sur trois sommes et indique pour chacune d'elles le titre de la créance ou la cause de l'obligation, soit des dépens, des frais judiciaires et des notes d'honoraires.
Sur l'exemplaire du commandement de payer pour le créancier, retourné à l'Office des poursuites après la notification, la débitrice a apposé sa signature, sous la rubrique "opposition" et mentionné qu'elle avait payé intégralement la somme fixée par taxation du Tribunal.
Comme l'a relevé avec raison l'autorité cantonale de surveillance, le sens et la portée de cette opposition ne sauraient en être modifiés ou complétés par la déclaration ultérieure de la débitrice, signée le 3 avril 1974, après le délai d'opposition, selon laquelle elle avait entendu faire "une opposition totale pour les trois postes".
Quant à l'opposition formulée sur le commandement de payer, l'autorité cantonale a estimé que la débitrice n'avait
BGE 100 III 44 S. 47
entendu faire qu'une opposition partielle concernant le premier poste relatif aux dépens fixés par le Tribunal.
Il n'y aurait aucun doute sur la volonté de la recourante de faire opposition totale si elle n'avait pas ajouté qu'elle avait "payé intégralement la somme fixée par taxation du Tribunal". Pour interpréter une opposition et en définir la portée, il faut prendre en considération le fait que la loi ne prescrit aucune forme déterminée et qu'on ne peut exiger d'une personne qui ne connaît pas le droit qu'elle s'exprime dans un langage juridique absolument correct (RO 98 III 30). En l'espèce, la recourante n'a pas déclaré expressément qu'elle ne contestait que le premier des trois postes de la poursuite et qu'elle reconnaissait les deux autres. Au contraire, en signant sous la rubrique "opposition" du commandement de payer, elle a manifesté sa volonté d'empécher la poursuite. Quand bien même le motif ajouté à l'opposition peut paraître ne se rapporter qu'à l'une des créances réunies dans la même poursuite, il n'en résulte pas sans équivoque que dame Choremi ait entendu limiter sa contestation à cette créance. Comme la volonté de la recourante d'arrêter la poursuite est exprimée clairement par sa signature sous la rubrique "opposition" et qu'un doute subsiste sur le point de savoir si le motif qu'elle a énoncé signifie qu'elle ne conteste qu'une partie de la dette, on doit tenir l'opposition pour totale. | null | nan | fr | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4ae9b456-4132-4c26-b349-916a9cecb6b6 | Urteilskopf
95 II 503
67. Arrêt de la IIe Cour civile du 21 mars 1969 dans la cause Suzanne Fornerod et consorts contre Jean-Marie-Joseph Fornerod et consorts. | Regeste
Namensänderung.
1. Zuständigkeit der Gerichtsbehörde (Erw. 1).
2. Abwägung der entgegengesetzten Interessen der ausserehelichen Kinder, die stets den Familiennamen ihres Vaters getragen haben und diesen tatsächlichen Zustand legalisieren möchten, einerseits, und der ehelichen Familie, die sich dieser Namensänderung widersetzt, anderseits (Erw. 2 bis 5). | Sachverhalt
ab Seite 504
BGE 95 II 503 S. 504
A.-
Le 13 mai 1913, Aloys Fornerod épousa Suzanne Dupertuis. Les époux vécurent à Lausanne. Ils eurent un enfant, Claude, né en 1913. S'étant marié à son tour, Claude Fornerod se fixa aussi à Lausanne et eut deux enfants légitimes, Michel, né en 1937 et Elaine, née en 1939.
Depuis le début de 1937, Aloys Fornerod cessa de vivre en ménage avec sa femme. Il fit la connaissance de Marie-Charlotte von der Weid, avec qui il vécut maritalement et vint s'installer à Fribourg. Le couple a eu quatre enfants, qui sont tous fixés à Fribourg: François, né en 1948, Pierre, né en 1950, Mathilde, née en 1951 et Jean, né en 1954. Ces enfants ont toujours porté le nom de Fornerod, à l'école également. Leur père obtint parfois la délivrance de documents officiels donnant à croire qu'ils étaient légitimes; ainsi des bulletins de naissance de la mairie d'Evian-les-Bains (Haute-Savoie), indiquant, pour François, Pierre et Mathilde, qu'ils sont les enfants d'Aloys Fornerod et de Marie-Charlotte von der Weid, son épouse; ainsi encore un passeport suisse délivré à Aloys Fornerod et "également valable" pour les quatre enfants dont les prénoms avec les dates de naissance sont indiqués et les photographies jointes et scellées par la police cantonale de Fribourg.
A trois reprises, la première fois en 1937, Aloys Fornerod tenta, mais vainement, d'obtenir le divorce. Une fois, le juge saisi s'est déclaré incompétent; les deux autres fois, l'action a été rejetée, parce que le comportement du demandeur avait causé la désunion.
B.-
Après le décès d'Aloys Fornerod, qui intervint en 1965, Marie von der Weid demanda, pour ses quatre enfants, l'autorisation de changer de nom et de porter, à l'avenir, celui de
BGE 95 II 503 S. 505
Fornerod. Le 26 février 1965, le Conseil d'Etat du canton de Fribourg donna cette autorisation.
Suzanne Fornerod-Dupertuis, Claude Fornerod et les deux enfants de celui-ci ouvrirent alors chacun une action pour faire interdire aux enfants d'Aloys Fornerod et de Marie von der Weid de porter le nom de Fornerod.
Le 13 février 1967, le Tribunal civil de la Sarine a joint les causes et admis les demandes.
Saisie par les défendeurs, la Cour d'appel du Tribunal cantonal du canton de Fribourg, statuant le 1er octobre 1968, a autorisé "François Marie Aloys Fornerod, Pierre Marie Louis Clément Fornerod, Mathilde Jeanne Fornerod et Jean Marie Joseph Fornerod... conformément à l'arrêté du Conseil d'Etat du canton de Fribourg du 26 février 1965, à porter le nom patronymique Fornerod".
C.-
Les demandeurs ont recouru en réforme. Ils concluent derechef à ce qu'interdiction soit faite aux défendeurs de porter le patronyme Fornerod.
Les défendeurs concluent au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'art. 30 al. 3 CC, lorsque le gouvernement du canton d'origine a autorisé une personne à changer de nom, toute personne lésée peut attaquer ce changement par une action de justice. Dans ce cas, le juge examine d'abord si l'opposition se justifie par un intérêt légitime suffisant du demandeur. Dans l'affirmative, il met en balance cet intérêt avec celui que possède le défendeur, non pas à changer de nom - point qui relève de l'autorité exécutive - mais à adopter le nom contesté (RO 52 II 104;
67 II 192
).
2.
Dans la présente espèce, supposé même - question qui peut demeurer indécise - que les recourants aient un intérêt légitime à s'opposer à ce que les défendeurs adoptent leur nom, cet intérêt ne l'emporterait pas sur celui qu'ont les défendeurs à prendre ce nom.
a) Le préjudice allégué par les opposants est principalement d'ordre affectif. Ils ont profondément souffert, disent-ils, du fait qu'Aloys Fornerod les a abandonnés pour aller vivre avec Marie von der Weid; les enfants issus de cette union illégitime sont le témoignage constant et le rappel de cette situation pénible; l'autorisation qui leur a été donnée de prendre le nom de
BGE 95 II 503 S. 506
Fornerod est particulièrement douloureuse, car elle sanctionne une intrusion des défendeurs dans leur famille; le droit fédéral protège la famille et, par conséquent, réprime de telles atteintes au sentiment de l'honneur familial.
Du seul fait qu'ils porteraient le nom de Fornerod, les défendeurs n'entreraient certes pas dans la famille de leur père naturel. En les autorisant à le porter, le Conseil d'Etat n'a pas modifié leur statut d'enfants illégitimes. Cependant, il a tout au moins créé l'apparence d'un lien familial en réalité inexistant. Sa décision confirme donc le préjudice affectif subi par les demandeurs du fait que des enfants adultérins peuvent passer pour des membres de leur famille.
Il y a là sans doute une offense au sentiment de l'honneur familial. Mais, pour en apprécier la gravité, il faut se référer aux faits qui l'ont motivée et montrer, comme l'a déjà fait la cour cantonale, que, pour l'essentiel, elle est déjà ancienne. Il y a plus de trente ans qu'Aloys Fornerod et Suzanne Dupertuis se sont séparés définitivement. En 1938 déjà, selon le jugement sur la première action en divorce, le lien conjugal était si profondément atteint que la vie commune était devenue insupportable. Les faits postérieurs, à savoir la liaison d'Aloys Fornerod avec Marie von der Weid, la naissance des enfants issus de cette liaison, enfin l'habitude qui fut prise de faire porter auxdits enfants le patronyme de Fornerod - habitude qui ne semble avoir soulevé aucune opposition de la part de la famille - demeuraient sans doute pénibles pour l'épouse et le fils d'Aloys Fornerod; cependant leurs effets ont été nécessairement atténués par la rupture effective et irrémédiable du lien conjugal et par l'écoulement du temps. L'autorisation du Conseil d'Etat, seul fait récent, n'a fait que sanctionner un état de choses ancien et sans doute connu depuis longtemps, dès avant et au moins depuis la mort d'Aloys Fornerod.
A l'atténuation due à l'écoulement du temps s'ajoute celle que cause la distance. Les demandeurs vivent à Lausanne, les défendeurs à Fribourg, villes où, du reste, le nom de Fornerod est assez répandu, comme les juges cantonaux l'ont constaté souverainement.
La Cour d'appel fribourgeoise a constaté encore que les demandeurs n'entretenaient point de relations personnelles avec Aloys Fornerod et sa nouvelle famille. Les recourants allèguent qu'il y aurait là une erreur manifeste, qu'il appartiendrait
BGE 95 II 503 S. 507
au Tribunal fédéral de rectifier d'office (art. 63 al. 2 OJ). Mais la question ne présente, pour eux, aucun intérêt puisque le juge cantonal a interprété le fait (prétendument erroné) en leur faveur, disant que c'est précisément la séparation des deux familles qui rend sensible l'emploi, par l'une, du nom de l'autre. Au surplus, l'inadvertance se limitait à attribuer à Claude Fornerod les déclarations de son fils Michel et elle est aisément rectifiable. Le reste est affaire d'appréciation des preuves et relevait du juge du fait. Michel Fornerod a déclaré, d'une part, qu'il n'avait lui-même aucun rapport avec son grand-père; d'autre part il a dit: "nous n'allions pas chez lui", ce qui autorisait la cour cantonale à dire qu'il n'y avait pas de relations entre les deux familles.
b) Les recourants s'estiment aussi lésés dans leurs intérêts légitimes en raison de la notoriété du nom de Fornerod. En effet, disent-ils, Aloys Fornerod a illustré son nom par ses talents de compositeur, de critique et par son enseignement dans le domaine musical. Du fait qu'ils porteraient le même nom, les défendeurs, non seulement feraient croire à des rapports familiaux inexistants, mais encore bénéficieraient du prestige attaché au patronyme.
Dans une jurisprudence déjà ancienne (RO 52 II 104;
60 II 389
;
67 II 191
), le Tribunal fédéral a admis que la notoriété d'un nom de famille pouvait justifier ceux qui le portent à s'opposer à ce que dess tiers se l'approprient.
Supposé que ce principe doive être maintenu, son application n'emporterait pas l'admission de la demande. Car la notoriété d'Aloys Fornerod, comme musicien, n'est guère que locale et se rattache d'autant moins à son patronyme en général que celui-ci est plus répandu.
c) C'est avec raison que les recourants - tout en y faisant allusion - n'ont pas insisté, dans la procédure cantonale, sur les risques d'erreurs que pouvait entraîner le changement de nom litigieux. Les deux familles, en effet, habitent des villes différentes. Au surplus, beaucoup de patronymes sont plus répandus que celui de Fornerod, sans qu'il s'ensuive de confusions préjudiciables.
3.
Quant aux défendeurs, s'ils ont intérêt à porter le nom de Fornerod, c'est principalement parce qu'ils ont toujours été connus sous ce nom. Supposé qu'on les oblige à l'abandonner, à leurs âges, soit 21, 19, 18 et 15 ans, il en résulterait pour eux des
BGE 95 II 503 S. 508
inconvénients manifestes et sensibles. Il pourrait du reste s'y ajouter, le cas échéant, certains préjudices économiques, sans parler du tort moral qui découlerait pour eux de la révélation inévitable d'une ascendance illégitime et du discrédit qui peut, dans l'opinion publique, frapper la personne contrainte d'abandonner un nom qu'elle portait.
Les demandeurs ne le contestent pas, mais objectent que le long usage de leur nom par les enfants naturels d'Aloys Fornerod ne devrait pas être retenu en leur faveur, parce qu'il procéderait d'une usurpation et que l'autorité ne saurait consacrer un tel abus.
Si usurpation il y eut du vivant d'Aloys Fornerod, elle ne saurait être imputée aux défendeurs. Ceux-ci se sont trouvés dans le cas d'être connus sous le nom de leur père et de le porter dès leur enfance. Ce fait s'impose à chacune des deux parties et l'autorité ne saurait l'ignorer, car, si faute il y a eu, elle n'est imputable qu'à Aloys Fornerod et à Marie von der Weid, non à leurs enfants naturels. Ceux-ci demandent aujourd'hui la légalisation d'un état de fait qu'ils n'ont en rien provoqué. Cette légalisation du reste ne change rien à leur statut dans la mesure où ils conservent leur état d'enfants naturels ainsi que leur précédent droit de cité.
4.
Enfin le Tribunal fédéral n'a pas à examiner si, par ses convictions religieuses, Aloys Fornerod pouvait tenir son union avec Suzanne Dupertuis pour nulle et celle qu'il a entretenue avec Marie von der Weid pour légitime. Bien qu'il n'eût sans doute pas ignoré quel était le nom de ses enfants illégitimes du point de vue légal, ses convictions religieuses ont pu éventuellement atténuer le sentiment de la faute qu'il commettait en leur faisant porter son nom. Mais, comme on l'a montré plus haut, l'existence même de cette faute et, partant, sa gravité subjective ne sauraient entrer en ligne de compte, s'agissant d'apprécier l'intérêt des défendeurs à porter le nom de Fornerod.
5.
La mise en balance des intérêts opposés des parties oppose donc d'une part une atteinte affective que les circonstances et surtout le temps ont beaucoup atténuée, d'autre part le dommage que subiraient quatre jeunes gens s'ils devaient abandonner le nom, relativement répandu d'ailleurs, qui leur a été attribué et qu'ils portent sans qu'on puisse leur en faire grief. Les autres éléments d'appréciation, on l'a montré, n'ont que peu ou point de portée.
BGE 95 II 503 S. 509
L'intérêt des premiers ne saurait donc l'emporter sur celui des seconds et, en déboutant les demandeurs, la Cour d'appel fribourgeoise n'a pas violé les art. 29 et 30 CC.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours; confirme l'arrêt attaqué. | public_law | nan | fr | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4aea6271-25b1-408a-87f3-242ff2abddd1 | Urteilskopf
106 V 139
34. Urteil vom 3. September 1980 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen Keller International AG und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 103 lit. c OG
und 202 AHVV. Die Beschwerdelegitimation der beteiligten Ausgleichskasse ist nicht vom Nachweis eines schutzwürdigen Interesses abhängig (Erw. 1).
Art. 39 und 40 AHVV
. Im Bereich der Nachzahlung von Beiträgen und des Erlasses der Nachzahlung ist der Grundsatz von Treu und Glauben uneingeschränkt anwendbar (Änderung der Rechtsprechung, Erw. 2-4). | Sachverhalt
ab Seite 140
BGE 106 V 139 S. 140
A.-
Anlässlich einer im Januar 1977 durchgeführten Arbeitgeberkontrolle wurde festgestellt, dass die Firma Keller International AG (nachfolgend Firma) auf Lohnzahlungen von insgesamt Fr. 142'445.--, welche in den Jahren 1975/76 an für sie im Ausland tätige Schweizer Bürger ausgerichtet worden waren, keine paritätischen Sozialversicherungsbeiträge entrichtet hatte. Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich verlangte daher von der Firma mit Verfügung vom 10. Februar 1977 die Nachzahlung von AHV/IV/EO-Beiträgen in der Höhe von Fr. 14'458.15 (einschliesslich Verwaltungskostenbeitrag).
B.-
Hiegegen reichte die Firma Beschwerde ein, wobei sie geltend machte, man habe ihr auf vorgängige Anfrage bei der AHV wiederholt zugesichert, sie müsse für ihre im Ausland tätigen Arbeitnehmer keine Sozialversicherungsbeiträge entrichten.
Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich stellte fest, dass die Firma nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht beitragspflichtig sei, und hob die Nachzahlungsverfügung vom 10. Februar 1977 in Gutheissung der Beschwerde auf (Entscheid vom 26. Januar 1979).
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Ausgleichskasse die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides. Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus, der Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustandes gebühre der Vorrang gegenüber dem Vertrauensschutz, da ein Beharren auf der Nachzahlungspflicht nicht als "schlechthin unbillig" erscheine. Im übrigen wirft sie die Frage auf, ob der Firma in diesem speziellen Fall nicht hätte zugemutet werden können, eine schriftliche Anfrage an die Kasse zu richten, anstatt sich mit der - versehentlich unrichtigen - mündlichen Auskunft zu begnügen.
BGE 106 V 139 S. 141
Die Firma schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung deren Gutheissung beantragt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
In ihrer Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde wendet die Beschwerdegegnerin zunächst ein, die Ausgleichskasse habe sich im vorinstanzlichen Verfahren eines Antrags zur Beschwerde der Firma enthalten und sich deshalb zum vornherein mit dem Entscheid abgefunden; angesichts dieser Haltung sei kein schutzwürdiges Interesse gegeben, weshalb die Beschwerdelegitimation verneint werden müsse.
a) Gemäss
Art. 103 lit. c OG
ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt "jede andere Person, Organisation oder Behörde, die das Bundesrecht zur Beschwerde ermächtigt". Im Rahmen dieser Bestimmung ist davon auszugehen, dass bloss solche Personen und Institutionen als zur Beschwerde ermächtigt erklärt werden, deren Interesse für die streitige Sache vorausgesetzt ist. Deshalb ist die -Beschwerdelegitimation nicht davon abhängig, dass die betreffende Person oder Institution sich über ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung Oder Abänderung der Verfügung ausweist (ARV 1977 Nr. 23 S. 98 f.; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, S. 121 und 122 f.; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 479 und 505). Es genügt vielmehr, dass eine ausdrückliche bundesrechtliche Ermächtigung vorliegt, wobei diese auch in einer Verordnung enthalten sein kann (GYGI, a.a.O., S. 123; GRISEL, a.a.O.; vgl. auch
BGE 103 Ib 46
Erw. 2c,
BGE 100 Ib 104
Erw. 1a). Eine derartige Sondernorm sieht
Art. 202 AHVV
vor. Danach sind die beteiligten Ausgleichskassen befugt, die Entscheide der Rekursbehörden durch Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidg. Versicherungsgericht anzufechten.
b) Dem Umstand, dass die Ausgleichskasse sich in ihrer Stellungnahme zur vorinstanzlichen Beschwerde eines Antrags enthielt, kann nicht die Bedeutung beigemessen werden, sie werde sich mit dem wie auch immer ausfallenden Entscheid abfinden und von einem Weiterzug absehen. Die Ausgleichskasse sprach sich nie dahin aus, dass sie auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde verzichte. Im übrigen hielt sie ihre erste Stellungnahme zur vorinstanzlichen Beschwerde insofern nicht
BGE 106 V 139 S. 142
aufrecht, als sie in der Duplik ausdrücklich die Abweisung der Beschwerde beantragte.
Da die Beschwerdelegitimation der Ausgleichskasse nach
Art. 103 lit. c OG
in Verbindung mit
Art. 202 AHVV
gegeben ist und da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
a) Laut
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
sind nach Massgabe des Gesetzes Schweizer Bürger versichert, welche im Ausland für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden.
Art. 14 Abs. 1 AHVG
(in Verbindung mit
Art. 3 Abs. 1 AHVG
) verpflichtet den Arbeitgeber, für die versicherten Arbeitnehmer die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten.
Nach
Art. 14 Abs. 4 AHVG
(in der bis Ende 1978 gültig gewesenen Fassung) ist es Sache des Bundesrates, die Nachzahlung zu wenig und die Rückerstattung zu viel bezahlter Beiträge zu regeln und die Voraussetzungen für den Erlass der Nachzahlung geschuldeter Beiträge zu umschreiben. In der AHVV hat der Bundesrat dazu folgendes festgelegt:
"Art. 39 Nachzahlung geschuldeter Beiträge Erhält eine Ausgleichskasse Kenntnis davon, dass ein Beitragspflichtiger keine Beiträge oder zu niedrige Beiträge bezahlt hat, so hat sie die Nachzahlung der geschuldeten Beiträge zu verfügen. Vorbehalten bleibt Artikel 16 Absatz 1 AHVG.
Art. 40 Erlass der Nachzahlung
1 Nachzahlungspflichtigen, die in gutem Glauben annehmen konnten, die nachgeforderten Beiträge nicht zu schulden, ist die Nachzahlung ganz oder teilweise zu erlassen, wenn diese für sie angesichts ihrer Verhältnisse eine grosse Härte bedeuten würde.
2 Der Erlass wird von der Ausgleichskasse auf schriftliches Gesuch des Nachzahlungspflichtigen hin verfügt. Das Gesuch ist zu begründen und innert 30 Tagen seit der Zustellung der Nachzahlungsverfügung der Ausgleichskasse einzureichen. Vorbehalten bleibt Absatz 3.
3 Sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 offensichtlich erfüllt, so kann die Ausgleichskasse den Erlass auch von sich aus verfügen.
4 Die Erlassverfügungen sind den Gesuchstellern zuzustellen."
b) Es steht vorliegend fest, dass die Beschwerdegegnerin ihre für sie in Afrika tätigen Arbeitnehmer entlöhnte und dass es sich bei diesen um Schweizer Bürger handelte. Die Beschwerdegegnerin ist deshalb grundsätzlich verpflichtet, von der anlässlich der Arbeitgeberkontrolle ermittelten Lohnsumme von Fr. 142'445.-- die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge nebst Verwaltungskosten in der Höhe von insgesamt
BGE 106 V 139 S. 143
Fr. 14'458.15 zu entrichten. Ferner ist die Ausgleichskasse grundsätzlich gehalten, die nicht bezahlten und noch nicht verjährten Beiträge nachzufordern.
3.
Die Beschwerdegegnerin wendet ein, die fraglichen Beiträge nicht zu schulden, da sie von der AHV-Verwaltung die Auskunft erhalten habe, dass keine Beitragspflicht bestehe, und im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Information bei der Kalkulation der Offerte an den afrikanischen Kunden entsprechend disponiert habe.
Die Beschwerdegegnerin beruft sich damit auf den Grundsatz von Treu und Glauben. Dieser Grundsatz schützt den Bürger in seinem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten und bedeutet unter anderem, dass falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten. Gemäss Rechtsprechung und Doktrin ist eine falsche Auskunft bindend,
1. wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat,
2. wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn der Bürger die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte,
3. wenn der Bürger die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte,
4. wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können,
5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunfterteilung keine Änderung erfahren hat (
BGE 99 Ib 101
f.; ZAK 1979 S. 152; KATHARINA SAMELI, Treu und Glauben im öffentlichen Recht, ZSR 96/1977 II, S. 371 ff.).
Ferner verlangt das Eidg. Versicherungsgericht als weitere Voraussetzung, dass keine unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebende Sonderregelung vorliegen darf, vor welcher das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz zurücktreten muss; es hat deshalb wiederholt entschieden, dass der Vertrauensgrundsatz im Rahmen der
Art. 16 und 47 AHVG
keine Anwendung findet (
BGE 101 V 183
,
BGE 100 V 157
Erw. 3c, 160 f. und 163 Erw. 4). Die Rechtsprechung zu
Art. 39 und 40 AHVV
ging zwar nicht so weit, doch mass sie dem Vertrauensgrundsatz im Rahmen dieser Bestimmungen nur
BGE 106 V 139 S. 144
eine eingeschränkte Bedeutung bei. So hat das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt festgehalten, dass der Vertrauensgrundsatz einer Nachforderung nur entgegenstehe, "wenn ganz besondere Umstände es als schlechthin unbillig und mit dem Gedanken der Rechtssicherheit unvereinbar erscheinen liessen, den gesetzlichen Zustand rückwirkend herzustellen" (
BGE 97 V 220
, EVGE 1967 S. 93, 1966 S. 84, 1963 S. 104 f. und 184, 1957 S. 177), und dass ein Erlass der Nachzahlung eine ganz ausserordentliche Massnahme sei, die erst in Frage komme, wenn nicht nur die in
Art. 40 Abs. 1 AHVV
genannten Voraussetzungen (guter Glaube, grosse Härte) erfüllt seien, sondern wenn darüber hinaus auch feststehe, dass der Erlass die durch diese Massnahme betroffenen Arbeitnehmer nicht benachteilige(
BGE 100 V 152
, EVGE 1963 S. 189, 1958 S. 122 und 237, 1954 S. 271; ZAK 1968 S. 686 Erw. 2). Im Urteil vom 9. August 1978 i.S. Aeschlimann (ZAK 1978 S. 546) wurde die Frage der uneingeschränkten Anwendung bzw. des Ausschlusses des Vertrauensgrundsatzes im Rahmen des
Art. 39 AHVV
wohl aufgeworfen, doch konnte sie offengelassen werden. Aufgrund einer erneuten Überprüfung kann jedoch an der bisherigen Rechtsprechung nicht festgehalten werden. Das Gesamtgericht, dem diese Rechtsfrage unterbreitet wurde, hat entschieden, dass der Vertrauensgrundsatz nach Massgabe der fünf Voraussetzungen (Ziffern 1 bis 5 hievor) im Bereiche der
Art. 39 und 40 AHVV
uneingeschränkt Anwendung findet, und zwar auch bei paritätischen Sozialversicherungsbeiträgen. Entscheidend hiefür ist, dass eine unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebende Sonderregelung, welche den Ausschluss des Vertrauensgrundsatzes erlaubte, im Bereich der Nachzahlung und des Erlasses derselben nicht besteht, da die fraglichen Normen in einer Verordnung niedergelegt sind. Im übrigen enthält das Gesetz auch keine Grundlage dafür, dass der Bundesrat die Anwendung des Vertrauensgrundsatzes im genannten Bereich auf dem Verordnungswege ausschliessen könnte.
4.
a) Wie die Vorinstanz - deren Sachverhaltsfeststellungen das Eidg. Versicherungsgericht nach Art. 132 in Verbindung mit
Art. 104 lit. b und
Art. 105 Abs. 2 OG
binden - in ihrem Entscheid ausführt, erkundigte sich ein leitender Angestellter der Beschwerdegegnerin im Jahre 1975 bei der Ausgleichskasse des Kantons Zürich telephonisch über die allfällige
BGE 106 V 139 S. 145
Beitragspflicht und legte dabei die näheren Umstände des Falles dar. Die Antwort der Kasse lautete dahin, dass - weil der Wohnsitz der Angestellten ausschlaggebend sei - die Beitragspflicht verneint werden müsse. Der gleiche Angestellte wandte sich auch noch an die Zweigstelle der Ausgleichskasse, wo er dieselbe Auskunft erhielt. Im Zusammenhang mit einem neuen, gleichgelagerten Problem, welches ein anderes afrikanisches Land betraf, gelangte später - im November 1976 - ein weiterer Angestellter der Beschwerdegegnerin mit der gleichen Frage an die Zweigstelle, wobei wiederum die Beitragspflicht verneint wurde. Die Beschwerdegegnerin erhielt sodann am 22. November 1976 vom Beamten der Zweigstelle den telephonischen Bericht, dass er am 19. November 1976 an einer Sitzung das Problem zur Sprache gebracht habe und dass dabei festgestellt worden sei, es bestehe vorliegend die volle Beitragspflicht. In der Folge wandte sich die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 6. Dezember 1976 an die Ausgleichskasse des Kantons Zürich, worauf diese am 13. Dezember 1976 der Beschwerdegegnerin schriftlich bestätigte, dass sie für die Löhne, welche von ihr an die bei afrikanischen Firmen tätigen Schweizer Bürger ausgerichtet wurden, abrechnungspflichtig sei; die Ausgleichskasse bat um Entschuldigung dafür, dass "Ihnen vorerst durch unsere Zweigstelle eine falsche Auskunft erteilt" worden sei.
Im Hinblick auf den an sich einfachen Tatbestand, der nach Feststellung der Vorinstanz den AHV-Beamten dargelegt wurde, und angesichts des Umstandes, dass die Beamten eine abschliessende Antwort erteilten, kann nicht zweifelhaft sein, dass die Voraussetzung der Identität des Tatbestandes erfüllt ist.
b) Ebenso liegt auf der Hand, dass die Beschwerdegegnerin die Ausgleichskasse des Kantons Zürich und die Zweigstelle für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage als zuständig betrachten durfte.
c) Die Beschwerdegegnerin hält dafür, sie habe sich auf die klaren Antworten der betreffenden AHV-Stellen verlassen dürfen, welcher Auffassung auch die Vorinstanz beipflichtet. Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung bezweifeln dagegen, dass sich die Beschwerdegegnerin mit telephonischen Auskünften habe begnügen dürfen; das Bundesamt weist dabei zusätzlich darauf hin, bei der Bestimmung des
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
BGE 106 V 139 S. 146
handle es sich um eine eindeutige Rechtsvorschrift, "die allgemein bekannt sein sollte". Indessen kann nicht gesagt werden, die Beschwerdegegnerin habe die ihr obliegende Sorgfaltspflicht verletzt, so dass ihr aus diesem Grunde der gute Glaube abgesprochen werden müsse (vgl. SAMELI, a.a.O., S. 380). Von ihren Angestellten kann keine umfassendere Kenntnis des AHV-Rechtes erwartet werden als von den Beamten der AHV-Verwaltung, welche vorliegend wiederholt eine falsche Auskunft über eine an sich einfache Frage erteilten. Des weitem ist nicht erforderlich, dass die Auskunft in einer bestimmten Form erteilt wurde. Auch eine mündliche Auskunft erlangt Verbindlichkeit, wenn sie aufgrund der Umstände geeignet ist, den guten Glauben des Betroffenen zu erwecken (
BGE 91 I 137
Erw. 4b; IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Band I, Nr. 75 B IIIa, S. 469; SAMELI, a.a.O., S. 371). Die Beschwerdegegnerin durfte sich im vorliegenden Fall, der einen verhältnismässig einfachen Sachverhalt und eine einfache Rechtsfrage betraf, umso mehr mit den mündlichen Auskünften begnügen, als sie von den angefragten Beamten nicht auf den schriftlichen Weg verwiesen wurde.
d) Ferner macht die Beschwerdegegnerin geltend, sie habe im Vertrauen auf die Richtigkeit der erhaltenen Auskünfte bei der Offertstellung und -kalkulierung die umstrittenen Sozialversicherungsbeiträge nicht einbezogen, was für den mit Wirkung ab 1. September 1975 für zwei Jahre abgeschlossenen Assistance-Technique-Vertrag zwangsläufig niedrigere Preisansätze zur Folge gehabt habe. Eine Restitution sei unmöglich, und zwar weder im Verhältnis zur afrikanischen Kundschaft, welche sich auf den Assistance-Technique-Vertrag stützen könne, noch im Verhältnis zu den damaligen Arbeitnehmern, die arbeitsvertragliche Abmachungen anrufen könnten, in welchen ihnen die Beitragsfreiheit ihrer Löhne zugesichert worden sei, und die im übrigen zum grössten Teil die Firma inzwischen endgültig verlassen hätten.
Die vorinstanzliche Feststellung, die Beschwerdegegnerin sei bei der Offertstellung und -kalkulierung von der Beitragsfreiheit ausgegangen und deshalb zu einem niedrigeren Preis gelangt, ist für das Eidg. Versicherungsgericht im Sinne des
Art. 105 Abs. 2 OG
verbindlich. Die Frage dagegen, ob sich aus diesem Umstand ableiten lasse, für die Beschwerdegegnerin
BGE 106 V 139 S. 147
habe sich ein nicht zu beseitigender Nachteil ergeben, ist eine vom Eidg. Versicherungsgericht zu prüfende Rechtsfrage. Auszugehen ist davon, dass die Beschwerdegegnerin sich speziell im Hinblick auf die vorzunehmenden Kalkulationen bei AHV-Stellen über die beitragsrechtliche Situation erkundigte. Daraus folgt mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass sie in der Folge die erhaltene Auskunft bei ihren Berechnungen auch entsprechend berücksichtigte, was schliesslich zu einem Preisansatz führte, der niedriger ausfiel, als wenn sie - im Falle richtiger Auskunfterteilung durch die AHV-Beamten - auch den Sozialversicherungsbeiträgen Rechnung getragen hätte. Aus der Beitragsnachzahlung würde demnach ein Nachteil resultieren, der unter den von der Beschwerdegegnerin glaubhaft dargelegten Umständen nicht rückgängig gemacht werden könnte.
e) Da die gesetzliche Ordnung seit der Auskunfterteilung keine Änderung erfuhr, ist auch die fünfte Voraussetzung für die Anwendung des Vertrauensgrundsatzes erfüllt. Der vorinstanzliche Entscheid lässt sich somit nicht beanstanden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4aeb73ff-bf37-4e32-a560-554010133c50 | Urteilskopf
108 V 4
2. Auszug aus dem Urteil vom 13. Januar 1982 i.S. Bänziger gegen Ausgleichskasse Zürcher Arbeitgeber und Rekurskommission des Kantons Thurgau für die AHV | Regeste
Art. 47 Abs. 2 AHVG
.
Die Verjährungsfrist von fünf Jahren ist vom Zeitpunkt an zu berechnen, in welchem die Leistung effektiv erbracht worden ist. | Erwägungen
ab Seite 4
BGE 108 V 4 S. 4
Aus den Erwägungen:
3.
a) Gemäss
Art. 47 Abs. 2 AHVG
verjährt der Rückforderungsanspruch mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Ausgleichskasse davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Jahren seit der einzelnen Rentenzahlung.
Wie das Gesamtgericht entschieden hat, läuft die fünfjährige Verjährungsfrist nicht seit dem Datum, an welchem die Leistung nach dem Gesetz hätte ausgerichtet werden sollen, sondern seit dem Datum, an dem sie effektiv erbracht worden ist. Daran ist auch im vorliegenden Fall festzuhalten. In diesem Zusammenhang kann darauf hingewiesen werden, dass dieser Beschluss in
Art. 16 Abs. 3 AHVG
insoweit eine Parallele findet, als dort für die Verjährung auf das Kalenderjahr abgestellt wird, "in dem die Beiträge bezahlt wurden".
b) Die zu Unrecht und rückwirkend ab 1. Mai 1972 zugesprochene Waisenrente beruhte auf der Kassenverfügung vom 15. April 1977. Die von Mai 1972 bis April 1977 aufgelaufenen Rentenbetreffnisse wurden indessen erst nach dem 15. April 1977 ausbezahlt. Im Zeitpunkt der Rückerstattungsverfügung (22. August 1979) war somit die fünfjährige Verjährungsfrist für sämtliche unrechtmässig bezogenen Leistungen noch nicht abgelaufen. Richtigerweise forderte die Ausgleichskasse daher alle Rentenleistungen im Gesamtbetrag von Fr. ... zurück. | null | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4aef6883-cde8-4ba0-8d72-fd7417e4bee6 | Urteilskopf
93 III 20
5. Auszug aus dem Entscheid vom 18. April 1967 i.S. Scherer. | Regeste
Retention (
Art. 283 SchKG
).
1. Anders als die Pfändung (
Art. 90 SchKG
) ist die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses dem Schuldner nicht anzukündigen.
2. Bei der Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses ist
Art 97 SchKG
entsprechend anzuwenden. Der Betreibungsbeamte hat einen Sachverständigen beizuziehen, wenn die Schätzung eines Gegenstandes Fachkenntnisse verlangt, die er nicht besitzt. Wegen Verletzung dieser Vorschrift ist nicht das Retentionsverzeichnis aufzuheben, sondern eine neue Schätzung durch einen Sachverständigen anzuordnen und das Betreibungsamt anzuweisen, den Umfang der Retention dieser neuen Schätzung anzupassen. | Sachverhalt
ab Seite 21
BGE 93 III 20 S. 21
(Gekürzter Tatbestand)
Am 14. Februar 1967 retinierte das Betreibungsamt Meggen auf Begehren von Dr. Scherer in der Wohnung Meiers für fälligen Mietzins im Betrage von Fr. 690.-- und für laufenden Mietzins im Betrage von Fr. 2070.-- 34 Bilder (zum Teil mit Rahmen), die es auf insgesamt Fr. 3020.-- schätzte (Retention Nr. 2/1967).
Auf Beschwerde Meiers hin hob die kantonale Aufsichtsbehörde die Retentionsurkunde auf und wies das Betreibungsamt an, die Bilder unter Beiziehung eines Sachverständigen neu zu schätzen und nicht mehr Bilder als zur Deckung der Forderung samt Zins und Kosten nötig zu retinieren.
Diesen Entscheid hat Dr. Scherer an das Bundesgericht weitergezogen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1., 2. - ... (Fragen des Beschwerdeverfahrens.)
3.
Der Vollzug der streitigen Retention wurde dem Schuldner unstreitig nicht angekündigt. Er war deshalb nicht in der Lage, der Aufnahme des Retentionsverzeichnisses beizuwohnen oder sich dabei gültig vertreten zu lassen. Der angefochtene Entscheid, der die Retentionsurkunde aufhebt, wäre deshalb zu bestätigen, wenn
Art. 90 SchKG
, wonach dem Schuldner die Pfändung spätestens am vorhergehenden Tage anzukündigen ist, auf den Vollzug der Retention entsprechend anzuwenden wäre (vgl. zu den Folgen der Unterlassung der Pfändungsankündigung
BGE 89 IV 80
/81 mit Hinweisen). Das ist jedoch nicht der Fall (Entscheid des Bundesrates vom 11. Mai 1894 in Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs III Nr. 85 S. 215 f.; JAEGER N. 6 zu
Art. 283 SchKG
; BRAND, Schweiz.Jur.Kartothek Nr. 1092, II B 1 S. 5/6; STUDER in BlSchK 1952 S. 135). Die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses ist wie der Arrestvollzug
BGE 93 III 20 S. 22
eine Sicherungsmassnahme, deren Erfolg durch die Voranzeige an den Schuldner vereitelt werden könnte.
4.
Im Unterschied zu
Art. 90 SchKG
ist
Art. 97 Abs. 1 und 2 SchKG
, wonach der Beamte die gepfändeten Gegenstände nötigenfalls mit Zuziehung von Sachverständigen schätzt und nicht mehr pfänden darf, als zur Befriedigung der pfändenden Gläubiger für ihre Forderungen samt Zinsen und Kosten nötig ist, auf die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses entsprechend anzuwenden (
BGE 61 III 13
/14). Der Betreibungsbeamte hat einen Sachverständigen beizuziehen, wenn die Schätzung eines Gegenstandes besondere Fachkenntnisse verlangt, die er nicht besitzt (
BGE 41 III 360
,
BGE 46 III 89
,
BGE 51 III 115
; FAVRE, Droit des poursuites, 2. Aufl,. S. 175; JOOS, Handbuch für die Betreibungsbeamten, S. 156), was bei Kunstgegenständen wie Gemälden oder Plastiken regelmässig zutrifft (JOOS a.a.O.). Wurden mehr Gegenstände als nötig gepfändet oder retiniert, so weist die Aufsichtsbehörde das Betreibungsamt auf Beschwerde des Schuldners hin an, Gegenstände im Werte des Überschussbetrages freizugeben, wie es hinsichtlich einer Retention im FalleBGE 61 III 14geschehen ist. In einem solchen Falle ist nicht die ganze Pfändung oder Retention aufzuheben. Schätzt der Betreibungsbeamte die gepfändeten oder retinierten Gegenstände selber, obwohl er die nötigen Fachkenntnisse nicht besitzt, so hat die Aufsichtsbehörde auf Beschwerde des Gläubigers oder des Schuldners eine neue Schätzung durch einen Sachverständigen anzuordnen (vgl.
BGE 46 III 89
). Die Pfändung oder die Retention als solche sind dabei nicht aufzuheben. Vielmehr hat die Aufsichtsbehörde diese Massnahmen als an sich gerechtfertigt einstweilen bestehen zu lassen, aber das Betreibungsamt anzuweisen, ihren Umfang dem Ergebnis der neuen Schätzung anzupassen.
Im vorliegenden Falle hat demnach die Vorinstanz mit Recht angeordnet, die retinierten Bilder seien unter Zuziehung eines Sachverständigen neu zu schätzen. Dagegen ging sie mit der Aufhebung der Retentionsurkunde zu weit. Diese Massnahme, die den Rekurrenten zur Stellung eines neuen Retentionsbegehrens und zur Anhebung einer neuen Betreibung zwingt und ihm für die Zeit bis zur Aufnahme einer neuen Retentionsurkunde den Schutz entzieht, auf den er nach dem Gesetz Anspruch hat, ist nicht erforderlich, um die berechtigten Interessen des Schuldners zu schützen. Zur Wahrung dieser Interessen
BGE 93 III 20 S. 23
genügt es, das Betreibungsamt anzuweisen, einen Teil der Retentionsgegenstände freizugeben, wenn die neue Schätzung ergeben sollte, dass zuviel retiniert wurde.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der angefochtene Entscheid wird dahin abgeändert, dass die Retentionsurkunde Nr. 2/1967 des Betreibungsamtes Meggen im gegenwärtigen Stande des Verfahrens aufrechterhalten und das Betreibungsamt angewiesen wird, die retinierten Bilder unter Beiziehung eines Sachverständigen neu zu schätzen und im Falle, dass die Retentionsurkunde nach dem Ergebnis dieser neuen Schätzung mehr Gegenstände als zur Deckung der durch das Retentionsrecht gesicherten Forderung samt Zinsen und Kosten nötig enthalten sollte, Gegenstände im Werte des Überschusses freizugeben. | null | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4af055df-e743-4168-b9cc-dc37593885a0 | Urteilskopf
118 Ib 518
63. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Dezember 1992 i.S. BAP gegen K. und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 16 Abs. 1 SVG
sowie Art. 42 Abs. 1, 44 Abs. 1 und 3 sowie 45 Abs. 1 VZV; Aberkennung eines ausländischen Ausweises nach Verzicht des Inhabers auf eine vor Eintausch in einen schweizerischen Führerausweis angeordnete Kontrollfahrt.
1. Tragweite von Art. 42 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 44 Abs. 1 und 3 VZV
(E. 2).
2. Der Verzicht auf eine im Rahmen von
Art. 44 Abs. 3 VZV
angeordnete Kontrollfahrt rechtfertigt für sich allein die Aberkennung eines ausländischen Ausweises noch nicht. Die zuständige Behörde hat den Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen: Sie muss über hinreichend konkrete Hinweise darüber verfügen, dass die Voraussetzungen zur Erteilung der Fahrbewilligung tatsächlich nicht oder nicht mehr gegeben sind (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 519
BGE 118 Ib 518 S. 519
Die Motorfahrzeugkontrolle Baselland bewilligte dem libanesischen Staatsangehörigen K. gestützt auf den in seinem Heimatstaat ausgestellten Führerschein am 21. März 1991, bis zum 30. Juni 1991 ein Motorfahrzeug der Kategorie B ohne hiesigen Ausweis zu führen. Sie verband damit die Auflage, dass er die im Zusammenhang mit der Erteilung des schweizerischen Ausweises angeordnete Kontrollfahrt bis "spätestens am Ablauftag dieser Bewilligung" absolviere. K. verzichtete hierauf und teilte der Motorfahrzeugkontrolle am 16. Juli 1991 mit, er habe sich entschlossen, "seinen Führerausweis nicht umschreiben zu lassen", worauf ihm die Kantonspolizei Basel-Landschaft auf unbestimmte Zeit das Recht absprach, Motorfahrzeuge in der Schweiz mit einem ausländischen Ausweis zu führen.
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft hiess eine von K. hiergegen erhobene Beschwerde am 7. Januar 1992 im Sinne der Erwägungen gut. Aus dem Verzicht auf die Umschreibung des Führerausweises könne noch nicht geschlossen werden, ein unbegleitetes Fahren von K. "sei schlichtweg nicht mehr zu verantworten". Es bedürfe hierfür weiterer konkreter Anhaltspunkte, welche im vorliegenden Fall fehlten. Weil sich K. seit mehr als einem Jahr in der Schweiz aufhalte, dürfe er gestützt auf
Art. 42 Abs. 1 der Verordnung des Bundesrates vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51)
mit seinem libanesischen Ausweis hier bereits nicht mehr fahren, weshalb sich eine förmliche Aberkennung erübrige. Sollte K. sich als unfähig erweisen, ein Motorfahrzeug sicher zu führen, dies aufgrund des ausländischen Ausweises aber wieder dürfen, könne ihm dieser immer noch aberkannt werden; die von der Kantonspolizei verfügte Massnahme erscheine deshalb unverhältnismässig.
Das Bundesamt für Polizeiwesen reichte gegen diesen Entscheid am 7. Februar 1992 beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde
BGE 118 Ib 518 S. 520
mit dem Antrag ein, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der ausländische Führerausweis von K. auf unbestimmte Zeit abzuerkennen. Das Bundesamt macht geltend, der Entscheid des Regierungsrates verstosse gegen Art. 16 Abs. 1 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01) sowie gegen Art. 42 Abs. 1, 44 Abs. 1 und 45 Abs. 1 VZV. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Motorfahrzeugführer aus dem Ausland dürfen in der Schweiz fahren, wenn sie einen gültigen nationalen Führerausweis, einen internationalen Führerausweis nach dem Abkommen vom 24. April 1926 über den Kraftfahrzeugverkehr (IntAbkKV, SR 0.741.11; BS 13, 545) oder nach den - von der Schweiz nicht ratifizierten - Abkommen vom 19. September 1949 oder 8. November 1968 über den Strassenverkehr besitzen (vgl.
Art. 25 Abs. 2 lit. b SVG
in Verbindung mit
Art. 42 VZV
). Diese Regelung will den zwischenstaatlichen Fahrzeugverkehr erleichtern: Fahrzeugführer, denen "nach erbrachtem Nachweis" ihrer "Befähigung die Erlaubnis der zuständigen Behörde" erteilt worden ist (vgl. Art. 6 IntAbkKV), sollen grundsätzlich in der Schweiz ein Motorfahrzeug führen dürfen, ohne einen hiesigen Ausweis erwerben zu müssen (vgl. RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. 1: Verkehrszulassung und Verkehrsregeln, Bern 1984, S. 101, Rz. 262 f.). Wohnt der ausländische Motorfahrzeugführer seit einem Jahr in der Schweiz und hält er sich nicht während mehr als drei zusammenhängenden Monaten im Ausland auf, so bedarf er jedoch eines schweizerischen Ausweises (
Art. 44 Abs. 1 VZV
). Dieser wird ihm in der Regel - im Hinblick auf die bereits im Ausland erfolgte Abklärung seiner Tauglichkeit - ohne Prüfung durch Eintausch abgegeben; eine neue Prüfung kann jedoch gemäss
Art. 44 Abs. 3 Satz 3 VZV
angeordnet werden, wenn der Führer vor oder innerhalb von zwei Jahren nach der Erteilung des schweizerischen Führerausweises wegen verkehrsgefährdender Verletzung von Verkehrsvorschriften bestraft worden ist.
b) Nach der Praxis des Bundesgerichtes ist die Regelung in
Art. 44 Abs. 3 Satz 3 VZV
nicht abschliessend zu verstehen. Bei hinreichend begründeten Bedenken über die Eignung eines ausländischen Fahrers kann direkt gestützt auf
Art. 14 Abs. 3 SVG
eine neue Prüfung
BGE 118 Ib 518 S. 521
angeordnet werden (unveröffentlichte Urteile vom 29. August 1989 i.S. D.K., E. 2a, und vom 30. Oktober 1991 i.S. C.D. u. Mitb., E. 2 u. 3b). Ob Zweifel an der Eignung des Fahrzeugführers bestehen, hat die Behörde nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden; sie muss dabei in jedem Einzelfall die konkreten Umstände würdigen, die nicht unbedingt in einem automobilistischen Fehlverhalten zu liegen brauchen (
BGE 108 Ib 63
E. 3b, bereits zitiertes Urteil i.S. D.K., E. 2a). Nach
BGE 116 Ib 157
E. 2b dient
Art. 44 Abs. 3 VZV
der Verkehrssicherheit und steht in engem Zusammenhang mit
Art. 14 Abs. 3 SVG
und
Art. 24 Abs. 1 VZV
, wonach eine neue Führerprüfung anzuordnen ist, wenn der Fahrzeugführer Widerhandlungen begangen hat, die an seiner Kenntnis der Verkehrsregeln, an ihrer Anwendung in der Praxis oder am fahrtechnischen Können zweifeln lassen. Die zuständige Behörde darf bei der Anordnung der neuen Prüfung nicht einzig und allein auf die begangene Verkehrsregelverletzung abstellen, sondern muss als weitere Umstände etwa auch den Leumund, die Fahrleistung und die bisherige Dauer des Führerausweisbesitzes mitberücksichtigen.
3.
Im vorliegenden Fall wurde keine neue Prüfung, sondern, weil im Libanon echte Ausweise ohne Prüfung gekauft werden können, eine Kontrollfahrt (vgl.
Art. 24 Abs. 2bis VZV
) angeordnet, die unangefochten geblieben, von K. jedoch nicht absolviert worden ist. Die zuständige Behörde verweigerte ihm hierauf den schweizerischen Führerausweis und aberkannte ihm überdies, ohne ihn bei Anordnung der Kontrollfahrt auf diese Folge hingewiesen zu haben, seinen libanesischen Ausweis für die Schweiz auf unbestimmte Dauer.
a) Ausländische Führerausweise können nicht entzogen, jedoch für die Schweiz nach den Bestimmungen aberkannt werden, welche für den Entzug schweizerischer Führerausweise gelten (
Art. 45 Abs. 1 VZV
;
BGE 108 Ib 61
E. 3a,
BGE 102 Ib 292
E. 1). Gemäss
Art. 16 SVG
ist der Führerausweis unter anderem zu entziehen, wenn festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zu seiner Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen, d.h. nicht nachgewiesen erscheint, dass der Fahrzeugführer die Verkehrsregeln kennt und Fahrzeuge der Kategorie, für die sein Ausweis gilt, sicher zu führen versteht (
Art. 14 Abs. 1 SVG
); bestehen Bedenken, ist eine neue Prüfung (
Art. 14 Abs. 3 SVG
) oder "zur Abklärung der notwendigen Massnahmen" vorerst auch nur eine Kontrollfahrt anzuordnen (
Art. 24 Abs. 2bis VZV
; vgl. unveröffentlichtes Urteil vom 6. November 1986 i.S. D.C., E. 3c).
BGE 118 Ib 518 S. 522
b) Die Aberkennung eines ausländischen Ausweises entspricht in ihren Wirkungen insofern der Anordnung einer neuen Prüfung, als ein aberkannter Ausweis nicht mehr in einen schweizerischen umgetauscht werden kann. Sie geht weiter als diese Massnahme, weil der Führerausweis in der Schweiz selbst dann nicht mehr gebraucht werden darf, wenn sein Inhaber wieder im Ausland wohnt und damit keine hiesige Fahrbewilligung mehr benötigt (vgl.
Art. 44 Abs. 1 VZV
). Die zuständige Behörde muss deshalb beim Entscheid, den ausländischen Ausweis im Rahmen von
Art. 44 Abs. 3 VZV
abzuerkennen, wie bei der Anordnung einer neuen Prüfung, den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragen; sie hat über hinreichend konkrete Hinweise darüber zu verfügen, dass die Voraussetzungen zur Erteilung der Fahrbewilligung tatsächlich nicht oder nicht mehr gegeben sind. Verzichtet der ausländische Führer - wie hier - auf die zur Abklärung dieses Punktes angeordnete Kontrollfahrt, nachdem er sich dieser Massnahme nicht widersetzt hat, so kann darin ein Indiz liegen, dass er sich zum Führen eines Motorfahrzeuges nicht eignet. Es darf daraus jedoch nicht schematisierend geschlossen werden, dies sei immer der Fall. Die konkreten Umstände, etwa das bisherige Fahrverhalten in der Schweiz und die Gründe, welche zur Anordnung der Kontrolle bzw. zum Verzicht des Automobilisten geführt haben, sind beim Entscheid mitzuberücksichtigen. Die Richtlinie Nr. 1 der Vereinigung der Strassenverkehrsämter vom 17. April 1984 über die Behandlung der Motorfahrzeuge und Motorfahrzeugführer aus dem Ausland, der zwar kein Rechtssatzcharakter zukommt, die aber als Ansicht von Sachverständigen über die Gesetzesauslegung dennoch berücksichtigt werden kann (
BGE 116 Ib 158
E. 2b), sieht eine formelle Aberkennung des ausländischen Ausweises auch nur vor, wenn der Bewerber einer angeordneten Prüfung "unentschuldigt" nicht nachgekommen ist (S. 20, 351).
c) K. hat seinen Verzicht auf die Kontrollfahrt damit begründet, dass er aus finanziellen Gründen kein Auto habe mieten können; seine Kollegen hätten ihm keines zur Verfügung gestellt, weil sie sie selber gebraucht hätten. Dass er innert dreier Monate keine Möglichkeit gefunden haben soll, sich für die Kontrollfahrt ein Auto zu beschaffen, wirkt wenig glaubwürdig; er hätte sich in diesem Fall wohl vernünftigerweise mit seinem Problem an die Motorfahrzeugkontrolle gewandt. Aus seiner Begründung ergibt sich auf jeden Fall, dass er zumindest seit etwa 18 Monaten über keine Fahrpraxis mehr verfügt, was den Schluss nahelegt, er habe auf die Kontrollfahrt verzichtet, weil er befürchten musste, sie nicht zu bestehen. Seinen
BGE 118 Ib 518 S. 523
libanesischen Ausweis hat er im April 1986 zu einer Zeit erworben, als bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten. Hinweise darauf, dass er bis zu seiner Einreise in die Schweiz im Mai 1990 anderswo regelmässig gefahren wäre, bestehen nicht. Es rechtfertigte sich unter diesen Umständen im Interesse der Verkehrssicherheit, ihm nicht nur keinen schweizerischen Ausweis auszustellen, sondern grundsätzlich auch seinen libanesischen Führerschein abzuerkennen.
Der Regierungsrat hat bei der Anwendung von
Art. 16 Abs. 1 SVG
im vorliegenden Fall die Interessen der Verkehrssicherheit zu wenig berücksichtigt, weshalb sein Entscheid insofern Bundesrecht verletzt. Die Tatsache, dass die Motorfahrzeugkontrolle K. auch nach der in
Art. 42 VZV
vorgesehenen Jahresfrist erlaubt hat, bis zur angeordneten Kontrollfahrt ein Motorfahrzeug zu führen, und die Kantonspolizei ihrerseits auf eine sofortige provisorische Aberkennung gemäss
Art. 35 Abs. 3 VZV
verzichtet hat, ist mit Bezug auf die Fahrtauglichkeit wenig aussagekräftig. Nachdem K. bereits während eines Jahres in der Schweiz mit seinem libanesischen Führerausweis hätte fahren dürfen, drängte es sich auf, ihm dieses Recht bis zur Kontrollfahrt zu belassen, zumal diese lediglich mit den allgemeinen Verhältnissen im Libanon begründet worden war; eine sofortige vorsorgliche Aberkennung nach dem 30. Juni 1991 erschien dagegen unnötig, weil K. sich tatsächlich in der Schweiz aufhielt und bis zum definitiven Entscheid hier bereits gestützt auf Art. 42 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 44 Abs. 1 VZV
nicht mehr Auto fahren durfte. Nachdem er bis heute kaum oder gar nicht gefahren ist, konnte schliesslich auch - bis zum Moment, da er selber um einen schweizerischen Ausweis nachsuchte - keine Veranlassung bestehen, ihm den libanesischen Führerausweis abzuerkennen.
d) Den grundsätzlich berechtigten Überlegungen der Vorinstanz zur Verhältnismässigkeit der anzuordnenden Massnahme und der Tatsache, dass der Sachverhalt nicht abschliessend festgestellt erscheint, weil keine Kontrollfahrt durchgeführt werden konnte, ist insofern Rechnung zu tragen, als K. der libanesische Ausweis - entgegen der Verfügung der Kantonspolizei und dem Antrag des Bundesamtes für Polizeiwesen, der diese Lösung aber mitumfasst (vgl.
Art. 114 Abs. 1 OG
) - nicht auf unbestimmte Zeit, sondern lediglich resolutiv bedingt bis zur Ablegung der Kontrollfahrt aberkannt wird. Die zuständige Behörde wird nach dieser über das weitere Vorgehen zu entscheiden und die Frage zu beurteilen haben, ob der libanesische Ausweis ohne weiteres in einen schweizerischen umgetauscht werden kann oder aber eine neue Prüfung angeordnet werden
BGE 118 Ib 518 S. 524
muss. Aufgrund des Ergebnisses der Kontrollfahrt wird darüber zu befinden sein, ob und unter welchen Bedingungen sich eine weitere Aberkennung des libanesischen Ausweises rechtfertigt; in der Zwischenzeit darf K. in der Schweiz keine Motorfahrzeuge mehr führen, selbst wenn er seinen Wohnsitz ins Ausland verlegen sollte. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
4af53376-ae31-49d6-a785-b6a49ed33d4b | Urteilskopf
112 V 161
28. Extrait de l'arrêt du 24 juin 1986 dans la cause A. contre Caisse cantonale genevoise de compensation et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS | Regeste
Art. 82 Abs. 2 AHVV
.
Die längere Frist des Strafrechts ist jene der ordentlichen Verjährung des
Art. 70 StGB
und nicht diejenige der absoluten Verjährung des
Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
. | Erwägungen
ab Seite 161
BGE 112 V 161 S. 161
Extrait des considérants:
3.
a) En procédure cantonale, le recourant a prétendu que la demande de la caisse de compensation en réparation du dommage était tardive. A ce propos, il a fait valoir que l'intimée avait eu connaissance de son dommage, au plus tard, au moment de la clôture de la faillite, en juillet 1979.
Les juges cantonaux n'ont pas retenu l'exception soulevée par le recourant. Selon eux, la caisse de compensation a eu une connaissance suffisante de son préjudice "à réception du nouvel acte de défaut de biens" délivré le 12 janvier 1982; dès lors, le délai d'un an de l'
art. 82 al. 1 RAVS
n'était pas encore échu au moment du prononcé de la décision en réparation du 19 novembre 1982.
b) La caisse de compensation a eu "connaissance du dommage" au sens de l'
art. 82 al. 1 RAVS
au moment où elle aurait dû se rendre compte, en faisant preuve de l'attention raisonnablement exigible, que les circonstances effectives ne permettaient plus d'exiger le paiement des cotisations, mais pouvaient entraîner l'obligation de réparer le dommage (
ATF 108 V 52
consid. 5). Lorsque le dommage résulte d'une faillite, ce moment ne coïncide pas avec celui où la caisse connaît la répartition finale ou reçoit un acte de défaut de biens. La jurisprudence considère, en effet, que le créancier qui entend demander la réparation d'une perte qu'il subit dans une faillite ou un concordat par abandon d'actifs connaît suffisamment son préjudice, en règle ordinaire, lorsqu'il est informé de sa collocation dans la liquidation: il connaît ou peut connaître à ce moment-là le montant de l'inventaire, sa propre collocation dans la
BGE 112 V 161 S. 162
liquidation, ainsi que le dividende prévisible. Ces principes s'appliquent aussi bien en droit civil (
ATF 111 II 167
consid. 1a) qu'en droit public (ATF
ATF 108 Ib 97
, relatif à l'
art. 20 LRCF
) et, en particulier, dans le cadre de l'
art. 82 al. 1 RAVS
(
ATF 112 V 8
consid. 4d; dans le même sens,
ATF 111 V 173
consid. 3).
Ainsi donc, la jurisprudence n'autorise pas le créancier - in casu la caisse de compensation - à différer sa demande jusqu'au moment où il connaît le montant absolument exact de son préjudice. Cette solution est conforme aux principes applicables en droit civil, selon lesquels le délai fixé par les
art. 60 et 67 CO
commence à courir dès que le créancier connaît l'existence, la nature et les éléments du dommage, de manière à pouvoir fonder une action; à partir de ce moment, on peut exiger de lui qu'il s'informe des particularités et des précisions propres à étoffer son action (
ATF 111 II 57
et 167, 109 II 435 et les références citées; en ce qui concerne l'
art. 20 LRCF
, cf.
ATF 108 Ib 100
).
Dans le cas particulier, l'état de collocation a été déposé le 18 octobre 1976 et la faillite - liquidée en la forme sommaire - a été clôturée le 30 juillet 1979. Au vu des principes ci-dessus exposés, on doit admettre que la caisse de compensation avait une connaissance suffisante de son dommage plus d'un an avant le prononcé de sa décision en réparation, du 19 novembre 1982. A ce moment-là, le délai d'un an de l'
art. 82 al. 1 RAVS
était largement échu. Le fait que l'Office des faillites a versé à la caisse un montant de 1'851 fr. 50, au mois de janvier 1982, ne change rien à cette situation, contrairement à l'opinion des juges cantonaux. A ce propos, on ne voit guère quelle "réserve" ledit office aurait pu formuler lors de la délivrance de l'acte de défaut de biens du 25 juin 1979 et l'intimée ne fournit d'ailleurs aucune explication à ce sujet. Selon toute vraisemblance, le versement en question résultait bien plutôt d'une répartition postérieure à la clôture de la faillite et consécutive à la découverte de biens qui avaient échappé à la liquidation (
art. 269 LP
). Or, il est évident qu'une telle répartition n'était pas de nature à faire courir un nouveau délai de péremption. Au demeurant, la caisse de compensation ne prétend pas avoir différé sa demande en réparation en raison de circonstances exceptionnelles dont il conviendrait de tenir compte en l'espèce.
c) Il reste toutefois à examiner si un délai de plus longue durée, institué par le droit pénal, peut entrer en considération dans le cas particulier, du moment qu'une partie du dommage représente des
BGE 112 V 161 S. 163
cotisations qui ont été détournées de leur destination. A cet égard, il ressort du dossier que le recourant a été condamné à une peine de six mois d'emprisonnement avec sursis, notamment pour infraction à l'
art. 87 al. 3 LAVS
, par jugement du Tribunal de police de Genève du 20 février 1981.
Selon la jurisprudence la plus récente, le délai de plus longue durée au sens de l'
art. 82 al. 2 RAVS
ne s'applique - en ce qui concerne le délit de détournement de cotisations - qu'à la part salariale des cotisations retenues par l'employeur mais non versées à l'AVS (
ATF 111 V 175
consid. 4; RCC 1985 p. 645). Il remplace le délai d'une année et son point de départ se détermine d'après l'
art. 71 CP
; s'agissant d'un délit successif, il commence à courir à partir du jour où l'employeur a, pour la dernière fois, déduit des cotisations de salaires de son personnel et les a détournées de leur destination (
ATF 111 V 176
consid. 4a).
D'autre part, d'après la jurisprudence relative à l'
art. 60 al. 2 CO
, la prescription pénale visée par cette disposition est la prescription ordinaire de l'
art. 70 CP
et non pas la prescription absolue de l'
art. 72 ch. 2 al. 2 CP
, qui met fin à toute poursuite pénale, en principe, lorsque le délai de prescription ordinaire est dépassé de moitié (
ATF 100 II 342
,
ATF 97 II 140
ss; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, p. 387). Il n'y a pas de raisons de ne pas appliquer le même principe dans le cadre de l'
art. 82 al. 2 RAVS
, ce que le Tribunal fédéral des assurances a d'ailleurs déjà admis, implicitement tout au moins (
ATF 111 V 176
). En effet, cette disposition réglementaire s'inspire à l'évidence de l'
art. 60 al. 2 CO
et la ratio legis est la même dans les deux domaines du droit (cf. à ce propos
ATF 111 V 175
consid. 4a et les références citées).
Cela étant, le délai de l'
art. 82 al. 2 RAVS
était en l'occurrence de cinq ans (
art. 87 al. 6 LAVS
en liaison avec l'
art. 70 CP
). Il a commencé à courir, au plus tard, au moment de l'ouverture de la faillite de X S.A., en juin 1975, c'est-à-dire à une époque où la société n'était plus en droit de payer des salaires ni, par conséquent, de prélever des cotisations; il était donc également expiré à la date du 19 novembre 1982.
d) De ce qui précède, il résulte que le moyen tiré de la péremption du droit de la caisse de compensation est bien fondé. | null | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4af8eb3c-e9d3-4da6-92c2-2f8307e48f2b | Urteilskopf
139 IV 94
13. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause A. contre Ministère public de la Confédération (recours en matière pénale)
1B_755/2012 du 17 janvier 2013 | Regeste
Dauer der Sicherheitshaft nach dem erstinstanzlichen Urteil;
Art. 231 StPO
.
Die Regel, wonach die Dauer der Sicherheitshaft zu begrenzen ist, gilt auch dann, wenn sie vom erstinstanzlichen Gericht in Anwendung von
Art. 231 StPO
mit dem Urteil verhängt wird (E. 2.3.1).
Nach Ablauf der Frist von
Art. 227 Abs. 7 StPO
, welcher analog anwendbar ist, hat das Gericht die Haftvoraussetzungen von Amtes wegen neu zu prüfen und die Haft gegebenenfalls für eine bestimmte Dauer zu verlängern (E. 2.3.2).
Auswirkungen von Unregelmässigkeiten (E. 2.4). | Sachverhalt
ab Seite 94
BGE 139 IV 94 S. 94
A.
Par jugement du 28 juin 2012, la Cour des affaires pénales du Tribunal pénal fédéral (ci-après: la Cour des affaires pénales du TPF) a condamné A. à une peine privative de liberté de 78 mois - sous
BGE 139 IV 94 S. 95
déduction de 837 jours de détention provisoire et pour des motifs de sûreté - pour plusieurs infractions, dont la participation à une organisation criminelle (art. 260
ter
CP). Par décision du même jour, la Cour des affaires pénales du TPF a maintenu le prénommé en détention pour des motifs de sûreté afin de garantir l'exécution de la peine prononcée, en application de l'art. 231 al. 1 let. a du Code de procédure pénale suisse (CPP; RS 312.0).
Le 22 octobre 2012, A. s'est plaint du fait que la détention pour des motifs de sûreté serait devenue illicite dès le 29 septembre 2012, soit à l'échéance d'un délai de trois mois à compter de son prononcé. Considérant que le prénommé demandait sa mise en liberté immédiate, à l'instar d'un co-prévenu, la Cour des affaires pénales du TPF a rejeté cette requête et maintenu l'intéressé en détention pour des motifs de sûreté, par décision du 30 octobre 2012. A. a contesté cette décision auprès de la Cour des plaintes du TPF, qui a déclaré son recours irrecevable par décision du 11 décembre 2012. (...)
B.
Agissant par la voie du recours en matière pénale, A. demande au Tribunal fédéral de réformer cette décision en ce sens que son recours est déclaré recevable et que la décision du 30 octobre 2012 de la Cour des affaires pénales du TPF est réformée dans le sens d'une constatation de l'illicéité de sa détention entre le 29 septembre et le 30 octobre 2012, avec octroi d'une indemnité à ce titre. (...) Le Tribunal fédéral a partiellement admis le recours.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Invoquant notamment une violation des
art. 229 ss CPP
, le recourant soutient en substance que sa détention pour des motifs de sûreté aurait dû être prolongée à l'échéance d'un délai de trois mois courant dès le prononcé du 28 juin 2012. (...)
2.1
La détention pour des motifs de sûreté commence lorsque l'acte d'accusation est notifié au tribunal de première instance et s'achève lorsque le jugement devient exécutoire, que le prévenu commence à purger sa sanction privative de liberté ou qu'il soit libéré (
art. 220 al. 2 CPP
). Conformément à l'
art. 231 al. 1 CPP
, au moment du jugement, le tribunal de première instance détermine si le prévenu qui a été condamné doit être placé ou maintenu en détention pour des motifs de sûreté: (let. a ) pour garantir l'exécution de la peine ou de la mesure prononcée ou (let. b) en prévision de la procédure d'appel.
BGE 139 IV 94 S. 96
La procédure relative à la détention pour des motifs de sûreté est régie par l'
art. 229 CPP
. Lorsqu'il y a eu détention provisoire préalable, l'
art. 229 al. 3 let. b CPP
renvoie à l'
art. 227 CPP
. Selon l'
art. 227 al. 7 CPP
, le tribunal des mesures de contrainte peut ordonner une détention pour des motifs de sûreté de trois mois au plus, voire de six mois au plus dans des cas exceptionnels. La détention pour des motifs de sûreté doit donc être fixée pour une durée maximale de trois mois (ou exceptionnellement de six mois), à chaque fois renouvelable. En effet, un contrôle périodique de l'adéquation aux principes de célérité et de proportionnalité de la détention pour des motifs de sûreté doit pouvoir être opéré par le tribunal des mesures de contrainte et ce, même si l'inculpé a en principe la possibilité de solliciter en tout temps sa mise en liberté (
ATF 137 IV 180
consid. 3.5 p. 184 ss).
La question qui se pose en l'espèce est celle de savoir si ces règles valent aussi lorsque la détention pour des motifs de sûreté est ordonnée par le tribunal de première instance au moment du jugement, en application de l'
art. 231 CPP
.
(...)
2.3
Dans l'
ATF 137 IV 180
précité, le Tribunal fédéral a écarté les avis de doctrine préconisant une durée illimitée de la détention pour des motifs de sûreté. Il n'a pas suivi l'argument selon lequel cette détention n'était appelée à durer que jusqu'aux débats, voire jusqu'au moment de l'exécution du jugement, car il a constaté que cette issue n'intervenait pas nécessairement à brève échéance dans la pratique. De plus, le législateur ne semblait pas avoir voulu traiter différemment sur ce point la détention pour des motifs de sûreté de la détention provisoire, la nature de la détention demeurant la même (
ATF 137 IV 180
consid. 3.5 p. 185 s.).
2.3.1
Ces considérations valent aussi lorsque la détention pour des motifs de sûreté est ordonnée par le tribunal de première instance au moment du jugement, en application de l'
art. 231 CPP
. Il n'est en effet aucunement garanti que la détention prononcée sur cette base soit de courte durée, ce que démontre au demeurant la présente procédure. De plus, si le législateur a estimé que l'intervention du tribunal des mesures de contrainte n'était plus nécessaire à ce stade de la procédure, c'est uniquement parce que le risque que la décision en matière de détention pour des motifs de sûreté soit considérée comme un motif de récusation n'existe plus à ce moment-là (Message du 21 décembre 2005 relatif à l'unification du droit de la procédure pénale, FF 2005 1216 ad art. 230). On ne peut donc pas en déduire que le
BGE 139 IV 94 S. 97
législateur a voulu exclure une durée limitée de la détention pour des motifs de sûreté après le jugement de première instance. En définitive, les motifs développés dans l'arrêt susmentionné conduisent à considérer qu'un contrôle périodique de l'adéquation aux principes de célérité et de proportionnalité de la détention pour des motifs de sûreté doit pouvoir être opéré même dans les cas où cette mesure est ordonnée par le tribunal de première instance au moment du jugement, et ce indépendamment de la possibilité de solliciter en tout temps une mise en liberté.
2.3.2
En l'occurrence, le fait que la décision du 28 juin 2012 ordonnant la détention pour des motifs de sûreté ne fixe pas la durée de celle-ci est en soi problématique. En appliquant par analogie les
art. 227 et 229 CPP
, on peut toutefois considérer que la détention était ordonnée pour un délai de trois mois au plus, l'autorité compétente ne faisant pas valoir l'existence d'un cas exceptionnel justifiant une durée de six mois (cf.
ATF 137 IV 180
consid. 3.5 p. 184 s.). Ce délai de trois mois correspond d'ailleurs au délai maximal dont dispose le tribunal pour motiver son jugement par écrit (
art. 84 al. 4 CPP
). A l'échéance de ce délai de trois mois, soit le 29 septembre 2012, il appartenait donc au tribunal de réexaminer d'office la détention et de la prolonger le cas échéant. Comme le tribunal compétent ne l'a fait que le 30 octobre 2012, c'est à juste titre que le recourant se plaint du fait que sa détention ne reposait pas sur un titre valable entre ces deux dates. Son recours doit donc être admis sur ce point, la décision attaquée étant réformée en ce sens qu'il est constaté que la détention subie par le recourant entre le 29 septembre 2012 et le 30 octobre 2012 ne reposait pas sur un titre valable.
2.4
Selon la jurisprudence, une violation des règles de procédure relatives à la détention avant jugement peut être réparée d'emblée par une constatation de l'irrégularité, une admission partielle du recours sur ce point, la mise à la charge de l'Etat des frais de justice et l'octroi de pleins dépens au recourant (
ATF 137 IV 118
consid. 2.2 p. 121 s.,
ATF 137 IV 92
consid. 3.2.3 p. 98;
ATF 136 I 274
consid. 2.3 p. 278). Se fondant sur un tel constat, l'intéressé peut, selon la gravité de l'irrégularité, introduire une procédure d'indemnisation prévue à l'
art. 431 CPP
en cas de mesure de contrainte illicite (arrêt 1B_683/2011 du 5 janvier 2012 consid. 2.2.1, in Pra 2012 n
o
113 p. 791). Il n'appartient pas à la Cour de céans de statuer en première instance sur ce point, de sorte que la conclusion tendant à l'octroi d'une indemnité pour détention illicite doit être rejetée. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4afa9f8e-3e75-47cc-9713-27083818fdd1 | Urteilskopf
97 III 7
3. Arrêt du 26 janvier 1971 dans la cause W. | Regeste
Fiktion der Zustellung einer Gerichtsurkunde im Falle, dass der Adressat die in seinen Briefkasten gelegte Abholungseinladung nicht befolgt (Erw. 1).
Eine Lohnpfändung, die offenkundig beträchtlich in das zum Leben Notwendige eingreift, ist von Amtes wegen aufzuheben (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 7
BGE 97 III 7 S. 7
A.-
X. a requis de W., à Fribourg, le paiement de 13 973 fr. 50 en capital par une poursuite portant le no 145 503 de l'Office des poursuites de la Sarine. Saisi d'une réquisition de continuer la poursuite, cet office a demandé à celui de Lucerne de procéder à la saisie des biens que le débiteur posséderait dans le commerce que sa femme exploite à Lucerne et de fixer le montant du minimum vital. Selon les renseignements fournis par l'Office des poursuites de Lucerne, le débiteur est père de trois enfants, nés en 1958, 1960 et 1965. Il n'a pas de biens saisissables. Il travaille pour le compte de sa femme. Il reçoit un salaire mensuel de 1000 fr. ainsi qu'un montant de 500 fr. par mois en couverture de ses frais. La contribution de son épouse aux charges du ménage s'élève à
BGE 97 III 7 S. 8
400 fr. par mois. L'office de Lucerne a calculé les charges mensuelles du débiteur comme il suit:
entretien pour un couple: fr. 450.--
entretien des trois enfants: " 230.--
loyer à Ebikon: " 414.--
loyer à Fribourg: " 165.--
frais supplémentaires de chauffage: " 15.-
dépenses pour soins médicaux: " 25.-
supplément professionnel: " 20.-
primes d'assurances: " 120.--
total: fr. 1439.--
Il a laissé à l'Office des poursuites de la Sarine le soin d'examiner si le loyer de l'appartement de Fribourg devait être inclus dans le minimum vital.
Le 4 septembre 1970, l'Office des poursuites de la Sarine a opéré une saisie de salaire de 400 fr. par mois au préjudice de W. La date à laquelle la copie du procès-verbal de saisie a été communiquée au débiteur ne ressort pas du dossier.
B.-
Par lettre du 13 octobre 1970, W. a porté plainte à l'autorité de surveillance. Il prétend qu'il lui est absolument impossible de verser 400 fr. par mois. Il fait valoir que, compte tenu de la contribution de sa femme aux charges du ménage, son salaire mensuel est de 1400 fr. Il affirme que le montant de 500 fr. par mois, qu'il reçoit en plus de son salaire, sert exclusivement à couvrir ses dépenses professionnelles, notamment ses frais de voiture.
Statuant le 3 novembre 1970, la Chambre des poursuites et faillites du Tribunal cantonal fribourgeois a rejeté la plainte. Dans ses motifs, elle relève que le plaignant a déclaré à l'Office des poursuites de Lucerne qu'il ne possédait aucun bien. Elle en déduit qu'il n'a pas à assumer de frais pour l'entretien d'un véhicule automobile. Elle considère enfin qu'il n'a pas cherché à établir l'importance de ses frais professionnels.
Une expédition de la décision a été communiquée deux fois à W., à son adresse à Fribourg, comme acte judiciaire recommandé. Le premier envoi a été mis à la poste le 9 novembre 1970. Il a été retourné à l'autorité cantonale, muni de la mention "absent jusqu'au 25.11.70". Le 27 novembre, le facteur a tenté de remettre cet acte judiciaire à W. Mais il ne put le lui
BGE 97 III 7 S. 9
délivrer. La poste l'a renvoyé à l'expéditeur au plus tôt le lundi 7 décembre. L'inscription "délai 5 décembre" figurait sur l'accusé de réception, auquel était annexé un avis de l'office postal de Fribourg, du 7 décembre, qui a la teneur suivante: "Le destinataire nous a transmis un ordre de changement d'adresse pour: Hauptpostlagernd, 3000 Bern". La décision a alors été envoyée au plaignant à cette nouvelle adresse sous pli recommandé ordinaire, expédié le 11 décembre. Le plaignant a retiré le pli le 22 décembre, soit pendant les féries de Noël.
C.-
Contre cette décision, W. a recouru au Tribunal fédéral par acte mis à la poste le 10 janvier 1971. Il reprend les arguments contenus dans sa plainte. Il estime que la contribution de sa femme aux charges du ménage ne doit être prise en considération qu'à concurrence de 200 fr. par mois. Il précise que le montant de 500 fr., qui lui est versé en plus de son salaire, couvre à peine ses frais de déplacement.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le délai de recours de dix jours prévu à l'art. 19 LP commence à courir dès la notification de la décision motivée de l'autorité cantonale de surveillance (art. 77 OJ). Les art. 75 ss. OJ, ni aucune autre disposition de ladite loi, n'indiquent la forme en laquelle une telle décision doit être notifiée. L'art. 4 de l'ordonnance du Tribunal fédéral du 3 novembre 1910 concernant la procédure de recours en matière de poursuite pour dettes et de faillite exigeait qu'elle le fût contre récépissé. Cette ordonnance a été abrogée par l'art. 169 OJ. Dès lors, les modalités de cette notification sont régies par le droit cantonal, sous réserve de certains points qui sont réglés par le droit fédéral. Il en est ainsi, notamment, des règles concernant les féries de poursuite (RO 96 III 49 consid. 3, 53 consid. 1) et des
art. 64 à 66
LP qui peuvent être appliqués à titre supplétif, lorsque le droit cantonal ne contient aucune disposition sur les éventualités qui y sont visées (JAEGER, n. 1 à l'art. 64 LP, in fine). La notification d'une décision prise par l'autorité cantonale de surveillance à la suite d'une plainte fait d'ailleurs partie de la procédure de plainte, laquelle est soumise en principe au droit cantonal (RO 86 III 2). En revanche, la question de savoir à partir de quand on doit considérer que la notification d'une décision sujette à un recours devant le Tribunal fédéral a eu lieu relève du droit fédéral (RO 85 IV 116).
BGE 97 III 7 S. 10
Selon la jurisprudence (RO 86 II 4/5, 82 II 167, 82 III 15 consid. 2, 78 I 129 consid. 1 in fine), celui qui durant un procès s'absente pour une longue durée de l'endroit où il a indiqué son adresse sans prendre la précaution de faire suivre sa correspondance ou d'aviser l'autorité de la nouvelle adresse où il peut être atteint doit admettre que la notification a été régulièrement faite à sa dernière adresse, si elle y a été tentée sans succès. De même, en cas de notification postale d'un acte judiciaire, par envoi recommandé avec accusé de réception, la notification est réputée avoir eu lieu le septième et dernier jour du délai de garde prévu aux art. 151 al. 1 et 157 de l'ordonnance d'exécution I de la loi fédérale sur le service des postes, du 1er septembre 1967, lorsque le destinataire de cet acte n'a pas donné suite à l'avis de retrait qui a été glissé dans sa boîte aux lettres (RO 91 II 151/152, 85 IV 116). Il suit de là qu'une partie court le risque de se voir opposer la notification régulière d'un acte judiciaire qu'elle n'a en réalité pas reçu, si elle s'absente pendant sept jours ou plus et omet de faire suivre sa correspondance ou d'indiquer à l'autorité l'adresse où une notification pourrait lui être faite.
En l'espèce, le recourant n'a pas pris ce soin, bien qu'il fût absent jusqu'au 25 novembre 1970, de sorte que la décision attaquée, qui a été mise à la poste le 9 novembre, n'a pu lui être délivrée. D'autre part, rien ne permet de supposer que, lors de la deuxième notification, qui a été tentée le 27 novembre, le facteur ait omis de laisser un avis de retrait dans la boîte aux lettres du recourant. L'accusé de réception de cet envoi porte d'ailleurs la mention "délai 5 décembre". Or le recourant ne l'a pas retiré jusqu'au vendredi 4 décembre 1970, dernier et septième jour du délai de garde. Enfin, il importe peu que par une note du 7 décembre 1970, annexée à l'accusé de réception, l'office postal de Fribourg ait informé l'autorité cantonale que la nouvelle adresse de W. était: "Poste restante, 3000 Berne". L'art. 72 al. 1 de l'ordonnance d'exécution I précitée prévoit en effet que les envois recommandés désignés comme actes judiciaires ne peuvent être adressés poste restante. Cela étant, on doit considérer que la décision attaquée a été notifiée régulièrement au recourant, si ce n'est déjà lors de sa première communication, du moins le vendredi 4 décembre 1970. Mis à la poste le 10 janvier 1971, le présent recours n'a pas été déposé en temps utile. Il est donc irrecevable.
BGE 97 III 7 S. 11
2.
Le débiteur qui entend se plaindre d'une saisie prétendument contraire aux art. 92 et 93 LP doit s'adresser à l'autorité de surveillance dans les dix jours dès la communication du procès-verbal de saisie (art. 17 al. 2 LP; RO 79 III 65; cf. RO 90 III 101). Il est censé avoir renoncé à se prévaloir de ce moyen s'il n'a pas agi en temps utile. Cependant la jurisprudence a tempéré cette exigence et admis, pour des raisons d'humanité et de décence, que la nullité d'une saisie fût prononcée, malgré la tardiveté de la plainte, lorsque la mesure attaquée privait le débiteur et les membres de sa famille des objets indispensables au vivre et au coucher. L'exception ainsi faite à la règle a été étendue aux cas où la saisie porte une atteinte flagrante au minimum vital, à telle enseigne que son maintien risquerait de placer le débiteur dans une situation absolument intolérable (RO 71 III 148, 75 III 5 consid. 1, 76 III 34, 80 III 24/25, 84 III 36 s. consid. 5). D'autre part, que le délai de plainte ait été observé ou non, la tardiveté du recours prévu à l'art. 19 LP n'empêche pas le Tribunal fédéral d'examiner si la saisie est entachée de nullité. Certes le Tribunal fédéral ne peut révoquer des décisions nulles d'un office des poursuites ou des faillites en dehors d'une procédure de recours. Mais il doit le faire dès l'instant où il est saisi d'un recours, ce dernier fût-il irrecevable (RO 94 III 69/70).
En l'espèce, le débiteur est l'employé de son épouse qui lui verse un salaire mensuel de 1000 fr. et dont la contribution aux charges du ménage s'élève à 400 fr. par mois. Il reçoit en outre une indemnité de 500 fr. par mois qui sert exclusivement, à ce qu'il prétend, à couvrir ses frais professionnels. Si cela est exact, il est évident qu'une retenue de 400 fr. par mois sur son salaire ne lui laisserait pas de quoi assurer son existence et celle de sa famille. Il ne disposerait plus que de 1000 fr. par mois, montant nettement inférieur au minimum vital que l'Office des poursuites de Lucerne a fixé à 1439 fr. par mois. Il serait ainsi placé dans une situation absolument intolérable. Il est vrai que l'autorité cantonale a estimé que l'indemnité de 500 fr. devait être ajoutée au salaire du débiteur, parce que celui-ci n'avait pas tenté de prouver l'importance de ses dépenses professionnelles. Cependant, du moment qu'elle avait des doutes sur ce point, elle aurait dû l'inviter à produire les pièces et à fournir les renseignements propres à établir son activité exacte et les frais qui en découlent. Les autorités de poursuite sont en
BGE 97 III 7 S. 12
effet tenues de procéder d'office aux investigations nécessaires pour déterminer la part saisissable du salaire du débiteur (RO 81 III 149 et 152, 87 III 104). L'autorité cantonale aurait dû également examiner si le loyer de 165 fr. par mois que le débiteur paie pour un appartement à Fribourg pouvait être compris dans le minimum vital. L'Office des poursuites de Lucerne avait expressément laissé cette question indécise. Enfin il n'est pas exclu que, suivant l'importance des gains de l'épouse, la contribution de celle-ci aux charges du ménage doive être fixée à un montant supérieur à 400 fr. par mois (cf. RO 94 III 8).
Cela étant, il convient d'annuler d'office la décision de l'autorité cantonale et de lui renvoyer l'affaire pour qu'elle statue à nouveau après avoir complété ses constatations de fait au sujet notamment des frais professionnels du débiteur et de la situation économique de son épouse. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4afd3d42-2d31-47e1-836f-04a32e36ad2f | Urteilskopf
124 V 1
1. Arrêt du 30 janvier 1998 dans la cause Office fédéral des assurances sociales contre H. et Tribunal administratif du canton de Fribourg | Regeste
Art. 10 Abs. 1 AHVG
;
Art. 28 und 29 AHVV
: Festsetzung der Beiträge Nichterwerbstätiger.
Gibt ein Versicherter seine Erwerbstätigkeit zu Beginn eines geraden Jahres auf und liegt, in einem Kanton mit zweijähriger Veranlagungsperiode, keine Zwischenveranlagung vor, ist die für die Eigenkapitalberechnung massgebende Regel analog anwendbar, gemäss welcher auf das Vermögen am 1. Januar des der betroffenen Beitragsperiode unmittelbar folgenden Jahres abzustellen ist, wenn für diese keine Steuermeldung erhältlich ist.
Damit die schematische Anwendung dieser Regel nicht zu einer rechtswidrigen Situation führt, hat die Kasse dem Beitragspflichtigen indessen die Möglichkeit einzuräumen, eine allfällige im vergangenen Jahr eingetretene Vermögensveränderung darzulegen. | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 124 V 1 S. 2
A.-
Employé de la société I. SA à M., H. a pris une retraite anticipée le 1er novembre 1991. Dès le 1er janvier 1992, il a été affilié en qualité de non-actif à la Caisse de compensation du canton de Fribourg.
Par décision du 27 décembre 1991, la caisse a fixé à 2'691 fr. 40 le montant annuel des cotisations de l'assuré pour les années 1992 et 1993 (y compris les frais administratifs), en se fondant sur un revenu acquis sous forme de rente de 58'335 francs et une fortune au 1er janvier 1991 de 186'383 francs.
A la suite d'une communication du Service cantonal fribourgeois des contributions pour la 27e période fiscale de l'impôt fédéral direct (IFD) (années 1993-1994), la caisse a rendu une nouvelle décision, le 14 juillet 1995, portant à 3'209 francs la cotisation due pour l'année 1992. Elle se fondait sur une fortune de 480'272 francs au 1er janvier 1993.
B.-
Le recours de H. formé devant le Tribunal administratif du canton de Fribourg a été partiellement admis par jugement du 15 janvier 1997. Les premiers juges ont considéré que le montant des cotisations de l'assuré devait se fonder sur sa situation économique réelle et que la date déterminante était, in casu, le 1er janvier 1992. La cause a été renvoyée, en conséquence, à la caisse pour nouvelle décision dans ce sens.
C.-
L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont il demande l'annulation et conclut au rétablissement de la décision antérieure. Il reproche aux juges cantonaux d'avoir statué sans égard au fait que la taxation fiscale était bisannuelle dans le canton de Fribourg et que les autorités fiscales n'étaient pas en mesure de fournir les données requises concernant la fortune au 1er janvier 1992. Par ailleurs, l'instauration d'une telle pratique entraînerait des difficultés administratives disproportionnées puisque la caisse devrait alors estimer elle-même la fortune selon des règles propres à chaque canton, bien que cette question incombe, selon l'
art. 29 al. 3 RAVS
, aux autorités fiscales. L'OFAS propose, en
BGE 124 V 1 S. 3
conséquence, que les caisses puissent s'en tenir à ses directives (ch. 2082 et 2083 des directives de l'OFAS sur les cotisations des travailleurs indépendants et des non-actifs [DIN]).
H. n'a pas répondu au recours. De son côté, la Caisse de compensation du canton de Fribourg se rallie aux conclusions de l'OFAS.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Pouvoir d'examen)
2.
a) En vertu de l'
art. 10 al. 1 LAVS
, les assurés n'exerçant aucune activité lucrative paient une cotisation de 168 francs (299 francs au 1er janvier 1992) à 8'400 francs par an suivant leurs conditions sociales. L'
art. 10 al. 3 LAVS
délègue au Conseil fédéral la compétence d'édicter des règles plus détaillées sur le calcul des cotisations. C'est ce que l'autorité exécutive a fait aux art. 28 à 30 RAVS; elle y concrétise la notion des conditions sociales en prescrivant de fixer les cotisations sur la base de la fortune et du revenu annuel acquis sous forme de rente multiplié par 20 (
art. 28 RAVS
, dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 1996;
ATF 120 V 166
consid. 2 et les références).
b) L'
art. 29 RAVS
prescrit de fixer la cotisation annuelle en général pour une période de deux ans (al. 1), sur la base du revenu annuel moyen acquis sous forme de rente d'une période de deux ans elle aussi (comprenant la deuxième et la troisième année antérieures à la période de cotisations) ainsi que d'après la fortune, le jour déterminant pour le calcul de cette dernière étant en général le 1er janvier de l'année qui précède la période de cotisations (al. 2). Aux termes de l'
art. 29 al. 3 RAVS
(dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 1996), les autorités fiscales cantonales établissent la fortune déterminant le calcul des cotisations des personnes sans activité lucrative sur la base de la taxation cantonale passée en force, adaptée aux normes de l'impôt fédéral direct. Les art. 22 à 27 RAVS (relatifs aux cotisations des personnes exerçant une activité lucrative indépendante) sont applicables par analogie (
art. 29 al. 4 RAVS
). Quant au revenu acquis sous forme de rente, il doit être établi par les caisses de compensation avec la collaboration - dans la mesure du possible - des autorités fiscales (
art. 29 al. 5 RAVS
).
c) La Cour de céans a déjà eu l'occasion de juger que lorsqu'un assuré cesse d'exercer toute activité lucrative, les cotisations sont fixées d'après l'état de la fortune à ce moment-là, l'
art. 25 RAVS
étant
BGE 124 V 1 S. 4
applicable par analogie (ATFA 1959 p. 44). Il y a lieu de se fonder sur la situation économique réelle de l'assuré durant l'année ou les années considérées, jusqu'au moment où il sera possible d'entrer dans la procédure ordinaire. D'autre part, le Tribunal fédéral des assurances a précisé que le jour déterminant pour le calcul de la fortune est fixé d'après les prescriptions régissant l'impôt pour la défense nationale (IDN) (actuellement IFD) et qu'il coïncide donc avec le jour qui était déterminant pour la dernière taxation IDN ayant précédé la période de cotisations. S'il n'existait pas encore, ce jour-là, une obligation de cotiser, il faut prendre en considération l'état de la fortune au moment où cette obligation est née, l'
art. 25 RAVS
étant applicable par analogie en cas de modification importante des bases de calcul (
ATF 105 V 117
; RCC 1990 p. 457).
d) Dans le cas particulier, l'intimé a pris une retraite anticipée et dispose dès lors uniquement de ses rentes pour vivre. Il a ainsi acquis, dès le 1er janvier 1992, le statut de personne sans activité lucrative, tenue de cotiser selon ses conditions sociales, lesquelles sont déterminées par sa fortune. C'est dire que cette dernière constitue désormais, avec les revenus sous forme de rentes convertis en capital et englobés dans sa fortune, la base de calcul des cotisations de l'intéressé. Le renvoi, à l'
art. 29 al. 4 RAVS
, aux dispositions des art. 22 à 27 RAVS, applicables par analogie, ne peut dès lors que signifier qu'il y a lieu de calculer les cotisations en se fondant sur la situation économique réelle de l'assuré durant les années considérées, jusqu'au moment où il est possible d'entrer dans la procédure ordinaire.
Or, le point de vue de l'office recourant tel qu'exprimé sous ch. 2083 DIN ne tient pas compte, dans tous les cas, du fait que, dans la procédure extraordinaire, c'est le revenu effectif des années concernées qui est déterminant pour arrêter les cotisations et qu'il n'en va pas autrement lorsque c'est la fortune - et non le revenu - qui sert de base au calcul desdites cotisations (RCC 1990 p. 459 consid. 2; voir au demeurant l'art. 29 al. 2 deuxième phrase RAVS).
Appliqué en l'espèce, le ch. 2083 DIN sur lequel se fonde le recourant et qui prescrit, dans certaines situations, de se baser sur l'état de la fortune au 1er janvier suivant immédiatement la période concernée, se révèle, dans son résultat, contraire à la loi. En effet, l'intimé disposait, jusqu'au 31 décembre 1992, d'une fortune de 186'383 francs. La fixation du montant des cotisations pour l'année 1992 sur la base d'une fortune de 480'272 francs au 1er janvier 1993, telle que résultant de la communication des autorités fiscales du 11 mai 1995, aurait pour conséquence non seulement d'astreindre l'intimé à cotiser suivant une
BGE 124 V 1 S. 5
situation économique qui diffère de la réalité mais surtout de l'obliger à payer des cotisations plus élevées que celles correspondant à sa condition sociale, ce qui est contraire à l'
art. 10 al. 1 LAVS
.
Dans la mesure où, par son recours, l'OFAS entend faire constater, en toute hypothèse, le bien-fondé de la procédure préconisée pour fixer la fortune, il ne peut être suivi.
3.
a) Si la fixation de la cotisation des personnes n'exerçant aucune activité lucrative ne pose, dans la procédure ordinaire, que relativement peu de difficultés, il n'en va pas toujours de même de la fixation en procédure extraordinaire, applicable spécialement pour la première année sans activité. Comme on l'a vu, la date déterminante pour le calcul de la fortune est, en règle générale, le 1er janvier de l'année qui précède la période de cotisation. La taxation cantonale passée en force sert de base pour en fixer le montant.
Lorsque la période de cotisation débute le 1er janvier d'une année impaire, l'application de ces règles ne pose pas de problèmes particuliers en raison de la correspondance avec la période fiscale. Contrairement à ce que soutient l'office recourant dans son écriture, il devrait d'une manière générale en aller de même lorsque la période de cotisation commence une année paire. Ce sera le cas si l'assuré est domicilié soit dans un canton qui applique la taxation fiscale annuelle, soit dans un canton qui pratique celle bisannuelle, les dispositions légales topiques prévoyant, en cas de cessation d'activité lucrative, une taxation intermédiaire (cf. dans ce sens les
art. 45 LIFD
[RS 642.11], 43, 124 et 125 de la loi sur les impôts cantonaux du canton de Fribourg [RSF 631.1]).
Au regard des exigences découlant de l'
art. 10 al. 1 LAVS
et de la jurisprudence y relative, la fixation de la cotisation annuelle devra intervenir dans tous les cas selon la situation économique réelle de l'assuré, telle que résultant des renseignements des autorités fiscales pour l'année considérée.
b) Reste à examiner ce qu'il y a lieu de faire lorsque l'assuré cesse son activité avec effet au début d'une année paire et en l'absence d'une taxation intermédiaire dans un canton qui pratique la taxation bisannuelle, comme c'est le cas en l'espèce du canton de Fribourg.
Selon la jurisprudence constante rendue en application des
art. 10 al. 1 LAVS
, 28 et 29 RAVS (
ATF 105 V 117
et ATFA 1959 p. 44; voir aussi
ATF 120 V 166
consid. 2 déjà cité), le moment déterminant pour estimer la fortune servant à fixer les cotisations d'un assuré n'exerçant aucune activité lucrative est celui où cette obligation est née. Par ailleurs, le calcul de la
BGE 124 V 1 S. 6
fortune intervient sur la base de la taxation cantonale passée en force (
art. 29 al. 3 RAVS
;
ATF 105 V 117
).
La juridiction de première instance a arrêté au 1er janvier 1992 la date déterminante, parce que c'est à cette date que l'obligation de cotiser en qualité de personne n'exerçant aucune activité lucrative est née. Dans la mesure toutefois où elle a omis de prendre en considération le fait que le canton de Fribourg applique la taxation bisannuelle et que, au 1er janvier 1992, la caisse ne pouvait pas disposer d'une taxation de l'autorité fiscale cantonale pour calculer la fortune, son jugement aboutit à des résultats inacceptables.
Ainsi que l'office recourant le fait justement remarquer, la plupart des cantons appliquent le système de taxation bisannuelle, si bien qu'il n'est pas possible, au début d'une année paire, d'obtenir les éléments nécessaires au calcul. En pareil cas, les caisses se verraient ainsi contraintes de procéder, dans chaque cas particulier, et selon les règles propres à chaque canton, à une taxation de la fortune selon une loi fiscale cantonale, ce qui n'est pas leur tâche. Par ailleurs, une telle exigence apparaît sans nul doute disproportionnée. Au demeurant, on peut se demander si elle demeure encore compatible avec la disposition de l'
art. 29 al. 3 RAVS
qui prescrit aux caisses de s'en remettre à l'appréciation de l'autorité fiscale.
Dans ces conditions, et comme la Cour de céans a eu l'occasion de le préciser en matière de calcul du capital propre (
art. 9 al. 2 let
. e LAVS, art. 18 al. 2 et
art. 25 al. 1, 3 et 4 RAVS
; VSI 1994 p. 275), on peut, par raisonnement analogique, s'en tenir à la règle selon laquelle, s'il n'est pas possible d'obtenir une communication fiscale pour la période de cotisation concernée, il faut se fonder sur la fortune au 1er janvier de l'année qui suit immédiatement celle-ci.
Toutefois, pour éviter que, par l'application schématique de cette règle, on aboutisse, comme dans le cas de l'intimé, à une situation contraire au droit, la caisse doit donner l'occasion à l'assuré d'établir la modification éventuelle de la fortune survenue durant l'année écoulée. Et s'il apparaît, au moins au degré de la vraisemblance requis, que la situation de fortune était sensiblement inférieure au moment où l'obligation de cotiser est née, la caisse devra prendre ce montant en considération pour fixer la cotisation.
4.
Le jugement attaqué et la décision administrative litigieuse doivent être annulés et la cause renvoyée à la caisse pour qu'elle procède conformément aux considérants et, le cas échéant, qu'elle calcule à nouveau la cotisation de l'année 1992. (Frais judiciaires) | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4afd9a32-37c2-42b3-9a25-d15f779a446f | Urteilskopf
114 Ia 245
38. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. April 1988 i.S. X. AG gegen Gemeinde St. Moritz und Regierung des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 und 22ter BV
; Einweisung von Grundstücken in eine Gefahrenzone; Rechtsschutz nach
Art. 33 und
Art. 2 Abs. 3 RPG
.
1. Es ist mit den Rechtsschutzanforderungen von
Art. 33 RPG
vereinbar, wenn die Beschwerdebehörde die angefochtene Nutzungsplanung zwar voll überprüft, sich aber nach Massgabe ihrer Rolle, die sie als Rechtsmittelinstanz im betreffenden Sachzusammenhang sachlich und institutionell erfüllt, bei der Überprüfung zurückhält (E. 2).
2.
Art. 15 RPG
bestimmt die im Rahmen der Eigentumsgarantie vorzunehmende Interessenabwägung (E. 5a); Bedeutung des planerischen Eignungsbegriffs nach dieser Vorschrift und Anwendung der entsprechenden Kriterien auf den vorliegenden Fall (E. 5b und c; E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 245
BGE 114 Ia 245 S. 245
Die X. AG ist Eigentümerin der am Brattashang im Gebiet "Fullun" gelegenen Parzellen Nrn. 151 und 152. Nach dem Zonenplan der Gemeinde St. Moritz vom 7. März 1971 gehörten sie zur "Allgemeinen Wohnzone". Unter dem Regime des Bundesbeschlusses über dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung vom 17. März 1972 (BMR) waren sie einer provisorischen Schutzzone (Art. 2 Abs. 2 BMR) zugewiesen.
BGE 114 Ia 245 S. 246
Im Zusammenhang mit Baugesuchen von Y., dem die Aktien der X. AG anscheinend zur Hauptsache gehören, sowie der X. AG wurden eine Reihe von Begutachtungen über die bauliche Sicherheit im Rutschgebiet des Brattashanges durchgeführt. Sie sind im Gutachten "Brattas Hang, St. Moritz, Geotechnische Zonierung, Bericht Nr. 3922/4" vom 29. April 1983, das das Institut für Grundbau und Bodenmechanik (IBG) an der ETH Zürich zusammen mit dem Geotechnischen Ingenieurbüro Dr. H. Bendel GmbH (im folgenden: Gutachten IGB/Bendel) verfasst hat, verzeichnet. Die Gutachter IGB/Bendel erhielten ihren Auftrag von der Gemeinde. Das Ergebnis gab zu Zusatzfragen Anlass, die mit Datum vom 18. Oktober 1985 beantwortet wurden. Ausgespart wurde im Gutachten IGB/Bendel die Frage, ob das Kriechgebiet ganz oder teilweise aus dem Zonenplan (Bauzone) auszuklammern sei (Frage 2). Die Gutachter begnügten sich damit, eine "Geotechnische Risikokarte Brattashang" abzuliefern.
Am 1. November 1971 hatte die Bündner Regierung Richtlinien zur Ausarbeitung von Gefahrenzonenplänen erlassen, die heute in der Fassung vom 9. Januar 1984 vorliegen (im folgenden: Richtlinien Gefahrenzonenpläne). Darin sind unter anderem zur Begutachtung der Ausscheidung von Gefahrenzonen regionale Gefahrenkommissionen des kantonalen Forstdienstes vorgesehen, die aus einem Obmann, einem ständigen Mitglied und dem zuständigen Kreisforstingenieur bestehen, wobei die Kommission befugt ist, in besonderen Fällen im Benehmen mit und zu Lasten der Gemeinde einen ausgewiesenen Spezialisten zuzuziehen oder Expertisen ausarbeiten zu lassen (Art. 8 Richtlinien Gefahrenzonenpläne).
Für die Gemeinde St. Moritz ist die Gefahrenkommission III zuständig. Sie kam an der Sitzung vom 16. März 1983, gestützt auf das Gutachten IGB/Bendel, zum Ergebnis, der Rutschhang "Brattas" über den ausgeschiedenen Zonen und bis zur Gemeindegrenze von Celerina (Waldgebiet) befinde sich in der (roten) Zone mit hoher Gefahr, in der keine dem Aufenthalt von Menschen und Tieren dienende Bauten zulässig sind (Art. 5 Richtlinien Gefahrenzonenpläne), weil die jährliche Geländeverschiebung 3 cm und mehr betrage, die Geländeneigung gross und das Gebiet noch nicht überbaut sei.
Mit dem Zonenplan vom 8. April 1984 wies die Gemeinde St. Moritz die Parzellen der X. AG in die Gefahrenzone I ein. Dort
BGE 114 Ia 245 S. 247
gilt gemäss Art. 27 Abs. 2 des Baugesetzes der Gemeinde St. Moritz vom 8. April 1984 (BauG):
"In der Gefahrenzone I dürfen keine Bauten erstellt werden, die dem Aufenthalt von Menschen und Tieren dienen können."
Mit verfassungsrechtlicher Beschwerde an die Regierung des Kantons Graubünden wandte sich die X. AG gegen die Einweisung ihrer Parzellen in die Gefahrenzone I. Die Regierung wies die Beschwerde nach Durchführung eines Augenscheins mit Entscheid vom 16. Februar 1987 ab.
Eine gegen diesen Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde der X. AG weist das Bundesgericht ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Beschwerdeführerin wirft der Regierung eine Gehörsverweigerung vor, weil sie sich entgegen
Art. 33 RPG
mit einer Kontrolle auf Ermessensüberschreitung bzw. Ermessensmissbrauch hin begnügt habe. Sie führt aus, die vorgenommene Zonenzuweisung habe sich keineswegs aufgedrängt, sei ja auch nicht überall konsequent gehandhabt worden und könne nicht mit einem besonderen Fachwissen der Gefahrenkommission III gerechtfertigt werden. Die Regierung hält dem in ihrer Vernehmlassung entgegen, sie habe sich auf das Urteil des von ihr selbst eingesetzten Fachgremiums und dessen Studium des Gutachtens IGB/Bendel abstützen dürfen. Im übrigen habe sich ihr Entscheid mit diesem Gutachten auseinandergesetzt. Die Gemeinde fügt bei, die Regierung habe die höchst komplexe Ausgangslage sorgfältig umschrieben. Dass sie den kommunalen Entscheid bloss als vertretbar bezeichnet habe, bedeute, dass er ihrer Ansicht nach sachlich hinreichend begründet und zweckmässig sei. Im übrigen hätten so das Ermessen und die Autonomie der Gemeinde anerkannt werden sollen.
b) Das kantonale Recht hat bei Nutzungsplänen wie dem vorliegenden im Interesse des Rechtsschutzes, d.h. zum Schutz der betroffenen Privaten, die volle Überprüfung durch wenigstens eine Beschwerdebehörde zu gewährleisten (
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
). Da nach dem dafür massgebenden kantonalen Recht (
Art. 25 Abs. 1 RPG
) im Kanton Graubünden einzig die Regierung als Beschwerdebehörde eingesetzt ist, muss grundsätzlich sie über die volle Überprüfungsbefugnis verfügen und sie - hier setzt die Beschwerdeführerin ein - dann auch tatsächlich ausüben. Daran
BGE 114 Ia 245 S. 248
ändert das Gebot, den nachgeordneten Behörden den zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötigen Ermessensspielraum zu lassen (
Art. 2 Abs. 3 RPG
), im Prinzip nichts. Die Beschwerdebehörde hat trotzdem zu prüfen, ob das Planungsermessen richtig und zweckmässig ausgeübt worden ist, freilich im Bewusstsein ihrer spezifischen Rolle: Sie ist kantonale Rechtsmittel- und nicht kommunale Planungsinstanz (
BGE 109 Ib 123
ff. E. 5b und c). Das bundesrechtliche Gebot, den planerischen Handlungsspielraum zu belassen (
Art. 2 Abs. 3 RPG
), reduziert die volle Überprüfung nicht auf eine solche der blossen Rechtmässigkeit. Auch wo keine spezifischen positivrechtlichen Anforderungen bestehen, muss die jeweils angefochtene Nutzungsplanung voll überprüft werden, aber differenzierend, eben nach Massgabe der Rolle, die die Rechtsmittelinstanz im betreffenden Sachzusammenhang sachlich und institutionell erfüllt. Die Überprüfung hat sich - sachlich - in dem Umfang zurückzuhalten, als es um lokale Anliegen geht, bei deren Wahrnehmung Sachnähe, Ortskenntnis und örtliche Demokratie (
Art. 1 Abs. 1,
Art. 4 Abs. 2 RPG
) von Bedeutung sein sollen. Sie hat aber so weit auszugreifen, dass die übergeordneten, vom Kanton zu sichernden Interessen, wie etwa dasjenige an der Bauzonenbegrenzung (
Art. 3 Abs. 3,
Art. 15 RPG
), einen angemessenen Platz erhalten. In diesem Zusammenhang kann auf die von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Genehmigung von kommunalen Nutzungsplänen verwiesen werden (
BGE 106 Ia 71
/72; BGE vom 3. Februar 1982 in ZBl 83/1982, S. 352/353 E. 3b, je mit Hinweisen). Die Rechtsmittelbehörde hat sich zudem - institutionell - auf ihre Kontrollfunktion zu beschränken, d.h. sie darf nichts Neues schöpfen, sondern sie hat die kommunale Planung an einem Sollzustand zu messen. Fehlt es an dem dazu erforderlichen Massstab, so kann die Natur der Sache einer Nachprüfung entgegenstehen. Dies ist vielfach bei der räumlichen Abgrenzung von Zonen der Fall. Häufig muss die Grenze einfach irgendwo gezogen werden, ohne dass dies im einzelnen rational begründet werden kann (vgl.
BGE 107 Ib 339
E. 4a mit Hinweis). Hier nicht einzugreifen, verstösst nicht gegen den Auftrag, voll zu überprüfen.
c) Hinsichtlich der Beurteilung der Gefahr an sich beruft sich die Regierung auf die Arbeit der Gefahrenkommission. Auf den ersten Blick ist es verständlich, dass sich die Beschwerdeführerin dagegen wehrt. Diese Kommission ist wohl von der Regierung eingesetzt worden, hat aber ihre Meinung bereits erstinstanzlich,
BGE 114 Ia 245 S. 249
der Gemeinde gegenüber, geäussert. Im Rechtsmittelverfahren hat keine zusätzliche Beurteilung durch ein anderes Fachgremium stattgefunden. Somit könnte die blosse Abstützung auf das Urteil dieser Kommission die Pflicht zu voller Überprüfung verletzen. Die Regierung hat indessen in ihrem Beschwerdeentscheid das Gutachten IGB/Bendel und die Auffassung der Gefahrenkommission sowie die Aussagen ihrer Vertreter am Augenschein im Blick auf die Parzellen der Beschwerdeführerin ihrerseits selbständig gewürdigt. Es ist zwar richtig, dass sie nicht alle Fragen von Grund auf neu beantwortet hat; indessen ist die geübte Zurückhaltung gerechtfertigt. Im vorliegenden Zusammenhang ging es um keinerlei übergeordnete Interessen. Zudem stellten sich ausgesprochene Fachfragen. Darüber hinaus musste sich die Regierung namentlich deshalb nicht näher mit der Grenzziehung befassen, weil es eben keinen Massstab gibt, der besagt, dass die Zonengrenze nicht bei Rutschungen von 3 cm/Jahr, sondern bei 4 cm usw. gezogen werden müsse. Hierin liegt unkontrollierbarer Handlungsspielraum, im Rahmen dessen die örtliche Behörde politisch, aber nicht rechtlich verantwortlich ist.
Eine gewisse Zurückhaltung rechtfertigte sich auch, weil die örtliche Abgrenzung einer Gefahrenzone im einzelnen in erster Linie ein lokales Anliegen darstellt, bei der die Verhältnisse in verschiedenen Teilen der Gemeinde miteinander zu vergleichen und Erfahrungen von bestehenden Gebäuden, früheren Bauabklärungen und -gesuchsverfahren sowie Kenntnisse über Anlage und Zustand der Infrastruktur auszuwerten sind. Dies verlangt Sachnähe und Ortskenntnis.
Schliesslich trifft es zwar zu, dass die Gefahrenkommission primär forstlich orientiert ist. Die Abgrenzung der Gefahrenzone liess sich aber mit dem Gutachten IGB/Bendel durchaus im geforderten Rahmen überprüfen.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass der Regierung keine Gehörsverweigerung vorgeworfen werden kann.
5.
a) Die Einweisung in die Gefahrenzone I belegt die Liegenschaften der Beschwerdeführerin mit einer öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung. Eine solche ist mit der Eigentumsgarantie nur vereinbar, wenn sie unter anderem auf einer gesetzlichen Grundlage beruht und im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt (
Art. 22ter BV
;
BGE 111 Ia 96
E. 2). Die Beschwerdeführerin stellt die gesetzliche Grundlage nicht zur Diskussion,
BGE 114 Ia 245 S. 250
sondern bestreitet, dass ein genügendes öffentliches Interesse an der Eigentumsbeschränkung bestehe.
Die Regierung hat ihren Entscheid im wesentlichen auf
Art. 15 RPG
sowie die entsprechenden kantonalen Bestimmungen (Art. 29 Abs. 1 lit. f des Raumplanungsgesetzes für den Kanton Graubünden vom 20. Mai 1973, KRG) abgestützt. Der Sache nach hat sie dem fraglichen Gebiet die Eignung für die Überbauung, die gemäss
Art. 15 RPG
Grundvoraussetzung für die Einweisung von Land in eine Bauzone ist, abgesprochen (in diesem Sinne auch die Vernehmlassung der Regierung und diejenige der Gemeinde an das Bundesgericht). Insoweit wird das öffentliche Interesse als Eingriffsvoraussetzung für Eigentumsbeschränkungen durch die raumplanungsgesetzlichen Bestimmungen des Bundes konkretisiert (vgl.
BGE 107 Ib 335
E. 2b), und zwar in einer für das Bundesgericht verbindlichen Weise (
Art. 113 Abs. 3 BV
). Dies bedeutet, dass auch bei der Interessenabwägung
Art. 15 RPG
als Norm nicht mehr in Frage gestellt werden darf, in dem z.B. geltend gemacht wird, sie entspreche keinem überwiegenden Interesse. Zudem muss auch eine umfassende Interessenabwägung den spezifischen und in diesem Sinne zwingenden Normgehalt von
Art. 15 RPG
beachten (
BGE 113 Ia 448
E. 4a mit Hinweisen). Fehlt es an der Eignung im Sinne der genannten Vorschrift, so steht fest, dass ein genügendes öffentliches Interesse für die Einweisung in die Gefahrenzone I vorhanden ist.
Ob eine Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt und ob dieses das entgegenstehende private Interesse überwiegt, prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei. Es auferlegt sich jedoch Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken als das Bundesgericht, und soweit sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen (
BGE 113 Ia 33
E. 2;
110 Ia 172
E. 7b/aa mit Hinweis). Dies gilt insbesondere bei der Überprüfung von Zonengrenzen (
BGE 107 Ia 38
E. 3c mit Hinweisen).
b) Der planerische Eignungsbegriff gemäss
Art. 15 RPG
hat der Natur der Sache nach eine zweifache Bedeutung (vgl. dazu eingehend
BGE 113 Ia 448
ff. E. 4b): Einmal ist damit ein Minimalerfordernis gemeint, das erfüllt sein muss, damit überhaupt eine Bauzonierung in Frage kommt. So ist Land, das sich technisch überhaupt nicht überbauen lässt, nie als "geeignet" im Sinne von
Art. 15 RPG
anzusehen. Jenseits dieser Schwelle lässt sich indessen die
BGE 114 Ia 245 S. 251
Frage nach der Eignung oft nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. In diesen Fällen hat das Erfordernis der Eignung eine relative Bedeutung: Es stellt einen Gesichtspunkt dar, der nebst anderen Interessen in der raumplanerischen Abwägung und Abstimmung (Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und 2 sowie
Art. 3 RPG
) mitzuberücksichtigen ist. Im Rahmen dieser Abwägung sind Querverbindungen unter den Bauzonenkriterien zulässig. Es darf durchaus argumentiert werden, die Eignung sei um so eher zu bejahen, als das Land bereits "weitgehend überbaut" (
Art. 15 lit. a RPG
) oder erschlossen (
Art. 15 lit. b RPG
) sei, oder, umgekehrt, um so eher zu verneinen, als das Land noch unüberbaut oder unerschlossen sei. So ist die Gefahrenkommission III der Sache nach vorgegangen.
Diese Relativierung ist möglich, weil es sich bei den Bauzonenkriterien um generelle, planungsbezogene Anforderungen und nicht um Voraussetzungen für individuelle Bauvorhaben handelt. Sie beziehen sich auf ganze als Zonen auszuscheidende Gebiete, nicht auf einzelne Parzellen. Ihre Perspektive ist mehr allgemein, übergeordnet, mit der Folge, dass den besonderen Interessen jedes einzelnen der betroffenen Grundeigentümer nur in beschränktem Umfang Rechnung getragen werden kann (
BGE 89 I 198
/199 E. 3).
c) Grundvoraussetzung für die Einweisung von Land in eine Bauzone ist seine Eignung (
Art. 15 RPG
; Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Raumplanung vom 27. Februar 1978, BBl 1978 I 1023;
BGE 113 Ia 450
E. 4c). Land ist geeignet, wenn die Eigenschaften des betreffenden Gebiets den Anforderungen genügen, die aus der Sicht der dafür vorgesehenen Nutzung zu stellen sind. Es geht somit einerseits um die Beschaffenheit des Bodens sowie die tatsächliche Situation (Topographie, Exposition, Klima usw.), also die natürlichen Gegebenheiten (
Art. 1 Abs. 1 Satz 3 RPG
). Andererseits sind für die in Frage stehende Nutzung die Ziele und Grundsätze des massgebenden Rechts zu beachten. Dazu gehören insbesondere diejenigen des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (vorab Art. 1 Abs. 2 lit. b,
Art. 3 Abs. 3 lit. a und b RPG
). Nicht zuletzt ist auch bei Zonen für privates Bauen den Bedürfnissen der öffentlichen Infrastruktur Rechnung zu tragen.
Am Brattashang kann höchstens eine Wohnnutzung in Frage kommen. Zum Wohnen gehört vorrangig die Sicherheit der Bewohner, der Bauten und der Infrastrukturanlagen gegenüber Erschütterung, Beschädigung, Einsturz usw. Nach dem kantonalen Raumplanungsgesetz sind unter anderem Gebiete in Gefahrenzonen
BGE 114 Ia 245 S. 252
einzuweisen, die von Rutschungen bedroht sind (
Art. 29 Abs. 1 lit. f KRG
). Die regierungsrätlichen Richtlinien konkretisieren, dass eine Wohnüberbauung ausgeschlossen - und damit im bundesrechtlichen Sinn das Minimalerfordernis der Eignung nicht mehr erfüllt - ist, wenn den Naturgewalten im schlimmsten Fall vernichtende Wirkung für Leben und Sachwerte beigemessen wird. Die Häufigkeit und Druckwirkung solcher Naturereignisse bleiben mit Ausnahme bei Lawinen ohne Einfluss auf die Abgrenzung dieser Zone (Art. 3 lit. a, Art. 5 Abs. 1 Richtlinien Gefahrenzonenpläne). Diese Konkretisierungen halten sich an den Rahmen des Bundesgesetzes und entsprechen, soweit dies zu überprüfen ist, einem genügenden öffentlichen Interesse.
6.
a) Unbestrittenermassen besteht am Brattashang Rutschgefahr. Zu prüfen ist vorab, ob diese so gross sei, dass das Gebiet, in dem die Parzellen Nrn. 151 und 152 liegen - das Gebiet "Brattas-Fullun" - als für eine Wohnüberbauung ganz ausser Betracht fallend erachtet werden durfte.
(Im folgenden werden die Ausführungen der Experten im Gutachten IGB/Bendel und an der Instruktionsverhandlung vor Bundesgericht bezüglich der Rutschgefahr wiedergegeben.)
Aufgrund dieser überzeugenden Darlegungen der Experten ist davon auszugehen, dass das Risiko im Gebiet der beschwerdeführerischen Liegenschaften sehr gross ist. Ob es - absolut - so gross ist, dass allein deswegen das Bauen verboten werden muss, ist nicht Experten-, sondern Rechtsfrage. Eine Gefahr für Leib und Leben ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Nicht ganz geklärt ist, ob die Gefahr so intensiv ist, dass in jedem Fall eine vernichtende Wirkung für Sachwerte zu befürchten ist. Dies hat übrigens die Regierung weder im angefochtenen Entscheid noch im bundesgerichtlichen Verfahren dargetan. Die im Gutachten enthaltene Analyse der Gebäudeschäden spricht aber jedenfalls für eine klar erhöhte Gefahr. Ob das Gebiet "Brattas-Fullun" unter diesen Umständen die Minimalanforderungen an die Eignung von Land für die Überbauung von vornherein, absolut, nicht erfüllt, kann letztlich offengelassen werden. Jedenfalls darf die Gefahr als so gross beurteilt werden, dass dagegen die rein wirtschaftlich-gewerblichen Ausnützungsinteressen der Beschwerdeführerin nicht aufkommen können.
b) Die Beschwerdeführerin wirft der Gemeinde vor, sie sei nicht konsequent vorgegangen, weil der bereits überbaute Teil des Brattashanges lediglich mit einer Gefahrenzone II überlagert worden
BGE 114 Ia 245 S. 253
sei, obwohl sich das betreffende Gebiet im Bereich jährlicher Verschiebungen zwischen 3 und 5 cm befinde und im wesentlichen die gleichen erhöhten Risiken infolge der Hangneigung aufweise.
Im mittleren Teil des Brattashanges gilt das Recht der Gefahrenzone II in der Tat bis etwa zur Linie der jährlichen Verschiebungen von 5 cm hinauf, und das Gebiet liegt zum Teil in der Zone grosser Geländeneigung. Dort darf mit den nötigen Sicherheitsvorkehren auf eigene Verantwortung aufgrund eines neutralen Gutachtens gebaut werden (Art. 27 Abs. 3 und 4 BauG). Die Gemeinde stützt sich dabei wieder auf die Stellungnahme der Gefahrenkommission III. Diese vertrat, wie bereits erwähnt, die Auffassung, es müsse berücksichtigt werden, ob ein Gebiet bereits überbaut sei. Diese Differenzierung ist nach dem Gesagten (E. 5b) wesentlich und lässt die ungleiche planerische Behandlung als gerechtfertigt erscheinen (
BGE 107 Ib 339
E. 4a mit Hinweis). Abgesehen davon ist das Risiko im mittleren Teil des Brattashanges geringer als im Gebiet "Fullun", wo die Rutschgefahr nach den überzeugenden Erläuterungen der Fachleute - abgesehen von der ebenfalls in die Gefahrenzone I eingewiesenen Nordostecke des Brattashanges - eben am grössten ist.
c) Zu prüfen bleibt schliesslich, ob das aus der Einweisung in die Gefahrenzone folgende Bauverbot deshalb unverhältnismässig (vgl. zum Verhältnismässigkeitsprinzip
BGE 113 Ia 134
E. 7b mit Hinweisen) ist, weil sich die Probleme auch mit Hangsicherungsmassnahmen lösen liessen, wie die Beschwerdeführerin geltend macht. Es liegt auf der Hand, dass mit Beschränkungen der Überbauungsfreiheit nicht zugewartet zu werden braucht, bis sich Hangsicherungen (nachträglich) als ungeeignet erwiesen haben, bspw. indem sie gerissen sind, oder bis Schäden an der Infrastruktur tatsächlich entstanden sind. Die Aussichten, der Rutschgefahr bei den Parzellen der Beschwerdeführerin mit Sicherungsmassnahmen begegnen zu können, beurteilen die Gutachter als schlecht. Nach ihren einleuchtenden Ausführungen an der bundesgerichtlichen Verhandlung liegt der Fels für eine Verankerung der Gebäude zu tief und ist auch ein "Mitschwimmenlassen" derselben nicht oder jedenfalls kaum möglich. Dass sich die zugrundeliegende Begutachtung auf den ganzen Brattashang und nicht speziell auf die Parzellen Nrn. 151 und 152 bezog, ist nicht von Bedeutung, da die Fachleute dargelegt haben, dass eine zusätzliche, spezielle Expertise aller Voraussicht nach keine weiteren Schlüsse zuliesse. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
4afe446c-b4ad-40d4-89c0-963dffa33fab | Urteilskopf
102 II 353
51. Arrêt de la Ire Cour civile du 19 octobre 1976 dans la cause Hoffman contre Van Muyden et Masse en faillite d'Asbestospray S.A. | Regeste
Scheineinzahlung von Aktien. Verjährung.
Beginn der zehnjährigen Frist für die Verantwortlichkeitsklage gegen die Gründer und die mit der Verwaltung und Geschäftsführung betrauten Personen (
Art. 760 OR
; Erw. 2 und 3).
Verjährung der Zeichnerverpflichtung, den Aktienbetrag einzuzahlen (Art. 680-682, 127 und 130 OR; Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 353
BGE 102 II 353 S. 353
La société anonyme Asbestospray S.A. a été constituée à Genève, le 25 août 1958, par Guy Montmartin, Léon Hoffman et Henri-Paul Brechbuhl. Le capital social, fixé à 50'000 fr., était réparti en 50 actions de 1'000 fr. dont 24 ont été souscrites par Montmartin, 24 par Hoffman et 2 par Brechbuhl. Il n'a pas été versé par les fondateurs au moyen de fonds propres. A la demande de Montmartin, Hoffman a obtenu de la Banque de dépôts à Genève un prêt de 50'000 fr. qui devait être remboursé dès que la société serait formée. La
BGE 102 II 353 S. 354
Banque de dépôts a versé cette somme à l'Union de banques suisses à Genève (ci-après: UBS), office cantonal de consignation au sens de l'
art. 635 CO
. L'acte de fondation a constaté que le capital social, souscrit en totalité par les fondateurs, était entièrement versé et déposé auprès de l'office cantonal de consignation. La société a été inscrite au registre du commerce de Genève le 3 septembre 1958.
Raymond Van Muyden a été désigné comme administrateur unique, Montmartin et Hoffman étant fondés de pouvoirs. L'administrateur et chacun des deux fondés de pouvoirs avaient la signature individuelle. Les deux actions souscrites par Brechbuhl ont été attribuées à Van Muyden.
Le 15 septembre 1958, l'UBS, sur ordre de Hoffman, a débité le compte d'Asbestospray S.A. de 49'950 fr. (après retenue d'une commission de 50 fr.) et viré cette somme au compte de la société à la Banque de dépôts. Le 16 septembre 1958, la Banque de dépôts a tout d'abord crédité le compte d'Asbestospray S.A. du montant reçu de l'UBS. Le même jour, toujours sur ordre de Hoffman, elle a débité le compte d'Asbestospray S.A. de 49'950 fr. et crédité celui de Hoffman auprès d'elle du même montant, en remboursement du prêt qu'elle lui avait accordé.
Deux comptes courants de 25'000 fr. chacun ont été ouverts à Montmartin d'une part et à Hoffman d'autre part, dans la comptabilité d'Asbestospray S.A., à titre d'avances. Ils se sont augmentés au cours des années des intérêts afférents. Le bilan d'Asbestospray S.A. au 23 mai 1969 comportait cependant non pas deux comptes, mais un seul, intitulé "Actionnaires" et s'élevant à 58'035 fr. 80.
Asbestospray S.A. a été déclarée en faillite le 23 mai 1969. A la requête de la masse, le séquestre de tous les comptes et avoirs de Hoffman auprès des banques Darier & Cie et Lombard-Odier & Cie, à Genève, a été ordonné le 25 juin 1970. La masse ayant requis le 10 juillet une poursuite en validation de séquestre, un commandement de payer a été notifié le 2 septembre 1970 à Hoffman, qui a fait opposition.
La masse en faillite d'Asbestospray S.A. a ouvert action contre Hoffman en paiement de 49'950 fr. avec intérêt à 5% dès le 16 septembre 1958 et en mainlevée de l'opposition. Elle invoquait la responsabilité civile du défendeur comme fondateur et administrateur d'Asbestospray S.A.
BGE 102 II 353 S. 355
Soulevant notamment l'exception de prescription, le défendeur a conclu au rejet de la demande. Il a appelé en cause Montmartin et Van Muyden. Ce dernier est resté seul appelé en cause après le décès de Montmartin.
Par jugement du 30 avril 1975, le Tribunal de première instance de Genève a rejeté les conclusions de la demanderesse contre le défendeur, et celles du défendeur contre l'appelé en cause.
La Cour de justice du canton de Genève a réformé ce jugement par arrêt du 9 avril 1976. Elle a condamné le défendeur à payer à la demanderesse 49'950 fr. avec intérêt à 5% dès le 16 septembre 1958, prononcé la mainlevée définitive de l'opposition formée par le défendeur et condamné l'appelé en cause à relever et garantir le défendeur de la condamnation prononcée contre lui, à concurrence de 50% en capital, intérêts et frais.
Le défendeur et l'appelé en cause recourent l'un et l'autre en réforme au Tribunal fédéral. Hoffman reprend ses conclusions libératoires à l'égard de la demanderesse et récursoires contre Van Muyden. Celui-ci propose le rejet des conclusions du défendeur.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'
art. 753 ch. 2 CO
, ceux qui coopèrent à la fondation d'une société anonyme répondent à son égard, de même qu'envers chaque actionnaire ou créancier social, du dommage qu'ils leur causent en contribuant intentionnellement ou par négligence à faire inscrire la société sur le registre du commerce au vu d'une attestation ou de quelque autre document qui renfermerait des assertions inexactes.
En vertu de l'
art. 754 al. 1 CO
, toutes les personnes chargées de l'administration, de la gestion ou du contrôle répondent, à l'égard de la société, de même qu'envers chaque actionnaire ou créancier social, du dommage qu'elles leur causent en manquant intentionnellement ou par négligence à leurs devoirs.
L'
art. 755 CO
concerne selon sa note marginale le dommage indirect en dehors de la faillite de la société. Il prévoit que lorsque la responsabilité des fondateurs, des administrateurs, des gérants et des contrôleurs, ainsi que des liquidateurs, est en cause, et qu'il s'agit d'un dommage éprouvé par
BGE 102 II 353 S. 356
la société elle-même, mais subi d'une manière indirecte par des actionnaires ou des créanciers, ceux-ci ne peuvent actionner qu'en paiement de dommages-intérêts dus à la société.
Selon l'
art. 758 CO
, les créanciers de la société ne peuvent faire valoir leurs droits qu'après l'ouverture de la faillite.
La demanderesse est ainsi habilitée à faire valoir les droits des créanciers sociaux contre Hoffmann et à l'actionner en dommages-intérêts à la suite du préjudice indirect qu'ils subissent.
2.
La juridiction cantonale considère avec raison qu'il y a eu en l'espèce une libération fictive du capital social d'Asbestospray S.A. au sens de la jurisprudence (
ATF 76 II 314
ss consid. 4,
ATF 86 III 159
) et que la responsabilité de Hoffman, comme fondateur, est en principe engagée selon l'
art. 753 ch. 2 CO
. Le défendeur le reconnaît dans son recours.
Il convient aussi de suivre l'arrêt déféré lorsqu'il admet que l'action de l'administration de la faillite contre Hoffman, en tant qu'elle est intentée au nom de la société ou des actionnaires, tous fondateurs, se heurte au principe du consentement donné par ceux-ci à la libération fictive du capital-actions. En effet, les actes et les omissions d'un fondateur n'engagent pas sa responsabilité envers la société si les autres y ont eux-mêmes consenti librement et en toute connaissance de cause, car on doit imputer à la société ce que ses fondateurs ont voulu (
ATF 86 III 159
,
ATF 90 II 496
). Tel est le cas en l'espèce: les fondateurs et actionnaires ont réalisé et approuvé la libération fictive du capital social.
Quant à l'action exercée par la masse en faillite au nom des créanciers, le défendeur soutient qu'elle est prescrite, parce qu'elle a été introduite plus de dix ans après la libération fictive du capital social, qui lui est reprochée.
a) Selon l'
art. 760 CO
, les actions en responsabilité contre les fondateurs (
art. 753 CO
), les administrateurs, gérants, contrôleurs et liquidateurs (
art. 754 CO
) se prescrivent par cinq ans à compter du jour où la partie lésée a eu connaissance du dommage, ainsi que de la personne responsable, et, dans tous les cas, par dix ans dès le jour où le fait dommageable s'est produit (al. 1); si les dommages-intérêts dérivent d'une infraction soumise par les lois pénales à une prescription de plus longue durée, cette prescription s'applique à l'action civile (al. 2).
La cour cantonale estime avec raison que le délai extraordinaire
BGE 102 II 353 S. 357
de l'
art. 760 al. 2 CO
ne s'applique pas en l'espèce, aucune infraction pénale soumise à une prescription de plus de dix ans n'étant établie à la charge de Hoffman.
Le délai ordinaire de cinq ans auquel est soumise l'action du créancier social contre un fondateur, un administrateur, gérant, contrôleur ou liquidateur, ne commence pas à courir avant que la société soit déclarée en faillite (
ATF 87 II 297
ss consid. 4).
Mais la prescription absolue de dix ans part du jour où le fait dommageable s'est produit. Si la faillite de la société est prononcée plus de dix ans après le fait dommageable, l'action du créancier contre un fondateur, administrateur, etc., est ainsi prescrite, quand bien même la prescription quinquennale ne pouvait pas commencer à courir avant la déclaration de faillite. Ce délai de cinq ans n'entre plus en ligne de compte dès lors que la prescription absolue de dix ans est acquise. Cela ressort clairement de l'
art. 760 al. 1 CO
, aux termes duquel les actions qui y sont visées se prescrivent... dans tous les cas par dix ans dès le jour où le fait dommageable s'est produit (F. DE STEIGER, Le droit des sociétés anonymes en Suisse, adaptation française de J. Cosandey et P. Subilia, 1973, p. 303; J. et E. HENGGELER, Die zivilrechtlichen Verantwortlichkeiten im Bankengesetz und im neuen schweizerischen Aktienrecht, p. 59).
b) En l'espèce, le dernier acte accompli par Hoffman dans les opérations de libération fictive du capital social d'Asbestospray S.A. a été l'ordre qu'il a donné à la Banque de dépôts de débiter le compte de la société des 49'950 fr. qui y avaient été virés par l'office cantonal de consignation, et de créditer de cette somme son compte personnel en remboursement du prêt à court terme qu'elle lui avait accordé. La Banque de dépôts a exécuté cet ordre le 16 septembre 1958. C'est dès lors à cette date que le fait dommageable au sens de l'
art. 760 al. 1 CO
s'est produit et que le délai de prescription de dix ans a commencé à courir. JÄGGI (Die Scheineinzahlung von Aktien, RSJ 1952 p. 303 n. 37 et p. 305 n. 50) considère il est vrai que le fait dommageable, en cas de libération fictive du capital social, est la réquisition d'inscription de la société au registre du commerce. La date de cette réquisition n'est pas indiquée en l'espèce par l'arrêt cantonal, ni ne ressort du dossier; seule est constatée la date de l'inscription d'Asbestospray S.A. au
BGE 102 II 353 S. 358
registre du commerce, soit le 3 septembre 1958. Mais le délai de prescription de dix ans était de toute façon expiré le 23 mai 1969, jour où a été prononcée la faillite d'Asbestospray S.A., et à fortiori le 24 juin 1970, date à laquelle la masse en faillite de la société a fait valoir les droits des créanciers sociaux par une poursuite, soit a requis le séquestre (
ATF 41 III 321
s.) des biens de Hoffman.
c) La juridiction cantonale considère que la prescription n'est pas acquise parce que "Hoffman a reconnu sa dette en acceptant que soit virée sur son compte et sur celui de feu M. Montmartin ... la somme de 49'950 fr. à laquelle se sont ajoutés chaque année des intérêts débiteurs", le bilan du 23 mai 1969 comportant ainsi "un compte actionnaires débiteurs de 58'035 fr. 80"; il ressortirait des déclarations en justice de Hoffman et Van Muyden que la somme transférée de l'UBS à la Banque de dépôts aurait finalement été considérée comme une avance d'Asbestospray S.A. à Hoffman et Montmartin, qui se reconnaissaient solidairement responsables de cette somme, le paiement des intérêts ayant interrompu la prescription selon l'
art. 135 ch. 1 CO
; dans son exploit, la demanderesse avait d'ailleurs commencé par viser les
art. 312 ss CO
relatifs au prêt de consommation.
Le défendeur Hoffman conteste l'application de l'
art. 135 ch. 1 CO
en l'espèce. Selon lui, la simple comptabilisation d'intérêts dont le versement effectif n'a jamais été envisagé ni exigé par la société ne remettait pas en cause la volonté des fondateurs, constatée par la Cour de justice, de fonder la société sans avoir l'intention d'y mettre des fonds; elle ne pouvait interrompre la prescription du moment que la volonté du débiteur de reconnaître la dette n'avait - dès l'origine - jamais existé.
Cette objection est fondée. Le fait que des intérêts ont été portés, dans la comptabilité d'Asbestospray S.A., au débit du compte de Hoffman et Montmartin, n'équivaut pas au paiement d'intérêts par ceux-ci, au sens de l'
art. 135 ch. 1 CO
, impliquant de leur part une reconnaissance de dette et interrompant la prescription. En outre et surtout, en acceptant le virement de la somme de 49'950 fr. sur le compte "actionnaires", Hoffman n'a nullement reconnu être débiteur du montant de 49'950 fr. que la demanderesse lui réclame au nom des créanciers sociaux, en sa qualité de fondateur ayant participé
BGE 102 II 353 S. 359
à la libération fictive du capital social. La prescription de cette action en responsabilité, qui a commencé à courir au plus tard le 16 septembre 1958, n'a pas été interrompue par une reconnaissance de dette du défendeur ni par le paiement d'intérêts. Elle était donc acquise le 24 juin 1970, date à laquelle la demanderesse a accompli le premier acte propre à l'interrompre.
d) Selon l'arrêt déféré, Hoffman a affirmé en justice que pendant la vie de la société il y avait eu dans les livres de celle-ci deux comptes avances de 25'000 fr. à lui-même et à Montmartin. Quand bien même la Cour de justice constate que "la société a été fondée sans que ses fondateurs aient l'intention d'y mettre des fonds", Hoffman ne peut prétendre qu'il ne doit pas à Asbestospray S.A. la somme de 25'000 fr. représentant l'avance que celle-ci lui avait faite et qu'il a expressément reconnue lors de son interrogatoire en justice. Mais il ne s'agit pas là d'une dette découlant de sa responsabilité comme fondateur de la société, en raison de la libération fictive du capital social.
3.
a) La cour cantonale considère avec raison que Hoffman, qui était fondé de pouvoirs d'Asbestospray S.A. avec signature individuelle, rentre dans les personnes chargées de l'administration et de la gestion de la société au sens de l'
art. 754 al. 1 CO
. Van Muyden avait certes été nommé administrateur unique, mais à titre fiduciaire. Hoffman et Montmartin, qui possédaient toutes les actions d'Asbestospray S.A., géraient eux-mêmes et seuls la société. Ils étaient des administrateurs camouflés ("verdeckte Verwaltungsräte", BÜRGI, n. 119 ad art. 753/754 CO).
En donnant l'ordre à la Banque de dépôts de débiter le compte d'Asbestospray S.A. des 49'950 fr. qui y avaient été virés par l'office cantonal de consignation, et de créditer de cette somme son compte personnel, en remboursement du prêt à court terme qu'elle lui avait accordé pour la libération fictive du capital social, Hoffman a sans conteste manqué intentionnellement à ses devoirs d'administrateur ou de gérant au sens de l'
art. 754 al. 1 CO
, car il a ainsi gravement porté atteinte au patrimoine de la société (JÄGGI, op.cit., p. 301).
b) S'agissant de la responsabilité encourue par l'administrateur, le remboursement opéré au souscripteur qui a fait une libération fictive du capital social constitue le fait dommageable
BGE 102 II 353 S. 360
au sens de l'
art. 760 al. 1 CO
, fixant le point de départ de la prescription de dix ans (JÄGGI, op.cit., p. 305 n. 50).
La Cour de justice considère que l'action en responsabilité contre Hoffman en tant qu'administrateur n'est pas prescrite, parce qu'il a non seulement approuvé l'opération de libération fictive réalisée en 1958 mais qu'il a approuvé chaque année, dans le rapport de gestion présenté par le conseil d'administration à l'assemblée générale, cette situation contraire aux
art. 633 et 680 CO
, qu'il n'a ainsi rien fait pour rétablir.
Cet argument n'est toutefois pas fondé. Certes, le défendeur n'a rien entrepris pour que le capital social, libéré fictivement à fin août-début septembre 1958, fût versé par la suite à la société par lui-même et par Montmartin. Mais ce manquement à ses devoirs d'administrateur ne constitue pas le fait dommageable de l'
art. 760 al. 1 CO
. C'est le remboursement à Hoffman, opéré sur son ordre par la société le 16 septembre 1958, qui est l'acte, le fait dommageable, engageant sa responsabilité d'administrateur. Ce remboursement était le dernier acte de l'opération de libération fictive du capital social qu'il avait accomplie en accord avec l'autre souscripteur et actionnaire Montmartin. En ne versant pas par la suite à la société sa part de 50% du capital social, soit 25'000 fr., et en ne sommant pas Montmartin de payer la sienne, également de 50%, Hoffman n'a pas causé le dommage, qui s'était déjà produit intégralement par le remboursement intervenu le 16 septembre 1958; il a uniquement omis de prendre les mesures qui auraient rétabli une situation conforme à la loi.
Le délai de prescription de dix ans de l'action en dommages-intérêts contre Hoffman, en sa qualité d'administrateur et en raison de la libération fictive du capital social, a donc commencé à courir le 16 septembre 1958. Cette action était prescrite lorsque la demanderesse a agi pour la première fois contre le défendeur par la voie de la poursuite, le 24 juin 1970.
4.
Appliquant les art. 680 à 682 CO, la Cour de justice considère la responsabilité du défendeur Hoffman comme engagée, en sa qualité de souscripteur astreint à libérer le capital social.
a) En opérant une libération fictive du capital social d'Asbestospray S.A., Hoffman et Montmartin n'ont pas exécuté leurs obligations de libérer les actions qu'ils avaient souscrites. D'après l'acte de fondation, ils avaient souscrit chacun
BGE 102 II 353 S. 361
24 actions et Brechbuhl 2; mais ce dernier n'est intervenu qu'à titre fiduciaire: en fait, Hoffman et Montmartin étaient chacun souscripteur de 25 actions de 1'000 fr.
La libération fictive du capital social comporte un acte simulé et un acte dissimulé (JÄGGI, op.cit., p. 299 ch. 2). Hoffman et Montmartin ont voulu que le versement du capital social à l'office cantonal de consignation créât seulement une apparence de libération du capital social destinée à tromper cet office. Ils étaient d'accord, comme souscripteurs et comme fondateurs de la société, que ce versement n'aurait pas de valeur dans leurs rapports avec cette société et qu'elle leur rembourserait le capital social après la fondation. Cet acte simulé, qui reposait sur une convention de simulation liant Hoffman et Montmartin, d'une part, et la société qu'ils fondaient, d'autre part, est nul.
L'acte dissimulé portait principalement sur le remboursement ultérieur par la société du capital social souscrit. Ce remboursement a eu pour effet que les souscripteurs n'ont pas exécuté leur obligation de libérer le montant qu'ils avaient souscrit. La société peut donc leur réclamer en tout temps l'exécution de cette obligation (JÄGGI, op.cit., p. 301).
b) L'obligation de libérer le capital social ne peut se prescrire que par dix ans, aucune disposition légale spéciale ne prévoyant un autre délai (
art. 127 CO
). Quant au point de départ de ce délai, certains auteurs admettent que la créance n'est exigible (
art. 130 CO
) que par l'appel de versement de l'administration et à partir de la date fixée par elle pour le versement (F. DE STEIGER, op.cit. p. 178 s.; G. BEELER, Die Wertpapiere im schweizerischen Recht, p. 181 s.). Selon SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährung, Verwirkung und Fatalfristen, 1975, I par. 118, p. 268 (cf. aussi par. 35 p. 59 n. 23), à l'égard des créanciers sociaux, la prescription ne commence à courir qu'au moment de l'ouverture de la faillite de la société.
Que l'on adopte l'un ou l'autre point de vue, l'obligation du défendeur de libérer les actions qu'il a souscrites et partant de payer la somme correspondante de 25'000 fr. à la demanderesse n'était pas prescrite lorsque celle-ci a requis le séquestre de ses biens, le 24 juin 1970. Le défendeur n'a jamais été sommé de libérer ses actions, et la société n'a été déclarée en faillite que le 23 mai 1969. Le jugement déféré retient donc
BGE 102 II 353 S. 362
avec raison que la créance de la demanderesse n'est pas prescrite à concurrence des 25'000 fr. que représentent les 25 actions souscrites par le défendeur et qu'il est tenu de libérer.
c) On ne saurait en revanche suivre la Cour de justice lorsqu'elle admet la responsabilité de Hoffman pour la totalité du capital social parce que "si pro forma Montmartin a souscrit 24 actions et ... Brechbuhl 2, l'argent nécessaire avait été emprunté par Hoffman et ... c'est sur son compte débiteur à la Banque de dépôts qu'il a été reversé". Cette circonstance ne change rien au fait que le défendeur n'a souscrit et n'a l'obligation de libérer que 25 actions. Il ne répond pas solidairement du paiement des actions souscrites par Montmartin.
d) Les intérêts moratoires sur la somme de 25'000 fr. ne peuvent pas courir dès le 16 septembre 1958, date à laquelle le remboursement du capital social libéré fictivement a été effectué. Ils ne partent que dès le moment où la demanderesse a mis le défendeur en demeure de payer 49'950 fr. en agissant contre lui par la voie de la poursuite, soit dès la réquisition de séquestre du 24 juin 1970.
Le recours de Hoffman doit dès lors être partiellement admis en ce sens qu'il est condamné à payer à la demanderesse 25'000 fr. avec intérêt à 5% dès le 24 juin 1970.
5.
La masse en faillite d'Asbestospray S.A. n'a pas actionné Van Muyden. C'est le défendeur Hoffman qui l'a appelé en cause, concluant à ce que Van Muyden fût condamné à le "relever et garantir de toute condamnation prononcée contre lui".
Le défendeur n'aurait cependant un droit de recours contre l'appelé en cause que si l'un et l'autre répondaient solidairement d'un même dommage, le premier en tant que fondateur ou administrateur d'Asbestospray S.A. et le second comme administrateur (
art. 759 CO
). Or les actions en responsabilité contre Hoffman, en sa qualité de fondateur ou d'administrateur, sont prescrites, et c'est seulement comme souscripteur qui n'a pas libéré ses actions qu'il est tenu de payer 25'000 fr. à la masse en faillite. Quand bien même Van Muyden a manqué à ses devoirs d'administrateur, les fautes qu'il a commises sont sans incidence sur l'obligation du défendeur de libérer ses actions. Au surplus, il n'a pas participé à la libération fictive du capital social d'Asbestospray S.A., que Hoffman et Montmartin ont seuls voulue et réalisée.
BGE 102 II 353 S. 363
Le recours de l'appelé en cause doit dès lors être admis, et les conclusions prises contre lui par le défendeur rejetées.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Admet partiellement le recours du défendeur Hoffman et admet le recours de l'appelé en cause Van Muyden;
2. Réforme l'arrêt de la Cour de justice du canton de Genève du 9 avril 1976 en ce sens que le défendeur Hoffman est condamné à payer à la masse en faillite d'Asbestospray S.A. le montant de 25'000 fr. avec intérêt à 5% dès le 24 juin 1970, l'opposition faite au commandement de payer No 51026 de l'Office des poursuites de Genève étant définitivement levée à concurrence de ce montant;
Rejette les conclusions prises par le défendeur Hoffman contre l'appelé en cause Van Muyden. | public_law | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4aff7a7b-b1a7-4ed1-b145-86656a08be91 | Urteilskopf
101 Ia 224
39. Auszug aus dem Urteil vom 24. September 1975 i.S. Würth gegen Politische Gemeinde Thal und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen. | Regeste
Art. 22ter BV
; materielle Enteignung.
In der Beschränkung einer künftig möglichen Nutzung liegt nur dann eine materielle Enteignung, wenn sich im massgebenden Zeitpunkt nach den Umständen annehmen liess, diese Nutzung lasse sich sehr wahrscheinlich in naher Zukunft verwirklichen (Bestätigung der Rechtsprechung); Umstände, die bei der Prognose zu berücksichtigen sind (E. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 224
BGE 101 Ia 224 S. 224
Dr. Willy Würth ist Eigentümer einer ausgedehnten Liegenschaft in Altenrhein-Rheinspitz, am Ufer des Bodensees. Auf der Parzelle befindet sich sein Hotel-Restaurant "Weisses Haus", ein Camping-Platz, ein Strandbad und ein Bootshafen. Grosse Teile des übrigen Areals bestehen aus Ried und Streueboden.
BGE 101 Ia 224 S. 225
Im Jahre 1960 erliess die Gemeinde Thal/SG einen "Zonen- und generellen Überbauungsplan" (Zonenplan 1960), in welchem die Liegenschaft von Dr. Würth mit einem Bauverbot belegt wurde. Im Laufe des Einspracheverfahrens wurde Dr. Würth der Bestand der vorhandenen Bauten ausdrücklich gewährleistet und es wurde ihm die Möglichkeit der Erweiterung und Modernisierung der zum Hotel-, Camping- und Strandbadbetrieb gehörenden Bauten zugesichert, soweit dadurch das Landschaftsbild nicht gestört werde. Der Zonenplan trat am 6. März 1963 mit der Genehmigung durch das Baudepartement des Kantons St. Gallen in Kraft.
Im Jahre 1970 erliess die Gemeinde Thal zum Schutze des Mündungsgebiets des Alten Rheins den Schutzzonenplan Altenrhein. (Schutzzonenplan 1970). Dieser enthält für die Liegenschaft Dr. Würths folgende Regelung: ca. 78'000 m2 noch unberührtes Gebiet wurden zur Naturschutzzone (N) erklärt und mit einem Bauverbot belegt. Für die vom Strandbad- und Campingbetrieb eingenommenen ca. 38'000 m2 (Zonen A und B) wurden Nutzungsvorschriften erlassen, welche den Weiterbestand der beiden Bauten gewährleisten, jedoch eine anderweitige Überbauung ausschliessen. Um das bestehende Hotelgebäude wurde eine Zone von ungefähr 8000 m2 ausgeschieden, in welcher Wohnbauten sowie Bauten, die dem Gastgewerbe dienen, bis zu einer maximalen Ausnützung von 0,6 zulässig sind. Schliesslich wurden bei der Einfahrt in der Nähe des Hotels und des Bootshafens ca. 18'000 m2 für Parkplätze ausgeschieden.
Der Gemeinderat Thal verneinte das Vorliegen einer materiellen Enteignung. Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen haben diese Auffassung auf Rekurs hin bestätigt. Dr. Würth erhebt gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie wird ausschliesslich damit begründet, dass der Eingriff in das Eigentum des Beschwerdeführers einer Enteignung gleichkomme und dass daher die Verweigerung einer Entschädigung gegen
Art. 22ter BV
verstosse.
BGE 101 Ia 224 S. 226
Ob ein bestimmter Eingriff in das Eigentum wie eine Enteignung wirkt und daher nur gegen Entschädigung erfolgen darf, ist eine Frage, die das Bundesgericht frei prüft (
BGE 93 I 342
,
BGE 89 I 384
/85).
b) Nach der neuern Rechtsprechung liegt eine materielle Enteignung vor, wenn der bisherige oder ein voraussehbarer künftiger Gebrauch der Sache untersagt oder in einer Weise eingeschränkt wird, die besonders schwer wiegt, weil dem Eigentümer eine wesentliche, aus dem Eigentum fliessende Befugnis entzogen wird (
BGE 98 Ia 384
E. 2a sowie die dort zitierten Urteile, insbesondere
BGE 91 I 338
/9). Geht die Einschränkung weniger weit, so wird gleichwohl eine materielle Enteignung angenommen, falls ein einziger oder einzelne Grundeigentümer so betroffen werden, dass ihr Opfer gegenüber der Allgemeinheit als unzumutbar erschiene, wenn hiefür keine Entschädigung geleistet würde. Diese mit dem Urteil Barret (
BGE 91 I 339
) eingeleitete Praxis wird vom Beschwerdeführer nicht angefochten. Er behauptet aber, dass ihm nach den vom Bundesgericht entwickelten Grundsätzen Anspruch auf eine Entschädigung wegen materieller Enteignung zustehe.
3.
Weder durch den Zonenplan 1960 noch durch den Schutzzonenplan 1970 wird die bisherige Nutzung des betroffenen Grundstückes verboten oder eingeschränkt: Das Hotel-Restaurant, der Camping-Platz, das Strandbad und der Bootshafen bleiben nicht nur bestehen, sondern es ist auch ein angemessener Ausbau im Rahmen der Zonenvorschriften möglich. Mit Recht wird in der Beschwerde nicht geltend gemacht, durch die planerischen Massnahmen werde die Weiterführung der jetzt auf dem Grundstück befindlichen Betriebe irgendwie tangiert oder beeinträchtigt.
4.
a) Die Entschädigungsforderung wird ausschliesslich damit begründet, dass dem Beschwerdeführer durch den Zonenplan 1960 bzw. den Schutzzonenplan 1970 ein voraussehbarer künftiger Gebrauch seines Grundstückes untersagt worden sei. Die Beschwerde beruht auf der Annahme, sowohl in der Zone A und in der Zone B, wo sich heute Strandbad und Camping-Platz befinden, als auch in der gesamten Naturschutzzone N, die aus Ried- und Streueland besteht, wäre eine Überbauung mit Einfamilien- und Ferienhäusern möglich; das Verbot dieser wesentlich einträglicheren Nutzung erfülle den Tatbestand der materiellen Enteignung. Entscheidend ist,
BGE 101 Ia 224 S. 227
ob im Zeitpunkt des Inkrafttretens der vom Beschwerdeführer als enteignungsähnlich bezeichneten Massnahme - d.h. im vorliegenden Fall am 5. März 1963 mit der Genehmigung des das grundsätzliche Bauverbot einführenden Zonenplanes 1960 - nach den Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, die Parzelle würde in naher Zukunft überbaut. Da der Schutzzonenplan 1970 keine neuen zusätzlichen Beschränkungen gebracht hat, bildet das Inkrafttreten des grundsätzlichen Bauverbotes den für die Beurteilung der Frage, ob eine materielle Enteignung vorliegt, massgebenden Stichtag (
BGE 98 Ia 386
E. 3).
b) Nicht jede technisch und wirtschaftlich mögliche künftige Verwendung eines Grundstückes bildet im Falle eines Bauverbotes die Grundlage für eine Entschädigungspflicht wegen materieller Enteignung. Gerade für die Überbauung mit Ferienhäusern kämen in unserem Lande noch sehr viele schön gelegene Parzellen in Frage. Dass die notwendige Erschliessung sich mit grösserem oder geringerem Aufwand technisch erreichen liesse, macht solche Grundstücke an sich noch nicht zu "Bauland", welches im Rahmen der Raumplanung nur gegen Entschädigung mit einem Bauverbot belegt werden kann.
Schon in
BGE 91 I 339
wurde hervorgehoben, dass nur jene Verwendungsmöglichkeiten unter dem Aspekt der Eigentumsgarantie geschützt werden, "qui, au regard des circonstances, apparaissent comme très probables dans un proche avenir." In
BGE 98 Ia 385
wurde wiederum klar bestätigt, dass eine künftige Nutzung nur dann in Betracht falle, wenn den Umständen nach anzunehmen sei, sie lasse sich sehr wahrscheinlich in naher Zukunft verwirklichen.
c) Im vorliegenden Fall betrifft das vollständige Bauverbot - Naturschutzzone N - ein an den See und den Bootshafen angrenzendes Ried- und Streulandgebiet, dessen Untergrund aus feinem Schwemmsand besteht. Die Distanz zum nächsten Siedlungskern (Altenrhein) beträgt rund einen Kilometer. Wenn auch durch Auffüllung und Melioration, d.h. mit zusätzlichen Aufwendungen, Bauland geschaffen werden könnte, so bestehen anderseits keine Anhaltspunkte dafür, dass diese ausgesprochene Uferzone, die nicht an besiedeltes Gebiet angrenzt, im Laufe der Sechzigerjahre erschlossen und überbaut worden wäre. Nicht nur die geologischen Verhältnisse und die
BGE 101 Ia 224 S. 228
Distanz zur nächsten Siedlung sprechen gegen die Wahrscheinlichkeit einer Überbauung, auch die Zugehörigkeit des betroffenen Areals zur Hotel-Liegenschaft ist ein starkes Indiz gegen die behauptete Baulandeigenschaft; denn vom gastgewerblichen Betrieb her besteht ein erhebliches touristisches Interesse an der Erhaltung einer natürlichen, nicht durch Ferienhäuser beeinträchtigten Uferlandschaft in der unmittelbaren Umgebung des Hotels. Nach 1963 hat der Beschwerdeführer zwar durch Schaffung eines Bootshafens in die natürliche Landschaft eingegriffen; es ging dabei jedoch um eine mit seinem Gewerbebetrieb im weiteren Sinne zusammenhängende Anlage. Eine Überbauung mit Ferienhäusern aber würde in unverantwortlicher Weise die landschaftliche Umgebung zerstören, die den besonderen Reiz dieses Hotel-Restaurants ausmacht. Die behauptete künftige Nutzungsmöglichkeit durch Überbauung eines grossen Teils des Grundstückes steht also offensichtlich im Widerspruch zur heutigen Verwendung der Parzelle als Basis eines gastgewerblichen Unternehmens. Bei der ausser Frage stehenden Weiterführung des Hotel-Restaurants stellte die Überbauung der nächsten Umgebung mit Ferien- oder Einfamilienhäusern keine voraussehbare, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Nutzung der jetzt mit Bauverbot belegten Uferzone dar. Die Einteilung des Riedlandes in die Grünzone hat somit seinerzeit (1963) dem Beschwerdeführer nicht eine nach den gesamten Umständen wahrscheinliche, in nächster Zukunft realisierbare bauliche Nutzungsmöglichkeit entzogen, sondern höchstens eine mit erheblichen Aufwendungen technisch allenfalls mögliche Erschliessung und Überbauung des sich nach seinen natürlichen Gegebenheiten und seiner Entfernung vom besiedelten Gebiet keineswegs als Bauland anbietenden Areals aus planerischen Gründen (Landschaftsschutz) klar untersagt. In einem solchen Fall ist nach den Kriterien der bundesgerichtlichen Rechtsprechung der Tatbestand der materiellen Enteignung nicht erfüllt. Ein Zonenplan, der die bisherige Nutzung in vollem Umfange gewährleistet und auch nicht eine nach den Umständen sich aufdrängende, der vorangehenden Entwicklung entsprechende, künftige Verwendungsmöglichkeit verbietet, hat keine Entschädigungspflicht des planenden Gemeinwesens zur Folge.
d) In bezug auf das Strandbadareal (Zone A) und den Camping-Platz
BGE 101 Ia 224 S. 229
(Zone B) sind die tatsächlichen Verhältnisse nicht ganz gleich wie in der Naturschutzzone N, weil hier eine Melioration des Terrains bereits erfolgt ist und auch gewisse, der heutigen Nutzung dienende Infrastrukturanlagen - Strassen, Leitungen - offenbar bestehen. Die der Beschwerde zugrunde liegende künftige Verwendung als Bauland für Ferienhäuser liesse sich wohl hier technisch etwas leichter verwirklichen als in der Naturschutzzone.
Das Areal der Zonen A und B wird vom Beschwerdeführer in einer seiner Lage als Ufergebiet in Hotelnähe durchaus entsprechenden Weise genutzt. Eingeschossige Bauten, die dem Zwecke des Strandbades dienen sowie die für den Campingbetrieb erforderlichen Anlagen sind zulässig (Art. 11/12 der "Besonderen Vorschriften zum Schutzzonenplan für das Gebiet Altenrhein."). Gegen eine künftige Verwendung als Bauland für Ferienhäuser spricht ausser der klaren Trennung vom eigentlichen Siedlungsgebiet der Gemeinde der funktionelle Zusammenhang von Campingplatz und Strandbad mit dem gastgewerblichen Betrieb, welcher den wirtschaftlichen Kern des Grundstückes bildet. Wie sich aus den Akten ergibt, bestanden schon bei der jetzigen Nutzung in gewässerschutztechnischer Hinsicht erhebliche Schwierigkeiten. Die für eine eigentliche Überbauung notwendigen Erschliessungskosten dürfen nicht unterschätzt werden. Die Möglichkeit einer Überbauung mit Ferien- oder Einfamilienhäusern wurde nie ernstlich geprüft. Dass eine betriebsfremde Verwendung oder Veräusserung dieses touristisch interessanten Teils der Hotel-Liegenschaft je in Frage gekommen wäre, ist unwahrscheinlich. Die zur Begründung der Entschädigungsforderung herangezogene Möglichkeit der Überbauung ist nicht eine 1963 voraussehbare, in nächster Zeit realisierbare Verwendungsmöglichkeit, sondern lediglich eine theoretisch vorstellbare Änderung der Nutzung. Derartige abstrakte Überlegungen, welchen nicht ein realisierbares Projekt entspricht, begründen keine Nutzungsmöglichkeit des Eigentümers, deren Entzug entschädigt werden müsste. Nach den gesamten Umständen war 1963 zu erwarten, dass der Eigentümer der Liegenschaft Strandbad und Campingplatz als Annex-Betriebe des Hotels weiterführen und allenfalls zeitgemäss ausbauen werde. Es bestehen nicht die geringsten konkreten Anhaltspunkte dafür, dass eine eigentliche Erschliessung und Überbauung der heutigen
BGE 101 Ia 224 S. 230
Zonen A und B als wahrscheinliche künftige Nutzung in Betracht gekommen wäre.
5.
Bestand somit im Zeitpunkt der Einführung der Eigentumsbeschränkungen keine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das betroffene Land in naher Zukunft als Bauland für Ferien- oder Wohnhäuser verwendet werden könnte, so entfällt die in der Beschwerde behauptete Entschädigungspflicht, denn in diesem Fall bilden die angeordneten Beschränkungen weder einen schweren, enteignungsgleichen Eingriff in das Eigentum, noch ein - ohne Entschädigung - nicht zumutbares Sonderopfer. Die planerischen Massnahmen haben keine naheliegende andere Verwendungsmöglichkeit verboten, sondern gewährleisten eine der Lage und der landschaftlichen Situation angemessene, auch im Interesse der heutigen touristischen Nutzung des Grundstückes liegende, weitgehende Wahrung des jetzigen Zustandes. Die Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie ist daher unbegründet.
Nach 1963 sind im übrigen durch das neue Gewässerschutzgesetz vom 8. Oktober 1971, welches in Art. 20 Bauten ausserhalb des Kanalisationsperimeters nur ausnahmsweise zulässt, und durch das Natur- und Heimatschutzgesetz vom 1. Juli 1966, das in Art. 21 die Beseitigung der Ufervegetation verbietet, bundesrechtliche Hindernisse geschaffen worden, welche heute ohnehin der Errichtung von Wohn- und Ferienhäusern in dem hier in Frage stehenden Gebiet entgegenständen. Auf diese Änderung der Rechtslage und die Frage ihrer Auswirkung auf allfällige Entschädigungsansprüche braucht hier nicht eingetreten zu werden. Auch wenn man diese späteren bundesrechtlichen Beschränkungen ausser Betracht lässt, so hatte der Schutzzonenplan 1960 aus den dargelegten Gründen keine materielle Enteignung zur Folge. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
4b006886-1526-4d65-a7be-00253c2d367a | Urteilskopf
81 IV 238
53. Urteil des Kassationshofes vom 16. September 1955 i.S. Melliger und Breymayer gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
1.
Art. 110 Ziff. 5, 251, 253 StGB
. Urkundenfälschung und Erschleichung falscher Beurkundungen, begangen durch Vortäuschung und Überbewertung von Sacheinlagen in einer Bilanz, dem Sacheinlagevertrag, den Statuten, dem öffentlichen Errichtungsakt und dem Handelsregistereintrag anlässlich der Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Erw. 1-3).
2. Verhältnis der
Art. 251 und 253 StGB
zu Art. 1 Abs. 1 BG vom 6. Oktober 1923 betreffend Strafbestimmungen zum Handelsregister- und Firmenrecht (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 238
BGE 81 IV 238 S. 238
A.-
Christian Melliger, der in Luzern auf eigene Rechnung Holzwaren herstellte, gründete am 10. Juli 1948 mit seinem Buchhalter Kurt Breymayer die Carosserie- und Holzwaren G.m.b.H., wobei er auf Rechnung seiner Stammeinlage von Fr. 15'000.-- die Aktiven und Passiven seines Geschäftes leistete. Sacheinlagevertrag, Statuten und Handelsregistereintrag bezifferten die eingebrachten Aktiven unter Verweisung auf eine von beiden Gründern unterzeichnete Bilanz vom 30. Juni 1948 auf Fr. 47'354.75, die Passiven auf Fr. 32'337.60 und den Aktivenüberschuss auf Fr. 15'017.15. Unter den Aktiven erwähnten sie unter
BGE 81 IV 238 S. 239
anderem ein "Gebäude" und "Maschinen und Werkzeuge". Der Wert des ersteren war in der Bilanz mit Fr. 5600.--, der Wert der letzteren mit Fr. 24'400.-- angegeben. Laut öffentlicher Urkunde über die Gründung erklärten die beiden Gesellschafter, dass die Statuten ihren Willen enthielten und die Sacheinlage Melligers der Gesellschaft zur freien Verfügung stehe.
Unter dem von Melliger angeblich eingebrachten Gebäude verstanden die Gesellschafter eine Fahrnisbaute, in der er sein Geschäft betrieb, über die er aber, weil sie seinem Vater Josef Melliger gehörte, nicht zu verfügen berechtigt war. Die eingebrachten Maschinen und Werkzeuge waren, wie beide Gesellschafter wussten, viel weniger als Fr. 24'400.-- wert.
B.-
Am 23. Juli 1954 erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen Christian Melliger und Kurt Breymayer Anklage wegen Urkundenfälschung, begangen durch die falschen Angaben über die Sacheinlage in der Bilanz vom 30. Juni 1948, im Sacheinlagevertrag und in den Statuten, ferner wegen Erschleichung falscher Beurkundungen, nämlich der öffentlichen Urkunde über die Gründung und des Handelsregistereintrages.
Das Kriminalgericht des Kantons Luzern sprach die Angeklagten am 10. Dezember 1954 frei.
Auf Appellation der Staatsanwaltschaft erklärte das Obergericht des Kantons Luzern sie dagegen am 25. März 1955 im Sinne der Anklage schuldig und verurteilte jeden zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von sechs Monaten, wobei es Melliger vier, Breymayer zwei Jahre Probezeit setzte.
C.-
Die Verurteilten führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu ihrer Freisprechung zurückzuweisen. Melliger beantragt subsidiär Zurückweisung zu neuer Entscheidung.
D.-
Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerden seien abzuweisen.
BGE 81 IV 238 S. 240
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
a) Den Beschwerdeführern wird vorgeworfen, sie hätten in der Bilanz vom 30. Juni 1948, im Sacheinlagevertrag vom 10. Juli 1948 und in den Statuten vom gleichen Tage im Sinne von
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
insofern rechtlich erhebliche Tatsachen unrichtig beurkundet, als sie die dem Christian Melliger nicht gehörende Fahrnisbaute als zu seinem Geschäftsvermögen gehörend bezeichneten und den Wert der Maschinen und Werkzeuge zu hoch angaben. Die Beschwerdeführer wenden ein, die Schriftstücke hätten nur Beweis dafür geschaffen, dass die darin enthaltenen Erklärungen abgegeben wurden, nicht auch dafür, dass sie wahr seien; der behauptete falsche Vermögensbestand könne nicht zugleich Beweis für sich selbst sein.
Damit verkennen sie, dass eine Schrift schon dann Urkunde und ihr Inhalt "beurkundet" ist, wenn sie eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen bestimmt, nicht nur, wenn sie eine solche Tatsache zu beweisen geeignet ist (
Art. 110 Ziff. 5 StGB
). Die Bestimmung zum Beweise aber haben die Beschwerdeführer der Bilanz, dem Sacheinlagevertrag und den Statuten selber verliehen, indem sie veranlassten, dass in der öffentlichen Urkunde über die Gründung der Gesellschaft und im Handelsregistereintrag entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen (
Art. 778-781 OR
) darauf Bezug genommen wurde. Übrigens ging den drei Schriftstücken auch die Eignung zum Beweise nicht ab. Wenn Gründer einer Gesellschaft unterschriftlich erklären, ein bestimmtes Vermögensstück sei auf Rechnung an den Stammanteil des einen Gesellschafters eingelegt worden und andere eingebrachte Vermögensstücke hätten einen bestimmten Wert, so können Dritte daraus an sich schliessen, ihre Erklärung sei wahr. Nicht nötig ist, dass dieser Schluss zwingend sei, d.h. die Erklärung unter allen Umständen Glauben verdiene. Unter der Eignung zum Beweise versteht
Art. 110 Ziff. 5 StGB
nicht
BGE 81 IV 238 S. 241
die Beweiskraft (Glaubwürdigkeit) der Schrift, sondern ihre Tauglichkeit, überhaupt Beweismittel zum Nachweis des dargestellten Sachverhaltes zu sein.
Dass die Erklärungen in den drei Urkunden mit den Tatsachen nicht übereinstimmten, ist objektiv festgestellt, ohne dass die Vorinstanz von einem unzutreffenden Begriff der Unrichtigkeit der Beurkundung ausgegangen wäre. Der Hinweis des Beschwerdeführers Melliger auf einen Vertrag vom 15. August 1948, durch den sein Vater der Gesellschaft die Fahrnisbaute zum Preise von Fr. 3800.-- verkaufte und auf diesen Betrag Fr. 500.-- anrechnete, die der Beschwerdeführer bereits abbezahlt hatte, ist trölerisch. Abgesehen davon, dass dieser Vertrag erst nach der Gründung der Gesellschaft abgeschlossen wurde, widerlegt er in keiner Weise, dass die Beschwerdeführer die Baute als ein von Christian Melliger eingebrachtes Vermögensstück ausgegeben hatten, während sie ihm in Wirklichkeit nicht gehörte und vom Eigentümer Josef Melliger lediglich gegen Bezahlung von Fr. 3800.-- veräussert werden wollte.
Da mit Recht nicht bestritten wird, dass die unrichtig beurkundeten Tatsachen rechtlich erheblich waren, ist somit der objektive Tatbestand des
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
erfüllt.
b) Der vom Beschwerdeführer Melliger in subjektiver Hinsicht erhobene Einwand, er habe auf Grund des Vertrages vom 15. August 1948 der Meinung sein dürfen, die Fahrnisbaute gehöre ihm, ist arg mutwillig, da der Vertrag erst nach Vollendung des Verbrechens abgeschlossen wurde, die Gesellschaft, nicht der Beschwerdeführer als Käufer auftrat und die Erwerberin der Baute zur Bezahlung des Kaufpreises verpflichtet wurde, was nicht zugetroffen hätte, wenn der Beschwerdeführer sie auf Anrechnung an seinen Stammanteil eingelegt hätte.
Auf die Rüge Breymayers sodann, er habe nicht gewusst, dass die von Melliger "eingebrachten Sachwerte zum Teil fingiert waren", ist nicht einzutreten, da das Obergericht verbindlich feststellt, er habe gewusst, dass die Baute dem
BGE 81 IV 238 S. 242
Melliger nicht gehörte und dass die Maschinen und Werkzeuge zu hoch bewertet waren.
Ohne Halt ist auch der Einwand Melligers, er habe nicht, wie
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
voraussetzt, jemanden am Vermögen oder an anderen Rechten zu schädigen oder sich oder einen anderen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen beabsichtigt. Der unrechtmässige Vorteil, auf den Melliger es abgesehen hatte, bestand darin, seinen Stammanteil als durch Sacheinlagen gedeckt erscheinen zu lassen, während er wegen des Nichteinbringens der Fahrnisbaute und wegen des Minderwertes der Maschinen und Werkzeuge teilweise nicht gedeckt war. Auf den gleichen unrechtmässigen Vorteil, freilich nicht für sich selber, sondern für den Mitgesellschafter, hatte es Breymayer abgesehen. Das genügt zur Anwendung des
Art. 251 Ziff. 1 StGB
; nicht nötig ist, dass Breymayer auch sich persönlich einen Vorteil habe verschaffen wollen. Ein solcher bestand für ihn übrigens darin, dass er einer Gesellschaft angehörte, die ein höheres als das tatsächlich geleistete Stammkapital auswies. Daran ändert der Umstand nichts, dass seinen Interessen noch besser gedient gewesen wäre, wenn Melliger die Sacheinlage im vorgetäuschten Umfange tatsächlich geleistet hätte. Nicht erforderlich ist, dass die beiden auch jemanden am Vermögen schädigen wollten.
c) Das von Breymayer bestrittene Bewusstsein, Unrecht zu tun, gehört nicht zum Vorsatz. Wenn es aus zureichenden Gründen fehlt, trifft vielmehr
Art. 20 StGB
zu, wonach der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von einer Bestrafung Umgang nehmen kann. Hier ist jedoch diese Bestimmung nicht anwendbar. Sollte Breymayer, was verwunderlich wäre, gemeint haben, es sei erlaubt, zwecks Gründung und Eintragung einer Gesellschaft inhaltlich unwahre Urkunden über Zusammensetzung und Wert von Sacheinlagen zu erstellen, so hätte er jedenfalls hiezu keinen zureichenden Grund gehabt. Nichts hinderte ihn bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit und Überlegung, Wortlaut und Sinn des Gesetzes richtig zu erfassen.
BGE 81 IV 238 S. 243
2.
a) Die Beschwerdeführer bestreiten, den Tatbestand des
Art. 253 StGB
anlässlich der öffentlichen Beurkundung der Gründung erfüllt zu haben; denn die betreffende Urkunde sei nicht bestimmt oder geeignet gewesen, die Wahrheit der von den Gründern abgegebenen Erklärungen zu beweisen.
Sie verkennen, dass, wie schon in
BGE 78 IV 110
ff. ausgeführt wurde, der öffentlich beurkundete Vertrag kein blosses Protokoll über die von den Parteien abgegebenen Erklärungen ist, sondern dass die Urkundsperson alle zum Zustandekommen des Vertrages nötigen Tatsachen, auch die von ihr sinnlich nicht unmittelbar wahrnehmbaren, beurkundet. Die öffentliche Urkunde über die Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist somit nicht lediglich Urkunde darüber, dass die Gründer die in
Art. 779 Abs. 2 OR
aufgezählten Tatsachen vor der Urkundsperson bestätigt haben, sondern auch Urkunde darüber, dass ihre Bestätigung mit den Tatsachen übereinstimmt, und zwar unbekümmert darum, ob die Urkundsperson die Übereinstimmung mit den eigenen Sinnen festgelegt habe oder nicht. Die Bestätigung durch die Gründer allein ist schon bestimmt und auch geeignet, die bestätigten Tatsachen zu beweisen, ohne dass es dazu noch einer Erklärung der Urkundsperson bedürfte, sie habe die Angaben der Gründer überprüft und für richtig befunden. Ob die Gründer Glauben verdienen, ist unerheblich; Art. 253 setzt sowenig wie
Art. 251 StGB
Beweiskraft voraus; Bestimmung oder Eignung zur Verwendung als Beweismittel zwecks Nachweises der Tatsachen, die Gegenstand der abgegebenen Erklärungen bilden, genügt. Wären nur die Erklärungen, nicht auch diese Tatsachen beurkundet, so könnte die Gründung der Gesellschaft durch blosse Vorlegung der Urkunde nicht nachgewiesen werden, sondern es müsste daneben immer noch bewiesen werden, dass die verurkundeten Bestätigungen der Gründer richtig seien. Weder die Gründer selber noch Dritte könnten sich darauf berufen, dass - bis zum Beweis des Gegenteils (
Art. 9 ZGB
) -
BGE 81 IV 238 S. 244
die Gesellschaft in der angegebenen Weise gegründet sei. Die Rechtssicherheit, die durch das Erfordernis der öffentlichen Beurkundung gewährleistet werden soll, bestünde nicht; die Urkunde hätte im wesentlichen nur den Wert eines in einfacher Schriftlichkeit festgelegten Vertrages mit beglaubigten Unterschriften.
Indem die Beschwerdeführer am 10. Juli 1948 vor der Urkundsperson erklärten, die Statuten der Gesellschaft enthielten ihren Willen, die Sacheinlage Melligers stehe zur freien Verfügung bereit und der Sacheinlagevertrag sei von allen Gründern geprüft und anerkannt worden, bewirkten sie somit im Sinne des
Art. 253 StGB
die unrichtige Beurkundung von Tatsachen, nämlich einer nicht im angegebenen Umfange und im angegebenen Werte geleisteten Sacheinlage.
Dass diese Tatsachen auch rechtlich erheblich waren, bestreiten sie mit Recht nicht. Auch ist das Merkmal der Täuschung des Urkundsbeamten erfüllt; denn die Beschwerdeführer behaupten nicht, dass sie die Urkundsperson davon in Kenntnis gesetzt hätten, dass Melliger über die Fahrnisbaute nicht verfügen konnte und die Sacheinlage auch wegen Minderwertes der Maschinen und Werkzeuge den Stammanteil Melligers nicht deckte.
b) Der subjektive Tatbestand sodann, den Breymayer bestreitet, ergibt sich aus der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz, dass die Beschwerdeführer um das Fehlen des Verfügungsrechtes Melligers über die Fahrnisbaute und um die zu hohe Bewertung der Maschinen -und Werkzeuge wussten. Da sie trotz dieses Wissens die öffentliche Urkunde über die Gesellschaftsgründung bewusst und gewollt erstellen liessen, handelten sie vorsätzlich.
3.
a) Melliger bestreitet, durch Veranlassung des Handelsregistereintrages über die Zugehörigkeit eines "Gebäudes" zu dem eingebrachten Vermögen und über den Wert des letzteren
Art. 253 StGB
erfüllt zu haben.
Er verkennt, dass der Registerführer, der gemäss
Art. 781 Ziff. 6 OR
den "Gegenstand und die Anrechnung
BGE 81 IV 238 S. 245
der Sacheinlage und der übernommenen Vermögenswerte" in das Handelsregister einträgt, nicht lediglich die entsprechende Erklärung der die Eintragung nachsuchenden Geschäftsführer (s.
Art. 780 Abs. 3 Ziff. 2 OR
), sondern den Bestand und Wert der Sacheinlage selbst beurkundet. Das ergibt sich schon daraus, dass die Anmeldenden dem Registerführer nicht nur die Ausfertigung der Statuten und den Errichtungsakt einzureichen, sondern sich ihm gegenüber auch darüber auszuweisen haben, dass die in den Statuten bestimmten Sacheinlagen gedeckt sind und zur freien Verfügung der Gesellschaft stehen (
Art. 780 Abs. 4 OR
), und dass, wie aus
Art. 940 Abs. 1 OR
und
Art. 21 und 38 HRegV
hervorgeht und auch die Rechtsprechung annimmt (
BGE 56 I 59
), der Registerführer die angemeldeten Tatsachen zu überprüfen hat und keine unwahren Eintragungen vornehmen darf (vgl. auch HIS Art. 940 N. 44 ff.). Wie die
Art. 933 Abs. 2 und 937 OR
zeigen, versteht denn auch das Gesetz unter den im Handelsregister einzutragenden "Tatsachen" nicht die Erklärungen der Anmeldenden, sondern den angemeldeten Sachverhalt selbst. Dieser, nicht lediglich die Anmeldung, müsste übrigens auch dann als beurkundet gelten, wenn der Registerführer der Wahrheit der Anmeldung nicht nachzugehen hätte; denn er befände sich damit in gleicher Lage wie z.B. der Zivilstandsbeamte, der durch Eintragung einer Geburt nicht nur die Anmeldung, sondern die Geburt selbst beurkundet, ohne sie gesehen oder die Erklärung sonstwie überprüft zu haben, und auch in gleicher Lage wie die mit der öffentlichen Beurkundung eines Rechtsgeschäftes betraute Person, die Tatsachen beurkundet, von deren Bestand sie lediglich durch die Erklärung der Parteien Kenntnis erhält (vgl.
BGE 78 IV 110
ff.). Daher hat der Kassationshof schon in
BGE 74 IV 162
vorausgesetzt, das Handelsregister sei eine Urkunde über die eingetragenen Tatsachen, nicht lediglich ein Protokoll über abgegebene Erklärungen. Dass das Handelsregister nur ausnahmsweise positive Publizitätswirkung hat (s. BGE 78
BGE 81 IV 238 S. 246
III 45), steht seiner Eigenschaft als Urkunde über die eingetragenen Tatsachen nicht im Wege; es ist nichtsdestoweniger zum Nachweis dieser Tatsachen geeignet und schafft seiner Öffentlichkeit wegen hiefür sogar vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit seines Inhaltes nachgewiesen ist (
Art. 9 ZGB
).
Auch steht im vorliegenden Falle die Unrichtigkeit beurkundeter Tatsachen fest. Die von den Beschwerdeführern veranlasste Eintragung stimmte insofern nicht mit der Wirklichkeit überein, als ein "Gebäude", das dem Beschwerdeführer Melliger nicht gehörte und das er auch sonst nicht zu Eigentum auf die Gesellschaft zu übertragen berechtigt war, als Bestandteil seiner Sacheinlage ausgegeben und diese auch wegen Überbewertung der Maschinen und Werkzeuge zu hoch beziffert und damit der Stammanteil Melligers zu Unrecht als voll gedeckt hingestellt wurde.
Die rechtliche Erheblichkeit dieser unrichtig beurkundeten Tatsachen sodann ergibt sich schon aus der gesetzlichen Pflicht, Gegenstand und Anrechnung der auf die Stammeinlagen gemachten Leistungen wahrheitsgetreu eintragen zu lassen. Die Beschwerdeführer sagen übrigens nicht, inwiefern sie fehlen sollte.
Auch ist die unrichtige Beurkundung durch Täuschung bewirkt worden, nämlich durch die inhaltlich unwahre Anmeldung und die sie begleitenden unwahren Urkunden.
b) Die Bestreitung des subjektiven Tatbestandes scheitert auch hier an der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz, dass den Beschwerdeführern das Fehlen des Verfügungsrechtes Melligers über die Fahrnisbaute und die Überbewertung der Maschinen und Werkzeuge bekannt war. Indem sie trotz dieser Kenntnis bewusst und gewollt die unwahre Eintragung im Handelsregister nachsuchten, begingen sie das Verbrechen des
Art. 253 StGB
vorsätzlich.
4.
Die Beschwerdeführer machen geltend, die
Art. 251 und 253 StGB
dürften auf ihre Handlungen nicht angewendet
BGE 81 IV 238 S. 247
werden, weil Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1923 betreffend Strafbestimmungen zum Handelsregister- und Firmenrecht diesen Bestimmungen vorgehe.
Diese Auffassung hält nicht stand. Art. 1 Abs. 1 dieses Gesetzes, wonach mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bis zu zwanzigtausend Franken bestraft wird, "wer den Handelsregisterführer mit Vorsatz dazu veranlasst hat, eine Registereintragung vorzunehmen, die geeignet ist, eine Täuschung zu bewirken, sei es über die in das Register einzutragende Person, oder deren Wohnsitz oder deren Staatsangehörigkeit, sei es über den Betrag, die Zusammensetzung oder die Einzahlung des Kapitals einer Gesellschaft", beansprucht Geltung ausdrücklich nur, "sofern schwerere Strafbestimmungen nicht in Anwendung zu bringen sind". Dieser Vorbehalt schwererer Strafnormen lautet allgemein und würde daher selbst dann gelten, wenn die von Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1923 erfassten Fälle ausnahmslos auch die Merkmale einer schwereren Norm des schweizerischen Strafgesetzbuches, nämlich des Art. 253 oder des Art. 24 in Verbindung mit Art. 317, aufweisen sollten. Zwar hätte Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes dann nur Sinn in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2, der die fahrlässige Begehung unter Strafe stellt. Das ist aber nicht verwunderlich. Als das Bundesgesetz erlassen wurde, war das allgemeine Strafrecht noch kantonales Recht. Da der Bund keine Gewähr hatte, dass die Kantone die in Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes umschriebene Tat als Erschleichung einer falschen Beurkundung oder als Anstiftung zu Falschbeurkundung oder dgl. mit Strafe bedrohen würden, hatte es einen guten Sinn, in Art. 1 des Bundesgesetzes Strafe auch für die vorsätzliche Tat vorzusehen. Mit dieser Bestimmung wollte der Bundesgesetzgeber lediglich vom kantonalen Recht gelassene Lücken ausfüllen, nicht Tatbestände, die die Kantone mit schwererer Strafe bedrohten, privilegieren - eine Einmischung in die kantonale Hoheit, zu der auch gar kein
BGE 81 IV 238 S. 248
sachlicher Grund bestanden hätte. In der Botschaft vom 3. Juni 1921 hob denn auch der Bundesrat hervor, dass die Bestrafung wegen Urkundenfälschung oder Betruges vorbehalten bleibe, wenn einer dieser beiden Tatbestände gegeben sei (BBl 1921 III 271). Durch das Inkrafttreten des schweizerischen Strafgesetzbuches hat sich am Sinne des Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1923 nichts geändert.
Schliesst diese Bestimmung die Anwendung des
Art. 253 StGB
auf die Erschleichung der falschen Eintragung im Handelsregister nicht aus, so kann sie noch weniger der Bestrafung der Beschwerdeführer nach
Art. 251 StGB
für die vorausgegangene falsche Beurkundung der Bilanz, des Sacheinlagevertrages und der Statuten und der Verurteilung gemäss
Art. 253 StGB
für die ebenfalls vorausgegangene Erschleichung der falschen öffentlichen Urkunde über die Gesellschaftsgründung im Wege stehen, haben doch diese Verbrechen mit der Erwirkung des falschen Registereintrages nichts als den Endzweck gemein, was nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung in der Regel die Vortat sowenig wie die Nachtat "straflos" macht (vgl.
BGE 71 IV 207
ff.,
BGE 72 IV 11
, 116 f.,
BGE 77 IV 16
,
BGE 78 IV 198
,
BGE 79 IV 62
,
BGE 80 IV 256
).
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden abgewiesen. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4b00c4f6-0909-4eab-a49d-50191f7e7f8c | Urteilskopf
105 II 297
49. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 27 novembre 1979 dans la cause Van Cleef et Arpels S.A. contre Sarcar S.A. (recours en réforme) | Regeste
Urheberrechtlicher Schutz von Modellen. Unlauterer Wettbewerb.
1. Nur ein Modell, das origineller Schöpfung entspringt, vermag als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlichen Schutz zu erlangen (E.3).
2. Die Nachahmung eines Modells, welches nicht gültig hinterlegt worden ist, stellt grundsätzlich keinen unlauteren Wettbewerb dar (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 298
BGE 105 II 297 S. 298
A.-
Pierre Arpels, joaillier à Paris, a conçu en 1949 une montre-bracelet caractérisée par une attache centrale en forme de plot sphérique, au travers de laquelle passe la barrette de fixation du bracelet. Aux extrémités de la barrette sont soudés deux autres plots semblables, indépendants de la boîte. Les deux lanières de cuir du bracelet sont fixées entre les plots et masquent la barrette. La finesse de l'attache au boîtier par le plot central, le volume restreint des plots et leur apparente indépendance doivent donner à la montre élégance et légèreté.
Pierre Arpels n'a pas déposé de modèle pour sa montre. En 1950, il a cédé ses droits à Van Cleef et Arpels S.A., à Paris. Les sociétés Van Cleef et Arpels S.A., à Paris, et Van Cleef et Arpels S.A., à Genève, ont commercialisé la montre de Pierre Arpels sous le nom de "Monsieur Pierre" ou "P.A. 49". Le 9 octobre 1972 et le 4 novembre 1975, elles ont déposé un modèle sous pli cacheté.
Sarcar S.A. a mis sur le marché une montre qui, à quelques détails près, est pareille au modèle "Monsieur Pierre". Ce modèle lui avait été proposé par la société Pierre Nardin et Cie qui le fabriquait pour Van Cleef et Arpels.
B.-
Le 5 octobre 1977, les sociétés Van Cleef et Arpels S.A., à Paris et Genève, ont ouvert action contre Sarcar S.A. devant la Cour de justice du canton de Genève. Elles ont demandé qu'interdiction fût faite à Sarcar S.A. de fabriquer, de faire fabriquer ou de commercialiser des contrefaçons du modèle "Monsieur Pierre". Elles ont conclu au paiement de 200'000 fr. de dommages et intérêts et ont requis la publication du jugement.
En cours d'instance, Sarcar S.A. a cessé la fabrication de montres pourvues des attaches litigieuses; les demanderesses ont alors réduit à 100'000 fr. leur action en dommages et intérêts.
Sarcar S.A. a conclu au rejet de l'action.
Par arrêt du 25 mai 1979, la Cour de justice a débouté les demanderesses.
C.-
Les demanderesses ont interjeté un recours en réforme. Elles reprennent leurs conclusions de première instance et demandent le renvoi de la cause à la Cour de justice pour instruction et nouveau jugement sur leur action en dommages et intérêts.
La défenderesse conclut au rejet du recours.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
BGE 105 II 297 S. 299
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Les demanderesses n'ont à juste titre pas invoqué les droits que la loi sur les dessins et modèles industriels attache au dépôt d'un modèle. Elles ont elles-mêmes allégué avoir, depuis 1950, commercialisé la montre "Monsieur Pierre" dans le monde entier, à grand renfort de publicité. A la date des dépôts, le 9 octobre 1972 et le 4 novembre 1975, le modèle était connu du public et des milieux industriels et commerciaux. Les dépôts sont donc nuls et de nul effet (
art. 12 ch. 1 LDMI
).
3.
Les demanderesses invoquent les dispositions de la loi fédérale concernant le droit d'auteur sur les oeuvres littéraires et artistiques, du 7 décembre 1922. Elles soutiennent que la montre "Monsieur Pierre" est une oeuvre des arts appliqués au sens de l'
art. 1 al. 2 LDA
.
a) Aux termes de l'
art. 5 LDA
, "le dépôt comme dessin ou modèle industriel d'une oeuvre, achevée ou en projet, visée par la présente loi, n'exclut pas la protection accordée par celle-ci ". Rien ne s'oppose donc à ce que la protection de la loi sur le droit d'auteur soit attachée à un dessin ou à un modèle industriel], c'est-à-dire à une " disposition de lignes " ou à une " forme plastique, combinées ou non avec des couleurs, devant servir de type pour la production industrielle d'un objet" (
art. 2 LDMI
). Il ne s'ensuit pas que toute forme qui, après dépôt, serait protégée comme modèle soit aussi protégée d'emblée par la loi sur le droit d'auteur. Un modèle ne constitue une oeuvre des arts appliqués que s'il répond à la notion générale de l'oeuvre d'art (
ATF 75 II 358
,
ATF 68 II 56
s. consid. 3).
Pour être élevé au rang d'oeuvre d'art, un ouvrage doit être une création originale, une oeuvre nouvelle de l'esprit; il doit incorporer une idée créatrice ou contenir l'expression personnelle d'une pensée. Le critère n'est pas la nouveauté, mais l'originalité de la production. L'oeuvre doit avoir son cachet propre, porter la marque de l'activité créatrice et de la personnalité de l'auteur. A cet égard, il importe peu que la création corresponde au sentiment esthétique de quelques-uns ou du grand nombre, qu'elle soit un chef-d'oeuvre ou appartienne aux productions de second ordre (
ATF 76 II 100
,
ATF 75 II 359
s.,
ATF 68 II 58
s.,
ATF 59 II 402
ss). La nouveauté, condition de protection du modèle déposé (
art. 12 ch. 1 LDMI
), ne suffit pas pour qu'il y ait oeuvre d'art. L'oeuvre des arts appliqués doit s'imposer d'elle-même par son originalité et être reconnaissable comme
BGE 105 II 297 S. 300
telle. Dans le doute sur la qualification d'un objet comme oeuvre des arts appliqués ou simple modèle industriel, on doit trancher dans ce dernier sens (
ATF 68 II 61
).
Pour être considéré comme oeuvre d'art, le modèle industriel] doit être original, c'est-à-dire porter la marque de l'activité créatrice et de la personnalité de son auteur. La combinaison de lignes, de formes et de couleurs qui caractérise le modèle ne doit donc pas être entièrement dictée par des exigences techniques ou par la destination de l'objet, mais être, dans une certaine mesure au moins, le fruit de l'imagination créatrice de l'auteur. Il faut en outre que le modèle, ou les éléments pour lesquels on invoque la propriété artistique, se distingue nettement des formes connues. L'auteur doit avoir créé une forme nouvelle qui ne soit pas la simple variation d'une forme préexistante. L'auteur peut s'inspirer de formes connues ou travailler dans un style déterminé, mais alors il ne doit pas se limiter à des transpositions que tout artisan habile aurait pu réaliser de manière identique ou analogue (cf. TROLLER, Immaterialgüterrecht, tome I, p. 490 s.).
b) La Cour cantonale a constaté de manière qui lie le Tribunal fédéral que le système d'attache centrale avec barrette tangente au boîtier était connu depuis longtemps lorsque Pierre Arpels le reprit pour sa montre, et qu'il est encore utilisé par de nombreux fabricants. Certes, l'attache créée par Pierre Arpels ne peut guère être confondue avec celles utilisées jusqu'alors, mais elle ne s'en distingue pas assez pour être plus que la variation d'une forme déjà connue. Le boîtier et le cadran de la montre "Monsieur Pierre" ne se différencient que peu de modèles couramment utilisés. Les demanderesses ont d'ailleurs reconnu en procédure cantonale qu'aucun des éléments de leur modèle ne constitue en soi une originalité.
La montre "Monsieur Pierre", prise dans son ensemble, est certes une oeuvre caractérisée par la légèreté et la sobriété. Toutefois, elle ne se distingue pas assez des formes connues pour être l'expression unique de l'activité créatrice et de la personnalité de son auteur.
La Cour cantonale a donc dénié à bon droit le caractère d'oeuvre d'art à la montre "Monsieur Pierre", prise tant dans son ensemble que dans chacun de ses éléments essentiels.
c) La Cour cantonale a jugé que la forme de la montre "Monsieur Pierre" n'a pas un caractère autonome, indépendant de son usage industriel. L'oeuvre litigieuse perdrait son
BGE 105 II 297 S. 301
individualité esthétique pour peu que l'on dissociât sa forme de l'objet industriel dans lequel elle est incorporée. Le Tribunal fédéral n'a pas à déterminer si cet argument utilisé par surabondance de droit est conforme aux principes du droit fédéral. Lorsque le critère de l'originalité permet, comme en l'espèce, de statuer nettement sur l'existence d'une oeuvre des arts appliqués, le recours à la théorie dite de la dissociation est sans objet (
ATF 68 II 60
).
4.
Les demanderesses reprochent à la défenderesse d'avoir commis un acte de concurrence déloyale en commercialisant une copie servile, une contrefaçon de la montre "Monsieur Pierre".
a) Commet un acte de concurrence déloyale celui qui prend des mesures destinées ou propres à faire naître une confusion avec les marchandises, les oeuvres, l'activité ou l'entreprise d'autrui (art. 1er al. 2 lettre d LCD).
Lorsque la forme d'une marchandise n'est pas protégée par une règle du droit de la propriété intellectuelle, elle peut en principe être librement utilisée. L'art. 1er al. 2 lettre d LCD ne permet pas de repousser les limites que la loi sur les dessins et modèles industriels assigne au droit exclusif sur un modèle. Chacun peut donner à sa marchandise la forme qui la rend la plus attrayante et permet de la vendre le mieux. Rien n'interdit d'imiter même servilement la marchandise d'autrui, si sa forme n est l'objet d'un droit exclusif (
ATF 104 II 332
,
ATF 103 II 215
). Il en va autrement lorsque la forme d'une marchandise sert à la distinguer et que la contrefaçon crée un risque de confusion, parce qu'elle est de nature à tromper l'acheteur sur la qualité ou la provenance du produit (
ATF 104 II 332
,
ATF 103 II 215
s.).
Les montres-bracelets ne sont pas des objets de consommation courante. Pour en apprécier la qualité et en déterminer la provenance, l'acheteur ne se fie pas à leur forme mais essentiellement à leur marque. Dans l'esprit du consommateur, la montre qui porte la marque Van Cleef et Arpels et celle qui est vendue sous le nom de Sarcar sont, à tort ou à raison, des produits très différents. En l'espèce, la défenderesse avait apposé sa marque sur ses montres, ce qui excluait toute confusion. Elle n'a donc pas enfreint l'
art. 1er al. 2 LCD
.
b) L'
art. 1er al. 2 LCD
qui énumère les actes de concurrence déloyale n'est pas exhaustif. Tout abus de la concurrence économique résultant d'un procédé contraire aux règles de la bonne foi est réputé acte de concurrence déloyale (
art. 1er al. 1 LCD
).
BGE 105 II 297 S. 302
La clause générale de l'
art. 1er al. 1 LCD
permet de considérer comme déloyaux des actes qui ne sont pas incriminés de manière spéciale à l'art. 1er al. 2 (
ATF 104 II 333
,
ATF 102 II 294
).
La clause générale de la loi sur la concurrence déloyale ne peut cependant être invoquée pour monopoliser des biens qui ne sont ou ne peuvent être protégés par les lois sur la propriété littéraire, artistique et industrielle. Une imitation n'est pas en soi un acte de concurrence déloyale, même si la réalisation originale est le fruit de nombreux efforts et a occasionné des frais importants (
ATF 104 II 334
,
ATF 95 II 468
,
ATF 87 II 63
). L'imitation de la marchandise d'autrui heurte toutefois les règles de la bonne foi lorsque le contrefacteur y est parvenu par des procédés astucieux ou incorrects (
ATF 90 II 56
ss consid. 6), ou lorsqu'il cherche de manière systématique et raffinée à tirer profit de la réputation de son concurrent (
ATF 104 II 334
s.).
La défenderesse a apposé sa marque sur la montre litigieuse. La marque joue un rôle décisif dans l'esprit de l'acheteur. La défenderesse ne pouvait donc tirer profit du prestige attaché aux produits des demanderesses. Le produit de la défenderesse est certes une copie presque servile de la montre "Monsieur Pierre"; mais l'imitation n'avait pas un caractère systématique, car le modèle litigieux n'est que l'un des nombreux produits commercialisés par la défenderesse. | public_law | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4b0be973-1bfe-42f4-8c3f-cb0cd58634bf | Urteilskopf
115 III 41
9. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 30. Januar 1989 i.S. E.F. | Regeste
Pfändungsankündigung (
Art. 90 SchKG
); Sicherung der Pfändungsrechte (
Art. 98 ff. SchKG
).
1. Eine nachträgliche Heilung der mangelhaften Pfändungsankündigung setzt voraus, dass der Schuldner in der Lage war, der Pfändung beizuwohnen oder sich dabei gültig vertreten zu lassen, um seine Rechte geltend zu machen (E. 1).
2. Massnahmen zur Sicherung der Pfändungsrechte sind zulässig, auch wenn sie im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen sind; jedoch müssen sie als dringend geboten erscheinen, z.B. wegen Betreibungsferien (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 115 III 41 S. 42
A.-
Am 22. November 1988 liess das Betreibungsamt Basel-Stadt dem Rechtsvertreter von E.F. eine Pfändungsankündigung zukommen, worin die Pfändung auf den 24. November 1988 angesetzt wurde. Bereits am 17. November 1988 hatte das Betreibungsamt den Schuldner direkt eingeladen, am 24. November 1988 auf dem Betreibungsamt vorzusprechen. Ferner hatte das Betreibungsamt am 18. November 1988 der Basellandschaftlichen Kantonalbank mit dem Formular Nr. 9 gemäss
Art. 99 SchKG
die Pfändung einer Forderung von Fr. 9'773.-- angezeigt.
B.-
Mit Beschwerde vom 28. November 1988 an die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt verlangte E.F. die Aufhebung der Pfändungsankündigung; denn diese sei seinem früheren Anwalt zugestellt worden, der dem Betreibungsamt am 21. November 1988 telefonisch mitgeteilt habe, dass das Mandat nicht mehr bestehe. Weiter verlangte E.F., es sei ihm der beim Zivilgericht Basel-Stadt für Gerichtskosten einbezahlte Betrag von Fr. 443.50 von der Pfändungssumme abzuziehen. Schliesslich ersuchte er um die Sistierung der Pfändung, bis der Streit über die Vertretungsbefugnis zweier Anwälte der Gläubigerin (bzw. deren Nachlasses) entschieden sei. Die kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde am 23. Dezember 1988 ab, soweit darauf einzutreten war.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts hiess den Rekurs teilweise gut mit folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Pfändungsankündigung vom 22. November 1988 auf den 24. November 1988 sei nachträglich, nämlich am 28. November 1988 zufolge der Orientierung des Rekurrenten durch seinen früheren Rechtsvertreter, wirksam geworden und habe zur Pfändung geführt. Zwar sei die Pfändungsankündigung vorerst mangelhaft gewesen, doch sei der Mangel nachträglich geheilt worden.
Diese Betrachtungsweise der kantonalen Aufsichtsbehörde vermag nicht zu überzeugen. Ging die ältere Praxis noch davon aus, dass
Art. 90 SchKG
, wonach die Pfändung dem Schuldner angekündigt werden soll, eine blosse Ordnungsvorschrift sei (Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs, Zweiter Band 1893 Nr. 49 und Vierter Band 1895 Nrn. 37 und 129), so wird die Bestimmung nun
BGE 115 III 41 S. 43
in ständiger Rechtsprechung als dem Schutz des Schuldners dienend betrachtet; dieser soll anlässlich der Pfändung auf möglichst schonende Durchführung der Pfändung hinwirken können. Eine Heilung der mangelhaften Pfändungsankündigung ist zwar denkbar, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Schuldner in der Lage war, der Pfändung beizuwohnen oder sich dabei gültig vertreten zu lassen, um seine Rechte geltend zu machen (
BGE 35 I 237
ff.,
BGE 43 III 267
ff.,
BGE 77 III 106
f.,
BGE 89 IV 80
f. E. 4a; vgl. auch
BGE 96 III 125
zu
Art. 155 Abs. 2 SchKG
; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 4. Auflage Bern 1988, § 22 N. 23; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Band I, Zürich 1984, § 23 Rz. 10).
Eine nachträgliche Heilung der Pfändungsankündigung auf einen inzwischen schon verstrichenen Zeitpunkt ist somit im vorliegenden Fall, da der Schuldner an der Pfändung nicht teilgenommen hat, ausgeschlossen. Dazu kommt, dass - entgegen der Annahme der kantonalen Aufsichtsbehörde aus den Akten nicht ersichtlich ist, ob die Pfändung überhaupt vollzogen worden ist. Sie müsste mit der Erklärung des Betreibungsbeamten an den Schuldner verbunden sein, dieser habe sich bei Straffolge jeder nicht bewilligten Verfügung über die gepfändeten Vermögensstücke zu enthalten (
Art. 96 Abs. 1 SchKG
;
BGE 112 III 15
f. E. 3 und 5a). Statt sich davon zu überzeugen, dass die Pfändung gesetzeskonform vollzogen worden ist, allenfalls unter Heilung der mangelhaften Pfändungsankündigung, hat sich die kantonale Aufsichtsbehörde mit der Behauptung des Betreibungsamtes begnügt, die Kenntnisnahme von der verspäteten Pfändungsankündigung durch den Schuldner habe am 28. November 1988 zum Pfändungsvollzug geführt.
Im übrigen beruft sich die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt zu Unrecht auf
BGE 104 III 12
ff. Zwar hat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer dort festgehalten, dass ein fehlerhaft zugestellter Zahlungsbefehl seine Wirkung dennoch entfalte, sobald der Schuldner von ihm Kenntnis erhält. Eine Heilung der nicht ordnungsgemässen Zustellung ist somit grundsätzlich möglich. Doch geht aus dem in jenem Entscheid zitierten
BGE 88 III 15
klar hervor, dass Heilung nur eintreten kann, wenn der Schuldner nicht binnen zehn Tagen seit Zustellung des Zahlungsbefehls sich über deren Vorschriftswidrigkeit beschwert. Davon abgesehen, unterscheidet sich die verspätete Pfändungsankündigung von der ordnungswidrigen
BGE 115 III 41 S. 44
Zustellung des Zahlungsbefehls dadurch, dass sie den ihr vom Gesetz zugedachten Zweck wenigstens für die Zukunft gar nicht mehr erfüllen kann, wenn der angezeigte Pfändungstermin inzwischen schon verstrichen ist, ohne dass eine Pfändung in Anwesenheit des Schuldners stattgefunden hat.
Im vorliegenden Fall ist daher die Pfändung noch einmal anzukünden. Damit wird der Antrag des Rekurrenten gegenstandslos, es sei dem Betreibungsamt Basel-Stadt unverzüglich zu verbieten, der Gläubigerin den unrechtmässig gepfändeten Betrag auszuhändigen.
2.
Der Rekurrent rügt sodann, dass der Basellandschaftlichen Kantonalbank vom Betreibungsamt Basel-Stadt schon am 18. November 1988 eine auf
Art. 99 SchKG
gestützte Anzeige von der Pfändung einer Forderung von Fr. 9'773.-- zugestellt worden ist. Dieses Vorgehen ist von der kantonalen Aufsichtsbehörde als Sicherungsmassnahme im Sinne der
Art. 98 ff. SchKG
bezeichnet worden.
Die Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde vermag sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts in
BGE 107 III 67
ff. zu stützen, als zur Vorbereitung der eigentlichen Pfändung - insbesondere zur genauen Feststellung des pfändbaren Vermögens - auch vorsorgliche Massnahmen möglich sein sollen, obwohl dies im Gesetz nicht eigens vorgesehen ist. Für eine solche Sicherungsmassnahme wurde im erwähnten Entscheid indessen eine besondere Dringlichkeit vorausgesetzt; denn die Massnahme war während der Betreibungsferien angeordnet worden und deshalb unter dem Gesichtswinkel von
Art. 56 Ziff. 3 SchKG
zu beurteilen.
Am Erfordernis der Dringlichkeit ist angesichts des Eingriffs in die Stellung des Schuldners, welcher mit der Sicherungsmassnahme verbunden ist, dort ganz besonders festzuhalten, wo die Zwangsvollstreckung - wie im vorliegenden Fall - nicht durch die Betreibungsferien verzögert wird und grundsätzlich nichts eine rasche, aber trotzdem vorschriftsgemässe Abwicklung des Betreibungsverfahrens hindert.
Ob und aus welchen Gründen im vorliegenden Fall Dringlichkeit herrschte, hat die kantonale Aufsichtsbehörde nicht geprüft; vielmehr hat sie sich einfach damit einverstanden erklärt, dass vom Betreibungsamt eine vorsorgliche Massnahme getroffen wurde. Sollte eine solche Massnahme ausserhalb der Betreibungsferien als dringend geboten erscheinen, so ist sie auf jeden Fall als solche zu
BGE 115 III 41 S. 45
bezeichnen. Gegenüber dem Drittschuldner darf nicht, wie es im vorliegenden Fall geschehen ist, der unzutreffende Eindruck erweckt werden, es sei bereits eine Pfändung vollzogen worden.
Da die Dringlichkeit in dem hier zu beurteilenden Fall nicht ausgewiesen ist, ist die vom Betreibungsamt Basel-Stadt am 18. November 1988 angeordnete Sicherungsmassnahme aufzuheben. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4b0ef360-22ba-42bd-869e-97b5bfed9701 | Urteilskopf
110 Ia 136
29. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. Mai 1984 i.S. W. gegen Kanton Solothurn und Kantonale Rekurskommission Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Ausschöpfung des Instanzenzuges nach
Art. 87 OG
bei Beschwerden wegen Verletzung von
Art. 4 BV
.
1. Ein als "Revision" bezeichnetes kantonales Rechtsmittel, welches kassatorische Rügen zulässt, muss ergriffen werden, bevor eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
zulässig ist (E. 2).
2. Die "Besondere Revision" gemäss § 121bis des solothurnischen Gesetzes über die direkten Staats- und Gemeindesteuern vom 29. Januar 1961, mit der die unrichtige Tatsachenwürdigung und die Verletzung klaren Rechts gerügt werden können, bildet einen Bestandteil des Instanzenzuges im Sinne von
Art. 87 OG
(E. 3).
3. Keine Praxisänderung, obwohl viele Kantone in ihren Steuergesetzen kassatorische Revisionsgründe kennen (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 136
BGE 110 Ia 136 S. 136
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 87 OG
sind staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung von
Art. 4 BV
nur gegen letztinstanzliche
BGE 110 Ia 136 S. 137
Endentscheide und in gewissen Fällen gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide zulässig. Die Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges ist bei Beschwerden wegen Verletzung von
Art. 4 BV
eine Prozessvoraussetzung, welche das Bundesgericht frei und von Amtes wegen prüft (
BGE 106 Ib 126
E. 1). In dieser Hinsicht gilt der Grundsatz der freien Prüfung auch für die Interpretation von kantonalem Gesetzesrecht, wobei sich das Bundesgericht allerdings eine gewisse Zurückhaltung auferlegt und in ausgesprochenen Zweifelsfällen nicht von der Auslegung der obersten kantonalen Behörde abweicht (
BGE 104 Ia 152
E. 2a).
a) Ein kantonaler Entscheid ist letztinstanzlich, wenn gegen ihn auf kantonaler Ebene kein weiterer Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Als Rechtsmittel im Sinne von
Art. 87 OG
gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes jeder Rechtsweg, der dem Beschwerdeführer persönlich einen Anspruch auf einen Entscheid der angerufenen Behörde gibt und der geeignet ist, den behaupteten rechtlichen Nachteil zu beheben (
BGE 104 Ia 124
; KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, S. 281, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Kein Rechtsmittel nach
Art. 86 Abs. 2 und
Art. 87 OG
ist die Revision im eigentlichen prozessrechtlichen Sinne, mit der als Rügegründe die strafbare Einwirkung auf einen Entscheid sowie die nachträgliche Entdeckung wesentlicher Tatsachen oder Beweismittel geltend gemacht werden können (vgl. dazu allgemein GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 529-532), weil sie nicht erlaubt, den Entscheid als solchen als falsch anzufechten (KÄLIN, a.a.O., S. 283; LUDWIG, Endentscheid, Zwischenentscheid und Letztinstanzlichkeit im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, ZBJV 110 (1974) S. 189/190; LEVI, Zum Zeitpunkt der Anfechtung von Entscheiden des zürcherischen Verwaltungsgerichtes mittels staatsrechtlicher Beschwerde, ZBl 79 (1978) S. 245; ähnlich derselbe, Verfahrensrechtliche Aspekte der staatsrechtlichen Beschwerde, SJZ 76 (1980) S. 244). Anders verhält es sich, wenn in kantonalen Gesetzen Tatbestände als Revisionsgründe angeführt werden, die kassatorischer Natur sind. So ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes gegen Entscheide des Verwaltungsgerichtes des Kantons Zürich grundsätzlich die Revision gemäss § 67 lit. a VRG ZH wegen Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften oder gemäss § 67 lit. b VRG wegen versehentlicher Nichtberücksichtigung sich aus den Akten ergebender erheblicher Tatsachen einzulegen, bevor entsprechende
BGE 110 Ia 136 S. 138
Rügen mit staatsrechtlicher Beschwerde vorgebracht werden können (
BGE 106 Ia 54
/55;
101 Ia 299
/300 E. 1a;
100 Ia 33
/34 E. 2;
99 Ia 474
/5 E. 2b; KÄLIN, a.a.O., S. 283, Fn 140; LUDWIG, a.a.O., S. 190; LEVI, ZBl 79 (1978) S. 245 ff.). Eine Revision im Sinne von § 67 lit. a VRG ZH ist nur dann nicht erforderlich, wenn die streitige prozessuale Frage bereits im angefochtenen Urteil behandelt worden ist, denn das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich vertritt die Auffassung, die Revision wegen Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften (§ 67 lit. a VRG ZH) erlaube kein Zurückkommen auf prozessuale Fragen, die im angefochtenen Entscheid beantwortet worden sind (
BGE 106 Ia 54
/55 E. 1b).
b) Die Beschwerdeführer werfen der Kantonalen Rekurskommission vor, im angefochtenen Entscheid in verschiedener Hinsicht
Art. 4 BV
verletzt zu haben. Es ist daher vorab zu prüfen, ob die Beschwerdeführer den kantonalen Instanzenzug im Sinne dieser Ausführungen ausgeschöpft haben.
3.
a) Der am 1. Januar 1971 in Kraft getretene
§ 121bis StG
SO sieht vor, dass die am Verfahren Beteiligten innert 30 Tagen seit Zustellung gegen ein Urteil der Kantonalen Rekurskommission eine sogenannte besondere Revision einlegen können. Als Rügegründe kommen in Frage (1) unrichtige Tatsachenwürdigung und (2) Verletzung klaren Rechts. Die besondere Revision ist bei der Rekurskommission selbst einzulegen (
§ 119 Abs. 1 StG
SO).
b) Die sehr weit gefassten Rügegründe in
§ 121bis StG
SO sind kassatorischer Natur. Es ist anzunehmen, dass mit der besonderen Revision jene rechtlichen Nachteile im wesentlichen beseitigt werden können, die bei Gutheissung einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Willkür oder Rechtsverweigerung ebenfalls beseitigt würden. Zudem hat jeder Beschwerdeführer einen Anspruch darauf, dass die Kantonale Rekurskommission auf ein Revisionsgesuch eintritt, in dem fristgerecht eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder eine Verletzung klaren Rechts gerügt wird. Etwas anderes lässt sich dem kantonalen Recht nicht entnehmen und wird auch von der Rekurskommission in ihrer Stellungnahme vom 28. November 1983 nicht behauptet.
Unter diesen Umständen handelt es sich bei der besonderen Revision nach
§ 121bis StG
SO um ein Rechtsmittel im Sinne von
Art. 87 OG
, welches grundsätzlich ergriffen werden muss, bevor eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
zulässig ist. In einer allfälligen staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Revisionsentscheid kann dann ein Beschwerdeführer auch das
BGE 110 Ia 136 S. 139
ursprüngliche Urteil der Kantonalen Rekurskommission gleichzeitig anfechten, da der Rekurskommission im besonderen Revisionsverfahren gemäss
§ 121bis StG
SO im Gegensatz zum ursprünglichen Verfahren nur eine beschränkte Kognition zusteht (vgl. dazu
BGE 107 Ia 207
E. 1a;
BGE 106 Ia 55
E. 2; KÄLIN, a.a.O., S. 294, je mit vielen weiteren Nachweisen). Der Beschwerdeführer muss in diesem Fall allerdings ausdrücklich die Aufhebung beider Hoheitsakte verlangen (
BGE 104 Ia 84
).
c) Die Beschwerdeführer haben die besondere Revision gemäss
§ 121bis StG
SO nicht eingelegt, obwohl mit diesem Rechtsmittel grundsätzlich die mit der staatsrechtlichen Beschwerde erhobenen Rügen hätten geltend gemacht und allfällige Mängel des Urteils hätten beseitigt werden können. Auf die vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerden ist daher nicht einzutreten.
4.
Die Frage der Letztinstanzlichkeit im Sinne von
Art. 87 OG
wird sich in Steuersachen in Zukunft vermehrt stellen, da verschiedene Kantone in ihren Steuergesetzen als Revisionsgrund die kassatorische Rüge zulassen, die erkennende Behörde habe erhebliche Tatsachen oder entscheidende Beweismittel, die ihr bekannt waren oder bekannt sein mussten, ausser acht gelassen oder in anderer Weise wesentliche Verfahrensgrundsätze verletzt (vgl. z.B.
§ 108 Abs. 1 lit. c StG
ZH;
Art. 113 Abs. 1 Ziff. 2 StG
GL;
Art. 236 Abs. 1 Ziff. 2 StG
NW;
Art. 199 Abs. 1 lit. b StG
OW;
Art. 105 Abs. 1 lit. b StG
SH; weitere Beispiele bei AUER, Das ausserordentliche Rechtsmittel der Revision nach schweizerischem Steuerrecht im Vergleich zur Revision nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes, Diss. Zürich 1981, S. 67/68). Auch der Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Steuerharmonisierung sieht in Art. 55 Abs. 1 lit. b diesen kassatorischen Revisionsgrund vor (BBl 1983 III 309). In Anbetracht der Bedeutung dieses Problems hat das Bundesgericht einen Meinungsaustausch gemäss
Art. 16 OG
über die Frage einer allfälligen Praxisänderung durchgeführt. Die Mehrheit der Richter und sämtlicher Abteilungen hat sich gegen eine Praxisänderung ausgesprochen.
5.
Obwohl das solothurnische Steuergesetz die besondere Revision nach § 121bis schon seit dem Jahre 1971 kennt, ist das Bundesgericht in der Zwischenzeit auf zahlreiche staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung von
Art. 4 BV
gegen Entscheide der solothurnischen Rekurskommission eingetreten, ohne dass die Beschwerdeführer jeweils vorgängig dieses Rechtsmittel ergriffen hätten. In
BGE 105 Ia 56
hat das Bundesgericht sogar beiläufig
BGE 110 Ia 136 S. 140
erklärt, die Entscheide der solothurnischen Rekurskommission würden das Erfordernis der Letztinstanzlichkeit erfüllen.
Es kann unter diesen Umständen nicht verkannt werden, dass der vorliegende Nichteintretensentscheid, der sich zwar auf eine langjährige Praxis im Zusammenhang mit ausserordentlichen Rechtsmitteln anderer Kantone stützt, für die Beschwerdeführer eine gewisse Härte mit sich bringt. Die Kantonale Rekurskommission wird daher zu prüfen haben, ob die Beschwerdeführer nach kantonalem Recht oder unmittelbar gestützt auf
Art. 4 BV
einen Anspruch auf Restitution der von ihnen versäumten Frist für die Einlegung der besonderen Revision haben (vgl.
§ 89 ff. ZPO
SO i.V.m. § 58 Abs. 1 VRG SO; speziell die Frist von 10 Tagen gemäss
§ 89 ZPO
; Grundsätzliche Entscheide der Solothurnischen Kantonalen Rekurskommission in Steuersachen aus dem Jahre 1978 Nr. 6 E. 1). Es ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen, dass im vorliegenden Fall Anspruch auf eine Restitution besteht. Jedenfalls dürfte unter dem Gesichtspunkt von
Art. 4 BV
die Frist zur Einreichung eines Restitutionsgesuches im heutigen Zeitpunkt nicht als verwirkt betrachtet werden. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
4b148832-5c75-40cb-8961-7063bf33e5d5 | Urteilskopf
134 III 452
74. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. SAirGroup in Nachlassliquidation gegen Zürcher Kantonalbank (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_29/2007 vom 29. Mai 2008 | Regeste
Art. 288 SchKG
; Absichtsanfechtung; Rückzahlung eines Bankdarlehens in Teilbeträgen.
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anfechtung von Darlehensrückzahlungen (E. 2-8). | Sachverhalt
ab Seite 452
BGE 134 III 452 S. 452
A.
Die SAirGroup ging im Jahre 1997 durch Änderung der Firma aus der Swissair Schweizerische Luftverkehr-Aktiengesellschaft hervor. Sie war eine Holdinggesellschaft mit Anteilen an verschiedenen im Fluggeschäft tätigen Firmen, unter anderem der SAirLines
BGE 134 III 452 S. 453
mit der neu gegründeten, für den eigentlichen Flugbetrieb zuständigen Swissair Schweizerische Luftverkehr-Aktiengesellschaft. Die SAirGroup musste am 2. April 2001 einen Konzernverlust für das Geschäftsjahr 2000 von rund 2,8 Milliarden Franken öffentlich bekannt geben.
B.
Die Zürcher Kantonalbank stand mit der einstigen "Swissair" wie auch mit der SAirGroup und ihren Tochtergesellschaften über Jahre hinweg in Geschäftsbeziehungen. Am 17./19. August 1999 gewährte sie der SAirGroup einen Kredit von 100 Mio. Franken (Blankolimite). Der Kredit wurde voll in Anspruch genommen und mehrfach verlängert. Am 2. Juli 2001 vereinbarten die Geschäftspartner, dass die SAirGroup die Zürcher Kantonalbank umgehend informiere, wenn eine Bank ihr Kreditengagement bzw. ihre bestätigten Kreditlimiten gegenüber der SAirGroup reduzieren oder vollständig aufheben sollte, und dass die Zürcher Kantonalbank den festen Vorschuss zur sofortigen Rückzahlung fällig stellen könne bei ausbleibender Information wie auch bei einer Reduktion eines Kreditengagements bzw. einer Reduktion oder Aufhebung einer bestätigten Kreditlimite durch Drittbanken. Gestützt auf die Kreditvereinbarungen zahlte die SAirGroup die folgenden Beträge an die Zürcher Kantonalbank:
- 21.08.2001 (Valuta 22.08.2001) CHF 30 Mio. plus CHF 234'222.20 Zins;
- 05.09.2001 (Valuta 06.09.2001) CHF 30 Mio. plus CHF 153'708.35 Zins;
- 27.09.2001 (Valuta 27.09.2001) CHF 20 Mio. plus CHF 128'333.35 Zins,
insgesamt also CHF 80'516'263.90. Am 2. Oktober 2001 musste die SAirGroup ihren Flugbetrieb einstellen (sog. Grounding).
C.
Am 5. Oktober 2001 wurde der SAirGroup die provisorische Nachlassstundung bewilligt. Das Bezirksgericht Zürich bestätigte den vorgeschlagenen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung am 20. Juni 2003. Die Verfügung wurde am 26. Juni 2003 rechtskräftig.
D.
Mit Klage vom 17. Juni/16. November 2005 beantragte die SAirGroup in Nachlassliquidation, es sei die Zürcher Kantonalbank gerichtlich zu verpflichten, ihr CHF 80'516'263.90 zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 8. Juni 2005 zu bezahlen. Ihre Ansprüche stützte sie auf den Tatbestand der Absichtsanfechtung gemäss
Art. 288 SchKG
. Die Zürcher Kantonalbank schloss auf Abweisung. Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage ab (Urteil vom 10. Januar 2007).
BGE 134 III 452 S. 454
E.
Dem Bundesgericht beantragt die SAirGroup in Nachlassliquidation, ihre Klage gutzuheissen, eventuell die Sache zur Neubeurteilung an das Handelsgericht zurückzuweisen. Ihr Gesuch um aufschiebende Wirkung wurde abgewiesen, das Verfahren aber bis zum Entscheid des kantonalen Kassationsgerichts über die gleichzeitig gegen das handelsgerichtliche Urteil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde sistiert (Präsidialverfügung vom 16. Februar 2007). Das Kassationsgericht trat auf die Beschwerde nicht ein (Zirkulationsbeschluss vom 15. November 2007). Die SAirGroup in Nachlassliquidation hat ihre Beschwerde mit den gleichen Sachanträgen erneuert und ergänzt. Die Zürcher Kantonalbank schliesst auf Abweisung, soweit auf die Beschwerde eingetreten werden könne. Das Handelsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde und die Klage gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Anfechtbar sind gemäss
Art. 288 SchKG
alle Rechtshandlungen, welche der Schuldner innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Pfändung oder Konkurseröffnung in der dem andern Teile erkennbaren Absicht vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer zu begünstigen. Der "Absichtsanfechtung" (Marginalie zu
Art. 288 SchKG
) unterliegen gemäss
Art. 331 Abs. 1 SchKG
auch Rechtshandlungen, die der Schuldner vor der Bestätigung des Nachlassvertrages vorgenommen hat. Obwohl das Gesetz sie nicht ausdrücklich erwähnt, ist - neben der Schädigungsabsicht und deren Erkennbarkeit - weitere Voraussetzung der Absichtsanfechtung, dass die angefochtene Handlung des Schuldners die Gläubiger oder einzelne von ihnen tatsächlich schädigt. Denn mit der Anfechtung sollen Vermögenswerte der Zwangsvollstreckung zugeführt werden, die ihr durch eine Rechtshandlung gemäss
Art. 286-288 SchKG
entzogen worden sind (
Art. 285 Abs. 1 SchKG
). Die Anfechtungsklage dient der Wiedergutmachung eines den Gläubigern oder einem Teil davon zugefügten Nachteils. Sie setzt eine Gläubigerschädigung sowie die Schädigungsabsicht des Schuldners und die Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht für den Dritten voraus (vgl.
BGE 29 II 747
E. 6 S. 753;
BGE 99 III 27
E. 3 S. 32 f.). Alle drei Voraussetzungen hat zu beweisen, wer aus der Erfüllung des Tatbestandes gemäss
Art. 288 SchKG
Rechte ableitet (vgl.
Art. 8 ZGB
), in der Regel also der Anfechtungskläger und hier die Beschwerdeführerin (
BGE 24 II 918
E. 7 S. 926;
BGE 33 II 665
E. 4 S. 668 und die seitherige Rechtsprechung).
BGE 134 III 452 S. 455
3.
Die Voraussetzung der Gläubigerschädigung hat das Handelsgericht nicht eigens erörtert und als offenkundig angenommen.
3.1
Eine Schädigung der Gläubiger tritt in der Regel nicht ein, wenn die angefochtene Rechtshandlung im Austausch gleichwertiger Leistungen besteht, es sei denn, der Schuldner habe mit dem Geschäft den Zweck verfolgt, über seine letzten Aktiven zum Schaden der Gläubiger verfügen zu können, und sein Geschäftspartner habe das erkannt oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit erkennen müssen (
BGE 130 III 235
E. 2.1.2 S. 238). Die Rückzahlung eines Darlehens ist nicht die (gleichwertige) Gegenleistung für dessen Gewährung, sondern die Erfüllung der mit der Darlehensaufnahme eingegangenen Pflicht zu späterer Rückzahlung. Die Darlehensrückzahlung an Gläubiger, denen weder ein Konkursprivileg noch ein dingliches Vorrecht zusteht, schädigt die übrigen Gläubiger, indem sie das Vollstreckungsergebnis oder ihren Anteil daran vermindert, und begünstigt die befriedigten gegenüber den verbleibenden Gläubigern (vgl.
BGE 99 III 27
E. 3-5 S. 32 ff.).
3.2
Den angefochtenen Rückzahlungen von insgesamt 80 Mio. Franken nebst Zins hat ein ungesicherter Kredit zugrunde gelegen. Die Teilrückzahlungen dieses Kredits haben die Beschwerdegegnerin begünstigt und zumindest die anderen Drittklassgläubiger durch Verminderung des der Vollstreckung unterliegenden Vermögens geschädigt. Im Lichte der Rechtsprechung ist der Einwand unberechtigt, die Teilrückzahlungen seien die Gegenleistung für die teilweise Verlängerung des bestehenden Kredits. Zwischen der Gewährung eines neuen Darlehens und der Verlängerung eines früher gewährten Darlehens bestehen keine Unterschiede. Die Rückzahlung des Darlehens stellt in beiden Fällen keine Gegenleistung dar. Sie ist die Erfüllung der vertraglich begründeten Verpflichtung und als solche unabhängig von der Aufnahme oder Verlängerung des Darlehens anfechtbar. Der Zweck des Darlehens, einem Schuldner in finanziellen Schwierigkeiten zu helfen, ist für die Gläubigerschädigung - anders als für die Schädigungsabsicht und deren Erkennbarkeit (E. 5 hiernach) - nicht entscheidend (vgl.
BGE 99 III 27
E. 5 S. 37 f.).
3.3
Aus den dargelegten Gründen muss die Voraussetzung der Gläubigerschädigung durch die Darlehensrückzahlung von insgesamt 80 Mio. Franken nebst Zins als erfüllt betrachtet werden.
4.
Der Tatbestand gemäss
Art. 288 SchKG
setzt weiter voraus, dass der Schuldner die anfechtbare Handlung in der dem andern Teile
BGE 134 III 452 S. 456
erkennbaren Absicht vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer zu begünstigen.
4.1
Schädigungsabsicht liegt vor, wenn der Schuldner voraussehen konnte und musste, dass die angefochtene Handlung Gläubiger benachteiligt oder einzelne Gläubiger gegenüber anderen bevorzugt. Nicht erforderlich ist, dass der Schuldner mit seiner Handlung die Benachteiligung von Gläubigern oder die Begünstigung einzelner Gläubiger geradezu bezweckt hat. Es genügt vielmehr, wenn sich der Schuldner darüber hat Rechenschaft geben können und müssen und gleichsam in Kauf genommen hat, dass als natürliche Folge seiner Handlung Gläubiger geschädigt werden (
BGE 21 I 660
E. 4 S. 669;
BGE 83 III 82
E. 3a S. 85). Die direkte oder indirekte Schädigungsabsicht des Schuldners betrifft zunächst eine innere Tatsache und lässt sich unmittelbar nur durch die Parteiaussage beweisen, im Übrigen aber bloss durch Schlussfolgerungen aus dem äusseren Verhalten der betreffenden Person und den äusseren Gegebenheiten, die auf sie eingewirkt haben (Tatfrage). Gestützt darauf ist zu beurteilen, ob begrifflich eine Schädigungsabsicht im Sinne von
Art. 288 SchKG
vorgelegen hat (Rechtsfrage; vgl. zur Abgrenzung:
BGE 26 II 617
E. 4 S. 620, abweichend von
BGE 21 I 279
E. 6 S. 286, und die seitherige Rechtsprechung, z.B.
BGE 33 II 665
E. 3 S. 667;
BGE 55 III 80
E. b S. 87).
4.2
Voraussetzung des Tatbestandes gemäss
Art. 288 SchKG
ist schliesslich die Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht für den Dritten. Als erkennbar zu gelten hat alles, was bei Anwendung der durch die konkreten Verhältnisse gebotenen Aufmerksamkeit ohne Fahrlässigkeit erkannt werden konnte (vgl.
BGE 21 I 279
E. 6 S. 286 f.;
BGE 30 II 160
E. 5 S. 164). Es genügt, wenn der Dritte bei der ihm nach den Umständen zumutbaren Aufmerksamkeit die Gläubigerschädigung als natürliche Folge der angefochtenen Handlung hätte vorhersehen können und müssen (
BGE 83 III 82
E. 3b S. 86;
BGE 99 III 89
E. 4b S. 91 f.). Eine unbeschränkte Erkundigungspflicht wird damit nicht aufgestellt. Vielmehr kann Sorgfalt nur verlangt werden, wenn und soweit dazu Anlass besteht. Im Allgemeinen braucht sich niemand darum zu kümmern, ob durch ein Rechtsgeschäft die Gläubiger seines Kontrahenten geschädigt werden oder nicht. Nur wenn deutliche Anzeichen dafür sprechen, dass eine Schädigung beabsichtigt ist, darf vom Begünstigten eine sorgfältige Prüfung verlangt werden, ob jene Absicht wirklich bestehe oder nicht (
BGE 30 II 160
E. 5 S. 165;
BGE 37 II 303
BGE 134 III 452 S. 457
E. 6 S. 310). Die Pflicht oder - genauer - Obliegenheit, den Schuldner zu befragen und die notwendigen Erkundigungen einzuziehen, setzt nicht bloss "Anzeichen" für eine Benachteiligung voraus (
BGE 99 III 89
E. 4b S. 92), sondern weiterhin "deutliche Anzeichen" (Urteil 5C.3/2007 vom 9. August 2007, E. 3.4). In Würdigung sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls ist zu beurteilen, ob der Dritte die Schädigungsabsicht des Schuldners im Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Handlung wirklich erkannt hat (Tatfrage) oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte erkennen können und müssen (Rechtsfrage; vgl. zur Abgrenzung:
BGE 21 I 279
E. 6 S. 286 f. und die seitherige Rechtsprechung, z.B.
BGE 33 II 665
E. 4 S. 668).
4.3
Schädigungsabsicht und deren Erkennbarkeit durch Organe oder rechtsgeschäftlich bestellte Stellvertreter sind der juristischen Person bzw. dem Vertretenen anzurechnen (vgl. SCHÜPBACH, Droit et action révocatoires, Basel 1997, N. 83-85, und A. STAEHELIN, Basler Kommentar, 1998, N. 17, je zu
Art. 288 SchKG
; seither: Urteil 5P.143/2000 vom 2. Oktober 2000, E. 3).
5.
Das Handelsgericht hat die Rechtslage zutreffend dargestellt, dann aber angenommen, das monatelange, von der Öffentlichkeit verfolgte und diskutierte Bemühen zur Sanierung der SAirGroup müsse bei der Würdigung der Schädigungsabsicht und deren Erkennbarkeit massgeblich berücksichtigt werden. Streitig ist vor Bundesgericht, nach welchem Massstab die Schädigungsabsicht und deren Erkennbarkeit zu beurteilen sind, wenn anfechtbare Rechtshandlungen während und im Rahmen einer Sanierung des Schuldners erfolgen.
5.1
Das Handelsgericht hat festgehalten, die SAirGroup habe in erkennbarer Weise mit Beginn des Jahres 2001 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gesteckt und sei Anfang April 2001 in die Sanierungsphase getreten. Es ist davon ausgegangen, in einer Sanierungsphase sei allen bewusst, dass kurzfristig, während der folgenden Monate, positive Lösungen gesucht und negative Entwicklungen vermieden oder eingedämmt werden müssten, wobei auf längere Sicht, ein Jahr und mehr, ein Scheitern nicht ausgeschlossen werden könne. Die Legitimation für Sanierungsbemühungen in Bezug auf eine nicht überschuldete Gesellschaft stehe ausser Frage. Die anderen Lösungen, z.B. eine freiwillige Liquidation, erschienen gerade bei Publikumsgesellschaften mit ihren vielen Mitarbeitern, Verpflichtungen und Verflechtungen als völlig unpraktikabel, weil sie von vornherein massivste Wertverluste für die Aktionäre und die Gläubiger zur Folge
BGE 134 III 452 S. 458
hätten. Sanierungsbemühungen würden somit in aller Regel - und davon dürfe auch vorliegend ausgegangen werden - im wohlverstandenen Interesse der Gläubiger und auch der Aktionäre unternommen. Sie setzten grundsätzlich die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs mit Fortführungswillen mehr oder weniger im Sinne eines "courant normal" voraus. Zur Führung eines Geschäftsbetriebs gehörten die Generierung von Einnahmen und die Geltendmachung von Rechten, aber auch die Erfüllung von Verpflichtungen, insbesondere die Bezahlung von Schulden. Erstere Verhaltensweisen bildeten die Voraussetzung der Gewinnerzielung, letztere schafften Vertrauen, was wiederum ersteren diene. Das Handelsgericht hat daraus gefolgert, es könne nun nicht der Zweck der Anfechtungsklage sein, echte Sanierungsbemühungen mit der Gefahr einer späteren Rückgängigmachung von Rechtshandlungen zu belasten. Die Geschäftspartner der zu sanierenden Gesellschaft dürften in der Regel davon ausgehen, diese sei mindestens auf absehbare Zeit in der Lage, ihren fälligen Verbindlichkeiten nachzukommen, weshalb man auch von ihr ohne Risiko Erfüllungshandlungen entgegennehmen könne. Von daher gesehen dürfe für die Anwendung von
Art. 288 SchKG
nicht einfach das Wissen um die "schlechte Lage" genügen. Es müsse vielmehr zur Bejahung der Anfechtungsklage um die Erkenntnis (beim Schuldner auch um das Erkennenmüssen, beim Gläubiger um das Erkennensollen) gehen, dass die Sanierung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr möglich sei, dass nur mehr die Liquidation bleibe. In der Sanierungsphase sei eine Gleichbehandlung der Gläubiger - wie sie dem Anfechtungsrecht zugrunde liege - per definitionem nicht möglich, in der Liquidationsphase, die aus Sicht von
Art. 288 SchKG
schon mit besagter Erkenntnis beginne, sei sie Pflicht.
5.2
Nach der Rechtsprechung hat die Anfechtungsklage nicht zum Zweck, alle Versuche zur Rettung des Schuldners unmöglich oder sehr gefährlich zu machen. Es liegt im Interesse der Gläubiger, dass Dritte versuchen, dem Schuldner zu Hilfe zu kommen, ohne Gefahr zu laufen, im Falle der Nutzlosigkeit der Bemühungen das Entgelt für ihre Leistungen zurückzahlen zu müssen (
BGE 78 III 83
E. 2 S. 87/ 88). Die Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, dass es erlaubt ist, dem Schuldner "aus der Klemme zu helfen" (
BGE 33 II 345
E. 6 S. 349), und demzufolge die Anfechtungsklage nicht verhindern will, dass einem bedrängten Schuldner durch Gewährung von Zahlungsmitteln geholfen wird, sofern nur diese Hilfe ernstlich als erfolgverheissend betrachtet werden kann (
BGE 53 III 78
S. 80;
BGE 74 III 48
BGE 134 III 452 S. 459
E. 4 S. 52 ff.;
BGE 79 III 78
E. 4 S. 83 ff.). Diese Zahlungsmittel müssen dabei zum besonderen Zweck der Sanierung gewährt worden sein und nicht bloss mit der Absicht, Geld kurzfristig und zu hohem Zins anzulegen (
BGE 99 III 27
E. 5 S. 37).
5.3
Die Lehre hat der Praxis mehrheitlich zugestimmt. Wenn versucht wird, einem bedrängten, aber noch nicht in gänzlich aussichtsloser Lage befindlichen Schuldner das Durchhalten zu ermöglichen, dann soll der besondere Entstehungsgrund der Rückzahlungsverpflichtung berücksichtigt werden mit der Folge, die Begünstigungsabsicht auf Seiten des Schuldners und ihre Erkennbarkeit für den Dritten zu verneinen (vgl. MERZ, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 1949-1952, ZBJV 90/1954 S. 168; CASTELLA, La connivence du bénéficiaire de l'acte révocable d'après l'art. 288 LP, JdT 1956 II S. 67, 79 f.). Damit ein besonderer Behandlung würdiges Sanierungsdarlehen angenommen werden kann, müssen berechtigte, die Wahrscheinlichkeit einer günstigen Prognose hinsichtlich der Vermögensentwicklung des Schuldners eindeutig rechtfertigende Hoffnungen gegeben sein. Ist diese Voraussetzung erfüllt, liegt die Abwicklung des ganzen Geschäfts, umfassend Gewährung und Rückzahlung des Darlehens, nicht nur im Interesse des Darlehensgebers, sondern im Interesse auch aller anderen Gläubiger des Schuldners. In einem solchen Fall darf deshalb die Frage nach einer Schädigungsabsicht und deren Erkennbarkeit nicht isoliert, bezogen bloss auf die Rückzahlung gestellt werden. Aufnahme und Rückzahlung des Darlehens sind vielmehr als Einheit zu würdigen. Nur auf diese Weise kann die Schutzwürdigkeit der Interessen des Darlehensgebers und der übrigen Gläubiger in ein richtiges Verhältnis gebracht werden (vgl. HINDERLING, Aspekte der Absichtsanfechtung nach
Art. 288 SchKG
, in: Ausgewählte Schriften, Zürich 1982, S. 257 ff., 264 f.; vgl. zum fehlgeschlagenen Sanierungsversuch, z.B. für das deutsche Recht: GOTTWALD/HUBER, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl., München 2006, § 48 N. 18 S. 844 f.; BAUR/STÜRNER, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Bd. II, 12. Aufl., Heidelberg 1990, § 19 N. 13 S. 262).
5.4
Die weitergehende Rechtsauffassung des Handelsgerichts kann nicht geteilt werden. Sie schränkt den Anwendungsbereich der Absichtsanfechtung ein und führt zu einer Ungleichbehandlung der Gläubiger, je nachdem, ob die anfechtbare Handlung des Schuldners in der - zeitlich schwer eingrenzbaren - Sanierungsphase erfolgt ist oder vor Beginn der Sanierungsphase, aber noch innerhalb der
BGE 134 III 452 S. 460
gesetzlichen Frist von fünf Jahren vor der Bewilligung der Nachlassstundung oder des Konkursaufschubs (Art. 288 i.V.m.
Art. 331 Abs. 2 SchKG
). In Anwendung der
Art. 285 ff. SchKG
können zwar Bemühungen um die Sanierung von Unternehmen berücksichtigt werden, doch nicht in einer Weise, dass jegliche Anfechtungsklage ab einem bestimmten Zeitpunkt faktisch ausgeschlossen wäre. Die SchKG-Revision von 1994/97 sah von der Schaffung eines eigentlichen Sanierungsrechts für Unternehmen ausdrücklich ab (vgl. Botschaft vom 8. Mai 1991 über die Änderung des SchKG, BBl 1991 III 1, S. 8 f.) und beschränkte sich diesbezüglich auf punktuelle Änderungen und Ergänzungen im Rahmen des geltenden Rechts (vgl. die Voten in AB 1993 N 43 f. und S 631 f.). Die als Folge des Zusammenbruchs der "Swissair" im Sommer 2003 eingesetzte Expertengruppe "Nachlassverfahren" hat das Problem der Sanierungsdarlehen erörtert (vgl. Bericht vom April 2005, S. 43), auf einen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung aber verzichtet (vgl. Bericht vom Juni 2008, S. 29).
5.5
Insgesamt besteht kein sachlicher Grund, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen und künftigen Lösungen des Gesetzgebers vorzugreifen. Eine weniger strenge Beurteilung der Schädigungsabsicht und der Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht rechtfertigt deshalb nicht schon die Tatsache, dass sich ein Schuldner in wirtschaftlichen Schwierigkeiten um Sanierung bemüht. Vorausgesetzt ist vielmehr, dass die Sanierungsbemühungen als erfolgversprechend erscheinen
und
dass das Darlehen, dessen Rückzahlung angefochten wird, zum Zweck der Sanierung und damit auch im Interesse der übrigen Gläubiger gewährt wurde.
6.
Bei objektiver Betrachtungsweise kann auf Grund des festgestellten Sachverhalts nicht von einem Sanierungsdarlehen ausgegangen werden.
6.1
Ein Beitrag zur Sanierung muss zwar nicht zwingend in der Gewährung neuer Zahlungsmittel bestehen. Es kann auch die blosse Verlängerung eines früher gewährten Darlehens zur Sanierung beitragen, wenn wie hier die Beschwerdegegnerin auf Grund der Kreditvereinbarung berechtigt war, das Darlehen jederzeit nach freiem Ermessen sofort zur Rückzahlung fällig zu stellen. Dass die Beschwerdegegnerin davon absah und das Darlehen im März 2001 um drei Monate verlängerte, entsprach indessen lediglich ihrer bisherigen Praxis und hatte nicht den Zweck, die ab Beginn des Jahres 2001 erkennbar in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende
BGE 134 III 452 S. 461
SAirGroup bei der Lösung ihrer Probleme zu unterstützen. Die späteren Absprachen zwischen der Beschwerdegegnerin und der SAirGroup, insbesondere die Vereinbarung vom 2. Juli 2001, belegen, dass es der Beschwerdegegnerin vorab um die Gleichstellung mit anderen Kreditgebern gegangen ist. Sie wollte informiert werden und Darlehensrückzahlungen erhalten, wenn die SAirGroup Kredite anderer Darlehensgeber bedienen musste ("pari passu"-Klausel). Die Beschwerdegegnerin hat im Vergleich mit anderen Kreditgebern weder Sonderleistungen versprochen noch ein eigentliches Entgegenkommen gezeigt noch die Sanierung direkt unterstützt, sondern nach der Mitteilung von Zahlungen an andere Kreditgeber ihrerseits Teilbeträge des Darlehens nebst Zins sofort fällig gestellt und ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der SAirGroup eingefordert. Dass die Beschwerdegegnerin zu diesem Vorgehen mit Rücksicht auf ihre Anteilseigner und Gläubiger berechtigt war, steht ausser Diskussion. Unter dem Blickwinkel der zu prüfenden Frage aber unterscheidet sich die Beschwerdegegnerin mit ihrem Verhalten nicht von anderen gewöhnlichen Kreditgebern.
6.2
Die Darlehensrückzahlungen standen für die SAirGroup nicht im Zusammenhang mit der Sanierung, sondern entsprachen ihrer gegenüber den Banken und auch der Beschwerdegegnerin bekannt gegebenen Kreditpolitik. Sie erfolgten somit weder vor dem Hintergrund, die eingeleitete Sanierung nicht zu gefährden, noch unter dem Druck, einen drohenden Konkurs abzuwenden. Sie waren vielmehr Teil der bis zum Schluss verfolgten Kreditpolitik, mit ein paar wenigen Kreditgebern zusammenzuarbeiten ("key relationship banks") und die Schulden, namentlich die ungesicherten Bankschulden bei den übrigen Kreditgebern mittelfristig zurückzuzahlen ("accelerated debt repayment programme"). Die Beschwerdegegnerin sollte nicht zu diesen Hauptkreditgebern gehören und ihre Darlehen zurückbezahlt erhalten. Die SAirGroup könnte die Darlehensrückzahlungen deshalb nicht unter dem Hinweis auf ihre Sanierungsbemühungen rechtfertigen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die SAirGroup über ein taugliches Sanierungskonzept verfügt hat. Mit einer Sanierung sind die Darlehensrückzahlungen nicht in Zusammenhang gestanden.
6.3
Aus den dargelegten Gründen kann nicht auf die Rechtsprechung zum Sonderfall der Sanierungsdarlehen abgestellt werden (E. 5 hiervor). Ob die SAirGroup das Darlehen an die Beschwerdegegnerin in der dieser erkennbaren Absicht zurückbezahlt hat, ihre Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer
BGE 134 III 452 S. 462
zu begünstigen, ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen (E. 4 hiervor).
7.
Das Handelsgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob und ab wann auf Seiten der SAirGroup eine Schädigungsabsicht bestand. Es hat direkt geprüft, ob die Beschwerdegegnerin eine allenfalls vorhandene Schädigungsabsicht hätte erkennen können und müssen.
7.1
Die Vorgehensweise des Handelsgerichts ist zwar nicht unzulässig (z.B.
BGE 30 II 133
E. 4 S. 138). Der festgestellte Sachverhalt erlaubt aber die Beurteilung der Schädigungsabsicht im vorliegenden Beschwerdeverfahren (E. 4.1 hiervor). Beide Parteien haben die Gelegenheit wahrgenommen, sich dazu vor Bundesgericht zu äussern.
7.2
In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass sich die SAirGroup ihrer finanziellen und strukturellen Schwierigkeiten ab Beginn des Jahres 2001 bewusst war. Sie musste im April 2001 einen Rekordverlust von 2,8 Milliarden Franken für das Vorjahr bekannt geben, ihre oberste Geschäftsleitung auswechseln und die Liquidität durch eine neue Kreditlinie über eine Milliarde Franken absichern. Sie stellte den Bankenvertretern am 11. Juli 2001 einen "Restructuring Plan" vor, worin eine Verringerung der Schulden um 550 Mio. Franken zwischen 31. März 2001 und 30. Juni 2001 verzeichnet und eine Reduzierung der Verschuldung um 2 Milliarden Franken bis Ende 2002 angekündigt wurde. Am 18./19. Juli 2001 übergab sie den Banken ein Informationspaket ("Interim Information Disclosure for Lenders"). Danach sollten die Erlöse aus Verkäufen von Unternehmensteilen der Rückzahlung der Darlehen dienen. Am 30. August 2001 musste die SAirGroup eine Halbjahresbilanz bekannt geben, die ein düsteres Bild zeichnete. Gleichzeitig orientierte sie über konkrete Schritte zu Verkäufen in den Bereichen "Swissport" und "Nuance Group". Am 11. September 2001 ereignete sich der Terroranschlag in New York, der zwangsläufig Auswirkungen auf das Fluggeschäft hatte.
7.3
In Kenntnis der schwierigen Finanzlage verfolgte die SAirGroup eine beständige Kreditpolitik. Die Beschwerdegegnerin sollte nicht zu den Hauptkreditgebern der SAirGroup gehören und ihre Darlehen mittelfristig zurückbezahlt erhalten (vgl. E. 6.2 hiervor). Gestützt auf die Vereinbarung vom 2. Juli 2001 (vgl. E. 6.1 hiervor) und in Übereinstimmung mit ihrer Kreditpolitik teilte die SAirGroup der Beschwerdegegnerin jeweilen mit, wenn andere Kredite bedient werden mussten, und zahlte die von der Beschwerdegegnerin fällig gestellten Teilbeträge am 21. August, am 5. September und
BGE 134 III 452 S. 463
27. September 2001 zurück. Dabei ersuchte sie zwar förmlich um Verlängerung des Darlehens im bisherigen Umfang; besondere Anstrengungen, die Beschwerdegegnerin im Sinne eines Beitrags zur Sanierung zu weitergehendem Entgegenkommen zu bewegen, unternahm die SAirGroup im Zusammenhang mit dem Kredit über 100 Mio. Franken jedoch nicht. Sie beglich die fällig gestellten Darlehensbeträge jeweilen auf erste Aufforderung hin anstandslos.
7.4
Für die Beurteilung der Schädigungsabsicht ist insgesamt entscheidend, dass die SAirGroup bereits vor der ersten angefochtenen Darlehensrückzahlung am 21. August 2001 über ihre finanzielle Notlage im Bilde war. Sie hatte Schulden in der Höhe von mehr als zwei Milliarden Franken und konnte ihre Liquidität praktisch nur über Fremdmittel sicherstellen (Verlautbarungen vom April und Juli 2001). Ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verbesserten sich auch in den Monaten August und September 2001 nicht, zumal der beabsichtigte Verkauf von Unternehmensteilen noch nicht stattgefunden hatte und ihr deshalb keine neuen Eigenmittel zugeflossen waren. Gleichwohl bezahlte sie der Beschwerdegegnerin rund 80,5 Mio. Franken an Darlehensschulden in drei Teilbeträgen zurück. In Anbetracht ihres Wissens um die schlechte finanzielle Lage muss davon ausgegangen werden, dass die SAirGroup zumindest in Kauf genommen hat, durch ihre drei Zahlungen an die Beschwerdegegnerin könnten andere Gläubiger geschädigt werden.
7.5
Aus den dargelegten Gründen muss die Voraussetzung der Schädigungsabsicht im Sinne von
Art. 288 SchKG
als erfüllt betrachtet werden.
8.
Das Handelsgericht hat die Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht verneint, seiner Beurteilung aber einen unzutreffenden Massstab zugrunde gelegt (E. 5 und 6 hiervor). Nach allgemeinen Grundsätzen ergibt sich Folgendes:
8.1
In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass die SAirGroup in erkennbarer Weise jedenfalls mit Beginn des Jahres 2001 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte und nicht bloss vor konjunkturellen, sondern vor strukturellen Problemen stand. Gleichwohl verlängerte die Beschwerdegegnerin das Darlehen im März 2001 um drei Monate, wie sie das bis anhin bereits viermal getan hatte. Sie äusserte gegenüber der SAirGroup an deren Bonität zwar Zweifel, unterliess aber weitere Abklärungen. Spätestens im April 2001 erhielt die Beschwerdegegnerin davon Kenntnis, dass die SAirGroup im Vorjahr
BGE 134 III 452 S. 464
einen Verlust von 2,8 Milliarden Franken erlitten hatte, ihre oberste Geschäftsleitung erneuerte und ihre Liquidität durch eine zusätzliche Kreditlinie von einer Milliarde Franken bei drei Grossbanken absichern musste. Nachdem sie von der Verpfändung eines Aktienpakets durch die SAirGroup an eine Drittbank im Mai 2001 aus der Presse erfahren hatte, verlängerte die Beschwerdegegnerin das Darlehen ab 1. Juni 2001 nur noch um einen Monat statt um drei Monate und trat mit der SAirGroup in Verhandlungen, die mit der Vereinbarung vom 2. Juli 2001 endeten. Danach war die SAirGroup verpflichtet, die Beschwerdegegnerin insbesondere über die Rückzahlung von Krediten an andere Banken zu informieren, und die Beschwerdegegnerin berechtigt, im Falle derartiger Rückzahlungen ihrerseits das gewährte Darlehen gegenüber der SAirGroup mit sofortiger Wirkung fällig zu stellen. Den Vertretern mehrerer Banken, unter anderem der Beschwerdegegnerin, wurde am 11. Juli 2001 von Seiten der SAirGroup ein "Restructuring Plan" vorgestellt und am 18./19. Juli 2001 ein Informationspaket mit dem Titel "Interim Information Disclosure for Lenders" übergeben. Danach sollten die Erlöse aus Verkäufen von Unternehmensteilen der Rückzahlung der Darlehen dienen. Auf Grund der Mitteilung der SAirGroup, dass eine Drittbank einen Kredit von 30 Mio. Franken nicht mehr verlängere, verlangte die Beschwerdegegnerin die sofortige Rückzahlung von 30 Mio. Franken nebst Zins per 22. August 2001.
8.2
Für die Zeit nach der ersten Darlehensrückzahlung steht weiter verbindlich fest, dass die SAirGroup am 30. August 2001 einen Halbjahresabschluss bekannt geben musste, der ein düsteres Bild zeichnete. Das schlechte Halbjahresergebnis wurde gegenüber den Kreditgebern kommentiert und in einem Medienbulletin vom gleichen Tag der Öffentlichkeit erläutert. Darin hiess es, die SAirGroup habe Vereinbarungen, um Verluste bei anderen Fluggesellschaften zu stoppen, erfolgreich abgeschlossen und konkrete Schritte zu den bereits angekündigten Verkäufen von Unternehmensteilen in den Bereichen "Swissport" und "Nuance Group" unternommen. Aus dem Erlös sollten insbesondere ungesicherte Bankschulden zurückbezahlt werden, um - im Sinne der erwähnten Kreditpolitik (E. 6.2 hiervor) - die Zahl der Kreditgeber zu vermindern und mit einer kleineren Gruppe von Kreditgebern die Geschäftsbeziehungen fortzusetzen. Per Ende August 2001 lehnte die Beschwerdegegnerin es ab, der SAirGroup einen Hypothekarkredit von 100 Mio. Franken gegen Belehnung eines unbelasteten Grundstücks einzuräumen. Auf Grund der
BGE 134 III 452 S. 465
Mitteilung der SAirGroup, dass ein Kredit von 80 Mio. Franken an eine Drittbank zurückbezahlt werden müsse, stellte die Beschwerdegegnerin das Darlehen umgehend im Teilbetrag von 30 Mio. Franken nebst Zins per 6. September 2001 fällig.
8.3
Zwischen der zweiten und der dritten Darlehensrückzahlung vom 27. September 2001 verstrichen lediglich drei Wochen. Eine weitere Woche danach stellte die SAirGroup am 4. Oktober 2001 ihr Gesuch um Nachlassstundung. Im Fall der dritten Darlehensrückzahlung von 20 Mio. Franken nebst Zins musste das Handelsgericht zusätzlich die Folgen und Auswirkungen des Terroranschlags vom 11. September 2001 in New York berücksichtigen, der zwangsläufig Auswirkungen auf das Fluggeschäft hatte. Ab Mitte September 2001 ersuchte die SAirGroup die Bundesbehörden um finanzielle Unterstützung bei der Lösung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die Presse und die SAirGroup in einer Medienmitteilung vom 24. September 2001 berichteten über die Verhandlungen. In einem Begleitschreiben zur Medienmitteilung wurde bestätigt, die SAirGroup werde fällige Verbindlichkeiten begleichen und die früher angekündigten Verkäufe von Unternehmensteilen seien im Oktober zu erwarten ("Swissport") bzw. bis Ende 2001 durchführbar ("Nuance Group"). Am 25. September 2001 teilte die SAirGroup der Beschwerdegegnerin erneut mit, dass ein Darlehen von einer Drittbank nicht verlängert werde. Die Beschwerdegegnerin verlangte daraufhin sofort die Rückzahlung von 20 Mio. Franken nebst Zins per 27. September 2001.
8.4
Neben vielen einzelnen Indizien, die rechtlich so oder anders gewürdigt werden können, ist für die Beurteilung der Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht entscheidend, dass die Beschwerdegegnerin auch dann noch passiv geblieben ist und keine weitergehenden Erkundigungen eingezogen hat, als auf Grund der wirtschaftlichen Gesamtlage bereits deutliche Anzeichen dafür bestanden, die SAirGroup könnte mit den jeweiligen Darlehensrückzahlungen eine Schädigung anderer Gläubiger zumindest in Kauf nehmen. Vor der ersten Darlehensrückzahlung per 22. August 2001 hat die Beschwerdegegnerin alarmieren müssen, dass die SAirGroup nach Mitteilung des massiven Vorjahresverlustes und der ersten einschneidenden Massnahmen (Auswechseln der Führungsspitze) ihre Liquidität bereits im April 2001 nur mehr durch die erfolgreiche Aushandlung eines Kredits von einer Milliarde Franken sicherstellen konnte und im Juli 2001 den Verkauf von Unternehmensteilen ankündigen musste. Hängt aber die jederzeitige Zahlungsbereitschaft des Schuldners vom Erfolg der
BGE 134 III 452 S. 466
Verhandlungen mit Kreditgebern oder dem Verkauf von Unternehmensteilen ab, darf sich ein Gläubiger nicht darauf beschränken, seine Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern von Bankdarlehen abzusichern, wie das die Beschwerdegegnerin getan und erreicht hat. Unter den gegebenen Voraussetzungen muss vom Gläubiger vielmehr eine sorgfältige Prüfung verlangt werden, ob durch Zahlungen des Schuldners die Schädigung anderer Gläubiger als möglich erscheint oder vom Schuldner gar gewollt sein könnte. Gleicherweise deutliche Alarmzeichen haben vor der zweiten Darlehensrückzahlung per 6. September 2001 darin bestanden, dass der am 30. August 2001 bekannt gegebene Halbjahresabschluss die äusserst schlechte Finanzlage der SAirGroup bestätigt hat und dass es sich bei den zu veräussernden Unternehmensteilen um die Bereiche "Swissport" und "Nuance Group" handeln sollte. Ihre Untätigkeit muss sich die Beschwerdegegnerin auch mit Blick auf die dritte Darlehensrückzahlung per 27. September 2001 vorhalten lassen, hat doch die SAirGroup Mitte September 2001 die Bundesbehörden um finanzielle Unterstützung bei der Lösung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ersucht. Ein Schuldner, der die werthaltigen und gewinnträchtigen Unternehmensteile veräussern muss und sogar den Staat um finanzielle Hilfe angeht, kämpft erkennbar um sein wirtschaftliches Überleben, so dass jeder Gläubiger, der von ihm noch Zahlungen entgegennimmt, damit rechnen muss, sein Schuldner könnte dadurch andere Gläubiger schädigen. Insgesamt gilt für alle drei Darlehensrückzahlungen, dass die Beschwerdegegnerin praktisch blind darauf vertraut hat, die mögliche und auf Grund ihres Wissensstandes auch nahe liegende Gläubigerschädigung, die die SAirGroup zumindest in Kauf zu nehmen bereit gewesen sein könnte, würde ausbleiben. Selbst wenn der Beschwerdegegnerin somit ein allenfalls bloss fahrlässiges Verhalten anzulasten ist, genügt dies für die Bejahung der Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht.
8.5
Aus den dargelegten Gründen muss die Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht im Sinne von
Art. 288 SchKG
bejaht werden. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4b16673b-a3d7-4326-9daa-791d2656acbc | Urteilskopf
88 III 103
15. Entscheid vom 14. November 1962 i.S. König. | Regeste
Unpfändbarkeit von Möbeln (
Art. 92 Ziff. 1 SchKG
). Beschwerde- und Rekurslegitimation des Ehemanns der Schuldnerin. Ist das gepfändete Möbelstück unentbehrlich? Ein zwar nicht unentbehrliches, aber doch nur schwer zu entbehrendes Möbelstück ist unpfändbar, wenn der Überschuss des Verwertungserlöses über die Kosten nur einen sehr geringen Teil der Forderung des Gläubigers zu decken vermöchte.
Von der Verwertung ist abzusehen, wenn der Erlös nicht einmal die Kosten decken würde (
Art. 127 SchKG
analog). | Sachverhalt
ab Seite 104
BGE 88 III 103 S. 104
In der Betreibung, die Hons für eine Forderung von Fr. 3000 nebst Zins und Kosten gegen Frau König führt, pfändete das Betreibungsamt Zürich 9 am 29. Juni 1962 ein Salontischchen im Schätzungswert von Fr. 10, zwei alte Fauteuils im Schätzungswert von zusammen Fr. 4, einen alten Teppich im Schätzungswert von Fr. 20 und ein "Kombibuffet mit Vitrine, Sekretär, unten 2 Türen" im Schätzungswert von Fr. 40. Der Schuldnerin und ihrer Familie (Ehemann und zwei Töchter im Alter von 13 bezw. 12 Jahren) wurden an Behältnissen neben der Kommode und dem zweitürigen Kasten im Elternschlafzimmer zwei Kombischränke als Kompetenzstücke belassen.
Die Beschwerde, mit welcher die Schuldnerin die Freigabe des gepfändeten Komibuffets verlangte, ist von der untern und am 24. Oktober 1962 auch von der obern kantonalen Aufsichtsbehörde abgewiesen worden.
Mit dem vorliegenden Rekurs an das Bundesgericht erneuert der Ehemann der Schuldnerin das Beschwerdebegehren.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Laut Pfändungsurkunde leben die Schuldnerin und ihr Ehemann unter Gütertrennung. Der Ehemann ist also in der vorliegenden Angelegenheit nicht von Gesetzes wegen (
Art. 168 Abs. 2 ZGB
) Vertreter der Schuldnerin. Es darf jedoch angenommen werden, die Schuldnerin, die nach seinen Angaben im Rekurs an die Vorinstanz im Spital liegt und in deren Einverständnis er zu handeln erklärt, habe ihn zur Rekurserhebung ermächtigt. Zudem hat er als mit der Schuldnerin zusammenlebender Angehöriger derselben ein selbständiges Recht, die Unpfändbarkeit der Hausgeräte geltend zu machen, die der Familie dienen (
BGE 80 III 22
f. Erw. 1 und 2).
2.
Die Vorinstanz nimmt in Übereinstimmung mit dem Betreibungsamt und mit der untern Aufsichtsbehörde an, die Familie der Schuldnerin könne die Kleider, die Wäsche, die übrigen persönlichen Effekten, das Geschirr,
BGE 88 III 103 S. 105
die Lebensmittelvorräte, das Schulmaterial der Kinder usw. auch nach Wegnahme des Kombibuffets noch unterbringen, da ihr ein zweitüriger Kasten und zwei Kombischränke belassen worden seien und da für das Geschirr und die Lebensmittel überdies ein eingebautes Buffet in der Küche zur Verfügung stehe. Ob diese Annahme zutreffe, ist eine Tat- und Ermessensfrage, die das Bundesgericht nicht überprüfen kann (
Art. 63 Abs. 2 und
Art. 81 OG
; Art. 19 im Gegensatz zu Art. 17/18 SchKG). Reichen die der Familie verbleibenden Behältnisse aus, um die erwähnten Gegenstände zu versorgen, so ist das Kombibuffet im Sinne von
Art. 92 Ziff. 1 SchKG
nicht unentbehrlich.
3.
Die in
Art. 92 Ziff. 1 SchKG
genannten Gegenstände sind indes nach dieser Bestimmung nicht nur dann unpfändbar, wenn sie dem Schuldner und seiner Familie unentbehrlich sind, sondern auch dann, "wenn von vornherein anzunehmen ist, dass der Überschuss des Verwertungserlöses über die Kosten so gering wäre, dass sich eine Wegnahme nicht rechtfertigt." Beim Entscheid darüber, ob ein Gegenstand aus diesem letztern Grunde freizugeben sei, ist von Bedeutung, ob es sich um einen ganz überflüssigen Gegenstand oder aber um einen solchen handelt, der für die Familie nützlich ist und nur zur Not entbehrt werden kann. Im ersten Falle muss die Pfändung gestattet werden, selbst wenn der Verwertungserlös voraussichtlich nur einen kleinen Teil der Forderung des Gläubigers zu decken vermag. Im zweiten Falle ist dagegen nach einem strengern Masstab zu prüfen, ob die Verwertung sich rechtfertige.
Das streitige Kombibuffet ist, auch wenn es nicht geradezu als unentbehrlich gelten kann, der Schuldnerin und ihrer Familie ohne Zweifel doch sehr dienlich und könnte nur schwer entbehrt werden; denn es ist klar, dass die drei als unpfändbar erklärten Schränke, die Kommode und das eingebaute Küchenbuffet (- ein eingebauter Wandschrank fehlt -) nur äusserst knapp genügen können, um die für zwei Erwachsene und zwei Kinder von 13 bezw.
BGE 88 III 103 S. 106
12 Jahren nötigen, der Verwahrung in einem Behältnis bedürftigen Gegenstände unterzubringen. (Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ist übrigens anzunehmen, dass auch für den 18-jährigen Sohn, der auswärts in einer Lehre steht, aber jeweilen das Wochenende bei der Familie verbringt, gewisse Gegenstände zuhause verwahrt werden.) Anderseits handelt es sich beim gepfändeten Kombibuffet, wie die Vorinstanz selber festgestellt hat, um ein altes Möbelstück. Sein Gebrauchswert für die Schuldnerin und ihre Familie übersteigt den zu erwartenden Erlös, den das Betreibungsamt auf Fr. 40.- geschätzt hat, bei weitem. Die Betreibungskosten belaufen sich nach der Pfändungsurkunde heute schon auf Fr. 17.90, welcher Betrag sich im Falle der Verwertung noch erhöhen würde. Der Überschuss des Verwertungserlöses über die Kosten vermöchte also nur einen äusserst geringfügigen Teil der Fr. 3000. - übersteigenden Forderung des betreibenden Gläubigers zu decken. Unter diesen Umständen ist die Wegnahme des Kombibuffets im Sinne von
Art. 92 Ziff. 1 SchKG
nicht gerechtfertigt (vgl.
BGE 82 III 22
Erw. 1, wo sogar für Gegenstände - eine alte Schlafzimmereinrichtung - im Schätzungswerte von Fr. 120 angenommen wurde, es könne sich fragen, ob die Wegnahme sich rechtfertige).
4.
Mit Bezug auf die Gegenstände, die neben dem als unpfändbar zu erklärenden Kombibuffet gepfändet wurden, ist die Pfändung nicht angefochten worden und daher in Rechtskraft erwachsen. Da der Schätzungswert dieser Gegenstände nur Fr. 34 beträgt, kann sich jedoch die Frage stellen, ob von ihrer Verwertung deswegen abzusehen sei, weil der Erlös nicht einmal die Kosten decken würde (vgl.
BGE 83 III 134
). Hierüber ist indes im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und das Kombibuffet als unpfändbar erklärt. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4b219039-b81b-4dba-8ef4-d5160f9c6200 | Urteilskopf
96 I 552
86. Arrêt du 16 décembre 1970 dans la cause Suard contre Conseil d'Etat du canton de Fribourg. | Regeste
Kantonales Jagdregal.
Art. 4 BV
.
Voraussetzungen, unter denen die staatsrechtliche Beschwerde ausnahmsweise trotz Fehlens eines aktuellen praktischen Interesses zulässig ist (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 1).
Beim System der Patentjagd darf die Behörde die Modalitäten der Ausübung des Jagdrechts auch nach der Patenterteilung ändern, ohne
Art. 4 BV
zu verletzen (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 552
BGE 96 I 552 S. 552
A.-
La loi fribourgeoise sur la chasse du 7 février 1951 (LCh) dispose que le droit de chasse est une régale de l'Etat (art. 1er) et que l'exercice de la chasse est subordonné à l'octroi d'un permis personnel (art. 2).
L'arrêté du 1er juillet 1969 sur l'exercice de la chasse dans le canton de Fribourg en 1969 et 1970 institue plusieurs catégories de permis; le permis A, dont le prix est de 350 fr. par an, plus des suppléments, donne à son titulaire le droit de chasser en montagne et en plaine; la période de chasse en montagne pour l'année 1970 a été fixée du 24 septembre au 3 octobre; en sus des autres animaux qu'ils peuvent tirer pendant cette période, les titulaires du permis A peuvent tirer au maximum "2 cha mois ou 1 chamois et 1 chevreuil adultes".
BGE 96 I 552 S. 553
En date du 18 août 1970, le Conseil d'Etat a pris un arrêté modifiant celui du 1er juillet 1969 et prévoyant notamment que pendant la période de chasse de 1970, les titulaires du permis A pourront tirer au maximum "1 chamois et 1 chevreuil adultes". Cet arrêté est précédé d'un préambule exposant que l'hiver 1969/70 a été particulièrement néfaste pour le gibier en montagne et que les effectifs de chamois et de chevreuils sont en nette diminution; il se fonde sur un préavis du 15 juillet 1970 de la Commission consultative de la chasse. L'arrêté du Conseil d'Etat a été publié dans la Feuille officielle du canton de Fribourg le 22 août 1970.
B.-
Le recourant a été mis le 11 août 1970 au bénéfice d'un permis de chasse A, délivré par la préfecture de la Glâne. Agissant par la voie du recours de droit public, il conclut à l'annulation de l'arrêté du 18 août 1970, affirmant que cet arrêté viole l'art. 4 Cst.
C.-
Au nom du Conseil d'Etat, le Procureur général de l'Etat de Fribourg conclut au rejet du recours dans la mesure où celui-ci est recevable.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'arrêté du Conseil d'Etat du 18 août 1970 a sorti ses effets jusqu'au 3 octobre 1970, puisque c'est à cette date qu'a pris fin la période pendant laquelle la chasse en montagne était autorisée.
Le recourant n'a donc plus d'intérêt actuel et pratique à requérir l'annulation de l'acte attaqué. Cependant, le Tribunal fédéral renonce à faire d'un tel intérêt une condition de recevabilité du recours lorsque cette exigence ferait obstacle au contrôle de la constitutionnalité d'un acte qui peut se reproduire en tout temps et qui échapperait toujours à sa censure (RO 94 I 33, 92 I 29, 91 I 326 consid. 1, 89 I 264, 87 I 244). Ces conditions sont réunies en l'espèce. Il y a lieu d'entrer en matière.
2.
Le recourant soutient qu'il était au bénéfice d'une concession de droit public, qui fondait "un droit privatif, subjectif et acquis" de son titulaire, et que ce droit, résultant de l'arrêté du Conseil d'Etat du 1er juillet 1969, ne pouvait être supprimé ni restreint. L'arrêté du 18 août 1970 institue selon lui une rétroactivité qui ne lui est pas opposable; il doit être annulé comme arbitraire.
a) Aux termes de l'art. 1er LCho, les cantons fixent les
BGE 96 I 552 S. 554
conditions à remplir pour obtenir le droit de chasser et le régime de la chasse (affermage ou permis).
Dans sa jurisprudence, le Tribunal fédéral a distingué entre les deux modalités prévues pour l'exercice par les cantons de la régale de la pêche; il a caractérisé l'affermage comme étant une concession, et le permis comme une autorisation de police qui donne à son titulaire le droit de pêcher dans les limites de l'autorisation qui lui est conférée (RO 90 II 422 s.). Cette même distinction vaut pour l'exercice de la régale de la chasse. Il est vrai que certains auteurs considèrent le permis de chasse ou de pêche comme une concession (FAVRE, Droit constitutionnel suisse, p. 372; KAEGI, Das schweizerische Jagdrecht, p. 66; VEGEZZI, I diritti di pesca, p. 61). Cependant, quelle que soit la terminologie que l'on adopte, force est bien de constater que par l'affermage l'Etat accorde un privilège à certains individus, leur conférant le droit exclusif de chasser ou de pêcher, ce privilège étant consenti sur la base d'un acte administratif revêtant généralement la forme d'un contrat d'affermage et comportant les conditions auxquelles l'exercice du droit est lié. En revanche, l'obtention d'un permis ne peut être refusée aux individus qui remplissent les conditions personnelles voulues; les titulaires de permis ne jouissent donc pas d'un privilège qui leur aurait été concédé par l'Etat, privilège qu'ils pourraient exercer de préférence à d'autres particuliers, qui ne le pourraient, bien qu'ils remplissent toutes les conditions personnelles nécessaires à cet effet. Dans le cas de la délivrance d'un permis, les conditions de l'exercice du droit de chasse ou de pêche ne sont pas fixées dans un acte individuel, mais bien dans des dispositions légales ou réglementaires s'appliquant à tous les titulaires de permis.
Le canton de Fribourg a érigé le droit de chasser en une régale d'Etat et a adopté le régime du permis (art. 1er LCh); toute personne ne se trouvant pas dans un des cas d'exclusion de l'art. 5 LCh peut obtenir un permis et par là le droit de chasser. C'est dès lors en vain que le recourant invoque les arrêts de Graffenried c. Fribourg (RO 63 II 46) et Kantonalzürcherischer Verband der Wasserfahrer c. Zurich (RO 88 I 18): dans les deux cas, il s'agissait de la pêche dans des cours d'eau affermés. C'est en vain aussi qu'il se plaint de la violation d'un "droit acquis" et qu'il relève que le concessionnaire peut s'opposer avec succès à la révocation totale ou partielle de la concession; il n'est pas au bénéfice d'une concession, mais d'une
BGE 96 I 552 S. 555
autorisation de police. Il n'y a pas lieu d'examiner dans quelle mesure et à quelles conditions une telle autorisation pourrait être révoquée, puisqu'il n'y a pas eu révocation en la présente espèce. Mais il est évident que la réglementation qui régit l'exercice du droit résultant de l'autorisation peut être modifiée en cours de validité du permis; la situation n'est pas sensiblement différente de celle qui se présente pour le titulaire d'un permis de conduire ou de circulation, dans le domaine de la circulation routière; il ne peut se plaindre d'une modification de la réglementation applicable à l'exercice de son droit (FLEINER, Institutionen, 8e éd., p. 406 et 412).
b) Le recourant affirme que la modification de l'arrêté du Conseil d'Etat sur l'exercice de la chasse en 1969 et 1970 est contraire au principe de la non-rétroactivité résultant de la jurisprudence et de la doctrine suisses. Mais l'arrêté du Conseil d'Etat n'institue pas une véritable rétroactivité; il s'agit en réalité d'une rétroactivité impropre, c'est-à-dire d'un cas dans lequel une nouvelle norme exerce ses effets ex nunc et pro futuro sur un état de choses qui a pris naissance dans le passé et se prolonge après le changement de la situation juridique (JAAC 26, p. 46, 49; GRISEL, Droit administratif suisse p. 189). Or, le principe de la non-rétroactivité ne s'applique pas comme tel aux cas de rétroactivité impropre (GRISEL, loc.cit.). Il n'est donc pas nécessaire d'examiner ici si les conditions auxquelles le Tribunal fédéral autorise exceptionnellement la rétroactivité (RO 94 I 5) sont réunies.
c) De toute façon, l'arrêté du 18 août 1970 n'a pu être la cause d'un préjudice sensible pour les titulaires de permis A. Au lieu de pouvoir tirer en montagne pendant la saison de chasse 1970 2 chamois ou 1 chamois et 1 chevreuil, ils n'ont pu tirer que 1 chamois et 1 chevreuil, soit le même nombre de bêtes; à ces bêtes s'ajoutent les autres animaux énumérés par l'arrêté (marmottes, lièvres, carnassiers, tétras) et le gibier qu'ils pouvaient tirer en plaine. Seul l'individu qui ne s'intéresserait qu'à la chasse au chamois serait désavantagé. Le recourant ne prétend pas être dans ce cas. Au reste, même s'il l'était et même si l'on voulait admettre que l'octroi du permis donnait le droit de tuer les bêtes mentionnées dans l'arrêté de 1969, il ne pourrait s'agir d'un droit absolu. Toute la réglementation de la chasse vise à la protection du gibier. Lorsque celui-ci est menacé, il va de soi qu'il doit être protégé, au besoin par une limitation du droit de chasser. Tout chasseur raisonnable s'incline devant
BGE 96 I 552 S. 556
cette évidence. En l'espèce, la décision du Conseil d'Etat a été prise sur la base d'un préavis donné à l'unanimité, le 15 juillet 1970, par la Commission consultative de la chasse, dans laquelle l'association des chasseurs fribourgeois est représentée, et elle l'a été dans l'intérêt public, en vue, dit le Conseil d'Etat, "de sauvegarder le gibier en général et le gibier de chasse en particulier" à la suite des hécatombes de gibier résultant de la rigueur de l'hiver 1969-1970. Cet intérêt public coïncide avec celui des chasseurs, en les prémunissant contre la raréfaction du gibier. L'arrêté attaqué est ainsi fondé sur des raisons objectives et se justifie par des motifs pertinents que le recourant ne conteste pas du reste. On pourrait tout au plus envisager que l'Etat autorise, en pareille occurrence, le titulaire à renoncer à son permis contre restitution de la taxe, voire qu'il réduise le coût du permis (cf. RO 90 II 423). Le recourant ne prétend pas avoir présenté une demande dans ce sens.
d) Il convient de relever enfin que le recourant, comme les autres chasseurs, avait eu connaissance au moment de la délivrance du permis des conditions nouvelles qui devaient figurer dans le règlement amendé. En effet, le Service cantonal de la chasse et de la pêche avait, en date du 24 juillet 1970, adressé aux préfets un avis les invitant à informer les chasseurs demandant le permis A de la modification de l'arrêté cantonal, cette modification devant faire l'objet d'un arrêté du Conseil d'Etat pris après la période des vacances.
Le recourant reconnaît expressément avoir eu connaissance de cet avis lors de la délivrance du permis. Il ne saurait dès lors prétendre avoir été atteint d'une façon imprévue dans un des droits qu'il prétend tirer de l'octroi du permis de chasse. Il déclare n'avoir pas attaché d'importance à la modification annoncée, car il pensait que le gouvernement cantonal y avait renoncé, notamment parce qu'il ne pouvait pas modifier l'arrêté. Or, ce n'est pas la première fois qu'une telle modification est apportée dans les mêmes conditions au régime de la chasse: le 21 juillet 1964, l'arrêté sur l'exercice de la chasse en 1963 et 1964 a été modifié dans un sens analogue à celui qui résulte de l'arrêté de 1970.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4b27f2a8-26eb-440d-a2d3-c426f037d855 | Urteilskopf
100 IV 244
62. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. November 1974 i.S. Gerigk gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. | Regeste
1. Verweisungsbruch,
Art. 291 StGB
.
Art. 23 ANAG
ist zu dieser Bestimmung subsidiär (Erw. 1).
2. Trennung von Ehegatten infolge fremdenpolizeilicher Ausweisung,
Art. 11 Abs. 2 ANAG
. Das Bundesgericht kann nicht prüfen, ob diese Bestimmung vor dem das Recht zur Ehe gewährleistenden
Art. 54 BV
standhält (
Art. 113 Abs. 3 BV
) (Erw. 2).
3. Rechtsirrtum,
Art. 20 StGB
.
a) Verkennen einer Rechtsnorm entschuldigt nicht, wenn sie genügend klar ist, so dass auch ein Rechtsunkundiger das darin enthaltene Gebot oder Verbot erkennen kann.
b) Im Zweifel über die Tragweite einer (Ausweisungs-) Verfügung ist es dem von dieser Beschwerten zuzumuten, sich bei der verfügenden Behörde danach zu erkundigen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 244
BGE 100 IV 244 S. 244
A.-
Am 5. Juni 1970 wurde der in Zofingen wohnhafte ostdeutsche Staatsangehörige Hans-Günther Gerigk, der seit
BGE 100 IV 244 S. 245
1968 trotz wiederholter behördlicher Warnungen keiner geregelten Arbeit nachging und 1969 wegen Beschimpfung von Beamten verurteilt worden war, von der Fremdenpolizei des Kantons Aargau gemäss
Art. 10 Abs. 1 lit. b und d ANAG
ausgewiesen. Der Regierungsrat des Kantons Aargau bestätigte am 14. Januar 1971 diesen Entscheid grundsätzlich, schob jedoch den Vollzug der Ausweisung unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt auf. Am 22. September 1972 wurde der bedingte Vollzug widerrufen und Gerigk Frist zur Ausreise bis 31. Oktober 1972 angesetzt. Dieser nahm daraufhin Wohnsitz in Westdeutschland.
In der Folge reiste er wiederholt in die Schweiz. So traf er zweimal in Basel seine Frau und kam öfters zum Telefonieren her. Einmal fuhr er nach Luzern. Vom 22. bis 25. Dezember 1972 hielt er sich bei seiner Frau in Zofingen auf und am 5. Januar 1973 reiste er wiederum nach Zofingen, wo er bis 7. Januar bei seiner Frau bleiben wollte. Am 6. Januar 1973 erschien die Polizei in der Wohnung der Frau Gerigk und forderte ihn auf, mit zum Polizeiposten zu kommen. Als er sich weigerte, wurde er festgenommen und verhaftet.
B.-
Am 11. Januar 1973 verurteilte das Bezirksgericht Zofingen Gerigk wegen wiederholten rechtswidrigen Betretens des Landes (Art. 11 Abs. 4 und 23 Abs. 1 ANAG) und Hinderung einer Amtshandlung (
Art. 286 StGB
) zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 10 Tagen. Es wurden ihm fünf Tage Untersuchungshaft angerechnet.
Am 13. Dezember 1973 sprach das Obergericht des Kantons Aargau Gerigk des Verweisungsbruchs (
Art. 291 StGB
) und der Hinderung einer Amtshandlung schuldig und bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid im Strafpunkt.
C.-
Gerigk führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zu Freisprechung und Zuerkennung einer Haftentschädigung. Auch ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer beantragt, sein Verhalten statt nach
Art. 291 StGB
aufgrund des ANAG als lex specialis zu beurteilen.
BGE 100 IV 244 S. 246
Art. 23 ANAG
ist im Verhältnis zu
Art. 291 StGB
nicht eine Sondernorm. Abgesehen davon, dass das ANAG das ältere Gesetz ist, ist
Art. 291 StGB
enger als
Art. 23 ANAG
. Er regelt den Fall, dass eine von einer zuständigen Behörde auferlegte Landes- oder Kantonsverweisung gebrochen wird, während
Art. 23 Abs. 1 ANAG
allgemein unter Strafe stellt, wer rechtswidrig das Land betritt oder darin verweilt. Daraus folgt der subsidiäre Charakter der zweiten Bestimmung, deren Anwendung sich vor allem auf Fälle beschränkt, wo ein Ausländer ohne Bewilligung über die gesetzliche Aufenthaltsdauer hinaus in der Schweiz bleibt (
Art. 1 ff. ANAG
), trotz Einreisesperre die Schweiz betritt (
Art. 13 ANAG
) und dergleichen.
Der Beschwerdeführer hat eine unbestrittenermassen von der zuständigen Behörde erlassene Ausweisung gemäss
Art. 10 ANAG
missachtet. Damit hat er sich gegen einen Akt der öffentlichen Gewalt gewandt (
BGE 71 IV 220
; Titel zu
Art. 285 ff. StGB
), weshalb die Vorinstanz ihn zu Recht nach
Art. 291 StGB
beurteilt hat.
2.
Gerigk macht geltend, die "Wegweisung" des ausländischen Ehegatten verstosse gegen
Art. 54 BV
, der das Recht zur Ehe gewährleiste. Diese Rüge läuft darauf hinaus,
Art. 11 Abs. 2 ANAG
als verfassungswidrig hinzustellen. Nach dieser Bestimmung ist zwar in die Ausweisung in der Regel auch der Ehegatte des Ausgewiesenen einzubeziehen. Indessen sieht das Gesetz vor, dass eine Ausnahme insbesondere gemacht werden kann, wenn die Ehefrau von Abstammung Schweizerbürgerin ist. Damit hat der Gesetzgeber bewusst eine Trennung der Ehegatten als Folge einer fremdenpolizeilichen Ausweisung anerkannt. Diese Ordnung kann das Bundesgericht nicht auf ihre Verfassungsmässigkeit prüfen (
Art. 113 Abs. 3 BV
).
3.
Weiter beruft sich der Beschwerdeführer auf
Art. 19 StGB
. Die Fremdenpolizei habe keine Einreisesperre nach
Art. 13 Abs. 1 ANAG
erlassen noch die "Wegweisung" auf das Gebiet der Schweiz ausgedehnt. Die Verteidigerin des Beschwerdeführers weist sodann darauf hin, dass sie aufgrund ihrer Erfahrungen in andern Fällen vermutlich im November oder Dezember 1972 eine Anfrage von Frau Gerigk, ob ihr Mann sie besuchen könne, dahin beantwortet habe, dass sich die Ausweisung auf die Wohnsitznahme und die Berufsausübung beziehe und ein kurzer Besuch in der Schweiz möglich sei. Gerigk habe sich daher mit guten Gründen für berechtigt
BGE 100 IV 244 S. 247
gehalten, die Landesgrenze zur Aufrechterhaltung des persönlichen Kontaktes mit seiner Frau in Zofingen und zu kurzen Besorgungen in anderen Kantonen zu überschreiten.
Das Obergericht stellt für den Kassationshof verbindlich fest, dass der Beschwerdeführer vorsätzlich handelte (
Art. 277 bis Abs. 1 BStP
;
BGE 96 IV 101
unten,
BGE 98 IV 66
). Damit hat es einen Irrtum über den Sachverhalt gemäss
Art. 19 StGB
ausgeschlossen. Indessen will der Beschwerdeführer sinngemäss in Wirklichkeit einen Rechtsirrtum gemäss
Art. 20 StGB
geltend machen.
Er bestreitet nicht, dass er die Ausweisungsverfügung gekannt hat. Sie enthielt nichts darüber, ob er aus der Schweiz oder nur aus dem Kanton Aargau ausgewiesen worden sei noch ob sie bloss die Wohnsitznahme und die Berufsausübung betreffe. Das war jedoch nicht nötig. Eine Ausweisung im Sinne des von der Fremdenpolizei angewendeten
Art. 10 ANAG
ist nach dessen Abs. 3 nur ausnahmsweise auf das Gebiet eines Kantons zu beschränken und einzig dann, wenn der Ausländer in einem andern Kanton eine Anwesenheitsbewilligung besitzt oder erhält. Daraus folgt, dass in der Regel die Ausweisung für das ganze Gebiet der Schweiz gilt und eine Beschränkung auf einen Kanton eines ausdrücklichen Vorbehalts bedarf (s.
Art. 16 Abs. 5 ANAV
). Dem entspricht
Art. 11 Abs. 1 ANAG
, wonach Ausgewiesene das Gebiet der Schweiz nicht betreten dürfen. Dieses Verbot genügte im vorliegenden Fall, ohne dass es einer zusätzlichen Einreisesperre oder einer Ausdehnung auf das Gebiet der Schweiz bedurfte; wie die Wegweisung ist auch die Einreisesperre eine "andere Entfernungsmassnahme"; beide sind mit der Ausweisung gemäss
Art. 10 ANAG
nicht identisch und betreffen andere Tatbestände (s.
Art. 16 und 17 ANAV
). War aber der Beschwerdeführer ohne Vorbehalt ausgewiesen worden, dann durfte er die Schweiz nicht betreten, weder für Besorgungen noch für Besuche bei seiner Frau. Diese Rechtslage ist klar, und dass der Beschwerdeführer sie angeblich nicht gekannt bzw. verkannt hat, vermag ihn nicht zu entlasten (
BGE 91 IV 152
,
BGE 93 IV 124
,
BGE 97 IV 66
). War er über die Tragweite der Verfügung im Zweifel, dann war es ihm zuzumuten, sich bei der verfügenden Behörde danach zu erkundigen (
BGE 82 IV 17
). Das Vorbringen der Verteidigerin, sie habe der Frau des Beschwerdeführers erklärt, er dürfe sie in Zofingen
BGE 100 IV 244 S. 248
besuchen, weil die Ausweisung sich nur auf Wohnsitznahme und Berufsausübung beziehe, ist schon deswegen unbehelflich, weil Gerigk in der Beschwerde zugibt, dass diese Auskunft für sein Verhalten nicht kausal war. Im übrigen könnte sie ohnehin die angebliche Annahme des Beschwerdeführers nicht rechtfertigen, er dürfe sich ausser zu Besuchen auch zu kurzen Besorgungen in die Schweiz begeben. Hatte demnach der Beschwerdeführer keine zureichenden Gründe zur Annahme, er dürfe trotz der Ausweisung zu kurzen Aufenthalten in die Schweiz einreisen, dann kommt ihm
Art. 20 StGB
nicht zugute, selbst wenn er sich über den Sinn der Ausweisungsverfügung geirrt haben sollte. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4b2bc87f-4336-4ae5-a617-75f192a7a1c9 | Urteilskopf
106 IV 5
2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. April 1980 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 91 Abs. 3 SVG
, Vereitelung der Blutprobe.
Bedingter Strafvollzug. | Erwägungen
ab Seite 5
BGE 106 IV 5 S. 5
Aus den Erwägungen:
1.
Massgebend für die Verweigerung des bedingten Strafvollzugs war, dass der Beschwerdeführer knapp 3/4 Jahre vor der fraglichen Fahrt wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu Fr. 1'200.-- Busse verurteilt und ihm der Führerausweis für sechs Monate entzogen worden war, dass er am 29. November 1978 mit seinem Auto eine Pintenkehr machte, nach der Kollision weiterfuhr, erneut Alkohol in einer Wirtschaft konsumierte und schliesslich wieder mit dem Auto heimfuhr. Ferner fiel der getrübte automobilistische Leumund ins Gewicht für die ungünstige Bewährungsprognose.
BGE 106 IV 5 S. 6
Der Beschwerdeführer wendet ein,
Art. 91 Abs. 3 SVG
schaffe eine Art Surrogat für die Fälle, wo eine Verurteilung wegen Art. 91 Abs. 1 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand vom Täter dadurch hintertrieben werde, dass er sich der Blutprobe entziehe. Die Parallelität der beiden Tatbestände erheische auch eine Gleichbehandlung in der Frage des bedingten Vollzugs. Dies führe zwingend dazu, dass der bedingte Vollzug nur verweigert werden dürfe, wenn trotz Vereitelung der Blutprobe eine erhebliche Angetrunkenheit mindestens wahrscheinlich sei. Da beim Beschwerdeführer kaum mehr als 0,4%o Blutalkohol während der fraglichen Fahrt angenommen werden könnten, sei der bedingte Vollzug zu gewähren.
2.
Es ist richtig, dass Gesetzgeber und Praxis verhindern wollten, dass der korrekt sich einer Blutprobe unterziehende Fahrer schlechter wegkommt als derjenige, der sich ihr entzieht oder sie sonstwie vereitelt.
Art. 91 Abs. 3 SVG
ist auf diese Überlegung zurückzuführen, ebenso die weitgehende Gleichbehandlung bei der strafrichterlichen Beurteilung, auf die in der Beschwerde verwiesen wird.
Von einer völligen Gleichbehandlung ist jedoch keine Rede. So ist es nach geltendem Recht nicht möglich, bei Anwendung von
Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG
(obligatorischer Führerausweisentzug) die Vereitelung der Blutprobe dem Fahren im angetrunkenen Zustand gleichzustellen (
BGE 104 Ib 195
E. 2). Auch entgeht derjenige Täter, der sich der Blutprobe entzieht, dem Vorwurf des Spezialrückfalls nach früherer Verurteilung wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand. Es besteht daher auch kein aus der Parallelbehandlung abzuleitender Anspruch des Täters darauf, dass zu seinen Gunsten bei Verurteilung wegen Vereitelung der Blutprobe stets dieselben Grundsätze angewendet werden, wie sie für das Fahren in angetrunkenem Zustand gelten.
Zwar wird in der Praxis die Vereitelung der Blutprobe nach ungefähr gleichen Grundsätzen beurteilt, wie das Fahren in angetrunkenem Zustand. Immerhin kann sich dabei die Unsicherheit über den wirklichen Grad der Alkoholisierung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Täters auswirken. Regelmässig wirkt sie zu seinen Gunsten, indem mangels anderer Untersuchungsergebnisse auf die fast immer untertriebenen Angaben des Fahrers und der Zeugen über die genossene Menge alkoholischer Getränke abgestellt werden muss. Auch der Beschwerdeführer
BGE 106 IV 5 S. 7
dürfte davon profitiert haben. Einen Anspruch darauf, in jeder Hinsicht gleich behandelt zu werden, wie wenn durch Blutprobe seine Alkoholisierung auf 0,4%o festgelegt worden wäre, hat er jedoch nicht. Das gilt sowohl für die Strafzumessung wie für die Zubilligung des bedingten Strafvollzugs. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4b32ad20-a73c-427a-9217-6afda449210d | Urteilskopf
92 I 409
69. Auszug aus dem Urteil vom 18. November 1966 i.S. Bucher gegen Regierungsrat des Kantons Zürich. | Regeste
Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung.
BG vom 16. März 1955.
Verweigerung einer Baubewilligung wegen der Gefahr, dass infolge der vorgesehenen Beseitigung des Abwassers (Sammlung in einerGrube und landwirtschaftliche Verwertung) Quellen verschmutzt würden, die der Versorgung der Bevölkerung mit Trink- und Brauchwasser dienen. | Sachverhalt
ab Seite 410
BGE 92 I 409 S. 410
A.-
Karl Bucher, Generalagent in Kilchberg (Zürich), kaufte durch Vertrag vom 10. November 1960 vom Landwirt Werner Bär in Hausen am Albis 1200 m2 Boden im Gebiet der "Wässermatte". Das Grundstück liegt 1,4 km südlich des Albishorns und rund 150 m unterhalb des Strässchens, das die Weiler Mittler Albis und Ober Albis verbindet, am Rand einer natürlichen Hangterrasse. Karl Bucher will dort ein Einfamilienhaus bauen, um es für den Aufenthalt über das Wochenende und während der Ferien zu benützen. Er reichte dem Gemeinderat Hausen im Jahre 1961 das Projekt ein und ersuchte um die baupolizeiliche Bewilligung. Sie wurde ihm verweigert. Er focht diesen Entscheid zunächst beim Bezirksrat Affoltern und nachher - gemeinsam mit Werner Bär - beim Regierungsrat des Kantons Zürich an, bei beiden Instanzen erfolglos. Der Regierungsrat stützte seinen Beschluss vom 4. April 1963 u.a. auf allgemeine gesundheitspolizeiliche Bedenken wegen der Abwasserbeseitigung.
Auf Beschwerde Buchers hob das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich diesen Entscheid am 29. August 1963 auf und wies die Sache an den Regierungsrat zurück, wobei es ihm vorschrieb, die Frage der Abwasserbeseitigung nach dem Bundesgesetz vom 16. März 1955 über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (GSchG) zu beurteilen.
Der Regierungsat wies in seinem neuen Entscheid vom 24. September 1964 den Rekurs Buchers und Bärs neuerdings ab. Er nahm an, die vorgesehene Beseitigung des Abwassers - Sammlung in einer geschlossenen Grube und landwirtschaftliche
BGE 92 I 409 S. 411
Verwertung durch Werner Bär - sei quantitativ ungenügend; sie wäre für viele kleinere Wasservorkommen im Quellgebiet der Jonen gefährlich.
B.-
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Karl Bucher, dieser Entscheid sei aufzuheben, soweit er in Anwendung des Bundesgesetzes über den Gewässerschutz ergangen ist.
Es wird geltend gemacht, dieses Gesetz biete keine Stütze für das beanstandete Bauverbot. Quellfassungen würden durch das Bauvorhaben des Beschwerdeführers so wenig gefährdet wie durch die in der Nähe seines Bauplatzes bereits bestehenden beiden Wohnhäuser, deren Abwasser stets ohne Schwierigkeiten hätten beseitigt werden können. Die vom Beschwerdeführer vorgesehene Grube sei gross genug, und für die Verwertung des darin gesammelten Abwassers reiche die zur Verfügung stehende Fläche des vom früheren Eigentümer Bär am 1. Juli 1964 der Stadt Zürich verkauften und nun verpachteten landwirtschaftlichen Heimwesens aus. Es bestehe keine Gefahr, dass die Grube überlaufe. Auf jeden Fall sei das angefochtene Bauverbot unverhältnismässig, da eine Gefährdung von Quellfassungen, wenn sie wirklich bestände, sich durch weniger weitgehende Massnahmen - Vergrösserung der Grube, periodische Leerung durch ein Spezialunternehmen und Zuführung direkt in die Kläranlage Adliswil - beheben liesse.
C.-
Der Regierungsrat des Kantons Zürich und das Eidg. Departement des Innern schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
D.-
Die Instruktionskommission des Bundesgerichts hat in Hausen einen Augenschein vorgenommen. Dr. Karl Wuhrmann, Leiter der biologischen Abteilung der Eidg. Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz und Professor an der ETH, ist als Experte beigezogen worden. Er hat seinen Bericht am 2. September 1966 abgegeben.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Prozessuales.)
2.
Nach dem Bericht des Experten muss damit gerechnet werden, dass aus einer mit modernem Komfort ausgestatteten Wohnung, wie sie im projektierten Haus des Beschwerdeführers vorgesehen ist, eine Abwassermenge von 150 bis 2001 je Person und Tag anfällt. Für 5 Personen, die in diesem Haus nach den Plänen untergebracht werden können, ergibt sich also ein
BGE 92 I 409 S. 412
Tagesquantum von 750 bis 1000 l. Der Beschwerdeführer gedenkt das Haus nur während etwa 150 Tagen im Jahr als Wochenend- und Ferienhaus zu benützen. Indessen könnte die Baute nach der geplanten Einrichtung ganzjährig bewohnt werden. Es ist damit zu rechnen, dass diese Möglichkeit früher oder später - wenn nicht vom Beschwerdeführer, so doch von einem allfälligen Eigentumsnachfolger - auch ausgenützt werden wird. Bei der vom Beschwerdeführer in Aussicht genommenen Benützung ist der Abwasseranfall mit 112 bis 150 m3, bei durchgehender Bewohnung mit 273 bis 365 m3 im Jahr in Rechnung zu stellen.
Auf Grund dieser Abwassermengen kann - unter der Annahme, dass die Abwässer landwirtschaftlich verwertbar seien - das Fassungsvermögen der Grube bestimmt werden. Dabei muss beachtet werden, dass die Jauche nicht jederzeit ausgeführt werden darf, wenn die Grube voll ist. Nach Art. 6 Abs. 1 des Schweizerischen Milchlieferungsregulativs in der Fassung vom 26. Februar 1963 (AS 1963, 381) ist "jede übertriebene, einseitige oder zur unrichtigen Zeit ausgeführte Düngung" verboten. "Während der Vegetationszeit" ist insbesondere untersagt "das Begüllen von nachgeschossenem Gras" (lit. a) und "das Ausbringen von Gülle, welcher Stoffe irgendwelcher Art (ausser Wasser) zugesetzt wurden" (lit. b). Nach der letztgenannten Bestimmung dürfen häusliche Abwässer, in denen sich neben Fäkalstoffen Detergentien aller Art vorfinden, nur im Winter ausgebracht werden. Der Experte schätzt unter Beachtung aller Umstände den erforderlichen Kubikinhalt der Grube auf 30 bis 40 m3, wenn sich die vom Beschwerdeführer in Aussicht genommenen 150 Benützungstage gleichmässig auf das ganze Jahr verteilen, sonst aber (unter Einschluss einer Raumreserve) auf 60 m3. Bei dauernder Bewohnung des Hauses müsste der Stapelraum 88 bis 120 m3 umfassen.
Die vom Beschwerdeführer vorgesehene Grube enthält 30 m3 Rauminhalt. Weil er aber bereit ist, die Grube so zu dimensionieren, wie es nach fachmännischem Befund nötig ist, würde es gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstossen, wollte man sein Projekt wegen ungenügender Grösse der projektierten Grube ablehnen (
BGE 90 I 343
).
3.
Das Fassungsvermögen der Grube ist indessen von untergeordneter Bedeutung. Wichtiger ist, ob die verfügbare Bodenfläche zur Aufnahme des Abwassers ausreicht und, wenn ja, ob
BGE 92 I 409 S. 413
dabei keine Trink- und Brauchwasserquellen geschädigt oder gefährdet werden.
a) Der Regierungsrat hat im angefochtenen Entscheid angenommen, für eine Person sei eine Verwertungsfläche von 80 bis 120 a erforderlich. Der Beschwerdeführer hat dies nicht bestritten. Bei der Berechnung der erforderlichen Bodenfläche ist der Regierungsrat von den 1176 a "Feld und Wald" ausgegangen, deren Eigentümer Werner Bär war und die nunmehr der Stadt Zürich gehören. Nun stellt aber der Experte - in Übereinstimmung mit dem Pächter der Stadt - fest, dass die Abwässer des projektierten Hauses des Beschwerdeführers, gleich wie jene der beiden in der "Wässermatte" schon bestehenden Häuser Locher und Sidler, ausschliesslich auf dem Wiesenhang direkt unter diesen Häusern ausgebracht werden könnten. Eine Überführung der Abwässer auf weiter entferntes oder höher gelegenes Gelände ist ausgeschlossen; der Pächter erklärt, dass er weder über die dazu erforderliche Pumpe noch über das zugehörige Antriebsaggregat verfüge. Der Beschwerdeführer hat den Bau einer Pumpe weder in seinem Projekt vorgesehen noch nach Einsicht des Expertenberichts angeboten, obwohl ihm das vom Experten (S. 12 des Gutachtens) nahegelegt worden ist. Somit reduziert sich das Gelände, auf das die Abwässer ausgebracht werden könnten, nach der Feststellung des Experten auf 110 a. Das heisst, dass das Gelände bloss die Abwässer, die auf eine einzige Person entfallen, aufzunehmen vermag; werden auf der Fläche von 110 a die Abwässer aus den bestehenden Häusern Locher und Sidler verspritzt, so ist der Boden bereits mehrfach überdüngt, und es erscheint als ausgeschlossen, dass auf derselben Fläche auch noch die Abwässer aus dem projektierten Haus des Beschwerdeführers verwertet werden könnten.
b) Unter dem Gesichtspunkte des Gewässerschutzes wäre allerdings die Überdüngung für sich allein belanglos. Nun kommt aber hinzu, dass 50 bis 80 m unterhalb des Terrassenrandes, auf dem die Häuser Locher und Sidler und der Bauplatz des Beschwerdeführers liegen, ein Quellenhorizont verläuft, der u.a. durch 5 Quellfassungen der Gemeinde Hausen genützt wird. Diese Fassungen befinden sich nach der Feststellung des Experten "im unmittelbaren Bereich der Wiesen, welche für die Abwasserverwertung in Frage kämen". Pläne der Fassungsstränge sind nicht vorhanden, doch ergibt sich nach dem Befund
BGE 92 I 409 S. 414
des Experten "aus der Situation, dass diese (die Fassungsstränge) im Maximum bis 3 m unter Terrain von den Brunnenstuben aus hangeinwärts verlegt worden sein müssen". Nach der Auffassung des Experten "müsste der ganze Hang oberhalb der Quellen bis zum Terrassenrand als Schutzzone erklärt werden". Selbst wenn die Verwertung der Abwässer aus den Häusern Locher und Sidler bisher zu keiner Verunreinigung des Quellwassers geführt haben sollte, liegt nach dem Urteil des Experten jedenfalls eine "gröblichste Gefährdung" vor; sie würde durch die Verteilung der aus dem Neubau des Beschwerdeführers anfallenden Abwässer noch erheblich verstärkt.
4.
Angesichts dieses Befundes des Experten kann die Rechtslage nicht mehr zweifelhaft sein.
Art. 2 Abs. 1 GSchG
erheischt, dass "gegen die Verunreinigung oder andere schädliche Beeinträchtigung der ober- und unterirdischen Gewässer" alles vorzukehren ist, was u.a. nötig ist "zum Schutze der Gesundheit von Mensch und Tier" sowie "zur Verwendung von Grund- und Quellwasser als Trinkwasser". Schon die blosse Schaffung einer Gefahr der Verunreinigung ist verboten. Das ergibt sich aus
Art. 4 Abs. 2 GSchG
, welcher das "Ablagern von Stoffen ausserhalb der Gewässer" untersagt, sobald diese Vorkehr "geeignet" ist, "eine Verunreinigung der Gewässer zu verursachen" (
BGE 86 I 196
ff.;
BGE 90 I 198
). Dass eine solche Gefahr, wenn nicht erst geschaffen, so doch erheblich verstärkt würde, wenn die Abwässer aus dem projektierten Hause des Beschwerdeführers in der vorgesehenen Art für die Landwirtschaft verwendet würden, steht ausser Zweifel. Weil es hier um die Sicherstellung gesunden Trink- und Brauchwassers geht, ist die daraus entstehende wirtschaftliche und finanzielle Belastung nicht zu beachten (
Art. 2 Abs. 3 GSchG
,
BGE 86 I 198
).
Dass die Gemeinde Hausen keine Schutzzone errichtet hat, ist ohne Belang. Um durchsetzbar zu sein, bedarf
Art. 2 GSchG
keiner Ausführungsbestimmungen des kantonalen oder Gemeinderechts (
BGE 84 I 156
).
5.
Der Beschwerdeführer hat für den Fall, dass die geplante landwirtschaftliche Verwertung seiner Abwässer nicht zulässig sein sollte, in der Beschwerdeschrift die "verbindliche Erklärung" abgegeben, "dass er in der Lage ist, die Grube periodisch durch ein Spezialunternehmen leeren zu lassen, welches die Abwässer direkt der Kläranlage in Adliswil zuführt". Er hat jedoch diese Darstellung in einem Schreiben vom 12. Oktober
BGE 92 I 409 S. 415
1966 durch die Mitteilung berichtigt, "dass der Zweckverband Zentrale Kläranlage Sihltal während der Dauer des vorliegenden Beschwerdeverfahrens abgelehnt hat, das Abwasser aus dem Ferienhaus des Beschwerdeführers aufzunehmen".
Andere Möglichkeiten der Abwasserbeseitigung (z.B. Anschluss an eine bestehende oder zu erstellende Kanalisation) werden vom Beschwerdeführer nicht erwähnt und sind auch nicht ersichtlich. Damit erweist sich die Rüge, das angefochtene Bauverbot verstosse gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, als unbegründet. Es muss angenommen werden, dass unter den gegebenen Umständen der Gefahr der Verunreinigung von Trink- und Brauchwasserquellen nicht durch eine weniger weitgehende Massnahme begegnet werden kann.
6.
(Die Rüge der rechtsungleichen Behandlung ist unbegründet.)
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4b336618-a438-444a-9fa2-31cd9ab5e3a4 | Urteilskopf
103 Ib 210
35. Urteil vom 3. Juni 1977 i.S. Einwohnergemeinde Bern gegen Ruckstuhl und Mitbeteiligte und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Raumplanung, materielle Enteignung. Einweisung eines früher der Bauzone zugeteilten Gebietes in eine Grünzone durch kommunalen Baulinienplan von 1960.
Art. 20 GSchG
. Einbezug der Grünzone in provisorische Schutzgebiete nach BMR.
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das die Gemeinde zu Entschädigungsleistungen verpflichtende Urteil des kantonalen Verwaltungsgerichts. Zulässigkeit der Beschwerde, Legitimation der Gemeinde (E. 1). Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 2).
Entschädigungspflicht der Gemeinde infolge des durch den Baulinienplan begründeten Bauverbots. Tragweite der späteren Planungsmassnahmen, insbesondere der Unterschutzstellung nach BMR (E. 3 - 5).
Bemessung der Entschädigungen für den Wert der ins Eigentum der Gemeinde übergehenden und den Minderwert der übrigen Parzellen. Berücksichtigung der Möglichkeit einer Gesamtüberbauung aufgrund einer Landumlegung und besonderer Bauvorschriften. Für die Schätzung massgebender Zeitpunkt (E. 6).
Entschädigung für nutzlos aufgewendete Planungskosten (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 211
BGE 103 Ib 210 S. 211
Das bernische Gesetz über die Bauvorschriften vom 26. Januar 1958, das bis Ende 1970 galt, bestimmte in Art. 26, dass baupolizeiliche Beschränkungen des Grundeigentums einen Anspruch auf Entschädigung begründen, wenn das Gesetz dies vorsieht oder die Beschränkung in ihrer Wirkung einer Enteignung gleichkommt (materielle Enteignung).
Das auf den 1. Januar 1971 in Kraft gesetzte bernische Baugesetz vom 7. Juni 1970 ordnet in Art. 99 an, dass Eigentumsbeschränkungen, wie der dauernde Einbezug eines Grundstückes in eine Frei- oder Grünfläche oder ein Schutzgebiet, einen Entschädigungsanspruch des Grundeigentümers gegenüber dem verfügenden Gemeinwesen begründen, wenn sie in ihrer Wirkung einer Enteignung gleichkommen. Nach
BGE 103 Ib 210 S. 212
Art. 100 können der Grundeigentümer und das Gemeinwesen verlangen, dass das Gemeinwesen, statt den Minderwert zu entschädigen, das Grundstück übernehme, wenn die Voraussetzungen einer Ausdehnung der Enteignung gemäss Enteignungsgesetz gegeben sind.
Das bernische Gesetz über die Enteignung vom 3. Oktober 1965 findet sinngemäss auch auf materielle Enteignungen Anwendung (Art. 1 Abs. 2). Streitigkeiten aus Enteignung beurteilt als erste Instanz eine Schätzungskommission; ihr Entscheid kann an das kantonale Verwaltungsgericht weitergezogen werden (Art. 47, 54).
Die Eymatt am Wohlensee war im Bauklassenplan der Stadt Bern von 1928 der Bauklasse VIII zugewiesen, in der zweieinhalb Geschosse zugelassen waren. Im neuen Bauklassenplan von 1955 wurde das Gebiet zum grössten Teil der Bauklasse Ia (anderthalb Geschosse), zum geringeren Teil der Bauklasse II (zwei Geschosse ohne Dachausbau) zugeteilt. In einem von den Stimmbürgern der Stadt Bern am 28./29. Mai 1960 angenommenen Baulinienplan wurde es mit Ausnahme einiger weniger Grundstücke zur Grünfläche erklärt, in der nur öffentliche Bauten und Anlagen, Turn- und Sportplätze sowie landwirtschaftliche Bauten zulässig waren. Der Regierungsrat des Kantons Bern genehmigte diesen Plan am 9. Dezember 1960, wobei er die erhobenen Einsprachen abwies. Die dagegen gerichteten staatsrechtlichen Beschwerden der Einsprecher wurden vom Bundesgericht am 1. November 1961 abgewiesen.
Die von der Einweisung ihrer Grundstücke in die Grünzone betroffenen Eigentümer machten gegen die Einwohnergemeinde Bern Entschädigungsansprüche wegen materieller Enteignung geltend. In Verhandlungen zwischen ihnen und der Gemeinde wurde nach planerischen wegen gesucht, um die Entschädigungsforderungen auszuschliessen oder zu reduzieren. Im Juni 1964 erwarb die Einwohnergemeinde Bern eine Parzelle in der Grünzone. Die Eigentümer der übrigen Grundstücke, Rosa Ruckstuhl und Mitbeteiligte, erklärten sich bereit, ihre Forderungen vorläufig zurückzustellen. Sie schlossen sich im Jahre 1965 zu einer Planungs- und Erschliessungsgemeinschaft zusammen, der auch die Gemeinde Bern angehörte. Die Gemeinschaft liess einen neuen Überbauungsplan für die Eymatt ausarbeiten. Im März 1970 wurde der bereinigte
BGE 103 Ib 210 S. 213
"Baulinien- und Bebauungsplan Eymatt II" öffentlich aufgelegt. Gegen ihn wurden verschiedene Einsprachen erhoben. Eine vom Stadtrat Bern bestellte Spezialkommission beauftragte den Gemeinderat, vorerst die Kosten einer vollständigen Freihaltung der Eymatt abzuklären. Der Plan wurde nicht dem Genehmigungsverfahren zugeführt.
Rosa Ruckstuhl und die Mitbeteiligten ersuchten darauf die zuständige Schätzungskommission, die Enteignungsentschädigungen für ihre in der Grünzone liegenden Grundstücke festzusetzen. Es wurden verschiedene Begehren auf Übernahme von Grundstücken durch die Gemeinde Bern gestellt. Die Schätzungskommission fand, dass eine materielle Enteignung vorliege. Sie erklärte einzelne Übernahmebegehren als begründet und setzte die Entschädigungen fest. Noch vor dem Urteil war die Eymatt aufgrund des Bundesbeschlusses vom 17. März 1972 über dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung (BMR) und der zugehörigen kantonalen Vollziehungsverordnung vom 24. Mai 1972 in provisorische Schutzgebiete einbezogen worden. Die Gemeinde und die Grundeigentümer zogen den Entscheid der Schätzungskommission an das kantonale Verwaltungsgericht weiter. Dieses nahm an, die Eigentümer hätten infolge des Baulinienplans von 1960 Anspruch auf Entschädigung wegen materieller Enteignung. Es änderte den erstinstanzlichen Entscheid in verschiedenen Punkten und sprach den Eigentümern ausser den Übernahme- und Minderwertentschädigungen auch eine Entschädigung für Inkonvenienzen zu (Urteil vom 28. April 1975).
Die Einwohnergemeinde Bern beantragt dem Bundesgericht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde, den Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Begehren der Grundeigentümer abzuweisen, eventuell die Enteignungsentschädigungen neu festzusetzen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss
Art. 97 Abs. 1 OG
beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne des
Art. 5 VwVG
. Nach dieser Vorschrift und der Rechtsprechung dazu gelten als Verfügungen bestimmte Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder gegen die mit
BGE 103 Ib 210 S. 214
Grund eingewendet werden kann, dass sie sich zu Unrecht nicht auf solches Recht stützen (
BGE 100 Ib 448
E. 2b mit Hinweisen).
b) Das angefochtene Urteil des Bernischen Verwaltungsgerichts ist ein Schätzungsentscheid in einem aufgrund der kantonalen Gesetzgebung über das Bauwesen und die Enteignung durchgeführten Verfahren wegen materieller Enteignung. Es stützt sich auf kantonales Recht, aber auch - und vor allem - auf die vom Bundesgericht in der Rechtsprechung zur Eigentumsgarantie aufgestellten Grundsätze über die Voraussetzungen der materiellen Enteignung. Daraus, dass das kantonale Gericht diese Grundsätze angewandt hat, folgt jedoch noch nicht, dass sein Entscheid sich auf öffentliches Recht des Bundes im Sinne des
Art. 5 VwVG
stützt (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 30. Januar 1976 i.S. Eidg. Justiz- und Polizeidepartement, Kanton Waadt und Gemeinde Buchillon c. Collomb und Mitbeteiligte, E. 1c). Andernfalls müssten alle von letzten kantonalen Instanzen in Anwendung kantonalen Rechts gefällten Entscheide, bei denen in der Bundesverfassung garantierte Grundrechte zu berücksichtigen sind, als Verfügungen im Sinne des
Art. 5 VwVG
betrachtet werden, sofern sie die übrigen in dieser Bestimmung umschriebenen Merkmale solcher Verfügungen trügen; sie unterlägen folglich in der Regel der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das kann aber nicht der Sinn der in
Art. 97 OG
und
Art. 5 VwVG
getroffenen Ordnung sein.
c) Ob und in welcher Weise ein Grundstück überbaut werden kann, beurteilt sich in vielen Fällen nicht nur aufgrund kantonaler und kommunaler Bestimmungen, sondern auch nach Vorschriften des Bundesrechts, z.B. der Gesetzgebung über den Gewässerschutz und die Forstpolizei. Im Rahmen eines Verfahrens, das infolge von Eigentumsbeschränkungen des kantonalen Rechts eingeleitet worden ist und in dem festgestellt werden soll, ob diese Beschränkungen eine materielle Enteignung bewirken, sind daher vielfach, zumindest vorfrageweise, auch Vorschriften der Gesetzgebung des Bundes zu berücksichtigen. Die in solchen Vorschriften vorgesehenen Eigentumsbeschränkungen können polizeilichen oder planerischen Charakter haben. Beschränkungen polizeilicher Natur sind in der Regel ohne Entschädigung hinzunehmen (
BGE 96 I 360
E. 5-8; ANDRE GRISEL, Droit administratif
BGE 103 Ib 210 S. 215
suisse, S. 407; ETIENNE GRISEL, La définition de la police, in "Erhaltung und Entfaltung des Rechts in der Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts", S. 111 f.). Hat eine letzte kantonale Instanz beim Entscheid darüber, ob kantonalrechtliche Eigentumsbeschränkungen einer Enteignung gleichkommen, vorfrageweise bundesrechtliche Vorschriften polizeilichen Charakters, die keinen Entschädigungsanspruch begründen, mit zu berücksichtigen, so ergibt sich auch daraus noch nicht, dass der Entscheid als Verfügung im Sinne des
Art. 5 VwVG
zu betrachten ist (zit. Urteil vom 30. Januar 1976, E. 1d).
d) Anders verhält es sich dagegen, wenn die kantonale Behörde bundesrechtliche Vorschriften mit in Betracht zu ziehen hat, für die sich die Frage stellt, ob sie selber sich wie eine Enteignung auswirken. Ein Entscheid der letzten kantonalen Instanz, der sich über diese Frage ausspricht oder richtigerweise aussprechen sollte, ist eine auf öffentliches Recht des Bundes gestützte Verfügung im Sinne des
Art. 5 VwVG
und kann daher mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (zit. Urteil vom 30. Januar 1976, E. 1d).
Wie eine Enteignung wirken könnte unter Umständen namentlich der Einbezug eines Grundstücks in ein provisorisches Schutzgebiet gemäss BMR (vgl. dessen Art. 4). Der BMR rechnet selber mit dieser Möglichkeit, indem er in Art. 9 Abs. 2 bestimmt: "Bewirkt eine Massnahme auf Grund dieses Beschlusses eine materielle Enteignung, so kann der Bund Beiträge an die vom Kanton zu leistende Entschädigung gewähren". Nicht von vornherein ausgeschlossen ist ferner, dass die Anwendung des
Art. 20 GSchG
, mit dem ausser polizeiliche auch planerische Zwecke verfolgt werden (
BGE 100 Ib 91
E. 4), mitunter ebenfalls eine materielle Enteignung bewirken könnte.
Wenn die kantonalen Behörden bei der Beurteilung von Entschädigungsforderungen wegen materieller Enteignung über die Wirkungen von Eigentumsbeschränkungen des kantonalen Rechts in Fällen, in denen das Grundstück vor dem Entscheid einem provisorischen Schutzgebiet nach BMR zugewiesen worden ist, zu befinden haben, müssen sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes von Amtes wegen den BMR berücksichtigen, weil die auf diesen Erlass gestützten Planungen an die Stelle bisheriger kantonaler Planungen treten.
BGE 103 Ib 210 S. 216
Solchenfalls stellt der Entscheid der letzten kantonalen Instanz eine mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbare Verfügung dar (
BGE 101 Ib 53
ff.; zit. Urteil vom 30. Januar 1976, E. 1d). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Sie ist auch für den analogen Fall massgebend, wo der kantonalen Behörde sich die Frage stellte, ob die Anwendung des
Art. 20 GSchG
zu einer materiellen Enteignung führen könnte.
e) Im Zeitpunkt, in dem das angefochtene Urteil des bernischen Verwaltungsgerichts erging, lagen die in Frage stehenden Grundstücke in einem provisorischen Schutzgebiet nach BMR und zudem ohnehin nicht mehr in der Bauzone, nachdem sie schon durch den kommunalen Baulinienplan von 1960 zur Grünzone geschlagen worden waren. Das kantonale Verwaltungsgericht musste daher die Auswirkungen des BMR wie auch des
Art. 20 GSchG
auf die rechtliche Lage hinsichtlich der Eymatt prüfen. Sein Urteil ist deshalb nach dem Gesagten als Verfügung im Sinne des
Art. 5 VwVG
zu betrachten. Dem steht nicht entgegen, dass das kantonale Verwaltungsgericht gefunden hat, nach den gegebenen Umständen seien der BMR und
Art. 20 GSchG
nicht zu berücksichtigen. Ob diese Auffassung zutreffe oder nicht, ist eine materielle Frage; die Beurteilung der Eintretensfrage hängt nicht davon ab. Der angefochtene Entscheid, der von einer letzten kantonalen Instanz getroffen worden ist, unterliegt nach
Art. 97 und 98 lit. g OG
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Es liegt keiner der Fälle vor, in denen dieses Rechtsmittel nach
Art. 99 ff. OG
ausgeschlossen ist.
f) Die Einwohnergemeinde Bern wird durch die Verurteilung zu Entschädigungsleistungen in ihrem Finanzvermögen betroffen und hat daher ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids. Sie ist deshalb nach
Art. 103 lit. a OG
zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt. Auf die von ihr erhobene Beschwerde ist einzutreten.
2.
Art. 22ter Abs. 3 BV
schreibt vor, dass volle Entschädigung für Eigentumsbeschränkungen zu leisten ist, die einer Enteignung gleichkommen. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts erfüllt, wenn der bisherige oder ein voraussehbarer, sehr wahrscheinlich in naher Zukunft realisierbarer Gebrauch der Sache untersagt oder in einer Weise eingeschränkt wird, die besonders schwer wiegt,
BGE 103 Ib 210 S. 217
weil dem Eigentümer eine wesentliche aus dem Eigentum fliessende Befugnis entzogen wird. Geht die Einschränkung weniger weit, so wird gleichwohl eine materielle Enteignung angenommen, falls ein einziger oder einzelne Eigentümer so betroffen werden, dass ihr Opfer gegenüber der Allgemeinheit als unzumutbar erschiene, wenn hiefür keine Entschädigung geleistet würde (
BGE 102 Ia 247
E. 4a mit Hinweisen).
Ob nach diesen Gesichtspunkten ein bestimmter Eingriff in das Grundeigentum wie eine Enteignung wirke und deshalb nur gegen Entschädigung zulässig sei, prüft das Bundesgericht bei der Beurteilung staatsrechtlicher Beschwerden der betroffenen Eigentümer wegen Verletzung der Eigentumsgarantie grundsätzlich frei; immerhin übt es Zurückhaltung, soweit örtliche Verhältnisse zu würdigen sind (
BGE 98 Ia 384
mit Hinweisen). Auch im vorliegenden Fall, in dem über die Verwaltungsgerichtsbeschwerde eines zu Entschädigungsleistungen wegen materieller Enteignung verurteilten Gemeinwesens zu entscheiden ist, stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen einer solchen Enteignung erfüllt sind. Triftige Gründe, welche ausschlössen, dass das Bundesgericht hierüber in diesem Verfahren ebenfalls grundsätzlich frei befindet, bestehen nicht; sind doch hinsichtlich der Voraussetzungen der materiellen Enteignung aus der Bundesverfassung abzuleitende, also bundesrechtliche Regeln massgebend, wozu im vorliegenden Fall noch kommt, dass Vorschriften der Verwaltungsrechtlichen Gesetzgebung des Bundes (BMR, GSchG) mit zu berücksichtigen sind. Auch hier kann das Bundesgericht indes die Würdigung örtlicher Verhältnisse durch die kantonale Behörde nur beschränkt überprüfen. Es ist nach
Art. 105 Abs. 2 OG
an die tatbeständlichen Feststellungen des kantonalen Verwaltungsgerichts gebunden, sofern sie weder offensichtlich unrichtig oder unvollständig noch wegen Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen zu bemängeln sind.
Was die Bemessung der wegen materieller Enteignung zu leistenden Entschädigung anlangt, prüft das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde des Eigentümers hin die von der kantonalen Behörde angewandte Bewertungsmethode und das Ergebnis der Schätzung nur unter dem Aspekt der Willkür (
BGE 97 I 114
). In dieser Beziehung ist dann, wenn eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde des zu Entschädigungsleistungen verurteilten Gemeinwesens zu beurteilen ist, jedenfalls
BGE 103 Ib 210 S. 218
eine gewisse Zurückhaltung geboten. In der vorliegenden Streitsache ist auch hinsichtlich der Schätzung
Art. 105 Abs. 2 OG
zu beachten.
3.
Das angefochtene Urteil verpflichtet die Einwohnergemeinde Bern zu Entschädigungsleistungen mit der Begründung, der kommunale Baulinienplan von 1960 habe für die Eigentümer der in Frage stehenden Grundstücke in der Eymatt eine materielle Enteignung bewirkt. Die Gemeinde wendet ein, die Grundstücke seien in provisorische Schutzgebiete nach BMR einbezogen und damit kraft Bundesrechts einem Bauverbot unterstellt worden. Diese Massnahme sei aber befristet und komme daher nicht einer Enteignung gleich. Während der Dauer ihrer Geltung seien die durch den Baulinienplan von 1960 geschaffenen Eigentumsbeschränkungen aufgehoben oder sistiert, so dass aus ihnen jedenfalls zur Zeit kein Entschädigungsanspruch abgeleitet werden könne.
Der Einwand berührt die grundsätzliche Frage, von welcher Rechtslage auszugehen ist, wenn ein Grundstück, dessen Eigentümer Anspruch auf Entschädigung wegen materieller Enteignung erhebt, im Laufe der Zeit nach und nach mit Nutzungsbeschränkungen gleicher oder verschiedener Art belegt worden ist. In der Lehre wird die Meinung vertreten, die zuständige Behörde müsse die im Zeitpunkt ihres Entscheides bestehende Rechtslage berücksichtigen (ALFRED KUTTLER, Welcher Zeitpunkt ist für die Beurteilung der Frage, ob eine materielle Enteignung vorliegt, massgebend? ZBl 76/1975, S. 497 ff.). Dieser Auffassung, die auch dem Urteil
BGE 101 Ib 52
zugrunde liegt, ist beizupflichten. Sie entspricht dem anerkannten Grundsatz, dass der Grundeigentümer stets mit Änderungen der Gesetzgebung über die Möglichkeiten der Nutzung der Grundstücke rechnen muss (
BGE 98 Ia 377
,
BGE 96 I 126
,
BGE 94 I 350
). Das heisst aber nicht, dass zurückliegende Eigentumsbeschränkungen unter allen Umständen ausser acht zu lassen sind; es kann sich im Gegenteil als unumgänglich erweisen, dass ihre Auswirkungen geprüft werden (vgl.
BGE 101 Ib 54
; KUTTLER a.a.O. S. 505, Ziff. 3.3). Eine Planungsmassnahme, welche die Möglichkeiten künftiger Nutzung der von ihr erfassten Grundstücke wesentlich beschränkt hat, kann eine Entschädigungspflicht wegen materieller Enteignung unter Umständen auch dann begründen, wenn sie durch eine ohne Entschädigung hinzunehmende Eigentumsbeschränkung ersetzt worden ist. In einem solchen
BGE 103 Ib 210 S. 219
Fall können die Voraussetzungen der materiellen Enteignung erfüllt sein, wenn die frühere Beschränkung erst nach verhältnismässig langer Zeit dahingefallen ist, so dass der Grundeigentümer ohne diesen Eingriff die Möglichkeit gehabt hätte, sein Grundstück bestmöglich zu nutzen, bevor er von der nachfolgenden Beschränkung betroffen wurde.
Aus diesen Gründen erscheint es nicht von vornherein als ausgeschlossen, dass im vorliegenden Fall bereits die durch den Baulinienplan von 1960 eingeführte Eigentumsbeschränkung die Entschädigungspflicht des Gemeinwesens ausgelöst hat. Die Frage bedarf näherer Prüfung.
4.
a) Die in diesem Verfahren beteiligten Grundeigentümer wurden durch den Baulinienplan von 1960 an der bisherigen Nutzung ihrer in der Eymatt liegenden Grundstücke nicht gehindert. Dagegen hatte der Plan für sie eine einschneidende Beschränkung der Baufreiheit zur Folge: Indem er ihr Land einer Grünzone zuwies, in welcher nur öffentliche Bauten und Anlagen, Turn- und Sportplätze sowie landwirtschaftliche Bauten gestattet waren, entzog er ihnen die Möglichkeit, Wohnbauten in dem vom kommunalen Bauklassenplan von 1955 noch zugelassenen Rahmen (mit anderthalb Geschossen gemäss Bauklasse Ia) zu erstellen. Dieser Eingriff kam einer Enteignung gleich, wenn es den Betroffenen ansonst möglich war, auf ihrem Land in verhältnismässig naher Zukunft solche Wohnbauten zu errichten.
b) Nach dem Beginn der Wirksamkeit des Baulinienplans von 1960 blieb die Rechtslage unverändert bis zum 1. Januar 1971, an dem das neue kantonale Baugesetz in Kraft getreten ist. Durch dieses Gesetz wurde aber die schon durch jenen Plan eingeführte Beschränkung der Baufreiheit nicht erweitert. Dasselbe gilt für das GSchG, das seit dem 1. Juli 1972 in Kraft steht. Wohl macht es die Bewilligung für Bauten ausserhalb der Bauzone vom Nachweis eines sachlich begründeten Bedürfnisses abhängig (Art. 20). Die in Frage stehenden Grundstücke befanden sich aber bereits seit 1960, aufgrund des damals erlassenen Baulinienplans, ausserhalb der Bauzone. Die auf dem Baulinienplan beruhende Nutzungsbeschränkung wurde auch durch das GSchG nicht verschärft.
c) Der Regierungsrat des Kantons Bern hat am 24. Mai 1972 eine Verordnung zum Vollzug des BMR erlassen. Dem Vollzug dient u.a. der Plan der provisorischen Schutzgebiete (Art. 1 der Verordnung). Er bezeichnet jene Teile der ausgeschiedenen
BGE 103 Ib 210 S. 220
Bauzonen und des übrigen Kantonsgebietes, die aufgrund des Bundesbeschlusses zusätzlichen Baubeschränkungen oder Bauverboten zu unterwerfen sind (Art. 6 der Verordnung). Der Kanton hat in dem Plan vier Arten provisorischer Schutzgebiete mit je eigenen Rechtswirkungen geschaffen. Ein kleinerer Teil der Eymatt ist in das Schutzgebiet I, der grössere Teil in das Schutzgebiet II aufgenommen worden. In der Legende zum Plan werden die Rechtswirkungen für die beiden Zonen umschrieben ...
Diese Regelung, die vom Bund genehmigt worden ist, wirkt sich nicht für alle Grundstücke in der Eymatt in gleicher Weise aus. Das Schutzgebiet II ist nur einer Planungssperre unterstellt worden. Dort darf weiterhin nach den bisherigen Zonenvorschriften gebaut werden. Für diejenigen nach dem Baulinienplan von 1960 der Grünzone zugeteilten Grundstücke, die in das Schutzgebiet II einbezogen worden sind, ist es demnach einstweilen bei der durch jenen Plan eingeführten Ordnung geblieben, wonach in der Grünzone nur standortbedingte Bauten zugelassen und damit reine Wohnbauten untersagt worden sind.
Dagegen dürfen auf Grundstücken, die ebenfalls in die Grünzone einbezogen worden waren, aber dem Schutzgebiet I zugewiesen sind, bis auf weiteres, d.h. solange der Plan der provisorischen Schutzgebiete in Kraft steht, überhaupt keine Bauten mehr erstellt werden, seien sie standortbedingt oder nicht. Die Gemeinde hat für diesen Teil der Eymatt eine neue Zonenordnung nach den Anforderungen des Landschaftsrichtplanes auszuarbeiten. Welches die Rechtswirkungen dieser neuen Planung sein werden, steht noch nicht fest. Da aber die Entschädigungsforderungen nur wegen des Verbotes von Wohnbauten gestellt werden, ist die Verschärfung der bisherigen Nutzungsbeschränkung für das Schutzgebiet I hier nicht von Bedeutung. Ob der völlige Ausschluss der Überbaubarkeit dieses Gebietes mit Art. 4 BMR vereinbar sei, kann offenbleiben.
Es ergibt sich somit, dass auch der Einbezug der in Frage stehenden Grundstücke in provisorische Schutzgebiete nach BMR keine ins Gewicht fallende weitere Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit gebracht hat.
Wird angenommen, durch die Einweisung der Liegenschaften in provisorische Schutzgebiete sei der Baulinienplan von 1960 teilweise aufgehoben worden, so ist festzustellen, dass die
BGE 103 Ib 210 S. 221
auf ihm beruhende Ordnung immerhin rund zwölf Jahre lang in Geltung war. Jedenfalls dauern die Auswirkungen dieser Ordnung kraft der vom Kanton aufgrund des BMR getroffenen Massnahmen einstweilen weiter. Welche Regelung nach dem Auslaufen der - durch Bundesbeschluss vom 8. Oktober 1976 längstens bis zum 31. Dezember 1979 erstreckten - Geltungsdauer des BMR massgebend sein wird, steht zur Zeit noch dahin.
d) Nach den vorstehenden Erwägungen kann keine Verletzung von Bundesrecht darin gesehen werden, dass die Vorinstanz angenommen hat, das GSchG und der BMR seien bei der Beurteilung der Frage, ob der Baulinienplan von 1960 eine materielle Enteignung bewirkt habe, nicht in Betracht zu ziehen.
e) Die Beschwerdeführerin wendet ein, alle Eigentümer von Grundstücken in der Eymatt seien vom Einbezug dieser Region in die provisorischen Schutzgebiete nach BMR betroffen; es ergäbe sich eine Rechtsungleichheit, wenn die Eigentümer von Land im Perimeter des Baulinienplans von 1960 im Gegensatz zu den anderen, deren Grundstücke ausserhalb dieses Bereiches liegen, eine Entschädigung erhielten.
Dieser Einwand hilft der Beschwerdeführerin nicht. Es mag zutreffen, dass gegenüber den Eigentümern von Land in der Eymatt, das vom Baulinienplan von 1960 nicht erfasst wurde, wegen des vorläufigen Charakters und der Befristung der Massnahmen nach BMR jedenfalls zur Zeit keine Entschädigungspflicht besteht. Wie es sich damit verhält, braucht aber im vorliegenden Verfahren nicht entschieden zu werden. Könnten diese Eigentümer weder jetzt noch später eine Entschädigung wegen materieller Enteignung verlangen, so wäre daraus nicht zu schliessen, dass nach dem Grundsatz der Rechtsgleichheit auch den Eigentümern, welche - im Unterschied zu ihnen - schon seit 1960 von einem auf Dauer angelegten Bauverbot betroffen sind, ein Anspruch auf eine solche Entschädigung von vornherein abzusprechen sei.
5.
Sodann ist die Annahme der Vorinstanz zu überprüfen, dass die im Verfahren beteiligten Grundeigentümer die Überbauung, die ihnen durch den Baulinienplan von 1960 verwehrt wurde, ohne dieses Verbot sehr wahrscheinlich in naher Zukunft hätten verwirklichen können. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff der nahen Zukunft nicht zu eng ausgelegt werden darf (
BGE 98 Ia 387
).
BGE 103 Ib 210 S. 222
Die Beschwerdeführerin beanstandet jene Auffassung des kantonalen Gerichts aus einem doppelten Grunde: Sie macht geltend, das Land sei nicht genügend erschlossen gewesen, und zudem habe keine Nachfrage für Bauland in der Eymatt bestanden.
a) Im angefochtenen Entscheid wird mit eingehender Begründung dargelegt, dass die Eymatt bereits im Jahre 1960 teilweise erschlossen gewesen sei und im Laufe des folgenden Jahrzehnts unschwer vollständig hätte erschlossen werden können. Demgegenüber bringt die Beschwerdeführerin nichts Triftiges vor. Nichts lässt darauf schliessen, dass die tatbeständlichen Feststellungen, auf denen die Auffassung der Vorinstanz beruht, an einem Mangel im Sinne des
Art. 105 Abs. 2 OG
leiden. Sie werden vielmehr durch das Verhalten der Beschwerdeführerin selbst gestützt. Sie stellte sich in den langwierigen Verhandlungen mit den Grundeigentümern nie auf den Standpunkt, dass eine Entschädigung wegen materieller Enteignung schon deshalb nicht in Frage komme, weil die Eymatt nicht ausreichend erschlossen sei und in naher Zukunft auch nicht genügend erschlossen werden könne. Sie rechnete im Gegenteil damit, dass sie entschädigungspflichtig werde, und sie versuchte, dieser Folge nach Möglichkeit durch planerische Zugeständnisse an die Grundeigentümer auszuweichen. Einen weiteren Anhaltspunkt dafür, dass sie selber der Meinung war, die Grundstücke in der Eymatt hätten Baulandqualität und seien überbaubar, gibt der Umstand, dass sie ein solches zu einem Baulandpreis kaufte, um keine Entschädigung leisten zu müssen. Ihr Einwand, die Vorinstanz hätte die Eymatt schon im Hinblick auf die Erschliessungsverhältnisse nicht als Bauland betrachten dürfen, vermag deshalb nicht durchzudringen.
b) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtes sind bei der Beurteilung der Frage, ob ein von einem Bauverbot betroffenes Grundstück sehr wahrscheinlich in naher Zukunft hätte überbaut werden können, ausser den Erschliessungsverhältnissen auch alle anderen Faktoren, welche die Überbauungschance beeinflussen, zu berücksichtigen. Dazu gehören die Lage und die Beschaffenheit des Grundstücks im allgemeinen, die Bauplanung der Gemeinde und die bauliche Entwicklung in der Umgebung (
BGE 98 Ia 387
). Selbst erschlossenes und nach der bestehenden Rechtsordnung an sich
BGE 103 Ib 210 S. 223
überbaubares Land kann unter Umständen ohne Nachfrage bleiben, wenn die Überbauung in der Gemeinde und deren Umgebung sich in einer anderen Richtung entwickelt; das kann besonders dort geschehen, wo zu grosse Bauzonen ausgeschieden wurden.
Die Beschwerdeführerin behauptet, dass es sich hier so verhalte; sie macht geltend, die Eymatt liege ausserhalb des "organischen Entwicklungsgebietes der Stadt Bern". Diese Darstellung ist jedoch nicht belegt. An die ihr entgegenstehenden tatbeständlichen Feststellungen des kantonalen Gerichts ist das Bundesgericht wiederum gebunden (
Art. 105 Abs. 2 OG
). Die Vorinstanz führt aus, angesichts der Bautätigkeit, die im Verlaufe der Sechzigerjahre in verschiedenen städtischen Randgebieten geherrscht habe, wäre auch die Eymatt umgehend überbaut worden, wenn der Baulinienplan von 1960 dies nicht verhindert hätte. Nach den insbesondere von der Einwohnergemeinde Bern in die Wege geleiteten Überbauungsstudien und bei vernünftiger Würdigung der Geschehnisse nach dem Inkrafttreten des Baulinienplans lasse sich nicht bestreiten, dass die betroffenen Grundstücke auch Bauland im planerischen Sinn darstellten. In der Tat lässt sich aus dem Verhalten der Gemeinde schliessen, sie habe die Eymatt auch in dieser Hinsicht als für eine Überbauung in naher Zukunft geeignet betrachtet; wäre sie anderer Auffassung gewesen, so hätte sie diese bereits bei den ersten Versuchen der vom Baulinienplan betroffenen Grundeigentümer, eine Entschädigung zu erhalten, zum Ausdruck gebracht. Gewiss grenzt die Eymatt nicht unmittelbar an das überbaute Stadtgebiet, doch kann deswegen nicht ohne weiteres angenommen werden, sie wäre im Laufe der Sechzigerjahre mangels Nachfrage nicht überbaut worden. Nach den Umständen ist anzunehmen, dass sie in einer reizvollen Landschaft liegt, wodurch der Nachteil ihrer Entfernung von der eigentlichen Stadt wettgemacht werden konnte. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass auf der gegenüberliegenden Seite des Wohlensees, im Gebiet von Hinterkappelen, in den Sechzigerjahren eine Grossüberbauung realisiert wurde.
c) Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Annahme der Vorinstanz, die in Frage stehenden Grundstücke wären ohne die durch den Baulinienplan von 1960 herbeigeführte Nutzungsbeschränkung sehr wahrscheinlich in naher Zukunft
BGE 103 Ib 210 S. 224
mit Wohnhäusern überbaut worden, nicht zu beanstanden ist. Die Voraussetzungen für Entschädigungsleistungen wegen materieller Enteignung durch den Baulinienplan sind somit erfüllt.
6.
Die Beschwerdeführerin erhebt ferner Einwendungen hinsichtlich der Bemessung der Minderwerts- und Übernahmeentschädigungen.
a) Einmal bemängelt sie die Annahme der Vorinstanz, dass es sehr wahrscheinlich nicht zu einer blossen parzellenweisen Überbauung nach Massgabe der Vorschriften für die Bauklasse Ia gekommen wäre, sondern zu einer planerisch weit sinnvolleren Gesamtüberbauung aufgrund einer Landumlegung und des Erlasses von Sonderbauvorschriften. Das Bundesgericht kann indes die Auffassung des kantonalen Gerichts in diesem Punkte nur beschränkt überprüfen. Die kantonale Behörde vermag besser als das Bundesgericht zu beurteilen, ob es wahrscheinlich sei, dass alle beteiligten Grundeigentümer einer Landumlegung und die Stimmbürger einer Sonderbauordnung zugestimmt hätten. Die Vorinstanz führt aus, dass nach dem Beweisergebnis sämtliche Eigentümer ohne weiteres bereit gewesen wären, an einer Landumlegung mitzuwirken, und dass für verschiedene städtische Randgebiete in den frühen Sechzigerjahren Sonderbauvorschriften erlassen worden sind. Das sind tatbeständliche Feststellungen, an die das Bundesgericht wiederum gebunden ist. Die auf sie gegründete Auffassung der Vorinstanz ist jedenfalls nicht unhaltbar und kann daher vom Bundesgericht nicht beanstandet werden.
b) Sodann wendet die Beschwerdeführerin sich dagegen, dass das kantonale Gericht als massgebenden Zeitpunkt für die Schätzung das Datum des erstinstanzlichen Entscheides betrachtet hat. Sie ist der Meinung, dass auf den Tag des Inkrafttretens des Baulinienplans von 1960 abzustellen gewesen wäre.
Das Bundesgericht hat in seiner die materielle Enteignung betreffenden Rechtsprechung angenommen, grundsätzlich seien für die Bemessung der Entschädigung die Verhältnisse im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung massgebend (
BGE 97 I 812
,
BGE 93 I 142
E. 7); immerhin hat es anerkannt, dass die Wahl eines späteren Zeitpunktes sich rechtfertigen lasse, sofern die betroffenen Grundeigentümer nicht von Anfang an die Möglichkeit zur Geltendmachung
BGE 103 Ib 210 S. 225
ihrer Ansprüche gehabt hätten oder wenn sie vom entschädigungspflichtigen Gemeinwesen entgegen Treu und Glauben von der Einleitung eines Schätzungsverfahrens abgehalten worden seien (
BGE 97 I 816
). Art. 21 Abs. 2 des bernischen Enteignungsgesetzes sieht vor, dass bei der Bemessung der Entschädigung wegen materieller Enteignung "in der Regel" auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Rechtskraft des Eingriffs abzustellen ist; diese Bestimmung lässt also Ausnahmen ebenfalls zu.
Die Vorinstanz legt dar, die im Verfahren beteiligten Grundeigentümer hätten ihre Entschädigungsansprüche bereits anlässlich der Planauflage im Jahre 1959 vorsorglich angemeldet, und nichts deute darauf hin, dass sie nicht kurz nach der Eröffnung des bundesgerichtlichen Urteils vom 1. November 1961 förmlich das Schätzungsverfahren eingeleitet hätten, wenn die Einwohnergemeinde Bern nicht Anstalten getroffen hätte, die Eigentumsbeschränkung rückgängig zu machen und eine planerisch befriedigende Überbauung zuzulassen. Unter diesen Umständen erscheine es als richtig, die Bewertung der vom enteignungsähnlichen Eingriff betroffenen Parzellen - in Anlehnung an die für die formelle Enteignung geltende Regel (Art. 21 Abs. 1 des kantonalen Enteignungsgesetzes) - nach Massgabe der Verhältnisse im Zeitpunkt des Entscheids der Schätzungskommission vorzunehmen.
Diese Auffassung lässt sich jedenfalls vertreten. Sie beruht auf einer Würdigung der Vorgeschichte des Schätzungsverfahrens, die als einwandfrei erscheint; sie entspricht dem Vorbehalt in
BGE 97 I 816
und steht auch nicht im Widerspruch zu Art. 21 des kantonalen Enteignungsgesetzes, der dem Enteignungsrichter einen gewissen Beurteilungsspielraum lässt. Was die Beschwerdeführerin in diesem Punkte vorbringt, schlägt nicht durch.
c) In anderen Beziehungen ist die von der Vorinstanz vorgenommene Berechnung der Minderwert- und Übernahmeentschädigungen nicht bestritten. Auch hinsichtlich der Beurteilung der Frage, welche Übernahmebegehren grundsätzlich begründet seien, wird der Entscheid des kantonalen Gerichtes nicht angefochten.
7.
Die Beschwerdeführerin erachtet die ihr von der Vorinstanz auferlegte Inkonvenienzentschädigung für unbegründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann
BGE 103 Ib 210 S. 226
eine solche Entschädigung gerechtfertigt sein, wenn Aufwendungen für ein Planungsvorhaben infolge einer formellen oder auch materiellen Enteignung nutzlos geworden sind (
BGE 102 Ia 252
E. 7). Die Kosten, um die es sich im vorliegenden Fall handelt, sind den Grundeigentümern aus Projekten erwachsen, die im Einverständnis mit der Einwohnergemeinde Bern und unter Mitwirkung ihrer zuständigen Organe ausgearbeitet worden sind. Sie wären vermieden worden, wenn die Gemeinde von Anfang an daran festgehalten hätte, dass die Eymatt nach dem Baulinienplan von 1960 auf alle Fälle in der Grünzone zu belassen sei. Die Beschwerdeführerin bestreitet dies nicht, und auch gegen die Bemessung der Inkonvenienzentschädigung wendet sie nichts ein. Unter diesen Umständen erscheint die Auffassung des kantonalen Gerichts, dass die Beschwerdeführerin den beteiligten Grundeigentümern die nutzlos gewordenen Aufwendungen in dem von ihm berechneten Umfang zu ersetzen habe, als vertretbar. Das Bundesgericht hat keinen Grund, sie zu beanstanden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
4b36bc55-3ad5-4eda-b638-8ff63cda39e8 | Urteilskopf
141 III 84
13. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Kanton St. Gallen und Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Y. gegen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) des Kantons Schaffhausen (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_927/2014 vom 26. Januar 2015 | Regeste
Art. 120 BGG
und
Art. 444 ZGB
; Bestimmung der interkantonal zuständigen Erwachsenenschutzbehörde.
In Streitigkeiten zwischen Kantonen über die Zuständigkeit für die Führung einer Beistandschaft ist die Klage an das Bundesgericht zulässig, nicht hingegen die Beschwerde (E. 1-4). Parteien dieses Klageverfahrens sind die Kantone (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 85
BGE 141 III 84 S. 85
A., geboren 1996, stand unter der alleinigen elterlichen Sorge seiner Mutter. Er zeigte Verhaltensauffälligkeiten, die ab Juli 1999 abgeklärt wurden. Am 6. September 2006 ordnete die Vormundschaftsbehörde R. (SZ) eine Beistandschaft als Kindesschutzmassnahme an. A. war teils vorübergehend, teils auf Dauer in Heimen oder bei Pflegefamilien untergebracht. Seine Mutter wechselte mehrfach ihren Wohnsitz.
Am 3. August 2011 übernahm die Vormundschaftsbehörde S. (SG) die Beistandschaft für A. Sie entzog dessen Mutter die Obhut und bestätigte dessen Fremdplatzierung. Zu seinem neuen Beistand und zur Pflegefamilie in T., Gemeinde U. (TG), wo er ab September 2011 seine freien Wochenenden und die Ferien verbrachte, konnte A. eine tragfähige und vertrauensvolle Beziehung aufbauen. Auf Anordnung der Vormundschaftsbehörde S. (SG) trat A. im Dezember 2012 in das Jugendheim in V. (SG) ein.
Im Oktober 2013 verlegte die Mutter von A. ihren Wohnsitz von S. (SG) nach W. (SH), wo auch A. angemeldet wurde.
2014 wurde A. volljährig. Auf diesen Zeitpunkt hin schloss die (für die Gemeinde S. [SG] zuständige) Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) X. die Beistandschaft für A. förmlich ab.
Die KESB des Kantons Schaffhausen lud A. im Februar 2014 zu einer Besprechung ein. Sie teilte der KESB Y. im Kanton St. Gallen am 5. März 2014 mit, ihrer Ansicht nach habe A. einen selbstständigen Wohnsitz in V. (SG) begründet. Die KESB Y. bestritt ihre Zuständigkeit, da der Aufenthalt im Jugendheim zu Ausbildungszwecken keinen Wohnsitz in V. (SG) begründe.
Mangels Einigung unterbreitete die KESB des Kantons Schaffhausen die Frage der Zuständigkeit dem Obergericht als kantonaler Beschwerdeinstanz.
Am 26. Mai 2014 erliess die Gemeinde U. (TG) eine Gefährdungsmeldung an die KESB des Kantons Schaffhausen, zumal A. seine Lehre abgebrochen habe, auf sich allein gestellt sei und nur über eine Notunterkunft (keinen Wohnsitz) bei der Familie verfüge, bei
BGE 141 III 84 S. 86
der er platziert gewesen sei. Sie ersuchte dringend um Anordnung einer Beistandschaft. Die KESB des Kantons Schaffhausen leitete das Gesuch an die am Aufenthaltsort zuständige KESB Z. im Kanton Thurgau weiter, die auf eine Erwachsenenschutzmassnahme verzichtete mit der Begründung, die Gemeinde U. (TG) berate und unterstütze A. im Rahmen der freiwilligen Sozialarbeit.
Mit Entscheid vom 21. Oktober 2014 stellte das Obergericht des Kantons Schaffhausen fest, dass die KESB des Kantons Schaffhausen zur Errichtung einer Beistandschaft für A. nicht zuständig sei. Es überwies die Sache zur weiteren Prüfung an die für das im Februar 2014 eingeleitete Verfahren als zuständig erscheinende KESB Y. und teilte den Entscheid zusätzlich der KESB Z. mit.
Der Kanton St. Gallen (Beschwerdeführer) und die KESB Y. (Beschwerdeführerin) beantragen dem Bundesgericht, es sei festzustellen, dass die Beschwerdeführerin für das im Februar 2014 eingeleitete erwachsenenschutzrechtliche Verfahren in Sachen A. nicht zuständig ist, und es sei die für A. per Februar 2014 zuständige Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde zu bestimmen, eventualiter sei die Beschwerde als Klage des Kantons St. Gallen gegen den Kanton Schaffhausen entgegenzunehmen. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde und auf die Klage nicht ein.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Streitigkeiten zwischen Kantonen über die Zuständigkeit ihrer Vormundschaftsbehörden zur Weiterführung einer Beistandschaft hat das Bundesgericht bisher auf Klage hin entschieden (
Art. 120 Abs. 1 lit. b BGG
;
BGE 137 III 593
E. 1.1 S. 594 f.). Es stellt sich die Frage, ob das am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Erwachsenenschutzrecht (
Art. 360 ff. ZGB
; AS 2011 725, 767) daran etwas geändert hat. Sollte es eine Behörde zum Erlass einer Verfügung über die interkantonale Zuständigkeit von Erwachsenenschutzbehörden ermächtigen, dann ist die Klage unzulässig und gegen die Verfügung letztinstanzlich die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig (
Art. 120 Abs. 2 BGG
).
2.
Eine Verfügungskompetenz der gerichtlichen Beschwerdeinstanz in Fragen der interkantonalen Zuständigkeit leiten die Beschwerdeführer aus
Art. 444 ZGB
ab. Streitig ist dessen Auslegung (E. 3), aber auch die Auslegung von
Art. 120 Abs. 2 BGG
(E. 4).
BGE 141 III 84 S. 87
Massgebend für jede Auslegung ist in erster Linie der Wortlaut der fraglichen Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf die Entstehungsgeschichte, auf den Zweck der Norm, auf die ihr zugrunde liegenden Wertungen und auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, den Sinn der Norm zu erkennen. Nach der Rechtsprechung darf die Auslegung vom klaren Wortlaut eines Rechtssatzes nur dann abweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche triftigen Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift und aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben. Entscheidend ist danach nicht der vordergründig klare Wortlaut einer Norm, sondern der wahre Rechtssinn, welcher durch die anerkannten Regeln der Auslegung zu ermitteln ist (
BGE 140 III 289
E. 2.1 S. 292).
3.
Die Auslegung von
Art. 444 ZGB
ergibt Folgendes:
3.1
Mit der Marginalie "Prüfung der Zuständigkeit" bestimmt
Art. 444 ZGB
, dass die Erwachsenenschutzbehörde ihre Zuständigkeit von Amtes wegen prüft (Abs. 1) und die Sache, soweit sie sich nicht für zuständig hält, unverzüglich der Behörde überweist, die sie als zuständig erachtet (Abs. 2). Zweifelt sie an ihrer Zuständigkeit, so pflegt sie einen Meinungsaustausch mit der Behörde, deren Zuständigkeit in Frage kommt (Abs. 3). Kann im Meinungsaustausch keine Einigung erzielt werden, so unterbreitet die zuerst befasste Behörde die Frage ihrer Zuständigkeit der gerichtlichen Beschwerdeinstanz (Abs. 4). Der Wortlaut für sich allein lässt nicht auf eine Kompetenz der gerichtlichen Beschwerdeinstanz schliessen, mit bindender Wirkung über die Zuständigkeit einer anderen Erwachsenenschutzbehörde als derjenigen, die sie angerufen hat, zu entscheiden. Denn die Erwachsenenschutzbehörde prüft "ihre Zuständigkeit" (Abs. 1: "sa compétence"; "la propria competenza") und unterbreitet "die Frage ihrer Zuständigkeit" (Abs. 4: "la question de sa compétence"; "la questione della propria competenza") der gerichtlichen Beschwerdeinstanz. Der Prüfungsgegenstand ändert im Verlaufe des Verfahrens nicht.
BGE 141 III 84 S. 88
3.2
Die Entstehungsgeschichte der Bestimmung belegt freilich, dass nicht restlos klar war, was die Erwachsenenschutzbehörde der gerichtlichen Beschwerdeinstanz unterbreitet.
3.2.1
Der Bericht mit Vorentwurf (VE) für ein Bundesgesetz über das Verfahren vor den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden vom Juni 2003 wollte, dass die gerichtliche Aufsichtsbehörde inner- und auch interkantonale Kompetenzkonflikte entscheidet (Art. 4 VE) und deren Entscheid mit der eidgenössischen Berufung angefochten werden kann (Art. 60 VE). Der nach damaligem Recht bestehende Weg der staatsrechtlichen Klage wurde zur Erledigung von interkantonalen Kompetenzkonflikten zwischen Erwachsenenschutzbehörden als langwierig, kompliziert und schwerfällig und insgesamt als unzweckmässig erachtet (S. 10 des Berichts zu Art. 4 VE). Der Bericht mit Vorentwurf sah eine Ergänzung des Bundesrechtspflegegesetzes (OG; BS 3 531) betreffend Entscheide in Kompetenzstreitigkeiten vor. Danach war zulässiges Bundesrechtsmittel die Berufung und zur Berufung befugt die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, welche ihre Zuständigkeit behauptet oder bestreitet und vor der letzten kantonalen Instanz unterlegen ist (S. 38 f. des Berichts zu Art. 60 VE). Im Vernehmlassungsverfahren wurde die Regelung betreffend inner- und interkantonale Kompetenzkonflikte als teilweise unklar bezeichnet und eine Ergänzung bzw. Überarbeitung angeregt (Zusammenstellung der Vernehmlassungen: Vorentwurf für ein Bundesgesetz über das Verfahren vor den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden, Oktober 2004, S. 29 und S. 130 ff.).
3.2.2
Die Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht) hat auf das Verfahrensgesetz verzichtet, die darin enthaltenen wesentlichen Verfahrensgrundsätze jedoch für den Kindes- und Erwachsenenschutz im Sinn eines bundesrechtlich vereinheitlichten gesamtschweizerischen Standards im Zivilgesetzbuch verankern wollen (BBl 2006 7001, 7022 Ziff. 1.3.10). Wie im Vorentwurf sollten die inner- und interkantonalen Kompetenzkonflikte geregelt werden. Laut Botschaft bindet der Zuständigkeitsentscheid der angerufenen Beschwerdeinstanz grundsätzlich auch die Behörde des anderen Kantons, der unterliegende Kanton ist jedoch berechtigt, gegen diesen Entscheid beim Bundesgericht zivilrechtliche Beschwerde zu führen (BBl 2006 7001, 7076 f. zu Art. 444). Der Entwurf sah in Art. 444 Abs. 4 vor, dass die zuerst befasste Behörde "die Angelegenheit" ("l'affaire"; "la controversia") der gerichtlichen
BGE 141 III 84 S. 89
Beschwerdeinstanz unterbreitet, wenn im Meinungsaustausch keine Einigung erzielt werden kann (BBl 2006 7139, 7163).
3.2.3
Auf Antrag seiner Kommission beschloss der Ständerat den Wortlaut von Art. 444 Abs. 4 des Entwurfs dahin gehend zu ändern, dass die zuerst befasste Behörde "die Frage ihrer Zuständigkeit" ("la question de sa compétence") der gerichtlichen Beschwerdeinstanz unterbreitet. Für die Kommission erläuterte Ständerat Bonhôte die Präzisierung mit den Worten: "l'instance judiciaire de recours doit bien trancher la question de la compétence et non le fond en l'occurence" (AB 2007 S 840). Der Nationalrat stimmte dem Beschluss des Ständerates diskussionslos zu (AB 2008 N 1539). Beweggrund für die Präzisierung des Ständerats war indessen nicht so sehr die Sorge, dass die gerichtliche Beschwerdeinstanz über die Zuständigkeitsfrage hinaus gleich in der Sache entscheidet. Vielmehr ist es offenbar darum gegangen, dass die Beschwerdeinstanz des einen Kantons nur über die Nichtzuständigkeit der Behörde ihres eigenen Kantons verbindlich entscheiden, hingegen nicht einem anderen Kanton die Zuständigkeit vorschreiben kann (so mit Hinweis auf Prot. Komm. SR, 27./28.8.2007, S. 31 f.: HERMANN SCHMID, Erwachsenenschutz, Kommentar zu
Art. 360-456 ZGB
, 2010, N. 3 zu
Art. 444 ZGB
).
3.3
Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass zumindest die Meinungsbildung in der ständerätlichen Kommission für Rechtsfragen und anschliessend in den Räten den heutigen Wortlaut von
Art. 444 Abs. 4 ZGB
als bewusst gewollt bestätigt. Dieser Wortlaut lässt für sich allein nicht auf eine Kompetenz der gerichtlichen Beschwerdeinstanz schliessen, mit bindender Wirkung über die Zuständigkeit einer anderen Erwachsenenschutzbehörde als derjenigen, die sie angerufen hat, zu entscheiden. Für die Regelung interkantonaler Kompetenzkonflikte bietet
Art. 444 Abs. 4 ZGB
von daher gesehen keine eindeutige Gesetzesgrundlage.
3.4
Die Ansichten in der Lehre dazu sind freilich geteilt:
3.4.1
Eine Minderheit nimmt an, dass die Beschwerdeinstanz eines Kantons nur über die Nichtzuständigkeit der Behörde des eigenen Kantons verbindlich entscheiden kann (SCHMID, a.a.O., N. 3, und DANIEL STECK, in: FamKomm, Erwachsenenschutz, Andrea Büchler und andere [Hrsg.], 2013, N. 11, und in: Erwachsenenschutzrecht, Daniel Rosch und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2015, N. 10, je zu
Art. 444 ZGB
).
BGE 141 III 84 S. 90
3.4.2
Nach der Mehrheitsmeinung entscheidet die zuerst angerufene gerichtliche Beschwerdeinstanz auch in Fragen der interkantonalen Zuständigkeit und ist der unterliegende Kanton berechtigt, den Entscheid mit der Beschwerde in Zivilsachen anzufechten. An diesem Grundsatz, der die Logik und Einfachheit für sich hat, ändert auch die ständerätliche Präzisierung des Wortlautes nichts (so FRANÇOIS BOHNET, Autorités et procédure en matière de protection de l'adulte, in: Le nouveau droit de la protection de l'adulte, Olivier Guillod und andere [Hrsg.], 2012, S. 78 N. 121 f., und AUER/MARTI, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 5. Aufl. 2014, N. 28 zu
Art. 444 ZGB
; gl.M. MEIER/LUKIC, Introduction au nouveau droit de la protection de l'adulte, 2011, N. 104 S. 48; PATRICK FASSBIND, Erwachsenenschutz, 2012, S. 107; HÄFELI, Grundriss zum Erwachsenenschutzrecht, 2013, N. 31.12 S. 277 f.; STEINAUER/FOUNTOULAKIS, Droit des personnes physiques et de la protection de l'adulte, 2014, N. 1085b S. 481; je mit Hinweisen, vorab auf die Botschaft).
3.4.3
Vereinzelt wird hervorgehoben, dass dem unterlegenen Kanton die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offensteht, die Klage nach
Art. 120 Abs. 1 lit. b BGG
hingegen nicht mehr zulässig ist (Praxisanleitung Erwachsenenschutzrecht, KOKES [Hrsg.], 2012, Rz. 189 S. 30; gl.M. WURZBURGER, Commentaire de la LTF, 2. Aufl. 2014, N. 10, und SPÜHLER, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 15, je zu
Art. 120 BGG
).
3.5
Das Bundesgericht hat sich mit der Frage noch nicht befasst. Entgegen vereinzelter Lehrmeinungen betrifft
BGE 137 III 593
die Bestimmung der interkantonal zuständigen Vormundschaftsbehörde und damit einen altrechtlichen Fall. Das Bundesgericht hat darauf ausdrücklich hingewiesen und festgehalten, dass im zu beurteilenden Fall die neue Regelung über die Prüfung der Zuständigkeit gemäss
Art. 444 ZGB
nicht anwendbar ist, wonach laut Botschaft interkantonale Zuständigkeitskonflikte nicht mehr auf dem Klageweg dem Bundesgericht, sondern der kantonalen gerichtlichen Beschwerdeinstanz unterbreitet werden sollen, deren Entscheid wiederum mit Beschwerde in Zivilsachen vor Bundesgericht angefochten werden kann (
BGE 137 III 593
E. 1.2 S. 595 mit Hinweis auf die Botschaft, BBl 2006 7001, 7076 f. zu Art. 444). In der blossen Wiedergabe des Botschaftstextes liegt keine Stellungnahme zur vorliegenden Streitfrage. Klar Stellung genommen hat hingegen das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn. Im veröffentlichten Urteil vom 3. Dezember 2013 erklärte es die KESB Glarus für zuständig zur
BGE 141 III 84 S. 91
Fortführung von bereits angeordneten Kindesschutzmassnahmen und verpflichtete die KESB Glarus zur Übernahme der Beistandschaft (SOG 2013 Nr. 4 S. 18 ff.).
4.
Die Subsidiarität der Klage gegenüber der Beschwerde setzt gemäss
Art. 120 Abs. 2 BGG
voraus, dass eine Behörde ermächtigt ist, durch Verfügung zu entscheiden, und dass sich diese Ermächtigung aus einem anderen Bundesgesetz als dem BGG ergibt.
4.1
Aus dem Wortlaut von
Art. 120 BGG
kann geschlossen werden, dass das Bundesgericht die in Abs. 1 genannten Kompetenzkonflikte und Streitigkeiten auf Klage als einzige Instanz beurteilt, ausser der Tatbestand gemäss Abs. 2 ist erfüllt. Dieser Ausschluss der Klage gemäss
Art. 120 Abs. 2 BGG
wurde erst im Ständerat auf Antrag der Kommission für Rechtsfragen diskussionslos in die Vorlage aufgenommen (AB 2003 S 913) und im Nationalrat diskussionslos verabschiedet (AB 2004 N 1615). Die Entstehungsgeschichte liegt insoweit im Dunkeln. Ohne Vorbild war die Regelung indessen nicht. Der Grundsatz der Subsidiarität der Klage galt bereits im Bundesrechtspflegegesetz von 1943 (VON WERDT, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], Seiler/von Werdt/Güngerich[Hrsg.], 2007, N. 18 zu
Art. 120 BGG
). In diesem Sinne beurteilte das Bundesgericht gemäss
Art. 83 lit. b OG
in der ursprünglichen Fassung eine Klage in staatsrechtlichen Streitigkeiten zwischen Kantonen nur, wenn eine Kantonsregierung seinen Entscheid anruft und nicht nach besonderen bundesgesetzlichen Vorschriften der Bundesrat zuständig ist (BS 3 531, 554), d.h. die Befugnis zur Entscheidung nicht durch eine ausdrückliche oder sich aus der Ordnung unmittelbar ergebende Vorschrift eines Bundesgesetzes dem Bundesrat übertragen ist (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, 1950, S. 301 Ziff. III/1). Praxisgemäss war in Streitigkeiten zwischen Vormundschaftsbehörden verschiedener Kantone die staatsrechtliche Klage gemäss
Art. 83 lit. e OG
ausgeschlossen, wenn der Vormundschaftsbehörde ein Beschwerderecht zukam (z.B.
Art. 378 Abs. 2 ZGB
in der Fassung von 1907/12; AS 24 233, 331) und gegen den Beschwerdeentscheid das ordentliche zivilrechtliche Rechtsmittel zur Verfügung stand (
BGE 81 I 43
E. 1 S. 44 ff.;
BGE 131 I 266
E. 2.2 S. 268).
4.2
Im Verhältnis zwischen Bundesbehörden und Kantonen sehen verschiedene Bundesgesetze im Sinne von
Art. 120 Abs. 2 BGG
vor, dass eine Bundesbehörde ermächtigt ist, gegenüber einem Kanton einen Kompetenzkonflikt oder eine Streitigkeit durch eine Verfügung verbindlich zu entscheiden, die der Kanton auf dem
BGE 141 III 84 S. 92
Beschwerdeweg anzufechten berechtigt ist (z.B. Art. 108 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer [DBG; SR 642. 11], betreffend Feststellung des Veranlagungsortes; für weitere Beispiele mit Hinweisen auf die Rechtsprechung: WURZBURGER, a.a.O., N. 16 zu
Art. 120 BGG
). Im Verhältnis zwischen Bundesbehörden und Kantonen ist die Klage insoweit nur einschränkend zuzulassen und der Beschwerdeweg vorzuziehen (
BGE 136 IV 139
E. 2.4 S. 143). Als heikel erscheinen dagegen Verfügungskompetenzen im Verhältnis zwischen den Kantonen. Der Kanton kann gegenüber dem anderen Kanton nicht hoheitlich handeln. Abweichende bundesgesetzliche Regelungen im Sinne von
Art. 120 Abs. 2 BGG
sind im Verhältnis unter den Kantonen wenig sachgerecht und kaum vorstellbar (KIENER, Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, in: Neue Bundesrechtspflege, Pierre Tschannen [Hrsg.], BTJP 2006, 2007, S. 222 f.; MOOR/POLTIER, Droit administratif, Bd. II: Les actes administratifs et leur contrôle, 3. Aufl. 2011, S. 681). Denn in einem Bundesstaat ist es von zentraler Bedeutung, dass die Kantone als souveräne Gliedstaaten ihre Streitigkeiten untereinander direkt vor dem Bundesgericht als neutrale Instanz in einem Verfahren anhängig machen können, welches die Gleichberechtigung der Parteien sicherstellt. Dies entspricht denn auch der ratio legis von
Art. 120 BGG
(Urteil 2E_3/2009 / 2E_4/2009 vom 11. Juli 2011 E. 2.1).
4.3
Mit Blick auf die rechtsstaatlichen Bedenken müssen an die Gesetzesgrundlage im Sinne von
Art. 120 Abs. 2 BGG
hohe Anforderungen gestellt werden, wenn es um das Verhältnis zwischen Kantonen geht. Anwendungsfälle sind selten und betreffen nicht die Einräumung eigentlicher Verfügungskompetenzen an einen Kanton für die Erledigung der in
Art. 120 Abs. 1 BGG
genannten Kompetenzkonflikte und Streitigkeiten mit einem anderen Kanton, sondern Anfechtungsverfahren ohne Vorliegen einer Verfügung. Wie erwähnt (E. 4.1), räumte
Art. 378 ZGB
des Vormundschaftsrechts von 1907/12 der Vormundschaftsbehörde der Heimat im Verhältnis zur Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz ihres Angehörigen in einem anderen Kanton ein Beschwerderecht ein. Ein Beispiel für ein Anfechtungsverfahren findet sich im Bundesgesetz vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz, ZUG; SR 851.1) einlässlich geregelt. Der Wohn- oder der Aufenthaltskanton, der vom Heimatkanton die Rückerstattung von Unterstützungskosten verlangt, zeigt diesem den
BGE 141 III 84 S. 93
Unterstützungsfall an (
Art. 31 Abs. 1 ZUG
). Wenn ein Kanton den Anspruch auf Kostenersatz nicht anerkennt, muss er beim fordernden Kanton Einsprache erheben (
Art. 33 Abs. 1 ZUG
). Anerkennt der fordernde Kanton die Einsprache nicht, so muss er sie unter Angabe der Gründe und ausdrücklicher Anrufung dieses Artikels abweisen (
Art. 34 Abs. 1 ZUG
), und der Abweisungsbeschluss wird rechtskräftig, wenn der einsprechende Kanton nicht bei der zuständigen richterlichen Behörde des Kantons Beschwerde erhebt (
Art. 34 Abs. 2 ZUG
). Das Verfahren kommt somit ohne hoheitliche Verfügung aus, doch hat die Anzeige im Sinne von
Art. 31 Abs. 1 ZUG
insofern rechtsgestaltende Wirkung, als sie den Kanton, an den sie gerichtet ist, rechtskräftig zum Kostenersatz verpflichtet, wenn dieser nicht Einsprache erhebt und einen allfälligen Abweisungsbeschluss nicht mit Beschwerde bei der kantonalen Gerichtsbehörde und zuletzt beim Bundesgericht anficht (
BGE 136 V 351
E. 2 S. 352 ff.).
4.4
Ein vergleichbares Anfechtungsverfahren, geschweige denn die Einräumung einer Verfügungskompetenz in interkantonalen Kompetenzkonflikten, wird mit
Art. 444 ZGB
nicht geschaffen. Wenn die Erwachsenenschutzbehörde ihre Zuständigkeit von Amtes wegen prüft und die Frage ihrer Zuständigkeit der gerichtlichen Beschwerdeinstanz unterbreitet, ist in deren Entscheid vom Gesetzeswortlaut her keine Verfügung über die Zuständigkeit einer anderen Erwachsenenschutzbehörde in einem anderen Kanton zu erblicken. Auch die Überweisung der Sache im Sinne von
Art. 444 Abs. 2 ZGB
an die Erwachsenenschutzbehörde hat keinerlei rechtsgestaltende oder bindende Wirkung und überlässt es der Erwachsenenschutzbehörde, ob sie die Sache an die Hand nehmen oder an eine andere Behörde weiter überweisen will oder ob sie einen Meinungsaustausch mit der anderen Behörde über die Zuständigkeit durchführen und im Fall der Uneinigkeit die Frage ihrer Zuständigkeit der gerichtlichen Beschwerdeinstanz unterbreiten will (BOHNET, a.a.O., S. 77 N. 119; AUER/MARTI, a.a.O., N. 17 zu
Art. 444 ZGB
). Aus den erwähnten rechtsstaatlichen Gründen bedürfte es einer klaren und eindeutigen Gesetzesgrundlage, wenn die gerichtliche Beschwerdeinstanz des einen Kantons die Zuständigkeit einer Erwachsenenschutzbehörde in einem anderen Kanton mit bindender Wirkung soll bestimmen dürfen. Daran fehlt es
Art. 444 Abs. 4 ZGB
.
4.5
Abstriche von den Anforderungen an die Gesetzesgrundlage im Sinne von
Art. 120 Abs. 2 BGG
rechtfertigen die von der Lehre angeführten verfahrensökonomischen Überlegungen nicht, die für die
BGE 141 III 84 S. 94
Beschwerde in Zivilsachen und gegen die Klage in interkantonalen Zuständigkeitsstreitigkeiten sprechen sollen.
4.5.1
Eingewendet wird, die Ermittlung des Sachverhalts im Klageverfahren sei aufwändig und schwerfällig. Weshalb dies so sein sollte, ist nicht recht einzusehen. Das Bundesgericht hat im Fall einer Klage die genau gleichen Möglichkeiten zur Klärung des Sachverhalts, wie sie für eine verfügende Behörde bestehen (vgl. nur
Art. 36 ff. BZP
[SR 273] i.V.m.
Art. 120 Abs. 3 BGG
). Es kommt hinzu, dass in interkantonalen Zuständigkeitskonflikten die Tatsachengrundlage häufig unbestritten ist und über den Beizug der Akten hinaus oftmals keiner weiteren Beweiserhebung bedarf (z.B.
BGE 137 III 593
E. 2 S. 596;
BGE 129 I 419
E. 2.1 S. 421). Zu berücksichtigen ist auch, dass gemäss
Art. 444 Abs. 4 ZGB
bereits eine gerichtliche Beschwerdeinstanz den für die Zuständigkeit massgebenden Sachverhalt abgeklärt hat.
4.5.2
Der Klageweg hat gegenüber dem Beschwerdeweg einen Vorteil, was die Beteiligung Dritter angeht. Ohne Änderung der heute geltenden Rechtsprechung sind Streitverkündung und Nebenintervention im Verfahren der Beschwerde in Zivilsachen vor Bundesgericht nicht zulässig (Urteil 4A_360/2012 vom 3. Dezember 2012 E. 1), im Klageverfahren hingegen ausdrücklich vorgesehen (Art. 15 f. BZP i.V.m.
Art. 120 Abs. 3 BGG
). Ein Interesse an einer Teilnahme könnte der vom Entscheid unmittelbar betroffene A. haben, der an einem Verfahren gemäss
Art. 444 ZGB
nicht beteiligt ist (AUER/MARTI, a.a.O., N. 29 zu
Art. 444 ZGB
; BOHNET, a.a.O., S. 78 f. N. 123). Soweit er ein eigenes rechtliches Interesse glaubhaft zu machen vermag, kann seine Intervention im Klageverfahren zwischen Kantonen gerichtlich zugelassen werden (WURZBURGER, a.a.O., N. 8 zu
Art. 120 BGG
).
4.5.3
Der Klageweg hat gegenüber dem Beschwerdeweg den weiteren Vorteil, dass die Rechtskraft des Urteils auf einen am kantonalen Verfahren gemäss
Art. 444 Abs. 4 ZGB
nicht beteiligten Dritten - hier den Kanton Thurgau - ausgedehnt werden könnte. Immerhin steht aufgrund des Sachverhalts fest, dass A. seit September 2011 eine vertrauensvolle und tragfähige Beziehung zu einer Pflegefamilie unterhält, bei der er sich nach Erreichen der Volljährigkeit weiterhin aufzuhalten gedachte und zu der er nach Abbruch der Lehre auch sofort zurückgekehrt ist. Diese Pflegefamilie wohnt im Kanton Thurgau, so dass ein Wohnsitz von A. daselbst und die
BGE 141 III 84 S. 95
Zuständigkeit der thurgauischen Erwachsenenschutzbehörden nicht ohne weiteres verneint werden können (vgl. STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 5. Aufl. 2014, N. 16 und N. 19i zu
Art. 23 ZGB
). Ein Mehrparteienverfahren, das kantonal nicht bestanden hat, lässt sich auf dem Klageweg einfacher als auf dem Beschwerdeweg bewältigen, sei es, dass der klagende Kanton die Klagen häuft, oder sei es, dass das Gericht zum Streite einen Dritten beilädt, der Partei wird (
Art. 24 Abs. 2 BZP
i.V.m.
Art. 120 Abs. 3 BGG
; VON WERDT, a.a.O., N. 22 zu
Art. 120 BGG
). Ohne Anpassung der Rechtsprechung wäre der Einbezug eines am Verfahren bisher nicht beteiligten Dritten erst vor Bundesgericht im Rahmen einer Beschwerde in Zivilsachen praktisch ausgeschlossen (vgl. Urteile 5A_372/2011 vom 4. Oktober 2011 E. 2.1.2 und 5A_809/2011 vom 15. März 2012 E. 2.3).
4.6
Die zugunsten des Beschwerdewegs angeführten Gründe der Verfahrensökonomie erweisen sich bei näherer Betrachtung als nicht ganz stichhaltig. Gegen den Klageweg wird mitunter auch die Gefahr eines dauerhaften negativen Kompetenzkonfliktes heraufbeschworen, zumal in einem Fall wie dem vorliegenden, wo drei Kantone die Zuständigkeit ihrer Erwachsenenschutzbehörden offenkundig aus finanziellen Gründen ablehnen. Abgesehen davon, dass diese Gefahr ungeachtet des zulässigen Rechtsweges bestehen kann, wird sie zum einen beseitigt werden, sobald ein Kanton Geldleistungen im Rahmen der Sozialhilfe erbringen muss und einem anderen Kanton weiterverrechnen will. Zum anderen besteht wie im bisherigen Vormundschaftsrecht die Pflicht aller Behörden, negative Kompetenzkonflikte möglichst zu vermeiden. Denn die Betreuungslücken, die für den Schutzbefohlenen während der allenfalls langwierigen "Suche" nach der zuständigen Behörde entstehen, müssen als Übel angesehen werden, das dem Schutzzweck des Erwachsenenschutzrechts widerspricht. Das Wohl der beistandsbedürftigen Person fordert vielmehr, dass die Wohnsitzregeln unformalistisch ausgelegt werden (SCHNYDER/MURER, Berner Kommentar, 1984, N. 40 zu
Art. 376 ZGB
).
4.7
Insgesamt ist in
Art. 444 Abs. 4 ZGB
keine bundesgesetzliche Ermächtigung im Sinne von
Art. 120 Abs. 2 BGG
zu erblicken, die es der gerichtlichen Beschwerdeinstanz eines Kantons gestattete, die Zuständigkeit der Erwachsenenschutzbehörde eines anderen Kantons mit bindender Wirkung zu bestimmen, und die dadurch die Klage in Streitigkeiten über die interkantonale Zuständigkeit von
BGE 141 III 84 S. 96
Erwachsenenschutzbehörden unzulässig machte. Den negativen Kompetenzkonflikt zwischen der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin haben die jeweiligen Kantone auf dem Klageweg gemäss
Art. 120 Abs. 1 lit. b BGG
auszutragen. Die Beschwerde erweist sich als unzulässig.
5.
Im Eventualantrag verlangen die Beschwerdeführer, ihre Eingabe als Klage des Kantons St. Gallen gegen den Kanton Schaffhausen entgegenzunehmen.
5.1
Aus nachstehenden Gründen bleibt die Frage offen, ob Klage und Beschwerde in der gleichen Rechtsschrift eingereicht werden dürfen (so KARLEN, Das neue Bundesgerichtsgesetz, 2006, S. 64) oder in separaten Eingaben zu erheben sind (so WURZBURGER, a.a.O., N. 15 a.E., und SPÜHLER, a.a.O., N. 15, je zu
Art. 120 BGG
).
5.2
Parteien des Klageverfahrens sind die Kantone. Deren prozessuale Vertretung obliegt in der Regel der Regierung bzw. dem Regierungsrat als oberster Exekutivbehörde, welche den Kanton von Verfassungs wegen nach aussen vertritt (
Art. 71 Abs. 2 KV/SG
[SR 131.225];
Art. 67 lit. a KV/SH
[SR 131.223];
BGE 136 IV 139
E. 1.3 S. 141; WURZBURGER, a.a.O., N. 8 zu
Art. 120 BGG
). Soweit es zulässig ist, dass eine nachgeordnete Behörde namens des Kantons handelt, hat sie ihre Vertretungsbefugnis explizit darzutun, sei es durch einen entsprechenden speziellen Ermächtigungsbeschluss der Kantonsregierung oder durch Angabe der sie zur Prozessführung namens des Kantons berechtigenden kantonalen Vorschriften (vgl.
BGE 137 V 143
E. 1.1 S. 145). Daran fehlt es hier sowohl auf der Kläger- wie auf der Beklagtenseite. Denn es ist weder ersichtlich noch dargetan, inwiefern der Kläger allein durch den Vorsteher des Departementes des Innern und der Beklagte durch die kantonale KESB rechtsgültig vertreten werden können, ganz abgesehen davon, dass auf der Beklagtenseite der Kanton Schaffhausen in der Klageschrift förmlich nicht einmal als Partei bezeichnet wird. Ein Anspruch auf Ergänzung und Verbesserung dieses Mangels der Klagebegründung besteht nicht (
Art. 1 Abs. 2 BZP
i.V.m.
Art. 42 Abs. 2 und 5 BGG
;
BGE 134 II 244
E. 2.4 S. 247 f.).
5.3
Aus den dargelegten Gründen ist auf die Klage nicht einzutreten. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4b3a01f8-bff6-4793-afaa-417f8ff5871f | Urteilskopf
141 I 60
6. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Bürgergemeinde Trimmis (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
1D_2/2014 vom 11. März 2015 | Regeste
Art. 5 Abs. 3,
Art. 9 und 29 BV
, Art. 14, 15, 15b und 15c BüG; Anforderungen an das Verfahren bei der ordentlichen Einbürgerung.
Tragweite des Grundsatzes der Fairness im Verfahren, des Anspruchs auf rechtliches Gehör, des Prinzips von Treu und Glauben, insbesondere des Rechts des Gesuchstellers auf vorgängige Orientierung sowie der Aktenführungspflicht der Behörden (E. 2-4). Verhältnis von Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflicht (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 60
BGE 141 I 60 S. 60
A.
A. wurde 1962 im Iran geboren. Nach seiner Flucht in die Türkei im Jahre 1987 anerkannte ihn die UNO als Flüchtling. 1989 gelangte er in die Schweiz und lebte seither, mit Ausnahme einiger Monate, die er im Kanton Freiburg verbrachte, in Trimmis/GR. A. ist geschieden und hat eine inzwischen volljährige Tochter. Vom April 1995 bis zum Februar 2001 bezog er Sozialhilfe, und für sein Scheidungsverfahren wurde ihm im Oktober 2010 die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. A. arbeitet als Taxifahrer.
BGE 141 I 60 S. 61
B.
B.a
Am 3. April 2012 ersuchte A. die Bürgergemeinde Trimmis um Einbürgerung. Dieser wurde am 5. Dezember 2012 von den zuständigen Behörden mitgeteilt, dass die formellen Voraussetzungen des Bundes und des Kantons Graubünden erfüllt seien.
B.b
Am 21. Februar 2013 fand ein Einbürgerungsgespräch vor dem Bürgerrat statt. Dieser teilte A. mit, dass sein Gesuch nur geringe Chancen habe, weshalb ihm nahegelegt werde, dieses zurückzuziehen. In der Folge unterzeichnete er das vorbereitete Rückzugsschreiben.
B.c
Am 4. März 2013 teilte A. der Bürgergemeinde über seinen Rechtsvertreter mit, er sei überrumpelt worden und halte am Gesuch fest. Die Bürgergemeinde antwortete am 20. März 2013, sie stelle der Bürgerversammlung einen negativen Antrag, weil die Voraussetzungen für eine Einbürgerung nicht erfüllt seien. A. hielt auch danach an seinem Gesuch fest.
B.d
An der Bürgerversammlung vom 19. April 2013 lehnte die Bürgergemeinde das Einbürgerungsgesuch von A. mit 28 zu 0 Stimmen ab. Dieser Entscheid wurde dem Gesuchsteller am 3. Mai 2013 eröffnet und schriftlich im Wesentlichen damit begründet, dass er keine erkennbaren sozialen Beziehungen in der Gemeinde, zu Vereinen oder anderen lokalen Institutionen pflege; überdies nehme er kaum an öffentlichen Dorf- und Quartierveranstaltungen teil und mangle es ihm an Grundlagenkenntnissen über die politische und gesellschaftliche Ordnung sowie am Wissen über örtliche Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuche. An derselben Bürgerversammlung wurde hingegen die Tochter von A. eingebürgert.
C.
Mit Urteil vom 30. Januar 2014 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden eine dagegen gerichtete Beschwerde ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Bürgergemeinde habe sich bei ihrer Einschätzung, A. sei nicht hinreichend sozial integriert, auf mehrere sachliche Integrationskriterien gestützt und diese korrekt festgestellt und gewürdigt. Aus dem Umstand, dass seine Tochter eingebürgert worden sei, könne der Gesuchsteller nichts zu seinen Gunsten ableiten. Überdies vermittle der Erhebungsbericht vom 21. Februar 2013 den Eindruck, dass bei A. auch das Erfordernis der Vertrautheit mit den kantonalen und kommunalen Lebensgewohnheiten bzw. mit der politischen und gesellschaftlichen Ordnung zu verneinen wäre, was aber offenbleiben könne. Und schliesslich
BGE 141 I 60 S. 62
falle wohl die nicht erfolgte Rückzahlung der Kosten für die unentgeltliche Rechtspflege zu seinen Lasten ins Gewicht, worauf aber ebenfalls nicht weiter einzugehen sei.
D.
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 28. März 2014 an das Bundesgericht beantragt A., das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache an die Bürgergemeinde Trimmis zurückzuweisen zur Erteilung des Bürgerrechts. (...)
E.
Die Bürgergemeinde Trimmis schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden stellt Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
F.
A. hat sich nochmals zur Sache geäussert. Weitere Eingaben gingen beim Bundesgericht nicht mehr ein.
G.
Die I. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat über die Beschwerde an einer öffentlichen Beratung entschieden.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Für die ordentliche Einbürgerung muss der Gesuchsteller die gesetzlichen Wohnsitzerfordernisse erfüllen (vgl. Art. 15 des Bürgerrechtsgesetzes vom 29. September 1952 [BüG; SR 141.0]), die hier nicht strittig sind. Überdies ist gemäss
Art. 14 BüG
vor Erteilung der Bewilligung zu prüfen, ob der Bewerber zur Einbürgerung geeignet ist, insbesondere ob er in die schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist (lit. a), mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist (lit. b), die schweizerische Rechtsordnung beachtet (lit. c) und die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (lit. d). Die Kantone sind in der Ausgestaltung der Einbürgerungsvoraussetzungen insoweit frei, als sie hinsichtlich der Wohnsitzerfordernisse oder der Eignung Konkretisierungen des bundesgesetzlich vorgeschriebenen Rahmens vornehmen können (
BGE 138 I 305
E. 1.4.3 S. 311).
2.2
Gemäss Art. 1 des Bürgerrechtsgesetzes des Kantons Graubünden vom 31. August 2005 (KBüG; BR 130.100) beruht das Kantonsbürgerrecht auf dem Gemeindebürgerrecht. Nach Art. 3 KBüG setzt die Aufnahme in das Bürgerrecht voraus, dass der Gesuchsteller nach Prüfung der persönlichen Verhältnisse als geeignet erscheint (Abs. 1); dies erfordert insbesondere (Abs. 2), dass er in die
BGE 141 I 60 S. 63
kantonale und kommunale Gemeinschaft integriert ist (lit. a), mit den kantonalen und kommunalen Lebensgewohnheiten und Verhältnissen sowie einer Kantonssprache vertraut ist (lit. b), die schweizerische Rechtsordnung beachtet (lit. c), die innere und äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (lit. d) und über eine gesicherte Existenzgrundlage verfügt (lit. e). Die Einbürgerung erfolgt am Wohnsitz (Art. 4 Abs. 1 KBüG). Gemäss Art. 10 Abs. 1 KBüG haben die Bürgergemeinden Vorschriften über die Erteilung, Zusicherung und Verweigerung des Gemeindebürgerrechts zu erlassen, soweit die Gesetzgebungen des Bundes und des Kantons keine Bestimmungen enthalten (Abs. 1), und dabei insbesondere die Zuständigkeiten, das Verfahren und die Gebühren zu regeln (Abs. 2). Über die Erteilung, Zusicherung oder Verweigerung des Gemeindebürgerrechts entscheidet die Bürgergemeindeversammlung durch Mehrheitsbeschluss (Art. 14 Abs. 1 KBüG); die Bürgergemeinde kann diese Kompetenzen dem Vorstand oder einer besonderen Kommission übertragen (Art. 14 Abs. 2 KBüG), was die hier fragliche Gemeinde Trimmis nicht getan hat. Nach Art. 17 der Verordnung vom 13. Dezember 2005 zum Bürgerrechtsgesetz des Kantons Graubünden (KBüV; BR 130. 110) kann die Bürgergemeinde auch die Vornahme der Erhebungen dem Vorstand oder einer besonderen Kommission übertragen (Abs. 1); das zuständige Organ ist verpflichtet, die formellen und materiellen Einbürgerungsvoraussetzungen zu überprüfen; ausländische Gesuchsteller sind persönlich anzuhören (Abs. 2).
3.
3.1
Der Beschwerdeführer rügt, er sei nicht korrekt und ohne die nötigen Informationen zum Einbürgerungsgespräch eingeladen worden. Hauptsächliches Thema des lediglich zehnminütigen Gespräches seien seine finanziellen Verhältnisse gewesen, weil der Bürgerrat fälschlicherweise davon ausgegangen sei, der frühere Bezug von Sozialhilfegeldern rechtfertige die Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs. Ein weiterer Teil der Zeit sei in der Folge für die Unterzeichnung der vorformulierten Rückzugserklärung verwendet worden. Weder seien seine Kenntnisse der lokalen Verhältnisse in genügendem Umfang geprüft worden, noch sei er vorweg darauf hingewiesen worden, dass eine solche Prüfung stattfinde. Im Übrigen habe weder der Bürgerrat noch die Bürgerversammlung noch das Verwaltungsgericht sein Argument, er sei in der Nachbarschaft gut integriert und pflege mit dieser einen genügenden sozialen Kontakt, aufgenommen bzw. im erforderlichen Masse abgeklärt.
BGE 141 I 60 S. 64
3.2
Das angefochtene Urteil enthält nur wenige Ausführungen zum Verfahrensablauf, sondern befasst sich vorwiegend mit der inhaltlichen Prüfung des Einbürgerungsgesuchs des Beschwerdeführers. Dabei ist davon auszugehen, dass die Gemeinde beim Entscheid über eine ordentliche Einbürgerung über ein gewisses Ermessen verfügt. Obwohl diesem Entscheid auch eine politische Komponente innewohnt, ist das Einbürgerungsverfahren jedoch kein rechtsfreier Vorgang, wird doch darin über den rechtlichen Status von Einzelpersonen entschieden. Zu beachten sind daher die einschlägigen Verfahrensbestimmungen, und die Gemeinde darf nicht willkürlich, rechtsungleich oder diskriminierend entscheiden und muss ihr Ermessen insgesamt pflichtgemäss ausüben (vgl.
BGE 140 I 99
E. 3.1 S. 101 f.;
BGE 138 I 305
E. 1.4.3 S. 311).
3.3
In prozessualer Hinsicht hat die Gemeinde namentlich den Grundsatz der Fairness im Verfahren und den Anspruch auf rechtliches Gehör der Gesuchsteller nach
Art. 29 BV
sowie das Prinzip von Treu und Glauben gemäss
Art. 9 und 5 Abs. 3 BV
zu wahren (vgl.
BGE 140 I 99
E. 3.4-3.8 S. 102 ff.). Dazu zählt nebst der Pflicht der Behörden zur Begründung ihrer Entscheide (vgl.
Art. 15b Abs. 1 BüG
) insbesondere das Recht des Gesuchstellers auf vorgängige Orientierung. Die Bewerber sind jedenfalls über diejenigen Verfahrensschritte vorweg zu informieren, die geeignet sind, den Entscheid über die Einbürgerung zu beeinflussen, und auf die sich die Bewerber gezielt vorbereiten können (
BGE 140 I 99
E. 3.5 S. 103 f.). Zum Anspruch auf rechtliches Gehör gehört sodann, dass die Behörde alle erheblichen und rechtzeitigen Vorbringen der Parteien würdigt und die ihr angebotenen Beweise abnimmt, wenn diese zur Abklärung des Sachverhalts tauglich erscheinen. Umgekehrt folgt daraus, dass keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt, wenn eine Behörde auf die Abnahme beantragter Beweismittel verzichtet, weil sie auf Grund der bereits abgenommenen Beweise ihre Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener (antizipierter) Beweiswürdigung annehmen kann, dass ihre Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (vgl.
BGE 136 I 229
E. 5.3 S. 236 f. mit Hinweisen). Die Beachtung der formellen Verfahrensanforderungen ist bei der ordentlichen Einbürgerung gerade deswegen umso bedeutsamer, weil die Gemeinde in inhaltlicher Hinsicht über einen Ermessensspielraum verfügt.
3.4
Nach Art. 5 Abs. 1 KBüV ist in die kantonale und kommunale Gemeinschaft insbesondere integriert, wer soziale Beziehungen am
BGE 141 I 60 S. 65
Arbeitsplatz, in Nachbarschaft, Gemeinde, Quartier, Kirche, Vereinen oder anderen lokalen Institutionen pflegt (lit. a) oder im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben eingegliedert ist und an Dorf- oder Quartierveranstaltungen teilnimmt (lit. b). Mit den kantonalen und kommunalen Lebensgewohnheiten und Verhältnissen ist gemäss Art. 5 Abs. 2 KBüV vertraut, wer Grundkenntnisse über die politische, rechtsstaatliche und gesellschaftliche Ordnung hat (lit. a), sich zu den demokratischen Institutionen bekennt und nach den in der Schweiz geltenden Werten und Grundrechten lebt (lit. b) und über Wissen um die örtlichen Sitten und Gebräuche verfügt und diese respektiert (lit. c). Nach Art. 7 Abs. 3 KBüV müssen in den vergangenen zehn Jahren bezogene öffentliche Unterstützungsleistungen, bevorschusste Krankenkassenprämien und Kosten für die unentgeltliche Rechtspflege zurückbezahlt worden sein.
3.5
Was die Beurteilung der solchermassen definierten Integration betrifft, so ist diese als Prozess gegenseitiger Annäherung zwischen der einheimischen und der ausländischen Bevölkerung zu verstehen. Die zugezogene Person soll am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der hiesigen Gesellschaft teilhaben. Dazu ist es erforderlich, dass sich die Ausländerinnen und Ausländer mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Lebensbedingungen in der Schweiz auseinandersetzen. Erfolgreiche Integration setzt den Willen der Zugewanderten wie auch die Offenheit der schweizerischen Bevölkerung voraus. Ob eine einbürgerungswillige Person genügend integriert ist, beurteilt sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalles, wobei die Gemeinde gerade insofern über einen gewissen Ermessensspielraum verfügt (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1D_2/2013 vom 14. November 2013 E. 2.4 und 2.5). Massgeblich ist dabei immerhin jede Art der aktiven Beteiligung am gesellschaftlichen Leben in der Gemeinde bzw. in der Region. Die soziale Verankerung kann entsprechend nicht nur durch Mitgliedschaft bei örtlichen Vereinen und anderen Organisationen zum Ausdruck kommen, sondern auch durch informelle Freiwilligenarbeit oder aktive Teilnahme an lokalen oder regionalen Veranstaltungen. Im öffentlichen Leben der Gemeinde ist etwa an Institutionen in den Bereichen Politik, Bildung, Sport oder Kultur zu denken, soweit diese den Betroffenen offenstehen. Durch so verstandene Teilhabe bekundet die ausländische Person ihren Willen, auf die Einheimischen zuzugehen und sich mit den sozialen und kulturellen Lebensbedingungen an ihrem Wohnort auseinanderzusetzen (vgl.
BGE 138 I 242
E. 5.3 S. 245 f. sowie das zit. Urteil des Bundesgerichts 1D_2/2013 E. 3).
BGE 141 I 60 S. 66
4.
4.1
Ausgangspunkt für den vorliegenden Fall ist, dass die Vorinstanzen dem Beschwerdeführer in erster Linie die erforderliche Integration in der Gemeinde absprachen. Insbesondere gingen sie von einer mangelnden Teilnahme an lokalen Institutionen und an Dorf- oder Quartierveranstaltungen aus. Der Beschwerdeführer macht allerdings geltend und hat dies schon vor dem Verwaltungsgericht vorgebracht, sehr wohl einen massgeblichen Kontakt zur Nachbarschaft zu pflegen, was aber die Vorinstanzen nicht abgeklärt hätten. Was das verlangte Wissen über die politische und gesellschaftliche Ordnung sowie die örtlichen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuche betreffe, sei er dazu nie unter gehöriger Ankündigung genügend befragt worden.
4.2
Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, es komme auf die individuellen Verhältnisse des Beschwerdeführers an, weshalb er aus der Einbürgerung seiner volljährigen Tochter nichts zu seinen Gunsten ableiten könne. Die Darstellung des Beschwerdeführers ist allerdings insoweit unbestritten geblieben und widerspricht auch nicht den Akten, als er geltend macht, zum Gespräch vor dem Bürgerrat vom 21. Februar 2013 nicht persönlich, sondern lediglich telefonisch über seine Tochter eingeladen worden zu sein. Ebenso wird nicht in Frage gestellt, dass der nähere Inhalt dieser Besprechung nicht erläutert und namentlich nicht angekündigt worden war, es werde bei der Besprechung auch das Wissen des Beschwerdeführers geprüft. Es hat daher als erstellt zu gelten, dass der Beschwerdeführer nur über seine Tochter zum Gespräch und ohne hinreichenden Hinweis auf den Inhalt, insbesondere die vorgesehene Wissensprüfung, eingeladen wurde. Wenn die Gemeinde in ihrer Vernehmlassung ausführt, zum Kennenlernen gehöre auch das Aufzeigen von Kenntnissen, gesteht sie dies im Übrigen zumindest sinngemäss ein. Ebenfalls unbestritten geblieben ist die Behauptung des Beschwerdeführers, die Besprechung mit dem Bürgerrat, die er zusammen mit seiner Tochter führte und in der es auch um deren Einbürgerungsgesuch ging, habe höchstens zehn Minuten gedauert und hauptsächlich den Rückzug seines Antrags zum Thema gehabt. Auch die Vorinstanz hat dazu nichts anderes festgestellt, weshalb sachverhaltlich von diesen Umständen auszugehen ist. Eine wirklich ernsthafte Überprüfung der Integration war bei dieser Sachlage nicht möglich.
4.3
Der Beschwerdeführer wurde weder gehörig zum Einbürgerungsgespräch eingeladen noch über dessen Gegenstand orientiert noch
BGE 141 I 60 S. 67
wurden in seinem Fall die massgeblichen Einbürgerungsvoraussetzungen genügend abgeklärt. Auf eine Prüfung der notwendigen Kenntnisse konnte er sich nicht vorbereiten, und es ist nicht einmal belegt, wie und worüber er allenfalls teilweise befragt worden sein sollte. Der in den Akten liegende Erhebungsbericht, der Protokollauszug zur Bürgergemeindeversammlung vom 19. April 2013 sowie die erstinstanzliche Begründung vom 3. Mai 2013 enthalten dazu lediglich allgemeine pauschale Bemerkungen und keine überprüfbaren detaillierten Angaben. Die Gemeindebehörden haben insofern auch ihre Aktenführungspflicht verletzt (
BGE 130 II 473
E. 4.1 S. 477). Obwohl der Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht, wie dieses selbst im angefochtenen Entscheid festhält, seine Bereitschaft bekundete, eine entsprechende Prüfung abzulegen, ist es bisher nicht in nachvollziehbarer Weise dazu gekommen. Es kann daher auf der Grundlage der vorliegenden Akten nicht davon ausgegangen werden, dem Beschwerdeführer fehle es an den nötigen Kenntnissen.
4.4
Die Gemeindebehörden haben demnach ihre prozessualen Pflichten missachtet, weshalb sich der angefochtene Entscheid bereits aus diesem Grund als bundesrechtswidrig erweist. Es lässt sich dem Beschwerdeführer auch nicht vorwerfen, er habe den prozessualen Mangel nicht rechtzeitig gerügt. Nachdem er der Bürgergemeinde am 4. März 2013 mitgeteilt hatte, er halte am Gesuch fest, antwortete ihm diese bereits am 20. März 2013, sie stelle diesfalls der Gemeindeversammlung einen negativen Antrag, ohne dass ein erneutes Gespräch oder sonstige Beweiserhebungen überhaupt in Erwägung gezogen wurden. Angesichts dieser klaren negativen Haltung der Gemeindebehörden kann vom Beschwerdeführer nicht verlangt werden, er hätte damals noch auf weiteren Verfahrensschritten wie insbesondere einer Wiederholung des Gesprächs mit dem Bürgerrat und zusätzlichen Abklärungen beharren müssen.
5.
5.1
Was sodann die - kumulativ zu den verlangten Kenntnissen - erforderliche Integration in die Dorfgemeinschaft betrifft, so kann als erhärtet gelten, dass der Beschwerdeführer weder am Vereinsleben noch an lokalen Institutionen noch an Dorf- oder Quartierveranstaltungen usw. regelmässig teilnimmt. Die entsprechenden Feststellungen der Vorinstanz erscheinen jedenfalls nicht willkürlich. Fragwürdig ist insofern allerdings das - offenbar einzige - Votum eines Bürgers in der Bürgergemeindeversammlung vom 19. April 2013,
BGE 141 I 60 S. 68
wonach der Beschwerdeführer nach einem Verkehrsunfall der Tochter darauf gedrängt haben soll, die Sache ohne Beizug der Polizei abzuwickeln. Da nicht ersichtlich ist, weshalb dies der Rechtslage widersprochen haben sollte, lässt sich daraus keine fehlende Respektierung der hiesigen Rechtsordnung ableiten. Welche Bedeutung diesem Argument für die Bürgerversammlung zukam, ist allerdings nicht zu erkennen. Jedenfalls berief sich die Vorinstanz nicht darauf. Deren Beweiserhebung erscheint jedoch aus einem anderen Grunde unvollständig. Der Beschwerdeführer machte bereits vor dem Verwaltungsgericht geltend, er pflege einen massgeblichen Kontakt "zu seinen Nachbarn etc.". Nach Art. 5 Abs. 1 lit. a KBüV handelt es sich dabei um ein wesentliches Kriterium, das der Beschwerdeführer durchaus zu seinen Gunsten anrufen kann. Das Verwaltungsgericht ging diesem Argument mit dem Hinweis darauf nicht weiter nach, es wäre Sache des Beschwerdeführers gewesen, solches auch zu belegen.
5.2
In erster Linie gilt im Einbürgerungsverfahren der Untersuchungsgrundsatz. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung haben die Parteien freilich bei der Sachverhaltsermittlung mitzuwirken, soweit sie besser als die Behörden in der Lage sind, bestimmte Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Dazu gehören insbesondere Aktivitäten, die für eine hinreichende soziale Integration sprechen (vgl. das zit. Urteil des Bundesgerichts 1D_2/2013 E. 3.3.3). Bei der Befragung der Nachbar- oder Einwohnerschaft handelt es sich aber, im Unterschied etwa zu dokumentarisch belegbaren Mitgliedschaften in Vereinen oder zu Aktivitäten an Dorffesten (bzw. der "Dorfchilbi", wie das im zit. Urteil 1D_2/2013 E. 3.3.2 und 3.3.3 zur Diskussion stand), nicht um Beweise, für deren Abnahme die Behörden weniger gut in der Lage wären als der Beschwerdeführer. Im Gegenteil erhöhen neutrale Abklärungen durch die Behörden unter Umständen die Glaubwürdigkeit im Vergleich zu vom Einbürgerungswilligen allenfalls selbst eingeholten oder eingereichten Unterlagen. Der Beschwerdeführer ist seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen, indem er auf die angeblichen Kontakte zur Nachbarschaft bzw. sinngemäss zur Wohnbevölkerung hingewiesen hat. Solche Beziehungen sind nur schon deshalb nicht offenkundig unglaubwürdig, weil der Beschwerdeführer als Taxifahrer arbeitet, was in der Regel zwangsläufig einen gewissen Kontakt zur Wohnbevölkerung mit sich bringt. Bei dieser Ausgangslage obliegt es den Behörden, die Behauptung entweder zu glauben oder, wenn sie Zweifel haben,
BGE 141 I 60 S. 69
weitere angemessene Abklärungen zu treffen. Entweder die Bürgergemeinde oder dann spätestens das Verwaltungsgericht hätten sich demnach, unter Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör, in geeigneter Weise bei den Nachbarn oder sonstigen Einwohnern über die Integration des Beschwerdeführers bzw. ihre Beziehungen zu ihm erkundigen können und müssen.
Obwohl sie insoweit auch die Privatsphäre des Gesuchstellers zu beachten haben (vgl.
Art. 15c BüG
), sind entsprechende Abklärungen als solche weitgehend unproblematisch, nachdem sich der Beschwerdeführer selbst darauf beruft. Zwar kann von den Behörden grundsätzlich nicht verlangt werden, allein herauszufinden, wer allenfalls für soziale Kontakte zum Beschwerdeführer in Frage kommt. Insoweit können sie aber vom Beschwerdeführer gestützt auf seine Mitwirkungspflicht entsprechende Auskünfte einholen. Hingegen dürfen sie nicht einfach wie hier untätig bleiben, obwohl der Gesuchsteller sich auf entsprechende soziale Kontakte berufen hatte, und dann im Nachhinein auf dessen Mitwirkungspflicht verweisen. Gerade im vorliegenden Fall kann dem Beschwerdeführer aufgrund der prozessualen Vorgeschichte nicht vorgeworfen werden, er habe es unterlassen, der Gemeinde genügend Beweise zu unterbreiten, nachdem deren Vertreter bereits deutlich zu erkennen gegeben hatten, eine Einbürgerung nicht in Erwägung zu ziehen. Ohne die erforderlichen ergänzenden Abklärungen durch die Behörden erweist sich die Beweiserhebung demnach als ungenügend, weshalb sie nicht in vorweggenommener Beweiswürdigung abgeschlossen werden durfte.
5.3
Schliesslich besteht unter den Verfahrensbeteiligten inzwischen Einigkeit darüber, dass die von 1995 bis 2001 bezogenen Sozialhilfeleistungen einer Einbürgerung des Beschwerdeführers nicht entgegenstehen, da sie weit mehr als zehn Jahre zurückliegen. Hingegen verweist die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid ergänzend auf die bisher nicht erfolgte Rückzahlung der Kosten für die unentgeltliche Rechtspflege im Scheidungsverfahren von 2010. Sie erwägt unter Hinweis auf Art. 3 Abs. 2 lit. e KBüG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 KBüV, dass es deswegen an der Voraussetzung der gesicherten Existenzgrundlage fehlen könnte, geht darauf aber nicht weiter ein, weil sie diesen Ablehnungsgrund als nicht mehr erforderlich erachtet. Unter diesen Umständen kann darauf mangels aufgezeigter Massgeblichkeit auch nicht abgestellt werden. Immerhin rechtfertigt sich der Hinweis darauf, dass aufgrund von
BGE 141 I 60 S. 70
prozessualer Bedürftigkeit bzw. der fehlenden Rückzahlung von Kosten aus der unentgeltlichen Rechtspflege nicht ohne weiteres zwingend auf eine unzureichende Existenzgrundlage zu schliessen ist, wenn die betroffene Person für die üblichen laufenden Lebenshaltungskosten aufzukommen vermag.
5.4
Aufgrund der formellen Natur der festgestellten Verfahrensmängel ist der angefochtene Entscheid unabhängig von dessen inhaltlicher Richtigkeit aufzuheben. Mangels genügender Sachverhaltsabklärung kann dem Antrag des Beschwerdeführers, die Sache an die Gemeinde zurückzuweisen zur Erteilung des Bürgerrechts, jedoch nicht entsprochen werden. Vielmehr hat eine Rückweisung an die Bürgergemeinde zu erfolgen zur Vornahme der erforderlichen ergänzenden Verfahrensschritte und Sachverhaltsabklärung sowie zu neuem Entscheid. | public_law | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4b3a72aa-c4ab-45d1-8378-7c083ed4c0c8 | Urteilskopf
125 III 209
35. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. März 1999 i.S. X. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 161 ZBG und
Art. 271 ZGB
; Verfassungsmässigkeit und EMRK-Konformität des zivilgesetzlichen Bürgerrechtserwerbs durch Heirat und kraft Abstammung.
In Zivilstandssachen ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (E. 2). Die zivilgesetzlichen Bestimmungen über den Bürgerrechtserwerb durch Heirat und kraft Abstammung widersprechen dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter (E. 3 und 4), sind für Verwaltungsbehörden und Gerichte aber gleichwohl massgebend (E. 5). Der Erwerb eines Kantons- und Gemeindebürgerrechts fällt weder in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens noch in denjenigen der Ehefreiheit, so dass das Diskriminierungsverbot der EMRK nicht mit Erfolg angerufen werden kann (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 210
BGE 125 III 209 S. 210
Frau A.X. und Herr B.Y. heirateten am 31. März 1994. Ihr Gesuch, den Namen X. als Familiennamen zu führen, wurde bewilligt (
Art. 30 Abs. 2 ZGB
), und Herr B.Y. erklärte, seinen Namen dem Familiennamen X. voranzustellen (
Art. 177a ZStV
, Zivilstandsverordnung, SR 211.112.1). Durch die Eheschliessung erwarb Frau A.X. das Bürgerrecht der Stadt Winterthur und des Kantons Zürich, ohne ihr Ledigenbürgerrecht der Stadtgemeinde und des Kantons Zug zu verlieren (
Art. 161 ZGB
). Der Ehe entspross am 17. Juni 1995 der Sohn C. Er trägt den Familiennamen X. und erhielt das Bürgerrecht der Stadt Winterthur und des Kantons Zürich (
Art. 270 Abs. 1 und
Art. 271 Abs. 1 ZGB
).
Am 8. Juli 1995 reichten A.X., B.Y.X. und C.X. beim Zivilstandsamt Zug das Gesuch ein, B.Y.X. und C.X. im Familienregister der Stadtgemeinde Zug einzutragen. Sie bezweckten damit, B.Y.X. und C.X. das zugerische Kantons- und Gemeindebürgerrecht zu verschaffen und dadurch die Zugehörigkeit zur Korporation Zug durch Einkauf zufolge Heirat bzw. durch Geburt zu ermöglichen. Das Zivilstandsamt Zug wies das Gesuch ab (Verfügung vom 9. Oktober 1995). Beschwerden bei der Direktion des Innern und beim Verwaltungsgericht (Verwaltungsrechtliche Kammer) des Kantons Zug blieben ohne Erfolg (Entscheid vom 3. Mai 1996 und Urteil vom 19. November 1998).
A.X., B.Y.X. und C.X. haben wegen Verletzung von Bestimmungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) staatsrechtliche Beschwerde erhoben und beantragen dem Bundesgericht, das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 19. November 1998 aufzuheben und das Zivilstandsamt Zug anzuweisen, B.Y.X. und C.X. im Familienregister einzutragen; eventualiter sei B.Y.X. als berechtigt zu erklären, allenfalls auch ohne Erwerb des Gemeindebürgerrechts von Zug sich in die Korporation Zug einkaufen zu können, und C.X. sei auch ohne Erwerb des Gemeindebürgerrechts von Zug als Angehöriger der Korporation Zug zu erklären. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
Das Bundesgericht hat die staatsrechtliche Beschwerde als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegengenommen und diese abgewiesen, soweit es darauf eintrat.
BGE 125 III 209 S. 211
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Anfechtungsobjekt ist die verweigerte Eintragung im Familienregister. Das kantonal letztinstanzliche Urteil in dieser Zivilstandssache unterliegt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (
Art. 43 Abs. 2 ZGB
und
Art. 20 ZStV
;
BGE 97 I 389
E. 1 S. 391). Mit der in der Sache zulässigen Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann auch eine Verletzung von Bundesverfassungsrecht geltend gemacht werden, soweit sie sich auf die Anwendung von Bundesrecht bezieht (
Art. 104 lit. a OG
;
BGE 124 II 132
E. 2a S. 137 mit Hinweisen); die Verwaltungsgerichtsbeschwerde übernimmt insoweit die Funktion der Verfassungsbeschwerde gemäss
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
. Dies gilt auch für die Anrufung von Bestimmungen der EMRK (z.B.
BGE 122 V 47
E. 1 S. 50;
BGE 118 Ib 417
E. 2a S. 423 f.), da ja die Konventionsverletzung verfahrensrechtlich der Verletzung verfassungsmässiger Rechte gleichgestellt ist (
BGE 101 Ia 67
E. 2c S. 69;
BGE 117 Ib 367
E. 2c S. 370/371). Die Eingabe der Beschwerdeführer ist als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen.
3.
Über die Verweigerung von Einträgen im Familienregister hinaus dehnen die Beschwerdeführer den Verfahrensgegenstand auf die Mitgliedschaft in der Korporation Zug aus. Nach ihrer Darstellung ergibt sich die Konventionswidrigkeit der zivilgesetzlichen Bürgerrechtsregelung daraus, dass den Beschwerdeführern 2 und 3 die Zugehörigkeit zur Korporation Zug verschlossen bleibe. Der Staat habe indessen die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Beschwerdeführerin 1 (Mutter) ihr Korporationsbürgerrecht auf den Beschwerdeführer 3 (Sohn) übertragen könne, und es bestehe diesfalls ein Anspruch gegen die Korporation auf Anerkennung der Korporationsbürgerschaft des Beschwerdeführers 3 (Sohn), selbst wenn dieser noch nicht im Familienregister der Bürgergemeinde eingetragen sei, mit welcher die Korporation verbunden sei; der gleichlaufende Anspruch des Beschwerdeführers 2 (Ehemann) ergebe sich aus dem Anspruch auf Nichtdiskriminierung der Beschwerdeführerin 1 (Ehefrau). Vor diesem Hintergrund steht der Eventualantrag, der sich nicht gegen die verfügenden Behörden richtet, sondern die nicht am Verfahren beteiligten Organe der Korporation Zug binden soll.
a) Die Bürgerrechtsgesetzgebung ist zwischen Bund und Kantonen aufgeteilt: Der Bund regelt den Erwerb und Verlust der Bürgerrechte aus familienrechtlichen Gründen (Abstammung, Heirat und
BGE 125 III 209 S. 212
Adoption) sowie den Verlust des Schweizer Bürgerrechts und die Wiedereinbürgerung; bezüglich des Erwerbs des Schweizer Bürgerrechts durch Einbürgerung erteilt er die Einbürgerungsbewilligung und erlässt Mindestvorschriften. Die Kantone regeln die Einbürgerung von Schweizern und deren Entlassung aus dem Kantons- und Gemeindebürgerrecht sowie - im Rahmen der (erwähnten) Mindestvorschriften - die Einbürgerung von Ausländern (vgl.
Art. 44 BV
; statt vieler: HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 14-16 zu
Art. 271 ZGB
).
Der Bundesgesetzgeber hat die Wirkungen von Abstammung, Heirat und Adoption auf das Bürgerrecht in
Art. 1-11 BüG
(Bürgerrechtsgesetz, Bundesgesetz über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts, SR 141.00) sowie in
Art. 271,
Art. 161 und
Art. 267a ZGB
geregelt. Die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches sind allein anwendbar, wenn alle Beteiligten Schweizer sind, und wirken sich infolgedessen nur auf das Kantons- und Gemeindebürgerrecht aus. Sind hingegen ausländische Staatsangehörige beteiligt, richten sich Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts aus familienrechtlichen Gründen nach den Vorschriften des Bürgerrechtsgesetzes (vgl. etwa HEGNAUER, N. 17 zu
Art. 271 ZGB
). Ob einer Person das Gemeindebürgerrecht zusteht, wird durch Eintragung im Familienregister der Gemeinde festgestellt; der Entscheid des Registerhalters unterliegt der Beschwerde bis an das Bundesgericht (Art. 19 f. ZStV). Ist hingegen das Schweizer Bürgerrecht fraglich, so entscheidet die Behörde des Kantons, um dessen Bürgerrecht es geht; der Entscheid unterliegt der Beschwerde bis an das Bundesgericht (
Art. 49 ff. BüG
; HEGNAUER, N. 21 und N. 26 f. zu
Art. 271 ZGB
; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, Bd. I, Bern 1988, N. 43 f. zu
Art. 161 ZGB
).
Der Kanton Zug regelt die Einbürgerung der Ausländer (im Rahmen der bundesrechtlichen Mindestvorschriften), der kantonsfremden Schweizer Bürger und der Kantonsbürger mit ortsfremdem Gemeindebürgerrecht im Gesetz betreffend Erwerb und Verlust des Gemeinde- und des Kantonsbürgerrechts vom 3. September 1992 (BGS 121.3). Voraussetzungen für den Erwerb (§§ 5 ff.) sind Eignung, Wohnsitz und - je nach Gemeinde - Bezahlung einer Einbürgerungstaxe. Zuständig für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts sind die Bürgergemeinden, die das kantonale Recht neben den Einwohner-, Kirch- und Korporationsgemeinden kennt (§ 1 und § 120 Abs. 1 des kantonalen Gemeindegesetzes; Gesetz über die Organisation und die Verwaltung der Gemeinden vom 4. September
BGE 125 III 209 S. 213
1980, BGS 171.1). Die Korporationsgemeinden verleihen also kein Gemeindebürgerrecht, setzen dieses allerdings oftmals für die Aufnahme in das Korporationsbürgerrecht voraus (z.B. Zug, nicht hingegen Blickenstorf); die Zugehörigkeit zu einer der zehn Korporationen ist nicht einheitlich geregelt und bestimmt sich nach der jeweiligen Satzung (§ 136 Abs. 2 des Gemeindegesetzes; FRIGO, Die Bürger- und Korporationsgemeinden im Kanton Zug, Diss. Zürich 1971, S. 31 ff.; vgl. SCHWEIZER, Bürgerrecht und Korporationen, ZZW 57/1989 S. 337 ff.). Genossen der Korporation Zug sind Bürgerinnen und Bürger der Stadtgemeinde Zug, die den Familiennamen eines der 36 Zuger Korporationsgenossen-Geschlechter tragen; der Entscheid über die Zugehörigkeit zur Korporation unterliegt auf Bundesebene der staatsrechtlichen Beschwerde (z.B.
BGE 29 I 397
Nr. 85;
BGE 117 Ia 107
Nr. 19).
b) Aus den unterschiedlichen Gesetzgebungszuständigkeiten folgt erstens, dass das kantonale Recht das übergeordnete Bundesrecht zu beachten bzw. sich diesem anzupassen hat und nicht umgekehrt. Bürgergemeinden und Korporationen sind einzelnen Kantonen völlig fremd und in den kantonalen oder gar kommunalen Erlassen verschieden ausgestaltet (SCHWEIZER, a.a.O., S. 338 f.; E. GRISEL, in: Kommentar zur Bundesverfassung, Stand Juni 1988, N. 55 zu
Art. 43 BV
). Das Bundesrecht lässt eine erhebliche Vielfalt öffentlich-rechtlicher Körperschaften zu, die ihren Angehörigen Sonderrechte und -pflichten einräumen. In der Ausgestaltung ihrer Satzungen sind die Korporationen an sich frei, haben aber gewisse verfassungsrechtliche Schranken zu beachten (SCHWEIZER, a.a.O., S. 340 f.; z.B.
Art. 4 BV
:
BGE 117 Ia 107
E. 6 und 7 S. 114 ff.) und wohl auch den grundsätzlichen Wertentscheidungen und den Leitvorstellungen des Bürgerrechtsgesetzgebers Rechnung zu tragen (SCHWEIZER, a.a.O., S. 342 ff.); machen sie ihre Mitgliedschaft ausdrücklich vom Bürgerrecht einer Gemeinde abhängig, so binden sie sich (freiwillig) an die entsprechenden Vorschriften über das Bürgerrecht (HEGNAUER, N. 18 zu
Art. 271 ZGB
). Sollte daher die Auffassung der Beschwerdeführer zutreffen, dass die Korporation Zug als Familie zu begreifen und das Zusammenleben der über 4'000 Korporationsbürger von
Art. 8 EMRK
geschützt ist, so hätte die Korporation Zug ihnen die Teilnahme an diesem Familienleben zu ermöglichen und seine Satzungen der EMRK anzupassen, aber sicher nicht der Bundesgesetzgeber seine Bürgerrechtsregelung derart auszugestalten, dass die Mitgliedschaft in einer kommunalen Partikularität möglich wird. Die behauptete Konventionswidrigkeit der Bundesgesetzgebung über das Bürgerrecht
BGE 125 III 209 S. 214
lässt sich mit anderen Worten nicht mit einem Anspruch auf Zugehörigkeit zu einer kommunalen Korporation begründen. Dieser mag die Beschwerdeführer zur Ergreifung von Rechtsmitteln legitimieren, Prüfungsgegenstand des vorliegenden Verfahrens kann aber nur sein, ob die bundesgesetzliche Bürgerrechtsregelung als solche übergeordnetem Recht widerspricht.
c) Aus den unterschiedlichen Gesetzgebungszuständigkeiten folgt zweitens, dass auf den Eventualantrag der Beschwerdeführer nicht eingetreten werden kann. Der Zivilstandsbeamte hat die Eintragung in das Familienregister der Stadtgemeinde Zug verweigert, weil kein bundesrechtlicher Bürgerrechtserwerb erfolgt sei, und damit lediglich festgestellt, dass die Beschwerdeführer 2 und 3 auf Grund bundesrechtlicher Bestimmungen nicht Bürger der Stadtgemeinde Zug sind. Über die Aufnahme in die Korporation Zug hat er nicht entschieden, und hatte er - mangels Zuständigkeit - auch nicht zu entscheiden; dies ist Aufgabe der Verwaltung der Korporation Zug, deren Beschluss unter Berufung auf übergeordnetes Gesetzes-, Verfassungs- oder Staatsvertragsrecht selbstständig angefochten werden kann (
BGE 117 Ia 107
E. 2 S. 110 mit Hinweisen).
4.
Eine Wirkung der Ehe besteht darin, dass die Ehefrau das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Ehemannes erhält, ohne das Kantons- und Gemeindebürgerrecht zu verlieren, das sie als ledig hatte (
Art. 161 ZGB
). Was den Erwerb des Kantons- und Gemeindebürgerrechts als Wirkung des Kindesverhältnisses angeht, unterscheidet
Art. 271 ZGB
danach, ob die Eltern miteinander verheiratet sind: Trifft dies zu, so erhält das Kind das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Vaters (Abs. 1), andernfalls dasjenige der Mutter (Abs. 2), ausser es erwerbe durch Namensänderung den Familiennamen des Vaters, weil es unter seiner elterlichen Gewalt aufwächst (Abs. 3).
a) Der Bürgerrechtserwerb durch Heirat bzw. kraft Abstammung war bereits im Zivilgesetzbuch von 1907/12 im Wesentlichen gleich geregelt und beinhaltet den Grundsatz der Einheit des Bürgerrechts in der Familie (EGGER, Zürcher Kommentar, N. 1 zu aArt. 161 ZGB; HEGNAUER, N. 7 f. zu aArt. 270 ZGB), dessen Rechtfertigung sowohl im Interesse der Familie als auch in deren Rolle im Staat als Zelle der sozialen Ordnung zu sehen ist (
BGE 69 I 141
E. 3 S. 142 mit Hinweisen). An diesem Prinzip haben die Revisionen des Kindesrechts von 1976/78 und des Eherechts von 1984/88 nichts geändert. Bundesrat und Parlament waren sich bewusst, dass das Familienbürgerrecht mit der Forderung nach Gleichbehandlung der Ehegatten
BGE 125 III 209 S. 215
nicht voll vereinbar ist (BBl 1974 II 1, S. 49 f. Ziffer 321.11, und BBl 1979 II 1191, S. 1245 ff. Ziffer 212.3) und dass durch das Festhalten an dieser Bürgerrechtseinheit wieder eine Differenz zwischen Mann und Frau geschaffen wurde, und zwar trotz des Zusatzes, wonach die Frau ihr Ledigenbürgerrecht nicht verliert (vgl. z.B. die Voten von StR Hänsenberger, Amtl.Bull. 1981 S. 72 und 1984 S. 128 sowie von NR Gerwig und NR Günter, Amtl.Bull. 1983 S. 641 f.). Die grundsätzliche Bestätigung des Konzepts eines einheitlichen Bürgerrechts für die Familie kann damit begründet werden, dass nicht nur die Interessen zweier gleichgestellter Ehepartner zu berücksichtigen waren, sondern auch jene der aus der Ehe hervorgegangenen Kinder (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 14 der Vorbem. vor
Art. 159 ff. ZGB
). Die fehlende Rechtsgleichheit hat aber auch zur Kritik Anlass gegeben (HEGNAUER, N. 98 f. zu
Art. 271 ZGB
; HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 3.A. Bern 1993, S. 143 N. 14.31). Ihren heutigen Wortlaut haben
Art. 161 und
Art. 271 ZGB
mit der Revision des Bürgerrechtsgesetzes von 1990/92 erhalten.
b) Im Unterschied zur Regelung des Bürgerrechtserwerbs im Zivilgesetzbuch hat der Gesetzgeber in den Revisionen des Bürgerrechtsgesetzes von 1984/85 und 1990/92 eine weitgehende Gleichstellung von Mutter und Vater bei der Vermittlung des Schweizer Bürgerrechts an die Kinder (
Art. 1 Abs. 1 lit. a und
Art. 4 Abs. 1 BüG
) und die Gleichstellung von Frau und Mann in Bezug auf die bürgerrechtlichen Wirkungen der Ehe (vgl.
Art. 26 ff. BüG
) erreicht. Der bisher geltende Grundsatz der Einheit des Bürgerrechts in der Familie ist eingeschränkt, aber nicht völlig preisgegeben worden. Er zeigt sich noch darin, dass der Gesetzgeber nicht jeglichen Einfluss der Heirat auf die Staatsangehörigkeit beseitigt hat, sondern dem ausländischen Ehegatten einen Anspruch auf erleichterte Einbürgerung gewährt (SCHÄRER, Die neue Revision des Bürgerrechtsgesetzes, ZZW 58/1990 S. 197 ff., S. 198 und S. 200). Weitere Annäherungen an das traditionelle Prinzip des Familienbürgerrechts finden sich in den Bestimmungen über den Erwerb des Kantons- und Gemeindebürgerrechts des Kindes und des ausländischen Ehegatten (z.B. Art. 4 Abs. 2 bis 4 BüG; JÄGER, Die Teilrevision vom 23. März 1990 des BüG, ZZW 60/1992 S. 2 ff., S. 5 f.).
c) Vorab die Entstehungsgeschichte macht deutlich, dass der klare und unzweideutige Wortlaut von
Art. 161 und
Art. 271 ZGB
den wahren Sinn dieser Bürgerrechtsbestimmungen wiedergibt. Der Gesetzgeber ist sich darüber im Klaren gewesen, dass das von ihm geschaffene Recht die Gleichstellung von Frau und Mann nur teilweise
BGE 125 III 209 S. 216
verwirklicht und dass er den Verfassungsgrundsatz dem Prinzip der Einheit des Bürgerrechts in der Familie teilweise unterordnet. Der Vergleich mit den Bestimmungen des Bürgerrechtsgesetzes zeigt, dass selbst dort die Idee eines einheitlichen Familienbürgerrechts nicht völlig verschwunden ist. Eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes verbietet sich unter diesen Umständen (
BGE 124 III 266
E. 4 S. 268 mit Hinweisen); ausser Betracht fallen damit auch eine verfassungs- und konventionskonforme Auslegung (
BGE 123 II 9
E. 2 S. 11 mit Hinweis).
5.
Die Bürgerrechtsregelung in
Art. 161 und
Art. 271 ZGB
ist für das Bundesgericht massgebend (
Art. 113 Abs. 3 und
Art. 114bis Abs. 3 BV
; vgl.
BGE 123 V 310
E. 6b/bb S. 322 mit Hinweisen, betreffend Anwendungsgebot, nicht aber Prüfungsverbot). Dass sie dem Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter widerspricht, zeigt die Entstehungsgeschichte (E. 4 hiervor) und ist vom Bundesgericht bereits früher festgestellt worden (
BGE 116 II 657
E. 5 S. 665). Die durch
Art. 161 ZGB
bewirkte Ungleichheit findet sich zudem im Bericht des Bundesrates über das Rechtsetzungsprogramm «Gleiche Rechte für Mann und Frau» erwähnt (BBl 1986 I 1144, S. 1173 Ziffer 4.6.1).
6.
Die Beschwerdeführer rügen mehrfache Diskriminierungen durch die Bürgerrechtsbestimmungen des Zivilgesetzbuches: Diskriminiert werde die Beschwerdeführerin 1 als mit einem Schweizer Bürger verheiratete Schweizer Bürgerin gegenüber einer mit einem Ausländer verheirateten und gegenüber einer nicht verheirateten Schweizer Bürgerin, weil diese ihr Kantons- und Gemeindebürgerrecht an ihre Kinder weitergeben könnten, diskriminiert werde der Beschwerdeführer 2 als mit einer Schweizer Bürgerin verheirateter Schweizer Bürger, weil er im Unterschied zu jener durch die Eheschliessung kein weiteres Kantons- und Gemeindebürgerrecht erhalte, und diskriminiert werde der Beschwerdeführer 3 als Sohn einer mit einem Schweizer Bürger verheirateten Schweizer Bürgerin, weil er im Gegensatz zum (unmündigen) Kind einer mit einem Ausländer verheirateten wie auch einer nicht verheirateten Schweizer Bürgerin das Kantons- und Gemeindebürgerrecht seiner Mutter nicht erhalte.
a) Die Geltung des in
Art. 14 EMRK
enthaltenen Diskriminierungsverbots setzt die Anwendbarkeit einer andern Grundrechtsvorschrift der EMRK voraus (VILLIGER, Handbuch der EMRK, Zürich 1993, § 32 N. 631 f. S. 377 f. mit Hinweis auf die Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte), mag vereinzelt auch
BGE 125 III 209 S. 217
ein selbstständiges Diskriminierungsverbot und damit eine von andern Konventionsrechten und -freiheiten losgelöste Bedeutung von
Art. 14 EMRK
befürwortet werden (LAMBERT, Vers une évolution de l'interprétation de l'article 14 de la Convention européenne des droits de l'homme?, in: Revue trimestrielle des droits de l'homme 9/1998 S. 497 ff.).
b)
Art. 8 EMRK
schützt ein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens vor Eingriffen durch staatliche Behörden. Dass dieser Anspruch einen Einfluss auf das Kantons- und Gemeindebürgerrecht ausübe, nachdem diesen Rechten heute weder für die Niederlassung noch für die Sozialhilfe Bedeutung zukomme, hat das Bundesgericht verneint (
BGE 116 II 657
E. 5 S. 665). Diese Beurteilung steht in Übereinstimmung mit der Praxis der EMRK-Organe, wonach ein Anspruch auf Einbürgerung ausserhalb des Rechts auf Achtung des Privatlebens liegt und von
Art. 8 EMRK
nicht gewährleistet wird, unter Vorbehalt jener Fälle, wo das Privatleben und vor allem die Familieneinheit eine andere Interessenabwägung gebieten (statt vieler: WILDHABER/BREITENMOSER, in: Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Stand April 1992, N. 136 und N. 138 zu
Art. 8 EMRK
). Für eine abweichende Interessenabwägung bringen die Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe vor, und solche sind mit Bezug auf den fraglichen Erwerb des Bürgerrechts in einem Kanton und einer Gemeinde - nicht etwa in der Schweiz - auch nicht ersichtlich. Das Zusammenleben der Beschwerdeführer als Familie und der Anspruch der Beschwerdeführer 2 und 3 auf Identität werden durch den Entscheid des Familienregisterhalters nicht beeinträchtigt. Wie einleitend dargelegt (E. 3 hiervor), geht es den Beschwerdeführern letztlich nicht um den Erwerb des Bürgerrechts der Stadtgemeinde und des Kantons Zug, über die hier in Anwendung von Bundesrecht einzig zu entscheiden ist, sondern um den Erwerb der Mitgliedschaft der Korporation Zug, was nicht dasselbe ist und worüber die zuständigen Korporationsorgane in Anwendung ihrer autonomen Satzung (noch) nicht entschieden haben; lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass das Bürgerrecht der Stadtgemeinde Zug als Voraussetzung für die Aufnahme in die Korporation Zug offenkundig nicht aus familienrechtlichen Gründen erworben sein muss und vielmehr ein Erwerb durch ordentliche Einbürgerung ausreicht.
c) Was den Art. 5 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK (SR 0.101.07) angeht, der im Privatrecht den Ehegatten untereinander und in den Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten zusichert,
BGE 125 III 209 S. 218
ist diese Bestimmung gemäss Art. 7 des Protokolls ein Zusatzartikel der Konvention und kann infolgedessen
Art. 8 EMRK
weder ersetzen noch dessen Tragweite einschränken (Burghartz c. CH, in: PCourEDH série A No. 280-B, § 23 S. 28 mit Hinweis). Insoweit kann den Beschwerdeführern zugestimmt werden.
d) Im Umstand, dass die Beschwerdeführerin 1 durch den Eheschluss das Bürgerrecht des Beschwerdeführers 2 erwerben konnte, dieser aber nicht ihr Bürgerrecht, erblicken die Beschwerdeführer eine Diskriminierung und rügen die Verletzung von Art. 12 i.V.m.
Art. 14 EMRK
. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Geltung des Diskriminierungsverbots die Anwendbarkeit einer Grundrechtsvorschrift der EMRK voraussetzt (E. 6a hiervor). Ein Zusammenhang zwischen dem Bürgerrecht und
Art. 12 EMRK
, welcher das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, schützt, ist aber sowenig zu sehen als ein solcher zwischen
Art. 12 EMRK
und der Behandlung von Ehegatten im Steuerrecht (Urteil des Bundesgerichts vom 10. März 1989, E. 4b, in: ASA 59-1990/91 S. 485 ff. und auszugsweise in: SJIR 1990 S. 263 f. Ziffer 12.1). Die Beschwerdeführer machen auch nicht geltend, dass die Garantie des Rechts, zu heiraten und eine Familie zu gründen, durch die behauptete Diskriminierung ausgehöhlt würde. Die Rüge erweist sich als unbegründet.
e) Zusammenfassend fällt die Bürgerrechtsregelung des Zivilgesetzbuches nicht in den Schutzbereich des Konventionsrechts. Ob und wie dieses jene überhaupt zu «korrigieren» vermöchte, kann bei diesem Ergebnis offen bleiben. In einem kürzlich ergangenen Entscheid wird zwar der Primat des Völkerrechts hervorgehoben und von der bisherigen Praxis, die eine Überprüfung des hier später erlassenen Landesrechts auf seine Konformität mit dem früher eingegangenen Staatsvertrag ausgeschlossen hätte, offenbar abgerückt, doch hat der Entscheid eine in den Geltungsbereich des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) fallende Angelegenheit betroffen, dessen Art. 1 Abs. 1 internationale Vereinbarungen gegenüber Gesetzesrecht ohnehin ausdrücklich vorbehält (
BGE 122 II 485
Nr. 59). Insofern blosses «obiter dictum», ist die Erwähnung des Völkerrechtsvorrangs dennoch nicht völlig bedeutungslos, sondern zeigt an, wie das Bundesgericht den Konflikt zwischen Bundesgesetz und Völkerrecht dereinst zu lösen gewillt sein könnte, wenn er denn einmal einträte (vgl. MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 538 zu
Art. 1 ZGB
). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4b3a89c9-71b9-4cb0-ba5c-8fce8c834c55 | Urteilskopf
119 Ib 417
43. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. November 1993 i.S. R. c. Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Aufenthaltsbewilligung, Scheinehe (
Art. 7 ANAG
).
Der Anspruch auf Bewilligung des Aufenthalts des ausländischen Ehegatten eines Schweizer Bürgers ist nicht davon abhängig, ob die Ehe noch gelebt wird und intakt ist; massgebend ist der formelle Bestand der Ehe (E. 2). Der Anspruch entfällt bei Scheinehe zur Umgehung der ausländerrechtlichen Vorschriften; Beweisanforderungen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 417
BGE 119 Ib 417 S. 417
Der pakistanische Staatsangehörige R. reiste am 26. April 1990 in die Schweiz ein und stellte am folgenden Tag ein Asylgesuch. Am 6. August 1990 heiratete er die Schweizerin B.; das Asylgesuch zog er in der Folge zurück. Am 20. Dezember 1990 wurde ihm von der
BGE 119 Ib 417 S. 418
Fremdenpolizei des Kantons Basel-Stadt eine bis zum 6. August 1991 befristete Aufenthaltsbewilligung ausgestellt.
Mit Verfügung vom 4. April 1991 widerrief die kantonale Fremdenpolizei die Aufenthaltsbewilligung, mit der Begründung, eine Grundlage für deren Erteilung habe nie bestanden; der erforderliche Aufenthaltszweck sei durch die formelle Eheschliessung mit einer Schweizerin lediglich vorgetäuscht worden. Rekurse an das Polizei- und Militärdepartement sowie an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt blieben erfolglos.
Die von R. erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a)
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
schliesst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus gegen die Erteilung oder Verweigerung von fremdenpolizeilichen Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Die dem vorliegenden Verfahren zugrundeliegende Verfügung der kantonalen Fremdenpolizei vom 4. April 1991 hat nicht die Erteilung bzw. die Verweigerung einer solchen Bewilligung zum Gegenstand, sondern deren Widerruf. Solche Verfügungen fallen nicht unter die erwähnte Ausnahmebestimmung und können in jedem Fall mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (
Art. 101 lit. d OG
; vgl.
BGE 98 Ib 85
E. 1a S. 88). Indessen ist zu beachten, dass die dem Beschwerdeführer erteilte Aufenthaltsbewilligung auf den 6. August 1991 befristet war. Die Frage, ob sie widerrufen werden durfte, war daher schon im kantonalen Rechtsmittelverfahren gegenstandslos, nachdem diese Frist inzwischen abgelaufen war. Es konnte sich nur noch die Frage stellen, ob die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern sei. In diesem Sinne lautet denn auch der Antrag des Beschwerdeführers. Es ist damit als Eintretensvoraussetzung zu prüfen, ob ein Anspruch auf Bewilligung besteht.
b) Gemäss
Art. 4 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG, SR 142.20)
entscheidet die zuständige Behörde, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt und Niederlassung. Der Ausländer hat damit grundsätzlich keinen Anspruch auf Erteilung (bzw. Verlängerung) einer Aufenthaltsbewilligung, und die
BGE 119 Ib 417 S. 419
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist ausgeschlossen, soweit er sich nicht auf eine Norm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags berufen kann, die ihm einen Anspruch auf eine solche Bewilligung einräumt.
c) Nach
Art. 7 Abs. 1 ANAG
in der Fassung vom 23. März 1990 hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung; der Anspruch erlischt, wenn ein Ausweisungsgrund vorliegt. Wie das Bundesgericht in
BGE 118 Ib 145
E. 3 dargelegt hat, ist in diesem Zusammenhang einzig darauf abzustellen, ob formell eine eheliche Beziehung besteht; ob die Ehe tatsächlich gelebt wird und intakt ist, ist dagegen nicht massgebend. Es scheint freilich, dass sich das Bundesgericht vorbehalten wollte, anders zu entscheiden, wenn die Ehegatten überhaupt nie zusammengelebt haben (
BGE 118 Ib 145
E. 3d S. 151). Die dem Entscheid zugrundeliegende ratio spricht aber zwingend dafür, dass es allein auf den Bestand des formellen Ehebandes ankommen kann. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, den Bewilligungsanspruch vom ehelichen Zusammenleben abhängig zu machen, damit der ausländische Ehegatte nicht der Willkür des schweizerischen ausgeliefert sei. Soll dies sichergestellt werden, darf der Anspruch nicht entgegen dem Wortlaut von
Art. 7 Abs. 1 ANAG
noch von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden.
d) Im vorliegenden Fall lebt der Beschwerdeführer zwar getrennt von seiner Ehefrau, die gegen ihn die Scheidungsklage eingeleitet hat. Die Scheidung ist aber noch nicht ausgesprochen worden. Der Beschwerdeführer hat daher grundsätzlich Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten. Die Frage, ob die Bewilligung zu verweigern sei, weil einer der in
Art. 7 ANAG
vorgesehenen Ausnahmetatbestände oder allenfalls ein Verstoss gegen das Rechtsmissbrauchsverbot gegeben ist, betrifft nicht das Eintreten, sondern bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung (
BGE 118 Ib 145
E. 3d S. 151).
4.
a) Nach
Art. 7 Abs. 2 ANAG
hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers dann keinen Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern und namentlich jene über die Begrenzung der Zahl der Ausländer zu umgehen.
Diese Bestimmung ist dem früheren
Art. 120 Ziff. 4 ZGB
betreffend die sogenannte Bürgerrechtsehe nachgebildet. Danach war eine
BGE 119 Ib 417 S. 420
Ehe dann nichtig, wenn die Ehefrau nicht eine Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Vorschriften über die Einbürgerung umgehen wollte. Mit der am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Revision des Bundesgesetzes vom 23. März 1990 über den Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (SR 141.0) wurde Art. 3 dieses Gesetzes, wonach die Ausländerin durch Heirat mit einem Schweizer automatisch das Schweizer Bürgerrecht erwarb, aufgehoben (AS 1991, 1034). Damit verlor der Tatbestand der Bürgerrechtsehe seine Grundlage, weshalb
Art. 120 Ziff. 4 ZGB
ebenfalls gestrichen wurde (AS 1991, 1042). Dem ausländischen Ehegatten eines Schweizer Bürgers wurde aber, wie bereits erwähnt, im revidierten
Art. 7 Abs. 1 ANAG
ein Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung eingeräumt, der übrigens nicht nur der ausländischen Ehefrau eines Schweizers, sondern auch dem ausländischen Ehemann einer Schweizerin zugute kommt.
Da die Gefahr, diese Vorschrift könnte durch Eingehung einer blossen Scheinehe umgangen werden, in gleicher Weise besteht wie im Falle des früheren Bürgerrechtserwerbs durch Heirat, wurde für solche "Aufenthalts-" bzw. "Niederlassungsehen" in
Art. 7 Abs. 2 ANAG
ein ähnlicher Missbrauchstatbestand geschaffen, wie er in
Art. 120 Ziff. 4 ZGB
für die klassischen Bürgerrechtsehen vorgesehen war (Amtl.Bull. 1988 S 208 und 1990 S 125 (Jagmetti), 1989 N 1459 (Humbel)).
b) Dass Ehegatten mit der Heirat nicht eine eheliche Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern umgehen wollen, entzieht sich in der Regel dem direkten Beweis und kann wie bei der Bürgerrechtsehe (vgl. dazu
BGE 98 II 1
) nur durch Indizien nachgewiesen werden. Solche Indizien können namentlich darin erblickt werden, dass dem Ausländer die Wegweisung droht, etwa weil seine Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert oder sein Asylgesuch abgewiesen worden ist bzw. er mit dessen Abweisung rechnen muss. Für das Vorliegen einer Ausländerrechtsehe können sodann die Umstände und die Dauer der Bekanntschaft sprechen sowie insbesondere die Tatsache, dass die Ehegatten eine Wohngemeinschaft gar nie aufgenommen haben. Dass die Begründung einer wirklichen Lebensgemeinschaft gewollt war, kann umgekehrt nicht schon daraus abgeleitet werden, dass die Ehegatten während einer gewissen Zeit zusammenlebten und intime Beziehungen unterhielten; ein derartiges Verhalten kann auch nur vorgespiegelt sein, um die Behörden
BGE 119 Ib 417 S. 421
zu täuschen (vgl.
BGE 98 II 1
E. 2c; PETER KOTTUSCH, Scheinehen aus fremdenpolizeilicher Sicht, ZBl 84/1983 S. 432 f.).
c) Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten folgendes: Der aus Pakistan stammende Beschwerdeführer reiste am 26. April 1990 in die Schweiz ein. Am folgenden Tag stellte er ein Asylgesuch. Er verfügte somit nicht über ein gesichertes Anwesenheitsrecht in der Schweiz. Schon am 6. August 1990 erfolgte die Heirat mit einer Schweizerin. Über die Umstände der Bekanntschaft ist nichts bekannt. Auf jeden Fall war deren Dauer sehr kurz, zumal in Rechnung zu stellen ist, dass der Trauung das amtliche Verkündverfahren vorauszugehen hatte. Die Heirat als solche verschaffte dem Beschwerdeführer nach den damals geltenden ausländerrechtlichen Bestimmungen des ANAG zwar keinen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung; dennoch verbesserte sich sein fremdenpolizeilicher Status erheblich, denn auch aufgrund der in
Art. 8 EMRK
verankerten Garantie des Familienlebens war die Fremdenpolizei grundsätzlich verpflichtet, ihm eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Wohl hing die Erteilung einer Bewilligung nach der Rechtsprechung zu
Art. 8 EMRK
davon ab, dass die Ehe auch tatsächlich gelebt würde. Praktisch lässt sich aber regelmässig erst nach einer gewissen Zeit feststellen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist. Die Fremdenpolizei hat denn dem Beschwerdeführer vorerst auch eine Aufenthaltsbewilligung erteilt.
Die Ehegatten nahmen jedoch in der Folge das Zusammenleben nicht auf. Bei der von ihnen damals genannten Adresse handelte es sich um die Wohnung der Mutter der Ehefrau, welche aber am 5. September 1990 gegenüber der Polizei erklärte, dass zwar ihre Tochter weiterhin bei ihr wohne, nicht aber der Beschwerdeführer. Sie sei der Meinung, der Beschwerdeführer habe ihre Tochter "nur der Bewilligung wegen" geheiratet. Am 4. Januar 1991 sprach die Ehefrau beim Eheschutzrichter vor und verlangte das Getrenntleben mit der Begründung, sie sehe ihren Mann nie und wisse nicht, wo er sich aufhalte. Am 28. Januar 1991 gab sie gegenüber der Polizei zu Protokoll, sie habe sich von ihrem Mann gerichtlich trennen lassen und wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben; er habe sie darum gebeten, ihn zu heiraten, damit er die Papiere erhalte, um hier in der Schweiz bleiben zu können; sie habe gewusst, dass er hätte abreisen sollen, und habe daher Bedauern mit ihm gehabt. Eine gemeinsame Wohnung hätten sie nie gehabt. Weder vor noch nach der Eheschliessung hätten sie jemals geschlechtlich miteinander verkehrt.
BGE 119 Ib 417 S. 422
Gestützt auf diese Erklärung widerrief die Fremdenpolizei am 4. April 1991 die Aufenthaltsbewilligung. Nur wenige Tage später, nämlich am 11. April 1991, erklärte die Ehefrau dem Eheschutzrichter freilich, sie lebe wieder mit ihrem Ehemann zusammen, und zwar in der ehelichen Wohnung in Basel. Am 14. Dezember 1992 gab sie jedoch zu Protokoll, sie habe diese Aussage nur gemacht, damit ihr Ehemann die Schweiz nicht verlassen müsste. In Wirklichkeit habe sie nie mit ihm in Ehegemeinschaft gelebt. Im Eheschutz- bzw. Scheidungsverfahren hatte der Gerichtspräsident in seiner Verfügung vom 19. Februar 1992 seinerseits festgehalten, dass die Parteien "mindestens seit dem 4. Juli 1991" getrennt seien.
d) Diese Umstände lassen in ihrer Gesamtheit keinen anderen Schluss zu, als dass der Beschwerdeführer nicht eine wirkliche Ehe führen wollte, sondern dass es ihm bei seiner Heirat nur darum ging, sich ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz zu verschaffen, zumal er nicht mit der Gutheissung seines Asylgesuchs rechnen konnte. Der Beschwerdeführer behauptet freilich, er habe seine Frau aus Liebe und Zuneigung geheiratet, und nicht etwa, um sich den Aufenthalt in der Schweiz zu ermöglichen; Tatsache sei, dass die Ehefrau ihn im Frühjahr 1991 verlassen habe; da sie sich in der Folge immer wieder zu anderen Männern hingezogen gefühlt habe, sei es bisweilen wieder zu Trennungen gekommen; offiziell sei die Ehefrau aber immer an derselben Adresse wie er polizeilich gemeldet gewesen.
Diese Ausführungen sind indessen angesichts des soeben geschilderten Ablaufs der Dinge nicht glaubhaft. Auf die polizeilichen Meldeverhältnisse kann es dabei zum vornherein nicht ankommen. Die Ehefrau hat den Beschwerdeführer sodann nicht erst im Frühling 1991 verlassen. Vielmehr muss aufgrund der Erklärung der Mutter der Ehefrau vom September 1990 und deren eigener Aussagen vor dem Eheschutzrichter und der Polizei vom Januar 1991 angenommen werden, dass ein eigentliches Eheleben bis zu jenem Zeitpunkt gar nicht aufgenommen worden war. Dass es dennoch zu Kontakten zwischen den Eheleuten kam und diese möglicherweise eine gewisse Zeit lang auch zusammengelebt haben mochten, ist nach dem Gesagten nicht von entscheidender Bedeutung. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, wie es sich mit der - später wieder widerrufenen - Erklärung der Ehefrau vom 11. April 1992 verhält, wonach sie wieder mit dem Ehemann zusammenlebe. Auf jeden Fall dauerte das Zusammenleben nur kurze Zeit.
Im übrigen fällt auf, dass die erwähnte Erklärung nur wenige Tage nach dem Widerruf der Aufenthaltsbewilligung abgegeben worden
BGE 119 Ib 417 S. 423
ist. Das lässt es als glaubhaft erscheinen, dass die Ehefrau diese Aussage nur deswegen machte, um die Wegweisung des Beschwerdeführers zu verhindern. Offenbar hatte sie Mitleid mit ihm. Die Annahme, der Beschwerdeführer habe diese Gefühle ausgenützt, indem er seine Ehefrau dazu bewog, ihn zu heiraten, um ihm den Aufenthalt in der Schweiz zu ermöglichen, ohne dass er je die Absicht hatte, mit ihr eine wirkliche Ehe zu führen, drängt sich unter diesen Umständen geradezu auf. Dieser Schluss lässt sich um so weniger in Zweifel ziehen, wenn berücksichtigt wird, dass die Ehefrau vom Vertreter des Beschwerdeführers selber als "geistig etwas behindert" geschildert wird.
e) Es erscheint damit als erstellt, dass der Beschwerdeführer die Schweizer Bürgerin B. nur geheiratet hat, um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer zu umgehen. Damit entfällt der Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
4b410d88-e2ad-4c0d-925c-be9f91cfedfd | Urteilskopf
112 II 113
22. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. April 1986 i.S. Thönen gegen Belle und Deaki (Berufung) | Regeste
Art. 924 Abs. 1 ZGB
.
Der Richter, dem eine Sache zu Beweiszwecken überlassen wird, hat nicht die Stellung eines Besitzdieners für den mittelbaren Besitzer. Aber auch unselbständiger Besitz im Sinne von
Art. 924 Abs. 1 ZGB
kommt dem Richter an der Sache nicht zu. Eine Besitzanweisung ist daher ausgeschlossen. | Sachverhalt
ab Seite 113
BGE 112 II 113 S. 113
A.-
Am 9. Februar 1979 betrieben Joseph Belle und Zoltan Deaki Karl Thönen mit Zahlungsbefehl Nr. 73 395 des Betreibungsamtes Arlesheim auf Verwertung eines Inhaberschuldbriefs für eine Forderung von Fr. 260'000.-- nebst 5% Zins seit dem 1. Januar 1977. Der Betriebene erhob Rechtsvorschlag, worauf die beiden Gläubiger beim Gerichtspräsidenten von Arlesheim um die provisorische Rechtsöffnung nachsuchten. Im Verlaufe dieses Verfahrens reichten sie dem Rechtsöffnungsrichter den Inhaberschuldbrief ein, der ihnen in einem Herausgabeverfahren mit rechtskräftigem Urteil vom 16. Mai 1983 des Zivilgerichts Basel-Stadt zugesprochen und am 8. August 1983 durch Verfügung des Gerichtspräsidenten von Arlesheim im Rahmen eines Hinterlegungsverfahrens ausgehändigt worden war. Mit Urteil vom 27. Oktober 1983 ist den Gläubigern die provisorische Rechtsöffnung erteilt worden.
B.-
Am 9. November 1983 reichte Karl Thönen beim Bezirksgericht Arlesheim gegen Belle und Deaki Aberkennungsklage ein.
BGE 112 II 113 S. 114
In seiner spätern Klagebegründung machte er geltend, die Beklagten seien an der Forderung nicht mehr berechtigt, weil sie den Inhaberschuldbrief am 18. November 1983 an die Immoorp AG in Stansstad veräussert hätten. Von dieser Handänderung habe die Immoorp AG dem Bezirksgericht Arlesheim am 23. Dezember 1983 Kenntnis gegeben. Das Bezirksgericht wies die Klage mit Urteil vom 5. Dezember 1984 ab.
Dieses Urteil zog der Kläger an das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft weiter. Die Appellation wurde am 15. Oktober 1985 abgewiesen.
C.-
Der Kläger erhebt Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil vom 15. Oktober 1985 sei aufzuheben und die Aberkennungsklage sei gutzuheissen.
Die Beklagten beantragen die Abweisung der Berufung, eventuell die Rückweisung der Sache zur Aktenergänzung und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Das Obergericht ist davon ausgegangen, dass die Übertragung des Besitzes am Pfandtitel auf die Immoorp AG nur als Besitzanweisung im Sinne von
Art. 924 Abs. 1 ZGB
habe vorgenommen werden können. Bei der Besitzanweisung könne die körperliche Sachübergabe unterbleiben, weil der Dritte, der die Sache aufgrund eines besondern Rechtsverhältnisses als unselbständiger und meistens unmittelbarer Besitzer innehabe, sie auch für den neuen mittelbaren Besitzer gestützt auf ein besonderes Rechtsverhältnis weiterhin unselbständig besitze. Nun habe aber der Rechtsöffnungsrichter, dem der Pfandtitel zu Beweiszwecken übergeben worden sei, zwar den Gewahrsam, aber keinen Besitz erworben. Er sei nicht unmittelbarer und unselbständiger Besitzer für die eine Partei im Rechtsstreit. Dem Richter könne vielmehr nur die Stellung eines Besitzdieners zukommen. Damit sei aber eine Besitzanweisung ausgeschlossen. Doch selbst wenn der Richter als unselbständiger Besitzer bezeichnet werden müsste, so würde dies dem Kläger nicht helfen. Begründung und Beendigung des unselbständigen Besitzes des Richters für die eine Streitpartei müssten ausschliesslich auf hoheitlicher Grundlage beruhen. Eine Besitzanweisung sei daher nur denkbar, wenn eine entsprechend
BGE 112 II 113 S. 115
hoheitliche Anordnung getroffen werde. Eine solche Erklärung bzw. Anordnung des Gerichts sei aber im vorliegenden Fall nie erfolgt.
4.
Gegen diese Betrachtungsweise wendet der Kläger ein, die Vorinstanz verletze
Art. 924 Abs. 1 ZGB
, indem sie zu hohe Anforderungen an den Besitz des Dritten stelle, wenn sie nicht jede tatsächliche Innehabung der auf den Erwerber zu übertragenden Sache als Grundlage dieses Besitzes anerkenne. Der Besitz sei weder eine Tatsache noch ein Recht, sondern eine durch unterschiedliche praktische Bedürfnisse bestimmte Rechtslage. Es sei nicht einzusehen, weshalb bei der Besitzübertragung durch Besitzanweisung nicht auf die Innehabung der zu übertragenden Sache allein abzustellen sei. Nach Auffassung des Klägers sollte demnach der blosse Gewahrsam des Dritten über die Sache genügen, um im Zusammenhang mit der Besitzanweisung nach
Art. 924 Abs. 1 ZGB
von unmittelbarem Besitz sprechen zu können.
Damit übt der Kläger aber nicht nur Kritik an den vorinstanzlichen Ausführungen, sondern auch an der herrschenden Lehre, die den blossen Gewahrsam des Besitzdieners nicht als ausreichende Grundlage anerkennt, um den Besitz des Besitzherrn auf einen neuen mittelbaren Besitzer zu übertragen (STARK, N. 12 zu
Art. 924 ZGB
mit Hinweisen). Indessen wird die Ausübung der unmittelbaren Sachherrschaft durch den Besitzdiener mit Recht nicht als für eine Besitzanweisung genügend betrachtet. Der Besitzdiener steht in einem besondern Abhängigkeitsverhältnis zum mittelbaren Besitzer, der seinen Besitz nur mit Hilfe des ersteren ausüben kann (
BGE 58 II 375
und
BGE 80 II 238
; HINDERLING, Der Besitz, in Schweiz. Privatrecht, Bd. V/1, S. 421 ff.). Mit der Übertragung dieses mittelbaren Besitzes auf einen Erwerber der Sache tritt der Besitzdiener aber nicht ohne weiteres in eine ähnliche Abhängigkeit zum neuen mittelbaren Besitzer wie zum Veräusserer, so dass auch vom Erwerber gesagt werden könnte, er übe seinen Besitz mit Hilfe des Besitzdieners aus. Insofern ist der Vorinstanz, welche in ihren Ausführungen auf STARK, N. 12 zu
Art. 924 ZGB
, verwiesen hat, beizupflichten.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann somit der Vorinstanz nicht vorgeworfen werden, sie habe Bundesrecht verletzt, weil sie die Möglichkeit der Besitzanweisung gegenüber dem Besitzdiener verneint habe. Indessen bestehen begründete Zweifel, ob der Richter, dem eine Sache im Rahmen eines Rechtsstreits zu Beweiszwecken überlassen wird, als Besitzdiener bezeichnet werden
BGE 112 II 113 S. 116
könne. Von einer Weisungsbefugnis, die dem mittelbaren Besitzer gegenüber dem Besitzdiener zukommt, kann im Verhältnis der Streitpartei zum Richter nicht die Rede sein. Bei den Beweismitteln, die dem Gericht eingereicht werden, steht die Sachherrschaft des Richters als solche keineswegs im Vordergrund, sondern es geht vielmehr um die Ermöglichung der Beweisführung mit der dem Richter oft nicht freiwillig überlassenen Sache. Entscheidend bleibt somit allein, ob die durch das Zivilprozessrecht oder das materielle Recht begründete Rechtslage genügt, um den Richter, nachdem keine Besitzdienerschaft angenommen werden kann, als unselbständigen Besitzer der Beweisstücke im Sinne von
Art. 924 Abs. 1 ZGB
in Erscheinung treten zu lassen, der diese Stellung gestützt auf eine Besitzanweisung auch dem neuen mittelbaren Besitzer gegenüber einnimmt.
5.
Dass auch weisungsungebundene Behörden ungeachtet ihrer hoheitlichen Stellung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben als unselbständige Besitzer im Sinne von
Art. 924 Abs. 1 ZGB
auftreten können, ergibt sich aus der Lehre und der Rechtsprechung (STARK, N. 69 zu
Art. 920 ZGB
). Indessen sind sich Rechtsprechung und Lehre nicht darüber einig, wann im konkreten Fall unselbständiger Besitz einer Behörde angenommen werden kann. Das Bundesgericht hat in
BGE 52 II 52
aufgrund einer in einer Strafuntersuchung lediglich vorsorglich erlassenen Beschlagnahme-Verfügung den Behörden keinen unselbständigen Besitz zugesprochen, der die Eigentumsvermutung zugunsten des bisherigen Besitzers bzw. die bisherigen zivilrechtlichen Besitzesverhältnisse umzustossen vermöchte (gleicher Meinung HOMBERGER, N. 4 zu
Art. 921 ZGB
; anderer Meinung STARK, N. 69 zu
Art. 920 ZGB
). In
BGE 47 II 269
f. hat das Bundesgericht dagegen dem Gerichtsschreiber, der eine bei ihm hinterlegte Geldsumme in Verwahrung nahm, unselbständigen Besitz an dieser zuerkannt (zustimmend STARK, N. 69 zu
Art. 920 ZGB
), der die Passivlegitimation gegenüber dem Herausgabeanspruch des früheren Besitzers begründete.
Auch wenn die Umschreibung des unselbständigen Besitzes in Rechtsprechung und Lehre Schwierigkeiten bereitet und im konkreten Fall nicht immer Übereinstimmung zu erzielen ist, so sind sich Doktrin und Praxis immerhin darin einig, dass sich die Bejahung des unselbständigen Besitzes nach den in Frage stehenden Rechtsfolgen richtet. Bei der Besitzanweisung gilt es somit zu beachten, dass der unselbständige Besitz nicht länger für den bisherigen mittelbaren Besitzer ausgeübt werden soll, sondern für
BGE 112 II 113 S. 117
einen neuen mittelbaren Besitzer. Geht es hingegen um eine Beweiseingabe in einem vor dem Richter auszutragenden Rechtsstreit, so ist nicht zu übersehen, dass der Richter zum Beweisstück nicht in eine so intensive Beziehung tritt, wie dies bei der Hinterlegung oder der amtlichen Beschlagnahme einer Sache der Fall wäre. Diese Beziehung bleibt ungeachtet der vom bisherigen mittelbaren Besitzer gewünschten Besitzübertragung weiterhin auf das Verhältnis der einen Streitpartei zum Richter beschränkt und berührt den neuen mittelbaren Besitzer, der auf dieses Verhältnis auch keinen Einfluss auszuüben vermag, in keiner Weise. Der Frage, ob Sachherrschaft kraft hoheitlicher Aufgabenerfüllung nur dann zu einer privatrechtlichen Besitzanweisung Anlass geben könne, wenn die Behörde eine zustimmende Erklärung abgegeben habe, die von der Vorinstanz bejaht, in der Lehre jedoch unterschiedlich beantwortet worden ist (HOMBERGER, N. 3 zu
Art. 924 ZGB
, und STARK, N. 14 zu
Art. 924 ZGB
), kommt demnach für den vorliegenden Fall keine entscheidende Bedeutung zu. Der Vorinstanz ist vielmehr aus den angeführten Gründen keine Verletzung von Bundesrecht vorzuwerfen, weil sie einen hinreichenden unselbständigen Besitz des Richters im Sinne von
Art. 924 Abs. 1 ZGB
an dem zu Beweiszwecken von den Beklagten eingereichten Inhaberschuldbrief verneint hat. Die Berufung erweist sich damit als offensichtlich unbegründet. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4b45a4e5-17ce-496b-9d51-fe1a51dead2c | Urteilskopf
122 I 253
34. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Mai 1996 i.S. P. AG gegen R. und Handelsgericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Staatsrechtliches Beschwerdeverfahren (Art. 83 ff.); Gesetzeslücke; Waffengleichheit (
Art. 6 EMRK
).
Das Fehlen einer sogenannten "Anschlussbeschwerde" im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren kann weder als Gesetzeslücke (E. 6a-b) noch als Verstoss gegen den aus
Art. 6 EMRK
abgeleiteten Grundsatz der Waffengleichheit betrachtet werden (E. 6b-d). | Sachverhalt
ab Seite 253
BGE 122 I 253 S. 253
A.-
R. ist Eigentümer eines Grundstücks in B., das zu rund 40% mit einem Gewerbegebäude überbaut ist. Die P. AG, die Mieträume suchte, traf im Sommer 1990 durch Vermittlung eines Architekten mit R. zusammen. Sodann wurde ein Projekt für den Bau eines Gewerbegebäudes auf dem Grundstück von R. ausgearbeitet, wobei die P. AG beabsichtigte, lediglich einen Teil des Neubaus zu mieten. Die Parteien liessen Pläne ausarbeiten, konnten sich aber nicht auf die Höhe des Mietzinses einigen. Anfangs Januar 1992 wurde
BGE 122 I 253 S. 254
die Baubewilligung erteilt. Da weiterhin keine Einigung über den Mietzins erzielt werden konnte, brach die P. AG Ende Januar 1992 die Verhandlungen ab.
B.-
Am 3. Mai 1993 reichte R. beim Handelsgericht des Kantons Aargau Klage gegen die P. AG ein. Er verlangte die Zahlung von Fr. 369'977.10 nebst Zins zu 5% seit dem 1. Juni 1992, eventualiter die Liquidation der einfachen Gesellschaft R./P. AG. Die P. AG beantragte die vollumfängliche Abweisung der Klage und widerklageweise die Zusprechung von Fr. 58'603.-- nebst 5% Zins seit dem 29. Juli 1993. In der Replik reduzierte R. sein Begehren auf Fr. 369'689.25.
In teilweiser Gutheissung der Klage und in Abweisung der Widerklage verpflichtete das Handelsgericht am 28. April 1995 die P. AG, R. den Betrag von Fr. 101'970.10 zuzüglich 5% Zins seit dem 3. Mai 1993 zu bezahlen.
C.-
In der Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde der P. AG schliesst R. auf Abweisung des Rechtsmittels und erhebt eine sogenannte "Anschlussbeschwerde", mit der er ebenfalls die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt.
Das Bundesgericht tritt auf die sogenannte "Anschlussbeschwerde" nicht ein,
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
6.
Der Beschwerdegegner hat "Anschlussbeschwerde" erklärt. Es ist ihm bewusst, dass dieses Rechtsmittel im Bundesrechtspflegegesetz nicht vorgesehen ist. Er macht aber geltend, der Grundsatz der Waffengleichheit gebiete, dass eine Partei, die sich vorerst mit dem kantonalen Entscheid abgefunden habe, die Sachverhaltsfeststellungen anfechten könne, wenn dies die Gegenpartei mit einer staatsrechtlichen Beschwerde getan habe. Das Bundesgesetz weise eine entsprechende Lücke auf, die von der Rechtsprechung durch die Zulassung einer sogenannten Anschlussbeschwerde gefüllt werden müsse.
a) Für die Interpretation des Prozessrechts gelten die allgemeinen Regeln über die Gesetzesauslegung. Allfällige Lücken sind analog zu
Art. 1 Abs. 2 ZGB
durch richterliche Rechtsschöpfung zu füllen (MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., 1979, S. 52 f.; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 72 ff. zu
Art. 1 ZGB
). Die im materiellen Zivilrecht für die Lückenfüllung entwickelten Grundsätze gelten analog für das Prozessrecht (HENRI-ROBERT SCHÜPBACH, Traité de procédure civile, Bd. I, S. 182 ff.).
BGE 122 I 253 S. 255
Eine Lücke "praeter legem" liegt vor, wenn das Gesetz auf eine sich stellende Frage überhaupt jede Antwort schuldig bleibt (echte Lücke) oder eine Antwort gibt, die aber als sachlich unhaltbar angesehen werden muss (unechte Lücke; vgl. MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 271 zu
Art. 1 ZGB
). Ob eine unechte Lücke von den Gerichten über den Rahmen von
Art. 2 Abs. 2 ZGB
hinaus ausgefüllt werden darf, ist in der Lehre mit guten Gründen bestritten worden (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 295 ff. zu
Art. 1 ZGB
). Die Frage braucht hier nicht erörtert zu werden, da weder eine echte noch eine unechte Lücke vorliegt.
b) Aus dem Umstand, dass das Bundesrechtspflegegesetz die Frage nicht ausdrücklich regelt, kann nicht auf das Vorliegen einer echten Lücke geschlossen werden. Grundsätzlich sind nur die Rechtsmittel zulässig, die das Gesetz ausdrücklich vorsieht. Das Nichterwähnen einer sogenannten Anschlussbeschwerde im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde kann im Sinn eines qualifizierten Schweigens verstanden werden. Der Beschwerdegegner behauptet zu Recht nicht, das Gesetz hätte sich zu dieser Frage ausdrücklich äussern müssen. Er hält vielmehr das Fehlen einer "Anschlussbeschwerde" als rechtspolitisch nicht vertretbar, als gegen den aus
Art. 6 EMRK
abgeleiteten Grundsatz der Waffengleichheit verstossend.
c) Die neuere Rechtsprechung trägt dem Gebot der Waffengleichheit insoweit Rechnung, als eine staatsrechtliche Beschwerde nicht bereits gutzuheissen ist, wenn der kantonalen Instanz in irgendeinem Punkt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung oder Rechtsanwendung vorgeworfen werden kann. Der angefochtene Entscheid muss sich vielmehr auch im Ergebnis als verfassungswidrig erweisen (
BGE 118 Ia 118
E. 1c mit Hinweisen; KARL SPÜHLER, Die Praxis der staatsrechtlichen Beschwerde, Rz. 502). Der Beschwerdegegner kann sich in seiner Vernehmlassung nicht nur mit den Rügen der beschwerdeführenden Partei auseinandersetzen. Er darf auch eigene Rügen erheben, soweit diese darlegen sollen, dass trotz der Stichhaltigkeit der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rügen und in Abweichung der im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen und vorgenommenen Rechtsanwendung der getroffene Entscheid im Ergebnis richtig ist (
BGE 101 Ia 521
E. 3,
BGE 115 Ia 27
E. 4a; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., 1994, S. 221 f.; MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, S. 229 Fn. 25; KARL SPÜHLER, a.a.O., Rz. 75). Dem Beschwerdegegner stehen somit für die Verteidigung des angefochtenen Entscheides, mit dem er sich grundsätzlich
BGE 122 I 253 S. 256
abgefunden hat, der Beschwerde ebenbürtige Behelfe zur Verfügung. Die Waffengleichheit ist insoweit gewahrt.
d) Eine Verletzung der Waffengleichheit könnte allenfalls denkbar sein, wenn die im kantonalen Verfahren unterlegene Partei ausschliesslich Berufung erhebt, weil das kantonale Gericht Bundesrecht falsch angewendet haben soll. Diesfalls kann der Rechtsmittelgegner in der Berufungsantwort nicht geltend machen, der Vorwurf der falschen Rechtsanwendung sei zwar zutreffend, der Entscheid im Ergebnis aber dennoch richtig, weil das Gericht den Sachverhalt willkürlich festgestellt habe. In einem solchen Fall könnte es sich rechtfertigen, mit einer sogenannten staatsrechtlichen Anschlussbeschwerde auf die Berufung der Gegenpartei zu reagieren. Das Bundesgericht hat aber auch in diesen Fällen einen anderen Weg beschritten, indem es - in Abweichung zu einzelnen Entscheiden (
BGE 89 I 513
E. 4 S. 523) - die im kantonalen Verfahren obsiegende Partei als legitimiert angesehen hat, innert der gesetzlichen Frist staatsrechtliche Beschwerde für den Fall zu erheben, dass die Gegenpartei mit einer Berufung an das Bundesgericht gelangt (
BGE 86 I 224
ff.,
BGE 96 I 462
E. 3; MESSMER/IMBODEN, a.a.O., S. 201 und 229 Fn. 25; siehe auch THOMAS GEISER, in: Prozessieren vor Bundesgericht, Rz. 1.5).
Eine vorsorgliche staatsrechtliche Beschwerde, die nur im Hinblick auf eine allfällige eidgenössische Berufung der Gegenseite ergriffen wird, kann für die beschwerdeführende Partei mit einem erheblichen Aufwand verbunden sein, der sich möglicherweise im nachhinein als überflüssig erweist. Dies gilt aber auch für jene Partei, welche ihre Berufung mit einer staatsrechtlichen Beschwerde verbindet. Wird eines der beiden Rechtsmittel gutgeheissen, erweist sich das andere als vorsorgliche Rechtsvorkehr, und die das Rechtsmittel erhebende Partei hat die entsprechenden Verfahrenskosten zu tragen, obgleich sie möglicherweise wegen des anderen Rechtsmittels ihr Ziel erreicht hat. Diese Unzukömmlichkeiten sind die zwingende Folge des Umstandes, dass mit der Berufung keine Verfassungsverletzung geltend gemacht werden kann.
e) Es besteht somit keinerlei Grund, eine sogenannte Anschlussbeschwerde zuzulassen. Es liegt weder eine echte noch eine unechte Gesetzeslücke vor. Auf die "Anschlussbeschwerde" des Beschwerdegegners ist deshalb nicht einzutreten. Als selbständige staatsrechtliche Beschwerde ist sie verspätet. | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4b466dc1-78bc-48d0-b531-bd8ad5deadd0 | Urteilskopf
139 III 364
51. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Stadt A. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
5D_101/2013 vom 26. Juli 2013 | Regeste
Art. 9 BV
;
Art. 143 Abs. 3 ZPO
; Einhaltung der Frist für die Zahlung an das Gericht.
Grundsätze für die Einhaltung der Frist, wenn der Betrag für den Gerichtskostenvorschuss einem Post- oder Bankkonto belastet worden ist (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 364
BGE 139 III 364 S. 364
A.
Das Bezirksgericht Hinwil (Einzelgericht im summarischen Verfahren) erteilte der Stadt A., vertreten durch Alimentenhilfe Region Ost, in der gegen X. eingeleiteten Betreibung (Nr. x, Betreibungsamt A.) am 13. September 2012 definitive Rechtsöffnung für den Betrag von Fr. 5'850.- (nebst näher bestimmten Zinsen und Kosten); im Mehrbetrag wurde das Rechtsöffnungsbegehren abgewiesen.
B.
Gegen den Rechtsöffnungsentscheid gelangte X. am 31. Dezember 2012 an das Obergericht des Kantons Zürich, welches auf die Beschwerde am 13. März 2013 infolge verspäteter Leistung des Kostenvorschusses von Fr. 300.- nicht eintrat.
C.
Mit Eingabe vom 21. April 2013 führt X. Beschwerde in Zivilsachen. Der Beschwerdeführer verlangt im Wesentlichen die Aufhebung des Nichteintretensbeschlusses des Obergerichts und das Eintreten auf das Rechtsmittel.
Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
Die Stadt A., vertreten durch die Alimentenhilfe Region Ost, als Beschwerdegegnerin hat sich nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
BGE 139 III 364 S. 365
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Anlass zur Verfassungsbeschwerde gibt der Entscheid des Obergerichts, mit welchem auf die Beschwerde wegen verspäteter Leistung des Kostenvorschusses nicht eingetreten wurde. Unbestritten steht fest, dass die Nachfrist zur Leistung des Kostenvorschusses (
Art. 101 Abs. 3 ZPO
) am 25. Februar 2013 abgelaufen ist. Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht sinngemäss eine Verletzung von verfassungsmässigen Rechten (
Art. 9 BV
) vor, weil es den Kostenvorschuss als verspätet bzw. die Beschwerde als unzulässig erachtet habe.
3.1
Gemäss
Art. 143 Abs. 3 ZPO
ist die Frist für eine Zahlung an das Gericht eingehalten, wenn der Betrag spätestens am letzten Tag der Frist zugunsten des Gerichts der Schweizerischen Post übergeben oder einem Post- oder Bankkonto in der Schweiz belastet worden ist. Die Regelung entspricht
Art. 48 Abs. 4 BGG
(Botschaft vom 28. Juni 2006 zur ZPO, BBl 2006 7221, 7308 Ziff. 5.9.3; vgl.
Art. 21 Abs. 3 VwVG
[SR 172.021],
Art. 91 Abs. 5 StPO
). Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Kostenvorschusszahlung sowie allgemein der Beschwerdeerhebung trägt der Rechtsuchende (vgl. u.a. TAPPY, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 8, 18 f. zu
Art. 143 ZPO
; Urteil 9C_564/2012 vom 12. September 2012 E. 2 mit Hinweisen, in: SVR 2013 IV Nr. 4 S. 8).
3.2
Das Obergericht hat den 26. Februar 2013 als "Einzahlungs- und Buchungsdatum" für den Kostenvorschuss bezeichnet. Es hat dabei auf den Auszug aus der Gerichtsbuchhaltung verwiesen, worin der Kostenvorschuss mit "Eingangsdatum", "Buchungsdatum" und "Einzahlungsdatum" vom 26. Februar 2013 eingetragen ist. Weiter hat sich die Vorinstanz auf den Auszug seines Postfinance-Kontos gestützt; aus der in den kantonalen Akten liegenden Seite (des mehrseitigen Dokuments) lässt sich die Gutschrift des Kostenvorschusses mit Valuta per 26. Februar 2013 entnehmen. Der Beschwerdeführer hält demgegenüber fest, dass die Bezahlung des Kostenvorschusses am 25. Februar 2013 seinem Bankkonto belastet worden sei.
3.2.1
Weder im angefochtenen Entscheid noch in den kantonalen Akten gibt es einen Anhaltspunkt in tatsächlicher Hinsicht, dass das vom Obergericht erwähnte "Einzahlungsdatum" vom 26. Februar 2013 bedeute, der Betrag sei an diesem Tag (am Postschalter oder anlässlich einer Überweisung aus dem Ausland) der Schweizerischen
BGE 139 III 364 S. 366
Post übergeben worden. Soweit das Obergericht auf den 26. Februar 2013 als Datum abgestellt hat, an welchem der Betrag auf dem Konto des Gerichts "eingegangen" bzw. die Kontobewegung eingetragen (Buchungstag) oder seinem Konto gutgeschrieben (Valutatag) worden ist, kann es nichts für die Verspätung des Kostenvorschusses ableiten. Nicht der Eingang des Zahlungsauftrages ist gemäss
Art. 143 Abs. 3 ZPO
massgebend, sondern der Valutatag der Belastung auf dem Post- oder Bankkonto des Zahlungspflichtigen (vgl. CAVELTI, in: Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], 2008, N. 21 zu
Art. 21 VwVG
).
3.2.2
Bei einer Post- oder Banküberweisung muss im Fall, dass der Kostenvorschuss nicht innert der angesetzten Frist dem Gericht gutgeschrieben worden ist, das Gericht den Vorschusspflichtigen zum Nachweis auffordern, dass der Betrag am letzten Tag der Frist seinem Post- oder Bankkonto in der Schweiz (oder desjenigen seines Vertreters) belastet worden ist. Dieses Vorgehen wird in der Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vorgezeichnet (BBl 2001 4202, 4298 Ziff. 4.1.2.5 zu Art. 44, vgl. wörtlich die französisch- und italienischsprachige Fassung, FF 2001 4000, 4097, bzw. FF 2001 3764, 3856). Es wird in der Lehre zu Recht bestätigt (TREZZINI, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero, 2011, S. 603) und - auch von der Vorinstanz in anderen Fällen - praktiziert (Urteile PS120165 des Obergerichts des Kantons Zürich vom 25. Oktober 2012 E. 3b; C-2140/2010 des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juni 2011 E. 11.2).
3.2.3
Aus den kantonalen Akten geht nicht hervor, dass das Obergericht den Beschwerdeführer aufgefordert hätte, den ihm obliegenden Nachweis der rechtzeitigen Vorschussleistung dadurch zu erbringen, dass er die Belastungsbestätigung vorlegt. Dies drängt sich indessen auf, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Kostenvorschuss ein Tag nach Ablauf der angesetzten Frist dem Konto des Gerichts gutgeschrieben wurde. Der Anspruch, von den staatlichen Behörden nach Treu und Glauben behandelt zu werden (
Art. 9 BV
), garantiert hier dem Beschwerdeführer, dass die Vorinstanz die Rückfrage zum Belastungszeitpunkt vornimmt. Das Obergericht musste am Fehlen der Rechtzeitigkeit Zweifel haben und wäre aus diesem Grund verpflichtet gewesen, den (anwaltlich nicht vertretenen) Beschwerdeführer dazu vorgängig anzuhören (vgl.
BGE 94 I 15
E. 2 S. 16 f.; Urteil 5P.113/2005 vom 13. September 2006 E. 3.1). Im Übrigen wurde
BGE 139 III 364 S. 367
der Beschwerdeführer weder in der Kostenvorschussverfügung vom 18. Januar 2013 noch in der Verfügung betreffend Nachfrist vom 12. Februar 2013 bereits im Voraus zum entsprechenden Nachweis innert Frist aufgefordert (vgl. Urteil 5A_636/2010 vom 2. November 2010 zur Praxis des Bundesgerichts mit entsprechendem Hinweis in der Verfügung zur Nachfristansetzung). Mit den verfassungsmässigen Rechten des Beschwerdeführers ist demnach nicht vereinbar, wenn das Obergericht die Rechtzeitigkeit des Kostenvorschusses gemäss
Art. 143 Abs. 3 ZPO
verneint hat.
3.3
Die Rückweisung der Angelegenheit an das Obergericht, um den Belastungszeitpunkt durch Aufforderung zur Erbringung des Nachweises abzuklären, ist im konkreten Fall nicht erforderlich. Der Beschwerdeführer hat seiner Eingabe an das Bundesgericht den Auszug seines Kontos bei der Bank Z. AG und den Beleg mit den Transaktionsdetails beilegt. Daraus geht hervor, dass die Belastung via e-banking mit Valuta per 25. Februar 2013 durchgeführt worden ist. Die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel zum Nachweis, dass der Betrag am letzten Tag der vom Obergericht angesetzten Frist seinem Bankkonto belastet worden sei, sind im bundesgerichtlichen Verfahren zulässig, weil der vorinstanzliche Entscheid Anlass zum Vorbringen gegeben hat (
Art. 99 Abs. 1 BGG
). Der Kontoausdruck eines Post- oder des Bankkontos, welcher die Belastung bestätigt, ist zum Nachweis der Rechtzeitigkeit geeignet (FREI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 21 zu
Art. 143 ZPO
), wenn daraus ersichtlich ist, dass die Verarbeitung des Zahlungsauftrages und die damit verbundene Belastung tatsächlich spätestens am letzten Tag der Frist geschehen ist (Urteil 1F_34/2011 vom 17. Januar 2012 E. 2.3.2, in: RtiD 2012 II Nr. 36 S. 179 f.). Der Beschwerdeführer bringt mit der vorgelegten Transaktionsbestätigung und dem Kontoauszug den hinreichenden Beweis, dass die Belastung des Vorschussbetrages am letzten Tag der Frist - am 25. Februar 2013 - und damit rechtzeitig im Sinne von
Art. 143 Abs. 3 ZPO
erfolgt ist. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4b479ce6-82e4-4b4a-ae3c-67cc1bc52707 | Urteilskopf
80 I 325
52. Urteil vom 15. Dezember 1954 i.S. Brunnmatt A.-G. gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn. | Regeste
Kantonales Steuerrecht. Willkür.
Handänderungssteuer mit progressivem Satz. Erwerb zweier an einer konkursamtlichen Steigerung einzeln versteigerter Liegenschaften durch die gleiche Person. Unzulässigkeit der Zusammenrechnung der Erwerbspreise für die Bemessung der Handänderungssteuer mangels gesetzlicher Grundlage. | Sachverhalt
ab Seite 325
BGE 80 I 325 S. 325
A.-
Nach dem solothurn. Handänderungsgebührengesetz vom 23. Februar 1919 (HGebG) ist, wenn Grundstücke auf einen neuen Eigentümer übergehen, vom wahren Wert des veräusserten Grundstücks eine Handänderungsgebühr zu bezahlen (§ 1 Abs. 1), die grundsätzlich vom Erwerber geschuldet wird (§ 3). Der Steuersatz ist progressiv und steigt von 1% bei Grundstücken im Werte bis Fr. 50'000.-- auf 2% bei Grundstücken im Werte von Fr. 200'000.-- und mehr (§ 1 Abs. 2). Einschätzungsbehörde ist der Amtschreiber als Grundbuchverwalter.
B.-
Am 3. Juni 1954 wurden in Solothurn drei zur Konkursmasse des Hans de Carli gehörende Liegenschaften
BGE 80 I 325 S. 326
auf Anordnung der Konkursverwaltung öffentlich versteigert. Zwei derselben, GB Nr. 3325 mit dem Zweifamilienhaus Eschenweg 14 und GB Nr. 3326 mit dem Einfamilienhaus Eschenweg 16 wurden der Brunnmatt A.-G. zugeschlagen, die erstere für Fr. 66'500.--, die zweite für Fr. 65'400.--.Bei der Festsetzung der Handänderungsgebühr ging die Amtschreiberei der Stadt Solothurn vom "Gesamtsteigerungspreis" von Fr. 131'900.-- aus, was eine um Fr. 725.45 höhere Gebühr ergab als bei getrennter Behandlung der beiden Handänderungen.
Einen Rekurs hiegegen wies der Regierungsrat des Kantons Solothurn am 27. September 1954 ab mit der Begründung: Nach der bisherigen, im Regierungsratsbeschluss vom 28. Dezember 1943 i.S. Studer bestätigten Praxis sei die Handänderungsgebühr bei mehreren einzeln veräusserten Grundstücken von der Gesamtkaufsumme zu berechnen, wenn die einzelnen Grundstückkaufverträge (denen Zwangsverwertungen gleichzustellen seien) dem gleichen Rechtsgeschäft entspringen. Vorliegend handle es sich um das gleiche Rechtsgeschäft im Sinne dieser Praxis, da die Beschwerdeführerin an einer und derselben Steigerung die beiden Grundstücke erworben habe. Dass diese beiden Grundstücke nicht den ganzen Liegenschaftsbesitz des Konkursiten ausmachten, spiele keine Rolle. Ebenso sei bedeutungslos, ob die beiden Liegenschaften rechtlich oder wirtschaftlich eine Einheit bilden, da hierauf noch nie Rücksicht genommen worden sei. Die dieser Praxis zugrunde liegenden Erwägungen mögen fiskalischer Natur sein, ständen jedoch nicht im Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen.
C.-
Gegen diesen Entscheid hat die Brunnmatt A.-G. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
(Willkür) erhoben.
Zur Begründung wird geltend gemacht, dass die Zusammenrechnung der Kaufpreise verschiedener Geschäfte im HGebG nicht vorgesehen und daher mangels gesetzlicher Grundlage willkürlich sei, ferner, dass auch die Annahme,
BGE 80 I 325 S. 327
die beiden Liegenschaften seien durch das gleiche Rechtsgeschäft erworden worden, willkürlich sei.
D.-
Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt die Abweisung der Beschwerde. Er anerkennt, dass die beiden Grundstücke wirtschaftlich keine Einheit bilden. Dagegen handle es sich bei einer Steigerung um ein und denselben Rechtsvorgang, auch wenn mehrere Objekte versteigert würden. Diese gemeinschaftliche rechtsgeschäftliche Grundlage genüge. Die angestrebte Änderung der langjährigen unangefochtenen Praxis würde dem Kanton eine finanzielle Einbusse bringen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Prozessuales).
2.
Die Beschwerdeführerin hat an der konkursamtlichen Versteigerung dreier zur gleichen Konkursmasse gehörenden Liegenschaften auf zwei derselben am meisten geboten, worauf ihr diese zugeschlagen wurden. Für die Festsetzung der grundsätzlich auch beim Eigentumsübergang infolge Zwangsverwertung zu entrichtenden Handänderungsgebühr hat die Amtschreiberei gemäss ständiger Praxis die beiden Steigerungspreise zusammengerechnet und den Steuersatz auf Grund der Summe bestimmt. Da solche Zusammenrechnung den Steuerpflichtigen wegen des progressiven Steuersatzes stärker belastet, bedarf sie, wie jede Steuerauflage überhaupt, der gesetzlichen Grundlage. Das entspricht dem Wesen des Rechtsstaates und folgt aus dem auch in der solothurnischen Kantonsverfassung (Art. 62 Abs. 1) aufgestellten Grundsatz, dass die Bestimmungen über direkte Steuern und indirekte Abgaben "Sache der Gesetzgebung" sind, was bedeutet, dass Steuern und Abgaben nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und nur in dem vom Gesetz festgelegten Umfange erhoben werden dürfen (Vgl.
BGE 33 I 390
Erw. 2; BLUMENSTEIN, Steuerrecht S. 15 und System 2. Aufl. S. 6 ff.):
Nach § 1 des solothurnischen Handänderungsgebührengesetzes
BGE 80 I 325 S. 328
ist beim Übergang von Grundstücken auf einen neuen Eigentümer eine Handänderungsgebühr vom wahren Werte des Grundstückes zu bezahlen. Dass bei gleichzeitigem Übergang mehrerer Grundstücke auf einen neuen Eigentümer allgemein oder unter gewissen Voraussetzungen die Werte der einzelnen Grundstücke zusammenzuzählen seien und die Summe derselben als Grundlage der Steuerberechnung zu gelten habe, sagt das Gesetz nicht; weder ist seinem Wortlaut zu entnehmen noch lässt sich aus dem Sinn und Zweck der Handänderungsgebühr als einer Rechtsverkehrssteuer ableiten, dass und unter welchen Voraussetzungen eine Zusammenrechnung der Erwerbspreise zulässig wäre. In gewissen Fällen mag es freilich nahe liegen, mehrere Handänderungen als eine Einheit zu behandeln und die Grundstückwerte zusammenzuzählen, so wenn ein und dasselbe Veräusserungsgeschäft verschiedene Grundstücke umfasst oder wenn auf Grund mehrerer gleichzeitiger Veräusserungsgeschäfte mehrere, eine wirtschaftliche Einheit bildende Grundstücke, wie z.B. der gesamte zu einem landwirtschaftlichen Heimwesen gehörende Liegenschaftsbesitz, auf einen neuen Eigentümer übergehen. Ob in diesen beiden Fällen die Zusammenrechnung der Grundstückwerte dem Vorwurfe der Willkür standhält, kann dahingestellt bleiben, da weder der eine noch der andere Fall vorliegt. Dass die zwei von der Beschwerdeführerin ersteigerten Liegenschaften unter sich wirtschaftlich nicht zusammenhängen, keine wirtschaftliche Einheit bilden, hat der Regierungsrat, offensichtlich mit Recht, ausdrücklich zugegeben. Seine Annahme aber, dass der Erwerb der beiden Liegenschaften durch die Beschwerdeführerin auf einer gemeinschaftlichen rechtsgeschäftlichen Grundlage beruhe, dem gleichen Rechtsgeschäft entspringe, erweist sich als schlechterdings unhaltbar. Die beiden Liegenschaften gehörten zwar zur gleichen Konkursmasse und kamen am gleichen Tage zur Versteigerung. Sie wurden jedoch nicht, wie es unter gewissen Voraussetzungen zulässig ist (vgl.
Art. 108 VZG
BGE 80 I 325 S. 329
undBGE 63 III 8), gesamthaft aufgerufen und zugeschlagen; vielmehr wurden sie getrennt versteigert, indem jede einzeln aufgerufen und auf das höchste Angebot hin einzeln zugeschlagen wurde. Ein sachlicher Grund, der es gestatten würde, diese getrennten Steigerungen und Zuschläge als einheitlichen Rechtsvorgang zu betrachten, ist nicht ersichtlich. Dass es sich, sowohl rechtlich wie wirtschaftlich betrachtet, um zwei getrennte, voneinander völlig unabhängige Rechtsvorgänge handelt, erhellt auch daraus, dass die Beschwerdeführerin einerseits ihre Angebote für die zuerst versteigerte Liegenschaft nicht davon abhängig machen konnte, dass ihr auch die zweite zugeschlagen werde, und anderseits, nachdem ihr die erste zugeschlagen war, die zweite nicht erhalten hätte, wenn bei deren Versteigerung ein anderer Bieter mehr als sie geboten hätte. Die Annahme eines einheitlichen Rechtsvorgangs lässt sich mit sachlichen Gründen nicht vertreten, sondern erfolgte offensichtlich aus rein fiskalischen Gründen, in Hinblick auf den im Falle der Zusammenrechnung der Steigerungspreise anwendbaren höheren Steuersatz, und muss deshalb als willkürlich bezeichnet werden. Dass sie einer langjährigen Praxis entspricht und diese Praxis bis jetzt noch nie angefochten worden ist, steht der Gutheissung der Beschwerde ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass die Änderung der Praxis für den Kanton Solothurn eine finanzielle Einbusse bedeutet. Sofern die Zusammenrechnung der Erwerbspreise in Fällen wie dem vorliegenden aus fiskalischen oder andern Gründen als angezeigt und wünschenswert erscheinen sollte, mag der solothurnische Gesetzgeber die gesetzliche Ordnung durch eine Bestimmung ergänzen, die eine solche Zusammenrechnung zulässt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Solothurn vom 27. September 1954 aufgehoben wird. | public_law | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4b47bd2c-33ab-4603-8667-12ec47516c9b | Urteilskopf
83 I 54
9. Urteil vom 8. März 1957 i. S. Eidg. Justiz- und Polizeidepartement und Allachwerdijew gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn. | Regeste
Schweizerbürgerrecht: Status des ausserehelichen Kindes einer schweizerischen Mutter, das durch die Eheschliessung des aus der Sowjetunion stammenden Vaters mit der Mutter legitimiert und später zusammen mit den Eltern in der Türkei eingebürgert worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 83 I 54 S. 54
A.-
Am 18. April 1948 gebar Hedwig Henziross, von Niederbuchsiten (Solothurn), in Laufen die aussereheliche Tochter Nina Edmée Marietta. Diese wurde legitimiert durch die am 27. Mai 1949 geschlossene Ehe der Mutter mit dem Vater Fachraddin Allachwerdijew, der damals Staatsangehöriger der Sowjetunion war. Im Jahre 1949 siedelte die Familie Allachwerdijew in die Türkei über. Sie wurde dort im folgenden Jahre eingebürgert und nahm den türkischen Namen Azeri an.
Mit Beschluss vom 21. Dezember 1956 stellte der Regierungsrat des Kantons Solothurn im Verfahren gemäss Art. 49 des BG über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts
BGE 83 I 54 S. 55
vom 29. September 1952 (BüG) fest, dass Hedwig Allachwerdijew-Henziross genannt Azeri und deren Tochter Nina Edmée Marietta durch den Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit das Schweizerbürgerrecht und die Bürgerrechte des Kantons Solothurn und der Gemeinde Niederbuchsiten verloren haben.
Durch Verfügung des eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 5. Januar 1957 wurde Hedwig Allachwerdijew-Henziross genannt Azeri gestützt auf
Art. 58 BüG
wieder ins Schweizerbürgerrecht und in die Bürgerrechte des Kantons Solothurn und der Gemeinde Niederbuchsiten aufgenommen.
B.-
Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrates vom 21. Dezember 1956 mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass Nina Edmée Marietta Allachwerdijew genannt Azeri die Bürgerrechte der Gemeinde Niederbuchsiten und des Kantons Solothurn und damit das Schweizerbürgrrecht noch besitze.
Es macht geltend, dass durch die Eheschliessung mit F. Allachwerdijew und die damit verbundene Legitimation weder die Ehefrau noch die Tochter das Sowjetbürgerrecht erworben und damit das Schweizerbürgerrecht verloren haben. Durch den späteren Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit habe wohl die Mutter das Schweizerbürgerrecht gemäss Art. 5 Abs. 4 des BRB vom 11. November 1941 verloren, nicht aber die Tochter. Art. 5 des BRB behandle das sog. Beibehaltungsrecht der Schweizerbürgerin bei Eheschliessung mit einem Ausländer und im Zusammenhang damit die Frage, wann Kinder aus einer solchen Ehe das Schweizerbürgerrecht mit der Geburt erhalten. Da er nicht über das Beibehaltungsrecht hinausgreife, könne sich auch sein Abs. 4 nur auf diejenigen Kinder beziehen, die das Schweizerbürgerrecht gemäss Abs. 3 zur Vermeidung von Staatenlosigkeit erhalten hätten; das gehe übrigens auch aus seinem Wortlaut hervor. Nina Edmée Marietta habe bei der Geburt das Schweizerbürgerrecht der Mutter
BGE 83 I 54 S. 56
aus einem anderen Grunde erhalten, nämlich weil die Vaterschaft nicht festgestellt gewesen sei. Da dieser Erwerbsgrund mit dem Beibehaltungsrecht nichts zu tun habe, berühre die auf dieses sich stützende Ausnahmebestimmung ihre Staatsangehörigkeit nicht. An der Rechtslage habe auch das BüG nichts geändert. Nach seinem Art. 8 verliere das aussereheliche Kind einer Schweizerin und eines Ausländers das Schweizerbürgerrecht durch Eheschliessung der Eltern, sofern es dadurch, also durch Legitimation, die Staatsangehörigkeit des Vaters erwerbe oder sie bereits besitze, nicht aber, wenn es sie später erhalte; ein solcher späterer Verlust hätte ausdrücklich im Gesetz erwähnt werden müssen, wie z.B. in
Art 28 Abs. 1 lit. b BüG
. Die Überlegung, legitimierte Kinder seien ehelichen gleichgestellt und fielen damit unter
Art. 5 BüG
, sei nicht stichhaltig; das aussereheliche Kind erhalte durch die Legitimation nur zivilrechtlich die Stellung eines ehelichen.
C.-
Der Regierungsrat hat sich eines Antrages enthalten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Entscheide kantonaler Behörden über das Schweizerbürgerrecht (und über das damit verbundene Kantons- und Gemeindebürgerrecht), die im Feststellungsverfahren nach
Art. 49 BüG
getroffen werden, unterliegen gemäss Art. 50 der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Zu deren Erhebung ist laut Art. 52 lit. b auch das eidg. Justiz- und Polizeidepartement legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Dass trotz der Eheschliessung mit F. Allachwerdijew, der damals Staatsangehöriger der Sowjetunion war, und trotz der damit verbundenen Legitimation die Ehefrau und die Tochter ihr Schweizerbürgerrecht behalten haben, ist nicht und war nie streitig: diese Frage bildet nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerde. Die Ausführungen des eidg. Justiz- und Polizeidepartements über das Staatsangehörigkeitsrecht der Sowjetunion, die sich
BGE 83 I 54 S. 57
ausschliesslich hierauf beziehen, brauchen nicht überprüft zu werden. Unbestritten ist sodann, dass Frau Hedwig Allachwerdijew-Henziross durch den Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit im Jahre 1950 ihr Schweizerbürgerrecht verloren hat. Mit Bezug auf sie ist der Feststellungsentscheid des Regierungsrates von keiner Seite angefochten worden und in Rechtskraft erwachsen. Ebenfalls unbestritten ist, dass die Tochter Nina Edmée Allachwerdijew im Jahre 1950 zusammen mit ihren Eltern die türkische Staatsangehörigkeit erworben hat. In der Tat bestimmt das türkische Staatsangehörigkeitsgesetz vom 8. Mai 1928/9. April 1929 in Art. 5: "Minderjährige Kinder erwerben zusammen mit dem Vater oder, wenn dieser verstorben ist, zusammen mit der Mutter die türkische Staatsangehörigkeit". Zu entscheiden ist einzig, ob auch die Tochter durch diesen Erwerb ihr Schweizerbürgerrecht verloren hat.
3.
Diese Frage ist nach dem im Jahre 1950 gültigen schweizerischen Recht, somit nach dem BRB vom 11. November 1941 über Änderung der Vorschriften über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts (BS 1, 106) zu beurteilen. Er ordnet in Art. 5 das Bürgerrecht der Schweizerin, die einen Ausländer heiratet, und in einem gewissen Rahmen dasjenige ihrer Kinder aus dieser Ehe. Ausgehend vom Grundsatz der Einheit des Bürgerrechts in der Familie, stellt er in Abs. 1 die Regel auf, dass die Ehefrau ihr Schweizerbürgerrecht verliert. Die Kinder aus der Ehe werden für diesen Fall gar nicht erwähnt; denn da sie durch keinen Elternteil mit der Schweiz verbunden sind, kommt das Schweizerbürgerrecht für sie nicht in Frage. Abs. 2 sieht eine Ausnahme von dem Grundsatz vor, um Staatenlosigkeit zu vermeiden: Trotz der Heirat mit einem Ausländer behält die Frau ihr Schweizerbürgerrecht, wenn sie sonst unvermeidlich staatenlos würde. Abs 3 dehnt diese Ausnahme auf die Kinder aus der Ehe aus (und wahrt damit zugleich das Prinzip der Einheit wenigstens für Mutter und Kinder): Unter der analogen Voraussetzung erhalten
BGE 83 I 54 S. 58
sie mit der Geburt das Schweizerbürgerrecht. Abs. 4 beschränkt die Ausnahme entsprechend ihrem Zweck: Da sie nur der Vermeidung von Staatenlosigkeit dienen soll, fällt sie mit dem Wegfall jener Voraussetzung ebenfalls dahin.
Die vorehelichen Kinder der Schweizerin, die einen Ausländer heiratet, werden in Art. 5 des BRB nicht genannt - und brauchen auch darin zur Regelung ihres Bürgerrechts nicht ausdrücklich genannt zu werden. Stammen sie von einem anderen Vater als dem nunmehrigen Ehegatten ihrer Mutter - gleichviel, ob unehelich oder aus einer früheren Ehe -, so wird ihr Status durch die Heirat der Mutter nicht berührt und behalten sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit. Ist dagegen ihr Vater der nunmehrige Ehemann ihrer Mutter, so werden sie durch die Heirat legitimiert und gemäss
Art. 263 Abs. 1 ZGB
ehelichen Kindern gleichgestellt; dann gilt also für sie die gleiche Ordnung, wie sie Art. 5 des BRB für die ehelichen Kinder aufstellt. Der Auffassung des eidg. Justiz- und Polizeidepartements, durch die Legitimation erhalte das aussereheliche Kind nur zivilrechtlich die Stellung eines ehelichen, kann nicht beigepflichtet werden. Wohl spricht
Art. 263 ZGB
von Gleichstellung "im Verhältnis zu Vater und Mutter und deren Verwandtschaft"; doch ist allgemein anerkannt, dass das Kind durch die Legitimation das Bürgerrecht des Vaters erhält und damit das bisherige der Mutter verliert (EGGER, N. 1, und SILBERNAGEL-WÄBER, N. 2 zu
Art. 263 ZGB
). Das schweizerische Recht stand - wiederum ausgehend vom Grundsatz der Einheit des Bürgerrechts in der Familie - von jeher auf diesem Standpunkt; schon vor dem Erlass des ZGB hat ihn das Bundesgericht aus
Art. 54 Abs. 5 BV
hergeleitet (
BGE 37 I 246
ff.,
BGE 45 I 161
ff.). Während er für den Fall der Legitimation durch einen schweizerischen Vater als selbstverständlich betrachtet wurde, war anderseits zu berücksichtigen, dass die Staatsangehörigkeit eines ausländischen Vaters nur kraft dessen Heimatrechts erworben werden kann. Um Staatenlosigkeit zu vermeiden,
BGE 83 I 54 S. 59
liess deshalb die Praxis des Bundesgerichts bei Legitimation durch einen Ausländer den Verlust des Schweizerbürgerrechts nur eintreten, wenn das Kind nach dem ausländischen Recht infolge der Legitimation die Staatsangehörigkeit des Vaters erwarb. Schon damals wurde das legitimierte Kind diesbezüglich einem ehelichen gleichgestellt; denn auch das eheliche Kind einer Schweizerin und eines Ausländers erhielt das Schweizerbürgerrecht, wenn es nicht die Staatsangehörigkeit des Vaters erhielt. Der einzige, aus der Natur der Sache sich ergebende Unterschied bestand darin, dass das während der Ehe geborene Kind das Schweizerbürgerrecht mit der Geburt erhielt, das legitimierte aber sein schon vor der Legitimation erworbenes beibehielt.
Der BRB vom 11. November 1941 hat in Art. 5 die schon vorher kraft der Rechtsprechung des Bundesgerichts geltende Ordnung des Bürgerrechts der Schweizerin, die einen Ausländer heiratet, sanktioniert und etwas verschärft, indem er strengere Folgerungen daraus gezogen hat, dass das Schweizerbürgerrecht lediglich zur Vermeidung von Staatenlosigkeit gewährt wird: In Abs. 2 und 3 macht er zur Voraussetzung seiner Beibehaltung durch die Ehefrau bzw. seines Erwerbs mit der Geburt durch die Kinder, dass sie andernfalls "unvermeidlich" staatenlos wären, und in Abs. 4 bestimmt er, dass das gestützt darauf beibehaltene bzw. erworbene Schweizerbürgerrecht durch den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit verloren wird. Aus der Gleichstellung der legitimierten Kinder mit ehelichen folgt, dass diese Bestimmungen auf sie sinngemäss anzuwenden sind. Das durch die Heirat legitimierte Kind ist deshalb von da an gleich zu behandeln wie das in der Ehe geborene von Geburt an. Es "erwirbt" zwar damit nicht das Schweizerbürgerrecht, weil es dasselbe schon mit seiner unehelichen Geburt erhalten hat. Es würde aber normalerweise durch die Legitimation dieses Bürgerrecht verlieren und behält es nur bei, wenn es sonst unvermeidlich staatenlos würde, und verliert es durch den
BGE 83 I 54 S. 60
Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit. Das Argument des eidg. Justiz- und Polizeidepartements, Art. 5 Abs. 4 des BRB könne nicht über das Beibehaltungsrecht hinausgreifen, geht fehl; gerade bei den legitimierten Kindern handelt es sich um ein beibehaltenes - und zwar im Zusammenhang mit dem Beibehaltungsrecht der Mutter und ausschliesslich zur Vermeidung von Staatenlosigkeit beibehaltenes - Schweizerbürgerrecht. Freilich nennt der deutsche Text des Abs. 4 nur "das gemäss Abs. 2 beibehaltene und das gemäss Abs. 3 erworbene Schweizerbürgerrecht". Dieser Wortlaut ist jedoch zu eng; denn neben dem nach Abs. 2 beibehaltenen der Ehefrau und dem nach Abs. 3 erworbenen der in der Ehe geborenen Kinder gibt es noch das kraft sinngemässer Anwendung von Abs. 3 beibehaltene der legitimierten Kinder, auf das Abs. 4 ebenfalls sinngemäss anzuwenden ist. Besser sind die romanischen Texte des Abs. 4, wonach durch den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit verloren wird "la nationalité suisse conservée ou acquise en vertu des 2e et 3e alinéas", "la cittadinaza svizzera conservata o acquistata in virtù del secondo e del terzo capoverso". Es ist nicht denkbar, dass das Gesetz die legitimierten Kinder anders behandeln, besser stellen wolle als die ehelichen Kinder. Alle hier hereinspielenden Grundsätze des schweizerischen Rechts - die Einheit des Bürgerrechts in der Familie, die Gleichstellung der legitimierten Kinder mit den ehelichen und die Beschränkung von Ausnahmen auf die Vermeidung von Staatenlosigkeit - erfordern diese Auslegung von Art. 5 des BRB. Das zeigt sich darin, dass sonst die Kinder der Familie Allachwerdijew eine verschiedene Staatsangehörigkeit hätten. Die in der Zeit zwischen der Heirat und dem Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit geborenen haben das Schweizerbürgerrecht mit der Geburt erhalten, aber nacher wieder verloren; die nach der Einbürgerung der Eltern in der Türkei geborenen haben es überhaupt nie besessen - und zwar ohne Unterschied, ob sie vor oder nach dem Inkrafttreten des neuen Bürgerrechtsgesetzes
BGE 83 I 54 S. 61
und vor oder nach der Wiederaufnahme der Mutter in das Schweizerbürgerrecht geboren wurden (im letzten Falle gemäss
Art. 5 Abs. 1 BüG
). Dass im Gegensatz hiezu das legitimierte Kind türkisch-schweizerischer Doppelbürger wäre, würde der ganzen Ordnung des schweizerischen Rechtes widersprechen.
Im angefochtenen Endscheid wird deshalb mit Recht festgestellt, dass auch Nina Edmée Marietta Allachwerdijew im Jahre 1950 durch den Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit ihr Schweizerbürgerrecht und die Bürgerrechte des Kantons Solothurn und der Gemeinde Niederbuchsiten verloren hat.
4.
Selbst wenn sie das Schweizerbürgerrecht in jenem Zeitpunkt nach dem damals gültigen Recht nicht verloren hätte, so wäre der Verlust nach dem Inkrafttreten des neuen Bürgerrechtsgesetzes (1. Januar 1953) auf Grund dieses Erlasses eingetreten.
Die Wirkung der Legitimation des ausserehelichen Kindes einer Schweizerin und eines Ausländers auf das Bürgerrecht ist in
Art. 8 BüG
ausdrücklich geregelt, und zwar im wesentlichen gleich wie schon vorher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, mit der Präzisierung, dass nur das noch unmündige Kind durch die Legitimation das Schweizerbürgerrecht verliert, "sofern es dadurch die Staatsangehörigkeit des Vaters erwirbt oder diese bereits besitzt." Die Beibehaltung bildet also nach wie vor eine Ausnahme, die nur der Vermeidung von Staatenlosigkeit dient; bezeichnend hiefür ist, dass der Verlust auch eintritt, wenn das Kind schon vor der Legitimation aus einem anderen Grunde das Bürgerrecht des Vaters (neben dem schweizerischen) besass. Da das legitimierte Kind einem ehelichen gleichgestellt ist, richtet sich der Verlust des trotz der Legitimation beibehaltenen Schweizerbürgerrechtes nach der Regel, die
Art. 5 Abs. 2 BüG
für das eheliche Kind einer Schweizerin und eines Ausländers aufstellt. Diese stimmt zur Hauptsache mit derjenigen von Art. 5 Abs. 4 des BRB vom 11. November 1941 überein, mit einer zweifachen
BGE 83 I 54 S. 62
Milderung: Nicht jeder Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit bewirkt den Verlust des Schweizerbürgerrechts, sondern nur derjenige der Staatsangehörigkeit des Vaters, und nur wenn er vor der Mündigkeit erfolgt. Im Gegensatz zu dem engen deutschen Wortlaut des BRB ist aber hier nicht nur von dem "gemäss Abs. 1 erworbenen" Schweizerbürgerrecht die Rede, sondern es heisst allgemein: "Es (das eheliche Kind eines ausländischen Vaters und einer schweizerischen Mutter) verliert das Schweizerbürgerrecht, wenn es vor der Mündigkeit die ausländische Staatsangehörigkeit des Vaters besitzt". Die Bestimmung ist also nicht nur dem Sinne, sondern auch dem Wortlaut nach auf die legitimierten und damit den ehelichen gleichgestellten Kinder ebenfalls anwendbar - gleichviel, ob die Legitimation vor oder nach dem 1. Januar 1953 eintrat und das Schweizerbürgerrecht kraft des früheren Rechts oder des
Art. 8 BüG
beibehalten wurde (
Art. 57 Abs. 4 BüG
).
Auch
Art. 5 Abs. 2 BüG
beruht auf dem Gedanken, dass das Schweizerbürgerrecht ehelicher Kinder einer Schweizerin und eines Ausländers eine Ausnahme bildet, nur dazu dient, Staatenlosigkeit zu verhindern, und daher entfällt, wenn keine solche droht. Aus welchem Grunde und wann das Kind die Staatsangehörigkeit des Vaters erworben hat, ist unerheblich, wenn es nur vor der Mündigkeit geschah. Von wesentlicher Bedeutung ist das Wort "besitzt", das im Entwurf des Bundesrates anstelle des im Entwurf der Expertenkommission verwendeten Wortes "erwirbt" eingefügt wurde. Darin kommt deutlich zum Ausdruck, dass der Verlust des Schweizerbürgerrechtes auch eintritt, wenn das Kind die Staatsangehörigkeit des Vaters nicht erst nach dem Inkrafttreten des Bürgerrechtsgesetzes erwirbt, sondern dieselbe schon vorher besass und in jenem Zeitpunkt noch nicht mündig ist. Das trifft zu bei Nina Edmée Marietta Allachwerdijew: Sie war bei der Legitimation ein Jahr alt gewesen und hatte das Schweizerbürgerrecht behalten, weil sie sonst staatenlos geworden wäre. Im Jahre
BGE 83 I 54 S. 63
1950 erwarb sie zusammen mit ihren Eltern die türkische Staatsangehörigkeit. Selbst wenn sie nach dem damals gültigen Recht das Schweizerbürgerrecht noch weiter behalten hätte, hätte sie es nach dem Inkrafttreten des neuen Bürgerrechtsgesetzes am 1. Januar 1953 verloren, weil sie die ausländische Staatsangehörigkeit des Vaters besass und noch nicht mündig war.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4b4aa9ef-d5f5-4eaf-b247-dd1243d5d81d | Urteilskopf
82 II 136
19. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. April 1956 i.S. Zbrojovka Brno, Nationalunternehmen, gegen Richter. | Regeste
Art. 97, 205 OR
.
a) Auch wenn der Käufer Ersatz des Minderwertes der Sache verlangt, hat er bei Verschulden des Verkäufers Anspruch auf Ersatz des durch die Mängel der Sache verursachten weiteren Schadens (Erw. 3 a).
b) Dieser kann darin bestehen, dass dem Käufer Gewinn entgeht, weil seine Kunden wegen der mangelhaften Lieferung ihm keine weiteren Erzeugnisse des Verkäufers mehr abnehmen (Erw. 3 b).
c) Sorgfaltspflichten des Verkäufers, der von einem Dritten hergestellte Maschinen absetzt (Erw. 3 c). | Sachverhalt
ab Seite 137
BGE 82 II 136 S. 137
A.-
Die Zbrojovka Brno, Nationalunternehmen in Brünn (Tschechoslovakei), liess Fritz Richter in Schaan (Liechtenstein) durch die Maschinenfabrik Vltavsky in Rakovnik zwanzig hydraulische Pressen liefern. Die ersten davon wurden am 29. November 1946 versandt. Die Rechnungen der Zbrojovka Brno über die zwanzig Maschinen wurden am 24. Oktober 1946, 5. Dezember 1946 und 21. Januar 1947 ausgestellt und lauten auf zusammen Fr. 132'842.70. Da sie nicht bezahlt wurden, liess die Rechnungstellerin in Wil (St. Gallen) liegendes Vermögen Richters mit Arrest belegen, leitete Betreibung ein und erwirkte am 1. Juli 1950 beim Bezirksgerichtspräsidenten von Wil für einen Teilbetrag von Fr. 68'746.70 nebst 5% Zins seit 26. Januar 1947 provisorische Rechtsöffnung. Dieser Entscheid wurde am 17. August 1950 vom Rekursrichter bestätigt.
B.-
Richter klagte rechtzeitig auf Aberkennung der Forderung von Fr. 68'746.70 nebst Zins, Betreibungs- und Rechtsöffnungskosten. Er machte geltend, die Kaufpreisforderung vermindere sich wegen Nichtlieferung von neun Zeitmessern auf Fr. 128'342.70. Diese Forderung verrechne er mit einer Schadenersatzforderung von Fr. 190'323.17, weil acht der erwähnten Pressen Mängel aufgewiesen hätten. Sein Schaden setze sich zusammen aus Fr. 32'993.--, die er einem seiner Käufer, der Xamax A.-G. in Zürich, als Schadenersatz habe leisten müssen, aus Fr. 19'337.57 eigenen Aufwendungen zur Instandstellung der fehlerhaften Maschinen und aus Fr. 137'992.60 entgangenem Gewinn.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie anerkannte indes, dass ihre Forderung sich infolge Nichtlieferung von Zeitmessern auf Fr. 128'342.70 vermindere.
BGE 82 II 136 S. 138
Das Bezirksgericht Wil wies die Klage ab.
Auf Berufung des Klägers hiess das Kantonsgericht von St. Gallen sie dagegen mit Urteil vom 16. November 1955 dahin teilweise gut, dass es vom Forderungsbetrag, für den provisorische Rechtsöffnung erteilt worden war, einen Teilbetrag von Fr. 40'033.04 nebst 5% Zins seit 26. Januar 1947 und 5% Zins auf den restlichen Fr. 28'713.66 vom 26. Januar 1947 bis 26. Oktober 1948, ferner Fr. 8.- Betreibungskosten, Fr. 36.70 Rechtsöffnungskosten und Fr. 80.- Prozessentschädigung des Rechtsöffnungsverfahrens aberkannte. Das Kantonsgericht nahm an, die Beklagte habe vom Kläger nur Fr. 28'713.66 zu fordern, da die Kaufpreisforderung von Fr. 128'342.70 wegen Minderwerts von acht Pressen um Fr. 34'629.04 zu mindern sei und die Verkäuferin dem Kläger ausserdem Fr. 65'000.-- entgangenen Gewinn schulde, weil die Xamax A.-G. und die Prewag, Presswerk A.-G., dem Kläger weitere Pressen der Beklagten abgekauft hätten, wenn die gelieferten nicht mangelhaft gewesen wären.
C.-
Die Beklagte hat die Berufung erklärt mit den Anträgen, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Klage abzuweisen.
D.-
Der Kläger beantragt, die Berufung sei abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Im kantonalen Verfahren haben beide Parteien sich auf das schweizerische Recht berufen. Damit haben sie ihr Rechtsverhältnis gültig diesem Recht unterstellt (
BGE 79 II 297
ff.,
BGE 80 II 50
, 180). Auf die Berufung ist daher einzutreten.
2.
Die Beklagte ficht das Urteil des Kantonsgerichts nur insoweit an, als es einen Anspruch des Klägers auf entgangenen Gewinn von Fr. 65'000.-- bejaht. Sie beanstandet die Auffassung des Kantonsgerichts, wonach sie gemäss
Art. 101 OR
für die mangelhafte Herstellung der Maschinen auch dann einzustehen habe, wenn die Maschinenfabrik
BGE 82 II 136 S. 139
Vltavsky kein Verschulden treffe, da diese ihre Erfüllungsgehilfin gewesen sei. Die Beklagte macht geltend, diese Firma habe höchstens durch den Versand der Pressen als Erfüllungsgehilfin gehandelt, da nur die Lieferung, nicht auch die Herstellung der Maschinen Gegenstand des zwischen den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrages sei.
Diese Frage kann indessen offen bleiben, da alle Voraussetzungen der Schadenersatzpflicht der Beklagten unabhängig davon erfüllt sind, ob sie für die mangelhafte Herstellung der Maschinen aus
Art. 101 OR
einzustehen hat.
3.
a) Die Beklagte bestreitet mit Recht nicht, dass der Schadenersatzanspruch des Käufers wegen Lieferung mangelhafter Ware neben dem Anspruch auf Ersatz des Minderwertes Platz hat, also nicht die Wandelung des Kaufes voraussetzt, obschon eine dem
Art. 208 Abs. 3 OR
entsprechende Bestimmung in Art. 205 fehlt. Nach Lehre und Rechtsprechung gilt hier die allgemeine Norm des
Art. 97 Abs. 1 OR
, wonach der Schuldner, der eine Verbindlichkeit nicht gehörig erfüllt, für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten hat, wenn er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle (
BGE 58 II 210
ff.,
BGE 63 II 405
).
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Schaden im Sinne dieser Bestimmung im Falle der Lieferung einer mangelhaften Kaufsache darin bestehen, dass dem Käufer Gewinn entgeht, weil seine Kunden davon absehen, ihm weitere Erzeugnisse des Verkäufers abzunehmen. Voraussetzung ist nur, dass der Käufer weitere Geschäfte einerseits mit dem Verkäufer, anderseits - gewinnbringend - mit seinen eigenen Abnehmern sicher zustande gebracht hätte, wenn der Verkäufer nicht mangelhaft erfüllt hätte. In diesem Falle hängt das Entgehen des Gewinnes aus weiteren Geschäften ursächlich zusammen mit der mangelhaften Lieferung.
So verhält es sich auch hier. Das Kantonsgericht stellt anhand des Ergebnisses der Beweisführung verbindlich
BGE 82 II 136 S. 140
fest, dass die Xamax A.-G. beim Kläger für Fr. 146'800.-- weitere Pressen bestellt hätte, wenn sie nicht mangelhaft beliefert worden wäre, und dass dem Kläger wegen der minderwertigen Lieferung der Beklagten auch eine weitere Bestellung der Prewag, Presswerk A.-G. über eine 100 T-Presse entgangen ist. Das Bundesgericht ist auch an die im Beweisdekret des Kantonsgerichts vom 7. Oktober 1954 enthaltene, sich auf die Aussagen von Zeugen stützende Feststellung gebunden, wonach die zwischen den Parteien bestehenden Meinungsverschiedenheiten einzig Folge der mangelhaften Lieferungen waren und ohne sie die Beklagte den Kläger, der offenbar ihr Vertrauen genossen habe, weiter beliefert hätte. Ergänzt werden diese Feststellungen durch die Schreiben der Tschechoslowakischen Metallwaren- und Maschinenfabriken, Nationalunternehmen, an den Kläger vom 27. Oktober und 24. November 1947. Im ersten Brief wird das Erstaunen darüber ausgedrückt, dass der Kläger anlässlich eines Besuches im Werke Vltavsky alle seine Bestellungen über Pressen widerrufen habe, und im zweiten Brief ist von einem neuen Angebot von Vltavsky-Pressen RB 45 die Rede. Das Kantonsgericht hat daher mit Recht einen rechtserheblichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Lieferung minderwertiger Pressen durch die Beklagte und dem Ausfall von Gewinn, den der Kläger als Zwischenhändler durch Abschluss weiterer Geschäfte hätte erzielen können, bejaht.
c) Der vom Kantonsgericht geteilten Auffassung der Beklagten, sie habe die mangelhafte Erfüllung nicht verschuldet, ist nicht beizupflichten. Sie verkennt, dass nicht der Käufer das Verschulden des Verkäufers an der Mangelhaftigkeit der Leistung zu beweisen hat, sondern dass
Art. 97 Abs. 1 OR
dem Schuldner (Verkäufer) den Beweis dafür auferlegt, dass ihn keinerlei Verschulden treffe. Der Beklagten oblag es daher, Tatsachen nachzuweisen, aus denen sich ergäbe, dass sie die Mängel der Pressen nicht verschuldet habe.
BGE 82 II 136 S. 141
Eine solche Tatsache lag nicht darin, dass der Kläger im Prozess vorbrachte, die Mängel hätten sich erst beim Betrieb der Maschinen gezeigt. Das konnte nur heissen, er habe sie nicht sofort wahrnehmen und rügen können. Indem das Kantonsgericht daraus ableitet, auch die Beklagte als Zwischenhändlerin habe sie nicht selbst erkennen können, zumal sie zur Prüfung der Maschinen vor der Ablieferung nicht gehalten gewesen sei, verkennt es die ihr obliegenden Pflichten. Wie die Erfahrung lehrt, werden Maschinen vom Hersteller auf dem Prüfstand auf Mängel hin untersucht. Wenn der Zwischenhändler es mit seinen Pflichten ernst nimmt, kann er sich dort davon überzeugen, ob die Maschine den Anforderungen entspricht. Auch die Beklagte hätte das tun können. Dass sie es getan und dabei trotz aller Umsicht die Mängel nicht wahrgenommen habe, wird nicht einmal behauptet. Die Beklagte bringt auch keine anderen Tatsachen vor, die ihr Verschulden widerlegten, z.B. dass die Pressen in der Maschinenfabrik Vltavsky auch ohne Begehren und in Abwesenheit des Zwischenhändlers regelmässig einer genauesten Kontrolle unterzogen und erst dann zur Lieferung freigegeben worden seien, wenn sie die Prüfung in jeder Hinsicht bestanden hätten, oder dass frühere Bezüger immer restlos zufrieden gewesen seien und die Pressen dieser Fabrik allgemein den Ruf bester Erzeugnisse genossen hätten, der die Prüfung der einzelnen Maschine durch die Beklagte überflüssig gemacht habe. Aus einem Brief des Klägers an die Maschinenfabrik Vltavsky vom 9. September 1946 ergibt sich im Gegenteil, dass der Kläger die Fabrik schon damals auf Mängel an früher gelieferten Pressen aufmerksam machte und um bessere Lieferung ersuchte. Wenn auch nicht feststeht, dass die Beklagte von dieser Beanstandung Kenntnis hatte, als am 29. November 1946 die ersten Pressen versandt wurden, deren Mangelhaftigkeit Anlass zum vorliegenden Verfahren gegeben hat, so ist diese Rüge in Verbindung mit den vom Kantonsgericht festgestellten Mängeln der Pressen doch
BGE 82 II 136 S. 142
deutliches Zeichen dafür, dass die Erzeugnisse der Maschinenfabrik Vltavsky nicht gut waren. Die Beklagte hat den Beweis, dass sie davon trotz aller zumutbaren Umsicht nicht Kenntnis haben konnte, nicht angetreten.
Sie ist dem Kläger daher zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
d) Gegen die Bemessung des dem Kläger entgangenen Nettogewinnes auf Fr. 65'000.-- wendet die Beklagte in der Berufung nichts ein. Sie macht auch keine Gründe geltend, die zur Herabsetzung der Ersatzpflicht Anlass geben könnten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts von St. Gallen vom 16. November 1955 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4b4af436-79e4-4117-9666-798c24e98e02 | Urteilskopf
125 III 401
69. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Oktober 1999 i.S. X. gegen Y.-Z. (Berufung) | Regeste
Art. 156 ZGB
i.V.m.
Art. 275 ZGB
und
Art. 315a ZGB
;
Art. 53 OR
und Art. 2 ÜbBest.BV; Zuständigkeit des Scheidungsrichters.
An bestehende Kindesschutzmassnahmen und Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist der Scheidungsrichter nicht gebunden, wenn sich seit Erlass der betreffenden Verfügungen die Verhältnisse geändert haben (E. 2b). Für die Regelung des persönlichen Verkehrs ist er auch dort sachlich zuständig, wo er beiden Ehegatten die elterliche Gewalt entzieht (E. 2c). Er missachtet den Vorrang des Bundesrechts nicht dadurch, dass er ohne Rücksicht auf ein vorausgegangenes Straferkenntnis die Frage eines Missbrauchs des Scheidungskinds abklärt (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 402
BGE 125 III 401 S. 402
A.-
X., Jahrgang 1953, und X.-Z. (heute: Y.-Z.), Jahrgang 1961, heirateten am 13. Dezember 1991. Für sie war es die dritte und für ihn die zweite Eheschliessung, und beide hatten sie Kinder aus früherer Ehe; die elterliche Gewalt über seine drei Kinder wurde damals der geschiedenen Ehefrau übertragen, während ihr Sohn aus erster Ehe fremdplatziert werden musste. Aus der Ehe der Parteien ging am 16. Juni 1992 das Mädchen M. hervor. Es lebt seit August 1995 bei einer Pflegefamilie in U., in der es schon zuvor betreut worden war.
B.-
Nachdem ihnen bereits im September 1994 einmal die Obhut über ihre Tochter entzogen und dieser ein Beistand bestellt worden war, entzog die Vormundschaftsbehörde U. den Parteien im August/September 1995 erneut das Obhutsrecht über M., beliess das Kind an seinem bisherigen Pflegeplatz und schränkte unter anderem den persönlichen Kontakt von X. mit seiner Tochter auf Besuche in Anwesenheit der Pflegemutter oder einer vom Beistand des Kindes zu bestimmenden Drittperson ein; die dagegen erhobene Beschwerde von X. ist bei der Fürsorgedirektion des Kantons Glarus hängig. Das wegen Verdachts auf sexuelle Übergriffe auf das Mädchen M. gleichzeitig eröffnete Strafverfahren gegen X. wurde "mangels Nachweis einer strafbaren Handlung" fallen gelassen; der entsprechende Beschluss der kantonsgerichtlichen Strafkammer vom 14. Februar 1996 ist unangefochten geblieben.
C.-
Auf Klage der Ehefrau vom 20. Februar 1996 hin schied das Kantonsgericht Glarus (II. Zivilkammer) die Ehe der Parteien. Es entzog beiden Ehegatten die elterliche Gewalt, errichtete eine Vormundschaft über M. und regelte den persönlichen Verkehr wie auch die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem Kind (Urteil vom 18. März 1997). Auf dem Rechtsmittelweg suchten beide Parteien, die Zuteilung der elterlichen Gewalt über ihre Tochter an sich zu erwirken, verbunden mit einer Anpassung der weiteren Kinderbelange. Das Obergericht des Kantons Glarus wies die Appellationen ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil bis auf die Regelung des Kontakts zwischen Eltern und Kind, den es für den Vater X. weitergehend einschränkte. Es strich sein Ferienbesuchsrecht und erlaubte ihm, seine Tochter an einem Tag pro Monat unter Überwachung durch eine Drittperson zu treffen. Die verbindliche Regelung der Modalitäten der elterlichen Kontakte mit dem Kind wurde dem Vormund aufgetragen (Urteil vom 21. November 1997 und 7. Mai 1999).
D.-
Mit eidgenössischer Berufung beantragt X. dem Bundesgericht zur Hauptsache, ihm die elterliche Gewalt über M. zuzuscheiden,
BGE 125 III 401 S. 403
Y.-Z. ein angemessenes Besuchs- und Ferienrecht einzuräumen, eventuell gemäss dem angefochtenen Urteil, und sie zu angemessenen Unterhaltsbeiträgen für ihre Tochter zu verpflichten, eventuell gemäss dem bestätigten Kantonsgerichtsurteil; für den Fall, dass ihm die elterliche Gewalt und/oder die Obhut entzogen werden sollte, sei ihm ein uneingeschränktes, insbesondere unbegleitetes Besuchsrecht an zwei Wochenenden pro Monat sowie ein Ferienrecht im Umfange von vier Wochen jährlich einzuräumen.
Das Obergericht hat auf Abweisung der Berufung geschlossen, soweit darauf einzutreten sei. Die von Y.-Z. unaufgefordert eingelegte Berufungsantwort und Anschlussberufung wurde als verfrüht zurückgewiesen.
Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.
E.-
Die gleichzeitig gegen das nämliche Urteil erhobene staatsrechtliche Beschwerde von X. hat die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte (5P. 254/1999).
Das Bundesgericht hat die Berufung abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte, und das obergerichtliche Urteil bestätigt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beklagte macht eine Verletzung von
Art. 315a ZGB
geltend und bestreitet die Befugnis des Obergerichts, Kindesschutzmassnahmen anzuordnen. Nach Abs. 2 Ziffer 1 der genannten Bestimmung bleibe die Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde gegenüber jener der Gerichte nach
Art. 315a Abs. 1 ZGB
vorbehalten, wenn das Kindesschutz- vor dem Scheidungsverfahren durchgeführt oder eingeleitet worden sei. Diese Voraussetzung sei offenkundig erfüllt.
a) Rechtlich geht es um die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen vormundschaftlichen Behörden und Scheidungsrichter für die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen (
Art. 315 und
Art. 315a ZGB
), dann aber auch um die Zuständigkeit für die Regelung der persönlichen Beziehungen der Eltern zu ihrem Kind (Art. 156 i.V.m.
Art. 275 Abs. 1 und 2 ZGB
). Die Auslegung dieser Bundesrechtsbestimmungen folgt den allgemeinen Grundsätzen:
Ausgangspunkt bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente; dabei kommt es namentlich
BGE 125 III 401 S. 404
auf den Zweck der Regelung, die dem Text zu Grunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, den Sinn der Norm zu erkennen (
BGE 125 II 192
E. 3a S. 196 mit Hinweisen). Vom Wortlaut kann abgewichen werden, wenn triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus Sinn und Zweck der Norm oder aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben (
BGE 125 II 113
E. 3a S. 117 mit Hinweisen).
Auf den 1. Januar 2000 wird eine Änderung des Zivilgesetzbuches in Kraft treten betreffend unter anderem Scheidung und Kindesrecht (AS 1999 S. 1118 ff., S. 1144). Vorarbeiten dazu dürfen bei der Auslegung berücksichtigt werden, wenn das geltende System nicht grundsätzlich geändert und nur eine Konkretisierung des bestehenden Rechtszustandes angestrebt wird oder Lücken des geltenden Rechts ausgefüllt werden (
BGE 124 II 193
E. 5d S. 201; RIEMER, Neuere privatrechtliche Bundesgerichtsentscheide zur Vorwirkung von Gesetzen, recht 11/1993 S. 223 ff.). Die Voraussetzungen sind bei den hier in Betracht fallenden Bestimmungen erfüllt, die im Parlament gemäss dem bundesrätlichen Entwurf unverändert angenommen wurden (Botschaft, BBl 1996 I 1ff., S. 27 Ziffer 144.2, S. 30 Ziffer 144.5 und S. 123 ff. Ziffer 233.6; AB 1996 S 766 und 1997 N 2715-2722 für Art. 133 Abs. 1 und 2 sowie AB 1996 S 772 und 1997 N 2739 bzw. 2743 für Art. 275 und Art. 315a).
b) Das Obergericht hat den Ehegatten die elterliche Gewalt über ihre Tochter in Anwendung von
Art. 311 ZGB
entzogen und damit im Rahmen der Ehescheidung eine Kindesschutzmassnahme getroffen. Es hat ferner den persönlichen Verkehr des Beklagten mit seiner Tochter eingeschränkt.
aa) Zuständig für Kindesschutzmassnahmen sind die vormundschaftlichen Behörden (
Art. 315 Abs. 1 ZGB
), ausser der Richter habe nach den Bestimmungen über die Ehescheidung die Elternrechte und die persönlichen Beziehungen der Eltern zu ihren Kindern zu gestalten (
Art. 315a Abs. 1 ZGB
); im Sinne von Gegenausnahmen zur richterlichen Zuständigkeit bleibt aber jene der vormundschaftlichen Behörden vorbehalten, wenn das Kindesschutzverfahren vor dem Scheidungsverfahren durchgeführt oder eingeleitet worden ist oder wenn die zum Schutz des Kindes sofort nötigen vorsorglichen Massnahmen vom Richter voraussichtlich
BGE 125 III 401 S. 405
nicht rechtzeitig getroffen werden können (Art. 315a Abs. 2 Ziffern 1 und 2 ZGB).
bb) Inhaltlich entsprechen die beiden ersten Absätze des
Art. 315a ZGB
dem bundesrätlichen Entwurf (Art. 316). Die sachliche Zuständigkeit des Scheidungsrichters für Kindesschutzmassnahmen wird in der Botschaft aus Gründen des Sachzusammenhangs und der Verfahrensökonomie als sinnvoll erachtet; zu den Vorbehalten findet sich keine nähere Begründung (BBl 1974 II 1 ff., S. 86 f. Ziffer 323.47). Die redaktionellen Änderungen der Kommission sollen dem Berichterstatter im Ständerat zufolge klarstellen, dass es hier um Kindesschutzmassnahmen gemäss
Art. 307 ff. ZGB
geht und nicht um andere Regelungen, die das Kind auch betreffen können, wie etwa die Regelung des Besuchsrechts (AB 1975 S 139); Berichterstatter Arnold hatte ferner in der Eintretensdebatte auf den Dualismus hingewiesen, dass namentlich der Scheidungsrichter und die Verwaltungsbehörde sich mit dem Kind aus gestörter Ehe zu befassen und ähnliche Entscheidungen, wenn auch in verschiedenen Verfahren, zu treffen hätten, was aber bis auf Weiteres in Kauf zu nehmen sei, zumal das Eherecht nicht Gegenstand der vorliegenden Revision sei; der Gesetzgeber werde für diesmal dafür besorgt sein müssen, dass die Kompetenzen klar abgegrenzt würden (AB 1975 S 107). Der ständerätliche Vorschlag wurde im Nationalrat in den hier wesentlichen Punkten diskussionslos angenommen (AB 1975 N 1788).
cc) Bedeutung und Tragweite der Regelung sind in der Lehre umstritten. Aus der Eindeutigkeit des Vorbehalts gemäss Art. 315a Abs. 2 Ziffer 1 ZGB wird gefolgert, der Richter dürfe die von den vormundschaftlichen Behörden vor Hängigkeit des Scheidungsprozesses getroffenen Massnahmen nicht ändern; seine Zuständigkeit sei vielmehr ausgeschlossen, wenn Kindesschutzmassnahmen der vormundschaftlichen Behörden noch in Kraft stünden (namentlich HENKEL, Die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen gemäss Art. 307 rev. ZGB, Diss. Zürich 1976, Druck 1977 S. 115 ff.). Nach einer engeren Auslegung soll der Richter befugt sein, die bereits bestehenden Massnahmen zu ergänzen oder durch schärfere zu ersetzen, aber nicht sie zu mildern oder aufzuheben (ausführlich: Hegnauer, Zur Abgrenzung der Kinderschutzbefugnisse der vormundschaftlichen Behörden und des Scheidungsrichters [
Art. 315a Abs. 1 und 2 Ziff. 1 ZGB
], ZVW 1981 S. 58 ff.). Haben die Verhältnisse sich gegenüber den von den vormundschaftlichen Behörden beurteilten verändert, ist strittig, ob für die Änderung der bestehenden
BGE 125 III 401 S. 406
Kindesschutzmassnahmen generell die vormundschaftlichen Behörden zuständig sind (vgl. HINDERLING/STECK, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. Aufl. Zürich 1995, S. 493 bei und in Anm. 16) oder ob der Richter tätig werden darf, da er ja unter dieser Voraussetzung nicht die bestehende Anordnung anpasst, sondern eine neue Situation beurteilt (z.B. BREITSCHMID, Basler Kommentar, N. 8 zu Art. 315/315a ZGB). Die Fragen werden seit jeher unterschiedlich beantwortet, und das Bundesgericht hatte sich bislang nicht über den konkreten Einzelfall hinaus zu äussern (vgl. die vertiefte Darstellung bei Eckert, Compétence et procédure au sujet de l'autorité parentale dans les causes matrimoniales, Diss. Lausanne 1990, S. 139 ff. mit vielen Nachweisen).
dd) Das Obergericht hat bestehende Kindesschutzmassnahmen nicht nur verschärft (Entzug der elterlichen Gewalt statt der Obhut), sondern einen Sachverhalt beurteilt, wie er den vormundschaftlichen Behörden nicht vorgelegen hatte. Denn eine umfassende Begutachtung des Kindes M., auch bezüglich der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen, die den Beklagten belasten, ist erstmals im Appellationsverfahren erfolgt und hat den Sachverhalt insoweit verändert, als sich namentlich der Verdacht auf sexuelle Übergriffe des Beklagten auf seine Tochter erhärtete. Die vormundschaftlichen Behörden hatten demgegenüber zunächst auf blosser Vermutungsbasis Kindesschutzmassnahmen angeordnet, die im Beschwerdeverfahren - den Angaben des Beklagten zufolge - nach Eingang des kantonsgerichtlichen Strafkammerentscheids auf Zusehen hin gelockert wurden. Dem Obergericht haben somit veränderte Verhältnisse im Rechtssinne vorgelegen (allgemein:
BGE 100 II 76
; z.B.
BGE 111 II 405
E. 3 S. 408, für das Besuchsrecht). Dass es diese selber beurteilen durfte, legen vorab Sachzusammenhang und Prozessökonomie nahe, wäre es doch ein Leerlauf, den Scheidungsrichter über die Zuteilung der elterlichen Gewalt ein Beweisverfahren durchführen zu lassen und ihm alsdann zu untersagen, jene Anordnungen im Interesse des Kindeswohls zu treffen, die den aktuellen, veränderten Verhältnissen entsprechen. Eine abweichende Sicht widerspräche dem auf eine klare Kompetenzabgrenzung gerichteten Zweck, aber auch der Idee, die hinter der richterlichen Zuständigkeit für Kindesschutzmassnahmen steht, dass nämlich alles in einem Verfahren geregelt werden soll. Die Revision des Scheidungsrechts hat diesen Gedanken aufgenommen und sieht in
Art. 315a Abs. 2 ZGB
neu ausdrücklich vor, dass bestehende Kindesschutzmassnahmen auch vom Gericht den neuen Verhältnissen angepasst werden können; diese
BGE 125 III 401 S. 407
Öffnung und damit eine Erweiterung der richterlichen Befugnisse ist aus den erwähnten Gründen gesetzlich verankert worden (BBl 1996 I 124 Ziffer 233.61). Die Entziehung der elterlichen Gewalt macht das Verfahren vor den vormundschaftlichen Behörden betreffend Zuweisung der Obhut gegenstandslos (vgl. HEGNAUER, a.a.O., S. 65 Ziffer 11).
ee) Wie einleitend erwähnt (E. 2b/bb soeben), gilt die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Richter und vormundschaftlichen Behörden gemäss
Art. 315a ZGB
nur für Kindesschutzmass-nahmen (
Art. 307 ff. ZGB
), hingegen nicht für die Regelung des persönlichen Verkehrs. Diese obliegt nach
Art. 275 ZGB
der Vormundschaftsbehörde (Abs. 1) unter Vorbehalt der richterlichen Zuständigkeit nach den Bestimmungen über die Ehescheidung und den Schutz der ehelichen Gemeinschaft (Abs. 2). Eine - Art. 315a Abs. 2 Ziffer 1 ZGB entsprechend - vorbehaltene Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde, wenn sie Anordnungen über den persönlichen Verkehr vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bereits getroffen hat, fehlt im Gesetz und ist durch die Scheidungsrechtsrevision nicht nachgetragen worden (vgl. BBl 1996 I 159/160 Ziffer 244.1). Übereinstimmend geht die Lehre aber davon aus, dass der Richter in Ehesachen wie an vorbestehende Kindesschutzmassnahmen, auch an die von der Vormundschaftsbehörde bereits getroffenen Anordnungen über den persönlichen Verkehr gebunden ist (statt vieler: STETTLER, Das Kindesrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, III/2, Basel 1992, § 16/IV Bst. I Ziffer 2 S. 279; HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 24 zu
Art. 275 ZGB
). Auf Gesagtes kann deshalb verwiesen werden, so dass der Richter jedenfalls dann für die Regelung des persönlichen Verkehrs zuständig ist, wenn die Verhältnisse sich gegenüber den für die Anordnungen der Vormundschaftsbehörde massgebenden verändert haben.
c) Von der Frage nach der sachlichen Zuständigkeit des Scheidungsrichters für Kindesschutzmassnahmen und Anordnungen über den persönlichen Verkehr, wenn bereits entsprechende Verfügungen der vormundschaftlichen Behörden bestehen, ist die weitere Frage zu unterscheiden, wem die Befugnis zukommt, den persönlichen Verkehr zu regeln für den Fall, dass der Scheidungsrichter beiden Ehegatten die elterliche Gewalt entzieht. Das Obergericht hat dem Beklagten ein Besuchsrecht von einem Tag pro Monat eingeräumt und mit dem Vollzug der Auflage den Vormund beauftragt.
aa) Die Lehrmeinungen gehen in dieser Zuständigkeitsfrage wiederum auseinander: Zu Gunsten der Vormundschaftsbehörde, diesfalls
BGE 125 III 401 S. 408
den persönlichen Verkehr zu regeln, wird angeführt, dass weder die Vormundschaftsbehörde noch die Pflegeeltern oder der Heimleiter im Scheidungsprozess Partei seien und dass der Richter die Verhältnisse der künftigen Unterbringung nicht kenne und damit die für eine angemessene Regelung wesentlichen Umstände nicht umfassend überblicke (HEGNAUER, N. 26 zu
Art. 275 ZGB
; gl.M. LÜCHINGER/GEISER, Basler Kommentar, N. 22 zu
Art. 156 ZGB
). Befürwortet wird demgegenüber die Zuständigkeit des Scheidungsrichters aus Gründen der Prozessökonomie (z.B. HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 453 f. Anm. 22a, a.E.), wegen der grösseren Sachnähe (so SCHWENZER, Basler Kommentar, N. 7 zu
Art. 275 ZGB
) oder unter Hinweis darauf, dass der Scheidungsrichter auf Grund der im Prozessverfahren ohnehin festzustellenden tatsächlichen Verhältnisse gewöhnlich auch ohne genaue Kenntnis der künftigen Vollzugsmassnahmen in der Lage sei, für die verschiedenen Fälle (Familien- bzw. Heim- oder Anstaltsversorgung) vorbehaltene Regelungen aufzustellen (BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 322 zu
Art. 156 ZGB
). Die Argumente haben sich im Laufe der Zeit nicht gewandelt (vgl. die ausführliche Erörterung von ECKERT, a.a.O., S. 131 ff. mit vielen Nachweisen).
bb)
Art. 156 ZGB
erklärt den Scheidungsrichter für sachlich zuständig, über die Gestaltung der Elternrechte und der persönlichen Beziehungen der Eltern zu den Kindern die nötigen Verfügungen zu treffen (Abs. 1) und den persönlichen Verkehr des Ehegatten mit den Kindern, die ihm entzogen werden, und den Beitrag, den er an die Kosten ihres Unterhalts zu entrichten hat, zu regeln (Abs. 2). Die Zuständigkeitsbestimmung wird in den für das Sachurteil massgebenden Gesetzesabschnitten jeweilen vorbehalten (z.B. für Anordnungen über den persönlichen Verkehr in
Art. 275 Abs. 2 ZGB
). Die Neufassung von
Art. 156 Abs. 2 ZGB
geht auf die Kindesrechtsrevision von 1976/78 zurück (BBl 1974 II 94 Ziffer 333; vorbehaltlos angenommen im Parlament: AB 1975 S 144 und N 1792), die mit
Art. 275 ZGB
die Zuständigkeiten von Vormundschaftsbehörde (Abs. 1) und Richter (Abs. 2) konkretisieren musste und im Wesentlichen danach schied, ob es sich um ein eherechtliches Verfahren handelt oder nicht (vgl. BBl 1974 II 55 Ziffer 321.34; Berichterstatter Arnold, AB 1975 S 124). Die nationalrätliche Berichterstatterin Blunschy führte dazu aus, der Richter habe, wenn ein Ehescheidungsverfahren oder ein Eheschutzverfahren eingeleitet sei, die Verhältnisse ohnehin gründlich zu prüfen, er kenne die Akten, und es liege an ihm, auch über das Besuchsrecht der Kinder das Nötige
BGE 125 III 401 S. 409
zu bestimmen; es wäre eine Doppelspurigkeit, würde man in solchen Fällen zusätzlich noch die Vormundschaftsbehörden bemühen (AB 1975 N 1768). Der Vorbehalt zu Gunsten der Zuständigkeit des Richters in Ehesachen gab - im Unterschied zu
Art. 275 Abs. 3 ZGB
- zu keinen weiteren Diskussionen Anlass. Das revidierte Scheidungsrecht entspricht in diesem Punkt dem bisherigen Recht (vgl. BBl 1996 I 123 Ziffer 233.61).
cc) Aus Botschaft und Beratung zur Revision des Kindesrechts lassen sich zumindest Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber eine klare Trennung richterlicher und vormundschaftsbehördlicher Zuständigkeiten gewollt hat; Doppelspurigkeiten sollten vermieden werden, wie dies vorab in
Art. 315a Abs. 1 ZGB
deutlich zum Ausdruck kommt, wonach der Richter die nötigen Kindesschutzmassnahmen trifft und die vormundschaftlichen Behörden mit der Vollziehung betraut. Ferner hängen die Gründe für die Entziehung der elterlichen Gewalt gemäss
Art. 311 ZGB
und die Gründe, die Einschränkungen des Rechts auf persönlichen Verkehr rechtfertigen können (
Art. 274 Abs. 2 ZGB
), derart eng zusammen, dass der Richter, der die Frage zu beantworten hat, ob er im Kindesinteresse beiden Ehegatten die elterliche Gewalt entziehen muss, auf Grund der daraus gewonnenen Kenntnis des Einzelfalls gleichzeitig die Anordnungen über den persönlichen Verkehr treffen kann; voneinander abhängige Probleme sollten in einem Verfahren gelöst werden. Die Eröffnung eines zweiten nachgeordneten Erkenntnisverfahrens vor vormundschaftlichen Behörden mit ordentlichen Rechtsmitteln - neu (
Art. 44 lit. d OG
) - bis vor Bundesgericht hätte zudem eine unerwünschte Verlängerung des Scheidungsverfahrens zur Folge. Klarheit in der Kompetenzausscheidung, Sachzusammenhang und Verfahrensbeschleunigung legen nahe, die Regelung des persönlichen Verkehrs auch dann dem Scheidungsrichter vorzubehalten, wenn er beiden Ehegatten die elterliche Gewalt entziehen muss. Die Lösung beachtet den Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils, der auch in Kinderbelangen gilt (HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 581; BÜHLER/SPÜHLER, N. 17 zu
Art. 156 ZGB
). Ein allfälliger Mangel an Kenntnis über die Verhältnisse der künftigen Unterbringung kann durch Anhörung der Vormundschaftsbehörde behoben werden (
Art. 156 Abs. 1 ZGB
und neu Art. 145 Abs. 2), die gerade für den Fall als unabdingbar angesehen wird, dass der Richter Kindesschutzmassnahmen und dabei vorab eine Entziehung der elterlichen Gewalt gegenüber beiden Ehegatten anzuordnen gedenkt (STETTLER, a.a.O., § 16/IV Bst. E Ziffer 2 S. 270;
BGE 125 III 401 S. 410
BÜHLER/SPÜHLER, N. 49 zu
Art. 156 ZGB
); praxisgemäss wird der Richter in solchen Fällen ohnehin nur den Umfang des persönlichen Verkehrs (Häufigkeit und Dauer der Besuche) festlegen und dessen eigentliche Konkretisierung sinnvollerweise der vormundschaftlichen Behörde übertragen (vgl. dazu HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 452 bei und in Anm. 18c und 19; HEGNAUER, N. 36 und N. 38 f. zu
Art. 275 ZGB
). Das Vorgehen des Obergerichts verletzt Bundesrecht nicht.
3.
Der Beklagte verweist auf den rechtskräftigen Beschluss der kantonsgerichtlichen Strafkammer, den Prozess "bezüglich des Vorhalts der sexuellen Handlungen mit einem Kind und der mehrfachen Schändung mangels Nachweis einer strafbaren Handlung gemäss
Art. 89 Abs. 1 Ziff. 1 StPO
" fallen zu lassen. Eine Bundesrechtsverletzung erblickt er darin, dass das Obergericht sich als Zivilgericht nicht an das Erkenntnis des Strafrichters gebunden gefühlt habe, der rechtskräftig festgestellt hätte, dass ihm keine strafrechtlich relevanten sexuellen Übergriffe gegenüber seiner Tochter angelastet werden könnten. Soweit der Beklagte eine Verletzung der derogatorischen Kraft anspricht, ist die Frage im Berufungsverfahren zu prüfen (
BGE 122 III 101
E. 1 S. 102).
Art. 53 OR
, der im ganzen Privatrecht anwendbar ist (
BGE 66 II 80
E. 1 S. 83), regelt die Unabhängigkeit des Zivilrichters gegenüber dem Strafgesetz, dem freisprechenden Urteil des Strafgerichts und dem Urteil des Strafrichters überhaupt; diese Unabhängigkeit betrifft die Bestimmungen über die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit bei der Beurteilung der zivilrechtlichen Schuld oder Nichtschuld und die Freisprechung (Abs. 1) sowie die strafgerichtlichen Erkenntnisse hinsichtlich Schuld und Schaden (Abs. 2). Die Rechtsprechung erblickt darin einen auf die Schuldfrage und die Schadensbestimmung beschränkten Eingriff des Bundesgesetzgebers in das grundsätzlich den Kantonen vorbehaltene Prozessrecht; für diese beiden Problemkreise ist eine Bindung des Zivilrichters an ein vorausgegangenes Strafurteil im Interesse des materiellen Bundesrechts ausgeschlossen, ansonsten aber steht es den Kantonen von Bundesrechts wegen frei, die Verbindlichkeit eines Strafurteils für den Zivilrichter vorzusehen, insbesondere was die Feststellung der Tat als solcher und deren Widerrechtlichkeit anbetrifft (
BGE 107 II 151
E. 5b S. 158 mit Hinweisen; ausführlich: BREHM, Berner Kommentar, N. 3 ff. und N. 22 ff. zu
Art. 53 OR
, mit weiteren Nachweisen sowie das Urteil des Bundesgerichts vom 23. Mai 1990, E. 2b, in: SVA XVIII/1990-1991 Nr. 15 S. 74 f.;
BGE 120 Ia 101
E. 2e S. 107 f. mit einer Präzisierung für die Anwendung des Opferhilfegesetzes).
BGE 125 III 401 S. 411
Seine Unabhängigkeit in der Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts hindert den Zivilrichter zwar nicht daran, die Beweisergebnisse der Strafuntersuchung abzuwarten und mitzuberücksichtigen (Urteil des Bundesgerichts vom 31. März 1994, E. 3b, in: SJ 1994 S. 551 f.); dass er dannzumal nicht grundlos von der Auffassung des Strafrichters abgehen wird, ist jedoch eine Frage der Zweckmässigkeit und nicht ein Satz des Bundesrechts (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 7. Februar 1984 i.S. Sch., E. 2; vgl. dazu BREHM, N. 31 ff. zu
Art. 53 OR
, mit weiteren Nachweisen).
Dass das Obergericht gestützt auf kantonales Recht dafürgehalten hat, es sei als Zivilgericht an einen strafrichterlichen Entscheid nicht gebunden und dürfe die Frage einer möglichen sexuellen Ausbeutung von M. durch den Beklagten neu aufgreifen, verletzt weder die derogatorische Kraft noch sonst eine Bestimmung des Bundesrechts. Dafür nicht entscheidend ist, ob es sich beim "Fallenlassen" des Prozesses durch die kantonsgerichtliche Strafkammer um einen Freispruch oder um eine Einstellungsverfügung handelt; wenn jener im Gesetz ausdrücklich erwähnt wird, dann gilt die Unverbindlichkeit um so mehr bei dieser, wo sich das Strafgericht gar nicht mit dem Fall auseinandergesetzt hat (BREHM, N. 16 zu
Art. 53 OR
). Was die Anwendung des kantonalen Rechts und die Beweiswürdigung angeht, kann auf das Urteil über die staatsrechtliche Beschwerde verwiesen (5P. 254/1999 E. 3 und 4) und im vorliegenden Zusammenhang lediglich wiederholt werden, dass der Strafkammerentscheid keine Feststellung der behaupteten Art enthält, geschweige denn einen Freispruch des Beklagten darstellt (E. 3c). | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4b4b525f-c6d8-45aa-853d-44cd46588d06 | Urteilskopf
125 V 456
75. Auszug aus dem Urteil vom 10. November 1999 i.S. Y. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 6 Abs. 1,
Art. 9 Abs. 1 und 2 UVG
: Adäquanzbeurteilung bei mit Berufskrankheiten einhergehenden psychischen Störungen.
Die Rechtsprechung zur Adäquanz von psychischen Fehlentwicklungen nach Unfällen (
BGE 115 V 133
) ist bei psychischen Störungen im Zusammenhang mit Berufskrankheiten nicht analog anwendbar.
Die Adäquanz ist danach zu beurteilen, ob die Berufskrankheit oder Geschehnisse in deren Zusammenhang nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, psychische Störungen der aufgetretenen Art zu verursachen. | Sachverhalt
ab Seite 457
BGE 125 V 456 S. 457
A.-
Der 1964 geborene Y. war seit März 1990 als Rampenarbeiter und später als Hilfsbäcker in der Bäckereiabteilung des Konsumvereins X tätig und bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen Berufs- und Nichtberufsunfall versichert. Nachdem bereits im Frühjahr 1992 rhinokonjunktivitische Symptome aufgetreten waren, kam es am 8. Juli 1992 nach dem Genuss eines Mohnbrötchens zu einer anaphylaktischen Reaktion mit Husten, Schnupfen, Epiphora, Ohrenschmerzen, starker Atemnot und generalisierter Urticaria. Der Versicherte wurde notfallmässig in die medizinische Poliklinik des Universitätsspitals eingeliefert, wo zusätzlich Erbrechen und Schwindel auftraten. Nach einer intravenösen Behandlung mit Hydrocortison und einem Antiallergicum konnte er gleichentags wieder entlassen werden. Die allergologische Abklärung ergab eine polyvalente Sensibilisierung vom Soforttyp auf eine Gräserpollenmischung, auf Beifuss, Eschen, Hasel und Roggen, auf Kümmel, Erd- und Haselnuss sowie auf Sesam und Mohn. In der Folge nahm Y. seine angestammte Tätigkeit in der Bäckerei wieder auf. Am 11. November 1993 trat nach dem Genuss einer türkischen Mehlspeise erneut eine anaphylaktische Reaktion auf, gefolgt von rhinokonjunktivitischen Beschwerden und Atemnot. Der Versicherte kollabierte und musste erneut notfallmässig in das Universitätsspital eingeliefert werden, welches er jedoch am folgenden Tag bereits wieder verlassen konnte. Allergologische Untersuchungen bestätigten die bisher bekannten Sensibilisierungen, wobei neu auch eine Überempfindlichkeit auf Mandeln und Paranüsse festgestellt wurde. Des Weitern fand sich eine leichte obstruktive Ventilationsstörung, die als Asthma bronchiale interpretiert wurde. Zur Nachbehandlung wurde der Versicherte daher vom 27. Januar bis 9. März 1994 in der Hochgebirgsklinik C. hospitalisiert, wo die bisher gestellten Diagnosen bestätigt wurden.
Am 15. September 1994 erliess die SUVA eine Verfügung, mit welcher sie Y. der arbeitsmedizinischen Vorsorge unterstellte und ihn gemäss
Art. 78 VUV
für alle Arbeiten mit Exposition zu Mehlen von Weizen, Roggen und Buchweizen sowie zu Mohn, Sesam und Haselnüssen als ungeeignet erklärte. Da eine Aufnahme der bisherigen Tätigkeit nicht mehr in Frage kam, wurde die Stelle von der Arbeitgeberin auf Ende November 1994 gekündigt. Zur Abklärung der beruflichen Möglichkeiten weilte der Versicherte vom 2. bis 30. November 1994 in der Rehabilitationsklinik Z, wo unter anderem am 6. Dezember 1994 ein psychosomatisches Konsilium bei Dr. med. H. veranlasst wurde
BGE 125 V 456 S. 458
(Austrittsbericht vom 7. Dezember 1994).
Mit Verfügung vom 4. Mai 1995 eröffnete die SUVA dem Versicherten, sie werde ab 1. April 1995 keine weiteren Versicherungsleistungen mehr erbringen. Auf Einsprache hin holte sie die ärztliche Beurteilung des Dr. med. R. von der SUVA-Abteilung Arbeitsmedizin vom 31. Januar 1996 ein. Mit Einspracheentscheid vom 14. Februar 1996 hielt die SUVA an ihrem Standpunkt fest.
B.-
Beschwerdeweise liess Y. die Zusprechung der gesetzlichen Leistungen beantragen. Das Versicherungsgericht des Kantons Zürich sistierte das Verfahren bis zum Vorliegen eines vom Versicherten in Auftrag gegebenen Gutachtens des Dr. med. H. vom 31. Dezember 1996. Die SUVA legte der Beschwerdeantwort die psychiatrische Beurteilung des Dr. med. B. vom SUVA-Ärzteteam Unfallmedizin vom 10. März 1997 bei. Zusammen mit der Replik reichte der Versicherte eine ergänzende Stellungnahme des Dr. med. H. vom 18. August 1997 ein. Das Gericht zog zudem die Akten der Invalidenversicherung bei. Mit Entscheid vom 21. Januar 1999 wies es die Beschwerde ab.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Y. beantragen, der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid seien insoweit aufzuheben, als damit festgelegt werde, dass er ab 1. April 1995 keine Versicherungsleistungen mehr beanspruchen könne; es seien ihm die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.
Die SUVA verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer leidet unbestrittenermassen an einer Berufskrankheit nach
Art. 9 UVG
, welche ihm die Ausübung der bisherigen Tätigkeit als Hilfsbäcker nicht mehr erlaubt. Hingegen ist er unter Berücksichtigung der Nichteignungsverfügung der SUVA vom 15. September 1994, also wenn er keine Arbeiten mit Exposition gegenüber Mehlen von Weizen, Roggen und Buchweizen sowie gegenüber Mohn, Sesam und Haselnüssen ausführt, aus somatischer und allergologischer Sicht voll arbeitsfähig. Streitig und zu prüfen ist, ob ihm wegen psychischer Folgen der Berufskrankheit ein Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung zusteht.
3.
a) Im Einspracheentscheid vom 14. Februar 1996 ging die SUVA gestützt auf den Bericht über das im Rahmen der Abklärungen der Rehabilitationsklinik
BGE 125 V 456 S. 459
Z von Dr. med. H. durchgeführte psychosomatische Konsilium vom 6. Dezember 1994 davon aus, der Beschwerdeführer leide an einer psychischen Störung in Form einer umfassenden Angsterkrankung im Sinne spezifischer Phobien mit der Differentialdiagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung, für welche die Berufskrankheit zumindest eine Teilursache darstelle. Unter Berufung auf die Beurteilung ihres Anstaltsarztes Dr. med. B. vom 10. März 1997 stellte sie im vorinstanzlichen Verfahren dann allerdings die Diagnose einer Phobie und einer damit verbundenen, auf das Einatmen schlechter Luft ausgedehnten Vermeidungshaltung in Frage und verneinte nunmehr das Vorliegen eines natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen Berufskrankheit und psychischer Störung.
b) Nach Auffassung des kantonalen Gerichts lassen sich die Fragen, ob überhaupt noch eine psychische Störung mit Krankheitswert und bejahendenfalls mit welcher Diagnose vorliegt, und ob eine allenfalls noch bestehende psychische Gesundheitsstörung eine natürliche Folge der Berufskrankheit darstellt, infolge der divergierenden Meinungen der medizinischen Sachverständigen nicht schlüssig beantworten. Wie die unterschiedlichen Darlegungen des Dr. med. H. und des Dr. med. B. zeigten, könnten sowohl Argumente für wie auch solche gegen die Annahme eines natürlichen Kausalzusammenhangs vorgebracht werden. Allerdings vermöge Dr. med. B. durch seine fundiert begründete, schlüssige und nachvollziehbare Beurteilung die Beweiskraft des Gutachtens des Dr. med. H. derart stark zu erschüttern, dass der natürliche Kausalzusammenhang zwischen Berufskrankheit beziehungsweise den anaphylaktischen Reaktionen und den geltend gemachten psychischen Gesundheitsstörungen ernsthaft bezweifelt werden müsse. Auf die Einholung eines weiteren Gutachtens haben die kantonalen Richter schliesslich verzichtet, weil der adäquate Kausalzusammenhang ihrer Ansicht nach ohnehin zu verneinen sei.
4.
b) Gemäss Gutachten des Dr. med. H. vom 31. Dezember 1996 liegt die Hauptsymptomatik in einer radikal zu nennenden Vermeidungshaltung, welche der Abwehr der Angst vor der Konfrontation mit möglichen Allergenen diene. Der Versicherte fühle sich zu jeder Zeit bedroht, mit Allergenen in der Luft konfrontiert zu werden, und versuche diese Möglichkeit mit entsprechendem Verhalten zu vermeiden. Nach Auffassung des Experten handelt es sich dabei um eine psychische Störung, welche er diagnostisch als spezifische Phobie beurteilt. Die massive reaktive Vermeidungshaltung wirke sich invalidisierend
BGE 125 V 456 S. 460
aus. Für die Entwicklung des festgestellten Zustandsbildes stellen die beiden vom Beschwerdeführer durchgemachten anaphylaktischen Reaktionen nach den Darlegungen des Psychiaters mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine wichtige und nicht wegzudenkende Teilursache dar.
Von keiner Seite wird bestritten, dass anaphylaktische Reaktionen Angstgefühle auslösen können. Wie den medizinischen Unterlagen zu entnehmen ist, hat der Beschwerdeführer indessen sowohl gegenüber der türkisch sprechenden Psychiaterin Dr. med. E. (Arztbericht vom 22. August 1995) wie auch gegenüber Dr. med. H. (Gutachten vom 31. Dezember 1996) erklärt, er habe weder anlässlich der allergischen Reaktionen noch später Angst verspürt. Dr. med. H. versucht den Widerspruch zwischen den Aussagen des Versicherten und seiner Beurteilung spezifischer Phobien mit einer sehr starken und erfolgreichen Vermeidungshaltung zu erklären, welche Angst manifest gar nicht erst aufkommen lasse und somit durch eine hochgradige Fluchttendenz geprägt sei. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird dazu ausgeführt, es sei eine Erfahrungstatsache, dass heftige Angstzustände später verdrängt werden. Der Versicherte habe tatsächlich ausserordentlich Angst gehabt, auch wenn er dies im Nachhinein nun verneine.
Dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den beiden anaphylaktischen Ereignissen Angst verspürt hat und später nichts mehr davon weiss oder wissen will, ist durchaus denkbar. Nicht zu überzeugen vermag dagegen, dass er, obwohl an einer spezifischen Phobie oder an einer umfassenden Angsterkrankung leidend (Bericht über das psychosomatische Konsilium bei Dr. med. H. vom 6. Dezember 1994), zwei Sachverständigen gegenüber erklärt, weder damals noch später Angst gehabt zu haben oder solche noch zu verspüren. Abgesehen davon, dass eine (Flucht-)Tendenz kaum hochgradig sein kann, lassen sich in den Akten keine Hinweise finden, welche die Vermeidungshaltung als krankhaftes, der willentlichen Kontrolle entzogenes Verhalten erscheinen liessen. Eine nachträgliche richterliche Befragung des Versicherten, wie sie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgeschlagen wird, ergäbe keine Aussage mit einem höheren Wahrheitsgehalt als er den Äusserungen gegenüber den Dres. med. E. und H. zukommt.
Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung von Frau Dr. med. E., welche ihm hätte helfen sollen, allfällige unnötige und unbegründete Ängste abzulegen, keinerlei Interesse zeigte und
BGE 125 V 456 S. 461
sich dermassen gleichgültig verhielt, dass die Ärztin die Behandlung mit seinem Einverständnis abbrach. Ängste sind unangenehme und teils sogar bedrohliche Gefühle. Wer von Angstgefühlen geplagt wird, verhält sich gegenüber Hilfeleistungen daher nicht derart indifferent, wie es der Versicherte tat.
c) Dr. med. H. sieht in der ausgeprägten Fluchttendenz und Vermeidungshaltung den "Beleg" dafür, dass der Versicherte mit grosser Wahrscheinlichkeit mit heftiger Angst auf die beiden anaphylaktischen Reaktionen und die Möglichkeit eines Wiederauftretens reagiert hat. Sein ganzes Verhalten sei derart auffällig, dass angenommen werden müsse, er habe wenig Möglichkeiten und Ressourcen gehabt, auf die spezifische Bedrohung auf eine adäquate Art zu reagieren.
Wie bereits dargetan, leuchtet nicht ein, eine spezifische Phobie und die daraus entwickelte Vermeidungshaltung auf Ängste zurückzuführen, die der Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben gar nicht gehabt hat. Zudem ist keineswegs dargetan, dass die Vermeidungshaltung psychopathologisch ist. Dass sie weiter geht, als sie zur Vermeidung erneuter Reaktionen auf unverträgliche Speisen und Getränke notwendig ist, indem auch das Einatmen so genannt schlechter Luft zu vermeiden gesucht wird, ist kein Hinweis für ein pathologisches Geschehen. Viele Menschen weichen schlechten Gerüchen oder solchen, die ihnen widerwärtig sind oder ihrer Gesundheit schaden könnten (wie Abgase stehender Fahrzeuge mit laufendem Motor) aus, ohne psychisch krank zu sein. Dass eine Haltung, welche die Wiederholung allergischer Reaktionen durch hiezu geeignete Stoffe zu vermeiden sucht, zweckmässig und geboten erscheint, bedarf keiner näheren Begründung.
d) Vermag demnach das Gutachten des Dr. med. H. nicht zu überzeugen - wobei sich die dagegen vorgebrachten Einwände teils in gleicher oder vergleichbarer Weise auch in den Ausführungen des SUVA-Arztes Dr. med. B. im Bericht vom 10. März 1997 finden -, erscheint es als vertretbar, die Frage, ob psychische Störungen in natürlich kausalem Zusammenhang mit der Berufskrankheit vorliegen, nicht weiter abzuklären und stattdessen zu prüfen, ob sie allenfalls in adäquatem Kausalzusammenhang zur Berufskrankheit stehen würden, wie dies bereits die Vorinstanz getan hat.
5.
a) Nach der Rechtsprechung hat ein Ereignis dann als adäquate Ursache eines Erfolges zu gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Erfolg von
BGE 125 V 456 S. 462
der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolges also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint (
BGE 123 III 112
Erw. 3a,
BGE 123 V 103
Erw. 3d, 139 Erw. 3c,
BGE 122 V 416
Erw. 2a, je mit Hinweisen).
b) Die SUVA hat im Einspracheentscheid bezüglich des adäquaten Kausalzusammenhangs auf die nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts für die Beurteilung psychischer Fehlentwicklungen nach Unfällen geltenden Grundsätze (
BGE 115 V 133
) verwiesen und diese als im Zusammenhang mit Berufskrankheiten analog anwendbar betrachtet. Entsprechend der Einteilung der Unfälle ausgehend vom augenfälligen Geschehensablauf in drei Gruppen sei von Berufskrankheiten mit banalen bzw. leichten Beschwerdebildern, solchen mit schweren Beschwerdebildern und schliesslich dem dazwischen liegenden Bereich zu unterscheiden. Das kantonale Gericht sah keine Gründe, die gegen eine sinngemässe Anwendung der Rechtsprechung zur Adäquanz psychischer Leiden nach Unfällen auf Berufskrankheiten und ihre Folgen sprechen würden. Die analoge Anwendung dieser Rechtsprechung dränge sich seiner Ansicht nach im vorliegenden Fall umso mehr auf, als im Wesentlichen nicht die anerkannte Berufskrankheit, sondern die zwei durchgemachten anaphylaktischen Reaktionen für die psychischen Beschwerden verantwortlich gemacht würden.
Der Beschwerdeführer übte im vorinstanzlichen Verfahren Kritik an der Übernahme dieser seiner Ansicht nach nur auf Unfälle anwendbaren Praxis. Die Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs sei vielmehr auf Grund der allgemeinen Rechtsprechung zu beurteilen. Im vorliegenden Verfahren hält er zwar daran fest, dass eine analoge Anwendung der Unfallkriterien nicht zum Vornherein gegeben sei. Da eine anaphylaktische Reaktion das typische Unfallelement der Plötzlichkeit aufweise, könne er einer analogen Anwendung der Rechtsprechung bezüglich der psychischen Unfallfolgen jedoch zustimmen.
c) Lehre und Rechtsprechung lassen den sozialen Unfallversicherer für Schäden nur dann einstehen, wenn diese sowohl in einem natürlichen wie auch in einem adäquaten Kausalzusammenhang mit dem schädigenden Ereignis stehen. Der Voraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs kommt dabei die Funktion einer Haftungsbegrenzung zu (
BGE 123 V 102
Erw. 3b mit Hinweisen). Bei psychischen Gesundheitsschäden geht diese Beschränkung indessen nicht so weit, dass nur psychisch Gesunde des Schutzes der sozialen Unfallversicherung teilhaftig werden. Wie das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 112 V 36
Erw. 3c
BGE 125 V 456 S. 463
in Änderung seiner Rechtsprechung erkannt und in
BGE 115 V 135
Erw. 4b bestätigt hat, darf die Frage, ob ein Unfall nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, eine psychische Gesundheitsschädigung herbeizuführen, in der sozialen Unfallversicherung nicht auf den psychisch gesunden Versicherten beschränkt werden. Vielmehr ist auf eine weite Bandbreite der Versicherten abzustellen. Hiezu gehören auch jene Versicherten, die auf Grund ihrer Veranlagung für psychische Störungen anfälliger sind und einen Unfall seelisch weniger gut verkraften als Gesunde. Die Gründe dafür, dass einzelne Gruppen von Versicherten einen Unfall langsamer oder schlechter verarbeiten als andere, können z.B. in einer ungünstigen konstitutionellen Prädisposition oder allgemein in einem angeschlagenen Gesundheitszustand, in einer psychisch belastenden sozialen, familiären oder beruflichen Situation oder in der einfach strukturierten Persönlichkeit des Verunfallten liegen. Somit bilden im Rahmen der erwähnten, weit gefassten Bandbreite auch solche Versicherte Bezugspersonen für die Adäquanzbeurteilung, welche im Hinblick auf die erlebnismässige Verarbeitung eines Unfalles zu einer Gruppe mit erhöhtem Risiko gehören, weil sie aus versicherungsmässiger Sicht auf einen Unfall nicht optimal reagieren. Daraus ergibt sich, dass für die Beurteilung der Frage, ob ein konkretes Unfallereignis als alleinige Ursache oder als Teilursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, zu einer bestimmten psychischen Schädigung zu führen, kein allzu strenger, sondern im dargelegten Sinne ein realitätsgerechter Massstab angelegt werden muss. Umgekehrt ist das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 123 V 98
dem Begehren entgegengetreten, bei psychischen Gesundheitsschäden auf das Erfordernis der Adäquanz zu verzichten und die natürliche Kausalität genügen zu lassen, wie es in der Praxis bei singulären physischen Folgen üblich ist, und es hat an der Erfüllung der Voraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs festgehalten.
Ob psychische Störungen mit einem Unfall oder einer Berufskrankheit in einem adäquaten Kausalzusammenhang stehen, hängt demnach davon ab, ob der Unfall oder die Berufskrankheit unter Berücksichtigung der weiten Bandbreite von Versicherten, für welche die soziale Unfallversicherung Schutz bieten soll, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, zu solchen Störungen zu führen.
BGE 125 V 456 S. 464
d) Das Eidg. Versicherungsgericht hat die Praxis über die Behandlung psychischer Störungen nach Unfällen entwickelt, um die Vielzahl von Unfällen mit psychischen Fehlentwicklungen einer praktikablen und rechtsgleichen Beurteilung zuzuführen. Diese Praxis auf Berufskrankheiten oder Geschehnisse in deren Zusammenhang anzuwenden wäre jedoch nicht sachgerecht. Zum einen würde damit unnötigerweise ein schematisches Element übernommen, das sich für die Einteilung von Unfällen eignet (leichte und schwere Unfälle sowie der dazwischen liegende Bereich), für Berufskrankheiten und Geschehnisse im Verlauf derselben jedoch nicht zugeschnitten ist. Zum andern lassen sich Berufskrankheiten nicht analog den Unfällen in Gruppen pressen. Wohl ist einer anaphylaktischen Reaktion die Plötzlichkeit des Geschehens eigen, doch gehen ihr andere wesentliche Merkmale des Unfallbegriffes (vgl. dazu
Art. 9 Abs. 1 UVV
) ab. In einem in RKUV 1996 Nr. U 264 S. 285 veröffentlichten Urteil, in welchem psychische Störungen im Zusammenhang mit einer Berufskrankheit zu beurteilen waren, hat das Eidg. Versicherungsgericht in Erwägung 3b in fine zwar aufgezeigt, dass der Verwaltungsgerichtsbeschwerde selbst im Falle der Anwendung der zu psychischen Entwicklungen nach Unfällen ergangenen Praxis kein Erfolg beschieden sein könnte; seiner Beurteilung hat das Gericht jedoch das allgemeine Erfordernis der Adäquanz zu Grunde gelegt (RKUV 1996 Nr. U 264 S. 288 f.).
e) Zu prüfen bleibt somit, ob die Berufskrankheit des Beschwerdeführers und die dabei durchgemachten anaphylaktischen Reaktionen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung - unter Berücksichtigung der weiten Bandbreite der Versicherten, denen die soziale Unfallversicherung Schutz bieten soll - geeignet sind, psychische Störungen von der Art, wie sie bei ihm vorliegen sollen, zu verursachen. Dies ist zu verneinen. Wer gegenüber gewissen Stoffen allergisch reagiert und nach dem Konsum solche Substanzen enthaltender Nahrungsmittel (Genuss eines Mohnbrötchens und einer türkischen Mehlspeise) anaphylaktische Reaktionen durchgemacht hat, entwickelt nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung keine Vermeidungshaltung, die so weit geht, dass er nicht nur Orte meidet, wo solche Stoffe vorkommen oder vorkommen können, sondern grundsätzlich alle Orte, an denen er unangenehme Gerüche (schlechte Luft) vorfindet oder vermutet, und deswegen nicht arbeiten zu können glaubt.
Fehlt es somit am adäquaten Kausalzusammenhang, hat die SUVA ihre Leistungen zu Recht eingestellt. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4b4b5319-8158-405f-a0d1-0cbe8ba55f3e | Urteilskopf
98 V 62
17. Extrait de l'arrêtdu 1er février 1972 dans la cause Compagnone contre Caisse cantonale neuchâteloise de compensation et Commission cantonale neuchâteloise de recours pour l'assurance-vieillesse et survivants | Regeste
Art. 32 Abs. 2 OG
: Berechnung der Beschwerdefrist.
Das die Feiertage bestimmende "kantonale Recht" ist grundsätzlich jenes des Wohnsitzkantons des Beschwerdeführers, wenn er selber handelt, sonst jenes seines Vertreters, wenigstens wenn ein Zustellungsdomizil bei diesem verzeigt wurde. | Erwägungen
ab Seite 62
BGE 98 V 62 S. 62
Extrait des considérants:
Suivant l'art. 106 al. 1er OJ, le recours de droit administratif au Tribunal fédéral des assurances doit être interjeté dans les trentejours dès la notification dujugement attaqué. Aux termes de l'art. 32 OJ, le jour duquel le délai court n'est pas compté (al. 1er); lorsque le dernier jour tombe un dimanche ou un jour férié selon le droit du canton (ou encore un samedi: LF du 21 juin 1963 sur la supputation des délais comprenant un samedi), le délai expire le premier jour utile qui suit (al. 2). La jurisprudence a défini ce qu'il faut entendre par jour férié selon le droit du canton (v. les arrêts cités par BIRCHMEIER, "Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege", 1950 p. 34, note 3; v. également RCC 1967 p. 430). La doctrine est en revanche partagée sur la question de savoir quel droit cantonal doit être appliqué, dans le cadre de l'art. 32 al. 2 OJ. Ainsi, selon GULDENER ("Schweizerisches Zivilprozessrecht", 1958, p. 214, note 5), lorsque le
BGE 98 V 62 S. 63
Tribunal fédéral est autorité de recours, il s'agirait du droit du canton dont le tribunal a statué. LEUCH ("Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern", 1956, p. 141, note 2) estime au contraire que, dans une semblable hypothèse, il faut prendre en considération les jours fériés du canton dans lequel la partie est domiciliée.
En l'espèce, le jugement cantonal, émanant de la commission neuchâteloise de recours, a été notifié le 30 avril 1971 à l'avocat du recourant. L'assuré est domicilié dans le canton de Neuchâtel mais avait élu domicile le 30 juin 1970 déjà en l'étude de son mandant, à La Neuveville. Dans le canton de Berne, le lundi de Pentecôte est jour férié officiel. Si l'on admet donc que Remo Compagnone est domicilié, pour les besoins de la procédure en cours, dans le canton de Berne, le délai échu le dimanche 30 mai 1971 a été reporté de plein droit au mardi 1er juin 1971, date à laquelle le recours a été consigné à l'office postal de La Neuveville sous pli recommandé. Or il paraît raisonnable de suivre l'opinion de LEUCH plutôt que celle de GULDENER, car la règle de l'art. 32 al. 2 OJ est avant tout destinée à celui qui procède effectivement aux actes prescrits par les règles légales, soit en l'espèce à l'avocat de l'assuré. Ce mandataire n'aurait au demeurant pas eu la possibilité d'expédier son mémoire sous pli recommandé au tribunal de céans le 31 mai 1971 à La Neuveville, vu la fermeture des offices postaux. Le recours a par conséquent été interjeté en temps utile, et il n'est pas nécessaire de décider si le lundi de Pentecôte est aussi férié dans le canton de Neuchâtel, dont une loi assimile seulement ce jour aux jours fériés. Peut demeurer indéfinie également - entre autres - la situation du justiciable en séjour dans un autre canton, où le dernier jour du délai expirait un jour férié, ou de celui qui, ayant laissé passer le délai, consulterait un homme de loi dans un canton dont la législation permettrait encore d'agir en temps utile. | null | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4b4cf6c6-e6a9-46bc-82f7-05446a6cf2de | Urteilskopf
121 I 75
10. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. April 1995 i.S. J. D. gegen Kantonale Steuerverwaltung Thurgau und Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
;
Art. 46 Abs. 2 BV
; Kinderalimente.
Kinderalimente stehen im interkantonalen Verhältnis dem Wohnsitzkanton des Empfängers zur ausschliesslichen Besteuerung zu; selbst wenn dieser Kanton sie nicht besteuert, muss sie der Wohnsitzkanton des Verpflichteten zum Abzug von dessen steuerbarem Einkommen zulassen (E. 2).
Im innerkantonalen Verhältnis steht es den Kantonen bis zur vollen Wirksamkeit des Steuerharmonisierungsgesetzes frei, die Kinderalimente beim Verpflichteten nicht zum Abzug zuzulassen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 76
BGE 121 I 75 S. 76
J. D. ist im Kanton Thurgau wohnhaft und bezahlte Alimente für seine drei Kinder aus erster Ehe, B. und S., die ebenfalls im Kanton Thurgau wohnen, sowie A., die im Kanton Aargau wohnhaft ist. Die Steuerkommission S. veranlagte J. D. und G. D. für die Veranlagungsperiode 1993/94 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 51'300.-. Auf Einsprache hin setzte sie dieses auf Fr. 46'800.- herab. Im Rekursverfahren reduzierte die Steuerrekurskommission das steuerbare Einkommen mit Entscheid vom 17. Februar 1994 erneut, und zwar auf Fr. 45'300.-. Das Begehren J. D.'s, dass die an seine Kinder aus erster Ehe bezahlten Unterhaltsbeiträge zum Abzug zugelassen werden, wurde jeweils abgewiesen. Mit Urteil vom 22. Juni 1994 (zugestellt am 5. Juli 1994) wies auch das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Steuerpflichtigen ab.
Mit Eingabe vom 7. August 1994 haben J. D. und G. D. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots (
Art. 46 Abs. 2 BV
) und der Rechtsgleichheit (
Art. 4 BV
und § 3 der thurgauischen Kantonsverfassung) erhoben. Sie beantragen, den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 22. Juni 1994 aufzuheben und den steuerlichen Abzug von Kinderalimenten zuzulassen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut,
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Es stellt nach der in
BGE 118 Ia 277
eingeleiteten Praxis des Bundesgerichts eine unzulässige Doppelbesteuerung dar, wenn der Schuldner von Kinderalimenten diese in seinem Wohnsitzkanton nicht vom steuerbaren Einkommen abziehen kann, der in einem anderen Kanton wohnhafte Empfänger sie aber als Einkommen versteuern muss. Das Bundesgericht argumentierte, da das neue Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) in Art. 7 Abs. 4 lit. g und in Art. 9 Abs. 2 lit. c vorsehe, dass Unterhaltsbeiträge, die ein geschiedener Ehegatte für sich und die unter seiner elterlichen Gewalt stehenden Kinder erhält, beim Empfänger steuerbar seien, der leistende Ehegatte sie aber von seinem Einkommen abziehen könne, rechtfertige sich doppelbesteuerungsrechtlich keine andere Lösung (E. 3a S. 281). Das
BGE 121 I 75 S. 77
Bundesgericht stellte daher gestützt auf
Art. 46 Abs. 2 BV
die Kollisionsregel auf, dass Kinderalimente im interkantonalen Verhältnis dem Kanton zur Besteuerung zugewiesen werden, in dem der Empfänger seinen Wohnsitz hat, und beim Verpflichteten zum Abzug zuzulassen sind (E. 3 S. 281).
b) Das Verwaltungsgericht erwog, die Anwendung des Steuerharmonisierungsgesetzes in
BGE 118 Ia 277
sei damit begründet worden, dass aufgrund des Doppelbesteuerungsverbots Unterhaltsleistungen nur einmal besteuert werden dürften. Es kam daher zum Schluss, der Wohnsitzkanton des Alimentenschuldners müsse die Alimente nur dann zum Abzug zulassen, wenn die Unterhaltszahlungen beim Empfänger tatsächlich besteuert würden (wie dies in
BGE 118 Ia 277
der Fall war). Im vorliegenden Fall würden die Unterhaltszahlungen bei den Kindern B. und S., die im Kanton Thurgau wohnen, und bei der Tochter A., die im Kanton Aargau Wohnsitz hat, nach dem Steuerrecht der betreffenden Kantone nicht besteuert, so dass der Kanton Thurgau die Alimentenzahlungen nicht abziehen müsse. Das Verwaltungsgericht führte weiter aus, die Regelung des Steuerharmonisierungsgesetzes, wonach die Kinderunterhaltsbeiträge beim Empfänger zu besteuern und beim Verpflichteten zum Abzug zuzulassen seien, gelte noch nicht unmittelbar; sondern die Kantone hätten nach Art. 72 Abs. 4 lit. g (recte: Art. 72 Abs. 1) StHG für die Einführung dieser Lösung bis zum 1. Januar 2001 Zeit. Bis zu diesem Zeitpunkt seien die Kantone noch frei zu bestimmen, bei wem solche Unterhaltszahlungen zu besteuern seien. Falls nach den geltenden kantonalen Gesetzesbestimmungen eine Zahlung sowohl beim Verpflichteten als auch beim Empfänger besteuert würde, sei somit eine der beiden Zahlungen zum Abzug zuzulassen.
c) Dem kann nicht gefolgt werden. Die Praxis gemäss
BGE 118 Ia 277
beruht nicht auf der Anwendung des Steuerharmonisierungsgesetzes, dessen Wirkung das Bundesgericht nicht entgegen
Art. 72 Abs. 1 StHG
vorverlegen dürfte, sondern auf dem Doppelbesteuerungsverbot von
Art. 46 Abs. 2 BV
. Das Bundesgericht hatte gestützt auf diese Bestimmung zu entscheiden, welchem Kanton bei der Leistung von Kinderunterhaltsbeiträgen der Besteuerungsanspruch zusteht und welcher Kanton entsprechend die Beiträge zum Abzug zuzulassen hat. Wenn es sich dabei für die gleiche Lösung entschied, die auch dem Steuerharmonisierungsgesetz zugrundeliegt, geschah dies nicht in Anwendung dieses Gesetzes, das damals noch gar nicht in Kraft stand und seine volle Wirkung erst ab dem 1. Januar 2001 entfalten wird,
BGE 121 I 75 S. 78
sondern um zweckmässigerweise zu vermeiden, dass die Kinderalimente während der Übergangszeit bis zur vollen Wirksamkeit dieses Gesetzes anders besteuert werden, als dies nach dem harmonisierten Steuerrecht der Fall sein wird.
Wenn nach
Art. 46 Abs. 2 BV
Kinderalimente dem Wohnsitzkanton des Empfängers zur Besteuerung zugewiesen sind und beim Leistenden zum Abzug zugelassen werden müssen, gilt dies nicht nur, wenn der Wohnsitzkanton des Empfängers der Kinderunterhaltsbeiträge deren Besteuerung vorsieht.
Art. 46 Abs. 2 BV
verbietet nicht nur die aktuelle, sondern auch die virtuelle Doppelbesteuerung. Er schliesst also nicht bloss aus, dass zwei oder mehrere Kantone den gleichen Steuerpflichtigen für die gleiche Zeit und für das gleiche Steuerobjekt heranziehen (aktuelle Doppelbesteuerung), sondern auch, dass ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnorm seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, zu deren Erhebung ein anderer Kanton zuständig wäre (virtuelle Doppelbesteuerung) (vgl.
BGE 117 Ia 516
E. 2 S. 518;
BGE 116 Ia 127
E. 2a S. 130; vgl. dazu auch THOMAS KOLLER, Die Besteuerung von Unterhaltsleistungen an Kinder im Lichte von
BGE 118 Ia 277
ff. [= ASA 61 S. 741 ff.] und deren Auswirkungen auf das Zivilrecht, in: ASA 62 S. 289 ff., S. 303 f.; ERNST HÖHN, Interkantonales Steuerrecht, 3. Aufl. 1993, N. 4 zu § 4 S. 67 f.; ERNST HÖHN, Kommentar BV, N. 33 zu
Art. 46 Abs. 2 BV
; a. M. BRUNO KNÜSEL, AJP 1993 S. 330).
d) Da die Kinderalimente dem Wohnsitzkanton des Empfängers zur ausschliesslichen Besteuerung zustehen, kann der Kanton Thurgau die vom Beschwerdeführer 1 an seine im Kanton Aargau wohnhafte Tochter A. bezahlten Kinderalimente nicht besteuern, sondern er muss diese zum Abzug zulassen. Insoweit ist die Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 46 Abs. 2 BV
gutzuheissen.
e) Dagegen wirkt sich das Doppelbesteuerungsverbot von
Art. 46 Abs. 2 BV
im innerkantonalen Verhältnis nicht aus. Dieses steht daher der Besteuerung der Kinderalimente, die der Beschwerdeführer an die im Kanton Thurgau wohnhaften Kinder B. und S. bezahlt hat, durch den Kanton Thurgau nicht entgegen. Das Steuerharmonisierungsgesetz wirkt sich für diese Alimente noch nicht aus.
3.
Somit sind in bezug auf die Alimentenzahlungen an die im Kanton Thurgau wohnhaften Kinder die weiteren Rügen zu prüfen, soweit deren Begründung den Anforderungen von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
genügt. Die Beschwerdeführer berufen sich diesbezüglich auf die Rechtsgleichheit (
Art. 4 BV
und § 3 der thurgauischen Kantonsverfassung).
BGE 121 I 75 S. 79
a) Zunächst machen sie geltend, im Vergleich zu einem Steuerpflichtigen, der Kinderalimente an einen Empfänger in einem Kanton zahlt, der die Besteuerung beim Empfänger vorsieht, ergebe sich für sie eine steuerliche Mehrbelastung von 47%, was durch nichts, insbesondere nicht durch eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, gerechtfertigt sei. Beim Vergleich von alleinstehenden Steuerpflichtigen mit drei Kindern ergebe sich sogar eine steuerliche Mehrbelastung von 95%.
Diesem Vergleich ist die Grundlage entzogen, da er nicht berücksichtigt, dass ein Abzug - wie in E. 2 dargestellt - generell zugelassen werden muss, soweit die Alimente an einen Empfänger ausserhalb des Wohnsitzkantons des Alimentenschuldners gezahlt werden. Die Rüge dringt daher schon aus diesem Grunde nicht durch. Um eine rechtsungleiche Besteuerung im Vergleich zu anderen Steuerpflichtigen aufzuzeigen, könnte die Steuerbelastung im übrigen nicht - wie dies die Beschwerdeführer tun - isoliert aus Sicht des Leistenden betrachtet werden, sondern müsste auch die Steuerlast beim Empfänger der Leistung mitberücksichtigt werden. Einen solchen Vergleich stellen die Beschwerdeführer jedoch nicht an; die Frage ist im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nicht von Amtes wegen zu prüfen (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
).
b) Weiter sehen die Beschwerdeführer sinngemäss eine Verletzung der Rechtsgleichheit darin, dass der Alimentenschuldner die Alimente nur abziehen kann, wenn er diese an einen Empfänger in einem anderen Kanton zahlt, nicht aber wenn er sie an einen Empfänger im gleichen Kanton leistet. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sei aber in beiden Fällen die gleiche.
Diese Rüge ist - soweit sie überhaupt genügend klar erhoben ist und darauf eingetreten werden kann - ebenfalls nicht stichhaltig. Die Zahlungen von Alimenten an Empfänger im gleichen oder in einem anderen Kanton sind unterschiedliche Sachverhalte, die wegen der unterschiedlichen Steuerhoheit, der sie unterliegen, auch unterschiedlich besteuert werden können. Kinderalimentenzahlungen an einen Empfänger in einem anderen Kanton unterliegen nach der dargestellten doppelbesteuerungsrechtlichen Kollisionsregel der Steuerhoheit dieses Kantons. Der Wohnsitzkanton des Alimentenschuldners kann jedoch für Alimentenzahlungen, die an einen Empfänger im gleichen Kanton fliessen, auch eine Besteuerungsordnung aufstellen, die sich nicht an der entsprechenden Lösung anderer Kantone orientiert. Wenn
Art. 46 Abs. 2 BV
zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung verlangt, dass Alimentenzahlungen an einen Empfänger, der in einem anderen
BGE 121 I 75 S. 80
Kanton besteuert wird, abgezogen werden können, so lässt sich daraus nicht der Schlussziehen, dies müsse auch für Zahlungen an einen Empfänger im gleichen Kanton gelten. Ein solcher Eingriff in ein rein innerkantonales Besteuerungsverhältnis würde über die Tragweite des interkantonalen Doppelbesteuerungsverbots hinausgehen. Die Rechtsgleichheit schliesst nicht aus, dass die Kantone die Wahl des Systems der Besteuerung der Kinderalimente - entweder Besteuerung als Einkommen beim Schuldner oder Besteuerung beim Empfänger mit Abzug beim Schuldner - frei wählen können.
Dass nach dem thurgauischen Steuerrecht die Alimentenzahlungen an Empfänger im Kanton Thurgau anders als Zahlungen an Empfänger in einem anderen Kanton behandelt werden, ist die Reflexwirkung der Doppelbesteuerungsregel, wonach der Alimentenschuldner die Zahlungen im interkantonalen Verhältnis abziehen kann, und als Folge des noch nicht voll harmonisierten Steuerrechts hinzunehmen. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4b58d0e0-a5ae-42d4-a545-a5750a7467f2 | Urteilskopf
113 V 292
48. Estratto della sentenza del 5 novembre 1987 nella causa A. contro Cassa pensioni dei dipendenti dello stato e Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino | Regeste
Art. 73 BVG
: Zuständigkeit der BVG-Rechtspflegeinstanzen.
Die mit
Art. 73 BVG
eingeführten Rechtspflegeinstanzen sind zuständig für die Beurteilung von Streitigkeiten über Ansprüche oder Forderungen aus Versicherungsfällen, die unter der Herrschaft des seit 1. Januar 1985 in Kraft befindlichen neuen Rechts über die berufliche Vorsorge eingetreten sind, und zwar auch insoweit, als diese Ansprüche oder Forderungen in Umständen begründet sind, die zum Teil vor diesem Datum liegen und gegebenenfalls die Anwendung des alten materiellen Rechts erfordern. | Erwägungen
ab Seite 292
BGE 113 V 292 S. 292
Estratto dai considerandi:
1.
a) Giusta l'
art. 128 OG
, il Tribunale federale delle assicurazioni giudica in ultima istanza i ricorsi di diritto amministrativo contro le decisioni nel senso degli art. 97 e 98 lett. b ad h in materia di assicurazioni sociali. Sino al 31 dicembre 1984 le vertenze opponenti un istituto di previdenza professionale ad un
BGE 113 V 292 S. 293
assicurato esulavano dalla competenza del giudice delle assicurazioni sociali e dunque, in particolare, da quella del Tribunale federale delle assicurazioni.
Questa situazione è stata modificata con l'entrata in vigore della LPP il 1o gennaio 1985 (art. 1 cpv. 1 dell'Ordinanza 29 giugno 1983 concernente l'entrata in vigore e l'introduzione della legge federale sulla previdenza professionale per la vecchiaia, i superstiti e l'invalidità, in relazione con l'
art. 98 cpv. 2 LPP
). L'
art. 73 cpv. 1 LPP
dispone che ogni Cantone designa il tribunale che, in ultima istanza cantonale, decide le controversie tra istituti di previdenza, datori di lavoro e aventi diritto. Questo disposto si applica, da un lato, agli istituti di previdenza registrati di diritto privato o di diritto pubblico - sia per quel che concerne le prestazioni minime obbligatorie che per quel che attiene alle prestazioni più estese di quelle minime (
art. 49 cpv. 2 LPP
) - e, d'altro lato, alle fondazioni di previdenza a favore del personale non registrate, nel campo delle prestazioni che eccedono il minimo obbligatorio (
art. 89bis cpv. 6 CC
). Giusta l'
art. 73 cpv. 4 LPP
, poi, le decisioni dei tribunali cantonali designati dal cpv. 1 di questo disposto possono essere impugnate davanti al Tribunale federale delle assicurazioni con ricorso di diritto amministrativo.
b) Nel caso in esame la lite oppone un istituto di previdenza ad un assicurato. Oggetto della vertenza è la questione di sapere come verrà calcolata la pensione di vecchiaia dell'assicurato al momento probabile del pensionamento, nell'anno 2003, tenuto conto di un periodo di contribuenza decorrente dal 1963. Si pone quindi il tema se, e in quale misura al caso, il giudice delle assicurazioni sociali sia competente a statuire al riguardo.
Questa Corte, in una sentenza pubblicata in
DTF 112 V 356
, ha posto i criteri basilari circa la competenza delle autorità giurisdizionali in tema di LPP. Essa ha così affermato che con il rinvio fatto dagli
art. 49 cpv. 2 LPP
e 89bis cpv. 6 CC all'
art. 73 LPP
il legislatore intendeva solo estendere l'ambito d'applicazione di quest'ultimo disposto a nuovi settori della previdenza professionale; con ciò non si voleva istituire una nuova competenza ai fini di decidere circa i diritti o gli obblighi insorti esclusivamente prima dell'entrata in vigore del nuovo diritto o che hanno come origine un evento assicurato verificatosi nell'ambito del vecchio diritto. Il giudice previsto all'art. 73, ha concluso la Corte, è quindi competente a statuire soltanto se l'evento assicurato è subingredito dopo il 31 dicembre 1984. Il Tribunale ha poi osservato che si approdava
BGE 113 V 292 S. 294
allo stesso risultato richiamando considerazioni di diritto transitorio. Esso ha rilevato che non si giustifica in questo campo di attenersi alla giurisprudenza secondo cui le nuove norme di procedura sono applicabili di regola sin dal giorno della loro entrata in vigore. Questo principio non è in effetti applicabile senza restrizioni nell'ambito del diritto amministrativo. Esso non è in particolare richiamabile qualora non sussista una continuità nel sistema di procedura e si creino delle regolamentazioni del tutto nuove. Ora in concreto la LPP ha introdotto strutture giuridiche completamente diverse. Essa ha segnatamente modificato la procedura creando un sistema fondamentalmente nuovo, che si caratterizza essenzialmente con il passaggio dalla procedura civile alla procedura delle assicurazioni sociali. L'applicazione immediata e generale della nuova procedura condurrebbe ad esempio il giudice delle assicurazioni ad essere confrontato con problemi risalenti ad epoche remote ed estranei alla LPP, o a rivedere convenzioni concluse dalle parti secondo il precedente diritto e non più valide nel nuovo, oppure a porsi questioni di transizione particolari in caso di litispendenza di processi civili non ancora conclusi con l'entrata in vigore della nuova legge. Ne deve essere dedotto, ha infine affermato il Tribunale, che il nuovo ordinamento, trattandosi di statuire circa diritti e crediti che hanno origine esclusivamente in un periodo situato nell'ambito di vigenza del vecchio disciplinamento, trova applicazione soltanto se questa possibilità è chiaramente prevista dalla nuova normativa o se ciò è reso necessario da circostanze particolari.
Da quanto precede si deduce che il giudice delle assicurazioni sociali è competente a statuire nelle controversie in cui l'evento assicurato si è verificato dopo il 31 dicembre 1984, viceversa che essa competenza non è di massima data quando le pretese litigiose hanno origine esclusivamente in epoca precedente l'entrata in vigore della LPP.
La Corte non si è esplicitamente espressa sul tema della competenza delle autorità giurisdizionali a statuire nei casi, come il presente, in cui l'evento assicurato si è verificato dopo il 31 dicembre 1984 quando però il diritto si fondi su circostanze in parte antecedenti a questa data. Non ha in particolare accennato al tema della competenza giudiziaria trattandosi di accertare l'esistenza di eventuali diritti acquisiti dagli assicurati prima dell'entrata in vigore del nuovo diritto garantiti dall'
art. 91 LPP
.
BGE 113 V 292 S. 295
In una successiva sentenza 9 settembre 1987 pubblicata in
DTF 113 V 198
, il Tribunale federale delle assicurazioni ha comunque implicitamente ritenuto applicabile il nuovo diritto di procedura in un caso in cui l'evento assicurato era subingredito dopo il 31 dicembre 1984, affermando che irrilevante ai fini dell'applicazione di esso nuovo diritto era al riguardo la circostanza che fatti di rilievo si erano verificati prima di questa data.
Orbene, non si vede motivo di non attenersi alla soluzione adottata in quest'ultima sentenza. In essa si deve ravvisare una logica conseguenza dei principi posti nella giurisprudenza
DTF 112 V 356
. In effetti, ci si trova in un'ipotesi in cui, da un lato, l'evento assicurato non si è avverato prima del 1o gennaio 1985, e ove, d'altro lato, le pretese litigiose non hanno origine esclusivamente in epoca antecedente a questa data. Dal che discende che, ai sensi dei principi ricordati, il nuovo diritto di procedura può pacificamente trovare applicazione.
Ci si potrebbe certo chiedere se in simili casi in cui in lite sono diritti che hanno origine in circostanze risalenti ad epoche situate, in parte sotto l'imperio della precedente legge, in parte sotto quello della nuova, non dovrebbe essere riconosciuta per la prima suddetta categoria di diritti la competenza delle autorità giudiziarie competenti anteriormente all'entrata in vigore della LPP. In effetti non possono essere disattese alcune delle considerazioni cui si allude in
DTF 112 V 361
consid. 4b circa le difficoltà suscettibili di porsi trattandosi per il Tribunale federale delle assicurazioni e le autorità giurisdizionali di prima istanza designate all'
art. 73 cpv. 1 LPP
di applicare il vecchio diritto di merito. Orbene, simili considerazioni non sono di rilievo decisivo da questo profilo. Esse infatti devono cedere il passo all'impellenza di non istituire una duplice via giudiziaria per lo stesso rapporto giuridico. Una situazione assicurativa costituisce un complesso i cui elementi sono in linea di massima strettamente interdipendenti, il quale quindi difficilmente può essere scisso al fine di un accertamento giudiziario. Simile soluzione è conforme agli intenti del legislatore, il quale voleva istaurare una procedura "semplice" e "spedita" (cfr. Messaggio del Consiglio federale, FF 1976 I 183). | null | nan | it | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4b5caafa-7562-4e17-b983-7e4b9b49f69e | Urteilskopf
100 II 395
59. Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Oktober 1974 i.S. Mössinger gegen Akademikergemeinschaft für Erwachsenenfortbildung AG. | Regeste
Art. 944 Abs. 1 und 956 Abs. 2 OR,
Art. 1 UWG
.
1. Klage aus Firmen- und Wettbewerbsrecht wegen Gebrauchs einer Firmenbezeichnung; Zulässigkeit der Berufung ohne Rücksicht auf den Streitwert (Erw. 1).
2.
Art. 2 ZGB
. Untergang von Löschungs- und Unterlassungsansprüchen aus Firmenrecht und unlauterem Wettbewerb infolge unbegründeten Zuwartens mit der Klage (Erw. 2, 3 und 4b).
3.
Art. 44 Abs. 2 HRegV
. Zulässigkeit einer Kurzbezeichnung, die Bestandteil der Firma ist, aber nur in Werbetexten, Inseraten und dergleichen verwendet wird (Erw. 4a). | Sachverhalt
ab Seite 395
BGE 100 II 395 S. 395
A.-
Die "Akademi kergemeinschaft Ferninstitut Zürich AG" wurde 1956 gegründet. Im Jahre 1961 änderte sie die Firma in "Akademikergemeinschaft AG" und 1964 in "Akademikergemeinschaft" ab. Sie führt Fortbildungsschulen für Erwachsene, denen sie teils direkt, teils auf dem Korrespondenzweg Unterricht erteilt.
BGE 100 II 395 S. 396
Das Institut Mössinger verfolgt ähnliche Zwecke. Sein Name ist seit 6. Mai 1958 als Einzelfirma im Handelsregister eingetragen. Inhaber der Firma ist Walter Mössinger.
Im Herbst 1969 klagte Mössinger gegen die Akademikergemeinschaft mit dem Begehren, ihr die Verwendung dieser Bezeichnung als Firma zu verbieten. An der Sühneverhandlung vom 22. Dezember 1969 erklärte sich die Beklagte bereit, ihre Firma bis spätestens Ende 1970 durch einen Zusatz zu ergänzen. Mössinger hielt an seinem Klagebegehren jedoch fest. Am 5. März 1971 ersetzte die Beklagte ihre Firma durch "Akademikergemeinschaft für Erwachsenenfortbildung AG". Die Klage Mössingers wurde daraufhin am 14. Juli 1971 als gegenstandslos geworden abgeschrieben.
B.-
Ende März 1973 erhob Mössinger beim Handelsgericht des Kantons Zürich wegen der neuen Firma der Beklagten erneut Klage. Er verlangte, dass der Beklagten unter Androhung von Strafe verboten werde, das Wort "Akademikergemeinschaft" in der Firma zu verwenden, es in ihrem Reklamen, Broschüren, Korrespondenzen usw. weiterzugebrauchen und ein Signet mit den Worten "AKAD" und "Akademikergemeinschaft" zu benützen (Hauptbegehren). Eventuell sei die Beklagte bei Strafe zu verpflichten, das Wort "Akademikergemeinschaft" und ihr Signet nur mit dem Zusatz "für Erwachsenenfortbildung AG" zu verwenden (Eventualbegehren).
Durch Urteil vom 30. Januar 1974 wies das Handelsgericht die Hauptbegehren des Klägers wegen Verwirkung des Klagerechts ab, hiess sein Eventualbegehren dagegen gut. Es verbot der Beklagten, das Wort "Akademikergemeinschaft" ohne den unmittelbar damit verbundenen Zusatz "für Erwachsenenfortbildung AG" in ihrer Firma, in den Reklamen usw. zu verwenden. Es untersagte ihr ferner, das Signet unter Einbezug der Worte "AKAD" und "Akademikergemeinschaft" ohne den genannten Zusatz zu benützen. Es verband die Verbote mit der Androhung, dass die verantwortlichen Organe im Falle einer Widerhandlung gemäss
Art. 292 StGB
bestraft würden.
Beide Parteien beschwerten sich beim Kassationsgericht des Kantons Zürich, das am 14. Juni 1974 auf die Beschwerde des Klägers nicht eintrat und diejenige der Beklagten abwies.
C.-
Beide Parteien haben gegen das Urteil des Handelsgerichts auch Berufung eingelegt. Der Kläger beantragt, es aufzuheben
BGE 100 II 395 S. 397
und seine Hauptbegehren, die er in der Berufungsschrift wiederholt, gutzuheissen. Die Beklagte verlangt dagegen, dass die Klage gänzlich abgewiesen werde.
Jede Partei widersetzt sich zudem der Berufung der anderen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klage stützt sich auf Firmen- und Wettbewerbsrecht. Das ist zulässig, da die firmenrechtlichen Bestimmungen des OR und die Vorschriften des UWG kumulativ anwendbar sein können, wenn die Parteien miteinander im Wettbewerb stehen (
BGE 90 II 195
/6,
BGE 95 II 572
Erw. 3,
BGE 97 II 159
Erw. 4). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Es ist offensichtlich, dass die Parteien sich mit gleichartigen Leistungen, zumindest teilweise um die gleiche Kundschaft bemühen (vgl.
BGE 90 II 323
/4). Das Handelsgericht hat die Klage denn auch unter beiden rechtlichen Gesichtspunkten beurteilt und das Eventualbegehren gestützt auf das UWG gutgeheissen, ohne freilich zu sagen, welche Vorschrift dieses Gesetzes es für anwendbar hielt.
In Streitigkeiten über den Gebrauch einer Geschäftsfirma ist gemäss
Art. 45 lit. a OG
die Berufung ohne Rücksicht auf den Streitwert zulässig. Streitigkeiten aus unlauterem Wettbewerb wegen Führung einer unzulässigen Firma unterstehen dagegen der Vorschrift des
Art. 46 OG
, sind also nur berufungsfähig, wenn der Streitwert wenigstens Fr. 8000.-- beträgt. Dies gilt selbst dann, wenn nicht auf Schadenersatz, sondern bloss auf Feststellung und Unterlassung unlauteren Wettbewerbs geklagt wird (
BGE 82 II 78
,
BGE 87 II 114
). Bei Zusammentreffen von Firmen- und Wettbewerbsrecht ist das Bundesgericht stillschweigend jedoch immer davon ausgegangen, dass es diesfalls die Sache auf Berufung hin ohne Rücksicht auf den Streitwert nach beiden Richtungen überprüfen kann. Es verhält sich gleich wie bei Konkurrenz von Marken- und Wettbewerbsrecht (vgl. statt vieler:
BGE 95 II 193
ff. und 569 ff.,
BGE 97 II 153
ff.). Auf die Behauptung der Beklagten, der Streitwert übersteige Fr. 300 000.--, kommt daher für die Zulässigkeit der Berufung nichts an.
2.
Löschungs- und Unterlassungsansprüche aus Markenrecht, Firmenrecht oder unlauterem Wettbewerb können nach
BGE 100 II 395 S. 398
ständiger Rechtsprechung aufgrund von
Art. 2 ZGB
durch Zeitablauf untergehen (
BGE 98 II 144
Erw. 3 und dort angeführte Urteile; MERZ, N. 512 ff. zu
Art. 2 ZGB
).
Das Handelsgericht hat die Verwirkungseinrede der Beklagten mit Bezug auf die Hauptbegehren der Klage gutgeheissen, weil der Kläger wider Treu und Glauben gehandelt habe. Es wirft ihm vor, er habe durch sein Verhalten nach der Sühneverhandlung vom 22. Dezember 1969 den Anschein erweckt, dass er die neue Firma der Beklagten dulden werde, wenn sie den Erwerbscharakter durch einen Zusatz deutlicher zum Ausdruck bringe. Worin dieses Verhalten bestanden hat, sagt das Handelsgericht jedoch nicht. Es stellt nicht etwa fest, der Kläger habe der Beklagten zugesichert oder ihr doch mindestens durch sein Verhalten zu erkennen gegeben, dass er von einer Klage absehen werde, wenn die Beklagte ihre Firma gemäss Versprechen an der Sühneverhandlung durch den Zusatz "für Erwachsenenfortbildung AG" ergänze. Der Kläger behauptete vielmehr schon damals, die Bezeichnung "Akademikergemeinschaft" sei unwahr und täuschend. Nichts deutete darauf hin, dass er seine Auffassung aufgebe, wenn die Beklagte die Bezeichnung als Firmenbestandteil beibehalte.
Der Kläger hatte entgegen der Annahme des Handelsgerichts auch keinen Anlass, seine Klage mit dem Vorbehalt zu versehen, dass das beantragte Verbot auch für die mit dem erwähnten Zusatz ergänzte Firma gelten solle. Als er im Februar 1970 Klage einreichte, war noch die ursprüngliche Firma eingetragen. Dass er es unterliess, die von der Beklagten beabsichtigte Änderung der Firma in sein Klagebegehren einzubeziehen, rechtfertigt den Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens folglich nicht. Als das Handelsgericht auf die Änderung hin die erste Klage Mössingers abschrieb, liess dieser aber schon am 23. Juni 1971 wieder zum Sühneversuch über die heute streitigen Hauptbegehren vorladen. Der Sühneversuch fand am 27. August 1971 statt, und am gleichen Tage wurde die Weisung an das Handelsgericht ausgestellt. Dass der Kläger dann mit der Einreichung der zweiten Klage bis Ende März 1973 zuwartete, schadet ihm nicht.
3.
Damit ist die Verwirkungseinrede, an der die Beklagte im Berufungsverfahren festhält, jedoch nicht erledigt. Es fragt sich vielmehr, ob sie nicht aus andern Gründen gutzuheissen ist.
BGE 100 II 395 S. 399
a ) Die Beklagte hat die Bezeichnung "Akademikergemeinschaft" seit ihrer Gründung im Jahre 1956, sei es allein oder mit einem Zusatz, stets als Firma verwendet. Das gleiche gilt für ihr Signet, bestehend aus einer Sk izze und der Kurzbezeichnung "AKAD", denen zeitweise in Kleindruck das Wort "Akademikergemeinschaft" beigefügt wurde. Dieses Wort wurde zudem in Inseraten und Werbeschriften schon vor 1964 als Hauptbestandteil der Firma oft allein verwendet. Es muss deshalb angenommen werden, dass das Wort "Akademikergemeinschaft" durch seinen Gebrauch von 1956 bis 1971 als kennzeichnender Bestandteil der Firma Verkehrsgeltung erlangt hat. Dadurch ist der Beklagten ein Vermögenswert erwachsen, dessen Preisgabe ihr nicht ohne weiteres zugemutet werden kann (vgl.
BGE 88 II 180
und 375,
BGE 97 II 154
Erw. 1; ferner MERZ, N. 517 und 533 zu
Art. 2 ZGB
). Das anerkennt auch das Handelsgericht, wenn es ausführt, die Bezeichnung "Akademikergemeinschaft" habe sich weitgehend durchgesetzt, womit die Beklagte offenbar einen wertvollen Besitzstand erworben habe.
Darüber könnte man sich hinwegsetzen, wenn anzunehmen wäre, die Beklagte habe sich nicht gutgläubig für diese Firmenbezeichnung entschieden (
BGE 95 II 362
Erw. 3 und dort angeführte Urteile). Dafür ist dem angefochtenen Urteil indes nichts zu entnehmen. Da ihre Firma ohne Beanstandungen im Handelsregister eingetragen wurde, durfte die Beklagte im Gegenteil guten Glaubens annehmen, die Bezeichnung sei nach
Art. 944 Abs. 1 OR
zulässig; denn andernfalls hätten die Registerbehörden die Eintragung verweigern müssen (vgl.
Art. 940 Abs. 1 OR
, Art. 38, 114, 115 und 117 HRegV). Die Beklagte hat sich übrigens, bevor sie die Firma in "Akademikergemeinschaft" abändern liess, mit Schreiben vom 28. Januar 1964 beim Handelsregisterführer erkundigt. Dieser antwortete ihr am 30. Januar, dass gegen die neue Bezeichnung nichts einzuwenden sei.
b ) Der Kläger hat die Firma der Beklagten während rund elf Jahren nicht beanstandet, obwohl er sich seit 1958 mit ähnlichen Leistungen um die gleiche Kundschaft bemüht. Ein solches Verhalten führt freilich nicht ohne weiteres zur Verwirkung des Klagerechts, da ein Kläger nach den Umständen Anlass haben kann, eine abwartende Haltung einzunehmen (
BGE 81 II 291
). Dies traf z.B. im Falle zu, der
BGE 98 II 138
BGE 100 II 395 S. 400
ff. zugrunde liegt. Dort ging es um verwechselbare Zeichen von Parteien, die miteinander geschäftliche Beziehungen unterhielten. Auch brauchte die Klägerin eine gewisse Zeit, um sich darüber schlüssig zu werden, wie die Zeichen sich nebeneinander auswirkten. Solche Überlegungsfristen werden von der Lehre und Rechtsprechung denn auch zugestanden, wenn schwierig zu beurteilen ist, ob zwei Marken oder Firmen sich vertragen (
BGE 88 II 180
Erw. 3; MERZ, N. 537 zu
Art. 2 ZGB
). In jenem Fall hatte die Klägerin die Beklagte zudem in Abständen von 2-3 Jahren verwarnt. Von einem solchen Fall kann hier aber schon deshalb nicht die Rede sein, weil es nicht um Verwechselbarkeit zweier Firmen, sondern um den Vorwurf der Täuschung und Unwahrheit geht. Der Kläger hat die Beklagte deswegen vor 1969 auch nie verwarnt (
BGE 79 II 313
Erw. 2a). Eine gelegentliche Verwarnung hätte übrigens nicht genügt, um ein sonst unbegründetes Zuwarten mit der Klage zu rechtfertigen (vgl. MERZ, N. 538 zu
Art. 2 ZGB
).
Das Handelsgericht scheint dem Kläger allerdings zuzubilligen, er habe erst Anlass zum Einschreiten gehabt, als die Beklagte die "Aktion sauberer Fernunterricht" einleitete. Dem kann nicht zugestimmt werden. Es ist gerichtsnotorisch, dass gewisse Institute für Fernunterricht sich bei der Kundenwerbung unlauterer Mittel bedient und dadurch auch seriösen Unternehmen geschadet haben. Um den Missbräuchen zu wehren, ist mit Unterstützung von namhaften Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Erziehungswesen die "Aktion sauberer Fernunterricht" unternommen worden. Die Beklagte hat daran teilgenommen, insbesondere ein "Merkblatt für Fernkurs-Interessenten" verfasst. Sie empfahl darin den Interessenten, nie einen Vertrag in Anwesenheit eines Vertreters zu unterzeichnen, den Vertrag nur mit der Post einzusenden und keinen abzuschliessen, der nicht halbjährlich kündbar ist.
Diese Bemerkungen riefen den Kläger zur Entgegnung auf den Plan. Sein Vertreter hielt der Beklagten in der Replik vor, sie habe den Prozess mit ihren Behauptungen, der Kläger und "andere Firmen seien unseriös und faul und sie sei die einzige Seriöse", selbst heraufbeschworen; hätte sie andere in Ruhe gelassen, so hätte man sie "mit grösster Wahrscheinlichkeit" auch in Ruhe gelassen. Weder dem angefochtenen Urteil noch den Akten ist indes zu entnehmen, dass die Beklagte sich über den Kläger oder sich selber in dieser Weise geäussert hat.
BGE 100 II 395 S. 401
Sollte dies aber der Fall gewesen sein, so hätte der Kläger die Beklagte nach
Art. 1 Abs. 2 lit. a und b UWG
belangen können. Eine Klage aus Firmenrecht dagegen war zum vorneherein nicht die geeignete Abwehr. Der Kläger kann somit daraus, dass die Beklagte sich an der "Aktion sauberer Fernunterricht" beteiligt hat, nichts zur Rechtfertigung seiner jahrelangen Untätigkeit ableiten.
c) Dass der Kläger sich nicht auf Verwechselbarkeit beruft, sondern geltend macht, die Firma der Beklagten sei unwahr und täuschend, steht dem Untergang seines Klagerechts nicht entgegen. Eine Popularklage, bei der die Einrede der Verwirkung ausgeschlossen wäre, liegt nicht vor, da der Kläger keine öffentlichen Interessen vertritt (vgl.
BGE 73 II 190
Erw. 5a). Es handelt sich vielmehr um eine Klage aus
Art. 956 Abs. 2 OR
über einen zivilrechtlichen Streitpunkt zwischen zwei Zivilparteien (HIS, N. 27 und 44 zu
Art. 956 OR
). Öffentliche Interessen wahrzunehmen, wäre gegebenenfalls Sache der Registerbehörden, wenn diese finden sollten, die Firma der Beklagten entspreche nicht oder nicht mehr den gesetzlichen Vorschriften (
BGE 100 Ib 29
ff., Art. 38 und 60/61 HRegV).
Dem Kläger hilft schliesslich auch nicht, dass das Handelsgericht am 24. März 1970 eine Klage des "IPU Institut für programmierten Unterricht" gegen die Beklagte gutgeheissen hat. In diesem Falle stellte sich die Frage der Verwirkung nicht, da das IPU erst im Jahre 1967 gegründet worden war. Das Urteil des Handelsgerichts ist zudem nicht rechtskräftig geworden, sondern infolge Rückzugs der Klage im Berufungsverfahren dahingefallen.
4.
Das Handelsgericht hat das Eventualbegehren des Klägers gutgeheissen und der Beklagten verboten, das Wort "Akademikergemeinschaft" und, in Verbindung mit dem Signet, die Worte "AKAD" und "Akademikergemeinschaft" ohne den unmittelbar damit verbundenen Zusatz "für Erwachsenenfortbildung AG" zu verwenden. Nach seinen Erwägungen gilt. das Verbot auch für den Fall, dass das Signet nur mit dem einen oder andern dieser Worte benützt wird.
a) Nach Firmenrecht lässt sich das Verbot zum vornherein nicht rechtfertigen. Gemäss
Art. 44 Abs. 2 HRegV
sind Untertitel, Kurzbezeichnungen und ähnliche Ausdrücke nur gestattet, wenn sie Bestandteile der Firma sind. Das trifft für das
BGE 100 II 395 S. 402
Wort "Akademikergemeinschaft" an sich zu. Nach der erwähnten Bestimmung darf jedoch nicht jeder beliebige Firmenbestandteil als Kurzbezeichnung im formellen Geschäftsverkehr, also z.B. beim Abschluss von Verträgen, verwendet werden; die Bezeichnung muss vielmehr erkennbar als solche in der Firma enthalten sein (vgl. die Beispiele bei His, N. 48 zu
Art. 944 OR
: "Gesellschaft für Chemische Industrie Basel" oder CIBA, "Adressen- und Werbezentrale" oder AWZ usw.; siehe ferner die Mitteilung des Eidgenössischen Amtes für das Handelsregister, SHAB Nr. 84 vom 10. April 1935, wiedergegeben von JAQUEROD/v. STElGER, Eintragsmuster für das Handelsregister, S. 383 ff.). Die Beklagte beansprucht seit der Änderung ihrer Firma im März 1971 indes nicht das Recht, die Kurzbezeichnung "Akademikergemeinschaft" im formellen Geschäftsverkehr verwenden zu dürfen. Sie gebraucht sie nur in Werbetexten, Inseraten und dergleichen. Im formlosen Verkehr ist die Bezeichnung nach vernünftiger Auslegung von
Art. 44 Abs. 2 HRegV
aber ebensowenig zu beanstanden wie z.B. die Abkürzung "Seidengrieder" oder "Wollen-Keller" (HIS, N. 50 zu Art. 944 und N. 5 zu
Art. 956 OR
).
Noch weniger lässt sich sagen, die.Verwendung des Wortes "AKAD" verstosse gegen Firmenrecht. Diese Bezeichnung ist nicht Bestandteil der Firma und wird nur im formlosen Verkehr benützt. Ob sie ausserdem als Wortmarke im Markenregister eingetragen ist, wie die Beklagte behauptet, ist firmenrechtlich unerheblich.
b) Wettbewerbsrechtlich sodann könnte höchstens der Gebrauch des Wortes "Akademikergemeinschaft" als Kurzbezeichnung beanstandet werden, wenn man der Auffassung des Handelsgerichts, der zweite Teil dieser Wortverbindung wirke täuschend, folgen wollte. Bei der Bezeichnung "AKAD" kann davon zum vornherein keine Rede sein. Sie ist eine willkürlich gewählte Abkürzung der Firma und enthält nichts, was den unbefangenen Leser zu falschen Schlüssen über die Leistungen der Beklagten verleiten könnte.
Es erübrigt sich indes, die Streitfrage in dieser Richtung weiter zu prüfen; denn was zur Verwirkung der Hauptbegehren des Klägers ausgeführt worden ist, gilt auch für sein Eventualbegehren. Die Beklagte hat das Signet seit ihrer Gründung verwendet. Der Kläger hätte daher viel früher gegen sie vorgehen
BGE 100 II 395 S. 403
müssen, wenn er der Meinung war, der Beklagten sei unlauterer Wettbewerb vorzuwerfen. Durch sein Zuwarten während rund elf Jahren hat er sein Klagerecht auch in diesem Punkte verwirkt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung des Klägers wird abgewiesen.
2.- Die Berufung der Beklagten wird dagegen gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage ganz abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4b6981fa-9d43-4654-80be-7c0511f8528e | Urteilskopf
105 V 119
29. Urteil vom 20. Juni 1979 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Schweizerische Bankiervereinigung und Verband schweizerischer Holding- und Finanzgesellschaften betreffend Schadenersatzklage i.S. Stutz | Regeste
Art. 130 und 116 lit. k OG
. Auf Grund der OG-Revision vom 20. Dezember 1968 ist das Eidg. Versicherungsgericht zur Beurteilung von Schadenersatzklagen gemäss
Art. 70 Abs. 2 AHVG
und
Art. 172 Abs. 2 AHVV
zuständig (Erw. 1).
Art. 70 Abs. 1 lit. b AHVG
, 172 und 173 AHVV. Haftung der Gründerverbände für Schäden, die infolge absichtlicher oder grobfahrlässiger Missachtung der Vorschriften durch Kassenorgane oder Kassenfunktionäre entstanden sind:
- Begriff der groben Fahrlässigkeit (Erw. 2).
- Anwendungsfall (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 120
BGE 105 V 119 S. 120
A.-
Mit Verfügung vom 31. März 1971 hatte die Ausgleichskasse für das schweizerische Bankgewerbe Walter Stutz unter den Versichertennummern 874.11.329/874.10.521 eine ganze Ehepaar-Invalidenrente zugesprochen, welche vom 1. Januar 1971 bis 30. September 1975 ausbezahlt wurde.
Am 6. Januar 1972 meldete sich Hedwig Stutz, die Ehefrau des Walter Stutz, zum Bezug einer einfachen Altersrente an, wobei sie als Geburtsdatum richtigerweise den 21. Januar 1910 angab und vermerkte, ihr Ehemann sei Bezüger einer Invalidenrente. Der von ihr vorgelegte Versicherungsausweis enthielt als Geburtsdatum den 20. Januar 1910 und demzufolge die Nummer 874.10.520. Nach Durchführung des Kontenzusammenrufs unter dieser Nummer sprach die Ausgleichskasse Hedwig Stutz am 17. Januar 1972 mit Wirkung ab 1. Februar 1972 eine einfache Altersrente zu, welche - neben der Ehepaar-Invalidenrente - bis zum 30. September 1975 zur Auszahlung gelangte.
Nach dem am 7. August 1975 erfolgten Tode von Walter Stutz stellte die Ausgleichskasse fest, dass die einfache Altersrente für die Zeit von Februar 1972 bis September 1975 und die Ehepaar-Invalidenrente für den Monat September 1975 zu Unrecht ausgerichtet worden waren. Dementsprechend forderte sie von Hedwig Stutz am 28. Oktober 1975 den Betrag von Fr. 18'640.-- zurück. Mit einer weiteren Verfügung vom 17. März 1976 wies sie ein Erlassgesuch ab, da die zurückzuerstattenden Leistungen nicht gutgläubig bezogen worden seien.
In Bestätigung eines Entscheides der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich stellte das Eidg. Versicherungsgericht mit Urteil vom 15. Dezember 1976 fest, dass die unrichtige Rentenzahlung überwiegend auf die mangelnde Sorgfalt der Verwaltung zurückzuführen sei und dass Hedwig Stutz sich auf ihren guten Glauben beim Empfang der Renten berufen dürfe.
BGE 105 V 119 S. 121
Demzufolge müsse die Rückerstattung des Betrages von Fr. 18'640.-- erlassen werden, sofern sie zu einer grossen Härte im Sinne von
Art. 47 Abs. 1 AHVG
(in Verbindung mit
Art. 42 AHVG
und
Art. 60 AHVV
) führe; hierüber werde die Ausgleichskasse in einer beschwerdefähigen Verfügung zu befinden haben.
Mit Verfügung vom 29. Dezember 1976 erliess die Ausgleichskasse des schweizerischen Bankgewerbes die Rückzahlung der zuviel bezahlten Renten, indem sie die Voraussetzung der grossen Härte als gegeben erachtete.
B.-
Das Bundesamt für Sozialversicherung forderte in der Folge die Schweizerische Bankiervereinigung als Gründerverband auf, gemäss
Art. 70 AHVG
die Haftung im Betrage von Fr. 17'140.--, entsprechend der Hedwig Stutz vom 1. Februar 1972 bis 30. September 1975 zu Unrecht ausgerichteten einfachen Altersrente, anzuerkennen.
Am 20. September 1977 lehnte die Bankiervereinigung die Haftung ab mit der Begründung, das Versehen, welches zur doppelten Rentenzahlung geführt habe, könne nicht als grobfahrlässig im Sinne von
Art. 70 Abs. 1 lit. b AHVG
bezeichnet werden.
C.-
Mit Eingabe an das Schweizerische Bundesgericht erhebt das Bundesamt für Sozialversicherung, gestützt auf
Art. 172 Abs. 2 AHVV
, Schadenersatzklage mit dem Begehren, die Schweizerische Bankiervereinigung und der Verband schweizerischer Holding- und Finanzgesellschaften seien in ihrer Eigenschaft als Gründerverbände der Ausgleichskasse für das schweizerische Bankgewerbe zu verpflichten, "der AHV den Schadenbetrag von Fr. 17'140.-- zurückzubezahlen".
Die beklagten Gründerverbände beantragen Abweisung der Klage, da es sich um ein einmaliges Versehen eines langjährigen zuverlässigen Beamten handle, welches weder als absichtliche noch als grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften bewertet werden könne.
D.-
Mit Beschluss vom 2. Oktober 1978 hat die verwaltungsrechtliche Kammer des Bundesgerichts die Klage nach durchgeführtem Meinungsaustausch dem Eidg. Versicherungsgericht überwiesen.
Im Verfahren vor dem Eidg. Versicherungsgericht haben die Parteien auf die Durchführung einer mündlichen Vorbereitungsverhandlung verzichtet. An der Hauptverhandlung haben
BGE 105 V 119 S. 122
sie an ihren Anträgen festgehalten. Die Begründung dieser Anträge ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nachstehenden Urteilserwägungen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist eine Schadenersatzforderung gemäss
Art. 70 AHVG
. Nach
Art. 70 Abs. 2 AHVG
in Verbindung mit
Art. 172 AHVV
obliegt es dem Bundesamt für Sozialversicherung, solche Forderungen beim Kanton bzw. Gründerverband geltend zu machen. Wird die Schadenersatzpflicht ganz oder teilweise bestritten, so hat das Bundesamt im Namen des Bundesrates Klage einzureichen (
Art. 172 Abs. 2 AHVV
). Das Bundesamt für Sozialversicherung ist somit zur Klage legitimiert (
Art. 119 Abs. 1 OG
).
b) Die Klage auf Schadenersatz gemäss
Art. 70 AHVG
ist eine Klage in einer Streitigkeit aus dem Verwaltungsrecht des Bundes, die durch ein Bundesgesetz ausdrücklich vorgesehen wird. Sie stellt eine verwaltungsrechtliche Klage im Sinne von
Art. 116 lit. k OG
dar. Da sie in den Bereich der Sozialversicherung fällt, ist für ihre Beurteilung das Eidg. Versicherungsgericht zuständig (
Art. 130 OG
).
c) Nach Art. 133 in Verbindung mit
Art. 120 und
Art. 105 Abs. 1 OG
kann das Eidg. Versicherungsgericht die Feststellung des Sachverhaltes von Amtes wegen überprüfen. Im übrigen finden die Vorschriften über den Bundeszivilprozess sinngemäss Anwendung.
2.
a) Nach
Art. 70 Abs. 1 AHVG
haften die Gründerverbände, der Bund und die Kantone
"a) für Schäden aus strafbaren Handlungen, die von ihren
Kassenorganen oder einzelnen Kassenfunktionären bei Ausübung ihrer
Obliegenheiten begangen werden;
b) für Schäden, die infolge absichtlicher
oder grobfahrlässiger Missachtung der Vorschriften durch ihre Kassenorgane
oder einzelne Kassenfunktionäre entstanden sind".
Zum Begriff der groben Fahrlässigkeit gemäss lit. b der Bestimmung hat sich das Eidg. Versicherungsgericht bisher nicht zu äussern gehabt. Es besteht auch keine diesbezügliche bundesgerichtliche Rechtsprechung aus der Zeit vor der Revision des Organisationsgesetzes von 1968. Im übrigen ergeben sich weder aus der Botschaft des Bundesrates zum AHVG vom
BGE 105 V 119 S. 123
24. Mai 1946 (BBl 1946 II 365 ff., insbesondere S. 460 und 546) noch aus den übrigen Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte zur Auslegung der Bestimmung.
b) Mit der Frage der Grobfahrlässigkeit hat sich das Eidg. Versicherungsgericht vorab im Zusammenhang mit der Kürzung von Sozialversicherungsleistungen wegen selbstverschuldeter Herbeiführung des versicherten Ereignisses zu befassen (
Art. 98 Abs. 3 KUVG
,
Art. 7 Abs. 1 MVG
,
Art. 7 Abs. 1 IVG
). Grobfahrlässig handelt nach dieser Rechtsprechung, wer jene elementarsten Vorsichtsgebote unbeachtet lässt, die jeder verständige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgt hätte, um eine nach dem natürlichen Lauf der Dinge voraussehbare Schädigung zu vermeiden (
BGE 104 V 38
, 103 V 21 und 34, 102 V 25, 98 V 228).
Hinzuweisen ist ferner auf Art. 8 des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 14. März 1958 (VG), wonach der Beamte dem Bund für den Schaden haftet, den er ihm durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung seiner Dienstpflicht unmittelbar zufügt. In
BGE 86 I 180
hat das Bundesgericht hiezu ausgeführt, eine Fahrlässigkeit liege vor, wenn die nach den bestehenden Vorschriften und nach den Umständen gebotene Sorgfalt bei Ausübung dienstlicher Verrichtungen ausser acht gelassen werde. Damit die Fahrlässigkeit als grob bezeichnet werden könne, müsse sie von einer gewissen Schwere sein. In der Regel werde die Verletzung eines elementaren Vorsichtsgebotes als grobe Fahrlässigkeit zu würdigen sein. Bei der Beurteilung der Schwere des Verschuldens seien indessen stets die gesamten Umstände des einzelnen Falles zu berücksichtigen. In
BGE 102 Ib 108
hält das Bundesgericht zu
Art. 8 VG
fest, die Fahrlässigkeit müsse nach dem Wortlaut und Sinn der Bestimmung derart schwer sein, "dass die Verwaltung begründeten Anlass zum Zweifel daran hat, ob der Beamte das Vertrauen, das sie ihm nach seiner amtlichen Stellung muss entgegenbringen können, noch uneingeschränkt verdiene".
c) Im Hinblick auf die weitgehende Parallelität der Rechtsfragen rechtfertigt es sich, die Grundsätze, wie sie für die Verantwortlichkeit der Beamten gelten, sinngemäss auf
Art. 70 Abs. 1 AHVG
anzuwenden. Die Haftung für grobfahrlässig herbeigeführte Schäden setzt demzufolge voraus, dass die Organe oder Funktionäre der Ausgleichskasse die gebotene elementare Vorsicht bei der Erfüllung der ihnen obliegenden
BGE 105 V 119 S. 124
Aufgaben nicht beachtet haben, wobei das Verhalten derart schwer sein muss, dass ein pflichtbewusster Beamter in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen keinesfalls hätte gleich handeln können. Es muss eine eigentliche Verletzung des entgegengebrachten Vertrauens durch den Beamten vorliegen, so dass es nicht als unbillig erschiene, wenn er auf dem Wege des Rückgriffs in bestimmtem Umfange für den Schaden persönlich erfasst würde.
Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit sind die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Dabei ist jedoch von einem objektiven Fahrlässigkeitsbegriff auszugehen, und es ist an die Sorgfaltspflicht ein für sämtliche Beamten mit gleichartigen Funktionen geltender durchschnittlicher Massstab anzulegen (vgl. WINZELER, Die Haftung der Organe und der Kassenträger in der AHV, Diss. Zürich 1952, S. 76, 87). Im übrigen gelten als Vorschriften, deren grobfahrlässige Missachtung eine Haftung auslösen kann, nicht nur die Bestimmungen des AHVG und der Vollziehungsverordnung, sondern auch die Weisungen der Aufsichtsbehörde (vgl. BINSWANGER, Kommentar zum AHVG, S. 276).
3.
Streitig ist im vorliegenden Fall, ob die beklagten Gründerverbände für den Schaden aufzukommen haben, welcher durch die zu Unrecht erfolgte Auszahlung von Altersrenten an Hedwig Stutz in der Höhe von Fr. 17'140.-- entstanden ist.
a) In der "Anmeldung zur AHV" vom 6. November 1952 gab Hedwig Stutz als Geburtsdatum den 20. Januar 1910 (statt richtig den 21. Januar 1910) an. Gestützt hierauf wurde ihr ein Versicherungsausweis mit dem unrichtigen Geburtsdatum des 20. Januar 1910 und mit der unrichtigen Versichertennummer 814.10.520 ausgestellt. Mit Verfügung vom 31. März 1971 wurde dem Ehemann der Versicherten unter den zutreffenden Versichertennummern 874.11.329/874.10.521 eine ganze Ehepaar-Invalidenrente zugesprochen. Dabei wurde übersehen, dass der Versicherungsausweis der Ehefrau eine unrichtige Versichertennummer aufwies. Am 6. Januar 1972 meldete sich Hedwig Stutz zum Bezug einer einfachen Altersrente an, wobei sie als Geburtsdatum richtigerweise den 21. Januar 1910 angab und auf die entsprechende Frage im Anmeldeformular vermerkte, ihr Ehemann sei Bezüger einer Rente der Invalidenversicherung. Der Anmeldung legte sie den fehlerhaften Versicherungsausweis bei. Auf Grund dieses Ausweises nahm die Ausgleichskasse
BGE 105 V 119 S. 125
unter der unrichtigen Versichertennummer den Kontenzusammenruf vor. Da dieser keinen Ausschliessungsgrund aufzeigte, sprach sie der Versicherten mit Wirkung ab 1. Februar 1972 eine einfache Altersrente zu (Verfügung vom 17. Januar 1972).
b) Das Bundesamt für Sozialversicherung legt unter Hinweis auf Rz 845 ff. der Wegleitung über die Renten im einzelnen dar, welche Kontrollen die Kassenfunktionäre bei der Prüfung von Leistungsbegehren vorzunehmen haben. Danach darf sich der Funktionär nicht damit begnügen, auf Grund des Versicherungsausweises den Kontenzusammenruf zu veranlassen; vielmehr hat er zunächst die Personalien anhand der einzufordernden amtlichen Ausweisschriften zu prüfen.
Im vorliegenden Fall wurde eine Prüfung der von der Versicherten im Anmeldeformular angegebenen Personalien vorgenommen. Der Sachbearbeiter der Ausgleichskasse hat jedoch übersehen, dass der Versicherungsausweis nicht mit den in der Anmeldung zum Bezug einer Altersrente enthaltenen richtigen Angaben übereinstimmte. Auch wenn den Beklagten darin beizupflichten ist, dass es an einer entsprechenden ausdrücklichen Verwaltungsweisung fehlt, kann kein Zweifel darüber bestehen, dass sich die Prüfung auch auf die Angaben im Versicherungsausweis zu erstrecken hat. Der Kassenfunktionär hat daher zumindest nicht mit der nötigen Sorgfalt gehandelt. Dabei kann offenbleiben, ob die Unrichtigkeit des Versicherungsausweises nicht schon früher (bei der Ausstellung des Ausweises im Jahre 1952 oder bei der Zusprechung der Ehepaar-Invalidenrente im Jahre 1971) hätte festgestellt werden müssen.
c) Der Sachbearbeiter der Ausgleichskasse hat des weitern dem Umstand keine Beachtung geschenkt, dass die Versicherte im Anmeldeformular auf den Bezug einer Invalidenrente durch den Ehemann hingewiesen hat. Statt den Angaben im Anmeldeformular näher nachzugehen, stellte er allein auf das Ergebnis des Kontenzusammenrufs ab. Entgegen den Ausführungen der Beklagten durfte er aber nicht davon ausgehen, dass es sich bei der fraglichen Rente um eine einfache Invalidenrente handelte. Auf Grund der gesetzlichen Regelung musste ihm vielmehr klar sein, dass es sich nur um eine Ehepaar-Invalidenrente handeln konnte, was den gleichzeitigen Bezug einer einfachen Altersrente durch die Ehefrau ausschloss (
Art. 33 IVG
und
Art. 21 AHVG
). Der Kassenfunktionär hat es daher auch
BGE 105 V 119 S. 126
in dieser Hinsicht an der notwendigen Aufmerksamkeit fehlen lassen.
d) Bei der Beurteilung des Verschuldens ist zu berücksichtigen, dass der Kassenfunktionär in doppelter Hinsicht nachlässig gehandelt hat und dass der Schaden unterblieben wäre, wenn er auch nur in einem Punkt mit der erforderlichen Sorgfalt vorgegangen wäre. Dabei fällt der erste Fehler nicht stark ins Gewicht. Abgesehen davon, dass die Unrichtigkeit des Versicherungsausweises verhältnismässig leicht übersehen werden konnte, musste der Kassenfunktionär nicht mit der Unrichtigkeit der im Ausweis enthaltenen Angaben rechnen. Es kann daher nicht gesagt werden, er habe gegen elementare Vorsichtspflichten verstossen und einen Fehler begangen, der einem pflichtbewussten Beamten unter den gleichen Umständen keinesfalls unterlaufen durfte.
Schwerer wiegt die Nichtbeachtung des Hinweises auf die Invalidenrente. Es ist indessen zu berücksichtigen, dass es sich bei der Prüfung der Leistungsbegehren um eine eigentliche Massenarbeit handelt und dass die Anforderungen an die Kassenfunktionäre infolge der zunehmenden Kompliziertheit der Materie erheblich gestiegen sind. Fehlleistungen der vorliegenden Art erscheinen daher bis zu einem gewissen Grad als entschuldbar, weshalb es sich als unbillig erwiese, dem Kassenfunktionär wegen eines einmaligen solchen Vorfalls das Vertrauen zu entziehen und ihn, wenn auch nur mittelbar, für den sich hieraus ergebenden Schaden haften zu lassen.
Werden beide Fehler in Betracht gezogen, so liegt mit Bezug auf das vorausgesetzte Verschulden ein Grenzfall vor. In Würdigung der gesamten Umstände erscheinen die begangenen Pflichtverletzungen jedoch nicht als dermassen schwer, dass eine grobe Fahrlässigkeit anzunehmen ist. Die Voraussetzungen zu einer Schadenersatzforderung gestützt auf
Art. 70 Abs. 1 lit. b AHVG
sind daher nicht erfüllt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die verwaltungsrechtliche Klage wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4b72363c-1d18-4e69-a455-732d978b9cc8 | Urteilskopf
97 I 718
104. Auszug aus dem Urteil vom 15. Dezember 1971 i.S. Walker gegen Zug, Kanton und Regierungsrat. | Regeste
Nationalstrassenbau; Beseitigung von Gebäuden; Verhältnis zwischen Landumlegungs- und Enteignungsverfahren.
Kann der Abbruch oder die Verschiebung eines Gebäudes im kantonalen Landumlegungsverfahren verfügt werden oder ist dafür gestützt auf Art. 23 der bundesrätlichen Vollziehungsverordnung zum NSG vom 24. März 1964 das Enteignungsverfahren einzuleiten? (Erw. 2).
Ist die Durchführung eines Enteignungsverfahrens erforderlich, so ist im Schätzungsverfahren (
Art. 57 ff. EntG
) zu entscheiden, ob ein Gebäude abgebrochen oder verschoben werden muss (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 719
BGE 97 I 718 S. 719
A.-
Art. 36 des BG über den Nationalstrassenbau vom 9. März 1960 (NSG) ermächtigt die kantonalen Regierungen, die für den Strassenbau notwendigen Landumlegungen anzuordnen. Gestützt auf diese Bestimmung beschloss der Regierungsrat des Kantons Zug am 16. Dezember 1966, gemeinsam mit dem Kanton Luzern eine Gesamtmelioration durchzuführen. Diese umfasst das Gebiet zwischen Fänn (Kanton Luzern) und der SBB-Linie Rotkreuz-Immensee (Kanton Zug) und dient dem Landerwerb für das Teilstück "Stockeri" der Nationalstrasse N4. In den Perimeter fällt auch das Heimwesen des Anton Walker, Landwirt in Rüti, Rotkreuz. Dieser hat von seinem Grundstück GB Rotkreuz Nr. 456 eine Fläche von 700 m2 für den Strassenbau abzutreten; weitere 800 m2 werden vorübergehend für die Bauarbeiten benötigt. Das 200-jährige Wohnhaus Walkers liegt auf dem Trasse der erwähnten Nationalstrasse und muss daher entweder abgebrochen oder verschoben werden.
B.-
Die Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft (SVIL), welche mit dem Landerwerb beauftragt ist, bot Walker am 20. Mai 1969 eine Entschädigung von insgesamt Fr. 177 000.-- für das erwähnte Wohnhaus an. Mit Schreiben vom 11. November 1970 erhöhte sie das Angebot unter Berücksichtigung der Teuerung auf Fr. 197 000.--. Gleichzeitig machte sie Walker darauf aufmerksam, dass das Gebäude bis spätestens im Mai 1972 beseitigt sein müsse und dass das Schätzungsverfahren eingeleitet werde, falls bis Ende 1970 keine Stellungnahme zum erwähnten Angebot eingehe. Mit Schreiben
BGE 97 I 718 S. 720
vom 4. Januar 1971 lehnte Walker die Offerte als ungenügend ab. Nach weiteren Verhandlungen machte die SVIL am 19. Februar 1971 ein "letztes" Angebot von Fr. 220 000.--. Mit Schreiben vom 8. Juli 1971 forderte Walker jedoch eine Erhöhung der Entschädigungssumme auf Fr. 242 000.--.
Angesichts des Verhaltens Walkers erwog die SVIL im Verlaufe des Sommers 1971, das Wohnhaus verschieben zu lassen. Mit Schreiben vom 6. September 1971 teilte die kantonale Baudirektion dem Grundeigentümer Walker mit, das Angebot von Fr. 220 000.-- werde noch während 10 Tagen aufrecht erhalten; nach Ablauf dieser Frist werde dem Regierungsrat die Einleitung des Enteignungsverfahrens und gleichzeitig die Verschiebung des Objekts beantragt, denn diese Lösung sei für den Kanton vorteilhafter. Der Anwalt Walkers lehnte hierauf die erwähnte Offerte am 13. September 1971 neuerdings ab; gleichzeitig machte er geltend, die Verschiebung des Wohnhauses könne Walker nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden.
C.-
Ohne ein Enteignungsverfahren einzuleiten, beschloss der Regierungsrat des Kantons Zug am 20. September 1971 die Verschiebung des Wohnhauses. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, ein Grundeigentümer habe im Rahmen einer Landumlegung bloss Anspruch auf wertmässigen Realersatz und - soweit ein solcher nicht möglich sei - auf vollen Ersatz des sich aus dem Nationalstrassenbau und aus der Landumlegung ergebenden Schadens; durch die Verschiebung des Wohnhauses werde dem Grundeigentümer Walker angemessen Ersatz geleistet, weshalb diese Massnahme ohne weiteres im Landumlegungsverfahren verfügt werden dürfe.
D.-
Anton Walker führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss des Regierungsrats des Kantons Zug aufzuheben. Er widersetzt sich einer Verschiebung seines Wohnhauses und macht geltend, eine solche Massnahme könnte zum vorneherein nur im Enteignungsverfahren verfügt werden. Im vorliegenden Fall vermöge das Landumlegungsverfahren seinen berechtigten Ersatzansprüchen offensichtlich nicht zu genügen, weshalb gestützt auf Art. 23 der bundesrätlichen Vollziehungsverordnung zum NSG vom 24. März 1964 (VV-NSG) das Enteignungsverfahren einzuleiten sei.
E.-
Der Regierungsrat des Kantons Zug beantragt die Abweisung der Beschwerde.
BGE 97 I 718 S. 721
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer rügt, die angefochtene Verschiebung seines Wohnhauses sei zu Unrecht im kantonalen Landumlegungsverfahren verfügt worden; eine solche Massnahme könnte höchstens aufgrund des eidgenössischen Enteignungsrechts angeordnet werden.
a)
Art. 30 Abs. 1 NSG
lässt den zur Landbeschaffung verpflichteten Kantonen grundsätzlich die Wahl zwischen dem Landumlegungs- und dem Enteignungsverfahren, sofern ein freihändiger Erwerb ausser Betracht fällt. Gemäss
Art. 30 Abs. 2 NSG
soll indessen das bundesrechtliche Enteignungsverfahren erst dann eingeleitet werden, wenn die Bemühungen für einen freihändigen Erwerb oder für eine dem kantonalen Recht unterstehende Landumlegung nicht zum Ziele führen. Weitere Vorschriften über das Verhältnis zwischen Landumlegung und Enteignung sind im Nationalstrassengesetz nicht enthalten.
Dass der Bundesgesetzgeber der Landumlegung grundsätzlich den Vorrang einräumt (
Art. 30 Abs. 2 NSG
), bedeutet indessen nicht, dass der Grundeigentümer in diesem Verfahren ohne weiteres gleich einschneidende Eingriffe in sein Privateigentum zu dulden hat wie im Falle der Enteignung. Die Landumlegung bezweckt ihrem Wesen nach in erster Linie eine sachgemässe Aufteilung und Zuordnung der im Perimeter gelegenen Grundstücke. Die betroffenen Grundeigentümer haben demnach grundsätzlich Anspruch auf Realersatz (
BGE 95 I 372
Erw. 4; F. ANTOGNINI, Le respect de la garantie de la propriété dans les remaniements parcellaires, ZBl 72/1971, S. 2). Ist aus besonderen Gründen kein Realersatz möglich, so ist eine Entschädigung auszurichten, welche dem vollen Verkehrswert der eingeworfenen Grundstücke zu entsprechen hat (
BGE 95 I 373
oben). Erfolgt die Landbeschaffung für eine Nationalstrasse auf dem Wege der Landumlegung, so wird der zur Landabtretung verpflichtete Eigentümer unbebauter Grundstücke nach dem Gesagten gleichwertig entschädigt wie im Enteignungsverfahren, denn die im Zusammenhang mit der Erstellung eines öffentlichen Werks verfügte Landumlegung kommt insoweit einer Enteignung gleich. Erfordert der Nationalstrassenbau dagegen die Beseitigung von Gebäuden, so gewährt das Landumlegungsverfahren dem betroffenen Eigentümer nicht notwendigerweise den gleichen Schutz wie das Enteignungsverfahren, zumal solche
BGE 97 I 718 S. 722
Eingriffe in das Privateigentum nicht selten Ansprüche entstehen lassen, welche dem Landumlegungsrecht naturgemäss fremd sind (z.B. Entschädigungsansprüche für Inkonvenienzen besonderer Art, Schadenersatzforderungen wegen Beschädigung verschobener Gebäude u.a.m.). Das heisst indessen nicht, dass die Beseitigung von Gebäuden zum vorneherein nur im Enteignungsverfahren gemäss
Art. 39 NSG
verfügt werden kann. Unter Vorbehalt der in
Art. 31 ff. NSG
enthaltenen Grundsätze sind die Kantone in der Ausgestaltung ihres Landumlegungsrechts weitgehend frei. Sie sind ausdrücklich ermächtigt, für die Schätzung des abgetretenen Landes oder der Inkonvenienzen, die sich bei der Neuzuteilung nicht abgelten lassen, die analoge Anwendung des eidgenössischen Enteignungsrechts vorzuschreiben (Art. 21 VV-NSG; vgl.
BGE 97 I 180
), und nichts hindert den kantonalen Gesetzgeber, entsprechende Vorschriften für den Abbruch oder die Verschiebung von Gebäuden aufzustellen. Voraussetzung ist jedoch, dass solche Bestimmungen, deren Verfassungsmässigkeit das Bundesgericht frei prüfen kann, die Beseitigung von Gebäuden ausdrücklich vorsehen (vgl.
BGE 97 I 496
Erw. 2 a), dass sie klare Grundsätze zur Bemessung von damit im Zusammenhang stehenden Entschädigungsansprüchen enthalten und dass sie das entsprechende Verfahren klar und vollständig regeln. Ob der Abbruch oder die Verschiebung von Gebäuden im Landumlegungsverfahren angeordnet werden darf, beurteilt sich demnach vorab nach dem kantonalen Recht, welches insoweit den Grundsätzen des eidgenössischen Enteignungsrechts entsprechen muss und der in
Art. 22ter BV
verankerten Eigentumsgarantie Rechnung zu tragen hat. Genügt das kantonale Landumlegungsrecht diesen Anforderungen nicht, so darf die Beseitigung von Bauten, welche einer Nationalstrasse zu weichen haben, nur in einem besonderen, gestützt auf Art. 23 VV-NSG einzuleitenden Enteignungsverfahren verfügt werden, denn das Landumlegungsverfahren ist diesfalls seiner Natur nach offensichtlich nicht geeignet, den berechtigten Ersatzansprüchen des Eigentümers hinreichend Rechnung zu tragen (vgl.
BGE 97 I 717
).
b) Der Kanton Zug hat keine Ausführungsvorschriften im Sinne von
Art. 61 Abs. 2 NSG
erlassen. Laut Regierungsratsbeschluss vom 16. Dezember 1966 wird die Landbeschaffung für das Teilstück "Stockeri" der Nationalstrasse N4 in Form einer Gesamtmelioration im Sinne von § 10 des zugerischen
BGE 97 I 718 S. 723
Meliorationsgesetzes vom 27. Oktober 1960 (MelG) durchgeführt. Wohl sind dabei jene baulichen Massnahmen zulässig, "die eine Verbesserung der Produktionsgrundlagen im Interesse der rationellen Bewirtschaftung des Bodens herbeiführen" (§ 2 Abs. 3 MelG). Weder das Meliorationsgesetz noch die zugehörige Vollziehungsverordnung vom 19. Oktober 1964 enthalten jedoch Bestimmungen darüber, ob im Rahmen einer Gesamtmelioration die Beseitigung von Gebäuden verfügt werden kann, welche die Erstellung eines öffentlichen Werks behindern. § 10 Abs. 5 MelG sieht vielmehr ausdrücklich vor, dass der Eigentümer die Einleitung des Enteignungsverfahrens verlangen kann, wenn das Landumlegungsverfahren seinen berechtigten Ersatzansprüchen offensichtlich nicht zu genügen vermag. Diese Bestimmung entspricht im wesentlichen der bundesrechtlichen Vorschrift in Art. 23 VV-NSG und deutet darauf hin, dass über Ersatzansprüche, welche dem Landumlegungsrecht naturgemäss fremd sind, auch nach zugerischem Recht im Enteignungsverfahren entschieden werden muss.
Im vorliegenden Fall erfüllt somit das kantonale Recht die in lit. a umschriebenen Anforderungen nicht. Über die Frage, ob das Wohnhaus des Beschwerdeführers abzubrechen oder zu verschieben ist, muss demnach in einem besonderen Enteignungsverfahren entschieden werden. Wohl hat der Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren kein entsprechendes Gesuch im Sinne von Art. 23 VV-NSG gestellt. Anlass dazu bestand jedoch nicht, zumal ihm die kantonale Baudirektion mit Schreiben vom 6. September 1971 mitteilte, sie werde die Einleitung des Enteignungsverfahrens beantragen, falls er das Angebot für eine Pauschalentschädigung im Betrage von Fr. 220 000.-- nicht innert 10 Tagen annehme. Das in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde enthaltene Begehren um Einleitung des Enteignungsverfahrens ist deshalb zulässig und nach dem Gesagten begründet.
3.
...
4.
Der Beschwerdeführer widersetzt sich einer Verschiebung seines Wohnauses und macht geltend, die Beseitigung des Gebäudes habe in Form eines Abbruchs zu erfolgen. Damit erhebt er keine Einwendungen, die Gegenstand einer zulässigen Einsprache im Sinne von
Art. 27 NSG
bilden könnten (vgl. dazu das Urteil vom 12. Juli 1971 i.S. von Schulthess-Rechberg,
BGE 97 I 577
/8). Ferner kann in seinen Vorbringen kaum ein
BGE 97 I 718 S. 724
"Ausdehnungsbegehren" erblickt werden, welches in sinngemässer Anwendung von
Art. 12 EntG
zu beurteilen wäre, denn die Parteien sind sich über das Ausmass der Enteignung als solcher einig, und auch der Beschwerdeführer anerkennt, dass sein Wohnhaus in der einen oder andern Form beseitigt werden muss. Die Meinungsverschiedenheiten beziehen sich vielmehr auf die Art der geschuldeten Enteignungsentschädigung. In der Tat kann in einer auf dem Enteignungsweg erwirkten Verschiebung eines Gebäudes ohne weiteres eine Massnahme erblickt werden, die in ihren Wirkungen weitgehend einem Realersatz im Sinne von
Art. 18 EntG
gleichkommt. Über Art und Höhe der Entschädigung entscheidet in jedem Fall die Eidg. Schätzungskommission (
Art. 64 Abs. 1 lit. a EntG
). Ob das Wohnhaus des Beschwerdeführers gegen volle Entschädigung abgebrochen oder - gegebenenfalls unter Abgeltung von Inkonvenienzen und weiteren Schadenersatzansprüchen - verschoben werden muss, hat demnach die Eidg. Schätzungskommission des V. Kreises und nicht der Regierungsrat des Kantons Zug zu beurteilen...
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid des Regierungsrats des Kantons Zug vom 20. September 1971 aufgehoben. Der Regierungsrat des Kantons Zug wird angewiesen, die Akten der Eidg. Schätzungskommission des V. Kreises zu übermitteln, welche sich im Sinne der Erwägungen mit der Streitsache zu befassen hat. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4b742cec-9ad1-4d0b-93bf-14022457234e | Urteilskopf
95 III 76
12. Schreiben an die obern kantonalen Aufsichtsbehörden. Lettre aux autorités cantonales supérieures de surveillance. Lettera alle autorità cantonali superiori di vigilanza. (1.9.1969) | Regeste
Bereinigung der Eigentumsvorbehaltsregister; Kosten der Mitteilung an den Erwerber.
Diese Mitteilung kostet heute Fr. 1.90, wenn der Erwerber im Lokalrayon des Betreibungsamtes wohnt, und Fr. 2.-, wenn er ausserhalb dieses Rayons wohnt.
Bei Verwendung vorgedruckter oder vervielfältigter Formulare ermässigen sich diese Kosten um Fr. -.30. (Art. 3, letzter Absatz, der Verordnung des Bundesgerichts vom 29. März 1939; Art. 7 GebT vom 6. September 1957; Art. 1 BRB vom 14. Dezember 1964 über die Erhebung eines Zuschlags zu den Gebühren im Schuldbetreibungs- und Konkurswesen;
Art. 12 PVG
, Fassung vom 21. Dezember 1966; Art. 70 VV I zum PVG, Fassung vom 1. September 1967). | Erwägungen
ab Seite 77
BGE 95 III 76 S. 77
Die Verordnung des Bundesgerichts vom 29. März 1939 betreffend die Bereinigung der Eigentumsvorbehaltsregister setzt in Art. 3 den Zeitpunkt und den Wortlaut der in Art. 2 vorgeschriebenen Auskündung im Schweizerischen Handelsamtsblatt und im kantonalen Amtsblatt fest. Nach dem letzten Absatz von Art. 3 muss die Auskündung folgende Bestimmung über die Einsprüche gegen die Löschung enthalten:
"Einsprüche sind bis spätestens am 31. März nächsthin unter Entrichtung der Kosten für die Mitteilung an den Erwerber (Fr. 1.10 im Lokalrayon, Fr. 1.20 ausserhalb) beim Betreibungsamt, wo der Eigentumsvorbehalt eingetragen ist, schriftlich einzureichen;..."
Eine kantonale Aufsichtsbehörde hat uns kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass die hier angegebenen Kostenbeträge heute nicht mehr stimmen dürften. Die genannten Kostenansätze sind in der Tat überholt. Die Beträge von Fr. 1.10 bezw. Fr. 1.20 setzen sich aus der Mindestgebühr für ein Schriftstück gemäss Art. 7 des Gebührentarifs (GebT) vom 23. Dezember 1919 (80 Rp.), der Brieftaxe nach dem bei Erlass der Verordnung vom 29. März 1939 geltenden Posttarif (Lokalrayon 10 Rp., auswärts 20 Rp.) und der Einschreibgebühr nach diesem Posttarif (20 Rp.) zusammen. Auf Grund des Gebührentarifs vom 6. September 1957, des Bundesratsbeschlusses (BRB) vom 14. Dezember 1964 über die Erhebung eines Zuschlags zu den Gebühren im Schuldbetreibungs- und Konkurswesen sowie der Vollziehungsverordnung I vom 1. September 1967 zum Bundesgesetz betreffend den Postverkehr berechnen sich die Kosten der Mitteilung an den Erwerber wie folgt:
Schreibgebühr für eine halbe Seite (Art. 7 Abs. 2 GebT, Art. 1 BRB) Fr. 1.20
Brieftaxe lokal " -.20
auswärts " -.30
Einschreibgebühr "-.50.
Die Kosten der Mitteilung an den Erwerber betragen also Fr. 1.90, wenn der Erwerber im Lokalrayon des Amtes wohnt, und Fr. 2.-, wenn der Erwerber ausserhalb dieses Rayons wohnt.
BGE 95 III 76 S. 78
Sollte ein Amt vorgedruckte oder vervielfältigte Formulare verwenden, so würden sich die Schreibgebühr und damit die Gesamtkosten um 30 Rappen ermässigen; denn die Schreibgebühr für eine halbe Seite Formular beträgt nach Art. 7 Abs. 1 GebT und Art. 1 BRB 90 Rappen.
L'ordonnance du Tribunal fédéral du 29 mars 1939 concernant l'épuration des registres des pactes de réserve de propriété fixe à l'art. 3 la date et la teneur de l'avis à insérer dans la Feuille officielle suisse du commerce et dans la feuille officielle cantonale. Selon le dernier alinéa de l'art. 3, l'avis doit contenir au sujet des oppositions à la radiation la disposition suivante:
"Les oppositions doivent être annoncées par écrit, au plus tard le 31 mars, à l'office de poursuite auprès duquel le pacte de réserve de propriété est inscrit; l'opposant payera en même temps les frais de la communication de l'opposition à l'acquéreur (1 fr. 10 dans le rayon local, 1 fr. 20 au-delà);..."
Une autorité cantonale de surveillance a attiré récemment notre attention sur le fait que le montant des frais indiqué dans l'ordonnance ne paraissait plus adéquat. En effet, le montant susmentionné n'est pas conforme à la situation actuelle. Les montants de 1 fr. 10, respectivement 1 fr. 20, comprennent l'émolument minimal prévu pour toute pièce non spécialement mentionnée dans une autre disposition, qui s'élevait à 80 centimes selon l'art. 7 du Tarif des frais applicable à la LP (Tarif) du 23 décembre 1919, la taxe des lettres selon le tarif postal en vigueur lorsque l'ordonnance du 29 mars 1939 a été promulguée (rayon local, 10 centimes; rayon général, 20 centimes) et la taxe supplémentaire de recommandation selon ledit tarif (20 centimes). En vertu du Tarif des frais du 6 septembre 1957, de l'arrêté du Conseil fédéral (ACF) du 14 décembre 1964 augmentant les émoluments en matière de poursuite pour dettes et de faillite, ainsi que de l'ordonnance d'exécution I du 1er septembre 1967 de la loi fédérale sur le service des postes, les frais de la communication de l'opposition à l'acquéreur doivent être calculés comme il suit:
Emolument de rédaction pour une demi-page (art. 7 al. 2 Tarif, art. 1er ACF) Fr. 1.20
Taxe des lettres rayon local " -.20
rayon général " -.30
Taxe supplémentaire de recommandation " -.50
BGE 95 III 76 S. 79
Les frais de la communication de l'opposition à l'acquéreur s'élèvent ainsi à 1 fr. 90 lorsque l'acquéreur est domicilié dans le rayon local de l'office et à 2 fr. lorsque l'acquéreur est domicilié au-delà de ce rayon.
Si un office utilise des formules imprimées ou polycopiées, l'émolument de rédaction, et partant l'ensemble des frais sera réduit de 30 centimes; en effet, l'émolument de rédaction pour une formule d'une demi-page est de 90 centimes, vu l'art. 7 al. 1 Tarif et l'art. 1er ACF.
Il Regolamento del Tribunale federale del 29 marzo 1939 concernente l'appuramento dei registri dei patti di riserva della proprietà stabilisce all'art. 3 la data e il tenore dell'avviso da inserire nel Foglio ufficiale svizzero di commercio e nel Foglio ufficiale cantonale. Secondo l'ultimo capoverso dell'art. 3, l'avviso deve contenere, a proposito delle opposizioni alla cancellazione, la disposizione seguente:
"Le opposizioni dovranno essere interposte per iscritto, al più tardi entro il 31 marzo, all'Ufficio di esecuzione, presso il quale il patto di riserva della proprietà è iscritto: l'opponente pagherà nello stesso tempo le spese della comunicazione dell'opposizione all'acquirente (fr. 1.20; se nel raggio locale, fr. 1.10);...".
Un'autorità cantonale di vigilanza ha recentemente attirato la nostra attenzione sul fatto che l'ammontare delle spese ivi indicato non sarebbe più adeguato. In effetti, tale ammontare non si addice più alla situazione attuale. Gli importi di fr. 1.10, rispettivamente di fr. 1.20 comprendono la tassa minima prevista per un atto giusta l'art. 7 della Tariffa applicabile alla LEF (Tariffa) del 23 dicembre 1919 (80 cent.), la tassa delle lettere secondo la tariffa postale in vigore quando il regolamento del 29 marzo 1939 è stato promulgato (raggio locale, 10 cent.; raggio generale, 20 cent.), e la tassa supplementare per la raccomandazione giusta la citata tariffa (20 cent.). Sulla base della tariffa applicabile alla LEF del 6 settembre 1957, del decreto del Consiglio federale (DCF) del 14 dicembre 1964 sull'aumento delle tasse in materia d'esecuzione e fallimenti, come pure dell'ordinanza d'esecuzione I del 10 settembre 1967 della legge federale sul servizio delle poste, le spese della comunicazione dell'opposizione all'acquirente devono essere calcolate come segue:
BGE 95 III 76 S. 80
tassa di stesura per una mezza pagina (art. 7 cpv. 2 tariffa, art. 1 DCF) fr. 1.20
tassa delle lettere raggio locale " -.20
raggio generale " -.30
tassa supplementare per la raccomandazione " -.50
Le spese della comunicazione dell'opposizione all'acquirente ammontano pertanto a fr. 1.90 quando l'acquirente abita nel raggio locale dell'ufficio, a fr. 2.- quando l'acquirente abita all'infuori di questo raggio.
Se un ufficio usa moduli stampati o ciclostilati, la tassa di stesura e quindi la somma delle spese sarà ridotta di 30 cent.; infatti, la tassa di stesura per un modulo di mezza pagina ammonta a 90 cent., giusta l'art. 7 cpv. 1 tariffa e l'art. 1 DCF. | null | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4b745fca-d0aa-401b-8a5e-eca3b628dd3f | Urteilskopf
126 II 358
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Juni 2000 i.S. L. gegen Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 16 Abs. 2,
Art. 16 Abs. 3 lit. a und
Art. 34 Abs. 4 SVG
,
Art. 12 Abs. 1 VRV
,
Art. 31 Abs. 2 VZV
; ungenügender Abstand beim Hintereinanderfahren, Führerausweisentzug.
Annahme eines mindestens mittelschweren Falles und Bestätigung des Führerausweisentzugs bei einem Lenker, der auf der Autobahn bei dichtem Verkehr über eine längere Strecke einen viel zu geringen Abstand zum voranfahrenden Fahrzeug eingehalten hatte. | Sachverhalt
ab Seite 358
BGE 126 II 358 S. 358
L. fuhr am 7. Juli 1998 um ca. 18.10 Uhr mit seinem Personenwagen auf der Autobahn A1/West in Bern mit einer Geschwindigkeit von ca. 85 km/h und hielt dabei über eine Strecke von mehr als 500 m einen Abstand von nur 8 m zu einem voranfahrenden Fahrzeug ein. Dies entspricht einem zeitlichen Abstand von 0,33 Sekunden.
BGE 126 II 358 S. 359
Mit Verfügung vom 2. September 1999 entzog das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern L. den Führerausweis für die Dauer von einem Monat.
Die von L. dagegen erhobene Beschwerde wies die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern am 15. Dezember 1999 ab.
L. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid der Rekurskommission aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgender
Erwägungen
Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Anordnung des Führerausweisentzuges verletze Bundesrecht; er sei lediglich zu verwarnen.
a) Gegenüber allen Strassenbenützern ist ausreichender Abstand zu wahren, namentlich beim Hintereinanderfahren (
Art. 34 Abs. 4 SVG
[SR 741.01]). Der Fahrzeugführer hat beim Hintereinanderfahren einen ausreichenden Abstand zu wahren, so dass er auch bei überraschendem Bremsen des voranfahrenden Fahrzeugs rechtzeitig halten kann (Art. 12 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]). Diesen Bestimmungen kommt grosse Bedeutung zu, sind doch die Unfälle zahlreich, in denen ein zweites Fahrzeug nicht genügend Abstand zum ersten einhielt (
BGE 115 IV 248
E. 3a mit Hinweis).
Gemäss
Art. 16 Abs. 2 SVG
kann der Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat (Satz 1). In leichten Fällen kann eine Verwarnung ausgesprochen werden (Satz 2). Nach
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
muss der Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat. Das Gesetz unterscheidet somit:
- den leichten Fall (
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG
),
- den mittelschweren Fall (
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG
),
- den schweren Fall (
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
).
Nach der Rechtsprechung kann auf den Führerausweisentzug grundsätzlich nur verzichtet werden, wenn der Fall leicht im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG
ist. Bei einem mittelschweren Fall kommt ein Verzicht auf den Führerausweisentzug nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände vorliegen, wie sie in BGE 118
BGE 126 II 358 S. 360
Ib 229 gegeben waren (
BGE 123 II 106
E. 2b S. 111). Ob der Fall leicht im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG
ist, beurteilt sich nach dem Verschulden des Fahrzeuglenkers und seinem automobilistischen Leumund; die Schwere der Verkehrsgefährdung ist nur insoweit von Bedeutung, als sie auch verschuldensmässig relevant ist (
BGE 125 II 561
E. 2b).
b) Der Beschwerdeführer hat einen viel zu geringen Abstand zum voranfahrenden Fahrzeug eingehalten. Bei der kleinsten Verzögerung des voranfahrenden Fahrzeuges hätte er nicht mehr rechtzeitig reagieren können. Insbesondere da dichter Verkehr herrschte, hätte eine Auffahrkollision gravierende Folgen haben können. Der Beschwerdeführer hat den zu geringen Abstand nicht nur kurzfristig, sondern über eine längere Strecke eingehalten. Er befand sich in Eile und war sich des zu geringen Abstandes bewusst. Sein Verschulden ist erheblich. Es liegt mindestens ein mittelschwerer Fall vor.
Der Beschwerdeführer verweist auf das Strafurteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 18. Mai 1999. Daraus ergibt sich nichts zu seinen Gunsten. Zwar hat das Obergericht abweichend vom erstinstanzlichen Urteil nicht auf eine schwere Verkehrsregelverletzung nach
Art. 90 Ziff. 2 SVG
, sondern nur auf eine einfache Verkehrsregelverletzung nach
Art. 90 Ziff. 1 SVG
erkannt. Das Obergericht hat jedoch erwogen, dass es sich hier um einen Grenzfall handelt und die Tat einer groben Verletzung von Verkehrsregeln sehr nahe kommt. Eine grobe Verletzung von Verkehrsregeln nach
Art. 90 Ziff. 2 SVG
entspricht einem schweren Fall nach
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
; die beiden Bestimmungen stimmen inhaltlich überein (
BGE 120 Ib 285
). Das Urteil des Obergerichts spricht also für die Annahme zumindest eines mittelschweren Falles und somit für die Auffassung der Vorinstanz. Auch das Obergericht hat das Verschulden des Beschwerdeführers als erheblich eingestuft.
Ist zumindest ein mittelschwerer Fall gegeben, so ist der Ausweis zu entziehen. Dass hier besondere Umstände vorliegen, wie sie in
BGE 118 Ib 229
gegeben waren und gegebenenfalls auch bei einem mittelschweren Fall zum Verzicht auf den
BGE 126 II 358 S. 361
Ausweisentzug führen können, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist nicht ersichtlich.
Die Dauer des Entzuges haben die kantonalen Instanzen auf das gesetzliche Mindestmass festgesetzt (
Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG
).
c) Der Beschwerdeführer beruft sich auf seinen ungetrübten automobilistischen Leumund. Dieser kann nicht zum Verzicht auf den Ausweisentzug führen, da es an einem leichten Verschulden fehlt (
Art. 31 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr [VZV; SR 741.51]
). | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4b7658ad-e74e-4b63-9cfc-073280cca7df | Urteilskopf
113 Ib 257
42. Arrêt de la Ire Cour de droit public du 1er juillet 1987 dans la cause Marcos et consorts contre Genève, Chambre d'accusation (recours de droit administratif) | Regeste
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Sperrung von Bankkonten in der Schweiz als vorläufige Massnahme im Sinne von
Art. 18 IRSG
.
1. Anwendbares Recht. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Anwendung des IRSG und der IRSV, weil zwischen der Schweiz und der Republik der Philippinen kein Vertrag über die Zusammenarbeit in Strafsachen besteht.
Da es nur um vorsorgliche Massnahmen im Sinne von
Art. 18 IRSG
geht, ist die Prüfung des Bundesgerichts auf die Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der Rechtshilfe und dieser Massnahmen beschränkt (E. 2). Unzulässigkeit der Beschwerde, soweit sie sich gegen den Entscheid der ersten kantonalen Instanz richtet. Legitimation zur Beschwerdeführung bejaht aufgrund von
Art. 21 Abs. 3 IRSG
, einer die Legitimation einschränkenden Spezialbestimmung zu
Art. 103 lit. a OG
(E. 3).
2. Angebliche Mängel des Verfahrens vor den kantonalen Ausführungsbehörden.
-
Art. 22 IRSG
: trotz des Wortlautes der Vorschrift ist die Angabe der Rechtsmittelbelehrung nicht Gültigkeitserfordernis des Entscheids; Zweck und Bedeutung dieser Vorschrift unterscheiden sich nicht von jenen des
Art. 35 VwVG
. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung hatte im vorliegenden Fall für die Beschwerdeführer keinen Nachteil zur Folge (E. 4a).
-
Art. 21 Abs. 4 IRSG
: nur jenen Beschwerden kommt von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zu, die sich gegen den Entscheid richten, mit dem das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen und die Weiterleitung der Auskünfte an den Ersuchenden Staat angeordnet wurde. Ein solcher Entscheid wurde hier noch nicht getroffen (E. 4b).
- Beschränkung des Akteneinsichtsrechts aufgrund von
Art. 27 Abs. 1 lit. c VwVG
in Verbindung mit
Art. 79 Abs. 3 IRSG
: diese Massnahme steht nicht in Widerspruch zum Bundesrecht, denn den Betroffenen wurden die im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens wesentlichen Akten zur Kenntnis gebracht und ein weitergehendes Recht auf Einsichtnahme wurde für die Schlussphase des Verfahrens ausdrücklich vorbehalten (E. 4c).
3. Zulässigkeit des Rechtshilfeersuchens.
- Art. 1 und
Art. 63 Abs. 1 und 3 IRSG
: Eröffnung eines Strafverfahrens im ersuchenden Staat. Obgleich die mit dem Ersuchen verfolgten Ziele etwas zweideutig erscheinen, geht doch aus den verschiedenen diplomatischen Noten, Strafklagen und Erklärungen der Regierung und des Generalstaatsanwaltes des ersuchenden Staates klar hervor, dass dieser gewillt ist, die betroffenen Personen strafrechtlich zu verfolgen (E. 5a). Den Handlungen, die Anwälte in der Schweiz als Vertreter der Philippinen im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens vornehmen, kommt lediglich untergeordnete Bedeutung zu (E. 5b). Verneinung des Vorwurfs, das Ersuchen ziele auf eine allgemeine und unbestimmte Nachforschung nach Beweisen ab (E. 5c).
-
Art. 2 IRSG
: Mängel des Verfahrens im Ausland. Die Einwände, die philippinischen Gerichte seien vollständig von der Exekutive abhängig, der Grundsatz der Nichtrückwirkung des Strafgesetzes werde verletzt und den Beschwerdeführern werde die Teilnahme an ihrem Prozess im ersuchenden Staat verunmöglicht, sind im jetzigen Stadium des Verfahrens, wo es erst um vorsorgliche Massnahmen geht, verfrüht. Das Bundesgericht beschränkt sich im gegenwärtigen Zeitpunkt darauf, festzustellen, die angeführten Tatsachen reichten nicht aus, um darzutun, dass objektiv und ernsthaft befürchtet werden müsste, das Verfahren im ersuchenden Staat könnte einen Mangel im Sinne von
Art. 2 IRSG
aufweisen (E. 6).
4. Völkerrechtliche Immunität: die persönliche Immunität bildet das Gegenstück zur Immunität, die ein ausländischer Staat geniesst, wenn er "iure imperii" handelt. Sie ist ein Privileg, das Beamten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit im Interesse des durch sie vertretenen Staates zukommt, und gilt nicht für Privatpersonen, auch wenn diese bis vor kurzem im ausländischen Staat die höchsten öffentlichen Ämter ausgeübt haben (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 261
BGE 113 Ib 257 S. 261
Par notes verbales du 18 avril 1986 (demande informelle), puis du 25 avril 1986 (demande formelle), l'Ambassade de la République des Philippines en Suisse a adressé à l'Office fédéral de la police une demande d'entraide judiciaire internationale établie le 7 avril 1986 par l'Avocat général (Solicitor general) de cet Etat, à Manille. Cette démarche était accomplie dans le cadre d'une enquête ouverte à l'instance de ce magistrat par la Commission présidentielle pour un gouvernement honnête (Presidential Commission on good government) que la Présidente de la République, Corazon Aquino, avait instituée par un décret du 28 février 1986, édicté sitôt après la chute du régime de Ferdinand E. Marcos, qui avait gouverné le pays sans interruption depuis 1966. Aux termes de l'art. 2 de ce décret, la Commission présidentielle a pour tâche prioritaire de prêter assistance au nouveau chef de l'Etat en vue de la récupération de toute la fortune qu'auraient acquise illicitement, dans l'exercice de leurs fonctions publiques, Marcos, ses familiers et ses proches, qui avaient précipitamment quitté le pays le 25 février 1986 pour se réfugier aux Etats-Unis d'Amérique (Etat d'Hawaï). Puis, dans une note verbale du 29 avril 1986, l'Ambassade a informé l'Office fédéral de la police que l'enquête préliminaire conduite devant la Commission présidentielle avait notamment pour but la mise en accusation de Marcos et consorts devant le Sandiganbayan, cour spéciale établie par deux décrets édictés par le Président Marcos lui-même les 10 décembre 1978 et 14 janvier 1983 sur la base d'une délégation du Batasang Pambasa (Parlement), conformément à l'art. XIII al. 5 de la Constitution de la République des Philippines du 17 janvier 1973. Aux termes de cette disposition, reprise par la Constitution provisoire proclamée le 25 mars 1986 par la Présidente de la République et adoptée par le peuple le 2 février 1987, le Sandiganbayan est un tribunal spécial ayant juridiction sur les affaires pénales et civiles touchant à la corruption, aux transactions malhonnêtes et aux autres délits commis par des officiers de la fonction publique et des employés, y compris ceux
BGE 113 Ib 257 S. 262
qui se trouvent dans des sociétés appartenant au gouvernement ou contrôlées par lui, dans l'exercice de leurs fonctions légales.
Les faits allégués par l'Etat requérant ont été principalement exposés dans la note verbale du 25 avril 1986 et dans ses annexes, parmi lesquelles figure un mémoire fort circonstancié des avocats suisses chargés de représenter le gouvernement philippin. Ils ont ensuite été précisés à plusieurs reprises. Ces documents fournissent des renseignements détaillés sur les charges qui pèsent individuellement sur chacune des personnes poursuivies. Celles-ci auraient usé de leur pouvoir politique pour prélever sur les affaires de l'Etat des bénéfices dont le montant total pourrait s'élever à 100 milliards de pesos philippins (équivalant, au moment de la demande d'entraide, à 5 milliards de dollars US), fortune qui, pour une large part, aurait été transférée en particulier aux Etats-Unis d'Amérique, en Suisse, en Grande-Bretagne, en Autriche, en Italie, en Australie et au Canada. Vingt milliards de pesos (équivalant, au moment de la demande, à 1 milliard de dollars US) auraient été transférés sur des comptes ouverts en Suisse auprès de divers établissements bancaires, selon une déclaration du Procureur général des Philippines datée du 7 avril 1986. Ces détournements de fonds auraient été opérés par divers mécanismes, entre autres par la retenue de pourcentages sur l'aide internationale et les réparations de guerre versées par le Japon, par l'institution de monopoles d'Etat pour le commerce de matières premières et de produits manufacturés, contrôlés directement par Marcos et ses compagnons, voire par des prélèvements directs sur les caisses publiques et les stocks d'or de l'Etat. Ces faits tomberaient sous le coup de la loi No 3019 de la République des Philippines, réprimant la corruption et les pratiques corrompues, et des art. 210 à 221 du code pénal philippin révisé, réprimant la corruption directe, l'escroquerie et les "extorsions" au préjudice du Trésor public, les transactions prohibées accomplies par les membres des autorités et la malversation des deniers et des biens publics.
La demande d'entraide concluait à la mise en oeuvre de recherches aux fins de déterminer les avoirs placés en Suisse par les intéressés, à la communication de tous renseignements relatifs à ces avoirs, à l'adoption par les autorités suisses des mesures conservatoires et, en définitive, à la remise des avoirs saisis à l'Etat requérant.
Le 21 avril 1986, l'Office fédéral de la police a transmis la demande initiale et informelle de la République des Philippines aux
BGE 113 Ib 257 S. 263
autorités d'exécution des cantons dans lesquels les banques concernées ont leur siège, et notamment au Juge d'instruction du canton de Genève. Il invitait celui-ci à ordonner immédiatement des mesures provisionnelles, qui ont aussitôt été prises. Le 30 avril 1986, l'Office fédéral de la police a transmis au Juge d'instruction genevois la demande du 25 avril 1986, après avoir considéré que celle-ci répondait aux exigences de forme prescrites par la loi fédérale du 20 mars 1981 sur l'entraide internationale en matière pénale (EIMP) et que l'entraide demandée ne paraissait pas manifestement inadmissible.
Marcos et consorts se sont opposés au blocage des avoirs litigieux, mesure que le Juge d'instruction avait confirmée le 6 juin 1956 en communiquant aux établissements dépositaires sa décision d'entrer en matière sur la demande d'entraide et en les invitant à lui faire parvenir tous les renseignements et documents relatifs à ces avoirs. Les opposants ont demandé d'avoir accès à toutes les pièces de la procédure d'entraide, droit que le Juge d'instruction a limité, en l'état de la procédure, le 2 juillet 1986.
Par décision du 30 octobre 1986, le Juge d'instruction du canton de Genève a rejeté les oppositions. Il a simultanément ordonné aux banques concernées de lui faire parvenir les renseignements et documents qu'il leur avait demandés le 6 juin 1986. Il a informé les opposants qu'une fois en possession de ces renseignements, il statuerait sur leur transmission à l'Etat requérant par l'intermédiaire de l'Office fédéral de la police et rendrait une décision de clôture de la procédure en conformité de l'art. 32 de la loi cantonale d'application du code pénal suisse (LACP).
Marcos et consorts ont recouru contre cette décision auprès de la Chambre d'accusation du canton de Genève. Du point de vue formel, ils soutenaient principalement que le Juge d'instruction avait violé leur droit d'être entendus en leur refusant indûment l'accès à la totalité du dossier de la procédure d'entraide. Du point de vue matériel, ils soutenaient, entre autres, que la demande d'entraide n'était pas admissible, aucune procédure pénale n'étant pendante dans l'Etat requérant, dont les institutions ne garantiraient au demeurant pas le standard minimum offert aux prévenus par la Convention européenne des droits de l'homme.
Par ordonnance du 4 février 1987, la Chambre d'accusation du canton de Genève a rejeté les recours.
Agissant par la voie de cinq recours de droit administratif distincts, Marcos et consorts demandent au Tribunal fédéral
BGE 113 Ib 257 S. 264
d'annuler cette décision et de dire qu'il n'y a pas lieu de faire droit à la demande d'entraide judiciaire de la République des Philippines. Ils concluent subsidiairement au renvoi de la cause à l'une des deux autorités intimées. Certains recourants demandent aussi l'annulation des décisions prises par le Juge d'instruction les 6 juin, 2 juillet et 30 octobre 1986.
La Chambre d'accusation du canton de Genève propose le rejet des recours. L'Office fédéral de la police conclut principalement à leur irrecevabilité et subsidiairement à leur rejet.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Jonction des recours.)
2.
La Confédération suisse n'est pas liée à la République des Philippines par un traité d'entraide judiciaire internationale en matière pénale. C'est donc exclusivement sur la base du droit suisse - c'est-à-dire de la loi fédérale sur l'entraide pénale internationale (EIMP), de son ordonnance d'application du 24 février 1982 (OEIMP) et des dispositions d'exécution du droit cantonal, en l'occurrence le titre IVe LACP - qu'il y a lieu de se prononcer sur les objections soulevées par les recourants.
Aux termes de son art. 1er, l'EIMP règle toutes les procédures relatives à la coopération internationale en matière pénale, en particulier l'entraide en faveur d'une procédure pénale étrangère ou petite entraide au sens de la troisième partie de la loi (al. 1 lettre b). Cette entraide comprend, en vertu de l'
art. 63 EIMP
, la communication de renseignements, ainsi que les actes de procédure et autres actes officiels admis en Suisse (recherche de moyens de preuve, remise de dossiers et de documents, saisie, etc.), lorsqu'ils paraissent nécessaires pour la procédure menée à l'étranger et liée à une cause pénale, ou pour récupérer le produit de l'infraction. Une restitution aux ayants droit d'objets et de valeurs provenant d'une infraction peut même intervenir en dehors de toute procédure pénale engagée dans l'Etat requérant (
art. 74 al. 2 EIMP
). A cet égard, il faut préciser d'emblée qu'en l'espèce le Tribunal fédéral n'a à statuer ni sur la communication de renseignements ni sur la remise d'objets ou de valeurs à l'Etat requérant selon les
art. 63 et 74 EIMP
; son examen ne porte, en l'état, que sur l'admissibilité de principe de l'entraide et des mesures provisoires ordonnées sur la base de l'
art. 18 EIMP
(saisie, recherche de renseignements et de moyens de preuve). Par ailleurs,
BGE 113 Ib 257 S. 265
les décisions déjà prises dans le cadre de la même affaire par le Conseil fédéral et la Commission fédérale des banques échappent totalement à cet examen.
3.
a) En vertu de l'
art. 25 al. 1 EIMP
, et à moins que la même loi n'en dispose autrement, le recours de droit administratif au Tribunal fédéral est immédiatement ouvert, en particulier contre les décisions prises en matière d'entraide pénale internationale par les autorités cantonales de dernière instance. Pour les modalités générales de l'exercice de cette voie de droit, cette disposition renvoie explicitement aux art. 97 à 114 OJ. Les actes attaqués sont incontestablement des décisions au sens de l'
art. 97 OJ
, telles qu'elles sont définies à l'
art. 5 PA
. Ils ont en outre été entrepris dans le délai fixé à l'
art. 106 OJ
.
b) Les autorités intimées ont rendu leurs décisions en qualité d'autorités cantonales d'exécution au sens de l'art. 16 al. 1, 2e phrase, EIMP. Elles l'ont fait successivement comme autorité de première instance et comme autorité de recours que les cantons ont l'obligation d'instituer en vertu de l'art. 23 de la même loi. L'arrêt de la Chambre d'accusation a été rendu en dernière instance cantonale, ce que dit l'art. 33 al. 1, 2e phrase, LACP. Sa compétence de se prononcer en fait et en droit sur les décisions qui lui sont déférées n'étant pas limitée, les présents recours ne sont recevables que contre sa décision et non contre celles rendues en première instance cantonale par le Juge d'instruction (
art. 25 al. 1 EIMP
et 98 lettre g OJ).
c) La procédure d'entraide au cours de laquelle les mesures litigieuses ont été adoptées a pour objet, d'une part, la remise à l'Etat requérant d'avoirs qui auraient été déposés dans des établissements bancaires suisses par les recourants et, d'autre part, la transmission de documents et de renseignements sur les opérations relatives à la constitution de ces avoirs en Suisse, cela en vue de permettre la mise en accusation des recourants ou de certains d'entre eux. Les recourants sont donc tous des personnes visées par la procédure conduite à l'étranger. L'
art. 21 al. 3 EIMP
ne leur donne toutefois la qualité pour agir par la voie d'un recours de droit administratif que si elles sont touchées personnellement par la mesure litigieuse ou lorsque celle-ci peut léser leurs droits de défense dans la procédure pénale. Les recourants se bornent à se prévaloir d'un intérêt digne de protection au sens de l'
art. 103 lettre a OJ
et à dire qu'ils sont visés expressément par la requête d'entraide. Ils nient en revanche être, à quelque titre que ce soit, les détenteurs des
BGE 113 Ib 257 S. 266
avoirs qui font l'objet des mesures dont ils contestent la légalité. L'Office fédéral de la police en déduit qu'on ne saurait leur reconnaître la qualité pour recourir (cf.
ATF 110 Ib 387
ss).
Disposition spéciale réservée par l'art. 25 al. 1, l'
art. 21 al. 3 EIMP
restreint la qualité pour recourir par rapport à l'
art. 103 lettre a OJ
(ATF
ATF 110 Ib 391
consid. 3a). Examinant la question librement, sans être lié par les conclusions des parties (
ATF 106 Ia 357
consid. 1), le Tribunal fédéral doit admettre la qualité des recourants en l'espèce, car ceux-ci sont "touchés personnellement" au sens de l'
art. 21 al. 3 EIMP
par le fait que des recherches sont entreprises à propos d'avoirs qu'ils posséderaient en Suisse, que ces avoirs sont bloqués et sont susceptibles - c'est ce à quoi tend en définitive la demande d'entraide - d'être remis à l'Etat requérant. Les dénégations des recourants quant à la propriété de ces avoirs ou à la titularité des comptes bancaires visés ne sont, à cet égard, nullement décisives.
d) Les recourants proposent, à titre principal, non seulement l'annulation de la décision attaquée, mais également l'irrecevabilité de la demande d'entraide. Ils concluent subsidiairement au renvoi de l'affaire à l'autorité intimée, voire à l'autorité cantonale inférieure, afin qu'elles statuent préalablement à tout acte d'exécution sur la recevabilité de la demande d'entraide. Il s'agit là de conclusions qui sont en principe admissibles dans un recours de droit administratif. Le Tribunal fédéral dispose à cet égard d'un grand pouvoir de décision car, en vertu de l'
art. 25 al. 6 EIMP
, lex specialis par rapport à l'
art. 114 OJ
, il n'est pas lié par les conclusions des parties. Il a donc la faculté de procéder, le cas échéant, à une reformatio in pejus sive in melius.
Par ailleurs, les recours étant dirigés contre la décision d'un tribunal cantonal, le Tribunal fédéral est lié par les faits constatés par cette décision, sauf s'ils sont manifestement inexacts ou incomplets ou s'ils ont été établis au mépris de règles essentielles de procédure (
art. 105 al. 2 OJ
).
4.
Les recourants s'en prennent tout d'abord à la régularité de la procédure suivie par les autorités cantonales d'exécution. Ils soutiennent que l'autorité intimée a violé le droit fédéral en ne sanctionnant pas le défaut d'indication des voies de droit et l'absence de motivation dont étaient entachées les deux décisions prises par l'autorité inférieure, en ne reconnaissant pas que le recours cantonal aurait été muni, de par la loi, de l'effet suspensif et en leur refusant l'accès au dossier.
BGE 113 Ib 257 S. 267
a) Il est vrai que la décision du 6 juin 1986 par laquelle le Juge d'instruction est entré en matière sur la demande d'entraide et a ordonné aux banques concernées la production de documents et la saisie des avoirs litigieux ne porte aucune mention des voies de recours. Elle contrevient en cela non seulement à l'art. 33 al. 1, 1re phrase, LACP, mais aussi à l'
art. 22 EIMP
, aux termes duquel les décisions et prononcés rendus par les autorités fédérales et cantonales ne sont valables que dans la mesure où ils indiquent les possibilités de recours. En dépit de ce que l'on pourrait déduire de la lettre de cette disposition, l'indication des voies de recours n'est pas une condition de validité de la décision, le but et la portée de l'
art. 22 EIMP
n'étant pas différents de ceux de l'
art. 35 PA
(arrêt non publié B. du 7 mars 1984, consid. 1d). La seule question qui se pose ici est, partant, celle de savoir si cette irrégularité formelle a causé aux recourants un préjudice qui n'a pas été réparé ultérieurement. Les recourants le prétendent, qui affirment ne pas avoir "pensé d'attaquer" la décision du 6 juin 1986, ce qui aurait eu pour conséquence de prolonger le blocage des avoirs litigieux. Cet argument est dépourvu de pertinence, si l'on arrive à la conclusion - ce qui sera examiné plus bas - que le recours à la Chambre d'accusation ne devait pas être muni de l'effet suspensif. Le seul résultat de l'absence d'un recours contre la décision du 6 juin 1986 aurait été alors, comme le relève l'autorité intimée, de retarder sa saisine, ce qui ne constitue pas un préjudice de droit justifiant l'annulation de la décision prise par l'autorité inférieure le 6 juin 1986, dont la légalité a été examinée par l'autorité de recours simultanément à celle de la décision du 30 octobre 1986.
Constatant que la motivation de cette dernière décision était sommaire, l'autorité intimée s'est refusée à l'annuler pour ce motif, en partant de l'idée qu'elle forme un tout avec la décision précédente du 6 juin 1986, elle-même parfaitement motivée, à laquelle elle se réfère de manière explicite. Cette opinion est pleinement fondée à la lecture des deux décisions discutées. Son bien-fondé est confirmé par le fait que, en dépit du caractère succinct de sa motivation, les recourants ont formé contre la décision du 30 octobre 1986 un recours cantonal dont le contenu atteste qu'aucun des éléments litigieux n'a échappé à leur examen.
b) L'art. 21. al. 4 EIMP prescrit - en dérogation à l'
art. 111 al. 2 OJ
- que le recours contre une décision autorisant la communication de renseignements qui concernent le domaine secret a un effet suspensif. L'autorité intimée a considéré que cette
BGE 113 Ib 257 S. 268
règle n'était applicable qu'à la décision de transmettre à l'étranger les renseignements concernant le domaine secret; elle s'est référée pour cela à l'art. 33 al. 2 LACP. Aux yeux des recourants, cette interprétation restrictive et la règle du droit cantonal sur laquelle elle se fonde seraient contraires au droit fédéral. Cette objection est sans pertinence. L'
art. 21 al. 4 EIMP
est une disposition exceptionnelle dont le texte est clair. Compte tenu des problèmes concrets qui se posent au cours de l'exécution d'une demande d'entraide internationale, il n'y a aucune raison pratique de s'écarter de ce texte pour lui donner une portée que le législateur ne peut avoir voulue. Si les recours dirigés contre les mesures de sûreté prises par l'Etat requis dès le dépôt d'une demande d'entraide étaient automatiquement munis de l'effet suspensif, la coopération de l'Etat requis ne pourrait pratiquement plus être assurée dans de nombreux cas. La règle de l'
art. 21 al. 4 EIMP
, reprise pour l'essentiel par le législateur cantonal à l'art. 33 al. 2 LACP, ne peut donc avoir d'autre sens que de munir d'un effet suspensif légal les recours formés contre la décision de clôture de la procédure d'entraide par laquelle l'autorité d'exécution décide de transmettre les renseignements qu'elle a obtenus. Or, comme on l'a vu, une telle décision n'a pas encore été prise en l'espèce. L'autorité intimée n'avait donc pas - c'est aussi le cas du Tribunal fédéral saisi des recours de droit administratif traités présentement - à accorder ou à reconnaître l'effet suspensif des recours qui lui étaient adressés.
c) Le droit de consulter le dossier est, en règle générale, régi fondamentalement par l'
art. 4 Cst.
, qui prohibe le déni de justice formel. Cette garantie procédurale est mise en oeuvre, en matière d'entraide pénale internationale, par l'
art. 79 al. 3 EIMP
, dont la première phrase renvoie aux
art. 6, 26 et 27 PA
. L'art. 79 al. 3, 2e phrase, permet en outre à l'ayant droit, si la sauvegarde de ses intérêts l'exige, de consulter la demande d'entraide et les pièces à l'appui. En conformité de l'
art. 27 al. 1 PA
, l'autorité d'exécution ne peut donc lui refuser le droit de consulter la demande d'entraide et les pièces produites par l'Etat requérant que si le maintien du secret est commandé par des intérêts publics importants de la Confédération ou des cantons, en particulier la sécurité intérieure ou extérieure de la Confédération (lettre a), ou par des intérêts privés importants, en particulier ceux de parties adverses (lettre b), ou encore par l'intérêt d'une enquête officielle non encore close (lettre c). Les autorités cantonales ont ouvert dans une large
BGE 113 Ib 257 S. 269
mesure aux recourants l'accès au dossier constitué à la suite du dépôt par l'Etat requérant de sa demande formelle d'entraide. Elles ne l'ont en revanche pas autorisé notamment pour les pièces annexées au mémoire rédigé conjointement par les avocats de l'Etat requérant, ainsi que pour les renseignements donnés par les banques interpellées. Cette restriction aurait sa raison d'être dans l'intérêt de l'enquête conduite par les autorités de l'Etat requérant; elle se fonde par conséquent sur l'art. 27 al. 1 lettre c PA. Si l'on prend en considération, d'une part, la complexité des faits à propos desquels les autorités de l'Etat requérant mènent leurs investigations, l'état d'avancement de cette enquête, tel qu'il peut être connu des autorités suisses, la phase de la procédure d'exécution dans laquelle on se trouve et, d'autre part, la nature des documents qui ont été soustraits à l'examen des recourants, on doit admettre que les restrictions apportées par les autorités cantonales au droit de consulter le dossier ne sont nullement en contradiction avec le droit fédéral. Les pièces essentielles pour eux, au stade actuel de la procédure, leur ont d'ailleurs été communiquées et ils ont pu entreprendre, avec une connaissance suffisante de la cause, les mesures de sûreté critiquées. Comme le souligne l'autorité intimée, les pièces qui n'ont pas été portées à leur connaissance n'ont été mentionnées ni dans les décisions de l'autorité de première instance, ni dans sa propre décision, ce qui montre qu'elles ne les ont pas influencées et que l'
art. 28 PA
a été respecté. La décision attaquée réserve enfin la possibilité qu'il "en aille autrement lorsque la cause sera en état d'être jugée à propos de la transmission des informations recueillies, ne serait-ce que pour apprécier l'existence de liens suffisants entre les renseignements à transmettre et l'objet de l'enquête ouverte à l'étranger". Elle relève qu'"il appartiendra au Juge d'instruction de se déterminer formellement sur la communication demandée par les recourants et de trancher en fonction des intérêts légitimes de chacun d'eux".
Au regard de l'ensemble de ces circonstances, le Tribunal fédéral ne saurait voir dans les limitations apportées en l'espèce au droit des recourants de consulter le dossier une violation du droit fédéral. La teneur de la décision entreprise révèle au contraire que l'autorité intimée est consciente du caractère fondamental du droit de consulter le dossier et de l'obligation qu'elle aura - avant de rendre sa décision finale - d'appliquer les restrictions instituées à l'
art. 27 PA
dans le respect du principe de la proportionnalité,
BGE 113 Ib 257 S. 270
dont l'
art. 28 PA
présente un cas d'application (cf. arrêt T. du 16 février 1987).
Les griefs de nature formelle dirigés contre la décision attaquée doivent ainsi être écartés.
5.
Les recourants reprochent essentiellement aux autorités cantonales d'exécution d'être entrées en matière sur la demande d'entraide et d'avoir ordonné, à titre provisionnel, des mesures de contrainte, alors même qu'aucune procédure pénale ne serait pendante contre eux dans l'Etat requérant à propos des faits que celui-ci prétend mettre à leur charge. Ceux-ci seraient de surcroît insuffisamment décrits dans la demande et dans ses annexes pour pouvoir être qualifiés sous l'angle du droit pénal; le mémoire explicatif rédigé à ce propos par les avocats suisses de l'Etat requérant n'aurait pas à être pris en considération, car il ne s'agirait pas d'un acte officiel dont le dépôt est prévu par la loi.
a) Pour que la Suisse collabore, au sens de l'
art. 1er EIMP
, il n'est pas nécessaire que les autorités de l'Etat requérant aient déjà ouvert une procédure judiciaire proprement dite contre les personnes poursuivies. Il suffit qu'y soit ouverte, conformément à la loi de cet Etat, une enquête préparatoire qui serait le préalable obligé à la saisine des autorités judiciaires compétentes pour procéder à une mise en accusation des intéressés. Telle est la portée de la jurisprudence du Tribunal fédéral, qui a admis que les investigations de la Commission américaine des opérations boursières (Securities and Exchange Commission, SEC) pouvaient être assimilées aux enquêtes et procédures judiciaires pour lesquelles l'entraide doit être accordée en vertu de l'art. 1er ch. 1 lettre a du Traité américano-suisse (cf.
ATF 109 Ib 50
consid. 3). La législation fédérale sur l'entraide pénale internationale ne saurait en revanche servir de base à la coopération de la Suisse à des procédures strictement administratives ou à des procédures civiles conduites à l'étranger. Aux termes de l'
art. 1er al. 3 EIMP
, elle ne s'applique qu'aux affaires pénales dans lesquelles le droit de l'Etat requérant permet de faire appel au juge. Cette disposition est à mettre en relation avec l'
art. 11 al. 1 EIMP
qui considère comme poursuivi non seulement la personne contre laquelle une action pénale est ouverte ou une sanction pénale prononcée, mais encore toute personne simplement suspecte (cf.
ATF 112 Ib 590
consid. 9 in fine).
Les objectifs de la demande d'entraide sont en l'espèce quelque peu ambigus. L'Etat requérant a-t-il l'intention de traduire
BGE 113 Ib 257 S. 271
l'ancien Président Ferdinand Marcos, ses proches et, le cas échéant, ses familiers devant le Sandiganbayan, tribunal régulièrement institué avant l'arrivée au pouvoir des gouvernants actuels pour réprimer les actes de corruption et de concussion reprochés aux anciens magistrats, fonctionnaires et autres agents de l'Etat dans l'exercice de leurs charges? La dénonciation (complaint) déposée par le Procureur général de la République, en premier lieu le 7 avril 1986, n'a en effet pas été adressée à cette autorité, ou au Tanodbayan (ombudsman), que l'art XIII al. 6 de la Constitution nationale du 17 janvier 1973, repris dans la nouvelle Constitution provisoire, paraît investir de la tâche d'instruire les affaires entrant dans la compétence du Sandiganbayan. Elle a au contraire été remise à la Commission présidentielle pour un gouvernement honnête, instituée par le premier décret présidentiel édicté le 28 février 1986 immédiatement après la chute de Marcos. Or cette commission n'est nullement une juridiction pénale, mais un organe administratif chargé d'assister la Présidente de la République dans sa tentative de récupérer la fortune que l'ancien Président, ses proches et ses familiers auraient accumulée par corruption ou concussion. Il n'a jamais été question, ni dans ce décret, ni dans les décrets successifs édictés sur le même objet, de conférer à cette commission la compétence de mener une enquête préliminaire en vue de traduire les personnes concernées devant le Sandiganbayan ou devant une autre juridiction criminelle. Un examen approfondi du dossier conduit en tout cas à la conclusion qu'une procédure pénale ou une procédure liée à une cause pénale au sens de l'
art. 63 al. 1 et 3 EIMP
n'a toujours pas été engagée formellement contre les recourants.
Dans ses notes verbales des 29 avril et 10 septembre 1986, le gouvernement de l'Etat requérant a cependant déclaré sans équivoque qu'il entendait poursuivre pénalement l'ancien chef de l'Etat et ceux qu'il considère comme ses complices devant le Sandiganbayan. La teneur des dénonciations déposées par le Procureur général de l'Etat les 7 et 29 avril 1986 et étayées par diverses déclarations et documents les 1er et 25 juillet 1986, est tout aussi catégorique sur ce point. Les propos tenus respectivement lors d'une conférence de presse et lors d'un débat télévisé par le Président de la Commission présidentielle et par le Ministre de la justice ne sont pas propres à contrebalancer le poids de ces actes officiels. Sur la base de ces derniers, les autorités cantonales d'exécution pouvaient admettre, lors de l'examen prima facie
BGE 113 Ib 257 S. 272
auquel elles se livrent à ce stade de la procédure, qu'il y avait lieu d'entrer en matière sur la demande d'entraide et qu'il était partant opportun de prendre les mesures de sûreté nécessaires à assurer l'exécution éventuelle de cette demande. Elles avaient d'autant moins de raisons d'hésiter à ce moment que, contrairement à l'opinion des recourants, le caractère délictueux des faits allégués par l'Etat requérant est exposé avec clarté dans les documents officiels qu'il a produits et que leur incrimination selon le droit philippin a été expliquée avec soin et précision.
b) Cette conclusion s'impose indépendamment de la teneur du mémoire déposé le 25 avril 1986 par les trois mandataires en Suisse de l'Etat requérant. On relèvera simplement qu'en acceptant de joindre ce document à la procédure, l'autorité intimée n'a pas violé le droit fédéral. La demande d'entraide émane en effet clairement des autorités étrangères (cf. notes verbales des 18 et 25 avril 1986), comme l'exige l'
art. 75 EIMP
, les avocats qu'elles ont constitués en Suisse aux fins de se faire conseiller et représenter s'étant limités, dans le cadre étroit de la procédure d'entraide, à agir accessoirement. Cette intervention n'est de surcroît pas de nature à occasionner aux recourants des frais de procédure supplémentaires, puisque l'Etat requérant n'est partie ni à la procédure d'exécution, ni à la procédure de recours.
c) La qualité de l'exposé des faits à la base de la demande, les précisions données par les dénonciations du Procureur général de la République des Philippines qui y sont annexées et les allégués de celui-ci devant la Commission présidentielle permettent d'écarter sommairement le grief des recourants, pour qui la demande d'entraide constituerait une recherche générale et indéterminée de moyens de preuve prohibée par le droit suisse (fishing expedition ou requête exploratoire;
ATF 103 Ia 206
ss consid. 6). La prohibition d'une telle recherche signifie simplement qu'il est inadmissible de recueillir des preuves au hasard. Ce reproche ne saurait être fait à la légère à un Etat qui demande l'entraide d'un autre dans une phase initiale de la procédure pénale, c'est-à-dire à un moment où il ne lui est pas possible d'étayer une inculpation dont les renseignements demandés doivent justement lui permettre d'en déterminer la justification de manière appropriée.
Les griefs des recourants basés sur le défaut d'une procédure pénale étrangère et sur le contenu matériel de la demande d'entraide s'avèrent donc mal fondés.
BGE 113 Ib 257 S. 273
6.
a) Aux termes de l'
art. 2 EIMP
, la demande de coopération en matière pénale est irrecevable s'il y a lieu d'admettre que la procédure à l'étranger n'est pas conforme aux principes de procédure fixés par la Convention européenne de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales du 4 novembre 1950 (CEDH) (lettre a) ou tend à poursuivre ou à punir une personne en raison de ses opinions politiques, de son appartenance à un groupe social déterminé, de sa race, de sa religion ou de sa nationalité (lettre b), ou risque d'aggraver la situation de la personne poursuivie, pour l'une ou l'autre de ces raisons (lettre c), ou encore présente d'autres défauts graves (lettre d). Il convient d'emblée de souligner que, contrairement à ce qui pourrait être déduit de la motivation de l'arrêt attaqué, ces limitations apportées par la loi à l'admissibilité d'une demande d'entraide, de même que celles liées à la nature des infractions poursuivies au sens de l'
art. 3 EIMP
, s'appliquent de la même manière aux demandes qui ont pour objet l'extradition d'un individu et à celles qui ont pour objet, comme en l'espèce, les autres actes d'entraide visés par la troisième partie de la loi, cela sous réserve de ce qui est dit à l'art. 3 al. 3, 2e phrase, de celle-ci. Ces restrictions ont pour but d'éviter que la Confédération ne participe, par sa coopération internationale, au déroulement de procédures répressives qui ne garantissent pas à la personne poursuivie un standard minimum correspondant à celui offert par le droit des Etats démocratiques et défini en particulier par la Convention européenne des droits de l'homme, ou qui se heurteraient à l'ordre public international (cf.
ATF 111 Ib 138
ss,
ATF 109 Ib 64
,
ATF 108 Ib 408
ss; CLAUDE ROUILLER, L'évolution du concept de délit politique en droit de l'entraide internationale en matière pénale, dans Revue pénale suisse 1986, p. 23 ss, spéc. p. 40-42).
b) Les recourants prétendent qu'une procédure pénale ouverte contre eux dans l'Etat requérant ne serait en aucun cas compatible avec les exigences d'indépendance et d'impartialité des tribunaux posées à l'
art. 6 ch. 1 CEDH
, que la présomption d'innocence consacrée au ch. 2 de ce même texte ne leur serait pas reconnue et qu'aucun des droits généraux de la défense énumérés au ch. 3 de la même disposition ne leur serait garanti. Ils fondent leurs assertions sur une prétendue subordination totale des tribunaux philippins au pouvoir exécutif, sur le jugement sommaire porté à leur égard par la présidence de la République dans les décrets
BGE 113 Ib 257 S. 274
instituant la Commission pour un gouvernement honnête et sur l'impossibilité pour eux d'être présents à leur procès, car ils seraient de facto bannis du territoire de l'Etat requérant.
Il serait prématuré pour le Tribunal fédéral de se prononcer définitivement sur ces objections. Hormis les cas où la situation perturbée de l'Etat requérant et ses effets sur les droits des personnes qui y sont jugées sont notoires, la nature des vices de procédure, auxquels se réfère l'
art. 2 EIMP
, fait que l'Etat requis ne doit se prononcer définitivement à leur sujet qu'au moment où il clôt la procédure d'entraide et non pas déjà lorsqu'il adopte des mesures provisionnelles. Il appartiendra aux autorités cantonales d'exécution de se livrer, à ce moment-là, à un examen approfondi des questions soulevées par les recourants. Il leur appartiendra aussi, pour autant que les assurances données jusqu'ici par l'Etat requérant s'avéraient insuffisantes, d'inviter celui-ci, par l'organe de l'Office fédéral de la police, à fournir des précisions complémentaires sur la procédure pénale qui sera suivie et en particulier sur le respect en faveur des prévenus ici concernés des droits ordinaires de la défense.
Le Tribunal fédéral se bornera pour l'instant à constater que les faits allégués par les recourants ne suffisent pas à démontrer un risque objectif et sérieux d'un déroulement vicié de la procédure au sens de l'
art. 2 EIMP
. Ce n'est en effet pas pour les activités de la Commission présidentielle que l'entraide serait en définitive accordée et les mutations intervenues au sein du personnel des tribunaux appelés à juger les recourants ne sont pas un indice clair de leur partialité et de leur dépendance à l'égard du pouvoir politique. Quant à la prétendue violation de la non-rétroactivité de la loi pénale, elle est dénuée de fondement, les dénonciations du Procureur général ne se fondant pas sur les décrets présidentiels adoptés après la chute de Ferdinand Marcos, mais sur des textes légaux adoptés antérieurement et toujours en vigueur. Par ailleurs, les recourants n'établissent pas avec netteté que l'Etat requérant refuserait de leur délivrer des sauf-conduits leur permettant de se présenter personnellement devant leur juge.
7.
Le moyen tiré de la prétendue immunité de Marcos et des membres de sa famille ne résiste pas à l'examen.
S'agissant de l'immunité dont Marcos et son épouse paraissent se prévaloir à l'égard des juridictions suisses, elle n'entre manifestement en considération, en tant qu'obligation faite à la Suisse par le droit des gens, qu'à l'égard des chefs d'Etat en
BGE 113 Ib 257 S. 275
fonction, situation qui n'est à l'évidence plus celle de Marcos depuis fin février 1986. L'immunité personnelle est en effet le pendant de l'immunité dont jouit l'Etat étranger quand il agit "iure imperii", c'est-à-dire dans ses attributs de puissance publique. La Convention de Vienne sur les relations diplomatiques du 18 avril 1961 (RS 0.191.01) traduit simplement dans un acte normatif un concept issu du droit international coutumier. L'immunité qu'elle accorde, notamment à ses art. 31 et 37, est un privilège en faveur de magistrats ou de fonctionnaires en activité dans l'intérêt de l'Etat qu'ils représentent, et non en faveur de particuliers, ceux-ci eussent-ils exercé naguère les plus hautes charges publiques dans le pays étranger. Il serait à tout le moins contraire au système qu'un particulier, qui n'est plus chargé de représenter un Etat, puisse invoquer son immunité personnelle à l'encontre des intérêts mêmes de cet Etat.
La question de savoir si la personne poursuivie au sens de l'
art. 11 EIMP
jouit de l'immunité diplomatique dans l'Etat requérant doit être résolue non par le juge suisse de l'entraide, mais par celui du fond. Il n'appartient donc pas à la Suisse en l'occurrence de trancher le point de savoir si l'ancien chef de l'Etat doit être mis au bénéfice de l'immunité qui lui était garantie par l'art. VII al. 17 de la Constitution philippine du 17 janvier 1973 pour les actes officiels accomplis durant son mandat (cf. ATF 113 Ib No 28, consid. 3 in fine).
Il suffit dès lors de constater en l'espèce que les mesures de contrainte requises peuvent être ordonnées parce que l'état de fait exposé dans la demande correspond aux éléments objectifs d'une infraction réprimée par le droit suisse, comme l'exige l'art. 64 al. 1, 1re phrase, EIMP. Or les recourants ne contestent pas sérieusement que les faits de la demande tomberaient sous le coup de plusieurs dispositions du droit pénal suisse, entre autres des art. 312 à 317 CP, qui répriment certaines infractions contre les devoirs de fonction.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette les recours dans la mesure où ils sont recevables, au sens des considérants;
... | public_law | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
4b781be7-3e80-435d-b7ab-425809e17c62 | Urteilskopf
117 V 214
27. Urteil vom 13. September 1991 i.S. X gegen Stiftung Pensionierungsfonds der H. AG und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 89bis ZGB
,
Art. 73 BVG
. Zur Abgrenzung zwischen Versicherungseinrichtungen und Einrichtungen ohne Versicherungscharakter (sog. Fürsorgefonds oder patronale Wohlfahrtsfonds).
Art. 331a-c OR
.
- Die in diesen Bestimmungen geregelte Freizügigkeitsordnung gilt generell für den erweiterten (überobligatorischen) Aufgabenbereich aller Vorsorgeeinrichtungen.
- Auf eine Abrede im Sinne von
Art. 331b Abs. 2 OR
ist insbesondere zu schliessen, wenn das Reglement den Arbeitnehmern einen Anspruch auf Leistungen im Vorsorgefall einräumt. | Sachverhalt
ab Seite 214
BGE 117 V 214 S. 214
A.-
X, der bereits von 1966 bis 1977 bei der Firma H. AG tätig war, trat auf den 1. Dezember 1979 als Direktor und Mitglied der Geschäftsleitung wiederum in die Dienste dieser Firma. Für die
BGE 117 V 214 S. 215
berufliche Vorsorge gegen Alter, Invalidität und Tod war er einerseits bei der Personal-Vorsorgestiftung der H. AG versichert, andererseits war er Destinatär der Stiftung Pensionierungsfonds der H. AG, die laut Art. 2 der Stiftungsurkunde vom 10. Juli 1952 u.a. die Ausrichtung von Pensionen an in den Ruhestand getretene Mitglieder der Geschäftsleitung und Prokuristen bezweckt. Einzelheiten über die Leistungen der Stiftung Pensionierungsfonds der H. AG sind in einer "Zusatzrenten-Ordnung für Mitglieder Geschäftsleitung und Direktoren 1" (nachfolgend Zusatzrenten-Ordnung) vom 21. Dezember 1982, gültig ab 1. Januar 1983, geregelt.
Auf Ende Mai 1989 kündigte X das Arbeitsverhältnis mit der Firma H. AG und trat eine neue Stelle bei der AG S. an. Die Personal-Vorsorgestiftung der H. AG überwies die mit dem Austritt aus der Firma fällig gewordene Freizügigkeitsleistung an die neue Vorsorgeeinrichtung von X. Die Berechnung der Freizügigkeitsleistung aus der Stiftung Pensionierungsfonds ergab einen Betrag von Fr. 273'624.--, wovon die Hälfte der neuen Vorsorgeeinrichtung von X überwiesen wurde. Die andere Hälfte (Fr. 136'812.--) behielt die Stiftung Pensionierungsfonds unter Berufung auf eine Bestimmung der Zusatzrenten-Ordnung, wonach "alle Pensionsleistungen unter der Bedingung striktester Konkurrenzenthaltung ausgerichtet werden", sowie aufgrund einer angeblichen Abrede mit X zurück. Die Überweisung der zweiten Tranche der Freizügigkeitsleistung stellte die Stiftung X für den Fall in Aussicht, dass er innerhalb von zwei Jahren ab Austrittstermin nicht zur H.-Gruppe in Konkurrenz trete.
B.-
X liess beim Versicherungsgericht (heute Verwaltungsgericht) des Kantons Bern gegen die Stiftung Pensionierungsfonds der H. AG Klage einreichen mit dem Antrag, diese sei zu verpflichten, den Betrag von Fr. 136'812.-- nebst Zins ab 1. Juni 1989, eventuell ab Datum der Klageeinreichung, zu einem gerichtlich zu bestimmenden Zinsfuss an die Angestellten-Pensionskasse der AG S. zu bezahlen. Mit Entscheid vom 24. April 1990 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Es gelangte zur Auffassung, dass das in Ziff. 5 der Zusatzrenten-Ordnung unter dem Titel "Verlust der Rentenberechtigung" enthaltene Konkurrenzverbot sich nicht nur auf Empfänger von Alters- und Invalidenrenten beziehe; vielmehr dürfe auch die Auszahlung der Freizügigkeitsleistung von strikter Konkurrenzenthaltung abhängig gemacht werden. X sei nach seinem Ausscheiden aus der H. AG in ein Konkurrenzverhältnis
BGE 117 V 214 S. 216
zu dieser Firma getreten, weshalb die Stiftung Pensionierungsfonds befugt gewesen sei, die Freizügigkeitsleistung zurückzubehalten.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt X das in der vorinstanzlichen Klage gestellte Rechtsbegehren erneuern.
Während die Stiftung Pensionierungsfonds der H. AG die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 73 BVG
bezeichnet jeder Kanton als letzte kantonale Instanz ein Gericht, das über die Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten entscheidet (Abs. 1). Die Entscheide der kantonalen Gerichte können auf dem Wege der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidg. Versicherungsgericht angefochten werden (Abs. 4). Diese Verfahrensordnung ist nicht nur im BVG-Obligatoriumsbereich anwendbar, sondern insbesondere auch dann, wenn eine Streitigkeit vorliegt, an der eine nicht registrierte Vorsorgeeinrichtung beteiligt ist, die in die Rechtsform der Stiftung gekleidet und im Gebiet der beruflichen Vorsorge im engeren Sinn tätig ist, somit ausserobligatorisch die Risiken Alter, Tod oder Invalidität versichert (
Art. 89bis Abs. 6 ZGB
;
BGE 116 V 220
Erw. 1a,
BGE 115 V 247
Erw. 1a,
BGE 114 V 104
Erw. 1a,
BGE 112 V 358
Erw. 1a; MEYER, Die Rechtswege nach dem BVG, in: ZSR 106/1987 I S. 626).
b) Ob das Eidg. Versicherungsgericht zur Beurteilung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zuständig ist, hängt davon ab, ob dem Beschwerdeführer als Destinatär der Stiftung Pensionierungsfonds der H. AG ein Rechtsanspruch auf Leistungen zusteht. Denn da die Arbeitnehmer unbestrittenermassen keine Beiträge leisten, steht den Destinatären gemäss dem hier anwendbaren
Art. 89bis Abs. 5 ZGB
(BRÜHWILER, Die betriebliche Personalvorsorge in der Schweiz, S. 444; RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, S. 101) der Klageweg nur dann offen, wenn ihnen das Reglement einen Rechtsanspruch einräumt. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer laut Ziff. 3 der Zusatzrenten-Ordnung der Stiftung einen betragsmässig bestimmten Anspruch auf Leistungen bei Eintritt des versicherten Risikos. Es liegt nicht im Ermessen der Stiftungsverwaltung, ob ihm eine Leistung erbracht werden soll oder nicht. Somit handelt es sich bei der
BGE 117 V 214 S. 217
Stiftung Pensionierungsfonds nicht um einen patronalen Wohlfahrtsfonds, welcher Leistungen ohne festen Plan nach Ermessen der Stiftungsverwaltung (ohne Beiträge der Destinatäre und auch ohne Rechtsansprüche derselben) in besonderen Fällen erbringt (RIEMER, a.a.O., S. 33; RIEMER, Berner Kommentar, Die Stiftungen, Systematischer Teil, S. 211, N. 327; SCHWEIZER, Rechtliche Grundlagen der Anwartschaft auf eine Stiftungsleistung in der beruflichen Vorsorge, S. 41; BRÜHWILER, a.a.O., S. 445). Vielmehr ist die Stiftung Pensionierungsfonds eine Versicherungseinrichtung, welche die Destinatäre planmässig durch normierte Leistungen gegen die wirtschaftlichen Folgen eines versicherbaren Risikos schützt (RIEMER, Berufliche Vorsorge, S. 53; Berner Kommentar, S. 210, N. 323). Am Charakter einer Versicherungseinrichtung ändert nichts, dass sie - wie im vorliegenden Fall - allein vom Arbeitgeber finanziert wird (vgl. RIEMER, Berufliche Vorsorge, S. 53; SCHWEIZER, a.a.O., S. 81).
c) Die Einwendungen der Beschwerdegegnerin, die darauf besteht, als patronaler Wohlfahrtsfonds qualifiziert zu werden, sind nicht stichhaltig. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Beschwerdegegnerin verschiedene Merkmale eines patronalen Wohlfahrtsfonds aufweist: Alleinfinanzierung durch die Stifterfirma, ausschliessliche Vertretung der Stifterfirma im Stiftungsrat, Ergänzung zur voll ausgebauten, registrierten Pensionskasse der Stifterfirma, fehlende Planmässigkeit der Finanzierung und damit der versicherungsmässigen Risikodeckung und Befugnis des Stiftungsrates, die Zusatzrenten-Ordnung im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat der Stifterfirma jederzeit abzuändern. Diese Merkmale beschlagen jedoch allesamt lediglich die Beitrags- und Finanzierungsseite, welche nicht näher reglementiert ist, wie dies für einen rein patronalen Wohlfahrtsfonds charakteristisch ist. Für die Anwendbarkeit u.a. des Rechtsweges nach
Art. 73 BVG
ist indessen entscheidend, dass die Stiftung Pensionierungsfonds den Destinatären Rechtsansprüche auf (Versicherungs-)Leistungen bei Eintritt versicherter Risiken gewährt und nicht bloss Ermessensleistungen in Aussicht stellt. Der beitragsseitig patronal ausgestaltete Fonds stellt sich somit auf der Leistungsseite als eine nicht registrierte Vorsorgeeinrichtung mit reglementarischen Leistungen im ausserobligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge im engeren Sinne dar. Entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen Einrichtungen mit und solchen ohne Versicherungscharakter ist gerade der Umstand, dass im ersten Fall Rechtsansprüche
BGE 117 V 214 S. 218
geschaffen werden, die bei Einrichtungen ohne Versicherungscharakter fehlen (BRÜHWILER, a.a.O., S. 98 f.).
d) Da es sich bei der Beschwerdegegnerin nach dem Gesagten um eine im ausserobligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge im engeren Sinne tätige Stiftung mit Versicherungscharakter handelt, ist das Eidg. Versicherungsgericht nach
Art. 73 Abs. 4 BVG
zur Beurteilung der vorliegenden Streitsache in sachlicher und, da die in Frage stehende Forderung nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts entstanden ist, auch in zeitlicher Hinsicht zuständig (
BGE 116 V 220
Erw. 1a, 115 V 247 Erw. 1a, 114 V 34 Erw. 1a).
2.
Im folgenden ist zu prüfen, ob die Beschwerdegegnerin befugt ist, die Überweisung der Freizügigkeitsleistung an die neue Vorsorgeeinrichtung von striktester Konkurrenzenthaltung seitens des Beschwerdeführers abhängig zu machen.
a) Das Rechtsverhältnis zwischen Vorsorgeeinrichtung und Begünstigtem ist im nichtobligatorischen Aufgabenbereich gesetzlich weitgehend ungeregelt geblieben (BRÜHWILER, a.a.O., S. 442). Anwendbar sind lediglich die
Art. 89bis Abs. 2 und 5 ZGB
, Art. 331a bis c OR und
Art. 65 Abs. 1 BVG
(RIEMER, Berufliche Vorsorge, S. 101; BRÜHWILER, a.a.O., S. 444). Der Anspruch auf Freizügigkeitsleistung im überobligatorischen Bereich beurteilt sich in erster Linie nach den Art. 331a bis c OR. Denn die in diesen Bestimmungen geregelte Freizügigkeitsordnung gilt generell für den nichtobligatorischen Aufgabenbereich aller Vorsorgeeinrichtungen (vgl. RIEMER, Berufliche Vorsorge, S. 101; BRÜHWILER, a.a.O., S. 257, Anmerkung 54).
Art. 331b OR
lautet wie folgt:
Sind vom Arbeitnehmer und vom Arbeitgeber oder, aufgrund einer Abrede,
von diesem allein für fünf oder mehr Jahre Beiträge geleistet worden, so
entspricht die Forderung des Arbeitnehmers einem der Anzahl der
Beitragsjahre angemessenen Teil des auf den Zeitpunkt der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses berechneten Deckungskapitals (Abs. 2).
Sind für dreissig oder mehr Jahre Beiträge geleistet worden, so
entspricht die Forderung des Arbeitnehmers dem gesamten Deckungskapital
(Abs. 3).
Die Personalfürsorgeeinrichtung legt in ihren Statuten oder in ihrem
Reglement die Höhe der Forderung des Arbeitnehmers für die Anzahl
Beitragsjahre vom vollendeten fünften bis zum dreissigsten Beitragsjahr
fest (Abs. 3bis).
Der Anspruch auf Freizügigkeitsleistung aus Arbeitgeberbeiträgen nach fünf Jahren ist unabhängig von einer eigenen Beitragsleistung
BGE 117 V 214 S. 219
des Arbeitnehmers, sofern sich der Arbeitgeber aufgrund einer Abrede zu einer patronalen Finanzierung der Vorsorgeeinrichtung bereit erklärt, was insbesondere zutrifft, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund eines Reglementes oder sonstwie ein Anspruch auf bestimmte Vorsorgeleistungen zusteht (RIEMER, Berufliche Vorsorge, S. 109, N. 5; HUMMEL, Die Freizügigkeit in der freiwilligen beruflichen Vorsorge, Diss. St. Gallen 1983, S. 133; BJM 1979 S. 136 ff.).
b) Die gesetzlichen Freizügigkeitsansprüche sind sowohl nach der BVG- als auch nach der OR-Freizügigkeitsordnung bei Auflösung des Arbeitsvertrages dem Arbeitnehmer vorbehaltlos und zwingend garantiert (vgl. Art. 27/28 in Verbindung mit
Art. 6 BVG
für das Obligatorium, Art. 331a/331b in Verbindung mit
Art. 362 OR
für nichtobligatorische Aufgabenbereiche). Das Recht auf die gesetzlichen Freizügigkeitsleistungen besteht unabhängig vom Grund der Beendigung des Arbeitsvertrages, insbesondere auch ungeachtet eines allfälligen Verschuldens des Arbeitnehmers (BRÜHWILER, a.a.O., S. 517; HUMMEL, a.a.O., S. 175). Es geht nicht an, auf dem Wege einer im Gesetz nicht erwähnten Verwirkungsmöglichkeit allfällige Verstösse des Arbeitnehmers gegen den Arbeitsvertrag zu ahnden. Unzulässig wäre denn auch die Reglementsbestimmung einer Vorsorgeeinrichtung, wonach der Arbeitnehmer bei einer fristlosen Entlassung keinen Anspruch auf Freizügigkeitsleistungen aus Arbeitgebermitteln habe. Reglementarische Bestimmungen oder Vereinbarungen einer Vorsorgeeinrichtung haben die zwingenden Minimalvorschriften der BVG- und OR-Freizügigkeitsordnungen zu achten (BRÜHWILER, a.a.O., S. 518).
c) Im vorliegenden Fall bestehen aufgrund von Stiftungsurkunde und Zusatzrenten-Ordnung einerseits klare Rechtsansprüche der Destinatäre auf Vorsorgeleistungen. Andererseits hat sich die Stifterfirma zur alleinigen Finanzierung der Zusatzleistungen an die Mitglieder des Kaders bereit erklärt. Beiträge und Zuwendungen erfolgen laut Art. 5 der Stiftungsurkunde zwar "freiwillig" und "je nach Geschäftsgang", aber auch nach den "Bedürfnissen" der Stiftung auf Kapital zur Finanzierung der Leistungen. Darin ist auch eine grundsätzliche Verpflichtung zur Beitragsleistung zu erblicken, deren Modalitäten frei wählbar sind. Damit sind die Voraussetzungen zur Anwendung von
Art. 331b Abs. 2 OR
erfüllt.
Die Zusatzrenten-Ordnung der Stiftung Pensionierungsfonds enthält in Ziff. 3 eine OR-konforme Regelung der Freizügigkeitsleistung
BGE 117 V 214 S. 220
mit nach Zugehörigkeitsjahren prozentmässig abgestuften Leistungen ab fünftem Jahr. Falls Ziff. 5 der Zusatzrenten-Ordnung, wonach alle Pensionsleistungen nur unter der Bedingung striktester Konkurrenzenthaltung des Destinatärs ausgerichtet werden, sich im Sinne der Vorbringen der Beschwerdegegnerin auch auf die Freizügigkeitsleistungen nach Ziff. 3 der Zusatzrenten-Ordnung beziehen sollte, verstösst sie gegen
Art. 331b Abs. 2 OR
, von dem gemäss
Art. 362 OR
nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden darf, und kann daher nicht angewendet werden. Der Beschwerdeführer hat daher Anspruch auf die volle reglementarische Freizügigkeitsleistung, ohne dass geprüft werden müsste, ob die in Ziff. 5 der Zusatzrenten-Ordnung statuierte Konkurrenzklausel auch die Freizügigkeitsleistungen betrifft. Immerhin spricht der Umstand, dass Ziff. 5 der Zusatzrenten-Ordnung unter der Überschrift "Verlust der Rentenberechtigung" ausdrücklich nur den Entzug der Pensionsleistungen bei Verstoss gegen das Konkurrenzverbot regelt, dafür, dass bei Erlass dieses Reglementes nicht beabsichtigt war, den Anspruch auf Freizügigkeitsleistungen von der Konkurrenzenthaltung abhängig zu machen, weil dies gesetzlich unzulässig wäre. Dies deutet darauf hin, dass die Interpretation von Ziff. 5 der Zusatzrenten-Ordnung durch den Beschwerdeführer zutrifft und sich das Konkurrenzverbot nur auf Leistungen bei Eintritt des Versicherungsfalles bezieht.
d) Bei der dargestellten Rechtslage braucht nicht entschieden zu werden, ob die Anwendung der Konkurrenzklausel zu einer Umgehung der relativ zwingenden Bestimmungen des
Art. 340a OR
führt, wonach ein arbeitsvertragliches Konkurrenzverbot vom Richter eingeschränkt werden kann, sowie des
Art. 340c Abs. 2 OR
, wonach das Konkurrenzverbot dahinfällt, wenn der Arbeitgeber kündigt, ohne dass ihm der Arbeitnehmer begründeten Anlass dazu gegeben hat. Es erscheint jedoch zumindest fraglich, ob es zulässig ist, bei Fehlen eines Konkurrenzverbotes im Arbeitsvertrag ein solches in das Vorsorgereglement aufzunehmen, könnte sich doch der Arbeitgeber in einem solchen Fall über den Entzug von Versicherungsleistungen schadlos halten, ohne dass der ausscheidende Arbeitnehmer die Möglichkeit hätte, das Konkurrenzverbot richterlich überprüfen zu lassen. Damit würde der dem Arbeitnehmer in
Art. 340a OR
gewährte Schutz vor unbilliger Erschwerung seines wirtschaftlichen Fortkommens in Frage gestellt.
BGE 117 V 214 S. 221
3.
Die von der Beschwerdegegnerin zurückbehaltene Freizügigkeitsleistung in der Höhe von Fr. 136'812.-- war am 1. Juni 1989 fällig. Gemäss Schreiben des Beschwerdeführers vom 30. Mai 1989 stand zu jenem Zeitpunkt sodann auch fest, an welche neue Vorsorgeeinrichtung das Freizügigkeitsguthaben zu überweisen war. Damit sind die Voraussetzungen für die Zusprechung eines Verzugszinses von 5% ab 1. Juni 1989 erfüllt (
BGE 115 V 37
Erw. 8c).
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 24. April 1990 aufgehoben, und die Stiftung Pensionierungsfonds der H. AG wird verpflichtet, zugunsten des Beschwerdeführers an die Angestellten-Pensionskasse der AG S. eine Freizügigkeitsleistung von Fr. 136'812.--, zuzüglich Zins zu 5% seit 1. Juni 1989, zu bezahlen. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4b7b6ac8-0180-4ba6-a8a0-bf4c84a8adc0 | Urteilskopf
106 Ia 310
54. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. März 1980 i.S. Ernst gegen Politische Gemeinde Klosters-Serneus, Regierung und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerden) | Regeste
Umzonung eines Grundstückes; Rechtsmittelverfahren.
Eine Pflicht, die Grundeigentümer bei Gesamtrevision von Baugesetz und Zonenplan persönlich zu benachrichtigen, ergibt sich nicht aus
Art. 4 BV
(E. 1a).
Das Bundesgericht kann die Motive des angefochtenen Entscheides sowohl bei Willkür- als auch bei freier Kognition substitutieren (E. 1b).
Ist die Umzonung einer einzelnen Parzelle im Rahmen einer Gesamtrevision des Zonenplanes hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeiten einem Rechtssatz oder einer Verfügung gleichzustellen? Frage offengelassen (E. 3).
Anschliessend an ein kantonales Normenkontrollverfahren kann eine selbständige Nachprüfung der Norm durch das Bundesgericht nur noch stattfinden, wenn das kantonale Verfahren innert der in der kantonalen Gesetzgebung vorgesehenen Frist oder, wo keine solche vorgeschrieben ist, innert der üblichen Rechtsmittelfrist angehoben worden ist (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 311
BGE 106 Ia 310 S. 311
Der in Schaffhausen wohnhafte Othmar Ernst ist Eigentümer der seinerzeit in der Wohnzone W 1 gelegenen Parzelle Nr. 610 in Klosters Platz, die im Rahmen einer Gesamtrevision des kommunalen Baugesetzes und des Zonenplanes als Zone für öffentliche Bauten und Anlagen ausgeschieden wurde. Der Zonenplan-Entwurf lag vom 19. Februar bis 21. März 1973 in der Gemeinde Klosters-Serneus öffentlich auf. Ernst erhob keine Einsprache. Baugesetz und Zonenplan wurden am 29. Juli 1973 von den Stimmbürgern in einer Urnenabstimmung angenommen und am 27. Dezember 1973 von der Bündner Regierung genehmigt.
Othmar Ernst focht am 18. Dezember 1975 die Umzonung seines Grundstückes sowohl mit Verfassungsbeschwerde bei der Regierung als auch mit Rekurs beim kantonalen
BGE 106 Ia 310 S. 312
Verwaltungsgericht an. Die Regierung wies die Beschwerde als unbegründet ab; das Verwaltungsgericht trat dagegen auf den Rekurs nicht ein, da dieser nicht rechtzeitig erhoben worden sei. Beide kantonalen Entscheide sind von Othmar Ernst mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 und 22ter BV
angefochten worden.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: I. Die Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichtes
1.
a) Der Beschwerdeführer hat vor Verwaltungsgericht geltend gemacht, er hätte über die vorgesehene Umzonung seiner Parzelle persönlich informiert werden müssen, da er nicht in der Gemeinde Klosters-Serneus wohnhaft sei und von der Zonenplanänderung in besonders schwerer Weise betroffen werde; die zwanzigtägige Rekursfrist habe mangels einer direkten Benachrichtigung erst von dem Tage an zu laufen begonnen, an welchem er von der Umzonung tatsächlich Kenntnis erhalten habe.
Das Verwaltungsgericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat ausgeführt, dass eine persönliche Mitteilung, wie sie der Rekurrent verlange, weder vorgeschrieben noch für die Gemeinde zumutbar sei. Bei Gesamtrevision von Bauvorschriften und Zonenplan müsse es genügen, wenn der neue Erlass bzw. die für dessen Anfechtung vorgesehene Frist durch die allgemeinen Publikationsmittel bekanngemacht werde. Diese Auffassung ist jedenfalls nicht verfassungswidrig. Eine Pflicht zur persönlichen Benachrichtigung der einzelnen Grundeigentümer im Rahmen einer Gesamtüberprüfung der Ortsplanung lässt sich nicht aus
Art. 4 BV
herleiten und besteht nur, falls sie im kantonalen Recht ausdrücklich vorgesehen ist. Die direkte Avisierung eines zum Rekurs berechtigten Grundeigentümers kann, wie das Bundesgericht im (nicht publ.) Entscheid i.S. Messeeuw vom 24. Mai 1967 für ein Baubewilligungsverfahren festgestellt hat, auch dann nicht verlangt werden, wenn dieser nicht ortsansässig ist und sich beispielsweise im Ausland aufhält. Selbst wenn ein Grundeigentümer nicht in der Gemeinde wohnt, in der sein Grundbesitz liegt, hat er nicht nur die Pflicht, für einen jederzeit den bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften entsprechenden Zustand seiner
BGE 106 Ia 310 S. 313
Liegenschaften zu sorgen; es obliegt ihm ebenso, sich ständig über die rechtliche Situation seiner Grundstücke auf dem laufenden zu halten und bei einer Änderung der Verhältnisse entweder selbst oder durch einen Beauftragten an Ort die notwendigen Massnahmen zur Wahrung seiner Interessen zu ergreifen (vgl. zit. Entscheid E. 4).
Der Beschwerdeführer glaubt, dass jedenfalls dort eine persönliche Mitteilung an den Grundeigentümer unerlässlich sei, wo der durch die Planänderung verursachte Eingriff besonders schwer wiege. Eine solche Ausnahmeregelung rechtfertigt sich jedoch nicht und müsste zu Schwierigkeiten führen: Die Schwere eines Eingriffs lässt sich nicht in jedem Fall ohne weiteres beurteilen, sie könnte daher kaum als Abgrenzungskriterium dienen, ohne dass Rechtsungleichheiten entstünden. Im übrigen mag zwar erstaunen, dass die Gemeinde Kloster-Serneus nicht in ihrer Eigenschaft als Mieterin der Parzelle Nr. 610 mit dem Beschwerdeführer in Kontakt getreten ist, doch bleibt dieser Umstand ohne Einfluss auf die im zwingenden öffentlichen Recht vorgesehenen Bestimmungen über Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet.
b) Die Beschwerde Ernsts müsste aber auch dann abgewiesen werden, wenn der Begründung des Verwaltungsgerichtsentscheides nicht zugestimmt werden könnte, da nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtes auf den dem Verwaltungsgericht unterbreiteten Rekurs ohnehin nicht einzutreten war.
Das Verwaltungsgericht hat zur Frage der eigenen Zuständigkeit nicht ausdrücklich Stellung genommen, doch ist es bei seinem Entscheid offenbar von der damals noch geübten Praxis der Kompetenzaufteilung zwischen Regierung und Verwaltungsgericht ausgegangen. Nach dieser standen dem Grundeigentümer zur Anfechtung eines neu geschaffenen oder abgeänderten Zonenplanes zwei Wege offen: Der Eigentümer konnte im Genehmigungsverfahren Einsprache erheben, welche von der Regierung als Genehmigungsbehörde in Sachen Ortsplanung (Art. 37 Abs. 2 des kantonalen Raumplanungsgesetzes) als verfassungsrechtliche Beschwerde entgegengenommen wurde (vgl. Art. 3 der Verordnung über das Verfahren in Verfassungs- und Verwaltungsstreitsachen vor der Regierung vom 30. November 1966, VVV). Allerdings prüfte die Regierung
BGE 106 Ia 310 S. 314
nur, ob die Konzeption des Planes allgemein dem öffentlichen Interesse entspreche. Rügen "individuell-konkreter Natur" (wie Verletzung von Treu und Glauben, Verstoss gegen die Rechtsgleichheit), die auf eine örtlich beschränkte Plankorrektur abzielten, waren innerhalb von zwanzig Tagen seit der Publikation des Genehmigungsbeschlusses der Regierung mit Rekurs beim Verwaltungsgericht anzubringen. Das Verwaltungsgericht leitete seine Zuständigkeit zur Beurteilung solcher Rekurse ausschliesslich aus Art. 13 lit. a des Verwaltungsgerichtsgesetzes (Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 9. April 1967, VGG) ab und schloss daher von der Regierung angeordnete Planänderungen von der Überprüfung aus (vgl.
BGE 104 Ia 182
ff. E. 2b mit Hinweisen; KISTLER, Die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Graubünden, Diss. Zürich 1959, S. 45 f. N. 74).
Diese Aufspaltung des Anfechtungsverfahrens ist in
BGE 104 Ia 181
ff. (Hitz gegen Gemeinde Parpan) aus Erwägungen, die hier nicht zu wiederholen sind, als verfassungswidrig erklärt worden. In jenem Entscheid wurde ausgeführt, dass es nach dem kantonalen Recht sowie aufgrund von
Art. 4 und 22ter BV
der Regierung obliege, die Rechtmässigkeit eines Zonenplanes vollumfänglich zu überprüfen, und dass eine nachträgliche Anfechtung des Regierungsentscheides vor Verwaltungsgericht gemäss
Art. 13 lit. b VGG
ausgeschlossen sei.
Dagegen ist die Frage ausdrücklich offengelassen worden, ob das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung von Rekursen gegen individuell-konkrete Anwendungsakte der Gemeinde - insbesondere im Baubewilligungsverfahren - vorfrageweise die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit eines Zonenplanes noch überprüfen könne (a.a.O., E. 2d am Ende).
Nach dieser Rechtsprechung war das Bündner Verwaltungsgericht zur Behandlung der von Ernst erhobenen Rügen, die sich gegen den Zonenplan der Gemeinde selbst und nicht gegen einen Anwendungsakt richteten, unzuständig. Die staatsrechtliche Beschwerde könnte auch aus diesem Grunde abgewiesen werden, obschon das Verwaltungsgericht seinen Nichteintretensentscheid anders motiviert hat und selbst wenn diesen Motiven nicht zuzustimmen wäre: Die Aufhebung eines mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochtenen Entscheides rechtfertigt sich bloss, wenn dieser im Ergebnis verfassungswidrig ist, nicht schon, wenn sich die Begründung als unhaltbar
BGE 106 Ia 310 S. 315
erweist. Das Bundesgericht hat deshalb die Möglichkeit, die Motive des umstrittenen Entscheides zu ersetzen, und zwar nicht nur auf Willkürrüge hin (vgl.
BGE 103 Ia 581
f. E. 5,
BGE 94 I 311
f. E. 4 mit Hinweisen,
BGE 86 I 269
,
BGE 77 I 46
E. 3), sondern auch dort, wo ihm freie Kognition zusteht (Entscheid vom 16. Februar 1972 i.S. Patriziato di Dalpe, E. 3, publ. in Borghi; Giurisprudenza amministrativa ticinese, S. 105 f.; vgl.
BGE 96 I 549
E. 3). Allerdings muss in diesen Fällen die substituierte Begründung freier Überprüfung standhalten und ist von der Möglichkeit des Austauschs der Motive, da die freie Auslegung des kantonalen Rechts in erster Linie den kantonalen Behörden zusteht, zurückhaltend und einzig dann Gebrauch zu machen, wenn die rechtliche Situation als klar erscheint.
Im vorliegenden Fall könnte sich lediglich fragen, ob den Parteien vor der Urteilsfällung hätte Gelegenheit eingeräumt werden müssen, zur vorgesehenen Abänderung der Motive Stellung zu nehmen. Dies war jedoch nicht erforderlich. Es konnte den Parteien nicht entgehen, dass der Entscheid Hitz gegen Gemeinde Parpan, der in der Amtlichen Sammlung publiziert worden ist, für den Ausgang ihres Rechtsstreites von Bedeutung sein konnte. Hätten sie sich zu den darin aufgeworfenen Fragen äussern wollen, so hätte es an ihnen gelegen, einen entsprechenden Vorstoss zu unternehmen. II. Die Beschwerde gegen den Entscheid der Regierung
2.
Die Umzonung der Parzelle Nr. 610 ist von Othmar Ernst nicht nur mit Rekurs ans Verwaltungsgericht, sondern auch mit einer an die Regierung gerichteten verfassungsrechtlichen Beschwerde angefochten worden. Diese Beschwerde ist ein Rechtsmittel besonderer Art:
Nach
Art. 3 VVV
hat die verfassungsrechtliche Beschwerde den Zweck, "die Beseitigung eines verfassungs- oder gesetzwidrigen Zustandes durch Entscheid der Regierung herbeizuführen". Daraus ergibt sich, dass die Bezeichnung "verfassungsrechtliche Beschwerde" zu eng ist, da nicht nur Verfassungs-, sondern auch einfache Rechtswidrigkeit gerügt werden darf (vgl. HATZ, Der Rechtsschutz in Baurechtssachen im Kt. Graubünden, Diss. Zürich 1972, S. 120 N. 40a; KISTLER, a.a.O., S. 65, 85). Gemäss
Art. 4 VVV
kann mit der verfassungsrechtlichen Beschwerde heute, nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit,
BGE 106 Ia 310 S. 316
einerseits noch die Aufhebung rechtswidriger rechtssetzender Erlasse von Gemeinden, von anderen Körperschaften und selbständigen Anstalten des kantonalen öffentlichen Rechts beantragt (lit. a) und andererseits die Intervention in Fällen verlangt werden, in denen die Regierung durch Verfassung oder Gesetz zum Einschreiten von Amtes wegen ermächtigt ist (lit. b).
Die Einreichung einer verfassungsrechtlichen Beschwerde ist grundsätzlich an keine Frist gebunden. Eine Ausnahme gilt einzig für die Anfechtung kommunaler und anderer Erlasse gemäss
Art. 4 lit. a VVV
, die innert zwanzig Tagen zu erfolgen hat, soweit nicht die Verletzung zwingender Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen materiellen Rechts geltend gemacht wird (
Art. 5 VVV
). Diese Bestimmung wird offenbar so ausgelegt, dass die Beschwerdefrist von zwanzig Tagen nur dann einzuhalten ist, wenn eine Verletzung kommunaler Verfahrensvorschriften beanstandet wird (RASCHEIN, Bündnerisches Gemeindrecht, S. 143 f.).
3.
Obschon der Beschwerdeführer formell nur einen Antrag auf Aufhebung des Regierungsentscheides stellt und nicht auch ausdrücklich die Abänderung des Zonenplanes verlangt, richtet sich seine Beschwerde offensichtlich gegen den Zonenplan selbst bzw. gegen die als verfassungswidrig bezeichnete Einzonung seines Grundstückes.
Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung stellt der Plan, insbesondere der Zonenplan, eine Anordnung besonderer Natur dar, welche hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeiten weder dem Rechtssatz noch der Verfügung generell gleichgestellt werden kann. Dass für die Anfechtung von Rechtsnormen und Verfügungen nicht die gleichen Grundsätze Anwendung finden, die Verfassungsmässigkeit einer Verfügung nur unmittelbar nach deren Erlass, jene einer Rechtsnorm dagegen auch noch im Anschluss an einen konkreten Anwendungsakt vor Bundesgericht in Frage gestellt werden darf, ist - wie schon in
BGE 90 I 353
(Binda gegen Comune di Sementina) dargelegt - nicht so sehr auf die Wesensunterschiede der beiden Rechtsinstitute zurückzuführen. Diese Ordnung beruht vielmehr auf der Überlegung, dass der Einzelne bei Erlass einer Rechtsnorm im allgemeinen noch nicht weiss, ob und wie sie ihn eines Tages treffen wird, und er sich erst auf einen konkreten Anwendungsakt hin veranlasst sieht, die diesem Akt
BGE 106 Ia 310 S. 317
zugrundeliegende Vorschrift anzufechten (vgl. auch
BGE 104 Ia 175
mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat hieraus geschlossen, dass auch für die Frage, ob ein Zonenplan nicht nur nach dessen Erlass, sondern bei späterer Anwendung noch anfechtbar sei, darauf abgestellt werden müsse, ob sich der Betroffene schon bei Planerlass über die ihm auferlegten Beschränkungen Rechenschaft geben konnte und ob er im damaligen Zeitpunkt die Möglichkeit hatte, seine Interessen zu verteidigen. Allerdings muss, wie weiter festgestellt worden ist, die Gültigkeit des Zonenplanes stets dann noch in Zweifel gezogen werden können, wenn die gesetzlichen Vorschriften über die Ortsplanung geändert werden oder wenn sich die tatsächliche Situation seit Erlass des Zonenplanes in solcher Weise entwickelt hat, dass das öffentliche Interesse an den auferlegten Eigentumsbeschränkungen dahingefallen sein könnte (
BGE 90 I 354
ff.; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 395 f., 411 f.; IMBODEN/RHINOW, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I S. 65 ff.).
In anderen Entscheiden, in denen sich das Bundesgericht mit Gesamtrevisionen von Zonenplänen zu befassen hatte, ist ausgeführt worden, dass sich derart weiträumige Planungen dem verordnungsmässigen Rechtssatz näherten und daher bei Planänderungen nicht die Grundsätze über den Widerruf von Verwaltungsakten angewendet, sondern die Gesichtspunkte beachtet werden müssten, die für die Abänderung baurechtlicher Normen im allgemeinen massgebend seien (
BGE 94 I 350
E. 5; Entscheid vom 11. Februar 1970, publ. in ZBl 72/1971 S. 305). Aus ähnlichen Überlegungen ist in
BGE 98 Ia 31
E. 1 der Ausschluss der in einer engeren Grundwasserschutzzone gelegenen Grundstücke aus dem Baugebiet einem Erlass gleichgestellt und in
BGE 99 Ia 714
E. 4 dem Grundeigentümer das Recht zugestanden worden, die Einzonung seiner Grundstücke im Anschluss an eine Zonenplan-Erneuerung anzufechten, auch wenn sich gegenüber der bisherigen Ordnung materiell keine Änderung ergeben und der Eigentümer den früheren Plan seinerzeit nicht beanstandet hat.
Im vorliegenden Fall ist die Umzonung der Parzelle Nr. 610 ebenfalls im Rahmen einer Revision des gesamten Zonenplanes vorgenommen worden. Es stellt sich daher die Frage, ob auch hier die für die Anfechtung von Rechtssätzen geltenden Prinzipien zu beachten seien oder ob in Anlehnung an den Entscheid
BGE 106 Ia 310 S. 318
Binda zunächst zu untersuchen sei, in welchem Zeitpunkt sich der Beschwerdeführer über die ihm auferlegte Eigentumsbeschränkung Rechenschaft geben konnte. Die Frage kann jedoch offenbleiben, da unabhängig davon, ob die Zonenplanänderung als Erlass oder als Verfügung behandelt wird, die dagegen eingereichte Beschwerde - wie im folgenden zu zeigen ist - nicht zum Erfolg führen kann.
5.
Zonenplanänderung als Erlass:
Vorweg ist zu prüfen, ob die vom Beschwerdeführer gegen die Umzonung gerichtete staatsrechtliche Beschwerde rechtzeitig erhoben worden sei:
Das Bundesgericht hat unlängst entschieden (
BGE 103 Ia 360
ff.), dass das in
Art. 86 Abs. 2 OG
umschriebene Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges auch für die Anfechtung von Erlassen gelte. Steht dem Beschwerdeführer ein kantonales Rechtsmittel zur Verfügung, das zur Aufhebung der angefochtenen Norm führen kann, so hat er dieses zu ergreifen, bevor er das Bundesgericht anruft. Staatsrechtliche Beschwerde kann erst im Anschluss an den kantonalen Normenkontrollentscheid erhoben und mit ihr nicht bloss die Aufhebung des kantonalen Urteils, sondern auch des angefochtenen Erlasses selbst verlangt werden (
BGE 101 Ia 491
E. 9,
BGE 98 Ia 405
Nr. 64). Wieweit allerdings eine kantonale Vorschrift auch dann noch unmittelbar mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann, wenn das vorgängig durchzuführende kantonale Normenkontrollverfahren nicht sofort nach Erlass der Norm, sondern - falls es an keine Frist gebunden ist - erst Monate oder Jahre später eingeleitet wird, ist bisher noch nicht entschieden worden (vgl.
BGE 103 Ia 364
E. 1a). Die Frage ist hier zu beantworten, da der Beschwerdeführer gegen den Zonenplan der Gemeinde Klosters-Serneus erst rund zwei Jahre nach dessen Genehmigung und Publikation verfassungsrechtliche Beschwerde erhob.
a) Das Bundesgericht ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die Aufhebung einer kantonalen Rechtsnorm auf staatsrechtliche Beschwerde hin nur zulässig ist, wenn die Normenkontrolle direkt anschliessend an den Erlass des Rechtssatzes erfolgt: entweder sofort nach der Veröffentlichung der Norm, wenn das kantonale Recht ein Verfahren
BGE 106 Ia 310 S. 319
zur direkten Normenüberprüfung nicht kennt, oder im Anschluss an den Entscheid des kantonalen Verfassungsrichters, falls das kantonale Normenkontrollverfahren seinerseits unmittelbar auf den Erlass des Rechtssatzes hin eingeleitet wurde. Dagegen hat sich das Bundesgericht nie als befugt erachtet, einen ihm erst später, in einem Anwendungsfall zur Überprüfung vorgelegten Rechtssatz zu kassieren; es hat sich stets darauf beschränkt, die verfassungswidrige Vorschrift als unbeachtlich zu bezeichnen, sie aber fortbestehen zu lassen und nur den direkt angefochtenen Anwendungsakt aufzuheben. Von der Aufhebung einer kantonalen Rechtsnorm wird selbst dort abgesehen, wo diese nicht bloss im konkreten Einzelfall verfassungswidrig gehandhabt worden ist, sondern sich jeder verfassungskonformer Auslegung entzieht und daher eine weitere Anwendung durch die kantonalen Instanzen praktisch ausgeschlossen ist. Es stünde zu diesem System in Widerspruch, wenn nun das Bundesgericht in den Kantonen mit unbefristeter Normenkontrolle die generell-abstrakten Vorschriften noch Jahre nach deren Erlass direkt zu überprüfen und aufzuheben hätte. Der blosse Umstand, dass einzelne Kantone das Verfahren zur Überprüfung rechtssetzender Erlasse in besonderer Weise, anders als im üblichen Anfechtungsverfahren, regeln, rechtfertigt ein Abweichen des Bundesgerichtes von der bisherigen Ordnung nicht.
b) Auch das Rechtsschutzbedürfnis des Bürgers verlangt nicht, dass die Verfassungs- oder Gesetzmässigkeit eines kantonalen Erlasses auch nach unbestimmt langer Geltungsdauer auf Antrag vom Bundesgericht noch selbständig überprüft werde. Das Institut der nicht fristgebundenen abstrakten Normenkontrolle dient weniger dem Schutze des einzelnen Rechtsunterworfenen als vielmehr dem Interesse an einer mängelfreien Rechtsordnung. Dem Rechtsschutzbedürfnis des Bürgers ist vollauf Genüge getan, wenn anschliessend an die Anwendung eines Erlasses vorfrageweise auch noch die Verfassungsmässigkeit dieser Norm überprüft werden kann.
c) Ausschlaggebend ist schliesslich, dass sich die Zulassung der staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen kantonalen Normenkontrollentscheid, der erst Monate oder Jahre nach der Publikation des angefochtenen Erlasses provoziert worden ist, nicht mit der Bestimmung von
Art. 89 OG
vereinbaren lässt, welche die Anfechtung von Erlassen nur binnen einer bestimmten
BGE 106 Ia 310 S. 320
Frist zulässt, die mit Bekanntmachung der Norm zu laufen beginnt. Zwar verlängert sich die in
Art. 89 OG
vorgesehene Anfechtungsfrist in den Fällen, in denen ein kantonales Normenkontrollverfahren zur Verfügung steht und davon nach
Art. 86 Abs. 2 OG
vor Anrufung des Bundesgerichtes Gebrauch zu machen ist, schon um die Dauer dieses kantonalen Verfahrens. Würde aber auch dann noch auf ein mit staatsrechtlicher Beschwerde gestelltes Normenkontrollbegehren eingetreten, wenn das Prüfungsverfahren im Kanton an keine Frist gebunden und erst lange nach der Publikation des angefochtenen Erlasses angehoben worden ist, bedeutete dies, dass der Beschwerdeführer nicht nur den Zeitpunkt des kantonalen Verfahrens, sondern auch den Fristenlauf zur Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde nach eigenem Gutdünken bestimmen könnte. Eine solche Lösung verstiesse gegen
Art. 89 OG
und allgemein gegen die bundesrechtlichen Verfahrensbestimmungen, gemäss denen sich Beginn und Lauf einer Frist nach Kriterien richten, die vom Willen des Beschwerdeführers unabhängig sind; sie führte zum Ergebnis, dass bundesrechtliche Normen durch kantonale Prozessvorschriften ihres Sinnes praktisch entleert würden (vgl. auch KOTTUSCH, Zum Verhältnis von Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, Diss. Zürich 1973, S. 163 f.).
Daraus ergibt sich, das anschliessend an ein kantonales Normenkontrollverfahren eine selbständige Nachprüfung der Norm durch das Bundesgericht nur noch vorgenommen werden kann, wenn das kantonale Verfahren innert der in der kantonalen Gesetzgebung vorgesehenen Frist oder, wo keine solche vorgeschrieben ist, innert der üblichen Rechtsmittelfrist angehoben worden ist.
e) Baugesetz und Zonenplan der Gemeinde Klosters-Serneus sind in der Volksabstimmung vom 29. Juli 1973 angenommen und von der Bündner Regierung am 27. Dezember 1973 genehmigt worden. Im Regierungsbeschluss wurde die Gemeinde angewiesen, Datum und wesentlichen Inhalt der Genehmigung in geeigneter Form zu publizieren. Dass diese Veröffentlichung ordnungsgemäss stattfand, ist vom Beschwerdeführer nicht bestritten worden.
Der Beschwerdeführer reichte am 18. Dezember 1975, also erst zwei Jahre nach Genehmigung des Zonenplanes verfassungsrechtliche Beschwerde ein und hat anschliessend an den
BGE 106 Ia 310 S. 321
Regierungsentscheid staatsrechtliche Beschwerde erhoben. In dieser bringt er einzig Rügen materiell-rechtlicher Art vor. Auf die Beschwerde kann daher, wie dargelegt, wegen Verspätung nicht eingetreten werden.
6.
Zonenplanänderung als Verfügung:
Angenommen, die Umzonung der Parzelle Nr. 610 sei im Anfechtungsverfahren einer Verfügung gleichzustellen, hatte die Bündner Regierung die eingereichte verfassungsrechtliche Beschwerde nur im Hinblick auf
Art. 4 lit. b VVV
zu prüfen, da die Beschwerde im Sinne von
Art. 4 lit. a VVV
einzig zur Anfechtung rechtssetzender Erlasse dient. Mit der verfassungsrechtlichen Beschwerde gemäss Art. 4 lit. b kann die Regierung dort zur Intervention veranlasst werden, wo sie schon von Amtes wegen zum Einschreiten ermächtigt ist. Die Beschwerde wird auch dann als Anzeige entgegengenommen, wenn der Beschwerdeführer kein eigenes Rechtsschutzinteresse ausweist (KISTLER, a.a.O., S. 64 f. N. 95 mit Hinweisen; HATZ, a.a.O. S. 119 ff., RASCHEIN, a.a.O., S. 143). Inwieweit die Regierung zur Behandlung einer solchen Beschwerde verpflichtet ist und der Beschwerdeführer Anspruch auf einen Entscheid hat, ist unklar. Unklar ist daher auch, ob die verfassungsrechtliche Beschwerde im Sinne von
Art. 4 lit. b VVV
ein eigentliches Rechtsmittel darstellt oder bloss die Wesenszüge einer Aufsichtsbeschwerde trägt. Wäre sie als Aufsichtsbeschwerde zu betrachten, so wäre der Entscheid der Bündner Regierung über die von Othmar Ernst eingereichte Beschwerde der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen, da der Beschluss einer Aufsichtsbehörde, auf eine Aufsichtsbeschwerde nicht einzutreten oder sie abzuweisen, nach ständiger Rechtsprechung nicht Anfechtungsobjekt einer staatsrechtlichen Beschwerde sein kann (
BGE 90 I 230
f.;
BGE 102 Ib 84
f. mit Hinweisen). Müsste der Regierungsbeschluss jedoch als Rechtsmittelentscheid gelten und auf die dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden, so wäre diese aus folgenden Gründen abzuweisen:
Die Regierung hat in ihrer Beschwerdeantwort darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer seine Interessen im Genehmigungsverfahren hätte wahrnehmen sollen und dass die nachträglich eingereichte Beschwerde, wie das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid ausgeführt habe, nicht mehr zuzulassen
BGE 106 Ia 310 S. 322
sei. Diese Begründung lässt sich, wie bereits festgestellt worden ist (E. 1a), nicht beanstanden und hätte es der Regierung erlaubt, einen Nichteintretensentscheid zu fällen. Daran ändert nichts, dass die verfassungsrechtliche Beschwerde an sich jederzeit erhoben werden kann. Die verfassungsrechtliche Beschwerde im Sinne von
Art. 4 lit. b VVV
ist nur in den Fällen gegeben, in denen die Regierung aufgrund der Verfassung oder eines Gesetzes von Amtes wegen einschreiten darf. Nun ist es jedenfalls nicht willkürlich anzunehmen, dass die Regierung - deren frühere Befugnis zur Überprüfung der kommunalen Entscheide bei Schaffung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ans Verwaltungsgericht überging (vgl.
Art. 13 lit. a VGG
; Art. 42 lit. b der Verordnung über das Verfahren in Verwaltungsstreitsachen vor dem Kleinen Rat vom 1. Dezember 1942) - nicht ermächtigt sei, eine von der Gemeinde erlassene Verfügung, die bereits in Rechtskraft erwachsen ist, von Amtes wegen aufzuheben. Es scheint im übrigen klar, dass der verfassungsrechtlichen Beschwerde im Sinne von
Art. 4 lit. b VVV
als besonderem Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelf nicht missbräuchlich die Funktion eines ordentlichen Rechtsmittels übertragen werden kann, wenn dieses nicht rechtzeitig ergriffen worden ist, so wenig wie ein Revisionsverfahren zum Vorbringen von Gründen benutzt werden kann, die bereits im ordentlichen Rekursverfahren gegen den Entscheid hätten geltend gemacht werden können (vgl.
BGE 98 Ia 573
).
Durfte die Regierung demnach mit einer haltbaren Begründung das Eintreten auf die verfassungsrechtliche Beschwerde ablehnen, so hat das Bundesgericht keinen Anlass, sich mit den Einwendungen des Beschwerdeführers zu befassen. Die staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der Bündner Regierung ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
7.
Nach dem Gesagten hat das Bundesgericht weder die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes noch die gegen den Regierungsbeschluss erhobenen Rügen materiell-rechtlicher Natur zu behandeln. Von einer Prüfung dieser Vorbringen kann umso eher abgesehen werden, als die Gemeinde Klosters-Serneus nach ihren eigenen Erklärungen den Zonenplan einer neuen umfassenden Prüfung unterziehen will und der Beschwerdeführer die gegenwärtige Einzonung seiner Parzelle bei dieser Gelegenheit erneut in Frage stellen kann. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
4b805d9d-0c06-41ba-a8f3-200e915a20e9 | Urteilskopf
123 II 268
31. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 5 juin 1997 dans la cause Office fédéral de la police contre Chambre d'accusation du canton de Genève, X. et E. SA (recours de droit administratif) | Regeste
Internationale Rechtshilfe;
Art. 74a IRSG
; Herausgabe des Erzeugnisses aus einer strafbaren Handlung.
Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid, mit dem die Prüfung eines Rechtshilfegesuches bis zum Abschluss eines innerstaatlichen Strafverfahrens provisorisch aufgeschoben wird (E. 1b).
Voraussetzungen der Herausgabe des Erzeugnisses aus einer strafbaren Handlung (E. 4a).
Die Angaben der ersuchenden Behörde erlauben im vorliegenden Fall den sicheren Nachweis der deliktischen Herkunft der beschlagnahmten Gegenstände und des rechtmässigen Eigentümers nicht; die Herausgabe kann daher nur aufgrund eines Einziehungsentscheides im ersuchenden Staat erfolgen (E. 4b/aa).
Auch die Bedürfnisse des innerstaatlichen Verfahrens stehen im vorliegenden Fall einer Herausgabe entgegen (E. 4b/bb).
Die im Rahmen des Strafverfahrens angeordnete Beschlagnahmung genügt für die Erhaltung des bestehenden Zustandes (E. 4b/dd).
Die Behörde hat dem Gebot der raschen Erledigung Rechnung zu tragen (E. 4c) und wird über ein neues Gesuch um Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände zu Beweiszwecken zu befinden haben (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 269
BGE 123 II 268 S. 269
Saisi d'une demande d'entraide judiciaire émanant du Procureur de la République près le Tribunal de première instance de Latina (Italie), le Juge d'instruction du canton de Genève a fait procéder, le 13 septembre 1995, à la perquisition de locaux loués par la société panaméenne E. SA au Port franc de Genève, et susceptibles de contenir des objets d'art anciens volés en Italie. La saisie de ces objets a été ordonnée. Des photographies de l'ensemble des oeuvres ont été remises aux enquêteurs italiens, présents à la perquisition.
Le 20 septembre 1995, une procédure pénale a été ouverte à Genève, contre inconnu, pour recel. Dans ce cadre, le juge d'instruction genevois a ordonné, le 9 octobre 1995, la saisie conservatoire de l'ensemble des objets se trouvant dans les locaux de E. SA, et en a interdit l'accès.
Le 15 novembre 1995, le Procureur de Latina a adressé au Juge d'instruction du canton de Genève une nouvelle demande d'entraide, dans le cadre d'une enquête pénale dirigée contre l'ayant droit de la société E. SA, X., marchand d'art italien soupçonné de recel.
BGE 123 II 268 S. 270
Un premier examen des photographies avait permis d'identifier trois chapiteaux appartenant à la commune de Rome; les deux premiers auraient été volés dans la zone archéologique d'Ostia Antica le 9 décembre 1983; le troisième aurait été volé le 20 juin 1984 à la Villa Celimontana (Rome). L'autorité requérante désire obtenir tous les documents saisis au Port franc; elle demande le maintien de la saisie et des scellés, jusqu'à ce que la provenance des objets ait pu être déterminée.
Le 15 mars 1996, l'autorité requérante a complété sa demande en produisant un rapport scientifique de la Surintendance de Rome pour l'Etrurie méridionale. Il en ressortirait que tous les biens saisis, d'une grande valeur archéologique, proviendraient à 90% de vols dans les zones archéologiques du Latium; il s'agirait de matériel d'une grande valeur artistique et scientifique, couvrant une vaste période. L'autorité requérante demande la remise de l'ensemble de ces pièces à la division de la Protection du patrimoine artistique de la police romaine, et leur prise en charge par une société de transports internationaux.
Par ordonnance du 4 juin 1996, le juge d'instruction est entré en matière sur la demande de remise. Il a ordonné la saisie des objets se trouvant au Port franc de Genève, et leur transfert à disposition de l'autorité judiciaire italienne. Les faits exposés dans la demande pouvaient être qualifiés de vols, voire de recels.
Par ordonnance du 22 novembre 1996, la Chambre d'accusation du canton de Genève a, sur recours de X. et de E. SA, annulé cette décision. Compte tenu des avis produits, il n'apparaissait pas hautement vraisemblable que les pièces saisies proviennent d'une infraction, le rapport produit par l'autorité requérante paraissant sujet à caution. Les conditions d'une remise au titre de produit d'une infraction n'apparaissaient en l'état pas réalisées. Il convenait d'instruire en priorité la procédure nationale afin de connaître la provenance des objets, et de déterminer, le cas échéant, si leurs acquéreurs étaient de bonne foi. Il ne pourrait être statué sur l'admissibilité et l'exécution de l'entraide judiciaire qu'à l'issue de la procédure nationale; la saisie du 4 juin 1996 devait être annulée, et le séquestre pénal rétabli.
L'Office fédéral de la police forme un recours de droit administratif contre cet arrêt. Il conclut, principalement à la remise à l'Etat requérant des trois chapiteaux et des autres objets archéologiques découverts à Genève, à condition qu'il n'y ait pas de confiscation en Suisse, subsidiairement au maintien de la saisie provisoire
BGE 123 II 268 S. 271
ordonnée le 4 juin 1996, et à la remise des objets à titre de moyens de preuve, à condition que l'Etat requérant s'engage à les restituer à l'issue de son enquête.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
a) Selon l'art. 25 al. 1 de la loi fédérale sur l'entraide internationale en matière pénale (EIMP, RS 351.1), le recours de droit administratif est, sauf disposition contraire de la loi, directement ouvert contre les décisions rendues par les autorités cantonales de dernière instance. L'OFP a qualité pour recourir en vertu de l'
art. 25 al. 3 EIMP
(cf. aussi l'
art. 80h let. a EIMP
, nouvelle teneur du 4 octobre 1996, en vigueur dès le 1er février 1997).
b) Pour les intimés, la décision attaquée serait une décision incidente, car elle ne mettrait pas un terme à la procédure d'entraide, mais ne ferait que surseoir à son exécution jusqu'à l'issue de la procédure pénale nationale. Le recours serait irrecevable, faute, d'une part, d'un préjudice irréparable (
art. 45 al. 1 PA
) et, d'autre part, d'avoir été déposé dans le délai de dix jours prescrit à l'
art. 106 al. 1 OJ
. Pour l'OFP, la décision attaquée constituerait un jugement partiel, soit une décision finale attaquable dans les trente jours dès sa notification.
aa) La décision attaquée a pour effet l'annulation de l'ordonnance d'entrée en matière et de clôture rendue par le juge d'instruction, ce dernier étant invité à statuer à nouveau à l'issue de la procédure nationale. La cour cantonale a considéré que la transmission des objets saisis à l'Etat requérant était prématurée, mais elle a réservé la possibilité d'une nouvelle décision dans ce sens; elle n'a donc pas mis un terme définitif à la procédure d'entraide. Sa décision, assimilable à une suspension de la procédure, revêt un caractère incident (
ATF 116 Ia 154
consid. 2a p. 157), et on ne saurait la qualifier de jugement partiel, puisqu'elle ne se prononce pas sur les conditions d'octroi de l'entraide judiciaire, et ne donne aucune instruction qui pourrait lier le juge d'instruction sur ce point.
bb) La jurisprudence tient toutefois pour recevables les recours dirigés contre les décisions par lesquelles l'autorité suspend une procédure, ou décide de surseoir à statuer. Dans ces cas en effet, il doit pouvoir être remédié immédiatement à un retard injustifié lorsque l'autorité suspend sans raison suffisante le traitement d'une procédure; le recours est également ouvert lorsque l'autorité décide formellement de reporter la décision, en l'espèce relative à l'octroi de
BGE 123 II 268 S. 272
l'entraide judiciaire (
ATF 120 III 143
consid. 1; SJ 1995 p. 740, concernant l'
art. 87 OJ
); tel est le sens du présent recours, l'OFP prétendant qu'il pouvait être immédiatement donné suite à la demande présentée par le Parquet de Latina. Dans ce cas, l'inaction reprochée violerait le droit fédéral, qui exige notamment un traitement rapide des demandes d'entraide judiciaire (cf. l'art. 17a [nouveau] EIMP, qui impose à l'autorité de statuer "sans délai" - al. 1 -, et permet à l'OFP de recourir contre un refus ou un retard à statuer - al. 3). En dépit du caractère incident de l'arrêt attaqué, le recours de droit administratif est par conséquent ouvert contre le refus, même provisoire, d'entrer en matière sur une demande d'entraide judiciaire.
cc) Selon l'
art. 106 al. 1 OJ
, le délai de recours est de dix jours contre les décisions incidentes. Toutefois, en matière d'entraide judiciaire, la pratique s'en tenait généralement, avant l'entrée en vigueur des nouvelles dispositions de l'EIMP, à un délai de recours de trente jours, y compris à l'égard des décisions incidentes telles, par exemple, que les décisions d'entrée en matière. Les nouvelles dispositions, applicables en principe immédiatement aux procédures pendantes au jour de leur entrée en vigueur (
art. 110a EIMP
), prévoient maintenant expressément le délai de dix jours pour les recours dirigés contre une décision incidente (
art. 80k EIMP
). Certes, l'ordonnance attaquée, rendue sous l'empire de l'ancien droit, comporte l'indication de la voie du recours de droit administratif, avec un délai de trente jours. Toutefois, même si le caractère incident de la décision attaquée était peu évident, on peut se demander si l'office recourant, spécialisé dans le domaine de l'entraide judiciaire, pouvait sans autre se fier à l'indication erronée du délai de recours. Compte tenu de l'issue de la cause sur le fond, la question peut demeurer indécise.
La décision du juge d'instruction, soumise par les intimés à la cour cantonale, concerne la remise des pièces saisies à l'Etat requérant, au titre exclusif du produit de l'infraction. L'arrêt attaqué s'en tient à cette seule question, et l'examen de la cour de céans doit également s'y limiter. Il y a lieu de rechercher si, en l'absence d'une décision de confiscation rendue dans l'Etat requérant, une remise immédiate est envisageable, sans se demander, en l'état, si une remise pourrait être envisagée à un autre titre.
3.
Pour la Chambre d'accusation, il n'est pas hautement vraisemblable que les pièces saisies soient le produit d'une infraction; les avis d'experts produits par les intimés permettraient de douter des conclusions figurant dans le rapport annexé à la demande d'entraide.
BGE 123 II 268 S. 273
Toutefois, ces objets étant susceptibles de provenir d'un recel et de faire l'objet d'une confiscation selon l'
art. 59 CP
, il faudrait donner la priorité à la procédure pénale pendante en Suisse; l'instruction permettrait de déterminer la provenance des objets, et, le cas échéant, si X. peut se prétendre acquéreur de bonne foi. Dans l'intervalle, il faudrait surseoir à l'examen de la demande d'entraide. La saisie provisoire ordonnée comme mesure d'entraide devrait céder le pas au séquestre pénal ordonné le 9 octobre 1995.
a) L'OFP relève que les trois chapiteaux saisis proviendraient effectivement de deux vols commis à des dates précises et dans des sites archéologiques déterminés. Commerçant d'objets d'art, X. ne pourrait prouver sa bonne foi. Il n'y aurait pas lieu d'exiger un jugement de confiscation dans l'Etat requérant, car la situation serait en l'espèce dénuée d'ambiguïté. Le principe de la territorialité commanderait aussi la remise des objets, vu les points de rattachement (provenance des objets, nationalité et domicile de X.) avec l'Italie. L'art. 8 de la Convention no 141 relative au blanchiment, au dépistage, à la saisie et à la confiscation des produits du crime (ci après: la Convention 141, RS 0.311.53) commanderait également une remise à l'Etat italien. L'OFP estime aussi que la levée de la saisie ne se justifiait pas, cette mesure pouvant coexister avec le séquestre pénal. L'office cite encore l'art. 10 de la Convention européenne, revisée à La Vallette le 16 janvier 1992, pour la protection du patrimoine archéologique, en vigueur pour la Suisse depuis le 28 septembre 1996 (RS 0.440.5/RO 1996, 2965). Cette disposition énonce divers engagements des parties contractantes en matière de prévention de la circulation illicite d'éléments du patrimoine archéologique. Enfin, il se justifierait, selon l'OFP, de transmettre les objets saisis au titre de moyens de preuve, afin notamment de permettre aux experts italiens de déterminer la provenance exacte de l'ensemble des pièces. L'Etat requérant pourrait s'engager à les restituer. Dans sa réplique, l'OFP indique que, par requête du 13 février 1997, l'autorité requérante a demandé une telle remise à titre de moyen de preuve, en vue du procès qui devrait s'ouvrir le 23 juin 1997 contre X. Il fait encore état d'une autre demande d'entraide tendant à obtenir des dépositions à Genève.
b) Les intimés se réfèrent aux arguments soulevés dans leur recours cantonal. Ils invoquent notamment l'
art. 5 al. 1 let. a EIMP
(les infractions n'auraient pas été commises en Italie), les
art. 28 al. 2 let. b EIMP
et 14 CEEJ (état de fait insuffisant), l'
art. 12 EIMP
(défaut d'inventaire) et l'
art. 76 let
. c EIMP (attestation de licéité);
BGE 123 II 268 S. 274
ils reprochent au juge d'instruction de ne pas leur avoir permis de participer aux actes d'exécution, d'avoir violé leurs droits de parties et d'avoir prononcé la clôture sans avoir préalablement rendu de décision d'entrée en matière. S'agissant d'oeuvres d'art acquises de manière licite, le principe de la double incrimination serait, selon eux, violé. La demande ne respecterait pas non plus le principe de la proportionnalité, car elle procéderait d'une recherche indéterminée de preuves. Les intimés s'opposent à une remise, tant au titre de produit de l'infraction, que comme moyens de preuve. X. soutient être en mesure de prouver concrètement sa bonne foi; dans leur grande majorité, les objets saisis ne proviendraient pas d'Italie.
4.
a) L'art. 74 al. 2 aEIMP prévoyait la remise à l'Etat requérant des "autres" objets et valeurs qui proviennent d'une infraction, en vue de leur restitution aux ayants droit, même en dehors de toute procédure pénale. Comme le relève la cour cantonale, cette dernière possibilité est réservée aux cas où la situation est dépourvue d'ambiguïté, par exemple lors d'un flagrant délit. Dans les cas ordinaires, dans lesquels la situation doit encore être éclaircie, la remise ne peut avoir lieu qu'en exécution d'une décision étrangère de confiscation définitive et exécutoire (
art. 94 EIMP
). La nouvelle réglementation n'apporte pas de modification essentielle sur ce point; l'art. 74a (nouveau) EIMP permet la remise de l'objet saisi à titre conservatoire par l'Etat requis, à tous les stades de la procédure étrangère, en règle générale sur décision définitive et exécutoire de l'Etat requérant. L'expression "en règle générale" a été employée par le législateur afin de permettre une procédure rapide et peu formaliste dans les cas où une restitution s'impose à l'évidence, par exemple lorsqu'il n'existe aucun doute sur la provenance illicite des valeurs saisies, et sur le bien-fondé d'une remise à l'ayant-droit (
ATF 123 II 134
, consid. 5c). Sans être tenue à restitution (l'art. 74a [nouveau] EIMP est, à l'instar de l'art. 74 aEIMP, une "Kann-Vorschrift"), l'autorité requise dispose d'un large pouvoir d'appréciation afin de décider, sur la base d'une appréciation consciencieuse de l'ensemble des circonstances, si et à quelles conditions la remise peut avoir lieu (
ATF 115 Ib 517
consid. 7h p. 540). Elle peut exiger de l'autorité requérante des renseignements complémentaires, ou lui fixer un délai pour l'ouverture d'une procédure formelle de confiscation (
ATF 115 Ib 517
consid. 8c p. 546).
b) Comme l'a relevé la cour cantonale, on ne se trouve manifestement pas dans une situation qui justifierait la remise immédiate des pièces saisies à l'Etat requérant, à titre de produit de l'infraction.
BGE 123 II 268 S. 275
Selon la demande initiale du 15 novembre 1995, seuls trois chapiteaux auraient été reconnus comme provenant de vols commis dans la région de Rome. Dans sa requête complémentaire du 15 mars 1996, l'autorité requérante produit un rapport selon lequel l'ensemble des objets saisis proviendrait de vols commis dans le Latium au préjudice de l'Etat italien. Emanant de la surintendance pour l'Etrurie méridionale, ce rapport expose que 90% des objets proviendraient de zones archéologiques italiennes. Le solde serait d'origine grecque. Le rapport conclut qu'il s'agirait de matériel d'une grande valeur artistique et scientifique, couvrant une vaste période. La provenance illicite de ces objets serait confirmée par l'étude des photographies: de nombreux objets porteraient des traces de terre attestant un enlèvement récent; ces traces, et l'endommagement de certains objets, seraient dus à des fouilles illicites.
aa) Ce rapport ne permet pas d'établir avec certitude la provenance exacte de chacun des objets saisis, leur éventuelle origine délictueuse, et leur légitime propriétaire. Certaines pièces proviendraient de fouilles illicites, alors que d'autres auraient été volées, déjà excavées. Pour une part ("environ" 10% selon le rapport), ces objets seraient d'origine grecque. Le rapport précité relève que l'observation des photographies ne saurait remplacer un examen direct des objets, et leurs auteurs se tiennent prêts à se rendre sur place dans ce but. Comme le relève l'OFP, la situation paraît certes plus claire en ce qui concerne les trois chapiteaux qui auraient été volés à des dates déterminées dans des zones archéologiques précises. Toutefois, à l'égard de ces pièces comme du reste du matériel saisi, on ignore tout de l'identité des auteurs de ces vols, et il n'est pas allégué que X. y aurait participé directement, seule l'infraction de recel lui étant reprochée; on ne sait pas non plus dans quelles circonstances ce dernier, ou sa société, auraient acquis l'ensemble des pièces saisies. On ne se trouve dès lors manifestement pas dans le cas où il s'agit simplement de restaurer une situation initiale dépourvue d'ambiguïté, de sorte qu'il n'est pas possible d'envisager sans autre la remise à l'Etat requérant de l'ensemble des objets saisis. Une telle remise ne pourrait intervenir que sur la base d'un jugement de confiscation définitif et exécutoire rendu en Italie (art. 74a al. 3 [nouveau] EIMP), au terme d'une procédure permettant, le cas échéant, à X. de faire valoir la bonne foi qu'il allègue.
bb) La Chambre d'accusation a, par ailleurs, relevé avec raison que l'existence de la procédure pénale ouverte à Genève faisait, elle aussi, échec à une remise immédiate. En effet, selon l'
art. 74a al. 4
BGE 123 II 268 S. 276
let
. d (nouveau) EIMP, les objets ou valeurs peuvent être retenus en Suisse s'ils y sont nécessaires à une procédure pénale, ou sont susceptibles d'y être confisqués. Tel est le cas en l'espèce: point n'est besoin d'examiner si les pièces saisies pourront être confisquées, en vertu de l'
art. 59 CP
, à l'issue de la procédure pénale genevoise; en effet, ces pièces sont en tout cas utiles comme moyens de preuve dans le cadre de cette procédure. L'argument de l'OFP, selon lequel les faits décrits dans la demande présenteraient un rattachement plus étroit avec l'Etat requérant - en raison de la nationalité de X. et de la provenance des objets saisis -, ne suffit pas en l'espèce, à lui seul, à imposer une remise immédiate à l'Italie à ce stade de la procédure. L'
art. 20 EIMP
permet, sur proposition de l'OFP, de suspendre l'action pénale à l'égard de la personne poursuivie à l'étranger lorsque l'exécution en Suisse ne paraît pas opportune, mais la décision en revient à l'autorité compétente, en l'espèce aux autorités de poursuite genevoises. Il n'appartient pas à l'autorité d'entraide, investie d'un seul droit de proposition (art. 20 al. 1 in initio EIMP), de juger de l'opportunité et du sort possible de la procédure pénale ouverte dans ce canton.
cc) L'OFP invoque en vain les dispositions de la Convention 141. En effet, cette dernière n'empêche pas la Suisse, Etat requis, d'ajourner l'exécution des mesures sollicitées lorsque celles-ci risquent de porter préjudice à des investigations menées par ses propres autorités (art. 19). La Convention n'oblige par ailleurs nullement la Suisse à transmettre des biens ou valeurs en l'absence d'une décision judiciaire de confiscation rendue dans l'Etat requérant. Elle permet au contraire à l'Etat requis, s'il n'exécute pas lui-même une décision de confiscation prononcée par ses propres autorités (art. 13 al. 1 let. b), d'exiger de l'Etat requérant une telle décision judiciaire (art. 13. par. 1 let. a), laquelle doit être jointe à la demande de transmission (art. 27 par. 3).
En annulant la décision d'entrée en matière et de transmission, la Chambre d'accusation n'a par conséquent violé ni le droit fédéral, ni le droit international pertinent.
dd) Pour l'OFP, la Chambre d'accusation aurait dû, à tout le moins, maintenir le séquestre ordonné le 13 septembre 1995 dans le cadre de la procédure d'entraide.
La remise d'objets au terme de la procédure d'entraide est en général précédée de leur saisie conservatoire (cf. le libellé de l'art. 74a al. 1 [nouveau] EIMP). Cette mesure provisoire a en effet pour but de maintenir une situation existante, de protéger des
BGE 123 II 268 S. 277
intérêts juridiques menacés ou de préserver des moyens de preuve, soit, de manière générale, d'assurer l'exécution des actes d'entraide requis (
art. 18 EIMP
). Dans le même sens, l'art. 33a (nouveau) OEIMP précise que les objets et valeurs, dont la remise est subordonnée à une décision définitive et exécutoire de l'Etat requérant, demeurent saisis jusqu'à réception de ladite décision ou jusqu'à ce que l'Etat requérant ait fait savoir qu'une telle décision n'est plus possible. En l'espèce, les pièces litigieuses font l'objet d'un séquestre pénal, et le maintien de la situation existante paraît ainsi assuré; cela n'exclut certes pas le prononcé d'une mesure provi-soire selon l'EIMP, ce qui permettrait la conservation des pièces quelle que soit l'issue de la procédure pénale nationale. Il appartiendra toutefois au juge d'instruction de prendre à temps les mesures conservatoires appropriées en cas de suppression du séquestre pénal, en réactivant, le cas échéant, le séquestre en vue de la procédure d'entraide. Sous cet angle également, la décision attaquée ne viole pas le droit fédéral. Elle ne viole pas non plus le droit conventionnel, car si la Convention 141 pose, en son art. 11, l'obligation d'ordonner des mesures provisoires afin de prévenir toute opération, transfert ou aliénation relative à des biens susceptibles d'être confisqués, cette mesure doit être exécutée conformément au droit interne de la Partie requise (art. 12 al. 1); elle peut donc revêtir la forme d'un séquestre pénal.
c) Contrairement à ce que donne à penser la décision attaquée, la procédure d'entraide judiciaire ne doit toutefois pas être purement et simplement abandonnée jusqu'à l'issue de la procédure pénale en Suisse. En vertu de l'obligation de célérité (art. 17a [nouveau] EIMP), il convient en effet que le juge d'instruction prenne, parallèlement à l'instruction qu'il poursuit, toutes les mesures compatibles avec cette dernière qui sont susceptibles de faire progresser la procédure d'entraide. L'autorité requérante peut ainsi d'ores et déjà être informée que, sous réserve de l'issue de la procédure pénale pendante en Suisse et des autres conditions posées par l'EIMP, une remise à l'Italie des objets saisis en Suisse serait en tout cas subordonnée au prononcé d'un jugement italien de confiscation rendu à l'issue d'une procédure offrant aux intéressés des garanties de procédure suffisantes (art. 27 al. 3 let. a, i de la Convention 141). L'
art. 80o EIMP
permet en effet d'interpeller l'Etat requérant afin de lui permettre de parfaire sa démarche, en fixant, notamment, un délai afin d'ouvrir la procédure de confiscation. En outre, l'existence d'une procédure pénale nationale n'empêche pas non plus le juge
BGE 123 II 268 S. 278
d'instruction de statuer sur la demande de remise à titre de moyen de preuve qu'a présentée ultérieurement l'autorité requérante.
5.
Le 13 février 1997, le Procureur de Latina a adressé au juge d'instruction genevois une nouvelle demande d'entraide; il indique que X. a été renvoyé en jugement pour recel, l'audience ayant été fixée au 23 juin 1997. La remise des objets saisis serait indispensable afin de prouver leur provenance et leur authenticité.
Cette requête a un objet différent des demandes d'entraide soumises au présent examen: elle ne tend pas, comme ces dernières, à la restitution du produit de l'infraction, mais à la remise des objets litigieux comme moyens de preuve dans le procès pénal italien, au sens de l'
art. 74 al. 1 EIMP
. Il appartiendra en premier lieu au juge d'instruction de statuer sur cette nouvelle requête, en recherchant notamment si une telle remise est envisageable, ou s'il est préférable de la reporter, compte tenu de l'avancement de la procédure pénale pendante en Suisse (
art. 74 al. 3 EIMP
). En présence d'objets archéologiques d'une telle importance, tant sur le plan quantitatif que culturel, le juge d'instruction devra procéder à une pesée soigneuse des éléments en présence. Dans le respect de l'obligation générale de célérité (art. 17a [nouveau] EIMP), il devra tenir compte des nécessités respectives de son enquête (
art. 74 al. 3 EIMP
et 6 par. 1 in fine CEEJ) et de celle menée en Italie, en considérant notamment - sur le vu des risques liés au transport des pièces - la possibilité d'autoriser les enquêteurs étrangers à se rendre à Genève pour y procéder à leur examen.
En tout état, la restitution - totale ou partielle - des objets aux ayants droit, ne pourra avoir lieu qu'une fois intervenue une décision définitive et exécutoire des tribunaux italiens, portant sur des objets déterminés et identifiés (art. 74a al. 1 et 3 [nouveau] EIMP, art. 27 al. 3 let. a, i de la Convention 141). La sauvegarde des intérêts contradictoires en présence requiert donc en l'espèce une collaboration particulièrement étroite des autorités d'entraide, dans le triple but de faciliter le déroulement des procédures pénales en cours, de permettre le moment venu la restitution des objets archéologiques à leurs ayants droit, et de contribuer ainsi à la réalisation du but de la Convention européenne de 1992 pour la protection du patrimoine archéologique, précitée (art. 1er al. 1; art. 2 let. iii; art. 10 let. i, ii, et v). | public_law | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4b83a2ef-c578-43b2-b65c-203844f4f416 | Urteilskopf
113 Ib 225
38. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8. Juli 1987 i.S. Peter und Willy Hostettler gegen A. Hug AG und Zetter AG, Gemeinde Lommiswil und Regierungsrat des Kantons Solothurn (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 103 lit. a OG
; Legitimation Dritter.
Personen, welche ungefähr einen Kilometer vor der Einfahrt in ein Kiesgrubengelände wohnen, werden vom Grubenverkehr stärker betroffen als jedermann, wenn während 40 bis 50 Jahren durchschnittlich mit 120 Hin- und Rückfahrten pro Tag zu rechnen ist (E. 1c).
Art. 14 ff. und
Art. 24 Abs. 1 RPG
.
Art. 24 Abs. 1 RPG
findet keine Anwendung, wenn ein Gestaltungsplan gemäss Art. 44 ff. des Baugesetzes des Kantons Solothurn vom 3. Dezember 1978 aufgestellt wird. Ein solcher Plan stellt einen Nutzungsplan gemäss
Art. 14 ff. RPG
dar (E. 2b). Auch im Rahmen dieses Verfahrens ist eine umfassende Beurteilung und Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen geboten (E. 2c).
Art. 9 Abs. 1 USG
; Umweltverträglichkeitsprüfung; Planung und Errichtung einer Kiesgrube.
Eine Kiesgrube mit einem Abbauvolumen von zwei Millionen Kubikmetern Kies ist eine Anlage im Sinne von
Art. 9 USG
, welche die Umwelt erheblich belasten kann (E. 3b). Kriterium zur Bestimmung desjenigen bestehenden Entscheidverfahrens, in welches die Prüfung der Umweltverträglichkeit zu integrieren ist (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 226
BGE 113 Ib 225 S. 226
Die Firmen Hug und Zetter AG beabsichtigen, die Kiesausbeutung im Bereich der bestehenden Grube in der Gemeinde Lommiswil wesentlich auszudehnen. Geplant ist ein etappenweiser Abbau von etwa 2 Millionen m Kies über die nächsten 40 bis 50 Jahre; für die Rekultivierung wird mit etwa 20 Jahren über die Beendigung des Abbaus hinaus gerechnet. Die Zu- und Wegfahrten zur Grube sollen über eine bestehende Kiestransportstrasse nach Norden und Osten, durch einen Teil der Wohngebiete der Gemeinden Lommiswil, Bellach und Selzach erfolgen.
Die Firmen Hug und Zetter AG reichten mit Datum vom 12. September 1984 einen "Gestaltungsplan Kiesgrube Lommiswil auf GB Lommiswil Nrn. 261-267 und 293-294" ein. Der Gemeinderat Lommiswil legte diesen zusammen mit den Sonderbauvorschriften vom 15. Oktober bis zum 15. November 1984 öffentlich auf und wies die nicht erledigten Einsprachen am 9. April 1985 und am 3. Februar 1986 ab.
Am 1. Juli 1986 wies der Regierungsrat des Kantons Solothurn die noch hängigen Beschwerden ebenfalls ab, soweit er darauf
BGE 113 Ib 225 S. 227
eintrat. Teilweise hiess er die Beschwerden gut. Gleichzeitig genehmigte er den Gestaltungsplan, bestehend aus einem Abbauplan, einem Endgestaltungsplan und drei Phasenplänen. Die Sonderbauvorschriften ergänzte er mit folgender Bestimmung:
"Der Verkehr von und zum Grubenareal darf sowohl auf der Strasse in Richtung Bellach als auch auf der Strasse in Richtung Selzach 60 Fahrzeuge pro Tag im Wochenmittel nicht übersteigen. Ferner sind die Tagesspitzen auf den genannten Strassen auf 90 Fahrzeuge pro Tag limitiert."
Der Regierungsrat beruft sich auf § 18 des Baugesetzes vom 3. Dezember 1978 (BauG), wonach er die Nutzungspläne auf ihre Recht- und Zweckmässigkeit und auf die Übereinstimmung mit den kantonalen und regionalen Plänen zu überprüfen hat. Gestützt auf diese Bestimmung stellte er fest, eine Rechtswidrigkeit oder Verletzung übergeordneter Planungen liege nicht vor. Auch bezüglich des Gewässerschutzes bestünden keine Bedenken. Betreffend der von den Beschwerdeführern vorgeschlagenen Erschliessung der Grube direkt nach Süden über eine noch zu erstellende Strasse bis zur Einmündung in die Jurasüdfussverbindung T 5 kam er zum Schluss, dass damit zwar die Immissionen des Lastwagenverkehrs zugunsten der Beschwerdeführer und auch der übrigen betroffenen Anwohner eliminiert werden könnten, dass aber gewichtige öffentliche Interessen, insbesondere dasjenige an der Erhaltung der südlich der Grube liegenden unberührten Landschaft, gegen diese Lösung sprächen. Zudem sei eine solche Erschliessung völlig unverhältnismässig. Auch der Transport mit der Bahn sei untauglich. Hingegen erschien es dem Regierungsrat angezeigt, die maximal zulässigen Fahrten weiter zu beschränken, so dass während der Arbeitszeit durchschnittlich alle 4,5 Minuten mit einem Fahrzeug zu rechnen sei.
Peter und Willy Hostettler reichten gegen diesen Regierungsratsentscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Sie verlangen darin, der Entscheid sei aufzuheben und das Verfahren sei an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie machen eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 lit. b und Art. 24 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) sowie von Art. 11 f. und Art. 13 ff. des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG) geltend.
Die Firmen Hug und Zetter legten ein von ihnen in Auftrag gegebenes Privatgutachten über die Lärmimmissionen aus dem Betrieb der Grube an der Liegenschaft von Peter und Willy Hostettler ins Recht.
BGE 113 Ib 225 S. 228
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
...
c) Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (
Art. 103 lit. a OG
). Dieses Interesse kann rechtlicher oder auch bloss tatsächlicher Natur sein und braucht mit dem Interesse, das durch die vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichneten Normen geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid stärker als jedermann betroffen sei und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht. Diese Anforderungen sollen die Popularbeschwerde ausschliessen. Ihnen kommt deshalb dann eine ganz besondere Bedeutung zu, wenn wie hier nicht der Verfügungsadressat im materiellen Sinn, sondern ein Dritter den Entscheid anficht. Ist auch in einem solchen Fall ein unmittelbares Berührtsein, eine spezifische Beziehungsnähe gegeben, so hat der Beschwerdeführer ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse daran, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben oder geändert wird. Dieses Interesse besteht im praktischen Nutzen, den die erfolgreiche Beschwerde dem Beschwerdeführer eintragen würde, d.h. in der Abwendung eines materiellen oder ideellen Nachteils, den der angefochtene Entscheid für ihn zur Folge hätte (
BGE 112 Ib 158
E. 3 mit Hinweisen).
Es ist somit ausgehend von dieser Praxis und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, ob die Legitimation der Beschwerdeführer nach
Art. 103 lit. a OG
zu bejahen ist oder nicht. Dabei ist insbesondere auf die Art und Intensität der Immissionen abzustellen. Die Beschwerdebefugnis ist dann weit zu ziehen, wenn die Auswirkungen eines Werkes deutlich als solche wahrnehmbar und ohne technisch aufwendige und kostspielige Abklärungen festgestellt und von den allgemeinen Immissionen, wie sie z.B. der Strassenverkehr mit sich bringt, geschieden werden können.
Die Beschwerdeführer machen zur Begründung ihrer Legitimation geltend, sie wohnten an einer kritischen Stelle der als Zu- und Wegfahrt zur Kiesgrube dienenden Kantonsstrasse Lommiswil - Bellach - Solothurn, nämlich dort, wo diese in einer engen Doppelkurve die Bahnlinie der Solothurn - Münster-Bahn überquere. Die beiden Unternehmen entgegnen, im Verhältnis zu 1985 sei zwar
BGE 113 Ib 225 S. 229
mit Mehrverkehr zu rechnen, dieser lasse sich jedoch nicht zuverlässig vom übrigen Verkehr unterscheiden. Die Legitimation sei fraglich. Der Regierungsrat macht zudem darauf aufmerksam, die Distanz zur Einfahrt in das Grubengelände betrage über einen Kilometer. In seinem Entscheid hatte er aber die Legitimation der Beschwerdeführer anerkannt.
Die Beschwerdeführer werden ohne Zweifel durch die Lage ihrer Liegenschaft an einer der beiden Zufahrtsstrassen durch den Grubenverkehr beeinträchtigt. Nach Distanz und Art des Lärms entspricht der vorliegende Fall zwar demjenigen der Multikomponentendeponie in der Gemeinde Obfelden, wo das Bundesgericht die Legitimation verneint hat (
BGE 112 Ib 154
ff.). Er unterscheidet sich aber hinsichtlich der Intensität der Belastung wesentlich: Der Regierungsrat bewilligte mit seinem Genehmigungsentscheid 120 Hin- und Rückfahrten pro Tag im Wochenmittel sowie Tagesspitzen von 180 Fahrbewegungen. Das ergibt bei einer Arbeitszeit von 9 Stunden alle 4,5 Minuten ein Fahrzeug, und dies auf 40 bis 50 Jahre hinaus. Die damit verbundenen Immissionen dürften um einiges grösser sein, als diejenigen einer Multikomponentendeponie. Anders als im Fall Obfelden handelt es sich bei der Verbindung Lommiswil - Bellach nicht um eine bereits heute stark befahrene Durchgangsstrasse. Auf jeden Fall ist nicht dargetan, dass auf dieser Zufahrtsstrasse auch ohne die durch den Grubenbetrieb verursachten Transporte besonders starker Lastwagenverkehr herrscht. Die Legitimation der Beschwerdeführer ist deshalb zu bejahen.
2.
Die Beschwerdeführer machen vorerst geltend,
Art. 24 RPG
hätte angewendet werden müssen, denn die fragliche Kiesgrube befinde sich nicht in einer speziell für diesen Nutzungszweck ausgeschiedenen Zone, sei demzufolge nicht zonenkonform.
a) ...
b) Nach solothurnischem Recht ist ein Gestaltungsplan notwendig für Bauten und Anlagen mit schädlichen und stark störenden Auswirkungen (Lärm, Rauch, Gestank usw.) oder mit grossem Verkehrsaufkommen, namentlich für Ausbeutungen und Deponien (§ 46 Abs. 1 lit. a BauG). Er regelt als Sondernutzungsplan die für jedermann verbindlichen Anordnungen über die zulässige Nutzung des Bodens (§ 22 BauG). In diesem Sinne stellt er einen Nutzungsplan gemäss
Art. 14 ff. RPG
dar (vgl.
BGE 111 Ib 14
E. 3b mit Hinweisen). Ist er einmal rechtskräftig erlassen, so bedarf es zur Ausübung der ihm entsprechenden Rechte bloss einer
BGE 113 Ib 225 S. 230
Baubewilligung gemäss
Art. 22 RPG
, denn die dazu notwendigen Bauten und Anlagen sind zonenkonform im Sinne dieser Bestimmung. Für die Anwendung von
Art. 24 RPG
bleibt kein Raum (vgl.
BGE 111 Ib 86
E. 2).
c) Die Beschwerdeführer wenden indessen ein, eine umfassende Interessenabwägung, wie sie die Anwendung von
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
mit sich bringen würde, sei damit ausgeschlossen. Diese Bedenken sind unbegründet, denn eine solche umfassende Beurteilung ist auch im Rahmen der Nutzungsplanung und insbesondere anlässlich einer Sondernutzungsplanung wie im vorliegenden Fall durchzuführen: Inhaltliches Merkmal der Raumplanung ist die auf die erwünschte Entwicklung ausgerichtete Abstimmung (
Art. 1 Abs. 1 Satz 2 RPG
). Dies zu erreichen ist die spezifische Aufgabe der Planung (
Art. 2 Abs. 1 RPG
). Der Raumplan erfasst und stabilisiert so die im Raum nach Lage, Quantität, Entwicklungsrichtung, Zeitverhältnissen usw. konkret angelegten Zustände und Abläufe und bildet gleichzeitig die Grundlage für ihre Weiterentwicklung (vgl. dazu Art. 1 der Verordnung über die Raumplanung vom 26. März 1986, RPV). Die Behörden setzen ihre raumwirksamen Tätigkeiten sowohl als Einzelbeiträge wie auch in den Wechselbeziehungen mit allen anderen räumlichen Elementen als Mittel zur Zielerreichung ein (vgl.
Art. 2 RPV
). In der relativen Stabilisierung dieser zielgerichteten Mittelkombination liegt die dem Raumplan zugeordnete typische Funktion (vgl. MAX IMBODEN, Der Plan als verwaltungsrechtliches Institut, in: Staat und Recht, Basel/Stuttgart 1971, S. 396 f.; WERNER ERNST/WERNER HOPPE, Das öffentliche Bau- und Bodenrecht, Raumplanungsrecht, 2. Auflage, München 1981, S. 153 ff.; LEO SCHÜRMANN, Bau- und Planungsrecht, 2. Auflage, Bern 1984, S. 116 ff.).
Bei der Erfüllung dieses Raumplanungsauftrages haben die Planungsbehörden die im positiven Recht normierten Ziele und Grundsätze optimal zu berücksichtigen. Solche ergeben sich nicht nur aus dem Bundesrecht (insbesondere aus
Art. 1 und
Art. 3 RPG
), sondern auch aus dem kantonalen Recht (vgl. §§ 1, 9 Abs. 4, 24 ff., 36 ff. und 58 ff. BauG). Auch die Zwecksetzung des Gestaltungsplanes nach §§ 44 ff. BauG lässt sich in diese Ordnung einfügen. Er soll eine architektonisch und hygienisch gute, der baulichen und landschaftlichen Umgebung angepasste Überbauung, Gestaltung und Erschliessung zusammenhängender Flächen ermöglichen und insbesondere vor schädlichen Einwirkungen schützen. Das Verfahren zum Erlass eines solchen Sondernutzungsplanes
BGE 113 Ib 225 S. 231
ist durchaus geeignet, eine umfassende Berücksichtigung und Abwägung der verschiedenen Interessen vorzunehmen. Insbesondere wird auch der Gestaltungsplan öffentlich aufgelegt; jedermann, der durch den Plan berührt ist und an dessen Inhalt ein schutzwürdiges Interesse hat, kann beim Gemeinderat Einsprache erheben und dessen Entscheid mit Beschwerde an den Regierungsrat weiterziehen; diesem kommt volle Überprüfungsbefugnis zu (vgl. §§ 14 Abs. 2 sowie 15 ff. BauG).
Die raumplanerische Interessenabwägung beschränkt sich nicht auf die im Raumplanungsgesetz erwähnten Interessen. Wie bereits die
Art. 1 Abs. 2 und
Art. 3 RPG
zeigen, sind bei der Durchführung einer konkreten Planung alle Interessen, seien es öffentliche oder private, zu beachten, welche aufgrund der konkreten Umstände und des geltenden Rechts als massgebend erscheinen. Es ist deshalb zu prüfen, ob auf den vorliegenden Fall auch das am 1. Januar 1985 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG) hätte angewendet werden müssen.
3.
Das Eidgenössische Departement des Innern vertritt die Auffassung, im Zusammenhang mit der Gestaltungsplanung hätte eine zumindest beschränkte Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen müssen. Die abbauwilligen Firmen bestreiten dies.
a) Das Planverfahren nach Baugesetz wurde auf der Ebene der Gemeinde noch vor dem Inkrafttreten des Umweltschutzgesetzes eingeleitet. Die Beschlussfassung des Gemeinderates über den Plan und sein Entscheid über die Einsprachen (§ 16 Abs. 2 BauG) erfolgte aber nach dem 1. Januar 1985, nämlich am 9. April 1985 und am 3. Februar 1986. Auch der regierungsrätliche Genehmigungsentscheid (§ 18 BauG), der Gültigkeitserfordernis ist (
Art. 26 Abs. 3 RPG
), erging erst, nachdem das Umweltschutzgesetz in Kraft gesetzt worden war. Dieser Erlass des Bundes war und ist deshalb auf den vorliegenden Fall anwendbar. Hieran ändert der Umstand nichts, dass verschiedene Verordnungen dazu in diesem Zeitpunkt noch nicht erlassen worden waren. Das Gesetz ist grundsätzlich für sich allein anwendbar (
BGE 112 Ib 43
E. 1c).
b) Bevor eine Behörde über die Planung, Errichtung oder Änderung von Anlagen, welche die Umwelt erheblich belasten können, entscheidet, prüft sie die Umweltverträglichkeit; der Bundesrat bezeichnet diese Anlagen (
Art. 9 Abs. 1 USG
).
aa) Das Bundesgericht hat bereits verschiedentlich festgestellt, dass diese Vorschrift über die Umweltverträglichkeitsprüfung auf
BGE 113 Ib 225 S. 232
Einzelfälle unmittelbar anwendbar ist, obwohl der Bundesrat die Liste der unter
Art. 9 USG
fallenden Anlagen noch nicht erlassen hat (
BGE 112 Ib 48
E. 4f, 123 E. 4b und 441 E. 7e). Die gesetzlichen Begriffe sind hinreichend bestimmt (
BGE 113 Ib 63
E. 3b). Zudem ergeben sich wesentliche Hinweise aus den Materialien, wurden dort doch Beispiele angeführt. Es waren dies National- und Hochleistungsstrassen, Rangier- und Postbahnhöfe, neue Bahnlinien, Flugplätze, grosse Feuerungsanlagen, Lager für radioaktive Abfälle, Waffen-, Schiess- und Übungsplätze, zivile Schiessanlagen, Altautoverwertungsanlagen, Stahlbauwerke und andere besonders umweltbelastende Industrieanlagen, Gesamtmeliorationen, Terrainveränderungen, Wasserkraftwerke, Seeuferaufschüttungen, Seilbahnen, Grossausstellungen mit bleibenden Anlagen, Anlagen für Autorennen und Motocrossanlagen. Beigefügt wurde, über einige Anlagen wie z.B. Kiesgruben, Schlittel- und Bobbahnen habe sich der Bundesrat noch nicht definitiv entschieden (BBl 1979 III 749 ff., 786; Amtliches Bulletin, NR 1982, S. 370, und SR 1983, S. 262). Das Eidgenössische Departement des Innern ergänzte in seiner Vernehmlassung, für Kiesgruben sei diese Zurückhaltung notwendig gewesen, weil zusätzliche Kriterien nötig seien, um Bagatellfälle von den wirklich UVP-würdigen Anlagen zu trennen. Der Bundesrat sei vor dem Erlass des Gesetzes noch nicht in der Lage gewesen, sämtliche Schwellenwerte zu formulieren, da die Verwaltung zuerst entsprechende Abklärungen habe vornehmen müssen.
Kiesgruben sind Terrainveränderungen und damit "Anlagen" im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 USG
(vgl.
Art. 7 Abs. 7 USG
). Ihrem Zweck entsprechend können sie die Umwelt belasten. Ihr Betrieb verursacht möglicherweise direkte und indirekte Einwirkungen auf Menschen, Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgrundlagen und Lebensräume: zudem bringen sie zumindest temporär eine Verminderung der Fruchtbarkeit des Bodens mit sich (
Art. 1 USG
). Zu diesen Immissionen gehören auch diejenigen von Lärm und Staub, die wegen der Transporte von Kies und Auffüllmaterial zu erwarten sind (vgl.
BGE 112 Ib 37
E. 5d, 122 E. 4b). Ob diese Belastungen auch wirklich auftreten, ist für die Beurteilung der Prüfungspflicht belanglos.
Der Einwand der abbauwilligen Firmen, die Probleme stammten nicht vom Betrieb des Kieswerks, sondern vom Verkehr, schlägt daher nicht durch. Ebensowenig zu überzeugen vermag ihr Argument, der Grubenbetrieb bringe eine Minderbelastung, denn
BGE 113 Ib 225 S. 233
die Fahrten würden gegenüber der heutigen Situation eingeschränkt. Dieser Vergleich ist unzulässig. In Lommiswil soll eine neue Kiesgrube eröffnet werden. Ein solcher Entscheid fällt klarerweise unter den Geltungsbereich von
Art. 9 USG
.
bb) Prüfungspflichtig sind nur Anlagen, welche die Umwelt "erheblich" belasten können. Das Bundesgericht hat diese Voraussetzung bisher bei grossen Infrastrukturanlagen bejaht, nämlich bei einem Autobahnzubringer (
BGE 112 Ib 551
E. 2), einem Wasserkraftwerk (
BGE 112 Ib 441
E. 7e), einem Waffenplatz (
BGE 112 Ib 306
E. 12e) und einem kommunalen Schiessstand mit sechs Scheiben auf 300 Meter und vier Scheiben auf 50 Meter (
BGE 112 Ib 48
E. 4f). Das waren alles Anlagen, die entsprechend ihrer Funktion stets oder doch im allgemeinen "erheblich" wirken. Wie schon die erwähnten Materialien zeigen, liegen die Verhältnisse bei Kiesgruben anders. Es gibt Kiesgruben, welche die Umwelt erheblich belasten, und solche, welche diese Schwelle nicht überschreiten. Wo diese Grenze liegt, braucht hier nicht allgemein bestimmt zu werden. Die vorgesehene Abbaustelle für 2 Millionen m3 Kies auf 40 bis 50 Jahre und zusätzlich 20 Jahre Rekultivierungsdauer ist jedenfalls im Verhältnis zu ihrer Umwelt von grösserem Gewicht als der kommunale Schiessstand, bei dem das Bundesgericht die Prüfungspflicht bejaht hat (
BGE 112 Ib 48
E. 4f). Angefügt sei, dass der Entwurf zur Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung die Grenze schon bei 3000 000 m3 Abbauvolumen ziehen will (Entwurf des Eidgenössischen Departements des Innern vom Mai 1986, S. 27, Bericht dazu S. 33 f.).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass im Gestaltungsplanverfahren grundsätzlich eine Umweltverträglichkeitsprüfung hätte stattfinden müssen.
cc) Trotz dieses Ergebnisses ist zu fragen, ob im vorliegenden Fall das Gebot der Verhältnismässigkeit bzw. das Prinzip von Treu und Glauben (
Art. 4 BV
) nicht doch gebietet, auf die Umweltverträglichkeitsprüfung zu verzichten. Dies ist indessen zu verneinen. Wie das Bundesgericht bereits in seinem ersten Entscheid zur intertemporalen Anwendung des Umweltschutzgesetzes festgehalten hat, überwiegt das Interesse am Schutz und an der Schonung der gefährdeten Lebensgrundlagen das Interesse des Einzelnen, in seinem Vertrauen auf eine Behandlung nach früherem Recht geschützt zu werden (
BGE 112 Ib 44
E. 1c). Auch die Tatsache, dass die Planungsarbeiten auf der Ebene der Gemeinde am 1. Januar 1985 weitgehend abgeschlossen waren, rechtfertigt es
BGE 113 Ib 225 S. 234
nicht, das Umweltschutzgesetz und insbesondere dessen Art. 9 und Art. 11 ff. auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden.
c) aa) Das Umweltschutzgesetz führt kein zusätzliches Bewilligungsverfahren ein. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist deshalb in der Regel in die bestehenden Entscheidverfahren zu integrieren (
BGE 112 Ib 441
E. 7e). Da es wenig zweckmässig wäre, die notwendigen Prüfungsarbeiten auf mehrere parallel ablaufende Verfahren zu verteilen, muss eine Konzentration auf dasjenige Plangenehmigungs-, Konzessions- oder Bewilligungsverfahren erfolgen, welches für den betreffenden Anlagetyp als besonders geeignet erscheint. Dabei ist stets jenes zu wählen, welches einerseits in einer möglichst frühen Phase der Projektierung stattfindet und andererseits doch bereits eine umfassende Beurteilung aller Umweltauswirkungen des Vorhabens erlaubt (BBl 1979 III 786). Im vorliegenden Fall kann die Umweltverträglichkeitsprüfung sinnvoll nur im Gestaltungsplanverfahren stattfinden. Hier wird das Projekt zum ersten Mal im Rahmen einer einheitlichen Konzeption bearbeitet. Seine raum-zeitlichen Auswirkungen sind aufgrund einer Gesamtbeurteilung erfassbar; die Verträglichkeit gegenüber der Umwelt bzw. mit den normierten Grenzwerten kann überprüft und mögliche Alternativen können erarbeitet und dem ursprünglichen Projekt gegenübergestellt werden. Der einmal rechtsgültig erlassene Gestaltungsplan wird das eigentliche Baubewilligungsverfahren derart weit vorbestimmen, dass dannzumal eine umfassende Beurteilung kaum mehr möglich sein wird. Dementsprechend ist die Prüfung so früh als möglich anzusetzen. Grundsätzlich obliegt sie, wo ein einheitliches, aber mehrstufiges Verfahren besteht, der ersten Instanz, welche die tatsächlichen und persönlichen Verhältnisse normalerweise auch besonders gut kennt.
bb) Beim Beschluss über einen Gestaltungsplan nach solothurnischem Recht lässt sich die Rolle der ersten Instanz nicht allein dem Gemeinderat zuordnen. Der Regierungsrat amtet zwar als Beschwerdeinstanz (§ 18 Abs. 2 BauG). Im Rahmen dieses Verfahrens prüft er die Pläne umfassend auf ihre Recht- und Zweckmässigkeit und auf ihre Übereinstimmung mit den kantonalen und regionalen Plänen (
Art. 26 Abs. 1 RPG
; § 18 Abs. 2 BauG). Ihm kommen originäre Funktionen der Koordination mit anderen Gemeinden und mit den Anliegen des Kantons und des Bundes zu. Dass auf der Ebene der Gemeinde keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, obschon die massgebenden Beschlüsse
BGE 113 Ib 225 S. 235
nach Inkrafttreten des Umweltschutzgesetzes erfolgten, lässt sich aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse des vorliegenden Falles möglicherweise noch vertreten. Indessen hätte im Verfahren vor dem Regierungsrat auf jeden Fall eine solche Prüfung vorgenommen werden müssen. Wohl setzte sich der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid mit dem Immissionsproblem auseinander, nicht jedoch mit den besonderen Anforderungen des Umweltschutzgesetzes.
Der Regierungsrat wendet dagegen ein, dass im Zeitpunkt seines Entscheides am 1. Juli 1986 die Immissionsgrenzwerte und Planungswerte, welche für die Beurteilung von schädlichen und lästigen Einwirkungen gelten, durch Verordnung des Bundesrates noch nicht festgelegt waren. Es sei ihm deshalb nichts anderes übrig geblieben, als die Probleme des Grubenverkehrs und seiner Immissionen nach den bisherigen Erfahrungen und den bestehenden Unterlagen zu beurteilen. Er habe die materiellen Ziele des Umweltschutzgesetzes weitgehend auch ohne förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung eingehalten und erfüllt. Es trifft zu, dass die Lärmschutzverordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV, SR 814.331) erst am 1. April 1987 in Kraft getreten ist. Dies ändert jedoch nichts an der bereits festgestellten Tatsache, dass Art. 9 und auch
Art. 11 ff. USG
grundsätzlich unmittelbar anwendbar sind. Soweit sich aus ihnen direkte Handlungsanweisungen ergeben, hätte sich der Regierungsrat deshalb nach ihnen richten müssen (vgl. E. 3a und 3b sowie
BGE 112 Ib 43
E. 1c und 46 E. 4).
d) Das Bundesgericht stellt fest, dass im Verfahren vor dem Regierungsrat das Umweltschutzgesetz hätte Anwendung finden müssen. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen, und der angefochtene Entscheid vom 1. Juli 1986 ist aufzuheben. Der Regierungsrat hat die Umweltverträglichkeit der Lärmimmissionen aus dem Grubenverkehr nach dem zur Zeit seines neuen Entscheides geltenden Umweltschutzrecht des Bundes zu prüfen. Dazu gehören insbesondere auch die Vorschriften der am 1. April 1987 in Kraft getretenen Lärmschutzverordnung (LSV), denn der angefochtene Entscheid ist wegen Verletzung von Bundesrecht aufzuheben, welches im Zeitpunkt seines Erlasses bereits galt und anzuwenden gewesen wäre. Das Verfahren erweist sich deshalb als noch nicht abgeschlossen, was dazu führen muss, dass das seither neu in Kraft getretene Ausführungsrecht zum Umweltschutzgesetz anzuwenden ist. Dem steht der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht entgegen, denn es lässt sich nicht sagen, die Beschwerdeführer
BGE 113 Ib 225 S. 236
hätten in querulatorischer Weise Verfahrensverzögerungen herbeigeführt, um so die Anwendung strengeren Rechts zu erwirken (vgl. dazu
BGE 112 Ib 43
f. E. 1c).
Indessen wäre es unverhältnismässig, im vorliegenden Fall nachträglich ein umfassendes Prüfungsverfahren gemäss Umweltschutzgesetz zu verlangen. Es muss genügen, wenn materiell, der Sache nach, und beschränkt auf den strittigen Bereich der verkehrsmässigen Erschliessung das nachgeholt wird, was notwendig ist, um die Umweltverträglichkeit sicherzustellen (z.B. Prognose über die Immissionen; Abklärung möglicher Emissionsbegrenzungen; Prüfung von Alternativen; umfassende Interessenabwägung). Der Regierungsrat wird zu prüfen haben, inwieweit das von den Beschwerdegegnerinnen ins Recht gelegte Gutachten über Lärmimmissionen aus dem Betrieb der Grube an der Liegenschaft der Beschwerdeführer den einschlägigen Anforderungen genügt und als Teilbericht zur Umweltverträglichkeitsprüfung anerkannt werden kann. Dasselbe gilt in bezug auf die von ihm im angefochtenen Entscheid bereits beurteilte und verworfene Alternative der Erschliessung nach Süden durch den Mannwil-Hölzliwald in gerader Richtung direkt auf die Jurasüdfussstrasse T 5. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
4b884f28-2dc3-401a-a84a-c5cdd1c2f8a6 | Urteilskopf
106 IV 50
17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. Februar 1980 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 34 Abs. 1 SVG
.
Gebot des Rechtsfahrens vor unübersichtlicher Kurve. | Sachverhalt
ab Seite 50
BGE 106 IV 50 S. 50
A.-
Am 8. September 1978 vor 20 Uhr überholte S. mit seinem Personenwagen auf der Hauptstrasse Tägerschen-Tobel einen Radfahrer und fuhr dabei etwas über der Leitlinie. In diesem Augenblick kam nahe der Leitlinie O. mit seinem
BGE 106 IV 50 S. 51
Motorrad entgegen. Beide fuhren mit ca. 60-70 km/h. Etwa in der Strassenmitte kam es zu einer heftigen Streifkollision, wodurch das Motorrad auf das Trottoir geschleudert wurde und dort noch das Mädchen C. berührte. O. erlitt lebensgefährliche Verletzungen, teilweise mit Dauerfolgen.
B.-
Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte S. am 22. November 1979 wegen fahrlässiger Körperverletzung und Verletzung von Verkehrsregeln zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 450.--.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach dem angefochtenen Urteil fuhr der Radfahrer auf der breiten Strasse so weit rechts, dass der Beschwerdeführer ihn an der fraglichen Stelle gefahrlos hätte überholen können, ohne die rechte Fahrbahnhälfte zu verlassen. Wenn er statt dessen gemäss ebenfalls verbindlicher Feststellung etwas links über die Mittellinie geraten ist, hat er gegen das Gebot verstossen, rechts zu fahren.
Gewiss war es ihm an sich erlaubt, die Leitlinie zu überfahren, wenn die Verkehrsverhältnisse dies erlaubten oder gar erforderten. Dass er wegen des zulässigen Überholmanövers nicht so weit links fahren musste, wurde bereits erwähnt. Die Verkehrslage stand zudem seiner Fahrweise entgegen. Er näherte sich einer unübersichtlichen Kurve. Wie die Vorinstanz richtig ausführt, musste er mit Gegenverkehr nahe der Mittellinie rechnen. Entgegen der Annahme der Beschwerde liegt darin kein Widerspruch zur allgemeinen Pflicht, rechts zu fahren, und auch kein Freibrief für Entgegenkommende im allgemeinen und O. im besonderen. Auch dieser wurde wegen seiner Fahrt nahe der Mittellinie bestraft, und zwar hat die erste Instanz ihm mit Recht ein schwereres Verschulden zugerechnet als dem Beschwerdeführer: Neigte dieser aus Rücksicht auf den Radfahrer zu einem eher zu grossen Abstand, so bestand für O. überhaupt kein sachlicher Grund, nicht gehörig rechts auf seiner Strassenseite zu fahren. Wie die Vorinstanz aber zutreffend erwähnt, ist bei unübersichtlichen Kurven von allen Beteiligten mit einem möglichen Fehlverhalten Entgegenkommender zu rechnen und darum genügend rechts der Mittellinie zu fahren.
Der Beschwerdeführer hätte bis zur oder sogar etwas über die Mittellinie nur dann fahren dürfen, wenn er die Gewissheit
BGE 106 IV 50 S. 52
gehabt hätte, angesichts eines auftauchenden Fahrzeugs aus der Gegenrichtung rechtzeitig aus der Gefahrenzone wieder auf die rechte Fahrbahn zurücklenken zu können. Diese Möglichkeit bestand für ihn nicht. Dass ihm gemäss seiner Darstellung der vor ihm fahrende Personenwagen die Sicht noch verschlechterte, entlastet ihn nicht. Er wurde davon nicht überrascht, sondern führte sein Manöver in voller Kenntnis dieser Verkehrslage aus. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4b9c3a49-d302-407f-8908-2203f9c55dbc | Urteilskopf
86 III 121
29. Arrêt du 6 décembre 1960 dans la cause Hofer. | Regeste
Beschwerdeführung wegen Unangemessenheit.
Art. 17 und 239 SchKG
.
Bei der Entscheidung über die Angemessenheit einer Verfügung hat die Aufsichtsbehörde ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde, die die angefochtene Verfügung getroffen hat, zu setzen (Fall der Beschwerde gegen die Einsetzung eines Gläubigerausschusses durch die erste Gläubigerversammlung). | Sachverhalt
ab Seite 121
BGE 86 III 121 S. 121
A.-
Dans la faillite de la société en commandite G. Weber & Cie, ouverte à Genève, la première assemblée
BGE 86 III 121 S. 122
des créanciers a eu lieu le 31 octobre 1960. Y assistaient notamment le représentant de l'Union des branches annexes de l'horlogerie (Übah), cessionnaire de 33 créanciers, et celui de l'Information horlogère, mandataire de 13 créanciers. L'assemblée décida à la majorité la constitution d'une commission de surveillance et désigna comme membres les représentants de l'Übah et de l'Information horlogère, domiciliés tous deux à La Chaux-de-Fonds. Aucun créancier minoritaire n'accepta d'en faire partie.
B.-
Le créancier G. Hofer a porté plainte contre cette décision. Il estimait que, la faillite n'étant point compliquée, il n'était pas justifié de constituer une commission de surveillance, qui provoquerait des frais disproportionnés à l'actif disponible, d'autant plus qu'elle était composée de personnes domiciliées hors de Genève. Il alléguait en outre que celles-ci n'avaient pas l'indépendance voulue pour sauvegarder efficacement les intérêts de l'ensemble des créanciers et qu'elles poursuivraient, au profit des associations qu'elles représentaient, des buts étrangers à leurs fonctions.
Cette plainte a été rejetée, le 18 novembre 1960, par l'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève, qui s'est fondée sur les motifs suivants:
L'autorité de surveillance saisie d'un recours en vertu de l'art. 239 LP peut revoir la décision attaquée non seulement pour violation de la loi, mais aussi sous l'angle de l'opportunité. Toutefois, dans ce dernier cas, elle ne doit modifier une décision régulièrement prise par la majorité des créanciers que si son inopportunité apparaît évidente. Il n'en est pas ainsi en l'espèce. S'il est vrai que la désignation d'une commission de surveillance ne s'imposait peut-être pas et qu'on peut se demander si les frais qui résulteront de l'institution de cette commission ne grèveront pas à l'excès un actif peu important, il est possible, d'autre part, que l'intervention d'une commission de surveillance formée d'hommes bien au courant de l'horlogerie
BGE 86 III 121 S. 123
apporte un concours utile à la liquidation de la faillite.
C.-
Hofer recourt contre cette décision au Tribunal fédéral, en concluant derechef à l'annulation de la mesure attaquée. Il soutient que la constitution d'une commission de surveillance est "illégale parce que injustifiée ou en tout cas inopportune" et il invoque les arguments qu'il a déjà développés dans sa plainte.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Bien que le recourant prétende que la mesure attaquée est illégale, toute son argumentation tend à démontrer qu'elle n'est pas justifiée en fait. Aussi bien n'indique-t-il pas quelle disposition légale elle enfreint. Or, d'après l'art. 19 LP, le recours au Tribunal fédéral n'est ouvert que pour violation de la loi, déni de justice et retard injustifié. Cette juridiction ne peut donc apprécier si la thèse du recourant est fondée.
2.
Cependant, le Tribunal fédéral, qui n'est pas lié par les motifs qu'invoquent les parties (art. 81 et 63 al. 1 OJ), doit annuler la décision cantonale pour une autre raison.
La juridiction genevoise a considéré à bon droit que, saisie d'un recours fondé sur l'art. 239 LP, elle pouvait revoir non seulement si la constitution d'une commission de surveillance et sa composition étaient conformes à la loi, mais également si ces mesures étaient opportunes. En effet, l'art. 239 LP ne restreint en aucune façon le pouvoir d'examen de l'autorité de surveillance. Elle doit dès lors, en vertu de l'art. 17 LP, annuler la mesure attaquée quand elle ne lui paraît pas justifiée en fait (RO 59 III 134 consid. 2, 81 III 28 consid. 1).
L'application de ce principe obligeait l'autorité genevoise à revoir librement si les mesures critiquées étaient opportunes, c'est-à-dire à substituer son appréciation à celle de la première assemblée des créanciers. Elle ne l'a pas fait. En restreignant son pouvoir d'intervention au cas
BGE 86 III 121 S. 124
où l'"inopportunité apparaît évidente", elle n'a jugé en réalité que sous l'angle de l'arbitraire. Aussi bien s'est-elle bornée à examiner superficiellement les arguments invoqués pour et contre la constitution d'une commission de surveillance et à conclure que cette mesure n'était pas manifestement injustifiée. En particulier, elle ne s'est pas prononcée sur les critiques que le recourant élève à propos de la composition de cette commission. Il est vrai que d'autres créanciers ont refusé d'en faire partie. Mais cela ne signifie pas que, dans un tel cas, la commission doive nécessairement être composée des créanciers qui acceptent leur nomination. Si ces derniers n'offrent pas les garanties nécessaires, il faut au contraire renoncer à la constitution d'une telle commission.
Ainsi, la cause doit être renvoyée à l'autorité cantonale pour qu'elle statue à nouveau en s'inspirant des principes qui viennent d'être rappelés. | null | nan | fr | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4b9d935d-1407-4c07-8e11-123f39a857f4 | Urteilskopf
141 III 155
22. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. Limited gegen B. Ltd (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_46/2015 vom 27. März 2015 | Regeste
Art. 99 Abs. 1 lit. a und
Art. 100 Abs. 1 ZPO
; Pflicht zur Sicherheitsleistung für die Parteientschädigung wegen fehlenden Sitzes in der Schweiz.
Im Fall des fehlenden klägerischen Wohnsitzes oder Sitzes in der Schweiz ist unwiderlegbar von einer erheblichen Gefährdung der Einbringlichkeit der Parteientschädigung für die beklagte Partei auszugehen, die der beklagten Partei grundsätzlich Anspruch auf Sicherstellung gibt. Vorliegend besteht kein Staatsvertrag, der die Klägerin mit Sitz in Irland von der Sicherstellungspflicht befreien würde. Die möglichen Arten von Sicherheitsleistungen werden in
Art. 100 Abs. 1 ZPO
abschliessend aufgezählt (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 155
BGE 141 III 155 S. 155
Aus den Erwägungen:
4.
Die Vorinstanz stützte ihre Anordnung der Sicherheitsleistung für eine allfällige Parteientschädigung auf
Art. 99 Abs. 1 lit. a ZPO
.
BGE 141 III 155 S. 156
Nach dieser Bestimmung hat die klagende Partei auf Antrag der beklagten Partei für deren Parteientschädigung Sicherheit zu leisten, wenn sie keinen Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz hat.
4.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, nach dem Normzweck von
Art. 99 ZPO
, der eine Gefährdung der einem Beklagten zugesprochenen Parteientschädigung vermeiden wolle, bestehe kein Anspruch auf Sicherheit, wenn keine Gefährdung vorliege. Einen Anspruch auf "doppelte Sicherheit" gewähre
Art. 99 ZPO
nicht. Vorliegend hätte die Vorinstanz keine Sicherheit verlangen dürfen, weil die rechtliche Voraussetzung der Gefährdung der Parteientschädigung fehle. Denn die Beschwerdeführerin habe gegenüber der Beschwerdegegnerin aus zwei früheren Verfahren, eines vor Handelsgericht des Kantons Aargau und eines vor Bundesgericht, eine Forderung von total Fr. 24'400.-. Dazu habe sie im vorinstanzlichen Verfahren die verbindliche Erklärung abgegeben, sie werde dieses Guthaben, falls sie mit ihrer Klage unterliege und der Beschwerdegegnerin Rechtskosten zu bezahlen hätte, mit der entsprechenden Forderung verrechnen, worauf sie sich behaften lasse, und sie werde deshalb keine Inkassohandlungen vornehmen für den Fall, dass sie von der Parteikostensicherstellung befreit werde.
4.2
Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Bei der Auslegung neuerer Bestimmungen kommt den Materialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahelegen (vgl.
BGE 140 I 305
E. 6.1/6.2;
BGE 140 II 289
E. 3.2 S. 291;
BGE 140 III 206
E. 3.5.4,
BGE 140 III 289
E. 2.1, 315 E. 5.2.1;
BGE 140 V 213
E. 4.1 S. 216 f.; je mit Hinweisen).
BGE 141 III 155 S. 157
4.3
Wie die Beschwerdeführerin zutreffend vorbringt, bezweckt die Bestimmung von
Art. 99 ZPO
, die beklagte Partei, die von der klagenden Partei in den Prozess gezwungen wird, gegen das Risiko abzusichern, dass die ihr zulasten der unterliegenden Partei zugesprochene Parteientschädigung nicht einbringlich ist, sofern Gründe vorliegen, die das spätere Eintreiben schwierig erscheinen lassen (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7221 ff., 7294 Ziff. 5.8.1 zu Art. 97 und 98; für viele: HANS SCHMID, in: ZPO, Oberhammer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 1 zu
Art. 99 ZPO
).
Die Kautionsgründe werden in
Art. 99 Abs. 1 ZPO
aufgezählt, wobei in lit. a der Fall des fehlenden Wohnsitzes oder Sitzes der klägerischen Partei in der Schweiz vorgesehen ist und lit. d einen Auffangtatbestand enthält, wonach auch Sicherheit zu leisten ist, wenn (ausser den in lit. a-c genannten Umständen) "andere Gründe" für eine erhebliche Gefährdung der Parteientschädigung bestehen. Aus Wortlaut und Zusammenhang von
Art. 99 Abs. 1 lit. a und d ZPO
ergibt sich ohne weiteres, dass das Gesetz im Fall des fehlenden klägerischen Wohnsitzes oder Sitzes in der Schweiz unwiderlegbar von einer erheblichen Gefährdung der Einbringlichkeit der Parteientschädigung für die beklagte Partei ausgeht, die der beklagten Partei Anspruch auf Sicherstellung gibt, mit der die Gefährdung beseitigt wird, unter Vorbehalt der in
Art. 99 Abs. 2 und 3 ZPO
genannten Ausnahmen oder einer abweichenden staatsvertraglichen Regelung (
Art. 2 ZPO
; Botschaft, a.a.O., BBl 2006 7294). Weder dem Wortlaut des Gesetzes noch den Gesetzesmaterialien (Botschaft, a.a.O., BBl 2006 7294; AB 2007 S 512; AB 2008 N 652) lässt sich entnehmen, dass irgendwelche Konstellationen vorbehalten werden sollten, in denen die Annahme einer Gefährdung im Falle des fehlenden Wohnsitzes oder Sitzes in der Schweiz entfallen würde. Auch in der Literatur zur ZPO (wie auch zu den ähnlichen Bestimmungen von
Art. 62 Abs. 2 BGG
und von Art. 150 Abs. 2 aOG) wird, soweit ersichtlich, nirgends eine entsprechende Auffassung vertreten (ausdrücklich im gegenteiligen Sinn: RICHARD KUSTER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & Mc Kenzie [Hrsg.], 2010, N. 11 zu
Art. 99 ZPO
mit Hinweis). Die Vorinstanz hat demnach zutreffend erkannt, dass vorliegend der Sicherstellungsgrund nach
Art. 99 Abs. 1 lit. a ZPO
gegeben ist, ohne dass zu prüfen war, ob trotz fehlenden Sitzes der Beschwerdeführerin in der Schweiz allenfalls doch keine Gefährdung vorliege.
BGE 141 III 155 S. 158
Anzumerken bleibt, dass zwischen der Republik Irland und der Schweiz kein Staatsvertrag besteht, der die Beschwerdeführerin von der Sicherstellungspflicht wegen ihres fehlenden Sitzes in der Schweiz befreien würde. Insbesondere zählt Irland weder zu den Vertragsstaaten der Haager Übereinkunft vom 1. März 1954 betreffend Zivilprozessrecht (SR 0.274.12; vgl. deren Art. 17) noch zu den Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über den internationalen Zugang zur Rechtspflege (SR 0.274.133; vgl. dessen Art. 14; s. dazu ausführlich für viele: DENIS TAPPY, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 21 ff. zu
Art. 99 ZPO
; MARTIN H. STERCHI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 16 ff. zu
Art. 99 ZPO
). Auch das LugÜ (SR 0.275.12) regelt ausschliesslich Fragen der Zuständigkeit sowie der Anerkennung und Vollstreckung und nicht des Erkenntnisverfahrens im Urteilsstaat und sieht den Grundsatz der Gleichbehandlung von In- und Ausländern in Bezug auf die Sicherstellung in Art. 51 deshalb bloss im Zusammenhang mit dem Vollstreckungsverfahren vor (HOFMANN/KUNZ, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, N. 4 zu
Art. 51 LugÜ
; VIKTOR RÜEGG, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 9a zu
Art. 99 ZPO
; KUSTER, a.a.O., N. 16 zu
Art. 99 ZPO
).
4.4
Wenn die Beschwerdeführerin vorbringt, es bestehe angesichts ihrer Gegenforderungen gegen die Beschwerdegegnerin, auf deren Inkasso sie vorderhand verzichte und die sie gegebenenfalls mit einer Parteikostenforderung der Beschwerdegegnerin verrechne, keine Gefährdung, macht sie im Grunde genommen geltend, die Vorinstanz hätte die von der Beschwerdeführerin zu ihren Forderungen gegen die Beschwerdegegnerin abgegebene Erklärung als Sicherheitsleistung im Sinne von
Art. 100 ZPO
betrachten müssen.
Die Vorschrift von
Art. 100 Abs. 1 ZPO
sieht vor, dass die Sicherheit in bar oder durch Garantie einer in der Schweiz niedergelassenen Bank oder eines zum Geschäftsbetrieb in der Schweiz zugelassenen Versicherungsunternehmens geleistet werden kann. Verschiedene Autoren gehen davon aus, dass die möglichen Arten von Sicherheitsleistungen in
Art. 100 Abs. 1 ZPO
abschliessend aufgezählt werden, um Diskussionen über die Werthaltigkeit der Kaution zu vermeiden (STERCHI, a.a.O., N. 1 zu
Art. 100 ZPO
; RÜEGG, a.a.O., N. 1 zu
Art. 100 ZPO
; SUTER/VON HOLZEN, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 12 zu
Art. 100 ZPO
; wohl auch TAPPY, a.a.O., N. 3 zu
Art. 100 ZPO
). Für diese Ansicht spricht, dass sich dem Wortlaut
BGE 141 III 155 S. 159
der Bestimmung kein Hinweis auf eine nicht abschliessende Aufzählung entnehmen lässt, beispielsweise durch Verwendung von Worten wie "insbesondere" oder "namentlich" oder durch ausdrückliche Einräumung der Möglichkeit der Leistung anderer hinreichender Sicherheiten. Zu beachten ist sodann, dass die im Vorentwurf zur ZPO noch erwähnte Möglichkeit der Hinterlegung solider Wertschriften nicht in den Entwurf des Bundesrates und schliesslich ins Gesetz übernommen wurde, weil der Begriff im Vernehmlassungsverfahren als zu unbestimmt kritisiert wurde (Botschaft, a.a.O., BBl 2006 7294; STERCHI, a.a.O., N. 1 zu
Art. 100 ZPO
; ADRIAN URWYLER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 5 zu
Art. 100 ZPO
; TAPPY, a.a.O., N. 3 zu
Art. 100 ZPO
). Eine abschliessende Aufzählung der zulässigen Sicherheiten von höchster Qualität hat denn auch den Vorteil der Einfachheit und Praktikabilität für sich, was im Interesse einer beförderlichen Verfahrensführung liegt und verhindert, dass der Prozess durch langwierige Zwischenverfahren verzögert wird. Zu Recht wird von SCHMID (a.a.O., N. 2 und 7 zu
Art. 100 ZPO
) auch angeführt, dass die Sicherheit im Interesse der gegnerischen Prozesspartei einverlangt wird, die sich bei gegebenen Voraussetzungen nicht mit minder komfortablen Sicherheiten begnügen muss und so zu stellen ist, wie wenn die belastete Partei die mit Eintritt der Rechtskraft des Entscheides fällige Entschädigungsforderung bezahlt. Die Vorinstanz verletzte damit kein Bundesrecht, indem sie die von der Beschwerdeführerin zu ihren behaupteten Gegenforderungen abgegebene Erklärung nicht als Sicherheit im Sinne von
Art. 100 Abs. 1 ZPO
anerkannte und eine Sicherheitsleistung im Sinne dieser Bestimmung anordnete. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4ba17257-dc91-4af3-8dcd-18cb8002f9a3 | Urteilskopf
138 I 305
29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Politische Gemeinde Oberriet und Departement des Innern des Kantons St. Gallen (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
1D_6/2011 vom 12. Juni 2012 | Regeste
Zulässigkeit der Rügen der Verletzung des Willkürverbots (
Art. 9 BV
) und des Rechtsgleichheitsgebots (
Art. 8 Abs. 1 BV
) in Einbürgerungsangelegenheiten.
Art. 14 des Bürgerrechtsgesetzes (BüG) dient individuellen Interessen und regelt materielle Einbürgerungsvoraussetzungen konkret, indem (Mindest-)Kriterien der Eignung festgelegt werden.
Art. 14 BüG
verschafft einer einbürgerungswilligen Person im Ergebnis eine hinreichend klar umschriebene Rechtsposition, die es ihr ermöglicht, sich im Verfahren der subsidiären Verfassungsbeschwerde auf das Willkürverbot (
Art. 9 BV
) und den Grundsatz der Rechtsgleichheit (
Art. 8 Abs. 1 BV
) zu berufen (E. 1.4.5 und 1.4.6). Materiell verstösst der angefochtene Entscheid nicht gegen das Willkürverbot (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 306
BGE 138 I 305 S. 306
A.
X. ist albanischer Staatsangehöriger. Er gelangte 1991 in die Schweiz und wohnt seit 1993 in der Politischen Gemeinde Oberriet. Im Alter von rund sechs Monaten erlitt er bei einer medizinischen Behandlung eine Nervenverletzung an der Wirbelsäule. Seine Motorik ist seither geschädigt, und er ist zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen. Zwischen 1994 und 1998 war er in einer Behindertenwerkstatt in Altstätten beschäftigt. Seit 1998 geht X. keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Er lebt zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder sowie dessen Familie.
B.
Am 1. Oktober 2002 stellte X. ein Gesuch um Einbürgerung. Der Einbürgerungsrat der Politischen Gemeinde Oberriet teilte ihm daraufhin mit, das Gesuch werde zurückgestellt, bis seine Integration verbessert sei.
Am 13. Juli 2004 stellte X. erneut einen Antrag auf Erteilung des Bürgerrechts. Der Einbürgerungsrat stufte nunmehr die Voraussetzungen zur Einbürgerung als erfüllt ein und beantragte der Stimmbürgerschaft die Einbürgerung von X. Diesem Antrag folgte die Bürgerversammlung vom 31. März 2006 aber nicht und lehnte die Erteilung des Bürgerrechts ab.
Mit Schreiben vom 15. November sowie vom 7. und 28. Dezember 2006 ersuchte X. um die Wiederaufnahme des Einbürgerungsverfahrens. Der Einbürgerungsrat erachtete die Voraussetzungen für die Einbürgerung nach wie vor als gegeben und stellte der Stimmbürgerschaft an der Bürgerversammlung vom 30. März 2007 erneut den
BGE 138 I 305 S. 307
Antrag, X. das Bürgerrecht zu erteilen. Die Stimmbürgerschaft lehnte den Einbürgerungsantrag jedoch wiederum ab.
Gegen den Beschluss der Stimmbürgerschaft vom 30. März 2007 erhob X. Beschwerde ans Departement des Innern des Kantons St. Gallen, welches diese mit Entscheid vom 14. Juli 2008 guthiess, den ablehnenden Beschluss der Stimmbürgerschaft aufhob und die Sache an die Politische Gemeinde Oberriet zurückwies, damit der Einbürgerungsrat die Vorlage der Bürgerschaft an der nächsten Bürgerversammlung erneut unterbreiten könne. Gleichzeitig wurde die Politische Gemeinde Oberriet darauf aufmerksam gemacht, dass bei einer neuerlichen rechtswidrigen Ablehnung der Einbürgerungsvorlage die Einbürgerung aufsichtsrechtlich angeordnet werden könnte.
Gegen diesen Entscheid führte der Gemeinderat Oberriet am 15. Juli 2008 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen. Er zog das Rechtsmittel in der Folge am 26. August 2008 zurück, worauf das Beschwerdeverfahren abgeschrieben wurde.
Der Einbürgerungsrat stellte der Bürgerversammlung vom 27. März 2009 abermals den Antrag, X. das Bürgerrecht zu erteilen. An der Bürgerversammlung äusserten sich mehrere Personen zum Einbürgerungsgesuch. Im Anschluss daran lehnte die Stimmbürgerschaft den Einbürgerungsantrag mit grossem Mehr ab.
Mit Eingaben vom 3. und 24. April 2009 erhob X. Abstimmungsbeschwerde beim Departement des Innern. Dieses wies die Beschwerde mit Entscheid vom 11. Dezember 2009 ab.
Mit Eingabe vom 28. Dezember 2009 reichte X. Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein. Mit Verfügung vom 25. Januar 2010 wies der Präsident des Verwaltungsgerichts das von X. gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab. Hiergegen erhob X. Beschwerde beim Bundesgericht, welches die Beschwerde mit Urteil vom 15. Juni 2010 guthiess. Mit Verfügung vom 6. Oktober 2010 hiess das Verwaltungsgericht das Gesuch von X. um unentgeltliche Rechtspflege gut.
Mit Urteil vom 31. Mai 2011 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde von X. ab. (...)
Das Bundesgericht weist die von X. gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingereichte subsidiäre Verfassungsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)
Erwägungen
BGE 138 I 305 S. 308
Aus den Erwägungen:
1.
1.2
Das Vorbringen, der angefochtene Entscheid sei mit dem Diskriminierungsverbot nach
Art. 8 Abs. 2 BV
nicht vereinbar, ist zulässig (vgl.
BGE 134 I 49
). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann der Beschwerdeführer als Partei im kantonalen Verfahren zudem die Verletzung bundesverfassungsrechtlicher Verfahrensgarantien geltend machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt (
BGE 133 I 185
E. 6.2 S. 199;
BGE 132 I 167
E. 2.1 S. 168). Dies trifft auf die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss
Art. 29 Abs. 2 BV
zu. Den Anspruch auf Begründung bei Verweigerung der Einbürgerung (vgl.
BGE 134 I 56
E. 2 S. 58;
BGE 130 I 140
E. 4.2 S. 147) hat der Gesetzgeber mit der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Revision des Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (Bürgerrechtsgesetz, BüG; SR 141.0) nun auch ausdrücklich ins Bundesgesetzesrecht aufgenommen (
Art. 15b BüG
; vgl.
BGE 135 I 265
E. 1.3 S. 270).
1.3
Hingegen verschafft nach der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung das allgemeine Willkürverbot, das bei jeder staatlichen Verwaltungstätigkeit zu beachten ist, für sich allein keine geschützte Rechtsstellung. Zur Willkürrüge ist eine beschwerdeführende Person deshalb nur legitimiert, wenn die gesetzlichen Bestimmungen, deren willkürliche Anwendung sie geltend macht, ihr einen Rechtsanspruch einräumen oder dem Schutz ihrer angeblich verletzten Interessen dienen. An einem Rechtsanspruch fehlt es insbesondere dann, wenn keine gesetzliche Norm die Voraussetzungen der Bewilligungserteilung (bzw. der Gewährung eines anderen Vorteils) näher regelt und diesbezügliche Kriterien aufstellt (
BGE 133 I 185
E. 6.1 S. 198). Der Beschwerdeführer macht zu Recht nicht geltend, dass ihm gestützt auf das kantonale Recht ein Anspruch auf Einbürgerung zukomme (vgl. hierzu Art. 104 der Verfassung des Kantons St. Gallen vom 10. Juni 2001 [SR 131.225]). In seiner bisherigen Praxis versagte das Bundesgericht in Einbürgerungsangelegenheiten bei fehlendem Rechtsanspruch im kantonalen Recht eine Willkürüberprüfung, da es davon ausging, das Bundesrecht räume keinen Anspruch auf Einbürgerung ein (
BGE 134 I 56
E. 2 S. 58;
BGE 129 I 217
E. 1.3 S. 221). Vom Ausschluss betroffen ist nach der bisherigen Rechtsprechung gleichermassen der Einwand der Verletzung des
BGE 138 I 305 S. 309
allgemeinen Rechtsgleichheitsgebots nach
Art. 8 Abs. 1 BV
, da eine Zulassung der Rüge auf eine inhaltliche Prüfung des negativen Entscheids hinauslaufen würde, welche mit der Nichtzulassung der Willkürrüge gemäss
Art. 9 BV
gerade ausgeschlossen werden sollte.
1.4
1.4.1
Der letzte diese Rechtsprechung bestätigende publizierte Entscheid (
BGE 134 I 56
) datiert vom 27. Februar 2008 und erging vor Inkrafttreten der Teilrevision des BüG vom 21. Dezember 2007 (AS 2008 5911; BBl 2005 6941 und 7125). Mit dieser am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Gesetzesänderung wurde insbesondere eine Begründungspflicht für ablehnende Einbürgerungsentscheide verankert (
Art. 15b BüG
; vgl. auch E. 1.2 hiervor) und festgeschrieben, dass die Kantone Gerichtsbehörden einzusetzen haben, die als letzte kantonale Instanzen Beschwerden gegen ablehnende Entscheide über die ordentliche Einbürgerung beurteilen (
Art. 50 BüG
). Diese Teilrevision des BüG bietet Anlass, die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Ausschluss der Rügen der Verletzung des Willkürverbots und des Rechtsgleichheitsgebots im bundesgerichtlichen Verfahren einer Überprüfung zu unterziehen.
1.4.2
Das Parlament verabschiedete die genannten Änderungen des BüG (Begründungspflicht und Rechtsweggarantie) im Sinne eines indirekten Gegenvorschlags zur Volksinitiative "Für demokratische Einbürgerungen" vom 6. April 2004 (06.086), mit welcher gerichtlich nicht anfechtbare kommunale Urnenentscheide über ordentliche Einbürgerungsgesuche ermöglicht werden sollten. Während die Volksinitiative am 1. Juni 2008 von Volk und Ständen verworfen wurde, wurde hinsichtlich des indirekten Gegenvorschlags kein Referendum ergriffen.
Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen wurde die Begründungspflicht namentlich als "Tribut an die Rechtsstaatlichkeit und zur Verhinderung von Willkür" bezeichnet (Votum Peter Briner, AB 2005 S 1137). In den Räten wurde zwar verschiedentlich darauf hingewiesen, dass es kein Recht auf Einbürgerung gebe (Voten Hansheiri Inderkum, AB 2005 S 1139; Walter Donzé, AB 2007 N 735; Bea Heim, AB 2007 N 739), gleichzeitig aber auch erklärt, dass die Grundrechte respektiert und die Entscheide frei von Willkür sein müssten (vgl. Voten Thomas Pfisterer, AB 2005 S 1138; Walter Donzé, AB 2007 N 735; Kurt Fluri, AB 2007 N 734 und 738; Andreas Gross, AB 2007 N 741; Christa Markwalder Bär, AB 2007 N 747; Urs Hoffmann, AB 2007 N 751; Brigitte Häberli-Koller, AB 2007 N
BGE 138 I 305 S. 310
751; Hans-Jürg Fehr, AB 2007 N 753). In den parlamentarischen Beratungen kommt zum Ausdruck, dass ein rechtsstaatlich einwandfreies, die demokratischen Prinzipien namentlich auf Gemeindeebene berücksichtigendes Einbürgerungsverfahren geschaffen werden sollte. Zugleich wurde im Parlament betont, dass die materielle Beurteilung der Einbürgerungsgesuche grundrechtskonform erfolgen müsse, d.h. dass die Entscheide nicht willkürlich, rechtsungleich und diskriminierend sein dürften. Auch der Bundesrat hob in seinen Erläuterungen zur Volksinitiative "Für demokratische Einbürgerungen" hervor, es bestehe zwar kein Anspruch auf Einbürgerung, den Einbürgerungswilligen stünden aber faire Verfahren zu und die Einbürgerungsbehörden seien an die Grundrechte, namentlich an das Willkür- und das Diskriminierungsverbot, gebunden (Abstimmungsbotschaft des Bundesrats, S. 14). Damit haben der Gesetzgeber und der Bundesrat bei einbürgerungswilligen Personen die berechtigte Erwartung geweckt, einen willkür- und diskriminierungsfrei getroffenen Entscheid zu erhalten, welcher das Rechtsgleichheitsgebot beachtet.
Es stellt sich damit die Frage, ob
Art. 14 BüG
einer einbürgerungswilligen Person vor dem Hintergrund der nunmehr gesetzlich explizit verankerten Begründungspflicht und der angestrebten Gewährleistung willkürfreier und rechtsgleicher Einbürgerungsentscheide eine hinreichend klar umschriebene Rechtsposition verschafft, die es ihr ermöglicht, sich im bundesgerichtlichen Verfahren auf das Willkürverbot und den Grundsatz der Rechtsgleichheit zu berufen.
1.4.3
Gemäss
Art. 14 BüG
ist vor Erteilung der Bewilligung insbesondere zu prüfen, ob die bewerbende Person in die schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist (lit. a), ob sie mit den schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist (lit. b), ob sie die schweizerische Rechtsordnung beachtet (lit. c) und ob sie die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (lit. d).
Das Einbürgerungsverfahren ist mehrstufig. Nach
Art. 12 BüG
wird das Schweizer Bürgerrecht im ordentlichen Verfahren mit der Einbürgerung in einem Kanton und einer Gemeinde erworben (Abs. 1). Die Einbürgerung ist nur gültig, wenn eine Einbürgerungsbewilligung des Bundesamts für Migration (BFM) vorliegt (Abs. 2; vgl. auch
Art. 13 BüG
). Daraus folgt, dass die Bewilligung des BFM der eigentlichen Einbürgerung durch den Kanton und die Gemeinde vorausgeht. Obwohl im geltenden Recht keine verbindliche
BGE 138 I 305 S. 311
Rollenklärung zwischen Bund und Kantonen hinsichtlich der Prüfungsbereiche bei der Eignungsabklärung einer einbürgerungswilligen Person besteht (Botschaft vom 4. März 2011 zur Totalrevision des BüG, BBl 2011 2825 ff. Ziff. 1.2.1.2) und
Art. 14 BüG
systematisch im Kontext mit der Bundesbewilligung steht, enthält die Bestimmung die für die Eignungsabklärung und für die eigentliche Einbürgerung massgebenden Voraussetzungen, nach denen sich der Einbürgerungsentscheid der Kantone bzw. der Gemeinden zu richten hat. Bei den bundesrechtlichen Vorgaben handelt es sich allerdings um Mindestvorschriften (
Art. 38 Abs. 2 BV
). Die Kantone sind daher in der Ausgestaltung der Einbürgerungsvoraussetzungen insoweit frei, als sie hinsichtlich der Wohnsitzerfordernisse oder der Eignung Konkretisierungen des bundesgesetzesrechtlich vorgeschriebenen Rahmens vornehmen können. Es ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Kanton Schwyz für die Einbürgerung einen tadellosen Leumund voraussetzt (Urteil 1D_17/2007 vom 2. Juli 2007 E. 3, in: ZBl 110/2009 S. 114; dazu YVO HANGARTNER, AJP 2008 S. 1286 ff.) und der Kanton Solothurn ausdrücklich genügende sprachliche Kenntnisse verlangt (Urteil 1P.214/2003 vom 12. Dezember 2003 E. 3.5, in: AJP 2004 S. 993). Immer aber haben die Kantone die verfassungsrechtlichen Schranken, aber auch Ziel und Zweck der eidgenössischen Bürgerrechtsgesetzgebung zu beachten (
Art. 46 und 49 BV
). Im Einbürgerungsverfahren wird über den rechtlichen Status von Einzelpersonen entschieden. Dies ist kein Vorgang in einem rechtsfreien Raum, denn die zuständige Behörde muss die einschlägigen Verfahrensbestimmungen beachten und darf nicht willkürlich, rechtsungleich oder diskriminierend entscheiden; sie muss ihr Ermessen pflichtgemäss ausüben (vgl.
BGE 129 I 232
E. 3.3 S. 238).
Im zu beurteilenden Fall wendet die Vorinstanz integral das für den Beschwerdeführer vorteilhaftere Bürgerrechtsgesetz des Kantons St. Gallen vom 5. Dezember 1955 (aBRG/SG) und nicht das per 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz vom 3. August 2010 über das St. Galler Bürgerrecht (BRG/SG; sGS 121.1) an. Gemäss dem am 4. Januar 2005 eingefügten
Art. 7
bis
aBRG
/SG können ausländische Personen eingebürgert werden, wenn sie nach Massgabe des Bundesrechts zur Einbürgerung geeignet sind. Das hier anwendbare kantonale Recht statuiert damit keine über
Art. 14 BüG
hinausgehenden Anforderungen an die Eignung zur Einbürgerung.
1.4.4
Die Tragweite respektive der Schutzzweck einer Norm ist nicht ausschliesslich aus dem Willen des Gesetzgebers abzuleiten und oft
BGE 138 I 305 S. 312
auch nicht allein aus der einschlägigen Norm, sondern durch systematische Auslegung unter Berücksichtigung des umgebenden Normengefüges und der institutionellen Rahmenbedingungen, wobei Grundrechte insoweit eine verdeutlichende Rolle spielen können (EBERHARD SCHMIDT-ASSMANN, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee: Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl. 2006, S. 76 f. Rz. 60). Im Rahmen der systematischen Auslegung von
Art. 14 BüG
sind insbesondere die in
Art. 15b BüG
per 1. Januar 2009 neu eingeführte Begründungspflicht wie auch die Verfassungsgrundsätze des Willkürverbots (
Art. 9 BV
), der Rechtsgleichheit (
Art. 8 Abs. 1 BV
) und des Diskriminierungsverbots (
Art. 8 Abs. 2 BV
) von Bedeutung.
Damit von einer hinreichend konkretisierten Rechtsposition gesprochen werden kann, ist zunächst erforderlich, dass die in Frage stehende Norm nicht nur allgemeinen, sondern auch individuellen Interessen zu dienen bestimmt ist. Umschreibt sodann die Norm die Bedingungen, unter denen ein bestimmter Entscheid zu ergehen hat, genügend konkret, hat der Entscheid bei Erfüllung der Bedingungen so zu ergehen. Er hat den gesetzlichen Normen zu entsprechen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass hinsichtlich einzelner Bedingungen ein Ermessensspielraum besteht.
1.4.5
Die die Einbürgerung regelnden Normen dienen zweifellos nicht nur allgemeinen, sondern auch individuellen Interessen. Zudem regelt
Art. 14 BüG
die materiellen Einbürgerungsvoraussetzungen konkret, indem die (Mindest-)Kriterien der Eignung in einer nicht abschliessenden Aufzählung konkretisiert werden. Dabei geht es letztlich immer um Aspekte der erfolgreichen Integration als Voraussetzung der Einbürgerung. Die gesetzliche Regelung enthält zwar hinsichtlich der einzelnen Voraussetzungen mehr oder weniger grosse Beurteilungsspielräume, doch räumt sie den zuständigen Behörden weder ausdrücklich noch sinngemäss ein Entschliessungsermessen ein in dem Sinne, dass es diesen freigestellt wäre, eine Person, die alle auf eidgenössischer und kantonaler Ebene statuierten gesetzlichen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt und folglich integriert ist, trotzdem nicht einzubürgern. Eine solche Nichteinbürgerung wäre willkürlich und stünde zudem in Widerspruch zum Rechtsgleichheitsgebot gemäss
Art. 8 Abs. 1 BV
. Erlaubt ein Gesetz einem Staatsorgan, im Einzelfall nach Ermessen zu entscheiden, so bedeutet dies nicht, dass es in gleichartigen Fällen ohne sachlichen Grund einmal so und einmal anders entscheiden darf. Daran ändert auch nichts,
BGE 138 I 305 S. 313
wenn Stimmberechtigte an einer Versammlung entscheiden. Sie handeln als Organ der Gemeinde, nehmen eine staatliche Aufgabe wahr und sind daher gemäss
Art. 35 Abs. 2 BV
an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen (
BGE 135 I 265
E. 4.3 S. 276). Zwar darf die Einbürgerungspraxis unter Respektierung der gesetzlichen Mindestvoraussetzungen gegenüber den Gesuchstellenden streng oder entgegenkommend sein, sich auf die bundesrechtlichen Mindestvoraussetzungen beschränken oder diese konkretisieren. Sie muss aber im Rahmen der Möglichkeiten, welche die Ermessenseinräumung offenlässt, rechtsgleich erfolgen. Insoweit bindet nicht nur das Willkürverbot, sondern auch das Rechtsgleichheitsgebot die Einbürgerungsbehörde (IVO HANGARTNER, Grundsatzfragen der Einbürgerung nach Ermessen, ZBl 110/2009 S. 307 f.).
1.4.6
Art. 14 BüG
verschafft einbürgerungswilligen Personen vor dem Hintergrund der per 1. Januar 2009 auf Gesetzesebene eingeführten Begründungspflicht (
Art. 15b BüG
) eine hinreichend klar umschriebene Rechtsposition, um im Verfahren vor Bundesgericht die Willkürrüge erheben und einen Verstoss gegen das Rechtsgleichheitsgebot geltend machen zu können. Nur auf diese Weise kann die vom Gesetzgeber in Aussicht gestellte Garantie willkürfreier und rechtsgleicher Einbürgerungsentscheide auch gewährleistet werden. Damit ist die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Willkürverbot und zum Rechtsgleichheitsgebot in Einbürgerungsangelegenheiten in dem Sinn zu präzisieren, dass eine Person, deren Einbürgerungsgesuch abgewiesen wurde, sich im Verfahren der subsidiären Verfassungsbeschwerde auch auf
Art. 9 BV
und auf
Art. 8 Abs. 1 BV
berufen und geltend machen kann, sämtliche bundes- und kantonalrechtlichen Einbürgerungsvoraussetzungen seien offensichtlich erfüllt, weshalb sich ihre Nichteinbürgerung als klarerweise unhaltbar und rechtsungleich erweise.
(...)
2.
2.1
Nach Auffassung des Beschwerdeführers entbehrt der negative Einbürgerungsentscheid der Bürgerversammlung vom 27. März 2009 einer hinreichenden Begründung und verletzt
Art. 29 Abs. 2 BV
. Eine Gehörsverletzung erblickt der Beschwerdeführer namentlich in der (von ihm behaupteten) Berücksichtigung der nachträglichen Stellungnahme der Gemeinde vom 11. Mai 2009 sowie zweier Leserbriefe vom 2. und 26. März 2009.
BGE 138 I 305 S. 314
2.2
Die Vorinstanz hat erwogen, anlässlich der Bürgerversammlung habe ein Stimmbürger ausdrücklich vorgebracht, dass er den Beschwerdeführer als mangelhaft integriert betrachte, weil eine behinderte Person dann als integriert anzusehen sei, wenn sie in einem Behindertenverein mitwirke oder in einer Behindertenwerkstatt arbeite, was der Beschwerdeführer nicht tue. Damit sei - so hat die Vorinstanz weiter ausgeführt - der Aspekt der (angeblich) mangelhaften Integration des Beschwerdeführers an der Bürgerversammlung ausdrücklich thematisiert worden. Nachdem die Bürgerschaft das Einbürgerungsgesuch abgelehnt habe, sei davon auszugehen, dass die Mehrheit der Bürgerversammlung diese Argumentation geteilt habe. Die Gemeinde habe den Ablehnungsgrund der mangelhaften Integration in ihrer nachträglichen Begründung einzig verdeutlicht, was erlaubt sei. Von einem unzulässigen Nachschieben von Gründen könne nicht gesprochen werden. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer ohne Weiteres in der Lage gewesen sei, den Entscheid der Bürgerschaft anzufechten.
2.3
Ablehnende Entscheide über Einbürgerungen unterliegen gestützt auf
Art. 29 Abs. 2 BV
und
Art. 15b BüG
der Begründungspflicht. Bestätigt eine Gemeindeversammlung einen ablehnenden Antrag des Gemeinderats, kann in der Regel und vorbehältlich abweichender Voten davon ausgegangen werden, dass die Gemeindeversammlung dem Antrag und seiner Begründung zustimmt. Verweigert die Gemeindeversammlung wie im zu beurteilenden Fall entgegen dem Antrag des Gemeinderats eine Einbürgerung, hat sich die Begründung aus den Wortmeldungen zu ergeben. Werden an der Gemeindeversammlung Gründe für die Ablehnung einer Einbürgerung genannt und wird darüber unmittelbar im Anschluss an die Diskussion abgestimmt, kann angenommen werden, dass die ablehnenden Gründe von der Mehrheit der Abstimmenden mitgetragen werden. In der Regel wird damit ein ablehnender Gemeindeversammlungsbeschluss hinreichend begründet werden können, sodass der abgelehnte Bewerber weiss, weshalb sein Gesuch abgewiesen worden ist. In solchen Konstellationen liegt formal eine hinreichende Begründung vor (vgl.
BGE 132 I 196
E. 3.1 S. 197;
BGE 130 I 140
E. 5.3.6 S. 154; je mit Hinweisen).
Das Bundesgericht schliesst eine nachträgliche Präzisierung der Begründung nicht prinzipiell aus, erachtet aber das Nachschieben völlig neuer Gründe als unzulässig (vgl. Urteil 1P.786/2006 vom 22. März 2007 E. 5, in: ZBl 109/2008 S. 161). Ob es sich um eine
BGE 138 I 305 S. 315
zulässige nachträgliche Präzisierung im Sinne einer Verdeutlichung der anlässlich einer Gemeindeversammlung vorgebrachten Begründungselemente oder um ein unzulässiges Nachschieben von Gründen handelt, kann nicht abstrakt, sondern lediglich aufgrund der konkreten Sachumstände entschieden werden (Urteil 1D_6/2007 vom 25. Januar 2008 E. 3.1).
2.4
Die Vorinstanz hat die vom Beschwerdeführer erwähnten Leserbriefe vom 2. und 26. März 2009 in ihrer Urteilsbegründung nicht berücksichtigt. Die Rüge des Beschwerdeführers ist folglich insoweit nicht stichhaltig. Seinen weiteren Einwand, die Vorinstanz hätte nicht auf die nachträgliche Stellungnahme der Gemeinde vom 11. Mai 2009 abstellen dürfen, substanziiert er nicht näher. Insbesondere unterlässt er es, konkret darzutun, welche von der Vorinstanz für die Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs ins Feld geführten Begründungselemente von den an der Bürgerversammlung abgegebenen Voten nicht gedeckt sein sollen. Insoweit fehlt es an einer hinreichenden Beschwerdebegründung (
Art. 42 Abs. 2 BGG
) dafür, dass im ablehnenden Entscheid unzulässige Gründe nachgeschoben worden sind und der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne einer formellen Begründung verletzt worden ist.
Gestützt auf die einschlägigen und grundsätzlich verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (
Art. 105 Abs. 1 BGG
) hinsichtlich der an der Bürgerversammlung gefallenen Voten ist vielmehr von einer formell hinreichenden Begründung des angefochtenen Beschlusses auszugehen.
3.
3.1
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Diskriminierungsverbots gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
. Er macht geltend, eine Gesamtbeurteilung der an der Bürgerversammlung abgegebenen Voten lasse vermuten, dass die Abweisung seines Einbürgerungsgesuchs wegen seiner Herkunft aus dem Balkan und wegen seiner Behinderung erfolgt sei.
Der Beschwerdeführer betont, wer einen Menschen nicht einbürgere, weil er aufgrund seiner Behinderung nicht arbeiten könne, sich nicht in einer Behindertenorganisation engagiere und nicht auf eine Behindertenwerkstatt ausweiche, der handle letztlich diskriminierend, da dies im Ergebnis bedeute, dass sich Menschen mit Behinderung mangels Erwerbs einem faktischen Zwang unterziehen müssten, eine Tätigkeit in einer Behindertenorganisation oder einer
BGE 138 I 305 S. 316
Behinderten werkstatt auszuüben, einzig weil sie behindert seien. Entscheidend sei, dass er sich nicht wie ein Nichtbehinderter am Dorfleben beteiligen könne und wesentlich höhere Vorurteile zu überwinden habe. Dadurch sei er von vornherein diskriminiert. Wahrscheinlich sei, dass einige Stimmbürger und Stimmbürgerinnen sein allgemeines Auftreten - d.h. seine Erscheinung im Rollstuhl, seine Schwierigkeiten bei der Artikulation sowie seine spastischen Bewegungen - an sich als unangenehm empfinden würden. Im Ergebnis verletze der angefochtene Entscheid deshalb das Diskriminierungsverbot.
3.2
Die Vorinstanz hat erwogen, dem Beschwerdeführer eine ungenügende Beteiligung am gesellschaftlichen Leben in der Wohngemeinde vorzuwerfen und dies als fehlende Integration auszulegen, sei nicht diskriminierend. Hinweise darauf, dass das Einbürgerungsgesuch des Beschwerdeführers wegen dessen Herkunft oder Behinderung abgewiesen worden sei, fänden sich keine.
3.3
Gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen seiner Herkunft und der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person ungleich behandelt wird allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, welche historisch oder in der gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit tendenziell ausgegrenzt oder als minderwertig angesehen wird. Die Diskriminierung stellt eine qualifizierte Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen dar, indem sie eine Benachteiligung von Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an Unterscheidungsmerkmalen anknüpft, die einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betroffenen Personen ausmachen; insofern beschlägt das Diskriminierungsverbot auch Aspekte der Menschenwürde nach
Art. 7 BV
.
Das Diskriminierungsverbot gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
schliesst indes die Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal - wie beispielsweise Herkunft, Rasse, Geschlecht, soziale Stellung oder religiöse Überzeugung - nicht absolut aus. Eine solche begründet zunächst lediglich den blossen Verdacht einer unzulässigen Differenzierung. Dieser kann durch eine qualifizierte Rechtfertigung umgestossen werden. Eine indirekte oder mittelbare Diskriminierung liegt demgegenüber vor, wenn eine Regelung, die keine offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung geschützten Gruppen enthält, in ihren tatsächlichen Auswirkungen Angehörige einer solchen
BGE 138 I 305 S. 317
Gruppe besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre (
BGE 135 I 49
E. 4.1 S. 53 f. mit Hinweisen).
3.4
Die anlässlich der Bürgerversammlung von einem Stimmbürger gemachte Einschätzung, der Beschwerdeführer könnte im Interesse der Integration in einem Behindertenverein mitwirken oder in einer Behindertenwerkstätte arbeiten, ist nicht diskriminierend. Vielmehr liegt dem Votum die Vorstellung zugrunde, die von Gesuchstellern zu verlangende lokale Integration äussere sich (auch) durch Mitwirken in Vereinen oder anderen Organisationen der Gemeinde. Dass es für behinderte Personen unter Umständen schwieriger sein kann, sich am Dorfleben und allgemein an öffentlichen Aktivitäten zu beteiligen, ist zwar nicht in Abrede zu stellen. Dies rechtfertigt es aber nicht, Vorhaltungen, es an jeglichen Anstrengungen zur Integration fehlen zu lassen und sich nicht am öffentlichen Leben zu beteiligen, einer Diskriminierung gleichzusetzen. Allein die Vermutung des Beschwerdeführers, die Stimmbürger könnten sein Einbürgerungsgesuch infolge seiner Erscheinung (Rollstuhl, Schwierigkeiten beim Artikulieren, spastische Bewegungen) abgelehnt haben, ist nicht geeignet, den negativen Einbürgerungsentscheid als diskriminierend hinzustellen.
Zu keinem anderen Ergebnis führt die Berücksichtigung der Tatsache, dass ein Votum eines Stimmbürgers an der Bürgerversammlung in diskriminierender Weise unmittelbar auf die Herkunft des Beschwerdeführers zielte. Im bundesgerichtlichen Verfahren wird ein kantonaler Entscheid auf Beschwerde hin nicht schon allein wegen einzelner Begründungselemente, sondern nur dann aufgehoben, wenn er sich auch im Ergebnis als verfassungswidrig erweist. Negative Einbürgerungsentscheide gelten als haltbar, wenn zur Begründung nebst diskriminierenden auch nicht-diskriminierende Äusserungen gemacht werden. Dies ist vorliegend der Fall, weist doch der an der Versammlung erhobene Einwand der mangelnden lokalen Integration für sich genommen keine diskriminatorischen Elemente auf. Können die Wortmeldungen insgesamt als Hinweise auf eine mangelnde Integration verstanden werden und liegt insoweit eine haltbare Begründung vor, bleiben weitere Begründungselemente, selbst wenn sie für sich genommen diskriminierend sind, unbeachtlich (vgl.
BGE 134 I 56
E. 3 S. 59).
4.
4.1
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz sei in Willkür verfallen, da sie bei der Beurteilung der Integrationsfrage qualifiziert
BGE 138 I 305 S. 318
falsche Gewichtungen vorgenommen und seine Bemühungen um berufliche Weiterbildung verkannt habe. Er sei gut mit den hiesigen Lebensgewohnheiten, Sitten und Traditionen vertraut und spreche ausserordentlich gut deutsch. Aufgrund seiner massiven Körperbehinderung könne er kein Einkommen erzielen. Trotzdem habe er berufliche Integrationsanstrengungen unternommen, indem er bei der Invalidenversicherung ein Gesuch gestellt habe, eine Weiterbildung machen zu können. Sein Gesuch sei jedoch abgelehnt worden. Zusammenfassend betont der Beschwerdeführer, es sei nicht haltbar, ihm eine mangelnde (lokale) Integration vorzuwerfen.
4.2
Die Vorinstanz hat erwogen, der Bürgerversammlung komme beim Entscheid über die Einbürgerung ein weiter Ermessensspielraum zu, und es sei zulässig, von einem Gesuchsteller eine gewisse lokale Integration einzufordern. Von einer Person, die sich um das Schweizer Bürgerrecht bewerbe, dürfe eine allmähliche Angleichung an die schweizerischen Gewohnheiten verlangt werden, die darin bestehe, dass die Person tatsächlich in einen eigentlichen Kontakt mit der Bevölkerung des aufnehmenden Gemeinwesens trete und hierfür einen entsprechenden Integrationswillen bezeuge.
Die persönlichen Kontakte des Beschwerdeführers zu Einheimischen bezeichne dieser selbst als schwach. Bezugspersonen ausserhalb seiner engsten Familie habe der Beschwerdeführer keine genannt. Zudem wirke der Beschwerdeführer weder in Dorfvereinen noch in anderen Institutionen mit. Der Beschwerdeführer habe von 1994 bis 1998 in einer Behindertenwerkstätte gearbeitet, diese Tätigkeit dann aber aus freien Stücken aufgegeben und seither nicht wieder aufgenommen. Die Vorinstanz hat weiter hervorgehoben, es sei schwierig nachzuvollziehen, weshalb eine Person, welche zwar körperlich behindert und dadurch an den Rollstuhl gefesselt sei, aber nach eigenen Angaben fliessend deutsch spreche und über gute EDV-Kenntnisse verfüge, keine irgendwie geartete Tätigkeit ausführe, um zumindest teilweise für den eigenen Lebensunterhalt aufzukommen und damit Eigenverantwortung wahrzunehmen oder mit gleichgesinnten Personen zu kommunizieren. Es stehe ausser Frage, dass dem Beschwerdeführer nicht alle erdenklichen Möglichkeiten zur Teilnahme am öffentlichen bzw. gesellschaftlichen Leben offenstünden. Gerade deshalb sei es jedoch nicht verständlich, wenn eine behinderte Person den bestehenden, auch für Behinderte geeigneten oder für diese geschaffenen Institutionen fernbleibe und auf jegliche Teilnahme am öffentlichen Leben verzichte.
BGE 138 I 305 S. 319
Die Vorinstanz hat im Ergebnis gefolgert, wenn die Bürgerschaft eine fehlende oder eine ungenügende Beteiligung des Beschwerdeführers am gesellschaftlichen Leben in der Wohngemeinde als fehlende Integration und damit als Grund für die Ablehnung eines Einbürgerungsgesuchs betrachte, könne ihr kein willkürliches Handeln vorgeworfen werden. Die Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs beruhe auf sachlich haltbaren Gründen. Beim Beschwerdeführer seien keine hinreichenden Merkmale einer vertieften Integration in die gesellschaftlichen Verhältnisse der Wohngemeinde ersichtlich.
4.3
Nach der ständigen Praxis des Bundesgerichts liegt Willkür in der Rechtsanwendung vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (
BGE 137 I 1
E. 2.4 S. 5 mit Hinweisen).
4.4
Die Vorinstanz hat willkürfrei festgestellt, dass der Beschwerdeführer keine nennenswerten persönlichen Kontakte zu Einheimischen pflegt, dass er in keinen Dorfvereinen mitwirkt und auch keine anderen Angebote der Gemeinde wahrnimmt und dass er seit Aufgabe seiner Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte 1998 trotz guter Deutsch- und EDV-Kenntnisse keiner irgendwie gearteten Tätigkeit nachgeht.
Der Beschwerdeführer bestreitet diese tatsächlichen Feststellungen nicht. Vielmehr bestätigt er sie indirekt, wenn er einräumt, sich aus dem Dorfleben zurückgezogen zu haben, weil er seitens der einheimischen Bevölkerung Ablehnung erfahren habe. Der Rückzug des Beschwerdeführers aus dem gesellschaftlichen Leben erscheint aufgrund der gesamten Umstände zwar verständlich. Auch ist - wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat - nicht zu verkennen, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner körperlichen Behinderung nur über eingeschränkte Möglichkeiten zur Teilnahme am Dorfleben verfügt, weshalb dem Beschwerdeführer zuzustimmen ist, dass die Anforderungen an seinen Integrationswillen nicht zu hoch angesetzt werden dürfen. Wenn der Beschwerdeführer aber bewusst auf jegliche Teilnahme am öffentlichen Leben verzichtet und mit
BGE 138 I 305 S. 320
Ausnahme des bei der Invalidenversicherung gestellten Weiterbildungsgesuchs auch keinerlei Integrationsbestrebungen unternimmt, dann kann die Feststellung der Vorinstanz, beim Beschwerdeführer seien keine hinreichenden Merkmale einer vertieften lokalen Integration ersichtlich, jedenfalls nicht als geradezu unhaltbar qualifiziert werden. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4ba1ea36-586d-4616-8515-15c0dce4e579 | Urteilskopf
120 III 86
27. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 22. Juli 1994 i.S. U.G. (Rekurs) | Regeste
Nachpfändung (
Art. 145 SchKG
).
Nachpfändung von Amtes wegen und Nachpfändung auf Antrag eines Gläubigers (E. 3b/3c).
Wird die Verwertung zuvor gepfändeter Gegenstände unmöglich, so ist unabhängig der Gründe, die dazu geführt haben, von Amtes wegen eine Nachpfändung vorzunehmen (E. 3d). | Erwägungen
ab Seite 86
BGE 120 III 86 S. 86
Aus den Erwägungen:
3.
b) Stellt sich nach der Verwertung der gepfändeten Vermögenswerte heraus, dass ihr Erlös entgegen der Schätzung des Betreibungsamtes den Betrag der Forderungen nicht deckt, ist von Amtes wegen eine Nachpfändung vorzunehmen (
Art. 145 SchKG
;
BGE 114 III 98
E. 1c S. 101; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5.A. 1993, S. 211 N. 19; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3.A. 1993, S. 197; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, 1984, Band I, S. 458 N. 9).
c) Werden Vermögenswerte des Schuldners entgegen
Art. 91 SchKG
nicht in die Pfändung einbezogen oder vom Betreibungsamt nicht in die Pfändungsurkunde aufgenommen, obwohl sie zur Zeit der Pfändung schon vorhanden waren, so sind diese nicht von Amtes wegen, sondern nur auf ausdrücklichen Antrag eines Gläubigers nachzupfänden (JAEGER, Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, 3.A. 1911, Band I, Art. 145 N. 1).
d) Entgegen der Darstellung des Rekurrenten liegt der Grund für die vom Bezirksgericht angeordnete Nachpfändung nicht in der irrtümlichen
BGE 120 III 86 S. 87
Ausstellung von Pfandausfallscheinen statt von Verlustscheinen. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmte, für die Gruppe Nr. 489 zuvor gepfändete Waffensammlung durch Verfügung des Statthalteramtes dem Betreibungsamt herausgegeben und alsdann durch das Obergericht gemäss
Art. 58 StGB
wieder eingezogen worden war. Der mit der Ausfällung vollstreckbare obergerichtliche Entscheid wurde indessen vom Kassationsgericht später aufgehoben; die dagegen eingereichte staatsrechtliche Beschwerde wurde vom Bundesgericht abgewiesen.
Hat der Schuldner unerlaubterweise über gepfändete Gegenstände verfügt oder ist er unter Mitnahme derselben mit unbekanntem Ziel weggezogen, so ist nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtes in analoger Anwendung von
Art. 145 SchKG
von Amtes wegen zur Nachpfändung zu schreiten. Der Sinn dieser Regelung erfordert nämlich nicht nur im Falle eines ungenügenden Verwertungserlöses eine Nachpfändung, sondern auch dann, wenn die Verwertung des Pfandgutes - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr möglich ist (
BGE 58 III 164
E. 2;
48 III 87
/88 E. 2). Diese Auffassung wird denn auch von der Lehre befürwortet (AMONN, a.a.O., S. 211 N. 19; FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., S. 458 N. 10 Fn. 17).
Auch im vorliegenden Fall ist die Verwertung der zuvor gepfändeten Gegenstände unmöglich geworden. Da es auf die Gründe, die dazu geführt haben, nach der Rechtsprechung gerade nicht ankommen kann, sind die Voraussetzungen einer Nachpfändung auch hier erfüllt. Sie war vorzunehmen, da die ursprüngliche Pfändung durch den Wegfall der strafrechtlichen Beschlagnahme nicht wieder auflebt. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4ba411dd-0f6b-4b95-9b19-63f43a21bdb5 | Urteilskopf
90 I 49
7. Extrait de l'arrêt du 21 février 1964 dans la cause Brauen contre Commission vaudoise de recours en matière d'impôts. | Regeste
Militärpflichtersatz,
Art. 4 Abs. 1 lit. b MStG
.
Fall des Mannes, der zu Unrecht diensttauglich erklärt wurde. Erw. 2.
Verschlimmerung eines progressiven Leidens durch den Dienst. Erw. 2.
- Angeborene Missbildung der Wirbelsäule mit Skoliose und Osteochondrose. Erw. 3. | Erwägungen
ab Seite 50
BGE 90 I 49 S. 50
2.
Selon l'art. 4 al. 1 lit. b LTM, est exonéré de la taxe celui qui, au cours de l'année d'assujettissement, est inapte au service "en raison d'une atteinte portée à sa santé par le service". Tel sera le cas lorsque le service a aggravé d'une manière sensible et durable une maladie préexistante, même si elle entraînait déjà l'inaptitude, mais a été précédemment ignorée, de sorte que l'homme a été astreint au service à tort (RO 85 I 61, no 9). Cependant, si l'aggravation n'est que temporaire, l'exonération le sera aussi et prendra fin dès lors que les influences nocives du service ne se feront plus sentir. Il en ira ainsi lorsque l'état antérieur au service aura été rétabli ou, s'agissant d'une maladie de nature progressive, au moment où l'on peut admettre avec une vraisemblance suffisante que, s'il était resté dans la vie civile, le malade se serait trouvé dans le même état.
3.
Les experts ont constaté que les affections de la colonne vertébrale que présente le recourant (malformation congénitale avec scoliose, en outre, selon le Dr Buffat, ostéochondrose) sont antérieures au service, lequel n'a fait que les révéler et les aggraver. Mais si le Dr Buffat a déclaré ne pas pouvoir se prononcer, au moment où il a examiné le malade, sur la nature, l'importance et la durée possible de l'aggravation, on ne saurait, comme le croit Brauen, inférer de son rapport que l'aggravation durerait autant que les douleurs elles-mêmes. Quant au Dr Scholder, expert judiciaire, il a affirmé, deux ans plus tard, que l'influence nocive du service allait s'affaiblissant; après l'ablation des amygdales et un traitement de quatre mois par la gymnastique rééducative, il a estimé, le 25 juin 1962, que les symptômes - du reste presque purement subjectifs - qui subsistaient étaient dus aux déformations antérieures au service. Il a donc admis que l'affection constatée était progressive et qu'au bout d'un certain temps, c'est-à-dire à partir du 1er janvier 1962, elle aurait entraîné, même sans l'intervention du service, l'état douloureux dont Brauen se plaint aujourd'hui.
.....
BGE 90 I 49 S. 51
Pour ce faire, il a considéré premièrement que, comme travailleur agricole, le recourant est astreint à des efforts physiques parfois pénibles, ce qui, en tout cas, peut favoriser l'apparition des douleurs. Il a tenu compte secondement de la nature et de l'importance des facteurs aggravants dus au service (l'infection des voies respiratoires supérieures et la chute allégués), enfin des traitements accordés pour compenser l'aggravation qui en est résultée. Le Tribunal fédéral n'a aucune raison de révoquer en doute cette appréciation de l'expert. Elle n'établit, il est vrai, qu'une probabilité, non une certitude. Mais, en matière de causalité adéquate, notion qui fait intervenir le cours normal des choses, la probabilité est décisive, pourvu qu'elle soit assez forte. Tel est le cas, en l'espèce.... | public_law | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
4bafdcce-6973-4c37-a2c8-ce1f1fb9d2d6 | Urteilskopf
113 Ib 7
2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. April 1987 i.S. Kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer Schwyz gegen Welttheatergesellschaft Einsiedeln und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Befreiung eines Vereins von der Steuerpflicht für das Vermögen und Einkommen, das ausschliesslich gemeinnützigen Zwecken dient (
Art. 16 Ziff. 3 BdBSt
).
1.
Art. 16 Ziff. 3 BdBSt
gewährt die Steuerbefreiung nicht schon bei Gemeinnützigkeit schlechthin, sondern beschränkt sie auf ausschliesslich gemeinnützige Zwecke (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2).
2. Nicht jede die Allgemeinheit bereichernde Tätigkeit kultureller oder künstlerischer Art ist ausschliesslich gemeinnützig. Ausschliesslich gemeinnützig tätig ist ein Verein jedoch dann, wenn er - ohne Eigeninteressen für sich oder seine Mitglieder zu verfolgen - künstlerisch hochstehende Produktionen für eine breite Öffentlichkeit anbietet, die nicht bloss der Unterhaltung dienen, sondern allgemeinbildenden und das (geistige) Volkswohl fördernden Charakter haben (E. 3 und 4).
3. Bei der Beurteilung dieser Fragen steht der kantonalen Instanz ein gewisser Spielraum zu, in den das Bundesgericht nicht eingreift (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 113 Ib 7 S. 8
Unter dem Namen "Welttheatergesellschaft Einsiedeln" besteht ein Verein mit Sitz in Einsiedeln im Sinne von
Art. 60 ff. ZGB
. Gemäss ihren Statuten ist die Gesellschaft Trägerin der Aufführungen des Einsiedler Grossen Welttheaters; ferner bezweckt sie, das kulturelle Leben in Einsiedeln zu fördern. Im Falle der Auflösung der Gesellschaft darf das Vereinsvermögen nicht unter die Mitglieder verteilt werden; es ist vielmehr als "Stiftung zur Förderung des kulturellen Lebens in Einsiedeln" dem Bezirk Einsiedeln mit der Auflage in Verwaltung zu geben, es einem später zu gründenden Verein zu übergeben, welcher den gleichen Zweck wie die heutige Welttheatergesellschaft verfolgt.
In den letzten Jahrzehnten inszenierte der Verein in unregelmässigen Abständen Aufführungen des barocken Sakramentsspiels "Das Grosse Welttheater" von Don Pedro Calderon de la Barca (1600-1681) auf dem Platz vor dem Kloster Einsiedeln. Diese Freilichtaufführungen, an denen mehrere Hundert Personen aus Einsiedeln als Schauspieler, Statisten, Ordnungshüter usw. beteiligt waren, stiessen jeweils auf grosses Publikumsinteresse. Eine Neuinszenierung fand unter anderem im Sommer 1981 statt.
Im Verfahren zur Veranlagung der direkten Bundessteuer 1983/84 (Berechnungsperiode 1981/82) stellte sich die Welttheatergesellschaft auf den Standpunkt, sie verfolge einen ausschliesslich gemeinnützigen Zweck und sei daher gestützt auf
Art. 16 Ziff. 3 BdBSt
von der Steuerpflicht zu befreien. Die Kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer Schwyz wies dieses Begehren ab. Mit Urteil vom 19. September 1985 gewährte das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz der Welttheatergesellschaft auf Beschwerde hin die beantragte Steuerbefreiung. Die von der
BGE 113 Ib 7 S. 9
Kantonalen Verwaltung für die direkte Bundessteuer Schwyz gegen dieses Urteil erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ab aus den folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
a) Gemäss
Art. 51 Abs. 1 lit. a BdBSt
umfasst die direkte Bundessteuer der Vereine an sich eine Steuer vom Einkommen und eine Ergänzungssteuer vom Vermögen. Von der Steuerpflicht befreit sind privatrechtliche Körperschaften wie die Vereine jedoch für das Vermögen und Einkommen, das Kultus- und Unterrichtszwecken, der Fürsorge für Arme und Kranke, für Alter und Invalidität oder andern ausschliesslich gemeinnützigen Zwecken dient (
Art. 16 Ziff. 3 BdBSt
). Die Frage, ob eine Körperschaft oder Anstalt gemäss
Art. 16 Ziff. 3 BdBSt
von der Steuerpflicht befreit ist, kann ebenso wie bei den Gemeinden sowie den andern öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten im Sinne von
Art. 16 Ziff. 2 BdBSt
in jeder Veranlagungsperiode neu geprüft werden (ASA 55, 217 ff. E. 3).
b) Mit der Frage der Steuerbefreiung privatrechtlicher Körperschaften und Anstalten wegen Gemeinnützigkeit hat sich das Bundesgericht in reichhaltiger Rechtsprechung nicht nur zur direkten Bundessteuer (bzw. früher zur Wehrsteuer), sondern auch zur Stempelabgabe, zur neuen ausserordentlichen Kriegssteuer, zur Krisenabgabe und zum Wehropfer befasst (vgl. dazu die Hinweise in
BGE 76 I 202
E. 1;
BGE 74 I 311
E. 1;
BGE 71 I 124
/5 E. 1;
BGE 66 I 180
ff. E. 1; ASA 16, 351/2; 14, 242 E. 2). Dabei hat es diesen Steuerbefreiungstatbestand durchwegs in sehr engem Sinne interpretiert und stets festgehalten, dass
Art. 16 Ziff. 3 BdBSt
(bzw. die entsprechenden Bestimmungen in den anderen Bundessteuererlassen) die Steuerbefreiung den privatrechtlichen Körperschaften nicht schon bei Gemeinnützigkeit schlechthin gewähre, sondern sie auf ausschliesslich gemeinnützige Zwecke beschränke. Der Begriff der ausschliesslichen Gemeinnützigkeit wurde in ständiger Rechtsprechung nicht in dem weiten Sinne verstanden, der jede Betätigung im Dienste der Allgemeinheit umfasst und der auch alle Bestrebungen einschliessen würde, welche irgendwie auf wirtschaftliche oder soziale Förderung einzelner Bevölkerungskreise gerichtet sind (
BGE 76 I 202
E. 1;
BGE 74 I 311
E. 1;
BGE 71 I 124
E. 1;
BGE 66 I 180
/1 E. 1;
BGE 63 I 319
E. 2; ASA 25, 360 E. 1; 20, 247/8 E. 1; 14, 242 E. 2). Als wesentlich wurde angesehen, dass es sich seitens der Körperschaft, die Anspruch auf Steuerbefreiung erhebt, und ihrer Mitglieder um
BGE 113 Ib 7 S. 10
eine uneigennützige Wirksamkeit handelt, bei der zum allgemeinen Besten Opfer gebracht werden (
BGE 76 I 202
E. 1 und die oben zitierten Urteile). Dies ist dann nicht der Fall, wenn mit einer gemeinnützigen Zielsetzung auch Erwerbszwecke oder sonst eigene, unmittelbare Interessen der Mitglieder verknüpft sind (
BGE 73 I 324
E. 1, mit Hinweisen). Der Tatbestand der Steuerbefreiung nach
Art. 16 Ziff. 3 BdBSt
ist demnach wesentlich enger gefasst als vergleichbare Steuerbefreiungen in verschiedenen kantonalen Steuergesetzen, die teilweise die Verfolgung eines bloss ideellen Zweckes genügen lassen (vgl. z.B. § 5 lit. d des Steuergesetzes des Kantons Schwyz vom 28. Oktober 1958).
Ein Verein wird - wie das Bundesgericht ebenfalls erkannt hat - auch nicht ausschliesslich dadurch gemeinnützig, dass er von einem Gemeinwesen Subventionen erhält. Es liegt kein Widerspruch darin, wenn einer Unternehmung, die aus öffentlichen Mitteln unterstützt wird, die Steuerfreiheit versagt wird (
BGE 73 I 320
, mit Hinweisen).
An dieser langjährigen und konstanten Praxis zu
Art. 16 Ziff. 3 BdBSt
ist grundsätzlich festzuhalten.
3.
a) Die Verfolgung kultureller Zwecke wird gelegentlich generell als gemeinnützig bezeichnet (vgl. das obiter dictum in
BGE 73 I 321
E. 4 sowie KÄNZIG, Wehrsteuer, 2. Aufl., N 15 zu Art. 16 WStB, S. 173). Diese undifferenzierte Betrachtungsweise geht indessen im Hinblick auf den engen Wortlaut von
Art. 16 Ziff. 3 BdBSt
zu weit (vgl. zum enger verstandenen Begriff der Gemeinnützigkeit auch GEERING, Gemeinnützigkeit als Befreiungsgrund bei kantonalen und eidgenössischen Steuern, in Vierteljahresschrift für Schweizerisches Abgaberecht VIII/1927 S. 297/8).
Nicht jede die Allgemeinheit bereichernde Tätigkeit kultureller oder künstlerischer Art ist ausschliesslich gemeinnützig, und zwar selbst dann nicht, wenn sie sich an ein breites Publikum richtet. So kann etwa bei Veranstaltungen mit bloss unterhaltendem Charakter nicht von Gemeinnützigkeit gesprochen werden (
BGE 63 I 319
/320 E. 2). Gemeinnützigkeit dürfte dagegen z.B. vorliegen, wenn von einem Verein künstlerische Publikumsveranstaltungen zur uneigennützigen Förderung von Künstlern durchgeführt werden, die einer solchen Förderung bedürfen (vgl. in diesem Sinne etwa
BGE 69 I 27
ff.). Sodann wird man Gemeinnützigkeit annehmen können, wenn künstlerisch hochstehende Produktionen für eine breite Öffentlichkeit angeboten werden, die nicht bloss der Unterhaltung des Publikums dienen, sondern allgemeinbildenden
BGE 113 Ib 7 S. 11
und das (geistige) Volkswohl fördernden, allenfalls auch religiös erbauenden Charakter haben. So wurde etwa die Musikpflege, wie sie in Basel von den grossen Konzertgesellschaften unter Inanspruchnahme der Konzertsäle der Casino-Gesellschaft betrieben wurde, als gemeinnützig angesehen (
BGE 63 I 318
/9 E. 1).
In einem neueren Entscheid zum kantonalen Steuerrecht ist das Bundesgericht noch weiter gegangen, indem es sogar unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkürkognition einen zoologischen Garten - im weiten Sinne ebenfalls Bestandteil unserer Kultur - als nicht bloss der Unterhaltung und Zerstreuung der Besucher dienend betrachtete, sondern einem solchen unter fachkundiger wissenschaftlicher Leitung stehenden Betrieb eine bedeutende soziale Funktion und deshalb Gemeinnützigkeit beimass, da er zur Förderung des Verständnisses für Tiere, den Tierschutz usw. beiträgt (nicht veröffentlichte E. 9a des Urteils vom 18. März 1983 i.S. Zoologischer Garten Basel AG [
BGE 109 Ia 335
ff.]).
b) Es liegt allerdings auf der Hand, dass die Grenzziehung zwischen bloss unterhaltenden und kulturell wertvollen, dem Allgemeinwohl dienenden Zwecken heikel ist und es kaum Aufgabe der Steuerbehörde sein kann, über den Wert oder Unwert kultureller Veranstaltungen zu befinden (vgl. dazu auch NIGGLI, Gemeinnützigkeit als Steuerbefreiungsgrund, Diss. Zürich 1945, S. 124/5). In der Praxis dürfte sich dieses Abgrenzungsproblem indessen selten stellen. Denn wesentlich ist ausserdem, dass kulturelle und künstlerische Tätigkeiten nur dann ausschliesslich gemeinnützig sind, wenn mit ihnen keine Eigeninteressen des Vereins und seiner Mitglieder verfolgt werden (vgl. dazu etwa das bei VON MANDACH, Die Gemeinnützigkeit im schweizerischen Steuerrecht, Diss. Bern 1945, S. 34, erwähnte Beispiel eines öffentlichen Vortrages kultureller Art, der gleichzeitig Werbezwecken dient) und wenn vom Verein und seinen Mitgliedern in selbstloser Weise Opfer erbracht werden (
BGE 63 I 319
E. 1).
Bei der Beurteilung all dieser Fragen im Einzelfall steht den kantonalen Instanzen und insbesondere den kantonalen Rekurskommissionen und Verwaltungsgerichten, die der Sache näher stehen und lokale Verhältnisse besser kennen als das Bundesgericht, ein gewisser Spielraum zu, in den das Bundesgericht jedenfalls in Grenzfällen nicht eingreift.
4.
a) Es ist unbestritten, dass die von der Beschwerdegegnerin verfolgten Ziele der Förderung der Kultur in Einsiedeln im allgemeinen und der Aufführung des religiösen Sakramentsspiels "Das
BGE 113 Ib 7 S. 12
Grosse Welttheater" im speziellen im Interesse der Allgemeinheit liegen. Unbestritten ist auch, dass die Aufführungen des Grossen Welttheaters das wiederkehrende kulturelle Grossereignis im Kanton Schwyz darstellen und dass sie national, ja international Echo und Anerkennung hervorrufen. Dass die Beschwerdegegnerin damit das Volkswohl fördert und einem breiten Publikum religiöse Erbauung sowie einen bedeutsamen Kunstgenuss bietet, liegt auf der Hand. Möglich wird dies nur durch einen grossen Einsatz der Hunderten von Mitwirkenden während der Proben und Aufführungen. Tätigkeit und Zwecksetzung der Beschwerdegegnerin können an sich ohne weiteres als gemeinnützig bezeichnet werden.
b) Heikler ist im vorliegenden Fall die Frage, ob die Beschwerdegegnerin ausschliesslich gemeinnützig wirkt. Die Tatsache, dass sie von den Zuschauern einen für derartige kulturelle Veranstaltungen marktüblichen Eintrittspreis verlangt und z.B. die finanzielle Leistungsfähigkeit des Theaterbesuchers für dessen Bemessung keine Rolle spielt, spricht eher gegen ausschliessliche Gemeinnützigkeit. Dagegen fallen die den Mitwirkenden sowie den Mitgliedervereinen und dem Kloster Einsiedeln ausgerichteten Beiträge im Verhältnis zum Aufwand und zu den Leistungen, die diese Personen und Vereine sowie das Kloster erbringen, nicht allzu stark ins Gewicht; die Ausrichtung von geringfügigen Entschädigungen, die in keinem Verhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen, muss einer Tätigkeit nicht den Charakter ausschliesslicher Gemeinnützigkeit nehmen (vgl. etwa
BGE 76 I 197
ff.). Dass die Theateraufführungen der Beschwerdegegnerin für den Bezirk Einsiedeln von grosser volkswirtschaftlicher Bedeutung sind, ist eine Nebenfolge dieser Tätigkeiten, die nicht mit ihrer Zwecksetzung zusammenhängt (und in der Vergangenheit wohl nicht von dieser Bedeutung war); sie mag allerdings für manche Einsiedler Motiv zum Mitwirken an den Aufführungen der Beschwerdegegnerin sein und könnte allenfalls die ausschliessliche Gemeinnützigkeit ihrer Tätigkeit in Frage stellen. Das Bundesgericht kann indessen kaum beurteilen, ob die Fortsetzung einer alten, auf religiösen Motiven beruhenden Spieltradition heute durch solche und ähnliche nicht uneigennützige Beweggründe der Vereinsmitglieder (juristischen Personen) und der Mitwirkenden wesentlich beeinflusst wird.
c) Im Lichte des engen Wortlautes von
Art. 16 Ziff. 3 BdBSt
und der entsprechenden bundesgerichtlichen Praxis handelt es sich um einen Grenzfall. Es lassen sich gute Gründe für und gegen die
BGE 113 Ib 7 S. 13
Annahme ausschliesslicher Gemeinnützigkeit anführen. Unter diesen Umständen besteht für das Bundesgericht kein Anlass, in den dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz zustehenden Beurteilungsspielraum einzugreifen und vom Urteil dieser Instanz abzuweichen. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
4bb5825c-9d4d-460e-8d57-9602a20c2849 | Urteilskopf
102 Ib 97
18. Urteil vom 14. Juli 1976 i.S. Fernandez gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Fremdenpolizei: Widerruf der Zusicherung einer Aufenthaltsbewilligung.
- Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (E. 1).
- Voraussetzungen für den Widerruf einer Aufenthaltsbewilligung oder Zusicherung; Bedeutung des Einzelfalles (E. 2-4). | Sachverhalt
ab Seite 97
BGE 102 Ib 97 S. 97
Die Adullam-Stiftung Basel, Krankenhaus und Altersheim, erhielt von der kantonalen Fremdenpolizei am 3. Juni 1975 die auf ein Jahr befristete Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung für die spanische Staatsangehörige Encarnacion Fernandez, die als Hausangestellte beschäftigt werden sollte. Als Grundlage für die Zusicherung diente ein auf dem dafür vorgesehenen Formular gestelltes Gesuch um Erteilung des Stellenantritts, in dem Encarnacion Fernandez ihrem Passeintrag gemäss als "ledig" bezeichnet wurde. Bei der Einreise stellte die Fremdenpolizei fest, dass im Reisepass der Gesuchstellerin drei Kinder eingetragen sind. Abklärungen ergaben, dass die Gesuchstellerin in den Jahren 1959-1962 vier Kinder geboren hatte, von denen das älteste nicht im Pass eingetragen wurde. Die Kinder entsprossen einer in Marokko mit einem Marokkaner geschlossenen Ehe, die im Jahre 1969 durch Verstossung
BGE 102 Ib 97 S. 98
von Seiten des Ehemannes aufgelöst wurde. Dabei wurden die älteren drei Kinder dem Vater, das jüngste der Mutter zugesprochen; alle vier leben beim Vater.
Die Fremdenpolizei hielt dafür, dass die Zusicherung aufgrund falscher Angaben erteilt worden sei, da die Gesuchstellerin ihre vier Kinder verschwiegen habe. Sie verfügte den Widerruf der Zusicherung und forderte Encarnacion Fernandez auf, die Schweiz zu verlassen. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt hat eine gegen die Widerrufsverfügung gerichtete Beschwerde abgewiesen mit der Begründung, der Familiennachzug, der unter den gegebenen Umständen nicht ausgeschlossen werden könne, sei unerwünscht. Das Bundesgericht heisst die dagegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Ausländer, dem eine Aufenthaltsbewilligung zugesichert worden ist, hat grundsätzlich einen Rechtsanspruch darauf, dass ihm die Bewilligung auch erteilt wird, sofern dem nicht besondere Gründe entgegenstehen. Der Ausschliessungsgrund von
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
findet deshalb keine Anwendung. Selbst wenn man annehmen wollte, die Zusicherung verschaffe keinen Rechtsanspruch auf Erteilung der fremdenpolizeilichen Bewilligung, so wäre die Verwaltungsgerichtsbeschwerde dennoch zulässig. Die Zusicherung müsste als begünstigende Verfügung betrachtet werden, deren Widerruf beim Bundesgericht angefochten werden kann, wie sich aus
Art. 101 lit. d OG
ergibt. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten.
2.
Regierungsrat und EJPD gehen in ihren Meinungen auseinander über die Frage, welche Rechtsgrundlage für die Beurteilung der Beschwerde massgebend ist. Der Regierungsrat hält dafür, dass sich die Erteilung der Bewilligung trotz der vorgängigen Zusicherung nach
Art. 15 Abs. 2 und
Art. 16 Abs. 1 ANAG
beurteile, dass den kantonalen Behörden also ein weites Ermessen zustehe. Das EJPD vertritt demgegenüber die Auffassung, es liege ein Widerruf einer Zusicherung vor, dessen Zulässigkeit sich nach
Art. 9 Abs. 2 lit. a ANAG
bestimme. Die Voraussetzungen für einen Widerruf seien erfüllt, da bei Einreichung des Gesuches entweder falsche Angaben
BGE 102 Ib 97 S. 99
gemacht oder wesentliche Tatsachen wissentlich verschwiegen worden seien.
3.
Art. 9 Abs. 2 lit. a ANAG
bestimmt, dass eine Aufenthaltsbewilligung widerrufen werden kann, wenn der Ausländer sie durch falsche Angaben oder wissentliches Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat.
Entgegen der Ansicht des EJPD kann nicht gesagt werden, dass die Beschwerdeführerin die Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung erschlichen hat:
Die Beschwerdeführerin war berechtigt, den Zivilstand anzugeben, der in ihrem Reisepass eingetragen war und ihrem Heimatrecht entsprach. Hätte sie ihren Zivilstand mit "geschieden" angegeben, so hätte die Angabe zwar den tatsächlichen Verhältnissen besser entsprochen, doch wäre ein Unterschied zum Passeintrag entstanden, und streng rechtlich wäre die Angabe nach spanischem Recht ungenau gewesen. Aus der Angabe ihres Zivilstandes mit "ledig" darf der Beschwerdeführerin deshalb kein Vorwurf gemacht werden.
Es wäre ohne Zweifel erwünscht, im Hinblick auf allfälligen späteren Familiennachzug zu wissen, ob der Ausländer, der um eine fremdenpolizeiliche Bewilligung nachsucht, Kinder hat, auch wenn für diese keine Bewilligung verlangt wird. Es ist jedoch Sache der zuständigen Behörde, im Gesuchsformular die entsprechende Frage zu stellen. Unterlässt sie dies, kann der Gesuchsteller nicht wissen, dass die Beantwortung der Frage für die schweizerischen Behörden eine "wesentliche Tatsache" darstellt.
Eine Frau kann Kinder haben, gleichgültig ob sie ledig, verheiratet, verwitwet oder geschieden ist. Aus der Angabe des Zivilstandes mit "ledig" durften die kantonalen Behörden nicht mit hinreichender Sicherheit schliessen, die Beschwerdeführerin habe keine Kinder. Es ist Aufgabe der Fremdenpolizei, nach den "wesentlichen Tatsachen" zu fragen. Unterlässt sie dies, so kann sie dem Gesuchsteller nicht vorwerfen, er habe durch falsche Angaben oder durch wissentliches Verschweigen wesentlicher Tatsachen die Aufenthaltsbewilligung erschlichen. Der Widerruf der fremdenpolizeilichen Bewilligung kann deshalb nicht auf
Art. 9 Abs. 2 lit. a ANAG
gestützt werden.
4.
a) Wie der Regierungsrat zutreffend festgestellt hat, kann eine zugesicherte Aufenthaltsbewilligung noch in weiteren
BGE 102 Ib 97 S. 100
Fällen verweigert werden, auch wenn die Zusicherung nicht erschlichen worden ist.
Gemäss
Art. 6 Abs. 2 ANAV
kann der Ausländer vom Ausland aus ein Gesuch um Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung stellen, und auch der Arbeitgeber in der Schweiz kann ein solches Gesuch stellen. Nach der Einreise und der Anmeldung des Ausländers sind dann die Aufenthaltsverhältnisse zu regeln. Es ist zu entscheiden, ob eine Bewilligung erteilt wird und welcher Art diese sein soll. Dabei sind vor allem sofort die wirklichen Absichten des Ausländers hinsichtlich des Zweckes und der Dauer seines Aufenthaltes festzustellen (
Art. 6 Abs. 1 ANAV
).
Aus dieser Bestimmung, deren Gesetzmässigkeit nicht angefochten ist, ergibt sich, dass die Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung keineswegs vorbehaltlos erfolgen kann; vielmehr haben die zuständigen Behörden das Recht und die Pflicht, durch Befragung des eingereisten Ausländers zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Bewilligung erfüllt sind. Immerhin bedeutet die Nichterteilung der Bewilligung einen Widerruf einer amtlichen Zusage, die ähnlich wie der Widerruf einer erteilten Bewilligung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu beurteilen ist. Dies führt zu einer Einschränkung des Ermessens der kantonalen Behörden bei der Erteilung oder Verweigerung einer zugesicherten Aufenthaltsbewilligung. Ähnlich wie bei der Überprüfung des Widerrufs von Verwaltungsakten ist nach Treu und Glauben abzuwägen zwischen den Interessen des Gesuchstellers, dass sich die Behörde an die Zusicherung hält, und dem öffentlichen Interesse an der rechtsgleichen Erteilung fremdenpolizeilicher Bewilligungen. Bei dieser Interessenabwägung ist gegebenenfalls auch ein unbeabsichtigter Irrtum der Behörde in Betracht zu ziehen, wenn es sich im Lichte des wahren Sachverhaltes rechtfertigt, eine zugesicherte Bewilligung nicht zu erteilen, oder eine bereits erteilte Bewilligung zu widerrufen (
BGE 98 Ib 250
f. E. 4b;
BGE 93 I 395
).
In diesem Sinne berufen sich Regierungsrat und EJPD auf das Kreisschreiben der Eidgenössischen Fremdenpolizei vom 30. Juli 1975 zur Verordnung des Bundesrates vom 9. Juli 1975 über die Begrenzung der Zahl der erwerbstätigen Ausländer. In Ziffer 10.9 dieses Kreisschreibens werden die kantonalen Fremdenpolizeibehörden angewiesen, bei der Erteilung
BGE 102 Ib 97 S. 101
einer Bewilligung an einen ausländischen Arbeitnehmer in jedem Fall abzuklären, welche Auswirkungen sich im Einzelfall hinsichtlich des Familiennachzuges ergeben würden, in der Meinung, dass dort, wo die Gegengründe überwögen, auch dem Familienhaupt als Arbeitskraft die nachgesuchte Bewilligung zu verweigern sei. Nach dieser Bestimmung hatten die Basler Behörden die Pflicht, die Auswirkungen der Tatsache abzuklären, dass die Beschwerdeführerin Mutter von vier minderjährigen Kindern ist. Grundsätzlich geht der Wille des Gesetzgebers und des Bundesrates dahin, die Gesamtzahl der Ausländer in der Schweiz zu stabilisieren und allmählich herabzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es erwünscht, neue Aufenthaltsbewilligungen vornehmlich solchen Arbeitskräften zu erteilen, die nicht nach der Wartefrist von 15 Monaten Ehegatten und Kinder nachziehen möchten und, unter Wahrung der Rechtsgleichheit, gegebenenfalls auch nachziehen könnten. Es erscheint zulässig, solchen Arbeitnehmern bei der Regelung der Aufenthaltsverhältnisse nach erfolgter Einreise zu erklären, sie könnten im kommenden Jahr nicht mit einer Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung rechnen, und dies auch nicht bei Abgabe einer Erklärung, wonach sie unter Verzicht auf das Recht zum Familiennachzug ihre Kinder nicht in die Schweiz kommen lassen wollten; die zuständige Behörde darf im Rahmen des ihr eingeräumten pflichtgemässen Ermessens Aufenthaltsbewilligungen an Elternteile verweigern, die dauernd von ihrer Familie getrennt leben müssten, wenn ihnen der Familiennachzug verweigert würde. Das Kreisschreiben betont jedoch, dass jeder Einzelfall geprüft werden muss; absolute Regeln lassen sich also nicht aufstellen. Immerhin ist es mit dem ANAG vereinbar, zur Vermeidung der dauernden Trennung von Familien eine Aufenthaltsbewilligung nicht zu erneuern, selbst wenn diese Verfügung eine gewisse Härte bedeutet.
b) Die Anwendung dieser Grundsätze vermag aus zwei Gründen den Widerruf der der Beschwerdeführerin gegenüber abgegebenen Zusicherung nicht zu rechtfertigen. Zum einen war nicht zu entscheiden, ob die auf ein Jahr zugesicherte Aufenthaltsbewilligung nach Ablauf eines Jahres nach freiem Ermessen zu verlängern sei oder nicht; zu entscheiden war vielmehr, ob die zugesicherte Aufenthaltsbewilligung verweigert werden könne, weil die Beschwerdeführerin möglicherweise
BGE 102 Ib 97 S. 102
nach Ablauf dieses Jahres ein Einreisegesuch für eines oder mehrere ihrer Kinder stellen könnte. Für das im vorliegenden Verfahren allein zu beurteilende erste Aufenthaltsjahr 1975/1976 kam eine Vergrösserung der ausländischen Wohnbevölkerung durch den Nachzug des Kindes Fatiha zum vorneherein nicht in Betracht. Zum zweiten könnte, selbst wenn schon jetzt die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu beurteilen wäre, nicht übersehen werden, dass unter den gegebenen Umständen kaum je ein Aufenthaltsgesuch für die 14-17 Jahre alten Kinder gestellt werden dürfte; drei dieser vier Kinder sind dem in Marokko lebenden Vater zugesprochen worden, und auch das vierte könnte der Mutter nur mit Zustimmung des Vaters, bei dem es lebt, herausgegeben werden. Zudem hat die Mutter vor dem spanischen Konsulat eine beglaubigte Erklärung abgegeben, sie werde die Kinder nicht zu sich nehmen. Wie immer dieser Umstand von den zuständigen Behörden bei Beurteilung des Gesuches um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu beurteilen sein wird, er kann jedenfalls nicht ein genügendes öffentliches Interesse begründen, um die Verweigerung der zugesicherten Aufenthaltsbewilligung für das nunmehr bereits abgelaufene Jahr zu rechtfertigen. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt vom 28. Oktober 1975 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
4bb67f26-cd81-4c16-95be-872901a38d38 | Urteilskopf
120 II 1
1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Januar 1994 i.S. K. S. gegen M. S. und Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Abänderung vorsorglicher Massnahmen (
Art. 4 BV
,
Art. 145 ZGB
)
1. Anwendungsbereich vorsorglicher Massnahmen nach Rechtskraft der Scheidung (E. 2a, 2b, 2c).
2. Das eheliche Wohnhaus ist bis zum Entscheid über die güterrechtliche Auseinandersetzung einer der Parteien zur Nutzung zuzuteilen, worüber nach Zweckmässigkeit und unabhängig der sachenrechtlichen, güterrechtlichen oder vertragsrechtlichen Beurteilung zu entscheiden ist (E. 2d). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 120 II 1 S. 1
Mit Urteil vom 20. Oktober 1992 schied das Obergericht des Kantons Luzern die Ehe von K. S. und M. S. und wies die Sache zur Regelung der Nebenfolgen an das Amtsgericht Sursee zurück; die Scheidung ist am 1. Dezember 1992 in Rechtskraft erwachsen. Am 4. Dezember 1992 verlangte
BGE 120 II 1 S. 2
K. S. vom Amtsgericht Sursee, M. S. habe das Wohnhaus Locheten auf erstes Begehren, eventuell in Abänderung der vorsorglichen Massnahmen, zu verlassen. Mit Entscheid vom 24. Mai 1993 wurde dieses Gesuch abgewiesen und K. S. gemäss dem Antrag von M. S. aufgefordert, aus der genannten Liegenschaft innert angesetzter Frist auszuziehen. Auf Rekurs von K. S. bestätigte das Obergericht des Kantons Luzern den Entscheid des Amtsgerichts Sursee.
Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht Willkür vor, da die Zuweisung der Liegenschaft an die Beschwerdegegnerin gestützt auf
Art. 145 ZGB
erfolgt und überdies den seit Erlass des Massnahmeentscheides geänderten Verhältnissen nicht Rechnung getragen worden sei.
a) Wann und in welchem Umfang ein letztinstanzliches kantonales Urteil in Rechtskraft erwächst, bestimmt sich nach Bundesrecht (Art. 54 Abs. 2 - in der deutschen Fassung - und
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
). Das kantonale Prozessrecht legt den Eintritt der Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheide fest und kann für diese auch die Teilrechtskraft vorsehen (POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire du 16 décembre 1943, Volume II, Art. 54 S. 407 N. 2.1; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3.A. Zürich 1967, S. 231; LGVE 1992 I Nr. 4). Im vorliegenden Fall ist das obergerichtliche Scheidungsurteil bereits in Rechtskraft erwachsen, während die Nebenfolgen der Scheidung noch Gegenstand eines erstinstanzlichen Verfahrens bilden.
b) Mit Eintritt der Rechtskraft der Scheidung fallen die vom Richter gestützt auf
Art. 145 ZGB
für die Dauer des Verfahrens getroffenen Anordnungen grundsätzlich dahin. Ist in diesem Zeitpunkt über die Nebenfolgen der Scheidung noch nicht entschieden worden oder bilden diese noch Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens, so sind über die strittigen Punkte auf jeden Fall vorsorgliche Massnahmen anzuordnen (SPÜHLER/FREI-MAURER,
Art. 145 ZGB
N. 53, N. 60). Dem Richter ist aufgrund der grosszügig abgefassten Generalklausel in
Art. 145 ZGB
die Aufgabe übertragen, für die gesamte Dauer des Scheidungsprozesses die nötigen vorsorglichen Massnahmen zu treffen. Solange die Rechtskraft erst im
BGE 120 II 1 S. 3
Scheidungspunkt eingetreten ist, darf somit die Anordnung jeder Art vorsorglicher Massnahmen von Bundesrechts wegen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Das Bundesgericht hat denn auch unter gewissen Voraussetzungen zugelassen, dass nach Rechtskraft der Scheidung gestützt auf
Art. 145 ZGB
bis zum endgültigen Entscheid über den nachehelichen Unterhalt eine Rente nach Art. 151/152 ZGB festgesetzt wird (
BGE 111 II 308
E. 3 S. 312). Diese Rechtsprechung hat die Zustimmung der massgeblichen Lehre gefunden (SPÜHLER/FREI-MAURER,
Art. 145 ZGB
N. 64; SCHNYDER, Die privatrechtliche Rechtsprechung des BGer 1985, in ZBJV 123/1987, S. 93 ff.; VOGEL, Die Rechtsprechung des BGer zum Zivilprozessrecht 1985, in ZBJV 123/1987, S. 267).
c) Welchem der beiden Ehegatten das strittige Wohnhaus dereinst zukommen wird, steht erst dann fest, wenn über die güterrechtliche Auseinandersetzung entschieden worden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt muss der Richter über die vorübergehende Zuteilung dieser Liegenschaft an eine der Parteien befinden; darüber ist nach Zweckmässigkeit zu entscheiden und zwar unabhängig davon, wer Eigentümer oder Mieter ist. Kann nicht eindeutig ausgemacht werden, wem das Haus oder die Wohnung den grössern Nutzen bringt, so hat derjenige auszuziehen, dem es unter Würdigung aller Umstände eher zuzumuten ist (SPÜHLER/FREI-MAURER,
Art. 145 ZGB
N. 83, N. 86).
d) Der Beschwerdeführer beansprucht das Wohnhaus, da dieses im Grundbuch auf seinen Namen eingetragen und ihm in der güterrechtlichen Auseinandersetzung zwingend zuzuweisen sei; eine eherechtliche oder mietrechtliche Grundlage für einen weitern Verbleib der Beschwerdegegnerin sei nicht vorhanden. Seiner Meinung nach besteht überdies keine tatsächliche Grundlage, welche der Beschwerdegegnerin in der güterrechtlichen Auseinandersetzung zu einem Erwerb des Wohnhauses verhelfen würde. Es sei willkürlich, wenn das Obergericht aufgrund von
Art. 145 ZGB
gleichwohl über die Nutzung des Wohnhauses befinde und dabei nicht beachte, dass die Scheidung als solche eine Änderung der Verhältnisse bewirkt habe, indem nun über die sachenrechtliche Lage Klarheit herrsche und die Zuweisung der Liegenschaft an ihn nun auch zeitlich absehbar werde.
Das Obergericht hält in seinem Urteil fest, dass gerade die Zuweisung des Wohnhauses im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien umstritten und daher vom Amtsgericht noch zu beurteilen sei. Es
BGE 120 II 1 S. 4
besteht somit - entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers - weder Klarheit über das rechtliche Schicksal dieser Liegenschaft, noch ist für deren vorübergehende Zuteilung die sachenrechtliche, güterrechtliche oder vertragsrechtliche Beurteilung überhaupt massgebend (
BGE 119 II 193
E. 3a S. 195). Damit ist auch nicht auszumachen, inwieweit sich durch die Rechtskraft der Scheidung die Verhältnisse geändert haben sollen und daher die vorübergehende Nutzung des Wohnhauses neu festzulegen wäre. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4bb9c528-73ba-45fe-a415-7d6358ba70f3 | Urteilskopf
84 II 134
18. Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Februar 1958 i.S. Meierhofer gegen Ambühl. | Regeste
Art. 57 Abs. 3 und 4 OG
, Berufungsverfahren und kantonale Nichtigkeitsbeschwerde. Sind diese Bestimmungen sinngemäss anzuwenden, wenn der dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegte Sachverhalt von einer kantonalen Behörde auf Nichtigkeitsbeschwerde hin trotz deren Abweisung berichtigt oder ergänzt wird?
Art. 63 Abs. 2 OG
. Feststellungen über tatsächliche Verhältnisse können mit der Berufung selbst dann nicht angefochten werden, wenn die Beweiswürdigung, auf der sie beruhen, ohne Abnahme der Beweise erfolgt. | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 84 II 134 S. 134
A.-
Heinrich Meierhofer verkaufte dem Siegfried Ambühl am 11. März 1953 im Namen und mit Vollmacht der Brüder Eich um den Preis von Fr. 230'000.-- eine Liegenschaft mit Metzgerei. Vor der öffentlichen Beurkundung des Vertrages will Ambühl dem Meierhofer im Gange der Bezirksschreiberei Arlesheim auf Anrechnung an den Kaufpreis einen von der Amtsersparniskasse Aarberg ausgegebenen Inhaber-Kassenschein im Nennwert von Fr. 10'000.-- mit Coupon für den am 10. Mai 1954 verfallenden Jahreszins angeboten und ihm das Papier in einem Umschlag zur Prüfung übergeben haben. Er behauptet, Meierhofer habe abgelehnt und Anzahlung in bar verlangt, müsse aber irgendwie unbemerkt das Wertpapier doch zurückbehalten oder an sich genommen haben. Ambühl
BGE 84 II 134 S. 135
will der Meinung gewesen sein, es befinde sich im Umschlag, den er wieder mit sich nach Hause nahm. Erst im Herbst 1953, als er es habe belehnen lassen wollen, habe er gemerkt, dass er es nicht mehr besass. Er leitete im Oktober 1953 das Verfahren auf Kraftloserklärung ein. Die Veröffentlichung im Handelsamtsblatt vom 30. April 1954 ergab, dass Meierhofer im Frühjahr 1953 das Papier samt Coupon einer Bank verkauft hatte.
Ambühl erstattete gegen Meierhofer Strafanzeige wegen Veruntreuung oder Diebstahls. Der Beschuldigte verteidigte sich mit der Behauptung, er habe Ambühl das Wertpapier vor der Beurkundung des Kaufvertrags im Wartezimmer der Bezirksschreiberei abgekauft und ihm sogleich Fr. 8000.-- übergeben, ohne eine Quittung zu erhalten. Er sei mit Ambühl einig gewesen, den Mehrwert des Papiers von etwa Fr. 2000.-- als Gegenleistung dafür zu betrachten, dass er ihm versprochen habe, ihm bei der Einrichtung der Metzgerei behilflich zu sein und ihn in das Geschäft einzuführen.
Die Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Landschaft stellte am 20. Januar 1955 das Verfahren mangels Nachweises eines strafbaren Tatbestandes ein.
B.-
Im September 1955 klagte Ambühl gegen Meierhofer beim Bezirksgericht Winterthur mit dem Begehren, der Beklagte sei zu verurteilen, ihm den Nennwert des Kassenscheins und des Zinscoupons sowie die Kosten des Verfahrens auf Kraftloserklärung, d.h. insgesamt Fr. 10'454.-- nebst Zins zu 5% ab 10. Juni 1954 und Fr. 10.- Betreibungskosten zu ersetzen.
Der Beklagte hielt an seiner im Strafverfahren gegebenen Darstellung fest und beantragte Abweisung der Klage.
Das Bezirksgericht kam in Würdigung des Beweises zum Schluss, dass dem Kläger zu glauben sei. Es hiess am 28. Dezember 1956 die Klage im Betrage von Fr. 10'454.-- nebst Zins zu 5% seit 4. Oktober 1954 und Fr. 10.- Betreibungskosten gut.
Der Beklagte appellierte an das Obergericht des Kantons
BGE 84 II 134 S. 136
Zürich. Mit Eingabe vom 26. April 1957 liess er die Behauptung fallen, er habe dem Kläger den Kassenschein abgekauft. Er gab an, er habe sich mit ihm vor dem 11. März 1953 anlässlich einer Besprechung im Bahnhofbuffet Basel, an welcher der den Kauf vermittelnde Erwin Huggel teilgenommen habe, auf einen Kaufpreis für die Liegenschaft von Fr. 240'000.-- geeinigt und mit ihm abgemacht, dass nur Fr. 230'000.-- zu verurkunden seien und der Unterschied von Fr. 10'000.-- unmittelbar vorher im Gebäude der Bezirksschreiberei durch Übergabe des Kassenscheins geleistet werde.
Das Obergericht lehnte es mit Urteil vom 7. Mai 1957 ab, auf die neue Darstellung einzutreten, denn
§ 317 Abs. 1 ZPO
lasse im allgemeinen im Berufungsverfahren neue Behauptungen nur zu, wenn sie die Darstellung der betreffenden Partei ergänzten, nicht auch, wenn sie ihr völlig widersprächen; die Änderung des Standpunktes durch den Beklagten sei rechtmissbräuchlich. Das Obergericht hiess die Klage in gleichem Umfange gut wie die erste Instanz.
C.-
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Er beantragt, es sei aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell sei die Sache zur Abnahme der in der Eingabe vom 26. April 1957 angebotenen Beweise an das Obergericht zurückzuweisen. Er macht geltend, es sei eine Frage des kantonalen Rechts, ob die neue Darstellung des Beklagten gemäss
§ 317 Abs. 1 ZPO
habe zugelassen werden müssen. Indem das Obergericht die Aufstellung neuer Behauptungen als rechtsmissbräuchlich bezeichnet habe, habe es
Art. 2 ZGB
, also zu Unrecht eidgenössisches statt kantonales Recht angewendet. Jedenfalls liege kein Rechtsmissbrauch vor. Der Beklagte habe Anspruch darauf, die behaupteten Tatsachen zu beweisen. Auf Grund der Akten sei die neue Darstellung bereits als richtig hinzunehmen. Sollte das Bundesgericht davon nicht überzeugt sein, so müsste die Beweisführung vor Obergericht ergänzt werden.
BGE 84 II 134 S. 137
D.-
Der Beklagte reichte gegen das Urteil des Obergerichts auch kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ein. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies sie am 9. Oktober 1957 ab. Es führte im wesentlichen aus: Der Auffassung, dass das Verbot des Rechtsmissbrauchs nur das materielle Recht beschränke, könne es nicht beitreten. Ein Missbrauch prozessualer Befugnisse sei nicht zulässig, wenn auch die zürcherische ZPO das nicht ausdrücklich sage. Missbräuchliche Prozessführung in erster Instanz bilde aber keinen Grund, neue Anbringen in der obern Instanz auszuschliessen. Solche seien nur dann missbräuchlich, wenn sie unwahr seien. Solange die neue Darstellung des Beklagten nicht widerlegt sei, müsse sie daher berücksichtigt werden. Es sei dem Beklagten auch nicht verboten, seine Verteidigung zu ändern. Im Ergebnis erweise sich aber das Urteil des Obergerichtes als richtig. Dass ein höherer als der verurkundete Kaufpreis von Fr. 230'000.-- vereinbart wurde, habe gemäss
Art. 9 ZGB
der Beklagte zu beweisen. Zum Beweis berufe er sich in erster Linie auf persönliche Befragung des Klägers und auf Huggel als Zeugen. Der Kläger sei schon vom Bezirksgericht eingehend befragt worden und habe erklärt, der Kaufpreis habe Fr. 230'000.-- betragen und der Kassenschein sei nicht als Mehrpreis übergeben worden. Huggel habe vor Bezirksgericht als Zeuge ausgesagt, es wäre möglich, dass bei der Besprechung im Bahnhofbuffet Basel von einer Kassenobligation gesprochen wurde, er wisse es aber nicht mehr; es sei ihm auch nicht bekannt, dass vor dem Verschreibungsakt etwas mit einer Kassenobligation gegangen sei. Vor dem Untersuchungsrichter habe er ausgesagt, vom Kassenschein habe er bisher überhaupt nie etwas gehört. Sowohl die Befragung des Klägers als auch die Einvernahme Huggels seien also negativ ausgefallen. Für eine Wiederholung bestehe kein Anlass. Was der Beklagte in der Noveneingabe noch vorgebracht habe, reiche für sich allein nicht aus, um den Beweis zu erbringen.
E.-
Der Beklagte hat auch gegen das Urteil des
BGE 84 II 134 S. 138
Kassationsgerichtes mit dem Antrag auf Abweisung der Klage, eventuell Rückweisung zur Durchführung eines Beweisverfahrens, die Berufung erklärt. Er macht geltend, die Auffassung des Kassationsgerichts, das Urteil des Obergerichts sei im Ergebnis richtig, beruhe auf einem Versehen. Das Kassationsgericht habe offensichtlich übersehen, dass der Beklagte zum Beweis seiner neuen Darstellung noch gar nicht zugelassen worden sei und darüber noch kein Beweisverfahren stattgefunden habe. Dass Huggel im Strafverfahren und vor Bezirksgericht gefragt worden sei, ob er vom Kassenschein etwas gehört habe, sei unwesentlich; denn auch wenn er von einem solchen nichts wüsste, müsste er gefragt werden, ob ein Kaufpreis in der Höhe von Fr. 240'000.-- vereinbart worden sei, und wäre im Falle der Bejahung der dem Beklagten obliegende Beweis erbracht. Auch habe das Kassationsgericht offensichtlich unterlassen, die Prozessakten im Hinblick auf die neuen Behauptungen zu prüfen und zu würdigen. Es habe völlig übersehen, dass sogar der Kläger in der persönlichen Befragung aussagte, der Beklagte hätte anlässlich der Besprechung im Bahnhofbuffet Basel einen Kaufpreis von Fr. 240'000.-- verlangt. Damit sei bewiesen, dass der Beklagte tatsächlich soviel verlangte.
Am 21. November 1957 hat der Beklagte die Berufung gegen das Urteil des Kassationsgerichts zurückgezogen, jedoch an der Auffassung festgehalten, das Kassationsgericht habe übersehen, dass Huggel über die Höhe des vereinbarten Kaufpreises nicht befragt worden sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Berufung gegen das Urteil des Kassationsgerichts ist zufolge Rückzugs als erledigt abzuschreiben. Zu urteilen ist nur über die Berufung gegen das Urteil des Obergerichts.
2.
Gemäss
Art. 63 Abs. 2 OG
hat das Bundesgericht seiner Entscheidung die Feststellungen der letzten kantonalen Instanz über tatsächliche Verhältnisse zugrunde zu
BGE 84 II 134 S. 139
legen. "Letzte" kantonale Instanz ist in der Regel jene, die das angefochtene Urteil gefällt hat. Gewöhnlich ist daher nur jener Sachverhalt auf die Verletzung eidgenössischen Rechts hin zu überprüfen, der diesem Urteil zugrunde liegt. Ausnahmen sehen
Art. 57 Abs. 3 und 4 OG
vor, indem sie bestimmen, die um Erläuterung oder Revision angegangene kantonale Behörde habe dem Bundesgericht ihren Entscheid und die neuen Akten einzusenden, wenn sie auf Erläuterung oder auf Abweisung des Revisionsgesuches erkannt habe, und die Ergebnisse des Erläuterungs- oder Revisionsverfahrens seien vom Bundesgericht zu berücksichtigen.
Dass dieses auf einen dem angefochtenen berufungsfähigen Urteil nicht zugrunde liegenden Sachverhalt auch dann abzustellen habe, wenn eine durch Nichtigkeitsbeschwerde angegangene kantonale Behörde ihn unterstellt, sagt dagegen das Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege nicht, obwohl gemäss Art. 57 Abs. 1 das bundesgerichtliche Urteil auch bis zur Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde ausgesetzt werden muss.
Eine Regelung erübrigt sich hier für die Fälle, in denen die kantonale Nichtigkeitsbehörde wegen des unterstellten neuen Sachverhaltes das angefochtene Urteil aufhebt und die Sache entweder an die Vorinstanz zurückweist oder selber ein neues Sachurteil fällt. In beiden Fällen wird die Berufung gegen das aufgehobene Urteil gegenstandslos und kann gegen das neue Sachurteil der unteren kantonalen Instanz oder der Nichtigkeitsbehörde Berufung erklärt werden.
Der Fällung eines neuen Sachurteils durch die Nichtigkeitsbehörde kann es gleichkommen, wenn diese die Nichtigkeitsbeschwerde nur deshalb abweist, weil sie findet, das angefochtene Urteil lasse sich auf Grund des beurteilten Sachverhaltes zwar nicht halten, sei aber im Ergebnis doch richtig, da die Vorinstanz auf anderer Grundlage hätte urteilen sollen. Damit macht die Nichtigkeitsbehörde diese andere Grundlage zum Gegenstand ihres Urteils, und das
BGE 84 II 134 S. 140
schliesst eine nochmalige Beurteilung des unterstellten neuen Sachverhaltes aus. Denn die auch vom Bundesgericht geteilte Auffassung, die Entscheidungsgründe nähmen an der Rechtskraft grundsätzlich nicht teil (
BGE 38 II 580
,
BGE 41 II 383
,
BGE 53 II 487
,
BGE 78 I 108
), bedeutet nicht, dass sich nur anhand des Urteilsspruches bestimme, über welchen Anspruch das Gericht entschieden hat. Das kann - namentlich wenn eine Klage oder ein Rechtsmittel abgewiesen wird - oft nur anhand der Urteilsgründe gesagt werden (
BGE 71 II 284
; KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht 113). Daher ist die Berufung gegen das die Nichtigkeitsbeschwerde abweisende Urteil, nicht gegen jenes der unteren Instanz einzulegen, wenn die Nichtigkeitsbeschwerde mit einer Begründung abgewiesen wird, die einen von der unteren Behörde nicht beurteilten neuen Sachverhalt unterstellt, der die Grundlage des Rechtsstreites so verändert, dass der von der Nichtigkeitsbehörde beurteilte Anspruch sich mit dem von der Vorinstanz behandelten in keiner Weise mehr deckt. Das trifft z.B. zu, wenn die untere Instanz eine Forderung mit der Begründung zuspricht, der Beklagte habe den Kläger am Körper verletzt, während die obere Instanz auf Nichtigkeitsbeschwerde des Beklagten hin erkennt, der Kläger habe nicht eine Forderung aus unerlaubter Handlung (Körperverletzung) eingeklagt, sondern Rückzahlung eines Darlehens verlangt, doch sei die Klage unter diesem Gesichtspunkt begründet und müsse die Beschwerde daher abgewiesen werden.
Wenn die Nichtigkeitsbehörde dagegen trotz der Ersatzbegründung über den gleichen Anspruch urteilt wie die Vorinstanz, so liegt in dem die Nichtigkeitsbeschwerde abweisenden Entscheid materiell kein neues Sachurteil. Dieser Entscheid ist dann nicht berufungsfähig. Daher muss das Bundesgericht in diesem Falle auf Berufung gegen das von der unteren Instanz gefällte Sachurteil hin auch die der Ersatzbegründung der Nichtigkeitsbehörde zugrunde liegenden ergänzenden oder berichtigenden tatsächlichen
BGE 84 II 134 S. 141
Feststellungen berücksichtigen. Es verhält sich gleich, wie wenn die Urteilsgrundlage auf ein Gesuch um Erläuterung oder Revision hin ergänzt oder berichtigt wird. Der Grundgedanke der Absätze 3 und 4 des
Art. 57 OG
, dem Bundesgericht die Rechtsanwendung auf der neuen und von ihm als richtig hinzunehmenden Grundlage zu ermöglichen und zur Pflicht zu machen, trifft zu. Diese Bestimmungen sind daher sinngemäss anzuwenden. Das gilt übrigens auch dann, wenn die Nichtigkeitsbehörde zum eingeklagten Anspruch materiell nicht Stellung nimmt, aber dennoch den im angefochtenen Urteil festgestellten Sachverhalt berichtigt oder ergänzt, ohne dieses Urteil aufzuheben. Dahin geht auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts als Beschwerdeinstanz in Strafsachen (nichtveröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 17. Oktober 1952 i.S. Hostetter).
3.
Das Obergericht hat darüber entschieden, ob der Beklagte über den Kassenschein samt Zinscoupon rechtmässig oder unrechtmässig verfügt habe und daher die Schadenersatzforderung des Klägers unbegründet oder begründet sei. Die Begründung, mit der das Kassationsgericht die Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen hat, betrifft die gleiche Frage und den gleichen Anspruch. Sie unterscheidet sich von der Begründung, mit der die Klage vom Obergericht abgewiesen wurde, nur in bezug auf den Erwerbsgrund, der vom Beklagten behauptet worden war, um die Verfügung über das Papier als rechtmässig hinzustellen. Das Obergericht ging davon aus, es sei prozessual gültig nur Kauf des Papiers behauptet und ein solcher sei nicht bewiesen, das Kassationsgericht dagegen nahm an, diese Behauptung sei gültig durch die Behauptung ersetzt worden, der Beklagte habe das Papier als Anzahlung auf den nicht in vollem Umfange öffentlich beurkundeten Kaufpreis der Liegenschaft erhalten, doch sei auch dieser Behauptung nicht Glauben zu schenken. Das Kassationsgericht hat also mit seiner Begründung nicht materiell ein neues Sachurteil, sondern nur auf Grund einer vom Beklagten
BGE 84 II 134 S. 142
zur Abwehr der eingeklagten Forderung erhobenen neuen Einwendung einen Entscheid über die Unbegründetheit des Rechtsmittels gefällt. Dieser Entscheid war daher nicht berufungsfähig. Dagegen muss der ihm zugrunde liegende veränderte Sachverhalt im vorliegenden, an das obergerichtliche Urteil anknüpfenden Berufungsverfahren berücksichtigt werden.
4.
Gemäss
Art. 57 Abs. 4 OG
kann das Bundesgericht über die Ergebnisse eines kantonalen Erläuterungs- oder Revisionsverfahrens einen weiteren Schriftenwechsel anordnen. Diese Bestimmung ist entsprechend anzuwenden, wenn Ergebnisse eines kantonalen Nichtigkeitsverfahrens zu berücksichtigen sind, denn zu diesen können die Parteien in der Berufungssschrift bzw. in der Antwort darauf in der Regel noch nicht Stellung nehmen.
Im vorliegenden Falle ist ein weiterer Schriftenwechsel nicht nötig, weil der Beklagte sich zu den Ergebnissen des Nichtigkeitsverfahrens schon mit der gegen das Urteil des Kassationsgerichts eingelegten Berufung geäussert hat. Die Vernehmlassung des Klägers hiezu erübrigt sich nach
Art. 60 Abs. 2 OG
.
5.
Da das Kassationsgericht entschieden hat, die Vorinstanz sei zu Unrecht auf die Eingabe des Beklagten vom 26. April 1957 nicht eingetreten, ist die Rüge gegenstandslos, das Obergericht habe
Art. 2 ZGB
verletzt.
6.
Es ist nicht zu verstehen, wie der Beklagte dem Kassationsgericht vorwerfen kann, es habe offensichtlich übersehen, dass er zum Beweise seiner Behauptung, wonach ein Kaufpreis von Fr. 240'000.-- und eine vor der Beurkundung zu leistende Anzahlung von Fr. 10'000.-- vereinbart worden seien, noch gar nicht zugelassen worden sei. Das Kassationsgericht nimmt in der Begründung auf diese Behauptung Bezug, und Gegenstand seines Urteils sind gerade die Fragen, ob das Obergericht auf sie hätte eintreten sollen, ob der Beklagte für den über den verurkundeten Betrag hinaus behaupteten Mehrpreis die Beweislast trage und ob die Behauptung sich durch erneute Einvernahme
BGE 84 II 134 S. 143
Huggels und des Klägers sowie unter Berücksichtigung der übrigen in der Eingabe vom 26. April 1957 enthaltenen Anbringen beweisen lasse.
Mit den weiteren Ausführungen stellt der Beklagte sich im Ergebnis auf den Standpunkt, er habe Anspruch darauf, dass dem Zeugen Huggel die Frage nach der Vereinbarung eines vor der Beurkundung zu zahlenden Mehrpreises ausdrücklich gestellt werde, und das Kassationsgericht habe übersehen, dass sie dem Zeugen im Strafverfahren und vor Bezirksgericht noch nicht gestellt worden sei. Weder das eine noch das andere trifft zu. Wer eine rechtserhebliche Tatsache behauptet, kann nicht unter allen Umständen verlangen, dass die Person, auf die er sich beruft, über sie einvernommen werde. Kommt der Richter zum Schluss, der Zeuge vermöchte die Frage nicht zu beantworten oder es wäre ihm nicht zu glauben, so kann er die Einvernahme ablehnen. Mit dieser Überlegung, nicht weil dem Zeugen die Frage nach der Vereinbarung eines vor der Beurkundung zu zahlenden Mehrpreises schon gestellt worden sei (oder weil sie nicht zum Beweisthema gehöre), hat das Kassationsgericht die nochmalige Einvernahme Huggels für überflüssig gehalten. Ob zu Recht oder Unrecht, hat für das Bundesgericht dahingestellt zu bleiben, denn das ist eine Frage der Beweiswürdigung, mit der es sich auch dann nicht befassen darf, wenn sie der Abnahme der angebotenen Beweise vorausgeht (
BGE 56 II 203
). Das Bundesgericht hat daher nicht zu entscheiden, ob das Kassationsgericht aus dem Umstande, dass Huggel anlässlich der Einvernahme durch das Bezirksgericht nicht von einem dem Verschreibungsakt vorausgegangenen Geschäft über einen Kassenschein auszusagen vermochte und auch laut Aussage im Strafverfahren von einem solchen nie etwas gehört haben will, schliessen durfte, er vermöchte sich auch nicht glaubwürdig über die behauptete Vereinbarung eines Mehrpreises zu äussern. Ob Huggel bisher "mindestens ausweichende Antworten gegeben hat", wie der Beklagte geltend macht, ändert nichts. Die Frage, was er bei nochmaliger
BGE 84 II 134 S. 144
Einvernahme aussagen würde und ob ihm geglaubt werden könnte, ja müsste, weil er früher trotz Zeugenpflicht angeblich "ausgewichen" war, bleibt nichtsdestoweniger eine solche der Beweiswürdigung.
Der Beklagte macht ferner geltend, seine neue Behauptung erfordere auch eine Überprüfung des ganzen Aktenmaterials und das Kassationsgericht habe sie "offensichtlich unterlassen". Das ist wiederum Kritik an der Beweiswürdigung und trifft übrigens nicht zu, da das Kassationsgericht ausführt, was er in der Noveneingabe sonst noch vorgebracht habe, reiche für sich allein nicht aus, um den ihm obliegenden Beweis zu erbringen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung gegen das Urteil des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 9. Oktober 1957 wird als durch Rückzug erledigt erklärt.
2.- Die Berufung gegen das Urteil der II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. Mai 1957 wird abgewiesen, und das angefochtene Urteil wird bestätigt. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4bbc3529-9635-4efd-98fc-cf0bcfa2d82b | Urteilskopf
82 IV 60
13. Arrêt de la Chambre d'accusation du 25 mai 1956 dans la cause Ministère public fédéral contre Messen-Jaschin et consorts. | Regeste
Art. 34, 214 BStP
.
Der Geschädigte, der im Bundesstrafverfahren privatrechtliche Ansprüche aus der strafbaren Handlung geltend macht, kann sich am Verfahren nur zur Wahrung dieser Ansprüche beteiligen und ist nur insoweit befugt, bei der Anklagekammer gegen Amtshandlungen oder wegen Säumnis des Untersuchungsrichters Beschwerde zu führen. | Sachverhalt
ab Seite 60
BGE 82 IV 60 S. 60
A.-
Dans la cause pénale instruite contre Gregori Messen-Jaschin, Victor Blunier et Ferdinand Schnellmann, le juge d'instruction fédéral a versé au dossier de l'instruction préparatoire trois consultations juridiques données par le professeur Germann à Messen-Jaschin et un mémoire de l'avocat Gander sur les antécédents de celui-ci.
B.-
Par acte du 30 avril 1956, les parties civiles, Constructions mécaniques SA et Matériel industriel SA, ont porté plainte contre ces opérations et ont conclu "à ce qu'il plaise à la Chambre d'accusation du Tribunal fédéral:
I. - Dire que les avis du Prof. Germann des 31 mars, 29 avril et 22 octobre 1955 (pièces 318 à 322) sont retranchés du dossier;
subsidiairement à I:
I.-bis. - Impartir, resp. faire impartir aux parties civiles un délai pour produire au dossier un contre-mémoire;
II. - Dire que le rapport de Me Gander sur la personne et les antécédents de Messen-Jaschin du 15.11.55 (pièce 334) est retranché du dossier;
subidiairement à II:
II.-bis. - Impartir, resp. faire impartir aux parties civiles un délai pour produire au dossier un contre-rapport."
BGE 82 IV 60 S. 61
Dans sa réponse du 7 mai 1956, le juge d'instruction fédéral s'en remet, quant aux conclusions principales, à l'appréciation de la Chambre d'accusation et s'oppose aux conclusions subsidiaires. Il déclare que les plaignantes n'ont eu connaissance de l'ordonnance attaquée que le 27 avril 1956 lorsque le dossier a été mis à leur disposition, de sorte que la plainte a été formée en temps utile. Il estime que les consultations du professeur Germann et le mémoire de Me Gander ont leur place au dossier; en revanche, le dépôt d'un contre-mémoire par les parties civiles ne saurait être admis car une telle demande ne trouve aucun appui dans la loi et va à l'encontre "du principe qui veut que les inculpés puissent s'expliquer les derniers".
Erwägungen
Considérant en droit:
L'art. 214 PPF statue qu'il peut être porté plainte contre les opérations ou les omissions du juge d'instruction (al. 1) et confère le droit de plainte aux parties ainsi qu'à toute personne à qui l'opération ou l'omission a fait subir un préjudice illégitime (al. 2). Selon l'art. 34 PPF, sont considérées comme parties l'inculpé, le procureur général et tout lésé qui se constitue partie civile.
Pour déterminer dans quelle mesure le lésé possède le droit de plainte, il faut rechercher quelle position la loi lui a attribuée dans la procédure. Dans le système de la loi fédérale sur la procédure pénale, le lésé n'a pas le rôle d'un accusateur privé (Privatstrafkläger) comme c'est le cas dans les lois de procédure de certains cantons (RO 68 IV 154) où il détient l'action pénale en lieu et place de l'accusateur public et a la faculté de pourvoir lui-même aux poursuites lorsque le ministère public ne veut pas s'en charger; l'action pénale est exercée exclusivement par le procureur général et ses représentants, et le lésé ne peut intervenir dans la procédure qu'en tant qu'il fait valoir des intérêts civils et s'est constitué partie civile à cet effet
BGE 82 IV 60 S. 62
dans les formes de la loi. Cela ressort déjà de l'art. 34 PPF qui ne reconnaît au lésé la qualité de partie que dans la mesure où il "se constitue partie civile", c'est-à-dire où il fait valoir des prétentions civiles découlant de l'infraction pénale ("wenn er privatrechtliche Ansprüche aus der strafbaren Handlung geltend macht", dit le texte allemand de la disposition). Cette limitation du rôle de la partie civile à la défense de ses intérêts civils apparaît clairement dans les différentes phases de la procédure. C'est ainsi que, dans l'instruction préparatoire, l'art. 115 PPF ne confère au lésé le droit de requérir le juge d'instruction de procéder à des opérations d'enquête que "dans la mesure de ses intérêts civils". Dans la procédure de mise en accusation, qui ne concerne que l'aspect pénal de la cause, la partie civile ne peut pas intervenir de son chef devant la Chambre d'accusation; l'acte d'accusation et le rapport explicatif établis par le procureur général ne sont communiqués en copie qu'aux accusés et seuls ces derniers ont la faculté de déposer un mémoire de défense auprès de la Chambre d'accusation (art. 127 PPF). Dans la phase de la préparation des débats, "le lésé doit se borner à motiver ses conclusions", dans le mémoire où il indique ses preuves et les faits auxquels elles se rapportent (art. 137 PPF). Devant la Cour pénale fédérale et les Assises fédérales, le lésé ne peut être partie qu'en tant qu'il fait valoir des prétentions civiles, selon le principe qui est exprimé à l'art. 34 PPF et qui domine tout le système de la loi. Le lésé ne peut enfin se pourvoir en nullité auprès de la Cour de cassation extraordinaire ou demander la revision qu'"en ce qui concerne les conclusions civiles" (art. 221 et 231 PPF).
Il suit de la position assignée par la loi, dans les différentes phases de la procédure, au lésé qui s'est constitué partie civile que, dans le recours à la Chambre d'accusation par la voie de la plainte, il doit être également considéré comme limité à la défense de ses intérêts civils et que c'est dans cette mesure seulement qu'il peut se plaindre
BGE 82 IV 60 S. 63
des opérations ou des omissions du juge d'instruction. Le lésé ne saurait en effet avoir des droits plus étendus en qualité de plaignant devant la Chambre d'accusation que dans les autres phases de la procédure. Il ne peut en particulier posséder un droit de plainte contre les actes ou les omissions du juge d'instruction qui dépasse les limites de ce qu'il est en droit de requérir de celui-ci. Or, il n'a la faculté de lui demander de procéder à des opérations d'enquête que dans la mesure de ses intérêts civils (art. 115 al. 1 PPF).
En l'espèce, les plaignantes concluent principalement à ce que les trois consultations données par le professeur Germann et le mémoire de l'avocat Gander du 15 novembre 1955 soient retranchés du dossier. Dans ses avis de droit, le professeur Germann ne disserte que sur l'aspect pénal de l'affaire et n'aborde en aucune façon les questions civiles. De même, l'avocat Gander se borne à fournir des renseignements sur la personne de son client, l'inculpé Messen-Jaschin, et à exposer les antécédents de celui-ci, sans faire allusion au côté civil de la cause. La décision du juge d'instruction de verser ces pièces au dossier n'a dès lors pas trait aux intérêts civils des plaignantes. Les conclusions principales tendant à l'élimination de ces documents sortent ainsi de la défense des intérêts civils, qui constitue la limite des droits du lésé dans la procédure pénale, et sont partant irrecevables.
Les plaignantes requièrent subsidiairement la fixation d'un délai pour produire un contre-mémoire et un contrerapport en réponse aux consultations du professeur Germann, respectivement à l'exposé de l'avocat Gander. Comme ces avis et ce rapport ne s'occupent que de questions concernant l'action pénale, il n'appartient pas aux parties civiles de leur opposer des réponses, l'aspect pénal de l'affaire relevant exclusivement du ministère public. Il suit de là que les conclusions subidiaires sont également irrecevables.
BGE 82 IV 60 S. 64
Par ailleurs, il n'y a pas lieu, en l'état, d'examiner et de trancher la question de savoir si la mesure du juge d'instruction était opportune.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre d'accusation prononce:
La plainte est irrecevable. | null | nan | fr | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4bbc6278-6c8f-46e1-95ae-149ca4bd3a37 | Urteilskopf
116 II 15
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Februar 1990 i.S. X. gegen X. (Berufung) | Regeste
Ehescheidung (
Art. 142 Abs. 1 ZGB
): Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses, Zumutbarkeit der Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft.
1. Ob eine Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft zumutbar ist, hängt einerseits vom Grad wie auch von der Erscheinungsform der Zerrüttung und andererseits von der Persönlichkeit der Ehegatten ab (Erw. 2).
2. In einer Ehe, in der die Ehefrau sich vorab der Haushaltführung widmet und der Ehemann für die Beschaffung der erforderlichen Geldmittel besorgt ist, hat die Ehefrau hinzunehmen, dass der Ehemann den zur gehörigen Erfüllung seiner Pflicht nötigen Einsatz leistet und dass seine Verfügbarkeit für dieFamilie entsprechend eingeschränkt ist; möchte der Ehemann jedoch für seine Berufstätigkeit an Zeit und Energie mehr aufwenden, als erforderlich ist, um der Familie einen ihren Bedürfnissen angemessenen Lebensstandard zu sichern, darf dadurch die Ehe als geistig-seelische Gemeinschaft nicht gefährdet werden; der Ehemann hat auch in dieser Hinsicht auf die persönlichen Bedürfnisse der Ehefrau Rücksicht zu nehmen (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 116 II 15 S. 16
Der Schweizer A.X. und die in ihrer Heimat aufgewachsene französische Staatsangehörige B.Y. heirateten am 29. September 1978 in Grossbritannien, wo sie in der ersten Zeit auch wohnten. Ihrer Ehe entsprossen zwei in den Jahren 1979 und 1983 geborene Kinder. Im Juli 1983 nahmen die Eheleute X.-Y. Wohnsitz in der Schweiz, und im Oktober 1985 zog B.X.-Y. mit den beiden Kindern nach Frankreich; seither leben die Eheleute X.-Y. getrennt.
Am 18. September 1985 hatte B.X.-Y. beim zuständigen Bezirksgericht eine Klage auf Scheidung der Ehe erhoben, der sich der Beklagte widersetzte.
Mit Urteil vom 21. August 1986 sprach das Bezirksgericht die Scheidung aus; gleichzeitig regelte es deren Nebenfolgen. In Gutheissung der vom Beklagten hiergegen erhobenen Berufung wies das Kantonsgericht die Scheidungsklage am 4. Mai 1988 ab. Mit Urteil vom 9. März 1989 hat die erkennende Abteilung eine Berufung der Klägerin gegen den kantonsgerichtlichen Entscheid vom 4. Mai 1988 teilweise gutgeheissen und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Kantonsgericht zurückgewiesen. Am 30. Juni 1989 hat dieses neu entschieden und dabei die Scheidungsklage wiederum abgewiesen.
Die Klägerin hat hiergegen erneut Berufung an das Bundesgericht erhoben mit dem Rechtsbegehren, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Ehe der Parteien im Sinne ihrer Anträge vor zweiter Instanz zu scheiden; allenfalls sei die Streitsache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen.
Der Beklagte schliesst im Hauptstandpunkt auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des kantonsgerichtlichen Urteils.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 142 Abs. 1 ZGB
kann jeder Ehegatte auf Scheidung klagen, wenn eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses eingetreten ist, dass den Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden darf; ist
BGE 116 II 15 S. 17
die tiefe Zerrüttung vorwiegend der Schuld des einen zuzuschreiben, kann indessen nur der andere Ehegatte klagen (
Art. 142 Abs. 2 ZGB
). Wie die erkennende Abteilung bereits im Urteil vom 9. März 1989 ausgeführt und auch das Kantonsgericht festgehalten hat, genügt es für die Aussprechung der Scheidung, dass die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft auf seiten des klagenden Ehegatten dargetan ist (dazu
BGE 108 II 26
f. E. 3a mit Hinweisen).
Ob eine Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft zumutbar ist, hängt einerseits vom Grad wie auch von der Erscheinungsform der Zerrüttung und andererseits von der Persönlichkeit der Ehegatten ab. Je nach geistig-seelischer Veranlagung und Verfassung eines Ehegatten wirkt eine Tatsache, die im allgemeinen als ehezerrüttend anzuerkennen ist, auf dessen eheliche Gesinnung nicht so, dass die Fortsetzung der Ehe als unzumutbar erschiene. Umgekehrt kann eine gemeinhin nicht als ehezerrüttend empfundene Tatsache unter gewissen individuellen Voraussetzungen zu einer derart tiefen Zerrüttung der Ehe geführt haben, dass dem klagenden Ehegatten deren Fortsetzung nicht zugemutet werden darf (vgl. BÜHLER/SPÜHLER, N. 14 zu
Art. 142 ZGB
; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. Auflage, S. 12).
3.
a) Das Kantonsgericht hält fest, dass aus der Sicht der Klägerin das eheliche Verhältnis der Parteien erheblich gestört sei; indessen sei die Ehe nicht derart tief zerrüttet, dass ihr die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zuzumuten wäre. Die Beeinträchtigung des ehelichen Einvernehmens führt die Vorinstanz in erster Linie auf die unterschiedlichen Meinungen der Parteien über die Frage zurück, wieweit ein Ehemann seine Aufmerksamkeit auf die Arbeit konzentrieren dürfe und die Ehefrau darob seine Zuwendung zu entbehren habe. Die Klägerin habe das Gefühl gehabt, für den Beklagten mehr Dekor des Hauses zu sein als eine ernstgenommene Frau mit Herz, Seele, Empfindsamkeit und dem Wunsch, den Kindern ein Umfeld von Liebe und Harmonie zu bieten; sie habe sich alleingelassen und nicht als vollwertige Partnerin akzeptiert gefühlt, und sie erachte es vom Beklagten als höchst egoistisch, von ihr zu verlangen, nur eine "Verzierung der Freude" zu sein, selbst aber für Frau und Kinder nicht verfügbar zu sein und nach einem Tag im Büro müde die Füsse unter den Tisch zu strecken.
Andere Störfaktoren waren nach Ansicht des Kantonsgerichts lediglich die Folge der unterschiedlichen Vorstellungen der
BGE 116 II 15 S. 18
Parteien vom Inhalt ihrer Ehe. Das gelte einmal für die im Zusammenhang mit der Krankheit des Sohnes ... aufgetretenen Schwierigkeiten. Dass sich die Klägerin in der Sorge um den Sohn, an dessen linkem Fuss zufolge einer medizinischen Fehlbehandlung eine Missbildung (teilweise Lähmung) eingetreten sei, allein gefühlt habe, hänge mit dem starken Engagement des Beklagten für Arbeit und Beruf zusammen. Auch die Konflikte wegen der Wohnorte der Parteien seien lediglich Ausfluss des ausgeprägten Bedürfnisses der Klägerin nach dauernder Aufmerksamkeit und Zuneigung gewesen.
b) Den Vorbringen der Klägerin hat das Kantonsgericht entgegengehalten, dass die Ehe als umfassende Lebensgemeinschaft auch eine wirtschaftliche Gemeinschaft sei, für die nach altem Eherecht in erster Linie der Ehemann und nach neuem Recht die Ehegatten gleichermassen verantwortlich seien. Es entspreche auch heute noch durchaus gängiger Auffassung, dass ein Ehemann gehalten sei, für den Unterhalt und die Vorsorge der Familie den gehörigen Einsatz zur Erzielung von Einkommen und Bildung von Vermögen zu leisten. Wo die Ehefrau sich ganz der Familie und insbesondere der Erziehung der Kinder widmen könne, habe sie einen entsprechenden Einsatz des Ehemannes für sein berufliches Fortkommen zu dulden. Allerdings dürfe dies nicht soweit gehen, dass die Ehe als geistig-seelische Gemeinschaft gefährdet werde. Nach Ansicht der Vorinstanz traf dies hier nicht zu. Der Beklagte habe sich durchschnittlich von 07.30 bis 18.00 oder 19.00 Uhr im Büro aufgehalten und das Mittagessen jeweils auswärts eingenommen, was sich im Rahmen des nach allgemeiner Lebensauffassung als normal Empfundenen bewege. Auch das klägerische Vorbringen, der Beklagte sei als dominante Persönlichkeit im traditionellen Sinne zu einem partnerschaftlichen Verhalten nicht fähig, hält das Kantonsgericht für unzutreffend. So hätten die Parteien, als sie in die Schweiz gezogen seien, gemeinsam den Wohnsitz bestimmt und das Einfamilienhaus ausgesucht; ferner habe auch die Klägerin Zugang zum Lohnkonto des Beklagten gehabt.
c) In Würdigung der von ihm festgehaltenen Umstände ist das Kantonsgericht zum Schluss gelangt, der Klägerin müsste es angesichts ihrer Intelligenz und ihrer Fähigkeiten bei gutem Willen möglich sein, die ehelichen Probleme nochmals anzupacken, zumal auch der Beklagte, der an der zweitinstanzlichen Gerichtsverhandlung glaubhaft die Bereitschaft bekundet habe, einen Ehetherapeuten
BGE 116 II 15 S. 19
aufzusuchen, gewillt sei, einen erhöhten Einsatz zur Überwindung der Schwierigkeiten zu leisten.
...
5.
Welche Gesichtspunkte bei der Beurteilung der vorliegenden Scheidungsklage von Belang sind, hat das Kantonsgericht im wesentlichen zutreffend festgehalten. Richtig ist insbesondere, dass es nicht allein darauf ankommen kann, dass bei der Klägerin der Ehewille erloschen ist. Indessen kann der vorinstanzlichen Gewichtung und Abwägung der Faktoren, die für die Frage der Zumutbarkeit, die eheliche Gemeinschaft fortzuführen, massgebend sind, nicht in allen Teilen beigepflichtet werden.
a) Die Parteien waren sich von Anfang der Ehe an einig darüber, dass die Klägerin sich vorab der Haushaltführung zuwenden und dass der Beklagte für die Beschaffung der erforderlichen Geldmittel besorgt sein werde. Bei einer solchen Aufgabenteilung hat die Ehefrau in der Tat hinzunehmen, dass der Ehemann den zur gehörigen Erfüllung seiner Pflicht nötigen Einsatz leistet und dass seine Verfügbarkeit für die Familie entsprechend eingeschränkt ist. Wendet jedoch der Ehemann für seine Berufstätigkeit an Zeit und Energie mehr auf, als erforderlich ist, um der Familie einen ihren Bedürfnissen angemessenen Lebensstandard zu sichern, darf - wie auch die Vorinstanz richtig erkannt hat - dadurch die Ehe als geistig-seelische Gemeinschaft nicht gefährdet werden. Aus der Sicht des Eherechts hat der Ehemann mit andern Worten nicht einen unbegrenzten Anspruch auf Verwirklichung seiner beruflichen Ziele. Er hat im Bestreben, seine persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen, auch in diesem Bereich auf die Ehefrau Rücksicht zu nehmen. Den Vorstellungen der Ehefrau von der Ehe als geistig-seelischer Gemeinschaft hat der Ehemann im Rahmen des Zumutbaren auch dann Rechnung zu tragen, wenn ihre persönlichen Erwartungen an ihn erst im Laufe der Zeit grösser geworden sind.
b) Der gemäss der übereinstimmenden Vorstellung beider Parteien ihm zugefallenen Pflicht, durch seine Berufstätigkeit die Mittel zur Deckung der materiellen Bedürfnisse der Familie zu beschaffen, ist der Beklagte stets mit grossem Einsatz nachgekommen. Hingegen hat er - ohne dass ihn dabei ein Verschulden zu treffen braucht - die von der Klägerin an ihn als geistig-seelischen Partner gerichteten Erwartungen zumindest von einem gewissen Zeitpunkt an nicht mehr ganz erfüllt. Woran dies gelegen hat, steht nicht fest. Möglicherweise vermochte die Klägerin - etwa aufgrund ihrer ausgeprägten Empfindsamkeit - ihre Vorstellungen
BGE 116 II 15 S. 20
nicht in einer für den Beklagten wahrnehmbaren Form auszudrücken oder war der Beklagte - beispielsweise weil durch seine Verantwortungen im Beruf zu stark in Anspruch genommen - nicht in der Lage, sie wahrzunehmen und darauf einzugehen. Der Hinweis des Kantonsgerichts auf die Arbeitszeiten des Beklagten, die im Rahmen des Üblichen lägen, ist hier insofern nur zum Teil stichhaltig, als wegen der Belastung durch die beruflichen Verantwortungen auch bei physischer Anwesenheit die Verfügbarkeit eingeschränkt sein kann. Ausserdem waren hier die an den Ehemann zu stellenden Anforderungen auch insofern höher, als der Beklagte seine Ehefrau in ein ihm vertrautes, ihr aber sprachlich und kulturell fremdes Umfeld verpflanzte. Wenn die Vorinstanz weiter ausführt, dass auch der Beklagte ein durchaus partnerschaftliches Verständnis von der Ehe an den Tag gelegt habe, so ist festzuhalten, dass die von ihr erwähnten Tatsachen (Bestimmung des Wohnsitzes bei der Übersiedlung in die Schweiz; Wahl des Einfamilienhauses; Zugang der Klägerin zum Lohnkonto des Beklagten) den Vorwurf mangelnder Partnerschaftlichkeit nur sehr beschränkt zu entkräften vermögen. Aus den angeführten Beispielen ergibt sich vor allem eine Grosszügigkeit des Beklagten in materiellen Belangen, nicht aber eine Fähigkeit, der Klägerin auf der psychisch-emotionalen Ebene in der von ihr erwarteten Art zu begegnen. Fest steht aufgrund des angefochtenen Urteils auf jeden Fall, dass die angespannte eheliche Situation den gesundheitlichen Allgemeinzustand der Klägerin beeinträchtigt hat und diese insbesondere an Depressionen litt.
c) Indem die Vorinstanz in Anbetracht der von ihr festgehaltenen Umstände von der Klägerin verlangt, "die ehelichen Probleme nochmals anzupacken" und die eheliche Gemeinschaft mit dem Beklagten fortzusetzen, mutet sie ihr zuviel zu. Durch den kantonsgerichtlichen Entscheid wird das Recht der Klägerin auf Achtung und Geltung als Persönlichkeit in unzulässigem Masse beeinträchtigt. Dass die Klägerin intelligent und tüchtig ist, vermag am Gesagten nichts zu ändern, zumal ihre Reaktionen auf die ehelichen Spannungen (allgemeine gesundheitliche Störungen, Depressionen) in der spezifischen Empfindsamkeit begründet sind und insofern nicht im Bereiche des Willens ausgelöst und gesteuert werden. Das Kantonsgericht hebt sodann hervor, dass der Beklagte an der zweitinstanzlichen Gerichtsverhandlung sich bereit erklärt habe, einen Ehetherapeuten aufzusuchen und soweit möglich seinen Arbeitsplatz ... (an den heutigen Wohnort der
BGE 116 II 15 S. 21
Klägerin) zu verlegen. Das deutet indessen nicht ohne weiteres darauf hin, dass der Beklagte auch bereit wäre, seine Einstellung zu Arbeit und Beruf in Frage zu stellen und nötigenfalls sein berufliches Engagement zugunsten einer grösseren Verfügbarkeit für die persönlichen Bedürfnisse der Klägerin ihm gegenüber zu reduzieren. Wohl trifft schliesslich zu, dass dort, wo unmündige Kinder vorhanden sind, von den Ehegatten ein erhöhtes Mass an Opfern und Anstrengungen zur Fortsetzung der Ehe verlangt werden kann (vgl. BÜHLER/SPÜHLER, N. 33 zu
Art. 142 ZGB
). Dieser Gesichtspunkt verliert hier indessen insofern an Bedeutung, als die sie über Gebühr belastende eheliche Situation bei der Klägerin zu Erkrankungen und vor allem zu Depressionen geführt hat, wodurch für sie die Erfüllung ihrer Aufgaben vor allem als Ehefrau schwer beeinträchtigt gewesen sein dürfte.
6.
Aus dem Gesagten erhellt, dass die Abweisung der Scheidungsklage gegen
Art. 142 Abs. 1 ZGB
verstösst. Soweit auf die Berufung einzutreten ist, ist sie daher gutzuheissen, und die Sache ist zur Aussprechung der Ehescheidung und zum Entscheid über deren Nebenfolgen an die Vorinstanz zurückzuweisen. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4bbe73cf-aa85-4f91-bcb5-a2b12e771f36 | Urteilskopf
99 IV 90
19. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 13 juillet 1973 dans la cause S. contre Ministère public du canton de Vaud. | Regeste
Art. 191 Ziff. 3 StGB
: Im allgemeinen kann die Anwendung dieser Bestimmung nur dann überprüft werden, wenn die Vorinstanz Angaben über das Verhältnis zwischen dem wirklichen Alter des Opfers und demjenigen nach seiner äusseren Erscheinung hin macht. | Erwägungen
ab Seite 91
BGE 99 IV 90 S. 91
Considérant en droit:
2.
Selon les premiers juges, S. a admis à tort qu'A. H. était âgée de 16 ans au moins. Aurait-il pu éviter l'erreur en usant des précautions voulues?
Au cours de la promenade qui a précédé les actes délictueux, A. H. a déclaré à S. qu'elle avait 16 ans. Un peu plus tard, alors que, couché sur elle, il la déshabillait, elle lui dit, tout en se débattant, d'arrêter, car cela était interdit. Il répondit que cela n'était pas interdit en Suisse, que d'autres jeunes filles le faisaient et que, de toute façon, elle-même avait 16 ans. La jeune fille, qui n'était pas hors d'état de parler, n'a pas saisi cette occasion de rectifier sa déclaration antérieure et d'avouer qu'elle n'avait pas encore 16 ans. Aussi ne saurait-on opposer à S. la phrase "car cela est interdit" pour en déduire qu'il aurait dû prendre d'autres précautions.
Pour décider si l'erreur imputable au prévenu pouvait ou non être évitée, les arrêts de la Cour de céans attribuent presque tous de l'importance à l'aspect de la vicitime, à son apparence: traits du visage, grandeur, stature, développement physique (RO 84 IV 103/104;
85 IV 77
consid. 2; arrêts Kaiser du 6 juin 1958, Komar du 10 novembre 1964, Preisig du 23 octobre 1965, Bichsel du 4 octobre 1968, Weber du 8juillet 1970, consid. 2 et 5). Cet élément, il est vrai, n'est pas mentionné dans l'arrêt Basilicata du 14 juin 1965, manifestement parce que le prévenu avait d'autres raisons de douter de l'exactitude de l'âge indiqué (refus de la jeune fille de lui montrer son passeport).
En l'espèce, l'arrêt attaqué ne signale aucune circonstance qui aurait dû engager le recourant à ne pas se contenter de l'affirmation de la jeune fille. Il ne dit pas que l'âge prétendu ne correspondait pas à l'apparence de la victime, à son développement physique etc. Il ne contient aucune donnée à cet égard. Aussi la Cour de céans n'est-elle pas en mesure de contrôler si l'art. 191 ch. 3 CP a été correctement appliqué. La cause doit donc être renvoyée à la juridiction vaudoise non pour qu'elle libère S. sur ce point, mais pour qu'elle statue à nouveau, après avoir, si c'est possible, complété l'état de fait. Supposé que le recourant ne puisse, en définitive, être condamné en vertu
BGE 99 IV 90 S. 92
de l'art. 191 CP, il y aura lieu d'examiner - à condition que la procédure cantonale ne s'y oppose pas - si ses agissements ne tombent pas sous le coup de l'art. 187 CP. | null | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
4bc0271a-9d73-49e0-8e25-fed9154ef692 | Urteilskopf
95 III 92
15. Auszug aus dem Entscheid vom 18. April 1969 i.S. Huber. | Regeste
Betreibung gegen Gemeinden.
Vorübergehende Einstellung einer solchen Betreibung durch die kantonale Aufsichtsbehörde gemäss Art. 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Schuldbetreibung gegen Gemeinden und andere Körperschaften des kantonalen öffentlichen Rechts vom 4. Dezember 1947.
Der Gläubiger kann gegen eine solche Anordnung nach Art. 6 Abs. 2 des genannten Bundesgesetzes jederzeit an das Bundesgericht rekurrieren, um geltend zu machen, sie sei den Verhältnissen nicht (oder nicht mehr) angemessen. | Erwägungen
ab Seite 93
BGE 95 III 92 S. 93
Nach Art. 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 4. Dezember 1947 "kann" die Aufsichtsbehörde die Betreibung vorübergehend einstellen, "wenn die Kantonsregierung dafür sorgt, dass sich durch die Einstellung die Lage der Gläubiger nicht verschlechtert". Die hier vorgesehene Massnahme ist also weitgehend dem Ermessen der Aufsichtsbehörde anheimgestellt. Sie gleicht in dieser Hinsicht der Gewährung aufschiebender Wirkung nach
Art. 36 SchKG
, die als Ermessensfrage der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen ist (
BGE 59 III 208
/209,
BGE 82 III 18
/19; JAEGER, N. 3 zu
Art. 36 SchKG
; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs I, 1967, S. 47). Nach den für das gewöhnliche Betreibungsverfahren geltenden Regeln könnte also ein kantonaler Entscheid, der die vorübergehende Einstellung einer Betreibung verfügt, mindestens in der Regel nicht an das Bundesgericht weitergezogen werden (Art. 19 im Gegensatz zu Art. 17/18 SchKG).
Das Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 sieht jedoch in Art. 6 Abs. 2 vor, der betreibende Gläubiger könne jederzeit beim Bundesgericht die Fortsetzung der Betreibung verlangen, wenn die von der Kantonsregierung getroffenen Massnahmen nicht oder nicht mehr genügen. Diese Sonderbestimmung
BGE 95 III 92 S. 94
erlaubt dem betreibenden Gläubiger ausdrücklich, dem Bundesgericht die Ermessensfrage vorzulegen, ob die von der Kantonsregierung nach Art. 6 Abs. 1 getroffenen Massnahmen ausreichen bezw. noch ausreichen, um zu verhindern, das die Einstellung der Betreibung die Lage der Gläubiger verschlechtert, oder ob die Betreibung wegen einer solchen Verschlechterung fortzusetzen ist. Dabei handelt es sich der Sache nach um ein unbefristetes Rekursrecht (vgl. Art. 4 Abs. 2 der bundesrätlichen Entwürfe von 1939 und 1945, BBl 1939 II 27 und 1945 I 20, wo von einer "Beschwerde" die Rede ist, und den zum Gesetz gewordenen Antrag der ständerätlichen Kommission, die nach dem Votum des Berichterstatters Fricker die Festsetzung einer Frist für die Anrufung des Bundesgerichts ablehnte; Sten. Bull 1946, StR, S. 211). Auf den vorliegenden Rekurs, mit dem der Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde wegen Ungenügens der Massnahmen der Kantonsregierung und damit wegen Unangemessenheit angefochten wird, ist daher einzutreten. | null | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
4bc2140a-2e79-432b-ad5a-247894e83ac9 | Urteilskopf
97 V 221
54. Extrait de l'arrêt du 31 décembre 1971 dans la cause héritiers de L. contre Caisse d'assurance-vieillesse et survivants... et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 43 AHVV
.
Grundsätzlich haben die Kassen ihre Beitragsforderungen zur Aufnahme ins öffentliche Inventar anzumelden (
Art. 580 ff. ZGB
).
Art. 590 Abs. 2 ZGB
ist nur anwendbar, wenn die Unterlassung von unverschuldeter Unkenntnis des Guthabens herrührt (Erw. 2-4). | Sachverhalt
ab Seite 221
BGE 97 V 221 S. 221
A.-
Le notaire L. est décédé le 10 septembre 1964. Par testament, il a légué à son épouse l'usufruit de tous ses biens et a institué comme héritiers son fils et sa fille. A la requête des héritiers, le président du tribunal civil leur accorda le bénéfice d'inventaire, le 5 octobre 1964. Le délai imparti aux créanciers pour produire leurs prétentions expirait le 10 novembre 1964. Les sommations publiques eurent lieu régulièrement. La succession fut acceptée sous bénéfice d'inventaire le 30 novembre 1964.
B.-
Feu L. était affilié en qualité d'indépendant à la Caisse de l'assurance-vieillesse et survivants... La caisse eut connaissance du décès et de la procédure de bénéfice d'inventaire. Le 16 octobre 1964, un de ses employés consulta le dossier fiscal et y vit une taxation provisoire pour la 12e période IDN. Le 19 octobre 1964, ce même employé apprit au cours d'un entretien téléphonique avec le fils de L., également notaire, que ce n'était pas l'étude X. et L. qui s'occupait de la liquidation de la
BGE 97 V 221 S. 222
succession. Il ajouta au pied de la note qu'il rédigea à ce propos: "Produire sur la base des éléments retenus à la 1 le" et transmit cette communication interne au service du contentieux de la caisse, qui s'abstint toutefois de toute démarche.
C.-
Le 24 octobre 1969, la commission d'impôt remit à la caissela taxation IDN définitivede feu L., relative à la 12e période de cet impôt... Le 6 novembre 1969, l'administration fixa la cotisation personnelledu défunt pour les neufpremiers mois de 1964.
Le fils de L. éleva contre cette décision une protestation qui fut considérée comme un recours. Selon lui, la créance de la caisse était éteinte pour n'avoir pas été annoncée jusqu'au 10 novembre 1964, au cours de la procédure de bénéfice d'inventaire. La caisse proposa à l'Office fédéral des assurances sociales de retirer la décision de taxation et de considérer la créance comme irrécouvrable. L'Office fédéral des assurances sociales lui enjoignit de soumettre le cas au juge. Le 11 novembre 1970, le tribunal cantonal des assurances rejeta le recours; selon les premiers juges, la caisse est excusable de s'être bornée à attendre une taxation fiscale définitive pour fixer la cotisation, qui au surplus n'était pas prescrite.
D.-
Les héritiers et la veuve usufruitière de feu L. ont formé en temps utile un recours de droit administratif contre le jugement cantonal. Ils contestent que la caisse ait omis sans sa faute de produire au cours de la procédure de bénéfice d'inventaire. Ils concluent à la libération de toute dette de cotisation.
La caisse intimée s'en remet à justice.
L'Office fédéral des assurances sociales allègue que la caisse n'était pas en mesure de prendre une décision avant le 24 octobre 1969 et propose de rejeter le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux termes de l'art. 43 RAVS, en cas de décès d'une personne tenue au paiement des cotisations, ses héritiers répondent solidairement des cotisations dues par elle de son vivant; les art. 566, 589 et 593 du code civil sont réservés. Cette disposition du règlement est utile à l'exécution de la loi. En l'édictant, le Conseil fédéral n'a pas excédé les pouvoirs que lui confère l'art. 154 al. 2 LAVS, comme l'a déjà admis implicitement la jurisprudence (RO 96 V 72; ATFA 1969 p. 93; 1966 p. 88 consid. 3; 1963 p. 28; 1953 p. 149; RCC 1969 p. 686; 1955 p. 36)...
BGE 97 V 221 S. 223
2.
a) La succession de L. a été acceptée sous bénéfice d'inventaire, au sens de l'art. 589 CC. La créance de cotisation que fait valoir l'administration n'est pas portée à l'inventaire, parce que la caisse ne l'a pas produite. En vertu des art. 589 al. 1er et 590 CC, les créanciers du défunt qui ne figurent pas à l'inventaire ne peuvent rechercher l'héritier ni personnellement ni sur les biens de la succession (art. 590 al. 1er CC), sauf s'ils ont omis de produire sans leur faute ou s'ils ont produit mais que leur créance n'a néanmoins pas été portée à l'inventaire (art. 590 al. 2 CC). Dans les hypothèses de l'art. 590 al. 2 CC, l'héritier n'est tenu que jusqu'à concurrence de son enrichissement; l'exception de défaut d'enrichissement n'est pas soulevée en l'espèce.
Dans l'arrêt ATFA 1963 p. 28, le Tribunal fédéral des assurances s'est dit enclin à considérer que les créances de cotisation AVS doivent, en principe, être produites en cours d'inventaire, en tout cas lorsque la caisse avait déjà fixé le montant des cotisations avant l'échéance du délai de production ou qu'elle possédait alors les éléments lui permettant de prendre sa décision. Il faut bien qu'il en soit ainsi, sinon la réserve en faveur de l'art. 589 CC, à l'art. 43 RAVS, serait dénuée de sens (l'application de l'art. 589 al. 1er CC entraine logiquement celle de l'art. 590 CC, qui en est le développement). La Cour de céans a cependant réservé l'hypothèse où, pour des motifs dont elle n'a pas à répondre, la caisse n'aurait reçu les données nécessaires au calcul des cotisations qu'après l'échéance dudit délai.
b) En l'occurrence, il reste donc à déterminer si c'est sans sa faute, au sens de l'art. 590 al. 2, que la caisse a omis de produire sa créance en cours d'inventaire.
L'administration admet en substance avoir commis une faute, parce que son service de la cotisation personnelle avait décidé de faire jusqu'au 10 novembre 1964 une production fondée sur les données de la 11e période de l'IDN mais que le service du contentieux a négligé d'exécuter cette décision. Toutefois, selon les premiersjuges et l'Office fédéral des assurances sociales, la caisse aurait tort de se reconnaître en faute, parce qu'on ne pouvait attendre d'elle qu'elle produisit avant d'avoir reçu une taxation fiscale définitive, donc avant le 24 octobre 1969.
Les commentateurs du code civil ne mentionnent pas l'incertitude sur le montant de la créance parmi les motifs qui excusent l'inaction du créancier (ESCHER, ad art. 589/590 CC n. 4; TUOR/PICENONI, ad art. 589/590 CC n. 10 et 10a). Il en est de
BGE 97 V 221 S. 224
même de la jurisprudence du Tribunal fédéral (v. p.ex. RO 66 II 92). La Cour de céans ne voit pas de motifs de s'écarter de la solution du droit civil, dans ce domaine. A cet égard, la référence à certaines dispositions du code civil, à l'art. 43 RAVS, tend à démontrer que le Conseil fédéral n'a pas voulu ignorer les règles du droit successoral, ce qui présente l'avantage d'assurer une plus grande sécuritéjuridique. Ne saurait par conséquent être excusable, au sens de l'art. 590 al. 2 CC, que l'absence de production due à l'ignorance non coupable de l'existence d'une créance de cotisation, situation à laquelle on peut assimiler l'incertitude résultant du fait que l'administration ne dispose pas encore d'éléments suffisants pour conclure à l'existence d'une dette de cotisation. Il y a lieu de préciser dans ce sens l'arrêt ATFA 1963 p. 28. Il n'est pas sans intérêt non plus de renvoyer ici à la doctrine fiscale quant à la distinction faite entre l'existence de la dette d'impôt et la fixation de son montant (v. p.ex. BLUMENSTEIN, "Schweizerisches Steuerrecht", Tübingen 1926 et 1929, pp. 53, 287 ss, 304, 387-391).
Au vrai, il est impossible d'imposer en matière de créance de cotisation une solution uniforme: la solution dépend dans une grande mesure des circonstances. Autrement dit, il y a des cas où l'on doit attendre du créancier qu'il fasse une production approximative et d'autres cas où l'on ne le peut pas.
c) La caisse intimée a connu à temps une taxation provisoire pour la 12e période IDN, qui était déterminante; elle connaissait la taxation de la 11e période; elle n'avait aucun motif de s'attendre à un changement important dans les revenus du défunt. Elle aurait donc dû faire une production provisoire, et s'en est rendu compte. Contrairement à ce qu'en pensent les premiers juges, une telle production n'aurait pas ralenti les opérations d'inventaire, car il sautait aux yeux - vu l'importance de l'actif - que les héritiers n'auraient pas fait dépendre leur acceptation de la fixation à quelques centaines et même à quelques milliers de francs près de la créance litigieuse. L'Office fédéral des assurances sociales objecte que, conformément au no 136 des Directives sur les cotisations des travailleurs indépendants et des nonactifs, il est loisible à l'administration - si la communication de l'autorité fiscale ne lui parvient pas à temps et selon son pouvoir discrétionnaire - de s'abstenir provisoirement de toute mesure en vue de la perception des cotisations. Quand elle entre en conflit avec le droit successoral, cette disposition des Directives
BGE 97 V 221 S. 225
est toutefois contraire à l'art. 43 RAVS, qui réserve expressément l'application de l'art. 589 CC. D'ailleurs, dans le cas particulier, la caisse n'avait nullement décidé, "selon son pouvoir discrétionnaire", de s'abstenir provisoirement mais au contraire d'agir provisoirement. C'est par erreur qu'elle n'en a rien fait.
3.
Aux termes de l'art. 581 al. 3 CC, les héritiers sont tenus de signaler à l'autorité chargée d'établir l'inventaire les dettes de la succession qu'ils connaissent; mais non pas celles qu'ils devraient connaître (ESCHER, ad art. 581 CC n. 12; TUOR/PICENONI, n. 17). La violation de cette obligation entraîne des dommages-intérêts, ce qui revient à rendre la dette transmissible hors inventaire.
En l'espèce, rien ne permet d'affirmer que les héritiers aient su avant 1969 que leur père n'avait pas payé sa cotisation personnelle à l'assurance-vieillesse et survivants en 1964. De nombreux assurés acquittent leur cotisation en versant au début de chaque trimestre des acomptes approximatifs. Avant l'expiration du délai pour les productions, les héritiers ne pouvaient être tenus d'annoncer une créance non encore fixée, alors qu'ils avaient appris que la caisse s'occupait de sauvegarder ses droits (par un appel téléphonique, le 19 octobre 1964). Après l'expiration du délai, à supposer qu'ils aient remarqué la carence de la caisse, il leur était permis de croire que cette dernière s'estimait couverte par l'encaissement d'acomptes.
4.
Enfin, l'Office fédéral des assurances sociales se prévaut de l'art. 583 CC, selon lequel les créances et les dettes qui résultent des registres publics ou des papiers du défunt sont inventoriées d'office.
Au moment de la prise d'inventaire, la cotisation AVS de feu L. pour 1964 n'était inscrite dans aucun registre public. Elle n'aurait pu ressortir des papiers du défunt que s'il avait tenu une comptabilité personnelle et, probablement, moyennant expertise comptable, que l'autorité chargée de l'inventaire n'est nullement tenue d'ordonner.
Il parait donc exclu d'appliquer ici l'art. 583, en relation par analogie avec l'art. 590 al. 2 CC (cf. TUOR/PICENONI, ad art. 590 CC n. 12).
5.
Quant aux conséquences du défaut d'admission de la créance de la caisse à l'inventaire, il suffit de se référer à la doctrine (TUOR/PICENONI, ad art. 590 n. 2 ss): il y a péremption,
BGE 97 V 221 S. 226
non prescription, principe également valable dans le cadre de l'art. 43 RAVS, vu ce qui a été dit plus haut...
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce: Le recours est admis dans ce sens que la décision et le jugement attaqués sont réformés, la cotisation personnelle AVS/AI/APG de feu L. pour 1964 n'étant pas due par les recourants. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
4bc39147-8e22-4bde-ad79-c258ad22e6bc | Urteilskopf
102 Ia 28
6. Urteil vom 3. März 1976 i.S. Dr. X. gegen Aufsichtskammer über die Walliser Advokaten. | Regeste
Art. 4 BV
; Disziplinarrecht des Anwaltes.
Disziplinarische Sanktionen mit überwiegendem Strafcharakter, wie Verweis und Busse, fallen unter den Grundsatz ne bis in idem. | Sachverhalt
ab Seite 28
BGE 102 Ia 28 S. 28
Dr. X. führt ein Advokaturbüro in Basel und Raron. Die Aufsichtskammer über die Walliser Advokaten büsste ihn - allein gestützt auf die Tatbestände zweier ihr mitgeteilter Disziplinarentscheide der bernischen Anwaltskammer - am 27. Februar 1975 wegen Verletzung der Standesregeln mit Fr. 500.-- und erlegte ihm die Kosten ihres Disziplinarverfahrens auf. Zur Begründung führte sie im wesentlichen an: Da sogar ein Entzug der Berufsausübungsbewilligung in mehreren Kantonen zugleich wegen einer und derselben Handlung nicht gegen den Grundsatz ne bis in idem verstosse, sei sie ermächtigt, zusätzlich einen Verweis oder eine Busse auszusprechen. Die im Kanton Bern disziplinierten Handlungen seien im Domizilkanton Wallis ebenfalls zu ahnden, da sie auch hier geeignet seien, das Vertrauen in den fehlbaren Anwalt zu erschüttern. Mit staatsrechtlicher Beschwerde gestützt auf
Art. 4 BV
verlangt Dr. X. die Aufhebung dieses Entscheides.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid bedeute eine missbräuchliche, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzende Häufung von Bussen. Die gleichen Sachverhalte, die zur angefochtenen Busse geführt hätten, seien schon mit zwei Bussen in Basel-Stadt sowie mit einer Busse und einer Einstellung im Berufe in Bern diszipliniert worden. Der Grundsatz ne bis in idem gelte zwar in Disziplinarverfahren nicht unbesehen. Doch sei ein zusätzlicher
BGE 102 Ia 28 S. 29
Eingriff der Behörden eines Kantons, in dem der Betroffene nicht tätig geworden ist, nur in krassen Fällen disziplinwidrigen Verhaltens zulässig (vgl. W. DUBACH, Das Disziplinarrecht der freien Berufe, in ZSR 70/1951 S. 105a). Ein Anwalt, der wie der Beschwerdeführer in mehreren Kantonen praktiziere, laufe Gefahr, für einen in einem Kanton begangenen Fehler mehrfach und kumuliert bestraft zu werden.
a) Disziplinarische Sanktionen gegenüber Anwälten unterstehen dem Verhältnismässigkeitsprinzip (
BGE 100 Ia 357
ff.). Das dem Strafprozessrecht angehörende Prinzip ne bis in idem hat damit indessen nichts zu tun, sondern besagt, dass ein Beschuldigter für die gleiche Tat nicht mehrmals bestraft werden soll. Dieser Grundsatz gilt freilich in den auf
Art. 33 BV
ausgerichteten kantonalen Disziplinarverfahren nicht ohne weiteres. Er schränkt die Kantone in der Ausübung ihrer Disziplinarhoheit über Rechtsanwälte und andere patentpflichtige Angehörige der freien Berufe nicht allgemein ein (vgl. E. MARTIN-ACHARD, ZSR 70/1951 S. 247a; W. DUBACH, a.a.O. S. 103a ff.). War das Verhalten des Betreffenden in einem Kanton geeignet, das für die Zulassung zum Anwaltsberuf erforderliche Vertrauen zu erschüttern, so braucht er in der Tat in keinem andern Kanton zur Anwaltspraxis zugelassen zu werden.
b) Disziplinarverstösse können aber nach Art und Schwere sehr verschieden sein. Dementsprechend sehen die meisten kantonalen Disziplinarrechte eine Skala möglicher Sanktionen vor. Der Kanton Wallis erlaubt in seinem vom Staatsrat erlassenen "Reglement betreffend die Aufsichtskammer über die Walliser Advokaten" vom 3. September 1962 wahlweise folgende Sanktionen:
- Verweis (Art. 7 Abs. 2 lit. a).
- Busse von Fr. 20.-- bis Fr. 500.-- (Art. 7 Abs. 2 lit. b).
- Einstellung im Beruf von sechs Monaten bis zwei Jahren (Art. 8 Abs. 1).
- Entzug des Patentes (Art. 8 Abs. 1). Verweis und Busse sind für leichtere oder solche Fälle bestimmt, die an sich die Vertrauenswürdigkeit des Anwalts nicht beeinträchtigen können. Sie haben Strafcharakter, denn mit ihnen soll der Disziplinverstoss gesühnt und der Fehlbare spezialpräventiv von der Wiederholung ähnlicher Handlungen abgehalten Werden. Die befristete Einstellung im Beruf hingegen
BGE 102 Ia 28 S. 30
ist gedacht für schwerere Vorfälle, welche die Vertrauenswürdigkeit eines Anwalts erschüttern; sie hat Merkmale der Strafe wie der administrativen Massnahme. Der disziplinarische Bewilligungsentzug schliesslich ist offensichtlich keine Strafe, sondern eine Massnahme (vgl. W. DUBACH, a.a.O. S. 39a); durch ihn soll im öffentlichen Interesse das rechtsuchende Publikum vor einer berufsunwürdigen Person geschützt werden. Zwar mag diese Massnahme auf den Betroffenen wie eine Strafe wirken, vielleicht mehr als ein Verweis oder eine Busse. Doch steht bei ihr jedenfalls das polizeiliche Verwaltungshandeln der Behörde zum Schutz des Publikums im Vordergrund und die Straffunktion ist lediglich eine Nebenwirkung.
c) Aus dieser unterschiedlichen Natur der Sanktionen ergibt sich, dass Verweigerung oder Entzug der Berufsausübungsbewilligung, sofern sie sachlich am Platze sind, ohne weiteres in mehreren Kantonen verhängt werden können (
BGE 53 I 29
; W. DUBACH, a.a.O. S. 104a). Anderseits fallen Verweis und Busse oder ähnliche Sanktionen mit überwiegendem Strafcharakter unter den Grundsatz ne bis in idem. Es wäre in der Tat stossend und mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar, wenn ein fehlbarer Anwalt für den gleichen Verstoss kumulativ in all jenen Kantonen gebüsst werden könnte, in denen er eine Zulassungsbewilligung zum Anwaltsberuf besitzt und folglich der betreffenden Disziplinarbehörde untersteht. Das effektive Strafmass hinge dann davon ab, in wie vielen Kantonen er eine Berufsausübungsbewilligung hat und wie diese Kantone das hier massgebende Opportunitätsprinzip handhaben; dabei nimmt jede einzelne Strafe - unabhängig von den andern - für sich in Anspruch, den Verstoss angemessen, d.h. auch in entsprechender Schwere zu sühnen. Vom Zweck der Disziplinarbusse her ist eine Häufung ebenfalls nicht erforderlich. Es genügt durchaus die Büssung in einem Kanton - zumeist jenem, in dem der Verstoss begangen wurde.
d) Die Regel des in maiore minus, von der die Walliser Aufsichtskammer sich leiten liess, spielt hier nicht. Nicht die sachliche Kompetenz zu Disziplinarsanktionen steht vorliegend in Frage, sondern die örtliche Zuständigkeit und deren unterschiedliche Beurteilung je nach dem Zwecke der in Frage stehenden Sanktion. Die Busse ist hier kein minus, sondern
BGE 102 Ia 28 S. 31
ein aliud. Ist ein Entzug der Berufsausübungsbewilligung zum Schutze des Publikums nicht oder noch nicht am Platze, so kann nicht ohne Weiteres in jedem Kanton eine Busse als leichtere Sanktion verhängt werden. Vielmehr ist zu prüfen, ob nicht schon in einem andern Kanton der Disziplinarverstoss gesühnt worden ist.
2.
Im vorliegenden Fall hat die Walliser Aufsichtskammer für ihren Kanton und dessen rechtsuchende Bevölkerung die schwerwiegende Massnahme des Entzuges der Berufsausübungsbewilligung nicht als notwendig erachtet. Die Verhängung einer disziplinarischen Sanktion mit Strafcharakter wäre also nur noch in Betracht gefallen, wenn dies für die fraglichen Disziplinartatbestände nicht schon in einem andern Kanton geschehen Wäre. Das war hier aber der Fall. Die angefochtene Busse beruht auf Sachverhalten, die bereits von der bernischen Anwaltskammer mit einer Busse und einem einjährigen Entzug der Berufsausübungsbewilligung belegt worden sind; auch die zweite Sanktion wirkt sich, empfindlicher noch als die erste, für den Beschwerdeführer wie eine Strafe aus; das ist hier entscheidend.
Für die Aussprechung einer reinen Disziplinarstrafe im Kanton Wallis war somit kein Raum mehr. Die Walliser Aufsichtskammer konnte nach Ablehnung eines Bewilligungsentzuges von den in Bern ausgefällten Sanktionen formell Akt nehmen und ihrem eigenen Verfahren keine weitere Folge geben. Wenn sie zusätzlich zu den bernischen Sanktionen noch eine Busse verhängte, verstiess sie gegen den bundesrechtlich anerkannten Grundsatz ne bis in idem. Der angefochtene Entscheid lässt sich daher vor
Art. 4 BV
nicht halten und muss aufgehoben werden. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
4bc8e029-2c31-4e23-abbc-580d2ef87cf5 | Urteilskopf
83 II 171
27. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Mai 1957 i.S. M.-H. und M. gegen M. | Regeste
Anfechtung der Ehelichkeit.
1. Klage nach Ablauf der Anfechtungsfrist des
Art. 253 Abs. 1 ZGB
. Ist der Ehemann arglistig zur Unterlassung der Anfechtung bewogen worden und hat er innert dreier Monate nach Entdeckung der Arglist geklagt (
Art. 257 Abs. 1 und 2 ZGB
)? Wird die Verspätung mit wichtigen Gründen entschuldigt (
Art. 257 Abs. 3 ZGB
)?
2. Anfechtung im Falle, dass das Kind vor dem 180. Tage nach Abschluss der Ehe geboren wurde (
Art. 255 ZGB
). Vermutung der Ehelichkeit gemäss
Art. 255 Abs. 2 ZGB
. Beiwohmmg "um die Zeit der Empfängnis"? Bedeutung des Reifegrades des Kindes bei der Geburt. | Sachverhalt
ab Seite 172
BGE 83 II 171 S. 172
M. und Frl. H. lernten sich anfangs März 1954 kennen und hatten am 6./7. März 1954 erstmals miteinander Geschlechtsverkehr. Am 1. Mai 1954 heirateten sie. Am 11. Oktober 1954, 219 oder 218 Tage nach der ersten Beiwohnung ihres heutigen Ehemanns und 163 Tage nach der Heirat, gebar die Ehefrau einen Knaben. Nachdem sie Klage auf Scheidung angehoben hatte, klagte der Ehemann am 17. September 1955 beim Bezirksgericht Muri, in dessen Amtskreis er heimatberechtigt ist, auf Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes. Das Bezirksgericht hiess die Klage gut. Das Obergericht des Kantons Aargau hat am 7. Dezember 1956 das erstinstanzliche Urteil bestätigt.
Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht beantragen die Beklagten wie im kantonalen Verfahren Abweisung der Klage. Der Kläger schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die kantonalen Gerichte haben die erst lange nach Ablauf der dreimonatigen Frist von
Art. 253 Abs. 1 ZGB
eingereichte Anfechtungsklage als zulässig betrachtet, weil der Kläger im Sinne von
Art. 257 Abs. 1 ZGB
arglistig zur Unterlassung der Anfechtung bewogen worden sei und gemäss Art. 257 Abs. 2 binnen drei Monaten nach Entdeckung der Arglist geklagt habe, und weil die Verspätung überdies durch wichtige Gründe im Sinne von
Art. 257 Abs. 3 ZGB
entschuldigt werde. Diese Annahmen verstossen nicht gegen Bundesrecht.
a) Die Vorinstanz hat festgestellt, die Beklagte habe Ende 1953 bis Mitte Januar 1954 mit F. ein intimes Liebesverhältnis unterhalten. Der bloss 219 Tage nach dem ersten Geschlechtsverkehr der Beklagten mit dem Kläger geborene Knabe habe bei der Geburt eine Länge
BGE 83 II 171 S. 173
von 52 cm und auch sonst alle Zeichen der Reife aufgewiesen. Gleichwohl hätten die Beklagte und ihre Mutter nach der Geburt dem Kläger und dessen Verwandten gegenüber wiederholt erklärt, es handle sich um eine Frühgeburt. Nach allgemeiner Erfahrung dürfe angenommen werden, dass die Beklagte und ihre Mutter über die Unrichtigkeit ihrer Behauptungen im klaren gewesen seien, so dass diese als wohlüberlegte Lügen zu taxieren seien. Zum Netz, in das der Kläger hätte eingezogen werden sollen, gehöre auch der Brief vom 18. Oktober 1954, in welchem die Beklagte nicht müde werde, dem Kläger einzuhämmern, dass er nun einen Sohn habe. Es könne somit kein Zweifel darüber bestehen, dass die Beklagte sich grosse Mühe gegeben habe, dem Kläger vorzutäuschen, dass er der Vater ihres Kindes sei.
Diese Feststellungen betreffen im wesentlichen tatsächliche Verhältnisse und sind daher gemäss
Art. 63 Abs. 2 OG
für das Bundesgericht verbindlich. Fragen kann sich höchstens, ob das Bundesgericht ohne weiteres auf die Annahme abstellen dürfe, die Beklagte habe bei ihren Äusserungen gewusst, dass sie unrichtig seien, was u.a. voraussetzen würde, dass der Kläger nicht der Vater ihres Kindes sein kann. Die Vorinstanz folgert letzteres daraus, dass die Zeugung nach den Tabellen von LABHARDT mit grösster Wahrscheinlichkeit Ende Dezember 1953 oder in der ersten Hälfte des Monats Januar 1954 erfolgt sein müsse (Dekadenwahrscheinlichkeiten von 40 bezw. 21,86%), während die (Dekaden-) Wahrscheinlichkeit für eine Zeugung erst am 6./7. März 1954 bloss 0,12% betrage, womit praktisch die Unmöglichkeit der Zeugung durch den Kläger feststehe. Im Zusammenhang mit der Frage der Arglist im Sinne von
Art. 257 ZGB
braucht jedoch nicht untersucht zu werden, ob gestützt auf diese Wahrscheinlichkeitszahlen gesagt werden dürfe, die Vaterschaft des Klägers sei unmöglich (womit der materielle Entscheid selbst für den Fall vorweggenommen wäre, dass die Beklagten gemäss
Art. 255 Abs. 2 ZGB
die Vermutung
BGE 83 II 171 S. 174
der Ehelichkeit des -Kindes für sich in Anspruch nehmen könnten). Selbst wenn man nämlich der Beklagten zubilligen will, es sei nicht schlechthin unmöglich und habe ihr daher nicht geradezu als ausgeschlossen erscheinen können, dass der Kläger der Vater ihres Kindes sei, so war die Vorinstanz doch auf jeden Fall zur Annahme berechtigt, die Beklagte habe ernstlich mit der Möglichkeit rechnen müssen und tatsächlich auch damit gerechnet, dass nicht der Kläger, sondern ihr früherer Liebhaber F. ihr Kind gezeugt habe und dass man es folglich nicht mit einer Frühgeburt, sondern mit einer Geburt am normalen Termin zu tun habe. (Ihre Behauptung, dass sie nach Abbruch der Beziehungen mit F. noch Monatsblutungen gehabt habe, vermochte sie nicht zu beweisen.) Versicherte die Beklagte dem Kläger, es handle sich um eine Frühgeburt und er sei der Vater, obwohl sie wusste, dass es sich sehr wohl anders verhalten könne, so genügt dies, um ihr ein arglistiges Verhalten im Sinne von
Art. 257 Abs. 1 ZGB
vorzuwerfen. Anders als die Beklagten in den Fällen
BGE 61 II 301
und
BGE 71 II 259
hat sie sich nicht darauf beschränkt, den Verkehr mit einem andern Manne um die Empfängniszeit abzustreiten, was in den erwähnten Entscheiden als für die Anwendung von Art. 257 Abs. 1 nicht ausreichend erachtet wurde. Vielmehr machte sie positive Angaben über die Tragzeit und die Vaterschaft, obwohl ihr die Fragwürdigkeit dieser Behauptungen bewusst war, worin zweifellos ein arglistiges Verhalten zu erblicken ist (vgl. das Urteil vom 13. Januar 1955 i.S. Hauser). Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob auch das auffällige Entgegenkommen, dem der Kläger sogleich nach Anbahnung der Bekanntschaft bei der Beklagten und ihren Eltern begegnete, zu den Machenschaften gerechnet werden könne, mit denen er von der Anfechtung der Ehelichkeit des am 11. Oktober 1954 geborenen Kindes abgehalten werden sollte.
b) Die Entscheidung der weitern Frage, ob der Kläger durch das arglistige Verhalten der Beklagten zur Unterlassung
BGE 83 II 171 S. 175
der Anfechtung bewogen worden sei und wann er in diesem Falle die Arglist entdeckt habe, hängt nicht davon ab, ob und wann er in der Lage gewesen wäre, die Täuschung zu durchschauen, sondern es kommt nur darauf an, ob er sich wirklich täuschen liess und deshalb nicht klagte, und wann ihm dann tatsächlich die Augen aufgingen. Dabei handelt es sich um Tatfragen, über welche die Vorinstanz abschliessend zu befinden hatte. Nach ihren Feststellungen schenkte der Kläger (der vom Liebesverhältnis der Beklagten mit F. erst am 12. September 1955 Kenntnis erhielt) den Angaben der Beklagten über das Vorliegen einer Frühgeburt Glauben und unterliess es deshalb, über diesen Punkt Erhebungen anzustellen, deren Ergebnis ihn zur Bestreitung seiner Vaterschaft hätte veranlassen können. Es war nach diesen Feststellungen erst der Bericht des Krankenhauses G. vom 17. August 1955 über den Reifegrad des Kindes bei der Geburt, der ihm die Augen richtig öffnete. Innert dreier Monate von diesem Datum an hat er geklagt. Es lässt sich daher nicht als bundesrechtswidrig beanstanden, dass die Vorinstanz die Klage auf Grund von
Art. 257 Abs. 1 und 2 ZGB
als zulässig erachtete.
c) Der Vorinstanz ist im übrigen auch darin beizustimmen, dass die Verspätung der Anfechtung mit wichtigen Gründen im Sinne von
Art. 257 Abs. 3 ZGB
entschuldigt wird. Solche Gründe sind nach der Rechtsprechung gegeben, wenn der Kläger zunächst keine zureichende Veranlassung zu Zweifeln an der Ehelichkeit und zur Anhebung einer Anfechtungsklage hatte (
BGE 61 II 301
,
BGE 71 II 259
). Zureichende Veranlassung zur Klage hat der Kläger nach dem zuletzt genannten Entscheide nicht, bevor er die erforderlichen tatsächlichen Grundlagen dazu besitzt. Dies war hier, wie die Vorinstanz zutreffend annimmt, erst der Fall, als er den Bericht vom 17. August 1955 über den Reifegrad des Kindes erhalten und am 12. September 1955 von F. erfahren hatte, dass die Beklagte am 31. Dezember 1953/1. Januar 1954 und etwa
BGE 83 II 171 S. 176
Mitte Januar 1954 mit diesem geschlechtlich verkehrt hatte. Er konnte sich nicht von vornherein darauf verlassen, dass er gemäss
Art. 255 Abs. 1 ZGB
die Anfechtung nicht weiter zu begründen habe, sondern musste sich für den Fall zu wappnen suchen, dass es den Beklagten gelingen sollte, gemäss Art. 255 Abs. 2 die schwer widerlegbare Vermutung der Ehelichkeit zu begründen. Nach dem 12. September 1955 hat der Kläger dann mit der ihm nach den Umständen zumutbaren Beschleunigung gehandelt, indem er fünf Tage später die Klage einleiten liess.
2.
Ist ein Kind, wie es hier zutrifft, vor dem 180. Tage nach Abschluss der Ehe geboren oder waren die Ehegatten zur Zeit der Empfängnis durch gerichtliches Urteil getrennt, so hat der Ehemann nach
Art. 255 Abs. 1 ZGB
seine Anfechtung nicht weiter zu begründen. Die Vermutung der Ehelichkeit besteht jedoch nach
Art. 255 Abs. 2 ZGB
auch in diesem Falle, d.h. die Ehelichkeit kann auch in diesem Falle nur mit dem in
Art. 254 ZGB
geforderten Nachweis der Unmöglichkeit der Vaterschaft des Ehemannes angefochten werden (
BGE 61 II 22
,
BGE 69 II 218
), wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Ehemann um die Zeit der Empfängms der Mutter beigewohnt habe.
Unter dem hier verwendeten Ausdrucke "um die Zeit der Empfängnis" hat die Vorinstanz im Anschluss an
BGE 61 II 22
die Zeit vom 300. bis zum 180. Tage vor der Geburt verstanden. Dieses Präjudiz ist jedoch in diesem Punkt überholt durch
BGE 69 II 215
ff., wonach mit dem erwähnten Ausdruck die normale, dem Reifegrad des Kindes entsprechende Empfängniszeit gemeint ist. An der in diesem letzten Entscheid entwickelten Auffassung ist grundsätzlich festzuhalten. Wenn das Gesetz in Art. 255 Abs. 1 und 2 von der Zeit der Empfängnis spricht, so ist klar, dass es hier - wie gemäss
BGE 79 II 26
in
Art. 315 ZGB
- die Zeit im Auge hat, in welche die Empfängnis des Kindes zu verlegen ist, um das der Streit geht. Dass als Zeit der Empfängnis nicht für jedes Kind die Zeitspanne
BGE 83 II 171 S. 177
vom 300. bis zum 180. Tage vor der Geburt in Frage kommt, sondern dass sich aus dem Reifegrad eine andere Abgrenzung dieser Zeit ergeben kann, war dem Gesetzgeber bewusst (vgl. neben
BGE 69 II 217
/218 auch
BGE 82 II 87
, je mit dortigen Hinweisen). Daher geht es nicht an, die in den erwähnten Vorschriften verwendeten Ausdrücke in Anlehnung an die in
Art. 252, 254 und 314 Abs. 1 ZGB
enthaltenen Terminbestimmungen auf die Zeit vom 300. bis zum 180. Tage vor der Geburt zu beziehen. Vielmehr ist bei der Anwendung jener Vorschriften dem Reifegrad des Kindes und der daraus zu erschliessenden Schwangerschaftsdauer Rechnung zu tragen.
Richtig ist allerdings, dass bei Geburt eines Kindes wenigstens (gegebenenfalls also nur) 180 Tage nach Abschluss der Ehe der Ehemann seine Klage gemäss
Art. 254 ZGB
nur durch den Nachweis zu begründen vermag, dass er unmöglich der Vater des Kindes sein könne. Daraus folgt aber entgegen der in
BGE 61 II 22
vertretenen Auffassung nicht notwendig, dass für weniger als 180 Tage nach Abschluss der Ehe geborene Kinder das gleiche gelten müsse, sobald anzunehmen ist, dass der Ehemann "ebensolange vor Abschluss der Ehe" (gemeint wohl: 180 Tage vor der Geburt) der Mutter beigewohnt hat. Es lässt sich sachlich durchaus rechtfertigen, einerseits bei der Umschreibung der Fälle, in denen die Vermutung der Ehelichkeit grundsätzlich nur durch den von
Art. 254 ZGB
geforderten Nachweis entkräftet werden kann, im Interesse der Rechtssicherheit einen Anfangstermin zu wählen, der sich auf Grund der Eintragungen in den Zivilstandsregistern durch eine einfache Rechenoperation bestimmen lässt, und diesen Termin so festzulegen, dass auch Kinder, die nur beim Vorliegen einer extrem kurzen Tragzeit während der Ehe gezeugt worden sein können, ohne weiteres den Schutz von
Art. 254 ZGB
geniessen, anderseits aber auf die dem Reifegrad entsprechende individuelle Empfängniszeit abzustellen, wenn es darum geht, wann die Vermutung der Ehelichkeit in gleicher Stärke ausnahmsweise
BGE 83 II 171 S. 178
auch für Kinder gelten soll, die angesichts der Zeitspanne zwischen Heirat und Geburt unter allen Umständen vor der Ehe gezeugt worden sein müssen, wie dies für die weniger als 180 Tage nach der Heirat lebend geborenen Kinder angenommen werden darf (vgl. LABHARDT, Schweiz. Med. Wochenschrift 1944 S. 132, am Ende). Daher kann keine Rede davon sein, dass ein unvernünftiges Ergebnis herauskomme, wenn
Art. 255 Abs. 2 ZGB
entsprechend dem Wortlaut dieser Vorschrift und den grundsätzlich zutreffenden Vorstellungen über den Zusammenhang zwischen Tragzeit und Reifegrad, von denen bei ihrem Erlass ausgegangen wurde, dahin ausgelegt wird, dass die Vermutung der Ehelichkeit für weniger als 180 Tage nach der Heirat geborene Kinder nur dann gilt, wenn eine Beiwohnung des Ehemanns um die Zeit glaubhaft gemacht wird, zu der das in Frage stehende Kind nach seinem Reifegrad empfangen wurde.
Diese Zeit lässt sich freilich nicht auf den Tag genau bestimmen, da die möglichen Tragzeiten auch bei Kindern gleicher Reife eine bedeutende Streuung aufweisen. Dieser Umstand muss auch bei der Anwendung von
Art. 255 ZGB
berücksichtigt werden. Vor allem aber muss vermieden werden, dass die Ehelichkeit des Kindes in Fällen, wo sich aus dem Reifegrad und dem Zeitpunkt der ersten Beiwohnung des Ehemannes keine erheblichen Zweifel im Sinne von
Art. 314 Abs. 2 ZGB
ergeben könnten, ohne weitere Begründung angefochten werden kann; denn sonst wäre mit der Möglichkeit zu rechnen, dass nach der Unehelicherklärung eines Kindes gegen den Ehemann der Mutter mit Erfolg eine Vaterschaftsklage erhoben werden könnte, wodurch eine Lage geschaffen würde, die mit dem Grundgedanken von
Art. 258 ZGB
(Legitimation der ausserehelichen Kinder durch die Eheschliessung ihrer Eltern) schlechthin unverträglich wäre. Erhebliche Zweifel im Sinne von
Art. 314 Abs. 2 ZGB
werden aber nach der herrschenden Rechtsprechung durch den Reifegrad und den Zeitabstand zwischen Beiwohnung und Geburt nur
BGE 83 II 171 S. 179
dann begründet, wenn die Vaterschaft des in Frage stehenden Mannes angesichts dieser Momente als äusserst unwahrscheinlich, praktisch ausgeschlossen erscheint, m.a.W. wenn sie auf Grund dieser Momente mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann (
BGE 82 II 87
und dortige Hinweise,
BGE 82 II 264
). Deshalb muss eine Beiwohnung des Ehemannes in einem Zeitpunkte, den mit diesem Grade von Wahrscheinlichkeit als Empfängnistermin auszuschliessen nicht möglich ist, im Sinne von
Art. 255 Abs. 2 ZGB
als um die Zeit der Empfängnis erfolgt angesehen werden. Noch weiter zu gehen und einem weniger als 180 Tage nach der Heirat geborenen Kinde den Schutz von
Art. 254 ZGB
immer dann zu gewähren, wenn der Reifegrad in Verbindung mit dem Zeitabstand zwischen Beiwohnung und Geburt die Vaterschaft des Ehemannes nicht geradezu als im Sinne dieser Bestimmung unmöglich erscheinen lässt, rechtfertigt sich dagegen nicht; denn es kann vernünftigerweise nicht die Meinung des Gesetzes sein, dass der Ehemann, sobald eine voreheliche Beiwohnung glaubhaft gemacht ist, der Anwendung von
Art. 255 Abs. 2 ZGB
und damit der Pflicht zur Leistung des in Art. 254 geforderten Beweises nur dann entgehen könne, wenn mit Hilfe des Reifegrades eben gerade dieser Beweis erbracht werden kann.
3.
Im vorliegenden Falle hat man es mit einem Knaben zu tun, der 219 oder 218 Tage nach der am 6./7. März 1954 erfolgten ersten Beiwohnung des Ehemannes mit einer Körperlänge von 52 cm geboren wurde. Nach LABHARDT, dessen Tabellen die Vorinstanz verwertet hat, beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dieser Knabe in der Zeit vom 210. - 219. Tag vor der Geburt (d.h. in der VI. Dekade nach der mittleren) gezeugt wurde, nur 0,12%. Setzt man für den mittleren Abstand zwischen der letzten Menstruation und der Empfängnis entsprechend dem Ergebnis neuerer Beobachtungen 12 statt wie Labhardt 10 Tage ein (vgl.
BGE 82 II 85
), so fallen der 219.
BGE 83 II 171 S. 180
und der 218. Tag vor der Geburt noch in die V. Dekade nach der mittleren, die in diesem Falle die Zeit vom 218.--227. Tag vor der Geburt umfasst. Für die Zeugung in dieser Dekade beläuft sich die Wahrscheinlichkeit nach Labhardt auf 0,25%. Die gesamte Wahrscheinlichkeit für eine Zeugung am 218. Tage vor der Geburt oder später macht nicht mehr als 0,44% aus. Unter diesen Umständen konnte die Vorinstanz ohne Bundesrechtsverletzung annehmen, eine Zeugung am 6./7. März 1954 lasse sich angesichts des Reifegrades des Kindes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschliessen (vgl.
BGE 80 II 300
und dortige Hinweise). Wenn es sich aber so verhält, vermag die Tatsache, dass die Beklagten eine Beiwohnung am 6./7. März 1954 glaubhaft zu machen, ja nachzuweisen vermochten, die Vermutung der Ehelichkeit nach dem in Erwägung 2 Gesagten nicht herzustellen. Vielmehr bleibt
Art. 255 Abs. 1 ZGB
anwendbar, wonach der Kläger seine Anfechtung nicht weiter zu begründen hat. Die Klage ist daher gutzuheissen, ohne dass zu prüfen wäre, ob sich aus dem Reifegrad des Kindes schliessen lasse, dass der Kläger im Sinne von
Art. 254 ZGB
unmöglich der Vater sein könne, und ohne dass eine Rückweisung zur Vornahme der vom Kläger beantragten Blutuntersuchung in Betracht zu ziehen wäre.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, I. Abteilung, vom 7. Dezember 1956 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4bcc1235-53da-42c9-832c-67361058a0e0 | Urteilskopf
107 Ib 167
31. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. März 1981 i.S. Kantonales Steueramt Zürich gegen X. und Wehrsteuerrekurskommission des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Verfahren (Art. 105 Abs. 2 und 114 Abs. 1 OG).
1. Berücksichtigung verspäteter Parteibegehren bei Abgabestreitigkeiten (
Art. 114 Abs. 1 OG
) (E. 1a)?
2. Berücksichtigung einer nachträglichen Änderung des Sachverhaltes im Rahmen von
Art. 105 Abs. 2 OG
(E. 1b)? | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 107 Ib 167 S. 168
Das kantonale Steueramt erhob am 7. September 1978 Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid der kantonalen Wehrsteuerrekurskommission, worin diese den Kapitalgewinn aus der Privatentnahme eines Grundstückes festsetzte. In ihrer Vernehmlassung vom 3. November 1978 beantragte die Steuerpflichtige Abweisung der Beschwerde und Änderung zu ihren Gunsten. Mit Brief vom 21. Dezember 1978 teilte sie dem Bundesgericht mit, dass das betreffende Grundstück inzwischen zu einem tieferen Preis als dem vom Experten geschätzten Verkehrswert verkauft worden sei. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt den Entscheid der Wehrsteuerrekurskommission auf und weist ihr die Sache zur richtigen Festsetzung des Kapitalgewinns zurück. Zum Verfahren führt das Bundesgericht aus:
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) In ihrer lange nach Ablauf der dreissigtägigen Beschwerdefrist eingereichten Vernehmlassung beantragt die Steuerpflichtige Abweisung der Beschwerde und Änderung des vorinstanzlichen Entscheides zu ihren Gunsten. Da im Bereiche der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine Anschlussbeschwerde nicht vorgesehen ist, kann auf den zweiten Antrag nicht eingetreten werden (
BGE 99 Ib 98
E. 1b). Das Bundesgericht hat allerdings gemäss
Art. 114 Abs. 1 OG
die Möglichkeit, in Abgabestreitigkeiten einen Entscheid der Vorinstanz im Rahmen seiner von Amtes wegen getroffenen Abklärungen gegebenenfalls dem objektiven Recht anzupassen, ohne an die Anträge der Parteien gebunden
BGE 107 Ib 167 S. 169
zu sein. Eine solche Berichtigung wird aber nur vorgenommen, wenn der betreffende Entscheid offensichtlich unrichtig und die Korrektur von erheblicher Bedeutung ist. Die Korrektur bezieht sich ferner nur auf Verletzung von Bundesrecht oder Tatsachenirrtum, nicht aber auf Ermessensfragen (
BGE 105 Ib 379
mit Hinweisen;
103 Ib 369
). In diesem Rahmen kann der von der Steuerpflichtigen eingereichte Änderungsantrag zu ihren Gunsten miterwogen werden.
b) Nach
Art. 105 Abs. 2 OG
ist das Bundesgericht an den von der Rekurskommission festgestellten Sachverhalt gebunden, soweit diese ihn nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat. Aus diesem Grund ist im vorliegenden Fall die Möglichkeit, vor Bundesgericht neue Behauptungen aufzustellen und neue Beweismittel einreichen zu können, weitgehend eingeschränkt (
BGE 102 Ib 127
). Das Bundesgericht hat in solchen Fällen nur neue Beweismittel, welche die Vorinstanz von Amtes wegen hätte erheben sollen und deren Nichterheben eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt, ausdrücklich zugelassen (
BGE 106 Ib 79
E. 2a,
BGE 102 Ib 127
mit Hinweis). Offen gelassen wurde hingegen, ob neue Behauptungen, die sich auf Veränderungen des Sachverhaltes nach Erlass des angefochtenen Entscheides beziehen, zuzulassen seien. Diese Frage ist zu verneinen. Nach der Regel von
Art. 105 Abs. 2 OG
kann das Bundesgericht vom Sachverhalt, der von Rekurskommissionen oder kantonalen Gerichten festgestellt worden ist, nur abweichen, wenn eine solche Vorinstanz den Sachverhalt unter Begehung eines der in dieser Bestimmung genannten Fehlers festgestellt hat. Wenn sich jedoch nach dem Entscheid einer Rekurskommission oder eines kantonalen Gerichts der Sachverhalt verändert hat, kann dieser Behörde deswegen nicht vorgeworfen werden, sie habe den Sachverhalt fehlerhaft, insbesondere unvollständig oder unrichtig festgestellt. Da aber nur Fehler im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 OG
dem Bundesgericht Anlass geben, die Sachverhaltsfeststellung einer Rekurskommission oder eines kantonalen Gerichtes zu korrigieren, bleibt das Bundesgericht an die von dieser Behörde getroffene Sachverhaltsfeststellung gebunden, auch wenn sich der Sachverhalt nachträglich verändert hat. Eine solche nachträgliche Veränderung des Sachverhaltes müsste im Rahmen eines Wiedererwägungsgesuches vor den kantonalen Behörden geltend gemacht werden (nicht veröffentlichtes Urteil vom 13. Oktober 1978 i.S. Immobiliengesellschaft
BGE 107 Ib 167 S. 170
H. AG gegen Rekurskommission des Obergerichts Thurgau).
Bei dem, dem Bundesgericht mit Eingabe vom 21. Dezember 1978 mitgeteilten Verkauf der fraglichen Liegenschaft, handelt es sich um eine nach Erlass des angefochtenen Entscheides eingetretene Änderung des Sachverhaltes. Aus den genannten Gründen ist dieses Novum im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zu beachten. Wird jedoch der Entscheid der Vorinstanz aus einem anderen Grund aufgehoben, so steht bei einer Neubeurteilung grundsätzlich nichts entgegen, die neue Tatsache mitzuberücksichtigen. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
4bcea635-fa09-417c-b464-f18fdef93815 | Urteilskopf
116 II 267
48. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juli 1990 i.S. A. S. gegen die Erben des B. K. (Berufung) | Regeste
Ausserordentliche Ersitzung eines Grundstücks, wenn der eingetragene Eigentümer während dreissig Jahren tot oder für verschollen erklärt ist (
Art. 662 Abs. 2 ZGB
).
Haben ein Erbe bzw. dessen Rechtsnachfolger während mindestens dreissig Jahren seit dem Tod des im Grundbuch eingetragenen Eigentümers ein Grundstück besessen, hat aber die Erbteilung noch nicht stattgefunden, so steht ihnen kein Anspruch auf eine ausserordentliche Ersitzung der Liegenschaft zu. Kann eine Erbteilung nicht nachgewiesen werden, geht vielmehr das Recht der Erbengemeinschaft, sich im Grundbuch als Eigentümer eintragen zu lassen, dem Ersitzungsanspruch der Besitzer vor. | Sachverhalt
ab Seite 267
BGE 116 II 267 S. 267
Der im Jahre 1916 verstorbene A. K. war Eigentümer der Parzelle 789 in der Gemeinde X. Nach Inkrafttreten des Schweizerischen
BGE 116 II 267 S. 268
Zivilgesetzbuches wurden auch in dieser Gemeinde Vorbereitungen für die Anlegung des eidgenössischen Grundbuchs getroffen, wobei für die Parzelle 789 das Grundbuchblatt C 148 eröffnet wurde. Eine Bereinigung hat jedoch nicht stattgefunden, und ein Eigentümer ist auf dem Grundbuchblatt bis heute nicht eingetragen.
Am 10. März 1986 ersuchten die acht Nachkommen von B. K., eines Sohnes von A. K., gestützt auf
Art. 662 ZGB
und die Tatsachen, dass das Grundbuchblatt C 148 keinen Eigentümer aufwies, ihr Vater indessen das Grundstück mehr als dreissig Jahre ununterbrochen und unangefochten besessen und bewirtschaftet hatte, um Zusprechung des Eigentums an der Liegenschaft.
Nach Eröffnung des Auskündungsverfahrens im Sinne von
Art. 662 Abs. 3 ZGB
erhoben die Erben eines weiteren Sohnes und einer Tochter von A. K. Einsprache. Da keine Einigung erzielt werden konnte, wurde den Einspracheberechtigten Frist zur Klage angesetzt.
Einer dieser Erben, A. S., reichte rechtzeitig Klage ein mit dem Begehren, es sei richterlich festzustellen, dass den Beklagten, den acht Erben des B. K., an der Parzelle 789, Grundbuchblatt C 148, kein Ersitzungsrecht gemäss
Art. 662 Abs. 1 ZGB
zustehe.
Mit Urteil vom 14. Dezember 1988 wies das Kantonsgericht die Klage ab und wies gleichzeitig das zuständige Grundbuchamt an, die Beklagten als Gesamteigentümer des Grundstücks Parzelle 789, Blatt C 148, GB X., einzutragen. Eine dagegen gerichtete Appellation des Klägers wies das Obergericht am 21. Juni 1989 ab.
Mit Berufung an das Bundesgericht beantragt der Kläger, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und seine Klage gutzuheissen. Die Beklagten schliessen auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 662 ZGB
berechtigen drei Sachverhalte zum Erwerb von Grundeigentum kraft ausserordentlicher Ersitzung. Sie sind gegeben, wenn ein Grundstück im Grundbuch nicht aufgenommen ist, wenn es zwar aufgenommen, sein Eigentümer aus dem Grundbuch jedoch nicht ersichtlich ist und schliesslich, wenn es aufgenommen und auch der Eigentümer bezeichnet ist, dieser
BGE 116 II 267 S. 269
aber bei Beginn der Ersitzungsfrist von dreissig Jahren tot oder für verschollen erklärt war (vgl. auch
BGE 114 II 322
E. 4a). Ferner muss derjenige, der die ausserordentliche Ersitzung geltend macht, das Grundstück ununterbrochen und unangefochten während dreissig Jahren als sein Eigentum besessen haben. Diese Voraussetzung ist auf seiten der Beklagten erfüllt, was sich einerseits aus den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz und andererseits aus ihren zutreffenden rechtlichen Überlegungen über den von den Beklagten ausgeübten Eigenbesitz ergibt. Der Kläger stellt denn auch die Erfüllung dieser Voraussetzung der Ersitzung durch die Beklagten nicht in Abrede.
3.
Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass der Kanton Obwalden zu denjenigen Kantonen gehöre, deren Publizitätseinrichtungen nicht genügten, um die vollen Wirkungen des Grundbuchs im Sinne des ZGB zu gewährleisten. Das eidgenössische Grundbuch sei noch in keiner Gemeinde eingeführt worden. Im Kanton Obwalden seien daher die dinglichen Rechte seit Inkrafttreten des ZGB grundsätzlich in die kantonalen Publizitätseinrichtungen einzutragen. Dass dies nicht überall geschehen sei, zeige der vorliegende Fall, in welchem das Grundbuchblatt eben gerade keine Eintragungen über dingliche Rechte enthalte. Ob das kantonale Grundbuch allgemein über die Entstehung dinglicher Rechte keine zuverlässige Auskunft zu geben vermöge, könne indessen ohne eingehende Erhebungen nicht entschieden werden. Solche Abklärungen seien hier jedoch nicht notwendig, da die Frage offengelassen werden könne, ob das streitige Grundstück als im Sinne von
Art. 662 Abs. 1 ZGB
nicht im Grundbuch aufgenommen zu gelten habe.
Angesichts der Tatsache, dass das eidgenössische Grundbuch im Kanton Obwalden noch nicht eingeführt worden ist und auch keine Bereinigung der dinglichen Rechte stattgefunden hat, kann das umstrittene Grundstück sicher nicht als in die Grundbucheinrichtungen des Bundesrechts aufgenommen gelten. Indessen geht den kantonalen Publizitätsformen, auch wenn sie nicht zu denjenigen gehören, die dem eidgenössischen Grundbuch gleichgestellt sind (
Art. 48 SchlT ZGB
), nicht jegliche Grundbuchwirkung ab. Auch im Kanton Obwalden setzt die Begründung, Übertragung, Abänderung und Löschung dinglicher Rechte die Eintragung in die kantonalen Publizitätseinrichtungen voraus (vgl. die kantonale Verordnung über das Grundbuch vom 29. Februar 1980, Art. 19 Abs. 1). Der Aufnahme in eine solche Einrichtung kommt zum
BGE 116 II 267 S. 270
mindesten eine beschränkte negative Grundbuchwirkung in dem Sinne zu, dass es sich nicht um ein Grundstück handelt, das nicht im Grundbuch aufgenommen ist (vgl. REY, N 253 zu
Art. 731 ZGB
, und
BGE 114 II 322
E. 4).
Die streitige Liegenschaft ist im "Flächenverzeichnis" der Gemeinde X. sowie im Gültenprotokoll eingetragen. Sie wurde im Rahmen der Parzellarvermessung und der Anlegung eines Liegenschaftenverzeichnisses auf das Grundbuchblatt C 148, Parzelle 789, Grundbuch X., übertragen. Unter diesen Umständen sind die Voraussetzungen von
Art. 662 Abs. 1 ZGB
für eine Ersitzung nicht erfüllt, da es hier nicht um ein Grundstück geht, das nicht im Grundbuch aufgenommen ist. Aber auch die zweite in
Art. 662 Abs. 2 ZGB
erwähnte Ersitzungsmöglichkeit, dass nämlich der Eigentümer des Grundstücks aus dem Grundbuch nicht ersichtlich ist, kommt hier nicht in Betracht. Zwar ist auf dem neu angelegten Grundbuchblatt, wohl im Hinblick auf die vorzunehmende Bereinigung, kein Eigentümer eingetragen. In den alten kantonalen Grundbuchformen war jedoch A. K., der Grossvater der Parteien, als Eigentümer vermerkt. Es ist somit einzig die letzte in
Art. 662 Abs. 2 ZGB
erwähnte Ersitzungsmöglichkeit zu prüfen, welche gegeben ist, wenn der Eigentümer des Grundstücks bei Beginn der Ersitzungsfrist von dreissig Jahren tot oder für verschollen erklärt war.
4.
Die Beklagten berufen sich darauf, dass ihr Rechtsvorgänger, B. K., das Grundstück Grundbuchblatt C 148, Parzelle 789, GB X., während mehr als dreissig Jahren unangefochten und ununterbrochen im Besitz gehabt habe. Diesem Ersitzungsanspruch hält der Kläger entgegen, nach dem im Jahre 1916 eingetretenen Tod des Eigentümers der Liegenschaft, A. K., dem Grossvater der Parteien, habe keine Erbteilung stattgefunden, so dass mit Bezug auf die streitige Liegenschaft die Erbengemeinschaft weiterbestehe. Der Grundsatz der Unverjährbarkeit des Teilungsanspruchs stehe aber der Ersitzung von Nachlassgegenständen durch einzelne Erben oder deren Rechtsnachfolger entgegen.
Ob eine Teilung des Nachlasses von A. K. stattgefunden habe, hat die Vorinstanz offengelassen. Das Kantonsgericht hat seinerseits festgestellt, dass weder ein schriftlicher Erbteilungsvertrag vorliege, noch eine Realteilung nachgewiesen sei. Es liess aber ebenfalls offen, ob eine Teilung tatsächlich stattgefunden habe. Das Obergericht fügte noch die Überlegung an, die Tatsache, dass ein Erbe während der gesetzlichen Ersitzungsfrist unangefochten
BGE 116 II 267 S. 271
ein Grundstück besessen hat, spreche immerhin, im Sinne einer natürlichen Vermutung, dafür, dass das Grundstück diesem von den Miterben im Rahmen einer Erbteilung überlassen worden sei. Ob aber aus einer solchen Vermutung Rechtsfolgen abgeleitet werden können, ist fraglich und wurde vom Obergericht auch nicht eindeutig beantwortet.
5.
Die Auffassung des Klägers, der Teilungsanspruch stehe der Ersitzung zum vornherein entgegen, ist in Lehre und Rechtsprechung umstritten. Dem Standpunkt des Klägers folgen MENGIARDI, Der Ausschluss der Verjährung im Sachenrecht, Diss. Bern 1953, S. 156/57; PFISTER, Die Ersitzung nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1931, S. 42; MEIER-HAYOZ, N 7 zu
Art. 662 ZGB
; BÜHLER, Der Eigentumserwerb durch ausserordentliche Ersitzung in der Praxis, ZBGR 47/1966, S. 129 ff., insbes. S. 131/32. MENGIARDI, a.a.O., ist der Meinung, dass sich die Anwendung von
Art. 662 Abs. 2 ZGB
nur dann rechtfertige, wenn der verstorbene Eigentümer keine Erben hinterlassen habe oder wenn diese nicht bekannt seien und wenn keine amtliche Liquidation im Sinne des
Art. 573 ZGB
stattgefunden habe oder wenn in dieser Liquidation das Grundstück übersehen worden sei. Nur in diesen Fällen habe der Ersitzungsprätendent keine Gelegenheit, den Eintrag zu erwirken. Dagegen sei eine Kontratabularersitzung nicht zuzulassen, wenn der Ersitzungsprätendent seinen Anspruch gegenüber den Erben auf Abgabe der Anmeldung für die Eintragung im Grundbuch nicht durchsetze, obwohl die Möglichkeit dazu bestehe. Indessen seien Ausnahmen denkbar, in welchen die Ersitzung als zulässig erscheine, obwohl Erben vorhanden seien. Dazu gehöre der Fall, in dem der Anspruch auf Eintragung im Grundbuch den Erben gegenüber nicht bestehe, weil der Erwerb durch Erbteilung erfolgt sei, aber kein schriftlicher Erbteilungsvertrag vorliege. Nach der Auffassung von PFISTER, a.a.O., beschränkt sich die ausserordentliche Ersitzung auf diejenigen Fälle, in welchen der Eigentümer eines Grundstücks ohne bekannte Erben sterbe oder für verschollen erklärt werde, und zwar ohne dass die zuständige Behörde am letzten Wohnsitz des Erblassers vom Vorhandensein des Grundstücks im Nachlass etwas wisse und dieses in die Erbschaftsverwaltung einbeziehe. Sobald aber die Eintragung der Erben erwirkt werden könne, sei die ausserordentliche Ersitzung ausgeschlossen. Die Autoren MEIER-HAYOZ, a.a.O., und BÜHLER, a.a.O., vertreten ebenfalls diese Meinung, ohne aber eine eigene Begründung hiefür zu geben. Sinngemäss
BGE 116 II 267 S. 272
schliesst sich ihnen auch STEINAUER, Les droits réels, Bd. II, N 1581 d, an.
Im Gegensatz zu diesen Auffassungen ist das Obergericht des Kantons Zürich in einem Entscheid vom 24. August 1962 (ZBGR 45/1964, S. 31 ff., namentlich S. 35) davon ausgegangen, die ausserordentliche Ersitzung sei auch dann zulässig, wenn der eingetragene und inzwischen verstorbene Eigentümer Erben hinterlassen habe und sich der Besitzer auf Erbteilung berufe, eine Zustimmungserklärung sämtlicher Miterben oder einen schriftlichen Teilungsvertrag als Ausweis für die Eintragung aber nicht vorzulegen vermöge. Die Publizität des Grundbuchs versage, wenn der eingetragene Eigentümer seit dreissig Jahren tot oder verschollen sei. In diesem Fall enthalte das Grundbuch keine zuverlässige Auskunft über die Person des Eigentümers, und der Eintrag habe rein formellen Charakter ohne verlässlichen materiellen Inhalt. Eine einschränkende Auslegung von
Art. 662 Abs. 2 ZGB
sei nur dann statthaft, wenn der Gesuchsteller mit den gewöhnlichen Mitteln des Gesetzes die Eintragung im Grundbuch erwirken könne. Ebenfalls diesen Standpunkt vertritt SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. II, S. 1370 N 11 und S. 1410 N 5.
Dieses Urteil des Zürcher Obergerichts hat den Redaktor der ZBGR, HANS HUBER, zu kritischen Bemerkungen veranlasst (ZBGR, a.a.O., S. 36 f.). Dieser Autor tritt der Auffassung des Obergerichts entgegen, wonach jeder Grundbucheintrag, der auf eine tote oder verschollene Person laute, einen rein formellen Charakter habe und damit hinsichtlich eines Rechtsnachfolgers inhaltlos sei. Abgesehen von der Verschollenheit sei dies nur dann der Fall, wenn der Eintrag die Verbindung zu den Erben nicht zu vermitteln vermöge, d.h. wenn der verstorbene Eigentümer keine Erben hinterlassen habe oder diese nicht bekannt seien. In den andern Fällen verlange das Gesetz die Rücksichtnahme auf die bekannten Erben.
6.
Die Auffassung der Vorinstanz, welche sich der vom Zürcher Obergericht geäusserten Meinung angeschlossen hat, hat den Wortlaut von
Art. 662 Abs. 2 ZGB
für sich. Diese Bestimmung scheint davon auszugehen, dass die beiden Tatbestände, in welchen entweder der Eigentümer aus dem Grundbuch nicht ersichtlich ist oder dieser bei Beginn der Ersitzungsfrist von dreissig Jahren tot oder für verschollen erklärt war, gleicherweise absolut gelten. Wird aber die Ersitzung auch im zweiten Fall unbesehen
BGE 116 II 267 S. 273
zugelassen, so führt dies einerseits zu einer Kontratabularersitzung, welche dem schweizerischen ZGB unbekannt ist. Eine solche wäre gegeben, wenn der nicht eingetragene Besitzer eines im Grundbuch aufgenommenen Grundstücks, dessen Grundbuchblatt einen Eigentumseintrag aufweist, das Eigentum ersitzen könnte (vgl. dazu HAAB, N 3 zu Art. 661/62/63 ZGB). Anderseits würde diese Lösung auch dem ipso iure-Erwerb der Erben und ihrem Recht, sich jederzeit im Grundbuch als Erbengemeinschaft eintragen zu lassen und die Teilung der Erbschaft durchzusetzen, widersprechen. Insofern stellt sich HANS HUBER, a.a.O., S. 35, mit Recht der Auffassung entgegen, jeder Grundbucheintrag, der seit dreissig Jahren auf einen verstorbenen oder für verschollen erklärten Eigentümer laute, vermöge zum vornherein keinen Berechtigten mehr zu vermitteln. Im Falle des Todes des Eigentümers bildet dessen Eintrag die Grundlage für die Eintragung der Erben als Rechtsnachfolger durch Erbfolge. In dieser Hinsicht unterscheidet sich dieser Sachverhalt wesentlich von demjenigen, in welchem der Eigentümer aus dem Grundbuch nicht ersichtlich ist.
In der Tat geht das Eigentum durch den Erbgang unabhängig vom Grundbucheintrag auf die Erben über (
Art. 656 Abs. 2 und
Art. 560 Abs. 1 ZGB
). Dass die Eintragung der Erbengemeinschaft während längerer Zeit unterbleibt und erst stattfindet, wenn es zur Teilung der Erbschaft kommt, kann verschiedene Gründe haben und kommt in der Praxis nicht selten vor. Dadurch wird aber der bestehende Eintrag nicht bedeutungslos. Interessenmässig besteht jedoch eine besondere Sachlage, wenn der Erblasser im Sinne von
Art. 466 ZGB
keine Erben, weder gesetzliche noch eingesetzte, hinterlassen hat oder solche nicht bekannt sind. In einem solchen Fall geht die Erbschaft an das Gemeinwesen, welches zum Erben wird (TUOR, N 9 zu
Art. 466 ZGB
). Ob dieser besonderen Rechtsnachfolge im Rahmen von
Art. 662 Abs. 2 ZGB
eine eigene Bedeutung zukommt, muss im hier zu beurteilenden Fall indessen nicht entschieden werden. Die Vorinstanz geht auf jeden Fall zu weit, wenn sie ausführt, die Übertragung des Eigentums an einen an sich unberechtigten Besitzer lasse sich damit begründen, dass den Erben jeglicher Art zuzumuten sei, die Erbengemeinschaft innert der Frist von dreissig Jahren im Grundbuch eintragen zu lassen, um die Ersitzung eines Nachlassgrundstücks zu verhindern. Setzt die ausserordentliche Ersitzung einen Sachverhalt voraus, in welchem das Grundbuch über ein Grundstück oder über die Person des Eigentümers keine zuverlässige Auskunft gibt, kann sie
BGE 116 II 267 S. 274
nicht zugelassen werden, wenn der Ersitzungsprätendent vorbringt, er verfüge über einen Rechtstitel - einen schriftlichen Erbteilungsvertrag oder eine schriftliche Anmeldung sämtlicher Erben zum Vollzug der Realteilung (
Art. 18 GBV
) -, der ihm ermögliche, seinen Anspruch auf Eintragung im Grundbuch gegenüber den Erben durchzusetzen.
Entgegen der Meinung der Vorinstanz kann daher die Frage, ob eine Teilung des Nachlasses von A. K. tatsächlich stattgefunden habe, wie die Beklagten behaupten, nicht offengelassen werden. Es kommt ihr vielmehr entscheidende Bedeutung zu. Dem Bundesgericht fehlen die tatsächlichen Grundlagen, um diese Frage entscheiden zu können. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit es die notwendigen Feststellungen treffe und einen neuen Entscheid fälle.
7.
Mit der Rückweisung der Sache an die Vorinstanz könnte es vorläufig sein Bewenden haben. Es ist indessen ernsthaft mit der Möglichkeit zu rechnen, dass das Obergericht in Übereinstimmung mit dem Kantonsgericht das Vorliegen eines gültigen Erbteilungsvertrages und das Zustandekommen des Nachweises einer ordnungsgemässen Erbteilung verneint. Es entspricht deshalb der Prozessökonomie, wenn sich das Bundesgericht schon in diesem Verfahren mit den Auswirkungen eines solchen Ergebnisses auf den von den Beklagten geltend gemachten Anspruch auf ausserordentliche Ersitzung auseinandersetzt.
MENGIARDI, a.a.O., schlägt vor, in den Fällen, in denen ein mit dem Erblasser abgeschlossener Kaufvertrag nicht öffentlich beurkundet worden ist, ein schriftlicher Erbteilungsvertrag nicht vorliegt oder ein gültiger Kaufvertrag bzw. Erbteilungsvertrag zwar vorliegen, aber die Erben nach Ablauf der Ersitzungsfrist nicht mehr alle am Leben, unbekannt oder verschollen sind, die ausserordentliche Ersitzung zuzulassen. Diese Auffassung weckt indessen bereits deshalb grosse Bedenken, weil sie die vom Gesetz aufgestellten Gültigkeitsformen, wie die öffentliche Beurkundung oder die Schriftlichkeit, völlig ausser acht lässt. Dazu kommt, dass auch bei einem seit über dreissig Jahren verstorbenen Eigentümer, welcher Erben hinterlassen hat, diese ohne weiteres gestützt auf eine Erbenbescheinigung an seiner Stelle im Grundbuch eingetragen werden können. Der bestehende Grundbucheintrag ist daher weder "gegenstandslos", noch fällt er "ins Leere" (vgl. HOFMEISTER, Grundbuch und Ersitzung, ZBGR 59/1978, S. 321 ff., insbes. S. 322-24). Wie bereits erwähnt, kann ein auf einen verstorbenen
BGE 116 II 267 S. 275
Eigentümer lautender Grundbucheintrag aus mannigfachen Gründen trotz vorhandener Erbengemeinschaft während Jahrzehnten bestehen bleiben. Eine Änderung erweist sich erst dann als notwendig, wenn die Teilung oder die Veräusserung des Grundstücks angestrebt wird. Eine Angleichung an den Tatbestand, in welchem der Eigentümer aus dem Grundbuch nicht ersichtlich ist, drängt sich unter diesen Umständen in keiner Weise auf. Allerdings wird damit die ausserordentliche Ersitzung, wenn der eingetragene Eigentümer bei Beginn der Ersitzungsfrist von dreissig Jahren tot war, auf einen engen Anwendungsbereich beschränkt. Es entspricht indessen der Natur dieses Instituts, dass es nur selten zur Anwendung gelangt (
BGE 82 II 396
) und jedenfalls gegenüber dem unverjährbaren Teilungsanspruch (
Art. 604 Abs. 1 ZGB
) nicht durchgesetzt werden kann.
Diese Überlegungen führen dazu, für den Fall, dass den Beklagten der Nachweis einer bereits gültig zustande gekommenen Erbteilung misslingen sollte, das Klagebegehren gutzuheissen und die Ersitzungsmöglichkeit von
Art. 662 Abs. 2 ZGB
im vorliegenden Fall zu verneinen. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4bd2ef1e-075d-498b-8bd0-b02fbfd05aa4 | Urteilskopf
82 II 371
52. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. September 1956 i.S. Stadtgemeinde Zürich gegen Winistörfer. | Regeste
Verwandtenunterstützung, Art. 328/329 ZGB.
1. Ersatzanspruch des Gemeinwesens gegen pflichtigen Verwandten; kann auch noch nach dem Tode des Unterstützten geltend gemacht werden.
2. Anfechtung einer Vereinbarung zwischen der Armenbehörde und dem Verwandten über dessen Unterstützungsbeitrag wegen Irrtums (Verschweigung von Vermögen).
3. Verjährung des Ersatzanspruchs. | Sachverhalt
ab Seite 372
BGE 82 II 371 S. 372
A.-
Der mittellose C. Winistörfer, geb. 1877, musste vom Fürsorgeamt der Stadt Zürich vom 5. Mai 1949 bis zu seinem Tode (21. Dezember 1952) unterstützt werden. Am 16. Juni 1949 schloss das Fürsorgeamt mit dem im Kanton Bern wohnhaften Sohne Winistörfer eine Vereinbarung ab, wonach dieser ab 1. Mai 1949 an die Kosten der Unterstützung seines Vaters einen monatlichen Beitrag von Fr. 120.-- zu bezahlen hatte. Auf Grund dieser Verpflichtung bezahlte der Sohn dem Fürsorgeamt bis zum Tode des Vaters Fr. 5040.--. Für Fr. 5313.55 geleisteter Unterstützungen blieb das Fürsorgeamt ungedeckt.
Nach erfolglosen Verhandlungen mit dem Sohne stellte das Fürsorgeamt am 6. April 1955 beim Regierungsstatthalteramt Thun das Begehren, jener sei zu verpflichten, diesen Betrag von Fr. 5313.55 zu ersetzen.
B.-
Der Regierungsstatthalter sowie, in Abweisung der Rekurse beider Parteien gegen dessen Entscheid, der Regierungsrat des Kantons Bern haben das Rückerstattungsbegehren teilweise gutgeheissen dahin, dass Winistörfer Sohn in Anwendung von Art. 328/29 ZGB verurteilt wird, dem Fürsorgeamt an die Unterstützung des Vaters für die Zeit vom 5. Mai 1949 bis zum Tode (21. Dezember
BGE 82 II 371 S. 373
1952) einen weitern Betrag von Fr. 60.- im Monat, insgesamt (für 44 Monate) Fr. 2640.-- zu bezahlen.
Der Regierungsrat führt aus, der Beitrag von Fr. 120.-- des Beklagten sei durch einen aussergerichtlichen Vergleich festgesetzt worden. Das Fürsorgeamt sei damals, nach den vom Beklagten gegebenen Auskünften, von einem Bruttoeinkommen von Fr. 14 700.-- und einem Vermögen von Fr. 52'000.-- ausgegangen. Dabei habe ihm der Beklagte zugegebenermassen verschwiegen, dass er in seine Bieler Liegenschaft aus eigenen Mitteln Fr. 47 000.-- investiert und diese dadurch im Werte entsprechend erhöht hatte. Er habe also das Fürsorgeamt damals über die Höhe seines Vermögens in einen Irrtum versetzt. Dass es sich dabei um eine absichtliche Täuschung gehandelt hätte, sei nicht hinreichend nachgewiesen; es möge sein, dass der Beklagte wirklich nicht daran gedacht habe, dass er diese Aufwendungen in den Verhandlungen mit dem Amt hätte erwähnen müssen. Auf jeden Fall aber liege ein Irrtum über einen Sachverhalt vor, der vom Amt nach dem Grundsatz von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des abgeschlossenen Vergleiches betrachtet wurde. Dieser sei daher für das Fürsorgeamt im Sinne von
Art. 24 Ziff. 4 OR
unverbindlich. Von der Verheimlichung habe das Amt erst anlässlich des Verkaufes der Bieler Liegenschaft im November 1953 Kenntnis erhalten und noch im gleichen Monat den Beklagten zur Nachzahlung aufgefordert, den Vergleich also rechtzeitig angefochten. In Ansehung des neu entdeckten Vermögensteils von Fr. 47 000.--, anderseits der Tatsache, dass sich der Vater nie um den Sohn gekümmert habe, erscheine eine Nachzahlung von Fr. 60.- pro Unterstützungsmonat angemessen.
C.-
Gegen diesen Entscheid legte das Fürsorgeamt die vorliegende Hauptberufung ein mit dem Begehren um Zusprechung seiner ganzen Nachforderung von Fr. 5313.55. Mit Anschlussberufung beantragt Winistörfer Abweisung des ganzen Nachleistungsbegehrens.
BGE 82 II 371 S. 374
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beklagte bestreitet dem Fürsorgeamt zunächst die Aktivlegitimation zu der Nachforderung mit der Begründung, die öffentliche Armenpflege könne nur an Stelle des Unterstützungsbedürftigen und nur solange dieser einen Anspruch habe, einen Verwandtenunterstützungsanspruch geltend machen. Dieser erlösche daher mit dem Tode des Unterstützten und damit auch die Aktivlegitimation der Armenbehörde zur Inanspruchnahme des Verwandten. Würde man etwas anderes annehmen, so liefe das praktisch auf einen Rückerstattungsanspruch hinaus, was nicht der Sinn des
Art. 328 ZGB
sein könne.
Nach konstanter Rechtsprechung gibt jedoch das ZGB der unterstützungspflichtigen Armenbehörde die Befugnis, von den pflichtigen Verwandten neben laufenden Beiträgen Ersatz für die bereits geleisteten Unterstützungen zu verlangen. Dieser Ersatzanspruch ist aber auf die Leistungen beschränkt, die der Unterstützungsberechtigte oder die unterstützende Behörde bei Kenntnis der Person und der Verhältnisse des unterstützungspflichtigen Verwandten zu der Zeit hätte fordern können, da die Unterstützungen geleistet wurden, deren Ersatz verlangt wird (
BGE 74 II 22
,
BGE 76 II 115
). Dieser Rückgriffsanspruch muss vom unterstützenden Gemeinwesen - abgesehen von der eigentlichen Verjährung - mit tunlichster Beförderung geltend gemacht werden (a.a.O.). Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, erhält das Gemeinwesen, sobald es eine Unterstützung ausgerichtet hat, gegenüber dem beitragspflichtigen Verwandten im Sinne von
Art. 329 Abs. 3 ZGB
einen Ersatzanspruch nach Massgabe von Abs. 1. Auf Entstehung und Bestand desselben kann es keinen Einfluss haben, ob der Unterstützte zufälligerweise früher oder später stirbt; denn der Anspruch geht ja auf Ersatz von Leistungen, die dem Unterstützten zu seinen Lebzeiten tatsächlich ausgerichtet worden sind und die durch seinen Tod nicht ungeschehen gemacht werden. Eine andere Auslegung
BGE 82 II 371 S. 375
würde, wie die Vorinstanz zutreffend bemerkt, manchen unterstützungspflichtigen Verwandten dazu anreizen, die Verhandlungen mit der Armenbehörde über seine Beitragspflicht möglichst lange hinauszuziehen in der Hoffnung, der Unterstützte werde inzwischen sterben und damit der Ersatzanspruch dahinfallen. Das unterstützende Gemeinwesen kann auch nach dem Tode des Unterstützten bereits im Gange befindliche gerichtliche oder aussergerichtliche Verhandlungen mit dem Pflichtigen fortsetzen oder sogar solche neu beginnen. Es verliert seine Ansprüche gegenüber dem pflichtigen Blutsverwandten nur dann, wenn es mit deren Geltendmachung ungebührlich lange zögert oder wenn sich der Pflichtige geradezu auf die Verjährung berufen kann (BGE a.a.O.). Von einem Erlöschen des Ersatzanspruches und damit der Aktivlegitimation des Gemeinwesens mit dem Tode des Unterstützten kann keine Rede sein. Die Fälle sind häufig, wo das Gemeinwesen erst nach dem Tode des Unterstützten die pflichtigen Verwandten belangen kann (z.B. Urteil [staatsrl.] vom 12. Oktober 1950 i.S. Stadtgemeinde Zürich c. Lüthi und Schaffhausen; vom 20. Mai 1952 i.S. Schiesser c. Linthal); es kann sogar nach dem Tode des Unterstützten und des Unterstützungspflichtigen des letztern Erben in Anspruch nehmen (Urteil vom 18. Juni 1953 i.S. Hofstetter c. Teufen). Die Aktivlegitimation des Fürsorgeamtes der Stadt Zürich zur Nachforderung ist mithin gegeben.
2.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die zwischen dem Fürsorgeamt und dem Beklagten am 16. Juli 1949 geschlossene Vereinbarung als Vergleich im juristischtechnischen Sinne - Beseitigung des zwischen den Parteien inbezug auf ein Rechtsverhältnis bestehenden Streites durch gegenseitige Zugeständnisse (
BGE 41 II 617
) - oder als gewöhnlicher Vertrag zu betrachten ist; denn auch ein Vergleich kann wegen wesentlichen Grundlagenirrtums angefochten werden, nämlich wenn nachgewiesen ist, dass beide Parteien von einem gewissen Sachverhalte, der sich nachher als irrtümlich erweist, ausgegangen sind oder dass
BGE 82 II 371 S. 376
die eine Partei mit Wissen der andern Partei einen Sachverhalt irrtümlicherweise.als gegeben betrachtet hat (
BGE 48 II 107
f.; vgl. H. MONFRINI, La transaction extrajudiciaire, Diss. Lausanne 1937, S. 131 ff.).
a) Die Vorinstanz nimmt nun insofern einen Irrtum des Fürsorgeamtes an, als der Beklagte im Jahre 1949 diesem verschwiegen habe, aus eigenen Mitteln Fr. 47'000.-- für seine Liegenschaft in Biel aufgewendet und damit deren Wert im gleichen Betrage erhöht zu haben. Diese Feststellung tatsächlicher Natur ist für das Bundesgericht verbindlich. Soweit die Berufung geltend macht, der verschwiegene Teil des Vermögens mache mehr als Fr. 47 000.-- aus, ist sie daher nicht zu hören. Absichtliche Täuschung ist nicht nachgewiesen; nimmt die Vorinstanz doch als möglich an, dass der Beklagte nicht daran gedacht habe, dass er diese Investitionen in den Verhandlungen mit dem Fürsorgeamt hätte erwähnen müssen. Dagegen lag beim Fürsorgeamt ein Irrtum bezüglich eines für die Bemessung des Unterstützungsbeitrages wesentlichen Sachverhaltes, eben der Höhe des Vermögens des Beklagten, vor, der das Amt zur Anfechtung der Vereinbarung berechtigt.
b) Demgegenüber wendet der Beklagte in seiner Anschlussberufung ein, die Berufung auf den Irrtum sei in casu gemäss
Art. 25 Abs. 1 OR
unstatthaft, weil gegen Treu und Glauben verstossend. Es habe dem Fürsorgeamt damals freigestanden, neben der Auskunft des Beklagten weitere Beweismittel, insbesondere die Steuerakten, einzuverlangen und die gerichtliche Festsetzung der Unterstützungsbeiträge zu verlangen. Wenn das Fürsorgeamt sich mit den Auskünften des Beklagten begnügt und keinen Prozess eingeleitet habe, müsse es selber die Folge dieser Nachlässigkeit tragen und könne sich nicht auf wesentlichen Irrtum berufen.
Eine Wahrheitspflicht der in Anspruch genommenen Verwandten hat indessen die Rechtsprechung bejaht (
BGE 76 II 115
f.). Dass der Belangte bewusst falsche Angaben gemacht habe, ist für die Anfechtung nicht
BGE 82 II 371 S. 377
erforderlich, sonst läge absichtliche Täuschung im Sinne von
Art. 28 OR
vor. Aber selbst wenn der Beklagte keine Offenbarungspflicht verletzt hat, ist Irrtum des Vergleichspartners möglich und hier nach den Feststellungen der Vorinstanz gegeben. Auf seinen Irrtum darf sich selbst der fahrlässig Irrende berufen (
Art. 26 OR
). Höchstens um Fahrlässigkeit handelt es sich, wenn der Beklagte dem Fürsorgeamt vorwirft, es habe gewusst, dass er Eigentümer der Liegenschaft in Biel sei, und hätte sich daher mit den erhaltenen Auskünften nicht zufrieden geben dürfen. Die Auskunftsmittel, deren Nichtbenützung der Beklagte dem Amt entgegenhält, standen ja a fortiori ihm selbst zur Verfügung, und da er selbst zur Wahrheit verpflichtet war, kann er der Gegenpartei nicht vorwerfen, ihm vertraut zu haben.
c) Nachdem das Fürsorgeamt erst anlässlich des Verkaufes der Bieler Liegenschaft des Beklagten im November 1953 von der Verschweigung des darin liegenden Mehrwertes Kenntnis erhalten hatte, genügte die noch im gleichen Monat an den Beklagten gestellte Aufforderung zur Nachzahlung sowohl dem Erfordernis beförderlicher Geltendmachung im Sinne der Praxis (
BGE 74 II 22
) als der einjährigen Anfechtungsfrist gemäss
Art. 31 Abs. 1 OR
.
3.
In der Anschlussberufung macht der Beklagte gegenüber der Nachforderung Verjährung geltend. Er hatte diese Einrede bereits in seiner Klageantwort vom 31. Mai 1955 an den Regierungsstatthalter von Thun erhoben und in der Rekursantwort vom 7. Januar 1956 an die Vorinstanz durch Verweisung auf jene aufrechterhalten. Die Einrede ist mithin vor Bundesgericht nicht neu vorgebracht.
Der Ersatzanspruch des Gemeinwesens gegen die Verwandten verjährt innert der 5jährigen Frist von
Art. 128 Ziff. 1 OR
. Die Verjährung tritt, da die Ersatzforderung mit der Auszahlung der Unterstützung durch das Gemeinwesen fällig wird, für jede einzelne von den Verwandten zu ersetzende Unterstützungsleistung mit Ablauf von
BGE 82 II 371 S. 378
5 Jahren seit deren Erbringung durch das Gemeinwesen ein (
BGE 76 II 117
Erw. 5; zit. Urteil i.S. Hofstetter). Die Verjährung wurde durch die Rückerstattungsklage des Fürsorgeamtes vom 6. April 1955 unterbrochen (
Art. 135 Ziff. 2 OR
). Verjährt ist demnach die Nachforderung für die Unterstützungsleistungen vom 1. Mai 1949 bis 6. April 1950, also für 10 1/5 Monate.
4.
.....
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Hauptberufung wird abgewiesen, die Anschlussberufung teilweise gutgeheissen und der vom Beklagten an die Klägerin nachzuzahlende Betrag auf Fr. 2028.-- festgesetzt. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4be19cac-97e6-4c30-afa5-b0782cdeb46d | Urteilskopf
114 II 123
20. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. März 1988 i.S. Gemeinde Leissigen gegen A. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Auszahlung einer Kinder-Zusatzrente nach
Art. 35 Abs. 1 IVG
an die Mutter; Tilgung des Unterhaltsbeitrages des geschiedenen Vaters (
Art. 285 Abs. 2 ZGB
)?
Es ist nicht willkürlich, davon auszugehen, dass gerichtlich festgelegte Beiträge an den Unterhalt des Kindes dadurch getilgt werden, dass eine erst nach der Scheidung entstandene Kinder-Zusatzrente des Unterhaltsschuldners an die Inhaberin der elterlichen Gewalt ausbezahlt wird, und die definitive Rechtsöffnung im entsprechenden Umfang zu verweigern. | Sachverhalt
ab Seite 123
BGE 114 II 123 S. 123
A.-
H. und A. wurden am 22. Oktober 1981 durch das Amtsgericht Frutigen geschieden. Die beiden Kinder stellte das Gericht unter die elterliche Gewalt der Mutter. Der Vater wurde zu einem indexierten monatlichen Unterhaltsbeitrag an die beiden Kinder von je Fr. 300.-- verpflichtet.
Mit Zahlungsbefehl Nr. 2648 des Betreibungsamtes Frutigen betrieb die Gemeinde Leissigen den Vater für bevorschusste Unterhaltsbeiträge vom 1. Februar 1984 bis und mit März 1987 im Betrage von Fr. 21'428.--. Der Betriebene erhob Rechtsvorschlag.
BGE 114 II 123 S. 124
B.-
Am 13. August 1987 erteilte der Gerichtspräsident des Amtsbezirkes Frutigen die definitive Rechtsöffnung für Fr. 18'628.--. Für den Restbetrag wurde das Rechtsöffnungsgesuch abgewiesen, da die entsprechende Unterhaltsforderung durch die Auszahlung einer IV-Kinderrente getilgt worden sei.
Gegen diesen Entscheid appellierte die Gemeinde Leissigen an den Appellationshof des Kantons Bern. Dieser wies die Appellation am 6. Oktober 1987 ab und bestätigte das Urteil des Gerichtspräsidenten des Amtsbezirkes Frutigen.
C.-
Gegen dieses Urteil wendet sich die Gemeinde Leissigen mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung von Ziff. 1 des Dispositivs, soweit der Gemeinde Leissigen im Betrage von Fr. 2'800.-- die definitive Rechtsöffnung verweigert worden sei, sowie die Aufhebung von Ziff. 3 des Dispositivs betreffend Kostenauflage.
Der Appellationshof des Kantons Bern hat unter Hinweis auf die Akten auf eine Vernehmlassung verzichtet. Der betriebene Vater hat sich nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil im Sinne von
Art. 80 SchKG
, das von einer Behörde des Bundes oder des Betreibungskantons gefällt worden ist, so gewährt der Richter nach
Art. 81 Abs. 1 SchKG
die Rechtsöffnung, wenn der Betriebene nicht durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Urteils getilgt oder gestundet worden ist, oder die Verjährung anruft.
a) Die strittige Teilsumme von Fr. 2'800.-- beruht unbestrittenermassen auf einem rechtskräftigen Urteil im Sinne von
Art. 80 SchKG
. Zu prüfen bleibt, ob der Appellationshof die Tragweite von
Art. 35 Abs. 1 IVG
im Hinblick auf
Art. 285 Abs. 2 ZGB
völlig verkannt hat, indem er angenommen hat, die betreffenden Unterhaltsforderungen seien durch IV-Kinderrenten getilgt worden.
b) Der Beschwerdegegner bezieht eine IV-Rente. Gestützt auf
Art. 35 Abs. 1 IVG
ist ihm zusätzlich eine Kinderrente zugesprochen worden. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes handelt es sich dabei um einen Anspruch, der ihm selber zusteht. Die Feststellung in
BGE 113 III 84
f., wonach die analoge Zusatzrente für die
BGE 114 II 123 S. 125
Ehefrau des IV-Empfängers gemäss
Art. 34 IVG
unabhängig vom Auszahlungsmodus grundsätzlich der Erleichterung der Unterhaltspflicht des invalid gewordenen Schuldners diene, nicht der Bereicherung des Unterhaltsempfängers, gilt für die Kinderrente nach
Art. 35 Abs. 1 IVG
gleichermassen.
In
BGE 103 V 98
ist zwar zu Recht festgehalten worden, dass zwischen verheirateten und geschiedenen Eheleuten zu unterscheiden sei. Das Rentensystem des IVG sei von der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht des Ehemannes geprägt; bei geschiedenen Eheleuten seien die Verhältnisse grundlegend anders geregelt. Mit der Scheidung falle die Unterhaltspflicht des Ehemannes dahin oder werde zumindest auf einen genau umschriebenen Beitrag an den Unterhalt begrenzt. Beim Kinderunterhalt verhält es sich indes gerade anders. Freilich wandelt sich die Unterhaltspflicht gemäss
Art. 276 Abs. 1 ZGB
mit der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes der Eltern für den nicht obhutsberechtigten Elternteil zur Unterhaltsbeitragspflicht in Gestalt eines Geldbeitrages (
Art. 276 Abs. 2 ZGB
; HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 19 und 82 f. zu Art. 272 aZGB). Dies ändert aber nichts daran, dass grundsätzlich die volle Unterhaltspflicht der Eltern für ihre Kinder weiterbesteht. Diese Unterhaltspflicht ist nicht wie der nacheheliche Unterhaltsanspruch der Ehefrau nach
Art. 151 und 152 ZGB
verschuldensabhängig. Die Scheidung der Eltern ändert somit nichts an Grundlage und Zweck der Kinderrente, die Erfüllung der Unterhaltspflicht des Schuldners zu erleichtern.
c) Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, eine Tilgung der Unterhaltspflicht durch die Kinder-Zusatzrente stehe mit
Art. 285 Abs. 2 ZGB
in unvereinbarem Widerspruch.
Gemäss
Art. 285 Abs. 2 ZGB
sind Kinderzulagen, Sozialversicherungsrenten und ähnliche für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen, die dem Unterhaltspflichtigen zustehen, zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu bezahlen, soweit der Richter nichts anderes bestimmt.
Der Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung scheint die Auffassung der Beschwerdeführerin zu bestätigen. Ein Vorschlag des Ständerates, in
Art. 285 Abs. 2 ZGB
eine Zusatzbestimmung aufzunehmen, wonach Kinderzulagen, Sozialversicherungsrenten und ähnliche für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen nur dann zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu bezahlen seien, wenn diese nicht dazu bestimmt seien, eine Verminderung der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen wettzumachen, ist nicht Gesetz
BGE 114 II 123 S. 126
geworden (Amtl.Bull. 1975, StR S. 126, NR S. 1773 f.). Die Entstehungsgeschichte zeigt indessen, dass sich der Reformgesetzgeber hierbei vor allem von der Regelung für die Kinderzulagen in den kantonalen Gesetzen hat leiten lassen und nicht unbedingt eine Kumulierung von Unterhaltsbeiträgen und Sozialversicherungsleistungen gewollt hat (
BGE 113 III 8
f.; KOLLER, Die eidgenössische Alters- und Hinterlassenenversicherung im Verhältnis zum schweizerischen Eherecht, Diss. Bern 1983, S. 141-144a). Gerade wenn der fragliche Rentenanspruch - wie hier - erst nach der Festsetzung des Unterhaltsbeitrages entsteht und die infolge Invalidität entstandene Einkommenseinbusse nicht zu ersetzen vermag, kann eine Kumulierung des Unterhaltsbeitrages mit der Sozialversicherungsrente stossend sein. Im vorliegenden Fall hat der Scheidungsrichter denn auch nur bestimmt, dass die jeweiligen Kinderzulagen zusätzlich zu den Unterhaltsbeiträgen zu bezahlen seien. Hinsichtlich allfälliger Sozialversicherungsrenten hat er nichts festgelegt.
Ob bei einer freien Prüfung gleichwohl von einer Kumulation der Kinderrente mit dem Unterhaltsbeitrag auszugehen wäre, solange der Unterhaltspflichtige kein Abänderungsurteil erstritten hat (HEGNAUER, ZVW 1987, S. 53), ist hier nicht zu entscheiden. Massgebend ist im vorliegenden Rechtsöffnungsverfahren einzig, dass es aufgrund der unsicheren Tragweite von
Art. 285 Abs. 2 ZGB
, der klaren Vorschrift von
Art. 35 Abs. 1 IVG
und den konkreten Sachverhaltsumständen nicht geradezu als willkürlich erscheint, wenn der Appellationshof eine Kumulation der Ansprüche verneint und die Tilgung von Unterhaltsbeiträgen durch die IV-Kinderrenten anerkannt hat. Dem Rechtsöffnungsrichter kann insoweit auch keine offensichtliche Kompetenzüberschreitung angelastet werden (vgl.
BGE 113 III 86
). | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
4bec7e32-ae25-4c71-8669-8243368b5962 | Urteilskopf
125 IV 134
21. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 30 juillet 1999 dans la cause X. contre Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 190 StGB
; Vergewaltigung; Mittäterschaft.
Obwohl nur ein Mann unmittelbar Täter einer Vergewaltigung sein kann, kann sich eine Frau als Mittäterin dieses Deliktes ebenfalls schuldig machen (E. 2).
Wer sich dem Entschluss des unmittelbaren Täters, das Opfer zu vergewaltigen, vollumfänglich und in genauer Kenntnis der Sachlage anschliesst, und ihn unter anderem durch sein Verhalten während der Vergewaltigung ermutigt, macht sich dieses Deliktes als Mittäter schuldig (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 125 IV 134 S. 134
Le matin du 20 décembre 1996, X. et son amant Y., accompagnés de Z., ont attendu M., qui sortait de son domicile pour se rendre à son travail. Après avoir été attirée dans le véhicule de Y., M. a été conduite de force au domicile de celui-ci, où elle a été enfermée dans le salon. Y. a alors demandé aux deux femmes de se déshabiller; X. s'est exécutée sur le champ; M., qui refusait et pleurait, y a été contrainte par Y. Ce dernier a ensuite forcé M. à se coucher sur le canapé; il l'a alors violée, changeant de positions à de nombreuses reprises, la mordant violemment au- dessus du sein gauche et la pénétrant encore par derrière, avant de tenter d'obtenir d'elle des fellations; ces actes se sont poursuivis durant approximativement trois heures. Tout au long de cette scène, X., toujours déshabillée, était présente, fumant des cigarettes et stimulant son amant par des caresses pendant qu'il agissait. Le forfait accompli, Y. et X. sont
BGE 125 IV 134 S. 135
sortis de la pièce, laissant la victime seule et prostrée, avant que Z. n'entre dans le salon, où il a à son tour violé la victime pendant une demi-heure environ.
Le 5 septembre 1998, la Cour d'assises de Genève a notamment condamné X., pour viol en commun ainsi que pour enlèvement et séquestration, commis en qualité de coauteur, à la peine de 5 ans de réclusion et à 10 ans d'expulsion du territoire suisse. Le recours formé par la condamnée contre ce jugement a été rejeté par arrêt de la Cour de cassation genevoise du 16 avril 1999.
X. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Contestant sa condamnation pour viol en tant que coauteur, elle conclut à l'annulation de l'arrêt attaqué.
Le Tribunal fédéral a rejeté le pourvoi dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La recourante fait d'abord valoir que le viol est un délit «personnalissime» (eigenhändiges Delikt), de sorte que cette infraction ne peut être retenue à sa charge.
La question de savoir s'il existe des délits personnalissimes et, en particulier, si, le cas échéant, le viol entre dans cette catégorie de délits est controversée en doctrine (cf. TRECHSEL/NOLL, AT I, 4ème éd., Zurich 1994, p. 183; REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 7ème éd. 1997, p. 397; JENNY, Angriffe auf die sexuelle Freiheit, Bâle 1977, p. 31 ss; ANNIK NICOD-PASCHOUD, Le viol, thèse Lausanne 1983, p. 102 ss; PHILIPP MAIER, Die Nötigungsdelikte im neuen Sexualstrafrecht, Zürich 1994, p. 347 s.; SCHUBARTH, Eigenhändiges Delikt und mittelbare Täterschaft, RPS 1996 p. 325 ss, 329; STRATENWERTH, Gibt es eigenhändige Delikte?, RPS 1997 p. 86 ss, 91; SCHUBARTH, Binnenstrafrechtsdogmatik und ihre Grenzen, ZStW 1998, p. 827 ss, 839 ss). Quoi qu'il en soit, et c'est ce qui est ici déterminant, il est très généralement admis que, même si seul celui qui, en usant de contrainte, fait subir l'acte sexuel à une personne de sexe féminin et, partant, un homme, peut être l'auteur direct d'un viol, une autre personne, aussi une femme, peut également se rendre coupable de cette infraction comme auteur médiat ou comme coauteur (cf. STRATENWERTH, BT I, 5ème éd. Berne 1995, p. 158 no 5; TRECHSEL, Kurzkommentar, 2ème éd.,
art. 190 CP
no 8; JENNY, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, BT IV, p. 75; PHILIPP MAIER, op.cit., loc.cit.; SCHUBARTH, RPS 1996, p. 335/336).
BGE 125 IV 134 S. 136
Dans son message relatif à la modification du code pénal et du code pénal militaire du 26 juin 1985 (FF 1985 II 1021ss), le Conseil fédéral, au passage cité par la recourante (FF 1985 II 1112/1113), ne se réfère aux
ATF 89 IV 85
ss et
ATF 98 IV 97
ss que pour souligner que le nouvel
art. 200 CP
doit permettre de considérer tous les cas de viol en commun comme des viols qualifiés. Dans ces arrêts, le Tribunal fédéral ne s'est d'ailleurs pas du tout prononcé sur la question, qui ne lui était pas soumise, du degré de participation de l'auteur, qui, dans les deux cas, avait, entre autres, été reconnu coupable de complicité de viol aggravé en instance cantonale. La recourante ne peut donc rien en tirer à l'appui de sa thèse.
Il n'y a dès lors pas lieu de s'écarter de l'avis de la doctrine majoritaire, selon laquelle peut également se rendre coupable de viol celui qui participe à cette infraction en tant que coauteur.
3.
La recourante soutient ensuite que, de toute manière, elle n'a pas agi en tant que coauteur.
a) Est un coauteur celui qui collabore, intentionnellement et de manière déterminante, avec d'autres personnes à la décision de commettre une infraction, à son organisation ou à son exécution, au point d'apparaître comme l'un des participants principaux; il faut que, d'après les circonstances du cas concret, la contribution du coauteur apparaisse essentielle à l'exécution de l'infraction. La seule volonté quant à l'acte ne suffit pas; il n'est toutefois pas nécessaire que le coauteur ait effectivement participé à l'exécution de l'acte ou qu'il ait pu l'influencer. La coactivité suppose une décision commune, qui ne doit cependant pas obligatoirement être expresse, mais peut aussi résulter d'actes concluants, le dol éventuel quant au résultat étant suffisant. Il n'est pas nécessaire que le coauteur participe à la conception du projet; il peut y adhérer ultérieurement. Il n'est pas non plus nécessaire que l'acte soit prémédité; le coauteur peut s'y associer en cours d'exécution. Ce qui est déterminant c'est que le coauteur se soit associé à la décision dont est issue l'infraction ou à la réalisation de cette dernière, dans des conditions ou dans une mesure qui le font apparaître comme un participant non pas secondaire, mais principal (
ATF 120 IV 136
consid. 2b p. 141, 265 consid. 2c/aa p. 271 s. et les arrêts cités).
b) L'arrêt attaqué constate que, le soir du 19 décembre 1996, la recourante a tenté à trois reprises, de concert avec Y., d'amener la victime à les rejoindre et que, n'y étant pas parvenue, elle est allée le lendemain matin, accompagnée de ses comparses, attendre la victime à l'entrée de son domicile, sachant que celle-ci en sortirait vers
BGE 125 IV 134 S. 137
7 heures pour se rendre à son travail; la recourante a alors attiré la victime dans le véhicule sous le prétexte de la conduire à son travail; par la suite et alors que la victime était conduite de force au domicile de Y., la recourante l'a menacée en lui disant qu'elle allait payer pour ce qu'elle avait fait; toujours pendant le trajet, la recourante s'est notamment opposée fermement à la suggestion de libérer la victime; sur place, la victime a été conduite dans le salon, dont la recourante a fermé la porte à clef à la demande de Y. Ce comportement démontre clairement que la recourante savait qu'il s'agissait de conduire la victime dans l'appartement de Y. pour y violer celle-ci et qu'elle adhérait pleinement à ce projet, aux préparatifs duquel elle a en outre apporté une contribution essentielle, notamment en attirant la victime dans le véhicule et en exigeant que celle-ci soit conduite sans désemparer chez Y. L'arrêt attaqué constate du reste que la recourante a fait sienne la volonté délictueuse de Y., mue par l'antagonisme qui l'opposait à la victime; ce mobile, comme le fait que la recourante a menacé la victime en lui disant qu'elle allait payer pour ce qu'elle avait fait tendent au demeurant à démontrer que la recourante avait personnellement un intérêt au viol de la victime aux fins de l'humilier pour la punir.
Pendant les quelque trois heures durant lesquelles la victime a été violée par Y., la recourante, contrairement à ce qu'elle allègue, n'est pas restée «purement passive». Certes, elle n'a pas elle-même usé de contrainte physique à l'encontre de la victime. Elle a en revanche non seulement assisté à toute la scène sans aucunement protester et en fumant des cigarettes, mais aussi et surtout en stimulant son amant par des caresses pendant qu'il violait la victime. Un tel comportement était de nature à accroître le sentiment d'humiliation et d'impuissance de la victime; l'arrêt attaqué relève du reste que la victime a souligné devant le médecin qui l'avait prise en charge à quel point le comportement de la recourante avait été incompréhensible et insupportable pour elle; plus est, le fait de stimuler le violeur par des caresses était propre à encourager et à renforcer celui-ci dans l'accomplissement de sa volonté délictueuse. Le comportement de la recourante confirme en tout cas que cette dernière a, en toute connaissance de cause, adhéré pleinement à la décision de Y. de violer la victime.
c) Il résulte de ce qui précède, que la recourante, qui avait manifestement un intérêt personnel au viol de la victime, qu'elle voulait voir humiliée et ainsi punie, s'est non seulement associée pleinement et en toute connaissance de cause à la décision de Y. de violer
BGE 125 IV 134 S. 138
la victime mais qu'elle a en outre participé activement et de manière prépondérante aux préparatifs de cette infraction, qu'elle a de surcroît encouragée par son comportement durant le viol, contribuant en outre personnellement à l'humiliation de la victime. La recourante a ainsi collaboré intentionnellement au viol commis par Y., dans des conditions et dans une mesure qui la font apparaître comme un participant principal, et non pas secondaire. On ne voit dès lors pas que la cour cantonale ait violé le droit fédéral en considérant que la recourante avait agi en tant que coauteur du viol.
d) Les arguments avancés par la recourante pour le contester sont impropres à l'infirmer.
Contrairement à ce qu'elle semble penser, il n'est pas nécessaire que le coauteur soit le maître de la situation de fait, mais qu'il ait «une certaine maîtrise des opérations», c'est-à-dire qu'il apporte une contribution déterminante à la survenance du résultat (cf.
ATF 118 IV 397
consid. 2b p. 400, auquel renvoie notamment l'
ATF 120 IV 136
consid. 2b p. 141 cité par la recourante). En l'espèce, ainsi qu'on l'a vu, c'est la recourante qui a attiré la victime dans la voiture et qui a ensuite fait en sorte que celle-ci soit conduite sans désemparer chez Y., où elle a encore assisté au viol en s'employant à accroître l'humiliation de la victime et en stimulant son amant pendant qu'il agissait; elle ne s'est pas bornée à favoriser l'infraction voulue par l'auteur principal, mais a fait pleinement siennes la décision et la volonté de ce dernier de commettre cette infraction et l'a manifesté par des actes, contribuant de manière prépondérante aux préparatifs et encourageant l'auteur principal dans l'accomplissement de l'acte délictueux.
Le fait que ce soit à la demande de Y. que la recourante s'est elle aussi déshabillée ne permet nullement de conclure qu'elle était «totalement soumise» à ce dernier. Outre qu'elle a donné suite immédiatement et sans la moindre réticence à ce fantasme, sa prétendue soumission à Y. est clairement infirmée par l'ensemble de son comportement.
Pour les motifs exposés ci-dessus (cf. supra, consid. 2), c'est en vain que la recourante tente de tirer argument de l'
ATF 98 IV 97
ss.
Pour le surplus, l'argumentation de la recourante se réduit à une rediscussion des faits retenus dans l'arrêt attaqué, de sorte qu'il n'y a pas lieu d'entrer en matière. | null | nan | fr | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
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