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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
380ec71a-426e-43b5-a394-bae2b88d3c3a | Urteilskopf
138 III 44
6. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. contre B. SA (recours constitutionnel subsidiaire)
5D_153/2011 du 21 novembre 2011 | Regeste
Art. 75 (und 114) BGG und
Art. 265a Abs. 1 SchKG
; Einrede fehlenden neuen Vermögens.
Zulässigkeit der Beschwerde an das Bundesgericht gegen den im summarischen Verfahren ergangenen Entscheid über das Vorliegen neuen Vermögens (E. 1.3). | Sachverhalt
ab Seite 44
BGE 138 III 44 S. 44
A.
La faillite de A., prononcée le 11 décembre 2006, a été close le 15 janvier 2008.
B.
Le 4 avril 2011, B. SA a fait notifier à A. un commandement de payer (...); le poursuivi a formé opposition totale et excipé de son non-retour à meilleure fortune. Le 8 avril 2011, l'Office des
BGE 138 III 44 S. 45
poursuites de Genève a transmis l'opposition au Tribunal de première instance de Genève, conformément à l'
art. 265
a
al. 1 LP
. (...)
Statuant le 2 août 2011, le Tribunal a déclaré irrecevable l'exception de non-retour à meilleure fortune, dit que l'opposant est revenu à meilleure fortune à hauteur de 380 fr. par mois et arrêté les frais et dépens de la procédure. (...)
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours constitutionnel du poursuivi.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
1.3
En vertu de l'
art. 265
a
al. 1 LP
- dans sa teneur en vigueur depuis le 1
er
janvier 2011 (RO 2010 1739, 1849; FF 2006 6841, 7126) -, la décision prise en procédure sommaire sur le retour à meilleure fortune (
art. 251 let
. d CPC; RS 272) n'est sujette à aucun recours (cantonal). Il s'agit là d'une norme spéciale qui déroge au principe de la double instance et à l'exigence d'un tribunal supérieur, posés à l'
art. 75 al.
2
LTF
(
ATF 134 III 524
consid. 1.4 [pour l'ancienne teneur de l'art. 265
a
al. 1 in fine LP]; CHEVALIER, Die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht, 2009, n° 217; REETZ/THEILER, in Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2010, n° 6 ad
art. 309 CPC
; pour le recours à l'encontre du jugement de faillite de change [
art. 189 LP
], cf. arrêt 5A_268/2010 du 30 avril 2010 consid. 1.2, in Pra 2011 n° 10). En outre, le recourant ne dénonce pas une fausse application du droit des poursuites, mais une violation de son droit d'être entendu (cf. consid. 2 non publié), en sorte que le recours est ouvert du chef de l'
art. 75 al. 1 LTF
(
ATF 134 III 524
consid. 1.3; REETZ/THEILER, loc. cit.). | null | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
381568c2-7cc5-419e-b29e-c6cbd6c10be8 | Urteilskopf
105 II 11
2. Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. Januar 1979 i.S. C. AG gegen W. S.A. (Berufung) | Regeste
Art. 841 Abs. 2 ZGB
; örtliche Zuständigkeit.
Die Klage der Bauhandwerker gegen den vorgehenden Pfandgläubiger, der seinen Pfandtitel veräussert hat, auf Ersatz des bei der Pfandverwertung erlittenen Verlusts ist dort anzubringen, wo das Baugrundstück oder, wenn mehrere Grundstücke zusammen überbaut und verwertet wurden, der wertvollste Teil der Grundstücke liegt. | Sachverhalt
ab Seite 11
BGE 105 II 11 S. 11
A.-
Die C. AG klagte am 17. Februar 1978 beim Handelsgericht des Kantons Zürich gestützt auf
Art. 841 Abs. 2 ZGB
gegen die W. S.A. mit Sitz in Zürich auf Bezahlung von Fr. 337'482.50 nebst Zins. Zur Begründung ihrer Klage machte sie geltend, sie sei Zessionarin von Bauhandwerkern, die im Konkurs der Explana Immobilien AG, Zug, bzw. in der Spezialliquidation nach
Art. 134 VZG
der Liegenschaft IR Zufikon Nr. 1569 mit angemeldeten Bauhandwerkerpfandrechten zu Verlust gekommen seien. Die Beklagte habe der Explana Immobilien AG einen durch im Range den Bauhandwerkerpfandrechten
BGE 105 II 11 S. 12
vorgehende Schuldbriefe gesicherten Baukredit gewährt. Die Auszahlungskontrolle sei der Bank X. in Wohlen übertragen worden. Aus dem Baukredit seien insgesamt Fr. 1'039'351.70 an Personen und für Sachen bezahlt worden, die mit dem Bau nicht das geringste zu tun gehabt hätten; zudem sei die Beibringung von Eigenmitteln vorgetäuscht worden. Für die daraus den Bauhandwerkern erwachsene Benachteiligung habe die Beklagte einzustehen. Dass sie die Schuldbriefe kurz vor der Versteigerung des Baugrundstücks verkauft habe, ändere nichts an ihrer Passivlegitimation.
Die Beklagte verkündete der Bank X., Wohlen, sowie A.S. den Streit und erhob sodann die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des Handelsgerichts. Mit Beschluss vom 31. August 1978 hiess dieses die Unzuständigkeitseinrede gut und trat nicht auf die Klage ein.
B.-
Mit Berufung ans Bundesgericht beantragt die Klägerin, der Nichteintretensentscheid sei aufzuheben und das Handelsgericht anzuweisen, die Klage materiell zu behandeln.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klägerin macht geltend, der angefochtene Entscheid verletze bundesrechtliche Zuständigkeitsvorschriften. Auf
Art. 59 BV
kann sie sich als Gläubigerin nicht berufen (
BGE 103 II 200
,
BGE 102 II 393
,
BGE 101 Ia 43
,
BGE 96 III 136
). Auf die Berufung ist daher nach
Art. 49 OG
einzutreten.
2.
In
BGE 96 III 126
ff. hatte das Bundesgericht die Frage der örtlichen Zuständigkeit für die Klage aus
Art. 841 Abs. 1 ZGB
zu prüfen. Es ging dabei davon aus, das ZGB sage nicht ausdrücklich, wo die zu Verlust gekommenen Handwerker und Unternehmer ihre Ansprüche gegen die vorgehenden Pfandgläubiger einzuklagen hätten. Daraus folge aber nicht ohne weiteres, dass die örtliche Zuständigkeit für solche Klagen unter Vorbehalt der Regeln des Bundesrechts über die Abgrenzung der Gerichtsbarkeit der Kantone vom kantonalen Prozessrecht zu ordnen sei. Vielmehr sei zu prüfen, ob anzunehmen sei,
Art. 841 ZGB
setze das Bestehen eines besonderen bundesrechtlichen Gerichtsstandes voraus, weil eine wirksame Durchsetzung der sich aus dieser Bestimmung ergebenden Ansprüche sonst nicht gewährleistet wäre (
BGE 96 III 128
/129 E. 2).
BGE 105 II 11 S. 13
Weiter führte das Bundesgericht im erwähnten Entscheid aus, die Klagen eines Handwerkers oder Unternehmers gegen mehrere vorgehende Pfandgläubiger seien, auch wenn sie nicht innert der Frist von
Art. 117 Abs. 1 VZG
erhoben würden, wegen des zwischen ihnen bestehenden Zusammenhangs örtlich zu vereinigen. In allen Prozessen gehe es um die gleichen Fragen, nämlich darum, ob die Forderungen des Baupfandgläubigers gegen den Bauherrn und das Baupfandrecht zu Recht bestünden, wie die verschiedenen Hypothekarkredite verwendet worden seien und welches der Wert des Bodens der Pfandliegenschaft sei. Diese Fragen müssten in allen Prozessen gleich beantwortet werden, wenn stossende Widersprüche vermieden werden sollten. Solche Widersprüche liessen sich nur verhüten, wenn alle Klagen dem gleichen Richter unterbreitet würden. Ein enger Sachzusammenhang bestehe aber nicht nur zwischen den Klagen eines bestimmten Baupfandgläubigers gegen mehrere vorgehende Pfandgläubiger, sondern auch zwischen den Klagen mehrerer Baupfandgläubiger gegen den gleichen vorgehenden Pfandgläubiger. In diesem häufig vorkommenden Fall bedürfe auch die Frage, ob für den belangten Pfandgläubiger erkennbar war, dass die Errichtung der Hypothek die Handwerker und Unternehmer benachteiligte, und nach welchem Verhältnis sich der Anspruch des einzelnen Baupfandgläubigers auf Ersatz seines Verlustes aus dem Treffnis des vorgehenden Pfandgläubigers bemesse, einer einheitlichen Entscheidung. Verlange aber die widerspruchsfreie Entscheidung der Prozesse eines Handwerkers oder Unternehmers gegen mehrere vorgehende Pfandgläubiger oder mehrerer Handwerker und Unternehmer gegen einen vorgehenden Pfandgläubiger wegen des zwischen diesen Klagen bestehenden Zusammenhangs die Beurteilung aller dieser Klagen durch ein und dasselbe Gericht und sei somit die Möglichkeit, alle diese Klagen dem gleichen Richter zu unterbreiten, eine unerlässliche Voraussetzung für die Verwirklichung des materiellen Bundesrechts auf diesem Gebiet, so müsse für solche Klagen kraft Bundesrechts ein einheitlicher Gerichtsstand bestehen, und zwar unabhängig davon, ob innerhalb oder erst nach Ablauf der Frist von
Art. 117 Abs. 1 VZG
geklagt werde und ob im konkreten Fall tatsächlich mehrere Klagen eingingen. Nur wenn ein für allemal feststehe, wo solche Klagen anzubringen seien, sei für den Fall der Erhebung mehrerer solcher Klagen deren einheitliche Beurteilung gewährleistet (
BGE 96 III 131
ff. E. 5).
BGE 105 II 11 S. 14
Nach eingehender Prüfung der Frage, wo sich dieser bundesrechtliche Sondergerichtsstand für Klagen nach
Art. 841 Abs. 1 ZGB
befinde, kam das Bundesgericht zum Schluss, solche Klagen seien am Ort anzubringen, wo das Baugrundstück oder (beim Vorhandensein mehrerer gemeinsam überbauter Grundstücke) der wertvollste Teil der Grundstücke liege. Es liess dabei die Frage offen, ob die Klage der Baupfandgläubiger als dinglich oder als persönlich zu betrachten sei; selbst wenn man nämlich grundsätzlich am persönlichen Charakter der Klage festhalten wolle, rechtfertige ihr enger Zusammenhang mit den Pfandrechten am Baugrundstück, dass sie am Ort der gelegenen Sache angehoben werden müsse. Für diesen Gerichtsstand spreche auch der Umstand, dass die Handwerker und Unternehmer, denen
Art. 841 ZGB
ein Vorrecht gewähre, oft am Ort oder in der Nähe des Ortes, wo das Grundstück liegt, niedergelassen seien (
BGE 96 III 133
ff. E. 6-8).
3.
Die vorliegende Klage stützt sich nicht auf
Art. 841 Abs. 1 ZGB
, sondern sie richtet sich im Sinne von
Art. 841 Abs. 2 ZGB
gegen den vorgehenden Pfandgläubiger, der seinen Pfandtitel veräussert hat. Die Gründe, die dafür sprechen, dass sämtliche gestützt auf
Art. 841 Abs. 1 ZGB
angehobenen Klagen vom gleichen Richter zu beurteilen sind, und zwar am Ort der gelegenen Sache, gelten indessen auch für Klagen nach
Art. 841 Abs. 2 ZGB
. Diese Klagen unterscheiden sich von denjenigen nach
Art. 841 Abs. 1 ZGB
nur dadurch, dass statt des jetzigen Pfandgläubigers dessen Rechtsvorgänger passivlegitimiert ist. Die Voraussetzungen der Haftung sind genau die gleichen, ob der vorgehende Pfandgläubiger seinen Titel veräussert hat oder nicht. Auch im Prozess gegen den Pfandgläubiger, der seinen Titel veräussert hat, muss der Bestand von Forderung und Baupfandrecht, die Verwendung des Kredits, der Wert des Bodens, die Erkennbarkeit der Benachteiligung der Bauhandwerker und Unternehmer sowie die Verteilung der Entschädigung an die Kläger geprüft werden. Die Klagen nach
Art. 841 Abs. 2 ZGB
sind daher gleich wie diejenigen nach Abs. 1 dieser Bestimmung von Bundesrechts wegen dort anzubringen, wo das Grundstück liegt. Nur so ist gewährleistet, dass sämtliche Klagen der Handwerker und Unternehmer, die bei der Verwertung des Baugrundstücks zu Verlust gekommen sind, vom gleichen Richter beurteilt werden, und nur dadurch lassen sich widersprüchliche Urteile vermeiden.
BGE 105 II 11 S. 15
Die Klägerin macht geltend, bei der Klage nach
Art. 841 Abs. 2 ZGB
handle es sich um eine reine Forderungsklage, die nach
Art. 59 BV
am Wohnsitz des Beklagten anzubringen sei. Dieses Argument wäre allenfalls dann zu hören, wenn die bundesgerichtliche Rechtsprechung davon abhinge, dass die Klage der Bauhandwerker und Unternehmer nach
Art. 841 Abs. 1 ZGB
als dinglich zu qualifizieren wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Nach dem in Erwägung 2 Gesagten sah das Bundesgericht vielmehr aus praktischen Gründen für die Klagen nach
Art. 841 ZGB
einen einheitlichen Gerichtsstand am Ort der gelegenen Sache vor, ohne auf die Qualifikation dieser Klagen als dinglich oder persönlich abzustellen. Im übrigen begründet
Art. 59 BV
(auf den sich die Klägerin ohnehin nicht berufen kann) keinen eidgenössischen Gerichtsstand des Wohnsitzes für obligatorische Klagen (
BGE 103 II 200
,
BGE 102 Ia 193
,
BGE 102 II 393
,
BGE 101 Ia 41
, 96 III 136). Zudem kann diese Bestimmung nicht angerufen werden, wenn eine bundesrechtliche Gerichtsstandsvorschrift eingreift (
BGE 103 II 200
, 96 III 135/136,
BGE 81 I 338
/339,
BGE 72 I 176
). Dies gilt auch bei denjenigen Gerichtsstandsvorschriften, die im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, sondern von der Rechtsprechung entwickelt worden sind. So verhält es sich z.B. mit der Vorschrift, dass die Klage auf Ausrichtung des Vermächtnisses am letzten Wohnsitz des Erblassers anzubringen ist, obwohl es sich dabei zweifellos um eine persönliche Ansprache handelt (
BGE 66 I 48
ff.).
Fehl geht auch der weitere Einwand der Klägerin, die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach die Bauhandwerker ihre Klagen nach
Art. 841 ZGB
beim Richter am Ort der gelegenen Sache anzubringen hätten, schliesse nicht aus, dass sich nicht eben doch mehrere Gerichte mit der gleichen Sache befassen müssten, so etwa, wenn entsprechend der kantonalen Regeln über die sachliche Zuständigkeit ein Teil der Kläger beim Bezirksgericht, ein anderer beim Handelsgericht klage. Verlangt nämlich die Verwirklichung des Bundesrechts, dass sämtliche Klagen der Bauhandwerker nach
Art. 841 ZGB
vom gleichen Richter beurteilt werden, so können die Kantone die sachliche Zuständigkeit nicht in der Weise ordnen, dass sie diese Klagen (sachlich) verschiedenen Instanzen zuweisen. Welches im Kanton Aargau der Richter am Ort der gelegenen Sache ist, der die Klagen der Bauhandwerker zu beurteilen hat, ist hier nicht zu entscheiden.
BGE 105 II 11 S. 16
4.
Da das Grundstück, bei dessen Verwertung die Rechtsvorgänger der Klägerin zu Verlust gekommen sind, im Kanton Aargau liegt, ist das Handelsgericht des Kantons Zürich zu Recht nicht auf die Klage eingetreten.
Die Berufung ist daher abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
381bfd0b-5aec-43f4-81dc-3642279f88bc | Urteilskopf
100 II 144
22. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 19 juin 1974 dans la cause R. contre D. | Regeste
Aussergerichtlicher Vergleich.
Gültigkeit eines Vergleiches, den der Gläubiger mit einem Dritten abgeschlossen hat (Erw. 1c).
Anwendung der zehnjährigen Verjährungsfrist des
Art. 127 OR
auf Verpflichtungen, die aus einem Vergleich hergeleitet werden (Erw. 2). | Erwägungen
ab Seite 144
BGE 100 II 144 S. 144
1.
c) La transaction extrajudiciaire est un contrat par lequel les parties visent à mettre fin par un sacrifice réciproque à
BGE 100 II 144 S. 145
l'incertitude dans laquelle elles se trouvent au sujet d'un rapport de droit; elle peut se rapporter à un litige existant ou simplement possible, et elle est valable sans forme (RO 41 II 617, 82 II 375 consid. 2, 95 II 424). Le recourant se trompe lorsqu'il prétend qu'elle ne peut intervenir qu'entre les parties au rapport de droit originaire. Toute personne intéressée, même indirectement, à transiger peut passer une transaction. En l'espèce, l'intérêt personnel du défendeur à l'affaire, constaté par l'arrêt déféré, suffit à expliquer la conclusion d'une transaction de sa part. Le défendeur pouvait s'attendre à être attaqué par le demandeur sur la base d'un contrat de courtage, d'une faute ou d'une culpa in contrahendo, voire à faire l'objet d'une action récursoire de la société X. au cas où celle-ci aurait été recherchée. Il est constant qu'il entendait par l'accord du 28 novembre 1963 "liquider cette affaire qui l'embêtait". Au demeurant, rien ne s'oppose à ce qu'un créancier transige avec un tiers; c'est ainsi que de nombreux sinistres se règlent directement entre le lésé et la compagnie d'assurances du responsable, quand bien même le premier ne dispose d'aucune action directe contre la seconde. L'autorité cantonale n'a donc pas violé l'art. 1er CO en admettant la conclusion d'un contrat de transaction entre les parties au présent procès.
2.
Le recourant invoque à titre subsidiaire la prescription. La transaction, dit-il, n'emporte pas novation et ne donne dès lors pas lieu à une prescription différente de celle de la créance originaire...
Cette argumentation est mal fondée. La transaction étant un contrat consensuel, l'obligation qui en dérive est de nature contractuelle, et partant soumise à la prescription décennale de l'art. 127 CO. | public_law | nan | fr | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3822165e-ed9c-4106-8ede-ad2565fb14eb | Urteilskopf
104 II 289
49. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Oktober 1978 i.S. M. gegen M. | Regeste
Abänderung des Scheidungsurteils; sachliche Zuständigkeit.
Für die Ergänzung eines lückenhaften Scheidungsurteils ist der Scheidungsrichter zuständig, auch wenn sich die Lücke auf Ansprüche bezieht, die weitgehend der Parteidisposition unterstehen. Wird hingegen eine Abänderung des Scheidungsurteils wegen veränderter Verhältnisse verlangt, so ist hiefür der Richter am Wohnsitz der beklagten Partei zuständig (Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 289
BGE 104 II 289 S. 289
Am 21. Juni 1974 wurde die Ehe der Parteien geschieden. Gleichzeitig genehmigte das Amtsgericht die von den Eheleuten über die Nebenfolgen der Scheidung am 31. Mai 1974 abgeschlossene schriftliche Vereinbarung. Ziffer 6 dieser Konvention befasst sich mit der güterrechtlichen Auseinandersetzung. Abschliessend findet sich folgender Vermerk:
"Mit dieser Vereinbarung erklären sich die Parteien güterrechtlich
als vollständig auseinandergesetzt."
BGE 104 II 289 S. 290
Am 16. November 1976 reichte M. beim gleichen Amtsgericht gegen seine geschiedene Ehefrau Klage ein mit dem Rechtsbegehren, das Scheidungsurteil vom 21. Juni 1974 sei in einem Nachverfahren dahingehend zu ergänzen, dass die Beklagte verurteilt werde, dem Kläger 40 Namenaktien der Firma M. herauszugeben, wobei jeder Aktientitel mit dem hiefür notwendigen schriftlichen Übertragungsvermerk an den Kläger zu versehen sei. Zur Begründung seines Begehrens machte der Kläger geltend, im Zuge der Konventionsverhandlungen, an denen noch weitere Personen, u.a. der Anwalt der Ehefrau, mitgewirkt hätten, sei vereinbart worden, dass die Ehefrau von den in ihrem Besitz befindlichen 50 Aktien der Firma M. deren 40 auf den Ehemann übertrage. Weil man sich hierüber allseits einig gewesen sei, habe man es offenbar als überflüssig erachtet, diese Vereinbarung in die schriftliche Konvention aufzunehmen, weshalb dieser Teil der Scheidungskonvention dem Gericht auch nicht zur Genehmigung unterbreitet worden sei. Insoweit enthalte die Konvention eine Lücke, die vom Scheidungsrichter in einem Nachverfahren zu schliessen sei.
Das Amtsgericht erachtete sich als sachlich nicht zuständig zur Beurteilung der aufgeworfenen Streitfrage, weil die Herausgabe der 40 Namenaktien beim ordentlichen Zivilrichter verlangt werden müsse, und trat mit Urteil vom 21. Oktober 1977 auf die Klage nicht ein.
Der Kläger zog dieses Urteil an den Appellationshof des Kantons Bern weiter, welcher die Appellation am 28. Februar 1978 abwies und das erstinstanzliche Urteil bestätigte. In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht gelangte er zum Ergebnis, die Klage gehe nicht auf Ergänzung, sondern auf Abänderung des Scheidungsurteils, weil dieses dem Kläger nicht etwa als unvollständig, sondern als falsch erscheine. Klagen auf Abänderung einer Scheidungskonvention fielen in die Kompetenz des ordentlichen Zivilrichters. Durch
BGE 81 II 313
ff., worauf sich der Kläger berufe, seien ausdrücklich nur jene Fälle in das sogenannte Nachverfahren vor dem Scheidungsrichter gewiesen worden, in denen es um die Ergänzung eines lückenhaften Scheidungsurteils gehe. Dies sei aber hier nicht der Fall. Der Kläger habe es sich selber zuzuschreiben, wenn von den Aktien in der Konvention nicht die Rede gewesen sei; für den Scheidungsrichter habe kein Anlass bestanden, die vorgelegte Konvention nicht zu genehmigen. Das Amtsgericht habe daher seine sachliche Zuständigkeit zu Recht verneint.
BGE 104 II 289 S. 291
Der Kläger reichte Berufung beim Bundesgericht ein. Er beantragt Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache zur materiellen Behandlung an das Amtsgericht.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Das Bundesgericht hat in
BGE 44 I 155
und
BGE 81 II 315
festgelegt, unter welchen Voraussetzungen der Scheidungsrichter von Bundesrechts wegen ein Scheidungsurteil in einem Nachverfahren zu ergänzen hat. Hat er es nämlich aus Versehen oder Rechtsirrtum oder wegen Unkenntnis einer Tatsache unterlassen, eine Frage zu regeln, die bei der Scheidung notwendigerweise geregelt werden muss, so weist das Scheidungsurteil eine Lücke auf, die durch eine entsprechende Ergänzung dieses Urteils auszufüllen ist, und zwar ist hiezu nach Bundesrecht der Richter zuständig, der die Scheidung ausgesprochen hat. Für die Beurteilung von Begehren, mit denen wegen veränderter Verhältnisse eine Abänderung des Scheidungsurteils im Sinne von
Art. 153 und 157 ZGB
verlangt wird, ist dagegen nach Bundesrecht, wenn die Parteien in der Schweiz wohnen, der Richter am Wohnsitz der beklagten Partei zuständig (
BGE 81 II 315
/16 mit Hinweisen).
Diese Auffassung hat in der Doktrin einhellige Zustimmung gefunden (GMÜR, N. 24, und EGGER, N. 16 zu
Art. 158 ZGB
; HINDERLING, Schweizerisches Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 188/89 und 225/26). Auch das angefochtene Urteil bestreitet sie grundsätzlich nicht. Hingegen will die Vorinstanz ein Nachverfahren vor dem Scheidungsrichter nur zulassen, wenn die Lücke im Scheidungsurteil eine Frage betrifft, die der Scheidungsrichter von Amtes wegen und ohne Rücksicht auf die Parteianträge hätte regeln sollen. Die zitierte Rechtsprechung und Lehre lassen indessen ein Nachverfahren auch zu, wenn es sich um Ansprüche handelt, die weitgehend der Parteidisposition unterstehen. So ging es insbesondere in
BGE 44 I 155
um rein güterrechtliche Vereinbarungen zwischen den Ehegatten. Allerdings hatte dort der Richter Kenntnis davon, dass die Parteien ihre güterrechtlichen Verhältnisse aussergerichtlich geregelt hatten, wobei sie aber weder um die gerichtliche Genehmigung
BGE 104 II 289 S. 292
der Regelung ersucht noch auch dem Richter deren Inhalt bekannt gegeben hatten. Im vorliegenden Fall wurde hingegen dem Scheidungsrichter eine Konvention über die güterrechtliche Auseinandersetzung unterbreitet, die überdies die Klausel enthielt, mit der getroffenen Regelung seien die Parteien endgültig auseinandergesetzt. Es ist dem Appellationshof zuzustimmen, dass der Richter unter diesen Umständen keinen Anlass hatte, danach zu forschen, ob neben der gerichtlichen, ihm zur Genehmigung vorgelegten Scheidungskonvention noch weitere mündliche oder schriftliche Abmachungen der Parteien existierten. Das bedeutet aber noch nicht, dass ein Nachverfahren und eine nachträgliche richterliche Genehmigung einer allfälligen zusätzlichen Vereinbarung ausgeschlossen sei, wenn das Scheidungsurteil sich als lückenhaft erweise. Gerade diese Frage hat der Kläger mit seinem Klagebegehren dem Gericht zur Prüfung unterbreitet. Die Vorinstanz ist ihr einfach unter Hinweis auf
BGE 81 II 315
mit der Verneinung der sachlichen Zuständigkeit des Scheidungsrichters ausgewichen. In diesem Entscheid wird jedoch die sachliche Zuständigkeit des Scheidungsrichters nur für den Fall verneint, dass es sich um Begehren handelt, mit denen wegen nachträglich veränderter Verhältnisse eine Abänderung des Scheidungsurteils verlangt wird, was hier nicht zutrifft. Die Ausführungen des Appellationshofs zu diesem Punkt bedeuten im Grunde genommen eine materielle Stellungnahme zur Klage, die mit der Frage der sachlichen Zuständigkeit nichts zu tun hat. Man könnte sich sogar fragen, ob der Appellationshof mit diesen Ausführungen nicht im Sinne einer Eventualbegründung die Klage abgewiesen habe. Das lässt sich indessen dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Der Appellationshof sagt nicht, die Klage wäre, wenn auf sie einzutreten wäre, unbegründet, sondern er macht die materiellen Ausführungen zur Stützung seiner These der sachlichen Unzuständigkeit. Damit geht er aber an der Sache vorbei.
Die Klage könnte denn auch nicht mit einer derart summarischen Begründung abgewiesen werden. Der Kläger vertritt den Standpunkt, die Ehegatten hätten sich während des Scheidungsprozesses dahin geeinigt, dass die Ehefrau 40 Aktien auf den Ehemann zu übertragen habe. Diese Abmachung sei lediglich deshalb nicht in die schriftliche Konvention übernommen und dem Scheidungsrichter zur Genehmigung unterbreitet
BGE 104 II 289 S. 293
worden, weil beide Parteien der Meinung gewesen seien, das erübrige sich. Sollte diese Darstellung zutreffen, so kann nicht zum vorneherein gesagt werden, die schriftliche Scheidungskonvention mit der Klausel über die endgültige Auseinandersetzung stehe einer nachträglichen Genehmigung der mündlichen Abmachung entgegen (EGGER, N. 16 zu
Art. 158 ZGB
). Vielmehr werden der Bestand dieser Abmachung und die näheren Umstände, die zu ihrem Abschluss geführt haben, sowie die Gründe, aus denen sie nicht in die schriftliche Scheidungskonvention aufgenommen worden ist, näher zu prüfen sein. Diese Prüfung kann aber von Bundesrechts wegen nur dem Scheidungsrichter obliegen. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
38225685-1670-4c01-9a1e-af4fa29ff7e2 | Urteilskopf
80 III 41
11. Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Februar 1954 i.S. P. gegen I. | Regeste
Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung. Wirkungen auf das Vermögen des Schuldners (
Art. 316 a SchKG
). Verfügungsrecht des Schuldners über eine Forderung, die nicht zur Liquidationsmasse gezogen wurde.
Verjährungseinrede (
Art. 142 OR
). Verwirkung nach kantonalem Prozessrecht.
Schadenersatzpflicht des Konkursbeamten (
Art. 5 SchKG
). Voraussetzungen. Anwendung von
Art. 42-44 OR
.
Haftung für Raterteilung. Pflichten desjenigen, der die Entschliessungen einer andern Person in einer für sie wichtigen Angelegenheit durch Auskünfte und Empfehlungen zu beeinflussen sucht. Verschweigen einer wesentlichen Tatsache als widerrechtliches Verhalten. Verschulden. Kausalzusammenhang zwischen der Verschweigung und dem Schaden; Kognition des Bundesgerichts. Festsetzung des Schadens. Gründe für die Ermässigung der Ersatzpflicht. | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 80 III 41 S. 42
Gekürzter Tatbestand.
A.-
Im Konkurse B. setzte die erste Gläubigerversammlung vom 5. Juni 1945 das von I. geleitete Konkursamt als Konkursverwaltung ein und beauftragte es, die zur Masse gehördende Möbelfabrik in K. freihändig zu verkaufen. Für deren Erwerb interessierten sich in der Folge u.a. P., der eine Möbelwerkstättebetrieb, und St. Während P. die für die Übernahme nötigen Mittel nicht zur Verfügung hatte, besass St. ein Vermögen von rund
BGE 80 III 41 S. 43
Fr. 250'000.--, das er von seinem ausserehelichen Vater geerbt hatte.
B.-
Im Jahre 1923 geboren, stand St. bis zu seiner Volljährigkeit unter Vormundschaft. Er liess es während seiner Schreinerlehre an Fleiss und Eifer in Beruf und Schule fehlen, machte Schulden, brannte schliesslich mit einem Kameraden durch und wurde im Februar 1940 vom Jugendgericht wegen wiederholten Diebstahls, den er bei dieser Gelegenheit begangen, für drei Jahre in eine Anstalt eingewiesen, wo er dann seine Lehre abschloss. Mit seiner Zustimmung stellte ihn die zuständige Behörde, nachdem er volljährig geworden, am 28. Oktober 1943 unter Mitwirkungs- und Verwaltungsbeiratschaft, weil er leicht beeinflussbar sei, was ihm auch in materieller Hinsicht zum Schaden gereichen könne.
Im April 1945 übernahmen die Behörden seines neuen Wohnortes M. die Weiterführung der Beiratschaft.
Durch Vermittlung des V., der sich anerbot, die Aufhebung der Beiratschaft in die Wege zu leiten, lernte St. im Vorsommer 1945 I. kennen. Dieser stellte ihn zunächst für Arbeiten auf dem Konkursamt, dann als Buchhalter der Möbelfabrik in K. an. Um die gleiche Zeit kam es zwischen I. einerseits und einer aus St., V. und einem weitern Partner bestehenden Gruppe anderseits zu Verhandlungen über den freihändigen Erwerb dieser Fabrik. Ausserdem gewährte I. dem St. vom August 1945 an bedeutende Vorschüsse, die nach Aufhebung der Beiratschaft zurückvergütet werden sollten.
Am 8. November 1945 teilte St. dem Gemeinderate von K. mit, er habe sich im Hinblick auf seine Anstellung als Buchhalter der Möbelfabrik entschlossen, in K. Wohnsitz zu nehmen und sein Vermögen hier zu versteuern, und ersuchte ihn, die Beiratschaft zu übernehmen und I. zum Beirat zu ernennen. Der Gemeinderat erklärte sich zur Übernahme der Beiratschaft bereit, ernannte aber am 25. Januar 1946 nicht I., sondern einen Bankbeamten in K. zum Beirat.
BGE 80 III 41 S. 44
C.-
Unterdessen waren die Verhandlungen über einen freihändigen Verkauf der Möbelfabrik gescheitert und hatte die zweite Gläubigerversammlung am 12. November 1945 beschlossen, sie durch das Konkursamt öffentlich versteigern zu lassen. Die Steigerung wurde auf den 29. Dezember 1945 festgesetzt. Kurz vor diesem Termin machte I. den P. im Einverständnis St.s darauf aufmerksam, dass er diese zusammen mit dem finanzkräftigen jungen Schreiner St. ersteigern könnte. Er erwähnte dabei nach seiner Darstellung, er kenne St., wünsche aber, dass St. und P. sich persönlich kennen lernen; er könne die volle Verantwortung dafür übernehmen, dass St. genügend Vermögen habe, um die Fabrik zu übernehmen; seit St. dort arbeite, bestehe wieder ein in allen Teilen geordneter Bürobetrieb. Dass St. noch unter Beiratschaft stand, verschwieg er. P. und St. trafen sich dann und unterzeichneten am Steigerungstag einen mit Hilfe I.s abgefassten "Übernahmevertrag", der u.a. folgende Bestimmungen enthält:
1. Herr P. ... verpflichtet sich, an der Liegenschaftssteigerung B. für sich selbst und im Auftrag von Herrn St. ... sämtliche in den Gesamtausruf kommenden Liegenschaften zu steigern.
2. Herr St. verpfiichtet sich, an Herrn P. vor Beginn der Steigerung die nötigen Barbeträge für die Barkautionen beim Zuschlag in bankfähigen Papieren auszuhändigen.
5. Herr P. und Herr St. werden auf Grund eines gesonderten Vertrages eine Geschäfts- Interessen-Gemeinschaft bilden, für welche Herr P. bis zur Übernahme der Liegenschaften vom Konkursamt verantwortlich zeichnet.
Den Betrag von Fr. 31'000.--, der beim Zuschlag als Barkaution zu leisten war, zahlte im Auftrag und für Rechnung St.s, der über sein Vermögen noch nicht verfügen konnte, I. an P. aus.
Bei der Steigerung erhielt P. den Zuschlag, nachdem er und St. dem Konkurrenten Bn. für den Fall des Verzichts auf weitere Angebote eine Zahlung von Fr. 4000.-- zugesichert hatten. Mit der Ersteigerung der Fabrik entstand für P. nach den Steigerungsbedingungen die Verpflichtung, das gesamte Warenlager zu übernehmen.
D.-
Am 31. Dezember 1945 schrieb I. dem Gemeinderate
BGE 80 III 41 S. 45
K., St. habe Gelegenheit, sich an der von P. ersteigerten Möbelfabrik als aktiver Partner zu beteiligen; um ihm dies zu ermöglichen, sei es nach seiner Meinung am Platze, ihn von der Beiratschaft zu befreien. Am 16. Januar 1946 stellte St. selber das Gesuch um Aufhebung der Beiratschaft, die ihn an der Beteiligung an der Möbelfabrik hindere und deren Gründe hinfällig geworden seien.
Am 18. Januar 1946 wurde im Handelsregister die Firma St. & P. eingetragen. Die Eintragung besagt u.a., es handle sich um eine Kollektivgesellschaft mit Beginn am 15. Januar 1946; die Vertretung erfolge durch Einzelunterschrift.
Ebenfalls am 18. Januar 1946 eröffnete eine Bank gegen Hinterlegung eines von I., P. und St. ausgestellten Blankowechsels über Fr. 20'500.-- ein "Konsortialkonto I., P. und St.". Weisungsgemäss belastete sie dieses Konto mit Fr. 20'000.-- und schrieb diesen Betrag dem persönlichen Konto I.s gut, um ihm "die Alimentation des Betriebes der Möbelfabrik zu ermöglichen". Am gleichen Tage bescheinigte St., von I. Fr. 20'000.-- als Betriebskapital in bar erhalten zu haben.
Am 31. Januar 1946 verpflichteten sich die Firma St. & P. und "als Solidarbürgen und Selbstzahler" deren beide Teilhaber gegenüber dem Konkursamte, das Holz- und Warenlager zu Fr. 46'341.-- zu übernehmen. Das Konkursamt, für das I. handelte, erklärte sich bereit, mit der Einforderung dieses Betrages zuzuwarten, "bis die Ersteigerer ihre Hypothekarangelegenheiten geordnet haben...".
Am 5. Februar 1946 meldete I. den Übergang des Eigentums an der Fabrikliegenschaft auf die Firma St. & P. zur Eintragung ins Grundbuch an.
Eine vom 1. März 1946 datierte Vereinbarung zwischen St. und I. bestimmt, dass St. dem I. sein Wertschriftenvermögen zu treuhänderischer Verwaltung übergebe und dass I. bereit sei, St. wie bis anhin in allen Geschäfts- und Rechtsfragen zu beraten.
BGE 80 III 41 S. 46
Am 4. März 1946 hob der Gemeinderat von K. die Beiratschaft über St. auf, ohne vorher bei den Behörden, die die Beiratschaft früher geführt hatten, Erkundigungen eingezogen zu haben.
St. übergab dann seine Obligationen im Nennwerte von Fr. 191'700.-- dem I., der sie wie vereinbart bei einer Bank hinterlegte. Einen Check von Fr. 50'000.-- liess St. dem Geschäft gutschreiben.
E.-
Die geschäftliche Tätigkeit St.s wurde der Firma St. & P. bald zum Verhängnis. Er leistete zwar bedeutende Einzahlungen (bis zum 1. Juni 1946 ca. Fr. 175'700.--, bis zum 1. September 1946 ca. Fr. 212'100), machte aber auf der andern Seite grosse Bezüge aus dem Geschäft (bis 1. Juni 1946 ca. Fr. 124'900.--, bis 1. September 1946 ca. Fr. 151'400.--), sodass sich das dem Geschäft wirklich zur Verfügung gestellte Kapital nur auf rund Fr. 50'000.-- (1. Juni) bis Fr. 60'000.-- (1. September) belief. Die aus dem Geschäft zurückgezogenen Gelder und weitere Beträge, die er direkt von I. als Vorschüsse bezog, stellte er nach seinen Angaben vom März 1946 an einem gewissen F., den er in Campione getroffen, für "Import- und Exportgeschäfte" zur Verfügung, von denen er nur soviel wusste, dass sie illegal waren. Am 24. August 1946 bestätigte ihm F. den Empfang von insgesamt Fr. 123'000.-- und versprach Rückzahlung dieser Summe nebst einem Gewinn von mindestens 5% bis 31. Dezember 1946, hielt dieses Versprechen dann aber nicht.
Mit Erklärung vom 1. Juni 1946 verpflichtete sich St., der Firma durch I. bis spätestens 15. Juli 1946 Fr. 180'000.(bisherige Einzahlungen inbegriffen) als Geschäfts- und Betriebskapital zur Verfügung zu stellen, und zwar auf 5 Jahre fest. Dieser Verpflichtung kam er nicht nach, da der Firma von seinen Einzahlungen nach Abrechnung seiner Rückzüge eben schliesslich nur rund Fr. 60'000.-- verblieben.
Von Ende Juni 1946 an zog St. Wechsel für insgesamt mehr als Fr. 100'000.-- auf die Firma St. & P. und akzeptierte
BGE 80 III 41 S. 47
sie kraft seiner Einzelzeichnungsberechtigung, um sie durch die Wechselnehmer diskontieren zu lassen. Der Diskonterlös diente ihm vor allem zur Finanzierung der äusserst fragwürdigen Geschäfte des schlecht beleumdeten, wegen Betrugs und Unterschlagung vorbestraften, in Konkurs gefallenen und ausgepfändeten H., der ihm in einem Vertrag vom 19. Juli 1946 einen jährlichen Gewinnanteil von mindestens Fr. 40'000.-- versprach.
P. wusste von diesen Wechselgeschäften nichts, bis ihm am 2. August 1946 ein erster Wechsel über Fr. 6000.-- zur Zahlung vorgewiesen wurde. Von der "Vormundschaft St.s zur Zeit der konkursamtlichen Steigerung" hatte er nach seinen Aussagen Kenntnis erhalten, "als St. sich vertraglich verpflichtete, Fr. 180'000.-- in die Firma einzulegen", d.h. anfangs Juni 1946. Er hatte daraufhin eine Information über St. eingeholt, die ihm am 17. Juli 1946 zuging. Dieser Bericht wies auf die Herkunft St.s und auf die Vorstrafe vom Jahre 1940 hin und riet zur Vorsicht.
Am 2. September 1946 erstattete P. gegen St. Strafanzeige wegen Betrugs, begangen durch die Wechselzeichnungen. Am 1. Oktober 1946 trat St. mit sofortiger Wirkung aus der Kollektivgesellschaft aus. Am 5. Oktober 1946 wurde der Firma St. & P. (in Liq.) eine Nachlassstundung bewilligt. Am 29. März 1947 genehmigte die Nachlassbehörde den von der Kollektivgesellschaft und von P. persönlich vorgeschlagenen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung. St. kam in Konkurs. Am 1. Juli 1948 wurde er wegen ungetreuer Geschäftsführung und leichtsinnigen Konkurses zu 6 Monaten Gefängnis (durch die Untersuchungshaft getilgt) verurteilt.
Im Nachlassliquidationsverfahren über die Kollektivgesellschaft erhielten die Gläubiger 5. Klasse gemäss Schlussrechnung und Verteilungsplan vom 24. November 1950, die unangefochten blieben, eine Dividende von 55,9%. I., der Forderungen von Fr. 4575.-- (zwei Darlehen), Fr. 20'604.60 ("Bürgschaftsschuld bei der Bank ... für ein Konsortialkonto, eingegangen durch Wechsel") und
BGE 80 III 41 S. 48
Fr. 66'081.-- (aus Zahlung der Restforderung der Konkurskasse B. gegen die Firma St. & P.) angemeldet hatte, erhielt auf Grund eines im Kollokationsstreit mit der Nachlassmasse St. & P. abgeschlossenen Vergleichs eine Dividende von Fr. 30'000.--. Im Liquidationsverfahren über P. persönlich gingen die Gläubiger leer aus, weil die Kosten den Liquidationserlös aufzehrten. Auch im Konkurs über St. ergab sich keine Dividende.
F. - Nachdem P. dem I. am 17. Juni 1947 und dann wieder am 24. Mai 1948 einen Zahlungsbefehl für eine Schadenersatzforderung von Fr. 50'000.-- hatte zustellen lassen und der friedensrichterliche Sühnversuch vom 7. Oktober 1948 erfolglos geblieben war, leitete P. gegen I. am 17. November 1948 Klage auf Zahlung von Fr. 50'644.40 ein. Er machte dem Beklagten im wesentlichen zum Vorwurf, dass er unter Verschweigung der Beiratschaft ihm St. als Partner empfohlen, beim Abschluss des Übernahmevertrages und beim Handelsregistereintrag mitgewirkt, mit St. und dem Kläger zusammen einen Wechsel unterzeichnet und die Vereinbarung vom 31. Januar 1946 abgeschlossen habe, und dass er dem verbeirateten St. Vorschüsse gewährt, in missbräuchlicher Weise die Übernahme und Aufhebung der Beiratschaft betrieben, die Einräumung der Einzelunterschrift an St. geduldet und hinter seinem (des Klägers) Rücken grosse Auszahlungen für betriebsfremde (zum Teil dubiose) Zwecke vorgenommen und so St. zu unkorrekten und leichtfertigen Handlungen geradezu ermuntert habe. Er behauptete, durch dieses Verhalten habe der Beklagte ihn bewogen, sich mit St. einzulassen, und entscheidend dazu beigetragen, dass die Firma St. & P. und er (der Kläger) selber einen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung abschliessen mussten; für den hieraus entstandenen Schaden (Verlust der Geschäftseinlage, der privaten Möbel und einer Lebensversicherungspolice, nutzlose Aufwendungen für den Umzug nach K. usw., Schaden infolge Aufgabe der Möbelwerkstätte) sei der Beklagte nach
Art. 41 ff. und 97 ff. OR
und
Art. 5 SchKG
, eventuell
BGE 80 III 41 S. 49
auch wegen culpa in contrahendo haftbar. Der Beklagte erwiderte, er habe weder vertragliche noch ausservertragliche Pflichten gegenüber dem Kläger verletzt; für einen allfälligen Schaden seien einzig St. und der Kläger selber verantwortlich; eventuell sei seine Ersatzpflicht wegen der Mitverantwortung des Klägers und St.s zu ermässigen. In der Duplik machte er überdies "vorsorglich" geltend, dass jeder Schadenersatzanspruch des Klägers verjährt wäre. Im mündlichen Vortrag vor der ersten Instanz bestritt er ausserdem die Aktivlegitimation des Klägers, "weil eine etwaige Schadenersatzforderung in die Nachlassvertragsmasse der Kollektivgesellschaft St. & P. gefallen wäre."
Das erstinstanzliche Gericht erklärte die beiden zuletzt erwähnten Einreden als verspätet und zudem materiell unbegründet, bejahte die Haftung des Beklagten grundsätzlich und schätzte den dem Kläger erwachsenen Schaden auf Fr. 19'000.--, verurteilte aber den Beklagten nur zur Zahlung von Fr. 3000.--. Gründe zur Ermässigung der Schadenersatzpflicht erblickte es darin, dass ein Selbstverschulden des Klägers, das Verhalten St.s und weitere Umstände für den Eintritt des Schadens mitverantwortlich seien und dass dem Beklagten nicht ein vorsätzliches, sondern nur ein fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen sei. Das Obergericht, an das beide Parteien appellierten, hat den Gesamtschaden nach Durchführung einer Expertise auf Fr. 41'367.50 beziffert und den Beklagten mit Urteil vom 4. September 1953 verpflichtet, dem Kläger als Schadenersatz Fr. 8000 zu bezahlen.
G.-
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien die Berufung an das Bundesgericht erklärt, der Kläger mit dem Antrag auf Zusprechung von Fr. 41'367.50, der Beklagte mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die kantonalen Gerichte haben den Einwand, dem Kläger fehle die Aktivlegitimation, weil eine allfällige
BGE 80 III 41 S. 50
Schadenersatzforderung gegen den Beklagten in die Nachlassvertragsmasse gefallen wäre, in Anwendung des kantonalen Prozessrechts als verspätet bezeichnet, weil er nicht schon in der Klageantwortschrift, sondern erst in der mündlichen Verhandlung erhoben wurde. Ob hier die kantonalen Vorschriften über die Verwirkung von Einreden angewendet werden durften, oder ob die Vorinstanzen die mit dem erwähnten Einwand angeschnittene Frage des Bundesrechts auf Grund der von den Parteien rechtzeitig vorgebrachten Tatsachen von Amtes wegen zu prüfen hatten, kann dahingestellt bleiben. Den kantonalen Gerichten ist nämlich auf jeden Fall darin beizustimmen, dass der Einwand materiell unbegründet ist.
a) So wenig wie die Konkurseröffnung (vgl.
BGE 68 III 163
) berührt das Zustandekommen eines Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung die Aktivlegitimation des Schuldners. Der Nachlassschuldner bleibt wie der Konkursit bis zur Verwertung Inhaber der Ansprüche, die in die Liquidationsmasse fallen. Entzogen wird ihm nur das Recht, darüber zu verfügen (Art. 23 der Verordnung des Bundesgerichts betr. das Nachlassverfahren für Banken und Sparkassen vom 11. April 1935, der gemäss Art. 51 der Verordnung über vorübergehende Milderungen der Zwangsvollstreckung vom 24. Januar 1941 für die am 29. März 1947 bestätigten Nachlassverträge der Firma St. & P. und des Klägers persönlich galt; vgl. nunmehr
Art. 316 a SchKG
). Schon aus diesem Grunde kann keine Rede davon sein, dass der Kläger durch das Zustandekommen eines Liquidationsvergleichs die Aktivlegitimation mit Bezug auf die streitige Forderung verloren habe.
b) Dem Beklagten hilft es auch nichts, wenn man zu seinen Gunsten annimmt, er habe in Wirklichkeit nicht die Aktivlegitimation des Klägers, sondern nur dessen Befugnis zur Prozessführung bestreiten wollen. Aus einem Schreiben, das Rechtsanwalt Dr. S., der damalige Anwalt des Klägers, am 28. August 1947 an diesen gerichtet hat, und aus einem Schreiben von Rechtsanwalt Dr. B., dem Präsidenten
BGE 80 III 41 S. 51
des für beide Liquidationsverfahren gemeinsam bestellten Gläubigerausschusses, an Dr. S. vom 21. Oktober 1947 ergibt sich nämlich, dass die Frage, ob der Schadenersatzanspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten in die Liquidationsmasse falle oder nicht, dem Gläubigerausschuss vorgelegt wurde und dass dieser in seiner Sitzung vom 20. Oktober 1947 zur Auffassung gelangt ist, jener Anspruch gehöre nicht zur abgetretenen Vermögensmasse; überdies habe diese daran auch kein Interesse. Mit dieser Stellungnahme hat der Gläubigerausschuss nicht auf die Geltendmachung eines zur Masse gehörenden Anspruchs verzichtet, sondern entschieden, dass der in Frage stehende Anspruch überhaupt nicht zur Masse zu ziehen sei (wobei nur die Liquidationsmasse im Nachlassverfahren des Klägers persönlich gemeint sein konnte, weil der Anspruch auf Ersatz des Schadens, der dem Kläger aus dem Zusammenschluss mit St. und dem Zusammenbruch der Firma St. & P. erwachsen sein soll, offensichtlich nicht ein Aktivum dieser Firma bildete). Die Vorschrift, wonach dann, wenn die Liquidatoren und der Gläubigerausschuss auf die Geltendmachung eines Anspruchs der Masse verzichten, den Gläubigern die Abtretung gemäss
Art. 260 SchKG
anzubieten ist (Art. 37 der Verordnung vom 11. April 1935; heute
Art. 3161 SchKG
), war also entgegen der Ansicht des Beklagten nicht anwendbar. Es kann sich nur fragen, ob der Beschluss des Gläubigerausschusses vom 20. Oktober 1947 wie eine Verfügung des Konkursamtes, mit der die Einbeziehung eines Gegenstandes in die Konkursmasse abgelehnt wird (vgl.
BGE 64 III 36
), der Anfechtung durch Beschwerde unterlag und, wenn ja, ob die Gläubiger von jenem Beschluss in Kenntnis gesetzt wurden und so Gelegenheit zur Beschwerdeführung erhielten. Diese Frage braucht jedoch nicht näher untersucht zu werden, weil dem Kläger die Berechtigung, über den streitigen Anspruch zu verfügen, insbesondere ihn selber einzuklagen, heute nicht mehr abgesprochen werden könnte, selbst wenn im Liquidationsverfahren ein Fehler begangen worden wäre. Dieses
BGE 80 III 41 S. 52
Verfahren ist im Dezember 1950 zu Ende gegangen. Am 25. Januar 1951 erstatteten die Liquidatoren der Nachlassbehörde den Schlussbericht. Die streitige Forderung könnte daher selbst dann, wenn sie zur Liquidationsmasse gehört hätte, höchstens noch in entsprechender Anwendung von
Art. 269 SchKG
zugunsten der Nachlassgläubiger verwertet werden. Dies würde voraussetzen, dass man es mit einem erst nach Schluss des Liquidationsverfahrens entdeckten Vermögensstück zu tun hätte (vgl. Art. 269 Abs. 1). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil der Gläubigerausschuss die streitige Forderung kannte. (Dass sie allen Gläubigern bekannt gewesen sei, ist nicht erforderlich, um die Anwendung von
Art. 269 SchKG
auszuschliessen; vgl. BGE 23 S. 1726). Das Verfügungsrecht des Klägers über diese Forderung kann daher heute keinesfalls mehr in Frage gestellt werden. Die gleiche Lage bestand auch schon bei Erlass des erstinstanzlichen Urteils (18. Juli 1952). Es bedeutet daher keine Bundesrechtsverletzung, dass die kantonalen Gerichte auf die vom Kläger selber angehobene Klage eingetreten sind.
2.
Nach
Art. 142 OR
darf der Richter die Verjährung nicht von Amtes wegen berücksichtigen. Der Schuldner muss sie also im Prozess durch Erhebung einer Einrede geltend machen. Bis zu welchem Zeitpunkte dies geschehen kann, bestimmt sich nach kantonalem Prozessrecht. Wenn die Vorinstanzen die nicht schon in der Klageantwort, sondern erst in der Duplik erhobene Verjährungseinrede des Beklagten in Anwendung der kantonalen Zivilprozessordnung als verspätet erklärten, haben sie also damit keineswegs einen Satz des Bundesrechts verletzt. Im übrigen war die Verjährungseinrede ohne Zweifel unbegründet, weil der Kläger am 17. Juni 1947 und dann wieder am 24. Mai 1948 Betreibung und im Herbst 1948 die vorliegende Klage eingeleitet hatte (vgl.
Art. 135 Ziff. 2 OR
) und der Beklagte mit Recht nicht behauptet, dass die streitige Schadenersatzforderung schon vor der ersten Betreibung verjährt gewesen sei.
BGE 80 III 41 S. 53
3.
Die Vorinstanz hat wohl mit Recht nicht angenommen, dass der Schaden, den der Kläger geltend macht, darauf zurückzuführen sei, dass der Beklagte ihm gegenüber vertragliche Pflichten verletzt oder eine sog. culpa in contrahendo begangen habe, die nach der Rechtsprechung der I. Zivilabteilung (
BGE 68 II 303
f.,
BGE 77 II 137
) grundsätzlich (soweit dies nach der Natur der Verhältnisse möglich ist) wie eine Vertragsverletzung zu behandeln wäre. Ob man es mit einer vertraglichen Haftung nach
Art. 97 ff. OR
oder mit einer gesetzlichen Haftung nach
Art. 41 OR
zu tun habe, spielt im übrigen für die Beurteilung der Schadenersatzpflicht des Beklagten praktisch keine Rolle, weil die Bestimmungen über das Mass der Haftung bei unerlaubten Handlungen, insbesondere die
Art. 42-44 OR
, nach
Art. 99 Abs. 3 OR
auf das vertragswidrige Verhalten entsprechende Anwendung finden und die Unterschiede mit Bezug auf die Haftung für den von Angestellten verursachten Schaden (Art. 101 bzw. 55 OR) und die Verjährung im vorliegenden Falle nicht zur Geltung kommen.
Es ist auch nicht von wesentlicher Bedeutung, ob die Handlungen und Unterlassungen, die dem Beklagten vorgeworfen werden, unter den von der Vorinstanz als massgebend erachteten
Art. 41 OR
oder aber unter
Art. 5 SchKG
fallen. Die Schadenersatzpflicht nach
Art. 41 OR
und die Verantwortlichkeit nach
Art. 5 SchKG
setzen übereinstimmend ein widerrechtliches, schuldhaftes Verhalten voraus, durch das ein Schaden verursacht wurde. Die Begriffe der Widerrechtlichkeit, des Verschuldens, des Schadens und des Kausalzusammenhangs sind in beiden Fällen im gleichen Sinne aufzufassen. Für die Festsetzung des Schadens, die Bestimmung des Schadenersatzes und die Herabsetzung der Ersatzpflicht wegen Mitverursachung des Schadens durch vom Geschädigten zu vertretende Umstände gelten auch im Falle der Verantwortlichkeit nach
Art. 5 SchKG
die Vorschriften von
Art. 42-44 OR
(vgl.
BGE 31 II 349
= Sep.ausg. 8 S. 211). Die Haftung für den von Angestellten verursachten Schaden, die im
BGE 80 III 41 S. 54
SchKG eine von
Art. 55 OR
abweichende Regelung erfahren hat, kommt, wie schon bemerkt, im vorliegenden Falle nicht in Betracht. Auch die in
Art. 6 SchKG
vorgesehene subsidiäre Haftung des Kantons steht im gegenwärtigen Prozesse nicht zur Diskussion. Daher braucht hier nicht im einzelnen geprüft zu werden, ob der Beklagte die Handlungen und Unterlassungen, aus denen seine Schadenersatzpflicht hergeleitet wird, in seiner Stellung als Konkursbeamter oder als Privatmann begangen habe.
4.
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Beklagte die geschäftliche Verbindung zwischen dem Kläger und St. angebahnt. Er wies St. auf den Kläger und diesen auf St. als möglichen Partner für die Übernahme der Möbelfabrik B. hin und befürwortete das Zusammengehen der beiden Interessenten, indem er einerseits den Kläger gegenüber St. als soliden Fachmann bezeichnete und anderseits St. dem Kläger mindestens in der Weise empfahl, dass er die Gewähr für St.s Finanzkraft übernahm und St.s Verdienste um den Bürobetrieb der Möbelfabrik hervorhob. Dieses Verhalten war an und für sich noch nicht widerrechtlich. Wer in dieser Weise durch Auskünfte und Empfehlungen die Entschliessungen anderer Personen in für sie wichtigen Angelegenheiten zu bestimmen sucht, darf jedoch nach Treu und Glauben diese Personen nicht einseitig unterrichten. Er handelt nicht bloss dann widerrechtlich, wenn er wider besseres Wissen oder leichtfertig unrichtige positive Angaben macht, von deren Bedeutung für die Entschliessungen der Adressaten er sich Rechenschaft geben kann (vgl.
BGE 57 II 85
f. und dort zit. frühere Entscheidungen), sondern auch dann, wenn er Tatsachen verschweigt, die ihm bekannt sind und von denen er sich sagen muss, dass ihre Kenntnis den in Frage stehenden Entschluss beeinflussen könnte (so schon der die eben erwähnte Rechtsprechung eröffnende Entscheid vom 7. Dezember 1895 i.S. Laurer gegen Aeppli, Revue der Gerichtspraxis 14 Nr. 45, wo es auf S. 61 heisst, der Aussteller der Empfehlung habe dem Empfänger dasjenige,
BGE 80 III 41 S. 55
was er weiss, loyal, ohne Retizenz und Rückhalt, mitzuteilen). Diese Pflicht hat der Beklagte verletzt, indem er dem Kläger die ihm bekannte, für den Kläger beim Entscheid über die Verbindung mit St. offensichtlich bedeutsame Tatsache verheimlichte, dass St. unter Beiratschaft stand. Im übrigen blieb es nicht bei einer blossen Verschweigung, sondern der Beklagte nahm vor wie nach der Liegenschaftensteigerung eine Reihe von Handlungen vor, die den Kläger im Irrtum bestärken mussten, dass St. voll handlungsfähig sei, und zugleich entscheidend zur Verwirklichung der Partnerschaft zwischen dem Kläger und St. beitrugen (Mithilfe bei der Abfassung des Übernahmevertrages, Auszahlung von Fr. 31'000.-- für Rechnung St.s, Unterzeichnung eines Wechsels über Fr. 20'500.-- zusammen mit St. und dem Kläger zwecks Erlangung eines Bankkredites, Entgegennahme einer Zahlungsverpflichtung der Firma St. & P. mit Solidarbürgschaft der beiden Teilhaber, Anmeldung des Eigentumsübergangs an die Firma St. & P. zur Eintragung ins Grundbuch. Ob der Beklagte auch bei der Eintragung dieser Firma ins Handelsregister mitwirkte, kann dahingestellt bleiben, weil nichts darauf ankommt, ob der Beklagte auch noch in dieser Angelegenheit handelte, wie wenn St. voll handlungsfähig gewesen wäre).
5.
Die Verschweigung der Beiratschaft und die Förderung des beim Kläger bestehenden Irrtums durch das erwähnte weitere Verhalten des Beklagten waren nicht nur widerrechtlich, sondern auch grob schuldhaft. Dem Beklagten musste klar sein, dass der Kläger vor einem Entschlusse stand, der für seine wirtschaftliche Existenz die grösste Tragweite hatte, und dass er dabei weitgehend auf seine Auskünfte abstellte und auch abstellen musste, weil ihm zu anderweitigen einlässlichen Erkundigungen nicht mehr genügend Zeit blieb. Er konnte auch ohne weiteres erkennen, dass die Kenntnis der Beiratschaft für den Kläger bei seinem Entscheide sehr wichtig gewesen wäre, und voraussehen, dass die Verheimlichung dieser Tatsache dem
BGE 80 III 41 S. 56
Kläger Schaden bringen konnte. Er musste sich zudem vergegenwärtigen, dass seine amtliche Stellung von ihm zuverlässige Auskünfte erwarten liess. Aus allen diesen Gründen musste ihm in die Augen springen, dass eine rückhaltlose Aufklärung des Klägers dringend geboten sei. Er durfte sich nicht darauf verlassen, dass der Kläger von anderer Seite über die bestehende Beiratschaft unterrichtet werde. Namentlich durfte er keineswegs erwarten, dass St. selber bei den Vertragsverhandlungen mit dem Kläger diesen für ihn nicht vorteilhaften Umstand erwähnen werde. Ebensowenig durfte er sich beim Gedanken beruhigen, dass die Beiratschaft demnächst aufgehoben werde. Abgesehen davon, dass er nicht mit Sicherheit auf die baldige Aufhebung der Beiratschaft zählen konnte (tatsächlich dauerte das Verfahren länger als erwartet), musste er sich sagen, dass diese für den Kläger auch im Falle ihrer Aufhebung bedeutsam bleiben, nämlich ein wichtiges Moment für die Beurteilung des künftigen Partners bilden würde, geeignet, ihn von einer geschäftlichen Verbindung abzuhalten oder doch mindestens zur Ergreifung ganz besonderer Vorsichtsmassnahmen zu bestimmen. Für die Annahme, dass die Beiratschaft jede Berechtigung verloren habe und es völlig unbedenklich sei, mit St. eine Kollektivgesellschaft einzugehen und ihm dabei die einem Gesellschafter normalerweise zukommende Stellung einzuräumen, besass der Beklagte keine genügenden Anhaltspunkte. Insbesondere durfte er daraus, dass St. während einiger Monate unter seiner Aufsicht zu seiner Zufriedenheit auf dem Konkursamte und im Büro der Möbelfabrik gearbeitet hatte, keine so weit gehenden Schlüsse ziehen; dies um so weniger, als er es unterlassen hatte, sich über das Vorleben St.s und die Gründe der Beiratschaft eingehend zu erkundigen, obschon ihm dies leicht möglich gewesen wäre. Seine Vereinbarung mit St. vom 1. März 1946 lässt sich im übrigen kaum anders als damit erklären, dass er selber der Auffassung war, St. eigne sich nicht für die Verwaltung seines Vermögens und bedürfe eines Treuhänders, der ihn
BGE 80 III 41 S. 57
in allen geschäftlichen Fragen berate. Selbst wenn er aber St. - unvorsichtigerweise - voll vertraut hätte, was er mit dem Hinweis auf die an St. geleisteten Vorschüsse zu beweisen sucht, hätte er sich nicht für berechtigt halten dürfen, dem Kläger die Beiratschaft zu verschweigen und ihn so daran zu hindern, in voller Sachkenntnis über die ihm empfohlene Verbindung mit St. zu entscheiden.
6.
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat sich der Kläger auf die empfehlenden Auskünfte verlassen. Mit der Vorinstanz darf aber auch angenommen werden, dass er nicht bereit gewesen wäre, die Möbelfabrik gestützt auf die Zusicherung St., dass er die nötigen Mittel zur Verfügung stellen werde, zwecks gemeinsamer Übernahme zu ersteigern und mit St. eine Kollektivgesellschaft einzugehen, wenn er gewusst hätte, dass St. unter Beiratschaft stand. Diese - ihrer Natur nach hypothetische und daher (vgl.
BGE 68 II 270
,
BGE 76 II 15
) der Überprüfung durch das Bundesgericht unterliegende - Annahme wäre nach der Lebenserfahrung, auf die derartige Annahmen sich stützen müssen, höchstens dann nicht gerechtfertigt, wenn besondere Umstände, namentlich Charaktereigenschaften und Geschäftsgewohnheiten des Klägers, dargetan wären, die darauf schliessen liessen, dass ihm grobe Unvorsichtigkeiten zuzutrauen waren. Solche Umstände sind nicht ersichtlich. Der Kläger war im Dezember 1945 immerhin gut 40 Jahre alt. Er hatte eine fachmännische Ausbildung mit Erfolg absolviert und seit Jahren ein eigenes Geschäft geführt. Sein persönlicher und fachlicher Leumund war, ungeachtet einiger ökonomischer Schwierigkeiten, durchaus gut. Es liegt nichts dafür vor, dass er sich etwa früher schon in leichtfertiger Weise auf gewagte Geschäfte eingelassen habe. Zu missbilligen ist allerdings seine Beteiligung an dem mit Bn. abgeschlossenen pactum de non licitando. Abgesehen davon, dass bei diesem Geschäfte nach den Aussagen Bn.s St. die treibende Kraft gewesen zu sein scheint, genügt aber diese Einzeltatsache nicht zur Begründung
BGE 80 III 41 S. 58
der Annahme, dass er leichtsinnig genug gewesen wäre, sich trotz Kenntnis der Beiratschaft mit St. zu verbinden. Die widerrechtliche und schuldhafte Verheimlichung der Beiratschaft, die dem Beklagten zur Last fällt, ist also für diese Verbindung und damit auch für den daraus entstandenen Schaden kausal.
7.
Der Beklagte will nicht gelten lassen, dass der Kläger schon durch das "Zusammenspannen" mit St. geschädigt worden sei. Er behauptet, eine allfällige Schädigung des Klägers sei auf andere Umstände zurückzuführen, für die er nicht verantwortlich sei.
Um die Ersatzpflicht des Beklagten für den Schaden zu begründen, den der Kläger infolge des Zusammenbruchs der Firma St. & P. erlitten hat, ist jedoch nicht der Nachweis erforderlich, dass das unerlaubte Verhalten des Beklagten für sich allein zu diesem Schaden geführt habe. Es genügt, wenn der Beklagte eine Ursache des Schadenserfolges gesetzt hat, wenn dieser also ohne das rechtswidrige Verhalten des Beklagten nicht eingetreten wäre, gleichviel, ob noch andere Ereignisse dazukommen mussten, um den Eintritt des Schadens zu bewirken, vorausgesetzt nur, dass der Kausalzusammenhang ein adäquater sei (
BGE 51 II 521
/22). Letzteres ist dann der Fall, wenn das rechtswidrige Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der Erfahrung des Lebens an sich geeignet war, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, und daher der Eintritt dieses Erfolgs durch jenes konkrete Verhalten allgemein als begünstigt erscheint (
BGE 57 II 39
und dortige Hinweise,
BGE 64 II 204
). Dieses Voraussetzungen sind erfüllt.
Es ist allerdings möglich, dass der Kläger mit einem geringern Schaden davongekommen wäre, wenn die Beiratschaft nicht aufgehoben worden wäre. Daraus ist jedoch keineswegs zu schliessen, dass die Aufhebung der Beiratschaft den Kausalzusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Verhalten des Beklagten und dem vom Kläger tatsächlich erlittenen Schaden unterbrochen habe. Die
BGE 80 III 41 S. 59
schon seit dem Sommer 1945 angestrebte Aufhebung der Beiratschaft, für die sich der Beklagte gleich nach der Steigerung persönlich einsetzte, bildet kein ausserordentliches, aus dem gewöhnlichen Lauf der Dinge herausfallendes Ereignis. Nachdem der Beklagte dem Kläger unter Verschweigung der Beiratschaft die Verbindung mit St. empfohlen und dann die Entbeiratung betrieben hatte, um die effektive Beteiligung St.s an der Möbelfabrik zu ermöglichen (und sich selber für die in Voraussicht der Entbeiratung geleisteten, mangels Mitwirkung des 8cirates ungültigen Darlehen Deckung zu verschaffen), wäre er im übrigen nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, den Kläger auf jeden Fall im Zeitpunkte, da St. die Verfügung über sein Vermögen erlangte, darauf aufmerksam zu machen, dass St. eine recht bewegte Vergangenheit habe und nun seine ersten selbständigen geschäftlichen Schritte tue und daher sehr sorgfältig überwacht werden müsse. Wollte er dies nicht tun, so hätte er zum allermindesten selber für eine solche Kontrolle sorgen müssen, um den Kläger vor dem Schaden zu bewahren, der ihm aus der unter seiner (des Beklagten) Mitwirkung geschaffenen Lage unverkennbar drohte (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER N. 13 zu
Art. 41 OR
, S. 282 oben; BECKER, 2. Auflage, N. 55 zu
Art. 41 OR
, und dortige Hinweise). Weder das eine noch das andere hat der Beklagte getan, sondern er liess St. einfach draufloswirtschaften und führte dessen Zahlungsaufträge aus, ohne sich zu vergewissern, ob er sein Geld zu vernünftigen Zwecken verwende. Auch dieses Verhalten war widerrechtlich und schuldhaft und trug zur Schädigung des Klägers bei. Dass die Vormundschaftsbehörde ihrerseits fehlerhaft handelte, indem sie beim Entscheid über das Aufhebungsgesuch im wesentlichen einfach auf die Angaben St.s und die Empfehlungen des Beklagten abstellte, ändert hieran nichts.
Der Kausalzusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Verhalten des Beklagten und dem Schaden wurde auch
BGE 80 III 41 S. 60
nicht durch das äusserst leichtsinnige und krass pflichtwidrige Verhalten St.s unterbrochen, das die unmittelbare Ursache des Zusammenbruchs der Firma bildete. Es lag nach der allgemeinen Lebenserfahrung durchaus im gewöhnlichen Lauf der Dinge, dass St., der wenige Jahre vorher wegen des schwachen Charakters, den sein Vorleben offenbart hatte, insbesondere wegen seiner mangelhaften Widerstandskraft gegenüber der Beeinflussung durch unlautere Personen, verbeiratet worden war, unter den Einfluss vertrauensunwürdiger Geschäftemacher wie F. und H. geriet und sich als unzuverlässiger und pflichtvergessener Gesellschafter erwies.
Endlich kann der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Verhalten des Beklagten und dem Schaden auch nicht mit der Behauptung in Frage gestellt werden, der Kläger habe es seinerseits an der nötigen Vorsicht, namentlich an einer genügenden Kontrolle St.s, fehlen lassen und hätte (was übrigens erst vor Bundesgericht und zudem ohne hinlängliche Substantiierung geltend gemacht wird) den Zusammenbruch trotz den Wechselgeschäften St.s vermeiden können, "wenn er den Kopf und Verstand nicht verloren hätte", so dass er sich den Schaden selber zuzuschreiben habe. Soweit dem Kläger vorzuwerfen ist, dass er Massnahmen versäumt habe, die den Schaden hätten verhüten oder vermindern können, kann es sich dabei nur um einen Grund zur Herabsetzung der Ersatzpfiicht im Sinne von
Art. 44 Abs. 1 OR
handeln.
Das festgestellte widerrechtliche und schuldhafte Verhalten des Beklagten ist demnach als rechtserhebliche Ursache des Schadens anzusehen, den der Kläger infolge der geschäftlichen Verbindung mit St. und des Zusammenbruchs der Firma St. & P. erlitten hat, und begründet somit für den Beklagten die Pflicht, diesen Schaden nach Massgabe von Art. 43/44 OR zu ersetzen (während die Verletzung von
Art. 129 SchKG
, die der Beklagte durch die über 20 Tage hinausgehende Stundung des Kaufpreises
BGE 80 III 41 S. 61
für das Holz- und Warenlager beging, entgegen der Auffassung der Vorinstanz kaum zur Begründung der Schadenersatzpflicht des Beklagten gegenüber dem Kläger herangezogen werden kann, weil
Art. 129 SchKG
offenbar nur den Schutz der Gläubiger und des Schuldners im Betreibungs- bezw. Konkursverfahren bezweckt, das zur Versteigerung geführt hat; vgl.
BGE 30 II 571
f.,
BGE 75 II 212
f.).
8.
Bei der Festsetzung des Schadens handelt es sich im wesentlichen um eine Tat- und Ermessensfrage. Der Beklagte behauptet mit Recht nicht, dass die Vorinstanz bei Beurteilung dieser Frage einen Satz des Bundesrechts verletzt habe. Die Feststellung der Vorinstanz, dass der dem Kläger entstandene Schaden sich auf Fr. 41'367.50 belaufe, ist daher für das Bundesgericht massgebend.
9.
Ob das Verschulden des Beklagten als Absicht oder als Fahrlässigkeit zu qualifizieren sei, kann dahingestellt bleiben. Wie schon festgestellt, war sein Verhalten auf jeden Fall grob schuldhaft, so dass sich aus der Grösse des Verschuldens (
Art. 43 Abs 1 OR
) kein Grund für eine Ermässigung der Ersatzpflicht ergibt.
Dass der Beklagte die Verbindung zwischen dem Kläger und St. aus reiner Gefälligkeit (in der Meinung, den beiden damit einen guten Dienst zu erweisen) gefördert habe und im Hinblick auf diesen Umstand nach
Art. 43 Abs. 1 OR
eine gewisse Schonung verdiene, kann nicht anerkannt werden. Es liegt auf der Hand, dass der Beklagte für seine Bemühungen in dieser Sache von St. ein Honorar erwartete und hoffte, St. auch weiterhin gegen Entgelt geschäftlich beraten zu können. Zudem war ihm wegen seiner Vorschüsse an der Entbeiratung St.s und damit auch an dessen Verbindung mit dem Kläger gelegen, die dazu herhalten musste, das Gesuch um Aufhebung der Beiratschaft zu begründen.
Der Umstand, dass das Verschulden Dritter (insbesondere St.s) für den Eintritt des Schadens mitverantwortlich ist, könnte, da dieses Verschulden, wie festgestellt, den
BGE 80 III 41 S. 62
Kausalzusammenhang zwischen dem Verschulden des Beklagten und dem Schaden nicht unterbrochen hat, nur dann zu einer Entlastung des Beklagten führen, wenn dass Drittverschulden das Verschulden des Beklagten in milderem Lichte erscheinen liesse (
BGE 66 II 119
und dort erwähnte Entscheide). Hievon kann keine Rede sein.
Ein Umstand, der es rechtfertigt, den Beklagten nicht den vollen Schaden tragen zu lassen, ist hingegen darin zu erblicken, dass als Folge des rechtswidrigen Verhaltens des Klägers zwar eine empfindliche Schädigung des Klägers vorausgesehen werden konnte, dass aber eine Katastrophe, wie sie dann eingetreten ist, doch an der äussersten Grenze des Voraussehbaren lag.
Daneben liegen Umstände vor, die eine Herabsetzung der Ersatzpflicht nach
Art. 44 Abs. 1 OR
rechtfertigen.
Auch wenn der Beklagte den St. unter Verschweigung der Beiratschaft empfohlen hatte und dem Kläger vor der Steigerung keine Zeit zu einlässlichen Erhebungen blieb, welche die ihm verheimlichte Tatsache hätten ans Licht bringen können, musste sich der Kläger doch sagen, dass es nicht ratsam sei, auf Grund einer einzigen Empfehlung mit einem ihm bisher völlig unbekannten Manne zusammen ein Geschäft zu übernehmen und die bisherige Existenz aufzugeben, selbst wenn die Empfehlung von einer anscheinend vertrauenswürdigen Person ausging. Er konnte immerhin vermuten, dass der Beklagte am Zustandekommen der Verbindung zwischen St. und ihm irgendwie interessiert sei. Merkwürdig musste ihm auch erscheinen, dass er als Ersteigerer der Fabrik auftreten sollte, obwohl nicht er, sondern allein St. das für den Erwerb und Betrieb des Unternehmens nötige Geld besass. Dazu kam, dass das pactum de non licitando mit Bn., wenn es von St. angeregt wurde, auf diesen ein nicht eben günstiges Licht warf. Indem sich der Kläger gleichwohl auf die Verbindung mit St. einliess, handelte er nicht sehr vorsichtig. Auf jeden Fall aber gaben die erwähnten Umstände und die Tatsache, dass St. offensichtlich ein
BGE 80 III 41 S. 63
ganz junger Mann war, der sich im Geschäftsleben erst noch bewähren musste, dem Kläger Anlass, die Geschäftstätigkeit seines Partners aufmerksam zu verfolgen. Das tat er nicht. Er gab sich vielmehr nur mit dem technischen Betrieb ab und liess St. im kaufmännischen Bereich ohne Kontrolle schalten und walten. Diese Unvorsichtigkeit war eine Mitursache des Schadens. Hätte sich nämlich der Kläger auch nur die Mühe genommen, die Buchhaltung laufend zu prüfen, so hätten ihm sehr bald die hohen Bezüge St.s aus dem Geschäft auffallen müssen, die nach dem Kapitalkonto St. schon in den beiden ersten Monaten (Januar und Februar 1946) zusammen mehr als Fr. 22'000.ausmachten und bis Ende März 1946 auf mehr als Fr. 82'000.-- anstiegen, (während z.B. das Holz- und Warenlager unbezahlt blieb). Es darf angenommen werden, dass es dem Kläger, wenn er diese verdächtigen Bezüge St.s sofort festgestellt hätte, noch möglich gewesen wäre, durch umsichtiges Vorgehen den Schaden wenn nicht ganz, so doch zu einem erheblichen Teil zu verhüten. Er hätte die Möglichkeit gehabt, nähern Aufschluss über diese Bezüge zu verlangen, den Beklagten zu alarmieren und St. die Vertretungsbefugnis zu entziehen (
Art. 565 Abs. 1 OR
) und eine vorläufige Verfügung des Richters (
Art. 565 Abs. 2 OR
) zu erwirken, wenn St. sich nicht bereit gefunden hätte, freiwillig auf die Einzelunterschrift zu verzichten, oder er hätte das Verhältnis mit St. überhaupt auflösen können. Durch solche Massnahmen oder auch durch eine Intervention bei der Vormundschaftsbehörde dem gänzlichen Zerfall von St.s Vermögen und namentlich auch den Ende Juni 1946 einsetzenden Wechselgeschäften St.s zuvorzukommen, wäre ihm vermutlich um so eher möglich gewesen, wenn er die einlässlichen Erkundigungen, die normalerweise dem Vertragsabschluss mit St. und der Ersteigerung der Fabrik hätten vorausgehen sollen, aber aus Zeitnot unterblieben waren, dann wenigstens gleich nach der Steigerung nachgeholt hätte, wie es angezeigt gewesen wäre. Vielleicht hätte sich das
BGE 80 III 41 S. 64
Schlimmste sogar noch verhüten lassen, wenn er anfangs Juni 1946, als ihm bekannt wurde, dass ihm die Beiratschaft verheimlicht worden war, mit grösserer Umsicht und Energie vorgegangen wäre.
Der Mangel an Vorsicht, der dem Kläger hienach vorzuwerfen ist, erscheint im Vergleich zum Verschulden des Beklagten nicht als so geringfügig, dass er bei der Bemessung der Ersatzpflicht des Beklagten ausser Betracht zu lassen wäre. Das grobe Verschulden des Beklagten bleibt aber doch die Hauptursache des Schadens. Zusammen mit dem Umstande, dass ein Schaden von diesem Ausmass immerhin nur schwer vorauszusehen war, rechtfertigt das Selbstverschulden des Klägers eine Ermässigung der Ersatzpflicht um ein Drittel.
10.
Verzugszins schuldet der Beklagte, da eine frühere Mahnung nicht dargetan ist, von der ersten Betreibung, d.h. vom 17. Juni 1947 an.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung des Beklagten wird abgewiesen, die Berufung des Klägers teilweise gutgeheissen und das Urteil des Obergerichtes vom 4. September 1953 dahin abgeändert, dass der Beklagte verpflichtet wird, dem Kläger Fr. 27'578.30 nebst 5% Zins seit 17. Juni 1947 zu bezahlen. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
38236988-ed4b-4b6c-9d02-e6250abe995f | Urteilskopf
126 V 334
57. Urteil vom 22. September 2000 i.S. Visana gegen F. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 32 Abs. 1 und
Art. 56 Abs. 1 KVG
;
Art. 7 und 8a KLV
;
Art. 9 Abs. 3 KLV
(sowohl in der bis Ende 1997 gültig gewesenen wie auch in der ab 1. Januar 1998 geltenden Fassung); Art. 10, 13, 24 und 27 BV: Spitex-Leistungen.
- Frage der Wirtschaftlichkeit der Behandlung im Verhältnis zwischen Hauspflege (Spitex-Leistungen) und der Pflege im Pflegeheim.
- Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind die Spitex-Kosten nicht mit den Gesamtkosten eines Pflegeheimaufenthaltes zu vergleichen, sondern mit den Kosten, welche vom Krankenversicherer effektiv zu übernehmen sind. Die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit darf jedoch nicht anhand einer strikten Gegenüberstellung der beiden Kostenbeträge erfolgen.
- Bedeutung grundrechtlicher Aspekte in diesem Zusammenhang. | Sachverhalt
ab Seite 335
BGE 126 V 334 S. 335
A.-
F., geboren 1949, leidet an Myatonia congenita mit Tetraparese und ist deshalb auf intensive Pflege angewiesen. Sie arbeitet teilzeitlich als Maltherapeutin am Ausbildungszentrum X und lebt seit Jahren in einer 2-Zimmer-Wohnung, wo ihr verschiedene, von ihr selber ausgewählte Personen die notwendigen Pflegeleistungen erbringen. Am 3. Mai 1996 erkundigte sie sich beim Vertrauensarzt der Visana, bei der sie u.a. obligatorisch für Krankenpflege versichert ist, nach dem Umfang der Spitex-Leistungen. Nachdem die Visana der Spitex-Organisation Y zunächst mitgeteilt hatte, dass die im Umfang von 6 3/4 Stunden im Tag beanspruchten Leistungen mit Ausnahme der Haushalthilfekosten bis vorläufig 30. September 1996 vergütet würden, teilte sie der Versicherten am 13. März 1997 mit, aus der Grundversicherung werde lediglich ein Betrag von 40 Franken im Tag, entsprechend den bei Aufenthalt in einem Pflegeheim zu erbringenden Leistungen, ausgerichtet. Im Anschluss an ein Schreiben des Ombudsmanns der sozialen Krankenversicherung holte die Visana bei Dr. med. A. eine weitere vertrauensärztliche Beurteilung ein, beauftragte die Pflegeexpertin K. mit einer Abklärung des Pflegebedarfs und ersuchte die Spitex-Organisation Y um Auskunft über die fachliche Qualifikation des eingesetzten Pflegepersonals und die Anstellungsverhältnisse. Nachdem Dr. med. A. erneut eine Stellungnahme abgegeben und über die Ergebnisse eines Besuches bei der Versicherten zu Hause berichtet hatte, erliess die Visana am 24. September 1998 eine Verfügung, mit welcher sie der Versicherten eröffnete, dass an die Spitex-Rechnungen ab 1. Oktober 1996 bis auf weiteres aus der obligatorischen Krankenversicherung nur noch ein dem kantonalen Pflegeheimbeitrag entsprechender Betrag von 40 Franken im Tag für 1996 und 70 Franken im Tag für 1997 und 1998 vergütet werde. Mit Einspracheentscheid vom 25. November 1998 hielt sie an dieser Verfügung fest.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher F. beantragte, die Visana sei zu verpflichten, die Kosten für die notwendige Pflege zu Hause im Umfang von maximal fünf Stunden im Tag zu übernehmen, wurde vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich in dem Sinne gutgeheissen, dass der Einspracheentscheid vom 25. November 1998 aufgehoben und festgestellt wurde, dass die Visana der Versicherten für die Zeit ab 1. Oktober 1996 die Kosten für die Pflege zu Hause auch insoweit zu ersetzen hat, als sie über die bei der Pflege in einem Heim zu übernehmenden Kosten hinausgehen (Entscheid vom 28. Januar 2000).
BGE 126 V 334 S. 336
C.-
Die Visana führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.
F. und das Bundesamt für Sozialversicherung beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 24 KVG
übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für die Leistungen gemäss den Art. 25-31 nach Massgabe der in den
Art. 32-34 KVG
festgelegten Voraussetzungen. Die Leistungen umfassen u.a. Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die ambulant, bei Hausbesuchen, stationär, teilstationär oder in einem Pflegeheim durch Personen durchgeführt werden, die auf Anordnung oder im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin Leistungen erbringen (Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziff. 3 KVG). Der Leistungsbereich wird in
Art. 7 KLV
näher umschrieben.
b) Bei Aufenthalt in einem Pflegeheim (
Art. 39 Abs. 3 KVG
) vergütet der Versicherer gemäss
Art. 50 KVG
die gleichen Leistungen wie bei ambulanter Krankenpflege und bei Krankenpflege zu Hause; er kann mit dem Pflegeheim pauschale Vergütungen vereinbaren. Für Spitex-Leistungen konnten die Tarifverträge nach
Art. 9 Abs. 3 KLV
in der bis Ende 1997 gültig gewesenen Fassung vorsehen, dass ein bestimmter Zeitbedarf pro Tag oder Woche in der Regel nicht überschritten werden darf (Zeitbudget). In dem in RKUV 1999 Nr. KV 64 S. 64 publizierten Urteil D. vom 18. Dezember 1998 hat das Eidg. Versicherungsgericht festgestellt, dass sich diese Bestimmung im Rahmen der dem Departement des Innern auf Grund von
Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG
subdelegierten Regelungskompetenz hält und nicht gegen Bundesrecht verstösst.
Die seit 1. Januar 1998 in Kraft stehende Fassung von
Art. 9 Abs. 3 KLV
(AS 1997 2039) erwähnt keine zeitliche Einschränkung mehr; die Tarife werden nach Art und Schwierigkeit der notwendigen Leistungen abgestuft. Auf den gleichen Zeitpunkt wurde mit
Art. 8a KLV
eine Bestimmung über das Kontroll- und Schlichtungsverfahren bei Krankenpflege zu Hause in die KLV eingefügt. Nach Abs. 3 dieser Norm dient das Verfahren der Überprüfung der Bedarfsabklärung sowie der Kontrolle von Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen. Die ärztlichen Aufträge oder Anordnungen sind zu überprüfen, wenn voraussichtlich mehr als 60 Stunden pro Quartal benötigt werden; bei voraussichtlich
BGE 126 V 334 S. 337
weniger als 60 Stunden pro Quartal sind systematische Stichproben vorzunehmen. Das nach alt
Art. 9 Abs. 3 KLV
massgebende Zeitbudget wurde damit durch eine blosse Kontrollvorschrift ersetzt. Unverändert ist geblieben, dass über eine bestimmte Grenze hinaus (früher je nach Tarifvertrag, neu 60 Stunden) Leistungen nur erbracht werden nach einer vorgängigen Prüfung der Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Massnahme.
c) Im Kanton Zürich war für das Jahr 1997 kein Spitex-Tarifvertrag zu Stande gekommen. Der vom Regierungsrat des Kantons Zürich für die Dauer des vertragslosen Zustandes festgesetzte Tarif wurde auf Beschwerde sowohl der Krankenversicherer als auch der Spitex-Organisationen hin vom Bundesrat mit Entscheid vom 27. April 1998 aufgehoben; gleichzeitig wurde der Beitrag der Krankenkassen an die Taxen der Spitex-Organisationen auf 55 Franken pro Pflegestunde festgesetzt (was dem bereits 1996 gültig gewesenen Stundentarif entsprach). Es galt damit auch kein vertragliches Zeitbudget, wie es
Art. 9 Abs. 3 KLV
in der bis Ende 1997 gültig gewesenen Fassung vorsah. Am 1. Januar 1998 trat ein Spitex-Vertrag zwischen dem Verband Zürcher Krankenversicherer (VZKV) und dem Spitex-Verband Kanton Zürich in Kraft, welcher u.a. bestimmt, dass die Krankenversicherer in begründeten Fällen oder Fallgruppen über
Art. 8a Abs. 3 KLV
hinaus Leistungen bis zu 80 Stunden pro Quartal ohne besondere Kontrollmassnahmen übernehmen und für die Massnahmen der Behandlungspflege ein Tarif von 65 Franken und für solche der Grundpflege (Mischrechnung) ein Tarif von Fr. 51.40 pro Stunde gilt.
2.
a) In dem in RKUV 1999 Nr. KV 64 S. 64 veröffentlichten Urteil D. vom 18. Dezember 1998 hat das Eidg. Versicherungsgericht ein Begehren um erweiterten Spitex-Einsatz (360 Stunden im Quartal zusätzlich zu den im Rahmen des Spitex-Vertrages mit Zeitbudget gemäss
Art. 9 Abs. 3 KLV
bewilligten 90 Stunden) im Lichte der Zweckmässigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Massnahme geprüft. Ausgehend davon, dass im konkreten Fall unter medizinischen Gesichtspunkten sowohl ein erweiterter Spitex-Einsatz als auch ein Aufenthalt in einem Pflegeheim als zweckmässig und wirksam zu betrachten waren, hat es den beantragten erweiterten Spitex-Einsatz unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit der Massnahme beurteilt und ist im Hinblick darauf, dass die Kosten des Spitex-Einsatzes die vom Krankenversicherer bei Aufenthalt in einem Pflegeheim zu tragenden Kosten um mehr als das Fünffache überstiegen hätten, zum Schluss gelangt, dass der
BGE 126 V 334 S. 338
streitige Spitex-Einsatz nicht als wirtschaftlich im Sinne von
Art. 56 KVG
qualifiziert werden könne.
Die Anwendbarkeit des Wirtschaftlichkeitsgebotes bedeutet nicht, dass die Krankenversicherer befugt sind, die Vergütung der Spitex-Dienste stets auf jene Leistungen zu beschränken, die sie bei Aufenthalt in einem Pflegeheim zu gewähren hätten. Wie das Eidg. Versicherungsgericht im erwähnten Urteil D. vom 18. Dezember 1998 festgestellt hat, darf die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit nicht anhand einer strikten Gegenüberstellung der dem Krankenversicherer entstehenden Kosten eines Spitex-Einsatzes einerseits und eines Pflegeheimaufenthaltes anderseits erfolgen. Wenn aber - bei gleicher Zweckmässigkeit der Massnahmen - zwischen den Kosten eines Spitex-Einsatzes und denjenigen des Aufenthaltes in einem Pflegeheim ein grobes Missverhältnis besteht, kann der Spitex-Einsatz auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Versicherten nicht mehr als wirtschaftlich angesehen werden (RKUV 1999 Nr. KV 64 S. 70 Erw. 4b). Dies hat auch dann zu gelten, wenn der Spitex-Einsatz im konkreten Fall als zweckmässiger und wirksamer zu betrachten ist als ein an sich ebenfalls zweckmässiger und wirksamer Heimaufenthalt (vgl. hiezu MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel/Frankfurt a.M. 1996, S. 52).
b) Aus den Materialien geht hervor, dass der Gesetzgeber die Leistungen für Hauspflege mit dem KVG ausbauen wollte in der Meinung, dass die Hauspflege der Pflege in einem Spital oder Pflegeheim in der Regel vorzuziehen und den Versicherten soweit möglich eine Pflege in der gewohnten Umgebung zu Hause zu gewährleisten ist (BBl 1992 I 152; Amtl. Bull. 1993 N 1824 f. und 1839). Daraus lässt sich entgegen einer in der Literatur vertretenen Meinung (DUC, Jurisprudence et établissements médico-sociaux bzw. Contribution à une critique de la jurisprudence, beide Beiträge in: 1366 jours d'application de la LAMal [Colloque de Lausanne 1999], Lausanne 2000, S. 101-106 bzw. S. 109-111 [vgl. diesbezüglich auch die zahlreichen Wortmeldungen im Rahmen der Plenumsdiskussion: S. 119 ff.]; ders., Du plafonnement des soins à domicile lorsqu'un placement en établissement médico-sociale serait moins onéreux pour l'assureur-maladie, in: AJP 1999 S. 999, und Quelques réflexions sur le dernier projet de modification de la LAMal soumis à la procédure de consultation, in: AJP 1999 S. 1114) jedoch nicht ableiten, dass der Anspruch auf Hauspflege dem Wirtschaftlichkeitsgebot grundsätzlich vorgeht und im Rahmen der
BGE 126 V 334 S. 339
vom Gesetz vorgesehenen Leistungen keine Wirtschaftlichkeitsprüfung zu erfolgen hat. Dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Behandlung kommt im Leistungsrecht der sozialen Krankenversicherung generelle Bedeutung zu. Nach der auch unter der Herrschaft des KVG massgebenden Rechtsprechung zu
Art. 23 KUVG
(
BGE 124 V 365
Erw. 1b mit Hinweisen) bezieht sich das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht nur auf Art und Umfang der durchzuführenden diagnostischen und therapeutischen Massnahmen, sondern auch auf die Behandlungsform, insbesondere die Frage, ob eine bestimmte Massnahme ambulant oder stationär (bzw. teilstationär) durchzuführen ist und in welche Heilanstalt oder Abteilung einer solchen die versicherte Person vom medizinischen Standpunkt aus gehört (
BGE 101 V 68
ff.; RKUV 1988 Nr. K 754 S. 9 ff.). Was die Abgrenzung der Leistungen für Spital- und Pflegeheimaufenthalt betrifft, verlangt das Kriterium der Wirtschaftlichkeit auch nach neuem Recht, dass ein Aufenthalt in einem Akutspital zum Spitaltarif nur so lange möglich ist, als vom Behandlungszweck her ein Aufenthalt in einem Akutspital notwendig ist (
BGE 124 V 362
). Desgleichen kann sich - bei Langzeitpatienten - die Frage der Wirtschaftlichkeit der Behandlung im Verhältnis zwischen Hauspflege (Spitex-Leistungen) und der Pflege in einem Pflegeheim stellen. Die Bestimmungen von alt
Art. 9 Abs. 3 KLV
und von neu
Art. 8a KLV
machen den erweiterten Spitex-Einsatz denn auch von einer Wirtschaftlichkeitsprüfung im Sinne von
Art. 56 Abs. 1 KVG
abhängig (vgl. hiezu GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, Rz 269).
c) Nicht gefolgt werden kann der an der Rechtsprechung erhobenen Kritik auch insoweit, als geltend gemacht wird, im Rahmen einer allfälligen Wirtschaftlichkeitsprüfung seien die Spitex-Kosten mit den Gesamtkosten eines Pflegeheimaufenthaltes zu vergleichen, weil davon auszugehen sei, dass auch bei Aufenthalt in einem Pflegeheim Anspruch auf Spitalleistungen bestehe, sobald eine Hauspflege nicht mehr möglich sei (DUC, in: AJP 1999 S. 999 f.). Zum einen haben Versicherte, die trotz der ihnen gebotenen Pflege nicht mehr zu Hause bleiben können, keinen Anspruch auf die in
Art. 49 Abs. 3 KVG
für den Fall eines Spitalaufenthaltes vorgesehenen Leistungen, solange die in einem Pflegeheim gewährte Pflege ihren Bedürfnissen entspricht (
BGE 125 V 177
ff.). Zum andern ging es in dem in RKUV 1999 Nr. KV 64 S. 64 veröffentlichten Urteil gerade nicht um einen Fall, wo eine Pflege zu Hause nicht möglich
BGE 126 V 334 S. 340
ist, sondern um einen solchen, wo sowohl eine Hauspflege als auch eine Pflege in einem Pflegeheim möglich und zweckmässig ist und sich unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit die Frage stellt, welche Leistungen der Krankenversicherer zu erbringen hat. Dass dabei nicht von den Gesamtkosten eines Pflegeheimaufenthaltes, sondern von den Kosten auszugehen ist, welche vom Krankenversicherer effektiv zu übernehmen sind, hat das Eidg. Versicherungsgericht bereits im Urteil D. vom 18. Dezember 1998 ausgeführt (RKUV 1999 Nr. KV 64 S. 71 Erw. 4c). Abgesehen davon, dass die Gesamtkosten auch die Aufenthaltskosten (Unterkunft und Verpflegung) umfassen, für die der Krankenversicherer nicht aufzukommen hat, soll das Wirtschaftlichkeitsgebot die Krankenversicherer (und indirekt die Versichertengemeinschaft) vor ungebührlicher Inanspruchnahme schützen, weshalb der Kostenvergleich auf der Grundlage der vom Versicherer zu erbringenden Leistungen zu erfolgen hat. Die finanziellen Auswirkungen, welche die Wahl einer bestimmten Massnahme für die versicherte Person zur Folge hat, sind im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäss
Art. 56 Abs. 1 KVG
mit zu berücksichtigen.
d) Was schliesslich die von der Beschwerdegegnerin erwähnten grundrechtlichen Aspekte betrifft, ist festzustellen, dass die Freiheitsrechte, insbesondere das Recht auf persönliche Freiheit (
Art. 10 BV
) und Schutz der Privatsphäre (
Art. 13 BV
) sowie die Niederlassungsfreiheit (
Art. 24 BV
) und die Wirtschaftsfreiheit (
Art. 27 BV
) nicht absolut gelten und Beschränkungen zulässig sind, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind; zudem dürfen die verfassungsmässigen Freiheitsrechte weder völlig unterdrückt noch ihres Gehaltes als Institution der Rechtsordnung entleert werden (
Art. 36 BV
; vgl. auch
Art. 5 Abs. 1 und 2 BV
;
BGE 124 I 42
Erw. 3a mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall geht es zudem nicht um einen eigentlichen Grundrechtseingriff, sondern um eine bloss mittelbare Beeinträchtigung der Grundrechte (vgl. hiezu CHRISTIAN SCHÜRER, Grundrechtsbeschränkungen durch Nichtgewähren von Sozialversicherungsleistungen, in: AJP 1997 S. 3 ff.). Aus solchen Beschränkungen vermögen die Betroffenen keine direkten Leistungsansprüche gegenüber dem Staat geltend zu machen. Hingegen ist bei der Auslegung sozialversicherungsrechtlicher Leistungsnormen sowie bei der Ermessensüberprüfung den Grundrechten und verfassungsmässigen Grundsätzen Rechnung zu tragen, soweit dies im Rahmen von
Art. 191 BV
möglich ist (
BGE 113 V 32
Erw. 4d mit
BGE 126 V 334 S. 341
Hinweisen; zur Anwendbarkeit dieser zu
Art. 113 Abs. 3 und
Art. 114bis Abs. 3 aBV
ergangenen Rechtsprechung: RKUV 2000 Nr. KV 118 S. 151). Daraus folgt, dass die berechtigten Interessen der versicherten Person bei der Beurteilung des Leistungsanspruchs angemessen zu berücksichtigen sind, was sich indessen bereits aus
Art. 56 Abs. 1 KVG
ergibt, wonach bei der Behandlung auf die Interessen der Versicherten Rücksicht zu nehmen ist. Mit der Bezugnahme auf die Interessen der Versicherten in
Art. 56 Abs. 1 KVG
wird zum Ausdruck gebracht, dass der Begriff der Wirtschaftlichkeit der Behandlung nicht eng ausgelegt werden darf (vgl. FRANÇOIS-X. DESCHENAUX, Le précepte de l'économie du traitement dans l'assurance-maladie sociale, en particulier en ce qui concerne le médecin, in: Sozialversicherungsrecht im Wandel, Festschrift 75 Jahre EVG, Bern 1992, S. 536 f.).
3.
a) Vertrauensarzt Dr. med. A. führt in seinem Bericht vom 27. März 1998 aus, es entspreche einem persönlichen Wunsch der Versicherten, zu Hause gepflegt zu werden. Selbstverständlich könne sie damit ihren individuellen Bedürfnissen als teilerwerbstätige Behinderte besser gerecht werden; medizinisch lasse sich daraus jedoch nicht ableiten, dass eine Pflege nur in Form von Spitex-Diensten möglich sei. Die Frage des Vertrauensarztes, ob ein Krankenheim (wie beispielsweise der Stadtärztliche Dienst oder das Krankenheim Z.) in der Lage wäre, die Versicherte angemessen zu pflegen, wurde von der Pflegeexpertin dahin beantwortet, ihrer Auffassung nach sei ein Pflegeheim mit den ortsüblichen Strukturen nicht in der Lage, die Versicherte so zu pflegen, dass sie mobil bleiben und weiterhin ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen könnte. Nach Einsicht in den Abklärungsbericht der Pflegeexpertin und Vornahme eines persönlichen Augenscheins gelangte der Vertrauensarzt zum Schluss, die Versicherte könne aus medizinischer Sicht in einem Pflege- oder Krankenheim, wie beispielsweise im Krankenheim Q., kompetent gepflegt werden (Bericht vom 3. Juli 1998). Daraus ist zu schliessen, dass unter rein pflegerischen Aspekten eine zweckmässige und wirksame Betreuung in einem Pflegeheim möglich wäre, was auch von der Pflegeexpertin nicht in Abrede gestellt wird. Fraglich ist dagegen, ob die Versicherte bei Aufenthalt in einem Pflegeheim weiterhin ihrer Teilerwerbstätigkeit nachzugehen vermöchte. Nach den im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten Stellungnahmen verschiedener zürcherischer Pflegeinstitutionen dürfte dies kaum der Fall sein. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Beschwerdegegnerin bei Aufenthalt in einem
BGE 126 V 334 S. 342
Pflegeheim die bisherige Tätigkeit als maltherapeutische Ausbildnerin aufgeben und wohl auch auf jede andere Erwerbstätigkeit ausserhalb des Heimes verzichten müsste. Nach den Angaben im Pflegegutachten ist die bisher im Rahmen eines Arbeitspensums von 30% bis 50% ausgeübte Erwerbstätigkeit für die Beschwerdegegnerin aber von existenzieller Bedeutung, indem sie dabei die ihr verbleibenden Fähigkeiten einsetzen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Mit dem pflegebedingten Entzug dieser Tätigkeit würde die Beschwerdegegnerin nicht nur eine erhebliche Einbusse an Lebensqualität erleiden, sondern es müsste damit gerechnet werden, dass sich der körperliche und psychische Zustand verschlechtern würde, wie Hausarzt Dr. med. L. in einem Bericht vom 20. Oktober 1998 bestätigt. Unter diesen Umständen ist der Vorinstanz darin beizupflichten, dass der Aufenthalt in einem Pflegeheim keine wirksame und zweckmässige Massnahme darstellt oder zumindest als weniger wirksam und zweckmässig als die Pflege zu Hause zu gelten hat. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von dem im Urteil D. vom 18. Dezember 1998 (RKUV 1999 Nr. KV 64 S. 64) beurteilten Sachverhalt.
b) Nach dem Gesagten hat die Visana die streitigen Spitex-Leistungen zu vergüten, soweit die Kosten für die Pflege zu Hause nicht in einem groben Missverhältnis zu den bei Aufenthalt in einem Pflegeheim aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu tragenden Kosten stehen. Im Bericht der Pflegeexpertin vom Januar 1998 wird der Pflegebedarf (für Massnahmen der Grundpflege) mit etwa fünf Stunden im Tag angegeben, woran im Zusatzbericht vom 11. März 1998 weitgehend festgehalten wird. Der Vertrauensarzt nimmt demgegenüber einen Pflegebedarf von durchschnittlich lediglich rund drei Stunden im Tag an, sofern die Pflege durch Fachpersonen oder zumindest unter Anleitung und Aufsicht solcher Personen durchgeführt wird. Wird von den Angaben der Pflegeexpertin und den von der Beschwerdeführerin herangezogenen Berechnungsgrundlagen ausgegangen, so liegen die Kosten für die Spitex-Leistungen von 257 Franken im Tag (5 Stunden à Fr. 51.40) rund 3,5 mal höher als der Pflegeheimbeitrag von 70 Franken im Tag. Wenn die Vorinstanz bei dieser Sachlage ein grobes Missverhältnis zwischen den Spitex-Kosten und den Kosten bei Aufenthalt in einem Pflegeheim verneint hat, so dürfte sich dies auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des konkreten Falles an der oberen Grenze des Vertretbaren halten. Im Hinblick darauf, dass die Spitex-Lösung unter den gegebenen Umständen als erheblich
BGE 126 V 334 S. 343
zweckmässiger und wirksamer zu gelten hat, besteht indessen kein Anlass, in das dem kantonalen Gericht bei der Wirtschaftlichkeits- und Verhältnismässigkeitsprüfung zustehende Ermessen einzugreifen. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass die Beschwerdeführerin für die geltend gemachten Spitex-Dienste von durchschnittlich fünf Stunden im Tag aufzukommen hat. Im Sinne der vorinstanzlichen Erwägungen wird vielmehr näher zu prüfen sein, inwieweit es sich bei der erbrachten Pflege effektiv um Leistungen handelt, welche nach
Art. 7 Abs. 2 KLV
von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind.
c) Bei der Neubeurteilung der Leistungspflicht wird des Weiteren zu beachten sein, dass im Rahmen der Krankenpflegeversicherung nur Kosten für Massnahmen vergütet werden können, die von zugelassenen Leistungserbringern durchgeführt werden (
Art. 35 KVG
). Wie das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 126 V 330
festgestellt hat, verstösst es nicht gegen Bundesrecht, wenn die Leistungspflicht der Krankenversicherer bei Hauspflege auf zugelassene Krankenschwestern und Krankenpfleger sowie Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause beschränkt wird (
Art. 38 KVG
in Verbindung mit
Art. 49 und 51 KVV
; vgl. auch
Art. 7 Abs. 1 KLV
). Im vorliegenden Fall wurde die notwendige Hauspflege zwar durch die Spitex-Organisation Y in Rechnung gestellt. Die Beschwerdegegnerin sucht sich das Pflegepersonal indessen selber und sorgt für die notwendige Anlehre und Anleitung. Nach den Angaben im Bericht des Vertrauensarztes vom 3. Juli 1998 fand jedenfalls bis im Sommer 1998 keine Betreuung oder Unterstützung dieser Personen durch die Spitex-Organisation statt. Auf Grund der von der Beschwerdeführerin bei der Spitex-Organisation Y eingeholten Stellungnahme vom 9. Mai 1998 ist anzunehmen, dass die Pflege teilweise durch Personen erfolgt, die nicht als Leistungserbringer zugelassen sind. Über die Spitex-Organisation lief lediglich die Entlöhnung, was eine fehlende Zulassung nicht zu ersetzen vermag. Inwieweit die streitigen Massnahmen effektiv durch zugelassene Leistungserbringer verrichtet wurden und damit nach
Art. 7 KLV
im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu entschädigen sind, wird von der Beschwerdeführerin näher abzuklären sein. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
38240cda-2912-4423-a81b-c9514cdff1bd | Urteilskopf
97 I 540
74. Auszug aus dem Urteil vom 17. September 1971 i.S. Kallenberger gegen Schweiz. Schulrat. | Regeste
Angestelltenordnung (BRB vom 10. November 1959/8. Januar 1971). Kündigung des Probeverhältnisses durch die Verwaltung.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1).
2. Gründe für die Kündigung. Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 5 und 6).
3. Anspruch des Angestellten auf ein Dienstzeugnis (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 540
BGE 97 I 540 S. 540
Aus dem Tatbestand:
A.-
Lic. iur. Werner Kallenberger war vom 13. Juli 1970 an wissenschaftlicher Assistent am Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung (ORL-Institut) der Eidg. Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) im Probeverhältnis nach Art. 3 Abs. 4 der Verordnung vom 10. November 1959 über das Dienstverhältnis der Angestellten der allgemeinen Bundesverwaltung (Angestelltenordnung, Ango). Seine Anstellung war vom Vorsteher des ORL-Instituts, Professor Rotach, beantragt worden. Kallenberger wurde halbtägig in der Dokumentationsstelle des Instituts beschäftigt. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war der Leiter dieser Stelle, Dr. Kläusli, der dem Assistenz-Professor Lendi unterstellt war.
BGE 97 I 540 S. 541
Bald ergaben sich Differenzen zwischen den Professoren Rotach und Lendi einerseits und Kallenberger anderseits. Diesem wurde deshalb die Kündigung nahegelegt, doch kam er der Empfehlung nicht nach. Mit Verfügung vom 22. Oktober 1970 kündigte der Präsident der ETHZ, Professor Hauri, gemäss Antrag des Institutsvorstehers das Dienstverhältnis Kallenbergers auf Ende November 1970. Zur Begründung wurde ausgeführt, es habe sich gezeigt, dass Kallenberger sich für die Mitarbeit im ORL-Institut nicht eigne. Er habe es vor allem am nötigen Willen zur Einordnung fehlen lassen und sei nicht ohne weiteres bereit gewesen, die allgemein verbindlichen administrativen Regeln zu beachten, so dass es rasch zu Diskussionen über Instanzen, Zuständigkeiten und die Organisation des Instituts im allgemeinen gekommen sei; auch seien Meinungsverschiedenheiten über Nebenpunkte entstanden. Unter den gegebenen Umständen sei es nicht möglich, dass sich das unerlässliche Vertrauensverhältnis zwischen der Institutsleitung und Kallenberger einstelle.
B.-
Kallenberger focht die Kündigung durch Beschwerde beim Schweizerischen Schulrat an. Er beantragte, seine Entlassung sei rückgängig zu machen. Ferner verlangte er, dass ihm Professor Rotach und Dr. Kläusli je ein Dienstzeugnis ausstellten, das sich über seine Leistungen und sein Verhalten ausspreche.
Der Schweizerische Schulrat wies die Beschwerde am 29. Januar 1971 ab. Er erwog, eine materielle Überprüfung des Kündigungsgrundes im Beschwerdeverfahren sei grundsätzlich ausgeschlossen. "Unzulässig wäre höchstens eine offensichtlich grundlose, d.h. willkürliche Kündigung." Von einer solchen könne hier nicht gesprochen werden. Übrigens wäre der Rekurs auch bei materieller Überprüfung des Kündigungsgrundes abzulehnen. Aus den Darlegungen des Institutsleiters und des Beschwerdeführers selber gehe hervor, dass das für eine dauernde Anstellung erforderliche Vertrauensverhältnis nicht zustande gekommen sei. Für die Ausstellung eines Dienstzeugnisses sei der Institutsleiter zuständig. Er werde dem Beschwerdeführer nach rechtskräftiger Erledigung der Beschwerde das verlangte Zeugnis abgeben.
C.-
Kallenberger hat gegen den Entscheid des Schulrats gemäss der ihm darin. erteilten Rechtsmittelbelehrung Beschwerde beim Bundesrat erhoben. Er beantragt, der angefochtene
BGE 97 I 540 S. 542
Entscheid sei aufzuheben; eventuell sei die Sache an den Schulrat zur Überprüfung der Kündigungsgründe zurückzuweisen, wobei Dr. Kläusli und die Mitarbeiter des Beschwerdeführers einzuvernehmen seien. Ausserdem wird verlangt, dass eine Untersuchung über Arbeitsweise, Organisation und Personalpolitik des ORL-Instituts durchgeführt werde.
Es wird geltend gemacht, der Schulrat hätte den Sachverhalt einlässlich untersuchen müssen. Triftige Gründe für die Entlassung des Beschwerdeführers seien nicht angegeben worden und seien auch nicht zu finden. Der wirkliche Grund sei gewesen, dass er sich jederzeit zu den erörterten Problemen klar und bestimmt geäussert, seine Rechte voll ausgenützt und sich für ein "demokratisches Modell des ORL-Instituts" eingesetzt habe. Damit lasse die Kündigung sich nicht rechtfertigen. Insbesondere könne nicht beanstandet werden, dass der Beschwerdeführer kurz nach dem Antritt der Stelle nähere Angaben über die für sein Dienstverhältnis massgebenden Bestimmungen verlangt und den Institutsleiter über dessen Funktion und Kompetenzen befragt habe. Der Beschwerdeführer sei als wissenschaftlicher Assistent am ORL-Institut, als Student der Soziologie an der Universität Zürich und als Doktorand der Rechte in der Lernfreiheit beeinträchtigt worden.
Der unmittelbare Vorgesetzte des Angestellten könne dessen Leistungen und Verhalten am besten beurteilen und müsse daher ebenfalls berechtigt sein, ein sich darüber aussprechendes Zeugnis auszustellen. Nirgends sei bestimmt, dass ein solches Zeugnis erst nach der rechtskräftigen Erledigung einer Beschwerde abzugeben sei.
D.-
Das Eidg. Departement des Innern hat die an den Bundesrat gerichtete Beschwerde Kallenbergers, soweit damit der Entscheid des Schulrates angefochten wird, an das Bundesgericht überwiesen mit der Bemerkung, es werde das in der Eingabe gestellte Begehren um Durchführung einer allgemeinen Untersuchung beim ORL-Institut dem Bundesrat als Aufsichtsbehörde unterbreiten. Es beantragt, wie auch der Schulrat, die Abweisung der an das Gericht weitergeleiteten Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Schulrat hat den angefochtenen Entscheid am 29. Januar 1971 gefällt, so dass für die Zuständigkeit und das Verfahren zur Beurteilung der dagegen gerichteten Beschwerde
BGE 97 I 540 S. 543
die seit 1. Oktober 1969 in Kraft stehenden revidierten Bestimmungen des OG massgebend sind (Ziff. III BG vom 20. Dezember 1968 über die Änderung des OG).
Nach
Art. 97 OG
beurteilt das Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne des Art. 5 BG über das Verwaltungsverfahren (VwG). Der angefochtene Entscheid des Schulrates ist eine solche Verfügung. Der Schulrat ist letzte Instanz einer autonomen eidgenössischen Anstalt im Sinne von
Art. 98 lit. d OG
. Diese Bestimmung lässt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen solcher Instanzen zu, soweit nicht das Bundesrecht die vorgängige Beschwerde oder Klage an eine Instanz im Sinne von lit. b, c oder g vorsieht. Eine bundesrechtliche Vorschrift dieses Inhalts besteht für den vorliegenden Fall nicht. Im Gegenteil bezeichnet die Angestelltenordnung als Beschwerdeinstanz für Beschwerdeentscheide des Schulrates in nicht vermögensrechtlichen Angelegenheiten des Dienstverhältnisses ausdrücklich das Bundesgericht, soweit Verfügungen in solchen Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegen (Art. 39 lit. d Ziff. 3 und Art. 78, Fassung gemäss BRB vom 8. Januar 1971, in Kraft gesetzt auf 1. Januar 1971).
Es liegt keiner der Fälle vor, in denen nach
Art. 99-102 OG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgeschlossen ist. Insbesondere trifft keine der Ausnahmen zu, die
Art. 100 lit. e OG
auf dem Gebiete des Dienstverhältnisses von Bundespersonal vorsieht. Namentlich gehört der angefochtene Entscheid nicht zu den Verfügungen "über die erstmalige Begründung des Dienstverhältnisses und über die Beförderung" nach lit. e Ziff. 1. Vielmehr hat er die Beendigung eines Dienstverhältnisses zum Gegenstand. Er unterliegt daher der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Begehren des Beschwerdeführers, es sei eine allgemeine Untersuchung über die Verhältnisse im ORL-Institut durchzuführen, richtet sich nicht gegen eine Verfügung im Sinne des Art. 5 VwG (Anordnung im Einzelfall). Mit diesem Antrag kann das Bundesgericht sich daher nicht befassen. Er ist ihm denn auch nicht zur Beurteilung überwiesen worden.
4.
Das Probeverhältnis, in dem der Beschwerdeführer angestellt war, ist nicht zum voraus befristet worden. Es konnte auf Ende November 1970 nur durch Kündigung nach Art. 8 oder aus wichtigen Gründen gemäss
Art. 77 Ango
aufgelöst
BGE 97 I 540 S. 544
werden. Der Präsident der ETHZ hat es auf diesen Zeitpunkt gekündigt. Dabei hat er sich an die formellen Vorschriften des
Art. 8 Abs. 2 Ango
gehalten, indem er die Kündigung schriftlich unter Angabe der Gründe auf das Ende des ihr folgenden Monats ausgesprochen hat. Der Beschwerdeführer bestreitet dies nicht, macht aber geltend, dass ein triftiger Kündigungsgrund nicht bestanden habe.
5.
Der Schulrat ist der Meinung, die Gründe der von der Verwaltung ausgesprochenen Kündigung eines der Angestelltenordnung unterstellten Dienstverhältnisses, insbesondere eines Probeverhältnisses, könnten im Beschwerdeverfahren "grundsätzlich" nicht überprüft werden. Würde anders entschieden, so müsste nach seiner Ansicht auch im Falle der Kündigung durch den Angestellten selber eine "materiell im Detail überprüfbare" Begründung verlangt werden, was aber "zu Recht als unzumutbar empfunden würde". Er nimmt an, es müsse gleich wie im Dienstvertragsrecht eine "beidseitige uneingeschränkte Kündigungsmöglichkeit" bestehen.
Dieser Betrachtungsweise kann nicht zugestimmt werden. Der Hinweis des Schulrates auf das Dienstvertragsrecht geht fehl. Im Gegensatz zum privatrechtlichen Dienstverhältnis kann das den Bestimmungen der Angestelltenordnung unterworfene, öffentlichrechtliche Anstellungsverhältnis nach Art. 8 Abs. 2 dieser Verordnung von beiden Seiten nur unter Angabe der Gründe gekündigt werden. Welche Tragweite das Erfordernis der Begründung im Falle der Kündigung seitens des Angestellten hat, braucht hier nicht untersucht zu werden. Jedenfalls muss angenommen werden, dass die Verwaltung das öffentlichrechtliche Anstellungsverhältnis nur kündigen darf, wenn sie sich auf triftige Gründe berufen kann. Ob solche Gründe bestehen, muss im Beschwerdeverfahren überprüft werden können; denn andernfalls wäre die Vorschrift, dass die Verwaltung im Kündigungsschreiben die Gründe angeben muss, kaum verständlich und hätte die Ordnung, welche dem Angestellten die Weiterziehung der von der Verwaltung ausgesprochenen Kündigung auf dem Beschwerdeweg bis ans Bundesgericht ermöglicht, wenig Sinn.
Nach der Auffassung des Schulrates könnte eine von der Verwaltung vorgenommene, formell einwandfreie Kündigung eines Angestelltenverhältnisses auf Beschwerde hin "höchstens" dann unzulässig erklärt werden, wenn sie "offensichtlich
BGE 97 I 540 S. 545
grundlos, d.h. willkürlich" wäre. Aber auch dieser Standpunkt erweist sich als unrichtig. Die Gründe, aus denen die Verwaltung das Verhältnis kündigen kann, sind nicht nur durch das Verbot der Willkür begrenzt. Nach der Angestelltenordnung bestehen engere Schranken. Ein wichtiger Grund im Sinne des Art. 77 der Verordnung, d.h. ein Umstand, der die fristlose Entlassung des Angestellten rechtfertigen würde, braucht allerdings nicht vorzuliegen. Erforderlich ist aber, dass angenommen werden kann, der Angestellte sei nicht geeignet oder nicht fähig, den ihm zugewiesenen Dienstposten zu versehen.
Art. 3 Abs. 4 Ango
bestimmt ausdrücklich, dass der Angestellte im Probeverhältnis ein Bediensteter ist, "der sich vorerst über Fähigkeit und Eignung auszuweisen hat". Demnach muss die Verwaltung ein Anstellungsverhältnis kündigen können, wenn sich herausstellt, dass der Angestellte die Fähigkeit oder die Eignung für die Erfüllung der ihm übertragenen Aufgabe nicht besitzt. "Fähigkeit" und "Eignung" sind Begriffe des Bundesrechts. Ihre Auslegung und Anwendung im Einzelfall ist im Beschwerdeverfahren nicht nur unter dem beschränkten Gesichtspunkte des Willkürverbots, sondern grundsätzlich frei zu überprüfen. Indessen handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, bei deren Anwendung jeweils die Leistungen und das Verhalten des Angestellten zu würdigen sind. Zu dieser Würdigung sind am besten die Vorgesetzten imstande, welche die Leistungen und das Verhalten der zu beurteilenden Person im Umgang mit ihr haben verfolgen können. Daher ist der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen und überprüft das Bundesgericht ihren Entscheid mit Zurückhaltung (vgl.
BGE 96 I 373
, 683).
Diese Grundsätze sind auch im Falle des Probeverhältnisses zu beachten, das ja nach
Art. 3 Abs. 4 Ango
dazu dient, die Fähigkeit und die Eignung eines Bediensteten zu erproben. Immerhin dürfen hinsichtlich der Gründe, aus denen die Verwaltung dieses schon seiner Natur nach lockere Verhältnis kündigen darf, nicht zu strenge Anforderungen gestellt werden. Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass die Gründe so gewichtig sind wie diejenigen, aus denen die Verwaltung ein definitives Angestelltenverhältnis kündigen kann. Die Kündigung des Probeverhältnisses durch die Verwaltung muss zulässig sein, wenn die Annahme, dass der Ausweis der Fähigkeit oder der Eignung des Angestellten nicht erbracht ist oder voraussichtlich
BGE 97 I 540 S. 546
nicht erbracht werden kann, auf Grund der Wahrnehmungen der Vorgesetzten hinlänglich gerechtfertigt erscheint. Es entspricht dem Charakter des Probeverhältnisses, dass der Verwaltung in dieser Hinsicht ein weiter Beurteilungsspielraum belassen wird.
Wenn die von der Verwaltung ausgesprochene Kündigung des Probeverhältnisses im Beschwerdeverfahren in diesem Rahmen überprüft wird, so wird damit das Verhältnis entgegen der Meinung des Schulrates nicht "zwecklos gemacht". Die Anstellung auf Probe soll dem Angestellten ermöglichen, während einer gewissen Zeit seine Fähigkeit und seine Eignung unter Beweis zu stellen. Dieser Zweck könnte aber durch eine von der Verwaltung ausgehende Kündigung, die sich nicht auf einen triftigen Grund im Sinne des oben Gesagten stützen lässt, gerade vereitelt werden.
Der Schulrat ist denn auch im hier angefochtenen Entscheid von dem grundsätzlichen Standpunkt, den er zunächst vertreten hat, schliesslich doch abgewichen, indem er in freier Weise geprüft hat, ob der im Kündigungsschreiben des Präsidenten der ETHZ angegebene Grund - Fehlen der Eignung - zutreffe.
6.
Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass die Vorinstanz untersucht hat, ob der Beschwerdeführer nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür biete, dass künftig eine reibungslose Zusammenarbeit mit ihm im ORL-Institut möglich sei. Wer zu solcher Zusammenarbeit nicht imstande oder bereit ist, eignet sich in der Tat nicht für den Dienst in der öffentlichen Verwaltung.
Eine weitere Abklärung des Sachverhalts ist nicht erforderlich. Es erübrigt sich, zu allen Vorwürfen, die gegenüber dem Beschwerdeführer erhoben worden sind, Stellung zu nehmen.Von Bedeutung ist jedenfalls die unbestrittene Tatsache, dass der Beschwerdeführer bereits zu Beginn seines Dienstverhältnisses den Institutsvorsteher gefragt hat, welche Aufgaben und Kompetenzen dieser habe. Wie sich aus dem ganzen Zusammenhang und auch aus den Darlegungen in der Beschwerdeschrift ergibt, hat der Beschwerdeführer diese Frage nicht bloss zur Befriedigung eines Bedürfnisses nach sachlicher Aufklärung gestellt, sondern in der Absicht, den Institutsleiter anschliessend in die Schranken zu weisen. Dieses Verhalten eines Angestellten im Probeverhältnis ist ein Anzeichen dafür, dass es ihm am erforderlichen Willen zur Einordnung in den Dienstbetrieb gebricht.
BGE 97 I 540 S. 547
Es vermag zusammen mit dem sonstigen befremdlichen, vorlauten Gebaren, durch das der Beschwerdeführer sich im Dienst bemerkbar gemacht hat, den von den Hochschulbehörden gezogenen Schluss zu rechtfertigen, dass es ihm weniger auf eine fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Institut ankam als darauf, Unruhe in dieses zu tragen. Die Folgerung, dass deshalb von ihm auch in Zukunft keine Bereitschaft zu möglichst guter Zusammenarbeit zu erwarten sei und er sich daher für die dauernde Verwendung im Institut nicht eigne, ist nicht zu beanstanden; sie hält sich im Rahmen des den Schulbehörden zustehenden Beurteilungsspielraumes.
Der Einwand des Beschwerdeführers, er sei in der "Lernfreiheit" beeinträchtigt worden, ist abwegig. Aus ihr kann auf keinen Fall ein Anspruch darauf, Angestellter des Bundes zu werden oder zu bleiben, abgeleitet werden.
Das Begehren des Beschwerdeführers, die Kündigung sei rückgängig zu machen, erweist sich daher als unbegründet.
7.
Nach
Art. 69 Ango
ist das Dienstzeugnis von der "vorgesetzten Amtsstelle" auszustellen. Wie der angefochtene Entscheid feststellt, ist hier der Direktor des ORL-Instituts dafür zuständig. Er hat dem Beschwerdeführer bereits ein Zeugnis ausgestellt, das sich allerdings über dessen Leistungen und Verhalten nicht ausspricht. Das Begehren des Beschwerdeführers, es sei ihm ein vom unmittelbaren Vorgesetzten Dr. Kläusli ausgestelltes - ausführliches - Zeugnis abzugeben, ist unbegründet. Es wird nicht behauptet und ist nicht anzunehmen, dass eine besondere Vorschrift oder Anordnung besteht, nach welcher Dr. Kläusli dafür zuständig wäre. Das weitere Begehren des Beschwerdeführers, es sei ihm ein vom Direktor des Instituts ausgestelltes Zeugnis mit Beurteilung seiner Leistungen und seines Verhaltens auszuhändigen, ist gegenstandslos; denn mit dem Urteil des Bundesgerichts wird das Beschwerdeverfahren rechtskräftig abgeschlossen, und für diesen Fall hat die Hochschulbehörde dem Beschwerdeführer die Ausstellung eines solchen Zeugnisses zugesichert, wobei sie zu behaften ist.
Der Auffassung des Beschwerdeführers, dass dem Angestellten auf Verlangen schon vor der rechtskräftigen Erledigung einer von ihm erhobenen Beschwerde ein auch seine Leistungen und sein Verhalten würdigendes Zeugnis auszustellen sei, ist freilich zuzustimmen. Die Angestelltenordnung gibt dem Angestellten einen Anspruch auf ein solches Zeugnis, den er jederzeit
BGE 97 I 540 S. 548
geltend machen kann und dem jederzeit zu entsprechen ist. Das Zeugnis soll dem Angestellten vor allem die Suche nach einer neuen Stellung erleichtern. Es geht daher nicht an, ihn auf das Zeugnis, das er verlangt, bis zum Ende eines hängigen Rechtsstreites warten zu lassen. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
3826a4f9-64e9-4463-8602-a25db6f9c275 | Urteilskopf
94 III 17
4. Entscheid vom 27. März 1968 i.S. Schüpbach | Regeste
Ein Bevormundeter, der Gläubiger einer Lohnforderung ist, kann im Konkurs des Arbeitgebers nicht selbständig die Abtretung von Rechtsansprüchen der Masse (
Art. 260 SchKG
) verlangen und gegen die Verweigerung oder den Widerruf einer solchen Abtretung Beschwerde führen, selbst wenn man annimmt,
Art. 412 ZGB
gelte auch für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in abhängiger Stellung (Frage offen gelassen) und die Vormundschaftsbehörde habe dem Bevormundeten die hier vorgesehene Bewilligung erteilt. | Sachverhalt
ab Seite 17
BGE 94 III 17 S. 17
Hans W. Schüpbach ist im Konkurs des Baugeschäftes Probau AG als Gläubiger einer Lohnforderung von Fr. 3'150.-- in 5. Klasse kolloziert. Am 4. August 1967 trat ihm
BGE 94 III 17 S. 18
die Konkursverwaltung auf sein Begehren Rechtsansprüche der Masse im Sinne von
Art. 260 SchKG
ab. Am 8. November 1967 widerrief sie diese Abtretungen, weil sie erfahren hatte, dass Schüpbach bevormundet ist, und weil Schüpbach die ihm für die gerichtliche Geltendmachung der abgetretenen Ansprüche gesetzte Frist nicht eingehalten hatte. Der Vormund widerrief die Mahnungen und Betreibungen, zu denen Schüpbach auf Grund der Abtretungen geschritten war.
Auf die Beschwerde, mit welcher Schüpbach eine Verlängerung der Frist für die gerichtliche Geltendmachung der abgetretenen Ansprüche verlangte, trat die untere Aufsichtsbehörde am 9. Januar 1968 nicht ein. Die obere kantonale Aufsichtsbehörde wies den Rekurs Schüpbachs gegen diesen Entscheid am 9. Februar 1968 ab.
Den Entscheid der obern kantonalen Aufsichtsbehörde hat Schüpbach an das Bundesgericht weitergezogen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer tritt auf den Rekurs nicht ein.
Erwägungen
Erwägungen:
Nach
Art. 412 ZGB
kann der Bevormundete, dem die Vormundschaftsbehörde den selbständigen Betrieb eines Berufs oder Gewerbes ausdrücklich oder stillschweigend gestattet hat, alle Geschäfte vornehmen, die zum regelmässigen Betrieb gehören. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Bestimmung, wie in
BGE 67 II 83
/84 und
BGE 85 III 163
/64 angenommen, nur für die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit gelte oder ob der darin verwendete Ausdruck "selbständig" (den der französische Gesetzestext nicht wiedergibt) lediglich die Unabhängigkeit vom gesetzlichen Vertreter bezeichne, so dass die Bestimmung auch auf die Ausübung einer Tätigkeit in abhängiger Stellung (auf Grund eines Arbeitsvertrags) anwendbar wäre (in diesem Sinne EGGER N. 4 zu
Art. 412 ZGB
). Ebenso braucht nicht geprüft zu werden, ob die Vormundschaftsbehörde dem Rekurrenten die Ausübung eines Berufs im Sinne von
Art. 412 ZGB
ausdrücklich oder stillschweigend gestattet habe. Fehlt nämlich eine solche Erlaubnis oder ist
Art. 412 ZGB
auf eine Berufstätigkeit in abhängiger Stellung, wie der Rekurrent sie als Angestellter der Probau AG ausübte, überhaupt nicht anwendbar, so ist von vornherein klar, dass der Rekurrent nicht befugt war, im Konkurs der Probau AG
BGE 94 III 17 S. 19
von sich aus Abtretungsbegehren im Sinne von
Art. 260 SchKG
zu stellen und gegen die Aufhebung der ihm erteilten Abtretungen ohne Einwilligung seines Vormunds Beschwerde zu führen, sondern dass diese Handlungen der Zustimmung oder Genehmigung des Vormunds bedurften (
Art. 410 ZGB
), die nicht erteilt wurde. Es handelte sich dabei nicht etwa um die Ausübung von Rechten, die ihm im Sinne von
Art. 19 Abs. 2 ZGB
um seiner Persönlichkeit willen zustünden (vgl.
BGE 88 III 10
Erw. 2). - Gleich verhält es sich aber auch, wenn man annimmt,
Art. 412 ZGB
gelte auch für die Berufsausübung in abhängiger Stellung und die Vormundschaftsbehörde habe dem Rekurrenten, wie er behauptet, die in Frage stehende Berufstätigkeit stillschweigend gestattet. In diesem Falle war er zwar befugt, seine Lohnforderung im Konkurs seiner Arbeitgeberin von sich aus anzumelden und nötigenfalls selbständig auf Anerkennung dieser Forderung zu klagen. Dagegen fehlt ihm auch in diesem Falle die rechtliche Fähigkeit, von sich aus Abtretungsbegehren im Sinne von
Art. 260 SchKG
zu stellen, die abgetretenen Ansprüche gerichtlich geltend zu machen und wegen Verweigerung oder Aufhebung einer solchen Abtretung Beschwerde zu führen; denn diese Geschäfte gehören unzweifelhaft nicht zum regelmässigen Betrieb der ihm angeblich bewilligten Berufstätigkeit, sondern es handelt sich dabei um Vorkehren, die völlig ausserhalb der normalen Berufstätigkeit eines technischen Angestellten eines Baugeschäfts liegen und unter Umständen erhebliche Gefahren in sich bergen.
Die untere Aufsichtsbehörde ist daher auf die Beschwerde des Rekurrenten mit Recht nicht eingetreten.
Wegen Fehlens der notwendigen Handlungsfähigkeit ist auch der vorliegende Rekurs an das Bundesgericht durch Nichteintreten zu erledigen. | null | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
382b49fb-0bfe-4b9b-8ae9-7e0bab169ee2 | Urteilskopf
135 III 121
17. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause Etat de Genève contre X. (recours en matière civile)
4A_318/2008 du 11 novembre 2008 | Regeste
Art. 272 Abs. 2 lit. d OR
; vermietete Geschäftsräume, die sich auf einem Grundstück befinden, das der Vermieter nach dem Abbruch des Gebäudes für ein bedeutendes Infrastrukturprojekt nutzen will; gerichtliche Erstreckung des Mietverhältnisses.
Ab dem Zeitpunkt, in dem der Vermieter über die Bewilligung verfügt, um die Bauarbeiten aufzunehmen, aber nicht vorher, geht sein Bedarf an der Mietsache demjenigen des Mieters vor. Der Richter darf nicht eine Erstreckung des Mietverhältnisses bis zum unbestimmten Zeitpunkt gewähren, in dem die für das Projekt erforderliche rechtskräftige Polizeibewilligung vorliegt. Er hat eine Erstreckung auf bestimmte Zeit zu gewähren; im gegebenen Zeitpunkt kann der Mieter eine zweite Erstreckung verlangen, falls der Stand des Vorhabens es rechtfertigt und die anderen gesetzlichen Bedingungen erfüllt sind (E. 2-5). | Sachverhalt
ab Seite 122
BGE 135 III 121 S. 122
Depuis 1961, un atelier de carrosserie et de réparation d'automobiles est exploité dans des locaux sis sur un bien-fonds de Genève, où se trouve également la gare des Eaux-Vives qui est la tête de ligne du chemin de fer Genève - Annemasse. Les locaux sont actuellement pris en location par X., celui-ci ayant conclu, le 29 septembre 1994, un contrat de bail à loyer avec l'Etat de Genève qui est propriétaire du fonds et du chemin de fer. Le locataire acquitte un loyer annuel au montant de 12'720 fr., charges en sus.
Le 24 février 2004, le bailleur a résilié ce contrat avec effet au 31 décembre suivant, en raison de l'avancement d'un projet de liaison ferroviaire Genève-Cornavin - Genève-Eaux-Vives - Annemasse (ci-après: la liaison CEVA) destiné à remplacer l'infrastructure actuelle. Le tracé et les aménagements prévus empiètent sur les surfaces louées et nécessitent la démolition des bâtiments.
Le 25 mars 2004, devant la commission de conciliation compétente puis devant le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève, le locataire a ouvert action contre le bailleur. Sa demande tendait principalement à l'annulation du congé, qu'il tenait pour abusif; subsidiairement, la demande tendait à la prolongation du bail. L'Etat défendeur a pris des conclusions selon lesquelles il acquiesçait à une prolongation unique, qui arriverait à échéance le jour où la décision d'approbation des plans de la liaison CEVA, à prendre par l'autorité administrative fédérale, acquerrait force exécutoire.
Le tribunal s'est prononcé le 17 octobre 2007; il a reconnu la validité du congé et accordé au demandeur une unique prolongation du contrat, jusqu'à l'entrée en force exécutoire de la décision d'approbation des plans, mais au plus tard jusqu'au 31 décembre 2010.
Le demandeur ayant appelé de ce jugement, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers a statué le 16 juin 2008. Elle a réformé la décision en ce sens que le demandeur bénéficie d'une prolongation de son bail jusqu'au 31 décembre 2010.
Le 6 mai 2008, l'Office fédéral des transports a pris une décision d'approbation des plans de la liaison CEVA; contre ce prononcé, des recours sont actuellement pendants devant le Tribunal administratif fédéral.
BGE 135 III 121 S. 123
Agissant par la voie du recours en matière civile, le défendeur a requis le Tribunal fédéral de réformer l'arrêt de la Chambre d'appel en ce sens que le demandeur soit reconnu au bénéfice d'une unique prolongation de son bail, qui expirera six mois après l'entrée en force exécutoire de la décision d'approbation des plans de la liaison CEVA.
Le demandeur a conclu au rejet du recours.
Le Tribunal fédéral a partiellement admis le recours, dans la mesure où celui-ci était recevable; il a réformé l'arrêt de la Chambre d'appel en ce sens que le demandeur obtient, pour le bail à loyer le liant au défendeur, une première prolongation expirant au 30 juin 2009.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Aux termes des art. 272 al. 1 et 272b al. 1 CO, le locataire peut demander la prolongation d'un bail de locaux commerciaux pour une durée de six ans au maximum, lorsque la fin du contrat aurait pour lui des conséquences pénibles et que les intérêts du bailleur ne les justifient pas. Dans cette limite de temps, le juge peut accorder une ou deux prolongations.
En l'occurrence, il est constant que les parties se sont liées par un bail de locaux commerciaux.
Le juge apprécie librement, selon les règles du droit et de l'équité (
art. 4 CC
), s'il y a lieu de prolonger le bail et, dans l'affirmative, pour quelle durée. Il doit procéder à la pesée des intérêts en présence et tenir compte du but d'une prolongation, consistant à donner du temps au locataire pour trouver des locaux de remplacement. Il lui incombe de prendre en considération tous les éléments du cas particulier, tels que la durée du bail, la situation personnelle et financière de chaque partie, leur comportement, de même que la situation sur le marché locatif local (
art. 272 al. 2 CO
;
ATF 125 III 226
consid. 4b p. 230). Le Tribunal fédéral ne revoit qu'avec réserve la décision d'équité prise en dernière instance cantonale. Il intervient lorsque celle-ci s'écarte sans raison des règles établies par la doctrine et la jurisprudence en matière de libre appréciation, ou lorsqu'elle s'appuie sur des faits qui, dans le cas particulier, ne devaient jouer aucun rôle, ou encore lorsqu'elle ignore des éléments qui auraient absolument dû être pris en considération; en outre, le Tribunal fédéral redresse les décisions rendues en vertu d'un pouvoir
BGE 135 III 121 S. 124
d'appréciation lorsqu'elles aboutissent à un résultat manifestement injuste ou à une iniquité choquante (même arrêt; voir aussi
ATF 133 III 201
consid. 5.4 p. 211;
ATF 132 III 109
consid. 2 p. 111/112).
3.
Le Tribunal des baux et loyers a évalué les intérêts respectifs des parties et il est parvenu à la conclusion que dès le moment où le défendeur pourra commencer les travaux de la liaison CEVA, son intérêt à récupérer les biens loués primera celui du demandeur à les conserver plus longtemps. Il a donc accordé une prolongation unique qui devait expirer à l'entrée en force exécutoire de la décision d'approbation des plans, mais sans dépasser le maximum légal de six ans.
La Chambre d'appel a retenu que le droit fédéral ne permet pas d'accorder, comme l'a fait le tribunal, une prolongation à l'échéance indéterminée, et que le juge est au contraire tenu, s'il accorde une prolongation, de spécifier une durée ou une date d'échéance précises. Elle a réformé le jugement pour fixer la durée de la prolongation au maximum légal de six ans. Quant au laps ainsi retenu, la Chambre d'appel s'est exprimée comme suit: "Le bailleur ne s'étant pas opposé à la prolongation de six ans accordée, à titre subsidiaire, à l'appelant, il n'y a pas lieu d'examiner si cette durée devrait être raccourcie."
Parmi d'autres griefs, le défendeur reproche à la Chambre d'appel de n'avoir pas effectué la pesée d'intérêts exigée par la loi. Il invoque aussi la décision d'approbation des plans intervenue le 6 mai 2008, dont, semble-t-il, il ne s'est pas prévalu dans l'instance précédente, en affirmant qu'elle pourrait entrer en force rapidement. Dans sa réponse au recours, le demandeur allègue que cette décision, loin d'autoriser le commencement des travaux dans le secteur de la gare des Eaux-Vives, invite les maîtres de l'ouvrage à fournir des plans supplémentaires, et que, de plus, des recours sont interjetés contre elle.
Selon l'
art. 99 al. 1 LTF
, aucun fait nouveau ni aucune preuve nouvelle ne peuvent être présentés en instance fédérale, "à moins de résulter de la décision de l'autorité précédente". Il n'appartient donc pas au Tribunal fédéral de se faire remettre la décision d'approbation des plans, dont seules quelques pages sont produites, pour en discuter la portée; les arguments développés à ce sujet sont irrecevables.
BGE 135 III 121 S. 125
4.
En doctrine, plusieurs auteurs estiment que l'échéance d'une prolongation de bail ne peut pas être valablement reliée à un événement futur et incertain, tel que l'entrée en force d'une autorisation de construire à obtenir par le bailleur, qui aura pour objet la transformation ou la démolition de la chose louée. Ils exposent que cette solution engendrerait une insécurité inacceptable, d'une part parce que le locataire serait incité à retarder, s'il le peut, l'accomplissement de la condition fixée par le jugement, et d'autre part parce que, en soi, constater ledit accomplissement pourrait constituer une nouvelle source de litige (RAYMOND BISANG ET AL., Das schweizerische Mietrecht, 3
e
éd. 2008, n° 12 ad
art. 272b CO
; MARKUS MOSER, Die Erstreckung des Mietverhältnisses nach Artikel 267a-267f des Obligationenrechts, 1975, p. 106/107; voir aussi DAVID LACHAT, Le bail à loyer, 2008, ch. 4.8 p. 785; PETER HIGI, Commentaire zurichois, 1996, n
o
9 ad
art. 272b CO
; BRUNO GIGER, Die Erstreckung des Mietverhältnisses, 1995, p. 124; JEAN-PIERRE MENGE, Kündigung und Kündigungsschutz bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumlichkeiten, thèse Bâle 1993, p. 150/151). Aucun auteur n'exprime l'opinion contraire, et il est évident qu'une décision de prolongation doit renseigner clairement les deux parties quant au moment où le contrat prolongé arrivera à échéance. Conformément à l'opinion de la Chambre d'appel, il est ainsi exclu que la durée d'une prolongation judiciaire du bail à loyer soit indéterminée et qu'elle dépende d'un événement incertain. Par conséquent, le recours est mal fondé dans la mesure où il tend à une solution de ce type.
5.
Selon l'
art. 272 al. 2 let
. d CO, le juge doit notamment prendre en considération le besoin que le bailleur peut avoir à utiliser lui-même les locaux loués, ainsi que l'urgence de ce besoin. En l'espèce, l'intérêt du demandeur devra, le moment venu, céder le pas à celui du défendeur, en ce sens que la présence de celui-là dans les locaux concernés ne devra pas se trouver à l'origine d'un retard dans la réalisation du projet CEVA. Cette appréciation des premiers juges n'a pas été contredite par la Chambre d'appel et elle n'est pas non plus, sinon par de simples dénégations, mise en doute dans la réponse au recours. Néanmoins, la Chambre d'appel n'a pas tenu compte de l'intérêt du défendeur et elle a accordé d'emblée, sans plus de discussion, une prolongation de six ans au demandeur. Ce procédé est incompatible avec l'
art. 272 al. 2 let
. d CO. Compte tenu qu'il est difficile de prévoir le moment où le demandeur devra évacuer les lieux, sauf à nuire gravement aux intérêts du défendeur,
BGE 135 III 121 S. 126
et qu'une évacuation immédiate aurait pour lui des conséquences pénibles, il s'impose de ne lui accorder qu'une prolongation de durée inférieure à six ans, mais susceptible de renouvellement. Au besoin, à supposer que le demandeur ne parvienne pas à trouver d'autres locaux avant l'échéance, il demandera une seconde prolongation de son bail; les autorités statueront alors selon la situation des parties et l'état du projet CEVA au moment de cette nouvelle décision (cf. BISANG ET AL., op. cit., n
o
7 ad
art. 272b CO
; LACHAT, op. cit., ch. 4.2 p. 783). En considération du laps dont le demandeur a déjà bénéficié, il se justifie de fixer l'échéance de la première prolongation au 30 juin 2009. | null | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
382c1d1e-e959-4734-984a-3f9a4c029398 | Urteilskopf
102 V 108
24. Urteil vom 25. Mai 1976 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Wüest und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Schwimmunterricht, den ein Sonderschüler ausserhalb seiner Sonderschulung erhält, fällt nicht unter
Art. 19 Abs. 2 lit. c IVG
. | Sachverhalt
ab Seite 108
BGE 102 V 108 S. 108
A.-
Der im Jahre 1966 geborene Andreas Wüest leidet an kongenitaler Oligophrenie (
Art. 2 Ziff. 403 GgV
). Laut Zeugnis des Kinderpsychiatrischen Dienstes des Kantons Basel-Landschaft in mittlerem Grade schwachsinnig, besucht er seit 1972 die Schule X., die das Bundesamt für Sozialversicherung als Sonderschule anerkannt hat. Auf Grund der
Art. 10 und 8 Abs. 1 lit. c IVV
gewährt die Invalidenversicherung den Sonderschulbeitrag und übernimmt auch die Kosten der Heileurhythmie, die in der Sonderschule mit dem Knaben betrieben wird.
B.-
Im August 1975 schrieb Dr. G. als Arzt dieser Schule der Invalidenversicherungs-Kommission, der körperlich normale Knabe brauche Schwimmunterricht im Lehrschwimmbecken eines Basler Schulhauses, und wandte sich an die hiefür zuständige Sektion des Schweizerischen Roten Kreuzes. Doch entschied die Kommission am 8. September, Schwimmunterricht sei keine medizinische oder pädagogisch-therapeutische Massnahme und gehe daher nicht zu Lasten der Invalidenversicherung. Diesen Beschluss eröffnete die kantonale Ausgleichskasse den Eltern des Knaben mit Verfügung vom 23. September 1975.
BGE 102 V 108 S. 109
C.-
Die Mutter M. Wüest rekurrierte und berief sich auf Dr. G., der am 4. Oktober 1975 der Invalidenversicherungs-Kommission folgendes geschrieben hatte:
Nach heutiger pädagogischer Anschauung gehöre Schwimmunterricht ins normale Programm einer Sonderschule. Auch im vorliegenden Falle sei dieser Unterricht "keine pädagogische oder medizinische Extraleistung". Nur weil die ... Schule keinen eigenen Schwimmlehrer habe, schicke sie ihre Schüler in den ergotherapeutischen Schwimmkurs des Roten Kreuzes.
Mit Urteil vom 4. Dezember 1975 verhielt das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft die Invalidenversicherung, für den Schwimmunterricht des Knaben und die damit verbundenen Transportkosten aufzukommen. Dieser Unterricht gehe nach
Art. 8 Abs. 1 lit. c IVV
zu Lasten der Versicherung.
D.-
Das Bundesamt für Sozialversicherung führt rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den kantonalen Entscheid aufzuheben. Es bringt hauptsächlich folgendes vor:
"Schwimmen ... ist ein Schulfach, das nach allgemeingültiger Auffassung als integrierender oder unerlässlicher Bestandteil des Sonderschulprogramms zumindest für Behindertenkategorien gilt, denen der minderjährige Andreas Wüest zuzuordnen ist ... Notwendiger Schwimmunterricht für diejenigen Invaliden, welche am gleichen Gebrechen wie der Versicherte leiden, kann als Bestandteil des besonderen Unterrichtsprogramms für Sonderschüler auch dann nicht separat oder zusätzlich oder über den in
Art. 10 lit. a IVV
fixierten Beitrag hinaus vergütet werden, wenn er aus irgendwelchen ... Gründen (kein geeignetes Schwimmbecken für solche Behinderte; kein Fachpersonal usw.) nicht im Rahmen des Unterrichts in der Sonderschule, sondern nur auswärts ... durchgeführt werden kann ... Diesbezügliche Mängel eines Sonderschulprogramms oder der Schulorganisation rechtfertigen es noch nicht, eine an sich nützliche oder gar ... unerlässliche Förderung restlicher Fähigkeiten, wie sie im Schulfach Schwimmen angestrebt wird, als Massnahme pädagogisch-therapeutischer Art zu qualifizieren.
Von einer Sonderschule, in die ein im Sinne des Gesetzes invalider sonderschulbedürftiger Minderjähriger plaziert wird, muss für die Belange der IV verlangt werden, dass sie tatsächlich das gesamte zur Förderung oder Unterrichtung notwendige Schulprogramm "anbieten" kann, somit auch für bestimmte Behindertenkategorien den Schwimmunterricht ... Andernfalls müsste man die Frage stellen, ob die gewählte Schule hinsichtlich des betreffenden Behinderten die geeignete Schulungsmöglichkeit sei."
BGE 102 V 108 S. 110
Die Mutter des Versicherten hat keine Beschwerdeantwort eingereicht.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Zur Sonderschulung eines bildungsfähigen Kindes, das invaliditätshalber nicht die Volksschule besuchen kann, zählt nach
Art. 19 Abs. 1 IVG
die eigentliche Schulausbildung und, wenn das Kind für den Unterricht in den Elementarfächern nicht oder wenig taugt, auch die Förderung der manuellen Belange, der Verrichtungen des täglichen Lebens und der Fähigkeit zum Kontakt mit der Umwelt. An den Kosten jeder Sonderschulung beteiligt sich die Invalidenversicherung mit einem Schulgeldbeitrag; ferner gewährt sie eventuell einen Kostgeldbeitrag und übernimmt die invaliditätsbedingten Transportkosten, die allenfalls mit dem Besuch der Sonderschule verbunden sind (Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a und b IVG;
Art. 11 Abs. 1 IVV
).
Einer Sonderschulung bedürfen unter anderem die in mittlerem Grade schwachsinnigen Kinder. Denn ihnen kann erfahrungsgemäss das Sprechen und bis zu einem gewissen Niveau auch das Lesen und Schreiben beigebracht werden (FANCONI UND WALLGREN, Lehrbuch der Pädiatrie, 9. Aufl., S. 81; LUTZ, Kinderpsychiatrie, 4. Aufl., S. 156).
2.
Laut
Art. 19 Abs. 2 lit. c IVG
in Verbindung mit den
Art. 8 Abs. 1 lit. c und 10bis IVV
übernimmt die Invalidenversicherung ausserdem die Kosten von pädagogisch-therapeutischen Massnahmen, wenn solche bei einem invaliden Kinde zusätzlich zum Sonderschulunterricht notwendig sind (sont nécessaires en plus de l'enseignement de l'école spéciale; sono necessari in più dell'istruzione speciale) und demnach jenen Unterricht zu ergänzen bestimmt sind. Als derartige zusätzliche Massnahmen gelten hauptsächlich die Sprachheilbehandlung für schwer Sprachgebrechliche, das Hörtraining und der Ableseunterricht für Gehörgeschädigte, die Vorkehren zum Spracherwerb und Sprachaufbau für hochgradig geistig Behinderte sowie die Sondergymnastik zur Förderung gestörter Motorik für Sinnesbehinderte und hochgradig geistig Behinderte, wie die beispielsweise Aufzählung in
Art. 8 Abs. 1 lit. c IVV
zeigt.
3.
Schwimmunterricht ist keine den Sonderschulunterricht ergänzende Massnahme, sondern ein Teil der in
Art. 19 Abs. 1 IVG
BGE 102 V 108 S. 111
erwähnten eigentlichen Schulausbildung und allfälligen praktischen Förderung. Denn er ist keine pädagogisch-therapeutische "Extraleistung", sondern gehört nach moderner pädagogischer Anschauung zum normalen Programm einer Sonderschule, wie der Arzt der Schule X. am 4. Oktober 1975 zuhanden der Invalidenversicherungs-Kommission bescheinigt hatte und das Bundesamt für Sozialversicherung in der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit einleuchtender Begründung bestätigt.
Aus diesem Grunde kann der einem Sonderschüler ausserhalb der Sonderschulung erteilte Schwimmunterricht nicht unter die
Art. 8 Abs. 1 lit. c und 10bis IVV
subsumiert werden. Daraus erhellt für den vorliegenden Fall, dass die am 23. September 1975 ergangene Kassenverfügung zu Recht besteht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und das vorinstanzliche Urteil aufgehoben. | null | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
382fb0d4-4864-4a44-803d-47a1999551d3 | Urteilskopf
81 I 274
44. Urteil der staatsrechtlichen Abteilung vom 6. Juli 1955 i.S. Büchel gegen Kanton St. Gallen. | Regeste
Art. 42 Abs. 2 OG
.
Unter "Expropriationsstreitigkeiten" im Sinne von
Art. 42 Abs. 2 OG
fallen nicht nur Enteignungsansprüche aus formellen Enteignungsverfahren, sondern. auch Entschädigungsansprüche aus materieller Enteignung (Anderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 274
BGE 81 I 274 S. 274
A.-
Der Kläger Heinrich Büchel ist Eigentümer der Parzelle Nr. 1774 des Grundbuches Buchs mit Wohn- und Geschäftshaus. Im Zusammenhang mit der Planung einer Bahn- Unter- oder Überführung anstelle eines Niveauüberganges und der Überbauung des Mühleäuli-Quartiers in Buchs brachte der Gemeinderat gestützt auf die Art. 1 ff. des Baureglementes für die Politische Gemeinde Buchs vom 10. Februar 1913 im März 1933 einen Überbauungsplan für dieses Quartier zur öffentlichen Auflage.
Danach fiel die Liegenschaft des Klägers zum grösseren
BGE 81 I 274 S. 275
Teil in das Gebiet einer projektierten Strasse und wurde demgemäss mit Baulinien belastet, was die in Art. 40 des Baureglementes umschriebene Baubeschränkung zur Folge hatte. Der Kläger erhob Einsprache gegen diesen Überbauungsplan, wurde damit aber durch Rekursentscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 30. Juni 1933 abgewiesen. Der Regierungsrat stellte sich auf den Standpunkt, es handle sich beim angefochtenen Überbauungsplan um die zeichnerische Festlegung öffentlich-rechtlicher Baubeschränkungen, die in Anwendung von
Art. 702 ZGB
und Art. 148 st. gallisches EG z. ZGB von den Gemeinden aufgestellt werden dürfen; Heinrich Büchel werde in der Verfügung über sein Eigentum dadurch nicht erheblich eingeschränkt.
Am 20. August 1935 reichte der Gemeinderat von Buchs dem Regierungsrat den bereinigten Überbauungsplan für das Gebiet "Mühle-Äule" zur Genehmigung ein. Der Regierungsrat erteilte die Genehmigung am 21. September 1935. Es ist nicht bestritten, dass dieser Überbauungsplan eine über den bestehenden Zustand hinausgehende bauliche Verwertung der Parzelle des Klägers nicht mehr ermöglichte. Eine vom Gemeinderat beschlossene kleine Abänderung, die den Kläger indessen nicht berührte, wurde vom Regierungsrat am 18. April 1944 genehmigt.
Da die Ausführung der Bahnunterführung und der geplanten Strasse, welche die Liegenschaft des Klägers beansprucht hätte, auf sich warten liess, wurden Heinrich Büchel bzw. seine Anwälte wiederholt beim Gemeinderat Buchs und beim kantonalen Baudepartement vorstellig und drängten auf eine endgültige Lösung. Mit Brief vom 23. Dezember 1937 antwortete das Baudepartement, das Projekt einer Bahnunterführung bedürfe wegen der Kostenfrage noch weiterer Abklärung, so dass auf den Überbauungsplan, der die Ausführbarkeit der Unterführung sichere, vorläufig nicht verzichtet werden könne.
Am 25. August 1947 hob der Regierungsrat auf Antrag
BGE 81 I 274 S. 276
des Gemeinderates Buchs den Überbauungsplan Mühleäuli auf und genehmigte den neuen Überbauungsplan für das "Kappeli- (und Mühleäuli-)quartier". Es ist unbestritten, dass dieser neue Überbauungsplan auf den Strassenzug, der nach dem früheren Plan die Parzelle des Klägers erfasst hätte, verzichtet und keine Baubeschränkung mehr zu Lasten dieser Parzelle vorsieht.
Nachdem sich der Kläger wiederum über die Baubeschränkung wegen der geplanten Bahnunterführung beschwert hatte, antwortete ihm das Baudepartement am 22. Februar 1949, es seien nun vier verschiedene Projekte vorhanden, von denen nur eines seine Liegenschaft erfasse, so dass es möglich sei, dass diese Liegenschaft bald "aus jeder Baubeschränkung" entlassen werden könne, zur Zeit könne indessen unmöglich eine verbindliche Zusicherung hierüber gegeben werden. Auf eine weitere Intervention des Klägers antwortete das Baudepartement am 1. Oktober 1949, es tue sein Möglichstes, um die Sache zu fördern, es sei aber schwer, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen, das Departement könne daher im jetzigen Stadium noch nicht abschliessend Stellung nehmen. Mit Schreiben vom 24. Oktober 1950 berichtete es dem Kläger, es sei bis jetzt leider noch nicht gelungen, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu erzielen; einerseits wolle man den Kläger nicht weiterhin entschädigungslos in der Verwertung seiner Liegenschaft einschränken, anderseits werde aber seine Liegenschaft voraussichtlich für die Verwirklichung der Unter- oder Überführung doch benötigt, der Kanton sei daher nicht abgeneigt, durch den Kauf der Liegenschaft zu einem angemessenen Preis eine Lösung herbeizuführen.
Mit Eingabe vom 12. Mai 1951 stellte der Kläger beim Baudepartement das Begehren, entweder die Bausperre aufzuheben und ihm für den entstandenen Schaden angemessenen Ersatz zu leisten, oder dann solle der Staat die Liegenschaft kaufen oder gegen volle Entschädigung expropriieren.
BGE 81 I 274 S. 277
Am 3. Dezember 1951 teilte das Baudepartement dem Anwalt des Klägers mit, dass es dessen Liegenschaft für den Umbau freigebe und auf deren Erwerb verzichte.
Mit Schreiben vom 26. April 1952 meldete der Kläger beim Baudepartement Schadenersatzansprüche wegen der während 18 Jahren bestandenen Bausperre an.
Am 16. Juli 1952 teilte das Baudepartement dem Kläger mit, dass der Überbauungsplan "Mühleäuli" der Gemeinde Buchs, der eine bauliche Veränderung der Liegenschaft des Klägers über den bestehenden Zustand hinaus fast völlig ausgeschlossen habe, am 25. August 1947 aufgehoben worden sei. "Vom Gesichtspunkte der Staatsstrasse" komme noch hinzu, "dass die Schweizerischen Bundesbahnen nun vorgesehen haben, den internationalen Güterbahnhof talabwärts zu verlegen, so dass der bestehende Niveauübergang wesentlich entlastet wird. Wir haben daher keine Veranlassung, ein Projekt über eine Über- oder Unterführung in Aussicht zu nehmen". Auf Grund dieser rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse sei das Baudepartement der Auffassung, dass Heinrich Büchel keinen Rechtsgrund habe, vom Kanton irgend eine Entschädigung zu verlangen.
B.-
Am 27. August 1954 reichte Heinrich Büchel gestützt auf
Art. 42 OG
eine direkte Klage beim Bundesgericht gegen den Kanton St. Gallen ein, mit der er Schadenersatz im Betrage von Fr. 50'000.-- nebst 5% Zinsen seit 3. Dezember 1952 geltend macht. Diese Klage begründet er im wesentlichen damit, dass ihn schon vor der Aufhebung des ersten Überbauungsplanes vom Jahre 1935 der Kanton St. Gallen selbständig auf die Baubeschränkung verpflichtet und auch nachher bis zum 3. Dezember 1951 daran festgehalten habe. Diese Bausperre, die sich schliesslich als überflüssig und nutzlos erwiesen habe, habe ihm während 18 Jahren verunmöglicht, seine Liegenschaft baulich auszuwerten, und stelle eine materielle Enteignung dar. Für den ihm hieraus entstandenen Schaden hafte der Kanton. In rechtlicher Beziehung wird auf
BGE 81 I 274 S. 278
ein Privatgutachten von Prof. Ruck vom 27. Juni 1953 verwiesen.
C.-
Der Kanton St. Gallen beantragt in erster Linie, auf die Klage wegen Unzuständigkeit des Bundesgerichts nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Zur Unzuständigkeitseinrede wird ausgeführt, aus dem Gutachten Ruck sei zu schliessen, dass der Kläger seine Klage offenbar auf eine analoge Anwendung von Art. 8 Ziff. 3 und Art. 12 des kantonalen Expropriationsgesetzes stützen wolle, dass er also eine Entschädigung für den sogenannten Expropriationsbann geltend machen wolle. Es handle sich somit um eine Expropriationsstreitigkeit. Nach dem Recht des Kantons St. Gallen stehe sowohl im formellen Expropriationsverfahren wie auch im Falle einer materiellen Enteignung der kantonale Rechtsweg ohne weiteres offen (Art. 55 Ziff. 7 lit. a Zivilrechtspflegegesetz in der Fassung von Art. 221 des kantonalen Organisationsgesetzes vom 29. Dezember 1947). Auf Grund von
Art. 42 Abs. 2 OG
sei daher auf die Klage nicht einzutreten.
D.-
In der Replik und Duplik halten die Parteien an ihren Anträgen und Standpunkten fest. Der Kläger bestreitet die Unzuständigkeitseinrede und macht hiezu geltend, es liege keine "eigentliche Expropriationsstreitigkeit vor, obwohl die Bestimmungen über den Enteignungsbann analog anzuwenden sind". Unwesentlich sei, dass nicht nur im formellen Expropriationsverfahren, sondern auch im Falle einer materiellen Enteignung der kantonale Rechtsweg offen stehe.
Art. 42 Abs. 2 OG
habe nur dann die direkte Klage beim Bundesgericht ausschliessen wollen, wenn es sich um eine formelle Expropriation handle, für die das kantonale Recht ein besonderes Enteignungsverfahren vorsehe.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 42 Abs. 1 OG
beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen einem Kanton einerseits und Privaten oder
BGE 81 I 274 S. 279
Korporationen anderseits, wenn eine Partei es rechtzeitig verlangt und der Streitwert wenigstens Fr. 4000.-- beträgt, ohne Unterschied, ob die Streitigkeiten nach der kantonalen Gesetzgebung im ordentlichen Prozessverfahren oder in einem besonderen Verfahren vor besonderen Behörden auszutragen wären.
Der Beklagte bestreitet mit Recht nicht, dass die vorliegende Klage eine Zivilstreitigkeit im Sinne dieser Gesetzesbestimmung zum Gegenstand hat. Die streitige Forderung wird, wie sich aus dem Gutachten Ruck, auf das der Kläger zur rechtlichen Begründung verweist, und aus der Replik unzweideutig ergibt, zwar darauf gestützt, dass die dem Kläger auferlegte Baubeschränkung eine materielle Enteignung darstelle, für die er Anspruch auf Entschädigung habe, und stellt daher nach heutiger Rechtsauffassung zweifellos einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch dar.
Art. 42 OG
geht aber bei der Abgrenzung zwischen zivilrechtlichen und öffentlichrechtlichen Ansprüchen nicht von der innern Natur des Rechtsverhältnisses und der Rechtsnorm aus, von denen es beherrscht wird, sondern von einer historischen Auslegung des Begriffes der Zivilrechtsstreitigkeit. Zivilrechtlich im Sinne dieser Vorschrift ist, was nach der Grenzziehung zwischen privatem und öffentlichem Recht, wie sie bei Erlass von
Art. 110 BV
, den
Art. 42 OG
ausführt, galt, als zivilrechtlich betrachtet wurde (
BGE 71 II 173
,
BGE 78 I 380
,
BGE 78 II 26
,
BGE 79 II 432
,
BGE 80 I 245
; BIRCHMEIER, Organisation der Bundesrechtspflege, S. 66, 68 ff.). Als zivilrechtlich galt zwar damals nicht der Streit über die Abtretungspflicht, wohl aber der Anspruch auf Enteignungsentschädigung, sowohl bei der formellen wie bei der materiellen Enteignung (
BGE 31 II 552
). Die streitige Forderung hat daher als zivilrechtlich im Sinne von
Art. 42 OG
zu gelten.
2.
Art. 42 Abs. 1 OG
gilt nach Abs. 2 jedoch nicht für "Expropriationsstreitigkeiten". Nach der Entstehungsgeschichte wurde diese Ausnahmebestimmung in den
BGE 81 I 274 S. 280
damaligen
Art. 48 Ziff. 4 Abs. 2 OG
von 1893 aufgenommen im Hinblick auf die bisherige Praxis des Bundesgerichtes, wonach unter zivilrechtlichen Streitigkeiten, die direkt vor das Bundesgericht gebracht werden können, nur solche Rechtssachen verstanden wurden, die nach Massgabe der einschlägigen kantonalen Gesetzgebung im ordentlichen Prozessweg auszutragen sind, nicht aber auch solche, für die das kantonale Recht ein besonderes Verfahren vorsieht. Diese als zu eng empfundene Auslegung wurde zwar in
Art. 48 Ziff. 4 Abs. 1 OG
von 1893 durch den Zusatz "ohne Unterschied, ob die Streitigkeiten nach der kantonalen Gesetzgebung im ordentlichen Prozessverfahren auszutragen sind oder ob dafür ein besonderes Verfahren vor besonderen Behörden vorgeschrieben ist" ausgeschlossen. Anderseits beschloss jedoch die vorberatende Expertenkommission entgegen dem Vorschlage des Verfassers des Revisionsentwurfes, des Bundesrichters Hafner, und des Bundesrates, Expropriationsstreitigkeiten von der direkten Klage an das Bundesgericht auszunehmen, "weil sie in den Kantonen nach einem besonderen Verfahren erledigt werden". Dieser Ausschluss von Expropriationsstreitigkeiten wurde Gesetzesinhalt (Botschaft des Bundesrates zum OG von 1893, BBl 1892 II S. 300 Ziff. 2 und S. 303; SCHURTER und FRITZSCHE, Das Zivilprozessrecht des Bundes I S. 275, BIRCHMEIER, a.a.O., S. 582/3). Man hielt also offenbar die direkte Klage angesichts der besonderen Ausgestaltung des Expropriationsverfahrens durch die Kantone für entbehrlich und wollte wohl auch noch drohender Überlastung des Bundesgerichtes vorbeugen (HAUSER, Das Expropriationsverfahren nach zürcherischem und eidgenössischem Recht, S. 102 f.). Nach der von jener Expertenkommission geäusserten Meinung würde somit eine Expropriationsstreitigkeit im Sinne von
Art. 48 Ziff. 4 Abs. 2 OG
von 1893 nur dann vorliegen, wenn das kantonale Recht dafür ein besonderes, formelles Expropriationsverfahren kennt. Diese Bestimmung ging inhaltlich unverändert in Art. 42 Abs. 2 des
BGE 81 I 274 S. 281
geltenden OG von 1943 über (Botschaft des Bundesrates, BBl 1943 II S. 117 oben).
Im Hinblick auf diese Entstehungsgeschichte erklärte das Bundesgericht,
Art. 48 Ziff. 4 OG
von 1893 schliesse "eigentliche" Expropriationsstreitigkeiten ausdrücklich aus, "nicht etwa, weil Zweifel über deren zivilrechtlichen Charakter bestanden hätten, sondern weil und soweit in den Kantonen hiefür ein besonderes Verfahren besteht, neben welchem eine konkurrierende Kompetenz des Bundesgerichts als unzweckmässig und entbehrlich erschien"; das Bundesgericht wäre daher nur dann unzuständig, "wenn es sich nicht bloss um eine ihrer rechtlichen Natur nach dem Entschädigungsanspruch des Expropriaten verwandte, sondern um eine eigentliche Expropriationsstreitigkeit, d.h. um eine nach positivem kantonalem Recht im besonderen Expropriationsverfahren zu erledigende Streitigkeit handeln würde" (
BGE 31 II 553
). Fehlt ein solches besonderes Verfahren oder umfasst es nur einen ganz bestimmten, eng begrenzten Kreis von Eingriffen in das Privateigentum, z.B. nicht auch enteignungsähnliche Tatbestände (sog. materielle Enteignung), so sind nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts die Voraussetzungen für die Einschränkung der direkten Klage an das Bundesgericht nicht erfüllt (BIRCHMEIER, a.a.O., S. 584; Urteile vom 13. November 1935 i.S. Felder E. 1, S. 10, vom 10. Oktober 1946 i.S. von Schulthess E. 5, und vom 20. März 1947 i.S. Reformierte Teilkirchgemeinde Möriken E. 6, S. 14; BOSSHARDT, Die Eigentumsgarantie, S. 89; HAUSER, a.a.O., S. 102 f.). Wie bereits ausgeführt, gründet sich die vorliegende Schadenersatzklage ausschliesslich auf eine angebliche materielle Enteignung. Ein anderer Haftungsgrund, etwa aus Verantwortlichkeit für widerrechtliches Handeln der Behörden, wird nicht geltend gemacht. Nach der Klageantwort des Regierungsrates stellt der Kanton St. Gallen das besondere (formelle) Enteignungsverfahren vor der Schätzungskommission nur für klassische Expropriationen
BGE 81 I 274 S. 282
zur Verfügung (Art. 1 und 13 Expropriationsgesetz vom 24. Mai 1898), während Ansprüche aus materieller Enteignung im ordentlichen Prozessverfahren geltend zu machen sind (Art. 55 Ziff. 7 lit. a des Gesetzes über die Zivilrechtspflege in der Fassung von Art. 221 des kantonalen Organisationsgesetzes vom 29. Dezember 1947). Bei Festhalten an der bisherigen Auslegung der die direkte Klage beim Bundesgericht ausschliessenden Expropriationsstreitigkeiten im Sinne von
Art. 42 Abs. 2 OG
wäre daher die vorliegende Klage zulässig. Indessen ist zu prüfen, ob an dieser Rechtsprechung weiterhin festgehalten werden könne.
3.
Für die Auslegung des in
Art. 42 Abs. 2 OG
verwendeten Ausdruckes "Expropriationsstreitigkeiten" kommt den Gesetzesmaterialien keine verbindliche Kraft zu. Wie das Bundesgericht wiederholt erklärt hat, ist nicht massgebend, was in den Gesetzesmaterialien steht oder was bei der Gesetzesberatung in der gesetzgebenden Behörde gesagt wurde, sondern was dem Gesetz im Lichte allgemeiner Rechtsanschauung zu entnehmen ist, wobei die gegenwärtigen Verhältnisse zu berücksichtigen sind (
BGE 63 II 155
,
BGE 78 I 30
,
BGE 79 I 20
).
Unter den Wortlaut des
Art. 42 Abs. 2 OG
lassen sich zwanglos alle Streitigkeiten subsumieren, welche die Entschädigung für die Entziehung oder Minderung von Eigentumsrechten zu Gunsten öffentlicher Unternehmungen durch das Gemeinwesen zum Gegenstand haben, also sowohl Ansprüche aus der formellen wie aus materieller Enteignung und ohne Rücksicht darauf, ob der betreffende Kanton dafür ein besonderes formelles Verfahren (vor einer Schätzungskommission mit der Weiterzugsmöglichkeit an das Gericht) oder nur den ordentlichen Prozessweg zur Verfügung stellt. Der Wortlaut des Gesetzes zwingt umso weniger zur bisherigen einschränkenden Auslegung des Begriffes "Expropriationsstreitigkeiten" in dem Sinne, dass darunter nur die in einem besonderen kantonalen Expropriationsverfahren zu erledigenden Streitigkeiten zu
BGE 81 I 274 S. 283
verstehen seien, als Abs. 1 des Art. 42 eine derartige Unterscheidung mit Bezug auf die Art des kantonalen Verfahrens ausdrücklich ausschliesst und Abs. 2 in dieser Beziehung nichts Gegenteiliges bestimmt. Abgesehen davon vermag die historische Begründung, dass nur insoweit, als die Kantone ein besonderes Expropriationsverfahren aufgestellt haben, eine konkurrierende Kompetenz des Bundesgerichts als unzweckmässig und entbehrlich erscheine, deswegen sachlich nicht zu befriedigen, weil sie für die Bestimmung des Begriffs der Expropriationsstreitigkeit entscheidend auf ein rein äusserliches, mit der Rechtsnatur des streitigen Anspruches nicht in notwendigem Zusammenhang stehendes, formelles Element abstellt, nämlich auf die Ausgestaltung des zur Austragung des Streites zur Verfügung stehenden kantonalen Verfahrens. Von der Art dieses Verfahrens, das die Kantone frei regeln können (
Art. 64 Abs. 3 BV
) und das daher von Kanton zu Kanton verschieden sein kann (vgl. HAUSER, a.a.O., S. 88 unten; IMBODEN, Der Schutz der Eigentumsgarantie, in Festschrift für Fritzsche, S. 57 N. 34), hängt es nach der bisherigen Rechtsprechung ab, ob die direkte Klage an das Bundesgericht möglich sei oder nicht. Konsequent durchgedacht führt diese Auslegung dazu, dass nicht einmal streitige Entschädigungsansprüche aus einer formellen Enteignung unter die Expropriationsstreitigkeiten des
Art. 42 Abs. 2 OG
fallen, wenn der betreffende Kanton dafür kein besonderes Verfahren, sondern nur den ordentlichen Prozessweg zur Verfügung stellt. Anderseits können in Kantonen, die nicht nur Ansprüche aus formeller, sondern auch solche aus materieller Enteignung in ein besonderes Verfahren verweisen, bei konsequenter Durchführung der bisherigen Rechtsprechung auch diese nicht direkt vor das Bundesgericht gebracht werden, während dies in Kantonen, die solche Streitigkeiten vor den ordentlichen Richter verweisen, möglich ist. Es besteht also zweierlei Recht für die Angehörigen von Kantonen mit und solcher ohne besonderes Verfahren für die Beurteilung
BGE 81 I 274 S. 284
der Enteignungsentschädigung (vgl. HAUSER, a.a. O., S. 103 N. 19). Diese sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichheiten in der Möglichkeit der direkten Anrufung des Bundesgerichts, die sich aus der bisherigen Auslegung des
Art. 42 Abs. 2 OG
ergeben, sind umso stossender, als sie ausserdem eine unterschiedliche Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts je nach der Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens nach sich ziehen. Wenn nämlich der Kanton kein besonderes formelles Verfahren aufstellt und die direkte Klage an das Bundesgericht möglich ist, dann steht diesem eine freie Überprüfungsbefugnis zu. Ist aber ein besonderes Verfahren vorgesehen, dann ist die direkte Anrufung des Bundesgerichts ausgeschlossen; vielmehr muss das kantonale Verfahren durchgeführt werden, wobei gegen die letztinstanzliche kantonale Entscheidung nur die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie und willkürlicher Anwendung der kantonalen Gesetze an das Bundesgericht offen steht. Dabei fällt praktisch die erste dieser beiden Rügen meistens mit der zweiten zusammen, so dass dem Bundesgericht insoweit keine freie, sondern nur eine Überprüfung unter dem beschränkten Winkel der Willkür zusteht.
Angesichts dieser Konsequenzen der bisherigen Gesetzesauslegung drängt es sich auf, sie aufzugeben, zumal sie im Gesetzestext keine Stütze findet. Die genannten stossenden Rechtsungleichheiten lassen sich vermeiden, wenn der Begriff "Expropriationsstreitigkeiten" nicht im Hinblick auf das gerade in Frage stehende kantonale Verfahren, sondern nach der innern Natur dieser Streitigkeiten ausgelegt wird. Dabei wäre es aber auch unbefriedigend, wenn nur Entschädigungsansprüche aus formeller Enteignung darunter verstanden würden. Solche aus materieller Enteignung könnten dann auf dem Wege der direkten Klage gemäss
Art. 42 OG
vor das Bundesgericht gebracht und von ihm in jedem Falle frei überprüft werden, während Ansprüche aus normalen formellen Enteignungsfällen lediglich auf dem Wege der staatsrechtlichen
BGE 81 I 274 S. 285
Beschwerde mit der in der Regel beschränkten Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts an dieses weiterziehbar wären, so dass also für jene ein besserer Rechtsschutz bestünde als für den Normalfall der formellen Enteignung. Dieses Ergebnis wäre umso unbefriedigender, als die Grenze zwischen formeller und materieller Enteignung oft schwer zu ziehen und fliessend ist (HAAB, Privateigentum und materielle Enteignung, S. 17 ff., insbesondere S. 19/20). Das alles lässt sich vermeiden, wenn der Ausdruck "Expropriationsstreitigkeiten" in
Art. 42 Abs. 2 OG
nicht auf Enteignungsansprüche aus formellen Enteignungsverfahren beschränkt, sondern, wie es der Wortlaut ohne weiteres zulässt, weiter ausgelegt wird und darunter auch Streitigkeiten über Entschädigungsansprüche aus materieller Enteignung verstanden werden. Auf dem Boden dieser weiteren Auslegung steht offensichtlich auch IMBODEN, a.a.O., S. 57, wo er ausführt: "Auszuschliessen ist aber auch die Geltendmachung des Entschädigungsanspruches (gemeint ist derjenige aus materieller Enteignung) durch direkte zivilrechtliche Klage beim Bundesgericht." Zur Begründung führt er ebenda in N. 36 aus, die Zulassung der direkten Klage beim Bundesgericht würde eine vom Gesetzgeber in diesem Fall gewiss nicht gewollte Konkurrenz mit der staatsrechtlichen Beschwerde schaffen.
Darin, dass bei Abs. 2 des
Art. 42 OG
die bisherige historische Auslegung aufgegeben, sie aber mit Bezug auf den Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeiten in Abs. 1 angewendet wird, liegt keine Inkonsequenz. Abs. 1 ist - im Unterschied zu Abs. 2 - einfach die Ausführung von
Art. 110 Ziff. 4 BV
, und im Zeitpunkt des Erlasses der Verfassung galt der Anspruch auf Entschädigung aus der formellen und materiellen Enteignung allgemein als zivilrechtlich. Die bisherige einschränkende Auslegung von Abs. 2 des
Art. 42 OG
dagegen stützt sich nicht darauf, was im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes allgemein als Expropriationsstreitigkeit betrachtet wurde, sondern auf
BGE 81 I 274 S. 286
ein Unterscheidungsmerkmal, das weder in der Verfassung noch im Gesetzestext eine Stütze findet.
Auf Grund dieser Erwägungen ist auf die vorliegende Klage nicht einzutreten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Klage wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
38300f0f-4268-4f15-ac7b-ab0a720847a4 | Urteilskopf
106 Ia 206
39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. November 1980 i.S. Stadt Zürich gegen Messmer und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Gemeindeautonomie; zürcherisches Gesetz betreffend das Markt- und Hausierwesen vom 17. Juni 1894 (MHG): Bewilligungspflicht für den Betrieb einer "Peep-Show".
Autonomie der Zürcher Gemeinden hinsichtlich der Frage, ob und in welchem Umfang sie die Ausübung der unter § 8 lit. e MHG fallenden Gewerbearten auf ihrem Gebiet gestatten wollen (E. 2).
Verletzung dieser Autonomie, indem die kantonale Instanz in unhaltbarer Auslegung des MHG annahm, der Betrieb einer "Peep-Show" sei keine patentpflichtige Schaustellung im Sinne des § 8 lit. e MHG (E. 4, 5). | Sachverhalt
ab Seite 206
BGE 106 Ia 206 S. 206
Am 6. September 1977 stellte Ernst Messmer bei der Gewerbepolizei der Stadt Zürich das Gesuch, es sei ihm zu bewilligen in seinem Spielsalon "Derby" an der Langstrasse 190 in Zürich eine Anzahl Spielautomaten zu entfernen und an deren Stelle eine Einrichtung für eine sogenannte "Peep-Show" anzubringen.
BGE 106 Ia 206 S. 207
Unter "Peep-Show" wird die Zurschaustellung einer nackten Frau auf einer sich drehenden Bühne verstanden, wobei sich die Betrachter in rundum angebrachten Einzelkabinen befinden und durch Einwurf eines Frankenstücks jeweils für eine bestimmte Zeit freien Blick auf die Bühne erhalten (sogenannter "Stützli-Sex"). Der Polizeivorstand der Stadt Zürich verweigerte die Bewilligung mit Verfügung vom 10. November 1977. Messmer wandte sich daraufhin zunächst mit einer Einsprache an den Stadtrat von Zürich, hernach mit einem Rekurs an das Statthalteramt des Bezirks Zürich und schliesslich mit einem weiteren Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich. Alle drei Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
Gegen den Entscheid des Regierungsrates reichte Ernst Messmer Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich ein. Dieses hiess die Beschwerde am 6. Dezember 1979 im Sinne der Erwägungen gut und hob die Entscheide sämtlicher Vorinstanzen auf. Es vertrat die Ansicht, der Betrieb einer "Peep-Show" gehöre nicht zu den nach dem zürcherischen Gesetz betreffend das Markt- und Hausierwesen vom 17. Juni 1894 (MHG) patentpflichtigen gewerblichen Betätigungen, so dass die Statuierung einer Bewilligungspflicht unter den gegebenen Umständen die durch
Art. 31 BV
gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit verletze.
Die Stadt Zürich führt gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Stadtgemeinde Zürich leitet ihren Anspruch auf Autonomie aus § 8 lit. e in Verbindung mit § 14 Abs. 1 MHG ab. Gemäss § 8 lit. e MHG ist die Produktion von Schaustellungen, von gewerblichen oder künstlerischen Leistungen, bei denen ein höheres wissenschaftliches oder Kunstinteresse nicht obwaltet, als patentpflichtiger Hausierverkehr zu behandeln. Zuständig zur Erteilung des Hausierpatentes ist die kantonale Polizeidirektion. Die Befugnisse der Gemeinden auf diesem Gebiet sind in § 14 MHG umschrieben, dessen erster Absatz wie folgt lautet:
"Der Inhaber eines Patentes für die in § 8 lit. e-h angeführten Gewerbe
hat dasselbe in jeder Gemeinde, in welcher er seinen Beruf ausüben
BGE 106 Ia 206 S. 208
will, durch die Ortspolizeibehörde unter Angabe der Zeit, während welcher
er diesen Beruf in der betreffenden Gemeinde auszuüben gedenkt, visieren zu
lassen. Im Falle von § 8 lit. e kann die Ortspolizeibehörde die Bewilligung
für die Ausübung in der Gemeinde verweigern."
Der Wortlaut dieser Bestimmung räumt der Gemeinde ein zwar pflichtgemäss auszuübendes, jedoch im übrigen grundsätzlich freies Ermessen hinsichtlich der Frage ein, ob und in welchem Umfange sie die Ausübung der unter § 8 lit. e MHG fallenden Gewerbearten gestatten will. Es steht ihr somit auf diesem Gebiet zweifellos eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zu, was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes genügt, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren auf ihre Autonomie zu berufen (
BGE 104 Ia 126
E. 2b,
BGE 103 Ia 196
und 474 ff. mit Hinweisen).
Das Verwaltungsgericht glaubt allerdings, die Autonomie der Stadt Zürich sei im vorliegenden Falle aus einem besonderen Grunde zu verneinen, nämlich deshalb, weil der Entscheid ausschliesslich von der Auslegung einer Norm des kantonalen Gesetzesrechtes abhänge, also von einer Frage, hinsichtlich welcher der Gemein de keine selbständige Entscheidungsbefugnis zustehe. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang einzig, dass die höchste kantonale Instanz der Stadtgemeinde Zürich verwehrt hat, von ihrer Entscheidungsbefugnis gemäss § 14 Abs. 1 MHG Gebrauch zu machen. Sie hat damit in die Autonomie der Gemeinde eingegriffen. Ob dies auf Grund kommunalen, kantonalen oder gar eidgenössischen Rechtes geschehen sei, ist nach der erwähnten Rechtsprechung nicht erheblich (
BGE 104 Ia 127
, 103 Ia 474 ff.)
3.
a) Die Feststellung, dass das Verwaltungsgericht durch den angefochtenen Entscheid in den Autonomiebereich der Stadtgemeinde Zürich eingegriffen habe, bedeutet noch nicht, dass dieser Eingriff ungerechtfertigt gewesen sei. Wie es sich damit verhalte, ist im folgenden zu prüfen. Die Überprüfung des verwaltungsgerichtlichen Entscheides durch das Bundesgericht erfolgt unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür, soweit nicht die Verletzung spezieller Normen des eidgenössischen oder kantonalen Verfassungsrechtes in Frage steht (
BGE 104 Ia 45
und die bereits zitierten Urteile).
b) Im angefochtenen Entscheid beruft sich das Verwaltungsgericht sowohl auf kantonales als auch auf eidgenössisches
BGE 106 Ia 206 S. 209
Recht. Es legt dar, dass und aus welchen Gründen eine Veranstaltung wie die sogenannte "Peep-Show" nicht unter die Bestimmung von § 8 lit. e MHG falle; es stellt aber auch fest, dass die Ausdehnung der Patentpflicht gemäss MHG auf Veranstaltungen dieser Art gegen die durch
Art. 31 BV
gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit verstiesse. Indessen handelt es sich nicht um zwei voneinander unabhängige Begründungen. Das Verwaltungsgericht sagt nicht, die Statuierung einer Bewilligungspflicht für "Peep-Shows" verstiesse schlechthin gegen
Art. 31 BV
, sondern es stellt lediglich fest, solche Veranstaltungen dürften nicht durch extensive Auslegung des bestehenden kantonalen Gesetzesrechtes als bewilligungspflichtig erklärt werden, ansonst
Art. 31 BV
verletzt würde. Genau betrachtet hat somit das Verwaltungsgericht seinen Entscheid allein durch Auslegung von kantonalem Recht begründet, wobei es im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Notwendigkeit der verfassungskonformen Auslegung betont und in diesem Zusammenhang hilfsweise auch die Rechtsprechung zu
Art. 31 BV
herangezogen hat. Eine Doppelbegründung liegt einzig hinsichtlich der Frage nach einer allfälligen gewohnheitsrechtlichen Grundlage der Bewilligungspflicht vor.
c) Die Beschwerdeführerin macht in ihrer Rechtsschrift nicht geltend, das Verwaltungsgericht habe die Tragweite des verfassungsmässigen Individualrechtes der Handels- und Gewerbefreiheit verkannt, obschon diese Rüge an sich mit der Autonomiebeschwerde hätte erhoben werden können (
BGE 104 Ia 127
;
BGE 103 Ia 195
f.). Sie beschränkt sich vielmehr darauf, die Auslegung von § 8 lit. e MHG, also von kantonalem Gesetzesrecht, durch das Verwaltungsgericht als willkürlich zu beanstanden. Da der angefochtene Entscheid nach dem Gesagten im Hauptpunkt nicht auf zwei selbständigen Begründungen beruht, ist diese Rüge ausreichend. Die Auslegung des kantonalen Gesetzesrechts durch das Verwaltungsgericht kann das Bundesgericht - wie erwähnt (E. 3a) - nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüfen.
4.
a) Die §§ 7 und 8 des MHG lauten:
b) Patentpflichtiger Hausierverkehr
§ 7. Zur Ausübung des Hausiergewerbes ist, abgesehen von dem in § 5
aufgeführten Hausierverkehr, eine Bewilligung
(Patent) der Justiz- und Polizeidirektion erforderlich.
§ 8. Als patentpflichtiger Hausierverkehr ist zu behandeln:
a) das Feilbieten von Waren durch Umherführen und Umhertragen in den
BGE 106 Ia 206 S. 210
Strassen und den Häusern;
b) das Kolportieren von Büchern, Zeitschriften und Bildern;
c) der gewerbsmässige, im Umherziehen betriebene Ankauf oder Eintausch
von Lumpen, Knochen, Fellen, Hörnern, Klauen, Borsten, altem Eisen, alten
Kleidern, Glas, Weinstein und dergleichen;
d) der Betrieb eines Handwerkes im Umherziehen
(Kesselflicken, Scherenschleifen, Sägenfeilen, Strohflechten, Sieb- und
Korbmachen, Glasen und dergleichen);
e) die Produktion von Schaustellungen,
von gewerblichen oder künstlerischen Leistungen, bei denen ein höheres
wissenschaftliches oder Kunstinteresse nicht obwaltet (Menagerien,
Panoramas, Bildergalerien, Karussells, Schauspieler, Sänger, Musikanten,
Kunstreiter, Seiltänzer, Taschenspieler, usw.);
f) (aufgehoben durch § 10 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb
im Handels- und Gewerbebetrieb vom 29. Januar 1911);
g) die durch einen Gantbeamten vollzogene öffentliche
Versteigerung von Handelswaren aus freier Hand;
h) das vorübergehende
Feilbieten eines Warenlagers in fester Verkaufsstelle, wenn der Inhaber
weder am Orte wohnt noch daselbst eine gewerbliche Niederlassung hat
(Wanderlager); zur Marktzeit gilt ein derartiges Ausbieten als Marktverkehr
(§ 2).
Das Verwaltungsgericht erklärt, das Anbieten von persönlichen Leistungen - gewerblicher, musikalischer, schauspielerischer Art usw. - könne nur dann unter den Begriff "Hausierverkehr" fallen, wenn die Tätigkeit im Umherziehen ausgeübt werde; stationäre Betriebe seien vom Gesetz nicht erfasst. Für stationäre Betriebe brauche es somit keine Bewilligung. Es ist einzuräumen, dass nach dem Sprachgebrauch Schaustellungen nicht zum Hausiergewerbe gehören. Jemand hausiert, wenn er umherzieht, meist von Haus zu Haus geht und seine Waren anbietet. Auch Zirkusleute, die von Ort zu Ort ziehen, hausieren nicht, aber es ist unbestritten, dass sie nach dem MHG eine Bewilligung brauchen. Das zeigt bereits, dass das MHG unter den Hausierverkehr auch gewisse Tätigkeiten subsumiert, die an sich nicht als Hausieren bezeichnet werden.
b) Das Verwaltungsgericht trägt dem Umstand zu wenig Rechnung, dass in § 8 MHG deutlich unterschieden wird zwischen Tätigkeiten, die nur unter das Gesetz fallen, wenn sie im Umherziehen, ambulant, ausgeübt werden, und Tätigkeiten, die dem Gesetz unterworfen sind, auch wenn sie in einem stationären Betrieb ausgeübt werden. In lit. a-d wird genau gesagt, dass die hier genannten Tätigkeiten vom Gesetz nur erfasst sind, wenn sie ambulant ausgeübt werden ("Umherführen und Umhertragen", "Kolportieren", "Umherziehen"). In den lit. e-h dagegen wird nichts von Umherziehen oder ähnlichem gesagt, und bei logischer Auslegung des Gesetzes muss daraus
BGE 106 Ia 206 S. 211
der Schluss gezogen werden, dass die in lit. e-h genannten Tätigkeiten dem Gesetz auch dann unterworfen sind, wenn sie nicht ambulant, sondern stationär ausgeübt werden. Das spricht bereits dafür, dass das Verwaltungsgericht das Gesetz falsch ausgelegt hat und dass entgegen seiner Ansicht für Schaustellungen auch dann eine Bewilligung nötig ist, wenn sie in einem stationären Betrieb produziert werden, wobei natürlich stets vorausgesetzt ist, dass kein "höheres wissenschaftliches oder Kunstinteresse" obwaltet.
c) Die Unrichtigkeit der verwaltungsgerichtlichen These, von § 8 MHG seien nur Tätigkeiten erfasst, die im Umherziehen ausgeübt werden, ergibt sich vollends daraus, dass in diesem Paragraphen auch Tätigkeiten erwähnt sind, die überhaupt nur stationär ausgeübt werden. Dazu gehört nicht nur die öffentliche Versteigerung von Handelswaren aus freier Hand durch den Gantbeamten (lit. g), sondern nach der inzwischen aufgehobenen lit. f auch der freiwillige Ausverkauf in stationären Verkaufsbetrieben, wenn derselbe nicht wegen gänzlicher Geschäftsaufgabe stattfindet (sog. Sonderverkäufe). Hinzu kommt der Fall der lit. h, in welchem ein Warenlager in fester Verkaufsstelle feilgeboten wird (sog. Wanderlager). Die These, dass sich § 8 MHG nur auf ambulante Tätigkeiten beziehen könne, steht demnach mit dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung im Widerspruch.
5.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann die rechtsanwendende Behörde vom klaren Gesetzeswortlaut nur dann ohne Verletzung von
Art. 4 BV
abweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt (
BGE 104 Ia 7
E. 1 mit Hinweisen). Diese Voraussetzung trifft hier nicht zu.
a) Die gesetzgebende Behörde hat nach dem Erlass des MHG selber zum Ausdruck gebracht, dass nach ihrer Meinung auch Schaustellungen in einem stationären Betrieb unter das MHG fallen. In § 1 der inzwischen aufgehobenen Verordnung über die Errichtung und den Betrieb von Kino-Theatern von 1916 wurde bestimmt, dass ein Kinobesitzer ein Gewerbepatent haben muss, wobei die Patentpflicht ausdrücklich auf die §§ 7 und 8 MHG gestützt wurde. Diese Verordnung wurde vom Regierungsrat erlassen und vom Kantonsrat genehmigt; da im Text des § 1 Abs. 1 der Verordnung die Patentpflicht ausdrücklich auf "§§ 7 und 8 lit. e des Markt- und Hausiergesetzes" gestützt wird, ist es eindeutig, dass der Kantonsrat bei der
BGE 106 Ia 206 S. 212
Genehmigung der Verordnung der Meinung war, § 8 lit. e MHG gelte auch für Schaustellungen in stationären Betrieben, nämlich in Kino-Theatern. Das wird bestätigt durch die Hinweise auf das MHG in den beleuchtenden Berichten zum kantonalen Filmgesetz von 1963 und zum heute geltenden Filmgesetz von 1971. Wenn Kinovorführungen unter § 8 lit. e MHG fallen, scheint es klar zu sein, dass für "Peep-Shows" das gleiche gilt.
b) Es mag ferner darauf hingewiesen werden, dass das Verwaltungsgericht in einem Urteil vom 13. Oktober 1971 selber annahm, das Aufstellen von Spielapparaten sei eine patentpflichtige Schaustellung im Sinne des § 8 lit. e MHG, mit andern Worten: Auch ein stationärer Betrieb könne eine Schaustellung im Sinne der zitierten Gesetzesvorschrift sein (Rechenschaftsbericht des Verwaltungsgerichts 1972 Nr. 63). Mit dem angefochtenen Entscheid hat es seine eigene Praxis geändert. Das Bundesgericht hat, freilich nur bei Prüfung unter dem Gesichtswinkel des
Art. 4 BV
, erklärt, nach § 8 lit. e MHG könnten auch Darbietungen als patentpflichtig betrachtet werden, die stationär erfolgen (Urteil vom 16. Juli 1948 i.S. Stucki u. Steiner). Dabei wurden ähnliche Überlegungen angestellt wie hier.
c) Es kommt hinzu, dass offenbar seit Jahrzehnten davon ausgegangen wurde, auch für Schaustellungen in stationären Betrieben sei eine Bewilligung nötig. Für Kinos, Variétés, Dancings, Spielsalons, Nachtclubs mit Stripteasevorführungen wurde stets eine Bewilligung verlangt. Der Beschwerdegegner führte selber in seiner dem Verwaltungsgericht eingereichten Beschwerde aus: "Richtig ist und vom Beschwerdeführer auch unbestritten, dass für den Betrieb einer "Peep-Show" eine Bewilligung des Polizeivorstandes der Stadt Zürich gemäss § 8 lit. e bzw. § 14 des Gesetzes betreffend das Markt- und Hausierwesen vom 17. Mai 1894 (MHG) notwendig ist. Das ist vom Beschwerdeführer auch nie bestritten worden." Dies zeigt doch wohl deutlich, dass nach allgemeiner Auffassung auch für Schaustellungen in stationären Betrieben eine Bewilligung nötig ist. Für Kinos, Variétés, Konzert- und Tanzlokale sowie Spielsalons wurde, wie gesagt, stets die Bewilligungspflicht angenommen und wurden die entsprechenden Gebühren verlangt und bezahlt. Es ist aber bei der Interpretation eines Gesetzes nicht unwesentlich, dass es seit Jahrzehnten in einem bestimmten Sinn ausgelegt und angewendet wurde.
BGE 106 Ia 206 S. 213
d) Ein Argument scheint freilich für die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu sprechen, doch erweist es sich nicht als stichhaltig. Nach § 10 Abs. 1 MHG wird das Patent nur für eine Person erteilt und ausschliesslich auf deren Namen ausgestellt. Das Verwaltungsgericht meint, wenn § 8 lit. e MHG auch für "Peep-Shows" in stationären Betrieben gelte, hätte das zur Folge, dass jede Frau, die in der "Peep-Show" auftritt, ein Patent haben müsste, was nicht sinnvoll wäre. Man kann aber sehr wohl annehmen, dass bei stationären Betrieben in analoger Anwendung des § 10 Abs. 2 MHG das Patent auf den Namen des Betriebsinhabers auszustellen ist, wie das offenbar in der Praxis seit Jahrzehnten stets getan wurde.
Es bestehen demnach keine triftigen Gründe für die Annahme, der Wortlaut des § 8 MHG, wonach auch Tätigkeiten, die stationär ausgeübt werden, dem Gesetz unterworfen sind, gebe nicht den wahren Sinn der Bestimmung wieder. Vielmehr scheint es, dass die verwaltungsgerichtliche Auslegung offensichtlich nicht dem Sinn des Gesetzes entspricht. Nach dem Entscheid des Verwaltungsgerichts könnte z.B. jeder Kinobesitzer im Kanton Zürich vor dem Filmprogramm auf der Bühne eine Stripteaseshow oder eine ähnliche Schau vorführen, ohne dass es dafür einer Bewilligung bedürfte. Irgendwo im Kanton könnten Peep-Show-Betriebe eröffnet werden, und zwar ganz nach Gutfinden des Betriebsinhabers, da ja keine Bewilligungspflicht besteht. Das kann klarerweise nicht der Sinn des MHG sein. Es dürfte wohl kaum einen Schweizer Kanton geben, in welchem man ganz frei und ohne jede Bewilligungspflicht ein Striplokal eröffnen oder eine "Peep-Show" zeigen kann.
Indem das Verwaltungsgericht ohne triftige Gründe entgegen dem klaren Wortlaut des § 8 MHG annahm, das MHG erfasse "keine ortsgebundenen Darbietungen", so dass für den Betrieb einer "Peep-Show" keine Bewilligung erforderlich sei, hat es das genannte Gesetz in unhaltbarer Weise ausgelegt. Es liegt somit ein ungerechtfertigter Eingriff in die Autonomie der Stadtgemeinde Zürich vor, weshalb die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. Das Verwaltungsgericht hat das Gesuch des Beschwerdegegners materiell zu prüfen und zu entscheiden, ob die untern Instanzen die Bewilligung zu Recht versagt haben oder nicht. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
383549d4-cf4b-49c0-8cad-b3789817ea40 | Urteilskopf
106 II 152
28. Arrêt de la Ire Cour civile du 12 juin 1980 dans la cause L. Serafini S.A. contre Serafini (recours de droit public) | Regeste
Art. 329 c Abs. 2, 329 d'Abs. 2 OR. Festlegung der Ferien durch den Arbeitgeber auf den Zeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Abgeltung durch Geldleistungen ausgeschlossen (Erw. 2).
Art. 343 Abs. 3 OR
. Mutwillige Prozessführung, Kosten (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 153
BGE 106 II 152 S. 153
Luciano Serafini a travaillé plus d'une année au service de L. Serafini S.A. Celle-ci lui a signifié son congé par lettre du 29 mai 1979 pour la fin du mois de juillet 1979, en l'invitant à prendre d'ici là ses vacances, soit environ 219 heures. Le 13 juin 1979, elle lui a payé son salaire jusqu'au 31 juillet 1979 en renonçant à ses services.
Le 18 juin 1979, Luciano Serafini a ouvert action contre L. Serafini S.A. en paiement de 1'857 fr., à titre de salaire pour 13 jours ouvrables du 1er au 17 août 1979. Il faisait valoir que l'entreprise était fermée du 13 juillet au 3 août 1979 et qu'il avait prévu de prendre ses vacances du 14 juillet au 17 août.
Rejetée par le Tribunal des prud'hommes de Genève, l'action a été admise par arrêt du 22 novembre 1979 de la Chambre d'appel des prud'hommes.
L. Serafini S.A. a formé un recours de droit public pour violation de l'
art. 4 Cst.
, concluant à l'annulation de l'arrêt du 22 novembre 1979.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et annulé l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le Tribunal des prud'hommes a considéré que le congé avait été régulièrement donné, que selon l'art. 329 d al. 2 CO les vacances ne peuvent être compensées par des prestations en argent et que l'intimé devait partant prendre ses vacances avant la fin du contrat conformément à la décision de son employeur.
A l'appui de la solution contraire, la Chambre d'appel se borne à considérer ce qui suit:
"Considérant quant au fond, qu'il ressort du mémento de l'Union des
Industriels de la métallurgie d'août 1973, ce qui suit: le salarié a le
BGE 106 II 152 S. 154
droit
de prendre ses vacances après la fin de l'engagement à moins que la date
de celles-ci n'ait pas déjà été fixée précisément sur la période coïncidant
avec le début du congé.
Considérant qu'il est d'usage dans ces professions - sauf autre accord
entre les parties - d'indemniser le travailleur pour les vacances non
encore prises après la fin des relations de travail.
Qu'il y a lieu de relever d'ailleurs que ce mode de faire n'est pas
contraire à la disposition de l'art. 329 d, al. 2, qui n'est applicable que
pour autant que les rapports de travail se prolongent ..."
La recourante invoque l'art. 329 c al. 2 CO. Elle conteste l'existence de l'usage admis par l'autorité cantonale. Subsidiairement, elle fait valoir que cet usage serait inapplicable, et d'ailleurs contraire au droit.
2.
Aux termes de l'art. 329 d al. 2 CO - qui a repris l'
art. 341bis a CO
- tant que durent les rapports de travail, les vacances ne peuvent pas être remplacées par des prestations en argent ou d'autres avantages. Contrairement à ce que paraît admettre l'autorité cantonale, cette interdiction ne disparaît pas à la fin des rapports de travail. La conversion des vacances en espèces ou autres avantages n'est licite, lorsque le contrat prend fin, que si l'employeur n'est plus en mesure d'exécuter son obligation en nature (
ATF 101 II 285
s.). Tel n'est pas le cas en l'espèce. La recourante avait au contraire déjà exécuté son obligation à l'égard de l'intimé, au moment de la fin des rapports de services. Selon l'art. 329 c al. 2 CO, l'employeur fixe la date des vacances en tenant compte des désirs du travailleur dans la mesure compatible avec les intérêts de l'entreprise. L'existence d'une convention contraire des parties n'est pas établie. Lorsqu'elle a donné congé à l'intimé, la recourante a délimité ses vacances en ce sens qu'elles devaient être comprises dans la période qui restait à courir jusqu'à la fin des rapports de travail; elle lui a non seulement donné la possibilité de prendre les vacances auxquelles il avait droit, mais elle l'y a expressément invité (cf. à ce sujet SCHWEINGRUBER, Commentaire du contrat de travail, trad. Albert Laissue, 1975, p. 144). L'intimé lui-même admet qu'il n'avait pas fait part de son intention de prendre ses vacances du 14 juillet au 17 août 1979 à la recourante. Celle-ci n'avait donc pas à tenir compte des désirs de son employé, ni lorsqu'elle lui a adressé sa lettre du 29 mai 1979, ni lorsqu'elle lui a payé son salaire le 13 juin 1979 en le priant de quitter sa place de travail. Elle n'aurait d'ailleurs été tenue de prendre en considération de tels désirs que si cela avait été
BGE 106 II 152 S. 155
compatible avec les intérêts de l'entreprise. Or la lettre du 29 mai 1979 révèle que ce n'était précisément pas le cas. L'intimé n'a d'ailleurs indiqué aucune raison précise qui aurait pu justifier la fixation de ses vacances à une date différente de celle qu'avait choisie la recourante.
3.
L'usage retenu par l'autorité cantonale ne pourrait avoir d'importance dans les relations entre les parties que si celles-ci étaient convenues de l'inclure dans leur contrat. Or l'arrêt attaqué ne renferme aucune constatation à cet égard. Il n'est dès lors pas nécessaire d'examiner si un tel usage serait compatible avec le but de l'art. 329 d al. 2 CO, disposition de droit impératif (
art. 361 CO
).
4.
L'action de l'intimé est dénuée de tout fondement. La Chambre d'appel l'a admise au mépris de la loi et de la jurisprudence. De surcroît, il est manifestement contraire aux règles de la bonne foi (
art. 2 CC
) de réclamer une indemnité compensatoire pour des vacances que l'intimé avait non seulement la faculté de prendre pendant les rapports de travail, mais dont il a effectivement bénéficié du 13 juin au 31 juillet 1979, période pendant laquelle il a touché son plein salaire. L'action est dès lors téméraire, ce qui justifie de mettre à la charge de l'intimé les frais de l'instance fédérale (
art. 343 al. 3 CO
). | public_law | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
383da2bd-564c-4090-9c83-139ff06f8e28 | Urteilskopf
121 V 8
3. Auszug aus dem Urteil vom 18. April 1995 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen S. und Kantonales Versicherungsgericht des Wallis | Regeste
Art. 8 Abs. 3 lit. a, Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und 2,
Art. 51 Abs. 1 IVG
, Art. 90 Abs. 1, 2, 3, 4 IVV.
Ist ein Kind zur Behandlung seines Geburtsgebrechens notwendigerweise in einer vom Wohnort entfernten Krankenanstalt stationär untergebracht, erhält die stillende Mutter grundsätzlich eine Reiseentschädigung für den Besuch des Kindes an jedem dritten Tag.
Stellt das Stillen eine lebenserhaltende Massnahme dar, hat die Invalidenversicherung die Reisekosten für die täglich notwendigen Besuche zu übernehmen und allenfalls ein Zehrgeld auszuzahlen. | Erwägungen
ab Seite 8
BGE 121 V 8 S. 8
Aus den Erwägungen:
5.
a) Nach der Rechtsprechung gilt die Anwesenheit der Mutter im Spital nicht als medizinische Massnahme im Sinne von
Art. 13 Abs. 1 IVG
, und zwar
BGE 121 V 8 S. 9
unabhängig von einer allfälligen Nützlichkeit oder gar Notwendigkeit für den Behandlungserfolg beim Kind. Andernfalls würde der Anwendungsbereich der in Frage stehenden Bestimmung derart ausgeweitet, dass der Begriff der medizinischen Massnahme einen Sinn bekäme, den weder Gesetzestext noch Umgangssprache ihm beimessen (ZAK 1974 S. 297 f. Erw. 1b). Ein Leistungsanspruch gegenüber der Invalidenversicherung für das Stillen der Mutter und der damit zusammenhängenden Reisekosten und Verpflegungsauslagen lässt sich daher grundsätzlich nicht auf
Art. 13 Abs. 1 IVG
abstützen (unveröffentlichte Urteile K. vom 10. Mai 1983, und R. vom 4. Oktober 1982).
Wenn die Anwesenheit der Mutter bei ihrem Kind an sich nicht als medizinische Massnahme anerkannt werden kann, so ist zu prüfen, wie es sich in dieser Hinsicht verhält, wenn die Mutter das Kind auf ärztliche Anordnung hin stillt bzw. wenn dem Stillen medizinisch-therapeutischer Charakter zukommt. Die Invalidenversicherung vergütet nicht jede beliebige Behandlung, sondern nur eine solche, welche "vom Arzt selbst oder auf seine Anordnung durch medizinische Hilfspersonen in Anstalts- und Hauspflege vorgenommen wird" (
Art. 14 Abs. 1 lit. a IVG
). Nach der Rechtsprechung sind als medizinische Hilfspersonen im Sinne dieser Bestimmung nur jene Personen zu verstehen, welche, wie Physiotherapeuten, Logopäden, anerkannte Chiropraktoren usw., eine angemessene berufliche Spezialausbildung erhalten haben und ihren Beruf nach den im betreffenden Fall gültigen kantonalen Vorschriften ausüben (ZAK 1974 S. 298 Erw. 1c; nicht veröffentlichtes Urteil B. vom 23. Oktober 1984). Unter diesen Umständen kann die Mutter nicht als medizinische Hilfsperson anerkannt werden, und zwar auch dann nicht, wenn sie während des Krankenhausaufenthaltes ihres Kindes auf Geheiss des behandelnden Arztes und unter dessen Anleitung das Kind stillt.
6.
a) ... Im Rahmen von
Art. 51 Abs. 1 IVG
in Verbindung mit
Art. 90 Abs. 3 IVV
werden die für die Durchführung von Eingliederungsmassnahmen notwendigen Fahrauslagen und das Zehrgeld für eine unerlässliche Begleitperson vergütet.
Das kantonale Gericht führt aus, im Lebensstadium des Säuglings bilde die Mutter mit ihrem Kind eine untrennbare Einheit. Da der direkte Kontakt Mutter/Kind für ein erfolgreiches Stillen als unmittelbar notwendig erachtet werden müsse, könne auch nicht das Abpumpen der Muttermilch verlangt werden. Die Mutter werde in solchen Fällen regelmässig zur unmittelbar notwendigen Begleitperson des Kindes, und eine analoge
BGE 121 V 8 S. 10
Behandlung wie bei den Reisekosten dränge sich auf.
Das Gesetz sieht für stillende Mütter keine Übernahme der Reisekosten und der Auszahlung von Zehrgeld vor. Das Stillen ist für alle Kinder gleichermassen wichtig, auch für solche ohne Geburtsgebrechen, weshalb eine abweichende Behandlung nicht angezeigt ist. Auch eine Besserstellung gegenüber gleichaltrigen Kindern, die aus irgendwelchen Gründen nicht gestillt werden (gesundheitliche Gründe bei Mutter oder Kind, Unabkömmlichkeit der Mutter wegen Verpflichtungen gegenüber andern Kindern, gegenüber den übrigen Familienmitgliedern, wegen des Berufes, oder fehlendem Willen zum Stillen usw.), ist nicht gerechtfertigt. Denn die beachtliche, wenn nicht entscheidende Bedeutung des steten Kontakts zwischen Mutter und Kind, vor allem während der ersten Lebensjahre, ist unbestritten und zwar unabhängig davon, ob die Mutter das Kind stillt oder nicht. Demzufolge bleibt es grundsätzlich bei der Ausrichtung der Reiseentschädigung für den Besuch des Kindes durch einen Elternteil an jedem dritten Tag. Damit wird einerseits dem grundrechtlichen Anspruch des Kindes Rechnung getragen und anderseits der Kostenentwicklung entgegengewirkt.
b) Nach dem Gesagten gilt: Dient die tägliche Fahrt einer Begleitperson eines nicht stationär untergebrachten Kleinkindes notwendigerweise der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen, welche die Invalidenversicherung angeordnet hat, werden die täglichen Reisekosten und - sofern die örtlichen und zeitlichen Voraussetzungen des
Art. 90 Abs. 4 IVV
erfüllt sind - zusätzlich ein tägliches Zehrgeld vergütet.
Diesem Fall ist jener gleichzustellen, bei dem das Kind zur Behandlung des Geburtsgebrechens notwendigerweise in einer vom Wohnort entfernten Krankenanstalt stationär untergebracht ist und das Stillen für das Überleben des Kindes unerlässlich ist und somit eine lebenserhaltende Massnahme darstellt. Denn die medizinisch indizierten täglichen Besuche erfolgen wie diejenigen im Rahmen von
Art. 90 Abs. 3 IVV
, weil die Distanz und der dadurch notwendige Betreuungsaufwand in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen bzw. mit den dadurch bedingten Eingliederungsmassnahmen stehen. Bei einer solchen Sachlage kann sich der grundrechtliche Anspruch des Kindes auf Nähe der Mutter nicht auf jeden dritten Tag beschränken.
Angewandt auf den vorliegenden Fall bedeutet dies Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde des BSV, da in den Akten keinerlei Hinweise enthalten sind, dass die notwendigen Voraussetzungen für eine
BGE 121 V 8 S. 11
Gleichbehandlung der Mutter des Beschwerdegegners mit der einer unerlässlichen Begleitperson im Sinne von
Art. 51 Abs. 1 IVG
in Verbindung mit
Art. 90 Abs. 3 und 4 IVV
erfüllt wären. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
383fa91c-e9a4-4d12-a86e-2ec0491e5da1 | Urteilskopf
133 IV 329
48. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_170/2007 vom 9. Oktober 2007 | Regeste
Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten (
Art. 9 Abs. 3 BÜPF
).
Das in
Art. 9 Abs. 3 BÜPF
verankerte Verwertungsverbot erstreckt sich auch auf mittelbar erlangte Beweise (Folgebeweise), wenn diese ohne den rechtswidrig beschafften primären Beweis nicht hätten erhältlich gemacht werden können (E. 4.5). | Sachverhalt
ab Seite 329
BGE 133 IV 329 S. 329
A.
X. verkaufte von März 2004 bis zu ihrer Verhaftung am 16. Februar 2005 A. insgesamt mindestens 500 Gramm Kokain. Bei ihrer Verhaftung war sie zudem im Besitz von 249 Gramm Kokain mit hohem Reinheitsgrad, welches ebenfalls zum Verkauf bestimmt war. Des Weiteren veräusserte X. im Zeitraum von Januar bis Spätsommer 2004 an B. mindestens 21 Gramm Kokaingemisch.
B.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. zweitinstanzlich mit Urteil vom 17. Januar 2007 der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 i.V.m.
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
BGE 133 IV 329 S. 330
sowie der Widerhandlung gegen
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG
schuldig und verurteilte sie zu einer Freiheitsstrafe von 3 1/2 Jahren.
C.
X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. Januar 2007 sei aufzuheben, und die Sache sei im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Strafsachen ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.1
Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Erkenntnis, dass es sich bei ihr um die Hauptlieferantin "Y." handle, basiere auf einem Zufallsfund im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF; SR 780.1)
. Dieser Zufallsfund sei kausal gewesen für ihre Verhaftung und die erbrachten Beweise. Da der Zufallsfund jedoch nie bewilligt worden sei, mithin die Strafverfolgungsbehörden vor Einleitung weiterer Ermittlungen die Zustimmung der Genehmigungsbehörde nicht eingeholt hätten, müssten sämtliche erhobenen Beweismittel als unverwertbar bezeichnet werden. Die gegenteilige Feststellung im angefochtenen Urteil verletze im Ergebnis
Art. 9 Abs. 3 BÜPF
und damit Bundesrecht.
4.2
Art. 9 BÜPF
mit der Marginalie "Zufallsfunde" statuiert, dass bezüglich Ermittlungserkenntnissen, welche Straftaten einer Person betreffen, die in der Überwachungsanordnung keiner Straftat verdächtigt wird, vor Einleitung weiterer Ermittlungen die Zustimmung der Genehmigungsbehörde eingeholt werden muss (Abs. 2 Satz 1). Die Zustimmung kann erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Überwachung nach diesem Gesetz erfüllt sind (Abs. 2 Satz 2). Sind die Voraussetzungen für die Verwendung des Zufallsfundes nicht gegeben, so dürfen die Informationen nicht verwendet und es müssen die betreffenden Dokumente und Datenträger umgehend vernichtet werden (Abs. 3). Für die Fahndung nach gesuchten Personen dürfen sämtliche Erkenntnisse einer Überwachung verwendet werden (Abs. 4).
4.3
Die Untersuchungsbehörden wurden auf die Beschwerdeführerin als mögliche Drogenlieferantin von A. aufmerksam, weil dessen Telefonanschluss rechtmässig überwacht wurde. Zuvor bestand diesbezüglich noch kein Tatverdacht gegen die
BGE 133 IV 329 S. 331
Beschwerdeführerin. Es ist folglich von einem sog. personellen Zufallsfund im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 BÜPF
auszugehen (THOMAS HANSJAKOB, Kommentar zum Bundesgesetz und zur Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, 2. Aufl., St. Gallen 2006,
Art. 9 BÜPF
N. 27 ff.). Eine Auswertung der Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung zu blossen Fahndungszwecken im Sinne von
Art. 9 Abs. 4 BÜPF
liegt nicht vor, denn die Beschwerdeführerin wurde nicht bzw. jedenfalls nicht primär zwecks Verhaftung verfolgt, sondern observiert, um sie des Drogenhandels zu überführen. Von Seiten der Untersuchungsbehörde wurde bei der Anklagekammer nie um eine Genehmigung im Sinne von
Art. 9 Abs. 3 BÜPF
ersucht. Aus dem Wortlaut der
Art. 9 Abs. 2 und 3 BÜPF
ergibt sich zudem, dass der Gesetzgeber ein nachträgliches Genehmigungsverfahren ausschliessen wollte.
Im Ergebnis liegt damit die erforderliche Genehmigung bezüglich des die Beschwerdeführerin betreffenden Zufallsfundes nicht vor.
4.4
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dürfen in Fällen schwerer Kriminalität unter Umständen selbst nicht gesetzeskonform erlangte Beweise ausnahmsweise verwertet werden, sofern das Beweismittel an sich zulässig und auf gesetzmässigem Weg erreichbar, mithin nicht verboten gewesen wäre. Vorzunehmen ist insoweit eine Güterabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung und dem privaten Interesse der angeklagten Person, dass der fragliche Beweis unterbleibt (
BGE 131 I 272
E. 4.1 mit weiteren Hinweisen).
Für eine solche Interessenabwägung besteht jedoch kein Raum, wenn das Gesetz explizit von der Unverwertbarkeit der Beweismittel ausgeht. Dies ist vorliegend der Fall: Der
Art. 9 Abs. 3 BÜPF
bestimmt, dass die Informationen nicht verwendet werden dürfen und die betreffenden Dokumente und Datenträger umgehend vernichtet werden müssen. Von der Unverwertbarkeit solcher rechtswidrig erlangter primärer Beweismittel geht auch die herrschende Lehre aus (NIKLAUS SCHMID, Verwertung von Zufallsfunden und Verwertungsverbote nach dem neuen Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [BÜPF], ZStrR 120/2002 S. 312 f.; HANSJAKOB, a.a.O.,
Art. 9 BÜPF
N. 48 ff.; NIKLAUS RUCKSTUHL, Rechtswidrige Beweise erlaubt, in: Forum Strafverteidigung, Beweismangel und Verwertungsverbot, Plädoyer, Beilage Dezember 2006, S. 20 ff.).
BGE 133 IV 329 S. 332
Folglich ist es vorliegend unzulässig, auch nur teilweise auf die Protokolle aus der Telefonüberwachung abzustellen.
4.5
Nicht geklärt ist damit jedoch, ob ein solches Beweisverwertungsverbot so genannte Fernwirkung erzielt. Es fragt sich mithin, ob das Verwertungsverbot einzig für die rechtswidrig beschafften primären Beweismittel gilt, oder ob es sich auch auf alle weiteren Beweismittel erstreckt, welche gestützt auf die illegalen Primärbeweismittel erhoben wurden, so dass im Ergebnis sämtliche an sich legal beschafften Folgebeweise weder direkt noch indirekt verwertbar wären (vgl. RUCKSTUHL, a.a.O., S. 22).
Art. 9 Abs. 3 BÜPF
spricht zwar ausdrücklich von der Unverwertbarkeit der Informationen, äussert sich jedoch nicht näher zur Reichweite dieses Verbots und lässt damit die Frage der Fernwirkung unbeantwortet.
Die Lehre ist gespalten (vgl. hierzu NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, S. 352 ff.). Während verschiedene Autoren für eine Fernwirkung des Verwertungsverbots eintreten (HANSJAKOB, a.a.O.,
Art. 9 BÜPF
N. 53 ff.; MARC JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, Ist ein Millionendiebstahl ein Bagatelldelikt - Fragen zum BÜPF, ZStrR 119/2001 S. 56 f.), wenden sich andere gegen eine solche umfassende Unverwertbarkeit von Folgebeweisen. So ist nach SCHMID einzig von der Unverwertbarkeit auszugehen, "wo der ursprüngliche, ungültige Beweis Bestandteil sine qua non des mittelbar erlangten Beweises ist" (NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2004, N. 610; vgl. auch
derselbe
, Verwertung von Zufallsfunden und Verwertungsverbote nach dem neuen Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [BÜPF], ZStrR 120/2002 S. 309 ff.). Nach FORNITO erstreckt sich das Verwertungsverbot auch auf mittelbar erlangte Beweise, sofern das rechtswidrig erlangte Beweismittel die Erhebung weiterer Beweise erheblich begünstigt hat. Dabei schränke die Fernwirkung der Verwertungsverbote den Untersuchungsgrundsatz hinsichtlich weiterer Ermittlungen nicht ein (ROBERTO FORNITO, Beweisverbote im schweizerischen Strafprozess, Diss. St. Gallen 2000, S. 321 ff.). BÉNÉDICT macht sich bezüglich mittelbar erlangter Beweismittel für eine Interessenabwägung stark (JÉRÔME BÉNÉDICT, Le sort des preuves illégales dans le procès pénal, Diss. Lausanne 1994, S. 247 ff.). WALDER schliesslich bejaht eine Fernwirkung, solange keine vollendete Tatsache ("fait
BGE 133 IV 329 S. 333
accompli") geschaffen worden ist (HANS WALDER, Rechtswidrig erlangte Beweismittel im Strafprozess, ZStrR 82/1966 S. 47).
Das Bundesgericht hat es bislang ausdrücklich offengelassen, ob sich das in
Art. 9 Abs. 3 BÜPF
verankerte Verwertungsverbot auch auf mittelbar erlangte Beweise erstreckt (
BGE 132 IV 70
E. 6.5; vgl. allerdings
BGE 109 Ia 244
E. 2b, in welchem eine strikte Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten tendenziell abgelehnt wird).
Während für eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten spricht, dass andernfalls die Regeln über die Beweiserhebung unterminiert würden, können indirekte Beweisverbote auf der anderen Seite der Ermittlung der materiellen Wahrheit hinderlich sein (Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 S. 1184; ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI/KARL HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 60 N. 16 ff.). Durch die namentlich von SCHMID propagierte Lösung wird ein angemessener Ausgleich zwischen diesen divergierenden Interessen erzielt. Ohne die Beweisverwertungsverbote ihres wesentlichen Inhalts zu entleeren, kann so verhindert werden, dass es im Ergebnis zu stossenden Freisprüchen offenkundig schuldiger Personen kommt.
4.6
Die Beschwerdeführerin hat ein weitreichendes Geständnis abgelegt, ohne dass ihr gegenüber erwähnt worden wäre, sie werde aufgrund der Telefonkontrolle des Drogenhandels verdächtigt, und ohne dass ihr konkrete Gesprächsinhalte aus der Telefonüberwachung vorgehalten worden wären.
Dieses Beweismittel, d.h. ihr Geständnis, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch ohne die in Bezug auf die Beschwerdeführerin unrechtmässig erfolgte Telefonüberwachung erlangt worden. Wie die Vorinstanz zutreffend erörtert, kann es als sicher angesehen werden, dass sie von der Polizei beim Ein- und Aussteigen ins Auto von A. auch beobachtet worden wäre, wenn man damals einzig ihn wegen des aus der ordnungsgemäss bewilligten Telefonkontrolle stammenden Verdachts auf Drogenhandel observiert hätte. Dieser von der Polizei wahrgenommene Kontakt zwischen dem mutmasslichen Drogenhändler A. und der Beschwerdeführerin hätte aufgrund der konkreten Umstände zweifelsohne den Verdacht aufkommen lassen, sie sei in den Drogenhandel verwickelt. Folglich wäre die Polizei ihr höchstwahrscheinlich zwecks Verhaftung gefolgt und dabei auf die Drogen gestossen. Sie wäre
BGE 133 IV 329 S. 334
damit auch in diesem Fall verhaftet und mit den belastenden Aussagen von A. konfrontiert worden. Dessen Aussagen, aufgrund welcher sich die Beschwerdeführerin zum Ablegen eines Geständnisses entschlossen haben dürfte, sind unbestrittenermassen verwertbar, da diesem gegenüber das Wissen aus der genehmigten Telefonkontrolle verwendet werden durfte.
4.7
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist damit nicht von der Unverwertbarkeit sämtlicher Beweismittel auszugehen. Der Schuldspruch wegen mehrfacher Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 i.V.m.
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
verletzt kein Bundesrecht. | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
384145fa-5c8a-4394-9d74-855eaffc61b4 | Urteilskopf
112 V 156
27. Arrêt du 1er juillet 1986 dans la cause Bérard contre Caisse de compensation du canton de Fribourg et Commission cantonale fribourgeoise de recours en matière d'assurances sociales | Regeste
Art. 52 AHVG
und
Art. 82 AHVV
.
- Durch die Nichtbezahlung und die Verwirkung paritätischer Beiträge der Ausgleichskasse entstandener Schaden. In casu Haftung des Arbeitgebers bejaht.
- Beginn der ein- und der fünfjährigen Verwirkungsfrist (Hinweis auf die Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 156
BGE 112 V 156 S. 156
A.-
Michel Bérard travaille à temps partiel au service de son père, Albert Bérard, agriculteur indépendant. Le 25 juillet 1983 et le 21 mai 1984, la Caisse cantonale fribourgeoise de compensation a requis du Service cantonal fribourgeois des contributions qu'il lui communique les montants déclarés à l'autorité fiscale par Albert Bérard au titre de salaires versés à son fils, tout d'abord pour les années 1978 à 1982, puis pour les années 1974 à 1977. Le service précité lui a fourni les renseignements demandés par deux communications, datées des 24 août 1983 et 25 mai 1984. Ces communications ont révélé que les montants en question étaient notablement supérieurs à ceux qui avaient été annoncés à l'AVS par Albert Bérard pour chacune des années considérées. Aussi la caisse de compensation a-t-elle réclamé à ce dernier des cotisations paritaires AVS/AI/APG/AC sur la part des rémunérations non déclarées à l'AVS pour la période du 1er janvier 1979 au 31 décembre 1982 soit dans les limites de la péremption quinquennale de l'
art. 16 al. 1 LAVS
(décisions du 25 mai 1984). En outre, elle lui a notifié une décision, du 18 juin 1984, par laquelle elle lui demandait le paiement d'une somme de Fr. ... au titre de réparation du dommage causé par la péremption des cotisations relatives aux salaires non déclarés pour les années 1974 à 1978.
BGE 112 V 156 S. 157
B.-
Albert Bérard s'étant opposé à cette dernière décision, la caisse de compensation a porté le cas devant la Commission cantonale fribourgeoise de recours en matière d'assurances sociales, qui a admis l'action dont elle était saisie, par jugement du 8 novembre 1985.
C.-
Albert Bérard interjette recours de droit administratif contre ce jugement en concluant au "rejet de l'action" de la caisse de compensation.
La caisse intimée conclut au rejet du recours, ce que propose également l'Office fédéral des assurances sociales.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Pouvoir d'examen limité.)
2.
Selon l'
art. 52 LAVS
, l'employeur qui, intentionnellement ou par négligence grave, n'observe pas des prescriptions et cause ainsi un dommage à la caisse de compensation est tenu à réparation. En matière de cotisations, qui représente le champ d'application principal de cette disposition légale, un dommage se produit lorsque l'employeur ne déclare pas à l'AVS tout ou partie des salaires qu'il verse à ses employés et que les cotisations correspondantes se trouvent ultérieurement frappées de péremption selon l'
art. 16 al. 1 LAVS
(voir p.ex.
ATF 98 V 26
; ATFA 1961 p. 226, 1957 p. 215); ou lorsque des cotisations demeurent impayées en raison de l'insolvabilité de l'employeur (voir p.ex.
ATF 111 V 172
; RCC 1985 p. 602 et 646). Dans la première éventualité, le dommage est réputé survenu au moment de l'avènement de la péremption (
ATF 108 V 194
,
ATF 98 V 28
consid. 4; ATFA 1961 p. 230 consid. 2, 1957 p. 222-224 consid. 3). Dans la seconde, au moment où les cotisations ne peuvent plus être perçues selon la procédure ordinaire, eu égard à l'insolvabilité du débiteur (
ATF 111 V 173
consid. 3a; MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, vol. II, p. 69).
L'
art. 82 RAVS
règle la prescription du droit de la caisse de compensation de demander la réparation du dommage. Un tel droit se prescrit lorsque la caisse ne le fait pas valoir par une décision de réparation dans l'année après qu'elle a eu connaissance du dommage et, en tout cas, à l'expiration d'un délai de cinq ans à compter du fait dommageable (al. 1). Lorsque ce droit dérive d'un acte punissable soumis par le code pénal à un délai de prescription de plus longue durée, ce délai est applicable (al. 2). En dépit
BGE 112 V 156 S. 158
de la terminologie dont use l'
art. 82 RAVS
, les délais institués par cette norme ont un caractère péremptoire (
ATF 112 V 7
consid. 4c).
3.
Le recourant invoque, à titre principal, la péremption du droit de la caisse de compensation de lui réclamer la réparation du dommage qu'elle a subi.
a) La caisse de compensation a eu "connaissance du dommage" au sens de l'
art. 82 al. 1 RAVS
au moment où elle aurait dû se rendre compte, en faisant preuve de l'attention raisonnablement exigible, que les circonstances effectives ne permettaient plus d'exiger le paiement des cotisations, mais pouvaient entraîner l'obligation de réparer le dommage (
ATF 108 V 52
consid. 5). La notion contenue à l'
art. 82 al. 1 RAVS
se rapproche de celle que connaît l'
art. 47 al. 2 LAVS
, relatif à la péremption du droit de la caisse de compensation de demander la restitution de rentes ou d'allocations pour impotents. Dans ce cas également, le délai d'un an commence à courir dès que l'administration aurait dû s'apercevoir, en faisant preuve de l'attention que les circonstances permettaient raisonnablement d'exiger d'elle, que les conditions d'une restitution étaient réalisées (
ATF 110 V 304
); l'administration doit cependant disposer de tous les éléments qui sont décisifs dans le cas concret et dont la connaissance fonde - quant à son principe et à son étendue - la créance en restitution à l'encontre de la personne tenue à restitution (
ATF 111 V 17
).
En application de ces principes, la jurisprudence considère par exemple, à propos de la demande en réparation d'un dommage causé par l'insolvabilité de l'employeur (faillite), que la caisse de compensation connaît suffisamment son préjudice, en règle ordinaire, lorsqu'elle est informée de sa collocation dans la liquidation: elle connaît ou peut connaître à ce moment-là le montant de l'inventaire, sa propre collocation dans la liquidation, ainsi que le dividende prévisible (
ATF 112 V 8
consid. 4d; dans le même sens,
ATF 111 V 173
consid. 3).
Dans le cas particulier, il y a lieu d'admettre que la caisse intimée n'a eu connaissance de l'existence et de l'étendue de son dommage qu'à réception des communications du Service cantonal fribourgeois des contributions, datées des 24 août 1983 et 25 mai 1984: c'est à ce moment-là qu'il est apparu que les salaires déclarés au fisc par le recourant ne correspondaient pas à ceux communiqués par ce dernier à l'administration de l'AVS, ce qui
BGE 112 V 156 S. 159
donnait la possibilité à la caisse d'exiger le paiement des cotisations non encore périmées et d'agir en réparation du dommage pour les cotisations frappées de péremption. Ainsi donc, le délai d'un an de l'
art. 82 al. 1 RAVS
n'était pas encore échu à la date du prononcé de la décision du 18 juin 1984.
b) Quant au délai subsidiaire de cinq ans, il commence à courir dès la survenance du dommage, conformément à la lettre des textes allemand et italien et au sens qu'il faut attribuer au texte français de l'
art. 82 al. 1 RAVS
. Car, s'il commençait à courir dès l'omission du décompte au terme usuel fixé par l'
art. 34 RAVS
, cela rendrait illusoire toute possibilité pour la caisse d'obtenir la réparation d'un dommage causé par le non-versement et la péremption de cotisations. Ou bien, en effet, la caisse découvrirait l'omission de l'employeur avant l'échéance du délai de péremption de l'
art. 16 al. 1 LAVS
; ayant encore la possibilité d'exiger le paiement des cotisations, elle ne subirait aucun dommage. Ou bien la caisse découvrirait l'omission après que les cotisations sont frappées de péremption; il y aurait alors dommage, mais l'échéance du délai de péremption de cinq ans de l'
art. 82 al. 1 RAVS
lui interdirait d'en demander la réparation (sur ces divers points, voir ATFA 1957 p. 223).
En l'espèce, les cotisations impayées pour les années 1974, 1975, 1976, 1977 et 1978 - soit les années visées par la décision litigieuse - étaient périmées, respectivement, à la fin des années 1979, 1980, 1981, 1982 et 1983 seulement (
art. 16 al. 1 LAVS
). Le délai de péremption de cinq ans de l'
art. 82 al. 1 RAVS
n'était donc pas non plus écoulé au moment où l'intimée a fait valoir son droit à réparation.
4.
Cela étant, l'exception de péremption soulevée par le recourant n'est pas fondée. Il convient donc d'examiner si ce dernier a commis une faute intentionnelle ou une négligence grave au sens de l'
art. 52 LAVS
. D'après l'
art. 18 al. 2 CP
est intentionnelle la faute dont l'auteur a agi avec conscience et volonté. Cette définition s'applique aussi en droit administratif (GRISEL, Traité de droit administratif, p. 804) et, notamment, en droit des assurances sociales (
ATF 111 V 202
). D'autre part, selon la jurisprudence, se rend coupable d'une négligence grave l'employeur qui manque de l'attention qu'une personne raisonnable aurait observée dans la même situation et dans les mêmes circonstances. La mesure de la diligence requise s'apprécie d'après le devoir de diligence que l'on peut et doit généralement attendre,
BGE 112 V 156 S. 160
en matière de gestion, d'un employeur de la même catégorie que celle de l'intéressé (
ATF 108 V 202
consid. 3a; RCC 1985 p. 51 consid. 2a et 648 consid. 3b).
Comme on l'a vu, le recourant n'a pas déclaré à l'AVS la totalité des rémunérations qu'il a versées à son fils, au cours des années 1974 à 1978 notamment; cela ressort des renseignements fournis par le Service cantonal fribourgeois des contributions à la caisse intimée et dont l'exactitude n'a pas été contestée par l'intéressé. Cependant, pour se disculper, le recourant fait valoir qu'il n'est pas "à la tête d'une entreprise organisée, comprenant plusieurs employés et connaissant les formalités à remplir dans toutes sortes de domaines". En outre, il se prévaut de son ignorance quant aux "incidences" de ses déclarations respectives à l'autorité fiscale et à l'administration de l'AVS.
Ces arguments ne sont pas de nature à infirmer le jugement attaqué. Le fait que le recourant a déclaré à l'AVS une partie des salaires versés à son fils démontre qu'il était conscient de son obligation de payer des cotisations paritaires en sa qualité d'employeur. Dès lors, sa situation ressemble fort à celle de l'employeur qui déduit des cotisations de salaires d'employés, prouvant par là avoir connaissance de la réglementation légale, et qui, selon la jurisprudence, commet de toute évidence une négligence grave, voire viole intentionnellement les prescriptions en matière d'AVS, s'il ne transmet pas à la caisse de compensation les cotisations paritaires correspondantes; seules des circonstances tout à fait exceptionnelles permettraient de conclure, le cas échéant, à une négligence légère (ATFA 1961 p. 232/233, 1957 p. 220; RCC 1985 p. 51 consid. 2a). De telles circonstances n'existent toutefois pas en l'occurrence et les motifs invoqués par le recourant ne sauraient, à cet égard, être décisifs. En particulier, ce dernier n'explique pas pourquoi il aurait eu des raisons sérieuses de supposer qu'une partie des rémunérations en cause ne représentait pas un salaire déterminant au sens de l'
art. 5 al. 2 LAVS
, soumis à cotisations paritaires. Dans ces conditions, l'existence d'une faute qualifiée doit être retenue à la charge du recourant.
5.
(Frais.)
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3845799b-4f09-4333-951b-aec162ce70ec | Urteilskopf
115 II 366
66. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Oktober 1989 i.S. Gebrüder G. gegen J. und Kantonales Schiedsgericht Wallis (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Rechtsmittel gegen Urteile des Kantonalen Schiedsgerichts Wallis. Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.
1. Urteile des Kantonalen Schiedsgerichts können nur mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden. Unzulässigkeit insbesondere der Berufung, weil das Schiedsgericht zwar als einzige kantonale Instanz für im Verfahren gemäss
Art. 343 Abs. 2 OR
zu beurteilende Streitigkeiten zuständig, jedoch seiner Organisation und Funktion nach unteres Gericht im Sinne von
Art. 48 Abs. 2 OG
ist (E. 2).
2.
Art. 343 Abs. 2 OR
schreibt den Kantonen nicht vor, dass Widerklagen mit einem die Streitwertgrenze dieser Bestimmung übersteigenden Streitwert im arbeitsrechtlichen Verfahren zu beurteilen sind (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 367
BGE 115 II 366 S. 367
Das Kantonale Schiedsgericht Wallis stellte mit Entscheid vom 20. Mai 1988 fest, dass die von J. gegen seine früheren Arbeitgeber, die Gebrüder G., erhobene Klage auf Lohnnachzahlung anerkannt worden sei, weshalb die Beklagten dem Kläger Fr. 2'311.60 schuldeten. Auf die Widerklage auf Zahlung von Fr. 12'883.-- Schadenersatz aus Nichterfüllung des Arbeitsvertrags trat das Schiedsgericht wegen Unzuständigkeit nicht ein.
Gegen den am 11. April 1989 eröffneten Entscheid des Schiedsgerichts führen die Beklagten staatsrechtliche Beschwerde und beantragen die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Das Schiedsgericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Der Kläger beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es auf sie eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Beim Kantonalen Schiedsgericht Wallis, das für die im Verfahren gemäss
Art. 343 Abs. 2 OR
zu beurteilenden Arbeitsvertragsstreitigkeiten zuständig ist, handelt es sich nicht um ein eigentliches Schiedsgericht, sondern um ein staatliches Gericht. Seine Urteile sind Entscheide im Sinn von
Art. 84 Abs. 1 OG
, die
BGE 115 II 366 S. 368
keinem kantonalen Rechtsmittel unterliegen und deshalb als letztinstanzliche Entscheide (Art. 86 f. OG) mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden können (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 13. März 1986 i.S. R. E. 1; Urteil des Kantonsgerichts Wallis vom 11. März 1970 i.S. Vuissoz gegen Mottet E. 2b, in RVJ 1971 S. 56; FUX, Die Walliser ZPO, S. 204).
Die Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde (
Art. 84 Abs. 2 OG
) steht deren Zulässigkeit nicht entgegen, da vorliegend sowohl die Berufung (
Art. 43 ff. OG
) wie die Nichtigkeitsbeschwerde (
Art. 68 ff. OG
) ausgeschlossen sind. Die von den Beschwerdeführern als bundesrechtswidrig gerügte Verneinung der Zuständigkeit für die Beurteilung der Widerklage über Fr. 12'883.-- stellt keinen berufungsfähigen Zuständigkeitsentscheid gemäss
Art. 49 OG
dar, da das Schiedsgericht weder oberes kantonales Gericht noch sonstige Spruchbehörde im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 OG
ist. Wohl entscheidet es als einzige und damit letzte kantonale Instanz und ist für den ganzen Kanton Wallis zuständig. Seine Organisation und Funktion lassen es jedoch eindeutig als unteres Gericht im Sinne von
Art. 48 Abs. 2 OG
erscheinen. Die Mitglieder des Schiedsgerichts werden durch die Regierung und nicht durch das Parlament gewählt (Art. 31 Abs. 2 der französischen Fassung des kantonalen Arbeitsgesetzes vom 16. November 1966); das Schiedsgericht ist sodann geschaffen worden, um Streitigkeiten nach
Art. 343 Abs. 2 OR
in einem einfachen und raschen Verfahren zu beurteilen. Die Einstufung des Schiedsgerichts unter die in
Art. 48 Abs. 2 OG
genannten Gerichte entspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die schon wiederholt kantonale Behörden, die als einzige Instanzen für das ganze Kantonsgebiet zuständig sind, als untere Gerichtsbehörde im Sinne der erwähnten Bestimmung betrachtet hat (
BGE 96 I 632
E. 1a,
BGE 77 II 281
E. 2; vgl. zum Ganzen auch WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, S. 170), deren Entscheide nach
Art. 48 Abs. 2 lit. a OG
nur dann berufungsfähig sind, wenn die Behörde als letzte, aber nicht einzige kantonale Instanz entschieden hat. Dem Kanton Wallis bleibt es unbenommen, ein Rechtsmittel gegen Entscheide des Schiedsgerichts an das Kantonsgericht einzuführen, was sachgerecht und wünschbar wäre.
Obwohl die Beschwerdeführer geltend machen, das Schiedsgericht habe
Art. 343 Abs. 2 OR
und damit eine eidgenössische Zuständigkeitsvorschrift verletzt, kann ihre Beschwerde auch
BGE 115 II 366 S. 369
nicht in eine Nichtigkeitsbeschwerde gemäss
Art. 68 Abs. 1 lit. b OG
umgedeutet werden, die nicht der Einschränkung von
Art. 48 Abs. 1 und 2 OG
unterliegt. Denn
Art. 343 Abs. 2 OR
enthält keine eidgenössische Vorschrift über die sachliche oder örtliche Zuständigkeit, sondern lediglich Bestimmungen über das Verfahren, ohne den Kantonen vorzuschreiben, welche Behörden sie für die Behandlung von Arbeitsvertragsstreitigkeiten zuständig erklären müssen. Ausser Betracht fällt auch der Nichtigkeitsgrund der Anwendung kantonalen statt des massgebenden eidgenössischen Rechts (
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
), da
Art. 343 Abs. 2 OR
nichts über die Behandlung von Widerklageforderungen sagt, welche die Streitwertgrenze dieser Bestimmung übersteigen (E. 3 hienach).
3.
Das Schiedsgericht verneint seine Zuständigkeit zur Beurteilung der Widerklage über Fr. 12'883.-- gestützt auf Art. 29 des kantonalen Arbeitsgesetzes vom 16. November 1966 i.V.m.
Art. 343 OR
. Gemäss der erstgenannten Bestimmung ist die Zuständigkeit des Schiedsgerichts beschränkt auf Zivilstreitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis, die nach Bundesrecht dem "summarischen" Verfahren unterstehen. Nach der bis zum 31. Dezember 1988 gültig gewesenen und für den am 20. Mai 1988 gefällten Entscheid massgeblichen Fassung von
Art. 343 Abs. 2 OR
(AS 1988 II S. 1476) haben die Kantone für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis bis zu einem Streitwert von 5'000 Franken ein einfaches und rasches Verfahren vorzusehen, wobei sich der Streitwert nach der eingeklagten Forderung und ohne Rücksicht auf Widerklagebegehren bemisst.
Die Beschwerdeführer machen sinngemäss geltend, das Schiedsgericht habe in willkürlicher Missachtung von
Art. 343 Abs. 2 OR
verkannt, dass Widerklagen unbekümmert um den Streitwert in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fielen, wenn dort eine Hauptklage bis zum Streitwert von 5'000 Franken anhängig gemacht worden sei. Diese Auffassung verkennt die Tragweite des bundesrechtlichen Eingriffs in die kantonale Prozesshoheit (
Art. 64 Abs. 3 BV
). Zwar können die Kantone eine höhere als die bundesrechtliche Streitwertgrenze von 5'000 Franken - seit 1989 von 20'000 Franken - einführen oder von einer Grenze überhaupt absehen mit der Folge, dass sämtliche Klagen und Widerklagen aus Arbeitsvertrag von Arbeitsgerichten in einem einfachen und raschen Verfahren zu beurteilen wären (Botschaft zur OR-Revision vom 9. Mai 1984, BBl 1984 II S. 615). Von dieser Möglichkeit hat jedoch der Kanton Wallis nicht Gebrauch gemacht; von
BGE 115 II 366 S. 370
Bundesrechts wegen ist er dazu auch nicht gehalten. Nach
Art. 343 Abs. 2 OR
sind die Kantone lediglich verpflichtet, Forderungen aus Arbeitsvertrag bis zum Streitwert von 5'000 Franken bzw. 20'000 Franken auch dann im arbeitsrechtlichen Verfahren zu beurteilen, wenn die Summe von Klage und Widerklage oder die Widerklage allein die Streitwertgrenze übersteigt und nach den kantonalen Grundsätzen der Streitwertbemessung auf die Summe von Haupt- und Widerklage bzw. auf den höheren Betrag der Widerklage abzustellen wäre. Die Unbeachtlichkeit der Widerklagebegehren gemäss
Art. 343 Abs. 2 OR
soll verhindern, dass der Kläger durch eine möglicherweise haltlose Widerklage um das rasche, einfache und grundsätzlich kostenlose Verfahren gebracht wird, wie es die genannte Bestimmung vorschreibt. Dagegen schreibt
Art. 343 Abs. 2 OR
den Kantonen nicht vor, ob Widerklagebegehren, welche die Streitwertgrenze dieser Bestimmung überschreiten, im arbeitsrechtlichen oder im ordentlichen Verfahren zu beurteilen sind (Amtl.Bull. 1969 N S. 853 Voten Mugny und Muheim; Amtl.Bull. 1970 S S. 364 Votum Borel; Urteil des Kassationsgerichts Zürich vom 24. März 1980 E. 2, in JAR 1981 S. 209 ff., S. 210; Urteil des Zivilgerichts Glarus vom 18. Februar/23. März 1983 E. 3c, in JAR 1985 S. 118 ff., S. 119 f.; Urteil des Obergerichts Zürich vom 30. August 1984, in JAR 1986 S. 242 ff., S. 243; BRÜHWILER, Handkommentar, N. 4 zu
Art. 343 OR
; STREIFF, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 4. A. 1986, N. 6 zu
Art. 343 OR
).
Vorliegend hat das Schiedsgericht die Hauptklage über Fr. 2'311.60 beurteilt und damit den bundesrechtlichen Zuständigkeitsanforderungen entsprochen, die eine Überweisung des ganzen Prozesses an den ordentlichen Richter zufolge des Widerklagebegehrens über Fr. 12'883.-- verboten hätten.
4.
Die Frage, ob zur Verrechnung gestellte Gegenforderungen im arbeitsrechtlichen Verfahren zu beurteilen gewesen wären, wird mangels substanzierter Rüge (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
) nicht geprüft. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
38486384-2366-4f6f-8a2d-243feb29b9c3 | Urteilskopf
98 V 98
27. Auszug aus dem Urteil vom 21. März 1972 i.S. Flühler gegen Ausgleichskasse des Kantons Nidwalden und Kantonsgericht Nidwalden | Regeste
Art. 21 IVG
- Kein Anspruch des Versicherten auf jedes zur bestmöglichen Erreichung des Eingliederungserfolges geeignete Hilfsmittel.
- Über die Abgabe von Blindenführhunden an nicht erwerbstätige Hausfrauen. | Erwägungen
ab Seite 99
BGE 98 V 98 S. 99
Aus den Erwägungen:
1.
Die in
Art. 14 IVV
erwähnten Hilfsmittel, unter welche auch die Blindenführhunde fallen, werden nur zugesprochen, wenn die Voraussetzungen von
Art. 21 Abs. 1 und 2 IVG
erfüllt sind. Nach Abs. 1 werden jene Hilfsmittel abgegeben, deren der Invalide für die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder der "Tätigkeit in seinem Aufgabenbereich", für die Schulung, die Ausbildung oder zum Zwecke der funktionellen Angewöhnung bedarf. Ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit steht der Anspruch auf Hilfsmittel auch einem Versicherten zu, der infolge seiner Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedarf (Abs. 2).
Art. 21 Abs. 1 IVG
ist auch auf nichterwerbstätige invalide Hausfrauen anwendbar. Steht die Abgabe eines Blindenführhundes an eine Hausfrau zur Diskussion, so kann sich im Rahmen des Begriffs "Tätigkeit in seinem Aufgabenbereich" praktisch allerdings nur fragen, ob die blinde Hausfrau zur Besorgung ihrer Einkäufe einen solchen Hund benötige.
Bei blinden, nichterwerbstätigen Hausfrauen ist deshalb in erster Linie Abs. 2 des
Art. 21 IVG
von rechtlicher Bedeutung. Entgegen der Meinung, die Invalidenversicherungs-Kommission und Ausgleichskasse in der kantonalen Instanz äusserten, ist diese Bestimmung nicht nur auf die "nicht mehr erwerbsfähigen oder nicht mehr in ihrem Aufgabenbereich tätigen Schwerstinvaliden" anwendbar. Empfänger von Hilfsmitteln gemäss
Art. 21 Abs. 2 IVG
werden zwar in der Regel vollständig erwerbsunfähige Personen sein. An sich schliesst jedoch der Umstand, dass eine blinde Versicherte einer Erwerbstätigkeit nachgeht oderihren Haushaltbesorgt, die Abgabe eines Blindenführhundes nicht unbedingt aus.
Entscheidend ist im Rahmen sowohl von Abs. 1 wie auch von Abs. 2 des
Art. 21 IVG
, ob das Hilfsmittel zur Erfüllung des vom Gesetz geschützten Zweckes notwendig ist. Diese Voraussetzung erfüllt der Invalide dann, wenn ihm nicht zugemutet werden kann, ohne das verlangte Hilfsmittel der Tätigkeit in
BGE 98 V 98 S. 100
seinem Aufgabenbereich nachzugehen, sich fortzubewegen, mit der Umwelt in Kontakt zu bleiben oder für sich zu sorgen (vgl. EVGE 1968 S. 212). Das bedeutet, dass ein Hilfsmittel im Einzelfall dazu bestimmt und geeignet sein muss, dem invaliden Versicherten in wesentlichem Umfang zur Erreichung eines dieser Ziele zu verhelfen.
2.
Der Ausgang des gegenwärtigen Prozesses hängt somit von der soeben umschriebenen Bedürfnisfrage ab. Die Beschwerdeführerin und das Bundesamt bejahen sie. Ihre Argumentation läuft aber darauf hinaus, dass die Abgabe des verlangten Blindenführhundes wegen der Blindheit an sich notwendig sei. Demnach könnten praktisch alle blinden Hausfrauen einen Blindenführhund beanspruchen. Allein das Gesetz sieht eine allgemeingültige Lösung in diesem Sinne nicht vor. Es will die Eingliederung lediglich so weit sicherstellen, als dies im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist. Der Versicherte kann nicht von der Invalidenversicherung verlangen, dass sie ihm die bestmögliche Eingliederung zuteil werden lasse. Was insbesondere die Hilfsmittel betrifft, so ergibt sich zunächst aus Art. 21, dass der gesetzliche Zweck (Abs. 1 und 2) in einfacher und zweckmässiger Weise angestrebt werden muss (Abs. 3). Und da die Invalidenversicherung grundsätzlich nur die notwendigen Massnahmen gewährt, kann der Versicherte nicht die nach den gegebenen Umständen optimalen Vorkehren beanspruchen (EVGE 1966 S. 103). Dafür spricht aber auch, dass besonders in
Art. 14 Abs. 2 IVV
nicht alle möglichen, sondern nur eine beschränkte Zahl von Hilfsmitteln aufgeführt sind, welche zur Erreichung des gesetzlichen Zweckes abgegeben werden dürfen. - Nur in diesem Rahmen stellt sich in einem konkreten Fall die Bedürfnisfrage. Dies übersieht das Bundesamt, wenn es ausführt, die Versicherte "kann nur dann jederzeit und unabhängig ihren Bedürfnissen bezüglich Fortbewegung und Kontaktnahme mit den Mitmenschen nachkommen, wenn sie im Besitze eines Blindenführhundes ist". | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3848805a-b707-41bb-a302-59df9dc19c68 | Urteilskopf
86 IV 167
41. Extrait de l'arrêt du 10 juin 1960 dans la cause Stegmann contre Ministère public du canton de Genève. | Regeste
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
.
Begeht der Borger eine Veruntreuung, wenn er das Darlehen nicht zu dem vereinbarten Zwecke verwendet? | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 86 IV 167 S. 168
Résumé des faits:
A. - Au mois de février ou de mars 1957, Stegmann était sous le coup d'une plainte pour violation d'une obligation d'entretien envers ses deux enfants mineurs. Il reçut de X., avec laquelle il entretenait une liaison, une somme de 1000 fr. pour payer sa dette d'aliments, mais il n'acquitta pas cette dette et employa l'argent pour lui.
Statuant sur ces faits, le 7 octobre 1959, la Cour correctionnelle de Genève, siégeant avec le concours du jury, a condamné Stegmann, pour abus de confiance, à huit mois d'emprisonnement avec sursis pendant cinq ans, peine ajoutée à celle qui avait déjà été prononcée contre lui, le 14 juillet 1958, pour violation d'une obligation d'entretien.
B. - Le 10 février 1960, la Cour de cassation du canton de Genève a rejeté un recours formé par Stegmann contre ce jugement.
C. - Stegmann s'est pourvu en nullité contre cet arrêt. Il conclut à libération.
D. - Le Ministère public du canton de Genève conclut au rejet du pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
.....
2.
L'art. 140 ch. 1 al. 2 CP punit celui qui, sans droit, a employé à son profit une chose fongible appartenant à autrui et qui lui avait été confiée. La cour de céans a jugé que la chose fongible et en particulier l'argent était confié, même s'il était devenu propriété de l'auteur, lorsque, du point de vue économique, il rentrait dans le patrimoine d'autrui (RO 70 IV 72). Cette interprétation, qui définit le caractère de chose confiée non par le rapport juridique de propriété, mais par la destination économique de la chose, est conforme à la lettre et à la genèse du texte légal (arrêt précité). Il s'ensuit qu'une chose fongible n'est confiée selon l'art. 140 ch. 1 al. 2 CP que si elle a été remise
BGE 86 IV 167 S. 169
à l'auteur non pas pour lui-même, c'est-à-dire dans son propre intérêt, mais dans l'intérêt d'une autre personne (RO 80 IV 55; arrêts Vetsch, du 22 novembre 1957 et Häfliger, du 1er avril. 1958; cf. arrêt Stähli, du 12 décembre 1958, non publiés). Appliquant ce principe dans son arrêt Häfliger (précité), la cour de céans a dit qu'en général, ne commet pas un abus de confiance l'emprunteur d'une somme d'argent qui n'emploie pas cette somme conformément à la destination convenue, pourvu que le prêt lui ait été accordé dans son propre intérêt et non dans l'intérêt d'autrui. Dans ce dernier cas, en revanche, l'emprunteur commet, le cas échéant, un abus de confiance, vu la destination économique de l'argent, qui en fait une chose confiée.
3.
En l'espèce, X. a remis à Stegmann la somme de 1000 fr. pour payer les arrérages de la pension alimentaire qu'il devait et pour lesquels il était sous le coup d'une poursuite pénale. Peu importe que, du point de vue juridique, l'opération ait constitué un prêt ou une donation, c'est la destination économique de l'argent qui détermine son caractère éventuel de chose confiée selon l'art. 140 ch. 1 al. 2 CP.
Or la destination économique des mille francs remis à Stegmann par X. n'est pas douteuse. Dans sa plainte du 14 juillet 1958 déjà, dont la Cour de cassation genevoise fait état, la lésée allègue uniquement que son avance de fonds était motivée "par la nécessité où se trouvait M. Stegmann de payer pension alimentaire pour sa femme et ses deux enfants mineurs, sous peine d'être emprisonné". Elle affirmait donc elle-même avoir entendu favoriser non pas les créanciers d'aliments, mais bien Stegmann, qu'elle voulait soustraire à la poursuite pénale ouverte contre lui. La question posée au jury vise la même intention; il s'agissait de savoir si l'inculpé avait commis un abus de confiance en demandant à X. "la somme de 1000 francs pour payer prétendûment la pension alimentaire... affirmant se trouver sous la menace d'une plainte pénale en violation d'une obligation d'entretien... en se gardant bien de remettre cette somme à son ex-femme et en utilisant cet argent pour ses
BGE 86 IV 167 S. 170
besoins personnels". De plus, l'autorité cantonale de seconde instance a, elle aussi, constaté en fait que l'argent avait été remis "pour éviter à Stegmann une condamnation, une arrestation éventuelle". Si elle a néanmoins confirmé la condamnation prononcée en première instance, c'est qu'elle a admis par erreur que Stegmann avait l'obligation d'utiliser les mille francs "dans l'intérêt d'autrui", c'est-à-dire des bénéficiaires de la pension due par lui, alors que, d'après la destination convenue entre X. et le recourant, si la somme devait être remise à autrui, c'était dans l'intérêt de Stegmann et non pas de ses créanciers.
Il suit de là qu'il n'y a pas eu chose confiée, en l'espèce, ni, partant, abus de confiance.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale
Admet le pourvoi, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour que celle-ci prononce la libération de Stegmann du chef de l'abus de confiance. | null | nan | fr | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
384fa3c9-8a1b-4eef-af1a-691e0acfd50b | Urteilskopf
138 V 303
37. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Pensionskasse der Ascoop in Liquidation gegen F. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_545/2011 vom 16. Mai 2012 | Regeste
Art. 53d Abs. 3 BVG
;
Art. 19 Satz 2 FZG
;
Art. 44 BVV 2
; Höhe der Austrittsleistung; Abzug versicherungstechnischer Fehlbeträge; Begriff der freien Mittel und der Unterdeckung.
Der (nach
Art. 53d Abs. 3 BVG
im Rahmen einer Gesamt- oder Teilliquidation zulässige) anteilsmässige Abzug versicherungstechnischer Fehlbeträge bezieht sich grundsätzlich auf die volle Austrittsleistung und nicht nur auf dasjenige (Deckungs-)Kapital, das bei der entsprechenden Vorsorgeeinrichtung angehäuft wurde (E. 3.2).
Freie Mittel und Unterdeckung sind ungleiche Grössen, weshalb es nicht zwingend ist, die Verteilkriterien in Bezug auf die freien Mittel auch auf die Unterdeckung anzuwenden (E. 3.3). | Sachverhalt
ab Seite 304
BGE 138 V 303 S. 304
A.
Die 1969 geborene F. war bis 30. Juni 2009 beim Kanton Schwyz angestellt und bei der Pensionskasse des Kantons Schwyz berufsvorsorgeversichert. Seit 1. Juli 2009 arbeitet sie zu 60 % bei der X. AG. Am 31. Juli 2009 wurde ihre Austrittsleistung in der Höhe von Fr. 100'528.95 an die Vorsorgeeinrichtung der neuen Arbeitgeberin, die Pensionskasse der Ascoop (Pensionskasse des Personals schweizerischer Transportunternehmungen), überwiesen.
Mit Wirkung auf den 31. Dezember 2009 kündigte die X. AG den Anschlussvertrag für ihr Personal mit der Pensionskasse der Ascoop. Seit 1. Januar 2010 ist sie für die Durchführung der beruflichen Vorsorge der Helvetia Sammelstiftung angeschlossen. Die Pensionskasse der Ascoop überwies der Helvetia Sammelstiftung eine wegen Unterdeckung reduzierte Austrittsleistung in der Höhe von Fr. 92'745.10. Aus einem Risikoschwankungsfonds wurde die Austrittsleistung um Fr. 3'493.10 aufgestockt, so dass per 1. Mai 2010 ein Guthaben von Fr. 96'238.20 bestand. F. und die Pensionskasse der Ascoop waren sich in der folgenden Korrespondenz uneinig über die Höhe der Austrittsleistung.
Am 13. Dezember 2010 verfügte das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) die Liquidation der Pensionskasse der Ascoop.
B.
Am 10. Januar 2011 erhob F. Klage gegen die Pensionskasse der Ascoop in Liquidation mit dem Rechtsbegehren, diese sei zu verpflichten, ihr den Betrag von Fr. 5'771.10 zuzüglich Zinsen zurückzuerstatten. Des Weitern ersuchte sie am 23. Mai 2011 um Sicherstellung einer Parteientschädigung von Fr. 4'000.- und des eingeklagten Forderungsbetrages zuzüglich Zins im Sinne einer vorsorglichen Massnahme. Mit Entscheid vom 1. Juni 2011 schrieb das Verwaltungsgericht des Kantons Bern das Gesuch um eine vorsorgliche Massnahme als gegenstandslos geworden ab (Dispositiv-Ziffer 1). Es verpflichtete die Pensionskasse der Ascoop in Liquidation, den Betrag von Fr. 5'771.10 zuzüglich Zins zu 2 % seit 1. Januar 2010 zu Gunsten von F. an die Helvetia Sammelstiftung zu überweisen (Dispositiv-Ziffer 2).
BGE 138 V 303 S. 305
C.
Die Pensionskasse der Ascoop in Liquidation lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, es sei - unter Kosten- und Entschädigungsfolgen - der kantonale Entscheid aufzuheben, die Klage abzuweisen und F. zu verpflichten, ihr eine Entschädigung für ihre Aufwendungen in erster Instanz zu bezahlen. Eventualiter sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache zur Sachverhaltsergänzung und Entscheidung an das kantonale Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
F. und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das BSV äussert sich zur Frage des Vorgehens bei Teilliquidation einer untergedeckten Vorsorgeeinrichtung, ohne einen formellen Antrag zu stellen.
D.
Auf Gesuch der Pensionskasse der Ascoop in Liquidation hin hat die Instruktionsrichterin der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Verfügung vom 12. Oktober 2011).
E.
Am 16. Mai 2012 wurde eine publikumsöffentliche Beratung durchgeführt.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Als die Beschwerdegegnerin ihre Stelle bei der X. AG am 1. Juli 2009 antrat, brachte sie ihre Austrittsleistung (per 31. Juli 2009: Fr. 100'528.95) in die Beschwerdeführerin als neue Vorsorgeeinrichtung ein (vgl.
Art. 2 Abs. 1 FZG
[SR 831.42] in Verbindung mit
Art. 3 Abs. 1 FZG
). Die Auflösung des Anschlussvertrages durch die X. AG löste - wie unbestritten ist - eine Teilliquidation der Beschwerdeführerin aus (Art. 53 [recte: 53b] Abs. 1 lit. c BVG [SR 831.40]; vgl. dazu auch
BGE 135 V 113
E. 2.1.3 S. 117; JÜRG BRÜHWILER, Obligatorische berufliche Vorsorge, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2010 Rz. 35). Infolge Unterdeckung wurde die Austrittsleistung nur im Umfang des (am Aufhebungsdatum bestehenden) Deckungsgrades an die neue Vorsorgeeinrichtung mitgegeben.
2.2
Klageweise forderte die Beschwerdegegnerin unter dem Titel "Einforderung von überhöhter Freizügigkeitsleistung bei Eintritt, ev. unzulässige Anwendung der Unterdeckung auf eingebrachte Freizügigkeitsleistung bei Eintritt" von der Pensionskasse der Ascoop in Liquidation die Erstattung des Betrages von Fr. 5'771.10. Sie machte geltend, mit der Kürzung der Austrittsleistung sei ihr ein Schaden
BGE 138 V 303 S. 306
entstanden, weil die Pensionskasse ihr keine Gelegenheit eingeräumt habe, bei Eintritt lediglich einen Teil des Vorsorgeguthabens einzubringen. Demgegenüber vertrat die Pensionskasse die Auffassung, ein sog. Exzedent nach
Art. 13 FZG
habe gar nicht vorgelegen; sie sei zu keiner Information verpflichtet gewesen.
Die Vorinstanz erwog, dass sich die Frage nach einem allfälligen Verschulden und einer Informationspflicht der Pensionskasse gar nicht stelle. Zu prüfen sei vielmehr die Berechnung der Austrittsleistung, namentlich die Berücksichtigung der Unterdeckung. Sie ermittelte den Mindestbetrag nach
Art. 17 FZG
(Fr. 102'176.85) und gelangte zum Ergebnis, dass die Pensionskasse mit der Austrittsleistung von Fr. 96'238.20 den Betrag von Fr. 5'938.65 zu wenig überwiesen habe. Das kantonale Gericht verpflichtete die Pensionskasse, der Helvetia Sammelstiftung (als neuer Vorsorgeeinrichtung) den von der Versicherten eingeklagten Betrag (Fr. 5'771.10) zu überweisen. Zu diesem Vorgehen war das kantonale Gericht - da es nicht über den Streitgegenstand hinausging - grundsätzlich befugt (
BGE 135 V 23
E. 3.1 S. 26 oben).
3.
Streitig und zu prüfen sind die Auswirkungen der Unterdeckung der Pensionskasse der Ascoop in Liquidation auf die Austrittsleistung der Beschwerdegegnerin.
3.1
Tritt ein Versicherter aus einer Vorsorgeeinrichtung aus, besteht, auch wenn sich diese in einer Unterdeckung befindet, grundsätzlich Anspruch auf die volle, ungekürzte Freizügigkeitsleistung, welche nach
Art. 15-17 FZG
berechnet wird. Der Versicherte erhält auf diese Weise eine Austrittsleistung, die nicht der tatsächlichen finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtung entspricht. Dies hat zur Folge, dass sich der Deckungsgrad zu Lasten der verbleibenden Versicherten verschlechtert (vgl. auch
BGE 135 V 113
E. 2.1.6 S. 118; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 82/04 vom 30. Juni 2005 E. 4.1, in: SVR 2006 BVG Nr. 5 S. 19; HERMANN WALSER, in: BVG und FZG, Schneider/Geiser/Gächter [Hrsg.], 2010, N. 3 zu
Art. 19 FZG
; CARL HELBLING, Personalvorsorge und BVG, 8. Aufl. 2006, S. 449; HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge [nachfolgend: Vorsorge], 2005, S. 433 Rz. 1157;
derselbe
, Berufliche Vorsorge zwischen Solidarität und Individualisierung [nachfolgend: Solidarität], in: Zukunft BVG, 2010, S. 130 ff., 138).
3.2
Liegt ein Teilliquidationsbestand vor, darf die Vorsorgeeinrichtung, die sich an den Grundsatz der Bilanzierung in geschlossener
BGE 138 V 303 S. 307
Kasse halten muss (was bei der Pensionskasse der Ascoop als privatrechtlicher Vorsorgeeinrichtung der Fall war [
Art. 69 Abs. 1 BVG
]), gemäss
Art. 53d Abs. 3 BVG
(in Kraft seit 1. Januar 2005; vgl. auch die bis Ende 2004 gültig gewesene Bestimmung des
Art. 23 Abs. 3 FZG
) versicherungstechnische Fehlbeträge anteilsmässig abziehen, sofern dadurch das Altersguthaben (
Art. 15 BVG
) nicht geschmälert wird (vgl. auch
Art. 19 Satz 2 FZG
;
BGE 135 V 113
E. 2.1.2 S. 116 f.; BRÜHWILER, a.a.O., S. 2011 f. Rz. 37; WALSER, a.a.O., N. 6 ff. zu
Art. 19 FZG
;
derselbe
, Sanierungsmassnahmen von Vorsorgeeinrichtungen und die Rechtsstellung der beruflich noch aktiven Versicherten, SZS 2009 S. 597 ff., 605; HELBLING, a.a.O., S. 281; STAUFFER, Vorsorge, a.a.O., S. 440 Rz. 1176 und S. 599 Rz. 1581;
derselbe
, Solidarität, a.a.O., S. 138; ROLAND A. MÜLLER, Rolle der Arbeitgeber bei Unterdeckung, SZS 2009 S. 573 ff., 591; RIEMER/RIEMER-KAFKA, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, 2. Aufl. 2006, S. 144 Rz. 131; FRITZ STEIGER, Die Teilliquidation nach Artikel 53b BVG, AJP 2007 S. 1051 ff., 1061).
Die Auffassung der Vorinstanz, wonach sich der Abzug des versicherungstechnischen Fehlbetrages nur auf dasjenige Deckungskapital bezieht, das bei der fraglichen Vorsorgeeinrichtung angehäuft wurde, findet weder im Wortlaut des Gesetzes noch in den Materialien (Botschaft vom 26. Februar 1992 zu einem Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge, BBl 1992 III 533 ff., S. 594 Ziff. 634.5 zu Art. 19) eine Stütze. Sie steht auch nicht im Einklang mit der Gesetzessystematik: Die effektive Austrittsleistung bestimmt sich anhand einer Vergleichsrechnung gemäss
Art. 15-17 FZG
. Hätte der Gesetzgeber die Unterdeckung per se nicht auf eingebrachten Freizügigkeitsleistungen in Abzug bringen wollen, hätte er dies unmittelbar in
Art. 17 FZG
geregelt. Demgegenüber hat er sowohl den Grundsatz der Gewährleistung der obligatorischen Vorsorge (
Art. 18 FZG
) als auch die Handhabe des versicherungstechnischen Fehlbetrags (
Art. 19 FZG
) von der Vergleichsrechnung ausgeklammert und dieser hintangestellt. Gegen die vorinstanzliche Auffassung spricht auch die versicherungstechnische Gegebenheit, dass es sich bei der Unterdeckung um eine Verhältniszahl des Vorsorgekapitals (bestehend aus dem Deckungskapital und den technischen Rückstellungen) zum verfügbaren Vermögen handelt (Art. 44 Abs. 1 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1]; JÜRG BRECHBÜHL, in: BVG und FZG, Schneider/Geiser/Gächter [Hrsg.], 2010, N. 10 zu
Art. 65c
BGE 138 V 303 S. 308
BVG
; Fachwörterbuch für die berufliche Vorsorge, 2. Aufl. 2010, S. 49 f.). Das Deckungskapital der aktiven Versicherten - welches hier im Vordergrund steht - wird dabei als Ganzes in die Berechnung der Verhältniszahl miteinbezogen. Der anteilsmässige Abzug des versicherungstechnischen Fehlbetrages bezieht sich somit grundsätzlich auf die volle Austrittsleistung und nicht nur auf dasjenige (Deckungs-) Kapital, das bei der fraglichen Vorsorgeeinrichtung angehäuft wurde (vgl. auch Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 20/97 vom 24. August 1999 E. 4, in: SVR 2000 BVG Nr. 1 S. 1; ISABELLE VETTER- SCHREIBER, BVG, 2. Aufl. 2009, N. 11 zu
Art. 53d BVG
[proportional zum Altersguthaben]; STEIGER, a.a.O., S. 1061 [Aufteilung aufgrund des Vorsorgekapitals]).
3.3
Im Weitern gilt es zu beachten, dass es sich bei den freien Mitteln und der Unterdeckung um ungleiche Grössen handelt. Die freien Mittel sind eine kollektive Grösse, erwirtschaftet aus beispielsweise Zins-, Risiko- oder Mutationsgewinnen. Sie gehören allen Destinatären der Stiftung (Arbeitnehmer, Rentner, Invalide und Ehemalige). Entsprechend besteht primär ein kollektiver Anspruch auf die freien Mittel. Das Deckungskapital, vor allem der hier interessierenden aktiven Versicherten, ist eine individuelle Grösse. Es wird jedem Einzelnen gutgeschrieben. Entsprechend besteht von vornherein ein individueller Anspruch darauf. Nur die Verteilung einer kollektiven Grösse bedarf eines Verteilschlüssels. Eine individuelle Grösse ist bereits verteilt. Eine Unterdeckung wird denn auch - im Gegensatz zu den freien Mitteln - regelmässig individuell weitergegeben (
Art. 27g Abs. 3 BVV 2
). Während sich in Bezug auf die freien Mittel die Frage stellt, wie der Überschuss unter allen Destinatären zu verteilen ist, stellt sich in Bezug auf die Unterdeckung die Frage nach der Finanzierung des individuellen Anspruchs (die freien Mittel sind bereits "finanziert"). Aufgrund dieser Unterschiedlichkeiten ist es somit nicht zwingend, die Verteilkriterien in Bezug auf die freien Mittel (vgl. dazu
BGE 128 II 394
E. 4.2-4.5 S. 398 ff.) auch auf die Unterdeckung resp. Defizittragung anzuwenden. Würde diesbezüglich zum Beispiel ebenfalls auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit abgestellt, so würde dies zu einer Querfinanzierung resp. Umverteilung führen, indem langjährige Mitarbeiter für einen Teil der Deckungslücke erst kurzzeitig Angestellter aufkommen müssten. Mit anderen Worten würde der individuelle Anspruch langjähriger Mitarbeiter übermässig reduziert. Eine solche Querfinanzierung resp. Umverteilung ist jedoch BVG-sachfremd.
BGE 138 V 303 S. 309
3.4
Dass die Pensionskasse der Ascoop den Fehlbetrag (9,15 % gemäss Schlussabrechnung vom 20. April 2010) auf dem gesamten Vorsorgekapital aller am 31. Dezember 2009 austretenden aktiven Versicherten in Abzug gebracht hat und diese proportional mit ihrem gesamten Alterskapital an der Unterdeckung partizipierten, stimmt mit den dargelegten Grundsätzen (E. 3.2 und 3.3) überein. Insbesondere wurde damit das Altersguthaben der Versicherten gemäss
Art. 15 BVG
(Fr. 63'957.05 gemäss Austrittsabrechnung per 31. Dezember 2009) gewahrt. Das Vorgehen der Beschwerdeführerin steht auch mit den reglementarischen Vorschriften im Einklang. Denn die (den Verteilplan regelnde) Bestimmung des Art. 22 Teilliquidationsreglement sieht vor, dass der versicherungstechnische Fehlbetrag grundsätzlich proportional zum Sparguthaben bzw. zum Deckungsgrad der betroffenen Personen verteilt wird (wobei - hier nicht zur Diskussion stehende - getätigte Einkäufe, Vorbezüge für Wohneigentum sowie Auszahlungen infolge Scheidung berücksichtigt werden können). Sodann hält die proportionale Umlegung des Unterdeckungsgrades auf alle am Stichtag der Vorsorgeeinrichtung angehörenden aktiven Versicherten auch dem Gleichbehandlungsgebot stand: Die austretenden und die verbleibenden Destinatäre werden rechtsgleich behandelt, indem deren Bilanz den gleichen Deckungsgrad wie die Bilanz zur Feststellung des tatsächlichen Vermögens vor der Teilung aufweist (STEIGER, a.a.O., S. 1061; UELI KIESER, in: BVG und FZG, Schneider/Geiser/Gächter [Hrsg.], 2010, N. 45 zu
Art. 53d BVG
; Fachrichtlinien für Pensionsversicherungsexperten, Stand 1. Januar 2009, FRP 3 Teilliquidation, S. 18 und 21 f. [Beispiel 2 der Erläuterungen]). Das Gleichbehandlungsgebot ist auch unter den austretenden Versicherten gewahrt, indem sie alle gleichmässig am Defizit resp. an der Unterdeckung partizipieren.
3.5
Bei dieser Rechtslage geht die Sache - um den Parteien nicht eine Rechtsmittelinstanz vorzuenthalten - zurück an das kantonale Gericht, damit es über die Klage beziehungsweise die offengelassenen Punkte (neu) befinde. Dabei wird vorab abzuklären sein, ob die Versicherte zu Recht davon ausgeht, die Austrittsleistung aus dem früheren Vorsorgeverhältnis sei so hoch gewesen, dass sie nicht vollständig für den Einkauf in die vollen reglementarischen Leistungen benötigt worden sei, so dass ein Teil übrig gewesen sei (sog. Exzedent; vgl.
Art. 13 FZG
; vgl. dazu auch WALSER, a.a.O., N. 1 zu
Art. 13 FZG
), was die Vorsorgeeinrichtung unter Hinweis darauf, die Versicherte sei mit dem Modul R1 versichert gewesen, bestreitet. In
BGE 138 V 303 S. 310
diesem Punkt sind die Akten nicht schlüssig. Gelangt die Vorinstanz zum Ergebnis, dass ein Exzedent bestand, wird sie weiter zu prüfen haben, inwieweit die Vorsorgeeinrichtung die Versicherte darüber bzw. über die Möglichkeiten, den Vorsorgeschutz in anderer Form aufrechtzuerhalten (vgl.
Art. 13 Abs. 1 FZG
), zu informieren hatte, und gegebenenfalls, ob sie dieser Pflicht nachgekommen ist.
Offenbleiben kann unter diesen Umständen, inwieweit die Vorinstanz mit ihrer Berechnung einen neuen Aspekt eingebracht hat, mit dem die Beschwerdeführerin nicht hätte rechnen müssen und zu welchem sie deshalb vorgängig grundsätzlich anzuhören gewesen wäre oder inwieweit eine allfällige Gehörsverletzung als geheilt gilt. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3854f78b-4524-481e-ba53-b1565b5ac75b | Urteilskopf
111 II 410
82. Estratto della sentenza 6 agosto 1985 della II Corte civile nella causa A. Y. contro B. Y. (ricorso per riforma) | Regeste
Art. 277 Abs. 2 ZGB
: Unterhalt des mündigen Kindes, das sich noch in Ausbildung befindet.
Bei der Bestimmung der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihrem mündigen Kind, das sich noch in Ausbildung befindet, muss ein gerechter Ausgleich gefunden werden zwischen dem Beitrag, der unter Berücksichtigung aller Umstände von den Eltern erwartet werden darf, und der Leistung, die dem Kind in dem Sinne zugemutet werden kann, dass es zu seinem Unterhalt durch eigenen Arbeitserwerb oder andere Mittel beiträgt. | Erwägungen
ab Seite 410
BGE 111 II 410 S. 410
Dai considerandi:
2.
I genitori devono provvedere al mantenimento, all'educazione e alla formazione del figlio secondo le attitudini e le inclinazioni dello stesso (
art. 276 cpv. 1 e 2 CC
). Tale onere - commisurato ai bisogni particolari, alla situazione sociale e alle possibilità economiche della famiglia (
art. 285 cpv. 1 e 302 CC
) - cessa nella misura in cui si può ragionevolmente pretendere che il figlio sopperisca alle proprie necessità con il ricavo del suo lavoro o con altri mezzi (
art. 276 cpv. 3 CC
). L'onere si estingue anche alla maggiore età del figlio, ma può sospingersi oltre questo limite se il figlio non ha ancora ultimato la formazione professionale ed è lecito esigere, dato l'insieme delle circostanze, che i genitori continuino ad assumersi il mantenimento per la durata normale di simile formazione (
art. 277 CC
).
In concreto non v'è dubbio che il ricorrente, industriale con un reddito imponibile di Fr. 465'000.-- annui (periodo di tassazione 1981/82), possa finanziare gli studi della figlia a Zurigo. Non è
BGE 111 II 410 S. 411
seriamente criticabile, dipoi, che la figlia, con un certificato di maturità federale tipo D (lingue moderne), abbia espresso la volontà di seguire una scuola di interprete. Per di più, gli accertamenti della corte cantonale - che vincolano la giurisdizione per riforma (
art. 63 cpv. 2 OG
) - non permettono di attribuire alla figlia la responsabilità nel deteriorarsi dei rapporti con il padre. Dalla sentenza impugnata risulta, nondimeno, che la figlia possiede un appezzamento forestale (107'994 mq) nella Renania-Vestfalia, donato dal padre e stimato DM 498'080.--, come pure un libretto di risparmio con un saldo di DM 43'264.77, su cui confluiscono i proventi, invero irregolari, della tenuta. La resistente sarebbe in grado, quindi, di sovvenire alla propria formazione senza l'aiuto del padre. Rimane da chiarire se, nelle contingenze descritte, sussista in tutto o in parte un obbligo di mantenimento a carico del genitore.
a) Dal profilo giuridico - rileva l'autorità cantonale - o l'obbligo di mantenere un figlio maggiorenne configura l'eccezione, e allora diventa attuale solo se in assenza del sostegno il figlio sarebbe costretto a interrompere gli studi, oppure esso rappresenta il naturale prolongamento di quello dovuto al figlio minorenne, e allora i genitori possono esserne dispensati solo se la continuazione dei versamenti appaia iniqua di fronte alla possibilità per il figlio di completare la formazione usando i propri mezzi. In effetti, e nonostante l'obbligo di mantenimento (che comprende le spese di istruzione e educazione) dopo la maggiore età abbia - contrariamente all'assunto dei giudici d'appello - carattere di eccezione (Messaggio 5 giugno 1974 del Consiglio federale, in: FF 1974 II 59; HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, II edizione, pag. 21; STETTLER, L'obligation d'entretien des parents à l'égard d'enfants majeurs, in: Rivista di diritto tutelare, RDT 37/1982, pag. 8; cfr. altresì
DTF 107 II 477
), il legislatore ha inteso lasciare aperta una soluzione di equità, prescrivendo che i genitori debbono mantenere il figlio maggiorenne agli studi - "per quanto si possa ragionevolmente pretendere da loro dato l'insieme delle circostanze" - sino al momento in cui la formazione professionale possa concludersi nel debito modo (
art. 277 cpv. 2 CC
). Ai fini di un giudizio equitativo (
art. 4 CC
;
DTF 109 II 410
consid. 2c; HEGNAUER, op.cit., pag. 119) occorre ricordare, soprattutto, che l'obbligo di mantenimento viene meno "nella misura in cui si possa ragionevolmente pretendere che il figlio vi provveda da sé
BGE 111 II 410 S. 412
con il provento del suo lavoro o con altri mezzi" (
art. 276 cpv. 3 CC
) e che già i redditi del figlio minorenne possono essere impiegati dai genitori per il sostentamento, l'educazione e l'istruzione (
art. 319 cpv. 1 CC
), prelievi sulla sostanza essendo subordinati invece al consenso dell'autorità tutoria (
art. 320 cpv. 2 CC
).
b) Nel caso in esame i giudici di appello hanno condiviso la sentenza di primo grado che, stabilito in Fr. 1600.-- mensili il fabbisogno dell'istante per mantenersi agli studi, ha addebitato Fr. 600.-- all'istante medesima e Fr. 1000.-- al padre. In pratica le giurisdizioni cantonali hanno imposto alla resistente di utilizzare l'intero reddito della sostanza (Fr. 35'000.-- circa) accumulatosi sul noto libretto di risparmio, ponendo la differenza a carico del padre. Ora, se da un lato questo riparto non tiene conto dei redditi futuri, dall'altro non si può disconoscere che - come emerge dalla pronunzia impugnata - le entrate in questione sono irregolari per la natura stessa della sostanza (tenuta forestale) né il ricorrente ha fornito prove sulla continuità e l'entità di simili ricavi una volta dedotti i costi di gestione e i tributi fiscali. Del resto non si può escludere che, prescindendo da tali introiti, il possedimento sia stato donato alla figlia per fruttare interesse - diversamente da un'eventuale assicurazione-vita contratta dal padre a favore del figlio e destinata a coprire le spese di formazione (esempio addotto da HEGNAUER in: RDT 37/1982 pag. 41 seg.) - e che esso costituisca pertanto un bene libero, i cui redditi sono sottratti al genitore quand'anche la figlia fosse minorenne (
art. 321 CC
). Nella fattispecie si deve tener presente, inoltre, la cospicua disponibilità finanziaria del convenuto, tassato per un reddito di quasi mezzo milione di franchi l'anno. Evocati presupposti del genere, non può dirsi che i giudici cantonali abbiano omesso di valutare equamente l'insieme delle circostanze. Non sarebbe giustificato attendersi che la figlia, oltre a utilizzare il libretto di risparmio con il saldo dei redditi passati, faccia capo agli incerti e indeterminati redditi futuri della proprietà ricevuta dal padre oppure debba vendere o gravare di ipoteche i terreni quando si ignorano (anche nel tempo) le possibilità di realizzare l'area boschiva o di concedere diritti di pegno a un istituto di credito qualsiasi.
Il convenuto asserisce che la donazione immobiliare sarebbe avvenuta allo scopo di garantire gli studi della figlia o, comunque sia, sarebbe in relazione con le spese di apprendimento, e che la figlia avrebbe mancato ai propri doveri nei confronti del padre. La tesi è inammissibile,
BGE 111 II 410 S. 413
nessuna delle due ipotesi risultando dal giudizio querelato (art. 55 cpv. 1 lett. c OG). Come si è detto, poi, nel primo caso la donazione non esonererebbe ugualmente il convenuto; nel secondo non consta in alcun modo che l'atteggiamento della figlia (da valutare nell'ambito delle "circostanze" richiamate dall'
art. 277 cpv. 2 CC
; cfr. HEGNAUER in: RDT 35/1980 pag. 97 e RDT 38/1983 pag. 137; REUSSER, Unterhaltspflicht, Unterstützungspflicht, Kindesvermögen, in: Das neue Kindesrecht, Berner Tage für die juristische Praxis, pag. 65; GROB, Die familienrechtlichen Unterhalts- und Unterstützungsansprüche des Studenten, tesi, Berna 1975, pag. 52 segg.) possa avere effetti sfavorevoli sulla pretesa in discorso.
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è respinto nella misura in cui è ammissibile e la sentenza impugnata è confermata. | public_law | nan | it | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
385abd2b-aa4c-444d-8023-c299ab14e2b0 | Urteilskopf
135 I 161
19. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. F. gegen IV-Stelle Schwyz (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_463/2008 vom 30. April 2009 | Regeste
Art. 2 Abs. 2 UNO-Pakt I
; Art. 8 Abs. 2 und 4,
Art. 190 BV
;
Art. 21 Abs. 2 IVG
;
Art. 14 IVV
;
Art. 2 HVI
; Ziff. 9.02 HVI-Anhang; Anspruch auf Abgabe eines Rollstuhl-Zuggeräts.
Bei Wochenaufenthalter/innen in einer Eingliederungsstätte (Wohn- und Arbeitszentrum) beziehen sich die gesetzlichen Eingliederungsziele der "Fortbewegung" und der "Herstellung des Kontakts mit der Umwelt" räumlich auf die ausserhalb der Einrichtung nächstgelegene Örtlichkeit, an der die üblichen sozialen Kontakte der ansässigen Bevölkerung stattfinden (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 162
BGE 135 I 161 S. 162
A.
Die 1988 geborene F. ist mit den Geburtsgebrechen Nr. 381 und Nr. 386 des Anhangs zur Verordnung vom 9. Dezember 1985 über Geburtsgebrechen (GgV Anhang; SR 831.232.21) zur Welt gekommen und auf den Rollstuhl angewiesen. Mit Gesuch vom 7. Februar 2003 beantragte sie die Abgabe eines neuen Rollstuhls und eines Rollstuhl-Zuggerätes SWISS-TRAC. Die IV-Stelle Schwyz bewilligte mit Verfügung vom 28. März 2003 zwar den Aktiv-Rollstuhl, lehnte es aber ab, für ein Rollstuhl-Zuggerät oder einen Elektrorollstuhl aufzukommen. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 23. September 2003 ab. Dieser erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Am 24. Februar 2006 ersuchte F. erneut um Abgabe eines RollstuhlZuggerätes. Die IV-Stelle Schwyz wies das Begehren mit Verfügung vom 12. April 2006 und Einspracheentscheid vom 12. November 2007 abermals ab.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 9. April 2008 ab.
C.
F. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und es sei ihr "Kostengutsprache (...) für die Anschaffung eines Rollstuhl-Zuggerätes Swiss-Trac" zu erteilen; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen; ferner beantragt sie die unentgeltliche Rechtspflege.
Verwaltung, Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf Vernehmlassung.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Bei der Auslegung sozialversicherungsrechtlicher Leistungsnormen sowie bei der Ermessensausübung ist den Grundrechten und verfassungsmässigen Grundsätzen Rechnung zu tragen, soweit dies im Rahmen von
Art. 190 BV
, wonach Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend sind, möglich ist (
BGE 134 I 105
E. 6 S. 110 mit Hinweisen).
2.2
Völkerrechtlich zu beachten sind die Bestimmungen des Internationalen Paktes der Vereinten Nationen vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I;
BGE 135 I 161 S. 163
SR 0.103.1). Die in
BGE 120 Ia 1
E. 5 S. 10 f. begründete Rechtsprechung, wonach der UNO-Pakt I grundsätzlich keine direkt anwendbaren Individualgarantien enthält, wurde vom Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 121 V 229
E. 3 S. 232 ff. und 246 E. 2 S. 248 ff. für den Bereich des Sozialversicherungsrechts bestätigt. In
BGE 123 II 472
E. 4d S. 478 betonte das Bundesgericht, dass das Diskriminierungsverbot von
Art. 2 Abs. 2 UNO-Pakt I
insoweit akzessorisch ist, als es einer Stütznorm im Sozialpakt selber bedarf.
Art. 9 UNO-Pakt I
ist danach programmatischer Natur ("Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf Soziale Sicherheit an; diese schliesst die Sozialversicherung ein") und präzisiert den Inhalt der sozialen Sicherheit nicht (BBl 1994 V 52); es findet sich dort keine direkte Anspruchsgrundlage für das hier strittige Hilfsmittel (Urteil 8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 6).
2.3
Verfassungsrechtlich verbietet
Art. 8 Abs. 2 BV
die Diskriminierung namentlich auch wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung, verbürgt jedoch keinen individualrechtlichen, gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Herstellung faktischer Gleichheit (
BGE 134 I 105
E. 5 S. 108 mit Hinweisen). Die Bedeutung der Bundesverfassung als Rechts- und Inspirationsquelle für die Anwendung des Sozialversicherungsrechts liegt vor allem in der verfassungskonformen (oder verfassungsbezogenen) Interpretation. Demgemäss ist - sofern durch den Wortlaut (und die weiteren massgeblichen normunmittelbaren Auslegungselemente) nicht klar ausgeschlossen - der bundesgesetzlichen Norm jener Rechtssinn beizumessen, welcher mit der Verfassung (am besten) übereinstimmt (ULRICH MEYER, Allgemeine Einführung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2007, S. 52 Rz. 61).
3.
3.1
Gemäss
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 IVG
hat der Versicherte im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren er für die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit im Aufgabenbereich, zur Erhaltung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit, für die Schulung, die Aus- und Weiterbildung oder zum Zwecke der funktionellen Angewöhnung bedarf. Der Versicherte, der infolge seiner Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedarf, hat im Rahmen der vom Bundesrat aufzustellenden Liste ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit Anspruch auf solche Hilfsmittel (
Art. 21 Abs. 2 IVG
).
BGE 135 I 161 S. 164
3.2
Der Bundesrat hat in
Art. 14 IVV
(SR 831.201) dem Eidg. Departement des Innern den Auftrag übertragen, die Liste der in
Art. 21 IVG
vorgesehenen Hilfsmittel zu erstellen. Laut
Art. 2 der Verordnung vom 29. November 1976 über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI; SR 831.232.51)
besteht im Rahmen der im Anhang angeführten Liste Anspruch auf Hilfsmittel, soweit diese für die Fortbewegung, die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge notwendig sind (Abs. 1). Die im HVI-Anhang enthaltene Liste ist insofern abschliessend, als sie die in Frage kommenden Hilfsmittelkategorien aufzählt (
Art. 21 IVG
; vgl.
Art. 2 Abs. 1 HVI
;
BGE 131 V 9
E. 3.4.2 S. 14 f.).
3.3
Mit den Hilfsmitteln für Versicherte, die infolge ihrer Invalidität für die Fortbewegung kostspieliger Geräte bedürfen, befasst sich Ziff. 9 HVI-Anhang (Rollstühle), wobei unterschieden wird zwischen Rollstühlen ohne motorischen Antrieb (Ziff. 9.01) und Elektrorollstühlen (Ziff. 9.02). Bei Letzteren erfolgt die Abgabe leihweise an Versicherte, die einen gewöhnlichen Rollstuhl nicht bedienen und sich nur dank elektromotorischem Antrieb selbstständig fortbewegen können.
4.
Es steht fest, dass die hier zur Diskussion stehende elektrische Schub- oder Zughilfe für einen gewöhnlichen Rollstuhl - der Sache nach - funktionell als Elektrorollstuhl im Sinne von Ziff. 9.02 HVIAnhang zu behandeln ist und die Beschwerdeführerin die Anspruchsvoraussetzungen für die Abgabe eines Rollstuhls ohne motorischen Antrieb erfüllt. Streitig ist, ob sie Anspruch auf die Motorhilfe für ihren Rollstuhl hat.
4.1
Die Hilfsmittelversorgung unterliegt den allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen gemäss
Art. 8 IVG
(Geeignetheit, Erforderlichkeit, Eingliederungswirksamkeit;
BGE 122 V 212
E. 2c S. 214). Anspruch auf einen Elektrorollstuhl besteht, wenn dieser für die Fortbewegung, die Herstellung des Kontakts mit der Umwelt oder für die Selbstsorge notwendig ist. Die Selbstständigkeit in der Fortbewegung mit einem elektromotorisch angetriebenen Rollstuhl ist Eingliederungsziel und Voraussetzung für die Abgabe eines Elektrofahrstuhls an die versicherte Person (
BGE 121 V 258
E. 3b/bb S. 261 f.; ZAK 1988 S. 181, I 181/87 E. 2a; je mit Hinweisen). Der Eingliederungsbereich umfasst die selbstständige Verschiebung im häuslichen Bereich wie auch ausserhalb des Hauses (Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts I 712/04 vom 13. Oktober
BGE 135 I 161 S. 165
2005 E. 2.3; I 298/01 vom 15. Februar 2002 E. 1c; I 340/93 vom 25. Mai 1994 E. 2b; I 269/90 vom 25. März 1991 E. 2b). Anspruch auf die Abgabe eines Elektrorollstuhls haben Versicherte, die einen gewöhnlichen Fahrstuhl nicht bedienen und sich nur dank elektromotorischem Antrieb fortbewegen können (Ziff. 9.02 HVI-Anhang). Sind die Anspruchsvoraussetzungen für die Abgabe eines Elektrorollstuhls erfüllt, kann auf Wunsch der Versicherten anstelle eines solchen ein batteriebetriebener Hilfsantrieb für einen gewöhnlichen Rollstuhl abgegeben werden (Kreisschreiben des BSV über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung [KHMI], Ziff. 9.02.6 [
http://www.bsv.admin.ch/vollzug
]). Ein Schub- oder Zuggerät geht nur dann zu Lasten der Invalidenversicherung, wenn es nicht nur von einer Hilfsperson, sondern auch von der Versicherten selbst bedient werden kann (vgl. ZAK 1988 S. 180, I 181/87).
4.2
Mit dem unangefochten rechtskräftig gewordenen Einspracheentscheid vom 23. September 2003 wurde der Anspruch auf einen Elektrorollstuhl abgelehnt. Für Eingliederungsmassnahmen gelten analoge Revisionsvoraussetzungen wie für Renten (
BGE 113 V 22
E. 3b S. 27; KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 24 und 39 zu
Art. 17 ATSG
). Dabei kommen nicht nur Änderungen im Gesundheitszustand, sondern auch in anderen relevanten Sachverhaltsaspekten als Revisionsgründe in Frage (
BGE 113 V 22
E. 3b S. 27). Nach verbindlicher Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz hat sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin seitdem nicht verändert, ausser dass sie reifer und selbstständiger geworden ist. Nicht verändert hat sich auch der Umstand, dass sie ohne Elektrorollstuhl nicht in der Lage ist, am Wochenende das Wohnhaus ihrer Eltern zu erreichen. Verändert hat sich, dass sie nicht mehr in der Stiftung für Körperbehinderte zur Schule geht. Seit dem 20. August 2007 (und damit vor dem Einspracheentscheid vom 12. November 2007) absolviert sie eine BBT-Anlehre "Elektrobauteilemonteurin" im Wohn- und Arbeitszentrum (nachfolgend: WAZ). Diese Änderung in den Lebensumständen kann eine Neubeurteilung rechtfertigen.
5.
5.1
Leistungen, die im HVI-Anhang aufgeführt sind, werden nicht ohne weiteres, sondern nur soweit erforderlich und lediglich in einfacher und zweckmässiger Ausführung erbracht (
Art. 21 Abs. 2 IVG
;
Art. 2 Abs. 4 HVI
). Die Invalidenversicherung ist auch im Bereich der Hilfsmittel keine umfassende Versicherung, welche sämtliche durch die Invalidität verursachten Kosten abdecken will;
BGE 135 I 161 S. 166
das Gesetz will die Eingliederung lediglich soweit sicherstellen, als diese im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist und zudem der voraussichtliche Erfolg der Eingliederungsmassnahme in einem vernünftigen Verhältnis zu ihren Kosten steht (
Art. 8 Abs. 1 IVG
;
BGE 134 V 105
E. 3 S. 107 f. mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung bezieht sich die Notwendigkeit des Hilfsmittels auf die konkrete Situation, in welcher die versicherte Person lebt. So wurde ein Elektrorollstuhl zugesprochen bei einer Versicherten, die sich zwar auf völlig ebenem Gelände mit einem Handrollstuhl fortbewegen konnte, aber in ihrer konkreten Wohnlage mit Verkehrsgabelungen die alltäglichen Besorgungen nicht selbstständig erledigen konnte (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 340/93 vom 25. Mai 1994). Der Anspruch auf einen Elektrorollstuhl wurde ebenfalls bejaht, weil ein Versicherter sonst nicht in der Lage gewesen wäre, Strassensteigungen, Rampen oder Bordsteinkanten zu überwinden, womit ihm der selbstständige Gang ins Dorfzentrum zur Verrichtung verschiedenster notwendiger Besorgungen verwehrt gewesen wäre (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts l 185/92 vom 1. September 1992).
5.2
Der Fall der Beschwerdeführerin unterscheidet sich von den genannten insofern, als sie im WAZ arbeitet und während der Woche wohnt; sie kann hier die alltäglichen Lebensbedürfnisse, inklusive Freizeitangebot und soziale Kontakte, grundsätzlich erfüllen. Es ist unbestritten, dass sie sich auf dem Gelände des WAZ mit dem Handrollstuhl allein fortbewegen kann. Den Hilfsmittelanspruch begründet sie damit, es fehle ihr die nötige Kraft, sich vom WAZ selbstständig ins Dorf und wieder zurück zu begeben, falls sie dort soziale Kontakte pflegen und Einkäufe besorgen will.
5.3
Die Vorinstanz ist ihr insofern gefolgt, als sie die Regelung in Ziff. 9.02 HVI-Anhang, wonach Elektrorollstühle Versicherten abzugeben sind, die einen gewöhnlichen Rollstuhl nicht bedienen und sich nur dank elektromotorischem Antrieb selbstständig fortbewegen können, nicht so eng auslegt, dass ein solcher Stuhl nur dann in Frage kommt, wenn auch in ebenem Gelände die Fortbewegung nur mit Antrieb möglich ist. Die Gelegenheit, eigenständig von der Eingliederungsstätte ins Dorf und zurück zu gelangen, falle ohne Zweifel unter die Anspruchsvoraussetzung der Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt. Konkret sei es der Versicherten jedoch möglich, die Steigung vom Dorf zum WAZ selbstständig zu bewältigen. Der Höhenunterschied betrage rund 9 Meter auf eine Distanz von
BGE 135 I 161 S. 167
400 Metern, wobei die Steigung ("Angaben gemäss TwixRoute") konstant sei. Von einem Hügel könne somit kaum gesprochen werden. Wenn die Beschwerdeführerin nach eigener Aussage kürzere Steigungen alleine überwinden könne, dürfe angenommen werden, dass sie auch die fragliche Strecke selbstständig, allenfalls unter Einlegung von Pausen, zurücklegen und darum mit dem Handrollstuhl - unter Umständen unter Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel - ins Dorfzentrum und wieder zurück gelangen könne.
6.
Der Umstand einer starken Steigung oder eines nicht rollstuhlgängigen Geländes kann generell nicht schon Grund sein für den Anspruch auf ein elektrisch betriebenes Gefährt, da sonst jede auf den Rollstuhl angewiesene Person einen solchen geltend machen könnte. Eine solche Leistungsausweitung ist vom Gesetzgeber klarerweise nicht gewollt, wenn er die Abgabe eines Elektrorollstuhls an Versicherte vorsieht, die einen gewöhnlichen Rollstuhl nicht bedienen und sich nur dank einem Motor selbstständig fortbewegen können (Ziff. 9.02 HVI-Anhang). Wenn das Gesetz den Bedarf des Geräts zur "Fortbewegung" vorsieht, kann darum nicht gemeint sein, dass die betroffene Person sich mit dem Rollstuhl in jedem Gelände bewegen können muss. Die Vorinstanz hat dies mit Recht erkannt. Richtig ist aber auch ihre Auffassung, dass bei Wochenaufenthaltern in einer Eingliederungsstätte wie dem Wohn- und Arbeitszentrum WAZ sich die Eingliederungsziele der "Fortbewegung" und der "Herstellung des Kontakts mit der Umwelt" räumlich auf die ausserhalb der Wohn- und Arbeitsstätte nächstgelegene Örtlichkeit beziehen, an der die üblichen sozialen Kontakte der ansässigen Bevölkerung stattfinden. Deshalb darf bei der Abklärung des Hilfsmittelbedarfs nicht nur die künstliche und bedürfnisangepasste Umgebung einer behinderungsgerechten Eingliederungsstätte in die Prüfung der Rollstuhlgängigkeit einbezogen werden. Es ist stets die Frage zu klären, ob die versicherte Person über die Kraft verfügt, mit dem normalen Rollstuhl den Kontakt zur Umwelt ausserhalb des unmittelbaren Bereichs der Eingliederungsstätte aufnehmen zu können. Kann sie sich nicht selbstständig zu der nächstgelegenen Örtlichkeit begeben, wo Einkäufe getätigt, die Post erledigt, ansässige Ärzte besucht, ein Kiosk oder ein Restaurant usw. aufgesucht werden können, hat sie Anspruch auf die motorische Zughilfe. Dass sie solche alltäglichen Lebensbedürfnisse ohne Mobilitätshilfe einer Fremdperson abdecken kann, ist vom gesetzlich angestrebten Eingliederungserfolg erfasst. Die Kosten der Abgabe eines solchen Gerätes
BGE 135 I 161 S. 168
stehen wie vom Gesetz gefordert in einem vernünftigen Verhältnis zum Erfolg der Eingliederungsmassnahme, umso mehr, als so Betreuung und Fremdhilfe wegfallen können.
7.
7.1
Die Beschwerdeführerin kritisiert unter Beilage von Kartenauszügen und Streckenprofilen die vorinstanzliche Annahme (vorne E. 5.3), die Steigung zum WAZ betrage nur 9 Meter auf eine Distanz von 400 Metern und sei auch im Handrollstuhl überwindbar. Im Einspracheentscheid war die IV-Stelle davon ausgegangen, dass es ausreicht, wenn sich die Beschwerdeführerin im WAZ und dessen Umgebung fortbewegen kann; die konkrete örtliche Situation zwischen Ortszentrum und WAZ brauchte bei dieser Rechtsauffassung nicht geprüft zu werden. In der Beschwerde an das Verwaltungsgericht hatte die Beschwerdeführerin vorgebracht, das WAZ befinde sich auf einem Hügel, den sie mit dem Handrollstuhl nicht selbstständig bewältigen könne. In der Vernehmlassung hatte die IV-Stelle geltend gemacht, der Höhenunterschied sei minim und für Rollstuhlfahrer zu bewältigen. Die Vorinstanz stellte in ihrem Urteil entscheidwesentlich auf diese Sachverhaltsdarstellung ab, ohne der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äussern. Darin liegt einerseits eine Gehörsverletzung und damit eine Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
, die zur Folge hat, dass das Bundesgericht an die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung nicht gebunden ist, und andererseits ein Umstand, der das Vorbringen von Noven rechtfertigt. Die von der Beschwerdeführerin vor Bundesgericht vorgelegten Unterlagen wecken begründete Zweifel an der Annahme der Vorinstanz, die Steigung sei mit dem Handrollstuhl überwindbar. Die Sache ist daher an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie prüfe, wie es sich damit verhält. Sollte in der Tat die Strecke mit dem Handrollstuhl nicht zu bewältigen sein, so besteht nach dem Gesagten Anspruch auf das beantragte Zuggerät. In diesem Sinne ist die Beschwerde begründet.
7.2
Hingegen kann mit dem erhöhten Wohnort der Eltern der Anspruch auf einen Elektrorollstuhl nicht begründet werden. Diesbezüglich hat sich seit der rechtskräftigen Ablehnung des früheren Gesuchs nichts geändert (vorne E. 4.2). Zudem befindet sich die Beschwerdeführerin nur während der Wochenenden und Ferien bei ihren Eltern. Der Schwerpunkt der sozialen Kontakte, der die Abgabe des Hilfsmittels rechtfertigt (vorne E. 6) liegt dort, wo der grösste Teil der Zeit verbracht wird, also im WAZ. Es lässt sich auch
BGE 135 I 161 S. 169
nicht sagen, dass ohne Elektrorollstuhl der Aufenthalt bei der Familie völlig verunmöglicht würde, was aufgrund verfassungskonformer Auslegung Anspruch auf Hilfsmittel geben könnte (vgl.
BGE 134 I 105
E. 8.3 S. 112). | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
385c0ccf-8d47-4779-99c9-846b50442242 | Urteilskopf
103 V 11
2. Urteil vom 10. Februar 1977 i.S. Müller gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 12 Abs. 1 IVG
.
Voraussetzungen des Anspruchs auf medizinische Massnahmen beim grauen Star.
Zusammenfassung der Rechtsprechung. | Sachverhalt
ab Seite 11
BGE 103 V 11 S. 11
A.-
Die im Jahre 1945 geborene Versicherte leidet seit ihrer Geburt bzw. seit ihrer frühen Kindheit unter verschiedenen Gebrechen, namentlich unter totaler Taubheit. Die Invalidenversicherung übernahm zu ihren Gunsten etliche Eingliederungsmassnahmen und gewährt ihr seit 1. Oktober 1965 eine halbe einfache Invalidenrente. Die Versicherte übt den Beruf einer Glätterin aus.
BGE 103 V 11 S. 12
Von 1961 bis 1972 stand die Versicherte bei Prof. G., anschliessend bei der Augenärztin Dr. G.-F. in Behandlung wegen einer beidseitigen Retinitis pigmentosa. Nach einem Arztbericht des Prof. G. vom 10. Mai 1962 betrug die Sehschärfe gegen 0,5-0,6 und das Gesichtsfeld war erheblich eingeschränkt. Es bestand Nachtblindheit. Bei dieser Erkrankung sei - so wird im Bericht ausgeführt - mit einer allmählichen Verschlechterung bis zur praktischen Erblindung zu rechnen, die im allgemeinen etwa mit dem 50. Lebensjahr erreicht sei.
Die Retinitis scheint sich indessen bis heute nicht verschlimmert zu haben. Dagegen entwickelte sich eine beidseitige Katarakt (Cataracta complicata), welche die Sehkraft und die Arbeitsfähigkeit der Versicherten rasch erheblich sinken liess. Sie unterzog sich daher am 13. Mai 1975 einer Linsenextraktion am linken Auge. Nach der Operation wurde dieses Auge mit einer Kontaktlinse und mit einer Starbrille versorgt, so dass es im Mai 1976 wieder eine Sehschärfe von 0,5-0,6 erlangte. Eine analoge Operation am rechten Auge ist vorgesehen.
B.-
Die Ausgleichskasse des Kantons Bern lehnte am 5. September 1975 die Übernahme der Operationskosten vom 13. Mai 1975 verfügungsweise ab, da es sich um einen Eingriff in ein gesamthaft gesehen labiles pathologisches Geschehen handle, der nicht unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet noch geeignet sei, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Das Versicherungsgericht des Kantons Bern wies eine Beschwerde gegen diese Verfügung mit Entscheid vom 9. Dezember 1975 ab.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Vater der Versicherten, die Verfügung der Ausgleichskasse und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Bern seien aufzuheben und die Kosten der erfolgten sowie der vorgesehenen Operation seien der Invalidenversicherung zu überbinden. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen im Sinne von
Art. 12 IVG
seien erfüllt; seine Tochter habe denn auch dank der Operation vom 13. Mai 1975 ihre Arbeit wieder aufnehmen können. Seine Ausführungen belegt er mit einem Zeugnis der Augenärztin Dr. G.-F. vom 7. Mai 1976.
Während die Ausgleichskasse auf eine Stellungnahme verzichtet,
BGE 103 V 11 S. 13
trägt das Bundesamt für Sozialversicherung auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Hinweis auf
BGE 102 V 41
f. und
BGE 101 V 46
).
2.
Die Operation des grauen Stars, welcher sich die Beschwerdeführerin im Alter von 30 Jahren unterzog, war geeignet, ihre Arbeitsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern, auch wenn auf Grund der Retinitis pigmentosa in ungefähr zwei Jahrzehnten ihre Sehfähigkeit erheblich eingeschränkt sein sollte, was immerhin nicht mit Sicherheit feststeht. Nach der Rechtsprechung ist eine dauernde und wesentliche Verbesserung der Arbeitsfähigkeit selbst dann gegeben, wenn ein Mann im Alter von 64 bis 65 Jahren, dessen Aktivitätserwartung bei etwas über sieben Jahren liegt, sich erfolgreich einer Kataraktoperation unterzieht.
3.
Entscheidend für den Ausgang des Verfahrens ist nun aber nicht der Erfolg des operativen Eingriffs, sondern die Frage nach dessen Ziel und Zweck: War mit der Kataraktoperation in erster Linie die berufliche Eingliederung beabsichtigt oder die Behandlung des Leidens an sich?
a) Die operative Behandlung des grauen Stars ist nach ständiger Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts nicht auf die Heilung labilen pathologischen Geschehens gerichtet, sondern zielt darauf ab, das sonst sicher spontan zur Ruhe gelangende und alsdann stabile oder relativ stabile Leiden durch Entfernung der trüb und daher funktionsuntüchtig gewordenen Linse zu beseitigen (EVGE 1962 S. 208 Erw. 3; vgl. auch ZAK 1975 S. 157, 1971 S. 274 Erw. 1, 1970 S. 109 Erw. 3, 1966 S. 264 Erw. 3).
b) Bei den Katarakten, die durch eines oder mehrere Grundleiden verursacht wurden, welche als solche labilem pathologischem Geschehen angehören (Cataractae complicatae, vgl. AMSLER und Mitherausgeber, Lehrbuch der Augenheilkunde, 3. Aufl., S. 662 f.), hat sich die Rechtsprechung wie folgt entwickelt:
Im Urteil Sandmeier vom 1. Februar 1974 anerkannte das Eidg. Versicherungsgericht die Linsenextraktion als eine medizinische Eingliederungsmassnahme, da zwischen der Nierentransplantation und der Katarakt kein enger, ursächlicher Zusammenhang
BGE 103 V 11 S. 14
bestehe; der graue Star sei vielmehr indirekt als schädliche Nebenfolge der intensiven Cortisontherapie entstanden, mit der die Abstossung des Nierentransplantats zu verhindern getrachtet worden sei. Daraus ist zu schliessen, dass die Operation nicht zu Lasten der Invalidenversicherung gegangen wäre, wenn das Nierenleiden den grauen Star direkt verursacht hätte.
Im Urteil Zogg vom 29. November 1974 (ZAK 1975 S. 157 ff.) erklärte das Eidg. Versicherungsgericht, dass auch beim grauen Star innerhalb des spezifischen Anwendungsbereichs des
Art. 12 IVG
der Gesundheitsschaden als solcher und nicht dessen Ursache ausschlaggebend sei. Voraussehbare Auswirkungen einer Zuckerkrankheit könnten indessen im Einzelfall entscheidend sein bei der Beantwortung der Frage nach der Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit des Eingliederungserfolges.
Bei Claudia Leuenberger, geboren 1967, welche u.a. an einem durch die Still-Chauffard'sche Krankheit verursachten grauen Star litt, bestätigte das Eidg. Versicherungsgericht seine im Urteil Zogg begründete Rechtsprechung, wonach die Ursache der Katarakt nicht erheblich ist für den Entscheid, ob die mit der Linsentrübung verbundenen Behandlungen Eingliederungsmassnahmen im Sinne von
Art. 8 und 12 Abs. 1 IVG
seien oder nicht. Daraus folge, dass die vom Bundesamt für Sozialversicherung in Rz. 1298 der IV-Mitteilungen Nr. 169 vom 10. September 1974 aufgestellten Weisungen bezüglich des sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit der Behandlung der Grundkrankheit - im gleichen Sinn: Rz. 42 des Kreisschreibens über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen - zur Beurteilung der Frage, ob die Invalidenversicherung eine Staroperation als medizinische Eingliederungsmassnahme zu übernehmen habe, nicht anwendbar seien (nicht publiziertes Urteil Leuenberger vom 28. Juli 1975).
Die Urteile Zogg und Leuenberger drücken somit klar aus, dass die Staroperation eine Eingliederungsmassnahme sein kann, wobei die Ursache des Leidens keinen unmittelbaren Einfluss ausübt. Sie verdienen den Vorzug vor dem Urteil Sandmeier, das älter ist und dessen widersprechende Regel nur aus einem "e contrario"-Schluss abgeleitet werden kann.
c) Wie bereits in Erwägung 2 angeführt, wird die Retinitis pigmentosa, die eine bekannte Ursache des grauen Stars ist
BGE 103 V 11 S. 15
(siehe bei AMSLER und Mitherausgeber, a.a.O., S. 662 und 717/724), der Beschwerdeführerin mit aller Wahrscheinlichkeit ungefähr zwei Jahrzehnte Ruhe lassen, bis sie dadurch in ihrer Erwerbsfähigkeit behindert werden könnte. Die Linsenentfernung vereinigt somit im vorliegenden Fall alle entscheidenden Elemente einer medizinischen Eingliederungsmassnahme gemäss
Art. 12 Abs. 1 IVG
. Obgleich sich dieselbe Frage sowohl bei der bereits ausgeführten Operation am linken Auge wie auch bei der noch folgenden am rechten Auge stellt, hat die Ausgleichskasse nur über den ersten Eingriff verfügt. Da die Beschwerdeführerin nach Massgabe der Erwägungen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung für die Starbehandlung hat, ist das Urteil der Vorinstanz vom 9. Dezember 1975 sowie die Kassenverfügung vom 5. September 1975 aufzuheben. Über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Leistungen der Invalidenversicherung für die Behandlung am rechten Auge hat die Ausgleichskasse noch zu verfügen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Bern vom 9. Dezember 1975 und die angefochtene Kassenverfügung vom 5. September 1975 aufgehoben. Die Invalidenversicherung hat die zur Behandlung des grauen Stars am linken Auge der Beschwerdeführerin notwendigen medizinischen Massnahmen zu übernehmen. Die Sache wird an die Ausgleichskasse des Kantons Bern zurückgewiesen, damit diese über die Einzelheiten der Übernahme befinde und über die Leistungen der Invalidenversicherung für die Behandlung des grauen Stars am rechten Auge verfüge. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
385f86cf-4c44-459c-b93b-864b814e42ca | Urteilskopf
123 I 56
8. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. April 1997 i.S. X. gegen Gemeinde Sils im Domleschg und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 Abs. 2 BV
; Feuerwehrpflichtersatz.
Eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau hinsichtlich der Bezahlung von Feuerwehrpflichtersatz verstösst gegen
Art. 4 Abs. 2 BV
(E. 2).
Eine Frist von nahezu 14 Jahren zur Anpassung eines verfassungswidrigen Gemeindereglements ist zu lange (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 56
BGE 123 I 56 S. 56
X., wohnhaft in der Gemeinde Sils im Domleschg, liess eine am 25. März 1995 versandte Rechnung über Fr. 350.-- für Feuerwehrpflichtersatz für das Jahr 1995 unbezahlt. Am 21. Juli 1995 erliess die Feuerkommission der Gemeinde eine Veranlagungsverfügung, wogegen X. Einsprache mit der Begründung erhob, es widerspreche der Gleichstellung von Frau und Mann, wenn lediglich die Männer feuerwehr- sowie feuerwehrersatzpflichtig seien, die Frauen aber nicht. Die Feuerkommission wies die Einsprache mit Entscheid vom 5. Oktober 1995 ab. Gleich entschied auf Einsprache von X. hin der Gemeindevorstand Sils i.D. am 1. November 1995.
Gegen den Entscheid des Gemeindevorstandes erhob X. Rekurs an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses wies den Rekurs im Sinne der Erwägungen ab. Es gelangte zum Schluss, die auf Männer beschränkte Feuerwehr- und Ersatzabgabepflicht sei mit
Art. 4 Abs. 2 BV
(Gleichstellung von Frau und Mann) unvereinbar. Die Verfassungswidrigkeit habe aber nicht zwingend zur Konsequenz, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben werden müsste. Das verfassungswidrige Feuerwehrreglement sei noch vor Inkrafttreten des Gleichstellungsartikels in der Bundesverfassung erlassen worden. In einem solchen Falle gelte es, das Interesse des Rekurrenten an der Aufhebung der verfassungswidrigen Verfügung
BGE 123 I 56 S. 57
abzuwägen gegen dasjenige des kommunalen Gesetzgebers, Gelegenheit zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage zu erhalten. Dabei falle in Betracht, dass der durch die verfassungswidrige Verfügung bewirkte Rechtsnachteil nicht schwer wiege. Auf den 1. Januar 1996 habe die Gemeinde sodann eine neue Feuerwehrverordnung in Kraft gesetzt, welche die Gleichstellung der Geschlechter gewährleiste. Auch wenn damit die Bereinigung des verfassungswidrigen Rechtszustands erst spät erfolgt sei, erscheine die Untätigkeit des kommunalen Gesetzgebers in zeitlicher Hinsicht gerade noch als akzeptabel. Zudem hätte die Gutheissung der Beschwerde eine Ungleichbehandlung zu den feuerwehrpflichtigen Männern zur Folge, womit die eine Verfassungswidrigkeit durch eine andere ersetzt würde. Unter diesen Umständen rechtfertige es sich, von der Aufhebung des angefochtenen Entscheids abzusehen.
X. erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Das Verwaltungsgericht erachtete im angefochtenen Urteil die Ungleichbehandlung von Frau und Mann bei der Feuerwehr- und Ersatzabgabepflicht als verfassungswidrig. Die Gemeinde Sils i.D. beharrt demgegenüber in ihrer Vernehmlassung auf dem Standpunkt, dass die auf Männer beschränkte Feuerwehr- und Ersatzabgabepflicht verfassungsgemäss sei. Da die Beschwerdegegnerin im kantonalen Verfahren obsiegt hat und der Entscheid des Verwaltungsgerichtes sie nicht in ihrer Autonomie verletzt, könnte sie selber nicht staatsrechtliche Beschwerde führen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es indessen zulässig, dass die Beschwerdegegnerin in einem von der anderen Seite eingeleiteten Beschwerdeverfahren den angefochtenen Hoheitsakt in den ihr nachteiligen Punkten kritisiert (
BGE 115 Ia 27
E. 4a S. 30, mit Hinweisen). Bevor auf die Frage einzugehen ist, welche Konsequenzen eine allfällige Verfassungswidrigkeit der auf Männer beschränkten Feuerwehr- und Ersatzabgabepflicht hat, ist demnach zu prüfen, ob die fragliche Regelung der Gemeinde Sils i.D. überhaupt, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, mit
Art. 4 Abs. 2 BV
unvereinbar ist.
b) Nach
Art. 4 Abs. 2 BV
sind Mann und Frau gleichberechtigt (Satz 1). Sie haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige
BGE 123 I 56 S. 58
Arbeit (Satz 3). Die Gleichstellung der Geschlechter in dieser Verfassungsbestimmung besagt, dass Mann und Frau ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhältnisse und Vorstellungen grundsätzlich in allen Bereichen gleich zu behandeln sind; die hergebrachten Anschauungen über die Rollen der Geschlechter sind rechtlich nicht mehr entscheidend. Dem kantonalen wie dem eidgenössischen Gesetzgeber ist es seit dem Inkrafttreten der Verfassungsbestimmung am 14. Juni 1981 grundsätzlich verwehrt, Normen zu erlassen, die Mann und Frau ungleich behandeln.
Art. 4 Abs. 2 BV
schliesst die Geschlechtszugehörigkeit als taugliches Kriterium für rechtliche Differenzierungen aus. Eine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau ist nur noch zulässig, wenn auf dem Geschlecht beruhende biologische oder funktionale Unterschiede eine Gleichbehandlung absolut ausschliessen (
BGE 120 V 312
E. 2a S. 314;
BGE 117 Ia 262
E. 2a S. 264, 270 E. 2a S. 272; je mit Hinweisen). Die Verfassungsbestimmung schützt den Bürger als unmittelbar anwendbares und justiziables Grundrecht gegen Verfügungen, die sich auf verfassungswidrige Normen stützen und eine im genannten Sinne unzulässige Ungleichbehandlung zur Folge haben (
BGE 117 Ia 262
E. 2d S. 265;
BGE 114 Ia 329
E. 2b S. 330 f.; GEORG MÜLLER, Kommentar zu
Art. 4 BV
, Überarbeitung 1995, Rz. 135 und 141).
c) Das Bundesgericht hat bereits im Jahre 1986 entschieden, dass eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau hinsichtlich der Feuerwehrpflicht grundsätzlich verfassungswidrig ist und sich nur insoweit mit
Art. 4 Abs. 2 BV
vereinbaren lässt, als der Feuerwehrdienst körperliche Anstrengungen erfordere, denen nur die kräftigsten Männer des besten Alters gewachsen seien, oder soweit die gesundheitlichen Auswirkungen des Feuerwehrdienstes die Frauen im Interesse allfälliger Nachkommen anders treffen als die Männer (ZBl 88/1987 S. 306 E. 4c/aa). In einem Urteil aus dem Jahre 1991 schützte das Bundesgericht eine auf Männer beschränkte Feuerwehrpflicht in einer kleinen Berggemeinde, weil die Milizwehrdienste auch für Einsätze ausrücken müssten, die von Frauen im Hinblick auf deren biologische und funktionale Ungleichheiten nicht verlangt werden dürften, wie grosse nächtliche Wanderungen allein oder zu zweit als Föhn- oder Windwache (ZBl 92/1991 S. 418 = BVR 1991 S. 439, E. 3). Wo aber ein differenzierter Einsatz möglich ist, lässt sich eine geschlechtsspezifische Ausgestaltung der Feuerwehr- und Ersatzabgabepflicht nicht rechtfertigen (ZBl 88/1987 S. 418, E. 2). Dabei kann die bisherige tatsächliche Organisation des Feuerwehrwesens in einer Gemeinde,
BGE 123 I 56 S. 59
wenn sie darauf beruht, dass jede dienstleistende Person an vorderster Front im Einsatz steht, nicht bereits ausschlaggebend sein. Zu prüfen ist vielmehr, ob eine Änderung dieser Organisationsstruktur möglich ist, welche den Einbezug der Frauen zulässt (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 3. September 1992 i.S. Einwohnergemeinde Egerkingen, E. 4b).
d) Es erscheint fraglich, ob an der bisherigen Rechtsprechung in allen Teilen festgehalten werden kann. Der blosse Umstand, dass eine Feuerwehrtätigkeit bestimmte Risiken birgt, kann jedenfalls nicht zur generellen Dispensation aller Frauen führen, würde das doch bedeuten, dass das Leben von Frauen schutzwürdiger und wertvoller wäre als dasjenige von Männern, was
Art. 4 Abs. 2 BV
widerspräche. Auch ist körperliche Kraft nicht unbedingt geschlechtsspezifisch. Der Umstand, dass im Durchschnitt mehr Männer als Frauen die für den Feuerwehrdienst erforderlichen Eigenschaften besitzen, vermag im Lichte von
Art. 4 Abs. 2 BV
keine entscheidende Rolle zu spielen (ZBl 88/1987 S. 306 E. 4c/aa in fine). Hinzu kommt, dass notorisch in den meisten Gemeinden, in denen eine Wehrdienstpflicht besteht, der grösste Teil der an sich Dienstpflichtigen ihren Dienst nicht persönlich versehen, sondern durch eine Ersatzabgabe abgelten. Da in aller Regel genügend Freiwillige zur Verfügung stehen, wird kaum jemand zum effektiven Wehrdienst zwangsweise herangezogen; Dienstpflichtige männlichen oder weiblichen Geschlechts, welche die für den Feuerwehrdienst erforderlichen Eigenschaften nicht besitzen, können sich in aller Regel ohne weiteres vom aktiven Dienst dispensieren lassen und stattdessen die Ersatzabgabe bezahlen, was den Frauen gleichermassen zumutbar ist wie den Männern. Mit dieser Überlegung hat denn auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine auf Männer beschränkte baden-württembergische Feuerwehrersatzabgabepflicht als konventionswidrig beurteilt (
Art. 14 EMRK
[Gewährleistung der Konventionsrechte ohne Unterschied des Geschlechts] in Verbindung mit
Art. 4 Abs. 3 lit. d EMRK
[Pflichtarbeit]). Der Gerichtshof liess zwar offen, ob eine auf Männer beschränkte Feuerwehrpflicht mit der Konvention vereinbar wäre. Da Männer, wiewohl rechtlich verpflichtet, faktisch nicht zum Dienst gezwungen würden, weil sich genügend Freiwillige melden, habe die Ersatzabgabe ihre kompensatorische Bedeutung verloren und sei zur alleinigen realen Verpflichtung geworden. Für die Bezahlung einer solchen Abgabe lasse sich eine Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht aber nicht rechtfertigen (Urteil Schmidt vom 18. Juli 1994, Série A Nr. 291-B, § 28).
BGE 123 I 56 S. 60
Diese Argumentation gilt auch für den vorliegenden Fall, in welchem nicht die tatsächliche Leistung des Feuerwehrdienstes, sondern einzig die Bezahlung der Ersatzabgabe in Frage steht.
e) Im Lichte dieser Überlegungen sind die Erwägungen des Verwaltungsgerichts, wonach die bisherige Ungleichbehandlung von Frauen und Männern verfassungswidrig sei, ohne weiteres zutreffend. Selbst wenn die bisherige Praxis des Bundesgerichts zu Grunde gelegt wird, könnte eine geschlechterungleiche Regelung allenfalls dann verfassungsrechtlich zulässig sein, wenn schlüssig dargetan wäre, dass ein Einsatz von Frauen in der Feuerwehr praktisch ausgeschlossen ist und auch mit organisatorischen Massnahmen nicht bewerkstelligt werden könnte. Die Beschwerdegegnerin bringt jedoch keine konkreten Umstände vor, die eine Ungleichbehandlung im genannten Sinne rechtfertigen würden. Sie hat selber auf den 1. Januar 1996 eine neue Feuerwehrverordnung in Kraft gesetzt, welche die Feuerwehrpflicht für Frauen vorsieht. Zwar macht sie geltend, dass die bisher bestehende Unterscheidung zwischen Leiter- und Löschzug aufgehoben sei und demnach alle Korpsangehörigen den gleichen Dienst zu leisten hätten. Doch versehen seither, wie sie selber vorbringt, drei Frauen Dienst in der Feuerwehr, was belegt, dass es möglich ist, Frauen in die Wehrdienste zu integrieren. Unter diesen Umständen ist eine geschlechtsspezifische Regelung der Feuerwehrpflicht jedenfalls nicht zulässig.
3.
a) Das Verwaltungsgericht hat, wiewohl es zur nämlichen Auffassung gelangte, den Einspracheentscheid des Gemeindevorstands Sils i.D. nicht aufgehoben, weil es sachlich angebracht sei, den Gemeinden einen etwas grosszügigeren Rahmen für die Anpassung verfassungswidriger Erlasse einzuräumen.
b) Grundsätzlich werden kantonale - und damit auch kommunale - Gesetze, die zu Bestimmungen der Bundesverfassung in Widerspruch stehen, mit deren Annahme ausser Kraft gesetzt (Art. 2 ÜbBest. BV). Im Bereich von
Art. 4 Abs. 2 BV
hat indessen das Bundesgericht mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte angenommen, dass den Kantonen für vor dem 14. Juni 1981 erlassene Normen eine gewisse Anpassungsfrist zuzubilligen sei (ZBl 87/1986 S. 485 E. 2c); es hat daher in seinem ersten Urteil, in dem es die auf Männer begrenzte Feuerwehrpflicht als verfassungswidrig erklärte, erwogen, dass dem Gesetzgeber eine gewisse Zeitspanne belassen werden müsse, um Regelungen, die mit
Art. 4 Abs. 2 BV
unvereinbar seien, der neuen Verfassungsbestimmung anzupassen, dies jedenfalls dann, wenn nicht fundamentale schutzwürdige Interessen
BGE 123 I 56 S. 61
betroffen seien (ZBl 88/1987 S. 306 E. 3b in fine, E. 5). Dabei ist hervorzuheben, dass damals eine Ersatzabgabe für das Abgabejahr 1982 in Frage stand; bereits für diesen Zeitraum die Gesetzgebung an die kurz zuvor geänderte Verfassungslage anzupassen, wäre nahezu unmöglich gewesen. Vorliegend geht es jedoch um eine Ersatzabgabe für das Jahr 1995. Eine derart lange Übergangsfrist für die Beseitigung verfassungswidriger Ungleichbehandlungen von Frau und Mann lässt sich nicht mehr hinnehmen (Müller, a.a.O., Rz. 139, mit Hinweisen). Dies hat das Bundesgericht in anderem Zusammenhang bereits vor mehreren Jahren festgestellt. So hat es im Hinblick auf die politischen Rechte (Frauenstimmrecht) eine Frist von neun Jahren als zu lange bezeichnet (
BGE 116 Ia 359
E. 10b S. 380), im Hinblick auf sozialversicherungsrechtliche Regelungen (Witwerrente) eine Frist von sieben Jahren als eindeutig zu lange (
BGE 116 V 198
E. II/3b S. 215). Indem das Verwaltungsgericht vorliegend der Beschwerdegegnerin eine Übergangsfrist von nahezu 14 Jahren zubilligte, hat es einen verfassungswidrigen Zustand toleriert, der sich nicht mehr mit unausweichlichen Schwierigkeiten einer Gesetzesanpassung rechtfertigen lässt. Dass die Beschwerdegegnerin mittlerweile (auf den 1. Januar 1996) ihre Regelung an
Art. 4 Abs. 2 BV
angepasst hat, ändert nichts daran, dass dies für das Abgabejahr 1995 noch nicht der Fall war und der Beschwerdeführer durch die ihn betreffende Abgabeverfügung in seinen verfassungsmässigen Rechten verletzt wurde.
c) Es ist allerdings auch möglich, dass der Richter aus anderen Gründen von der Aufhebung eines auf verfassungswidriger rechtlicher Grundlage beruhenden Entscheides absehen kann. Die Rechtsprechung hat dies unabhängig von der für die Anpassung der Gesetzgebung an den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter einzuräumenden Übergangsfrist angenommen, wenn dadurch nicht bloss ein verhältnismässig unbedeutendes Regelungsdefizit entstünde, sondern ein eigentlich rechtsfreier Raum geschaffen würde, der eine komplexe Regelungsmaterie insgesamt aus den Angeln heben (ZBl 88/1987 S. 306 E. 3b) und eine Regelungslücke hinterlassen würde, welche der Richter aufgrund seiner beschränkten funktionellen Eignung nicht im Rahmen fallbezogener richterlicher Beurteilung auszufüllen vermöchte (
BGE 117 V 318
E. 6 S. 325 ff.: Notwendigkeit einer tiefgreifenden Änderung des Finanzierungssystems bei Änderung des Rentenalters). Wo aber keine derart weitgehende Konsequenzen mit der Nichtanwendung einer als verfassungswidrig erkannten Norm verbunden sind und die Durchsetzung
BGE 123 I 56 S. 62
der Geschlechtergleichheit nicht die grundlegende Neu- und Umgestaltung einer komplexen Regelungsmaterie erfordert, bleibt der Richter gehalten, der Verfassung zum Durchbruch zu verhelfen (
BGE 116 V 198
E. II/3b S. 215 f.; BEATRICE WEBER-DÜRLER, Grenzen des Rechtsschutzes bei der Gleichberechtigung, Festschrift Bigler, Basel und Frankfurt a.M. 1993, S. 349 ff.). Gerade für die Feuerwehrersatzabgabe hat das Bundesgericht bereits im zitierten Urteil vom 10. Oktober 1986 festgehalten, dass die Natur der strittigen Regelungsmaterie nicht dazu führen könne, von der Aufhebung der verfassungswidrigen Veranlagungsverfügung abzusehen (ZBl 88/1987 S. 306 E. 5). Ausschlaggebend für die Abweisung der Beschwerde war damals die dem Gesetzgeber einzuräumende Übergangsfrist, welche heute, wie dargetan, nicht mehr in Anspruch genommen werden kann.
d) Zu beachten ist schliesslich auch, dass aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vorne E. 2d) der Beschwerdeführer in seinen durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierten Rechten verletzt bliebe (
Art. 25 EMRK
), wenn das Bundesgericht die ihm auferlegte Abgabe bestätigte. Im genannten Urteil hat denn auch der Gerichtshof die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, den erhobenen Abgabebetrag zurückzuerstatten. Auch diese Überlegung zeigt, dass es mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der vom Beschwerdeführer erhobenen Feuerwehrersatzabgabe nicht sein Bewenden haben kann, sondern dass diese aufzuheben ist. | public_law | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
386dc380-70b0-4bdc-bfc1-64241f90e66e | Urteilskopf
123 IV 254
38. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 12 décembre 1997 dans la cause époux S. contre M. (Suisse) SA et Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 270 Abs. 1 BStP
; Legitimation des Geschädigten zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde; Begründungspflicht.
Nichteintreten auf die Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Einstellungsbeschluss, da die Beschwerdeführer darin nicht darlegen, welche Zivilforderungen sie gegen die Beschuldigten geltend machen wollen und inwiefern sich der angefochtene Entscheid negativ auf die Beurteilung dieser Zivilforderungen auswirken kann. | Sachverhalt
ab Seite 254
BGE 123 IV 254 S. 254
A.-
Suivant les conseils de Mme W., qui travaillait pour la société M. GmbH à Munich, Mme S. a ouvert un compte, le 27 avril 1989, auprès de M. (Suisse) SA à Genève, pour y placer des fonds appartenant à elle-même et à son mari, tous deux étant domiciliés à Berlin. Elle a signé en particulier une procuration limitée autorisant la banque suisse à transmettre des informations notamment à Mme W., employée de la société allemande, qui avait été chargée de gérer le compte.
A la fin de l'année 1991, Mme S. se renseignant auprès de la société allemande à Munich, apprit que Mme W. avait été licenciée et que le crédit du compte ne s'élevait plus qu'à 2000 DM environ, alors qu'il avait été versé à l'origine plus de 400'000 DM. Mme W. avait spéculé avec l'argent déposé au mépris des conventions de gestion passées et avait effectué sans autorisation diverses opérations.
Exposant la situation, Mme S. demanda dédommagement à la société allemande. Les discussions ont abouti à la signature d'une convention datée du 23 avril 1992 aux termes de laquelle, contre
BGE 123 IV 254 S. 255
versement de la somme de 500'000 DM, Mme S. renonçait définitivement à toute action tant à l'égard de la société allemande qu'à l'égard de la banque en Suisse.
En mai 1992, Mme S. a ouvert un nouveau compte auprès de M. (Suisse) SA, exprimant la volonté qu'il soit géré exclusivement par la banque en Suisse et révoquant la procuration limitée qui avait été signée le 27 avril 1989.
Ultérieurement, dans le cadre d'investigations conduites par les autorités fiscales allemandes, une perquisition a eu lieu, semble-t-il le 8 juin 1995, dans les bureaux de la société allemande à Munich, au cours de laquelle des documents relatifs aux comptes de Mme S. auprès de la banque en Suisse auraient été saisis. Selon Mme S., des perquisitions eurent lieu le 28 mars 1996 dans les locaux tant privés que professionnels du couple S. à Berlin et les inspecteurs du fisc allemand étaient au courant de la relation bancaire entretenue avec la banque à Genève, qui leur a été révélée par diverses pièces saisies auprès de la société allemande à Munich.
B.-
Le 16 janvier 1997, les époux S. ont déposé plainte pénale auprès du Procureur général de Genève, pour violation du secret bancaire (
art. 47 LB
), contre divers responsables de M. (Suisse) SA.
Après une enquête préliminaire, le Procureur général a classé la plainte par décision du 3 avril 1997.
Par ordonnance du 19 septembre 1997, la Chambre d'accusation genevoise a rejeté le recours formé contre cette décision par les plaignants.
C.-
Les époux S. se pourvoient en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral contre cette ordonnance.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Les recourants, qui n'invoquent que le secret de leurs affaires et des intérêts patrimoniaux, ne sont pas des victimes au sens de l'art. 2 de la loi fédérale sur l'aide aux victimes d'infractions (LAVI [RS 312.5]). Leur qualité pour se pourvoir en nullité ne peut donc pas se fonder sur l'
art. 8 al. 1 let
. c LAVI, mais exclusivement sur l'
art. 270 al. 1 PPF
(cf.
ATF 120 IV 44
consid. 2a et b p. 49).
Selon cette disposition, le lésé peut se pourvoir en nullité, entre autres conditions, dans la mesure où la sentence attaquée peut avoir un effet négatif sur le jugement de ses prétentions civiles (cf.
ATF 120 IV 38
consid. 2c p. 41;
ATF 119 IV 339
consid. 1d/cc p. 343).
BGE 123 IV 254 S. 256
Certes, on ne saurait reprocher aux recourants de ne pas avoir pris de conclusions civiles sur le fond, puisque la procédure n'a pas été menée jusqu'à un stade qui aurait permis de le faire (
ATF 122 IV 139
consid. 1 p. 141;
120 IV 44
consid. 4a p. 52 s., 90 consid. 1a/aa p. 92, 94 consid. 1a/aa p. 95, 154 consid. 3a/aa p. 157). Il leur incombait cependant, en pareil cas, d'indiquer dans leur mémoire quelle prétention civile ils entendaient faire valoir et en quoi la décision attaquée pouvait avoir une influence négative sur le jugement de celle-ci (
ATF 122 IV 139
consid. 1 p. 141;
ATF 120 IV 44
consid. 8 p. 57;
119 IV 339
consid. 1d/cc p. 343 s.).
En l'espèce, les recourants n'indiquent en rien quelles sont les conclusions civiles qu'ils seraient actuellement en mesure de prendre contre les personnes visées par leur plainte. Ils parlent de perquisitions opérées par le fisc allemand, mais ils n'expliquent pas quel dommage en résulterait dont ils puissent demander réparation aux responsables de la banque en Suisse. On peut certes songer à une taxation ou à une amende fiscales, mais les recourants n'en disent rien, de sorte que ces décisions ne sont peut-être même pas intervenues. Il faut rappeler que l'on ne peut prendre en considération ici qu'une prétention civile qui pourrait être invoquée à l'encontre des personnes visées dans le cadre de la procédure pénale par la voie d'une constitution de partie civile (
ATF 122 IV 139
consid. 3b p. 143).
Même si des décisions fiscales sont intervenues - ce que les recourants n'allèguent pas -, une taxation fiscale tirerait entièrement son origine de la situation patrimoniale des recourants (revenus et fortune) et une amende tirerait entièrement son origine de la décision qu'auraient prise les recourants eux-mêmes de soustraire des impôts. On ne voit pas sur quelle base juridique les recourants pourraient exiger de la banque (respectivement de ses responsables) qu'elle paye leurs impôts ou une amende pour une soustraction qu'ils ont décidé seuls, simplement parce que la banque ne les aurait pas aidés à dissimuler des preuves. En tout cas, les explications données à ce propos par les recourants sont totalement insuffisantes pour démontrer que la décision attaquée peut avoir un effet négatif sur le jugement de prétentions civiles qu'ils pourraient faire valoir à l'encontre des personnes visées. En conséquence, le pourvoi est irrecevable. | null | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
386e9451-8fc1-4317-bd83-c9518c75f6bc | Urteilskopf
112 Ib 59
10. Estratto dalla sentenza della I Corte di diritto pubblico del 12 marzo 1986 nella causa Dipartimento di Giustizia del Cantone Ticino c. Ufficio federale di Polizia (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Art. 4, 30 Abs. 1 und 4 IRSG
; schweizerische Auslieferungsbegehren im Hinblick auf den Strafvollzug und entsprechende ausländische Gesuche, die unter das IRSG fallen: Grundsatz der Verhältnismässigkeit.
Schweizerische Auslieferungsbegehren zum Zwecke des Strafvollzugs und entsprechende ausländische Gesuche, die ausschliesslich unter das IRSG fallen, müssen verhältnismässig sein; die Verhältnismässigkeit hängt von der Dauer der noch zu verbüssenden und nicht von der ursprünglich verhängten Strafe ab.
Die Beantwortung der für die Bundesbehörden massgeblichen Frage, ob die Dauer der noch nicht verbüssten Strafe oder die Zeit, die der Verurteilte, falls verhaftet und ausgeliefert, noch effektiv im Gefängnis zu verbringen hätte, entscheidend ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. | Sachverhalt
ab Seite 60
BGE 112 Ib 59 S. 60
X., cittadino francese domiciliato ad Atene, è stato condannato per delitti contro il patrimonio e di falso. In carcere dal 12 dicembre 1981, egli avrebbe integralmente scontato la pena l'11 dicembre 1985. Con decisione del 15 giugno 1984 il Consiglio di vigilanza del Cantone Ticino stabili che X. sarebbe stato liberato condizionalmente l'11 agosto 1984 alle ore 09.00. A partire dall'11 maggio 1984 X., collocato in carcere aperto, aveva potuto usufruire di più congedi, terminati i quali rientrava in carcere regolarmente. Il 9 agosto 1984 egli ha di nuovo beneficiato di un congedo che sarebbe scaduto il 10 agosto 1984 alle ore 23.00. Da questo congedo X. non è rientrato ed ha lasciato il territorio elvetico senza più far ritorno all'istituto di detenzione.
Il Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino ha chiesto all'UFP di provvedere alla pubblicazione di un ordine internazionale di arresto nei confronti di X. per l'espiazione della pena residua.
Fondandosi sugli art. 17 cpv. 2 e 30 cpv. 4 AIMP, l'Ufficio federale di polizia ha rifiutato di dar seguito alla richiesta. A mente dell'autorità federale, ritenuto che se fosse rientrato in carcere, X. sarebbe stato liberato dopo dieci ore, l'importanza del reato non giustificherebbe la messa in funzione di un dispositivo internazionale di ricerche e una procedura di estradizione. D'altronde, un'estradizione non verrebbe accordata dalla Francia; un'estradizione dagli Stati Uniti sarebbe sproporzionata, in considerazione delle ingenti spese che essa comporterebbe e che andrebbero accollate al Cantone richiedente.
Il Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino ha impugnato questa decisione con ricorso di diritto amministrativo, chiedendo ch'essa sia annullata e che l'UFP venga invitato a procedere alla pubblicazione del mandato internazionale d'arresto. A sostegno della richiesta il Dipartimento
BGE 112 Ib 59 S. 61
cantonale fa valere che la pena non scontata, la liberazione condizionale non essendo intervenuta, comporta ancora un anno e quattro mesi; che, se la decisione impugnata dovesse esser confermata, essa avrebbe per conseguenza di indurre numerosi stranieri espellendi, in particolare cittadini italiani, che temono di esser giudicati nel loro Paese per reati valutari evidenziati nell'ambito del processo svizzero, a seguire l'esempio e a non rientrare dal congedo.
Erwägungen
Considerando in diritto:
2.
L'UFP è competente per la presentazione, su richiesta dell'autorità cantonale, di domande di estradizione o di assunzione del perseguimento penale o dell'esecuzione (
art. 30 cpv. 2 AIMP
). In virtù dell'
art. 30 cpv. 4 AIMP
esso può prescindere dal presentare una domanda "se l'importanza del reato non giustifica l'attuazione del procedimento". Questa condizione è ricalcata su quella posta dall'
art. 4 AIMP
, che impone di respingere domande di assistenza se l'importanza del reato non giustifica l'attuazione del procedimento: la relazione tra le domande estere e quelle da presentare dalla Svizzera è inoltre assicurata dal capoverso primo dello stesso
art. 30 AIMP
, che fa divieto alle autorità svizzere di presentare domande cui esse, nell'inverso caso, non potrebbero dar seguito giusta la stessa AIMP.
a) Trattandosi dell'estradizione per il perseguimento di un'infrazione, l'AIMP - in appoggio alla CEEstr, art. 2 par. 1, prima frase - esige che il reato sia passibile di una sanzione restrittiva della libertà per un massimo di almeno un anno o di una sanzione più severa: il criterio è quindi, come nella Convenzione europea, quello della pena edittale.
Per l'estradizione di una persona in vista dell'esecuzione di una pena o di una misura di sicurezza già pronunciata, la Convenzione europea di estradizione si basa sulla sanzione inflitta ("la sanction prononcée", cfr. art. 2 par. 1, seconda frase) ed esige ch'essa sia di almeno quattro mesi. Nessuna norma è invece contenuta a questo proposito nell'AIMP. L'omissione non è casuale o dovuta ad una svista, ma voluta. Nel messaggio del Consiglio federale (pag. 19) si avvertiva che l'
art. 3 cpv. 4 del
disegno, in virtù del quale la domanda "poteva" esser respinta se l'importanza del fatto non giustificava l'attuazione del procedimento, era volto a garantire nel migliore dei modi la proporzionalità dell'intervento nella libertà personale. Il messaggio aggiungeva testualmente:
BGE 112 Ib 59 S. 62
"in tali condizioni, una disposizione speciale sull'estradizione
intesa all'esecuzione della pena sarebbe (recte "è" cfr. l'"erübrigt
sich" del testo tedesco) superflua. Va da sé che l'estradizione non può
più esser considerata proporzionale quando la privazione della libertà
che deve ancora essere scontata è di durata inferiore ai tre mesi. Solo
questo può esser decisivo e non, come nella Convenzione europea,
l'estensione della sanzione inflitta."
Davanti alle Camere, queste considerazioni del Consiglio federale non diedero luogo a particolari interventi: tuttavia, il Consiglio degli Stati trasformò in un articolo a sé stante (art. 3a, poi divenuto l'attuale art. 4) il cpv. 4 dell'
art. 3 del
disegno del Consiglio federale, e gli conferì l'attuale versione imperativa ("la domanda è respinta..."), notando che in quella e nelle altre disposizioni poi modificate si trattava di ancorare in modo generale il principio di proporzionalità (Boll.Uff. Consiglio degli Stati, 29 novembre 1977, rel. Schlumpf). Dagli art. 4, 30 cpv. 1 e 30 cpv. 4 AIMP interpretati alla luce dei lavori legislativi si deve quindi trarre la conclusione che, per quanto riguarda le domande svizzere relative all'esecuzione di una pena e le corrispondenti domande straniere che siano rette esclusivamente dall'AIMP, determinante per giudicare circa la proporzionalità della domanda è la durata della sanzione che resta ancora effettivamente da espiare, e non quella della sanzione inflitta. Da questa situazione deriva che, in applicazione del diritto interno, la Svizzera può trovarsi nella situazione di dover rinunciare a presentare ad uno Stato estero delle domande di estradizione che - le fossero in contrario senso sottoposte da uno Stato estero firmatario della CEEstr - essa dovrebbe invece ammettere in applicazione dell'
art. 1 cpv. 1 AIMP
e 2 cpv. 1 seconda frase CEEstr.
b) Ciò premesso, atteso che, per decidere circa l'avvio dei passi che - una volta localizzata la persona ricercata - dovrebbero sfociare nella presentazione di una domanda d'estradizione, non fa stato la sanzione inflitta (quattro anni di reclusione), ma quella che resta da espiare, la sorte del ricorso dipende dalla questione di sapere se si debba prendere in considerazione la durata della pena che non è ancora stata espiata (un anno, quattro mesi), oppure il periodo che X., fosse ripreso ed estradato, dovrebbe ancora effettivamente trascorrere in carcere.
La risposta a questo quesito non può esser data in modo generico, ma deve tener conto delle peculiarità del caso concreto.
c) È pacifico che, se fosse rientrato alle ore 23.00 del 10 agosto 1984 dal congedo che gli era stato accordato, X. avrebbe dovuto
BGE 112 Ib 59 S. 63
esser liberato il mattino seguente 11 agosto alle ore 9.00 per esser espulso verso un Paese di sua scelta (cfr.
DTF 110 IV 6
segg.;
DTF 103 Ib 22
), in virtù della decisione di liberazione condizionale presa il 15 giugno 1984 dal competente Consiglio di vigilanza. Nulla vieta di ammettere che - dal momento che la Francia aveva espressamente ritirato una domanda di estradizione a suo tempo presentata contro di lui siccome manifestamente infondata - egli sarebbe stato espulso verso il suo Paese d'origine, nel quale, per quanto consta dagli stessi atti prodotti dall'autorità ticinese, egli si è d'altronde spontaneamente recato, attuando concretamente la decisione d'espulsione. Se si considerano le cose sotto questo punto di vista, se ne deve concludere - con l'UFP - che X. si è effettivamente sottratto all'espiazione della pena per lo spazio di una sola notte e non ha sostanzialmente violato la decisione d'espulsione.
È vero tuttavia che - da un lato - la decisione di liberazione condizionale presa il 15 giugno 1984 dalla competente autorità cantonale non ha potuto essere eseguita, onde X. non può essere considerato puramente e semplicemente alla stregua di una persona liberata condizionalmente, e che - d'altro lato - detta decisione del 15 giugno 1984 è stata successivamente annullata dal Consiglio di vigilanza con revoca del 3 ottobre 1984. L'UFP nelle sue osservazioni rileva che questa decisione è stata verosimilmente emanata senza indire un contraddittorio: per vero dire, non si vede come un'audizione avrebbe potuto esser indetta; la questione non merita, tuttavia, di esser approfondita, dal momento che il Consiglio di vigilanza non ha puramente e semplicemente rifiutato il beneficio della liberazione condizionale, ma ha espressamente rilevato (disp. 2) che una nuova decisione su questo punto interverrà non appena il ricercato sarà reintegrato in un carcere elvetico. In simili condizioni, chiamato a pronunciarsi ai sensi degli
art. 4 e 30 cpv. 4 AIMP
sull'attuazione della procedura nelle circostanze concrete, l'UFP poteva - senza ledere il diritto federale - ammettere in via pregiudiziale che la mancanza disciplinare commessa da X. con il non essersi presentato al carcere per trascorrervi l'ultima breve notte non potrebbe in nessun caso avere per conseguenza quella di negargli puramente e semplicemente il beneficio della liberazione condizionale, di cui egli il 15 giugno precedente era stato ritenuto meritevole, e di obbligarlo a trascorrere in carcere ancora un anno e quattro mesi. Una simile conseguenza sarebbe manifestamente inammissibile con riferimento alle disposizioni contenute nell'
art. 38 cpv. 4 CP
in relazione alla ricollocazione in stabilimento del liberato in caso di nuovo condanne, di
BGE 112 Ib 59 S. 64
trasgressione delle norme di condotta imposte o di insofferenza del patronato; essa contraddirebbe inoltre le considerazioni svolte dal Tribunale federale nell'assai analogo caso Ambrosio c. Consiglio di vigilanza (sent. inedita 11 gennaio 1984, consid. 4).
Senza lesione del diritto federale l'UFP poteva giungere alla conclusione che l'episodio di indisciplina in nessun caso avrebbe giustificato un prolungamento della permanenza in carcere di parecchi mesi, ma al più di qualche settimana. In simili circostanze, in applicazione degli
art. 4 e 30 cpv. 1 e 4 AIMP
l'UFP era legittimato e tenuto di rifiutare l'avvio del procedimento per l'insufficienza della pena ancora da scontare.
d) Per i suesposti motivi il ricorso dell'autorità cantonale deve essere respinto, non potendosi ravvisare nella decisione dell'UFP una violazione del diritto federale. Per evitare equivoci, va tuttavia sottolineato che il Tribunale federale giunge a questa conclusione sulla scorta delle circostanze concrete del caso e senza pronunciarsi definitivamente sulla questione se - nel silenzio della legge - ci si debba basare in ogni caso, per decidere in merito alla presentazione di una domanda d'estradizione, unicamente sul residuo di pena effettivamente da scontare, né sulla questione se - come sostenuto dall'UFP ma avversato dall'autorità cantonale - si giustifichi di sottoporre i condannati ad un'espulsione esecutiva ad un regime carcerario più severo per evitare ogni rischio di fuga. Ogni decisione a questo proposito - in considerazione delle legittime preoccupazioni dell'autorità cantonale preposta all'esecuzione delle pene - resta riservata. | public_law | nan | it | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
387582dd-97f5-4d7a-9621-93906d9737ea | Urteilskopf
92 I 36
8. Urteil vom 26. Januar 1966 i.S. Stala Immobilien AG gegen Hüsser und Präsident des Bezirksgerichts Bremgarten. | Regeste
Art. 59 BV
.
Die Klage, mit welcher der Inhaber eines vorgemerkten Kaufsrechts in Ausübung dieses Rechts den Grundeigentümer auf richterliche Zusprechung des Eigentums belangt, ist keine "persönliche Ansprache".
Der Grundeigentümer kann sich daher der Einlassung vor dem Richter am Ort der gelegenen Sache nicht unter Berufung auf
Art. 59 BV
widersetzen. | Sachverhalt
ab Seite 36
BGE 92 I 36 S. 36
A.-
Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 8. August 1959 räumte die Rewu-Handels-AG als Eigentümerin des Grundstücks I.R. (Interims-Register) Nr. 942 in Berikon (Kt. Aargau) dem Beschwerdegegner Kaspar Hüsser ein Kaufsrecht ein an einem "Teilgrundstück im Halt von höchstens 3000 m2 aus der südöstlichen Ecke entlang der Strasse Widen/Bahnhof Berikon" zum Preis von Fr. 20.- pro m2. Der Vertrag bestimmte, dass das Kaufsrecht im Rahmen seiner zeitlichen Begrenzung zu Lasten sämtlicher späteren Eigentümer des Grundstücks wirke und gemäss
Art. 959 ZGB
im Grundbuch vorzumerken sei, was am 11. August 1959 geschah.
Das Grundstück I.R. Nr. 942 wurde noch im Jahre 1959 von der Rewu-Handels-AG an die Bauland-AG und von dieser an die Stala Immobilien AG in Zürich verkauft.
Als Hüsser im Herbst 1964 sein Kaufsrecht ausüben wollte, bestritt die Stala Immobilien AG dessen Gültigkeit wegen ungenügender Umschreibung des Kaufsgegenstands im Kaufrechtsvertrag.
BGE 92 I 36 S. 37
Am 25. August 1965 reichte Hüsser beim Bezirksgericht Bremgarten als dem am Ort der gelegenen Sache zuständigen Gericht Klage gegen die Stala Immobilien AG ein mit dem Begehren, diese sei zu verurteilen, die im Kaufrechtsvertrag vom 8. August 1959 und in Verträgen vom 16. und 18. April 1959 mit Situationsplan umschriebenen und ausgemarkten Abschnitte von 13,23 und 13,95 a vom Grundstück I.R. Berikon Nr. 942 abzutrennen und dem Kläger gegen Bezahlung von Fr. 20.- pro m2 zu Eigentum zu übertragen.
Der Gerichtspräsident von Bremgarten verfügte am 26. Oktober 1965, die Streitsache sei appellabel, stellte die Klageschrift der Beklagten zu und setzte ihr eine Frist von 20 Tagen zur "Erstattung der fristlichen oder einlässlichen Verteidigung (Antwort)".
B.-
Gegen diese Zustellungsverfügung hat die Stala Immobilien AG am 17. November 1965 staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, die Verfügung wegen Verletzung des
Art. 59 BV
aufzuheben. Sie macht geltend, dass das Kaufsrecht ein obligatorischer Anspruch und damit eine persönliche Ansprache im Sinne des
Art. 59 BV
sei, weshalb die Beschwerdeführerin an ihrem Sitze in Zürich belangt werden müsse. In
BGE 44 I 47
Erw. 2 sei die Klage auf Erfüllung eines gemäss
Art. 959 ZGB
vorgemerkten Kaufrechts freilich dem Richter des Ortes zugewiesen worden, wo das Kaufsgrundstück liege. Hieran könne jedoch nicht mehr festgehalten werden, da die diesem Urteil zugrunde liegende Auffassung, dass das persönliche Kaufsrecht durch die Vormerkung verdinglicht werde, im Widerspruch stehe zur heutigen Rechtslehre sowie zur neuern Rechtsprechung des Bundesgerichts; auch könnten die in jenem Urteil weiter angestellten Zweckmässigkeitserwägungen nicht massgeblich sein. Die örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts Bremgarten werde ferner auch deshalb bestritten, weil durch den Vertrag vom 8. August 1959 überhaupt kein Kaufsrecht habe begründet werden können und daher die Vormerkung im Grundbuch zu Unrecht erfolgt und nichtig sei. Die nähere Begründung der Beschwerde ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
C.-
Der Beschwerdegegner Kaspar Hüsser beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, da die angefochtene Verfügung kein Entscheid und jedenfalls kein letztinstanzlicher Entscheid über die örtliche Zuständigkeit sei; eventuell sei die Beschwerde
BGE 92 I 36 S. 38
abzuweisen. Der Bezirksgerichtspräsident von Bremgarten stellt keinen Antrag, schliesst aber dem Sinne nach ebenfalls auf Nichteintreten, eventuell Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach feststehender Rechtsprechung kann die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 59 BV
gegen jede Amtshandlung erhoben werden, mit welcher der Richter richterliche Tätigkeit ausübt (
BGE 68 I 150
/1 mit Verweisungen,
BGE 87 I 129
), also schon gegen die blosse Ladung zum Sühneversuch (nicht veröffentlichtes Urteil vom 22. Dezember 1953 i.S. Reinhard, Erw. 1;
BGE 91 I 13
) oder die Zustellung der Klage zur Beantwortung (
BGE 87 I 55
). Da auch der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft zu werden braucht (
Art. 86 Abs. 2 OG
), ist entgegen der in den Beschwerdeantworten vertretenen Auffassung einzutreten auf die vorliegende Beschwerde, die gegen die Fristansetzung zur Klagebeantwortung erhoben wird, welcher übrigens, wie der Gerichtspräsident selber in seiner Antwort ausführt, "stillschweigend" die Bejahung der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts zugrundeliegt.
Nicht einzutreten ist lediglich auf die Rüge, dass durch den Vertrag vom 8. August 1959 überhaupt kein Kaufsrecht habe begründet werden können und die Vormerkung eines solchen im Grundbuch zu Unrecht erfolgt und nichtig sei. Für die Natur des Anspruchs, nach der sich der Gerichtsstand bestimmt, ist grundsätzlich der Inhalt der Klage massgebend, die Begehren, die gestellt, und die Gründe, die dafür vorgebracht werden. Darauf, ob der Anspruch begründet sei, kommt nichts an; hierüber muss eben gerade im Prozess geurteilt werden. Nicht entscheidend für die Zuständigkeit wäre die Darstellung des Anspruchs in der Klage nur dann, wenn der Kläger in der Absicht, den ordentlichen Gerichtsstand des Beklagten zu umgehen, dem Anspruch eine Form gegeben hätte, die sich mit seiner wahren Natur nicht vertrüge (
BGE 66 II 183
/4 mit Verweisungen,
BGE 91 I 122
). Davon kann hier jedoch offensichtlich nicht die Rede sein.
2.
Die Beschwerdeführerin ist eine aufrecht stehende Aktiengesellschaft mit Sitz in Zürich. Sie braucht sich daher auf die beim Bezirksgericht Bremgarten gegen sie eingeleitete Klage des Beschwerdegegners nicht einzulassen, wenn die Klage eine persönliche Ansprache im Sinne des
Art. 59 BV
zum Gegenstand hat.
BGE 92 I 36 S. 39
In
BGE 35 I 73
führte das Bundesgericht zur Abgrenzung der persönlichen von den dinglichen Klagen aus, unter persönlichen Klagen seien "Forderungsklagen, welche auf einer Obligation beruhen" zu verstehen, unter dinglichen Klagen solche, die "aus Rechtsverhältnissen entspringen, deren rechtlicher Inhalt sich nicht in den Leistungen eines bestimmten Verpflichteten erschöpft und welche daher nicht mit dieser Leistung untergehen, sondern auch nachher weiter andauern". Mit der vorliegenden Klage verlangt der Beschwerdegegner von der Beschwerdeführerin die Erfüllung eines Kaufrechtsvertrages. Damit erhebt er einen obligatorischen Anspruch auf Übertragung eines dinglichen Rechts, nämlich des Eigentums an einem Teil ihres Grundstücks. Derartige Ansprüche sind nach jenem Entscheid und nach
BGE 69 I 7
Erw. 3 (vgl. auch
BGE 84 II 192
Erw. 2) grundsätzlich persönliche Ansprachen im Sinne des
Art. 59 BV
. Nun hat das Bundesgericht aber schon in
BGE 44 I 47
Erw. 2 entschieden, dass
Art. 59 BV
dem Gerichtsstand der gelegenen Sache dann nicht entgegenstehe, wenn das Kaufsrecht gemäss
Art. 959 ZGB
im Grundbuch vorgemerkt sei. Ferner hat es unter Hinweis auf
BGE 44 I 47
Erw. 2 im Urteil vom 27. September 1924 i.S. Prébandier & Cie (abgedruckt in ZBGR 11 S. 67) entschieden, das gleiche gelte für die auf Erfüllung eines Grundstückkaufs gerichtete Klage des Käufers, wenn dieser gegen den Veräusserer eine Verfügungsbeschränkung gemäss
Art. 960 Ziff. 1 ZGB
erwirkt habe. Zur Begründung führte das Bundesgericht u.a. aus, dass der Anspruch des Käufers zufolge dieser Vormerkung "dinglichen Charakter" habe (
BGE 44 I 47
) bzw. "verdinglicht" worden sei (Urteil i.S. Prébandier). Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, an diesen Urteilen könne nicht mehr festgehalten werden angesichts der "grundsätzlichen Wandlung", welche seither in der Rechtslehre in bezug auf das Wesen und die Wirkung der Vormerkung eingetreten sei.
Nach
Art. 959 Abs. 2 ZGB
erhalten persönliche Rechte durch die Vormerkung "Wirkung gegenüber jedem später erworbenen Rechte". Im Hinblick auf diese Wirkung wurde in der ersten Zeit nach Erlass des ZGB gelegentlich gesagt, das persönliche Rechte erhalte "dingliche Wirksamkeit" (WIELAND, Vorb. 1 vor Art. 959/61 ZGB und Bem. 1 zu
Art. 959 ZGB
), und in diesem Sinne ist offensichtlich auch der Ausdruck "dinglicher Charakter" in
BGE 44 I 47
Erw. 2 und "Verdinglichung" im
BGE 92 I 36 S. 40
Urteil i.S. Prébandier zu verstehen. Dass das Kaufs-, Vorkaufs- und Rückkaufsrecht ein persönliches Recht bleibe und durch die Vormerkung nicht zum dinglichen werde, sondern lediglich einen verstärkten Schutz erhalte, ist schon in
BGE 44 II 366
hervorgehoben, dann von GUHL in der 1924 in der Festgabe für das Bundesgericht erschienenen Abhandlung "Persönliche Rechte mit verstärkter Wirkung" (S. 93 ff., insb. S. 159 ff.) klargestellt und seither nicht mehr bezweifelt worden (vgl.
BGE 75 I 188
,
BGE 82 II 582
Erw. 1,
BGE 90 II 141
). Von einer seit jenen beiden Urteilen eingetretenen "grundsätzlichen Wandlung" der Rechtslehre kann daher nicht die Rede sein. Wie schon OSTERTAG (N. 3 zu
Art. 959 ZGB
) mit Zustimmung von GUHL (a.a.O. S. 96/7) erklärte, dass das vorgemerkte Recht "persönliche mit dinglichen Elementen vereinige" und "in der Mitte zwischen beiden Kategorien von Rechten stehe", so bezeichnen auch neuere Kommentatoren das vorgemerkte persönliche Recht als "Mittelstufe zwischen persönlichen und dinglichen Rechten" (HOMBERGER N. 17 zu
Art. 959 ZGB
), die "den Gegensatz zwischen dinglichen und persönlichen Rechten überbrückt" (LIVER N. 152 zur Einleitung zu
Art. 730 ff. ZGB
).
Weder das Urteil
BGE 44 I 46
ff., dem der gleiche Sachverhalt wie der heute zu beurteilende zugrunde liegt, noch das Urteil i.S. Prébandier & Cie sind denn auch in der Rechtslehre auf Ablehnung gestossen. GUHL, auf den sich die Beschwerdeführerin beruft, betrachtet vielmehr auch den wesentlichen Teil der Begründung des ersten Urteils als durchaus zutreffend (a.a.O. S. 144 Anm. 2), während HAAB (N. 30 zu Art. 656) das Urteil i.S. Prébandier zwar insofern, als es von einer "Verdinglichung" des persönlichen Rechts spricht, kritisiert, im Ergebnis dagegen ausdrücklich als richtig bezeichnet. Die neuere Rechtslehre geht sogar noch weiter und vertritt einhellig die Auffassung, dass der Ausdruck "persönliche Ansprache" in
Art. 59 BV
nicht im Sinne der theoretischen Unterscheidung zwischen persönlichen (obligatorischen) und dinglichen Rechten auszulegen und der Gerichtsstand der gelegenen Sache allgemein zuzulassen sei für Klagen, welche auf Zusprechung des Eigentums (oder dinglicher Rechte überhaupt) an einem Grundstück gerichtet seien (BURCKHARDT, Kommentar zur BV S. 548 und 553/4; GUHL MBVR 25 S. 54; HAAB N. 30 zu
Art. 656 ZGB
; HOMBERGER N. 25 zu Art. 959 und N. 27 zu
Art. 960 ZGB
; KUMMER ZSR 1954 S. 185 Anm. 51; MEIER-HAYOZ N. 15 a.E.
BGE 92 I 36 S. 41
zu
Art. 655 ZGB
). Ob die Rechtsprechung in diesem Sinne zu ändern sei, ist vorliegend nicht zu prüfen. Dagegen besteht jedenfalls kein Anlass, von
BGE 44 I 47
Erw. 2 abzugehen und die Klage auf Erfüllung eines vorgemerkten Kaufsrechts als "persönliche Ansprache" im Sinne von
Art. 59 BV
zu behandeln. Die Vormerkung des Kaufsrechts bewirkt, dass es später begründeten dinglichen Rechten am Grundstück vorgeht und auch späteren Beschlagsrechten der Gläubiger des Grundeigentümers aus Pfändung, Arrest oder Konkurs entgegengehalten werden kann (
BGE 44 II 371
). Während sodann beim nicht vorgemerkten Kaufsrecht immer der ursprüngliche Vertragspartner Verpflichteter ist, richtet sich das vorgemerkte Kaufsrecht im Falle der Veräusserung des Grundstücks gegen den Erwerber und ist stets gegenüber demjenigen geltend zu machen, der im Zeitpunkt der Ausübung des Kaufsrechts Eigentümer des Grundstücks ist (
Art. 683 Abs. 1 ZGB
; HAAB N. 5 zu
Art. 683 ZGB
und HOMBERGER N. 32 zu
Art. 959 ZGB
). Durch diesen verstärkten Schutz und durch die subjektivdingliche Verknüpfung der Verpflichtung mit dem Eigentum am Grundstück kommt das vorgemerkte Kaufsrecht hinsichtlich seiner Wirkung einem dinglichen Recht sehr nahe. Dies lässt es als richtig erscheinen, die auf ein vorgemerktes Kaufsrecht gestützte Klage auf Zusprechung des Eigentums in bezug auf den örtlichen Gerichtsstand nicht als "persönliche Ansprache" zu behandeln, die nach
Art. 59 BV
am jeweiligen Wohnsitz der wechselnden Eigentümer zu erheben wäre, sondern den Entscheid über die Gültigkeit und Wirksamkeit eines solchen Kaufsrechts und seiner Vormerkung dem Richter am Ort der gelegenen Sache zuzuweisen. Dass hiefür auch, wie in
BGE 44 I 48
dargelegt, praktische Rücksichten sprechen, bestreitet die Beschwerdeführerin an sich nicht; sie macht lediglich geltend, dass solche "Zweckmässigkeitsgründe" nicht massgeblich sein könnten. Ob sie für sich allein eine Ausnahme von
Art. 59 BV
zu begründen vermöchten, ist nicht zu entscheiden. Da die Auffassung, die vorliegende Klage sei keine "persönliche Ansprache", sich schon aus den genannten rechtlichen Gründen aufdrängt, genügt die Feststellung, dass die praktischen Gesichtspunkte nicht gegen, sondern ebenfalls für diese Lösung sprechen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
3876fdd0-a246-4a78-9e79-7b6a6d6e453e | Urteilskopf
107 V 84
17. Extrait de l'arrêt du 22 juin 1981 dans la cause Caisse cantonale vaudoise de compensation contre Ferrari et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 97 Abs. 1 AHVG
.
Wiedererwägung einer an den Richter weitergezogenen Verwaltungsverfügung: Die Verwaltung ist nicht befugt, eine Verfügung, über welche der Richter materiell entschieden hat, wegen zweifelloser Unrichtigkeit in Wiedererwägung zu ziehen (Präzisierung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 84
BGE 107 V 84 S. 84
Extrait des considérants:
1.
Certaines lois déterminent si et à quelles conditions l'administration peut revenir sur une décision passée en force, par exemple la LAM en son art. 13. Même en cas de silence de la loi, le Tribunal fédéral et le Tribunal fédéral des assurances admettent cependant l'un et l'autre que l'administration jouit de cette faculté, à des conditions qui divergent parfois en raison de particularités propres aux domaines soumis à la juridiction de chacun d'entre eux. Ainsi, le Tribunal fédéral des assurances est souvent amené à se prononcer sur le droit à des prestations dont
BGE 107 V 84 S. 85
la périodicité fait qu'il est hautement souhaitable qu'elles ne soient pas allouées ou refusées durablement à tort. Aussi, selon la jurisprudence constante de la Cour de céans, l'administration a-t-elle la faculté de modifier une décision, lorsque cet acte est indubitablement erroné et que sa modification revêt un intérêt notable; cependant, le juge ne peut l'y contraindre (jurisprudence instaurée par l'arrêt Roggensinger du 19 février 1963, ATFA 1963 p. 86 consid. 2, confirmée à maintes reprises:
ATF 98 V 104
, 99 V 103,
ATF 100 V 25
,
ATF 102 V 17
,
ATF 103 V 128
,
ATF 105 V 30
,
ATF 106 V 87
). Qu'en est-il cependant de la reconsidération d'une décision qui a fait, sur recours, l'objet d'un jugement rendu par une autorité judiciaire?
Saisie de la question, la Cour plénière a décidé que l'administration n'a pas la faculté de reconsidérer, pour le motif qu'elle est sans nul doute erronée, une décision sur laquelle le juge s'est prononcé matériellement. Ce qui est déterminant à cet égard, ce n'est donc pas le fait qu'une décision a été déférée à un tribunal; c'est ce qui était litigieux devant le juge et ce sur quoi celui-ci a statué. Une telle limitation des compétences de l'administration est logique, si l'on considère l'effet dévolutif du recours, qui interdit en principe que soit rendue une nouvelle décision sur l'objet du litige soumis au juge (sous réserve de l'
art. 58 PA
p.ex.). Par ailleurs, la possibilité pour l'administration de reconsidérer une décision sans nul doute erronée ne doit pas rendre illusoire le principe de la séparation des pouvoirs; elle ne doit pas être utilisée non plus pour tourner les conditions auxquelles la loi subordonne la revision des jugements, ni en affaiblir la portée. Enfin, la sécurité du droit prévaut sur la légalité dès que le juge s'est prononcé, s'il n'existe aucun moyen légal de corriger l'erreur commise, la modification d'un jugement, plus encore que celle d'une décision administrative, portant atteinte à la première. Il peut certes paraître inique de maintenir une décision manifestement fausse. Mais un jugement erroné pourra souvent être modifié selon les règles de la revision judiciaire. Les cantons doivent instituer une revision en vertu de toutes les lois spéciales en matière d'assurance sociale, à l'exception du titre II de la LAMA et de la LAC (mais la jurisprudence a remédié à cette lacune; arrêt non publié Rüegg du 21 décembre 1979). Au demeurant, l'affaiblissement de l'autorité de la chose jugée permettrait à l'administration de ne pas appliquer en l'espèce - et non pas seulement dans d'autres cas analogues - un jugement qui la contrarierait. Force est donc bien d'admettre que l'atteinte à la sécurité du droit et à l'efficacité du
BGE 107 V 84 S. 86
contrôle du juge administratif serait si sérieuse que cet inconvénient l'emporte sur celui de devoir, dans certains cas où les conditions d'une révision ne seraient pas données, maintenir des prestations indues ou refuser des prestations dues. Il incomberait au législateur de prévoir une réglementation adéquate, tenant compte du caractère périodique et durable de maintes prestations d'assurance sociale, si le maintien, parfois, de décisions erronées devait avoir à ses yeux des conséquences inadmissibles. | null | nan | fr | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
387ac06c-b282-437a-a3ce-c2abbe2c942d | Urteilskopf
96 V 110
30. Extrait de l'arrêt du 27 novembre 1970 dans la cause Assurance militaire fédérale contre Rey et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 23 Abs. 1 und 25 Abs. 3 MVG: Natur des für die Rentenhöhe massgebenden Schadens.
Erwerbsunfähigkeit und Beeinträchtigung der körperlichen oder psychischen Integrität dürfen als Schadenselemente nicht kumuliert werden. Ausschlaggebend ist derjenige Schaden, der, für sich allein betrachtet, die höhere Rente ergibt (Präzisierung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 111
BGE 96 V 110 S. 111
Extrait des considérants:
2.
Le litige porte uniquement sur le taux du dommage et sa nature juridique actuelle.
a) L'art. 23 al. 1er LAM prévoit deux hypothèses permettant de verser une rente de l'Assurance militaire. Il s'agit d'une part de l'atteinte présumée permanente à la capacité de gain et d'autre part de l'atteinte notable à l'intégrité physique ou psychique. Lorsqu'une diminution de la capacité de gain coïncide avec une atteinte notable à l'intégrité physique ou psychique, il n'est alloué qu'une seule rente, mais, aux termes de l'art. 25 al. 3 LAM, "il y a lieu, en fixant son montant, de tenir compte des deux dommages".
Dans sa décision du 29 novembre 1968, l'Assurance militaire a fixé le taux d'invalidité à 66 2/3%. Elle est partie pour ce faire de l'idée que ce taux était celui de la diminution de la capacité de gain et que cet élément était à tel point prépondérant qu'il ne laissait plus aucune place pour une indemnisation supplémentaire de l'atteinte à l'intégrité corporelle.
Le juge cantonal, au contraire, est parti de l'idée que l'atteinte à l'intégrité corporelle était largement prépondérante et justifiait à elle seule un taux de 66 2/3%. Pour tenir compte en sus d'une certaine atteinte à la capacité de gain, il a porté le taux global à 80% pour les deux dommages.
Ni l'une ni l'autre de ces opinions ne mérite cependant confirmation. Pour se faire une idée juste de la voie à suivre, il faut constater dès le départ le fait que les deux hypothèses de l'art. 23 al. 1er LAM présentent chacune de telles particularités
BGE 96 V 110 S. 112
qu'il est impossible d'en apprécier l'étendue dans une seule et même opération logique. En effet, tant les règles d'évaluation du taux que les méthodes de calcul diffèrent nettement.
b) La notion de l'invalidité dans l'assurance militaire (comme d'ailleurs en matière d'assurance-invalidité et d'assurance-accidents) est de nature essentiellement économique. La rente versée à ce titre entend dédommager la perte de gain permanente ou de longue durée résultant de l'affection assurée. Le taux de l'invalidité découle de la comparaison de deux revenus hypothétiques, soit celui que l'assuré aurait pu gagner s'il n'était pas devenu invalide et celui qu'il pourrait obtenir en exerçant l'activité qu'on peut raisonnablement attendre de lui compte tenu d'une situation équilibrée sur le marché de travail ouvert à lui (v. p.ex. ATFA 1967 p. 22). La rente est ensuite calculée sur la base du gain annuel moyen que l'assuré aurait probablement réalisé s'il n'en avait pas été empêché par la diminution de sa capacité de gagner (art. 9 OAM). Ce faisant, on tiendra également compte des augmentations de gain futures si, lors de la fixation de la rente, elles se laissent prévoir avec une grande vraisemblance (v. ATFA 1969 p. 195 consid. 2).
c) Quant à la rente accordée en cas d'atteinte notable à l'intégrité corporelle, elle entend dédommager le préjudice que l'assuré subit dans l'exercice des fonctions primaires de la vie. Son taux est également exprimé en pour-cent, mais par comparaison entre l'état anatomique et fonctionnel de l'assuré avant la survenance de l'affection assurée et celui qu'il présente lors de la fixation de la rente, compte tenu de l'accoutumance (v. ATFA 1968 p. 94 ss consid. 3). Selon la jurisprudence, cette rente doit être calculée sur la base de la valeur moyenne entre le minimum et le maximum du gain à prendre en considération selon l'art. 24 LAM.
Cette dernière pratique est critiquée par l'Assurance militaire. Certes, celle-ci renonce à reprendre l'argumentation qu'elle avait soutenue dans des causes précédentes - argumentation rejetée par le Tribunal fédéral des assurances (ATFA 1966 p. 148 et 1968 p. 88) -, selon laquelle la mesure de la rente pour atteinte à l'intégrité devait être déterminée par le montant en capital que le juge civil aurait alloué dans un cas semblable à titre de réparation morale. Mais elle estime qu'il doit exister néanmoins un certain équilibre entre le montant de l'indemnité octroyé par le juge civil à titre de réparation morale et la valeur
BGE 96 V 110 S. 113
de la rente militaire pour atteinte à l'intégrité. Or, si la parenté entre l'indemnisation du tort moral et celle de l'atteinte à l'intégrité est indéniable, cette parenté ne réside cependant que dans la nature immatérielle du dommage subi. Ainsi que le Tribunal fédéral des assurances l'a relevé dans l'arrêt non publié Barlogis du 28 février 1967, les deux formes d'indemnisation ont pour fondement des états de faits différents: la rente pour atteinte à l'intégrité, un dommage physique ou psychique permanent et en principe objectivement mesurable; l'indemnisation pour tort moral, une douleur morale unique et donc limitée dans le temps. De plus, les deux formes d'indemnisation sont réglées de manière différente par le texte légal lui-même: une rente viagère dans un cas, un capital unique dans l'autre. Comparer la valeur des prestations ne répond donc pas à une exigence impérative, et vouloir éviter à tout prix une éventuelle disproportion se heurte aux dispositions légales elles-mêmes. La valeur capitalisée de la rente est d'ailleurs un élément de comparaison impropre, car son emploi aboutirait à la conséquence que, plus un assuré est jeune, moins haut devrait être estimé le degré de l'atteinte portée à son intégrité. Ce n'est guère que dans des cas où la valeur de la rente serait si faible qu'elle ne satisferait plus à sa fonction d'indemnisation, qu'un correctif pourrait être apporté (ATFA 1966 p. 152).
d) La divergence des règles d'évaluation et des méthodes de calcul de la rente pour atteinte à la capacité de gain d'une part et de la rente pour atteinte à l'intégrité physique ou psychique d'autre part interdit à l'évidence toute addition de l'un quelconque de leurs éléments. Ces éléments, sans traits communs d'aucune sorte, ne peuvent même être combinés. Aussi la jurisprudence a-t-elle reconnu que, lorsqu'une diminution de la capacité de gain coïncide avec une atteinte notable à l'intégrité corporelle, le dommage prépondérant devait l'emporter pour le calcul de la rente et englobait régulièrement le dommage mineur (ATFA 1966 p. 151). Vouloir, comme le tente le juge cantonal, tenir compte du dommage mineur par l'augmentation de l'un des éléments de calcul du dommage principal procède d'une appréciation dépourvue de tout critère de base possible; une telle appréciation relèverait donc de l'arbitraire, situation inconciliable avec l'ordre juridique fondamental. Le résultat en serait de plus choquant, du fait que - la rente unique ne pouvant dépasser en aucun cas 100% - il ne pourrait
BGE 96 V 110 S. 114
être tenu aucun compte du second dommage, même fort grave, si le premier dommage est total.
En présence de cette situation, la logique impose de considérer que l'art. 25 al. 3 LAM, en prévoyant l'octroi d'une seule rente et en exigeant qu'il soit tenu compte ce faisant des deux dommages, entend poser pour principe que les deux genres de dommages sont mis sur le même pied, c'est-à-dire que - contrairement à la thèse de l'Assurance militaire - la rente pour atteinte à la capacité de gain ne bénéficie d'aucune priorité sur la rente pour atteinte à l'intégrité corporelle; qu'il faut bien plutôt mesurer l'ampleur de l'un et de l'autre puis, procédant à leur comparaison, retenir et indemniser pleinement le dommage prépondérant.
e) Il reste à voir comment déterminer le dommage prépondérant. La seule voie qui aboutisse à des résultats conformes aux exigences de l'art. 25 al. 3 LAM est de comparer non pas les éléments de calcul de l'une et l'autre rente pris séparément, mais le résultat de ce calcul, soit les montants des rentes qui devraient être versées pour l'un et pour l'autre des dommages. Cette méthode conduira certes à des résultats particulièrement favorables pour certaines classes d'assurés, si l'on songe notamment au gain servant au calcul de la rente pour atteinte à l'intégrité corporelle. Mais elle est dans la logique du système légal. L'art. 25 al. 3 LAM tend en effet manifestement à assurer une pleine indemnisation du dommage prépondérant, c'est-à-dire à donner la priorité à la rente la plus favorable à l'assuré.
3.
Il s'agit donc de rechercher s'il subsiste encore chez l'assuré une incapacité de gain ou une atteinte notable à son intégrité corporelle puis, suivant la réponse, de déterminer auquel des deux dommages revient la priorité.
a) En l'espèce, l'atteinte à l'intégrité corporelle est sans doute très grave. A l'âge de 25 ans, l'assuré s'est vu privé de ses deux jambes; ce qui, même tenu compte de l'accoutumance, justifierait à lui seul d'évaluer le dommage à environ la moitié. A cela s'ajoutent une mutilation des membres supérieurs également qui présentent en sus des troubles fonctionnels, une stérilité totale qui semble s'être doublée depuis lors d'impuissance sexuelle, une certaine surdité bilatérale et la tendance à des otites récidivantes dont l'origine remonte à l'époque du traitement. Alors même que l'obligation d'avoir recours à l'aide d'autrui pour s'habiller, se déshabiller, mettre et enlever ses
BGE 96 V 110 S. 115
prothèses, est indemnisée par la prise en compte à 100% du gain déterminant et par l'allocation d'une indemnité spéciale de 2 francs par jour, cette dépendance pour nombre d'actes quotidiens et vitaux n'en est pas moins un signe de l'ampleur de l'atteinte portée à l'intégrité et renforce singulièrement le degré de privation des jouissances usuelles de la vie. En revanche, il ne faut pas oublier que Rey n'est pas privé de toute possibilité de locomotion autonome et que, surtout, son psychisme est resté parfaitement intact. Considérées dans leur ensemble, les séquelles de l'accident assuré justifient, de l'avis de la Cour de céans, d'évaluer le taux du dommage à 70%. Calculé sur la base de la valeur moyenne entre les revenus minimum et maximum à prendre en considération selon l'art. 24 LAM, le montant de la rente alloué à ce titre dépasserait celui de la pension que l'Assurance militaire a accordée à l'intimé dans la décision litigieuse.
b) L'Assurance militaire estime l'assuré invalide pour les deux tiers car, selon elle, s'il venait à perdre sa place actuelle, il resterait au chômage deux ans sur trois dans une situation équilibrée du marché général du travail. Cette appréciation est cependant loin de refléter la réalité. En effet seule est déterminante la situation de l'assuré lors de la fixation de la rente, soit lors de la révision. S'il faut certes considérer dans ce cadre également le développement futur des possibilités de gagner de l'assuré, cela ne veut pas dire qu'il faille tabler sur des éventualités plus ou moins lointaines. L'art. 8 LAM déclare couvertes par l'assurance les conséquences pécuniaires directes des affections assurées. Par "conséquence directe" il faut comprendre celle dont la survenance est hautement vraisemblable lors de la fixation de la rente. Or l'assuré ne subit actuellement guère de perte de gain. Les dépenses supplémentaires dues à son impotence sont couvertes par la prise en compte à 100% du gain déterminant et par l'indemnité de 2 francs par jour; d'autres, telles que les frais de voiture, pourraient être assumées par l'assurance-invalidité, si l'usage d'une voiture est nécessaire pour se rendre au travail.
Certes, les particularités de l'espèce inclinent à admettre qu'il ne faut pas évaluer le taux de l'invalidité de l'assuré en fonction du gain qu'il obtiendrait s'il se livrait encore à l'activité exercée avant l'accident, mais bien au contraire en relation avec sa profession actuelle. Cependant au dire du directeur de
BGE 96 V 110 S. 116
l'entreprise où il travaille, son infirmité n'a pratiquement pas d'influence sur sa capacité de travail. Le tribunal cantonal relève que l'assuré n'en subit pas moins un handicap important sur le marché général du travail; que, s'il venait à perdre son emploi, il lui serait plus difficile de se reclasser qu'à un homme valide, surtout sur un marché du travail équilibré. A ces arguments on peut opposer le fait que l'assuré occupe depuis bientôt huit ans un emploi stable; que rien ne permet de craindre pour l'instant une perte d'emploi; que la rente pourrait alors être à nouveau révisée, s'il se présentait plus tard des difficultés de reclassement. Même compte tenu de certaines dépenses extraordinaires qui demeureraient éventuellement à la charge de l'assuré, force est d'admettre que le taux de son invalidité actuelle aboutirait à une rente largement inférieure à celle qu'il peut prétendre pour l'atteinte à l'intégrité corporelle.
c) L'assuré a donc droit à une rente pour atteinte à l'intégrité corporelle, que l'Assurance militaire calculera en partant d'une entière responsabilité de la Confédération, d'une invalidité de 70%, d'un gain annuel correspondant à la valeur moyenne entre les revenus minimum et maximum selon l'art. 24 LAM et d'un taux d'indemnisation de 100%.
La conséquence en est une minime réforme du jugement cantonal, à l'avantage de l'assuré et au détriment de l'Assurance militaire. Une telle possibilité est expressément prévue à l'art. 132 lit. c OJ, aux termes duquel le Tribunal fédéral des assurances peut s'écarter des conclusions des parties à l'avantage ou au détriment de celles-ci. L'Assurance militaire a d'ailleurs envisagé cette éventualité, puisqu'elle a proposé dans son mémoire de recours de s'en tenir au gain réalisable sans l'affection assurée, même si la Cour de céans devait admettre que l'atteinte à l'intégrité corporelle représente le dommage prépondérant. | null | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
387eafae-e9a1-4d53-911e-1c29090ef055 | Urteilskopf
100 Ia 231
33. Urteil vom 13. März 1974 i.S. Kallenberger und Mitbeteiligte gegen Stadtrat von Zürich und Regierungsrat des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 85 lit. a OG
. Ungültigerklärung einer kommunalen Volksinitiative wegen materieller Unvereinbarkeit mit dem kantonalen Recht.
1. Wieweit muss die Behörde beim Entscheid über die Gültigkeit einer kommunalen Initiative berücksichtigen, dass deren materielle Widerrechtlichkeit durch Annahme eines gleichzeitig eingereichten kantonalen Volksbegehrens dahinfallen könnte? (Erw. 2).
2. Die Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich sind eine zur Eigenwirtschaftlichkeit verpflichtete "produktive Unternehmung" im Sinne von § 129 des kantonalen Gemeindegesetzes. Die stadtzürcherische "Gratistram-Initiative", mit welcher ein grundsätzlicher Verzicht auf die Erhebung von Benützungsgebühren gefordert wurde, durfte daher wegen Unvereinbarkeit mit dem kantonalen Recht für ungültig erklärt werden (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 232
BGE 100 Ia 231 S. 232
A.-
Am 21. April 1972 reichte die "Progressive Planungsgruppe Zürich" (PPZ) bei der Stadtkanzlei Zürich eine kommunale Initiative ein, wonach die Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich (VBZ) die Fahrgäste grundsätzlich gratis befördern sollten (sog. "Gratistram-Initiative"). Das Initiativbegehren lautete wie folgt:
"Ergänzung von Artikel 109 der (stadtzürcherischen) Gemeindeordnung:
Die Verkehrsbetriebe erheben von den Benützern keine Taxen.
Von diesem Grundsatz sind Ausnahmen zulässig für Benützer, die nicht in der Gemeinde wohnhaft sind, und für Linien ausserhalb des Gemeindegebietes, sofern die interessierten Vorortsgemeinden oder der Kanton sich nicht angemessen an der Deckung des Taxausfalles beteiligen. Hierüber entscheidet der Gemeinderat."
Das Initiativbegehren war von 6104 Stimmbürgern gültig unterzeichnet, womit die erforderliche Zahl von 4000 Unterschriften erreicht war. Der Stadtrat von Zürich stellte indessen dem Gemeinderat den Antrag, die Initiative als ungültig zu erklären, da sie inhaltlich gegen § 129 des kantonalen Gesetzes über das Gemeindewesen vom 6. Juni 1926 (GG) verstosse. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
"3. Produktive Unternehmungen
§ 129. Ausgaben für produktive Unternehmungen sollen aus den Betriebsergebnissen verzinst und der Natur der Unternehmung entsprechend amortisiert werden.
BGE 100 Ia 231 S. 233
Ausnahmen sind nur zulässig, wenn das allgemeine Interesse den Betrieb der betreffenden Unternehmung erfordert, ihre vollständige Verzinsung und Amortisation aber die Erhebung übermässig hoher Gebühren notwendig machen würden.
Gemeinden, die für produktive Unternehmungen Aufwendungen gemacht haben, die sich aus dem Ertrag dieser Unternehmungen nicht verzinsen und planmässig amortisieren lassen, haben den entsprechenden Ausfall durch jährliche Beiträge aus den laufenden Einnahmen der Gemeinde zu decken.
Über die produktiven Unternehmungen wird jährlich eine besondere Rechnung nach einem von der Direktion des Innern festgesetzten oder genehmigten Formular erstellt."
In der Begründung seines Antrages führte der Stadtrat aus, nach § 4 Abs. 2 des Gesetzes über das Vorschlagsrecht des Volkes in Verbindung mit § 98 GG sei eine Gemeindeinitiative als ungültig zu erklären, wenn sie gegen kantonales Recht verstosse. Dies sei hier der Fall. Die VBZ gehörten zu den sogenannten produktiven Unternehmen, und für solche schreibe § 129 GG vor, dass ihre Ausgaben aus den Betriebsergebnissen verzinst und amortisiert werden müssten. Ausnahmen von diesem Grundsatz seien nur zulässig, wenn die zu erhebenden Gebühren sonst übermässig wären. Auch wenn man darüber diskutieren könne, was unter "übermässig hohen Gebühren" zu verstehen sei, so sei doch klar, dass ein Verzicht auf jegliche Gebühr, wie er mit der Initiative verlangt werde, mit § 129 GG nicht vereinbar wäre. Der Stadtrat berief sich dabei auf ein Rechtsgutachten, das Dr. Oskar Bosshardt am 23. Dezember 1971 dem Vorstand der Industriellen Betriebe der Stadt Zürich erstattet hatte (publiziert in ZBl 1972, S. 129-142).
Der Gemeinderat folgte mit Beschluss vom 28. Juni 1972 dem Antrag des Stadtrates. Von den 111 anwesenden Ratsmitgliedern stimmten 74 für die Ungültigerklärung der Initiative, womit die vom Gesetz verlangte Zweidrittelmehrheit erreicht war.
B.-
Gleichzeitig mit der kommunalen Initiative hatte die PPZ am 21. April 1972 beim Büro des Kantonsrates eine kantonale Initiative eingereicht. Danach sollte § 129 Abs. 2 GG folgende neue Fassung erhalten:
"Gemeinden können im höheren Allgemeininteresse, insbesondere aus Gründen des Umweltschutzes und der Siedlungsplanung, beschliessen, auf kostendeckende Taxen ganz oder teilweise zu verzichten."
BGE 100 Ia 231 S. 234
Der Regierungsrat stellte am 17. Mai 1972 fest, dass diese kantonale "Volksinitiative zur staatlichen Förderung des Umweltschutzes" mit 5290 gültigen Unterschriften zustandegekommen sei. Der Kantonsrat ordnete in der Folge eine Volksabstimmung an, wobei er, ebenso wie der Regierungsrat, dem Stimmbürger die Ablehnung der Initiative empfahl. Die Abstimmung findet demnächst statt.
C.-
Die Initianten fochten den Beschluss des Gemeinderates der Stadt Zürich, mit dem die kommunale "Gratistram-Initiative" als ungültig erklärt worden war, ohne Erfolg beim Bezirksrat Zürich an. Ein gegen den Entscheid des Bezirksrates eingereichter Rekurs wurde vom Regierungsrat des Kantons Zürich am 26. September 1973 abgewiesen.
D.-
Gegen den Entscheid des Regierungsrates führt Werner Kallenberger für sich und im Namen des "Initiativkomitees Gratistram" der PPZ am 1. November 1973 staatsrechtliche Beschwerde. Er stellt den Antrag, es sei der Entscheid des Regierungsrates vom 26. September 1973 aufzuheben; es sei der staatsrechtlichen Beschwerde "aufschiebende Wirkung" zu gewähren, bis über die hängige kantonale Initiative abgestimmt worden sei; hernach sei die Gemeindeinitiative den Stimmberechtigten der Stadt Zürich zur Abstimmung zu unterbreiten. Die Beschwerdeführer werfen den kantonalen Behörden vor, zu Unrecht angenommen zu haben, dass die kommunale Initiative dem heute geltenden § 129 GG widerspreche. Dadurch seien sie in ihrem Stimmrecht verletzt worden. Der Gemeinderat der Stadt Zürich hätte allenfalls mit der Behandlung der kommunalen Initiative zuwarten müssen, bis über die gleichzeitig eingereichte kantonale Initiative betreffend Änderung von § 129 GG abgestimmt worden sei.
E.-
Das Begehren um aufschiebende Wirkung wurde vom Präsidenten der staatsrechtlichen Kammer mit Verfügung vom 6. Dezember 1973 abgewiesen.
F.-
Die Direktion des Innern des Kantons Zürich beantragt namens des Regierungsrates Abweisung der Beschwerde. Der Stadtrat von Zürich stellt ebenfalls den Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Die Beschwerdeführer rügen, dass die Ungültigerklärung der Gratistram-Initiative sie in ihrem Stimmrecht verletze
BGE 100 Ia 231 S. 235
und das Vorgehen der zürcherischen Behörden willkürlich sei. Sie erheben damit eine Stimmrechtsbeschwerde nach
Art. 85 lit. a OG
. Zu den politischen Rechten, deren Verletzung gestützt auf
Art. 85 lit. a OG
gerügt werden kann, gehört auch das Initiativrecht (
BGE 97 I 895
;
BGE 94 I 124
E. 1a, mit Hinweisen), und zwar in kantonalen wie in kommunalen Angelegenheiten (
BGE 98 Ia 69
E. 1;
BGE 94 I 124
E. 1a).
b) Der Beschwerdeführer Werner Kallenberger ist als stimmberechtigter Einwohner der Stadt Zürich ohne weiteres legitimiert, den Entscheid des Regierungsrates, mit dem die Ungültigerklärung der stadtzürcherischen Gratistram-Initiative letztinstanzlich geschützt wurde, gestützt auf
Art. 85 lit. a OG
anzufechten (
BGE 99 Ia 180
, 201, 211;
BGE 98 Ia 640
;
BGE 97 I 823
). Wie es sich mit der Legitimation des ebenfalls beschwerdeführenden "Initiativkomitees Gratistram der Progressiven Planungsgruppe Zürich" verhält, braucht nicht geprüft zu werden, da die Beschwerde ohnehin materiell behandelt werden muss.
c) Eine staatsrechtliche Beschwerde der vorliegenden Art hat rein kassatorische Funktion (
BGE 98 Ia 631
f, 609 E. 6, 69 E. 2). Soweit mehr verlangt wird als die Aufhebung des angefochtenen Regierungsratsbeschlusses, ist die Beschwerde unzulässig.
2.
a) Zunächst stellt sich die Frage, ob der Gemeinderat der Stadt Zürich den Entscheid über die Gültigkeit der kommunalen Gratistram-Initiative nicht hätte aussetzen sollen bis zur Abstimmung über die kantonale Initiative, wenn er der Meinung war, dass die kommunale Initiative inhaltlich gegen § 129 GG verstosse. Bekäme nämlich diese Vorschrift durch Annahme des kantonalen Volksbegehrens die darin vorgesehene neue Fassung, so wäre die behauptete Widerrechtlichkeit der kommunalen Initiative nicht mehr gegeben und der von der Behörde geltend gemachte Ungültigkeitsgrund fiele dahin. Da das Ergebnis der kantonalen Volksabstimmung nicht abgewartet und die kommunale Gratistram-Initiative ohne Rücksicht auf das andere hängige Volksbegehren aufgrund der geltenden Fassung des § 129 GG für ungültig erklärt wurde, müssten vielleicht die Initianten im Falle der Annahme des kantonalen Volksbegehrens zur Verwirklichung ihres Vorhabens erneut eine kommunale Initiative einreichen und hiezu nochmals die erforderlichen Unterschriften sammeln; der am
BGE 100 Ia 231 S. 236
21. April 1972 eingereichten und bereits vor der kantonalen Abstimmung für ungültig erklärten Gratistram-Initiative würde die nachträgliche Änderung der kantonalen Rechtsgrundlage insofern nichts mehr nützen.
b) Die Beschwerdeführer stellten im bundesgerichtlichen Verfahren das Gesuch, es sei der gegen den Regierungsratsentscheid eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde bis zur Abstimmung über die kantonale Initiative "aufschiebende Wirkung" zu gewähren, womit offenbar gemeint war, das Bundesgericht solle seinerseits erst zu diesem Zeitpunkt über die Gültigkeit der Gratistram-Initiative befinden, um ein allfälliges positives Ergebnis der kantonalen Abstimmung berücksichtigen zu können. Dieses Begehren wurde mit Grund abgewiesen. Es war nicht nur prozessual unzulässig, sondern auch von der Sache her gesehen nutzlos. Das Bundesgericht hat im vorliegenden Verfahren nicht selbständig nochmals darüber zu befinden, ob die Gratistram-Initiative gültig ist; es hat nur zu prüfen, ob der angefochtene Entscheid der kantonalen Behörde nach der damals geltenden Rechtslage richtig war, und die Beantwortung dieser Frage hängt nicht davon ab, wie die Abstimmung über das kantonale Volksbegehren ausfallen wird. War es zulässig, dass die zürcherischen Behörden die kommunale Initiative ohne Rücksicht auf das gleichzeitig eingereichte kantonale Volksbegehren aufgrund der geltenden Rechtslage prüften und für ungültig erklärten, dann muss die staatsrechtliche Beschwerde, wie immer auch die kantonale Volksabstimmung ausfallen wird, abgewiesen werden. Erweist sich indessen das Vorgehen der zürcherischen Behörden rechtlich nicht als haltbar, sei es, weil die kommunale Initiative schon nach der heutigen Fassung des § 129 GG inhaltlich nicht rechtswidrig war, sei es, weil die Behörde den Entscheid über die Gültigkeit der Initiative hätte aussetzen müssen, so erwächst den Beschwerdeführern durch eine sofortige Behandlung der staatsrechtlichen Beschwerde kein Nachteil. Die kantonale Behörde hätte in diesem Fall über die Gültigkeit der Gratistram-Initiative nach Massgabe der bundesgerichtlichen Erwägungen neu zu befinden, wobei dem Ergebnis der kantonalen Volksabstimmung allenfalls Rechnung zu tragen wäre. Es brauchte diesbezüglich somit keine vorsorgliche Verfügung zu ergehen, und auch eine Sistierung des bundesgerichtlichen Verfahrens wäre überflüssig. Ob das Ergebnis der kantonalen
BGE 100 Ia 231 S. 237
Volksabstimmung abgewartet werden musste oder nicht, ist ausschliesslich eine Frage der materiellen Begründetheit der vorliegenden Beschwerde.
c) Dass die Initianten bei Einreichung der Gratistram-Initiative eine vorgängige Behandlung der gleichzeitig dem Büro des Kantonsrates eingereichten kantonalen Initiative verlangt hätten, wird in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht behauptet. Die Beschwerdeführer machen lediglich geltend, das koordinierte Einreichen der beiden Initiativen habe einen solchen Vorbehalt "impliziert". Bezirksrat und Regierungsrat haben den Einwand, wonach mit der Behandlung der Gratistram-Initiative hätte zugewartet werden müssen, abgelehnt. Der Bezirksrat führte aus, dass die stadtzürcherischen Behörden an gesetzliche Fristen gebunden gewesen seien und das verlangte Zuwarten rechtlich gar nicht möglich gewesen wäre. Der Regierungsrat lehnte die Rüge ab mit der Begründung, der Gemeinderat von Zürich sei zum Zuwarten nicht verpflichtet gewesen; er habe sich bei der materiellen Prüfung an das geltende Recht halten müssen und nicht an eine Initiative, von der ungewiss sei, ob und wann sie Verbindlichkeit erlange.
Es kann offen bleiben, wie es wäre, wenn die Initianten des kommunalen Volksbegehrens ausdrücklich verlangt hätten, dass mit dessen Behandlung bis zur Abstimmung über die kantonale Initiative zuzuwarten sei. Die Fristen, welche das Gesetz für die Behandlung von Volksinitiativen vorsieht, schützen in der Tat in erster Linie die Interessen der an der Initiative beteiligten Stimmbürger. Es liesse sich die Auffassung vertreten, dass die Mitglieder eines Initiativkomitees auf die Einhaltung dieser Fristen verzichten können, sei es durch eine dahinlautende Klausel im Initiativbegehren, sei es durch eine nachträgliche Erklärung, wenn sie durch eine entsprechende Klausel der Initiative dazu ermächtigt sind.
Die am 21. April 1972 eingereichte Gratistram-Initiative enthielt indessen keine Klausel, durch die auf die Einhaltung der gesetzlichen Fristen verzichtet worden wäre oder welche die Mitglieder des Initiativkomitees ermächtigt hätte, nachträglich zu verlangen, dass die Behandlung der Initiative verschoben werde. Die Initianten haben denn auch weder bei Einreichung des Volksbegehrens noch im darauffolgenden Verfahren vor den Gemeindebehörden je verlangt, dass die
BGE 100 Ia 231 S. 238
Gratistram-Initiative allenfalls erst nach der Abstimmung über die kantonale Initiative zu behandeln sei; ein solches Begehren wurde erstmals im Rekurs an den Bezirksrat gestellt. Nach dem von den Beschwerdeführern eingelegten Text nahm die Gratistram-Initiative, die übrigens auch keine Rückzugsklausel enthielt, überhaupt nicht Bezug auf die gleichzeitig eingereichte kantonale Initiative. Unter diesen Umständen handelten die stadtzürcherischen Behörden nicht rechtswidrig, wenn sie über die Gültigkeit der Gratistram-Initiative ohne Rücksicht auf das kantonale Volksbegehren, d.h. nach Massgabe des geltenden kantonalen Rechtes innerhalb der gesetzlichen Fristen entschieden, weshalb die Beschwerde in diesem Punkt unbegründet ist.
3.
Es bleibt zu prüfen, ob zu Recht angenommen werden durfte, die Gratistram-Initiative verstosse inhaltlich gegen § 129 GG in seiner heutigen Fassung. Vom soeben behandelten Einwand abgesehen, bestreiten auch die Beschwerdeführer nicht ernsthaft, dass der Gemeinderat von Zürich befugt war, die Gratistram-Initiative wegen Unvereinbarkeit mit dem übergeordneten kantonalen Recht als ungültig zu erklären, wenn die Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich eine zur Eigenwirtschaftlichkeit verpflichtete "produktive Unternehmung" im Sinne von §, 129 GG darstellen (vgl.
BGE 98 Ia 640
,
BGE 96 I 646
,
BGE 92 I 359
f).
a) Bei Beschwerden gemäss
Art. 85 lit. a OG
prüft das Bundesgericht die Auslegung kantonaler Vorschriften, die den Umfang und Inhalt des Stimm- und Wahlrechtes normieren oder mit diesem in einem engen Zusammenhang stehen, grundsätzlich frei (
BGE 99 Ia 181
E. 3 a, 55 E. 1, mit Hinweisen). Die hier streitige Vorschrift des § 129 GG regelt keine Frage der politischen Stimmberechtigung, sondern eine solche des kommunalen Haushalts- und Gebührenrechtes. Von ihrer Auslegung hängt jedoch unmittelbar der Umfang des Initiativrechtes der Beschwerdeführer ab, da die Gratistram-Initiative wegen inhaltlicher Unvereinbarkeit mit dieser kantonalen Vorschrift für ungültig erklärt worden ist. Das Bundesgericht prüft daher mit freier Kognition, ob die Gratistram-Initiative wegen Verstosses gegen § 129 GG der Volksabstimmung entzogen werden durfte (vgl.
BGE 94 I 124
E. 2; ZBl 1966 S. 36; zum umgekehrten Fall, in dem gerügt wird, eine Initiative
BGE 100 Ia 231 S. 239
werde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit zu Unrecht zur Abstimmung gebracht, vgl. das Urteil vom 25. September 1973 i.S. Burkhalter und Mitbeteiligte gegen Kantonsrat des Kantons Zürich,
BGE 99 Ia 731
E. 2).
b) Der in § 129 GG verwendete Begriff der "produktiven Unternehmung" ist nicht klar und bedarf daher der Auslegung. Diese muss aber zu einem vernünftigen Ergebnis führen, das mit dem Zweck und dem übrigen Inhalt der Vorschrift im Einklang steht. Mit § 129 GG wollte der kantonale Gesetzgeber offensichtlich gewährleisten, dass kommunale Unternehmen, die nach der Art ihrer Tätigkeit in der Lage sind, sich durch Gebührenerhebung wesentliche Einkünfte zu verschaffen, nach Möglichkeit kostendeckend, d.h. ohne Inanspruchnahme von Steuergeldern arbeiten, und dass sie jedenfalls nicht ausschliesslich aus Steuergeldern finanziert werden. Das führt zu der im Gutachten Bosshardt gezogenen Folgerung, wonach der in § 129 GG verwendete Ausdruck "produktiv" im Sinne des Gemeindehaushaltsrechtes zu verstehen ist und nichts anderes heisst als "erwerbswirtschaftlich, ertragsabwerfend oder doch eigenwirtschaftlich". Die "produktive Unternehmung" steht damit, wie im angefochtenen Entscheid richtig festgestellt wird, im Gegensatz zur klassischen Verwaltung, deren Kosten durch Gebührenerhebung nur zum geringsten Teil gedeckt werden können und die daher finanziell gesehen unproduktiv ist. Eine solche Auslegung ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nicht zu extensiv, sondern sie entspricht durchaus dem Sinn der Vorschrift. Daraus, dass § 129 GG von "Unternehmung" spricht, ergibt sich immerhin die Einschränkung, dass es sich um einen Betrieb handeln muss, dessen Tätigkeit darin besteht, Güter herzustellen oder zu verteilen oder wirtschaftliche Dienstleistungen zu erbringen; rein administrative Betriebe fallen daher nicht unter § 129 GG, auch wenn es ihnen bisweilen möglich ist, einen grossen Teil ihrer Kosten durch Gebührenerhebung zu decken. Die Beschwerdeführer scheinen die Auffassung zu vertreten, "produktiv" im Sinne vom § 129 GG seien nur Unternehmungen, die Güter erzeugen oder verteilen, so z.B. die kommunalen Elektrizitätswerke und andere Versorgungsbetriebe, nicht aber Betriebe, deren Tätigkeit nur im Erbringen von Dienstleistungen bestehe. Der Regierungsrat hat eine solche Auslegung zu Recht abgelehnt. Es wäre nicht einzusehen, weshalb der Gesetzgeber
BGE 100 Ia 231 S. 240
die von ihm in § 129 GG statuierte Regel einer derartigen Einschränkung hätte unterwerfen wollen. Nach ihrem Zweck muss sie gegebenenfalls auch für kommunale Dienstleistungsbetriebe Geltung haben. Ebensowenig ginge es an, unter "produktiven Unternehmungen" nur solche Unternehmen zu verstehen, die auf die Erzielung von Profit ausgerichtet sind und von der Gemeinde ausschliesslich oder in erster Linie aus fiskalischen Gründen betrieben werden. Einer derartigen Auslegung stünde § 129 Abs. 2 GG entgegen, wonach bei Betrieben, die "im allgemeinen Interesse" liegen, vom Prinzip der Selbstfinanzierung abgewichen werden kann, sofern andernfalls übermässig hohe Gebühren notwendig wären. Daraus folgt klarerweise, dass der Begriff der "produktiven Unternehmung" nicht einen fiskalischen Zweck voraussetzt. Es ist in der Schweiz übrigens auch nicht üblich, dass eine Gemeinde wie ein privater Unternehmer auftritt und einen Betrieb führt, der ausschliesslich finanziellen Zwecken dient. Es dürfte dem mutmasslichen Willen des kantonalen Gesetzgebers vielmehr am ehesten entsprechen, jene kommunalen Unternehmungen als "produktiv" im Sinne vom § 129 GG anzusehen, die nach der Art ihrer Tätigkeit in der Lage sind, sich durch Gebührenerhebung wesentliche Einkünfte zu verschaffen, und die sich normalerweise selber finanzieren. Nach dieser Definition stellen auch die öffentlichen Transportbetriebe "produktive Unternehmungen" dar. Überall in der Schweiz erheben derartige Betriebe Benützungsgebühren, aus denen sie ihre Kosten zu einem erheblichen Teil decken. Diese Art der Kostendeckung entspricht auch, wenigstens nach herkömmlicher Anschauung, einem Gebot der Gerechtigkeit. Wenn auch die Führung solcher Betriebe im öffentlichen Interesse liegt, so steht doch fest, dass sie von den einzelnen Bürgern in sehr unterschiedlichem Masse benützt werden, weshalb es unbillig wäre, sie ausschliesslich aus Steuergeldern zu finanzieren. Diese Überlegung liegt der Vorschrift des § 129 GG ohne Zweifel zugrunde. Sie findet daher auch auf die VBZ - eine unselbständige öffentliche Anstalt der Stadt Zürich - Anwendung.
Was die Beschwerdeführer demgegenüber einwenden, dringt nicht durch. Sie machen geltend, die kantonalen Behörden hätten seinerzeit in den einschlägigen Verordnungen und Kreisschreiben als Beispiele "produktiver Unternehmungen"
BGE 100 Ia 231 S. 241
namentlich Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke sowie Schlachthöfe angeführt; von Verkehrsbetrieben sei dabei nie die Rede gewesen. Das lässt sich u.a. wohl auch damit erklären, dass die als Beispiele aufgezählten Gemeindebetriebe zahlreich sind (oder waren), währenddem nur sehr wenige Gemeinden im Kanton ein eigenes Transportunternehmen betreiben. Auch aus dem Umstand, dass der Regierungsrat in § 17 seiner Verordnung vom 23. September 1915/24. November 1960 die Strassenbahnen von den Vorschriften über die Rechnungsstellung für gewerbliche (= produktive) Gemeindebetriebe ausgenommen hat, können die Beschwerdeführer nichts zu ihren Gunsten ableiten. Dieser Vorbehalt wurde deshalb gemacht, weil das Rechnungswesen konzessionierter Bahnunternehmungen bundesrechtlichen Vorschriften untersteht (heute den Art. 63-74 des eidg. Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957). Der Vorbehalt in § 17 der erwähnten Verordnung spricht sogar gegen die Auffassung der Beschwerdeführer; denn wenn die kommunalen Strassenbahnen nicht als gewerbliche, d.h. produktive Unternehmungen im Sinne von § 129 GG angesehen worden wären, hätte kein Anlass bestanden, sie von den Vorschriften, welche die Verordnung in den vorangehenden Bestimmungen über das Rechnungswesen gewerblicher Gemeindebetriebe aufgestellt hat, ausdrücklich auszunehmen. Schliesslich fällt ins Gewicht, dass auch METTLER in der kürzlich, aber noch vor Erstattung des Gutachtens Bosshardt erschienenen zweiten Auflage seines Werkes "Das Zürcher Gemeindegesetz" (1969, S. 352) die kommunalen Verkehrsbetriebe zu den produktiven Unternehmungen gemäss § 129 GG rechnet.
c) Im Sinne eines Eventualstandpunktes machen die Beschwerdeführer schliesslich geltend, dass die VBZ selbst dann, wenn sie als produktive Unternehmung anzusehen wären, nicht notwendigerweise mittels Gebühren finanziert werden müssten. Nach § 129 Abs. 2 und 3 GG sei es Unternehmungen, deren Betrieb im allgemeinen Interesse liege, gestattet, tiefere Gebühren zu erheben, als zur Kostendeckung notwendig wäre. Wie weit man dabei gehen dürfe, sei eine Frage des politischen Ermessens, über die sich die Bürger der Stadt Zürich auf eine Initiative hin aussprechen können müssten. Das ist an sich richtig; auch das Gutachten Bosshardt kommt zum Schluss, dass die VBZ im Hinblick auf die ihnen obliegende
BGE 100 Ia 231 S. 242
öffentliche Aufgabe gestützt auf § 129 Abs. 2 GG nötigenfalls vom Prinzip der Eigenwirtschaftlichkeit abweichen dürfen. Doch ist der von den Beschwerdeführern geforderte "Null-Tarif", d.h. ein grundsätzlicher Verzicht auf die Erhebung von Benützungsgebühren, auch im Rahmen von § 129 Abs. 2 GG nicht möglich. Diese Bestimmung gestattet nur, anstelle der "übermässig hohen Gebühren", die zur vollen Kostendeckung erforderlich wären, angemessene tiefere Gebühren zu erheben; sie erlaubt nicht den Verzicht auf jegliche Gebühren überhaupt. Wäre mit der fraglichen Initiative vorgeschlagen worden, dass die Taxen auf einen gewissen Betrag beschränkt werden oder dass die gesamten Gebühreneinnahmen nur einen bestimmten Teil der Gesamtaufwendungen decken müssen, so wäre das Volksbegehren mit § 129 GG wohl vereinbar gewesen. Hingegen durfte mit Recht angenommen werden, ein grundsätzlicher Verzicht auf Gebührenerhebung sei unzulässig, weshalb sich die Ungültigerklärung der Gratistram-Initiative nicht beanstanden lässt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
3881f819-b967-4d1b-97c2-afff3fd801d5 | Urteilskopf
116 IV 353
65. Urteil des Kassationshofes vom 28. September 1990 i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 397 StGB
. Voraussetzungen der Revision.
1. Tat- und Rechtsfragen (E. 2b).
2. Die Neuheit einer Tatsache kann nicht mit der Begründung verneint werden, der Gesuchsteller berufe sich zu deren Beweis auf ein altes Beweismittel (E. 3a).
3. Ein in einem ersten Wiederaufnahmeverfahren mangels Erheblichkeit abgelehnter Revisionsgrund darf zusammen mit anderen neuen Tatsachen oder Beweismitteln (zwecks einer Gesamtwürdigung) in einem zweiten Revisionsgesuch vorgebracht werden (E. 3b).
4. Unterschied zwischen dem Bewilligungsverfahren und dem wiederaufgenommenen Verfahren (E. 4b).
5. Beim Begriff der Erheblichkeit stellen sich zwei Teilfragen: einerseits die nach den Anforderungen, die an den Nachweis der neuen Tatsache und auch das Vorhandensein des neuen Beweismittels zu stellen sind, und anderseits jene nach der Wahrscheinlichkeit der Veränderung des Sachverhalts (E. 4c).
6. Eine neue Tatsache hat als nachgewiesen zu gelten, wenn deren Nachweis möglich, d.h. nicht ausgeschlossen ist (E. 4d-f; Änderung und Präzisierung der Rechtsprechung).
7. Eine Veränderung des Sachverhalts, die zu einem günstigeren Urteil führt, muss wahrscheinlich sein (E. 5a; Präzisierung der Rechtsprechung).
8. Werden mehrere neue Tatsachen geltend gemacht, müssen sie in einer Gesamtwürdigung beurteilt werden (E. 5b). | Sachverhalt
ab Seite 354
BGE 116 IV 353 S. 354
A.-
M. wurde vom Bezirksgericht Baden am 20. Dezember 1983 wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus und zu einer Busse von Fr. 2'000.-- verurteilt. Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 13. Juni 1984 eine Berufung des Verurteilten ab, hiess gleichzeitig diejenige der Staatsanwaltschaft gut und ordnete zusätzlich eine Landesverweisung auf Lebenszeit an. Gegen die Anordnung der Landesverweisung sowie gegen die Verweigerung des bedingten
BGE 116 IV 353 S. 355
Aufschubs deren Vollzugs führte M. vor Bundesgericht erfolglos Beschwerde.
Der bezirks- und obergerichtlichen Verurteilung liegt die Aussage von C. zugrunde, er habe von M. als Bote eines P. in den Räumen des türkischen Clublokals in Baden im Februar 1983 zweimal je 50 Gramm Heroin entgegengenommen; gleichzeitig hatte E. ausgesagt, er habe auf Geheiss des P. Mitte März 1983 bei M. Fr. 4'000.-- abgeholt und davon Fr. 3'500.-- auf das Konto einer türkischen Bank in Zürich einbezahlt.
B.-
In einem ersten Wiederaufnahmeverfahren rief der Verurteilte als Revisionsgrund den Widerruf der Aussagen durch C. an. Am 20. November 1986 wies das Obergericht des Kantons Aargau dieses Gesuch ab mit der Begründung, der Widerruf der Aussagen durch den Zeugen C. sei unglaubwürdig und seine ursprünglichen Aussagen glaubhafter.
Auf die dagegen gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde trat das Bundesgericht am 15. Januar 1987 nicht ein; die staatsrechtliche Beschwerde wies es am 16. März 1987 ab.
C.-
Ein zweites Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens wies das Obergericht des Kantons Aargau am 15. September 1989 ab.
D.-
M. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache "zu neuer Prüfung und/oder Gutheissung der Wiederaufnahme im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen" an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau liess sich mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde vernehmen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Während sich das erste Wiederaufnahmegesuch nur auf einen Revisionsgrund gestützt hatte (Widerruf seiner Aussagen durch C. selbst), machte der Beschwerdeführer im zweiten Gesuch drei verschiedene Revisionsgründe geltend:
a) Bereits zu Beginn der Untersuchung gegen ihn (M.) habe C. sich gegenüber Dritten dahin geäussert, er habe ihn zu Unrecht belastet; als Beweismittel wird der Zeuge N. angerufen, der Zellennachbar von C. gewesen war;
b) C. sei geisteskrank, d.h. er habe bereits bei seinen ersten belastenden Aussagen an Schizophrenie gelitten, was durch zwei psychiatrische Gutachten belegt werde;
BGE 116 IV 353 S. 356
c) Er (der Beschwerdeführer) sei nie an einem Samstagabend im genannten, nur am Freitag, Samstag und Sonntag geöffneten Türkenlokal in Baden gewesen, so dass es ausgeschlossen sei, dass C. gemäss seiner Aussage ihn dort an einem Tag kennengelernt und ihm am darauffolgenden Tag das Heroin übergeben habe.
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird gerügt, die Vorinstanz habe
Art. 397 StGB
verletzt, wenn sie die Wiederaufnahme des Verfahrens zu seinen Gunsten nicht bewilligt habe.
2.
a) Nach
Art. 397 StGB
ist die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten zuzulassen, wenn erhebliche neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen. Erheblich sind neue Tatsachen oder Beweismittel, wenn sie geeignet sind, die Beweisgrundlage des früheren Urteils so zu erschüttern, dass aufgrund des veränderten Sachverhalts ein wesentlich milderes Urteil möglich ist (
BGE 92 IV 179
mit Hinweisen) oder ein Teilfreispruch in Betracht kommt (
BGE 101 IV 317
).
b) Mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde können nur Rechts-, nicht aber Tatfragen aufgeworfen werden (Art. 269 Abs. 1 und 277bis Abs. 1 Satz 2 BStP).
Rechtsfrage ist, ob die letzte kantonale Instanz von den richtigen Begriffen der "neuen Tatsache", des "neuen Beweismittels" und deren "Erheblichkeit" im Sinne von
Art. 397 StGB
ausgegangen ist. Ob eine Tatsache oder ein Beweismittel dem Sachrichter bekannt war oder neu ist, ist eine Tatfrage; ebenso, ob eine neue Tatsache oder ein neues Beweismittel geeignet sei, die tatsächlichen Grundlagen des Urteils zu erschüttern, dessen Revision verlangt wird (
BGE 109 IV 173
mit Hinweisen). Rechtsfrage ist dagegen wieder, ob die voraussichtliche Veränderung der tatsächlichen Grundlagen rechtlich relevant ist, d.h. zu einem im Schuld- oder Strafpunkt für den Verurteilten günstigeren Urteil führen kann (vgl. dazu ADAM-CLAUS ECKERT, Die Wiederaufnahme des Verfahrens im schweizerischen Strafprozessrecht, Berlin 1974, S. 58; JÖRG REHBERG, Der Anfechtungsgrund bei der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts, ZStrR 94/1975 II, S. 390 ff.; HANS WALDER, Die Wiederaufnahme des Verfahrens in Strafsachen nach
Art. 397 StGB
, insbesondere aufgrund eines neuen Gutachtens, Berner Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1979, S. 348).
3.
Der erste der drei geltend gemachten Revisionsgründe (E. 1 lit. a) betrifft die Frage der neuen Tatsache. Im angefochtenen Urteil erachtete die Vorinstanz die mit diesem Revisionsgrund
BGE 116 IV 353 S. 357
aufgestellte Behauptung als keine neue Tatsache und den Zeugen N. ebensowenig als ein neues Beweismittel; der Beschwerdeführer habe bereits im ursprünglichen Strafverfahren vor Obergericht die Einvernahme dieses Zeugen beantragt; der Antrag sei abgelehnt worden; im ersten Wiederaufnahmeverfahren habe der Beschwerdeführer erneut auf diesen Zeugen hingewiesen; das neue Wiederaufnahmebegehren lasse sich aber nicht auf dasselbe Beweismittel stützen und zwar auch dann nicht, wenn die Einvernahme des Zeugen aufgrund antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt worden sei.
a) Neu sind Tatsachen und Beweismittel, die dem Gericht zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren (
Art. 397 StGB
), d.h. ihm überhaupt nicht in irgendeiner Form zur Beurteilung vorlagen (
BGE 92 IV 179
und
BGE 80 IV 42
; vgl. auch
BGE 99 IV 183
). Sie müssen nur für das Gericht, nicht aber für den gesuchstellenden Verurteilten neu sein (
BGE 69 IV 138
E. 4 und ständige Rechtsprechung; ECKERT, a.a.O., S. 53).
In diesem Sinne war die Behauptung, der Zeuge C. habe sich bereits im Stadium der damaligen gegen den Beschwerdeführer geführten Untersuchung gegenüber einem Dritten dahin geäussert, er habe den Beschwerdeführer zu Unrecht wegen Handels mit Heroin belastet, im ersten Wiederaufnahmeverfahren neu. Denn im ursprünglichen Strafverfahren vor Obergericht hatte sich der Beschwerdeführer zwar auf den Zeugen N. berufen, ohne aber eine konkrete Tatsache zu behaupten, die dieser bezeugen könne. Die Tatsachenbehauptung lag also dem Richter im ursprünglichen Verfahren nicht zur Beurteilung vor, sondern wurde erstmals im ersten Wiederaufnahmeverfahren im Plädoyer vorgebracht. Dass die behauptete Tatsache mit einem bereits früher angerufenen Beweismittel - nämlich dem Zeugen N. - unter Beweis gestellt werden sollte, ändert nichts an ihrer Neuheit. Denn der Beschwerdeführer berief sich nicht auf ein neues Beweismittel als Wiederaufnahmegrund, sondern auf eine neue Tatsache, weshalb die Zulässigkeit der Wiederaufnahme unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen und zu bejahen war (so für die umgekehrte Situation eines neuen Beweismittels für eine alte Tatsache:
BGE 80 IV 42
). Im ersten Wiederaufnahmeverfahren wurde das Vorbringen denn auch nicht mangels Neuheit, sondern wegen fehlender Erheblichkeit nicht als Revisionsgrund anerkannt, weshalb das Bundesgericht das rechtliche Gehör nicht als verletzt betrachtete.
BGE 116 IV 353 S. 358
Die Vorinstanz verneinte daher zu Unrecht die Neuheit der Tatsache.
b) Zu prüfen bleibt indessen, ob und wieweit eine neue Tatsache, die in einem ersten Wiederaufnahmeverfahren als nicht erheblich bezeichnet wurde, in einem zweiten Gesuch als Wiederaufnahmegrund erneut angerufen werden kann.
Die erneute Anrufung der gleichen neuen Tatsache oder des gleichen neuen Beweismittels in einem zweiten Wiederaufnahmegesuch ist jedenfalls dann nicht zulässig, wenn damit der frühere Antrag nur wiederholt wird. Früher mangels Erheblichkeit abgelehnte Wiederaufnahmegründe können dagegen zusammen mit anderen neuen Tatsachen oder Beweismitteln ein weiteres Mal vorgebracht werden, wenn sie gemeinsam mit den anderen neuen Tatsachen oder Beweismitteln erheblich sein können. Die Ablehnung eines Wiederaufnahmegesuchs verbraucht den geltend gemachten Wiederaufnahmegrund nicht (KLAUS WASSERBURG, Die Funktion des Grundsatzes "in dubio pro reo" im Additions- und Probationsverfahren, ZStW 94/1982, S. 936/7; KLEINKNECHT/MEYER, Strafprozessordnung, 39. A.,
§ 372 N 9
; LÖWE/ROSENBERG/GÖSSEL, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 24. Aufl.,
§ 370 N 20
und
§ 372 N 22
; vgl. auch Obergericht Zürich, ZR 65/1966 N 91). Die Vorinstanz verletzte daher Bundesrecht, wenn sie die Erheblichkeit der bereits im ersten Wiederaufnahmeverfahren geltend gemachten neuen Tatsache, die im zweiten Gesuch zusammen mit anderen Revisionsgründen angerufen wurde, nicht erneut prüfte.
4.
Beim zweiten Revisionsgrund (E. 1 lit. b) geht es um die Frage der Erheblichkeit einer neuen Tatsache.
a) Die Vorinstanz kam zum Schluss, der Beschwerdeführer habe die von ihm geltend gemachte neue Tatsache der Geisteskrankheit des Belastungszeugen C. zur Zeit der belastenden Aussagen nicht bewiesen, weshalb das Wiederaufnahmebegehren abzuweisen sei; die gesundheitliche Entwicklung des Belastungszeugen C. sei im übrigen unabhängig vom Nachweis des Zustandes zur Zeit der Einvernahme auch nicht geeignet, einen Freispruch oder eine erheblich geringere Bestrafung des Beschwerdeführers zu bewirken. Eine Minderheit des Obergerichts nahm demgegenüber an, dass auch Beweisindizien neue Tatsachen darstellten; die in den beiden psychiatrischen Berichten relevierten gesundheitlichen Störungen von C. seien erhebliche, mittelbare Beweise für seine Unglaubwürdigkeit, zumal bereits seine Aussagen im Jahre 1983,
BGE 116 IV 353 S. 359
die der Verurteilung des Gesuchstellers zugrunde gelegen hätten, stark widersprüchlich gewesen seien.
b) Bei der Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten eines Verurteilten ist zwischen dem im Bewilligungsverfahren zu treffenden Entscheid (iudicium rescindens des gemeinen Rechts) und dem im wiederaufgenommenen Verfahren zu fällenden neuen Urteil (iudicium rescissorium) zu unterscheiden. Wenn die Wiederaufnahme bei Vorliegen neuer erheblicher Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet sind, zu einem günstigeren Urteil zu führen, zuzulassen ist, so bedeutet dies, dass im Bewilligungsverfahren noch nicht darüber entschieden wird, ob das frühere Urteil tatsächlich durch ein neues zu ersetzen ist oder nicht; dies hat erst der Richter im wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden. Allein dort, wo bereits in diesem Stadium des Verfahrens sicher ist, dass und wie das frühere Urteil abzuändern ist (z.B. vollständiger Freispruch, weil der angeblich Ermordete lebt), unterscheidet sich der Bewilligungsentscheid inhaltlich nicht vom neu zu fällenden Urteil. Nur in solchen Fällen bedarf es daher nicht zweier verschiedener Entscheide, wenn die gleiche Instanz für beide zuständig ist. Das bildet jedoch die Ausnahme. Wenn es lediglich möglich bzw. wahrscheinlich sein muss, dass das frühere Urteil aufgrund der neuen Tatsachen oder neuen Beweismittel abzuändern sein wird, so besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen iudicium rescindens und iudicium rescissorium (vgl. dazu ADAM-CLAUS ECKERT, a.a.O., S. 98). Das kantonale Strafprozessrecht kennt denn auch eine solche Zweiteilung des Wiederaufnahmeverfahrens in das Bewilligungsverfahren einerseits - dem seinerseits ein eigentliches Zulassungsverfahren vorausgehen kann (wie etwa im deutschen Recht:
§
§ 368, 369 und 370 StPO
) und regelmässig ein Beweisverfahren vorausgeht - und das wiederaufgenommene Verfahren andererseits (HAUSER, Strafprozessrecht, S. 302 ff. mit Verweisungen).
Im Bewilligungsverfahren geht es darum, zu entscheiden, ob die Voraussetzungen dafür vorhanden sind, das Verfahren gegen den Verurteilten wiederaufzunehmen. Diese ergeben sich zunächst aus
Art. 397 StGB
, welche Bestimmung im Sinne einer Minimalgarantie einen selbständigen bundesrechtlichen Revisionsgrund zugunsten des Verurteilten aufstellt und deren Verletzung mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden kann (
BGE 106 IV 47
E. 1). - Im übrigen ist dem Inhalte nach kein wesentlicher Unterschied zwischen dem Revisionsgrund in
§ 230 Ziff. 1 StPO
/AG
BGE 116 IV 353 S. 360
und jenem des
Art. 397 StGB
zu erkennen (vgl. dazu DIETER GERSPACH, Die Wiederaufnahme des Verfahrens im aargauischen Strafprozess, S. 79 ff.). Auch sieht das aargauische Strafprozessrecht eine Zweiteilung des Verfahrens im beschriebenen Sinne vor, nämlich in einem Zulassungsverfahren (§ 233; welches dem beschriebenen Bewilligungsverfahren entspricht) und dem wiederaufgenommenen Verfahren (
§ 234 StPO
/AG; GERSPACH, a.a.O., S. 144 ff. und 151 ff.).
c) Beim Begriff der Erheblichkeit sind zwei Teilfragen zu unterscheiden, nämlich jene nach den Anforderungen, die an den Nachweis der neuen Tatsache und an das Vorhandensein eines neuen Beweismittels zu stellen sind (dazu nachstehend), und jene nach der Wahrscheinlichkeit der Veränderung des Sachverhalts, die erforderlich ist, damit eine Revision zugelassen werden kann (vgl. E. 5 unten).
d) Nach der ursprünglichen Rechtsprechung des Bundesgerichts (
BGE 73 IV 43
, zuletzt bestätigt in
BGE 86 IV 78
) setzte die Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht voraus, dass die neue erhebliche Tatsache bewiesen wird, sondern genügte es, wenn sie glaubhaft gemacht war. Diese Praxis wurde in
BGE 92 IV 180
E. 2 in dem Sinne abgeändert, dass "eine neue erhebliche Tatsache dargetan oder ein neues erhebliches Beweismittel vorhanden" sein müsse. Begründet wurde diese Praxisänderung einerseits vorwiegend damit, in die Befugnisse der Kantone zur Regelung des Strafprozessrechtes dürfe nicht eingegriffen werden; das Bundesrecht hindere die Revisionsinstanz nicht, die Beweisfrage endgültig zu entscheiden. Andererseits wurde daraus lediglich gefolgert, ein Wiederaufnahmegesuch dürfe nicht abgewiesen werden, ohne dass die darüber entscheidende Behörde die zum Nachweis der neuen Tatsache angeführten Beweise gewürdigt oder das zum Beweis einer alten Tatsache angerufene neue Beweismittel auf seine Beweiskraft geprüft hat (S. 181).
Daran, eine endgültige Entscheidung des Revisionsrichters in der Beweisfrage sei von Bundesrechts wegen nicht ausgeschlossen, kann nicht festgehalten werden; dies aus den in lit. b oben angeführten und den nachstehenden Gründen. Im übrigen bedarf die bisherige Bundesgerichtspraxis der Präzisierung.
e) Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist, wie dargelegt (E. 2), von Bundesrechts wegen bereits zuzulassen, wenn ein Novum geeignet ist, die tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils so zu erschüttern, dass ein Freispruch möglich ist.
BGE 116 IV 353 S. 361
"Möglich" bedeutet hier wahrscheinlich (vgl. E. 5a unten). Genügt aber bereits die Wahrscheinlichkeit einer Abänderung des früheren Urteils für die Zulassung der Revision, so darf der Nachweis einer solchen Wahrscheinlichkeit nicht dadurch verunmöglicht werden, dass ein jeden begründeten Zweifel ausschliessender Beweis betreffend die neue Tatsache verlangt wird.
Dies zeigt das folgende Beispiel: Wird ein neuer Entlastungszeuge angerufen, so hat der Richter im wiederaufgenommenen Verfahren in einer möglicherweise schwierigen Abwägung der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen und eines im früheren Verfahren angehörten Belastungszeugen sowie der Zuverlässigkeit ihrer Aussagen zu entscheiden. Könnte eine Wiederaufnahme indessen bereits abgelehnt werden, weil der neue Zeuge für sich allein betrachtet nicht genügend glaubwürdig ist, wäre eine Gegenüberstellung der Glaubwürdigkeit der Zeugen sowohl im Rahmen der für die Erheblichkeit vorgesehenen Wahrscheinlichkeitsprüfung als auch im wiederaufgenommenen Verfahren ausgeschlossen. Auf diese Weise könnte es bei einer Verurteilung aufgrund eines weniger glaubwürdigen Zeugen im früheren Verfahren bleiben. Dies zu verhindern, ist aber gerade der Zweck des Instituts der Revision. Dieser darf nicht durch zu strenge Anforderungen an den Nachweis einer neuen Tatsache vereitelt werden.
f) Das angefochtene Urteil ist nach dem Gesagten in diesem Punkte mit dem Begriff der Erheblichkeit in
Art. 397 StGB
nicht vereinbar und daher aufzuheben, weil zu hohe Anforderungen an den Nachweis der neuen Tatsache gestellt wurden, wenn der Beweis für die Geisteskrankheit des Zeugen im massgeblichen Zeitpunkt verlangt wurde. Die Vorinstanz wird bei der neuen Beurteilung des Falles im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens (Bewilligungsverfahren) zunächst zu prüfen haben, ob es möglich bzw. nicht auszuschliessen ist, dass die später festgestellte Geisteskrankheit des Zeugen C. sich bereits auf dessen belastende Aussagen auswirkte. Ist dies zu bejahen, hat diese neue Tatsache als genügend nachgewiesen zu gelten.
5.
Das Wiederaufnahmegesuch wurde auch mit der Begründung abgewiesen, die beiden bisher erwähnten neuen Tatsachen wären - auch wenn die eine als neu und deren Erheblichkeit als erneut zu prüfen bzw. die andere als genügend nachgewiesen gelten könnte - nicht erheblich. Mangels Erheblichkeit wurde auch der durch den Beschwerdeführer angerufene dritte Revisionsgrund (E. 1 lit. c) zurückgewiesen. Dieser stützt sich auf die Behauptung
BGE 116 IV 353 S. 362
des Beschwerdeführers, er sei nie an einem Samstagabend im genannten, nur am Freitag, Samstag und Sonntag geöffneten Türkenlokal gewesen, so dass es ausgeschlossen sei, dass C. gemäss seiner Aussage ihn dort an einem Tag kennengelernt und ihm am darauffolgenden Tag das Heroin übergeben habe. Dabei wurde nur geprüft, ob jede einzelne neue Tatsache für sich allein erheblich sei, nicht aber ob dies bei allen drei gesamthaft betrachtet der Fall sei.
Der Beschwerdeführer bringt dagegen insbesondere vor, im Wiederaufnahmeverfahren gelte keine Umkehr der Beweislast; der Verurteilte müsse nicht seine Unschuld beweisen, sondern es müsse wie für einen Freispruch im ordentlichen Strafprozess genügen, wenn die neuen entlastenden Tatsachen nicht leichthin umzustossende Zweifel begründen würden; in Beachtung des auch im Wiederaufnahmeverfahren geltenden Grundsatzes in dubio pro reo seien alle aufkommenden und begründbaren Zweifel beachtlich; dabei dürften die einzelnen Elemente nicht isoliert betrachtet werden, sondern es habe von neuem eine Gesamtwürdigung der Beweislage zu erfolgen.
a) Wenn nach der oben in E. 2a zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts die Wiederaufnahme des Verfahrens zu bewilligen ist, wenn ein günstigeres Urteil "möglich" ist, so darf dies nicht so verstanden werden, als sei eine Revision bereits zuzulassen, wenn eine Änderung des früheren Urteils nicht geradezu als unmöglich oder als ausgeschlossen betrachtet werden müsse. Möglich ist eine solche Änderung vielmehr, wenn sie sicher, höchstwahrscheinlich oder wahrscheinlich ist. In diesem letzten und nicht im ersten Sinne ist der Ausdruck "möglich" zu verstehen. Eine Revision zugunsten des Verurteilten bereits zuzulassen, wenn ein günstigeres Urteil nicht ausgeschlossen ist, würde den Interessenkonflikt zwischen Rechtssicherheit (Bestand des früheren Urteils) und materieller Gerechtigkeit (Korrektur eines Fehlurteils), der bei der Festlegung der Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens besteht, einseitig zu Ungunsten der Rechtssicherheit lösen. Eine solche Lösung wird denn auch nirgends in der Lehre oder in der Rechtsprechung befürwortet (vgl. die Ausführungen in rechtsvergleichender Sicht bei WASSERBURG, a.a.O., S. 949 ff.). Auch das Bundesgericht verstand dies in seinen bisherigen Entscheiden nicht in diesem Sinne. Überdies verlangt der Beschwerdeführer das ebenfalls nicht.
b) Die Vorinstanz verletzte bei der Prüfung der Erheblichkeit der geltend gemachten neuen Tatsachen jedenfalls Bundesrecht,
BGE 116 IV 353 S. 363
indem sie diese Tatsachen nur einzeln, nicht aber in einer Gesamtwürdigung beurteilte; ob sie bei der Prüfung der Wahrscheinlichkeit einer Änderung des zu revidierenden Urteils ebenfalls nicht vom richtigen Begriff der Erheblichkeit ausging, kann unter diesen Umständen offenbleiben. Ist für die Bewilligung der Wiederaufnahme, wie dargelegt wurde, entscheidend, ob die tatsächliche Grundlage des früheren Urteils so erschüttert wird, dass ein günstigerer Entscheid wahrscheinlich ist, so ist es beim Vorliegen mehrerer Nova erforderlich, dass, wie der Richter im wiederaufgenommenen Verfahren alle Umstände des Falles zu berücksichtigen hat, bei der Bewilligung der Wiederaufnahme geprüft wird, ob, wenn nicht einzelne, so allenfalls zwei oder mehr Nova zusammen diese Wirkung haben. Das angefochtene Urteil ist mithin auch insoweit aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3882d939-657a-41d4-b390-1376bf741195 | Urteilskopf
137 II 58
8. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Apothéloz und Mitb. gegen Flughafen Zürich AG und Mitb., Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) sowie Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_58/2010 und andere vom 22. Dezember 2010 | Regeste a
"Vorläufiges Betriebsreglement" für den Flughafen Zürich; fehlende Koordination des Betriebsreglements mit dem (noch hängigen) Sachplanverfahren Infrastruktur Luft für den Flughafen Zürich (SIL-Objektblatt Zürich).
Vor Abschluss des Sachplanverfahrens (und des damit koordinierten Richtplanverfahrens) können notwendige Anpassungen des Flugbetriebs bewilligt werden; dazu gehören insbesondere Massnahmen zum Ausgleich der von Deutschland einseitig angeordneten Überflugbeschränkungen. Dagegen können keine neuen zusätzlichen Kapazitäten bewilligt werden (E. 3).
Konsequenzen im Einzelnen:
- Südanflüge (E. 4.1);
- Pistenflexibilisierung (E. 4.2);
- neue Schnellabrollwege (E. 4.3).
Regeste b
Umweltrechtliche Fragen (insb. Fluglärm).
Anforderungen des Umweltrechts; Sanierungspflicht (E. 5.1).
Akzessorische Überprüfung der Grenzwerte für Fluglärm gemäss Ziff. 22 Anhang 5 LSV (E. 5.3). Die geltenden Immissionsgrenzwerte bieten ungenügenden Schutz gegen Störungen durch Fluglärm, der geballt zu besonders sensiblen Tageszeiten, namentlich am frühen Morgen, auftritt. Es wird Sache der zuständigen Behörden des Bundes sein, die erforderlichen Anpassungen und Ergänzungen vorzunehmen.
Prüfung zusätzlicher Sanierungsmassnahmen für den Flughafen Zürich (E. 6), insbesondere:
- Verlängerung der Nachtruhe (E. 6.1);
- Plafonierung der (Nacht-)Flugbewegungen (E. 6.2 und 6.3);
- Einschränkung der Südanflüge (E. 6.4);
- Lärmindizes für Abflüge in der Nachtzeit (E. 6.6);
- lenkungswirksame Umweltabgaben (E. 6.7).
Erleichterungen und Schallschutz (E. 7); Notwendigkeit weiterer Schallschutzmassnahmen zum Schutz vor Aufwachreaktionen am frühen Morgen durch Südanflüge (E. 7.4).
Regeste c
Kosten- und Entschädigungsfolgen (
Art. 66 Abs. 4 und
Art. 68 Abs. 3 BGG
).
Ist die Flughafen Zürich AG in Streitigkeiten um die Genehmigung des Betriebsreglements als mit öffentlichen Aufgaben betraute Organisation zu betrachten- Frage offengelassen (E. 14.2.2). | Sachverhalt
ab Seite 61
BGE 137 II 58 S. 61
A.
Mit Verfügung vom 31. Mai 2001 erteilte das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) der Flughafen Zürich AG unter verschiedenen Auflagen eine Konzession zum Betrieb des Flughafens Zürich für die Dauer vom 1. Juni 2001 bis zum 31. Mai 2051. Am gleichen Tag genehmigte das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) das von der Flughafen Zürich AG zusammen mit dem Konzessionsgesuch eingereichte Betriebsreglement. In diesem waren vorläufig die bisherigen flugbetrieblichen Regelungen des Betriebsreglements vom 19. August 1992 übernommen worden, unter Einbezug der im Baukonzessionsverfahren für das
Dock Midfield
verfügten Auflagen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden letztinstanzlich vom Bundesgericht mit Urteilen vom 4. Juli 2005 (1A.22/2005, 1A.23/2005 und 1A.24/2005) abgewiesen.
B.
Am 18. Oktober 2001 unterzeichneten die Schweiz und Deutschland einen Staatsvertrag über Auswirkungen des Betriebs des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das Betriebsreglement vom 31. Mai 2001 wurde in vorläufiger Anwendung dieses Staatsvertrags zunächst am 18. Oktober 2001 provisorisch abgeändert. Anstelle der bisherigen Nordanflüge wurden von 22.00 bis 06.08 Uhr Landungen von Osten her, auf Piste 28, eingeführt. Mit einer weiteren provisorischen Änderung vom 15. Oktober 2002 wurden die Ostanflüge an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen auf die Zeit von 20.00 bis 09.00 Uhr ausgedehnt.
Nach der Ablehnung des Staatsvertrags durch das eidgenössische Parlament im März 2003 verschärfte Deutschland einseitig die
BGE 137 II 58 S. 62
Anflugbeschränkungen durch den Erlass von Durchführungsverordnungen zur Luftverkehrs-Ordnung (DVO). Das BAZL sah sich deshalb am 16. April 2003 gezwungen, als vorsorgliche Massnahme die Ostanflüge auf Piste 28 am Abend und am Morgen um je eine Stunde zu verlängern.
Mit der weiteren provisorischen Änderung des Betriebsreglements vom 23. Juni 2003 wurden auf den 30. Oktober 2003 morgendliche Südanflüge auf Piste 34 eingeführt (von 06.00 bis 07.08 Uhr werktags und bis 09.08 Uhr an Wochenenden und Feiertagen). Gleichentags erteilte das UVEK die Plangenehmigung zur Installation eines Instrumentenlandesystems (ILS) und einer Anflugbefeuerung für die Piste 34. Beschwerden gegen die - ausdrücklich als provisorisch bezeichneten - Änderungen des Betriebsreglements 2001 sowie gegen die Plangenehmigungsentscheide des UVEK wurde jeweils die aufschiebende Wirkung entzogen. Am 22. April 2004 erteilte das UVEK die Plangenehmigung für ein Instrumentenlandesystem und die Verlängerung der Anflugbefeuerung für die Piste 28.
Skizze des Pistensystems des Flughafens Zürich
BGE 137 II 58 S. 63
Übersicht über die Lage des Flughafens und die Zürcher Gemeinden
C.
In der Betriebskonzession vom 31. Mai 2001 war die Flughafen Zürich AG verpflichtet worden, innert eines Jahres nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags das überprüfte und entsprechend angepasste Betriebsreglement mitsamt Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) beim BAZL einzureichen. Diese Frist wurde vom UVEK mehrmals verlängert. Am 31. Dezember 2003 legte die Flughafen Zürich AG das fragliche Reglement zusammen mit den
BGE 137 II 58 S. 64
erforderlichen Unterlagen vor. Dieses "vorläufige Betriebsreglement" (vBR) ersetzt die verschiedenen Provisorien und soll gelten, bis nach Abschluss des Sachplan-Verfahrens (Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt, SIL) ein "definitives" Betriebsreglement für den Flughafen Zürich erlassen werden kann. Gleichentags reichte die Flughafen Zürich AG zuhanden des UVEK ein Plangenehmigungsgesuch für verschiedene Infrastrukturanpassungen ein.
Die öffentliche Auflage der Gesuchsunterlagen in den betroffenen Kantonen und im Landkreis Waldshut fand vom 22. März bis 6. Mai 2004 statt.
Infolge der inzwischen abgeschlossenen Arbeiten der Skyguide zur Verlegung der Warteräume EKRIT und SAFFA von deutschem auf schweizerisches Gebiet reichte die Flughafen Zürich AG am 27. Dezember 2004 ein Änderungsgesuch ein.
D.
Mit Verfügung vom 29. März 2005 genehmigte das BAZL das vBR teilweise und mit diversen Auflagen. Die Genehmigung umfasst insbesondere die infolge Verlegung der Warteräume EKRIT und SAFFA vorgenommene Neufestlegung der An- und Abflugverfahren. Dabei wurde auch ein neues Abflugverfahren ab Piste 16 über Opfikon/Wallisellen bewilligt (
Wide Left Turn
). Weiter stimmte das BAZL einer Verlängerung der Nachtflugsperre zu. Diese dauert nun von 23.00 (statt bisher 24.00 Uhr) bis 06.00 Uhr, mit der Möglichkeit des Verspätungsabbaus bis 23.30 Uhr (statt bisher 00.30 Uhr).
Nicht genehmigt wurde insbesondere die Regelung der Pistenbenützung für Strahlflugzeuge nach Instrumentenflugregeln (IFR) gemäss Anhang 1 vBR. Im Verfügungsdispositiv legte das BAZL ein Schema für die Darstellung der zur jeweiligen Zeit benützbaren Pisten fest und verpflichtete die Flughafen Zürich AG, die Bestimmungen in Anhang 1 vBR entsprechend neu zu formulieren. Dieses Schema beinhaltet insbesondere Südanflüge auf Piste 34 und Ostanflüge auf Piste 28 während der bereits mit Verfügung des BAZL vom 23. Juni 2003 festgelegten Zeiten. Genehmigt wurde zudem die Freigabe von Piste 28 für Starts ab 06.30 Uhr und von 21.00 bis 22.00 Uhr, die zusätzliche Freigabe der Pisten 16 und 28 für Starts nach 21.00 und vor 07.00 Uhr bei DVO-Ausnahmeregelung und - unter bestimmten Voraussetzungen - die Möglichkeit künftiger koordinierter Landungen auf die Pisten 28 und 34 (
Dual Landing
). Nicht genehmigt wurde das Abflugverbot für Charterverkehr nach 22.00 Uhr, welches das BAZL als diskriminierend betrachtete.
BGE 137 II 58 S. 65
Gegen die Verfügung des BAZL vom 29. März 2005 erhoben zahlreiche Privatpersonen, Gemeinwesen, Organisationen und Vereinigungen Verwaltungsbeschwerde bei der eidgenössischen Rekurskommission für Infrastruktur und Kommunikation (REKO/INUM).
E.
Mit Verfügung vom 17. September 2007 erteilte das UVEK unter zahlreichen Auflagen die Plangenehmigung zur Projektänderung Rollwege und Vorfeld Midfield (neue Abrollwege ab Piste 28) und betreffend Infrastruktur vBR. Die erstgenannte Projektänderung enthält im Wesentlichen die Erstellung zweier neuer Abrollwege ab Piste 28 zwischen der Kreuzung mit der Piste 16/34 und dem Pistenende West. Die Genehmigung des gleichzeitig mit dem Gesuch zum vBR eingereichten Plangenehmigungsgesuchs zur Infrastruktur vBR umfasst zusätzliche Anschlüsse (
Multiple Entries
) an Piste 16, Piste 32 und Piste 28 sowie zwei Schnellabrollwege von der Piste 34.
Gegen die Plangenehmigungsverfügung des UVEK vom 17. September 2007 gingen zahlreiche Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht ein, das zwischenzeitlich die REKO/INUM abgelöst hatte.
F.
Das Bundesverwaltungsgericht vereinigte alle Beschwerdeverfahren (einschliesslich die noch hängigen Verfahren betreffend die Einführung von Südanflügen vom 23. Juni 2003). Skyguide und Swiss International Airlines AG (SWISS) wurden zum Verfahren beigeladen. Im Lauf des Verfahrens verzichtete die Flughafen Zürich AG auf das Abflugverfahren
Wide Left Turn
und auf das
Dual Landing
. Das Bundesverwaltungsgericht führte vom 23. bis 25. November 2009 sowie am 30. November und am 1. Dezember 2009 eine öffentliche Parteiverhandlung durch.
Am 10. Dezember 2009 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden gegen die Verfügung des BAZL vom 29. März 2005 betreffend das vBR teilweise gut (Urteil A-1936/2006 Disp.-Ziff. 8). Es ging davon aus, dass es dem Flughafen Zürich auch ohne Vorliegen des ihn betreffenden Teils der Sachplanung Infrastruktur der Luftfahrt möglich sein müsse, die durch die stufenweise Verschärfung der deutschen DVO verloren gegangenen Kapazitäten zu kompensieren. Dagegen dürfe der Flughafen Zürich ohne SIL-Objektblatt keine zusätzlichen Kapazitäten erlangen. Es hob insbesondere folgende Genehmigungen des BAZL auf, weil diese die verloren gegangenen Kapazitäten mehr als notwendig kompensierten:
BGE 137 II 58 S. 66
- die Freigabe von Abflügen ab Piste 28 bereits ab 06.30 Uhr und von 21.00 bis 22.00 Uhr;
- die zusätzliche Freigabe von Abflügen ab Piste 16 und 28 nach 21.00 und vor 07.00 Uhr bei DVO-Ausnahmeregelung;
- die Änderung des Benützungsvorrangs.
Aufgehoben wurden weiter die genehmigten Ausnahmen für Post- und Messflüge zur Nachtzeit. Das Abflugverbot für Charterflüge nach 22.00 Uhr wurde vom Bundesverwaltungsgericht wieder eingeführt.
Abgesehen vom Abdrehpunkt der Abflugrouten ab Piste 28 über Regensdorf und Dällikon wurden alle anderen An- und Abflugverfahren vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Die von verschiedenen Beschwerdeführern verlangte Einführung einer längeren Nachtflugsperre, eines Bewegungsplafonds oder einer sogenannten Hubklausel (wonach Starts zwischen 22.00 und 23.00 Uhr nur geplant werden dürfen, wenn sie zur Aufrechterhaltung des Luftverkehrsdrehkreuzes Zürich [Hub] notwendig sind) lehnte es als zurzeit unverhältnismässig ab.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerden gegen die Verfügung des UVEK vom 17. September 2007 betreffend die Plangenehmigung Projektänderung Rollwege und Vorfeld Midfield sowie Infrastruktur vBR hob das Bundesverwaltungsgericht die Genehmigung der neuen Abrollwege ab Piste 28 auf (Disp.-Ziff. 9).
G.
Gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts haben die Flughafen Zürich AG, die SWISS, zahlreiche Anrainer und Vereinigungen (der Verein Flugschneise Süd - Nein [VFSN], der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich [SBFZ], der Hauseigentümerverband Dübendorf & Oberes Glatttal) und verschiedene Gemeinwesen (u.a. die Städte Zürich und Winterthur, die Gemeinden Bülach, Bassersdorf, Rümlang, Zollikon und Altendorf und der deutsche Landkreis Waldshut) Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Raumplanung (fehlendes SIL-Objektblatt; Grundsätzliches)
Das Bundesverwaltungsgericht hielt fest, dass ohne SIL-Objektblatt zum Flughafen Zürich in raumplanungsrechtlicher und spezifisch
BGE 137 II 58 S. 67
sachplanerischer Hinsicht mit Bezug auf das Betriebs- und Plangenehmigungsverfahren ein
rechtswidriger Zustand
bestehe: Art. 36c Abs. 2 des Luftfahrtgesetzes vom 21. Dezember 1948 (LFG; SR 748) schreibe explizit vor, dass im Betriebsreglement die im SIL vorgegebenen Rahmenbedingungen konkret auszugestalten seien, und eine Plangenehmigung dürfe nur erteilt werden, wenn das Projekt den Zielen und Vorgaben des SIL entspricht (vgl.
Art. 27d Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 23. November 1994 über die Infrastruktur der Luftfahrt [VIL; SR 748.131.1]
).
Es ging davon aus, dass Änderungen an den Anlagen bzw. am Betriebsreglement ohne vorgängigen Abschluss des SIL-Prozesses nur bewilligt werden könnten, wenn sie aus Sicherheitsgründen oder zur Kompensation der durch die stufenweise Einführung der DVO verloren gegangenen Kapazitäten notwendig seien, damit der Flughafen Zürich seine Rolle als eine der grossen europäischen Drehscheiben des Weltluftverkehrs weiterhin wahrnehmen könne. Werde mit dem vBR bzw. mit den erteilten Plangenehmigungen nur diejenige Kapazität wiederhergestellt, die (vor Erlass der DVO) mit dem Betriebsreglement vom 31. Mai 2001 erzielt werden konnte, so sei dies gestützt auf
Art. 25 Abs. 1 lit. a VIL
als zulässig zu bezeichnen.
Dagegen könnten keine weiter gehenden betrieblichen und baulichen Änderungen mit erheblichen Auswirkungen auf Raum und Umwelt genehmigt werden, insbesondere keine solchen mit beachtlichen Auswirkungen auf die An- und Abflugverfahren sowie die (Start- und Lande-)Kapazitäten des Flughafens. Wichtige Interessenabwägungen und Ermessensentscheide müssten auf Stufe Sachplan von der Sachplanbehörde getroffen und könnten nicht erst in den darauf aufbauenden (Plan-)Genehmigungsverfahren vorgenommen werden.
3.1
Diese Rechtsauffassung wird von mehreren Beschwerdeführern schon im Ansatz bestritten. Die übrigen Beschwerdeführer pflichten zwar im Grundsatz dem Bundesverwaltungsgericht bei, widersprechen aber einzelnen der daraus gezogenen Folgerungen für das vBR (vgl. dazu im Folgenden E. 4).
3.1.1
Die SWISS macht geltend, die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts entbehre einer rechtlichen Grundlage.
Art. 25 Abs. 1 lit. a und
Art. 27d Abs. 1 lit. a VIL
verlangten lediglich, dass das Betriebsreglement bzw. die Plangenehmigung der jeweils geltenden Sachplanung entspreche; daraus könne nicht geschlossen
BGE 137 II 58 S. 68
werden, dass jegliche Weiterentwicklung des Flughafens ausgeschlossen sei, solange das SIL-Objektblatt noch nicht vorliege. Der Flughafen müsse sich an bestehendes Recht halten; dass sich eine zukünftige Rechts- oder Planungsgrundlage verzögere, könne ihm nicht vorgeworfen werden. Die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Auffassung bewirke eine unzulässige Vorwirkung der noch gar nicht abgeschlossenen Sachplanung und widerspreche auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (insb.
BGE 126 II 522
E. 10b S. 535 f.). Im Übrigen liege bereits der allgemeine Teil des SIL vor. Dieser sehe vor, dass das bestehende Netz in der Substanz erhalten, qualitativ verbessert
und
nach Bedarf entwickelt werden könne ("Konzeptionelle Ziele und Vorgaben", Teil IIIB - 3 Grundsatz 4); die Landesflughäfen sollen der Luftverkehrsnachfrage folgend entwickelt werden können (Teil IIIB - 4 Grundsatz 6).
Die Flughafen Zürich AG ist der Auffassung, auch ohne SIL-Objektblatt müssten zumindest massvolle Kapazitätsausweitungen möglich sein, z.B. aus nachfragebedingten Gründen oder zur Vermeidung von Verspätungen. Das SIL-Objektblatt werde voraussichtlich erst 2014 vorliegen; ein rechtskräftiges "definitives" Betriebsreglement sei erst in zehn Jahren zu erwarten. In diesem Zeitraum dürfe es dem Flughafen Zürich nicht verwehrt werden, eine vorausschauende Betriebsplanung vorzunehmen. Damit werde das SIL-Objektblatt nicht unzulässig präjudiziert.
3.1.2
Die Stadt Zürich verweist dagegen auf
Art. 74a Abs. 2 VIL
. Dieser verlange eine umfassende Prüfung des Betriebsreglements auch aus raumplanerischer Sicht; diese Prüfung dürfe nicht noch einmal, bis zum Vorliegen des SIL-Objektblatts für den Flughafen Zürich, aufgeschoben werden. Der gegenwärtige, klar rechtswidrige Zustand führe zur Nichtgenehmigung des vBR und der dazugehörigen Infrastrukturmassnahmen. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass ohne jegliche raumplanerische Abstimmung Fakten geschaffen werden, die in einem späteren Zeitpunkt kaum mehr umkehrbar seien. Damit werde der vom Gesetzgeber gewollte Planungsprozess auf den Kopf gestellt. Jedenfalls dürften ohne SIL-Objektblatt keine Landungen auf Piste 34 (Südanflüge) genehmigt werden.
Auch die Gemeinden Altendorf und Mitbeteiligte sowie der Hauseigentümerverband Dübendorf und Oberes Glatttal und Mitbeteiligte sind der Meinung, ohne SIL-Objektblatt und die damit koordinierte Richtplanung der betroffenen Kantone könnten das vBR und
BGE 137 II 58 S. 69
namentlich die darin vorgesehenen Südanflüge nicht genehmigt werden. Das Bundesverwaltungsgericht habe den gegenwärtigen Zustand selbst als rechtswidrig bezeichnet; es bestehe jedoch keine notrechtliche Ersatzgrundlage für die Einführung von Südanflügen (vgl. zur weiteren Argumentation unten E. 4.1).
Die Stadt Winterthur und Mitbeteiligte sowie die Gemeinde Bassersdorf und Mitbeteiligte halten fest, dass wegen des fehlenden SIL-Objektblatts wesentliche Angaben und Festlegungen, namentlich zu den Auswirkungen auf Raum und Umwelt (
Art. 15 RPV
[SR 700.1]) und im Hinblick auf die zweckmässige Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes (
Art 75 BV
), fehlen. Ohne diese könne der Flughafen Zürich AG keine Garantie der Kapazitätserhaltung eingeräumt werden. Vielmehr müsse jede einzelne Massnahme unter dem Aspekt der Raumplanung darauf geprüft werden, inwiefern die Interessen der Flughafenbetreiberin die Interessen an der geordneten Besiedlung des Landes überwiegen bzw. die Einschränkung des Flughafenbetriebs zumutbar sei.
3.2
In
BGE 126 II 522
E. 10b S. 535 f. ging das Bundesgericht davon aus, dass der Baugesuchsteller auch auf dem Gebiet des Luftfahrtwesens grundsätzlich (vorbehältlich einer Planungs- oder Projektierungssperre) Anspruch darauf hat, dass sein Gesuch innert angemessener Frist aufgrund des geltenden Rechts behandelt wird, unabhängig davon, ob dieses Recht in Zukunft zu ändern oder zu ergänzen sein wird.
Dies ist vorliegend geschehen: Das Bundesverwaltungsgericht hat verschiedene Sistierungsanträge abgewiesen und über die Beschwerden gestützt auf die Bestimmungen des
geltenden
Luftfahrt-, Umwelt- und Raumplanungsrechts entschieden (wobei es grundsätzlich auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Genehmigungsverfügung des BAZL vom 29. März 2005 abstellte, vgl. E. 27 des angefochtenen Entscheids A-1936/2006). Es musste jedoch die Frage beantworten, welche Konsequenzen (nach geltendem Recht) das Fehlen des SIL-Objektblatts und die noch ausstehende Koordinierung mit der kantonalen Richt- und Raumplanung für das (vorläufige) Betriebsreglement haben. Zu dieser Frage lässt sich dem Entscheid
BGE 126 II 522
nichts entnehmen, zumal sich dieser im Wesentlichen auf das alte Recht, vor Einführung der Sachplanungspflicht durch das Bundesgesetz vom 18. Juni 1999 über die Koordination und Vereinfachung von Entscheidverfahren (AS 1999 3112) und der
BGE 137 II 58 S. 70
entsprechenden Verordnung vom 2. Februar 2000 (AS 2000 703), stützt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_442/2008 vom 9. Juli 2009 E. 2.4.7).
3.3
Wie das Bundesverwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, setzt die Bewilligung von betrieblichen und baulichen Änderungen des Flughafens mit erheblichen Auswirkungen auf Raum und Umwelt nach
Art. 36c Abs. 2 und
Art. 37 Abs. 5 LFG
i.V.m.
Art. 3a,
Art. 25 Abs. 1 lit. a und
Art. 27d Abs. 1 lit. a VIL
grundsätzlich das Vorliegen eines Sachplans voraus. Dies entspricht der Regelung in anderen Bundesgesetzen (vgl. z.B. Art. 126 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 3. Februar 1995 über die Armee und die Militärverwaltung [MG; SR 510.10] und
Art. 6 Abs. 3 der Verordnung vom 13. Dezember 1999 über das Plangenehmigungsverfahren für militärische Bauten und Anlagen [MPV; SR 510.51]
). Damit soll sichergestellt werden, dass wichtige Ermessensentscheide von der Sachplanbehörde getroffen werden, die über die erforderliche Distanz verfügt und befähigt ist, auf übergeordneter Stufe in einer Gesamtschau die betroffenen Interessen abzuwägen, ohne die Gefahr der Verengung des Blickwinkels auf bestimmte fachspezifische Interessen (
BGE 128 II 1
E. 3d S. 11 zur entsprechenden Regelung des Militärrechts). Durch das Erfordernis der Sachplanung (die auf einem umfassenden Koordinationsprozess beruht) wird zugleich sichergestellt, dass die nach Raumplanungsrecht gebotene Abstimmung mit der Richt- und Raumplanung der betroffenen Kantone erfolgt.
3.3.1
Zum Zeitpunkt der Genehmigung des vBR lag bereits der allgemeine Teil des SIL mit konzeptionellen Zielen und Vorgaben der schweizerischen Luftfahrtinfrastrukturpolitik vom 18. Oktober 2000 vor (Teil IIIB). Danach sind die Landesflughäfen (Zürich, Genf und Basel-Mulhouse) die nationalen Drehscheiben des internationalen Luftverkehrs und Teil des Gesamtverkehrssystems. Während sich die Flughäfen Genf und Basel-Mulhouse auf regional erforderliche Interkontinentalflüge und auf Europaluftverkehr ausrichten und entwickeln sollen, soll der Flughafen Zürich seine Rolle als eine der grossen europäischen Drehscheiben des Weltluftverkehrs wahrnehmen können (B1-B7 - 2/3 Grundsatz 2). Zum Thema der effizienten Nutzung der Luftfahrtinfrastruktur hält der SIL für die Landesflughäfen folgende konzeptionelle Zielsetzung fest: Die Landesflughäfen sollen der Luftverkehrsnachfrage folgend entwickelt werden können, auch wenn im Interesse der ökonomischen und sozialen Dimension der Mobilität in Kauf genommen werden muss, dass in der Umgebung dieser Anlagen die Belastungsgrenzwerte für den
BGE 137 II 58 S. 71
Fluglärm nicht überall und die Immissionsgrenzwerte für die von der Luftfahrt mitverursachten Luftschadstoffe erst mit mehrjähriger Verspätung gegenüber den in der Luftreinhalteverordnung bestimmten Fristen eingehalten werden können (B - 4 Grundsatz 6; zur geplanten Änderung vgl. unten E. 3.3.4).
Dagegen fehlte im Zeitpunkt der Ausarbeitung und der Genehmigung des vBR das Objektblatt Zürich, d.h. der konkrete, auf den Flughafen Zürich bezogene Teil des SIL. Dieser definiert die künftigen Rahmenbedingungen für den Flughafenbetrieb, die in der Betriebsbewilligung konkret auszugestalten sind (
Art. 36c Abs. 2 LFG
). Erst in diesem Verfahren werden die künftigen Betriebsvarianten (Pistensystem und -Benützung, An- und Abflugverfahren und -routen), die Verkehrsleistung des Flughafens sowie Massnahmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit des Flugbetriebs festgelegt, unter Berücksichtigung der Siedlungsstruktur, der Bevölkerungsdichte, der Lärmbelastung der Bevölkerung und der Auswirkungen für die Bodennutzung und die Entwicklung der tangierten Gebiete.
3.3.2
Nach dem vom Gesetz- und Verordnungsgeber vorgesehenen System hätten zunächst der vollständige Sachplan (samt Objektblatt) vorliegen und - damit koordiniert - die Anpassung der kantonalen Richtplanung erfolgen sollen, um - darauf aufbauend - das neue Betriebsreglement für den Flughafen Zürich zu konzipieren.
Diese Abfolge der Planung konnte jedoch nicht eingehalten werden. Nach
Art. 74a Abs. 2 VIL
hätte spätestens im Jahr 2001 eine umfassende Überprüfung des Betriebsreglements des Flughafens Zürich mit Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen müssen. Diese Frist wurde bereits mehrfach verlängert und konnte nicht noch weiter bis zum Abschluss des SIL-Verfahrens erstreckt werden, das sich aus verschiedenen Gründen (u.a. gescheitertes Mediationsverfahren) verzögert hatte. Vielmehr war es - auch aus rechtsstaatlicher Sicht - geboten, die zahlreichen provisorischen Betriebsreglementsänderungen durch ein Betriebsreglement abzulösen, das auf einer umfassenden UVP beruhte und im ordentlichen Verfahren unter Mitwirkung aller Betroffenen überprüft werden konnte. (Den Beschwerden gegen die provisorischen Änderungen des Betriebsreglements 2001 war stets die aufschiebende Wirkung entzogen worden.)
Das am 29. März 2005 vom BAZL genehmigte Betriebsreglement schreibt deshalb im Wesentlichen den bestehenden Flugbetrieb fort. Es konnte die umfassende Prüfung und Beurteilung von Varianten
BGE 137 II 58 S. 72
für den künftigen Flugbetrieb, die im Rahmen des noch hängigen SIL-Verfahrens für den Flughafen Zürich erfolgt, nicht berücksichtigen. Es wird daher als "vorläufiges" Betriebsreglement bezeichnet, das nach Abschluss des SIL-Verfahrens durch ein neues "definitives" Betriebsreglement ersetzt werden soll. Diese Terminologie darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich auch beim "vorläufigen" Betriebsreglement um ein im ordentlichen Verfahren erlassenes (und insoweit definitives) Reglement handelt, das so lange gilt, bis es abgeändert oder durch ein neues Betriebsreglement ersetzt wird (vgl. unten E. 3.4 zur Frage der Befristung).
3.3.3
Das SIL-Objektblatt mit den betrieblichen Rahmenbedingungen für den Flughafen Zürich lag zur Zeit der Genehmigung des Betriebsreglements (und liegt auch heute) noch nicht vor, weshalb wichtige, für die raumplanerische Beurteilung an sich notwendige Grundlagen fehlen. Das führt jedoch
nicht
zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Betriebsreglements oder des Flughafenbetriebs. Vielmehr müssen die flugbetrieblichen Belange - notfalls auch ohne SIL-Objektblatt - im Rahmen eines Betriebsreglements festgelegt werden (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1A.64/2003 vom 8. Juli 2003 E. 6.1.2), gestützt auf die einschlägigen Bestimmungen des geltenden Luftfahrt-, Umwelt- und Raumplanungsrechts. Die hierfür erforderliche Interessenabwägung ist so vollständig vorzunehmen, wie dies zurzeit, d.h. ohne Abschluss des Sach- und Richtplanverfahrens, möglich ist.
Wie das Bundesgericht schon mehrfach entschieden hat, stellt die fehlende sach- und richtplanerische Grundlage keinen Hinderungsgrund für
notwendige
Anpassungen der flugbetrieblichen Belange dar (Urteile des Bundesgerichts 1C_442/2008 vom 9. Juli 2009 E. 2.5.1; 1A.23/2005 vom 4. Juli 2005 E. 4 in fine; 1A.244/2003 vom 31. März 2004, in: ZBl 107/2006 S. 214 und RDAF 2007 I S. 507 E. 3.2.3; je mit Hinweisen). Als notwendig anerkannt wurden neben sicherheitsrelevanten Änderungen auch Massnahmen zum Ausgleich der von Deutschland einseitig angeordneten Überflugbeschränkungen. Zulässig sind überdies umweltschutzrechtlich bedingte Änderungen (insbesondere Sanierungsmassnahmen).
An dieser Praxis ist festzuhalten: Könnte der Flughafen Zürich zu den - für den internationalen Flugverkehr wichtigen - Sperrzeiten der DVO nicht mehr (oder nur noch sehr beschränkt) angeflogen werden, so könnte er seine Rolle als grosse europäische
BGE 137 II 58 S. 73
Drehscheibe des Weltluftverkehrs nicht mehr wahrnehmen. Dies widerspräche den Festlegungen des allgemeinen Teils des SIL und könnte die Konkurrenzfähigkeit des Flughafens Zürich im internationalen Wettbewerb dauerhaft schwächen. Dies könnte zu nicht wieder gutzumachenden Nachteilen führen.
Den Gemeinden Winterthur, Bassersdorf und Mitbeteiligten ist zwar einzuräumen, dass keine absolute Garantie der Kapazitätserhaltung in dem vor 2001 bestehenden Umfang eingeräumt werden kann. Insbesondere können auch ohne SIL-Objektblatt umweltschutzrechtlich gebotene Sanierungsmassnahmen angeordnet werden, wie z.B. die verlängerte Nachtruhe (vgl. unten E. 5 und 6), welche die Kapazität des Flughafens einschränken. Dagegen bedarf es eines Vergleichsmassstabs zur Beurteilung der DVO-bedingten Kapazitätseinbussen. Mangels eines anderen Anhaltspunkts erscheint es sinnvoll, hierfür auf die Kapazitäten vor Einführung der DVO gemäss dem letzten, rechtskräftig bewilligten Betriebsreglement vom 31. Mai 2001 abzustellen.
Andere Änderungen mit erheblichen Auswirkungen auf Raum und Umwelt können dagegen nicht bewilligt werden, solange das SIL-Objektblatt nicht vorliegt und die Richtplanung nicht angepasst worden ist, auch wenn sie für den Flugbetrieb wünschenswert erscheinen. Dies gilt namentlich für Massnahmen, welche die Kapazität des Flughafens erhöhen. Das Bundesverwaltungsgericht hat überzeugend dargelegt, dass die hierfür erforderliche Abwägung der flugbetrieblichen Interessen mit anderen, entgegenstehenden Interessen der Sachplanbehörde vorbehalten bleiben muss.
Besondere Zurückhaltung ist bei der Bewilligung von Infrastrukturmassnahmen geboten. Diese schaffen Fakten, die nicht (oder sehr schwer) wieder rückgängig gemacht werden und daher den Planungsprozess präjudizieren können. Das ARE und das BAFU haben daher im Anhörungsverfahren zu Recht verlangt, dass vor Abschluss der Sach- und Richtplanung nur das Notwendigste zu genehmigen sei und alle weiteren Anpassungen der Infrastruktur erst realisiert werden dürften, wenn gesichert sei, dass sie im Einklang mit dem SIL-Objektblatt für den Flughafen Zürich stehen.
3.3.4
Diese Einschätzung wird durch den am 16. August 2010 vorgelegten Entwurf des SIL-Objektblatts Flughafen Zürich bestätigt. Danach soll der Flughafen Zürich nicht ausschliesslich der Nachfrage entsprechend fortentwickelt werden. Die Flexibilität bei der
BGE 137 II 58 S. 74
Pistenbenützung soll vielmehr im Hinblick auf den Lärmschutz in den Tagesrand- und Nachtstunden eingeschränkt werden; zudem deckt keine der drei vorgeschlagenen Betriebsvarianten die bis ins Jahr 2030 prognostizierte Nachfrage voll ab. Auch die konzeptionellen Ziele und Vorgaben des SIL (Teil IIIB - 4 Grundsatz 6) sollen in dem Sinne geändert werden, dass die Entwicklung der Landesflughäfen mit den Grundsätzen der Nachhaltigkeit in Einklang stehen muss und aus diesem Grund von einer nachfrageorientierten Entwicklung abgewichen werden kann.
Zwar ist der SIL-Prozess noch nicht abgeschlossen, weshalb auch im vorliegenden Verfahren nicht auf den Entwurf abgestellt werden kann. Dieser belegt immerhin, dass die Nachhaltigkeit des Flugbetriebs zu den zentralen und umstrittensten Themen des SIL-Verfahrens zählt. Es ist Sache der Sachplanbehörde, in Koordination mit der kantonalen Richtplanung, die gewünschte zukünftige Entwicklung des Flughafens Zürich festzulegen. Würden schon vorher im vBR-Verfahren kapazitätserhöhende Massnahmen bewilligt, so würden damit Fakten geschaffen, die das hängige Sachplanverfahren unzulässig präjudizieren könnten.
3.4
(Zusammenfassung: Abweisung des Antrags auf Befristung des vBR.)
4.
Konsequenzen aus dem fehlendem SIL-Objektblatt im Einzelnen
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die seit 2001 erfolgte Ausdehnung der (Ost-)Anflüge auf Piste 28 und die Neueinführung von (Süd-)Anflügen auf Piste 34 im bisherigen Umfang: Diese seien aufgrund der schrittweisen Verschärfung der Nachtflugsperre in der DVO erfolgt und zur Kapazitätserhaltung notwendig. Andere Anflugverfahren seien bislang nicht vorhanden. Auch die Neufestlegung der An- und Abflugrouten inklusive Warteräume seien als klarerweise notwendige Anpassungen an die äusseren (politischen) Rahmenbedingungen zu werten.
Als zurzeit unzulässig erachtete das Bundesverwaltungsgericht dagegen die vom Flughafen Zürich gewünschte Pistenflexibilisierung für die Tagesrand- und Nachtstunden. Auch unter Berücksichtigung der verlängerten Nachtflugsperre sei diese Massnahme nicht bloss kapazitätserhaltend, sondern stelle eindeutig eine Kapazitätserhöhung dar, die ohne SIL-Objektblatt nicht genehmigt werden könne. Das Bundesverwaltungsgericht hob daher die Freigabe von Abflügen ab Piste 28 zwischen 06.30 und 07.00 Uhr sowie von 21.00 bis
BGE 137 II 58 S. 75
22.00 Uhr auf, wie auch die Freigabe von Abflügen ab Piste 16 und 28 nach 21.00 und vor 07.00 Uhr bei DVO-Ausnahmeregelung. Auch die Änderung des Benützungsvorrangs könne erst nach Vorliegen des SIL-Objektblatts beurteilt werden.
Schliesslich erachtete das Bundesverwaltungsgericht die neuen Schnellabrollwege ab Piste 34 als im Sinne der Kompensation der DVO-Einschränkungen ohne SIL-Objektblatt zulässig, nicht dagegen die - kapazitätserhöhenden - Schnellabrollwege ab Piste 28.
4.1
Südanflüge
Die Stadt Zürich, der Verein Flugschneise Süd - Nein (VFSN), die Gemeinde Altendorf und Mitbeteiligte sowie der Hauseigentümerverband Dübendorf & Oberes Glatttal und Mitbeteiligte sind der Auffassung, Südanflüge dürften überhaupt nicht genehmigt werden. Diese widersprächen den Zielen und Grundsätzen der Raumplanung und den geltenden Richtplänen, der Eigentumsgarantie und dem Vertrauensschutz. Zudem verstiessen die frühmorgendlichen Südanflüge mit Einzelschallpegeln über der Weckgrenze gegen Umweltschutzrecht.
Eventualiter beantragen die Beschwerdeführer - sowie Christoph Apothéloz und Mitbeteiligte als Hauptantrag -, dass Südanflüge nur ausnahmsweise zugelassen werden dürften, wenn die Piste 28 aus technischen, meteorologischen oder sicherheitsmässigen Gründen nicht zur Verfügung stehe. Dagegen sei es unzulässig, Piste 34 in den frühen Morgenstunden (06.00 bis 07.00 Uhr alle Tage bzw. 06.00 bis 09.00 Uhr an Wochenenden) zur prioritären Landepiste zu erklären.
Die Stadt Zürich wendet sich in diesem Zusammenhang auch gegen den Ausbau der Kapazität von Piste 34 durch die Genehmigung neuer Schnellabrollwege.
Die Beschwerdeführer machen geltend, dass Südanflüge erst ab 30. Oktober 2003 - mit der vierten provisorischen Änderung des Betriebsreglements - eingeführt worden seien; das zuvor praktizierte morgendliche Ostanflugregime liefere den Tatbeweis dafür, dass der Flugbetrieb grundsätzlich mit Anflügen auf Piste 28 aufrechterhalten werden könne. Dies gelte erst recht seit der Inbetriebnahme eines Instrumentenlandesystems auf Piste 28. Bei extremen Wettersituationen sei die Ausnahmeregelung gemäss DVO anwendbar, d.h. es seien Anflüge von Norden zulässig. Die wenigen verbleibenden Fälle bedrohten weder die Existenz des Flughafens noch der SWISS.
BGE 137 II 58 S. 76
Sie sind der Auffassung, das Konzept Süd (mit Landungen auf Piste 34) sei mit 26 Landungen und 30 Starts pro Stunde hinsichtlich der Kapazität schlechter als das Konzept Ost mit Landungen auf Piste 28 (30 Landungen bzw. 32 Starts pro Stunde). Selbst mit den vom Bundesverwaltungsgericht genehmigten Schnellabrollwegen ab Piste 34 (28-30 Landungen) werde die Landekapazität von Piste 28 nicht erreicht. Letztere könnte zudem noch erhöht werden (auf 32-34 Landungen), wenn die Schnellabrollwege ab Piste 28 bewilligt würden.
Auch aus Sicht der Raumplanung und des Umweltschutzes schneide das Konzept Süd signifikant schlechter ab als das Konzept Ost: Der Süden des Flughafens sei das mit Abstand dichtest besiedelte Gebiet; bei Südanflügen seien daher weit mehr Personen einem Sicherheitsrisiko (im Fall eines Absturzes) und dem Fluglärm ausgesetzt. Gemäss UVB, Fachbericht Fluglärm (S. 29 f. und Beilage 26), würden beim Konzept Süd etwa doppelt so viele Personen mit Lärm über dem Immissionsgrenzwert belastet wie beim Konzept Ost. Es widerspreche den Zielen und Grundsätzen des Raumplanungsrechts, qualitativ hochstehendes Siedlungsgebiet mit übermässigem Lärm zu empfindlichen Tageszeiten zu belasten.
4.1.1
(Zusammenfassung: Die Rechtsauffassung der Gemeinde Zollikon, wonach keine Regelung für Südanflüge mehr im vBR bestehe, trifft nicht zu.)
4.1.2
Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts ist die Piste 28 für Landungen von schweren Langstreckenflugzeugen unter erschwerten Wetterbedingungen (Regen, Schneefall), die aber noch keinen ausnahmsweisen Nordanflug über Süddeutschland erlauben, sicherheitstechnisch zu kurz. Es handle sich um die mit Abstand kürzeste Piste des Flughafens Zürich (2'500 m; gegenüber 3'300 m bzw. 3'700 m der Pisten 14/32 und 16/34). Das Bundesverwaltungsgericht führte aus, es sei den wenigen Beschwerdeführenden (insbesondere dem VFSN), die behaupteten, die Anflüge auf Piste 28 würden die Anflüge auf Piste 34 vollumfänglich und bereits ohne Pistenverlängerung ersetzen, nicht gelungen, dies überzeugend zu begründen und (soweit möglich) zu belegen. Es stützte sich auf die übereinstimmenden, seines Erachtens klaren und schlüssigen Aussagen und Unterlagen der Vorinstanzen, der Flughafen Zürich AG, der SWISS und vor allem der Flugsicherungsorganisation Skyguide, welche die Einführung von Südanflügen als zwingend notwendig bezeichneten.
BGE 137 II 58 S. 77
An diesen Sachverhalt ist das Bundesgericht grundsätzlich gebunden, es sei denn, die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung i.S.v.
Art. 95 BGG
(
Art. 97 und 105 BGG
). Dies ist nicht ersichtlich, wie im Folgenden darzulegen sein wird.
(Zusammenfassung: Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs und keine willkürliche Beweiswürdigung durch das Bundesverwaltungsgericht. Dieses war auch nicht verpflichtet, externe Experten beizuziehen.)
4.1.3
Damit steht fest, dass Anflüge auf Piste 28 unter bestimmten meteorologischen Verhältnissen für schwere Flugzeuge zu riskant sind und deshalb nicht erfolgen können. Bei Vorliegen solcher Verhältnisse muss deshalb auf Piste 34 (mit Südanflug) gelandet werden, da andere Anflugverfahren derzeit nicht zur Verfügung stehen (vgl. E. 31.2.5 des angefochtenen Entscheids A-1936/2006). Auf Landungen zu diesen Zeiten kann nicht verzichtet werden: Könnten die Fluggesellschaften nicht mehr sicher sein, mit schweren Langstreckenflugzeugen landen zu können, würde dies dazu führen, dass sie Zürich zu den entsprechenden Zeiten nicht mehr anfliegen würden. Dies würde die Funktion des Flughafens als grosse europäische Drehscheibe des Weltluftverkehrs stark gefährden und widerspräche deshalb den Festlegungen des Allgemeinen Teils des SIL.
Nach dem Gesagten ist mit dem Bundesverwaltungsgericht davon auszugehen, dass Südanflüge auch ohne Vorliegen des SIL-Objektblatts und ohne Anpassung der kantonalen Richtplanung (vorläufig) bewilligt werden durften. Dies verstösst auch nicht gegen Treu und Glauben: Zwar ging die Zürcher Richt- und Zonenplanung von einer Nordausrichtung des Flughafenbetriebs aus (vgl. dazu nicht publ. E. 4.5.1) und sah keine Anflüge über das Siedlungsgebiet im Süden des Flughafens vor. Der bisherige Flugbetrieb konnte jedoch zu den Tagesrandzeiten aufgrund der von Deutschland verfügten Überflugbeschränkungen über deutsches Gebiet nicht mehr beibehalten werden. Diese bewirken eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage, die ein Abweichen von der bisherigen Planung rechtfertigt.
Die Anträge auf grundsätzliche Nichtgenehmigung der Südanflüge werden somit abgewiesen.
Soweit die Beschwerdeführer eine Beschränkung der Südanflüge auf das unbedingt notwendige Ausmass oder auf gewisse Zeiten
BGE 137 II 58 S. 78
beantragen, sind diese Anträge zusammen mit den umweltschutzrechtlichen Rügen zu behandeln (unten E. 6.4).
4.2
Pistenflexiblisierung
Die Flughafen Zürich AG und die SWISS wehren sich gegen die Nichtbewilligung der Abflüge von Piste 28 nach 21.00 Uhr (alle Tage, bei Einschränkungen durch die DVO). Zu genehmigen seien auch die Abflüge ab den Pisten 16 und 28 am Morgen und am Abend bei DVO-Ausnahmeregelung. Eventualiter müsse ein Verspätungsabbau bis 00.30 Uhr zulässig sein.
Sie machen geltend, die Pistenflexibilisierung sei das notwendige Korrelat für die Verlängerung der Nachtruhe um eine Stunde. Es handle sich um ein "Gesamtpaket", das mit dem Kanton Zürich vereinbart worden sei. Es verletze den Grundsatz von Treu und Glauben, den Flughafen Zürich auf die freiwillig verlängerte Nachtsperre zu behaften und gleichzeitig den damit untrennbar verbundenen Flexibilisierungsmassnahmen die Genehmigung zu verweigern.
Der Flughafen Zürich und die SWISS seien auf eine Flexibilisierung des Flugbetriebs in den Tagesrandstunden angewiesen, ansonsten sie aufgrund der verlängerten Nachtruhe gravierende Nachteile im internationalen Konkurrenzkampf erleiden würden. Werde dies nicht zugelassen, so müsse ein Grossteil der verspäteten Abflüge in der empfindlicheren Nachtzeit von 22.00 bis 23.30 Uhr oder - sofern eine Ausnahmebewilligung erteilt werde - sogar danach stattfinden. Dies führe zu vermehrten Immissionsgrenzwert-Überschreitungen.
Zudem bestehe ein erhebliches Risiko, dass nicht mehr alle Flüge vor Betriebsschluss (23.30 Uhr) abgewickelt werden könnten. Die SWISS weist auf Langstreckenflüge hin, die Zürich planmässig zwischen 22.00 und 23.00 Uhr verlassen. An Bord dieser Flugzeuge befänden sich 40-60 % Umsteigepassagiere, die in der Zeit zwischen 21.00 und 22.00 Uhr in Zürich eintreffen. Ohne zusätzliche Massnahmen wie neue Abrollwege und Pistenflexibilisierung sei absehbar, dass die SWISS in Zukunft regelmässig Passagiere und Fracht in Zürich stehen lassen müsse. Dies bedeute hohe Kosten für die SWISS (Hotelübernachtung, Verpflegung, alternative Beförderung) und könne dazu führen, dass Passagiere über andere Flughäfen reisen und der SWISS als Kunden endgültig verloren gehen.
Die Flughafen Zürich AG und die SWISS kritisieren, das Bundesverwaltungsgericht habe ausschliesslich auf die Stundenkapazität und nicht auf die Tages- bzw. Gesamtkapazität des Flughafens
BGE 137 II 58 S. 79
abgestellt. Diese habe sich im Vergleich zu 2001 insbesondere wegender Verlängerung der Nachtruhe reduziert. Sie werfen dem Bundesverwaltungsgericht überdies vor, nicht zwischen der planbaren undder effektiven Kapazität unterschieden zu haben. Die planbare Kapazität betreffe die Zahl der Starts und Landungen, die theoretisch pro Stunde geplant werden können (Zeitnischen, Slots). Die effektiveKapazität beziehe sich auf die Zahl der effektiven Flugbewegungenunter den gegebenen Umständen. Zusätzliche Flexibilität bezweckenicht, mehr Flüge zu planen, sondern es gehe um einen Vorrat an effektiver Kapazität für den Fall, dass Verspätungen eintreten, die abgebaut werden müssen.
4.2.1
Zunächst ist der Antrag auf Freigabe von
Piste 28 für Starts von 21.00 bis 22.00 Uhr alle Tage bei Einschränkungen durch die DVO
zu prüfen. Zu diesen Zeiten können keine Anflüge von Norden erfolgen, weshalb prioritär von Osten (auf Piste 28) gelandet wird. Die Starts erfolgen auf Pisten 32 und 34 in Richtung Nord. Zusätzlich beantragt wird die Freigabe von Piste 28 für Starts (in Richtung Westen).
Es ist unstreitig, dass die
Stunden
kapazität des Flughafens Zürich bei normalen Wetterbedingungen zu den abendlichen DVO-Sperrzeiten auch ohne die umstrittenen Flexibilisierungsmassnahmen erheblich gesteigert worden ist, vor allem durch den Verzicht auf gegenläufigen Flugverkehr. Die Startkapazitäten wurden im Vergleich zum Betriebsreglement vom 31. Mai 2001 sogar von 16 auf 32 Bewegungen pro Stunde verdoppelt, und zwar sowohl von Montag bis Freitag als auch am Wochenende (vgl. E. 31.4.5 des angefochtenen Entscheids A-1936/2006). Unter diesen Umständen sind die von den Beschwerdeführerinnen verlangten zusätzlichen Kapazitäten am Abend zwischen 21.00 und 22.00 Uhr nicht erforderlich, um DVO-bedingte Kapazitätsverluste auszugleichen.
Die angebliche Verringerung der
Gesamt
kapazität wird von den Beschwerdeführerinnen nicht näher substanziiert. Sie ist auch nicht ohne Weiteres ersichtlich: Der UVB geht sowohl für den Ausgangszustand Zt (fiktiver Zustand im Jahr 2010 ohne die betrieblichen Anpassungen an die DVO) als auch für den Betriebszustand Zt+ (Flugbetrieb gemäss vBR einschliesslich verlängerter Nachtruhe) von einer Gesamtkapazität von rund 350'000 Flugbewegungen aus (UVB Synthese, S. 23). Diese liegt rund 33 % über der Gesamtzahl der Flugbewegungen für das Jahr 2009 (262'000), d.h. es verbleiben erhebliche Kapazitätsreserven.
BGE 137 II 58 S. 80
Soweit sich die Flughafen Zürich AG auf angebliche Zusagen des Regierungsrats des Kantons Zürich beruft, wonach im Gegenzug für die verlängerte Nachtruhe Einschränkungen bei der Pistenbenützung aufgehoben werden sollten, ist dies unbehelflich: Der Regierungsrat ist nicht Genehmigungsbehörde für das vBR und war daher für die Abgabe derartiger Zusicherungen nicht zuständig. Damit fehlt es bereits an einer Vertrauensgrundlage. Der verfassungsmässige Anspruch auf Treu und Glauben wird somit nicht verletzt.
Zwar erscheint es zum Schutz der Anwohner geboten, verspätete Abflüge möglichst vor 22.00 Uhr und nicht erst in den sensibleren Zeiten bis 23.30 Uhr abzuwickeln. Allerdings ist nicht ersichtlich und wird von den Beschwerdeführerinnen nicht dargelegt, wie sichergestellt werden kann, dass die zusätzlichen Kapazitäten ausschliesslich für den Verspätungsabbau verwendet werden und damit nur die effektive und nicht die planmässige Kapazität erhöhen. Nach Art. 12 Abs. 1 Anhang 1 vBR dürfen Starts und Landungen grundsätzlich bis 23.00 Uhr geplant werden; alle Anträge auf eine Plafonierung der Flugbewegungen wurden abgelehnt (vgl. unten E. 6.2 und 6.3). Unter diesen Umständen besteht die Gefahr, dass die Freigabe von Piste 28 am Abend zu einer vermehrten Auslastung der übrigen Pisten führen könnte, weil weniger Reserven für den Verspätungsabbau freigehalten werden müssen. Dies hätte mehr Flugverkehr zur Folge, was wiederum mehr Verspätungen auslösen könnte. Schliesslich würde die Öffnung der Piste 28 für Starts nach 21.00 Uhr eine zusätzliche Belastung für die Bevölkerung im Westen des Flughafens bedeuten, die bereits tagsüber einen Grossteil des Fluglärms zu tragen hat.
Das Begehren um Öffnung der Piste 28 nach 21.00 Uhr bei Einschränkung durch die DVO (d.h. ohne Nordanflüge) ist daher abzuweisen.
4.2.2
Die Flughafen Zürich AG und die SWISS beantragen ferner, es seien Abflüge ab den Pisten 16 und 28 vor 07.00 und nach 21.00 Uhr gemäss Verfügung des BAZL (d.h. bis 22.00 Uhr) bei
DVO-Ausnahmeregelung
zu bewilligen. Diese Anträge sind zulässig: Da diese Startpisten bei DVO-Ausnahmeregelung vom BAZL genehmigt worden waren, hatten die genannten Beschwerdeführerinnen keine Veranlassung, entsprechende Anträge schon vor Bundesverwaltungsgericht zu stellen.
Die Flughafen Zürich AG und die SWISS legen dar, dass diese Flexibilisierungsmassnahme der Vermeidung von gegenläufigem Verkehr
BGE 137 II 58 S. 81
zu Zeiten dient, in denen wegen schlechter Sicht (v.a. Nebel) ausnahmsweise auch in DVO-Sperrzeiten von Norden her gelandet werden darf. An solchen Tagen sei die Kapazität ohnehin aus Sicherheitsgründen reduziert und es komme vermehrt zu Verspätungen. Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts seien diese Massnahmen kapazitätsneutral: Mögliche Nebeltage seien nicht vorhersehbar und könnten daher bei der Ausarbeitung des Flugplans nicht berücksichtigt werden.
Bei DVO-Ausnahmeregelung entfallen die Beschränkungen des deutschen Luftraums in der Nacht und am frühen Morgen. Das vBR sieht deshalb vor, dass auf den Pisten 14 und 16 (von Norden her) gelandet und (in Richtung Norden) auf den Pisten 32 und 34 gestartet wird. Dadurch entsteht gegenläufiger Verkehr. Dieser ist - wie das Bundesverwaltungsgericht überzeugend dargelegt hat (E. 31.4.7 S. 212 des angefochtenen Entscheids A-1936/2006) - aus Sicherheitsgründen unbedenklich, sofern die nötigen höheren Staffelungen eingehalten werden. Zwar hat dies eine Reduktion der Kapazität zur Folge. Diese ist aber nicht DVO-bedingt; vielmehr wird das bis 2001 geltende Betriebskonzept wiederhergestellt.
Allerdings stand nach dem früheren Betriebskonzept am Abend eine zusätzliche Stunde für den Verspätungsabbau zur Verfügung. Dieser war bis 00.30 Uhr möglich, während verspätete Flugzeuge gemäss vBR nur noch bis 23.30 Uhr starten dürfen. Die Befürchtungen der SWISS und der Flughafen Zürich AG, dass die - an Nebeltagen besonders häufigen - Verspätungen nicht rechtzeitig vor 23.30 Uhr abgebaut werden können, wenn die Kapazität wegen gegenläufigen Verkehrs beschränkt ist, erscheinen plausibel. Müssen deshalb Flüge gestrichen werden, kann dies zu erheblichen Nachteilen für den Flughafen und die ihn anfliegenden Fluggesellschaften führen.
Die Freigabe weiterer Startpisten hat allerdings zur Folge, dass die Bevölkerung im Westen und Süden des Flughafens zusätzlichem Fluglärm ausgesetzt ist, wenn auch "nur" bei schlechten Wetterbedingungen mit Nebel, welche die DVO-Ausnahmeregelung in Kraft treten lassen. Nach Angaben der Flughafen Zürich AG war dies in den letzten zwei Jahren 27 mal am Abend und 54 mal am Morgen der Fall. Der Kanton Aargau schätzt die Zahl der Tage mit Nebel auf rund 40 im Jahr.
Bei der erforderlichen Interessenabwägung fällt entscheidend ins Gewicht, dass es auch aus Sicht des Umweltschutzes geboten
BGE 137 II 58 S. 82
erscheint, verspätete Abflüge möglichst
vor
22.00 Uhr und nicht erst in der sensibleren Zeit nach 22.00 Uhr abzuwickeln. Da Nebel nur an wenigen Abenden pro Monat, vor allem im Winter, vorkommt und nicht vorhersehbar ist, führt die Freigabe weiterer Startpisten nicht zu einer Ausweitung der planmässigen Kapazität und damit zu mehr Flugverkehr, sondern erhöht lediglich die effektive Kapazität des Flughafens.
Aus diesem Grund ist dem Antrag der Flughafen Zürich AG und der SWISS insoweit zu entsprechen, als in der Zeit von 21.00 bis 22.00 Uhr zusätzliche Startpisten (16 und 28) bei DVO-Ausnahmeregelung freizugeben sind. Dagegen ist der Antrag auf Freigabe weiterer Startpisten vor 07.00 Uhr abzuweisen.
4.2.3
Sowohl die Flughafen Zürich AG als auch die SWISS stellen eventualiter den Antrag, es sei ein
Verspätungsabbau bis 00.30 Uhr
zu gestatten.
Diese Anträge werden von mehreren Beschwerdegegnern als unzulässige neue Begehren bezeichnet. Sie bezweifeln auch die Beschwerdelegitimation der SWISS, die das vBR und die darin bereits vorgesehene Verlängerung der Nachtflugbeschränkung um eine Stunde nicht angefochten habe. Wie es sich damit verhält, kann offenbleiben, weil die Eventualanträge jedenfalls abzuweisen sind.
Die verlängerte Nachtruhe (mit Verspätungsabbau bis 23.30 Uhr) war im vBR-Verfahren unumstritten und ist - wie im Folgenden noch darzulegen sein wird (unten E. 5 und 6) - die wichtigste und praktisch einzige zusätzliche Massnahme des vBR zum Schutz der Bevölkerung gegen Fluglärm und zur Sanierung des Flughafens. Würde diese Massnahme entfallen oder - durch Zulassung eines längeren Verspätungsabbaus - erheblich eingeschränkt, so könnte dies die Nachhaltigkeit des Flugbetriebs infrage stellen. Eine solche Massnahme muss (sofern sie umweltrechtlich überhaupt zulässig ist) dem Sachplanverfahren vorbehalten werden.
Es ist davon auszugehen, dass die Kapazitäten gemäss vBR bei guter Organisation und Planung i.d.R. genügen, um den Verspätungsabbau bis 23.30 Uhr zu beenden. Bei ausserordentlichen Wetterverhältnissen, die eine Ausnahme von den Beschränkungen der DVO rechtfertigen, stehen während der verkehrsreichsten Stunde (21.00 bis 22.00 Uhr) zwei zusätzliche Startpisten zur Verfügung. Die Flughafen Zürich AG hat schliesslich die Möglichkeit, aus betrieblichen Gründen, insbesondere zur Sicherung von genügenden Reserven für
BGE 137 II 58 S. 83
den Verspätungsabbau, die Vergabe des letzten Slots zeitlich vorzuverlegen (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Anhang 1 vBR).
4.3
Schnellabrollwege
Mit Verfügung vom 17. September 2007 erteilte das UVEK die Plangenehmigung für je zwei Schnellabrollwege ab Piste 28 und Piste 34. Diese erlauben es Flugzeugen, die auf Piste 28 bzw. Piste 34 gelandet sind, die Piste möglichst schnell zu verlassen.
Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass die neuen Schnellabrollwege ab Piste 34 notwendig seien, um DVO-bedingte Kapazitätseinbussen auszugleichen; dagegen führten die neuen Schnellabrollwege ab Piste 28 zu einer Kapazitätserhöhung, die ohne SIL-Objektblatt unzulässig sei (E. 31.8 des angefochtenen Entscheids A-1936/2006).
Vor Bundesgericht beantragen die Flughafen Zürich AG und die SWISS die Bewilligung der Schnellabrollwege ab Piste 28. Diese gehörten zur Standardausstattung einer Piste. Mit den neuen Schnellabrollwegen werde verhindert, dass auf Piste 28 gelandete Flugzeuge, die den heute letzten Abrollweg vor dem Pistenkreuz verpasst haben, über Piste 16/34 abrollen, auf der Startverkehr herrscht. Die SWISS bestreitet, dass die neuen Schnellabrollwege überhaupt zu Kapazitätssteigerungen führen. Die Flughafen Zürich AG räumt dagegen eine massvolle Kapazitätserweiterung um zwei Bewegungen pro Stunde ein. Diese sei jedoch zulässig. Das SIL-Objektblatt werde nicht präjudiziert, weil Ostanflüge in allen verbliebenen Varianten vorgesehen seien.
Die Stadt Zürich beantragt ihrerseits, die Bewilligung der neuen Schnellabrollwege ab Piste 34 sei aufzuheben. Sie macht geltend, ein Ausbau der Piste 34 als Landepiste sei ohne SIL-Objektblatt raumplanungsrechtlich unzulässig. Das Bundesverwaltungsgericht begründe den Bedarf für die Schnellabrollwege mit dem DVO-bedingten Kapazitätsverlust bei den Landungen zwischen 07.00 und 09.00 Uhr; die Beschwerdegegnerinnen hätten jedoch ihren tatsächlichen Bedarf für Landungen in dieser Zeit nie ausgewiesen. Aus dem aktuellen Flugplan gehe hervor, dass in der Zeit von 07.00 bis 08.00 Uhr und von 09.00 bis 10.00 Uhr am Wochenende eine Überkapazität von je 24 Landungen bestehe. Nur in der Stunde von 08.00 bis 09.00 Uhr ergebe sich mit 31 geplanten Landungen ein Kapazitätsengpass. Dies scheine allerdings kein Problem zu sein, würde der Flughafen doch sonst nicht so viele Landungen planen.
BGE 137 II 58 S. 84
4.3.1
Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, dass die neuen Schnellabrollwege die stündliche Kapazität um rund zwei bis vier Flugbewegungen pro Stunde erhöhen. Diese Feststellung kann nicht als offensichtlich unrichtig betrachtet werden. Sie entspricht der Einschätzung des UVEK und liegt nur wenig über derjenigen der Flughafen Zürich AG.
Es ist unstreitig, dass die neuen Schnellabrollwege ab
Piste 28
nicht nötig sind, um eine DVO-bedingte Kapazitätseinbusse auszugleichen. Vielmehr hat der Flughafen zu den DVO-Sperrzeiten, in denen von Osten gelandet wird (d.h. ab 21.00 Uhr), wegen des Wegfalls des gegenläufigen Verkehrs massiv an Gesamtkapazität (62 statt 36 Bewegungen pro Stunde) und ebenfalls sehr deutlich an Landekapazität (30 statt 20 Bewegungen pro Stunde) gewonnen. Unter diesen Umständen kann die mit den neuen Schnellabrollwegen verbundene, noch weiter gehende Kapazitätserhöhung derzeit nicht bewilligt werden. Es ist nicht ersichtlich und wird von den Beschwerdeführerinnen auch nicht genügend dargelegt, wie sichergestellt werden könnte, dass die zusätzlichen Kapazitäten durch die neuen Schnellabrollwege ausschliesslich für den Verspätungsabbau genutzt werden.
Die neuen Schnellabrollwege ab Piste 28 erscheinen auch aus Sicherheitsgründen nicht notwendig. Landende Flugzeuge haben immer die Möglichkeit, bis zum Pistenende abzurollen, sofern Startverkehr auf Piste 16/34 herrscht.
Der Antrag der Flughafen Zürich AG und der SWISS auf Bewilligung der neuen Schnellabrollwege ab Piste 28 ist daher abzuweisen.
4.3.2
Dagegen ist in den Zeiten, in denen vor allem auf
Piste 34
(von Süden) gelandet wird, von einer Kapazitätsreduktion im Vergleich zum Betriebsreglement 2001 auszugehen. Dies betrifft vor allem das Wochenende: Wie das Bundesverwaltungsgericht (in E. 31.8.2.1) dargelegt hat, können am Wochenende, in der Zeit von 07.00 bis 09.00 Uhr, bis zu zwölf Bewegungen weniger durchgeführt werden (56 statt 68), wobei die Einbusse in erster Linie die Landungen betrifft (26 statt bisher 34 bzw. 38). Die zusätzlichen zwei bis vier Bewegungen dank der neuen Schnellabrollwege gleichen daher die DVO-bedingte Einbusse am Wochenende nur teilweise aus. Der Stadt Zürich ist einzuräumen, dass in der Zeit vor 08.00 und nach 09.00 Uhr noch grosse Kapazitätsreserven bestehen. Dagegen besteht schon heute in der Zeit von 08.00 bis 09.00 Uhr am
BGE 137 II 58 S. 85
Wochenende ein Engpass und damit ein Bedarf für die neuen Schnellabrollwege.
Allerdings besteht die Gefahr, dass ein Ausbau der Piste 34 durch Schnellabrollwege und die damit verbundene Kapazitätserhöhung die hängige Sachplanung präjudizieren könnten. Die Südanflüge auf Piste 34 sind ein besonders umstrittener Aspekt der SIL-Planung für den Flughafen Zürich. Der Bau der neuen Schnellabrollwege ist deshalb auch politisch sehr kontrovers. So ist derzeit im Kanton Zürich ein Gegenvorschlag von Stimmberechtigten zum Kantonsratsbeschluss vom 23. Februar 2009 über die Behördeninitiative betreffend Änderung des Gesetzes über den Flughafen Zürich vom 12. Juli 1999 ("Keine Neu- und Ausbauten von Pisten") hängig. Darin wird u.a. verlangt, dass sich der Kanton - auch im Rahmen seiner Stellung als Aktionär und Verwaltungsratsmitglied der Flughafen Zürich AG - gegen den Bau neuer Schnellabrollwege einsetzt (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 1C_22/2010 vom 6. Oktober 2010).
Nach dem oben (E. 3.3.3 in fine) Gesagten können Infrastrukturmassnahmen, die nicht absolut notwendig sind, nicht bewilligt werden, bevor das SIL-Objektblatt für den Flughafen Zürich vorliegt. Im vorliegenden Fall erscheint es für den Flughafen Zürich zumutbar, die Kapazitätseinbusse durch Nichtgenehmigung der neuen Schnellabrollwege vorläufig hinzunehmen. Diese Einbusse ist auf wenige Flüge in der Stunde beschränkt und bedeutet nur während einer Stunde am Wochenende eine effektive Einschränkung. Sollte das SIL-Objektblatt die neuen Schnellabrollwege vorsehen, könnte ein neues Plangenehmigungsgesuch (noch vor Erlass des definitiven Betriebsreglements) eingeleitet werden. Die Beschwerde der Stadt Zürich ist daher in diesem Punkt gutzuheissen und Disp.-Ziff. 2.2 der Plangenehmigung des UVEK vom 17. September 2007 aufzuheben, soweit darin der Bau von zwei Schnellabrollwegen ab Piste 34 bewilligt wird.
(...)
5.
Umweltrechtliche Fragen (insb. Fluglärm)
Zahlreiche Beschwerdeführer verlangen weiter gehende Massnahmen zur Beschränkung des Fluglärms gestützt auf das Umweltschutzrecht. Im Folgenden sind zunächst die allgemeinen Anforderungen des Umweltrechts, namentlich im Hinblick auf den Lärmschutz, in Erinnerung zu rufen (E. 5.1) und die Aussagen des UVB zur Fluglärmbelastung der Umgebung zusammenzufassen (E. 5.2). Zu prüfen
BGE 137 II 58 S. 86
sind anschliessend die Rügen, wonach die geltenden Grenzwerte für Fluglärm den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechen (E. 5.3). Im Anschluss daran wird untersucht, ob und inwiefern zusätzliche Sanierungsmassnahmen angeordnet werden müssen (E. 6). Schliesslich sind daraus die Konsequenzen für die Lärmemissionen des Flughafens und für den Schallschutz zu ziehen (E. 7).
5.1
Anforderungen des Umweltrechts; Sanierungspflicht
Der Flughafen Zürich ist eine bestehende ortsfeste Anlage i.S.v.
Art. 7 Abs. 1 USG
(SR 814.01) i.V.m. Art. 2 Abs. 1 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41). Der Flugbetrieb führt zu erheblichen Lärmimmissionen in der Umgebung des Flughafens, der die geltenden Immissionsgrenzwerte für Fluglärm und teilweise sogar die Alarmwerte überschreitet. Der Flughafen ist damit grundsätzlich eine sanierungsbedürftige Anlage (
Art. 16 USG
), die nur erweitert oder geändert werden darf, wenn sie gleichzeitig saniert wird (
Art. 18 Abs. 1 USG
). Bei einer wesentlichen Änderung (i.S.v.
Art. 8 Abs. 3 LSV
) müssen die Lärmemissionen der gesamten Anlage mindestens so weit begrenzt werden, dass die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden (
Art. 8 Abs. 2 LSV
). Hierfür können u.a. Verkehrs- oder Betriebsvorschriften unmittelbar gestützt auf das Umweltschutzgesetz angeordnet werden (
Art. 12 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 USG
; vgl.
BGE 126 II 522
E. 39a S. 570).
Kann bei bestehenden Anlagen die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte nicht erreicht werden, so kann die Vollzugsbehörde im Einzelfall Erleichterungen gewähren, wobei der Alarmwert für Lärmimmissionen grundsätzlich nicht überschritten werden darf (
Art. 17 Abs. 2 USG
). Bei öffentlichen oder konzessionierten, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegenden Anlagen wie dem Landesflughafen Zürich können indessen Erleichterungen über den Alarmwert hinaus gewährt werden (
Art. 20 Abs. 1 USG
i.V.m.
Art. 14 Abs. 2 LSV
e contrario für bestehende Anlagen;
Art. 25 Abs. 3 USG
für neue und analog für wesentlich geänderte Anlagen; vgl.
BGE 124 II 293
E. 17 S. 328). Unter der Voraussetzung, dass die Lärmimmissionen unvermeidlich sind, d.h. sämtliche zumutbaren vorsorglichen und verschärften Emissionsbegrenzungen ergriffen worden sind, dürfen solche Anlagen deshalb ungeachtet der von ihnen verursachten Immissionen weiter betrieben und auch geändert oder erweitert werden. Voraussetzung ist allerdings, dass an den vom Lärm betroffenen Gebäuden passive Schallschutzmassnahmen getroffen werden. Diese Pflicht besteht (bei neuen und wesentlich
BGE 137 II 58 S. 87
geänderten bestehenden Anlagen) ab Überschreitung der Immissionsgrenzwerte (
Art. 25 Abs. 3 USG
,
Art. 8 Abs. 2 und
Art. 10 LSV
; vgl.
BGE 126 II 522
E. 39a S. 569 f.).
Bereits die 5. Ausbauetappe des Flughafens Zürich stellte eine wesentliche Änderung dar und löste daher die oben beschriebene Sanierungspflicht aus (vgl.
BGE 124 II 293
E. 16b S. 328). Wie im Folgenden näher darzulegen ist, führen auch die Änderungen der An- und Abflugrouten gemäss vBR zu einer erheblichen Umverteilung des Fluglärms und sind daher als wesentliche Änderung des Flughafenbetriebs zu qualifizieren. Insofern ist der Flughafen Zürich schon heute sanierungspflichtig, unabhängig vom Ablauf der Sanierungsfrist für zivile Flugplätze (vgl.
Art. 17 Abs. 6 lit. b LSV
: Frist bis 31. Mai 2016).
5.2
Aussagen des UVB zum Fluglärm
Die Auswirkungen des vBR im Bereich Fluglärm wurden im Fachbericht Fluglärm des UVB untersucht. Darin wurde der Betriebszustand Zt+ (Flugbetrieb im Jahr 2010 gemäss vBR mit prognostizierten 350'000 Flugbewegungen jährlich) mit dem Ist-Zustand Z0 (Flugbetrieb im Jahr 2000 mit rund 326'000 Flugbewegungen) und dem Ausgangszustand Zt (hypothetischer Betriebszustand im Jahr 2010 bei unveränderter Luftraumstruktur, ohne DVO-Beschränkungen, mit 350'000 Bewegungen jährlich) verglichen. Der UVB wurde mit dem Bericht der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) Nr. 437'703-1 vom 22. März 2005 aktualisiert, unter Berücksichtigung der geänderten Flugspuren (Projektänderungsgesuch vom 27. Dezember 2004), der neuen Steigprofile für den Typ A340 und der Bevölkerungsdaten der Volkszählung 2000 für die Kantone Zürich und Schaffhausen.
5.2.1
Im Vergleich zum Ist-Zustand Z0 geht die Zahl der Personen, die von Lärmimmissionen über den Alarm- und den Immissionsgrenzwerten betroffen sind, sowohl im Ausgangszustand Zt als auch im Betriebszustand Zt+ zurück, obwohl mit einer Zunahme der Flugbewegungen von ca. 10 % gerechnet wird. Dieser Rückgang ist vor allem auf den Einsatz einer moderneren Flugzeugflotte zurückzuführen. Im Betriebszustand führt zudem die Ausweitung der Nachtflugsperre zu einer Abnahme der Zahl der Lärmbetroffenen während der zweiten und dritten Nachtstunde.
Vergleicht man dagegen den Betriebszustand mit dem Ausgangszustand, so nimmt die Zahl der Personen, bei denen die
BGE 137 II 58 S. 88
Immissionsgrenzwerte überschritten werden, im Betriebszustand deutlich zu. Die DVO-bedingte Umverteilung der Flugbewegungen in sensiblen Zeiten trifft teilweise dicht besiedelte Gebiete im Süden und Osten des Flughafens, die bislang nur bei starken Westwindlagen (Anflüge auf Piste 28) oder gar nicht (Anflüge auf Piste 34) vom zivilen Fluglärm betroffen waren. In diesen Gebieten werden die Lärmimmissionen in den Tagesrandstunden deutlich wahrnehmbar erhöht (vgl. im Einzelnen angefochtener Entscheid A-1936/2006 E. 39.6.1-39.6.4). Diese Umverteilung wirkt sich vor allem in der Nacht infolge der kurzen Beurteilungszeitspannen (Ein-Stunden-Leq; vgl. dazu unten E. 5.3.1) stark aus. Die von Immissionsgrenzwert-Überschreitungen betroffene Bevölkerung (Tag und Nacht kumuliert) nimmt daher beim Betriebszustand, im Vergleich zum Ausgangszustand, von rund 31'000 auf 46'350 Personen zu.
Das vBR sieht als wichtigste Massnahme zur Reduzierung des Fluglärms die Verlängerung der Nachtflugsperre auf sieben Stunden vor. Diese beginnt um 23.00 Uhr (bisher: 24.00 Uhr) mit Verspätungsabbau bis 23.30 Uhr (bisher: 00.30 Uhr) und endet um 06.00 Uhr morgens. Von dieser Verlängerung der Nachtruhe profitiert vor allem die Bevölkerung im Norden des Flughafens. Für alle anderen Gebiete rund um den Flughafen führt dagegen das vBR (trotz der verlängerten Nachtruhe) aufgrund der DVO-bedingten Lärmumverteilung zu einer Verschlechterung der Lärmsituation.
5.3
Überprüfung der Grenzwerte für Fluglärm
Das Bundesverwaltungsgericht prüfte vorfrageweise die Belastungsgrenzwerte für den Lärm ziviler Flugplätze gemäss Anhang 5 LSV.
5.3.1
Der Beurteilungspegel Lr für den Lärm des Gesamtverkehrs auf zivilen Flugplätzen, auf denen Grossflugzeuge verkehren, wird auf der Grundlage des energieäquivalenten Dauerschallpegels Leq ermittelt, der für den Tag über einen Zeitraum von 16 Stunden (06.00 bis 22.00 Uhr) gemittelt wird. Für die Nacht werden dagegen getrennte Berechnungen für die erste Nachtstunde (22.00 bis 23.00 Uhr), die zweite Nachtstunde (23.00 bis 24.00 Uhr) und die letzte Nachtstunde (05.00 bis 06.00 Uhr) vorgenommen (Ziff. 41 Abs. 1 Anhang 5 LSV), d.h. die Mittelung erfolgt für einen Zeitraum von je nur einer Stunde (sog. Ein-Stunden-Leq).
Die Belastungsgrenzwerte (für den Lärm des gesamten Verkehrs auf zivilen Flugplätzen, auf denen Grossflugzeuge verkehren) sind in Ziff. 22 Anhang 5 LSV wie folgt festgelegt:
BGE 137 II 58 S. 89
221 Belastungsgrenzwerte in Lrt für den Tag (06-22 Uhr)
Empfindlichkeitsstufe (Art. 43)
Planungswert
Immissionsgrenzwert
Alarmwert
Lrt in dB(A)
Lrt in dB(A)
Lrt in dB(A)
I
53
55
60
II
57
60
65
III
60
65
70
IV
65
70
75
222 Belastungsgrenzwerte in Lrn für die erste (22-23 Uhr), die zweite (23-24 Uhr) und die letzte Nachtstunde (05-06 Uhr)
Empfindlichkeitsstufe (Art. 43)
Planungswert
Immissionsgrenzwert
Alarmwert
Lrn in dB(A)
Lrn in dB(A)
Lrn in dB(A)
I
43
45
55
II
47/50
1
50/55
1
60/65
1
III
50
55
65
IV
55
60
70
1
Die höheren Werte gelten für die erste Nachtstunde (22-23 Uhr)
5.3.2
Zahlreiche Beschwerdeführer haben geltend gemacht, die Immissionsgrenzwerte für den Tag verstiessen gegen
Art. 15 USG
bzw. seien lückenhaft: Der für den Tagesflugbetrieb verwendete 16-Stunden-Leq bilde als Mittelungspegel nur die Störwirkung einer Dauerbelastung mit Fluglärm ab, nicht jedoch die Störwirkung einer hohen Intervallbelastung. Insbesondere schütze er nicht vor Aufwachreaktionen am frühen Morgen.
Das Bundesverwaltungsgericht holte zu dieser Frage mehrere Stellungnahmen der Eidgenössischen Kommission für Lärmbekämpfung (EKLB) ein. Diese kam in ihren Berichten vom 24. Mai 2006 und
BGE 137 II 58 S. 90
vom 28. September 2007 zum Schluss, es gebe keine hinreichend gefestigten wissenschaftlichen Erkenntnisse, um eine störungsgerechte Beurteilung auf andere Grundlagen zu stützen als auf Anhang 5 LSV. Diese Auffassung wurde vom BAFU geteilt.
Im ergänzenden Fachbericht vom 4. September 2009 kam die EKLB dagegen - gestützt auf die (noch nicht veröffentlichte) Vorstudie "Überprüfung der IGW für Lärm" vom 12. August 2009 - zum Ergebnis, aufgrund zahlreicher wissenschaftlicher Hinweise bestehe der Verdacht, dass die Immissionsgrenzwerte für Lärm in ihrer heutigen Form und Höhe den Schutz der Bevölkerung vor lästigem und schädlichem Lärm nicht mehr ausreichend sicherstellen könnten. Das EKLB empfehle daher dem BAFU, die empirischen Grundlagen zur Lärmwirkung auf die Schweizer Bevölkerung zu aktualisieren und gestützt darauf die Immissionsgrenzwerte einer Überprüfung zu unterziehen sowie anschliessend gegebenenfalls dem UVEK Empfehlungen für deren Neufestsetzung zu unterbreiten. Ob solche Neufestsetzungen erforderlich seien und in welche Richtung sie gehen könnten, lasse sich aber heute noch nicht sagen. Der Zeithorizont bis zum Vorliegen neuer Erkenntnisse in diesem Bereich betrage mit Sicherheit mehr als fünf Jahre, weil die erforderlichen empirischen Untersuchungen aufwendig seien und bedeutende Geldmittel voraussetzen würden. Die EKLB erachte die heute geltenden Immissionsgrenzwerte jedenfalls zurzeit nach wie vor als korrekt, um die Störwirkungen des Lärms sachgerecht beurteilen zu können.
Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, angesichts dieser Beurteilungen der massgeblichen Fachbehörden EKLB und BAFU habe es keinerlei Spielraum, heute zu einer anderen Einschätzung zu gelangen. Die von den Beschwerdeführern ins Feld geführten Erkenntnisse neuerer Studien seien noch zu wenig fundiert und zu wenig breit abgestützt, um bereits als massgeblich im Sinne des Standes der Wissenschaft oder der Erfahrung anerkannt werden zu können. Soweit sich aufgrund weiterer Untersuchungen der Stand der Wissenschaft oder der Erfahrung mit der Zeit effektiv ändern würde, sei es Aufgabe der entsprechenden Fachbehörden (EKLB, BAFU) sowie der zuständigen Aufsichtsbehörden (UVEK, BAZL), Änderungen der LSV vorzuschlagen und in die Wege zu leiten.
5.3.3
Die Stadt Zürich, die Stadt Winterthur und die Gemeinde Bassersdorf und Mitbeteiligte halten die geltenden Grenzwerte für Fluglärm am Tag für gesetzeswidrig. Der energieäquivalente
BGE 137 II 58 S. 91
Dauerschallpegel Leq, der über 16 Stunden gemittelt werde, werde der geballten Fluglärmbelastung zu den Tagesrandstunden nicht gerecht. Damit werde die Betroffenheit der Bevölkerung chronisch unterbewertet.
Die Stadt Zürich macht geltend, dass beispielsweise in Schwamendingen aufgrund der Südanflüge Immissionen zwischen 65 und 83 dB(A) pro Ereignis, vereinzelt sogar bis 90 dB(A), gemessen werden. Die kritische Grenze für Schlafbeeinträchtigung liege jedoch bei einem Maximalpegel (Lmax) von 50 dB(A) pro Überflug im Rauminnern. Jeden Tag um 06.00 Uhr durch Fluglärm aus dem Schlaf gerissen zu werden, sei keine Bagatelle, sondern eine ernst zu nehmende Beeinträchtigung des Wohlbefindens, wenn nicht gar der Gesundheit. Der jeden Morgen auftretende intensive Lärm durch die Öffnung von Piste 34 als Landepiste komme jedoch in den Lärmberechnungen kaum zum Vorschein. Es lägen somit massgebliche Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse vor, dass die aktuellen Tageslärmgrenzwerte die betroffenen Personen ungenügend vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen schützten.
Die beschwerdeführenden Gemeinden halten die Argumentation der EKLB für nicht nachvollziehbar. Der blosse Umstand, dass die Fachbehörden noch nicht wüssten, wie die Grenzwerte sachgerechter festzulegen seien, dürfe nicht dazu führen, die bisherige Ordnung als gesetzmässig zu erklären. Im Übrigen liege es nahe, in Anlehnung an die Regelung für die Nacht, einen Ein-Stunden-Leq für die Zeit von 06.00 bis 07.00 Uhr einzuführen, weil die zahlenmässige Begrenzung lauter Einzelschallereignisse am frühen Morgen mindestens genauso wichtig sei wie in der Nacht. Wissenschaftliche Studien hätten ergeben, dass der Schlaf in der Zeit von 06.00 bis 07.00 Uhr sogar besonders anfällig sei für Störungen durch Fluglärm. Bei korrekter Festlegung der Grenzwerte wäre ein wesentlich grösserer Anteil der Bevölkerung von Immissionsgrenzwert-Überschreitungen durch den Betrieb des Flughafens betroffen, als dies im UVB zum vBR ausgewiesen werde.
5.3.4
Der Einfluss von abendlichem und morgendlichem Fluglärm auf Belästigung, Befindlichkeit und Schlafqualität von Flughafenanwohnern wurde in der Lärmstudie 2000 der ETH Zürich (BRINK/ROMETSCH/WIRTH/SCHIERZ, 2007; im Folgenden: Lärmstudie) in einem umfangreichen Feldversuch untersucht. Dies erfolgte einerseits anhand der von den Versuchspersonen selbst wahrgenommenen
BGE 137 II 58 S. 92
Beeinträchtigung des Schlafs, andererseits anhand objektiver Parameter (körperliche Bewegungsintensität; Herzratendynamik).
Die Studie kommt zum Ergebnis, dass Fluglärm am Morgen belästigender wirke und zu mehr selbstberichteten erinnerten Aufwachreaktionen führe als Fluglärm am Abend. Im Mittel erwachten die Versuchspersonen bei Fluglärm am Morgen in jeder Nacht ein zusätzliches Mal, bei Fluglärm am Abend dagegen nur in jeder zweiten Nacht. Die Auswertungen der physiologischen Daten lege nahe, dass der Schlaf zwischen 05.30 und 07.00 Uhr morgens bei Personen mit einem normalen Schlaf-Wach-Rhythmus speziell anfällig sei für Störungen durch Flugzeuggeräusche. Während die Versuchspersonen im Durchschnitt nur in 7 % der lärmlosen Nächte einmal erinnerbar spontan aufgewacht seien, sei dies bei Beschallung am Morgen mit der leisesten Pegelhäufigkeitskombination (8 Überflüge bei Lmax = 50 dB[A] am Ohr des Schläfers) in 48 % und bei der lautesten Pegelhäufigkeitskombination (16 Überflüge bei Lmax = 60 dB[A]) in 79 % der Nächte geschehen. Der Vergleich des Einflusses von Pegel und Häufigkeit zeige, dass am Morgen die Erhöhung des Pegels von 50 auf 60 dB(A) einen stärkeren Einfluss auf die Belästigung gehabt habe als die Erhöhung der Anzahl von 8 auf 16 Überflüge. Am Abend hingegen habe die Erhöhung des Maximalschallpegels zur selben Belästigungszunahme wie die Erhöhung der Anzahl Überflüge geführt (Lärmstudie, a.a.O., Schlussfolgerungen S. 155 ff.).
Eine weitere Erkenntnis der Feldstudie war, dass die Geräuschcharakteristik, insbesondere die Pegelanstiegssteilheit, für die Vorhersage von Schlafstörungen bedeutsam sein könne. So verursachten Geräusche von landenden Flugzeugen (wie sie direkt unter der Anflugschneise wahrgenommen werden) bei gleichem Maximalpegel stärkere physiologische Reaktionen als Geräusche von startenden Maschinen, deren Schallabstrahlung zwar sehr gross ist, deren Schallleistung sich aber durch den schnellen Steigflug schneller auf eine grössere Bodenfläche verteilt und deshalb einen regelmässigeren Pegelverlauf ergibt. Die Autoren der Studie vermuten daher, dass Personen, die dem Lärm von landenden Flugzeugen direkt unterhalb der Anflugschneise ausgesetzt sind, eine besonders kritische Gruppe von Immissionsempfängern darstellen, da die im Anflug sehr tief fliegenden Flugzeuge eine zwar kurz dauernde, dafür aber steilflankige, hochpegelige Lärmimmission verursachen. Ein ausreichender Beleg
BGE 137 II 58 S. 93
hierfür stehe allerdings noch aus und erfordere weitere Untersuchungen (Lärmstudie, a.a.O., S. 160 f.).
5.3.5
Für die Beurteilung der schädlichen oder lästigen Einwirkungen legt der Bundesrat durch Verordnung Immissionsgrenzwerte fest (
Art. 13 Abs. 1 USG
). Er berücksichtigt dabei auch die Wirkungen der Immissionen auf Personengruppen mit erhöhter Empfindlichkeit, wie Kinder, Kranke, Betagte und Schwangere (
Art. 13 Abs. 2 USG
). Die Immissionsgrenzwerte für Lärm sind so festzulegen, dass nach dem Stand der Wissenschaft oder der Erfahrung Immissionen unterhalb dieser Werte die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören (
Art. 15 USG
). Die Immissionsgrenzwerte sind unabhängig von der technischen Realisierbarkeit und wirtschaftlichen Tragbarkeit derart zu bestimmen, dass ein ausreichender Schutz des Menschen und seiner Umwelt gewährleistet wird (Botschaft des Bundesrats vom 31. Oktober 1979 zu einem Bundesgesetz über den Umweltschutz, BBl 1979 III 793 zu Art. 11). Gesichtspunkte ausserhalb des Schutzziels von
Art. 15 USG
, wie wirtschaftliche oder raumplanerische Anliegen, haben ausser Acht zu bleiben (
BGE 126 II 522
E. 42 S. 575 mit Literaturhinweisen).
Die geltenden Fluglärm-Grenzwerte gemäss Anhang 5 LSV beruhen auf dem Bericht der Kommission für die Beurteilung von Lärmimmissionsgrenzwerten "Belastungsgrenzwerte für den Lärm von Landesflughäfen" aus dem Jahre 1997 (Schriftenreihe Umwelt Nr. 296, BUWAL 1998). Gestützt auf die "Lärmstudie 90" sowie auf Untersuchungen und Berichte ausländischer Wissenschaftler empfahl die Kommission, als Belastungsmass den Beurteilungspegel Lr auf der Grundlage des Mittelungspegels Leq zu übernehmen. Die Beurteilung der Nachtbetriebsstunden (22.00 bis 23.00, 23.00 bis 24.00 und 05.00 bis 06.00 Uhr) sei dagegen nach anderen Kriterien vorzunehmen. Als richtungsweisend für die Grenzwertfestsetzung erachtete die Kommission damals wissenschaftliche Untersuchungen, nach welchen die kritische Aufwachschwelle bei 60 dB(A) am Ohr der schlafenden Person liege. Mit zunehmender Höhe und Häufigkeit dieser Schwelle wachse die Zahl der Personen, die durch solche Ereignisse aufgeweckt werden. Da die Begrenzung eines maximalen Spitzenpegels in der Praxis kaum kontrollierbar sei, wurde die Einführung eines Ein-Stunden-Leq vorgeschlagen. Durch die Verkürzung der Bezugszeit auf eine Stunde werde erreicht, dass der Spitzenpegel in ausreichendem Ausmass berücksichtigt werde und
BGE 137 II 58 S. 94
zugleich die stündliche Lärmdosis begrenzt bleibe. Die Kommission schlug vor, den Grenzwert für die ES II für die erste Nachtstunde (22.00 bis 23.00 Uhr) um 5 dB(A) anzuheben, um eine Dominanz dieser Stunde bezüglich der raumplanerischen Nutzungsbeschränkungen in den lärmbetroffenen Gebieten zu vermeiden. Zum Schutz einer ausreichend langen und ununterbrochenen Nachtruhe (zwischen 23.00 und 06.00 Uhr) sei hingegen für die übrigen Randstunden ein Immissionsgrenzwert von 50 dB(A) festzusetzen.
Die vom Bundesrat am 12. April 2000 festgelegten, vom Kommissionsentwurf abweichenden höheren Grenzwerte für Fluglärm wurden vom Bundesgericht für gesetzeswidrig erklärt (
BGE 126 II 522
E. 41-46 S. 573-590). Schon damals äusserte das Bundesgericht Zweifel, ob die Störwirkung des Fluglärms
allein
mit dem energieäquivalenten Dauerschallpegel Leq erfasst werden könne (E. 45a/bb S. 587). Jedenfalls für die Nacht müssten die Immissionsgrenzwerte anhand der kritischen Schwelle der Aufwachreaktionen festgelegt werden, wobei neben dem Maximalpegel auch die Anzahl der Schallereignisse eine Rolle spiele. Eine solche Begrenzung bewirke grundsätzlich der von der Kommission für die Nachtzeit empfohlene Ein- Stunden-Leq (E. 45b S. 587 f.).
Die aufgrund des bundesgerichtlichen Urteils korrigierte heutige Fassung von Anhang 5 LSV sieht die Beurteilung mittels Ein-Stunden-Leq nur für die Nacht, d.h. für die Zeit zwischen 22.00 und 06.00 Uhr vor, und schützt damit nicht vor Aufwachreaktionen in der Zeit vor 22.00 Uhr (insbesondere bei Kindern) und nach 06.00 Uhr. In der ersten Morgenstunde (06.00 bis 07.00 Uhr) ist die Mehrheit der Bevölkerung noch nicht aufgestanden (vgl. Lärmstudie, a.a.O., S. 35); an Wochenenden und Feiertagen liegt dieser Anteil noch höher. Die Resultate der Lärmstudie legen nahe, dass der Schlaf in den frühen Morgenstunden speziell anfällig ist für Störungen durch Fluglärm.
Zwar korrespondiert der über 16 Stunden gemittelte Leq im Allgemeinen gut mit der Wahrscheinlichkeit einer starken Störung (vgl. EGGENSCHWILER/HEUTSCHI/WUNDERLI/EMRICH/BÜTIKOFER, Lärmbekämpfung, 2010, S. 229 Abb. 11.9). Konzentriert sich jedoch der Fluglärm auf eine kurze Zeitspanne zu einer besonders sensiblen Tageszeit, schlägt sich dies im 16-Stunden-Leq nicht nieder, obwohl der Lärm lästig und - insbesondere bei Aufwachreaktionen - sogar schädlich sein kann. Dies ist namentlich bei den Südanflügen auf Piste 34 und
BGE 137 II 58 S. 95
den Ostanflügen auf Piste 28 der Fall, die fast ausschliesslich zu den morgendlichen bzw. abendlichen DVO-Sperrzeiten erfolgen (Südanflüge von 06.00 bis 07.00 Uhr werktags und 06.00 bis 09.00 Uhr an Wochenenden und Feiertagen; Ostanflüge ab 21.00 Uhr werktags bzw. ab 20.00 Uhr an Wochenenden). Insofern erscheinen die geltenden Grenzwerte ergänzungsbedürftig.
Allerdings steht nach den Ausführungen der EKLB und des BAFU noch nicht fest, wie die Grenzwerte für Fluglärm gemäss Anhang 5 LSV ergänzt oder geändert werden müssen, um den Anforderungen von
Art. 13 ff. USG
gerecht zu werden. Hierfür sind offenbar weitere Untersuchungen nötig. Es lässt sich insbesondere noch nicht absehen, ob weitere Ein-Stunden-Leq einzuführen oder ob andere Belastungsmasse vorzuziehen sind. Denkbar ist auch, dass neben (oder anstelle von) physikalischen Belastungsgrössen wirkungsbezogene Lärmindizes (nach dem Vorbild des Zürcher Fluglärmindex) zur Anwendung kommen. Es wird Sache der Fachbehörden des Bundes sein, die notwendigen Abklärungen zu veranlassen und dem Bundesrat einen Vorschlag für die Anpassung bzw. Ergänzung der LSV zu unterbreiten.
Für das vorliegende Verfahren ist davon auszugehen, dass insbesondere Personen, die unter der Anflugschneise von Piste 34 und Piste 28 wohnen, durch frühmorgendlichen bzw. abendlichen Fluglärm in ihrem Wohlbefinden zum Teil erheblich gestört werden, selbst wenn der 16-Stunden-Leq die nach Anhang 5 LSV massgeblichen Immissionsgrenzwerte für die Tageszeit nicht überschreitet. Immerhin führen die abendlichen Ostanflüge zu weiträumigen Immissionsgrenzwert-Überschreitungen während der ersten Nachtstunde und werden insoweit in der umhüllenden Grenzwertkurve (Tag und Nacht) berücksichtigt. Dagegen ist dies für die frühmorgendlichen Südanflüge nicht der Fall. Der Anteil der durch Fluglärm gestörten Bevölkerung ist daher, vor allem im Süden des Flughafens, grösser, als dies im UVB Fachbericht Fluglärm und den ergänzenden EMPA-Berichten zum Ausdruck kommt.
Dies führt nicht ohne Weiteres zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids und zur Nichtgenehmigung des vBR (so schon
BGE 126 II 522
E. 46 S. 590 zur damals streitigen Baukonzession). Vielmehr ist dieser Umstand bei der Prüfung weiterer Sanierungsmassnahmen (unten E. 6) sowie bei den für die Erteilung von Erleichterungen gebotenen Schallschutzmassnahmen (unten E. 7) zu berücksichtigen.
BGE 137 II 58 S. 96
6.
Zusätzliche Sanierungsmassnahmen
Das Bundesverwaltungsgericht hob gewisse Bestimmungen des vBR auf, die zu einer Kapazitätserhöhung geführt hätten (vgl. oben E. 4). Ausserdem verstärkte es den Schutz der Nachtruhe, indem es die Ausnahmen für nächtliche Post- und Messflüge aufhob und das Startverbot für Charterabflüge ab 22.00 Uhr wieder einführte (vgl. dazu nicht publ. E. 8 und 9). Dagegen hielt es weitere Sanierungsmassnahmen für unverhältnismässig, da diese den Betrieb und namentlich die Funktion des Flughafens Zürich als grosse europäische Drehscheibe des Weltluftverkehrs in unzumutbarer Weise beschränken würden.
Zahlreiche Beschwerdeführer sind dagegen der Auffassung, dass weitere Massnahmen zur Beschränkung des Fluglärms zumutbar und geboten sind. Beantragt werden eine weitere Ausdehnung der Nachtruhe (E. 6.1), die Plafonierung der Flugbewegungen in der Nacht (E. 6.2) bzw. der Gesamtflugbewegungen (E. 6.3), eine Einschränkung der Südanflüge (E. 6.4), die Wiedereinführung einer festen Pistenrangordnung für Starts, namentlich zur Beschränkung von Starts ab den Pisten 10 und 16 (E. 6.5), die Anordnung flughafeneigener Lärmindizes für Abflüge in der Nachtzeit (E. 6.6), die Einführung bzw. Erhöhung lenkungswirksamer Umweltabgaben (E. 6.7) sowie weitere Betriebsvorschriften (E. 6.8 ff.).
Gemäss
Art. 17 Abs. 1 und
Art. 25 Abs. 2 USG
können Erleichterungen erteilt werden, wenn die Sanierung unverhältnismässig wäre bzw. die Einhaltung der einschlägigen Grenzwerte zu einer unverhältnismässigen Belastung für das Projekt führen würde. Dabei muss ein angemessener Ausgleich(
juste équilibre
) zwischen den Interessen der von Fluglärm betroffenen Anwohner und den wirtschaftlichen Interessen des Landes gefunden werden (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
Hatton
gegen Vereinigtes Königreich
vom 8. Juli 2003 §§ 119 ff.).
Handelt es sich um den Betrieb eines Landesflughafens, müssen bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von weiteren Betriebseinschränkungen die Ziele und Vorgaben des Sachplans Infrastruktur Luft beachtet werden. Da das SIL-Objektblatt für den Flughafen Zürich noch nicht vorliegt, orientierte sich das Bundesverwaltungsgericht zu Recht an den Festlegungen und Grundsätzen des allgemeinen Teils des SIL.
Nach dessen konzeptionellen Zielen und Vorgaben (SIL Teil IIIB1-B7 - 2/3) sind die Landesflughäfen die nationalen Drehscheiben des
BGE 137 II 58 S. 97
internationalen Luftverkehrs, wobei der Flughafen Zürich seine Rolle als eine der grossen europäischen Drehscheiben des Weltluftverkehrs wahrnehmen können soll (Grundsatz 2). Die Landesflughäfen sollen eine ihrer Funktion entsprechende leistungsfähige Infrastruktur anbieten (Grundsatz 5). Bei verbleibenden übermässigen Lärmimmissionen sind die gesetzlich vorgesehenen Ersatzmassnahmen zu treffen bzw. gegebenenfalls Entschädigungszahlungen zu leisten (Grundsatz 6). Hinsichtlich der effizienten Nutzung der Luftfahrtinfrastruktur (SIL IIIB - 4 Grundsatz 6) hält der SIL für die Landesflughäfen fest, dass diese der Luftverkehrsnachfrage folgend entwickelt werden können, auch wenn im Interesse der ökonomischen und sozialen Dimension der Mobilität in Kauf genommen werden muss, dass in der Umgebung dieser Anlagen die Belastungsgrenzwerte für den Fluglärm nicht überall eingehalten werden können. Im Lichte der Luftfahrtpolitik des Bundes und der Ergebnisse des Koordinationsprozesses für das SIL-Objektblatt Flughafen Zürich soll dieser Grundsatz dahingehend präzisiert werden, dass die Landesflughäfen nicht unbeschränkt der Luftverkehrsnachfrage folgend entwickelt werden können, sondern nur soweit dies mit den Grundsätzen der Nachhaltigkeit in Einklang steht (Entwurf vom 16. August 2010; vgl. oben E. 3.3.4).
6.1
Verlängerung der Nachtruhe
Die Stadt Zürich beantragt, die Nachtruhe sei um eine weitere Stunde auszudehnen, d.h. ab 22.00 Uhr seien keine Starts und Landungen des gewerbsmässigen Verkehrs zu planen und verspätete Starts und Landungen seien nur bis 22.30 Uhr zuzulassen. Südanflüge seien bereits ab 21.00 und bis 06.30 Uhr zu untersagen.
Die Stadt Winterthur und die Gemeinde Bassersdorf und Mitbeteiligte verlangen eine Nachtsperrzeit von acht Stunden, von 22.00 bis 06.00 Uhr, wobei auch der Verspätungsabbau ausserhalb dieser Zeit erfolgen müsse. Eventualiter seien die Nachtflüge inklusive Verspätungsabbau in der 2. Nachtstunde zu verbieten. In der Begründung dieses Begehrens halten die Beschwerdeführerinnen auch daran fest, dass die Vorinstanz die Hubklausel zu Unrecht nicht genehmigt habe. Allerdings haben sie keinen entsprechenden Beschwerdeantrag formuliert. Insofern ist die Hubklausel im Folgenden nicht gesondert zu prüfen.
6.1.1
Das Bundesverwaltungsgericht hielt das Bedürfnis der Anwohner nach einer ungestörten Nachtruhe für klar ausgewiesen; die entsprechenden Interessen der Beschwerdeführenden an zusätzlichen
BGE 137 II 58 S. 98
Ausdehnungen der Nachtflugsperre seien als sehr gewichtig einzuschätzen, weshalb der Nachtflugbetrieb im Rahmen der Interessenabwägung auch besonders kritisch zu prüfen sei. Dennoch gelangte das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die wirtschaftlichen Interessen der Flughafen Zürich AG und der SWISS sowie die verkehrs- und volkswirtschaftlichen Interessen der Schweiz die Lärmschutzinteressen der beschwerdeführenden Anwohner und Gemeinwesen an einer längeren Nachtruhe überwiegen.
Es ging davon aus, dass ein Drehkreuzbetrieb am Flughafen Zürich, wie er im SIL vorgeschrieben sei und vom Bundesrat im Bericht vom 10. Dezember 2004 über die Luftfahrtpolitik der Schweiz 2004 (BBl 2005 1781) erwartet werde, über eine minimale zusammenhängende Betriebszeit sichergestellt werden müsse. Ein solcher Hub-Betrieb entspreche offensichtlich den allgemeinen verkehrs- und volkswirtschaftlichen Interessen (Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz, hohe Anzahl Arbeitsplätze) beim grössten und wichtigsten Landesflughafen, welcher zugleich der einzige wirkliche Interkontinentalflughafen der Schweiz sei. Den Langstreckenflügen vor allem der SWISS, welche sehr zahlreich am Morgen zwischen 06.00 bis 07.00 Uhr eintreffen sowie (immer noch häufig) am Abend zwischen 22.00 und 23.00 Uhr abfliegen, komme dabei besondere Bedeutung zu, da sie die auch von den zuständigen Behörden geforderte interkontinentale Anbindung der Schweiz in der Zivilluftfahrt sicherstellten. Diese Langstreckenflüge könnten nicht einfach verschoben werden; vielmehr würde dies das sehr komplexe Rotations- bzw. Wellensystem der SWISS entscheidend durcheinanderbringen und in gewissem Mass sogar verunmöglichen. So könnten die zahlreichen Europaflüge der ersten Welle, welche auf die Umsteigepassagiere der ankommenden Langstreckenflüge angewiesen seien, wegen der Fluggewohnheiten vor allem der Geschäftsleute nicht einfach vom Zeitraum zwischen 07.00 und 08.00 Uhr auf später verschoben werden. Die eintreffenden Langstreckenflüge am frühen Morgen wiederum müssten auf die Abflüge der Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge abgestimmt werden, weil beim regelmässigen Verpassen des Anschlusses in Zürich die Passagiere sonst einen anderen Hub wählen würden und somit verschiedene Langstreckenflüge eingestellt werden müssten. Gleiches würde infolge der (wegen den verlangten Verschiebungen) unattraktiveren Flugzeiten für die Passagiere drohen.
Ins Gewicht falle auch, dass der Flughafen Zürich im europäischen Vergleich der Hubs bereits eine der strengsten - wenn nicht die
BGE 137 II 58 S. 99
strengste - Nachtflugordnung habe. Längere Nachtruhezeiten limitierten auch die Nutzung des teuren Produktionsmittels "Flugzeug", womit der SWISS und allen von Zürich aus operierenden Fluggesellschaften im europäischen Wettbewerb schlechtere Rahmenbedingungen zur Verfügung stünden. Eine weitere Ausdehnung der Nachtflugsperre sei somit weder mit den Anforderungen an einen Drehkreuzbetrieb am Flughafen Zürich noch mit den Wettbewerbsbedingungen für eine interkontinental tätige Netzwerkgesellschaft wie die SWISS vereinbar, weswegen solche Massnahmen heute unzumutbar und damit unverhältnismässig seien.
6.1.2
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich sehr detailliert und in überzeugender Weise mit den Konsequenzen einer weiteren Ausdehnung der Nachtruhe auseinandergesetzt; für die Einzelheiten kann auf seine diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden (E. 40 ff. des angefochtenen Entscheids A-1936/2006). Daraus ergibt sich, dass eine weitere Ausdehnung der Nachtruhe die Drehkreuzfunktion des Flughafens Zürich gefährden würde, weil insbesondere die Langstreckenflüge auf die An- und Abflugzeiten in der Nacht bzw. den frühen Morgenstunden angewiesen sind. Dies gilt insbesondere auch für die Zeit von 06.00 bis 06.30 Uhr morgens, in der eine Einschränkung bzw. Einstellung des Flugbetriebs aus schlafphysiologischer Sicht besonders wünschenswert wäre (vgl. Lärmstudie, a.a.O., S. 162).
Mit dem Bundesverwaltungsgericht ist deshalb davon auszugehen, dass es Sache der zuständigen Planungsbehörden im SIL-Verfahren ist, abzuwägen, ob sie im Interesse eines verbesserten Schutzes der Nachtruhe der Anwohner eine Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen für den Flughafen Zürich und für die dort beheimateten Fluggesellschaften (namentlich die SWISS) im interkontinentalen Flugverkehr in Kauf nehmen wollen. Dagegen können derartige Massnahmen nicht schon heute im vBR angeordnet werden.
6.2
Plafonierung der Nachtflugbewegungen
Die Gemeinde Rümlang, der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich (SBFZ), die Gemeinde Altendorf sowie der Hauseigentümerverband Dübendorf & Oberes Glatttal und Mitbeteiligte verlangen eine Plafonierung der Nachtflugbewegungen bei 5'000 pro Jahr. Die Stadt Winterthur und die Gemeinde Bassersdorf und Mitbeteiligte beantragen ihrerseits einen Plafond von 4'500 Bewegungen pro Jahr in der ersten Nachtstunde.
BGE 137 II 58 S. 100
6.2.1
Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, dass es gestützt auf
Art. 12 Abs. 1 lit. c USG
grundsätzlich denkbar sei, Bewegungs- bzw. Nachtflugbeschränkungen als Verkehrsvorschriften zur Emissionsbegrenzung zu verfügen. Gemäss Fachbericht Fluglärm seien im Betriebszustand (hochgerechnet auf das Jahr 2010) für die erste Nachtstunde gut 9'100 Starts und Landungen vorgesehen. In der zweiten Nachtstunde seien es insgesamt noch rund 200 Flugbewegungen aus dem Verspätungsabbau. Bereits im Jahr 2007 sei die Anzahl von 9'066 Nachtflugbewegungen erreicht worden. Gemäss dem Bericht zum Zürcher Fluglärmindex (ZFI) für das Jahr 2007 nahmen die Flugbewegungen in den Nachtstunden gegenüber dem Jahr 2006 überproportional, um ca. 14,7 %, zu. Im Jahr 2008 betrug die Zunahme 237 Flugbewegungen bzw. 2,6 %.
Das Bundesverwaltungsgericht hielt jedoch die Eignung bzw. die Tauglichkeit eines Bewegungsplafonds für einzelne Nachtstunden für zweifelhaft. Eine solche Begrenzung könne die in der Nacht unerwünschten Aufwachreaktionen grundsätzlich nicht verhindern. Dazu käme die grosse Herausforderung, nach welchen Kriterien die Begrenzung praktisch umgesetzt werden könne, ohne einzelne Fluggesellschaften zu diskriminieren.
Entscheidend sei aber letztlich auch hier die Frage der Zumutbarkeit: Die verlangten Bewegungsbeschränkungen von maximal 5'000 Starts und Landungen (oder noch weniger) in der Nacht bzw. für die erste Nachtstunde kämen einer Halbierung der heute tatsächlich stattfindenden Nachtflüge gleich. Eine solche massive Eingrenzung des Nachtflugbetriebs sei mit dem Drehkreuzbetrieb des Flughafens Zürich und dem dazugehörigen Rotations- bzw. Wellensystem der SWISS nicht vereinbar. Es könne kein Zweifel bestehen, dass mit den verlangten starken Einschränkungen ein Drehkreuzbetrieb am Flughafen Zürich nicht mehr im erforderlichen Mass aufrechtzuerhalten sei.
6.2.2
Auch diesen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts ist zu folgen. Ein solcher Plafond würde überdies den zur Einhaltung der Nachtflugsperre erforderlichen Verspätungsabbau vor 23.30 Uhr erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen. Auch diese Massnahme ist wegen ihrer Konsequenzen für die Wettbewerbsfähigkeit des Flughafens Zürich und dessen Drehkreuzfunktion dem Sachplanungsverfahren vorzubehalten.
(...)
BGE 137 II 58 S. 101
6.3
Plafonierung der gesamten Flugbewegungen
Die von der Stadt Winterthur und der Gemeinde Bassersdorf und Mitbeteiligten verlangte Plafonierung der gesamten Flugbewegungen auf maximal 320'000 pro Jahr erscheint jedenfalls zurzeit weder geeignet noch erforderlich, um die Fluglärmemissionen des Flughafens Zürich zu begrenzen. Hierfür kann auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid (E. 47.4) verwiesen werden. Danach sanken die Bewegungszahlen auf dem Flughafen Zürich nach dem Einbruch des Weltluftverkehrs ab Herbst 2001 und dem Zusammenbruch der Swissair von rund 326'000 (auf dem Höhepunkt des Jahres 2000) auf rund 261'000 Flugbewegungen (im Jahre 2006). Seither ist nur eine langsame Aufwärtsentwicklung in Gang gekommen. Im Jahr 2008 fanden rund 275'000 Flugbewegungen statt; 2009 waren es rund 262'200.
Ergänzend ist auf § 3 Abs. 3 des Zürcher Flughafengesetzes vom 12. Juli 1999 (LS 748.1) hinzuweisen. Sobald 320'000 Flugbewegungen pro Jahr erreicht sind, muss der Kantonsrat auf Antrag des Regierungsrats Beschluss darüber fassen, ob der Staat auf eine Bewegungsbeschränkung hinwirken soll. Der Beschluss des Kantonsrats untersteht dem fakultativen Referendum. Insofern ist gesetzlich gewährleistet, dass über die Plafonierungsfrage entschieden wird und abgestimmt werden kann, sobald die Zahl von 320'000 Flugbewegungen pro Jahr erreicht ist.
6.4
Einschränkung der Südanflüge
Zahlreiche Beschwerdeführer verlangen eine Einschränkung der Südanflüge: Diese seien auf das absolut notwendige Mass zu beschränken, d.h. auf Fälle, in denen der Anflug auf Piste 28 aus technischen oder meteorologischen Gründen nicht möglich ist. Nur in diesem Umfang seien Südanflüge aus Sicherheitsgründen bzw. zum Ausgleich DVO-bedingter Kapazitätsverluste notwendig und daher auch ohne SIL-Objektblatt zulässig. Die im vBR vorgesehene Priorität von Südanflügen am frühen Morgen verletze überdies umweltrechtliche Prinzipien, namentlich das Nachhaltigkeitsprinzip und das Konzentrationsgebot.
Die Stadt Zürich beantragt, Südanflüge seien erst ab 06.30 Uhr zuzulassen, um den Anwohnern täglich eine halbe Stunde mehr ungestörten Schlaf zuzugestehen. Mit dem Wechsel von Nord- auf Südanflüge habe sich die Landekapazität in der ersten Morgenstunde von 20 auf 28 mögliche Bewegungen erhöht; gemäss aktuellem
BGE 137 II 58 S. 102
Flugplan seien nur 14 bis 15 Landungen geplant. Zudem stehe in der Folgestunde Kapazität für den Verspätungsabbau frei.
Die Stadt Zürich fordert überdies einen Verzicht auf Südanflüge ab 21.00 Uhr. Die wenigen Flüge, die wegen Nichtbenutzbarkeit von Piste 28 am Abend ausfallen müssten, habe der Flughafen hinzunehmen. Sie kritisiert, dass der Flughafen die Langstreckenflüge nach 22.00 Uhr massiv ausgebaut habe, ausgerechnet in der Zeit, in welcher Piste 28 als prioritäre Landepiste zur Verfügung stehe. Gerade für Langstreckenflugzeuge könne die Piste 28 jedoch zu kurz sein, mit der Folge, dass auf Piste 34 ausgewichen werden müsse. Mit diesem Vorgehen drohe der Flughafen, die eigentlich vorgesehene Ordnung (Landungen am Morgen aus Süden, am Abend und in der Nacht aus Osten) über den Haufen zu werfen.
6.4.1
Gemäss der Tabelle zur Pistenbenützung (Ziff. 1.2 Abs. 1 vBR-Verfügung, in der vom Bundesverwaltungsgericht modifizierten Fassung) erfolgen Landungen in der Zeit von 06.00 bis 07.00 Uhr (alle Tage) sowie von 07.00 bis 09.00 Uhr (an Wochenenden und Feiertagen) bei Einschränkung durch die DVO auf "Piste 34, evtl. Piste 28". Am Abend (alle Tage ab 21.00 sowie ab 20.00 Uhr an Wochenenden und Feiertagen) erfolgen die Landungen bei Einschränkung durch die DVO dagegen auf "Piste 28, evtl. Piste 34".
Nach dem oben (E. 4.1) Gesagten steht fest, dass auf Südanflüge während der DVO-Sperrzeiten nicht verzichtet werden kann. Näher zu prüfen ist jedoch, ob es nicht genügen würde, prioritär Ostanflüge durchzuführen und Südanflüge nur ausnahmsweise bei schweren Langstreckenflugzeugen und schwierigen Sicht-, Wetter- und Pistenverhältnissen oder auf ausdrücklichen Wunsch des Piloten zuzulassen. Die Beschwerdeführer weisen darauf hin, dass die Piste 28 sogar nach Auffassung der Flughafen Zürich AG in mindestens 75 % aller Fälle verfügbar sei.
6.4.2
Die diesbezüglichen Eventualanträge (insb. des VSFN) wurden vom Bundesverwaltungsgericht behandelt (vgl. E. 44, insb. E. 44.4 und 44.5 S. 333 f. des angefochtenen Entscheids A-1936/2006). Die Rechtsverweigerungsrüge des VSFN ist somit unbegründet.
6.4.3
Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, dass aus Sicherheitsgründen kein Raum für eine starre Regelung der nur ausnahmsweisen Benützung von Piste 28 anstelle von Piste 34 bestehe (E. 44.4 S. 334). Es betonte, dass es letztlich die einzelnen Piloten
BGE 137 II 58 S. 103
seien, die während des Anflugs auf den Flughafen unter den konkreten Wetterbedingungen die Freigabe der deutlich längeren Piste 34 anstelle der Piste 28 verlangen könnten und dies in der Praxis auch täten.
Schon im Zwischenentscheid vom 24. Oktober 2003 hatte die REKO UVEK die Forderung nach Einschränkung der Südanflüge auf bestimmte Linienflüge, besonders schwere Flugzeugtypen oder auf eigentliche Notsituationen abgewiesen. Dies würde zu einer Aufteilung des Anflugverfahrens führen, die abzulehnen sei. Abgesehen davon, dass in den frühen Morgenstunden fast ausschliesslich Linienflüge mit grösseren Flugzeugtypen landeten, würde eine Aufteilung des Anflugverkehrs ein Sicherheitsrisiko bedeuten. Dadurch würde das Betriebskonzept für den Flughafen Zürich noch komplizierter und unüberschaubarer, als dies bereits heute (durch die DVO-Beschränkung der An- und Abflugmöglichkeiten im Norden) der Fall sei.
6.4.4
Skyguide befürwortet in seiner Vernehmlassung ein Gesamtsystem mit kleinstmöglicher Komplexität. Grundsätzlich sollte für jeden Anflug die aus aviatischer Perspektive beste Anflugrichtung und -einrichtung zur Verfügung stehen. Im weltweiten Vergleich sei das Flughafensystem Zürich bereits durch eine sehr hohe Komplexität ausgezeichnet. Dies führe zu verhältnismässig grosser Störungsanfälligkeit und häufigen Kapazitätsreduktionen. Dieses Gesamtsystem werde durch die zusammenhangslose Veränderung einzelner Elemente destabilisiert. Würden Südanflüge nur noch als absolute Ausnahme zugelassen, so könne für dieses Verfahren keine genügende Routine bei den Piloten, Fluglotsen und Flughafenmitarbeitern aufgebaut werden; dies habe zur Folge, dass die systemische Sicherheitsmarge markant reduziert werde. Im Übrigen bestehe generell eine höhere Sicherheitsmarge, wenn auf Piste 34 mit einer Landedistanz von 3'230 m statt auf Piste 28 mit nur 2'500 m gelandet werde: Auf einer längeren Piste könnten kleine Störungen durch Wind und Turbulenzen oder auch leichte Fehleinschätzungen der Besatzung besser kompensiert werden. Skyguide bestätigt, dass gewisse Piloten daher die Zuteilung einer anderen Piste verlangen, wenn Piste 28 in Betrieb steht.
6.4.5
SWISS macht geltend, dass am Morgen zahlreiche schwere Langstreckenflugzeuge landen. Es sei nicht möglich, nur diese auf Piste 34 und Kurzstreckenflugzeuge auf Piste 28 landen zu lassen.
BGE 137 II 58 S. 104
Die Umstellung von der einen auf die andere Piste dauere ca. 15 Minuten. In dieser Zeit stehe der gesamte Betrieb still. Dies verursache entsprechende Verspätungen für alle nachfolgenden Flüge. Am Abend, wenn nur wenige Langstreckenflugzeuge landeten, könne u.U. auf Wunsch eines einzelnen Piloten eine Landung auf Piste 34 dazwischen geschoben werden, ohne dass der gesamte Betrieb umgestellt werden müsse. Auch in diesem Fall müsse aber das Flugzeug häufig in der Warteschlange kreisen, bis eine Landung auf Piste 34 möglich sei, was mehr Schadstoff- und Lärmimmissionen sowie Verspätungen zur Folge habe.
6.4.6
Die Flughafen Zürich AG verweist auf die für die Piste 28 geltenden Sichtminima (4'000 m Mindestsichtweite und 762 Fuss Wolkenuntergrenze). Schon aufgrund dieser Anforderung betrage die Verfügbarkeit der Piste 28 nur rund 84 %, weshalb sie selbst bei Verzicht auf eine Priorisierung durchschnittlich jeden sechsten Tag in Anspruch genommen werden müsste. Da schlechtes Wetter nicht voraussehbar sei, würde die von den Beschwerdeführern vorgeschlagene Regelung sowohl im Süden als auch im Osten unnötige Unsicherheit schaffen.
Überdies könne jeder Pilot kraft seiner Verantwortlichkeit für die Sicherheit des Flugzeugs jederzeit eine bestimmte Landepiste ablehnen, wenn sie ihm zu kurz oder zu unsicher erscheine. Piste 28 als kürzeste Piste werde von ausländischen Piloten von Grossraumjets zum Teil generell abgelehnt. Da am Morgen vor allem grosse Langstreckenflugzeuge landen, wäre bei einer prioritären Benützung der Piste 28 ein Wechsel auf die längere Piste 34 und dann wieder zurück auf Piste 28 an der Tagesordnung, und zwar selbst bei gutem Wetter. Dies hätte zur Folge, dass zu sensiblen Tageszeiten zwei Anflugkorridore, allenfalls mit entsprechenden Aufwachfolgen, hin und her wechselnd benutzt würden, was aus umwelt- und raumplanerischer Sicht unerwünscht wäre.
Auch aus Sicherheitsgründen sei ein quasi institutionalisierter ständiger Pistenwechsel am Morgen abzulehnen. Generell habe in den letzten Jahren eine Sensibilisierung für Sicherheitsfragen stattgefunden; auch die Fluggesellschaften richteten sich nach dem Grundsatz
safety first
. Diese führe schon heute in den Abendstunden dazu, dass die Piste 28 bei Ankünften von Grossraumflugzeugen (
Heavy
) abgelehnt werde. So seien im Jahr 2009 35 % aller Grossraumflugzeuge nach 20.00 Uhr auf Piste 34 gelandet (trotz Priorität von
BGE 137 II 58 S. 105
Piste 28), zum Teil wetterbedingt, häufiger aber auf Verlangen der Piloten. Insofern müsse auch für die Zeit zwischen 06.00 und 07.00Uhr damit gerechnet werden, dass auch ohne Priorisierung von Piste 34 ca. ein Drittel aller Landungen von Grossraumflugzeugen aufdieser Piste abgewickelt würden. Der mehrfache Wechsel in der Benützung von Landepisten während einer relativ kurzen Zeitdauerwürde die sichere und geordnete Abwicklung des Landeverkehrs in hohem Masse gefährden und zu unnötigen Verspätungen führen.
6.4.7
Die übereinstimmenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, von Skyguide, der Flughafen Zürich AG und der SWISS zur Notwendigkeit, aus Sicherheits- und betrieblichen Gründen häufige Pistenwechsel zu den morgendlichen DVO-Sperrzeiten zu vermeiden, überzeugen grundsätzlich. Muss aufgrund der Sichtminima und der Ablehnung von Piste 28 durch gewisse Piloten von Grossraumjets ohnehin mit einer nennenswerten Anzahl von Landungen von Süden gerechnet werden, ist es nicht ermessensfehlerhaft, Piste 34 am Morgen, wenn besonders viele Grossraumflugzeuge landen, als prioritär zu bezeichnen. Dies hat den Vorteil, dass nicht die Wohnbevölkerung im Süden
und
im Osten durch frühmorgendliche Anflüge belastet wird.
Das Konzept des vBR (Priorität von Südanflügen am Morgen und Priorität von Ostanflügen am Abend) kann aber nur realisiert werden, wenn am Abend keine oder wenige Grossraumjets (
Heavy
) landen, die (bei schlechtem Wetter oder aufgrund von Sicherheitsbedenken des Piloten) auf Piste 34 angewiesen sind. Die von der Flughafen Zürich AG beigebrachten Statistiken zur Häufigkeit von ausnahmsweisen Landungen auf Piste 34 am Abend sind unter diesem Blickwinkel bedenklich. Steigt die Anzahl von Landungen schwerer Flugzeuge am Abend, so muss die Piste 34 vermehrt auch am Abend für Landungen freigegeben werden. Die Aufteilung des Anflugverkehrs ist jedoch, wie oben dargelegt wurde, aus Sicherheits- und Umweltgründen problematisch. Längerfristig könnte dies dazu führen, dass Anflüge auch am Abend prioritär auf Piste 34 erfolgen müssten. Eine solche Entwicklung würde dem Pistenkonzept des vBR widersprechen und wäre aus Sicht der Raumplanung und des Umweltschutzes unerwünscht (so schon Urteil des Bundesgerichts 1A.172/2004 vom 21. September 2004, in: ZBl 106/2006 S. 263 und RDAF 2006 I S. 597 E. 4.2).
Zwar erscheint der Antrag der Stadt Zürich, Südanflüge nach 21.00 Uhr auszuschliessen, unverhältnismässig. Dagegen fragt sich, ob
BGE 137 II 58 S. 106
nicht zumindest die Landung von schweren Grossraumflugzeugen am Abend beschränkt werden müsste. Wie eine solche Beschränkung ausgestaltet werden könnte und welche Konsequenzen sie für den Flughafenbetrieb und die Fluggesellschaften, namentlich die SWISS, hätte, wurde bislang nicht geprüft. In diesem Punkt erscheint daher eine Rückweisung zu weiterer Prüfung an das BAZL geboten. In der Zwischenzeit (bis zu einer allfälligen Ergänzung von Anhang 1 vBR in diesem Punkt) ist weiter die vom Bundesverwaltungsgericht genehmigte Fassung der Tabelle zur Pistenbenützung anzuwenden.
6.4.8
Der Antrag der Stadt Zürich, die Südanflüge erst ab 06.30 Uhr zuzulassen, würde de facto zu einer (halbstündigen) Verlängerung der Nachtflugsperre führen. Insofern kann auf die Ausführungen zu E. 6.1 verwiesen werden. Der Antrag ist abzuweisen.
(...)
6.6
Lärmindizes für Abflüge zur Nachtzeit; Lärmmessstelle Oberglatt
Die Gemeinde Rümlang, der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich (SBFZ), die Gemeinde Altendorf und der Hauseigentümerverband Dübendorf & Oberes Glatttal und Mitbeteiligte beantragen, dass die flughafeneigenen Lärmindizes für Abflüge zur Nachtzeit so auszugestalten seien, dass sie nur noch Flugzeuge mit fortschrittlichster Triebwerkstechnologie erfüllten. Jedenfalls sei für Flugzeuge, die nachts auf Piste 32 starten, an der Lärmmessstelle Oberglatt ein entsprechend tieferer Lärmwert vorzusehen, sodass sie gleich streng behandelt werden, wie wenn sie auf der zur Lärmmessstelle näheren Piste 34 starten würden.
6.6.1
Gemäss Art. 11 Abs. 1 Anhang 1 vBR dürfen Abflüge während der Nachtzeit nur mit Luftfahrzeugen durchgeführt werden, deren Emissionen die Lärmindizes von
Art. 39a Abs. 1 lit. a VIL
nicht übersteigen. Diese am 12. April 2000 eingeführte Verordnungsbestimmung sieht vor, dass Starts bei den Landesflughäfen Genf und Zürich zwischen 22.00 und 24.00 Uhr nur erlaubt sind zu gewerbsmässigen Flügen mit einer Nonstop-Flugdistanz von über 5'000 km mit Flugzeugen, deren Emissionen den Lärmindex 98 nicht übersteigen (Ziff. 1); Starts zu den übrigen gewerbsmässigen Flügen dürfen nur mit Flugzeugen erfolgen, deren Emissionen den Lärmindex 96 nicht übersteigen (Ziff. 2).
Art. 11 Abs. 2 Anhang 1 vBR sieht ergänzend vor, dass Luftfahrzeuge, die beim Abflug nach Norden an der Messstelle Oberglatt in der
BGE 137 II 58 S. 107
Regel einen höheren Lärmwert als 95 dB(A) erzeugen, in der Zeit von 22.00 bis 06.00 Uhr nicht zum Abflug zugelassen werden. Diese Bestimmung entspricht Art. 40 Abs. 2 des bisherigen Betriebsreglements und wurde vom BAZL auf Antrag des BAFU wieder ins Betriebsreglement aufgenommen.
(...)
6.6.4
Es kann offenbleiben, ob auf den Antrag der Beschwerdeführer auf Verschärfung des flughafeneigenen Schwellenwerts an der
Lärmmessstelle Oberglatt
im bundesgerichtlichen Verfahren eingetreten werden kann, weil der Antrag abzuweisen ist.
Zwar erscheint es durchaus erwägenswert, zur Sanierung des Flughafens Zürichs strengere Emissionsbegrenzungen für besonders sensible Zeiten vorzusehen. Wie das Bundesgericht bereits entschieden hat (
BGE 126 II 522
E. 39b S. 570), stellt die Nachtflugordnung der VIL lediglich eine Minimalordnung dar, die bei Bedarf verschärft werden kann. Auch die Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 26. März 2002 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft (ABl. L 85 vom 28 März 2002 S. 40) lässt strengere Lärmindizes grundsätzlich zu, sofern sie dem "ausgewogenen Ansatz" entsprechen und keine Diskriminierung bewirken (vgl. nicht publ. E. 9.4). Die Bevorzugung emissionsarmer Luftfahrzeuge bei der Festlegung von Betriebszeiten (Nachtflugvorschriften) wird denn auch ausdrücklich im allgemeinen Teil des SIL (SIL Teil IIIB - 11 Grundsatz 3) als Massnahme zur Emissionsbegrenzung erwähnt.
Die Einführung strengerer Emissionsbegrenzungen sollte jedoch systemgerecht durch den Erlass schärferer
Emissions
grenzwerte (
Art. 12 Abs. 1 lit. a USG
), beispielsweise in Form flughafeneigener Lärmindizes, und nicht durch die Festlegung eines Maximalpegels (d.h. eines
Immissions
grenzwerts) an der Lärmmessstelle Oberglatt erfolgen. Bevor einschneidende Einschränkungen angeordnet werden, die eine grosse Anzahl der heute eingesetzten Flugzeuge vom Nachtverkehr ausschliessen, muss zudem geprüft werden, ob mildere Massnahmen in Betracht fallen wie z.B. Lenkungsabgaben (vgl. sogleich E. 6.7).
(...)
6.7
Lenkungswirksame Umweltabgaben
Die Gemeinde Rümlang, der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich (SBFZ), die Gemeinde Altendorf und der
BGE 137 II 58 S. 108
Hauseigentümerverband Dübendorf & Oberes Glatttal und Mitbeteiligte beantragen, die Flughafen Zürich AG sei anzuweisen, eine lenkungswirksame Erhöhung der Umweltabgaben zu den begehrten Tagesrandstunden durchzusetzen.
6.7.1
Art. 5 vBR sieht vor, dass die Flughafen Zürich AG das Recht hat, für die Benützung des Flughafens und dessen Infrastruktur Gebühren zu erheben. Sie legt diese Gebühren nach den in der VIL verankerten Grundsätzen fest. Gemäss
Art. 32 Abs. 2 VIL
sind bei der Festlegung der Gebühren emissionsarme Luftfahrzeuge bevorzugt zu behandeln.
Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, es sei Sache des Flughafenhalters, Gebührenänderungen zu beschliessen (
Art. 35 Abs. 2 VIL
). Zwar komme dem BAZL gemäss
Art. 39 Abs. 1 LFG
die Aufsicht über die Gebühren der öffentlichen Flugplätze zu. Würden die Flughafengebühren jedoch im Betriebsreglement oder in dessen Anhang geregelt, unterstünden sie der Genehmigungspflicht durch das BAZL, was nach geltendem Recht nicht vorgesehen sei. Die im Entwurf zur Änderung des LFG geplante Einführung eines Verfahrens, nach welchem beim BAZL eine Überprüfung der Flughafengebühren verlangt werden könne (Art. 39 Abs. 6 des Entwurfs des Bundesrats vom 20. Mai 2009 zur Teilrevision 1 des Luftfahrtgesetzes; BBl 2009 4985), habe keine Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren.
Das Bundesverwaltungsgericht verwies auf
BGE 129 II 331
(E. 2.3.2 S. 339) betreffend die Genehmigung des Betriebsreglements für den Flugplatz Samedan. Dort habe das Bundesgericht festgehalten, dass sich die Festlegung der Flughafengebühren allein nach den Spezialbestimmungen von
Art. 32 ff. VIL
richte und deren Überprüfung weder Gegenstand des Konzessionsverfahrens noch des Verfahrens zur Genehmigung des Betriebsreglements bilde.
6.7.2
Seit 1980 erhebt der Flughafen Zürich einen Lärmzuschlag zur Landetaxe; per 1. September 1997 wurde zusätzlich ein Schadstoffzuschlag eingeführt.
In
BGE 125 I 182
(E. 4 S. 193 ff.) qualifizierte das Bundesgericht die emissionsabhängige Landegebühr des Flughafens Zürich als Kausalabgabe mit Lenkungscharakter, welche die Luftfahrzeughalter zum Einsatz von emissionsarmen Luftfahrzeugen anhalten soll (vgl. auch MARC PATRICK STREIT, Grundlagen und Ausgestaltung von Flughafengebühren im schweizerischen Recht, unter besonderer
BGE 137 II 58 S. 109
Berücksichtigung des Flughafens Zürich, 2005, S. 154). Das Bundesgericht erwog, dass sich die formellgesetzliche Grundlage für den einen Lenkungszweck verfolgenden Emissionszuschlag nicht im kantonalen Recht, sondern in
Art. 39 Abs. 1 LFG
finde. Diese Bestimmung setze zwar nicht ausdrücklich eine Gebührenpflicht fest, gehe aber implizit davon aus, dass Flughafengebühren erhoben werden (E. 4e S. 195). Bei der Gestaltung der Flughafengebühren müssen auch die unterschiedliche Lärmerzeugung und Schadstoffemission der Luftfahrzeuge berücksichtigt werden (
Art. 39 Abs. 2 LFG
).
Im Urteil betreffend den Flugplatz Samedan erwog das Bundesgericht, dass die Überprüfung der Flughafengebühren weder Teil des Konzessionsverfahrens noch Gegenstand des Verfahrens zur Genehmigung des Betriebsreglementes sei (
BGE 129 II 331
E. 232 S. 339). Dieses Urteil betraf jedoch einen Flugplatz, dessen Betrieb die Belastungsgrenzwerte für Fluglärm einhielt (vgl.
BGE 129 I 331
E. 4.3 S. 344/345), weshalb Sanierungsmassnahmen nicht zur Diskussion standen. Dagegen ist der Flughafen Zürich unstreitig sanierungspflichtig. Lärmabhängige und nach Tages- und Nachtzeiten abgestufte Gebühren können als Betriebsvorschriften i.S.v.
Art. 12 Abs. 1 lit. c USG
zum Einsatz möglichst leiser Flugzeuge zu besonders sensiblen Zeiten motivieren und damit zur Emissionsbegrenzung an der Quelle beitragen. Im Fachbericht Fluglärm (S. 11) wird denn auch das Lärmgebührenmodell des Flughafens Zürich als wichtige Massnahme zur Verringerung der Umweltbelastung durch den Flugbetrieb aufgeführt. Auch im allgemeinen Teil des SIL (SIL Teil IIIB - 11 Grundsatz 3) wird die Bevorzugung emissionsarmer Luftfahrzeuge bei der Festlegung von Gebühren als Mittel zur Emissionsbegrenzung hervorgehoben.
Besteht - wie im vorliegenden Fall - eine umweltschutzrechtliche Sanierungspflicht (siehe oben E. 5.1), so finden die Flughafengebühren eine zusätzliche Grundlage im USG. Es handelt sich um eine Emissionsbegrenzungsmassnahme im Sinne einer Betriebsvorschrift nach Massgabe von
Art. 12 Abs. 1 lit. c USG
. Dem Flughafen wird damit eine Verpflichtung zur Erhebung lenkungswirksamer Benützungsgebühren auferlegt, vergleichbar der Pflicht zur Bewirtschaftung der Kundenparkplätze von publikumsintensiven Anlagen (vgl. dazu
BGE 125 II 129
E. 8b S. 143 f.). Als Betriebsvorschrift, d.h. als Auflage über die Betriebsführung, sind die lenkungswirksamen Flughafengebühren Gegenstand des Betriebsreglementes. Deren Erwähnung im Betriebsreglement hat somit - entgegen der Darstellung
BGE 137 II 58 S. 110
im angefochtenen Entscheid (E. 58.4.3) - nicht bloss deklaratorischen Charakter.
Dem Bundesverwaltungsgericht ist zwar insoweit zuzustimmen, als die Flughafengebühren selbst nicht im Betriebsreglement festzulegen sind. Dagegen muss das Betriebsreglement die für die Sanierung des Flughafens gebotenen wesentlichen Lenkungselemente der Flughafengebühren enthalten.
6.7.3
Die Lärmzuschläge sind bei Flugzeugen mit Strahlantrieb in fünf Lärmklassen gestaffelt (Art. 15 der Gebührenordnung des Flughafens Zürich [GebO]); bei den Flugzeugen mit Propellerantrieb werden vier Lärmklassen unterschieden (Art. 16 GebO).
Seit dem 1. Juni 2001 wird zusätzlich auf Starts und Landungen von Flugzeugen mit Strahlantrieb zur Nachtzeit (zwischen 22.01 und 06.00 Uhr) ein Nachtflug-Lärmzuschlag erhoben (Art. 12 Abs. 3 GebO). Dieser Zuschlag wird bei den Abflügen nach Lärmklasse und Abflugzeit abgestuft erhoben, bei den Landungen wird dagegen lediglich nach Landezeiten, nicht aber nach Lärmklassen unterschieden (Art. 15 GebO). Diese unterschiedliche Behandlung von Starts und Landungen wird damit begründet, dass die Lärmbelastung bei Starts viel höher ausfalle als bei Landungen (STREIT, a.a.O., S. 155). Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass gemäss neueren Studien der Lärm landender Flugzeuge aufgrund des steileren Pegelanstiegs besonders häufig zu Aufwachreaktionen führt (vgl. oben E. 5.3.4).
6.7.4
Die Flughafen Zürich AG und die SWISS machen geltend, schon jetzt verkehrten am Flughafen Zürich überwiegend Flugzeuge der neueren Generation mit lärmoptimierten Triebwerken, weshalb einer Erhöhung der Lärmgebühren nur eine minime zusätzliche Lenkungswirkung zukäme.
Es trifft zu, dass fast 90 % der in Zürich landenden Maschinen zur lärmgünstigsten und (für die Landetaxe) gebührenfreien Klasse V gehören, weshalb die Lärmgebühren ihre lenkende Wirkung weitgehend verloren haben. Dies könnte jedoch durch eine Revision der Lärmklasseneinteilung geändert werden.
Die Flughafen Zürich AG hat denn auch im September 2010 eine zweistufige Revision des Lärmgebührensystems beschlossen: Mit dem Sommerflugplan 2011 sollen zunächst die Gebühren für die Lärmklassen I und II angehoben werden; eine grundlegende
BGE 137 II 58 S. 111
Überarbeitung des Lärmgebührenmodells (Neuzuordnung der Flugzeuge zu den Lärmklassen; Bonus für besonders lärmgünstige Flugzeuge) soll im Jahr 2013 erfolgen und 2015 in Kraft treten. Es gibt jedoch keinen Grund, so lange mit der Überarbeitung des Gebührenreglements zu warten. Vielmehr muss die Lenkungswirkung der Lärmgebühren noch während der Geltungsdauer des vBR verstärkt werden. Sollte dies nicht zu einer Verbesserung der Fluglärmsituation führen, insbesondere in den Tagesrand- und Nachtstunden, so müsste im definitiven Betriebsreglement die Einführung zwingender Lärmindizes geprüft werden.
Bei der Ausgestaltung der Lärmgebühren sind besondere Anreize für den Einsatz leiserer Flugzeuge zu besonders sensiblen Zeiten zu schaffen. Dazu zählen nicht nur die Nacht-, sondern auch die Tagesrandstunden. Insbesondere in der ersten Morgenstunde würde der Einsatz leiserer Flugzeuge wesentlich zur Verbesserung der Nachhaltigkeit des Flugbetriebs beitragen (vgl. Lärmstudie, a.a.O., S. 162 unten).
Den Bedenken der Flughafen Zürich AG und der SWISS, wonach die Gebühren des Flughafens im internationalen Vergleich bereits sehr hoch seien und eine weitere Erhöhung - namentlich in den für den Hubbetrieb der SWISS bedeutsamen Nacht- und Tagesrandstunden - die Konkurrenzfähigkeit des Flughafens Zürich beeinträchtigen und seine Drehkreuzfunktion gefährden könnte, kann bei der Ausgestaltung und Staffelung der Zuschläge Rechnung getragen werden.
6.7.5
Nach dem Gesagten ist der Antrag der Beschwerdeführer gutzuheissen und Art. 5 vBR dahingehend zu ergänzen, dass die Flughafen Zürich AG verpflichtet wird, lenkungswirksame Zuschläge zu erheben, die nach der Lärmerzeugung und zeitlich (Starts und Landungen während der Nacht und zu sensiblen Tagesrandzeiten) gestaffelt sind. Zur Vorlage eines neuen Gebührenreglements wird ihr eine Frist von 9 Monaten seit Zustellung des bundesgerichtlichen Urteils eingeräumt. Dieses ist nach einer Übergangszeit von maximal 18 Monaten in Kraft zu setzen.
(...)
6.10
Ergebnis
Zusammenfassend ist die Flughafen Zürich AG zu verpflichten, die Lenkungswirkung der Lärmgebühren zu verbessern und insbesondere Lärmzuschläge auch für die sensiblen Tagesrandstunden
BGE 137 II 58 S. 112
einzuführen (vgl. oben E. 6.7); zudem wird das BAZL prüfen müssen, ob nicht Landungen von schweren Grossraumjets am Abend eingeschränkt werden müssen (oben E. 6.4.7). Die weiteren beantragten Sanierungsmassnahmen sind dagegen jedenfalls zurzeit als unverhältnismässig abzuweisen.
Unbegründet sind schliesslich die Rügen, weiter gehende Sanierungsmassnahmen bzw. lärmoptimierte Betriebsvarianten seien unzureichend geprüft worden. Wie aus den obigen Erwägungen hervorgeht, wurden Möglichkeiten zur Umweltoptimierung des vBR vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen einer Interessenabwägung als unverhältnismässig abgelehnt. Eine umfassende Evaluation alternativer lärmoptimierter Betriebsvarianten wird im Rahmen des SIL-Verfahrens und beim Erlass des definitiven Betriebsreglements vorzunehmen sein.
7.
Erleichterungen und Schallschutzkonzept
Für die verbleibenden Überschreitungen der Immissionswerte (und z.T. sogar der Alarmwerte) für Fluglärm in der Umgebung des Flughafens sind der Flughafenbetreiberin Erleichterungen zu erteilen. Dies hat zur Folge, dass die Flughafen Zürich AG überall dort, wo die Immissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden können, zu Schallschutzmassnahmen verpflichtet ist. Zwar haben die Beschwerdeführer keine zusätzlichen Schallschutzmassnahmen verlangt. Nachdem jedoch ihren weiter gehenden Anträgen auf Aufhebung oder Einschränkung gewisser An- und Abflugverfahren (insbesondere Süd- und Ostanflüge) nicht entsprochen werden konnte, ist
a maiore minus
zu prüfen, ob nicht mindestens eine Ergänzung der Schallschutzauflage des vBR geboten ist.
7.1
In seiner Verfügung vom 29. März 2005 hatte das BAZL (auf Antrag des BAFU) folgende
Auflage
erlassen:
"Die Gesuchstellerin hat die Schallschutzmassnahmen im Sinne der Auflage Ziff. 3.3. der Betriebskonzession vom 31. Mai 2001 umzusetzen, wenn übermässige Belastungen (Überschreitungen der IGW) unbestritten sind oder wo sie auch nach zukünftigen Betriebsreglementen mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind."
Ziff. 3.3 der Betriebskonzession, auf die Bezug genommen wird, lautet:
"Die Konzessionärin wird ermächtigt und verpflichtet, die Schallschutzmassnahmen zu vollziehen und dort umzusetzen, wo sie unbestritten sind."
BGE 137 II 58 S. 113
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Auflage. Es hielt fest, dass die Verpflichtung der Flughafenbetreiberin zur Ergreifung von Sanierungs- und Schallschutzmassnahmen gestützt auf
Art. 8 Abs. 2 und
Art. 10 LSV
bereits ab Überschreitung der Immissionsgrenzwerte besteht (E. 53.7). Der Perimeter für Schallschutzmassnahmen basiere auf der Lärm-Ermittlung nach
Art. 36 LSV
, wonach nicht nur die aktuell vorhandene Lärmbelastung, sondern auch zukünftige, mit einiger Sicherheit zu erwartende Zu- oder Abnahmen der Lärmimmissionen zu berücksichtigen seien (E. 53.8.1). Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, dass nach den bisher erreichten Klärungen im SIL-Prozess aufgrund der noch weiterverfolgten drei Betriebsvarianten für den Flughafen Zürich durchaus abgeschätzt werden könne, welche An- und Abflugrouten geflogen und wo Grenzwertüberschreitungen mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht nur kurzfristig auftreten werden (E. 53.8.2 des angefochtenen Entscheids A-1936/2006).
7.2
Wie oben (E. 5.3) dargelegt wurde, ist es Aufgabe des Verordnungsgebers, die geltenden Belastungswerte für Fluglärm zu überprüfen und, soweit nötig, anzupassen. Es ist davon auszugehen, dass gesetzeskonforme Grenzwerte jedenfalls bei Erlass des definitiven Betriebsreglements vorliegen und dannzumal der Lärmbelastungskataster und das Schallschutzkonzept vollständig und richtig erstellt werden können.
Bis zu diesem Zeitpunkt muss die Flughafen Zürich AG Schallschutzmassnahmen jedenfalls dort vornehmen, wo der Flugbetrieb gemäss vBR zur Überschreitung der geltenden (und damit unstreitigen) Immissionsgrenzwerte führt. Hierfür ist grundsätzlich der nach Rechtskraft des vBR zu erstellende Lärmkataster massgeblich (vgl. E. 55.3 und Disp.-Ziff. 8.17 des angefochtenen Entscheids). Schon jetzt besteht in allen Gebieten, in denen bereits heute die Immissionsgrenzwerte gemäss Anhang 5 LSV für die Tages- oder Nachtzeit überschritten werden, ein
Anspruch
der Betroffenen auf passive Schallschutzmassnahmen. Dabei kann nicht nur der Einbau von Schallschutzfenstern verlangt werden, sondern u.U. auch die Schallisolierung von Dächern und Mauern (so schon
BGE 126 II 522
E. 47c S. 593;
BGE 122 II 33
E. 7a S. 42 ff.). Sofern keine Einigung zwischen den Betroffenen und der Flughafen Zürich AG erfolgt, kann eine Festsetzung der kantonalen Baudirektion verlangt werden. Diese hat die im Einzelfall gebotenen Schallschutzmassnahmen (einschliesslich
BGE 137 II 58 S. 114
Anforderungen an Belüftungseinrichtungen) unter Ansetzung einer Frist festzulegen.
7.3
Wie das Bundesverwaltungsgericht klargestellt hat, ist passiver Schallschutz insbesondere auch für die durch abendliche Anflüge belasteten Gebiete
im Osten
des Flughafens geboten, wo der Ein-Stunden-Leq für die erste Nachtstunde überschritten wird (vgl. angefochtener Entscheid A-1936/2006 E. 53.8.3). Werden in diesen Gebieten die Schlafräume wirksam abgeschirmt, so kommt diese Massnahme auch Kindern und Jugendlichen zugute, die früher zu Bett gehen; gleichzeitig wird ein Schutz vor Aufwachreaktionen am frühen Morgen gewährleistet, sofern ausnahmsweise auf Piste 28 gelandet wird. Gewährt der bestehende Ein-Stunden-Leq für die Nachtzeit somit einen Mindestschutz gegen Aufwachreaktionen, kann jedenfalls zurzeit auf zusätzliche Schallschutzauflagen verzichtet werden.
7.4
Ergänzungsbedürftig erscheint dagegen die Schallschutzauflage des vBR zum Schutz vor Schlafstörungen am frühen Morgen durch
Südanflüge
.
Die Anwohner werden durch den geltenden 16-Stunden-Leq ungenügend vor Aufwachreaktionen geschützt (vgl. oben E. 5.3). Die Südanflüge begannen bereits im Oktober 2003. Es erscheint unzumutbar, Personen, die bereits seit sieben Jahren zwischen 06.00 und 07.00 Uhr morgens (auch an Wochenenden) durch Fluglärm geweckt werden, auf das definitive Betriebsreglements zu vertrösten, das nach Schätzung der Flughafen Zürich AG erst in ca. 10 Jahren in Kraft treten wird.
Dass die morgendlichen Südanflüge längerfristig fortgesetzt werden, ist nicht unwahrscheinlich, lässt sich heute aber noch nicht endgültig abschätzen. Zwar verzichten zwei von drei Varianten des Entwurfs eines SIL-Objektblatts vom 16. August 2010 (E
opt
und J
opt
) weitgehend auf Südanflüge am Morgen (diese sind nur in sehr seltenen Wettersituationen mit starkem Nordwind und schlechter Sicht vorgesehen). Diese beiden Varianten halten jedoch die Vorgaben der DVO nicht ein, setzen also eine Vereinbarung mit Deutschland über die Benützung des süddeutschen Luftraums voraus. Die Variante J
opt
steht überdies unter dem Vorbehalt, dass die darin vorgesehenen Pistenverlängerungen umgesetzt werden können. Ansonsten kommt die Variante E
DVO
zur Anwendung, die sich an den heutigen Betrieb anlehnt, d.h. weiterhin Südanflüge am Morgen vorsieht.
BGE 137 II 58 S. 115
Zwar enthält diese Variante den gekröpften Nordanflug als Alternative (dabei erfolgt der Anflug südlich der deutschen Grenze und die Flugzeuge schwenken erst einige Kilometer vor der Landung auf die Pistenachse ein). Voraussetzung ist jedoch, dass dieses neue Anflugverfahren in Zukunft als satellitengestützter Präzisionsanflug verfügbar ist und die Anforderungen in Bezug auf Sicherheit, Umwelt und Kapazität zu erfüllen vermag.
Die Bevölkerung darf nicht auf längere Dauer übermässigem und schädlichem Lärm ausgesetzt werden, ohne in den Genuss von Schallschutzmassnahmen zu gelangen, die nach USG Voraussetzung für die Erteilung von Erleichterungen sind. Es erscheint daher geboten, den Anwohnern im Süden des Flughafens, die vom morgendlichen Anflugverkehr geweckt werden, noch unter der Geltung des vBR einen Anspruch auf passiven Lärmschutz einzuräumen, sofern sich keine erhebliche Änderung des Flugkonzepts abzeichnet, beispielsweise eine Einigung mit Deutschland zustande kommt oder der gekröpfte Nordanflug realisierbar wird.
Die Frage, wie ein provisorisches Schallschutzkonzept für Südanflüge aussehen könnte, war weder Gegenstand der Genehmigungsverfügung des BAZL noch des Entscheids des Bundesverwaltungsgerichts und wurde von keinem der Beschwerdeführer thematisiert. Dementsprechend haben sich auch die Flughafen Zürich AG, der Kanton Zürich und die Fachbehörden des Bundes (BAFU, ARE) noch nicht zu dieser Problematik geäussert. Es kann nicht Aufgabe des Bundesgerichts sein, ein solches Konzept zu entwickeln, zumal mehrere Ansätze in Betracht kommen.
Zwar erscheint es naheliegend, in Anlehnung an Ziff. 222 Anhang 5 LSV, passive Schallschutzmassnahmen an die Überschreitung eines Ein-Stunden-Leq für die erste Morgenstunde (06.00 bis 07.00 Uhr) zu knüpfen. Denkbar sind aber auch andere Kriterien (z.B. Maximalpegel). Es besteht auch die Möglichkeit, den gebotenen passiven Schallschutz wirkungsbezogen zu definieren, anhand des Schutzziels, Aufwachreaktionen am frühen Morgen zu verhindern. Ein solcher Ansatz wurde beispielsweise im Planfeststellungsbeschluss für die Erweiterung des Flughafens Leipzig/Halle gewählt (allerdings beschränkt auf den Zeitraum 22.00 bis 06.00 Uhr): Dort wurde die Flughafenbetreiberin verpflichtet, durch Schallschutzvorrichtungen an Schlafräumen zu gewährleisten, dass durch An- und Abflüge im Mittel weniger als eine (nicht erinnerbare) zusätzliche
BGE 137 II 58 S. 116
Aufwachreaktion (d.h. zusätzlich zu den ca. 24 spontan pro Nacht erfolgenden Aufwachreaktionen) verursacht wird und im Mittel Maximalpegel im Innern von 65 dB(A) und mehr ausgeschlossen sind (vgl. dazu Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts 4A 2001.06 vom 9. November 2006 Rz. 84 ff., in: BVerwGE 127 S. 121 ff.). Dabei wurde auf eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) abgestellt, die tabellarisch Auskunft darüber gibt, wie oft ein bestimmter Maximalpegel erreicht werden darf, ohne dass es zu einer zusätzlichen fluglärmbedingten Aufwachreaktion kommt (BASNER UND ANDERE, Nachtfluglärmwirkungen Band 1 Zusammenfassung; DLR-Forschungsbericht 2004-07/D). Diese Tabelle wird auch für die Ermittlung der HSD-Komponente (Anzahl der durch Fluglärm im Schlaf während der Nacht stark gestörten Personen) des Zürcher Fluglärm-Indexes verwendet (vgl. Zürcher Fluglärm-Index ZFI im Jahre 2008, EMPA-Bericht Nr. 452'380-1, S. 10).
Es wird Sache der Flughafen Zürich AG sein, ein entsprechendes Konzept auszuarbeiten. Dessen Grundzüge sind als Ergänzung des vBR bzw. der Genehmigungsverfügung vom 29. März 2005 vom BAZL zu genehmigen bzw. zu verfügen. Für die Einreichung des Konzepts ist der Flughafen Zürich AG eine Frist von einem Jahr ab Zustellung des bundesgerichtlichen Entscheids zu setzen. Das BAZL wird - sofern sich der Sachverhalt nicht wesentlich geändert haben wird - in seinem Genehmigungsentscheid einen Zeitplan zur Umsetzung des Konzepts anordnen müssen, unter Beachtung der Vorgaben des Umweltschutzgesetzes.
(...)
14.
Ausgang und Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens
14.1
Zusammenfassend ist der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts im Wesentlichen zu bestätigen.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde der Flughafen Zürich AG ist der angefochtene Entscheid hinsichtlich der Rückversetzung des Abdrehpunkts der Abflugrouten ab Piste 28 zu präzisieren (vgl. nicht publ. E. 10.3). Die Flughafen Zürich AG und die SWISS obsiegen teilweise (für die Zeit von 21.00 bis 22.00 Uhr) mit ihrem Antrag auf Freigabe zusätzlicher Startpisten (16 und 28) bei DVO-Ausnahmeregelung (vgl. oben E. 4.2.2).
Eine Rückweisung der Sache an das BAZL erfolgt zur Ergänzung des Schallschutzkonzepts (vgl. oben E. 7.4) und zur Prüfung von Einschränkungen für Landungen schwerer Grossraumflugzeuge auf
BGE 137 II 58 S. 117
Piste 28 zu den abendlichen DVO-Sperrzeiten (vgl. oben E. 6.4.7). Dies ist als teilweises Obsiegen derjenigen Beschwerdeführer zu werten, die sich gegen die im vBR vorgesehenen Südanflüge wehren (Christoph Apothéloz und Mitbeteiligte, Stadt Zürich, Verein Flugschneise Süd - Nein und Mitbeteiligte, Gemeinde Altendorf und Mitbeteiligte, Hauseigentümerverband Dübendorf & Oberes Glatttal und Mitbeteiligte): Auch wenn ihren Anträgen auf Aufhebung bzw. Einschränkung der Südanflüge nicht stattgegeben werden konnte, ist davon auszugehen, dass diese z.T. zu übermässigen Lärmimmissionen führen und daher nur zulässig sind, wenn passive Schallschutzmassnahmen die betroffenen Anwohner gegen Aufwachreaktionen am frühen Morgen schützen.
Teilweise obsiegt die Stadt Zürich auch mit ihrem Antrag auf Nichtgenehmigung der neuen Schnellabrollwege ab Piste 34 (oben E. 4.3.2).
In teilweiser Gutheissung der Beschwerden der Gemeinde Rümlang, des Schutzverbandes der Bevölkerung um den Flughafen Zürich, der Gemeinde Altendorf und Mitbeteiligte sowie des Hauseigentümerverbands Dübendorf & Oberes Glatttal und Mitbeteiligte ist die Flughafen Zürich AG, in Ergänzung von Art. 5 vBR, zur Überarbeitung ihrer Gebührenordnung zu verpflichten, insbesondere zur Einführung lenkungswirksamer Umweltabgaben für die Tagesrandstunden (vgl. oben E. 6.7).
(...)
Bis zur Ergänzung des vBR bzw. der Genehmigungsverfügung des BAZL vom 29. März 2005 im Sinne der Erwägungen bleibt das vBR in der vom Bundesverwaltungsgericht bestätigten Fassung anwendbar.
Im Übrigen sind die Beschwerden abzuweisen und der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zu bestätigen.
14.2
Die
Gerichtskosten
werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben (
Art. 66 Abs. 1 BGG
). Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist (
Art. 66 Abs. 4 BGG
).
BGE 137 II 58 S. 118
14.2.1
Die beschwerdeführenden Gemeinden setzen sich mit ihrer Beschwerde in erster Linie für das Wohlbefinden ihrer Bewohner und nicht für ihre Vermögensinteressen ein. Keine Kosten sind daher der Stadt Zürich, dem Landkreis Waldshut, der Gemeinde Bülach und Mitbeteiligten, der Stadt Winterthur und Mitbeteiligten, der Gemeinde Bassersdorf und Mitbeteiligten, der Gemeinde Rümlang, der Gemeinde Zollikon sowie der Gemeinde Altendorf und Mitbeteiligten aufzuerlegen. Diese haben auch keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (
Art. 68 Abs. 3 BGG
; vgl.
BGE 134 II 117
E. 7 S. 118 f.).
14.2.2
Die Flughafen Zürich AG wurde in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bislang als (grundsätzlich) kostenpflichtige und entschädigungsberechtigte Partei betrachtet (vgl. z.B. Urteil 1C_284/2009 vom 8. Juni 2010 E. 13.4, nicht publ. in
BGE 136 II 263
), und zwar auch in Streitigkeiten um die Genehmigung des Betriebsreglements (vgl. Urteil 1A.250/2003 vom 31. März 2004 E. 14). Diese Praxis ist zu überdenken.
Wie die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts in ihrem Urteil 2C_585/2009 vom 31. März 2010 E. 5.3.2 dargelegt hat, stellt das Betriebsreglement des Flughafens Bundesrecht dar. Die Flughafen Zürich AG wird durch
Art. 36c LFG
zum Erlass des Betriebsreglements ermächtigt, das der Genehmigung des BAZL bedarf. Damit werden ihr Rechtssetzungskompetenzen übertragen, d.h. sie nimmt eine öffentliche Aufgabe wahr. Es erscheint daher naheliegend, die Flughafen Zürich AG - jedenfalls im Verfahren betreffend den Erlass oder die Änderung des Betriebsreglements - als mit öffentlichen Aufgaben betraute Organisation zu betrachten. Dies hätte zur Folge, dass ihr keine Kosten auferlegt und keine Parteientschädigung zugesprochen werden könnte.
Die Frage kann jedoch offenbleiben, wie im Folgenden darzulegen sein wird.
14.2.3
Seit 2001 wurde der Flugbetrieb des Flughafens Zürich grundlegend umgestellt, um den von Deutschland einseitig angeordneten Überflugbeschränkungen Rechnung zu tragen. Diese Änderungen wurden durch provisorische Änderungen des Betriebsreglements durchgesetzt, die gerichtlich nie überprüft werden konnten. Vielmehr wurden die Beschwerden jeweils gegenstandslos, wenn eine neue Betriebsreglementsänderung genehmigt wurde. Auch das jetzt zu beurteilende konsolidierte Betriebsreglement soll nur vorläufigen
BGE 137 II 58 S. 119
Charakter haben und durch ein "definitives" Betriebsreglement abgelöst werden, sobald das Sachplanverfahren für den Flughafen Zürich abgeschlossen ist. Aufgrund der Unsicherheit über den zukünftigen Flugbetrieb wurde bis heute kein verbindliches Schallschutzkonzept für den Flughafen Zürich erstellt. In dieser Situation bestand ein erheblicher Klärungsbedarf. Die Anwohner des Flughafens, aber auch die Flughafen Zürich AG und die SWISS, waren deshalb in guten Treuen zur Beschwerdeführung berechtigt. Es rechtfertigt sich daher, ausnahmsweise auf die Erhebung von Kosten zu verzichten.
14.3
(Zusammenfassung: Die Parteikosten werden wettgeschlagen.) | public_law | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
38844e61-0e93-43e9-8713-b3576acd31d2 | Urteilskopf
98 V 65
18. Arrêt du 18 avril 1972 dans la cause Société vaudoise et romande de secours mutuels contre Rod et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 5 Abs. 3 KUVG
.
Die Vorbehalte betreffend vorbestehende Krankheiten bei der Aufnahme in die Krankenkasse dauern auch dann längstens fünf Jahre, wenn die versicherten Leistungen das gesetzliche Minimum übersteigen. | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 98 V 65 S. 65
A.-
Albert Rod, né en 1930, a présenté le 13 novembre 1970 à la Société vaudoise et romande de secours mutuels (SVRSM) une demande d'admission et requis l'assurance pour les prestations suivantes: frais médicaux et pharmaceutiques, indemnité journalière de 20 fr., indemnité complémentaire en cas d'hospitalisation de 50 fr. et assurance complémentaire des frais de guérison en cas d'hospitalisation à concurrence de 2000 fr. Par lettre du 19 novembre 1970, la SVRSM a informé le candidat qu'elle l'admettrait comme membre aux conditions requises, avec toutefois une réserve d'une durée de cinq ans pour l'assurance des frais médicaux et pharmaceutiques et pour celle d'une indemnité journalière de 2 fr., et de durée illimitée pour le montant de l'indemnité journalière dépassant le minimum légal (soit pour 18 fr.), pour l'indemnité complémentaire en cas d'hospitalisation et pour l'assurance complémentaire des frais de guérison. L'intéressé ayant manifesté son
BGE 98 V 65 S. 66
désaccord avec une réserve de durée illimitée pour les assurances supérieures aux minimums légaux, la SVRSM a rendu le 30 novembre 1970 une décision confirmant cette réserve.
B.-
Albert Rod a recouru, contestant à la SVRSM le droit de prolonger la réserve au-delà de cinq ans et invoquant à l'appui la disposition de l'art. 5 al. 3 LAMA. La caisse intimée a fait valoir que, s'il lui est licite de refuser purement et simplement d'assurer les candidats pour des prestations supérieures aux minimums légaux, à plus forte raison peut-elle assortir ces prestations supérieures de diverses restrictions. Car "qui peut le plus peut le moins", et la solution proposée permet une couverture plus large des risques de maladies autres que celle faisant l'objet de la réserve.
Par jugement du 11 mars 1971, le Tribunal des assurances du canton de Vaud a admis le recours et réformé la décision attaquée en ce sens que la réserve deviendra caduque pour toutes les prestations assurées au plus tard cinq ans après le 1er décembre 1970. Le juge cantonal a retenu en bref que la caisse ne pouvait invoquer ses statuts à l'appui de sa décision, une disposition statutaire prévoyant une telle solution n'ayant pas été approuvée par l'autoritéde surveillance; que par ailleurs l'art. 5 al. 3 LAMA déclarait toutes les réserves caduques après cinq ans au plus.
C.-
La SVRSM interjette recours de droit administratif. Reprenant et développant ses précédents arguments, elle conclut:
a) principalement "à l'annulation du jugement attaqué et au rétablissement de la décision litigieuse, étant entendu que l'intéressé aura toute latitude pour préciser, une fois le droit connu, s'il accepte ou refuse les conditions qui lui ont été faites, d'une part, et qu'il aura la possibilité d'établir en tout temps que le maintien de la réserve ne se justifie plus";
b) ...
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 5 al. 3 LAMA dispose notamment que, lors de l'admission d'un membre, les caisses peuvent excepter de l'assurance, en en faisant l'objet d'une réserve, les maladies existant au moment de l'admission - et les maladies antérieures dont l'expérience enseigne qu'elles sont sujettes à récidives -, mais que "les réserves sont caduques après cinq ans au plus". Le litige concerne la question de savoir si cette caducité porte sur
BGE 98 V 65 S. 67
l'ensemble des prestations assurées, comme l'a reconnu le premier juge, ou si elle vaut uniquement pour les prestations légales minimales, les caisses pouvant alors assortir le droit à des prestations supérieures de diverses restrictions et en particulier imposer des réserves de durée illimitée.
2.
Appelé à trancher la question, dans le cadre d'une procédure de recours consécutive au refus de l'Office fédéral des assurances sociales d'approuver une disposition statutaire, le Conseil fédéral a prononcé que la limitation à cinq ans au plus de la durée des réserves valait à l'égard de toutes prestations, même supérieures au minimum légal. La SVRSM avait en effet inséré dans ses statuts un article disposant que la réserve devenait caduque après cinq ans, "en ce qui concerne toutefois les prestations légales minimales seulement"; que, pour le surplus, la réserve était "automatiquement renouvelée aussi longtemps que l'assuré n'établira pas, au moyen d'un certificat médical émanant d'un médecin agréé par la caisse, qu'elle ne se justifie plus". L'Office fédéral des assurances sociales avait refusé son approbation à cette disposition, l'estimant contraire à la loi; il contestait par ailleurs que la solution préconisée par la caisse fût plus favorable à l'assuré. Confirmé par le Département fédéral de l'intérieur, ce refus l'a donc été également par le Conseil fédéral par sa décision, précitée, du 3 juin 1966.
L'approbation de dispositions statutaires, comme aussi le refus de leur approbation, ne lie pas le juge chargé de trancher les litiges des caisses entre elles ou avec leurs assurés ou des tiers (ATFA 1968 p. 171 consid. 3a). Aussi appartient-il au Tribunal fédéral des assurances d'examinerlibrement la question, conformément aux normes légales.
3.
Nul ne conteste que les caisses disposent, dans le cadre des prescriptions de la LAMA, d'une large marge de liberté. Mais cette marge a été sensiblement réduite par la novelle du 13 mars 1964. Antérieurement, les caisses avaient la faculté de n'admettre comme membres que des candidats en bonne santé; si, allant moins loin que le refus catégorique, elles admettaient des candidats qui n'étaient pas en parfaite santé, elles étaient autorisées à exclure de l'assurance certaines maladies déterminées, et cela sans limite de temps (voir message du Conseil fédéral du 5 juin 1961, FF 1961 I 1447/1448). Depuis la revision législative de 1964, en revanche, les caisses ne peuvent plus refuser d'admettre un candidat - de nationalité suisse et qui
BGE 98 V 65 S. 68
remplit les conditions statutaires d'admission (art. 5 al. 1er LAMA) - pour raisons de santé. Introduit nonobstant l'opposition des caisses et des fédérations de caisses (voir message précité, FF 1961 I 1448 ss), ce droit à l'admission des candidats atteints dans leur santé ne peut être assorti que d'une seule clause restrictive, celle de la réserve limitée à cinq ans selon l'art. 5 al. 3 LAMA.
Il serait en soi possible de soutenir que, les caisses n'étant tenues de garantir que les prestations minimales prévues par la loi, elles jouiraient d'une pleine liberté pour l'assurance de prestations complémentaires et auraient ainsi toute latitude d'accepter ou de rejeter des demandes de candidats (ou de membres désirant augmenter les prestations assurées). Cette thèse pourrait paraître, à première vue, trouver quelque appui dans les arrêts Holenstein, du 22 juillet 1968 (ATFA 1968 p. 175 ss) et Kohli, du 9 décembre 1970 (RJAM 1971 p. 18), lorsqu'ils déclarent que le droit d'affiliation n'implique pas celui de s'assurer pour des prestations allant au-delà des prestations minimales légalement prescrites (art. 12 et 12bis LAMA) et qu'une disposition statutaire permettant à la caisse de refuser une assurance plus étendue, pour des raisons de santé, ne viole pas le droit fédéral. Mais, outre que ces arrêts réservent expressément le principe de l'égalité de traitement des assurés et celui de la mutualité, ils traitent des prestations obligatoirement assurées et non des réserves mises à l'octroi des prestations. De plus, on peut se demander si la volonté manifeste du législateur de permettre aux invalides et aux personnes atteintes dans leur santé de s'assurer à des conditions plus favorables qu'auparavant n'implique pas, en matière de réserves, une limitation générale de la liberté des caisses.
Sur ce dernier point, les termes de l'art. 5 al. 3 LAMA sont clairs, lorsqu'ils disposent que "les réserves" sont caduques après cinq ans au plus. Une interprétation s'écartant du sens littéral ne serait donc admissible que si des motifs impérieux l'exigeaient. Or, non seulement de tels motifs n'existent pas, mais encore la solution découlant des termes de la loi est confirmée par l'art. 2 al. 2 Ord. III. Cette disposition prévoit en effet que "lorsque l'assuré, en cours de sociétariat, s'assure pour des prestations plus étendues, des réserves peuvent être prévues en ce qui concerne les prestations supérieures à celles qui étaient allouées jusqu'alors, dans la mesure où ces réserves seraient
BGE 98 V 65 S. 69
conformes à la loi s'il s'agissait d'une admission"; et elle ajoute que "ces réserves sont caduques au bout de cinq ans au plus". Il va de soi qu'une augmentation de l'assurance en cours de sociétariat ne peut concerner que des prestations dépassant le minimum légal, le candidat ayant dû, lors de l'entrée dans la caisse, s'assurer déjà pour des prestations au moins égales à ce minimum. Or l'art. 2 al. 2 Ord. III est une disposition d'exécution de l'art. 5 al. 3 LAMA; il ne fait qu'en préciser l'application dans le cas particulier de l'augmentation des prestations en cours de sociétariat et, conforme à la lettre de la loi, ne saurait être qualifié d'illégal. En la forme, l'art. 2 al. 2 Ord. III se borne à régler ce seul cas particulier. En fait, sa portée est plus vaste, car les exigences logiques font que cette même règle doit nécessairement valoir pour les réserves formulées lors de l'entrée dans la caisse déjà. Cette disposition d'exécution confirme par là la nécessité d'une interprétation littérale de l'art. 5 al. 3 LAMA.
La limitation de la durée des réserves, fixées à cinq ans au plus, doit donc s'appliquer aussi lorsque les prestations sont supérieures au minimum légal. Sans doute, comme le relève la caisse recourante (et encore que l'Office fédéral des assurances socialesleconteste), certains assurés auraient-ils peut-être intérêt à une solution qui leur permettrait de couvrir plus largement le risque de maladies autres que celle faisant l'objet de réserve, en réduisant en revanche sans limite de temps la couverture de cette dernière maladie. Mais le juge ne saurait pour autant s'écarter de la loi.
4.
...
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce: Le recours de droit administratif est rejeté. | null | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3888cffb-dbc9-42ed-8f99-850a08f4dbfd | Urteilskopf
102 IV 138
34. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. August 1976 i.S. E. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen. | Regeste
Art. 45 Abs. 2 und 3 JVG
; fahrlässiges Jagenlassen von Hunden.
1. Wann jagt ein Hund? (Erw. 4).
2. Fahrlässigkeit des Hundehalters (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 138
BGE 102 IV 138 S. 138
A.-
E. besitzt einen Appenzeller Hund und einen Labradorbastard. Am 24. September 1974 stellte der Jagdaufseher P. und am 3. Oktober 1974 der Jagdpächter V. fest, dass die beiden Hunde in Neuhausen am Rheinfall im Gebiet Niederbuck-Ziegelberg-Nachtweid Rehe verfolgten.
B.-
Am 17. Februar 1975 bestrafte die Polizeidirektion des Kantons Schaffhausen E. wegen Übertretung von
Art. 45 Abs. 2 JVG
und § 15 der kantonalen Verordnung über den Naturschutz mit einer Busse von Fr. 250.--.
Auf Einsprache des Gebüssten führte die Polizeidirektion ein übertretungsstrafamtliches Verfahren durch und wies die Einsprache am 11. September 1975 ab.
Gegen diesen Entscheid rekurrierte E. beim Bezirksrichter Schaffhausen. Dieser wies das Rechtsmittel am 10. Mai 1976 ebenfalls ab und verurteilte E. wegen wiederholten fahrlässigen Jagenlassens von Hunden gemäss
Art. 45 Abs. 2 und 3 JVG
zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 250.--.
C.-
E. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Bezirksrichters sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
BGE 102 IV 138 S. 139
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Bezirksrichter habe den Begriff des Jagens im Sinne des JVG verkannt. Damit von Jagen im Sinne des Gesetzes gesprochen werden könne, müsse "ein Hund jagdbare Tiere nachhaltig verfolgen in der Absicht und mit der Aussicht, das Tier zu erlegen". Hier sei nur nachgewiesen, dass die Hunde Rehwild auf einer Strecke von ca. 50 m bzw. während einer kurzen Phase verfolgt hätten. Der Zeuge V. habe zwar angegeben, er habe den Eindruck, dass die Hunde in der Lage gewesen wären, ein Reh zu reissen. Es sei jedoch weder nachgewiesen, dass das geschehen sei, noch auch nur, dass die Rehe nachhaltig verfolgt worden wären mit der Aussicht, sie zu erlegen. Als Herdenhunde hätten die Tiere des Beschwerdeführers das Wild nicht getötet und somit nicht gejagt; auszugehen sei nämlich vom wahren Willen des Gesetzgebers, der bei der Aufstellung des
Art. 45 JVG
an Hunde gedacht habe, die zum Wildern dressiert seien und dafür eingesetzt würden, nicht aber an "Stadthunde", die einmal von ihrem Meister im Gelände frei laufen gelassen würden. Ziel des
Art. 45 JVG
sei es, den Wilderer zu treffen, nicht den loyalen Hundehalter, dessen Hund einmal für kurze Augenblicke einem jagdbaren Wildtier nachsetze. Die Hunde des Beschwerdeführers hätten als Herden- und Hofhunde ihrem angeborenen Charakter nach nicht gejagt, sondern höchstens spielerisch oder in Verfolgung eines Hirteninstinktes kurze Zeit einem Wildtier nachgesetzt, um gleich zurückzukehren, sobald sich der Abstand zum flüchtenden Wild vergrösserte.
a) Nach
Art. 45 Abs. 2 und 3 JVG
macht sich strafbar, wer während der geschlossenen Jagdzeit Hunde vorsätzlich oder fahrlässig jagen lässt bzw. wer dies während der offenen Jagdzeit ohne Berechtigung tut.
Zur Entscheidung steht die Auslegung des Begriffs des Jagenlassens eines Hundes und insbesondere die Frage, wann ein Hund jage. Die vom Beschwerdeführer gegebene Umschreibung dieses Begriffs schliesst offensichtlich an die Definition des Jagens an, wie sie von der Rechtsprechung für die menschliche Tätigkeit des Jagens gemäss
Art. 40 JVG
gegeben wurde (
BGE 99 IV 105
). Darauf kann jedoch zur Kennzeichnung eines tierischen Verhaltens nicht ohne weiteres zurückgegriffen
BGE 102 IV 138 S. 140
werden, insbesondere nicht insoweit, als jene Begriffsumschreibung ein Handeln mit einer bestimmten Absicht fordert und damit auf nur dem Menschen eigene geistige Fähigkeiten Bezug nimmt. Zum andern will
Art. 45 Abs. 2 und 3 JVG
nicht - wie der Beschwerdeführer meint - allein den Wilderer treffen, sondern es soll auch das Wild in seiner Ruhe gegen streunende Hunde schlechthin geschützt werden, unbekümmert darum, ob der Hundehalter sein Tier aufs Wildern abgerichtet hat oder nicht. Entsprechend ist denn auch der Begriff des Jagens eines Hundes weiter zu fassen als derjenige des Jagens durch einen Menschen.
Schon unter der Herrschaft des alten JVG vom 24. Juni 1904 hat das Bundesgericht in Auslegung des Begriffs des Jagenlassens eines Hundes (Art. 6 lit. b) erklärt, dass unter "Jagen" nicht nur eine nach Art oder Dauer näher bestimmte Jagdwildverfolgung, namentlich nicht bloss das Wirken eines speziellen Jagdhundes im Sinne eines für den fachmännischen Jadgbetrieb besonders abgerichteten oder vermöge seiner Rasseneigenschaften hiezu ohne weiteres geeigneten Hundes, sondern jede Verfolgung von Jagdwild durch irgend einen Hund zu verstehen sei (
BGE 41 I 219
/220). Der Begriff des Jagenlassens von Hunden und damit des Jagens durch solche Tiere wurde ins JVG vom 10. Juni 1925 übernommen, ohne dass den Materialien ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen wäre, dass der Gesetzgeber von dem Sinn, den das Bundesgericht jenem Begriff in Anwendung des alten Gesetzes beigelegt hatte, hätte abrücken wollen (s. BBl 1922 I 365 und den Vergleich der beiden Gesetzestexte). Vielmehr wurde vom Berichterstatter im Ständerat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
Art. 45 JVG
alle Hundearten erfasse, und er hat dabei wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit für das Wild bloss als Beispiel die Wolfshunde erwähnt (Sten.Bull. StR 1924 S. 371). Es besteht deshalb kein Grund, von der Rechtsprechung zum früheren Gesetz abzuweichen, zumal auch das einschlägige Schrifttum zur neuen Jagdgesetzgebung unter Jagen eines Hundes im Sinne des
Art. 45 Abs. 2 und 3 JVG
irgendwelche Wildverfolgung durch irgendwelchen Hund versteht (DÜRR, Jagd und Vogelschutz, S. 34; s. für die analoge zürcherische Ordnung BAUR, Zürcher Jagdrecht, 2. Aufl. S. 90).
b) Geht man vom Gesagten aus und stellt man auf den von der Vorinstanz verbindlich festgestellten Sachverhalt ab
BGE 102 IV 138 S. 141
(
Art. 277bis Abs. 1 BStP
), so kann keinem Zweifel unterliegen dass die Hunde des Beschwerdeführers Rehwild gejagt haben. Am Abend des 24. September 1974 sah Jagdaufseher P., wie die beiden Hunde stumm drei Rehe über ein Feld in den nächsten Wald verfolgten, und am 3. Oktober 1974 stellte der Jagdpächter V. fest, dass sie einer Rehgeiss mit zwei Jungen nachsetzten. Ob sie dies nach Art eines Jagdhundes und während längerer Dauer taten, ist ebenso belanglos wie die Frage, ob sie in der Lage gewesen wären, das gehetzte Wild zu erlegen.
5.
Der Tatbestand des Jagenlassens von Hunden setzt neben der jagdlichen Tätigkeit des Tieres eine schuldhafte Unterlassung des Hundebesitzers voraus, nämlich den Hund nicht an dem Ausleben seines Wildverfolgungstriebs gehindert zu haben. In diesem Zusammenhang macht E. geltend, einem Hund, der nicht als Jäger bekannt sei, müsse freier Auslauf zugestanden werden. Der "Herr", der ihm diesen gewähre, mache sich nicht strafbar. Er habe gewusst, dass seine Hunde nicht jagten, weshalb er auch habe in Kauf nehmen dürfen, dass sich die Tiere einmal von seinem Gärtnereibetrieb entfernten. Selbst wenn aber nachgewiesen wäre, dass seine Hunde entgegen aller Erfahrung gejagt hätten, so müsste er freigesprochen werden, weil er damit nicht habe rechnen müssen. Es falle ihm keine Fahrlässigkeit zur Last.
Daran ist soviel richtig, dass es bei der Beurteilung des Verschuldens des Hundehalters in der Tat auch auf dessen Kenntnis der Eigenschaften und Verhaltensweisen von Hunden im allgemeinen und seines eigenen Tieres im besonderen ankommt. Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beschwerdeführer indessen im kantonalen Verfahren eingeräumt, dass in jedem Hund von der Züchtung aus dem Wolf her noch ein gewisser Jagdtrieb vorhanden ist, dem das Tier mehr oder weniger häufig und intensiv nachlebt. Ist dem aber so, dann muss der Halter eines Hundes, selbst wenn dieser nicht als Jagdhund dressiert ist und unter der Aufsicht seines Herrn auch nicht zu jagen pflegt, mit der Möglichkeit rechnen, dass der in seinem Tier schlummernde Trieb bei gebotener Gelegenheit, namentlich beim unbeaufsichtigten Umherstreunen im Jagdgebiet, ausbreche. Zwar ist dem Hundebesitzer unter Vorbehalt einer ausdrücklich anderslautenden kantonalen Regelung nicht zuzumuten, dass er von vorneherein jede entfernte
BGE 102 IV 138 S. 142
Möglichkeit der Wildverfolgung durch seinen Hund unterbinde und insbesondere sein Tier auf Jagdgebiet selbst dann an die Leine nehme, wenn er jenen Trieb des Tieres durch blosse Vermahnung mit Lauten oder Zeichen zu beherrschen vermag (
BGE 41 I 220
). Mit diesem Fall kann aber jener nicht verglichen werden, wo der Hundebesitzer sein Tier ohne jede Aufsicht auf Jagdgebiet sich umhertreiben lässt. Hier liegt nicht nur die Möglichkeit eines jederzeitigen Ausbrechens des Jagdtriebs nahe, sondern diesem ist wegen der fehlenden Beaufsichtigung des Tieres auch keine Schranke gesetzt. Das aber hatte auch dem Beschwerdeführer bei gebotener Vorsicht nicht entgehen können. Indem er dessen ungeachtet die Hunde nicht nur einmal, sondern am 24. September und am 3. Oktober 1974 abends frei und ohne jede Aufsicht auf Jagdgebiet hat umherstreunen und jagen lassen, hat er die ihm durch die Jagdgesetzgebung aufgetragene Pflicht als Hundehalt fahrlässig missachtet; ein solches Umherlaufenlassen von Hunden in einem Jagdgebiet liegt nicht mehr innerhalb der Grenzen erlaubter Tierhaltung. | null | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
388c4702-220a-4e6b-a7fe-ba81ee59207a | Urteilskopf
137 III 374
55. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG in Liquidation gegen Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Glarus (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_806/2010 vom 11. Juli 2011 | Regeste
Abtretung im schweizerischen Partikularkonkurs an die ausländische Konkursverwaltung (
Art. 260 SchKG
analog).
Gibt es im Partikularkonkurs keine kollozierten Gläubiger, kann eine inventarisierte Forderung der ausländischen Konkursverwaltung im Sinn von
Art. 260 SchKG
abgetreten werden (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 374
BGE 137 III 374 S. 374
A.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 30. Dezember 2004 wurde über die deutsche Z. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Klage vom 7. Juli 2008 machte der Insolvenzverwalter beim Kantonsgericht Glarus gegen die X. AG eine Forderung geltend. Gestützt auf ein entsprechendes Gesuch des Insolvenzverwalters anerkannte der Glarner Kantonsgerichtspräsident mit Entscheid vom 2. Februar 2009 das deutsche Konkursdekret für das Gebiet der Schweiz. Der vor dem Kantonsgericht hängige Zivilprozess wurde eingestellt.
Am 6. Juli 2009 erhob die X. AG bei der kantonalen Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen Beschwerde, namentlich
BGE 137 III 374 S. 375
mit den Begehren, das Konkursamt Glarus sei anzuweisen, die behauptete Forderung aus Bürgschaft von 437'500.- bzw. Fr. 725'375.- Euro aus dem Inventar zu streichen bzw. die am 18. Mai 2009 zur Verrechnung gebrachte Forderung im Kollokationsplan aufzunehmen. Die Aufsichtsbehörde trat darauf nicht ein (vgl. dazu Urteil 5A_83/2010 vom 11. März 2010).
Mit Verfügung vom 27. April 2010 trat das Konkursamt Glarus die inventarisierte Forderung in analoger Anwendung von
Art. 260 SchKG
an den deutschen Insolvenzverwalter ab unter der Bedingung, dem Konkursamt über das Resultat Bericht zu erstatten und den Prozessgewinn zur Verteilung gemäss
Art. 173 und 174 IPRG
abzuliefern. In der Folge wurde der sistierte Prozess vor Kantonsgericht wieder aufgenommen.
B.
Mit Beschwerde vom 16. Juli 2010 beantragte die X. AG die Feststellung der Nichtigkeit der Abtretung, eventualiter deren Aufhebung. Mit Entscheid vom 3. November 2010 wies die Aufsichtsbehörde die Beschwerde ab.
Gegen diesen Entscheid hat die X. AG am 18. November 2010 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit den Begehren um dessen Aufhebung und Feststellung der Nichtigkeit der Abtretung bzw. eventualiter um Aufhebung der Abtretung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Wird ein ausländisches Konkursdekret gestützt auf
Art. 166 IPRG
(SR 291) für das Gebiet der Schweiz anerkannt, so zieht dies für das hier gelegene Vermögen des Gemeinschuldners die konkursrechtlichen Folgen des schweizerischen Rechts nach sich, soweit nicht IPRG-Bestimmungen etwas anderes vorsehen (
Art. 170 Abs. 1 IPRG
). Das in der Schweiz durchgeführte Verfahren wird als "Partikularkonkurs", "Hilfskonkurs", "Anschlusskonkurs", "Minikonkurs", "Parallelkonkurs", "Sekundärkonkurs" oder "IPRG-Konkurs" bezeichnet (vgl. BERTI, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 2007, N. 8 zu
Art. 166 IPRG
).
Die Eröffnung des Partikularkonkurses, in welchem eine besondere Partikularmasse gebildet wird, hat zur Folge, dass der Gemeinschuldner auch die Dispositionsfähigkeit über die im Inland gelegenen
BGE 137 III 374 S. 376
Vermögenswerte verliert (STAEHELIN, Die Anerkennung ausländischer Konkurse und Nachlassverträge in der Schweiz, 1989, S. 136; VOLKEN, Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 16 zu
Art. 170 IPRG
; WALDER, Konkursrechtliche Bestimmungen des IPR-Gesetzes, in: Festschrift 100 Jahre SchKG, 1989, S. 338; THEUS SIMONI, Englische, walisische und französische Konkursverwalter in der Schweiz, 1997, S. 317). Die ausländische Konkursverwaltung ist nicht aktivlegitimiert, in der Schweiz ihr zustehende Forderungen durchzusetzen (
BGE 129 III 683
E. 5.3 S. 688;
BGE 135 III 40
E. 2.4 und 2.5.1 S. 43 f.). Vielmehr ist das mit der Verwaltung der Partikularmasse betraute schweizerische Konkursamt dazu berufen, die fälligen Forderungen einzuziehen (
Art. 243 Abs. 1 SchKG
). Über das Schicksal bestrittener Forderungen hat normalerweise die zweite Gläubigerversammlung zu entscheiden (
Art. 260 Abs. 1 SchKG
), welche es im Partikularkonkurs freilich nicht gibt (Art. 170 Abs. 3 IRPG); es liegt nahe, dass das Konkursamt die Gläubiger hier auf dem Zirkularweg anhört (vgl. zur analogen Situation im Summarkonkurs:
BGE 134 III 75
E. 2.3 S. 78;
BGE 136 III 534
E. 4.1 S. 537). Verzichtet die Gläubigergesamtheit auf die Rechtsdurchsetzung, kann jeder einzelne Gläubiger die Abtretung der betreffenden Rechtsansprüche gemäss
Art. 260 Abs. 1 SchKG
verlangen. Im vorliegenden Partikularkonkurs gibt es indes keine kollozierten Gläubiger und es stellt sich die Frage, ob die inventarisierte Forderung deshalb in analoger Anwendung von
Art. 260 SchKG
an die ausländische Konkursverwaltung abgetreten werden kann, welche vorliegend an einer Rechtsdurchsetzung interessiert ist.
Kraft ausdrücklicher Regelung in
Art. 171 IPRG
ist eine Prozessführung durch die ausländische Konkursverwaltung bei Anfechtungsansprüchen im Sinn von
Art. 285 ff. SchKG
möglich. Die Lehre ist sich mit Bezug auf diese Norm einig, dass im Sinn einer Kaskade primär das inländische Konkursamt und sekundär die Abtretungsgläubiger zur Geltendmachung berufen sind und erst in dritter Linie die ausländische Konkursverwaltung zum Zuge kommen kann (VOLKEN, a.a.O., N. 21 zu
Art. 171 IPRG
; BERTI, a.a.O., N. 10 zu
Art. 171 IPRG
; STAEHELIN, a.a.O., S. 148 f.; THEUS SIMONI, a.a.O., S. 351; BREITENSTEIN, Internationales Insolvenzrecht der Schweiz und der Vereinigten Staaten, 1990, S. 186; WALTHER, Paulianische Anfechtungsansprüche im internationalen Verhältnis - ausgewählte Probleme, in: Internationales Zivilprozess- und Verfahrensrecht, Bd. V, 2005, S. 97;
BGE 137 III 374 S. 377
STAEHELIN, Konkurs im Ausland - Drittschuldner in der Schweiz, in: Schweizerisches und Internationales Zwangsvollstreckungsrecht, 2005, S. 416 f.); dies entspricht auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl.
BGE 135 III 40
E. 2.5.1 S. 44,
BGE 135 III 666
E. 3.2.1 S. 667 f.). Des Weiteren wird in der Lehre darauf hingewiesen, dass
Art. 171 IPRG
mit Bezug auf das anwendbare Recht nichts anderes festhalte, als was ohnehin bereits aufgrund von
Art. 170 IPRG
gelten würde, und der Sinn der Bestimmung sich letztlich in einer Klarstellung der Aktivlegitimation der ausländischen Konkursverwaltung erschöpfe (BREITENSTEIN, a.a.O., S. 182; NUSSBAUM, Das schweizerische internationale Insolvenzrecht gemäss dem Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das internationale Privatrecht und sein Umfeld in Europa, 1989, S. 27 f.; vgl. auch Botschaft zum IPRG, BBl 1983 I 453). Dies legt nahe, dass die Wahrnehmung auch anderer Ansprüche durch die ausländische Konkursverwaltung nicht per se unstatthaft sein kann, was im Folgenden vor dem Hintergrund der Zweckbestimmung des 11. Kapitels des IPRG näher zu untersuchen ist.
Die Bestimmungen von
Art. 166 ff. IPRG
zielen auf eine Milderung des im Konkursrecht als Grundsatz geltenden Territorialitätsprinzips. Weil der Partikularkonkurs nicht zu einem eigentlichen Parallelkonkurs ausarten soll (vgl. Botschaft, BBl 1983 I 454), können nur pfandversicherte Forderungen und privilegierte Forderungen von Gläubigern mit Wohnsitz in der Schweiz kolloziert werden (
Art. 172 Abs. 1 IPRG
). Diese sollen aus der Partikularmasse vorab befriedigt werden (
Art. 173 Abs. 1 IPRG
) und nur der allfällige Überschuss ist bei Anerkennung des ausländischen Kollokationsplanes an die ausländische Konkursverwaltung abzuliefern (
Art. 173 IPRG
) bzw. bei Nichtanerkennung an die schweizerischen Kurrentgläubiger zu verteilen (
Art. 174 IPRG
). Sind jedoch im Partikularkonkurs gar keine Gläubiger vorhanden und kann mithin weder ein Beschluss über das Schicksal der bestrittenen Rechtsansprüche gefällt noch eine Abtretung derselben verlangt werden, besteht für das inländische Konkursamt keine Möglichkeit oder jedenfalls kein Anlass zur klageweisen Durchsetzung, zumal es dabei ein Prozess- und Kostenrisiko eingehen müsste. Demgegenüber kann die ausländische Konkursverwaltung, welche die Interessen der Gläubigergesamtheit des Hauptkonkurses vertritt, an einer Rechtsdurchsetzung in der Schweiz interessiert sein. Zumal im vorliegenden Fall keine inländischen Gläubiger vorhanden sind, welche es zu schützen gälte, ist nicht zu sehen,
BGE 137 III 374 S. 378
weshalb die Forderung nicht an die ausländische Konkursmasse soll abgetreten werden können. Dies wäre auch im Interesse der nicht privilegierten inländischen Gläubiger, welche nicht am Partikularkonkurs, wohl aber am ausländischen Konkurs teilnehmen dürfen. Für die Abtretungsmöglichkeit plädiert denn auch die Mehrheit der Lehre (WÜTHRICH, Kann eine ausländische Konkursmasse in der Schweiz eine Klage gegen einen ihrer Schuldner mit Sitz oder Wohnsitz in der Schweiz einleiten-, in: Jusletter vom 25. Oktober 2004, Rz. 8; JEANNERET/CARRON, in: Commentaire romand, 2005, N. 55 f. zu
Art. 260 SchKG
; KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, in: Commentaire romand, 2005, N. 20 zu
Art. 170 IPRG
; sibyllinisch: WALDER, a.a.O., S. 340; a.M.: THEUS SIMONI, a.a.O., S. 353).
Entgegen der letztgenannten Autorenmeinung und den Vorbringen der Beschwerdeführerin kann einem solchen Vorgehen der Wortlaut von
Art. 260 SchKG
nicht entgegenstehen: Dass dieser im Zusammenhang mit den abtretungsberechtigten Personen nur von Gläubigern spricht, ist darauf zurückzuführen, dass beim normalen Konkursverfahren, welches durch eine Betreibung eingeleitet wird, naturgemäss immer mindestens ein Gläubiger vorhanden ist. Dies trifft beim Partikularkonkurs nicht zu; oftmals sind im Inland weder pfandversicherte noch privilegierte und damit keine kollozierbaren Gläubiger vorhanden. Wenn nun
Art. 170 Abs. 1 IPRG
für die Folgen des Partikularkonkurses auf das "schweizerische Recht" verweist, so heisst dies mit Bezug auf die Durchführung, dass grundsätzlich die Normen des SchKG Anwendung finden. Freilich führt ein solcher Verweis immer zu einer sinngemässen Anwendung, so dass der äussere Wortlaut von
Art. 260 Abs. 1 SchKG
einer Abtretung bestrittener Rechtsansprüche an die ausländische Konkursverwaltung nicht entgegenstehen kann. Anders zu entscheiden, würde bedeuten, dass die fraglichen Ansprüche gar nie durchgesetzt werden könnten und den Gläubigern des Gemeinschuldners definitiv verloren gingen; es bestünde mit anderen Worten ein "rechtsdurchsetzungsfreier" Raum.
Abschliessend ist zu bemerken, dass entgegen einer in der Lehre sinngemäss vertretenen Ansicht (vgl. STAEHELIN, a.a.O., S. 148 f.) die Anerkennung des ausländischen Kollokationsplanes in der Schweiz keine Abtretungsbedingung sein kann. Die Anerkennung des Kollokationsplanes ist gemäss Art. 173 Abs. 2 IRPG einzig für die Auslieferung des Erlöses eine Voraussetzung. Der Abtretungsgläubiger bzw. die ausländische Konkursverwaltung klagt auf eigene Gefahr
BGE 137 III 374 S. 379
und übernimmt damit auch das Risiko, dass die Verteilungsfolgen gemäss
Art. 174 IPRG
eintreten, wenn der Kollokationsplan nicht anerkannt werden könnte. Entsprechend hat das Konkursamt in der Abtretungsverfügung denn auch die Ablieferung des Prozessgewinnes zur Verteilung gemäss
Art. 173 und 174 IPRG
verlangt. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
388c5c50-29ab-46a1-8c0b-b845bac9c99a | Urteilskopf
117 V 53
8. Arrêt du 19 mars 1991 dans la cause L. contre Société suisse de secours mutuels Helvétia et Société suisse de secours mutuels Helvétia contre L. et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 70 Abs. 2 ZGB
,
Art. 1 Abs. 2 KUVG
: Recht des Mitglieds auf Austritt aus einer als Verein organisierten Krankenkasse.
Unzulässigkeit einer reglementarischen Bestimmung, welche im Bereich der Krankenpflegeversicherung mit Jahresfranchise das Recht eines Mitglieds auf Austritt verschiedenen Einschränkungen unterwirft (Mitgliedschaft während mindestens drei Jahren, Austritt nur auf Ende des Kalenderjahres, einjährige Kündigungsfrist). | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 117 V 53 S. 53
A.-
William L., né en 1948, est assuré auprès de la Société suisse de secours mutuels Helvétia (ci-après: la caisse) depuis le 1er janvier 1980. Une première modification de sa couverture d'assurance a pris effet le 1er janvier 1984, date à laquelle il est passé dans la catégorie "patients privés" avec une franchise annuelle de 300 francs pour l'assurance des frais de soins médico-pharmaceutiques. Une seconde modification a entraîné l'augmentation de la franchise annuelle à 1'000 francs dès le 1er mars 1988.
Par lettre datée du 27 décembre (1988), l'assuré a informé la caisse qu'en raison de l'augmentation de 16% de ses cotisations d'assurance,
BGE 117 V 53 S. 54
il se voyait "dans l'obligation de rompre (son) contrat", sans préciser toutefois à partir de quelle date. Dans sa réponse du 16 janvier 1989, la caisse a indiqué que les assurés au bénéfice d'une assurance avec "grande franchise" de 100 francs, 300 francs, 500 francs ou 1'000 francs ne pouvaient présenter leur démission qu'au terme d'une période d'affiliation de trois ans, pour la fin d'une année civile et moyennant un délai de résiliation d'une année; comme, dans le cas particulier, l'intéressé avait conclu une assurance avec une franchise de 1'000 francs à partir du 1er mars 1988, son affiliation devait être maintenue jusqu'au 31 décembre 1991. William L. a contesté ce point de vue, tout en informant la caisse que son employeur avait conclu un contrat d'assurance-maladie collective avec la Caisse-maladie Grutli. Par courrier du 21 février 1989, la caisse a invité l'assuré à produire une copie de son contrat de travail afin de savoir s'il existait une obligation d'adhérer au contrat collectif conclu par l'employeur et la Caisse-maladie Grutli. Elle se déclarait disposée à réexaminer la requête de l'assuré sur la base de ce document. William L. a fait parvenir à la caisse une attestation de son employeur, datée du 3 mars 1989, selon laquelle l'adhésion au contrat d'assurance-maladie collective conclu en faveur du personnel était vivement conseillée aux collaborateurs de l'entreprise. La caisse a alors notifié à son assuré une décision, du 7 mars 1989, par laquelle elle déclarait confirmer le contenu de sa lettre du 16 janvier précédent et, partant, maintenir l'affiliation de l'intéressé jusqu'au 31 décembre 1991.
B.-
Saisi d'un recours formé par William L., le Tribunal des assurances du canton de Vaud l'a partiellement admis par jugement de son président du 25 septembre 1989, la décision entreprise étant réformée "en ce sens que la démission du (prénommé) de l'assurance des soins médicaux et pharmaceutiques est acceptée pour le 31 décembre 1989".
C.-
Tant William L. que la caisse interjettent recours de droit administratif contre ce jugement. Le premier demande au Tribunal fédéral des assurances de déclarer "recevable (sa) démission du 27 décembre 1988 pour le 31 janvier 1989". La seconde conclut à l'annulation du jugement entrepris et au rétablissement de sa décision du 7 mars 1989.
Chaque partie conclut au rejet du pourvoi formé par son adversaire. De son côté, l'Office fédéral des assurances sociales (ci-après: l'OFAS) propose l'admission du recours de William L. et le rejet de celui
BGE 117 V 53 S. 55
de la caisse. En outre, le président du Tribunal des assurances du canton de Vaud présente des observations à l'encontre du pourvoi formé par la caisse, laquelle y répond dans son préavis sur le recours de l'assuré.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Pouvoir d'examen)
2.
a) La Société suisse de secours mutuels Helvétia est une association au sens des
art. 60 ss CC
, régie par des statuts du 20 novembre 1965 (st.), modifiés à de nombreuses reprises. Elle se compose de membres actifs et de membres honoraires (art. 7 st.). Le droit des membres de démissionner est réglementé par l'art. 19 st. qui a la teneur suivante:
al. 1: un membre actif peut donner, en tout temps, sa démission pour la fin d'un mois, moyennant un préavis d'un mois. La démission doit être donnée par écrit. La renonciation au titre de membre honoraire peut se faire en tout temps.
al. 2: le Comité central peut prévoir des délais de préavis divergents.
Par ailleurs, l'art. 52 st. dispose que les membres sont tenus de prendre à leur charge une participation aux frais médico-pharmaceutiques (cat. A), conformément aux dispositions fédérales, et donne au Comité central la compétence de fixer les détails dans un règlement.
Se fondant sur cette disposition statutaire, le Comité central de la caisse a édicté le 13 décembre 1986 un règlement sur la participation aux frais dans l'assurance des frais médicaux et pharmaceutiques (cat. A) avec franchise par année civile (franchise annuelle ordinaire et à option) (règlement KOBE JF; ci-après: le règlement) dont l'art. 13, intitulé "transfert et démission", contient en particulier la disposition suivante:
al. 3: la réduction de la franchise annuelle à option, le transfert de l'assurance des frais médicaux et pharmaceutiques avec franchise à option dans l'assurance ordinaire des frais médicaux et pharmaceutiques, ainsi que la démission de l'assurance des frais médicaux et pharmaceutiques (cat. A), peuvent être déclarés au plus tôt après une durée minimale d'assurance de trois ans pour la fin d'une année civile, moyennant le respect d'un délai de résiliation d'une année.
b) Le 10 avril 1987, l'OFAS - agissant en sa qualité d'autorité chargée par le Conseil fédéral d'approuver les modifications apportées aux statuts et règlements des caisses reconnues (art. 3 Ord. V) - a informé la caisse qu'il ne pouvait approuver la disposition réglementaire
BGE 117 V 53 S. 56
ci-dessus reproduite qu'autant que la démission de l'assurance des frais médicaux et pharmaceutiques demeurât possible conformément à l'art. 19 al. 1 st. et ne dépendît pas d'une durée de sociétariat de trois ans. Selon l'autorité de surveillance, une telle restriction du droit de démissionner irait à l'encontre de la réglementation impérative prévue à l'
art. 70 al. 2 CC
. Aussi l'OFAS invitait-il la caisse à supprimer purement et simplement, "à la prochaine occasion", les termes "ainsi que la démission de l'assurance des frais médicaux et pharmaceutiques (cat. A)".
Cet acte administratif n'a, semble-t-il, pas fait l'objet, de la part de la caisse, d'un recours ou d'une dénonciation au sens de l'
art. 71 PA
auprès du Département fédéral de l'intérieur (cf. à ce sujet
ATF 115 V 396
consid. 1 et
ATF 112 Ia 361
consid. 4c/aa). Pour sa part, l'OFAS maintient expressément son point de vue dans ses préavis sur les présents recours de droit administratif.
c) Le premier juge, tout en déclarant que "les nécessités du droit des assurances sociales doivent primer sur la stricte application du droit des sociétés", est cependant d'avis que les restrictions du droit des membres de démissionner de la caisse prévues à l'art. 13 al. 3 du règlement ne sont conformes ni au principe de proportionnalité ni à celui de la mutualité dont découle le principe de l'égalité de traitement. C'est pour ce motif, selon lui, que la disposition réglementaire en cause ne doit pas être appliquée. En revanche, le premier juge considère que "les assurés avec une grande franchise bénéficient de cotisations très favorables" et qu'"il est donc logique qu'en contrepartie ils doivent rester un peu plus longtemps dans une caisse que ceux qui paient des cotisations plus élevées". Il en déduit que c'est la règle de l'
art. 70 al. 2 CC
, prévoyant un délai plus long que celui qui figure à l'art. 19 al. 1 st., qui doit être appliquée. En conséquence, la démission de l'assuré ayant été présentée le 27 décembre 1988, elle prend effet le 31 décembre 1989.
d) L'assuré conteste ce point de vue. Il estime que "la réglementation des droits fondamentaux de sociétariat" doit être la même pour tous les membres de la caisse qui bénéficient d'une assurance des soins médico-pharmaceutiques. Aussi demande-t-il que sa démission soit acceptée pour le 31 janvier 1989, conformément à l'art. 19 al. 1 st.
e) De son côté, la caisse fait valoir les arguments suivants:
- Le principe de l'égalité de traitement entre les assurés exige que l'on applique à la démission les mêmes exigences de délai qu'en
BGE 117 V 53 S. 57
ce qui concerne la modification des franchises annuelles. Sinon un assuré qui souhaite diminuer le montant de sa franchise sans respecter les délais prévus par les conditions d'assurance pourrait démissionner, puis, immédiatement après, demander sa réadmission en choisissant cette fois une franchise plus basse. En outre, l'exigence d'une durée minimale d'affiliation à l'assurance avec franchise annuelle à option contribue à équilibrer les risques au sein du groupe de risques uniforme imposé par l'art. 26ter al. 2 Ord. V, concrétisant ainsi le principe de solidarité sur lequel est fondée l'assurance-maladie sociale.
- Au demeurant, la solution préconisée par le premier juge ne respecte pas non plus le principe de l'égalité de traitement de tous les membres de la caisse puisqu'elle s'écarte elle aussi de la règle prévue à l'art. 19 al. 1 st., en ce qui concerne les assurés ayant choisi une franchise annuelle à option.
- Si l'on avait institué, pour ces assurés, un délai de démission d'un mois et un délai de modification de la franchise d'un an, on aurait en fait "consacré des voies parallèles servant toutes deux à l'adaptation de la couverture, l'une pour les assurés patients et l'autre pour les assurés pressés mais qui acceptent le risque (calculable d'avance) d'une réserve d'assurance ou d'une modification de groupe d'âge". Or, l'OFAS a précisément voulu éviter cette solution en réglementant l'assurance avec franchise annuelle.
- "Les très importantes réductions de primes dont bénéficient les assurés avec franchise à option leur permettent de jouir d'avantages supérieurs au risque assumé." Il faut en effet procéder à ce calcul sur plusieurs années "en partant de l'idée que l'assuré moyen n'est dans tous les cas pas malade chaque année dans une mesure impliquant l'épuisement successif de plusieurs franchises annuelles". Pour ce motif, il a été nécessaire d'instaurer des "barrières autres que seulement financières".
- La réglementation du droit commun, en l'occurrence l'
art. 70 al. 2 CC
, doit céder le pas devant le droit de l'assurance-maladie sociale qui a d'autres priorités et qui est régi par d'autres principes. C'est ainsi que dans les régimes d'assurance obligatoire la démission d'une caisse est pratiquement impossible, tandis que le droit des caisses d'exclure leurs membres a été considérablement restreint par la jurisprudence. Par ailleurs, si l'on voulait rigoureusement soumettre les délais de démission aux prescriptions du droit privé, il s'ensuivrait d'inadmissibles
BGE 117 V 53 S. 58
inégalités de traitement selon que les caisses sont organisées, comme la loi leur en donne la faculté, sous la forme d'association, de fondation ou de société coopérative.
- La réglementation critiquée ne viole pas le principe de proportionnalité, étant donné le but visé qui est d'éviter une utilisation abusive du droit de démission pour contourner la réglementation relative à la diminution du montant de la franchise dans le système de l'assurance avec franchise annuelle à option.
- Enfin, l'assuré connaissait parfaitement les conditions de l'assurance à laquelle il a souscrit et il savait donc à quoi s'en tenir en ce qui concerne le délai de démission. Aussi n'est-il pas de bonne foi lorsqu'il conteste l'application de cette réglementation.
3.
a) Le Tribunal fédéral des assurances a déjà eu l'occasion de se prononcer sur la question des relations entre le droit privé qui régit la forme juridique et l'organisation des caisses-maladie constituées en société coopérative, en association ou en fondation (
art. 1er al. 1 let
. c Ord. V) et les règles de droit public auxquelles sont soumises les caisses-maladie reconnues. Il l'a généralement résolue de manière pragmatique, en recherchant dans chaque cas d'espèce une solution appropriée, conformément au principe selon lequel il convient d'appliquer les règles du droit privé, dans la mesure ou elles sont compatibles avec le droit des assurances sociales (
ATF 105 V 88
consid. 2; RJAM 1977 No 290 p. 120 consid. 3). En tout état de cause, l'autonomie des caisses organisées selon le droit privé est fortement restreinte par le droit fédéral de l'assurance-maladie et par les principes généraux de l'activité administrative. C'est l'une des conséquences du fait que, depuis la novelle du 13 mars 1964, les caisses-maladie reconnues sont délégataires de la puissance publique, revêtues du pouvoir de décision dans le domaine d'activité qui leur est propre (cf. à ce propos
ATF 112 Ia 365
consid. 5c).
b) Aux termes de l'
art. 70 al. 2 CC
, chaque sociétaire est autorisé de par la loi à sortir de l'association, pourvu qu'il annonce sa sortie six mois avant la fin de l'année civile ou, lorsqu'un exercice administratif est prévu, six mois avant la fin de celui-ci. Selon un arrêt récent, cette règle du droit civil ne peut être invoquée pour empêcher l'application d'une convention conclue entre une caisse-maladie de droit privé et une collectivité de droit public dans le but d'exécuter la législation cantonale sur l'obligation d'assurance. En conséquence, une personne peut être contrainte de s'affilier à une caisse-maladie
BGE 117 V 53 S. 59
revêtant la forme d'une association, et empêchée d'en démissionner en vertu d'une règle de droit cantonal fondée sur l'
art. 2 al. 1 let. b LAMA
(RAMA 1987 n K 744 p. 293 consid. 4c; cf. aussi RIEMER, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Das Personenrecht, commentaire bernois, T. I/3/2, Syst. Teil n. 149, et les arrêts cités). Dans ce dernier cas, le droit public cantonal l'emporte sur le droit privé fédéral (
art. 6 al. 1 CC
).
c) Le problème qui se pose en l'espèce est toutefois différent. Il s'agit de savoir si le droit fédéral de l'assurance-maladie sociale autorise une caisse-maladie constituée en association à déroger dans ses statuts à l'
art. 70 al. 2 CC
en imposant aux membres démissionnaires un délai plus long ou des conditions plus restrictives que celles qui sont prévues par le code civil. La réponse à cette question ne peut qu'être négative. La LAMA ne prévoit en effet aucune obligation d'assurance. C'est même le fondement de tout le système suisse de l'assurance-maladie sociale, le législateur fédéral s'étant jusqu'à présent toujours refusé à faire usage de la compétence que l'
art. 34bis al. 2 Cst.
lui confère depuis plus d'un siècle. Or, seule une obligation d'adhésion ("Zwangsmitgliedschaft") fondée sur le droit public, fédéral ou cantonal, peut faire obstacle à la liberté d'un membre de démissionner d'une association, ou permettre à une caisse-maladie de fixer un délai de préavis plus long que celui qui est prévu à l'
art. 70 al. 2 CC
(RIEMER, op.cit., Syst. Teil n. 149 et 161, n. 270 ad
art. 70 CC
).
Certes, la jurisprudence fondée sur le principe de l'application subsidiaire du droit privé aux caisses-maladie a été critiquée par la doctrine (cf. notamment FREIVOGEL, Das Ende der Leistungspflicht von Krankenkassen nach Erlöschen der Kassenmitgliedschaft, RSJ 1985/81 p. 284). En l'occurrence, on ne voit toutefois pas en quoi la règle de l'
art. 70 al. 2 CC
serait en contradiction avec le sens et le but de l'assurance-maladie sociale. Tous les arguments invoqués en l'espèce pour écarter l'application de l'art. 19 al. 1 st. ou, subsidiairement, celle de l'
art. 70 al. 2 CC
ne se fondent nullement sur les caractéristiques propres à l'assurance-maladie sociale mais uniquement sur la prétendue nécessité d'empêcher d'éventuels abus lors de la conclusion d'une assurance des frais de soins médico-pharmaceutiques avec franchise annuelle à option. Autrement dit, la caisse défend un intérêt purement financier, sans rapport avec le but d'intérêt général de la législation en matière d'assurance-maladie sociale.
BGE 117 V 53 S. 60
Il suffit, pour s'en convaincre, de reprendre les arguments en question, exposés ci-dessus au consid. 2e:
- Le principe de l'égalité de traitement n'est pas en cause en l'espèce. L'équilibre des risques doit être réalisé par le calcul des cotisations, en respectant d'une part le principe fondamental de l'art. 16, première phrase, Ord. V et d'autre part les règles spéciales sur les cotisations en cas de franchise à option (art. 26quater Ord. V et ordonnance 11 du DFI sur l'assurance-maladie concernant les cotisations des assurés en cas de franchise annuelle à option, du 8 décembre 1986, dans la version - déterminante en l'occurrence - valable jusqu'au 31 décembre 1990 (RO 1991 I 17). Dans l'éventualité ou un membre ne démissionnerait que pour s'affilier à nouveau à la même caisse, afin de contourner les dispositions réglementaires soumettant à certains délais le droit d'un assuré de demander une diminution de la franchise (cf. à ce sujet
ATF 117 V 62
), la caisse pourrait faire échec à cette manoeuvre en ne l'admettant que dans l'assurance de base, seule obligation que lui impose la loi (
ATF 114 V 274
). Au demeurant, l'argument en question n'est guère pertinent. Si un assuré prend le risque de démissionner pour s'assurer à nouveau, mais à des conditions qu'il juge plus avantageuses, c'est en principe pour s'affilier à une autre caisse ou pour bénéficier d'un contrat d'assurance collective conclu par son employeur. C'est en réalité à cette possibilité que la disposition réglementaire litigieuse cherche à faire obstacle.
- Il est vrai que la solution préconisée par le premier juge, à savoir l'application ex officio de l'
art. 70 al. 2 CC
en lieu et place de l'art. 19 al. 1 st., ne respecte pas le principe de l'égalité de traitement des assurés. Si cette solution doit être écartée, ce n'est toutefois pas parce qu'elle contrevient à l'art. 13 al. 3 du règlement, mais parce qu'elle lèse les droits de l'assuré.
- L'argument selon lequel on ne peut réglementer différemment le délai de démission et celui de modification de la franchise n'est pas plus pertinent que le premier argument ci-dessus exposé. Le passage d'une franchise à une autre et le droit de démissionner de la caisse sont deux problèmes différents qui doivent être réglés indépendamment l'un de l'autre.
- Il n'est nullement prouvé que les assurés qui choisissent la franchise à option bénéficient de primes avantageuses par rapport au risque couvert par la caisse. En effet, le Conseil fédéral, qui a entendu fixer lui-même les principes de calcul des cotisations en cas
BGE 117 V 53 S. 61
de franchise à option, l'a fait de telle manière que les facteurs de réduction des cotisations soient inférieurs à ce qu'ils seraient si l'on s'en tenait aux seuls critères actuariels. C'est l'objet de l'art. 26quater Ord. V, complété par l'ordonnance 11 du DFI (v.
ATF 117 V 66
consid. 3c).
- Dans la mesure ou le droit de sortir d'une société coopérative est réglementé de manière différente du droit de démissionner d'une association, il y a effectivement inégalité de traitement. Mais ce n'est qu'une apparence puisque les caisses sont libres de régler comme elles l'entendent les modalités de la démission de leurs membres, à la seule condition de ne pas fixer des délais plus longs que ceux que prescrivent les règles du droit privé qui assurent une protection minimale aux membres sortants (
art. 70 al. 2 CC
et 842 ss CO).
- Il n'y a pas lieu d'appliquer le principe de proportionnalité au cas d'espèce. A cet égard, le raisonnement du premier juge est erroné. - Enfin, nul ne peut être contraint de respecter une réglementation statutaire qui viole la loi. Cela étant, on ne saurait reprocher à l'assuré de s'en prendre à une condition d'assurance qui restreint son droit de démissionner aux conditions et dans le délai prévu à l'art. 19 al. 1 st.
4.
Il apparaît ainsi que dans la mesure ou il subordonne le droit d'un assuré de démissionner de la caisse à une durée d'affiliation minimale de trois ans et à un délai de résiliation d'un an, l'art. 13 al. 3 du règlement déroge sans justification objective à l'art. 19 al. 1 st. Au surplus, il n'est pas conforme à l'
art. 70 al. 2 CC
, disposition de droit fédéral applicable en l'occurrence, bien que la caisse ne soit pas une association ordinaire mais une caisse-maladie reconnue.
La démission d'une association donnée en conformité des statuts est un acte formateur unilatéral non soumis à acceptation (RAMA 1988 n K 785 p. 411 consid. 3; RIEMER, op.cit., n. 266 ad
art. 70 CC
). En l'espèce, William L. a fait part de sa démission à la caisse, en omettant toutefois de préciser à partir de quelle date. Dans ces conditions - et cela ressort aussi du dossier de la procédure - on doit admettre qu'il entendait démissionner pour le plus prochain terme statutaire, à savoir le 31 janvier 1989. Il en avait le droit et la caisse ne pouvait exiger de sa part qu'il restât membre et assuré, au-delà de cette date. Le recours de William L. apparaît ainsi bien fondé, ce qui entraîne l'annulation de la
BGE 117 V 53 S. 62
décision administrative litigieuse et celle du jugement entrepris qui impose à tort au recourant un délai de préavis d'une année, en reportant l'effet de sa démission jusqu'à la fin de l'année 1989. Quant au recours de la caisse, il doit être rejeté.
5.
(Frais de justice) | null | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
38980d8a-9de7-4f0e-9ec4-c33806db2018 | Urteilskopf
123 V 75
13. Arrêt du 14 mars 1997 dans la cause R. contre Caisse publique cantonale valaisanne de chômage et Commission cantonale valaisanne de recours en matière de chômage | Regeste
Art. 54 Abs. 1 und
Art. 55 AVIG
,
Art. 166 OR
.
Die Arbeitslosenkasse darf den Anspruch auf Insolvenzentschädigung nicht von der Anfechtung des Kollokationsplanes durch den Versicherten abhängig machen (Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 75
BGE 123 V 75 S. 75
A.-
R. a travaillé en qualité de soudeur au service de S. SA Son employeur étant tombé en faillite le 23 mars 1994, l'assuré a requis le versement d'indemnités en cas d'insolvabilité pour la période s'étendant du 1er janvier au 28 février 1994 (demande reçue par la Caisse publique cantonale valaisanne de chômage le 13 avril 1994). Par ailleurs, le 14 avril 1994 (date de réception par l'Office des faillites de T.), il a produit une créance de salaire de 11 881 francs (montant brut) dans la faillite de son employeur.
BGE 123 V 75 S. 76
Par lettre du 19 avril 1994, la caisse de chômage a informé l'assuré que l'indemnité en cas d'insolvabilité lui serait allouée pour la période demandée, de sorte qu'elle était subrogée dans ses droits concernant sa créance de salaire, y compris le privilège légal, jusqu'à concurrence de l'indemnité versée et des cotisations aux assurances sociales acquittées par ses soins. La caisse a dès lors versé, en trois fois, un montant net de 9'611 fr. 15 à l'assuré, selon trois décomptes datés des 19 avril, 21 juin et 19 août 1994.
Le 2 novembre 1994, l'Office des faillites de T. a colloqué la créance de l'assuré en première classe jusqu'à concurrence de 3'517 fr. 15, la production étant écartée pour le surplus. Ni la caisse, ni l'assuré n'ont attaqué l'état de collocation. Après que ce dernier fut entré en force, la caisse a invité l'assuré, par décision du 1er mars 1995, à lui restituer les montants qui n'avaient pas été admis à l'état de collocation, soit une somme de 6'519 fr. 50.
B.-
R. a recouru contre cette décision devant la Commission cantonale valaisanne de recours en matière de chômage, en concluant son annulation.
Par jugement du 15 décembre 1995, l'autorité cantonale a rejeté le recours.
C.-
L'assuré interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont il demande l'annulation, en reprenant ses conclusions formulées en première instance. Il allègue que la somme de l'ordre de 6'500 francs qu'il avait reçue de son employeur à titre d'avance était destinée à couvrir des frais professionnels de déplacement (hôtel et essence) et ne constituait donc pas un salaire.
La caisse intimée et l'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail (OFIAMT) ont tous deux renoncé à répondre au recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Est litigieux le point de savoir si le recourant doit restituer à l'intimée la somme de 6'519 fr. 50, laquelle n'a pas été admise à l'état de collocation de la faillite de son employeur, pour le motif que l'administration de la faillite a considéré que le créancier avait déjà touché cette somme à titre d'avance de salaire.
2.
a) Dans l'arrêt
ATF 112 V 69
sv. consid. 4, le Tribunal fédéral des assurances a laissé indécis le point de savoir si le droit à l'indemnité en cas d'insolvabilité pouvait être subordonné à la condition que l'assuré ait contesté l'état de collocation. Par ailleurs, il a précisé qu'il était
BGE 123 V 75 S. 77
nécessaire qu'un dommage soit survenu, avant qu'un comportement fautif - sous la forme d'une négligence grave ou d'une faute intentionnelle - puisse donner lieu à sanction.
b) De son côté, le Tribunal fédéral a eu l'occasion d'examiner la question de la qualité d'une caisse de chômage pour attaquer un état de collocation dans une situation analogue.
C'est ainsi qu'il a précisé que lorsque la caisse verse l'indemnité de chômage parce qu'elle a des doutes quant aux droits de son assuré découlant du contrat de travail, elle se subroge au chômeur dans tous ses droits, y compris le privilège légal, jusqu'à concurrence de ses prestations (
art. 29 al. 1 et 2 LACI
). La subrogation légale de la caisse intervient également lors du versement de l'indemnité en cas d'insolvabilité (
art. 54 al. 1 LACI
). Pour qu'elle ne demeure pas sans effet, la loi prévoit expressément, dans cette dernière hypothèse, que, dans la procédure de faillite ou de saisie, le travailleur est tenu de prendre toutes les mesures propres à sauvegarder son droit envers l'employeur, jusqu'à ce que la caisse l'informe de la subrogation dans ladite procédure (
art. 55 al. 1 LACI
), faute de quoi il devra rembourser l'indemnité dans les cas visés par l'
art. 55 al. 2 LACI
. La production de la créance de salaire dans la faillite de l'employeur constitue l'une de ces mesures. De l'
art. 55 al. 1 LACI
on peut donc déduire, d'une part, le droit du travailleur de produire même des créances de salaire qui ont déjà été transférées à la caisse par l'effet de la subrogation légale, d'autre part, la possibilité pour la caisse de décider à quel moment elle deviendra partie à la procédure de faillite. Par conséquent, dans l'affaire dont il était saisi, le Tribunal fédéral a considéré que la caisse de chômage avait le droit d'intervenir personnellement dans la procédure de faillite et d'intenter en son propre nom une action en contestation de l'état de collocation (
ATF 120 II 365
et les références).
Dans ce même arrêt, le Tribunal fédéral a souligné qu'à l'ouverture de la faillite, la qualité pour agir, relativement à la créance de salaire future exigible dès ce moment-là (
art. 208 LP
), n'appartenait qu'à l'assuré. De même a-t-il rappelé que la loi interdit, en principe, à la caisse de chômage de renoncer à faire valoir ses droits résultant de la subrogation (art. 29 al. 2 et 54 al. 1 LACI).
c) A ce qui précède, on ajoutera que la cession légale a pour effet de transférer la qualité de créancier de l'assuré à la caisse de chômage (
art. 166 CO
;
ATF 115 V 24
ss consid. 4 et les références,
ATF 112 II 129
consid. 5f; voir HONSELL/VOGT/WIEGAND, Obligationenrecht I, 2e éd., pp. 835-837, et GAUCH/SCHLUEP/TERCIER, Partie générale du droit des obligations, 2e éd.,
BGE 123 V 75 S. 78
vol. II, no 2244 p. 181). GERHARDS (Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, vol. I, nos 29 et 30 ad art. 29) soutient que la cession légale dont il est question à l'
art. 29 al. 2 LACI
a pour but d'éviter que le travailleur ne soit obligé de procéder en justice contre son employeur; aussi estime-t-il que la caisse de chômage ne peut rétrocéder la créance à l'assuré une fois qu'elle a été subrogée dans les droits de ce dernier. Par ailleurs, lorsque la cession a lieu en vertu de la loi (cf.
art. 166 CO
), le précédent créancier n'est garant ni de l'existence de la créance, ni de la solvabilité du débiteur (
art. 173 al. 2 CO
; HONSELL/VOGT/WIEGAND, op.cit., p. 858; GAUCH/SCHLUEP/TERCIER, op.cit., no 2245 p. 181).
Ces principes s'appliquent également à l'indemnité en cas d'insolvabilité (
art. 54 al. 1 LACI
). Il en découle qu'un assuré perd tout droit propre à la créance de salaire produite dans la faillite de son employeur, jusqu'à concurrence de l'indemnité qu'il reçoit de l'assurance-chômage. Dès lors une caisse de chômage ne peut subordonner le droit d'un assuré à l'indemnité en cas d'insolvabilité à la condition que ce dernier ait contesté l'état de collocation. L'arrêt
ATF 112 V 69
sv. consid. 4 doit être précisé dans ce sens.
3.
En l'occurrence, le recourant a produit sa créance de salaire dans la faillite de son employeur (l'Office des faillites de T. a reçu sa production le 14 avril 1994). On ne saurait donc soutenir qu'il ne s'est pas conformé à ses obligations légales (
art. 55 al. 1 LACI
), jusqu'à ce que la caisse l'informe de sa subrogation dans la procédure et qu'elle se soit effectivement subrogée à lui dès le premier versement des indemnités (cf. son écriture du 19 avril 1994 ainsi que le décompte de cette date-là). Quant à l'intimée, qui était légalement subrogée dans les droits de l'assuré (
art. 54 al. 1 LACI
), elle a renoncé à contester l'état de collocation, bien que l'Office des faillites de T. lui ait dûment notifié l'avis spécial aux créanciers, le 2 novembre 1994, conformément aux
art. 249, 250 LP
et 68 OAOF. Pourtant, au regard du texte clair de l'art. 54 al. 1, 2e phrase LACI, il lui incombait de contester l'état de collocation, en requérant si besoin était le concours de l'assuré pour apporter les preuves nécessaires à l'aboutissement de son action. Ce n'est que dans l'hypothèse où l'assuré aurait refusé de l'assister utilement dans cette procédure (cf. art. 55 al. 1, 2e phrase LACI) que la caisse aurait pu se retourner contre lui et lui réclamer la réparation du dommage qu'elle aurait subi par sa faute (
art. 55 al. 2 LACI
;
ATF 112 V 69
sv. consid. 4), éventualité qui n'est pas réalisée ici.
BGE 123 V 75 S. 79
4.
Il s'ensuit que la caisse de chômage a réclamé à tort au recourant la restitution des indemnités litigieuses. Le recours est bien fondé. | null | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
389a09fd-9dfc-418d-820a-78bb78fa70f9 | Urteilskopf
101 IV 221
48. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 23 mai 1975 dans la cause Lorenzetti contre Conseil d'Etat du canton du Valais | Regeste
Art. 32 Abs. 1 SVG
.
Art. 4 Abs. 2 VRV
. Angemessene Geschwindigkeit.
Wo die Strasse vereist ist, muss der Fahrzeugführer die nötige Vorsicht walten lassen, um ein Schleudern des Fahrzeuges zu verhindern; nötigenfalls hat er im Schrittempo zu fahren. Der Lenker kann sich zu seiner Entlastung nicht auf unvorhersehbare, aussergewöhnliche Umstände berufen, wenn er ein durch Signal Nr. 105 gekennzeichnetes Strassenstück befährt, dessen häufige Vereisung ihm bekannt ist, und wenn er zudem durch einen aus der Gegenrichtung kommenden Automobilisten mit der Lichthupe gewarnt wurde. | Sachverhalt
ab Seite 222
BGE 101 IV 221 S. 222
A.-
Le 20 novembre 1973, à 10 h, Marie-Antoinette Lorenzetti circulait au volant de sa voiture sur la route cantonale de la Souste en direction de Sierre. Le temps était clair mais il faisait froid. A la hauteur du restaurant Ermitage, dans une longue courbe à gauche, traversant le bois de Finges et privée de soleil à cette saison, son véhicule a dérapé et, zigzaguant sur la route verglacée, est entré en collision avec une voiture circulant normalement sur la voie qui lui était réservée, puis avec deux autres véhicules venant également en sens inverse. Si les dégâts matériels ont été importants, il n'y a pas eu de blessés.
B.-
Le 29 mars 1974, le Département de justice et police du canton du Valais a condamné dame Lorenzetti à 100 fr. d'amende pour violation des art. 32 al. 1 LCR et 4 al. 2 OCR. Sur recours de la condamnée, l'amende a été réduite de moitié par le Conseil d'Etat du canton du Valais, statuant le 15 janvier 1975.
C.-
Dame Lorenzetti se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral; elle conclut à libération.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le Conseil d'Etat reproche à la recourante d'avoir roulé à une vitesse inadaptée et d'avoir de ce fait perdu la maîtrise de son véhicule.
a) Aux termes de l'art. 32 al. 1 LCR, la vitesse doit toujours être adaptée aux circonstances, notamment aux conditions de la route. Quant à l'art. 4 al. 2 OCR, il prescrit au conducteur de rouler lentement lorsque la chaussée est recouverte de glace. Il n'est pas possible de donner dans ce cas une valeur absolue à la vitesse qui peut être considérée comme
BGE 101 IV 221 S. 223
convenable. Cela dépendra de cas en cas de l'état et de la configuration de la route, de la densité du trafic, des caractéristiques du véhicule, de son chargement, de la nature des pneumatiques, etc. Le conducteur doit cependant prendre toute précaution pour empêcher son véhicule de déraper, devrait-il pour cela, le cas échéant, rouler à l'allure d'un homme au pas.
b) En l'occurrence, la route cantonale à la hauteur du restaurant Ermitage était verglacée, comme c'est souvent le cas durant les mois d'hiver. La recourante qui est familière des lieux n'ignorait pas ce risque. De plus, au début du tronçon dangereux, son attention avait été attirée par l'appel de phares que lui avait fait un automobiliste venant en sens inverse. Enfin, la présence de verglas était portée à la connaissance des usagers par le signal No 105 et par un panneau complémentaire avertissant que le danger existait sur une distance de 9 km. La recourante ne saurait donc soutenir qu'elle a été surprise par la présence du verglas et, si son véhicule a dérapé, dès lors qu'il était en bon état et qu'elle soutient ne pas avoir effectué de manoeuvre brusque et n'avoir pas donné intempestivement des gaz, l'explication ne peut en être trouvée que dans une vitesse excessive, si basse qu'elle ait été. C'est ce qu'a retenu l'autorité cantonale.
Certes, celle-ci a écrit dans l'arrêt attaqué que la faute de la recourante était "présumée". Il est clair que si le terme utilisé devait être pris au pied de la lettre, la décision du Conseil d'Etat devait être annulée, tant il est vrai que la présomption de faute - exception faite de certaines hypothèses en droit pénal fiscal - est contraire aux principes du droit pénal. Il apparaît toutefois nettement au vu des explications données par l'autorité cantonale - et plus particulièrement des considérants relatifs au retrait de permis - que l'on est en présence d'un lapsus calami. En réalité, tout démontre, dans l'arrêt attaqué, que la faute de la recourante n'a pas été présumée, mais que son existence a été admise comme la seule explication possible de la perte de maîtrise du véhicule. On peut lire en effet: "Il faut admettre... qu'elle a pratiqué en fait une vitesse trop élevée et qu'elle aurait dû modérer davantage son allure. Les traces de freinage, quelque peu visibles mais attestées par la police, constituent une preuve suffisante à la charge de la recourante."
BGE 101 IV 221 S. 224
Si l'on s'en tient à cette constatation qui est fondée sur une appréciation des preuves qui échappe à la censure du Tribunal fédéral (cf. art. 277bis al. 1 PPF), l'arrêt attaqué prête d'autant moins le flanc à la critique que, selon la jurisprudence, l'automobiliste qui dérape sur une route verglacée alors que des circonstances auraient dû l'engager à envisager une telle possibilité, commet une faute même si avant l'accident il ne s'est pas rendu compte de la présence du danger (RO 82 IV 110, 98 II 44 et l'arrêt non publié Ziehbrunner du 21 décembre 1973).
2.
C'est en vain que la recourante allègue que le rapport de police ne préciserait pas ce qui a permis de distinguer les traces de freinage de celles laissées par le dérapage et par la glissade de son véhicule, et de les attribuer à ce dernier. Un tel grief portant sur l'appréciation des preuves et sur les constatations de l'autorité cantonale est irrecevable dans le cadre d'un pourvoi en nullité (art. 273 al. 1 lit. b PPF). Certes, l'autorité cantonale - vraisemblablement par inadvertance - parle uniquement de traces de freinage alors que le rapport de police fait état de traces de glissade et de dérapage, mais cela n'emporte aucune conséquence quant à la conclusion qui en a été tirée, car ces traces, quelle que soit leur nature et dès lors qu'elles sont le fait de la voiture de la recourante, démontrent que celle-ci a quitté la voie qui lui était réservée à cause d'une vitesse trop élevée. En effet, si la vitesse avait été adaptée aux circonstances, le freinage eût été inutile et il n'y aurait pas eu de dérapage.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi dans la mesure où il est recevable. | null | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
389f06c5-a0ab-44fb-9c1b-44b311e719ef | Urteilskopf
137 I 58
6. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit social dans la cause Y. contre Commune de Lausanne (recours en matière de droit public)
8C_70/2010 du 20 décembre 2010 | Regeste
Art. 70 des Reglements vom 11. Oktober 1977 für das Personal der kommunalen Verwaltung der Stadt Lausanne.
Befugnis des kantonalen Gerichts, die Verfügung eines öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers insofern abzuändern, als eine Kündigung mit sofortiger Wirkung in eine Kündigung aus wichtigen Gründen mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten umgewandelt wird (E. 4.3). | Sachverhalt
ab Seite 58
BGE 137 I 58 S. 58
A.
Y. a été engagé par la Commune de Lausanne en qualité de médecin-dentiste. Il a bénéficié du statut de fonctionnaire depuis le 1
er
janvier 1998.
Les traitements offerts par le service dentaire scolaire de la Commune de Lausanne sont administrés dans trois cabinets, dénommés A., B. et C., situés à O. (ci-après: le groupe O.), auxquels sont affectés un médecin-dentiste et une assistante dentaire. Y. a été affecté au cabinet A. Les autres responsables d'un cabinet sont K. (cabinet B.) et G. (cabinet C.). Ces médecins travaillent d'une manière indépendante de leurs confrères, avec une clientèle séparée, mais disposent
BGE 137 I 58 S. 59
d'infrastructures communes comme un secrétariat, un laboratoire et le service d'une hygiéniste.
L'ambiance de travail s'est dégradée en 2007. Au mois de mars, L., répondante en ressources humaines du service dentaire communal, a alors organisé des entretiens avec les collaborateurs au sujet des reproches adressés à Y. par des collaborateurs du groupe O.
Le 10 juillet 2007, V., chef du service dentaire scolaire, a entendu l'intéressé. Le même jour, il lui a adressé une mise en demeure. Celui-ci a été averti qu'une procédure de licenciement serait engagée s'il devait être constaté, le 14 janvier 2008 lors de l'analyse de la situation, que son comportement ne s'était pas modifié.
Au cours des mois suivants, V. a été saisi de diverses plaintes concernant Y.
Le 21 décembre 2007, T., membre de l'exécutif communal, a informé l'intéressé de son intention d'ouvrir une procédure tendant à son renvoi pour justes motifs à la suite de plusieurs plaintes qui l'avaient obligé à réévaluer la situation. A la suite d'un entretien qui s'est déroulé le 7 janvier 2008, les rapports de travail ont été suspendus avec effet immédiat, avec maintien du droit au traitement, et l'intéressé a été informé qu'une procédure d'enquête allait être mise en oeuvre. Cette suspension a été confirmée par la Municipalité de Lausanne (ci-après: la municipalité). Y. s'est opposé à la suspension le 16 janvier 2008.
Dans une séance du 23 juillet 2008, la municipalité a pris la décision de principe de licencier l'intéressé pour justes motifs avec effet immédiat. Y. a demandé à consulter la commission paritaire. Celle-ci s'est réunie le 30 octobre 2008 et s'est ralliée à la décision de principe, après avoir entendu plusieurs témoins.
Par décision du 19 novembre 2008, la municipalité a confirmé sa décision de principe et licencié Y. pour justes motifs avec effet immédiat, le traitement continuant d'être versé jusqu'au 30 novembre suivant.
B.
L'intéressé a recouru contre cette décision dont il demandait l'annulation devant la Cour de droit administratif et public du Tribunal cantonal du canton de Vaud (ci-après: le tribunal cantonal). Il a conclu à sa réintégration dans ses fonctions avec effet immédiat et à ce que la Commune de Lausanne fût condamnée à lui payer un montant de 76'520 fr. à titre de réparation du dommage et du tort moral subis.
BGE 137 I 58 S. 60
Après avoir donné aux parties la possibilité de se déterminer sur les comptes rendus résumés d'audience, le tribunal cantonal a admis partiellement le recours et réformé la décision attaquée en ce sens qu'il est prononcé un licenciement ordinaire avec effet au 28 février 2009 (jugement du 17 décembre 2009).
C.
Y. interjette un recours en matière de droit public en concluant principalement à la réforme de ce jugement en ce sens que la décision de licenciement pour justes motifs avec effet immédiat du 19 novembre 2008 est annulée, qu'il est réintégré dans ses fonctions avec effet immédiat et que la Commune de Lausanne est reconnue débitrice d'un montant de 76'520 fr. à titre de réparation du dommage et du tort moral subis. Subsidiairement, il demande l'annulation du jugement attaqué et le renvoi de la cause à la juridiction cantonale pour nouveau jugement dans le sens des considérants, le tout sous suite de frais et dépens.
Le recours a été rejeté.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
La juridiction cantonale a considéré que l'aptitude et le comportement du recourant étaient de nature à justifier un renvoi pour justes motifs au sens de l'art. 70 du règlement du 11 octobre 1977 pour le personnel de l'administration communale (RPAC) de la Ville de Lausanne, dès lors que la poursuite des rapports de service ne pouvait être exigée, selon les règles de la bonne foi. En ce qui concerne ses relations avec ses collègues orthodontistes G. et K., elle a constaté que l'intéressé provoquait des tensions difficilement supportables en s'immisçant dans leur travail, en les critiquant et en s'obstinant à leur imposer ses idées. Au sujet de ses rapports avec les collaborateurs et les patients du groupe O., la juridiction précédente a relevé le caractère irritable et agressif de l'intéressé qui criait, perdait facilement patience, arrachait le courrier des mains et parlait durement aux jeunes patients. Ce comportement inadéquat avait fortement contribué à dégrader le climat de travail, dans la mesure où il relevait d'une attitude générale de l'intéressé. Selon les premiers juges, cette dégradation du climat de travail avait eu finalement des conséquences sur la santé et la motivation de plusieurs collaborateurs et, par ricochet, sur le fonctionnement du groupe.
Par ailleurs, la juridiction cantonale a constaté que l'ensemble des circonstances dans lesquelles avait eu lieu le renvoi pour justes
BGE 137 I 58 S. 61
motifs ne permettait pas de conclure à l'existence d'un licenciement abusif. Certes, elle a relevé que la situation n'avait pas été gérée de manière optimale par le chef de service qui s'était contenté de recueillir les plaintes des collègues orthodontistes et des collaborateurs sans prendre de mesures concrètes pour tenter de remédier au climat conflictuel régnant au sein du groupe et pour résoudre les conflits dont il avait connaissance. Selon les premiers juges, cette circonstance n'est toutefois pas déterminante dans le cas concret, du moment que le chef de service n'était pas confronté à un conflit d'ordre général mettant en cause plusieurs collaborateurs mais qu'au contraire, seul le recourant posait des problèmes de "savoir-être" nuisant au travail en commun. En outre, la juridiction cantonale a relevé que l'intéressé avait été suffisamment informé des reproches le concernant, sur le vu de la liste des plaintes portée à sa connaissance lors de son audition le 10 juillet 2007.
Cela étant, les premiers juges ont cependant considéré que les circonstances du cas particulier ne justifiaient pas un licenciement immédiat. Ils ont constaté que l'événement qui avait motivé l'ouverture de la procédure de licenciement le 21 décembre 2007 n'était pas un élément supplémentaire à reprocher à l'intéressé mais le fait que son assistante n'avait pas supporté d'apprendre que celui-ci était maintenu dans son activité. Par ailleurs, ils ont jugé que le délai de onze mois qui s'était écoulé entre l'ouverture de la procédure le 21 décembre 2007 et le licenciement du 19 novembre 2008 faisait obstacle à un licenciement immédiat. Aussi, la juridiction cantonale a-t-elle réformé la décision de licenciement pour justes motifs avec effet immédiat en décision de licenciement pour justes motifs avec préavis de trois mois, non sans avoir constaté que les conditions de mise en demeure formelle de l'art. 71
bis
RPAC avaient été respectées par l'avertissement notifié au mois de juillet 2007.
4.
4.1
4.1.1
Par un premier moyen, le recourant invoque une constatation arbitraire des faits par la juridiction cantonale. En particulier, il lui reproche d'avoir omis certains éléments de fait susceptibles, selon lui, d'établir qu'il n'était pas le seul responsable de la dégradation du climat de travail. En outre, il s'élève contre le fait que les premiers juges n'ont pas pris en considération ses grandes qualités professionnelles ni expliqué les raisons pour lesquelles ses compétences
BGE 137 I 58 S. 62
sociales, jusque-là qualifiées de bonnes par le chef de service, se seraient brusquement dégradées au début de l'année 2007. Enfin, il conteste le fait qu'il aurait été informé en temps utile par son employeur des plaintes exprimées contre lui par le personnel du groupe O. En particulier, il fait valoir que la liste des plaintes prétendument annexée au procès-verbal d'audition du 10 juillet 2007 ne lui a jamais été communiquée et qu'en réalité, en lui accordant la possibilité, le 14 décembre 2007, de faire valoir par écrit ses objections au sujet du questionnaire prérempli, l'employeur a admis que son appréciation négative ne correspondait plus à la situation du moment, eu égard aux progrès qu'il avait accomplis entre-temps.
4.1.2
Le Tribunal fédéral statue en principe sur la base des faits établis par l'autorité précédente (
art. 105 al. 1 LTF
), sous réserve des cas prévus à l'
art. 105 al. 2 LTF
. Le recourant ne peut critiquer la constatation de faits importants pour le jugement de la cause que si ceux-ci ont été établis en violation du droit au sens de l'
art. 95 LTF
ou de manière manifestement inexacte (
art. 97 al. 1 LTF
), c'est-à-dire arbitraire (cf. Message du 28 février 2001 concernant la révision totale de l'organisation judiciaire fédérale, FF 2001 4135), et si la correction du vice est susceptible d'influer sur le sort de la cause. La violation peut consister en un état de fait incomplet, car l'autorité précédente viole le droit matériel en n'établissant pas tous les faits pertinents pour l'application de celui-ci. L'appréciation des preuves est arbitraire lorsqu'elle est manifestement insoutenable, en contradiction avec le dossier, ou contraire au sens de la justice et de l'équité ou lorsque l'autorité ne tient pas compte, sans raison sérieuse, d'un élément propre à modifier la décision, se trompe sur le sens et la portée de celui-ci ou, se fondant sur les éléments recueillis, en tire des constatations insoutenables (
ATF 134 V 53
consid. 4.3 p. 62 et les références). Il appartient au recourant de démontrer le caractère arbitraire par une argumentation répondant aux exigences de l'
art. 42 al. 2 LTF
, respectivement de l'
art. 106 al. 2 LTF
(
ATF 133 II 249
consid. 1.4.3 p. 254 s.).
4.1.3
En l'espèce, le recours ne contient toutefois aucune démonstration du caractère arbitraire de l'état de fait du jugement attaqué. En effet, le recourant n'expose pas en quoi l'appréciation des preuves par le tribunal cantonal est manifestement insoutenable. Son argumentation tend plutôt à substituer sa propre appréciation à celle de l'autorité précédente. En particulier, l'allégation, selon laquelle c'est
BGE 137 I 58 S. 63
le chef de service lui-même qui aurait contribué à la dégradation de l'ambiance de travail par une communication du mois de septembre 2006 au sujet des efforts indispensables pour assurer la pérennité du cabinet, ne repose sur aucun élément concret.
4.2
Par un deuxième moyen, le recourant invoque une application du droit arbitraire et contraire à la bonne foi par la juridiction précédente.
4.2.1
Dans la mesure où il se contente ici également de présenter sa propre appréciation de la situation de fait, on ne saurait se rallier au point de vue de l'intéressé, selon lequel les premiers juges ont violé arbitrairement le droit en tant qu'ils ont admis l'existence de justes motifs de licenciement.
4.2.2
En outre, le recourant reproche au tribunal cantonal d'avoir nié le caractère abusif du licenciement, bien qu'il ait constaté que la Commune de Lausanne n'avait pas cherché à résoudre le problème par une mesure concrète comme la médiation ou le coaching, mais s'était contentée de recueillir les plaintes des collaborateurs du cabinet. De son côté, l'intimée fait valoir que l'intéressé a été clairement informé des insuffisances reprochées et des attentes de l'employeur, de sorte que son entêtement à ne pas y satisfaire rendait inutile toute autre mesure comme un coaching ou une médiation.
4.2.3
Il incombe à l'employeur public, comme à l'employeur privé (
art. 328 CO
), de protéger et respecter la personnalité du travailleur. Cette obligation comprend notamment le devoir de l'employeur d'agir dans certains cas pour calmer la situation conflictuelle et de ne pas rester inactif. Le point de savoir si et, le cas échéant, quand une réaction est indiquée dépend toutefois largement de l'appréciation du cas concret. Dans le cadre du pouvoir d'examen limité à l'arbitraire, le Tribunal fédéral n'intervient que lorsque l'attitude de l'employeur apparaît manifestement insoutenable (arrêts 8C_340/2009 du 24 août 2009 consid. 4.3.2; 1C_245/2008 du 2 mars 2009 consid. 4.2; 1C_406/2007 du 16 juillet 2008 consid. 5.2).
En l'occurrence, il n'y a pas lieu d'examiner plus avant si la Commune de Lausanne a pleinement satisfait à son devoir de protection de la personnalité du travailleur. Etant donné que l'autorité d'engagement dispose d'une liberté d'appréciation dans le choix des mesures de résolution des conflits (arrêt 8C_340/2009 du 24 août 2009 consid. 4.3.3), le licenciement n'apparaît pas, du moins dans son résultat, comme une violation grave du droit, même en cas de
BGE 137 I 58 S. 64
manquement éventuel au devoir de protection de la personnalité de l'employé. Sur le vu des circonstances du cas particulier, le licenciement apparaît bien plutôt comme un moyen approprié pour gérer la situation problématique. En tout cas, on ne saurait qualifier d'arbitraire le point de vue des premiers juges selon lequel le licenciement était justifié au regard de la profonde dégradation de l'ambiance de travail et de ses retombées sur la motivation des collaborateurs et le fonctionnement du groupe O.
4.3
4.3.1
Par un troisième moyen, le recourant fait valoir qu'en s'arrogeant la compétence de réformer la décision de l'intimée en transformant le licenciement avec effet immédiat en licenciement pour justes motifs avec préavis de trois mois, la juridiction cantonale a fait une application arbitraire de l'art. 89 de la loi cantonale vaudoise du 28 octobre 2008 sur la procédure administrative (LPA/VD; RSV 173.36; en vigueur depuis le 1
er
janvier 2009) - applicable par analogie au recours devant le tribunal cantonal (
art. 99 LPA
/VD) - selon lequel l'autorité n'est pas liée par les conclusions des parties (al. 1) et elle peut modifier la décision à l'avantage ou au détriment du recourant (al. 2). A l'appui de son point de vue, l'intéressé invoque deux arrêts du Tribunal fédéral concernant la conversion par le juge civil d'un acte formateur non valable (
ATF 135 III 441
et
ATF 123 III 86
). En outre, il se réfère à un jugement du Tribunal cantonal vaudois GE. 2008.0160 du 13 janvier 2009 consid. 2, dans lequel ledit tribunal s'est abstenu de réformer une décision de la Commune de Lausanne, en renonçant à convertir un licenciement immédiat en licenciement ordinaire.
4.3.2
Dans l'arrêt
ATF 135 III 441
, le Tribunal fédéral a jugé qu'une résiliation anticipée inefficace d'un contrat de bail fondée sur l'
art. 261 al. 2 let. a CO
(résiliation du bail lors d'un changement de propriétaire), ne peut pas être convertie par le juge civil en une résiliation ordinaire valable, par application de l'
art. 266a al. 2 CO
. Il a considéré, en résumé, que celui qui résilie un contrat exerce un droit formateur. En d'autres termes, il fait usage de la faculté conférée par l'ordre juridique à un des cocontractants de modifier unilatéralement, par sa seule manifestation de volonté, la situation juridique de l'autre partie. Ainsi, la notion de droit formateur exclut en principe la possibilité d'une conversion par le juge parce que, d'une part, celui-ci ne peut pas, en principe, suppléer une volonté qui n'a
BGE 137 I 58 S. 65
pas été manifestée et que, d'autre part, il importe d'assurer la sécurité du droit et de protéger le cocontractant contre une situation juridique incertaine. Dans le cas concret, le Tribunal fédéral a relevé que le locataire, pour s'opposer à une résiliation fondée sur l'
art. 261 al. 2 let. a CO
, est naturellement amené à faire valoir que les conditions d'application de cette disposition ne sont pas réunies et, par voie de conséquence, que le congé est inefficace. En revanche, le locataire n'a pas à envisager un autre congé que celui qui a été donné, c'est-à-dire un congé ordinaire qui implique pour lui d'autres moyens de défense (
ATF 135 III 441
consid. 3.3 p. 444 s.).
Dans l'arrêt
ATF 123 III 86
, le Tribunal fédéral a relevé qu'en matière de contrat de travail, la partie qui apprend l'existence d'un comportement répréhensible de son partenaire contractuel, propre à justifier la cessation immédiate des rapports de travail et qui entend se séparer de son cocontractant pour ce motif, a le choix entre la résiliation ordinaire et la résiliation extraordinaire du contrat; si elle opte pour le premier terme de l'alternative, elle renonce définitivement au droit de résiliation immédiate, du moins en tant qu'il se fonde sur la même circonstance que celle ayant entraîné la résiliation ordinaire du contrat. C'est pourquoi un employeur, qui connaît déjà tous les éléments pouvant fonder un licenciement pour justes motifs mais qui notifie au travailleur un congé ordinaire, renonce définitivement à un licenciement avec effet immédiat à raison des mêmes éléments. Si, postérieurement, il signifie quand même une résiliation extraordinaire, celle-ci n'est pas valable et le juge civil n'a pas à examiner si les conditions d'un licenciement pour justes motifs étaient réunies (
ATF 123 III 86
consid. 2 p. 87 s.).
4.3.3
En l'occurrence, le recourant ne peut toutefois déduire de ces arrêts aucun argument à l'appui de sa thèse.
La résiliation des rapports de service d'un fonctionnaire s'opère par la voie d'une décision, qui est un acte administratif. Comme l'acte formateur - qui est l'acte par lequel une personne exerce un droit formateur - l'acte administratif est une manifestation de volonté unilatérale destinée à modifier une situation juridique préexistante (sur les notions de droit et d'acte formateurs, cf. PIERRE TERCIER, Le droit des obligations, 3
e
éd. 2004, p. 63 ss n. 253 ss; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, vol. I, 9
e
éd. 2008, p. 19 s. n. 65 ss). La décision administrative et l'exercice d'un droit formateur en droit privé ne s'inscrivent toutefois pas dans
BGE 137 I 58 S. 66
un même contexte juridique. Le droit formateur est un
droit subjectif
(WOLFGANG PORTMANN, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, 1996, p. 199 s.). Son exercice a pour effet de modifier la situation juridique du cocontractant par une simple manifestation unilatérale de volonté. Ce caractère unilatéral exige que le cocontractant ait le droit de connaître de manière absolument claire la situation juridique ainsi modifiée. C'est pourquoi, en principe, l'exercice d'un droit formateur est irrévocable et ne doit pas être soumis à conditions. Le droit formateur ne peut être exercé que par celui
auquel il appartient
. Le juge ne peut en principe pas suppléer une volonté qui n'a pas été manifestée (
ATF 135 III 441
consid. 3.3 p. 444).
Il n'en va pas de même en ce qui concerne la résiliation des rapports de service au moyen d'une décision administrative. Celle-ci ne repose pas sur une manifestation de volonté ni ne découle de l'exercice d'un droit. L'administration n'agit pas en vertu d'un droit qui lui appartient mais en vertu d'une
compétence
qui lui est attribuée par la loi. Certes, cette compétence lui permet - pratiquement comme à une personne privée au moyen d'une manifestation unilatérale de volonté - de lier autrui, mais l'administration est elle-même liée par le droit public ("dédoublement de l'impérativité"). L'acte juridique est alors non seulement la source d'effets de droit, mais en même temps l'aboutissement de la procédure administrative et, en cas de recours, le point de départ d'une procédure de contrôle (PIERRE MOOR, Droit administratif, vol. II, 2
e
éd. 2002, p. 6 s. et 176 s.). Alors que la situation juridique modifiée par l'exercice du droit formateur ne peut être encore une fois modifiée que par les parties, la décision peut l'être par une autre décision, à savoir une décision rendue par une autorité statuant sur un moyen juridictionnel (MOOR, op. cit., p. 178). Etant donné ces différences d'ordre structurel, l'administration ne peut pas être liée par une manifestation de volonté, contrairement à ce que soutient le recourant. On ajoutera que la pratique de certaines autorités cantonales admet la possibilité d'une conversion en pareille hypothèse (voir PETER HÄNNI, Das öffentliche Dienstrecht der Schweiz, 2
e
éd. 2008, p. 589-591). Par ailleurs, le Tribunal fédéral a confirmé, implicitement tout au moins, un jugement du Tribunal administratif fédéral qui allait dans ce sens (arrêt 1C_277/2008 du 30 juin 2008).
Au surplus, les deux arrêts du Tribunal fédéral invoqués par l'intéressé ne concernent pas le point litigieux en l'occurrence. L'arrêt
BGE 137 I 58 S. 67
ATF 135 III 441
traite des possibilités de résiliation du contrat de bail. La résiliation était fondée sur le besoin personnel urgent au sens de l'
art. 261 al. 2 let. a CO
. En vertu du principe de sécurité du droit, le locataire n'avait pas à envisager que le tribunal se prononçât en faveur d'un autre congé que celui qui lui avait été donné, c'est-à-dire un congé ordinaire qui impliquait pour lui d'autres moyens de défense (une éventuelle annulation du congé sur la base des
art. 271 et 271a CO
, ainsi, subsidiairement, qu'une prolongation du bail selon les
art. 272 ss CO
). Au demeurant, l'
art. 266a al. 2 CO
constitue une réglementation spéciale en cas d'erreur sur le délai ou le terme de congé. Le Tribunal fédéral en a déduit a contrario qu'une conversion n'était pas possible dans d'autres cas (
ATF 135 III 441
consid. 3.3 p. 445). Quant à l'arrêt
ATF 123 III 86
, il concerne bien la résiliation d'un contrat de travail mais il s'agissait de savoir si la partie qui avait opté pour la résiliation ordinaire pouvait revenir sur sa décision et signifier un licenciement immédiat. Le critère qui a été jugé déterminant pour rejeter cette possibilité est le fait qu'en notifiant un congé ordinaire, la partie a fait connaître son point de vue selon lequel l'altération du rapport de confiance n'était pas telle que seul un licenciement avec effet immédiat fût envisageable. Dans le cas d'espèce, au contraire, il s'agit de trancher le point de savoir si le juge pouvait convertir un licenciement avec effet immédiat en un licenciement pour justes motifs avec préavis de trois mois, lequel est une mesure moins sévère. Dans ces conditions, le critère déterminant dans la cause
ATF 123 III 86
ne s'oppose donc pas à la conversion. Cela étant, les deux arrêts du Tribunal fédéral invoqués par l'intéressé ne lui sont d'aucune aide dans le cas particulier.
4.3.4
On ne peut pas non plus considérer qu'en réformant la décision litigieuse, le tribunal cantonal a dérogé à sa jurisprudence exposée dans le jugement GE.2008.0160 du 13 janvier 2009 (qui a fait l'objet de l'arrêt du Tribunal fédéral 8C_170/2009 du 25 août 2009). Si, dans cette affaire, le tribunal cantonal s'est abstenu de convertir un licenciement immédiat (non valable) en licenciement ordinaire, c'est simplement parce qu'une procédure de mise en demeure au sens de l'art. 71
bis
RPAC n'avait pas eu lieu.
Pour le reste, le recourant n'expose pas du tout en quoi la juridiction cantonale a appliqué arbitrairement l'
art. 89 LPA
/VD en réformant la décision de licenciement litigieuse.
BGE 137 I 58 S. 68
Cela étant, le grief dirigé contre la réformation de cette décision se révèle mal fondé.
4.4
Par un quatrième moyen, le recourant invoque une violation du droit à l'égalité de traitement au sens de l'
art. 8 al. 1 Cst.
Il reproche à la Commune de Lausanne de n'avoir pris aucune mesure concrète pour améliorer la situation le concernant, comme elle l'avait fait en faveur du chef de service.
Les situations du recourant et du chef de service V. ne sont toutefois pas comparables. Comme l'a constaté la juridiction cantonale, le chef de service a connu des difficultés de communication dans une fonction nouvelle pour lui et le coaching a contribué à une meilleure formation dans la conduite d'une équipe de travail. De son côté, le recourant présentait des difficultés de "savoir-être" nuisant au travail en commun et, à défaut d'un conflit déterminé avec certains membres du personnel, il n'existait pas de mesures concrètes permettant de résoudre ce problème de comportement.
Les situations comparées n'étant pas semblables, il ne saurait être question d'inégalité de traitement (cf.
ATF 135 V 361
consid. 5.4.1 p. 369 s.;
ATF 134 I 23
consid. 9.1 p. 42 s.;
ATF 130 I 65
consid. 3.6 p. 70 et les arrêts cités). Ce moyen doit donc lui aussi être rejeté.
4.5
Par un cinquième moyen, le recourant invoque une violation du principe de proportionnalité. Il reproche à l'intimée de l'avoir licencié, alors qu'elle aurait pu améliorer la situation en prenant des mesures moins sévères comme la mise en place d'un coaching ou d'une médiation, ou encore l'autorisation pour l'intéressé de travailler sans assistante personnelle.
Ce reproche apparaît cependant infondé, du moment qu'un licenciement n'apparaît pas comme une mesure disproportionnée au regard de la gravité de la dégradation du climat de travail résultant du comportement du recourant.
4.6
Par un ultime moyen, le recourant reproche à l'intimée une violation de son droit d'être entendu, en alléguant qu'elle ne l'a pas informé des plaintes exprimées par les différents collaborateurs du cabinet.
Ce grief apparaît cependant mal fondé, dans la mesure où les allégations de l'intéressé reposent sur sa propre interprétation de la situation de fait, laquelle est contredite par les constatations des premiers juges. | public_law | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
38a47a51-694a-4310-92f3-270c10ace81b | Urteilskopf
120 V 233
33. Urteil vom 31. Mai 1994 i.S. Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Bern gegen R. und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 24 AVIG
in der seit 1. Januar 1992 gültigen Fassung,
Art. 24 und
Art. 25 AVIG
in der bis 31. Dezember 1991 gültig gewesenen Fassung,
Art. 16 und
Art. 18 AVIG
.
- Sämtliche Formen unselbständiger Erwerbstätigkeit, welche bisher unter die verschiedenen Bemessungsnormen oder -grundsätze der Teilzeitarbeit (Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 22 ff. AVIG
), des Zwischenverdienstes (alt
Art. 24 AVIG
) und der Ersatzarbeit (alt
Art. 25 AVIG
) subsumiert wurden, sind Gegenstand des revidierten
Art. 24 AVIG
(Erw. 5b).
- Der Versicherte hat so lange Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalles nach Art. 24 Abs. 1 bis 3 AVIG, als er in der fraglichen Kontrollperiode nicht eine zumutbare Arbeit im Sinne von
Art. 16 AVIG
aufnimmt. An den übrigen von der Rechtsprechung aufgestellten Erfordernissen für das Vorliegen von Zwischenverdienstarbeit (Vorläufigkeit, Übergangscharakter, leichte Auflösbarkeit) ist nicht mehr festzuhalten (Erw. 5c; Änderung der Rechtsprechung).
- Nimmt der Versicherte während der streitigen Kontrollperiode eine - insbesondere lohnmässig - zumutbare Arbeit auf, mithin eine Tätigkeit, die ihm ein Einkommen verschafft, welches zumindest dem Betrag der Arbeitslosenentschädigung entspricht, bleibt für die Annahme eines Zwischenverdienstes kein Raum (Erw. 5c).
- Allfällige Ersatzeinkommen sind entgegen Rz. 188 des BIGA-Kreisschreibens über die Arbeitslosenentschädigung nicht zu berücksichtigen. Hingegen ist das in der genannten Rz. erwähnte Erfordernis des Mindestarbeitsausfalles insofern gesetzmässig, als Tätigkeiten geringeren Arbeitsausfalls unter
Art. 24 Abs. 4 AVIG
zu subsumieren sind (Erw. 5c).
- Die Frage der - lohnmässigen - Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit beurteilt sich nur in bezug auf ein Arbeitsverhältnis (Erw. 5d).
- Das in
Art. 24 Abs. 3 AVIG
erwähnte Erfordernis der Berufs- und Ortsüblichkeit muss auch für die Ersatzarbeit gemäss
Art. 24 Abs. 4 AVIG
gelten. Die Nichteinhaltung des Kriteriums der Berufs- und Ortsüblichkeit führt aber weder im Bereich von Art. 24 Abs. 1 bis 3 AVIG noch nach
Art. 24 Abs. 4 AVIG
zum Dahinfallen des Anspruchs auf Differenzausgleich. Vielmehr wird der vom Versicherten erzielte effektive Lohn in masslicher Hinsicht bis zu dem als berufs- und ortsüblich zu qualifizierenden Ansatz angehoben, und es erfolgt nur auf dieser Grundlage ein Differenzausgleich (Erw. 5e).
- Ist der Versicherte im Verlaufe einer Kontrollperiode durch Ausübung einer oder mehrerer Tätigkeiten in zeitlicher Hinsicht über eine Vollzeitbeschäftigung hinaus erwerbstätig, sind jene Einkünfte, die er aus dem über das normale Arbeitnehmerpensum hinausgehenden Einsatz erzielt, bei der Anwendung der Zwischenverdienstregelung unbeachtlich (Erw. 5f). | Sachverhalt
ab Seite 236
BGE 120 V 233 S. 236
A.-
R. (geb. 1934) arbeitete ab 1. Mai 1990 als Sekretärin und Buchhalterin in der Firma X, Werbeagentur, in Bern, zu einem monatlichen Bruttolohn von Fr. 5'200.--, zuzüglich 13. Monatsgehalt. Am 26. März 1992 kündigte ihr die Firma. Am 29. Juni 1992 meldete sich R. bei der Arbeitslosenversicherung zum Taggeldbezug an, und ab 1. Juli 1992 unterzog sie sich der Stempelkontrolle.
In der Folge konnte die Versicherte in wechselndem Ausmass für die bisherige Arbeitgeberin tätig sein. Zudem fand sie eine Anstellung in der Firma Y, Wabern. Im Arbeitsvertrag vom 8./12. Juli 1992 verpflichtete sie sich, für die "Einsatzfirma" des Elektroingenieurbüros Z, Gümligen, als kaufmännische Angestellte zu einem Stundenlohn von Fr. 26.40 brutto, zuzüglich eines Ferienanteils von Fr. 2.20, zu arbeiten. Der Rahmenarbeitsvertrag vom 8./12. Juli 1992 wurde ergänzt durch einen zwischen der Firma Z und R. abgeschlossenen Einzelarbeitsvertrag vom 25. August 1992, der eine Anstellung im Umfang von 90% ab 1. August 1992 auf unbestimmte Dauer vorsah zu einem Bruttogehalt von Fr. 3'760.-- monatlich, wobei bei einem sechs Monate übersteigenden Beschäftigungsverhältnis der Lohnanspruch nach dem jeweils gültigen Lohn- und Gehaltsreglement beurteilt werde.
R. meldete die erzielten Löhne der Arbeitslosenversicherung als Zwischenverdienst. Mit Verfügung vom 4. November 1992 lehnte die Arbeitslosenkasse Bern die Anspruchsberechtigung ab 1. August 1992 ab mit der Begründung, die Versicherte habe am 1. August 1992 eine 90%ige Daueranstellung in der Firma Z angetreten und gleichzeitig in der Firma X einen Zwischenverdienst erzielt, so dass sie ab diesem Datum keinen Verdienstausfall erleide.
B.-
R. wandte sich beschwerdeweise an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, wobei sie, unter Darlegung der Einkommensverhältnisse seit August 1992 im Vergleich zum früheren Lohn in der Firma X,
BGE 120 V 233 S. 237
Verdienstausfälle von Fr. 836.-- bis Fr. 1'779.50 monatlich geltend machte.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern stellte im wesentlichen fest, dass die von der Versicherten in den Firmen Z und X erzielten Einkommen als Zwischenverdienst zu qualifizieren seien und dass die Versicherte daher grundsätzlich Anspruch auf Differenzausgleich habe. Demgemäss hob es mit Entscheid vom 18. Mai 1993 die angefochtene Verfügung auf und wies die Sache zur Festlegung des Differenzausgleichs im Sinne der Erwägungen an die Arbeitslosenkasse zurück.
C.-
Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des kantonalen Entscheides und Rückweisung der Sache an die Arbeitslosenkasse "zur Neuberechnung des Zwischenverdienstes im Sinne der Ausführungen dieser Verwaltungsgerichtsbeschwerde".
Die Versicherte äussert sich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde; das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Abteilung Arbeitslosenkasse, pflichtet der Auffassung des BIGA bei.
Auf die Ausführungen im kantonalen Entscheid und in den Rechtsschriften wird - soweit erforderlich - in den Erwägungen eingegangen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts stellt der Rückweisungsentscheid einer kantonalen Rekursinstanz eine im Sinne von Art. 128 in Verbindung mit
Art. 97 Abs. 1 OG
und
Art. 5 VwVG
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht anfechtbare Endverfügung dar. Anfechtbar ist grundsätzlich nur das Dispositiv, nicht aber die Begründung eines Entscheides. Verweist indessen das Dispositiv eines Rückweisungsentscheides ausdrücklich auf die Erwägungen, werden diese zu dessen Bestandteil und haben, soweit sie zum Streitgegenstand gehören, an der formellen Rechtskraft teil. Dementsprechend sind die Motive, auf die das Dispositiv verweist, für die Behörde, an die die Sache zurückgewiesen wird, bei Nichtanfechtung verbindlich. Beziehen sich diese Erwägungen auf den Streitgegenstand, ist somit auch deren Anfechtbarkeit zu bejahen (
BGE 113 V 159
mit Hinweisen auf die Rechtsprechung und Lehre).
b) Das Verwaltungsgericht hat die angefochtene Verfügung vom 4. November 1992 in Gutheissung der Beschwerde aufgehoben und die Sache an die
BGE 120 V 233 S. 238
Arbeitslosenkasse zurückgewiesen "zum weiteren Vorgehen im Sinne der Erwägungen". In der Begründung, auf welche das Dispositiv verweist, hat die Vorinstanz vorab festgestellt, dass die Versicherte - entgegen der Auffassung der Verwaltung - einen Verdienstausfall erleide, indem sie seit 1. August 1992 trotz der Anstellung in der Firma Z und der stundenweisen Weiterbeschäftigung in der Firma X im Vergleich zu früher einen erheblichen Einkommensverlust hinnehmen müsse. Unbestritten sei hingegen, dass kein Arbeitsausfall von mindestens zwei aufeinanderfolgenden Arbeitstagen im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 AVIG
oder von mindestens zwei vollen Arbeitstagen innerhalb von zwei Wochen (
Art. 5 AVIV
) vorliege. Dieses Erfordernis sei jedoch nicht massgeblich, sofern und solange die Regelung über den Zwischenverdienst zur Anwendung gelange. Mit der neuen, seit 1. Januar 1992 geltenden Fassung des
Art. 24 AVIG
habe man erreichen wollen, dass Versicherte, welche einen irgendwie gearteten Zwischenverdienst erzielen, unabhängig vom zeitlichen Umfang des Arbeitsausfalls eine allein nach dem Verdienstausfall bemessene Entschädigung in der Höhe von 80% des innerhalb einer Kontrollperiode erlittenen Ausfalls beanspruchen können. Die Anspruchsvoraussetzung hänge daher einzig von der Frage ab, wie eine vorübergehende Arbeitsgelegenheit, die nach den Bestimmungen über den Zwischenverdienst Anspruch auf (teilweisen) Differenzausgleich zwischen dem Einkommen und dem versicherten Verdienst verleihe, von einer Tätigkeit abzugrenzen sei, welche die Arbeitslosigkeit beende und in diesem Umfange keinen Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung mehr auslösen könne. In bezug auf diese Abgrenzungsfrage sei die unter dem alten Recht zu
Art. 24 und 25 AVIG
ergangene Rechtsprechung (
BGE 114 V 348
f. Erw. 2d) weiterhin anwendbar.
Im vorliegenden Fall ergebe sich, dass die Tätigkeit in der Firma Z, welche mit einem Monatsgehalt von Fr. 3'760.-- entschädigt werde, im Hinblick auf die R. zustehende Arbeitslosenentschädigung von Fr. 4'784.-- nach
Art. 16 AVIG
lohnmässig nicht zumutbar sei. Ferner sei die Versicherte in Anbetracht der vereinbarten Kündigungsfristen von sieben Tagen während der Probezeit und einem Monat während des ersten Dienstjahres trotz ihrer Stelle in der Firma Z uneingeschränkt vermittlungsfähig gewesen. Bei dieser Sachlage sei die Tätigkeit in der Firma Z als vorübergehende Arbeitsgelegenheit im Sinne der Bestimmungen über den Zwischenverdienst zu qualifizieren. Gleiches gelte für die stundenweise Beschäftigung in der Firma X.
BGE 120 V 233 S. 239
An diesem Ergebnis vermöge Rz. 188 des Kreisschreibens des BIGA über die Arbeitslosenentschädigung (KS ALE), in Kraft seit 1. Januar 1992, nichts zu ändern. Diese Bestimmung, wonach die versicherte Person Anspruch auf 80% des Verdienstausfalles nur hat, solange der erzielte Verdienst zusammen mit allfälligen Ersatzeinkommen niedriger ist als die Arbeitslosenentschädigung, die sie ohne Zwischenverdienst hätte erwarten können, dürfe der Versicherten nicht entgegengehalten werden. Denn die darin vorgenommene Beschränkung der Zwischenverdienstregelung auf Fälle, da die gesamten Einkünfte innerhalb einer Kontrollperiode weniger betragen als die der versicherten Person zustehende Arbeitslosenentschädigung, finde im Gesetz keine Stütze. Richtig sei einzig, dass die Aufnahme einer lohnmässig zumutbaren Beschäftigung ein gewichtiges Indiz dafür bilde, dass die versicherte Person ihre Arbeitslosigkeit beendet habe. Es müssten deshalb klare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die lohnmässig zumutbare Beschäftigung bloss als Übergangslösung im Rahmen der Schadenminderungspflicht gedacht sei. Dies sei dann der Fall, wenn es sich um Arbeitsgelegenheiten handle, welche bloss provisorischen Charakter hätten und die kurzzeitig ohne Einhaltung längerer Kündigungsfristen wieder aufgegeben werden könnten. Solange der Übergangscharakter der angenommenen Beschäftigung (allenfalls auch mehrerer Tätigkeiten) und die Suche nach einer Dauerstelle ausgewiesen seien, schliesse die Tatsache, dass der dabei erzielte Lohn die auf die gleiche Kontrollperiode entfallende Arbeitslosenentschädigung überschreite, die Anrechnung von Zwischenverdienst nicht aus. Auch die weitere Einschränkung in Rz. 188 KS ALE, wonach ein Anspruch auf Verdienstausfall nur bestehe, wenn innerhalb von zwei Wochen mindestens zwei volle Arbeitstage ausgefallen seien, erweise sich als unhaltbar. Denn im Falle von Zwischenverdienst trete an die Stelle des anrechenbaren Arbeitsausfalles als Voraussetzung für die Ausrichtung von Versicherungsleistungen ein bestimmter Prozentsatz des versicherten Verdienstes, so dass kein minimaler Arbeitsausfall erforderlich sei.
c) Das BIGA stellt sich in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf den Standpunkt, mit der auf den 1. Januar 1992 erfolgten Revision des
Art. 24 Abs. 1 AVIG
, wonach jedes Einkommen, das der Arbeitslose innerhalb einer Kontrollperiode erziele, als Zwischenverdienst gelte, sei bewusst auf die bisherigen administrativ umständlichen und in einigen Fällen ungerechten Unterscheidungen zwischen Ersatzarbeit, Zwischenverdienst und Verdienst aus Teilzeitbeschäftigung verzichtet worden. Als Zwischenverdienst gelte somit
BGE 120 V 233 S. 240
nicht nur ein kurzfristiger Arbeitseinsatz, sondern auch jeder Verdienst aus einer unbefristeten Teilzeitbeschäftigung. Soweit ein Versicherter insgesamt in einem Rahmen erwerbstätig sei, welcher über eine Vollzeitbeschäftigung hinausgehe, handle es sich beim eine Vollzeitbeschäftigung übersteigenden Teil um eine Nebenbeschäftigung, die sowohl bei der Bemessung des versicherten Verdienstes als auch bei der Festlegung des Zwischenverdienstes unberücksichtigt zu bleiben habe.
Art. 24 Abs. 4 AVIG
, welcher während der ersten sechs Monate vom Anspruchsrequisit des anrechenbaren Arbeitsausfalles im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 AVIG
dispensiere, sei nur anwendbar, wenn die vom Versicherten während der Kontrollperioden ausgeübte(n) Erwerbstätigkeit(en) eine Vollzeitbeschäftigung darstellt (darstellen). Im vorliegenden Fall habe die Versicherte folglich Anspruch auf einen Differenzausgleich gemäss
Art. 24 Abs. 4 AVIG
, wenn die beiden Tätigkeiten in zeitlicher Hinsicht zusammen einer Vollzeitbeschäftigung entsprechen und einen anrechenbaren Verdienstausfall ergeben. Sofern und soweit aber die beiden Tätigkeiten in den einzelnen Kontrollperioden keine Vollzeitbeschäftigung darstellten, könne ein Differenzausgleich gemäss
Art. 24 Abs. 2 und 3 AVIG
nur ausgerichtet werden, wenn der zeitliche Mindestausfall im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 AVIG
(und Art. 4 f. AVIV) gegeben sei.
Die vorinstanzliche Auffassung, wonach Versicherte, welche einen irgendwie gearteten Zwischenverdienst erzielen, unabhängig vom zeitlichen Umfang des Arbeitsausfalles eine allein nach dem Verdienstausfall bemessene Entschädigung in Höhe von 80% des innerhalb einer Kontrollperiode erlittenen Verdienstausfalles beanspruchen könnten, sei folglich nur teilweise richtig. Der zeitliche Aufwand (einer oder mehrerer Beschäftigungen) spiele bezüglich der Höhe des Zwischenverdienstes - allerdings unter Beachtung der orts- und berufsüblichen Entlöhnung und der frankenmässigen Zumutbarkeitsgrenze - so lange keine Rolle, als die Voraussetzungen für den zeitlichen Mindestausfall erfüllt seien. Sobald der zeitliche Mindestausfall gemäss
Art. 11 Abs. 1 AVIG
und Art. 4 bzw.
Art. 5 AVIV
nicht mehr erfüllt sei, fehle es an einem anrechenbaren Arbeitsausfall. Müsste der zeitliche Mindestausfall im Rahmen eines Zwischenverdienstes nicht geprüft werden, würde
Art. 24 Abs. 4 AVIG
mit dem Verweis auf
Art. 11 Abs. 1 AVIG
keinen Sinn ergeben. Rz. 188 KS ALE stelle daher - entgegen den Ausführungen im vorinstanzlichen Entscheid - keine gesetzlich nicht abgesicherte Anspruchseinschränkung dar.
BGE 120 V 233 S. 241
Zusammenfassend ergebe sich, dass der vom Verwaltungsgericht vertretene Übergangscharakter des Zwischenverdienstes aufgrund der bisherigen Rechtsprechung nicht aufrechterhalten werden könne, sei doch nach der auf den 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Neuregelung des Zwischenverdienstes die zeitlich unbeschränkte Ausrichtung des Differenzausgleichs ausserhalb des
Art. 24 Abs. 4 AVIG
möglich und einzig durch die zweijährige Rahmenfrist für den Leistungsbezug und den persönlichen Höchstanspruch begrenzt. Die Frage des Übergangscharakters der von der Versicherten ausgeübten Tätigkeiten sei daher, entgegen der vorinstanzlichen Auffassung, zu vernachlässigen, wobei im übrigen der Übergangscharakter hier nicht angenommen werden könnte, weil der von der Versicherten abgeschlossene Arbeitsvertrag eindeutig auf Dauer angelegt worden sei.
d) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt das BIGA somit den von der Vorinstanz vorbehaltlos bejahten Anspruch der Versicherten auf Differenzausgleich in Frage für den Fall, dass die von der Versicherten ausgeübten Tätigkeiten einerseits keine Vollzeitbeschäftigung darstellen und anderseits keinen zeitlichen Mindestausfall gemäss
Art. 11 Abs. 1 AVIG
oder Art. 4 f. AVIV bewirken. Ferner vertritt es die Auffassung, dass jene Einkünfte, welche die Versicherte mit einer Erwerbstätigkeit erzielt, die über eine normale Vollzeitbeschäftigung hinausgeht, Nebenverdienst darstellen und daher - entgegen der vorinstanzlichen Auffassung - bei der Bemessung des Differenzausgleichs ausser acht zu bleiben haben. Damit beantragt das BIGA nicht einfach die ersatzlose Aufhebung des kantonalen Entscheids, wodurch die Ablehnungsverfügung der Kasse bestätigt würde, sondern es will den Differenzausgleich nach anderen Grundsätzen beurteilt wissen. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.
2.
a)
Art. 8 Abs. 1 AVIG
zählt die für die Arbeitslosenentschädigung massgeblichen Anspruchsvoraussetzungen auf. Danach ist unter anderem erforderlich, dass der Versicherte ganz oder teilweise arbeitslos ist (lit. a). Als ganz arbeitslos gilt, wer in keinem Arbeitsverhältnis steht und eine Vollzeitbeschäftigung sucht (
Art. 10 Abs. 1 AVIG
). Als teilweise arbeitslos gilt nach
Art. 10 Abs. 2 AVIG
, wer in keinem Arbeitsverhältnis steht und lediglich eine Teilzeitbeschäftigung sucht (lit. a) oder eine Teilzeitbeschäftigung hat und eine Vollzeit- oder eine weitere Teilzeitbeschäftigung sucht (lit. b).
Zu den weiteren gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen gehört, dass der Versicherte einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten hat (
Art. 8 Abs. 1
BGE 120 V 233 S. 242
lit. b AVIG
). Nach
Art. 11 Abs. 1 AVIG
ist der Arbeitsausfall anrechenbar, wenn er einen Verdienstausfall zur Folge hat und mindestens zwei aufeinanderfolgende volle Arbeitstage dauert. Als voller Arbeitstag gilt der fünfte Teil der wöchentlichen Arbeitszeit, die der Versicherte normalerweise während seines letzten Arbeitsverhältnisses geleistet hat (
Art. 4 Abs. 1 AVIV
). Hatte der Versicherte zuletzt eine Vollzeitbeschäftigung, so gilt als ausgefallener voller Arbeitstag jeder Wochentag von Montag bis Freitag, an dem der Versicherte ganz arbeitslos ist und für den er die Kontrollvorschriften erfüllt hat, einschliesslich der Feiertage, für die ein Entschädigungsanspruch besteht (
Art. 4 Abs. 2 AVIV
). Der Arbeitsausfall von teilweise Arbeitslosen ist anrechenbar, wenn er innerhalb von zwei Wochen mindestens zwei volle Arbeitstage ausmacht (
Art. 5 AVIV
).
b) Von den Anspruchsnormen zu unterscheiden sind die Bestimmungen über die Bemessung der Arbeitslosenentschädigung. Diese finden sich in
Art. 18 ff. AVIG
. Gemäss
Art. 18 Abs. 1 Satz 1 AVIG
richtet sich der Entschädigungsanspruch nach dem anrechenbaren Arbeitsausfall während einer Kontrollperiode. Nach Satz 2 dieser Bestimmung wird ein allfälliger Zwischenverdienst (
Art. 24 AVIG
) berücksichtigt. Als Kontrollperiode gilt jeder Kalendermonat, für den der Arbeitslose Entschädigungsansprüche geltend macht (
Art. 18 Abs. 2 AVIG
). Ein volles Taggeld beträgt gemäss Art. 22 Abs. 1 Satz 1 AVIG 80% des versicherten Verdienstes, wie ihn
Art. 23 AVIG
umschreibt. Nicht versichert ist ein Nebenverdienst; als solcher gilt im Falle des Arbeitnehmers jeder Verdienst, den ein Versicherter ausserhalb seiner normalen Arbeitszeit erzielt (
Art. 23 Abs. 3 AVIG
).
c) Aus dieser Gesetzeslage, dass nämlich das AVIG den Begriff des anrechenbaren Arbeitsausfalls sowohl als Anspruchsvoraussetzung wie auch als Bemessungsgrundlage nennt, hat das Eidg. Versicherungsgericht geschlossen, dass der anrechenbare Arbeitsausfall ein Doppelbegriff ist: Als Anspruchsvoraussetzung, welche das Gesetz in
Art. 11 AVIG
in Verbindung mit
Art. 4 und 5 AVIV
abschliessend (
BGE 112 V 133
) umschreibt, bedeutet er ein gewisses Mindestmass an ausgefallenen Arbeitstagen, das eingetreten sein muss, um überhaupt den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung auszulösen; zusätzlich ist er in masslicher Hinsicht die wichtigste Grundlage für den Entschädigungsanspruch als solchen. Dauer und Ausmass des anrechenbaren Arbeitsausfalles wirken sich daher auf den Entschädigungsanspruch aus. Der Ganzarbeitslose, der einen vollständigen Arbeitsausfall erleidet, hat einen vollen (
Art. 22 Abs. 1 AVIG
) und damit höheren Entschädigungsanspruch als der Teilarbeitslose, der - bei sonst
BGE 120 V 233 S. 243
gleichen Verhältnissen - z.B. noch halbtags erwerbstätig ist und daher nur einen hälftigen anrechenbaren Arbeitsausfall aufweist (
BGE 112 V 234
Erw. 2c und 237 ff.).
3.
a) Die bis Ende 1991 gültig gewesene gesetzliche Regelung über die Anrechnung von Zwischenverdienst (
Art. 24 AVIG
) und den Differenzausgleich bei Ersatzarbeit (Art. 25) lautete wie folgt:
Art. 24 Anrechnung von Zwischenverdienst
1
Als Zwischenverdienst gilt Einkommen aus unselbständiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit, das der Arbeitslose innerhalb einer Kontrollperiode erzielt. Ein Nebenverdienst (Art. 23 Abs. 3) bleibt unberücksichtigt.
2
Der Gesamtbetrag der Arbeitslosenentschädigung, auf den der Arbeitslose ohne Zwischenverdienst während der Kontrollperiode Anspruch hätte, wird um die Hälfte des Zwischenverdienstes gekürzt. Ein allfälliger Restbetrag der Arbeitslosenentschädigung wird als Taggeld ausbezahlt, solange die Höchstzahl der Taggelder (Art. 27) nicht bezogen ist. Der ganze Zwischenverdienst und die Taggelder dürfen jedoch zusammen 90% des versicherten Monatsverdienstes nicht übersteigen.
Art. 25 Differenzausgleich bei Ersatzarbeit
1
Als Ersatzarbeit gilt eine Vollzeitbeschäftigung, die der Versicherte zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit für wenigstens eine ganze Kontrollperiode annimmt und deren Entlöhnung geringer ist als die ihm zustehende Arbeitslosenentschädigung. Die Entlöhnung muss jedoch den berufs- und ortsüblichen Ansätzen entsprechen.
2
Der Arbeitslose hat Anspruch auf die Differenz zwischen dem Lohn für die Ersatzarbeit und 90% des versicherten Verdienstes. Dieser Anspruch besteht während höchstens sechs Kontrollperioden, solange die Höchstzahl der Taggelder (Art. 27) nicht bezogen ist.
3
(Meldepflicht)
4
(Dahinfall des Differenzausgleichs, wenn dem Arbeitslosen eine zumutbare Arbeit vermittelt werden kann)
5
(Nichtberücksichtigung der Ersatzarbeit bei nachfolgender Ermittlung des versicherten Verdienstes)
b) Unter dem Geltungsbereich des alt
Art. 24 AVIG
hat das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 111 V 251
die in den Weisungen des BIGA und in
BGE 120 V 233 S. 244
Art. 41a AVIV
(gültig gewesen bis 31. Dezember 1991) vorgenommene Beschränkung des Zwischenverdienstes auf drei Monate als gesetzwidrig bezeichnet. Zudem hat das Gericht die Verwaltungspraxis des BIGA insoweit als gesetzwidrig erklärt, als sie den Begriff des Zwischenverdienstes auf das Einkommen beschränkte, das der Arbeitslose durch eine provisorische Tätigkeit erzielt, welche nicht zu seinem gewohnten Beruf gehört (
BGE 113 V 150
).
In
BGE 114 V 345
hat das Gericht sodann einlässlich zur Abgrenzung von Zwischenverdienst und Teilzeitarbeit Stellung genommen. Es ist dabei von
Art. 16 Abs. 1 lit. e AVIG
(welche Bestimmung durch den dringlich erklärten, vorliegendenfalls jedoch nicht anwendbaren Bundesbeschluss über Massnahmen in der Arbeitslosenversicherung vom 19. März 1993, in Kraft seit 1. April 1993, relativiert worden ist) ausgegangen, wonach eine Arbeit unter anderem dann zumutbar ist, wenn sie dem Arbeitslosen einen Lohn einbringt, der nicht geringer ist als die ihm zustehende Arbeitslosenentschädigung. Dieses lohnmässige Erfordernis für die Annahme zumutbarer Arbeit sei auch bei einer Teilzeitbeschäftigung massgeblich, nachdem das Gesetz keinen Anhaltspunkt dafür enthalte, dass mit dem Begriff Lohn im Falle einer Teilzeitbeschäftigung auch die für den verbleibenden Arbeitsausfall ausgerichtete Arbeitslosenentschädigung zu verstehen sei. Aus finanzieller Sicht sei somit massgebend, ob die Arbeit zu einem höheren Einkommensverlust führe als die Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung. Die lohnmässige Zumutbarkeit bestimme sich durch Vergleich des angebotenen Bruttolohnes mit der Brutto-Arbeitslosenentschädigung, die ohne diesen Bruttolohn zur Auszahlung gelangen müsste. Die gegenteilige, in jenem Fall von der kantonalen Amtsstelle vertretene Auffassung, es sei für die Zumutbarkeitsfrage die Entschädigung des verbleibenden Verdienstausfalles durch das Arbeitslosentaggeld mitzuberücksichtigen, verwarf das Eidg. Versicherungsgericht mit dem Argument, damit würde eine klare Grenzziehung zwischen Zwischenverdienst und zumutbarer Teilzeitarbeit verunmöglicht. Dem Zwischenverdienst komme definitionsgemäss nur Übergangscharakter zu. Der Versicherte habe trotz Erzielung von Zwischenverdienst Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung und bleibe zur Befolgung der Kontrollvorschriften sowie der Weisungen des Arbeitsamtes verpflichtet. Schliesse aber die auf Erzielung von Zwischenverdienst gerichtete Tätigkeit den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nicht aus, so falle diese Tätigkeit nicht unter den Begriff der zumutbaren Arbeit im Sinne von
Art. 16 AVIG
, zu deren
BGE 120 V 233 S. 245
Annahme der Versicherte verpflichtet sei. Denn die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit führe zwingend zur Beendigung der Arbeitslosigkeit. Als auf Erzielung eines Zwischenverdienstes gerichtete Tätigkeiten kämen deshalb nur Gelegenheits- oder Aushilfsarbeiten in Betracht, bei denen der Versicherte über den einzelnen, relativ kurzfristigen Arbeitseinsatz hinaus keine vertraglichen Verpflichtungen eingehe und daher der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Würde eine Teilzeitarbeit von geringerem als dem gewünschten Umfang unter Berücksichtigung der auf den verbleibenden Arbeitsausfall entfallenden Arbeitslosenentschädigung aus lohnmässiger Sicht als zumutbar qualifiziert, würde dies bedeuten, dass der Versicherte zur Annahme dieser Teilzeitarbeit verpflichtet sei, obschon seine Arbeitslosigkeit dadurch nicht beendet würde. Systemwidrig würde damit zwischen der zumutbaren Teilzeitarbeit mit Beendigung der Arbeitslosigkeit einerseits und der auf einen Zwischenverdienst gerichteten Tätigkeit anderseits ein gesetzesfremdes Institut im Sinne einer - zumutbaren - Teilzeitbeschäftigung ohne Beendigung der Arbeitslosigkeit geschaffen (
BGE 114 V 348
f. Erw. 2d).
Diese Rechtsprechung ist in ARV 1988 Nr. 14 S. 115, 1990 Nr. 4 S. 29 und 1992 Nr. 2 S. 75 f. Erw. 3 in fine bestätigt worden. Im unveröffentlichten Urteil F. vom 2. März 1992 hat das Eidg. Versicherungsgericht die Frage, ob im Hinblick auf
Art. 24 AVIG
in der bis Ende 1991 gültig gewesenen Fassung daran festzuhalten sei, aufgeworfen, in der Folge aber offengelassen.
c) In der Rechtsprechung zu dem mit Wirkung ab 1. Januar 1992 aufgehobenen
Art. 25 AVIG
über die Ersatzarbeit hat vor allem das Kriterium der Berufs- und Ortsüblichkeit im Vordergrund gestanden. Der Sinn dieses den Anspruch auf Differenzausgleich im Falle der Ausübung einer vollzeitigen Ersatzarbeit einschränkenden Erfordernisses ist folgender: Mit dem Differenzausgleich soll zwar die Annahme lohnmässig unzumutbarer Arbeiten gefördert werden; doch soll unüblich tiefen Honorierungen solcher Ersatzarbeiten dann entgegengetreten werden, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer - im Sinne eines Lohndumping - einen zu niedrigen Lohn vereinbaren, um die Differenz zu Lasten der Arbeitslosenversicherung entschädigen zu lassen. So hat das Eidg. Versicherungsgericht die Berufs- und Ortsüblichkeit der Entlöhnung bei vollzeitiger Ersatzarbeit verneint im Falle eines Versicherten, der nach Provision entschädigt wurde und trotz vollen Einsatzes mit anspruchsvoller Arbeit während Monaten nicht einmal
BGE 120 V 233 S. 246
einen Verdienst in der Höhe des Existenzminimums erzielte (ARV 1986 Nr. 22 S. 88). Ebenfalls verneint hat das Gericht die Berufsüblichkeit im Falle eines ausgebildeten Psychologen, der wegen Personalstopps des betreffenden Kantons für seine Arbeit nur wie ein Praktikant entlöhnt wurde. Das Gericht hat dabei insbesondere ausgeführt, es könne nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung sein, Lohnkosten eines Kantons mit Personalstopp zu übernehmen (nicht publiziertes Urteil F. vom 29. August 1986). Eine berufsübliche Entlöhnung bedeutet somit, dass der Versicherte, der auf seinem erlernten Berufsgebiet eine Ersatzarbeit ausübt, wie ein ausgebildeter Angehöriger dieses Berufes normal bezahlt wird. Bei ungelernten Tätigkeiten im Rahmen von Ersatzarbeit sind branchenübliche Durchschnittslöhne heranzuziehen (nicht publiziertes Urteil H. vom 10. November 1989).
In diese Sichtweise lassen sich grundsätzlich auch die Weisungen des BIGA in AlV-Praxis 86/2 über die Frage, wann bei einem vollzeitlich ausgeübten Praktikum Ersatzarbeit vorliegt, einordnen. Danach erbringt die Arbeitslosenversicherung keine Leistungen, wenn das Praktikum integrierender Bestandteil einer beruflichen Grundausbildung ist, wie z. B. das Anwaltspraktikum oder das FMH-Praktikum eines Arztes (Ziff. 1). Stellt das Praktikum eine spezifisch aufgrund arbeitsmarktlicher Indikation durchgeführte arbeitslosenversicherungsrechtliche Weiterbildungsmassnahme dar, können unter dem Titel Präventivmassnahmen (
Art. 59 ff. AVIG
) Beiträge gewährt werden (Ziff. 2). Nimmt ein Versicherter zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit eine Praktikumsstelle an, die weder der Grundausbildung noch einer arbeitslosenversicherungsrechtlichen Weiterbildung im Sinne einer Präventivmassnahme zuzurechnen ist, können die Bestimmungen über die Ersatzarbeit (
Art. 25 AVIG
) angewendet werden, wenn die Entlöhnung geringer ist als die Arbeitslosenentschädigung, aber mindestens den berufs- und ortsüblichen Ansätzen entspricht (Ziff. 3 Sätze 1 und 2). Nicht beigepflichtet werden kann hingegen dem letzten Satz dieser Ziff. 3, welcher lautet: "Es genügt also nicht, wenn diese Entlöhnung lediglich den üblichen Ansätzen für Praktikanten entspricht." Einen solchen Schluss lässt die dargelegte Rechtsprechung nicht zu, bezieht sie sich doch auf ausgebildete (nicht publiziertes Urteil F. vom 29. August 1986) oder auf voll beruflich leistungsfähige (ARV 1986 Nr. 22 S. 88) Personen. Falls ein Ungelernter eine Praktikumstätigkeit versieht, richtet sich seine Entlöhnung von vornherein nicht nach den für ausgebildete Personen üblichen
BGE 120 V 233 S. 247
Ansätzen (nicht publiziertes Urteil H. vom 10. November 1989).
4.
a) Der auf den 1. Januar 1992, unter Streichung des bisherigen
Art. 25 AVIG
, neu gefasste
Art. 24 AVIG
lautet:
Art. 24 Anrechnung von Zwischenverdienst
1
Als Zwischenverdienst gilt jedes Einkommen aus unselbständiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit, das der Arbeitslose innerhalb einer Kontrollperiode erzielt.
2
Der Versicherte hat Anspruch auf 80% des Verdienstausfalls, solange die Höchstzahl der Taggelder (Art. 27) nicht bezogen ist.
3
Als Verdienstausfall gilt die Differenz zwischen dem in der Kontrollperiode erzielten Zwischenverdienst, mindestens aber dem berufs- und ortsüblichen Ansatz für die betreffende Arbeit, und dem versicherten Verdienst. Ein Nebenverdienst (Art. 23 Abs. 3) bleibt unberücksichtigt.
4
Nimmt der Versicherte zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit für wenigstens eine ganze Kontrollperiode eine Vollzeitbeschäftigung an, deren Entlöhnung geringer ist als die ihm zustehende Arbeitslosenentschädigung, so ist Art. 11 Abs. 1 (betreffend den anrechenbaren Arbeitsausfall) während der ersten sechs Monate einer solchen Beschäftigung nicht anwendbar.
b) Zu dieser Bestimmung hat das Eidg. Versicherungsgericht im nicht publizierten Urteil G. vom 13. Mai 1993 erkannt, dass im Gegensatz zum alten Recht gemäss dem revidierten Art. 24 Abs. 1 bis 3 AVIG die Berufs- und Ortsüblichkeit der Entlöhnung kein Anspruchserfordernis mehr darstellt. Entspricht der vom Versicherten erzielte Zwischenverdienst nicht den berufs- und ortsüblichen Ansätzen, hat dies lediglich zur Folge, dass der Verdienstausfall nur im Umfang der Differenz zwischen der berufs- und ortsüblichen Entschädigung und dem versicherten Verdienst ausgeglichen wird. Ferner hat das Eidg. Versicherungsgericht im nicht publizierten Urteil C. vom 7. Dezember 1993 die in
BGE 114 V 349
Erw. 2d ergangene Rechtsprechung bestätigt, dass nur Gelegenheits- oder Aushilfsarbeiten als auf Erzielung eines Zwischenverdienstes gerichtete Tätigkeiten in Betracht kommen, bei denen der Versicherte über den einzelnen, relativ kurzfristigen Arbeitseinsatz hinaus keine vertraglichen Verpflichtungen eingeht und daher der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.
BGE 120 V 233 S. 248
5.
a) Die vom BIGA gestützt auf den Wortlaut des
Art. 24 Abs. 1 AVIG
vertretene Auffassung, unter die gesetzliche Zwischenverdienstregelung falle jedes während einer Kontrollperiode erzielte Einkommen, insbesondere auch das von einem Teilarbeitslosen erzielte, weckt gewisse gesetzessystematische Bedenken. Der vom Gesetz ausdrücklich als versichertes Risiko normierte Tatbestand der Teilarbeitslosigkeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass der Versicherte schon zu Beginn der streitigen Kontrollperiode teilarbeitslos im Sinne von
Art. 10 Abs. 2 lit. a oder b AVIG
ist, sei es, dass er auf den Beginn der Kontrollperiode hin seine Arbeitsstelle ganz verloren hat und nur eine Teilzeitbeschäftigung sucht, sei es, dass er von mehreren bisher ausgeübten Anstellungen eine verloren hat und nun eine zusätzliche Teilzeitanstellung sucht. Wegen der in Erw. 2c hievor festgehaltenen Doppelfunktion des anrechenbaren Arbeitsausfalles hat das Eidg. Versicherungsgericht in den Urteilen
BGE 112 V 229
und
BGE 112 V 237
erkannt, dass sich die Bemessung des Anspruchs des Teilarbeitslosen auf Taggeld der Arbeitslosenversicherung direkt nach Massgabe des eingetretenen Arbeitsausfalles im Sinne von
Art. 18 Abs. 1 AVIG
bemisst, mit den Folgen, welcher dieser eingeschränkte Arbeitsausfall quantitativ auf den nach Art. 22 f. AVIG zu bemessenden Taggeldanspruch hat. Nach der der bisherigen Rechtsprechung zugrunde liegenden, ohne weiteres aus der Gesetzessystematik sich ergebenden Betrachtungsweise ist die Bemessung des Taggeldes des Teilarbeitslosen somit direkt gestützt auf und nach Massgabe von Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 f. AVIG zu lösen; eines Rückgriffs auf die Zwischenverdienstregelung gemäss
Art. 24 AVIG
bedarf es nicht. Insofern ist festzustellen, dass die vom BIGA erwähnte Gleichstellung aller Erscheinungsformen von erzielten Arbeitsentgelten während der Kontrollperiode mit der Revision der Art. 24 f. AVIG systematisch unzutreffend durchgeführt worden ist: Indem Art. 18 und in Verbindung damit Art. 22 f. AVIG, soweit für die Belange des vorliegenden Problems wesentlich, unverändert aufrechterhalten worden sind, ist der Fall der Teilarbeitslosigkeit und der damit verbundenen Bemessung des Taggeldes an sich nicht erfasst worden.
b) In der Botschaft vom 23. August 1989 zu einer Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes hat der Bundesrat ausgeführt:
"Das geltende Gesetz führt bei der Festsetzung der Entschädigung im Falle von bloss teilweiser Arbeitslosigkeit zu grossen Schwierigkeiten. Insbesondere besteht ein zum Teil widersprüchliches Nebeneinander von mehreren verschiedenen Berechnungsarten für die Berücksichtigung von Verdiensten, die ein Arbeitsloser während der Arbeitslosigkeit erzielt. Die
BGE 120 V 233 S. 249
vorgeschlagene Regelung verzichtet auf die bisherigen, administrativ umständlichen und in einigen Fällen ungerechten Unterscheidungen zwischen Ersatzarbeit, Zwischenverdienst und Verdienst aus Teilzeitbeschäftigung, fasst sämtliche während der Kontrollperiode erzielten Verdienste unter der Bezeichnung 'Zwischenverdienst' zusammen und regelt sie einheitlich. Die Neuregelung verstärkt den Anreiz zur Annahme von Zwischenverdienstgelegenheiten, wobei Überentschädigungen wie bis anhin ausgeschlossen werden.
Praktisch bedeutet die neue Fassung, dass der Versicherte, welcher einen irgendwie gearteten Zwischenverdienst erzielt, unabhängig vom zeitlichen Umfang des Arbeitsausfalls eine allein nach dem Verdienstausfall bemessene Entschädigung in der Höhe von 80% des innerhalb einer Kontrollperiode erlittenen Ausfalls beanspruchen kann.
Für den Versicherten ist die neue Regelung insgesamt der bisherigen mindestens gleichwertig (Separatausgabe S. 14 f.)."
Damit steht die in der Folge von den vorberatenden Kommissionen geteilte und in beiden Räten diskussionslos angenommene (Sten.Bull. S 1990 S. 74; Sten.Bull. N. 1990 II S. 1437) Regelungsabsicht des Gesetzgebers fest: Die während einer oder mehrerer Kontrollperioden erzielten Verdienste sollen nach dem Prinzip des Verdienstausfalls, und nicht nach jenem des Arbeitsausfalls entschädigt werden, von welchem das Gesetz sonst primär ausgeht (
Art. 11 AVIG
; GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Band III, S. 1214 N. 15 und S. 1215 N. 22), und zwar in einheitlicher Weise über den Weg von
Art. 24 AVIG
. Dass die legislatorische Regelungsabsicht im positives Recht gewordenen Gesetzestext überhaupt keinen Niederschlag gefunden hätte, was in der Regel gegen die Massgeblichkeit des historischen Auslegungselementes spricht, kann vorliegend nicht gesagt werden, nicht nur wegen der eindeutigen Formulierung in
Art. 24 Abs. 1 AVIG
, sondern vermehrt noch wegen
Art. 24 Abs. 4 AVIG
, wo für den Spezialfall der ganztägig ausgeübten Zwischenverdienstarbeit (nach bisheriger Terminologie Ersatzarbeit) der Bogen geschlagen wird zu
Art. 11 Abs. 1 AVIG
und für diesen Fall angeordnet wird, das Mindesterfordernis des anrechenbaren Arbeitsausfalles müsse nicht erfüllt sein.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten: Sämtliche Formen unselbständiger Erwerbstätigkeit, welche bisher unter die verschiedenen Bemessungsnormen oder -grundsätze der Teilzeitarbeit (Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 f. AVIG), des Zwischenverdienstes (alt
Art. 24 AVIG
) und der Ersatzarbeit (alt
Art. 25 AVIG
) subsumiert wurden, sind heute Gegenstand des revidierten
Art. 24 AVIG
. Die in
BGE 112 V 229
und
BGE 112 V 237
aufgestellten Bemessungsgrundsätze für den Fall der Teilarbeitslosigkeit
BGE 120 V 233 S. 250
sind daher aufgrund der geänderten Rechtslage heute gegenstandslos.
c) Im weiteren ist der Begriff des Zwischenverdienstes mit dem BIGA weit zu fassen. Eine zuverlässige praktikable Anwendung der Zwischenverdienstregelung gemäss
Art. 24 AVIG
ist einzig über das Kriterium der insbesondere lohnmässig zumutbaren Arbeit im Sinne von
Art. 16 Abs. 1 lit. e AVIG
zu erreichen. Insofern ist an der mit
BGE 114 V 345
eingeleiteten Rechtsprechung, wie sie in Erw. 3b hievor dargelegt worden ist, festzuhalten (nicht publiziertes Urteil C. vom 7. Dezember 1993).
Hingegen kann in Anbetracht der vom Revisionsgesetzgeber bewusst gewollten Gleichstellung der verschiedenen Formen von (Teil-)Erwerbstätigkeit während einer oder mehrerer Kontrollperioden an den übrigen von der Rechtsprechung aufgestellten Erfordernissen für das Vorliegen von Zwischenverdienstarbeit (Vorläufigkeit, Übergangscharakter, leichte Auflösbarkeit) nicht länger festgehalten werden. In diesem Sinne ist das Urteil C. vom 7. Dezember 1993 zu korrigieren, soweit darin ausgeführt wird, dem Zwischenverdienst komme auch unter dem revidierten
Art. 24 AVIG
definitionsgemäss nur Übergangscharakter zu. Das Erfordernis der Vorläufigkeit widerspricht auch der in
BGE 111 V 251
ergangenen Rechtsprechung, welche die Beschränkung der Zwischenverdienstregelung auf drei Monate als gesetzwidrig bezeichnete. Das BIGA bemerkt zu Recht, dass die Zwischenverdienstregelung (vorbehältlich ihrer besonderen Form des Differenzausgleiches bei Ersatzarbeit nach
Art. 24 Abs. 4 AVIG
) an keine zeitliche Limite gebunden ist, ausser an jene der globalen Taggeldberechtigung im Rahmen der Leistungsbezugsperiode. Mit den Kriterien der Vorläufigkeit, der leichten Auflösbarkeit und des Übergangscharakters werden Ermessensgesichtspunkte ins Spiel gebracht, welche eine sichere Grenzziehung verunmöglichen und die legislatorische Regelungsabsicht, wie sie in
Art. 24 AVIG
zum Ausdruck gebracht worden ist, vereiteln. Sofern und soweit es dem ganz- oder teilarbeitslosen Versicherten gelingt, während der streitigen Kontrollperioden eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, und zwar insbesondere auch in lohnmässiger Hinsicht, mithin eine Tätigkeit, die ihm ein Einkommen verschafft, welches zumindest dem Betrag der Arbeitslosenentschädigung entspricht, bleibt für die Annahme eines Zwischenverdienstes kein Raum. Die vorinstanzliche Auffassung, dass auch Tätigkeiten, die dem Versicherten ein Einkommen verschaffen, das zwar über dem Taggeld, aber unter dem versicherten Verdienst liegt, der Zwischenverdienstregelung gemäss
Art. 24 AVIG
zu
BGE 120 V 233 S. 251
unterstellen seien, ist zwar nach dem Wortlaut von
Art. 24 AVIG
(insbesondere dessen Abs. 3) nicht ausgeschlossen, lässt sich aber letztlich aus systematischen Gründen nicht bestätigen. Das Argument, der Gesetzgeber habe auch in solchen Fällen das die Versicherung entlastende Ausüben von Teilerwerbstätigkeiten fördern wollen, widerspricht im Ergebnis Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 und
Art. 17 Abs. 1 und 3 AVIG
, wonach der Versicherte ohnehin bereit sein muss, eine zumutbare Arbeit anzunehmen, ansonsten er mit der Einstellung im Taggeldbezug (
Art. 30 Abs. 1 lit. c und d AVIG
; ARV 1991 Nr. 9 S. 88, 1990 Nr. 5 S. 34, 1984 Nr. 14 S. 167) oder mit der Aberkennung der Anspruchsberechtigung wegen fehlender Vermittlungsfähigkeit (
BGE 112 V 326
; ARV 1992 Nr. 10 S. 122, 1990 Nr. 3 S. 25 und Nr. 14 S. 83) zu rechnen hat. Es erscheint daher nicht sachgerecht, bei Erfüllung einer gesetzlichen Obliegenheit Kompensationsleistungen nach
Art. 24 AVIG
zuzusprechen, ganz abgesehen von den damit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten bezüglich Beendigung der Arbeitslosigkeit.
Zu einer anderen Betrachtungsweise besteht auch unter dem Gesichtswinkel des Urteils F. vom 2. März 1992 kein Anlass. In jenem Fall hatte die kantonale Instanz die Auffassung vertreten, dass nach
Art. 24 Abs. 2 AVIG
in der bis Ende 1991 gültig gewesenen Fassung ein die Arbeitslosenentschädigung übersteigendes und damit zumutbares Arbeitsentgelt als Zwischenverdienst in Betracht falle. Sie begründete dies damit, dass das Gesetz dem Versicherten in
Art. 24 Abs. 2 AVIG
so lange Anspruch auf Differenzausgleich gewähre, als der ganze Zwischenverdienst und die ihm von der Arbeitslosenversicherung auszurichtenden Taggelder 90% des versicherten Verdienstes nicht übersteigen würden; demnach entfalle der Differenzausgleich nicht schon bei einem Einkommen, welches höher ausfalle als die (70% oder 80% des versicherten Verdienstes betragende) Arbeitslosenentschädigung, sondern erst, wenn der ganze Zwischenverdienst 90% des versicherten Verdienstes erreiche. Das Eidg. Versicherungsgericht liess die Frage offen, ob von der dargelegten Rechtsprechung abzugehen sei, wonach die Annahme von Zwischenverdienst und Ersatzarbeit dann nicht in Betracht falle, wenn die betreffende Tätigkeit hinsichtlich des Lohnes und der übrigen Verhältnisse im Sinne von
Art. 16 AVIG
zumutbar sei. Diese Frage ist heute zum einen gegenstandslos, nachdem der revidierte
Art. 24 AVIG
die in alt
Art. 24 Abs. 2 AVIG
vorgesehene Kürzung des Taggeldanspruches um die Hälfte des Zwischenverdienstes fallenliess. Zum
BGE 120 V 233 S. 252
andern bleibt ein Differenzausgleich, durchaus unter Berücksichtigung des versicherten Verdienstes als obere Grenze (
Art. 24 Abs. 3 Satz 1 AVIG
), dort geboten, wo der Versicherte keinen zumutbaren Lohn erzielt, sondern diesen unterschreitende Zwischenverdienste nach
Art. 24 Abs. 1 AVIG
.
Zusammenfassend ergibt sich, dass der Versicherte so lange Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalles nach Art. 24 Abs. 1 bis 3 AVIG hat, als er nicht in der (den) fraglichen Kontrollperiode(n) ein zumutbares Einkommen im Sinne von
Art. 16 AVIG
erzielt. Allfällige Ersatzeinkommen sind entgegen Rz. 188 KS ALE nicht zu berücksichtigen, solange es um Bezugszeiten geht, die sich vor dem Inkrafttreten von
Art. 16 Abs. 1bis AVIG
ereignet haben. Gegen das in der genannten Randziffer erwähnte Erfordernis des Mindestarbeitsausfalles (
Art. 5 AVIV
) ist insofern nichts einzuwenden, als Tätigkeiten geringeren Arbeitsausfalls unter
Art. 24 Abs. 4 AVIG
zu subsumieren sind.
d) Richtig ist hingegen, dass die Zumutbarkeitsfrage, einschliesslich des lohnmässigen Gesichtspunktes, immer in bezug auf ein Arbeitsverhältnis zu beurteilen ist. Denn zuweisungsfähig im Sinne von
Art. 17 Abs. 3 AVIG
sind nur solche Arbeitsleistungen, die im Rahmen derselben vertraglichen Abrede erbracht werden und insgesamt die in
Art. 16 AVIG
aufgestellten Erfordernisse erfüllen, nicht hingegen an sich unzumutbare einzelne Einsätze, an denen aufgrund verschiedener Vertragsverhältnisse mit je eigener Regelung von Arbeitseinsatz, Entlöhnung usw. mehrere Arbeit- oder Auftraggeber beteiligt sind (nicht publiziertes Urteil F. vom 2. März 1992). Daran ist auch unter dem neuen Recht festzuhalten.
e) Zu berücksichtigen ist ferner, dass die in
Art. 24 Abs. 4 AVIG
vorgesehene Ersatzarbeit nichts anderes ist als eine besondere Form von Zwischenverdienst. Es handelt sich, wie bereits im Rahmen von alt
Art. 25 AVIG
, um eine Vollzeitbeschäftigung, welche dem Versicherten einen den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung unterschreitenden, aber doch wenigstens berufs- und ortsüblichen Lohn einbringt. Einer besonderen Regelung der Ersatzarbeit als Form der Erzielung von Zwischenverdienst bedarf es nur, weil es bei der Ersatzarbeit, wie sie begrifflich umschrieben ist, nicht zu einem Arbeitsausfall im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 AVIG
kommt. Ohne dass der Versicherte einen erheblichen Arbeitsausfall erleidet, trifft ihn ein Verdienstausfall. Für diesen speziellen Tatbestand gewährt
Art. 24 Abs. 4 AVIG
, beschränkt auf die ersten sechs Monate einer solchen Beschäftigung (analog zur Regelung gemäss alt
Art. 25 Abs. 2 Satz 2 AVIG
,
BGE 120 V 233 S. 253
wonach der Anspruch auf höchstens sechs Kontrollperioden beschränkt war), die Befreiung vom gesetzlichen Anspruchserfordernis des anrechenbaren Arbeitsausfalls im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 AVIG
. Handelt es sich aber bei der Ersatzarbeit nur um eine besondere Form der Erzielung von Zwischenverdienst, muss die in
Art. 24 Abs. 3 AVIG
für den Regelfall der Erzielung von Zwischenverdienst aufgestellte Voraussetzung der Berufs- und Ortsüblichkeit auch für die Ersatzarbeit nach Abs. 4 dieser revidierten Bestimmung gelten. Die Nichteinhaltung des Kriteriums der Berufs- und Ortsüblichkeit führt aber weder im Bereich von Art. 24 Abs. 1 bis 3 AVIG noch nach
Art. 24 Abs. 4 AVIG
zum Dahinfallen des Anspruches auf Differenzausgleich. Vielmehr wird nunmehr bloss der vom Versicherten erzielte effektive Lohn in masslicher Hinsicht bis zu dem als berufs- und ortsüblich zu qualifizierenden Ansatz angehoben, und es erfolgt nur auf dieser Grundlage ein Differenzausgleich (nicht publiziertes Urteil G. vom 13. Mai 1993; GERHARDS, a.a.O., S. 1216 N. 25).
f) Schliesslich bleibt die Frage zu prüfen, wie vorzugehen ist, wenn der Versicherte im Verlaufe einer Kontrollperiode durch Ausübung einer oder mehrerer Tätigkeiten in zeitlicher Hinsicht über eine Vollzeitbeschäftigung hinaus erwerbstätig ist. Ausgehend vom Grundgedanken, dass die Arbeitslosenversicherung nur für das Risiko des Verlustes einer normalen Arbeitnehmertätigkeit Versicherungsschutz gewährt (
BGE 113 V 234
Erw. 3b), schliesst
Art. 23 Abs. 3 Satz 1 AVIG
Nebenverdienste vom versicherten Verdienst aus. Folgerichtig bestimmt auch Art. 24 Abs. 3 letzter Satz AVIG, dass Nebenverdienste unberücksichtigt bleiben, dass also jene Einkünfte, die der Versicherte aus der (oder den) über das normale Arbeitnehmerpensum (übliche Vollzeitbeschäftigung) hinausgehenden Beschäftigung(en) erzielt, bei der Anwendung der Zwischenverdienstregelung unbeachtlich sind.
6.
Für den vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Versicherte ab August 1992 zwei Arbeitnehmertätigkeiten aufgenommen hat, welche - je für sich betrachtet - lohnmässig unbestrittenerweise keine zumutbaren Anstellungen im Sinne von
Art. 16 Abs. 1 lit. e AVIG
sind. Ob diesen Arbeitsstellen Übergangscharakter zukommt oder nicht, ist nach dem Gesagten nicht entscheidend. Massgeblich ist einzig, dass die Versicherte keine AlV-rechtlich zumutbare Arbeit ausübte. Damit ist die Anwendbarkeit von
Art. 24 AVIG
gegeben. Soweit der minimale Arbeitsausfall gemäss
Art. 5 AVIV
(vgl. Rz. 188 KS ALE) nicht erfüllt sein sollte, handelt es sich um eine
BGE 120 V 233 S. 254
Vollzeitanstellung im Sinne von
Art. 24 Abs. 4 AVIG
. Anderseits sind unter dem Titel Nebeneinkünfte jene Bezüge ausser acht zu lassen, welche die Versicherte mit dem über ein normales Vollzeitpensum hinausgehenden Einsatz erwirtschaftet hat.
Die Verwaltung, an welche die Vorinstanz die Sache richtigerweise zurückgewiesen hat, wird daher vorab zu prüfen haben, ob die Versicherte mit ihrer Anstellung in der Firma Z einen Arbeitsausfall im Mindestausmass von
Art. 5 AVIV
erlitten hat. Sie wird ferner abzuklären haben, in welchem Umfang die Versicherte zusätzlich für die Firma X arbeitete und welchen Lohn sie dafür genau bezog. Je nach dem Ergebnis dieser Abklärungen wird die Verwaltung gestützt auf Art. 24 Abs. 1 bis 3 AVIG oder gestützt auf
Art. 24 Abs. 4 AVIG
in Berücksichtigung des versicherten Verdienstes einerseits, der beiden Zwischenverdienste anderseits, über den Anspruch auf Differenzausgleich neu zu verfügen haben. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
38aa15c1-4b10-4864-8cbd-885a0a32dd0d | Urteilskopf
100 II 241
35. Estratto della sentenza 21 marzo 1974 della II Corte civile nella causa LV contro IP | Regeste
Art. 148 Abs. 3 ZGB
.
1. Diese Bestimmung hindert den Scheidungsrichter nicht, Tatsachen und Beweismittel zuzulassen, die bereits im Trennungsprozess vorgebracht, mangels Erheblichkeit damals aber nicht berücksichtigt worden sind (Erw. 2).
2. In der Scheidungsklage nach vorangegangener Trennung kann sich eine Partei auch auf Tatsachen und Scheidungsgründe berufen, die sie im Trennungsprozess nicht vorgebracht hat (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 242
BGE 100 II 241 S. 242
A.-
Con petizione 29 settembre 1958, L V chiese al Pretore di pronunciare la separazione a tempo indeterminato. Il marito rispose, proponendo, in via riconvenzionale, l'azione di divorzio. Egli affermò che il comportamento geloso, collerico e ingiurioso della moglie gli aveva reso impossibile la vita in comune. La moglie replicò attribuendo al marito la colpa esclusiva del turbamento coniugale. Le parti trovarono nondimeno un accordo e, il 30 settembre 1960, stipulavano una convenzione, mediante la quale, costatato il profondo turbamento dei rapporti fra i coniugi, convenivano di chiedere la separazione e determinavano le prestazioni alimentari del marito.
Con sentenza dello stesso giorno, il Pretore pronunciò la separazione. Nelle motivazioni fece rilevare che l'unione coniugale, benchè non irreparabilmente compromessa, risultava comunque profondamente turbata. Era però superfluo sindacare a chi dovesse essere ascritta la colpa preponderante dell'anzidetta situazione.
B.-
Il 19 agosto 1964, IP interpose l'azione di divorzio. Egli richiamò i motivi esposti nel primo procedimento ed aggiunse che i rapporti fra le parti erano peggiorati a causa degli ostacoli frapposti dalla convenuta al diritto di visita delle figlie. La moglie si oppose alla petizione, attribuendo al marito la colpa esclusiva del turbamento coniugale e, contro la sentenza di divorzio del Pretore, si aggravò al Tribunale di appello, chiedendo un aumento della pensione alimentare e un'indennità ai sensi dell'art. 151 CC.
La I Camera civile del Tribunale di appello ha respinto, con sentenza 10 ottobre 1973, il ricorso principale della convenuta e accolto un ricorso adesivo dell'attore.
E.-
LV ha interposto al Tribunale federale un ricorso per riforma, mediante il quale conferma le sue richieste a'sensi degli
art. 151 e 152
CC.
Erwägungen
Considerando in diritto:
2.
Secondo la ricorrente, la Corte cantonale avrebbe anzitutto violato l'art. 148 cpv. 3 CC. Nel giudizio su un'azione di divorzio, proposta dopo il periodo di separazione, si può tener conto - essa afferma - solo dei fatti posti a fondamento
BGE 100 II 241 S. 243
della sentenza di separazione e di quelli posteriori, ma non, per una nuova e diversa valutazione, delle circostanze già allegate in quel procedimento; i fatti anteriori potrebbero costituire oggetto di una nuova valutazione solo se allegati per la prima volta nel processo di divorzio. Ora, la Corte cantonale si sarebbe fondata soprattutto su fatti già allegati e valutati nella causa di separazione, valutandoli diversamente; ciò che sarebbe inammissibile.
a) L'art. 148 cpv. 3 CC prescrive al giudice di pronunciarsi sui motivi della precedente causa come su altri sopravvenuti.
A tale riguardo non è tuttavia determinante che i fatti concludenti si siano verificati prima piuttosto che dopo la sentenza di separazione. Per il divorzio può essere concludente tanto un adulterio commesso dopo la separazione quanto circostanze verificatesi in precedenza. Il giudice del divorzio è bensì vincolato agli accertamenti di fatto effettuati dal giudice della separazione, ma non alla valutazione giuridica fattane da quest'ultimo (HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, III ed. p. 111 e citazioni).
Ad ogni modo - come ammette anche la ricorrente - l'art. 148 cpv. 3 CC non esclude che la sentenza di divorzio sia fondata - come in concreto - su prove riferentisi a fatti precedenti il giudizio di separazione, ma non mai prima allegati (RU 71 II 201, 74 II 5).
b) In realtà, si deve escludere un nuovo accertamento solo per quei fatti che il giudice della separazione ha giá accertato. Non si vede come il giudice del divorzio, che è libero di valutare le allegazioni delle parti agli effetti del nuovo giudizio, debba disattendere dei fatti concludenti solo perchè già stati allegati per la causa di separazione, specie quando questo giudice li ha disattesi perchè non determinanti per il suo giudizio. Comunque, ad un siffatto accertamento, non si oppongono nè la lettera nè lo spirito dell'art. 148 cpv. 3 CC. Le stesse considerazioni valgono anche per l'assunzione di mezzi di prova già proposti o assunti nel processo di separazione. Anche a questo riguardo, il giudice del divorzio può assumere dei testi già proposti ma non sentiti nel processo di separazione; nè si può vietargli di riassumere un teste già sentito purchè sia chiamato a deporre su fatti che erano apparsi inconcludenti nel processo diretto ad ottenere solo la separazione, ma che risultano rilevanti nel processo di divorzio.
BGE 100 II 241 S. 244
c) Nel caso particolare le due istanze cantonali hanno pronunciato, rispettivamente confermato, il divorzio, fondandosi sostanzialmente su deposizioni di testi già proposti, ma non sentiti, nel processo conclusosi con la separazione. In un tale modo di procedere non può essere ravvisata alcuna irregolarità. Infatti, il Pretore aveva omesso l'audizione testimoniale, non perchè i testi proposti non fossero degni di fede o fossero stati indicati per deporre su fatti irrilevanti, ma perchè, avendo il convenuto accettato la separazione ed essendosi le parti accordate sulle relative conseguenze accessorie, bastava per pronunciare il richiesto provvedimento la costatazione della profonda turbazione coniugale. Riproposta l'azione di divorzio e dovendosi decidere sulle cause della distruzione del vincolo matrimoniale, nonchè sulle rispettive colpe delle parti, il Pretore non poteva rifiutare l'audizione dei testi a tale scopo proposti, senza violare il diritto processuale dell'attore a provare le sue allegazioni.
3.
Contrariamente a quanto pure affermato nel ricorso, l'azione di divorzio susseguente alla separazione non è vincolata, per quanto concerne i motivi della precedente causa, a quelli addotti nel primo procedimento, nè a quelli che hanno indotto una parte a recedere dalla domanda di divorzio e ad accettare la separazione.
Quand'anche una parte avesse sottaciuto determinati motivi nel primo processo a scopi di tattica processuale - ciò che in concreto non risulta comunque provato - nulla le impedirebbe di addurli nel secondo. Nessuna disposizione legale obbliga le parti, anche se concludono al divorzio, ad esporre ogni motivo rilevante per il giudizio (cfr. RU 71 II 202). È neppure si può pretendere - come fa la ricorrente - che nella rinuncia al divorzio da parte del marito e nel successivo accordo sulla separazione debbasi ravvisare il perdono alle eventuali ingiurie o maltrattamenti subiti in precedenza. Una diversa conclusione potrebbe essere condivisa, al massimo, se il marito, ritirando la domanda di divorzio, avesse accettato, esplicitamente e senza riserve, la petizione della moglie. In concreto, risulta dagli atti che il Pretore ha pronunciato il suo giudizio di separazione su richiesta reciproca delle parti senza indicare che una parte abbia condiviso le allegazioni dell'altra. Non si può pertanto escludere che il marito abbia limitato la sua domanda alla separazione per evitare alle figlie, allora in
BGE 100 II 241 S. 245
tenera età, gli inconvenienti psicologici e sociali di un divorzio dei genitori.
Non si comprende d'altronde come la ricorrente possa affermare che la dichiarazione della Corte cantonale, secondo cui il giudice di prima istanza ha anzitutto pronunciato la separazione nella speranza di una futura riconciliazione, non risulta provata. Tale speranza, peraltro ora non determinante, è infatti esplicitamente espressa a pagina 8 della sentenza 30 settembre 1960. | public_law | nan | it | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
38ac3b33-ff95-4c92-977c-7238928a9de8 | Urteilskopf
142 I 42
5. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen C. AG (Revisionsgesuch)
4F_15/2014 vom 11. November 2015 | Regeste
Art. 122 lit. b BGG
; Revision wegen Verletzung der EMRK.
Auslegung von
Art. 122 lit. b BGG
: Eine Revision ist (auch) zulässig, wenn zwar materielle Interessen zur Diskussion stehen, der EGMR aber nach Feststellung der Verletzung von Verfahrensrechten die beantragte Entschädigung nach
Art. 41 EMRK
nicht inhaltlich prüft, sondern sie ohne nähere Begründung "unter Verneinung der Kausalität" ablehnt (E. 2.2). | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 142 I 42 S. 42
A.
D.A. arbeitete seit Beginn der Lehre 1962 bei der E., später bei deren Rechtsnachfolgerinnen (heute: C. AG; Beklagte, Gesuchsgegnerin). Anfang 2004 wurde bei ihm ein malignes Pleuramesotheliom (Brustfellkrebs) diagnostiziert, das am 10. November 2005 zu seinem Tod führte.
B.
Am 25. Oktober 2005 hatte D.A. beim Arbeitsgericht Baden Teilklage eingereicht mit dem Antrag, die C. AG sei zur Zahlung von Fr. 212'906.- nebst Zins als Schadenersatz und Genugtuung zu
BGE 142 I 42 S. 43
verurteilen, da die Erkrankung durch Asbestexposition am Arbeitsplatzverursacht worden sei. Nach seinem Tod traten seine beiden TöchterA.A. und B.A. (Klägerinnen, Gesuchstellerinnen) in den Prozess ein. Das Arbeitsgericht Baden wies die Klage mit Urteil vom 27. Februar 2009 ab. Es hielt u.a. fest, allfällige vor dem 25. Oktober 1995 entstandene Ansprüche seien verjährt. Die dagegen von den Klägerinnen erhobene Appellation wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 2. März 2010 ab. Auch das Obergericht erachtete sämtliche Ansprüche gestützt auf Handlungen, welche die Beklagtevor dem 25. Oktober 1995 (d.h. mehr als 10 Jahre vor der Klageeinreichung als erste Verjährungsunterbrechung) begangen haben soll, als verjährt. Das Bundesgericht kam mit Urteil 4A_249/2010 vom 16. November 2010 (
BGE 137 III 16
) zum selben Schluss.
Daraufhin gelangten die Klägerinnen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dort war bereits ein durch die Witwe F.A. initiiertes Verfahren hängig; das Bundesgericht hatte in einem separaten Verfahren auch eine durch sie erhobene Beschwerde wegen Verwirkung der Ansprüche bzw. nicht nachgewiesener Asbestexposition im Zeitraum ab dem 14. November 1995 (zehn Jahre vor Einreichung ihres Begehrens) mit Urteil 8C_470/2009 vom 29. Januar 2010 (
BGE 136 II 187
) abgewiesen. Der EGMR vereinigte die beiden Verfahren und stellte mit Urteil Nr. 52067/10 und 41072/11 vom 11. März 2014 eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht nach Art. 6 Ziff. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (EMRK) fest. Den von den Gesuchstellerinnen geltend gemachten Schadenersatzanspruch von Fr. 200'579.- nebst Zins wies der EGMR wegen fehlender Kausalität der EMRK-Verletzung zum Schaden ab. Eine Verweisung der Rechtssache an die Grosse Kammer wurde nicht beantragt.
C.
Mit Revisionsgesuch vom 30. Juni 2014 beantragen die Klägerinnen dem Bundesgericht, es sei das Urteil 4A_249/2010 vom 16. November 2010 aufzuheben und es sei die C. AG zur Zahlung von Fr. 212'906.- nebst Zins zu verurteilen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Arbeitsgericht Baden, subeventualiter an das Obergericht des Kantons Aargau zurückzuweisen.
Die Abteilungen des Bundesgerichts führten einen Meinungsaustausch (
Art. 23 BGG
) zur Auslegung von
Art. 122 lit. b BGG
durch. Das Bundesgericht heisst das Revisionsgesuch gut und hebt sein Urteil 4A_249/2010 vom 16. November 2010 auf. Das Dispositiv im
BGE 142 I 42 S. 44
Verfahren 4A_249/2010 fasst es neu: Es heisst die Beschwerde gut, hebt das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 2. März 2010 auf und weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an das Arbeitsgericht Baden zurück.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Nach
Art. 122 lit. a BGG
ist für eine Revision zunächst erforderlich, dass der EGMR in einem endgültigen Urteil eine Verletzung der EMRK oder der Protokolle dazu festgestellt hat.
Der EGMR hat vorliegend im Entscheid vom 11. März 2014 - nach Verbindung des Verfahrens mit der Beschwerde gegen das Urteil 8C_470/2009 der ersten sozialrechtlichen Abteilung vom 29. Januar 2010 (
BGE 136 II 187
) - mit sechs zu einer Stimme festgestellt, dass
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verletzt worden ist (Dispositiv-Ziff. 3). Ausserdem hat er mit dem gleichen Stimmenverhältnis entschieden (Dispositiv-Ziff. 5), dass der beklagte Staat innert dreier Monate nach Rechtskraft des Entscheides gemäss Art. 44 Ziff. 2 der Konvention folgende Beträge (netto nach Steuern) zu bezahlen hat: Allen drei Beschwerdeführerinnen gemeinsam EUR 12'180.- als Genugtuung (lit. i) und weiter als Entschädigung für Partei- und Verfahrenskosten der Beschwerdeführerin im verbundenen Verfahren EUR 5'000.- (lit. ii), den beiden anderen Beschwerdeführerinnen (Gesuchstellerinnen des vorliegenden Verfahrens) EUR 4'000.- (lit. iii). Im Übrigen hat der EGMR das Begehren um eine angemessene Entschädigung abgewiesen (Dispositiv-Ziff. 6).
Das Urteil ist am 11. März 2014 endgültig geworden, womit die Voraussetzung von
Art. 122 lit. a BGG
erfüllt ist.
2.2
Eine Revision wegen Verletzung der EMRK setzt nach
Art. 122 lit. b BGG
weiter voraus, dass eine Entschädigung nicht geeignet ist, die Folgen der Verletzung auszugleichen.
2.2.1
Diese Voraussetzung wurde mit der Totalrevision der Bundesrechtspflege neu normiert. Grund dafür war ein "Hin und Her zwischen Bern und Strassburg" (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4352 Ziff. 4.1.6.1), das durch
Art. 139a OG
(AS 1992 298), die Vorgängernorm von
Art. 122 BGG
, und durch
Art. 41 EMRK
verursacht wurde: Nach
Art. 139a Abs. 1 OG
war die Revision nur zulässig, wenn "eine
BGE 142 I 42 S. 45
Wiedergutmachung nur durch eine Revision möglich" war; gleichzeitig hängt eine gerechte Entschädigung nach
Art. 41 EMRK
davon ab, dass das innerstaatliche Recht "nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen [der] Verletzung" der EMRK oder der Protokolle dazu gestattet. Diese gegenseitigen Subsidiaritäten wollte der Bundesrat auflösen und damit das Verhältnis zwischen dem innerstaatlichen Revisionsverfahren einerseits und der Gewährung einer "gerechten Entschädigung" (
Art. 41 EMRK
) durch den EGMR andererseits klären. Zu diesem Zweck schlug der Bundesrat vor, Begehren um eine finanzielle Entschädigung wegen Verletzung der EMRK müssten neu zwingend im Rahmen des Verfahrens vor dem EGMR geltend gemacht werden (Botschaft BGG, BBl 2001 4353 Ziff. 4.1.6.1). Die innerstaatliche Revision solle mithin nur noch zulässig sein, wenn eine Entschädigung nicht geeignet sei, die Folgen der Verletzung der EMRK oder der Protokolle dazu auszugleichen (Art. 108 lit. b des Entwurfs, BBl 2001 4509).
Zur Begründung der neuen Regelung führte der Bundesrat aus, das Verfahren zur Revision eines Bundesgerichtsentscheids solle nicht den Weg dazu öffnen, eine vom EGMR beurteilte Sache neu zu beurteilen oder Fehler zu korrigieren, die von einer Partei im Verfahren vor dieser Instanz begangen worden seien (Botschaft BGG, BBl 2001 4353 Ziff. 4.1.6.1). Ein Revisionsverfahren sei daher nicht nur ausgeschlossen, wenn der EGMR eine gerechte Entschädigung nach
Art. 41 EMRK
zugesprochen habe, sondern auch bei Abweisung eines entsprechenden Begehrens (weil jeglicher Schaden verneint oder die Feststellung der Menschenrechtsverletzung als hinreichend betrachtet worden sei). Die vorgeschlagene Bestimmung wurde wörtlich in
Art. 122 lit. b BGG
übernommen.
2.2.2
Das Bundesgericht hat zur Auslegung von
Art. 122 lit. b BGG
namentlich im Revisionsverfahren Schlumpf (
BGE 137 I 86
E. 3.2.2 S. 90) erwogen, dass für die Revision des bundesgerichtlichen Urteils kein Anlass mehr bestehe, wenn der EGMR eine die Folgen der Konventionsverletzung ausgleichende Entschädigung gesprochen habe. Denn möglich bleibe die Revision nur insoweit, als sie geeignet und erforderlich sei, um über die finanzielle Abgeltung hinaus fortbestehende, konkrete nachteilige Auswirkungen der Konventionsverletzung im Rahmen des ursprünglichen Verfahrens zu beseitigen. Stünden materielle Interessen zur Diskussion, bezüglich welcher die Konventionsverletzung zwar mit einer Entschädigung grundsätzlich vollständig gutgemacht werden könnte, habe der EGMR aber eine
BGE 142 I 42 S. 46
Entschädigung abgelehnt, weil ein Schaden fehle, oder habe er sich mangels eines entsprechenden Begehrens über das Vorliegen eines Schadens nicht ausgesprochen, so komme die Revision durch das Bundesgericht nicht mehr in Frage.
Vorliegend hat der EGMR weitergehende Begehren der Gesuchstelerinnen abgewiesen (Dispositiv-Ziff. 6). Namentlich hat er das Begehren auf Zusprechung einer Entschädigung von Fr. 200'579.- (ungefähr EUR 162'826.-) nebst Zins abgewiesen, welche die Gesuchstellerinnen als Ersatz für den Schaden beantragt hatten, der ihnen aus der Anwendung der schweizerischen Verjährungsregeln und der damit verbundenen Abweisung ihrer Klage erwachsen war (Ziff. 83 ff. Entscheid EGMR). Der EGMR sah keinen Kausalzusammenhang zwischen der von ihm festgestellten Konventionsverletzung und dem Schaden und wies aus diesem Grund die Forderung ab (Ziff. 87 Entscheid). Diese Konstellation wird in der Botschaft und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht erwähnt. Fraglich ist, ob auch in diesem Fall die Revision nach
Art. 122 lit. b BGG
ausgeschlossen ist.
2.2.3
Die "gerechte Entschädigung" kann nach
Art. 41 EMRK
auch einen allfälligen Prozessgewinn umfassen, welcher der betroffenen Person durch Verletzung einer Verfahrensgarantie entgangen ist ("loss of a real opportunity"; vgl. GERHARD DANNEMANN, Haftung für die Verletzung von Verfahrensgarantien nach
Art. 41 EMRK
, Zur Herausbildung europäischer Haftungsmassstäbe, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 63/1999 S. 465 ff. mit Hinweisen). Auf dieser Grundlage hätte somit der EGMR im vorliegenden Fall eine Entschädigung für den Prozessverlust zusprechen können, wenn er zur Auffassung gelangt wäre, die Gesuchstellerinnen hätten den Prozess - wäre er ohne Konventionsverletzung geführt worden - ganz oder teilweise gewonnen.
Teilweise lehnt es der EGMR aber ab, über den Ausgang des Verfahrens zu spekulieren, und spricht in diesen Fällen wegen fehlender Kausalität keinen Schadenersatz zu. Der Rechtsprechung lässt sich dabei oft nicht entnehmen, in welchen Fällen das Konzept des "loss of a real opportunity" einschlägig ist und in welchen Fällen umgekehrt der Antrag auf Entschädigung wegen nicht nachgewiesener Kausalität abgewiesen wird (DANNEMANN, a.a.O., S. 466 ff.; JENS MEYER-LADEWIG, EMRK, Handkommentar, 3. Aufl. 2011, N. 11, 26 f. zu
Art. 41 EMRK
; NICOLA WENZEL, in: EMRK, Karpenstein/Mayer [Hrsg.], 2012, N. 17 zu
Art. 41 EMRK
).
BGE 142 I 42 S. 47
2.2.4
Im Entscheid des EGMR findet sich keine nähere Begründung für die Verneinung der Kausalität. Es bestehen freilich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der EGMR mit den Gewinnchancen der Gesuchstellerinnen nach Schweizer Recht - ohne Berücksichtigung der Verjährungseinrede - befasst hätte. Würde in einem solchen Fall das dem Bundesgericht eingereichte Revisionsgesuch abgewiesen, hätte schliesslich weder der EGMR noch das Bundesgericht die materiellen Interessen der Gesuchstellerinnen inhaltlich geprüft. Dies wollte der Gesetzgeber gerade vermeiden und stellte zu diesem Zweck die Entschädigung finanzieller Nachteile wegen Verletzung der EMRK in die alleinige Kompetenz des EGMR (vgl. oben E. 2.2.1). Nimmt der EGMR diese Kompetenz aber nicht wahr, so darf dies unter dem Gesichtspunkt, dass das Zusammenspiel des nationalen und internationalen Rechts insgesamt zu einer sinnvollen und zweckmässigen Wiederherstellung eines konventionskonformen Zustands führen und damit den effektiven Schutz der in der Konvention verankerten Garantien gewährleisten soll, nicht zum Nachteil der Gesuchstellerinnen gereichen (vgl.
BGE 137 I 86
E. 7.1 S. 96). Einer Zulassung der Revision durch das Bundesgericht steht in solchen Fällen auch die dargelegte Intention des Gesetzgebers nicht entgegen. Durch die Zulassung der Revision sollte zwar nicht der Weg dazu geöffnet werden, eine vom EGMR beurteilte Sache neu zu beurteilen oder der Partei zu ermöglichen, einen vor dem EGMR versäumten Antrag doch noch einzureichen (vgl. E. 2.2.1). Wenn aber der EGMR trotz gehörigen Antrags der Partei eine Abschätzung der Prozesschancen (sinngemäss) ablehnt, ist insofern nicht von einer beurteilten Sache auszugehen. Im Meinungsaustauschverfahren nach
Art. 23 BGG
haben daher alle Abteilungen des Bundesgerichts bejaht, dass
Art. 122 lit. b BGG
wie folgt auszulegen ist: Eine Revision ist (auch) zulässig, wenn zwar materielle Interessen zur Diskussion stehen, der EGMR aber nach Feststellung der Verletzung von Verfahrensrechten die beantragte Entschädigung nach
Art. 41 EMRK
nicht inhaltlich prüft, sondern sie ohne nähere Begründung "unter Verneinung der Kausalität" ablehnt.
2.2.5
Damit steht
Art. 122 lit. b BGG
vorliegend einer Revision nicht entgegen.
2.3
Schliesslich setzt eine Revision wegen Verletzung der EMRK nach
Art. 122 lit. c BGG
voraus, dass die Revision notwendig ist, um die Verletzung zu beseitigen. Dies ist der Fall, wenn das Verfahren vor Bundesgericht ohne Konventionsverletzung einen anderen
BGE 142 I 42 S. 48
Verlauf genommen hätte oder hätte nehmen können und somit nachteilige Auswirkungen der Konventionsverletzung fortbestehen (
BGE 137 I 86
E. 3.2.3 S. 91 und E. 7.3.1 S. 97).
Der EGMR sah im vorliegenden Fall in der Anwendung der Verjährungsbestimmungen des Schweizer Rechts eine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(Recht auf Zugang zu einem Gericht). Ohne Berücksichtigung der Verjährungseinrede hätte das Verfahren vor Bundesgericht einen anderen Verlauf nehmen können. Damit ist auch die Voraussetzung nach
Art. 122 lit. c BGG
erfüllt. Das Revisionsgesuch ist folglich gutzuheissen und das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_249/2010 vom 16. November 2010 ist aufzuheben (
Art. 128 Abs. 1 BGG
). Das ursprüngliche Verfahren ist wieder aufzunehmen und die Beschwerde in Zivilsachen der Klägerinnen ist unter Berücksichtigung der Vorgaben des EGMR neu zu beurteilen. | public_law | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
38b4e1d7-a579-4738-ba7e-bb8789d517f9 | Urteilskopf
141 I 36
4. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Mitb. gegen Regierung und Grosser Rat des Kantons Graubünden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_291/2014 vom 15. Dezember 2014 | Regeste
Art. 50 Abs. 1 BV
;
Art. 3, 65 und 89 KV/GR
; Art. 82 lit. b, Art. 89 Abs. 1,
Art. 95, 111 Abs. 1 BGG
.
Art. 32 des Gesetzes des Kantons Graubünden vom 21. März 2012 über die Volksschulen, wonach ein Wechsel der Schulsprache vom Rumantsch Grischun zum Idiom oder umgekehrt aufbauend von Schuljahr zu Schuljahr erfolgt, verletzt die Gemeindeautonomie nicht.
Besteht eine kantonale Verfassungsgerichtsbarkeit, kann im bundesgerichtlichen Verfahren (
Art. 82 lit. b BGG
) nicht nur die Aufhebung des letztinstanzlichen kantonalen Entscheids, sondern auch des zu überprüfenden kantonalen Erlasses beantragt werden, und richtet sich die Beschwerdelegitimation nach den Grundsätzen des abstrakten Normenkontrollverfahrens (E. 1.2.2). Private können sich auf die Gemeindeautonomie berufen, soweit diese Garantie eine Auswirkung auf ihre rechtliche oder tatsächliche Stellung haben kann (E. 1.2.4). Eine kantonale Regelung, welche die Autonomiebeschwerde nur den Gemeinden zugesteht, ist bundesrechtswidrig (E. 5.1).
Kognition des Bundesgerichts bei Beschwerden wegen Verletzung der Gemeindeautonomie (E. 5.3 und 5.4).
Den Gemeinden des Kantons Graubünden kommt bei der Festlegung der Schulsprache eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit und damit Autonomie zu (E. 5.5). Der gesetzliche Ausschluss eines Sprachwechsels für bereits eingeschulte Kinder (E. 5.6.1) beruht auf der die Gemeindeautonomie relativierenden verfassungsrechtlichen Vorgabe von
Art. 3 Abs. 3 KV/GR
, wonach die Schulsprache in Zusammenwirken mit dem Kanton festzusetzen ist (E. 5.6.2 und 5.6.3), und auf der pädagogischen Überlegung, dass die Kinder im Verlaufe der Schulzeit nicht zu einem Wechsel der Schulsprache gezwungen werden sollen (E. 5.6.4-5.6.6). Die sachlich gerechtfertigte Regelung verletzt die Gemeindeautonomie nicht (E. 5.7). | Sachverhalt
ab Seite 38
BGE 141 I 36 S. 38
A.
Der Kanton Graubünden führte versuchsweise die Erteilung des Schulunterrichts auf Rumantsch Grischun ein. Anfang 2011 formierte sich Widerstand. Eltern von schulpflichtigen Kindern lancierten kommunale Volksinitiativen mit dem Ziel, Rumantsch Grischun als Alphabetisierungssprache wieder abzuschaffen und durch das Idiom zu ersetzen. Am 5. Dezember 2011 beschloss die Regierung des Kantons Graubünden, dass die Schulträgerschaft künftig über einen solchen Wechsel auf Beginn der ersten Primarklasse entscheiden kann. Dagegen erhobene Beschwerden wies das Bundesgericht mit Urteil vom 12. Juli 2013 (2C_806/2012 / 2C_807/2012; auszugsweise publ. in
BGE 139 I 229
) letztinstanzlich ab.
In der Dezembersession 2011 beschloss der Grosse Rat des Kantons Graubünden mit Art. 32 des neu zu erlassenden kantonalen Schulgesetzes eine gesetzliche Grundlage für den Schulsprachwechsel in rätoromanischen Schulen von folgendem Wortlaut:
Entscheidet sich eine Gemeinde für den Wechsel in der Schulsprache vom Idiom zu Rumantsch Grischun oder umgekehrt, erfolgt dieser aufbauend von Schuljahr zu Schuljahr.
BGE 141 I 36 S. 39
Am 21. März 2012 stimmte der Grosse Rat der Totalrevision des kantonalen Schulgesetzes zu. Nach Ablauf der Referendumsfrist wurde der Erwahrungsbeschluss publiziert und das Gesetz vom 21. März 2012 für die Volksschulen des Kantons Graubünden (Schulgesetz/GR; BR 421.000) auf den 1. August 2013 in Kraft gesetzt.
Am 12. September 2012 erhoben Eltern von schulpflichtigen Kindern beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Beschwerde und beantragten, die Regierung sei anzuweisen, Art. 32 Schulgesetz/GR nicht in Kraft zu setzen, eventuell sei diese Bestimmung aufzuheben und subeventuell seien geeignete Massnahmen zu treffen, damit die rätoromanischen Gemeinden die Schulsprache weiterhin selber bestimmen könnten. Auf die gleichentags beim Bundesgericht erhobene Beschwerde wurde mit Urteil vom 11. Dezember 2012 (2C_859/2012) mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nicht eingetreten. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies die bei ihm erhobene Beschwerde mit Urteil vom 12. November 2013 ab.
Die am vorinstanzlichen Verfahren beteiligten Eltern schulpflichtiger Kinder erheben Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, Ziff. 1 des angefochtenen Urteils sowie Art. 32 Schulgesetz/GR seien aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen kantonal letztinstanzliche Entscheide betreffend kantonale Erlasse ist zulässig (Art. 82 lit. b sowie Art. 86 Abs. 1 lit. d i.V.m.
Art. 87 Abs. 2 BGG
).
1.2
1.2.1
Die Kantone sind weder durch die Verfassung noch durch ein Bundesgesetz verpflichtet, kantonale Instanzen zur Überprüfung der Verfassungsmässigkeit ihrer Erlasse einzusetzen. Kennt ein Kanton ein abstraktes Normenkontrollverfahren, ist zunächst dieses zu durchlaufen (
Art. 87 Abs. 1 BGG
;
BGE 137 I 107
E. 1.4.1 S. 109).
1.2.2
Besteht ein kantonales abstraktes Normenkontrollverfahren, so bildet der angefochtene letztinstanzliche kantonale
BGE 141 I 36 S. 40
Normenkontrollentscheid das Anfechtungsobjekt des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens (AEMISEGGER/SCHERRER REBER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 2 zu
Art. 87 BGG
). Die Rechtsunterworfenen sollen jedoch unabhängig von der Ausgestaltung des kantonalen Instanzenzuges vom Bundesgericht eine Überprüfung der kantonalen Erlasse (
Art. 82 lit. b BGG
) auf ihre Bundesrechtmässigkeit und gegebenenfalls deren Aufhebung einfordern können. Entsprechend kann im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Normenkontrollentscheid nicht nur dessen Aufhebung, sondern auch diejenige des im vorinstanzlichen Verfahren angefochtenen kantonalen Erlasses beantragt werden (Urteil 2C_275/2009 vom 26. Oktober 2010 E. 1.2, nicht publ. in:
BGE 137 I 107
; AEMISEGGER/SCHERRER REBER, a.a.O., N. 2 zu
Art. 87 BGG
) und richtet sich die materielle Beschwer nach den Grundsätzen des abstrakten Normenkontrollverfahrens (Urteile 2C_1076/2012 / 2C_1088/2012 vom 27. März 2014 E. 2.2, nicht publ. in:
BGE 140 I 176
; 2C_806/2012 / 2C_807/2012 vom 12. Juli 2013 E. 2.1, nicht publ. in:
BGE 139 I 229
).
1.2.3
Gemäss
Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG
ist zur Anfechtung eines kantonalen Erlasses legitimiert, wer durch den Erlass aktuell oder virtuell besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Änderung oder Aufhebung hat; das schutzwürdige Interesse kann rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein (
BGE 135 I 43
E. 1.4 S. 47). Die schulpflichtigen Kinder, deren Eltern vorliegend Beschwerde führen, sind durch den vorinstanzlichen Entscheid bzw. durch Art. 32 Schulgesetz/GR zumindest virtuell besonders berührt und zur Beschwerde legitimiert.
1.2.4
Der Grosse Rat und die Regierung bringen allerdings vor, die privaten Beschwerdeführer seien nicht zur Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie legitimiert. Unter der Herrschaft des alten OG setzte die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde eine Betroffenheit in eigenen rechtlich geschützten Interessen voraus (
Art. 88 OG
; BS 3 531). Private sind nicht Rechtsträger der Gemeindeautonomie und konnten daher deren Verletzung nur hilfsweise rügen, d.h. zur Unterstützung ihnen zustehender anderweitiger Verfassungsrügen, und nur sofern die Gemeinde nicht ausdrücklich oder stillschweigend darauf verzichtet hatte, sich auf eine Autonomieverletzung zu berufen (vgl.
BGE 119 Ia 214
E. 2c S. 218). Demgegenüber setzt die Legitimation zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
BGE 141 I 36 S. 41
Angelegenheiten nur ein schutzwürdiges tatsächliches Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids oder Erlasses voraus. Private können sich daher auf die Gemeindeautonomie berufen, soweit diese Garantie eine Auswirkung auf ihre rechtliche oder tatsächliche Stellung haben kann (Urteile 1C_53/2013 vom 7. Mai 2013 E.1.1; 1C_43/2013 vom 22. Oktober 2013 E. 1.3; 1C_815/2013 vom 13. Januar 2014 E. 1.2). Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass die Gemeinde hoheitlich gehandelt hat bzw. in ihrer Stellung als Hoheitsträger berührt ist; ob ihr im fraglichen Bereich Autonomie zusteht und ob diese verletzt worden ist, ist eine Frage der materiellen Beurteilung (
BGE 135 I 43
E. 1.2 S. 45 f. mit Hinweisen). Vorliegend hätte die Aufhebung von Art. 32 Schulgesetz/GR zur Folge, dass die Gemeinden als Hoheitsträgerinnen die Modalitäten des Sprachwechsels selber regeln und damit auch eine Regelung treffen könnten, die den Wünschen der Beschwerdeführer besser entspricht. Die Rüge ist daher zulässig.
1.3
Das Bundesgericht prüft frei die Verletzung von Bundesrecht, Völkerrecht, kantonalen verfassungsmässigen Rechten, kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen sowie von interkantonalem Recht (
Art. 95 BGG
). Abgesehen davon prüft das Bundesgericht die Anwendung kantonalen Rechts nur auf Bundesrechtsverletzungen, namentlich auf Willkür hin (
BGE 138 I 143
E. 2 S. 149 f.). Das Bundesgericht wendet das Recht grundsätzlich von Amtes wegen an (
Art. 106 Abs. 1 BGG
). Die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht prüft es aber nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (
Art. 106 Abs. 2 BGG
). In der Beschwerde ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern die angerufenen Rechte verletzt worden sein sollen (
BGE 135 III 232
E. 1.2 S. 234;
BGE 134 I 83
E. 3.2 S. 88); wird eine solche Rüge nicht vorgebracht, kann das Bundesgericht eine Beschwerde selbst dann nicht gutheissen, wenn eine Grundrechtsverletzung tatsächlich vorliegt (
BGE 139 I 229
E. 2.2 S. 232).
(...)
5.
Die Beschwerdeführer berufen sich sodann auf die Gemeindeautonomie. Diese Rüge wurde im früheren Verfahren (2C_806/2012 / 2C_807/2012) nicht vorgebracht und war daher vom Bundesgericht
BGE 141 I 36 S. 42
nicht zu beurteilen (
BGE 139 I 229
E. 5.9 S. 240). Sie ist hier zu prüfen (vorne E. 1.2.4).
5.1
Die Vorinstanz hat erwogen, soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend machten, seien sie nicht beschwerdelegitimiert, da nach Art. 58 Abs. 3 des bündnerischen Gesetzes vom 31. August 2006 über die Verwaltungsrechtspflege (VRG/ GR; BR 370.100) die Autonomiebeschwerde auf die betreffenden Körperschaften beschränkt sei. Da die Beschwerdelegitimation im vorinstanzlichen Verfahren zumindest im gleichen Umfang zu gewährleisten ist wie in demjenigen vor Bundesgericht (
Art. 111 Abs. 1 BGG
), müssen die unmittelbaren Vorinstanzen des Bundesgerichts mindestens die Rügen nach
Art. 95-98 BGG
prüfen können (
Art. 111 Abs. 3 BGG
). Ist hier die Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie zulässig (vorne E. 1.2.4), erweist sich diese im bündnerischen Recht enthaltene Legitimationsbeschränkung als bundesrechtswidrig.
5.2
Allerdings hat die Vorinstanz erwogen, es sei unstrittig, dass im Kanton Graubünden die Kompetenz für die Festlegung der Amts- und Schulsprachen bei den Gemeinden liege. Der neue Art. 32 Schulgesetz/GR stelle diese Zuständigkeit nicht prinzipiell in Frage, da es den Gemeinden nach wie vor freistehe, den Wechsel der Schulsprache vom Idiom zum Rumantsch Grischun oder umgekehrt durchzuführen. In der Sache hat die Vorinstanz somit durchaus ihre Auffassung zu der von den Beschwerdeführern vorgetragenen Rüge dargelegt. Zudem haben sich auch im Verfahren vor Bundesgericht die Parteien mit dieser Frage auseinandergesetzt. Das angefochtene vorinstanzliche Urteil enthält demnach eine Eventualbegründung. In einer solchen Konstellation wäre es ein prozessualer Leerlauf, die Sache einzig zur erneuten Beurteilung der Autonomierüge an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Rüge ist hier zu beurteilen (
BGE 139 II 233
E. 3.2 S. 236).
5.3
Art. 50 Abs. 1 BV
gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder
BGE 141 I 36 S. 43
einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (
BGE 139 I 169
E. 6.1 S. 173 f.;
BGE 138 I 242
E. 5.2 S. 244 f. mit Hinweisen).
5.4
Nach der unter der früheren staatsrechtlichen Beschwerde geltenden Regelung überprüfte das Bundesgericht im Rahmen von Gemeindeautonomiebeschwerden die Anwendung von eidgenössischem und kantonalem Verfassungsrecht mit freier Kognition; die Handhabung von Gesetzes- und Verordnungsrecht hingegen unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots. Diese Formel wird teilweise in der Rechtsprechung zum BGG weiter verwendet (
BGE 139 I 169
E. 6.1 S. 172 f.;
BGE 138 I 242
E. 5.2 S. 245), stimmt aber nicht mehr ganz mit der Regelung des BGG überein (TSCHANNEN, ZBJV 146/2010 S. 1004; 147/2011 S. 810 f.; 150/2014 S. 834). Nach
Art. 95 BGG
, der auch für Gemeindeautonomiebeschwerden gilt, ist einerseits die Anwendung von Bundesrecht und kantonalen verfassungsmässigen Rechten frei zu prüfen, andererseits aber diejenige von sonstigem kantonalem Verfassungsrecht nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (
Art. 95 lit. a und c BGG
;
BGE 136 I 395
E. 2 S. 397; Urteile 2C_237/2014 vom 16. Juli 2014 E. 2; 2C_949/2013 vom 24. März 2014 E. 3.1). Kantonales verfassungsmässiges Recht im Sinne von
Art. 95 lit. c BGG
ist auch die Gemeindeautonomie (
BGE 138 I 143
E. 2 S. 149 f.). Frei zu prüfen ist im Zusammenhang mit der Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie die Anwendung desjenigen kantonalen Verfassungsrechts, welches die Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden regelt. Frei prüft das Bundesgericht sodann, ob die kantonale Rechtsmittelinstanz einen in den Anwendungsbereich der Gemeindeautonomie fallenden Beurteilungsspielraum respektiert hat (
BGE 136 I 395
E. 2 S. 397; Urteil 2C_558/2011 vom 11. Januar 2012 E. 3.2).
5.5
Zu ermitteln ist somit in einem ersten Schritt, ob den Gemeinden eine im Sinne der Rechtsprechung relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zukommt. Trifft dies zu, ist weiter zu prüfen, ob Art. 32 Schulgesetz/GR diese Autonomie relativiert und dies sachlich gerechtfertigt werden kann (TSCHANNEN, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl. 2011, S. 248 ff.).
BGE 141 I 36 S. 44
5.5.1
Nach
Art. 65 KV/GR
ist die Autonomie der Gemeinden gewährleistet. Ihr Umfang wird durch das kantonale Recht bestimmt (Abs. 1). Die Gemeinden sind insbesondere befugt, ihre Organisation zu bestimmen, ihre Behörden und Verwaltung einzusetzen sowie ihre finanziellen Angelegenheiten selbstständig zu ordnen (Abs. 2). Diese Bestimmung verweist somit wie
Art. 50 Abs. 1 BV
im Wesentlichen auf die im sonstigen kantonalen Recht enthaltenen Bestimmungen (vgl. z.B. Urteil 1P.349/2006 vom 21. November 2006 E. 2.2, nicht publ. in:
BGE 132 I 270
; Urteile 2C_237/2014 vom 16. Juli 2014 E. 5; 2C_995/2012 vom 16. Dezember 2013 E. 2.2; 2C_61/2009 vom 5. Oktober 2009 E. 2.1), legt aber (abgesehen vom hier nicht einschlägigen Abs. 2) nicht selber fest, in welchen Bereichen die Gemeinden autonom sind.
5.5.2
Nach
Art. 3 Abs. 3 KV/GR
bestimmen Gemeinden und Kreise ihre Amts- und Schulsprachen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und im Zusammenwirken mit dem Kanton. Sie achten dabei auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung und nehmen Rücksicht auf die angestammten sprachlichen Minderheiten.
Nach dem kantonalen Recht gilt für die Festlegung der Amtssprachen das Territorialitätsprinzip (Art. 16 des Sprachengesetzes des Kantons Graubünden vom 19. Oktober 2006 [Sprachengesetz/GR; BR 492.100]). Die Regelung der Schulsprache richtet sich nach denselben Grundsätzen (Art. 18 Abs. 2 Sprachengesetz/GR). Weder verfassungsrechtlich noch gesetzlich geregelt ist jedoch, ob ein Idiom oder eine Schriftsprache für als rätoromanisch definierte Sprachgebiete als Schulsprache Anwendung zu finden hat. Verwaltungsgericht, Grosser Rat und Regierung gehen übereinstimmend davon aus, dass dieser Entscheid den Gemeinden obliegt. Daraus folgt, dass den Gemeinden diesbezüglich eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zukommt, weshalb sie in diesem Bereich als autonom anzusehen sind.
5.6
Zu prüfen ist weiter nach den vorne E. 5.4 genannten Grundsätzen, ob Art. 32 Schulgesetz/GR diese kommunale Autonomie verletzt.
5.6.1
Offensichtlich greift Art. 32 Schulgesetz/GR in die kommunale Zuständigkeit ein. Zwar wird der Entscheid der Gemeinde darüber, ob ein Idiom oder eine Schriftsprache als Schulsprache Anwendung finden soll, nicht präjudiziert, wie Verwaltungsgericht, Grosser Rat und Regierung mit Recht darlegen. Das ändert aber
BGE 141 I 36 S. 45
nichts daran, dass die Gemeinden für einen Teil der Schüler, nämlich für diejenigen, die bereits eingeschult sind, keinen Wechsel mehr beschliessen können. Die Autonomie der Gemeinden wird damit relativiert.
5.6.2
Schon aus dem Wortlaut von
Art. 3 Abs. 3 KV/GR
ergibt sich, dass die verfassungsrechtliche Autonomie der Gemeinde nicht unbegrenzt ist (vgl. auch BORGHI/PREVITALI, L'insegnamento in romancio e della lingua romancia nelle regioni di diffusione tradizionale di tale idioma, ZGRG 2003 S. 111 ff.): Einerseits bezeichnen die Gemeinden (und Kreise) die Schulsprachen "im Zusammenwirken mit dem Kanton". Diese Bestimmung, die erst im Rahmen der parlamentarischen Beratung aufgenommen wurde, führt dazu, dass die Gemeindeautonomie in diesem Bereich nur in den vom kantonalen Recht definierten Schranken, insbesondere im Rahmen der Vorgaben des Sprachengesetzes/GR, besteht (NAY, Romanischdebatte: die rechtlichen Pflichten und Einschränkungen für die Politik, ZGRG 2011 S. 135, unter Verweis auf das Grossratsprotokoll vom 17. Oktober 2006, Votum Augustin, S. 481). Sodann enthält Satz 2 von
Art. 3 Abs. 3 KV/GR
in Übereinstimmung mit
Art. 70 Abs. 2 BV
gewisse Schranken der kommunalen Autonomie. Diese Relativierungen werden insbesondere durch die im Sprachengesetz der Regierung vorbehaltenen Kompetenz, Beschlüsse einer Gemeinde über einen Sprachenwechsel zu genehmigen, konkretisiert (Art. 24 Abs. 3 Sprachengesetz/ GR; vgl. RATHGEB, in: Kommentar zur Verfassung des Kantons Graubünden, Stand: April 2006, Rz. 31 zu
Art. 3 KV/GR
).
5.6.3
Grosser Rat und Regierung weisen darauf hin, dass seinerzeit auch bei der Einführung des Rumantsch Grischun in den Pioniergemeinden diejenigen Schüler, die bereits im Idiom eingeschult wurden, weiterhin im Idiom unterrichtet wurden; dasselbe müsse auch im umgekehrten Fall gelten. Diese Folgerung ist zwar nicht gerade logisch zwingend. Immerhin haben aber doch die betroffenen Gemeinden nach den vorinstanzlichen Feststellungen seinerzeit selber beschlossen, sich als Pioniergemeinden an der Einführung des Rumantsch Grischun zu beteiligen, und sich dabei offenbar auch den vom Kanton gesetzten Rahmenbedingungen (Einführung aufbauend vom ersten Schuljahr an) unterstellt. Mit der angefochtenen Gesetzesbestimmung werden die analogen Rahmenbedingungen festgelegt dafür, wie die Gemeinden den von ihnen seinerzeit selber gewählten Versuch wieder abbrechen können.
BGE 141 I 36 S. 46
5.6.4
Sodann sind die einzelnen Verfassungsbestimmungen auch im Kontext mit anderen Bestimmungen zu lesen (
BGE 139 I 16
E. 4.2.2 S. 24 f.). Grosser Rat und Regierung weisen auf
Art. 89 Abs. 2 KV/ GR
hin, wonach Kanton und Gemeinden dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche einen ihren Fähigkeiten entsprechenden Grundschulunterricht erhalten. Die Umsetzung von
Art. 89 KV/GR
erfolgt wesentlich durch das Schulgesetz/GR, welches die Bildung und Erziehung in der Volksschule regelt (Art. 1 Abs. 1 Schulgesetz/GR) und namentlich auch die Lerninhalte in den Grundzügen festlegt (Art. 29 ff. Schulgesetz/GR). Es muss in der kantonalen Kompetenz liegen, auch für den Unterricht in den von den Gemeinden festzulegenden Sprachen pädagogische Ziele und Lerninhalte festzulegen. Die Autonomie der Gemeinden in der Festsetzung der Schulsprache ist abzuwägen gegenüber der kantonalen Zuständigkeit, den Inhalt des Grundschulunterrichts festzulegen. Aus den parlamentarischen Beratungen zu Art. 32 Schulgesetz/GR ergibt sich, dass der Grosse Rat der Auffassung war, aus pädagogischen Gründen sollen die Kinder im Verlauf der Schulzeit nicht zu einem Wechsel der Schulsprache gezwungen werden. Das ist eine haltbare Überlegung (Urteile 2C_806/2012 / 2C_807/2012 vom 12. Juli 2013 E. 7.3, nicht publ. in:
BGE 139 I 229
), die sich auf Art. 89 Abs. 2 KV abstützen lässt und gewisse Einschränkungen der kommunalen Autonomie rechtfertigen kann.
5.6.5
Eine gewisse kantonale Zuständigkeit lässt sich zudem daraus ableiten, dass es neben kommunalen auch kantonale (
Art. 89 Abs. 3 KV/GR
; dazu Urteil 2C_949/2013 vom 24. März 2014) sowie regionale Schulen gibt. Das bedingt zwangsläufig eine gewisse gemeindeübergreifende Koordination. Grosser Rat und Regierung bringen in diesem Zusammenhang vor, eine kantonale Regelung dränge sich im Hinblick auf die Rechtsgleichheit und Chancengleichheit aller Schüler auf, insbesondere im Blick auf die Prüfungen für die Zulassung in weiterführende Schulen. Die Aufnahmeprüfungen würden in derjenigen Sprachvariante durchgeführt, in welcher die Kinder ab der ersten Schulklasse alphabetisiert wurden. Hier wären Kinder krass benachteiligt, wenn sie in einer anderen Sprache geprüft würden als in derjenigen, in der sie bereits mehrere Jahre alphabetisiert wurden. Art. 32 Schulgesetz/GR diene damit der Chancengleichheit.
5.6.6
Die Beschwerdeführer bringen dagegen zwar vor, heute bereits komme es vor, dass Kinder zwangsläufig mit einem Wechsel der Alphabetisierungssprache konfrontiert würden, so z.B. wenn sie
BGE 141 I 36 S. 47
von einer kommunalen Unterstufe in eine von mehreren Gemeinden gemeinsam geführte Oberstufe übertreten, in welcher in einer anderen Sprachversion unterrichtet wird. Auch würden die regionalen Mittelschulen bis heute das jeweilige Idiom verwenden, so dass die in Rumantsch Grischun alphabetisierten Kinder spätestens beim Übertritt ins Untergymnasium mit einer anderen Alphabetisierungssprache konfrontiert würden. Art. 32 Schulgesetz/GR könne solche Situationen nicht vermeiden, verunmögliche dafür aber individuelle Lösungen im konkreten Einzelfall. Sofern überkommunale Schulen Gemeinden mit unterschiedlichen Sprachvarianten umfassen, ist wohl in der Tat ein Sprachwechsel während der Schulzeit für die einen oder anderen Kinder unausweichlich, sofern nicht zwei Klassen parallel geführt werden können. Den Beschwerdeführern ist einzuräumen, dass Art. 32 Schulgesetz/GR, der sich nicht auf überkommunale Schulen bezieht, solche Situationen nicht vermeiden kann, so dass dafür nach wie vor falladäquate Lösungen gefunden werden müssen. Immerhin kann es aber die überkommunale Koordination vereinfachen, wenn zumindest in allen Gemeinden mit der gleichen Sprachvariante die Wechsel nach den gleichen Grundsätzen erfolgen.
5.7
Zusammenfassend enthält Art. 32 Schulgesetz/GR eine sachlich gerechtfertigte Regelung. Der kantonale Gesetzgeber hat die verfassungsmässige Autonomie der Gemeinden nicht verletzt. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet. | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
38b63696-c964-4c78-836a-ccdaffc30fb9 | Urteilskopf
108 Ib 19
4. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 26 mars 1982 dans la cause X. et Cie contre Administration fédérale des contributions (recours de droit administratif) | Regeste
Umsatzabgabe und Befreiung von der Steuerpflicht;
Art. 97 Abs. 1 OG
; Art. 13 Abs. 3, 19 Abs. 1 und 38 lit. b StG.
1. Begehren auf Feststellung des Bestehens von Rechten sind im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren zulässig, wenn das Bundesgericht nicht nur eine rein theoretische Frage beantworten soll (E. 1).
2. Banken und Börsenagenten sind Effektenhändler im engen Sinne (
Art. 13 Abs. 3 lit. a StG
) (E. 3).
3. Begriff der ausländischen Bank im Sinne von
Art. 19 Abs. 1 StG
. Eine "Kapitalanlagegesellschaft" nach deutschem Recht oder die Leitung eines Anlagefonds nach schweizerischem Recht sind aufgrund ihrer Tätigkeit nicht Effektenhändler im engen Sinne (
Art. 13 Abs. 3 lit. a StG
); sie kommen deshalb nicht in den Genuss der Steuerbefreiung gemäss
Art. 19 Abs. 1 StG
(E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 19
BGE 108 Ib 19 S. 19
La banque X. & Cie est une société en commandite inscrite au registre du commerce de Genève où elle a son siège social; elle est soumise à la loi fédérale sur les banques. Son associée commanditaire,
BGE 108 Ib 19 S. 20
la société X. F. S.A. à Genève, a une commandite de 6 millions de francs. Comme toute autre banque, la recourante s'occupe aussi de l'achat et de la vente de titres pour le compte de ses clients; elle a donc la qualité de commerçant suisse de titres au sens de l'art. 13 al. 3 lettre a de la loi fédérale du 27 juin 1973 sur les droits de timbre (en abrégé: LT; voir RSLF 641.10).
Depuis plusieurs années, la banque X. & Cie représente en Suisse un certain nombre de fonds de placement étrangers - et, en particulier, allemands. En fait, elle centralise en Suisse les ordres de souscription et de rachat de parts émanant de banques ou de particuliers suisses et les transmet quotidiennement à la direction des fonds de placement allemands, pour être exécutés au cours établi à la clôture des bourses. Le cours est confirmé le jour même, l'opération faisant par ailleurs l'objet d'un décompte détaillé de la part d'une autre société allemande. A son tour, la banque X. & Cie établit alors un décompte de souscription ou de rachat pour chaque donneur d'ordre. Par ailleurs, elle assure le paiement des dividendes versés sur les parts en circulation en Suisse.
Pendant plusieurs années, la banque X. & Cie a acquitté sans réserve, sur ces opérations d'achat et de revente de parts de fonds de placement, le droit de timbre dit de négociation en sa qualité d'intermédiaire au sens de l'art. 17 al. 3 lettre c LT (cession des titres le jour même de leur acquisition). Elle a donc régulièrement payé un demi-droit de négociation pour la direction du fonds de placement qui émettait les parts et un demi-droit pour les souscripteurs de parts qui n'étaient pas des commerçants suisses de titres.
A la suite de divers entretiens téléphoniques, la banque X. & Cie a posé à l'Administration fédérale des contributions plusieurs questions, dont la suivante:
"Est-il possible d'assimiler les "Kapitalanlagegesellschaften" de
droit allemand à une banque étrangère ou à un agent de change étranger."
Dans son commentaire, la banque X. & Cie exprimait l'avis "que l'on pourrait admettre que les "Kapitalanlagegesellschaften" de droit allemand sont des banques étrangères au sens de l'art. 19 al. 1, première phrase, LT", pour lesquelles le demi-droit de négociation ne serait pas dû.
Le 3 novembre 1978, une discussion eut lieu entre des représentants de la banque X. & Cie et de l'Administration fédérale des contributions. Celle-ci confirma, par lettre du 5 janvier 1979,
BGE 108 Ib 19 S. 21
ses conclusions relatives à la question que la banque avait posée dans sa lettre:
"Conclusions
Une entreprise est considérée comme banque au sens de l'
art. 19 LT
lorsqu'elle est une banque au sens économique du terme, c'est-à-dire lorsque son activité est soumise sans restriction à la législation en matière bancaire et lorsqu'elle est reconnue comme banque dans le pays où elle a son siège. Comme nous venons de le démontrer, la KAG de droit allemand ne remplit ni la première, ni la deuxième condition. Par conséquent, elle ne peut être reconnue comme banque étrangère au sens de l'
art. 19 LT
."
La banque X. & Cie a déclaré ne pas pouvoir partager les conclusions de l'Administration fédérale des contributions, considérant qu'elle n'aurait dès lors "pas à acquitter de droits de timbre de négociation pour la direction de fonds de placement allemands" et demandant à l'autorité fiscale de lui notifier une décision susceptible de réclamation.
Le 30 juillet 1979, l'Administration fédérale des contributions a, conformément à l'
art. 38 LT
, notifié à la banque X. & Cie la décision motivée suivante:
"Décision
1. La "Kapitalanlagegesellschaft" de droit allemand n'est pas reconnue comme banque étrangère au sens de l'
art. 19 LT
.
2. Messieurs X. & Cie doivent continuer d'acquitter à l'Administration fédérale des contributions le droit de timbre de négociation pour les "Kapitalanlagegesellschaften" de droit allemand sur les opérations qu'ils effectuent en qualité d'intermédiaire ou de contractant avec ces sociétés, conformément à l'art. 17, 2e alinéa LT."
En date du 20 août 1979, la banque X. & Cie a présenté une réclamation tendant à annuler cette décision, faisant valoir qu'une Kapitalanlagegesellschaft de droit allemand devrait être considérée comme une banque étrangère au sens de l'
art. 19 al. 1 LT
, vu que ce genre de société d'investissement est assimilé à un institut de crédit (Kreditinstitut) selon la loi allemande sur les Kapitalanlagegesellschaften et donc soumise à la loi allemande sur le Kreditwesen.
Le 22 mai 1980, l'Administration fédérale des contributions a rejeté cette réclamation et confirmé sa décision du 30 juillet 1979.
Agissant par la voie du recours de droit administratif, la banque X. & Cie demande au Tribunal fédéral de:
"Annuler la décision de l'Administration fédérale des contributions du 22 mai 1980.
Dire que la "Kapitalanlagegesellschaft" de droit allemand est une banque étrangère au sens de l'
art. 19 LT
.
BGE 108 Ib 19 S. 22
Dire que la recourante ne doit pas le droit de timbre de négociation concernant les "Kapitalanlagegesellschaften" de droit allemand sur les opérations qu'elle effectue en sa qualité d'intermédiaire ou de contractant avec ces sociétés."
L'Administration fédérale des contributions propose au Tribunal fédéral de rejeter le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Dans le cas particulier, le litige ne porte pas sur l'assujettissement de la recourante à l'impôt, ni sur la taxation du droit de timbre. En effet, la recourante a demandé à l'autorité fiscale non pas de procéder à la taxation du droit de timbre dit de négociation, mais de formuler son point de vue sur la notion de "banque étrangère" selon l'
art. 19 al. 1 LT
, par une décision formelle, susceptible de réclamation (
art. 38 LT
).
On doit donc se demander si le Tribunal fédéral peut, par la voie du recours de droit administratif, être contraint de se prononcer sur cette question théorique, indépendamment de toute taxation concrète.
b) A la différence du recours de droit public pouvant tendre à l'annulation - pour inconstitutionnalité - de normes de droit cantonal qui sont de portée générale (
art. 84 al. 1 OJ
), le recours de droit administratif ne peut - sous réserve de la disposition de l'
art. 97 al. 2 OJ
- être dirigé que contre des "décisions" au sens de l'
art. 5 PA
, c'est-à-dire contre des mesures prises par les autorités dans des cas d'espèce et fondées sur le droit public fédéral (
art. 97 al. 1 OJ
). En principe, le Tribunal fédéral n'a donc pas à procéder au contrôle abstrait des normes de droit public fédéral que, d'ailleurs, il n'a pas le pouvoir d'annuler, mais il doit examiner si une décision concrète viole le droit public fédéral.
c) Cependant, l'
art. 5 PA
considère comme des décisions (susceptibles de recours administratif ou de droit administratif) les mesures prises dans des cas d'espèce qui ont pour objet non seulement de créer, de modifier ou d'annuler des droits ou des obligations, mais aussi de constater l'existence, l'inexistence ou l'étendue de droits ou d'obligations. Pratiquement cela signifie que, s'il n'a pas à résoudre des problèmes purement théoriques (peu importe d'ailleurs qu'il soit saisi d'un recours de droit public ou de droit administratif), le Tribunal fédéral peut tout de même être appelé, par la voie du recours de droit administratif, à se prononcer - dans un cas d'espèce - sur l'existence, l'inexistence
BGE 108 Ib 19 S. 23
ou l'étendue de droits ou d'obligations, de sorte que des conclusions en constatation de droit sont admissibles dans un tel recours (
ATF 100 Ib 108
consid. 3,
ATF 99 Ib 166
consid. 1b). Au demeurant, cette possibilité est prévue expressément dans les lois fiscales fédérales et notamment à l'
art. 38 lettre b LT
. Le présent recours est donc recevable.
3.
a) L'
art. 13 LT
soumet au droit de timbre dit de négociation le transfert à titre onéreux de la propriété de certains documents - mentionnés au second alinéa - si l'un des contractants ou l'un des intermédiaires est un commerçant suisse de titres. C'est à ce dernier qu'incombe l'obligation fiscale (
art. 17 al. 1 LT
).
Selon l'
art. 17 LT
, lorsque l'opération de transfert est conclue en Suisse et s'il est lui-même partie à ce contrat de transfert, le commerçant suisse de titres doit payer une moitié du droit de négociation pour lui-même et l'autre moitié pour le cocontractant qui ne justifie pas de sa qualité de commerçant de titres enregistré (al. 2 lettre b). Si le commerçant suisse de titres est un intermédiaire (au sens de l'al. 3), il doit payer une moitié du droit de négociation pour chaque contractant qui ne justifie pas de sa qualité de commerçant de titres enregistré (al. 2 lettre a). Il en va d'ailleurs de même lorsque l'opération de transfert n'est pas conclue en Suisse mais à l'étranger. Le commerçant suisse de titres qui a conclu avec un étranger doit une moitié du droit de négociation pour lui-même et l'autre moitié pour l'autre partie qui, dans son pays, n'est pas reconnue comme banque ou agent de change. En outre, s'il a servi d'intermédiaire entre deux contractants étrangers (on parle alors d'opération "étranger-étranger"), le commerçant suisse de titres doit payer en entier le droit de négociation sauf si l'un ou les deux contractants étrangers sont des banques; dans ce cas, au moins une moitié du droit est due (
art. 19 al. 1 LT
; au sujet des opérations "étranger-étranger", voir Archives de droit fiscal, vol. 47, p. 259 ss).
b) En l'espèce, les deux parties admettent non seulement que les opérations litigieuses (achat ou revente de parts de fonds de placement allemands, par la banque recourante, pour le compte de ses clients en Suisse) sont, en principe, soumises au droit de timbre de négociation, mais encore que la banque X. & Cie agit comme intermédiaire (au sens de l'art. 17 al. 3 lettre c LT) dès lors qu'elle cède les titres le jour même de leur acquisition. En outre, il n'est pas contesté que ces opérations de transfert peuvent être
BGE 108 Ib 19 S. 24
considérées comme conclues à l'étranger (en vertu de l'
art. 19 al. 2 lettre b LT
).
Pratiquement, cela signifie, d'une part, que la recourante doit payer la moitié du droit de négociation qui concerne ses clients suisses sauf s'ils peuvent justifier de leur qualité de commerçants de titres enregistrés, et, d'autre part, que la recourante devrait aussi payer l'autre moitié du droit de négociation - pour le contractant étranger - sauf si l'on pouvait considérer que la direction d'un fonds de placement allemand (c'est-à-dire une Kapitalanlagegesellschaft) est une banque - ou un agent de change - au sens de l'
art. 19 al. 1 LT
. Dans ce cas, la moitié du droit de négociation concernant le contractant étranger X. ne serait pas due. C'est cela uniquement qui fait l'objet du présent litige.
c) La seule question qui se pose en l'espèce est donc de savoir si la direction d'un ou de plusieurs fonds de placement allemands - c'est-à-dire une Kapitalanlagegesellschaft de droit allemand - peut être considérée comme une banque étrangère ou un agent de change étranger et bénéficier ainsi de l'exonération de la moitié du droit de négociation prévue à l'
art. 19 al. 1 LT
. C'est ce que la recourante soutient et que l'Administration fédérale des contributions conteste.
4.
En République fédérale d'Allemagne, il n'existe pas, à proprement parler, de loi sur les banques, mais une loi sur le crédit (Gesetz über das Kreditwesen, du 10 juillet 1961; en abrégé: KWG; voir Bundesgesetzblatt 1961 p. 881 ss) qui définit les instituts de crédit comme des entreprises effectuant des opérations bancaires (§ 1 KWG: Kreditinstitute sind Unternehmen, die Bankgeschäfte betreiben"), seules autorisées à faire figurer dans leur raison sociale la désignation de "banque" ou de "banquier" (§ 39 KWG). Dans une certaine mesure, on peut donc considérer que cette loi sur le crédit a pour objet "l'organisation de la profession bancaire" (voir HERBERT SCHÖNLE, Droit bancaire et boursier allemand, in Jura Europae). Cette loi allemande présente donc certaines analogies avec la loi fédérale du 8 novembre 1934 sur les banques et les caisses d'épargne (voir RSLF 952.0).
a) Dans leurs écritures, les deux parties discutent longuement, sur un plan plutôt formel, la question de savoir si les sociétés d'investissement de droit allemand (Kapitalanlagegesellschaften) sont des instituts de crédit soumis sans restriction à la loi allemande sur le crédit. Elles se fondent essentiellement sur le chiffre 47 des Directives que l'Administration fédérale des contributions a émises le
BGE 108 Ib 19 S. 25
31 janvier 1974 relatives au droit de timbre de négociation. Selon cette directive - qui cependant ne lie ni le contribuable, ni l'autorité de taxation, ni le Tribunal fédéral (
ATF 104 Ib 337
consid. 1c) - "une banque étrangère est considérée comme telle lorsque, dans le pays où elle a son siège, elle est reconnue comme banque et soumise sans restriction à la législation en matière bancaire". L'Administration fédérale des contributions s'efforce alors de démontrer que les sociétés d'investissement ne remplissent pas ces conditions; en revanche, la recourante soutient - à tort, s'agissant de l'interprétation d'une norme légale et non de son application dans un cas concret - que la notion de banque étrangère (au sens de l'
art. 19 al. 1 LT
) doit être définie selon des critères purement formels; elle constate alors que la société d'investissement est reconnue en Allemagne comme un institut de crédit - donc comme une banque - dès lors qu'elle exerce une activité bancaire mentionnée au § 1 al. 2 de la loi sur le crédit.
A vrai dire, cette discussion apparaît vaine car, pour dire si les sociétés d'investissement de droit allemand bénéficient de l'exonération fiscale prévue à l'
art. 19 al. 1 LT
, il ne s'agit pas de vérifier, sur un plan formel, si ces sociétés sont reconnues comme des instituts de crédit de droit allemand et sont soumises sans restriction à la loi sur le crédit. Dans l'interprétation du texte de l'
art. 19 al. 1 LT
et dans la définition de la notion de banque étrangère au sens de cette disposition légale, cette reconnaissance formelle et cette soumission sans restriction à la législation bancaire étrangère ne sont pas décisives.
b) Au sujet du droit de négociation sur des opérations de transfert conclues à l'étranger, le Tribunal fédéral a déjà eu l'occasion de dire que la réduction du droit, prévue pour les opérations conclues à l'étranger, n'est accordée que si la partie contractante est un commerçant étranger de titres, c'est-à-dire une banque ou un agent de change (Archives vol. 47 p. 264 consid. 4b).
En somme, contrairement à ce que les parties semblent penser, dans l'application ou l'interprétation de l'
art. 19 al. 1 LT
, il faut tenir compte du fait que le législateur fiscal entend exonérer les banques étrangères et les agents de change étrangers dans la mesure seulement où ils exercent l'activité propre d'un commerçant de titres, telle qu'elle est définie à l'
art. 13 al. 3 lettre a LT
: cette activité consiste à exécuter professionnellement (voir à ce sujet l'arrêt non publié du 13 octobre 1976, p. 12 et 13
BGE 108 Ib 19 S. 26
consid. 3a), pour son propre compte ou pour celui de ses clients, des achats et des ventes de titres (
art. 13 al. 3 lettre a LT
). Or, c'est précisément ce qui caractérise l'activité professionnelle de l'agent de change et représente une part importante de l'activité des banques suisses (voir notamment Handbuch des Geld-, Bank- und Börsenwesens der Schweiz, p. 61). En République fédérale d'Allemagne, cette activité est mentionnée dans la loi sur le crédit comme l'une des opérations bancaires qui caractérisent l'institut de crédit (§ 1 al. 2 ch. 4 KWG; voir aussi HERBERT SCHÖNLE, Bank- und Börsenrecht, 2e éd., p. 222 ss, § 4: Das Effektengeschäft). On doit donc admettre qu'en principe les banques et les agents de change sont des commerçants de titres (au sens strict de l'
art. 13 al. 3 lettre a LT
; voir aussi l'art. 23 al. 2 de l'ordonnance d'exécution de la LT, (OT), RSLF 641.101).
c) En revanche, les sociétés d'investissement de droit allemand (Kapitalanlagegesellschaften) exercent une activité essentiellement différente.
Aux termes de la loi allemande sur les sociétés d'investissement (Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften, du 16 avril 1957, révisée le 14 janvier 1970; en abrégé: KAGG; voir Bundesgesetzblatt 1970 p. 128 ss):
"§1
(1) Kapitalanlagegesellschaften sind Unternehmen, deren Geschäftsbereich darauf gerichtet ist, bei ihnen eingelegtes Geld im eigenen Namen für gemeinschaftliche Rechnung der Einleger nach dem Grundsatz der Risikomischung in Wertpapieren oder Grundstücken sowie Erbbaurechten gesondert von dem eigenen Vermögen anzulegen und über die hieraus sich ergebenden Rechte der Einleger (Anteilinhaber) Urkunden (Anteilscheine) auszustellen."
En outre, les statuts de la société d'investissement - qui, selon le § 1 al. 2 KAGG, ne peut être qu'une société anonyme ou une société à responsabilité limitée - doivent prévoir "dass, ausser den Geschäften, die zur Anlage ihres eigenen Vermögens erforderlich sind, nur die in § 1 Abs. 1 genannten Geschäfte betrieben werden" (§ 2 al. 2 lettre c KAGG). Les apports des porteurs de parts constituent un patrimoine distinct (Sondervermögen) que la société d'investissement gère en son propre nom, mais pour le compte des porteurs de parts. Si ce patrimoine se compose de papiers-valeurs, ces titres doivent être déposés à une banque (voir les § 6 et 12 KAGG; voir aussi HERBERT SCHÖNLE, op.cit., p. 308 ss, § 6: Das Investmentsgeschäft).
BGE 108 Ib 19 S. 27
Ainsi, la société d'investissement (Kapitalanlagegesellschaft) a, en République fédérale d'Allemagne, un statut juridique pratiquement identique à celui de la société qui, en droit suisse, assume la direction d'un fonds de placement: l'une et l'autre ne peuvent exercer leur activité qu'après en avoir reçu l'autorisation et, de plus, elles sont, comme les banques ou les instituts de crédit, soumises à la surveillance d'une commission officielle (voir les
art. 40 et 41 al. 1 LFP
et les § 2 al. 1 et 2 KAGG et les § 32 ss KAGG). Or, en Suisse, la direction d'un fonds de placement - dans la mesure où elle n'est pas déjà une banque - ne saurait être assimilée à une banque (voir à ce sujet MICHAEL COHEN, Der Begriff der Bank im schweizerischen Bankgesetz, thèse de Fribourg 1975 p. 82 ss). Logiquement, il en va de même de la société d'investissement en droit allemand.
d) En définitive, il faut bien constater que les sociétés d'investissement de droit allemand (Kapitalanlagegesellschaften) n'exercent pas une activité semblable à celle des banques, ni l'activité propre du commerçant de titres (au sens strict de l'
art. 13 al. 3 lettre a LT
); elles ne peuvent donc pas être considérées comme des banques étrangères (au sens de l'
art. 19 al. 1 LT
) ni, de ce fait, bénéficier de l'exonération fiscale.
A cet égard, il importe peu que le législateur allemand déclare que les sociétés d'investissement sont des instituts de crédit soumis, comme tels, à la loi sur le crédit (§ 2 al. 1 KAGG) ou que le législateur suisse dispose que les directions et les banques dépositaires sont des commerçants de titres (
art. 13 al. 3 lettre b LT
). Cela n'est pas une raison de mettre les sociétés d'investissement de droit allemand au bénéfice d'une assimilation aux banques étrangères. Bien au contraire: si les législateurs allemand et suisse ont jugé nécessaire d'apporter ces précisions - dans le but de soumettre les Kapitalanlagegesellschaften à la surveillance du Bundesaufsichtsamt ou de soumettre les directions de fonds de placement à l'obligation de payer les droits de timbre de négociation - c'est précisément parce que, en droit allemand, les sociétés d'investissement ne sont pas à proprement parler des instituts de crédit et que, en droit suisse, les directions de fonds de placement ne sont pas, de par leur activité, des commerçants de titres (au sens strict de l'
art. 13 al. 3 lettre a LT
).
Dès lors que la recourante n'a pas pu démontrer que les sociétés d'investissement sont des banques étrangères, son recours apparaît mal fondé. Il doit donc être rejeté. | public_law | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
38be7b63-86f9-41e2-8a26-583881cd82e5 | Urteilskopf
94 I 644
88. Extrait de l'arrêt du 22 novembre 1968 dans la cause Sancey contre Commission cantonale de la propriété rurale du canton de Neuchâtel. | Regeste
Art.19 lit. b EGG
.
Dem Nachkommen, dessen Vater erlaubterweise landwirtschaftliche Liegenschaften gekauft hat, um ihm die Gründung eines selbständigen landwirtschaftlichen Gewerbes zu ermöglichen, können diese Erwerbungen entgegengehalten werden, wenn er in der Folge seinerseits ein Heimwesen kaufen will. | Sachverhalt
ab Seite 645
BGE 94 I 644 S. 645
A.-
Le 24 avril 1962, Gilbert Bourquin et Francine Jeanneret-Bourquin ont accordé à Alfred Sancey, pour dix ans, un droit d'emption sur 75 parcelles d'une contenance totale de 275 250 m2 pour le prix de 145 000 fr. Sancey avait le droit de se substituer un autre acheteur. Le 6 octobre 1966, le notaire Landry informa le Département de l'agriculture du canton de Neuchâtel qu'Alfred Sancey avait cédé son droit d'emption à son fils, Jean-François, lequel entendait l'exercer.
La Commission d'experts agricoles fit opposition à la vente de par l'art. 19 lit. a, b et c LPR. Elle releva que Sancey père possède déjà de nombreux immeubles agricoles et qu'elle avait précédemment fait opposition à plusieurs achats, mais avait en partie retiré ces oppositions, parce que Sancey avait allégué qu'il voulait, par ses acquisitions, créer pour son fils une exploitation agricole indépendante.
Jean-François Sancey - le fils - contesta le bien-fondé de l'opposition.
Le 16 février 1968, le Département neuchâtelois de l'agriculture le débouta dans la mesure où elle était fondée sur les lettres a et b de l'art. 19 LPR, mais renonça à invoquer la lettre c dudit article.
Sancey fils a déféré cette décision à la Commission cantonale de la propriété foncière rurale (la Commission cantonale).
Le 29 mai 1968, la Commission cantonale a rejeté le recours.
B.-
Jean-François Sancey a formé un recours de droit administratif contre cette décision. Il demande au Tribunal fédéral de lever l'opposition faite, par l'autorité cantonale, à la vente qu'il veut conclure avec les hoirs Bourquin. Il argumente en bref comme il suit:
La Commission cantonale relève que le père du recourant possède une grande étendue de terres agricoles, mais elle ne dit pas que 70 des 309 poses dont il s'agit consistent en forêts. Elle affirme à tort qu'il ne pourrait pas exploiter lui-même tous ses fonds, dont il aurait dû affermer une grande partie. Il n'a en réalité donné à bail que 40 poses pour rendre service à l'ancien fermier qui, ces terrains ayant été vendus, n'avait point trouvé de remplacement. De plus, il a lui-même pris à bail 110 poses. On ne saurait opposer au fils les allégations faites par son père à l'occasion de précédents achats de terrain. L'arrêt prononcé par le Tribunal fédéral en 1961 concernait Sancey père et, pour celui-ci également, les circonstances ne
BGE 94 I 644 S. 646
sont plus aujourd'hui ce qu'elles étaient alors, car, au moyen de son grand parc de machines, il est à même de cultiver son propre terrain et, en plus, celui qu'il a pris à bail. Il se justifie donc tout à fait qu'il ne cède point de terrain à son fils, mais lui fournisse les fonds nécessaires pour en acheter et fonder sa propre exploitation. Au surplus, il n'importe à la Commission cantonale la manière dont Sancey fils pense se procurer les fonds dont il a besoin. C'est sans doute arbitrairement que cette autorité invoque l'art. 19 lit. a LPR. Le recourant, qui ne possède point encore de domaine, ne saurait faire acte d'accaparement. Au contraire de ce que l'on avait constaté dans un des cas cités par la Commission, le recourant est agriculteur et veut exploiter lui-même le domaine acheté. Cela n'a rien à faire avec un accaparement imputé à son père. Pour les mêmes raisons, l'art. 19 lit. b LPR ne lui est pas applicable.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
...
2.
La vente projetée, qui porte sur 27,5 ha de terres agricoles, formant deux domaines, est soumise à la procédure d'opposition selon les art. 18 ss. LPR.
La Commission d'experts agricoles a fondé son opposition sur les lettres a, b et c de l'art. 19 LPR; le Département neuchâtelois de l'agriculture a abandonné et n'a pas repris, par la suite, l'argument tiré de la lettre c. Il a déclaré qu'il y avait à la fois spéculation et accaparement au sens de la lettre a de l'art. 19. Mais les motifs, en réalité, ne font état que de l'accaparement et en aucune manière de la spéculation - que le recourant, du reste, nie expressément. Dans la décision de la Commission cantonale, il n'est pas question non plus de desseins spéculatifs; on peut donc admettre que l'autorité cantonale a abandonné ce motif d'opposition. Il ne reste donc plus à examiner que la question de l'accaparement.
Du point de vue de la lettre b, Sancey père, propriétaire de plus de 83 ha de terres agricoles, comprenant au moins trois domaines, dispose manifestement d'assez de biens-fonds agricoles pour assurer, à lui-même et à sa famille une "existence suffisante". Il s'agit donc uniquement de savoir si l'on se trouve dans le cas exceptionnel de l'achat qui doit permettre à un descendant de créer une exploitation indépendante.
BGE 94 I 644 S. 647
3.
Le 27 octobre 1961, le Tribunal fédéral a déjà connu d'une opposition, fondée sur l'art. 19 lit. a et b LPR et dirigée contre un achat de terrains projeté par Sancey père. Il a admis l'opposition en vertu de l'art. 19 lit. b et n'a donc pas jugé si la lettre a était aussi applicable. Il a dit que Sancey père, qui possédait alors 66 ha au lieu des 83 dont il est aujourd'hui propriétaire, avait assez de terrain pour assurer son existence et celle de sa famille et, en outre, pour créer, en faveur de son fils, une exploitation indépendante.
Aujourd'hui, le problème qui se pose diffère de celui-là en ce sens que ce n'est pas Sancey père qui apparaît comme acheteur, mais son fils, qui n'est encore, lui-même, propriétaire d'aucun terrain. Les lettres a et b de l'art. 19 LPR seront donc applicables ou non selon que les conditions qu'elles posent doivent être réalisées dans la personne de l'acheteur lui-même ou que la situation de son père entre aussi en ligne de compte. L'une et l'autre des dispositions, par leur texte, ne visent que l'acheteur lui-même, de sorte que la lettre serait plutôt favorable à une interprétation restrictive sur ce point décisif. Le Département neuchâtelois de l'agriculture estime cependant qu'une famille aussi peut se livrer à l'accaparement. Mais, comme le relève la Commission cantonale, point n'est besoin de trancher cette question d'une manière absolue; il s'agit uniquement de savoir en l'espèce si l'on peut opposer à Sancey fils les circonstances et en particulier les intentions qui sont propres à son père.
Cette question appelle l'affirmative. Sancey père - cela est constant - a déjà, par trois fois, acheté au total 17 ha (les domaines Schenk, Piaget et Sommer) et écarté les oppositions élevées par l'autorité en alléguant qu'il voulait, par ces acquisitions, permettre à son fils Jean-François de fonder un domaine agricole indépendant. Dans un de ces cas au moins, le fils a été entendu comme témoin et a déclaré qu'il désirait devenir agriculteur et que le domaine que son père entendait acheter pour lui, lui convenait. Sa majorité atteinte, capable d'assumer la charge d'un domaine, il ne recevrait pas, aujourd'hui, les terres achetées par son père à cet effet; son père les conserverait par devers lui et mettrait à sa disposition les moyens nécessaires pour acheter un autre domaine encore.
Ce serait là éluder la prescription de l'art. 19 lit. b LPR et Sancey fils participerait à cet acte. L'admettre serait contrevenir
BGE 94 I 644 S. 648
au but même de la loi du 12 juin 1951. Car le père utiliserait pour agrandir son propre domaine, déjà considérable, les terres qu'il avait acquises, prétendument pour donner une exploitation à son fils; or l'autorité n'aurait pas admis des achats faits à cette fin. Les motifs invoqués aujourd'hui sont en contradiction avec les intentions expressément manifestées lors des précédents achats. Sancey fils, qui agit aujourd'hui comme acheteur, doit se soumettre lorsqu'on lui oppose les circonstances qui le touchent et que l'on a alléguées dans les précédentes procédures. C'est dès lors à bon droit que la Commission cantonale a admis l'opposition fondée sur l'art. 19 lit. b LPR. | public_law | nan | fr | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
38c1cacf-2002-462e-9aef-3543086793bc | Urteilskopf
94 I 551
76. Urteil vom 6. November 1968 i.S. K. gegen X. und Basel-Landschaft, Staatsanwaltschaft und Obergericht. | Regeste
Staatsrechtliche Beschwerde.
Zur Frage der Legitimation des Geschädigten im Strafprozess (Erw. 1).
Inwieweit ist derjenige, der in der Sache selbst nicht legitimiert ist, zur Rüge von Verfahrensmängeln legitimiert? (Erweiterung der Rechtsprechung; Erw. 2).
Rechtliches Gehör.
Eine Rechtsmittelinstanz ist zum Eintreten auf Rügen und Anträge nur insoweit verpflichtet, als sie zu deren Beurteilung zuständig ist (Erw. 3).
Strafverfahren im Kanton Basel-Landschaft:
- Zuständigkeit des Obergerichts als Beschwerdeinstanz gegenüber Einstellungsbeschlüssen der Überweisungsbehörde (Erw. 3).
- Stellung des Geschädigten im Untersuchungsverfahren (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 552
BGE 94 I 551 S. 552
A.-
Der Beschwerdeführer K. leitete im Januar 1963 gegen N. in Münchenstein eine Betreibung ein, die am 22. September 1965 zur Ausstellung eines Verlustscheins führte.
Am 20. Dezember 1966 reichte K. beim Statthalter- und Untersuchungsamt des Bezirks Arlesheim gegen X., der in jenem Betreibungsverfahren als Pfändungsbeamter tätig gewesen war, Strafklage wegen Betrugs, Amtsmissbrauchs, ungetreuer Geschäftsführung und Pfändungsbetrugs ein. Der Untersuchungsrichter zog die Betreibungsakten bei, vernahm die Pfändungsbeamten X. und Y. als Angeschuldigte sowie K. als Geschädigten ein und überwies die Akten hierauf der Staatsanwaltschaft.
BGE 94 I 551 S. 553
Auf deren Antrag beschloss die Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Landschaft am 25. August 1967, das Strafverfahren mangels eines strafbaren Tatbestandes einzustellen und der Sache keine weitere Folge zu geben.
Gegen diesen Beschluss führte K. beim Obergericht des Kantons Basel-Landschaft Beschwerde mit dem Antrag, es habe die Überweisung des Verfahrens an das zuständige Gericht zu erfolgen zur Beurteilung von X. und Mitbeteiligte. Zur Begründung machte er geltend, er sei durch wesentliche Verfahrensmängel benachteiligt worden. Der Untersuchungsrichter habe einem von ihm gestellten Antrag um Beweissicherung nicht entsprochen; ferner sei das Verfahren eingestellt worden, ohne dass ihm der Abschluss der Untersuchung angezeigt oder Einsicht in die Akten gewährt worden sei. In einer Beilage zur Beschwerde äusserte sich der Beschwerdeführer zu den materiellen Fragen.
Das Obergericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 27. Februar 1968 ab. In den Erwägungen führte es aus, dass das Betreibungsamt wohl "auffallend unpräzis" gearbeitet habe, doch fehle es an den notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen für die eingeklagten Delikte. Zu den formellen Rügen des Beschwerdeführers nahm das Obergericht weder in der Begründung noch im Dispositiv Stellung.
B.-
Gegen diesen Beschluss erhob K. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
. Er beantragt, den Einstellungsbeschluss der Überweisungsbehörde vom 25. April 1967, geschützt durch den Entscheid des Obergerichts vom 27. Februar 1968, aufzuheben. Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend: Das Obergericht habe sich ausschliesslich mit den nur einen Anhang zur Beschwerde bildenden Ausführungen des Beschwerdeführers zu den materiellen Fragen befasst. Dagegen sei es auf die eigentlichen Beschwerdegründe (Verweigerung der geforderten Beweissicherung und der dem Beschwerdeführer gemäss den
§
§ 103 und 104 StPO
zustehenden Rechte) überhaupt nicht eingegangen und habe dem Beschwerdeführer damit das rechtliche Gehör verweigert.
C.-
Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft beantragt Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft und der Beschwerdegegner X. haben auf Vernehmlassung zur Beschwerde verzichtet. - Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
BGE 94 I 551 S. 554
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Nachdem das Bundesgericht während Jahrzehnten auf staatsrechtliche Beschwerden eingetreten war, die der Geschädigte im Strafprozess gegen die Einstellung des Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil erhoben hatte (BGE 21 S. 930,
BGE 33 I 762
,
BGE 47 I 454
,
BGE 66 I 262
), änderte es im Jahre 1943 seine Rechtsprechung und sprach seither dem Geschädigten die Legitimation zu solchen Beschwerden ab ohne Rücksicht auf die Rechtsstellung, die ihm das kantonale Recht im Strafverfahren einräumte (
BGE 69 I 18
und 90,
BGE 70 I 79
,
BGE 72 I 293
und
BGE 90 I 66
Erw. 1). Massgebend hiefür war die Überlegung, dass der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren geht, ausschliesslich dem Staate zustehe, nur dieser an der Strafverfolgung unmittelbar interessiert sei und die staatsrechtliche Beschwerde des Geschädigten auf eine nach
Art. 88 OG
unzulässige Popularbeschwerde hinausliefe. Diese Rechtsprechung ist kritisiert worden mit der Begründung, die Gegenüberstellung von öffentlichen und privaten Interessen sei als Ausgangspunkt für die Zuerkennung der Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde ungeeignet, da sie übersehe, dass private Interessen gleichzeitig auch öffentliche Interessen sein und dass im öffentlichen Interesse private Interessen abgegrenzt sein können (MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 1967, S. 106). In der Tat kann man sich, was den Geschädigten im Strafprozess betrifft, fragen, ob der Umstand, dass diesem in sozusagen allen kantonalen Strafprozessgesetzen eine besondere Rechtsstellung im Strafverfahren eingeräumt wird, nicht auf der allgemeinen Rechtsauffassung beruhe, dass auch er ein schutzwürdiges Interesse an der Strafverfolgung habe, und ob eine Verletzung dieses Interesses nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde soll geltend gemacht werden können. Die Frage kann offen bleiben, da auf die vorliegende Beschwerde auch dann einzutreten ist, wenn dem Geschädigten die Legitimation zur Anfechtung von Einstellungsbeschlüssen grundsätzlich abgesprochen wird.
2.
InBGE 74 I 168Erw. 3 hat das Bundesgericht unter Hinweis auf frühere nichtveröffentlichte Urteile freilich erklärt, wenn dem Beschwerdeführer die Legitimation in der Sache selbst fehle, so sei sie auch nicht gegeben, um die Verletzung von Verfahrensvorschriften und der vom kantonalen Recht gewährten
BGE 94 I 551 S. 555
Parteirechte zu rügen. Von dieser in
BGE 89 I 209
und 279 sowie in zahlreichen nichtveröffentlichten Urteilen bestätigten Rechtsprechung ist das Bundesgericht indes in den letzten Jahren immer weiter abgerückt. In
BGE 90 I 66
Erw. 2 hat es zunächst entschieden, zur Rüge, dass ein abgelehnter oder zum Ausstand verpflichteter Richter an der Entscheidung teilgenommen habe, sei auch eine Partei befugt, der die Legitimation in der Sache selbst abgehe, da der unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende Anspruch auf ordnungsgemässe Besetzung eines Gerichtes kein materielles Interesse voraussetze und es dabei nicht um eine blosse Verfahrensfrage gehe. In der Folge wurde entsprechendes angenommen für die Geltendmachung unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgender Verfahrensrechte wie das Recht auf Teilnahme an einem Augenschein und auf prozessuale Gleichbehandlung (
BGE 91 I 91
Erw. 1) sowie das Recht, ein im Gesetz vorgesehenes Rechtsmittel zu ergreifen (
BGE 92 I 15
Erw. 1 Abs. 2). Die Begründung, mit der die Legitimation auf die Geltendmachung unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgender Verfahrensrechte beschränkt wurde, vermag jedoch nicht zu überzeugen, wie gerade das zuletzt erwähnte Urteil zeigt, wo das Recht zur Ergreifung der im (kantonalen) Gesetz vorgesehenen Rechtsmittel als ein unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgendes Recht bezeichnet wird. Zu einer befriedigenden Lösung gelangt man nur dann, wenn man demjenigen, dem das kantonale Recht Parteirechte einräumt, die Legitimation zur Geltendmachung derselben mit staatsrechtlicher Beschwerde schlechthin zugesteht ohne Rücksicht darauf, ob es sich um schon unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende Ansprüche oder um solche handelt, die der Partei nur nach dem kantonalen Recht zustehen. Als unerheblich erscheint es auch, ob das kantonale Recht jemandem Parteistellung zur Wahrung rechtlicher oder bloss tatsächlicher Interessen einräumt (vgl.
BGE 91 I 92
Erw. 2 Abs. 1). Dagegen ist demjenigen, dem die Legitimation in der Sache selbst abgeht, die Legitimation nicht zur Geltendmachung irgendwelcher Verfahrensmängel zuzuerkennen, sondern nur zur Geltendmachung von Rechten, die ihm das kantonale Recht wegen seiner Stellung als am Verfahren beteiligter Partei einräumt und deren Missachtung einer formellen Rechtsverweigerung gleich oder nahe kommt. Wer nach kantonalem Recht als Geschädigter im Strafprozess befugt ist, Beweisanträge zu stellen, kann daher mit staatsrechtlicher
BGE 94 I 551 S. 556
Beschwerde geltend machen, man habe ihm in Missachtung kantonaler Vorschriften keine Gelegenheit zur Stellung solcher Anträge gegeben oder habe solche Anträge übergangen, nicht dagegen, sie seien zu Unrecht wegen Unerheblichkeit oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung abgewiesen worden, und noch weniger, das Ergebnis des abgenommenen Beweises sei willkürlich gewürdigt worden.
Geht man hievon aus, so ist auf die vorliegende Beschwerde einzutreten, denn mit ihr wirft der Beschwerdeführer dem Obergericht eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs und der Überweisungsbehörde Missachtung der ihm als Geschädigten im Untersuchungsverfahren zustehenden Parteirechte vor.
3.
Die Beschwerde erblickt die dem Obergericht vorgeworfene Gehörsverweigerung darin, dass das Obergericht auf die gegenüber der Überweisungsbehörde erhobenen formellen Rügen überhaupt nicht eingegangen sei.
Einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs macht sich eine kantonale Behörde dadurch, dass sie auf ihr mit einem Rechtsmittel unterbreitete Rügen und Anträge nicht eintritt, nur dann schuldig, wenn deren Beurteilung in ihre Zuständigkeit fällt, und diese Zuständigkeit hat der Beschwerdeführer, der der Behörde Gehörsverweigerung vorwirft, darzutun (vgl.
BGE 87 I 246
).
In der vorliegenden Beschwerde wird mit keinem Worte darzutun versucht, dass das Obergericht zuständig sei, die vom Beschwerdeführer inbezug auf das Untersuchungsverfahren erhobenen Rügen formeller Art zu beurteilen. Will man im Hinblick darauf, dass er rechtsunkundig ist, über diesen Mangel hinwegsehen und die Zuständigkeit des Obergerichts aufgrund der massgeblichen Vorschriften prüfen, so ist sie zu verneinen.
Das Obergericht übt zwar nach § 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 30. Oktober 1941 die Aufsicht über die untern Gerichte und die Überweisungsbehörde aus. Dabei handelt es sich jedoch um die allgemeine Aufsicht über die Geschäftsführung dieser Behörden. Die Zuständigkeit des Obergerichts als Rechtsmittelinstanz bestimmt sich nach den einschlägigen Vorschriften der ZPO und der StPO. In welchen Fällen gegenüber den Beschlüssen der Überweisungsbehörde beim Obergericht Beschwerde geführt werden kann, ist in
§ 111 StPO
abschliessend umschrieben. Danach ist die Beschwerde im Falle der Einstellung des Verfahrens ausser im Kostenpunkt (Ziff. 4)
BGE 94 I 551 S. 557
zulässig, "wenn die Staatsanwaltschaft oder der Verletzte dartun will, es habe eine Überweisung stattzufinden" (Ziff. 2). Daraus ist zu schliessen, dass das Obergericht seinen Entscheid aufgrund der Akten zu fällen hat und dass dieser Entscheid nur auf Gutheissung der Beschwerde und Überweisung des Falles an das zuständige Gericht oder aber auf Abweisung der Beschwerde lauten kann. Dagegen steht es ihm offenbar nicht zu, die Akten zur Ergänzung der Akten an die Überweisungsbehörde, die Staatsanwaltschaft oder den Untersuchungsbeamten zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer hat denn auch mit seiner Beschwerde an das Obergericht lediglich die Überweisung des Falles an das zuständige Gericht verlangt, nicht aber, und zwar auch nicht eventuell, Rückweisung zur Behebung der gerügten Verfahrensmängel. War aber das Obergericht nicht zuständig, die Rügen formeller Natur zu beurteilen und die Ergänzung der Untersuchung anzuordnen, so hat es dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör nicht verweigert, wenn es sich mit diesen Rügen nicht auseinandergesetzt hat.
4.
Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich nach Antrag und Begründung nicht nur gegen den Entscheid des Obergerichts vom 27. Februar 1968, sondern auch gegen den Beschluss der Überweisungsbehörde vom 25. August 1967 und wirft auch dieser Behörde vor, dass sie gegen den unkorrekten Abschluss des Untersuchungsverfahrens nicht eingeschritten sei. Das ist zulässig, da nach der neusten Rechtsprechung des Bundesgerichts mit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Entscheid einer kantonalen Rechtsmittelinstanz, deren Prüfungsbefugnis beschränkt ist, gleichzeitig auch noch der Entscheid der untern kantonalen Instanz angefochten werden kann, und zwar auch mit Rügen, welche, wie hier, bei der kantonalen Rechtsmittelinstanz nicht erhoben werden konnten (
BGE 94 I 460
).
a) Der Beschwerdeführer beanstandet als Verweigerung des rechtlichen Gehörs, dass das Verfahren eingestellt wurde, ohne dass ihm der Schluss der Untersuchung angezeigt und gemäss
§ 104 StPO
Einsicht in die Akten gewährt worden sei. Die Rüge ist unbegründet. Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vom 23. Juni 1967 eingehend über die Aussagen der Angeschuldigten X. und Y. unterrichtet worden ist; der Inhalt ihrer Aussagen wurde ihm wörtlich bekannt gegeben. Er konnte sich dazu äussern und hat
BGE 94 I 551 S. 558
dies bei seiner Einvernahme auch sofort mündlich getan. Überdies hat er in einem Schreiben vom 29. Juni 1967 zu jenen Aussagen Stellung genommen. In diesem Schreiben stellte er nicht etwa das Gesuch um (erneute) Akteneinsicht, ging also offenbar selber davon aus, die Akten seien ihm bekannt gewesen. Bei dieser Sachlage hat die Behörde weder
§ 104 StPO
verletzt noch dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör verweigert, wenn sie davon absah. ihm vom Schluss des Verfahrens durch eine formelle Anzeige Kenntnis zu geben.
b) Der Beschwerdeführer rügt weiter, dass seinem in der Eingabe vom 29. Juni 1967 gestellten Antrag um "Beweissicherung" nicht entsprochen worden sei. Der Untersuchungsbeamte hat zu diesem Antrag nicht ausdrücklich Stellung genommen. Er hat ihn aber dadurch stillschweigend abgewiesen, dass er die Akten am 20. Juli 1967 der Staatsanwaltschaft übermittelte und damit zum Ausdruck brachte, dass er die Untersuchung für vollständig erachte (
§ 106 StPO
). Dieses Vorgehen ist aus dem Gesichtspunkt des
Art. 4 BV
nicht zu beanstanden. Der Angeschuldigte X. hatte eine ihm vom Beschwerdeführer vorgeworfene Nachlässigkeit beim Pfändungsvollzug als "üblich", "nach Usanz" bezeichnet. Unter Bezugnahme hierauf ersuchte der Beschwerdeführer um "Beweissicherung" dafür, dass sich die Betreibungsämter usancegemäss gegen das SchKG vergehen. Anlass zu Erhebungen darüber, ob allenfalls auch andere Betreibungsbeamte sich die gleiche Nachlässigkeit zuschulden kommen lassen, bestand indes nicht, da dies für die (in der Folge sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch von der Überweisungsbehörde verneinte) Frage, ob X. eine strafbare Handlung begangen habe, offensichtlich bedeutungslos gewesen wäre. Jedenfalls hat der Untersuchungsbeamte dadurch, dass er dem Antrag des Beschwerdeführers um "Beweissicherung" nicht entsprach, im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens (
§ 104 Abs. 3 StPO
) gehandelt und dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör nicht verweigert. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
38d006a3-a268-463f-b5b9-19df496d5c59 | Urteilskopf
135 V 361
45. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. F. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_572/2008 vom 17. Juli 2009 | Regeste
Art. 10 Abs. 1 und 3 AHVG
;
Art. 28 Abs. 4 AHVV
; Festsetzung der Beiträge nichterwerbstätiger Personen.
Die Beitragsfestsetzung gemäss
Art. 28 Abs. 4 AHVV
auch nach rechtskräftiger gerichtlicher Ehetrennung (Art. 117 f. ZGB) ist gesetzes- und verfassungskonform (E. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 361
BGE 135 V 361 S. 361
A.
Mit Nachtragsverfügung vom 23. September 2005 und bestätigendem Einspracheentscheid vom 14. September 2006 setzte die Ausgleichskasse des Kantons Zürich die persönlichen AHV/IV/EO-Beiträge der nichterwerbstätigen, seit gerichtlicher Ehetrennung im Jahre 1993 unterhaltsberechtigten F. (geb. 1945) für das Jahr 2003 unter Anrechnung des hälftigen, vom Kantonalen Steueramt, Abteilung direkte Bundessteuer, am 21. September 2005
BGE 135 V 361 S. 362
gemeldeten Reinvermögens (Fr. 291'690.- : 2) und Renteneinkommens (Fr. 181'030.- : 2) des seit Dezember 2001 invaliditätsbedingt nicht mehr erwerbstätigen Ehegatten auf Fr. 4'161.20 (einschliesslich Verwaltungskosten) fest.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde der F. mit dem Antrag, in Aufhebung des Einspracheentscheids vom 14. September 2006 und der Verfügung vom 23. September 2005 seien ihre Beiträge aufgrund ihrer eigenen sozialen Verhältnisse gemäss Einschätzungsentscheid des Kantonalen Steueramtes für das Jahr 2003 (steuerbares Einkommen: Fr. 47'700.-; Vermögen: Fr. 3'000.-) zu bemessen, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. April 2008 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt F. ihr vorinstanzlich gestelltes Rechtsbegehren erneuern; eventualiter sei die Sache zwecks Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig und zu prüfen ist die Festsetzung der AHV/IV/EO-Beiträge der als Nichterwerbstätige unstrittig beitragspflichtigen, seit 1993 von ihrem Ehegatten gestützt auf Art. 117 f. ZGB (aArt. 143-147 ZGB) gerichtlich getrennten (und 2005 geschiedenen) Beschwerdeführerin für das Jahr 2003. Umstritten ist namentlich die Rechtsfrage, ob die Beitragsbemessung nach erfolgter Ehetrennung wie bei ungetrennten Ehegatten nach
Art. 28 Abs. 4 AHVV
(SR 831.101; in Verbindung mit
Art. 10 Abs. 3 AHVG
; E. 4.1 hernach) vorzunehmen ist, oder ob diesfalls die bei unverheirateten/geschiedenen Nichterwerbstätigen geltenden Grundsätze der Beitragsfestsetzung (
Art. 10 Abs. 1 Satz 1 AHVG
; E. 4.1 hernach) zur Anwendung gelangen müssen. Die Vorinstanz vertritt den erst-, die Beschwerdeführerin den zweitgenannten Standpunkt.
3.
(Formelle Rüge)
4.
4.1
Gemäss
Art. 10 Abs. 1 Satz 1 AHVG
haben Nichterwerbstätige "je nach ihren sozialen Verhältnissen" einen Beitrag von
BGE 135 V 361 S. 363
324 (heute: 382 Franken [Art. 2 Abs. 2 der bundesrätlichen Verordnung 09 vom 26. September 2008 über Anpassungen an die Lohn- und Preisentwicklung bei der AHV/IV/EO; SR 831.108]) bis 8'400 Franken pro Jahr zu bezahlen.
Art. 10 Abs. 3 AHVG
ermächtigt den Bundesrat, nähere Vorschriften über den Kreis der als Nichterwerbstätige geltenden Personen und über die Bemessung der Beiträge zu erlassen. Gestützt darauf sieht
Art. 28 Abs. 1 AHVV
vor, dass sich die Beiträge der Nichterwerbstätigen, für die nicht (von Gesetzes wegen) der jährliche Mindestbeitrag vorgesehen ist (
Art. 10 Abs. 2 AHVG
), aufgrund des Vermögens und des mit 20 multiplizierten jährlichen Renteneinkommens bemessen. Bei einer verheirateten, als Nichterwerbstätige beitragspflichtigen Person werden die Beiträge gemäss
Art. 28 Abs. 4 Satz 1 AHVV
aufgrund der Hälfte des ehelichen Vermögens und Renteneinkommens bemessen. Dabei ist das im Beitragsjahr tatsächlich erzielte Renteneinkommen und das Vermögen am 31. Dezember massgebend (
Art. 29 Abs. 2 Satz 1 AHVV
in der bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen, hier anwendbaren Fassung).
4.2
Nach vorinstanzlich vertretener Auffassung gilt die Beitragsbemessung gemäss
Art. 28 Abs. 4 AHVV
für ungetrennte wie getrennte Ehegatten gleichermassen. Der Standpunkt der Beschwerdeführerin, wonach die getrennten Ehegatten wie Geschiedene zu behandeln seien, sei unbegründet, da bei der gerichtlichen Ehetrennung gemäss Art. 117 f. ZGB (wie beim Getrenntleben nach
Art. 175 ff. ZGB
) das rechtliche Band und die allgemeinen Wirkungen der Ehe weiter bestehen blieben und die Ehetrennung hinsichtlich ihrer rechtlichen Folgen (
Art. 118 ZGB
; vgl. E. 5.3.3 hernach) weit mehr der eheschutzrechtlichen Berechtigung zum Getrenntleben als der Scheidung gleiche. Wie bei den übrigen Verheirateten sei auch bei gerichtlich getrennten Ehegatten davon auszugehen, dass sich deren soziale Verhältnisse im Sinne von
Art. 10 Abs. 1 AHVG
erheblich beeinflussen, sodass es weder gesetzeswidrig noch willkürlich (
Art. 9 BV
) und/oder rechtsungleich (
Art. 8 Abs. 1 BV
) sei, sie den ungetrennten Ehegatten gleichzustellen.
4.3
Die Beschwerdeführerin hält letztinstanzlich an ihrem Standpunkt fest, wonach die Anwendung des
Art. 28 Abs. 4 AHVV
nach (rechtskräftiger) Ehetrennung gesetzes- und verfassungswidrig sei. Ihrem Sinn und Zweck nach sei die Ehetrennung - anders als die Regelung des Getrenntlebens im Rahmen des Schutzes der ehelichen Gemeinschaft (
Art. 175 ff. ZGB
) - als Ersatz für Personen
BGE 135 V 361 S. 364
gedacht, die das Institut der Scheidung (z.B. aus religiösen Gründen) ablehnen. Sie könne dementsprechend nur unter den gleichen Voraussetzungen wie die Scheidung verlangt werden (
Art. 117 Abs. 1 ZGB
). Sodann richte sich das Verfahren der Ehetrennung sinngemäss nach den für die Scheidung geltenden Bestimmungen (
Art. 117 Abs. 2 ZGB
), und das Trennungsurteil sei - insbesondere bezüglich der Unterhaltsbeiträge - nur noch unter strengen Voraussetzungen abänderbar. Der
Art. 28 Abs. 4 AHVV
zu Grunde liegende Gedanke der ehelichen Unterstützungs- und Beistandspflicht greife bei der Ehetrennung nicht, sei hier doch der Wille zum Zusammenleben resp. ein minimalster Zusammenhalt nicht mehr gegeben. Nachdem im vorliegenden Fall die Ehegatten im Jahre 2003 bereits seit zehn Jahren gerichtlich getrennt gelebt hätten und sich die Beistandspflicht des Ehemannes in der Bezahlung der - ihres Erachtens, gemessen an den finanziellen Verhältnissen des Ehegatten, zu tief und ohne Berücksichtigung der von ihr an die Ausgleichskasse zu leistenden AHV/IV/EO-Beiträge festgesetzten - Unterhaltsbeiträge erschöpft habe, sei es stossend (
Art. 9 BV
) und rechtsungleich, die Beschwerdeführerin beitragsrechtlich wie eine ungetrennt lebende Ehegattin und nicht wie eine allein nach ihren eigenen sozialen Verhältnissen beurteilte (
Art. 10 Abs. 1 AHVG
) Geschiedene zu behandeln.
5.
5.1
Gemäss konstanter Rechtsprechung (
BGE 125 V 221
, 230;
BGE 126 V 421
;
BGE 127 V 65
; vgl. ferner SVR 2008 AHV Nr. 15 S. 45, H 114/05 E. 4.1 mit Hinweisen; Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 147/05 vom 10. November 2006 E. 5.1; H 163/03 vom 23. Juli 2003 E. 3.2; H 130/01 vom 24. Februar 2003 E. 3.3; H 233/01 vom 4. Februar 2002 E. 2c) ist die in
Art. 28 Abs. 4 Satz 1 AHVV
für verheiratete Nichterwerbstätige vorgesehene Beitragsbemessung gesetzes- und verfassungskonform, dies ungeachtet des Güterstandes der Eheleute, mithin auch bei Gütertrennung (
BGE 103 V 49
[Original frz.; dt. Übersetzung in: Pra 67/1978 Nr. 42 S. 83];
BGE 98 V 92
). Das Bundesgericht (ehemals: Eidg. Versicherungsgericht) hat die Verfassungs- und Gesetzeskonformität der Verordnungsbestimmung namentlich unter dem Blickwinkel der beitragsrechtlichen Ungleichbehandlung von Ehe- und Konkubinatspaaren bejaht (
BGE 125 V 221
). Zur hier umstrittenen Frage, ob die Anwendung des
Art. 28 Abs. 4 AHVV
(auch) im Falle einer gerichtlichen Ehetrennung vor Gesetz und Verfassung standhält, hat sich das Gericht zwar bisher
BGE 135 V 361 S. 365
nicht ausdrücklich geäussert. Es hat aber wiederholt festgestellt, dass sich die Beiträge auf Grund der Hälfte des ehelichen Vermögens und Renteneinkommens bemessen (
Art. 28 Abs. 4 AHVV
),
solange
die Ehegatten
verheiratet
sind (
BGE 126 V 421
) respektive bis zum Ablauf des Monats, in welchem das Scheidungsurteil in Rechtskraft erwächst (
BGE 127 V 65
). Des Weitern entschied das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil H 147/05 vom 10. November 2006, dass die Festsetzung der Beiträge für eine Zeitspanne während der Dauer der Ehe erst nach der Scheidung nichts an der persönlichen Beitrags(zahlungs)pflicht des früheren nichterwerbstätigen Ehegatten und an der Bemessung der Beiträge nach
Art. 28 Abs. 4 AHVV
ändert; dass für die Bemessung der Beiträge u.a. auch auf das Vermögen des Ehegatten während der Dauer der Ehe abgestellt wird, begründet gemäss erwähntem Urteil keine Diskriminierung der Geschiedenen wegen ihrer sozialen Stellung resp. der Lebensform nach
Art. 8 Abs. 2 BV
. Im Gegenteil wird damit eine mit dem Gleichbehandlungsgebot nach
Art. 8 Abs. 1 BV
nicht vereinbare Benachteiligung "der bei der Festsetzung der Nichterwerbstätigenbeiträge (noch) Verheirateten" verhindert (Urteil H 147/05 vom 10. November 2006 E. 5.2). In keinem der zitierten Fälle ist die Gesetzes- und Verfassungskonformität der Beitragsbemessung nach
Art. 28 Abs. 4 AHVV
während der gesamten Dauer der Ehe unter den Vorbehalt gestellt worden, dass die Beitragspflichtigen in ungetrennter Ehe leben.
5.2
Die in der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung implizit und vorinstanzlich ausdrücklich vertretene Auffassung, wonach
Art. 28 Abs. 4 Satz 1 AHVV
auf sämtliche - auch getrennte - Ehegatten während der gesamten Ehedauer anwendbar ist, entspricht dem Wortlaut der Bestimmung: Diese nennt bloss die "verheiratete Person" (frz.: "personne mariée"; ital.: "persona coniugata"); sie knüpft somit an den zivilrechtlichen Personenstand des Verheiratetseins an, ohne zwischen ungetrennten und getrennten Ehegatten zu unterscheiden. Auch in den Sätzen 2-4 des
Art. 28 Abs. 4 AHVV
, welche die Beitragsbemessung im "Kalenderjahr der Heirat", im "Kalenderjahr der Scheidung" und "für die Zeit nach der Verwitwung" regeln, wird die Ehetrennung (wie auch das Getrenntleben nach Art. 175 f. ZGB) nicht eigens erwähnt. Der alleinige Verweis in
Art. 28 Abs. 4 AHVV
auf die "verheiratete Person" mit Verzicht auf eine ausdrücklich abweichende Behandlung gerichtlich getrennter Ehegatten fällt dabei - was die Beschwerdeführerin zu Recht nicht bestreitet - nicht offensichtlich aus dem Rahmen der
BGE 135 V 361 S. 366
einen weiten Ermessensspielraum einräumenden Delegationsnorm des
Art. 10 Abs. 3 AHVG
(vgl.
BGE 133 V 569
E. 5.1 S. 570 f. mit Hinweisen); namentlich findet sich weder in
Art. 10 AHVG
noch in der übrigen gesetzlichen Beitragsordnung eine
explizite
Verpflichtungs- oder Ermächtigungsnorm für eine beitragsrechtlich differenzierte Behandlung getrennter und ungetrennter Ehegatten; im Gegenteil erwähnt das Gesetz bezüglich der AHV/IV/EO-Beitragspflicht und -bemessung (
Art. 3 ff. AHVG
) den Zivilstand "(Ehe-) Trennung" nicht, sondern es spricht generell von "Ehegatten" ungeachtet dessen, ob sie einen gemeinsamen Haushalt führen oder nicht.
5.3
Zu prüfen ist weiter, ob die sich im Rahmen der Delegationsnorm des
Art. 10 Abs. 3 AHVG
haltende beitragsrechtliche Gleichbehandlung aller Ehegatten aus andern Gründen den Anordnungen und Wertungen des Gesetzgebers widerspricht, wie die Beschwerdeführerin einwendet; dabei darf das Gericht sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen und hat es auch nicht die Zweckmässigkeit der Regelung zu untersuchen (
BGE 133 V 569
E. 5.1 S. 570 f.;
BGE 131 V 263
E. 5.1 S. 266; je mit Hinweisen).
5.3.1
Die Beschwerdeführerin rügt, die vorinstanzliche Beitragsbemessung verheirateter, aber gerichtlich getrennter Ehegatten widerspreche dem Sinn und Zweck der Verordnungsbestimmung, welche ihrerseits den in
Art. 10 Abs. 1 AHVG
statuierten Grundsatz der Beitragsbemessung nach den "sozialen Verhältnissen" konkretisiert.
5.3.2
Die gegenseitige Anrechnung der Renteneinkommen und Vermögen der Ehegatten ist begründet durch die eherechtliche Beistands- und Unterhaltspflicht (
Art. 159 Abs. 3,
Art. 163 Abs. 1 ZGB
), welche die sozialen Verhältnisse der Verheirateten beeinflusst (
BGE 125 V 221
E. 3d/aa S. 226). Dabei ist aus beitragsrechtlicher Sicht grundsätzlich unerheblich, ob und in welchem Umfang die Ehegatten tatsächlich Geldzahlungen leisten (oder anderweitig für den gebührenden Unterhalt sorgen; vgl.
Art. 163 Abs. 2 ZGB
); massgebend ist, dass sie gesetzlich dazu verpflichtet sind, nötigenfalls auch unter Inanspruchnahme ihres Vermögens, zum Unterhalt der Familie beizutragen (vgl. ZAK 1991 S. 419, H 198/90 E. 4b).
5.3.3
Bei der Auslegung sozialversicherungsrechtlicher Regelungen mit Anknüpfung an familienrechtliche Sachverhalte (wie Ehe, Verwandtschaft oder Vormundschaft) ist rechtsprechungsgemäss davon
BGE 135 V 361 S. 367
auszugehen, dass der Gesetzgeber vorbehältlich - hier fehlender - gegenteiliger Anordnungen die zivilrechtliche Bedeutung des jeweiligen Instituts im Blickfeld hatte, zumal das Familienrecht für das Sozialversicherungsrecht Voraussetzung ist und diesem grundsätzlich vorgeht (vgl.
BGE 124 V 64
E. 4a S. 67;
BGE 121 V 125
E. 2c/aa S. 127 mit Hinweisen; SVR 2006 BVG Nr. 12 S. 44, B 14/04 E. 3). Nach der zivilrechtlichen Ordnung löst die gerichtliche Ehetrennung die Ehe nach den zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen (E. 4.2 hievor) nicht auf; die Getrennten bleiben rechtsgültig verheiratet. Abgesehen vom Wegfall des (mit der Ehe in der Regel einhergehenden, für diese aber nicht zwingend vorausgesetzten [vgl. YVO SCHWANDER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 3. Aufl. 2006, N. 4-6 zu
Art. 162 ZGB
, mit weiteren Hinweisen; TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 13. Aufl. 2009, N. 2 S. 315]) ehelichen Zusammenlebens sowie der Befugnis zur Vertretung der ehelichen Gemeinschaft (
Art. 166 ZGB
) und der von Gesetzes wegen eintretenden Gütertrennung (
Art. 118 Abs. 1 ZGB
) bleiben die allgemeinen zivilrechtlichen Wirkungen der Ehe - insbesondere der Personenstand der Eheleute, deren gegenseitiges Erbrecht, die allgemeine Beistandspflicht nach
Art. 159 Abs. 3 ZGB
und die eheliche Unterhaltspflicht (
Art. 163 ZGB
) - grundsätzlich bestehen (vgl. Bundesrätliche Botschaft vom 15. November 1995 über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Personenstand, Eheschliessung, Scheidung, [...], BBl 1996 I 1 ff. Ziff. 232 S. 94 [nachfolgend: Botschaft 1995]; TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, a.a.O., N. 7 S. 305; DANIEL STECK, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 16 zu Art. 117/118 ZGB; SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, 1999, N. 26 zu Art. 117/118 ZGB; MARCEL LEUENBERGER, in: Scheidung, FamKomm, 2005, N. 8 zu Art. 117/118 ZGB; PETER BREITSCHMID, in: Handkommentar zum schweizerischen Privatrecht, 2008, N. 6 zu
Art. 118 ZGB
; HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 4. Aufl. 2000, S. 77 Rz. 10.06). Obwohl die Ehetrennung nur unter den gleichen Voraussetzungen wie die Scheidung verlangt werden kann und dieser auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht im Wesentlichen gleichgestellt ist (
Art. 117 Abs. 1 und 2 ZGB
), finden gemäss
Art. 118 Abs. 2 ZGB
hinsichtlich der Trennungsfolgen (abgesehen von der Gütertrennung von Gesetzes wegen nach
Art. 118 Abs. 1 ZGB
) die Bestimmungen über Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft Anwendung (
Art. 171 ff. ZGB
) und stellen die Unterhaltsansprüche
BGE 135 V 361 S. 368
des getrennten Ehegatten ehelichen, nicht nachehelichen Unterhalt dar (
BGE 95 II 68
E. 2a; Urteil 5C.43/2002 vom 28. Mai 2002 E. 2.1, in: FamPra.ch 2002 S. 817); daran ändert nichts, dass bei der Beurteilung des Unterhalts, insbesondere bei der Frage der Wiederaufnahme oder Ausdehnung der Erwerbstätigkeit eines Ehegatten unter Umständen auch die für den nachehelichen Unterhalt geltenden Kriterien miteinzubeziehen sind (vgl.
BGE 128 III 65
). Sodann erleichtert (oder erschwert) das Trennungsurteil eine spätere Scheidung nicht (vgl.
Art. 117 Abs. 3 ZGB
). Schliesslich wird ungeachtet der Gütertrennung ex lege bei der gerichtlichen Ehetrennung im Unterschied zur Ehescheidung kein Vorsorgeausgleich im Sinne der
Art. 122-124 ZGB
vorgenommen, da die eheliche Unterstützungspflicht während der gesamten Ehedauer fortbesteht (vgl. BAUMANN/LAUTERBURG, in: Scheidung, FamKomm, 2005, N. 46 f. zu
Art. 122 ZGB
; s. auch
dieselben
, in: Scheidungsrecht, Praxiskommentar, 2000, N. 5 zu
Art. 122 ZGB
). Wie vom kantonalen Gericht zutreffend festgehalten, gleicht die Ehetrennung daher in ihren rechtlichen Wirkungen weit mehr der Berechtigung zum Getrenntleben nach
Art. 175 ZGB
als der Scheidung (vgl. auch STECK, a.a.O., N. 15 zu Art. 117/118 ZGB; TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, a.a.O., N. 7 S. 305; BREITSCHMID, a.a.O., N. 6 zu
Art. 118 ZGB
). Von der gesetzlichen Möglichkeit der Ehetrennung wird denn auch dann Gebrauch gemacht, wenn die
rechtlichen
Folgen einer Scheidung - die Eheauflösung mit Verlust der daran geknüpften Rechte und Pflichten - gerade
nicht
(allenfalls: noch nicht) eintreten sollen. Als Motiv werden dabei in den Gesetzesmaterialien zu Art. 117/118 ZGB wie auch in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Lehre nebst konfessionellen und erbrechtlichen Interessen ausdrücklich auch sozialversicherungsrechtliche Gründe genannt, da entsprechende Ansprüche im Falle der Ehetrennung erhalten blieben (vgl. Botschaft 1995, a.a.O., BBl 1996 I 1 ff. Ziff. 232 S. 94;
BGE 129 III 1
E. 2.3 S. 5; SUTTER/FREIBURGHAUS, a.a.O., N. 10 zu Art. 117/118 ZGB; LEUENBERGER, a.a.O., N. 8 zu Art. 117/118 ZGB; BREITSCHMID, a.a.O., N. 6 zu
Art. 118 ZGB
; HEGNAUER/BREITSCHMID, a.a.O., S. 77 Rz. 10.03).
5.3.4
Besteht die eheliche Beistands- und Unterhaltspflicht auch nach der gerichtlichen Trennung bis zur Auflösung der Ehe fort, widerspricht es weder dem Sinn und Zweck des
Art. 28 Abs. 4 AHVV
(E. 5.3.2 hievor) noch übergeordnetem Gesetzesrecht, die Beitragsbemessung - dem Wortlaut von
Art. 28 Abs. 4 AHVV
entsprechend (E. 5.2 hievor) - auch bei gerichtlich getrennten Ehegatten
BGE 135 V 361 S. 369
aufgrund einer je hälftigen Anrechnung von Renteneinkommen und Vermögen vorzunehmen. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass diese Lösung einem bewussten gesetzgeberischen Entscheid (qualifiziertes Schweigen) entspricht, der keinen Raum lässt für eine ergänzende Regelung durch die rechtsanwendenden Behörden mittels Analogie und Lückenfüllung (
BGE 134 V 182
E. 4.1 S. 185,
BGE 134 V 15
E. 2.3 S. 16; je mit weiteren Hinweisen). Hätte nämlich der Sozialversicherungsgesetzgeber im hier interessierenden Bereich vom zivilrechtlichen Verständnis, wonach die Ehetrennung für die Ehegatten nicht nur erb-, sondern auch sozialversicherungsrechtlich grundsätzlich ohne Folgen bleibt (E. 5.3.3 hievor), abweichen wollen, hätte er dies auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe ausdrücklich geregelt, wie dies auch in andern Bereichen der AHV/IV-Gesetzgebung der Fall ist, wenn an die Tatsache der gerichtlichen Ehetrennung respektive die richterlichen Auflösung des gemeinsamen Haushaltes bestimmte, gegenüber ungetrennten Ehen abweichende Rechtsfolgen geknüpft werden sollen (so bezüglich der Rentenberechnung [
Art. 35 Abs. 2 AHVG
], der Rentenauszahlung [
Art. 22
bis
Abs. 2 lit. b und
Art. 22
ter
Abs. 2 Satz 3 AHVG
;
Art. 71
ter
AHVV
], aber auch des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen zur AHV/IV [
Art. 4 Abs. 2 ELG
[SR 831.30] in der seit 1. Januar 2008 in Kraft stehenden Fassung; sowie
Art. 1,
Art. 4 Abs. 1 lit. b,
Art. 7 Abs. 1 lit. b ELV
[SR 831.301] und die Schlussbestimmung der Änderung vom 28. September 2007, AS 2007 6037; je in der seit 1. Januar 2008 in Kraft stehenden Fassung]); Entsprechendes gilt in andern Sozialversicherungszweigen (siehe etwa
Art. 14 Abs. 2 AVIG
[SR 837.0]).
5.4
Mit Blick auf die gebotene verfassungskonforme Auslegung des Verordnungsrechts (
BGE 133 V 569
E. 5.1 S. 570 f.;
BGE 131 V 263
E. 5.1 S. 266; Urteil H 121/06 vom 25. Januar 2007 E. 5, nicht publ. in:
BGE 133 V 153
) bleibt zu prüfen, ob die Subsumtion der getrennten Ehegatten unter
Art. 28 Abs. 4 AHVV
vor
Art. 8 Abs. 1 und
Art. 9 BV
standhält.
5.4.1
Der von der Beschwerdeführerin vorab angerufene Rechtsgleichheitsgrundsatz (
Art. 8 Abs. 1 BV
) verlangt, dass Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird. Der Anspruch auf rechtsgleiche Behandlung wird insbesondere verletzt, wenn hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen getroffen werden, für die ein vernünftiger Grund in
BGE 135 V 361 S. 370
den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn Unterscheidungen unterlassen werden, die aufgrund der Verhältnisse hätten getroffen werden müssen (vgl.
BGE 134 I 23
E. 9.1 S. 42 mit Hinweisen;
BGE 133 V 569
E. 5.1 S. 570 f.;
BGE 131 I 91
E. 3.4 S. 103).
5.4.2
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin besteht zwischen ungetrennten und getrennten Ehegatten insofern ein erheblicher Unterschied, als die eheliche Beistandspflicht mit der Ehetrennung dahinfalle. Dies trifft nach dem unter E. 5.3.3 hievor Gesagten nicht zu: Richtig ist zwar, dass jene Aspekte der Beistands- und Unterhaltspflicht, die einen
gemeinsamen
Haushalt voraussetzen, mit der Ehetrennung ihres Gehalts entleert werden, wie beispielsweise der Beitrag zum Unterhalt mittels Besorgung des Haushalts (
Art. 163 Abs. 2 ZGB
); der in
Art. 118 Abs. 2 ZGB
mit Bezug auf die Trennungsfolgen enthaltene Verweis auf die Eheschutzmassnahmen kann sich daher auch nur auf die Art. 172 und
Art. 175-179 ZGB
, nicht aber Art. 173 f. ZGB (Eheschutzmassnahmen während des Zusammenlebens) beziehen (vgl. STECK, a.a.O., N. 15 zu Art. 117/118 ZGB, mit Hinweisen). Dies ändert aber nichts am Fortbestand namentlich der finanziellen Beistands- und Unterhaltspflicht und daran, dass die getrennten Ehegatten aus der Rechtstatsache der Ehe einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen respektive diese die für die Beitragsbemessung relevanten "sozialen Verhältnisse" beeinflussen kann. Es verhält sich hier nicht wesentlich anders als bei gemeinsam, jedoch - wie die nach Art. 117/118 ZGB gerichtlich getrennten Verheirateten - in Gütertrennung lebenden Ehepartnern ohne Nutzen am Vermögen des andern, bezüglich welcher die Rechtsprechung die Beitragsbemessung nach
Art. 28 Abs. 4 AHVV
als gesetzes- und verfassungskonform erachtet hat (
BGE 103 V 49
). Das Vorgehen nach dieser Bestimmung auch bei gerichtlich getrennten Ehegatten kann zwar bei guten finanziellen Verhältnissen des einen und schlechteren finanziellen Verhältnissen des andern Gatten zu einer höheren Beitragsbelastung des letzteren führen, als wenn dieser allein nach seinen eigenen Verhältnissen (
Art. 10 Abs. 1 AHVG
) beurteilt würde; dasselbe trifft aber auch auf einen in gemeinsamem Haushalt lebenden, finanziell weniger vermögenden (nichterwerbstätigen) Ehegatten im Vergleich zu einem unverheirateten Beitragspflichtigen in gleicher finanzieller Lage zu, welche Ungleichbehandlung das Bundesgericht als sachlich gerechtfertigt erachtet hat (
BGE 125 V 221
E. 3d S. 226 ff.) und wovon abzuweichen kein Anlass besteht. Die Argumentation der Beschwerdeführerin blendet im
BGE 135 V 361 S. 371
Übrigen aus, dass die Beitragspflicht das Äquivalent zu einer staatlichen Leistung darstellt, die ihrerseits bei einer verheirateten Person unter Anrechnung des während der Ehedauer erzielten, rentenbildenden Einkommens des andern Ehegatten berechnet wird (
Art. 29
quater
ff. AHVG
;
Art. 50 ff. AHVV
). Grundsätzlich profitiert mithin der finanziell schwächere Ehegatte - auch der getrennt lebende - leistungsseitig vom höheren (rentenbildenden) Einkommen des andern Ehegatten. Anders als bei einem Geschiedenen in gleich schwacher (eigener) finanzieller Lage, bei welchem es bereits mit der Eheauflösung durch Scheidung zwingend zum sog. Einkommenssplitting kommt (
Art. 29
quinquies
Abs. 3 lit. c AHVG
; vgl.
BGE 131 V 1
; Urteil 9C_518/2008 vom 29. August 2008 E. 2.2), wird dem getrennt (wie dem ungetrennt) lebenden Ehegatten beim - erst im im Zeitpunkt der Rentenberechtigung beider Ehegatten vorgenommenen (
Art. 29
quinquies
Abs. 3 lit. a AHVG
) - Splitting auch das
nach
der Ehetrennung bis zum 31. Dezember vor dem Jahr, in welchem der erste Ehegatte das Rentenalter erreicht hat, erzielte Einkommen angerechnet (
Art. 29
quinquies
Abs. 4 lit. a AHVG
;
BGE 132 V 265
); dies gilt auch dann, wenn der andere Ehegatte eine Invalidenrente bezieht (vgl.
Art. 33
bis
Abs. 4 AHVG
;
BGE 127 V 361
). Der gerichtlich getrennte Ehegatte hat alsdann Anspruch auf eine ungekürzte, d.h. nicht der Plafonierung der Ehepaarrente unterliegende eigene Altersrente (
Art. 35 Abs. 2 AHVG
). Kommt somit die Solidarität unter den Ehegatten auf der Leistungsseite grundsätzlich während der gesamten Ehedauer zum Tragen, muss dies gleichermassen auf der Beitragsseite der Fall sein; dies entspricht auch dem Grundsatz, wonach für beide Ehegatten dieselbe Beitragsbemessungsgrundlage gilt (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 233/01 vom 4. Februar 2002 E. 3a).
5.4.3
Nach dem Gesagten ist es sachlich gerechtfertigt, die Beitragsbemessung Nichterwerbstätiger auch im Falle gerichtlicher Ehetrennung nach
Art. 28 Abs. 4 AHVV
vorzunehmen.
Art. 8 Abs. 1 BV
ist somit nicht verletzt. Entgegen der Rüge der Beschwerdeführerin führt die Anwendung des
Art. 28 Abs. 4 AHVV
auf getrennte Ehegatten auch nicht zu einem willkürlichen Ergebnis (
Art. 9 BV
). Die in
Art. 11 AHVG
vorgesehene Möglichkeit, bei Unzumutbarkeit um eine angemessene Herabsetzung oder einen Erlass der Beiträge zu ersuchen, schliesst - aufgrund der hier verlangten konkreten Prüfung der ökonomischen Verhältnisse im Einzelfall (vgl. SVR 2000 AHV Nr. 9 S. 31, H 46/99; vgl. auch, bei
BGE 135 V 361 S. 372
Gütertrennung, ZAK 1981 S. 545, H 171/79) - stossende, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehende (
BGE 134 II 124
E. 4.1 S. 133;
BGE 132 I 175
E. 1.2 S. 177;
BGE 131 I 467
E. 3.1 S. 473 f.; je mit Hinweisen) Beitragsbelastungen grundsätzlich aus. Wie vorinstanzlich zutreffend erwogen, steht ein Herabsetzungsgesuch auch der Beschwerdeführerin offen.
5.5
Die ziffernmässige Beitragsfestsetzung für das Jahr 2003 wird letztinstanzlich - wie im kantonalen Verfahren - nicht beanstandet, und es ist darauf mangels ins Auge springender Sachverhalts- oder Rechtsfehler nicht zurückzukommen (vgl.
Art. 107 Abs. 1 BGG
). | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
38d176ac-a5d6-4e95-8467-af6a580d112e | Urteilskopf
81 II 178
31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Mai 1955 i.S. Eheleute Drechsel. | Regeste
Internationales Privatrecht; Nebenfolgen der Ehescheidung.
Die Nebenfolgen einer in der Schweiz auf Klage eines schweizerischen Ehegatten ausgesprochenen Scheidung, insbesondere die Elternrechte, sind vom Scheidungsgericht nach schweizerischem Recht zu beurteilen, auch wenn der beklagte Ehegatte Ausländer ist. | Sachverhalt
ab Seite 179
BGE 81 II 178 S. 179
Bei der Scheidung der Ehe zwischen dem Beklagten, der deutscher Staatsangehöriger ist, und der Klägerin, die auf Grund von Art. 58 des Bundesgesetzes über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts vom 29. September 1952 wieder in das Schweizerbürgerrecht aufgenommen wurde, ordnet das Bundesgericht die Elternrechte in Übereinstimmung mit der Vorinstanz nach schweizerischem Recht (
Art. 156 ZGB
).
Erwägungen
Begründung:
Die Wirkungen einer in der Schweiz ausgesprochenen Scheidung, insbesondere auch die Nebenfolgen, bestimmen sich grundsätzlich nach schweizerischem Recht, selbst wenn beide Ehegatten Ausländer sind (
BGE 44 II 454
und dort zit. Entscheide,
BGE 50 II 312
,
BGE 51 II 110
; BECK N. 221 ff. zu
Art. 7 h NAG
). Um so eher muss für die Nebenfolgen wie für die Scheidung selbst das schweizerische Recht dann massgebend sein, wenn der klagende Ehegatte die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt. Der Einwand des Beklagten, dass die Anwendung des schweizerischen Rechts auf einen Fall wie den vorliegenden (wo die Kinder Ausländer sind) dem schweizerischen ordre public zuwiderlaufe, ist abwegig. Der schweizerische ordre public kann nur die Anwendung ausländischen, nicht die Anwendung schweizerischen Rechts ausschliessen. Im übrigen verlangt die schweizerische Rechtsauffassung gerade, dass dort, wo die Scheidung in der Schweiz nach schweizerischem Recht ausgesprochen wird, die Nebenfolgen (insbesondere die Kinderzuteilung) in Anbetracht ihres engen Zusammenhangs mit der Scheidung selbst im gleichen Verfahren und nach dem gleichen Rechte beurteilt werden (vgl.
BGE 77 II 20
). Die Tatsache, dass im Heimatstaate des Beklagten und der Kinder nicht das Scheidungsgericht, sondern eine andere Instanz über die Kinderzuteilung entscheidet, ist unerheblich. Diese Regelung ist für den schweizerischen Richter nicht verbindlich. Schliesslich kommt auch nichts darauf an, ob
BGE 81 II 178 S. 180
das schweizerische Scheidungsurteil hinsichtlich der Nebenfolgen im Heimatstaate des Beklagten und der Kinder anerkannt und vollstreckt werde. Das schweizerische internationale Privatrecht macht die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte zur Beurteilung der Nebenfolgen einer in der Schweiz ausgesprochenen Scheidung und die Anwendung des schweizerischen Rechts auf diese Frage nicht vom Nachweis der Anerkennung und Vollstreckbarkeit des Urteils im ausländischen Heimatstaate abhängig. Mit Recht hat also das Obergericht die Frage der Elternrechte nach schweizerischem Rechte beurteilt. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
38d7b976-bc73-488b-ad47-3e5e6ede9387 | Urteilskopf
118 Ib 457
55. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 3 décembre 1992 dans la cause Office fédéral de la police contre Chambre d'accusation du canton de Genève et L. (recours de droit administratif) | Regeste
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Ersuchen der französischen Börsengeschäftskommission (Commission des opérations de bourse, COB); Art. 1 Abs. 1 lit. b, 63 Abs. 3 und 76 lit. c IRSG.
Die COB ist zuständig, selber ein Rechtshilfebegehren zu stellen; diese Behörde wird mit dem Abschluss ihrer Untersuchung bei der Staatsanwaltschaft die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens beantragen können, welches zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen kann (E. 3-4).
Die französischen Behörden sind einzuladen, mitzuteilen, ob hinsichtlich der von der COB verlangten Massnahmen nach französischem Recht eine gerichtliche Bewilligung erforderlich ist; trifft dies zu, so wird diese Bewilligung vorgelegt werden müssen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 458
BGE 118 Ib 457 S. 458
Le 31 décembre 1991, le Ministère français de la justice a adressé à l'Office fédéral de la police (ci-après: l'OFP) une demande d'entraide judiciaire formée par la Commission française des opérations de bourse (ci-après: la COB) pour les besoins d'une enquête concernant des délits d'initiés. La COB demande notamment que soit révélée l'identité du ou des détenteurs d'un compte bancaire à Genève ayant servi aux opérations litigieuses, afin de déterminer si ces personnes étaient au bénéfice d'informations privilégiées. L'OFP a transmis cette requête au cabinet des juges d'instruction du canton de Genève le 29 janvier 1992.
Le juge d'instruction chargé de l'exécution de la demande est entré en matière le 3 février 1992. Il a notifié son ordonnance le 20 mars 1992 au citoyen français L., titulaire du compte concerné.
Par ordonnance du 17 juin 1992, la Chambre d'accusation a admis le recours de L. et annulé la décision d'entrée en matière, considérant que la COB ne faisait pas partie des autorités habilitées à présenter une demande d'entraide, et qu'elle n'était pas une "autorité pénale" au sens de l'
art. 1 let. b EIMP
.
Agissant par la voie du recours de droit administratif, l'OFP demande au Tribunal fédéral d'annuler cette dernière ordonnance.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et renvoyé la cause à la Chambre d'accusation.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La Suisse et la France sont toutes deux parties à la Convention européenne d'entraide judiciaire en matière pénale (CEEJ). La loi fédérale sur l'entraide internationale en matière pénale du 20 mars 1981 (EIMP) et son ordonnance d'exécution sont applicables aux questions qui ne sont pas réglées, explicitement ou implicitement, par la Convention. Par ailleurs, contrairement à ce que semble admettre la cour cantonale, l'existence d'une telle convention ne saurait priver l'Etat requérant de l'application, à titre de droit supplétif, de règles éventuellement plus larges du droit autonome. Ainsi, lorsque les conditions posées par le droit conventionnel pour l'octroi de l'entraide ne sont pas remplies, les autorités compétentes de l'Etat requis n'en ont pas moins la faculté de
BGE 118 Ib 457 S. 459
l'accorder dans la mesure où elle est possible selon le droit autonome. En effet, la CEEJ est destinée à favoriser la coopération internationale (
art. 1er al. 1 CEEJ
), et la Suisse irait à l'encontre de cet objectif en refusant son concours à des Etats parties à la Convention alors qu'elle l'accorderait à d'autres Etats sur la base de son droit autonome (
ATF 117 Ib 55
-56 consid. 1a et les arrêts cités).
3.
Selon l'
art. 3 al. 1 CEEJ
, la Partie requise fera exécuter, dans les formes prévues par sa législation, les commissions rogatoires relatives à une affaire pénale qui lui seront adressées par les autorités judiciaires de la Partie requérante et qui ont pour objet d'accomplir des actes d'instruction ou de communiquer des pièces à conviction, des dossiers ou des documents. Comme l'
art. 24 CEEJ
lui en donnait la possibilité, la France a, dans sa déclaration relative à la Convention, énuméré les autorités devant être considérées comme judiciaires au sens de la CEEJ. Comme le relève la Chambre d'accusation, la COB ne fait pas partie de ces autorités. Il n'en résulte toutefois pas que l'entraide doive être refusée pour ce seul motif; il convient au contraire, comme on l'a vu, d'examiner si elle peut être accordée au regard du droit autonome, soit de l'EIMP.
4.
En vertu des art. 1er al. 1 let. b et 63 al. 3 EIMP, l'entraide judiciaire ne peut être accordée que pour les besoins d'une procédure pénale. La Chambre d'accusation a considéré que la COB ne pouvait être assimilée à une autorité pénale.
a) En annexe à sa demande d'entraide, la COB produit un document définissant l'étendue de ses pouvoirs. Autorité administrative indépendante exerçant la surveillance des marchés financiers, la COB a la compétence de procéder à des "enquêtes administratives" en interrogeant toute personne susceptible de lui fournir des informations, en se faisant remettre tous documents jugés utiles et en pouvant accéder aux locaux à usage commercial (art. 5B de l'ordonnance n. 67-833 du 28 septembre 1967 instituant une commission des opérations de bourse et relative à l'information des porteurs de valeurs mobilières et à la publicité de certaines opérations de bourse - ci-après: l'ordonnance). Depuis le 2 août 1989, l'ordonnance lui donne en outre le pouvoir de perquisitionner en tous lieux, de saisir des documents ou de séquestrer des avoirs. Ces mesures ne peuvent toutefois avoir lieu qu'avec l'autorisation du Président du Tribunal de grande instance géographiquement compétent, et sont exécutées sous le contrôle du juge (art. 5ter et 8-1 de l'ordonnance).
BGE 118 Ib 457 S. 460
Le rapport d'enquête de la COB est ensuite transmis au Ministère public, qui peut décider de l'ouverture d'une instruction préparatoire, ou, lorsqu'il ne s'agit pas d'un crime, saisir directement le tribunal compétent. La COB peut aussi intervenir, à titre consultatif, auprès des tribunaux.
b) Selon la jurisprudence, il n'est pas nécessaire, pour que la Suisse collabore au sens de l'
art. 1er EIMP
, que l'Etat requérant ait ouvert une procédure judiciaire proprement dite contre les personnes impliquées; l'entraide peut être accordée à une autorité non judiciaire, voire une autorité administrative menant une enquête préparatoire, à condition que cette enquête soit susceptible d'aboutir au renvoi des personnes impliquées devant un tribunal compétent pour réprimer les infractions qui leur sont reprochées (
ATF 116 Ib 455
consid. 3a, 113 Ib 270 consid. 5a). Dans la mesure où, à l'issue de son enquête, la COB pourra recommander au Ministère public d'engager des poursuites et d'ouvrir une procédure judiciaire pouvant aboutir à la condamnation à une des peines prévues à l'art. 10-1 de l'ordonnance, cette condition est satisfaite.
c) Selon l'art. 9-2 de l'ordonnance, la COB peut également réprimer les pratiques contraires à ses règlements par une sanction pécuniaire ne pouvant excéder dix millions de francs ou, lorsque des profits ont été réalisés, par une sanction pécuniaire qui ne peut excéder le décuple de leur montant. La sanction est fixée, au terme d'une procédure contradictoire, en fonction de la gravité des manquements et des profits obtenus. Il n'est pas besoin en l'espèce d'examiner si ce type de procédure pourrait donner lieu à l'entraide, car la demande n'envisage pas l'application de l'art. 9-2 de l'ordonnance, mais de l'art. 10-1, disposition dont le caractère pénal n'est pas contestable.
5.
La Chambre d'accusation relève que les actes d'entraide sollicités, soit notamment la saisie de documents, ne peuvent avoir lieu, en France, qu'avec l'autorisation du juge compétent. Donner suite à la demande présentée directement par la COB reviendrait, selon la cour cantonale, à lui accorder en Suisse des pouvoirs d'investigation qu'elle n'aurait pas, dans les mêmes conditions, en droit français.
En vertu de l'
art. 76 let
. c EIMP, les demandes d'entraide tendant à une fouille, une perquisition ou une saisie doivent être accompagnées d'une attestation établissant leur licéité dans l'Etat requérant. Cette norme est destinée à empêcher que la voie de l'entraide judiciaire ne permette à l'Etat requérant d'obtenir de la Suisse des mesures de contrainte qu'il ne pourrait pas imposer sur son propre territoire. Pour que ce but soit atteint, il ne suffit pas d'établir, de manière abstraite,
BGE 118 Ib 457 S. 461
que de telles mesures de contrainte seraient possibles, mais il convient aussi de prouver que les conditions en sont remplies dans le cas particulier. Ainsi, lorsque dans une enquête de telles mesures sont subordonnées à l'autorisation d'une autorité, il est nécessaire que celle-ci soit donnée pour que l'entraide judiciaire puisse être accordée. L'exigence de l'
art. 76 let
. c EIMP est, à l'instar des indications et documents prévus à l'
art. 28 EIMP
, d'une condition de forme dont l'irrespect n'entraîne pas automatiquement le rejet de la demande; l'Etat requérant peut être appelé en cours de procédure à y remédier. En l'espèce, l'Etat requérant devra être invité à indiquer si les actes requis sont, comme cela semble ressortir des textes précités du droit français, soumis à une autorisation judiciaire; si tel est le cas, cette autorisation devra être produite.
6.
Sur le vu de ce qui précède, le recours de l'OFP doit être admis, au sens des considérants. L'OFP est invité à fixer aux autorités requérantes un délai pour fournir les indications et, le cas échéant, l'autorisation judiciaire nécessaires. En l'état, la cause est renvoyée à la Chambre d'accusation, pour que cette dernière statue, en temps voulu, sur les autres objections qui lui étaient soumises par l'intimé (en particulier au sujet de la condition de la double incrimination). | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
38dc3c04-7368-4456-aed1-5ce6a0cca226 | Urteilskopf
108 III 114
32. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 17. Dezember 1982 i.S. Schweizerische Kreditanstalt (Rekurs) | Regeste
Arrestvollzug; Legitimation zur Beschwerde.
Beschwerde gegen die Arrestierung von Vermögenswerten, von denen der Gläubiger selbst nicht behauptet, dass sie dem Schuldner gehören.
Die Bank ist als Drittinhaberin der mit Arrest belegten Vermögensstücke zur Beschwerde legitimiert, selbst wenn sie die Auskunft über das Vorhandensein von Arrestgegenständen verweigert, da insoweit eine Auskunftspflicht nicht besteht (E. 2).
Materielle Prüfung der Beschwerde (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 115
BGE 108 III 114 S. 115
A.-
Am 26. Januar 1982 erwirkte die Parabole S.A. beim Einzelrichter im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Zürich gegen die Société Siag Hôtels-Tourisme einen Arrestbefehl. Gestützt darauf arrestierte das Betreibungsamt Zürich 1 am folgenden Tag bei der Schweizerischen Kreditanstalt
"sämtliche Vermögenswerte der Arrestschuldnerin oder eines ihrer
Stellvertreter oder Treuhänder, insbesondere der Herren Elie Siag, Waguih
Siag oder R. Siag, insbesondere ... bereits eingereichte oder künftig noch
einzureichende Akkreditivdokumente, gegenwärtige oder zukünftige Ansprüche
aus Akkreditiven, ... alle sonstigen Konten und Ansprüche, soweit auf den
Namen der Arrestschuldnerin oder der Herren Elie, Waguih oder R. Siag oder
auf Nummern oder Decknamen bzw. Codebezeichnung lautend, über welche die
Arrestschuldnerin oder die Herren Elie, Waguih oder R. Siag bevollmächtigt
sind oder von denen der Bank sonst bekannt ist oder bekannt sein müsste,
dass sie der Arrestschuldnerin zustehen."
B.-
Gegen den Arrestvollzug beschwerten sich die Schweizerische Kreditanstalt einerseits sowie Elie, Waguih und R. Siag anderseits beim Bezirksgericht Zürich als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Sie machten im wesentlichen geltend, der Arrest erfasse nicht nur Vermögenswerte der Arrestschuldnerin, sondern auch solche Dritter. Insbesondere seien Vermögenswerte arrestiert worden, die Elie, Waguih und R. Siag persönlich gehörten. Die Schweizerische Kreditanstalt beanstandete überdies die Umschreibung des Arrestgegenstands, soweit dieser Akkreditvdokumente und Ansprüche aus Akkreditiven betrifft. Mit Entscheid vom 11. Juni 1982 wies das Bezirksgericht die Beschwerden ab.
Gegen diesen Entscheid rekurrierte die Schweizerische Kreditanstalt an das Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde. Dieses wies den Rekurs mit Entscheid vom 20. September 1982 ab und trat auf die Beschwerde nicht ein.
C.-
Die Schweizerische Kreditanstalt hat den Entscheid des Obergerichts mit Rekurs bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts angefochten. Sie stellt folgenden Antrag:
BGE 108 III 114 S. 116
"1. Es sei der Beschluss II. ZK. Nr. 31 SchK/82 aufzuheben und es sei die
Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
2. Eventuell: Es sei der Beschluss II. ZK. Nr. 31 SchK/82 aufzuheben
und es sei der Vollzug des Arrests Nr. 18 des Betreibungsamtes Zürich 1 vom
26. Januar 1982 als nichtig zu erklären bzw. als ungültig aufzuheben,
soweit der Arrestvollzug
a) Vermögenswerte erfasst, die einem Stellvertreter oder einem
Treuhänder der Arrestschuldnerin gehören;
b) sonstige Konten und Ansprüche erfasst, über welche die
Arrestschuldnerin oder die Herren Elie Siag, Waguih Siag bzw. R. Siag
bevollmächtigt sind;
c) bereits eingereichte oder künftig noch einzureichende
Akkreditivdokumente erfasst, denen kein Wert- bzw. Warenpapiercharakter
zukommt und die nicht zusammen mit Wert- bzw. Warenpapieren verarrestiert
werden, die sich auf dasselbe Akkreditiv beziehen."
Die Gläubigerin sowie das Betreibungsamt Zürich 1 haben sich nicht vernehmen lassen.
Mit Verfügung vom 19. Oktober 1982 wurde dem Rekurs aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz hat ihren Entscheid damit begründet, die Rekurrentin habe trotz ausdrücklicher Aufforderung durch das Betreibungsamt jegliche Auskunft darüber verweigert, ob und welche Arrestgegenstände sie in ihrem Gewahrsam halte. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass sich bei ihr gar keine Vermögenswerte der Arrestschuldnerin befänden. Sollte dies zutreffen, hätte sie kein rechtliches Interesse daran, die Zulässigkeit des Arrestvollzugs überprüfen zu lassen. Indem die Rekurrentin ihrer gesetzlichen Auskunftspflicht nicht nachgekommen sei, habe sie den Aufsichtsbehörden verunmöglicht, die Frage des Rechtsschutzinteresses zu prüfen. Es sei rechtsmissbräuchlich, einen Entscheid über einen möglicherweise gar nicht existierenden Streitgegenstand zu verlangen, weshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten sei.
2.
Soweit mit der Beschwerde geltend gemacht wird, der Arrest erfasse auch Vermögenswerte, von denen die Gläubigerin selbst nicht behaupte, dass sie rechtlich der Arrestschuldnerin gehörten, kann dieser Begründung nicht gefolgt werden. Zwar ist richtig, dass sich Banken als Drittinhaber von mit Arrest belegten Vermögensstücken der Auskunftspflicht gegenüber den Betreibungsbehörden nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht unter
BGE 108 III 114 S. 117
Berufung auf das Bankgeheimnis widersetzen dürfen (
BGE 104 III 50
,
BGE 103 III 92
E. 1, mit Hinweisen). Behauptet jedoch eine Bank wie im vorliegenden Fall, es seien Vermögensstücke beschlagnahmt worden, die ganz offensichtlich, nach der eigenen Darstellung der Arrestgläubigerin, nicht dem Arrestschuldner gehörten, so kann von ihr nicht verlangt werden, über das Vorhandensein von solchen Vermögensstücken Auskunft zu erteilen. Die Auskunftspflicht der Bank kann sich nicht auf Vermögen beziehen, das Drittpersonen gehört, die nicht in das Betreibungsverfahren einbezogen sind, es sei denn, das Vermögen stehe in Wirklichkeit dem Schuldner zu und laute nur dem Namen nach auf den Dritten. Gewahrsamsinhaber von mit Arrest belegten Vermögensstücken haben ein schützenswertes Interesse daran, ihre Geschäftsbeziehungen zu Dritten, gegen die im Arrestbewilligungsverfahren keine Forderung glaubhaft gemacht worden ist, nicht aufdecken zu müssen. Geht man aber davon aus, so ist der Argumentation der Vorinstanz der Boden entzogen. Trifft es nämlich zu, dass vom Arrest auch Vermögensstücke Dritter erfasst werden, wie die Rekurrentin geltend macht, so ist diese nach dem Gesagten insoweit nicht auskunftspflichtig. Alsdann kann ihr aber auch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten zur Last gelegt werden, wenn sie die Auskunft über das Vorhandensein von Arrestgegenständen verweigert, gleichzeitig aber die Aufhebung des Arrestvollzugs verlangt, soweit er Vermögenswerte Dritter erfasst. Die Vorinstanz hätte daher diesbezüglich auf die Beschwerde eintreten müssen (vgl. auch
BGE 103 III 37
E. 1). Dazu hätte um so mehr Anlass bestanden, als die Arrestierung von Vermögenswerten, die vom Gläubiger selbst als Eigentum Dritter bezeichnet werden, wie dies nach der Behauptung der Rekurrentin hier der Fall ist, nach der Rechtsprechung schlechthin nichtig ist (
BGE 107 III 38
und 102, mit Hinweisen).
Anders verhält es sich indessen, soweit mit der Beschwerde die Frage aufgeworfen wird, wie weit Akkreditivdokumente mit Arrest belegt werden dürfen. Diese Frage lässt sich ohne Kenntnis der in Betracht fallenden Dokumente nicht beantworten. Die Rekurrentin hat jedoch die Auskunft über die allenfalls vom Arrest erfassten Akkreditivdokumente verweigert, ohne hiefür ein schutzwürdiges Interesse anführen zu können. Damit hat sie die Beurteilung der Frage des Arrestierbarkeit dieser Dokumente selbst verunmöglicht. In dieser Beziehung ist die Vorinstanz daher zu Recht nicht auf die Beschwerde eingetreten.
BGE 108 III 114 S. 118
3.
Soweit auf die Beschwerde einzutreten ist, erweist sie sich indessen als unbegründet. Die Umschreibung der Arrestgegenstände in der Arresturkunde ist freilich missverständlich. Sie verleitet auf den ersten Blick zur Annahme, der Arrest erfasse auch Vermögen von Stellvertretern oder Treuhändern der Arrestschuldnerin, was offensichtlich unzulässig wäre (vgl.
BGE 107 III 104
/105,
BGE 106 III 89
). Das ist jedoch nicht der Sinn der Urkunde. Zwar ist am Anfang ganz allgemein von den Vermögenswerten der Stellvertreter oder Treuhänder der Arrestschuldnerin die Rede. Am Schluss heisst es jedoch, der Arrest beschlage "alle sonstigen Konten und Ansprüche, soweit auf den Namen der Arrestschuldnerin oder der Herren Elie, Waguih oder R. Siag oder auf Nummern oder Decknamen bzw. Codebezeichnungen lautend, über welche die Arretschuldnerin oder die Herren Elie, Waguih oder R. Siag bevollmächtigt sind oder von denen der Bank sonst bekannt ist oder bekannt sein müsste, dass sie der Arrestschuldnerin zustehen". Dieser Formulierung lässt sich entnehmen, dass die Gläubigerin nicht das Vermögen der Treuhänder und Bevollmächtigten der Arrestschuldnerin als solches mit Arrest belegen lassen wollte, sondern dass sie dieses auf den Namen Dritter lautende Vermögen als in Wirklichkeit der Arrestschuldnerin zugehörig betrachtet. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, es wolle offensichtlich und auch nach Meinung der Gläubigerin Drittvermögen beschlagnahmt werden. Was die Stellung der Rekurrentin anbetrifft, so wird von ihr im Ergebnis wie in
BGE 96 III 110
E. 3 nur verlangt, dass sie jene Guthaben sperre, von denen sie weiss oder wissen muss, dass sie der Arrestschuldnerin gehören, auch wenn sie auf den Namen eines Dritten lauten. Es besteht daher kein Anlass, den Arrestvollzug in dem von der Rekurrentin beantragten Sinn einzuschränken. Immerhin ist dem Betreibungsamt zu empfehlen, bei der Umschreibung der Arrestgegenstände in Zukunft eine weniger missverständliche Formulierung zu wählen.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
38dd3eec-e8b1-4ba2-950d-051e6cdd50d8 | Urteilskopf
89 II 67
13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Februar 1963 i.S. V. gegen G. und deren Kind Y.G. | Regeste
Vaterschaftsklage.
Art. 314 Abs. 1 und 2 ZGB
.
Entkräftung der wegen Verkehrs der Mutter mit einem Dritten erhobenen Einrede durch den Nachweis, dass dessen Vaterschaft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist.
Bestätigung des kantonalen Urteils, das diesen Nachweis bejaht auf Grund eines serologischen Gutachtens, wonach beim gegenwärtigen Stande der Forschung (abweichend von der dem Falle von
BGE 84 II 669
ff. zu Grunde liegenden Begutachtung) die Vaterschaft sich auf Grund der Bestimmung der A - Untergruppen A1 und A2 - unter gewissen im vorliegenden Falle nicht Platz greifenden Vorbehalten - mit dem erforderlichen Grade der Sicherheit ausschliessen lässt. | Erwägungen
ab Seite 67
BGE 89 II 67 S. 67
Erwägungen:
Der Beklagte hält die Einrede des unzüchtigen Lebenswandels der Klägerin 1 (
Art. 315 ZGB
) nicht aufrecht, ist aber nach wie vor der Ansicht, die Klage müsse nach
BGE 89 II 67 S. 68
Art. 314 Abs. 2 ZGB
wegen des nachgewiesenen Verkehrs der Klägerin 1 mit einem Dritten, F. E., abgewiesen werden. Dessen Vaterschaft lasse sich nicht, wie es der Experte und das Obergericht annehmen, mit rechtlich genügender Sicherheit ausschliessen. Ob die gesetzlichen Beweisanforderungen erfüllt seien, habe das Bundesgericht als Rechtsfrage nachzuprüfen. Darüber habe der Experte und der Tatsachenrichter keine das Bundesgericht bindende tatsächliche Feststellung treffen können. Nun sei seinerzeit ein bloss auf der Bestimmung der A- Untergruppen des ABO-Systems beruhender Vaterschaftsausschluss als nicht genügend beweiskräftig erachtet worden (
BGE 84 II 669
ff.). Seither habe sich nichts ereignet, was eine andere Bewertung rechtfertigen würde.
a) Bei nachgewiesenem, in die kritische Zeit fallendem Mehrverkehr kann die Vaterschaftsklage nur zugesprochen werden, wenn der Dritte mit äusserster, an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Vater auszuschliessen ist. Für diesen Ausschluss des Dritten gelten die gleichen strengen Anforderungen wie für den Ausschluss des Beklagten selbst, dessen Vaterschaft nach
Art. 314 Abs. 1 ZGB
zu vermuten ist (vgl.
BGE 82 II 265
ff.). An dieser Rechtsprechung hat das Bundesgericht gegenüber abweichenden Ansichten (vgl. MERZ in ZbJV 94 S. 17 ff.) festgehalten (
BGE 84 II 676
). Die Vermutung der Vaterschaft des Beklagten lebt also nur dann wieder auf, wenn der Dritte (F. E.) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Vater des Kindes Y. G. ausgeschlossen werden kann.
b) Davon geht nicht nur das Obergericht, sondern auch der von ihm beauftragte, mit den gesetzlichen Beweisanforderungen vertraute Experte Dr. A. Hässig aus, dessen Fachkunde ausser Zweifel steht und übrigens auch vom Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird. Das Gutachten kommt eben zum Schlusse, der Dritte F. E. sei (einzig) auf Grund der Bestimmung der A- Untergruppen A1 und A2 - unter der Voraussetzung einer sicher erwiesenen Mutterschaft
BGE 89 II 67 S. 69
der Klägerin 1 - "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" als Vater der Klägerin 2 auszuschliessen. Den Darlegungen des Experten ist zu entnehmen, dass den Beteiligten neue Blutproben entnommen wurden. Die A1/A2-Bestimmungen wurden mit mehreren absorbierenden B-Seren und - neu gegenüber früher - mit einem Extrakt von Dolichos biflorus vorgenommen. Das Ergebnis war eindeutig. Es ergaben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Intermediärform. Bei der Würdigung des Beweiswertes eines A- Untergruppen-Ausschlusses hebt der Experte hervor, ein Blutgruppensystem dürfe forensisch nur verwertet werden, wenn sein Erbgang sicher feststehe und die serologische Untersuchungstechnik gestatte, Fehlbestimmungen praktisch unmöglich zu machen. Neuerdings verwende man für die Differenzierung der beiden Untergruppen der Blutgruppe A häufig gewisse Pflanzenextrakte, z.B. solche von Dolichos biflorus-Samen, welche spezifisch mit A1-Blutkörperchen reagieren und dadurch auf einfachste Weise eine sichere A-Untergruppendifferenzierung erlaubten. Die Absorptionsversuche würden, seitdem die spezifischen Pflanzenextrakte zur Verfügung stünden, nur mehr in besondern Fällen zur Sicherung der A-Untergruppen-Diagnose herangezogen, im Sinn einer Bestätigungsreaktion. Die Zuordnung der Blutgruppen gelinge heute in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle einwandfrei. Wo dies nicht zutreffe, erfolge die Zuordnung zur Gruppe der Intermediärformen. Wenn man sich davor hüte, Intermediärformen und A2B-Blutproben (zu letztern wird eine besondere Erklärung gegeben) willkürlich zu klassieren, so seien nach seiner Überzeugung bei Bestätigung der Untersuchungsergebnisse durch einen erfahrenen Zweituntersucher Fehlbestimmungen nicht häufiger als bei forensischen MN-, Rhesusfaktor- oder Kellbestimmungen. Einem lege artis untersuchten A1A2-Ausschluss sei, mit der erwähnten Einschränkung, im Vaterschaftsprozess und im Prozess auf Anfechtung der Ehelichkeit das Prädikat der an Sicherheit grenzenden
BGE 89 II 67 S. 70
Wahrscheinlichkeit zuzuerkennen. In den weitern Ausführungen weist der Experte auf die übereinstimmende Beurteilung durch andere Blutgruppenexperten hin (Skandinavier; Dr. E. Hardmeier, Zürich). Im vorliegenden Falle seien alle Voraussetzungen für eine einwandfreie Bestimmung gegeben.
c) Welchen Grad der Zuverlässigkeit die Ergebnisse einer naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethode bieten können und welcher Sicherheitsgrad im gegebenen Einzelfall erreicht sei, ist eine naturwissenschaftliche Frage, die der Sachverständige zu beantworten hat. Gewiss steht es dem Tatsachenrichter zu, den Expertenbefund auf seine Schlüssigkeit zu prüfen, soweit er dazu in der Lage ist. Übernimmt aber das kantonale Gericht die Schlussfolgerung des Gutachtens, der zu beweisende Sachverhalt sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben, so kann das Bundesgericht nur nachprüfen, ob es angesichts der Grundlagen, auf die sich dieser Schluss stützt, vertretbar sei, von einer derartigen Wahrscheinlichkeit zu sprechen, oder ob dieser Beurteilung des Grades der Zuverlässigkeit der Untersuchungsergebnisse eine Verkennung des Begriffes der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit und damit ein Irrtum über die gesetzlichen Anforderungen an den zu leistenden Beweis zu Grunde liegen müsse (vgl.
BGE 87 II 71
Erw. 3).
Das vorliegende Beweisergebnis, wie es das Obergericht auf Grund des Sachverständigenbefundes feststellt, lässt sich unter diesem rechtlichen Gesichtspunkte nicht beanstanden. Wie das Obergericht zutreffend bemerkt, stand die Zuverlässigkeit des A-Untergruppenausschlusses schon 1958 "auf der Schwelle der forensischen Verwertbarkeit" (vgl. die Hinweise auf ein Urteil des deutschen Bundesgerichtshofes vom 17. Dezember 1953 und auf Gutachten des Dr. E. Hardmeier vom 23. Dezember 1949 und 19. Januar 1951 in
BGE 84 II 674
in Verbindung mitBGE 78 II 312/13). Mit dem vorliegenden eingehend begründeten Gutachten vom 26. März 1962 hat Dr. A. Hässig den
BGE 89 II 67 S. 71
früher (vgl.
BGE 84 II 672
/73) eingenommenen Standpunkt, den A-Untergruppen-Ausschlüssen komme "vorläufig" bloss das Prädikat einer "erheblichen bis sehr erheblichen" Wahrscheinlichkeit zu, aufgegeben und dieser Art des Ausschlusses nunmehr den oben umschriebenen höhern, rechtlich zum Ausschluss der Vaterschaft genügenden Grad der Sicherheit zuerkannt "auf Grund des heutigen Standes der Blutserologie und Genetik der A-Untergruppen". Damit ist diese Ausschlussmethode - und zwar für sich allein, ohne Kombination mit andern Ausschlussfaktoren (wozu vgl.
BGE 78 II 316
) - forensisch verwertbar geworden. Hervorzuheben sind die Voraussetzungen und Vorbehalte, an die der Experte seinen grundsätzlichen Befund knüpft:
"Fälle, bei denen die A-Untergruppenzugehörigkeit der beteiligten Individuen nicht eindeutig festgelegt werden kann, bei denen also eine Intermediärform festgestellt wird, dürfen forensisch nicht verwertet werden.
"Fälle, bei denen der Ausschluss darauf beruht, dass eine der beteiligten Personen der Gruppe A2B angehört, sind wegen der erwähnten Hemmwirkung der Blutgruppe B auf die Ausprägung der Blutgruppe A mit Zurückhaltung zu beurteilen; es sollte ihnen lediglich das Prädikat der "erheblichen bis sehr erheblichen Wahrscheinlichkeit" zuerkannt werden.
"Fälle, bei denen der Ausschluss darauf beruht, dass das Kind die A-Untergruppe A2 aufweist, sind wegen der Möglichkeit einer verzögerten Reifung der A-Eigenschaft ebenfalls mit Zurückhaltung zu beurteilen. Es ist zu empfehlen, in solchen Fällen die Untersuchung zu Beginn des zweiten Lebensjahres des Kindes zu wiederholen."
Hier liegt indessen nach Feststellung des Experten keiner dieser Fälle vor, und die Untersuchung ist zweifellos in fachgerechter Weise vorgenommen worden. Es lässt sich nicht bemängeln, dass der Experte den A-Untergruppen-Ausschlüssen einen höhern Grad von Sicherheit zuerkennt als vor einigen Jahren. Diese veränderte Stellungnahme beruht auf den Fortschritten der wissenschaftlichen Erkenntnis, wie sie dank der Verbesserung der Forschungsmittel erzielt worden sind. Der Fortschritt der Wissenschaft darf nicht bloss, sondern soll auch in der Gutachtertätigkeit seinen Niederschlag finden (vgl. HUMMEL,
BGE 89 II 67 S. 72
Die medizinische Vaterschaftsbegutachtung mit biostatistischem Beweis, 1961, S. 48 Mitte). Die Rechtsprechung hat der Entwicklung und Vervollkommnung der Grundlagen naturwissenschaftlicher Begutachtung zu folgen. Dass der A-Untergruppen-Ausschluss nun den vom Experten dargelegten höhern Beweiswert erlangt hat, ist zu beachten, auch wenn die Höherbewertung dieses Beweises sich einzig auf die Wirkungen eines die Untersuchung erleichternden und die Ergebnisse sicherer gestaltenden Pflanzenextraktes stützt. Zu einer Ergänzung der Expertise mit Rücksicht auf die vom Beklagten aufgeworfenen Zweifelsfragen besteht von Bundesrechts wegen keine Veranlassung, nachdem der entscheidende Ausschlussbeweis gemäss rechtlich einwandfreier Feststellung des Obergerichts erbracht ist. Infolgedessen erweist sich der betreffende Mehrverkehr als bedeutungslos, und die Vermutung der Vaterschaft des Beklagten ist daher nicht entkräftet. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
38e309dd-7566-47eb-9f21-138fcb378d53 | Urteilskopf
97 I 79
13. Arrêt de la Ire Cour civile du 26 janvier 1971 dans la cause Interfood SA contre Bureau fédéral de la propriété intellectuelle. | Regeste
Art. 3 Abs. 2 und 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG.
Der Name einer Stadt im Ausland ist als Gemeingut anzusehen und darf nicht als Marke eingetragen werden, wenn er ein Hinweis für die Herkunft der Ware sein kann.
Unzulässigkeit der Marke "Cusco" (peruanische Stadt und Provinz, Kakaoproduzenten) für Schokolade und Kakao. | Sachverhalt
ab Seite 79
BGE 97 I 79 S. 79
A.-
La société Suchard Holding S.A, dont le siège est à Lausanne, a déposé le 24 juillet 1970 auprès du Bureau fédéral de la propriété intellectuelle à Berne des demandes d'enregistrement des marques "Cusco" et "Cusko" pour désigner les produits suivants: chocolat, cacao, articles de confiserie et de pâtisserie.
Le Bureau fédéral a rejeté ces demandes par décision du 5 octobre 1970; il fait valoir que, Cuzco étant le nom d'une ville du Pérou, les marques proposées constituent une indication de provenance.
B.-
Interfood SA, nouvelle raison sociale de Suchard Holding SA, a formé le 4 novembre 1970 devant le Tribunal fédéral un recours de droit administratif contre le refus d'enregistrement des deux marques; elle allègue que le grand public ignore le nom de la ville péruvienne de Cuzco et que le Pérou n'est pas connu comme pays exportateur de cacao; elle fait valoir enfin que l'Office allemand des marques a admis les marques "Cusco" et "Cusko".
Le Bureau fédéral conclut au rejet du recours.
BGE 97 I 79 S. 80
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En vertu des art. 3 et 14 al. 1 ch. 2 LMF, le Bureau fédéral doit refuser l'enregistrement d'une marque lorsque celle-ci comprend comme élément essentiel un signe devant être considéré comme étant du domaine public ou lorsqu'elle est contraire aux bonnes moeurs. Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral (RO 93 I 571 et les précédents cités), une marque est contraire aux moeurs lorsqu'elle est de nature à induire en erreur le consommateur suisse moyen. Dès lors n'est pas admissible une marque comprenant une désignation géographique de nature à tromper le public sur la provenance de la marchandise. C'est un fait d'expérience que la désignation géographique éveille chez le consommateur l'idée que le produit qu'elle couvre provient du pays désigné. Aussi bien, la désignation géographique ne peut-elle être admise que lorsqu'elle a manifestement un caractère de fantaisie et qu'elle ne peut être comprise comme une indication de provenance.
2.
Cuzco (ou Cusco) est le nom de l'une des principales villes du Pérou, peuplée de 80 000 habitants environ. Elle a été le point de départ de l'expansion des Incas et la capitale de leur empire. En 1533, Pizzarro, conquistador espagnol, conquit le Pérou, et Cuzco devint par la suite un des grands centres de l'Amérique espagnole. Incas et Espagnols ont laissé à la ville de Cuzco un riche patrimoine historique et artistique. Actuellement, chef-lieu du département du même nom qui compte 828 000 habitants, Cuzco est connue notamment en raison de ses industries alimentaires et textiles (Grand Larousse encyclopédique, tome 3, p. 725). Le Pérou en général et Cuzco en particulier produisent du cacao et fabriquent du chocolat (Encyclopedia Britannica, vol. 6, 1961, p. 912).
Dans ces conditions, la marque "Cusco" (ou "Cusko") pour désigner du chocolat, du cacao, des articles de confiserie et de pâtisserie, constitue une indication géographique dépourvue de tout caractère de fantaisie. Le fait que du cacao est cultivé dans les environs de Cuzco et qu'il existe dans cette ville une fabrique de chocolat, si peu importante soit-elle, a pour conséquence que ce nom appartient au domaine public. Il n'est pas admissible qu'une entreprise puisse monopoliser à son profit une indication qu'un concurrent pourrait également utiliser pour indiquer la provenance de ses produits. Admettre
BGE 97 I 79 S. 81
le point de vue de la recourante reviendrait à empêcher tout fabricant de chocolat de mentionner l'origine du cacao contenu dans ses produits. Ce nom, qui est du domaine public, doit demeurer disponible pour quiconque veut fabriquer des produits contenant du cacao provenant de Cuzco et de sa région.
Certes, il est peu vraisemblable que la ville et le département de Cuzco soient actuellement exportateurs de cacao, et le grand public suisse ignore même peut-être leur existence et leurs ressources. Mais le développement rapide du tourisme aura pour effet que le Pérou et ses villes principales, dont Cuzco, seront de plus en plus connus de la population suisse. Le nom de Cuzco correspondra alors à une indication de provenance; il importe que cette désignation, considérée comme étant du domaine public, ne soit pas le bien personnel d'une entreprise. Le recours doit donc être rejeté.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
38e3e258-9776-4746-b630-af76cf5be2df | Urteilskopf
109 V 278
50. Sentenza del 15 dicembre 1983 nella causa Ufficio federale dell'industria, delle arti e mestieri e del lavoro contro Silvio e Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino | Regeste
Art. 114 Abs. 2 OG
.
Ist die von der Verwaltung erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom Eidg. Versicherungsgericht gutgeheissen und die Sache zu weiterer Abklärung und neuem Entscheid an die gerichtliche Vorinstanz zurückgewiesen worden, so befindet sich der Versicherte dort wiederum in der Parteirolle des Beschwerdeführers und ist damit berechtigt, seine Beschwerde zurückzuziehen, um eine "reformatio in pejus" zu verhindern. | Sachverhalt
ab Seite 278
BGE 109 V 278 S. 278
A.-
Mediante decisione del 4 febbraio 1981, la Cassa di disoccupazione del Sindacato edilizia e legno ha sospeso per la durata di 6 giorni il diritto all'indennità di Ettore Silvio addebitandogli, a titolo di colpa leggera, il rifiuto di un'occupazione adeguata.
Adito dall'assicurato, il Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino, con giudizio 8 aprile 1981, ha annullato il provvedimento amministrativo per il fatto che l'occupazione sarebbe stata inadeguata dal profilo medico.
L'Ufficio federale dell'industria, delle arti e mestieri e del lavoro
BGE 109 V 278 S. 279
ha proposto contro il giudizio cantonale ricorso di diritto amministrativo. Per sentenza 2 marzo 1982 il Tribunale federale delle assicurazioni, in annullamento del giudizio querelato, ha rinviato gli atti al Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino assegnando a questa autorità il compito di accertare se nel periodo di disoccupazione esisteva idoneità al collocamento, ritenuto che, se il presupposto fosse stato ammesso, giustificata sarebbe stata una sanzione per colpa di certa gravità.
B.-
Il Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino, ricevuti gli atti in seguito al rinvio, ha indirizzato tramite il giudice delegato una lettera all'assicurato in cui si metteva in risalto che i considerandi della sentenza del Tribunale federale delle assicurazioni lasciavano intravvedere l'eventualità di una "reformatio in pejus", per cui gli era assegnato un termine per comunicare se egli intendesse mantenere il gravame o per prendere posizione sulla ventilata riforma a suo danno.
L'interessato ha ritirato il gravame. Con decreto 7 maggio 1982 il Presidente del Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino ha stralciato la causa dal ruolo a seguito di desistenza.
C.-
L'Ufficio federale dell'industria, delle arti e mestieri e del lavoro interpone un ricorso di diritto amministrativo contro il decreto di stralcio chiedendone l'annullamento e il rinvio degli atti al Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino per ulteriori accertamenti e nuova decisione conformemente ai considerandi del Tribunale federale delle assicurazioni. Secondo il ricorrente la precedente istanza sarebbe partita dal presupposto che la decisione amministrativa riacquistava validità dopo l'annullamento del primo giudizio cantonale. Ma dalla sentenza del Tribunale federale delle assicurazioni emergeva che l'istanza cantonale avrebbe dovuto esaminare da un lato l'idoneità al collocamento per decidere poi o il rifiuto della prestazione oppure una sospensione nell'ambito della colpa di certa gravità. La decisione amministrativa quindi non avrebbe potuto riacquistare validità. In particolare l'istanza cantonale era vincolata dalla decisione di rinvio e non poteva ignorare le direttive del Tribunale federale delle assicurazioni, nemmeno nell'ipotesi della "reformatio in pejus". In caso contrario, sempre secondo l'Ufficio federale dell'industria, delle arti e mestieri e del lavoro, la procedura di diritto amministrativo sarebbe stata effettuata vanamente. Il ricorrente adduce, quale ufficio legittimato a ricorrere, di essere interessato al fatto che l'istanza cantonale componga la controversia in una sentenza di merito
BGE 109 V 278 S. 280
e non già in un decreto procedurale. Quindi con l'annullamento del giudizio precedente non poteva prodursi la situazione esistente prima dello stesso. Infatti, esso ufficio aveva nel frattempo, in veste di ricorrente, quindi di parte, portato la controversia davanti al Tribunale federale delle assicurazioni: in detto stadio di procedura l'assicurato non era più ricorrente e quindi non era più in condizione di ritirare il gravame per evitare una "reformatio in pejus". Decidere in altro modo, conclude il ricorrente, sarebbe sottrarre all'Ufficio federale dell'industria, delle arti e mestieri e del lavoro la possibilità di esercitare il suo mandato di vigilanza.
L'intimato non ha presentato risposta al gravame.
Erwägungen
Diritto:
1.
Il decreto di stralcio reso dall'istanza cantonale configura una decisione ai sensi dell'art. 97 cpv. 1 e dell'
art. 128 OG
, come pure dell'
art. 5 PA
: esso può pertanto essere oggetto di ricorso di diritto amministrativo (cfr. RJAM 1975 No 212 pag. 51). Giusta l'art. 103 lett. c OG e l'art. 55 LAD l'Ufficio federale dell'industria, delle arti e mestieri e del lavoro è legittimato a proporre ricorso di diritto amministrativo al Tribunale federale delle assicurazioni.
L'Ufficio federale aveva pertanto diritto di aggravarsi contro il decreto di stralcio 7 maggio 1982 del Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino.
2.
Questa Corte, a modifica di precedente giurisprudenza, ha nella sentenza pubblicata in
DTF 97 V 251
ammesso che a un ricorrente è lecito ritirare il ricorso per ovviare alle conseguenze di una "reformatio in pejus". Tale facoltà riconosciuta alla parte costituisce una ipotesi di applicazione del principio di disposizione, il quale assegna alle parti il dominio dell'oggetto del processo. Il ritiro del ricorso esplica gli effetti della desistenza dalla causa e comporta la crescita in giudicato della decisione impugnata (
DTF 107 V 247
consid. 1a).
Nell'evenienza concreta l'Ufficio federale dell'industria, delle arti e mestieri e del lavoro afferma in sostanza che essendo l'assicurato in seguito al ricorso di diritto amministrativo interposto da esso ufficio contro il giudizio del Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino diventato intimato, egli più non poteva acquistare la veste di ricorrente successivamente al rinvio del Tribunale federale delle assicurazioni e che quindi non era legittimato a ritirare il ricorso a quello stadio della procedura.
BGE 109 V 278 S. 281
Quest'opinione non può essere condivisa. Infatti, il Tribunale federale delle assicurazioni ritiene che nel caso di accoglimento di un ricorso di diritto amministrativo, proposto da un ufficio federale o da un'altra amministrazione, da parte di questo Tribunale con rinvio degli atti all'istanza giudiziaria di primo grado per ulteriore istruttoria e nuovo giudizio ai sensi dei considerandi è lecito al già ricorrente in sede di ricorso di prima istanza e poi intimato in sede federale di ritirare il gravame per evitare una "reformatio in pejus". Con il rinvio della causa da parte del Tribunale federale delle assicurazioni ai giudici di primo grado perché statuiscano di nuovo, le parti ritrovano la situazione processuale che avevano in sede della precedente procedura di ricorso all'autorità giudiziaria di prima istanza. La parte che era intimata in procedura federale ridiventa dunque, in seguito al rinvio determinato dal ricorso di diritto amministrativo di un ufficio federale o di un'altra amministrazione, ricorrente nella nuova procedura davanti ai giudici di prime cure ed è pertanto legittimata a ritirare il gravame. Sempre la Corte ritiene giustificato il fatto che una parte che nell'ambito di una prima procedura non ha ritirato il ricorso goda ancora di questo diritto in una nuova procedura innanzi ai giudici di primo grado al seguito del rinvio della causa da parte del Tribunale federale delle assicurazioni a quest'ultima autorità, dal momento che i primi giudici avrebbero dovuto riconoscere tale diritto alla parte già in sede della precedente procedura, se essi in quella circostanza avessero correttamente apprezzato la situazione. Infine, a nulla può mutare il fatto che l'applicazione del predetto principio sia suscettibile di determinare conseguenze differenti per la parte, a seconda che il Tribunale federale delle assicurazioni rinvii la causa per nuova pronunzia all'autorità giudiziaria di prima istanza, da un lato, o statuisca esso stesso o rinvii all'amministrazione, d'altro lato, quando si consideri che in queste due ultime ipotesi la possibilità di ritirare il ricorso non è data.
In queste condizioni, ritenuto che l'assicurato era legittimato a ritirare il ricorso in sede della nuova procedura davanti ai giudici di prima istanza essendo egli ridivenuto ricorrente, il decreto 7 maggio 1982 del Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino stralciante la causa dal ruolo non è censurabile.
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale delle assicurazioni pronuncia:
Il ricorso di diritto amministrativo è respinto. | null | nan | it | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
38e5bb3d-5ef0-4ad8-93cf-c68ef3cfa19e | Urteilskopf
96 III 62
11. Entscheid vom 31. August 1970 i.S. Israel Leather Fashion Ltd. | Regeste
Zustellung von Betreibungsurkunden im Ausland (Israel) auf diplomatischem Wege (Art. 2 und 5 der Haager Übereinkunft betr. Zivilprozessrecht vom 1. März 1954).
Wer zur Entgegennahme einer für eine juristische Person im Ausland bestimmten Urkunde befugt ist, bestimmt sich nach dem Rechte des um die Zustellung ersuchten ausländischen Staates, dessen Anwendung das Bundesgericht im Rekursverfahren nach
Art. 19 SchKG
nicht zu überprüfen hat.
Unvereinbarkeit des massgebenden ausländischen Rechts mit der schweizerischen Rechtsauffassung? Beweis der Zustellung. | Sachverhalt
ab Seite 62
BGE 96 III 62 S. 62
A.-
Im Arrest- und Betreibungsverfahren des Zoltan Herskovitz in Zürich gegen die Beged-Or Ltd., Leather Garments, in Migdal Ha'emek, Israel, ersuchte das Betreibungsamt Zürich 1 am 30. Dezember 1968 die zuständige Gerichtsstelle, der Schuldnerin die Arresturkunde und den Zahlungsbefehl auf diplomatischem Wege zustellen zu lassen. Am 11. Juni 1969 erhielt es eine vom Director of Courts des Staates Israel beglaubigte Bescheinigung des Bezirksgerichts Tel-Aviv vom 11. Mai 1969, wonach die verlangte Zustellung am 21. April 1969 erfolgt war. Dieser Bescheinigung lag eine eidesstattliche Erklärung des Zustellungsbeamten Eitan Kohn vom 28. April 1969 bei, mit welcher dieser bestätigte, er habe die Urkunden der
BGE 96 III 62 S. 63
in der Ofnat Or Israelit tätigen "Maskira" (Sekretärin) übergeben; diese habe den Empfang bescheinigt.
Da gegen den Zahlungsbefehl kein Rechtsvorschlag erfolgt war, pfändete das Betreibungsamt am 23. Juni 1969 den arrestierten Barbetrag. Die Pfändungsurkunde, in welcher wie schon in der Arresturkunde und im Zahlungsbefehl stand, die der Schuldnerin laufenden Fristen würden gemäss
Art. 66 Abs. 5 SchKG
und
BGE 73 III 27
um 30 Tage verlängert, ging der Schuldnerin am 11. August 1969 zu.
B.-
Am 2. September 1969 führte die "Israel Leather Fashion Ltd., vormals Beged-Or Ltd." Beschwerde mit dem Antrag, die Zustellung der Arresturkunde und des Zahlungsbefehls seien ungültig zu erklären und das Betreibungsamt sei anzuweisen, diese Betreibungsurkunden dem Verwaltungsratspräsidenten oder einem Angestellten der Beschwerdeführerin zuzustellen; die Pfändung sei aufzuheben. Sie machte geltend, sie habe ihre Firma am 20. Mai 1968 von Beged-Or Ltd. in Israel Leather Fashion Ltd. (hebräisch: Ofnat Or Israelit Ba'am) abgeändert; sie habe eine Geschäftsstelle in Tel-Aviv, 31 Lilienblum Street; der Gerichtsvollzieher habe die Betreibungsurkunden jedoch nicht dem Präsidenten oder einem Angestellten der Beschwerdeführerin übergeben, "sondern offenbar einer Sekretärin, die zufälligerweise im gleichen Hause arbeitete, aber in keinem Dienstverhältnis zur Beschwerdeführerin stand"; diese Sekretärin habe die Betreibungsurkunden nicht an die Beschwerdeführerin weitergeleitet; erst durch die Zustellung der Pfändungsurkunde habe die Beschwerdeführerin vom Arrest und von der Betreibung Kenntnis erhalten.
Die untere Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde am 5. November 1969 ab, soweit sie darauf eintrat.
Die obere kantonale Aufsichtsbehörde wies am 10. Juli 1970 den Rekurs der Schuldnerin gegen den erstinstanzlichen Entscheid ab. Auf Grund der eidesstattlichen Erklärung des Zustellungsbeamten Kohn vom 28. April 1969 und einer weitern solchen Erklärung dieses Beamten vom 11. März 1970, die sie als beweiskräftig betrachtete, sowie gestützt auf verschiedene als Indizien gewürdigte Umstände stellte sie im wesentlichen fest, Kohn habe die streitigen Betreibungsurkunden im Hause Achad Ha'am Street 54/Ecke Nachmany Street abgegeben, nachdem ein anderer Zustellungsbeamter in Erfahrung gebracht habe, dass die nun die Firma IsraelLeather Fashion Ltd. = Ofnat
BGE 96 III 62 S. 64
Or Israelit Ba'am führende Schuldnerin an der Lilienblum Street 31 nicht habe erreicht werden können, sondern an die Achad Ha'am Street/Ecke Nachmany Street gezogen sei; Kohn habe die hier angetroffene Sekretärin vor der Übergabe der Urkunden gefragt, ob er sich im Büro der Ofnat Or Israelit Ba'am befinde, was die Sekretärin bejaht habe; die von dieser unterzeichnete Empfangsbescheinigung (die dem Betreibungsamt nicht zuging) sei offenbar verloren gegangen, doch sei die Tatsache der Auslieferung der Urkunden ordnungsgemäss registriert worden; den Erklärungen der Sekretärin habe Kohn entnehmen dürfen, dass diese für die Schuldnerin handle; dabei habe es sich angesichts der engen Beziehungen zwischen der im Büro an der Achad Ha'am Street niedergelassenen Beged Or (1968) Ltd. und der Schuldnerin, die sich in Liquidation befinde und einzelne Aktiven (den Geschäftsbetrieb und den im Namen liegenden Goodwill) auf die fast den gleichen Namen führende Beged Or (1968) Ltd. übertragen habe, nicht um einen Irrtum oder eine Täuschung seitens der Sekretärin handeln können; es sei beim gegebenen Sachverhalt nicht auffällig, dass eine Angestellte der Beged Or (1968) Ltd. eine Sendung, die für die früher den Namen Beged-Or Ltd. tragende Schuldnerin bestimmt war, entgegengenommen habe; es sei als selbstverständlich anzunehmen, dass die Beged Or (1968) Ltd. Sendungen an die unter einem neuen Namen in Liquidation befindliche Beged-Or Ltd. für diese entgegengenommen habe; in bezug auf die streitigen Betreibungsurkunden dürfe das mit Sicherheit angenommen werden, weil sie auf den frühern Namen der Schuldnerin lauteten; bei dieser Sachlage sei anzunehmen, die Sekretärin der Beged Or (1968) Ltd. sei befugt gewesen, diese Urkunden für die Schuldnerin entgegenzunehmen, so dass die Zustellung gültig sei. Sollten die Urkunden nicht an die Schuldnerin weitergeleitet worden sein, so wäre das den von ihr selbst geschaffenen verwirrenden Umständen zuzuschreiben, deren Folgen sie selbst zu tragen hätte.
C.-
Gegen diesen Entscheid hat die Israel Leather Fashion Ltd. an das Bundesgericht rekurriert mit dem Antrag, die Zustellung der Arresturkunde und des Zahlungsbefehls seien als ungültig zu erklären und das Betreibungsamt anzuweisen, diese Urkunden erneut zuzustellen; die Pfändung vom 23. Juni 1969 sei aufzuheben.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
BGE 96 III 62 S. 65
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Die Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht vom 1. März 1954, der die Schweiz und Israel beigetreten sind (AS 1968 S. 1722), regelt in Art. 1-7 die Mitteilung gerichtlicher und aussergerichtlicher Urkunden in Zivil- und Handelssachen. Hierunter fällt nach ständiger Praxis auch die Zustellung von Betreibungsurkunden; dies jedenfalls dann, wenn die Betreibung wie hier eine privatrechtliche Forderung betrifft (
BGE 94 III 37
E. 2 mit Hinweisen).
Nach Art. 2 der Übereinkunft erfolgt die Zustellung durch die nach den Gesetzen des ersuchten Staates zuständige Behörde. Diese kann sich nach dem zweiten Satze von Art. 2 (unter Vorbehalt der in Art. 3 vorgesehenen, hier nicht in Betracht kommenden Fälle) damit begnügen, die Zustellung durch Übergabe der Urkunde an den sie freiwillig entgegennehmenden Empfänger zu vollziehen. Der Beweis der Zustellung erfolgt nach Art. 5 Abs. 1 der Übereinkunft entweder mittels eines datierten und beglaubigten Empfangsscheins des Empfängers oder mittels einer Bescheinigung der Behörde des ersuchten Staates, welche die Tatsache, die Form und das Datum der Zustellung feststellt.
Welche natürlichen Personen zur Entgegennahme einer für eine juristische Person bestimmten Urkunde befugt sind, sagt die Übereinkunft nicht. Diese Frage beurteilt sich wie die Frage, welche Behörde des ersuchten Staates für die Zustellung zuständig sei, nach dem Rechte des ersuchten Staates, hier also nach israelischem Recht, dessen Anwendung durch die Vorinstanz das Bundesgericht im vorliegenden Rekursverfahren nicht zu überprüfen hat (Art. 81 in Verbindung mit
Art. 43 Abs. 1 OG
; vgl. auch
Art. 79 Abs. 1 OG
). Wenn
Art. 19 Abs. 1 SchKG
die Weiterziehung "gesetzwidriger" Entscheide einer kantonalen Aufsichtsbehörde an das Bundesgericht gestattet, so sind damit, wie schon vor Erlass der Art. 75-82 des OG vom 16. Dezember 1943 erkannt worden war (
BGE 53 III 57
E. 1 a.E.), nur Entscheide gemeint, die gegen schweizerisches Bundesrecht (mit Einschluss der Staatsverträge des Bundes) verstossen.
2.
Die Vorinstanz nimmt in ihren Erwägungen auf das israelische Recht nicht ausdrücklich Bezug. Aus der Tatsache, dass sie die Zustellung durch die bei solchen Amtshandlungen zweifellos ihr eigenes Recht anwendenden israelischen Behörden
BGE 96 III 62 S. 66
auf Grund der Bescheinigungen dieser Behörden als rechtsgültig betrachtete, ist jedoch zu schliessen, dass sie davon ausgeht, die Sekretärin, welche die streitigen Betreibungsurkunden entgegennahm, sei nach israelischem Recht hiezu befugt gewesen. Diese Annahme ist nach Erwägung 1 hievor der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die im Ausland erfolgte Zustellung einer Betreibungsurkunde an eine nach dortigem Recht zu ihrer Entgegennahme befugte Person in der Schweiz trotz dem Fehlen eines entsprechenden Vorbehalts in der Übereinkunft vom 1. März 1954 allenfalls dann nicht als gültig anzuerkennen wäre, wenn das ausländische Recht in dieser Hinsicht mit der schweizerischen Rechtsauffassung schlechthin unverträglich wäre. Hievon könnte nämlich im vorliegenden Falle angesichts der von der Vorinstanz verbindlich festgestellten Tatsache, dass die Beged Or (1968) Ltd. mit der Schuldnerin eng verbunden war, deren Geschäftsbetrieb unter fast gleicher Firma fortsetzte und Sendungen für die am Ort ihrer angeblichen Geschäftsstelle nicht anzutreffende Schuldnerin entgegenzunehmen pflegte, nicht die Rede sein (vgl.
BGE 96 III 5
E. 1, wo das Bundesgericht in Anwendung von
Art. 65 SchKG
die Zustellung an eine Angestellte einer im gleichen Lokal wie die betriebene AG tätigen Gesellschaft als gültig bezeichnete).
Der Beweis der Zustellung ist durch die vorliegenden Bescheinigungen der israelischen Behörden in einer dem Art. 5 der Übereinkunft genügenden Weise geleistet. | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
38e9f287-2364-4cb1-b26a-d5c80a218bb0 | Urteilskopf
134 III 182
32. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause X. contre Confédération Suisse, Etat de Genève et Office des poursuites de Genève (recours en matière civile)
5A_631/2007 du 18 décembre 2007 | Regeste
Beschränkt pfändbares Einkommen (
Art. 93 SchKG
).
Die Invalidenrente der obligatorischen Unfallversicherung (
Art. 18 UVG
) ist beschränkt pfändbar (E. 4). Die AHV-Rente, welche als solche unpfändbar ist, wird zur UVG-Rente hinzugerechnet, um die pfändbare Quote zu bestimmen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 182
BGE 134 III 182 S. 182
Dans le cadre de poursuites dirigées contre lui, X. a porté plainte contre la saisie d'un montant de 480 fr. par mois sur la rente d'invalidité de 3'778 fr. que lui versait une compagnie d'assurances au titre de l'assurance-accidents obligatoire de l'
art. 18 LAA
(RS 832.20). Il invoquait le caractère insaisissable de la rente en question. La Commission de surveillance des offices des poursuites et des faillites du canton de Genève (ci-après: la Commission cantonale de surveillance) a rejeté la plainte en constatant que la rente d'invalidité
BGE 134 III 182 S. 183
versée au poursuivi était relativement saisissable au sens de l'
art. 93 al. 1 LP
.
Le recours en matière civile du poursuivi contre cette décision a été rejeté par le Tribunal fédéral.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
D'après l'
art. 93 al. 1 LP
, dont la note marginale est "revenus relativement saisissables", les pensions et prestations de toutes sortes qui sont destinées à couvrir une perte de gain, en particulier les rentes et indemnités en capital qui ne sont pas insaisissables en vertu de l'
art. 92 LP
, peuvent notamment être saisies, déduction faite de ce que le préposé estime indispensable au débiteur et à sa famille. L'
art. 92 al. 1 ch. 9 LP
déclare (absolument) insaisissables les rentes, indemnités en capital et autres prestations allouées à la victime ou à ses proches pour lésions corporelles, atteinte à la santé ou mort d'homme, en tant qu'elles constituent une indemnité à titre de réparation morale, sont destinées à couvrir les frais de soins ou l'acquisition de moyens auxiliaires.
L'
art. 92 al. 1 ch. 9 LP
a été modifié lors de la révision de la LP de 1994, entrée en vigueur le 1
er
janvier 1997. Cette modification avait entraîné une adaptation de l'
art. 50 LAA
(RS 832.20), lequel disposait alors expressément que les prestations au sens de la LAA - versées et exigibles - étaient insaisissables, mais seulement dans les limites de l'
art. 92 al. 1 ch. 9 LP
. Le Message du Conseil fédéral du 8 mars 1991 (FF 1991 III 1 ss, p. 93) précisait ainsi que "sont désormais relativement saisissables en vertu de l'
art. 93 al. 1 LP
[notamment] la rente d'invalidité (cf.
art. 18 ss LAA
) ou l'indemnité en capital qui la remplace (cf.
art. 23 LAA
)". Lors de l'adoption de la loifédérale du 6 octobre 2000 sur la partie générale du droit des assurances sociales (LPGA; RS 830.1), entrée en vigueur le 1
er
janvier 2003, l'
art. 50 LAA
a été modifié et règle désormais un autre problème. Il n'en résulte toutefois aucune modification quant au statut desdites prestations, la question de leur saisissabilité étant réglée directement par la LP, au lieu de l'être sur renvoi de la LAA (UELI KIESER, ATSG-Kommentar, n. 8 ss ad
art. 22 LPGA
).
Ainsi, comme sous l'empire de l'art. 50 aLAA, la rente d'invalidité de l'
art. 18 LAA
n'est pas absolument insaisissable au sens de l'
art. 92 al. 1 ch. 9 LP
puisqu'elle n'est pas destinée à réparer le tort moral, ni à couvrir des frais de soins ou de moyens auxiliaires. Comme cela
BGE 134 III 182 S. 184
ressort des
art. 19 et 20 LAA
, la rente d'invalidité est en effet une indemnité pour perte de gain; elle est calculée en pourcentage du gain assuré (
art. 20 al. 1 LAA
) et lorsqu'elle naît, le droit au traitement médical s'éteint (
art. 19 al. 1 LAA
). La révision de la LP a adopté pour principe que les rentes des assurances sociales sont relativement saisissables dans la mesure où elles ont le caractère de succédané du salaire (
ATF 130 III 400
consid. 3.3.2). Certes, les rentes AVS et AI sont absolument insaisissables, en vertu de l'
art. 92 al. 1 ch. 9a LP
; la raison en est qu'elles ne couvrent que le minimum vital du débiteur et que, par conséquent, une discussion sur leur saisissabilité n'aurait pas de sens (même arrêt, consid. 3.3.2 et 3.3.4; Jaeger/Walder/Kull, SchKG, 5
e
éd. 2006, n. 57 ad
art. 92 LP
). Un traitement différent se justifie par contre pour les autres rentes des assurances sociales, comme la rente d'invalidité de l'assurance-accidents obligatoire, dont le montant calculé en pour-cent du gain assuré dépasse généralement le minimum vital (Kieser, op. cit., n. 9 ad
art. 22 LPGA
; Georges Vonder Mühll, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, n. 34 ad
art. 92 LP
; JAEGER/WALDER/KULL, op. cit., n. 57d ad
art. 92 LP
).
Lorsque l'assuré a droit à une rente AVS ou AI, la rente d'invalidité de la LAA est fixée comme une rente complémentaire, conformément à l'
art. 20 al. 2 LAA
, de façon à éviter la surindemnisation(ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 3
e
éd., note ad
art. 20 al. 2 LAA
). Il ne s'agit toutefois pas d'une prestation complémentaire au sens de la loi fédérale du 6 octobre 2006 sur les prestations complémentaires à l'AVS et à l'AI (LPC; RS 831.30), qui ne vise que les prestations complémentaires au sens de cette loi, lesquelles sont soustraites à toute exécution forcée (
art. 12 LPC
) et insaisissables en vertu de l'
art. 92 al. 1 ch. 9a LP
.
C'est donc à bon droit que la Commission cantonale de surveillance a considéré que la rente d'invalidité litigieuse était relativement saisissable selon l'
art. 93 al. 1 LP
.
5.
Lorsque, comme en l'espèce, le poursuivi bénéficie d'une rente AVS et d'une rente d'invalidité de l'
art. 18 LAA
, la première est (absolument) insaisissable (
art. 92 al. 1 ch. 9a LP
) et la seconde relativement saisissable (
art. 93 al. 1 LP
). La rente AVS entre néanmoins en ligne de compte dans le calcul de la quotité saisissable. Elle doit être ajoutée au revenu relativement saisissable qu'est la rente d'invalidité LAA: le débiteur peut en effet subvenir à une partie de son
BGE 134 III 182 S. 185
entretien au moyen de la rente insaisissable AVS et n'a plus besoin, le cas échéant, de toute sa rente d'invalidité LAA pour couvrir la part restante de son minimum vital. L'insaisissabilité de la rente AVS au sens de l'
art. 92 al. 1 ch. 9a LP
a donc seulement pour effet que cette rente ne peut être elle-même saisie; mais elle ne permet pas au débiteur d'exiger, en plus de cette dernière, une part de sa rente d'invalidité LAA qui correspond à son minimum vital (arrêt 5A_14/2007 du 14 mai 2007, consid. 3.1).
Il suit de là que la Commission cantonale de surveillance a eu raison de confirmer la saisie de 480 fr., montant qui n'est au demeurant pas contesté en tant que tel. | null | nan | fr | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
38edc1f7-cfc4-49e8-b5f8-9144b1b96d5c | Urteilskopf
140 III 16
4. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Versicherung X. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_225/2013 vom 14. November 2013 | Regeste a
Art. 105 Abs. 1 BGG
; Bindung an den vorinstanzlich festgestellten Prozesssachverhalt.
Die vorinstanzlichen Feststellungen über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens sind für das Bundesgericht verbindlich (E. 1.3.1).
Regeste b
Art. 158 Abs. 1 lit. b 2
. Satzteil ZPO; vorsorgliche Beweisführung zwecks Abklärung der Prozessaussichten.
Voraussetzungen (E. 2.2.1, 2.2.2 und 2.5); Grundsätze der vorsorglichen Einholung eines Gutachtens (E. 2.2.3). | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 140 III 16 S. 16
A.a
A. (Gesuchstellerin und Beschwerdeführerin) fuhr am 13. Juni 2004 gegen 16.00 Uhr auf der Autobahn A1 in Fahrtrichtung Zürich auf der Überholspur. Dabei bildete sich infolge eines Verkehrsunfalles auf der Höhe des Autobahnanschlusses Wangen an der Aare ein Rückstau. A. bremste ab. Die hinter ihr fahrende, bei der Versicherung X. AG (Gesuchs- und Beschwerdegegnerin) versicherte Fahrzeuglenkerin bemerkte das Abbremsen zu spät und prallte frontal in das Heck des Personenwagens von A. Diese steht seither wegen einer Halswirbelsäulen-Distorsion, einer Kontusion der linken Schulter und wegen Kopfschmerzen in fachärztlicher Behandlung.
BGE 140 III 16 S. 17
A.b
Für die Unfallfolgen richtete die Suva Zürich zunächst die gesetzlichen Versicherungsleistungen aus. Mit Verfügung vom 26. März 2009 verneinte die Suva jedoch das Vorliegen eines adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall vom 13. Juni 2004 und den aktuellen Beschwerden. Sie stellte die Versicherungsleistungen per 31. März 2009 ein.
B.
B.a
Um ihre Prozesschancen gegen die Haftpflichtversicherung der Unfallverursacherin besser abschätzen zu können, gelangte A. am 4. Oktober 2012 mit einem Gesuch um vorsorgliche Beweisführung gemäss
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
an das Richteramt Solothurn-Lebern. Sie beantragte, es sei im Rahmen einer vorsorglichen Beweisführung ein polydisziplinäres medizinisches Gutachten zur Feststellung der bestehenden gesundheitlichen Beschwerden, zur sich daraus ergebenden Arbeitsunfähigkeit und Einschränkung in der Haushaltsführung und zur Kausalität der Beschwerden zu veranlassen.
Mit Urteil vom 5. Dezember 2012 wies der Amtsgerichtspräsident von Solothurn-Lebern das Gesuch ab.
B.b
Die dagegen eingelegte Berufung wies das Obergericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 28. März 2013 ab.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt A. dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und das Gesuch um vorsorgliche Erstellung eines Gutachtens gutzuheissen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde, soweit Eintreten. Die Vorinstanz trägt auf Abweisung an.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.3
1.3.1
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG
).
Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den Lebenssachverhalt, der dem Streitgegenstand zugrunde liegt, als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die
BGE 140 III 16 S. 18
Feststellungen über den Prozesssachverhalt ("faits de la procédure"; "fatti procedurali"; vgl. zum Ganzen BERNARD CORBOZ, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 31 zu
Art. 105 BGG
; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire, 2008, N. 3672 zu
Art. 97 BGG
; JEAN-FRANÇOIS POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire [...], Bd. II, 1990, N. 4.2 zu
Art. 63 OG
; BIRCHMEIER, Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege [...], 1950, S. 89; HENRI DESCHENAUX, La distinction du fait et du droit dans les procédures de recours au Tribunal fédéral, 1948, S. 19; CHRISTOPH HURNI, Gedanken zur künftigen Anwendung der neuen Schweizerischen ZPO durch das Bundesgericht, recht 2010 S. 92 f.). Zum Prozesssachverhalt gehören namentlich die Anträge der Parteien, ihre Tatsachenbehauptungen, rechtlichen Erörterungen (BIRCHMEIER, a.a.O.; CORBOZ, a.a.O.), Prozesserklärungen und Beweisvorbringen (DONZALLAZ, a.a.O.), der Inhalt einer Zeugenaussage, einer Expertise oder die Feststellungen anlässlich eines Augenscheins (CORBOZ, a.a.O.).
Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG
beruht (
Art. 105 Abs. 2 BGG
). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (
Art. 97 Abs. 1 BGG
). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (
Art. 99 Abs. 1 BGG
).
Die Beschwerdeführerin, welche die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss
Art. 105 Abs. 2 BGG
gegeben sind und das Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (vgl.
BGE 133 III 350
E. 1.3 S. 351 f.,
BGE 133 III 393
E. 7.1 S. 398, 462 E. 2.4 S. 466 f.).
(...)
2.
Die Beschwerdeführerin macht eine willkürliche Anwendung von
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
geltend.
2.1
Willkürlich ist ein Entscheid nach konstanter Praxis nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint. Willkür in der Rechtsanwendung liegt nur vor,
BGE 140 III 16 S. 19
wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft; dabei ist erforderlich, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (
BGE 135 V 2
E. 1.3 S. 4 f.;
BGE 134 II 124
E. 4.1 S. 133;
BGE 132 III 209
E. 2.1 S. 211; je mit Hinweisen).
2.2
Art. 158 ZPO
regelt die vorsorgliche Beweisführung. Nach Abs. 1 lit. b nimmt das Gericht jederzeit Beweis ab, wenn die gesuchstellende Partei eine Gefährdung der Beweismittel oder ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft macht.
2.2.1
Gemäss der Botschaft wird mit dem Begriff des schutzwürdigen Interesses in
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
auf die Möglichkeit Bezug genommen, eine vorsorgliche Beweisführung auch zur Abklärung der Beweis- und Prozessaussichten durchzuführen. Diese Möglichkeit soll dazu beitragen, aussichtslose Prozesse zu vermeiden (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7221, 7315 zu Art. 155;
BGE 138 III 76
E. 2.4.2 S. 81).
2.2.2
Zur Glaubhaftmachung eines schutzwürdigen Interesses an einer vorsorglichen Beweisführung genügt die blosse Behauptung eines Bedürfnisses, Beweis- und Prozessaussichten abzuklären, freilich nicht. Eine vorsorgliche Beweisführung kann nur mit Blick auf einen konkreten materiellrechtlichen Anspruch verlangt werden, hängt doch das Interesse an einer Beweisabnahme vom Interesse an der Durchsetzung eines damit zu beweisenden Anspruchs ab (
BGE 138 III 76
E. 2.4.2 S. 81). Der Gesuchsteller, der sich auf
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
stützt, muss daher glaubhaft machen, dass ein Sachverhalt vorliegt, gestützt auf den ihm das materielle Recht einen Anspruch gegen die Gesuchsgegnerin gewährt und zu dessen Beweis das abzunehmende Beweismittel dienen kann (
BGE 138 III 76
E. 2.4.2 S. 81 mit Hinweisen). Lediglich für Tatsachen, die mit dem vorsorglich abzunehmenden Beweismittel bewiesen werden sollen, kann keine eigentliche Glaubhaftmachung verlangt werden, denn sonst würde der Zweck von
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
, die vorprozessuale Abklärung von Beweisaussichten zu ermöglichen, vereitelt. Stellt das abzunehmende Beweismittel das einzige dar, mit dem der Gesuchsteller seinen Anspruch beweisen kann, muss es genügen, dass er das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen lediglich substanziiert und schlüssig behauptet (
BGE 138 III 76
E. 2.4.2 S. 82).
BGE 140 III 16 S. 20
Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung dürfen freilich nicht überspannt werden, geht es doch beim Verfahren der vorsorglichen Beweisabnahme noch nicht um die Prüfung der Begründetheit des Hauptanspruchs (MARK SCHWEIZER, Vorsorgliche Beweisabnahme nach schweizerischer Zivilprozessordnung und Patentgesetz, ZZZ 2010 S. 8; LAURENT KILLIAS UND ANDERE, Gewährt
Art. 158 ZPO
eine "pre-trial discovery" nach US-amerikanischem Recht?, in: Innovatives Recht, Festschrift für Ivo Schwander, Lorandi/Staehelin [Hrsg.], 2011, S. 941). Abgesehen von der Glaubhaftmachung eines Hauptsacheanspruchs bzw. der schlüssigen und substanziierten Behauptung der anspruchsbegründenden Tatsachen, die durch das vorsorglich beantragte Beweismittel bewiesen werden sollen, sind an das Bestehen eines schutzwürdigen Interesses keine hohen Anforderungen zu stellen (WALTER FELLMANN, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 19 zu
Art. 158 ZPO
). Ein solches wäre namentlich etwa dann zu verneinen, wenn das beantragte Beweismittel untauglich ist (SCHWEIZER, a.a.O., S. 8; LEUCH UND ANDERE, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl. 2000, N. 1b zu
Art. 227 ZPO
/BE), muss doch das vorsorglich abgenommene Beweismittel in einem allfälligen Hauptprozess verwertet werden können. Ebenfalls kein Interesse an einer vorsorglichen Beweisführung besteht sodann, wenn es der gesuchstellenden Partei lediglich darum geht, ein bereits vorliegendes Gutachten mit einem weiteren Gutachten in Frage zu stellen.
2.2.3
Im Verfahren nach
Art. 158 Abs. 1 ZPO
ist schliesslich zu beachten, dass im Stadium einer vorsorglichen Beweisführung vor Einleitung des Hauptprozesses das Prozessthema noch nicht abschliessend herausgeschält ist. Es liegt daher primär in der Verantwortung des Gesuchstellers, dem Gericht die erforderlichen Angaben zum Sachverhalt zu machen und den Umfang der beantragten Beweisführung zu bestimmen (FELLMANN, a.a.O., N. 20 zu
Art. 158 ZPO
).
Verlangt der Gesuchsteller die Einholung eines Gutachtens, obliegt es in erster Linie ihm, dem Gericht die Fragen zu unterbreiten, die dem Experten zu stellen sind (KILLIAS UND ANDERE, a.a.O., S. 943; FELLMANN, a.a.O., N. 20 zu
Art. 158 ZPO
; LEUCH UND ANDERE, a.a.O., N. 4 zu
Art. 223 ZPO
/BE). Die Gesuchsgegnerin, welche im Verfahren der vorsorglichen Beweisführung gemäss Art. 158 Abs. 2 i.V.m.
Art. 248 lit. d und
Art. 253 ZPO
anzuhören ist (
BGE 139 III 33
E. 4.3 S. 36), kann dabei durch eigene Fragen oder durch Zusatz- und Ergänzungsfragen ihren eigenen Standpunkt in das Verfahren
BGE 140 III 16 S. 21
einbringen (FELLMANN, a.a.O., N. 20 zu
Art. 158 ZPO
), wobei das Gericht dafür zu sorgen hat, dass der durch das Gesuch definierte Prozessgegenstand gewahrt bleibt und nicht durch Ergänzungsfragen erweitert wird. Der endgültige Entscheid über die Formulierung der Fragen liegt stets beim Gericht (
BGE 139 III 33
E. 4.3 S. 36).
Die Gesuchsgegnerin kann eine Ausdehnung der Beweisführung auf weitere Tatsachen sowie die Abnahme von Gegenbeweismitteln nur insoweit beantragen, als auch diesbezüglich die Voraussetzungen von
Art. 158 ZPO
erfüllt sind (FELLMANN, a.a.O., N. 26 zu
Art. 158 ZPO
; LEUCH UND ANDERE, a.a.O., N. 1 zu
Art. 224 ZPO
/BE).
2.2.4
Für die vorliegend umstrittene vorsorgliche Abnahme eines Expertengutachtens gelten im Übrigen die allgemeinen Regeln gemäss
Art. 183 ff. ZPO
. Dies gilt namentlich in Bezug auf die Auswahl des Gutachters: Die Parteien können dem Gericht diesbezüglich zwar Vorschläge unterbreiten und gegenüber in Frage kommenden Kandidaten Ausstandsgründe vorbringen (Art. 183 Abs. 2 i.V.m.
Art. 47 ZPO
), die definitive Wahl des Gutachters und dessen Ernennung ist jedoch Sache des Gerichts (SVEN RÜETSCHI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 17, 19 zu
Art. 183 ZPO
; HANS SCHMID, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 6 zu
Art. 183 ZPO
).
2.3
Die Vorinstanz hat ein schutzwürdiges Interesse der Beschwerdeführerin an einer vorsorglichen Beweisführung verneint. Zur Begründung verwies sie auf rund 20 medizinische Stellungnahmen aus dem Zeitraum zwischen Juli 2004 und Oktober 2012, darunter diverse Arztzeugnisse, fachärztliche Berichte sowie eine biomechanische Kurzbeurteilung, deren Schlussfolgerungen sie kurz zusammenfasste. Nach Auffassung der Vorinstanz geben diese Unterlagen ein umfassendes und einheitliches Bild über den Gesundheitszustand bzw. die gesundheitlichen Beschwerden der Beschwerdeführerin ab. Zwar hätten sich nicht alle untersuchenden Ärzte (explizit) zur Kausalität der Beschwerden zum Unfallereignis sowie zur bestehenden Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin geäussert. Es lägen aber sowohl Stellungnahmen zur Kausalität zwischen Unfall und geklagten Beschwerden als auch zur Arbeitsfähigkeit vor, anhand deren sich eine Verfahrensprognose für einen Schadenersatzprozess stellen lässt. Aufgrund der umfangreichen Dokumentation ihres Gesundheitszustandes seit dem Unfall vom Juni 2004 sei es der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin möglich, ihre Chancen in einem
BGE 140 III 16 S. 22
allfälligen Haftpflichtprozess gegen die Beschwerdegegnerin abzuschätzen. Die Beschwerdeführerin sei im Verfahren um vorsorgliche Beweisführung nicht auf ein polydisziplinäres Gutachten angewiesen, weshalb ihr ein schutzwürdiges Interesse abzusprechen sei. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass ein polydisziplinäres Gutachten ein wichtiges Beweismittel für die Beurteilung der Kausalität in Schleudertraumata-Fällen sei und deshalb in einem allfälligen Haftpflichtprozess wohl unentbehrlich sein werde.
Auch mit der Prozessökonomie lässt sich nach Auffassung der Vorinstanz eine vorgängige Beweisabnahme mittels Gutachtens nicht rechtfertigen. Denn erst der Prozess in der Hauptsache führe zu definitiven Erkenntnissen. Es dürfte sich in der Regel nicht vermeiden lassen, im nachfolgenden Prozess über die Hauptsache die - bereits vorsorglich durchgeführte - Beweisabnahme aufgrund des erst im Hauptprozess definitiv fixierten Streitgegenstandes zu wiederholen oder zumindest zu ergänzen. Auch wenn das Vorliegen eines Gutachtens dazu führen könnte, dass von einem Hauptprozess abgesehen wird, dürfe die vorsorgliche Beweisabnahme nicht dazu führen, dass sich das Beweisverfahren ohne Not in den vorprozessualen Bereich verlagere. Schliesslich könne es nicht Zweck einer vorgängigen Beweisabnahme sein, eine Partei vor jeglichem Prozessrisiko zu schützen, d.h. ein solches mittels vorsorglicher Beweisabnahme gänzlich auszuschliessen. Der Beschwerdeführerin erwachse kein Nachteil, wenn sie ein Gutachten erst in einem allfälligen Hauptprozess beantrage. Auch aus diesem Grund müsse die Notwendigkeit eines polydisziplinären Gutachtens verneint werden.
2.4
Dagegen wendet die Beschwerdeführerin ein, dass die von der Vorinstanz angeführten medizinischen Stellungnahmen keine Antwort gäben auf Fragen, die in einem allfälligen Haftpflichtprozess gegen die Beschwerdegegnerin entscheidend wären. So etwa auf die Frage, ob die Unfallkausalität auch noch für die Zeit nach der Einstellung der Suva-Leistungen zu bejahen ist und ob es unfallkausale Beschwerden sind, die zu einer Reduktion der Arbeitsfähigkeit ab dem Jahr 2011 geführt haben. Auf genau diese Fragen verspreche sich die Beschwerdeführerin mit dem beantragten interdisziplinären Gutachten aber eine Antwort. Der angefochtene Entscheid leide an einem Widerspruch, wenn die Vorinstanz zwar festhalte, dass in einem allfälligen Haftpflichtprozess ein medizinisches Gutachten wohl unumgänglich sei, andererseits der Beschwerdeführerin das schutzwürdige Interesse an genau dieser Begutachtung im
BGE 140 III 16 S. 23
Rahmen des vorsorglichen Beweisverfahrens abspreche. Es liege auf der Hand, dass ein aufwändiger Prozess mit einem vorgängigen Gutachten verhindert werden könne: Falls die Beschwerden als unfallfremd beurteilt werden, falle der Beschwerdeführerin die Basis ihrer Klage dahin; werde die Unfallkausalität derjenigen Beschwerden, welche die Arbeitsfähigkeit heute verursachen, aber bejaht, dürfte eine gütliche Einigung möglich werden.
2.5
Die Rüge ist begründet. Mit ihren Erwägungen verkennt die Vorinstanz den Zweck und die Voraussetzungen der vorsorglichen Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hängt das Interesse an einer vorsorglichen Beweisabnahme vom Interesse an der Durchsetzung eines damit zu beweisenden Anspruchs ab (oben E. 2.2.2). Das schutzwürdige Interesse gemäss
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
bezieht sich mithin unmittelbar auf die potentielle Durchsetzung eines konkreten Anspruches (vgl. auch FRANCESCO TREZZINI, Funzioni ordinatorie e garantistiche dell'interesse degno di protezione nel processo civile, SZZP 2012 S. 374). Vor diesem Hintergrund lässt sich vorliegend ein schutzwürdiges Interesse an der vorsorglichen Beweisführung aber nicht willkürfrei verneinen, wenn - wie die Vorinstanz selber ausführt - das beantragte polydisziplinäre Gutachten "in einem allfälligen Haftpflichtprozess wohl unentbehrlich" sein wird, also der von der Beschwerdeführerin behauptete Anspruch ohne ein solches Gutachten nicht beurteilt werden kann. Es ist in der Tat widersprüchlich, wenn die Vorinstanz zwar einerseits festhält, dass in einem allfälligen Haftpflichtprozess ein medizinisches Gutachten benötigt werde, andererseits der Beschwerdeführerin das schutzwürdige Interesse an genau dieser Begutachtung im Rahmen des vorsorglichen Beweisverfahrens aber abspricht.
Die Vorinstanz übersieht denn auch, dass die vorsorgliche Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
nicht bloss eine vage
Abschätzung
der Prozesschancen ermöglichen soll, sondern eine eigentliche
Abklärung
der Prozessaussichten im Allgemeinen und der Beweisaussichten im Besonderen. Eine hinreichende Klärung der Prozessaussichten kann dabei aber nur mit der vorsorglichen Abnahme von Beweismitteln erreicht werden, welche zum Beweis der anspruchsbegründenden Tatsache tauglich sind und sich auch eignen, im Beweisverfahren eines allfälligen Hauptprozesses eine tragende Rolle zu spielen. Dies gilt ganz besonders, wenn solche Klärung eine Expertise erfordert (vgl. LEUCH UND ANDERE, a.a.O., N. 1a zu
BGE 140 III 16 S. 24
Art. 222 ZPO
/BE; FELLMANN, a.a.O., N. 18 zu
Art. 158 ZPO
). Nur so lassen sich aussichtslose Prozesse vermeiden, sei dies durch Förderung der Bereitschaft der Gesuchstellerin, auf Klageerhebung zu verzichten, oder aber der Bereitschaft beider Parteien, sich zu vergleichen.
Dass ein polydisziplinäres Gutachten für den vorliegend in Frage kommenden Haftpflichtprozess nicht nur ein taugliches, sondern geradezu zentrales Beweismittel sein wird, hat die Vorinstanz zu Recht nicht in Abrede gestellt. Bei den vorliegend bereits vorhandenen rund 20 medizinischen Stellungnahmen (Arztzeugnisse, fachärztliche Berichte etc.) handelt es sich beweisrechtlich betrachtet denn auch um blosse Privatgutachten (
BGE 125 V 351
E. 3 b/dd), welche nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung als Bestandteil der Parteivorbringen und nicht als eigentliche Beweismittel gelten (
BGE 132 III 83
E. 3.4 S. 87 f.; vgl. auch
BGE 127 I 73
E. 3f/bb S. 82 f.). Demgegenüber strebt die Beschwerdeführerin ein gerichtliches Gutachten i.S. von
Art. 183 ff. ZPO
an. Ist aber ein solches Gutachten im Hauptprozess notwendig, lässt sich ein schutzwürdiges Interesse an dessen vorsorglicher Abnahme nicht willkürfrei verneinen, sofern die Beschwerdeführerin glaubhaft gemacht hat, dass ein Sachverhalt vorliegt, gestützt auf den ihr das materielle Recht einen Anspruch gegen die Beschwerdegegnerin gewährt. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
38eeca62-4c0d-432e-b97c-3db5c5e79d4f | Urteilskopf
121 IV 3
2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. März 1995 i.S. F. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 63, 359 ff. und 397bis Abs. 1 lit. h StGB; Art. 13 der Verordnung über das Strafregister; Entfernung von Vorstrafen aus dem Strafregister; Strafzumessung.
Aus dem Strafregister entfernte Vorstrafen dürfen bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Die Entfernung kann allerdings ein Indiz dafür sein, dass der Vorstrafe für die Sanktion keine grosse Bedeutung mehr zukommt (E. 1c/dd). | Sachverhalt
ab Seite 3
BGE 121 IV 3 S. 3
F. lenkte am 5. Dezember 1991, um 00.15 Uhr, in Samstagern auf der Bellenstrasse/Hüttnerstrasse seinen Personenwagen "Fiat Tipo" mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,03 Gewichtspromillen.
Am 14. Dezember 1991, um ca. 23.25 Uhr, lenkte F., dem nach dem Vorfall vom 5. Dezember 1991 der Führerausweis entzogen und seither nicht wieder
BGE 121 IV 3 S. 4
ausgehändigt worden war, seinen Personenwagen "Fiat Tipo" in Richterswil auf der Beichlenstrasse in Richtung Samstagern. Auf der Höhe der Moosstrasse verlor er die Herrschaft über das Fahrzeug. Der Wagen geriet rechts über den Strassenrand hinaus, überschlug sich in einer tiefer gelegenen Wiese und kam dort auf dem Dach liegend zum Stillstand. F. entfernte sich von der Unfallstelle, ohne die Polizei oder den Eigentümer der Wiese, auf der Flurschaden entstanden und die durch Glassplitter verunreinigt worden war, zu benachrichtigen. Statt dessen beobachtete er aus der Nachbarschaft das Eintreffen der Polizei. Anschliessend begab er sich zu einer Bekannten, wo er sich eine kleine Verletzung behandeln liess und die Nacht verbrachte. Im Verlaufe des 15. Dezember ging er nach Hause, und am folgenden Tag meldete er sich bei der Polizei.
Am 15. April 1994 erkannte das Obergericht des Kantons Zürich F. zweitinstanzlich schuldig des Fahrens in angetrunkenem Zustand sowie der Vereitelung einer Blutprobe und bestrafte ihn mit 4 Monaten Gefängnis (unbedingt). Auf die Anklage betreffend Verletzung von Verkehrsregeln, Fahren trotz Entzugs des Führerausweises sowie pflichtwidriges Verhalten bei Unfall trat es infolge Verjährung nicht ein.
F. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts in bezug auf die Strafe sowie die Verweigerung des bedingten Strafvollzuges aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Strafzumessung verletze Bundesrecht.
a) Der Richter misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen (
Art. 63 StGB
). Dem Sachrichter steht bei der Gewichtung der im Rahmen der Strafzumessung zu beachtenden Komponenten ein erheblicher Spielraum des Ermessens zu. Das Bundesgericht greift in dieses auf Nichtigkeitsbeschwerde hin, mit der ausschliesslich eine Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden kann (
Art. 269 BStP
), nur ein, wenn der kantonale Richter den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn er von rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen
BGE 121 IV 3 S. 5
ist oder wenn er wesentliche Gesichtspunkte ausser acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch seines Ermessens falsch gewichtet hat (
BGE 120 IV 136
E. 3a, 67 E. 2a, je mit Hinweisen).
b) Die Vorinstanz würdigte das erste Ereignis als mittleren bis schweren Fall des Fahrens in angetrunkenem Zustand. Der Beschwerdeführer habe sich in einem schweren Rausch befunden. Die Dunkelheit habe die Gefahr zusätzlich verstärkt. Bereits 9 Tage später habe er, obwohl ihm der Führerausweis abgenommen worden sei, sein Fahrzeug wieder gelenkt, und zwar erneut nach dem Konsum von alkoholischen Getränken. Dies offenbare eine erhebliche Einsichtslosigkeit. Der Beschwerdeführer sei mehrfach und einschlägig vorbestraft. Noch nicht 20jährig sei er im Jahre 1980 wegen Körperverletzung zu einer später vollziehbar erklärten bedingten Gefängnisstrafe von 30 Tagen verurteilt worden. Im gleichen Jahr sei er wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu einer Busse von Fr. 1'400.-- verurteilt worden. 3 Monate danach sei er bereits wieder alkoholisiert gefahren, weshalb er mit einer Strafe von 42 Tagen Gefängnis unbedingt bestraft worden sei. 1983 sei er wegen Missachtung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit zu einer Busse von Fr. 650.-- verurteilt worden. Im Januar 1985 sei er wegen einer im Februar 1983 begangenen Verletzung von Verkehrsregeln und Fahrens trotz Entzugs des Führerausweises mit 10 Tagen Haft (bedingt) und Fr. 400.-- Busse bestraft worden. 1989 seien wegen wiederholten Erschleichens einer Leistung 5 Tage Gefängnis bedingt ausgefällt worden. Am 10. April 1991, also rund 8 Monate vor den heute zu beurteilenden Taten, sei er innerorts zu schnell gefahren und deshalb mit Fr. 150.-- gebüsst worden.
Die Entfernung von Verurteilungen aus dem Strafregister führe nicht zu einem Verwertungsverbot. Nach
Art. 63 StGB
sei die Strafe unter anderem nach dem Vorleben zu bemessen. Dazu gehörten auch zeitlich weit zurückliegende Vorstrafen. Diese würden mit der Entfernung aus dem Strafregister nicht inexistent. Die Regelung von
Art. 63 StGB
könne durch die Verordnungen über das Strafregister nicht geändert werden. Immerhin indiziere die Verordnung, dass langer Zeitablauf die Bedeutung einer Vorstrafe für die Strafzumessung zu relativieren vermöge. Es bleibe indessen die Feststellung, dass gegen den Beschwerdeführer seit 1980 immerhin 4 - wenn auch eher kurze - Freiheitsstrafen ausgefällt worden seien und er zweimal im selben Jahr (1980) kurz nach einer ersten
BGE 121 IV 3 S. 6
Verurteilung alkoholisiert gefahren sei. Dies sei straferhöhend zu berücksichtigen. Strafmindernd seien dagegen sein Geständnis und die eher schwierigen persönlichen Verhältnisse zu gewichten. In Abwägung aller Umstände sei eine Strafe von 4 Monaten Gefängnis angemessen.
c) Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorstrafen dürften mit Ausnahme jener aus dem Jahre 1989 (5 Tage Gefängnis bedingt, Eintrag gelöscht) nicht berücksichtigt werden, weil sie nach neuem Strafregisterrecht aus den Strafregistern zu entfernen seien.
aa) Gemäss
Art. 359 StGB
werden Strafregister geführt bei dem Schweizerischen Zentralpolizeibüro über alle Personen, die im Gebiete der Eidgenossenschaft verurteilt worden sind, sowie über alle im Auslande verurteilten Schweizer (lit. a) und in den Kantonen von einer durch diese zu bezeichnenden Amtsstelle über alle Personen, die von den Behörden des Kantons verurteilt worden sind, sowie über alle verurteilten Kantonsbürger (lit. b).
Nach
Art. 360 StGB
sind in die Strafregister aufzunehmen unter anderem die Verurteilungen wegen Verbrechen und Vergehen (lit. a) und die Verurteilungen wegen der durch Verordnung des Bundesrates zu bezeichnenden Übertretungen des Strafgesetzbuches oder eines andern Bundesgesetzes (lit. b). Nach
Art. 363 StGB
ist gerichtlichen und anderen Behörden des Bundes, der Kantone oder der Gemeinden auf Ersuchen ein amtlicher Auszug aus dem Strafregister zu verabfolgen (Abs. 1). Ein gelöschter Eintrag darf nur Untersuchungsämtern, Strafgerichten, Strafvollzugsbehörden und den für die Rehabilitation und die Löschung zuständigen Gerichten mitgeteilt werden, unter Hinweis auf die Löschung, und nur wenn die Person, über die Auskunft verlangt wird, in dem Strafverfahren Beschuldigter oder dem Strafvollzug Unterworfener ist oder wenn ein Verfahren zur Rehabilitation oder Löschung hängig ist. Ein gelöschter Eintrag ist auch den Verwaltungsbehörden bekanntzugeben, die für die Erteilung und den Entzug von Führerausweisen gemäss den Artikeln 14 und 16 des Strassenverkehrsgesetzes zuständig sind (Abs. 4). Nach
Art. 364 StGB
erlässt der Bundesrat durch Verordnung die ergänzenden Vorschriften über das Strafregister.
Art. 80 StGB
regelt die Löschung des Eintrags im Strafregister von Amtes wegen (Ziff. 1) und auf Gesuch des Verurteilten (Ziff. 2). Soweit gelöschte Strafen dem Strafrichter mitgeteilt werden, darf er sie nach der Rechtsprechung berücksichtigen (
BGE 94 IV 49
,
BGE 69 IV 199
E. 4).
bb) Gemäss
Art. 397bis Abs. 1 lit. h StGB
ist der Bundesrat befugt, ergänzende Bestimmungen über die gänzliche Entfernung des
BGE 121 IV 3 S. 7
Strafregistereintrages aufzustellen.
Art. 397bis StGB
wurde durch Bundesgesetz vom 18. März 1971 in das Strafgesetzbuch eingefügt.
Art. 13 der Verordnung über das Strafregister vom 21. Dezember 1973 (SR 331)
bestimmte unter der Überschrift "Bereinigung des Registers" in seiner ursprünglichen Fassung (AS 1974, S. 62) folgendes:
"Zur Bereinigung des Strafregisters werden aus diesem entfernt Eintragungen betreffend:
1. Personen, deren Ableben von einer Behörde gemeldet wird;
2. Personen, die das 80. Lebensjahr vollendet haben;
3. Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Monaten oder zu einer Busse, wenn seit dem Urteil 15 Jahre verstrichen sind;
4. Verurteilungen zu einer Massnahme nach den Artikeln 91 oder 92 StGB oder zu einer Einschliessung, wenn seit dem Urteil 15 Jahre verstrichen sind."
Art. 13 der Verordnung über das Strafregister bestimmt in seiner neuen Fassung vom 13. November 1991, in Kraft seit dem 1. Januar 1992, unter der Überschrift "Entfernung der Eintragungen" folgendes:
"Die Eintragungen über folgende Personen und Verurteilungen werden aus den Strafregistern entfernt:
1. Personen, deren Ableben von einer Behörde gemeldet wird;
2. Personen, die das 80. Lebensjahr vollendet haben;
3. Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder zu einer Busse, ein Jahr nach der Löschung gemäss den Artikeln 80 und 99 StGB oder Artikel 59 MStG;
4. Verurteilungen zu einer bedingten Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten fünf Jahre nach Ablauf der Probezeit, solche von über 3-18 Monaten zehn Jahre nach Ablauf der Probezeit, wenn ihr Eintrag aufgrund von Artikel 41 Ziffer 4 oder 96 StGB bzw. Artikel 32 Ziffer 4 MStG gelöscht wurde;
5. Verurteilungen zu einer Busse fünf Jahre nach Ablauf der Probezeit, wenn der Eintrag aufgrund von Artikel 49 Ziffer 4 StGB oder 34 Ziffer 4 MStG gelöscht wurde;
6. Verurteilungen zu einer Massnahme oder Einschliessung (
Art. 91, 92 und 95 StGB
), wenn seit dem Urteil zehn Jahre, bei Einweisung in eine Anstalt nach Artikel 91 Ziff. 2 StGB 15 Jahre verstrichen sind."
Aufgrund dieser neuen Entfernungsregeln, die auf das Postulat Gadient vom 16. März 1989 (Amtl.Bull. 1989 S 303) zurückgehen, beträgt die
BGE 121 IV 3 S. 8
Verweildauer des Strafregistereintrags vom Urteil an gerechnet: bei unbedingten Freiheitsstrafen bis zu 3 Monaten 11-11 1/4 Jahre (bei Löschung von Amtes wegen,
Art. 80 Ziff. 1 StGB
) bzw. minimal 3 bis 3 1/4 Jahre (bei Löschung auf Gesuch des Verurteilten,
Art. 80 Ziff. 2 StGB
); bei bedingten Freiheitsstrafen von mehr als 3 Monaten bis zu 18 Monaten in der Regel 12 bis 15 Jahre; bei bedingten Freiheitsstrafen bis zu 3 Monaten in der Regel 7-10 Jahre bzw. - bei Übertretungen - 6 Jahre; bei nicht vorzeitig löschbaren Bussen 11 Jahre (bei Löschung von Amtes wegen) bzw. minimal 3 Jahre (bei Löschung auf Gesuch des Verurteilten); bei vorzeitig löschbaren Bussen in der Regel 6-7 Jahre (zu den Einzelheiten: JÜRG GIGER, Das neue Strafregisterrecht, ZStrR 111/1993, S. 197 ff., insb. 206 ff.).
cc) Entfernte Vorstrafen sind im Gegensatz zu gelöschten im Strafregister nicht mehr vorhanden und für den Strafrichter aus dem Registerauszug somit nicht mehr ersichtlich. Entfernte Vorstrafen können dem Richter gleichwohl zur Kenntnis gelangen, etwa aufgrund von beigezogenen Vorakten und älteren Gutachten oder aufgrund der Aussagen des Angeklagten oder von Zeugen. Entfernte Vorstrafen können dem Richter überdies von seiner früheren Amtstätigkeit her bekannt sein. Im Strassenverkehrsbereich können sie ihm ausserdem zur Kenntnis gelangen aufgrund des beim Bundesamt für Polizeiwesen geführten zentralen Registers der Administrativmassnahmen gegenüber Fahrzeugführern (ADMAS). Gemäss
Art. 118 Abs. 6 VZV
(SR 741.51) haben die für die Erteilung und den Entzug von Führerausweisen zuständigen Behörden den Gerichtsbehörden ihres Kantons im Strafverfahren wegen Strassenverkehrsdelikten, zur Beurteilung des automobilistischen Leumundes, auf Verlangen Eintragungen im ADMAS-Register mitzuteilen. Nach der Weisung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 30. September 1992 gelten für die Entfernung von Einträgen aus dem ADMAS-Register Fristen von zehn (z.B. bei Führerausweisentzügen wegen Angetrunkenheit) bzw. fünf Jahren. Wird eine neue Massnahme im ADMAS registriert, werden alle noch eingetragenen Massnahmen erst nach Ablauf der für die neue Massnahme geltenden Verweildauer entfernt.
dd) Im deutschen Recht dürfen im Bundeszentralregister getilgte oder tilgungsreife Verurteilungen von Gesetzes wegen in einem neuen Strafverfahren grundsätzlich nicht zum Nachteil des Täters verwendet werden. Eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe darf deshalb bei der Strafzumessung nicht strafschärfend berücksichtigt werden
BGE 121 IV 3 S. 9
(SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE, Strafgesetzbuch, Kommentar, 24. Aufl., vor §§ 38 ff. N. 61 und § 46 N. 31 mit Hinweisen).
Das schweizerische Recht kennt keine entsprechende Regelung. Gemäss
Art. 63 StGB
ist bei der Strafzumessung das Vorleben zu berücksichtigen. Zum Vorleben gehören auch entfernte Vorstrafen.
Art. 63 StGB
auferlegt dem Richter bei der Würdigung des Vorlebens keine Schranken und sagt nicht, entfernte Vorstrafen seien ausser acht zu lassen. Eine derartige Bestimmung enthält auch die Strafregisterverordnung nicht, wobei offenbleiben kann, wieweit überhaupt eine gesetzliche Grundlage für eine solche Beschränkung gegeben wäre. Ein Verwertungsverbot in bezug auf entfernte Vorstrafen wäre sachlich auch nicht gerechtfertigt. Entfernte Vorstrafen können für die Urteilsfindung in verschiedener Hinsicht wesentlich sein. Sie können zunächst von Bedeutung sein für die Wahl der Sanktionsart. So können etwa auch weiter zurückliegende und weniger schwerwiegende Vorstrafen wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand den Richter dazu veranlassen, ein Gutachten einzuholen und gegebenenfalls eine Massnahme anzuordnen. Entsprechendes gilt für weiter zurückliegende Vorstrafen aus dem Betäubungsmittelbereich oder solche, die eine psychische Auffälligkeit des Angeklagten offenbaren. Entfernte Vorstrafen können sodann gerade in Fällen wie hier, wo der Betroffene mehrfach gegen das Strassenverkehrsgesetz verstossen hat, für die Strafzumessung und die Frage des bedingten Strafvollzugs bedeutsam sein. Ein Verwertungsverbot würde den Richter im übrigen dazu zwingen, zusammenhängende Sachverhalte im Vorleben des Angeklagten in Teile zu zerlegen und einzelne davon ausser acht zu lassen. So müsste der Richter beispielsweise berücksichtigen, dass der Angeklagte am Arbeitsplatz oder in der Ehe Schwierigkeiten hatte, dürfte aber nicht beachten, dass der Angeklagte am Arbeitsplatz gestohlen oder den Ehegatten geschlagen hat, falls dies zu entfernten Vorstrafen geführt hat. Das wäre offensichtlich ungereimt. Schwer durchführbar wäre ein Verwertungsverbot auch dort, wo ein Gutachten vorliegt und der ärztliche Sachverständige bei der Beurteilung der Persönlichkeit des Angeklagten entfernte Vorstrafen berücksichtigt hat. Das gleiche gilt, soweit Vorstrafen aufgrund des ADMAS-Auszuges bekannt wären, weil die Entfernung aus dem Register dort anders geregelt ist. Ein Verwertungsverbot in bezug auf entfernte Vorstrafen ist deshalb abzulehnen.
Die Entfernung aus dem Strafregister aufgrund des Zeitablaufs kann allerdings ein Indiz dafür sein, dass der Vorstrafe für die Sanktion keine
BGE 121 IV 3 S. 10
grosse Bedeutung mehr zukommt. Vorstrafen haben umso weniger Gewicht, je geringfügiger sie sind und je länger sie zurückliegen (vgl.
BGE 96 IV 155
E. III/2;
BGE 92 IV 118
, S. 121; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil II, § 7 N. 41).
ee) Die Beschwerde ist in diesem Punkt somit unbegründet. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
38efc072-619c-40a2-ad9b-4e963a13be5c | Urteilskopf
96 I 88
16. Urteil des Kassationshofes vom 13. April 1970 i.S. Walther gegen Eidg. Oberzolldirektion und Kantonsgericht Schaffhausen. | Regeste
Art. 49 Ziff. 3 StGB
; 100 lit. f OG
.
Der Entscheid auf Umwandlung einer nichtbezahlten Busse in Haft kann nicht mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden. | Sachverhalt
ab Seite 88
BGE 96 I 88 S. 88
A.-
Am 16. Mai 1968 verfällte die Eidg. Oberzolldirektion Hans-Rudolf Walther wegen Widerhandlung gegen den Bundesratsbeschluss über die Warenumsatzsteuer in eine Busse von Fr. 291.60. Die Strafverfügung wurde dem Gebüssten am 1. Juni 1968 schriftlich eröffnet und erwuchs mit unbenutztem Ablauf der Einsprachefrist in Rechtskraft.
B.-
Auf Begehren der schweiz. Zollverwaltung wandelte das Kantonsgericht Schaffhausen die Busse, für welche Walther erfolglos betrieben worden war, am 13. November 1969 als uneinbringlich in 29 Tage Haft um. Walther, der zuvor vom Kantonsgericht zur Stellungnahme aufgefordert worden war, hatte sich mit Eingabe vom 20. September 1969 dahin vernehmen lassen, es sei von einer Umwandlung der Busse abzusehen, da
BGE 96 I 88 S. 89
es ihm nach den Umständen nicht möglich gewesen sei, sie zu bezahlen.
C.-
Walther ficht den Beschluss des Kantonsgerichtes vom 13. November 1969 mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Er beantragt, der Beschluss sei aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zur Begründung macht er geltend, dass er zwar der Aufforderung des Kantonsgerichtes, zum Begehren der Zollverwaltung Stellung zu beziehen, nachgekommen sei, dass er jedoch erwartet habe, es werde ihm noch Gelegenheit geboten werden, in die Akten Einsicht zu nehmen und zum umstrittenen Punkt der schuldlosen Nichtbezahlung allfällige Beweisanträge zu stellen. Im weitern habe er damit gerechnet, sich an einer Hauptverhandlung mündlich rechtfertigen und durch einen Anwalt verteidigen lassen zu können. Diese Erwartung habe sich nicht erfüllt. Es sei ihm das Recht auf Akteneinsicht und auf Teilnahme an einer Hauptverhandlung verweigert worden. Für den Fall aber, dass nach kantonalem Recht bei Umwandlung von Bussen ein ordentliches Gerichtsverfahren nicht stattfinden könne, müsse er auf seinem Standpunkt beharren, dass von der Vorinstanz auf den Einwand der schuldlosen Nichtbezahlung der Busse nach
Art. 49 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
nicht "genügend eingetreten worden sei", was eine Rechtsverletzung darstelle.
D.-
Die Eidg. Oberzolldirektion beantragt in ihrer Vernehmlassung vom 23. März 1970, es sei auf das Rechtsmittel nicht einzutreten, weil die Verwaltungsgerichtsbeschwerde im vorliegenden Falle nicht gegeben und die Eingabe als Nichtigkeitsbeschwerde verspätet sei.
Das Kantonsgericht Schaffhausen hat sich u.a. mit dem Hinweis darauf vernehmen lassen, dass die Rüge der Verweigerung des rechtlichen Gehörs nach Art. 32 ff. Schaffhauser StPO mit dem ausserordentlichen Rechtsmittel der Beschwerde beim Obergericht hätte angebracht werden können.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Die Vorbringen des Beschwerdeführers laufen zur Hauptsache auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs hinaus, so wenn Walther geltend macht, es sei ihm die Akteneinsicht und die Teilnahme an einer Hauptverhandlung verweigert worden, an welcher er sich mündlich hätte rechtfertigen und durch einen Anwalt verteidigen lassen können. Verstösse
BGE 96 I 88 S. 90
gegen
Art. 4 BV
können, wie alle Verletzungen von Bundesrecht (
Art. 104 lit. a OG
), mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht werden, sofern die sachliche Zuständigkeit des Bundesgerichtes als Verwaltungsgerichtshof überhaupt gegeben ist (GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, S. 133 N. 3.2). Diese Voraussetzung ist, wo verfassungsmässige Rechte in Frage stehen, erfüllt, wenn die gerügte Verletzung mit einer Sache zusammenhängt, die an sich nach den Vorschriften der
Art. 97 ff. OG
Streitgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens sein könnte (GYGI, a.a.O., S. 133 N. 3.2 und S. 134 N. 3.4).
An einem solchen Sachzusammenhang zwischen dem gerügten Verstoss gegen
Art. 4 BV
und einer Bundesverwaltungsstreitsache fehlt es im vorliegenden Fall. Nach
Art. 100 lit. f OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegenüber Verfügungen auf dem Gebiete der Strafverfolgung. Darunter fallen nach der Entwicklungsgeschichte dieser Bestimmung alle Verfügungen auf dem Gebiete des Strafrechtes - und zwar auch des Verwaltungsstrafrechtes - sowie des Strafverfahrens, die nicht den Strafvollzug betreffen (BBl 1965 II 1309ff.); es ist nicht Sache der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Lücken des Rechtsschutzes auf dem Gebiete des Strafverfahrens zu schliessen (Prot. Komm. NatR vom 17./18. Januar 1966, S. 41 Votum Imboden). Da nach ständiger Rechtsprechung des Kassationshofes der vom Richter ausgehende Beschluss, mit welchem eine Busse in Haft umgewandelt wird, keine Vollzugsmassnahme, sondern einen das Bussenurteil ergänzenden materiellen Entscheid darstellt (
BGE 74 IV 60
mit Verweisungen), kann das Verfahren, das zu diesem Entscheid führt, seinerseits kein Vollzugsverfahren sein. Dann aber können auch diesem Verfahren anhaftende Mängelnicht mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
gerügt werden.
2.
Ist demnach die Eingabe des Beschwerdeführers vom 6. Januar 1970 als Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig, so kann sie als staatsrechtliche Beschwerde entgegengenommen werden, sofern sie den formellen Anforderungen der
Art. 87 ff. OG
genügt; denn eine unrichtige Bezeichnung des Rechtsmittels schadet nicht (
BGE 71 III 195
,
BGE 92 II 132
).
Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
ist gemäss
Art. 87 OG
erst zulässig, nachdem von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist. Dazu gehört nach feststehender Rechtsprechung auch die Ergreifung
BGE 96 I 88 S. 91
ausserordentlicher kantonaler Rechtsmittel, mit denen die gerügte Verfassungsverletzung geltend gemacht werden kann (
BGE 90 I 204
,
BGE 89 I 126
mit Verweisungen). Im vorliegenden Falle hätte der Beschwerdeführer die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäss Art. 32 ff. Schaffhauser StPO innert 10 Tagen, nachdem ihm der Beschluss des Kantonsgerichtes bekanntgegeben worden war, mit dem ausserordentlichen Rechtsmittel der Beschwerde beim kantonalen Obergericht anbringen können. Das hat er nicht getan. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher insoweit mangels Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht einzutreten.
3.
Walther macht schliesslich noch eine Verletzung von
Art. 49 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
geltend. Auch mit diesem Vorbringen ist er nicht zu hören. Die genannte Rüge hätte mit der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichtes erhoben werden müssen (
BGE 74 IV 60
), die jedoch weder mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde noch mit der staatsrechtlichen Beschwerde in einer einzigen Eingabe vereinigt werden kann (
BGE 89 IV 27
). Abgesehen davon wäre die vom 6. Januar 1970 datierte Rechtsschrift als Nichtigkeitsbeschwerde ohnehin verspätet, nachdem der Beschluss des Kantonsgerichtes dem Beschwerdeführer am 5. Dezember 1969 eröffnet worden ist.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
38f2364c-9085-4058-b1fa-0ca8d1c01d53 | Urteilskopf
90 I 315
48. Urteil vom 13. November 1964 i.S. S. gegen Schweiz. Eidgenossenschaft. | Regeste
Aus Art. 25 Abs. 1 der Statuten der eidgenössischen Versicherungskasse lässt sich kein Rechtsanspruch des Rentenbezügers ableiten, es sei ihm die Invalidenrente im Falle eines Mehrverdienstes ungekürzt auszuzahlen.
Eine Streitigkeit über einen vermögensrechtlichen Anspruch im Sinne von
Art. 110 Abs. 1 OG
liegt demnach nicht vor.
Unzuständigkeit des Bundesgerichtes. | Sachverhalt
ab Seite 316
BGE 90 I 315 S. 316
A.-
S. war von 1934 bis 1959 bei der schweizerischen Verrechnungsstelle angestellt. Gestützt auf den Bundesratsbeschluss über die Aufnahme des Personals der schweizerischen Verrechnungsstelle in die eidgenössische Versicherungskasse wurde er im Jahre 1951 Mitglied dieser Kasse. Bei seiner unverschuldeten Entlassung vom 28. Februar 1959, die durch teilweisen Abbau der Verrechnungsstelle bedingt war, erhielt er gemäss Art. 22 der Statuten der Versicherungskasse für das Personal der allgemeinen Bundesverwaltung (Eidgenössische Versicherungskasse) eine Invalidenrente zugesprochen.
Die eidgenössische Versicherungskasse kürzte die Rente im Hinblick auf eine neue Erwerbstätigkeit, die der Rentenbezüger nach seiner Entlassung ausübte. Die Kürzung betrug die Hälfte des Mehrverdienstes. Verschiedene Gesuche des S., die Rente sei ihm voll auszubezahlen, da er durch Krankheiten in seiner Familie aussergewöhnlich stark belastet werde, wies die Verwaltung ab.
B.-
Mit verwaltungsrechtlicher Klage vom 1. Oktober 1964 beantragt S., die Schweizerische Eidgenossenschaft sei zur Zahlung von Fr. 5'866.10 nebst 5% Verzugszins vom Tage der Klageerhebung an zu verurteilen.
Er macht geltend, nach Art. 25 Abs. 1 der Statuten sei auf eine Kürzung der Rente bei neuem Verdienst ganz oder teilweise zu verzichten, wenn besonders berücksichtigungswerte Verhältnisse vorlägen. Für die entlassenen Angestellten der Verrechnungsstelle gelte als Regel eine Kürzung der Rente um die Hälfte des Mehrverdienstes. Bei besondern sozialen Verhältnissen könne aber auf eine Herabsetzung der Rente überhaupt verzichtet werden. Aussergewöhnliche
BGE 90 I 315 S. 317
Umstände seien bei ihm gegeben. Er werde aus der Krankheit seiner Ehefrau und seiner Söhne schwer belastet und habe grössere Schulden eingehen müssen. Es rechtfertige sich, ihm die volle Rente auszubezahlen. Er verlange den Betrag zurück, um den seine Rente im letzten Jahr vor der Klageerhebung gekürzt worden sei. Von Oktober bis Dezember 1963 seien ihm monatlich Fr. 699.70 und in den Monaten Januar bis Mai 1964 Fr. 3'787.--, insgesamt also Fr. 5'886.10 vorenthalten worden.
C.-
Die Eidgenossenschaft, vertreten durch die eidgenössische Finanzverwaltung, beantragt Abweisung der Klage.
Die Beklagte führt aus: Entgegenkommend sei dem Kläger die umstrittene Rente für die Jahre 1962 und 1963 um weniger als die Hälfte des Mehrverdienstes herabgesetzt worden, indem Auszahlungen für Überstunden bei der Berechnung des Hälfteanteils nicht berücksichtigt worden seien. Der Kläger habe 1962 ein Nettoeinkommen von Fr. 29'590.70 und 1963 ein solches von Fr. 31'067.45, davon je über Fr. 12'000.-- aus gekürzter Rente, erzielt, er verdiene mehr, als er bei der Verrechnungsstelle je erhalten hätte.
Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Rente, soweit sie zusammen mit dem Arbeitseinkommen den frühern Verdienst übersteige. In welchem Ausmass sie ihm zu überlassen sei, falle in das Ermessen der Verwaltung. Das Bundesgericht habe nur zu prüfen, ob die Versicherungskasse ihr Ermessen missbraucht habe. Davon könne keine Rede sein. Der Kläger habe die Behauptung, seine Finanzlage sei ausserordentlich prekär, nicht nachgewiesen. Es liesse sich nicht verantworten, ihm einen grössern Rentenanteil auszuzahlen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
- Der Kläger, dessen Dienstverhältnis bei der schweizerischen Verrechnungsstelle ohne eigenes Verschulden und nicht auf seine Veranlassung aufgelöst worden ist, hat gemäss
BGE 90 I 315 S. 318
Art. 22 der Statuten der eidgenössischen Versicherungskasse Anspruch auf eine Invalidenrente. Die Invalidenrente besteht aus einer Rente in Prozenten des versicherten Verdienstes und einem festen Zuschlag. Die Summe von Rente und neuem Einkommen des Rentenbezügers aus Arbeitsverdienst darf jedoch höchstens seinen frühern Verdienst erreichen. In diesem Sinne ist der Anspruch auf die Rente der Höhe nach begrenzt. Art. 25 Abs. 1 der Statuten vom 29. September 1950 hat bei der Entlassung des Klägers Ende Februar 1959 folgende zwingende Regelung vorgesehen: Die Rente wird "um den Betrag gekürzt, um den die Summe von Rente und Arbeitseinkommen seinen frühern Verdienst übersteigt."
In der Folge ist - um Härtefälle zu beseitigen - Art. 25 Abs. 1 der Statuten mit Nachtrag vom 3. November 1959 u.a. durch den Satz ergänzt worden: "Bei besonders berücksichtigungswerten Verhältnissen kann auf die Kürzung ganz oder teilweise verzichtet werden" (s. AS 1959 S. 2116). Gestützt auf diese Änderung hat die eidgenössische Versicherungskasse im Jahre 1960 mit der Verrechnungsstelle eine generelle Lösung für deren ehemaligeAngestellte vereinbart. Sie lautet gemäss Zirkularschreiben der Verrechnungsstelle vom 11. Januar 1960: "Bei der Anwendung von Art. 25 gilt inskünftig als Regel, dass die Rente im Maximum um die Hälfte des Mehrverdienstes ... gekürzt wird. Auf die Kürzung kann in weitergehendem Mass oder ganz verzichtet werden, wenn besondere soziale Verhältnisse dies rechtfertigen."
2.
- Der dem Kläger zustehende Rechtsanspruch erstreckt sich nach dem Gesagten auf eine Invalidenrente gekürzt um die Differenz, die sich zwischen dem frühern Verdienst und der höhern Summe von Rente und neuem Arbeitseinkommen ergibt.
Ein teilweiser oder ganzer Verzicht auf die so umschriebene Rentenkürzung liegt bei besondern Verhältnissen im Ermessen der Verwaltung. Diese hat hievon Gebrauch gemacht und für die ehemaligen Angestellten der Verrechnungsstelle
BGE 90 I 315 S. 319
die Regel aufgestellt, die Rente sei höchstens um die Hälfte des Mehrverdienstes zu kürzen; vorbehalten bleibt ein noch weiteres Entgegenkommen, das bis zum gänzlichen Verzicht auf die Kürzung gehen kann. Auch dieser weitergehende Verzicht liegt im Ermessen der eidgenössischen Versicherungskasse. Ein Rechtsanspruch des Klägers, die Invalidenrente sei ihm ungekürzt auszuzahlen, lässt sich weder aus Art. 25 Abs. 1 der Statuten noch aus der zwischen der Versicherungskasse und der Verrechnungsstelle geschlossenen Vereinbarung, die ohnehin keinen Rechtssatz, sondern bloss eine von der Verwaltung aufgestellte Richtlinie darstellt, herleiten.
Eine Streitigkeit über einen vermögensrechtlichen Anspruch im Sinne von
Art. 110 Abs. 1 OG
liegt demnach nicht vor. Über den teilweisen oder ganzen Verzicht auf die Kürzung der Rente bei Mehrverdienst befindet allein die Verwaltung nach ihrem Ermessen. Ein eigentlicher Missbrauch dieses Ermessens ist nicht vorhanden und wird auch nicht behauptet. Das Bundesgericht hat sich mit der Klage mangels Zuständigkeit nicht zu befassen.
3.
- Eine andere Lösung der Eintretensfrage, als sie in
BGE 88 I 55
lit. c mit Bezug auf Art. 64 Abs. 2 i. f. der Angestelltenordnung getroffen wird, ist wegen der - sachlich bedingten - verschiedenen Umschreibung der Rechtsansprüche gerechtfertigt. Insbesondere fehlt es im vorliegenden Fall an der dort gegebenen unlösbaren Einheit zwischen grundsätzlicher Regelung und Ausnahme. Eine über den behandelten Einzelfall hinausgehende, allgemeine Bedeutung kann den Formulierungen von
BGE 88 I 55
nicht beigemessen werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Klage wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
38f5b5e2-9cf8-4efc-9da4-a68e825ca6ef | Urteilskopf
97 I 680
98. Auszug aus dem Urteil vom 13. Oktober 1971 i.S. Caspar und Hoffmann gegen Jäggi und Gerichtspräsident von Solothurn-Lebern. | Regeste
Art. 86 Abs. 2 und
Art. 87 OG
.
Die Bewilligung des Arrests (Arrestbefehl,
Art. 272 SchKG
) ist ein Endentscheid im Sinne des
Art. 87 OG
(Erw. 2).
Ein kantonales Rechtsmittel, vor dessen Durchführung die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
gegen den Arrestbefehl nach
Art. 86 Abs. 2 und
Art. 87 OG
unzulässig ist, bildet
- die Arrestaufhebungsklage (
Art. 279 Abs. 2 SchKG
), mit der der Schuldner den Arrestgrund bestreiten kann (Erw. 3 a);
- nicht die Arrestprosequierung (
Art. 278 SchKG
), in der der Schuldner Bestand, Fälligkeit und Höhe der Arrestforderung bestreiten kann; er kann daher mit einer unmittelbar gegen den Arrestbefehl gerichteten staatsrechtlichen Beschwerde geltend machen, die diesem zugrunde liegende Annahme, der Gläubiger habe eine verfallene Forderung glaubhaft gemacht, sei willkürlich und verletze
Art. 4 BV
(Änderung der Rechtsprechung; Erw. 3 b). | Sachverhalt
ab Seite 681
BGE 97 I 680 S. 681
Aus dem Sachverhalt:
Die in Deutschland wohnhaften G. Caspar und M. Hoffmann erwarben durch Tauschvertrag vom 12. Dezember 1969 von der Einwohnergemeinde Solothurn das 112 a Bauland umfassende Grundstück Nr. 3943 in Solothurn zu Miteigentum und verpflichteten sich dabei, die Architekturarbeiten zu den Ansätzen des SIA an X. Jäggi zu übertragen. Nachdem sie Jäggi mitgeteilt hatten, dass sie die Architekturarbeiten anderweitig vergeben hätten, erhob Jäggi am 27. Januar 1971 beim Richteramt Solothurn-Lebern mündlich Klage "betr. Feststellung, Erfüllung, ev. Schadenersatz" gegen Caspar und Hoffmann. Ferner erwirkte er am 24. Februar 1971 beim Präsidenten des gleichen Gerichts gestützt auf
Art. 271 Ziff. 4 SchKG
für eine Forderung von Fr. 350'000.-- einen Arrest auf dem erwähnten Grundstück. Caspar und Hoffmann erhoben neben einer Arrestaufhebungsklage, die sie in der Folge wieder zurückzogen, staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des Arrestbefehls. Sie werfen dem Gerichtspräsidenten als Verletzung des
Art. 4 BV
vor, er habe willkürlich angenommen, dass Jäggi eine fällige Forderung von Fr. 350'000.-- gegen sie glaubhaft gemacht habe. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde ein aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
In
BGE 94 I 368
E. 3 hat das Bundesgericht festgestellt, der Entscheid über provisorische Rechtsöffnung sei im Verhältnis zu den Urteilen über die Forderungsklage (
Art. 79 SchKG
) oder Aberkennungsklage (
Art. 83 Abs. 2 SchKG
) ein Endentscheid, weil das Rechtsöffnungs- und das Zivilprozessverfahren ihrem Gegenstand nach derart verschieden seien, dass es nicht angehe, sie als eine Einheit zu betrachten, innerhalb
BGE 97 I 680 S. 682
welcher der Rechtsöffnungsentscheid einen blossen Zwischenentscheid darstellen würde. Sodann hat es in
BGE 95 I 256
E. 3 entschieden, der Entscheid, mit dem der Rechtsvorschlag in der Wechselbetreibung bewilligt wird (
Art. 182 SchKG
), stelle einen Endentscheid dar, denn die Geltendmachung des Anspruchs des Gläubigers im ordentlichen Zivilprozess (
Art. 186 SchKG
) sei keine Fortsetzung des Betreibungs- und Rechtsvorschlagsverfahrens. Die in diesen Urteilen angestellten Erwägungen, auf die im einzelnen verwiesen wird, führen dazu, die Arrestbewilligung (
Art. 272 SchKG
) im Verhältnis zum Urteil über die Klage auf Anerkennung der Forderung (
Art. 278 SchKG
) nicht als Zwischenentscheid zu betrachten. Der Arrest ist eine Sicherungsmassnahme rein betreibungsrechtlicher Natur, die dazu dient, eine spätere Pfändung zu ermöglichen (JAEGER, N. 6 zu
Art. 271 SchKG
; BLUMENSTEIN, Handbuch S. 827; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs 2. A. Bd. II S. 200). Die Arrestprosequierungsklage ist keine betreibungsrechtliche, sondern eine selbständige zivilrechtliche Klage (FRITZCHE, a.a.O. S. 244). Sie "steht mit dem Arrest inhaltlich in keinem Zusammenhang" (
BGE 95 II 206
E. 2) und unterscheidet sich - wie die Aberkennungsklage - in keiner wesentlichen Beziehung von einem Forderungsstreit, der mit keinem Betreibungsverfahren zusammenhängt. Die Selbständigkeit des Arrestbewilligungsverfahrens folgt auch daraus, dass der Arrest auch bewilligt werden kann für eine Forderung, die bereits durch rechtskräftiges Urteil festgestellt ist. Arrestbewilligungs- und Arrestprosequierungsverfahren sind somit getrennte Verfahren mit verschiedenen Zielen; ersteres dient der betreibungsrechtlichen Sicherung einer Forderung, letzteres der Abklärung ihres Bestandes. Der Entscheid, mit dem der Arrest bewilligt wird, ist demnach ein Endentscheid im Sinne des
Art. 87 OG
.
3.
Da in
BGE 82 I 81
und den dort angeführten Urteilen i.S. Repal SA und Lamalex SA vom 27. Januar bzw. 19. Mai 1954 angenommen wurde, der Arrestbefehl sei kein letztinstanzlicher Entscheid im Sinne der
Art. 86 Abs. 2 und
Art. 87 OG
, solange der in der Arrestprosequierungsbetreibung erhobene Rechtsvorschlag nicht durch definitive Rechtsöffnung oder durch ein letztinstanzliches Urteil über die Arrestforderung beseitigt sei, ist weiter zu prüfen, ob und inwiefern der Arrestbefehl als letztinstanzlich zu gelten hat. Dabei ist wiederum von
BGE 97 I 680 S. 683
den Erwägungen auszugehen, die das Bundesgericht vor einigen Jahren veranlasst haben, in Änderung seiner Rechtsprechung der Forderungs- und Aberkennungsklage gegenüber der provisorischen Rechtsöffnung und der Klage gemäss
Art. 186 SchKG
gegenüber der Bewilligung des Rechtsvorschlags in der Wechselbetreibung den Charakter von Rechtsmitteln im Sinne von
Art. 86 Abs. 2 OG
abzusprechen (
BGE 94 I 371
E. 4 und
BGE 95 I 255
E. 2, 3).
a) Gegen den Arrestbefehl findet weder Berufung noch Beschwerde statt (
Art. 279 Abs. 1 SchKG
). Zulässig ist einzig die Arrestaufhebungsklage, mit welcher der Schuldner jedoch nur den Arrestgrund bestreiten kann (
Art. 279 Abs. 2 SchKG
). Da es sich dabei um eine Frage des Betreibungsrechtes handelt, unterliegt das letztinstanzliche Urteil im Arrestaufhebungsprozess weder der Berufung noch der zivilrechtlichen Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht (
BGE 81 II 83
/84), sondern kann bei diesem nur mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden. Der Arrestaufhebungsprozess setzt inbezug auf das Vorliegen des Arrestgrundes das Arrestbewilligungsverfahren fort und bildet mit ihm eine Einheit, welche die Arrestaufhebungsklage als Rechtsmittel gegenüber dem Arrestbefehl erscheinen lässt. Bei Streit über den Arrestgrund bildet daher für den Schuldner erst das Urteil, mit dem die letzte kantonale Instanz die Arrestaufhebungsklage abweist, einen letztinstanzlichen Arrestbewilligungsentscheid.
b) Die Beschwerdeführer bestreiten mit der vorliegenden Beschwerde nicht den Arrestgrund, sondern Bestand, Fälligkeit und Höhe der Arrestforderung. Der Entscheid hierüber ist der Arrestprosequierung gemäss
Art. 278 SchKG
vorbehalten. Da, wie in Erw. 2 dargelegt wurde, Arrestbewilligungsverfahren einerseits und Arrestprosequierungsverfahren anderseits ihrer Natur und ihrem Gegenstand nach ebenso verschieden sind wie die provisorische Rechtsöffnung und der im Anschluss daran eingeleitete Forderungs- oder Aberkennungsprozess, geht es nicht an, die Arrestforderungsklage gegenüber der Arrestbewilligung als "Rechtsmittel" im Sinne von
Art. 86 Abs. 2 OG
aufzufassen. Inbezug auf die Glaubhaftigkeit der Arrestforderung und ihrer Fälligkeit bildet das Arrestbewilligungsverfahren ein selbständiges Verfahren, das durch den Entscheid der Arrestbehörde letztinstanzlich abgeschlossen wird. An der hievor erwähnten Rechtsprechung, wonach im Hinblick auf das
BGE 97 I 680 S. 684
Arrestprosequierungsverfahren gemäss
Art. 278 SchKG
die unmittelbar gegen den Arrestbefehl erhobene staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
mangels Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht zulässig ist, kann daher nicht festgehalten werden.
c) Der vom Gerichtspräsidenten von Solothurn-Lebern am 24. Februar 1971 erlassene Arrestbefehl ist somit, soweit es um Bestand, Fälligkeit und Höhe der Arrestforderung geht, ein letztinstanzlicher Endentscheid, weshalb auf die vorliegende, gegen ihn erhobene staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
38f9912f-10b1-4dbe-9e1f-24f9526e4cf5 | Urteilskopf
110 V 72
13. Urteil vom 9. April 1984 i.S. Lehmann gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 6 Abs. 1 und 2 des schweizerisch-belgischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 24. September 1975, Art. 7 Abs. 1 und 2 des schweizerisch-französischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 3. Juli 1975, Art. 5 Abs. 1 des schweizerisch-britischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 21. Februar 1968. Diese staatsvertraglichen Vorschriften über das Erwerbsortsprinzip sind unmittelbar anwendbare Normen, welche den Bestimmungen des AHVG über die Versicherungs- und Beitragspflicht vorgehen (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2, 3).
Art. 5 und 9 AHVG
. Beitragsrechtliche Qualifikation eines technischen Firmenberaters als Selbständigerwerbender (Erw. 4).
Art. 4 Abs. 2 lit. a und 12 Abs. 2 AHVG,
Art. 6ter lit. a AHVV
. Begriff der Betriebsstätte. Anwendbarkeit des steuerrechtlichen Begriffs gemäss
Art. 6 BdBSt
? Frage offengelassen. In casu Ingenieurbüro als Betriebsstätte nach
Art. 6ter lit. a AHVV
behandelt (Erw. 5b).
Art. 159 OG
. Voraussetzungen, unter denen einer in eigener Sache prozessierenden Partei ausnahmsweise eine Entschädigung für persönlichen Arbeitsaufwand und Umtriebe zusteht (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 74
BGE 110 V 72 S. 74
A.-
Albert Lehmann war seit Jahren als Chemiker in verschiedenen Schweizer Firmen der Farbstoff-, Lack- und Harzbranche tätig gewesen. Aufgrund eines vom 26. November 1976 datierten "Contrat pour une mission de conseiller" arbeitete er von anfangs März 1977 bis Ende April 1980 für die Firma Belgian Engineers & Constructors S.A. (BECSA), Bruxelles. Seine Aufgabe bestand laut Vertrag in der Beratung bei der Errichtung zweier Farbfabriken in Algerien und bei der Ausbildung des für den Betrieb dieser Produktionsstätten vorgesehenen Personals. Diese Erwerbstätigkeit führte Albert Lehmann in Belgien aus, wo er sich in Brüssel ein Büro eingerichtet hatte, daneben aber auch in Algerien, Frankreich, Grossbritannien und der Schweiz, wo er während der Tätigkeit für die Firma BECSA wohnhaft blieb.
Mit am 23./24. Juli 1981 erlassenen, am 27. August 1981 und 19. sowie 26. März 1982 in masslicher Hinsicht abgeänderten Verfügungen verpflichtete die Ausgleichskasse des Kantons Zürich Albert Lehmann zur Bezahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit von März 1977 bis April 1980 als Arbeitnehmer eines nicht beitragspflichtigen Arbeitgebers.
B.-
Beschwerdeweise beantragte der Versicherte vor der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich die Aufhebung der Beitragsverfügungen, dies mit der Begründung, er unterliege für die fragliche Zeitspanne als selbständigerwerbender Inhaber einer Betriebsstätte im Ausland der Beitragspflicht nicht; eventualiter sei von einem niedrigeren beitragspflichtigen Erwerbseinkommen auszugehen.
Die Rekurskommission nahm an, mangels einschlägiger staatsvertraglicher Regelungen sei die Frage der AHV-rechtlichen Beitragspflicht einzig gemäss innerstaatlichem Recht zu entscheiden. Danach sei Albert Lehmann weder als Selbständigerwerbender noch als Inhaber eines Betriebes oder einer Betriebsstätte im Ausland zu betrachten, weswegen er von der Verwaltung zu Recht als Arbeitnehmer eines nicht beitragspflichtigen Arbeitgebers zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen an die AHV verhalten worden sei; auch sei die massliche Festsetzung der Beiträge angesichts der berichtigten Verfügungen vom 27. August 1981 und 26. März 1982 nicht zu beanstanden. Diese Erwägungen führten die Rekurskommission zur Abweisung der Beschwerde (Entscheid vom 28. Oktober 1982).
C.-
Albert Lehmann führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, er sei hinsichtlich der Zeit vom 1. März 1977 bis
BGE 110 V 72 S. 75
30. April 1980 "nur für die in der Schweiz tätig gewesene Zeit AHV-pflichtig (zu erklären) für das im Ausland erworbene Honorar"; dabei entspreche "die Zeit von ca. 2 Monaten pro Jahr einem Sechstel der geforderten AHV-Beiträge".
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Überprüfungsbefugnis; keine Bindung an die Parteibegehren,
Art. 114 Abs. 1 OG
.)
2.
a) Obligatorisch versichert sind u.a. die natürlichen Personen, die in der Schweiz ihren zivilrechtlichen Wohnsitz haben (
Art. 1 Abs. 1 lit. a AHVG
).
Die im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 AHVG
Versicherten sind gemäss
Art. 3 Abs. 1 Satz 1 AHVG
beitragspflichtig, solange sie eine Erwerbstätigkeit ausüben. Da dies beim Beschwerdeführer während der Periode von März 1977 bis April 1980 der Fall war, ist seine Beitragspflicht grundsätzlich zu bejahen. Sie entfällt nur, wenn und insoweit der Ausnahmetatbestand des im Ausland erzielten Einkommens gemäss
Art. 6ter lit. a AHVV
in Verbindung mit
Art. 4 Abs. 2 lit. a AHVG
gegeben ist (vgl. Erw. 5b hienach) oder eine abweichende staatsvertragliche Regelung bezüglich der Beitragspflicht zur Anwendung gelangt.
b) Das Abkommen über Soziale Sicherheit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich Belgien vom 24. September 1975 (in Kraft seit 1. Mai 1977) enthält im Titel III (Art. 6-9) Vorschriften über die anwendbare Gesetzgebung. Unter Vorbehalt der hier nicht zutreffenden Ausnahmetatbestände der Art. 7-9 des Abkommens (vorübergehende Beschäftigung, Transport- und Luftverkehrsunternehmen, öffentliche Verwaltungsdienste, diplomatische Vertreter, besondere Vereinbarungen) unterstehen Arbeitnehmer, die im Gebiet eines Vertragsstaates erwerbstätig sind, der Gesetzgebung dieses Vertragsstaates, auch wenn sie im Gebiet des anderen Vertragsstaates wohnen oder wenn sich ihr Arbeitgeber oder der Sitz des Unternehmens, das sie beschäftigt, im Gebiet des anderen Vertragsstaates befindet (Art. 6 Abs. 1 des Abkommens). Dieses Erwerbsortsprinzip (BBl 1976 II 842) gilt (unter denselben, hier jedoch nicht gegebenen Vorbehalten) auch für Selbständigerwerbende (Art. 6 Abs. 2 des Abkommens). Entsprechende Vorschriften über das Erwerbsortsprinzip
BGE 110 V 72 S. 76
sowohl in bezug auf selbständige wie auf unselbständige Erwerbstätigkeit enthalten die Sozialversicherungsabkommen der Schweiz mit Frankreich vom 3. Juli 1975 und mit Grossbritannien vom 21. Februar 1968 (Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 des schweizerisch-französischen und Art. 5 Abs. 1 des schweizerisch-britischen Abkommens). Demgegenüber sah das bis Ende April 1977 in Kraft gewesene alte schweizerisch-belgische Abkommen vom 17. Juni 1952 das Erwerbsortsprinzip nur für Arbeitnehmer vor (Art. 3 Abs. 1; AS 1953 S. 929).
Nach schweizerischer Lehre und Praxis geht Staatsvertragsrecht internem Landesrecht grundsätzlich vor (
BGE 106 Ib 402
Erw. 5a mit Hinweisen; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Bd. I, S. 80 ff.). Dies gilt, wie das Eidg. Versicherungsgericht in ständiger Rechtsprechung festgehalten hat, insbesondere auch hinsichtlich zwischenstaatlicher Sozialversicherungsabkommen (
BGE 109 V 224
,
BGE 96 V 140
; ZAK 1973 S. 498 Erw. 4). Staatsvertragliche Bestimmungen der oben erwähnten Art über das Erwerbsortsprinzip sind sodann als unmittelbar anwendbare Normen zu betrachten, weil sie inhaltlich hinreichend bestimmt und klar sind (
BGE 106 Ib 187
,
BGE 105 II 57
Erw. 3; MÜLLER/WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 2. Aufl., S. 116 f.). Daraus folgt, dass derjenige, der mit einer auf landesrechtlichen Normen beruhenden Unterstellung unter die schweizerische Versicherung und der damit verbundenen grundsätzlichen Beitragspflicht nicht einverstanden ist, sich gegebenenfalls direkt auf das staatsvertragliche Erwerbsortsprinzip berufen kann (EVGE 1959 S. 19 Erw. 2; ZAK 1981 S. 518 Erw. 1).
3.
Der Beschwerdeführer war in der Zeit vom 1. März 1977 bis zum 30. April 1980 für die belgische Firma BECSA beschäftigt, wobei sich diese Erwerbstätigkeit nach seinen Angaben schwergewichtig in Belgien, darüber hinaus aber auch in England, Frankreich, der Schweiz und Algerien verwirklichte.
a) In dem Umfange, als der Beschwerdeführer im vorliegend massgeblichen Zeitraum in der Schweiz erwerbstätig war, beurteilt sich seine grundsätzliche Beitragspflicht gegenüber der schweizerischen AHV nach den erwähnten Bestimmungen des AHVG (vgl. Erw. 2a hievor). Insoweit ist seine Beitragspflicht gegeben.
Das gleiche gilt - mangels einer derogierenden staatsvertraglichen Vorschrift - für den Anteil der in Algerien ausgeführten Erwerbstätigkeit. Auch kommt diesbezüglich keine Befreiung von der Beitragspflicht gemäss
Art. 4 Abs. 2 lit. a AHVG
in Verbindung
BGE 110 V 72 S. 77
mit
Art. 6ter lit. a AHVV
in Frage, weil der Beschwerdeführer in Algerien keine Betriebsstätte hatte.
b) Insoweit der Beschwerdeführer in der fraglichen Zeit in England und Frankreich und - vom 1. Mai 1977, dem Inkrafttreten des neuen schweizerisch-belgischen Sozialversicherungsabkommens - in Belgien für die Firma BECSA beschäftigt war, ist er kraft des in den erwähnten Staatsverträgen niedergelegten, gleichermassen für Selbständig- wie Unselbständigerwerbende geltenden Erwerbsortsprinzipes der schweizerischen AHV-Gesetzgebung nicht unterstellt und damit nicht beitragspflichtig. Dies hat das Eidg. Versicherungsgericht in ständiger Rechtsprechung aus dem Erwerbsortsgrundsatz abgeleitet, ohne - wie es das BSV verlangt - darauf abzustellen, ob der Betroffene hinsichtlich des fraglichen Beitragsobjektes durch die ausländische Sozialversicherung in Pflicht genommen wurde (
BGE 106 V 71
f.; unveröffentlichte Urteile Neinhaus vom 9. Juni 1976, Zimmermann vom 25. November 1974 und Tschumi vom 19. Oktober 1966). Die vom Bundesamt vertretene Einschränkung des Erwerbsortsprinzipes ist abzulehnen, weil eine solche Auffassung im Abkommenstext, von welchem bei der Auslegung eines Staatsvertrages in erster Linie auszugehen ist (
BGE 109 V 188
Erw. 3a und 226 Erw. 3b,
BGE 105 V 16
unten mit Hinweisen), keine hinreichende Grundlage findet. Die Urteile, welche das BSV zur Stützung seiner Auffassung zitiert, sind nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu führen: Das in ZAK 1959 S. 482 publizierte Urteil betrifft das nicht mehr in Kraft stehende alte schweizerisch-deutsche Sozialversicherungsabkommen vom 24. Oktober 1950, welches das Erwerbsortsprinzip nur einschränkend vorsah. Der Entscheid in ZAK 1960 S. 308 enthält überhaupt keine Aussage über die Tragweite des Beschäftigungs- oder Erwerbsortsprinzipes, war doch in jenem Fall mangels einer einschlägigen staatsvertraglichen Bestimmung ausschliesslich innerstaatliches Recht anzuwenden. Das in ZAK 1976 S. 35 veröffentlichte Urteil schliesslich hat mit der hier zu beurteilenden Frage nach der Bedeutung des Erwerbsortsprinzipes nichts zu tun.
c) Insoweit der Beschwerdeführer vom 1. März bis 30. April 1977 - dem Zeitpunkt des Ausserkrafttretens des alten schweizerisch-belgischen Abkommens vom 17. Juni 1952 - in Belgien beschäftigt war, stellt sich die Frage, ob selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt. Denn Art. 3 Abs. 1 dieses Staatsvertrages sah, wie erwähnt, das Erwerbsortsprinzip nur hinsichtlich der "Arbeitnehmer" vor.
BGE 110 V 72 S. 78
4.
a) Die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht Erwerbstätiger richtet sich unter anderem danach, ob das in einem bestimmten Zeitraum erzielte Erwerbseinkommen als solches aus selbständiger oder aus unselbständiger Erwerbstätigkeit zu qualifizieren ist (
Art. 5 und 9 AHVG
sowie
Art. 6 ff. AHVV
). Nach
Art. 5 Abs. 2 AHVG
gilt als massgebender Lohn jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit; als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit gilt nach
Art. 9 Abs. 1 AHVG
jedes Einkommen, das nicht Entgelt für in unselbständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt.
Nach der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht aufgrund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Entscheidend sind vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen dabei allenfalls gewisse Anhaltspunkte für die AHV-rechtliche Qualifikation zu bieten, ohne jedoch ausschlaggebend zu sein. Als unselbständig erwerbstätig ist im allgemeinen zu betrachten, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt.
Aus diesen Grundsätzen allein lassen sich indessen noch keine einheitlichen, schematisch anwendbaren Lösungen ableiten. Die Vielfalt der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt dazu, die beitragsrechtliche Stellung eines Erwerbstätigen jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Weil dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zutage treten, muss sich der Entscheid oft danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall überwiegen (
BGE 104 V 126
Erw. a; ZAK 1982 S. 185 Erw. 1 und 215 Erw. 3).
b) Der vom Beschwerdeführer mit der Firma BECSA am 26. November 1976 abgeschlossene "Contrat pour une mission de conseiller" enthält einige Abmachungen, die auf eine unselbständige Erwerbstätigkeit schliessen lassen könnten. Dies gilt etwa für die Bestimmungen der Art. 5 (frais de déplacement), Art. 8 (exclusivité) und Art. 10 (discrétion, loyauté, concurrence). Die Ausgleichskasse hat daraus und "in Übereinstimmung mit der Beurteilung der Einschätzungsabteilung II des kantonalen Steueramtes Zürich" den Schluss gezogen, dass im fraglichen Beratungsvertrag die Kriterien der unselbständigen Erwerbstätigkeit überwögen. Die Vorinstanz fügte dem bei, dass der Beschwerdeführer gemäss
BGE 110 V 72 S. 79
Vertrag kein Unternehmerrisiko getragen habe, woran nichts ändere, dass er in Belgien eine möblierte Wohnung gemietet und darin ein Büro eingerichtet habe.
Der Rechtsauffassung von Verwaltung und Vorinstanz kann nicht beigepflichtet werden. Es ist eine bekannte Erscheinung der neueren Zeit, dass sich sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen, die auf ein bestimmtes technisches oder kaufmännisches Fachgebiet spezialisiert sind, einer Firma (exklusiv oder neben andern) auf bestimmte oder unbestimmte Zeit in einem selbständigen Auftragsverhältnis in Beraterfunktion zur Verfügung stellen. Im Falle des Beschwerdeführers liegt ein typisches solches selbständiges Beratungsverhältnis vor. Davon abgesehen, dass es sich beim "Contrat pour une mission de conseiller" zivilrechtlich nicht um einen Arbeitsvertrag, sondern um einen Auftrag handelt - was im vorliegenden Zusammenhang zwar nicht entscheidend, aber gleichwohl bezeichnend ist -, und dass der Beschwerdeführer ausdrücklich "expert indépendant" genannt wird, deutet der materielle Inhalt des Vertragswerkes überwiegend auf eine selbständige Erwerbstätigkeit hin. Die erwähnten Bestimmungen, welche als Indizien für eine Arbeitnehmerbeschäftigung gelten könnten, halten sich durchaus im Rahmen des auch für eine selbständige Beratertätigkeit Üblichen. Die rigorosen gegenseitigen Möglichkeiten der Vertragsauflösung (Art. 11) weisen sodann ganz eindeutig auf den selbständigen Charakter des Beratungsauftrages hin. Auch konnte der Beschwerdeführer nach seiner unwidersprochen gebliebenen Schilderung der effektiven Vertragsabwicklung seine Beraterfunktion tatsächlich in unabhängiger Stellung ausüben, ohne in die Administration der Firma BECSA eingegliedert und einem speziellen Weisungsrecht der Firmenleitung unterstellt gewesen zu sein (Art. 3, 6 f. des Vertrages). Eine arbeitsorganisatorische Abhängigkeit, welche gemäss der erwähnten Rechtsprechung ein Hauptmerkmal unselbständiger Erwerbstätigkeit ist, lässt sich nicht feststellen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit erschöpft sich darin, dass der Beschwerdeführer während der Dauer des Vertragsverhältnisses ausschliesslich für die Firma BECSA tätig sein musste. Dies ergibt sich aber aus dem grossen Umfang des vorliegenden Geschäftes (technische Beratung beim Bau zweier Farbfabriken und der Personalinstruktion) und ist für sich allein nicht entscheidend. Zu denken ist beispielsweise an die grosse Zahl von Zulieferfirmen in Industrie und Landwirtschaft, deren Produktion ebenfalls auf einen einzigen Grossabnehmer
BGE 110 V 72 S. 80
ausgerichtet ist und bei denen gleichwohl nicht zweifelhaft ist, dass es sich um eine selbständige Erwerbstätigkeit handelt. Bei Beratungsverträgen wie dem vorliegenden liegt das typische Unternehmerrisiko vielmehr gerade in dieser Einseitigkeit, welche durch die erwähnten Möglichkeiten der Vertragsauflösung noch verschärft wird. Anderseits liegt es in der Natur eines Beratungsauftrages, dass der Berater unter Umständen keine oder nur wenige spezifische Investitionen vorzunehmen hat. Im vorliegenden Fall dürften sich diese praktisch in der vorübergehenden Einrichtung und Führung eines Büros in Brüssel erschöpft haben. Bei Beratungsaufträgen wie dem vorliegenden geht es nicht an, das Merkmal des Unternehmerrisikos und damit die selbständige Erwerbstätigkeit mit dem blossen Hinweis auf fehlende erhebliche Investitionen zu verneinen, weil hier das Unternehmerrisiko auf einer andern Ebene liegt. Falls die Beraterfunktion unter Beizug eigener Angestellter und/oder durch Einsatz von Hilfsmitteln (Apparate, Maschinen u.a.m.) ausgeübt würde, wären die dadurch bedingten Investitionen lediglich als zusätzlicher Bestandteil des Unternehmerrisikos zu betrachten.
5.
a) Der Beschwerdeführer ist nach dem Gesagten als Selbständigerwerbender zu behandeln. Folglich kann er sich für die Zeit vom 1. März bis 30. April 1977 nicht auf das damals in Kraft stehende schweizerisch-belgische Abkommen vom 17. Juni 1952 berufen, weil dieser Staatsvertrag, wie erwähnt, das Erwerbsortsprinzip nur für Arbeitnehmer vorsieht. Es gelangt daher diesbezüglich allein das innerstaatliche schweizerische AHV-Recht zur Anwendung.
b) Gemäss
Art. 4 Abs. 2 lit. a AHVG
kann der Bundesrat von der Beitragsbemessung das Erwerbseinkommen aus einer im Ausland ausgeübten Tätigkeit ausnehmen. Darauf gestützt sieht
Art. 6ter lit. a AHVV
vor: Von der Beitragserhebung ist das Erwerbseinkommen ausgenommen, das Personen mit Wohnsitz in der Schweiz zufliesst als Inhaber oder Teilhaber von Betrieben oder von Betriebsstätten im Ausland. Entscheidend ist somit die Frage, ob der Beschwerdeführer in Belgien eine Betriebsstätte innehatte.
Gemäss Rz. 71 d der Wegleitung des BSV über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen ist der Begriff der ausländischen Betriebsstätte gemäss
Art. 6ter lit. a AHVV
"im steuerrechtlichen Sinn" zu verstehen. Als Betriebsstätte gilt danach eine ständige Geschäftseinrichtung, in welcher ein qualitativ
BGE 110 V 72 S. 81
oder quantitativ wesentlicher Teil der Tätigkeit des Unternehmens ausgeübt wird. Betriebsstätten sind insbesondere der Ort der Leitung, Zweigniederlassungen, Werkstätten, Einkaufs- und Verkaufsstellen sowie die ständigen Vertretungen (
Art. 6 BdBSt
). Anderseits sieht die Verwaltungspraxis im Bereich des
Art. 12 AHVG
(beitragspflichtige Arbeitgeber) vor:
Als Betriebsstätte im Sinne des AHV-Rechtes gelten ständige Anlagen und Einrichtungen, wie Fabrikations-, Geschäfts- oder Büroräumlichkeiten, in denen Arbeitnehmer des Inhabers der Betriebsstätte tätig sind.
Der Begriff der Betriebsstätte im Sinne des AHV-Rechtes ist insofern weiter als jener des Steuerrechts, als nicht erforderlich ist, dass sich in den Anlagen und Einrichtungen ein qualitativ oder quantitativ wesentlicher Teil des Geschäftsbetriebs vollzieht. (Rz. 30 der Wegleitung des BSV über den Bezug der Beiträge.)
Ob diese unterschiedliche Umschreibung des Begriffes der Betriebsstätte durch die Verwaltungspraxis im Bereich des
Art. 6ter lit. a AHVV
einerseits und des
Art. 12 Abs. 2 AHVG
anderseits gesetzeskonform ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn selbst bei Anwendung der - engeren - steuerrechtlichen Begriffsumschreibung ist das vom Beschwerdeführer in Brüssel während der gut dreijährigen Zeitspanne seiner Tätigkeit für die Firma BECSA eingerichtete Ingenieurbüro im Sinne eines Dienstleistungsbüros als Betriebsstätte zu betrachten (vgl. ASA 36 S. 12 f.; MASSHARDT, Kommentar zur direkten Bundessteuer, Ausgabe 1972, N. 6 zu Art. 6 WStB, S. 47).
6.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer für die von der Firma BECSA bezogenen Einkünfte lediglich in dem Umfange AHV-rechtlich beitragspflichtig ist, als er in der Zeit vom 1. März 1977 bis 30. April 1980 in Algerien und in der Schweiz erwerbstätig war. Die Verwaltung, an welche die Sache zurückgewiesen wird, hat den Anteil dieser Erwerbstätigkeit in Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer festzulegen und danach über die Beitragspflicht erneut zu verfügen.
7.
Der Beschwerdeführer verlangt für das Verfahren vor dem Eidg. Versicherungsgericht eine Parteientschädigung. Dieses Begehren beurteilt sich nach Art. 159 f. OG in Verbindung mit den Tarifen über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Eidg. Versicherungsgericht bzw. dem Bundesgericht (Tarife vom 26. Januar 1979 bzw. vom 9. November 1978).
Der Beschwerdeführer ist nicht vertreten, weshalb eine Entschädigung im Sinne des Art. 2 des Tarifs des Eidg. Versicherungsgerichts
BGE 110 V 72 S. 82
(Anwaltshonorar) entfällt. Gemäss Art. 2 Abs. 1 des Bundesgerichtstarifs umfasst die Parteientschädigung sodann den Ersatz der Auslagen. Er wird einer Partei ohne Vertreter in der Regel praxisgemäss nur zugesprochen, wenn die Aufwendungen erheblich und nachgewiesen sind, was vorliegend nicht zutrifft. Sodann ist nach der Rechtsprechung für persönlichen Arbeitsaufwand und Umtriebe (vgl. Art. 2 Abs. 2 des Bundesgerichtstarifs) einer unvertretenen Partei grundsätzlich keine Parteientschädigung zu gewähren, ausser wenn besondere Verhältnisse vorliegen. Dies ist nach
BGE 110 V 133
Erw. 4a der Fall, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ gegeben sind:
- dass es sich um eine komplizierte Sache mit hohem Streitwert handelt;
- dass die Interessenwahrung einen hohen Arbeitsaufwand notwendig macht, der den Rahmen dessen überschreitet, was der einzelne üblicher- und zumutbarerweise nebenbei zur Besorgung der persönlichen Angelegenheiten auf sich zu nehmen hat; erforderlich ist somit ein Arbeitsaufwand, welcher die normale (z.B. erwerbliche) Betätigung während einiger Zeit erheblich beeinträchtigt;
- dass zwischen dem betriebenen Aufwand und dem Ergebnis der Interessenwahrung ein vernünftiges Verhältnis besteht.
Im vorliegenden Fall ist die zweite dieser Voraussetzungen nicht gegeben; denn es kann nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer durch die Verfassung seiner Rechtsschrift vom 3. Dezember 1982 und die in diesem Zusammenhang betriebene Interessenwahrung in seiner normalen Berufstätigkeit während einiger Zeit erheblich beeinträchtigt worden wäre. Somit entfällt eine Parteientschädigung auch unter dem Titel des persönlichen Arbeitsaufwandes und der Umtriebe.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise
gutgeheissen, dass der Entscheid der AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich vom 28. Oktober 1982 sowie die Beitragsverfügungen vom 23./24.
Juli
und 27. August 1981 sowie vom 19. und 26. März 1982 aufgehoben werden
und
die Sache an die Ausgleichskasse des Kantons Zürich zurückgewiesen wird,
damit diese, nach Aktenergänzung im Sinne der Erwägungen, über die
Beitragspflicht des Beschwerdeführers neu verfüge.
BGE 110 V 72 S. 83
II. Die Gerichtskosten ... werden der Ausgleichskasse des Kantons
Zürich auferlegt. III. Das Begehren des Beschwerdeführers auf eine Parteientschädigung
wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
38faa8f5-22f6-425f-a826-c148ad70ce06 | Urteilskopf
92 I 391
66. Estratto della sentenza 18 novembre 1966 nella causa Quadri contro Commissione di ricorso in materia di imposte del Cantone Ticino. | Regeste
Wehrsteuer: Beweismittel im Veranlagungs- und kantonalen Rekursverfahren. | Erwägungen
ab Seite 391
BGE 92 I 391 S. 391
Considerando in diritto:
3.
In virtù del principio della legalità dell'imposta, l'autorità fiscale non può procedere discrezionalmente, ma deve fondare la tassazione su elementi precisi e concreti. Per quanto concerne l'imposta per la difesa nazionale, l'art. 88 cpv. 2 DIN stabilisce che, non potendosi effettuare la tassazione in base alla dichiarazione e ai documenti giustificativi, l'autorità fiscale deve eseguire i necessari accertamenti. Essi possono consistere nell'audizione del contribuente o nella domanda di mezzi probatori (art. 89 DIN), nella richiesta a terzi di fornire informazioni (art. 90 DIN), nella richiesta di perizie o di ispezioni contabili (art. 91 DIN) o, infine, nella tassazione d'ufficio (art. 92 DIN). Nella fattispecie, le affermazioni della contribuente e i documenti da essa successivamente prodotti non davano all'autorità di tassazione ragguagli sufficienti a proposito dell'imponibilità della provvigione litigiosa. L'autorità
BGE 92 I 391 S. 392
cantonale era quindi tenuta ad assumere ulteriori accertamenti. Girardelli, che aveva dichiarato d'essere stato il beneficiario della provvigione di Fr. 46 500.--, e che la contribuente aveva proposto di udire come teste, avrebbe probabilmente potuto chiarire la situazione. Occorre però a questo punto esaminare se la Commissione poteva assumere questa persona, e valutare l'importanza che avrebbe avuto la relativa deposizione.
L'art. 90 DIN designa i terzi che hanno l'obbligo di fornire informazioni all'autorità fiscale; esso non precisa però se anche le informazioni d'altre persone costituiscano validi mezzi di prova nella procedura d'accertamento. Nel decreto concernente la riscossione della IDN non è d'altra parte contenuta alcuna norma relativa alle prove con le quali un contribuente può dimostrare una circostanza di cui si avvale. Si è quindi manifestamente davanti ad una lacuna che la giurisprudenza deve colmare.
Alcuni Cantoni hanno stabilito, nelle loro leggi tributarie, una esplicita regolamentazione. Così, l'art. 147 della legge bernese sulle imposte dirette cantonali e comunali statuisce che, in sede di ricorso, sono ammissibili tutte le prove previste dalla procedura civile cantonale, ad eccezione di quella stabilita dall'art. 279 CPC (deposizione d'una parte davanti al giudice dopo che questi ha esaminato tutto il materiale probatorio e l'ha obbligata a deporre); di conseguenza, sussiste un obbligo generale di testimonianza anche a carico di persone che, nella procedura di tassazione, ne sono dispensati (IRENE BLUMENSTEIN, Kommentar zum Berner Steuergesetz, Art. 147, N. 3 c). Pure Basilea prevede l'obbligo di testimoniare davanti al Tribunale amministrativo (§ 21 della legge sulla procedura amministrativa; GRÜNINGER/STUDER, Kommentar zum Basler Steuergesetz, § 13 II p. 56). Nel cantone Zurigo tanto le autorità di tassazione quanto i tribunali fiscali hanno il diritto di udire i testi, però nella misura in cui questi sono disposti a testimoniare (art. 75 della legge tributaria, art. 21 della relativa ordinanza d'esecuzione; BOSSHARDT, Die neue zürcherische Einkommens- und Vermögenssteuer, p. 253). La legge di procedura tributaria ticinese non contiene, su questo punto, nessuna prescrizione.
In mancanza d'una norma speciale, si deve senz'altro concludere che le autorità cantonali incaricate della tassazione IDN non possono procedere all'audizione di terzi, sotto la minaccia
BGE 92 I 391 S. 393
di sanzioni penali in caso di falsa testimonianza. Ciò non significa però ch'esse non debbano assumere informazioni da persone che sono disposte a darle, quando il contribuente lo richieda. Non si comprenderebbe infatti per quale motivo si dovrebbe negare al contribuente un simile mezzo di prova, almeno quando esso è sottoposto ad un procedimento penale. Nè, d'altra parte, l'autorità sarebbe priva di qualsiasi sanzione contro il terzo che desse informazioni false, allo scopo di liberare il contribuente dall'accusa di sottrazione d'imposta. Secondo l'art. 129 DIN, è punibile non solo il contravventore, ma anche il terzo che lo aiuta o tenta di aiutarlo a sottrarsi ai procedimenti penali o all'applicazione delle sanzioni. La circostanza che il terzo sia domiciliato all'estero non influisce, in linea di massima, sull'attendibilità delle sue dichiarazioni; il valore di queste deve naturalmente essere vagliato caso per caso, e va soprattutto attentamente esaminato quando, come in concreto, il terzo domiciliato all'estero asserisce d'aver ricevuto del denaro che, in caso contrario, sarebbe imponibile presso il contribuente, in Svizzera. | public_law | nan | it | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
39017fe4-8ddd-4ab6-8495-d26f15ce996d | Urteilskopf
111 V 65
17. Arrêt du 4 avril 1985 dans la cause Moutia contre Caisse cantonale genevoise de compensation et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS | Regeste
Art. 1 Abs. 2 lit. b AHVG
,
Art. 3 AHVV
. Zeitpunkt, ab welchem die Befreiung von der Unterstellung unter die AHV ihre Wirkungen entfaltet (Bestätigung und Präzisierung der Rechtsprechung). Reicht der Versicherte das Gesuch innert drei Monaten seit seiner Aufnahme in die ausländische staatliche Alters- und Hinterlassenenversicherung ein, so erfolgt die Befreiung rückwirkend auf diesen Zeitpunkt (Erw. 2).
Art. 4 BV
: Schutz des guten Glaubens. Anspruch auf den Schutz des guten Glaubens hat ein Versicherter, der irregeführt wurde durch ein von der Verwaltung herausgegebenes Merkblatt, das ihm sein Arbeitgeber überreicht hatte und dessen Inhalt in dem Umfang überholt war, als es sich von einer neuen Verwaltungspraxis unterschied (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 66
BGE 111 V 65 S. 66
A.-
Catherine Moutia, de nationalité suisse, est fonctionnaire de l'Organisation mondiale de la santé (OMS) à Genève depuis le 1er octobre 1981. Elle est affiliée, à partir de cette date également, à la Caisse commune des pensions du personnel des Nations Unies. Par lettre du 15 juillet 1982, la Caisse cantonale genevoise de compensation l'a invitée à régulariser sa situation à l'égard des assurances sociales suisses, tout en l'informant de la possibilité de solliciter son exemption de l'assurance obligatoire; aussi lui a-t-elle demandé de retourner dans les dix jours un questionnaire, son certificat AVS, ainsi que, le cas échéant, une formule de requête d'exemption de l'assurance, accompagnée de l'attestation adéquate de la caisse des pensions. Le 18 juillet 1982, Catherine Moutia a rempli et renvoyé à la caisse de compensation la requête d'exemption, dont le texte préimprimé était libellé comme il suit:
"Je soussigné(e), fonctionnaire de ... affilié(e) à la Caisse des pensions de cette institution internationale depuis le ... demande à être exempté(e) dès cette date."
Par décision du 21 octobre 1982, la Caisse cantonale genevoise de compensation a exempté l'intéressée de l'assujettissement à l'assurance obligatoire avec effet au 1er août 1982. Elle lui a signalé, par ailleurs, qu'elle devrait s'acquitter, en conséquence, des cotisations pour la période du 1er octobre 1981 au 31 juillet 1982.
B.-
Par jugement du 10 décembre 1982, la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS a rejeté le recours formé par Catherine Moutia contre la décision précitée.
C.-
Catherine Moutia interjette recours de droit administratif contre ce jugement en concluant à ce que son exemption de l'assujettissement à l'assurance obligatoire prenne effet le 1er octobre 1981, date correspondant à son engagement par l'OMS et à son affiliation à la Caisse commune des pensions du personnel des Nations Unies.
L'intimée conclut au rejet du recours, ce que propose également l'Office fédéral des assurances sociales.
D.-
La caisse intimée, invitée par la Cour de céans, dans le cadre d'un complément d'instruction, à lui fournir certaines précisions sur la procédure suivie à l'égard des personnes qui demandent à être exemptées de l'AVS, a répondu aux questions posées par lettre du 27 janvier 1984, sur le contenu de laquelle la recourante s'est déterminée dans une écriture du 24 mars 1984, dont l'intimée a pu prendre connaissance.
BGE 111 V 65 S. 67
Le tribunal a obtenu, en outre, du Département fédéral des affaires étrangères des renseignements sur les fonctions de la Mission permanente de la Suisse près les organisations internationales à Genève, en ce qui concerne les rapports entre lesdites organisations et l'administration de l'AVS.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Pouvoir d'examen limité, v.
ATF 104 V 6
consid. 1.)
2.
a) Selon l'
art. 1er al. 2 let. b LAVS
, les personnes affiliées à une institution officielle étrangère d'assurance-vieillesse et survivants ne sont pas assujetties à l'AVS suisse si cette double assurance entraîne pour elles un cumul de charges trop lourdes. Elles sont exemptées de l'assurance obligatoire par la caisse de compensation compétente, sur présentation d'une requête (
art. 3 RAVS
). Les institutions de prévoyance de l'Organisation des Nations Unies font partie des "institutions officielles étrangères" au sens des dispositions précitées (art. 4 en corrélation avec l'
art. 1er let
. e RAVS).
b) D'après la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances, l'exemption pour cause de cumul de charges trop lourdes a un caractère facultatif. Elle est subordonnée à une demande de l'assuré, et produit ses effets depuis le dépôt de la demande, sous réserve de solution contraire prévue par une convention de sécurité sociale, et de certains cas particuliers dans lesquels il est concevable de concéder des aménagements, par exemple lors d'un premier assujettissement sans paiement de cotisations jusqu'au moment du dépôt de la demande, ou lors d'une affiliation rétroactive à l'assurance obligatoire étrangère (
ATF 98 V 183
; RCC 1982 p. 173 consid. 2).
Pendant de nombreuses années, la pratique de la Caisse cantonale genevoise de compensation a cependant consisté à accorder aux assurés concernés un "délai de grâce" d'un an, durant lequel ils pouvaient demander leur exemption de l'assurance obligatoire avec effet rétroactif à la date de leur admission à la caisse des pensions de l'ONU, ce qui explique le libellé de la formule (requête d'exemption) remise, notamment, à la recourante. Cette pratique, bien que critiquable au regard des principes rappelés ci-dessus, a été tolérée par la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances (RCC 1982 p. 173 consid. 2 précité). Or, il résulte du dossier - et en particulier des
BGE 111 V 65 S. 68
explications fournies, à la demande de la Cour de céans, par la caisse intimée - qu'à la suite d'un réexamen, en 1981, de la procédure qu'elle suivait en la matière, la Caisse cantonale genevoise de compensation a été amenée à renoncer à ladite pratique, qu'elle a jugée, avec raison, peu conforme au droit, pour n'accorder à l'avenir, dans tous les cas, l'exemption qu'avec effet dès le mois suivant le dépôt de la demande. Cette modification a créé, temporairement, un état de confusion administrative. En effet, les directives existantes de la Caisse cantonale genevoise de compensation en la matière - en particulier le "Mémento à l'intention des ressortissants suisses, membres du personnel des organisations intergouvernementales dont le siège est à Genève", publié en septembre 1975 - ainsi que les requêtes d'exemption imprimées, habituellement distribuées par la caisse aux assurés, ont été adaptées à cette nouvelle pratique après coup seulement, de sorte que le cercle des employeurs et des assurés concernés (soit notamment l'ONU, les institutions internationales qui en dépendent, ainsi que leur personnel de nationalité suisse) n'en a été informé qu'avec plusieurs mois de retard. A cela s'ajoute le fait que les délais dans lesquels la caisse intimée traite les cas des assurés qui lui sont annoncés périodiquement, semble-t-il, par lesdits employeurs, aux fins d'être invités à s'affilier ou à demander l'exemption de l'assurance obligatoire, sont parfois très longs. Aussi n'est-il pas exclu que cette situation ait provoqué une insécurité juridique pouvant conduire, selon les circonstances du cas concret et à des conditions déterminées relatives à la protection de la bonne foi, à excuser le fait que certains assurés ont tardé à présenter leur requête d'exemption.
c) Si cette modification de la pratique administrative était en soi pleinement justifiée, le principe selon lequel l'exemption de l'affiliation à l'assurance obligatoire ne peut être accordée, sauf exceptions, qu'avec effet dès le mois suivant la présentation de la requête s'avère toutefois trop rigoureux. Il convient, en effet, de donner aux assurés la possibilité d'examiner, au besoin en s'adressant à la caisse de compensation compétente, leur statut à l'égard de l'AVS, et de régler la question de leur exemption éventuelle de l'assurance, dans un délai raisonnable à compter de leur affiliation à l'institution étrangère d'assurance-vieillesse et survivants, sans que - en cas d'exemption - une affiliation à l'assurance obligatoire suisse intervienne pour cette brève période. Aussi, l'Office fédéral des assurances sociales a-t-il relevé qu'un tel
BGE 111 V 65 S. 69
délai s'imposait pour des raisons pratiques. Dans l'édition la plus récente de sa circulaire sur l'assujettissement à l'assurance (CAA), entrée en vigueur le 1er janvier 1985, il a posé la règle que l'exemption, si elle vaut en principe pour l'avenir et prend effet le premier jour du mois suivant le dépôt de la requête, a un effet rétroactif notamment (en plus des cas particuliers mentionnés par les arrêts cités au consid. 2b ci-dessus) lorsque l'assuré requiert son exemption dans les trois mois qui suivent son adhésion à la caisse de pension d'une organisation internationale (ch. marg. 112 de ladite circulaire). Cette directive de l'autorité fédérale de surveillance concrétise et complète de manière pertinente les exemples cités par la jurisprudence, dans lesquels l'effet rétroactif de la demande d'exemption a été considéré comme admissible ou souhaitable. En outre, un délai de trois mois peut être qualifié d'adéquat, de sorte que la Cour de céans n'a pas de motifs de s'écarter de l'appréciation de l'Office fédéral, et qu'il y a lieu de s'en tenir à cette solution. En l'espèce, celle-ci n'est toutefois pas de nature à influer sur le sort de la cause, la demande d'exemption de l'assujettissement à l'AVS ayant été présentée bien après l'expiration de ce délai.
3.
Catherine Moutia a cotisé à l'AVS antérieurement à son engagement par l'Organisation mondiale de la santé, le 1er octobre 1981, de sorte que son affiliation à l'AVS dès cette date ne constitue pas un premier assujettissement au sens de la jurisprudence (consid. 2b ci-dessus). En outre, elle n'a pas adhéré à la Caisse commune des pensions du personnel des Nations Unies avec effet rétroactif. Il est vrai que la recourante a déclaré en première instance que, ayant été dans le passé employée par l'OMS, elle devait racheter sept années de cotisations à ladite caisse des pensions. Mais il ne s'agit pas là d'une affiliation obligatoire à l'assurance étrangère puisque, en pareille situation, c'est volontairement que l'intéressé verse une prime de rachat unique ou, comme dans le cas de la recourante, des primes mensuelles pour une période antérieure. Il s'ensuit qu'aucune des conditions auxquelles la jurisprudence subordonne l'exemption de l'AVS avec effet rétroactif n'est remplie en l'espèce, l'hypothèse d'une solution particulière prévue par une convention de sécurité sociale étant, par ailleurs, exclue.
4.
a) La recourante allègue que, lors de son engagement par l'Organisation mondiale de la santé, elle s'est conformée strictement aux indications figurant au verso de son certificat AVS,
BGE 111 V 65 S. 70
selon lesquelles celui-ci doit être remis sans retard au nouvel employeur lors d'un changement de place. Elle déclare qu'à cette occasion, son employeur lui avait fait savoir que l'OMS n'était pas soumise aux obligations habituelles des employeurs en matière d'assurances sociales, que ses fonctionnaires suisses pouvaient bénéficier d'une exemption de l'AVS en raison de leur affiliation à la Caisse commune des pensions du personnel des Nations Unies, et que toutes démarches nécessaires auprès de l'administration de l'AVS seraient effectuées par l'organisation internationale. La recourante croit savoir que la Mission permanente de la Suisse près les organisations internationales à Genève a été informée par l'employeur de son engagement en qualité de fonctionnaire international en date du 27 octobre 1981, et s'étonne du fait que la caisse de compensation a examiné son cas au mois de juillet 1982 seulement. Elle fait valoir, enfin, qu'il résulte aussi bien du "Mémento à l'intention des ressortissants suisses, membres du personnel des organisations intergouvernementales dont le siège est à Genève", sur lequel s'était fondé son employeur, que de la formule de requête d'exemption de l'AVS qui lui avait été transmise par la caisse de compensation, qu'elle devait être exemptée de l'assurance avec effet au jour de son affiliation à la Caisse commune des pensions du personnel des Nations Unies si la demande y relative était présentée dans l'année suivant cette date, ce qui a été son cas.
b) Il n'est certes pas décisif, en soi, que la caisse de compensation ne soit intervenue auprès de l'assurée qu'au mois de juillet 1982, bien que cette dernière eût remis son certificat AVS à l'employeur lors de son entrée en fonction et que la Mission permanente de la Suisse près les organisations internationales eût été informée de son engagement par l'OMS le 27 octobre 1981 déjà. En effet, l'Organisation des Nations Unies et les institutions internationales qui en dépendent n'exercent pas, à l'égard de leur personnel suisse, un véritable pouvoir de représentation des organes de l'AVS, même si elles leur apportent leur collaboration volontaire dans la mesure de leurs possibilités apparemment restreintes; aussi n'assument-elles pas d'obligations légales en matière de cotisations AVS (
art. 12 al. 3 LAVS
,
art. 33 let
. d RAVS). Il en va de même de la Mission permanente de la Suisse près les organisations internationales à Genève, laquelle n'exerce pas - selon les renseignements donnés par le Département fédéral des affaires étrangères, Direction des organisations internationales - de
BGE 111 V 65 S. 71
fonctions précises en ce qui concerne les rapports entre le personnel des organisations internationales, d'une part, et l'administration de l'assurance-vieillesse et survivants, ou d'autres assurances sociales suisses, d'autre part.
En outre, on ne saurait déduire de l'obligation légale des caisses de compensation cantonales de veiller, conformément à l'
art. 63 al. 2 LAVS
, à l'affiliation de toutes les personnes tenues de payer des cotisations, un droit des assurés en situation de demander leur exemption de l'assurance obligatoire d'être invités personnellement, et dans les meilleurs délais, par la caisse dont ils dépendent en principe, à présenter une requête d'exemption. Il s'ensuit que le retard avec lequel la Caisse cantonale genevoise de compensation s'est préoccupée du cas de la recourante - à supposer qu'il lui soit imputable - n'est pas déterminant en ce qui concerne l'effet rétroactif éventuel de cette exemption.
c) Cependant, il s'agit d'examiner si la recourante peut invoquer, en l'occurrence, le droit à la protection de sa bonne foi, ce qui justifierait que l'on s'écarte exceptionnellement, en sa faveur, de la solution commandée par les règles légales et jurisprudentielles exposées plus haut.
Un renseignement ou une décision erronés de l'administration peuvent obliger celle-ci à consentir à un administré un avantage contraire à la loi, si les conditions suivantes sont réunies:
1. que l'autorité soit intervenue dans une situation concrète à l'égard de personnes déterminées;
2. qu'elle ait agi ou soit censée avoir agi dans les limites de sa compétence;
3. que l'administré n'ait pu se rendre compte immédiatement de l'inexactitude du renseignement obtenu;
4. qu'il se soit fondé sur celui-ci pour prendre des dispositions qu'il ne saurait modifier sans subir un préjudice;
5. que la loi n'ait pas changé depuis le moment où le renseignement a été donné (
ATF 110 V 155
consid. 4b,
ATF 109 V 55
consid. 3a, ainsi que les références; GRISEL, Traité de droit administratif, p. 388 ss).
Lorsque la recourante s'est adressée à son employeur pour régler les problèmes liés à son assujettissement à l'AVS, elle a reçu de l'OMS des renseignements tirés de la documentation éditée et distribuée par la caisse intimée en 1975, lesquels étaient inexacts dans la mesure où la pratique de la Caisse cantonale genevoise de compensation en matière d'exemption de l'assurance obligatoire
BGE 111 V 65 S. 72
avec effet rétroactif ne correspondait plus à ces instructions écrites. Il résulte, en effet, du dossier que les nouvelles directives administratives de la caisse de compensation, conformes à cette pratique modifiée, sont parvenues aux organisations internationales établies à Genève au mois de mai 1983 seulement. Or, l'intimée a exposé, en procédure fédérale, que, "lorsqu'une organisation internationale intergouvernementale engage un fonctionnaire de nationalité suisse - ou lorsqu'un fonctionnaire devient suisse par naturalisation ou par mariage - le service du personnel de l'organisation doit, en principe, remettre à son collaborateur un formulaire d'affiliation et une requête d'exemption; ces services administratifs, qui travaillent depuis de longues années avec la Caisse cantonale genevoise de compensation, connaissent la procédure et disposent d'une réserve de documents". Elle considère donc les organisations internationales établies à Genève, pratiquement, comme des organes intermédiaires chargés de transmettre à leurs fonctionnaires suisses ses directives administratives et les renseignements nécessaires sur le statut de ces derniers à l'égard de l'AVS, et leur faculté de demander l'exemption de l'assurance obligatoire. Il s'ensuit que les renseignements erronés concrets communiqués à la recourante par l'OMS, dans le cadre des compétences que l'intimée reconnaît à cette organisation, sont opposables à la caisse de compensation, qui en est responsable, au même titre que ceux qu'elle donnerait elle-même, directement, à l'un de ses assurés.
En outre, force est d'admettre que la recourante n'avait aucune raison de douter de l'exactitude ou de la pertinence des indications obtenues, dont elle pouvait déduire que les démarches de son employeur conduiraient à son exemption de l'AVS à la date de son affiliation à la Caisse commune des pensions du personnel des Nations Unies. De fait, tel aurait dû être le cas, puisque sa demande d'exemption a été présentée dans le délai d'une année prévu par les anciennes directives de la caisse intimée. Il est également certain que la recourante aurait procédé sans attendre au dépôt de sa demande si elle avait su que l'effet de l'exemption ne serait pas rétroactif; elle a donc omis d'effectuer un acte qu'elle n'est plus en mesure d'accomplir sans subir de préjudice (
ATF 110 V 156
). Enfin, il est constant que les dispositions légales applicables n'ont pas subi de modifications durant la période déterminante.
Les conditions précitées du droit à la protection de la bonne foi de l'assurée sont dès lors remplies en l'espèce. Quant à la règle
BGE 111 V 65 S. 73
supplémentaire posée par le Tribunal fédéral des assurances, selon laquelle la protection de la bonne foi doit céder le pas, le cas échéant, à une réglementation spéciale résultant impérativement et directement de la loi (
ATF 110 V 156
consid. 4c), il convient de rappeler que la question de l'effet rétroactif de l'exemption de l'AVS au sens de l'
art. 1er al. 2 let. b LAVS
ne fait l'objet d'aucune disposition légale et que l'
art. 39 RAVS
, relatif au paiement de cotisations arriérées, ne constitue - en tant que disposition d'une ordonnance du Conseil fédéral - pas une telle réglementation spéciale (
ATF 106 V 144
).
5.
La recourante doit dès lors être mise au bénéfice de l'exemption de l'assujettissement à l'AVS à partir du 1er octobre 1981, date de son affiliation à la Caisse commune des pensions du personnel des Nations Unies...
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est admis et le jugement de la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS, du 10 décembre 1982, est annulé. La décision de la Caisse cantonale genevoise de compensation, du 21 octobre 1982, est réformée en ce sens que Catherine Moutia est exemptée de l'assujettissement à l'AVS avec effet au 1er octobre 1981. | null | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
39025394-d0e9-4c39-a83b-522c674d9c25 | Urteilskopf
96 II 262
38. Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. August 1970 i.S. Brehm gegen Schüep. | Regeste
Art. 35 OG
. Ein unverschuldetes Hindernis im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn zwei Abteilungen des Bundesgerichts zu einer bestimmten Frage eine abweichende Rechtsprechung entwickeln, aber nur eine Abteilung die einschlägigen Entscheide veröffentlicht und eine Partei im Vertrauen auf die publizierte Rechtsprechung ein Rechtsmittel ergreift, das sich nachträglich als unrichtig erweist (Erw. 1).
Beginn der zehntätigen Frist des
Art. 35 OG
(Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 263
BGE 96 II 262 S. 263
A.-
Adolf Brehm, von Beruf Treuhänder, war Generalvertreter der schwedischen Firma Stex Svensk Trähus Export Förening U.P.A., die sich mit der Herstellung und Ausfuhr von Holzhäusern aus vorfabrizierten Elementen befasst. Im Jahre 1962 vereinbarte Brehm mit dem Architekten Hans Schüep in Zürich, dieser solle eine Bauberatungsstelle für Stex-Häuser betreiben und Bauaufträge von Interessenten übernehmen. Schüep führte für Brehm insbesondere Vorarbeiten für die Erstellung von Stex-Häusern aus. Indessen kam es bald zu Differenzen, die am 21. Oktober 1963 zur Auflösung des Auftragsverhältnisses führten.
Schüep belangte Brehm mit Klage vom 23. März 1964 auf Bezahlung von Fr. 17.810.60 nebst Zinsen. Brehm erhob Widerklage auf Bezahlung von Fr. 25'000.--. Das Bezirksgericht Zürich sprach dem Kläger Fr. 9'444.25 zu und wies die Widerklage ab. Das Obergericht des Kantons Zürich, bei dem beide Parteien Berufung einlegten, bestätigte das bezirksgerichtliche Urteil am 9. April 1968. Inbezug auf zwei gutgeheissene Posten von Fr. 2'345.55 und 1'592.60, welche Architekturarbeiten für ein Haus in Meisterschwanden betrafen, hatte Brehm in der Berufungsbegründungsschrift geltend gemacht, der Kläger Schüep habe die Vorbereitungen für den Baubeginn so liederlich oder überhaupt nicht getroffen, dass sozusagen alles neu oder überhaupt gemacht werden musste. Zu diesem Einwand führte das Obergericht in seinem Urteil aus, der Kläger habe schon vor erster Instanz behauptet, von seiner Seite seien alle Vorbereitungen für den Baubeginn, soweit sie möglich gewesen seien, getroffen worden, und diese im einzelnen genau substantiierte Behauptung sei in der Berufungsbegründungsschrift nicht bestritten worden; im Vorbringen, Telser habe bezügliche Arbeiten ausführen müssen, liege keine ausreichende Bestreitung der Behauptung, der Kläger habe diese Arbeiten bereits ausgeführt gehabt; dem Kläger könne daher die verdiente Vergütung nicht verweigert werden.
B.-
Der Beklagte reichte beim Kassationsgericht des Kantons Zürich eine Nichtigkeitsbeschwerde gemäss § 344 zürch.
BGE 96 II 262 S. 264
ZPO ein, mit der er das obergerichtliche Urteil aus verschiedenen Gründen anfocht und dabei u.a. geltend machte, die Annahme des Obergerichts, es fehle inbezug auf die beiden erwähnten Beträge an einer ausreichenden Bestreitung, sei aktenwidrig und willkürlich.
Das Kassationsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 17. Juli 1968 ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. In den Erwägungen führte es aus, dass jene Annahme des Obergerichts dem Vorbringen des Beklagten nicht gerecht werde, da dieser (wie im einzelnen dargelegt wird) in der Berufungsbegründung verschiedene Arbeiten aufgezählt habe, die der Kläger nicht ausgeführt habe. Es liege demnach eine Aktenwidrigkeit vor, doch hätte diese als offensichtliches Versehen bei der Feststellung einer nach Bundesrecht zu beurteilenden Tatsache mit der Berufung ans Bundesgericht geltend gemacht werden können (
Art. 55 lit. d OG
), weshalb das Kassationsgericht auf die Rüge nicht eintreten könne (
§ 345 ZPO
).
C.-
Gegen diesen Entscheid des Kassationsgerichts hat Brehm staatsrechtliche Beschwerde erhoben, die die Kammer für Beschwerden wegen
Art. 4 BV
nach einem Meinungsaustausch im Sinne von
Art. 16 OG
mit den beiden Zivilabteilungen vom 20. April 1970 am 3. Juni 1970 abgewiesen hat (
BGE 96 I 193
ff.).
D.-
Am 12. Juni 1970 stellte Brehm dem Bundesgericht das Gesuch, ihm die Frist zur Einreichung der Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9. April 1968 wiederherzustellen, und reichte gleichzeitig die Berufungsschrift gegen diesen Entscheid ein.
Schüep beantragt, das Wiederherstellungsbegehren abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Gesuchsteller will die aktenwidrige Feststellung im Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich deshalb nicht mit der Berufung an das Bundesgericht angefochten haben, weil er der Überzeugung gewesen sei, es handle sich um eine vom kantonalen Prozessrecht beherrschte Frage, die Gegenstand der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde sei. Diese falsche Auffassung sei ein im Sinne von
Art. 35 OG
unverschuldetes Hindernis, das ihn davon abgehalten habe, innert Frist zu handeln.
BGE 96 II 262 S. 265
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 35 OG
können nicht nur objektive, sondern auch subjektive, psychische Hinderungsgründe die Wiederherstellung einer Frist unter Umständen rechtfertigen. Demnach fällt als Wiederherstellungsgrund auch ein die Fristversäumnis bewirkender Irrtum in Betracht, in den der Gesuchsteller, ohne selbst dafür einstehen zu müssen, durch das Verhalten einer Behörde - namentlich durch unrichtige Rechtsmittelbelehrung seitens einer Amtsstelle, die den angefochtenen Entscheid getroffen hat - versetzt worden ist (
BGE 76 I 189
, 357,
BGE 85 II 148
f.).
b) Die I. Zivilabteilung des Bundesgerichts hat in Anwendung des Art. 81 aoG entschieden, dass das Bundesgericht als Berufungsinstanz die Übereinstimmung des festgestellten Tatbestandes mit den Akten nicht überprüfen könne, soweit sich diese Feststellungen auf die Anwendung des ausländischen Rechts (
BGE 35 II 145
) oder des kantonalen Prozessrechts (
BGE 45 II 357
) beziehen. Sie hat diese Rechtsprechung auch unter der Herrschaft des OG von 1943 bestätigt, woraus folgt, dass der Gesuchsteller mit der Berufung nicht hätte geltend machen können, die im Urteil des Obergerichtes enthaltene Feststellung, es fehle an einer ausreichenden Bestreitung eines Klagevorbringens, beruhe auf einem offensichtlichen Versehen. Die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts hat dagegen in verschiedenen unveröffentlichten Entscheiden gerade das Gegenteil angenommen (vgl.
BGE 96 I 197
Erw. 3).
Ob der Beschwerdeführer die beiden in der staatsrechtlichen Beschwerde angeführten Entscheide der I. Zivilabteilung (
BGE 35 II 145
undBGE 45 II 357) kannte, als er die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde einreichte, ist ohne Belang. Entscheidend ist einzig, dass sein Entschluss, die Aktenwidrigkeit mit der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde anzufechten, mit der veröffentlichten Rechtsprechung des Bundesgerichts im Einklang stand. Es fragt sich, ob nicht von einem unverschuldeten Hindernis gesprochen werden muss, wenn zwei Abteilungen des Bundesgerichts zu einer bestimmten Frage eine abweichende Rechtsprechung entwickeln, aber nur eine Abteilung die einschlägigen Entscheide veröffentlicht. In einem solchen Falle kann einem Gesuchsteller - entgegen der Auffassung des Gesuchsgegners - nicht zugemutet werden, vorsorglich alle in Betracht kommenden Rechtsmittel, die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung an das Bundesgericht, zu ergreifen;
BGE 96 II 262 S. 266
vielmehr darf er im Vertrauen auf die veröffentlichte Rechtsprechung von unnötigen Weiterungen absehen. Es wäre auch im höchsten Masse stossend, wenn der Gesuchsteller, der nach der veröffentlichten Rechtsprechung handelte, das Opfer einer innerhalb des Bundesgerichts seit Jahren bestehenden widersprüchlichen Auffassung würde.
2.
Der Gesuchsgegner macht eventualiter geltend, der behauptete Hinderungsgrund sei mit der am 22. August 1968 erfolgten Eröffnung des kassationsgerichtlichen Entscheides vom 17. Juli 1968 dahingefallen; die zehntägige Frist nach
Art. 35 OG
zur Einreichung des Wiederherstellungsgesuches sei daher spätestens am 2. September 1968 abgelaufen.
Dieser Einwand trifft nicht zu. Das Kassationsgericht erklärt in den Erwägungen seines Entscheides vom 17. Juli 1968 nur, die Aktenwidrigkeit hätte als offensichtliches Versehen mit der Berufung gerügt werden müssen. Erst in der Vernehmlassung vom 27. September 1968, die dem Gesuchsteller mit der Verfügung des Präsidenten der staatsrechtlichen Kammer vom 4. Oktober 1968 zugestellt wurde, belegt es seine Auffassung unter Hinweis auf einen unveröffentlichten Entscheid der II. Zivilabteilung des Bundesgerichts vom 6. Oktober 1960 i.S. Ember gegen Schaffner. Damit hatte zwar der Gesuchsteller Kenntnis davon, dass eine abweichende Rechtsprechung der II. Zivilabteilung bestand, aber noch keine Veranlassung, das Wiederherstellungsgesuch unverzüglich einzureichen. Denn er wusste ja erst mit der Zustellung des Dispositivs des Beschwerdeentscheides vom 3. Juni 1970, welches Rechtsmittel am Platz gewesen wäre.
Dispositiv
Demnach beschliesst das Bundesgericht:
Das Gesuch des Beklagten um Wiederherstellung der Berufungsfrist wird gutgeheissen. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3902aa1a-e624-45ad-ae72-e35c8b3ed54b | Urteilskopf
111 Ib 1
1. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. März 1985 i.S. N. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung an einen Ausländer, dessen Frau in der Schweiz Niederlassungsbewilligung hat; Art. 100 Bst. b Ziff. 3 OG, 17 Abs. 2 ANAG, 3 V EJPD über die Begrenzung der Zahl der Ausländer vom 26. Oktober 1983,
Art. 8 EMRK
.
Für den Nachzug des Ehemannes einer in der Schweiz niedergelassenen Ausländerin besteht kein Anspruch aus schweizerischem Recht. Die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergibt sich daher höchstens aus
Art. 8 EMRK
(in Verbindung mit
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
). Nicht erheblich ist für das Eintreten, ob die Beschwerde gegen die Verweigerung der Erneuerung oder der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gerichtet ist (E. 1).
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
schliesst die Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung an den Ehemann nicht aus, wenn es der in der Schweiz niedergelassenen Ehefrau zumutbar ist, ihrem Mann in die gemeinsame Heimat zu folgen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 111 Ib 1 S. 2
Der türkische Staatsangehörige N. ist mit einer Türkin verheiratet, welche sich seit 1980 mit Niederlassungsbewilligung im Kanton Zürich aufhält. Am 13. Januar 1984 reiste er mit einem Visum, das ihn zu einem Besuchsaufenthalt von maximal 3 Monaten berechtigte, in die Schweiz ein. Am 28. März 1984 stellte er das Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei der Ehefrau. Mit Verfügung vom 12. April 1984 wies die Fremdenpolizei des Kantons Zürich das Gesuch ab und setzte dem Gesuchsteller Frist bis 5. Mai 1984 zum Verlassen der Schweiz. Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäss
Art. 10 Abs. 3 ANAV
(SR 142.201) gälten die vom Ausländer im Bewilligungsverfahren abgegebenen Erklärungen, besonders über den Zweck und die Dauer des Aufenthalts, als ihm auferlegte Bedingungen; der Gesuchsteller müsse bei seinen im Visumsantrag in bezug auf die Aufenthaltsdauer gemachten Angaben behaftet werden. N. führte gegen diese Verfügung Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Zürich, welche jedoch mit Entscheid vom 19. September 1984 kostenfällig abgewiesen wurde.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 18. Oktober 1984 beantragt N., der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben.
Für den Regierungsrat hat sich die Direktion des Gesundheitswesens des Kantons Zürich vernehmen lassen. Sie beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Das Bundesamt für Ausländerfragen trägt ebenfalls auf Nichteintreten an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gegen die Verweigerung einer fremdenpolizeilichen Bewilligung ist nach
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur zulässig, wenn das Bundesrecht einen Anspruch auf die Bewilligung einräumt.
a) Gemäss
Art. 4 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (ANAG; SR 142.20)
entscheidet die zuständige Behörde, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach
BGE 111 Ib 1 S. 3
freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt, Niederlassung und Toleranz. Der Ausländer besitzt somit keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung - unter Vorbehalt staatsvertraglicher oder gesetzlicher Ausnahmevorschriften. Ob im Einzelfall eine solche Ausnahmevorschrift anwendbar ist, prüft das Bundesgericht von Amtes wegen.
Art. 17 Abs. 2 ANAG
beinhaltet einen Anspruch auf Familiennachzug für die Ehefrau und die noch nicht 18jährigen Kinder eines niedergelassenen Ausländers. Für den Ehemann (hier den Beschwerdeführer) einer niedergelassenen Ausländerin besteht ein solcher Anspruch nach dem Gesetzeswortlaut nicht. Man kann sich zwar fragen, ob eine derartige Lösung nicht gegen die Garantie der Gleichstellung von Mann und Frau verstösst. Eine verfassungskonforme Auslegung entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ist aber nicht möglich, zumal
Art. 4 Abs. 2 BV
es dem Gesetzgeber vorbehält, für die Verwirklichung der Gleichstellung zu sorgen. Die Problematik des Familiennachzuges lässt eine Verwirklichung der Geschlechtergleichheit ohne Mitwirkung des Gesetzgebers nicht zu. Es obliegt nämlich diesem, bei der diesbezüglichen Gleichbehandlung von Mann und Frau zu entscheiden, ob er an einem Anspruch auf Familiennachzug festhalten und ob er ihn gegebenenfalls von besonderen Bedingungen (z.B. genügendem Einkommen des Niedergelassenen zum Unterhalt der ganzen Familie) abhängig machen will.
Einen Anspruch auf Familiennachzug sieht auch Art. 3 der Verordnung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements über die Begrenzung der Zahl der Ausländer vom 26. Oktober 1983 (VO EJPD; SR 142.210) vor. Auf diese Bestimmung kann sich jedoch der Beschwerdeführer zum vornherein nicht berufen. Wie nämlich die Direktion des Gesundheitswesens zu Recht geltend macht, kann ein Anspruch auf Familiennachzug nicht auf dem Verordnungsweg eingeräumt werden. Das wäre mit
Art. 4 ANAG
, der den kantonalen Behörden freies Ermessen gewährt, unvereinbar. In der Verordnung kann der Bund lediglich Zulassungsvorschriften aufstellen, welche die Kantone gestützt auf
Art. 18 Abs. 3 und 4 ANAG
in ihrer Freiheit zur Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen einschränken, nicht aber die Kantone zur Erteilung von Bewilligungen verpflichten.
Ein Anspruch des Beschwerdeführers lässt sich somit weder aus der VO EJPD noch aus
Art. 17 Abs. 2 ANAG
herleiten. Zu prüfen bleibt, ob sich die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
BGE 111 Ib 1 S. 4
aus dem in
Art. 8 EMRK
gewährleisteten Anspruch auf Achtung des Familienlebens ergibt.
b) In
BGE 109 Ib 185
f. stellte das Bundesgericht fest, die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung könne unter bestimmten Umständen dann mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden, wenn durch die Nichterneuerung der in
Art. 8 EMRK
garantierte Anspruch auf Achtung des Familienlebens berührt werde. Dies nimmt es dann an, wenn der Beschwerdeführer in der Schweiz Familienglieder im engen Sinne (Ehegatte, minderjährige Kinder) hat, die in der Schweiz über ein Anwesenheitsrecht verfügen und mit dem Beschwerdeführer die Familienbeziehung auch tatsächlich leben.
Die Direktion des Gesundheitswesens des Kantons Zürich und das Bundesamt für Ausländerfragen sind der Ansicht, auf diese Praxis könne sich der Beschwerdeführer nicht berufen. Denn er habe in der Schweiz noch nie ein Anwesenheitsrecht gehabt; die bisherigen Entscheide des Bundesgerichts im Anwendungsbereich von
Art. 8 EMRK
hätten hingegen Fälle betroffen, in denen die beschwerdeführenden Ausländer zwar einmal ein Anwesenheitsrecht gehabt, dann aber wieder verloren hatten. Dieser Unterscheidung kommt indes für die Eintretensfrage keine rechtserhebliche Bedeutung zu.
Art. 8 EMRK
räumt dem Ausländer - in gewissen Grenzen - das Recht ein, sein Familienleben mit den Angehörigen, die ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz besitzen, zu leben. Wenn den Angehörigen die Aufgabe dieses Anwesenheitsrechts nicht zumutbar ist, kann der Ausländer, dem die Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt wird, sein Familienleben nicht verwirklichen. Der Anspruch aus
Art. 8 EMRK
kann somit auch berührt sein, wenn einem Ausländer, dessen Familienangehörige ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz haben, die Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt (und nicht bloss nicht erneuert) wird. Voraussetzung ist allerdings, dass die Familienbeziehung intakt erscheint. Das darf hinsichtlich der Beziehung der Eheleute N. bei der gegebenen Aktenlage angenommen werden. Auf die von N. eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.
2.
a) Die - vom Regierungsrat übernommene - Begründung der Fremdenpolizei, dass der mit Visum eingereiste Ausländer an die im Visum enthaltene Aufenthaltsdauer gebunden sei, ist an sich zutreffend. Das hindert aber nicht, dass der Ausländer während der Aufenthaltsdauer gemäss Visum ein Gesuch um Bewilligung eines länger dauernden Aufenthalts stellt (wobei er
BGE 111 Ib 1 S. 5
allerdings keine bessere Rechtsstellung daraus ableiten kann, dass er sich bereits in der Schweiz befindet). Der Regierungsrat hat daher zu Recht unabhängig von der Frage des Visums geprüft, ob das Gesuch materiell zu bewilligen sei.
b) Einen Anspruch auf Bewilligung des Aufenthalts in der Schweiz könnte der Beschwerdeführer höchstens aus
Art. 8 EMRK
ableiten.
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
gewährt jedermann Anspruch auf Achtung seines Familienlebens. Gemäss Ziff. 2 sind Eingriffe in dieses Grundrecht nur statthaft, "insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral sowie der Rechte und Freiheit anderer notwendig ist".
Gemäss der bundesgerichtlichen Praxis entfällt ein Schutz nach
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
, wenn es der schweizerischen Ehefrau des Ausländers zumutbar ist, diesem ins Ausland zu folgen (
BGE 110 Ib 205
). Was für die schweizerische Ehefrau gilt, gilt auch für die ausländische Ehefrau (bzw. den ausländischen Ehemann) mit Anwesenheitsrecht in der Schweiz: Ist es ihr zumutbar, mit ihrem Gatten die Schweiz zu verlassen, so greift
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
nicht ein; und das unabhängig davon, ob ein öffentliches Interesse an der Fernhaltung ihres Mannes gemäss
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
besteht.
Die Frau des Beschwerdeführers hat in der Schweiz zwar Niederlassungsbewilligung. Diese erhielt sie aber im Rahmen des Familiennachzugs ihrer in der Schweiz niedergelassenen Eltern (
Art. 17 Abs. 2 ANAG
) unmittelbar nach ihrer Einreise in die Schweiz im Jahre 1980. Vorher lebte Frau N. in der Türkei. Bei ihrer Einreise war sie 14jährig; zwei Jahre später heiratete sie den Beschwerdeführer, der zur Schweiz keine näheren Beziehungen hatte. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, sie sei in der Schweiz bereits derart assimiliert, dass es ihr unzumutbar wäre, mit ihrem Mann in das gemeinsame Heimatland zurückzukehren, um die Ehe dort zu leben. Die Beschwerde ist daher abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
39036ef7-8418-4694-9ed9-4ad6dde40d53 | Urteilskopf
99 Ib 129
16. Auszug aus dem Urteil vom 16. Februar 1973 i.S. Y. gegen Generaldirektion der PTT-Betriebe. | Regeste
Angestelltenordnung (Ango, BRB vom 10. November 1959). Ordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses durch die Verwaltung. Sofortige Dienstenthebung. Verwaltungsbeschwerde, Verweigerung der aufschiebenden Wirkung.
1. Verwaltungsgerichtsbeschwerde, Zulässigkeit, Legitimation (Erw. 1).
2. Die Kündigung muss schriftlich begründet werden (Erw. 2).
3. Die Verwaltung entscheidet nach pflichtgemässem Ermessen darüber, ob die Kündigung angezeigt sei (Erw. 5).
4. Einer Telegraphistin darf ohne vorherige Ermahnung gekündigt werden, wenn wegen ihrer politischen Aktivität Grund zur Befürchtung besteht, dass sie die Geheimhaltungspflicht verletzen könnte (Erw. 6, 7). | Sachverhalt
ab Seite 130
BGE 99 Ib 129 S. 130
Aus dem Tatbestand:
A.-
Die Beschwerdeführerin Y., geb. am 9. Juni 1950, trat im Jahre 1967 als Telegraphenlehrtochter in die Dienste der PTT-Betriebe. Im folgenden Jahre wurde sie von der zuständigen Kreistelephondirektion (KTD) zur Telegraphistin IV im Angestelltenverhältnis ernannt.
Ende 1968 wurde sie durch Strafmandat wegen Nachtlärms zu einer Busse von Fr. 20.- und zu den Kosten von Fr. 5.- verurteilt. Sie erhob gegen den Strafbefehl nicht Einspruch, weigerte sich dann aber, die Busse zu bezahlen oder abzuverdienen. Die Busse wurde in Haft umgewandelt, und die Beschwerdeführerin verbüsste an zwei Arbeitstagen (28./29. August 1969) die Haftstrafe. Am 1. September 1969 wurde die Beschwerdeführerin wegen dieser Angelegenheit vom Personalchef einvernommen. Tags darauf erhielt sie ein Schreiben der KTD vom 29. August 1969, dem zu entnehmen ist:
"Ihr Verhalten zwingt uns leider, das Anstellungsverhältnis mit Ihnen... zu künden... Die Gründe, die uns zu diesem Schritt zwingen, werden wir Ihnen mit separatem Schreiben darlegen."
In einem Brief der KTD vom 5. September 1969 wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass ihre Haltung in der Strafsache die Kündigung veranlasst habe. Am 22. September 1969 wurde ihr eröffnet, dass sie mit sofortiger Wirkung von der Dienstleistung enthoben werde, weil sie wahrheitswidrig erzählt habe, es sei ihr aus politischen Gründen gekündigt worden. Das Gehalt wurde der Beschwerdeführerin bis zum Ende der Kündigungsfrist (31. Dezember 1969) im vollen Umfang ausgerichtet.
B.-
Fräulein Y. erhob gegen die Kündigung und die sofortige Enthebung von der Dienstpflicht Beschwerde. Sie verlangte, der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. In der Folge führte die Generaldirektion der PTT-Betriebe (GD/PTT)
BGE 99 Ib 129 S. 131
im Auftrag des Bundesrates eine eingehende Untersuchung des Falles durch. Am 15. April 1971 wies der Direktor der Fernmeldedienste der GD/PTT die Beschwerde ab. Das Begehren um Gewährung der aufschiebenden Wirkung betrachtete er als gegenstandslos. Er stützte seinen Entscheid nicht nur auf die von der KTD der Beschwerdeführerin bekanntgegebenen, sondern auch auf die folgenden weiteren Gründe:
a) Die Beschwerdeführerin habe in den Monaten Mai und Juni 1969 einen unbezahlten Urlaub, der ihr für Sprachstudien in Spanien gewährt worden sei, für eine Reise in den Nahen Osten benützt, ohne dies ihren Vorgesetzten mitzuteilen. Nach ihrer Rückkehr habe sie die Arbeit statt am 3. Juli erst am 7. Juli nach ausdrücklicher Aufforderung wieder aufgenommen.
b) Ausserdem sei sie aktives Mitglied der "Jeunesse progressiste", einer Vereinigung von Linksextremisten prochinesischer Richtung; es könne dem Staat nicht zugemutet werden, Arbeitnehmer in seinen Diensten zu haben, die nach chinesischem Vorbild "die Umwandlung der kapitalistischen in eine sozialistische Gesellschaftsordnung anstreben".
c) Die sofortige Dienstenthebung sei wegen eines von der KTD seinerzeit nicht erwähnten, inzwischen abgeklärten Vorfalls vom 13. September 1969 erfolgt. An diesem Tage habe die Beschwerdeführerin eine Nachricht, die unter das Amtsgeheimnis falle, einem aussenstehenden Dritten weitergegeben.
C.-
Gegen den Entscheid des Direktors der Fernmeldedienste wurde Beschwerde bei der GD/PTT geführt. Diese trat in ihrem Entscheid vom 10. Januar 1972 auf das Begehren um Feststellung, dass der Direktor der Fernmeldedienste der bei ihm eingereichten Beschwerde zu Unrecht keine aufschiebende Wirkung erteilt habe, nicht ein. Im übrigen wies sie die Beschwerde ab. Aus der Begründung:
Der von der Beschwerdeführerin verübte Nachtlärm, die Nichtbezahlung der Busse und die Haftverbüssung seien einer Bundesbediensteten unwürdig und verstiessen gegen
Art. 26 Ango
. Das pflichtwidrige Verhalten der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Urlaub (Änderung des Reiseziels, verspäteter Dienstantritt bei der Rückkehr) habe das Vertrauen in ihre Zuverlässigkeit ebenfalls erschüttert. Auch wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer politischen Vereinigung von Linksextremisten könne ihr nicht mehr das nötige Vertrauen entgegengebracht werden, weil unter Umständen ihre politische Haltung
BGE 99 Ib 129 S. 132
früher oder später mit den amtlichen Pflichten in Konflikt geraten könnte. Tatsächlich habe die Beschwerdeführerin am 13. September 1969 einem Mitglied der "Jeunesse progressiste" mitgeteilt, sein Telegrammverkehr werde überwacht; deshalb sei ihre vorläufige Enthebung vom Dienst (
Art. 75 Ango
) gerechtfertigt gewesen.
D.-
Fräulein Y. ficht den Entscheid der GD/PTT mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Sie macht u.a. geltend, die ausgesprochene Kündigung sei ungültig, weil das Kündigungsschreiben keine Begründung enthalte. Auf jeden Fall sei es in keiner Weise angemessen, einer noch nicht volljährigen Angestellten ohne vorherige Ermahnung oder Verwarnung wegen der hier erhobenen Vorwürfe zu kündigen und diese Massnahme noch durch sofortige Dienstenthebung zu verschärfen. Beide Anordnungen seien ungesetzlich.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der angefochtene Beschwerdeentscheid der GD/PTT ist eine Verfügung im Sinne des Art. 5 VwG.
Die PTT-Betriebe waren nach der ursprünglichen Fassung des Art. 1 des PTT-Organisationsgesetzes vom 6. Oktober 1960 dem Post- und Eisenbahndepartement (jetzt Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement) unterstellt. Gemäss der neuen Fassung vom 19. Dezember 1969 (in Kraft seit 1. Juli 1970) sind sie "innerhalb der Schranken der Bundesgesetzgebung ein selbständiger eidgenössischer Betrieb". Der Beschwerdeentscheid der GD/PTT ist somit nach der neuen Regelung als Entscheid der letzten Instanz eines autonomen eidgenössischen Betriebes gemäss
Art. 98 lit. d OG
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde weiterziehbar, während nach der frühern Regelung die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sich aus lit. c daselbst ergeben hätte. Dass Verfügungen und Beschwerdeentscheide der GD/PTT in bezug auf das Dienstverhältnis der Angestellten mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde weiterziehbar sind, soweit sie ihrer Natur nach dieser Beschwerde unterliegen, wird in
Art. 39 lit. d Ziff. 2 Ango
(Fassung vom 8. Januar 1971) noch ausdrücklich gesagt.
Der Weiterzug einer Kündigung durch Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird durch keine der Bestimmungen in
Art. 99-102
BGE 99 Ib 129 S. 133
OG
ausgeschlossen; insbesondere trifft keine der Ausnahmen zu, welche
Art. 100 lit. e OG
auf dem Gebiete des Dienstverhältnisses von Bundespersonal vorsieht (
BGE 97 I 542
E. 1).
b) (Die Beschwerdeführerin ist zur Anfechtung der Kündigung legitimiert.)
c) Die sofortige Dienstenthebung unter Wahrung des vollen Gehaltsanspruches für die Dauer der Kündigungsfrist bewirkte für die Beschwerdeführerin keine Verschlechterung der Rechtslage. Die Beschwerdeführerin erhielt durch diese Massnahme die Möglichkeit, ihre Arbeitskraft schon in den Monaten Oktober, November und Dezember 1969 anderweitig einzusetzen, während die PTT-Betriebe ihr das Gehalt noch zahlten. Der Verzicht des Arbeitgebers auf die Dienstleistung hat - von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen - für den Arbeitnehmer keine Nachteile zur Folge. Der Arbeitnehmer besitzt in der Regel keinen Anspruch darauf, effektiv beschäftigt zu werden; der Arbeitgeber kann ihn während der Dauer der Anstellung unter Bezahlung des Lohnes beurlauben (vgl. GUHL/MERZ/KUMMER OR S. 393 ff). Es besteht keine Vorschrift des Bundesverwaltungsrechts, welche den Angestellten des Bundes - abweichend vom privatrechtlichen Arbeitsvertragsrecht - gegen die Beurlaubung seitens des Arbeitgebers schützen würde. Der Grund einer solchen Bestimmung wäre auch schwer einzusehen.
Art. 75 Ango
ordnet die vorläufige Dienstenthebung als vorsorgliche Massnahme während der Durchführung einer Untersuchung und unter Vorbehalt der Wiedereinsetzung. Im vorliegenden Fall wurde aber nach der Kündigung auf die weitere Dienstleistung definitiv verzichtet;
Art. 75 Ango
ist daher nicht anwendbar. Ob der Kreistelephondirektor zu einem solchen Verzicht auf die weitere Dienstleistung unter Wahrung des Gehaltsanspruches bis zum Ablauf der Kündigungsfrist befugt war, ist hier nicht zu prüfen, da die Beschwerdeführerin auf jeden Fall durch diese Massnahme keinen Nachteil erlitten hat und deshalb in diesem Punkt zur Beschwerdeführung nicht legitimiert ist. Dass die Art, wie die sofortige Dienstenthebung erfolgte, von der Betroffenen als kränkend empfunden werden konnte, vermag nicht zu einer andern Beurteilung der Legitimationsfrage zu führen; denn wenn das schutzwürdige Interesse an der Aufhebung der Verfügung fehlt, kann die Beschwerdelegitimation sich nicht aus den Umständen und Modalitäten bei der Durchführung der konkreten Massnahme ergeben.
BGE 99 Ib 129 S. 134
d) Die Frage, ob der Verwaltungsbeschwerde zu Unrecht keine aufschiebende Wirkung erteilt bzw. die aufschiebende Wirkung entzogen worden sei, kann nicht nachträglich Gegenstand eines besondern Feststellungsurteils im verwaltungsgerichtlichen Verfahren werden. Der Entscheid über die aufschiebende Wirkung ist eine Zwischenverfügung, welche die Situation während der betreffenden Phase des Rechtsmittelverfahrens regelt. Wird das Hauptbegehren der Beschwerde schliesslich gutgeheissen, so kann die vorangehende Verweigerung der aufschiebenden Wirkung zur Folge haben, dass die unterliegende Verwaltung zur Korrektur des fehlerhaften Sachentscheids entsprechend grössere Leistungen erbringen muss, während die Gewährung der aufschiebenden Wirkung den bisherigen Zustand vorläufig erhalten, Auswirkungen des angefochtenen Entscheides einstweilen verhindert hätte. Selbst wenn sich bei der Beurteilung der Beschwerde herausstellt, dass die Zwischenverfügung besser im umgekehrten Sinne getroffen worden wäre, besteht kein schutzwürdiges Interesse an einem nachträglichen besonderen Feststellungsentscheid des Verwaltungsgerichts hierüber. Die allenfalls notwendige Korrektur der Rechtslage ergibt sich aus dem Entscheid über das Hauptbegehren und seinen Konsequenzen. Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Betroffene den die aufschiebende Wirkung verweigernden Zwischenentscheid gesondert weiterziehen kann, um tatsächlich während des Verfahrens die Erhaltung des bisherigen Zustandes zu erreichen, braucht hier nicht Stellung genommen zu werden. Die Beschwerdeführerin ist aus den angeführten Gründen nicht legitimiert, eine nachträgliche Kontrolle des Entscheides über die aufschiebende Wirkung durch das Bundesgericht zu verlangen. Ist das Hauptbegehren der Beschwerde gutzuheissen und die Kündigung aufzuheben, so beseitigt dies - im Rahmen des nachträglich noch Möglichen - auch die Folgen der Nichtgewährung des Suspensiveffektes. Ist das Hauptbegehren abzuweisen und die Kündigung zu bestätigen, so kann die Beschwerdeführerin nicht mit der Behauptung, es hätte ihrer Beschwerde seinerzeit doch aufschiebende Wirkung erteilt werden sollen, irgendwelche Rechte geltend machen. Auf das Begehren, es sei festzustellen, dass der Suspensiveffekt zu Unrecht nicht gewährt worden sei, ist daher nicht einzutreten.
2.
Nach
Art. 8 Abs. 2 Ango
kann das Dienstverhältnis "von beiden Seiten unter Angabe der Gründe schriftlich gekündigt
BGE 99 Ib 129 S. 135
werden". Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, eine von der Verwaltung ausgesprochene Kündigung sei nichtig, wenn im Kündigungsschreiben die Gründe nicht angegeben sind. Dagegen nehmen die Organe der PTT-Betriebe an, die Verpflichtung der Verwaltung zur Grundangabe diene lediglich insofern dem Schutz des Angestellten, als er Gelegenheit haben solle, sich gegen eine nach seiner Ansicht nicht gerechtfertigte Kündigung - nötigenfalls im Beschwerdeverfahren - zur Wehr zu setzen; dieser Zweck werde auch durch mündliche Mitteilung oder nachträgliche schriftliche Orientierung erreicht.
a) Die Kündigung seitens der Verwaltung ist eine Verfügung im Sinne des Art. 5 VwG. Sie ist schriftlich zu eröffnen und muss auch schriftlich begründet werden (
Art. 8 Abs. 2 Ango
; Art. 34 Abs. 1 und Art. 35 Abs. 1 VwG). Die Schriftform soll es dem Betroffenen erleichtern, gegen die Kündigung Beschwerde zu führen. Erforderlich ist eine im Beschwerdeverfahren überprüfbare Begründung (
BGE 97 I 544
E. 5). Sie muss daher nicht nur schriftlich eröffnet werden, sondern auch konkrete Angaben enthalten. Gehört der Angestellte der Versicherungskasse an, so genügt es nicht, dass ihm die Verwaltung gemäss
Art. 76 Abs. 4 Ango
schriftlich mitteilt, ob die Kündigung im Sinne der Kassenstatuten als Entlassung aus eigenem Verschulden gelte; ausser dieser Mitteilung ist eine schriftliche materielle Begründung der Kündigung notwendig. Indessen muss die Begründung nicht im Kündigungsschreiben selber stehen; sie kann auch in einem besonderen Schreiben kurz nach der Kündigung eröffnet werden. Es kann auch nicht verlangt werden, dass schon bei der Kündigung eine erschöpfende schriftliche Begründung gegeben wird; nachträgliche Ergänzungen sind zulässig, müssen aber dem Betroffenen schriftlich bekanntgegeben werden.
Das Fehlen der erforderlichen Begründung kann allerdings dazu führen, dass die Verfügung ungültig erklärt und aufgehoben wird. Nach der Rechtsprechung tritt jedoch diese Folge nicht ein, wenn der Betroffene durch den Mangel in der Verteidigung seiner Interessen nicht behindert worden ist (BGE 99 I b 99 E. 2 a).
b) Das der Beschwerdeführerin zugesandte Kündigungsschreiben vom 29. August 1969 enthält allerdings als Grundangabe nur die Mitteilung, dass ihr "Verhalten" zur Kündigung zwinge, und verweist im übrigen auf ein separates Schreiben. Im nachfolgenden Brief vom 5. September 1969 wurde aber der
BGE 99 Ib 129 S. 136
Beschwerdeführerin eröffnet, dass die Kündigung wegen der Verbüssung der Umwandlungsstrafe an zwei Arbeitstagen begründet sei, und im Laufe des weiteren Verfahrens wurden ihr schriftlich zusätzliche Gründe mitgeteilt, indem auf ihr Verhalten anlässlich des unbezahlten Urlaubs (Änderung des Reiseziels, verspätete Rückkehr) und ihre Zugehörigkeit zur "Jeunesse progressiste" hingewiesen wurde. Die Beschwerdeführerin macht - mit Recht - nicht geltend, sie habe keine Gelegenheit gehabt, vor Rechtsmittelinstanzen mit voller Überprüfungsbefugnis (Direktor der Fernmeldedienste, GD/PTT) zu allen diesen Gründen Stellung zu nehmen, sondern sie wendet ein, die Kündigung sei nichtig, weil das Kündigungsschreiben keine Begründung enthalten habe. Diese Rüge dringt indessen nicht durch, da die Gründe der Kündigung in genügender Weise angegeben worden sind und die Beschwerdeführerin im Laufe des Verfahrens ausreichend Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen.
5.
Die Ango enthält keine näheren Bestimmungen über die Gründe, aus denen die Verwaltung ein Anstellungsverhältnis kündigen darf. Der Entscheid darüber, ob eine Kündigung angezeigt sei, ist dem Ermessen der Behörde überlassen. Die Verwaltung ist in dieser Beziehung nicht weniger frei als beim Entscheid über die Erneuerung des Dienstverhältnisses des Beamten gemäss
Art. 57 BtG
, der ausdrücklich bestimmt, dass die Wahlbehörde hierüber nach freiem Ermessen befindet. Die Behörde hat aber ihr Ermessen beim Entscheid über die Kündigungsfrage wie in jedem anderen Bereich pflichtgemäss auszuüben. Sie darf nur kündigen, wenn sie sich auf triftige Gründe stützen kann (vgl.
BGE 97 I 544
E. 5, wo allerdings die Kündigung seitens der Verwaltung nicht als eigentlicher Ermessensentscheid aufgefasst wurde). Ein wichtiger Grund im Sinne des
Art. 77 Ango
, d.h. ein Umstand, der die fristlose Entlassung des Angestellten rechtfertigen würde, braucht nicht nachgewiesen zu sein. Es muss genügen, dass die Kündigung sich im Rahmen des der Verwaltung zustehenden Ermessens hält, angesichts des Verhaltens des Angestellten als vertretbare Massnahme erscheint. Sachlich nicht haltbare, willkürliche Kündigungen seitens der Verwaltung sind im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufzuheben. Das Bundesgericht prüft, ob die Verwaltung das ihr von der Ango hinsichtlich der Kündigung eingeräumte Ermessen überschritten oder missbraucht habe. Zu einer eigentlichen Ermessenskontrolle ist es auf diesem Gebiete nicht befugt; denn
BGE 99 Ib 129 S. 137
hier liegt keiner der Fälle vor, in denen nach
Art. 104 lit. c OG
die Rüge der Unangemessenheit zulässig ist; insbesondere handelt es sich nicht um eine Disziplinarstrafe im Sinne der Ziff. 2 ebenda.
6.
a) Der mit der Begründung des Urlaubsgesuchs in Widerspruch stehende Wechsel des Reiseziels und der verspätete Arbeitsantritt anfangs Juli 1969 veranlassten seinerzeit weder die unmittelbaren Vorgesetzten noch die KTD zu einer besondern Ermahnung der Beschwerdeführerin. Dieses im angefochtenen Entscheid als Kündigungsgrund qualifizierte Verhalten der Beschwerdeführerin war gewiss nicht korrekt, hätte aber für sich allein wohl kaum zur Kündigung geführt.
b) Schwerwiegender ist die Verbüssung der Umwandlungsstrafe. Die Beschwerdeführerin nahm in mutwilliger Weise die Verbüssung einer Haftstrafe auf sich, die sie möglicherweise schon durch Einsprache gegen das Strafmandat, auf jeden Fall aber durch Zahlung der Geldstrafe hätte vermeiden können. Zudem meldete sie die durch die Haft verursachte Absenz erst unmittelbar vor dem Antritt der Strafe. Die Organe der PTT-Betriebe sehen in diesem Vorgehen ein Verhalten, das gegen
Art. 26 Ango
verstösst, mit der Achtung und dem Vertrauen, welches die Stellung einer Telegraphistin erfordert, nicht vereinbar ist. Sie durften im Rahmen des ihnen zustehenden Ermessens aus dieser Handlungsweise der Beschwerdeführerin und ihrer nachherigen Stellungnahme dazu den Schluss ziehen, dass die Vertrauenswürdigkeit dieser Telegraphistin durch die das übliche Mass übersteigende jugendliche Trotzhaltung gegenüber staatlichen Anordnungen in Frage gestellt sei. Während eine solche Folgerung lediglich auf Grund der Bestrafung mit einer Busse wegen Nachtlärms, begangen in einer Gruppe junger Leute, wohl als Überschreitung des Ermessens zu qualifizieren wäre, ist das nachherige Verhalten, das schliesslich zur Verbüssung der Haft führte, doch recht aussergewöhnlich, und es kann nicht beanstandet werden, dass die KTD die Haltung der Beschwerdeführerin in dieser Strafsache zum Anlass nahm, um die Frage der Weiterführung des Anstellungsverhältnisses zu überprüfen.
c) Von besonderm Gewicht war für den Kreistelephondirektor und die verwaltungsinternen Beschwerdeinstanzen der Umstand, dass die Beschwerdeführerin der "Jeunesse progressiste" angehört. Die politische Aktivität eines Angestellten des Bundes
BGE 99 Ib 129 S. 138
bildet grundsätzlich auch dann keinen Kündigungsgrund, wenn sie sich in einer Organisation abspielt, welche mit legalen Mitteln die Änderung der gegenwärtigen Zustände in Staat und Gesellschaft anstrebt und sich mit der bestehenden Ordnung kritisch auseinandersetzt. Die im angefochtenen Entscheid unter Bezugnahme auf die "Weisungen des Bundesrates über die Auflösung des Dienstverhältnisses vertrauensunwürdiger Beamten, Angestellten und Arbeiter des Bundes" vom 5. September 1950 (BBl 1950 II 789) getroffene Umschreibung der Vertrauenswürdigkeit als Gewissheit, dass der Dienstpflichtige alles tut, was die Interessen des Bundes fördert, und alles unterlässt, was sie beeinträchtigt, darf nicht so verstanden werden, dass jede politische Betätigung in einer oppositionellen, gesellschaftskritischen Bewegung bereits als verdächtig und die für eine Anstellung notwendige Vertrauenswürdigkeit ausschliessend zu qualifizieren ist. Die politische Aktivität begründet aber dann berechtigte Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit, wenn die oppositionelle politische Haltung die Gefahr mit sich bringt, dass der Angestellte seine konkrete dienstliche Position aus politischen Gründen missbrauchen oder wesentliche dienstliche Pflichten verletzen könnte.
Im Falle der Beschwerdeführerin waren die Organe des PTT-Betriebe durch die Bundesanwaltschaft darüber orientiert, dass die "Jeunesse progressiste" von der Bundespolizei überwacht wurde. Die Notwendigkeit dieser Überwachung konnten und mussten die Organe der PTT-Betriebe nicht beurteilen. Sie durften aus dem Umstand, dass eine junge Telegraphistin aktiv in einer politischen Organisation mitwirkt, welche durch die Bundespolizei überwacht wird, den Schluss ziehen, es bestehe die akute Gefahr einer Verletzung der Geheimhaltungspflicht durch diese Telegraphistin; denn eine 19-jährige, die sich in einer Organisation wie der "Jeunesse progressiste" aus Überzeugung oder aus Freundschaft zu einem dieser Bewegung angehörenden Burschen betätigt, wird nach allgemeiner Lebenserfahrung der Versuchung schwerlich widerstehen, eine Wahrnehmung, die der Geheimhaltungspflicht untersteht, den politischen Gesinnungsgenossen zu melden, sofern die Meldung für diese von Interesse sein kann. Wird die Organisation von der Bundespolizei überwacht und der Telegrammverkehr teilweise kontrolliert, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Telegraphistin, welche dieser Organisation angehört, in eine Versuchungssituation gerät, ausserordentlich
BGE 99 Ib 129 S. 139
gross. Dieses akute Risiko einer Verletzung der Geheimhaltungspflicht, das sich aus der Zugehörigkeit zu einer von der Bundespolizei überwachten Organisation ergibt, stellt die Vertrauenswürdigkeit in erheblichem Mass in Frage. Der Arbeitgeber, der wegen dieses Risikos das Anstellungsverhältnis durch ordentliche Kündigung auflöst, handelt im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens.
Eine ordentliche Kündigung ist nicht nur zulässig, wenn eine erhebliche Verletzung der Dienstpflicht nachgewiesen ist; sonst wäre ja diese Massnahme in bezug auf die Voraussetzungen praktisch der sofortigen Entlassung aus wichtigen Gründen gleichgestellt. Für die ordentliche Kündigung genügt es, dass der Arbeitgeber aus sachlichen Erwägungen eine Dienstpflichtverletzung befürchtet und deswegen das erforderliche Vertrauen in den Angestellten nicht mehr besitzt. In der Beurteilung des Risikos künftigen pflichtwidrigen Verhaltens ist den Vorgesetzten, welche die Persönlichkeit des Arbeitnehmers und die besondern Anforderungen des Arbeitsplatzes kennen, ein entsprechendes Ermessen einzuräumen. Auch der begründete Verdacht einer Verfehlung kann unter Umständen die Vertrauenswürdigkeit derart in Frage stellen, dass eine Kündigung angebracht ist, selbst wenn der strikte Nachweis der Verfehlung sich nicht erbringen lässt. In diesem Sinne dürfte - sofern die Kündigung nicht ohnehin als hinreichend begründet erschiene - auch die von der Beschwerdeführerin bestrittene, aber nach den gesamten Umständen sie doch sehr belastende Meldung der Polizei über eine am 13. September 1969 begangene krasse Verletzung der Geheimhaltungspflicht als ein die Vertrauenswürdigkeit erschütternder Faktor berücksichtigt werden. Da das Bundesgericht hier an die Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid nicht gebunden ist (
Art. 105 Abs. 1 OG
), dürfte auch dieser nach der Kündigung eingetretene Umstand, der im bisherigen Verfahren nur als Anlass zur sofortigen Dienstenthebung gewürdigt wurde, in die Beurteilung der Entlassungsfrage einbezogen werden (zur Berücksichtigung neuer Tatsachen vgl.
BGE 92 I 327
E. 2,
BGE 97 I 474
E. 2).
7.
Welche Folgerungen im Einzelfall vom Arbeitgeber aus dem Verlust der Vertrauenswürdigkeit des Angestellten zu ziehen sind, ist vorwiegend eine Frage der Angemessenheit.
a) Eine Pflicht, eine Angestellte, der man im bisherigen Arbeitsbereich nicht mehr das erforderliche Vertrauen schenken
BGE 99 Ib 129 S. 140
kann, an einem andern Ort einzusetzen, besteht nicht. Oft wird eine befriedigende Umplazierung wegen der besondern Ausbildung kaum möglich sein. Zudem schafft die unumgängliche Mitteilung des eingetretenen Vertrauensverlustes keine gute Basis für die Weiterführung des Anstellungsverhältnisses. Im vorliegenden Fall wird denn auch gar nicht behauptet, das Anstellungsverhältnis hätte in anderer Form (durch Umplazierung) weitergeführt werden sollen.
b) Hingegen wird eingewendet, der Beschwerdeführerin hätte nicht ohne vorangehende Ermahnung oder Verwarnung gekündigt werden dürfen. Diese Rüge wäre allenfalls berechtigt, wenn nach den gegebenen Umständen hätte erwartet werden können, dass eine Ermahnung Erfolg haben werde. Da aber der Vertrauensverlust seine Hauptursache in der Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zur "Jeunesse progressiste" hat, lässt sich mit guten Gründen die Auffassung vertreten, von einer Ermahnung habe man keine das Vertrauen wiederherstellende Änderung erwarten können, sondern höchstens grössere Vorsicht bei pflichtwidrigem Verhalten. Die Organe der PTT-Betriebe konnten daher annehmen, dass eine Verwarnung das oben umschriebene Risiko einer Verletzung der Geheimhaltungspflicht nicht beseitigt hätte. Sie durften aus sachlichen Gründen und ohne Ermessensüberschreitung eine blosse Ermahnung von vornherein für unwirksam halten. Die ausgesprochene Kündigung ist nicht zu beanstanden. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3904fea4-322f-4090-87b2-c54d8db39572 | Urteilskopf
115 II 456
81. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. November 1989 i.S. A. gegen B. (Berufung) | Regeste
Art. 371 Abs. 2 OR
; Haftung des Architekten für Mängel eines Bauwerkes, Beginn der Verjährungsfrist.
1. Wird der Architekt vom Bauherrn für Mängel eines Gesamtwerkes verantwortlich gemacht, das von mehreren Nebenunternehmern aufgrund gesonderter Verträge mit dem Bauherrn erstellt worden ist, so beginnt die Verjährungsfrist mit der Abnahme jedes Teilwerkes zu laufen. Begriff der Abnahme (E. 2 und 4).
2. Bedeutung von zeitlich begrenzten Einredeverzichten des Architekten (E. 6b). | Sachverhalt
ab Seite 456
BGE 115 II 456 S. 456
A.-
Aufgrund eines mündlichen Vertrages mit A. führte B. die Architektenarbeiten für den Bau eines Einfamilienhauses aus. Im Mai 1976 bezog A. mit seiner Familie das mit Ausnahme von Küche und Fussboden im Wohnzimmer fertiggestellte Haus.
Am 21. Juni 1976 nahm der Architekt eine Liste der am Haus festgestellten Mängel auf. Am 7. Juli 1977 rügte A. gegenüber B. verschiedene Mängel, insbesondere Risse im Aussenputz sowie an der Innenseite der Kellerwand, und weigerte sich, das Architektenhonorar
BGE 115 II 456 S. 457
zu zahlen. Am 22. April 1981 erfolgten wiederum Mängelrügen. Dabei wurde auf Mauerrisse und neu auch auf übermässigen Heizölverbrauch wegen ungenügender Wärmeisolation hingewiesen.
Mit schriftlicher Erklärung vom 30. April 1981 verzichtete B. für zwei Jahre auf die Erhebung der Verjährungseinrede. Der Verzicht wurde am 21. April 1983 für weitere zwei Jahre bis 30. April 1985 verlängert.
B.-
Mit Klageschrift vom 8. Juni 1984 beantragte A., den Architekten B. zur Zahlung von minimal Fr. 16'000.-- und maximal Fr. 24'000.-- nebst Zins zu verpflichten. Der Kläger verlangte damit den Ersatz der Kosten für die Behebung der Mauerrisse sowie der Verbesserung der Wärmeisolation, soweit diese Mängel nach seiner Auffassung vom Beklagten verursacht worden waren.
Das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden hiess die Klage mit Urteil vom 30. Juni 1988 im Betrag von Fr. 24'000.-- nebst Zins gut. Auf Appellation des Beklagten wies dagegen das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden die Klage am 13. Dezember 1988 wegen Verjährung der geltend gemachten Forderungen ab.
Der Kläger hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingereicht, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Kläger wirft dem Obergericht eine Verletzung von
Art. 371 Abs. 2 OR
vor. Er schliesst sich GAUTSCHI an, der im Gegensatz zu GAUCH (Der Werkvertrag, 3. Aufl., Rz. 1669) die Auffassung vertritt, aus praktischen Gründen müsse angenommen werden, die Verjährung beginne erst mit der Ablieferung der gesamten Werkarbeit zu laufen, zu deren Planung oder Ausführung der Architekt beigezogen worden sei, ungeachtet des Umstandes, dass der Verjährungsbeginn für Teilarbeiten bestimmter Bauunternehmer und Bauhandwerker auf einen früheren Zeitpunkt fallen könne (N. 27 zu
Art. 371 OR
).
Diese Betrachtungsweise widerspricht indessen dem Sinn und Zweck von
Art. 371 Abs. 2 OR
, der mit der Gleichstellung von Architekt und Unternehmer oder Nebenunternehmer verhindern will, dass für den Architekten eine längere Verjährungsfrist gilt als für den Unternehmer, der mit seiner Arbeit den Mangel mitverursacht hat. Dem Architekten soll im Fall, dass er vom Bauherrn in Anspruch genommen wird, nicht wegen einer gegenüber dem
BGE 115 II 456 S. 458
Unternehmer oder Nebenunternehmer bereits abgelaufenen Verjährungsfrist verunmöglicht werden, seinerseits auf diesen Rückgriff zu nehmen (
BGE 102 II 418
E. 3; GAUCH, a.a.O., Rz. 1663; TERCIER, La partie spéciale du Code des obligations, Rz. 3041; vgl. auch GAUTSCHI, N. 23 zu
Art. 371 OR
mit grundlegender Kritik an dieser Bestimmung).
Die weiteren Einwände des Klägers überzeugen ebenfalls nicht. Er vermag - ebensowenig wie GAUTSCHI - anzugeben, welche praktischen Gründe im Fall von Nebenunternehmern gegen einen gesonderten Verjährungsbeginn sprechen. So ist es entgegen seiner Behauptung keineswegs praktisch ausgeschlossen, dass der Bauherr ein Teilwerk eines Nebenunternehmers separat abnimmt. Ähnlich verhält es sich mit dem Einwand, es gehe nicht an, zur Bestimmung des Verjährungsbeginns auf Vorgänge abzustellen, welche dem Bauherrn im Baualltag in aller Regel verborgen blieben. Wann ein Unternehmer die ihm mit gesondertem Vertrag übertragenen Arbeiten abgeschlossen hat, ist im allgemeinen auch für den Bauherrn ohne weiteres festzustellen. Soweit der Kläger damit aber den Rechtsbegriff der Abnahme im Sinne von
Art. 371 Abs. 1 OR
anders auslegt als das angefochtene Urteil, ist darauf weiter hinten (E. 4) einzugehen. Unerheblich ist sodann das Argument, im vorliegenden Fall sei ein Regress des Beklagten auf die Unternehmer ausgeschlossen, weil in beiden Gutachten allein vom Architekten zu vertretende Fehler festgehalten würden, d.h. die auf die Beteiligten entfallenden Quoten aufgeteilt und deshalb im Betrag, welcher dem Kläger erstinstanzlich zugesprochen worden sei, bereits berücksichtigt seien. Ob im Einzelfall tatsächlich ein Regressrecht besteht, spielt nach zutreffender Lehrmeinung keine Rolle (GAUCH, a.a.O., Rz. 1666; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 7 zu
Art. 371 OR
). Was schliesslich den sowohl vom Kläger wie von der Vorinstanz angeführten Wortlaut dieser Bestimmung betrifft, spricht er weder für den einen noch für den anderen Standpunkt, denn es ist lediglich allgemein von der Abnahme des Werkes die Rede. Das ist indessen nicht entscheidend, da bei nicht eindeutigem Wortlaut der Sinn und Zweck der Vorschrift ausschlaggebend sein muss. Die Auslegung der Vorinstanz verstösst somit nicht gegen Bundesrecht.
4.
Die Abnahme eines Werkes setzt voraus, dass es vollendet ist, der Unternehmer alle vereinbarten Arbeiten ausgeführt hat. Ob es mängelfrei ist, spielt dagegen keine Rolle. Der Abnahme entspricht, vom Unternehmer aus gesehen, die Ablieferung des
BGE 115 II 456 S. 459
Werkes. Abgeliefert wird es durch die Übergabe oder durch die Mitteilung des Unternehmers, es sei vollendet. Eine Abnahme kann auch stillschweigend dadurch erfolgen, dass das Werk gemäss seinem Zweck gebraucht wird (
BGE 113 II 267
E. 2b mit Hinweisen). Ein besonderer Abnahmewille des Bestellers oder seines Vertreters ist deshalb nicht erforderlich. Klar zu unterscheiden ist die Abnahme von der Genehmigung, mit welcher der Besteller gegenüber dem Unternehmer seinen Willen äussert, das abgelieferte Werk als vertragsgemäss erstellt gelten zu lassen (GAUCH, a.a.O., Rz. 91-93 und 1486).
Im Fall von Nebenunternehmern, mit denen der Bauherr gesonderte Verträge über die Erbringung bestimmter Teile eines Gesamtwerkes abgeschlossen hat, gelten diese Grundsätze auch für die Abnahme jedes Teilwerkes. Vorbehalten bleiben abweichende vertragliche Vereinbarungen; solche sind hier aber nicht nachgewiesen. Massgebend ist deshalb die gesetzliche Regelung, was der Kläger verkennt, wenn er geltend macht, die Abnahme habe frühestens im Zeitpunkt der Vollendung des gesamten Bauwerkes erfolgen können. In Übereinstimmung mit der gesetzlichen Regelung geht das Obergericht vielmehr zutreffend davon aus, die Abnahme der Teilwerke von Nebenunternehmern trete im Normalfall ohne weiteres dann ein, wenn andere Unternehmer die vorangehende Arbeit als Grundlage benutzen und an der Erstellung des Gesamtwerkes weiterarbeiten. Eine ausdrückliche Abnahmeerklärung des Bauherrn oder des ihn vertretenden Architekten ist unter diesen Umständen ebensowenig unerlässlich wie eine Mitteilung des Nebenunternehmers ihnen gegenüber, dass er die vereinbarten Arbeiten ausgeführt habe. Der Einwand des Klägers, er oder der Beklagte als sein Vertreter hätten seines Wissens nie eine Teilleistung eines Nebenunternehmers ausdrücklich abgenommen, ist deshalb unerheblich. Unbegründet ist sodann der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf, das Obergericht verkenne, dass es um das Verhältnis zwischen dem Kläger als Bauherrn und dem Beklagten als Architekten und nicht um jenes zwischen dem Kläger und den einzelnen Unternehmern gehe. Der Kläger übersieht damit, dass
Art. 371 Abs. 2 OR
sowohl bezüglich der Dauer wie auch des Beginns der Verjährungsfrist gerade nicht zwischen den beiden Vertragsverhältnissen unterscheidet, sondern sie - zur Erreichung des bereits erörterten Zwecks - insoweit gleichstellen will.
6.
b) Der Kläger verweist zur Begründung seiner Auffassung auch auf die Einredeverzichte des Beklagten vom 30. April 1981
BGE 115 II 456 S. 460
und 21. April 1983. Der Beklagte habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er selbst die Verjährung im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärungen als noch nicht eingetreten betrachtet habe.
Dieser Einwand scheitert am eindeutigen Wortlaut beider Verzichtserklärungen. In der ersten vom 30. April 1981 wird festgehalten, der Verzicht gelte lediglich, soweit die Verjährung bis zu diesem Datum noch nicht eingetreten sei; in materieller Hinsicht seien sämtliche Ansprüche bestritten. In der zweiten vom 21. April 1983 wird präzisiert, welche Ansprüche vom Verzicht betroffen sind, und ausgeführt, er gelte lediglich, soweit die Verjährung der Ansprüche am 30. April 1981 nicht bereits eingetreten sei. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
390b6aff-1bd7-47b8-8e53-14030b8ba220 | Urteilskopf
111 V 138
29. Extrait de l'arrêt du 31 mai 1985 dans la cause Bessire contre la caisse-maladie et accidents "La Fédérale" et Tribunal des assurances du canton de Berne | Regeste
Art. 3 Abs. 5 KUVG
, Art. 14 Vo III,
Art. 128 Abs. 2 UVV
.
Das KUVG legt den Krankenkassen nicht die Verpflichtung auf, das besondere Risiko des Unfalls zu decken, auch nicht subsidiär im Fall, dass das Mitglied einer anerkannten Kasse durch keinen anderen Versicherer gegen dieses Risiko versichert ist.
Immerhin bleibt die in
Art. 128 Abs. 2 UVV
vorgesehene Möglichkeit vorbehalten. | Erwägungen
ab Seite 138
BGE 111 V 138 S. 138
Extrait des considérants:
1.
La recourante soutient que "les règles du droit suisse des assurances sociales ne sauraient autoriser la caisse intimée à (lui) refuser toute couverture contre les accidents" et elle invoque à cet égard l'
art. 5 LAMA
.
a) Le titre premier de la LAMA qui, dans sa version en vigueur jusqu'au 31 décembre 1983, était intitulé "Assurance en cas de maladie" ne traite que de l'assurance-maladie pratiquée par les caisses-maladie reconnues au sens de l'
art. 1er LAMA
, ces dernières ayant cependant le droit de joindre à l'assurance en cas de maladie et de maternité d'autres branches d'assurance aux conditions et dans les limites fixées par le Conseil fédéral (
art. 3 al. 5 LAMA
).
BGE 111 V 138 S. 139
Il n'impose donc pas aux caisses-maladie l'obligation de couvrir le risque spécifique de l'accident. La seule exigence en la matière résulte de l'art. 14 Ord. III qui dispose que les caisses doivent indiquer expressément dans leurs statuts si, et dans quelle mesure, elles allouent des prestations en cas d'accident. Cela ne signifie cependant pas que les caisses sont libres d'organiser l'assurance-accidents à leur guise. Selon une jurisprudence constante, lorsqu'elles réglementent ou appliquent dans un cas d'espèce des branches d'assurance complémentaires à l'assurance de base légale, elles ont l'obligation de se conformer aux principes juridiques de caractère général qui résultent du droit fédéral des assurances sociales, du droit administratif et de la Constitution fédérale; en particulier, elles sont tenues de respecter les principes fondamentaux de l'assurance-maladie sociale, notamment le principe de la mutualité (
ATF 109 V 147
/148).
b) En principe, cette situation juridique n'a pas été modifiée par l'entrée en vigueur, le 1er janvier 1984, de la loi fédérale sur l'assurance-accidents, du 20 mars 1981 (LAA). La loi du 13 juin 1911 - que l'on continue d'abréger en français LAMA - s'intitule désormais "loi fédérale sur l'assurance-maladie" et, par suite de l'abrogation de ses titres deuxième et troisième, elle ne réglemente plus que l'assurance-maladie et maternité (cf. art. 116 al. 1 let. a, art. 117 et annexe ch. 1 LAA). La LAA a toutefois introduit dans la LAMA une nouvelle rédaction de l'art. 26 al. 4 qui donne au Conseil fédéral la compétence de fixer à quelles conditions et dans quelle mesure une caisse-maladie est tenue à prestations tant qu'il n'est pas certain que l'assuré a un droit envers l'assurance-accidents obligatoire, l'assurance militaire ou l'assurance-invalidité; il peut en outre accorder à la caisse qui fait l'avance des prestations un droit de recours contre les décisions des autres assureurs et il règle le remboursement ultérieur par les autres assureurs des prestations fournies par la caisse (cf. annexe ch. 1 LAA). Mais, dans sa nouvelle version, cette disposition de la LAMA ne fonde pas un droit général et inconditionnel des membres d'une caisse-maladie, non soumis à l'assurance-accidents obligatoire ou facultative régie par la LAA, à être également couverts contre le risque accident par leur caisse. L'unique éventualité, prévue par le Conseil fédéral dans les dispositions d'exécution qu'il a édictées en vertu de la délégation législative susmentionnée, dans laquelle l'assureur-maladie doit obligatoirement allouer ses prestations en cas d'accident, étant celle de
BGE 111 V 138 S. 140
l'assuré malade qui est victime d'un accident dans un établissement hospitalier (art. 128 al. 2 de l'Ordonnance sur l'assurance-accidents; OLAA). Cette exception est aussi la seule que réserve l'art. 17 al. 1 Ord. III nouveau qui fixe les principes présidant aux relations entre les caisses-maladie et les autres assurances (cf. en outre le nouvel art. 18 Ord. III, également introduit dans l'ordonnance par l'
art. 142 OLAA
, qui règle les relations avec l'assurance-accidents obligatoire et l'assurance militaire).
Il en ira certes autrement si le législateur adopte l'art. 1er al. 3 du projet de loi fédérale sur l'assurance-maladie et maternité dans la version proposée par le Conseil fédéral dans son message du 19 août 1981 sur la révision partielle de l'assurance-maladie. Il est en effet prévu, par cette disposition, d'assimiler l'accident à la maladie, quant au genre et au montant des prestations, lorsqu'il n'est pris en charge par aucune autre assurance (FF 1981 II 1190). Comme l'expose le Conseil fédéral à l'appui de sa proposition, cette règle aura précisément pour but de combler une lacune, en évitant qu'une personne assurée uniquement en cas de maladie ne soit couverte par aucun assureur si elle est victime d'un accident (FF 1981 II 1107).
c) Ainsi donc, contrairement à ce que paraît croire la recourante, le droit positif n'impose nullement à la caisse de l'assurer en cas d'accident, comme le démontre d'ailleurs, s'il en était besoin, le fait qu'une modification de la loi est nécessaire pour introduire une assurance-accidents obligatoire en faveur des membres des caisses-maladie reconnues non soumis à la LAA. Par conséquent, c'est uniquement sur la base des statuts et règlements de la caisse intimée qu'il y a lieu d'examiner si la recourante est en droit d'exiger de cette dernière qu'elle étende sa couverture d'assurance. | null | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3912dfce-7ed1-4623-a090-ac7906945f9d | Urteilskopf
99 Ia 535
65. Urteil vom 20. Juni 1973 i.S. Wagner und Touring-Club der Schweiz sowie Mitbeteiligte gegen Regierungsrat und Landrat des Kantons Basel-Landschaft. | Regeste
Art. 85 lit. a OG
,
Art. 4 BV
; Landratsbeschluss über die Erhöhung der kantonalen Motorfahrzeugabgaben; Gewaltentrennung, Willkür.
1. Im Kanton Basel-Landschaft ist eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Verkehrssteuern vorhanden (Erw. 3).
2. Für die Zulässigkeit einer Gesetzesdelegation an das kantonale Parlament sind nicht die gleichen Kriterien massgebend wie für die Delegation an die Exekutive. § 1 des kantonalen Gesetzes aus dem Jahre 1910, der den Landrat ermächtigt, die Verkehrsabgaben festzusetzen, verstösst nicht gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung (Erw. 4).
3. Die Erhöhung der basellandschaftlichen Verkehrsabgaben um 40% ist angesichts der vom Kanton zu tragenden Kosten für das Strassenwesen vertretbar (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 536
BGE 99 Ia 535 S. 536
A.-
Nach § 1 des kantonalen Gesetzes betreffend den Motorwagen- und Fahrradverkehr vom 19. Mai 1910 ist der Landrat des Kantons Basel-Landschaft befugt, "auf dem Wege der Verordnung oder des Konkordates die erforderlichen polizeilichen Vorschriften für den Motorwagen- und Fahrradverkehr zu erlassen sowie die Gebühren dieser Fahrzeuge festzusetzen". Gestützt auf diese Bestimmung beschloss der Landrat am 8. Dezember 1947, die damals geltenden Ansätze für die "Verkehrsgebühren" um 20% zu erhöhen. Dagegen erhoben zwei Motorfahrzeughalter staatsrechtllche Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung, indem sie geltend machten, die fraglichen "Gebühren" stellten eine Steuer dar, weshalb der Landratsbeschluss der Volksabstimmung hätte unterbreitet werden müssen. Am 11. März 1948 wies das Bundesgericht die Beschwerde jedoch ab. Dabei führte es aus, der vom Gesetzgeber verwendete Ausdruck "Gebühren" könne ohne Willkür in der Weise ausgelegt werden, dass er die vom Landrat festgesetzte Abgabe selbst dann zu decken vermöge, wenn darin eine Steuer zu erblicken wäre.
Gestützt auf § 1 des erwähnten Gesetzes und auf
Art. 106 Abs. 2 und 3 SVG
erliess der Landrat am 4. April 1968 eine Vollziehungsverordnung zum SVG, wobei er in den §§ 25 ff. die
BGE 99 Ia 535 S. 537
"Verkehrssteuern" sowie die Gebühren für die Prüfungen, die Erstellung von Ausweisen und für weitere Verwaltungshandlungen neu festsetzte. Am 16. November 1972 erhöhte er diese Ansätze um 40%. § 2 dieses Beschlusses lautet wie folgt:
"1 Dieser Beschluss tritt am 1. Januar 1973 in Kraft und ist zu veröffentlichen.
2 Er wird mit der Inkraftsetzung der Neuordnung der Motorfahrzeugsteuern und -gebühren hinfällig."
Die Veröffentlichung im Amtsblatt erfolgte am 14. Dezember 1972. - Im Verlaufe der parlamentarischen Beratung dieses Beschlusses hatte Landrat Paul Wagner-Maurer erfolglos Nichteintreten beantragt mit der Begründung, der Landrat sei mangels Bestehens einer hinreichenden Delegationsnorm nicht befugt, die vom Regierungsrat beantragte Erhöhung der Verkehrssteuern in eigener Kompetenz zu beschliessen, denn hiefür sei das Volk zuständig.
B.-
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 11. Dezember 1972 stellt Paul Wagner-Maurer folgende Anträge:
"1. Es sei der Landratsbeschluss vom 16. November 1972 betreffend die Erhöhung der Verkehrssteuern und -gebühren aufzuheben;
2. eventualiter: Es sei der zitierte Landratsbeschluss mit Bezug auf die Erhöhung der Verkehrssteuern gemäss § 26 der Vollziehungsverordnung zum SVG vom 4.4.1968 aufzuheben."
Die gleichen Begehren stellen der Touring-Club der Schweiz, Sektion beider Basel, Dr. Rolf Bürgin, Binningen, und Willy Prack, Biel-Benken, in ihrer gemeinsamen staatsrechtlichen Beschwerde vom 12. Januar 1973.
Die Beschwerdeführer machen geltend, der angefochtene Landratsbeschluss verstosse gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung (§ 10 KV), gegen die Volksrechte (§ 11 KV) und gegen die Kompetenzordnung des Landrates (§ 18 KV). Nach dem Grundsatz der Gewaltentrennung dürfe keine der drei Gewalten in den Geschäftskreis der andern eingreifen; alle Gesetze unterlägen der Volksabstimmung, und Steuern könnten nur im Rahmen der Gesetzgebung eingeführt und erhöht werden. Als einzige Ausnahme gestatte § 18 Ziff. 11 KV dem Landrat die Beschlussfassung über "die Erhebung einer Vermögens-, Einkommens- und Erwerbssteuer bis auf 1 vom Tausend Vermögen". Die Erhebung einer Steuer auf Motorfahrzeugen sei auch in § 45 KV nicht vorgesehen, weshalb die
BGE 99 Ia 535 S. 538
fiskalische Belastung der Motorfahrzeuge den Betrag einer Gebühr nicht übersteigen dürfe. - Die Frage der Verfassungsmässigkeit der Anordnung von Verkehrssteuern durch den Landrat sei vom Beschwerdeführer Wagner schon bei der Beratung der Vollziehungsverordnung zum SVG vom 4. April 1968 aufgeworfen worden. Damals sei im Landrat die Titelbezeichnung "Steuern und Gebühren" angenommen worden; da jedoch der Sache nach nur eine Anpassung der Abgaben an die Teuerung in Frage gestanden habe, sei der Landrat dem Problem nicht weiter nachgegangen. Die angefochtene Erhöhung um 40% sei jedoch eindeutig nur fiskalisch begründet und halte vor der Verfassung nicht stand, weil dafür nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts (
BGE 97 I 344
ff.) die Volksabstimmung nicht umgangen werden könne. Das Urteil vom 11. März 1948 sei demnach überholt und könne nicht zur Stützung des angefochtenen Beschlusses herangezogen werden. Selbst wenn angenommen würde, der Landrat sei befugt, die Gebühren für Prüfungen und Ausweise von sich aus zu erhöhen, sei er nach dem erwähnten neueren Urteil nicht zuständig, gestützt auf die verfassungswidrige Blankettnorm in § 1 des Gesetzes betreffend den Motorwagen- und Fahrradverkehr vom 19. Mai 1910 eine generelle Erhöhung der Verkehrsabgaben um 40% zu beschliessen, denn aus den neuen Ansätzen ergebe sich eindeutig, dass die Abgabe Steuercharakter habe. Wenn der angefochtene Beschluss geschützt werde, sei damit zu rechnen, dass bereits im Jahre 1974 eine weitere massive Erhöhung der Verkehrssteuern beschlossen werde, zumal schon eine entsprechende offizielle Ankündigung erfolgt sei. Im übrigen könnte von vorneherein nur eine Erhöhung um 20% vor der Verfassung standhalten, denn eine solche von 40% verstosse "gegen das Prinzip der Verhältnismässigkeit und widerspreche den staatspolitischen Rechtssätzen hinsichtlich der Teuerungsbekämpfung".
C.-
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft beantragt als Vertreter des Landrats und im eigenen Namen Abweisung der Beschwerde.
D.-
In ihrer Beschwerdeergänzung halten die Beschwerdeführer an ihren Anträgen fest.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Beide staatsrechtliche Beschwerden richten sich gegen den Landratsbeschluss vom 16. November 1972 und enthalten
BGE 99 Ia 535 S. 539
gleichlautende Anträge. Sämtliche Beschwerdeführer sind zudem durch den gleichen Anwalt vertreten. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, die beiden Beschwerden zu vereinigen und in einem einzigen Urteil zu behandeln.
2.
Die Beschwerdeführer machen geltend, der Landrat habe unter Umgehung einer Volksabstimmung einen allgemein verbindlichen Erlass beschlossen und damit die Verfassung (§§ 10, 11 und 18 KV) verletzt. Damit rügen sie sinngemäss eine Verletzung der politischen Stimmberechtigung, die mit staatsrechtlicher Beschwerde gemäss
Art. 85 lit. a OG
geltend gemacht werden kann. Hiezu sind die Beschwerdeführer Wagner, Bürgin und Prack als stimmberechtigte Einwohner des Kantons Basel-Landschaft ohne weiteres legitimiert. Der Touring-Club der Schweiz, dessen Sektion beider Basel ebenfalls als Beschwerdeführer auftritt, bezweckt in erster Linie die Wahrung der gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder, die zum grössten Teil Motorfahrzeughalter und stimmberechtigte Bürger sind. Mit Rücksicht darauf steht auch ihm ein Beschwerderecht zu (vgl.
BGE 99 Ia 239
Erw. 1 mit Verweisungen). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
3.
Die Beschwerdeführer bringen zunächst vor, die dem angefochtenen Landratsbeschluss zugrunde liegende Vorschrift in § 1 des Gesetzes vom 19. Mai 1910 vermöge keine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Verkehrssteuern abzugeben, weil darin bloss von "Gebühren" die Rede sei.
a) Wäre diese Rüge begründet, so wären auch die früher bezogenen Verkehrssteuern ohne gesetzliche Grundlage und damit in Missachtung verfassungsmässiger Rechte der Betroffenen erhoben worden. Soweit diese Steuern jedoch auf rechtskräftigen Veranlagungen beruhen, können sie von vorneherein nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerden bilden (vgl.
BGE 98 Ia 570
, Erw. 2). Wie die Beschwerdeführer mit Recht annehmen, hat das Bundesgericht vielmehr bloss zu prüfen, ob für künftige, gestützt auf den angefochtenen Landratsbeschluss zu erhebende Verkehrssteuern eine genügende gesetzliche Grundlage besteht.
b) § 1 des Gesetzes vom 19. Mai 1910 ermächtigt den Landrat, die "Gebühren" für die Zulassung von Fahrzeugen zum Strassenverkehr festzusetzen. Nach dem heutigen Sprachgebrauch der Steuerrechtswissenschaft sind Gebühren Entgelte für staatliche Leistungen, bei deren Festsetzung das Kostendeckungs-
BGE 99 Ia 535 S. 540
und das Äquivalenzprinzip zu beachten sind (
BGE 97 I 204
, 334;
BGE 95 I 506
). Ihr Gesamtertrag soll die gesamten Kosten des betreffenden Verwaltungszweiges in der Regel nicht übersteigen, und sie dürfen den objektiven Wert der staatlichen Leistung nicht überschreiten, wenn sie nicht zur eigentlichen Steuer werden sollen. - Die allgemeine Motorfahrzeugabgabe, welche die Kantone gestützt auf
Art. 105 SVG
erheben können, ist nach der Rechtsprechung eine Steuer, auch wenn sie gewisse Elemente einer Gebühr in sich schliesst (
BGE 99 Ia 240
/41 mit Verweisungen). Die angefochtene "Verkehrssteuer" des Kantons Basel-Landschaft trägt ihren Namen demnach zu Recht. Sie ist keine Gebühr im rechtstechnischen Sinn.
c) Wäre § 1 des Gesetzes vom 19. Mai 1910 objektivzeitgemäss auszulegen, so wäre im Kanton Basel-Landschaft nach dem Gesagten keine taugliche gesetzliche Grundlage für die Erhebung einer Motorfahrzeugsteuer vorhanden. Landrat und Regierungsrat machen jedoch geltend, dass in diesem Zusammenhang auf den entstehungszeitlichen Sinn der soeben erwähnten Vorschrift abzustellen sei; danach müsse unter dem Begriff "Gebühr" jede mit Bezug auf die Belange des Strassenverkehrs erhobene Abgabe verstanden werden. Wie es sich damit verhält, kann das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüfen, da die Auslegung und Anwendung einer kantonalen Vorschrift in Frage steht, die nicht der Verfassungs-, sondern bloss der Gesetzesstufe angehört. Können jedoch haltbare Gründe dafür vorgebracht werden, dass dem Landrat im Jahre 1910 in der Tat die Befugnis zur Erhebung von Verkehrsabgaben jeder Art übertragen werden sollte, so vermögen die Beschwerdeführer mit ihrer Rüge nicht durchzudringen.
d) Über die Entstehungsgeschichte des Gesetzes aus dem Jahre 1910 ist nichts Schlüssiges bekannt, doch ist unbestritten, dass das fragliche Gesetz in den Frühzeiten des Motorfahrzeugverkehrs erlassen wurde, zumal im Zeitpunkt des Inkrafttretens im Kanton Basel-Landschaft bloss 22 Personenwagen und noch kein einziger Lastwagen registriert waren (Statistisches Jahrbuch der Schweiz 1910, S. 366). Fest steht zudem, dass zur Zeit des Erlasses des fraglichen Gesetzes noch weitgehend unklar war, welche Stellung den Motorfahrzeugabgaben im System des Abgaberechts zukommt. Dies ergibt sich insbesondere aus der älteren Rechtsprechung zum interkantonalen Doppelbesteuerungsverbot
BGE 99 Ia 535 S. 541
(
Art. 46 Abs. 2 BV
), wo das Bundesgericht wiederholt entschied, dass die "impôts sur les voitures" als "une taxe spéciale sur le luxe" nicht unter das Doppelbesteuerungsverbot fielen (vgl. BGE 4, 199 und 5, 3; kritisch dazu die bundesrätliche Botschaft vom 6. März 1885 zu einem BG über das Verbot der Doppelbesteuerung, BBl 1885 I 542). Im ersten Urteil über eine eigentliche Automobilsteuer vom 26. Januar 1901 (
BGE 27 I 158
ff.) liess das Bundesgericht die Frage offen, wobei es ausführte, das Doppelbesteuerungsverbot sei jedenfalls dann nicht verletzt, wenn der fraglichen Abgabe der Charakter einer "taxe de police" zukomme (
BGE 27 I 160
). Wie das Bundesgericht sodann bereits im bekannten Urteil vom 11. März 1948 erkannt hat (Erw. 3), bezeichnete der Landrat des Kantons Basel-Landschaft die gleiche Motorfahrzeugabgabe bald als Gebühr und bald als Steuer.
Unter diesen Umständen ist es vertretbar, dem vom Gesetzgeber verwendeten Begriff "Gebühr" in § 1 des Gesetzes aus dem Jahre 1910 jene Bedeutung beizumessen, wie sie ihm im Lichte von § 45 der aus dem Jahre 1892 stammenden Kantonsverfassung zukommt. Nach dieser Bestimmung, welche die wesentlichen Einnahmequellen des Staates aufzählt, gelten als "Gebühren" insbesondere Sporteln und Taxen (lit. c), während der Begriff "Steuern" vor allem für die Abgaben vom Vermögen, Einkommen und Erwerb, d.h. für die sog. direkten Steuern verwendet wird (§ 45 lit. g KV). Aus § 45 lit. d KV kann jedoch ohne weiteres geschlossen werden, dass der Verfassungsgesetzgeber den Begriff "Gebühr" nicht im heutigen rechtstechnischen Sinn verstanden hat, zumal in dieser Bestimmung auch von einer "Handänderungsgebühr", d.h. von einer Abgabe mit Steuercharakter (vgl.
BGE 95 I 324
) die Rede ist. Darf der vom Gesetzgeber verwendete Begriff "Gebühr" somit weit ausgelegt werden, so ist es - wie das Bundesgericht bereits mit Urteil vom 11. März 1948 festgestellt hat - nicht willkürlich, § 1 des Gesetzes vom 19. Mai 1910 als gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Verkehrsabgaben mit Steuercharakter heranzuziehen. Die erste Verfassungsrüge der Beschwerdeführer erweist sich daher als unbegründet.
4.
Der zweite Einwand der Beschwerdeführer geht dahin, § 1 des Gesetzes aus dem Jahre 1910 sei selbst verfassungswidrig, denn der Gesetzgeber könne die Befugnis, Steuern nach Objekt und Höhe zu umschreiben, nicht auf den Landrat übertragen;
BGE 99 Ia 535 S. 542
eine solche Delegation verletze den Grundsatz der Gewaltentrennung.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bedürfen die Steuern in ihren Grundzügen, vor allem hinsichtlich Objekt und Höhe, der Verankerung in einem Gesetz im formellen Sinn (
BGE 97 I 804
Erw. 7, 347, 203 lit. b mit weiteren Hinweisen). Nach dieser Rechtsprechung, die von der herrschenden Lehre (vgl. zuletzt E. HÖHN, Gesetz und Verordnung als Rechtsquellen des Abgaberechts, in: Der Staat als Aufgabe, Gedenkschrift für Max Imboden, Basel 1972, S. 173 ff) gebilligt wird, genügt es somit nicht, wenn das formelle Gesetz (d.h. der auf dem ordentlichen Gesetzgebungsweg zustandegekommene Erlass) lediglich die Einführung einer Steuer vorsieht, ohne selber festzulegen, in welchem Rahmen sich diese zu bewegen hat und nach welchen Grundsätzen sie zu erheben ist. Wie das Bundesgericht erkannt hat, folgt daraus freilich kein absolutes Verbot der Gesetzesdelegation (
BGE 97 I 347
). Eine Blankettdelegation des Gesetzgebers an die Exekutive in dem Sinn, dass diese ohne nähere Richtlinien ermächtigt oder verpflichtet wird, eine bestimmte Steuer zu erheben, verletzt jedoch den in allen Kantonen anerkannten Grundsatz der Gewaltentrennung und ist deshalb nicht zulässig, selbst dann nicht, wenn das kantonale Recht die Gesetzesdelegation grundsätzlich nicht ausschliesst (
BGE 92 I 47
,
BGE 97 I 348
lit. b; vgl. auch
BGE 98 Ia 109
und 592). Anders entscheiden hiesse das Prinzip der Gesetzmässigkeit der Besteuerung seines wesentlichen Gehalts berauben (
BGE 97 I 347
; vgl. auch
BGE 98 Ia 592
). Delegationsnormen, mit denen die Exekutive zum Erlass einer gesetzesvertretenden Verordnung auf dem Gebiet des Steuerrechts ermächtigt werden soll, müssen demnach von Verfassungs wegen mindestens die Voraussetzungen der Steuerpflicht und den Rahmen des Steuermasses festsetzen (
BGE 97 I 347
; zustimmend E. HÖHN, a.a.O., S. 190). Was die Motorfahrzeugsteuer anbelangt, so wurde dieser Grundsatz im übrigen bereits im Entscheid
BGE 48 I 73
sinngemäss anerkannt.
b) Im vorliegenden Fall steht indessen nicht eine Delegation an die Exekutive, sondern eine solche an das kantonale Parlament in Frage. Ob diese nur unter den gleichen Voraussetzungen zulässig sei wie jene, hat das Bundesgericht bisher nicht eindeutig entschieden (vgl. in diesem Zusammenhang immerhin
BGE 74 I 114
und
BGE 88 I 154
). E. HÖHN (a.a.O., S. 187) scheint diese Frage zu bejahen.
BGE 99 Ia 535 S. 543
Einer solchen Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. Bei der Delegation an das Parlament handelt es sich um eine typische Frage des schweizerischen Rechts, die sich nur in der direkten Demokratie stellt; nur bei dieser Staatsform beruht das Zustandekommen eines Gesetzes auf dem Zusammenwirken von zwei Staatsorganen, dem Parlament einerseits und der Aktivbürgerschaft anderseits. Die Zustimmung der letzteren kann dabei je nach dem kantonalen Verfassungsrecht ausdrücklich vorgesehen sein (beim obligatorischen Referendum) oder aber stillschweigend erfolgen (im Falle des Verzichts auf das fakultative Referendum). Enthält ein kantonales Gesetz eine Delegation an das Parlament, so verzichtet die Aktivbürgerschaft zum voraus für eine bestimmte Frage auf ihr Mitspracherecht. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine solche Delegation zulässig sei, lässt sich mit Rücksicht auf die Verschiedenartigkeit des Verfassungsrechts der einzelnen Kantone nicht generell beantworten. Die Bundesverfassung steht einer solchen Delegation jedenfalls nicht im Wege, denn
Art. 6 Abs. 2 BV
verlangt nur, dass die Kantonsverfassungen "die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen (repräsentativen oder demokratischen) Formen sichern". Das bedeutet bloss, dass die Organisation der Rechtsetzung in den Kantonen nach den Grundsätzen der direkten oder indirekten Demokratie zu erfolgen hat (vgl. W. BURCKHARDT, Kommentar zur BV, Art. 6, S. 67). Inwieweit die Aktivbürgerschaft ihre Rechte durch Delegation auf das kantonale Parlament übertragen kann, bestimmt sich demnach ausschliesslich nach dem kantonalen Verfassungsrecht. Dementsprechend sind die Verordnungskompetenzen des kantonalen Parlaments von Kanton zu Kanton verschieden (vgl. die Übersicht bei OTTO HEINRICH MÜLLER, Die Verordnungskompetenzen der kantonalen Legislativen, Diss. Zürich 1942, sowie Z. GIACOMETTI, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 487).
Ob der basel-landschaftliche Gesetzgeber dem Landrat im Jahre 1910 die Kompetenz zur Festsetzung von Motorfahrzeugabgaben übertragen konnte, ist demnach ausschliesslich durch Auslegung des kantonalen Verfassungsrechts zu ermitteln. Dabei steht dem Bundesgericht grundsätzlich die freie Prüfung zu (
BGE 97 I 32
Erw. 4 a).
c) Nach § 11 KV unterliegen der Volksabstimmung alle Gesetze, allgemein verbindlichen Beschlüsse und Verträge,
BGE 99 Ia 535 S. 544
"soweit sie über die in Verfassung und Gesetzen den Behörden ausdrücklich eingeräumten Kompetenzen hinausgehen". Daraus folgt, dass die Mitwirkung der Aktivbürgerschaft beim Erlass generell-abstrakter Normen nach dem kantonalen Verfassungsrecht entfällt, sofern die zuständige Behörde dabei innerhalb der ihr durch die Delegationsnorm gesetzten Schranken bleibt. Der Umfang der zulässigen Delegation an den Landrat ergibt sich aus § 18 Ziff. 4 KV, welche Bestimmung von der Befugnis des Landrats zum Erlass "der zur Einführung und Vollziehung von eidgenössischen und kantonalen Gesetzen erforderlichen Verordnungen" handelt und bestimmt, dass diese Erlasse "niemals veränderte oder neue Bestimmungen über die Hauptsache enthalten dürfen". Da beim Erlass der Kantonsverfassung noch kaum zwischen Vollziehungsverordnungen und gesetzesvertretenden Verordnungen unterschieden wurde, ist somit im Lichte der erwähnten Verfassungsnormen anzunehmen, dass das basel-landschaftliche Verfassungsrecht innerhalb der vom Gesetzgeber festgesetzten Schranken eine umfassende Gesetzesdelegation an den Landrat zulässt. Dass sich demgegenüber Delegationen an die Exekutive an die erwähnten Grenzen halten müssen (vgl. oben lit. a), ändert daran nichts. Dementsprechend rechnet denn auch OTTO HEINRICH MÜLLER (a.a.O., S. 345) den Kanton Basel-Landschaft zu den Kantonen, deren Legislative eine verhältnismässig weite Kompetenz zum Erlass von Verordnungsrecht eingeräumt ist. Wie sich aus den Akten ergibt, entspricht diese Auslegung einer langjährigen Rechtsüberzeugung sowohl des Landrats als auch des Regierungsrats. Sie steht zudem im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Rechtsetzungsdelegation an die Parlamente anderer Kantone mit einer ähnlichen verfassungsrechtlichen Ordnung (vgl.
BGE 74 I 114
und
BGE 88 I 154
).
Was die Beschwerdeführer dagegen vorbringen, schlägt nicht durch. So vermögen sie insbesondere aus § 18 Ziff. 11 KV nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. Nach dieser Verfassungsbestimmung steht dem Landrat "die Beschlussfassung über Erhebung einer Vermögens-, Einkommens- und Erwerbssteuer bis auf 1 vom Tausend Vermögen" zu. Damit wird dem Landrat bloss die Kompetenz zur Einführung gewisser begrenzter, direkter Steuern auf dem Wege einer selbständigen, unmittelbar auf die Kantonsverfassung abgestützten Rechtsverordnung eingeräumt. Zur Frage, welche gesetzgeberischen Befugnisse an den Landrat
BGE 99 Ia 535 S. 545
delegiert werden dürfen, lässt sich daraus nichts ableiten. Die Rüge, § 1 des Gesetzes vom 19. Mai 1910 enthalte eine unzulässige Gesetzesdelegation und sei daher verfassungswidrig, erweist sich daher als unbegründet.
Richtig ist freilich, dass die umstrittene Rechtsetzungskompetenz des Landrats heute als ungewöhnlich weitreichend erscheint. Wenn die Beschwerdeführer jedoch glauben, diese Delegation sei nicht mehr zeitgemäss, so ist ihnen zuzumuten, von ihrem verfassungsmässigen Recht zur Durchsetzung einer Gesetzesänderung Gebrauch zu machen und gestützt auf § 12 Abs. 1 KV mit Hilfe einer genügenden Zahl von Gleichgesinnten die nötigen Vorkehren für eine Initiative zu einer Gesetzesrevision zu treffen. Wie OTTO HEINRICH MÜLLER (a.a.O., S. 345) mit Recht ausführt, liegt auch darin ein wirksamer Schutz gegen eine missbräuchliche Handhabung der delegierten Kompetenz durch den Landrat.
5.
Hält somit § 1 des Gesetzes vom 19. Mai 1910 auch heute noch vor der Verfassung stand, so bleibt zu prüfen, ob der Landrat die ihm eingeräumte Kompetenz missbraucht und eine Ordnung getroffen hat, die gegen
Art. 4 BV
verstösst.
a) Wie bereits ausgeführt, ist die Motorfahrzeugabgabe eine Steuer, die gewisse Elemente einer Gebühr in sich schliesst (vgl. oben Erw. 3b). Mit Rücksicht auf den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Delegationsnorm (vgl. oben Erw. 3d) muss unter diesen Umständen angenommen werden, dass die Motorfahrzeugabgaben vernünftigerweise nicht so hoch angesetzt werden dürfen, dass sie geradezu zu einer Haupteinnahmequelle des Kantons werden und einen Ertrag abwerfen, der die Strassenkosten erheblich übersteigt. Die in § 1 des Gesetzes aus dem Jahre 1910 verankerte Kompetenz des Landrats ist mithin kein Freipass für beliebige Erhöhungen der Motorfahrzeugabgaben. Aus dem Willkürverbot und aus den einer Gesetzesdelegation naturgemäss innewohnenden Schranken (vgl. dazu A. GRISEL, Droit administratif suisse, S. 84 f. sowie
BGE 98 Ia 592
) folgt vielmehr, dass die Motorfahrzeugabgaben zusammen mit dem Anteil des Kantons am Ertrag des Treibstoffzolls (vgl. den entsprechenden BB vom 23. Dezember 1959, SR 725.116.2) und den übrigen zweckgebundenen Einnahmen nicht mehr ausmachen dürfen, als die Aufwendungen des Kantons für das Strassenwesen und für die Kontrolle des motorisierten Verkehrs.
BGE 99 Ia 535 S. 546
Was den Kanton Basel-Landschaft anbelangt, so ergibt sich aus den vom Regierungsrat ins Recht gelegten Zahlen, dass der Ertrag der Verkehrsabgaben in den Jahren 1962-1971 die Aufwendungen für den Strassenbau bloss zu 44,3% gedeckt hat. Die Beschwerdeführer wenden jedoch ein, massgebend sei in diesem Zusammenhang nicht der Deckungsgrad, sondern der Eigenwirtschaftlichkeitsgrad, zumal Strassen nicht im Baujahr abgeschrieben werden müssten. Sie berufen sich auf die Zahlen, welche die Vereinigung Schweizerischer Strassenfachmänner ermittelt hat und die in der Zeitschrift "strasse und verkehr" Nr. 2/1972 S. 102 ff. veröffentlicht sind. Diese Zahlen beziehen sich indessen auf das Jahr 1970 und sind deshalb für die Beurteilung der angefochtenen Erhöhung nicht schlüssig. Massgebend sind vielmehr die Zahlen des Voranschlags 1973. Dieser sieht Gesamtaufwendungen für das Strassenwesen von Fr. 60 566 004.-- und entsprechende Gesamteinnahmen (inkl. die umstrittene Erhöhung) von Fr. 50 264 521.-- vor, was Mehraufwendungen aus den übrigen Staatsmitteln im Betrage von Fr. 10 301 483.-- erfordert. Diese Zahlen entsprechen den Berechnungsgrundlagen der Strassenrechnung, wie sie alljährlich in der erwähnten Zeitschrift "strasse und verkehr" veröffentlicht wird. Die Motorfahrzeugabgaben sind in diesem Voranschlag mit einem Nettoertrag von Fr. 20 477 340.-- eingesetzt, die Leistungen des Bundes mit insgesamt Fr. 27 819 181.--, die übrigen zweckgebundenen Beiträge mit insgesamt Fr. 1 780 000.-- und die "anderen" Verkehrsabgaben mit Fr. 188 000.--. Daraus ergibt sich, dass die um 40% erhöhten Abgaben die Strassenausgaben zusammen mit den übrigen zweckgebundenen Einnahmen des Staates wohl zu einem erheblichen Teil, aber keineswegs voll decken. Dabei bleibt es auch, wenn man von der Betrachtungsweise der Beschwerdeführer ausgeht, wonach in die Strassenrechnung Posten aufgenommen werden, deren Einbezug fragwürdig sein kann. Auf jeden Fall erscheint die vom Landrat beschlossene Erhöhung der Motorfahrzeugabgaben um 40% als sachlich vertretbar.
b) Mit Recht machen die Beschwerdeführer nicht geltend, die lineare Erhöhung der Abgaben um 40% verstosse als solche gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit. Der Umstand, dass die Abgaben im Kanton Basel-Landschaft höher sind als in anderen Kantonen, vermag für sich allein keine Verletzung von
Art. 4 BV
zu begründen.
BGE 99 Ia 535 S. 547
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
3916cbef-41ed-449e-9df6-bc0b9f0db970 | Urteilskopf
122 III 195
35. Extrait de l'arrêt de la Ie Cour civile du 28 mai 1996 dans la cause R. contre V. et G. (recours en réforme) | Regeste
Aktiengesellschaft - Verantwortlichkeit des Verwaltungsrats (Art. 754 Abs. 1, Art. 722 aOR) - Verjährung (
Art. 760 OR
).
Im Fall gültiger Kompetenzdelegation hat der Verwaltungsrat grundsätzlich nur für die "cura in eligendo, in custodiendo et in instruendo" einzustehen (E. 3a). Beispiel eines alleinigen Verwaltungsrats, der seine Sorgfaltspflicht offensichtlich verletzt hat (E. 3b) und dessen Untätigkeit adäquate Ursache des Schadens bildet, welchen die Gläubiger der konkursiten Gesellschaft erlitten haben (E. 4).
Der indirekte Schaden des Gläubigers entspricht nicht notwendigerweise dem Betrag seiner kollozierten Forderung (E. 9a und b).
Verjährung eines Teils der Forderungen des Gläubigers infolge verspäteter Erweiterung der Rechtsbegehren im kantonalen Verfahren (E. 9c). | Sachverhalt
ab Seite 196
BGE 122 III 195 S. 196
A.-
a) Fondée en novembre 1979, P. SA, dont le siège était à Lausanne, disposait d'un capital social de 50'000 fr., divisé en 50 actions de 1'000 fr. chacune. G. avait souscrit 48 actions alors que son épouse et K. en détenaient une chacun. Les actionnaires agissaient en réalité à titre fiduciaire pour J., ressortissant autrichien, qui avait mis à disposition les fonds permettant la libération du capital-actions de la société. J. était considéré comme le seul propriétaire économique et "actionnaire" de P. SA, les procès-verbaux des assemblées générales le désignant toujours en cette qualité. Il en était par ailleurs le directeur.
Contacté par G., V. a accepté, à une date indéterminée antérieure à janvier 1981, d'être l'administrateur unique de P. SA, en remplacement de K. V. n'a participé d'aucune manière à la gestion de la société, laissant carte blanche à J. Il n'a jamais lu les statuts de P. SA et ne connaissait même pas le but social.
BGE 122 III 195 S. 197
b) Selon les statuts, P. SA avait pour but le commerce de produits. En fait, la société prétendait négocier des crédits pour le compte de tiers. J. promettait ainsi aux clients, résidant pour la plupart en Allemagne, de leur obtenir des fonds; en échange, il exigeait à l'avance un pourcentage du montant en jeu à titre de commission. Les clients de P. SA n'ont jamais reçu les crédits convoités, ni récupéré leur avance. En septembre 1982, une enquête a été ouverte à la suite du dépôt d'une plainte pénale pour escroquerie. Il s'est alors avéré que J. avait déjà été condamné à plusieurs reprises pour divers délits. Recherché pour escroquerie dans le cadre de diverses sociétés, il avait du reste fait l'objet de l'émission télévisée allemande "Aktenzeichen XY ungelöst" en janvier 1981. Le 3 juillet 1986, le Landgericht de Cologne a condamné J. à une peine de quatre ans et demi d'emprisonnement.
c) Le Président du Tribunal du district de Lausanne a prononcé la faillite de P. SA en date du 7 mars 1983. L'état de collocation, qui n'a pas été attaqué, comprend une créance de 1'727'224 fr. 25 au nom de R. Celui-ci, parmi d'autres créanciers de P. SA, a obtenu de la masse en faillite la cession des droits contre les personnes chargées de la fondation, de l'administration, de la gestion ou du contrôle de la société. La clôture de la faillite a été prononcée le 30 mai 1984. Les créanciers de P. SA ont enregistré des pertes s'élevant à plusieurs millions de francs.
B.-
Par demande du 30 septembre 1985, R. et B., un autre créancier de P. SA, ont ouvert action contre V. et G. en paiement de la somme de 600'000 fr., plus intérêts à 5%. Par la suite, R. a augmenté ses conclusions à 1'727'224 fr. 25. B. est décédé au cours de la procédure et sa succession a été répudiée.
Par jugement du 19 octobre 1995, la Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud a débouté R. de ses conclusions.
C.-
Agissant par la voie du recours en réforme, le demandeur reprend contre les défendeurs ses conclusions en paiement de 1'727'224 fr. 25, plus intérêts à 5% dès le 30 septembre 1985.
Le Tribunal fédéral a admis partiellement le recours en tant qu'il était dirigé contre V.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) L'art. 754 al. 1 aCO rend les personnes chargées de l'administration responsables du dommage qu'elles causent notamment à la société et aux
BGE 122 III 195 S. 198
créanciers sociaux en manquant intentionnellement ou par négligence à leurs devoirs.
De manière générale, l'administrateur doit faire preuve de toute la diligence nécessaire à la gestion des affaires sociales (art. 722 al. 1 aCO); il ne suffit pas d'observer la "diligentia quam in suis" (
ATF 113 II 52
consid. 3a,
ATF 99 II 179
consid. 1). Il est tenu en particulier de surveiller les personnes chargées de la gestion et de la représentation, afin d'assurer à l'entreprise une activité conforme à la loi, aux statuts et aux règlements; il doit également se faire renseigner régulièrement sur la marche des affaires (art. 722 al. 2 ch. 3 aCO). En cas de délégation valable, l'administrateur ne répond pas personnellement des fautes commises par ses subordonnés, mais uniquement, en principe, de la "cura in eligendo, instruendo et custodiendo" (arrêt du 24 mai 1982 reproduit in SJ 1983 p. 96; EGLI, Aperçu de la jurisprudence récente du Tribunal fédéral relative à la responsabilité des administrateurs de société anonyme, in Publication CEDIDAC 8, 1987, p. 33; LEI RAVELLO, La responsabilité solidaire des organes de la société, thèse Lausanne 1992, n. 69, p. 49; FORSTMOSER, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 2e éd., n. 321, p. 115; HORBER, Die Kompetenzdelegation beim Verwaltungsrat der AG und ihre Auswirkungen auf die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, thèse Zurich 1986, p. 113 ss; VON GREYERZ, Die Aktiengesellschaft, in Schweizerisches Privatrecht, VIII/2, p. 208; DE STEIGER, Le droit des sociétés anonymes en Suisse, p. 256; cf. également l'actuel
art. 754 al. 2 CO
).
b) En l'espèce, comme la cour cantonale l'a admis à juste titre, le défendeur V. a, par sa passivité et sa méconnaissance de la société qu'il était censé gérer, manqué fautivement à son devoir de diligence, singulièrement à son devoir de surveillance sur le directeur J.
Avec le demandeur, il faut reconnaître par ailleurs que l'administrateur a violé son obligation de diligence d'une autre manière encore. Selon les faits constatés dans le jugement déféré, V. a eu connaissance, en janvier ou février 1981 par l'intermédiaire de G., de l'avis de recherche de J. diffusé dans l'émission "Aktenzeichen XY ungelöst". Il a alors démissionné de son poste d'administrateur de P. SA, avant de revenir sur sa décision après avoir reçu des assurances de la part du directeur.
La cour cantonale estime à tort qu'il n'est pas possible d'apprécier la responsabilité de V. dans ce contexte, faute de connaître le contenu de l'émission télévisée et de son compte-rendu par G. à V. Certes, on ignore les informations exactes portées à la connaissance de l'administrateur.
BGE 122 III 195 S. 199
Mais ce dernier a su, en tout cas, que J. était recherché par la police, via une émission de télévision consacrée, notoirement en Suisse alémanique, à des cas d'une certaine gravité. Du reste, il a démissionné sur-le-champ, ce qui démontre les graves soupçons que les informations reçues ont fait naître chez lui.
Dans ces circonstances, il est incompréhensible qu'une fois revenu à son poste d'administrateur sur la foi des seules paroles rassurantes de J. lui-même, V. n'ait rien entrepris pour éviter un dommage à la société et à ses créanciers. Car, de deux choses l'une, soit il ignorait le type d'infractions pour lesquelles J. était recherché, soit il savait qu'il s'agissait d'escroqueries dans le cadre de sociétés. Dans le premier cas, il devait éclaircir le point auprès d'autres personnes que le principal intéressé, par exemple en s'adressant à des tiers qui auraient vu l'émission télévisée. Il aurait appris ainsi la nature des infractions reprochées au directeur de P. SA, ce qui, comme dans la seconde hypothèse, impliquait des mesures immédiates à l'encontre de J. C'est le lieu de rappeler qu'en présence d'informations propres à susciter l'inquiétude sur la probité d'un collaborateur chargé de certaines compétences, l'administrateur unique ne peut rester passif, sous peine de voir sa responsabilité engagée (cf. arrêt non publié du 4 novembre 1986 dans la cause C 158/1986, brièvement résumé par Egli, op.cit., p. 33).
En l'espèce, le devoir de diligence commandait à l'administrateur d'écarter J. de la direction de la société. En effet, la "cura in eligendo" ne s'épuise pas dans le choix des personnes chargées de la gestion et de la représentation, mais englobe l'obligation de les révoquer si nécessaire, en particulier lorsque la surveillance exercée sur le délégué fait apparaître des carences graves (HORBER, op.cit., p. 117 et p. 119). On peut relever au passage qu'après la diffusion télévisée de l'avis de recherche, le conseil d'administration d'une autre société anonyme dirigée par J. a révoqué celui-ci de son poste de directeur.
Certes, sur le vu de l'état de fait cantonal, on ignore si J. a été désigné au poste de directeur par l'administration ou, ce qui est allégué par le demandeur, par l'assemblée générale (cf. art. 717 al. 2 aCO). Le point n'est toutefois pas déterminant, car l'administration peut de toute manière suspendre un directeur nommé par l'assemblée générale, à défaut de pouvoir le révoquer (cf. art. 705 al. 1, art. 726 al. 1 et 2 aCO; BÜRGI, Commentaire zurichois, n. 15 ad
art. 705 CO
et n. 9 ad
art. 726 CO
). Or, comme la révocation, la suspension permettait d'écarter J. des affaires, en tout cas jusqu'à l'assemblée générale qui devait se tenir dans un bref
BGE 122 III 195 S. 200
délai (BÜRGI, op.cit., n. 18 et n. 21 ad
art. 726 CO
).
Il convient de souligner enfin que la situation particulière de P. SA, dont J. était à la fois directeur et propriétaire économique, n'est pas de nature à supprimer la violation coupable du devoir de diligence commise par V., bien au contraire. Dans une telle constellation, l'administrateur unique pouvait en effet d'autant moins facilement faire abstraction des informations reçues sur le passé de J., car le risque était grand que la société soit utilisée comme l'instrument d'escroqueries. En outre, si V. se considérait comme un "homme de paille" incapable de résister au directeur, sa faute n'en serait pas moins réelle, car celui qui se déclare prêt à assumer un mandat d'administrateur tout en sachant qu'il ne peut pas le remplir consciencieusement viole son obligation de diligence (arrêt non publié du 29 juin 1992 dans la cause 2A.132/1991, consid. 5 et 6).
4.
a) Les agissements délictueux du directeur ont causé un dommage considérable à la société et à ses créanciers, dont le demandeur fait partie. L'administrateur unique doit répondre de ce préjudice puisqu'il a méconnu son devoir de diligence, en n'exerçant aucune surveillance sur J. et en ne l'écartant pas de la direction des affaires sociales dès le début 1981. V. ne saurait prétendre à cet égard que le dommage se serait produit même s'il avait fait preuve de la diligence requise. En effet, son absence de réaction à l'endroit de J. au début 1981 a eu des conséquences indubitables sur la suite des événements puisque, selon l'état de fait du jugement attaqué, les pertes des créanciers de P. SA sont pratiquement toutes postérieures à janvier 1981. Par ailleurs, en laissant à un poste de directeur une personne sur laquelle pèsent de lourds soupçons d'escroquerie, le défendeur a sans conteste favorisé la survenance du préjudice.
b) En ce qui concerne une éventuelle interruption du lien de causalité adéquate, il convient de préciser que, contrairement à ce que la cour cantonale a admis, les délits commis par le directeur ne sauraient être assimilés à la faute grave d'un tiers, excluant la responsabilité de l'administrateur unique.
En effet, la responsabilité de l'administrateur à la suite d'une délégation de compétences est une sorte de responsabilité pour le fait d'autrui. Or, lorsqu'une personne répond en raison d'un manque de diligence dans le choix, la surveillance ou l'enseignement d'un subordonné, celui-ci n'est pas un tiers par rapport à celle-là; par définition, la faute grave du délégué ne peut pas constituer un facteur d'interruption de la causalité adéquate entre le comportement reproché à l'administrateur et le dommage
BGE 122 III 195 S. 201
(cf. OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, 4e éd., vol. II/1, n. 106 et note de pied 327, p. 324, à propos de l'
art. 55 CO
).
c) En conclusion, la cour cantonale a violé le droit fédéral, spécialement les art. 754 al. 1 et 722 aCO, en niant la responsabilité de l'administrateur unique de P. SA Le recours doit être admis sur ce point.
9.
La responsabilité de l'administrateur V. étant engagée, il convient de se pencher sur le dommage dont le demandeur réclame réparation.
a) D'après les constatations cantonales, le créancier agit en vertu d'une cession des droits de la masse en faillite. Dans la faillite d'une société anonyme, les droits des créanciers et des actionnaires sont exercés en premier lieu par l'administration de la faillite, mais celle-ci peut céder l'action en responsabilité à tout actionnaire ou créancier (art. 756 al. 1 et 2 aCO). Jusqu'à l'arrêt publié aux
ATF 117 II 432
, la jurisprudence distinguait selon que le créancier agissait en qualité de cessionnaire des droits de la masse sur la base de l'
art. 260 LP
ou en qualité de cessionnaire de l'action en responsabilité sur la base de l'art. 756 al. 2 aCO. Dans le premier cas, le créancier exerçait les droits que la société en faillite pouvait faire valoir contre ses administrateurs du chef de leur responsabilité (action sociale); dans le second cas, il faisait valoir le dommage indirect qu'il subissait comme créancier de la société (
ATF 111 II 182
consid. 3a,
ATF 113 II 277
consid. 3). En cas de procès, il était admis, en principe, que le créancier cessionnaire exerçait les deux actions et qu'il était ainsi fondé à réclamer réparation non seulement de son propre dommage, mais également de tout le dommage subi par la société faillie du fait des agissements de ses administrateurs (
ATF 111 II 182
consid. 3c et 3d,
ATF 113 II 277
consid. 4b).
Assez récemment, le Tribunal fédéral a précisé cette jurisprudence en ce sens que les actions susmentionnées ne reposent pas sur deux fondements différents, mais sur un seul, soit le droit de l'ensemble des créanciers; les exceptions que les organes responsables pourraient faire valoir contre la société ou certains créanciers pris individuellement ne sont pas opposables à une telle action (
ATF 117 II 432
consid. 1b/hh). Du moment qu'il agit en vertu du droit de l'ensemble des créanciers, le cessionnaire peut obtenir réparation de tout le dommage causé directement à la société et indirectement à ses créanciers; l'
ATF 111 II 182
se trouve ainsi confirmé dans son résultat (même arrêt, consid. 1b/gg et 1b/hh).
BGE 122 III 195 S. 202
b) En l'espèce, le demandeur restreint son action au montant de sa créance colloquée, soit 1'727'224 fr. 25. Il faut en déduire que le créancier ne réclame réparation que de son propre dommage indirect. Cela étant, il convient de renvoyer la cause à la cour cantonale afin qu'elle arrête le montant du préjudice. A cet égard, il convient d'observer que l'état de collocation et la cession n'établissent que la qualité pour agir du créancier (
ATF 111 II 81
); en revanche, la collocation définitive d'une créance ne préjuge pas de l'existence de la prétention, les effets de l'état de collocation étant limités à la procédure de faillite en cours (cf. entre autres
ATF 119 III 124
consid. 2b et 3).
c) Envisageant l'hypothèse où le recours serait admis, le défendeur V. soulève, comme en instance cantonale, l'exception de prescription pour la partie de la créance du demandeur dépassant 600'000 fr., montant réclamé dans le mémoire du 30 septembre 1985.
En ce qui concerne la prescription de l'action en responsabilité déduite de l'art. 754 aCO, l'
art. 760 al. 1 CO
instaure un délai de cinq ans à partir du jour où la partie lésée a eu connaissance du dommage et de la personne responsable (délai relatif) et un délai de dix ans dès le jour où le fait dommageable s'est produit (délai absolu). Par ailleurs, si les dommages-intérêts dérivent d'une infraction, la prescription pénale, de plus longue durée, s'applique également à l'action civile (
art. 760 al. 2 CO
; cf.
art. 60 al. 2 CO
). En principe, seule la prétention dirigée contre l'auteur de l'acte punissable est soumise à la prescription pénale plus longue, qui ne s'applique donc pas aux responsables qui ne répondent qu'en vertu du droit civil (
ATF 112 II 172
consid. 2c et la référence). Les exceptions touchent les héritiers de l'auteur de l'infraction (FORSTMOSER/HÉRITIER/LACHAT, FJS no 406, p. 7) ainsi que la personne morale qui répond du comportement punissable d'un organe (
ATF 112 II 172
consid. 2c p. 189/190).
En l'occurrence, aucune infraction pénale n'est reprochée au défendeur V. Conformément à la jurisprudence rappelée ci-dessus, l'action contre l'administrateur est donc soumise aux délais de l'
art. 760 al. 1 CO
; peu importe à cet égard que l'escroquerie commise par J. se trouve à l'origine du dommage subi par le demandeur.
Le délai ordinaire de cinq ans ne commence pas à courir avant que la société soit déclarée en faillite (
ATF 102 II 353
consid. 2a p. 357). En principe, le créancier qui subit des pertes dans la faillite d'une société anonyme a connaissance du dommage lorsque l'état de collocation et l'inventaire ont été déposés (
ATF 116 II 158
consid. 4a et les arrêts
BGE 122 III 195 S. 203
cités). En l'espèce, la faillite a été ouverte le 7 mars 1983 et sa clôture prononcée le 30 mai 1984. Le dépôt de la demande le 30 septembre 1985 est sans conteste intervenu en temps utile. Conformément à l'
art. 135 ch. 2 CO
, cet acte a interrompu le délai de prescription, mais seulement à concurrence de la somme réclamée, soit 600'000 fr. (
ATF 70 II 85
consid. 3 p. 93,
ATF 60 II 199
consid. 4 p. 203). Or, le 2 mars 1992, le demandeur a augmenté ses conclusions en paiement à 1'727'224 fr. 25. A ce moment-là, la partie de la créance dépassant le montant de 600'000 fr. était prescrite. Il s'ensuit que l'exception de prescription soulevée par le défendeur V. est fondée en tant qu'elle concerne le montant de 1'127'224 fr. 25, soit environ les deux tiers de la prétention exercée par le demandeur. | null | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
391fdd06-6ed4-4d5d-991f-e24893435f37 | Urteilskopf
119 Ib 46
5. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. März 1993 i.S. D. und Mitbeteiligte gegen Personalfürsorgestiftung der Diasan AG, Amt für berufliche Vorsorge des Kantons Zürich und Eidgenössische Beschwerdekommission der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Liquidation/Teilliquidation einer Personalfürsorgestiftung.
1. Zuständigkeit für die Genehmigung von Verteilungsplänen; Rechtsweg (E. 1).
2. Wesentliche Umstrukturierungen bei der Stifterfirma haben nicht zwingend die Totalliquidation der Personalfürsorgestiftung und deren Aufhebung zur Folge; der Grundsatz, dass das Personalvorsorgevermögen dem Personal folgt, kann auch mit einer Teilliquidation gewahrt werden unter Fortführung der bisherigen Stiftung für einen Teil des Personals (E. 3).
3. Es ist mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, Arbeitnehmer im Verteilungsplan unberücksichtigt zu lassen, wenn diese durch ihren Austritt aus der Stifterfirma deren Niedergang veranlasst haben (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 47
BGE 119 Ib 46 S. 47
Die Diasan AG, welche 1954 als Stifterfirma die Personalfürsorgestiftung der Diasan AG gründete, war ein Unternehmen, welches Heilmittel an selbstdispensierende Ärzte vertrieb. Aufgrund der Vorschriften über die Heilmittelkontrolle musste die Diasan AG mit einer Verrechnungsapotheke zusammenarbeiten. Das war während langer Zeit die Wyberg-Apotheke. Als 1977 der Gründer und Inhaber der Diasan AG, Dr. Forrer, verstarb, übernahm der Inhaber der Wyberg-Apotheke, Günther Sägesser, die Funktion des Geschäftsführers der Diasan AG. Günther Sägesser versuchte im Verlaufe des Jahres 1979 die Aktienmehrheit der Diasan AG zu erwerben. Indessen scheiterten die Verhandlungen mit den Erben von Dr. Forrer. Am 1. November 1979 teilte Günther Sägesser dem Verwaltungsrat der Diasan AG seinen Verzicht auf den Aktienkauf mit. Gleichzeitig kündigte er seinen Anstellungsvertrag auf den 1. Januar 1980 und den Zusammenarbeitsvertrag auf den 29. Februar 1980. Er baute in der Folge in seiner Wyberg-Apotheke einen Konkurrenzbetrieb zur Diasan AG auf.
16 Mitarbeiter, die heutigen Beschwerdeführer, kündigten daraufhin in der Zeit vom Dezember 1979 bis Ende Januar 1980 das Arbeitsverhältnis mit der Diasan AG und traten in das Konkurrenzunternehmen von Günther Sägesser über. Die Diasan AG ihrerseits suchte eine neue Verrechnungsapotheke, welche sie in der Jura-Apotheke Stotzer AG, Bern, fand. Die letztere errichtete mit Erlaubnis der Diasan AG eine neue Aktiengesellschaft mit der Firmenbezeichnung "Diasan AG", welche das Warenlager, die Lieferanten, die Kundenlisten und zu einem kleinen Teil die Arbeitnehmer der bisherigen Diasan AG übernahm. Nicht übernommen wurden dagegen die Aktiven und Passiven. Die alte Diasan AG wurde in "Diasan-Finanz AG" umbenannt, eine Gesellschaft, welche sich auf Vermögensverwaltung beschränkte. Die neue Diasan AG (seit 1983 Stotzer AG Zürich) übernahm auf den 1. Mai 1980 fünf frühere Arbeitnehmer
BGE 119 Ib 46 S. 48
der alten Diasan AG, wobei einer dieser Mitarbeiter aber erst am 1. April 1980 eingetreten war und ein weiterer bereits Ende Mai 1980 die Stelle wieder wechselte.
Per 31. Dezember 1979 verfügte die Personalfürsorgestiftung der Diasan AG über ein freies Stiftungskapital von 1,881 Mio. Franken. Am 12. September 1980 beschloss der Stiftungsrat, dass von den 29 Destinatären, die Ende 1979/Anfang 1980 bei der Diasan AG beschäftigt waren, diejenigen, die nicht von sich aus gekündigt hatten und zur Konkurrenzfirma von Günther Sägesser übergetreten waren, die volle Freizügigkeitsleistung und zusätzlich einen Anteil an den freien Stiftungsmitteln zur Erhöhung ihres Deckungskapitals erhalten sollten. Diese Regelung betraf insgesamt 13 Destinatäre (9 davon waren entlassen worden, einer ist einen Monat nach der Übernahme durch die Stotzer AG ausgetreten). Demgegenüber sollte den 16 Mitarbeitern, die selbst gekündigt hatten, nur die reglementarische Freizügigkeitsleistung zukommen, die ihnen bereits anlässlich ihres Austritts ausbezahlt worden war.
Damit waren diese nicht einverstanden. Sie wurden aber vom Bezirksrat Zürich, Abteilung Stiftungsaufsicht, an den Zivilrichter verwiesen. Im Sinne eines Pilotprozesses erhob einer der heutigen Beschwerdeführer beim Bezirksgericht Zürich Klage gegen die Personalfürsorgestiftung, um auf diesem Wege die volle Freizügigkeitsleistung zu erhalten. Die Klage wurde mit Urteil vom 8. Juli 1983 abgewiesen, während eine hiegegen beim Obergericht eingereichte Berufung teilweise (im Betrag von Fr. 57'207.70) zurückgezogen wurde; dagegen anerkannte die Personalfürsorgestiftung eine Forderung in Höhe von Fr. 2'156.15.
Am 1. März 1984 genehmigte der Bezirksrat Zürich die vom Stiftungsrat der Personalfürsorgestiftung Diasan AG beschlossene Namensänderung in "Personalfürsorgestiftung der Stotzer AG, Zürich". Auf einen Rekurs der Destinatäre, welche die Diasan AG durch eigene Kündigung verlassen hatten, trat der Regierungsrat des Kantons Zürich nicht ein. Dagegen wurde Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erhoben. Die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts hiess die Beschwerde am 11. April 1985 gut, soweit darauf einzutreten war, und wies die Sache zu neuem Entscheid an das seit 1. Januar 1985 zuständige Amt für berufliche Vorsorge des Kantons Zürich zurück (veröffentlicht in SZS 30/1986, S. 151 ff.).
Das Amt für berufliche Vorsorge des Kantons Zürich erliess am 3. Januar 1989 eine Verfügung, in der es gleichzeitig die Frage der Namensänderung und die von den vorzeitig ausgetretenen
BGE 119 Ib 46 S. 49
Destinatären am 27. Juli 1984 beantragte Liquidation der Personalfürsorgestiftung mit Verteilungsplan nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Destinatäre beurteilte. Das Amt für berufliche Vorsorge erachtete das Vorgehen der Personalfürsorgestiftung bei der Teilliquidation und die damit verbundene Nichtberücksichtigung der vorzeitig ausgetretenen Destinatäre für Rechtens und wies deren Begehren ab. Hinsichtlich der Namensänderung wurde festgestellt, dass diese zu Recht erfolgt sei.
Eine von den 16 vorzeitig ausgetretenen Destinatären gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde ist von der Eidgenössischen Beschwerdekommission der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge mit Urteil vom 20. November 1991 abgewiesen worden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die am 31. Januar 1992 von den unterlegenen Beschwerdeführern erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Darin wird beantragt, die Verfügung des Amtes für berufliche Vorsorge des Kantons Zürich vom 3. Januar 1989 sei aufzuheben. Es sei die Liquidation zu Ende zu führen und ein Verteilungsplan zu erstellen, der sämtliche 29 Destinatäre gleichermassen berücksichtige. Der Stiftung sei nicht zu gestatten, ihren Namen in "Personalfürsorgestiftung der Stotzer AG" und entsprechend ihren Zweck zu ändern. Im übrigen habe die Stiftung detailliert Aufschluss über Vermögensstand und Auszahlungen seit 1979 zu geben.
Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab
Erwägungen
folgenden Erwägungen:
1.
a) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen das Urteil einer eidgenössischen Rekurskommission (
Art. 98 lit. e OG
). Zugrunde liegt eine Verfügung im Rahmen der Stiftungsaufsicht. Auch wenn das Verhältnis Stiftung-Aufsichtsbehörde vom Zivilgesetzbuch geregelt wird (
Art. 84 ff. ZGB
), ist es öffentlichrechtlicher Natur (
BGE 107 II 388
E. 2;
BGE 103 Ib 163
E. 1; je mit Hinweisen), weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist (
Art. 97 OG
in Verbindung mit
Art. 5 VwVG
; ebenso ausdrücklich
Art. 74 Abs. 4 BVG
).
b) Die Vorinstanz war ihrerseits zur Beurteilung der gegen die Verfügung der Aufsichtsbehörde gerichteten Beschwerde zuständig (
Art. 74 Abs. 2 lit. a BVG
). Nach
Art. 61 Abs. 1 BVG
besteht in
BGE 119 Ib 46 S. 50
jedem Kanton eine Behörde, welche die Vorsorgeeinrichtungen beaufsichtigt und bei Stiftungen auch die Aufgaben nach
Art. 84 Abs. 2, 85 und 86 ZGB
erfüllt (
Art. 62 Abs. 2 BVG
). Diese Zuständigkeiten für Aufsicht und Rechtspflege gelten auch für nicht registrierte (d.h. nicht der Durchführung des BVG dienende) Personalfürsorgestiftungen, die auf dem Gebiet der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge tätig sind (
Art. 89bis Abs. 6 ZGB
). Sie sind damit auch für den vorliegenden Fall massgebend.
c) Die Genehmigung von Verteilungsplänen im Rahmen von Liquidation oder Teilliquidation einer Vorsorgeeinrichtung wie auch der Entscheid darüber, dass diesbezüglich keine Anordnungen zu treffen seien, liegt in der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde (HERMANN WALSER, Der Rechtsschutz der Versicherten bei Rechtsansprüchen aus beruflicher Vorsorge, in: Festschrift 75 Jahre EVG, Bern 1992, S. 479), weshalb der Verwaltungsrechtsweg nach
Art. 74 BVG
, nicht die Klage nach
Art. 73 BVG
an das kantonale Versicherungsgericht gegeben ist. Zur Erhebung der Stiftungsaufsichtsbeschwerde und auch zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde (
Art. 103 lit. a OG
) sind die Beschwerdeführer als Betroffene, die nach Meinung von Stiftung und Aufsichtsbehörde im Verteilungsplan nicht berücksichtigt werden sollen, legitimiert (vgl.
BGE 107 II 385
).
d) Das Bundesgericht prüft das angefochtene Urteil auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens (
Art. 104 lit. a OG
). Da eine Rekurskommission entschieden hat, ist es aber an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, soweit dieser von der Vorinstanz nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen ermittelt worden ist (
Art. 105 Abs. 2 OG
).
2.
Die Beschwerdeführer verlangen die Liquidation der Stiftung und die gleiche Behandlung der 29 Destinatäre, die Ende 1979/Anfang 1980 bei der Diasan AG beschäftigt waren. Die Stiftung hat schon am 12. September 1980 dem damals zuständigen Bezirksrat einen Verteilungsplan vorgelegt, auf dessen Grundlage die bei der Diasan AG verbliebenen und später entlassenen oder zur Stotzer AG übergetretenen Destinatäre Leistungen aus dem freien Stiftungsvermögen erhalten sollten. Der Bezirksrat hat den Verteilungsplan an der Sitzung vom 2. Juli 1981 genehmigt und dies der Stiftung am 9. Juli 1981 eröffnet. Aber auch der damalige Anwalt der Beschwerdeführer ist über diese Genehmigung orientiert worden. Das geht daraus hervor, dass er am 16. Juli 1981 beim Bezirksrat
BGE 119 Ib 46 S. 51
eine "Beschwerde wegen Begünstigung von Destinatären durch Zuweisungen aus dem freien Stiftungsvermögen" eingereicht hat, und auch in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht betreffend die Namensänderung vom 31. Oktober 1984 bestätigen die Beschwerdeführer, mit Schreiben des Bezirksrates vom 9. Juli 1981 Kenntnis über den sie nicht berücksichtigenden Verteilungsplan erhalten zu haben. Auf die Begehren der Beschwerdeführer ist der Bezirksrat mit Beschluss vom 8. Oktober 1981 nicht eingetreten, wobei die Beschwerdeführer auf den Zivilweg verwiesen worden sind. Dieser Beschluss ist unangefochten geblieben und damit rechtskräftig geworden. Das bedeutet, dass im Aufsichtsverfahren nicht mehr auf die Zuweisungen an die begünstigten Destinatäre zurückgekommen werden kann.
3.
a) Es kann damit nur um die Frage gehen, ob das noch nicht verteilte Stiftungsvermögen den Beschwerdeführern zukommen soll. Das wäre einmal dann in Betracht zu ziehen, wenn eine Totalliquidation vorzunehmen wäre, oder wenn - ohne Durchführung einer solchen - jedenfalls das bis Anfang 1980 geäufnete Vermögen vollumfänglich den damaligen Destinatären vorbehalten bleiben muss und damit eine Verteilung unter Berücksichtigung der Beschwerdeführer möglich wäre.
b) Nach
Art. 88 Abs. 1 ZGB
erfolgt die Aufhebung einer Stiftung, wenn der Zweck unerreichbar geworden ist. Das kann sich bei Personalfürsorgestiftungen aus Veränderungen auf seiten der Stifterfirma ergeben, etwa dann, wenn diese ihre Tätigkeit einstellt und in der Folge keine Destinatäre mehr vorhanden sind. Die Liquidation der Stifterfirma hat aber nicht zwingend die Liquidation der Personalfürsorgestiftung zur Folge. Die Stiftung kann unter Umständen noch längere Zeit ihren Zweck erfüllen, etwa zugunsten bereits anspruchsberechtigter Destinatäre oder zugunsten solcher, die bei einer anderen Firma eine Anstellung gefunden haben (RIEMER, Berner Kommentar, N. 12 zu Art. 88/89 ZGB). Möglich ist aber auch eine Änderung des Zwecks der Stiftung (
Art. 86 ZGB
). Die Aufhebung der Stiftung wegen Unerreichbarkeit ist zur Zweckänderung subsidiär (RIEMER, a.a.O., N. 38 f. zu Art. 85/86 ZGB). Das gilt auch für Personalfürsorgestiftungen, so dass stets zu prüfen ist, ob bei Veränderungen auf seiten der Stifterfirma die Stiftung durch Änderung des Zwecks erhalten werden kann (RIEMER, a.a.O., N. 14 zu Art. 88/89 ZGB).
Die Stiftungsurkunde selbst sieht vor, dass bei Übergang des Unternehmens auf einen Rechtsnachfolger die Stiftung dem Unternehmen
BGE 119 Ib 46 S. 52
folgt, es sei denn der Stiftungsrat löse sie auf oder beschliesse, dass sie zu Gunsten der Destinatäre, die in jenem Zeitpunkt Leistungen der Stiftung empfangen oder Anspruch auf solche haben, weiter bestehen solle. Für den Fall der Liquidation des Unternehmens ist bestimmt, dass die Stiftung ohne gegenteiligen Beschluss des Stiftungsrats weiterbesteht, solange Destinatäre leben.
c) Die damalige Diasan AG stellte 1980 ihre Geschäftstätigkeit ein und beschränkte sich in der Folge unter Umbenennung in Diasan-Finanz AG auf Vermögensverwaltung. Gleichzeitig wurde von der Stotzer AG eine neue Aktiengesellschaft mit der Firmenbezeichnung Diasan AG gegründet. Von der alten Diasan AG wurden das Warenlager, die Lieferanten, die Kundenlisten und fünf Arbeitnehmer übernommen. Der grössere Teil der bisher Beschäftigten, soweit sie nicht - wie die Beschwerdeführer - schon früher ausgeschieden waren, konnten nicht weiterbeschäftigt werden. Nicht übernommen wurden von der neuen Diasan AG die Aktiven und Passiven der alten Diasan AG. Die reglementarische Vorsorge der zur neuen Diasan AG übergetretenen Arbeitnehmer wurde während längerer Zeit über einen anderen Rechtsträger abgewickelt. Erst seit 1986 fungiert die Personalfürsorgestiftung wieder als Trägerin der reglementarischen Vorsorge für die inzwischen in Stotzer AG umbenannte neue Diasan AG. In den Berichterstattungsformularen der Jahre 1983 bis 1985 erwähnte der Stiftungsrat keine Destinatäre mehr, was die Stiftung allerdings als Irrtum bezeichnet; die zur neuen Diasan AG bzw. Stotzer AG übergetretenen Arbeitnehmer seien weiterhin Destinatäre gewesen. Immerhin beschloss der Stiftungsrat im Jahre 1983, nachdem sich die neue Diasan AG in Stotzer AG umbenannt hatte, auch den Namen der Personalfürsorgestiftung in "Personalfürsorgestiftung der Stotzer AG, Zürich" umzubenennen und den Zweck dahin abzuändern, dass die Stiftung für das Personal der Stotzer AG zu sorgen habe. Die Genehmigung der Namens- und Zweckänderung ist noch nicht rechtskräftig geworden und ist ebenfalls Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
d) Wesentliche Umstrukturierungen bei der Stifterfirma haben regelmässig zur Folge, dass der Zweck der Personalfürsorgestiftung in der bisherigen Form unmöglich wird. Nach dem Grundsatz, dass das Personalvorsorgevermögen dem Personal folgt (
BGE 110 II 442
E. 4; Urteil vom 10. Dezember 1984, E. 6, in SZS 29/1985 S. 200; RIEMER, Die Auswirkungen grösserer Personalfluktuationen beim Arbeitgeber auf dessen Personalvorsorgestiftung, in SZS 26/1982 S. 3 ff.), muss auch die Personalfürsorgestiftung den veränderten
BGE 119 Ib 46 S. 53
Umständen Rechnung tragen. Das heisst aber keineswegs, die Stiftung müsse aufgehoben und liquidiert werden. Vielmehr kann der genannte Grundsatz auch anderweitig (beispielsweise durch Teilliquidation) gewahrt und die Stiftung durch Änderung des Zwecks vor der Aufhebung bewahrt werden.
Vorliegend ist ein Teil des Personals durch die neue Diasan AG (später Stotzer AG) übernommen worden, wobei die Geschäftstätigkeit der alten Diasan AG fortgesetzt wurde. Auf die neue Diasan AG wurden die Aktiven und Passiven zwar nicht übertragen. Eine gewisse Kontinuität ist aber schon darin zu sehen, dass die neue Firma mit einem Teil des bisherigen Personals im gleichen Geschäftsbereich tätig geworden ist. Daran ändert nichts, dass Aktiven und Passiven nicht übertragen wurden. Das letztere ist denn auch nicht Voraussetzung dafür, dass die Stiftung mit geändertem Zweck weitergeführt werden kann (vgl.
BGE 51 II 465
, wo von den Angestellten einer konkursiten Gesellschaft das Geschäft weitergeführt und der Zweck der Personalfürsorgestiftung entsprechend angepasst wurde). Bei Veränderungen auf seiten der Stifterfirma ist dafür zu sorgen, dass das Vermögen den bisherigen Destinatären erhalten bleibt. Entscheidend ist, wie das Vermögen aufgeteilt wird. Wenn dabei für einen Teil des bisherigen Personals die Stiftung unter Änderung des Zwecks (und des Namens) aufrechterhalten wird, so steht das mit dem Gesetz, für das die Aufhebung der Stiftung subsidiär ist, in Einklang. Insoweit erweist sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als unbegründet.
4.
a) Es bleibt damit die Frage, ob nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch die Beschwerdeführer bei der Teilliquidation am Stiftungsvermögen hätten beteiligt werden müssen und deshalb der damalige Verteilungsplan zu ergänzen ist. Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht von den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz auszugehen, wonach die Beschwerdeführer das Arbeitsverhältnis freiwillig und aus eigenem Antrieb aufgelöst haben und diese Kündigungswelle massgeblich die wirtschaftlichen Probleme der alten Diasan AG verursacht hat.
b) Scheidet ein Arbeitnehmer unter normalen Umständen aus den Diensten des Arbeitgebers und der Personalfürsorgestiftung aus, so stehen ihm die gesetzlich und statutarisch vorgesehenen Leistungen zu. Er kann aber nicht Anspruch auf einen Teil des reglementarisch nicht gebundenen freien Stiftungsvermögens erheben. Diesbezüglich bestehen seitens der Destinatäre nur "Anwartschaften minderer Verbindlichkeit" (RIEMER, Personalfluktuationen, a.a.O., S. 6), die auf
BGE 119 Ib 46 S. 54
Erwartungen der Destinatäre auf künftige Ermessensleistungen beruhen (FABIA BEURRET-FLÜCK/CHRISTOPH MEIER, Die Wahrung der erworbenen Rechte von Destinatären bei Neuordnung der Personalvorsorge, insbesondere bei Anpassung an das BVG, in BJM 1988, S. 177), das aber nur für den Fall, dass sie dannzumal noch zum Destinatärskreis gehören. Bei Ausscheiden aus der Stifterfirma gehen regelmässig auch diese Erwartungen auf Ermessensleistungen unter. Vom Weggang eines einzelnen Arbeitnehmers profitieren die verbliebenen nur unwesentlich, und der Ausscheidende seinerseits wird bei einer Fürsorgestiftung eines neuen Arbeitgebers - sofern vorhanden - problemlos Anschluss finden, weil er die Anwartschaften der dortigen Destinatäre kaum beeinträchtigt (RIEMER, Personalfluktuationen, a.a.O., S. 7, Anm. 10).
c) Ist eine Personalfürsorgestiftung zu liquidieren, so gelangt das Stiftungsvermögen zur vorzeitigen Verwendung. Es liegt insoweit nahe, das freie Stiftungsvermögen denjenigen Personen zukommen zu lassen, für welche die Stiftung geschaffen wurde. Damit kann ihnen Ersatz für das Entfallen künftiger Unterstützungsberechtigung geboten werden (THOMAS HOHL, Die Rechtsstellung der Destinatäre in der Personalvorsorgestiftung mit Bezug auf die Verwendung von versicherungstechnischen Reserven (freie Stiftungsmittel) einerseits und die Tragung von versicherungstechnischen Defiziten andererseits, Diss. Basel 1984, S. 125 f.). Nicht anders verhält es sich dann, wenn Veränderungen auf seiten des Arbeitgebers grössere Personalabgänge zur Folge haben. Es würden berechtigte Erwartungen auf künftige Ermessensleistungen enttäuscht, wenn in solchen Fällen das freie Stiftungsvermögen einer verbleibenden Destinatärsgruppe allein vorbehalten bliebe. Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet daher, dass das Personalvorsorgevermögen dem Personal folgt, und das Gebot der Rechtsgleichheit verbietet, einzelne Destinatärsgruppen zulasten anderer aus solchen Vorgängen Nutzen ziehen zu lassen (
BGE 110 II 442
E. 4 und 5; Urteil vom 10. Dezember 1984, E. 6, in SZS 29/1985, S. 200). Dem kann mit einer den Verhältnissen angepassten Aufteilung des Stiftungsvermögens Rechnung getragen werden.
d) Es lässt sich nicht übersehen, dass die dargestellte Problematik bisher in Literatur und Rechtsprechung allein unter dem Gesichtspunkt von Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse und Bedürfnisse auf seiten des Arbeitgebers diskutiert wurde (
BGE 110 II 436
; Urteil vom 10. Dezember 1984, in SZS 29/1985, S. 194 ff.; RIEMER, Personalfluktuationen, a.a.O., S. 3 ff.; RIEMER, Aktuelle
BGE 119 Ib 46 S. 55
Fragen der Personalfürsorgestiftungen, in SJZ 73/1977, S. 78; MARTIN B. DETTWILER, Die Teilliquidation einer Vorsorgeeinrichtung, in: Schweizer Personalvorsorge 1990, S. 113 ff.; KURT SCHWEIZER, Rechtliche Grundlagen der Anwartschaft auf eine Stiftungsleistung in der beruflichen Vorsorge, Diss. Zürich 1985, S. 125 ff.). Hier war es demgegenüber der freiwillig erfolgte Austritt einer grösseren Gruppe von Arbeitnehmern, die Anlass zur Umstrukturierung seitens der Stifterfirma und im Gefolge davon der Stiftung selbst war. Verlässt ein Arbeitnehmer aus freien Stücken ein bisheriges Arbeitsverhältnis, so fehlt es vorerst daran, dass er in seinem Vertrauen auf allfällige künftige Leistungen der Personalfürsorgestiftung enttäuscht wird. Es sind dann nicht Umstände, für die er nichts vermag, die die Verbindung zur Stiftung durchtrennen und Erwartungen enttäuschen. Die koordinierte Kündigung eines erheblichen Teils der Belegschaft kann daher nicht Anlass sein, eine Teilliquidation zugunsten dieser Arbeitnehmer anzuordnen.
Eine Teilliquidation ist hier allerdings kurze Zeit später deshalb erforderlich geworden, weil in der Folge die Umstrukturierung der Arbeitgeberfirma nötig wurde und ein grosser Teil des verbliebenen Personals entlassen werden musste. In Rechtsprechung und Lehre ist anerkannt, dass im Falle einer Liquidation oder Teilliquidation der Stiftung aus Gründen der Rechtsgleichheit nicht nur die in jenem Moment bei der Stifterfirma beschäftigten Arbeitnehmer in den Verteilungsplan einzubeziehen sind, sondern auch jene, die - bei umfassender Betrachtungsweise - aufgrund derselben Veränderungen schon zuvor ihren Arbeitsplatz verloren haben (Urteil vom 10. Dezember 1984, E. 6, in SZS 29/1985, S. 200; THOMAS MANHART, Die Aufhebung mit Liquidation von Stiftungen, insbesondere von Personalvorsorgestiftungen, Diss. Zürich 1986, S. 155 f.; HOHL, a.a.O., S. 127 f.; RIEMER, Aktuelle Fragen der Personalfürsorgestiftungen, a.a.O., S. 78; DETTWILER, a.a.O., S. 115, 117; CHRISTOPH MEIER, Die staatliche Beaufsichtigung der Personalvorsorgestiftungen im geltenden und werdenden Recht, Diss. Basel 1978, S. 103). Insoweit kann sich zwar die Frage stellen, ob nicht auch die Beschwerdeführer, die einige Monate früher ausgeschieden waren, im Verteilungsplan zu berücksichtigen wären. Es lässt sich aber nicht sagen, es lägen dem Personalabgang der Beschwerdeführer dieselben Ursachen zugrunde, die schliesslich zur Teilliquidation und zur Begünstigung der verbliebenen Destinatäre geführt haben. Ist es bei den letzteren der wirtschaftliche Niedergang der bisherigen Arbeitgeberfirma, so ist es bei den Beschwerdeführern deren freier
BGE 119 Ib 46 S. 56
Entschluss, zusammen mit dem bisherigen Geschäftsführer die Diasan AG zu verlassen und in dessen Konkurrenzunternehmen einzutreten. Erscheinen aber die Beschwerdeführer geradezu als Verursacher der Krise bei der Diasan AG, während die verbliebenen Arbeitnehmer als Opfer dastehen, so liegt in dieser diametral entgegengesetzten Rollenverteilung ein zureichender Grund für die getroffene Differenzierung zwischen den bis zum Schluss bei der Diasan AG verbliebenen Arbeitnehmern und den zuvor Ausgeschiedenen. Das Gleichbehandlungsgebot ist daher nicht verletzt. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
39291389-8f00-4ce9-8cc3-db2bed79942a | Urteilskopf
119 II 348
72. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 28 septembre 1993 dans la cause époux B. contre Compagnie d'assurances X. (recours en réforme) | Regeste
Auswirkung früherer Änderungen des Hypothekarzinssatzes (
Art. 9 Abs. 2bis VMM
;
Art. 13 Abs. 4 VMWG
).
Festlegung der zeitlichen Grenzen für die Prüfung früherer Leitzinssatzänderungen und ihrer Auswirkung auf die Miete. | Sachverhalt
ab Seite 349
BGE 119 II 348 S. 349
Les époux B. louent un appartement dans un immeuble dont la Compagnie d'assurances X. est propriétaire à Genève. Le loyer initial a été majoré une première fois le 9 juin 1989, pour le 1er octobre de la même année, et une deuxième fois le 8 décembre 1989, pour le 1er avril 1990, en raison, notamment, de la hausse du taux hypothécaire. Les locataires ont accepté ces deux augmentations de loyer. Ils ont, en revanche, contesté la troisième, notifiée le 7 décembre 1990 pour le 1er avril 1991, et fondée, elle aussi, sur une hausse du taux hypothécaire, entre autres motifs. Saisi par la bailleresse, le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève a entériné cette troisième majoration de loyer. Par arrêt du 25 janvier 1993, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers a rejeté l'appel interjeté par les époux B., défendeurs, et confirmé le jugement de première instance. Les défendeurs recourent en réforme au Tribunal fédéral. Ils font valoir, en substance, que les motifs invoqués par la bailleresse suffiraient certes à justifier la majoration de loyer litigieuse, mais que celle-ci n'est pas admissible en l'espèce dans la mesure où les baisses antérieures du taux hypothécaire n'ont pas été répercutées sur le loyer de leur appartement. Le Tribunal fédéral rejette le recours et confirme l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
A l'appui de leur recours en réforme, les défendeurs reprochent à la cour cantonale d'avoir violé l'
art. 13 al. 4 OBLF
et la jurisprudence y afférente (
ATF 118 II 422
consid. 4), pour n'avoir pas examiné concrètement si les baisses antérieures du taux hypothécaire de référence avaient été répercutées sur le loyer, mais s'être contentée de constater que "la baisse du taux hypothécaire de 5,5% à 5%, intervenue entre avril 1987 et septembre 1988, est contrebalancée par la hausse qui a eu lieu en juillet 1989 et qui a rétabli ce taux au niveau de 5,5%".
BGE 119 II 348 S. 350
a) Aux termes de l'
art. 13 al. 4 OBLF
, qui reprend sous une autre formulation l'
art. 9 al. 2bis OSL
(LACHAT/MICHELI, Le nouveau droit du bail, 2e éd., p. 228, note 55), lors d'une modification du loyer faisant suite à une variation du taux hypothécaire, il y a lieu de voir en outre si et dans quelle mesure les variations antérieures ont entraîné une modification du loyer. L'interprétation de ces deux dispositions soulève de nombreuses et délicates questions (à ce sujet, cf. les auteurs et la jurisprudence cités dans l'
ATF 118 II 422
consid. 4a). La plus délicate consiste à déterminer jusqu'où il convient de remonter dans le passé. Elle a été laissée indécise dans le dernier arrêt cité pour un motif de droit transitoire qui n'est plus valable in casu. En effet, comme l'
art. 9 al. 2bis OSL
est entré en vigueur (18 septembre 1989) antérieurement à la notification de la dernière majoration de loyer non contestée fondée sur une hausse du taux hypothécaire (8 décembre 1989), les défendeurs auraient pu invoquer à l'époque cette disposition pour faire vérifier si les baisses du taux hypothécaire intervenues auparavant avaient été répercutées sur leur loyer. Par conséquent, rien ne s'opposerait, sous l'angle du droit transitoire, à ce que l'on retienne ici la solution, exposée dans l'arrêt précité (p. 429), qui consiste à ne remonter que jusqu'à la dernière modification du loyer consécutive à une variation du taux hypothécaire, ce qui conduirait à constater que le taux hypothécaire de référence n'a pas baissé depuis lors et, partant, à entériner la majoration de loyer litigieuse.
b) Jusqu'où l'examen de la répercussion des variations antérieures du taux hypothécaire de référence peut-il et doit-il remonter? Diverses solutions sont envisageables (pour une énumération de celles-ci, cf. HABERMACHER-DROZ, Pratique récente en matière de loyers, 7e Séminaire sur le droit du bail, Neuchâtel 1992, p. 7/8, ch. 3). La plus restrictive consiste à limiter cet examen rétrospectif à la dernière modification du loyer, quels qu'en aient été les motifs (ROLLINI, La jurisprudence relative à l'art. 13 alinéa 4 OBLF, in Cahiers du bail, 2/92, p. 39); la plus large, à le poursuivre jusqu'au début du bail, mais au plus jusqu'à l'entrée en vigueur de l'arrêté fédéral du 30 juin 1972 instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif (AMSL; TRÜMPY, Bedeutung des revidierten Art. 9 Abs. 2bis VVM, in Mietrechtspraxis (mp), 1989, p. 150, ch. 3). Ni l'une ni l'autre ne peut être retenue. Pour les raisons indiquées ci-après, la préférence doit être accordée à une solution médiane, laquelle - il faut le préciser - sera la même pour tous les cantons, s'agissant d'un
BGE 119 II 348 S. 351
problème de droit privé fédéral pour lequel la compétence législative de ceux-ci n'a pas été réservée (cf.
art. 5 al. 1 CC
).
aa) Comme tout contrat, le contrat de bail repose sur le principe de la fidélité contractuelle (pacta sunt servanda). Ainsi, sous réserve de l'
art. 270 CO
et des dispositions de la partie générale du Code des obligations relatives à la nullité et à l'invalidation des contrats, le loyer arrêté d'un commun accord (
art. 1er CO
) par le bailleur et le locataire ne peut pas être remis en question ultérieurement. Cette règle vaut non seulement pour le contrat initial, mais également pour les modifications que les cocontractants lui apportent par la suite. Par conséquent, lorsque, en cours de bail, les parties conviennent de modifier le loyer, il n'est plus possible de revenir ensuite sur les variations du taux hypothécaire antérieures à cette modification.
bb) Le droit fédéral soumet les litiges portant, notamment, sur les baux d'habitations à la maxime d'office (
art. 274d al. 3 CO
). Quant au droit de fond, il doit de toute façon être appliqué d'office (jura novit curia). L'autorité saisie d'une contestation au sujet d'une adaptation du loyer faisant suite à une variation du taux hypothécaire doit donc rechercher d'office si et dans quelle mesure les variations antérieures ont entraîné une modification du loyer (
art. 13 al. 4 OBLF
,
art. 9 al. 2bis OSL
); son jugement acquiert l'autorité de la chose jugée et, partant, ne peut plus être remis en cause ultérieurement, même si elle n'a pas ou pas suffisamment tenu compte des dispositions citées. Toutefois, une telle conséquence ne s'attache impérativement qu'aux jugements ayant trait à l'admissibilité d'une adaptation du loyer fondée sur une variation du taux hypothécaire, car c'est là le seul paramètre dont la variation permet et impose l'examen rétrospectif dont il est ici question. Lorsqu'un autre motif (la hausse des frais d'entretien, par exemple) est invoqué à l'appui de la modification de loyer litigieuse, le jugement rendu sur ce point n'interdira, en revanche, un tel examen que dans la mesure où il aura également pris en considération une variation antérieure du taux hypothécaire, au titre de la compensation des facteurs de hausse et de baisse, ce qu'il conviendra de déterminer au besoin par voie d'interprétation (cf.
ATF 116 II 614
consid. 5a).
Il en va de même en ce qui concerne la transaction passée après l'introduction de la procédure de contestation. Si elle fait suite à une modification du loyer motivée par une variation du taux hypothécaire, l'accord des parties à ce sujet ne pourra plus être contesté par l'une d'elles ultérieurement, en raison soit de l'autorité de la chose jugée que le droit de procédure cantonal peut conférer à une transaction
BGE 119 II 348 S. 352
judiciaire, soit du principe de la fidélité contractuelle (cf. let. aa ci-dessus).
cc) Le loyer qui a été fixé ou déclaré non abusif en application de la méthode absolue (
ATF 117 II 77
) ou en fonction des prix du marché (
art. 269a let. a CO
) échappe lui aussi à tout examen rétrospectif. En effet, ces deux modes de calcul se caractérisent par le fait qu'ils ne prennent pas en considération l'évolution dans le temps du loyer en cause (
ATF 117 II 77
consid. 2 p. 80; LACHAT/MICHELI, op.cit., p. 223) et qu'ils font, en particulier, abstraction des variations du taux hypothécaire qui a été retenu pour la dernière fixation du loyer.
dd) Qu'en est-il des modifications unilatérales et incontestées du loyer (la question ne se pose, il est vrai, que pour les augmentations de loyer, puisque la loi ne prévoit pas l'acceptation tacite d'une demande de diminution du loyer; voir l'
art. 270a CO
)?
Le principe de la confiance, sur lequel repose la méthode relative, implique que le locataire s'oppose à une majoration de loyer s'il la juge abusive, faute de quoi elle ne sera pas considérée comme telle; de même, il commande au bailleur d'indiquer expressément le montant de la majoration auquel il renonce, s'il entend n'adapter que partiellement le loyer, sous peine de ne plus pouvoir utiliser à une autre occasion le facteur de hausse qu'il veut réserver pour le futur (
art. 18 OBLF
). Dès lors, si le bailleur augmente le loyer en raison d'une hausse du taux hypothécaire sans que le locataire s'y oppose, il faut admettre, en vertu du principe de la confiance, que ce dernier a renoncé définitivement à se prévaloir des baisses du taux antérieures. La situation est différente en cas de majoration du loyer motivée par un autre facteur de hausse (par ex. le renchérissement pour le capital exposé aux risques;
art. 269a let
. e CO). En pareille hypothèse, en effet, le locataire a la possibilité mais n'est pas tenu d'opposer à cet autre facteur de hausse le facteur de réduction que constitue la variation (baisse) du taux hypothécaire enregistrée depuis la dernière fixation du loyer; s'il ne le fait pas, il conserve néanmoins la faculté d'invoquer le bénéfice de l'
art. 13 al. 4 OBLF
(
art. 9 al. 2bis OSL
) et de se prévaloir, lors de la notification subséquente d'une majoration de loyer fondée sur une hausse du taux hypothécaire, d'une ou de plusieurs baisses de ce taux intervenues depuis la dernière modification du loyer faisant suite à une variation dudit taux. C'est là que réside la brèche pratiquée dans la méthode relative par cette disposition, en ce sens que, lorsque ses conditions d'application sont remplies, le juge ne doit pas s'arrêter à la dernière modification du loyer, comme le voudrait ladite méthode, mais poursuivre son examen
BGE 119 II 348 S. 353
rétrospectif jusqu'à la dernière modification du loyer consécutive à une variation du taux hypothécaire.
c) En l'occurrence, le taux hypothécaire de référence n'a pas baissé depuis la notification de la dernière majoration de loyer non contestée fondée sur une hausse du taux hypothécaire (8 décembre 1989) jusqu'à la notification de l'augmentation de loyer litigieuse (7 décembre 1990). Par conséquent, l'arrêt attaqué, qui entérine cette dernière majoration du loyer des défendeurs, ne viole pas le droit fédéral même si sa motivation laisse à désirer de ce point de vue. | public_law | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
392f5bdc-6d38-439c-8e08-15458ec6dbb2 | Urteilskopf
124 I 241
30. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. August 1998 i.S. R. SA c. D. AG. und Handelsgericht des Kantons Bern (Staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Kostenvorschusspflicht der beklagten Partei im Bernischen Zivilprozess (
Art. 57 ZPO
/BE;
Art. 4 BV
).
Die in
Art. 57 Abs. 1 und 2 ZPO
/BE normierte Regelung, auch von der beklagten Partei und unter Androhung der Säumnisfolgen gemäss
Art. 286 ZPO
/BE einen Vorschuss für die mutmasslichen Gerichtskosten zu verlangen, verstösst nicht gegen
Art. 4 BV
(E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 241
BGE 124 I 241 S. 241
Die Beschwerdeführerin ist beklagte Partei in einem von der Beschwerdegegnerin vor dem Handelsgericht des Kantons Bern anhängig gemachten Zivilprozess. Mit Verfügung vom 9. März 1998 forderte der Instruktionsrichter beide Parteien zur Zahlung eines Kostenvorschusses von je Fr. 30'000.-- auf. Auf Antrag der Beschwerdeführerin beschränkte er mit Verfügung vom 7. Mai 1998 das Verfahren auf die Frage der Zuständigkeit des Handelsgerichts. Gleichzeitig wies er deren Begehren auf Erlass des einverlangten Kostenvorschusses ab und setzte zu dessen Leistung eine neue Frist bis 29. Mai 1998, unter Androhung der Säumnisfolgen von
Art. 286 ZPO
/BE.
BGE 124 I 241 S. 242
Die Beschwerdeführerin führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
mit dem Antrag, die Verfügung des Instruktionsrichters vom 7. Mai 1998 aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin rügt als Verletzung ihres bundesverfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör, dass sie sich als beklagte Partei den Säumnisfolgen gemäss
Art. 286 ZPO
/BE ausgesetzt sieht, wenn sie den ihr auferlegten Kostenvorschuss nicht bezahlt. Ihrer Auffassung nach verstösst die Berner Praxis, die Geltendmachung grundlegender Verteidigungsrechte von der Leistung eines Kostenvorschusses abhängig zu machen, gegen die aus
Art. 4 BV
fliessenden Minimalgarantien zur Wahrung des rechtlichen Gehörs. Das staatliche Interesse an der vorgängigen Sicherstellung der Gerichtskosten könne ohne weiteres dadurch befriedigt werden, dass der die staatliche Dienstleistung in Anspruch nehmende Kläger für die mutmasslichen Kosten vollumfänglich vorschusspflichtig erklärt werde.
Der aus
Art. 4 BV
abgeleitete Anspruch auf rechtliches Gehör gibt dem Betroffenen als persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht das Recht, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheides zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Dem Mitwirkungsrecht entspricht die Pflicht der Behörde, die Argumente und Verfahrensanträge der Partei entgegenzunehmen und zu prüfen sowie die ihr rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweismittel abzunehmen, es sei denn, diese beträfen eine nicht erhebliche Tatsache oder seien offensichtlich untauglich, über die streitige Tatsache Beweis zu erbringen (
BGE 122 II 464
E. 4a;
BGE 119 Ia 136
E. 2c und 2d;
BGE 118 Ia 17
E. 1c, je mit Hinweisen; vgl. auch KOLLER, Der Gehörsanspruch im erstinstanzlichen Zivilprozess, ZSR 105 [1986] S. 229 f., 231). Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird zunächst durch die kantonalen Verfahrensvorschriften umschrieben. Unabhängig davon greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen
BGE 124 I 241 S. 243
Gehörs Platz. Da die Beschwerdeführerin explizit die "Berner Praxis" der ihr als beklagten Partei (mit)auferlegten Pflicht zur Bevorschussung von Gerichtsgebühren als verfassungswidrig rügt, ist einzig - und mit freier Kognition - zu prüfen, ob die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden Regeln missachtet wurden (
BGE 121 I 230
E. 2b;
BGE 120 Ia 220
E. 3a, je mit Hinweisen).
3.
Gemäss
Art. 57 Abs. 1 und 2 ZPO
/BE haben die Parteien den Kostenaufwand für ihre Rechtsverfolgung oder Verteidigung selbst zu tragen und dem Gericht entsprechende Vorschüsse zu leisten. Mit Ausnahme bestimmter Verfahrensarten (Aussöhnungsversuch, Summarium, Gesuche um vorsorgliche Beweisführung etc.) werden Gerichtskostenvorschüsse von beiden Parteien bezogen (LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, N. 2b zu
Art. 57 ZPO
/BE). Bezahlt die beklagte Partei trotz zweimaliger Aufforderung den ihr auferlegten Kostenvorschuss nicht, nimmt das Verfahren seinen Fortgang und entscheidet der Richter nur aufgrund der Anträge der klagenden Partei, wobei die bisherigen Anbringen der säumigen Partei berücksichtigt werden (
Art. 283 ZPO
/BE). Steht jedoch deren Vorschusssäumnis vor Erstattung der Klageantwort fest, bleibt diese unbeachtlich und wird der Gegenpartei auch nicht zugestellt (LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, a.a.O., N. 2c zu
Art. 286 ZPO
/BE). Im weiteren Verlauf des Verfahrens kann die säumige Partei zwar an Verhandlungen teilnehmen, daselbst aber ihre Parteirechte nur wahrnehmen, wenn sie den Vorschuss nachträglich noch bezahlt (LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, a.a.O., N. 2 zu
Art. 284 ZPO
/BE). Zu Noven des Klägers wird sie nicht angehört (LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, a.a.O., N. 5 zu
Art. 93 ZPO
/BE). Trotz Säumnis der beklagten Partei gelten die tatsächlichen Behauptungen des Klägers nicht als anerkannt oder unbestritten, weshalb sie auch nicht ohne weiteres als wahr angenommen werden dürfen, sondern zum Beweis verstellt werden, wenn dies der Richter für notwendig erachtet (LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, a.a.O., N. 4 zu
Art. 283 ZPO
/BE und N. 1a zu
Art. 283a-283b ZPO
/BE). Die bisherigen Anbringen der säumigen Partei können - soweit sie vor festgestellter Vorschusssäumnis erstattet wurden - ebenfalls, nach Ermessen des Richters, zum Beweis verstellt werden (
Art. 283a ZPO
/BE; LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, a.a.O., N. 1b zu
Art. 283a-283b ZPO
/BE). Gilt für ein Verfahren kraft Bundesrechts der Untersuchungsgrundsatz oder die Verhandlungsmaxime nur beschränkt, hat das Sachgericht ungeachtet der Säumnis einer Partei den Sachverhalt von Amtes wegen zu ermitteln und alle
BGE 124 I 241 S. 244
notwendigen Beweise abzunehmen (
Art. 89 ZPO
/BE; LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, a.a.O., N. 1c zu Art. 283a-283b).
Wie das Handelsgericht in seiner Vernehmlassung ausführt, kann die säumige Partei in der Klage oder Klageantwort Urkunden vorlegen und Beweisanträge stellen, jederzeit die Akten einsehen und der Hauptverhandlung mit Beweisabnahme beiwohnen. Wenn also, wie vorliegend mit instruktionsrichterlicher Verfügung vom 9. März 1998 geschehen, gleichzeitig Frist zur Erstattung der Klageantwort und Zahlung eines Vorschusses angesetzt wird, sich die beklagte Partei jedoch darauf beschränkt, innerhalb der Vorschussfrist ihre Rechtsantwort zu erstatten, sind ihre Vorbringen und die verurkundeten Beweise im weiteren Verfahren dennoch zu berücksichtigen. Tritt die Vorschusssäumnis vor Erstattung der Klageantwort ein, bleiben die Vorbringen der beklagten Partei unbeachtlich. Ob diese Vorschussregelung vor der Verfassung standhält, ist nachfolgend zu prüfen.
4.
a) Gerichtsgebühren sind Kausalabgaben, die ihren Grund in der Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung haben und deshalb auch von den Kosten der staatlichen Dienstleistung abhängen; sie haben den Anforderungen an das Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip zu genügen (
BGE 120 Ia 171
E. 2). Dass es im Interesse ordnungsgemässer Justizverwaltung zulässig ist, für die mutmasslichen Prozesskosten einen Vorschuss von demjenigen zu verlangen, der staatlichen Rechtsschutz in Anspruch nimmt, entspricht einer allgemeinen Praxis in den Kantonen und widerspricht auch nicht
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(vgl.
BGE 109 II 195
E. 3; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 405 f.; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 5. Aufl., S. 279 f.; JEAN DARBELLAY, Le droit d'être entendu, ZSR 1964 II, S. 421 f., 506; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., N. 53 f., 63 und 65 zu
Art. 6 EMRK
; Entscheid der Europäischen Kommission für Menschenrechte Nr. 23855/94 vom 17. Mai 1995 i.S. M. c. Schweiz mit Verweisen). Nach den meisten Prozessordnungen sind die Gerichtsgebühren oder anfallende Barauslagen von den Parteien vorzuschiessen, soweit nicht kraft Bundesrechts Kostenlosigkeit des Verfahrens gilt oder Verfassungs- oder Prozessrecht einen Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung verleihen.
b) Die Vorschussregelung in den Kantonen ist unterschiedlich: Ähnlich der Berner Praxis erklären etwa die Prozessordnungen der Kantone Waadt (
Art. 90 ZPO
/VD), Freiburg, (
Art. 109 ZPO
/FR), Jura (
Art. 56 ZPO
/JU) und Wallis (
Art. 304 ZPO
/VS) ebenfalls den
BGE 124 I 241 S. 245
Beklagten für vorschusspflichtig. Andere Kantone verpflichten den Beklagten nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherstellung der Prozesskosten (vgl.
Art. 120 ZPO
/SH;
§ 77 Abs. 2 ZPO
/TG;
Art. 84 ZPO
/OW). In den meisten Kantonen wird ein Kostenvorschuss nur vom Kläger oder Widerkläger erhoben, doch bleibt grundsätzlich jede Partei für die von ihr beantragten Prozesshandlungen (insbesondere Beweiserhebungen) vorschusspflichtig (z.B.
§
§ 89 und 112 ZPO
/NW;
§
§ 67 und 72 ZPO
/SZ;
§ 36 ZPO
/ZG;
§
§ 101 und 102 ZPO
/AG; EICHENBERGER, Zivilrechtspflegegesetz des Kantons Aargau, N. 1 zu
§ 101 ZPO
/AG;
§ 123 ZPO
/LU; STUDER/RÜEGG/EIHOLZER, Der Luzerner Zivilprozess, N. 1 zu
§ 123 ZPO
/LU;
Art. 27 ZPO
/GL;
Art. 113 ZPO
/UR;
Art. 147 ZPO
/TI und Art. 9 della Legge sulla tariffa giudiziaria;
Art. 140 ZPO
/NE; Art. 59, 215, 248 et al. ZPO/GE; MERMOUD, Loi de Procédure civile genevoise annotée, N. 1 zu
Art. 72 ZPO
/GE;
§ 94 Abs. 3 ZPO
/SO;
§
§ 44 und 58 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO
/BS;
§
§ 69 und 100 ZPO
/BL; vgl. STAEHELIN/SUTTER, Zivilprozessrecht, S. 190; Art. 274 ZPG/SG; PETER SCHÖNENBERGER, Prozesskosten, in: Yvo Hangartner (Hrsg.), Das st. gallische Zivilprozessgesetz, St. Gallen 1991, S. 193 f., 209;
Art. 78 ZPO
/AR; MAX EHRENZELLER, Zivilprozessordnung des Kantons Appenzell A.Rh., Herisau 1988, N. 1 f. zu
Art. 79 ZPO
/AR;
Art. 88 und 89 ZPO
/AI; vgl. auch FRANK/STÄULI/MESSMER, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, N. 2 zu
§ 83 ZPO
/ZH).
c) Das Bundesgericht hat in einer älteren Entscheidung die Waadtländer Regelung, wonach auch die beklagte Partei zur Leistung eines Gerichtskostenvorschusses verpflichtet werden kann, für verfassungskonform erklärt (JdT 1937, S. 59; POUDRET/WURZBURGER/HALDY, Code de procédure civile du canton de Vaud, 2. Aufl., N. 1 zu
Art. 90 ZPO
/VD). Ebenso hielt es in einem Urteil vom 12. Juni 1972 die gleichlautende Freiburger Praxis als mit
Art. 4 BV
vereinbar (Entscheid des Bundesgerichts Nr. P 482/72 vom 12. Juni 1972). Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht nicht, dass die beklagte Partei im Falle ihres Unterliegens in die Prozesskosten verfällt wird, sondern wendet sich nur dagegen, dass von ihr Gerichtsgebühren vorschussweise erhoben werden. Tatsächlich beansprucht auch die beklagte Partei staatlichen Rechtsschutz, wenn sie die Abweisung von in ihren Augen ungerechtfertigten Ansprüchen verlangt oder im Rahmen negativer Feststellungsklagen oder Aberkennungsklagen eigene Forderungen gegen die Klagepartei mit staatlicher Hilfe durchsetzen will. Wohl unterscheidet sich ihre Stellung von derjenigen der Klagepartei dadurch, dass ihr die Herrschaft über
BGE 124 I 241 S. 246
die Einleitung des Verfahrens abgeht. Von der materiellen Berechtigung in der Sache hängt diese Dispositionsbefugnis jedoch nicht ab. Welche Partei mit materiell begründeten Ansprüchen oder materiell unbegründeter Abwehr ausgewiesener Ansprüche den Prozess verursacht - und die entsprechenden Kostenfolgen zu tragen hat - ergibt sich erst mit dem Endentscheid. Oftmals vermag erst die Durchführung eines Beweisverfahrens die auch zwischen den Parteien bestehenden Unsicherheiten über die Berechtigung des Klageanspruchs zu beseitigen. Soweit die beklagte Partei den Vorschuss zu leisten vermag - oder zufolge Prozessarmut davon befreit ist - wird ihr durch die Verpflichtung zur Sicherstellung der Gerichtsgebühr der Zugang zum Recht ebenso wenig verwehrt wie der Klagepartei. Dass sie in diesem Fall ein allfälliges Insolvenzrisiko der Gegenpartei trägt, liegt in ihrem Streit mit dem Kläger begründet; ihr Rechtsschutzanspruch wird dadurch aber nicht verletzt.
Die Stellung der beklagten Partei ist im Übrigen mit derjenigen eines Rechtsmittelklägers vergleichbar, der sich nicht nur gegen behauptete private Ansprüche, sondern gegen ein - ansonsten regelmässig in Rechtskraft erwachsendes - Urteil zu seinen Lasten wehrt. Dass die Überprüfung auch hier von der Leistung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht wird, entspricht ständiger Praxis (vgl.
BGE 117 Ib 220
E. 2). Eine übermässige Erschwerung des Zugangs zum Recht (vgl. FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 67 f. zu
Art. 6 EMRK
) ist darin grundsätzlich ebenso wenig zu sehen, wie eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Entsprechend ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, auch von der beklagten Partei die anteilsmässige Sicherstellung oder Bevorschussung von Gerichtskosten zu verlangen (kritisch: GUIDO FISCHER, Die Kostenverteilung im aargauischen Zivilprozessrecht, Diss. Basel 1984, S. 21).
d) Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass sie als juristische Person nicht in den Genuss der unentgeltlichen Rechtspflege kommen könne, falls sie den einverlangten Vorschuss nicht zu leisten vermöchte.
Vermögen natürliche Personen sowie Kollektiv- oder Kommanditgesellschaften im Rahmen der gegen sie in Klage gesetzten Ansprüche einen einverlangten Kostenvorschuss nicht zu bezahlen, werden sie gegebenenfalls durch den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung unentgeltlicher Rechtspflege davon befreit (
BGE 116 II 651
E. 2; Alfred Bühler, Die neuere Rechtsprechung im Bereich der unentgeltlichen Rechtspflege, SJZ 94 [1998], S. 225 f., 228). Ob auch juristischen Personen unter bestimmten
BGE 124 I 241 S. 247
Voraussetzungen die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen ist, hat das Bundesgericht bisher offen gelassen (
BGE 119 Ia 337
E. 4; ALFRED BÜHLER, a.a.O., S. 228 und 229). Indes behauptet die Beschwerdeführerin selbst nicht, prozessarm zu sein, weshalb sie sich auch insoweit nicht über eine verfassungswidrig erschwerte Wahrnehmung ihres Gehöranspruchs beklagen kann. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
392ffdec-8636-4b4a-af7d-c1ba4d6fe686 | Urteilskopf
112 V 242
42. Arrêt du 21 août 1986 dans la cause Cekci contre Caisse cantonale bernoise d'assurance-chômage et Tribunal des assurances du canton de Berne | Regeste
Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG
und 44 lit. a AVIV,
Art. 321c OR
. Nicht arbeitslos durch eigenes Verschulden ist ein Versicherter, der
- nicht einverstanden ist, Überstunden durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer auszugleichen (Erw. 2b), oder
- sich weigert, einen zusätzlichen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit abzuschliessen, die ohne Bezug zu jener ist, wozu er sich verpflichtet hat (Erw. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 243
BGE 112 V 242 S. 243
A.-
Toros Cekci travaillait depuis le 1er janvier 1983 au service de l'entreprise X S.A. en qualité d'ouvrier au tournage et de manutentionnaire. Par lettre du 30 novembre 1984, son employeur lui a notifié la résiliation de son contrat de travail pour le 31 janvier 1985. Afin d'être indemnisé à partir du 1er février 1985, le prénommé a présenté une demande d'indemnité de chômage à la Caisse cantonale bernoise d'assurance-chômage.
L'instruction à laquelle procéda la caisse fit apparaître que l'assuré avait perdu sa place parce qu'il avait refusé d'accomplir des travaux de conciergerie le vendredi, après les heures habituelles. Dans sa demande d'indemnité de chômage, il exposait que s'il avait refusé d'accomplir ces travaux accessoires, c'est parce qu'ils n'étaient pas payés et s'ajoutaient à son temps de travail normal. Interrogé sur ce point, l'employeur a précisé que, lors d'une période de chômage précédente, Toros Cekci avait effectué des heures de conciergerie "en lieu et place du chômage", le vendredi après-midi à raison de quatre heures en moyenne, lesquelles étaient compensées par un congé le lundi matin. Lors de la reprise du travail à 100%, il avait demandé à son employé de "continuer [à assurer] la conciergerie le vendredi après les heures de travail habituelles", les heures consacrées à cette tâche supplémentaire devant être compensées par un congé durant la semaine, ce que l'intéressé avait refusé.
Par décision du 4 avril 1985, la caisse a prononcé la suspension, pour une durée de 21 jours, du droit de l'assuré à l'indemnité de chômage, pour le motif qu'il avait perdu son emploi par sa faute.
B.-
Toros Cekci a recouru devant le Tribunal des assurances du canton de Berne contre cette décision dont il demandait l'annulation, alléguant qu'il n'avait commis aucune violation de ses obligations contractuelles.
Par décision du 10 juillet 1985, notifiée à l'assuré avant le dépôt de sa réponse au recours, la caisse a annulé sa décision du 4 avril 1985,
BGE 112 V 242 S. 244
en réduisant à 15 jours la durée de la suspension du droit de Toros Cekci à l'indemnité de chômage, au motif qu'il avait commis une faute qui devait être qualifiée de moyenne en raison de "circonstances atténuantes", une instruction complémentaire ayant fait apparaître qu'il existait une incompatibilité d'humeur avec son chef d'atelier.
L'assuré ayant maintenu son recours, le Président de la IIIe chambre de l'autorité cantonale de recours, statuant comme juge unique, l'a rejeté par jugement du 5 septembre 1985. Il a considéré, en bref: qu'il était "patent" que - contrairement à ce qu'il alléguait - le recourant aurait été payé pour accomplir les travaux de conciergerie en cause, étant donné qu'il aurait pu compenser ce temps de travail en prenant congé le lundi suivant, de sorte que son horaire de travail aurait été de 43 heures par semaine, conformément à la convention collective de travail, et qu'il n'aurait pas dû accomplir des heures supplémentaires; que, dans ces conditions, on pouvait exiger de l'assuré qu'il acceptât de travailler quelques heures de plus le vendredi soir jusqu'au moment où il aurait trouvé éventuellement un autre emploi lui convenant mieux; qu'il aurait pu aussi chercher un terrain d'entente avec son employeur plutôt que de refuser catégoriquement d'accomplir les travaux dont celui-ci voulait le charger, lesquels entraient manifestement dans le cadre de son contrat d'engagement; que, par conséquent, la sanction prononcée par la caisse apparaissait comme adéquate par rapport à la faute de gravité moyenne commise par le recourant.
C.-
Toros Cekci interjette recours de droit administratif contre ce jugement, en concluant à la suppression de toute suspension de son droit à l'indemnité de chômage.
Par l'intermédiaire de l'Office cantonal bernois de l'industrie, des arts et métiers et du travail, la caisse renonce à prendre position sur le recours, alors que l'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail propose de le rejeter.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'
art. 30 al. 1 let. a LACI
, l'assuré doit être suspendu dans l'exercice de son droit à l'indemnité lorsqu'il est sans travail par sa propre faute. Tel est notamment le cas de l'assuré qui, par son comportement, en particulier par la violation de ses obligations
BGE 112 V 242 S. 245
contractuelles de travail, a donné à son employeur un motif de résiliation du contrat de travail (
art. 44 let. a OACI
).
La suspension du droit à l'indemnité prononcée en raison du chômage dû à une faute de l'assuré, en application de l'
art. 44 let. a OACI
, ne suppose pas une résiliation des rapports de travail pour de justes motifs au sens des
art. 337 et 346 al. 2 CO
. Il suffit que le comportement général de l'assuré ait donné lieu au congédiement de celui-ci, même sans qu'il y ait des reproches d'ordre professionnel à lui faire. Tel peut être le cas aussi lorsque l'employé présente un caractère, dans un sens large, qui rend les rapports de travail intenables (arrêts non publiés Xhema du 30 janvier 1986 et Kamponis du 9 janvier 1986; sur la jurisprudence analogue rendue sous l'ancien droit, voir DTA 1982 No 18 p. 112, 1981 No 11 p. 51 consid. 2, 1978 No 21 p. 76 consid. 3a). Une suspension du droit à l'indemnité ne peut cependant être infligée à l'assuré que si le comportement reproché à celui-ci est clairement établi. Lorsqu'un différend oppose l'assuré à son employeur, les seules affirmations de ce dernier ne suffisent pas à établir une faute contestée par l'assuré et non confirmée par d'autres preuves ou indices aptes à convaincre l'administration ou le juge (arrêts non publiés Gonzalez du 9 octobre 1985, Schmidlin du 30 septembre 1985 et Weinmann du 5 juillet 1985; sur la jurisprudence analogue rendue sous l'ancien droit, voir DTA 1980 No 6 p. 15 s., 1977 No 30 p. 149, 1972 No 14 p. 36).
2.
a) Tant l'intimée que le premier juge sont d'avis que, dans le cas particulier, le recourant avait donné à son employeur un motif de résiliation du contrat de travail par son comportement, en particulier par la violation de ses obligations contractuelles de travail.
Pour sa part, le recourant allègue qu'il avait accepté d'effectuer des travaux de conciergerie le vendredi après-midi durant la période pendant laquelle son employeur avait réduit l'horaire de travail, parce qu'il limitait de la sorte son chômage, mais qu'il avait refusé en revanche, après le rétablissement de l'horaire de travail normal, d'accomplir les mêmes travaux de conciergerie le vendredi soir, avec un congé compensatoire la semaine suivante, car cela ne lui convenait pas. En outre, il fait observer qu'il avait été engagé pour effectuer des travaux d'atelier et de manutention, mais non pour s'occuper de conciergerie. Aussi n'était-il ni obligé d'accomplir ces travaux accessoires ni tombé au chômage par sa faute.
BGE 112 V 242 S. 246
b) En vertu de l'
art. 321c al. 1 CO
, si les circonstances exigent des heures de travail plus nombreuses que ne le prévoit le contrat ou l'usage, un contrat-type de travail ou une convention collective, le travailleur est tenu d'exécuter ce travail supplémentaire dans la mesure où il peut s'en charger et où les règles de la bonne foi permettent de le lui demander. A cet égard, la Cour de céans a jugé que le refus, par un assuré, d'accomplir des heures supplémentaires, provoquant ainsi son licenciement, constitue un comportement fautif au sens du droit de l'assurance-chômage, qui justifie une suspension du droit à l'indemnité journalière (DTA 1982 No 18 p. 111).
Selon l'alinéa 2 de la disposition légale précitée, l'employeur peut, avec l'accord du travailleur, compenser les heures de travail supplémentaires par un congé d'une durée au moins égale, qui doit être accordé au cours d'une période appropriée. Or, en l'espèce, l'employeur avait proposé au recourant d'effectuer des travaux de conciergerie le vendredi soir, en dehors des heures habituelles, et de les compenser par un congé de même durée la semaine suivante, ce que le recourant a toutefois refusé. On ne saurait lui en faire le reproche puisque, selon la loi, la compensation des heures supplémentaires par l'octroi d'un congé d'une durée au moins égale nécessite l'accord du travailleur, conformément à l'
art. 321c al. 2 CO
(VISCHER, Le contrat de travail, p. 79).
Si les heures de travail supplémentaires ne sont pas compensées par un congé, l'
art. 321c al. 3 CO
- auquel il ne peut être dérogé, en vertu de l'
art. 361 CO
- dispose que l'employeur est tenu de les rétribuer en versant le salaire normal majoré d'un quart au moins, sauf clause contraire d'un accord écrit, d'un contrat-type de travail ou d'une convention collective. Une réglementation analogue figure à l'
art. 13 al. 1 LTr
(sur les rapports entre ces deux normes légales, voir
ATF 110 II 267
consid. 2).
On ne saurait donc déduire de la jurisprudence précitée (DTA 1982 No 18 p. 111) que l'assuré qui refuse d'accomplir des heures supplémentaires moyennant un congé compensatoire - au lieu d'une rétribution majorée de 25% au moins - enfreint ses obligations contractuelles, attendu qu'un tel refus est parfaitement licite selon les dispositions légales relatives au contrat de travail.
c) Il est douteux, toutefois, qu'en l'espèce l'employeur ait entendu exiger de la part du recourant qu'il accomplisse des heures supplémentaires. En réalité, bien plutôt voulait-il conclure un contrat de travail autonome, pour les travaux de conciergerie du bâtiment
BGE 112 V 242 S. 247
de l'usine. Sur ce point, le cas d'espèce présente une certaine analogie avec celui jugé par le Tribunal fédéral dans l'arrêt publié aux
ATF 110 II 267
consid. 3. Dans cette affaire, en effet, il existait un contrat de gérance concernant exclusivement un snack-bar, dont le propriétaire avait par la suite également confié à ses employés la gérance d'un kiosque situé à l'intérieur de l'établissement public. Or, le Tribunal fédéral a considéré que, dans une telle situation, le litige - relatif notamment à la rétribution des heures de travail consacrées au kiosque - n'avait pas trait à un travail supplémentaire mais à un contrat de travail distinct de celui qui portait sur la gérance du snack-bar.
Le recourant avait été engagé en qualité d'ouvrier au tournage et de manutentionnaire, soit pour exercer deux sortes d'activités qui n'ont, en elles-mêmes, rien à voir avec celles d'un concierge. Or, s'il est certain que l'employeur était libre de charger l'un de ses ouvriers d'accomplir occasionnellement des travaux de conciergerie comme ceux qu'il entendait confier au recourant, et cela même dans le cadre d'heures supplémentaires, il ne pouvait, en revanche, obliger ce dernier à exercer régulièrement une telle activité, supplémentaire et différente de celles pour lesquelles il avait été engagé, et cela d'autant moins que cette activité impliquait un surplus de travail le vendredi soir, après les heures normales de travail, c'est-à-dire à un moment de la semaine où la plupart des travailleurs aspirent à pouvoir disposer librement de leur temps.
Aussi ne saurait-on reprocher au recourant d'avoir fait preuve de mauvaise volonté en déclinant l'offre de conclure un contrat de travail particulier pour les activités de conciergerie, attendu que ce n'est pas celles-ci en tant que telles qu'il a refusées - preuve en soit qu'il a spontanément accepté de les accomplir à l'époque où il était au chômage partiel - mais les modalités de cette nouvelle tâche. Ce refus ayant entraîné de la part de l'employeur la résiliation des rapports de travail, il apparaît donc que les circonstances ne permettaient pas d'exiger de l'assuré qu'il conservât son ancien emploi, contrairement à l'avis du premier juge. Dès lors, on ne saurait imputer à faute au recourant son chômage. La suspension de son droit à l'indemnité de chômage, même réduite à 15 jours, est contraire à la loi. Le recours est bien fondé.
BGE 112 V 242 S. 248
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est admis et le jugement du Tribunal des assurances du canton de Berne, du 5 septembre 1985, ainsi que la décision de la Caisse cantonale bernoise d'assurance-chômage, du 10 juillet 1985, sont annulés. | null | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
39379739-6f6d-4abc-9e8b-4dd5e889ea20 | Urteilskopf
139 III 293
43. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_143/2013 vom 18. Juni 2013 | Regeste
Art. 46 Abs. 2 und
Art. 53 SchKG
;
Art. 647 und 932 Abs. 2 OR
; Betreibungsort bei Sitzverlegung.
Nach der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Revision des Obligationenrechts (GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht) wird die Sitzverlegung der Aktiengesellschaft gegenüber dem Betreibungsamt am Werktag nach der Publikation im SHAB wirksam (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 294
BGE 139 III 293 S. 294
A.
Das Betreibungsamt Wädenswil stellte der X. AG in der gegen sie angehobenen Betreibung Nr. x am 11. Oktober 2012 die Konkursandrohung zu. Die Schuldnerin erhob am 22. Oktober 2012 betreibungsrechtliche Beschwerde und verlangte die Aufhebung der Konkursandrohung bzw. Feststellung der Nichtigkeit. Sie rügte, das Betreibungsamt sei zum Erlass der Verfügung örtlich nicht zuständig, da sie ihren statutarischen Sitz am 11. Oktober 2012 - am Tag der Zustellung der Konkursandrohung - nach Wollerau/SZ verlegt habe. Mit Urteil vom 3. Dezember 2012 wies das Bezirksgericht Horgen als untere Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs die Beschwerde ab.
B.
Die X. AG gelangte an das Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, welches die Beschwerde mit Urteil vom 4. Februar 2013 ebenfalls abwies.
C.
Mit Eingabe vom 18. Februar 2013 hat die X. AG Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die Beschwerdeführerin verlangt die Aufhebung des Urteils der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde vom 4. Februar 2013. In der Sache beantragt sie die Aufhebung der Konkursandrohung bzw. die Feststellung der Nichtigkeit; eventuell sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Zivilsachen ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die Konkursandrohung gegenüber der Beschwerdeführerin und die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Betreibungsamtes. Es steht nicht in Frage, dass die im Handelsregister eingetragenen juristischen Personen an ihrem Sitz zu betreiben sind (
Art. 46 Abs. 2 SchKG
). Verändert der Schuldner seinen (Wohn-)Sitz, nachdem ihm die Konkursandrohung zugestellt worden ist, so wird die Betreibung gemäss
Art. 53 SchKG
am bisherigen Betreibungsort fortgesetzt. Vorliegend steht fest, dass die Konkursandrohung am 11. Oktober 2012 zugestellt und am gleichen Tag der Sitz der Beschwerdeführerin im Tagebuch des Handelsregister gelöscht worden ist. Umstritten ist die
perpetuatio fori
, insbesondere die Frage, ob bzw. welche Uhrzeit für die Frage der Sitzverlegung der AG massgebend ist.
BGE 139 III 293 S. 295
3.1
Die Beschwerdeführerin geht - wie die Aufsichtsbehörden - davon aus, dass es nicht auf die Publikation im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) ankomme, wenn der Betreibungsort gemäss
Art. 46 Abs. 2 SchKG
einer AG zu bestimmen ist, sondern auf die Löschung im Tagebuch des Handelsregisters. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass gemäss
BGE 134 III 417
(E. 4 S. 419) im Interesse der Rechtssicherheit für die Wirksamkeit einer Eintragung auf das Datum des Tagebucheintrages und nicht auf die Uhrzeit der Einschreibung abzustellen sei. Der Grund liegt darin, dass sämtliche Tagesregistereintragungen eines bestimmten Tages als im selben Zeitpunkt vorgenommen gelten (vgl. Art. 34 der Handelsregisterverordnung vom 17. Oktober 2007 [HRegV; SR 221.411]; TAGMANN, in: Handelsregisterverordnung, Siffert/Turin [Hrsg.], 2012, N. 3 am Ende zu
Art. 34 HRegV
; KÜNG, Berner Kommentar, 2001, N. 140 zu
Art. 932 OR
). Nach der Lehre gilt im Fall, dass der Sitzwechsel zeitlich mit der Zustellung der Konkursandrohung zusammenfällt, das Gleiche wie beim Sitzwechsel, der nachträglich stattgefunden hat (SCHÜPBACH, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 21 zu
Art. 53 SchKG
; BOLLINGER/JEANNERET, in: Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 8 zu
Art. 53 SchKG
). Folgt man dieser Auffassung, wäre der umstrittene Sitzwechsel unbeachtlich, weil der Betreibungsort am 11. Oktober 2012 noch gegeben war. Die Frage ist - wie sich aus dem Folgenden ergibt - nicht weiter zu erörtern, weil sie gestützt auf die veränderte Rechtslage zu beantworten ist.
3.2
Die Wirksamkeit von Eintragungen im Handelsregister gegenüber dem Betreibungsamt richtet sich allgemein nach
Art. 932 OR
(
BGE 116 III 1
E. 2 S. 2; vgl.
BGE 123 III 137
E. 3a S. 138;
BGE 134 III 417
E. 4 S. 419). Gemäss
Art. 932 Abs. 2 OR
wird gegenüber Dritten eine Eintragung im Handelsregister erst am nächsten Werktag wirksam, der auf den aufgedruckten Ausgabetag derjenigen Nummer des SHAB folgt, in der die Eintragung veröffentlich ist. In
Art. 932 Abs. 3 OR
werden die besonderen gesetzlichen Vorschriften vorbehalten, nach denen unmittelbar mit der Eintragung (
Art. 932 Abs. 1 OR
) auch Dritten gegenüber Rechtswirkungen verbunden sind oder Fristen zu laufen beginnen.
3.2.1
Die Rechtsprechung, wonach es bei der Sitzverlegung einer AG nicht auf die Publikation im SHAB ankomme, wenn der Betreibungsort gemäss
Art. 46 Abs. 2 SchKG
zu bestimmen ist, sondern auf die Löschung im Tagebuch des Handelsregisters, beruht auf einer besonderen Regelung im Aktienrecht (
BGE 116 III 1
E. 2 S. 3;
BGE 139 III 293 S. 296
bestätigt in
BGE 121 III 13
E. 2b a.E. S. 16;
BGE 123 III 137
E. 3a S. 138;
BGE 134 III 417
E. 4 S. 418 f.). Grundlage für diese Rechtsprechung ist
Art. 647 Abs. 3 OR
, welcher vorsieht, dass eine Statutenänderung - wie die Verlegung des Sitzes der AG - gegenüber Dritten unmittelbar mit der Eintragung in das Handelsregister wirksam wird.
3.2.2
Die Ausnahmeregelung von
Art. 647 Abs. 3 OR
ist allerdings mit dem Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 zur Revision des Obligationenrechts (GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht) per 1. Januar 2008 aufgehoben worden (AS 2007 4791). Somit werden auch Statutenänderungen der AG gegenüber Dritten nach der allgemeinen Regel von
Art. 932 Abs. 2 OR
erst am Werktag nach der Publikation im SHAB rechtswirksam (Botschaft vom 19. Dezember 2001 zur Revision des OR, BBl 2002 3148, 3180 Ziff. 2.1.1.10; u.a. ECKERT, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2012, N. 11 zu
Art. 932 OR
; TAGMANN, a.a.O., N. 9 zu
Art. 34 HRegV
; VIANIN, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2008, N. 48 zu
Art. 932 OR
; VOGEL, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2. Aufl. 2012, N. 11 f. zu
Art. 932 OR
).
3.2.3
Die erwähnte Rechtsprechung (E. 3.2.1) stützt sich auf vor dem 1. Januar 2008 zugetragene Sachverhalte. In der Folge hat sich die Rechtslage in entscheidender Weise geändert: Mit Wegfall der Ausnahmebestimmung von
Art. 647 Abs. 3 OR
fehlt es der Rechtsprechung (
BGE 116 III 1
E. 2 S. 2), wonach es auch für Dritte auf die Löschung im Tagebuch des Handelsregisters ankomme, wenn der Betreibungsort gemäss
Art. 46 Abs. 2 SchKG
für eine AG zu bestimmen ist, an einer rechtlichen Grundlage. Zu Recht wird in der Lehre und der kantonalen Praxis geschlossen, dass nunmehr der in
Art. 932 Abs. 2 OR
festgelegte Zeitpunkt der Wirksamkeit der Sitzverlegung einer AG für die örtliche Zuständigkeit der Schuldbetreibungs- und Konkursbehörden massgebend ist (ECKERT, a.a.O.; im gleichen Sinn VIANIN, a.a.O.; VOGEL, a.a.O.; Urteil der Aufsichtsbehörde des Kantons Bern vom 5. Juli 2010, in: BlSchK 2011 S. 20). Unter die "Dritten" im Sinne von
Art. 932 OR
, auf welche die Änderung des statutarischen Sitzes Rechtswirkungen hat, fällt nach Rechtsprechung und Lehre auch das Betreibungsamt (
BGE 116 III 1
E. 2 S. 3; vgl.
BGE 44 III 10
E. 2 S. 15 f.; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, 1999, N. 73 am Ende zu
Art. 39 SchKG
; VIANIN, a.a.O., N. 45 zu
Art. 932 OR
mit Hinweisen). Einschlägig ist folglich die
BGE 139 III 293 S. 297
Rechtsprechung, wie sie in Anwendung der allgemeinen Regel gemäss
Art. 932 Abs. 2 OR
ergangen ist (vgl.
BGE 116 III 1
E. 2 S. 3 mit Hinweis auf
BGE 44 III 10
E. 2 S. 15 f.;
45 I 49
E. 2 S. 52 f.).
3.3
Nach dem Dargelegten ist - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und der Vorinstanzen - für das Betreibungsamt die Verlegung des Sitzes einer AG am Werktag nach der Publikation im SHAB wirksam (
Art. 932 Abs. 2 OR
). Vor dem auf die SHAB-Publikation folgenden Tag dürfen die Betreibungsämter auf Eintragungen im Handelsregister, von denen sie sonst Kenntnis erhalten, keine Rücksicht nehmen (
BGE 44 III 10
E. 2 S. 16;
45 I 49
E. 2 S. 53). Im konkreten Fall wurde die Verlegung des Sitzes der Beschwerdeführerin nach Wollerau im Handelsregister des Kantons Schwyz eingetragen und am gleichen Tag im Handelsregister des Kantons Zürich von Amtes wegen gelöscht (vgl.
Art. 124 Abs. 1 HRegV
). Die Sitzverlegung wurde im Tagesregister der beiden Handelsregister am 11. Oktober 2012 eingetragen und im SHAB vom Dienstag, den 16. Oktober 2012 publiziert. Diese Tatsachen sind unbestritten und gehen im Übrigen aus den Handelsregisterauszügen und Publikationen im SHAB hervor; sie liegen in den kantonalen Akten und gelten zudem als notorisch (
BGE 98 II 211
E. 4a S. 214; Urteil 5A_62/ 2009 vom 2. Juli 2009 E. 2.1, in: Pra 2010 Nr. 17 S. 120). Für das Betreibungsamt ist demnach die Sitzverlegung der Beschwerdeführerin am Mittwoch, den 17. Oktober 2012 wirksam geworden. Somit hat die Beschwerdeführerin ihren Sitz verändert, nachdem ihr die Konkursandrohung (am 11. Oktober 2012) zugestellt worden ist. Wenn die obere kantonale Aufsichtsbehörde zum Ergebnis gelangt ist, die Betreibung sei am bisherigen Ort fortzusetzen, und die Konkursandrohung bestätigt hat, sind weder
Art. 53 SchKG
noch andere bundesrechtliche Regeln verletzt worden. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
39403387-a85e-4637-9a5c-72cd40da2785 | Urteilskopf
136 IV 92
15. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause A., B. et C. contre Ministère public de la Confédération (recours en matière pénale)
1B_208/2009 du 13 janvier 2010 | Regeste
Art. 79 und 93 Abs. 1 BGG
; Beschlagnahme von Bankunterlagen.
Art. 93 BGG
ist auch auf die Beschwerde gegen Entscheide über Zwangsmassnahmen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts anwendbar (E. 3). Vorliegend wurde nicht aufgezeigt, dass die Beschlagnahme von Bankdokumenten einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 93
BGE 136 IV 92 S. 93
Dans le cadre d'une enquête dirigée notamment contre A. pour blanchiment d'argent et gestion déloyale des intérêts publics, le Ministère public de la Confédération (MPC) a rendu, le 16 janvier 2009, une ordonnance de séquestre de documents relatifs à trois comptes bancaires détenus auprès d'une banque X. de Zurich par les sociétés B. et C.
Par arrêt du 24 juin 2009, la I
re
Cour des plaintes du Tribunal pénal fédéral (TPF) a rejeté, dans la mesure de sa recevabilité, le recours formé par A., B. et C. Selon la Cour des plaintes, les soupçons de gestion déloyale - infraction préalable au blanchiment d'argent -, jugés insuffisants dans une précédente décision, étaient désormais suffisamment étayés. Les pièces séquestrées pouvaient être maintenues au dossier afin de permettre au MPC d'instruire plus avant.
A. et les deux sociétés précitées forment un recours en matière pénale. Ils concluent à l'annulation de la décision de séquestre du 16 janvier 2009.
Le Tribunal fédéral a déclaré le recours irrecevable.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Selon l'
art. 79 LTF
, le recours en matière pénale est irrecevable contre les décisions rendues par la Cour des plaintes, sauf si elles portent sur des mesures de contrainte.
2.1
La notion de mesures de contrainte, au sens des
art. 79 LTF
et 28 al. 1 let. b de la loi fédérale du 4 octobre 2002 sur le Tribunal pénal fédéral (LTPF; RS 173.71), se réfère selon la jurisprudence aux mesures investigatrices ou coercitives prises, à titre incident, au cours du procès pénal, telles que l'arrestation, la détention, le séquestre, la fouille, la perquisition (cf.
art. 45 ss DPA
[RS 313.0];
ATF 133 IV 278
consid. 1.2.2 p. 281;
131 I 52
consid. 1.2.3 p. 55;
120 IV 260
consid. 3b p. 262). Le législateur a ainsi désiré éviter que l'effet de décharge voulu par le transfert des compétences au TPF ne soit réduit à néant par l'ouverture systématique du recours au Tribunal fédéral (Message du 28 février 2001 concernant la révision totale de l'organisation judiciaire fédérale, FF 2001 4030). Ainsi, seules les mesures de contrainte telles que la mise et le maintien en détention provisoire et la saisie de biens peuvent faire l'objet d'un recours car il s'agit là de mesures graves qui portent atteinte aux droits fondamentaux (FF 2001 4030/4031).
BGE 136 IV 92 S. 94
2.2
En l'occurrence, le recours porte sur le séquestre de documents bancaires relatifs à trois comptes détenus par B. et C. auprès d'une banque de Zurich, ces documents étant susceptibles de servir de moyens de preuve. Il s'agit là en soi d'une mesure de contrainte (cf. l'arrêt 1B_174/2007 du 12 novembre 2007 rendu dans le cadre de la même procédure).
3.
Il y a toutefois lieu de se demander si, en tant que décision incidente, une telle mesure ne doit pas être soumise à la disposition restrictive de l'
art. 93 LTF
, selon laquelle le recours n'est recevable qu'en présence d'un préjudice irréparable (al. 1 let. a) ou si son admission est susceptible de conduire immédiatement à une décision finale permettant d'éviter une procédure probatoire longue et coûteuse (let. b).
3.1
Certains auteurs considèrent le recours selon l'
art. 79 LTF
comme une voie de droit sui generis comportant des exigences propres (existence d'une mesure de contrainte), pour laquelle l'
art. 93 LTF
ne s'appliquerait pas. Cela était déjà le cas selon l'ancien droit, et le législateur n'aurait pas entendu modifier la réglementation sur ce point. Le recours spécial prévu, en matière d'entraide judiciaire, à l'
art. 84 LTF
, fait l'objet d'une disposition particulière à l'
art. 93 al. 2 LTF
et rien de tel n'est mentionné pour le recours selon l'
art. 79 LTF
(AEMISEGGER/FORSTER, in Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2006, n
os
4-6 ad
art. 79 LTF
).
3.2
L'
art. 79 LTF
a pour seul but de décharger le Tribunal fédéral, en laissant en principe à la seule Cour des plaintes du Tribunal pénal fédéral le soin de statuer sur la légalité des mesures visées à l'
art. 28 LTPF
(FF 2001 4030). Le recours contre les mesures de contrainte fait ainsi figure d'exception, et l'effet de décharge voulu par le législateur se trouverait fortement réduit si l'
art. 93 LTF
ne devait pas s'appliquer dans ce cadre. Les
art. 90 ss LTF
constituent des dispositions générales de procédure, destinées à s'appliquer à l'ensemble des recours prévus par la LTF (UHLMANN, in Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2006, n° 3 ad
art. 90 LTF
). L'adjonction d'une disposition spécifique au recours en matière d'entraide judiciaire (
art. 93 al. 2 LTF
) s'explique par la nécessité d'une réglementation plus restrictive encore dans ce domaine particulier (cf.
art. 80e al. 2 EIMP
[RS 351.1]). Dès lors, à défaut d'indication contraire dans la loi - et dans les travaux préparatoires -, il n'y a pas de raison de soustraire le recours prévu à l'
art. 79 LTF
du régime ordinaire. On ne voit pas,
BGE 136 IV 92 S. 95
enfin, pourquoi le recours devrait être exclu lorsqu'il est dirigé contre des décisions incidentes confirmées par les instances cantonales, et admis lorsque ces mêmes mesures ont été confirmées par la Cour des plaintes, alors que cette dernière est déjà censée assurer une application uniforme du droit fédéral (FF 2001 4031, selon lequel les mesures visées à l'
art. 79 LTF
doivent pouvoir être contrôlées par le Tribunal fédéral "au même titre" que les décisions cantonales similaires).
3.3
L'
art. 93 LTF
doit par conséquent trouver application dans le cas d'espèce. Il y a donc lieu de rechercher si la décision attaquée est susceptible de causer un préjudice irréparable au sens de l'
art. 93 al. 1 let. a LTF
. La clause prévue à l'
art. 93 al. 1 let. b LTF
(lorsque l'admission du recours est susceptible de conduire immédiatement à une décision finale) n'entre pas en considération en l'occurrence, s'agissant d'une simple mesure d'administration de preuves.
4.
L'exigence d'un préjudice irréparable correspond à celle que posait l'
art. 87 al. 2 OJ
pour le recours de droit public contre une décision incidente (
ATF 135 III 129
consid. 1.2.1). Le préjudice encouru doit être de nature juridique (
ATF 135 II 30
consid. 1.3.4 p. 36 et la jurisprudence citée), c'est-à-dire qu'il ne doit pas pouvoir être réparé par une décision finale ultérieure favorable au recourant. Un dommage de pur fait, comme la prolongation de la procédure ou un accroissement des frais de celle-ci, n'est pas considéré comme irréparable (
ATF 135 II 30
consid. 1.3.4 p. 36;
ATF 134 III 188
consid. 2.1 p. 190;
ATF 133 IV 139
consid. 4 p. 141 et les arrêts cités).
Quand bien même le Tribunal fédéral examine d'office la recevabilité des recours qui lui sont soumis, il appartient au recourant d'indiquer en quoi la décision préjudicielle ou incidente est susceptible de lui causer un dommage irréparable (
ATF 134 III 426
consid. 1.2 p. 429), à moins que cela ne fasse d'emblée aucun doute (
ATF 133 III 629
consid. 2.3.1 p. 632; MERZ, in Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2006, n° 76 ad
art. 42 LTF
; CORBOZ, Commentaire de la LTF, 2009, n° 18 ad
art. 93 LTF
).
4.1
Selon la jurisprudence, les mesures relatives à l'administration des preuves - telle la saisie probatoire de documents bancaires - ne causent en principe pas au titulaire du compte un préjudice irréparable (
ATF 134 III 188
). Si les recourants obtiennent ultérieurement raison sur le fond, ou si les pièces saisies sont écartées du dossier et leur sont restituées, les effets de la mesure attaquée auront
BGE 136 IV 92 S. 96
entièrement cessé. Il n'y a, en particulier, pas d'atteinte au pouvoir de disposer des fonds, et la saisie de la documentation n'empêche pas, en soi, la gestion des comptes bancaires.
4.2
En l'absence d'un préjudice irréparable évident, il appartiendrait aux recourants de démontrer que les conditions de recevabilité posées à l'
art. 93 LTF
sont réunies. Or, le recours est totalement muet sur cette question. Les recourants se contentent de relever qu'il y aurait lieu de mettre un terme aux longues et coûteuses investigations menées par le MPC. A l'appui de leur demande d'effet suspensif, ils se plaignent aussi d'un dommage irréparable, du fait que la procédure, fortement médiatisée en République Tchèque, les empêcherait de poursuivre leurs affaires dans ce pays. Ces inconvénients ne découlent pas de la mesure de saisie de la documentation bancaire, mais sont simplement liés à l'existence et à la prolongation de l'enquête pénale dans son ensemble. Ils ne sauraient dès lors constituer un préjudice irréparable, selon la jurisprudence rappelée ci-dessus. | null | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
394caa9e-979e-45c3-bb1f-b353aa6e92b5 | Urteilskopf
92 IV 20
7. Urteil des Kassationshofes vom 22. April 1966 i.S. Polentarutti gegen Meier und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
1.
Art 277 ter Abs. 2 BStP
,
Art. 18 Abs. 3 StGB
. Die vom Kassationshof in einem Rückweisungsentscheid getroffene Feststellung über die zulässige Reaktionszeit des Fahrzeugführers ist rechtlicher Natur und für die kantonale Behörde verbindlich. Eine weniger als eine halbe Sekunde dauernde Unaufmerksamkeit des Fahrzeugführers ist nicht als Fahrlässigkeit anrechenbar (Erw. 2).
2.
Art. 33 Abs. 2 SVG
,
Art. 6 Abs. 1 VRV
,
Art. 125 Abs. 1 StGB
. Das Stehenbleiben des Fussgängers auf dem Fussgängerstreifen darf im allgemeinen nicht als Verzicht auf das Vortrittsrecht ausgelegt werden. Kausalzusammenhang zwischen der Verletzung des Vortrittsrechts eines Fussgängers und der Körperverletzung eines andern, der, für sich allein betrachtet, nicht mehr vortrittsberechtigt gewesen wäre (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 21
BGE 92 IV 20 S. 21
A.-
Polentarutti wurde am Nachmittag des 6. Dezember 1963 auf dem Fussgängerstreifen, der nach der Einmündung der Dübendorferstrasse über die 12 m breite Winterthurerstrasse führt, von einem Personenwagen, den Meier lenkte, angefahren und verletzt. Er stellte Strafantrag wegen fahrlässiger Körperverletzung.
Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte Meier am 8. Dezember 1964 wegen Übertretung des
Art. 33 Abs. 2 SVG
und
Art. 6 Abs. 1 VRV
der fahrlässigen Körperverletzung (
Art. 125 StGB
) schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 200.--.
B.-
Der Kassationshof des Bundesgerichts hob am 9. April 1965 das Urteil des Obergerichts, gegen das Meier Nichtigkeitsbeschwerde führte, auf und wies die Sache zur Neubeurteilung zurück (
BGE 91 IV 78
).
Der Kassationshof nahm im Gegensatz zum Obergericht an, Meier habe, als er sich bereits bis auf rund 6 m dem Fussgängerstreifen genähert hatte, nicht damit rechnen müssen, dass auf so kurze Entfernung noch ein Fussgänger den Streifen betreten werde, um die Strasse zu überqueren. Polentarutti sei somit nicht vortrittsberechtigt gewesen, und Meier, der mit einer Geschwindigkeit von 22,5 km/Std fuhr, habe daher weder gegen
Art. 33 Abs. 2 SVG
noch gegen
Art. 6 Abs. 1 VRV
verstossen. Dagegen liess der Kassationshof offen, ob Meier, wie das Obergericht in der Eventualbegründung seines Urteils annahm, zu
BGE 92 IV 20 S. 22
spät gebremst und deshalb den Unfall durch Nichtbeherrschung des Fahrzeuges (
Art. 31 Abs. 1 SVG
) verschuldet habe, da über die Zeit, die zwischen dem Augenblick, in dem die Absicht des Fussgängers erkennbar wurde, und dem Zusammenstoss verstrich, hinreichende Feststellungen im angefochtenen Urteil fehlten.
C.-
Das Obergericht kam nach durchgeführter Beweisergänzung zum Ergebnis, dass Meier eine Nichtbeherrschung des Fahrzeuges nicht vorgeworfen werden könne und sprach ihn am 21. Dezember 1965 von der Anschuldigung der fahrlässigen Körperverletzung frei.
D.-
Gegen dieses Urteil erhob Polentarutti Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung des Angeklagten an das Obergericht zurückzuweisen.
E.-
Meier beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach dem Bericht der Chirurgischen Universitätsklinik erlitt der Beschwerdeführer neben leichten Schürfungen eine Hirnerschütterung, eine Schulterkollision und eine Fraktur des horizontalen Schambeinastes; bleibende Nachteile sind voraussichtlich nicht zu erwarten. Diese Verletzungen sind nicht schwere im Sinne des
Art. 125 Abs. 2 StGB
(
BGE 68 IV 84
und ständige Rechtsprechung). Zur Strafverfolgung bedurfte es daher gemäss
Art. 125 Abs. 1 StGB
des Antrages des Verletzten, weshalb dieser nach
Art. 270 Abs. 1 BStP
auch zur Nichtigkeitsbeschwerde befugt ist.
2.
Das Obergericht stellt fest, der am Rande des Trottoirs stehende Beschwerdeführer habe sofort nach dem Handzeichen, das er gab, in einem raschen hastigen Gehschritt die Fahrbahn zu überqueren begonnen und für den fast 4,5 m messenden Weg bis zur Kollisionsstelle mindestens zwei Sekunden gebraucht. In dieser Zeit hätte der Angeklagte Meier noch knapp anhalten können, selbst wenn ihm eine volle Sekunde Reaktionszeit zugestanden werde, die ihm nach den Umständen auch zugebilligt werden müsse. Wenn es trotzdem zur Kollision gekommen sei, so könne diese nur damit erklärt werden, dass der Angeklagte während eines Sekundenbruchteils ausser acht gelassen habe, was am rechten Fahrbahnrand vor sich ging. Eine Unachtsamkeit von so geringer Dauer könne jedoch nicht als strafrechtlich
BGE 92 IV 20 S. 23
erhebliches, fahrlässiges Nichtbeherrschen des Fahrzeuges bezeichnet werden.
In welcher Zeit ein Fahrzeugführer bei gebotener Aufmerksamkeit auf auftauchende Gefahren muss reagieren können, ist eine Rechtsfrage. Die im Rückweisungsentscheid dargelegte Auffassung des Kassationshofes, dass der Angeklagte auf Grund der Pflicht, vor Fussgängerstreifen, an denen sich Fussgänger bereit halten, besonders vorsichtig zu fahren (
Art. 33 Abs. 2 SVG
), hätte Bremsbereitschaft erstellen und innert 0,7 Sekunden reagieren müssen, war daher für das Obergericht verbindlich (
Art. 277ter Abs. 2 BStP
). Zur Bremsbereitschaft gehört übrigens nicht immer, dass der Fuss vom Gaspedal weggenommen und auf das Bremspedal gesetzt wird, sondern es kann je nach den Umständen schon genügen, dass sich der Fahrzeugführer auf die Möglichkeit, den Fuss vom Gas- auf das Bremspedal wechseln zu müssen, einstellt und durch diese Bereitschaft instand gesetzt wird, beim Auftreten der Gefahr ohne jede Verzögerung und wirkungsvoll bremsen zu können. Die Pflicht zur Bremsbereitschaft besteht auch für den, der sich in einer Kolonne einem Fussgängerstreifen nähert, an dem Fussgänger aufeine Gelegenheit zum Überschreiten der Fahrbahn warten, namentlich dann, wenn er dem vorausfahrenden Wagen, wie dies beim Angeklagten der Fall gewesen zu sein scheint, in einem grössern Abstand folgt.
Der Schlussfolgerung des Obergerichts, dass die Unaufmerksamkeit des Angeklagten gegenüber Polentarutti zu geringfügig gewesen sei, um sie als fahrlässige Nichtbeherrschung des Fahrzeuges zu ahnden, ist indessen auch zuzustimmen, wenn die zulässige Reaktionszeit statt auf eine Sekunde auf 0,7 Sekunden bemessen wird. Wird nämlich zu dieser Zeit die Bremszeit hinzugezählt und diese gestützt auf den verbindlich festgestellten Bremsweg von 3,3 m und die ebenfalls festgelegte Fahrgeschwindigkeit von 22,5 km in der Stunde oder 6,25 m in der Sekunde mittels der von Bosch (Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, 16. Aufl., S. 215) für diese Werte angegebenen Formel errechnet, so benötigte der Angeklagte zum Anhalten 1,75 Sekunden (0,7 + 1,05 sec.). Das bedeutet, dass er bei den mindestens zwei Sekunden, die ihm zur Verfügung standen, eine Viertels-, möglicherweise eine Drittelssekunde zu spät gebremst hat. Eine um weniger als eine halbe Sekunde verspätete Reaktion kann aber strafrechtlich nicht als Fahrlässigkeit angerechnet werden (
BGE 89 IV 105
).
BGE 92 IV 20 S. 24
3.
Das Obergericht legte in seinem Urteil vom 8. Dezember 1964 der rechtlichen Beurteilung des Unfalles ausschliesslich die Vorgänge zugrunde, die sich auf der rechten Strassenseite abspielten, und dies veranlasste das Bundesgericht, bei der Überprüfung des Falles von den gleichen tatsächlichen Voraussetzungen auszugehen, unter Ausserachtlassung dessen, was sich auf der linken Strassenhälfte zutrug. Wird jedoch richtigerweise das Geschehen auf dem ganzen Fussgängerstreifen in Betracht gezogen, worauf hinzuweisen im Rückweisungsentscheid des Kassationshofes unterlassen wurde, so gelangt man auf Grund dieses Sachverhalts zu einer andern rechtlichen Würdigung.
a) Frau Aimée Bühler, auf deren Aussagen das Obergericht im angefochtenen Urteil abstellt, hatte im Zeitpunkt, in dem sich die aus drei Wagen bestehende Autokolonne dem Fussgängerstreifen näherte, diesen mit ihrem dreijährigen Kind von der linken Strassenseite her bereits betreten und ungefähr die Strassenmitte erreicht, also etwa 6 m darauf zurückgelegt, als der erste der Wagen über den Streifen fuhr. Weil der zweite Wagen nicht anhielt, blieb sie in der Strassenmitte stehen, und dasselbe wiederholte sich, als der Wagen des Angeklagten, der nach den Angaben der Zeugin in einem Abstand von 20-25 m als dritter nachfolgte, mit unverminderter Geschwindigkeit dem Streifen zufuhr. Daraus ergibt sich, dass Frau Bühler in angemessener Entfernung vor dem Wagen des Angeklagten den Streifen betreten hat und somit vortrittsberechtigt war (Art. 49 Abs. 2 letzter Satz SVG,
Art. 47 Abs. 3 VRV
). Der Angeklagte hätte daher vor dem Streifen anhalten müssen, um Frau Bühler die ungehinderte Überquerung der Fahrbahn zu ermöglichen (
Art. 33 Abs. 2 SVG
,
Art. 6 Abs. 1 VRV
). Das Vortrittsrecht stand der Fussgängerin, auch ohne es besonders kundzutun, solange zu, als sie nicht eindeutig darauf verzichtete (
BGE 86 IV 40
,
BGE 89 II 53
,
BGE 90 IV 216
). Das hat sie entgegen der Auffassung des Obergerichts nicht getan. Ein eindeutiger Verzicht liegt nicht schon darin, dass der Fussgänger wegen eines herannahenden Fahrzeuges auf dem Streifen stehen bleibt (
BGE 89 II 54
). Im allgemeinen bleibt der Fussgänger auf dem Streifen nur stehen, weil das herannahende Fahrzeug, ohne seine Geschwindigkeit zu mässigen, zu rasch auf den Streifen zufährt und der Fussgänger sich deshalb der Gefahr ausgesetzt sieht, angefahren zu werden,wenn er die Überquerung der Strasse in der Fahrbahn des Fahrzeuges fortsetzt. Auch Frau Bühler hatte angesichts der unverminderten Geschwindigkeit
BGE 92 IV 20 S. 25
des Angeklagten nicht die Wahl, auf der rechten Strassenseite weiterzugehen oder stehen zu bleiben, wenn sie nicht für sich und das Kind Leib und Leben gefährden wollte. Eine derart erzwungene Nichtausübung des Vortrittsrechts ist kein Verzicht darauf. Der Angeklagte hat daher das Vortrittsrecht von Frau Bühler verletzt und sich dadurch der Übertretung von
Art. 33 Abs. 2 SVG
und
Art. 6 Abs. 1 VRV
schuldig gemacht.
b) Zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Angeklagten und dem eingetretenen Unfall besteht auch ein rechtserheblicher Kausalzusammenhang. Hätte der Angeklagte vorschriftsgemäss Frau Bühler den Vortritt gelassen und vor dem Streifen angehalten, wäre Polentarutti nicht angefahren und nicht verletzt worden, denn die beiden Fussgänger hätten sich auf dem Fussgängerstreifen, und zwar voraussichtlich in der Fahrbahn des Angeklagten gekreuzt. Ohne Belang ist, dass der Angeklagte durch das Nichthalten unmittelbar nur das Vortrittsrecht von Frau Bühler missachtet hat, während der Beschwerdeführer, als er es in Anspruch nahm, nicht mehr vortrittsberechtigt war. Die Rechtserheblichkeit des Kausalzusammenhanges würde nur fehlen, wenn das Verhalten des Beschwerdeführers ausserhalb des normalen Geschehens läge. Davon kann keine Rede sein. Es ist natürlich und entspricht der täglichen Lebenserfahrung, dass ein Fussgängerstreifen, auf dem schon Vortrittsberechtigte die Fahrbahn überqueren, auch noch von Fussgängern von der Gegenseite her betreten wird in der begründeten Erwartung, dass das Vortrittsrecht der bereits auf dem Streifen befindlichen Personen von herannahenden Fahrzeugführern respektiert werde. Mit der Möglichkeit, dass auch noch von rechts her Fussgänger auf den Streifen treten könnten, war um so mehr zu rechnen, als sich auf der rechten Strassenseite mehrere Personen am Streifen aufhielten und Frau Bühler erst die Strassenmitte erreicht hatte.
c) Meier ist demzufolge wegen fahrlässiger Körperverletzung zu bestrafen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 21. Dezember 1965 wird aufgehoben und die Sache zur Verurteilung des Beschwerdegegners Meier nach
Art. 125 Abs. 1 StGB
an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
394d2468-7b8f-468d-b745-b99f6a1e5040 | Urteilskopf
134 IV 193
20. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen A. und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
6B_235/2007 vom 13. Juni 2008 | Regeste a
Willkür in der Beweiswürdigung (
Art. 9 BV
). Natürlicher Kausalzusammenhang zwischen ungeschütztem Geschlechtsverkehr und HIV-Infektion.
Tragweite wissenschaftlicher Gutachten für den Nachweis der direkten Übertragung des HI-Virus (E. 4).
Regeste b
Fahrlässige schwere Körperverletzung (
Art. 125 Abs. 2 StGB
); fahrlässiges Verbreiten menschlicher Krankheiten (
Art. 231 Ziff. 2 StGB
). Fahrlässigkeit und erlaubtes Risiko (
Art. 12 Abs. 3 StGB
). Ungeschützte Sexualkontakte einer HIV-infizierten Person.
Wer konkrete Anhaltspunkte für die Möglichkeit der eigenen HIV-Infektion hat, ist gehalten, auf ungeschützte Sexualkontakte solange zu verzichten, wie er die eigene Infektion nicht mit hinreichender Sicherheit ausschliessen kann. Andernfalls schafft er pflichtwidrig eine Gefahr für die Rechtsgüter seiner Sexualpartner, die das erlaubte Risiko übersteigt (E. 8.1).
Eine Verurteilung der HIV-infizierten Person wegen (fahrlässiger) schwerer Körperverletzung fällt ausser Betracht, wenn der Partner mit dem ungeschützten Sexualkontakt einverstanden ist, ohne frühere Risikokontakte und damit die Möglichkeit einer HIV-Infektion des anderen ausschliessen zu können; es sei denn, auf Seiten des Opfers bestehe ein konkret entscheidrelevantes Wissensdefizit (E. 9.3). | Sachverhalt
ab Seite 195
BGE 134 IV 193 S. 195
A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führte gegen A. eine Strafuntersuchung wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung und vorsätzlichen Verbreitens menschlicher Krankheiten. Mit Einstellungsverfügung vom 26. November 2004 wurde das Strafverfahren eingestellt. Die Verfügung ist in Rechtskraft erwachsen.
Die Staatsanwaltschaft erhob indessen Anklage wegen fahrlässiger Begehung der gleichen Delikte. In der Anklageschrift vom 28. Juli 2005 wird A. vorgeworfen, er habe die Geschädigte X. beim ungeschützten Geschlechtsverkehr im Frühjahr/Sommer 2002 mit dem HI-Virus angesteckt. Dazu sei es gekommen, obwohl er früher mehrfach mit B. ungeschützt sexuell verkehrt und diese ihm im Juli 2000 mitgeteilt habe, dass sie HIV-positiv sei. Im Wissen um die Möglichkeit, von B. oder einer anderen Person mit dem HI-Virus angesteckt worden zu sein, habe A. es unterlassen, einen HIV-Test zu machen, und die Geschädigte über das Ansteckungsrisiko nicht aufgeklärt. Damit habe er den ungeschützten Geschlechtsverkehr - auf die Nichtexistenz der eigenen HIV-Positivität und das Ausbleiben einer Infizierung vertrauend - in pflichtwidriger Unvorsicht ausgeführt.
B.
Das Bezirksgericht Zürich sprach A. am 27. März 2006 der fahrlässigen schweren Körperverletzung (
Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB
) sowie der fahrlässigen Verbreitung menschlicher Krankheiten (
Art. 231 Ziff. 2 StGB
) schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 9 Monaten. Es verpflichtete ihn, der Geschädigten X. eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 30'000.- zu bezahlen und ihr den aus der HIV-Infizierung entstandenen Schaden vollumfänglich zu ersetzen. Für die Bemessung des Schadenersatzes verwies es die Geschädigte auf den Zivilweg.
C.
Gegen das Urteil des Bezirksgerichts erhob A. Berufung (im Schuldpunkt) und X. Anschlussberufung (im Zivilpunkt). Mit Urteil vom 28. März 2007 sprach das Obergericht des Kantons Zürich A. vollumfänglich frei. Auf die Zivilforderungen der Geschädigten trat es nicht ein.
BGE 134 IV 193 S. 196
D.
X. führt gegen das Urteil des Obergerichts vom 28. März 2007 Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der Beschwerdegegner der schweren fahrlässigen Körperverletzung im Sinne von
Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB
sowie der fahrlässigen Verbreitung menschlicher Krankheiten im Sinne von
Art. 231 Ziff. 2 StGB
schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen.
X. verlangt weiter, der Beschwerdegegner sei zu Schadenersatz und Genugtuung zu verpflichten, es seien ihm die Kosten des vorinstanzlichen und des vorliegenden Verfahrens vollumfänglich aufzuerlegen, und sie sei für beide Verfahren angemessen zu entschädigen. Schliesslich stellt sie ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
E.
Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich lässt sich mit dem Antrag auf Gutheissung der Beschwerde vernehmen. A. beantragt deren vollumfängliche Abweisung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Die Vorinstanz hält eingangs fest, es sei unbestritten, dass der Beschwerdegegner und die Beschwerdeführerin Anfang/Mitte Juni 2002 ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten. Der erste positive HIV-Test der Beschwerdeführerin datiere vom 14. August 2002. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit liege der Ansteckungszeitpunkt gemäss den Ausführungen des behandelnden Arztes, Dr. med. C., im Juni 2002, was durch das Gutachten von Prof. Dr. D. und Dr. E. vom Nationalen Zentrum für Retroviren der Universität Zürich vom 5. August 2004 bestätigt werde.
3.2
Die Vorinstanz würdigt das Gutachten vom 5. August 2004 als einziges direktes Beweismittel für die Frage, ob der Beschwerdegegner Ende Mai 2002 HIV-positiv gewesen sei und er das HI-Virus direkt auf die Beschwerdeführerin übertragen habe.
3.2.1
Die Sachverständigen führten im Gutachten aus:
"Beim Virus des Angeschuldigten handelt es sich um eine bisher nicht charakterisierte Rekombinante. (...) Mehrere Sequenzvergleiche mit verschiedenen Datenbanken aus der Schweiz und im öffentlichen internationalen Bereich ergaben keine nahe verwandten HIV-1-Isolate. Es handelt sich deshalb nicht um ein weit verbreitetes, gut charakterisiertes Virus."
"Aufgrund der Divergenzen gegenüber anderen uns zur Verfügung stehenden Isolaten mit Sequenzen des Subtyps A sowie der statistischen Tests
BGE 134 IV 193 S. 197
('Bootstrapping') ist an einem gemeinsamen phylogenetischen Ursprung der Probandenisolate nicht zu zweifeln."
Die zusammenfassende Beurteilung der Sachverständigen lautete:
"Für die Beurteilung einer möglichen Virusübertragung zwischen dem Angeschuldigten und der Geschädigten ist der Umstand relevant, dass die Sequenz MB15181_2 und MB15181_3 des Angeschuldigten einen gemeinsamen Ast mit allen Sequenzen der Geschädigten bilden, der durch die statistische Analyse ebenfalls sehr gut abgesichert ist. Die Isolate der Geschädigten entspringen aus einem Ast, der dem Angeschuldigten zuzuordnen ist, und sie liegen alle innerhalb des Sequenzenschwarms des Angeschuldigten."
"Die Infektion erfolgte deshalb in der Richtung vom Angeschuldigten auf die Geschädigte. (...) Diese Schlussfolgerungen sind ebenfalls vereinbar mit den klinischen Befunden, wonach aufgrund der niedrigen CD4-Werte des Angeschuldigten die Infektion bei ihm mit grosser Wahrscheinlichkeit früher als bei der Geschädigten erfolgte."
"Mit Hilfe der vorliegenden Virussequenzen kann zwar die Richtung der Virusübertragung festgestellt werden, es ist aber nicht möglich festzustellen, ob die Übertragung direkt oder indirekt, d.h. über eine in dieser Untersuchung nicht vertretene weitere Person, welche vom Angeschuldigten infiziert worden wäre und das Virus dann auf die Geschädigte übertragen hätte, erfolgte. Aufgrund der Tatsache, dass der wiederholte ungeschützte Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeschuldigten und der Geschädigten unbestritten ist und dass laut Akten in der fraglichen Zeit keine weiteren Sexualpartner vorhanden waren, kann eine Infektion der Geschädigten durch eine solche Drittperson jedoch praktisch ausgeschlossen werden."
3.2.2
Die Vorinstanz folgt den Ausführungen der Sachverständigen insofern, als sie feststellt, dass das HI-Virus der Beschwerdeführerin von jenem des Beschwerdegegners abstammt, mithin dieser bereits infiziert war, bevor sie (im Juni 2002) ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten. Hingegen erachtet sie den Schluss, eine Infektion über eine Drittperson könne praktisch ausgeschlossen werden, als unzulässig. Wesentlich sei die Aussage, es sei nicht möglich festzustellen, ob die Übertragung direkt oder indirekt erfolgte. Die Möglichkeit einer direkten Übertragung sei somit genau so wahrscheinlich wie die Möglichkeit einer indirekten Übertragung über eine oder mehrere Drittpersonen, was die Sachverständigen ausdrücklich offenliessen.
3.3
Die Vorinstanz prüft in der Folge, ob sich die Beschwerdeführerin bis zum positiven Testresultat im August 2002 auf indirektem Wege mit dem HI-Virus des Beschwerdegegners infiziert haben könnte.
BGE 134 IV 193 S. 198
3.3.1
Den Aussagen der Beschwerdeführerin zufolge käme in der Tat nur der Beschwerdegegner als Infektionsquelle in Betracht, weil er der einzige Mann gewesen wäre, mit dem sie ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte. Darauf sei aber nicht abzustellen. Gerade im Kernpunkt, nämlich der Frage, mit welchen Männern und wie oft sie in der fraglichen Zeit Geschlechtsverkehr hatte, habe die Beschwerdeführerin nicht konzis, widerspruchsfrei und gleichbleibend ausgesagt. Anfänglich habe sie ihre Beziehung zu F. zwischen April 2001 und Mai 2002 verschwiegen. Sodann habe sie zwar eine kurze Beziehung zu einer Discobekanntschaft ("G.") erwähnt, später aber einräumen müssen, dass sie mit G. im Mai 2002 zweimal Geschlechtsverkehr hatte. Ferner falle auf, dass sie zum Kontakt in der Disco aussagte, sie habe sich "immer geschützt", obwohl sie nur von einer Discobekanntschaft erzählte. Damit sei nicht auszuschliessen, dass die Beschwerdeführerin in der fraglichen Zeit noch mit anderen Männern verkehrte, und es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um ungeschützten Geschlechtsverkehr gehandelt habe.
3.3.2
Nach den Aussagen des Beschwerdegegners sei es im Juni/Juli 2002 zweimal zu ungeschützten sexuellen Kontakten mit H. gekommen, die in Spanien wohnt. Er habe sie für ein Wochenende in die Schweiz nach Zürich eingeladen, womöglich als die Beschwerdeführerin - vom 16. Juli 2002 bis 2. August 2002 - in Brasilien war. H. habe er zwei bis drei Monate vorher in Marbella kennen gelernt, wo es zum Geschlechtsverkehr gekommen sei.
3.3.3
Gestützt auf diese Aussagen kommt die Vorinstanz zum Schluss, es sei "denkbar und nicht völlig realitätsfremd", dass der Beschwerdegegner H. in Marbella mit dem HI-Virus infizierte und diese ihrerseits einem unbekannten Dritten das Virus weitergab, welcher es dann auf die Beschwerdeführerin übertrug. Damit fehle es am Nachweis einer direkten Übertragung des HI-Virus durch den Beschwerdegegner bzw. am Kausalzusammenhang.
3.4
Die Beschwerdeführerin begründet ihre Willkürrüge im Einzelnen wie folgt: Es gebe keine Hinweise darauf, dass sie im relevanten Zeitraum Juni 2002 noch mit weiteren Personen ungeschützt sexuell verkehrt habe. Die Möglichkeit, dass der Beschwerdegegner H. im Juni/Juli 2002 mit dem HI-Virus angesteckt haben soll, diese wiederum einen unbekannten Dritten, der das Virus im Juni 2002 auf sie übertragen haben könnte, sei eine rein theoretische Möglichkeit,
BGE 134 IV 193 S. 199
denn: (1.) All dies müsste sich innerhalb eines Monates, nämlich im Juni 2002, abgespielt haben. (2.) H. wohnte primär in Spanien und besuchte den Beschwerdegegner nur einmal in der Schweiz. (3.) Zu diesem Zeitpunkt weilte die Beschwerdeführerin gemäss Vorinstanz bereits in Brasilien, war also schon angesteckt. Die Variante, dass das HI-Virus über nur eine unbekannte Drittperson übertragen worden sei, just in dem Zeitraum (Juni 2002), als der Beschwerdegegner und die Beschwerdeführerin ungeschützten Geschlechtsverkehr praktizierten, erscheine als blosse Spielerei, zumal es sich bei dem festgestellten HI-Virus um eine seltene Virusart handle. Die Zweifel der Vorinstanz an der Tatbestandsverwirklichung seien höchstens theoretischer und abstrakter Natur, die auch in Berücksichtigung der Unschuldsvermutung nicht massgebend seien. Bezeichnend sei, dass nicht einmal mehr die Verteidigung vor Vorinstanz die objektive Tatbestandsverwirklichung in Frage gestellt habe.
4.
4.1
In der Lehre wird teilweise die Auffassung vertreten, dem Täter sei ein Kausalzusammenhang zwischen dem ungeschützten Geschlechtsverkehr und der HIV-Infektion des Opfers nur schwer nachzuweisen. Einerseits fehle es daran, wenn die Möglichkeit offenbleibe, dass sich das Opfer später oder auf anderem Wege angesteckt habe. Andererseits lasse sich aufgrund eines positiven Testresultats nicht auf einen bestimmten Übertrager schliessen, zumal es vorkommt und sogar eher wahrscheinlich ist, dass nach einem einmaligen Risikoverhalten noch keine Übertragung des Virus erfolgt (STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997,
Art. 231 StGB
N. 9; WILFRIED BOTTKE, Strafrechtliche Probleme von AIDS und der AIDS-Bekämpfung, in: Die Rechtsprobleme von AIDS, Bernd Schünemann/Gerd Pfeiffer [Hrsg.], Baden-Baden 1998, S. 180; PAUL BAUMANN, Strafrechtliche Probleme im Zusammenhang mit einer Aidsinfektion, in: Recht gegen Aids, Bern 1987, S. 139 f., 143 f.).
Nach heutigem Wissensstand kann indessen der Nachweis gelingen oder wenigstens erleichtert werden, wenn fest steht, wer sich zuerst infiziert hat (FRIDOLIN BEGLINGER, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, Basel 2003,
Art. 231 StGB
N. 41). Statistische Tests und ein Vergleich der Virenstämme ermöglichen unter Umständen sowohl Rückschlüsse auf die Infektionsquelle als auch auf den Zeitpunkt der Infektion (BEGLINGER, a.a.O.,
Art. 231 StGB
N. 41, mit zahlreichen Beispielen).
BGE 134 IV 193 S. 200
Genau dies leistet im vorliegenden Fall das Gutachten vom Nationalen Zentrum für Retroviren vom 5. August 2004. Aufgrund der DNA-Extraktion der Blutproben der Prozessbeteiligten, den Subtypenbestimmungen und phylogenetischen Analysen der HI-Viren ist erstellt, dass die Beschwerdeführerin mit einem zweifelsfrei vom Beschwerdegegner abstammenden HI-Virus infiziert wurde und dieser bereits vor Juni 2002 infiziert war. Davon geht auch der angefochtene Entscheid aus.
4.2
Die Vorinstanz verkennt allerdings die Tragweite der gutachterlichen Schlussfolgerung, wenn sie ausführt, die Frage nach der Übertragung durch eine Drittperson werde ausdrücklich offengelassen. Erfahrungswissenschaften verfahren methodisch-abstrakt, d.h., Aufschluss über den Untersuchungsgegenstand können sie nur so weit geben, wie es ihre bestimmte Methode zulässt. Was sich dem methodischen Zugriff entzieht, darüber kann ein wissenschaftliches Gutachten keine Aussage treffen. Es liegt auf der Hand, dass die Übertragung des HI-Virus "
über eine in dieser Untersuchung nicht vertretene weitere Person
" nicht ausgeschlossen werden kann. Um eine allfällige Trägerschaft des unbekannten Dritten mit dem HI-Virus überhaupt festzustellen und es mit den bekannten Virussequenzen vergleichen zu können, bedürfte es je einer Blutprobe, die fehlt. Die Aussage im Gutachten ist daher nichts anderes als ein methodischer Hinweis. Sie besagt keineswegs, dass die Wahrscheinlichkeit einer indirekten Übertragung mit jener einer Direktübertragung gleichzustellen wäre. Aus statistischen Gründen leuchtet nämlich unmittelbar ein, dass mit jeder weiteren Person, die in einer hypothetischen Kettenübertragung hinzugedacht werden muss, die Übertragungswahrscheinlichkeit - exponentiell - abnimmt. Offensichtlich unzutreffend ist daher die Auffassung der Vorinstanz, dass die Möglichkeit einer direkten Übertragung genauso wahrscheinlich sei wie jene einer indirekten Übertragung über mehrere Drittpersonen.
4.3
Die hypothetische Annahme, der Beschwerdegegner könnte H. in Marbella (Spanien) mit dem HI-Virus angesteckt haben, diese wiederum eine Dritt- bzw. Viertperson (in der Schweiz), welche dann die Beschwerdeführerin angesteckt hätte, ist im höchsten Mass unwahrscheinlich. Selbst wenn man zu Gunsten des Beschwerdegegners für das vorliegende Verfahren annimmt, er habe H. im Juni 2002 tatsächlich infiziert, bleibt sie eine bloss abstrakte Möglichkeit. Konkrete Anhaltspunkte dafür liegen nicht vor, weder für die (zweite) Übertragung des HI-Virus auf den unbekannten Dritten und noch weniger
BGE 134 IV 193 S. 201
für die (dritte) Übertragung auf die Beschwerdeführerin. Die Vorinstanz lässt vermuten, H. könnte das Virus dem Unbekannten bei ihrem Aufenthalt in der Schweiz weitergegeben haben, während die Beschwerdeführerin - vom 16. Juli 2002 bis 2. August 2002 - in Brasilien weilte, doch trug diese das Virus zum damaligen Zeitpunkt bereits in sich. Obwohl die Vorinstanz selbst feststellt, dass ihre Infektion "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" im Juni 2002 erfolgte, prüft sie alsdann die Hypothese einer unrealistischen Kettenübertragung bis August 2002. Damit setzt sie sich nicht nur in Widerspruch zu den eigenen Ausführungen, sondern weicht auch ohne triftige Gründe von den Feststellungen des behandelnden Arztes und der Gutachter ab.
4.4
Zusammenfassend stellt die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdegegner ein seltenes HI-Virus in sich trägt und das auf die Beschwerdeführerin übertragene Virus zweifelsfrei von diesem abstammt, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihre Ansteckung im Juni 2002 erfolgte und der Beschwerdegegner damals bereits infiziert war, und dass sie unbestrittenermassen im gleichen Zeitraum (Anfang/Mitte Juni 2002) mehrfach ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten. Bei dieser Sachlage bleibt die Hypothese einer indirekten HIV-Übertragung über mehrere Drittträger eine rein theoretische Möglichkeit, die vernünftige Zweifel an der Infizierung durch den Beschwerdegegner schlechterdings nicht zu begründen vermag. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz ist unhaltbar.
5.
5.1
Die Vorinstanz spricht den Beschwerdegegner vom Anklagevorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung und des fahrlässigen Verbreitens menschlicher Krankheiten auch mangels Fahrlässigkeit frei.
Der Eventualbegründung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Beschwerdegegner hatte in den letzten Jahren mit verschiedenen Frauen ungeschützten Geschlechtsverkehr. Dabei war ihm das Risiko, das mit ungeschützten sexuellen Kontakten einhergeht, bekannt und er wusste, wie man sich davor schützen kann. Er selber bezeichnete sein Verhalten als "Kamikaze". Im Juli 2000 eröffnete ihm eine seiner Sexualpartnerinnen, B., dass sie HIV-positiv sei. Danach vollzog er mit ihr den Geschlechtsverkehr nur noch mit Kondom. Eine eigene Infektion mit dem HI-Virus schloss er aus und einem HIV-Test unterzog er sich nicht, weil er nie irgendwelche Symptome eines
BGE 134 IV 193 S. 202
Primärinfektes, ähnlich einer Erkältung oder einer leichten Grippe, verspürte. Zu Gunsten des Beschwerdegegners geht die Vorinstanz davon aus, dass er sich kurz vor der Infizierung der Beschwerdeführerin - z.B. beim ungeschützten Geschlechtsverkehr mit H. - infiziert hat. Der Ursprung seiner Infektion blieb ungeklärt, wobei die Untersuchung ergeben hat, dass B. als Infektionsquelle ausgeschlossen werden kann.
Die Vorinstanz verneint eine Fahrlässigkeit vorab damit, dass keine Rechtspflicht bestehe, sich nach jedem ungeschützten Geschlechtsverkehr einem HIV-Test zu unterziehen, ehe man sich mit dem nächsten Sexualpartner auf einen ungeschützten Verkehr einlasse. Zu beachten sei sodann, dass das Ansteckungsrisiko pro Sexualkontakt zwischen 0,2-50 % betrage. Die Hälfte aller infizierten heterosexuellen Männer wisse während zehn Jahren nicht um ihre HIV-Infektion, 70-80 % der Neuinfizierten zeigten tatsächlich grippeähnliche Symptome (Fieber, Drüsen- und Lymphknoten-Schwellungen, usw.) und die "Fieberschubtheorie" sei in der Bevölkerung ziemlich weit verbreitet. Trotz des beruflichen Erfolgs und seiner Weltoffenheit könne dem Beschwerdegegner nicht mehr Wissen angelastet werden als dem Durchschnittsmenschen. Die Frage, ob er sich in guten Treuen auf das Ausbleiben von "Fieberschüben" habe verlassen dürfen, könne aber offenbleiben. Selbst wenn man eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit darin erblicken wollte, dass er sich nach der Eröffnung von B. (im Juli 2000) nicht auf das HI-Virus testen liess, fehlte es an der Voraussetzung des hypothetischen Kausalzusammenhangs. Da nämlich anzunehmen sei, dass er sich erst kurz vor der Beschwerdeführerin (im Juni 2002) das HI-Virus zugezogen habe, hätte ein HIV-Test zu jenem Zeitpunkt ein negatives Testresultat erbracht. Es könne somit nicht gesagt werden, dass sein Verhalten mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete.
5.2
Die Beschwerdeführerin wendet dagegen zusammengefasst ein, das Strafverfahren wegen (Eventual-)Vorsatzes sei nur deshalb eingestellt worden, weil die Staatsanwaltschaft davon ausgegangen sei, dem Beschwerdegegner lasse sich der Wille zur Tatbestandsverwirklichung nicht rechtsgenügend nachweisen. Als Fahrlässigkeit sei ihm aber vorzuwerfen, dass er im Wissen um die Möglichkeit seiner eigenen HIV-Infektion und der Ansteckungsgefahr ungeschützten Geschlechtsverkehr praktizierte, was zur HIV-Übertragung geführt hat. Wer einen konkreten Hinweis habe, dass er Träger des HI-Virus sein
BGE 134 IV 193 S. 203
könnte, und dennoch ungeschützt sexuell verkehre, verhalte sich nicht sorgfältig und überschreite das noch als zulässig zu bezeichnende Risiko. Das ergebe sich nicht zuletzt aus den Safer-Sex-Regeln. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz könne und müsse von jeder Person mit einem konkreten Hinweis auf die eigene HIV-Infektion verlangt werden, dass sie nur noch geschützten Geschlechtsverkehr praktiziere, bis sie das Risiko durch einen negativen HIV-Test ausgeschlossen habe.
6.
Der objektive Tatbestand der schweren Körperverletzung (
Art. 122 StGB
) sowie des Verbreitens menschlicher Krankheiten (
Art. 231 StGB
) ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts erfüllt, wenn die HIV-infizierte Person durch ungeschützte Sexualkontakte das HI-Virus auf eine andere überträgt (
BGE 116 IV 125
E. 4 und 5;
BGE 131 IV 1
E. 1 und 4). Subjektiv handelt (eventual-)vorsätzlich, wer im Wissen um seine HIV-Infektion und in Kenntnis der Übertragungsmöglichkeit den Partner nicht über die Infektion aufklärt und gleichwohl mit ihm ungeschützt sexuell verkehrt, obschon sowohl die Aufklärung als auch Schutzvorkehrungen ein Einfaches wären (
BGE 131 IV 1
E. 2.2 S. 6). Die fahrlässige Verursachung des Tatbestandserfolgs steht gemäss
Art. 125 Abs. 2 StGB
(schwere Körperverletzung) und
Art. 231 Ziff. 2 StGB
(Verbreitung menschlicher Krankheiten) ebenfalls unter Strafe. Das Bundesgericht hat sich bisher zur Strafbarkeit der HIV-Übertragung wegen Fahrlässigkeit noch nicht geäussert.
7.
7.1
Gemäss
Art. 12 Abs. 3 StGB
(in der Fassung des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002, in Kraft seit 1. Januar 2007) handelt fahrlässig, wer die Folgen seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt (Satz 1). Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Satz 2).
7.2
Der Ausgangspunkt aller Vorsichts- bzw. Sorgfaltspflichten liegt im prinzipiellen Verbot, fremde Rechtsgüter zu gefährden. Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der im Einzelfall zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften. Das Gleiche gilt für entsprechende allgemein anerkannte Verhaltensregeln (in Form von Empfehlungen, Richtlinien, Merkblättern usw.), auch wenn diese keine
BGE 134 IV 193 S. 204
Rechtsnormen darstellen (
BGE 118 IV 130
E. 3a S. 133 mit Hinweisen; ferner
BGE 126 IV 13
E. 7a/bb;
BGE 127 IV 62
E. 2d und e). Das schliesst nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann (
BGE 127 IV 62
E. 2d S. 65). Danach hat derjenige, welcher eine gefährliche Handlung ausführt, alles Zumutbare vorzukehren, damit die Gefahr nicht zu einer Verletzung fremder Rechtsgüter führt (ANDREAS DONATSCH/BRIGITTE TAG, Strafrecht I, 8. Aufl., Zürich 2006, S. 338).
Nach dem Prinzip des erlaubten Risikos lässt sich eine Gefährdung fremder Rechtsgüter, die über das allgemeine Lebensrisiko nicht hinausgeht, nicht verbieten, sondern gefordert werden kann nur die Einhaltung eines bestimmten Mindestmasses an Sorgfalt und Rücksichtnahme (
BGE 117 IV 58
E. 2b S. 61 f.; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., Bern 2005, § 9 Rz. 34 und 37 S. 159 f.). Beim erlaubten Risiko tritt an die Stelle des Verbots jeglicher Gefährdung das Gebot, die Gefahr auf dasjenige Minimum einzuschränken, das gar nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand ausgeschlossen werden kann, wenn man die entsprechende Tätigkeit überhaupt zulassen will (STRATENWERTH, a.a.O., § 9 Rz. 37 S. 160). Dabei geht es um die Frage, welche Risiken allgemein in Kauf zu nehmen sind, und nicht um eine Ermässigung der Sorgfaltsanforderungen (
BGE 117 IV 58
E. 2b S. 62).
7.3
Eine Sorgfaltspflichtverletzung ist nur anzunehmen, wenn der Täter eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen bzw. erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab der Adäquanz. Danach muss das Verhalten des Täters geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen (
BGE 133 IV 158
E. 6.1 S. 168;
BGE 131 IV 145
E. 5.1 S. 147 f.). Damit der Eintritt des Erfolgs dem Täter zuzurechnen ist, genügt seine blosse Vorhersehbarkeit nicht. Vielmehr stellt sich die weitere Frage, ob er auch vermeidbar war. Dazu wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Dabei genügt es für die Zurechnung des Erfolgs, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (
BGE 130 IV 7
E. 3.2 S. 11 mit Hinweisen).
BGE 134 IV 193 S. 205
8.
8.1
Für das Mass der zu beachtenden Sorgfalt im Zusammenhang mit der Übertragungsgefahr des HI-Virus ist von den Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit (sog. Safer-Sex-Regeln) auszugehen. Danach gilt als genügender Schutz vor einer HIV-Infektion der geschützte Geschlechtsverkehr mit geprüften Präservativen. Ausserhalb treuer Partnerschaften wird Safer Sex immer empfohlen, innerhalb treuer Partnerschaften jedem, der auch nur möglicherweise infiziert ist und eine eigene HIV-Infektion nicht mit hinreichender Sicherheit ausschliessen kann. Hinreichende Sicherheit bietet ein negativer HIV-Test nach Ablauf von drei Monaten (serologisches Fenster) seit der letzten Infektionsmöglichkeit, wozu jede sexuelle Handlung zählt, die nicht als Safer Sex gilt (BEGLINGER, a.a.O.,
Art. 231 StGB
N. 32, mit Hinweisen).
Das Problem des erlaubten Risikos stellt sich bei der Gefahr einer HIV-Übertragung namentlich insofern, als etliche Personen unerkannt Virusträger sind. In der Lehre ist umstritten, ob es diesen Personen erlaubt ist, unabgeschirmt gefährliche Kontakte einzugehen, obwohl sie womöglich mit ihrer HIV-Infektion rechnen müssen (für erlaubtes Risiko: KARL-LUDWIG KUNZ, Aids und Strafrecht, Die Strafbarkeit der HIV-Infektion nach schweizerischem Recht, ZStrR 107/1990 S. 49 ff.; ablehnend: BEGLINGER, a.a.O.,
Art. 231 StGB
N. 33; CHRISTIAN HUBER, Ausgewählte Fragen zur Strafbarkeit der HIV-Übertragung, ZStrR 115/1997 S. 116 f.; ferner
ders
., HIV-Infektion und AIDS-Erkrankung im Lichte des
Art. 231 StGB
sowie der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, SJZ 85/1989 S. 152 f.). Nach zutreffender Auffassung kann die Gefahr der Übertragung des HI-Virus nicht generell ein erlaubtes Risiko darstellen, das der Partner (z.B. der nichts ahnende Ehegatte bei einseitiger Untreue) in jedem Fall hinzunehmen hätte. Der gegenteiligen Auffassung, die darauf abstellt, dass mangels Rechtspflicht und zuverlässiger faktischer Erkennbarkeit kein Sorgfaltsgebot existiere, sich vor infektionsgefährdeten Kontakten der eigenen Gesundheit zu vergewissern (KUNZ, a.a.O., S. 52), kann nicht gefolgt werden. Zum einen vermag das Fehlen einer - ausdrücklichen - Rechtspflicht, sich einem HIV-Test zu unterziehen, die Frage nicht zu beantworten, unter welchen Umständen die Grenze des erlaubten Risikos überschritten wird. Zum anderen wird übersehen, dass sich die staatlichen Empfehlungen gerade an die nichtwissentlich HIV-Infizierten richten (BEGLINGER, a.a.O.,
Art. 231 StGB
N. 33).
BGE 134 IV 193 S. 206
Massgebend bleibt somit, ob der Risikostifter zur Zeit der Tat konkrete Anhaltspunkte für die eigene HIV-Infektion hat, was aufgrund der jeweiligen Umstände im Einzelfall zu beurteilen ist. Als Anhaltspunkt gilt grundsätzlich jeder erkannte bzw. bewusst erlebte Risikokontakt in der Vergangenheit, etwa ungeschützte Intimkontakte mit einer Person, deren sexuelles Vorleben er nicht kennt. Bei Vorliegen solcher Verdachtsmomente ist der Risikostifter gehalten, auf ungeschützten Geschlechtsverkehr solange zu verzichten, wie er die eigene HIV-Infektion nicht mit hinreichender Sicherheit ausschliessen kann. Wer trotz Kenntnis der Möglichkeit seiner HIV-Infektion in Missachtung der Safer-Sex-Regeln weiterhin ungeschützt verkehrt, handelt pflichtwidrig und schafft eine objektiv erhöhte Gefahr für die Rechtsgüter seiner Sexualpartner, die das erlaubte Risiko übersteigt.
8.2
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz steht fest, dass der Beschwerdegegner während mehreren Jahren mit verschiedenen Partnerinnen ungeschützt sexuell verkehrte. Die Möglichkeit, sich bei einem der Risikokontakte mit dem HI-Virus infiziert zu haben, konnte er nicht ausschliessen, weshalb er gehalten gewesen wäre, risikominimierende Schutzvorkehrungen zu treffen. Spätestens mit der Eröffnung von B., sie sei HIV-positiv, wurde ihm die Möglichkeit der eigenen HIV-Infektion unmissverständlich vor Augen geführt. In der Folge schützte er sich zwar beim Geschlechtsverkehr mit B., doch verkehrte er mit den übrigen Sexualpartnerinnen weiterhin ungeschützt. Damit missachtete er die Safer-Sex-Regeln und setzte seine Partnerinnen pflichtwidrig einem unerlaubten HIV-Infektionsrisiko aus.
8.3
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz besteht der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit nicht darin, der Beschwerdegegner habe sich keinem HIV-Test unterzogen. Vorzuwerfen ist ihm vielmehr nur, dass er beim Geschlechtsverkehr mit der Beschwerdeführerin die ihm zumutbaren Schutzvorkehrungen nicht getroffen hat, obwohl er zur Zeit der Tat konkrete Anzeichen für die eigene HIV-Infektion hatte. Die aufgeworfene (aber offengelassene) Frage, ob er sich in guten Treuen auf das Ausbleiben von Fieberschüben habe verlassen dürfen, ist zu verneinen. Aufgrund der staatlichen Kampagnen zur AIDS-Prävention gilt als bekannt, dass der ungeschützte Geschlechtsverkehr mit unbekannten oder wechselnden Sexualpartnern ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko mit sich bringt und das Risiko durch entsprechende Schutzmassnahmen zu minimieren ist (Benützen von Präservativen). Bei risikobelastetem Vorverhalten ist diese
BGE 134 IV 193 S. 207
Schutzmassnahme von jedermann zu verlangen, erst recht von einer gebildeten, weltoffenen und erfahrenen Person wie dem Beschwerdegegner. Unerheblich sind schliesslich die Überlegungen der Vorinstanz zum Ansteckungsrisiko im Allgemeinen. Die Pflicht zu Schutzvorkehrungen besteht unabhängig von der statistischen Wahrscheinlichkeit der Übertragung des HI-Virus. Denn es ist unmöglich zu wissen, ob nicht gerade der eine ungeschützte Sexualkontakt den Partner infiziert (
BGE 131 IV 1
E. 2.2 S. 6). Auf den diesbezüglichen Wissensstand kommt es weder beim vorsätzlich noch beim fahrlässig handelnden Täter an. Im Übrigen stellt die Tatbestandsvariante der unbewussten Fahrlässigkeit klar, dass die Unvorsicht nicht nur pflichtwidrig ist, wenn der Täter auf die Folgen seines Verhaltens keine Rücksicht nimmt, sondern auch, wenn er die Gefährdung für die Rechtsgüter des Opfers überhaupt nicht bedenkt (
Art. 12 Abs. 3 Satz 1 StGB
).
8.4
Nach dem Massstab der Adäquanz ist der ungeschützte Geschlechtsverkehr ohne weiteres geeignet, das HI-Virus auf den Partner zu übertragen, stellen ungeschützte sexuelle Kontakte doch den Hauptgrund für die HIV-Übertragung dar. Die Gefahr des Erfolgseintritts war somit voraussehbar. Hätte der Beschwerdegegner entsprechend den Safer-Sex-Regeln jeweils Schutzvorkehrungen getroffen, wäre die Beschwerdeführerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht infiziert worden. Damit ist auch die Voraussetzung der Vermeidbarkeit des Erfolgs gegeben. Zu prüfen bleibt, ob der Erfolgszurechnung das Verhalten der Beschwerdeführerin entgegensteht.
9.
9.1
Die Zurechnung des Erfolgs kann an der Selbstverantwortung des Opfers scheitern. In diesem Zusammenhang ist unter anderem zwischen Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung zu unterscheiden. Die Unterscheidung richtet sich danach, ob der Rechtsgutträger das Tatgeschehen derart beherrscht, dass er darin jederzeit und bis zuletzt steuernd einzugreifen vermag, oder aber das Gefährdungsgeschehen in den Händen des Dritten liegt (
BGE 125 IV 189
E. 3a;
BGE 131 IV 1
E. 3.2;
BGE 134 IV 149
E. 4.5, je mit Hinweisen).
Die Selbstgefährdung ist stets straflos. Die Mitwirkung daran (d.h. die Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung) ist es auch, solange der sich selbst Gefährdende das Risiko im selben Masse übersieht
BGE 134 IV 193 S. 208
wie der Mitwirkende. Die Straflosigkeit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung ergibt sich aus der Straflosigkeit des Suizids und - vorbehältlich
Art. 115 StGB
- der Teilnahme hierzu. Wenn schon die Teilnahme an einer Selbsttötung und auch an einer vorsätzlichen Selbstverletzung straflos bleibt, kann um so weniger die Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung strafbar sein. Dahinter steht die normative Wertentscheidung, dass kein Grund besteht, die Handlungsfreiheit einzuschränken, solange niemand gegen seinen Willen gefährdet wird (
BGE 131 IV 1
E. 3.2;
BGE 134 IV 149
E. 4.5).
Die Straflosigkeit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung findet ihre Grenze jedoch dort, wo der Veranlasser oder Förderer ein überlegenes Sachwissen in Bezug auf die in Frage stehende Gefahr hat (
BGE 125 IV 189
E. 3a S. 194) oder erkennt, dass das Opfer die Tragweite seines Entschlusses nicht überblickt. In diesem Fall schafft er ein Risiko, das vom Willen des Opfers nicht mehr gedeckt und dessen Verwirklichung daher dem Mitwirkenden zuzurechnen ist (
BGE 131 IV 1
E. 3.3 mit Hinweisen).
9.2
Nach der Rechtsprechung gilt der ungeschützte Sexualkontakt einer HIV-infizierten Person mit einem freiverantwortlich handelnden, informierten Partner als Mitwirkung an einer Selbstgefährdung und nicht als einverständliche Fremdgefährdung. Der entscheidende Gesichtspunkt ist, dass bei Sexualkontakten die Herrschaft über das Gefährdungsgeschehen grundsätzlich beiden Beteiligten zukommt. Sie haben es jederzeit in der Hand, noch rechtzeitig abzubrechen oder aber ein Kondom zu benützen bzw. darauf zu beharren, dass der Partner dieses verwendet (
BGE 131 IV 1
E. 3.4 S. 10). Im genannten Entscheid hat das Bundesgericht eine straflose Mitwirkung an einer Selbstgefährdung bejaht, weil das Opfer ab einem bestimmten Zeitpunkt wusste, dass sein Partner HIV-infiziert war, und sich dennoch freiverantwortlich auf ungeschützte sexuelle Kontakte mit ihm einliess. Zu verneinen war dagegen eine Straffreistellung in Bezug auf den Tatbestand des Verbreitens menschlicher Krankheiten (
Art. 231 StGB
). Bei Delikten der Gemeingefährdung, die sich ausschliesslich gegen öffentliche Interessen richten, kann es auf die Haltung oder das Wissen des zunächst Betroffenen nicht ankommen (
BGE 131 IV 1
E. 4 mit Hinweisen).
9.3
Entsprechendes muss gelten, wenn keiner der beiden Sexualpartner (mit Sicherheit) weiss, dass einer von ihnen HIV-infiziert ist.
BGE 134 IV 193 S. 209
Wer sich auf ungeschützte sexuelle Kontakte einlässt, ohne dass er frühere Risikokontakte und damit die Möglichkeit einer HIV-Infektion seines Partners ausschliessen kann, setzt sich selbst einer Gefährdung für seine Rechtsgüter aus. Die Zurechnung des Verletzungserfolgs scheitert daher in der Regel an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers, wenn sich das Risiko der HIV-Übertragung realisiert. Das gilt nach dem Gesagten jedoch nur, solange beide Sexualpartner das Risiko einer früheren HIV-Infektion und die Ansteckungsgefahr im gleichen Mass überblicken. Besteht auf Seiten des Opfers ein konkret entscheidrelevantes Wissensdefizit, ist die Selbstgefährdung nicht mehr von seinem Willen getragen und daher nicht freiverantwortlich. In diesem Fall ist die Risikoverwirklichung dem Mitwirkenden zuzurechnen (vgl. KUNZ, a.a.O., S. 55 f.).
9.4
Die Beschwerdeführerin verkehrte gemäss ihren eigenen Aussagen mit anderen Sexualpartnern nur geschützt, während sie in Bezug auf den Beschwerdegegner mit dem ungeschützten Geschlechtsverkehr einverstanden war. Umstände, wonach es ihr nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, sich selbst zu schützen und auf das Benützen eines Kondoms zu bestehen, sind nicht ersichtlich. Hingegen wusste nur der Beschwerdegegner, dass er mit der HIV-infizierten B. ungeschützt sexuell verkehrt hatte. Die Beschwerdeführerin hat er darüber nicht aufgeklärt. Ebenso wusste diese nicht, dass er sich danach keinem HIV-Test unterzogen und trotz der Information von B. weiterhin ungeschützte Sexualkontakte hatte, offenbar unbekümmert darum, welches die Folgen seines Verhaltens sein könnten. Darin liegt ein entscheidrelevantes Wissensdefizit. Denn es lässt sich nicht annehmen, und wird im angefochtenen Entscheid auch nicht festgestellt, dass die Beschwerdeführerin beim gleichen Kenntnisstand - insbesondere im Wissen um die früheren Risikokontakte des Beschwerdegegners mit B. und deren HIV-Posivität - noch immer mit dem ungeschützten Geschlechtsverkehr einverstanden gewesen wäre.
9.5
Dass sich der Beschwerdegegner das HI-Virus nicht bei B., sondern bei anderer Gelegenheit zugezogen hatte (E. 5.1), ändert nichts daran, dass die Beschwerdeführerin das HIV-Infektionsrisiko zur Tatzeit nicht im gleichen Mass überblicken konnte. War ihr Entschluss aber nicht freiverantwortlich und gewollt, scheidet die Annahme einer straflosen Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung aus. Auf Seiten des Beschwerdegegners bleibt belanglos, welches seine Infektionsquelle war. Richtig ist, dass es für die Zurechnung des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht genügt, dass
BGE 134 IV 193 S. 210
der Täter ein (unerlaubtes) Risiko für dessen Eintritt geschaffen oder gesteigert hat. Vielmehr muss sich im Erfolg gerade jenes Risiko verwirklicht haben, dessentwegen das Verhalten als pflichtwidrig gilt (zum Erfordernis des sog. Risikozusammenhanges siehe STEFAN TRECHSEL, a.a.O.,
Art. 18 StGB
N. 40; ANDREAS DONATSCH, Sorgfaltsbemessung und Erfolg beim Fahrlässigkeitsdelikt, Habilitationsschrift Zürich 1987, S. 189 ff.; STRATENWERTH, a.a.O., § 16 Rz. 21 S. 458 und § 9 Rz. 42 S. 163; CLAUS ROXIN, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl., München 2006, § 11 N. 69 ff., insbes. N. 84 ff. und 87; vgl. auch
BGE 133 IV 158
E. 6.1 S. 168). Dem Beschwerdegegner ist als Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen, dass er mit der Beschwerdeführerin ungeschützten Geschlechtsverkehr praktizierte, obwohl er sich in der Vergangenheit auf zahlreiche Sexualkontakte einliess, von denen er nicht wusste und nicht weiter abgeklärt hat, ob er sich dabei mit dem HI-Virus angesteckt hatte. Dadurch setzte er zunächst sich selbst und dann seine Partnerinnen einem HIV-Infektionsrisiko aus, das sich im Erfolg der Körperverletzung der Beschwerdeführerin realisiert hat (E. 4.4). Der erforderliche Risikozusammenhang ist damit gegeben, weshalb die Verwirklichung des Risikos dem Beschwerdegegner zuzurechnen ist.
9.6
Der Freispruch vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung (
Art. 125 Abs. 2 StGB
) und des fahrlässigen Verbreitens menschlicher Krankheiten (
Art. 231 Ziff. 2 StGB
) verletzt aus den dargelegten Gründen Bundesrecht. Die Beschwerde ist gutzuheissen. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
394e17f7-5e7a-450c-9000-5e15733ecc2d | Urteilskopf
116 Ib 418
52. Sentenza 25 aprile 1990 della I Corte di diritto pubblico nella causa Associazione svizzera del traffico e Fondazione svizzera per la tutela del paesaggio c. Comune di Medeglia, Consiglio di Stato e Gran Consiglio del Cantone Ticino, Dipartimento militare federale (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Anfechtbare Verfügung im Sinne von
Art. 97 OG
und
Art. 5 VwVG
; Beschwerdelegitimation gemäss
Art. 103 lit. c OG
in Verbindung mit
Art. 55 Abs. 1 USG
und
Art. 12 Abs. 1 NHG
.
1. Der Beschluss (decreto legislativo) des Grossen Rates, mit dem nach dem Recht des Kantons Tessin der Bau einer Strasse genehmigt wird, kommt einer Baubewilligung gleich und kann mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (E. 1a). Rechtliche Natur einer Vereinbarung zwischen Kanton und Bund über die Subventionierung: Frage offengelassen (E. 1b).
2. Ob eine Anlage der Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen sei, ist eine Frage der materiellen Beurteilung und nicht im Zusammenhang mit der Beschwerdelegitimation gemäss
Art. 55 Abs. 1 USG
zu untersuchen (E. 2).
3. Beschwerderecht, Voraussetzung der formellen Beschwer.
- Grundsätze, die sich aus
Art. 103 lit. a OG
ergeben; Ausdehnung auf
Art. 103 lit. c OG
(E. 3a).
- Bisherige Rechtsprechung zu
Art. 12 Abs. 1 NHG
(E. 3b) und zu
Art. 12 Abs. 3 NHG
(E. 3c).
-
Art. 55 Abs. 3 USG
verpflichtet die beschwerdebefugten Umweltschutzorganisationen, sich schon am unterinstanzlichen Verfahren zu beteiligen (E. 3); daraus folgt, dass das in
Art. 103 lit. c OG
vorgesehene Beschwerderecht in der Regel von der Teilnahme der Organisation am letztinstanzlichen kantonalen Verfahren abhängt, und zwar nicht nur, wenn sich diese auf
Art. 55 Abs. 1 USG
beruft, sondern auch, wenn sie sich auf
Art. 12 Abs. 1 NHG
stützt (Änderung der Rechtsprechung, E. 3e). Im vorliegenden Fall erfüllt diese Lösung auch allein das Gebot von
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
(E. 3f).
- Diese Grundsätze sind auf Verfahren nach
Art. 24 RPG
jedenfalls nicht direkt anwendbar (E. 3g); für das Beschwerderecht der Bundesbehörde gemäss
Art. 103 lit. b OG
haben sie keine Geltung (E. 3h).
4. Das Tessiner Recht entspricht den sich aus
Art. 55 Abs. 3 USG
ergebenden Anforderungen hinsichtlich öffentlicher Bekanntmachung und Einsprachemöglichkeit. Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdeführerin ihrer Pflicht zur Teilnahme am kantonalen Verfahren nicht nachgekommen, so dass auf ihre Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eingetreten werden kann (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 421
BGE 116 Ib 418 S. 421
A.-
La legge ticinese sulle strade del 23 marzo 1983 (LS) prevede che, dopo l'adozione di un piano direttore determinante le finalità della politica stradale (art. 8-10 LS), sono elaborati, in collaborazione con i comuni, i piani generali, soggetti a pubblicazione, reclamo e ricorso (art. 11-17 LS). In una terza fase sono allestiti dal Consiglio di Stato in collaborazione con i comuni i progetti esecutivi (art. 18-19 LS). Previo avviso sul Foglio Ufficiale, negli albi dei comuni coinvolti e agli interessati, questi disegni e il preventivo del finanziamento vengono esposti durante 30 giorni presso le cancellerie comunali (art. 20 cpv. 1 LS), mentre sono indicate sul terreno le modifiche da apportare allo stato dei luoghi (art. 20 cpv. 2 LS). Nei quindici giorni successivi alla scadenza della pubblicazione, i comuni e tutte le persone che dimostrano un interesse legittimo hanno facoltà di sollevare opposizione (art. 21 cpv. 1 LS), salvo che per gli oggetti già decisi con i piani generali (cpv. 2). Il Consiglio di Stato giudica sulle opposizioni e, quando la spesa è superiore ai fr. 200'000.--, sottopone poi i progetti al Gran Consiglio (art. 21 cpv. 3 LS). Davanti al legislatore cantonale possono ricorrere soltanto i comuni (art. 21 cpv. 4 LS). Il Gran Consiglio approva i progetti esecutivi, vota i crediti necessari e statuisce sui ricorsi dei comuni (art. 22 cpv. 1 LS). Nella susseguente procedura espropriativa sono improponibili opposizioni all'espropriazione e domande volte alla modificazione dei piani (art. 23 LS).
B.-
Il 25 febbraio/22 aprile 1985 il Direttore del Dipartimento cantonale delle pubbliche costruzioni e il Consigliere federale preposto al Dipartimento militare sottoscrissero una convenzione che, sotto riserva dell'approvazione dei crediti da parte delle Camere federali e del Gran Consiglio ticinese, garantiva un contributo della Confederazione pari al 70% dei costi per la costruzione della circonvallazione di Medeglia. Con risoluzione del 14 maggio 1985, pubblicata nel Foglio Ufficiale n. 40 del 17 maggio 1985, il Consiglio di Stato notificava di aver concluso l'elaborazione del progetto esecutivo, illustrava il finanziamento della spesa prevista (fr. 13'000'000.--) in base all'accordo stipulato con la Confederazione e previa deduzione di un contributo fisso di fr. 150'000.-- a carico del Comune di Medeglia, rammentava il diritto e il termine di opposizione e preannunciava la stesura di un messaggio speciale all'indirizzo del Gran Consiglio.
Contro tale progetto esecutivo furono insinuate da privati cinque opposizioni, su cui il Consiglio di Stato si pronunciò con
BGE 116 Ib 418 S. 422
decisioni del 24 settembre 1985, che non furono impugnate. Il Comune di Medeglia non adì l'autorità di ricorso. Con messaggio del 23 marzo 1988 il Consiglio di Stato sottopose l'oggetto, implicante una spesa riveduta di 16,6 milioni di franchi, al Gran Consiglio. La commissione della gestione presentò due rapporti: uno, di maggioranza, in favore del tracciato e delle condizioni sostenute nel messaggio, l'altro, di minoranza, che invitava a respingere il credito sollecitato, lamentando una carenza di ragguagli in particolare su una possibile sistemazione della strada esistente e sull'impatto ambientale del nuovo percorso. Previa discussione, il Gran Consiglio adottò il 25 ottobre 1988 un decreto legislativo del seguente tenore:
Art. 1. È approvato il progetto per la costruzione della circonvallazione di Medeglia e stanziato un credito lordo di fr. 16'600'000.--.
A detta spesa la Confederazione (DMF) contribuirà con il 70%, cioè fr. 11'620'000.--, e il Comune di Medeglia con un importo di fr. 150'000.--.
Art. 2. Il credito lordo verrà iscritto al conto investimenti del Dipartimento pubbliche costruzioni (810.501); i contributi e i sussidi alle corrispondenti entrate del medesimo conto (810.660.01 risp. 662.10).
Art. 3. Al termine dei lavori i due tratti di strada cantonale, nell'abitato di Medeglia e l'accesso alla frazione Canedo, verranno ceduti in proprietà e manutenzione al Comune di Medeglia.
Art. 4. Trascorsi i termini per l'esercizio del diritto di referendum, il presente decreto è pubblicato nel Bollettino ufficiale delle leggi e degli atti esecutivi ed entra immediatamente in vigore.
Il decreto è stato pubblicato nel Foglio Ufficiale del 4 novembre 1988, con indicazione del termine per la domanda di referendum, che non è stato utilizzato.
C.-
L'Associazione svizzera del traffico, sezione della Svizzera italiana, e la Fondazione svizzera per la tutela del paesaggio hanno introdotto il 5 dicembre 1988 un ricorso di diritto amministrativo al Tribunale federale contro questo decreto e contro la convenzione 15 febbraio/22 aprile 1985.
Le ricorrenti considerano il decreto impugnato come una decisione ai sensi dell'
art. 5 PA
e deducono la loro legittimazione dagli art. 55 LPA e 12 LPN. Nel merito, esse sostengono che la contestata approvazione dell'opera da parte del Gran Consiglio lede l'art. 9 LPA essendo stato omesso l'esame dell'impatto sull'ambiente, indispensabile perché la nuova strada graverebbe in notevole misura il territorio circostante. Simile obbligo avrebbe vincolato anche le autorità federali chiamate ad accordare
BGE 116 Ib 418 S. 423
contributi, ossia ad adempiere un compito della Confederazione secondo gli art. 2 lett. c e 3 cpv. 2 lett. c LPN. Le ricorrenti concludono pertanto che siano annullati tanto il decreto legislativo del Gran Consiglio quanto la convenzione 25 febbraio/22 aprile 1985.
D.-
Il Consiglio di Stato del Cantone Ticino, agendo anche in rappresentanza del Gran Consiglio, contesta che il decreto impugnato abbia carattere di decisione, nega che le ricorrenti siano legittimate ed eccepisce la tardività del gravame, nessuna opposizione essendo stata presentata dalle due organizzazioni al momento della pubblicazione del progetto. Nel merito, esso adduce che l'impugnativa è infondata, perché un esame d'impatto sull'ambiente non sarebbe stato necessario e perché le verifiche eseguite dagli organi competenti dimostrerebbero comunque che il progetto stradale rispetta sostanzialmente le norme applicabili.
Il Comune di Medeglia aderisce alle osservazioni del Consiglio di Stato e propone di respingere il ricorso, confermando il decreto legislativo del 25 ottobre 1988.
E.-
Il Dipartimento federale dell'interno è stato invitato ad esprimersi. Agendo per il tramite dell'Ufficio federale dell'ambiente, delle foreste e del paesaggio (UFAFP), esso propende a considerare determinante per l'approvazione del progetto la risoluzione 14 maggio 1985 del Consiglio di Stato, pubblicata nel FU del successivo 17 maggio, e da ciò inferisce la tardività del gravame. Esso opina inoltre che le organizzazioni ricorrenti non sono legittimate ai sensi dell'art. 55 LPA, poiché l'impianto controverso non sottostà all'esame dell'impatto ambientale giusta l'art. 19 LPA e la relativa ordinanza (OEIA). Per contro, sotto il profilo della LPN, esso è dell'avviso che la legittimazione debba esser riconosciuta alla Federazione svizzera per la tutela del paesaggio e che il gravame di questa sia tempestivo: trattandosi però di sovvenzioni facoltative, la competenza a deciderlo spetterebbe al Consiglio federale.
F.-
In un secondo scambio di allegati le ricorrenti, il Consiglio di Stato e l'UFAFP hanno sostanzialmente ribadito le loro opinioni.
G.-
A richiesta del Giudice delegato, il Dipartimento militare federale si è espresso a proposito dei sussidi federali e delle previsioni circa il traffico di veicoli militari. Alle ricorrenti è stata data occasione di formulare le loro osservazioni a tal riguardo.
H.-
L'effetto sospensivo richiesto dalle ricorrenti è stato conferito, a titolo superprovvisionale, il 22 dicembre 1988.
BGE 116 Ib 418 S. 424
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Il Tribunale federale esamina d'ufficio e liberamente se sono adempiute le condizioni di ammissibilità del rimedio giuridico proposto (
DTF 115 Ib 350
consid. 1;
DTF 114 Ib 308
consid. 1a, Ib 216 consid. 1 e rinvii). Giusta l'
art. 97 OG
in combinazione con l'
art. 5 PA
, il ricorso di diritto amministrativo è ammissibile contro decisioni delle istanze enumerate all'
art. 98 OG
che sono fondate sul diritto federale o avrebbero dovuto esserlo, ove non ricorra nessuno dei motivi di esclusione preveduti dagli
art. 99 a 102
OG o da altra legge federale.
a) Controverso è anzitutto se il decreto legislativo adottato dal Gran Consiglio costituisca una decisione ai sensi dell'
art. 5 PA
. Dal sistema del diritto ticinese che si è descritto risulta che il legislativo cantonale non si limita a stanziare il credito per l'esecuzione dei lavori, ma è chiamato ad approvare il progetto esecutivo. Come il Tribunale federale ha già avuto modo di accennare di transenna nella sentenza 28 aprile 1988 in re J, apparsa in RDAT 1989, n. 66, l'esame del Gran Consiglio comporta una valutazione dell'opera progettata e può tradursi in una modifica dei suoi elementi o addirittura nel rifiuto di convalida della prevista strada. Dall'approvazione del Gran Consiglio dipende la possibilità di dar inizio ai lavori; in eventuali procedure espropriative coloro che sono astretti a cedere diritti per l'esecuzione dell'opera non possono più chiedere la modifica dei piani, analogamente a quanto in materia di strade nazionali dispongono gli art. 26 segg. in combinazione con l'
art. 39 cpv. 2 LSN
. D'altronde il Gran Consiglio, quantomeno nei confronti dei comuni, è anche istanza di ricorso, ed ai fini di sapere se il decreto legislativo impugnato configuri una decisione non è rilevante che nella specie il Comune di Medeglia non abbia ricorso contro la progettata circonvallazione, ch'esso anzi auspica. Quanto risulta dal testo e dalla sistematica della legge è del resto confortato anche dai lavori legislativi: tando il messaggio governativo del 4 maggio 1982, quanto il rapporto della commissione speciale incaricata di esaminare il disegno di legge del 1o marzo 1983, sono concordi nell'affermare che il Gran Consiglio è l'organo cui compete l'approvazione definitiva e ch'esso può, scostandosi dalle conclusioni del Consiglio di Stato, adottare soluzioni diverse in merito alle censure mosse dagli interessati nella via dell'opposizione, benché questi non intervengano in
BGE 116 Ib 418 S. 425
quest'ultimo stadio. È appena necessario rilevare che ai fini della presente decisione come già nel caso citato pubblicato in RDAT, non è necessario sciogliere i dubbi che la regolamentazione ticinese può sollevare per riguardo alle esigenze poste dall'
art. 6 n. 1 CEDU
, né decidere come si debba procedere nel caso in cui la decisione del Governo, che si pronuncia sull'opposizione di un privato interessato, sia da questo impugnata con ricorso di diritto pubblico in pendenza della procedura di approvazione davanti al Gran Consiglio. Determinante per il presente giudizio è che il decreto legislativo del Gran Consiglio costituisce una decisione assimilabile ad una licenza di costruzione dell'opera. Discende da questa constatazione che - sotto riserva delle altre condizioni di ricevibilità ancora da esaminare - non fanno ostacolo all'ammissibilità del ricorso di diritto amministrativo né l'art. 99 lett. c OG (
DTF 115 Ib 506
consid. 2;
DTF 113 Ib 373
consid. 1b, ultimo capoverso e riferimento di dottrina), né la lett. e di tale disposto, relativa all'approvazione tecnica di un impianto (
DTF 114 Ib 216
/17, consid. 1b).
b) Più delicata appare invece la qualificazione dell'altro oggetto dell'impugnativa, cioè la convenzione 25 febbraio/22 aprile 1985 relativa al sussidiamento dell'opera da parte della Confederazione, rispettivamente l'approvazione di essa data dal Gran Consiglio.
Non è tuttavia necessario appurare se tale ratifica costituisca l'approvazione di un contratto di diritto amministrativo, ipotesi che parrebbe escludere una decisione impugnabile (GRISEL, Traité de droit administratif, pag. 863, n. 2b in fine; cfr. anche
DTF 105 Ia 210
consid. 2b;
DTF 103 Ib 337
consid. 4), oppure se il sussidio così garantito non rappresenti, come avanza nelle sue osservazioni il DMF, un contributo volontario che richiamerebbe l'applicazione dell'art. 99 lett. h OG (
DTF 112 Ib 313
consid. 2b;
DTF 110 Ib 300
consid. 1). Infatti, le censure ricorsuali non mirano a contestare la quota di spesa assunta dalla Confederazione, ma tendono a discutere la struttura dell'opera e la sua conformità con gli imperativi della protezione ambientale, della natura e del paesaggio; questioni queste che tutte andrebbero esaminate nel giudizio sulla fondatezza dell'approvazione del progetto data dal Gran Consiglio. La questione può quindi rimanere aperta, dal momento che l'annullamento di questa approvazione avrebbe per conseguenza che la convenzione non potrebbe esser applicata.
2.
Contrariamente all'opinione espressa in risposta dal Dipartimento federale dell'interno, il diritto di ricorrere non può
BGE 116 Ib 418 S. 426
esser denegato alle organizzazioni ricorrenti per il motivo che l'impianto controverso non soggiacerebbe all'esame dell'impatto sull'ambiente ai sensi degli art. 9 e 55 LPA. Allorquando un'organizzazione abilitata a ricorrere fa valere che una simile verifica sarebbe indebitamente stata omessa, essa adduce una violazione dell'art. 9 LPA ed il giudizio in proposito costituisce una questione di merito (
DTF 114 Ib 353
consid. 5a;
DTF 112 Ib 306
consid. 12a, 441 consid. 7e; MATTER, in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, n. 19 in fine ad art. 55).
3.
Le ricorrenti non sono intervenute nella procedura cantonale. Segnatamente esse non hanno interposto opposizione contro il progetto dell'opera al momento del suo deposito pubblicato sul Foglio Ufficiale del 17 maggio 1985; non risulta ch'esse si siano premurate di informarsi circa le opposizioni interposte da privati e la sorte che il Consiglio di Stato aveva loro riservato (decisioni del 24 settembre 1985); infine, le ricorrenti non sono neppur intervenute davanti al Gran Consiglio. Si pone quindi il problema di sapere se da questa mancata partecipazione alla procedura cantonale non debba esser dedotta l'inammissibilità del ricorso.
a) Quando la legittimazione a presentare ricorsi di diritto amministrativo è fondata sull'
art 103 lett. a OG
, è richiesto che il ricorrente abbia partecipato alla pregressa procedura davanti all'istanza inferiore e che le sue conclusioni siano state totalmente o parzialmente respinte. A questo requisito della cosiddetta "lesione formale" ("formelle Beschwer") si deve tuttavia tra l'altro rinunciare, ove il ricorrente non sia stato messo in grado, senza sua colpa, di prender parte al procedimento (
DTF 108 Ib 94
segg.;
DTF 99 Ib 76
/77; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2a edizione, § 15, 3.3, pag. 155; critico nel principio, ma concorde nell'esito perlomeno ove il ricorrente sia stato personalmente o per pubblico avviso invitato a partecipare, GRISEL, Traité de droit administratif, pag. 900, b). Coerentemente con tale impostazione procedurale, la giurisprudenza del Tribunale federale ha parallelamente dedotto dall'
art. 103 lett. a OG
, in relazione con la nozione di parte definita dall'
art. 6 PA
, l'obbligo per i Cantoni di ammettere davanti alle loro istanze, senza porre condizioni di legittimazione più restrittive, che sia abilitato a interporre successivamente ricorso di diritto amministrativo in virtù dell'
art. 103 lett. a OG
(
DTF 98 V 54
consid. 1;
DTF 101 V 123
consid. 1a;
DTF 103 Ib 147
consid. 3a;
DTF 104 Ib 381
;
DTF 108 Ib 250
d; 110
BGE 116 Ib 418 S. 427
Ib 40 consid. 2a). Sul filo di analoga argomentazione, l'obbligo per i Cantoni di consentire la partecipazione è stato esteso poi anche a favore di quelle persone, organismi o autorità che sono abilitati ad avvalersi del ricorso di diritto amministrativo in virtù dell'art. 103 lett. c OG (
DTF 107 Ib 175
consid. 3;
DTF 109 Ib 216
consid. 2b;
DTF 110 Ib 162
consid. 2a;
DTF 112 Ib 71
consid. 2).
b) Non compiutamente chiarita nella giurisprudenza è invece la questione di sapere se a questa facoltà degli enti legittimati secondo l'art. 103 lett. c OG faccia riscontro anche un obbligo di partecipare alla procedura davanti all'istanza inferiore. Per esaminarla, occorre tenere in considerazione, oltre l'art. 103 lett. c OG, la singola disposizione della legge specifica che introduce il diritto di ricorso, perché il legislatore può esser stato indotto ad adottare soluzioni differenziate secondo la materia.
Nel 1974, prima che la legittimazione delle organizzazioni fosse estesa alla procedura cantonale (
DTF 107 Ib 175
), il Tribunale federale in un caso d'applicazione dell'
art. 12 cpv. 1 LPN
si era chiesto se, per permettere alle organizzazioni abilitate ad esperire ricorso di diritto amministrativo al Tribunale federale (o ricorso amministrativo al Consiglio federale) di far uso di questo rimedio, si dovesse considerare che l'
art. 12 cpv. 1 LPN
conteneva una lacuna, da colmare riconoscendo a questi enti anche la facoltà di partecipare alla procedura cantonale e di provocare così un giudizio di ultima istanza, oppure se non si dovesse entrare nel merito del ricorso di diritto amministrativo da loro proposto rinunciando all'esigenza del previo esaurimento delle istanze cantonali, contrariamente a quanto richiede l'art. 98 lett. g OG. Il problema fu allora lasciato aperto, perché il ricorso di diritto amministrativo era irricevibile per altre ragioni (
DTF 100 Ib 452
/53 consid. 4).
Nel 1983, il Tribunale federale, sempre a proposito dell'
art. 12 cpv. 1 LPN
, ha riconosciuto a due organizzazioni nazionali, che non avevano partecipato alla procedura cantonale, la veste per proporre ricorso di diritto amministrativo contro una decisione di ultima istanza cantonale, osservando che l'art. 98 lett. g OG esige bensì che la decisione cantonale impugnata sia di ultimo grado, ma che l'
art. 12 cpv. 1 LPN
non prescrive alle organizzazioni di esaurire esse stesse le istanze cantonali (
DTF 109 Ib 216
segg., consid. 2b, sentenza del 6 dicembre 1983). Questa sentenza fa riferimento a
DTF 100 Ib 452
/53 consid. 4, che aveva posto il problema senza risolverlo, ed evoca le opinioni di MACHERET ("La
BGE 116 Ib 418 S. 428
qualité pour recourir, clef de la juridiction constitutionnelle et administrative du Tribunal fédéral", RDS 94/1975 II pagg. 185/86) e di RIVA (Die Beschwerdebefugnis der Natur- und Heimatschutzvereinigungen, Diss. Berna 1980, pagg. 105/106), omettendo tuttavia a torto di precisare che questi autori avevano proposto altre soluzioni, ed in particolare che RIVA considerava necessaria, in linea di principio, una lesione formale delle organizzazioni. Per esser completi va ancora sottolineato che, come risulta dalla sentenza (ibidem, pag. 125), l'esaurimento delle istanze cantonali era stato provocato da organizzazioni locali, analogamente al precedente caso non pubblicato Ligue suisse pour la protection de la nature c. Vaud, nel quale sul piano cantonale era intervenuta la sezione cantonale della stessa Lega, espressamente legittimata dal diritto cantonale (sentenza inedita 1o giugno 1983, consid. 3a).
La giurisprudenza di
DTF 109 Ib 216
che rinuncia per l'
art. 12 cpv. 1 LPN
al requisito della lesione formale è stata per questa disposizione ripresa da GRISEL (op.cit. pag. 908) ed estesa da LORETAN (Die Umweltverträglichkeitsprüfung, Diss. Zurigo 1985, pag. 169) all'art. 55 LPA, ma criticata da TRÜEB (Rechtsschutz gegen Luftverunreinigung und Lärm, Diss. Zurigo 1990, pag. 167 e nota 68 ivi), anche se quest'autore, per agevolare alle organizzazioni di importanza nazionale il loro compito, considera come sufficiente l'intervento nella procedura cantonale delle loro sezioni locali o regionali (loc. cit.), analogamente a quanto già in precedenza auspicato da RIVA (op.cit. pag. 105) ed a quanto sostanzialmente aveva ritenuto lo stesso Tribunale federale nella sentenza citata del 1o giugno 1983.
c) In questo contesto giova tuttavia osservare che se il legislatore della LPN nel 1966 - prima quindi della riforma dell'OG e dell'introduzione della PA - ha introdotto per le organizzazioni nazionali il diritto di ricorso sul piano federale omettendo di esprimersi circa la loro partecipazione alla precedente procedura cantonale, esso ha però contemporaneamente abilitato quelle stesse organizzazioni nella procedura di espropriazione retta dal diritto federale a presentare opposizioni e domande fondate sugli
art. 9 e 35 LEspr
(
art. 12 cpv. 3 LPN
). Per tale materia, attinente alla protezione del paesaggio, il legislatore ha quindi implicitamente richiesto che le organizzazioni intervengano sin dall'apertura del procedimento - cioè dal deposito dei piani (
art. 30 LEspr
) - dal momento che il ritardo nel presentare
BGE 116 Ib 418 S. 429
opposizione o domande di modifica dei piani comporta perenzione (
art. 39, 40 LEspr
;
DTF 112 Ib 549
consid. 1c;
DTF 111 Ib 29
e rinvii; cfr. inoltre in materia di strade nazionali, ove l'approvazione del progetto esecutivo (
art. 26, 27 LSN
) assume le funzioni dell'opposizione del diritto espropriativo (
DTF 112 Ib 549
consid. 1a). Si può, pertanto, dedurre da questa circostanza che il legislatore della LPN non ha quantomeno inteso erigere a principio generale che le organizzazioni siano libere d'intervenire a loro gradimento solo all'ultimo stadio del procedimento.
d) La LPA, entrata in vigore il 1o gennaio 1985, ha introdotto per le organizzazioni nazionali di protezione dell'ambiente, fondate da almeno dieci anni, il diritto di aggravarsi con il ricorso amministrativo al Consiglio federale o ricorso di diritto amministrativo al Tribunale federale contro decisioni cantonali o federali riguardanti la pianificazione, la costruzione e la trasformazione di impianti fissi soggetti all'esame dell'impatto sull'ambiente di cui all'articolo 9 in quanto tali rimedi siano contro di esse ammissibili (art. 55 cpv. 1 LPA). Nel contempo, tali organizzazioni sono state autorizzate ad avvalersi dei "rimedi giuridici previsti dal diritto cantonale" ("von den Rechtsmitteln im kantonalen Bereich Gebrauch zu machen" - art. 55 cpv. 3 LPA). Nel messaggio del 31 ottobre 1979 il Consiglio federale (
art. 49 del
progetto) aveva proposto un testo analogo, ma privo del requisito della durata minima e senza la menzione della facoltà di intervenire nella procedura cantonale (FF 1979 III 736 n. 338 in fine, 789, 815). La disposizione ha dato luogo a vivaci dibattiti parlamentari: approvata dal Consiglio nazionale nella versione odierna elaborata dalla maggioranza della sua commissione, ma respinta dal Consiglio degli Stati, essa venne riconfermata dalla Camera del popolo, questa volta a larga maggioranza e con appello nominale, ed infine accettata anche dalla Camera dei Cantoni (Boll.Uff. CN 1982, 462/76; 1983, 1183/98; CS 1983, 322/32, 520/23).
Disparati motivi furono nei dibattiti addotti tanto per abolire o restringere maggiormente il diritto di ricorso delle organizzazioni, quanto per allargarlo o estenderlo alle organizzazioni cantonali o regionali: così l'argomento federalista ed il rispetto delle autonomie locali; la questione della legittimazione democratica di queste organizzazioni e lo scrupolo di non mostrare diffidenza verso le autorità; il presupposto di un interesse specifico che fondi
BGE 116 Ib 418 S. 430
l'abilitazione a ricorrere e l'utilità di consentire una surrogazione del privato cittadino a difesa di beni collettivi privi di titolari specifici; il timore di uso eccessivo della facoltà di ricorso e l'esempio della moderazione con cui le organizzazioni si erano sin allora avvalse, ma con indubbio successo, dell'
art. 12 cpv. 1 LPN
; il pericolo di ritardi e di costi supplementari nell'esecuzione di opere private o pubbliche cagionati dall'esercizio di tale potestà ricorsuale (si veda il riassunto degli argomenti dell'intervento del Consigliere agli Stati AUBERT, Boll.Uff. CS 1983, 325 segg.). Tutti questi vantaggi o inconvenienti - secondo le prospettive discordi di fautori o opponenti - erano comunque riferiti, in maniera più o meno esplicita, alle ripercussioni paventate o auspicate sulle procedure cantonali, anche se il dibattito si focalizzò naturalmente sul principio stesso del diritto di ricorrere sancito dal cpv. 1. Il terzo capoverso dell'art. 55 (allora 49), inserito dalla Commissione del Consiglio nazionale, non suscitò dibattiti particolari: per la sua interpretazione sussidiano tuttavia gli interventi dei relatori Schmid e Petitpierre (Boll.Uff. CN 1982, 474, 473). Da essi traspare l'intenzione del legislatore di conferire alle organizzazioni, dissipando le incertezze che sussistevano nella LPN, la qualità per agire anche al livello cantonale, e questo non solo per evitare che errori divenissero irreparabili per il mancato esercizio di rimedi di diritto davanti alle istanze inferiori ed il conseguente difetto di una decisione impugnabile (Schmid, 472), ma anche per ragioni di economia, che impongono "que ceux qui ont des objections à faire valoir le fassent le plus tôt possible dans la procédure, si possible encore devant les autorités cantonales..." agendo "sur des objets limités dans le cadre de la hiérarchie des tribunaux administratifs ou des recours administratifs que nous connaissons parfaitement en ce qui concerne les recours individuels..." (Petitpierre, pagg. 473 e 474). Se ne deve concludere che l'introduzione dell'
art. 55 cpv. 3 LPN
non fu intesa semplicemente come la codificazione di principi che la giurisprudenza del Tribunale federale aveva elaborato o stava elaborando (MATTER, op.cit., n. 28 all'art. 55; TRUEB, op.cit., n. 11.4.6), ma intendeva sottolineare l'unità del procedimento e l'opportunità di un intervento precoce delle organizzazioni investite della tutela ambientale, proprio per potenziarne l'utilità e l'efficacia.
A queste indicazioni risultanti dai materiali legislativi si aggiunge un'altra considerazione. Introducendo la facoltà delle organizzazioni nazionali di avvalersi dei rimedi nell'ambito del diritto
BGE 116 Ib 418 S. 431
cantonale, il legislatore ha codificato il corrispondente obbligo per i Cantoni di ammetterle davanti alle loro istanze. Ma ciò non significa ch'esso abbia inteso privare i Cantoni della competenza loro costituzionalmente spettante di stabilire la procedura e di regolare con essa anche codesto intervento, alla condizione - beninteso - che la normativa cantonale non abbia per effetto di vanificare o intralciare l'applicazione del diritto federale, rendendo per le organizzazioni nazionali impossibile o eccessivamente difficile l'esercizio efficiente del compito di cui sono investite per volontà del legislatore federale. Rispettate che siano queste condizioni, si deve quindi ritenere che l'art. 55 cpv. 1 e 3 LPA non solo accorda alle titolari la facoltà, ma fa loro anche dovere di partecipare alla procedura cantonale. L'accresciuto dovere di diligenza che ciò comporta trova d'altronde riscontro nel compito di interesse pubblico che le organizzazioni nazionali hanno costantemente rivendicato e che il legislatore ha loro riconosciuto; alla predisposizione delle strutture e degli accorgimenti necessari per consentire tale intervento non si oppongono ostacoli insormontabili, quando si avverta che le organizzazioni possono avvalersi delle loro istituzioni regionali o locali, sovente legittimate dal diritto cantonale, e che possono agire in loro vece a detto livello. Questa interpretazione dell'
art. 55 cpv. 3 LPN
tiene d'altra parte conto della necessità - pure di eminente interesse pubblico - che le procedure di approvazione di opere pubbliche o private, soggette per la loro importanza sotto il profilo delle ripercussioni ambientali all'esame dell'impatto secondo l'art. 9 LPA, si svolgano in modo spedito per evitare rincari, e nello stesso tempo favorisce le esigenze della coordinazione. Un'interpretazione contraria dell'art. 55 LPA equivarrebbe invece a riconoscere che questa disposizione racchiude per le organizzazioni la prerogativa di adire - a loro piacimento - il Tribunale federale come istanza unica: una conseguenza che non può esser accettata né sotto il profilo del carico che ne deriverebbe per il supremo tribunale, né sotto il risvolto dell'efficacia dell'intervento a tutela della protezione ambientale di cui le organizzazioni sono investite.
e) Ne segue che il diritto di ricorso sancito dall'
art. 12 cpv. 1 LPN
e quello previsto dall'
art. 55 cpv. 1 LPN
devono esser intesi nella stessa maniera, non solo per gli evidenti legami fra le materie rette dalle due leggi, o ancor più per le visibili e strette similitudini fra la legittimazione accordata dall'una e dall'altra disciplina, ma anche perché la capacità ricorsuale inerente alla protezione della
BGE 116 Ib 418 S. 432
natura e del paesaggio è stata il termine di confronto utilizzato dal legislatore nel definire, adattare e introdurre la norma dell'art. 55 LPA, e perché le precisazioni desumibili da quest'ultima e più recente norma si ripercuotono sull'altra.
Una distinzione meticolosa tra l'art. 55 LPA e l'
art. 12 LPN
sarebbe d'altronde, per le cennate ragioni, difficilmente praticabile; inoltre, il risultato cui si perviene consente di eliminare ogni discordanza interpretativa tra il primo ed il terzo capoverso dell'
art. 12 LPN
(supra, c), e permette ai Cantoni di adottare, per l'approvazione di importanti opere pubbliche, come in casu la rete stradale cantonale, soluzioni analoghe a quelle previste dal diritto federale.
Di conseguenza, allorché il diritto di ricorrere previsto dall'art. 103 lett. c OG sia desunto dall'art. 55 cpv. 1 LPA o dall'
art. 12 cpv. 1 LPN
, oppure da entrambe queste disposizioni, occorrerà di regola che l'organizzazione ricorrente abbia partecipato alla procedura davanti all'ultima istanza cantonale. Per ovviare al rischio che essa non sia stata posta convenientemente in grado di intervenire nella procedura cantonale, bastano i principi che la giurisprudenza del Tribunale federale ha adottato in relazione al requisito della lesione formale nonché le esigenze a cui il diritto di procedura cantonale deve piegarsi per rispettare la facoltà di partecipazione delle organizzazioni garantita dal diritto federale.
f) A favore della partecipazione delle organizzazioni alla procedura cantonale in simili casi depone inoltre un ulteriore motivo. Il discusso progetto della circonvallazione di Medeglia è infatti un piano di utilizzazione speciale a norma della giurisprudenza (
DTF 112 Ib 166
consid. 2b e richiami;
DTF 111 Ib 14
consid. 3b), la cui approvazione deve soggiacere al riesame completo da parte di almeno un'autorità (
art. 33 cpv. 3 lett. b LPT
;
DTF 114 Ia 235
consid. 2b, 247 consid. 2b e rinvii;
DTF 114 Ib 88
). Solo le procedure cantonali, cui questa regola s'impone, sono in grado di adempiere sotto ogni rispetto simile esigenza (cfr. la disciplina sostanzialmente analoga del diritto vodese
DTF 112 Ib 168
consid. 4c). Davanti al Tribunale federale come giudice amministrativo possono invero essere addotti la violazione del diritto federale, compreso l'eccesso o l'abuso del potere di apprezzamento, e l'accertamento incompleto o inesatto di fatti rilevanti, con la restrizione risultante dall'
art. 105 cpv. 2 OG
(
art. 104 lett. a e lett. b OG
). Il motivo dell'inadeguatezza, che ricade nella competenza degli organismi
BGE 116 Ib 418 S. 433
cantonali, è invece escluso (art. 104 lett. c OG,
DTF 112 Ib 549
consid. 1d); inoltre il Tribunale federale, nell'esperire la cognizione attribuitagli, dà prova di riserbo qualora si tratti di valutare circostanze locali, tecniche o specialistiche, meglio conosciute e comprese dalle autorità precedenti (ibidem,
DTF 112 Ib 428
consid. 3 e citazioni). L'esigenza di una piena tutela giuridica, iscritta nel diritto federale, è perciò compiutamente ossequiata solo facendo capo ai rimedi istituiti dai Cantoni. Altrimenti il principio dell'
art. 33 cpv. 3 lett. b LPT
sarebbe disatteso, ogni qualvolta si muovano censure a piani di utilizzazione fondati sulla LPT o sulle norme esecutive federali e cantonali, accordando la possibilità di ricorrere direttamente alla massima giurisdizione senza prima avere adito i gradi anteriori. Una rinuncia all'esaurimento dei mezzi disponibili sul piano cantonale, impugnative di cui sono ammesse a valersi anche le organizzazioni che si preoccupano di tutelare l'ambiente e la natura, contraddirebbe la disposizione di legge e non garantirebbe alle ricorrenti un riesame completo delle critiche addotte.
g) Le considerazioni svolte qui sopra - sia precisato per evitare equivoci - non concernono direttamente le procedure istituite dai Cantoni a proposito delle costruzioni erette fuori delle zone edificabili secondo l'
art. 24 LPT
. Qualora il legislatore cantonale intenda prevedere un obbligo di partecipazione a carico delle organizzazioni legittimate in virtù degli
art. 12 LPN
e 55 LPA, egli dovrà vegliare a che l'adempimento dei compiti attribuiti a codesti organismi non sia reso impossibile o eccessivamente intralciato, vanificando così il diritto di ricorrere sancito dalle due cennate disposizioni del diritto federale: segnatamente un'eventuale esclusione dal procedimento cantonale di ricorso non potrà esser comminata né aver effetto prima che sia intervenuta la pubblicazione dell'autorizzazione eccezionale nell'organo ufficiale cantonale ai sensi dell'art. 25 cpv. 2 dell'ordinanza sulla pianificazione del territorio del 2 ottobre 1989 (OPT-RS 700.1).
h) Infine, le considerazioni che precedono non concernono neppure il diritto di ricorso delle autorità federali (Dipartimento competente o divisione competente dell'Amministrazione federale) previsto dall'
art. 103 lett. b OG
: l'esercizio di un tale diritto, che concretizza una funzione di vigilanza spettante alla Confederazione, non può esser subordinato ad una preventiva partecipazione al procedimento davanti all'istanza inferiore, come d'altronde risulta esplicitamente
BGE 116 Ib 418 S. 434
dall'obbligo di notificazione della decisione impugnabile sancito dall'art. 103 lett. b ultima frase OG.
4.
Come rilevato, le associazioni insorgenti non sono intervenute davanti a nessuna autorità cantonale. D'altra parte, risulta che le forme di divulgazione previste dalla legislazione ticinese, che ricalca in larga misura per le strade cantonali il sistema adottato dal legislatore federale per le strade nazionali, non sono in contrasto, per quanto riguarda la possibilità di intervento nella procedura, qui determinante, con le esigenze poste dall'art. 55 cpv. 3 LPA e dalla giurisprudenza del Tribunale federale.
In particolare, si deve ritenere che la procedura di opposizione istituita dal diritto cantonale sulla stregua di quella prevista per le SN rientra nella nozione larga dei "rimedi giuridici previsti dal diritto cantonale" ("Rechtsmittel im kantonalen Bereich") di cui all'art. 55 cpv. 3 LPA (cfr. TRUEB, loc.cit., n. 11.1.5 pag. 168). Si volesse lasciar aperta la questione di sapere se le organizzazioni oggi ricorrenti potessero astenersi dall'intervenire a questo stadio della procedura ed attendere che il Consiglio di Stato si fosse pronunciato, si dovrebbe allora ritenere che incombeva loro l'obbligo di interessarsi tempestivamente per conoscere se e quale decisione il Consiglio di Stato avesse adottato, dal momento ch'esse non potevano ignorare che una simile decisione doveva intervenire. Ciò avrebbe dato loro la possibilità di impugnare la decisione del Governo davanti al Gran Consiglio, tenuto in virtù della giurisprudenza del Tribunale federale (
DTF 103 Ib 147
consid. 3a) e dell'art. 55 cpv. 3 LPA a dichiarare ricevibile il loro gravame, anche se la legislazione cantonale legittima soltanto i comuni. Per tutelarsi d'altronde contro il pericolo che il Gran Consiglio rifiutasse di entrare in materia e che tale punto di vista fosse - contro ogni aspettativa - protetto dal Tribunale federale, le associazioni avrebbero potuto introdurre ricorso cautelare anche contro la decisione del Governo. Il ricorso di diritto amministrativo deve quindi esser dichiarato inammissibile per la totale inazione delle ricorrenti nella procedura cantonale e la carenza, pertanto, del requisito di una lesione formale. In simili condizioni, è superfluo esaminare se le organizzazioni ricorrenti, e segnatamente l'AST, adempiano le altre condizioni stabilite dall'art. 55 LPA; anche la questione di merito di sapere se l'art. 9 LPA fosse applicabile alla controversa correzione della strada cantonale può rimanere aperta. | public_law | nan | it | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
394ec8ae-b667-4247-9a7f-dc06567af159 | Urteilskopf
119 V 195
28. Auszug aus dem Urteil vom 21. April 1993 i.S. W., W. u. S. gegen Kanton St. Gallen (Versicherungskasse für das Staatspersonal) und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 73 und 74 BVG
,
Art. 51 BVG
.
- Der Richter nach
Art. 73 Abs. 1 und 4 BVG
ist auch im Rahmen der inzidenten Normenkontrolle jedenfalls dann nicht zur vorfrageweisen Beurteilung von Verfahrensfehlern beim Erlass reglementarischer oder statutarischer Bestimmungen zuständig, wenn der Mangel nicht derart schwer wiegt, dass er die Nichtigkeit der betroffenen Norm zur Folge hat (E. 3a und b).
- In casu Zuständigkeit zur Beurteilung einer geltend gemachten Verletzung des Anhörungsrechts gemäss
Art. 51 Abs. 5 BVG
verneint (E. 3c). | Erwägungen
ab Seite 196
BGE 119 V 195 S. 196
Aus den Erwägungen:
3.
a) Die Beschwerdeführer rügen wie schon im vorinstanzlichen Verfahren, dass die Übergangsbestimmung von
Art. 97 VVK
, auf welche sich das kantonale Finanzdepartement bei der Ablehnung der Forderung auf Ausrichtung einer Kapitalabfindung nach
Art. 41 VVK
stützt, in Verletzung der zwingenden bundesrechtlichen Bestimmung von
Art. 51 BVG
zustande gekommen sei, indem das in Absatz 5 dieser Bestimmung festgelegte Anhörungsrecht der paritätischen Verwaltungskommission nicht gewahrt worden sei. Nach dieser Vorschrift haben öffentlichrechtliche Vorsorgeeinrichtungen bei Erlass der reglementarischen Bestimmungen das paritätisch besetzte Organ anzuhören.
Die Vorinstanz ist auf die Rüge eingetreten mit der Feststellung, dass mit der Klage nach
Art. 73 BVG
insbesondere auch ein Verstoss gegen wesentliche Form- und Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden könne. Darin eingeschlossen sei die Rüge der Rechtswidrigkeit eines angewandten Rechtssatzes, nicht zuletzt im Lichte des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts. Bei Zweifeln über die Gültigkeit eines kantonalen Rechtssatzes seien Gerichte und Verwaltungsbehörden verpflichtet, vorfrageweise seine Bundesrechtsmässigkeit zu überprüfen und ihm allenfalls die Anwendung zu versagen. Es sei daher zu untersuchen, ob die Bestimmung von
Art. 97 VVK
unter Verletzung von
Art. 51 BVG
erlassen worden sei und welche Folgen gegebenenfalls an eine solche Verletzung zu knüpfen seien.
b) Nach der Rechtsprechung lässt das in
Art. 73 BVG
vorgesehene Klageverfahren mit anschliessender Verwaltungsgerichtsbeschwerde keine abstrakte Kontrolle von reglementarischen Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtungen im Sinne von
Art. 50 Abs. 1 BVG
- zu welchen Bestimmungen auch die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts erlassenen Vorschriften gehören (
Art. 50 Abs. 2 BVG
) - durch das Eidg. Versicherungsgericht zu (
BGE 115 V 372
,
BGE 112 Ia 185
E. 2c; vgl. auch MEYER, Die Rechtswege nach dem BVG, in: ZSR 106 (1987) I S. 616). Dagegen kann der Richter nach
Art. 73 Abs. 1 und 3 BVG
bei der Beurteilung eines konkreten Streitfalles im Rahmen der inzidenten Normenkontrolle (vorfrageweise) prüfen, ob einzelne reglementarische oder statutarische Bestimmungen bundesrechtswidrig sind. (
BGE 112 Ia 191
E. 4; MEYER, a.a.O., S. 617 oben). Fraglich ist, ob dies auch dann gilt, wenn nicht die materielle Bundesrechtswidrigkeit einer reglementarischen oder
BGE 119 V 195 S. 197
statutarischen Bestimmung gerügt wird, sondern der Umstand, dass bei deren Erlass Verfahrensvorschriften, insbesondere diejenigen über die paritätische Verwaltung gemäss
Art. 51 BVG
, nicht eingehalten worden sind.
aa) Gemäss
Art. 62 BVG
wacht die nach
Art. 61 Abs. 1 BVG
vom Kanton bezeichnete Aufsichtsbehörde darüber, dass die Vorsorgeeinrichtungen die gesetzlichen Vorschriften einhalten, indem sie u.a. die Übereinstimmung der reglementarischen Bestimmungen mit den gesetzlichen Vorschriften prüft (
Art. 62 Abs. 1 lit. a BVG
). Die Aufsicht umfasst auch die Prüfung der Frage, ob die Vorsorgeeinrichtung beim Erlass oder bei der Änderung von Reglementen und Statuten die geltenden Verfahrensvorschriften, insbesondere diejenigen von
Art. 51 BVG
, eingehalten hat. Bei öffentlichrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen ist darüber zu wachen, dass die nach
Art. 51 Abs. 5 BVG
geltende Pflicht zur Anhörung der paritätischen Organe befolgt wird.
Die Aufsichtsbehörde ist befugt, Massnahmen zur Behebung von Mängeln zu treffen (
Art. 62 Abs. 1 lit. d BVG
). Sie kann mit den gesetzlichen Vorschriften nicht übereinstimmende Reglemente oder Teile davon aufheben und den Vorsorgeeinrichtungen verbindliche Weisungen über die Ausgestaltung entsprechender Bestimmungen erteilen. Auf Anzeige oder Beschwerde der von einem Reglement oder Erlass einer Vorsorgeeinrichtung berührten Personen hat sie die Gesetzmässigkeit zu prüfen und die erforderlichen Massnahmen anzuordnen. Sie kann auch prüfen, ob ein Kassenreglement allenfalls verfassungsmässige Rechte der Arbeitnehmer verletzt oder sonst gegen die Bundesverfassung verstösst (
BGE 112 Ia 187
E. 3b mit Hinweisen).
Jeder Betroffene hat die Möglichkeit, entsprechende Verfahrensfehler bei der zuständigen Aufsichtsbehörde zu rügen, wozu ihm das Rechtsmittel der Aufsichtsbeschwerde offensteht (
BGE 112 Ia 188
E. 3d; MEYER, a.a.O., S. 621). Die Verfügungen der Aufsichtsbehörde können mit Beschwerde an die Eidg. Beschwerdekommission weitergezogen werden (
Art. 74 Abs. 2 lit. a BVG
). Deren Entscheide unterliegen gemäss
Art. 74 Abs. 4 BVG
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht.
bb) Zur Abgrenzung der Rechtswege nach
Art. 73 und 74 BVG
hat das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 115 V 373
E. 3 festgestellt, dass der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung in der Weise Rechnung zu tragen ist, dass die Zuständigkeit nach
Art. 73 BVG
ausgeschlossen und diejenige nach
Art. 74 BVG
gegeben ist,
BGE 119 V 195 S. 198
wenn der Rechtsstreit ausschliesslich oder doch überwiegend eine abstrakte Normenkontrolle zum Gegenstand hat. Damit wird insbesondere vermieden, dass der Rechtsuchende bei Änderungen von Reglementen oder Statuten praktisch stets die Möglichkeit hat, eine richterliche Überprüfung auf dem Weg von
Art. 73 BVG
herbeizuführen, was sich mit der vom Gesetzgeber gewollten Regelung nicht vereinbaren liesse. Dabei ist nicht zu übersehen, dass sich zwischen den Verfahren nach
Art. 73 und 74 BVG
Überschneidungen ergeben können, indem beispielsweise eine vom Bundesgericht im Rahmen seiner Kompetenz zur abstrakten Normenkontrolle nach
Art. 74 BVG
als gesetzmässig bezeichnete Reglementsbestimmung vom Eidg. Versicherungsgericht im Rahmen seiner Kompetenz zur inzidenten Normenkontrolle nach
Art. 73 BVG
als gesetzwidrig erachtet und deshalb im Einzelfall nicht angewandt wird (
BGE 115 V 374
unten,
BGE 112 Ia 191
E. 4).
Aus der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung folgt des weitern eine Abgrenzung nach der sachlichen Zuständigkeit in dem Sinne, dass die Beurteilung aufsichtsrechtlicher Fragen und Anordnungen in die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden und der Rechtsmittelinstanzen nach
Art. 74 BVG
fällt (MEYER, a.a.O., S. 624; SCHWARZENBACH-HANHART, Die Rechtspflege nach dem BVG, in: SZS 27 (1983) S. 208 f.). Dazu gehört der Entscheid über Massnahmen zur Behebung von Verfahrensfehlern bei Erlass von reglementarischen oder statutarischen Bestimmungen (
Art. 62 Abs. 1 lit. d BVG
). Während die Aufsichtsbehörde und die Rechtsmittelinstanzen nach
Art. 74 BVG
den Vorsorgeeinrichtungen die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften verbindlich vorschreiben können, fehlt dem Richter nach
Art. 73 Abs. 1 und 4 BVG
diese Kompetenz. Er hat einzig die Möglichkeit, die aufgrund eines festgestellten Verfahrensfehlers erlassene Regelung im konkreten Einzelfall nicht anzuwenden, was im Hinblick darauf, dass Verfahrensfehler häufig heilbar sind, nicht zu befriedigen vermag. Auch im Rahmen der inzidenten Normenkontrolle ist es dem Richter nach
Art. 73 BVG
daher grundsätzlich verwehrt, darüber zu entscheiden, ob reglementarische oder statutarische Bestimmungen unter Beachtung der verfahrensrechtlichen Vorschriften zustande gekommen sind. Ob dies auch dann zu gelten hat, wenn der Verfahrensfehler derart schwer wiegt, dass er ausnahmsweise die Nichtigkeit der Rechtsnorm zur Folge hat (ARV 1990 Nr. 23 S. 146; ZAK 1982 S. 84 E. 3, je mit Hinweisen; vgl. auch IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung,
BGE 119 V 195 S. 199
Band I, Nr. 40 S. 239 ff.), bedarf im vorliegenden Fall keiner näheren Prüfung.
c) Das Anhörungsrecht gemäss
Art. 51 Abs. 5 BVG
beinhaltet ein Recht auf Mitsprache und nicht auf Mitbestimmung, wie es nach den Absätzen 1 bis 4 dieser Bestimmung für privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen Geltung hat (RIEMER, Paritätische Verwaltung privat- und öffentlichrechtlicher Personalvorsorgeeinrichtungen gemäss BVG, in: SZS 29 (1985) S. 18). Die Verletzung dieser Konsultativpflicht (PFITZMANN, Die öffentlichrechtlichen Pensionskassen im BVG-Obligatorium, in: SZS 29 (1985) S. 236) wiegt nicht derart schwer, dass sie die Nichtigkeit der betroffenen Normen zur Folge hätte. Es handelt sich insofern um einen heilbaren Verfahrensmangel, als ohne weiteres die Möglichkeit besteht, eine allenfalls mangelhafte Anhörung auf gesetzeskonforme Weise nachzuholen. Während die Aufsichtsbehörde gestützt auf
Art. 62 Abs. 1 lit. d BVG
eine solche Massnahme anordnen und weitergehende Sanktionen für den Fall vorsehen kann, dass der Verfahrensfehler nicht innert gesetzter Frist behoben wird, könnte der Richter nach
Art. 73 Abs. 1 und 4 BVG
nur auf Nichtanwendbarkeit der in Frage stehenden Norm erkennen, was indessen ein unbefriedigendes Ergebnis zur Folge hätte. Würde nämlich der gerügte Verfahrensfehler zur Nichtanwendbarkeit der Übergangsbestimmung von
Art. 97 VVK
führen, so bliebe praktisch nur die Möglichkeit offen, die Beschwerdeführer vollständig den Leistungsbestimmungen der am 1. Januar 1990 in Kraft getretenen neuen Verordnung zu unterstellen. Eine allenfalls ersatzweise anwendbare Übergangsregelung besteht nicht, und es könnte weder auf anderslautende Verordnungsentwürfe, welche dem paritätischen Organ vor der Beschlussfassung durch den Regierungsrat vorgelegt worden waren, noch auf das aufgehobene frühere Verordnungsrecht abgestellt werden. Eine vollständige Unterstellung unter das neue Verordnungsrecht würde aber offensichtlich nicht dem Willen des Verordnungsgebers entsprechen. Die Übergangsbestimmungen dienen u.a. dazu, die erheblichen finanziellen Mehrbelastungen, die sich aus der Herabsetzung des Rentenalters der versicherten Männer um zwei Jahre ergibt, zu begrenzen. Es ist daher anzunehmen, dass diese Bestimmungen einen wesentlichen Bestandteil der Verordnungsrevision bildeten und die Neuordnung ohne die Übergangsregelung nicht in Kraft gesetzt worden wäre. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
39511f40-b7aa-48d1-8361-f504f8e7b900 | Urteilskopf
113 Ia 212
33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Juni 1987 i.S. Politische Gemeinde Winterthur und Grosser Gemeinderat Winterthur gegen Stadtrat Winterthur und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Autonomie der Stadt Winterthur beim Beschluss über eine Volksinitiative im Bereich des öffentlichen Verkehrs.
Ist streitig, ob eine kommunale Volksinitiative gegen kantonales Recht verstosse, fragt sich, ob die Gemeinde auf dem Gebiet, welches die Initiative beschlägt, autonom sei (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 212
BGE 113 Ia 212 S. 212
Die Sozialistische Arbeiterpartei Winterthur reichte am 3. September 1984 beim Grossen Gemeinderat der Stadt Winterthur die "Volksinitiative für die Einführung eines Umweltabonnements bei den städtischen Verkehrsbetrieben" ein; darin wird im wesentlichen die Einführung einer Umwelt-Monatskarte von Fr. 20.-- pro
BGE 113 Ia 212 S. 213
Monat sowie ein persönliches Umwelt-Monatsabonnement für AHV- und IV-Bezüger, Schüler, Studenten, Arbeitslose und Lehrlinge für Fr. 12.-- pro Monat verlangt.
Der Stadtrat Winterthur beantragte am 26. Februar 1986, die Volksinitiative sei, da sie kantonalem Recht widerspreche, als ungültig zu erklären. In der Sitzung vom 14. April 1986 erreichte dieser Antrag im Grossen Gemeinderat nicht die erforderliche Zweidrittelsmehrheit, um die Initiative für ungültig zu erklären. Gegen diesen Beschluss des Grossen Gemeinderates erhob der Stadtrat beim Bezirksrat Winterthur Beschwerde. Dieser entschied am 29. August 1986, die Initiative sei gültig und demnach dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Der Regierungsrat des Kantons Zürich erklärte dagegen aufgrund eines Rekurses des Stadtrates Winterthur die Initiative am 26. November 1986 als ungültig und hob den Beschluss des Grossen Gemeinderates Winterthur vom 14. April 1986 auf.
Die politische Gemeinde Winterthur und der Grosse Gemeinderat dieser Gemeinde verlangen mit staatsrechtlicher Beschwerde, der regierungsrätliche Entscheid sei aufzuheben. Sie rügen unter anderem eine Verletzung der Gemeindeautonomie.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen Bereich nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (
BGE 112 Ia 63
E. 3a, 270 E. 2a, 282 E. 3a;
BGE 111 Ia 253
E. 3, 331 E. 2;
BGE 110 Ia 206
E. 2a; je mit Hinweisen).
a) Die Gemeinde ficht einen kantonalen Entscheid über die Gültigkeit einer Initiative an. Auf dem Gebiet des Wahl- und Abstimmungsrechts, zu dem auch die Ordnung über die Initiativen gehört (vgl. dazu die § 96 bis 98 des Gesetzes über das Gemeindewesen vom 6. Juni 1926), geniessen die zürcherischen Gemeinden grundsätzlich keine Autonomie (
BGE 103 Ia 320
ff., 487 ff.; vgl. auch
BGE 109 Ia 45
E. 2c).
b) Freilich stellt sich die Frage hier unter einem besonderen Aspekt. Streitig ist, ob die Initiative wegen Verstosses gegen übergeordnetes kantonales Recht ungültig sei. Dies bedingt die Anwendung des kantonalen Gesetzes über die Staatsbeiträge für die Verkehrsbetriebe der Städte Zürich und Winterthur vom 2. Dezember
BGE 113 Ia 212 S. 214
1984 (Staatsbeitragsgesetz). Es geht dabei um die Ordnung des öffentlichen Verkehrs. Der Regierungsrat des Kantons Zürich macht nicht geltend, der Kanton habe für diesen Bereich eine abschliessende Regelung getroffen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Gemeinde Winterthur auf diesem Gebiet grundsätzlich eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zusteht. Da die zürcherischen Gemeinden nur innerhalb der Schranken von Verfassung und Gesetz autonom sind (Art. 48 KV) und derartige verfassungsmässige Schranken weder behauptet noch ersichtlich sind, reicht diese Autonomie aber nur so weit, als dies die kantonalen Gesetze zulassen. Bei dieser Rechtslage darf nämlich der kantonale Gesetzgeber durch Gesetzesänderung die von ihm einmal gezogenen Schranken nachträglich enger ziehen, solange nicht irgendwelche unmittelbar durch die Verfassung gewährleisteten Befugnisse oder Anforderungen berührt werden (vgl.
BGE 103 Ia 195
E. 3 mit Hinweis).
(Das Bundesgericht stellt fest, dass der Regierungsrat des Kantons Zürich nicht in Willkür verfallen ist, wenn er die Initiative "für die Einführung eines Umweltabonnements bei den städtischen Verkehrsbetrieben" als nicht kantonalrechtskonform bezeichnet und sie demzufolge als ungültig erklärt hat. Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.) | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
395bf0f6-fb5b-4d41-ad5e-dc03e88888a3 | Urteilskopf
117 II 394
73. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Oktober 1991 i.S. W. gegen A. (Berufung) | Regeste
Prozessuales Verhalten als unerlaubte Handlung im Sinne von
Art. 41 OR
.
1. Wenn das prozessbezogene Verhalten als solches und nicht das im Prozess zu beurteilende Ereignis eine rechtswidrige Handlung darstellt, besteht ein bundesrechtlicher Anspruch gegen den Schädiger auf Ersatz der dadurch entstandenen Prozesskosten. Der Geschädigte kann diesen Anspruch in der Regel in Konkurrenz mit einem allfälligen Anspruch aus dem kantonalen oder ausländischen Verfahrensrecht geltend machen (E. 3).
2. Materielle Voraussetzungen, unter denen ein prozessuales Verhalten eine Haftung gemäss
Art. 41 ff. OR
begründen kann (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 394
BGE 117 II 394 S. 394
A. erhob im April 1984 beim Obersten Gericht (Supreme Court) des Staates New York Klage gegen W. auf Zahlung von rund sechzehn Millionen US-Dollars. Mit Urteil vom 6. Juli 1988 trat das Gericht wegen Säumnis sowie mangels sachlicher und örtlicher Zuständigkeit nicht auf die Klage ein.
W. klagte seinerseits im August 1989 beim Appellationshof des Kantons Bern gegen A. mit dem Antrag, den Beklagten zur Zahlung eines gerichtlich zu bestimmenden, Fr. 8'000.-- übersteigenden Betrages nebst Zins zu verpflichten. Der Kläger forderte damit Schadenersatz und Genugtuung mit der Begründung, die Anhebung der New Yorker Klage sei als unerlaubte Handlung gemäss
Art. 41 OR
zu betrachten, durch die zudem seine Persönlichkeitsrechte im Sinne von
Art. 28 ZGB
verletzt worden seien.
BGE 117 II 394 S. 395
Mit Urteil vom 2. Oktober 1990 wies der Appellationshof die Klage ab. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass das New Yorker Prozessrecht die Prozesskostenfolgen ungeregelt lasse, wie er behaupte. Zudem stehe nicht fest, dass die vom Beklagten im New Yorker Verfahren gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe betrügerischen oder ähnlich unredlichen Verhaltens tatsächlich falsch seien; schliesslich habe der Kläger nicht beweisen können, dass seine geschäftliche Tätigkeit durch diesen Prozess beeinträchtigt worden sei.
Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung beim Bundesgericht eingelegt. Er hat im Berufungsverfahren einen Teil der vorinstanzlich erhobenen Klagebegehren fallengelassen und verlangt nur noch Ersatz für die Anwaltskosten sowie für sonstigen Aufwand, welcher ihm im Zusammenhang mit dem New Yorker Prozess erwachsen ist. In rechtlicher Hinsicht stützt er sich lediglich noch auf
Art. 41 OR
, ohne dass an der Behauptung einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte im Sinne von
Art. 28 ZGB
festgehalten wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Kläger wirft dem Appellationshof sodann eine Verletzung von
Art. 41 OR
vor, weil er seinen Anspruch aus unerlaubter Handlung zu Unrecht verneint habe. Er macht geltend, die New Yorker Klage sei vom Beklagten widerrechtlich angehoben worden; die ihr zugrunde liegenden Behauptungen seien wider besseres Wissen, mut- und böswillig aufgestellt worden. Die Klage habe ausschliesslich dazu gedient, ihm in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise Kosten zu verursachen, also absichtlich Schaden zuzufügen.
a) Aus dem angefochtenen Urteil geht hervor, dass der Appellationshof einen Anspruch des Klägers aus
Art. 41 OR
auf Ersatz der Anwaltskosten und sonstigen Aufwandes im Zusammenhang mit dem New Yorker Prozess nicht grundsätzlich verneint, sondern davon abhängig macht, ob die Kosten nach New Yorker Recht im Rahmen der prozessualen Kostenregelung oder eines "Adhäsionsprozesses" geltend gemacht werden können.
Diese Auffassung entspricht im wesentlichen der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Verhältnis zwischen Bundesrecht und kantonalem Prozessrecht bezüglich der Ersatzpflicht für vorprozessuale Parteikosten im Haftpflichtprozess. Solche Kosten
BGE 117 II 394 S. 396
bilden gemäss
BGE 117 II 106
E. 5 haftpflichtrechtlich Bestandteil des Schadens, soweit sie nicht durch die nach kantonalem Verfahrensrecht zuzusprechende Parteientschädigung gedeckt sind. Im letzteren Fall können diese Kosten nicht mehr in einem späteren Haftpflichtprozess geltend gemacht werden (
BGE 112 Ib 355
E. 3,
BGE 97 II 267
E. III. 5). Die gleiche Ansicht, von der abzuweichen im vorliegenden Fall kein Anlass besteht, wird auch in der Lehre vertreten (BREHM, N. 89 zu
Art. 41 OR
; OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. I, 4. Aufl., S. 57; KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Bd. II, S. 33 und 41). Die Verteilung der prozessualen Parteikosten, d.h. solcher Parteikosten, die im Verlaufe oder bei der Einleitung des Prozesses entstehen und auf diesen zurückzuführen sind, wird dagegen ausschliesslich vom anwendbaren Verfahrensrecht geregelt (
BGE 112 Ib 356
mit Hinweisen). Ob im Sinne vereinzelter Lehrmeinungen auch hier ein zusätzlicher bundesrechtlicher Anspruch auf Ersatz besteht, braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden (vgl. dazu OFTINGER, a.a.O., S. 57; STEIN, Wer zahlt die Anwaltskosten im Haftpflichtfall?, ZSR 1987 I. Halbband, S. 649 f. und S. 660).
b) Von diesen beiden Fallgruppen zu unterscheiden ist der Sachverhalt, wo das prozessbezogene Verhalten als solches und nicht das im Prozess zu beurteilende Ereignis eine rechtswidrige Handlung darstellt. Diesfalls geht der aus dem rechtswidrigen Verhalten entstehende Schaden, soweit es sich um Gerichts- oder Parteikosten handelt, im Gegensatz zu den bereits erörterten Sachverhalten unmittelbar auf das schädigende Ereignis zurück. Dass in solchen Fällen generell eine bundesrechtliche Haftung des Schädigers bestehen kann, ist in der Lehre anerkannt (OFTINGER/STARK, Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. II/1, S. 53 ff.). Auf der gleichen Grundlage beruht auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung. So hat das Bundesgericht erkannt, dass einer Partei, die durch eine ungerechtfertigte vorsorgliche Massnahme geschädigt wird, ein Schadenersatzanspruch aus
Art. 41 OR
zustehen kann, allenfalls in Konkurrenz mit einem Anspruch aus kantonalem Verfahrensrecht (
BGE 93 II 183
E. 9, 88 II 278 E. 3a). Ähnliches gilt für den Fall missbräuchlicher, böswilliger oder gegen Treu und Glauben verstossender Ausübung von Verfahrensrechten im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen oder eines zivilprozessualen Verfahrens (
BGE 113 Ia 107
E. 2e,
BGE 112 II 35
E. 2 mit Hinweisen).
Soweit es um den Ersatz der Prozesskosten allgemein, insbesondere aber der prozessualen Anwaltskosten geht, stellt sich auch in
BGE 117 II 394 S. 397
diesen Fällen die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem bundesrechtlichen Ersatzanspruch und den Vorschriften des massgebenden Verfahrensrechts. Während OFTINGER/STARK (a.a.O., S. 53 Rz. 158) die Meinung vertreten, unter dem Gesichtspunkt der Haftung gemäss
Art. 41 OR
falle die Parteientschädigungspflicht ausser Betracht (ebenso LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3. Aufl., N. 5 zu Art. 58 und NIKLAUS AMMANN, Die Entschädigungspflicht der Parteien im zürcherischen Zivilprozess, Diss. Zürich 1970, S. 30 f.), bejahen andere Autoren auch insoweit eine bundesrechtliche Anspruchsgrundlage. So beurteilt sich die Frage, ob eine Partei der anderen durch die Einleitung oder Bestreitung einer Klage widerrechtlich Schaden zugefügt hat, nach Auffassung von STRÄULI/MESSMER allgemein nach
Art. 41 ff. OR
(Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., N. 1 zu § 68). Schliesslich wird die Ansicht vertreten, es bestehe Anspruchskonkurrenz, welche dem Geschädigten erlaube, den Ersatzanspruch grundsätzlich unabhängig vom kantonalen Recht selbständig nach Bundesprivatrecht geltend zu machen (HUGO CASANOVA, Die Haftung der Parteien für prozessuales Verhalten, Diss. Freiburg 1982, S. 54).
Dieser letzten Betrachtungsweise ist zuzustimmen. Dafür spricht neben den von CASANOVA aufgeführten Argumenten auch der Grundsatz, dass verschiedene Normen vermutungsweise alternativ anwendbar sind, wenn die gesetzliche Ordnung für die gleichen Sachverhalte mehrere Rechtsbehelfe vorsieht, und eine Ausnahme nur für den Fall gilt, dass die eine Norm als Sonderbestimmung der anderen vorgeht (
BGE 114 II 136
E. 1b mit Hinweisen). Der Bestand einer verfahrensrechtlichen lex specialis lässt sich nur dort vertreten, wo der Prozess und der mit ihm verbundene Aufwand mit einer anderweitigen Rechtsverfolgung in Zusammenhang steht, somit bloss eine Nebenfunktion hat. Anders verhält es sich dagegen dann, wenn das Prozessverhalten selbst die deliktische oder auch vertragliche Anspruchsgrundlage bildet. Diesfalls besteht grundsätzlich ein selbständiger bundesrechtlicher Ersatzanspruch, dessen Durchsetzung nicht davon abhängt, ob das massgebende Verfahrensrecht seinerseits die Möglichkeit einer Deckung gibt. So verhält es sich - falls die Sachverhaltsdarstellung des Klägers richtig ist - auch im vorliegenden Fall. Daran ändert nichts, dass es sich bei dem allenfalls alternativ anwendbaren Verfahrensrecht nicht um kantonales, sondern um ausländisches Recht handelt, denn es sind keine triftigen Gründe ersichtlich,
BGE 117 II 394 S. 398
welche dafür sprechen würden, die beiden Sachverhalte unterschiedlich zu beurteilen.
4.
Der Appellationshof durfte demnach die Klage nicht schon mit der Begründung abweisen, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass das New Yorker Prozessrecht die Prozesskostenfolgen ungeregelt lasse. Er hätte sich vielmehr auch mit den Behauptungen des Klägers auseinandersetzen müssen, die Klage in New York habe eine schuldhaft rechtswidrige (
Art. 41 Abs. 1 OR
) oder sittenwidrige (
Art. 41 Abs. 2 OR
) Handlung dargestellt, die eine bundesrechtliche Ersatzpflicht nach sich ziehe.
Aus diesen Gründen ist die Berufung teilweise gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird zu beachten haben, dass bundesrechtlich nicht bereits jede erfolglose prozessuale Vorkehr eine Haftung gemäss
Art. 41 ff. OR
begründet. Zwar sind die Auffassungen hinsichtlich der Frage geteilt, ob das Einklagen einer nicht bestehenden Forderung als objektiv widerrechtlich zu betrachten ist (so SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Vorbemerkungen vor
Art. 1 OR
, N. 39; GUHL/MERZ/KUMMER, Schweiz. Obligationenrecht, 7. Aufl., S. 173) oder ob zusätzlich ein Normverstoss im Sinne des sogenannten Verhaltensunrechts erforderlich ist (so
BGE 93 II 183
E. 9,
BGE 88 II 280
E. 4; CASANOVA, a.a.O., S. 105 ff.). Es besteht indessen weitgehend Einigkeit darüber, dass eine Haftung nur bei sittenwidrigem, absichtlichem oder grobfahrlässigem Verhalten im Sinne von
Art. 41 OR
in Frage kommt (GUHL/MERZ/KUMMER, a.a.O., S. 173; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 35 zu
Art. 41 OR
; differenzierter CASANOVA, a.a.O., S. 145 ff.). Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass jeder Bürger grundsätzlich befugt ist, für Ansprüche, die er zu besitzen vermeint, den behördlichen Schutz anzurufen, sofern er in guten Treuen handelt (GUHL/MERZ/KUMMER, a.a.O., S. 173). Es widerspräche deshalb einem rechtsstaatlichen Grundprinzip, in jedem objektiv ungerechtfertigten Verfahren einen Haftungstatbestand nach Bundesprivatrecht zu erblicken und an eine lediglich leichtfahrlässige Fehleinschätzung der Rechtslage Schadenersatzfolgen zu knüpfen, welche über die rein prozessrechtlichen Folgen einer solchen Einschätzung hinausgehen (vgl. dazu auch die deutsche Lehre und Rechtsprechung: BGHZ 74 Nr. 2, BVerfG in NJW 1987 S. 1929; STAUDINGER/SCHÄFER, N. 258 ff. zu § 826 BGB; MERTENS, in MünchKomm, N. 483 zu § 823 und N. 167 ff. zu § 826 BGB). Letztlich knüpft die Haftung somit an eine missbräuchliche
BGE 117 II 394 S. 399
Inanspruchnahme eines staatlichen Verfahrens oder an ein treuwidriges oder böswilliges Verhalten in diesem Verfahren an. Dazu sind im vorliegenden Fall die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen noch zu treffen. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
395ef4d4-bf8f-4b35-a053-1206ac4bea37 | Urteilskopf
141 V 155
17. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. und Politische Gemeinde B. gegen Ausgleichskasse des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_586/2014 vom 3. März 2015 | Regeste
Art. 4 Abs. 1,
Art. 9 Abs. 1, 2 und 5 lit. a ELG
;
Art. 7 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 ELV
; Anspruch auf gesondert berechnete Ergänzungsleistungen.
Der Anspruch auf eine im Sinne von
Art. 7 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 ELV
gesondert berechnete jährliche Ergänzungsleistung setzt nicht einen bestehenden EL-Anspruch des (AHV- oder IV-)rentenberechtigten Elternteils voraus (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 156
BGE 141 V 155 S. 156
A.
Der in der Gemeinde B. wohnhafte A. ist geschieden. Seine beiden Kinder, D. und E., leben in einer Pflegefamilie. Im August 2011 stellten die Sozialen Dienste der Politischen Gemeinde B. ein Gesuch um Ergänzungsleistungen (EL) für die beiden Söhne von A., der seit 2011 eine ganze Rente der Invalidenversicherung bezog. Die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau (nachfolgend: Ausgleichskasse) berechnete für D. eine Ergänzungsleistung von monatlich Fr. 1'140.- ab 1. August 2011 und Fr. 1'141.- ab 1. Januar 2012, für E. Fr. 1'015.- und Fr. 1'016.- für die nämlichen Zeitspannen. Am 30. September 2011 erliess sie entsprechende Verfügungen. Mit Verfügung vom selben Tag verneinte die Ausgleichskasse einen EL-Anspruch von A. Die Berechnung ohne Berücksichtigung der Ausgabenüberschüsse der fremdplatzierten Kinder hatte einen Einnahmenüberschuss ergeben. Mit Verfügungen vom 8. Januar 2013 setzte die Ausgleichskasse die jährliche Ergänzungsleistung für 2013 für D. auf Fr. 1'139.-, für E. auf Fr. 1'014.- im Monat fest. Mit Verfügungen vom 6. September 2013 stellte die Ausgleichskasse die Leistungen auf Ende des Monats ein, wobei sie zur Begründung auf den fehlenden EL-Anspruch ihres Vater hinwies. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 6. Februar 2013 fest.
B.
Dagegen erhoben A. und die Politische Gemeinde B. Beschwerde, welche das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) zu der mit Wirkung ab 1. Januar 2012 geänderten Ziff. 2220.01 der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL), wozu die Parteien sich äussern konnten, mit Entscheid vom 4. Juni 2014 abwies.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen A. und die Politische Gemeinde B., der Entscheid vom 4. Juni 2014 sei aufzuheben, sein Anspruch auf Ergänzungsleistungen ab 1. Oktober 2013 sei zu bejahen und die gesondert berechneten Ergänzungsleistungen für seine beiden Kinder, E. und D., seien rückwirkend ab diesem Zeitpunkt und fortlaufend im bisherigen Umfang auszurichten; eventualiter sei die Sache an die Ausgleichskasse
BGE 141 V 155 S. 157
oder an das kantonale Verwaltungsgericht zurückzuweisen zur Abklärung des Sachverhalts und zur neuen Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung für die Kinder ab 1. Oktober 2013 sowie zur Ermittlung seines EL-Anspruchs und zu neuer Verfügung.
Die Ausgleichskasse ersucht um Abweisung der Beschwerde, das BSV um Gutheissung des Rechtsmittels.
A. und die Politische Gemeinde B. haben sich in einer weiteren Eingabe (vom 3. November 2014) zur Sache geäussert.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die beiden Söhne des Beschwerdeführers, der eine ganze Rente der Invalidenversicherung bezieht, begründen einen Anspruch auf eine Kinderrente der IV im Sinne der Überschrift zu
Art. 7 ELV
(SR 831.301). Sie leben nicht bei den Eltern, weder beim Vater noch bei der Mutter, die nicht rentenberechtigt ist und für die auch kein Anspruch auf eine Zusatzrente besteht. Nach Abs. 1 lit. c dieser Verordnungsbestimmung ist daher die jährliche Ergänzungsleistung gesondert zu berechnen. Dabei ist laut Abs. 2 das Einkommen der Eltern soweit zu berücksichtigen, als es deren eigenen Unterhalt und den der übrigen unterhaltsberechtigten Familienangehörigen übersteigt. Auf die so berechnete Ergänzungsleistung haben die betreffenden Kinder keinen eigenen Anspruch. Ein solcher steht, sofern die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, nur den in
Art. 4 ELG
(SR 831.30) erwähnten Personen zu. Dazu gehören nach Abs. 1 lit. c u.a. Personen, die Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung haben (
BGE 139 V 170
E. 5.2 S. 174 mit Hinweisen u.a. auf die Urteile 9C_371/2011 vom 5. September 2011 E. 2.3 und 2.4.2, in: SVR 2012 EL Nr. 2 S. 4, und 8C_624/2007 vom 20. Mai 2008 E. 5.2;
BGE 122 V 300
E. 4b S. 304). Insoweit besteht unter den Verfahrensbeteiligten Einigkeit. Die Meinungen gehen darüber auseinander, welche Folgerungen sich daraus ergeben.
Nach Auffassung der Vorinstanz setzt der Anspruch auf im Sinne von
Art. 7 Abs. 1 lit. c ELV
gesondert berechnete Ergänzungsleistungen voraus, dass der (IV-)rentenberechtigte Elternteil Anspruch auf Ergänzungsleistungen hat, und zwar nicht bloss einen hypothetischen, sondern sinngemäss einen rechtskräftig festgesetzten. Dies ergebe sich klar aus
BGE 122 V 300
E. 4b und 4c S. 304 f. und sei vom Bundesgericht im Urteil 9C_371/2011 vom 5. September 2011
BGE 141 V 155 S. 158
E. 2.4.1 und 2.4.2 bestätigt worden. Rz. 2220.01 Satz 3 WEL stehe hiezu im Widerspruch. Die Leistungsausrichtung ab 1. August 2011 sei somit ohne Rechtsgrund erfolgt, somit zweifellos unrichtig im Sinne von
Art. 53 Abs. 2 ATSG
(SR 830.1) gewesen und daher die Verfügung vom 8. Januar 2013 zu Recht aufgehoben worden.
Die Beschwerdeführer bestreiten vorab, dass die erwähnte Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts und des Bundesgerichts den vorinstanzlichen Standpunkt stützen sollen. Abgesehen davon widerspreche es der gesetzlichen Konzeption der Ergänzungsleistung und der ratio legis, bei der Berechnung des EL-Anspruchs des (IV-)rentenberechtigten Elternteils die anrechenbaren Einnahmen und anerkannten Ausgaben der nicht bei ihnen lebenden Kinder ausser Acht zu lassen mit der Folge, dass bei einem Einnahmenüberschuss kein Anspruch auf eine im Sinne von
Art. 7 Abs. 1 lit. c ELV
gesondert berechnete Ergänzungsleistung besteht.
4.
Nach
Art. 9 ELG
entspricht die jährliche Ergänzungsleistung dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Abs. 1). Die anerkannten Ausgaben sowie die anrechenbaren Einnahmen von Ehegatten und von Personen mit rentenberechtigten Waisen oder mit Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder IV begründen, werden zusammengerechnet. Dies gilt auch für rentenberechtigte Waisen, die im gleichen Haushalt leben (Abs. 2). Kinder, deren anrechenbare Einnahmen die anerkannten Ausgaben übersteigen, fallen für die Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung ausser Betracht (Abs. 4). Der Bundesrat bestimmt u.a. die Zusammenrechnung der anerkannten Ausgaben sowie der anrechenbaren Einnahmen von Familienmitgliedern; er kann Ausnahmen von der Zusammenrechnung vorsehen, insbesondere bei Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder IV begründen (Abs. 5 lit. a). Art. 7 Abs. 1 lit. c (und Abs. 2) ELV stützen sich auf diese Delegationsnorm (bis 31. Dezember 1997: Art. 3 Abs. 6 aELG; vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 2007: Art. 3a Abs. 7 lit. a aELG).
4.1
In
BGE 122 V 300
erkannte das Eidg. Versicherungsgericht,
Art. 7 Abs. 1 lit. c ELV
sei gesetzwidrig. Abgesehen davon, dass die Bestimmung von Art. 3 Abs. 6 aELG nicht gedeckt sei, verstosse sie gegen den in Art. 2 Abs. 3 aELG festgehaltenen Grundsatz, wonach zu den Einkommensgrenzen für Alleinstehende und Ehepaare die für Kinder, die einen Anspruch auf eine Zusatzrente der Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung begründen,
BGE 141 V 155 S. 159
massgebenden Grenzbeträge hinzuzuzählen sind (
BGE 122 V 300
E. 4c S. 305). Im Rahmen der am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen 3. EL-Revision gemäss Bundesgesetz vom 20. Juni 1997 (AS 1997 2952) wurde mit Art. 3a Abs. 7 lit. a aELG, welcher inhaltlich gleich lautet wie
Art. 9 Abs. 5 lit. a ELG
, eine genügende Grundlage für die gesonderte Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung für das oder die nicht beim rentenberechtigten Elternteil lebenden Kinder geschaffen (Urteil 8C_624/2007 vom 20. Mai 2008 E. 5.2).
4.2
Grund für den Erlass von
Art. 7 Abs. 1 lit. c ELV
war, dass eine Zusammenrechnung der damals massgebenden Einkommensgrenzen und anrechenbaren Einkommen bei Personen, die nicht im gleichen Haushalt lebten, immer wieder zu Schwierigkeiten geführt hatte. Die getrennte EL-Berechnung stellte eine klare Vereinfachung dar, namentlich wenn eine Fürsorgebehörde die finanziellen Angelegenheiten der in einem Heim, bei Verwandten, in einer Grossfamilie oder bei Drittpersonen platzierten Kinder regelte. Deren Existenzbedarf sollte an dem Ort gewährleistet sein, an welchem sie wohnten (vgl.
BGE 122 V 300
E. 3b S. 303; vgl. auch RALPH JÖHL, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1689 Rz. 75). In diesem Zusammenhang von Bedeutung sind in erster Linie die Kosten der Fremdplatzierung, etwa in einem Heim (vgl. Urteil 9C_334/2014 vom 10. November 2014).
Aus dieser Zwecksetzung, die in gleicher Weise auch für
Art. 9 Abs. 5 lit. a ELG
gilt, ist zu folgern, dass der EL-Anspruch des rentenberechtigten Elternteils jedenfalls im Grundsatz nicht geschmälert werden sollte, wenn er Kinder hat, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder IV begründen, die aber nicht bei ihm wohnen. Darauf liefe es indessen hinaus, wenn mit dem Hinweis auf den fehlenden eigenen Anspruch der betreffenden Kinder deren anrechenbare Einnahmen und anerkannten Ausgaben bei der EL-Berechnung unberücksichtigt blieben und bei einem Einnahmenüberschuss der Anspruch auf Ergänzungsleistungen ungeachtet eines allfälligen Ausgabenüberschusses aus der gesonderten Berechnung nach
Art. 7 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 ELV
verneint würde. Damit würde der Zweck der Ergänzungsleistung, die angemessene Deckung des Existenzbedarfs der rentenberechtigten Person (
BGE 139 V 574
E. 3.3.3 S. 578) unter Einbezug ihrer Kinder (JÖHL, a.a.O., S. 1685 Rz. 68), verfehlt. Überdies würde eine Ungleichheit geschaffen je nachdem, wo die Kinder, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV
BGE 141 V 155 S. 160
oder IV begründen, wohnen. Leben sie beim rentenberechtigten Elternteil, werden ihre anrechenbaren Einnahmen und anerkannten Ausgaben bei der EL-Berechnung berücksichtigt. Häufig führt erst diese Zusammenrechnung zu einem anspruchsbegründenden Ausgabenüberschuss, wie in der Beschwerde vorgebracht wird. Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber eine solche Ungleichbehandlung gewollt haben konnte, und zwar umso weniger, als nach
Art. 9 Abs. 4 ELG
an sich in die EL-Berechnung einzubeziehende Kinder ausser Betracht fallen, wenn ihre anrechenbaren Einnahmen die anerkannten Ausgaben übersteigen. Umgekehrt ist laut
Art. 7 Abs. 2 ELV
bei der gesonderten Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung für Kinder, die nicht beim rentenberechtigten Elternteil leben, das Einkommen der Eltern soweit zu berücksichtigen, als es deren eigenen Unterhalt und den der übrigen unterhaltsberechtigten Familienangehörigen übersteigt.
4.3
Nach der gesetzlichen Konzeption sodann ist die EL-Berechnung sowohl für die Anspruchsberechtigung an sich, als auch für die Höhe der Leistung von Bedeutung. Im Umfang, in dem die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen, besteht Anspruch auf Ergänzungsleistungen (
Art. 9 Abs. 1 ELG
). Ein Ausgabenüberschuss ist somit gleichzeitig anspruchsbegründend und leistungsbestimmend. Aus dem Umstand, dass (auch) Kinder, die nicht rentenberechtigte Waisen sind, keinen eigenen EL-rechtlichen Anspruch haben (vgl. vorne E. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 lit. a
bis
ELG), ist weiter im Umkehrschluss zu folgern, dass die gesondert berechnete jährliche Ergänzungsleistung nach
Art. 7 Abs. 1 lit. c ELV
als Teil des EL-Anspruchs des rentenberechtigten Elternteils (Vater oder Mutter) zu betrachten ist. Dieser besteht somit aus zwei gleichartigen, demselben Zweck der Deckung des Existenzbedarfs dienenden Leistungen, die sich bestimmten Personen masslich, aber nicht rechtlich zuordnen lassen. Darin liegt der einzige Unterschied zum Fall, wo die Kinder, die Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder IV begründen, beim rentenberechtigten Elternteil leben. Aus der Zusammenrechnung der anrechenbaren Einnahmen und der anerkannten Ausgaben aller Personen resultiert eine den Existenzbedarf aller angemessen deckende Ergänzungsleistung.
4.4
Aufgrund des Gesagten ist
Art. 9 Abs. 5 lit. a ELG
in dem Sinne zu verstehen, dass sich Ausnahmen von der Zusammenrechnung nach
Art. 9 Abs. 2 ELG
nicht auf die Anspruchsberechtigung an sich
BGE 141 V 155 S. 161
auswirken dürfen. Konsequenterweise besteht - unabhängig von der eigenen Rechtsposition - Anspruch auf Ergänzungsleistungen für diejenigen nicht beim rentenberechtigten Elternteil lebenden Kinder, für die aus der gesonderten Berechnung nach
Art. 7 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 ELV
ein Ausgabenüberschuss resultiert. In diesem Sinne lautet auch Rz. 2220.01 (Satz 3) WEL. Danach wird für Kinder, deren Ergänzungsleistungen gesondert berechnet werden, und die einen Ausgabenüberschuss ausweisen, auch dann ein jährlicher EL-Betrag ausgerichtet, wenn der EL-berechtigte Elternteil die wirtschaftliche Anspruchsvoraussetzung nach Rz. 2500.01 (gesetzlich anerkannte Ausgaben übersteigen die anrechenbaren Einnahmen) nicht erfüllt. Soweit sich aus dem Urteil 9C_371/2011 vom 5. September 2011 (vgl. vorne E. 3 Abs. 2) eine gegenteilige Auffassung ergibt, kann daran nicht festgehalten werden.
Aus dem Vorstehenden folgt insbesondere, dass die Zusprechung von nach
Art. 7 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 ELV
gesondert berechneten Ergänzungsleistungen nicht einen bestehenden EL-Anspruch des rentenberechtigten Elternteils voraussetzt. Die mit dieser Begründung erfolgte Leistungseinstellung auf Ende September 2013 verletzt somit Bundesrecht (
Art. 95 lit. a BGG
). Die Beschwerdegegnerin wird über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Ergänzungsleistungen für seine beiden Söhne ab 1. Oktober 2013 neu zu verfügen haben. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
396263e0-e15e-48b3-b17b-ec143eb820d9 | Urteilskopf
99 V 37
11. Auszug aus dem Urteil vom 12. April 1973 i.S. Binggeli gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
GgV vom 20. Oktober 1971.
Bestätigung der Übergangsregelung des Bundesamtes für Sozialversicherung. | Erwägungen
ab Seite 37
BGE 99 V 37 S. 37
Aus den Erwägungen:
Der Bundesrat bezeichnet in der Verordnung über Geburtsgebrechen (GgV) die Geburtsgebrechen, auf deren Behandlung durch medizinische Massnahmen minderjährige Versicherte gemäss
Art. 13 IVG
Anspruch haben. Nach
Art. 13 Abs. 2 Satz 2
BGE 99 V 37 S. 38
IVG
kann er die Leistungen ausschliessen, wenn das Gebrechen von geringfügiger Bedeutung ist. In der am 10. August 1965 erlassenen und bis 31. Dezember 1971 in Kraft gewesenen Verordnung waren jene Gebrechen besonders bezeichnet, für welche bei Geringfügigkeit ein Ausschluss in Frage kam. Die Ziffern 174 und 182 in
Art. 2 GgV
, unter welche die Gebrechen von Thomas Binggeli unbestrittenermassen fielen, waren mit einer solchen Bezeichnung versehen. Unter dieser Ordnung galten die Gebrechen des Beschwerdeführers offenbar nicht als geringfügig, wurden doch die notwendigen Massnahmen übernommen. Die am 1. Januar 1972 in Kraft getretene Verordnung über Geburtsgebrechen knüpft den Leistungsanspruch bei Gebrechen, die in schwerer wie in leichter Form vorkommen, im Unterschied zur früheren Verordnung, an besondere Voraussetzungen. So besteht nunmehr gemäss Ziffer 174 bei angeborenen knöchernen Fussdeformitäten Anspruch auf Leistungen, sofern Operation, Apparateversorgung oder Gipsbehandlung notwendig ist. Das gleiche gilt für die neu aufgenommene Ziffer 177 (übrige angeborene Defekte und Missbildungen der Extremitäten). Dagegen ist die frühere Ziffer 182 (angeborene Gelenkschlaffheit) aus der Verordnung eliminiert worden.
Die geltende Verordnung vom 20. Oktober 1971 enthält keine nähere Übergangsbestimmung, als dass sie am 1. Januar 1972 in Kraft tritt und dass auf den gleichen Zeitpunkt die Verordnung über Geburtsgebrechen vom 10. August 1965 aufgehoben wird. Somit erhebt sich die Frage, was mit Verfügungen, die unter der Herrschaft der alten Ordnung rechtskräftig geworden sind, zu geschehen habe, wenn nach neuem Recht kein Anspruch mehr besteht. Jedenfalls fallen solche Verfügungen bei dieser Rechtslage nicht ohne weiteres dahin. Die Grundsätze der Gesetzmässigkeit und der Rechtsgleichheit verlangen vielmehr, dass solche Verfügungen ausdrücklich dem neuen Recht angepasst werden... Jedoch bleibt zu beachten, dass die Anpassung jeder einzelnen Verfügung bei der grossen Anzahl von Verfügungen über medizinische Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen verwaltungstechnisch nicht mit der erforderlichen Zuverlässigkeit und innert nützlicher Zeit durchführbar wäre; dieses Vorgehen vermöchte deshalb weder dem Grundsatz der Rechtsgleichheit noch dem der Rechtssicherheit zu genügen. Eine Lösung des Problems hat aber den erwähnten Grundsätzen in optimaler Weise Rechnung zu tragen, weshalb sie nur in einer
BGE 99 V 37 S. 39
generellen, die fehlenden Übergangsbestimmungen in der Verordnung ersetzenden Regelung gefunden werden kann.
In diesem Bestreben hat das Bundesamt für Sozialversicherung als weisungsberechtigte Aufsichtsbehörde (gestützt auf
Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GgV
in Verbindung mit
Art. 92 IVV
) in dem ebenfalls ab 1. Januar 1972 geltenden neuen Kreisschreiben über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen diesbezügliche Anordnungen an die Durchführungsorgane erlassen. Gemäss Rz. 302 dieses Kreisschreibens ist auf bereits ergangene zusprechende Verfügungen nicht von Amtes wegen zurückzukommen; dagegen ist bei der Neubeurteilung laufender Fälle (Verlängerung, weitere Leistungsbegehren) vom Verfügungsdatum an - aber frühestens auf 1. Januar 1972 - neues Recht anzuwenden; besteht nach neuem Recht kein Anspruch mehr, so ist eine entsprechende Verfügung zu erlassen. Da diese Regelung in der Verwaltungspraxis offenbar nicht in jeder Hinsicht befriedigte, ergänzte das Bundesamt für Sozialversicherung seine diesbezüglichen Weisungen in Rz. 1194 der IV-Mitteilungen Nr. 151 vom 30. November 1972 (ZAK 1973 S. 22). Der Grundsatz, auf bereits ergangene Verfügungen sei nicht von Amtes wegen zurückzukommen, wurde "zur Herstellung rechtsgleicher Verhältnisse" eingeschränkt für Fälle, in denen die Behandlung des Geburtsgebrechens seinerzeit über das Jahr 1974 hinaus (teilweise sogar unbefristet) zugesprochen worden war. In diesen Fällen ist die Leistungspflicht bis zum 31. Dezember 1974 zu begrenzen. Die betreffenden Versicherten sind zu ermitteln und sofort mit beschwerdefähiger Verfügung über das Ende der Leistungsdauer zu unterrichten.
Wiewohl der letztinstanzliche Richter an die generellen Weisungen der administrativen Aufsichtsbehörde an die verfügenden Durchführungsstellen nicht gebunden ist, besteht für ihn kein Anlass, diese Weisungen bei der Beurteilung des Einzelfalles zu übergehen, soweit sie gesetzmässig oder (in Ermangelung gesetzlicher Vorschriften) mit den allgemeinen Grundsätzen des Bundesrechts in Einklang stehen. Das trifft auf die Weisungen des Bundesamtes für Sozialversicherung bezüglich der übergangsrechtlichen Anwendung der neuen Geburtsgebrechenverordnung zu, beruhen sie doch auf sachgemässer Abwägung der aus Gesetzmässigkeit und Rechtsgleichheit sich ergebenden Erfordernisse einerseits sowie der Notwendigkeit verwaltungsmässiger Praktikabilität andererseits. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3962a3be-ade0-4506-8078-c9f3bc4ec509 | Urteilskopf
122 III 305
55. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. August 1996 i.S. E. B. gegen G. B. (Berufung) | Regeste
Art. 146 Abs. 3 ZGB
; Trennung der Ehe bei Klage auf Scheidung.
Im Rahmen eines Scheidungsverfahrens kann gemäss
Art. 146 Abs. 3 ZGB
nur dann auf Trennung der Ehe erkannt werden, wenn Aussicht auf Wiedervereinigung besteht. Wird zur Hauptsache auf Scheidung nach
Art. 142 Abs. 1 ZGB
geklagt und eventualiter die Trennung beantragt, stehen Zerrüttungsgrundsatz und Aussicht auf Wiedervereinigung streng genommen in Widerspruch zueinander. Es rechtfertigt sich daher, eine Trennung nur auszusprechen, wenn bestimmte konkrete Tatsachen Aussicht auf Wiedervereinigung gemäss
Art. 146 Abs. 3 ZGB
begründen. | Sachverhalt
ab Seite 306
BGE 122 III 305 S. 306
Am 27. November 1992 erhob E. B. beim Kantonsgericht Obwalden Scheidungsklage gegen ihrem Ehemann G. B., welche Klage mit Urteil vom 31. Mai 1995 abgewiesen wurde. Gegen dieses Urteil führte E. B. Appellation ans Obergericht des Kantons Obwalden und beantragte die Scheidung, eventualiter die Trennung der Ehe. Mit Urteil vom 23. Mai 1996 wies das Obergericht die Appellation ab und bestätigte das Urteil des Kantonsgerichts. Mit Berufung vom 28. Juni 1996 beantragt E. B. dem Bundesgericht im wesentlichen, dass die Ehe der Parteien auf unbestimmte Zeit zu trennen sei.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Obergericht hat die Frage offengelassen, ob die Ehe der Parteien tief zerrüttet im Sinn von
Art. 142 Abs. 1 ZGB
sei, und die von der Klägerin erhobene Scheidungsklage mit dem Hinweis auf das Widerspruchsrecht des Beklagten nach
Art. 142 Abs. 2 ZGB
abgewiesen. In bezug auf den eventualiter gestellten Antrag auf Trennung hielt das Obergericht fest, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts das Widerspruchsrecht gemäss
Art. 142 Abs. 2 ZGB
nicht durch die Aussprechung einer Trennung und die nachträglich erleichterte Scheidungsmöglichkeit unterlaufen werden dürfe; auch eine Trennung der Ehe sei daher ausgeschlossen. Vor Bundesgericht kritisiert die Klägerin ausschliesslich, dass die Trennung zu Unrecht verweigert wurde; demgegenüber ist die Frage der Scheidung nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Die Klägerin wirft dem Obergericht vor, zu Unrecht die Frage des Vorliegens eines Scheidungsgrundes, gestützt auf den die Trennung auszusprechen sei, offengelassen zu haben. Zudem sei die Annahme der Vorinstanz bundesrechtswidrig, dass das Vorliegen eines Widerspruchsrechtes nach
Art. 142 Abs. 2 ZGB
dem Trennungsanspruch der Gegenpartei entgegenstehe.
a) Die Klägerin hat im Hauptstandpunkt auf Scheidung und - vor Obergericht - im Eventualantrag auch auf Trennung geklagt. Wenn ein Scheidungsgrund nachgewiesen ist, so hat der Richter entweder die Scheidung oder die Trennung auszusprechen (
Art. 146 Abs. 1 ZGB
). Wird nur auf Trennung geklagt, so kann die Scheidung nicht ausgesprochen werden (Abs. 2). Wird auf Scheidung geklagt, so kann nur dann auf Trennung erkannt werden, wenn Aussicht auf die Wiedervereinigung der Ehegatten vorhanden ist (Abs. 3).
aa) Wenn ausschliesslich auf Trennung geklagt wird, ist die Wahrscheinlichkeit einer Wiedervereinigung nicht speziell zu prüfen, weil
BGE 122 III 305 S. 307
durch das Klagebegehren bereits dargetan ist, dass die Ehe weiterbestehen soll (BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 21 zu Art. 146). Wird hingegen auf Scheidung geklagt, kann der Richter gemäss
Art. 146 Abs. 3 ZGB
nur dann auf Trennung erkennen, wenn eine Aussicht auf Wiedervereinigung der Ehegatten besteht. Dasselbe gilt auch dann, wenn wie vorliegend nebst der Scheidungsklage im Eventualstandpunkt auf Trennung geklagt wird. Denn auch in diesem Fall bringt der klagende Ehegatte zum Ausdruck, dass er - nicht anders als der nur auf Scheidung klagende - die Ehe im Grunde genommen nicht mehr will. Um dennoch auf Trennung zu erkennen, hat der Richter die Chance einer Wiedervereinigung zu prüfen.
bb) Wird im Rahmen eines Scheidungsverfahrens zur Begründung des eventualiter gestellten Trennungsbegehrens der Scheidungsgrund der tiefen Zerrüttung gemäss
Art. 142 Abs. 1 ZGB
angerufen, schlösse dies streng genommen die von
Art. 146 Abs. 3 ZGB
geforderte Aussicht auf die Wiedervereinigung von vorneherein aus; ist eine Ehe nämlich tief und unheilbar zerrüttet, erscheint die Wiedervereinigung als unwahrscheinlich. In der Lehre wird seit langem auf den Widerspruch zwischen dem Zerrüttungsgrundsatz nach
Art. 142 Abs. 1 ZGB
und der geforderten Aussicht auf die Wiedervereinigung gemäss
Art. 146 Abs. 3 ZGB
hingewiesen (HINDERLING/STECK, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. Auflage, Zürich 1995, S. 169; DESCHENAUX/TERCIER/WERRO, Le mariage et le divorce, 4. Auflage, Bern 1995, Rz. 935; ALFRED BÜHLER, Ehetrennung und Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes, Diss. Zürich 1969, S. 22 ff., insbes. S. 25; EDOUARD BARDE, Le procès en divorce, ZSR NF 74/II [1955], S. 510a f.). Einzelne Autoren folgern daraus sogar, dass eine Ehetrennung beim Scheidungsgrund der Zerrüttung ausgeschlossen sei (HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 3. Auflage, Bern 1993, Rz. 10.07). Die Gerichtspraxis geht indessen stillschweigend davon aus, dass auch bei einer zerrütteten Ehe eine Aussicht auf die Wiedervereinigung vorhanden sein kann. Im Bestreben, den Widerspruch zwischen unheilbarer Zerrüttung und Aussicht auf Wiedervereinigung zu minimieren und damit auch im Falle des Scheidungsgrundes der Zerrüttung eine Trennung nicht von vorneherein auszuschliessen, werden an die Zerrüttung nicht allzu hohe Anforderungen gestellt, während gleichzeitig bei der Anwendung von
Art. 146 Abs. 3 ZGB
starke Zurückhaltung geübt wird: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes reicht eine bloss vage Möglichkeit der Wiedervereinigung
BGE 122 III 305 S. 308
nicht aus, um bei einer Scheidungsklage nur auf Trennung zu erkennen, sondern es müssen bestimmte konkrete Tatsachen vorhanden sein, die beim Richter die Überzeugung erwecken, dass der zwischen den Parteien bestehende Bruch doch noch nicht als endgültig zu erachten ist (
BGE 88 II 137
,
BGE 55 II 158
S. 159, je mit Hinweisen).
b) In ihrer Berufung legt die Klägerin ausführlich dar, dass der Scheidungsgrund der tiefen und unheilbaren Zerrüttung nach
Art. 142 Abs. 1 ZGB
erfüllt sei, so dass gestützt auf
Art. 146 Abs. 1 ZGB
die Trennung auszusprechen sei. Mit dem weiteren Tatbestandselement, der Aussicht auf die Wiedervereinigung (
Art. 146 Abs. 3 ZGB
), setzt sich die Klägerin indessen überhaupt nicht auseinander. Im Gegenteil lässt sie keinen Zweifel an ihrer Auffassung, dass eine Wiedervereinigung der Parteien völlig undenkbar sei. So führt die Klägerin beispielsweise aus, dass die tiefe und unheilbare Zerrüttung aufgrund der Tatsache dargetan sei, dass sie seit nunmehr vier Jahren vom Beklagten getrennt lebe und eine Rückkehr zum Beklagten für sie nicht in Frage komme. Sie habe vor Obergericht auch eine Reihe konkreter Punkte dargelegt, aus denen sich nach allgemeiner Lebenserfahrung ergebe, dass die Ehe der Parteien heute tief und unheilbar zerrüttet sei. Abschliessend hält die Klägerin mit Nachdruck - und mit Ausrufezeichen versehen - fest, dass für sie eine Rückkehr zum Beklagten nicht in Frage komme. Unter diesen Umständen ist die Aussicht auf eine Wiedervereinigung zu verneinen und zwar um so mehr, als sie wie erläutert nicht leichthin angenommen werden darf.
c) Damit fehlt es aber an einer unabdingbaren Voraussetzung, um die Trennung der Ehe auszusprechen. Die Berufung erweist sich daher als unbegründet, ohne dass zu prüfen wäre, ob das Widerstandsrecht gemäss
Art. 142 Abs. 2 ZGB
auch im Fall einer beantragten Trennung angerufen werden kann (so
BGE 59 II 409
S. 410). | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
39644e9b-b02a-4232-9896-2b589105184c | Urteilskopf
126 V 403
67. Extrait de l'arrêt du 24 octobre 2000 dans la cause C. contre Caisse cantonale genevoise de chômage et Commission cantonale de recours en matière d'assurance-chômage, Genève | Regeste
Art. 103 Abs. 3 und 6 AVIG
: Frist für die Beschwerde an eine kantonale Rechtsmittelbehörde erster Instanz.
Art. 103 Abs. 3 AVIG
betrifft nur die Frist für die Beschwerde an eine kantonal letztinstanzliche Rechtsmittelbehörde.
Es ist deshalb Sache des kantonalen Rechts, im Rahmen von
Art. 103 Abs. 6 Satz 1 AVIG
die Frist für die Beschwerde an eine allfällige untere Rechtsmittelinstanz zu bestimmen. | Sachverhalt
ab Seite 404
BGE 126 V 403 S. 404
A.-
Par décision du 13 janvier 1999, la Caisse cantonale genevoise de chômage (ci-après: la caisse) a réclamé à C. le remboursement de prestations de chômage versées à tort du 20 mars au 17 avril 1998 (1'344 fr. 65).
Par décision du 5 juillet 1999, le Groupe Réclamations de l'Office cantonal genevois de l'emploi (OCE) a déclaré irrecevable pour cause de tardiveté la réclamation formée par l'assuré contre la décision précitée.
B.-
Saisie d'un recours de l'assuré, la Commission cantonale de recours en matière d'assurance-chômage du canton de Genève (ci-après: la commission de recours) l'a rejeté par jugement du 30 septembre 1999.
C.-
C. a interjeté recours de droit administratif contre ce jugement dont il requiert l'annulation. (...). Il conclut, implicitement, à ce qu'il ne soit pas tenu de rembourser les prestations versées à tort par la caisse.
(...).
La caisse et le Groupe Réclamations de l'OCE ont conclu implicitement au rejet du recours, alors que le Secrétariat d'Etat à l'économie ne s'est pas déterminé.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le litige porte sur la tardiveté de la réclamation formée par C. contre la décision de la caisse du 13 janvier 1999.
Le Tribunal fédéral des assurances doit dès lors se borner à examiner si c'est à bon droit que la commission de recours a rejeté le recours formé par le prénommé contre la décision du 5 juillet 1999, par laquelle le Groupe Réclamations de l'OCE a déclaré tardive sa réclamation contre la décision de la caisse. Il ne saurait en revanche examiner le fond du litige comme le voudrait le recourant (
ATF 125 V 505
consid. 1 et
ATF 124 V 49
consid. 1).
2.
a) L'OCE de la République et canton de Genève, qui relève du Département de l'économie publique, assume une double fonction en matière d'assurance-chômage. D'une part, il est l'autorité cantonale au sens de l'
art. 85 LACI
et exécute les tâches qui y sont énumérées. D'autre part, il statue sur recours contre des décisions des caisses de chômage et agit alors en qualité de première instance cantonale de recours en matière d'assurance-chômage. C'est le système de la juridiction à deux degrés, que connaît notamment la République et canton de Genève, et qui, en vertu du droit fédéral,
BGE 126 V 403 S. 405
est compatible avec l'
art. 101 let. b LACI
(arrêt non publié C. du 12 avril 1989; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, ch. 737; MEYER-BLASER, Die Rechtspflege in der Sozialversicherung, in: BJM 1989 p. 8; GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, vol II, n. 4 ad art. 101; cf. THOMAS LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2ème édition, n. 8 p. 368).
b) Le délai que le recourant n'a pas respecté est le délai de réclamation contre une décision de la caisse, adressée à l'OCE en sa qualité d'autorité de recours cantonale de première instance.
3.
a) Il convient d'examiner en premier lieu si le délai en cause est régi par l'
art. 103 al. 3 LACI
ou par le droit cantonal de procédure, en vertu de l'art. 103 al. 6 première phrase LACI. Certes, en l'espèce, le délai fixé par le droit cantonal est identique à celui du droit fédéral (30 jours). Toutefois, il n'en va pas toujours de même. Par exemple, en droit neuchâtelois - où l'on connaît aussi la double instance de recours (art. 34 al. 1 de la loi du 30 septembre 1996 concernant le marché du travail, le service de l'emploi, l'assurance-chômage et les mesures de crise [RSN 813.10]) - le délai de recours ordinaire, en procédure administrative, est de 20 jours et non de 30 jours (art. 34 al. 1 de la loi du 27 juin 1979 sur la procédure et la juridiction administrative [RSN 152.130]).
b) Peu abondante, la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances en la matière n'est pas uniforme. Un arrêt rendu sous l'ancien droit, mais dont les principes restent applicables sous l'empire de la LACI, consacre l'autonomie du droit cantonal de procédure en matière de délai de révision d'un jugement de l'autorité cantonale de recours (
ATF 110 V 395
consid. 2b). Il en va de même de l'arrêt B. du 31 janvier 1983, publié dans DTA 1983 no 10 p. 45, en ce qui concerne la suspension des délais de recours contre les décisions des caisses de chômage et des autorités cantonales compétentes. En revanche, dans un arrêt non publié S. du 24 avril 1990, tout en admettant que la double instance de recours en matière d'assurance-chômage prévue par le droit valaisan était compatible avec l'
art. 101 let. b LACI
, le Tribunal fédéral des assurances a considéré que la procédure devant les deux autorités de recours cantonales était régie par l'art. 103 al. 2 à 4 LACI. En l'occurrence, toutefois, personne ne contestait que le délai de recours fût de 30 jours et qu'il était dépassé depuis longtemps lorsque le recourant avait remis son recours à un bureau de poste. Par ailleurs, dans trois arrêts non publiés similaires D., K. et S. du 15 juin 2000, le Tribunal fédéral des assurances
BGE 126 V 403 S. 406
a rappelé que les cantons disposaient d'une grande marge de liberté dans l'application de l'
art. 103 al. 6 LACI
. Cependant, l'examen ne portait pas sur la nature (de droit fédéral ou cantonal) du délai de recours devant une première autorité cantonale de recours.
c) Pour NUSSBAUMER (op.cit., ch. 740 ss), par comparaison avec d'autres branches des assurances sociales, l'
art. 103 LACI
contient des exigences minimales de droit fédéral qui s'imposent dans le cadre des procédures cantonales de recours, tel le délai de recours de 30 jours prévu à l'al. 3. A côté de celles-ci, s'appliquent les principes généraux d'ordre procédural du droit des assurances sociales. Pour le surplus, soit en matière de dépens, de suspension des délais, de délai pour déposer une demande de révision d'un jugement de l'autorité cantonale de recours et d'amendes d'ordre, la procédure est régie par le droit cantonal.
De son côté, GERHARDS soutient que la loi fédérale sur la procédure administrative et le droit cantonal de procédure régissent la procédure devant les autorités de recours de première instance en matière d'assurance-chômage (op.cit., n. 5 ad art. 101), ce qui paraît contredire son affirmation selon laquelle le délai de 30 jours prescrit par l'
art. 103 al. 3 LACI
s'applique également au recours devant l'autorité de recours inférieure (op.cit., n. 30 ad art. 103).
d) En vertu du principe de l'autonomie du droit cantonal de procédure en matière de délais - affirmé dans la jurisprudence relative à l'ancien droit (
ATF 110 V 395
consid. 2b et DTA 1983 no 10 p. 45) et implicitement confirmé dans les trois arrêts précités du 15 juin 2000 - il faut admettre que l'
art. 103 al. 3 LACI
ne s'applique qu'au délai de recours devant l'autorité cantonale de dernière instance et qu'il appartient donc au droit cantonal de fixer le délai de recours (ou de réclamation) devant l'autorité de recours inférieure, lorsque celle-ci existe.
5.
a) Aux termes de l'art. 49 de la loi cantonale genevoise en matière de chômage du 11 novembre 1983 (entrée en vigueur le 1er janvier 1984: RSGE J 2 20) et de l'art. 62 du règlement d'exécution de cette loi, du 3 décembre 1984 (entré en vigueur le 1er janvier 1984: RSGE J 2 20.01) - dont l'application est réservée par l'art. 103 al. 6 première phrase LACI - le délai de recours devant l'autorité cantonale statuant sur réclamation en matière d'assurance-chômage est de 30 jours.
b) En l'espèce, la décision de la caisse a été envoyée, sous pli simple, au recourant le 13 janvier 1999, de sorte qu'elle lui est parvenue quelques jours plus tard, mais en tout cas le 18 janvier 1999.
BGE 126 V 403 S. 407
Il est constant que le délai de réclamation venait à échéance le 18 février 1999. La réclamation remise à la poste le 1er mars suivant était donc tardive. | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
396454cd-b0e4-4946-ba7a-8a0b8770e17c | Urteilskopf
88 II 276
38. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. September 1962 i.S. Imstepf gegen Weger. | Regeste
Schadenersatzpflicht wegen ungerechtfertigter vorsorglicher Verfügung.
Als Rechtsgrundlage für eine solche Schadenersatzpflicht kommt sowohl das kantonale Prozessrecht als auch das Bundesrecht (
Art. 41 OR
) in Betracht (Erw. 3).
Unter welchen Voraussetzungen ist eine ungerechtfertigte vorsorgliche Verfügung widerrechtlich im Sinne von
Art. 41 OR
? (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 277
BGE 88 II 276 S. 277
A.-
Mit Vertrag vom 1. Juli 1958 verkaufte der Beklagte Weger dem Kläger Imstepf eine Kiesaufbereitungsanlage nebst einer Ausbeutungskonzession zum Preis von Fr. 147'000. -. Der Beklagte garantierte dem Kläger eine stündliche Ausbeute von 12 m3. Die Parteien verpflichteten sich, die Ausbeute durch einen Fachmann festlegen zu lassen. Für jeden m3 Minderausbeute sollte sich der Kaufpreis um Fr. 3000.-- vermindern.
Der von den Parteien gemeinsam bezeichnete Experte stellte in seinem Bericht vom 20. Juli 1958 fest, dass die stündliche Leistungsfähigkeit der Anlage höchstens 4 m3 betrage. Unter Berufung auf diese Expertise verlangte der Kläger die Herabsetzung des Kaufpreises auf Fr. 123'000. -. Der Beklagte ging darauf nicht ein und verlangte die Durchführung einer neuen Expertise, was der Kläger seinerseits ablehnte.
Als der Kläger im September 1958 Anstalten traf, die Kiesaufbereitungsanlage durch eine neue zu ersetzen, stellte der Beklagte am 19. September 1958 beim zuständigen Richter das Gesuch um Anordnung einer vorsorglichen Beweisaufnahme. Der Richter entsprach diesem Begehren und verbot dem Kläger, an der bestehenden Anlage Änderungen vorzunehmen.
Da die daraufhin durchgeführte Oberexpertise zu den gleichen Schlüssen kam wie das erste Gutachten, hob der Richter die Verfügung vom 19. September auf.
BGE 88 II 276 S. 278
B.-
In der Folge belangte der Kläger den Beklagten auf Bezahlung von Fr. 50'000. - als Ersatz des Schadens, der ihm infolge der durch den Beklagten widerrechtlich verursachten Verzögerung der Umbauarbeiten der Kiesaufbereitungsanlage entstanden sei.
C.-
Das Kantonsgericht Wallis wies mit Urteil vom 25. Januar 1962 das Schadenersatzbegehren des Klägers ab.
D.-
Das Bundesgericht weist die Berufung des Klägers ab auf Grund der folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
3.
Der Kläger macht geltend, der Beklagte sei schadenersatzpflichtig, weil er eine sachlich ungerechtfertigte vorsorgliche Verfügung erwirkt habe, und zwar hafte er für den dadurch verursachten Schaden sowohl kausal als auch gestützt auf
Art. 41 OR
und
Art. 2 ZGB
. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz sei bundesrechtswidrig und stehe im Widerspruch zu der in Rechtsprechung und Literatur herrschenden Meinung.
a) Da die mit vorsorglicher Verfügung vom 19. September 1958 angeordnete Oberexpertise den Befund des von den Parteien gemeinsam bestellten ersten Sachverständigen bestätigte, steht fest, dass die vom Beklagten erwirkte vorsorgliche Massnahme sachlich nicht gerechtfertigt war.
Die vorsorgliche Massnahme oder einstweilige Verfügung ist ein Institut des Prozessrechts. Dieses bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine solche Massnahme verlangt und angeordnet werden kann. Weil sie in einem abgekürzten Verfahren ergeht und daher die Möglichkeit besteht, dass sie mit der wirklichen Rechtslage nicht übereinstimmt, geben die Prozessgesetze dem Richter in der Regel die Befugnis, den Erlass der verlangten einstweiligen Verfügung von der Leistung einer Sicherheit durch den Gesuchsteller abhängig zu machen, die zur Deckung eines allfälligen Schadens aus der vorsorglichen Massnahme herangezogen werden kann (so z.B. gerade das Prozessrecht
BGE 88 II 276 S. 279
des Kantons Wallis in
Art. 348 ZPO
). Einzelne Prozessrechte haben diese Schadenersatzpflicht als eine unabhängig vom Verschulden des Gesuchstellers eintretende Haftung ex lege ausgestaltet (so z.B. BZP Art. 84, bern. ZPO Art. 332, ZPO von Basel-Stadt § 262). Klagen über die Schadenersatzpflicht auf Grund einer vorsorglichen Massnahme, die gestützt auf die Vorschriften einer kantonalen Prozessordnung erlassen worden ist, gehören dem kantonalen Recht an und sind daher nicht berufungsfähig, auch soweit bei ihrer Entscheidung allgemeine Grundsätze des Obligationenrechts als subsidiäres kantonales Recht herangezogen worden sind (
BGE 47 II 472
,
BGE 41 III 132
; LEUCH, Kommentar zur bern. ZPO, 3. Aufl., Art. 332 N. 3).
An Stelle oder neben einer solchen kantonalrechtlichen Klage steht dem durch eine ungerechtfertigte vorsorgliche Massnahme Betroffenen überdies die bundesrechtliche Klage aus
Art. 41 ff. OR
zu Gebote. Ein auf dieser Grundlage ergangener Entscheid eines kantonalen Gerichts unterliegt der Berufung an das Bundesgericht (LEUCH, a.a.O.;
BGE 47 II 472
).
b) Im vorliegenden Falle hat der Kläger seinen Schadenersatzanspruch im kantonalen Verfahren nicht auf eine Bestimmung des kantonalen Prozessrechts gestützt, sondern sich ausschliesslich auf die Vorschriften des Bundeszivilrechts (
Art. 41 ff. OR
,
Art. 2 ZGB
) berufen. Ebenso hat die Vorinstanz ihren Entscheid ausschliesslich in Anwendung der vom Kläger angerufenen Bestimmungen des Bundeszivilrechts getroffen. Damit hat sie das Bestehen einer auf dem kantonalen Prozessrecht beruhenden Haftung ex lege stillschweigend verneint. Diese Frage ist, da sie die Auslegung des kantonalen Prozessrechts betrifft, vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüfbar (oben lit. a).
In der Berufungsschrift macht der Kläger nun allerdings geltend, gemäss einem allgemeinen, auch bundesrechtlich anerkannten Grundsatz hafte eine Partei, die eine sachlich
BGE 88 II 276 S. 280
ungerechtfertigte vorsorgliche Verfügung erwirkt habe, für den der Gegenpartei daraus erwachsenen Schaden kausal. Für diese Auffassung beruft sich der Kläger vorab aufBGE 47 II 472. Er verkennt jedoch die Tragweite dieses Entscheides. Darin wurde lediglich festgestellt, dass das Bundeszivilrecht dem kantonalen Gesetzgeber nicht verbiete, in seinem Prozessrecht eine vom Verschulden des Gesuchstellers unabhängige Schadenersatzpflicht für die Folgen einer ungerechtfertigten vorsorglichen Massnahme vorzusehen, und es wurde daher die Berufungsfähigkeit eines auf Grund einer solchen kantonalrechtlichen Prozessvorschrift ergangenen Entscheides verneint. Die bundesrechtliche Zulässigkeit einer derartigen kantonalen Regelung wurde im genannten Entscheid freilich damit begründet, dass eine solche Haftung ex lege wegen der mit einer einstweiligen Verfügung verbundenen Gefährdung der Interessen des Betroffenen als dringend geboten erscheine. Aber damit wurde entgegen der Meinung der Berufung keineswegs das Bestehen einer solchen Haftung ex lege auf bundesrechtlicher Grundlage bejaht; denn sonst wäre ja auf die Berufung einzutreten gewesen.
Auch TROLLER (Die Schadenersatzpflicht wegen unbegründeter vorsorglicher Massnahme, SJZ 43 S. 22 ff.), auf den sich der Kläger weiter beruft, erklärt zwar insbesondere für das Gebiet des Wettbewerbsrechts und des damals im Wurfe befindlichen neuen Patentgesetzes die Einführung einer Haftung ex lege als wünschbar; er anerkennt aber, dass im übrigen für das Bestehen einer solchen Schadenersatzpflicht das kantonale Prozessrecht massgebend ist.
4.
Es kann sich daher im vorliegenden Falle lediglich fragen, ob die Ablehnung einer Haftung des Beklagten aus
Art. 41 ff. OR
gegen Bundesrecht verstosse.
a) Erste Voraussetzung einer Schadenersatzpflicht auf Grund von
Art. 41 OR
ist ein widerrechtliches Verhalten. Nach der vom Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung anerkannten sog. objektiven Theorie ist ein Verhalten dann widerrechtlich, wenn es gegen geschriebene oder ungeschriebene
BGE 88 II 276 S. 281
Gebote oder Verbote der Rechtsordnung verstösst, die dem Schutz des verletzten Rechtsgutes dienen sollen (
BGE 82 II 28
und dort erwähnte Entscheide). Für die Feststellung der Widerrechtlichkeit in diesem Sinne kommen dabei nicht nur die Normen des eidgenössischen, sondern auch solche des kantonalen Rechtes in Betracht (OSER/SCHÖNENBERGER, OR Art. 41 N. 13).
b) Ein Verstoss gegen ein geschriebenes Gebot oder Verbot der Rechtsordnung kann dem Beklagten nicht zur Last gelegt werden. Wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat, war der Beklagte nach dem kantonalen Prozessrecht befugt, eine Oberexpertise zu verlangen, und nach der damals in Kraft stehenden ZPO hatte nicht einmal der Richter die.Möglichkeit, einer Partei das Begehren um eine Oberexpertise abzuschlagen.
Gegen ein ungeschriebenes Gebot der Rechtsordnung aber hätte der Beklagte nur verstossen, wenn für die Erwirkung der vorsorglichen Verfügung keinerlei sachliche Gründe bestanden hätten. Der Kläger macht freilich unter Hinweis auf GULDENER (Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl. S. 389, Fussnote 35) geltend, die Erwirkung einer materiell ungerechtfertigten vorsorglichen Verfügung sei unter allen Umständen widerrechtlich. Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen.
Für das Vorgehen des Beklagten bestanden nun aber verschiedene sachliche Gründe. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hatte die Lieferfirma der Anlage eine stündliche Leistung von 6 - 8 m3 garantiert. Es ist daher verständlich, dass sich der Beklagte nicht mit dem ersten Gutachten abfinden wollte, das eine stündliche Leistung von höchstens 4 m3 annahm.
Es kann dem Beklagten aber auch nicht vorgeworfen werden, er habe mit der Erwirkung der vorsorglichen Verfügung in einer mit den Grundsätzen von
Art. 2 ZGB
unvereinbaren Weise ungebührlich lange zugewartet. Er stellte das Begehren um eine Oberexpertise unverzüglich nach Eingang des ersten Gutachtens und schlug vor, die
BGE 88 II 276 S. 282
neue Begutachtung sofort durch auf dem Platz befindliche Sachverständige vornehmen zu lassen. Für den Fall der Ablehnung dieses Vorschlages wies er schon damals darauf hin, dass er sich genötigt sehen könnte, beim Richter eine vorsorgliche Verfügung zu verlangen. Alles scheiterte aber am Widerstand des Klägers, der eine Oberexpertise mit der unzutreffenden Begründung ablehnte, der Befund des ersten Experten habe als verbindliches Schiedsgutachten zu gelten.
Nach dem Briefwechsel vom 23./24. Juli 1958 blieb die Angelegenheit dann allerdings während einiger Zeit in der Schwebe. Da dies aber seinen Grund in den Gerichtsferien und in der Abwesenheit der beteiligten Anwälte hatte, kann auch das dem Beklagten nicht zum Nachteil gereichen. Als dann nach Mitte September 1958 der Kläger Anstalten traf, die bestehende Anlage durch eine neue zu ersetzen, so dass die Leistungsfähigkeit der Gegenstand des Kaufvertrags bildenden Anlage nicht mehr hätte abgeklärt werden können, machte der Beklagte mit dem Begehren um Erlass einer vorsorglichen Massnahme unverzüglich Gebrauch von der letzten Möglichkeit, die ihm angesichts des Widerstandes des Klägers noch zu Gebote stand.
5.
Fehlt es nach dem Gesagten schon an einer Widerrechtlichkeit des Verhaltens des Beklagten, so brauchen die weiteren Erfordernisse eines Anspruchs aus unerlaubter Handlung (Verschulden, Schaden des Klägers) nicht geprüft zu werden. Die Vorinstanz hat somit einen Schadenersatzanspruch des Klägers aus
Art. 41 OR
zu Recht verneint. Das führt zur Bestätigung des angefochtenen Entscheides. | public_law | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
39664f80-a32d-475f-b874-9192cc221b86 | Urteilskopf
117 Ia 27
7. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Februar 1991 i.S. S. und Kons. gegen Direktion für Erziehung und kulturelle Angelegenheiten des Kantons Freiburg und Staatsrat des Kantons Freiburg (Beschwerde an den Bundesrat gemäss Art. 73 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 VwVG sowie staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Versetzung eines Kindes in die Kleinklasse. Persönliche Freiheit,
Art. 4 und 27 Abs. 2 BV
sowie Art. 2 ÜbBest. BV. Gesetz des Kantons Freiburg vom 23. Mai 1985 über den Kindergarten, die Primarschule und die Orientierungsschule (Schulgesetz).
1. Das Grundrecht der persönlichen Freiheit tritt gegenüber dem Anspruch auf genügenden Primarunterricht zurück. Zu den von der persönlichen Freiheit geschützten elementaren Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung gehört nicht, über den Besuch einer Normal- oder einer Kleinklasse selbst entscheiden zu können (E. 5).
2. Kriterien zur Bemessung eines genügenden Primarunterrichts; massgeblich ist, dass das Angebot eines der Reife des Kindes angepassten Unterrichts besteht; der Besuch der Schule muss zudem zumutbar sein (E. 6).
3. Das freiburgische Schulgesetz, das den Entscheid über die Einweisung eines Kindes in die Kompetenz der Schulbehörden stellt, ist nicht in sich selbst widersprüchlich (E. 7a u. b).
4. Die Erziehungsbefugnis der Eltern steht in bestimmten Grenzen unter dem Vorbehalt des öffentlichen Rechts. Die Regelung des freiburgischen Schulgesetzes verstösst nicht gegen die derogatorische Kraft des Bundesrechts (E. 7c).
5. Die im vorliegenden Fall verfügte Versetzung in die Kleinklasse ist weder offensichtlich unverhältnismässig noch unhaltbar (E. 7d u. e). | Sachverhalt
ab Seite 28
BGE 117 Ia 27 S. 28
Der 1982 geborene S. besuchte während den Schuljahren 1987/88 sowie 1988/89 den Kindergarten in Plasselb. Ab Februar 1988 wurde er logopädisch behandelt, um einer Sprachentwicklungsstörung entgegenzuwirken.
Am Ende des zweiten Kindergartenjahres veranlasste die Kindergärtnerin eine psychologische Begutachtung von S., weil sie seine Primarschultüchtigkeit bezweifelte. Die psychologische Abklärung ergab, dass S. in die Kleinklasse eingewiesen werden sollte.
Da in Plasselb keine Kleinklasse zur Verfügung stand, schlug der zuständige Schulinspektor den Eltern von S. im Juni 1989 vor,
BGE 117 Ia 27 S. 29
ihn in der Kleinklasse von Plaffeien einzuschulen. Die Eltern waren damit nicht einverstanden, denn sie glaubten, dass S. die Primarschulreife noch erreichen würde. Der Schulinspektor und die Eltern kamen daher überein, S. vorerst versuchsweise die erste Primarklasse in Plasselb besuchen zu lassen und einen definitiven Entscheid über die Einschulung an Weihnachten 1989 zu fällen.
Eine neue psychologische Begutachtung des Kindes nach Ablauf der Versuchsphase führte wiederum zum Ergebnis, dass S. in die Kleinklasse eingewiesen werden sollte. Nach einem ergebnislos verlaufenen Gespräch mit den Eltern, die auf ihrem früheren Standpunkt beharrten, entschied der Schulinspektor am 27. Dezember 1989, dass S. ab dem 8. Januar 1990 die Kleinklasse in Plaffeien zu besuchen habe.
Gegen diesen Entscheid reichte der Vater von S. am 2. Januar 1990 Beschwerde bei der Direktion für Erziehung und kulturelle Angelegenheiten des Kantons Freiburg ein. Diese wies, nachdem sie weitere Berichte über die Schulreife von S. eingeholt hatte, die Beschwerde am 16. Februar 1990 ab.
Dagegen reichte der Vater am 23. Februar 1990 Verwaltungsbeschwerde ein beim Staatsrat des Kantons Freiburg, welcher die Beschwerde am 17. April 1990 abwies.
Gegen diesen Entscheid erhoben S. und seine Eltern am 21. April 1990 Beschwerde beim Bundesrat sowie am 8. Mai 1990 parallel staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht.
In der Beschwerde an den Bundesrat beantragen sie im wesentlichen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides wegen Verletzung von
Art. 27 Abs. 2 BV
sowie die Feststellung, dass der Unterstufenklassenunterricht in Plasselb ungenügend sei; ausserdem sei der Kanton anzuweisen, dafür zu sorgen, dass S. in Plasselb ein seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechender, genügender Unterricht geboten wird.
In der staatsrechtlichen Beschwerde wird beantragt, es sei der Entscheid des Staatsrates aufzuheben. Gemäss der Begründung verletzt dieser Entscheid insbesondere die persönliche Freiheit von S. sowie
Art. 4 BV
und Art. 2 ÜbBest. BV.
Im Rahmen eines Meinungsaustausches mit dem Bundesrat hat sich das Bundesgericht am 25. September 1990 zur Übernahme der Angelegenheit hinsichtlich aller geltend gemachten Verfassungsverletzungen bereit erklärt.
In der am 10. Mai 1990 an den Bundesrat eingereichten Vernehmlassung zur Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 27 Abs. 2
BGE 117 Ia 27 S. 30
BV
schliesst die den Staatsrat vertretende Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg auf Nichteintreten, eventualiter auf Abweisung der Beschwerde.
In seiner Vernehmlassung vom 9. November 1990 zur staatsrechtlichen Beschwerde beantragt der Staatsrat des Kantons Freiburg die Abweisung der Beschwerde.
Die Direktion für Erziehung und kulturelle Angelegenheiten des Kantons Freiburg hat keine Stellungnahme eingereicht.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung schützt das ungeschriebene Verfassungsrecht der persönlichen Freiheit nicht nur die Bewegungsfreiheit und die körperliche Integrität, sondern darüber hinaus alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstellen. Indessen rechtfertigt nicht jeder beliebige Eingriff in den persönlichen Bereich des Bürgers die Berufung auf dieses Grundrecht; namentlich hat die persönliche Freiheit nicht die Funktion einer allgemeinen Handlungsfreiheit, und schützt sie nicht vor jeglichem physischen oder psychischen Missbehagen. Der Schutzbereich der persönlichen Freiheit ist daher im Einzelfall angesichts von Art und Intensität der Beeinträchtigung zu bestimmen (
BGE 115 Ia 246
E. 5a mit Hinweisen).
b) Im Bereich der Bildung kann sich ein staatlicher Eingriff unter Umständen als solcher in den Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung auswirken (vgl. die entsprechenden Bemerkungen in
BGE 103 Ia 389
, 401 E. d;
BGE 102 Ia 324
). Für die Bestimmung des Schutzbereichs ist im vorliegenden Fall allerdings die Abgrenzung zu
Art. 27 Abs. 2 BV
zu beachten; da das Grundrecht der persönlichen Freiheit gegenüber den speziellen Verfassungsrechten zurücktritt (
BGE 109 Ia 280
;
BGE 107 Ia 293
; WALTER HALLER, in Kommentar BV, Persönliche Freiheit, Rz. 90 ff.), findet es insofern keine Anwendung, als der Anspruch von S. auf genügenden und unentgeltlichen Primarschulunterricht in Frage steht; im Rahmen von
Art. 27 BV
entscheidet sich auch, ob S. allenfalls ein Recht auf ein staatliches Angebot einer Kleinklassenschulung an seinem Wohnort im Sinne eines Anspruches auf staatliche Leistung hat.
Der angefochtene Entscheid greift nicht in elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung von S. ein. Der Schulbesuch wird ihm nicht verunmöglicht; ganz im Gegenteil bezwecken die
BGE 117 Ia 27 S. 31
Schulbehörden, ihm die seiner Persönlichkeitsentwicklung angepasste Ausbildung zu verschaffen. Zum Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung gehört ausserdem nicht, die Schule im eigenen Dorf unbesehen ihrer Geeignetheit besuchen zu können beziehungsweise die Schule nach eigener Einschätzung oder eigenem Gutdünken auszuwählen.
6.
a)
Art. 27 Abs. 2 BV
gewährleistet den unentgeltlichen und genügenden Primarunterricht. Darunter ist die Grundschulpflicht mit dem Zweck einer regelmässigen Vermittlung von Grundkenntnissen während einer bestimmten Anzahl Jahre zu verstehen (MARCO BORGHI, in Kommentar BV, Art. 27, Rz. 29). Im vorliegenden Fall wird die Unentgeltlichkeit des Unterrichts nicht bestritten, hingegen bringen die Beschwerdeführer vor, der staatliche Unterricht sei ungenügend. Es ist daher zu prüfen, ob das staatliche Schulangebot für S. angemessen und geeignet ist. Dafür ist unter anderem Kriterium, wieweit allenfalls der Schulweg unzumutbar ist beziehungsweise sich auf den regelmässigen Schulbesuch nachteilig auswirken könnte (VPB 48/1984, Nr. 38; 44/1980, Nr. 19).
b) Sowohl der Unterricht in der Normalklasse nach Art. 14 des freiburgischen Gesetzes vom 23. Mai 1985 über den Kindergarten, die Primarschule und die Orientierungsschule (Schulgesetz; SGF 411.0.1) als auch in der Kleinklasse gemäss Art. 19 des Schulgesetzes ist Primarunterricht im Sinne von
Art. 27 Abs. 2 BV
. Die Beschwerdeführer bringen nicht vor, das Angebot in der Kleinklasse in Plaffeien sei inhaltlich ungenügend; sie machen vielmehr geltend, der Unterricht in der Normalklasse Plasselb genüge den Bedürfnissen von S. nicht, wobei sie die Ursachen allerdings in erster Linie in organisatorischen Mängeln der Schule sowie fehlender Fähigkeit des Lehrpersonals und weniger in der mangelnden Schulreife von S. sehen. Im vorliegenden Verfahren ist jedoch davon auszugehen, dass dieser einer Kleinklassenschulung bedarf und die Primarschule Plasselb für ihn sowieso ungeeignet ist (vgl. E. 7d); es ist daher unbedeutend und es braucht nicht näher untersucht zu werden, ob und allenfalls wieweit in der Primarschule Plasselb angebliche Mängel tatsächlich vorhanden sind, welchen mit organisatorischen Massnahmen zu begegnen wäre.
c) Wesentlich ist für den vorliegenden Fall vielmehr, dass die Organisation einer Kleinklasse und damit das Angebot eines der Reife des Kindes S. angepassten Unterrichtes besteht. Die von ihm
BGE 117 Ia 27 S. 32
zu besuchende Kleinklasse befindet sich im Nachbardorf. Zwischen den beiden Ortschaften besteht sowohl ein organisierter Schülertransport als auch eine offizielle Buslinie; im übrigen ist die Unentgeltlichkeit des Transports gewährleistet (Art. 6 Abs. 2 des Schulgesetzes). Der zusätzliche Aufwand für den Besuch der Kleinklasse ist in persönlicher, zeitlicher, organisatorischer und materieller Hinsicht gering. Der Schulweg erfordert keinen unzumutbaren Aufwand, schliesst einen regelmässigen Schulbesuch nicht aus und wirkt sich auf den Unterricht nicht nachteilig aus.
Anderseits kann der Schulbesuch im Nachbardorf insbesondere für eine gewisse Übergangs- und Eingewöhnungszeit mit allfälligen nachteiligen Nebenwirkungen verbunden sein. Diese wiegen jedoch nicht allzu schwer, und es kann ihnen mit geeigneten Massnahmen begegnet werden. Der S. gewährte Primarunterricht ist daher nicht aus dem Grunde ungenügend, weil in Plasselb selbst keine Kleinklasse geführt wird.
Im übrigen steht die Frage, ob ein Kind für die Normalklasse schulreif sei, mit dem Erfordernis des genügenden Primarschulunterrichts in keinem wesentlichen Zusammenhang. Die Beschwerdeführer können infolgedessen aus dem Anspruch auf genügenden Primarunterricht nichts zu ihren Gunsten ableiten.
7.
a) Die Beschwerdeführer machen eine Verletzung des Legalitätsprinzips sowie des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit geltend. Das Bundesgericht prüft allerdings nur im Bereiche spezieller Grundrechte frei, ob diese Prinzipien verletzt sind. Soweit sie nicht in Zusammenhang mit einem besonderen Verfassungsrechtssatz angerufen werden, kann nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel von
Art. 4 BV
, das heisst nach Massgabe der Rechtsgleichheit und des Willkürverbots, überprüft werden, ob der angefochtene Entscheid damit vereinbar sei (
BGE 106 Ia 260
E. 4a;
BGE 102 Ia 71
). Im vorliegenden Fall können sich die Beschwerdeführer nicht auf ein spezielles Grundrecht berufen, weshalb die Kognition des Bundesgerichts auf Willkür beschränkt ist.
Ein Entscheid verletzt das Willkürverbot und steht im Widerspruch zu
Art. 4 BV
, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (
BGE 115 Ia 332
E. 3a mit Hinweis).
b) Die Beschwerdeführer verlangen vorfrageweise eine Überprüfung von Art. 19 Abs. 5 des freiburgischen Schulgesetzes auf
BGE 117 Ia 27 S. 33
Verfassungsmässigkeit. Nach ihrer Ansicht ist der Erlass in sich selbst widersprüchlich; namentlich stünde Art. 19 Abs. 5 des Schulgesetzes im Widerspruch zu Art. 2 Abs. 1 und 31 Abs. 1 dieses Gesetzes.
Art. 2 Abs. 1 des Schulgesetzes steht unter der Marginalie "Aufgabe und Ausrichtung der Schule" und sieht vor, dass die Schule die Eltern in der Ausbildung und der Erziehung ihrer Kinder unterstützt. Art. 31 Abs. 1 legt die Erstverantwortlichkeit der Eltern für die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder fest. Art. 19 Abs. 5 lautet:
"Sollte ein Kind anscheinend eine Klein- oder Werkklasse besuchen, so spricht sich der Schulinspektor mit dessen Eltern, dem Lehrer und den betroffenen Schuldiensten aus, um in Übereinstimmung eine Lösung zu finden. Bei einer Meinungsverschiedenheit, die den Interessen des Kindes schadet, entscheidet der Schulinspektor."
Art. 2 des Schulgesetzes ist eine Zielnorm und gibt nur allgemeine Richtlinien, aus denen die Beschwerdeführer keine konkreten Folgerungen zu ihren Gunsten ableiten können (KARL ALEXANDER ECKSTEIN, Schule und Elternrecht, Diss. Basel 1979, S. 233 f.). Art. 31 verpflichtet die Behörden zu einer weitgehenden Zurückhaltung; der Staat hat den Eltern in der Erziehung und Ausbildung der Kinder soweit als möglich ihre Freiheit zu belassen. Dies erlaubt den Eltern aber nicht, den Behörden in jeder Hinsicht vorzuschreiben, wie Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder in der öffentlichen Schule zu verwirklichen sind. Namentlich schliesst es ein Vorgehen gegen ihren Willen im Kindesinteresse nicht aus, was auch insbesondere aus der allgemeinen Schulpflicht als solcher hervorgeht.
Der Entscheid über die Einweisung in eine Kleinklasse hat zum Zweck, einem Kind, das in der Aneignung der Grundkenntnisse und -fertigkeiten nicht genügende Fortschritte zu erzielen vermag, eine geeignete Ausbildung zu vermitteln (Art. 19 Abs. 1 des Schulgesetzes). Die dem Schulinspektor in Art. 19 Abs. 5 des Schulgesetzes zugesprochene Kompetenz ist klar abgegrenzt. Seine Entscheidungsbefugnis setzt voraus, dass keine einvernehmliche Lösung zwischen Eltern und Schulbehörden über die Versetzung eines Kindes in die Kleinklasse gefunden wird; ausserdem ist erforderlich, dass diese Meinungsverschiedenheit den Interessen des Kindes schadet. Die gesetzliche Regelung ist zurückhaltend und richtet sich nach dem Kindesinteresse. Zudem kann der Entscheid des Schulinspektors auf dem Beschwerdeweg angefochten werden. In dieser gesetzlichen Ordnung ist kein Widerspruch zu sehen, aufgrund
BGE 117 Ia 27 S. 34
dessen eine gestützt auf Art. 19 Abs. 5 des Schulgesetzes verfügte Einweisung in die Kleinklasse willkürlich wäre.
c) Die Beschwerdeführer bringen weiter vor, Art. 19 Abs. 5 des Schulgesetzes stünde im Widerspruch zu Bundesrecht, wodurch Art. 2 ÜbBest. BV verletzt würde. Falls Eltern das Kindeswohl ernsthaft gefährdeten, sehe das Bundesrecht Kindesschutzmassnahmen nach
Art. 307 ff. ZGB
vor, die in die alleinige Kompetenz der Vormundschaftsbehörde fielen. In die elterliche Gewalt, namentlich in ihre Befugnis, über die Art der Ausbildung und Erziehung zu entscheiden, könne demnach nur die Vormundschafts- und nicht die Schulbehörde eingreifen.
Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts nach Art. 2 ÜbBest. BV besagt, dass die Kantone in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend geregelt hat, nicht zur Rechtsetzung befugt sind (
BGE 115 Ia 272
E. 12a mit Hinweis).
Nach
Art. 27 Abs. 2 BV
ist der Primarunterricht und damit auch dessen Organisation Sache der Kantone. Gemäss
Art. 302 Abs. 2 ZGB
sind die Eltern verpflichtet, dem Kind eine angemessene, seinen Fähigkeiten und Neigungen soweit möglich entsprechende allgemeine und berufliche Ausbildung zu verschaffen; Abs. 3 dieses Artikels hält die Eltern an, in geeigneter Weise mit der Schule zusammenzuarbeiten. Die Erziehungsbefugnis der Eltern steht allerdings in bestimmten Grenzen unter dem Vorbehalt des öffentlichen Rechts (CYRIL HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, Bern 1989, S. 170); dies gilt namentlich im Bereich der Benutzung der öffentlichen Schule als öffentliche Anstalt (ECKSTEIN, a.a.O., S. 228 ff.; URS TSCHÜMPERLIN, Die elterliche Gewalt in bezug auf die Person des Kindes, Freiburg 1989, S. 144).
In diesem Rahmen sind staatliche Massnahmen, die allenfalls ins gesetzliche Erziehungsrecht der Eltern eingreifen, zulässig. Auch die gesetzliche Regelung der Kindesschutzmassnahmen schliesst andere, weniger weitgehende staatliche Massnahmen in Bereichen, die wie das Schulwesen als öffentliche Aufgaben konzipiert sind und der staatlichen Kompetenz sowie dem öffentlichen Recht unterstehen, nicht aus. Die Kindesschutzmassnahmen bilden bloss das strengste Mittel, das allenfalls gegenüber den Eltern anzuwenden ist, um die Kindesinteressen zu wahren. Das Bundesrecht enthält somit keine abschliessende Regelung, weshalb Art. 19 Abs. 5 des freiburgischen Schulgesetzes den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts nicht verletzt.
BGE 117 Ia 27 S. 35
d) S. ist erst bedingt schulreif und bedarf des auf ihn zugeschnittenen Unterrichts in einer Kleinklasse. Die kantonalen Behörden haben dazu mehrfach Berichte und Gutachten eingeholt, die alle im wesentlichen zum gleichen Ergebnis gelangten. Zudem konnte S. dem Begehren der Eltern entsprechend während einem Jahr den Normalunterricht besuchen; seine Leistungen erlaubten jedoch eine Promovierung in die zweite Klasse nicht. Den Behörden kann daher nicht vorgeworfen werden, sie hätten sachwidrig und übereilt gehandelt und andere Möglichkeiten unversucht gelassen. Weitere Lösungen wie der Einsatz eines Wanderlehrers wären zwar denkbar und fänden im freiburgischen Schulgesetz eine Grundlage (namentlich in Art. 19 Abs. 4). Die Alternativen sind jedoch vor allem vorgesehen und zugeschnitten auf Fälle, in denen der Besuch einer Kleinklasse einen zu grossen Aufwand, insbesondere was den Transport des Schülers betrifft, erfordert. Wie gesehen bedingt im vorliegenden Fall der Besuch der Kleinklasse in Plaffeien indes keinen unzumutbaren Aufwand (vgl. E. 6c).
e) Somit steht der angefochtene Entscheid mit der tatsächlichen Situation nicht im Widerspruch, verstösst nicht in krasser Weise gegen die von den Beschwerdeführern angerufenen Normen und ist weder offensichtlich unverhältnismässig noch unhaltbar.
8.
Die staatsrechtliche Beschwerde sowie die Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 27 Abs. 2 BV
sind abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
396b6d93-4624-49ff-8bbd-d5c719bd36ca | Urteilskopf
112 IV 125
37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Dezember 1986 i.S. Z. gegen Polizei- und Militärdepartement des Kantons Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 20a ff. UWG
; Art. 3 Abs. 1 der Verordnung über die Bekanntgabe von Preisen.
Wer in Katalogen, Inseraten und/oder auf Plakaten die Kunden auffordert, über die Preise zu verhandeln bzw. nach dem Tagestiefstpreis zu fragen, und damit nachdrücklich die Bereitschaft bekundet, die angebotenen Waren unter gewissen Voraussetzungen zu Preisen zu verkaufen, die unter den bei den Waren angegebenen Preisen liegen, verstösst gegen
Art. 3 Abs. 1 PBV
, wonach für Waren, die dem Letztverbraucher zum Kauf angeboten werden, der tatsächlich zu bezahlende Preis bekanntzugeben ist (E. 2 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 125
BGE 112 IV 125 S. 125
A.-
Im Jahre 1985 eröffnete das Discounthaus X. (TV, Hi-Fi, Video usw.) eine Filiale in Basel. Im Katalog wurden für die einzelnen angebotenen Waren zwar konkrete Preise angegeben, doch wurde im Katalog wie auch in Zeitungsinseraten und auf
BGE 112 IV 125 S. 126
Plakaten im Innern des Geschäftslokals mit folgenden Slogans auf die Möglichkeit des "Marktens" hingewiesen:
- "Wär besser määrtet, kauft günschtiger i. - Mir hälfe Dir derby."
- "Wär fröhlich isch, cha au no määrte."
- "Über 3 Mio Frangge Zusatzrabatt im letschte Joor."
- "Den Tagestiefstpreis verhandeln Sie mit uns."
- "Verlangen Sie im Laden den Tages-Tiefstpreis, es lohnt sich."
usw.
B.-
Der Polizeigerichtspräsident des Kantons Basel-Stadt sprach Z. den Direktor der Fa. X., am 24. Juni 1986 von der Anschuldigung der Widerhandlung gegen die V über die Bekanntgabe von Preisen frei. Der Appellationsgerichtsausschuss des Kantons Basel-Stadt hob am 8. September 1986 den Entscheid des Polizeigerichtspräsidenten in Gutheissung einer Beschwerde des Polizei- und Militärdepartements des Kantons Basel-Stadt (Abteilung Administrative Dienste) auf und wies die Sache zur Verurteilung von Z. wegen Widerhandlung gegen Art. 3 und 7 der V über die Bekanntgabe von Preisen an die Vorinstanz zurück.
C.-
Z. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichtsausschusses vom 8. September 1986 sei aufzuheben und der Entscheid des Polizeigerichtspräsidenten vom 24. Juni 1986 sei zu bestätigen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss Art. 3 Abs. 1 der V über die Bekanntgabe von Preisen vom 11. Dezember 1978 (PBV; SR 942.211) ist für Waren, die dem Letztverbraucher zum Kauf angeboten werden, der tatsächlich zu bezahlende Preis in Schweizerfranken (Detailpreis) bekanntzugeben (siehe auch
Art. 20a Abs. 1 UWG
). Detail- und Grundpreise müssen durch Anschrift auf der Ware selbst oder unmittelbar daneben (Anschrift, Aufdruck, Etikette, Preisschild usw.) bekanntgegeben werden (
Art. 7 Abs. 1 PBV
). Aus der Bekanntgabe muss hervorgehen, auf welches Produkt und welche Verkaufseinheit sich der Detailpreis bezieht (
Art. 9 Abs. 1 PBV
). Werden in der Werbung Preise aufgeführt oder bezifferte Hinweise auf Preisrahmen oder Preisgrenzen gemacht, so sind die tatsächlich zu bezahlenden Preise bekanntzugeben (
Art. 13 Abs. 1 PBV
) und muss aus der Preisbekanntgabe deutlich hervorgehen, auf welche Ware und Verkaufseinheit sich der Preis bezieht (
Art. 14 Abs. 1 PBV
).
BGE 112 IV 125 S. 127
Die Preisbekanntgabeverordnung regelt nicht ausdrücklich die Fälle, in denen gegenüber verschiedenen Kunden für die gleichen Waren unterschiedliche Preise gehandhabt werden. Wie in solchen Fällen die Preise anzuschreiben sind, ist vorliegend nicht zu entscheiden. Die Fa. X. gab im Katalog, in Zeitungsinseraten und auf Plakaten im Innern des Geschäftslokals mit verschiedenen Slogans nachdrücklich und unmissverständlich ihre Bereitschaft kund, die angebotenen Waren zu Preisen zu verkaufen, die in einem unbestimmten, erst noch auszuhandelnden Ausmass unter den angeschriebenen Preisen lagen, und sie forderte sämtliche Kunden auf, nach dem Tagestiefstpreis zu fragen bzw. über den Preis zu verhandeln, wozu sie ihre Hilfe anbot. Damit hatten die bei den Waren angegebenen Preise nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz weitgehend nur noch die Funktion von Richtpreisen und waren sie daher nicht die tatsächlich zu bezahlenden Preise im Sinne von
Art. 3 Abs. 1 PBV
. Daran vermag entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nichts zu ändern, dass angeblich der "gewöhnliche" bzw. "durchschnittlich passive" Kunde von der ihm gebotenen Möglichkeit trotz der eindringlichen Aufforderung und der dazu angebotenen "Hilfe" der Fa. X. nicht Gebrauch machte. Das Vorgehen des Beschwerdeführers, das geeignet war, Kunden in das Geschäftslokal zu locken, welche aufgrund der Slogans ("määrte") auf vergleichsweise hohe Preisabschläge hofften, darin aber bei Rabatten von durchschnittlich 2-5% enttäuscht wurden, war keine den Versteigerungen oder Auktionen ähnliche Veranstaltung, bei der gemäss
Art. 3 Abs. 3 PBV
die Pflicht zur Angabe des tatsächlich zu zahlenden Preises entfällt. Unter die ähnlichen Veranstaltungen im Sinne dieser Bestimmung fallen gemäss der Wegleitung des BIGA vom 29. Juni 1979 zur Preisbekanntgabeverordnung "Verkaufsveranstaltungen, bei denen die Preise und die Eigenschaften der Ware ausgerufen werden (Marktfahrer, Warendemonstranten usw.)".
4.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die von der Fa. X. in der Werbung verwendeten Slogans ("Wär besser määrtet, kauft günschtiger i" usw.) stellten unbezifferte Hinweise auf mögliche Preisreduktionen dar, die nicht unter
Art. 17 PBV
fielen, welcher lediglich die bezifferten Hinweise auf Preisreduktion betreffe, und sie seien gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zulässig. Der Einwand ist unbegründet.
a) Der Kassationshof hatte in
BGE 108 IV 129
ff., auf den sich der Beschwerdeführer beruft, ein Zeitungsinserat des Inhalts
BGE 112 IV 125 S. 128
"Riesen-Resten-Markt, Reduktionen bis 92%" als unzulässig erachtet, da in Fällen, in denen nicht ein einheitlicher Reduktionssatz gewährt wird, bei Angabe von Zahlen gemäss
Art. 17 Abs. 2 1
. Satz PBV die Pflicht zur Preisbekanntgabe und zur Spezifizierung besteht. Der Anbieter, der auf verschiedenen Waren unterschiedliche Reduktionssätze gewährt, in der Werbung jedoch nicht die verbilligten Waren spezifizieren und die herabgesetzten Preise angeben will, muss gemäss
BGE 108 IV 129
ff. demnach auf die Angabe von Ziffern verzichten und sich auf einen unbezifferten Hinweis (z.B. "teilweise erhebliche Preisreduktionen") beschränken. In dem dem erwähnten Bundesgerichtsentscheid zugrunde liegenden Fall war dem Anbieter im Unterschied zum vorliegenden Fall nicht vorgeworfen worden, dass er es unterlassen habe, an den Waren selbst die tatsächlich zu bezahlenden, reduzierten Preise anzugeben, und stand daher die Frage der Preisanschrift gemäss
Art. 3 PBV
nicht zur Diskussion.
b) Die grundlegende Pflicht, die tatsächlich zu zahlenden Preise durch Anschrift an der Ware selbst oder unmittelbar daneben oder in anderer, leicht zugänglicher und gut lesbarer Form bekanntzugeben (
Art. 3 Abs. 1 und
Art. 7 PBV
), besteht auch dann, wenn in der Werbung mit oder ohne Ziffern auf Preisreduktionen hingewiesen wird. Aus der Zulässigkeit unbezifferter Hinweise auf Preisreduktionen in der Werbung gemäss
BGE 108 IV 129
ff. kann nicht die Zulässigkeit von Hinweisen auf unbestimmte, erst noch auszuhandelnde Preisreduktionen und damit die Befreiung von der Preisanschriftspflicht gemäss
Art. 3 Abs. 1 PBV
abgeleitet werden. Der Beschwerdeführer stellt zu Unrecht die nach der Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Preisbekanntgabeverordnung zulässigen unbezifferten Hinweise auf Preisreduktionen den Hinweisen auf unbestimmte, erst noch auszuhandelnde Preisreduktionen gleich. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
39716595-146b-4361-82e7-77e745c8d0a3 | Urteilskopf
87 I 232
40. Urteil vom 12. Mai 1961 i.S. Merlag Immobilien AG und Flückiger gegen Regierungsrat des Kantons Bern. | Regeste
Einspruch gegen Liegenschaftskäufe: Begriff der Spekulation (
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
).
Kauf eines landwirtschaftlichen Heimwesens zur allmählichen Überbauung der dafür geeigneten Parzellen mit Mietshäusern, ohne Absicht des Wiederverkaufs. | Sachverhalt
ab Seite 232
BGE 87 I 232 S. 232
A.-
Werner Flückiger, Landwirt in Aarwangen, ist Eigentümer eines Bauerngutes, das 1113,5 a umfasst und dessen amtlicher Wert auf Fr. 104'470.-- festgesetzt ist. Dazu gehören die 369,53 a messende Parzelle G.B. Aarwangen Nr. 630 (alt) im Kern des Dorfteils Hard, auf welcher die an der Langenthalstrasse liegenden Wohn- und Ökonomiegebäude stehen, und zwölf kleinere Parzellen, die im Gebiete der Gemeinden Aarwangen und Roggwil verstreut sind.
Mit Vertrag vom 19. April 1960 hat Flückiger den Hof zum Preise von Fr. 350'000.-- an die Merlag Immobilien A. G. in Basel verkauft. In Ziff. 10 der Vertragsbestimmungen ist die Erklärung der Käuferin festgehalten, "dass sie die Liegenschaften erwirbt einerseits zum Zwecke der Überbauung derjenigen Grundstücke, die sich dazu eignen, und als Kapitalanlage bezüglich desjenigen Teiles der Vertragssache, der auch weiterhin landwirtschaftlich genutzt wird".
BGE 87 I 232 S. 233
B.-
Gegen diesen Kaufvertrag hat der Grundbuchverwalter von Aarwangen gestützt auf Art. 19 Abs. 1 lit. a des BG über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom 12. Juni 1951 (EGG) Einspruch erhoben, weil die Merlag u.a. den Ankauf und Verkauf von Liegenschaften bezwecke und es daher scheine, dass Güteraufkauf mit spekulativem Einschlag vorliege.
Der Einspruch ist vom Regierungsstatthalter von Aarwangen abgewiesen, auf Rekurs der kantonalen Landwirtschaftsdirektion hin jedoch vom Regierungsrat des Kantons Bern durch Entscheid vom 5. August 1960 begründet erklärt worden.
Der Regierungsrat nimmt an, die Merlag habe das Heimwesen offensichtlich zum Zwecke der Spekulation gekauft (
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
). Sie rechne damit, auf einem Teil des Landes Bauten erstellen und die überbauten Parzellen, wenn auch nicht sofort, so doch nach Bedarf mit Gewinn weiterveräussern zu können. Sie spekuliere darauf, dass Aarwangen von der Ausdehnung der benachbarten industriereichen Gemeinde Langenthal bald einmal profitieren werde. Von einer Kapitalanlage könne nicht gesprochen werden, da das Heimwesen der landwirtschaftlichen Nutzung nur so weit und so lange erhalten bleiben solle, als es nicht oder noch nicht überbaut werden könne. Der vereinbarte hohe Kaufpreis könne nicht aus dem Bodenertrag verzinst werden und sei offensichtlich in spekulativer Weise auf eine künftige nicht landwirtschaftliche Nutzung des Bodens abgestimmt.
Das EGG wolle die Erhaltung landwirtschaftlicher Betriebe begünstigen. So könne nach Art. 19 Abs. 1 lit. c auch gegen einen Verkauf, durch den ein Heimwesen zerstückelt und aufgelöst werden solle, Einspruch erhoben werden. Wohl sehe diese Bestimmung Ausnahmen vor, insbesondere für den Fall der Überbauung. Aber eine Betriebsauflösung infolge Überbauung könne nicht zugelassen werden, wenn der Erwerber, wie hier, die Liegenschaften nicht für seine persönlichen Zwecke und Bedürfnisse
BGE 87 I 232 S. 234
überbauen wolle, sondern die Erstellung von Bauten und die sukzessive Zerstückelung und Auflösung des Heimwesens von der Möglichkeit einer gewinnbringenden Nutzung oder Verwertung des überbauten Bodens abhängig mache. Ferner könne von einer allseitigen Eignung des Heimwesens Flückigers als Bauland nicht die Rede sein.
C.-
Die Merlag und Werner Flückiger erheben Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid des Regierungsrates aufzuheben und den Einspruch gegen den Kaufvertrag abzuweisen.
Es wird geltend gemacht, vom verkauften Land seien 504,82 a erschlossenes Bauland, nämlich die Hausparzelle (G.B. Aarwangen Nr. 630 alt) und drei weitere Parzellen (G.B. Aarwangen Nr. 631, 637 und 1058). Diese Liegenschaften seien im Zonenplan des Baureglements der Gemeinde Aarwangen vom 25. Juni 1960, welches vom Regierungsrat genehmigt worden sei, dem Baugebiet zugewiesen. Ferner seien sie zum grössten Teil von der Unterstellung unter das BG über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen vom 12. Dezember 1940 ausgenommen worden. Allerdings sei ausser den restlichen neun Parzellen auch die von der ursprünglichen Hausparzelle abgetrennte neue Parzelle Nr. 630 III im Halte von 30,19 a, auf welcher sich die Wohn- und Ökonomiegebäude befinden, diesem Gesetz unterstellt worden, doch ändere das nichts daran, dass sie Baulandcharakter habe. Da die unaufhaltsame Ausdehnung des Baugebietes gerade auch die Hausparzelle erfasst und so eine landwirtschaftliche Betriebseinheit gesprengt habe, sei
Art. 19 EGG
hier nicht mehr anwendbar. Übrigens erkläre die Merlag, dass sie die Parzelle Nr. 630 III zusammen mit den neun nicht der Bauzone zugeteilten Liegenschaften der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung erhalten wolle. Das sei cine ausreichende Existenzgrundlage für einen Landwirt.
Wäre
Art. 19 EGG
anwendbar, so wäre der Einspruch gleichwohl unbegründet. Die Annahme einer Spekulation oder eines Güteraufkaufs im Sinne von Abs. 1 lit. a falle
BGE 87 I 232 S. 235
nach der Rechtsprechung (
BGE 81 I 316
) von vornherein ausser Betracht, weil wesentliche Teile des gekauften Landes zur Überbauung bestimmt und auch geeignet seien (lit. c). Anders wäre selbst dann nicht zu entscheiden, wenn die Merlag die betreffenden Parzellen nach der Überbauung weiterveräussern wollte, was nicht zutreffe. Die Merlag und die hinter ihr stehende Hansa AG in Basel tätigten keine spekulativen Liegenschaftsgeschäfte. Es gehe ihnen ausschliesslich um eine Kapitalanlage. Die Hansa stelle der Merlag das noch erforderliche Kapital zur Verfügung.
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
richte sich nicht gegen die Veräusserung eines ganzen landwirtschaftlichen Betriebes, sondern nur gegen Teilverkäufe, und auch gegen diese nur, wenn die Abtrennung nicht durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt werden könne. Ein solcher Grund wäre hier für die Abtrennung des Baulandes gegeben. Art. 19 Abs. 1 lit. c lasse die Überbauung nicht nur dann zu, wenn der Erwerber sie für seine persönlichen Bedürfnisse vornehmen möchte.
D.-
Der Regierungsrat schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
E.-
Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement enthält sich eines Antrages. Es führt aus, der Einspruch könne nicht auf Grund von
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
geschützt werden, wenn das Land, das die Beschwerdeführer als Bauland bezeichnen, wirklich zur Überbauung gekauft werde und sich hiezu eigne. Falls es sich so verhielte und anzunehmen wäre, die Merlag wolle dieses Land nach Fertigstellung der Bauten weiterveräussern, so könnte diesem Vorhaben auch nicht
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
entgegengehalten werden. Immerhin sei doch nicht ausgeschlossen, dass die Merlag den Hof zum Zwecke der Spekulation im Sinne dieser Bestimmung, d.h. in der Absicht des baldigen Wiederverkaufs mit Gewinn, gekauft habe.
F.-
In einer Instruktionsverhandlung haben die
BGE 87 I 232 S. 236
Vertreter der Merlag über den Grundbesitz der Hansa AG und ihrer Tochtergesellschaften sowie über die Projekte, welche die Merlag in Aarwangen verfolgt, Auskunft gegeben. Ferner hat die Merlag sich bereit erklärt, für die Erhaltung eines bäuerlichen Restbetriebes dingliche Sicherheiten zu bieten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 18 EGG
sind die Kantone ermächtigt, für ihr Gebiet ein Einspruchsverfahren nach Massgabe der folgenden Bestimmungen einzuführen. Sie können, wenn sie ein solches Verfahren vorsehen, dieses im Rahmen der
Art. 19-21 EGG
nach ihrem Belieben ordnen. Sie können weniger weit gehen, als es nach
Art. 19 und 21 EGG
möglich wäre. Vor allem sind sie befugt, bestimmte Arten von Grundstücken von der Unterstellung unter das Einspruchsverfahren auszunehmen, namentlich Liegenschaften, die in Bauzonen einbezogen sind. Sie können nach
Art. 3 EGG
die Anwendung dieses Gesetzes auf Bauzonen, die für die Entwicklung einer Ortschaft unentbehrlich sind, ausschliessen oder die Befugnis dazu den Gemeinden übertragen, unter Vorbehalt der Genehmigung der von diesen erlassenen Vorschriften durch eine kantonale Behörde.
Für das Gebiet der Gemeinden Aarwangen und Roggwil, in dem das Bauerngut des Beschwerdeführers Flückiger liegt, ist keine Ausscheidung im Sinne des
Art. 3 EGG
und der dazu vom Kanton Bern erlassenen Ausführungsbestimmung (Art. 2 des Einführungsgesetzes vom 23. November 1952) getroffen worden. Wohl sind im Zonenplan des Baureglements der Gemeinde Aarwangen vom 25. Juni 1960 Bauzonen abgegrenzt; sie sind jedoch von der Anwendung des EGG nicht ausgenommen. Auch die Ausnahmeordnung, die Art. 8 des bernischen Einführungsgesetzes für Kaufverträge über Liegenschaften unter einer bestimmten Grösse vorsieht, kommt hier nicht in Betracht. Der zwischen den Beschwerdeführern abgeschlossene Kaufvertrag
BGE 87 I 232 S. 237
ist ohne Einschränkung dem Einspruchsverfahren unterstellt, wenn die verkaufte Besitzung als landwirtschaftliches Heimwesen im Sinne des
Art. 19 EGG
zu charakterisieren ist.
2.
Diese Voraussetzung ist erfüllt. Land und Gebäulichkeiten (Wohn- und Ökonomiegebäude), aus denen die Besitzung Flückigers besteht, bilden eine Einheit, die geeignet ist, einem Bauern (Eigentümer oder Pächter) und seiner Familie als Lebenszentrum und Grundlage für den Betrieb eines landwirtschaftlichen Gewerbes zu dienen (
BGE 81 I 107
;
BGE 82 I 264
). Diesen Charakter hat die Besitzung jedenfalls zur Zeit noch, auch wenn gewisse Teile, insbesondere die Hausparzelle, sich für die (neue) Überbauung eignen. Der Umstand, dass einzelne Parzellen deshalb, weil sie als Bauland betrachtet werden, von der Unterstellung unter das BG über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen ausgenommen worden sind, ändert nichts daran, dass die Besitzung als Ganzes ein landwirtschaftliches Heimwesen im Sinne des EGG darstellt.
3.
Nach
Art. 19 Abs. 1 lit a EGG
kann gegen Kaufverträge über landwirtschaftliche Heimwesen oder zu einem solchen gehörende Liegenschaften Einspruch erhoben werden, wenn der Käufer das Heimwesen oder die Liegenschaft offensichtlich zum Zwecke der Spekulation oder des Güteraufkaufs erwirrbt. In lit. c wird der Einspruch zugelassen, wenn durch den Verkauf ein landwirtschaftliches Gewerbe seine Existenzfähigkeit verliert, es sei denn, die Liegenschaften werden zur Überbauung oder zur gewerblichen oder industriellen Ausnützung des Bodens verkauft und eignen sich hiefür, oder die Aufhebung des landwirtschaftlichen Gewerbes lasse sich durch andere wichtige Gründe rechtfertigen.
Die Beschwerdeführer machen geltend, wesentliche Teile des Heimwesens Flückigers seien zur Überbauung verkauft worden und eigneten sich hiefür, so dass
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
dem Verkauf des ganzen Heimwesens
BGE 87 I 232 S. 238
nicht entgegengehalten werden könne und auch die Annahme einer Spekulation oder eines Güteraufkaufs im Sinne der lit. a ausser Betracht falle.
Die Ausnahme, welche lit. c für den Fall vorsieht, dass Liegenschaften zur Überbauung verkauft werden und sich hiefür eignen, bezieht sich. jedoch nur auf Grundstücke, auf welche eben diese Voraussetzungen zutreffen. Hier wären, nach der Darstellung der Beschwerdeschrift, Bauland im Sinne dieser Bestimmung höchstens 504,82 a (G.B. Aarwangen Nr. 630 alt, 631, 637 und 1058) bzw. 474,63 a (wenn die von der alten Nr. 630 abgetrennte neue Nr. 630 III nicht mitgerechnet wird), also nicht einmal die Hälfte der 1113,5 a messenden gesamten Fläche des Heimwesens Flückigers. Auf jeden Fall ist ein wesentlicher Teil des Heimwesens weder für die Überbauung verkauft worden noch dafür geeignet. Die Merlag hat aber das ganze Heimwesen gekauft. Das Geschäft, das sie mit Flückiger abgeschlossen hat, ist ein Ganzes und muss als solches auch unter dem Gesichtspunkte des
Art. 19 EGG
gewürdigt werden. Unter den gegebenen Umständen kann die Ausnahmebestimmung in
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
, auf welche die Beschwerdeführer sich berufen, hier nicht Anwendung finden. Aus ihr kann nicht abgeleitet werden, dass der Einspruch gegen den Verkauf der ganzen Besitzung Flückigers unbegründet ist.
Ob und inwieweit diese Vorschrift auf einen Verkauf nur gerade des Landes, welches in der Beschwerde als Bauland bezeichnet wird, anwendbar wäre, ist im gegenwärtigen Verfahren nicht zu untersuchen. Ebensowenig ist zu prüfen, wie es zu halten wäre, wenn die Merlag von Flückiger grösstenteils nur solches Land gekauft hätte, auf welches die Vorschrift zuträfe. Dem Urteil
BGE 81 I 316
, das die Beschwerdeführer erwähnen, liegt ein Tatbestand dieser Art zugrunde. Im vorliegenden Fall verhält es sich indessen anders, weshalb die Beschwerdeführer aus jenem Präjudiz nichts zu ihren Gunsten herleiten können. Zu würdigen ist die von den Beschwerdeführern
BGE 87 I 232 S. 239
tatsächlich gewählte Gestaltung der Verhältnisse, nicht ein möglicher, aber nicht verwirklichter Sachverhalt.
4.
Das Bundesgericht hat bisher Spekulation im Sinne von
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
angenommen, wenn der Käufer das Heimwesen oder das Grundstück offensichtlich in der Absicht erwirbt, es bei sich bietender Gelegenheit, möglichst bald, mit Gewinn weiterzuveräussern (
BGE 83 I 313
Erw. 2 und dort zitierte Urteile). Ein solcher Spekulationskauf ist hier nicht nachgewiesen. Die Merlag lässt erklären, dass sie alle gekauften Parzellen behalten will. Schlüssige Anhaltspunkte dafür, dass sie eine andere Absicht verfolgt, liegen nicht vor. Indessen erhebt sich die Frage, ob der Begriff der Spekulation im Sinne des EGG nicht etwas weiter zu fassen sei, als es in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtes geschehen ist.
Keine Spekulation liegt jedenfalls dann vor, wenn jemand ein landwirtschaftliches Heimwesen in der Absicht erwirbt, es in seinem bisherigen Bestande weiterhin entweder selber landwirtschaftlich zu nutzen oder durch einen Dritten so nutzen zu lassen.
Hier hat man es indessen nicht mit einem solchen Fall zu tun. Die Merlag will nach ihren Angaben nur einen Teil des Heimwesens Flückigers der landwirtschaftlichen Nutzung erhalten, nämlich offenbar die Parzellen, die sich für eine Überbauung in absehbarer Zeit nicht eignen, und allenfalls auch die neue verkleinerte Hausparzelle Nr. 630 III - die sie allerdings in die in Auftrag gegebenen vorläufigen Überbauungsstudien hat einbeziehen lassen. Den übrigen Teil des Heimwesens, der eine bedeutende Fläche umfasst, will die Gesellschaft der bisherigen Zweckbestimmung entfremden, nämlich nach Massgabe des Wohnbedarfs, mit dessen Zunahme sie rechnet, allmählich überbauen. Die erstellten Wohnungen gedenkt sie zu vermieten, in der Erwartung, auf diese Weise schliesslich eine Rendite zu erzielen, welche den durch landwirtschaftliche Nutzung des ganzen gekauften Heimwesens erzielbaren
BGE 87 I 232 S. 240
Ertrag wesentlich übersteigt. Weil sie hofft, auf diesem Wege beträchtliche Gewinne zu erlangen, hat sie sich bereit gefunden, den verhältnismässig hohen Kaufpreis von Fr. 350'000.-- zu bezahlen. Es ist klar, dass diese Investition aus dem Ertrag einer ausschliesslich landwirtschaftlichen Nutzung des Bodens nicht verzinst werden könnte. Die Absicht der Merlag, sich durch sukzessive Überbauung der dafür geeigneten Parzellen und durch Vermietung der erstellten Wohnungen ansehnliche Gewinne zu verschaffen, hat zweifellos spekulativen Charakter. Es liegt auf der Hand, dass diese Absicht der eigentliche Zweck ist, den die Gesellschaft mit dem Kauf des ganzen Heimwesens verfolgt.
Unter solchen Umständen darf ebenfalls offensichtliche Spekulation im Sinne von
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
angenommen werden, obwohl ein gewinnbringender Wiederverkauf anscheinend nicht beabsichtigt ist. Daran ändert es nichts, dass ein Teil des gekauften Landes weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden soll. Ob der bäuerliche Restbetrieb, den die Merlag nach ihrer Darstellung erhalten will, existenzfähig sei oder nicht, ist unter dem Gesichtswinkel von
Art. 19 Abs. 1 lit. a EGG
unerheblich und braucht daher nicht geprüft zu werden.
Offen bleiben kann ferner die Frage, ob offensichtlicher Güteraufkauf im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit a vorliege. Der Einspruch ist nach dieser Bestimmung ohnehin begründet, weil es sich offensichtlich um einen Spekulationskauf handelt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
39785667-254d-4a8a-9d2c-93e4067d8342 | Urteilskopf
93 I 209
26. Auszug aus dem Urteil vom 5. Juli 1967 i.S. Köchli gegen Generalprokurator und Obergericht des Kantons Bern. | Regeste
Kantonales Prozessrecht. Willkür. Ueberspitzter Formalismus.
Auslegung einer Bestimmung der StPO, wonach ein Irrtum in der Bezeichnung eines Rechtsmittels unschädlich ist. Die Annahme, in der Erhebung einer "Einsprache" gegen ein nur der Appellation unterliegendes Strafurteil liege keine gültige Appellation, verstösst gegen
Art. 4 BV
, da sie mit dem Sinn und Zweck der genannten Bestimmung unvereinbar ist und einen überspitzten Formalismus darstellt. | Sachverhalt
ab Seite 209
BGE 93 I 209 S. 209
Aus dem Tatbestand:
A.-
Hans Köchli wurde am 11. November 1966 vom Gerichtspräsidenten II von Biel des Führens eines Motorfahrzeugs
BGE 93 I 209 S. 210
in angetrunkenem Zustand sowie des Fahrens ohne Licht schuldig erklärt und zu 15 Tagen Gefängnis, zur Veröffentlichung des Urteils in zwei Amtsblättern und zur Bezahlung der Verfahrenskosten verurteilt. Nach dem Verhandlungsprotokoll hat der Gerichtspräsident dieses Urteil dem anwesenden, nicht durch einen Anwalt verbeiständeten Beschwerdeführer am Schlusse der Hauptverhandlung unter Hinweis auf die Appellationsmöglichkeiten eröffnet und es mündlich begründet.
Am 17. November 1966 sandte Köchli dem Richteramt II Biel ein Schreiben mit der Erklärung, er erhebe gegen das genannte Urteil "vollumfänglich Einsprache".
Die Akten gingen hierauf an das Obergericht des Kantons Bern. Dessen II. Strafkammer beschloss am 4. Januar 1967, auf die Eingabe Köchlis vom 17. November 1966 nicht einzutreten. Zur Begründung dieses Beschlusses führte es aus: Die Äusserung einer Partei sei nur dann als gültige Appellationserklärung anzusehen, wenn aus ihr der Wille hervorgehe, das erstinstanzliche Urteil nicht anzunehmen und es durch eine obere Behörde überprüfen zu lassen. Im Schreiben vom 17. November 1966 habe Köchli den Willen, die Sache an eine obere Instanz weiterzuziehen, nicht einmal andeutungsweise geäussert. Das Wort "Einsprache" beinhalte ihn nicht; es bezeichne allgemein nur einen Rechtsbehelf, durch den diejenige Instanz, die einen Entscheid gefällt habe, zur nochmaligen Überprüfung desselben veranlasst werden solle. Da die Eingabe somit den Anforderungen einer rechtsgültigen Appellation nicht genüge, sei darauf nicht einzutreten.
C.-
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt Hans Köchli den Antrag, der Beschluss des Obergerichts vom 4. Januar 1967 sei aufzuheben. Er macht Verletzung des
Art. 4 BV
geltend.
D.-
Das Obergericht und der Generalprokurator des Kantons Bern beantragen Abweisung der Beschwerde. Sie führen im wesentlichen aus: Die angefochtene Rechtsprechung bestehe im Grundsatz schon seit Jahrzehnten, sei durch einen Plenarbeschluss der Strafkammern vom 20. November 1963 bestätigt und seither ausnahmslos befolgt worden. Das Bundesgericht verlange ebenfalls, dass eine Nichtigkeitsbeschwerde nach
Art. 272 Abs. 1 BStP
entweder als solche bezeichnet werde oder doch deutlich zum Ausdruck bringe, dass eine eidgenössische Gerichtsinstanz angerufen werde (
BGE 82 IV 175
).
BGE 93 I 209 S. 211
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Appellation des bern. Gesetzes vom 20. Mai 1928 über das Strafverfahren (StrV) ist ein ordentliches Rechtsmittel, das die vollständige tatbeständliche und rechtliche Überprüfung des bisherigen Strafverfahrens ermöglicht (Art. 304 StrV und WAIBLINGER N. 2 hiezu). Das Gesetz will ihre Ergreifung offensichtlich erleichtern, denn es lässt auch die mündliche Erklärung zu (Art. 298 Abs. 2 StrV), stellt keine besonderen Anforderungen an die Erklärung und bestimmt ausdrücklich, dass ein Irrtum in der Bezeichnung des Rechtsmittels oder die Einreichung der schriftlichen Erklärung bei einer unzuständigen Gerichtsbehörde unschädlich sei (Art. 298 Abs. 4 StrV). Mit dieser letzteren Vorschrift wollte der Gesetzgeber nicht nur Versehen unschädlich machen, wie sie auch dem Rechtskundigen bei der Bezeichnung oder Adressierung der Rechtsmittelerklärung unterlaufen können. Vielmehr wollte er damit auch, ja in erster Linie demjenigen helfen, der das zulässige Rechtsmittel und das Gericht, bei dem es einzureichen ist, nicht kennt. Als Appellationserklärung muss daher jede fristgerecht gegen ein appellables Urteil gerichtete Erklärung genügen, die mit hinlänglicher Deutlichkeit erkennen lässt, dass der Erklärende eine Überprüfung des Urteils wünscht und nicht nur seinen Unwillen über dieses zum Ausdruck bringt. Als hinreichende Appellationserklärungen betrachten daher WAIBLINGER (N. 1 zu Art. 298 StrV) und PROBST (Die Appellation im Strafverfahren des Kantons Bern S. 142/3) in Übereinstimmung mit der älteren Rechtsprechung des Obergerichts schon die Erklärung des Betroffenen, er "nehme das Urteil (oder die Strafe) nicht an". Die neuere Rechtsprechung des Obergerichts (die in den in der Beschwerdeantwort angerufenen, vervielfältigten Vorlesungen von Prof. RÜEDI lediglich erwähnt und keineswegs gutgeheissen wird) verlangt darüber hinaus, dass aus der Erklärung hervorgehe, es werde die Überprüfung des Urteils durch eine obere Instanz verlangt (ZBJV 82/1946 S. 136, 83/1947 S. 306/7, 98/1962 S. 360). Damit wird jedoch ein Erfordernis aufgestellt, das sich aus dem Gesetz nicht ergibt. Insbesondere lässt sich die im angefochtenen Entscheid wie schon früher (vgl. ZBJV 98/1962 S. 360) vertretene Auffassung des Obergerichts, dass die Erhebung einer "Einsprache" oder eines "Einspruchs" als Appellationserklärung nicht genüge, weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinne des
BGE 93 I 209 S. 212
Gesetzes vereinbaren. Was im angefochtenen Entscheid und in den Vernehmlassungen des Obergerichts und des Generalprokurators für die gegenteilige Auffassung vorgebracht wird, vermag diese nicht als haltbar erscheinen zu lassen.
a) Das Obergericht will die Erhebung einer "Einsprache" nicht genügen lassen, weil damit eine nochmalige Überprüfung des Urteils durch die gleiche und nicht durch eine obere Instanz verlangt werde. Dieser Einwand wäre nur stichhaltig, wenn es neben der Überprüfung durch die obere Instanz auch eine nochmalige Überprüfung durch die gleiche Instanz gäbe. Da dies nach dem bernischen Strafprozessrecht nicht der Fall ist, kann die Erhebung einer "Einsprache" keinen andern Sinn als den einer Appellationserklärung haben, da der Erklärende damit deutlich zum Ausdruck bringt, dass er das gegen ihn ergangene Urteil anfechte, eine weitere Überprüfung und Beurteilung der Sache verlange. Nur diese Auslegung der Erklärung nach ihrem wirklichen Sinn und nicht nach dem Wortlaut wird dem Sinn und Zweck von Art. 298 Abs. 4 StrV gerecht. Dass mit dem Ausdruck "Einsprache" oder "Einspruch" eine nochmalige Überprüfung angestrebt wird, anerkennt denn auch das Obergericht. Ist dem aber so, dann kann, da das bernische Recht nur eine Überprüfung durch die obere Instanz kennt, ein ernsthafter Zweifel über den Sinn der Erklärung nicht bestehen.
b) Hieran vermag auch der Hinweis des Obergerichts auf die dem Verurteilten erteilte Rechtsmittelbelehrung nichts zu ändern. Diese lautet bei der mündlichen wie bei der schriftlichen Urteilseröffnung dahin, dass gegen das Urteil innert 10 Tagen beim erstinstanzlichen Richter die Appellation an das Obergericht erklärt werden könne. Darauf, dass diese Erklärung ausdrücklich als Appellation bezeichnet werden oder auf andere Weise den Willen, die Sache durch das Obergericht überprüfen zu lassen, zum Ausdruck bringen müsse, wird er nicht aufmerksam gemacht. Und selbst wenn dies, was in den Beschwerdeantworten aber nicht behauptet wird, bei der mündlichen Urteilseröffnung gelegentlich geschehen sollte, so wäre zweifelhaft, ob der Verurteilte dies auch wirklich verstünde. Der Umstand, dass der Verurteilte über die Appellationsmöglichkeit belehrt wird, kann daher nicht dazu führen, die im Gesetz vorgesehene formlose Weiterzugsmöglichkeit durch zusätzliche Erfordernisse zu erschweren.
BGE 93 I 209 S. 213
c) Die Berufung des Obergerichts auf die Rechtsprechung des Kassationshofes ist unbehelflich. Da im Einzelfall klar sein muss, ob eine obere kantonale Instanz durch ein ordentliches oder ausserordentliches Rechtsmittel oder das Bundesgericht angerufen wird, verlangt der Kassationshof die Abgabe einer Erklärung, in der unzweideutig der Wille ausgedrückt ist, an das Bundesgericht oder doch an eine eidgenössische Gerichtsinstanz zu gelangen (
BGE 82 IV 172
). Beim Weiterzug eines noch nicht rechtskräftigen und appellabeln Urteils an das bernische Obergericht besteht eine solche Unsicherheit über das vom Verurteilten ergriffene Rechtsmittel nicht; in Frage kommt nur die Appellation. Die in der Beschwerdeantwort des Obergerichts weiter angerufenen Ausführungen von LEUCH (N. 1 zu
Art. 339 ZPO
) betreffen den Zivilprozess, für den andere Voraussetzungen gelten und eine dem Art. 298 Abs. 4 StrV entsprechende Vorschrift fehlt.
2.
Die im angefochtenen Entscheid vertretene Auslegung der massgebenden Bestimmungen des StrV über die Appellation ist nicht nur unhaltbar und willkürlich, sondern widerspricht auch als formelle Rechtsverweigerung dem
Art. 4 BV
. Dieser verbietet nach ständiger, in den letzten Jahren wiederholt bestätigter Rechtsprechung (
BGE 92 I 11
und 16 Erw. 2 sowie dort angeführte frühere Urteile) einen prozessualen Formalismus, der sich durch keine schutzwürdigen Interessen rechtfertigen lässt, d.h. nicht dazu dient, die ordnungsgemässe Abwicklung des Verfahrens und die Sicherheit des materiellen Rechts zu gewährleisten. Ein solcher überspitzter Formalismus liegt hier vor. Schutzwürdige Interessen, die es rechtfertigen würden, auf eine als "Einsprache" oder "Einspruch" bezeichnete Appellationserklärung entgegen Art. 298 Abs. 4 StrV nicht einzutreten, sind nicht ersichtlich. Dass die allenfalls wünschbare Entlastung der Appellationsinstanz kein solches Interesse darstellt, ist ohne weiteres klar. Es lässt sich aber auch nicht einwenden, dass unter Umständen gar kein Weiterzug an das Obergericht gewollt und daher auf unklare Erklärungen nicht einzutreten sei. Wenn ausnahmsweise einmal zweifelhaft sein sollte, ob das Urteil an das Obergericht weitergezogen werden will oder nicht, so ist dem Präsidenten oder der Kanzlei des Obergerichts zuzumuten, dies unter Ansetzung einer kurzen Frist durch eine Rückfrage abzuklären, wie das zur Vermeidung unnötiger Arbeit des Gerichts auch geschehen soll und wohl
BGE 93 I 209 S. 214
auch geschieht, wenn zweifelhaft ist, ob eine Appellation sich gegen das ganze Urteil oder nur gegen einzelne Teile und gegen welche richtet (vgl. WAIBLINGER a.a.O. S. 442/3).
Art 4 BV
verpflichtet die Behörde, den Bürger auf allfällige Formfehler aufmerksam zu machen und ihm, unter Androhung des Nichteintretens, eine kurze Frist zu ihrer Behebung zu setzen, und verbietet es, eine Sache unter dem Vorwand eines Formfehlers ohne materielle Prüfung von der Hand zu weisen (
BGE 92 I 12
und 17).
Im vorliegenden Falle konnte schlechthin kein Zweifel darüber bestehen, dass der Beschwerdeführer mit seiner an die zuständige Instanz gerichteten Erklärung, er erhebe gegen das Strafurteil "vollumfänglich Einsprache", das Urteil durch das allein in Frage kommende ordentliche Rechtsmittel der Appellation anfechten wollte. Die Annahme des Obergerichts, er habe den dahingehenden Willen nicht einmal andeutungsweise geäussert, ist unverständlich. Durch den angefochtenen Beschluss wird dem Beschwerdeführer unter einem offensichtlichen Vorwand das Recht auf Überprüfung seines Falles durch den höheren Richter vorenthalten. Hierin liegt ein unzulässiger überspitzter Formalismus.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 4. Januar 1967 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
397cf47c-88e5-4572-8a14-52e2b3c9883b | Urteilskopf
135 II 286
29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilungi.S. X. und Y.Z. gegen Stadt Chur und Regierung des Kantons Graubünden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_477/2008 vom 16. Juni 2009 | Regeste a
Art. 4 RPG
; Charakter des Mitwirkungsrechts im Planungsverfahren.
Die Mitwirkung im Sinne von
Art. 4 RPG
stellt eine Einflussmöglichkeit dar, die von den Instrumenten der direkten Demokratie und des Rechtsschutzes zu unterscheiden ist. Berechtigt, sich informieren zu lassen und an der Mitwirkung teilzunehmen, ist "die Bevölkerung", damit weder nur die Stimmberechtigten der planenden Gebietskörperschaft noch nur die Grundeigentümer im Planperimeter oder die im Sinne der Rechtsschutzbestimmungen besonders betroffene Bevölkerung. Das Mitwirkungsrecht dient höchstens indirekt dem Rechtsschutz. Bei - mit Blick auf den Gesamtzusammenhang - untergeordneten nachträglichen Planänderungen ohne weitergehendes öffentliches Interesse darf darum von einer Nachholung des Mitwirkungsverfahrens abgesehen werden (E. 4).
Regeste b
Art. 29 Abs. 2 BV
,
Art. 33 RPG
; rechtliches Gehör und Rechtsschutz im Planungsverfahren.
Im Raumplanungsrecht werden individueller Rechtsschutz und damit die Gewährung des rechtlichen Gehörs in
Art. 33 RPG
abschliessend konkretisiert. Verlangt wird in
Art. 33 RPG
lediglich die Auflage der Nutzungspläne, nicht aber auch der Planentwürfe. Diesem Anspruch genügt ein Verfahren, das die öffentliche Auflage des Nutzungsplanes erst nach dessen Festsetzung durch das zuständige Organ zur Einleitung des Rechtsmittelverfahrens anordnet. Infolgedessen können Einwendungen im Rahmen eines Einsprache-
oder
Beschwerdeverfahrens vorgebracht werden. Dabei ist in Kauf zu nehmen, dass sich die Betroffenen je nach Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens erst gegenüber der Rechtsmittelinstanz erstmalig rechtlich zur Wehr setzen können und nicht schon gegenüber der Planungsbehörde. Das rechtliche Gehör wird damit nicht verletzt (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 288
BGE 135 II 286 S. 288
Vom 14. Mai bis 14. Juni 2004 fand in der Stadt Chur die Mitwirkungsauflage zur Gesamtrevision der Stadtplanung statt. Zur öffentlichen Einsichtnahme lagen unter anderem auch der Generelle Erschliessungsplan (GEP), Änderungen und Ergänzungen (1:5'000), und der Generelle Erschliessungsplan 2005 (neu) 1:5'000, auf. Private hatten die Möglichkeit, bis zum 14. Juni 2004 zur Gesamtrevision schriftlich Stellung zu nehmen. Am 26. November 2006 nahm die Stimmbevölkerung der Stadt Chur die Totalrevision der Stadtplanung an und verabschiedete sie zuhanden der regierungsrätlichen Genehmigung. Gegenstand des GEP bildet nebst anderem die sogenannte Langsamverkehrsplanung (Fuss- und Fahrradverkehr). Dazu legte die Stadt insbesondere Fuss-/Spazierwege fest, wobei sie zwischen "bestehenden" und "neuen/geplanten" Wegen unterschied. Einen solchen Fuss-/Spazierweg hat die Stadt u.a. im Wohngebiet Loë vorgesehen, um eine neue direkte und gerade Fussgängerverbindung ab der Sonnenbergstrasse in südlicher Richtung über die untere Florastrasse, die Falknisstrasse und die Fusswegparzelle Nr. 1667 bis zur Loëstrasse zu realisieren. Diese neue Fussgängerverbindung wurde allerdings erst nach dem Mitwirkungsverfahren in den GEP aufgenommen. Die u.a. betroffenen Grundeigentümer X. und Y.Z.
BGE 135 II 286 S. 289
wurden darüber nach der Volksabstimmung, nämlich am 3. April 2007, von der Stadt in Kenntnis gesetzt.
X. und Y.Z. gelangten hierauf mit Planungsbeschwerde an die Regierung, dies mit dem sinngemässen Begehren, die entsprechenden Festlegungen nicht zu genehmigen. Eventualiter stellten sie Antrag, es sei nur das Teilstück über die Wegparzelle Nr. 1667 nicht zu genehmigen. Subeventuell sei die Verbindung auf die Parzelle Nr. 251 zu verlegen. Subsubeventualiter forderten sie, es sei die ganze Angelegenheit an die Stadt zur neuen Überarbeitung und Neuentscheidung zurückzuweisen, dies unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bevölkerung. Die Beschwerdeführer bemängelten insbesondere in formeller Hinsicht, dass bezüglich der angefochtenen Wegfestlegung kein Mitwirkungsverfahren durchgeführt worden war.
Die Regierung des Kantons Graubünden wies die Beschwerde am 22. Oktober 2007 ab, soweit sie darauf eintrat. Gleichzeitig genehmigte sie die umstrittene Fuss-/Spazierwegfestlegung. Die Regierung begründete diesen Entscheid im Wesentlichen damit, dass im Planungs- und Mitwirkungsbericht zur Gesamtrevision im Dezember 2006 nicht sämtliche Festlegungen hätten kommentiert werden müssen. Das öffentliche Interesse an der neu geplanten Wegverbindung ohne unnötige Umwege überwiege die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Erhalt der Wegparzelle Nr. 1667 im letzten Teilabschnitt.
Dagegen gelangten die Beschwerdeführer an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Nach Durchführung eines Augenscheins am 4. Mai 2008 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde am 27. Mai 2008 ab, soweit es darauf eintrat.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 16. Oktober 2008 beantragten X. und Y.Z. dem Bundesgericht, das vorerwähnte Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben. Das Teilstück über die Parzelle Nr. 1667 des am 26. November 2006 im Rahmen der Gesamtrevision der Stadtplanung beschlossenen "bestehenden/geplanten Fuss-/Spazierweg Sonnhaldenstrasse-Florastrasse-Falknisstrasse-Loëstrasse" im GEP 1:5'000 sei nicht zu genehmigen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz oder die Stadt Chur zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
BGE 135 II 286 S. 290
Aus den Erwägungen:
4.
Die Beschwerdeführer rügen, dass sie über die nachträgliche Änderung des GEP erst
nach
der Volksabstimmung informiert worden sind. Aus ihrer Sicht hätte ein zweites Mitwirkungsverfahren durchgeführt werden müssen: Sie erblicken im Vorgehen der Behörden sowohl eine Verletzung von
Art. 4 RPG
(SR 700) als auch von
Art. 29 Abs. 2 BV
. Zwischen den beiden angerufenen Bestimmungen gilt es jedoch klar zu unterscheiden, da sie unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen.
4.1
Art. 4 Abs. 1 RPG
sieht vor, dass die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden die Bevölkerung über Ziele und Ablauf der Planungen nach dem RPG unterrichten. Sie sorgen dafür, dass die Bevölkerung bei Planungen in geeigneter Weise mitwirken kann (Abs. 2). Den zuständigen Behörden steht bei der Anwendung von
Art. 4 Abs. 2 RPG
ein weiter Handlungsspielraum zu. Das gilt insbesondere auch für die Bestimmung des Kreises, welcher in ein Mitwirkungsverfahren einzubeziehen ist (
BGE 133 II 120
E. 3.2 S. 124). Als Mindestgarantie fordert
Art. 4 RPG
, dass die Planungsbehörden neben der Freigabe der Entwürfe zur allgemeinen Ansichtsäusserung Vorschläge und Einwände nicht nur entgegennehmen, sondern auch materiell beantworten (
BGE 111 Ia 164
E. 2d S. 168). Es genügt allerdings, wenn sich die Behörden materiell mit den Vorschlägen und Einwänden befassen, eine individuelle Beantwortung wird nicht verlangt (WALDMANN/HÄNNI, Raumplanungsgesetz, Handkommentar, 2006, N. 13 zu
Art. 4 RPG
; siehe auch Urteil des Bundesgerichts 1C_101/2007 vom 26. Februar 2008 E. 3.1).
4.2
4.2.1
Der Kanton Graubünden hat diese bundesrechtlichen Vorgaben in Art. 13 der Raumplanungsverordnung für den Kanton Graubünden vom 24. Mai 2005 (KRVO; BR 801.110) mit der sogenannten "Mitwirkungsauflage" umgesetzt. Danach legt der Gemeindevorstand nach Abschluss des Vorprüfungsverfahrens den Entwurf für die neuen Vorschriften und Pläne zusammen mit dem Planungsbericht, einem allfälligen UVB und eventuellen Gesuchen für Zusatzbewilligungen in der Gemeinde während 30 Tagen öffentlich auf und gibt die Auflage im amtlichen Publikationsorgan der Gemeinde und im Kantonsamtsblatt bekannt (Abs. 1). Während der öffentlichen Auflage kann jedermann beim Gemeindevorstand Vorschläge und Einwendungen einbringen. Dieser prüft die
BGE 135 II 286 S. 291
Eingaben und nimmt dazu gegenüber den Mitwirkenden Stellung. Das Ergebnis des Mitwirkungsverfahrens wird zuhanden des beschlussfassenden Organs zusammengefasst (Abs. 2). Wird eine Vorlage nach der Mitwirkungsauflage geändert und erfolgt keine zweite Auflage, gibt der Gemeindevorstand die Änderung in der Publikation des Beschlusses über den Erlass oder die Änderung der Grundordnung bekannt und teilt diese ausserdem dem direkt Betroffenen schriftlich mit (Abs. 3).
Da das umstrittene Wegstück im Zeitpunkt der Mitwirkungsauflage noch nicht in der jetzigen Linienführung projektiert war, bestand für die Beschwerdeführer kein Anlass, entsprechende Anregungen und Vorschläge einzubringen. Der regierungsrätlichen Praxis entsprechend sah die Stadt Chur von einer zweiten Mitwirkungsauflage ab, da es sich bei der umstrittenen nachträglichen Änderung des Plans nicht um eine wesentliche Änderung handelte. Über die nachträgliche Änderung wurden die Beschwerdeführer, wie das Art. 13 Abs. 3 KRVO vorsieht, nach der Volksabstimmung informiert. Sie sind allerdings der Auffassung, dass die nachträgliche Änderung eine zweite Mitwirkungsauflage erheischt hätte. Dabei berufen sie sich sowohl auf Art. 13 KRVO (dazu nachfolgend E. 4.2.2) als auch 4 RPG (dazu nachfolgend E. 4.2.3).
4.2.2
Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, Abs. 3 von Art. 13 KRVO müsse restriktiv interpretiert werden und dürfe nur zur Anwendung gelangen, wenn die Planänderung aus einer Einwendung im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens gemäss Abs. 2 resultiere, nicht aber, wenn die Planungsbehörde sie von sich aus vornehme. Aus dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 3 KRVO ergibt sich keine solche Einschränkung. Es ist jedenfalls nicht willkürlich, Art. 13 Abs. 3 KRVO dann anzuwenden, wenn eine Vorlage nachträglich geändert wird und keine zweite Auflage erfolgt, sei es, dass die Änderung auf einer in der Mitwirkungsauflage erfolgten Einwendung beruht, sei es, dass die Planungsbehörde von sich aus handelt. Im Übrigen erwähnt der sehr offen formulierte Art. 13 Abs. 3 KRVO nicht ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen eine zweite Auflage erfolgt.
4.2.3
Die Mitwirkung im Sinne von
Art. 4 RPG
stellt eine Einflussmöglichkeit dar, die von den Instrumenten der direkten Demokratie und des Rechtsschutzes zu unterscheiden ist. Sie gehört wie das Vernehmlassungsverfahren zu jenen institutionellen Formen, die keine rechtliche Bindung, sondern blosse politische Einflussnahme
BGE 135 II 286 S. 292
bewirken. Information und Mitwirkung ermöglichen die notwendige Breite der Interessenabwägung, bilden eine wichtige Grundlage für den sachgerechten Planungsentscheid und tragen damit zu einer qualitativ guten Planung bei. Deshalb verlangt deren Durchführung einen Zeitpunkt, in welchem die abschliessende Interessenabwägung noch offen ist (RUDOLF MUGGLI, in: Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, 1999, N. 9 zu
Art. 4 RPG
; WALDMANN/HÄNNI, a.a.O., N. 1 zu
Art. 4 RPG
).
Berechtigt, sich informieren zu lassen und an der Mitwirkung teilzunehmen, ist "die Bevölkerung", damit weder nur die Stimmberechtigten der planenden Gebietskörperschaft noch nur die Grundeigentümer im Planperimeter oder die im Sinne der Rechtsschutzbestimmungen besonders betroffene Bevölkerung. Ein besonderer Interessennachweis ist nicht verlangt (WALDMANN/HÄNNI, a.a.O., N. 9 zu
Art. 4 RPG
). Es liegt allerdings nahe, dass die durch die Planung direkt Betroffenen, welche in einem späteren Rechtsmittelverfahren zur Beschwerde legitimiert sind, ihre Interessen bereits im Mitwirkungsverfahren im Sinne von Einwendungen und Anregungen geltend machen (siehe auch WALDMANN/HÄNNI, a.a.O., N. 2 zu
Art. 4 RPG
). Ob
Art 4 RPG
im Falle gewichtiger (nachträglicher) Änderungen eine Wiederholung der Mitwirkungsauflage gebietet, braucht hier nicht abschliessend erörtert zu werden. Bundesrechtlich ist jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn bei mit Blick auf den
Gesamtzusammenhang untergeordneten
nachträglichen Planänderungen
ohne weitergehendes öffentliches Interesse
von einer Nachholung des Mitwirkungsverfahrens abgesehen wird (so auch MUGGLI, a.a.O., N. 25 zu
Art. 4 RPG
und WALDMANN/HÄNNI, a.a.O., N. 114 zu
Art. 4 RPG
, mit Hinweis auf die Regelungen in Art. 58 Abs. 2 des Baugesetzes des Kantons Bern vom 9. Juni 1985 [BauG/BE; BSG 721.0] oder in Art. 9 Abs. 3 der Genfer Loi d'application de la loi fédérale sur l'aménagement du territoire du 4 juin 1987 [LaLAT; RSG L 1 30]). Damit wird in Kauf genommen, dass Interessierte nicht vorgängig an jedem einzelnen Punkt der Neugestaltung teilnehmen können und namentlich von der Planänderung direkt Betroffene auf den Rechtsmittelweg verwiesen werden, wie das Art. 13 Abs. 3 KRVO vorsieht. Angesichts der Zweckbestimmung des Mitwirkungsrechts, welches höchstens indirekt dem Rechtsschutz dient, in erster Linie aber zur politischen Meinungsbildung einem breiten Personenkreis offen stehen soll, ist diese Praxis mit
Art. 4 RPG
vereinbar.
BGE 135 II 286 S. 293
4.2.4
Bei der nachträglichen Aufnahme des umstrittenen Fusswegstückes in den GEP handelt es sich - entgegen der Meinung der Beschwerdeführer - um eine geringfügige Änderung des gesamten Erschliessungsplans, und es sind nur verhältnismässig Wenige davon direkt betroffen. Unter diesen Umständen war der Verzicht auf eine Wiederholung des Mitwirkungsverfahrens nicht bundesrechtswidrig. Mit ihrem Vorgehen haben die Behörden weder Art. 13 Abs. 3 KRVO noch
Art. 4 RPG
verletzt.
5.
Die Beschwerdeführer erblicken im Unterlassen der aus ihrer Sicht gebotenen vorgängigen Information über die Planänderung aber auch eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs.
5.1
Das rechtliche Gehör gemäss
Art. 29 Abs. 2 BV
dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines solchen Entscheides zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst als Mitwirkungsrecht somit alle Befugnisse, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (
BGE 132 II 485
E. 3.2 S. 494;
BGE 127 I 54
E. 2b S. 56;
BGE 117 Ia 262
E. 4b S. 268 mit Hinweisen).
5.2
Es gibt eine Reihe von Kantonen, welche bereits die Planentwürfe auflegen und ein förmliches Einspracheverfahren vorsehen (§§ 9 und 16 des solothurnischen Planungs- und Baugesetzes vom 3. Dezember 1978 [BGS 711.1; im Folgenden: PBG/SO]; § 24 Abs. 1 und 2 des aargauischen Baugesetzes vom 19. Januar 1993 [BauG/AG; SAR 713.100]; § 109 f. des basel-städtischen Bau- und Planungsgesetzes vom 17. November 1999 [BPG/BS; SG 730.100]). In andern Kantonen wiederum wird das Mitwirkungs- mit dem Planverfahren kombiniert (so etwa im Kanton Zürich, vgl. dazu HALLER/KARLEN, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, Bd. I, 3. Aufl. 1999, Rn. 402 S. 112; § 24 Abs. 3 BauG/AG bei Sondernutzungsplanungen und bei Änderungen der Nutzungspläne und
BGE 135 II 286 S. 294
Nutzungsvorschriften von untergeordneter Bedeutung; Art. 43 Abs. 3 der loi jurassienne du 25 juin 1987 sur les constructions et l'aménagement du territoire [LCAT; RSJU 701.1]). Dagegen sieht der Kanton Graubünden für die Grundordnungsverfahren (Art. 12 ff. KRVO) kein eigentliches Einspracheverfahren vor, so dass sich die Beschwerdeführer hinsichtlich ihrer Einwendungen auf das Rechtsmittelverfahren verwiesen sahen (Art. 13 Abs. 3 KRVO).
Verschiedene Autoren halten dafür, dass die bloss nachträgliche Einräumung eines Rechtsmittels gegen einen bereits beschlossenen Nutzungsplan mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht vereinbar sei, sondern der durch beabsichtigte Nutzungsplanungen in schutzwürdigen Interessen Betroffene die Möglichkeit haben müsse, bereits von Planentwürfen Kenntnis zu erhalten, sie einzusehen und dagegen Einwendungen zu erheben. Damit wird die Forderung erhoben, das rechtliche Gehör im Nutzungsplanverfahren vor der erstinstanzlichen Beschlussfassung zu gewähren (WALTER HALLER, Das rechtliche Gehör bei der Festsetzung von Raumplänen, in: Festschrift für O. K. Kaufmann zum 75. Geburtstag, 1989, S. 376 f.; weitere Hinweise bei AEMISEGGER/HAAG, in: Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, 1999, N. 11 Fn. 25 zu
Art. 33 RPG
). Für diese Auffassung könnte sprechen, dass die Gewährung des rechtlichen Gehörs im Allgemeinen erheischt, dass Betroffene vor Erlass eines in ihre Rechtsstellung eingreifenden Entscheides durch die zuständige Behörde zum frühestmöglichen Zeitpunkt anzuhören sind. Es ist nicht zu übersehen, dass, wenn wie vorliegend Einwendungen gegen die Planänderung erst nach dem Beschluss über deren Erlass im anschliessenden Rechtsmittelverfahren vorgebracht werden können, deren Adressatin nicht die Planungsbehörde, sondern die Rechtsmittelinstanz ist. Dieser kommt zwar grundsätzlich umfassende Kognition zu (
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
), doch respektiert sie das Planungsermessen der lokalen Planungsbehörde (
BGE 127 II 238
E. 3b/aa S. 242 mit zahlreichen Hinweisen). Damit geht einher, dass die zur Stellungnahme zu den Einwendungen aufgerufene Planungsbehörde nach durchgeführter Abstimmung nicht mehr in dem Masse frei ist, wie sie es in einem der Abstimmung vorgelagerten Verfahren wäre, weshalb von ihr im Rahmen der Vernehmlassung im Rechtsmittelverfahren keine wirklich unvoreingenommene Prüfung zu erwarten ist, selbst wenn ein Rückkommen noch möglich wäre. Fraglich ist, ob das rechtliche Gehör der Betroffenen mit diesem Vorgehen hinreichend gewahrt wird.
BGE 135 II 286 S. 295
5.3
Im Raumplanungsrecht werden individueller Rechtsschutz und damit die Gewährung des rechtlichen Gehörs in
Art. 33 RPG
abschliessend konkretisiert: Nutzungspläne werden öffentlich aufgelegt (Abs. 1). Das kantonale Recht sieht wenigstens ein Rechtsmittel vor (Abs. 2) und gewährleistet volle Überprüfung durch wenigstens eine Beschwerdebehörde (Abs. 3 lit. b). Damit erhalten die Legitimierten (Abs. 3 lit. a) Gelegenheit, im Beschwerdeverfahren mit ihren Anliegen zu den sie tangierenden Planänderungen gehört zu werden. Freilich ist es den Kantonen unbenommen, Planentwürfe nicht nur im Sinne der Mitwirkungsauflage, sondern auch zur Eröffnung eines dem individuellen Rechtsschutz dienenden Einspracheverfahrens für die direkt Betroffenen aufzulegen, stellt doch das Bundesrecht in Wahrung der kantonalen Hoheit nur Mindestvorschriften zur Gewährleistung des Rechtsschutzes auf (
BGE 114 Ia 233
E. 2bc ff. S. 238 f.). Der in
Art. 33 RPG
konkretisierte Gehörsanspruch verlangt (nur), dass sich entweder die kommunale oder die kantonale Behörde im Einsprache-, Beschwerde- oder Homologationsverfahren mit den formgerecht und innert Frist erhobenen Einwendungen materiell befassen muss (
BGE 107 Ia 273
). Verlangt wird in
Art. 33 RPG
lediglich die Auflage der Nutzungspläne, nicht aber auch der Planentwürfe. Diesem Anspruch genügt ein Verfahren, das die öffentliche Auflage des Nutzungsplanes erst
nach
dessen Festsetzung durch das zuständige Organ zur Einleitung des Rechtsmittelverfahrens anordnet. Das kantonale Recht, dem das Bundesrecht Rechnung trägt, sieht denn auch vielfach eine Trennung des politischen Willensbildungsprozesses vom Rechtsmittelverfahren in dem Sinne vor, dass die im Dienste des Rechtsschutzes stehende Planauflage erst nach dem Entscheid des zuständigen Organs, in der Regel der Gemeindeversammlung als der Legislative der Gemeinde, erfolgt (
BGE 114 Ia 233
E. 2cd S. 239 mit Hinweisen auf damalige kantonale Regelungen im Tessin, Basel-Landschaft und Zürich). Infolgedessen können Einwendungen im Rahmen eines Einsprache-
oder
Beschwerdeverfahrens vorgebracht werden (
BGE 119 Ia 141
E. 5c/bb S. 150).
Dabei ist in Kauf zu nehmen, dass sich die Betroffenen je nach Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens erst gegenüber der Rechtsmittelinstanz erstmalig rechtlich zur Wehr setzen können und nicht schon gegenüber der Planungsbehörde. Damit geht einher, dass die Rechtsmittelinstanz, die zwar über eine umfassende Sachverhalts- und Rechtskontrolle verfügt, das Planermessen der
BGE 135 II 286 S. 296
Planungsbehörde respektiert. Insoweit mag der Standard der Gehörsgewährung im Beschwerdeverfahren jenem der Gehörsgewährung im Einspracheverfahren nicht vollumfänglich zu entsprechen. Dennoch ist der Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt. | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3981230b-1be4-4731-ad79-eb4553b85a65 | Urteilskopf
99 Ib 244
30. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Juni 1973 i.S. Jentzsch gegen Gunzenhauser und Regierungsrat des Kantons Uri | Regeste
Prüfungspflicht des Grundbuchverwalters (
Art. 18 ff. GBV
); BB über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland.
1. Zulässigkeit der allgemeinen Aufsichtsbeschwerde gemäss
Art. 104 GBV
gegen den Entscheid des Grundbuchverwalters, eine Eintragung im Grundbuch vorzunehmen, solange diese noch nicht vollzogen worden ist (Erw. 2).
2. Der Grundbuchverwalter hat in der Regel das Rechtsverhältnis, das einer Anmeldung zur Eintragung zugrundeliegt, in materieller Hinsicht nicht zu überprüfen. Eine besondere Prüfungspflicht besteht indessen dann, wenn es sich um den bewilligungspflichtigen Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland handelt (Erw. 3).
3. Ein Rechtsgeschäft auf bewilligungspflichtigen Erwerb eines Grundstücks ist nichtig, wenn die zuständige Behörde die Bewilligung verweigert, und kann nicht als Rechtsgrundausweis für einen Eintrag im Grundbuch dienen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 245
BGE 99 Ib 244 S. 245
A.-
Am 10. Oktober 1964 beurkundete Notar Dr. A. Christen in Altdorf einen Kaufvertrag, gemäss welchem der in Berlin wohnhafte deutsche Staatsangehörige Hellmut Jentzsch von Walter Gunzenhauser das hälftige Miteigentum am Grundstück HB 651 und dem dazugehörigen Ferienhaus "Felsennest" in Gurtnellen erwarb. Wegen des ausländischen Wohnsitzes des Erwerbers bedurfte dieser Kaufvertrag nach dem Bundesbeschluss über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961 einer Genehmigung. Die Gewerbedirektion des Kantons Uri als hiefür zuständige kantonale Behörde wies ein Genehmigungsgesuch, das Notar Dr. Christen im Namen des Käufers eingereicht hatte, mit Entscheid vom 23. März 1965 ab. Dieser Entscheid erwuchs in Rechtskraft.
B.-
Am 6. Juni 1972 reichte der gleiche Notar den Kaufvertrag vom 10. Oktober 1964 dem Grundbuchamt Uri zur Eintragung in das Grundbuch ein. Er fügte ein Schreiben der Gewerbedirektion des Kantons Uri vom 25. August 1971 bei. Darin wird ausgeführt, dass H. Jentzsch keiner Bewilligung für den Erwerb von Grundstücken bedürfe, da er seit dem 12. Juli 1966 eine mehrmals verlängerte Aufenthaltsbewilligung besitze. W. Gunzenhauser teilte sowohl dem Notar wie dem Grundbuchamt mit Schreiben vom 7. Juni 1972 mit, dass der Kaufvertrag vom 10. Oktober 1964 zufolge der Nichtgenehmigung durch die Gewerbedirektion des Kantons Uri seine Gültigkeit verloren habe, weshalb er, Gunzenhauser, sich einer Eintragung in das Grundbuch widersetze.
Das Grundbuchamt Uri schrieb W. Gunzenhauser am 27. Juli 1972, es erachte den Rechtsgrundausweis für die Begründung von Miteigentum als vollständig und ordnungsgemäss; dem Begehren um Eintragung in das Grundbuch müsse daher Folge geleistet werden; der Kaufvertrag bestehe, da Gunzenhauser nicht einseitig davon zurücktreten könne, heute noch zu Recht. Das Grundbuchamt fügte bei, sofern das Schreiben von W.
BGE 99 Ib 244 S. 246
Gunzenhauser als Einsprache aufzufassen sei, werde diese abgewiesen.
C.-
Gegen diesen Entscheid erhob W. Gunzenhauser Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Uri. Er machte geltend, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Kaufvertrages in das Grundbuch nicht erfüllt seien. Am 22. Januar 1973 fällte der Regierungsrat folgenden Entscheid:
1. "Die Beschwerde Dr. Leo Arnold, Altdorf, namens Walter Gunzenhauser, Winterthur, vom 3. August/24. August 1972, wird auf Grund der Erwägungen gutgeheissen. Es wird ausdrücklich festgestellt, dass infolge Nichtigkeit des Kaufvertrages vom 10. Oktober 1964 zwischen dem Käufer Hellmut Jentzsch/Walter Gunzenhauser, ausgefertigt durch Dr. Alex Christen, Altdorf, zur Zeit kein Ausweis für die Eintragung des Grundeigentums im Grundbuch besteht. Die Anmeldung entspricht somit insbesondere nicht der in Artikel 18 der Verordnung betreffend das Grundbuch aufgestellten Anforderung, weshalb die Anmeldung durch den Grundbuchverwalter abzuweisen und eine Eintragung in das Grundbuch abzulehnen ist."
(Ziff. 2 enthält die Rechtsmittelbelehrung und regelt die Mitteilung.)
Der Regierungsrat nahm an, dass die seinerzeitige Verweigerung der Genehmigung des Kaufvertrages vom 10. Oktober 1964 durch die Gewerbedirektion des Kantons Uri nicht nur bewirkt habe, dass der Käufer Jentzsch kein Miteigentum an der in Frage stehenden Parzelle erwerben konnte, sondern auch, dass der Vertrag als solcher dahinfiel; diese Rechtsfolge ergebe sich zwar nicht ausdrücklich aus den Art. 11 und 12 des massgebenden Bundesbeschlusses, sie dränge sich indessen auf Grund von deren Sinn und Zweck auf.
D.-
Gegen diesen Entscheid erhob H. Jentzsch Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit dem Antrag, er sei aufzuheben und der beim Grundbuchamt Uri zur Anmeldung gebrachte Kaufvertrag sei zur Eintragung zuzulassen.
E.-
Der Regierungsrat des Kantons Uri nahm in einer Vernehmlassung zur Beschwerde Stellung und beantragt deren Abweisung. Den gleichen Antrag stellte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement in der von ihm ausgearbeiteten Vernehmlassung. W. Gunzenhauser reichte keine Vernehmlassung ein.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 103 Abs. 1 und 4 der Grundbuchverordnung (GBV) kann im Falle der Abweisung der Anmeldung einer
BGE 99 Ib 244 S. 247
Grundbucheintragung gegen den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erhoben werden.
Art. 104 GBV
sieht sodann vor, dass auch gegen weitere Verfügungen des Grundbuchverwalters Beschwerde geführt werden kann. Die Revision des OG vom 20. Dezember 1968 hat an der Möglichkeit des Weiterzuges solcher Beschwerden an das Bundesgericht nichts geändert (
BGE 97 I 270
Erw. 1 u. 697 Erw. 1;
BGE 98 Ib 94
Erw. 1a).
2.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) wirft in seiner Vernehmlassung die Frage auf, ob der angefochtene Beschwerdeentscheid nicht allenfalls deshalb aufgehoben werden sollte, weil Gegenstand des Verfahrens vor der kantonalen Aufsichtsbehörde nicht die Abweisung einer Grundbuchanmeldung bildete; es ist der Auffassung, dass gegen einen Entscheid des Grundbuchverwalters, die nachgesuchte Eintragung vorzunehmen, keine Beschwerde erhoben werden könne.
Diese Betrachtungsweise erscheint indessen als zu eng. Solange die Eintragung im Grundbuch noch nicht vollzogen ist, kann auf dem Weg einer allgemeinen Aufsichtsbeschwerde gemäss
Art. 104 GBV
versucht werden, die bevorstehende Vornahme der Eintragung zu verhindern (
BGE 90 I 310
/11 Erw. 1). Nachdem das Grundbuchamt Uri nach den Abklärungen des EJPD den Kaufvertrag noch nicht in das Hauptbuch eingetragen hat, war die auf Verhinderung eines solchen Eintrages gerichtete Beschwerde des Verkäufers und Eigentümers Gunzenhauser zulässig. Die kantonale Aufsichtsbehörde ist somit zu Recht materiell auf die Beschwerde eingetreten.
3.
In der Beschwerde an das Bundesgericht wird im wesentlichen geltend gemacht, das Grundbuchamt Uri habe sich zu Recht mit einer formellen Prüfung der Voraussetzungen zur Eintragung des angemeldeten Kaufvertrages im Grundbuch begnügen wollen; die kantonale Aufsichtsbehörde verkenne, dass die Prüfung der materiellen Richtigkeit der eingereichten Unterlagen nicht Sache der Grundbuchbehörden, sondern, auf entsprechende Klage hin, höchstens Sache des Richters sein könne.
Es trifft zu, dass es grundsätzlich nicht Sache der Grundbuchbehörden ist, das Rechtsverhältnis, das einer Anmeldung zur Eintragung zugrunde liegt, in materiell-rechtlicher Hinsicht zu überprüfen (vgl. z.B.
BGE 98 Ib 95
Erw. 2,
BGE 90 I 312
Erw. 3,
BGE 87 I 478
Erw. 4,
BGE 79 I 263
). Eine Ausnahme mag immerhin gemacht werden, wenn ein Vertrag, der als Rechtsgrundausweis für die
BGE 99 Ib 244 S. 248
Eintragung dienen soll, offensichtlich nichtig ist (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 23. Februar 1950 i.S. G. c. Justizdepartement des Kantons Tessin, in deutscher Übersetzung wiedergegeben in ZBGR 1953 S. 284/285; AUER, Die Prüfungspflicht des Grundbuchverwalters, Diss. Bern 1932 S. 81; DESCHENAUX, SJK 1278 S. 5). Das muss insbesondere dann gelten, wenn es sich wie hier um einen Fall von Grundstückserwerb durch Personen im Ausland handelt. Der Bundesbeschluss über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 23. März 1961 und derjenige über die Weiterführung dieser Bewilligungspflicht vom 30. September 1965 (AS 1961 S. 203 ff. und 1965 S. 1239 ff.) auferlegen dem Grundbuchverwalter in dieser Hinsicht eine besondere Prüfungspflicht. So bestimmt der hier anwendbare Bundesbeschluss vom 23. März 1961 in Art. 12 folgendes:
"1 Ein nichtiges Rechtsgeschäft im Sinne von Artikel 11, Absatz 1 und 2 verschafft keinen Anspruch auf Eintragung im Grundbuch.
2 Der Grundbuchverwalter hat, wenn ein solches Rechtsgeschäft angemeldet wird oder wenn Zweifel über Art und Voraussetzungen des Rechtsgeschäftes obwalten, den Anmeldenden an die Bewilligungsbehörde zu verweisen und ihm eine Frist von zehn Tagen mit der Androhung anzusetzen, dass nach unbenutztem Ablauf dieser Frist die Anmeldung abgewiesen werde."
Im vorliegenden Fall hatte der Grundbuchverwalter durch das Schreiben von W. Gunzenhauser vom 7. Juni 1972 davon Kenntnis erhalten, dass der ihm von Notar Dr. Christen zur Eintragung in das Grundbuch eingereichte Kaufvertrag von der Gewerbedirektion des Kantons Uri als Bewilligungsbehörde seinerzeit nicht genehmigt worden war. Trotz des ihm bei der Anmeldung übergebenen Schreibens der gleichen Amtsstelle, nach welchem der Erwerber nunmehr keiner Bewilligung im Sinne des massgebenden Bundesbeschlusses bedürfe, hätte der Grundbuchverwalter Anlass gehabt zu prüfen, ob der vor mehr als sieben Jahren abgeschlossene Kaufvertrag unter den gegebenen Umständen als Ausweis für die Eintragung gemäss
Art. 18 GBV
noch in Frage komme. Diese Prüfung hätte, wie im angefochtenen Entscheid zutreffend ausgeführt wird, zum Ergebnis führen müssen, dass der Kaufvertrag zufolge der Nichtgenehmigung durch die zuständige Bewilligungsbehörde seine Gültigkeit verloren hatte, beziehungsweise dass er ein nichtiges Rechtsgeschäft im Sinne von Art. 12 Abs. 1 des zitierten Bundesbeschlusses vom
BGE 99 Ib 244 S. 249
23. März 1961 darstellte. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus Art. 11 Abs. 1 des betreffenden Bundesbeschlusses, der folgenden Wortlaut hat:
"1 Rechtsgeschäfte auf bewilligungspflichtigen Erwerb von Grundstücken im Sinne von Artikel 1 und 2, Absatz 1 sind ohne rechtskräftige Bewilligung nichtig."
Nach der Rechtsprechung der zur Anwendung dieses Bundesbeschlusses geschaffenen eidgenössischen Rekurskommission sind Rechtsgeschäfte aufÜbertragung von Grundeigentum ohne Bewilligung unvollendet und bleiben in der Schwebe, bis der Entscheid über die Bewilligung vorliegt. Wird die Bewilligung verweigert, fallen sie dahin (Botschaft des Bundesrates über die Weiterführung der Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland vom 27. November 1964, BBl 1964 II 1259). Der an die Stelle des hier anwendbaren Bundesbeschlusses getretene Bundesbeschluss vom 30. September 1965 über die Weiterführung der Bewilligungspflicht hat, dieser Praxis Rechnung tragend, in Art. 12 Abs. 1 die Nichtigkeitsfolge folgendermassen ausdrücklich geregelt:
"Die rechtskräftige Verweigerung der Bewilligung oder die rechtskräftige Abweisung der Anmeldung haben die Nichtigkeit des dem Erwerb zugrunde liegenden Rechtsgeschäftes zur Folge."
Der angefochtene Entscheid geht somit zutreffend davon aus, dass der zur Eintragung eingereichte Kaufvertrag keinen genügenden Rechtsgrundausweis im Sinne von
Art. 18 GBV
bildet und dass die Grundbuchanmeldung deshalb abzuweisen ist.
4.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wäre jedoch selbst dann abzuweisen, wenn angenommen werden wollte, die Prüfung des Kaufvertrages auf dessen Nichtigkeit hin überschreite in einem Fall wie dem vorliegenden die Befugnis des Grundbuchverwalters und müsse dem ordentlichen Richter vorbehalten bleiben. Das Grundbuchamt Uri hatte auf Grund des Schreibens von W. Gunzenhauser davon Kenntnis, dass über die Frage der Gültigkeit des Kaufvertrages zwischen den Vertragsparteien Streit herrschte. Wenn es schon davon ausging, es sei nicht seine Sache, über diese materiell-rechtliche Frage selber zu entscheiden, hätte es die Anmeldung abweisen und so die Voraussetzung dafür schaffen sollen, dass vor der Eintragung ein Entscheid des ordentlichen Richters über die Gültigkeit des Vertrages hätte
BGE 99 Ib 244 S. 250
herbeigeführt werden können (vgl. in diesem Sinne den unveröffentlichten Entscheid des Bundesgerichtes vom 10. Oktober 1969 i.S. Lüdi c. Sonderegger und Mitbeteiligte S. 10 f.).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
398197cd-ba9b-4e24-8ea6-a73df44b6ce5 | Urteilskopf
137 III 380
56. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Z. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_233/2011 vom 5. August 2011 | Regeste a
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
; Anfechtung eines Zwischenentscheids vor Bundesgericht.
Begriff des nicht wieder gutzumachenden Nachteils. Ob ein solcher Nachteil vorliegt, bemisst sich an den Auswirkungen des Zwischenentscheids auf die Hauptsache bzw. das Hauptverfahren (E. 1).
Regeste b
Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO
; Anfechtung einer prozessleitenden Verfügung vor dem oberen kantonalen Gericht.
Kann ein Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
bewirken, so kann er erst recht einen nicht leicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss
Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO
nach sich ziehen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 381
BGE 137 III 380 S. 381
A.
Z. (Ehemann) reichte am 28. Januar 2011 beim Kantonsgericht Zug eine Scheidungsklage gegen X. (Ehefrau) ein. Er ersuchte darin um Vorladung zu einer Einigungsverhandlung. Die Referentin am Kantonsgericht Zug stellte X. die Klage am 1. Februar 2011 zur Einreichung einer Klageantwort zu.
X. ersuchte am 7. Februar 2011 darum, ihr die Frist zur Einreichung einer Klageantwort abzunehmen und die Parteien gemäss
Art. 291 ZPO
zu einer Einigungsverhandlung vorzuladen. Die Referentin teilte ihr daraufhin am 11. Februar 2011 mit, die Scheidungsklage enthalte eine Kurzbegründung, weshalb kein Raum für eine Einigungsverhandlung bestehe und an der angesetzten Frist festgehalten werde.
B.
Dagegen wandte sich X. mit Beschwerde vom 18. Februar 2011 an das Obergericht des Kantons Zug, welches mit Präsidialverfügung vom 21. Februar 2011 auf die Beschwerde nicht eintrat.
C.
Am 24. März 2011 hat X. (Beschwerdeführerin) gegen diese Verfügung Beschwerde in Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie beantragt, die angefochtene Verfügung des Obergerichts aufzuheben und das Kantonsgericht Zug anzuweisen, die Parteien zur Einigungsverhandlung gemäss
Art. 291 ZPO
vorzuladen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Das Obergericht beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Z. (Beschwerdegegner) hat - ausser im Kostenpunkt - auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die Angelegenheit an das Obergericht zurück.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Angefochten ist - binnen Frist (
Art. 100 Abs. 1 BGG
) - ein kantonal letztinstanzlicher Nichteintretensentscheid (
Art. 75 Abs. 1 BGG
) über die Anfechtung einer erstinstanzlichen prozessualen Anordnung in einem Scheidungsverfahren, nämlich die Weigerung der Referentin am Kantonsgericht, eine Einigungsverhandlung durchzuführen. Dieser erstinstanzliche Entscheid ist in der Terminologie der ZPO eine prozessleitende Verfügung und nicht ein Zwischenentscheid (vgl.
Art. 237 und 319 lit. b ZPO
[SR 272]; Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl
BGE 137 III 380 S. 382
2006 7376 Ziff. 5.23.2 und 7344 Ziff. 5.15). In der Begrifflichkeit des BGG ist die angefochtene Verfügung jedoch ein Vor- oder Zwischenentscheid (
Art. 93 BGG
). An dieser Qualifikation ändert sich grundsätzlich wie auch vorliegend dadurch nichts, dass der angefochtene Rechtsmittelentscheid auf Nichteintreten lautet. Er beendet nämlich lediglich den Streit um die erstinstanzliche Zwischenverfügung, nicht aber das Hauptverfahren (Urteil 4A_542/2009 vom 27. April 2010 E. 3 mit Hinweisen). Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache. In der Hauptsache geht es um eine Scheidung, wobei sowohl der Scheidungspunkt wie auch die Nebenfolgen umstritten sind. Es liegt somit eine Zivilsache (
Art. 72 Abs. 1 BGG
) ohne Vermögenswert vor (vgl.
BGE 116 II 493
E. 2 S. 494 ff.). Steht die Beschwerde in Zivilsachen zur Verfügung, bleibt für die ebenfalls erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde kein Raum (
Art. 113 BGG
).
1.2
Selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide können vor Bundesgericht nur unter den Voraussetzungen von
Art. 92 und 93 BGG
angefochten werden. Vorliegend kommt einzig die Variante gemäss
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
in Betracht, d.h. die Beschwerde ist zulässig, wenn der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann.
1.2.1
Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
muss nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung rechtlicher Natur sein, was voraussetzt, dass er sich auch mit einem späteren günstigen Endentscheid nicht oder nicht gänzlich beseitigen lässt (
BGE 136 II 165
E. 1.2.1 S. 170;
BGE 135 I 261
E. 1.2 S. 263;
BGE 135 II 30
E. 1.3.4 S. 35 f.;
BGE 134 III 188
E. 2.1 S. 190;
BGE 133 III 629
E. 2.3.1 S. 632; je mit Hinweisen). Die blosse Möglichkeit eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur genügt (
BGE 134 III 188
E. 2.1 S. 191 mit Hinweis). Dagegen reichen rein tatsächliche Nachteile wie die Verfahrensverlängerung oder -verteuerung nicht aus (
BGE 133 III 629
E. 2.3.1 S. 632;
BGE 134 III 188
E. 2.2 S. 191; relativierend
BGE 135 II 30
E. 1.3.4 und 1.3.5 S. 36 ff.).
1.2.2
Im vorliegenden Fall ist die Vorinstanz auf die Eingabe der Beschwerdeführerin nicht eingetreten, da die fragliche Anordnung der erstinstanzlichen Richterin (Verzicht auf Vorladung zu einer Einigungsverhandlung gemäss
Art. 291 ZPO
) mangels rechtlichen Nachteils nicht Gegenstand einer Beschwerde gemäss
Art. 319 lit. b
BGE 137 III 380 S. 383
Ziff. 2 ZPO
bilden könne. Unmittelbarer Verfahrensgegenstand vor Bundesgericht bildet die Frage, ob dieses Nichteintreten rechtens war. Die der Vorinstanz vorgelegte Frage, ob die Verweigerung der Ansetzung einer Einigungsverhandlung gemäss
Art. 291 ZPO
zu Recht erfolgte, wurde von dieser hingegen noch nicht behandelt. Das Bundesgericht kann sich deshalb entgegen dem reformatorischen Antrag der Beschwerdeführerin dazu nicht äussern.
Trotz dieser Beschränkung des Verfahrensthemas bemisst sich die Frage, ob ein nicht wieder gutzumachender Nachteil vorliegt, nicht am Nichteintretensentscheid der Vorinstanz als solchem, d.h. daran, ob dieses Prozessurteil mit Beschwerde gegen den Endentscheid noch überprüft werden könnte (so noch Urteil 5A_612/2007 vom 22. Januar 2008 E. 1.1). Massgebend sind vielmehr die Auswirkungen des Zwischenentscheids auf die Hauptsache. Das erstinstanzliche Urteil und seine Bedeutung für das weitere Verfahren sind demnach entscheidend (Urteil 5D_72/2009 vom 9. Juli 2009 E. 1.1; vgl. auch Urteile 4A_242/2011 vom 13. Mai 2011 E. 1.4 und 4A_542/2009 vom 27. April 2010 E. 4.2 und 4.3). Vorliegend geht es also darum, ob die Nichtdurchführung einer Einigungsverhandlung gemäss
Art. 291 ZPO
einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Scheidungsverfahren bewirken kann.
1.2.3
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Weigerung, eine Einigungsverhandlung anzusetzen, begründe einen rechtlichen Nachteil, weil dadurch ein im Scheidungsverfahren zwingend vorgesehener Verfahrensschritt übersprungen würde.
1.2.4
Ob die Einigungsverhandlung gemäss
Art. 291 ZPO
tatsächlich zwingend ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Diese Frage beschlägt die Begründetheit der Beschwerde an das Obergericht (oben E. 1.2.2). Immerhin sieht die ZPO diesen Verfahrensschritt ausdrücklich vor. Die Auffassung der Beschwerdeführerin über die zwingende Natur der Einigungsverhandlung erscheint denn auch nicht von vornherein abwegig. Fällt die Einigungsverhandlung aus, kann sie nicht nachgeholt werden. Die Angelegenheiten, welche Gegenstand der Einigungsverhandlung bilden würden, müssten dann allenfalls in anderem Zusammenhang behandelt werden. Selbst falls die Möglichkeit bestehen sollte, die übergangenen Verfahrensinhalte in einer anderen Prozessphase nachzuholen, ändert dies aber nichts daran, dass in womöglich rechtswidriger Weise ein Prozessabschnitt übersprungen wurde. Dieser
BGE 137 III 380 S. 384
verfahrensmässige Nachteil lässt sich im weiteren Prozess und im Endurteil nicht beseitigen. Der angefochtene Zwischenentscheid kann somit einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Es bleibt zu beurteilen, ob auch die Vorinstanz auf die Beschwerde hätte eintreten müssen. Gemäss
Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO
sind prozessleitende Verfügungen mit Beschwerde anfechtbar, wenn durch sie ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil droht. Die französische Fassung verlangt "un préjudice difficilement réparable" und die italienische "un pregiudizio difficilmente riparabile".
2.1
Die Vorinstanz hat mit äusserst knapper Begründung festgehalten, der nicht leicht wieder gutzumachende Nachteil gemäss
Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO
dürfe nicht bloss tatsächlicher, sondern müsse rechtlicher Natur und so beschaffen sein, dass er durch einen der Beschwerdeführerin günstigen Endentscheid nicht mehr vollständig behoben werden könne. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Verweigerung eines zwingend im Scheidungsverfahren vorgesehenen Verfahrensschrittes stelle keinen solchen Nachteil dar.
2.2
Nachdem der geltend gemachte Nachteil ausreicht, damit das Bundesgericht auf die Beschwerde in Zivilsachen eintritt, folgt daraus ohne weiteres, dass auch die Vorinstanz auf die Beschwerde gemäss
Art. 319 ff. ZPO
hätte eintreten müssen. Kann der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
bewirken, so kann er erst recht einen nicht leicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von
Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO
nach sich ziehen.
2.3
Die angefochtene Verfügung ist folglich aufzuheben. Die Vorinstanz hat auf die Beschwerde einzutreten und muss prüfen, ob die Einigungsverhandlung durchzuführen ist. Sie hat zugleich über Kosten und Entschädigungen im kantonalen Verfahren neu zu befinden. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
39839262-2794-489b-bbc9-ec4282df1547 | Urteilskopf
107 V 4
2. Estratto della sentenza del 12 gennaio 1981 nella causa Zeis contro Cassa di compensazione del Cantone Ticino e Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino. | Regeste
Art. 8 AHVG
und
Art. 22,
Art. 23,
Art. 24,
Art. 25 AHVV
.
- Die Gewährung einer ordentlichen Nachlassstundung und die Genehmigung des ordentlichen Nachlassvertrages erlauben nicht den Übergang von der ordentlichen zur ausserordentlichen Beitragsfestsetzung (Erw. 4a).
- Wenn die Zwischenveranlagung auf einem der in
Art. 25 Abs. 1 AHVV
genannten Gründe fusst, ist sie für die Beitragsbemessung von Bedeutung; andernfalls kann sie für die steuerlichen, nicht aber für die versicherungsrechtlichen Belange bedeutsam sein (Erw. 4b). | Erwägungen
ab Seite 4
BGE 107 V 4 S. 4
Estratti dai considerandi:
4.
Secondo l'
art. 23 cpv. 4 LAVS
le indicazioni della autorità fiscale cantonale concernenti il reddito determinante sono vincolanti. La giurisprudenza ne ha dedotto che il giudice delle assicurazioni sociali può scostarsi da tassazioni cresciute in giudicato soltanto quando esse siano infirmate da errori manifesti che senz'altro sono da rettificare, oppure quando sia necessario apprezzare fatti irrilevanti dal profilo fiscale, ma di rilievo per quello assicurativo (
DTF 102 V 30
consid. 3a). Il Tribunale federale delle assicurazioni ha ripetutamente dichiarato che, rispetto agli art. 22 e 23, l'
art. 25 OAVS
riveste il carattere della norma d'eccezione e non può quindi essere interpretato in modo estensivo (
DTF 98 V 245
; RCC 1976 pag. 235; 1971 pag. 415) Perché questa disposizione
BGE 107 V 4 S. 5
disposizione sia applicabile non basta una mera variazione dell'entità del reddito nel caso singolo: l'
art. 25 OAVS
concerne soltanto i casi in cui la struttura stessa dell'attività economica sia profondamente modificata.
a) Nell'evenienza concreta nel momento in cui la Cassa di compensazione ha deciso, data che segna nel tempo i poteri di cognizione di questa Corte (
DTF 105 V 154
), l'amministrazione tributaria le aveva trasmesso una comunicazione concernente il reddito medio determinante un importo ai fini dell'IDN 19o periodo in decisione cresciuta in giudicato.
In corretta applicazione della procedura ordinaria di determinazione dei contributi, la Cassa di compensazione ne ha esattamente fissato l'importo. Ora, all'inizio d'aprile del 1979, la ricorrente era già al beneficio di una moratoria concordataria di quattro mesi accordatale a decorrere dal 15 marzo 1979.
Circa l'effetto del concordato ai fini dell'imposizione dei contributi, nella sentenza del 7 novembre 1978 in re Bruschi, il Tribunale federale delle assicurazioni ha in sostanza affermato che la concessione di una moratoria (atto preliminare alla concessione di un concordato), la quale permette ad un assicurato di continuare il suo commercio o la sua industria sotto la vigilanza di un commissario, non adempie i presupposti dell'
art. 25 OAVS
(non consente cioè di passare dal sistema ordinario a quello straordinario di determinazione dei contributi). Infatti, per essa, non si crea una modificazione duratura delle fonti di reddito e della struttura stessa dell'attività economica.
In concreto - aperto il tema di sapere se la moratoria concordataria concessa alla ricorrente sia invocabile in quanto verificatasi dopo la resa della decisione amministrativa in lite - il concordato è stato successivamente omologato dal Pretore di Lugano-Distretto.
Si era trattato di un concordato ordinario (art. 293 e seg. LEF) e non già di un concordato per abbandono dell'attivo (
art. 316a LEF
). Esso tendeva quindi, come istrumento giuridico, ad evitare al debitore onesto ed in difficoltà le conseguenze del pignoramento e del fallimento e la distruzione della sua personalità economica, liberandolo dall'ostacolo che costituisce l'esistenza di attestati di carenza di beni.
In virtù del concordato la ricorrente potrà continuare la sua attività di indipendente al riparo di una situazione patrimoniale
BGE 107 V 4 S. 6
che avrebbe potuto condurla al fallimento. Con ciò non è intervenuto cambiamento di professione, non si è estinta una fonte di reddito e non è intervenuta una nuova ripartizione del reddito aziendale. Si è ovviato a che il reddito subisse una modificazione importante e duratura. Ne deve quindi essere dedotto che il fatto della concessione di una moratoria concordataria e quello (aperto il tema se ritenibile o meno in questa sede) dell'omologazione del concordato ordinario non consentono il passaggio dal sistema ordinario a quello straordinario di determinazione dei contributi.
Dato quanto precede il ricorso di diritto amministrativo non è accoglibile.
b) La ricorrente si prevale anche del fatto che il 28 giugno 1979 l'Ufficio di tassazione ha dichiarato che avrebbe emesso una tassazione intermedia a partire dal 1o gennaio 1978 per "cessazione dell'attività lucrativa" mandando esente la ricorrente da tale data dall'imposta sul reddito e sulla sostanza. Questa tassazione intermedia venne intimata alla ricorrente il 9 agosto 1979.
Al riguardo il primo tema che si pone è di natura procedurale. Come già si è detto, il giudice delle assicurazioni sociali giudica nella situazione di fatto e di diritto esistente al momento in cui la decisione in lite è stata resa dalla Cassa di compensazione. Visto che in concreto tale decisione data del 5 aprile 1979, epoca in cui l'amministrazione tributaria non aveva ancora deciso nel senso sopra indicato, occorre stabilire se si tratta di un fatto nuovo, quindi non opponibile, di un semplice accertamento di un fatto non documentato ma verificatosi in precedenza oppure se si tratta di un fatto nuovo su cui l'amministrazione ancora non ha deciso e che quindi deve essere preliminarmente sottoposto alla Cassa di compensazione in virtù dell'
art. 23 cpv. 3 OAVS
.
Nel merito può essere affermato che una tassazione intermedia è da rilevare se essa è basata su uno dei motivi indicati dall'
art. 25 cpv. 1 OAVS
, altrimenti essa può essere di rilievo fiscale, ma non di rilievo assicurativo.
In concreto la tassazione intermedia è stata resa per "cessazione dell'attività lucrativa" il che comporterebbe il passaggio (come rettamente argomenta l'Ufficio federale delle assicurazioni sociali nella sua risposta al gravame) della ricorrente dal novero degli indipendenti a quello dei non esercitanti un'attività lucrativa (art. 28 e seg. OAVS). La motivazione
BGE 107 V 4 S. 7
dell'autorità fiscale è imprecisa. Dal profilo delle assicurazioni sociali essa quanto meno disattende che con l'omologazione del concordato alla ricorrente è stata resa possibile la continuazione della sua attività, che la ditta non è stata cancellata e che quindi si è in sostanza trattato di una sia pure incisiva fluttuazione di reddito non comportante per l'
art. 25 OAVS
una modificazione determinante e nemmeno comportante il passaggio da una categoria all'altra di contribuenti.
Anche per le suesposte ragioni il ricorso di diritto amministrativo deve essere respinto. | null | nan | it | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3984b89d-0bc0-4138-b1cb-d2821550ab89 | Urteilskopf
87 III 29
7. Schreiben der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 16. Februar 1961 an das Betreibungsinspektorat des Kantons Zürich. | Regeste
Wo sind Eigentumsvorbehalte einzutragen, wenn der Erwerber unter Vormundschaft steht?
Zuständig ist stets das Betreibungsamt am rechtlichen Wohnsitz des Bevormundeten, also am Sitz der Vormundschaftsbehörde (
Art. 25 Abs. 1 ZGB
). So verhält es sich selbst dann, wenn der Bevormundete mit Bewilligung der Vormundschaftsbehörde (
Art. 412 ZGB
) an einem andern Ort selbständig einen Beruf ausübt oder ein Gewerbe betreibt. -
Art. 715 ZGB
. Verordnung vom 19. Dezember 1910 betreffend die Eintragung der Eigentumsvorbehalte. | Erwägungen
ab Seite 29
BGE 87 III 29 S. 29
Mit Eingabe vom 26. Januar 1961 haben Sie uns die Frage unterbreitet, welches Betreibungsamt zur Eintragung von Eigentumsvorbehalten zuständig sei, wenn der Erwerber unter Vormundschaft steht: ob es das Amt des Wohnsitzes sei, also des Sitzes der Vormundschaftsbehörde
BGE 87 III 29 S. 30
(
Art. 25 Abs. 1 ZGB
), oder das Amt des unter Umständen von jenem Wohnsitz verschiedenen "tatsächlichen" Wohnortes.
1.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer steht nicht an, auf die Anfrage einzutreten. Es handelt sich nicht etwa darum, einen einzelnen Streitfall theoretisch im voraus zu entscheiden. Vielmehr wird eine allgemein gültige Auskunft verlangt, die als Anweisung darüber zu gelten hätte, wie Art. 1 Abs. 1 der gestützt auf
Art. 715 ZGB
erlassenen Verordnung vom 19. Dezember 1910 anzuwenden sei, wenn der Erwerber bevormundet ist. Zu einem solchen "Bescheid" ist die Kammer gemäss
Art. 15 SchKG
und
Art. 12 lit. c OG
befugt, und es besteht wie schon in andern Fällen (vgl.
BGE 72 III 81
f.,
BGE 83 III 49
ff.,
BGE 85 III 1
ff.) ausreichende Veranlassung dazu, da die aufgeworfene Frage eine grundsätzliche Lösung finden muss.
2.
Das Gesetz (
Art. 715 Abs. 1 ZGB
) schreibt vor, dass der Eigentumsvorbehalt, um wirksam zu sein, am jeweiligen Wohnort (au domicile actuel, nel luogo dello attuale domicilio) des Erwerbers eingetragen sein muss. Unter "Wohnort" (domicile, domicilio) ist dabei offenbar der Wohnort im Rechtssinne, also der Wohnsitz, zu verstehen, nicht ein allenfalls vom Wohnsitz verschiedener bloss tatsächlicher (scheinbarer) Wohnort oder gar ein vorübergehender Aufenthalt. Geht es doch darum, Rechtsbeziehungen durch Eintragung in ein öffentliches Register zu schaffen und einem unbestimmten Kreis dritter Personen erkennbar zu machen, was richtigerweise am Wohnort im Rechtssinne, also am Wohnsitz, zu geschehen hat.
Die das Gesetz ausführende Verordnung stellt dies völlig klar. Sie spricht an gewissen Stellen, dem Wortlaut des Gesetzes folgend, vom Wohnort des Erwerbers, daneben aber - offensichtlich in gleicher Bedeutung - von dessen Wohnsitz (vgl. Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 5). Darin liegt eine zweifellos richtige Verdeutlichung des Gesetzestextes. Die Rechtslehre steht auf dem gleichen Boden (vgl. LEEMANN, N. 32 ff. zu Art. 715, und HAAB
BGE 87 III 29 S. 31
/SIMONIUS/SCHERRER, N. 55 ff. zu den Art. 715/16 ZGB).
Die Verordnung bestimmt ferner, die Eintragung sei (falls der Erwerber in der Schweiz wohnt) "nur" an seinem Wohnorte zu vollziehen, nicht auch noch an einem andern Ort, wie etwa an der Geschäftsniederlassung einer natürlichen Person oder, bei einer juristischen Person, ausser am Hauptsitz auch noch am Ort eines Filialbetriebes (vgl.
BGE 42 II 14
ff.). Bei ausländischen Gesellschaften ist der schweizerische Filialsitz laut Handelsregistereintrag, nicht der allenfalls in einem andern Betreibungskreis befindliche Betriebsort massgebend (
BGE 45 II 272
ff.).
3.
Bei Bevormundeten muss nach der gesetzlichen Ordnung gleichwie bei voll handlungsfähigen Personen der Wohnsitz, also nach
Art. 25 Abs. 1 ZGB
der Sitz der Vormundschaftsbehörde, massgebend sein. Es ist denn auch gerechtfertigt, solche rechtsbegründenden Registereinträge dem Amte zuzuweisen, in dessen Kreis sich der rechtliche Mittelpunkt des Bevormundeten befindet.
So verhält es sich selbst dann, wenn die Vormundschaftsbehörde dem Mündel gemäss
Art. 412 ZGB
eine selbständige berufliche oder gewerbliche Tätigkeit gestattet hat und er diese Tätigkeit (erlaubterweise) in einem andern Betreibungskreis ausübt. In diesem Falle besteht zwar für Verbindlichkeiten aus dem Betrieb ein spezieller Betreibungsort (
Art. 47 Abs. 3 SchKG
). Das spielt jedoch für die Eintragung von Eigentumsvorbehalten keine Rolle, da hiefür ein einheitlicher Registerort am Wohnort (= Wohnsitz) vorgesehen ist.
4.
Die für die Eintragung am tatsächlichen Wohnort angeführten Zweckmässigkeitsgründe halten der Prüfung nicht stand. Wenn gesagt wird, ein Verkäufer, der den Vertrag in Unkenntnis der Vormundschaft mit dem Käufer selbst abgeschlossen hat, sollte in allen Fällen an dessen "tatsächlichem" Wohnort in gültiger Weise den Eigentumsvorbehalt eintragen lassen können, so liefe dies auf eine Missachtung des Vormundschaftsrechtes hinaus. Nach
Art. 375 Abs. 3 ZGB
ist eine gehörig veröffentlichte
BGE 87 III 29 S. 32
Bevormundung jedermann gegenüber wirksam. Zu schützen sind danach diejenigen, die der Vormundschaft Rechnung tragen und sich an das Registeramt des Sitzes der Vormundschaftsbehörde wenden. Wer sich über die dem Bevormundeten gegenüber bestehenden Eigentumsvorbehalte erkundigen will, hat Anspruch darauf, bei diesem Amt erschöpfende Auskunft zu erhalten. Dritten gegenüber darf somit ein nur anderswo erfolgter Eintrag keinesfalls wirksam sein (vgl. auchBGE 39 I 144undBGE 42 III 16).
Mit einer andern Lösung der Frage des Eintragungsortes wäre übrigens für den Verkäufer wenig gewonnen. War der Käufer urteilsunfähig, so ist der Vertrag gar nicht gültig, auch der Eigentumsvorbehalt als solcher nicht; indessen ist das nicht gültig übertragene Eigentum ohnehin beim Verkäufer geblieben. Bei Urteilsfähigkeit des Käufers kann der Vertrag nur mit Genehmigung des Vormundes endgültig zustande kommen (
Art. 410 ZGB
). Erfährt der Verkäufer nachträglich von der Vormundschaft, und erwirkt er die Genehmigung des Vormundes, so steht nichts entgegen, nun den Eigentumsvorbehalt am zuständigen Ort eintragen zu lassen. Die Genehmigung wirkt ja, auch wenn sie nicht zum voraus erteilt wurde, zurück, und der Eigentumsvorbehalt kann, sofern er nur bei Übergabe der Sache bereits vereinbart war, auch noch später eingetragen werden (
BGE 42 III 175
). Entsprechendes gilt, wenn der Kaufvertrag durch eine allgemeine Bewilligung der Vormundschaftsbehörde nach
Art. 412 ZGB
gedeckt ist. Ist dies aber nicht der Fall, und wird der Kaufvertrag auch nicht vom Vormund genehmigt, so ist dem Eigentumsvorbehalt die Rechtsgrundlage entzogen, selbst wenn er bereits beim zuständigen Registeramt eingetragen wurde. Im übrigen steht dem Verkäufer nach
Art. 411 ZGB
grundsätzlich die Rückforderung der Sache zu.
5.
Endlich ist darauf hinzuweisen, dass bevormundete Personen nur mit Zustimmung der Vormundschaftsbehörde
BGE 87 III 29 S. 33
ausserhalb des Vormundschaftskreises Wohnung nehmen dürfen und alsdann die Vormundschaft auf die Behörde des neuen Ortes zu übertragen ist (
Art. 377 ZGB
;
BGE 86 II 287
ff.). Wird diese Regelung befolgt, so fällt überall dort, wo jede Gemeinde eine eigene Vormundschaftsbehörde hat, der tatsächliche Wohnort der von ihr betreuten Mündel mit dem Sitz der Behörde zusammen. So verhält es sich auch im Kanton Zürich (§ 73 EGzZGB). Die Zuständigkeitsnorm des
Art. 715 ZGB
, wie sie nach dem Gesagten zu verstehen ist, dürfte daher gewöhnlich niemandem nachteilig sein. Es ist uns auch nicht bekannt geworden, dass die das Gesetz ergänzenden, den Ort der Eintragungen betreffenden Bestimmungen der Verordnung vom 19. Dezember 1910 sich als unzweckmässig oder der Ergänzung bedürftig erwiesen hätten. Wir halten daher eine Änderung dieser Bestimmungen nicht für geboten. | null | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
39858ada-de11-45c5-b49c-39ecae86b3aa | Urteilskopf
140 V 338
45. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Ausgleichskasse Basel-Landschaft (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_845/2013 vom 29. Juli 2014 | Regeste
Art. 10 Abs. 1 und 3 AHVG
;
Art. 28
bis
AHVV
; Bestimmung des Beitragsstatuts bei gemischt ehrenamtlich und erwerblich motivierter Tätigkeit.
Damit bei solchen Betätigungen von voller Erwerbstätigkeit im Sinne von
Art. 28
bis
Abs. 1 AHVV
ausgegangen werden kann, muss für einen Teil, der mindestens der halben üblichen Arbeitszeit entspricht, Erwerbsabsicht zum Ausdruck kommen. Dies geschieht in Form eines angemessenen Verhältnisses zwischen Leistung und Entgelt (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 338
BGE 140 V 338 S. 338
A.
A. nahm im Januar 2010 eine Tätigkeit als Präsidentin des Stiftungsrats der Stiftung B. auf; seit 1996 amtet sie als nebenamtliche Zivilrichterin. Nach ihrer Scheidung im November 2007 hatte die Ausgleichskasse des Kantons Basel-Landschaft (nachfolgend: Ausgleichskasse) sie auf den 1. Januar 2008 als Nichterwerbstätige registriert. Mit Schreiben vom 5. April 2011 und 20. März 2012 lehnte die Ausgleichskasse ihr Gesuch um Erfassung als Erwerbstätige ab. Für das Jahr 2010 erhob die Ausgleichskasse Beiträge für
BGE 140 V 338 S. 339
Nichterwerbstätige (mit Einspracheentscheid vom 17. Oktober 2012 bestätigte Verfügung vom 3. Juli 2012).
B.
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft wies die gegen den Einspracheentscheid vom 17. Oktober 2012 erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 18. Juli 2013).
C.
A. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid und der strittige Einspracheentscheid seien aufzuheben und es sei von der Erhebung von AHV-Beiträgen für Nichterwerbstätige betreffend das Jahr 2010 abzusehen.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführerin lässt darauf replizieren. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Nach
Art. 10 Abs. 1 AHVG
und
Art. 28
bis
Abs. 1 AHVV
(SR 831.101) gelten Personen, deren Erwerbstätigkeit in zeitlicher und masslicher Hinsicht unbedeutend ist, als Nichterwerbstätige (
BGE 139 V 12
E. 4.2 S. 14; HANSPETER KÄSER, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl. 1996, S. 216). Dies trifft - jedenfalls für Unselbständigerwerbende (vgl. unten E. 2.3.1) - einmal dann zu, wenn Erwerbstätigenbeiträge unter dem Mindestbeitrag nach
Art. 28 AHVV
liegen (Art. 10 Abs. 1 dritter Satz AHVG). Für Versicherte, die
nicht dauernd voll erwerbstätig
sind, kann der Grenzbetrag auch höher liegen (Art. 10 Abs. 1 vierter Satz AHVG; dazu FRANZISKA GROB, Die Beiträge der Nichterwerbstätigen in der AHV, in: AHV-Beitragsrecht, Schaffhauser/Kieser [Hrsg.], 2011, S. 78; PETER FORSTER, AHV-Beitragsrecht, 2007, S. 59 f.; UELI KIESER, Die Abgrenzung zwischen Erwerbs- und Nichterwerbstätigen, in: Aktuelle Fragen aus dem Beitragsrecht der AHV, Schaffhauser/Kieser [Hrsg.], 1998, S. 80). Diese Beitragspflichtigen werden nach
Art. 28
bis
Abs. 1 AHVV
nicht als Nichterwerbstätige qualifiziert, sondern diesen
gleichgestellt
: Nicht dauernd voll Erwerbstätige leisten Beiträge
wie
Nichterwerbstätige, wenn ihre Beiträge vom Erwerbseinkommen zusammen mit denen ihres Arbeitgebers in einem Kalenderjahr nicht mindestens der Hälfte des Beitrages nach
Art. 28 AHVV
entsprechen (Bemessungsgrundlage: Vermögen und/oder mit 20
BGE 140 V 338 S. 340
multiplizierter jährlicher Rentenbetrag). Ihre Beiträge vom Erwerbseinkommen müssen auf jeden Fall den Mindestbeitrag nach
Art. 28 AHVV
(für das Jahr 2010: 382 Franken; Art. 2 Abs. 2 der Verordnung 09 vom 26. September 2008 über Anpassungen an die Lohn- und Preisentwicklung bei der AHV/IV/EO [AS 2008 4715]) erreichen. Für das betreffende Jahr bezahlte Beiträge vom Erwerbseinkommen werden auf Verlangen angerechnet (Art. 28
bis
Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 30 AHVV
).
1.2
Volle Erwerbstätigkeit ("activité lucrative à plein temps", "attività lucrativa [...] esercitata [...] a tempo pieno") im Sinne von
Art. 28
bis
Abs. 1 AHVV
liegt in der Regel vor, wenn für die (selbständige oder unselbständige) Tätigkeit ein erheblicher Teil der im betreffenden Erwerbszweig üblichen Arbeitszeit aufgewendet wird. Diese Voraussetzung ist nach der Verwaltungspraxis und Rechtsprechung erfüllt, wenn die beitragspflichtige Person während mindestens der halben üblichen Arbeitszeit tätig ist (
BGE 115 V 161
E. 10d S. 174; Urteil H 29/06 vom 6. Februar 2007 E. 3.1, in: SVR 2007 AHV Nr. 16 S. 45; siehe auch Rz. 2039 der Wegleitung des BSV über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen [WSN] in der AHV, IV und EO [
http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/index/category:22/lang:deu
]).
2.
2.1
Bei der Bezeichnung der Anforderungen für die Annahme einer "vollen" Erwerbstätigkeit geht es um eine - letztinstanzlich frei überprüfbare - Rechtsfrage. Die Feststellung der konkreten Umstände der Beschäftigung ist Tatfrage; diesbezügliche Feststellungen der Vorinstanz binden das Bundesgericht grundsätzlich (Art. 97 Abs. 1 und
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG
; Urteil 9C_545/2007 vom 9. Juli 2008 E. 3.1).
Das kantonale Gericht hob hervor, die Beschwerdeführerin habe für ihre Tätigkeit als Stiftungsratspräsidentin im Beitragsjahr 2010 nur einen sehr geringfügigen Lohn erhalten. Der Bruttolohn von Fr. 9'000.- liege bei einem Arbeitspensum von 50 Prozent weit unter dem üblichen Gehalt einer Juristin. Zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin im Beitragsjahr 2010 dennoch im Sinne von
Art. 28
bis
Abs. 1 AHVV
"voll" erwerbstätig war.
2.2
2.2.1
Die Beschwerdeführerin moniert, die Vorinstanz habe zu Unrecht das zeitliche Ausmass der Tätigkeit bei der Stiftung B. nicht bestimmt, weil sie von vornherein von deren nichterwerblicher
BGE 140 V 338 S. 341
(ehrenamtlicher) Natur ausgegangen sei. Eine Vergleichsrechnung nach
Art. 28
bis
Abs. 1 AHVV
entfalle, weil sie 2010 ein über 50 Prozent ausmachendes Arbeitspensum versehen habe. Hinzu komme, dass sie 2010 neben der eigentlichen Organtätigkeit für weitere zeitintensive operative Arbeiten beigezogen worden sei; unter anderem habe sie den Geschäftsführer während mehrerer Monate vertreten, betätige sich als Corporate Lawyer und leite das Personalwesen. Damit sei es willkürlich, aus der vorerst geringen Entlöhnung auf fehlende Erwerbsabsicht zu schliessen.
2.2.2
Zur Beurteilung der Frage, ob volle Erwerbstätigkeit gegeben sei, ist überall dort, wo nicht (nur) eine Erwerbsabsicht verfolgt, die Tätigkeit vielmehr (auch) als gemeinnütziges Ehrenamt oder aus persönlichem Interesse versehen wird, nicht die
gesamte
zeitliche Inanspruchnahme massgebend (vgl. oben E. 1.2); der Zeitaufwand ist vielmehr nur im Umfang seiner Erwerbsorientierung zu berücksichtigen (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 2/02 vom 16. Juli 2003 E. 3.2.2). Die gegenteilige Argumentation der Beschwerdeführerin läuft darauf hinaus, umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeiten über das Beitragsrecht zu fördern, indem diese von der Beitragspflicht als Nichterwerbstätige entbinden. Dieses Anliegen wäre nur durch eine Änderung des Gesetzes zu erreichen.
2.2.3
Damit bei Betätigungen, denen sowohl eine ehrenamtliche wie auch eine erwerbliche Motivation zugrundeliegen, von voller Erwerbstätigkeit im Sinne von
Art. 28
bis
Abs. 1 AHVV
ausgegangen werden kann, muss für einen Teil, der mindestens der halben üblichen Arbeitszeit entspricht, Erwerbsabsicht zum Ausdruck kommen. Dies geschieht in Form eines angemessenen Verhältnisses zwischen Leistung und Entgelt.
2.3
2.3.1
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die Rechtsprechung (
BGE 115 V 161
E. 9c S. 171), wonach eine selbständige
Erwerbs
tätigkeit auch dann zu bejahen ist, wenn die betreffende Person in der Aufbauphase oder während eines vorübergehenden finanziellen Engpasses ihrer Firma auf eine angemessene Entlöhnung verzichtet. Ihr anfänglich geringer Jahreslohn sei auf fehlende Berufserfahrung, langjährige Abwesenheit vom Berufsleben und auf fehlende finanzielle Mittel der Stiftung zurückzuführen gewesen. Die Vorinstanz verwarf diese Sichtweise. Sie erwog, nur der Selbständigerwerbende trage ein wirtschaftliches Risiko, dass bei Aufnahme der Tätigkeit unter Umständen zunächst keine oder nur geringe Einkünfte flössen.
BGE 140 V 338 S. 342
Im Bereich der Selbständigkeit darf die volle Erwerbstätigkeit tatsächlich nicht schon aufgrund eines einfachen Vergleichs der erzielten Gewinne mit dem Durchschnittsverdienst aus einer entsprechenden unselbständigen Erwerbstätigkeit verneint werden, wo eine selbständige Betätigung erst nach längerer Zeit zu Einkünften führt oder vorübergehende Ertragseinbrüche, Investitionen, Amortisationen oder Veränderungen im wirtschaftlichen Umfeld etc. die betriebliche Rechnung negativ beeinflussen. Sofern die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht auf Nichterwerbstätigkeit, bloss vorgegebene Erwerbstätigkeit oder Erwerbstätigkeit unbedeutenden Umfangs schliessen lassen, ist die Erwerbsabsicht hier nicht in Frage gestellt (vgl.
BGE 115 V 161
E. 6e S. 168; Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 73/01 vom 23. August 2002 E. 3.2 und H 64/98 vom 14. September 1999 E. 5c/aa). Das gilt auch für den (unselbständigerwerbenden) mitarbeitenden Alleinaktionär, der infolge schlechter Liquiditätslage teilweise auf sein Gehalt verzichtet (KÄSER, a.a.O., S. 217 mit Hinweis). Von diesen Fällen unterscheidet sich das (Teil-)Ehrenamt oder etwa eine Tätigkeit kultureller Art, die sich vorwiegend als Liebhaberei darstellt, erheblich (erwähntes Urteil H 2/02 E. 5 und 6; KÄSER, a.a.O., S. 217; vgl. auch
BGE 115 V 161
E. 10c S. 173); denn hier wahrt der Einkommens(teil)verzicht nicht die Aussichten, mit der gleichen Tätigkeit künftig einen Erwerb erzielen zu können.
2.3.2
Somit ist es der Beschwerdeführerin verwehrt, wie eine Selbständige geltend zu machen, eine nur vorläufige Unterbezahlung stehe dem Erwerbstätigenstatus nicht entgegen, weil sie - über das zu betrachtende Beitragsjahr hinaus - die Absicht verfolgt habe, beruflich wieder Fuss zu fassen. Nichts für ihren Rechtsstandpunkt ableiten kann die Beschwerdeführerin daher aus Umständen, die auf eine - aus der Sicht des Beitragsjahres 2010 -
inskünftig
verstärkte Rolle des erwerblichen Elements hinweisen. Dies betrifft namentlich die Vorbringen betreffend eine unsichere Finanzierung der Stiftung in der Gründungsphase, die in den Folgejahren angestiegenen Löhne, die ebenfalls erst später aufgenommenen zusätzlichen Erwerbstätigkeiten oder eine nach Reorganisation des Gerichtswesens künftig stärkere Inanspruchnahme in ihrer Funktion als nebenamtliche Richterin.
2.4
Im Übrigen ist die Tätigkeit einer Stiftungsratspräsidentin grundsätzlich mit derjenigen eines (nebenamtlichen) Verwaltungsrates vergleichbar. Ein reines Verwaltungsratsmandat (ohne gleichzeitige Wahrnehmung geschäftsführender Funktionen oder von Sekretariatsarbeiten) stellt grundsätzlich keine volle Erwerbstätigkeit dar
BGE 140 V 338 S. 343
(erwähnte Urteile 9C_545/2007 E. 3.1 und H 29/06 E. 5.1). Die Beschwerdeführerin hat zwar - über die mit dem Stiftungsratspräsidium verbundenen Aufgaben hinaus - operative Geschäftsführungsfunktionen wahrgenommen. Indes ist nach dem Gesagten auch dies als überwiegend ehrenamtliche Arbeit zu werten, sofern und soweit nicht ein angemessenes Entgelt ausgewiesen ist. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3988950d-b9c3-45a2-aa8a-8d30516027eb | Urteilskopf
110 Ib 397
64. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. November 1984 i.S. X. und Y. gegen Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Verfügung einer Einreisesperre; Unzulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (
Art. 100 lit. b Ziff. 1 OG
).
Gegen die Verfügung einer Einreisesperre ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde - anders als gegen die Nichterneuerung einer Aufenthaltsbewilligung - stets unzulässig. | Erwägungen
ab Seite 397
BGE 110 Ib 397 S. 397
Aus den Erwägungen:
2.
a) Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann grundsätzlich erhoben werden gegen Verfügungen der (kantonalen und eidgenössischen) Behörden, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (
Art. 97 OG
in Verbindung mit
Art. 5 VwVG
). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt; hingegen ist der Ausschlussgrund des
Art. 100 lit. b Ziff. 1 OG
gegeben, wonach die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zulässig ist gegen die Einreiseverweigerung, die Einreisebeschränkung und die Einreisesperre.
b) Zu Unrecht berufen sich die Beschwerdeführer auf die bundesgerichtliche Praxis in Sachen Reneja (
BGE 109 Ib 183
f.). Dort ging es nicht um die Verfügung einer Einreisesperre, sondern um
BGE 110 Ib 397 S. 398
die Nichterneuerung einer Aufenthaltsbewilligung. Bei derartigen Bewilligungen wird die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
wie folgt abgegrenzt: Sie ist unzulässig gegen Verfügungen über Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt; besteht ein Anspruch, ist auch die Beschwerdemöglichkeit gegeben. In der Regel besteht kein Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung, so dass deren Verweigerung oder Nichterneuerung nicht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann. Wenn aber der Ehegatte oder die minderjährigen Kinder des Ausländers ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz haben, ist durch die fremdenpolizeiliche Massnahme unter Umständen der Anspruch auf Schutz des Familienlebens gemäss
Art. 8 EMRK
betroffen. Weil nach
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur ausgeschlossen ist bei Bewilligungen, auf die kein Anspruch besteht, fällt der Ausschlussgrund bei einem Anspruch aus EMRK (wie bei einem Anspruch aus ANAG oder Staatsverträgen) dahin.
Anders als gegen die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung ist gegen die Verfügung einer Einreisesperre die Verwaltungsgerichtsbeschwerde generell unzulässig. Der Wortlaut von
Art. 100 lit. b Ziff. 1 OG
ist insoweit eindeutig und gibt den Gesetzessinn zutreffend wieder. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
39892583-c455-46e0-ae4e-c3b703fe8245 | Urteilskopf
107 III 100
24. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 28 août 1981 dans la cause J. S. (recours LP) | Regeste
Aufhebung des Arrestes: Über Vermögenswerte, die der Gläubiger selbst als sein Eigentum beansprucht. | Sachverhalt
ab Seite 101
BGE 107 III 100 S. 101
A.-
Le 25 février 1981, J. S. obtint deux ordonnances de séquestre pour une créance de 3'911'600 fr., l'une contre L. H. (no 129) et l'autre contre E. H. (no 130). Ces mesures portaient sur les biens et avoirs des époux H. auprès de Christie's (International) S.A., à Genève, et leur exécution frappa vingt-deux tabatières anciennes, estimées à 314'322 fr. L'établissement liechtensteinois N. et la banque M. firent également séquestrer les mêmes biens au préjudice des mêmes débiteurs. Christie's (International) S.A. déclara avoir sur les objets séquestrés un droit de rétention à concurrence de 250'000 fr. Le 8 avril, l'Office des poursuites de Genève impartit à J. S. un délai pour ouvrir action en contestation du droit de rétention invoqué par Christie's. Il procéda de même envers la banque M. et l'établissement N.
Le 16 mars 1981, J. S. avait revendiqué la propriété des vingt-deux tabatières séquestrées. Le 25 avril, il demanda à l'Office de rapporter la décision lui impartissant un délai pour contester les prétentions de Christie's, ainsi que d'ouvrir une procédure sur sa propre revendication. L'Office fit droit à cette requête pour les séquestres obtenus par la banque M. et par l'établissement N. En revanche, le 29 avril, il constata la nullité des séquestres exécutés au profit de J. S. dans la mesure où ils portaient sur des biens dont le créancier lui-même revendiquait la propriété, savoir les vingt-deux tabatières en or en mains de Christie's.
B.-
J. S. a porté plainte et conclu à la mise à néant de la décision du 29 avril 1981, qui constatait la nullité des séquestres qu'il avait obtenus. Il a demandé que l'Office des poursuites fût invité à considérer comme valablement frappés par les séquestres no 129 et no 130 tous les biens sur lesquels lui-même, J. S., n'aurait pu faire reconnaître sa propriété à l'issue de la procédure de revendication.
L'Autorité de surveillance des offices de poursuites pour dettes et de faillite du canton de Genève a rejeté la plainte le 21 juillet 1981.
C.-
J. S. a interjeté un recours au Tribunal fédéral contre la décision de l'autorité cantonale de surveillance. Il reprend les conclusions qu'il a formulées dans la procédure de plainte.
Erwägungen
Considérant en droit:
Le séquestre permet au créancier non garanti par gage de faire mettre sous main de justice des biens que, faute d'avoir accompli
BGE 107 III 100 S. 102
les formalités de la poursuite, il ne peut faire saisir ou inventorier au préjudice de son débiteur. La mesure a un caractère conservatoire et doit empêcher que le débiteur ne dissimule ses biens ou n'en dispose au détriment de ses créanciers, et ne compromette ainsi le résultat d'une poursuite pendante ou future. Il s'ensuit que sont seuls séquestrables les biens qui peuvent être réalisés au profit du créancier chirographaire par la voie de la poursuite, qui peuvent donc être l'objet d'une saisie ou tomber dans la masse en faillite. Or, si la loi n'en dispose autrement, le débiteur ne répond de ses obligations que sur les biens qui lui appartiennent (
art. 91, 197 LP
). Aussi la jurisprudence constante tient-elle pour nuls, parce qu'inconciliables avec le but de la poursuite, le séquestre ou la saisie exécutés sur des biens qui, de lui-même désigne comme étant la propriété de tiers (
ATF 106 III 88
,
ATF 105 III 112
consid. 3,
ATF 84 III 83
ss et les arrêts cités). Celui qui entend recouvrer une créance doit en effet procéder contre son débiteur et ne saurait faire exécuter un tiers, sous réserve des dispositions particulières aux gages grevant des biens n'appartenant pas au débiteur. De même, le créancier ne peut demander le séquestre ou la saisie de biens dont il se déclare propriétaire. Pareille requête impliquerait de sa part la volonté d'exécuter lui-même, sur son patrimoine, les obligations de son débiteur. Cela équivaudrait à une remise de dette, incompatible avec l'exercice d'une poursuite. La contradiction inhérente à une telle attitude ne peut se résoudre que si le poursuivant renonce à faire valoir son droit de propriété sur les biens à appréhender et admet leur appartenance au débiteur (
ATF 83 III 105
s.,
ATF 39 I 119
ss; JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs- und Konkurs-Praxis, n. 7 ad art. 91).
Le recourant fait valoir que sa propriété sur les objets séquestrés en l'espèce n'est pas établie, mais contestée par leur détentrice, par les débiteurs et par les tiers séquestrants. Il entend pouvoir, à titre alternatif, se faire remettre les biens en cause s'il l'emporte dans la procédure de revendication ou les faire réaliser à son profit s'il ne parvient à prouver en être propriétaire. Ces deux prétentions sont contradictoires. Si les objets séquestrés appartiennent au recourant, comme il le soutient, ils n'entrent pas dans le patrimoine de ses débiteurs et leur produit ne peut servir à éteindre la dette objet de la poursuite. Et dans la mesure où le recourant demande à faire réaliser ces biens, il affirme qu'ils appartiennent à ses débiteurs et ne sont donc pas sa
BGE 107 III 100 S. 103
propriété. Le recourant ne saurait soutenir principalement la première thèse et subsidiairement la seconde, comme il semble vouloir le faire. Car une partie ne peut exiger de l'office l'accomplissement d'un acte de poursuite dont elle affirme vouloir faire lever les effets dans une procédure judiciaire, en l'espèce par une action en revendication. Peu importe qu'elle ait un intérêt à cet acte pour le cas où le juge la débouterait de sa demande. Le recourant ne pouvait donc faire séquestrer les vingt-deux tabatières détenues par Christie's qu'en renonçant à les revendiquer et en admettant qu'elles appartenaient à ses débiteurs.
Le recourant tente en vain de résoudre la contradiction qui existe entre ses deux prétentions en affirmant que rien ne l'empêchera, si sa revendication est admise, de renoncer à sa propriété sur les vingt-deux tabatières et d'en requérir alors la saisie et la réalisation. Cette déréliction n'aurait pas pour effet de transférer aux débiteurs la propriété des objets séquestrés et de les faire entrer ainsi dans leur patrimoine saisissable. Ces objets deviendraient simplement des choses sans maître.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours et confirme la décision attaquée. | null | nan | fr | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
398c43d9-127e-440d-a461-933950bc13f6 | Urteilskopf
98 V 54
15. Urteil vom 4. Januar 1972 i.S. S. gegen AHV-Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 46 IVG
und 103 lit. a OG.
Zur Geltendmachung des Anspruchs auf Leistungen der Invalidenversicherung legitimierte Personen (Praxisänderung). | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 98 V 54 S. 54
A.-
Durch Verfügung des Eheschutzrichters des Bezirksgerichts X. vom 27. August 1969 ist der gemeinsame Haushalt der Eheleute Ida und Erwin S. aufunbestimmte Zeit aufgehoben und der Ehemann verpflichtet worden, seiner Ehefrau einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 650.-- zu bezahlen. Im vorangegangenen, zufolge Klagerückzugs als erledigt abgeschriebenen Scheidungsprozess war über Ida S. ein psychiatrisches Gutachten eingeholt worden, laut welchem sie an einer paranoid gefärbten Schizophrenie leidet. Mit Verfügung vom 4. Februar 1970 gab die Ausgleichskasse dem von Erwin S. am 14. Oktober 1969 eingereichten Gesuch um Ausrichtung einer Invalidenrente an seine Ehefrau keine Folge mit der Begründung, die Versicherte selber sei mit dem Begehren nichteinverstanden und beanspruche keine Leistungen der Invalidenversicherung.
B.-
Beschwerdeweise machte Erwin S. geltend, er sei zum Unterhalt seiner Ehefraugesetzlich verpflichtet und habedeshalb einen Rechtsanspruch auf die Leistungen der Invalidenversicherung.
Mit Entscheid vom 23. November 1970 wies die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich die Beschwerde ab. Der Ehemann könne die materiellen Rechte seiner Ehefrau nicht mehr geltend machen, weil diese bereits verbindlich auf Leistungen der Invalidenversicherung verzichtet habe. Daran vermöge die Geisteskrankheit, an der die Versicherte leide, nichts zu ändern. Die Krankheit sei nämlich nicht derart gravierend,
BGE 98 V 54 S. 55
dass sie die Urteils- und damit die Handlungsfähigkeit von Ida S. beeinträchtigen würde.
C.-
Gegen diesen Entscheid hat Erwin S. Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und beantragen lassen, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und das Rentenbegehren gutzuheissen. Ida S. müsse die Handlungsfähigkeit wegen mangelnder Urteilsfähigkeit abgesprochen werden, so dass ihr Verzicht auf Leistungen der Invalidenversicherung unwirksam sei. Es sei Sache des Ehemannes, seine Frau zu vertreten und für sie Ansprüche geltend zu machen. Dies treffe um so mehr zu, wenn die Ehefrau an einer geistigen Störung leide.
Während die Ausgleichskasse auf einen Antrag verzichtet, schliessen Invalidenversicherungs-Kommission und Bundesamt für Sozialversicherung auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Geltendmachung von Leistungsansprüchen aus dem IVG setzt gemäss
Art. 46 IVG
eine Anmeldung voraus. Die Legitimation hiezu ist in
Art. 66 IVV
geregelt. Danach sind zur Geltendmachung des Anspruchs befugt der Versicherte oder sein gesetzlicher Vertreter sowie für ihn sein Ehegatte, seine Blutsverwandten in auf- und absteigender Linie, seine Geschwister und Behörden oder Dritte, die ihn regelmässig unterstützen oder dauernd betreuen. Auseigenem Rechtzur Anmeldung berechtigt sind demnach eigentlich nur der Versicherte oder sein gesetzlicher Vertreter. Die andern im Sinne dieser Bestimmung Legitimierten sind es nur für den Versicherten, d.h. an seiner Statt. In diesem Zusammenhang hat das Eidg. Versicherungsgericht erklärt, dass der Ehemann der Versicherten vertretungsweise sowohl materiell- wie prozessrechtlich die Rechte der invaliden Ehefrau nur in dem Umfange geltend machen könne, als diese nicht bereits verbindlichdarüberverfügt habe(Urteile i.S. Burgervom 27. August 1962 in ZAK 1962 S. 526, Martini vom 31. Dezember 1969; vgl. auch EVGE I 956 S. 196 und ZAK 1963 S. 128). An dieser Auffassung kann nacheinem Beschluss des Gesamtgerichts, dem diese Frage unterbreitet worden ist, nicht mehr uneingeschränkt festgehalten werden.
Denn nach Art. 103 lit. a in Verbindung mit
Art. 132 OG
ist u.a. zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges
BGE 98 V 54 S. 56
Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Wer aus eigenem Recht Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen kann, muss indessen auch im kantonalen Beschwerdeverfahren und im Anmeldeverfahren aus eigenem Recht legitimiert sein. Auf das Anmeldeverfahren bezogen heisstdies, dass denjenigen Personen oder Behörden ein eigenes Anmelderecht zustehen muss, welche durch die Nichtgewährung von Sozialversicherungsleistungen berührt sind und ein schutzwürdiges Interesse auf Gewährung dieserLeistungen haben. Dies trifft auf diejenigen Personen oder Behörden zu, die eine konkrete Unterhaltspflicht erfüllen oder in absehbarer Zeit erfüllen werden.
2.
Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer durch Verfügung des Eheschutzrichters verpflichtet worden, seiner Ehefrau einen monatlichen Unterhaltsbeitrag zu bezahlen. Er hat demnach eine konkrete Unterhaltspflicht zu erfüllen, so dass ihm nach dem Gesagten ein eigenes Anmelderecht zum Bezuge von Invalidenversicherungsleistungen für seine Ehefrau zusteht. Die Invalidenversicherungs-Kommission, an welche die Sache zurückgewiesen wird, hat auf das am 14. Oktober 1969 eingereichte Rentengesuch des Beschwerdeführers einzutreten.
3.
Dem mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten Antrag auf Gutheissung des Rentenbegehrens kann nicht entsprochen werden, da die Verwaltung darüber noch nicht verfügt hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: In teilweiserGutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden die angefochtene Verfügung und der Entscheid der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich vom 23. November 1970 aufgehoben. Die Sache wird an die Invalidenversicherungs-Kommission zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
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