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36a86983-830b-4f45-9f2f-2a804c77d113 | Urteilskopf
83 II 109
19. Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. März 1957 i.S. F. gegen K. | Regeste
Bäuerliches Erbrecht.
Zeitliche Rechtsanwendung.
Bedeutung der Unterstellung des Heimwesens unter das LEG.
Landwirtschaftliches Gewerbe oder Bauland? Ausreichende landwirtschaftliche Existenz.
Eignung des Bewerbers in Bezug auf die beruflichen Fähigkeiten, die finanziellen Verhältnisse und die moralischen Eigenschaften.
Wie weit können Wohnhäuser als Bestandteile eines landwirtschaftlichen Gewerbes gelten? | Sachverhalt
ab Seite 110
BGE 83 II 109 S. 110
A.-
Am 19. Februar 1946 starb in A. bei Zürich Witwe G. Ihre gesetzlichen Erben sind zwei Söhne und eine Tochter. Das Hauptaktivum ihres Nachlasses ist ein landwirtschaftliches Gewerbe, das aus zwei Wohnhäusern, zwei Scheunen, einem Geflügelhaus, Hofraum, Wies- und Ackerland, Streue und Wald besteht. Die Gebäude stehen ca. 20 Minuten vom Bahnhof A. entfernt auf ca. 520 m Höhe über Meer oberhalb einer Hauptverkehrsstrasse. Die beiden Wohnhäuser enthalten je drei Wohnungen. Das Wies- und Ackerland liegt bei den Gebäuden und misst einschliesslich Gebäudefläche und Hofraum 522 Aren. Das Streue- und Waldgrundstück im Ausmass von 147 Aren befindet sich an einem Bergabhang.
B.-
Im Jahre 1949 leitete der eine Sohn gegen seine beiden Miterben Klage auf Feststellung und Teilung des Nachlasses und ungeteilte Zuweisung sämtlicher Liegenschaften an ihn nach den Bestimmungen des bäuerlichen Erbrechts ein. Der andere Sohn bestritt, dass die zum Nachlass gehörenden Liegenschaften ein landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne von
Art. 620 ZGB
bilden und eine Familie zu ernähren vermögen, und machte überdies geltend, dem Kläger fehle die Eignung zur Führung eines Landwirtschaftsbetriebes. Die Tochter Frau F. widersetzte sich ebenfalls der Zuweisung des Heimwesens an den Kläger und beantragte widerklageweise, dieses sei gemäss
Art. 620 ZGB
ihr zuzuweisen, soweit es eine wirtschaftliche Einheit bilde; im Falle der Zuweisung an den Kläger sei ihr wenigstens die Parzelle Nr. 2656 zu überlassen.
C.-
Nachdem das erste Urteil des Bezirksgerichtes Horgen vom 3. September 1953, dem ein Gutachten von Walter Schmid, Werkführer an der landwirtschaftlichen Schule Strickhof in Zürich, zugrunde lag, durch Beschluss des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 31. Oktober 1954 aufgehoben worden war, ergänzte das Bezirksgericht Horgen seine Beweiserhebungen u.a. durch Einholung eines Gutachtens von Dr. Willy Neukomm, Chef des
BGE 83 II 109 S. 111
Schätzungsamtes des Schweiz. Bauernverbandes in Brugg. Mit Urteil vom 14. Februar 1956 wies es in Übereinstimmung mit seinem frühern Entscheide das im Nachlass befindliche Heimwesen (einschliesslich des toten Inventars und eines Anteils an einer Brennereigenossenschaft) zum Ertragswert ungeteilt dem Kläger zu, überband diesem die darauf lastenden Passiven und wies die Widerklage ab. Im weitern stellte es die Schulden des Klägers und der Beklagten Frau F. gegenüber dem Nachlass und den Aktivsaldo desselben fest und bestimmte, welchen Betrag der Kläger an seine Miterben bar auszuzahlen habe und wie die Parteien am Gewinn bezw. Verlust aus der bestehenden Erbschaftsverwaltung beteiligt seien.
D.-
Die Beklagten appellierten gegen dieses Urteil an das Obergericht. Mit Eingabe vom 15. Juni 1956 liess Frau F. das auf Zuweisung des Heimwesens an sie abzielende Hauptbegehren der Widerklage fallen. Das Eventualbegehren hielt sie in der Fassung aufrecht, dass bei Zuweisung des Hofes an den Kläger das Grundstück Nr. 2656 in dem von der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich am 3. September 1948 vorgeschlagenen Umfang, d.h. ohne die Einfahrt zu der auf Grundstück Nr. 1541 stehenden Scheune Nr. 52 und ohne das Geflügelhaus Nr. 53, ihr zuzuweisen sei. Mit Urteil vom 6. Juli 1956 hat das Obergericht das bezirksgerichtliche Urteil vom 14. Februar 1956 bestätigt.
E.-
Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht, die sich gegen Ziff. 1-3, 5, 6 und 8-10 des obergerichtlichen Urteils wendet, beantragt Frau F., die auf Zuweisung der Liegenschaften an den Kläger gerichteten Klagebegehren seien abzuweisen und der Nachlass sei auf Grund des gewöhnlichen Erbrechts zu teilen. Für den Fall, dass die Klage grundsätzlich gutgeheissen werden sollte, bestätigt sie das vor Obergericht gestellte Eventualbegehren.
Der Kläger schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.
BGE 83 II 109 S. 112
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Prozessuale Einwendungen).
2.
Nach Art. 108 des Bundesgesetzes über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen vom 12. Dezember 1940 (LEG) finden die Bestimmungen dieses Gesetzes über das Erbrecht, d.h. die Art. 619, 620, 621, 621bis-quater, 625 und 625bis ZGB in der Fassung gemäss Art. 94 LEG, auf alle Erbschaften Anwendung, in denen sich ein landwirtschaftliches Gewerbe befindet, sofern im Zeitpunkte des Inkrafttretens dieses Gesetzes die Teilung noch nicht abgeschlossen ist (oder, was hier ausser Betracht fällt, der Erblasser nicht anders über den Anrechnungswert oder die Zuteilung des Gewerbes verfügt hat). Im vorliegenden Falle war die Teilung beim Inkrafttreten des LEG, d.h. am 1. Januar 1947, noch nicht abgeschlossen; sie ist es heute noch nicht. Daher sind der Beurteilung dieses Falles die revidierten Bestimmungen über das bäuerliche Erbrecht zugrunde zu legen, obwohl beim Tode der Erblasserin noch die ursprüngliche Fassung von
Art. 619 ff. ZGB
galt.
3.
Gemäss Art. 2 Abs. 1 LEG setzt die Anwendung dieses Gesetzes auf ein bestimmtes Heimwesen oder eine bestimmte Liegenschaft die Unterstellung durch einen Entscheid der zuständigen Behörde voraus. Es ist umstritten, ob hienach auch die Anwendung der durch das LEG revidierten Bestimmungen über das bäuerliche Erbrecht von der Unterstellung des in Frage stehenden Heimwesens unter das LEG abhange (vgl.
BGE 77 I 99
ff.). Diese Frage braucht jedoch im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden, weil hier die Unterstellung tatsächlich erfolgt ist.
4.
Auch wenn man annimmt, ein Heimwesen könne nur unter der Voraussetzung, dass es dem LEG unterstellt wurde, einem Erben gemäss
Art. 620 ZGB
zum Ertragswert ungeteilt zugewiesen werden, kann doch keine Rede davon sein, dass die Unterstellungsverfügung dem in
BGE 83 II 109 S. 113
Frage stehenden Heimwesen in einer für die Gerichte verbindlichen Weise die Eigenschaft eines landwirtschaftlichen Gewerbes im Sinne von
Art. 620 ZGB
zuerkenne. Vielmehr ist die Frage, ob ein solches Gewerbe vorliege, wie die Frage, ob die übrigen Voraussetzungen des
Art. 620 ZGB
gegeben seien, von den Gerichten selbständig zu prüfen. Dabei kommt der Bestimmung von Art. 1 LEG, wonach dieses Gesetz auf Heimwesen und Liegenschaften Anwendung findet, die ausschliesslich oder vorwiegend landwirtschaftlich genutzt werden, höchstens die negative Bedeutung zu, dass ein Heimwesen, das diese Bedingung nicht erfüllt, nicht als landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne von
Art. 620 ZGB
gelten kann. Im übrigen ist der Ausdruck "landwirtschaftliches Gewerbe" so auszulegen, wie es dem Sinn und Zweck von
Art. 620 ZGB
entspricht. Die vor dem Inkrafttreten des LEG ergangene Rechtsprechung bleibt dabei beachtlich.
Letzteres gilt insbesondere für den grundsätzlichen Entscheid
BGE 50 II 329
ff., wonach das bäuerliche Erbrecht auf baureife Grundstücke nicht angewendet werden kann. Soweit dieser Entscheid die Anwendung von
Art. 620 ff. ZGB
davon abhängig macht, dass der landwirtschaftliche Betrieb der Beschaffenheit und Lage des Grundstücks dauernd entsprechen müsse und dass eine spekulative Ausbeutung zu andern Zwecken nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht oder dann nur unter ausserordentlichen Umständen in Betracht fallen dürfe, ist er aber immerhin nicht allzu wörtlich zu nehmen. Es muss genügen, wenn keine Umstände vorliegen, die die bestimmte Erwartung begründen würden, dass das Grundstück sich in den nächsten Jahren zu andern als landwirtschaftlichen Zwecken werde verwenden lassen. Einem Grundstück wird der landwirtschaftliche Charakter im Sinne von
Art. 620 ZGB
nicht schon durch das Bestehen der blossen Möglichkeit entzogen, dass in absehbarer Zeit allenfalls auch es von der fortschreitenden Ausdehnung des Baugebietes erfasst werden könnte; denn sonst wäre die
BGE 83 II 109 S. 114
Anwendung des bäuerlichen Erbrechts in grossen Teilen unseres Landes, das stark von um sich greifenden Städten und Industriedörfern durchsetzt ist, schon heute von vornherein ausgeschlossen, obwohl sich in der Umgebung dieser Ortschaften noch zahlreiche lebensfähige Bauernbetriebe befinden, und würde der Verstädterung Vorschub geleistet, der nach Möglichkeit entgegenzuwirken das bäuerliche Erbrecht mithelfen soll. Selbst die Tatsache, dass bereits gewisse Vorarbeiten für eine allfällige spätere Überbauung geleistet wurden, erlaubt für sich allein nicht den Schluss, dass dieses Recht nicht mehr anwendbar sei, da solche Vorbereitungen von den Gemeindeverwaltungen oft auf weite Sicht vorsorglich getroffen werden. Die Miterben desjenigen, dem ein landwirtschaftliches Grundstück zum Ertragswert zugewiesen wird, obwohl eine Überbauung in absehbarer Zeit immerhin als möglich erscheint, können ihre Interessen in der Weise wahren, dass sie sich auf Grund von
Art. 619 ZGB
für den Fall eines Verkaufs binnen der folgenden 15 Jahre durch Vormerkung im Grundbuch den Anspruch auf einen verhältnismässigen Anteil am Gewinn sichern. Freilich soll dieser Anteil gemäss Art. 619 Abs. 2 nicht mehr betragen, als der Miterbe erhalten hätte, wenn das Grundstück bei der Teilung zum (damaligen) Verkehrswert angerechnet worden wäre. Eine nach der Teilung eintretende Steigerung des Verkehrswertes kommt aber auch dann allein dem Erwerber zugut, wenn das Grundstück nicht einem Erben zum Ertragswert zugewiesen, sondern an einen Dritten verkauft oder von einem Erben zum Verkehrswert übernommen wird. Im übrigen steht es den Erben frei, den für die Berechnung des Gewinnanteils massgebenden Verkehrswert auf dem Wege der Vereinbarung so festzusetzen, dass die Miterben des Übernehmers sich auch bei einer spätern Erhöhung des tatsächlich erzielbaren Erlöses nicht verkürzt fühlen können.
Im vorliegenden Falle liegt der untere Teil des im Nachlass befindlichen Heimwesens, dessen Zuteilung zum
BGE 83 II 109 S. 115
Ertragswert verlangt wird, in der Zone, wo nach dem zur Bauordnung der Gemeinde A. vom 16. Juli 1953 gehörenden Zonenplan zweigeschossige Bauten erstellt werden dürfen, während der obere Teil in dem in erster Linie für die Land- und Forstwirtschaft bestimmten "übrigen Gemeindegebiet" liegt. Der Anschluss an die Kanalisation ist längs der Hauptverkehrsstrasse hergestellt. Das Quartierplanverfahren ist eingeleitet worden. Es besteht auch ein Projekt für eine Quartierstrasse, deren Bau die Kulturfläche des Heimwesens stark beeinträchtigen und erhebliche Teile davon für die Überbauung erschliessen würde. Ein Hoch- und Tiefbauunternehmer, A. St. in Zürich, hat einem des Parteivertreter am 18. Februar 1956 geschrieben, er offeriere für den Hof Fr. 275'000.-- (ungefähr Fr. 4.- pro m2). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Bezirksgerichtes, welche die Vorinstanz sich durch Übernahme der erstinstanzlichen Erwägungen zu eigen gemacht hat, wird jedoch der Quartierplan noch mindestens 4-5 Jahre auf sich warten lassen und wird es bis zum Bau einer Zuleitung zur Kläranlage, von welchem die Gemeinde die Bewilligung von Bauten an der Hauptverkehrsstrasse abhängig macht, mindestens noch bis zum Jahre 1960 oder 1961 dauern. Der Bau der Quartierstrasse, für die noch keine Bau- und Niveaulinien gezogen wurden, wird, wie das Bezirksgericht weiter feststellt, "nicht in absehbarer Zeit" erfolgen. Die Umgebung des Hofes hat wie dieser selbst noch vorwiegend landwirtschaftlichen Charakter. Bis heute ist hier laut dem angefochtenen Urteil "von einer zunehmenden Verstädterung nicht viel zu verspüren". Vom Dorfkern ist der streitige Hof ziemlich weit entfernt. In A. und in den übrigen Vororten von Zürich dürften noch beträchtliche Flächen vorhanden sein, die sich für eine Überbauung wesentlich besser eignen als das Gebiet des streitigen Hofs. Es wäre daher eher ein Zufall, wenn in absehbarer Zeit auf diesem Hof gebaut würde. Die privatschriftliche Offerte St.s taugt schon deshalb nicht zum Beweis der
BGE 83 II 109 S. 116
Baureife, weil sie rechtlich unverbindlich ist. Der Umstand, dass der Kläger sich bereit erklärt hat, den Betrag von Fr. 275'000.-- bei der Vormerkung des Gewinnanteilsrechts der Miterben als für die Berechnung des Gewinnanteils massgebenden Verkehrswert anzuerkennen, beweist nicht, dass er einen Verkauf zu diesem Preis für möglich halte. Im übrigen ist der dem Angebot St.s entsprechende Quadratmeterpreis von Fr. 4.- immerhin nicht so hoch, dass die Fortführung des Landwirtschaftsbetriebs auf dem streitigen Hof als schlechthin unvernünftig bezeichnet werden könnte, wenn dieser Preis wirklich erhältlich wäre. Die Berufungsklägerin hat denn auch im vorliegenden Prozess jahrelang geltend gemacht, dass dieser Hof ein landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne von
Art. 620 ZGB
darstelle und ihr zuzuteilen sei, und diesen Standpunkt erst am 15. Juni 1956 aufgegeben, nachdem ihre persönlichen Verhältnisse sich geändert und beide Experten ihr die Eignung zur Betriebsführung abgesprochen hatten. Unter diesen Umständen ist die Frage, ob man es beim streitigen Heimwesen mit einem "landwirtschaftlichen Gewerbe" im Sinne der eben erwähnten Gesetzesbestimmung zu tun habe, grundsätzlich zu bejahen. Ein Vorbehalt ist lediglich mit Bezug auf eines der beiden Wohnhäuser zu machen (vgl. Erwägung 7).
5.
Ein landwirtschaftliches Gewerbe kann gemäss
Art. 620 ZGB
nur dann einem Erben zum Ertragswert ungeteilt zugewiesen werden, wenn es eine wirtschaftliche Einheit bildet und eine ausreichende landwirtschaftliche Existenz bietet.
Im vorliegenden Falle bilden Kulturland, Streue und Wald zusammen mit den für die Bewirtschaftung erforderlichen Gebäuden ohne Zweifel eine wirtschaftliche Einheit.
Heikler ist die Frage, ob das Heimwesen eine ausreichende landwirtschaftliche Existenz biete, d.h. ob seine Bewirtschaftung einen Ertrag abwerfe, der einer mittlern Bauernfamilie unter normalen Verhältnissen zum
BGE 83 II 109 S. 117
Leben ausreicht (vgl.
BGE 81 II 105
ff.). Der Sachverständige Dr. Neukomm, auf dessen Gutachten die Vorinstanz in allen Teilen abstellt, berechnet das durchschnittliche Einkommen auf Fr. 7640.--, den durchschnittlichen Verbrauch der Bewirtschafterfamilie auf Grund der Annahme, dass diese aus Mann, Frau, einem im Haushalt lebenden und einem auswärts wohnenden mit monatlich Fr. 100.-- zu unterhaltenden Kinde bestehe, auf von Fr. 7400.-- So kommt er aufeinen jährlichen Vorschlag Fr. 240.--. Das von ihm errechnete Einkommen schliesst indes den Ertrag der Mietwohnungen in beiden Wohnhäusern ein. Das Einkommen des Übernehmers vermindert sich also, wenn man eines dieser beiden Häuser als nicht zum landwirtschaftlichen Gewerbe gehörend von der Zuweisung ausnimmt. Auf der andern Seite vermindert sich dann aber auch die Hypothekarzinslast. Zudem hat der Sachverständige erklärt, bei geschickter Bewirtschaftung könnten weitere Einnahmequellen erschlossen werden. Das Bezirksgericht nimmt an, dies sei dem Kläger tatsächlich gelungen (S. 40 des Urteils vom 14. Februar 1956, dessen Erwägungen das Obergericht, wie schon bemerkt, übernommen hat). Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Betrag von Fr. 7400.--, auf den der Sachverständige auf Grund von Zahlen aus Vergleichsbetrieben den Verbrauch beziffert hat, für eine Familie mit zwei Kindern auch bei Mitberücksichtigung der Steuern noch über dem Existenzminimum liegen dürfte, das gemäss
BGE 81 II 110
lit. f für die Bemessung des Lebensbedarfs massgebend ist, da nach dem Sinne des Gesetzes auch Betriebe, die nur eine kärgliche Existenz ermöglichen, nach bäuerlichem Erbrecht sollen vererbt werden können. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Gutachten Schmid, auf das die Vorinstanz sich ebenfalls beruft, im Kanton Zürich noch zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe mit einer Fläche von 3-5 ha vorhanden sind, die nur zum kleinern Teil so gut gelegen und arrondiert sein dürften wie der streitige Hof und deren Inhaber
BGE 83 II 109 S. 118
offenbar gleichwohl ihr Fortkommen finden. Daher bedeutet es keine Bundesrechtsverletzung, dass die kantonalen Instanzen angenommen haben, der Übernehmer finde auf diesem Heimwesen eine ausreichende landwirtschaftliche Existenz.
6.
Auf die Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes zum Ertragswert kann nach
Art. 620 ZGB
nur ein Erbe Anspruch erheben, der als zu dessen Übernahme geeignet erscheint.
Bei der Untersuchung der beruflichen Eignung des Klägers ist das Bezirksgericht in seinen vom Obergericht gebilligten Erwägungen auf Grund der eingeholten Gutachten und eines einlässlichen Beweisverfahrens über die dem Kläger von der Gegenpartei vorgeworfenen Fehler in der Betriebsführung zum Schlusse gelangt, dass der Kläger, obwohl er mit den modernsten Grundsätzen der Bewirtschaftung nicht vollständig vertraut sei und auch praktisch keinen tadellosen, vorbildlichen Betrieb gewährleiste, doch im Sinne des bäuerlichen Erbrechts nach den orts- und landesüblichen Vorstellungen für die Zuweisung des streitigen Heimwesens als geeignet erscheine. Die Feststellungen über die Kenntnisse und die Betriebsführung des Klägers, auf welche dieser Schluss sich stützt, betreffen tatsächliche Verhältnisse und sind daher für das Bundesgericht verbindlich. Auf Grund dieser Feststellungen konnten die kantonalen Gerichte die berufliche Eignung die Klägers ohne Verstoss gegen
Art. 620 ZGB
bejahen.
An einen Bewerber sind freilich um so höhere Anforderungen zu stellen, je grösser die finanziellen Schwierigkeiten sind, denen er bei Übernahme des Heimwesens begegnet (
BGE 75 II 31
und dort angeführte Entscheide). In dieser Beziehung fällt in Betracht, dass der Kläger nach den Feststellungen des Bezirksgerichtes zwar laufende Schulden von Fr. 7000.-- und eine Darlehensschuld von Fr. 10'000.-- hat und in den Jahren 1952 bis 1955 insgesamt 68 Mal betrieben wurde, dass er jedoch seinen finanziellen Verpflichtungen, wenn auch mit Verspätung,
BGE 83 II 109 S. 119
nachzukommen vermochte, obwohl er heute das Heimwesen noch unter erschwerten Bedingungen (zum Teil mit Pachtland statt mit Eigenland) bewirtschaftet und bis anhin grosse Zahlungen für Gerichts- und Anwaltskosten aus seinem Scheidungsprozess zu leisten hatte und auch den vorliegenden Prozess finanzieren musste. Die Erwartung, dass er nach Wegfall dieser ausserordentlichen Umstände seine Verbindlichkeiten um so eher werde erfüllen können, erscheint daher als gerechtfertigt. Die Beschaffung der Mittel für die Auszahlung der Geschwister ist gemäss Feststellung des Bezirksgerichts zu annehmbaren Bedingungen gesichert. In den bestehenden finanziellen Schwierigkeiten liegt daher kein genügender Grund, dem Kläger die Eignung für die Übernahme des Heimwesens abzusprechen.
Ein solcher Grund kann aber auch in den moralischen Eigenschaften des Klägers nicht gefunden werden. Der Kläger hat zwar einen etwas schwierigen Charakter, was sich nicht nur aus dem Scheidungsprozess, sondern z.B. auch aus seinem Schreiben an den Anwalt der Berufungsklägerin vom 16. April 1956 ergibt. Dass er seit Jahren mit seiner Haushälterin, die ein uneheliches Kind von ihm hat, im Konkubinat lebt, wirft auf ihn ebenfalls nicht das beste Licht. Unfleiss, Trunksucht, eine Neigung zu übermässigem Aufwand oder andere moralische Schwächen, die seine Fähigkeit, sich auf dem Betriebe zu behaupten, in Frage stellen könnten, sind ihm jedoch nicht vorzuwerfen. Der vorliegende Fall hat keinerlei Ähnlichkeit mit den in
BGE 75 II 30
ff. und
BGE 77 II 225
ff. beurteilten Fällen, wo die Eignung im Sinne von
Art. 620 ZGB
mit Rücksicht auf moralische Eigenschaften verneint wurde, die befürchten liessen, dass die Bewerber sich trotz dem Besitz der nötigen technischen Fähigkeiten als Betriebsinhaber nicht bewähren würden.
Die kantonalen Instanzen durften demnach auch die subjektiven Voraussetzungen für die Anwendung von
Art. 620 ZGB
als erfüllt betrachten.
BGE 83 II 109 S. 120
7.
Das auf die Parzelle Nr. 2656 bezügliche Eventualbegehren der Berufungsklägerin kann auf jeden Fall nicht im vollen Umfange geschützt werden. Das Kulturland und der Hofraum auf der Parzelle Nr. 2656 und die darauf stehenden Wirtschaftsgebäude, insbesondere auch die Scheune Nr. 54, gehören unzweifelhaft zum landwirtschaftlichen Gewerbe, auf dessen ungeteilte Zuweisung der Kläger Anspruch hat. Wie die Berufungsklägerin selber ausführt, kann keine Rede davon sein, dass sich das streitige Gewerbe, das ohnehin nur eine knappe Existenz bietet, im Sinne von
Art. 621ter ZGB
in zwei lebensfähige Betriebe zerlegen liesse.
Als Bestandteil des landwirtschaftlichen Gewerbes, das dem Kläger zuzuweisen ist, hat auch das eine der beiden Wohnhäuser zu gelten, da der Betriebsinhaber eine Wohnung benötigt und gesagt werden kann, zwischen Kulturland und Gebäuden bestehe noch ein vernünftiges Verhältnis und den betriebsfremden Räumen komme im Vergleich zu den für den Betrieb notwendigen Räumen und zum Kulturland nur untergeordnete Bedeutung zu (vgl. hiezu
BGE 50 II 328
und Urteil vom 11. Februar 1954 i.S. König gegen König, Erw. 2 c Abs. 3 S. 14), auch wenn zum landwirtschaftlichen Gewerbe ein Wohnhaus gerechnet wird, das neben der Bauernwohnung noch zwei bescheidene Mietwohnungen enthält. (Die Mietzinsen für den 1. und 2. Stock des Hauses Nr. 50, dessen Erdgeschoss der Kläger gegenwärtig bewohnt, betragen nach dem Gutachten Neukomm jährlich nur Fr. 636.-- bezw. Fr. 576.--.)
Auf die Zuweisung beider Wohnhäuser kann dagegen der Kläger nicht Anspruch erheben, da es nicht angeht, neben den zwei Wohnungen umfassenden betriebsfremden Räumen im Hause, wo der Betriebsinhaber wohnen wird, auch noch ein zweites Wohnhaus mit drei weitern Wohnungen im Vergleich zu den für den Landwirtschaftsbetrieb erforderlichen Bestandteilen des Heimwesens als Nebensache zu betrachten, die bei der Anwendung von
BGE 83 II 109 S. 121
Art. 620 ZGB
das Schicksal der Hauptsache zu teilen hätte. Hieran würde sich auch nichts ändern, wenn gewisse Kellerräume des zweiten Hauses gegenwärtig für den Betrieb oder für den Haushalt des Betriebsinhabers benützt werden sollten. Ebensowenig können die (gewiss nicht unlösbaren) Schwierigkeiten, welche im Falle der Abtretung des einen Wohnhauses vom Heimwesen die Regelung der Wegverhältnisse bieten kann, dazu führen, dem Kläger beide Wohnhäuser zu überlassen.
Eines dieser beiden Häuser ist daher von der Zuteilung an den Kläger auszunehmen, wenn die Erben sich nicht auf eine andere Lösung (z.B. Überlassung beider Häuser an den Kläger und Einräumung eines Wohnrechts an die Berufungsklägerin) einigen. Welches der beiden Häuser sich leichter aussondern lässt, welcher Umschwung dafür unentbehrlich ist, wie die Wegverhältnisse zu gestalten sind und wie hoch der Anrechnungswert des Gewerbes mit nur einem Wohnhaus zu beziffern ist, sowie welches die weitern Folgen der Aussonderung des einen Hauses für die Erbteilung sind, lässt sich indessen auf Grund der vorliegenden Akten nicht beurteilen. Insbesondere lässt sich heute auch noch nicht sagen, in welcher Weise die Erbteilung mit Bezug auf das auszusondernde Wohnhaus durchzuführen ist (vgl. hiezu
BGE 78 II 408
ff.). Daher muss die Sache zu neuer Entscheidung (auch über die kantonalen Kosten) an die Vorinstanz zurückgewiesen werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. Juli 1956, soweit es angefochten wurde, aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung gemäss den Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
36ae8c49-d82a-4a51-a50a-0fa7b462a92a | Urteilskopf
123 II 552
57. Estratto della sentenza 21 novembre 1997 della II Corte di diritto pubblico nella causa Amministrazione federale delle contribuzioni contro Camera di diritto tributario del Tribunale d'appello del Cantone Ticino e R S.A. (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Art. 92 Abs. 1, Art. 95 und Art. 101 Abs. 1 und 2 des aufgehobenen Bundesratsbeschlusses vom 9. Dezember 1940 über die Erhebung einer direkten Bundessteuer (BdBSt); Art. 130 Abs. 1 und 2, Art. 131 Abs. 1 und Art. 132 Abs. 1 und 3 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG); Zulässigkeit einer Einsprache gegen eine Ermessensveranlagung.
Ermessensveranlagung und Einspracheverfahren gemäss altem Recht (E. 2) und auf der Basis der aktuellen gesetzlichen Regelung (E. 3).
Die von
Art. 132 Abs. 3 DBG
geforderte Begründung einer Einsprache gegen eine Ermessensveranlagung stellt eine Prozessvoraussetzung dar, deren Fehlen zur Folge hat, dass auf die Einsprache nicht eingetreten wird (E. 4c). Für diese Auslegung von
Art. 132 Abs. 3 DBG
sprechen gewichtige öffentliche Interessen (E. 4e). Bei der Eröffnung der Ermessensveranlagung ist die Steuerbehörde gehalten, in der Rechtsmittelbelehrung die Anforderungen von
Art. 132 Abs. 3 DBG
an die Einsprache sowie die Konsequenzen im Fall der Nichtbeachtung anzugeben (E. 4f). | Sachverhalt
ab Seite 553
BGE 123 II 552 S. 553
Dopo aver ripetutamente e infruttuosamente diffidata la R S.A. a presentare la dichiarazione per l'imposta federale diretta 1995, l'Ufficio di tassazione delle persone giuridiche del Dipartimento delle finanze e dell'economia del Cantone Ticino le ha intimato, il 5 febbraio 1996, una tassazione d'ufficio.
Il 29 febbraio 1996, la R S.A. ha interposto un reclamo contro la citata tassazione, adducendo che la stessa non corrispondeva ai fatti e chiedendo una proroga dei termini di due mesi. Il 7 marzo 1996, l'autorità fiscale le ha ricordato che il reclamo dev'essere motivato, indicare le prove e contenere una proposta; le ha poi assegnato un termine con scadenza al 22 marzo 1996 entro il quale inoltrare i rendiconti inerenti l'esercizio 1994 o chiedere di essere sentita. L'interessata è stata inoltre avvertita che, in caso di inosservanza, il reclamo
BGE 123 II 552 S. 554
sarebbe stato dichiarato inammissibile. Considerato che il termine, prorogato al 31 maggio 1996, è scaduto infruttuoso, il reclamo è stato dichiarato inammissibile con decisione del 4 luglio 1996.
Adita tempestivamente dalla R S.A., la Camera di diritto tributario del Tribunale d'appello del Cantone Ticino, con sentenza del 12 dicembre 1996, ha annullato la tassazione litigiosa e rinviato gli atti all'autorità precedente per nuovo giudizio. La tassa di giustizia è stata posta a carico della R S.A. Secondo la Corte cantonale, il fatto che la contribuente non abbia prodotto alcun documento in sede di reclamo non poteva condurre all'inammissibilità di tale rimedio giuridico, bensì alla sua reiezione: l'interessata restava pertanto libera di presentare ricorso dinanzi all'autorità superiore e di produrre nuova documentazione. A mente dei giudici cantonali, andava tuttavia tenuto conto dell'attitudine della contribuente nell'ambito del giudizio sulle spese.
Il 30 gennaio 1997, l'Amministrazione federale delle contribuzioni ha presentato un ricorso di diritto amministrativo dinanzi al Tribunale federale, con cui sostiene che la sentenza cantonale viola il diritto federale.
Il Tribunale federale ha accolto il ricorso e ha confermato la decisione su reclamo del 4 luglio 1996.
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
a) Vigente l'abrogato decreto concernente l'imposta federale diretta, del 9 dicembre 1940 (DIFD; CS 6, 358), la notifica di tassazione avveniva per scritto; essa conteneva una breve motivazione, se si scostava dalla dichiarazione senza che il contribuente ne fosse stato informato nel corso delle operazioni di tassazione (
art. 95 DIFD
). In un eventuale reclamo dovevano essere indicate chiaramente le proposte del reclamante, i fatti a sostegno e le prove. I documenti in possesso del reclamante dovevano essere allegati al reclamo in originale o in copia autenticata (
art. 101 cpv. 1 DIFD
). L'autorità fiscale non doveva tenere conto di reclami generici senza una motivazione oggettiva delle proposte fatte (
art. 101 cpv. 2 DIFD
).
Se, nonostante diffida, il contribuente non presentava o non completava in tempo utile la sua dichiarazione, se non compariva a dare informazioni, non ottemperava a una domanda di ragguagli, se, benché obbligato a tenere i libri di commercio, non li presentava o ne presentava di quelli tanto difettosi da rendere impossibile il calcolo dei fattori imponibili o non produceva i documenti giustificativi richiesti, era tassato d'ufficio. Laddove, in tale occasione, i fattori
BGE 123 II 552 S. 555
imponibili, su cui poggiava l'ultima tassazione esecutoria del contribuente, non aumentavano in misura superiore al 20%, contro la nuova tassazione non era ammesso né il reclamo né il ricorso (
art. 92 cpv. 1 DIFD
).
b) Da tale regolamentazione, la giurisprudenza ha dedotto il principio secondo cui se, in una delle fattispecie descritte all'
art. 92 cpv. 1 DIFD
, era eseguita una tassazione d'ufficio, questa comportava una limitazione del diritto di reclamo e di ricorso, qualora detta tassazione non aumentasse i fattori d'imposizione in misura superiore al 20%. Una simile limitazione dei rimedi di diritto era tuttavia ammessa solo se il comportamento del contribuente era intenzionale e privava l'autorità di una base essenziale per una regolare imposizione (MASSHARDT/TATTI, Commentario dell'imposta federale diretta, Nuova Edizioni Trelingue 1985, n. 20 all'art. 92; KÄNZIG/BEHNISCH, Die direkte Bundessteuer, vol. 3, Basilea 1992, 2a ed., n. 49 all'art. 92 con rinvii). Laddove tali condizioni erano realizzate, il contribuente perdeva il diritto di contestare la determinazione dei fattori imponibili e della relativa imposta; poteva tuttavia ancora far valere che la tassazione d'ufficio era avvenuta sebbene non ne fossero realizzate le premesse (MASSHARDT/TATTI, op.cit., n. 20 all'art. 92; KÄNZIG/BEHNISCH, op.cit., n. 51 all'art. 92).
La prassi concernente il decreto sull'imposta federale diretta sanciva, inoltre, che l'autorità fiscale poteva omettere di entrare nel merito dei reclami generici, privi di una motivazione oggettiva delle proposte fatte (
art. 101 cpv. 2 DIFD
). Per converso, nei casi contemplati dall'
art. 101 cpv. 1 DIFD
, l'autorità non poteva rifiutarsi di vagliare il merito dell'opposizione (sentenze inedite del Tribunale federale del 19 maggio 1978 in: ASA 48 pag. 193 consid. 2 pag. 195 e del 26 luglio 1993 in: StR 49/1994 141 consid. 2a pag. 142). Se il reclamo era rivolto contro una tassazione d'ufficio, esso doveva essere motivato in modo approfondito: la semplice allegazione secondo la quale la tassazione era fortemente esagerata era insufficiente e comportava l'inammissibilità del rimedio (ASA 48 pag. 193 consid. 2 pag. 195).
3.
La legge federale sull'imposta federale diretta del 14 dicembre 1990 (LIFD; RS 642.11) ha mutato in modo importante le disposizioni citate in precedenza. Giusta l'
art. 130 cpv. 1 LIFD
, l'autorità di tassazione controlla la dichiarazione d'imposta e procede alle necessarie indagini. Essa fissa poi gli elementi imponibili (reddito, utile netto e capitale proprio imponibili), l'aliquota e l'ammontare dell'imposta nella decisione di tassazione (
art. 131 cpv. 1 LIFD
). Un
BGE 123 II 552 S. 556
eventuale reclamo può essere presentato per scritto all'autorità di tassazione, entro 30 giorni dalla notificazione (
art. 132 cpv. 1 LIFD
). La normativa non stabilisce un'esigenza di motivazione né per la decisione né per il reclamo.
La nuova legge prevede poi che si procede a una tassazione d'ufficio laddove il contribuente, nonostante diffida, non soddisfa i suoi obblighi procedurali oppure se gli elementi imponibili non possono essere accertati esattamente per mancanza di documenti attendibili (
art. 130 cpv. 2 LIFD
). Una simile tassazione può essere impugnata soltanto con il motivo che essa è manifestamente inesatta. In questo caso, il reclamo dev'essere motivato e indicare eventuali mezzi di prova (
art. 132 cpv. 3 LIFD
).
4.
a) Nella fattispecie va osservato che, da diversi anni, la società resistente non adempie correttamente i propri obblighi di collaborazione ed è pertanto ripetutamente stata tassata d'ufficio. Nel procedimento in esame, relativo all'imposta federale diretta 1995, la tassazione d'ufficio è stata emanata dopo che l'interessata è stata ripetutamente e infruttuosamente diffidata a presentare la dichiarazione fiscale. Nel proprio reclamo la qui resistente, oltre a chiedere una proroga dei termini di due mesi, si è limitata a indicare che la tassazione non corrispondeva ai fatti, in quanto essa lottava per la propria sopravvivenza e non conseguiva alcun utile. Ora, una simile allegazione, senza ulteriori precisazioni né indicazione di prove, non consente all'autorità fiscale, costretta dal comportamento della contribuente a ricorrere a una tassazione d'ufficio, di rivedere il proprio giudizio: essa non costituisce pertanto una motivazione sufficiente (in merito alla prassi precedente cfr. ASA 48 pag. 193 consid. 2 pag. 195 e StR 49/1994 141 consid. 2a pag. 142).
b) La Camera di diritto tributario non nega che l'argomentazione alla base del reclamo sia insufficiente, ma sostiene che l'obbligo di motivazione costituisce un mero disposto d'ordine, che non cagiona l'inammissibilità dell'impugnativa. A suo avviso, la manifesta inesattezza della tassazione d'ufficio, la motivazione dell'opposizione così come la presentazione di eventuali prove non costituiscono dei presupposti processuali, bensì delle condizioni sostanziali per la rimozione della decisione per apprezzamento. L'assenza di tali requisiti non rende pertanto inammissibile un reclamo, il quale va invece respinto nel merito. La Corte cantonale ne deduce che la resistente poteva ricorrere contro la decisione su reclamo e che poteva produrre nuove prove; del suo comportamento andava tuttavia tenuto conto nell'ambito del giudizio sulle spese.
BGE 123 II 552 S. 557
c) Come esposto in precedenza (consid. 3), la legge federale sull'imposta federale diretta ha mutato notevolmente la disciplina concernente l'impugnazione di tassazioni d'ufficio: la prassi precedente non può pertanto sempre essere considerata determinante. Il legislatore ha, in particolare, abolito l'esclusione dei diritti di reclamo e di ricorso prevista dall'
art. 92 cpv. 1 DIFD
, poiché di dubbia costituzionalità (Messaggio del 25 maggio 1983, in: FF 1983 III pag. 132 seg.). Nondimeno, per i reclami concernenti tassazioni d'ufficio - diversamente da quelli rivolti contro tassazioni ordinarie - la legge ha esplicitamente mantenuto l'esigenza di motivazione così come l'obbligo d'indicare eventuali prove (
art. 132 cpv. 3 LIFD
). Certo, il messaggio menzionato indica che la nuova regolamentazione si inspira alle legislazioni fiscali di taluni cantoni, quali Zurigo e San Gallo e quest'ultimi non sembrano far dipendere l'ammissibilità dell'opposizione dalla sua motivazione (RICHNER/FREI/WEBER/BRÜTSCH, Zürcher Steuergesetz: Kurzkommentar, 2a ed., Zurigo 1997, n. 11 al § 90; REINMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, vol. 3, Berna 1969, § 89 n. 7; art. 105 e 109 della legge fiscale del Canton San Gallo del 1970; inoltre WEIDMANN/GROSSMANN/ZIGERLIG, Wegweiser durch das st. gallische Steuerrecht, 5a ed., Muri-Berna 1995, pag. 165 e 328). Senonché, il rinvio a tali legislazioni cantonali avviene unicamente in merito al trasferimento dell'onere della prova, ossia al principio secondo cui, nell'ambito di un reclamo rivolto contro una tassazione d'ufficio, non tocca all'autorità dimostrare la correttezza della propria valutazione, bensì all'interessato provare che la stessa è manifestamente inesatta. Rafforza tale conclusione il fatto che, secondo lo stesso messaggio, se il contribuente desidera che l'autorità tratti nel merito il suo reclamo, egli deve dapprima adempiere il dovere, trascurato in precedenza, di collaborare (Messaggio citato in: FF 1983 III pag. 133; nello stesso senso AGNER/JUNG/STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, Zurigo 1995, n. 7 all'art. 132). Ne discende che il legislatore ha inteso far dipendere l'esame di merito della tassazione dall'esistenza di una motivazione (cfr. pure R. SCHWARZ-WILHELMSEN, Das Verfahren der Steuerveranlagung nach Thurgauer Recht, Frauenfeld 1985, pag. 156 n. 5 e pag. 157 n. 10; BLUMENSTEIN/LOCHER, System des Steuerrechts, Zurigo 1995, 5a ed., pag. 383, il quale rinvia tuttavia unicamente all'
art. 101 DIFD
). Non può pertanto venire seguita l'opinione dottrinale secondo la quale l'esigenza citata, descritta nel messaggio, non costituisce un presupposto processuale, bensì materiale, indispensabile
BGE 123 II 552 S. 558
all'accoglimento del gravame (RYSER/ROLLI, Précis de droit fiscal suisse, Berna 1994, 3a ed., pag. 401 n. 175, cfr. pure X. Oberson, Le contentieux fiscal, in: Les procédures en droit fiscal, Berna 1997, pag. 140).
d) Va poi rilevato che, contrariamente a quanto osservato dal Tribunale cantonale, neppure la mancanza di un'indicazione precisa concernente le conseguenze di una motivazione insufficiente conduce a considerare l'
art. 132 cpv. 3 LIFD
quale mera disposizione d'ordine. La legge federale sull'imposta federale diretta esige infatti la presentazione tempestiva di un reclamo debitamente motivato. Ora, una simile formulazione tende a far ritenere che la motivazione sia un presupposto indispensabile per l'esame del gravame. Tale interpretazione corrisponde alla prassi sviluppata in materia di ricorsi di diritto pubblico. Quest'ultima stabilisce infatti che le impugnative, le quali non adempiono le esigenze di motivazione poste dall'
art. 90 cpv. 1 lett. b OG
, sono dichiarate inammissibili, e ciò malgrado una simile conseguenza non scaturisca esplicitamente dal testo di legge (cfr.
DTF 81 I 98
consid. 3 pag. 101 seg.;
DTF 121 I 117
consid. 3a pag. 120;
DTF 122 I 70
consid. 1c pag. 73). La medesima considerazione vale per quanto concerne i ricorsi di diritto amministrativo, la cui motivazione non è solo poco chiara, bensì insufficiente, segnatamente, in quanto mancante o non riferita all'oggetto del litigio. Simili gravami non beneficiano infatti dell'
art. 108 cpv. 3 OG
e vanno dichiarati inammissibili, sebbene una simile conseguenza non sia esplicitamente indicata all'
art. 108 cpv. 1 OG
(
DTF 123 II 359
consid. 6b/bb pag. 369;
DTF 118 Ib 134
consid. 2 pag. 135). Non conducono a considerazioni diverse né l'
art. 52 cpv. 2 PA
, che contiene una specifica regolamentazione, diversa da quella in esame, né il riferimento, operato dalla Corte cantonale, alla sentenza pubblicata in DTF
DTF 108 Ia 97
consid. 3b pag. 102 seg. Quest'ultima concerneva infatti un quesito del tutto diverso e, segnatamente, il termine entro il quale il rappresentante del danneggiato è autorizzato a presentare una procura.
e) Va inoltre aggiunto che la soluzione secondo la quale il reclamo presentato dalla resistente andava dichiarato inammissibile è sorretta da importanti interessi pubblici. Consente infatti di evitare che un contribuente, il quale ha omesso di adempire i propri obblighi di collaborazione ed è stato tassato d'ufficio, possa ostacolare notevolmente il lavoro dell'amministrazione, presentando un reclamo assolutamente immotivato, per poi difendersi e produrre la documentazione richiesta in sede di ricorso. Dichiarando inammissibile il reclamo,
BGE 123 II 552 S. 559
si evita che, nell'eventualità descritta, l'autorità fiscale debba annullare la tassazione d'ufficio e ricominciare una procedura volta all'emanazione di una tassazione ordinaria, contro la quale il contribuente potrebbe nuovamente presentare tutti i rimedi di diritto, subendo, come sola conseguenza, l'onere dei costi dei procedimenti inutilmente esperiti. La necessità di assicurare all'amministrazione fiscale la possibilità di far fronte ai propri compiti con mezzi limitati conduce a favorire soluzioni che impediscano a contribuenti di procrastinare l'esito di una procedura di tassazione semplicemente violando i loro doveri di collaborazione.
f) Infine, giova osservare che, nella fattispecie, la notifica della tassazione d'ufficio non conteneva un'indicazione concernente l'obbligo di motivare il reclamo e di indicare eventuali prove. Ora, la semplice menzione del diritto di interporre reclamo può trarre in inganno il contribuente. La necessità di motivare tale rimedio e d'indicare eventuali prove non è infatti prevista per i reclami rivolti contro tassazioni ordinarie: vi quindi è un rischio non trascurabile che il contribuente non cognito di diritto ometta di motivare in modo sufficiente l'impugnativa, provocandone l'inammissibilità. Spetta alle autorità fiscali evitare il realizzarsi di simili situazioni, menzionando nella decisione quanto disposto dall'
art. 132 cpv. 3 LIFD
e le conseguenze in caso di inottemperanza. In altre parole, incombe alle citate autorità precisare nell'indicazione dei rimedi di diritto, le conseguenze derivanti, tra l'altro, da un reclamo insufficientemente motivato quando lo stesso è rivolto contro una tassazione d'ufficio. Nondimeno, in concreto, la resistente non può lamentarsi dell'assenza di una simile indicazione: in sede di reclamo, l'autorità ha infatti ricordato all'interessata la necessità di motivare il gravame e di produrre le relative prove, assegnandole altresì un termine per rimediarvi, con la comminatoria di dichiarare inammissibile l'impugnativa. L'interessata, che non ha dato seguito all'invito dell'autorità, non può ora prevalersi di aver ignorato le conseguenze di un'insufficiente motivazione. Per le medesime ragioni, la resistente non può neppure far valere che la decisione impugnata era motivata in modo insufficiente. In effetti, con ogni evidenza, essa ha rinunciato a presentare una motivazione dettagliata in sede di reclamo: la mancanza di una precisa motivazione della decisione di tassazione non le ha quindi cagionato pregiudizio (cfr. pure
DTF 111 Ib 209
consid. 1 pag. 210;
DTF 105 Ib 245
consid. 3a pag. 251; ASA 65 pag. 472 consid. 2). | public_law | nan | it | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
36b2e9d9-f6f7-438a-ad91-c917cbea3451 | Urteilskopf
119 IV 145
26. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 25 juin 1993 dans la cause A. c. Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 197 StGB
; Pornographie.
Wer jedermann, unabhängig von dessen Alter, die Aufzeichnung unzüchtiger Äusserungen oder Gespräche zugänglich macht, die unter die weiche Pornographie fallen, erfüllt sowohl den Tatbestand von Art. 204 aStGB als auch von
Art. 197 StGB
(E. 2).
Art. 58 StGB
; Einziehung.
Bei der Frage der Einziehung des Gewinns aus einer solchen Handlung ist zu prüfen, ob eine Möglichkeit bestanden hätte, den Zugang zu diesen Aufzeichnungen auf jene Personen zu beschränken, die das Schutzalter überschritten haben. Ist eine solche Einschränkung durchführbar, darf nur jener Gewinn als unrechtmässig eingezogen werden, der dadurch erzielt worden ist, dass man auf die Zugangsbeschränkung verzichtet hat (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 146
BGE 119 IV 145 S. 146
A.-
En vue de diffuser au public, moyennant paiement, des messages érotiques et pornographiques, A. a obtenu des PTT, selon le système télékiosque, huit lignes téléphoniques commençant par le no 156, dont chacune permettait d'exploiter dix lignes supplémentaires. Le système télékiosque donne à toute personne disposant d'un raccordement téléphonique la possibilité d'accéder, en composant le numéro indiqué, aux messages proposés, moyennant une taxe facturée ensuite par les PTT, dont une quote-part revient au titulaire du no 156. A. a fait paraître des annonces publicitaires dans la presse pour informer le public qu'il offrait des messages érotiques sur les lignes téléphoniques qui lui avaient été attribuées. Il commença l'exploitation de ces lignes le 10 octobre 1991. Les messages, enregistrés sur cassettes, étaient diffusés lorsque le numéro de télékiosque adéquat était sélectionné et ne s'interrompaient que lorsque l'appelant raccrochait son téléphone. Il ressort des cinq messages, transcrits et versés à la procédure, qu'une voix féminine évoquait en termes crus des pratiques sexuelles, simulant le désir, voire l'orgasme. Il n'était fait cependant aucune allusion à des actes d'ordre sexuel avec des enfants, des animaux, des excréments humains ou comprenant des actes de violence.
Le 14 octobre 1991, le Ministère public du canton de Vaud fit savoir, par la voie de la presse, qu'il avait déposé une dénonciation pour publications obscènes. Le 31 octobre 1991, le Ministère public fédéral a publié un communiqué de presse faisant état des procédures en cours relatives à des publications obscènes par la voie du télékiosque. A. a eu connaissance de ces communications de presse et il a continué néanmoins à diffuser des messages érotiques jusqu'au
BGE 119 IV 145 S. 147
13 juin 1992 - alors même que la quote-part des taxes qui devait lui revenir pour certaines lignes avait fait l'objet d'un séquestre pénal -, expliquant sa persévérance par le fait qu'il avait investi des fonds importants dans cette affaire et que ses concurrents poursuivaient de leur côté leur activité.
B.-
Par jugement du 7 juillet 1992, le Tribunal de police du district de Lausanne a condamné A., pour publications obscènes, à la peine d'un mois d'emprisonnement avec sursis pendant deux ans et à une amende de 10'000 francs avec délai d'épreuve et de radiation de même durée, mettant à sa charge les frais de la procédure; il a ordonné que, sur les fonds séquestrés, 157'781 fr. 65 soient restitués à la société A. SA, le solde étant confisqué et dévolu à l'Etat. Le tribunal a considéré en particulier que A. ne pouvait ignorer le risque concret que des enfants, par curiosité ou désoeuvrement, ayant vu les annonces publicitaires largement diffusées dans la presse, sélectionnent les numéros de téléphone en cause et reçoivent ces messages, relevant de la pornographie dite douce. Il a admis que l'accusé avait agi, au départ, sous l'emprise d'une erreur de droit, mais que, dès qu'il a eu connaissance du communiqué de presse du Ministère public, il n'avait plus de raisons suffisantes de se croire en droit d'agir. Il a tenu compte de l'erreur de droit d'une part au stade de la fixation de la peine et d'autre part au stade de la confiscation, en permettant à l'accusé de récupérer une mise de fonds, fixée à 300'000 francs selon le chiffre qu'il a articulé aux débats.
Par arrêt du 21 décembre 1992, la Cour de cassation cantonale a rejeté le recours formé par le condamné. Tenant compte de l'entrée en vigueur, le 1er octobre 1992, des nouvelles dispositions relatives aux infractions contre l'intégrité sexuelle, elle a estimé qu'il fallait appliquer le nouvel
art. 197 CP
, en tant que lex mitior.
C.-
Contre cet arrêt, A. s'est pourvu en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral. Invoquant une violation des art. 2, 58, 204 (ancien) et 197 (nouveau) CP, il conclut, avec suite de frais et dépens, à l'annulation de la décision attaquée, à ce qu'il soit acquitté et à ce que les séquestres pénaux soient levés et les montants restitués, les frais de la procédure étant à la charge de l'Etat.
D.-
Invité à présenter des observations, le Ministère public a conclu, avec suite de frais, au rejet du pourvoi.
La cour cantonale s'est, quant à elle, référée aux considérants de son arrêt.
BGE 119 IV 145 S. 148
Erwägungen
Considérant en droit:
2. Le 1er octobre 1992 (RO 1992 p. 1678) est entré en vigueur le nouvel
art. 197 CP
, intitulé "pornographie", dont la teneur est la suivante:
1. Celui qui aura offert, montré, rendu accessibles à une personne de moins de 16 ans ou mis à sa disposition des écrits, enregistrements sonores ou visuels, images ou autres objets pornographiques ou des représentations pornographiques, ou les aura diffusés à la radio ou à la télévision, sera puni de l'emprisonnement ou de l'amende.
2. Celui qui aura exposé ou montré en public des objets ou des représentations visés au chiffre 1 ou les aura offerts à une personne qui n'en voulait pas, sera puni de l'amende.
Celui qui lors d'expositions ou de représentations dans des locaux fermés, aura d'avance attiré l'attention des spectateurs sur le caractère pornographique de celles-ci ne sera pas punissable.
3. Celui qui aura fabriqué, importé, pris en dépôt, mis en circulation, promu, exposé, offert, montré, rendu accessibles ou mis à la disposition des objets ou représentations visés au chiffre 1, ayant comme contenu des actes d'ordre sexuel avec des enfants, des animaux, des excréments humains ou comprenant des actes de violence, sera puni de l'emprisonnement ou de l'amende.
Les objets seront confisqués.
4. Si l'auteur a agi dans un dessein de lucre, la peine sera l'emprisonnement et l'amende.
5. Les objets ou représentations visés aux chiffres 1 à 3 ne seront pas considérés comme pornographiques lorsqu'ils auront une valeur culturelle ou scientifique digne de protection.
Cette disposition remplace l'ancien
art. 204 CP
, dont le titre marginal était "publications obscènes" et le texte:
1. Celui qui aura fabriqué ou détenu des écrits, images, films ou autres objets obscènes en vue d'en faire le commerce ou la distribution ou de les exposer en public,
celui qui, aux fins indiquées ci-dessus, aura importé, transporté, ou exporté de tels objets, ou les aura mis en circulation d'une manière quelconque,
celui qui en aura fait le commerce public ou clandestin, ou les aura distribués ou exposés en public, ou fera métier de les donner en location,
celui qui aura annoncé ou fait connaître par n'importe quel moyen, en vue de favoriser la circulation ou le trafic prohibés, qu'une personne se livre à l'un quelconque des actes punissables prévus ci-dessus,
BGE 119 IV 145 S. 149
celui qui aura annoncé ou fait connaître comment et par qui de tels objets peuvent être obtenus directement ou indirectement, sera puni de l'emprisonnement ou de l'amende.
2. Celui qui aura remis ou exhibé de tels objets à une personne âgée de moins de 18 ans sera puni de l'emprisonnement ou de l'amende.
3. Le juge ordonnera la destruction des objets.
Les faits retenus en l'espèce se sont produits sous l'empire de l'ancien droit, lequel est donc en principe applicable (
art. 2 al. 1 CP
). Toutefois, la Cour de cassation cantonale, qui, contrairement à l'autorité de première instance, a statué après l'entrée en vigueur du nouveau droit, a jugé en application de celui-ci, qu'elle a estimé plus favorable à l'accusé (
art. 2 al. 2 CP
). Le recourant conteste que tel soit le cas. Il nie tout d'abord avoir été "mis en jugement" au sens de cette disposition après l'entrée en vigueur du nouveau droit, car il estime que la Cour de cassation vaudoise ne doit pas être considérée comme un juge de répression. Il soutient en outre que son comportement n'est pas punissable selon l'ancien
art. 204 ch. 2 CP
, dont la formulation est moins appropriée au cas d'espèce que celle du nouvel
art. 197 ch. 1 CP
.
a) Pour ce qui est des objets visés par l'
art. 204 ch. 2 CP
, cette disposition renvoie à l'
art. 204 ch. 1 CP
, qui contient une énumération non exhaustive (cf. STRATENWERTH, Bes. Teil II, 3e éd., p. 70 no 23). Comme il est admis qu'un écrit, un film (
art. 204 ch. 1 al. 1 CP
), une vidéocassette (HAUSER/REHBERG, Strafrecht IV p. 65) peuvent constituer des objets obscènes, on ne voit pas pourquoi il en irait différemment avec des cassettes enregistrées contenant des propos obscènes (dans ce sens: TRECHSEL, Kurzkommentar, art 204 no 3; RUDOLF GERBER, Unzüchtige Veröffentlichungen [Art. 204 StGB] und Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder [Art. 212 StGB], Kriminalistik 1967 p. 380). Il n'y a aucune raison de penser qu'un écrit puisse être obscène et que des propos enregistrés ne puissent pas l'être. Savoir ce qu'il en serait s'il n'y avait aucune bande enregistrée et si une personne se bornait, de vive voix, à tenir des propos obscènes est une question qu'il n'y a pas lieu d'examiner ici, vu les constatations de fait de l'autorité cantonale (sur cette question: cf. GERBER, op.cit., p. 380).
Par leur contenu, ces cassettes enregistrées, décrivant et évoquant constamment, de manière insistante et en des termes crus, des pratiques sexuelles, l'excitation et l'orgasme, relèvent de la pornographie douce, telle qu'elle a été définie à l'
ATF 117 IV 276
ss, ce qui n'est d'ailleurs pas contesté.
BGE 119 IV 145 S. 150
Selon la jurisprudence actuelle, la notion d'objets obscènes, figurant à l'
art. 204 CP
, doit être interprétée à la lumière du nouveau droit, dans la mesure où celui-ci reflète l'évolution des moeurs; ainsi, les objets relevant de la pornographie dure doivent toujours être qualifiés d'obscènes au sens de l'
art. 204 CP
, tandis que les objets relevant de la pornographie douce ne doivent être considérés comme tels que s'ils sont accessibles à des personnes âgées de moins de 18 ans. Il a été jugé qu'un film de pornographie douce projeté dans une salle réservée aux personnes de plus de 18 ans ne contrevenait pas à l'
art. 204 CP
pour autant que les spectateurs aient été préalablement rendus attentifs au sujet et au caractère du film (
ATF 117 IV 281
consid. 3e et 4). En revanche, l'
art. 204 CP
protège les jeunes et les enfants contre le risque d'être confrontés à des revues pornographiques, même relevant de la pornographie douce, exposées dans un kiosque (
ATF 117 IV 456
s.). Pour ne pas tomber sous le coup de l'
art. 204 CP
, un sex-shop, exposant des objets de pornographie douce, ne doit pas être accessible aux jeunes de moins de 18 ans (
ATF 117 IV 461
consid. 3). Une vidéothèque où des enfants peuvent se trouver en face d'images de pornographie douce tombe sous le coup de l'
art. 204 CP
(ATF
ATF 117 IV 465
consid. 3).
Il est manifeste, dans le système mis en place par le recourant, que des jeunes peuvent être tentés, au vu des annonces publiées, d'appeler l'un des numéros indiqués, par exemple en utilisant l'appareil téléphonique de leur domicile en l'absence de leurs parents, et il est choquant qu'ils entendent alors une voix féminine leur tenir les propos figurant au dossier. Ces enregistrements de pornographie douce sont donc rendus accessibles, sans aucune difficulté, à des jeunes de moins de 18 ans, de sorte qu'il faut les considérer comme des objets obscènes au sens de l'
art. 204 CP
, en application de la jurisprudence rappelée ci-dessus.
Le juge de première instance a admis que les faits imputés au recourant étaient constitutifs de l'infraction prévue à l'
art. 204 ch. 2 CP
. Cette disposition vise plutôt le cas où des objets obscènes sont mis à disposition de jeunes de moins de 18 à titre purement privé (cf. HAUSER/REHBERG, op.cit., p. 66; STRATENWERTH, op.cit., p. 72 no 32; GERBER, op.cit., p. 543). Lorsque des objets de pornographie douce sont mis à la disposition du public, y compris des jeunes de moins de 18 ans, il faut en principe appliquer l'
art. 204 ch. 1 al. 3 CP
, qui a une portée très générale (cf. STRATENWERTH, op.cit., p. 71 no 27 et les arrêts cités ci-dessus). Au sens de cette disposition, distribue de tels objets celui qui les porte à la connaissance d'un grand nombre
BGE 119 IV 145 S. 151
de personnes (
ATF 83 IV 22
; TRECHSEL, Kurzkommentar n. 9 ad art. 204, STRATENWERTH, op.cit., loc.cit.). Ce dernier auteur relève que la présentation d'un film est considérée comme une distribution (STRATENWERTH, op.cit., loc.cit.). On voit bien ainsi que l'
art. 204 ch. 1 al. 3 CP
vise tout acte permettant à de nombreuses personnes d'accéder au message obscène fixé sur un support matériel; peu importe que celui-ci soit ou non manipulé par le destinataire. Les circonstances d'espèce correspondent manifestement à cette définition. Il n'est dès lors pas nécessaire de déterminer si le recourant a, comme l'a admis l'autorité de première instance, contrevenu au ch. 2 de l'
art. 204 CP
. En effet, dès lors que l'art. 204 ch. 1 et l'
art. 204 ch. 2 CP
prévoient exactement les mêmes peines, cette question de qualification revêt un caractère purement théorique puisqu'elle ne peut affecter ni le verdict de culpabilité, ni les peines ou mesures et qu'un pourvoi ne peut pas être admis dans le seul but de modifier les considérants en droit de la décision attaquée (
ATF 101 IV 135
consid. 3b). Ce qui importe est de constater que, contrairement aux allégations du recourant, son comportement était réprimé par l'ancien droit.
b) Le nouvel
art. 197 ch. 1 CP
prévoit expressément la répression de celui qui aura rendu accessibles à une personne de moins de 16 ans des enregistrements sonores ayant un contenu pornographique. Les actes reprochés au recourant sont de toute évidence compris dans cette définition.
c) Dès lors que son comportement est punissable en application de l'ancien comme du nouveau droit, il y a lieu de déterminer quelle est la loi la plus favorable au recourant. A cette fin, il faut considérer l'ancien et le nouveau droit dans leur ensemble (
ATF 114 IV 4
s.) et comparer les résultats auxquels l'un et l'autre conduisent pour le cas d'espèce; l'importance de la peine maximale encourue joue un rôle décisif (
ATF 114 IV 82
consid. b), mais il faut néanmoins tenir compte de toutes les règles applicables, notamment celles relatives à la prescription et au droit de porter plainte (GERHARD DANNEKER, Das intertemporale Strafrecht, Tübingen 1993, p. 501). Il est exclu de combiner les deux droits et d'appliquer en partie l'un et en partie l'autre (
ATF 114 IV 82
consid. 6).
Alors que l'ancien droit protégeait les jeunes jusqu'à 18 ans, le nouvel
art. 197 CP
fixe à 16 ans la limite d'âge au-delà de laquelle est autorisé l'accès à la pornographie douce, seule en cause dans le cas d'espèce. Cependant, comme il est reproché au recourant d'avoir rendu accessibles des messages pornographiques même à de jeunes enfants capables d'utiliser un téléphone, il apparaît que cette
BGE 119 IV 145 S. 152
différence d'âge ne joue pas de rôle. Pour ce qui est des peines, les deux dispositions prévoient l'emprisonnement ou l'amende; le nouveau droit paraît plus sévère dans la mesure où il rend obligatoire le cumul de l'emprisonnement et de l'amende lorsque l'auteur a agi dans un dessein de lucre (
art. 197 ch. 4 CP
), alors que l'ancien droit ne prévoyait le cumul qu'à titre facultatif (
art. 50 al. 1 CP
); il n'est pas nécessaire de trancher la question de savoir si cela pourrait jouer un rôle en l'espèce. Il suffit de constater que l'on ne distingue pas en quoi le nouveau droit pourrait être plus favorable au recourant. Cette conclusion apparaît de manière d'autant plus évidente que la cour cantonale, appliquant le nouveau droit, est arrivée exactement aux mêmes conclusions concrètes que l'autorité de première instance, qui avait appliqué l'ancien droit et dont elle a confirmé le jugement.
Dès lors qu'il n'est pas établi que le nouveau droit soit plus favorable, l'
art. 2 al. 2 CP
impose l'application de l'ancien droit. Cette conclusion rend superflu l'examen de la question, soulevée par le recourant, de la qualité de la cour cantonale. En effet, même si l'on parvenait à la conclusion qu'elle a statué en tant que juge de réforme - c'est-à-dire comme juge de répression - et qu'elle avait la possibilité d'appliquer le nouveau droit, il faudrait admettre qu'elle l'a fait à tort dans le cas d'espèce.
Cela ne signifie toutefois pas que l'arrêt attaqué doive être annulé. Il a en effet été constaté que l'application de l'ancien droit ne conduisait pas à une décision différente en ce qui concerne le verdict de culpabilité, la peine ou les mesures, et un pourvoi en nullité ne peut être admis s'il ne s'agit que de modifier les considérants de la décision attaquée (
ATF 101 IV 135
consid. b, 330 consid. d).
3.
L'autorité cantonale a admis que, l'ensemble de l'activité du recourant étant illicite puisque tous les messages pornographiques qu'il a diffusés étaient accessibles sans distinction d'âge, la totalité des gains qu'il a réalisés par le télékiosque devait être confisquée.
Le recourant soutient qu'il faut opérer une distinction entre les appels téléphoniques émanant d'adultes et ceux qui provenaient de jeunes protégés par le CP, seul le produit de ces derniers pouvant être confisqué en application de l'
art. 58 CP
.
Aux termes de l'
art. 58 al. 1 let. a CP
, "alors même qu'aucune personne déterminée n'est punissable, le juge prononcera la confiscation des objets et valeurs qui sont le produit ou le résultat d'une infraction ou qui ont servi à la commettre ou qui étaient destinés à la commettre, s'il y a lieu de supprimer un avantage ou une situation illicite". L'avantage dont il est question ici peut consister en un gain qui est
BGE 119 IV 145 S. 153
réalisé d'une manière illégale, mais également en une dépense qui est ainsi évitée (
ATF 119 IV 16
consid. 4 c bb).
Il a déjà été relevé que le système exploité par le recourant était illégal parce que les messages pornographiques qu'il a diffusés par le biais du télékiosque étaient accessibles à tous, sans distinction d'âge, dès lors que l'utilisateur était capable de faire fonctionner le téléphone. Il ne respectait donc pas la limite mise par la loi et la jurisprudence concernant la transmission de messages pornographiques à des jeunes. Par conséquent, ce qui rend illicites les avantages acquis de cette manière par le recourant est le fait qu'il n'ait pas mis en oeuvre un système permettant d'effectuer une sélection en fonction de l'âge du correspondant, afin que seuls ceux qui n'étaient plus protégés par la loi aient accès aux messages diffusés. Comme un tel contrôle aurait eu pour conséquence de rendre ses agissements conformes à la loi, est seul illicite l'avantage que lui a procuré le fait d'avoir omis de le prévoir. Ainsi, l'autorité cantonale aurait dû déterminer si et de quelle manière il aurait été concevable de distinguer quels appels émanaient d'adultes et lesquels provenaient de jeunes de moins de 18 ans, afin d'éviter dans ce dernier cas de donner accès aux messages pornographiques. Dans la mesure où elle parvenait à la conclusion qu'une telle sélection était possible, elle aurait alors dû en évaluer le coût, et c'est ce montant, qu'a économisé le recourant en utilisant son système illégal, qui devait être confisqué en application de l'
art. 58 al. 2 CP
.
Dès lors, le pourvoi doit être admis partiellement, l'arrêt attaqué annulé dans la mesure où il concerne la question de la confiscation et la cause renvoyée à l'autorité cantonale afin qu'elle statue à nouveau dans le sens des considérants qui précèdent. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
36b37a1b-620e-4586-9bba-099072743fbb | Urteilskopf
91 II 213
32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Juni 1965 i.S. Voltaplast AG gegen Chemica AG | Regeste
Verrechnung verjährter Schadenersatzansprüche aus Sachmängeln (Art. 210 Abs. 2, 120 Abs. 3 OR).
Solche Ansprüche können, wenn die Mängel innerhalb eines Jahres nach Ablieferung gehörig gerügt wurden, nicht nur mit Forderungen des Verkäufers aus dem gleichen Kauf, sondern auch mit sonstigen Forderungen des Verkäufers verrechnet werden, falls sie noch nicht verjährt waren, als die Gegenforderungen fällig wurden. | Sachverhalt
ab Seite 213
BGE 91 II 213 S. 213
Die Voltaplast AG belangte die Chemica AG auf Schadenersatz wegen Mängeln der ihr gelieferten Sachen. Die Beklagte machte widerklageweise Gegenforderungen aus andern Geschäften geltend. Die Klägerin erklärte die Verrechnung. Das Handelsgericht des Kantons Aargau wies die Klage teils wegen Verjährung, teils aus andern Gründen ab und schützte die Widerklage, ohne zur Verrechnungseinrede der Klägerin Stellung zu nehmen. Das Bundesgericht weist die Sache in diesem Punkte zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zu rück.
BGE 91 II 213 S. 214
Erwägungen
Aus der Begründung:
3.
... Gemäss
Art. 210 Abs. 2 OR
bleiben die Einreden des Käufers wegen vorhandener Mängel über den Ablauf der in Abs. 1 festgesetzten Verjährungsfrist hinaus bestehen, wenn innerhalb eines Jahres nach Ablieferung die vorgeschriebene Anzeige an den Verkäufer gemacht worden ist. Es fragt sich, ob diese Bestimmung auf die Verrechnungseinrede der Klägerin zutrifft. Das Bundesgericht hat diese - von den Parteien nicht aufgeworfene - Rechtsfrage von Amtes wegen zu prüfen (
Art. 63 Abs. 3 OG
), wie das auch schon die Vorinstanz hätte tun sollen (
BGE 89 II 340
,
BGE 90 II 40
,
BGE 91 II 65
).
a) Entsprechend wie
Art. 210 Abs. 1 OR
nicht nur für die Wandelungs- und Minderungsklage, sondern auch für alle Schadenersatzklagen gilt, die mit Mängeln der Kaufsache begründet werden (
BGE 58 II 212
,
BGE 77 II 249
,
BGE 90 II 88
), ist
Art. 210 Abs. 2 OR
nicht bloss auf die Wandelungs- oder Minderungseinrede, sondern auch auf die Einrede der Verrechnung mit aus Sachmängeln abgeleiteten Schadenersatzansprüchen anwendbar.
b) In der Lehre und in der kantonalen Rechtsprechung ist umstritten, ob unter den "Einreden des Käufers wegen vorhandener Mängel", die
Art. 210 Abs. 2 OR
in Übereinstimmung mit
Art. 258 a OR
im Falle gehöriger Rüge der Mängel innert eines Jahres seit Ablieferung trotz der Verjährung der Gewährleistungsklagen bestehen lässt, nur Einreden zu verstehen sind, die gegenüber einem aus dem gleichen Kauf entstandenen Anspruch des Verkäufers erhoben werden, oder ob auch Einreden gegenüber sonstigen Ansprüchen des Verkäufers unter diesen Begriff fallen. Die erste Auffassung vertreten namentlich BECKER (Art. 210 N. 5 a.E.) und das Handelsgericht des Kantons Zürich (ZR 1907 Nr. 73 und 1949 Nr. 152), die zweite A. ESCHER (SJZ 1952 S. 174 f.) und das Handelsgericht des Kantons St. Gallen (SJZ 1959 S. 44 f.).
Das Bundesgericht hat die Frage in
BGE 21 II 575
offen gelassen. Auch seither hat es sie nicht näher geprüft. In
BGE 50 II 10
f. erklärte es zwar,
Art. 210 Abs. 2 OR
betreffe den Fall, dass der Käufer die Mängel der Kaufsache einredeweise gegenüber der Klage des Verkäufers auf Erfüllung des Kaufvertrages geltend macht. Damals war aber nicht über die Zulässigkeit einer solchen Einrede gegenüber andern Ansprüchen
BGE 91 II 213 S. 215
des Verkäufers zu entscheiden. Vielmehr wurde die Anwendung von
Art. 210 Abs. 2 OR
deshalb abgelehnt, weil der Käufer die Sachmängel nicht einrede-, sondern klageweise geltend gemacht hatte.
Im vorliegenden Falle erhebt die Klägerin unter Berufung auf Mängel der ihr gemäss Vertrag vom Januar 1961 gelieferten Sachen die Einrede der Verrechnung gegenüber Forderungen der Beklagten aus andern Geschäften. Die erwähnte Streitfrage muss daher heute entschieden werden.
c) Die enge Auslegung des
Art. 210 Abs. 2 OR
wird damit begründet, schon der Begriff "Einreden des Käufers wegen vorhandener Mängel" setze voraus, dass der Kaufpreisanspruch des Verkäufers für die vom Käufer beanstandete Ware im Streite liege; vor allem aber wolle das Gesetz mit der einjährigen Verjährungsfrist für eine rasche Erledigung der Gewährleistungsfragen sorgen, weil sich nach längerer Zeit die Begründetheit der Mängelrüge oft nicht mehr einwandfrei abklären lasse; nach Ablauf eines Jahres seit der Ablieferung der Ware solle der Verkäufer nicht mehr mit Gewährleistungsansprüchen rechnen müssen; von diesem Grundsatze sei nach
Art. 210 Abs. 2 OR
nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Verkäufer mit der Geltendmachung seiner Kaufpreisforderung selber länger zögert; die gegenteilige Auffassung gäbe dem Käufer die Möglichkeit, "die Bestimmungen über die Verjährung dadurch zu umgehen, dass er seine Ansprüche erst dann geltend macht, wenn er auf Grund eines andern Rechtsgeschäftes neuerdings Schuldner des Verkäufers geworden ist; ja er könnte sogar einen neuen Kreditkauf mit diesem gerade in der Absicht schliessen, dadurch seine verjährten Gewährleistungsansprüche wieder aufleben zu lassen"; das könne nicht der Sinn von
Art. 210 Abs. 2 OR
sein (ZR 1949 Nr. 152 S. 294).
Die Wendung "Einreden des Käufers wegen vorhandener Mängel" bezeichnet nur den Rechtsgrund des eigenen Anspruchs des Käufers, nicht auch den Rechtsgrund der Gegenforderung, der sich der Käufer durch die Einrede widersetzt. Der Wortlaut des
Art. 210 Abs. 2 OR
steht also der Auffassung, dass der Käufer diese Bestimmung auch zur Abwehr einer nicht aus dem betreffenden Kaufe herrührenden Gegenforderung anrufen kann, nicht im Wege. Er ist gegenteils so allgemein gehalten, dass er geradezu für diese Lösung spricht.
Diese Auffassung verdient auch aus sachlichen Gründen den
BGE 91 II 213 S. 216
Vorzug.
Art. 210 Abs. 2 OR
macht den Weiterbestand der Einreden wegen vorhandener Mängel davon abhängig, dass innerhalb eines Jahres nach Ablieferung die vorgeschriebene Anzeige an den Verkäufer erfolgt ist. Erforderlich ist also, dass der Käufer die Mängel gemäss
Art. 201 OR
sofort nach der gebotenen Untersuchung der empfangenen Sache oder, wenn sie damals noch nicht erkennbar waren, sofort nach ihrer Entdeckung rügt und dass dies innert eines Jahres seit der Ablieferung geschieht. Damit ist hinlänglich dafür gesorgt, dass der Verkäufer nicht zu lange im Ungewissen darüber bleibt, ob er mit Ansprüchen des Käufers wegen Sachmängeln zu rechnen habe oder nicht. Hat der Käufer die Mängel rechtzeitig gerügt, so hat er, falls er in der Lage ist, die daraus fliessenden Ansprüche einredeweise geltend zu machen, alles getan, was von ihm zu erwarten ist. Es ist dann Sache des Verkäufers, der die Mängel oder die darauf gestützte Einrede nicht anerkennen will, seine Forderung einzuklagen. Hiebei macht es keinen Unterschied, ob diese aus dem betreffenden Kauf abgeleitet wird. Auch wenn das nicht zutrifft, muss der Verkäufer, dem die Mängel angezeigt wurden, damit rechnen, dass seine Forderung wegen dieser Mängel bestritten werde, und hat daher allen Grund, den Streit vor den Richter zu tragen. Ihm ist das zuzumuten, nicht dem Käufer, dem das Verrechnungsrecht zusteht.
Dem Käufer dieses Recht nach Ablauf der einjährigen Verjährungsfrist des
Art. 210 Abs. 1 OR
nur noch mit Bezug auf Gegenforderungen aus dem fraglichen Kauf zu gewähren, wie die Befürworter einer engen Auslegung von Art. 210 Abs. 2 es tun möchten, widerspricht dem Sinne von
Art. 120 OR
. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung hängt die Zulässigkeit der Verrechnung nur davon ab, dass Forderung und Gegenforderung fällig sind und gleichartige Leistungen zum Gegenstand haben, und Abs. 3 gestattet dem Schuldner allgemein, eine verjährte Forderung zur Verrechnung zu bringen, wenn sie zu der Zeit, wo sie mit der andern Forderung verrechnet werden konnte, noch nicht verjährt war. Dass die beiden Forderungen auf dem gleichen Sachverhalt beruhen, ist nach
Art. 120 OR
nicht erforderlich.
Art. 210 Abs. 2 OR
will an dieser Ordnung nichts ändern. Er begnügt sich damit, den Weiterbestand der Einreden wegen vorhandener Mängel nach Ablauf der einjährigen Verjährungsfrist des Art. 210 Abs. 1 und damit auch die Befugnis
BGE 91 II 213 S. 217
des Käufers, eine aus Sachmängeln abgeleitete Schadenersatzforderung nach Ablauf dieser Frist zur Verrechnung zu bringen, der Bedingung zu unterwerfen, dass die Mängel innert eines Jahres seit Ablieferung der Sache gehörig gerügt wurden.
Dass
Art. 210 Abs. 2 OR
einschränkend ausgelegt werden müsse, um die Gefahr einer Umgehung der Bestimmungen über die Verjährung zu vermeiden, trifft entgegen der in ZR 1949 Nr. 152 vertretenen Auffassung nicht zu. Ein Versuch des Käufers, verjährte Ansprüche aus Sachmängeln durch Eingehung einer neuen Verbindlichkeit gegenüber dem Verkäufer, insbesondere durch Bezug von Waren auf Kredit, wieder aufleben zu lassen, würde schon an
Art. 120 Abs. 3 OR
scheitern. Die hier für die Verrechnung einer verjährten Forderung aufgestellte Voraussetzung, dass diese Forderung zur Zeit, wo sie mit der andern verrechnet werden konnte, noch nicht verjährt war, ist nur gegeben, wenn die andere Forderung vor der Verjährung entstanden und fällig geworden ist.
Die von der Klägerin im vorliegenden Prozess erklärte Verrechnung ist daher zu schützen, soweit ihre Schadenersatzforderung auf innert eines Jahres seit Ablieferung gehörig gerügten Mängeln beruht, begründet ist und noch nicht verjährt war, als die Gegenforderungen der Beklagten fällig wurden. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
36b43283-b961-48d5-aed1-187b5045e94a | Urteilskopf
107 Ib 80
18. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 25 juin 1981 dans la cause Gabriel Châtelain contre Département fédéral de justice et police (opposition à une demande d'extradition) | Regeste
Unentgeltliche Rechtspflege: Voraussetzungen eines diesbezüglichen Anspruchs des Auslieferungshäftlings. | Erwägungen
ab Seite 80
BGE 107 Ib 80 S. 80
Extrait des considérants:
4.
L'opposant a requis le bénéfice de l'assistance judiciaire. Relatives à la procédure de recours administratif, les dispositions de l'
art. 65 PA
ne sont directement applicables ni à la procédure devant l'Office fédéral de la police ni à celle devant le Tribunal fédéral.
Dans les causes pénales importantes, soumises aux tribunaux suisses, le prévenu peut obtenir l'assistance judiciaire et la désignation d'un avocat d'office déjà durant l'instruction, sur la base de l'
art. 4 Cst.
; sont considérées comme graves les peines pour lesquelles le sursis ne peut être accordé (
ATF 105 Ia 291
,
ATF 103 Ia 5
,
ATF 102 Ia 88
).
Dans l'arrêt Senni du 31 octobre 1980, consid. 2b, le Tribunal fédéral a considéré que, durant la procédure extraditionnelle, le détenu extraditionnel méritait une protection équivalente à celle du détenu préventif.
Il se justifie dès lors de reconnaître au détenu extraditionnel exposé à une peine privative de liberté d'une certaine durée le droit à un avocat d'office, s'il le requiert et n'est pas en mesure d'assumer les frais d'un avocat de son choix, cela indépendamment des chances de succès d'une éventuelle opposition.
En l'espèce, l'opposant remplit ces conditions. | public_law | nan | fr | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
36b4a853-d64a-4c80-85cb-0b45cf5b58f8 | Urteilskopf
120 IV 90
16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Februar 1994 i.S. X. AG und Z. gegen N. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 270 Abs. 1 BStP
. Legitimation des Geschädigten zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde.
Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auf einen Fall von Nötigungsversuch und Ehrverletzung (Konkretisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 90
BGE 120 IV 90 S. 90
A.-
Mit Schreiben vom 17. Oktober 1991 trat N. von einem Vertrag über eine Werbefläche in einer Tennishalle zurück, den seine Ehefrau zwei Tage zuvor mit der X. AG abgeschlossen hatte. Als die X. AG den Rücktritt nicht akzeptierte, kündigte N. ihr mit Schreiben vom 25. November 1991 für den Fall, dass sie auf ihrem Standpunkt beharre, eine Strafanzeige "wegen versuchten und absichtlichen Betruges und Nötigung zur Unterschrift" sowie die Zustellung des ganzen Falles an den "Schweizerischen Beobachter" und an die Fernsehsendung "Kassensturz" an. Er machte im genannten Schreiben geltend, der Vertreter der X. AG, Z., habe "Frau N. absichtlich und bewusst belogen und falsche Tatsachen vorgetäuscht" und sie zudem "vorsichtlich
BGE 120 IV 90 S. 91
zur Unterschrift genötigt, was absolut strafbar (sei)". Kopien dieses Schreibens sandte N. an den Eigentümer sowie an den Pächter der Tennishalle.
Am 16. Dezember 1991 reichten die X. AG und Z. gegen N. Strafanzeige wegen Nötigung und Strafantrag wegen Ehrverletzung ein. Sie beantragten, N. sei angemessen zu bestrafen und es sei ihnen eine Genugtuung von je Fr. 500.-- zuzusprechen.
B.-
Das Kantonsgericht St. Gallen sprach N. am 8. Februar 1993 in Gutheissung von dessen Berufung von der Anklage des Nötigungsversuchs und der Ehrverletzung frei.
C.-
Die X. AG und Z. führen in einer gemeinsamen Eingabe eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und N. sei der versuchten Nötigung und der Ehrverletzung schuldig zu sprechen, eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen trat am 21. September 1993 auf eine von der X. AG und von Z. erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde nicht ein.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Nach
Art. 270 Abs. 1 BStP
(SR 312.0) in der Fassung gemäss Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG [SR 312.5]) vom 4. Oktober 1991, in Kraft seit 1. Januar 1993, steht die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde unter anderem dem Geschädigten zu, wenn er sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit sich der Entscheid auf die Beurteilung seiner Zivilforderung auswirken kann. Diese Bestimmung entspricht im wesentlichen
Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG
, wonach das Opfer im Sinne des OHG (Art. 2) den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten kann wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid sich auf die Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken kann. Der Strafantragsteller und der Privatstrafkläger sind mithin, anders als nach dem alten Recht (Art. 270 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 aBStP), nicht mehr schon in dieser Eigenschaft zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert (
BGE 120 IV 50
E. 3a).
Die Legitimation zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde bestimmt sich vorliegend nach dem neuen Recht, da der angefochtene Entscheid nach dem 1. Januar 1993, also unter der Herrschaft des neuen Rechts, ausgefällt worden ist (
BGE 120 IV 46
E. 1).
BGE 120 IV 90 S. 92
aa) Der Kassationshof hat erkannt, dass das Opfer im Sinne des OHG zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein den Angeschuldigten freisprechendes Urteil nur unter der Voraussetzung legitimiert ist, dass es, soweit zumutbar, im kantonalen Verfahren adhäsionsweise eine Zivilforderung geltend gemacht hat. Gegen einen (gerichtlich bestätigten) Einstellungsbeschluss kann es dagegen ungeachtet der Geltendmachung von Zivilforderungen im Strafverfahren eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde erheben. Dies gilt in gleicher Weise für den Geschädigten, der nicht Opfer im Sinne des OHG ist (
BGE 120 IV 51
E. 4).
bb) Allerdings müssen die in
Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG
respektive
Art. 270 Abs. 1 BStP
ausdrücklich genannten und die sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Legitimationsvoraussetzungen nicht in jedem Fall erfüllt sein. So kann das Opfer die Verletzung von Rechten, die ihm das OHG einräumt (etwa die Verletzung des Rechts, einen Gerichtsentscheid zu verlangen, wenn das Verfahren eingestellt wird,
Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG
), ungeachtet dieser Legitimationsvoraussetzungen mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde rügen. Sodann kann der Strafantragsteller unabhängig von diesen Legitimationsvoraussetzungen einen Entscheid mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde anfechten, soweit es um Fragen des Strafantragsrechts als solches geht (
BGE 120 IV 57
E. 7).
cc) Sodann ist der Privatstrafkläger ungeachtet der in
Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG
respektive
Art. 270 Abs. 1 BStP
genannten Voraussetzungen zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert, wenn andernfalls mangels Beschwerdelegitimation der Anklagebehörden der Rechtsweg allzu stark eingeschränkt wäre und das Bundesgericht daher nicht mehr ausreichend für die einheitliche Anwendung des Bundesrechts sorgen könnte (
BGE 120 IV 50
E. 3b).
dd) Da die Auslegung von
Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG
und von
Art. 270 Abs. 1 BStP
sowie die übergangsrechtlichen Fragen in verschiedener Hinsicht einige Schwierigkeiten bereiten, tritt der Kassationshof im Sinne einer übergangsrechtlichen Lösung einstweilen auf die eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerden von Strafantragstellern und Privatstrafklägern, die nach dem alten Recht dazu legitimiert waren, ein, wenn eine Zivilforderung aus der eingeklagten strafbaren Handlung immerhin denkbar ist und der angefochtene Entscheid sich auf deren Beurteilung auswirken kann (
BGE 120 IV 58
E. 9).
b) Im Lichte der vorstehenden Erwägungen ist im vorliegenden Fall wie folgt zu entscheiden.
BGE 120 IV 90 S. 93
aa) Die Beschwerdeführer behaupten nicht und es ist auch nicht ersichtlich, dass sie im kantonalen Verfahren wegen des angeblichen Nötigungsversuchs adhäsionsweise Zivilforderungen geltend gemacht hätten. Keiner der vorgenannten Umstände, unter denen das Opfer respektive der Geschädigte ungeachtet der in
Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG
respektive
Art. 270 Abs. 1 BStP
genannten Voraussetzungen (siehe E. 1a/bb und E. 1a/cc) bzw. unabhängig von der Geltendmachung von Zivilforderungen (vgl. E. 1a/dd) zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert ist, ist vorliegend erfüllt. Nötigung ist kein Antragsdelikt. Sie wurde auch nicht im Privatstrafklageverfahren verfolgt.
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher nicht einzutreten, soweit sie sich gegen den Freispruch von der Anschuldigung des Nötigungsversuchs richtet.
bb) Die Beschwerdeführer haben wegen der behaupteten Ehrverletzung vor der ersten Instanz Genugtuungsforderungen geltend gemacht. Die erste Instanz hat nur die Genugtuungsforderung des Beschwerdeführers 2 teilweise, nämlich im Umfang von Fr. 100.--, geschützt.
Indem der Beschwerdeführer 2 vor dem Kantonsgericht die Abweisung der Berufung des Beschwerdegegners beantragte, hielt er an seiner Genugtuungsforderung, soweit sie von der ersten Instanz geschützt worden war, fest.
Die Beschwerdeführerin 1 behauptet nicht, dass sie vor dem Kantonsgericht eine Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, durch welches ihre Genugtuungsforderung abgewiesen worden war, beantragt habe. Es ist daher davon auszugehen, dass sie vor dem Kantonsgericht keine Zivilforderung mehr geltend gemacht hat. Keine der vorgenannten Ausnahmen ist vorliegend gegeben. Es geht nicht um Fragen des Strafantragsrechts als solches. Das Privatstrafklageverfahren fand keine Anwendung, da die Ehrverletzung mit einem Delikt zusammenfiel, das im ordentlichen Verfahren zu untersuchen und zu beurteilen war (siehe
Art. 267 StPO
/SG; vgl. auch NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des st. gallischen Strafprozessrechts, S. 272). Eine Zivilforderung der Beschwerdeführerin 1 aus der behaupteten Ehrverletzung ist vernünftigerweise nicht denkbar.
Demnach ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde der Beschwerdeführerin 1 auch insoweit nicht einzutreten, als sie die Ehrverletzung betrifft.
Dagegen ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Beschwerdeführers 2 einzutreten, soweit er die Freisprechung des Beschwerdegegners vom Vorwurf
BGE 120 IV 90 S. 94
der Ehrverletzung anficht. Der Beschwerdeführer 2 hat sich bereits vorher am Verfahren beteiligt, er hat im kantonalen Verfahren eine Zivilforderung geltend gemacht, und der angefochtene Entscheid kann sich auf die Beurteilung seiner Zivilforderung auswirken. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
36b5efbd-85be-46d5-80d6-23b9ba753162 | Urteilskopf
88 IV 56
17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Juni 1962 i.S. Steger gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 42 Ziff. 1 StGB
.
Bei der zahlenmässigen Feststellung der verbüssten Vorstrafen sind Zusatzstrafen den Grundstrafen zuzurechnen und fallen daher nicht selbständig in Betracht.
Drei verbüsste Freiheitsstrafen sind nicht zahlreiche im Sinne des Gesetzes. | Erwägungen
ab Seite 57
BGE 88 IV 56 S. 57
Aus den Erwägungen:
Nach
Art. 42 Ziff. 1 StGB
kann vom Richter auf unbestimmte Zeit verwahrt werden, wer wegen Verbrechen oder Vergehen schon zahlreiche Freiheitsstrafen verbüsst hat, einen Hang zu Verbrechen oder Vergehen, zur Liederlichkeit oder Arbeitsscheu bekundet und wieder ein mit Freiheitsstrafe bedrohtes Verbrechen oder Vergehen verübt. Diese letztere Voraussetzung ist hier unzweifelhaft erfüllt, und es steht auch ausser Frage, dass die Beschwerdeführerin einen Hang zu Verbrechen, namentlich zu Abtreibungen nach
Art. 119 StGB
bekundet. Dass sie daneben auch liederlich und arbeitsscheu sei, ist nicht erforderlich (
BGE 77 IV 78
). Dagegen verlangt das Gesetz, dass der Verurteilte wegen Verbrechen oder Vergehen schon zahlreiche Freiheitsstrafen verbüsst habe. An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Nach dem in
Art. 68 Ziff. 2 StGB
für die Strafzumessung ausgesprochenen Grundsatz sind Zusatzstrafen der Grundstrafe zuzuzählen und fallen daher nicht selbständig in Betracht. Das muss auch für die zahlenmässige Feststellung der verbüssten Vorstrafen im Rahmen von
Art. 42 StGB
gelten. Zwar könnte sich fragen, ob in diesem Zusammenhang Zusatzstrafen, die zeitlich getrennt von der Grundstrafe vollzogen wurden, nicht als selbständige Strafen einzusetzen seien. Denn dass eine Zusatzstrafe, die verhältnismässig lange Zeit nach der
BGE 88 IV 56 S. 58
Grundstrafe verbüsst wird, vom Verurteilten als eine besondere Strafe empfunden wird und insoweit auch selbständige Wirkungen zeitigen kann, ist nicht zu bezweifeln. Dagegen dürfte es schwer halten, bei dieser Lösung ein für alle Fälle zuverlässiges zeitliches Kriterium zu finden. Zudem müssten, wollte man allein auf die zeitliche Folge der Strafen abstellen, umgekehrt auch mehrere Grundstrafen, die in einem Zuge verbüsst wurden, nur als eine Strafe zählen, was jedoch der Kassationshof noch in
BGE 84 IV 5
ausdrücklich abgelehnt hat.
Geht man demnach davon aus, dass Zusatzstrafen den Grundstrafen zuzuzählen sind, so verbleiben im vorliegenden Falle, was die Vorinstanz offensichtlich übersehen hat und deshalb von Amtes wegen zu berichtigen ist (
Art. 277 bis Abs. 1 Satz 3 BStP
), lediglich drei verbüsste Vorstrafen. Die am 27. Mai 1945 vom Kriminalgericht ausgefällten vier Monate Zuchthaus wurden wie die am 5. März 1953 ausgesprochenen 20 Monate Zuchthaus als Zusatzstrafen bemessen und sind daher mit den entsprechenden Grundstrafen als Einheit zu zählen.
Drei verbüsste Freiheitsstrafen aber genügen nach ständiger Rechtsprechung nicht, um als zahlreiche im Sinne des Gesetzes gelten zu können (
BGE 69 IV 100
/101), und der Kassationshof hat selbst vier verbüsste Vorstrafen nicht in allen Fällen als genügend angesehen (
BGE 75 IV 99
E. 2). An dieser sich auf den Gesetzeswortlaut und die Entstehungsgeschichte stützenden Praxis ist festzuhalten, auch wenn sie nicht allen Fällen gerecht zu werden vermag, in denen die Verwahrung eines wegen seines deliktischen Hangs gefährlichen Gewohnheitsverbrechers vom Richter sollte angeordnet werden können. Denn das allein berechtigt nicht, über das vom Gesetz ausdrücklich aufgestellte Erfordernis der Verbüssung zahlreicher Freiheitsstrafen hinwegzusehen und statt dessen lediglich auf Art, Dauer und zeitliche Folge der Vorstrafen sowie auf ihre Wirkung abzustellen. Diese Umstände sind wohl für den Entscheid über die Verwahrung des Täters von erheblicher, aber
BGE 88 IV 56 S. 59
nach der gesetzlichen Ordnung nicht von ausschliesslicher Bedeutung (zur Frage vgl. HAFTER, Allgemeiner Teil, S. 393; WYRSCH, ZStR 59, S. 24 f.; Obergericht Zürich, ZR 43 Nr. 88). | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
36b69256-e7ff-4b77-9300-7f16466d2bdb | Urteilskopf
137 IV 246
35. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Beschwerde in Strafsachen)
1B_236/2011 vom 15. Juli 2011 | Regeste
Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG; Legitimation der Privatklägerschaft.
Am 1. Januar 2011 ist die revidierte Bestimmung von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG in Kraft getreten. Die Voraussetzung, dass sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung der Zivilansprüche auswirken kann, blieb dabei unverändert. An der bisherigen Praxis zur Beschwerdebefugnis des Opfers gemäss aArt. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG ist insofern festzuhalten (E. 1.3.1). | Sachverhalt
ab Seite 246
BGE 137 IV 246 S. 246
A.
X. erstattete am 26. August 2010 Strafanzeige gegen seine von ihm getrennt lebende Ehefrau Y. wegen falscher Anschuldigung im Sinne von
Art. 303 StGB
. Gleichzeitig machte er Zivilforderungen geltend. Mit Entscheid vom 18. Oktober 2010 stellte das damals für die Untersuchung zuständige Amtsstatthalteramt Luzern das Strafverfahren gegen Y. ein und trat auf die Zivilforderungen von X. nicht ein. (...)
BGE 137 IV 246 S. 247
Gegen den Einstellungsentscheid reichte X. am 15. November 2010 Rekurs ein. Er beantragte die Überweisung der Strafsache an das zuständige Gericht und ersuchte zudem um Gewährung unentgeltlicher Rechtspflege. Mit Entscheid vom 25. März 2011 trat das Obergericht des Kantons Luzern auf den Rekurs nicht ein. Zur Begründung führte es an, weder habe sich X. als Privatkläger im Sinne von § 35 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Luzern vom 3. Juni 1957 über die Strafprozessordnung (SRL 305) konstituiert, noch komme ihm Opferstellung nach dem Opferhilfegesetz (SR 312.5) zu. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wies das Obergericht wegen Aussichtslosigkeit ab.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 18. Mai 2011 beantragt X. im Wesentlichen die Aufhebung des Entscheids des Obergerichts. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.3.1
Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach
Art. 81 Abs. 1 BGG
berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Da der angefochtene Entscheid nach dem 31. Dezember 2010 datiert, beurteilt sich die Frage des rechtlich geschützten Interesses nach der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Fassung von
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
(
Art. 132 Abs. 1 BGG
). Danach wird der Privatklägerschaft ein rechtlich geschütztes Interesse zuerkannt, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). In der bis zum 1. Januar 2011 geltenden Fassung dieser Bestimmung wurde dagegen nicht die Privatklägerschaft schlechthin, sondern nur das Opfer als beschwerdelegitimiert bezeichnet; dies ebenfalls unter der Voraussetzung, dass sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken kann (AS 2006 1227).
Nach der Praxis zur Beschwerdebefugnis des Opfers (aArt. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG; vgl. auch Urteil 6B_127/2007 vom 23. Juli 2007 E. 2) konnte dieses gegen ein Strafurteil, durch das der
BGE 137 IV 246 S. 248
Angeschuldigte freigesprochen wurde, Rechtsmittel im Strafpunkt grundsätzlich nur erheben, wenn es, soweit zumutbar, seine Zivilansprüche aus strafbarer Handlung im Strafverfahren geltend gemacht hatte. Dies wurde damit begründet, dass das Strafverfahren nicht blosses Vehikel zur Durchsetzung von Zivilforderungen in einem Zivilprozess sein soll, den das Opfer erst nach Abschluss des Strafprozesses, je nach dessen Ausgang, anzustrengen gedenkt. Vielmehr sollte das Opfer, soweit zumutbar, seine Zivilansprüche im Strafverfahren geltend machen (
BGE 131 IV 195
E. 1.2.2 S. 198;
BGE 127 IV 185
E. 1 S. 186 ff.;
BGE 120 IV 44
E. 4b S. 54 f.; Urteil 6B_260/2009 vom 30. Juni 2009 E. 2.2.1 mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 125 IV 161
E. 3 S. 164 mit Hinweisen). Anders verhielt es sich im Falle der Einstellung des Strafverfahrens. Da diesfalls vom Opfer nicht verlangt werden kann, dass es bereits adhäsionsweise Zivilforderungen geltend gemacht hat, reichte es, wenn es im Verfahren vor Bundesgericht darlegte, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderungen auswirken kann (
BGE 131 IV 195
E. 1.2.2 S. 199;
BGE 122 IV 139
E. 1 S. 141; je mit Hinweisen).
Mit der Revision von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG wurde die Legitimation auf die Privatklägerschaft erweitert. Die zusätzliche Voraussetzung, dass sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung der Zivilansprüche auswirken kann, blieb jedoch unverändert. An der Praxis, dass der Beschwerdeführer, soweit zumutbar, seine Zivilansprüche im Strafverfahren geltend gemacht haben muss, ist deshalb ebenso festzuhalten wie an der Ausnahme im Falle von Verfahrenseinstellungen. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
36b8adf5-48a2-4b30-90ef-a575cc5e9c42 | Urteilskopf
125 IV 283
43. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 13. November 1999 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 91 Abs. 3 SVG
;
Art. 51 Abs. 1 SVG
,
Art. 54 Abs. 1 und 2 VRV
; Vereitelung der Blutprobe, Verhaltenspflichten bei einem Unfall.
Dienen die Verhaltenspflichten nicht der Abklärung des Unfalls, sondern einzig der Sicherung des Verkehrs, kann ihre Missachtung nicht zur Verurteilung wegen Vereitelung der Blutprobe führen. | Sachverhalt
ab Seite 283
BGE 125 IV 283 S. 283
A.-
Am 21. September 1994, um 00.10 Uhr, fuhr X. mit einem PW Ferrari in Begleitung des Fahrzeughalters Y. auf der vierspurigen, richtungsgetrennten Autostrasse A8 von Sarnen kommend in Richtung Alpnach. Das Fahrzeug geriet nach einer leichten Rechtskurve auf den Pannenstreifen, touchierte den rechten Randstein und prallte anschliessend in die Mittelleitplanke, welche dabei angehoben wurde, sodass der Wagen unter ihr in die Gegenfahrbahn hinüberragte.
BGE 125 IV 283 S. 284
X. und sein Begleiter fuhren anschliessend mit dem sehr stark beschädigten Fahrzeug nach Alpnach, wo sie die Hilfe eines Garagisten anforderten.
Die um 00.17 Uhr von Drittpersonen benachrichtigten Polizeibeamten fanden im Bereich der Unfallstelle auf allen vier Fahrspuren der A8 Glassplitter und kleine Fahrzeugteile vor. Die Mittelleitplanke war auf eine Länge von 42 Metern aus den Verankerungspfosten gerissen und deformiert; die Verankerungspfosten der Leitplanke waren auf dieser Strecke niedergewalzt. Die Polizeibeamten fanden an der Unfallstelle ein Kontrollschild. Die Suche nach dem Unfallfahrzeug blieb vorerst erfolglos.
X. meldete sich am 21. September 1994, um 08.10 Uhr, also rund acht Stunden nach dem Unfall, telefonisch beim Verhöramt des Kantons Obwalden als Verursacher des Unfalls. Der am gleichen Tag um 09.12 Uhr durchgeführte Atemlufttest ergab 0,0 o/oo.
B.-
1. Mit Strafbefehl vom 7. September 1995 verurteilte die Strafkommission Obwalden X. u.a. wegen vorsätzlichen pflichtwidrigen Verhaltens nach einem Unfall mit Sachschaden und wegen Vereitelung einer Blutprobe zu einer Busse von 5'000 Franken. Dieser Strafbefehl erwuchs in Rechtskraft.
2. Mit Verfügung des Polizeidepartements Obwalden vom 26. Februar 1996 wurde X. der Führerausweis für die Dauer von sechs Monaten entzogen. X. erhob dagegen Beschwerde.
3. Am 7. März 1996 stellte X. bei der Obergerichtskommission des Kantons Obwalden ein Revisionsgesuch gegen den Strafbefehl vom 7. September 1995. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, er habe den Schaden dem zufällig an der Unfallstelle anwesenden (damaligen) Obwaldner Baudirektor gemeldet, der dies als Zeuge bestätigen könne.
Die Obergerichtskommission hiess am 2. Mai 1996 das Revisionsgesuch gut und hob den Strafbefehl auf.
4. Im wieder aufgenommenen Verfahren verurteilte die Strafkommission Obwalden mit Entscheid vom 19. September 1996 X. erneut u.a. wegen vorsätzlichen pflichtwidrigen Verhaltens nach einem Unfall mit Sachschaden und wegen Vereitelung einer Blutprobe zu einer Busse von 5'000 Franken.
X. erklärte Nichtannahme des Strafbefehls.
C.-
1. Das Kantonsgericht Obwalden sprach X. am 14. Januar 1998 der Vereitelung einer Blutprobe schuldig und verurteilte ihn deswegen zu einer (unbedingt vollziehbaren) Gefängnisstrafe von zwei Monaten und zu einer Busse von 8'000 Franken.
BGE 125 IV 283 S. 285
Es wies zudem die Beschwerde des X. gegen die Verfügung des Polizeidepartements vom 26. Februar 1996 ab und änderte diese in dem Sinne, dass es die Dauer des Führerausweisentzugs von sechs Monaten auf acht Monate erhöhte.
2. Das Obergericht des Kantons Obwalden verurteilte X. am 10. Mai 1999 in teilweiser Gutheissung von dessen Appellation wegen Vereitelung einer Blutprobe zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von zwanzig Tagen sowie zu einer Busse von 8'000 Franken und entzog ihm den Führerausweis für die Dauer von sechs Monaten.
D.-
X. ficht das Urteil des Obergerichts u.a. mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an. Er beantragt, es sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft Obwalden beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der Beschwerdeführer gab im kantonalen Verfahren im Wesentlichen an, er habe im Verlauf des Abends vor dem Unfall zweieinhalb Gläser Rotwein und ein Glas Weisswein getrunken. Auf der anschliessenden Heimfahrt sei im Bereich der Unfallstelle etwas bzw. ein Tier, dessen Schatten er wahrgenommen habe, über die Fahrbahn gehuscht. Er sei daher vom Gas gegangen und habe auszuweichen versucht. Dabei sei der PW Ferrari, dessen Reifen mangelhaft gewesen seien, auf der regennassen, mit Rillen versehenen Fahrbahn ins Schleudern geraten. Unmittelbar nach dem Unfall habe er einer Drittperson, die auf der Gegenfahrbahn angehalten habe, den Auftrag erteilt, die Polizei zu benachrichtigen. Zudem habe er den ihm persönlich bekannten (damaligen) Obwaldner Baudirektor, der ebenfalls an der Unfallstelle angehalten und seine Hilfe angeboten habe, auf den Schaden an der Mittelleitplanke hingewiesen. Er habe zusammen mit seinem Begleiter mehrere Glassplitter und kleine Fahrzeugteile von der Fahrbahn geräumt. Er sei davon ausgegangen, dass allenfalls notwendige weitere Räumungsarbeiten von der Polizei, mit deren Benachrichtigung er eine Drittperson beauftragt habe, vorgenommen bzw. veranlasst würden. Damit habe er alle ihm obliegenden Pflichten erfüllt. Er sei mit dem beschädigten Wagen von der Unfallstelle weg nach Alpnach gefahren, weil das Fahrzeug an der Unfallstelle in der nächtlichen Dunkelheit für
BGE 125 IV 283 S. 286
die übrigen Verkehrsteilnehmer eine erhebliche Gefahr gebildet habe. In Anbetracht seines von ihm angegebenen und von seinem Begleiter bestätigten Alkoholkonsums im Verlauf des Abends sei er im Zeitpunkt des Unfalls völlig nüchtern gewesen, wie sich auch aus dem von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten ergebe. Daher habe er sich nicht der Vereitelung einer Blutprobe schuldig gemacht.
b) Die Vorinstanz führt im Einzelnen aus, dass bei einem Unfall mit Sachschaden grundsätzlich lediglich der Geschädigte benachrichtigt werden müsse (
Art. 51 Abs. 3 Satz 1 SVG
; SR 741.01). Nur wenn dies nicht möglich sei, müsse der Schädiger unverzüglich die Polizei verständigen (
Art. 51 Abs. 3 Satz 2 SVG
). Die sofortige Meldung bei der Polizei sei aber auch bei Unfällen mit blossem Sachschaden obligatorisch, wenn durch den Unfall eine Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer entstanden sei, die von den Beteiligten nicht unverzüglich beseitigt werden könne (Art. 54 Abs. 2 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]). In diesem Fall sei der Schädiger auch verpflichtet, die Unfallstelle zu sichern (
Art. 51 Abs. 1 SVG
), wobei er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen habe. Die Vorinstanz hält sodann fest, dass namentlich die Fahrbahn in Richtung Sarnen auf weite Distanz mit Glassplittern und kleinen Teilen bedeckt gewesen sei, was für die in Richtung Sarnen fahrenden Verkehrsteilnehmer zweifellos eine Gefahr mit sich gebracht habe. Es erscheine nahe liegend, dass der Beschwerdeführer und sein Begleiter in ihrem Bemühen, den PW Ferrari aus der Leitplanke zu fahren, sich gar kein vollständiges Bild von der Unfallstelle gemacht hätten. Dazu wären sie jedoch aufgrund ihrer Sicherungspflicht gemäss
Art. 51 Abs. 1 SVG
verpflichtet gewesen, und sie hätten bei dieser Gelegenheit die Gefahrensituation erkennen und in jedem Fall die Polizei avisieren müssen. Der Beschwerdeführer habe mit seinem Unfall somit eine Gefahrensituation geschaffen, die er selbst nicht unverzüglich habe beseitigen können, weshalb er den Unfall gestützt auf Art. 54 Abs. 1 (recte: Abs. 2) VRV hätte der Polizei melden müssen. Die alleinige Benachrichtigung des Geschädigten hätte demnach nicht ausgereicht, um der Meldepflicht gemäss
Art. 51 SVG
zu genügen, weshalb die von der ersten Instanz ausführlich behandelte (und verneinte) Frage, ob das Gespräch des Beschwerdeführers mit dem zufällig anwesenden damaligen Obwaldner Baudirektor als Meldung an den Geschädigten zu betrachten sei, vorliegend offen gelassen werden könne. Die Vorinstanz weist sodann darauf hin, die Drittpersonen, welche den Unfall der Polizei
BGE 125 IV 283 S. 287
gemeldet hätten, hätten nicht im Auftrag des Beschwerdeführers gehandelt. Weitere Unfallmeldungen seien nicht eingegangen. Die Frage, ob der Beschwerdeführer, entsprechend seinen Behauptungen, eine Drittperson damit beauftragt habe, die Polizei zu benachrichtigen, müsse jedoch nicht weiter geprüft werden. Selbst wenn er einen solchen Auftrag erteilt haben sollte, hätte er seiner Meldepflicht nicht genügt. Der Beschwerdeführer hätte sich nämlich in diesem Fall vergewissern müssen, ob der beauftragte Dritte die Meldung tatsächlich erstattet und ob die Polizei die notwendigen Schritte eingeleitet habe. Daher wäre er auch verpflichtet gewesen, bis zum Eintreffen der Polizei auf der Unfallstelle zu warten. Diese Mitwirkungspflicht habe der Beschwerdeführer verletzt, indem er zusammen mit seinem Begleiter die Unfallstelle verlassen und mit dem nicht betriebssicheren PW Ferrari noch bis nach Alpnach gefahren sei. Spätestens in Alpnach aber hätte der Beschwerdeführer ein Gespräch mit der Polizei führen und sich vergewissern müssen, dass die Unfallstelle gesichert und geräumt worden sei.
2.
a) Ereignet sich ein Unfall, an dem ein Motorfahrzeug oder Fahrrad beteiligt ist, so müssen alle Beteiligten sofort anhalten. Sie haben nach Möglichkeit für die Sicherung des Verkehrs zu sorgen (
Art. 51 Abs. 1 SVG
). Ist nur Sachschaden entstanden, so hat der Schädiger sofort den Geschädigten zu benachrichtigen und Namen und Adresse anzugeben. Wenn dies nicht möglich ist, hat er unverzüglich die Polizei zu verständigen (
Art. 51 Abs. 3 SVG
). Will ein Geschädigter die Polizei beiziehen, obwohl keine Meldepflicht besteht, so haben die übrigen Beteiligten bei der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken, bis sie von der Polizei entlassen werden (
Art. 56 Abs. 2 VRV
). Entstehen durch Unfälle, Fahrzeugpannen, herabgefallene Ladungen, ausgeflossenes Öl usw. Verkehrshindernisse oder andere Gefahren, so müssen die Beteiligten, namentlich auch Mitfahrende, sofort Sicherheitsmassnahmen treffen (
Art. 54 Abs. 1 VRV
). Die Polizei ist sofort zu benachrichtigen, wenn eine Gefahr nicht unverzüglich beseitigt werden kann, namentlich auch, wenn ausfliessende Flüssigkeiten offene Gewässer oder Grundwasser verunreinigen könnten (
Art. 54 Abs. 2 VRV
).
Gemäss
Art. 91 Abs. 3 SVG
wird bestraft, wer sich vorsätzlich einer Blutprobe, die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung er rechnen musste, oder einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchung widersetzt oder entzieht oder den Zweck dieser Massnahmen vereitelt. Den damit umschriebenen Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unter
BGE 125 IV 283 S. 288
anderen und vor allem der Fahrzeuglenker erfüllen, der nach einem Unfall mit Drittsachschaden (eventual)vorsätzlich die in
Art. 51 Abs. 3 SVG
festgelegte Pflicht verletzt, sofort den Geschädigten unter Angabe von Namen und Adresse zu benachrichtigen und, wenn dies nicht möglich ist, unverzüglich die Polizei zu verständigen (
BGE 124 IV 175
;
BGE 120 IV 73
, je mit Hinweisen). Doch nicht nur die Verletzung der in
Art. 51 Abs. 3 SVG
festgelegten Meldepflicht kann ein unter dem Gesichtspunkt von
Art. 91 Abs. 3 SVG
relevantes Verhalten sein, sondern beispielsweise auch die Missachtung der sich aus
Art. 56 Abs. 2 VRV
ergebenden Pflicht des Fahrzeuglenkers, an der Unfallstelle zu bleiben, wenn ein Geschädigter die Polizei beiziehen will, obwohl keine Meldepflicht besteht (s. etwa das nicht publizierte Urteil des Kassationshofes vom 16. Mai 1989 i.S. W. c. GL).
b) Die Vorinstanz legt dem Beschwerdeführer nicht die Verletzung der in
Art. 51 Abs. 3 SVG
und
Art. 56 Abs. 2 VRV
festgelegten Melde- und Verhaltenspflichten zur Last. Sie wirft ihm vielmehr im Wesentlichen vor, er habe die in
Art. 51 Abs. 1 SVG
und in
Art. 54 Abs. 1 und 2 VRV
statuierten Verhaltenspflichten (vorsätzlich) missachtet.
Damit stellt sich die Frage, ob die von der Vorinstanz dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Pflichtverletzungen überhaupt Anknüpfungspunkte für eine Verurteilung wegen Vereitelung einer Blutprobe sein können. Zwar wirft der Beschwerdeführer selbst diese Frage nicht auf, doch ist sie als Rechtsfrage von Amtes wegen zu prüfen, zumal der Beschwerdeführer geltend macht, dass er seine Verhaltenspflichten nach dem Unfall nicht verletzt habe und aus diesem Grund nicht wegen Vereitelung einer Blutprobe verurteilt werden dürfe.
3.
a) Der objektive Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe ist nicht schon dann erfüllt, wenn erstens der Fahrzeuglenker gemäss einer gesetzlichen Bestimmung verpflichtet war, einen Vorfall der Polizei zu melden bzw. sich dieser zur Verfügung zu halten, und zweitens die Anordnung einer Blutprobe im Falle pflichtgemässen Verhaltens unter den gegebenen konkreten Umständen sehr wahrscheinlich war. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass die gesetzliche Pflicht, welche der Fahrzeuglenker missachtete, gerade auch der Abklärung des Unfalls und damit allenfalls auch der Ermittlung des Zustands des Fahrzeuglenkers dient. Dieser Zweckzusammenhang ist nach der der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zugrunde liegenden Konzeption bei den Meldepflichten gemäss
Art. 51
BGE 125 IV 283 S. 289
Abs. 2 und 3 SVG
gegeben. Dagegen fehlt es am erforderlichen Zweckzusammenhang bei der Meldepflicht gemäss
Art. 54 Abs. 2 VRV
. Diese Meldepflicht dient nicht auch der Abklärung des Unfalls, sondern bezweckt einzig die - ohne Beizug der Polizei nicht mögliche - unverzügliche Beseitigung der Gefahren, die durch Unfälle, Fahrzeugpannen, herabgefallene Ladungen etc. entstehen. Die Unterlassung der nach
Art. 54 Abs. 2 VRV
gebotenen Meldung an die Polizei kann daher nicht den Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe erfüllen. Dies gilt auch dann, wenn davon ausgegangen wird, dass die in
Art. 54 Abs. 2 VRV
statuierte Meldepflicht implizit schon in
Art. 51 Abs. 1 Satz 2 SVG
enthalten ist, wonach alle an einem Unfall Beteiligten nach Möglichkeit für die Sicherung des Verkehrs zu sorgen haben (s.
BGE 116 IV 233
E. 2b S. 236 f.). Zwar ist in
BGE 109 IV 137
ohne Differenzierung von der Meldepflicht "gemäss
Art. 51 SVG
" die Rede. Jener Entscheid betraf aber, wie eine ganze Reihe ihm folgender Urteile, einzig die Meldepflicht gemäss
Art. 51 Abs. 3 SVG
, wonach der Schädiger bei einem Unfall mit Sachschaden sofort den Geschädigten und, wenn dies nicht möglich ist, unverzüglich die Polizei zu verständigen hat. Die Verletzung der in
Art. 54 Abs. 2 VRV
festgelegten und sich schon aus
Art. 51 Abs. 1 SVG
ergebenden Pflicht zur Meldung an die Polizei zwecks Beseitigung von Gefahren aber kann aus den genannten Gründen den Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe nicht erfüllen (s. zum Ganzen die nicht publizierte E. 3 von
BGE 116 IV 233
, 6S.281/1990).
b) Entsprechendes gilt für die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verletzung der Pflicht, nach Möglichkeit für die Sicherung des Verkehrs zu sorgen (
Art. 51 Abs. 1 Satz 2 SVG
) bzw. sofort Sicherheitsmassnahmen zu treffen (
Art. 54 Abs. 1 VRV
). Auch diese Pflicht, die bis zum Eintreffen der zu benachrichtigenden Polizei fortbesteht, dient nicht der Abklärung des Unfalls, und die Verletzung dieser Pflicht kann daher nicht Anknüpfungspunkt für eine Verurteilung wegen Vereitelung einer Blutprobe sein (s. dazu
BGE 124 IV 175
E. 3a S. 179;
BGE 116 IV 233
E. 2b S. 236). Diese Pflicht trifft im Übrigen, wie auch die Pflicht zur Benachrichtigung der Polizei zwecks Beseitigung von Gefahren gemäss
Art. 54 Abs. 2 VRV
, nicht nur den Fahrzeuglenker, sondern alle Beteiligten.
c) Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Vereitelung einer Blutprobe kann demnach entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht damit begründet werden, dass der Beschwerdeführer die Sicherungs- und Meldepflichten gemäss
Art. 51 Abs. 1 SVG
und
BGE 125 IV 283 S. 290
Art. 54 Abs. 1 und 2 VRV
verletzt habe. Derartige Pflichtverletzungen sind hinsichtlich des Tatbestands der Vereitelung einer Blutprobe keine relevanten Tathandlungen.
Bei diesem Ergebnis muss im vorliegenden Verfahren nicht geprüft werden, ob die Polizei im Falle eines Kontakts mit dem Beschwerdeführer bei Gelegenheit der Beseitigung der Gefahren an der Unfallstelle sehr wahrscheinlich eine Massnahme zur Ermittlung von dessen Blutalkoholkonzentration angeordnet hätte. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
36bf1f2f-b242-404e-99d5-e08bb305a07e | Urteilskopf
99 II 67
12. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. März 1973 i.S. X. AG gegen Lloyd's Underwriters. | Regeste
Versicherungsvertrag.
1. Unmassgeblichkeit der Antworten des Versicherungsnehmers auf die Fragen in einem fremdsprachigen, der Aufsichtsinstanz nicht zur Genehmigung unterbreiteten Antragsformular? (Erw. 2).
2. Vertragsbestimmung, wonach der Versicherer für Schaden nicht haftet, der daraus entsteht, dass die vom Versicherungsnehmer im Antragsformular beschriebenen Sicherheitsvorkehren ohne Zustimmung des Versicherers aufgehoben oder abgeändert werden (Wegbedingung der Haftung des Versicherers für den Fall der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit im Sinne von
Art. 29 VVG
). Betrifft die Angabe des versicherten Juweliers über die Mindestzahl der während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen eine Sicherheitsvorkehr im Sinne dieser Vertragsbestimmung? Auslegung dieser Klausel (Erw. 3).
3. Bedeutet die Unterschreitung der vom Versicherungsnehmer angegebenen Mindestzahl der anwesenden Betriebsangehörigen eine wesentliche Gefahrserhöhung? (
Art. 28 VVG
; Erw. 4). Pflicht derkantonalen Gerichte, das Bundesrecht von Amtes wegen anzuwenden (Erw. 4 Abs. 1). Folgen einer vom Versicherungsnehmer herbeigeführten Gefahrserhöhung (Erw. 4 lit. a, b): Die Anwendung von
Art. 28 Abs. 1 VVG
setzt u.a. eine Anderung mit Bezug auf eine erhebliche Gefahrstatsache voraus. Begriff der Gefahrstatsache; Vermutung der Erheblichkeit (
Art. 4 VVG
). Die Antwort des Versicherungsnehmers auf die Frage nach der Mindestzahl der Anwesenden betrifft eine als erheblich zu vermutende Gefahrstatsache (Erw. 4 c). Besteht zwischen dieser Antwort und weitern Antworten des Versicherungsnehmers ein Widerspruch, um dessen Behebung der Versicherer sich hätte bemühen sollen? (Erw. 4 d). Nachweis, dass die Angabe des Versicherungsnehmers über die Mindestzahl der Anwesenden den Entschluss des Versicherers, den Vertrag zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, nicht beeinflusst hat; Verwerfung der Einrede der Gefahrserhöhung auf Grund dieses Nachweises (Erw. 4 e, f).
4. Kürzung der Versicherungsleistung wegen Mitverschuldens des Versicherungsnehmers bei Beantwortung der Frage nach der Mindestzahl der Anwesenden? (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 99 II 67 S. 69
A.-
Die X. AG betreibt als Grossistin für Edelsteine ein Etagengeschäft in Zürich. Sie pflegte ihre Handelsware bei den Lloyd's Underwriters, London, gegen Gefahren von grundsätzlich jeder Art zu versichern. Dabei wurde jedes Jahr auf Grund eines neuen Antrags eine neue Pauschal-Versicherungspolice für Juweliere (Jewellers'Block Policy) ausgestellt. Am 20. September 1968 unterzeichnete sie einen englisch verfassten
BGE 99 II 67 S. 70
Antrag für eine Versicherung zu US $250'000.--, der u.a. die folgenden Fragen und Antworten enthält:
"Questions Answers
... ...
3. Employees
(a) How many employees have you? (a) 4
(b) What is the minimum number of employees
including principals in the sales section of
your premises at any time during business
hours, including lunchtime? (b) 5".
In Beantwortung der Frage 4 über die Warenlagerwerte (stock values) bezifferte die Antragstellerin den durchschnittlichen Gesamtwert (average total value) der eigenen Ware und der ihr anvertrauten Ware auf US $90'000.-- bzw. 60'000.-- und den Höchstwert (maximum value) der beiden Kategorien in den letzten zwölf Monaten auf US $300'000.--. Unter den Ziffern 11-19 gab sie Auskunft über die bestehenden Sicherheitsvorkehren (protections). Gestützt auf diesen Antrag und die Zahlung der Prämie von US $ 5'000.-- stellten ihr Lloyd's unter Verwendung eines französisch abgefassten, mit Angaben in englischer Sprache ausgefüllten und ergänzten Formulars eine für die Zeit vom 31. Dezember 1968 bis und mit 30. Dezember 1969 gültige Police aus. Da der Londoner Versicherungsmakler der Versicherungsnehmerin die Papiere für eine neue Jahresversicherung erst im Januar 1970 zustellte, wurde die Deckung gemäss Police für das Jahr 1969 um 30 Tage (d.h. bis und mit 29. Januar 1970) erstreckt.
B.-
Am 27. Januar 1970 überfielen zwei Männer, die Schusswaffen trugen, das Geschäft der Versicherungsnehmerin, in welchem sich nur Fräulein X. (die Tochter des massgebenden Aktionärs X.) und eine Sekretärin befanden, und raubten eigene Ware der Versicherungsnehmerin im Werte von US $263'844.01 und Konsignationswaren Dritter im Werte von US $237'256.25. Eigene Ware und Konsignationsware für mindestens US $30'000.-- bzw. 100'000.-- konnten wieder beigebracht werden.
Die Versicherungsnehmerin erhob Anspruch auf die Versicherungssumme von US $250'000.--. Die Versicherer erklärten durch Schreiben ihrer Beauftragten vom 10. März und 3. Juni 1970 den Rücktritt vom Vertrage und verweigerten jede Leistung, weil die Versicherungsnehmerin nach den Ermittlungen des von ihnen beigezogenen Schadensexperten bei
BGE 99 II 67 S. 71
Beantwortung von Frage 4 den Durchschnitts- und den Höchstwert der bei ihr liegenden Ware viel zu niedrig beziffert und ihnen damit eine erhebliche Gefahrstatsache unrichtig mitgeteilt habe (
Art. 6 VVG
). Eventuell machten sie Unterversicherung geltend (
Art. 69 Abs. 2 VVG
). Die Versicherungsnehmerin bestritt die Richtigkeit des Expertenbefundes und die ihr gestützt darauf vorgeworfene Anzeigepflichtverletzung und machte geltend, eine Kürzung der Versicherungsleistungen wegen Unterversicherung sei schon deshalb unzulässig, weil die Versicherung eines Teilschadens vereinbart worden sei.
C.-
Im September 1970 klagte die Versicherungsnehmerin gegen die Versicherer beim Handelsgericht des Kantons Zürich auf Zahlung der vollen Versicherungssumme.
Die Beklagten hielten an den schon vor dem Prozess erhobenen Einreden fest und machten in der Klageantwort vom 27. November 1970 ausserdem geltend, laut Police sei vereinbart, dass die im Fragebogen beschriebenen Sicherheitsmassnahmen und -einrichtungen ohne Zustimmung der Versicherer weder aufgehoben noch abgeändert werden dürfen und dass die Versicherer im Falle der Verletzung dieser Vereinbarung für den daraus entstandenen Schaden nicht haften ("Il est entendu et convenu que les mesures et installations de sécurité décrites dans le questionnaire ne seront ni supprimées, ni modifiées sans le consentement des assureurs. Si l'assuré contrevenait à cette convention les assureurs ne répondraient pas des dommages survenant de ce fait"); mit ihrer Antwort auf die Frage 3 b habe die Klägerin die Obliegenheit übernommen, die Geschäftsräume während der Geschäftszeiten mit mindestens fünf Personen besetzt zu halten; dabei handle es sich um eine vertraglich festgelegte Vorsichtsmassnahme und Sicherheitsvorkehrung; die Klägerin habe die in Frage stehende Obliegenheit aufs schwerste verletzt, da sich zur Zeit des Schadensfalles nur zwei Damen im Geschäft aufgehalten hätten; das berechtige die Beklagten nach der erwähnten Vertragsklausel und nach
Art. 29 Abs. 1 VVG
zur Leistungsverweigerung; für den Fall, dass der Richter dieser Auffassung nicht folgen sollte, müsste die Anwesenheit von nur zwei Damen in den Geschäftsräumen der Klägerin angesichts der grossen dort liegenden Werte als grobe Fahrlässigkeit gewürdigt werden, welche die Beklagten nach
Art. 14 Abs. 2 VVG
zu einer Kürzung ihrer Leistung um mindestens 40% berechtige.
BGE 99 II 67 S. 72
Die Klägerin bezeichnete die Einreden der Beklagten als unbegründet und verwies gegenüber dem für die streitige Versicherung verwendeten, dem Eidgenössischen Versicherungsamt nicht vorgelegten englischen Fragebogen auf die von diesem Amt genehmigten, für Abschlüsse in der Schweiz bestimmten Fragebogen in deutscher und französischer Sprache, in denen nach dem Höchstwert des Lagers und nach der Zahl der Angestellten nicht gefragt wird.
Das Handelsgericht erachtete die im englischen Fragebogen enthaltenen Antworten als für die Klägerin verbindlich und nahm an, die Klägerin habe damit, dass sie nicht für die regelmässige Anwesenheit von fünf Personen in den Geschäftsräumen gesorgt habe, wenn nicht eine Obliegenheit verletzt, so doch auf alle Fälle gegenüber dem deklarierten Zustand eine wesentliche Gefahrserhöhung herbeigeführt (
Art. 28 VVG
), die auf den Eintritt des befürchteten Ereignisses einen Einfluss ausgeübt habe (
Art. 32 Ziff. 1 VVG
); diese Gefahrserhöhung berechtige die Beklagten nach
Art. 28 Abs. 1 VVG
und nach der Vertragsklausel über die Sicherheitsmassnahmen zur Leistungsverweigerung. Deshalb wies es die Klage am 8. Mai 1972 ab, ohne die übrigen Einreden der Beklagten zu prüfen.
D.-
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache sei zur quantitativen Bestimmung der Ansprüche der Klägerin an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen die Abweisung der Berufung, eventuell die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Beurteilung ihrer Begehren auf "a) Abweisung der Klage infolge Anzeigeverletzung, b) eventuell Reduktion des eingeklagten Betrages wegen Unterversicherung, c) subeventuell zusätzliche Reduktion wegen Mitverschuldens der Klägerin bei der Beantwortung von Frage 3 im Fragebogen."
Das Bundesgericht hebt das Urteil des Handelsgerichts auf und weist die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Die Berufungsschrift enthält keinen materiellen Antrag, wie er nach
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
grundsätzlich erforderlich ist, sondern die Klägerin verlangt nur die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache an die
BGE 99 II 67 S. 73
Vorinstanz. Ein solcher Antrag genügt nach der Rechtsprechung, wenn das Bundesgericht bei Gutheissung der vom Berufungskläger verfochtenen Rechtsauffassung kein Sachurteil fällen kann, sondern den Fall zur weitern Abklärung des Tatbestands an die Vorinstanz zurückweisen muss (
BGE 95 II 436
Erw. 1 mit Hinweisen). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Falle erfüllt. Das Fehlen eines materiellen Antrags schadet daher der Klägerin nicht.
2.
Keine gesetzliche Vorschrift verlangt, dass in der Schweiz verwendete Formulare für Versicherungsanträge in einer der schweizerischen Landessprachen abgefasst sein müssen. Der Versicherer darf deshalb dem Antragsteller mit dessen Einverständnis ein Formular in einer andern Sprache vorlegen. Dieses Einverständnis war im vorliegenden Falle unzweifelhaft vorhanden; denn die Klägerin hat nicht erst 1968, sondern schon 1967 ein englisch abgefasstes Formular widerspruchslos entgegengenommen und in der gleichen Sprache ausgefüllt; in den Jahren 1965 und 1966 hatte sie sogar einen Fragebogen mit französischem Vordruck englisch beantwortet.
Die Tatsache, dass die Beklagten das englische Antragsformular dem Eidgenössischen Versicherungsamt entgegen den damals geltenden Vorschriften nicht zur Genehmigung vorgelegt hatten, konnte nur Folgen öffentlich-rechtlicher Art auslösen. Auf die Gültigkeit des Vertrags, der unter Verwendung dieses Formulars abgeschlossen wurde, hat das Fehlen der Genehmigung des Formulartextes durch die Aufsichtsinstanz keinen Einfluss (KOENIG, Schweiz. Privatversicherungsrecht, 3. Aufl., S. 26/27; ROELLI/KELLER, Kommentar zum VVG, I S. 28 Anm. 8).
Die Verbindlichkeit des Versicherungsvertrags, welche die Klägerin mit ihren Einwendungen gegen die Massgeblichkeit des als Vertragsgrundlage verwendeten Formulars in Frage stellt, ist im übrigen Voraussetzung der Klage auf Zahlung der Versicherungssumme.
3.
Die Beklagten begründeten die Verweigerung jeder Leistung im kantonalen Verfahren ausschliesslich damit, dass die Klägerin mit der angeblich zu niedrigen Bewertung ihres Warenlagers im Versicherungsantrag ihre Anzeigepflicht verletzt und mit der Unterschreitung der von ihr angegebenen Zahl der in den Geschäftsräumen anwesenden Personen eine vertragliche Obliegenheit verletzt habe. Sie erklärten in der Duplik
BGE 99 II 67 S. 74
ausdrücklich,
Art. 28 VVG
über die Gefahrserhöhung stehe im vorliegenden Prozess nicht zur Diskussion; die Leistungsverweigerung werde nicht mit Gefahrserhöhung begründet. Vor Bundesgericht halten sie an der - vom Handelsgericht nicht abschliessend geprüften - Auffassung fest, dass die Antwort der Klägerin auf die Frage 3 b in Verbindung mit der wiedergegebenen Policenklausel über die Sicherungsvorkehren die Obliegenheit der Klägerin begründet habe, während der Geschäftszeit mindestens fünf Personen in den Geschäftsräumen zu belassen, und dass die Klägerin mit der ohne Zustimmung der Beklagten erfolgten Senkung der Personenzahl auf zwei diese Obliegenheit verletzt habe, was die Beklagten nach der erwähnten Klausel zur Leistungsverweigerung berechtige.
Art. 29 Abs. 1 VVG
erlaubt Vertragsabreden, wonach der Versicherungsnehmer bestimmte Obliegenheiten (d.h. Nebenpflichten) übernimmt, um die Gefahr zu vermindern oder eine Gefahrserhöhung zu verhüten, und
Art. 29 Abs. 2 VVG
lässt grundsätzlich die Vertragsbestimmung zu, dass der Versicherer, wenn eine solche Obliegenheit verletzt wird, an den Vertrag nicht gebunden ist. Auf eine derartige Vertragsbestimmung kann sich jedoch der Versicherer nach der zuletzt genannten Vorschrift nicht berufen., wenn die Verletzung der Obliegenheit keinen Einfluss auf den Eintritt des befürchteten Ereignisses und auf den Umfang der ihm obliegenden Leistung gehabt hat. Ferner bleibt dem Versicherungsnehmer die Exkulpation nach
Art. 45 Abs. 1 VVG
vorbehalten (vgl. zu alledem KOENIG, S. 127 ff., 197-199; ROELLI/KELLER, S. 426 ff. zu
Art. 29 VVG
).
Die Klausel des vorliegenden Versicherungsvertrags, aus welcher die Beklagten das Recht zur Leistungsverweigerung wegen Verletzung einer Obliegenheit ableiten, sieht vor, dass die Versicherer für den Schaden nicht haften, der daraus entsteht, dass die im Fragebogen beschriebenen Sicherheitsmassnahmen und -einrichtungen (les mesures et installations de sécurité décrites dans le questionnaire) ohne ihre Zustimmung aufgehoben oder abgeändert werden. Diese Klausel ist nach dem Gesagten grundsätzlich zulässig. Die Tatsache, dass die Klägerin die im Fragebogen unter Ziffer 3 b angegebene Mindestzahl von während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen (employees including principals) nicht aufrechterhielt, fällt unter diese Klausel und rechtfertigt unter Vorbehalt der Exkulpation nach
Art. 45
BGE 99 II 67 S. 75
Abs. 1 VVG
die Leistungsverweigerung der Beklagten, wenn die Angabe der Klägerin über die Mindestzahl der Anwesenden als Beschreibung einer Sicherheitsmassnahme oder -einrichtung aufzufassen ist und die Unterschreitung der angegebenen Zahl für den eingetretenen Schaden kausal war. Fehlt es dagegen an einer dieser Voraussetzungen (oder an beiden), so scheitert die Einrede der Obliegenheitsverletzung.
Die Zahl der Betriebsangehörigen eines Juwelengeschäfts, die während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesend sind, kann für den Versicherer, der den Warenvorrat u.a. gegen alle Arten des Diebstahls durch Dritte versichert, bei der Beurteilung der Gefahr eine gewisse Rolle spielen (vgl. Erw. 4 c hienach). Das erlaubt aber nicht den Schluss, dass der Versicherungsnehmer mit der Angabe dieser Zahl im Fragebogen des Versicherers eine Sicherheitsmassnahme oder -einrichtung beschreibe. Die blosse Tatsache, dass sich in einem Juwelengeschäft während der Geschäftszeit eine bestimmte Anzahl von Betriebsangehörigen aufhalten, um dort ihre geschäftliche Tätigkeit auszuüben, stellt keine Sicherheitsvorkehr im üblichen Sinne dieses Wortes dar, und es besteht kein Grund, diesem Ausdruck im Rahmen der von den Beklagten angerufenen Policenklausel einen weitern als den üblichen Sinn beizulegen. Dass die Frage 3 b eine Sicherheitsvorkehr im Sinne dieser Klausel betreffe, kann um so weniger angenommen werden, als der Fragebogen der Beklagten den Sicherheitsvorkehren unter der Überschrift "Protections" einen besondern Abschnitt (Fragen 11-19) widmet, wo die Beklagten sich mit Ausnahme der Frage, ob das Geschäftshaus zur Nachtzeit vom Antragsteller oder von einem Angestellten oder Hauswart bewohnt sei, ausschliesslich nach gewissen baulichen Verhältnissen und nach technischen Schutzeinrichtungen und -massnahmen erkundigen. Für die Klägerin war es deshalb gegeben, die Vertragsklausel über die im Fragebogen beschriebenen Sicherheitsvorkehren auf die Massnahmen und Einrichtungen zu beziehen, die sie bei Beantwortung der Fragen 11-19 erwähnt hatte. Auf jeden Fall aber lässt der von den Beklagten verfasste Text der Police nicht klar erkennen, dass die Beklagten auch in der Antwort auf die unter der Überschrift "Employees" stehende Frage 3 b die Beschreibung einer Sicherheitsvorkehr im Sinne der erwähnten Vertragsklausel erblicken möchten. Vertragsbestimmungen, die in guten Treuen verschieden aufgefasst werden können, sind
BGE 99 II 67 S. 76
nach dem Vertrauensprinzip, das sich aus
Art. 2 ZGB
ergibt, zu Ungunsten des Vertragspartners auszulegen, der den Vertrag verfasst hat (
BGE 87 II 95
f. Erw. 3 mit Hinweisen,
BGE 92 II 348
,
BGE 97 II 73
f. Erw. 3). Diese Regel (sog. Unklarheitenregel) gilt namentlich auch für die Auslegung von Versicherungsverträgen (vgl. die angeführten Entscheide). Daher muss sich die Klägerin nicht vorwerfen lassen, sie habe damit, dass sie die Zahl der im Geschäft Anwesenden unter fünf sinken liess, gegen die Vertragsklausel betreffend die Aufrechterhaltung der im Fragebogen beschriebenen Sicherheitsvorkehren verstossen. Aus diesem Grunde ist die Einrede der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit zu verwerfen, ohne dass zu prüfen wäre, ob das erwähnte Verhalten der Klägerin für den Schaden kausal sei.
4.
Obwohl die Beklagten im kantonalen Verfahren erklärt hatten, die Leistungsverweigerung werde nicht mit Gefahrserhöhung begründet, durfte und musste die Vorinstanz prüfen, ob die in den Prozess eingeführten Tatsachen den Beklagten erlauben, die von ihnen verlangte Leistung wegen Gefahrserhöhung zu verweigern. Das Bundesrecht ist nämlich vom kantonalen Richter (wie gemäss
Art. 63 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 OG
vom Bundesgericht) unabhängig von der Begründung der Parteianträge von Amtes wegen anzuwenden (KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft nach schweiz. Recht, 1954, S. 104/05; LEUCH, Die ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl. 1956, S. 224/25; GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1958, S. 69/70, 132, und ZSR 1961 II 34; VOYAME, ZSR 1961 II 108lit. d a.E.; ebenso die seitherige Rechtsprechung des Bundesgerichts:
BGE 89 II 339
f. Erw. 2,
BGE 90 II 40
Erw. 6 b,
BGE 95 II 252
Erw. 3), und weder das Bundesrecht (
Art. 28 VVG
) noch die gemäss Bundesrecht zu beachtenden Bestimmungen des vorliegenden Versicherungsvertrags machen den Hinfall der Leistungspflicht des Versicherers wegen wesentlicher Gefahrserhöhung davon abhängig, dass dieser ausdrücklich geltend macht, beim Sachverhalt, mit dem er seine Leistungsverweigerung begründet, handle es sich um eine solche Gefahrserhöhung. Dass die Beklagten nicht bloss die Erhebung dieses Einwands unterlassen, sondern vor Handelsgericht geradezu erklärt haben,
Art. 28 VVG
stehe nicht zur Diskussion, die Leistungsverweigerung werde nicht mit Gefahrserhöhung, sondern nur mit Verletzung der Anzeigepflicht und einer vertraglichen
BGE 99 II 67 S. 77
Obliegenheit begründet (Erw. 3 hievor), bedeutet nicht etwa einen Verzicht auf den Rücktritt vom Vertrag, der nach
Art. 32 Ziff. 4 VVG
den Eintritt der Rechtsfolgen der Gefahrserhöhung ausschlösse, sondern jene Erklärung betraf nur die für den Richter nicht massgebende rechtliche Begründung des tatsächlich erfolgten Rücktritts. Die Frage, ob eine wesentliche Gefahrserhöhung im Sinne des Gesetzes vorliege, ist daher materiell zu prüfen.
a) Wenn überhaupt eine solche Gefahrserhöhung vorliegt, kann es sich nur um eine solche "mit Zutun des Versicherungsnehmers" im Sinne des bereits angeführten
Art. 28 VVG
handeln; denn die Klägerin bestimmte die Zahl der Betriebsangehörigen, die sich während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen aufzuhalten hatten.
b) Die Tatsache, dass der Versicherungsnehmer im Laufe der Versicherung eine wesentliche Gefahrserhöhung herbeigeführt hat, bewirkt nach
Art. 28 Abs. 1 VVG
unter Vorbehalt von
Art. 32 VVG
ohne weiteres, dass der Versicherer für die Folgezeit an den Vertrag nicht gebunden ist. Die in der vorliegenden Police enthaltenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen lauten im gleichen Sinne. Der Eintritt der erwähnten Rechtsfolge hängt also nicht etwa davon ab, dass sich der Versicherer innert einer bestimmten Frist vom Vertrag lossagt. Die Klausel der Versicherungsbedingungen, wonach der Versicherer an den Vertrag gebunden bleibt, wenn er nicht innert 14 Tagen seit der dem Versicherungsnehmer vertraglich vorgeschriebenen Mitteilung der Gefahrserhöhung (
Art. 28 Abs. 3 VVG
) vom Vertrage zurücktritt, greift im vorliegenden Falle nicht ein, weil hier eine solche Mitteilung nicht erfolgt ist.
c) Die Gefahrserhöhung ist nach
Art. 28 Abs. 2 VVG
wesentlich, "wenn sie auf der Änderung einer für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsache (Art. 4) beruht, deren Umfang die Parteien beim Vertragsabschlusse festgestellt haben". Die Anwendung von
Art. 28 Abs. 1 VVG
setzt also u.a. voraus, dass eine Änderung mit Bezug auf eine Tatsache eingetreten ist, die der Versicherungsnehmer nach
Art. 4 Abs. 1 VVG
auf eine Frage des Versicherers hin diesem mitzuteilen hatte, und dass diese Gefahrstatsache im Sinne von
Art. 4 Abs. 2 VVG
erheblich war.
Gefahrtatsachen sind alle Tatsachen, die bei Beurteilung der Gefahr in Betracht fallen, mit andern Worten den Versicherer
BGE 99 II 67 S. 78
über den Umfang der zu deckenden Gefahr aufklären können, also nicht nur solche Tatsachen, welche die Gefahr verursachen, sondern auch solche, die bloss einen Rückschluss auf das Vorliegen von die Gefahr verursachenden Tatsachen gestatten (
BGE 55 II 58
,
BGE 72 II 130
oben,
BGE 75 II 163
Erw. 3; ROELLI/KELLER, S. 96/97 § 2). Erheblich sind nach
Art. 4 Abs. 2 VVG
"diejenigen Gefahrstatsachen, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, einen Einfluss auszuüben". Die Gefahrstatsachen, auf welche die schriftlichen Fragen des Versicherers in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind, werden nach
Art. 4 Abs. 3 VVG
als erheblich vermutet.
Soll der Warenvorrat eines Juwelengeschäfts u.a. gegen Diebstahl jeder Art, also z.B. gegen Raub in seinen mannigfachen Formen und gegen Trick- und Einschleichdiebstahl versichert werden, so kann die Zahl der Betriebsangehörigen, die sich während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen aufhalten, den Versicherer bei der Beurteilung der versicherten Gefahr interessieren, da eine schwache personelle Besetzung der Räume unter Umständen einen solchen Diebstahl erleichtert. Die Zahl der anwesenden Betriebsangehörigen hat daher als Gefahrstatsache zu gelten.
Diese Zahl ist Gegenstand der Frage 3 b des von den Beklagten im vorliegenden Fall verwendeten Fragebogens. Da das Geschäft der Klägerin nach ihren eigenen Angaben ein Engrosgeschäft ("Wholesale 100%") ohne Detailverkauf ("Retail"), Produktion ("Manufacturing") oder Pfandleihtätigkeit ("Pawnbroking") darstellt, ist der in Frage 3 b verwendete Ausdruck "sales section of your premises" im Falle der Klägerin nach Treu und Glauben auf die Gesamtheit der Geschäftsräume zu beziehen. Mit der Frage 3 b haben sich die Beklagten also in für die Klägerin klarer und unmissverständlicher Weise nach der Mindestzahl der während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen erkundigt. Daher ist nach
Art. 4 Abs. 3 VVG
zu vermuten, es handle sich dabei um eine im Sinne von
Art. 4 Abs. 2 VVG
erhebliche Gefahrstatsache. Dass die in Frage stehende Zahl bei einer objektiven, vernünftigen Würdigung (vgl. ROELLI/KELLER, S. 97/98) überhaupt nicht geeignet gewesen sei, den Vertragswillen der
BGE 99 II 67 S. 79
Beklagten zu beeinflussen, was die Vermutung der Erheblichkeit entkräften würde, lässt sich nicht sagen. Daher ist zunächst davon auszugehen, dass die Antwort der Klägerin auf die Frage 3 b eine im Sinne von
Art. 4 Abs. 2 VVG
erhebliche, d.h. zur Beeinflussung des Vertragswillens der Beklagten an sich geeignete Gefahrstatsache betreffe.
d) Die Klägerin will ihre Antwort auf die Frage 3 b nicht gegen sich gelten lassen. Sie behauptet, für die Beklagten sei klar erkennbar gewesen, dass diese Antwort mit den Antworten auf die Fragen 3 a und 7 in unlösbarem Widerspruch stehe und geradezu unsinnig sei; nach
BGE 90 II 456
hätten die Beklagten für eine Behebung dieser Widersprüche sorgen müssen.
Der Versicherer ist im allgemeinen nicht verpflichtet, den Gefahrstatsachen nachzuforschen und die Angaben des Versicherungsnehmers über solche Tatsachen zu überprüfen (
BGE 73 II 56
Erw. 6,
BGE 90 II 456
; ROELLI/Keller, S. 161). Er ist jedoch nach Treu und Glauben gehalten, Unklarheiten und Widersprüche, die sich aus dem Wortlaut des Versicherungsantrags unmittelbar ergeben, zu beseitigen oder beseitigen zu helfen (vgl. den zuletzt angeführten Entscheid).
Wie bereits ausgeführt (lit. c hievor), ist der Ausdruck "sales section", der in Frage 3 b verwendet wird, im vorliegenden Falle auf die Gesamtheit der Geschäftsräume zu beziehen. Die Behauptung der Klägerin, bei einer Aktiengesellschaft könne es keine "principals" geben, wie sie in Frage 3 b erwähnt werden, trifft nicht zu. Das englische Hauptwort "principal" bezeichnet im Handelswesen nicht bloss den Geschäftsinhaber, sondern ist auf jede leitende Persönlichkeit, insbesondere auf einen "Chef" anwendbar (Langenscheidts Handwörterbuch Englisch, Englisch-Deutsch, 11. Aufl. 1969, Art. principal, II 5, S. 481; Harrap's Standard French and English Dictionary, English-French, 1955, Art. principal, II 1, S. 954), was X., der den Versicherungsantrag unterzeichnete und unstreitig des Englischen mächtig ist, zweifellos wusste. Bei der Klägerin hatte mindestens der Haupt- oder Alleinaktionär X., der im Geschäftsbetrieb massgebend mitwirkte, die Stellung eines solchen "principal". Bei dieser Sachlage brauchten die Beklagten nicht ohne weiteres anzunehmen, zwischen der Antwort auf die Frage 3 a (die Klägerin habe vier "employees") und der Antwort auf die Frage 3 b (die Mindestzahl der während
BGE 99 II 67 S. 80
der Geschäftszeit in der "sales section" anwesenden "employees including principals" betrage fünf) bestehe ein Widerspruch, welcher der Aufklärung bedürfe.
Heikler ist das Problem, ob sich die Antworten auf die Fragen 3 a und 3 b mit der Antwort auf Frage 7 vereinbaren lassen. Diese Frage betrifft das gemäss lit. B der "Special Conditions" nur bis zu US $ 150'000.-- versicherte "Outdoor risk" (Aussenrisiko). Die Beklagten forderten die Klägerin mit dieser Frage auf, ihnen in bezug auf alles versicherte Gut, das "by yourselves and your employees (e.g. travellers, outside salesmen, messengers and delivery hands but NOT Brokers)", d.h. "durch Sie (Klägerin) selbst und Ihre Angestellten (z.B. Reisende, externe Verkäufer, Boten und Lieferpersonal, aber NICHT Makler)", an Orte ausserhalb der Geschäftsräume verbracht wird, die Namen aller "principals, travellers and outside salesmen" zu nennen, die in der Stadt oder im Lande des Geschäftssitzes oder anderswo versicherte Ware mit sich führen, und für jede Person die Zahl der (Reise-) Tage sowie den Mittel- und Höchstwert der mitgeführten Ware anzugeben. In ihrer Antwort auf Frage 7 gab die Klägerin für die Stadt des Geschäftssitzes die folgenden vier Namen an: "Fräulein X., X., W, B". (Für die beiden andern Gebiete nannte sie nur die drei zuletzt genannten Personen). Rechneten die Beklagten von den vier erwähnten Personen nur X., den Unterzeichner des Versicherungsantrags, zu den "principals", was angesichts des geringen Personalbestands der Firma nahelag, so blieben für die Kategorie der "travellers and outside salesmen" drei Personen übrig. Diese hatten nach den Beispielen, mit denen in Frage 7 der Begriff der "employees" erläutert wurde, als Angestellte zu gelten. Hatte die Klägerin gemäss ihrer Antwort auf Frage 3 a im ganzen vier Angestellte und entfielen davon drei auf die Reisenden und externen Verkäufer, so konnte nur ein anderer Angestellter vorhanden sei. Mit einem reisenden "principal", drei Reisenden oder externen Verkäufern und einem andern Angestellten, d.h. mit insgesamt fünf Personen, von denen vier zeitweise unterwegs waren, liess sich die ständige Anwesenheit von fünf Personen in den Geschäftsräumen während der Geschäftszeit offensichtlich nicht aufrechterhalten. Das musste aber auch dann noch zum mindesten als schwierig erscheinen, wenn von den vier namentlich erwähnten Personen ausser X. noch eine weitere Person (z.B. Fräulein X.) zu den
BGE 99 II 67 S. 81
"principals" gezählt und folglich angenommen wurde, neben zwei reisenden "principals" seien zwei reisende Angestellte und zwei andere Angestellte, insgesamt also sechs zum Betrieb gehörende Personen vorhanden. Dass immer nur höchstens eine dieser Personen unterwegs sei, war angesichts der Gesamtzahl der angegebenen Reisetage (145) und der Möglichkeit von Krankheiten und andern Abhaltungen wenig wahrscheinlich. Betrachteten die Beklagten die Antworten auf die Fragen 3 a und 3 b im Zusammenhang mit der Antwort auf Frage 7, so mussten ihnen also Zweifel darüber aufsteigen, ob die Angabe unter Ziffer 3 b stimmen könne, dass während der Geschäftszeit ständig (at any time) fünf Personen (employees including principals) in den Geschäftsräumen anwesend seien. Die gleiche Überlegung gilt auch schon für die Antworten im Fragebogen vom 25. September 1967, welcher der Versicherung für das Jahr 1968 zugrunde lag (Zahl der Angestellten: 2; Mindestzahl der anwesenden employees including principals: 3; principals, travellers und outside salesmen im Sinne von Frage 7: Frau Z., Fräulein X. und X. mit insgesamt 180 Reisetagen; reisende Angestellte je nachdem, ob nur X. oder auch Fräulein X. als "principal" angesehen wurde: 2 oder 1; nicht reisende Angestellte: 0 oder 1; gesamter Personalbestand folglich entweder ein reisender "principal" und zwei reisende Angestellte = drei Personen, oder zwei reisende "principals", ein reisender Angestellter und ein anderer Angestellter = vier Personen, was für die Aufrechterhaltung einer ständigen Präsenz von drei Personen ungenügend oder doch sehr knapp war).
Es kann sich allerdings fragen, ob die Beklagten verpflichtet gewesen seien, die Antworten auf die Fragen 3 a, 3 b und 7 in dieser Weise miteinander zu vergleichen. Als Grund für die Bejahung dieser Frage lässt sich anführen, dass die Angabe einer Mindestpräsenz von 5 (Vorjahr 3) Personen bei 4 (Vorjahr 2) Angestellten und 4 (Vorjahr 3) zeitweise auf Reisen befindlichen "principals" und Angestellten schon auf den ersten Blick (ohne die hievor angestellte Berechnung) recht auffällig war. Ob den Beklagten in dieser Hinsicht eine pflichtwidrige Unterlassung vorzuwerfen sei und welche Rechtsfolgen an eine solche Unterlassung zu knüpfen wären, kann jedoch offen bleiben, wenn sich ergibt, dass die Unterschreitung der unter Ziffer 3 b angegebenen Mindestzahl von während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen
BGE 99 II 67 S. 82
die Leistungsverweigerung der Beklagten unter dem Gesichtspunkte der Gefahrserhöhung aus einem andern Grunde nicht zu rechtfertigen vermag.
e) Beruft sich der Versicherer zur Begründung seiner Leistungsverweigerung auf eine Angabe des Versicherungsnehmers über eine Gefahrstatsache, die nach
Art. 4 VVG
an und für sich als erheblich zu gelten hat, so bleibt dem Versicherungsnehmer der Nachweis vorbehalten, dass seine Angabe über diese Tatsache den Willensentschluss des Versicherers im konkreten Fall in Wirklichkeit nicht beeinflusst hat, mit andern Worten, dass der Versicherer den Vertrag so, wie er zustandekam, auch dann geschlossen hätte, wenn die Angabe über die betreffende Tatsache gefehlt oder anders gelautet hätte (
BGE 39 II 309
, 75 II 163, 165, 92 II 352 Erw. 5; ROELLI/KELLER, S. 98/99; vgl. auch KOENIG S. 176 f. Anm. 2).
Im vorliegenden Falle steht fest, dass die Beklagten speziell für die schweizerische Kundschaft bestimmte Antragsformulare in deutscher und in französischer Sprache (mit dem Datumvermerk 1.1.48) geschaffen haben, welche die Fragen nach der Zahl der Angestellten und nach der Mindestzahl der während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen sowie nach den Namen der reisenden "principals, travellers and outside salesmen" nicht enthalten. Diese Formulare wurden auch noch verwendet, nachdem das englische Formular (mit dem Datumvermerk 11.3.65), das die erwähnten Fragen enthält, geschaffen worden war. Die Beklagten liessen der Klägerin noch für die Versicherungen pro 1966 und 1967 das französisch abgefasste Formular vorlegen (Anträge vom 3. September 1965 und 26. August 1966). Sogar dem Schreiben von 11. Mai 1970, mit welchem eine Maklerfirma der Klägerin mitteilte, dass einige "Underwriters" anscheinend bereit seien, einen neuen Anschluss in Betracht zu ziehen, lag neben dem englischen ein schweizerisches Formular bei. Als die Beklagten der Klägerin für die Versicherung pro 1968 erstmals das englische Formular vorlegen liessen, machten sie die Klägerin nicht darauf aufmerksam, dass dieses Formular neue Fragen über für die Beklagten wesentliche Punkte enthalte, wie das angesichts der unstreitig schon seit mehreren Jahren bestehenden Geschäftsbeziehungen nahegelegen und dem Gebote von Treu und Glauben entsprochen hätte, wenn die neu verlangten Angaben für die Entschliessung der Beklagten wirklich wesentlich
BGE 99 II 67 S. 83
gewesen wären. Trotz den beträchtlichen Unterschieden, welche die Anträge für die Versicherungsjahre 1968 und 1969 in den Angaben über die Zahl der Angestellten (2 bzw. 4) und über die Mindestzahl der Anwesenden (3 bzw. 5) aufweisen, forderten die Beklagten für diese beiden Jahre bei im übrigen gleichen Verhältnissen die gleiche Prämie. Während der vorprozessualen Auseinandersetzungen der Parteien, die vom Schadensfall (27. Januar 1970) bis in dem Sommer 1970 dauerten, beriefen sich die Beklagten nicht auf die Tatsache, dass die Klägerin die im Antrag vom 20. September 1968 angegebene Mindestzahl von Anwesenden nicht aufrechterhalten hatte. Diesen Einwand brachten sie vielmehr erst in der Klageantwort vom 27. November 1970 vor. Den Übergang von den früher verwendeten schweizerischen Formularen zum englischen begründeten sie in der Klageantwort nur damit, dass der massgebende Leiter der Klägerin, X., das Englische besser beherrsche, sowie damit, dass die Beklagten bei ihrer Entschliessung über die Annahme und Tarifierung eines Risikos der in Frage stehenden Art in vermehrtem Masse auch auf den (im englischen Formular neu erfragten) maximalen Lagerbestand abstellten.
In Anbetracht all dieser Umstände muss angenommen werden, dass die Antwort auf die Frage 3 b des englischen Formulars den Beklagten jedenfalls im Falle der Klägerin gleichgültig war und ihren Entschluss, die Warenvorräte der Klägerin zu den vereinbarten Bedingungen zu versichern, in Wirklichkeit nicht beeinflusste. Hiebei bleibt es auch dann, wenn man mit ROELLI/KELLER (a.a.O. S. 99; vgl. auch
BGE 39 II 309
Mitte) annehmen will, zum Nachweis, dass eine an sich erhebliche Tatsache ohne Einfluss auf die Entschliessung des Versicherers geblieben sei, genüge nicht, "dass der Versicherungsnehmer dartut, dass der Versicherer bei frühern oder bei andern - mit Dritten abgeschlossenen - Versicherungen auf eine bestimmte Gefahrstatsache kein Gewicht gelegt hat"; vielmehr müsse der Nachweis der Unerheblichkeit für den konkreten Vertragsabschluss erbracht werden. Im vorliegenden Falle ist nämlich, wie ausgeführt, nicht bloss dargetan, dass sich die Beklagten bei frühern Abschlüssen mit der Klägerin und offenbar auch bei Abschlüssen mit andern schweizerischen Kunden für die Mindestzahl der in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen nicht interessierten. Vielmehr steht fest, dass die Beklagten im Verkehr mit der Klägerin noch in einer Zeit, da
BGE 99 II 67 S. 84
bereits ein Formular mit der Frage nach dieser Zahl vorlag, Formulare ohne diese Frage verwendeten, und dieser Umstand ist nur ein Glied in einer ganzen Kette von Indizien, die in ihrer Gesamtheit darauf schliessen lassen, dass die erwähnte Zahl für die Beklagten beim Abschluss der streitigen Versicherung für das Jahr 1969 (und bei deren Verlängerung um 30 Tage) keine Rolle spielte. Anders als durch Schlüsse, die mit Hilfe der allgemeinen Lebenserfahrung aus den gesamten Umständen, insbesondere aus dem Verhalten des Versicherers, gezogen werden, lässt sich der grundsätzlich zulässige Beweis, dass eine bestimmte Gefahrstatsache die Entschliessung des Versicherers im konkreten Falle nicht beeinflusste, in der Regel nicht erbringen. Solche Schlüsse unterliegen im Berufungsverfahren der Überprüfung durch das Bundesgericht (
BGE 92 II 352
f. Erw. 5; vgl. auch
BGE 39 II 309
,
BGE 75 II 163
/64).
f) Betraf die Frage 3 b eine für den Abschluss und die Bedingungen des streitigen Vertrags effektiv nicht erhebliche Gefahrstatsache, so fehlt gemäss lit. c hievor eine Grundvoraussetzung für die Anwendung von
Art. 28 Abs. 1 VVG
. Die Einrede der Gefahrserhöhung ist deshalb zu verwerfen, ohne dass noch zu prüfen wäre, ob die Parteien im Sinne von
Art. 28 Abs. 2 VVG
den "Umfang" der fraglichen Tatsache "beim Vertragsabschlusse festgestellt haben" (vgl. zu diesem Erfordernis einerseits KOENIG S. 188/89, anderseits ROELLI/KELLER, S. 401/02), ob die von den Beklagten geltend gemachte Unterschreitung der Mindestzahl der in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen als "wesentliche" Gefahrserhöhung angesehen werden könnte und ob sich die Klägerin, falls alle Voraussetzungen für die Anwendung von
Art. 28 VVG
erfüllt wären, auf
Art. 32 Ziff. 1 VVG
berufen könnte, wonach die an die Gefahrserhöhung geknüpften Rechtsfolgen nicht eintreten, wenn die Gefahrserhöhung "auf den Eintritt des befürchteten Ereignisses und auf den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung keinen Einfluss ausgeübt hat".
5.
Erlaubt die Unterschreitung der von der Klägerin unter Ziff. 3 b des Fragebogens angegebenen Mindestzahl der Anwesenden den Beklagten aus den angeführten Gründen nicht, ihre Leistung wegen Verletzung einer Obliegenheit oder wegen Gefahrserhöhung zu verweigern, so ist das auf die gegenteilige Auffassung gestützte Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie prüfe, ob
BGE 99 II 67 S. 85
die Beklagten berechtigt seien, ihre Leistung wegen Verletzung der Anzeigepflicht bei Beantwortung von Frage 4 zu verweigern oder ihre Leistung wegen grobfahrlässiger Herbeiführung des befürchteten Ereignisses (
Art. 14 Abs. 2 VVG
) oder wegen Unterversicherung (
Art. 69 Abs. 2 VVG
) zu kürzen. Dagegen kommt nicht in Frage, die Leistung der Beklagten im Sinne von Eventualantrag c der Berufungsantwort deswegen zu kürzen, weil der Klägerin ein erhebliches Mitverschulden bei der Beantwortung von Frage 3 b vorzuwerfen sei, das eine allfällige culpa in contrahendo der Beklagten (vgl. Erw. 4 d hievor; Nichtabklärung von Widersprüchen im Antrag) grossenteils kompensieren würde (vgl.
BGE 90 II 458
f. Erw. 6); denn für die Annahme, dass die Antwort der Klägerin auf die Frage 3 b den Beklagten nicht erlaube, jede Leistung zu verweigern, ist nicht eine den Beklagten möglicherweise vorzuwerfende culpa in contrahendo, sondern die Tatsache entscheidend, dass die Klägerin mit ihrer Antwort auf die erwähnte Frage keine von ihr aufrechtzuerhaltende Sicherheitsvorkehr beschrieben hat und dass die Entschliessung der Beklagten durch diese Antwort überhaupt nicht beeinflusst wurde. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
36c076e0-58e9-4da0-998c-a1de9a2a15e7 | Urteilskopf
92 I 475
77. Auszug aus dem Urteil vom 21. Dezember 1966 i.S. AGIVA AG gegen Basel-Stadt, Kanton und Appellationsgericht. | Regeste
Kantonales Enteignungsrecht.
Art. 4 BV
und Eigentumsgarantie.
Bemessung der Entschädigung für eine Liegenschaft, die der Enteignete in Kenntnis der bevorstehenden Enteignung kurz vorher zu einem übersetzten Preis gekauft hat. | Sachverhalt
ab Seite 476
BGE 92 I 475 S. 476
Aus dem Tatbestand:
Am 4. September 1959 unterbreitete der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt dem Grossen Rat zwei zusammen das ganze Kantonsgebiet umfassende Grünflächenpläne zur Genehmigung und schlug ihm gleichzeitig Änderungen des Anhangs zum Hochbautengesetz (HBG) vom 11. Mai 1939 vor. Der Grosse Rat genehmigte die beiden Pläne am 10. Mai 1962 und fügte dem Anhang des HBG u.a. eine Bestimmung bei, nach welcher der Eigentümer einer der Bebauung entzogenen Grünfläche vom Kanton Entschädigung für die Wertverminderung des Bodens oder Übernahme der Liegenschaft zum Verkehrswert verlangen kann, wobei "für die Bemessung der Entschädigung und des Verkehrswertes die Verhältnisse im Zeitpunkt der Festlegung der Zone der Grünflächen massgebend" sind.
Frau Wackernagel war Eigentümerin zweier zusammen 14 132 m2 haltender Parzellen in der Gemeinde Riehen, die am 10. Mai 1962 der Grünzone zugewiesen wurden. Am 10. November 1960 räumte sie dem Erwin Ziegler an den beiden Parzellen ein Kaufrecht für Fr. 1 300 000.-- ein. Ziegler übte dieses Kaufrecht am 30. Dezember 1960 aus unter der aufschiebenden Bedingung, dass das Land gemäss den damals geltenden Zonenbestimmungen überbaut werden könne und nicht zur Grünzone erklärt werde. Am 12. Mai 1961 wurde vereinbart, dass diese Bedingung aufgehoben sei und der Kaufvertrag rechtskräftig geworden sei.
Inzwischen hatte Ziegler am 27. März 1961 dem Architekten Johann Ackermann ein übertragbares Kaufrecht am grössten Teil des Landes (11170.5 m2) eingeräumt für Fr. 1 284 607.50 (= Fr. 115.-- pro m2), wobei auf die im Kaufvertrag Wackernagel/Ziegler vom 30. Dezember 1960 enthaltene Suspensivbedingung Bezug genommen wurde. Mit Schreiben vom 29. März 1961 wurde Ackermann vom Baudepartement Basel-Stadt, dem er seine Absicht, auf jenem Land Wohnungen für Invalide zu erstellen, bekannt gegeben hatte, darauf aufmerksam gemacht, dass die fraglichen Liegenschaften voraussichtlich der Grünzone zugewiesen würden und abgesehen
BGE 92 I 475 S. 477
hievon auch mangels Erschliessung mit Strassen vorläufig nicht überbaut werden könnten; der von ihm genannte, weit übersetzte Preis von Fr. 110.-- pro m2 könne unter diesen Umständen im Falle der Versetzung des Landes in die Grünzone nicht als Verkehrswert anerkannt werden.
Trotz dieser Warnung übte Ackermann sein Vorkaufsrecht am 12. Mai 1961 für die in Gründung begriffene, von ihm beherrschte AGIVA AG für Invaliden- und Alterswohnungen aus, vereinbarte jedoch gleichzeitig mit Ziegler, dass bei Einbezug des Landes in die Grünzone der von der AGIVA AG zu bezahlende Kaufpreis entsprechend der Expropriationsentschädigung gesenkt und ein allfälliger Verlust von Ziegler und Ackermann persönlich je zur Hälfte übernommen würde.
Nachdem die AGIVA AG mit einem Gesuch um Bewilligung, aufihren Grünzonenparzellen eine Invaliden- und Alterssiedlung zu bauen, vom Regierungsrat abgewiesen worden war, verlangte sie am 10. Januar 1964 sofortige Übernahme der Parzellen durch den Kanton. Im nachfolgenden Enteignungsverfahren wurde ihr vom Appelationsgericht des Kantons Basel-Stadt auf Grund der in der Zeit der Festlegung der Grünzone (Mai/Juni 1962) in der betreffenden Gegend bezahlten Grundstückpreise eine Entschädigung von Fr. 800 000.-- zugesprochen.
Gegen dieses Urteil hat die AGIVA AG staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
sowie der Eigentumsgarantic erhoben. Das Bundesgericht weist ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Die Beschwerdeführerin wendet ein, es verstosse gegen die Eigentumsgarantie und sei willkürlich, wenn ihr der Kanton nur den auf Grund von Vergleichszahlen ermittelten Verkehrswert von Fr. 800 000.-- ersetzen müsse und nicht den Kaufpreis von Fr. 1284 000.--, den sie für den Erwerb der beiden Parzellen effektiv aufgewendet habe.
Die Beschwerdeführerin beruft sich für ihren Standpunkt in erster Linie auf den im Enteignungsrecht geltenden allgemeinen Grundsatz, dass der Enteignete durch die Enteignung weder ärmer noch reicher werden soll (vgl.
BGE 89 I 347
). Dieser Grundsatz besagt indessen nicht, dass dem Enteigneten stets und unter allen Umständen der Preis zu ersetzen ist, den er für die enteignete Sache bezahlt hat (vgl. AUBERT, Du renchérissement foncier, ZSR 1964 II 74/5). Insbesondere lässt sich daraus
BGE 92 I 475 S. 478
nicht ableiten, dass der Enteignete, der aus spekulativen oder andern Gründen einen den objektiven Verkehrswert übersteigenden Preis bezahlt hat, auf Ersatz desselben selbst dann Anspruch habe, wenn er beim Erwerb mit der Enteignung rechnen musste (vgl. das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 13. Dezember 1957, ZBl 1958 S. 169).
Der Umstand, dass das Gemeinwesen die Enteignung eines Grundstücks oder dessen Einweisung in die Grünzone plant, steht der Veräusserung des Grundstücks zu einem beliebigen Preise nicht entgegen, doch muss der Käufer, der jenen Plan kennt, damit rechnen, dass ihm gegebenenfalls nur der nach den üblichen Berechnungsmethoden bestimmte, objektive Verkehrswert ersetzt wird. Wenn er sich im Kaufvertrag für diesen Fall nicht eine Herabsetzung des Kaufpreises auf den Betrag der Enteignungsentschädigung vorbehält, verschafft er dem Verkäufer einen sonst unsichern Gewinn und nimmt selber die Gefahr eines entsprechenden Verlustes in Kauf. Ein solches Geschäft mit spekulativem Charakter liegt hier vor. Ziegler, der die enteigneten Grundstücke zunächst kaufte, erwarb sie zum Weiterverkauf mit Gewinn, also in spekulativer Absicht, und sicherte sich durch eine Suspensivbedingung im Kaufvertrag gegen das Risiko, das sich aus der drohenden Einweisung des Landes in die Grünzone ergab. Im Gegensatz zu Ziegler kaufte die Beschwerdeführerin das Land unmittelbar zum Zwecke der Überbauung. Ihr Vertreter Ackermann war sich jedoch des damit verbundenen Risikos durchaus bewusst, denn er hatte nicht nur von der geplanten Einweisung des Landes in die Grünzone Kenntnis, sondern wurde unmittelbar nach dem Erwerb des Kaufrechts und sechs Wochen vor der Ausübung desselben vom Baudepartement noch ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass mit der Erteilung einer Baubewilligung nicht zu rechnen sei und ein Kaufpreis von Fr. 110.-- pro m2 als übersetzt nicht als Verkehrswert anerkannt werden könne. Ziegler und Ackermann haben sich denn auch im Hinblick auf das eingegangene Risiko in einer (zunächst geheim gehaltenen) Vereinbarung verpflichtet, einen allfälligen Verlust der Beschwerdeführerin je zur Hälfte zu übernehmen. Wenn unter diesen Umständen Ziegler auf die ihn schützende Suspensivbedingung verzichtete und mit Frau Wackernagel auch keine Herabsetzung des Kaufpreises für den Fall einer niedrigeren Enteignungsentschädigung vereinbart haben sollte, so erzielt
BGE 92 I 475 S. 479
Frau Wackernagel einen Gewinn, der ihr ohne Verkauf vor der Umzonung nicht zugekommen wäre, während die Beschwerdeführerin bzw. Ziegler und Ackermann einen entsprechenden Verlust erleiden. Diesen haben sie aber, durch den Abschluss der Kaufverträge in Kenntnis der bevorstehenden Umzonung und trotz Warnung des Baudepartements, bewusst in Kauf genommen, weshalb es als gerechtfertigt erscheint und keinesfalls als stossend und willkürlich bezeichnet werden kann, wenn sie den Verlust nicht auf den Staat abwälzen können, dieser sie hiefür bei der Enteignung nicht zu entschädigen hat.
Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, die ihr zugesprochene Entschädigung reiche auf keinen Fall aus, um einen passenden Realersatz zu beschaffen; es sei schlechthin unmöglich, in Riehen oder Bettingen ein gleich günstig gelegenes Grundstück von ungefähr gleicher Grösse für Fr. 70.- pro m2 zu kaufen. Diese Behauptung mag richtig sein. Die Beschwerdeführerin hat aber nicht dargetan, dass ihr nach dem kantonalen Enteignungsrecht ein Anspruch auf Realersatz zustehe, und aus der Eigentumsgarantie kann ein solcher Anspruch nicht abgeleitet werden, zumal nicht für den Fall der Entschädigung für Land, bei dessen Erwerb der Enteignete schon mit der Enteignung oder mit einem Bauverbot rechnen musste. Wenn auch die Entschädigung dem Enteigneten im allgemeinen gestatten soll, sich ein Objekt zu beschaffen, das dem ihm wider seinen Willen entzogenen gleichwertig ist (
BGE 89 I 347
, mit Bezug auf das BG über die Enteignung), ist die Beschaffung von Ersatzland doch häufig schwierig und gelegentlich, wie z.B. bei Enteignung einer Liegenschaft im Geschäftszentrum einer Stadt, geradezu unmöglich; deshalb kann sehr wohl angenommen werden, die grössere oder kleinere Schwierigkeit der Wiederbeschaffung habe keinen entscheidenden Einfluss auf die Höhe der Entschädigung. Dem Appellationsgericht kann daher nicht Willkür vorgeworfen werden, weil es als Entschädigung den auf Grund von Vergleichszahlen bestimmten objektiven Verkehrswert zugesprochen und den Gesichtspunkt der Wiederbeschaffung unberücksichtigt gelassen hat. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
36c5c397-017e-4280-844b-289acb59b063 | Urteilskopf
87 I 215
36. Auszug aus dem Urteil vom 21. Juni 1961 i.S. Kübli gegen Appellationshof des Kantons Bern. | Regeste
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
.
Anforderungen an die Begründung einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Verweigerung des Armenrechts. | Erwägungen
ab Seite 215
BGE 87 I 215 S. 215
Aus den Erwägungen:
Gemäss
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
muss die Beschwerdeschrift in erster Linie die "wesentlichen Tatsachen" enthalten, das heisst sie hat dem Bundesgericht die genaue
BGE 87 I 215 S. 216
Kenntnis der Tatsachen zu vermitteln, die für den Entscheid erheblich sind. Mit dieser Anforderung will das Gesetz das Bundesgericht davor bewahren, den Sachverhalt aus den kantonalen Akten zusammensuchen zu müssen. Aus dem selben Grunde geht es auch nicht an, in der Beschwerdeschrift mit Bezug auf den Sachverhalt in allgemeiner Weise auf kantonale Akten und auf dortige Eingaben des Beschwerdeführers zu verweisen. Das Bundesgericht erachtet es hingegen als zulässig, dass der Beschwerdeführer in diesem Punkt auf ein bestimmtes kantonales Aktenstück (wie z.B. das angefochtene Urteil) verweist, das den Sachverhalt umfassend wiedergibt, falls er dazu erklärt, dass er die darin enthaltene Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse als richtig und vollständig anerkenne (vgl.
BGE 83 I 272
Erw. 2;
BGE 86 I 41
, 227/228).
Dieses Erfordernis gilt grundsätzlich auch für Beschwerden, die zu einer freien Prüfung des angefochtenen Entscheids führen, wie das bei Geltendmachung des bundesrechtlichen Armenrechtsanspruchs hinsichtlich der Frage der Aussichtslosigkeit des Prozesses zutrifft (
BGE 78 I 196
mit Verweisungen). Wohl darf das Bundesgericht dem Prozess auch wegen anderer als der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe Erfolgsaussichten zusprechen und es kann sich deshalb veranlasst sehen, den Akten Tatsachen zu entnehmen, die in der Beschwerde nicht erwähnt worden sind. Das bildet indes die Ausnahme. Soll die Arbeit des Staatsgerichtshofs nicht übermässig erschwert werden, so müssen die ihm unterbreiteten Beschwerden eine Sachdarstellung enthalten, die es ihm im Regelfalle erlaubt, sich auf die Prüfung der vorgebrachten Tatsachen zu beschränken. Die Beschwerde gegen die Verweigerung des Armenrechts muss mithin alle Tatsachen nennen, die unter Zugrundelegung des Rechtsstandpunkts des Beschwerdeführers für den Entscheid von Bedeutung sind. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
36cd4c42-333a-4164-9046-f81bc838f65a | Urteilskopf
87 I 195
32. Urteil vom 29. Juni 1961 i.S. Lazzeri gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft. | Regeste
Vertrag zwischen der Schweiz und Italien über gegenseitige Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten vom 22. Juli 1868.
1. Das Vorliegen der Voraussetzungen der Auslieferung ist von - Amtes wegen zu prüfen (Erw. 1 Abs. 2).
2. Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit (Erw. 2); die verfolgte Tat muss im ersuchenden und im ersuchten Staat als Auslieferungsdelikt strafbar sein (Erw. 3).
3. Es wird nicht ausgeliefert, wenn die Verfolgung oder die Vollstreckung nach dem Recht des ersuchenden oder des ersuchten Staates verjährt ist (Erw. 4).
4. Steht eine im ersuchenden Staat gewährte Amnestie der Auslieferung entgegen? (Erw. 5.)
5. Der Grundsatz der Spezialität der Auslieferung gilt auch nach dem schweizerisch-italienischen Auslieferungsvertrag (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 196
BGE 87 I 195 S. 196
A.-
Die I. Abteilung des Zivil- und Strafgerichts Mailand verurteilte Antonio Lazzeri am 18. Mai 1956 im Abwesenheitsverfahren wegen betrügerischen Bankerotts und wiederholten Betrugs zu sechs Jahren und sechs Monaten Zuchthaus, zu einer Busse von 18 000 Lire und zu verschiedenen Nebenstrafen. Sie setzte die Freiheitsstrafe im Urteil selbst gestützt auf einen Amnestieerlass vom 19. Dezember 1953 um drei Jahre herab.
Das Gericht führte dazu aus, Lazzeri sei alleiniger Geschäftsführer bzw. Verwaltungsrat zweier Gesellschaften mit beschränkter Haftung und einer Aktiengesellschaft gewesen, die sich Ende 1948 in Liquidation befunden hätten
BGE 87 I 195 S. 197
und später in Konkurs geraten seien. Er habe in seiner Eigenschaft als Organ der Gesellschaften deren Vermögen mindestens teilweise beiseitegeschafft (distratto) und einen Fehlbetrag von rund 100 Millionen Lire verschuldet; auch habe er die Geschäftsbücher und die übrigen Buchhaltungsbelege der Gesellschaften beseitigt, um sich zum Nachteil der Gläubiger zu bereichern. Damit habe er den Tatbestand des betrügerischen Bankerotts erfüllt. Er habe sich ferner des Betrugs zum Nachteil des Enrico Melchioni und der Aktiengesellschaft Manifatture Tosi schuldig gemacht. Den Erstgenannten habe er veranlasst, eine Rechnung für 3176 m Leinen zu zahlen; nachdem Lazzeri die Ware bereits wieder verkauft gehabt habe, habe er unmittelbar vor Ausbruch des Konkurses für 3'911,000 Lire ungedeckte Checks ausgestellt, um Melchioni zu beschwichtigen. Die Aktiengesellschaft Manifatture Tosi habe er mittels eines ungedeckten Checks über 880'000 Lire zur Herausgabe von Stoffen veranlasst, welche er ihr zum Färben übergeben habe.
Die Urteilsausfertigung vermerkt, der Entscheid sei am 19. Juni 1956 "irrevocabile" geworden. Die italienischen Behörden haben gestützt auf dieses Urteil und einen Haftbefehl des Procuratore della Repubblica in Mailand vom 6. Septembre 1956 die Auslieferung Lazzeris verlangt. Dieser wurde am 6. August 1960 in Kloten verhaftet, als er von Deutschland kommend in die Schweiz einreiste.
B.-
Lazzeri hat gegen die Auslieferung Einsprache erhoben. Er lässt im wesentlichen einwenden, die Auslieferung werde im Hinblick auf die Vollstreckung des Urteils des Zivil- und Strafgerichts Mailand vom 18. Mai 1956 verlangt. Einem solchen Auslieferungsbegehren dürfe nur entsprochen werden, wenn das zu vollstreckende Strafurteil anerkannt werden könne. Das treffe hier nicht zu, weil das genannte Urteil in einem Verfahren ergangen sei, in dem völkerrechtlich und landesrechtlich gewährleistete Grundrechte des Angeklagten in einer gegen die öffentliche Ordnung verstossenden Weise missachtet worden seien.
BGE 87 I 195 S. 198
Lazzeris Aufenthalt sei den italienischen Konsularbehörden jederzeit bekannt gewesen. Dieses Wissen sei den italienischen Justizbchörden zuzurechnen. Es wäre daher deren Pflicht gewesen, Lazzeri vom Strafverfahren in Kenntnis zu setzen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung zu geben. Das sei nicht geschehen; Lazzeri habe von der Durchführung des Verfahrens und der Erhebung der Anklage keine Ahnung gehabt. Ein auf derart rechtswidrigen Voraussetzungen beruhendes Strafurteil dürfe nicht anerkannt werden; es könne nicht zur Auslieferung des Verurteilten führen.
Dem Zivil- und Strafgericht Mailand seien im Abwesenheitsverfahren zudem bei der Bestellung des amtlichen Verteidigers verfahrensrechtliche Fehler unterlaufen, die eine rechtsgenügende Vertretung des Angeklagten verunmöglicht hätten. Lazzeri habe darum nachträglich gegen das Urteil Berufung eingelegt. Der Appellationshof von Mailand habe noch nicht über deren Zulässigkeit befunden. Es sei demnach ungewiss, ob das angefochtene Urteil rechtskräftig sei. Bei dieser Sachlage laufe nicht die Vollstreckungs-, sondern die Verfolgungsverjährung. Das führe dazu, dass Delikte, die vor 1946 begangen worden seien, verjährt seien. Das Urteil vom 18. Mai 1956 nenne die Begehungszeiten der einzelnen Straftaten nicht; es sei deshalb nach dem Grundsatz in dubio pro reo anzunehmen, sie seien vor 1946 begangen worden und damit verjährt. Die Auslieferung müsse demgemäss nach Art. 4 des italienisch - schweizerischen Auslieferungsvertrags verweigert werden.
Gegen eine Auslieferung spreche auch, dass die Bundesversammlung die schweizerisch-italienische Erklärung vom 30. März 1909 betreffend die Ergänzung der Aufzählung von Verbrechen und Vergehen in Art. 2 des Auslieferungsvertrags nicht genehmigt habe, weshalb diese Vereinbarung nicht verbindlich sei. Dass Lazzeri nach den Dekreten vom 23. Dezember 1949 und vom 11. Juli 1959 Anspruch auf drei Jahre bzw. ein Jahr Straferlass habe, so dass die
BGE 87 I 195 S. 199
verhängte Freiheitsstrafe getilgt sei, könne der Auslieferungsrichter nach der geltenden Ordnung nicht berücksichtigen. Zu beachten sei dagegen, dass Lazzeri im Falle der Auslieferung Gefahr laufe, wegen Bigamie verfolgt und bestraft zu werden.
C.-
Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat die Akten dem Bundesgericht unterbreitet, damit es über die Auslieferung entscheide. Die Bundesanwaltschaft beantragt, die Einsprache Lazzeris abzuweisen und die Auslieferung zu bewilligen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Auslieferung von Personen, die wegen Verbrechen und Vergehen verurteilt worden sind oder verfolgt werden, wird im Verhältnis zwischen Italien und der Schweiz durch den Auslieferungsvertrag vom 22. Juli 1868 (BS Bd. 12, S. 138 ff.) geregelt. Auslieferungsgesuche italienischer Behörden sind daher grundsätzlich nach dem Auslieferungsvertrag und nicht nach dem Bundesgesetz betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande (AuslG) vom 22. Januar 1892 zu beurteilen. Die Vorschriften des Gesetzes sind in solchen Auslieferungsfällen nur ausnahmsweise anwendbar; so dürfen Lücken des Vertrags unter Heranziehung gesetzlicher Vorschriften gefüllt werden, die seinem Sinn und Geist entsprechen (vgl.
BGE 87 I 136
Erw. 1 mit Verweisungen).
Das Vorliegen der Voraussetzungen der Auslieferung ist von Amtes wegen zu prüfen. Das Bundesgericht hat sich demgemäss nicht nur mit den Einwendungen auseinanderzusetzen, welche der Auszuliefernde in seiner Einsprache erhebt; es hat vielmehr alle Fragen zu entscheiden, die der betreffende Auslieferungsfall aufwirft und deren Beantwortung in seine Zuständigkeit fallen (SCHULTZ, Schweizerisches Auslieferungsrecht, S. 242 und die in A. 116 angeführten Urteile des Bundesgerichts).
2.
Wie das AuslG (Art. 3 Abs. 1), so bestimmt die Mehrzahl der von der Schweiz geschlossenen Auslieferungsverträge
BGE 87 I 195 S. 200
ausdrücklich, dass die Auslieferung nur für Handlungen und Unterlassungen bewilligt wird, die nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates strafbar sind. Der schweizerisch-italienische Auslieferungsvertrag umschreibt zwar das Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit nicht, geht aber, wie das Bundesgericht bereits in
BGE 26 I 97
Erw. 2 und
BGE 41 I 142
Erw. 3 a erkannt hat, ebenfalls von diesem Grundsatz aus (im selben Sinne SCHULTZ, a.a.O., S. 318).
Es genügt dabei nicht, dass die Tat, derentwegen die Auslieferung verlangt wird, einer Art von Handlungen angehört, welche die Rechte beider Staaten allgemein als strafbar erklären; sie muss vielmehr nach den im Auslieferungsbegehren genannten konkreten Tatumständen in beiden Staaten strafbar sein (SCHULTZ, a.a.O., S. 324 lit. c). Der ersuchte Staat ist befugt, die Strafbarkeit der Tat nach seinem eigenen wie nach dem Recht des ersuchenden Staates zu prüfen (vgl.
BGE 78 I 241
Erw. 3). Wird der Auszuliefernde wegen mehrerer Taten gesucht, so ist die Strafbarkeit jeder einzelnen gesondert festzustellen.
Dass der Sachverhalt, von dem das dem Auslieferungsbegehren zugrunde liegende Urteil des Zivil- und Strafgerichts Mailand ausgeht, nach italienischem Recht die Straftatbestände des betrügerischen Bankerotts und des Betrugs erfüllt, steht ausser Frage. Es liegt ferner auf der Hand, dass die Handlungen, die Lazzeri als Betrug zur Last gelegt werden, in der Schweiz im selben Sinne gewürdigt würden. Zu untersuchen bleibt, ob auch die ihm als betrügerischer Bankerott vorgehaltenen Handlungen einen Straftatbestand des schweizerischen Rechts erfüllen.
Der Art. 216 des italienischen Konkursgesetzes (königliches Dekret vom 16. März 1942 Nr. 267) stellt zwei Tatbestände auf, die als betrügerischer Bankerott strafbar sind: dieses Verbrechens macht sich schuldig, wer das Vermögen zum Nachteil der Gläubiger vermindert oder zum Scheine vermindert (Ziff. 1) und wer zum selben Zwecke oder um sich oder andern einen widerrechtlichen Vorteil
BGE 87 I 195 S. 201
zu verschaffen, die Buchführung oder Buchhaltungsbelege (altre scritture contabili) verheimlicht, beiseiteschafft, vernichtet oder fälscht, um die Ermittlung des Vermögensstandes oder des Geschäftsgangs zu verunmöglichen (Ziff. 2); Strafbarkeitsbedingung ist im einen wie im anderen Falle die Eröffnung des Konkurses (Abs. 1). Das Urteil des Zivil- und Strafgerichts Mailand wirft Lazzeri vor, er habe beide Tatbestände erfüllt, denjenigen des Art. 216 Ziff. 2 durch das Beseitigen der Geschäftsbücher und der Buchhaltungsbelege.
Der Art. 163 des eidgenössischen StGB, der vom betrügerischen Konkurs handelt, umschreibt den ersterwähnten Tatbestand; er erfasst vom zweiten Tatbestand nur die (hier nicht in Frage stehende) falsche Buchführung (vgl. Ziff. 1 Abs. 3 letzter Zwischensatz). Das Beseitigen der Geschäftsbücher und der zugehörigen Belege, das Lazzeri zusätzlich zur Last gelegt wird, wird dagegen in
Art. 163 StGB
nicht genannt. Die Bundesanwaltschaft möchte diese Bestimmung dessen ungeachtet auch auf das Beiseiteschaffen und Verheimlichen von Büchern anwenden. Diese Auslegung (die KARMANN in BlSchK 7 S. 36 ohne nähere Begründung vertritt) findet im Gesetz offensichtlich keine Stütze (vgl. HAFTER, Bes. Teil, I, S. 341; VON ARX, Das Buchdelikt, S. 99). Die betreffenden Handlungen sind vielmehr je nach den Umständen als Unterlassung der Buchführung (
Art. 166 StGB
), Unterdrückung von Urkunden (
Art. 254 StGB
) oder ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher (
Art. 325 StGB
) strafbar. Lazzeri wird vorgeworfen, er habe die Geschäftsbücher und übrigen Buchhaltungsbelege der von ihm beherrschten und verwalteten Gesellschaften beseitigt, um sich zum Nachteil der Gläubiger zu bereichern. Trifft das zu, so hat er Urkunden, über die er nicht allein verfügen durfte, vernichtet oder beseitigt in der Absicht, jemanden am Vermögen zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen; er hat damit den Tatbestand der Unterdrückung von Urkunden (
Art. 254 StGB
) erfüllt.
BGE 87 I 195 S. 202
Ob daneben ausserdem
Art. 166 StGB
anwendbar sei, braucht in diesem Zusammenhang nicht untersucht zu werden.
3.
Es genügt indes nicht, dass die verfolgte Tat nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates einen beliebigen Straftatbestand erfüllt; sie muss vielmehr in beiden als Auslieferungsdelikt strafbar sein (SCHULTZ, a.a.O., S. 325 und die in A. 83 angeführten Urteile des Bundesgerichts;
BGE 54 I 342
). Ob eine Handlung ein Auslieferungsdelikt im Sinne eines bestimmten Auslieferungsvertrags darstelle, entscheidet sich nicht nach der Bezeichnung des Delikts im Strafrecht der Vertragsstaaten, sondern danach, ob der gesetzliche Tatbestand der Landesrechte sachlich dem Begriff des Auslieferungsdelikts entspreche, der im betreffenden Vertrag verwendet wird; die verschiedene Bezeichnung des Delikts in den beiden Landesrechten hindert daher die Auslieferung nicht (vgl.
BGE 25 I 107
Erw. 2,
BGE 37 I 99
Erw. 2; SCHULTZ, a.a.O., S. 266/267).
Der schweizerisch-italienischeAuslieferungsvertrag nennt in Art. 2 unter den Verbrechen und Vergehen, derentwegen die Auslieferung zu bewilligen ist, den betrügerischen Bankerott (Ziff.11) und den nicht qualifizierten Betrug, sofern der verursachte Nachteil 1000 Franken übersteigt (Ziff. 12). Die Unterdrückung von Urkunden wird dagegen nicht als Auslieferungsdelikt aufgezählt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die nach heutigem schweizerischen Recht unter
Art. 254 StGB
fallenden Handlungen Lazzeris kein Auslieferungsdelikt darstellen würden. Der Auslieferungsvertrag lehnt sich in Art. 2 Ziff. 11 an die Normen über den betrügerischen Bankerott an, die zur Zeit des Vertragsschlusses in Italien (Art. 703 des Handelsgesetzbuchs vom 25. Juni 1865) und in einer Reihe schweizerischer Kantone (vgl. STOOSS, Grundzüge, Bd. II, S. 148) galten. Diese Normen stimmen in ihrem wesentlichen Gehalt mit Art. 216 des italienischen Konkursgesetzes vom 16. März 1942 überein. Der Auslieferungsvertrag erfasst demzufolge
BGE 87 I 195 S. 203
mit dem Tatbestand des betrügerischen Bankerotts auch gewisse Handlungen, die nach heutigem schweizerischem Recht als Unterdrückung von Urkunden zu würdigen sind.
Nach Art. 2 Ziff. 12 des Auslieferungsvertrags beläuft sich der Schadensbetrag, der erreicht oder überschritten seìn muss, damit wegen Betrugs ausgeliefert wird, auf 1000 Franken. Die am 30. März 1909 unterzeichnete schweizerisch-italienische Erklärung betreffend die Ergänzung der Aufzählung von Verbrechen und Vergehen in Art. 2 des Auslieferungsvertrags (BS 12 S. 147 f.) setzt in Ziff. 7 den Schadensbetrag auf 50 Franken herab. Aus den Erwägungen des Zivil- und Strafgerichts Mailand ergibt sich, dass der Schaden, den Lazzeri durch jede der ihm als Betrug vorgehaltenen Handlungen stiftete, weit über 1000 Franken ausmacht. Diese Handlungen stellen demgemäss schon nach dem Auslieferungsvertrag selbst Auslieferungsdelikte dar. Die Erklärung vom 30. März 1909 ist bei dieser Sachlage von vornherein nicht anwendbar. Es braucht deshalb nicht untersucht zu werden, ob die Erklärung, die der Bundesversammmlung nicht zur Genehmigung unterbreitet worden ist, für das Bundesgericht verbindlich sei.
Zusammengefasst ist festzustellen, dass sämtliche Handlungen, die Lazzeri zur Last gelegt werden, nach dem Recht beider beteiligter Staaten strafbar sind und dass sie ungeachtet ihrer teilweise andern landesrechtlichen Bezeichnung Auslieferungsdelikte im Sinne des schweizerisch-italienischen Vertrags darstellen.
4.
Gemäss Art. 4 des Auslieferungsvertrags darf die Auslieferung nicht stattfinden, wenn nach dem Recht des ersuchten Staates die "Klag- oder Strafverjährung" eingetreten ist. Wie das Bundesgericht in seiner neueren Rechtsprechung erkannt hat, ist die Auslieferung aber auch dann zu verweigern, wenn die Verfolgungs- oder Vollstreckungsverjährung nach dem Recht des ersuchenden Staates eingetreten ist (
BGE 44 I 182
Erw. 2 zum inhaltlich gleichen Art. 9 des Vertrags mit Frankreich; nicht veröffentlichtes
BGE 87 I 195 S. 204
Urteil vom 14. Februar 1951 i.S. Fontenelle zu Art. 10 des Vertrags mit Belgien; SCHULTZ a.a.O., S. 342).
a) Beim Entscheid darüber, ob die Lazzeri zur Last gelegten Handlungen nach schweizerischem Recht verjährt seien, sind sämtliche Vor- und Hauptfragen nach inländischem Recht zu beantworten. Ob die Verfolgungs- oder die Vollstreckungsverjährung Platz greife, wann diese Fristen begonnen haben, wie lange sie laufen und welche Wirkung ein Abwesenheitsurteil auf sie ausübt, ist hier demgemäss zunächst nach dem eidgenössischen StGB und, soweit Verfahrensrecht zur Anwendung gelangt, nach der StPO des Kantons Zürich zu prüfen, wo Lazzeri in Haft steht (SCHULTZ, a.a.O., S. 343).
Nach schweizerischem Recht endigt die Verfolgungsverjährung mit der Fällung eines vollstreckbaren Urteils und es beginnt die Vollstreckungsverjährung zu laufen, weil die beiden Verjährungen nicht gleichzeitig nebeneinander laufen können (
BGE 85 IV 170
mit Verweisungen). Ob ein Urteil vollstreckbar sei, ist grundsätzlich eine Frage des kantonalen Prozessrechts. In Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung bezeichnen die zürcherischen Gerichte das Abwesenheitsurteil als rechtskräftig und vollstreckbar, obwohl der Verurteilte gemäss kantonalem Recht nachträglich die Durchführung des ordentlichen Verfahrens verlangen und damit das Urteil zu Fall bringen kann (ZR 55 Nr. 126; vgl. auch MKGE Bd. 5 Nr. 81 sowie PFENNINGER, ZStR 1955 S. 57). Die Verfolgung des Betrugs, des betrügerischen Konkurses und der Unterdrückung von Urkunden verjährt in zehn Jahren (Art. 70 in Verbindung mit
Art. 148 Abs. 1,
Art. 163 Ziff. 1 Abs. 4 und
Art. 172,
Art. 254 Abs. 1 StGB
); die absolute Verfolgungsverjährung tritt in fünfzehn Jahren ein (
Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
). Das hier in Frage stehende Urteil vom 18. Mai 1956 erging demnach offensichtlich vor Eintritt der Verfolgungsverjährung. Mit der Fällung dieses Urteils begann die Vollstreckungsverjährung zu laufen.
BGE 87 I 195 S. 205
Bei deren Bemessung ist, wie die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 5 S. 553 Erw. 2; 12 S. 142 Erw. 2, S. 580 Erw. 2) richtig erkannt hatte, nicht von der Strafe auszugehen, die im ersuchenden Staat verhängt worden ist, sondern von derjenigen, die nach inländischem Recht auszusprechen gewesen wäre (SCHULTZ, a.a.O., S. 346). Nach schweizerischem Recht wäre Lazzeri voraussichtlich zu nicht mehr als fünf Jahren Zuchthaus, jedenfalls aber zu mehr als einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Die Vollstreckung würde somit höchstens in fünfzehn und mindestens in zehn Jahren verjähren (
Art. 73 Ziff. 1 StGB
). Weder im einen noch im andern Falle wäre die Vollstreckungsverjährung abgelaufen.
Da das Abwesenheitsurteil trotz der von Lazzeri eingereichten Berufung noch zu Recht besteht, braucht nicht untersucht zu werden, ob mit der Aufhebung der Entscheidung die Verfolgungsverjährung wieder zu laufen beginne, diese somit in der Zeit zwischen der Fällung und der Aufhebung des Urteils lediglich ruhe (wie das Militärkassationsgericht in MKGE Bd. 5 Nr. 81 sowie im Bd. 6 Nr. 72 Erw. 2 erkannt hat), oder ob von der Rechtskraft des Kontumazialurteils an endgültig die Vollstreckungsverjährung laufe (was CLERC in ZStR 1954 S. 197/198 und PFENNINGER in ZStR 1955 S. 59 befürworten).
b) Das italienische Recht unterscheidet zwischen der Verjährung der Tat (prescrizione del reato), die der Verfolgungsverjährung des schweizerischen Rechts entspricht, und der Verjährung der Strafe (estinzione della pena per decorso del tempo), die der Vollstreckungsverjährung gleichzusetzen ist. Die Tat kann nur bis zu dem Zeitpunkt verjähren, da das Urteil "irrevocabile" geworden ist (MANZINI, Diritto penale, 2. Aufl., Bd. 3, N. 657 S. 482); hierauf setzt die Verjährung der Strafe ein (Art. 172 Abs. 4 CP). "Irrevocabile" ist ein Urteil, das ausser der Revision keinem Rechtsmittel mehr unterworfen ist (Art. 576 Abs. 2 CPP). Solange die allgemeinen Rechtsmittelfristen des Art. 199 CPP noch laufen, läuft demnach die Verjährung
BGE 87 I 195 S. 206
der Tat, die durch die Fällung des Entscheids unterbrochen wird (Art. 160 Abs. 1 CP). Diese Ordnung gilt auch für Abwesenheitsurteile (MANZINI, a.a.O., N. 657 II S. 484).
Die Zuchthausstrafen verjähren, wenn ihre zweifache Dauer überschritten ist, höchstens aber in dreissig und mindestens in zehn Jahren (Art. 172 Abs. 1 CP). Die Tat verjährt in zehn Jahren, wenn es sich um ein Delikt handelt, für das (wie für den betrügerischen Bankerott; vgl. Art. 216 des Konkursgesetzes) eine Höchststrafe von über fünf Jahren Zuchthaus vorgesehen ist, und in fünf Jahren, wenn das Gesetz (wie für den Betrug; vgl. Art. 640 CP) eine Höchststrafe von weniger als fünf Jahren Zuchthaus androht (Art. 157 Abs. 1 Ziff. 3 und 4 CP). Bei der Berechnung dieser Fristen sind allfällige Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe zu berücksichtigen (Art. 157 Abs. 2 CP). Die Tatverjährung wird durch die Verurteilung und eine Reihe weiterer prozessualer Handlungen unterbrochen; sie beginnt von der Unterbrechung an neu zu laufen; die in Art. 157 CP festgesetzten Fristen können jedoch nicht um mehr als die Hälfte verlängert werden (Art. 160 CP).
Die Urteilsausfertigung, die dem Auslieferungsbegehren beigefügt worden ist, trägt den Vermerk, der Entscheid sei am 19. Juni 1956 "irrevocabile" geworden. Trifft das zu, dann ist die von diesem Zeitpunkt zu berechnende Strafverjährungsfrist noch lange nicht abgelaufen. Sollte das Urteil indes entgegen der dahin gehenden Bescheinigung noch nicht "irrevocabile" geworden sein (worauf die nachträgliche Einreichung der Berufung hinzuweisen scheint), so dürfte die Tatverjährung Platz greifen, die durch diesen Entscheid unterbrochen worden wäre. Hinsichtlich des betrügerischen Bankerotts würde die absolute Tatverjährung von fünfzehn Jahren noch laufen; fraglich ist dagegen, ob die Betrugshandlungen nicht verjährt wären. Trotz des Zweifels, der in diesem Punkte besteht, muss die Auslieferung auch insoweit bewilligt werden, um den Gerichten
BGE 87 I 195 S. 207
des ersuchenden Staats Gelegenheit zu geben, zu dieser die Anwendung ihres Rechts betreffenden Frage endgültig Stellung zu nehmen (
BGE 44 I 186
).
5.
Lazzeri glaubt sich der Ausweisung mit der Behauptung widersetzen zu können, er habe nach den Amnestiedekreten vom 23. Dezember 1949 und vom 11. Juli 1959 Anspruch auf drei Jahre bzw. ein Jahr Straferlass, so dass die ausgesprochene Freiheitsstrafe getilgt sei. Sein früherer Vertreter hat indes selber darauf hingewiesen, dass dieser Einwand unbehelflich ist. Das Bundesgericht hat in BGE 8 S. 510 Erw. 4 erkannt, die Amnestie könne einem von Italien gestellten Auslieferungsbegehren nicht entgegengehalten werden, weil der schweizerisch-italienische Vertrag nicht vorsehe, dass die Amnestie die Auslieferung ausschliesse. SCHULTZ (a.a.O., S. 340) vertritt demgegenüber die Auffassung, eine vom ersuchenden Staat gewährte Amnestie müsse auch ohne entsprechende Vertragsbestimmungen berücksichtigt werden, da der Amnestierte nicht mehr verfolgt werde und damit eine allgemeine Voraussetzung jeder Auslieferung entfalle. Ob angesichts dieser Kritik an der angeführten Rechtsprechung festgehalten werden könne, braucht hier nicht entschieden zu werden. Folgt man dem genannten Verfasser, so muss man sich auch dessen Meinung zu eigen machen, dass die Auslieferung nicht bereits durch den allgemein gehaltenen Amnestieerlass ausgeschlossen wird, sondern erst durch die besondere Verfügung, welche die Amnestie auf die betreffende Strafverfolgung anwendet und diese formell zum Abschluss bringt. Eine solche besondere Verfügung ist im Falle Lazzeris nicht ergangen.
6.
Ob das Zivil- und Strafgericht Mailand den Auszuliefernden richtig vorgeladen habe, und ob er im Abwesenheitsverfahren gehörig vertreten gewesen sei, entscheidet sich entgegen den erhobenen Behauptungen nach dem internen Strafprozessrecht des ersuchenden Staates. Die Behörden des ersuchten Staates haben sich nicht mit diesen Fragen zu befassen (nicht veröffentlichtes Urteil
BGE 87 I 195 S. 208
vom 4. März 1932 i.S. Bauer, Erw. 2; SCHULTZ, a.a.O., S. 236/237). Auf die dahin gehenden Einwendungen Lazzeris ist deshalb nicht einzutreten.
7.
Die italienischen Behörden verlangen die Auslieferung Lazzeris wegen betrügerischen Bankerotts und wiederholten Betrugs. Der Auszuliefernde befürchtet, er könnte in Italien zudem wegen Bigamie verfolgt werden. Es besteht indes kein Anlass zur Aufnahme eines entsprechenden Vorbehalts.
Art. 3 des schweizerisch-italienischen Auslieferungsvertrags lautet im französischen Originaltext (RS 12, S. 157):
L'extradition ne sera jamais accordée pour les crimes ou délits politiques. L'individu qui serait livré pour une autre infraction aux lois pénales ne pourra dans aucun cas être jugé pour un crime ou délit politique commis antérieurement à l'extradition, ni pour aucun fait connexe à ce crime ou délit. Il ne pourra non plus être poursuivi ou condamné pour toute autre infraction antérieure à l'extradition et non comprise dans la présente convention.
Aus dem Wortlaut des letzten Satzes des Artikels könnte durch Umkehrschluss gefolgert werden, die Gerichtsgewalt des ersuchenden Staates über den Ausgelieferten sei nicht auf jene Taten beschränkt, derentwegen die Auslieferung nachgesucht und bewilligt wurde, sondern sie erstrecke sich ohne weiteres auf alle Verbrechen und Vergehen, für welche der Vertrag die Auslieferung vorsieht. Dem steht die Entstehungsgeschichte entgegen. Italien hat stets entschieden am Grundsatz der Spezialität festgehalten, der auch in der Schweiz allgemeine Anerkennung zu erringen vermochte (vgl. für Italien: LAMMASCH, Auslieferungspflicht und Asylrecht, S. 753; für die Schweiz: die durch BGE 1 S. 418 Erw. 1 eingeleitete Rechtsprechung sowie
Art. 7 AuslG
). Wenige Jahre vor Abschluss des Auslieferungsvertrags hatte sich der Bundesrat im Auslieferungsfalle Delafield dem Standpunkt der italienischen Regierung anschliessen müssen, die auf dem Grundsatz der reinen Spezialität beharrte (BBl 1864 I 400 f., 1865 II 208; HESS, Der Grundsatz der Spezialität im Auslieferungsrecht, S. 20 f.). In der Botschaft zum Auslieferungsvertrag
BGE 87 I 195 S. 209
führte der Bundesrat aus, der Schlussatz des Art. 3 löse die Streitfrage, welche sich im genannten Falle erhoben habe; er verneine aus grundsätzlichen Erwägungen, dass ein Ausgelieferter im ersuchenden Staate ausser der Handlung, für welche die Auslieferung erfolgte, noch weiterer Vergehen bezichtigt werden dürfe; es solle "die Beurteilung immer nur erfolgen dürfen wegen denjenigen Verbrechen, hinsichtlich derer die Auslieferung bewilligt wurde"; selbstverständlich bleibe es dem Angeschuldigten freigestellt, auf dieses Recht zu verzichten (BBl 1868 III S. 449).
Das Bundesgericht ist denn auch in einem Gutachten, das es im Jahre 1894 dem Bundesrat erstattete, davon ausgegangen, dass der Grundsatz der Spezialität auch im Verhältnis zu Italien gelte (VON SALIS, Bundesrecht, 2. Aufl., Bd. IV, Nr. 1859, S. 540). Es hat in einem Schreiben, das es am 22. April 1932 i.S. Buzzi an die Polizeiabteilung richtete, unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte an dieser Annahme festgehalten (Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden, 6. Heft, 1932, Nr. 125, S. 152 f.). Nach einem Kreisschreiben des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 14. Dezember 1921 hält sich die Praxis mit Bezug auf die Auslieferungen zwischen der Schweiz und Italien gleichfalls grundsätzlich an die Einschränkungen, die sich aus dem Prinzip der Spezialität ergeben (BURKHARDT, Bundesrecht, 4. Bd., Nr. 1752, S. 231).
Falls Lazzeri sich nicht ausdrücklich damit einverstanden erklärt, steht es den italienischen Behörden daher einstweilen nicht zu, ihn zusätzlich wegen Bigamie zu verfolgen und zu bestrafen, da sie für dieses Auslieferungsdelikt (Art. 2 Ziff. 3 des Vertrags) kein Auslieferungsbegehren gestellt haben. Auch ohne einen entsprechenden Vorbehalt im Dispositiv des vorliegenden Urteils werden sie vielmehr wie im Falle Buzzi nachträglich das Gesuch zu stellen haben, es sei die Auslieferung auf jene Straftat auszudehnen. Das bietet dem Ausgelieferten volle Gewähr für die Wahrung seiner Rechte.
BGE 87 I 195 S. 210
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Einsprache des Antonio Lazzeri gegen seine Auslieferung an Italien wird abgewiesen, und die Auslieferung wird insoweit bewilligt. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
36d4b9cd-4eab-40f4-b4b3-ba2727d0f722 | Urteilskopf
104 III 68
17. Auszug aus dem Entscheid vom 4. Juli 1978 i.S. Elmer, Schwald & Co. | Regeste
Eröffnung des Konkurses über eine Gesellschaft, die ihren Sitz auf dem Gebiete des früheren Königreiches Württemberg hat und gegen die im Kanton Zürich Arreste vollzogen worden waren.
1. Die Übereinkunft betreffend die Konkursverhältnisse und die Behandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen in Konkursfällen, die am 12. Dezember 1825/13. Mai 1826 zwischen verschiedenen Kantonen der schweizerischen Eidgenossenschaft und der Krone Württemberg geschlossen wurde, stellt kantonales Recht dar; ob sie noch in Kraft sei, beurteilt sich daher nicht nach Bundesrecht (E. 3).
2. Der Vorbehalt des
Art. 271 Abs. 3 SchKG
erfasst auch kantonale Staatsverträge. Wird davon ausgegangen, die Übereinkunft mit der Krone Württemberg sei nach wie vor in Kraft, bewirkt die Eröffnung des Konkurses über eine Gesellschaft mit Sitz auf dem Gebiete des früheren Königreiches Württemberg demnach das Dahinfallen der im Kanton Zürich gegen diese vollzogenen Arreste (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 104 III 68 S. 69
Mit Verfügungen vom 29. Dezember 1977 sowie vom 3. und 6. Januar 1978 teilten die Betreibungsämter Zürich 5, 3 und 9 der Elmer, Schwald & Co. mit, die von ihr hinsichtlich verschiedener Vermögensstücke der M. Jope & Co., Tübingen/BRD, erwirkten Arreste und die zur Prosequierung eingeleiteten Betreibungen würden aufgehoben, weil über die Arrestschuldnerin in der Bundesrepublik Deutschland am 1. November 1977 der Konkurs eröffnet worden sei. Die Betreibungsämter stützten sich dabei auf die Art. III und IV der "Übereinkunft zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und der Krone Württemberg betreffend die Concursverhältnisse und gleiche Behandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen in Concursfällen" vom 12. Dezember 1825/13. Mai 1826, der unter anderem auch der Kanton Zürich beigetreten ist.
Die betreibungsamtlichen Verfügungen wurden durch das Bezirksgericht Zürich (2. Abteilung) als untere und durch das Obergericht des Kantons Zürich (II. Zivilkammer) als obere kantonale Aufsichtsbehörde am 17. Februar bzw. 26. Mai 1978 bestätigt.
Gegen den zweitinstanzlichen Entscheid hat die Elmer, Schwald & Co. beim Bundesgericht Rekurs erhoben.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab, soweit sie darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Strittig ist sodann, ob der Staatsvertrag, auf den sich die Betreibungsämter berufen hatten, noch in Kraft sei. Die Übereinkunft wurde in den Jahren 1825/26, also vor der ins Jahr 1848 fallenden Gründung des schweizerischen Bundesstaates,
BGE 104 III 68 S. 70
geschlossen. Schweizerischerseits trat daher nicht der Bund auf, sondern waren beteiligt diejenigen "Kantone der schweizerischen Eidgenossenschaft, welche dem gegenwärtigen Staatsvertrag beigetreten sind" (Art. I der Übereinkunft). Denkbar wäre freilich, dass mit der Annahme der Bundesverfassung von 1848 der Bund an die Stelle der verschiedenen Kantone getreten wäre. Es ist indessen zu beachten, dass die Kompetenz, Staatsverträge abzuschliessen, weder durch die Verfassung von 1848 noch durch diejenige von 1874 (vgl. Art. 9) ausschliesslich dem Bund zugewiesen worden ist. Diese Tatsache und die föderalistische Struktur des Bundesstaates im allgemeinen stehen der Annahme entgegen, der Bund sei im Jahre 1848 ohne weiteres in die Übereinkunft mit der Krone Württemberg eingetreten. Die gleiche Ansicht vertrat im Ergebnis auch der Bundesrat im Bericht an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1861, wo er unter Hinweis auf frühere Entscheide erklärte, die neue Bundesverfassung (von 1848) habe in den Staatsverträgen, die schon bestanden hätten, nichts verändert; die Bestimmungen des früheren Rechts würden weitergelten, bis und solange nicht eine Novation jener Verträge stattgefunden und die Bundesversammlung die neuen Verträge ratifiziert habe (BBl 1862 II S. 227). Dazu ist es hinsichtlich der hier in Frage stehenden Übereinkunft indessen nie gekommen.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Vorinstanz die Übereinkunft mit der Krone Württemberg vom 12. Dezember 1825/13. Mai 1826 zu Recht als kantonalen Staatsvertrag qualifiziert hat. Ob diese noch in Kraft sei, ist mithin eine Frage des betreffenden kantonalen Rechts, die vom Bundesgericht im Rekursverfahren nicht überprüft werden kann (Art. 43 in Verbindung mit
Art. 81 OG
; Art. 79 Abs. 1 erster Satz OG). Es muss daher bei der vorinstanzlichen Feststellung, die Übereinkunft sei nach wie vor gültig, sein Bewenden haben.
4.
Gemäss Art. III der Übereinkunft mit der Krone Württemberg sollen nach Ausbruch eines Konkurses wechselseitig keine andern Arreste auf das Vermögen des Gemeinschuldners angelegt werden als zu Gunsten der ganzen Masse, und Art. IV sieht vor, dass alle beweglichen und unbeweglichen Güter eines Gemeinschuldners, auf welchem Staatsgebiet sie sich immer befinden mögen, in die allgemeine Konkursmasse fallen sollen (für den genauen Wortlaut vgl. BÜRGI, Die Übereinkunft
BGE 104 III 68 S. 71
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Krone Württemberg..., in BlSchK 38/1974, S. 2 ff.). Die beiden Bestimmungen entsprechen der für die inländischen Konkurse geltenden Regelung des heutigen schweizerischen Rechts (vgl. die
Art. 197 ff. und 206 SchKG
), stehen indessen im Widerspruch zu
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG
, wonach ein Gläubiger Vermögensstücke eines nicht in der Schweiz wohnenden Schuldners mit Arrest belegen lassen kann.
Art. 271 Abs. 3 SchKG
behält allerdings anderslautende Bestimmungen von Staatsverträgen vor, und es ist daher zu prüfen, ob die von den Betreibungsämtern angewendete Übereinkunft von diesem Vorbehalt erfasst werde oder ob allenfalls nur Staatsverträge des Bundes darunter fallen.
Das Bundesgericht hat in einem älteren Entscheid ausgeführt, das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz sehe für den Konkurs im internationalen Verhältnis nicht das Universalitätsprinzip vor; der im Ausland eröffnete Konkurs habe mithin nicht das Dahinfallen der in der Schweiz gegen den Gemeinschuldner angeordneten Vollstreckungsmassnahmen zur Folge, es sei denn, staatsvertraglich sei etwas anderes vorgesehen. Als Beispiele hiefür nennt das Bundesgericht unter anderem die von verschiedenen Kantonen mit den Königreichen Württemberg, Bayern und Sachsen geschlossenen Übereinkünfte (vgl.
BGE 54 III 28
). Von der Auffassung, unter die durch das schweizerische Zwangsvollstreckungsrecht vorbehaltenen Staatsverträge fielen auch die kantonalen Übereinkünfte, abzuweichen, besteht kein Anlass. Es ist zu bedenken, dass die Befugnis zur Gesetzgebung auf dem Gebiete des Betreibungs- und Konkurswesens erst durch die Bundesverfassung von 1874 (Art. 64 Abs. 1) auf den Bund übertragen wurde. Bei der Schaffung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889 bestanden in diesem Bereich neben nur vereinzelten staatsvertraglichen Bestimmungen zwischen dem Bund und ausländischen Staaten (Italien, Frankreich) daher vor allem zahlreiche Übereinkünfte, die von Kantonen - beispielsweise mit dem Grossherzogtum Baden und den Königreichen Württemberg, Bayern und Sachsen - geschlossen worden waren (vgl. die Zusammenstellung bei MEILI, Lehrbuch des internationalen Konkursrechts, S. 246 ff.). Hätte man diese vom hier in Frage stehenden Vorbehalt des
Art. 271 Abs. 3 SchKG
ausnehmen wollen, wäre im Gesetz eine entsprechende
BGE 104 III 68 S. 72
Einschränkung anzubringen gewesen. Dass der erwähnte Vorbehalt die alten kantonalen Staatsverträge miterfasse, nehmen übrigens - freilich ohne nähere Begründung - auch JAEGER (N. 18 zu
Art. 271 SchKG
) und BLUMENSTEIN (Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, S. 25 und 834 N. 25) an.
Nach dem Gesagten sind die hier in Betracht fallenden Bestimmungen der Übereinkunft zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Krone Württemberg vom 12. Dezember 1825/13. Mai 1826 mit dem geltenden Bundesrecht vereinbar. Die durch den angefochtenen Entscheid geschützte Aufhebung der gegen die M. Jope & Co. in Konkurs gerichteten Arreste und Betreibungen ist deshalb nicht zu beanstanden. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
36d555e6-3cf0-4ce2-bb49-071d0a4d8465 | Urteilskopf
120 V 319
44. Urteil vom 4. Juli 1994 i.S. Berufliche Vorsorgestiftung der SBG, Sammelstiftung BVG der SBG gegen R. und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Art. 50 Abs. 3 BVG
.
- Gesetz im Sinne dieser Bestimmung meint ausschliesslich das im Zusammenhang mit der beruflichen Vorsorge erlassene Recht (Erw. 7a). Frage offengelassen, ob
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
auch dann angerufen werden kann, wenn sich die Rechtswidrigkeit einer Reglementsbestimmung ohne Rückgriff auf das BVG feststellen lässt (Erw. 7b).
-
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
bezweckt die Ausserkraftsetzung zwingenden Rechts zugunsten gesetzeswidriger Reglementsbestimmungen. Dies ruft nach einer restriktiven Handhabung (Erw. 8d). Im Falle von Dauerleistungen heisst dies, dass die Leistungspflicht mit dem Wegfall des guten Glaubens ex nunc et pro futuro auflebt (Erw. 9a), dies ohne Rücksicht darauf, dass sich ihre Voraussetzungen zu einer Zeit verwirklichten, als die gesetzliche Ordnung suspendiert war (Erw. 9b). Damit ist dem Einwand der fehlenden Finanzierung Rechnung getragen (Erw. 9c).
- Begriff des guten Glaubens (Erw. 10a). Stellt das Eidg. Versicherungsgericht die Gesetzeswidrigkeit einer Verordnungs- oder Reglementsbestimmung fest, entfällt der - zu vermutende (Erw. 5c) - gute Glaube einer am Verfahren nicht beteiligten Vorsorgeeinrichtung im Regelfall erst mit der Veröffentlichung des Urteils. In casu genügen hiefür die Mitteilungen des BSV über die berufliche Vorsorge, die den wesentlichen Urteilsgehalt vor der Publikation in der amtlichen Sammlung verbreiteten (Erw. 10b). | Sachverhalt
ab Seite 321
BGE 120 V 319 S. 321
A.-
Die 1939 geborene R. war von 1972 bis Ende Juni 1989 für die Maschinenfabrik S. AG tätig und infolgedessen seit Januar 1985 bei der Beruflichen Vorsorgestiftung der SBG (Sammelstiftung BVG der SBG) vorsorgeversichert gewesen. Seit 1. Mai 1989 bezieht sie eine ganze Rente der Invalidenversicherung. Ferner richtet ihr die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) seit 1. August 1989 eine Invalidenrente auf der Grundlage einer berufskrankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit von 32% aus.
Mit Schreiben vom 25. Juli 1991 wandte sich R. an die Berufliche Vorsorgestiftung der SBG, um von dieser ebenfalls die Ausrichtung einer Invalidenrente zu verlangen. Die Vorsorgestiftung anerkannte diesen Anspruch in grundsätzlicher Hinsicht, glaubte jedoch, aufgrund der bereits von der SUVA ausgerichteten Rente (32%) nur anteilsmässig im Umfang von 68% leisten zu müssen.
B.-
Am 17. Oktober 1991 liess R. beim Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft Klage einreichen mit dem Rechtsbegehren, es sei die Berufliche Vorsorgestiftung der SBG zu verpflichten, ihr ab 28. September 1989 eine Invalidenrente auf der Grundlage 75%iger Erwerbsunfähigkeit auszurichten, und zwar gekürzt um den Betrag, um den sie zusammen mit den anrechenbaren Leistungen der Invalidenversicherung und der SUVA 90% des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteige. Zur Begründung wurde auf das in
BGE 116 V 189
veröffentlichte Urteil C. des Eidg. Versicherungsgerichts vom 31. August 1990 verwiesen, woraus sich ergebe, dass die Vorsorgeeinrichtungen nicht berechtigt seien, die Gewährung von Hinterlassenen- oder Invalidenleistungen nach Massgabe der Leistungspflicht des Unfallversicherers auszuschliessen.
Mit Entscheid vom 4. März 1992 stellte das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft in grundsätzlicher Hinsicht fest, dass der geltend gemachte Anspruch bestehe.
C.-
Die Berufliche Vorsorgestiftung der SBG führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides festzustellen, dass R. ihr gegenüber keine BVG-Invalidenrente beanspruchen könne.
Während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) unter Hinweis auf die vorinstanzliche Begründung auf eine ausführliche Stellungnahme verzichtet,
BGE 120 V 319 S. 322
lässt R. auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Auf die Begründung des angefochtenen Gerichtsentscheides und der Anträge wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Zuständigkeit)
2.
Das kantonale Gericht hat den erhobenen Anspruch im angefochtenen Entscheid lediglich in grundsätzlicher Hinsicht beurteilt und im übrigen erwogen, sich vor dessen Rechtskraft mit der ebenfalls strittigen Höhe der Invalidenrente nicht zu befassen. Nichtsdestoweniger liegt mit Bezug auf die beurteilte Grundsatzfrage ein Entscheid mit instanzabschliessender Wirkung vor. Es handelt sich folglich um einen Teilentscheid, der der Anfechtung - anders als die Zwischenverfügung (
Art. 101 lit. a und 129 Abs. 2 OG
und
Art. 45 Abs. 1 VwVG
) - im gleichen Verfahren wie ein Endentscheid (
Art. 97, 98 lit. g, 98a und 128 OG
;
Art. 5 Abs. 1 VwVG
) unterliegt (
BGE 106 V 241
Erw. 1; vgl. ferner
BGE 118 V 315
oben und
BGE 107 Ib 343
Erw. 1; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 140 f.; MOOR, Droit administratif, Bd. II, Kap. 5.4.2.3, S. 377).
Nach dem Gesagten ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.
3.
Die Beschwerdeführerin stützt die Einschränkung ihrer Leistungspflicht auf Art. 52 ihrer Allgemeinen Bestimmungen für die Personalvorsorge nach BVG (im folgenden AVB) in der seit 23. November 1983 geltenden Fassung. Danach schliesst die Sammelstiftung die Gewährung von Hinterlassenen- oder Invalidenrenten aus, wenn für den gleichen Vorsorgefall die Unfallversicherung oder die Militärversicherung leistungspflichtig ist (Abs. 1). Erbringt die Unfallversicherung oder die Militärversicherung nicht die volle Hinterlassenen- oder Invalidenleistung, weil der Tod oder die Invalidität nicht ausschliesslich auf eine von diesen Versicherungen zu berücksichtigende Ursache zurückzuführen ist, so leistet die Sammelstiftung anteilsmässig (Abs. 2).
a) Streitig ist, ob und inwieweit diese Bestimmungen nach dem höchstrichterlichen Urteil C. vom 31. August 1990 noch wirksam sein können. Denn mit diesem Urteil erklärte das Eidg. Versicherungsgericht den als
BGE 120 V 319 S. 323
Grundlage von Art. 52 Abs. 1 AVB dienenden
Art. 25 Abs. 1 BVV 2
in der Fassung vom 18. April 1984 (AS 1984 I 543ff.) als gesetzeswidrig, soweit darin den Vorsorgeeinrichtungen bei Leistungspflicht der Unfall- oder Militärversicherung im gleichen Versicherungsfall im BVG-Obligatoriumsbereich die Möglichkeit zum Ausschluss von Hinterlassenen- oder Invalidenleistungen eingeräumt wurde (
BGE 116 V 189
; vgl. ferner
BGE 117 V 344
Erw. 4a/aa).
b) Die Vorinstanz hat erkannt, das erwähnte Urteil äussere sich zur Gesetzmässigkeit von
Art. 25 Abs. 2 BVV 2
zwar nicht ausdrücklich, doch bestehe aufgrund der Erwägungen kein Zweifel, dass auch der anteilsmässige Leistungsausschluss bei bloss teilweiser Unfallkausalität im Sinne jener Bestimmung vor dem Gesetz nicht standhalte. - Dieser - von der Beschwerdeführerin nicht bestrittenen - Auffassung ist ohne weiteres beizupflichten (vgl. die geänderte Fassung von
Art. 25 BVV 2
vom 28. Oktober 1992, in Kraft seit 1. Januar 1993 [AS 1992 II 2234 f.]).
Zu prüfen gilt es somit, ob - und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt - die Beschwerdegegnerin vorsorgerechtliche Invalidenleistungen beanspruchen kann, und zwar im Rahmen von
Art. 24 Abs. 1 BVV 2
, wonach "die Vorsorgeeinrichtung die Hinterlassenen- und Invalidenleistungen kürzen kann, soweit sie zusammen mit anderen anrechenbaren Einkünften 90% des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen".
4.
a) Das kantonale Gericht hat die grundsätzliche Leistungspflicht der nunmehrigen Beschwerdeführerin mit der Begründung bejaht, dass eine durch Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts verbindlich gewordene Rechtsauffassung auf die im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch nicht rechtskräftig erledigten sowie auf alle künftigen Fälle anwendbar sei. In diesem Sinne hat es dem Umstand keine Bedeutung beigemessen, dass der vorliegend in Frage stehende Versicherungsfall vor dem erwähnten Urteil C. vom 31. August 1990 eingetreten war. Der Leistungsanspruch sei zwar womöglich schon vor der Urteilspublikation entstanden, mit Sicherheit aber erst später, nämlich am 25. Juli 1991 geltend gemacht worden. Zu Recht werde sodann nicht behauptet, dass der Anspruch bereits verjährt sei.
Ebensowenig hat das kantonale Gericht die Berufung der Vorsorgeeinrichtung auf
Art. 50 Abs. 3 BVG
gelten lassen, da sich das darin angelegte Rückwirkungsverbot nicht auf Verordnungsrecht, sondern nur auf das eigentliche Gesetz beziehe. Selbst wenn die betreffende Bestimmung auch
BGE 120 V 319 S. 324
gegenüber Verordnungen zum Tragen käme, vermöchte sie jedenfalls die Beurteilung der hängigen Versicherungsfälle nach der neuen Rechtspraxis nicht abzuwenden.
b) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Vorinstanz im wesentlichen vorgeworfen, mit ihrer Anwendung des Urteils
BGE 116 V 189
auf einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt gegen
Art. 50 Abs. 3 BVG
verstossen zu haben. Denn im Falle der Beschwerdegegnerin hätte ein Anspruch auf berufsvorsorgerechtliche Invalidenleistungen ("Stammrecht") entstehen können, als sie invalid im Sinne des IVG geworden war (1. Mai 1989); doch damals sei die Gesetzmässigkeit des in Anlehnung an
Art. 25 BVV 2
ergangenen Art. 52 AVB noch in keiner Weise in Frage gestellt gewesen, womit ihr kein Stammrecht auf Invalidenleistungen und erst recht kein von dessen Existenz abhängiges Recht auf einzelne Rentenleistungen erwachsen konnte.
5.
Gemäss
Art. 50 Abs. 3 BVG
gehen die Vorschriften dieses Gesetzes den von der Vorsorgeeinrichtung erlassenen Bestimmungen vor (Satz 1). Konnte die Vorsorgeeinrichtung jedoch guten Glaubens davon ausgehen, dass eine ihrer reglementarischen Bestimmungen im Einklang mit dem Gesetz stehe, so ist das Gesetz nicht rückwirkend anwendbar (Satz 2).
a) Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zugrunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt (
BGE 119 V 126
Erw. 4,
BGE 118 Ib 191
Erw. 5a, 452 Erw. 3c, 555 Erw. 4d,
BGE 118 II 342
Erw. 3e, je mit Hinweisen; RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Nr. 21 B IV, S. 66; KNAPP, Cours de droit administratif, Basel 1994, S. 36 N. 422).
b) Der erste Satz von
Art. 50 Abs. 3 BVG
hält den Vorrang des Gesetzes gegenüber widersprechenden Reglements- oder Statutenbestimmungen fest und unterstreicht damit dessen zwingenden Charakter. Dieser Gehalt ist klar (Erw. 6a hernach; vgl. ferner
BGE 117 V 51
,
BGE 116 V 108
Mitte;
BGE 115 V 210
Erw. 2a a. E.) und im folgenden nur von mittelbarer Bedeutung. - Anders verhält es sich freilich mit
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
: Sein in den einzelnen Sprachfassungen keine nennenswerten Unterschiede aufweisender Wortlaut besagt, dass im Falle gesetzeswidriger Reglementsbestimmungen eine
BGE 120 V 319 S. 325
rückwirkende Gesetzesanwendung dann ausser Betracht fällt, wenn eine Vorsorgeeinrichtung hinsichtlich der Gesetzeskonformität guten Glaubens war ("Si toutefois l'institution de prévoyance pouvait admettre de bonne foi qu'une de ces dispositions réglementaires était conforme à la loi, celle-ci n'est pas applicable rétroactivement". - "Tuttavia, se l'istituto di previdenza poteva presumere in buona fede che una sua disposizione regolamentare fosse conforme alla legge, quest'ultima non è applicabile retroattivamente").
Dass dieser Wortlaut keineswegs klar ist und es folglich nach seiner wahren Tragweite zu suchen gilt (Erw. 5a), tritt im hier streitigen Fall unübersehbar zutage. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche Bedeutung dem "Rückwirkungsverbot" gemäss
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
unter den hier zu beurteilenden Umständen zukommt - wenn also Invaliden(dauer)leistungen im Streite liegen, die gemäss
Art. 26 Abs. 1 BVG
unbestritten ab Mai 1989 entstanden wären (vgl.
BGE 118 V 39
Erw. 2b/aa f.), die Vorsorgeeinrichtung sich ihrer Leistungspflicht jedoch unter Berufung auf eine Reglements- (Art. 52 AVB) bzw. Verordnungsbestimmung (
Art. 25 BVV 2
) zu entziehen sucht, deren Gesetzeswidrigkeit erst mit höchstrichterlichem Urteil vom 31. August 1990 festgestellt wurde.
c) Vorweg kann festgehalten werden, dass der Beschwerdeführerin jedenfalls bis zu der mit Urteil C. des Eidg. Versicherungsgerichts vom 31. August 1990 (
BGE 116 V 189
) erfolgten Feststellung der Gesetzeswidrigkeit von
Art. 25 Abs. 1 BVV 2
Gutgläubigkeit hinsichtlich der Gesetzeskonformität ihres gestützt darauf erlassenen Reglements zuzubilligen ist (vgl. JÄGGI, Berner Kommentar, N. 41 zu
Art. 3 ZGB
). Denn bis zu jenem Zeitpunkt trugen die fraglichen Bestimmungen die Vermutung ihrer Rechtmässigkeit in sich (RHINOW, Rechtsetzung und Methodik, Basel 1979, S. 277 nach N. 104), und es hatte die Beschwerdeführerin keinen Anlass für irgendwelche Zweifel in dieser Hinsicht. Unter diesen Umständen und nachdem auch nichts Gegenteiliges behauptet worden ist, kann es mit der Vermutung gemäss
Art. 3 Abs. 1 ZGB
sein Bewenden haben.
6.
Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich mit der hier angesprochenen Gesetzesbestimmung, die im dritten Teil ("Organisation"), ersten Titel ("Vorsorgeeinrichtung") des BVG enthalten ist (Randtitel: "Reglementarische Bestimmungen") und zu der sich ein vergleichbares Gegenstück im übrigen Sozialversicherungsrecht nicht finden lässt, bis heute nie eingehender
BGE 120 V 319 S. 326
befasst. Auch seitens der Lehre ist
Art. 50 Abs. 3 BVG
, soweit ersichtlich, nur am Rande behandelt worden.
a) Immerhin finden sich gewisse Ausführungen dazu einerseits bei RIEMER, der zunächst in
Art. 50 Abs. 3 Satz 1 BVG
den zwingenden Charakter der berufsvorsorgerechtlichen Bestimmungen bekräftigt sieht. Hinsichtlich des hier interessierenden Folgesatzes der nämlichen Bestimmung (
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
) hält dieser Autor sodann fest, dass der Gesetzgeber darin einen generellen Vorbehalt zugunsten des guten Glaubens der Vorsorgeeinrichtung statuiere, der jedoch nicht schon darum geltend gemacht werden könne, weil die Aufsichtsbehörde nicht eingegriffen habe (RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, Bern 1985, § 2 N. 40, mit Hinweis auf die Materialien). Anderseits führt BRÜHWILER aus, dass die vom Gesetz für den Fall gesetzeswidriger Reglementsbestimmungen an sich vorgesehene Nichtigkeitsfolge "ex tunc" (
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
a. E.) einer Vorsorgeeinrichtung mitunter erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bereiten könne; die Nichtigkeit wirke daher lediglich "ex nunc", ab dem Zeitpunkt der formellen Reglementsänderung, wenn die Vorsorgeeinrichtung gutgläubig auf die Gesetzeskonformität ihrer reglementarischen Bestimmungen vertrauen durfte (BRÜHWILER, Die betriebliche Personalvorsorge in der Schweiz, Bern 1989, § 19 N. 9, ebenfalls mit Hinweisen auf die Materialien in Fn. 30; vgl. ferner SCHWEIZER/MANHART, Die berufliche Vorsorge nach BVG und Ausführungsverordnungen, SZS 1984 S. 202 Fn. 80).
b) Den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass die fragliche Norm in der Fassung des bundesrätlichen Entwurfs für rechtswidrige Reglementsbestimmungen noch kurzerhand die Nichtigkeitsfolge vorgesehen hatte, weil ein solches Vorgehen den Versicherten grösseren Schutz ihrer im Gesetz verankerten Rechte garantiere (Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 19. Dezember 1975, in BBl 1976 I 257, 303). Erst auf Betreiben des Ständerates, namentlich seiner vorberatenden Kommission, fand - unter Hinweis auf die mit einer rückwirkenden Gesetzesanwendung verbundenen weitgehenden materiellen Folgen - der Vorbehalt des guten Glaubens zugunsten der Vorsorgeeinrichtungen Aufnahme in das Gesetz, ohne dass in den Räten selbst eine Diskussion hierüber stattgefunden hätte (Amtl.Bull. N. 1977 1352, S 1980 294, N. 1981 1099 unten f.; vgl. ferner Protokolle der ständerätlichen Kommission vom
BGE 120 V 319 S. 327
10. September 1979, S. 29 f. und vom 5. Februar 1980, S. 73 f.). Dabei erfuhr der ursprüngliche ständerätliche Vorschlag auf Antrag der Kommissionssprecher im Nationalrat freilich insofern eine gewichtige Änderung, als gemäss endgültiger Gesetzesfassung der Gutglaubensschutz nicht schon wegen der Untätigkeit der Aufsichtsbehörde anrufbar sein soll (Amtl.Bull. N. 1981 1099 f., S 1982 21; vgl. ferner das Protokoll der nationalrätlichen Kommission vom 17. Februar 1981, S. 49 ff.).
c) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die in den Gesetzesmaterialien (zur Bedeutung:
BGE 115 V 349
Erw. 1c; Jörg Paul MÜLLER, Demokratische Gerechtigkeit, München 1993, S. 181 f.) dokumentierte Entstehungsgeschichte zum Verständnis von
Art. 50 Abs. 3 BVG
kaum mehr beizutragen vermag als die von den erwähnten Autoren gewonnenen Erkenntnisse. Allgemein darf immerhin angefügt werden, dass das gesetzgeberische Bestreben bei der Schaffung von
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
offenkundig dahin ging, eine Schutzbestimmung zugunsten der an der Durchführung des Obligatoriums beteiligten Vorsorgeeinrichtungen zu erlassen, um diese vor der Übernahme unvorhergesehener und damit nicht finanzierter Risiken zu bewahren. Des weiteren ist zu vermerken, dass eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
auf gewisse Teilbereiche (Organisation, Verantwortlichkeit etc.) nicht beabsichtigt war und sich insbesondere das Ansinnen nicht durchzusetzen vermochte, die Ansprüche der Versicherten generell davon auszunehmen (vgl. die Diskussion in der nationalrätlichen Kommission vom 17. Februar 1981, Protokoll S. 55 f.). Darüber hinaus vermitteln die Materialien für das hier zu beurteilende Rechtsproblem, bei dem es im wesentlichen um die Tragweite des "Rückwirkungsverbotes" im Sinne von
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
geht, keine klare Antwort. Jedenfalls insofern fallen sie daher als Auslegungshilfen ausser Betracht (
BGE 115 V 349
Erw. 1c,
BGE 111 V 282
Erw. 2b mit Hinweisen).
7.
a) Bei der Ermittlung der wahren Tragweite von
Art. 50 Abs. 3 BVG
ist zunächst hervorzuheben, dass dessen Anwendung notwendigerweise auf den BVG-Obligatoriumsbereich beschränkt bleibt. Ferner kann mit dem darin verwendeten Begriff "Gesetz" allein das im Zusammenhang mit der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge erlassene Recht gemeint sein. Beides ergibt sich aus dem Wortlaut, namentlich des ersten Satzes von
Art. 50 Abs. 3 BVG
("Die Vorschriften dieses Gesetzes...; ... de la
BGE 120 V 319 S. 328
présente loi...; ... della presente legge..."), vor allem aber aus dem gegebenen Sachzusammenhang und aus Überlegungen systematisch-logischer Art. Der Klarstellung, dass anderweitige Bestimmungen des Bundesrechts oder gar des kantonalen Rechts nicht erfasst werden, bedarf es - falls überhaupt - allein für den zweiten Satz von
Art. 50 Abs. 3 BVG
, und zwar insbesondere für die Wendung "in Einklang mit dem Gesetz" ("... conforme à la loi...; ... conforme alla legge..."); dort könnte sie mitunter bedeutsam werden, wenn eine öffentlichrechtliche Vorsorgeeinrichtung dem Gedanken verfiele, sich auf die Gesetze des sie tragenden Gemeinwesens zu berufen.
b) Weniger klar ist dagegen, ob sich das BVG mit der Verwendung des Begriffes "Gesetz" in Art. 50 Abs. 3 ausschliesslich auf sich selbst bezieht - wie die Vorinstanz zu glauben scheint (Erw. 4a hievor) - oder ob es die dazu erlassenen Ausführungserlasse ebenfalls miterfasst haben möchte.
Für die vom kantonalen Gericht vertretene Auffassung spricht zunächst der Umstand, dass der Geltungsbereich der fraglichen Norm (Erw. 8 hernach) in Anbetracht der gebotenen Verwirklichung zwingenden Rechts nach Möglichkeit zu begrenzen ist. Unabhängig davon erwiese sich die Anwendung von
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
aus grammatikalischen Gründen dann als zweifelhaft, wenn sich die Rechtswidrigkeit einer Reglementsbestimmung ohne Rückgriff auf das BVG selbst bereits aus dem tieferrangigen Recht ergäbe. Dies wäre dann der Fall, wenn die Satzungen des Vorsorgeträgers in Widerspruch zum (gesetzeskonformen) Verordnungsrecht stünden; erwähnt seien dabei namentlich jene Gesetzesbestimmungen, deren Gehalt sich - an der Grenze zur Blankettnorm - in der Rechtsetzungsdelegation an den Verordnungsgeber erschöpft, der seinerseits gesetzesvertretendes Verordnungsrecht zu erlassen hat. Dessen ("rückwirkende") Anwendung zugunsten des verordnungswidrigen Reglements gestützt auf
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
auszuschliessen, schiene mit Blick auf den Gesetzeswortlaut in der Tat kaum haltbar.
Wie es sich im einzelnen damit verhält, braucht hier freilich nicht entschieden zu werden. Denn im vorliegenden Fall verhält es sich so, dass die betreffende Reglementsbestimmung (Art. 52 AVB) in fast wörtlicher Anlehnung an das Verordnungsrecht (
Art. 25 BVV 2
) geschaffen wurde. Ihre rechtliche Unzulänglichkeit hat sich demnach nicht schon aus der Verordnung selbst ergeben; vielmehr ist sie als eigentliche Gesetzeswidrigkeit erst mit der im Urteil C. des Eidg. Versicherungsgerichts vom 31. August 1990
BGE 120 V 319 S. 329
erfolgten Beanstandung von
Art. 25 BVV 2
zutage getreten. Vorher durfte die Beschwerdegegnerin guten Glaubens davon ausgehen (Erw. 5c), dass die in ihrem Reglement (Art. 52 AVB) enthaltene Umsetzung von
Art. 25 BVV 2
nicht nur mit dieser Verordnung, sondern mit dem BVG (Art. 34 Abs. 2) selbst in Einklang stand. Unter diesen Umständen kann der vorinstanzlichen Auffassung nicht beigepflichtet werden, beruht sie doch auf einer rein formalen Trennung von Gesetzes- und Verordnungsrecht, die in dieser Form jedenfalls im vorliegenden Fall nicht als sachgerecht erscheint.
8.
Zu prüfen bleibt im folgenden, wie das in
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
angelegte "Rückwirkungsverbot" im einzelnen zu verstehen ist.
a) Die in der fraglichen Bestimmung enthaltene Wendung "so ist das Gesetz nicht rückwirkend anwendbar" hat im wenigen verfügbaren Schrifttum auffallenderweise keine nähere Erläuterung erfahren (Erw. 6a hievor). Dies erstaunt, zumal die Einzigartigkeit von
Art. 50 Abs. 3 BVG
nicht zuletzt in diesem Satzteil gründet, dessen Gehalt mitnichten klar ist.
b) Gemeinhin wird von der rückwirkenden Anwendung einer gesetzlichen Ordnung dann gesprochen, wenn sich diese auf Sachverhalte erstrecken soll, die sich abschliessend vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben. Eine solche Rückwirkung ist ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage nur möglich, wenn sie sich aus dem Gesetz als klar gewollt ergibt und wenn sie durch triftige Gründe veranlasst sowie zeitlich beschränkt ist (
BGE 119 V 206
Erw. 5c/dd;
BGE 119 Ia 257
Erw. 3a;
BGE 110 V 254
Erw. 3a mit Hinweisen). Schon hieraus muss gefolgert werden, dass
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
nicht auf jene Fälle abzielt, in denen sich der zu regelnde Sachverhalt vor dem Eintritt der Geltungskraft des BVG zugetragen hatte. Ein derartiger Ausschluss versteht sich nach der dargelegten Rechtsprechung von selbst und bedarf keiner ausdrücklichen Verankerung im Gesetz. Dies gilt - angesichts der systematischen Einordnung - gleichermassen unter Berücksichtigung des in
Art. 98 BVG
vorgesehenen gestaffelten Inkrafttretens des Gesetzes.
Demnach will
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
von vornherein nicht die eigentliche (echte) Rückwirkung des Gesetzes ausschliessen. Ebensowenig bezweckt jedoch diese Bestimmung den Ausschluss der sogenannten "unechten Rückwirkung", also der Anwendbarkeit des neuen Rechts (ex nunc et pro futuro) auf die noch vor seiner Geltung eingetretenen, indes auf Dauer angelegten Sachverhalte (vgl.
BGE 119 V 206
Erw. 5c/dd mit Hinweisen sowie
BGE 120 V 319 S. 330
BGE 120 V 182
). Dergleichen entspricht zwar - wenn auch nicht ausnahmslos (vgl.
Art. 49 Abs. 2 BVG
,
Art. 89bis Abs. 6 ZGB
) - der Absicht des Gesetzes, doch ergibt sich diese nicht aus der hier in Rede stehenden Bestimmung, sondern aus einer eigenen Übergangsordnung (
Art. 91 BVG
), die durch
Art. 50 Abs. 3 BVG
keiner Ergänzung bedarf (vgl. BRÜHWILER, a.a.O., § 15 N. 11 ff.; RIEMER, a.a.O., § 1 N. 47 ff.; SCHWARZENBACH-HANHART, Rechtliche Grundfragen des BVG, SZS 1985 S. 85 ff. sowie S. 67 zu Art. 11 Abs. 2 ÜbBest. BV; vgl. zur Übergangsordnung des BVG auch
BGE 118 V 99
Erw. 2c,
BGE 117 V 333
Erw. 5b).
c) Dennoch ginge es nicht an,
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
jeden übergangsrechtlichen Bezug abzusprechen. Dabei ist vor allem daran zu erinnern, dass im Zeitpunkt des Inkrafttretens rund 18 000 Vorsorgeeinrichtungen existierten, denen - gemäss gesetzgeberischer Absicht - die Durchführung des BVG-Obligatoriums ermöglicht werden sollte (vgl. BRÜHWILER, a.a.O., § 16 N. 1 ff.;
BGE 114 V 251
Erw. 8e). Die im einzelnen erst im Verordnungsrecht umschriebenen Voraussetzungen für die provisorische Registrierung solcher Vorsorgeeinrichtungen (Art. 92/93 BVG) bestanden unter anderem in deren Erklärung über ihren Willen und ihre Fähigkeit, von Anfang an die Alterskonten zu führen und die gesetzlichen Leistungen zu erbringen (
Art. 6 Abs. 3 BVV 1
), wobei ihnen für die förmliche Anpassung der Satzungen (und die definitive Registrierung) Frist bis zum 31. Dezember 1989 eingeräumt wurde (
Art. 8 Abs. 2 und
Art. 9 BVV 1
).
Vor diesem Hintergrund der beabsichtigten Integration bestehender Vorsorgeträger in das neue System sowie ganz allgemein mit Blick auf die mit der veränderten Rechtslage verbundenen Unwägbarkeiten lässt sich wenigstens die Entstehung von
Art. 50 Abs. 3 BVG
erklären. Allein für dessen Auslegung ist damit nichts gewonnen. Namentlich wäre es verfehlt und anhand der Materialien nicht begründbar,
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
nur auf solche Vorsorgeeinrichtungen anzuwenden, die vor Inkrafttreten des vorsorgerechtlichen Obligatoriums gegründet wurden. Endlich sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich im Rahmen der Gesetzesberatung auch der Vorschlag einer Befristung der fraglichen Norm nicht durchzusetzen vermochte (Protokoll der nationalrätlichen Kommissionssitzung vom 17. Februar 1981, S. 52 ff.).
d) Es hat sich somit ergeben, dass die Bedeutung von
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
nicht in der Regelung klassischer übergangsrechtlicher Fragen besteht,
BGE 120 V 319 S. 331
weil damit nicht die Anwendbarkeit des Gesetzes auf Sachverhalte angesprochen wird, die wenigstens ihren Ursprung ausserhalb seines zeitlichen Geltungsbereichs haben. Zweck der fraglichen Bestimmung ist es also nicht, die rückwirkende Gesetzesanwendung auszuschliessen, sondern einzig, das Gesetz schlechthin ausser Kraft zu setzen in Fällen, in denen es - aus temporaler Sicht - an sich anwendbar wäre. Ein übergangsrechtlicher Bezug mag dabei lediglich indirekt, auf der normativen Ebene vorliegen; nämlich insofern, als das mit dem Gesetz kollidierende Satzungsrecht häufig aus der Zeit vor Inkrafttreten des BVG stammen dürfte. - Eine andere Deutung lassen weder der Wortlaut und die damit aufs engste verbundene systematische Gliederung von
Art. 50 Abs. 3 BVG
noch die dazu erhaltenen Materialien zu.
Wird im weiteren in Betracht gezogen, dass die bezweckte Suspension des Gesetzes ihren Grund - rechtlich besehen - im guten Glauben der betroffenen Vorsorgeeinrichtung an die Rechtmässigkeit ihres eigenen Regelwerks findet, erscheint
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
als ein von der Idee des Vertrauensschutzes durchdrungener Tatbestand. Dessen Besonderheit und rechtsstaatliche Problematik besteht darin, dass die damit beabsichtigte Derogierung zwingendes Recht beschlägt, und zwar nicht zugunsten betroffener Bürger oder Versicherter, sondern im Interesse der Vorsorgeträger, die, wenn nicht mit hoheitlicher Gewalt versehen, so doch mit dem Vollzug gesetzlicher Aufgaben befasst sind (vgl.
BGE 115 V 228
Erw. 2, 379 f.).
Die Anwendung einer derartigen Bestimmung ist notwendigerweise restriktiv zu handhaben:
aa) Einerseits führt die Umsetzung von
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
zu einer Ausserkraftsetzung zwingenden Rechts zugunsten der Weitergeltung rechtswidriger Satzungen, die im übrigen Recht kaum ihresgleichen kennt. Zum Vergleich sei hier etwa das Beispiel der konkreten (inzidenten) Normenkontrolle angeführt, wo die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Bestimmung regelmässig deren (sofortige) Nichtanwendung im betreffenden Fall, verbunden mit der Aufhebung des gestützt darauf ergangenen Anwendungsaktes, nach sich zieht (
BGE 117 V 323
Erw. 5a). Gegenteiliges wurde von der Rechtsprechung aus vertrauensrechtlichen Erwägungen nur ausnahmsweise, und zwar ausschliesslich im Interesse verfahrensbeteiligter Bürger zugelassen (vgl. z.B.
BGE 101 Ia 116
; dazu FRIDOLIN SCHIESSER, Die akzessorische Prüfung,
BGE 120 V 319 S. 332
Zürcher Diss. 1983/84, S. 42 f.; WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, Zürcher Habil. 1983, S. 253, 273 f., je mit weiteren Hinweisen). Abgesehen davon hat eine Änderung der Rechtsprechung im allgemeinen zur Folge, dass die neue Praxis von den rechtsanwendenden Behörden ab sofort (ex nunc et pro futuro) und mitunter sogar auf bereits verfügungsweise geregelte Dauerrechtsverhältnisse angewandt wird (MEYER-BLASER, Die Bedeutung von
Art. 4 BV
für das Sozialversicherungsrecht, ZSR 111/1992 II/3 S. 415 Ziff. 10, S. 418 ff., mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., Nrn. 72 und 77 B VII; vgl. z.B.
BGE 119 Ib 415
Erw. 3).
In beiden Beispielen schlägt sich somit die Durchsetzung des objektiven Rechts - in aller Regel ungehindert - auf Sachverhalte nieder, die ihren Ursprung in einer Zeit vor seiner richtigen Erkenntnis hatten. Dem steht
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
entgegen, dies je nachdem - vor allem im Leistungsbereich - zu Lasten von Versicherten, deren Glaube in das Gesetz und seine Geltungskraft nicht übermässig enttäuscht werden darf.
bb) Damit zusammenhängend gilt es zu bedenken, dass der in
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
verankerte Sondertatbestand des Gutglaubensschutzes, wiewohl in einem Erlass öffentlichrechtlicher Natur enthalten (
BGE 119 II 399
Erw. 2b mit Hinweisen), von seiner Konzeption her demjenigen des Zivilrechts entspricht. Denn wie im Zivilrecht wird hier der zu lösende Interessengegensatz durch das Gesetz selbst, unter den von ihm umschriebenen Voraussetzungen, ein für allemal zugunsten einer bestimmten Partei (der Vorsorgeeinrichtung) geregelt; dies möglicherweise zu Lasten einer "Gegenpartei" (z.B. des Versicherten), die ihrerseits nicht etwa bösgläubig zu sein hat. Dagegen ruft der im öffentlichen Recht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitete Vertrauensschutz in jedem Fall erneut nach einer Abwägung der widerstreitenden Interessen in dem Sinne, dass selbst bei gegebenen Voraussetzungen dem Vertrauensschutz nur dann zum Durchbruch verholfen werden kann, wenn ihm keine öffentlichen Interessen entgegenstehen (MEYER-BLASER, a.a.O., S. 414 Ziff. 9; WEBER-DÜRLER, a.a.O., S. 112; zu den Begriffen "Treu und Glauben" sowie "guter Glaube" vgl. EVGE 1957 S. 176 mit Hinweisen; DESCHENAUX, Der Einleitungstitel, in: Schweizerisches Privatrecht [SPR], Bd. II, Basel 1967, S. 210 und 214; Katharina SAMELI, Treu und Glauben im öffentlichen Recht, ZSR 96/1977 II S. 300 f.). Daher lässt das öffentliche Recht die Berufung des Bürgers auf den guten Glauben über den Vertrauensschutz grundsätzlich global zu, wobei die
BGE 120 V 319 S. 333
erforderliche Interessenabwägung erst im Anwendungsfall vorzunehmen ist (WEBER-DÜRLER, a.a.O., S. 18 mit Hinweisen), während das Zivilrecht seinerseits lediglich einen punktuellen (
Art. 3 Abs. 1 ZGB
), aber auch hinsichtlich seiner Folgen gesetzlich normierten Gutglaubensschutz kennt (JÄGGI, a.a.O., N. 11 zu
Art. 3 ZGB
; DESCHENAUX, a.a.O., S. 221; ungenau BRÜHWILER, a.a.O., § 19 N. 9).
Diese Ausführungen sind im vorliegenden Zusammenhang insofern bedeutsam, als die punktuelle Geltung des Gutglaubensschutzes mit einer extensiven Auslegung des auf unterschiedlichste, nicht vorauszusehende Sachlagen anwendbaren
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
zersetzt würde. Des weiteren muss bedacht werden, dass sich das Ergebnis der Interessenabwägung, wie es im Gesetz mit einer einseitigen Bevorzugung der Vorsorgeträger zum Ausdruck gelangt, einer einzelfallweisen Korrektur entzieht, weshalb sich auch unter diesem Gesichtspunkt eine zurückhaltende Anwendung der fraglichen Bestimmung aufdrängt.
9.
Die gebotene restriktive Anwendung von
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
, bei der aufgrund der gesetzgeberischen Beweggründe die Interessen der Vorsorgeeinrichtungen einschliesslich der Versichertengesamtheit nicht ausser acht gelassen werden dürfen (Erw. 6b und c hievor), lässt sich von der Sache her am ehesten auf dem Wege entsprechender Auslegung des Begriffs "rückwirkend" bewerkstelligen.
a) Da
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
die Ausserkraftsetzung der zwingenden gesetzlichen Ordnung im Einzelfall bezweckt (Erw. 8d hievor) und sich ein solches Ziel auch ohne das Wort "rückwirkend" erreichen liesse, fragt es sich, welche Bedeutung diesem zukommt. Die Annahme, dass das betreffende Wort überhaupt entbehrlich wäre, fällt indes ausser Betracht. Denn zum einen wird damit der beteiligten Vorsorgeeinrichtung unmissverständlich klargemacht, dass sie den Mangel ihrer reglementarischen Ordnung aus der Welt zu schaffen hat. Zum andern erweist sich das Wort "rückwirkend" auch im konkreten Anwendungsfall keineswegs als überflüssig. Das Gesetz soll nämlich nicht schlechthin derogiert werden, sondern es hat nur seine "rückwirkende Anwendung" zu unterbleiben.
Mit Bezug auf die Ansprüche der Versicherten folgt daraus, dass die Vorsorgeeinrichtung so lange keine Leistungen zu erbringen hat, als sie gutgläubig auf die Rechtmässigkeit ihrer die Leistungspflicht ausschliessenden Statutenbestimmungen vertrauen durfte. Fällt jedoch der
BGE 120 V 319 S. 334
gute Glaube weg, lebt zugleich die Leistungspflicht auf, freilich eben nicht mit Wirkung ex tunc, sondern ex nunc et pro futuro, und zwar unmittelbar, ohne dass es einer formellen Satzungsänderung bedürfte (insofern unlogisch BRÜHWILER, a.a.O., § 19 N. 9 [Erw. 6a hievor], der die Nichtigkeit erst ab der formellen Reglementsänderung eintreten lassen will). Diese differenzierende Sicht ist dann von praktischer Bedeutung, wenn es - wie im vorliegenden Fall - um die Ausrichtung von Dauerleistungen geht. Denn hier soll die Beschwerdegegnerin wenigstens ab der mit Urteil C. vom 31. August 1990 festgestellten Gesetzeswidrigkeit von Art. 52 AVB bzw.
Art. 25 BVV 2
(zum genauen Zeitpunkt Erw. 10 hernach) in den Genuss einer vorsorgerechtlichen Invalidenrente gelangen.
b) Dagegen liesse sich allerdings einwenden, dass ein Rentenanspruch im vorliegenden Fall gar nie entstehen konnte und daher auch die Annahme seines Auflebens fehlgeht, weil das Gesetz in jenem massgebenden Zeitpunkt (
Art. 26 Abs. 1 BVG
in Verbindung mit
Art. 29 IVG
: 1. Mai 1989) durch das abweichende Reglement der Beschwerdeführerin ausser Kraft gesetzt war. Eine solche Betrachtungsweise, der auch in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde das Wort geredet wird (Erw. 4b hievor), mag im Lichte von
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
als folgerichtig erscheinen; dies, obwohl die Gesetzeswidrigkeit der betreffenden Reglementsbestimmungen nicht erst mit dem besagten Urteil C. konstituiert wurde, sondern seit Beginn bestanden hatte. Sie wird indes dem schwerer zu gewichtenden Umstand in keiner Weise gerecht, dass sich die Invalidität nicht auf den Zeitpunkt ihres Eintritts reduzieren lässt, es sich vielmehr um einen Dauerzustand handelt, woran auch die leistungsseitig bestehende Möglichkeit der Kapitalabfindung (
Art. 37 Abs. 2 BVG
) von vornherein nichts ändert. Damit ist nach den Grundsätzen der sogenannten "unechten Rückwirkung" (Erw. 8b hievor und v.a.
BGE 99 V 200
; zur Problematik des Begriffs vgl. statt vieler: ALFRED KÖLZ, Intertemporales Verwaltungsrecht, ZSR 102/1983 II S. 163 mit Hinweisen) auch hier die Annahme einer Leistungspflicht ex nunc et pro futuro zu rechtfertigen, obschon deren Voraussetzungen zu einer Zeit eintraten, als die gesetzliche Ordnung suspendiert, deren Geltung also aufgeschoben gewesen war. Würde anders entschieden, liefe dies nicht nur der gebotenen Verhältnismässigkeit zuwider. Es ergäbe sich überdies eine sachlich nicht zu begründende Ungleichbehandlung solcher Versicherter, die - wie die Beschwerdegegnerin - bei eingetretener Arbeitsunfähigkeit versichert gewesen waren (
Art. 23 BVG
;
BGE 120 V 319 S. 335
vgl.
BGE 118 V 39
Erw. 2b/aa), zudem sämtliche weiteren gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen (
Art. 26 Abs. 1 BVG
) zum Bezug einer vorsorgerechtlichen Invalidenrente erfüllten, jedoch - anders als hernach betroffene Versicherte - bei Eintritt ihrer Invalidität unter eine ausschliessende Reglementsbestimmung fielen, deren Gesetzeswidrigkeit zufälligerweise noch nicht feststand (zur verfassungsbezogenen Auslegung:
BGE 119 V 130
Erw. 5b,
BGE 118 V 206
; MEYER-BLASER, a.a.O., S. 347 ff., vor allem auch S. 363 Ziff. 32 bezüglich rechtsungleicher Behandlung aufgrund zeitlichen Zufalls).
c) Gegen die hier vertretene Auslegung von
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
vermag endlich auch das Argument der fehlenden Finanzierung (vgl. BRÜHWILER, a.a.O., § 19 N. 9) nicht durchzudringen. Diesem Gesichtspunkt (Erw. 6 hievor; ferner
Art. 69 BVG
und
BGE 119 V 282
Erw. 4b) wird hinlänglich Rechnung getragen, indem die Leistungspflicht eben nicht rückwirkend (ex tunc), sondern erst mit dem Wegfall des guten Glaubens (ex nunc et pro futuro) entsteht, was sich in manchen Fällen ungleich deutlicher zugunsten der Vorsorgeeinrichtung auswirken dürfte als hier. Steht im übrigen die Gesetzeswidrigkeit einer reglementarischen Ordnung fest, wie dies nach dem Urteil C. vom 31. August 1990 der Fall war, wird der betroffene Vorsorgeträger bei Bedarf auch die Finanzierung den neuen Gegebenheiten anpassen können. Ganz allgemein gilt es schliesslich festzuhalten, dass das BVG nicht nur Dauerleistungen kennt (
Art. 19 Abs. 2 BVG
) und sich
Art. 50 Abs. 3 Satz 2 BVG
auch nicht allein auf den Leistungsbereich (Erw. 6c hievor) bezieht, womit seiner Anwendung ein weites Feld verbleibt.
10.
Zu prüfen bleibt schliesslich, wie es sich mit dem guten Glauben der Beschwerdeführerin verhält. Diesen für die Zeit vor dem Urteil C. vom 31. August 1990 anzuzweifeln, besteht - wie bereits festgehalten (Erw. 5c und 7b hievor) - kein Anlass. Der Klärung bedarf indes die für den Beginn der Leistungspflicht zentrale Frage, ab wann genau der Beschwerdeführerin die Berufung auf ihren guten Glauben zu versagen ist.
a) Wer einen Rechtsmangel kennt, gilt diesbezüglich nicht als gutgläubig. Sodann darf sich derjenige nicht auf seinen guten Glauben berufen, dem der Mangel bei Anwendung zumutbarer Aufmerksamkeit erkennbar gewesen wäre (vgl.
Art. 3 Abs. 2 ZGB
). Dabei ist diejenige Aufmerksamkeit geboten, die nach den Umständen verlangt werden kann (JÄGGI, a.a.O., N. 115 zu
Art. 3 ZGB
);
BGE 120 V 319 S. 336
dies lässt sich nur im Einzelfall in Würdigung aller Gegebenheiten beurteilen, wobei von objektiven Kriterien auszugehen ist (vgl.
BGE 119 II 25
und 27 mit Hinweisen; vgl. ferner DESCHENAUX, a.a.O., S. 230; BRÜHWILER, a.a.O., § 19 N. 9). Diese zivilrechtlichen Grundsätze gelten gleichermassen für den Bereich des Sozialversicherungsrechts (
BGE 102 V 246
Erw. b mit Hinweisen; vgl. ferner
BGE 112 V 103
Erw. 1c,
BGE 110 V 180
Erw. 3c; AHI 1994 S. 123 Erw. 2c; vgl. RIEMER, Berührungspunkte zwischen Sozialversicherungs- und Privatrecht, Festschrift 75 Jahre EVG, S. 153).
b) Mit Blick auf den guten Glauben mag der hier zu beurteilende Fall insofern besonders gelagert sein, als die Beschwerdeführerin an dem zum Urteil C. vom 31. August 1990 führenden Verfahren, in dem die Gesetzeswidrigkeit von
Art. 25 BVV 2
und damit mittelbar auch diejenige von Art. 52 AVB erkannt wurde, nicht selbst beteiligt gewesen war. Dass ihr mit diesem Urteil die Möglichkeit genommen wurde, sich fortan auf ihren guten Glauben hinsichtlich der Gesetzeskonformität von Art. 52 AVB zu berufen, steht fraglos fest; daran vermöchte selbst die unterbliebene Intervention der Aufsichtsbehörde nichts zu ändern (Erw. 6a und b).
Zu beachten gilt es freilich, dass das besagte Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts der Öffentlichkeit nicht schon im Zeitpunkt seiner Ausfällung, sondern erst mit der Publikation in den einschlägigen Organen zugänglich wurde. Dies geschah mit den Mitteilungen des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 17 vom 15. Oktober 1990 (Rz. 108), worin der wesentliche Gehalt jenes Grundsatzurteils - rund dreieinhalb Monate vor seiner Veröffentlichung (30. Januar 1991) in der amtlichen Urteilssammlung (
BGE 116 V 189
) - erstmals verbreitet worden sein dürfte (ebenso publ. in SPV 1990 Nr. 12 S. 388 [vgl. ferner die Urteilszusammenfassung in SPV, a.a.O., S. 423] und in ZAK 1990 S. 503 f.). Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, der Beschwerdeführerin die Berufung auf ihren guten Glauben erst ab November 1990 zu versagen. Denn als eine der Aufsicht des BSV unterstehende Vorsorgeeinrichtung müsste sie die entsprechenden Mitteilungen erhalten haben (vgl. Mitteilungen Nr. 1 vom 24. Oktober 1986). Selbst wenn dies programmwidrig nicht geschehen sein sollte, wäre es einer Vorsorgeeinrichtung im Range der Beschwerdeführerin bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt möglich gewesen, sich aus eigenem Antrieb Kenntnis dieser Informationen zu verschaffen. Hingegen bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Kenntnisnahme bereits vor Erhalt der amtlichen Mitteilungen erfolgt sein könnte.
BGE 120 V 319 S. 337
11.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das kantonale Gericht die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin dem Grundsatz nach zu Recht bejaht hat. Zu präzisieren ist, dass diese Pflicht mit dem Wegfall des Gutglaubensschutzes erst ab November 1990 besteht. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
36dc2215-fef2-4721-bab2-b85c619cfa1a | Urteilskopf
103 Ia 531
78. Auszug aus dem Urteil vom 26. Oktober 1977 i.S. United Financial Group Inc. gegen Warmbrunn und Kassationsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Art. 4 BV
; Vollstreckung ausländischer Zivilurteile; ordre public.
Verstoss gegen den schweizerischen ordre public, wenn im ausländischen Verfahren eine beim unzuständigen Gericht eingereichte Rechtsschrift weder von Amtes wegen an das zuständige Gericht weitergeleitet noch an den Absender retourniert wurde, obwohl sie noch innert Frist bei der richtigen Behörde hätte eingereicht werden können? | Sachverhalt
ab Seite 531
BGE 103 Ia 531 S. 531
Der in Deutschland wohnhafte Dr. Horst Warmbrunn wurde vom US District Court of Oregon am 19. Januar 1975 auf Widerklage hin verurteilt, der United Financial Group Inc. Dollars 1'105'883.-- zu bezahlen. Dieses Urteil erwuchs nach Bescheinigung des District Court in Rechtskraft. Am 31. Januar 1975 erwirkte die Gläubigerin in Zürich einen Arrest zulasten Warmbrunns und anschliessend betrieb sie ihn für die genannte Urteilssumme. Der von Warmbrunn erhobene Rechtsvorschlag machte ein Rechtsöffnungsbegehren nötig, das der Einzelrichter am Bezirksgericht Zürich unter Verweigerung der Vollstreckbarerklärung abwies, weil im amerikanischen Verfahren gegen den schweizerischen ordre public verstossen worden sei. Auf Rekurs der Gläubigerin hin erklärte das Obergericht des Kantons Zürich das amerikanische Urteil für vollstreckbar und erteilte die definitive Rechtsöffnung. Gegen diesen Entscheid führte Warmbrunn kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, die das Kassationsgericht des Kantons Zürich am
BGE 103 Ia 531 S. 532
3. März 1977 guthiess, im wesentlichen mit der Begründung, es stehe fest, dass Warmbrunn nach Erhalt des amerikanischen Urteils fristgerecht beim erkennenden Gericht Einspruch erhoben habe. Zwar hätte diese Eingabe richtigerweise an den Circuit Court of Appeal gerichtet werden müssen, doch dürfe Warmbrunn aus diesem Fehler kein Nachteil erwachsen. Es widerspreche dem schweizerischen ordre public, wenn der District Court die Rechtsschrift, die noch innert Frist bei der zuständigen Behörde hätte eingereicht werden können, weder von Amtes wegen an den Court of Appeal weitergeleitet noch an den Absender retourniert habe.
Die United Financial Group Inc. erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Kassationsgerichts sei aufzuheben. Sie macht geltend, die Annahme eines Verstosses gegen den schweizerischen ordre public sei willkürlich.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Vorbehalt des ordre public greift nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dann Platz, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in unerträglicher Weise verletzt würde, weil durch dieses Urteil grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden. Ein Verstoss gegen den ordre public kann dabei nicht nur wegen des materiellen Inhalts eines Urteils vorliegen, sondern auch wegen des Verfahrens, in welchem es zustandegekommen ist. Dafür genügt indes nicht, dass die einheimische Regelung, mit welcher das ausländische Verfahren in Widerspruch steht, zwingendes Recht darstellt (vgl.
BGE 100 II 112
). Es sind auch die Anforderungen an das einheimische Verfahren, die sich aus
Art. 4 BV
ergeben, nicht in allgemeiner Weise als Bestandteil des schweizerischen ordre public zu betrachten (
BGE 101 Ia 530
; vgl. auch
BGE 103 Ia 206
, ferner BAUR, Einige Bemerkungen zum verfahrensrechtlichen ordre public, in: Festschrift Guldener, S. 1 ff.). Ein Verstoss gegen diesen liegt nur dann vor, wenn derart wesentliche Verfahrensgrundsätze in Frage stehen, dass deren Missachtung zum schweizerischen Rechtsempfinden in einem unerträglichen Widerspruch steht. Ganz allgemein gilt schliesslich, dass der Anwendung der
BGE 103 Ia 531 S. 533
ordre public-Klausel mit Bezug auf die Vollstreckung eines ausländischen Urteils engere Grenzen gesetzt sind als im Gebiet der direkten Rechtsanwendung (
BGE 103 Ia 204
mit Hinweisen).
b) Die neuere Bundesgesetzgebung sieht vor, dass Eingaben und Rechtsmittel, die innert Frist bei einer unzuständigen Behörde eingereicht werden, als rechtzeitig anzusehen und von Amtes wegen an die zuständige Behörde weiterzuleiten sind (
Art. 107 Abs. 2 OG
für das Verwaltungsgerichts-, Art. 21 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 8 Abs. 1 VwVG
für das Verwaltungsverfahren). Es liegt diesen Vorschriften der Gedanke zugrunde, dass der Rechtssuchende nicht ohne Not wegen eines Formfehlers um die materielle Beurteilung seines Rechtsbegehrens gebracht werden soll (
BGE 103 Ia 55
). Dasselbe gilt zum Teil auch für ältere Bestimmungen des Bundesrechts (vgl.
BGE 100 III 9
E. 2). Indes ist der Grundsatz, dass eine Eingabe als rechtzeitig entgegenzunehmen ist, wenn sie innert Frist bei einer unzuständigen Behörde eingereicht wurde, nicht im gesamten Bundesrecht verwirklicht. Er erleidet insbesondere dann eine Einschränkung, wenn eine Rechtsschrift, die beim Bundesgericht einzureichen ist, bei einer kantonalen Behörde eingelegt wurde. In diesem Falle gilt die Rechtsvorkehr nur dann als rechtzeitig, wenn sie durch Vermittlung der kantonalen Behörde noch vor Ablauf der Frist beim Bundesgericht einlangt oder noch innerhalb der Frist zur Weiterleitung an das Bundesgericht der Post übergeben wird (
Art. 32 Abs. 2 OG
; vgl.
BGE 103 Ia 53
ff. für die staatsrechtliche Beschwerde;
BGE 91 II 142
f. für die zivilrechtliche Anschlussberufung;
BGE 86 II 286
für die Berufungsantwort;
BGE 78 IV 131
E. 1 für die Begründung der strafrechtlichen Nichtigkeitsbeschwerde).
Aus dem Bundesrecht folgt sodann auch für das kantonale Verfahren keine allgemeine Verpflichtung, eine innert Frist bei einer unzuständigen Behörde eingereichte Eingabe als rechtzeitig zu erachten und von Amtes wegen an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Soweit keine bundesrechtlichen Sondervorschriften bestehen (vgl.
BGE 100 III 9
E. 2 für die Beschwerde nach
Art. 17 Abs. 1 SchKG
), ist hiefür die Regelung des kantonalen Rechts massgebend, und die Rückweisung einer Eingabe, die zwar rechtzeitig an eine unzuständige, aber verspätet an die kompetente Behörde gelangte,
BGE 103 Ia 531 S. 534
verstösst nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nur dann gegen das Bundesverfassungsrecht, wenn die kantonale Gesetzgebung eine Pflicht zur Weiterleitung und Entgegennahme derartiger Eingaben enthält (
BGE 101 Ia 115
;
BGE 96 I 318
f.; nicht veröffentlichtes Urteil vom 22. Dezember 1976 i.S. Faessler).
c) Welche Regelung das amerikanische Recht in dieser Hinsicht kennt, steht im vorliegenden Falle dahin. Die Frage braucht auch nicht näher abgeklärt zu werden, da das Kassationsgericht einen Verstoss gegen den ordre public nicht deswegen annahm, weil der District Court gegen sein eigenes Verfahrensrecht verstossen habe, sondern davon ausging, das befolgte Verfahren stehe an sich mit dem schweizerischen ordre public in Widerspruch. Zwar sei nicht zu beanstanden, dass eine Eingabe als verspätet erachtet werde, wenn sie zwar rechtzeitig bei einer unzuständigen Stelle eingegangen sei aber nicht mehr innert Frist an die zuständige Behörde weitergeleitet werden könne. Es liege jedoch eine Verletzung von Treu und Glauben und damit ein Verstoss gegen den schweizerischen ordre public vor, wenn die Weiterleitung unterbleibe, obwohl die Rechtsmittelfrist noch nicht verstrichen sei. Da im vorliegenden Fall bis zum Ablauf der Frist noch mindestens fünfzehn Tage geblieben seien, hätte der District Court den Einspruch entweder von Amtes wegen dem zuständigen Gericht übermitteln oder aber Warmbrunn telegrafisch darüber verständigen müssen, dass seine Rechtsschrift nicht entgegengenommen werden könne. Warmbrunn wäre es aufgrund eines solchen Hinweises möglich gewesen, das Rechtsmittel noch innert Frist beim zuständigen Gericht einzureichen.
Diese Auffassung des Kassationsgerichts ist nicht haltbar. Ist nicht davon auszugehen, dass das amerikanische Verfahrensrecht selber eine Weiterleitungspflicht vorsieht, so kann klarerweise nicht von einem Verstoss gegen den schweizerischen ordre public gesprochen werden, wenn der District Court den bei ihm erhobenen Einspruch nicht von Amtes wegen dem zuständigen Gericht übermittelte. Eine derartige Pflicht hätte ohne entsprechende Vorschrift auch für ein schweizerisches Gericht nicht bestanden. Zwar ist richtig, dass diese rechtliche Ordnung heute kaum mehr befriedigt und dass eine Änderung der massgebenden Vorschriften als wünschbar erscheint (vgl.
BGE 103 Ia 55
). Solange der
BGE 103 Ia 531 S. 535
heutige Rechtszustand andauert, lässt sich jedoch offensichtlich nicht sagen, das einheimische Rechtsgefühl werde durch die Vollstreckung des amerikanischen Urteils in unerträglicher Weise verletzt, weil die beim District Court eingereichte Eingabe nicht von Amtes wegen an das zuständige Gericht weitergeleitet wurde. Ob der District Court die Rechtsschrift noch innerhalb der Rechtsmittelfrist hätte weiterleiten können, oder ob die Frist für die Einreichung bei der zuständigen Stelle bereits abgelaufen war, kann in Anbetracht der schweizerischen Rechtslage keinen Unterschied machen.
Zu prüfen bleibt, ob ein Verstoss gegen den schweizerischen ordre public vorliegt, weil der District Court die bei ihm eingegangene Rechtsschrift nicht wenigstens an Warmbrunn zurücksandte. Es ist anerkannt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben nicht nur im Privatrecht, sondern auch im öffentlichen und namentlich im Prozessrecht gilt. Er findet Anwendung, soweit es um das Verhalten der Prozessparteien geht (
BGE 101 Ia 44
), gilt aber auch für das Verhalten der Gerichtsbehörden und gewährt dem Bürger Anspruch auf den Schutz berechtigten Vertrauens (
BGE 101 Ia 330
99 mit Hinweisen;
BGE 96 III 99
). In der Rechtsprechung des Bundesgerichts wurde bisher noch nicht entschieden, ob sich der Rechtssuchende mit Erfolg auf diesen Grundsatz berufen könne, wenn ein bei der unzuständigen Behörde eingereichtes Rechtsmittel weder weitergeleitet noch an ihn zurückgesandt wurde, obwohl für die fristgerechte Einreichung bei der zuständigen Behörde noch genügend Zeit vorhanden war. Wie es sich damit verhält, braucht auch hier nicht entschieden zu werden, und es kann dahingestellt bleiben, zu welchen Vorkehren die Behörde allenfalls verpflichtet wäre und innert welcher Frist sie zu handeln hätte. Selbst wenn man mit dem Kassationsgericht annehmen wollte, das Verhalten des District Court habe Treu und Glauben verletzt, so wäre dieser Verfahrensmangel klarerweise nicht derart schwer, dass die Vollstreckung des amerikanischen Urteils mit dem einheimischen Rechtsempfinden in unerträglichem Widerspruch stände. Ein solcher Verstoss gegen Treu und Glauben liesse sich offensichtlich nicht mit den Mängeln vergleichen, bei denen nach Rechtsprechung und Lehre eine Verletzung des schweizerischen ordre public angenommen wird, so bei unterbliebener oder nicht gehöriger Vorladung, bei Verweigerung
BGE 103 Ia 531 S. 536
des rechtlichen Gehörs, bei Vorliegen eines Widerspruchs zu einer inländischen Entscheidung in der gleichen Sache oder bei offensichtlicher Rechtsbeugung. Er müsste vielmehr denjenigen Fällen gleichgestellt werden, in welchen ein Widerspruch zum schweizerischen ordre public verneint wurde, so bei Urteilen, welchen jede Rechtsmittelbelehrung fehlte oder bei denen nur eine unvollständige Rechtsmittelbelehrung gegeben wurde und selbst entsprechende Anfragen der Partei unbeantwortet blieben (
BGE 101 Ia 157
;
BGE 96 I 399
). Dass ein Verstoss gegen den schweizerischen ordre public im hier zu beurteilenden Falle klarerweise nicht vorliegt, ergibt sich schliesslich daraus, dass Warmbrunn über die massgebende amerikanische Verfahrensordnung und über die Einreichung von Berufungen beim Court of Appeal schon vor der Erhebung seines Einspruchs orientiert worden war, wie unwiderlegt festgestellt ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 3. März 1977 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
36e2c00b-073a-4335-a33e-7abf1556ad3b | Urteilskopf
86 III 57
17. Entscheid vom 24. Februar 1960 i.S. Peyer. | Regeste
1. Auch wer im kantonalen Verfahren die Gelegenheit, sich der Beschwerde zu widersetzen, nicht benutzt hat, ist zur Weiterziehung des die Beschwerde gutheissenden Entscheides befugt. Der nun erst gestellte Antrag auf Ablehnung der vom Beschwerdeführer verlangten Massnahme ist kein "neuer" im Sinne von
Art. 79 Abs. 1 OG
.
2. Zur Beschwerde wegen ungesetzlicher Einleitung eines Widerspruchsverfahrens ist auch der Schuldner berechtigt.
Art. 17, 68, 106 ff. SchKG
.
3. Wie ist bei der Lohnpfändung auf die von einem Zessionar geltend gemachte Lohnabtretung Rücksicht zu nehmen? Durch Pfändung der betreffenden Lohnbeträge als bestrittene Forderungen oder durch Einleitung eines Widerspruchsverfahrens? Die Lohnabtretung hat gänzlich unberücksichtigt zu bleiben, wenn der Drittschuldner (der neue Arbeitgeber, laut dessen Fabrikordnung ein allgemeines Verbot der Lohnabtretung gilt) aus der Lohnabtretung keine Einwendung herleitet, sie vielmehr für das gegenwärtige Dienstverhältnis nicht gelten lässt und ihrer ungeachtet den ganzen Lohn dem Schuldner bezw. nun den vom Betreibungsamt als pfändbar bezeichneten Betrag vorbehaltlos diesem Amte zahlen will und es auf sich nimmt, sich mit dem Zessionar auseinanderzusetzen. In diesem Falle berührt der Streit über die Gültigkeit der Lohnabtretung das Betreibungsverfahren nicht. | Sachverhalt
ab Seite 59
BGE 86 III 57 S. 59
A.-
Am 30. April 1958 trat W. Peyer der Kredit-Bank A.-G., Zürich von seinem Lohn monatliche Teilbeträge von Fr. 105.-- bis zur Deckung einer Restschuld von Fr. 2995.-- nebst Verzugszinsen usw. ab. Indessen verliess er am 21. Februar 1959 die Arbeitsstelle und arbeitet seither bei Gebr. Sulzer A.-G., laut deren von ihm anerkannten Fabrikordnung jegliche Lohnabtretung untersagt ist. Im Juni 1959 verfügte das Betreibungsamt Winterthur I in mehreren Betreibungen gegen W. Peyer eine Lohnpfändung. Dabei nahm es zuerst auf die verschiedenen Lohnabtretungen, auch diejenige an die Kredit-Bank A.-G., Rücksicht, indem es die abgetretenen Monatsraten dem Notbedarf beifügte und nur den Restbetrag pfändete. Da aber die Firma Gebr. Sulzer A.-G. die Gültigkeit der Abtretungen mit Berufung auf ihre Fabrikordnung verneinte, pfändete das Betreibungsamt nunmehr den ganzen den Notbedarf des Schuldners und seiner Familie übersteigenden Lohnbetrag.
B.-
Darüber beschwerte sich die Kredit-Bank A.-G. mit dem Erfolge, dass die untere Aufsichtsbehörde das Betreibungsamt anwies, a) in den Betreibungen gegen W. Peyer "von dem über dem Existenzminimum liegenden Lohnbetrag nur diejenige Summe fest zu pfänden, die den von der Lohnschuldnerin nicht anerkannten Zessionsbetrag übersteigt, den Betrag der Zessionen dagegen als bestrittenes Guthaben zu pfänden", und b) die Firma Gebr. Sulzer A.-G. auf den
Art. 168 OR
aufmerksam zu machen. Auf Rekurs der Beschwerdeführerin ordnete die obere kantonale Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 29. Januar 1960 die Einleitung eines Widerspruchsverfahrens nach
Art. 109 SchKG
statt der Pfändung bestrittener Lohnguthaben an.
C.-
Diesen Entscheid hat der Schuldner W. Peyer an das Bundesgericht weitergezogen mit dem Antrag, das Betreibungsamt sei anzuweisen, "den abgezogenen bezw.
BGE 86 III 57 S. 60
den allenfalls später noch abzuziehenden Lohnpfändungsbetrag den nach der zeitlichen Reihenfolge berechtigten Pfändungsgläubigern zuzuweisen und das Existenzminimum um den Betrag der Lohnzessionen erst wieder zu erhöhen, wenn ich bei einem Arbeitgeber tätig bin, der kein Lohnzessionsverbot ausgesprochen hat".
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Im vorinstanzlichen Verfahren hat der betriebene Schuldner die ihm gebotene Gelegenheit zur Vernehmlassung nicht benutzt und sich jeglicher Antragstellung enthalten. Dennoch ist der vorliegende Rekurs nicht aus dem Grunde zurückzuweisen, dass der nun erst gestellte Antrag als "neu" im Sinne von
Art. 79 Abs. 1 OG
und daher als unzulässig zu betrachten wäre. Soweit sich der Rekursantrag gegen die Einleitung eines Widerspruchsverfahrens richtet (und das ist sein wesentlicher Inhalt), verlangt der Schuldner einfach Abweisung des von der Kredit-Bank A.-G. bei der Vorinstanz gestellten und von dieser gutgeheissenen Rekursantrages 2. Sofern dadurch eine ungesetzliche Massnahme getroffen worden sein sollte, steht ihrer Anfechtung der Umstand nicht entgegen, dass der Schuldner zu jenem Antrage nicht schon in kantonaler Instanz Stellung genommen hat. Die am Betreibungsverfahren beteiligten Personen haben Anspruch darauf, dass die Aufsichtsbehörden nichts Ungesetzliches anordnen. Die Vorinstanz hat denn auch das Widerspruchsverfahren nicht kurzerhand "als unbestritten" angeordnet, sondern weil sie es für richtig hielt.
2.
Eine andere Frage ist, ob durch diese Anordnung gerade der betriebene Schuldner beschwert sei, so dass er sich auf ein seine Rekurslegitimation begründendes Interesse zu berufen vermöge. In
BGE 54 III 249
Erw. 2 wurde einem Schuldner keine Befugnis zuerkannt, sich über die Fristansetzung an den Drittansprecher zur Klage nach
Art. 107 Abs. 1 SchKG
zu beschweren. Dort ging
BGE 86 III 57 S. 61
es aber nur um die Frage, ob die Einleitung des Widerspruchsverfahrens verfrüht sei, hier aber handelt es sich darum, ob ein solches Verfahren überhaupt stattzufinden habe. Sollte dies nicht zutreffen, so braucht sich der Schuldner die Belastung durch die mit den betreibungsamtlichen Fristansetzungen nach
Art. 106 ff. SchKG
verbundenen Kosten (
Art. 68 Abs. 1 Satz 1 SchKG
) nicht gefallen zu lassen; schon aus diesem Grund ist ihm das Recht zur Weiterziehung zu gewähren. Aber auch abgesehen hievon hat der Schuldner ein schutzwürdiges Interesse an der Vermeidung unzulässiger Weiterungen, die den Gang der Betreibung erschweren und verzögern würden.
3.
Das Widerspruchsverfahren ist nach dem Wortlaut des Gesetzes (
Art. 106-109 SchKG
) nur zur Abklärung von Rechten an Sachen vorgesehen. Seit dem Urteil vom 19. November 1904 (
BGE 29 I 558
= Sep. Ausg. 6 S. 282) wurde es freilich auch zur Austragung des Streites über das Gläubigerrecht an einer als solche des Schuldners gepfändeten Forderung als anwendbar befunden. Die neuere Rechtsprechung ist dann aber, der rechtlichen Natur der nicht in einem Wertpapier verkörperten Forderung Rechnung tragend, zu einer andern Art der Abklärung des Gläubigerrechtes übergegangen: Die Forderung ist mit Rücksicht auf die Drittansprache eines Zessionars oder sonstigen Erwerbers als bestrittene zu pfänden. Sie kann hierauf - sowohl gegenüber dem Drittschuldner, der allenfalls noch andere Einreden erhebt, wie auch gegenüber dem als Zessionar oder als Erwerber aus anderem Rechtsgrund auftretenden Vierten - entweder vor jeder Verwertungsmassnahme durch das Betreibungsamt selbst auf Grund von
Art. 100 SchKG
oder aber, kraft Überweisung nach
Art. 131 Abs. 2 SchKG
, durch einen betreibenden Gläubiger oder endlich durch einen Ersteigerer geltend gemacht werden (
BGE 65 III 129
,
BGE 66 III 42
; für das Konkursverfahren
BGE 70 III 34
; LEUCH, Die Bedeutung des betreibungsrechtlichen Widerspruchsverfahrens
BGE 86 III 57 S. 62
um Forderungen, ZBJV 76 S. 1 ff.; Bemerkungen dazu bei FRITZSCHE I 205).
Im vorliegenden Fall ist ein solches Vorgehen nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanz nicht am Platze, weil sich angesichts der Haltung des Drittschuldners der ganze den Notbedarf übersteigende Lohn mit voller Wirkung pfänden und zu Handen der betreibenden Gläubiger einziehen lässt, ohne dass die von den Zessionaren beanspruchten Teilbeträge als "bestrittene" geltend gemacht werden müssten. Der Drittschuldner (der heutige Arbeitgeber des Rekurrenten) erhebt nicht nur selber keine Einwendungen aus der Zession, sondern er verneint deren Rechtswirksamkeit, sei es, dass er ganz allgemein einer Lohnzession keine Wirkung über das bei ihrer Vornahme bestehende Dienstverhältnis hinaus zuerkennt (vgl. D. BÜHRLE, Die Lohnzession nach schweizerischem Recht, S. 106 ff.), sei es, dass er lediglich auf das in seinem Betriebe geltende, auch vom Rekurrenten anerkannte Lohnzessionsverbot pocht. Er ist auch nicht etwa bereit, die Auseinandersetzung über die von Zessionaren beanspruchten Teilbeträge Andern zu überlassen und sich durch Hinterlegung dieser Beträge gemäss
Art. 168 OR
(zu Gunsten des in einem ohne seine Mitwirkung durchzuführenden Prätendentenstreit Obsiegenden) von der Schuldpflicht zu befreien. Vielmehr gedenkt er nach vorinstanzlicher Feststellung ungeachtet der ihm angezeigten Zessionen nach wie vor dem Schuldner, also bei Pfändung des ganzen dessen Notbedarf übersteigenden Lohnes diesen vollen Lohnüberschuss dem Betreibungsamte zu Handen der betreibenden Gläubiger zu zahlen. Er nimmt die Gefahr einer doppelten Zahlung auf sich; das Betreibungsamt aber wird den vollen Lohnüberschuss, ohne dass gegen den Drittschuldner oder gegen vierte Ansprecher vorgegangen werden müsste, als endgültiges Betreibungsergebnis zu Handen der betreibenden Gläubiger empfangen.
Unter diesen Umständen erübrigt sich jedoch auch das
BGE 86 III 57 S. 63
von der Vorinstanz angeordnete Widerspruchsverfahren. Die Einziehung und Verteilung der vom Drittschuldner freiwillig auf Grund der Lohnpfändung dem Betreibungsamte zugeleiteten Beträge tut den allfälligen Rechten der Zessionare inbezug auf die Lohnansprüche des Schuldners aus dem gegenwärtigen Dienstverhältnis keinen Abbruch. Sofern die Zessionen diese Lohnansprüche mitergreifen sollten, trotz dem seit ihrer Vornahme eingetretenen Stellenwechsel und trotz dem beim neuen Arbeitgeber geltenden Lohnzessionsverbot, sind und bleiben die Zessionare, durch jene Zahlungen an das Betreibungsamt unberührt, gegenüber diesem Arbeitgeber forderungsberechtigt. Ein Zugriff auf die von diesem an das Betreibungsamt geleisteten Geldbeträge steht ihnen aber, entsprechend der Rechtsnatur der Forderung, nicht zu. Sie können also den durch die Haltung des Drittschuldners ermöglichten Gang der Betreibung nicht aufhalten. Dementsprechend ist es anderseits für das vorliegende Betreibungsverfahren ohne Belang, ob, wann und mit welchem Erfolg die Zessionare den Drittschuldner auf Zahlung der ihnen angeblich zustehenden Lohnbeträge belangen werden. Die Anordnung der Vorinstanz läuft darauf hinaus, in dieses Betreibungsverfahren einen ihm fremden Rechtsstreit einzuschalten.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und das Betreibungsamt Winterthur I angewiesen wird, die Lohnpfändung ohne Rücksicht auf die von der Kredit-Bank A.-G. geltend gemachte Lohnzession durchzuführen. | null | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
36e647ff-5e61-46b5-9101-26afcdf0f9dd | Urteilskopf
106 II 255
51. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Oktober 1980 i.S. Versicherungsgesellschaft X. gegen A. und B. (Berufung) | Regeste
Art. 55 Abs. 1 lit. d, 156 Abs. 6 und 159 Abs. 5 OG. Missbrauch der Versehensrüge durch die obsiegende Partei; Kosten- und Entschädigungsfolgen. | Erwägungen
ab Seite 255
BGE 106 II 255 S. 255
Erwägung:
2.
Ausführungen darüber, dass die Berufungsschrift der Beklagten zahlreiche Rügen enthält, die sich in unzulässiger Kritik an der Beweiswürdigung des Obergerichts erschöpfen, dass die Berufung an sich aber begründet und die Klage daher abzuweisen ist.
3.
(Idem)
4.
Beim Entscheid über die Gerichtskosten und bei der Bemessung der Parteientschädigung ist zu berücksichtigen, dass die Begründung der Berufung sich fast zur Hälfte gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung richtet, welche der Vertreter der Beklagten unter Missbrauch der Versehensrüge (
Art. 55 Abs. 1 lit. d OG
) anzufechten suchte (
Art. 156 Abs. 6 und
Art. 159 Abs. 5 OG
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Berufung wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 20. September 1979 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
BGE 106 II 255 S. 256
2. Die bundesgerichtlichen Kosten werden zu 2/3 den Klägern und zu 1/3 der Beklagten auferlegt.
3. Die Kläger haben der Beklagten für das Berufungsverfahren eine reduzierte Parteientschädigung von Fr. ... zu bezahlen. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
36ed47a3-1687-4f46-8216-edbc4946e97b | Urteilskopf
126 II 377
41. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. September 2000 i.S. F.A. und A.A. gegen Regierungsrat sowie Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 8 Abs. 2, Art. 9, 11 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 29a, 30 sowie 41 Abs. 1 lit. f und g BV;
Art. 8 und 13 EMRK
; Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 sowie
Art. 86 Abs. 1 OG
; Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung.
Wieweit lassen sich aus den Grundrechten der Bundesverfassung vom 18. April 1999 Ansprüche auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ableiten, welche den Weg ans Bundesgericht mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde öffnen?
- aus dem Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss
Art. 8 EMRK
bzw.
Art. 13 Abs. 1 BV
: keine Änderung der Rechtsprechung (E. 2b, 2c und 7);
- aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (
Art. 9 BV
) unter bestimmten Voraussetzungen (E. 3); - nicht aus dem Willkürverbot gemäss
Art. 9 BV
(E. 4);
- aus dem Grundrecht auf Schutz von Kindern und Jugendlichen gemäss
Art. 11 Abs. 1 BV
? Tragweite dieser Bestimmung (E. 5).
Begriff der direkten und indirekten Diskriminierung gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
: Die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung eines invalid gewordenen Ausländers stellt keine Diskriminierung dar (E. 6).
Erschöpfung des Instanzenzuges im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde bei "anspruchsabhängigen" kantonalen Rechtsmitteln (E. 8b und 8e).
Art. 13 EMRK
sowie
Art. 30 BV
verlangen keinen generellen gerichtlichen Rechtsschutz (E. 8d/bb). | Sachverhalt
ab Seite 378
BGE 126 II 377 S. 378
Der aus der Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo) stammende F.A., geboren 1959, arbeitete in den Jahren 1991 bis 1994 als
BGE 126 II 377 S. 379
Saisonnier im Gartenbau in der Schweiz. Im November 1994 wurde seine Saisonbewilligung in eine Jahresaufenthaltsbewilligung zur Erwerbstätigkeit umgewandelt, die in den folgenden Jahren jeweils verlängert wurde.
Am 24. September 1995 reiste die Ehefrau A.A., geboren 1966, zusammen mit den Kindern X.A., geboren 1990, und Y.A., geboren 1991, in die Schweiz ein. Ihnen sowie der 1996 in der Schweiz geborenen Tochter Z.A. wurden im Rahmen des Familiennachzugs Aufenthaltsbewilligungen zum Verbleib beim Ehemann bzw. bei den Eltern im Kanton Zürich erteilt.
Ab dem 30. September 1995 war F.A. aufgrund einer anfangs April 1995 erlittenen Gehirnblutung, seit der er sich in regelmässiger ärztlicher Behandlung befindet, nicht mehr in der Lage, seiner bisherigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. In der Folge legte die zuständige IV-Stelle den Invaliditätsgrad von F.A. auf 60% fest und gewährte ihm eine halbe I-nvalidenrente, eine Zusatzrente für die Ehefrau sowie einfache Kinderrenten; seitens der beruflichen Vorsorge wurde ihm ebenfalls eine halbe Invalidenrente zugesprochen. Als im Rahmen seiner (Rest-)Arbeitsfähigkeit Vermittlungsfähiger erhielt er ausserdem vorübergehend Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Zeitweise musste er auch von der öffentlichen Fürsorge seiner Wohnortsgemeinde finanziell unterstützt werden.
Nachdem F.A. die Aufenthaltsbewilligung letztmals zum Zweck der Stellensuche bis zum 30. September 1997 verlängert worden war, wies die Fremdenpolizei des Kantons Zürich mit Verfügung vom 1. April 1998 die Gesuche um erneute Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen von F.A., seiner Frau und den Kindern ab. Zur Begründung führte die Fremdenpolizei an, F.A., dem der Aufenthalt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit bewilligt worden sei, gehe seit dem 30. September 1995 aus gesundheitlichen Gründen keiner Beschäftigung mehr nach und erhalte Invalidenrenten, weshalb sein Aufenthaltszweck als erfüllt anzusehen sei. Im Übrigen habe er von der öffentlichen Fürsorge unterstützt werden müssen. In den Entscheid würden auch die Familienangehörigen einbezogen, die ihre Aufenthaltsbewilligung im Rahmen des Familiennachzugs erhalten hätten.
Auf Rekurs von F.A. und A.A. hin bestätigte der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Entscheid vom 25. August 1999 die Abweisung des Gesuchs um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen. Er kam dabei zum Schluss, dass vorliegend weder aus dem in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten Anspruch auf Achtung des Privat-
BGE 126 II 377 S. 380
und Familienlebens noch aus der UNO-Kinderrechtekonvention ein Anspruch auf die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung abgeleitet werden könne. Da aufgrund seines Gesundheitszustandes keine Anhaltspunkte für eine Wiedereingliederung von F.A. ins Erwerbsleben ersichtlich seien, bestehe kein Anlass, die zum Zwecke der Erwerbstätigkeit erteilte Aufenthaltsbewilligung zu verlängern. Sodann fehle es am Nachweis, dass die ärztliche Behandlung zwingend den Aufenthalt im Kanton Zürich erfordere. Schliesslich komme auch die Bewilligung eines erwerbslosen A-ufenthaltes im Kanton Zürich nicht in Frage, fehle es doch F.A. und seiner Familie an der hiefür erforderlichen langjährigen Anwesenheit und festen Verwurzelung. Zudem sei im G-esuch um Familiennachzug vom 29. September 1995 die Tatsache verschwiegen worden, dass F.A. die Arbeitsstelle auf den 30. September 1995 gekündigt worden sei, weshalb die Voraussetzungen des Familiennachzugs von Anfang an nicht erfüllt gewesen seien bzw. es zur Bewilligungserteilung bloss deshalb gekommen sei, weil die Gesuchsteller die gesetzlichen Informationspflichten missachtet hätten. Eine Wegweisung erweise sich infolgedessen als zumutbar.
Auf eine gegen den Entscheid des Regierungsrates gerichtete Beschwerde von F.A. und A.A. trat das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 1. Dezember 1999 nicht ein. Es verneinte das Vorliegen eines Anspruchs auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen, weshalb sich die (kantonale) Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Massgabe des zürcherischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes als unzulässig erweise.
Mit Eingabe vom 17. Januar 2000 haben F.A. (hienach: Beschwerdeführer 1) und A.A. (hienach: Beschwerdeführerin 2) beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellen sie den Antrag, der Beschluss des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 1. Dezember 1999 sei aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung an dieses zurückzuweisen. Mit staatsrechtlicher Beschwerde ersuchen sie, den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 1. Dezember 1999 sowie den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich vom 25. August 1999 aufzuheben und die kantonalen Behörden anzuweisen, die beantragten Aufenthaltsbewilligungen zu verlängern.
Das Bundesgericht tritt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein und weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
BGE 126 II 377 S. 381
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführer haben sowohl Verwaltungsgerichtsbeschwerde als auch - für den Fall, dass diese ausgeschlossen wäre - staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Die beiden Beschwerden stehen sachlich und prozessual in einem engen Zusammenhang, weshalb es sich rechtfertigt, die Verfahren zu vereinigen und ein einziges Urteil zu fällen. Die beiden Rechtsmittel wurden in der gleichen Beschwerdeschrift erhoben, was grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. Welches Rechtsmittel zulässig und in welchem Umfang darauf einzutreten ist, prüft das Bundesgericht von Amtes wegen und mit freier Kognition (
BGE 126 I 50
E. 1 S. 52 mit Hinweisen). Entsprechend der subsidiären Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (
Art. 84 Abs. 2 OG
) ist zunächst zu prüfen, ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde (
Art. 97 ff. OG
) offen steht. Vorauszuschicken ist, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts auch unter dem Titel der Rechtsverweigerung nur insoweit zulässig ist, als der Entscheid in der Sache selbst mit diesem Rechtsmittel angefochten werden kann (vgl.
Art. 101 lit. a OG
).
2.
Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG schliesst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiete der Fremdenpolizei aus gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Gemäss
Art. 4 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20)
entscheiden die zuständigen Behörden, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt und Niederlassung. Es besteht damit grundsätzlich kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, es sei denn, der Ausländer könne sich auf eine Sondernorm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrages berufen (
BGE 124 II 289
E. 2a S. 291, 361 E. 1a S. 364;
BGE 123 II 145
E. 1b S. 147, je mit Hinweisen).
a) Keine Ansprüche lassen sich vorliegend aus dem innerstaatlichen Gesetzesrecht ableiten. Der Beschwerdeführer 1 verfügte bisher lediglich über eine Aufenthaltsbewilligung, auf deren Erteilung oder Verlängerung er keinen Anspruch hatte. Insbesondere lässt sich ein solcher nicht aus dem Umstand ableiten, dass er (Ende 1994) die Voraussetzungen für die Umwandlung der Saisonbewilligung in eine Jahresbewilligung erfüllt hatte (vgl.
BGE 119 Ib 33
E. 1a S. 35).
BGE 126 II 377 S. 382
Auch für die übrigen Familienmitglieder (Beschwerdeführerin 2 und Kinder) besteht kein Anspruch, zumal ein Familiennachzug gestützt auf
Art. 17 Abs. 2 ANAG
nicht in Frage kommt, da der Beschwerdeführer 1 nicht im Besitz einer Niederlassungsbewilligung ist (vgl. zur Verfassungsmässigkeit der Differenzierung zwischen niedergelassenen und anderen in der Schweiz ansässigen Ausländern unter dem Aspekt der Rechtsgleichheit:
BGE 125 II 633
E. 2c S. 638).
b) Die Beschwerdeführer berufen sich zunächst auf das in
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
garantierte Recht auf Achtung des Familienlebens.
aa) Unter gewissen Bedingungen lässt sich aus dem Recht auf Achtung des Familienlebens ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ableiten. Es kann
Art. 8 EMRK
verletzen, wenn einem Ausländer, dessen Familienangehörige in der Schweiz weilen, die Anwesenheit in der Schweiz untersagt wird. Vorausgesetzt wird nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung, dass der hier weilende Familienangehörige selber ein gefestigtes Anwesenheitsrecht hat (letztmals bestätigt in
BGE 125 II 633
E. 2e S. 639 mit Hinweisen). Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn dieser über das Schweizer Bürgerrecht oder eine Niederlassungsbewilligung verfügt, sondern auch dann, wenn er eine Aufenthaltsbewilligung hat, die ihrerseits auf einem festen Rechtsanspruch beruht (
BGE 122 II 1
E. 1e S. 5;
BGE 119 Ib 91
E. 1c S. 93 f.). Soweit im Übrigen die familiäre Beziehung tatsächlich gelebt wird und intakt ist (
BGE 124 II 361
E. 1b S. 364 mit Hinweisen), wird das der zuständigen Behörde durch
Art. 4 ANAG
grundsätzlich eingeräumte freie Ermessen eingeschränkt; in solchen Fällen ist daher die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des um die fremdenpolizeiliche Bewilligung ersuchenden Ausländers oder seiner hier anwesenden Angehörigen zulässig (
BGE 122 II 1
E. 1e S. 5 mit Hinweisen).
bb) Die Beschwerdeführer kritisieren die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom Vorhandensein eines gefestigten Anwesenheitsrechts des in der Schweiz weilenden Familienangehörigen abhängig gemacht wird, als zu restriktiv und mit der Praxis der Konventionsorgane unvereinbar. Sie weisen auf die in einem Teil der neueren Literatur vertretene Auffassung hin, wonach sich auch Ausländer, welche bloss über eine Aufenthaltsbewilligung ohne Rechtsanspruch verfügen, grundsätzlich auf den Schutz von
Art. 8 EMRK
sollten berufen können (MARTINA CARONI, Privat- und Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration,
BGE 126 II 377 S. 383
Berlin 1999, S. 427 und 487 f.; JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 3. Auflage, Bern 1999, S. 115, insbesondere Fn. 29; MARC SPESCHA, Handbuch zum Ausländerrecht, Bern 1999, S. 188; MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. Auflage, Zürich 1999, N. 578).
cc) Der in
Art. 8 EMRK
garantierte Schutz des Familienlebens begründet kein absolutes Recht auf Aufenthalt in einem Konventionsstaat in dem Sinne, dass ein Staat verpflichtet wäre, Nicht-Staatsangehörigen die Einreise, die Aufenthaltsbewilligung oder -verlängerung zu gewähren bzw. die von Ehepaaren getroffene Wahl des gemeinsamen Wohnsitzes zu respektieren (JOCHEN ABRAHAM FROWEIN/WOLFGANG PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage, Kehl/Strasbourg/Arlington 1996, Rn. 26 zu Art. 8; LUZIUS WILDHABER, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Art. 8, Köln/Berlin/ Bonn/München 1992, Rz. 416 und 420 mit Hinweisen; ARTHUR HAEFLIGER/FRANK SCHÜRMANN, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Auflage, Bern 1999, S. 262; vgl. auch
BGE 125 II 633
E. 3a S. 640 mit Hinweisen). Vielmehr steht ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens überhaupt erst zur Diskussion, wenn einem Ausländer durch fremdenpolizeiliche Massnahmen verunmöglicht wird, sich in einen Staat zu begeben bzw. in einem solchen zu bleiben, in welchem Mitglieder seiner Familie leben; andernfalls wird durch die Massnahme die Einheit und das faktische Zusammenleben einer Familie nicht beeinträchtigt. Genau so verhält es sich aber im vorliegenden Fall: Die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligungen für die ganze Familie führt zu keiner Trennung derselben und verunmöglicht damit die Fortführung des Familienlebens nicht. Die Beschwerdeführer können sich somit nicht auf den in
Art. 8 EMRK
garantierten Schutz des Familienlebens berufen (
BGE 121 I 267
E. 1 S. 268, unter Hinweis auf das unveröffentlichte Urteil vom 7. November 1994 i.S. Miletic, E. 1a). Daran würde sich selbst dann nichts ändern, wenn das Bundesgericht - gemäss der Anregung der Beschwerdeführer und in Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung - beim Familiennachzug auf die Voraussetzung eines gefestigten Anwesenheitsrechts des in der Schweiz weilenden Familienangehörigen verzichtete. Auch diesfalls hätten die Beschwerdeführerin 2 und die Kinder nur so lange Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung ihrer (abgeleiteten) Aufenthaltsbewilligungen zum Verbleiben beim Ehemann bzw. den Eltern, als sich der Beschwerdeführer 1 seinerseits
BGE 126 II 377 S. 384
im Besitz einer solchen Bewilligung befindet, was vorliegend nicht mehr der Fall ist. Im Übrigen ist ohnehin am Erfordernis des gefestigten Aufenthaltsrechts festzuhalten. Dieser Begriff ist keineswegs unscharf, wie die Beschwerdeführer glauben machen wollen, sondern durch die Rechtsprechung hinreichend klar definiert (vgl.
BGE 109 Ib 183
E. 2a S. 186;
BGE 125 II 633
E. 2e S. 639;
BGE 124 II 361
E. 1b S. 364;
BGE 122 II 1
E. 1e S. 5, 385 E. 1c S. 389;
119 Ib 91
E. 1c S. 93 ff.). Namentlich wurde der von den Beschwerdeführern kritisierte Entscheid in Sachen Gül (
BGE 119 Ib 91
), bei dem das Bundesgericht in Anwendung der erwähnten Praxis auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eingetreten war, im Ergebnis vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geschützt, wobei dieser in der Urteilsbegründung explizit auf die Voraussetzung des gefestigten Anwesenheitsrechts Bezug genommen hat (EGMR-Entscheid i.S. Gül c. Schweiz vom 19. Februar 1996, Rec. 1996, S. 159, Ziff. 41 in fine; vgl. dazu auch ALAIN WURZBURGER, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en matière de police des étrangers, in: RDAF 1997 1 S. 267 ff., S. 286 f.). Von einer konventionswidrigen Praxis kann insofern nicht gesprochen werden.
dd) Nach dem Gesagten können die Beschwerdeführer aus dem in
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
garantierten Schutz des Familienlebens keine Ansprüche ableiten, die gemäss Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG e contrario den Weg ans Bundesgericht mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde öffnen würden.
c) Die Beschwerdeführer berufen sich auf das ebenfalls von
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
umfasste Recht auf Achtung des Privatlebens.
aa) In seiner Rechtsprechung geht der Europäische G-erichtshof für Menschenrechte in Fällen von Ausweisungen erwachsener Ausländer der "zweiten Generation" von einem kombinierten Schutzbereich von Privat- und Familienleben aus (Hinweise finden sich in
BGE 122 II 433
E. 3b/aa S. 440 f.; vgl. ferner: LUZIUS WILDHABER, The Right to Respect for Private and Family Life, in: The Modern World of Human Rights, Essays in honour of Thomas Buergenthal, San José/ Costa Rica 1996, S. 103 ff., S. 121 ff.; kritisch: MICHEL LEVINET, L'Eloignement des étrangers délinquants et l'article 8 de la convention européenne des droits de l'homme, in: Revue trimestrielle des droits de l'homme 10 [1999], No 37, S. 89 ff., Ziff. 24 S. 109 ff.). Dem Recht auf Achtung des Privatlebens kann in ausländerrechtlichen Fällen aber grundsätzlich auch eine (selbständige) Auffangfunktion gegenüber dem engeren Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens zukommen, wenn qualifizierte
BGE 126 II 377 S. 385
Familienbande nicht oder nicht mehr bestehen (vgl.
BGE 120 Ib 16
E. 3b S. 21 f.; STEPHAN BREITENMOSER, Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens in der Schweizerischen Rechtsprechung zum Ausländerrecht, in: EuGRZ 1993 S. 537 ff., S. 542; VILLIGER, a.a.O., N. 576 und 583; MÜLLER, Grundrechte, a.a.O., S. 159 f.). Das Bundesgericht hat diesbezüglich allerdings festgehalten, aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens geradezu ein Anwesenheitsrecht abzuleiten, fiele höchstens dann in Betracht, wenn besonders intensive private Beziehungen in Frage stünden (
BGE 120 Ib 16
E. 3b S. 22). Bisher hat es nur ganz ausnahmsweise einen derartigen Anspruch anerkannt (vgl. den zur Publikation bestimmten, eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft betreffenden Entscheid vom 25. August 2000 i.S. P.); bei mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Verhältnissen vermögen indessen selbst eine rund sechzehnjährige Anwesenheit einer erwachsenen Person und die damit verbundenen üblichen privaten Beziehungen allein keinen Bewilligungsanspruch gemäss Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG zu begründen (unveröffentlichtes Urteil vom 3. November 1994 i.S. Canbulat, E. 2b).
bb) Im vorliegenden Fall weilt der Beschwerdeführer 1 seit rund neun Jahren in der Schweiz (wovon die ersten vier Jahre lediglich als Saisonnier), was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht genügt, um aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens Ansprüche abzuleiten. Daran vermögen auch die geltend gemachten Bedürfnisse nach medizinischer Behandlung, denen im Übrigen nötigenfalls mit der Erteilung einer Patientenbewilligung (Art. 33 der Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer, BVO; SR 823.21) Rechnung getragen werden könnte, nichts zu ändern. Die Beschwerdeführerin 2 lebt seit knapp fünf Jahren in der Schweiz, wobei ihr die Aufenthaltsbewilligung lediglich zum Verbleib bei ihrem Ehemann erteilt worden ist. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat im Falle des Widerrufs von zum Zweck des Familiennachzugs erteilten B-ewilligungen wegen nachträglich weggefallener Familienbande das Vorliegen eines Eingriffs in das Recht auf Achtung des P-rivatlebens von vornherein verneint (Nichtzulassungsentscheid Nr. 14377/88 vom 10. November 1988 i.S. Zoukit c. Schweiz; ebenso das Bundesgericht im unveröffentlichten Urteil vom 23. Dezember 1997 i.S. Quispe, E. 2c). Die Beschwerdeführerin 2 wie im Übrigen auch die Kinder verfügten bloss über eine solche zweckgebundene, vom Bestand der Anwesenheitsberechtigung des Beschwerdeführers 1
BGE 126 II 377 S. 386
abhängige Aufenthaltsbewilligung. Diese war - im Unterschied zu jenen Fällen, in denen ursprünglich (gemäss Art. 7 Abs. 1 bzw. 17 Abs. 2 ANAG oder
Art. 8 EMRK
bzw. nunmehr auch
Art. 13 Abs. 1 BV
) ein Rechtsanspruch auf Einräumung einer Bewilligung bestand - im freien behördlichen Ermessen (
Art. 4 ANAG
in Verbindung mit Art. 38 f. BVO) erteilt bzw. verlängert worden. Es konnte deshalb auch zu keinem Zeitpunkt mit letzter Sicherheit mit einer Erneuerung der befristeten Bewilligungen gerechnet werden. Insofern und mit Blick darauf, dass sich die Beschwerdeführer - wie erwähnt - erst seit relativ kurzer Zeit in der Schweiz aufgehalten haben, vermochten sie zu diesem Land keine intensiven gesellschaftlichen oder beruflichen Bindungen zu entwickeln, weshalb kein Eingriff ins Recht auf Achtung des Privatlebens vorliegt. Dies gilt auch für die Kinder: Während beim jüngsten, in der Schweiz geborenen Kind mit nunmehr vier Jahren über den engsten Familienkreis hinaus kaum Bindungen bestehen und damit die Reintegration im Heimatland keine Probleme bieten dürfte, besuchen die älteren beiden (zehn- bzw. neunjährigen) Kinder seit drei bzw. zwei Jahren die Primarschule. Auch wenn in dieser Zeit dank der integrativen Wirkung der Einschulung eine gewisse Verwurzelung im Land eingetreten ist und damit einhergehend Beziehungen über das familiäre Umfeld hinaus geknüpft werden konnten, kann noch nicht von besonders intensiven Bindungen gesprochen werden, denen neben jener - altersadäquat noch im Vordergrund stehenden - zu den nächsten Angehörigen selbständige Bedeutung zukäme (vgl. in diesem Zusammenhang die zurückhaltende Praxis bei der Bejahung eines Härtefalles im Sinne von
Art. 13 lit. f BVO
bei Kindern dieses Alters in
BGE 123 II 125
E. 4b S. 130 sowie die entsprechenden Hinweise bei WURZBURGER, a.a.O., S. 297 f.).
cc) Demnach liegen weder bei den Beschwerdeführern noch bei deren Kindern besonders intensive Bindungen vor, welche in den Schutzbereich des in
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
garantierten Rechts auf Achtung des Privatlebens fallen könnten, womit sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch unter diesem Titel als unzulässig erweist.
d) Im Weiteren ist zu prüfen, ob sich ein Rechtsanspruch auf Erteilung der streitigen Aufenthaltsbewilligungen im Sinne von Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG aus jenen Grundrechten ergibt, auf welche sich die Beschwerdeführer zur Begründung der staatsrechtlichen Beschwerde berufen. Die Beschwerdeführer stützen sich dabei in ihrer am 17. Januar 2000 eingereichten Beschwerde - vom
BGE 126 II 377 S. 387
Prinzip des "Vertrauensschutzes" abgesehen - ausschliesslich auf Bestimmungen der neuen Bundesverfassung, welche erst nach dem Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 1. Dezember 1999 in Kraft getreten ist. Ob im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren bei der gegebenen intertemporalen Konstellation - abweichend von der bei der staatsrechtlichen Beschwerde entwickelten Praxis, wonach das Bundesgericht grundsätzlich auf das im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids geltende Verfassungsrecht abstellt - bereits die neue Bundesverfassung zur Anwendung kommt, kann im Hinblick darauf, dass auch das neue Verfassungsrecht vorliegend keinen Anspruch zu begründen vermag, offen bleiben.
3.
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes.
a) Der vormals aus
Art. 4 aBV
abgeleitete und nunmehr - in seiner spezifisch grundrechtlichen Ausprägung (vgl. BBl 1997 I 134) - in
Art. 9 BV
verankerte Grundsatz von Treu und Glauben verleiht einer Person Anspruch auf Schutz des berechtigten Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder sonstiges, bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden (
BGE 122 II 113
E. 3b/cc S. 123; zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl.
BGE 118 Ia 245
E. 4b S. 254;
BGE 117 Ia 285
E. 2b S. 287 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung anerkannt, dass sich aus dem erwähnten Grundsatz unter Umständen auch ein Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung ergeben kann (vgl. die Hinweise bei WURZBURGER, a.a.O., S. 305 f.), wobei sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde diesfalls als zulässig erweist (
BGE 102 Ib 97
E. 1 S. 98). Auf das Rechtsmittel ist jedoch nicht bereits aufgrund der Anrufung des Vertrauensgrundsatzes einzutreten; zu prüfen ist vorerst, ob die Sachdarstellung der Beschwerdeführer eine Bindungswirkung und damit einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als möglich erscheinen lassen (unveröffentlichte Urteile vom 8. Juni 1998 i.S. Ringstad, E. 3b/bb, sowie vom 29. Juni 1998 i.S. Radovanovic, E. 2c/bb).
b) Die Beschwerdeführer machen geltend, da sie nicht als Schutzbedürftige in die Schweiz gelangt seien, hätten sie - soweit keine Ausweisungsgründe vorliegen - grundsätzlich damit rechnen können, in der Schweiz bleiben zu dürfen. Diese Sachdarstellung lässt nicht darauf schliessen, dass aufgrund des Vertrauensgrundsatzes eine Bindungswirkung eingetreten wäre. Der vorliegende Fall ist nicht mit jenen zu vergleichen, wo einem Ausländer mittels Visum eine Anwesenheitsbewilligung zugesichert worden ist (unveröffentlichtes
BGE 126 II 377 S. 388
Urteil vom 16. Mai 2000 i.S. Radisic), fehlt es doch hier an einem besonderen vertrauensbegründenden Akt der Behörde. Die blosse Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung begründet für sich allein kein schutzwürdiges Vertrauen in die Erneuerung derselben (unveröffentlichtes Urteil vom 25. April 1997 i.S. Araya, E. 2c/bb). Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aufgrund von Treu und Glauben steht damit vorliegend nicht zur Diskussion. Den Anforderungen des Vertrauensgrundsatzes als allgemeines Verfassungsprinzip (
Art. 5 Abs. 3 BV
) genügt es im Übrigen, wenn die Fremdenpolizeibehörden den Umstand, dass sich ein Ausländer bereits im Besitze einer Aufenthaltsbewilligung befand, in ihren Ermessensentscheid mit einfliessen lassen und im Falle der Nichtverlängerung derselben eine angemessene Frist zum Verlassen des Kantonsgebietes setzen (vgl. grundsätzlich zur Nichterneuerung befristeter Verwaltungsakte: BEATRICE WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, Basel/Frankfurt a.M. 1983, S. 191-193).
4.
Keine Ansprüche auf Erteilung einer fremdenpolizeilichen Bewilligung lassen sich aus dem in
Art. 9 BV
enthaltenen Willkürverbot ableiten. Das Bundesgericht hat hinsichtlich der Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde festgehalten, dass das Willkürverbot auch unter der Herrschaft der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 - soweit Mängel in der Rechtsanwendung geltend gemacht werden - für sich allein keine geschützte Rechtsstellung im Sinne von
Art. 88 OG
verschafft (
BGE 126 I 81
E. 4-6 S. 87 ff.); die A-nrufung dieser Garantie setzt vielmehr voraus, dass das Gesetzesrecht, dessen willkürliche Anwendung gerügt wird, dem Beschwerdeführer einen Rechtsanspruch einräumt oder den Schutz seiner Interessen bezweckt. Zwar bedarf es gemäss
Art. 103 lit. a OG
für die Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eines solchen Eingriffs in rechtlich geschützte Positionen; auf dem Gebiete der Fremdenpolizei hängt indessen die Zulässigkeit dieses Rechtsmittels vom Vorliegen einer einen Anspruch auf eine Bewilligung einräumenden Sondernorm ab (Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG; oben E. 2 Ingress). Einen solchen Anspruch vermag das Willkürverbot für sich allein indessen nicht zu begründen.
5.
Die Beschwerdeführer berufen sich im Weiteren auf den in
Art. 11 Abs. 1 BV
verankerten Anspruch der Kinder und Jugendlichen auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung sowie auf das Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (UNO-Kinderrechtekonvention; SR 0.107).
BGE 126 II 377 S. 389
a) Die neue Bundesverfassung befasst sich an verschiedenen Stellen mit dem Schutz und der Förderung von Kindern und Jugendlichen. Zunächst setzt
Art. 41 Abs. 1 lit. f und g BV
dem Bund und den Kantonen zum Ziel, dass sich Kinder und Jugendliche u.a. ihren Fähigkeiten gemäss ausbilden können und sie in ihrer Entwicklung zu selbständigen und sozial verantwortlichen Personen gefördert sowie in ihrer sozialen, kulturellen und politischen Integration unterstützt werden.
Art. 62 Abs. 2 BV
verpflichtet die Kantone, für einen ausreichenden, allen Kindern offen stehenden Grundschulunterricht zu sorgen, welcher obligatorisch und an öffentlichen Schulen unentgeltlich ist; ein entsprechendes - seit Aufhebung von
Art. 73 VwVG
(BG vom 8. Oktober 1999, in Kraft seit 1. März 2000; AS 2000 416) nunmehr in jedem Fall letztinstanzlich vor Bundesgericht geltend zu machendes (BBl 1999 7936 f.) - verfassungsmässiges Recht (Anspruch auf Grundschulunterricht) wurde in
Art. 19 BV
im Grundrechtsteil verankert. Sodann verhält
Art. 67 Abs. 1 BV
den Bund und die Kantone, bei Erfüllung ihrer Aufgaben den besonderen Förderungs- und Schutzbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen R-echnung zu tragen.
b) Die in
Art. 11 BV
unter dem Titel "Schutz der Kinder und Jugendlichen" verankerte Bestimmung, wonach Kinder und Jugendliche Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung haben, war im bundesrätlichen Entwurf einer nachgeführten Bundesverfassung aus dem Jahre 1996 nicht vorgesehen (BBl 1997 I 138 f.). Sie geht auf einen im Rahmen der parlamentarischen Beratungen seitens einer Minderheit der Verfassungskommission des Nationalrates eingebrachten Antrag zurück (BBl 1998 372, Art. 11a), dem ein Vorschlag der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände zugrunde lag (AB 1998 [Separatdruck] N 195, Votum Hubmann). Mit der Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in den Grundrechtskatalog sollte den Kindern und Jugendlichen als soziale Gruppe in der Verfassung ein entsprechender Status zuerkannt und die besondere B-edeutung dieser für die Entwicklung der Persönlichkeit entscheidenden Lebensphase betont werden (AB 1998 [Separatdruck] N 191 f., Votum Zbinden). Damit wurde namentlich bezweckt, die Gleichbehandlung und die Chancengleichheit der Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten, die Verpflichtung des Staates und jedes Einzelnen, Kinder vor jeglicher Form von Gewalt und erniedrigender Behandlung zu schützen, zum Ausdruck zu bringen sowie
BGE 126 II 377 S. 390
den Begriff des Schutzes, wie er sich aus der UNO-Kinderrechtekonvention ergibt, verfassungsrechtlich zu verankern (AB 1998 [Separatdruck] N 192 f., Votum Maury Pasquier). Es stellt sich die Frage nach der Tragweite von
Art. 11 Abs. 1 BV
.
c) Von der Lehre wird
Art. 11 Abs. 1 BV
mit Zurückhaltung aufgenommen und kaum näher erläutert: JÖRG PAUL MÜLLER (Grundrechte, a.a.O., S. 422) und ANDREAS AUER/ GIORGIO MALINVERNI/MICHEL HOTTELIER (Droit constitutionnel suisse, Volume II, Les droits fondamentaux, Bern 2000, S. 509) begnügen sich mit dem blossen Hinweis auf die Bestimmung; ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER (Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Supplement zur 4. Auflage, "Die neue Bundesverfassung", Zürich 2000, S. 57 f.) werfen die Frage nach der Justiziabilität auf. RENÉ RHINOW (Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsverfassung, in: Ulrich Zimmerli [Hrsg.], Die neue Bundesverfassung, Konsequenzen für Praxis und Wissenschaft, Berner Tage für die juristische Praxis 1999, Bern 2000, S. 157 ff., S. 172) sieht in
Art. 11 BV
zunächst eine blosse "Verheissung" der Sozialstaatlichkeit, während HEINRICH KOLLER (Der Einleitungstitel und die Grundrechte in der neuen Bundesverfassung, in: AJP 1999, S. 656 ff., S. 664) die Bestimmung für juristisch fragwürdig hält, weil sie kaum justiziabel und wohl bloss als Präzisierung zur persönlichen Freiheit zu verstehen sei. Demgegenüber sieht ANDREAS KLEY (Der Grundrechtskatalog der nachgeführten Bundesverfassung, in: ZBJV 1999 S. 301 ff., S. 316) in
Art. 11 BV
nicht nur eine Wiederholung der persönlichen Freiheit sondern eine umfassende Handlungsfreiheit verankert, "soweit diese vor allem im Interesse der persönlichen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen steht", ein Recht, welches ausserdem auch potentielle Lücken im Grundrechtsschutz abzudecken vermöge.
d)
Art. 11 Abs. 1 BV
gewährt zunächst einen Anspruch der Kinder und Jugendlichen "auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit". Dieser Teilgehalt umfasst den Schutz der körperlichen und geistigen Integrität (AB 1998 [Separatdruck] N 420 f., Votum Bundesrat Koller) und "wäre an sich rein verfassungsrechtlich gesehen nicht notwendig" (AB 1998 [Separatdruck] S 156, Votum Inderkum,
BGE 126 II 377 S. 391
Berichterstatter), garantiert doch
Art. 10 Abs. 2 BV
ohnehin allen Menschen das Recht auf persönliche Freiheit; der Ausdruck "besonderer" Schutz soll dabei nicht einschränkend verstanden werden, sondern hervorheben, dass Kindern und Jugendlichen als gesellschaftlicher Gruppe "Anspruch auf einen ganz besonderen Schutz" zukommt (AB 1998 [Separatdruck] S 207, Votum Inderkum, Berichterstatter). Im Weiteren garantiert
Art. 11 Abs. 1 BV
auch einen Anspruch auf Förderung der Entwicklung, womit allerdings lediglich der Gesetzgeber angehalten werden soll, beim Erlass neuer Rechtssätze auf die Interessen der Kinder und Jugendlichen Rücksicht zu nehmen (AB 1998 [Separatdruck] S 156, Votum Inderkum, Berichterstatter). Dieser Teilgehalt will folglich keine zusätzlichen klagbaren subjektiven Rechte schaffen, wozu es ihm im Übrigen auch an der hiefür erforderlichen normativen Bestimmtheit fehlen würde; als objektive Richtlinie, die es künftig in der Rechtsetzung mit zu berücksichtigen gilt, ist er zur programmatischen Schicht (vgl. JÖRG PAUL MÜLLER, Kommentar BV, Einleitung zu den Grundrechten, Rz. 41; derselbe, Soziale Grundrechte in der Verfassung?, 2. Auflage, Basel/Frankfurt a.M. 1981, S. 187) des Grundrechts zu zählen.
Mit der Verankerung als Grundrecht wird der Schutz von Kindern und Jugendlichen verfassungsrechtlich zu einem vordringlichen Anliegen erklärt. Im Unterschied zu den in
Art. 41 Abs. 1 lit. f und g BV
verankerten Sozialzielen, welche sich als Staatszielbestimmungen hauptsächlich an den Gesetzgeber richten (BBl 1997 I 200), nimmt
Art. 11 Abs. 1 BV
auch die rechtsanwendenden Instanzen in die Pflicht, bei der Handhabung von Gesetzen den besonderen Schutzbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen Rechnung zu tragen, was in besonderem Masse dann gilt, wenn ein Rechtssatz Lücken aufweist oder - wie beispielsweise
Art. 4 ANAG
- den Behörden Ermessensspielräume eröffnet. Ob dem Grundrecht allerdings auch hinsichtlich seines direkt-anspruchsbegründenden Gehalts (vgl. dazu JÖRG PAUL MÜLLER, Kommentar BV, Einleitung zu den Grundrechten, Rz. 40) neben der persönlichen Freiheit und anderen für Kinder und Jugendliche relevanten (in ihrem Schutzbereich spezifischeren) verfassungsmässigen Rechten eine weitergehende Tragweite zukommt, ist fraglich, braucht indessen vorliegend nicht abschliessend beurteilt zu werden. Mit
Art. 11 Abs. 1 BV
verfolgte der Verfassungsgeber unter anderem den Zweck, die in der UNO-Kinderrechtekonvention verbrieften Rechte in allgemeiner Form im Grundrechtsteil zu verankern und diese damit auch durch die Bundesverfassung zu garantieren (oben E. 5b). Die Zielsetzung der Verfassungsbestimmung und jener der Konvention (vgl. die Botschaft hierzu, BBl 1994 V 11 f.) sind denn auch identisch, weshalb zur Konkretisierung von
Art. 11 Abs. 1 BV
die Rechtsprechung zur UNO-Kinderrechtekonvention beizuziehen ist. Das Bundesgericht hat festgehalten, dass sich der
BGE 126 II 377 S. 392
UNO-Kinderrechtekonvention in Bezug auf die Erteilung von fremdenpolizeilichen Bewilligungen keine gerichtlich durchsetzbare Ansprüche entnehmen lassen (
BGE 124 II 361
E. 3b S. 367 mit Hinweisen). Um über die konkreten Schutztatbestände der Konvention hinaus aus
Art. 11 Abs. 1 BV
selbst einen solchen Anspruch ableiten zu können, erweist sich dieses Grundrecht indessen als zu unbestimmt.
Nach dem Gesagten vermag weder die UNO-Kinderrechtekonvention noch der in
Art. 11 Abs. 1 BV
garantierte Anspruch auf Schutz der Kinder und Jugendlichen den Kindern der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung zu vermitteln.
6.
Die Beschwerdeführer werfen den kantonalen Verwaltungsbehörden vor, sie hätten eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung allein deshalb verweigert, weil der Beschwerdeführer 1 invalid geworden sei, was eine Diskriminierung im Sinne von
Art. 8 Abs. 2 BV
darstelle, welche auch nicht mit der vormals vorhandenen - im Zeitpunkt des regierungsrätlichen Entscheids entfallenen - Fürsorgeabhängigkeit gerechtfertigt werden könne.
a) Gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. Die Bestimmung gibt in angepasster Form den Inhalt von Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz aBV wieder (BBl 1997 I 142 f.). Im Unterschied zu
Art. 8 Abs. 3 BV
(vormals
Art. 4 Abs. 2 aBV
) enthält das allgemeine Diskriminierungsverbot allein kein Egalisierungsgebot (AB 1998 [Separatdruck] S 36 f., Votum Rhinow, Berichterstatter); der Gesetzgeber wird lediglich angehalten, Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vorzusehen (
Art. 8 Abs. 4 BV
; ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde in die Vernehmlassung geschickt, BBl 2000 3335). Eine Diskriminierung gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
liegt dann vor, wenn eine Person rechtsungleich behandelt wird allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (AB 1998 [Separatdruck] S 36, Votum Rhinow, Berichterstatter), welche historisch und in der gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit tendenziell ausgegrenzt oder sonst als minderwertig behandelt wurde (JÖRG PAUL MÜLLER, Die Diskriminierungsverbote nach Art. 8 Abs. 2 der neuen Bundesverfassung, in: Ulrich Zimmerli [Hrsg.], Die neue Bundesverfassung,
BGE 126 II 377 S. 393
Konsequenzen für Praxis und Wissenschaft, Berner Tage für die juristische Praxis 1999, Bern 2000, S. 103 ff., S. 110). Die Diskriminierung stellt eine qualifizierte Art von Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen dar, indem sie eine Benachteiligung eines Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an ein Unterscheidungsmerkmal anknüpft, das einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betreffenden Person ausmacht (WALTER KÄLIN-/MARTINA CARONI, Das verfassungsrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen der ethnisch-kulturellen Herkunft, in: Walter Kälin [Hrsg.], Das Verbot ethnisch-kultureller Diskriminierung, ZSR-Beiheft 29, S. 67 ff., S. 76 f.); insofern beschlägt die Diskriminierung auch Aspekte der Menschenwürde (
Art. 7 BV
). Das Diskriminierungsverbot des schweizerischen Verfassungsrechts macht aber die Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal - wie Herkunft, Rasse, Geschlecht, Sprache und weitere in
Art. 8 Abs. 2 BV
(in nicht abschliessender Weise) aufgezählte Kriterien - nicht absolut unzulässig. Vielmehr begründet dieser Umstand zunächst den blossen "Verdacht einer unzulässigen Differenzierung" (KÄLIN/CARONI, a.a.O., S. 78); sich daraus ergebende Ungleichbehandlungen sind infolgedessen "qualifiziert zu rechtfertigen" (AB 1998 [Separatdruck] S 37, Votum Rhinow, Berichterstatter; vgl. auch
BGE 126 V 70
E. 4c S. 73 f.).
b) Vorliegend wurde den Beschwerdeführern die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung nicht deshalb verweigert, weil der Beschwerdeführer 1 invalid geworden ist, sondern aufgrund der Tatsache, dass er seit längerem keine E-rwerbstätigkeit mehr ausübt, was dem Zweck der seinerzeit erteilten Aufenthaltsbewilligung widerspricht. Knüpft der ablehnende Entscheid des Regierungsrates nicht an ein gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
verpöntes Kriterium - hier der Zugehörigkeit zur "Gruppe" der Invaliden bzw. der Behinderten - an, so kann von einer direkten Diskriminierung zum Vornherein nicht gesprochen werden.
c) Zu prüfen bleibt, ob eine indirekte bzw. mittelbare Diskriminierung vorliegt (vgl. zu dieser bereits im Rahmen von
Art. 4 Abs. 2 aBV
entwickelten Figur:
BGE 124 II 409
E. 7 S. 425 sowie E. 9d S. 428; ferner zu
Art. 8 Abs. 2 BV
: KÄLIN/CARONI, a.a.O., S. 86 ff.; MÜLLER, Grundrechte, a.a.O., S. 441 ff.; derselbe, Diskriminierungsverbote, a.a.O., S. 124 ff.). Eine indirekte Diskriminierung ist dann gegeben, wenn eine Regelung, die keine offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung geschützter
BGE 126 II 377 S. 394
Gruppen enthält, in ihren tatsächlichen Auswirkungen Angehörige einer solchen Gruppe besonders stark benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre. Auch eine indirekte Diskriminierung ist vorliegend zu verneinen, führt doch die Bedingung der Aufenthaltsbewilligung durch den Aufenthaltszweck (
Art. 5 Abs. 1 ANAG
in Verbindung mit Art. 10 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, ANAV; SR 142.201), auf welche die von den Beschwerdeführern kritisierte "Figur des erfüllten Aufenthaltszwecks" letztlich zurückgeht, im Ergebnis nicht dazu, dass Behinderte anteilsmässig stärker betroffen sind als andere von dieser Regelung erfasste Personengruppen, wie beispielsweise die im Rahmen des Familiennachzugs eingereisten, über eine Aufenthaltsbewilligung verfügenden Ausländer nach Auflösung der Ehe mit ihrem schweizerischen oder in der Schweiz niedergelassenen E-hegatten.
d) Damit können die Beschwerdeführer auch aus dem in
Art. 8 Abs. 2 BV
verankerten Diskriminierungsverbot keinen Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung ableiten. Dasselbe gilt im Ergebnis hinsichtlich der Diskriminierungsverbote gemäss
Art. 14 EMRK
, Art. 2 Abs. 2 des internationalen Pakts vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I, Sozialpakt; SR 0.103.1), soweit die Garantien dieses Abkommens überhaupt direkt anwendbar sind (vgl.
BGE 120 Ia 1
E. 5c S. 11 f.), sowie Art. 2 Abs. 1 des internationalen Paktes vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II, Bürgerrechtspakt; SR 0.103.2) (vgl.
BGE 123 II 472
E. 4c und d S. 477 ff. mit Hinweisen).
7.
Der in
Art. 13 Abs. 1 BV
garantierte Anspruch auf A-chtung des Privat- und Familienlebens entspricht materiell der Garantie von
Art. 8 EMRK
(BBl 1997 I 152 ff. sowie AB 1998 [Separatdruck] S 41, Votum Inderkum, Berichterstatter, zu Art. 11) und gewährt darüber hinaus im Bereich des Ausländerrechts keine zusätzlichen Ansprüche. Es kann insofern auf die entsprechenden Ausführungen (oben E. 2) verwiesen werden.
8.
Damit fehlt es an einem Rechtsanspruch auf Erteilung der streitigen Aufenthaltsbewilligungen im Sinne von Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG, weshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht einzutreten ist. Zu prüfen bleibt die Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde.
a) Der angefochtene Nichteintretensbeschluss des Verwaltungsgerichts ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid, gegen den
BGE 126 II 377 S. 395
kein anderes eidgenössisches Rechtsmittel zur Verfügung steht (
Art. 84 Abs. 2, 86 und 87 OG
). Die staatsrechtliche Beschwerde ist insoweit zulässig.
b) Die Beschwerdeführer beantragen nebst der Aufhebung des Nichteintretensbeschlusses des Verwaltungsgerichts auch die Aufhebung des Entscheids des Regierungsrates. Der E-ntscheid einer unteren kantonalen Instanz kann nach bundesgerichtlicher Praxis mitangefochten werden, wenn entweder der letzten kantonalen Instanz nicht sämtliche vor Bundesgericht zulässigen Rügen unterbreitet werden konnten oder wenn solche Rügen zwar von der letzten kantonalen Instanz zu beurteilen waren, jedoch mit einer engeren Prüfungsbefugnis, als sie dem Bundesgericht zusteht ("Dorénaz-Praxis", begründet in
BGE 94 I 459
, eingeschränkt in
BGE 111 Ia 353
E. 1b S. 354 und alsdann bestätigt in
BGE 114 Ia 307
E. 3a S. 311;
BGE 115 Ia 414
E. 1 S. 414 f. sowie zuletzt in
BGE 125 I 492
E. 1a/aa S. 493 f. mit weiteren Hinweisen). In diesen Fällen kann der unterinstanzliche Entscheid innert der Frist für die staatsrechtliche Beschwerde gegen den letztinstanzlichen Entscheid noch mitangefochten werden (
BGE 115 Ia 414
E. 1 S. 415). Dies gilt jedoch nur, wenn die letzte kantonale Instanz die Sache materiell - wenn auch mit eingeschränkter Kognition - geprüft hat. Tritt die angerufene kantonale Instanz darauf nicht ein, so liegt kein neuer Entscheid in der Sache vor, mit welchem zusammen der Entscheid der unteren Instanz mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden könnte (
BGE 109 Ia 248
E. 1 S. 250; bestätigt im unveröffentlichten Urteil vom 8. Oktober 1996 i.S. G., E. 1b); anfechtbar ist in diesem Fall bloss der Nichteintretensentscheid der letzten kantonalen Instanz (Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Auflage, Bern 1994, S. 346).
c) Die staatsrechtliche Beschwerde ist von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen lediglich kassatorischer Natur. Soweit die Beschwerdeführer mehr verlangen als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (
BGE 125 I 104
E. 1b S. 107 mit Hinweisen).
d) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet nach dem Gesagten (oben E. 8b) lediglich die Eintretensfrage (vgl.
BGE 113 Ia 146
E. 3c S. 153 f. mit Hinweis); es kann nur gerügt werden, das Verwaltungsgericht sei auf das bei ihm eingelegte Rechtsmittel in willkürlicher Anwendung des einschlägigen kantonalen Rechts oder in Missachtung von Verfassungs- oder Konventionsgarantien zu Unrecht nicht eingetreten.
BGE 126 II 377 S. 396
aa) Da die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach dem kantonalen Verfahrensrecht von der Zulässigkeit der eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbeschwerde (§ 43 Abs. 1 lit. h und Abs. 2 des zürcherischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959, in der Fassung vom 8. Juni 1997) und damit vom gleichen Kriterium - dem Vorliegen eines bundesrechtlichen Anspruches auf Erteilung einer fremdenpolizeilichen Bewilligung - abhängt, ist der ergangene Nichteintretensentscheid nach dem Gesagten (oben E. 2 bis 7) offensichtlich nicht willkürlich.
bb) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer verletzt der fehlende Zugang zu einem Richter auch nicht das in
Art. 13 EMRK
garantierte Recht auf wirksame Beschwerde. A-bgesehen von
Art. 5 Ziff. 4 und
Art. 6 EMRK
besteht keine allgemeine Garantie, dass alle Rechte, die durch die Konvention gewährleistet sind, einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen müssen.
Art. 13 EMRK
verlangt einzig, dass für die Geltendmachung einer Konventionsverletzung eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz zur Verfügung steht, doch braucht es sich dabei nicht notwendigerweise um eine gerichtliche Instanz zu handeln (
BGE 123 I 25
E. 2b/dd S. 30;
BGE 123 II 402
E. 4b/aa S. 413;
BGE 121 I 87
E. 1b S. 90 f.). Dass das fragliche verwaltungsinterne Rechtsmittel nicht die gleichen Garantien bezüglich Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Beschwerdeinstanz bietet wie ein Gericht, stellt die Tauglichkeit dieses Rechtsmittels unter dem Gesichtswinkel von
Art. 13 EMRK
jedenfalls solange nicht in Frage, als die rechtsstaatlich notwendigen minimalen Verfahrensrechte, namentlich der Anspruch auf rechtliches Gehör und auf Begründung des Entscheids (
BGE 118 Ib 277
E. 5b S. 283), gewährleistet sind (vgl. nunmehr auch
Art. 29 BV
). Ebenso wenig verlangt der von den Beschwerdeführern angerufene
Art. 30 BV
die Gewährleistung eines generellen gerichtlichen Rechtsschutzes, soweit Grundrechte als beeinträchtigt angerufen werden. Die erwähnte Bestimmung weist nur darauf hin, dass Fälle bestehen, in denen das Völkerrecht (namentlich
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
) den Parteien einen Anspruch auf gerichtliche Überprüfung einräumt;
Art. 30 BV
vermittelt dagegen für sich selbst keine solche Garantie (vgl. BBl 1997 I 183f.). Der Hinweis auf den in der Volksabstimmung vom 12. März 2000 angenommenen (BBl 2000 2990) Bundesbeschluss vom 8. Oktober 1999 über die Reform der Justiz (BBl 1999 8633 ff.), wonach zur Beurteilung von Rechtsstreitigkeiten der Zugang zum Richter - gesetzliche Ausnahmen vorbehalten - generell gewährleistet sein soll (sog. allgemeine
BGE 126 II 377 S. 397
Rechtsweggarantie,
Art. 29a BV
), ist ohne Belang; diese Regelung war im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids noch nicht in Kraft und ist es auch heute nicht. Im Übrigen sieht das Konzept der Rechtsweggarantie lediglich den Zugang zu einem Gericht vor; entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer verlangt es indessen nicht, dass dieser Rechtsschutz vom Bundesgericht selber gewährt werden müsste (BBl 1997 I 503 f.; WALTER KÄLIN, Die Bedeutung der Rechtsweggarantie für die kantonale Verwaltungsjustiz, in: ZBl 100/1999 S. 49 ff., S. 54 f.).
Damit erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde, soweit der Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts beanstandet wird, als unbegründet.
e) Ist das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrates zu Recht nicht eingetreten, so stellt der regierungsrätliche Sachentscheid einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid dar, welcher selbständig - innert der Frist von
Art. 89 Abs. 1 OG
seit dessen Eröffnung - mit staatsrechtlicher Beschwerde hätte angefochten werden müssen. Die nachträgliche Mitanfechtung dieses Sachentscheids erweist sich insoweit nach dem Gesagten als unzulässig. Ob ein Anspruch auf eine fremdenpolizeiliche Bewilligung besteht, welcher den Weg für das verwaltungsgerichtliche Verfahren im Kanton und vor Bundesgericht (vgl. Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 in Verbindung mit
Art. 98a Abs. 1 OG
) öffnet, kann allerdings häufig sogar für Rechtskundige zweifelhaft sein, was dem Rechtsuchenden die Wahl des zulässigen Rechtsmittels (bzw. des Zeitpunktes zur Ergreifung desselben) erschweren kann. Im vorliegenden Fall haben die Beschwerdeführer den Entscheid des Regierungsrates nicht direkt beim Bundesgericht sondern zuerst beim Verwaltungsgericht angefochten. Sie konnten sich dafür zwar nicht auf eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung des Regierungsrates stützen. Bestünde aber der von ihnen behauptete Rechtsanspruch auf die anbegehrten Aufenthaltsbewilligungen - entgegen der im regierungsrätlichen Entscheid vertretenen Auffassung - tatsächlich, so wäre der Weg ans kantonale Verwaltungsgericht offen und aufgrund von
Art. 98a Abs. 1 OG
vor Anrufung des Bundesgerichts auch zwingend zu beschreiten gewesen. Es fragt sich, ob es Sinn und Zweck der so genannten "Dorénaz-Praxis" (oben E. 8b) entspricht, vom Rechtsuchenden in einem solchen Fall jeweils zu verlangen, dass er gegen den potentiell nicht letztinstanzlichen kantonalen Entscheid über die Verweigerung oder Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung neben der kantonalen
BGE 126 II 377 S. 398
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsorglich sofort auch schon eine - zunächst zu sistierende - staatsrechtliche Beschwerde einreicht, oder ob die erst im Anschluss an den allfälligen Nichteintretensentscheid der betreffenden kantonalen Rechtsmittelbehörde erhobene staatsrechtliche Beschwerde gegen den unterinstanzlichen Entscheid - abweichend von der in
BGE 109 Ia 248
aufgestellten Regel - dann als noch fristgerecht behandelt werden muss, wenn die Zulässigkeit des betreffenden kantonalen Rechtsmittels - wie hier - vom Vorliegen des behaupteten streitigen Anspruches abhängt. Auch wenn die Ergreifung eines "anspruchsabhängigen" kantonalen Rechtsmittels - je nach materieller Beurteilung - mit einem Nichteintretensentscheid enden kann, darf (und muss in der Regel) dieses Verfahren gemäss
Art. 86 Abs. 2 und
Art. 87 OG
zur Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges wohl durchlaufen werden, um mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht gelangen zu können. Die Frage kann im vorliegenden Fall indessen offen bleiben. Selbst wenn man die nachträgliche Mitanfechtung des Entscheides des Regierungsrates unter den hier gegebenen Umständen zulassen wollte, würde dies den Beschwerdeführern insofern nichts nützen, als ihnen, nachdem mangels eines Rechtsanspruches der Weg der eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbeschwerde verschlossen ist, zugleich die nach
Art. 88 OG
erforderliche Legitimation fehlt, um die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung anfechten zu können. Verfahrensrügen, welche unabhängig von der Legitimation in der Sache selbst erhoben werden können (
BGE 114 Ia 307
E. 3c S. 312 f.; vgl. auch:
BGE 126 I 81
E. 3b S. 86 sowie E. 7b S. 94
;
122 I 267
E. 1b S. 270), werden gegen den Entscheid des Regierungsrates nicht vorgebracht.
Die staatsrechtliche Beschwerde vermöchte daher, auch soweit sie sich gegen den Entscheid des Regierungsrates richtet, nicht durchzudringen. | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
36fa285f-ab62-41d5-81b2-27c26c94cea3 | Urteilskopf
113 V 186
30. Estratto della sentenza del 5 ottobre 1987 nella causa B. e G. contro Cassa cantonale di compensazione e Tribunale delle assicurazioni del Canton Ticino | Regeste
Art. 52 AHVG
, Art. 6, 82 Abs. 3, 83 Abs. 1 lit. f und 88 Abs. 2 AVIG: Haftung für Schäden.
Die Nichtbezahlung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen durch Arbeitgeber stellt einen Schaden im Sinne des
Art. 52 AHVG
dar, weshalb die AHV-Ausgleichskassen befugt sind, das Schadenersatzverfahren einzuleiten.
Die Vorschriften des AVIG über die Haftung der Arbeitgeber, welche die Befugnis, Schadenersatz zu verlangen, der Ausgleichsstelle der Arbeitslosenversicherung übertragen, betreffen nicht die Nichtbezahlung von Beiträgen. | Erwägungen
ab Seite 186
BGE 113 V 186 S. 186
Estratto dai considerandi:
4.
Nel caso di specie deve essere esaminata anzitutto la legittimazione della Cassa a chiedere il risarcimento dei danni per il non avvenuto versamento dei contributi ... dell'assicurazione contro la disoccupazione.
a) ...
b) Circa la questione del potere della Cassa di compensazione di chiedere il risarcimento dei danni per il mancato pagamento di contributi dell'assicurazione contro la disoccupazione, il diritto vigente sino al 31 dicembre 1983 predisponeva essere in materia di contributi applicabili per analogia le prescrizioni della legislazione AVS segnatamente sul punto della "responsabilità per danni" (art. 5 DAD; RU 1977, 208) e prevedeva inoltre trovare applicazione la normativa AVS in quest'ambito "per l'esecuzione e il contenzioso" (art. 33 cpv. 1 DAD). Da queste
BGE 113 V 186 S. 187
disposizioni si evince che il datore di lavoro era responsabile ai sensi dell'art. 52 LAVS anche del danno determinato dal mancato pagamento dei contributi dell'assicurazione contro la disoccupazione (cfr. sentenza 15 gennaio 1986 in re F., inedita su questo punto).
È lecito ora chiedersi se a ciò possa mutare l'entrata in vigore con il 1o gennaio 1984 della LADI (cfr. FRÉSARD, La responsabilité de l'employeur pour le non-paiement de cotisations d'assurances sociales selon l'art. 52 LAVS, Revue suisse d'assurances, 55/1987, pag. 8). Il nuovo disciplinamento della LADI, pur predisponendo all'art. 6 che "salvo disposizione contraria della presente legge, in materia di contributi è applicabile per analogia la legislazione AVS", all'art. 88 cpv. 2 afferma in effetti che "i datori di lavoro rispondono verso la Confederazione di tutti i danni che cagionano intenzionalmente o per grave negligenza" e precisa che "è applicabile per analogia l'articolo 82 capoversi 3 e 4". L'art. 82, relativo alla responsabilità dei titolari delle casse di compensazione, al cpv. 3 prevede così che "l'ufficio di compensazione, mediante decisione, stabilisce l'importo del risarcimento". Infine all'art. 83 cpv. 1 lett. f la nuova legge dispone che l'ufficio di compensazione dell'assicurazione contro la disoccupazione "decide le pretese di risarcimento verso il titolare o il datore di lavoro per danni provocati dalla cassa, rispettivamente dal datore di lavoro (art. 82 cpv. 3, 88 cpv. 2)".
La Corte, prescindendo dall'applicabilità del nuovo diritto nel caso di specie, ha affrontato il tema nell'ambito della presente procedura. Essa ha ritenuto, quand'anche la lettera della legge possa lasciare intendere che il mancato versamento di contributi dell'assicurazione contro la disoccupazione non sia costitutivo di un danno ai sensi dell'art. 52 LAVS per cui è data la competenza della cassa di compensazione di chiedere il risarcimento, che il legislatore non aveva la volontà di modificare il sistema legale precedentemente in vigore.
Infatti, nel Messaggio 2 luglio 1980 concernente una nuova legge federale sull'assicurazione obbligatoria contro la disoccupazione e l'indennità per insolvenza, il Consiglio federale relativamente all'art. 88 LADI (art. 87 nel progetto di legge contenuto nel Messaggio) rileva quanto segue:
"I doveri dei datori di lavoro, menzionati in questi articoli, non costituiscono per essi obblighi supplementari, dacché tali doveri giuridici risultano già da altre disposizioni. L'elenco persegue solo lo scopo di conferire ai datori di lavoro una visione generale dei
BGE 113 V 186 S. 188
loro compiti. Per contro, il discorso è diverso riguardo alla responsabilità del datore di lavoro sancita nel capoverso 2 del disposto. Tale norma è infatti nuova e si impone soprattutto poiché, d'ora in poi, il diritto all'indennità per lavoro ridotto e all'indennità per intemperie non dovrà più essere fatto valere dagli assicurati, bensì dai datori di lavoro. Inoltre, un falso attestato del datore di lavoro può, segnatamente per quanto concerne l'indennità in caso di insolvenza, far nascere una responsabilità. Conseguentemente, il datore di lavoro risponde, come il titolare della cassa e per gli stessi motivi, non verso l'organo di compensazione, ma verso la Confederazione, dei danni che avrà cagionato intenzionalmente o per grave negligenza (FF 1980 III 551)."
L'autorità esecutiva federale d'altra parte, dopo aver nella parte generale del Messaggio osservato che "il settore dei contributi è stato di principio ripreso immutato dall'ordinamento transitorio" (FF 1980 III 490), così si esprime intorno all'art. 6 LADI (art. 5 nel progetto di legge):
"Quanto alla materia, questo articolo riprende la disposizione corrispondente del sistema transitorio. Si è rinunciato a elencare ancora singolarmente le disposizioni dell'AVS applicabili in materia, per motivi di tecnica legislativa. Infatti, sia per la riscossione dei contributi, sia per la procedura e l'esecuzione in tale settore, le disposizioni dell'AVS nel loro complesso devono essere applicate per analogia. L'espressione "per analogia" è stata scelta intenzionalmente, poiché numerose locuzioni indicano l'AVS come tale e possono dunque applicarsi ai contributi dell'assicurazione-disoccupazione soltanto analogicamente (FF 1980 III 509)."
Ora nel Messaggio 11 agosto 1976 sull'istituzione dell'assicurazione obbligatoria contro la disoccupazione (ordinamento transitorio), il Consiglio federale circa l'art. 33 DAD affermava:
"Per quanto concerne l'esecuzione e la giurisdizione amministrativa, le disposizioni della legislazione AVS saranno applicabili al settore dei contributi. È questa una necessità poiché, per esempio, le decisioni in materia di contributi, i ricorsi contro tali decisioni o le fattispecie penali (p.es. la destinazione ad altro scopo, da parte del datore di lavoro, dei contributi dedotti dal salario dei lavoratori) verteranno di regola sia sui contributi AVS sia su quelli per l'assicurazione contro la disoccupazione, ragion per cui sarà indispensabile l'applicazione di prescrizioni uniformi (FF 1976 II 1599)."
In quanto precede si osserva, da un lato, che nel commento relativo all'art. 88 LADI non si allude minimamente alla responsabilità dei datori di lavoro per il mancato versamento di contributi, lo stesso limitandosi a far riferimento a responsabilità in relazione con le norme relative alle indennità per lavoro ridotto, per intemperie o in caso di insolvenza. D'altro lato, nelle osservazioni circa l'art. 6 LADI si insiste sulla necessità, in materia di riscossione dei contributi, di applicare
BGE 113 V 186 S. 189
di massima la regolamentazione precedentemente in vigore. Ne deve essere dedotto, quando si ricordi che le istituzioni dell'indennità per lavoro ridotto, per intemperie e in caso di insolvenza sono state introdotte nell'ordinamento legale per la prima volta con la LADI, che il disposto dell'art. 88 cpv. 2 di questa legge è stato essenzialmente previsto ai fini di definire gli organi competenti a chiedere il risarcimento di danni rilevanti da esse nuove istituzioni. Il silenzio del Messaggio 2 luglio 1980 nelle note riguardanti l'art. 88 LADI circa i danni cagionati dal mancato pagamento di contributi dell'assicurazione contro la disoccupazione, da un canto, e le esplicite affermazioni in merito all'art. 6 LADI secondo cui doveva essere mantenuto lo "statu quo ante" in materia di percezione dei contributi, d'altro canto, indicano che per l'autore della legge pacificamente, in virtù di quest'ultima norma, doveva pure in tema di risarcimento dei danni imputabili al mancato pagamento di essi contributi continuare a trovare applicazione il disciplinamento della LAVS.
Né comunque si vedono validi motivi di sottoporre il risarcimento dei danni per il non avvenuto pagamento di contributi dell'assicurazione contro la disoccupazione a una procedura diversa da quella applicabile in materia di contributi dell'AVS, incaricando l'ufficio di compensazione dell'assicurazione contro la disoccupazione di agire, quando identiche sono le condizioni della responsabilità nei due rami assicurativi. Non può d'altra parte essere disatteso che competente a statuire sui ricorsi dell'ufficio di compensazione è il Dipartimento federale dell'economia pubblica (art. 101 lett. c LADI), mentre le vertenze relative all'art. 52 LAVS rientrano nella competenza delle autorità cantonali di ricorso (art. 81 cpv. 3 OAVS), il che, prescindendo dalle complicazioni amministrative, potrebbe condurre a decisioni contraddittorie (cfr. FRÉSARD, op.cit., pag. 9). | null | nan | it | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
36fa85cc-64dc-42eb-97a8-1179bbb7234e | Urteilskopf
111 Ia 164
30. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. Mai 1985 i.S. X. gegen Gemeinde Y. und Regierung des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 4 und 33 RPG
; kommunale Zonenplanung; Gehörsanspruch des Grundeigentümers.
1. Wird der Antrag auf Umzonung einer Parzelle erstmals in der Gemeindeversammlung gestellt, kann im Verfahren gemäss Art. 37 des bündnerischen Raumplanungsgesetzes ohne Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auf eine nochmalige Planauflage verzichtet werden, wenn sich der betroffene Grundeigentümer vor der Beschlussfassung an der Versammlung äussern konnte und davon ausgegangen werden kann, dass er sich nicht unvorbereitet mit dem betreffenden Antrag auseinandersetzen musste (E. 2a-c).
2. Die Bestimmungen von
Art. 4 Abs. 1 und 2 RPG
stehen in erster Linie im Dienste der Sachaufklärung und der Mitwirkung der Bevölkerung an der Planung als politischem Prozess; ein über den Rechtsschutz gemäss
Art. 33 und 34 RPG
und die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden Minimalgarantien hinausgehender Anspruch lässt sich aus diesen Bestimmungen nicht ableiten (E. 2d). | Sachverhalt
ab Seite 165
BGE 111 Ia 164 S. 165
Am 16. Juni 1983 legte der Gemeindevorstand Y. zuhanden der Gemeindeversammlung vom 24. Juni 1983 eine Vorlage auf Revision des Zonenplanes und des kommunalen Baugesetzes vor. Vorgängig wurde der Zonenplanentwurf im Sinne von Art. 37 des Raumplanungsgesetzes für den Kanton Graubünden vom 20. Mai 1973 (KRG) aufgelegt, und es wurde den Interessierten Gelegenheit gegeben, Einsprache zu erheben. Die Zonenplanvorlage des Gemeindevorstandes enthielt mit Bezug auf das Grundstück von X. keine Änderungen gegenüber dem Zonenplan 1978. X. sah sich deshalb nicht veranlasst, Einsprache zu erheben. Anlässlich der Gemeindeversammlung vom 24. Juni 1983 wurde jedoch aus dem Schoss der Versammlung der Antrag gestellt, das bisher der Zone W2, zweite Etappe, zugeteilte Gebiet im "Holäwäg" sei in die Landwirtschaftszone um- bzw. auszuzonen. Die Gemeindeversammlung entsprach diesem Antrag mit 40 gegen 20 Stimmen.
Gegen diesen Beschluss erhob nebst anderen X. Beschwerde bei der Regierung des Kantons Graubünden. Er machte unter anderem geltend, der Umzonungsbeschluss sei auf undemokratische und dem Sinn des Gesetzes widersprechende Art zustande gekommen. Die Regierung des Kantons Graubünden wies die Beschwerde am 21. Mai 1984 ab und genehmigte gleichzeitig den Zonenplan "Überlandquart" vom 24. Juni 1983.
Eine gegen diesen Entscheid von X. erhobene staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer macht in formeller Hinsicht in erster Linie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Er führt aus, es habe für ihn kein Anlass bestanden, sich im Rahmen
BGE 111 Ia 164 S. 166
des in
Art. 37 KRG
vorgesehenen Vernehmlassungsverfahrens zu äussern, da die Vorlage des Gemeindevorstandes für sein Grundstück keine Umzonung vorgesehen habe. Indem die Leitung der Gemeindeversammlung die definitive Abstimmung nach dem Umzonungsantrag nicht verschoben habe, um den durch die Planungsmassnahme allenfalls Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, seien die in Art. 4 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) und
Art. 37 KRG
garantierten Mitwirkungsrechte an der Planung nicht gewährleistet worden.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Seine Verletzung führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (
BGE 109 Ia 5
;
BGE 106 Ia 73
/74 E. 2, je mit Hinweisen). Die entsprechenden Rügen sind deshalb vorweg zu prüfen. Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird zunächst durch die kantonalen Verfahrensvorschriften umschrieben, deren Auslegung und Anwendung das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft. Wo sich dieser kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden Verfahrensregeln zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz, die dem Bürger in allen Streitsachen ein bestimmtes Mindestmass an Verteidigungsrechten gewährleisten. Ob der unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt ist, prüft das Bundesgericht frei (BGE
BGE 110 Ia 85
E. 3b mit Hinweisen).
b) Gemäss
Art. 37 KRG
ist für den Erlass und die Änderung von Zonenplänen unter Vorbehalt der Genehmigung durch die Regierung die Gemeinde zuständig. Der Gemeindevorstand hat die Stimmberechtigten vor der Abstimmung angemessen zu orientieren und den Interessierten zu ermöglichen, Wünsche und Anträge einzureichen. Orientierungs- und Eingabemöglichkeiten sind in geeigneter und ortsüblicher Weise bekanntzugeben. In Ausführung dieser Bestimmung verlangt Art. 7 des Baugesetzes der Gemeinde Y. von 1978/83, dass Erlass und Änderung von Zonenplänen während 30 Tagen öffentlich aufzulegen und Einsprachen innert dieser Frist einzureichen sind. Die Bestimmung besagt ausdrücklich, dass Zonenplanänderungen der Abstimmung in der Gemeindeversammlung unterliegen. Der Beschwerdeführer bestreitet zu Recht nicht, dass in dieser Versammlung grundsätzlich beliebige Änderungsanträge gegenüber der Vorlage der Gemeindeexekutive
BGE 111 Ia 164 S. 167
gestellt werden können. Auch behauptet er nicht, dass das Verfahren in der Gemeindeversammlung vom 24. Juni 1983 abstimmungsrechtlich nicht in Ordnung gewesen sei.
Aus dem Wortlaut von
Art. 37 KRG
lassen sich keine Anhaltspunkte für das Vorgehen in Fällen finden, in denen der Antrag auf Umzonung einer Parzelle erstmals in der Gemeindeversammlung gestellt wird. Insbesondere fehlt jeder Hinweis darauf, dass unter diesen Voraussetzungen vor der definitiven Beschlussfassung durch die Versammlung eine nochmalige Planauflage mit Einspracherecht zu erfolgen hätte, wie dies der Beschwerdeführer verlangt. Klarerweise wird aber mit
Art. 37 KRG
bezweckt, im Planungsverfahren das rechtliche Gehör der betroffenen Grundeigentümer zu sichern. Deshalb kann nicht schlechthin ausgeschlossen werden, dass in gewissen Fällen die definitive Beschlussfassung in der Gemeindeversammlung auszusetzen ist, um die betroffenen Grundeigentümer vorgängig über die beabsichtigte Planänderung zu informieren und individuell anzuhören. Dieses Vorgehen würde sich jedenfalls dann aufdrängen, wenn es sich bei den Betroffenen um ausserhalb der Gemeinde wohnhafte Grundeigentümer handeln würde. Andernfalls wären diese Auswärtigen des Rechts, sich vor einer Planfestsetzung zu äussern, beraubt, da sie als Nichtstimmberechtigte weder an der Gemeindeversammlung mitwirken noch auf diese Einfluss nehmen könnten. Ob in diesen Fällen kantonales oder kommunales Recht eine Wiederholung des Auflageverfahrens erfordert oder ob das rechtliche Gehör der Betroffenen, zumindest wenn es sich nur um wenige Grundeigentümer handelt, durch ein anderes geeignetes Vorgehen gewährleistet werden kann, ist nicht zu entscheiden, da im hier zu beurteilenden Fall wesentlich andere Verhältnisse vorliegen. Der Beschwerdeführer ist nämlich in der Gemeinde Y. stimmberechtigt, hat an der fraglichen Gemeindeversammlung teilgenommen und sich unbestrittenermassen in einem Diskussionsvotum mit dem aus der Mitte der Versammlung gestellten Antrag auf Zuweisung seiner Liegenschaft zur Landwirtschaftszone auseinandergesetzt. Er konnte sich damit vor der beschlussfassenden Legislative äussern und hat von diesem Recht auch tatsächlich Gebrauch gemacht.
Der Beschwerdeführer wendet zwar ein, mangels Planauflage sei ihm die Möglichkeit genommen worden, "in aller Ruhe in einer schriftlichen Eingabe" zunächst dem Gemeindevorstand zuhanden der Versammlung die Gründe darzulegen, welche gegen die Auszonung seiner Parzelle sprächen. Die Regierung des Kantons
BGE 111 Ia 164 S. 168
Graubünden weist aber in ihrem Entscheid, gestützt auf die Vernehmlassung der Gemeinde Y., darauf hin, dass der betreffende Umzonungsantrag in der Gemeinde allgemein erwartet wurde, da die Unzufriedenheit über die seinerzeitige Einzonung des "Holäwäg" schon vor der Gemeindeversammlung vom 24. Juni 1983 laut geworden sei. Dies konnte dem Beschwerdeführer bei den überschaubaren Verhältnissen einer kleineren Gemeinde wie Y. nicht entgangen sein, zumal er früher das Amt des Gemeindepräsidenten bekleidet hatte. Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, er habe sich "völlig unvorbereitet" mit dem Antrag in der Gemeindeversammlung auseinandersetzen müssen, wie dies X. ohne irgendwelche nähere Substantiierung erstmals vor Bundesgericht behauptet.
Aufgrund dieser Erwägungen erweist sich die Auffassung der Regierung des Kantons Graubünden, es habe unter dem Gesichtswinkel von
Art. 37 KRG
auf eine nochmalige Planauflage verzichtet werden können, als sachlich vertretbar.
c) Der Beschwerdeführer kann auch aus dem unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden minimalen bundesrechtlichen Gehörsanspruch nichts weiteres für sich herleiten. Dieser Anspruch umfasst nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung das Recht des betroffenen Grundeigentümers, bei einer Änderung des kommunalen Zonenplans individuell angehört zu werden, bevor über die Zuteilung seines Grundstücks definitiv entschieden wird (
BGE 107 Ia 273
ff. mit Hinweisen). Dieses Recht war X. in der Gemeindeversammlung aber gegeben, wie oben ausgeführt wurde.
d) X. versucht schliesslich, ein Recht auf Aussetzung der Abstimmung in der Gemeindeversammlung und Durchführung eines erneuten Planauflage- und Einspracheverfahrens aus den Bestimmungen von
Art. 4 Abs. 1 und 2 RPG
abzuleiten. Danach haben die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden die Bevölkerung über Ziele und Ablauf der Planungen nach diesem Gesetz zu unterrichten; sie haben dafür zu sorgen, dass die Bevölkerung bei Planungen in geeigneter Weise mitwirken kann. Es handelt sich dabei um Gesetzgebungsaufträge an die Kantone und allenfalls die Gemeinden. Das bundesrechtlich geforderte Minimum besteht u.a. darin, Vorschläge entgegenzunehmen, Planentwürfe zu allgemeiner Ansichtsäusserung freizugeben und in beiden Fällen Vorschläge und Einwände materiell zu beantworten. Damit stehen diese Bestimmungen in erster Linie im Dienste der Sachaufklärung und der Mitwirkung der Bevölkerung an der Planung als politischem
BGE 111 Ia 164 S. 169
Prozess. Sie bezwecken, den Planungsprozess den Anforderungen des demokratischen Rechtsstaates anzupassen. Ihre Bedeutung erhalten sie vor allem da, wo der individuelle Rechtsschutz die Beteiligungsrechte der Bevölkerung nicht zu gewährleisten vermag (vgl. EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, Art. 4 N. 1-12 mit zahlreichen Hinweisen).
Zwar können einzelne Modalitäten des individuellen Rechtsschutzes wie das Auflagegebot für Nutzungspläne gemäss
Art. 33 Abs. 1 RPG
zugleich der Sachaufklärung der Bevölkerung im Sinne von
Art. 4 RPG
dienen (vgl. EJPD/BRP, a.a.O., Art. 33 Abs. 1 N. 6). Der Rechtsschutz selber wird aber bundesrechtlich durch die
Art. 33 und 34 RPG
und den unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden Gehörsanspruch gewährleistet. Ein darüber hinausgehender Anspruch lässt sich aus
Art. 4 RPG
jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht ableiten. Die Rüge der Verletzung dieser Bestimmung erweist sich demnach ebenfalls als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
36fbbf3e-b9b8-490c-a4cf-22af4e40a0b5 | Urteilskopf
107 Ia 148
28. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Oktober 1981 i.S. X. gegen Untersuchungsrichter 6 von Bern und Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Persönliche Freiheit,
Art. 8 EMRK
; Schutz des Briefgeheimnisses des Untersuchungsgefangenen.
Bei der Briefkontrolle ist darauf zu achten, dass das Personal, welches die Post vom Untersuchungsrichter zum Untersuchungsgefangenen und umgekehrt befördern muss, nicht in die Briefe Einsicht nehmen kann. | Sachverhalt
ab Seite 148
BGE 107 Ia 148 S. 148
Der Untersuchungsgefangene X. reichte gegen den Untersuchungsrichter 6 von Bern Beschwerde bei der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern ein. Er rügte unter anderem, dass die für ihn eingehende Post vom Untersuchungsrichter nach der Kontrolle unverschlossen weitergegeben werde; durch dieses Vorgehen könnten zur Zensur nicht befugte Dritte in seine Post Einsicht nehmen, was eine Verletzung des Briefgeheimnisses bedeute. Die Anklagekammer des Obergerichts wies die Beschwerde mit Beschluss vom 21. Juli 1981 ab. Hinsichtlich der unverschlossenen Weitergabe der zensurierten Post vertrat sie die Ansicht, die mit der Zustellung beauftragten Funktionäre handelten als Organe der gerichtlichen Polizei und unterstünden dem Amtsgeheimnis; eine Verletzung des Postgeheimnisses liege daher nicht vor.
BGE 107 Ia 148 S. 149
X. führt gegen den Entscheid der Anklagekammer staatsrechtliche Beschwerde, soweit er sich auf die Frage der offenen Weiterleitung der eingehenden Post bezieht.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Wenn der Untersuchungsrichter die für den Beschwerdeführer eingehende Post nach der Kontrolle unverschlossen weitergibt, kann das Gefängnispersonal, das die Briefe vom Untersuchungsrichter zum Untersuchungsgefangenen befördern muss, vom Inhalt der für den Beschwerdeführer bestimmten Post Kenntnis nehmen. Es steht somit ein Eingriff in das Briefgeheimnis zur Diskussion.
Art. 36 Abs. 4 BV
, der die Unverletzlichkeit des Post- und Telegraphengeheimnisses gewährleistet, kommt hier jedoch nicht zur Anwendung, denn das Briefgeheimnis fällt nur insoweit in den Schutzbereich dieser Vorschrift, als ein Eingriff durch die Angestellten der Postverwaltung in Frage steht (BURCKHARDT, Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 3. Aufl. 1931, S. 313; FRITZ FLEINER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 505). Der Beschwerdeführer stützt sich denn auch zu Recht nicht auf
Art. 36 Abs. 4 BV
, sondern beruft sich auf das ungeschriebene verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit bzw. der Intimsphäre sowie auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Es ist zu prüfen, ob das Vorgehen des Untersuchungsrichters unter diesen beiden Gesichtspunkten zulässig ist.
Gemäss Art. 122 Abs. 2 des Gesetzes über das Strafverfahren des Kantons Bern (StrV) ist gegenüber Untersuchungsgefangenen jede unnötige Strenge untersagt. Sie sollen in ihrer persönlichen Freiheit nur soweit beschränkt werden, als es der Untersuchungszweck erheischt. Diese kantonalrechtliche Bestimmung steht mit der vom Bundesgericht aus dem verfassungsmässigen Recht auf persönliche Freiheit in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit abgeleiteten Regel im Einklang, wonach die Freiheit des Untersuchungsgefangenen nur soweit beschränkt werden darf, als der Zweck der Untersuchung oder die Anstaltsordnung es erfordern (
BGE 102 Ia 282
ff., 304 f.;
BGE 99 Ia 270
E. IV). Das gleiche ergibt sich aus
Art. 8 EMRK
, der unter anderem die Freiheit des Briefverkehrs erwähnt und die Voraussetzungen für deren Einschränkung umschreibt (vgl.
BGE 106 Ia 140
). Die Kontrolle der Korrespondenz von Untersuchungsgefangenen ist mit Rücksicht auf den Untersuchungszweck unerlässlich und deshalb - von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen - zulässig; diese
BGE 107 Ia 148 S. 150
Zensur bildet denn auch als solche nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerde. Hingegen ist nicht einzusehen, weshalb der Briefverkehr von Häftlingen noch von anderen Personen als von dem mit der Kontrolle beauftragten Richter oder Beamten sollte eingesehen werden können. Der Zweck der Untersuchung erfordert dies nicht. Mit Gründen der Anstaltsordnung lässt sich die offene Weiterleitung der zensurierten Post ebenfalls nicht rechtfertigen. Es bedeutet keinen ins Gewicht fallenden Mehraufwand für den Untersuchungsrichter, den kontrollierten Brief mit einem Klebstreifen oder auf andere Art wieder zu verschliessen. In der deutschen Rechtslehre wird beispielsweise die Ansicht vertreten, der Richter habe die eingehende Post nach der Zensurlektüre in einem verschlossenen Begleitumschlag an den Untersuchungsgefangenen weiterzuleiten (Kommentar LÖWE/ROSENBERG zur deutschen Strafprozessordnung, 23. Aufl., Band 2, N. 107 zu § 119). Weder bei diesem noch bei einem allenfalls in Betracht zu ziehenden anderen System wird der Anstaltsbetrieb in untragbarer Weise erschwert oder der Untersuchungsrichter übermässig belastet, wenn die kontrollierte eingehende Post verschlossen an den Untersuchungsgefangenen weitergeleitet werden muss. Was die ausgehende Post betrifft, die zwar nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildet, aber hier gleichwohl zu erwähnen ist, so kann ebenfalls nicht von einer unzumutbaren Erschwerung des Anstaltsbetriebs gesprochen werden, wenn dem Untersuchungsgefangenen gestattet wird, die von ihm verfassten Briefe in einem verschlossenen Kuvert dem Untersuchungsrichter zur Kontrolle zuzuleiten.
Der Untersuchungsgefangene hat ein durchaus beachtliches Interesse an der verschlossenen Weiterleitung der zensurierten eingehenden Post. Der Eingriff in die Privatsphäre, der mit der Postkontrolle verbunden ist, wirkt sich ungleich schwerer aus, wenn nicht nur der Untersuchungsrichter, sondern auch die Gefängnisangestellten, mit denen der Untersuchungsgefangene in täglichem Kontakt steht, vom Inhalt der gesamten an ihn gerichteten Post Kenntnis erlangen können. Dass diese Angestellten ebenfalls dem Amtsgeheimnis unterstehen, lässt den Schutz - entgegen der Auffassung der Anklagekammer - nicht als entbehrlich erscheinen. Die Verletzung des verfassungsmässigen Rechtes auf die persönliche Intimsphäre liegt nicht bloss in der Gefahr, dass die Gefängnisangestellten ihre Kenntnisse nach aussen weitergeben könnten, sondern auch darin, dass sie diese überhaupt erlangen und allenfalls (ohne dadurch gegen
Art. 320 StGB
zu verstossen) gegenüber dem
BGE 107 Ia 148 S. 151
Häftling selbst in der einen oder andern Form davon Gebrauch machen könnten.
Die unverschlossene Weiterleitung der kontrollierten eingehenden Post bildet nach dem Gesagten eine "unnötige Strenge" gegenüber dem Untersuchungsgefangenen (Art. 122 Abs. 2 StrV) und stellt einen unverhältnismässigen Eingriff dar. Das Vorgehen des Untersuchungsrichters 6 von Bern ist daher unter dem Gesichtspunkt des verfassungsmässigen Rechtes auf die persönliche Geheimsphäre wie auch aufgrund von
Art. 8 EMRK
unzulässig. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen und der Beschluss der Anklagekammer des Berner Obergerichts vom 21. Juli 1981 aufzuheben. Die Anklagekammer wird in ihrem neuen Entscheid auch die Kostenfrage unter Berücksichtigung des Umstandes neu zu regeln haben, dass der Beschwerdeführer mit seinen Anliegen teilweise durchgedrungen ist. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
37011665-4ca0-4fda-9912-3848ee706725 | Urteilskopf
114 II 261
45. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. August 1988 i.S. A. gegen B. (Berufung) | Regeste
Art. 135 Ziff. 2 OR
.
Unterbrechung der Verjährung durch Ladung zum Sühneversuch: Die Verjährung wird bereits durch Postaufgabe des Sühnebegehrens unterbrochen.
Dies gilt unter Vorbehalt von Rechtsmissbrauch auch dann, wenn die Ladung zur Sühneverhandlung auf Gesuch des Ansprechers einstweilen unterbleibt. | Sachverhalt
ab Seite 261
BGE 114 II 261 S. 261
A.-
B. übertrug A. die Gipserarbeiten an seinem Einfamilienhaus. Die Arbeiten wurden am 15. Juli 1980 abgenommen.
Im Verlaufe der Jahre 1984/85 will B. am Fassadenputz Mängel festgestellt haben, für die er A. verantwortlich machte. Vergleichsverhandlungen unter den Parteien führten zu keinem Ergebnis. B. liess daraufhin A. mitteilen, dass er zur Wahrung der Garantiefrist gezwungen sei, vorsorglich zum Aussöhnungsversuch laden zu lassen. Am 19. Juni 1985 stellte sein Anwalt beim Gerichtspräsidenten von Fraubrunnen ein entsprechendes Begehren, bat aber, vorderhand noch keinen Termin anzusetzen, weil die Parteien noch Vergleichsverhandlungen führten. Am 18. März 1986 kam der Anwalt darauf zurück und ersuchte den Gerichtspräsidenten, nunmehr zum Aussöhnungsversuch vorzuladen, da die Verhandlungen endgültig gescheitert seien. Der Versuch fand am 16. April 1986 statt, blieb aber erfolglos.
B.-
Am 20. Juni 1986 klagte B. beim Appellationshof des Kantons Bern mit dem Begehren, A. zur Behebung der Mängel an seinen Arbeiten zu verurteilen. Der Beklagte widersetzte sich dem Begehren vor allem mit der Einrede, die Gewährleistungsansprüche des Klägers seien verjährt.
Mit Zwischenentscheid vom 18. Mai 1988 wies der Appellationshof diese Einrede ab und stellte fest, dass die Verjährung nicht eingetreten sei.
BGE 114 II 261 S. 262
C.-
Mit Berufung beantragt der Beklagte dem Bundesgericht, diesen Entscheid aufzuheben und die Klage wegen Verjährung abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt den angefochtenen Entscheid.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Art. 371 Abs. 2 OR
und Art. 180 SIA-Norm 118 (Ausgabe 1977) sehen für Gewährleistungsansprüche des Bestellers, wenn es wie hier um ein unbewegliches Bauwerk geht, eine Verjährungsfrist von fünf Jahren vor. Vorliegend ist einzig streitig, ob der Kläger mit seinem Begehren vom 19. Juni 1985 um Ladung zum Aussöhnungsversuch die fünfjährige Frist unterbrochen hat oder ob diese Wirkung, wie der Beklagte einwendet, zu verneinen ist, weil der Richter auf Gesuch des Klägers einstweilen von der Vorladung abgesehen hat.
a) Was der Beklagte zur Begründung seiner Auffassung vorbringt, scheitert schon an der Rechtsprechung zu
Art. 135 Ziff. 2 OR
. Nicht das kantonale Prozessrecht, sondern nur das Bundesrecht kann bestimmen, was als "Ladung zu einem amtlichen Sühneversuch" im Sinne des
Art. 135 Ziff. 2 OR
zu verstehen ist. Nach
BGE 65 II 166
bezeichnet diese Wendung eine Handlung des Ansprechers, nämlich dessen Begehren um Abhaltung eines amtlichen Sühneversuchs, wobei die Verjährung bereits durch Postaufgabe des Begehrens unterbrochen wird. Das stimmt überein mit den übrigen in Ziff. 2 erwähnten Unterbrechungsgründen, die ebenfalls auf eine Handlung des Ansprechers abstellen und kein Zutun der Behörde, insbesondere keine amtliche Mitteilung an den Schuldner erfordern. Das eine wie das andere ist namentlich für die Klage (
BGE 49 II 41
/42 mit Hinweisen) und das Betreibungsbegehren (
BGE 101 II 80
/81,
BGE 83 II 50
E. 5) längst klargestellt worden. Die Unterbrechung der Verjährung setzt daher weder voraus, dass der Schuldner vom Sühnebegehren Kenntnis erhält, noch kann etwas darauf ankommen, ob innert angemessener Frist zur Sühneverhandlung vorgeladen wird oder ob die Ladung aus irgendwelchen Gründen einstweilen unterbleibt. Es bleibt vielmehr selbst dann bei der Unterbrechung, wenn der Ansprecher sein Begehren nachträglich zurückzieht.
Diese Auslegung von
Art. 135 Ziff. 2 OR
entspricht, wie dem Beklagten bereits vom Appellationshof auseinandergesetzt worden
BGE 114 II 261 S. 263
ist, auch der neueren Lehre, die sich mehrheitlich der angeführten Rechtsprechung angeschlossen hat oder sich mit blossen Hinweisen begnügt (GUHL/MERZ/KUMMER, OR 7. Aufl. S. 287; E. BUCHER, OR Allg. Teil S. 406/7 Anm. 98; VON BÜREN, OR Allg. Teil S. 433/34; VON TUHR/ESCHER, OR Allg. Teil II S. 228 Anm. 27 und S. 229 oben). Das gilt auch für GAUCH (Rechtsprechung des Bundesgerichts zu OR Allg. Teil, S. 208), dem der Beklagte ein falsches Zitat unterstellt.
b) Weshalb das Sühnebegehren durch das Gesuch, vorderhand nicht zur Sühneverhandlung zu laden, sich selbst wieder aufheben soll, ist nicht einzusehen. Ein solches Vorgehen ist im Gegenteil vernünftig, wenn Parteien noch in Vergleichsverhandlungen stehen und den Streit gütlich beilegen wollen, dienen diese Verhandlungen doch dem gleichen Zweck wie ein Sühneversuch. Es bleibt dem Schuldner übrigens unbenommen, sich dem Gesuch zu widersetzen, wenn er das Vorgehen des Gläubigers für missbräuchlich hält. Dem kann auch der Sühnebeamte vorbeugen, indem er das Gesuch ablehnt und sogleich einen Verhandlungstermin ansetzt. Für einen Verstoss gegen Treu und Glauben liegt hier aber nichts vor. Aus dem angefochtenen Urteil erhellt vielmehr, dass der Kläger dem Vertreter des Beklagten das Sühnebegehren mit Schreiben vom 18. Juni 1985 ausdrücklich ankündigen liess, weil er leider gezwungen sei, "vorsorglicherweise zum Aussöhnungsversuch laden zu lassen".
Aus
BGE 113 III 87
kann der Beklagte schon deshalb nichts für seine Auffassung ableiten, weil dort die Frage, ob eine Aberkennungsklage nach einer Säumnis erneut angehoben werden könne, von kantonalem Prozessrecht abhing. Ebensowenig hilft ihm
BGE 85 II 537
, wo es nicht um Verjährung, sondern um die Verwirkung eines Klagerechts ging, was der Beklagte übersieht. Wie dazu bereits in
BGE 74 II 16
E. 1b ausgeführt worden ist, bildet die Anrufung des Sühnebeamten nur dann eine den Prozess einleitende oder vorbereitende Handlung, wenn die Streitsache mangels Aussöhnung von Amtes wegen an das Gericht weiterzuleiten oder der Kläger nach kantonalem Prozessrecht verpflichtet ist, den Prozess sodann innert einer bestimmten Frist einzuleiten und ihn auch tatsächlich einleitet. Das gilt für die Einhaltung von Verwirkungsfristen, heisst aber nicht, dass eine Ladung zu einem Sühneversuch eine Verjährung ebenfalls nur unter diesen Voraussetzungen zu unterbrechen vermöge. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3704ed45-9be6-4ba5-a582-5166993e24fa | Urteilskopf
112 V 237
41. Arrêt du 1er septembre 1986 dans la cause Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail contre Brunner et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'assurance-chômage | Regeste
Art. 10 Abs. 2 lit. b, 14, 18, 22 Abs. 1, 23 AVIG,
Art. 41 Abs. 1 AVIV
.
Anspruchsvoraussetzungen und Taggeldbemessung bei Teilarbeitslosigkeit. | Sachverhalt
ab Seite 237
BGE 112 V 237 S. 237
A.-
L'assuré travaille depuis de nombreuses années comme fonctionnaire spécialiste à Genève. Dès le 1er octobre 1982, il a réduit son activité à 50% pour entreprendre des études à l'Université de Genève. N'ayant pas achevé celles-ci, il a vainement demandé à son employeur de pouvoir reprendre un emploi à plein temps. Un refus formel et définitif lui a été signifié le 12 octobre 1984, ce qui l'a conduit à se faire "exmatriculer" de l'Université
BGE 112 V 237 S. 238
le 27 octobre 1984 et à faire contrôler son chômage à partir du 5 novembre suivant, afin de pouvoir bénéficier de l'indemnité journalière pour chômage partiel dès cette date.
Par décision du 22 novembre 1984, la Caisse cantonale genevoise d'assurance contre le chômage a notifié à l'assuré qu'elle refusait de lui allouer l'indemnité prétendue, motif pris qu'il occupait toujours un emploi à mi-temps, de sorte qu'il ne subissait aucune perte de gain à prendre en considération.
Saisi d'un recours de l'assuré, l'Office cantonal genevois de l'emploi l'a rejeté par décision du 11 février 1985.
B.-
L'assuré a porté le différend devant la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'assurance-chômage. Par jugement du 9 mai 1985, celle-ci a admis le pourvoi dont elle était saisie, considérant que le motif invoqué par la caisse à l'appui de son refus n'était pas justifié; en conséquence, elle a renvoyé la cause à l'autorité inférieure afin qu'elle détermine si le recourant remplit les autres conditions l'autorisant à toucher des indemnités.
C.-
L'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail interjette recours de droit administratif contre ce jugement, dont il demande l'annulation, en concluant au rétablissement de la décision administrative du 22 novembre 1984. L'assuré conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Pour avoir droit à l'indemnité de chômage, l'assuré doit notamment, selon l'
art. 8 al. 1 LACI
:
- Etre sans emploi ou partiellement sans emploi (let. a). Selon l'
art. 10 al. 2 let. b LACI
, est réputé partiellement sans emploi celui qui occupe un emploi à temps partiel et cherche à le remplacer par une activité à plein temps ou à le compléter par une autre activité à temps partiel.
- Avoir subi une perte de travail à prendre en considération (let. b), c'est-à-dire une perte de travail qui se traduit par un manque à gagner et dure au moins deux journées de travail consécutives (
art. 11 al. 1 LACI
).
- Remplir les conditions relatives à la période de cotisation ou en être libéré (let. e). Remplit les conditions relatives à la période de cotisation celui qui, dans les limites du délai-cadre au sens de l'
art. 9 al. 3 LACI
, a exercé, durant six mois au moins, une activité soumise à cotisation (
art. 13 al. 1 LACI
).
BGE 112 V 237 S. 239
Quant à l'
art. 14 al. 1 let. a LACI
, il libère des conditions relatives à la période de cotisation l'assuré qui, dans les limites du délai-cadre, mais pendant plus de douze mois au total, n'était pas partie à un rapport de travail et, partant, n'a pu s'acquitter des conditions relatives à la période de cotisation en raison d'une formation scolaire, d'une reconversion ou d'un perfectionnement professionnel.
b) Des règles susmentionnées, il faut distinguer celles qui se rapportent à l'étendue du droit à l'indemnité de chômage et qui figurent aux
art. 18 ss LACI
. Selon l'art. 18 al. 1 première phrase LACI, ce droit se détermine d'après la durée de la perte de travail à prendre en considération pendant une période de contrôle. Chaque mois civil pour lequel le chômeur prétend des indemnités constitue une période de contrôle (
art. 18 al. 2 LACI
). Selon l'
art. 22 al. 1 LACI
, l'indemnité journalière pleine et entière s'élève à 70% du gain assuré ou à 80% pour les personnes mariées ou pour celles qui leur sont assimilées. Pour les assurés touchant l'indemnité au terme d'un apprentissage et pour les personnes qui sont libérées des conditions relatives à la période de cotisation, le Conseil fédéral fixe, à titre de gain assuré, des montants forfaitaires appropriés. Selon le niveau de formation de l'assuré, le montant forfaitaire s'élève à 80 francs, 100 francs ou 120 francs par jour (
art. 41 al. 1 OACI
).
2.
a) Il n'est pas contesté en l'espèce que, au moment où la décision litigieuse a été rendue, l'intimé était partiellement sans emploi et qu'il cherchait vainement à remplacer son travail à temps partiel par une activité à plein temps, voire à le compléter par une autre occupation à temps partiel. L'office recourant constate toutefois que l'assuré a exercé une activité salariée pour laquelle il a payé des cotisations pendant le délai-cadre applicable à la période de cotisation (
art. 9 al. 3 LACI
) et qui s'étendait en l'occurrence du 5 novembre 1982 au 5 novembre 1984. Par conséquent, il ne pouvait - contrairement à ce qu'admettent implicitement les premiers juges - bénéficier de la dispense instituée par l'
art. 14 al. 1 let. a LACI
, du moment qu'il était partie à un rapport de travail durant la période correspondante. A cet égard, le recourant invoque le ch. 51 de sa circulaire relative à l'indemnité de chômage (dans sa version de juillet 1985), qui est ainsi rédigé: "Dans un contexte général, il convient de relever que l'
art. 14 LACI
ne peut pas être appliqué lorsque l'assuré a exercé une activité soumise à cotisation d'au moins six mois dans les
BGE 112 V 237 S. 240
limites du délai-cadre applicable à la période de cotisation. Seule cette activité soumise à cotisation est déterminante pour le calcul du droit aux indemnités journalières."
En outre, toujours selon le recourant, l'intimé ne subirait aucun manque à gagner au sens de l'
art. 11 al. 1 LACI
, car le salaire qu'il perçoit pour son activité à mi-temps (2'927 francs) est supérieur à l'indemnité de chômage à laquelle il pourrait théoriquement prétendre (2'357 francs 60 = 80% de 2'927 francs). Sur ce point, l'opinion du recourant rejoint la pratique administrative relative à l'indemnisation des chômeurs partiellement sans emploi. Selon cette pratique, le revenu d'une activité à temps partiel est déduit de l'indemnité de chômage possible (70 ou 80% du gain assuré) et le solde - éventuel - converti en indemnités pour être versé à l'assuré (cf. ch. 178 de la circulaire relative à l'indemnité de chômage).
b) L'argumentation du recourant n'est pas fondée. La déduction susmentionnée, instituée par la pratique administrative, a pour conséquence que le chômeur partiellement sans emploi n'a pas droit à l'indemnité de chômage si le revenu qu'il obtient au début de la période d'indemnisation (
art. 9 al. 2 LACI
) est supérieur à 70 ou 80% du gain assuré, calculé selon les
art. 37 ou 41 OACI
. Or, comme le Tribunal fédéral des assurances l'a constaté dans un arrêt récent, une telle situation aurait pour effet d'exclure d'emblée du bénéfice de l'assurance-chômage une grande partie des chômeurs partiellement sans emploi, ce qui serait contraire au texte même de la loi: celle-ci reconnaît, sans autres conditions, le droit à l'indemnité aux assurés qui occupent un emploi à temps partiel et cherchent à le remplacer par une activité à plein temps ou à le compléter par une autre occupation à temps partiel (arrêt Ernst du 10 juillet 1986 [
ATF 112 V 233
consid. b]). On ajoutera que, dans le cas particulier, la solution préconisée par le recourant conduit à pénaliser, sans raisons objectives, la personne qui mène de front des études et une activité professionnelle, pour éviter de tomber à la charge de la collectivité publique (p.ex. en bénéficiant d'une bourse d'études): l'assuré qui eût, contrairement à l'intimé, cessé toute activité lucrative pour se consacrer entièrement et exclusivement à ses études eût pu alors se voir reconnaître le plein droit aux indemnités de chômage, compte tenu de l'
art. 14 al. 1 let. a LACI
.
c) En vérité, pour un assuré qui exerce une activité professionnelle à temps partiel et qui consacre le reste de son temps
BGE 112 V 237 S. 241
disponible à des études, il est logique de distinguer clairement - à l'issue de celles-ci - les deux temps partiels et, pour la partie chômée, de considérer l'intéressé comme un chômeur complet; c'est par rapport à une telle situation qu'il convient d'examiner si les conditions alternatives des
art. 13 et 14 LACI
sont remplies. La loi admet d'ailleurs expressément le bien-fondé d'une telle solution à l'
art. 14 al. 2 LACI
, aux termes duquel sont également libérées des conditions relatives à la période de cotisation les personnes qui, par suite de séparation de corps ou de divorce, d'invalidité ou de mort de leur conjoint ou pour des raisons semblables ou pour cause de suppression de leur rente d'invalidité, sont contraintes d'exercer une activité salariée ou de l'étendre. En d'autres termes, un assuré peut fort bien, dans certains cas, satisfaire à l'exigence de l'
art. 14 LACI
alors même qu'il a exercé une activité salariée - à temps partiel - durant le délai-cadre de l'
art. 9 al. 3 LACI
(voir également dans ce sens l'arrêt Ernst, précité, qui concerne une assurée ayant travaillé à temps partiel et qui avait été contrainte, par suite de divorce, de rechercher une activité lucrative à plein temps).
Ainsi donc, dans la mesure où les directives administratives précitées établissent des normes qui ne sont pas conformes aux dispositions légales, il n'y a pas lieu de les appliquer (
ATF 112 V 73
,
ATF 111 V 259
consid. 2 et les références citées).
3.
Au vu de ce qui précède, on doit admettre que l'intimé ne satisfait pas à l'exigence de l'
art. 13 al. 1 LACI
, par rapport au temps partiel chômé: il ne peut pas justifier, pendant le délai-cadre de deux ans applicable à la période de cotisation - soit du 5 novembre 1982 au 5 novembre 1984 -, d'une activité soumise à cotisation de six mois au moins. En revanche, pour le mi-temps qu'il a consacré à ses études, on doit considérer qu'il satisfaisait à la condition de l'
art. 14 al. 1 let. a LACI
et qu'il était ainsi libéré des conditions relatives à la période de cotisation.
Cela étant, c'est à juste titre que les premiers juges ont renvoyé la cause à l'autorité cantonale inférieure pour qu'elle examine si - mis à part l'exigence stipulée par l'
art. 8 al. 1 let
. e LACI - l'intimé remplit les autres conditions du droit à l'indemnité.
Pour ce qui est du calcul de l'indemnité à laquelle l'intimé pourra éventuellement prétendre, il conviendra, le cas échéant, de se conformer aux principes développés par le Tribunal fédéral des assurances dans l'arrêt Ernst, déjà mentionné, et qui peuvent être ainsi résumés: pour déterminer l'indemnité en cas de chômage
BGE 112 V 237 S. 242
partiel, il faut partir du gain assuré tel qu'il résulte de l'
art. 37 OACI
ou - dans l'hypothèse où l'assuré est libéré des conditions relatives à la période de cotisation - de l'
art. 41 OACI
; si le montant du gain assuré correspond à une activité exercée à temps partiel durant la période de calcul, il n'y a pas lieu de prendre en considération un gain hypothétique (cf.
ATF 111 V 248
consid. 3a), sous réserve des situations spéciales envisagées par les
art. 39 et 40b OACI
; si le gain assuré correspond - ou est censé correspondre, dans le cas des montants forfaitaires mentionnés à l'
art. 41 OACI
- à une activité exercée à plein temps, ce gain ne doit être pris en compte qu'en proportion de la perte de travail subie.
Dans le cas particulier, il faudra ainsi partir d'un gain assuré de 100 francs par jour du moment que l'intéressé - libéré des conditions relatives à la période de cotisation - est au bénéfice d'une formation mais qu'il n'a pas achevé ses études universitaires (
art. 41 al. 1 let. b OACI
). Ce montant devra toutefois être réduit en proportion de la perte de travail subie (in casu 22 heures par semaine) par rapport à un horaire de travail normal (in casu 44 heures par semaine). Par conséquent, à supposer que l'intimé remplisse toutes les conditions du droit à l'indemnité, celle-ci s'élèvera à 40 francs par jour (80% de 50 francs).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3705f039-e14a-4107-b38b-53ab97b3d20b | Urteilskopf
106 V 117
27. Urteil vom 27. Mai 1980 i.S. Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich gegen Gut und Kantonale Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung, Zürich | Regeste
Art. 28 Abs. 2 AlVG
.
Diese Bestimmung bezieht sich lediglich auf Zweifel hinsichtlich des rechtlichen Bestandes eines Lohnanspruches, nicht auf Zweifel an dessen Realisierbarkeit. | Sachverhalt
ab Seite 117
BGE 106 V 117 S. 117
A.-
Die Firma X. AG löste am 31. Oktober 1978 zufolge massiven Umsatzrückgangs die Arbeitsverhältnisse mit ihren Mitarbeitern auf und fiel am 9. November 1978 in Konkurs, der in der Folge mangels Aktiven eingestellt wurde. Vom 10. November 1978 bis 24. Februar 1979 besuchte Hans Gut, Geschäftsführer, Mehrheitsaktionär und Präsident des Verwaltungsrates der Konkursitin, die Stempelkontrolle.
Mit Verfügung vom 30. Januar 1979 verneinte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich die Anspruchsberechtigung des Hans Gut bis zum 31. Januar 1979, da ihm infolge der dreimonatigen Kündigungsfrist bis zu diesem Datum noch Ansprüche gegenüber der Arbeitgeberin aus Arbeitsvertrag zustünden.
B.-
Die gegen diese Verfügung von Hans Gut eingereichte Beschwerde hiess die Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung des Kantons Zürich am 28. Juni 1979 mit der Begründung gut, dass
Art. 28 Abs. 2 AlVG
nicht nur auf die Fälle Anwendung finde, in denen über das Bestehen des Lohnanspruchs eines Versicherten gegenüber seinem Arbeitgeber Zweifel bestünden. Nach dem Zweck von
Art. 28 AlVG
und
BGE 106 V 117 S. 118
nach dem Sinn der Arbeitslosenversicherung könne auch dann eine Arbeitslosenentschädigung ausgerichtet werden, wenn ein klar ausgewiesener Lohnanspruch zufolge Konkurs des Arbeitgebers aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einbringlich sei.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Arbeitslosenkasse die Aufhebung des Entscheides der Rekurskommission. Hans Gut könne keine genügend überprüfbare Beschäftigung als Arbeitnehmer (Art. 9 Abs. 2 AlVB) nachweisen.
Hans Gut schliesst sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit beantragt ebenfalls Abweisung.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Zu Recht hat die Vorinstanz den Beschwerdegegner arbeitslosenversicherungsrechtlich als Arbeitnehmer eingestuft, so dass seine Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosenentschädigung grundsätzlich zu bejahen ist.
2.
Gemäss
Art. 28 Abs. 1 AlVG
ist der Verdienstausfall nicht anrechenbar während Arbeitstagen, für welche dem Versicherten Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber aus Dienstvertrag zustehen. Bestehen über den Anspruch des Versicherten gegenüber dem Arbeitgeber Zweifel, so ist die Kasse nach
Art. 28 Abs. 2 AlVG
zur Ausrichtung der Arbeitslosenentschädigung ermächtigt.
Es ist unbestritten, dass dem Beschwerdegegner zufolge der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist von drei Monaten für die Zeit vom 31. Oktober 1978 (Kündigung) bis 31. Januar 1979 - und dies unbeschadet durch den am 9. November 1978 eingetretenen Konkurs der Arbeitgeberin - ein Lohnanspruch zusteht. Folglich erleidet der Beschwerdegegner gemäss
Art. 28 Abs. 1 AlVG
keinen anrechenbaren Verdienstausfall, so dass er kein Recht auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung hat. Unbeachtlich ist, dass er seinen Lohnanspruch mangels Aktiven der Konkursitin nicht realisieren kann. Kriterium für den Ausschluss von der Genussberechtigung ist nach
Art. 28 Abs. 1 AlVG
der rechtliche Bestand der dienstvertraglichen Forderung gegenüber dem Arbeitgeber. Am Bestehen des Anspruchs ändert indes die Insolvenz des Arbeitgebers nichts.
Zum gleichen Ergebnis führt auch
Art. 28 Abs. 2 AlVG
, der sich unmissverständlich auf Zweifel hinsichtlich des
BGE 106 V 117 S. 119
Rechtsanspruchs bezieht und damit die logische Ergänzung von
Art. 28 Abs. 1 AlVG
bildet. Verhindert nämlich
Art. 28 Abs. 1 AlVG
bei einem klar ausgewiesenen Lohnanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber und unabhängig von der Realisierbarkeit der Forderung den Eintritt des Versicherungsfalles, so bleibt für die Anwendung von
Art. 28 Abs. 2 AlVG
notwendigerweise kein Raum. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz besteht der Zweck von
Art. 28 Abs. 2 AlVG
nicht darin, den Versicherten gegen die Insolvenz des Arbeitgebers zu schützen. Die geltende Ordnung der Arbeitslosenversicherung kennt das Institut der Insolvenzentschädigung nicht. Diese Lücke im Sozialversicherungsrecht zu schliessen ist Sache des Gesetzgebers, was denn auch im Entwurf vom 7. November 1979 zum neuen Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung zum Ausdruck kommt.
Die von der Vorinstanz geschützte und vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit geduldete Praxis einzelner Kassen, Leistungen auch dann zu erbringen, wenn der Arbeitnehmeranspruch wegen Konkurses des Arbeitgebers aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bzw. erst nach Abschluss des oft langdauernden Konkurses realisierbar ist, erweist sich somit als rechtswidrig.
3.
Aus dem rechtswidrigen Verhalten der Aufsichtsbehörde und der Kassen in den erwähnten Fällen kann der Beschwerdegegner nichts zu seinen Gunsten ableiten. Der Umstand, dass das Gesetz in andern Fällen nicht oder nicht richtig angewendet worden ist, gibt dem Bürger grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ebenfalls abweichend vom Gesetz behandelt zu werden. Der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung, der eine Übereinstimmung der Entscheidung mit dem Gesetz verlangt, geht der Rücksichtnahme auf gleichmässige Rechtsanwendung vor (
BGE 104 Ib 364
Erw. 5,
BGE 103 Ia 242
Erw. 2 mit Hinweisen). Die Störung der Rechtsgleichheit, die das Urteil in sich birgt, wird dadurch zu beheben sein, dass Aufsichtsbehörde und Kassen
Art. 28 AlVG
künftig im Sinne der vorstehenden Erwägungen handhaben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid der Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung des Kantons Zürich vom 28. Juni 1979 aufgehoben. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3708006e-8f41-4fe4-bc8f-17e1ef78e70f | Urteilskopf
93 I 369
47. Sentenza del 13 luglio 1967 della II. Corte civile nella causa CIT Continental Inward Transportation SA contro Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino. | Regeste
Bundesgesetz vom 28. September 1923 über das Schiffsregister. Registrierung der Schiffe.
1. Das Gesetz gibt keine Definition des Heimathafens, nach welchem sich das für die Registrierung des Schiffes zuständige Amt bestimmt. Die Umschreibung dieses Begriffs wurde bewusst der Praxis überlassen (Erw. 2).
2. Unter dem Heimathafen eines Schiffes wird grundsätzlich der Ort verstanden, von dem aus die Schiffahrt tatsächlich betrieben wird, d.h. der Ort, von dem aus das Schiff seine Reisen antritt und an den es nach seinen Reisen regelmässig zurückkehrt. Lässt sich ein solcher Ort nicht bestimmen, so ist als Heimathafen der Hafen zu betrachten, mit dem das Schiff oder wenigstens das von ihm befahrene Gewässer eine natürliche Verbindung hat (für schweizerische Schiffe, die von den Meerhäfen aus den Rhein befahren, gilt als solcher der Hafen von Basel) (Erw. 5). Was gilt für Schiffe, die keine natürliche Verbindung mit schweizerischen Wasserläufen haben? (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 370
BGE 93 I 369 S. 370
A.-
La società anonima CIT Continental Inward Transportation, che ha sede a Lugano, è proprietaria di due motocisterne di 915, rispettivamente 870 tonnellate, che solcano il Reno dai porti marittimi fino a Basilea. L'ufficio del registro fondiario di Basilea-Città (nelle cui competenze rientra anche la tenuta del registro del naviglio) rifiutò l'intavolazione delle navi, richiesta dalla società, adducendo ch'essa doveva avvenire presso la sede di quest'ultima. La società si rivolse quindi all'ufficio dei registri di Lugano, il quale rifiutò a sua volta di intavolare le motocisterne con la seguente motivazione:
"Per battelli che navigano in acque svizzere vale esclusivamente il principio del porto di attinenza, che per battelli che navigano sul Reno sino a Basilea, è Basilea e non Lugano."
La società proprietaria delle motocisterne impugnò tale decisione davanti al Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino, quale autorità di vigilanza.
Il Dipartimento respinse il ricorso mediante decisione del 13 aprile 1967. Esso rilevò, in sostanza, che le motocisterne di cui si tratta potrebbero essere intavolate a Lugano, sede della società armatrice, soltanto qualora non potessero raggiungere un porto svizzero. Questa condizione non sarebbe però adempiuta in concreto, le navi citate potendo giungere sino a Basilea.
B.-
Mediante ricorso di diritto amministrativo del 17 aprile 1967, la CIT Continental Inward Transportation SA impugna questa decisione davanti al Tribunale federale. Essa chiede, in via principale, di ordinare l'intavolazione delle motocisterne nel registro del naviglio di Lugano; in via subordinata, di designare come ufficio competente per l'intavolazione l'ufficio dei registri di Basilea-Città.
C.-
Il Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino e il
BGE 93 I 369 S. 371
Dipartimento federale di giustizia e polizia propongono la reiezione del ricorso. Chiedono inoltre che il Tribunale federale dichiari competente ad effettuare l'intavolazione l'ufficio dei registri di Basilea-Città (Il Dipartimento federale di giustizia e polizia cita anche gli uflici dei registri di Liestal e di Lenzburg).
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Giusta l'art. 4 della legge federale sul registro del naviglio del 28 settembre 1923 (LRN), sono intavolate nel registro tutte le navi d'almeno quindici tonnellate di portata, adibite al trasporto mercantile (di persone o di merci) ed aventi in Svizzera il porto d'attinenza. L'art. 9 della legge dispone che la notificazione va fatta, mediante una dichiarazione scritta firmata dall'istante, all'ufficio competente secondo il porto d'attinenza della nave. Uffici competenti sono, in particolare, per le navi aventi il porto di attinenza nel Cantone di Basilea-Città, l'ufficio cantonale del registro fondiario di Basilea; per le navi aventi il porto d'attinenza nel Cantone di Basilea-Campagna, l'ufficio del registro fondiario di Liestal; per le navi aventi il porto d'attinenza nel Cantone di Argovia, l'ufficio del registro fondiario di Lenzburg; per le navi aventi il porto d'attinenza nel Cantone Ticino, l'ufficio del registro fondiario di Lugano per quanto riguarda il bacino del Ceresio, l'ufficio del registro fondiario di Locarno per quanto riguarda il bacino del Verbano (cfr. art. 1 dell'ordinanza d'esecuzione della LRN, del 24 marzo 1924).
2.
La legge non precisa la nozione di porto d'attinenza ("Heimathafen", "port d'attache"). La definizione venne tralasciata volutamente, perchè non fosse risolta in via solo teorica una spinosa questione che involgeva molte considerazioni d'ordine pratico (cfr. Boll. sten., Consiglio nazionale, 1923, p. 178; Consiglio degli Stati, 1923, p. 108). La definizione contenuta all'art. 4 cpv. 2 del progetto di legge del Consiglio federale (e secondo cui porto d'attinenza è il luogo dal quale viene effettivamente esercitato il servizio di navigazione) fu quindi stralciata e la delimitazione del concetto lasciata completamente alla prassi. Questa ha interpretato la nozione di porto d'attinenza in modo estensivo, per rendere possibile anche l'intavolazione di navi che, pur appartenendo ad armatori svizzeri, solcano esclusivamente acque straniere. Per porto d'attinenza della nave è stato così inteso il luogo ove l'impresa di navigazione che la dirige possiede il suo centro d'attività, vale
BGE 93 I 369 S. 372
a dire, in pratica, il domicilio commerciale dell'armatore. Il Tribunale distrettuale di Zurigo, fondandosi su di un parere rilasciatogli dal Dipartimento federale di giustizia e polizia, mediante decisione del 17 novembre 1925, ordinò in tal modo l'intavolazione nel registro del naviglio di Zurigo-Riesbach di due chiatte circolanti solo sul Danubio e appartenenti ad una società zurigana (ZBGR vol. 7 (anno 1926), p. 104 e segg., n. 31).
Questa decisione, e la concezione che l'ha determinata, furono criticate da LIMBURG e da LEEMANN (SJZ, vol. 22 (anni 1925-26), p. 257 e segg.). Il Servizio federale del registro fondiario e il Dipartimento federale di giustizia e polizia le condivisero però nei loro pareri del 2 aprile 1935, rispettivamente del 10 giugno 1936 (pubblicati in Giurisprudenza delle autorità amministrative della Confederazione, anno 1935 n. 90, rispettivamente, anno 1936 n. 86), ove ribadirono il principio secondo il quale per porto d'attinenza dev'essere inteso il luogo dal quale è diretto il servizio commerciale della nave.
3.
a) Tale concezione non va aliena da critiche.
Come rileva giustamente LIMBURG (loc. cit.), per porto d'attinenza, secondo il senso comune e naturale dell'espressione, non si intende che il luogo dal quale la nave salpa per i suoi viaggi e dove ritorna regolarmente dopo averli compiuti. Ciò è tanto vero che, nella legge, la nozione di porto d'attinenza è sempre usata con riferimento alla nozione di nave. D'altra parte, giusta l'art. 1 dell'ordinanza d'esecuzione della LRN, gli uffici del registro del naviglio sono ordinati tenendo conto dei bacini fluviali e lacuali della Svizzera.
L'applicazione del principio secondo cui porto d'attinenza ai sensi della legge dev'essere considerato il domicilio dell'armatore potrebbe inoltre condurre a sorprendenti risultati. Nel caso di una nave facente servizio esclusivamente sul Reno ma appartenente ad una società con sede a Lugano, la nave dovrebbe essere intavolata nel registro del naviglio di Lugano, sebbene questo sia destinato solo ai battelli che compiono servizio sul Ceresio (art. 1 dell'ordinanza d'esecuzione della LRN). Qualora la stessa società avesse invece la propria sede a Coira, la nave dovrebbe essere intavolata nel registro di quella città, sebbene a Coira non ci siano acque navigabili, e sebbene per il Cantone dei Grigioni (come del resto per i due Cantoni d'Appenzello e per il Cantone di Soletta) non sia previsto alcun ufficio del registro del naviglio (art. 1 della citata ordinanza d'esecuzione). (Poichè il Consiglio federale ha promulgato l'ordinanza, tra
BGE 93 I 369 S. 373
l'altro, in esecuzione dell'art. 1 della LRN, secondo cui "gli uffici del registro fondiario dichiarati competenti dal Consiglio federale ..... tengono un registro federale del naviglio, nel quale devono essere eseguite tutte le iscrizioni ed annotazioni previste dalla legge", ci si può chiedere se i quattro Cantoni citati non debbano essere senz'altro considerati esclusi dalla tenuta d'un registro del naviglio).
Infine, alla pura e semplice intavolazione della nave nel registro della sede della società armatrice sarebbero legati non pochi inconvenienti. Si pensi alle difficoltà di consultare un registro che può trovarsi lontano dal luogo ove è in servizio la nave (anche se è opportuno a questo riguardo osservare che, giusta l'art. 29 LRN, il proprietario della nave dispone d'un certificato d'intavolazione che riproduce esattamente il contenuto del registro, eccetto le restrizioni della facoltà di disporre), o alla difficoltà di procedere al pignoramento, all'amministrazione e alla realizzazione forzata della nave, dovendo queste misure essere eseguite dall'ufficio del porto d'attinenza (art. 55 LRN).
b) Anche la tesi di LIMBURG, il quale identifica a titolo esclusivo il porto d'attinenza con il porto di stanza della nave, non è però soddisfacente. Essa priverebbe, in particolare, armatori domiciliati in Svizzera e proprietari di navi solcanti esclusivamente acque straniere, della possibilità di intavolare le loro navi in un registro svizzero, ciò che può invece essere di grande interesse. LIMBURG, in particolare, sostiene che la disposizione dell'art. 19 LRN (secondo cui la nave iscritta in un registro svizzero ne viene radiata in caso di trasferimento all'estero del porto d'attinenza) avrebbe un senso solo se alla nozione di porto d'attinenza si dà il suo significato letterale: infatti, se viene trasferita all'estero soltanto la sede della società, non si vedrebbe per quale motivo si debba radiare una nave che continua a far servizio esclusivamente su acque svizzere. Questa obiezione non è però convincente, perchè la soluzione dell'art. 19 LRN si concilia con il principio secondo cui, in talune circostanze, il porto d'attinenza della nave significa la sede della società che ne è proprietaria. Anche l'argomentazione secondo cui ad una nave solcante esclusivamente acque straniere non si potrebbe apporre il distintivo esterno prescritto in modo imperativo dall'art. 17 LRN non regge: simile targhetta può benissimo venire applicata dai nostri rappresentanti consolari e diplomatici all'estero (i quali, del resto, possono essere incaricati di
BGE 93 I 369 S. 374
esercitare anche le incombenze dell'Ufficio svizzero di navigazione marittima, giusta l'art. 9 della LF sulla navigazione marittima). I diritti dei creditori poi, contrariamente all'opinione di LIMBURG, non sarebbero necessariamente meglio garantiti quando la nave fosse intavolata nel porto in cui è di stanza, anzichè in quello in cui ha sede la società armatrice. L'opinione di LEEMANN (loc. cit.), secondo cui l'intavolazione in Svizzera di navi solcanti esclusivamente acque straniere sarebbe completamente priva di scopo non è d'altra parte sostenibile: essa è già contraddetta dall'esistenza di un registro per le navi svizzere che solcano i mari e che non possono evidentemente attraccare ad un porto elvetico.
4.
a) Secondo il Reichsgesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt, del 15 giugno 1895 (§ 6), il quale (insieme con il Reichsgesetz betr. das Flaggenrecht der Kauffahrteischiffe, del 22 giugno 1899, sostituito poi dal Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe, dell'8 febbraio 1951), ha servito da modello alla legge federale sul registro del naviglio, il porto d'attinenza d'una nave interna è il luogo dal quale viene effettivamente esercitato il servizio di navigazione (VORTISCH-ZSCHUCKE, Binnenschiffahrts- und Flössereirecht, 2. ed., p. 46; GIERKE, Handelsrecht und Schiffahrtsrecht, 7. ed., p. 578, che definisce il porto d'attinenza semplicemente come luogo di servizio della nave).
La determinazione di simile luogo è tuttavia sovente legata a molte difficoltà. Solo di rado i viaggi di una nave iniziano regolarmente sempre dallo stesso porto. Di regola, infatti, l'impresa armatrice, a seconda delle occasioni di trasporto e della situazione commerciale, fa partire le proprie navi da luoghi diversi (cfr. VORTISCH-ZSCHUCKE, op.cit., p. 46-47).
Per ovviare alle difficoltà che sorgono in questi casi nella determinazione del porto d'attinenza, il § 6 cpv. 2 e 3 della citata legge (tedesca) del 15 giugno 1895 ha stabilito alcune presunzioni legali. Così, quando entrano in linea di conto più luoghi, valgono come porto d'attinenza della nave, anzichè il suo "luogo di servizio", non facilmente determinabile, via via la sede della società, il domicilio dell'armatore o, infine, il luogo dove quest'ultimo viene imposto sul reddito.
b) Nella fattispecie, il tratto fluviale coperto dalle due motocisterne (secondo un'affermazione della ricorrente rimasta incontestata) varia continuamente, a seconda della natura, della
BGE 93 I 369 S. 375
provenienza e della destinazione dei carichi. Nulla permette di dedurre che il servizio cominci e si concluda sempre ed esclusivamente a Basilea. Ciò tanto meno se si considera che la società armatrice non risiede in quella città, nè vi possiede una filiale o anche solo una rappresentanza. Il fatto che le due motocisterne possono, con i loro propri mezzi, entrare nel porto di Basilea, non sarebbe pertanto decisivo per ciò che riguarda l'intavolazione di esse nel registro del naviglio. L'applicazione a questo caso delle norme del diritto germanico condurrebbe all'iscrizione delle motocisterne presso la sede della società.
c) La legge federale sulla navigazione marittima sotto bandiera svizzera del 23 settembre 1953 ha stabilito un unico porto d'iscrizione delle navi svizzere, che è Basilea (art. 2). La gestione dell'Ufficio svizzero del registro del naviglio è affidata all'ufficiale del registro fondiario del Cantone di Basilea-Città (art. 2 dell'ordinanza d'esecuzione della legge citata, del 20 novembre 1956). Da ciò non si può tuttavia dedurre nulla che parli contro la determinazione della sede della società come porto d'attinenza: la fissazione di un unico registro per tutte le navi svizzere è stata infatti imposta dalla dichiarazione di Barcellona del 21 aprile 1921, concernente il riconoscimento del diritto di bandiera agli Stati sprovvisti di litorale marittimo (cfr. pure HAAB, Schweizerisches Seerecht, Festgabe der Basler Juristenfakultät zum schweiz. Juristentag, 1942, p. 148).
d) L'autorità cantonale di vigilanza è del parere che la sede della società vale quale porto d'attinenza della nave solo quando quest'ultima non può raggiungere un porto svizzero. Quando invece ha la possibilità di raggiungerlo (oppure quando tiene, per via d'acqua, un contatto materiale con esso), è tale porto che dev'essere considerato come porto d'attinenza.
5.
La legge federale sul registro del naviglio non lascia trasparire alcuna soluzione chiara ed univoca. Certo, il progetto del Consiglio federale, per quanto riguarda la nozione di porto d'attinenza, seguiva la legislazione germanica. Ma non si può stabilire se, con ciò, il Consiglio federale avesse voluto adottare anche le presunzioni legali sussidiarie del § 6 cpv. 2 e 3 della legge tedesca del 15 giugno 1895 sui rapporti di diritto privato della navigazione interna. Comunque, su questo punto, il progetto non è diventato legge, la definizione di porto d'attinenza presa dalla legislazione germanica essendo stata stralciata.
Non si potrebbero del resto sottovalutare i singolari risultati e i numerosi inconvenienti (già in precedenza accennati) cui
BGE 93 I 369 S. 376
condurrebbe la soluzione del diritto tedesco. Nel caso di cui si tratta, in particolare, le due motocisterne andrebbero intavolate nel registro del naviglio di Lugano, sebbene questo registro sia destinato solo ai battelli che navigano sul Ceresio.
Nel suo rapporto tenuto il 4 dicembre 1921 davanti all'Associazione svizzera per il diritto internazionale ("Die privatrechtlichen Rechtsgrundlagen einer schweizerischen Grosschiffahrt", p. 46), HAAB aveva suggerito di affidare la gestione del registro del naviglio, per ciò che concerne la navigazione sul Reno, ad un organo ufficiale risiedente nella località portuale (ad es. l'ufficio del registro fondiario o l'ufficiale del registro di commercio del Cantone di Basilea-Città). Nell'esempio, menzionato al Consiglio degli Stati, di una nave che può giungere solo fino a Mannheim, era già stato interessantemente indicato Basilea come porto fittizio d'attinenza.
La designazione di Basilea quale porto d'attinenza per le navi svizzere che seguono rotte sul Reno ha indiscutibili vantaggi pratici, e innanzitutto quello di tener conto dei vincoli "naturali" del porto con la nave. Tale designazione si adegua inoltre al modo in cui sono ordinati nel nostro paese gli uffici del registro del naviglio. Naturalmente si deve ammettere, per le navi che (come in concreto) non attraccano regolarmente al porto di Basilea o per le navi che, a causa del loro pescaggio, non vi potrebbero mai attraccare, la necessità di una finzione analoga a quelle stabilite dal diritto germanico. (Per le navi che compiono il loro servizio sul Reno partendo da Basilea, Basilea vale invece come porto d'attinenza già in virtù della tradizionale definizione di porto d'attinenza come luogo di servizio della nave. Del resto, in tali casi, luogo di servizio e sede della società armatrice - o almeno di una sua filiale - generalmente coincidono). Una differenziazione operata nel senso che Basilea valga come porto d'attinenza solo per quelle navi che lo raggiungono (non importa se regolarmente o non), mentre per le altre continuerebbe ad essere determinante la sede della società armatrice, non condurrebbe ad una soluzione migliore o più semplice di quelle, opinabili, che risulterebbero dalla applicazione delle norme di diritto germanico.
Anche se bisogna riconoscere che, con la designazione d'un porto di attinenza, si vuole per lo più conseguire lo scopo di stabilire e disciplinare determinate competenze, le quali non dipendono, di massima, dalla presenza della nave, tanto che non
BGE 93 I 369 S. 377
è assolutamente necessaria la possibilità di questa di raggiungere il porto d'attinenza (MAX HUBER, Die rechtlichen Verhältnisse einer schweiz. Meerschiffahrt unter Schweizerflagge, p. 15), si impone tuttavia di dare, nella misura in cui ne esista la possibilità, la preferenza ad un porto d'attinenza fittizio il quale abbia con la nave o con le acque da essa solcate un vincolo naturale. Esso è, nella fattispecie Basilea che, per definizione, è già porto d'attinenza per quelle navi che da lì iniziano le loro rotte ed i loro servizi sul Reno. Questa soluzione trova il suo fondamento giuridico nell'art. 7 della LF sulla navigazione marittima che, giusta l'art. 127 cpv. 4 della stessa, è applicabile per analogia alla navigazione interna. Secondo tale norma, la quale si rifà all'art. 1 CC, quando non esiste nella legge alcuna disposizione applicabile, il giudice deve decidere secondo i principi generali del diritto marittimo e, in mancanza di tali principi, secondo le norme che egli adotterebbe come legislatore, tenendo conto della legislazione, degli usi, della dottrina e della giurisprudenza degli Stati marittimi.
6.
Il quesito relativo all'intavolazione di navi che non hanno alcun contatto naturale con corsi d'acqua svizzeri può per ora essere lasciato aperto. L'autorità zurigana di vigilanza sul registro del naviglio e il Dipartimento federale di giustizia e polizia, per una nave che percorreva solo rotte sul Danubio, avevano fissato il porto d'attinenza alla sede della società armatrice, che era Zurigo (ZBGR vol. 7 (anno 1926), p. 104 n. 31). Una simile soluzione comporterebbe alcuni svantaggi, in particolare quando l'intavolazione dovrebbe avvenire in una località che non dispone d'un registro del naviglio. Ci si può chiedere se non sarebbe opportuno designare, per navi che solcano esclusivamente corsi d'acqua stranieri senza alcun contatto con le acque svizzere, un unico porto (fittizio) d'attinenza, analogamente a quanto è stato fatto, in virtù di una prescrizione internazionale, in materia di navigazione marittima svizzera.
7.
Dal momento che, per le considerazioni fatte, il ricorso dev'essere respinto, il Tribunale federale, che nella materia non è autorità di vigilanza, non ha alcuna possibilità di ordinare all'ufficio del registro del naviglio di Basilea l'intavolazione delle motocisterne in esame (
art. 109 OG
).
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è respinto. | public_law | nan | it | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
3708a20b-af47-4633-a67a-3610c9965279 | Urteilskopf
101 Ia 172
31. Urteil vom 17. Juni 1975 i.S. Froidevaux gegen Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. | Regeste
Art. 4 BV
und Meinungsäusserungsfreiheit; Entzug der Wahlfähigkeit eines Lehrers.
1. Verhältnis von strafrechtlicher Verurteilung und besonderer Verwaltungsmassnahme (E. 2).
2. Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei disziplinarischen Massnahmen gegenüber kantonalen Beamten (E. 3).
3. Eine strafrechtliche Verurteilung kann die Funktion einer verwaltungsinternen Verwarnung erfüllen (E. 4).
4. Verhältnismässigkeit der disziplinarischen Massnahme (E. 5).
5. Strafrechtliche Schranken der Meinungsäusserungsfreiheit (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 173
BGE 101 Ia 172 S. 173
Die ersten Absätze der §§ 53 und 54 des aargauischen Schulgesetzes lauten wie folgt:
§ 53 (Disziplinarmassnahmen)
"1 Wenn ein Lehrer seine Berufspflichten in grober Weise verletzt, in der Schulführung nicht genügt, durch unsittliche Lebensführung Anstoss erregt oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, so kann der Erziehungsrat je nach den Umständen den Lehrer ins Provisorium versetzen, im Amte einstellen oder dem Regierungsrat die Entlassung des Lehrers beantragen."
§ 54 (Verlust und Wiedererlangung der Wahlfähigkeit)
"1 Mit der disziplinarischen Entlassung durch den Regierungsrat ist der Verlust des Wahlfähigkeitszeugnisses verbunden. Es kann frühestens nach drei Jahren wieder erteilt werden, wenn genügende Gewähr vorliegt, dass die Gründe, die zur Entlassung geführt haben, nicht mehr vorhanden sind."
Der nicht dienstpflichtige André Froidevaux besitzt das aargauische Primarlehrerpatent und war seit 1967 als stellvertretender Sekundarlehrer an der Sekundarschule Schafisheim/AG tätig. Er wurde am 5. Mai 1971 ein erstes Mal vom Bezirksgericht Aarau wegen fortgesetzter Aufforderung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten (
Art. 276 StGB
) zu vier Wochen Gefängnis, bedingt mit dreijähriger Probezeit, verurteilt, weil er an einer Verteilung von Flugblättern mit der Frage: "MUSST DU NICHT WIDERSTAND LEISTEN?" vor der Kaserne Aarau an einrückende Rekruten mitbeteiligt war. Froidevaux zog das Urteil nicht weiter. Vier Tage nach Erhalt des Urteilsdispositivs, aber noch vor Zustellung der vollständigen Urteilsbegründung, verteilte er zusammen mit andern erneut derartige Flugblätter vor der Kaserne an Rekruten. Die neuen Flugblätter enthielten neben dem Text des früheren Flugblattes auch eine Kritik am Urteil des Bezirksgerichtes unter dem Titel: "IST DIESER TEXT (d.h. der Urteilsspruch) ILLEGAL ODER SIND ES DIE GESETZE?" Auf Grund dieses Vorfalles wurde Froidevaux am 9. August 1972 vom Bezirksgericht Aarau wegen desselben Deliktes erneut verurteilt, diesmal zu einer Gefängnisstrafe von 40 Tagen unbedingt, unter gleichzeitigem Widerruf des im ersten Urteil gewährten bedingten Strafvollzuges. Das zweite bezirksgerichtliche Urteil wurde auf Berufung hin vom aargauischen Obergericht bestätigt. Die dagegen eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Bundesgericht am 14. Dezember 1973 abgewiesen.
BGE 101 Ia 172 S. 174
Froidevaux war bereits am 8. Juni 1972 - also nach der ersten, aber noch vor der zweiten Verurteilung - vom Erziehungsrat mitgeteilt worden, dass er im aargauischen Schulbetrieb nicht mehr tragbar wäre, wenn er nochmals wegen desselben Deliktes verurteilt würde; doch erhielt er damals nur einen Verweis. Er hatte schon im Frühjahr 1972 seine Stelle an der Sekundarschule Schafisheim/AG aufgegeben und war dann nur noch einmal vom 23. Oktober 1972 bis Jahresende 1972 als stellvertretender Lehrer tätig. Nach Abschluss des zweiten strafrechtlichen Verfahrens, zwei Jahre nach dem erneuten Verteilen der Flugblätter, verfügte der Regierungsrat mit Entscheid vom 12. August 1974:
"Lehrer André Froidevaux wird die Wahlfähigkeit als aargauischer Primarlehrer entzogen, und es wird festgestellt, dass er nicht mehr berechtigt ist, als Lehrer im Kanton Aargau tätig zu sein."
Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau wies die hiegegen eingereichte Beschwerde ab. Mit staatsrechtlicher Beschwerde rügt Froidevaux, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei willkürlich und verletze das Recht auf freie Meinungsäusserung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer beruft sich auf das Willkürverbot und auf die verfassungsmässig geschützte Meinungsäusserungsfreiheit; diese ist vom Bundesgericht als ungeschriebenes Verfassungsrecht des Bundes anerkannt (
BGE 97 I 896
Erw. 4). Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass Art. 18 der aargauischen Kantonsverfassung die Meinungsäusserungsfreiheit umfassender schützt als das ungeschriebene Verfassungsrecht des Bundes. Zu prüfen ist deshalb ausschliesslich, ob der Entscheid des Verwaltungsgerichtes die Bundesverfassung verletzt.
2.
Wenn ein Lehrer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, kann er nach § 53 Abs. 1 des aargauischen Schulgesetzes (SchulG) "je nach den Umständen" vom Erziehungsrat ins Provisorium versetzt oder im Amte eingestellt werden oder vom Regierungsrat entlassen werden. Das Verwaltungsgericht hat mit Recht angenommen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Entlassung eines Lehrers auch dessen Wahlfähigkeitsausweis
BGE 101 Ia 172 S. 175
entzogen werden kann. Das gilt auch, wenn - wie hier - der Lehrer seiner drohenden Entlassung mit einem Austritt zuvorkommt. Der Entzug des Ausweises ist in diesem Falle keine eigentliche Disziplinarmassnahme, sondern vielmehr der Widerruf eines Verwaltungsaktes. Dieser ist hier zulässig, da die Wahlfähigkeit unter bestimmten Bedingungen - insbesondere gesetzeskonformes Verhalten des Lehrers - zuerkannt wird; sie kann bei Wegfall einer wesentlichen Bedingung durchaus wieder aberkannt werden. Die gesetzmässige Grundlage für die angefochtene Massnahme ist in den §§ 53 und 54 SchulG jedenfalls gegeben. Der Beschwerdeführer bestreitet das auch gar nicht.
Er bezweifelt jedoch, ob in seinem Falle neben der strafrechtlichen Verurteilung noch eine besondere Verwaltungsmassnahme zulässig sei. Die Bundesverfassung schliesst nicht aus, dass eine Tat neben der Bestrafung durch die Strafgerichte auch eine administrative Sanktion nach sich zieht, sofern Straf- und Verwaltungsmassnahme verschiedene Zwecke verfolgen (GRISEL, Droit administratif suisse, S. 335). Der Umstand, dass der Strafrichter die Nebenstrafe der Amtsunfähigkeit nach
Art. 51 StGB
nicht ausgesprochen hat, hindert den Regierungsrat nicht, gestützt auf das kantonale Schulrecht das Wahlfähigkeitszeugnis zu entziehen, wenn er mit hinreichendem Grund annehmen muss, der Lehrer sei im Kanton nicht mehr tragbar. Die Bestrafung des Beschwerdeführers und der Entzug des Wahlfähigkeitszeugnisses stehen zueinander in einem ähnlichen Verhältnis wie die Bestrafung eines Motorfahrzeughalters und der Entzug des Führerausweises. Die Massnahme mag den Betroffenen schwerer treffen als die Strafe. Sie ist aber trotzdem zulässig, weil damit gerechnet werden muss, dass durch die Strafe und gegebenenfalls durch die Strafverbüssung allein der verwaltungskonforme Zustand nicht wieder hergestellt ist. Im Falle des Beschwerdeführers hatte der Strafrichter nicht zu beurteilen, ob dieser noch weiter als Lehrer tätig sein könne. Der Regierungsrat war deshalb berechtigt und verpflichtet, zu prüfen, ob der Beschwerdeführer nach seiner zweifachen Verurteilung für die öffentliche Schule untragbar geworden war. Das kann nach dem klaren Text des § 53 SchulG nicht nur der Fall sein, wenn ein Lehrer seine Berufspflichten gröblich verletzt, sondern auch, wenn er eine Freiheitsstrafe erlitten hat. Der zweite Fall steht neben
BGE 101 Ia 172 S. 176
dem ersten; das Delikt muss sich also nicht auf die Berufspflichten beziehen. § 53 Abs. 1 SchulG enthält also keine unzulässige Strafkumulierung (vgl. dazu GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des Verwaltungsrechts, S. 559).
Freilich darf und soll die an zweiter Stelle verfügende Instanz - hier der Regierungsrat - im Rahmen ihres Ermessens die bereits vom Strafrichter ausgesprochene Strafsanktion mitberücksichtigen. Dies schliesst aber nicht aus, allenfalls im öffentlichen Interesse die schärfste vom Gesetz vorgesehene Verwaltungssanktion - hier den Entzug des Wahlfähigkeitszeugnisses - auszusprechen.
3.
Disziplinarmassnahmen und diesen gleichzustellende Verwaltungsmassnahmen müssen dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen (
BGE 100 Ia 360
E. 3b). Dieser besagt allgemein, dass das gewählte Mittel durch das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel gedeckt sein muss. Kann das Ziel mit einem weniger in die Freiheit einschneidenden Mittel ebensogut erreicht werden, so hat der Bürger Anspruch auf die Wahl des milderen Mittels. Dabei muss ein angemessenes Verhältnis zwischen dem zu erstrebenden Ziel und der dafür gebotenen Freiheitsbeschränkung bestehen (
BGE 96 I 242
E. 5
BGE 97 I 508
).
Den kantonalen Behörden steht aufgrund von § 53 SchulG bei der Wahl der Massnahmen ein gewisser Spielraum des Ermessens offen, indem auf die konkreten Umstände des Falles - etwa das Verhältnis zwischen Lehrer, Schüler, Eltern und Aufsichtsbehörden - verwiesen wird. Das Bundesgericht kann also nur eingreifen, wenn die kantonalen Behörden diesen Spielraum überschritten haben. Bei Massnahmen, die gegenüber kantonalen Beamten ergriffen werden, übt das Bundesgericht diese Zurückhaltung selbst dann, wenn wie hier gleichzeitig eine Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit gerügt wird, denn die kantonalen Behörden tragen die Verantwortung für eine einwandfreie Arbeit des öffentlichen Dienstes, und die gute Wahl und Überwachung der ausführenden Beamten ist das beste Mittel hiezu; dies gilt grundsätzlich auch für Lehrer (nicht veröffentlichtes Urteil vom 7. März 1973 i.S. Giordano, E. 4b und c). Eine freie Prüfung der kantonalen Disziplinarentscheide fällt im vorliegenden Fall schon deswegen ausser Betracht, weil der Beamte hier keinen Anspruch darauf hat, im Staatsdienst zu bleiben. Anderseits
BGE 101 Ia 172 S. 177
darf sich im vorliegenden Fall die Kognition auch nicht auf blosse Willkür beschränken, da die angefochtene Massnahme den Beschwerdeführer in seiner Freiheit trifft, weiterhin auf seinem erlernten Beruf zu arbeiten; die vom Kanton Aargau ausgesprochene Massnahme dürfte sich ja auch auf die Anstellungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers in anderen Kantonen auswirken, Im ähnlichen Falle
BGE 98 Ia 471
liess sich die blosse Willkürprüfung nur verantworten, weil dem entlassenen Lehrer noch die Wählbarkeit in einer anderen Gemeinde des Kantons blieb. Ob mit der angefochtenen Massnahme der Grundsatz der Verhältnismässigkeit eingehalten worden ist, prüft das Bundesgericht also lediglich mit einer gewissen Zurückhaltung.
4.
Der Beschwerdeführer unterstreicht zuvor zwei Umstände, die seines Erachtens von vornherein zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides führen müssen: Einmal ist er seit der Verwarnung durch den Erziehungsrat zwar nochmals verurteilt worden, aber seine zweite Straftat lag vor dieser Verwarnung. Die erste Verurteilung hat ihm offenbar keinen Eindruck gemacht, doch rügt er, es sei nicht dargetan, dass auch die Verwarnung des Erziehungsrates ihm keinen Eindruck gemacht hätte. Zudem habe sich das Verwaltungsgericht mit den Berichten der Schulpflege von Schafisheim und des Schulinspektors sowie mit den Feststellungen der übrigen Lehrer an der gleichen Schule nicht auseinandergesetzt. Nach diesen Berichten kann dem Beschwerdeführer in der Tat nicht vorgeworfen werden, er habe in der Schule seine Schüler in einer Weise beeinflusst, die seiner persönlichen Einstellung zur Armee entspricht, die aber mit dem Schulunterricht an einer politisch neutralen Staatsschule nicht vereinbar wäre.
Das Verwaltungsgericht hat jedoch die beiden Umstände nicht übersehen, weshalb ihm keine aktenwidrige Annahme vorgeworfen werden kann: Es nahm an, nach den bei den Akten liegenden Zeugnissen habe "bis jetzt noch keine Beeinflussung der Schüler festgestellt werden können"; doch müsse aus der schriftlichen Stellungnahme des Beschwerdeführers gegenüber dem Erziehungsrat vom 14. Dezember 1971 geschlossen werden, dass er durchaus den Willen habe, seinen Schülern ein Stück seines Gesellschaftsbildes mitzugeben. Die von ihm verübten Straftaten seien geeignet, stark auf die Schüler zu wirken, "insbesondere dann, wenn sie im beliebten
BGE 101 Ia 172 S. 178
Lehrer den Märtyrer erblickten, der für seine Idee auch Gefängnisstrafe auf sich nehme". Mit der Vermutung, dass das Bekanntwerden der Verurteilung des Beschwerdeführers auf Schüler stark wirken könnte, hat das Verwaltungsgericht den ihm zustehenden Ermessensspielraum jedenfalls nicht überschritten.
Das Verwaltungsgericht nahm ferner an, die erste Verurteilung sei eine genügende Verwarnung gewesen. Dem Beschwerdeführer habe deshalb die Wahlfähigkeitsberechtigung entzogen werden können, auch wenn die erste Verwarnung durch die Erziehungsdirektion erst der zweiten Straftat folgte. Die erste Verurteilung durch das Strafgericht konnte durchaus die Funktion erfüllen, die in andern Fällen der verwaltungsinternen Verwarnung zukommt. Ob im Antrag des Erziehungsrates an den Regierungsrat diesbezüglich ein Fehler unterlaufen ist, ist unerheblich. Das Verwaltungsgericht hat diesen Punkt auf S. 19 seines Entscheides richtiggestellt. Es hat keine rechtlich erheblichen Tatsachen übersehen, sondern sie lediglich anders gewürdigt als der Beschwerdeführer. Dieser hält es für "völlig wirklichkeitsfremd", einer gerichtlichen Verurteilung eine ähnliche Warnwirkung zuzuschreiben wie einer Verwarnung durch die Erziehungsdirektion, da er das Urteil des Bezirksgerichtes eben als Fehlurteil betrachtet habe, Der Beschwerdeführer musste sich aber bei seiner zweiten Straftat doch bereits Rechenschaft geben, dass seine erneute vorsätzliche Verletzung des Strafgesetzbuches Rückwirkungen auf seine Stellung als Lehrer haben könnte, auch wenn die Schulbehörden das erste Disziplinarverfahren noch nicht abgeschlossen hatten. Wenn der Beschwerdeführer im Sinne eines "kalkulierten Risikos" glaubte, er habe höchstens mit einer Gefängnisstrafe und nicht mit zusätzlichen Verwaltungsmassnahmen zu rechnen, muss er die Folgen seiner "Fehlkalkulation" tragen. Die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes über den Sachverhalt sind unter dem beschränkten Blickwinkel, der dem Bundesgericht hier zusteht, nicht zu beanstanden; für die Würdigung der Verhältnismässigkeit ist also vom Tatbestand auszugehen, den das Verwaltungsgericht seinem Urteil zugrunde gelegt hat.
5.
Die Verhältnismässigkeit der vom Regierungsrat getroffenen Massnahme kann vom Bundesgericht auch dann bejaht werden, wenn es nicht alle Erwägungen des kantonalen
BGE 101 Ia 172 S. 179
Verwaltungsgerichtes gleich gewichtet wie dieses. Massgebend ist nur, ob Regierungsrat und Verwaltungsgericht ohne Verfassungsverletzung dem Beschwerdeführer das Wahlfähigkeitszeugnis auch dann entziehen konnten, wenn man annimmt, es sei bis zum Sommer 1971 - als die vom Beschwerdeführer angeführten positiven Meinungsäusserungen abgegeben wurden - kein nachteiliger Einfluss seines Verhaltens auf sein Wirken in der Schule zu verspüren gewesen. Trotz dieser Zeugnisse aus dem Jahre 1971 bleibt die Frage offen, wie sich die Spätere Verurteilung zu einer unbedingten Gefängnisstrafe (letztinstanzlich am 14. Dezember 1973) auf den Schulbetrieb ausgewirkt hätte, wenn der Beschwerdeführer im Schuldienst geblieben wäre oder wenn er wieder in den Schulbetrieb eintreten könnte. Dabei zeigen auf jeden Fall die Petitionen der Lehrer für und gegen den Entzug des Wahlfähigkeitszeugnisses, dass sein Fall im ganzen Kanton bekannt geworden ist. Die entscheidende Frage für den Regierungsrat musste sein, ob den Eltern zugemutet werden kann, ihre Kinder zu einem Lehrer in die Schule zu schicken, der bewusst unmittelbar nach der Verurteilung zu einer bedingten Gefängnisstrafe das gleiche, gegen den Staat gerichtete Delikt erneut begeht und sich so eine unbedingte Gefängnisstrafe zuzieht. Ein solcher Lehrer hat nicht bloss eine von der Mehrheit abweichende politische Auffassung vertreten, sondern er hat ein Strafurteil derart missachtet, dass er kaum tauglich scheint, den Schülern die Achtung vor der geltenden Rechtsordnung - inbegriffen deren anfechtbare Teile - zu vermitteln. Das gehört jedoch zu den unabdingbaren erzieherischen Aufgaben eines jeden Lehrers (vorgenanntes Urteil i.S. Giordano, E. 5c). Auch hohe pädagogische Fähigkeiten können diesen schweren Charaktermangel nicht aufwiegen. Ein solcher Lehrer kann bei Disziplinwidrigkeiten der Schüler seine Aufgabe kaum erfüllen, wenn die Schüler wissen, dass ihr Lehrer sich selbst durch eine strafgerichtliche Verurteilung in keiner Weise von der weiteren Begehung des gleichen vorsätzlichen Deliktes abhalten liess. Wer sich so verhält, verliert das Vertrauen der Eltern und die Autorität gegenüber den Schülern.
Der Beschwerdeführer wusste bei seiner zweiten Straftat, wie sein Flugblatt vom zuständigen zivilen Strafgericht beurteilt worden war. Er, der selbst nicht dienstpflichtige Lehrer, forderte mit andern zusammen die Rekruten mit rhetorischer
BGE 101 Ia 172 S. 180
Frage auf, gegenüber ihren militärischen Lehrern Widerstand zu leisten, weil sie in eine Schule einträten, die "eine totale Gleichmacherei, die Gleichschaltung anstrebe" und die "den Rekruten zum Herdentier macht". Man kann Vätern, die als Wehrmänner zur Landesverteidigung stehen, nicht zumuten, ihre Kinder zu einem Lehrer zu schicken, der unmittelbar nach der strafrechtlichen Verurteilung wegen dieser Äusserungen die ihm gewährte bedingte Verurteilung ausser Acht lässt und seine Anwürfe durch die erneute Verteilung von Flugblättern mit gleichem Inhalt bestätigt. Dies wäre eine Zumutung gegenüber den Eltern, auch wenn der Lehrer bisher keine entsprechende Aufforderung an seine eigenen Schüler in der Schule herangetragen hat. Die Verfassung schützt nicht nur die Freiheit der Bürger einschliesslich der Beamten und Lehrer, sie anerkennt auch die Freiheit der Regierungsorgane, jene Massnahmen durchzusetzen, die unerlässlich sind, um das Vertrauen in die Staatsschule aufrecht zu erhalten. Auch wenn man anerkennt, dass der Beschwerdeführer ein tüchtiger Lehrer war und ihn der Entzug des Wahlfähigkeitszeugnisses schwer trifft, kann deshalb die Verhältnismässigkeit der getroffenen Massnahme bejaht werden. Zumindest haben die kantonalen Behörden den ihnen zustehenden Ermessensspielraum nicht überschritten. Der Entzug ist im übrigen keineswegs endgültig, denn der Beschwerdeführer kann nach drei Jahren um eine Wiedererteilung des Wahlfähigkeitszeugnisses ersuchen, "wenn genügende Gewähr vorliegt, dass die Gründe, die zur Entlassung geführt haben, nicht mehr vorhanden sind" (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SchulG).
6.
Zu Unrecht beruft sich der Beschwerdeführer auch auf eine Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit. Er bestreitet von vornherein, dass für die Lehrer irgendeine Treuepflicht gegenüber dem Staate bestehe. Der Lehrer ist jedoch Beamter. Das Wort "Treuepflicht" umfasst gerade die Gesamtheit der Pflichten, die dem Beamten innerhalb und ausserhalb seiner amtlichen Tätigkeit obliegen. § 9 des geltenden aargauischen Besoldungsdekretes vom 24. November 1971, das die Rechtsstellung der aargauischen Beamten im allgemeinen umschreibt, übernimmt dabei den Satz von Art. 22 des Beamtengesetzes des Bundes: "Die Beamten haben alles zu tun, was die Interessen des Staates fordern und alles zu unterlassen, was sie beeinträchtigt".
BGE 101 Ia 172 S. 181
Dieser sehr allgemein gefasste Satz bedarf freilich der verfassungskonformen Auslegung. Grundsätzlich verfügt auch der Beamte über die verfassungsmässigen Rechte. Er darf Sich politisch betätigen und sich öffentlich und privat an der politischen Kritik beteiligen (A. GRISEL, Droit administratif suisse, 249; O. K. KAUFMANN, Grundzüge des schweizerischen Beamtenrechts, ZBl 73/1972, 386). Der Beamte hat sich jedoch an die Beschränkungen zu halten, die seine besondere Stellung mit sich bringt.
In jedem Falle hat er sich zumindest aller ungesetzlichen Mittel zu enthalten und darf auch nicht zu deren Gebrauch ermuntern (GRISEL, a.a.O., S. 250). Daran hat sich der Beschwerdeführer nicht gehalten. Anlass zum Entzug seines Wahlfähigkeitszeugnisses waren nicht seine persönlichen Meinungsäusserungen oder sein öffentliches Bekenntnis als Kriegsdienstgegner, sondern die beiden strafrechtlichen Verurteilungen. Dass diese Ausfluss seiner politischen Überzeugung waren, ändert nichts, da politische und Glaubensansichten nicht von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten entbinden (vgl.
Art. 49 Abs. 5 BV
); hiezu gehört auch die Einhaltung der vom Strafrecht gesetzten Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit.
Deshalb steht vorliegend keinesfalls "das Recht auf freie Meinungsäusserung der gesamten Lehrerschaft auf dem Spiel", wie der Beschwerdeführer etwas grosstuerisch behauptet. Zu Unrecht glauben auch die Unterzeichner der Petition an den Erziehungs- und Regierungsrat, der Entscheid des letzteren "käme einem Angriff auf die demokratischen Rechte der Lehrer gleich". Dies trifft nicht zu. Die demokratischen Rechte der Lehrer verdienen vollen Schutz, aber es gibt kein "demokratisches Recht", Seiner politischen Überzeugung durch wiederholte strafbare Handlung Ausdruck zu geben. Wer glaubt, durch wiederholte schwere Verletzung der Rechtsordnung für seine Überzeugung kämpfen zu müssen, ist vielmehr, wie Regierungsrat und Verwaltungsgericht ohne Überschreitung ihres Ermessensspielraumes festgestellt haben, als Lehrer nicht mehr tragbar und kann sich nicht auf die Meinungsäusserungsfreiheit berufen. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
3708d047-8e17-44db-b0d5-ada6ae998d4f | Urteilskopf
116 IV 270
50. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. August 1990 i.S. Schweizerische Zollverwaltung gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 272 Abs. 1 und
Art. 5 BStP
,
Art. 79 Abs. 2 und
Art. 82 VStrR
; Rechtzeitigkeit der Beschwerdeanmeldung.
In Bundesverwaltungsstrafsachen beginnt die Frist zur Anmeldung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde erst mit der schriftlichen Eröffnung des angefochtenen Entscheids zu laufen.
Art. 79 Abs. 2 VStrR
geht kraft
Art. 82 VStrR
abweichendem kantonalen Prozessrecht vor, ebenso als lex posterior abweichendem älteren Bundesrecht, insbesondere
Art. 272 Abs. 1 BStP
, soweit diese Bestimmung hinsichtlich der Eröffnung des angefochtenen Entscheids das kantonale Recht für massgebend erklärt. | Sachverhalt
ab Seite 271
BGE 116 IV 270 S. 271
Mit Urteil vom 6. Februar 1990 sprach das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft X. auf Appellation der Eidgenössischen Zollverwaltung in zweiter richterlicher Instanz vom Vorwurf des Bannbruchs und der Gehilfenschaft zur Zollübertretung frei.
Dagegen hat die Eidgenössische Zollverwaltung am 21. Mai 1990 eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet und diese mit Eingabe vom 31. Mai 1990 begründet. Sie beantragt, das angefochtene Urteil in allen Punkten aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Gemäss
Art. 272 Abs. 1 BStP
ist die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen innert 10 Tagen seit der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung des angefochtenen Entscheids bei der Behörde, welche ihn erlassen hat, durch Einreichung einer schriftlichen Erklärung anzumelden. Die nach dem Recht des Kantons Basel-Landschaft im Sinne dieser Bestimmung massgebende Eröffnung ist gemäss § 159 Abs. 5 i.V.m.
§ 141 StPO
/BL jene anlässlich der mündlichen Verhandlung, wenn die beschwerdeführende Partei, wie hier, anwesend
BGE 116 IV 270 S. 272
bzw. vertreten war. Es stellt sich somit die Frage, ob die Beschwerdeführerin die Nichtigkeitsbeschwerde innert 10 Tagen seit der mündlichen Eröffnung des Entscheids hätte anmelden müssen; diesfalls wäre ihre 10 Tage nach Eröffnung des schriftlichen Entscheids erfolgte Beschwerdeanmeldung verspätet.
b) Gemäss
Art. 272 Abs. 5 BStP
beginnen für den Bundesanwalt die Fristen am Tage, an dem der angefochtene Entscheid der zuständigen Bundesbehörde in vollständiger Ausfertigung zugekommen ist. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes gilt dieser spätere Fristbeginn nur für den Bundesanwalt selbst, nicht aber für eine andere Bundesbehörde wie etwa die Zollverwaltung.
c) Zu Recht weist die Beschwerdeführerin jedoch darauf hin, dass gemäss
Art. 79 Abs. 2 VStrR
in Bundesverwaltungsstrafsachen das von den kantonalen Gerichten gefällte Urteil mit den wesentlichen Entscheidungsgründen den Parteien schriftlich zu eröffnen ist unter Angabe der Fristen für die Rechtsmittel und der Behörden, an die es weitergezogen werden kann. Aus dieser Bestimmung folgt, dass keine Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt, bevor das Urteil in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eröffnet worden ist.
Art. 79 Abs. 2 VStrR
geht kraft
Art. 82 VStrR
abweichendem kantonalen Prozessrecht vor, ebenso als lex posterior abweichendem älteren Bundesrecht, insbesondere
Art. 272 Abs. 1 BStP
, soweit diese Bestimmung hinsichtlich der Eröffnung des angefochtenen Entscheids das kantonale Recht für massgebend erklärt;
Art. 79 Abs. 2 VStrR
vereinheitlicht also für kantonale Urteile in Bundesverwaltungsstrafsachen die Form der Eröffnung (vgl. hiezu SCHWOB, SJK 1290, S. 8). Auf die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit unter dem Gesichtspunkt der Rechtzeitigkeit einzutreten. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
370e4835-b82c-4d82-80c9-c236b3570cd3 | Urteilskopf
133 III 629
84. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. et Y. contre A. Ltd (recours en matière civile)
4A_144/2007 du 29 août 2007 | Regeste
Art. 93 Abs. 1 lit. a und b BGG
; Beschwerde gegen einen Vor- oder Zwischenentscheid.
Voraussetzungen, unter denen eine Beschwerde unmittelbar gegen einen Vor- oder Zwischenentscheid nach
Art. 93 Abs. 1 BGG
zulässig ist (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 629
BGE 133 III 629 S. 629
A.
Par demande du 21 août 2000, A. Ltd, société de droit bahaméen ayant son siège aux Bahamas, a actionné X. et Y. devant la Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud en paiement de la somme de 1'047'480 fr., avec intérêts à 5 % l'an dès le 8 octobre 1998. Cette somme représenterait le dommage causé par les défendeurs en leur qualité d'administrateurs de la société B. Inc., dont la demanderesse est actionnaire.
BGE 133 III 629 S. 630
B.
Alors que le procès en était au stade du dépôt du rapport d'expertise complémentaire, les défendeurs ont déposé le 25 novembre 2005 une requête incidente tendant à ce que la demanderesse A. Ltd, qui avait été radiée du registre du commerce des Bahamas le 10 avril 2003, fût éconduite d'instance pour le motif qu'elle avait perdu la qualité de partie.
Par mémoire incident du 31 mars 2006, la demanderesse a conclu au rejet de cette requête. Ne contestant pas avoir été radiée du registre du commerce des Bahamas, elle a toutefois soutenu qu'elle avait transféré son siège dans l'Etat du Delaware (Etats-Unis) et qu'elle était inscrite depuis le 18 mars 2004 au registre des sociétés de cet Etat sous la raison sociale A. Inc.; à titre subsidiaire, elle a soutenu qu'elle avait transféré ses actifs et passifs à cette société.
Le juge instructeur de la Cour civile a rejeté, avec suite de frais et dépens, la requête en éconduction d'instance par jugement incident du 21 avril 2006, que la Chambre des recours du Tribunal cantonal, statuant sur recours des défendeurs, a confirmé, avec suite de frais et dépens de deuxième instance, par arrêt du 17 janvier 2007.
C.
Agissant par la voie du recours en matière civile au Tribunal fédéral, les défendeurs concluent, avec suite de frais et dépens de toutes instances, à la réforme de cet arrêt en ce sens que la demanderesse A. Ltd soit éconduite d'instance. La demanderesse conclut avec suite de frais et dépens à l'irrecevabilité du recours, subsidiairement à son rejet.
Le Tribunal fédéral a déclaré le recours irrecevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le Tribunal fédéral examine d'office et librement sa compétence, respectivement la recevabilité des recours qui lui sont soumis (art. 29 al. 1 de la loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral [LTF; RS 173.110];
ATF 133 I 185
consid. 2;
ATF 132 III 291
consid. 1;
ATF 131 III 667
consid. 1 et les arrêts cités).
2.1
Le recours en matière civile est recevable contre les décisions finales (
art. 90 LTF
) et contre les décisions partielles au sens de l'
art. 91 LTF
, qui sont des décisions partiellement finales (BERNARD CORBOZ, Introduction à la nouvelle loi sur le Tribunal fédéral, in SJ 2006 II p. 319 ss, 323; FABIENNE HOHL, Le recours en matière civile selon la loi sur le Tribunal fédéral du 17 juin 2005, in Les recours
BGE 133 III 629 S. 631
au Tribunal fédéral, 2007, p. 71 ss, 85). Aux termes de l'
art. 92 LTF
, il est également recevable contre les décisions préjudicielles et incidentes qui sont notifiées séparément et qui portent sur la compétence ou sur une demande de récusation (al. 1); ces décisions ne peuvent plus être attaquées ultérieurement (al. 2). Les autres décisions préjudicielles et incidentes notifiées séparément ne peuvent faire l'objet d'un recours, selon l'
art. 93 al. 1 LTF
, que (a) si elles peuvent causer un préjudice irréparable, ou (b) si l'admission du recours peut conduire immédiatement à une décision finale qui permet d'éviter une procédure probatoire longue et coûteuse. Si le recours n'est pas recevable au regard de ces conditions ou s'il n'a pas été utilisé, les décisions préjudicielles et incidentes peuvent être attaquées par un recours contre la décision finale dans la mesure où elles influent sur le contenu de celle-ci (
art. 93 al. 3 LTF
).
Cette réglementation est fondée sur des motifs d'économie de la procédure: en tant que cour suprême, le Tribunal fédéral ne devrait en principe connaître qu'une seule fois de la même affaire, à la fin de la procédure (CORBOZ, op. cit., p. 323 et 325; HOHL, op. cit., p. 85; Message du Conseil fédéral concernant la révision totale de l'organisation judiciaire fédérale, FF 2001 p. 4000 ss, 4035; cf.
ATF 123 I 325
consid. 3b;
ATF 117 Ia 88
consid. 3b;
ATF 116 Ia 197
consid. 1b), à moins que l'on se trouve dans l'un des cas où la loi autorise exceptionnellement, précisément pour des raisons d'économie de la procédure (cf.
ATF 123 III 140
consid. 2a;
ATF 117 II 349
consid. 2a), un recours immédiat contre une décision préjudicielle ou incidente.
2.2
Alors qu'une décision finale met fin à la procédure (
art. 90 LTF
) - que ce soit pour une raison de procédure ou de droit matériel (CORBOZ, op. cit., p. 322; HOHL, op. cit., p. 86) -, une décision préjudicielle ou incidente est prise au cours de la procédure et ne représente qu'une étape vers la décision finale; elle peut avoir pour objet une question formelle ou matérielle, jugée préalablement à la décision finale (cf.
ATF 129 III 107
consid. 1.2.1;
ATF 123 I 325
consid. 3b;
ATF 122 I 39
consid. 1a/aa;
ATF 120 III 143
consid. 1a;
ATF 117 Ia 251
consid. 1a et 396 consid. 1;
ATF 116 II 80
consid. 2b).
En l'espèce, l'arrêt attaqué, par lequel l'autorité précédente a rejeté une requête incidente des défendeurs tendant à ce que la demanderesse fût éconduite d'instance, ne met pas fin à la procédure. Il constitue une décision préjudicielle ou incidente qui, dès lors qu'elle ne concerne pas la compétence ou la récusation (cf.
art. 92 LTF
), ne peut
BGE 133 III 629 S. 632
faire l'objet d'un recours immédiat au Tribunal fédéral que si l'une des deux hypothèses prévues par l'
art. 93 al. 1 LTF
devait être réalisée (CORBOZ, op. cit., p. 326; HOHL, op. cit., p. 88), ce qu'il convient d'examiner ci-après.
2.3
Le recours est d'abord ouvert contre les décisions préjudicielles ou incidentes, notifiées séparément, qui peuvent causer un préjudice irréparable (
art. 93 al. 1 let. a LTF
). La notion de préjudice irréparable étant calquée sur celle que posait l'ancien
art. 87 al. 2 OJ
pour le recours de droit public, la jurisprudence rendue à propos de cette norme peut être transposée pour l'interprétation de l'
art. 93 al. 1 let. a LTF
(
ATF 133 IV 139
consid. 4).
2.3.1
Selon la jurisprudence relative à l'
art. 87 al. 2 OJ
, un préjudice ne peut être qualifié d'irréparable que s'il cause un inconvénient de nature juridique; tel est le cas lorsqu'une décision finale même favorable au recourant ne le ferait pas disparaître entièrement, en particulier lorsque la décision incidente contestée ne peut plus être attaquée avec la décision finale, rendant ainsi impossible le contrôle par le Tribunal fédéral; en revanche, un dommage de pur fait, tel que la prolongation de la procédure ou un accroissement des frais de celle-ci, n'est pas considéré comme un dommage irréparable de ce point de vue (
ATF 131 I 57
consid. 1;
ATF 129 III 107
consid. 1.2.1;
ATF 127 I 92
consid. 1c;
ATF 126 I 97
consid. 1b,
ATF 126 I 207
consid. 2;
ATF 123 I 325
consid. 3c). Il appartient au recourant d'alléguer et d'établir la possibilité que la décision préjudicielle ou incidente lui cause un dommage irréparable, à moins que celui-ci ne fasse d'emblée aucun doute (
ATF 116 II 80
consid. 2c in fine).
2.3.2
En l'espèce, les défendeurs soutiennent que l'arrêt attaqué leur fait courir un risque de préjudice irréparable, dès lors que si la procédure devait se poursuivre et qu'ils devaient l'emporter finalement, ils ne pourraient plus faire valoir leur créance en dépens, puisque leur partie adverse n'existerait plus juridiquement.
Les défendeurs invoquent ainsi un risque d'accroissement de leurs propres dépens, lesquels ne pourraient plus être recouvrés s'ils devaient obtenir gain de cause en fin de compte. Or, comme on l'a vu, un accroissement des frais de la procédure n'est pas considéré selon la jurisprudence comme un préjudice irréparable, mais comme un dommage de pur fait (cf. consid. 2.3.1 supra). Au surplus, comme la demanderesse le souligne à juste titre, le recouvrement des dépens qui seraient alloués aux défendeurs, si ceux-ci devaient finalement
BGE 133 III 629 S. 633
obtenir gain de cause, est assuré par la garantie bancaire de 35'000 fr. que la demanderesse leur a fournie, conformément au jugement incident rendu le 29 mars 2005 par le juge instructeur de la Cour civile, pour garantir leurs dépens présumés. Le recours n'est donc pas recevable du chef de l'
art. 93 al. 1 let. a LTF
, en l'absence d'un préjudice irréparable.
2.4
Le recours est également ouvert contre les décisions préjudicielles ou incidentes, notifiées séparément, si l'admission du recours peut conduire immédiatement à une décision finale qui permet d'éviter une procédure probatoire longue et coûteuse (
art. 93 al. 1 let. b LTF
). Cette règle est manifestement inspirée de celle posée par l'ancien
art. 50 al. 1 OJ
pour le recours en réforme, si bien qu'il y a lieu de se référer à la jurisprudence relative à cette disposition (CORBOZ, op. cit., p. 326; Message, FF 2001 p. 4131).
2.4.1
La première des deux conditions - cumulatives (cf.
ATF 132 III 785
consid. 4.1) - requises par l'
art. 93 al. 1 let. b LTF
est réalisée si le Tribunal fédéral peut mettre fin une fois pour toutes à la procédure en jugeant différemment la question tranchée dans la décision préjudicielle ou incidente (cf.
ATF 132 III 785
consid. 4.1 et les arrêts cités).
Cette première condition est manifestement réalisée en l'espèce, puisque si le Tribunal fédéral parvenait à la solution inverse de celle retenue par la cour cantonale, la demanderesse serait éconduite d'instance, ce qui mettrait fin définitivement à la procédure (cf.
ATF 131 I 57
consid. 1.1).
2.4.2
Quant à la seconde condition, il appartient au recourant d'établir qu'une décision finale immédiate permettrait d'éviter une procédure probatoire longue et coûteuse, si cela n'est pas manifeste; il doit en particulier indiquer de manière détaillée quelles questions de fait sont encore litigieuses, quelles preuves - déjà offertes ou requises - devraient encore être administrées et en quoi celles-ci entraîneraient une procédure probatoire longue et coûteuse (
ATF 118 II 91
consid. 1a;
ATF 116 II 738
consid. 1b/aa et les arrêts cités; HOHL, op. cit., p. 88).
En l'espèce, les défendeurs exposent que lorsqu'ils ont appris la radiation de la demanderesse du registre du commerce des Bahamas, les preuves par témoins et par expertise avaient déjà été administrées; toutefois, les plaideurs, et en particulier la demanderesse, auraient toujours la possibilité de se réformer (cf.
art. 153 ss CPC
/VD)
BGE 133 III 629 S. 634
et donc de requérir l'administration de nouvelles preuves, y compris testimoniales par voie de commission rogatoire.
Ainsi que les défendeurs l'admettent eux-mêmes, les preuves testimoniales et par expertise ont déjà été administrées, si bien qu'on ne voit pas qu'une décision finale intervenant à ce stade permettrait d'éviter des mesures probatoires. La simple possibilité théorique et abstraite que les parties puissent encore requérir, en se réformant, l'administration de preuves nouvelles, en particulier l'audition de témoins par voie de commission rogatoire, ne suffit manifestement pas pour admettre la réalisation de la seconde condition requise par l'
art. 93 al. 1 let. b LTF
, d'autant que les défendeurs ne prétendent pas que ces hypothétiques mesures probatoires seraient coûteuses. | null | nan | fr | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
3711e1d5-aaab-45b7-9563-00d868f7f8b2 | Urteilskopf
100 Ib 56
10. Auszug aus dem Urteil vom 28. März 1974 i.S. Kollektivgesellschaft Y. gegen Eidg. Steuerverwaltung. | Regeste
Warenumsatzsteuer: Reinigungsarbeiten an Bauwerken und Grundstücken (für fremde Rechnung) gehören zu den steuerbaren baugewerblichen Lieferungen (
Art. 15bis und 18bis WUStB
). | Sachverhalt
ab Seite 56
BGE 100 Ib 56 S. 56
Die Beschwerdeführerin reinigt für Dritte unter anderem Wände, Böden, Fenster und Büroeinrichtungen. Sie ist seit dem 1. Januar 1972 als Hersteller-Grossist im Register der Steuerpflichtigen eingetragen. Anlässlich der Einreichung der Abrechnung
BGE 100 Ib 56 S. 57
für das 4. Quartal des Jahres 1972 teilte sie der Eidgenössischen Steuerverwaltung (EStV) mit, sie bezahle die Warenumsatzsteuer auf Reinigungsarbeiten unter Vorbehalt. Die EStV stellte in der Folge im Einspracheentscheid fest, dass die Beschwerdeführerin auf Gebäudereinigungsarbeiten für fremde Rechnung zu Recht Warenumsatzsteuern bezahlt habe. Dagegen richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die vom Bundesgericht abgewiesen wurde.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Die Warenumsatzsteuer ist vom Bundesrat durch den Bundesratsbeschluss vom 29. Juli 1941 ohne Verfassungsgrundlage, gestützt auf den Bundesbeschluss vom 30. August 1939 über Massnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechterhaltung der Neutralität, eingeführt worden. Gegenstand der Steuer war und ist der Umsatz von Waren im Inland und die Einfuhr von Waren aus dem Ausland (
Art. 2 WUStB
). Ware ist alles, was Gegenstand eines Fahrniskaufes oder eines Energielieferungsvertrages sein kann (
Art. 17 WUStB
). Steuerobjekt waren und sind die Lieferungen beweglicher Sachen (
Art. 15 WUStB
) und der Eigenverbrauch beweglicher Sachen durch Grossisten (
Art. 16 WUStB
). Entsprechend dieser Konzeption konnten bei der gewerbsmässigen Herstellung von Bauwerken lediglich die verwendeten Werkstoffe Gegenstand der Warenumsatzsteuer sein. Bemessen wurde das steuerbare Entgelt bis zur Verfassungsrevision von 1958 "nach dem Wert der Ware im Zeitpunkt ihrer Verbindung mit dem Grund und Boden oder mit dem Gebäude" (Art. 22 Abs. 1 letzter Satz WUStB;
BGE 80 I 51
und 378 f.; vgl. auch Darstellung und Kritik dieses Rechtszustandes bei MARK GURTNER, Die Umsatzsteuer auf baugewerblichen Leistungen, Diss. Bern 1947; PHILIPPE JAQUES, La notion de livraison de marchandises dans l'impôt fédéral sur le chiffre d'affaires, thèse Lausanne 1953).
Die Bundesfinanzordnungen von 1951-1954 und von 1955-1958 enthielten keine Vorschrift, die im Zusammenhang mit der Warenumsatzsteuer auf gewerbsmässige Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken Bezug gehabt hätte. Erstmals findet sich eine solche Bestimmung in der Bundesfinanzordnung von 1958. In einem stark erweiterten
Art. 41ter BV
ist dort die Rede von "gewerbsmässigen Arbeiten an Fahrnis, Bauwerken und Grundstücken" als Objekten der Warenumsatzsteuer (Abs. 2
BGE 100 Ib 56 S. 58
lit. a). In der Botschaft war hierzu ausgeführt worden, dass an der geltenden Ordnung der Warenumsatzsteuer die Behandlung der baugewerblichen Arbeiten noch nicht zu befriedigen vermöge. Während Arbeiten an beweglichen Sachen (Fahrnis im Sinne des Zivilgesetzbuches) unabhängig vom Materialaufwand voll steuerbar seien, werde bei Arbeiten an Bauwerken und an Grundstücken die Warenumsatzsteuer nur vom Wert des Materials im Zeitpunkt seiner Verbindung mit dem Gebäude oder mit dem Grund und Boden berechnet. Daraus hätten sich Ausscheidungsschwierigkeiten und Belastungsungleichheiten ergeben, die durch die von der Verwaltung im Einvernehmen mit dem Baugewerbe getroffenen Pauschalregelungen wohl etwas hätten gemildert, nicht aber beseitigt werden können. Es wäre daher am zweckmässigsten, die Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken den Arbeiten an Fahrnis gleichzustellen und für sämtliche von der Steuer nicht ausgenommenen Umsätze einheitliche Steuersätze einzuführen (BBl 1957 I 575 f.).
In der Bundesfinanzordnung von 1971 sind als Steuerobjekte wiederum bezeichnet "gewerbsmässige Arbeiten an Fahrnis, Bauwerken und Grundstücken", wobei "die Bebauung des Bodens für die Urproduktion" als Ausnahme vorbehalten ist. In der Botschaft über die Änderung der Finanzordnung war zur Neuordnung der Besteuerung baugewerblicher Leistungen ausgeführt worden, bei den baugewerblichen Arbeiten sei bislang, anders als bei Arbeiten an Fahrnis, nicht das Gesamtentgelt der Steuer unterworfen worden, sondern nur der Wert des für die Arbeit aufgewendeten Materials, zuzüglich der bis zum Zeitpunkt des Einbaues entstandenen Kosten sei steuerbar gewesen. Es wäre an sich wünschbar, die volle Erfassung der baugewerblichen Leistungen und damit die Gleichstellung der baugewerblichen Arbeiten mit jenen an Fahrnis - so wie sie durch die seit 1959 bestehende Verfassungsbestimmungen (
Art. 41ter Abs. 2 BV
) in Aussicht genommen worden sei - zu vollziehen. Dieser Schritt erscheine aber zu gross, weshalb die baugewerblichen Leistungen nicht zum vollen Steuersatz, sondern nur zu drei Vierteln des Gesamtentgeltes erfasst werden sollten. Die baugewerblichen Arbeiten würden damit den Arbeiten an Fahrnis insoweit gleichgestellt, als für ihre Besteuerung nicht mehr ausschlaggebend sein soll, ob und wieviel Material eingebaut wird. Das bedeute eine auch vom Baugewerbe begrüsste Vereinfachung
BGE 100 Ib 56 S. 59
(BBl 1969 II 763 f.). Die Vorlage wurde in der Folge abgelehnt.
Die vom Bundesrat daraufhin unverzüglich unterbreitete neue Vorlage brachte eine zeitliche Begrenzung sowie Höchstansätze für Wehr- und Warenumsatzsteuer. In der Botschaft hierzu wurde ausgeführt, in ihren kurzfristigen Zielsetzungen habe die vorhergegangene Verfassungsvorlage durch Änderung von Art. 8 Üb-BV und Aufnahme eines neuen Art. 10 Üb-BV u.a. eine Neuordnung der Besteuerung der baugewerblichen Leistungen mit Wirkung ab 1. April 1971 angestrebt. Da diese Zielsetzungen in der Abstimmungskampagne vor dem 15. November praktisch unbestritten geblieben seien, sollten sie grundsätzlich in die neue Vorlage übernommen werden (BBl 1970 II 1586).
Durch die Finanzordnung von 1971 wurde in der Folge zwar bezüglich des Steuerobjektes bei gewerbsmässigen Arbeiten an Fahrnis, Bauwerken und Grundstücken an der seit der Finanzordnung von 1958 bestehenden Verfassungsgrundlage (
Art. 41ter BV
) nichts geändert, dagegen wurde in den Übergangsbestimmungen der BV (Art. 8 Abs. 2 lit. b) für baugewerbliche Arbeiten der Satz für Detaillieferungen je nach der Art der Arbeit mit dem Gesamtentgelt oder mit drei Vierteln desselben als anwendbar erklärt.
Es lässt sich demnach feststellen, dass bereits mit der seit 1959 geltenden Verfassungsbestimmung eine Änderung der Besteuerung baugewerblicher Leistungen angestrebt worden ist, die jedoch nicht unmittelbar verwirklicht werden konnte. Beabsichtigt war mit der Aufnahme dieser Bestimmung in die Verfassung - wie am klarsten wohl aus der Botschaft von 1957 (BBl 1957 I 575 f.) hervorgeht - aus Gründen der Wettbewerbsneutralität und der Praktikabilität der Steuererhebung die baugewerblichen Arbeiten den Arbeiten an Fahrnis gleichzustellen. Diese Gleichstellung wurde durch Art. 8 Abs. 2 lit. b Üb-BV auf den ersten Januar 1972 wirksam, indem dort bestimmt wird, dass in Abänderung des geltenden WUStB gewerbsmässige Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken, unter Ausschluss der Bebauung des Bodens für die Urproduktion, der Steuer zum Satz für Detaillieferungen je nach der Art der Arbeit mit dem vollen Gesamtentgelt oder mit drei Vierteln desselben unterliegen.
b) Die EStV versteht die gewerbsmässigen Arbeiten an Fahrnis, Bauwerken und Grundstuücken als Steuerobjekt, das mit
BGE 100 Ib 56 S. 60
Warenlieferungen überhaupt keinen Zusammenhang mehr hat. Diese Meinung ist bezüglich der baugewerblichen Arbeiten im Anschluss an die Verfassungsrevision von 1958 auch von Kurt AMONN vertreten worden (vgl. ASA 27/145 ff. insbesondere 160 ff.). In der Genesis des
Art. 41ter BV
gibt es Indizien für und gegen diese These. In seiner Botschaft von 1957 charakterisiert der Bundesrat die Warenumsatzsteuer zunächst allgemein als eine "Konsumsteuer auf dem inländischen Warenverbrauch" (BBl 1957 I 575). Dann hebt er hervor, dass bisher - anders als bei Fahrnis - bei Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken die Warenumsatzsteuer nur vom Wert des Materials im Zeitpunkt seiner Verbindung mit dem Gebäude oder mit dem Grund und Boden berechnet worden sei, was zu Ausscheidungsschwierigkeiten geführt habe. Daher werde vorgeschlagen, die Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken den Arbeiten an Fahrnis gleichzustellen (a.a.O., S. 576). Damit sollte zunächst einfach erreicht werden, dass der ganze Preis, den der Besteller eines Bauwerkes zu bezahlen hat, als Bemessungsgrundlage für die Steuer dient, auch wenn darin das Arbeitsentgelt eine beachtliche Komponente darstellt. Aber der Bundesrat wollte noch mehr. Durch die Bezeichnung der "gewerbsmässigen Arbeiten an Fahrnis, Bauwerken und Grundstücken" als Steuerobjekt sollte auch erreicht werden, dass "die blosse Umgestaltung oder Vermischung von Waren, auch wenn kein Material zugeliefert wird, der Warenumsatzsteuer unterworfen werden darf". Sodann sollte die Umschreibung ermöglichen, die baugewerblichen Arbeiten steuerlich den Arbeiten an Fahrnis gleichzustellen (a.a.O., S. 617 f.).
In der Bundesversammlung sind der Steuersatz der Warenumsatzsteuer und die Freiliste ausgiebig diskutiert worden. Dagegen haben die Redner, die sich zum Steuerobjekt äusserten, erklärt, daran werde nichts geändert, so insbesondere die Berichterstatter Hauser und Glasson im Nationalrat (StenB NR 1957/545). Der Ständerat hat auf Antrag des Berichterstatters Stähli dem Beschluss des Nationalrates diskussionslos zugestimmt (StenB StR 1957/326). In keinem der beiden Räte ist die Einführung einer die Warenumsatzsteuer ergänzenden Leistungssteuer grundsätzlich zur Diskussion gestellt worden. Es gibt aber doch einzelne Äusserungen, die zeigen, dass man die Tragweite der neuen "Übergangsvorschrift" in den Beratungen 1969/70 nicht übersehen hat. Berichterstatter Grütter erläuterte
BGE 100 Ib 56 S. 61
im Nationalrat, dass bei den baugewerblichen Leistungen an Stelle einer unterschiedlichen Belastung von durchschnittlich 2,2% nun eine Besteuerung des Gesamtentgeltes Platz greifen soll (StenB NR 1970/108). Ständerat Heimann führte im Zusammenhang mit der Begründung eines redaktionnellen Antrages aus, Buchstabe B von Art. 8 Abs. 2 Üb-BV müsse nur in die Übergangsordnung aufgenommen werden, weil neu die Belastung gewerbsmässiger Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken erfolge (StenB StR 1969/268).
Im gleichen Absatz des
Art. 41ter BV
, in dem das Steuerobjekt umschrieben wird, ist auch der Steuersatz geordnet, getrennt für Detaillieferungen und Engroslieferungen. Für Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken enthielt die Bundesverfassung 1958 noch keinen Steuersatz. Erst durch die Übergangsbestimmung von 1971 ist darüber eine Regel aufgestellt worden.
Erklärtes Ziel des Bundesrates bei der Vorbereitung des neuen
Art. 41ter Abs. 3 BV
war - wie bereits aufgezeigt worden ist -, die Arbeiten an Bauten und Grundstücken den Arbeiten an Fahrnis gleichzustellen sowie die Besteuerung der baugewerblichen Leistungen ohne Rücksicht darauf, ob Material verwendet wird oder nicht, zu ermöglichen (BBl 1969 II 764). Dieses Ziel ist erreicht worden. Das kommt schon dadurch zum Ausdruck, dass die Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken im gleichen Satz und mit der gleichen Wendung wie die Fahrnis zum Steuerobjekt erklärt werden. Es rechtfertigt sich daher ein Blick auf die bei der Fahrnis geltende Ordnung.
c) Durch
Art. 15 Abs. 2 WUStB
ist die Ablieferung einer aufgrund eines Werkvertrages oder Auftrages hergestellten Ware einer Lieferung (
Art. 13 Abs. 1 lit. a WUStB
) gleichgestellt. Daraus ist in der Praxis gefolgert worden, dass die Warenumsatzsteuer auch dann zu erheben ist, wenn der Ablieferer das Werk aus Waren hergestellt hat, die dem Bestellter gehören, oder auch dann, wenn der Ablieferer Eigentümer der Bestandteile ist und bleibt (vgl.
BGE 73 I 268
f.; ASA 26/295 und weitere Beispiele bei WELLAUER, Warenumsatzsteuer, Nr. 227 f.). In allen Fällen erhält der Käufer oder Besteller eine Ware geliefert oder abgeliefert, die vom Lieferer oder Ablieferer geschaffen, veredelt, instandgestellt, umgestaltet oder sonstwie verändert wurde (
BGE 73 I 269
). Das Bundesgericht hat schon 1942 entschieden, dass das gewerbsmässige Reinigen von Wäschestücken gegen Entgelt eine Instandstellung von Waren im Sinne von
Art. 10
BGE 100 Ib 56 S. 62
Abs. 2 WUStB
sei. Das Argument, eine "Instandstellung" sei nur dann Herstellung einer Ware, wenn die Ware dabei umgestaltet werde, wurde abgelehnt und erklärt, eine Unterscheidung nach der Intensität der Behandlung könne praktisch kaum befriedigen (
BGE 68 I 104
ff.). 1947 wurde die Reinigung und Desinfektion von Telefonapparaten als Herstellung (Bearbeitung) qualifiziert und erklärt, die Freigabe des Apparates nach der Reinigung bilde die "Ablieferung" der hergestellten Ware im Sinne von
Art. 15 Abs. 2 WUStB
(ASA 16/100). 1953 wurde eine von dieser Rechtsprechung abweichende Meinung vertreten. Das Bundesgericht bejahte die Steuerpflicht für die Instandstellung von gebrauchten Automobilen durch einen Occasionshändler und erklärte dabei, der Beschwerdeführer mache zwar zu Recht geltend, dass gewisse laufende Unterhaltsarbeiten - wie oberflächliche Reinigung der durch den Gebrauch beschmutzten Carrosserie, Kontrolle der Bremsen und der elektrischen Installation, Aufpumpen der Pneus, Aufladen der Batterien - keine Herstellungsarbeiten seien, doch erreichten die eigentlichen Instandstellungsarbeiten nach Abzug des laufenden Unterhalts schätzungsweise einen Betrag, der die Steuerpflicht als Hersteller-Grossist begründe (ASA 22/510). 1958 bestätigte das Bundesgericht die 1942 eingeleitete Rechtsprechung hinsichtlich der Steuerpflicht einer Wäscherei und stellte ausdrücklich fest, jede Veränderung einer Ware sei nach
Art. 10 Abs. 2 WUStB
"Herstellung" ohne Rücksicht auf die Intensität der Behandlung oder die Schaffung eines Mehrwertes (ASA 27/226). 1965 wurde entschieden, dass die Ausführung von Reinigungsarbeiten in einem sogenannten Selbstbedienungssalon, nämlich einem Waschsalon zur chemischen Reinigung von Kleidern, der Warenumsatzsteuer unterworfen sei, da auch bei diesem neuen Reinigungsverfahren nach den gesamten Umständen zwischen der Wäscherei und dem Kunden ein Werkvertrag abgeschlossen werde und somit die in
BGE 68 I 103
ff. entwickelte Auffassung hier ebenfalls zutreffe (ASA 34/298 ff.).
d) Der Sinn der Besteuerung baugewerblicher Leistungen lag ursprünglich offenbar darin, bei Bauwerken und Grundstücken gleich wie bei Fahrnis, neben dem Wert des Werkstoffes auch den Wert der vom Lieferer oder Ablieferer erbrachten Arbeitsleistung, somit den Wert des ganzen Produktes von Ware und Arbeit zum Steuerobjekt zu machen. Weil die steuerliche Erfassung der baugewerblichen Leistungen auf dem Wege der Besteuerung
BGE 100 Ib 56 S. 63
des Materials unbefriedigend und kompliziert war, wurde 1971 die grundsätzliche Einführung der Besteuerung des Gesamtentgeltes baugewerblicher Leistungen beschlossen (Botschaft in BBl 1957 I 576; vgl. auch AMONN, a.a.O., S. 158 f.; HEROLD in Steuer-Revue 1973, S. 231 f.). Die neuen
Art. 15bis und 18bis WUStB
gehen auf jeden Fall insoweit nicht über den in Art. 8 Abs. 2 lit. b Üb-BV dem Bundesrat erteilten Auftrag hinaus, als damit eine von der Tatsache der Materialverwendung und vom Wert des Materials unabhängige Besteuerung baugewerblicher Leistungen statuiert wird. Die Verfassungsmässigkeit dieser Ausführungsvorschriften hat das Bundesgericht in BGE 99 I b 263 ff. bereits bejaht und die Besteuerung von baugewerblichen Erdarbeiten ohne Verwendung von Material als zulässig erachtet. Es besteht kein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Dagegen fragt sich, ob
Art. 41ter Abs. 3 BV
in Zusammenhang mit Art. 8 Abs. 2 lit. b Üb-BV dazu führt, dass nun auch das Reinigen von Gebäuden - wie schon bisher die Reinigung von Fahrnis - Gegenstand der Warenumsatzsteuer ist.
2.
a) Der Wortlaut der einschlägigen Verfassungsbestimmung (
Art. 41ter Abs. 3 BV
) und der Übergangsbestimmung der Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 2 lit. b Üb-BV) ist sehr weit. In Art. 41ter Abs. 3 werden dem Umsatz von Waren und der Wareneinfuhr ganz allgemein die "gewerbsmässigen Arbeiten an Fahrnis, Bauwerken und Grundstücken", unter Ausschluss der Bebauung des Bodens für die Urproduktion, gleichgestellt. In Art. 8 Abs. 2 lit. b Üb-BV ist ebenfalls ohne besondere Einschränkung von "gewerbsmässigen Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken" die Rede. Der Text dieser Vorschriften der Verfassungsstufe enthält keinen Hinweis darauf, dass Arbeit bzw. das Entgelt für Arbeiten nur insoweit besteuert werden sollen, als diese Arbeiten nach ihrer wirtschaftlichen Funktion der Herstellung oder Lieferung einer Ware gleichkommen. Von der Grundkonzeption der Warenumsatzsteuer her jedoch läge eine solche, die reine Dienstleistung ausschliessende Einschränkung nahe.
Als die "gewerbsmässigen Arbeiten" erstmals im Verfassungstext als Steuerobjekt erwähnt wurden, erklärte der Berichterstatter Hauser im Nationalrat, die Erwähnung der gewerbsmässigen Arbeiten an Fahrnis entspreche der bereits bestehenden Ordnung, nach der die gewerbsmässige blosse Umgestaltung
BGE 100 Ib 56 S. 64
von Waren auch dann steuerbar sei, wenn kein Material angeliefert werde. Sodann ermögliche die vorgeschlagene Umschreibung, die baugewerblichen Arbeiten steuerlich den Arbeiten an Fahrnis gleichzustellen (StenB NR 1957/545). In der Botschaft zu jener Vorlage wurde als Ziel der neuen Umschreibung dargelegt, dass die Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken den Arbeiten an Fahrnis gleichgestellt werden sollten (BBl 1957 I 572 f.). Die Frage der Abgrenzung gegen blosse Dienstleistungen ist weder in der bundesrätlichen Botschaft noch in der parlamentarischen Beratung aufgeworfen worden. Immerhin zeigt das erwähnte Votum Hauser, dass der Berichterstatter davon ausging, dass die zu besteuernden Arbeiten eine Umgestaltung der Ware zur Folge haben.
Auch die Erörterung des Problems der Besteuerung baugewerblicher Leistungen in der Doktrin betraf nicht einfach irgendwelche Arbeiten an Bauten und Grundstücken, sie blieb stets bezogen auf baugewerbliche Leistungen. So wurde im Bericht der Studienkommission für die Warenumsatzsteuer und andere Konsumsteuern aus dem Grundgedanken der gleichmässigen Belastung des gesamten Güterverbrauchs gefolgert, dass die baugewerblichen Leistungen nicht anders behandelt werden sollten als die Herstellung und Lieferung beweglicher Waren (Schriften zur Neuordnung der Bundesfinanzen, Basel 1956, S. 21 ff.). Im gleichen Sinne erörterte auch AMONN das Problem der Besteuerung baugewerblicher Leistungen (vgl. a.a.O., S. 145 ff. und dort zitierte Literatur). Obschon er klar die Auffassung vertritt,
Art. 41ter Abs. 2 lit. a BV
betreffe keine eigentliche Warenumsatzsteuer, sondern eine Leistungsumsatzsteuer, so setzt er doch durchwegs voraus, dass es sich um die Besteuerung baugewerblicher Leistungen und nicht anderer Arbeiten an Bauwerken oder Grundstücken handle (vgl. insbesondere S. 160 ff.).
Der Bundesrat ist bei der Revision des Warenumsatzsteuerbeschlusses und insbesondere beim Erlass der für die durch Art. 8 Abs. 2 lit. b Üb-BV vorgeschriebene Besteuerung der gewerbsmässigen Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken notwendigen Ausführungsbestimmungen (
Art. 15bis und
Art. 18 bis WUStB
) in erster Linie offenbar davon ausgegangen, dass jene Arbeiten steuerlich zu erfassen sind, die im weiten Sinne der Herstellung von Bauwerken dienen. Es wird - unter Einschränkung des Wortlautes der zugrundeliegenden Verfassungsbestimmung
BGE 100 Ib 56 S. 65
- nicht einfach das Entgelt für Arbeiten an Bauwerken und Grundstücken als steuerbar erklärt, sondern die Herstellung von Bauwerken für fremde Rechnung wird in
Art. 15bis WUStB
dem herkömmlichen Steuerobiekt, der Warenlieferung, gleichgestellt. Nach
Art. 18bis WUStB
sollen aber "alle Arbeiten an Grundstücken und Dauerbauten" als "Herstellung von Bauwerken" gelten (mit Ausnahme der Bebauung des Bodens für die Urproduktion). Es ist daher zu prüfen, ob diese weite Definition nach der ratio legis und der Entstehungsgeschichte so verstanden werden darf, dass auch Arbeiten, die nicht baugewerblicher Natur sind, als "Herstellung von Bauwerken" der Warenumsatzsteuer unterworfen sind.
b) Die EStV beruft sich vor allem darauf, dass gemäss der langjährigen Praxis die Erhebung der Warenumsatzsteuer auf den Kosten der Reinigung von Fahrnisgegenständen als zulässig betrachtet wird. Diese bereits 1942 vom Bundesgericht sanktionierte Praxis (vgl. vorne unter Erwägung 1) erhellt in der Tat, dass der Begriff der Her- oder Instandstellung in seiner weitesten Fassung angewendet worden ist, und es muss der EStV zugegeben werden, dass die Übertragung des im Bereich der Fahrnis entwickelten weiten Begriffs der "Herstellung" auf die Immobilien zur Besteuerung der Kosten der Gebäudereinigung führt.
Zur Anwendung der
Art. 15bis und
Art. 18bis WUStB
auf Arbeiten, welche Bauwerke oder Grundstücke nicht verändern, sondern zu den üblichen Unterhaltsarbeiten gehören, nahm das Bundesgericht in seinem Urteil vom 8. Dezember 1972 (ASA 42/38) erstmals Stellung. Es hat damals entschieden, dass das blosse Entleeren von Klär- und Schlammgruben nicht Gegenstand der Warenumsatzsteuer sein könne, weil es sich dabei nicht um eine Arbeit am Bauwerk im Sinne von
Art. 18bis WUStB
handle; die steuerbare Arbeit an einem Bauwerk müsse dessen "bauwerkliche Funktion" betreffen. Ohne dass dies für die Entscheidung des konkreten Falles von Bedeutung war, wurde dieser Gedanke einer einschränkenden Interpretation im Urteil vom 29. Juni 1973 (
BGE 99 Ib 263
ff.) wieder aufgenommen und festgestellt, die
Art. 15bis und 18bis WUStB
beträfen die Leistungen des Baugewerbs und nicht jegliche Dienstleistungen, die in Zusammenhang mit Grundstücken oder Bauwerken stünden. Die langjährige Rechtsprechung über die Besteuerung von Reinigungsarbeiten an Fahrnis wurde
BGE 100 Ib 56 S. 66
damals nicht berücksichtigt. Im vorliegenden Fall muss nun geprüft werden, ob die extensive Auslegung des Warenumsatzsteuerrechts, die in bezug auf Reinigungsarbeiten an Fahrnis schon 1942 eingeleitet wurde, nach der Änderung der rechtlichen Grundlagen auch auf die Reinigung von Gebäuden anzuwenden ist.
Die Frage ist zu bejahen. Die Ausführungsvorschriften des WUStB für die Arbeiten an Fahrnis und die Arbeiten an Bauwerken oder Grundstücken stimmen zwar nicht wörtlich überein, doch lässt sich weder aus dieser auf andere Gründe zurückzuführenden Differenz der einschlägigen Texte des WUStB noch aus der tatsächlichen Verschiedenheit der Vorgänge ein prinzipieller Unterschied in der steuerrechtlichen Behandlung von Reinigungsarbeiten ableiten, je danach, ob das gereinigte Objekt Fahrnis- oder Bauwerkqualität hat. Mit der Vorschrift des Art. 8 Abs. 2 lit. b Üb-BV wollte der Gesetzgeber gerade die Gleichbehandlung der Arbeiten an Fahrnis und an Bauwerken bzw. Grundstücken erreichen.
Gegen diese Auslegung, d.h. für ein Aufgeben der seit 1942 gehandhabten Praxis und für die Beschränkung der Besteuerung auf Arbeitsleistungen, die der Schaffung oder wirklichen Veränderung (eigentliche Bearbeitung oder Umgestaltung) einer Ware oder eines Bauwerks dienen, lässt sich zwar ausser der Grundkonzeption der Steuer als Warenumsatzsteuer vor allem geltend machen, dass eine Ausdehnung der Steuer auf Arbeitsleistungen, die nicht der Herstellung einer Ware oder eines Bauwerks dienen, weder in der Doktrin noch im Parlament je zur Diskussion stand. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und auch nach der in unsern Nachbarländern geltenden Begriffsbestimmung liegt eine Bearbeitung nicht vor, wenn die Wesensart des Gegenstandes gewahrt bleibt, d.h. wenn durch die Behandlung des Gegenstandes kein neues Verkehrsgut anderer Marktgängigkeit entsteht (vgl. HEROLD, in Steuer-Revue 1973, S. 233 und 1974, S. 114 ff.). Doch ist nicht zu übersehen, dass Reinigungsarbeiten an Fahrnisobjekten seit über dreissig Jahren besteuert werden, ohne dass diese Auslegung des Warenumsatzsteuerrechtes offenbar je zu einer grundsätzlichen Kritik Anlass gab. Auch bei der in zwei Stufen vorgenommenen steuerrechtlichen Gleichstellung der Arbeiten an Bauwerken mit den Arbeiten an Fahrnis (1959/1971) machte sich gegen die damals schon seit Jahrzehnten dauernde Besteuerung der Reinigung von Waren keine Opposition bemerkbar. Der Gesetzgeber akzeptierte eine sehr weite
BGE 100 Ib 56 S. 67
Fassung der Vorschrift über die Besteuerung von Arbeiten. Während bis 1959 die Ansatzpunkte für eine solche Ausdehnung der Steuerpflicht in den damals geltenden Rechtsgrundlagen als recht fragwürdig erscheinen konnte, bildet heute der Wortlaut der
Art. 41ter BV
, Art. 8 Abs. 2 lit. b Üb-BV und
Art. 18bis WUStB
kein Hindernis für eine Reinigungsarbeiten in die Besteuerung einbeziehende Auslegung.
Nachdem der Gesetzgeber selbst an der von einer blossen Besteuerung des eigentlichen Warenumsatzes sich entfernenden Praxis keinen Anstoss genommen, sondern die massgebenden Verfassungsnormen so abgeändert hat, dass jetzt "Arbeiten" als mögliches Steuerobjekt ausdrücklich erwähnt sind, hat das Bundesgericht keinen Anlass die damit wohl zumindest stillschweigend sanktionierte Besteuerung von Reinigungsarbeiten unter Bezugnahme auf die ursprüngliche Konzeption der Warenumsatzsteuer in Frage zu stellen. Die im Urteil vom 8. Dezember 1972 entwickelte und in
BGE 99 Ib 263
beiläufig bestätigte Auslegung, wonach die steuerbare Arbeit an einem Bauwerk dessen "bauwerkliche Funktion" betreffen muss, erweist sich somit als zu eng.
Mögen auch praktische Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen blosser Reinigung und eigentlicher Bearbeitung oder Umgestaltung an sich keine entscheidenden Argumente für die Auslegung einer Steuernorm bilden, so spricht doch in der heutigen Situation und aufgrund der jetzigen Rechtsgrundlagen auch die Praktikabilität der bisher in bezug auf die Fahrnis gehandhabten Praxis für eine entsprechende Behandlung der Reinigungsarbeiten an Bauwerken und Grundstücken. Soweit sich die Beschwerde auf die Besteuerung des Entgeltes für die durch die Beschwerdeführerin ausgeführten Reinigungsarbeiten bezieht, ist sie daher abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3714e39d-daa0-4930-8d46-18d0e8010d09 | Urteilskopf
112 Ib 459
70. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 7 octobre 1986 dans la cause G. contre canton de Vaud (procès direct) | Regeste
Verantwortlichkeit des Staates für rechtswidrige Inhaftierung (Art. 4 und 6 Abs. 2 des waadtländischen Gesetzes vom 16. Mai 1961 über die Verantwortlichkeit des Kantons, der Gemeinden und ihrer Beamten).
Höhe der Genugtuungssumme. | Sachverhalt
ab Seite 459
BGE 112 Ib 459 S. 459
A.-
En exécution d'un mandat d'arrêt décerné par le Préfet de X., G. a été appréhendé et maintenu en détention du 13 au 23 novembre 1984. Il fut ensuite libéré par le Juge informateur qui lui avait infligé l'amende de 500 francs, dont le défaut de paiement était à l'origine de son arrestation. Ce magistrat lui indiqua qu'il avait été détenu sans titre, le Préfet ayant omis de requérir préalablement la conversion de l'amende en arrêts.
B.-
Par la voie d'une action directe au sens de l'art. 42 OJ, G. demande au Tribunal fédéral de condamner l'Etat de Vaud au paiement de 17'887 fr. 50, plus intérêts, dont 10'000 francs à titre de réparation morale.
Admettant partiellement la demande, le Tribunal fédéral alloue à G. la somme globale de 10'000 francs, avec intérêts, incluant un montant de 7'000 francs pour la perte de gain ainsi qu'une indemnité pour tort moral de 3'000 francs.
Erwägungen
Extrait des considérants:
6.
En vertu de l'art. 6 al. 2 LREC, celui qui subit une atteinte dans ses intérêts personnels peut réclamer une indemnité à titre de réparation morale lorsqu'elle est justifiée par la gravité particulière du préjudice subi.
En l'occurrence, le demandeur a été gravement touché dans ses intérêts personnels par l'atteinte illégale et imméritée à la liberté qu'il a dû subir...
G. a été détenu pendant onze jours. L'atteinte a cependant duré plus longtemps parce que la détention et la découverte de son
BGE 112 Ib 459 S. 460
caractère injustifié ont fait l'objet d'une large publicité, dans le cadre de la localité où vit le demandeur, et d'un débat dans la presse autour de la personnalité de ce dernier. En revanche, G. n'a pas subi d'atteinte à sa santé et le soupçon n'a pas été jeté sur lui d'avoir commis des délits qu'en réalité il n'avait pas commis. Tout bien pesé, une indemnité de 3'000 francs apparaît dès lors équitable; il convient d'y ajouter les intérêts compensatoires au taux annuel de 5% à compter du 1er décembre 1984. | public_law | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3714eba3-6102-4233-a38f-45ff97e80f63 | Urteilskopf
122 IV 49
8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. Februar 1996 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 11 StGB
; willkürliche Beweiswürdigung, verminderte Zurechnungsfähigkeit, Bedeutung der Blutalkoholkonzentration.
Bei einer Blutalkoholkonzentration zwischen 2 und 3 Promillen besteht eine Vermutung für die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit. Diese Vermutung kann im Einzelfall durch Gegenindizien umgestossen werden (E. 1b). Aufgrund der Gegenindizien Verminderung der Zurechnungsfähigkeit bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,09 bis 2,32 Promillen willkürfrei verneint (E. 1c). | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 122 IV 49 S. 49
Zu Sachverhalt und Vorgeschichte vgl.
BGE 120 IV 169
.
Nach Rückweisung der Sache durch das Bundesgericht holte das Obergericht bei der Psychiatrischen Klinik Königsfelden ein Gutachten sowie eine ergänzende Stellungnahme dazu ein.
BGE 122 IV 49 S. 50
Am 29. Juni 1995 bestätigte das Obergericht sein früheres Urteil. Eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit verneinte es.
B. erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
b) Nach der Rechtsprechung fällt bei einer Blutalkoholkonzentration von über 2 Gewichtspromillen eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit in Betracht (
BGE 117 IV 292
E. 2d). Der Blutalkoholkonzentration kommt bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit allerdings nicht alleinige Bedeutung zu. Sie ist eine grobe Orientierungshilfe (vgl.
BGE 119 IV 120
E. 2b). Wie im medizinischen Schrifttum hervorgehoben wird, gibt es keine feste Korrelation zwischen Blutalkoholkonzentration und darauf beruhender forensisch relevanter Psychopathologie; stets sind Gewöhnung, Persönlichkeit und Tatsituation in die Beurteilung einzubeziehen. Als grobe Faustregel kann lediglich davon ausgegangen werden, dass bei einer Blutalkoholkonzentration von unter 2 Promille in der Regel keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vorliegt, während bei einer solchen von 3 Promille und darüber meist Schuldunfähigkeit gegeben ist (VOLKER DITTMANN, Forensische Psychiatrie, in: FREYBERGER/STIEGLITZ (Hrsg.), Kompendium der Psychiatrie und Psychotherapie, 10. Aufl., Basel 1996, S. 452). Entsprechend nimmt die deutsche Rechtsprechung und Doktrin an, dass bei einer Blutalkoholkonzentration ab 3 Promille Schuldunfähigkeit selbst bei einem trinkgewohnten Menschen nicht auszuschliessen ist. Für den Bereich zwischen 2 und 3 Promille geht sie im Regelfall von einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit aus (SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Strafgesetzbuch, Kommentar, 24. Aufl., § 20 N. 16a mit Hinweisen; HENTSCHEL/BORN, Trunkenheit im Strassenverkehr, 6. Aufl., N. 257 ff. und 264). Dem folgt die italienische Doktrin (vgl. ROMANO/GRASSO, Commentario sistematico del codice penale, Milano 1990, Art. 91 N. 6). Ebenso wird in Österreich als Faustregel ab 2 Promille Blutalkoholgehalt eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit angenommen (FOREGGER/KODEK, Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Wien 1991, S. 58).
Bei einer Blutalkoholkonzentration zwischen 2 und 3 Promillen kann somit im Regelfall von einer verminderten Zurechnungsfähigkeit ausgegangen werden. Es besteht in diesem Bereich mit anderen Worten eine Vermutung für die
BGE 122 IV 49 S. 51
Verminderung der Zurechnungsfähigkeit. Diese Vermutung kann jedoch im Einzelfall durch Gegenindizien umgestossen werden.
c) Die Gutachterin kommt zum Schluss, dass beim Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt keine schwere Alkoholintoxikation gegeben war. Er habe sich in einem einfachen, mittelschweren Alkoholrausch befunden. Er habe sich selbst keineswegs betrunken gefühlt. Auf der Unfallstelle habe er einen ruhigen Eindruck gemacht. Er sei in der Lage gewesen, die an ihn gestellten Fragen adäquat zu beantworten. Er habe keine vegetativen Symptome (Erbrechen) oder Gangstörungen gezeigt und keine Erinnerungslücken aufgewiesen. Es sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer seit Jahren zeitweise zu übermässigem Alkoholkonsum neige, weshalb sich eine gewisse Gewöhnung an hohe Alkoholmengen eingestellt haben könnte. Zudem sei er kurz vor dem Unfall noch in der Lage gewesen, durch eine Vollbremsung eine Kollision zu verhindern.
Die Gutachterin nennt damit gewichtige Gegenindizien, welche geeignet sind, die Vermutung der verminderten Zurechnungsfähigkeit umzustossen. Mit Blick darauf ist es nicht willkürlich, wenn das Obergericht der Sache nach davon ausgeht, der Beschwerdeführer sei zur Zeit der Tat nicht in erheblichem Mass in den Bereich des Abnormen gefallen. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
371834f9-df26-4526-b399-0be400d29c17 | Urteilskopf
113 IV 54
16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. April 1987 i.S. F. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
.
Wurde eine Gesamtstrafe gemäss
Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
ausgefällt, so ist der bedingte Aufschub des Strafvollzuges unabhängig davon ausgeschlossen, ob die innerhalb der Fünf-Jahres-Frist nach verbüsster Vorstrafe begangenen Taten Übertretungen oder Vergehen und Verbrechen darstellen. | Sachverhalt
ab Seite 55
BGE 113 IV 54 S. 55
F., der nach Verbüssung von knapp fünf Monaten Gefängnis am 17. November 1979 bedingt aus dem Strafvollzug entlassen worden war, begann im Herbst 1983 erneut, Betäubungsmittel zu konsumieren, und ab Februar 1985 solche zu verkaufen und zu vermitteln. Das Strafamtsgericht von Bern verurteilte ihn deswegen am 18. Dezember 1985 zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 15 Monaten. Auf Appellation der Staatsanwaltschaft verweigerte das Obergericht des Kantons Bern am 21. November 1986 den bedingten Aufschub des Strafvollzugs.
Eine von F. dagegen gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde weist das Bundesgericht ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Aufschub des Vollzugs einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als 18 Monaten ist gemäss
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
nicht zulässig, wenn der Verurteilte innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat wegen eines vorsätzlich begangenen Verbrechens oder Vergehens eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe von mehr als drei Monaten verbüsst hat.
Wie sich aus dem Dispositiv des angefochtenen Urteils ergibt, ist der Beschwerdeführer vom Strafamtsgericht rechtskräftig zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt worden, die eine in Anwendung von
Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
für sämtliche von ihm verübten Taten ausgefällte Gesamtstrafe darstellen. Ob der allein in die Fünf-Jahres-Frist des
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
fallende Eigenkonsum von Betäubungsmitteln lediglich mit Haft oder Busse bedroht ist (
Art. 19a Ziff. 1 BetmG
), also eine blosse Übertretung darstellt (
Art. 101 StGB
), bleibt ohne Bedeutung. Nach dem klaren Wortlaut von
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
, von dem der Beschwerdeführer mit Recht nicht behauptet, er gebe den wahren Sinn der Norm nicht richtig wieder, kommt es allein darauf an, ob eine Freiheitsstrafe ausgesprochen worden ist, worunter jede freiheitsentziehende Strafe, also Zuchthaus, Gefängnis wie auch Haft zu verstehen ist (SJK 1196 II S. 1); es erweist sich mithin als belanglos, ob die zugrunde liegenden Straftaten Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen darstellen (LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse, partie générale, S. 230). Liegt bezüglich ausgefällter Freiheitsstrafen eine umfassende und damit auch abschliessende Regelung vor, kann von der behaupteten Gesetzeslücke, die durch Heranziehung von
Art. 108 StGB
zu füllen wäre, keine Rede
BGE 113 IV 54 S. 56
sein. Die Möglichkeit, dass bei wahlweise angedrohter Haft und Busse an sich statt Haft, d.h. Freiheitsstrafe, Busse ausgesprochen werden kann, offenbart sich vorliegend ebenso als bedeutungslos. Das Strafamtsgericht ist, wenn es aufgrund von
Art. 68 Ziff. 1 StGB
auf Gefängnis erkannte, zum Schluss gelangt, der Beschwerdeführer habe auch bezüglich des Eigenkonsums von Betäubungsmitteln eine Freiheitsstrafe verwirkt, was wegen der Rechtskraftwirkung seines Urteils nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Dem Beschwerdeführer stand es offen, bezüglich der Strafzumessung selber die Appellation zu erklären und geltend zu machen, es hätte insoweit eine Busse ausgefällt werden müssen, womit er den Wirkungen der nachträglichen Beschränkung der durch die Staatsanwaltschaft erklärten Appellation auf die Frage des bedingten Strafvollzugs entgangen wäre. Bundesrecht gebietet entgegen seiner Darstellung nicht, dass der kantonale Richter ein bei ihm nur teilweise angefochtenes Urteil dessen ungeachtet stets vollumfänglich auf seine Rechtsbeständigkeit zu überprüfen hätte. | null | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
371b0da2-00f3-4791-992e-0e97dbc46a3d | Urteilskopf
118 Ib 111
14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Juni 1992 i.S. S. gegen Bezirksanwaltschaft Zürich, Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerden). | Regeste
Rechtshilfe an die USA.
1. Zuständigkeitsordnung gemäss BG-RVUS im Rahmen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen im Verhältnis mit den USA (E. 3).
2. Allfällige Mängel des vorinstanzlichen Rechtshilfeverfahrens können im Verwaltungsgerichtsverfahren geheilt werden (E. 4).
3. Die Formerfordernisse nach
Art. 29 RVUS
sind erfüllt, wie auch die von
Art. 4 Ziff. 2 RVUS
für Zwangsmassnahmen verlangte beidseitige Strafbarkeit (insb. gemäss Ziff. 19 lit. b der dem RVUS beigefügten Liste) gegeben ist (E. 5).
"Begründeter Verdacht" im Sinne von
Art. 1 Ziff. 2 RVUS
heisst, dass die Verdachtsumstände in ausreichender Form dargelegt sein müssen, um das Rechtshilfeverfahren von einer blossen - unzulässigen - Beweisausforschung aufs Geratewohl hin abzugrenzen; der Ausdruck darf hingegen nicht im Sinne von "bewiesen" verstanden werden (E. 5b).
4. Voraussetzungen der Herausgabe von Vermögenswerten an den ersuchenden Staat bzw. Gliedstaat (
Art. 1 Ziff. 1 lit. b RVUS
); Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes und damit auch des Übermassverbotes (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 112
BGE 118 Ib 111 S. 112
A.-
Die amerikanische Zentralstelle für Rechtshilfe mit der Schweiz, das Office of International Affairs (OIA), richtete mit Schreiben vom 28. Oktober 1991 ein Rechtshilfeersuchen des
BGE 118 Ib 111 S. 113
"Deputy Attorney General for Medicaid Fraud Control for the State of New York" an das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP). Laut diesem Ersuchen führt der im Zusammenhang mit Betrugshandlungen gegen das bundesstaatliche Gesundheitsprogramm Medicaid eingesetzte Sonderstaatsanwalt eine Strafuntersuchung gegen den amerikanischen Staatsangehörigen Dr. med. S. Dieser wird verdächtigt, bei seinen ärztlichen Dienstleistungen im Rahmen von Medicaid in den Jahren 1988 bis 1990 mittels verschiedener betrügerischer Vorgehensweisen - namentlich durch das Ausstellen inhaltlich unwahrer Rechnungen und die Fälschung von Geschäftsunterlagen - ungerechtfertigte staatliche Zahlungen von über US-Dollar 1,8 Mio. erwirkt und sich dadurch bereichert zu haben. Es wird vermutet, dass S. widerrechtlich erlangte Gelder auf von ihm kontrollierte schweizerische Bankkonten überwiesen hat. Mit dem Ersuchen wird die Herausgabe diesbezüglicher Kontenunterlagen verlangt, zudem die Sperre und Herausgabe der auf den betreffenden Konten befindlichen Vermögenswerte, da diese dem Bundesstaat New York gehörten.
Mit an die Banken X. und Y. in Zürich gerichteten Verfügungen vom 7. November 1991 ordnete die Zentralstelle USA des BAP hinsichtlich der im Zusammenhang mit dem Ersuchen stehenden Konten und Schliessfächer die nötigen vorsorglichen Massnahmen (Sperren) an. Bereits dagegen wurde Einsprache geführt. Mit denselben Verfügungen vom 7. November 1991 wurde das amerikanische Justizdepartement aufgefordert, innert nützlicher Frist eine Übersetzung des Rechtshilfebegehrens einzureichen.
Am 25. November 1991 traf die deutsche Übersetzung des Ersuchens ein.
In der Folge gelangte die Zentralstelle USA des BAP zum Ergebnis, dass das Rechtshilfebegehren den massgebenden Formvorschriften gemäss
Art. 29 RVUS
genüge und die Rechtshilfeleistung nicht offensichtlich unzulässig sei. Der im Ersuchen dargelegte Sachverhalt stelle u.a. Betrug dar (Ziff. 19 insb. lit. b der Liste zum RVUS), weshalb beim Vollzug auch Zwangsmassnahmen angewendet werden dürften (
Art. 4 Ziff. 2 RVUS
). Die verlangten Massnahmen stünden in direktem Zusammenhang mit den geschilderten Tatumständen und entsprächen dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz. Da staatliche Gelder Gegenstand der strafbaren Handlung bildeten, seien diese Gelder nach
Art. 1 Ziff. 1 lit. b RVUS
an den ersuchenden Staat herauszugeben. Entsprechend ordnete die Zentralstelle mit Verfügung vom 28. November 1991 folgendes an:
BGE 118 Ib 111 S. 114
"1. Dem Rechtshilfeersuchen des US Department of Justice vom 28. November (Oktober) 1991 wird entsprochen und es ist vollumfänglich Rechtshilfe zu gewähren. Soweit auf Konten der im Ersuchen genannten Personen Gelder festgestellt werden können, die aus den geschilderten Straftaten stammen könnten, werden diese zum Entscheid über ihre weitere Verwendung an die ersuchende Behörde überwiesen.
2. Die Bezirksanwaltschaft Zürich nimmt unverzüglich die im Ersuchen verlangten Untersuchungshandlungen nach Massgabe des kantonalen Rechts vor und hält die Zentralstelle über das weitere Verfahren auf dem laufenden.
3. (Eröffnung).
(Rechtsmittelbelehrung)."
Mit Schreiben vom 28. November 1991 setzte das BAP dem Anwalt des Beschuldigten unter Zustellung der Verfügung desselben Datums sowie der englischen und der deutschen Fassung des Ersuchens Frist bis zum 20. Dezember 1991, um die gegen die Rechtshilfeleistung gerichtete Einsprache zu begründen.
Die Einsprachebegründung traf rechtzeitig beim BAP ein. Der Einsprecher stellte im einzelnen folgende Anträge:
"1. Es seien die Anordnungen des Bundesamtes für Polizeiwesen, insbesondere die Anordnungen vom 7.11.1991 und vom 28.11.1991 aufzuheben, und es sei keine Rechtshilfe zu gewähren.
2. Es sei dieser Einsprache die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
3. alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.
Eventualantrag
Es seien alle Vermögenswerte des Rekurrenten, welche vor dem 1.1.1988 auf den Konten bei den Banken X. und Y. deponiert worden sind, samt den aufgelaufenen Erträgen aus der Verfügungssperre zu entlassen, wobei bezüglich der übrigen Vermögenswerte über eine allfällige Weiterleitung in die USA erst nach Vorliegen einer allfälligen rechtskräftigen Verurteilung des Rekurrenten entschieden werden soll."
Die Zentralstelle verfügte am 13. Januar 1992 folgendes:
"1. Die Einsprache wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen und die Herausgabe von Beweisunterlagen und Vermögenswerten (zur Rückgabe an den Geschädigten) grundsätzlich bewilligt. Die Herausgabe der Bankdokumente wird bezüglich Unterlagen über einzelne Kontobewegungen auf die Zeit nach dem 1.1.88 beschränkt.
2. Die Banken X. und Y. werden angewiesen, die vorbezeichneten Vermögenswerte zuzüglich aufgelaufene Erträgnisse nach Rechtskraft dieser Verfügung gemäss noch einzuholenden Instruktionen an die ersuchenden Behörden zu überweisen.
BGE 118 Ib 111 S. 115
3. ...
(Rechtsmittelbelehrung)."
B.-
Gestützt auf die vom 7. bzw. 28. November 1991 datierten Anordnungen der Zentralstelle hatte die Bezirksanwaltschaft Zürich schon am 29. November 1991 - also schon vor dem Einpracheentscheid des BAP - den Vollzug der Rechtshilfe verfügt, nachdem sie zum Ergebnis gelangt war, die verlangten Massnahmen seien im Lichte des anwendbaren zürcherischen Prozessrechtes ohne weiteres zulässig. Im Hinblick darauf, dass nach den genannten Anordnungen der Zentralstelle alle festgestellten Gelder, die aus den geschilderten Straftaten stammen könnten, zum Entscheid über die weitere Verwendung - allenfalls Einziehung zwecks Rückerstattung an den Geschädigten oder allenfalls Rückgabe an den Beschuldigten - zuhanden der ersuchenden Behörde auf ein amerikanisches Sperrkonto zu überweisen seien, listete die Bezirksanwaltschaft die betroffenen Vermögenswerte gemäss den bei der SBG und beim SBV erhobenen Unterlagen (Valuta 18. November 1991) auf und verfügte im einzelnen:
"1. Die Banken X. und Y. werden aufgefordert, die in der Anordnung der Zentralstelle resp. im amerikanischen Rechtshilfeersuchen näher bezeichneten Unterlagen der Bezirksanwaltschaft Zürich in gut lesbarer Fotokopie herauszugeben...
2. Die vorbezeichneten Vermögenswerte zuzüglich aufgelaufene Erträgnisse sind nach Rechtskraft der Anordnung des Bundesamtes und dieser Verfügung ... gemäss noch einzuholenden Instruktionen dem US Department of Justice resp. der von diesem bezeichneten Amtsstelle zu überweisen.
3. (Rechtsmittelbelehrung)."
Gegen diese Verfügung rekurrierte S. an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Dabei erhob er einzig gegen die Zulässigkeit der Rechtshilfeleistung selber gerichtete Rügen. Im einzelnen beantragte er:
"1. Es sei die Verfügung der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 29.11.1991 aufzuheben, und es sei keine Rechtshilfe zu gewähren.
2. Es sei diesem Rekurs die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
3. alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.
Eventualantrag
Es sei die Sache zur erneuten Entscheidung an die Bezirksanwaltschaft zurückzuweisen.
BGE 118 Ib 111 S. 116
Subeventualantrag
Es seien alle Vermögenswerte des Rekurrenten, welche vor dem 1.1.1988 auf den Konten bei den Banken X. und Y. deponiert worden sind, samt den aufgelaufenen Erträgen aus der Verfügungssperre zu entlassen, wobei bezüglich der übrigen Vermögenswerte über eine allfällige Weiterleitung in die USA erst nach Vorliegen einer allfälligen rechtskräftigen Verurteilung des Rekurrenten entschieden werden soll."
In ihrer zuhanden der Staatsanwaltschaft erstatteten Vernehmlassung wies die Bezirksanwaltschaft darauf hin, dass keine im kantonalen Verfahren zu hörenden Rekursgründe vorgebracht würden. Zwischen der Zentralstelle, der Bezirksanwaltschaft, den betroffenen Banken und dem Rekurrenten herrsche Übereinstimmung darüber, dass erst für die Zeit ab 1. Januar 1988 Unterlagen zu erheben seien; die deutsche Übersetzung des Ersuchens sei zwar diesbezüglich zumindest missverständlich, doch sei in den Akten insoweit eine handschriftliche Korrektur angebracht worden.
Die Staatsanwaltschaft führte in ihrem Entscheid vom 10. Januar 1992 (also ebenfalls bereits vor dem am 13. Januar 1992 ergangenen Einspracheentscheid der Zentralstelle) aus, die Bezirksanwaltschaft sei bei ihrer - soeben wiedergegebenen - Feststellung zu behaften, weshalb der Subeventualantrag des Rekurrenten als überholt erscheine und darauf nicht mehr einzutreten sei. Im übrigen würden mit dem Rekurs ausnahmslos Einwendungen erhoben, welche im Einspracheverfahren vor der Zentralstelle USA zu erheben seien und daher im kantonalen Rechtsmittelverfahren nicht zu hören seien. Im Sinne dieser Erwägungen sei daher auf den Rekurs insgesamt nicht einzutreten.
C.-
Gegen die Verfügung des BAP vom 13. Januar 1992 und gegen diejenige der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 10. Januar 1992 erhob S. am 14. Februar 1992 mit zwei separaten Eingaben Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Zur Hauptsache beantragte er, die beiden Entscheide seien aufzuheben. Sodann stellte er mit beiden Beschwerden übereinstimmend folgende Anträge:
"2. Es sei festzustellen, dass den US Behörden gestützt auf das Rechtshilfegesuch des US Department of Justice vom 28.10.1991 seitens der schweizerischen Behörden keine Rechtshilfe zu gewähren sei.
3. Es sei dieser Verwaltungsgerichtsbeschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
4. alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Beschwerdegegners.
BGE 118 Ib 111 S. 117
Eventualantrag
Es sei die von den US Behörden verlangte Rechtshilfe auf die Herausgabe der Bankunterlagen für den Zeitraum ab 1.1.1988 zu beschränken; und es seien im übrigen die Vermögenswerte des Beschwerdeführers, welche vor dem 1.1.1988 auf den Konten der Banken X. und Y. deponiert worden sind (...) samt den aufgelaufenen Erträgen aus der Verfügungssperre zu entlassen, wobei bezüglich der auf den Bankkonten verbleibenden Vermögenswerte über die Weiterleitung in die USA erst nach Vorliegen einer allfälligen rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers entschieden werden soll.
Subeventualantrag
Es sei die Sache zur erneuten Entscheidung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen."
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) In dem den Entscheid der Staatsanwaltschaft betreffenden Verfahren macht der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, die kantonale Rekursinstanz sei zu Unrecht auf die vorgebrachten Rügen nicht eingetreten. Sie hätte diese Rügen behandeln oder dann den Entscheid darüber aussetzen müssen, solange noch nicht rechtskräftig darüber entschieden worden sei, ob die (gleichen) bei der Zentralstelle mittels Einsprache erhobenen Rügen zu Recht angebracht worden seien.
b) aa) Wie die kantonalen Vollzugsinstanzen und das BAP zutreffend ausgeführt haben, beruht die Auffassung des Beschwerdeführers zunächst auf einer Fehlinterpretation von
Art. 16 Abs. 4 BG-RVUS
und der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung hiezu. Gemäss dieser Rechtsprechung (
BGE 115 Ib 64
ff.) kommt nur jenen Beschwerden aufschiebende Wirkung zu, die sich gegen Entscheide richten, welche die Weiterleitung von Auskünften oder Dokumenten an den ersuchenden Staat bewilligen oder den Vollzug von Massnahmen anordnen, bei dem dem ersuchenden Staat solche Auskünfte zur Kenntnis gelangen. Bei der von der Zentralstelle USA am 28. November 1991 getroffenen, vom Beschwerdeführer mit Einsprache angefochtenen Verfügung handelte es sich noch nicht um eine solche Weiterleitungsverfügung. Sodann hatte die Bezirksanwaltschaft in ihrer Vollzugsverfügung vom 29. November 1991 bestimmt, dass einem Rechtsmittel auch bezüglich der Herausgabe von Vermögenswerten aufschiebende Wirkung zukomme. In bezug auf alle vor dem Einspracheentscheid der Zentralstelle vom 13. Januar
BGE 118 Ib 111 S. 118
1992 ergangenen Entscheidungen kam einem Rechtsmittel somit keine aufschiebende Wirkung zu und hatten daher die zürcherischen Behörden - dem von seiten der Zentralstelle erhaltenen Auftrag entsprechend - die verlangten Vollzugshandlungen anzuordnen, dies unabhängig vom Ausgang des vor der Zentralstelle hängigen Einspracheverfahrens. Durch solches Vorgehen konnte dem Beschwerdeführer im Lichte der genannten Rechtsprechung kein (bleibender) Nachteil entstehen, denn für den Fall, dass die Rechtshilfe im erst noch durchzuführenden Einsprache- oder Verwaltungsgerichtsverfahren als unzulässig erachtet worden wäre bzw. erachtet würde, wären noch keine Auskünfte oder Vermögenswerte an den ersuchenden Staat gelangt (sondern lediglich die durch die schweizerischen Vollzugsbehörden im Hinblick auf die nach Eintritt der Rechtskraft der Rechtshilfebewilligung erst landesintern getroffenen Massnahmen rückgängig zu machen). Der Einwand, es sei wenig sinnvoll, dass die kantonalen Behörden bereits einen von der Zentralstelle getroffenen Entscheid über die grundsätzliche Zulässigkeit der Rechtshilfe vollziehen, bevor dieser Entscheid rechtskräftig geworden ist, geht somit fehl. So vorzugehen, entspricht der seit
BGE 115 Ib 64
ff. gehandhabten Praxis zur Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens. Unter diesen Umständen ist auf die vom Beschwerdeführer angerufene frühere bundesgerichtliche Rechtsprechung (
BGE 110 Ib 92
) nicht weiter einzugehen.
Wie im übrigen das Bundesgericht in
BGE 117 Ib 64
ff. bestätigt hat, hat der nach
Art. 3 Abs. 2 BG-RVUS
ersuchte Kanton - im vorliegenden Fall die zuständige Vollzugsbehörde des Kantons Zürich - regelmässig nur gerade den Vollzug durchzuführen, da die grundsätzliche Prüfung der Rechtshilfevoraussetzungen im Rahmen des Verkehrs mit den USA der Zentralstelle USA obliegt (
BGE 117 Ib 81
). Gemäss dieser Rechtsprechung kann sich der Betroffene im kantonalen Vollzugsverfahren in erster Linie über eine Verletzung des kantonalen Verfahrensrechts beklagen. Eine Verletzung des Rechtshilfevertrages oder des Ausführungsgesetzes kann er im Vollzugsverfahren nur ausnahmsweise rügen, nämlich nur insoweit, als es dabei um Fragen geht, die nicht Gegenstand des Einspracheverfahrens bilden können. Schliesslich kann der Betroffene im Vollzugsverfahren auch noch einwenden, der kantonale Ausführungsakt widerspreche den Anordnungen der Zentralstelle. Derartige Rügen hat der Beschwerdeführer jedoch im kantonalen Vollzugsverfahren nicht erhoben. Vielmehr hat er im Rekursverfahren insgesamt Rügen erhoben, die im Rahmen des Einspracheverfahrens vor der Zentralstelle
BGE 118 Ib 111 S. 119
vorzubringen sind und die der Beschwerdeführer denn auch mit seiner Einsprache vorgetragen hat.
Dies gilt übrigens auch für den Einwand des Beschwerdeführers, er habe mit seinem Rekurs geltend gemacht, es seien nur Unterlagen für die Zeit ab dem 1. Januar 1988 zu erheben. Von den amerikanischen Behörden war nichts anderes verlangt worden, wie auch die Bezirksanwaltschaft nichts anderes verfügt hatte, wobei sie in ihrer Vollzugsverfügung lediglich auf das Ersuchen verwies, das in der deutschen Übersetzung allerdings missverständlich, zusammen mit der (offensichtlich auch für den Beschwerdeführer verständlichen) englischen Originalfassung aber hinreichend klar ist und lediglich strafbares Verhalten in der Zeit ab 1. Januar 1988 betrifft (s. in diesem Zusammenhang im übrigen nachf. E. 5b). Dies hatte der zuständige Bezirksanwalt denn auch umgehend bestätigt. Abgesehen davon ist der genannte - ebenfalls die Zulässigkeit der Rechtshilfe betreffende - Einwand auch im Einspracheverfahren vorgetragen und von der Zentralstelle denn auch zusammen mit den weiteren Rügen geprüft worden. Unter diesen Umständen konnte dem Rekurs auch auf diesen Einwand bezogen kein Erfolg beschieden sein.
Nach dem Gesagten erübrigt es sich, auf die vom Beschwerdeführer zur Begründung seiner Rügen angerufene Rechtsprechung gemäss
BGE 117 Ia 5
ff. einzugehen. Denn dieser Entscheid hatte einzig einen Fall interkantonaler Rechtshilfe zum Gegenstand und betraf nicht die aufgezeigte, hier massgebende Kompetenzordnung gemäss BG-RVUS im Fall der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen im Verhältnis mit den USA.
bb) Schliesslich machte der Beschwerdeführer mit seinem Rekurs geltend, dass auch die vor dem 1. Januar 1988 auf den Konten liegenden Vermögenswerte vom amerikanischen Ersuchen nicht erfasst seien. In diesem Zusammenhang stellten sich aber die zürcherischen Vollzugsbehörden zu Recht auf den Standpunkt, dass das BAP zu bestimmen habe, welche Vermögenswerte vom Ersuchen erfasst seien, und dass die kantonalen Behörden dazu nur Vollzugsanordnungen vornehmen könnten. Diese hätten sie denn auch getroffen, indem sie die von der Sperre betroffenen Konten bezeichnet hätten, dies jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rechtskraft der Anordnung der Zentralstelle.
Dass bzw. inwiefern die fraglichen Vollzugsanordnungen der Anordnung der Zentralstelle widersprochen hätten, wird nicht geltend gemacht und ist denn auch nicht ersichtlich.
BGE 118 Ib 111 S. 120
Die Beschwerde gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft erweist sich demnach auch insoweit als unbegründet.
Im übrigen befasste sich in der Folge das BAP selber im Einspracheentscheid auch mit dem genannten Einwand. Dass es ihn als unbegründet erachtete, bildet ebenfalls Gegenstand der Beschwerde gegen den Entscheid der Zentralstelle. Darauf wird weiter unten (E. 6) zurückzukommen sein.
cc) Aus den dargelegten Gründen ist der Entscheid der Staatsanwaltschaft nicht zu beanstanden und die dagegen gerichtete Beschwerde abzuweisen.
4.
a) Im Verfahren gegen den Einspracheentscheid der Zentralstelle USA macht der Beschwerdeführer zunächst eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör bzw. eine Verletzung von
Art. 4 BV
geltend. Diese Rechtsverletzung erblickt er darin, dass die Zentralstelle zur Begründung ihres Entscheides einen zu den Akten genommenen Presseartikel beigezogen habe, ohne ihm - dem Beschwerdeführer - diesen Artikel vorgängig zur Stellungnahme zur Verfügung zu stellen.
b) Das BAP weist in seiner Vernehmlassung darauf hin, beim betreffenden Presseartikel (aus "Der Spiegel", Nr. 46/1991) handle es sich um einen offen zugänglichen Bericht; es sei nie die Absicht des BAP gewesen, diesen gewissermassen geheimhalten zu wollen. Andererseits habe der Rechtsbeistand des Beschwerdeführers sein Recht auf Akteneinsicht erst nach Erlass der angefochtenen Verfügung - d.h. erst im bundesgerichtlichen Verfahren - geltend gemacht, ohne dabei aber zum Artikel Stellung zu nehmen. Abgesehen davon habe das BAP dem Artikel lediglich illustrative Bedeutung beigemessen; es gehe daraus hervor, dass das Ausnützen von Schwachstellen im amerikanischen Krankenversicherungswesen, was der Sache nach auch dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird, offenbar kein Einzelfall sei. Anhaltspunkte dafür, dass das BAP dem Artikel darüber hinaus eine rechtliche Bedeutung hätte zukommen lassen, fehlen. Dennoch kann man sich fragen, ob das BAP, wenn es den genannten Artikel in der angefochtenen Verfügung erwähnen wollte, dem Beschwerdeführer zuvor die Möglichkeit hätte einräumen müssen, dazu Stellung zu nehmen.
Die Frage kann indes offengelassen werden. Selbst wenn eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bejaht werden müsste, würde dies im vorliegenden Fall nicht zur Gutheissung der Beschwerde führen. Da die Rechtshilfevoraussetzungen vom Bundesgericht wie vom BAP bzw. von der Zentralstelle mit freier Kognition
BGE 118 Ib 111 S. 121
zu prüfen sind, können allfällige Mängel des vorinstanzlichen Verfahrens im Verwaltungsgerichtsverfahren geheilt werden (
BGE 117 Ib 87
E. 4 mit Hinweisen). Nachdem dem Beschwerdeführer spätestens im bundesgerichtlichen Verfahren nach erhaltener umfassender Akteneinsicht die Möglichkeit offenstand, den sich aus seiner Sicht ergebenden Rechtsstandpunkt umfassend vorzutragen und sich auch zum fraglichen Presseartikel zu äussern, wäre ein Mangel der genannten Art denn auch geheilt worden (s. das soeben zitierte Urteil). Dass der Beschwerdeführer es dabei unterlassen hat, sich in materieller Hinsicht zum genannten Presseartikel zu äussern, hat er selber zu vertreten und vermag am Gesagten nichts zu ändern.
5.
a) Im weiteren macht der Beschwerdeführer geltend, es fehle an der für die Rechtshilfeleistung notwendigen beidseitigen Strafbarkeit. Der im Ersuchen geschilderte Tatbestand genüge nicht zur Qualifikation als Betrug; insbesondere fehle das Tatbestandsmerkmal der Arglist. Es wäre Medicaid ohne weiteres möglich gewesen, etwa durch Befragen von Patienten festzustellen, welche medizinischen Leistungen tatsächlich erbracht worden seien. Mit Bezug auf den Vorwurf (a) - Verrechnung des Arzttarifs, obwohl die Leistung in der Klinik nicht durch einen zugelassenen Arzt erbracht worden sei - stehe in Tat und Wahrheit nur ein zivilrechtlicher Streit über den anwendbaren Honorartarif zur Diskussion. Ebensowenig liessen sich die Vorwürfe (b) - Rezeptblöcke blanko unterzeichnen - und (c) - Rechnung für ein tragbares Elektrokardiogramm, obwohl die Dienstleistung nicht erbracht worden sei - unter den Tatbestand des Betruges subsumieren. Da es sich bei den im Ersuchen genannten Vorwürfen nach schweizerischem Recht höchstens um untergeordnete Delikte handle (z.B. Verletzung eines kantonalen Gesundheitsgesetzes), komme eine Anwendung von Zwangsmassnahmen auch nicht gestützt auf
Art. 4 Ziff. 3 RVUS
in Frage.
Abgesehen davon beziehe sich das Ersuchen nur auf Vermögenswerte, die nach dem 1. Januar 1988 einbezahlt worden seien (s. hiezu nachf. E. 6). Die Herausgabe von Unterlagen sei daher vom Umfang her bereits richtigerweise beschränkt worden. Die Einsprache hätte somit aber teilweise gutgeheissen werden müssen, was sich auch auf den Kostenpunkt ausgewirkt hätte.
b) Der in einem Rechtshilfeersuchen und in dessen Beilagen oder Ergänzungen dargestellte Sachverhalt ist für die schweizerischen Behörden nach ständiger Rechtsprechung verbindlich, ausser im Falle von offensichtlichen Irrtümern, Widersprüchen oder Lücken, die den von den ersuchenden Behörden aufgezeigten Verdacht sofort
BGE 118 Ib 111 S. 122
zu entkräften vermögen (
BGE 117 Ib 88
E. 5c mit Hinweisen). Beweise werden nicht verlangt (
BGE 107 Ib 267
E. 3a,
BGE 105 Ib 425
f. E. 4b). Die Darstellung des Sachverhaltes muss ausreichen, um den schweizerischen Behörden ein Urteil darüber zu erlauben, ob die den Betroffenen vorgeworfenen Handlungen nach den Rechten beider Staaten strafbar sind (im Rechtshilfeverkehr mit den USA jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - Zwangsmassnahmen verlangt werden), ob die fraglichen Handlungen nicht zu denjenigen gehören, für die Rechtshilfe nicht gewährt wird (politische oder fiskalische Delikte) und ob - insbesondere bei Eingriffen in die Rechte Dritter - der Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht verletzt werde. Beweiserhebungen im ersuchten Staat würden zu Doppelspurigkeiten führen, die durch die Rechtshilfeverträge gerade vermieden werden sollen. "Begründeter Verdacht" im Sinne von
Art. 1 Ziff. 2 RVUS
kann nur heissen, dass die Verdachtsumstände in ausreichender Form dargelegt sein müssen, um das Rechtshilfeverfahren von einer blossen - unzulässigen - Beweisausforschung aufs Geratewohl hin abzugrenzen; der Ausdruck darf dagegen nicht im Sinne von "bewiesen" verstanden werden, was auch deshalb klar ist, weil es sich bei einem bewiesenen Sachverhalt eben nicht mehr um einen Verdacht handeln würde (E. 4a des teilweise zur Veröffentlichung bestimmten Urteils vom 16. Januar 1992 i.S. X. AG, ferner nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 11. Dezember 1990 i.S. J. und vom 13. Dezember 1982 i.S. D.; LIONEL FREI, Der Rechtshilfevertrag mit den USA und die Aufhebung geschützter Geheimnisse, SJK Nr. 67, S. 14).
In diesem Sinne vermag die Sachverhaltsdarstellung gemäss dem vorliegenden Ersuchen den massgebenden Formvorschriften, namentlich auch den Bestimmungen gemäss
Art. 29 Ziff. 1 lit. a und b RVUS
, zu genügen. Trotz in der deutschen Fassung nicht durchwegs fehlerfreier Sätze ist - unter Beizug der offensichtlich auch für den Beschwerdeführer verständlichen englischen Fassung - der Sache nach klar, worum es den amerikanischen Behörden geht. Jedenfalls sind die sprachlichen Ungenauigkeiten nicht derart gravierend, dass das Ersuchen aus diesem Grunde zurückgewiesen werden müsste; jedenfalls handelt es sich bei solchen Mängeln nicht bereits um schwere Mängel im Sinne von
Art. 2 lit. d IRSG
, aus denen einem Ersuchen nicht entsprochen wird, sondern höchstens um Mängel im Sinne von
Art. 28 Abs. 6 IRSG
, die - wenn nötig - verbessert werden können (nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 16. Mai 1990 i.S. E. AG und vom 22. September 1989 i.S. D.N.). Dass das
BGE 118 Ib 111 S. 123
vorliegende Ersuchen mit einer deutschen Übersetzung versehen ist, entspricht im übrigen
Art. 30 Ziff. 1 RVUS
. Damit sind die staatsvertraglichen Anforderungen an die Sprache des Ersuchens erfüllt. Trotz sprachlicher Ungenauigkeiten entspricht indes die deutsche Fassung jedenfalls der Sache nach dem in englischer Sprache abgefassten Originalersuchen.
Was der Beschwerdeführer gegen die im Ersuchen enthaltene Sachverhaltsdarstellung vorbringt, vermag diese nicht sofort zu entkräften. Vielmehr handelt es sich um Tat- und Schuldfragen, die nicht durch den Rechtshilferichter, sondern durch den ausländischen Sachrichter zu beurteilen sind (
BGE 117 Ib 90
). Insbesondere kann mit Blick auf die Darstellung im Ersuchen entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht die Rede davon sein, es stehe keine Strafsache, sondern bloss eine zivilrechtliche Streitigkeit zur Diskussion.
c) Da in der Schweiz die Durchführung von Zwangsmassnahmen verlangt wird, ist zu prüfen, ob der im Rechtshilfeersuchen angeführte Sachverhalt nach dem Recht sowohl des ersuchenden als auch des ersuchten Staates die Merkmale eines Straftatbestandes gemäss der dem Staatsvertrag beigefügten Liste erfüllt (
Art. 4 Ziff. 2 RVUS
). Dabei ist festzustellen, dass der Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit nicht erfordert, dass der ersuchende und der ersuchte Staat die fraglichen Handlungen in ihren Gesetzgebungen unter demselben rechtlichen Gesichtswinkel erfassen. Die Normen brauchen nicht identisch zu sein; es genügt, dass die im Rechtshilfegesuch umschriebenen Tatsachen in der Rechtsordnung sowohl des ersuchenden als auch des ersuchten Staates einen Straftatbestand erfüllen (
BGE 117 Ib 90
mit Hinweisen; zudem FREI, a.a.O., S. 36).
Hinsichtlich des amerikanischen Rechtes erübrigen sich im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer gemäss Ersuchen angelasteten Straftaten - Diebstahl bzw. Betrug zum Nachteil des Bundesstaates New York - weitere Ausführungen, hat doch das Bundesgericht die strafrechtliche Qualifikation nach dem Recht der USA nicht einer vertieften Prüfung zu unterziehen (
BGE 113 Ib 164
E. 4,
BGE 112 Ib 593
E. 11ba,
BGE 111 Ib 137
E. b,
BGE 109 Ib 163
E. b; zudem FREI, a.a.O., S. 34 ff.). Die genannten Tatbestände sind in der dem RVUS beigefügten Liste enthalten (insb. Ziff. 19b, Ziff. 15).
Strafbarkeit ist aber auch nach schweizerischem Recht gegeben. Dem Beschwerdeführer wird laut Ersuchen vorgeworfen, namentlich durch das Ausstellen inhaltlich unwahrer Rechnungen und die Fälschung von Geschäftsunterlagen ungerechtfertigte staatliche
BGE 118 Ib 111 S. 124
Zahlungen erwirkt und sich dadurch bereichert zu haben. Als Arzt war er aufgrund seiner besonderen Stellung zu wahrheitsgetreuen Angaben verpflichtet und deshalb auch besonders glaubwürdig, so dass von der Gegenseite (also Medicaid), an die er die fraglichen Rechnungen stellte, diese in aller Regel als wahr erachtet und besondere Überprüfungen nicht verlangt werden konnten (
BGE 117 IV 169
f.,
BGE 103 IV 181
ff., 185). Damit ist hinsichtlich der im Ersuchen dargelegten Beispiele des dem Beschwerdeführer angelasteten Verhaltens das Tatbestandsmerkmal der Arglist schon aus diesem Grunde erfüllt (vgl. nebst der bereits genannten Rechtsprechung
BGE 111 IV 58
f.,
BGE 105 IV 104
,
BGE 99 IV 84
; zudem STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Zürich 1989, N 9 f. zu
Art. 148 StGB
, und GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 3. Aufl., Bern 1983, S. 236, mit weiteren Hinweisen); dass die Darstellung gemäss Ersuchen auch die übrigen Tatbestandsmerkmale des
Art. 148 StGB
erfüllt, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Somit ist die gemäss
Art. 4 Ziff. 2 RVUS
für Zwangsmassnahmen verlangte beidseitige Strafbarkeit (jedenfalls im Sinne von Ziff. 19 lit. b der dem RVUS beigefügten Liste) gegeben.
d) Wie der Beschwerdeführer zutreffend feststellt, soll gemäss Rechtshilfebegehren deliktisches Verhalten erst ab 1988 vorliegen. Die deutsche Übersetzung des Ersuchens ist insofern nicht ganz klar, doch haben weder das BAP noch die Vollzugsbehörden im Kanton Zürich jemals einen anderen Standpunkt eingenommen als der Beschwerdeführer, dass diesem eben - gemäss dem Originalersuchen - erst für die Zeit ab 1. Januar 1988 strafbares Verhalten angelastet wird.
Entsprechend räumte die Zentralstelle ein, dass vor dem 1. Januar 1988 ergangene Kontobewegungen für die Aufklärung der fraglichen Taten nicht wesentlich sein sollten; solange keine Ergänzung des Ersuchens bzw. kein anderer triftiger Grund für eine Ausdehnung vorliege, sei deshalb die Herausgabe von solchen Unterlagen über Kontobewegungen auf den Zeitraum ab 1. Januar 1988 bis zum aktuellen Datum zu beschränken.
Sodann erwog die Zentralstelle aber ebenfalls zu Recht, dass es sich hinsichtlich genereller Unterlagen (Kontoeröffnungsdokumente, Vollmachten, dauernd gültige Anweisungen an die Bank etc.), die natürlich auch schon vor dem Stichtag 1. Januar 1988 verfasst sein könnten, etwas anders verhalte. In der Tat können derartige Unterlagen in bezug auf die fraglichen Konten für das Verfahren
BGE 118 Ib 111 S. 125
ebenfalls von Bedeutung sein, sei dies nun zur Belastung oder zur Entlastung (
Art. 63 Abs. 5 und
Art. 64 Abs. 2 IRSG
) des Beschwerdeführers. Dass die Zentralstelle daher für solche Unterlagen die genannte zeitliche Einschränkung nicht berücksichtigte, hält vor dem auch im Rechtshilfeverkehr geltenden Verhältnismässigkeitsgrundsatz (
BGE 115 Ib 82
f. E. 4a,
BGE 110 Ib 184
E. 7, 109 Ib 230 f., zudem etwa nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 28. August 1989 i.S. J.) ohne weiteres stand.
Unter diesen Umständen hatte die Zentralstelle keine Veranlassung, die Einsprache hinsichtlich der Frage der Herausgabe von Unterlagen gutzuheissen. Da die Herausgabe - wie vorstehend ausgeführt worden ist - gemäss zutreffender Auffassung der Zentralstelle bzw. entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers nicht generell auf den Zeitpunkt ab 1. Januar 1988 zu beschränken ist, ist nicht zu beanstanden, dass diese die Einsprache insoweit im Sinne ihrer Erwägungen abgewiesen hat.
6.
a) Der Beschwerdeführer wehrt sich ferner gegen die von der Zentralstelle angeordnete Herausgabe der auf verschiedenen schweizerischen Bankkonten befindlichen Vermögenswerte. Er macht im wesentlichen geltend, dem Bundesstaat New York könne höchstens eine Ersatzforderung zustehen, nicht aber das Eigentum an den fraglichen Geldern, nachdem diese auf den schweizerischen Bankkonten mit anderen Geldern vermischt worden seien; im übrigen bildeten gemäss Ersuchen höchstens solche Vermögenswerte Gegenstand des Rechtshilfeverfahrens, die in der Zeit ab 1. Januar 1988 auf die Konten gelangt seien (s. Eventualantrag). Im übrigen sei es nicht nötig, die Vermögenswerte bereits jetzt dem ersuchenden Staat herauszugeben; im Lichte des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes würde es genügen, die Vermögenswerte in der Schweiz weiterhin zu blockieren und nach Abschluss des amerikanischen Strafverfahrens darüber zu entscheiden, ob die Gelder den amerikanischen Behörden zur Verfügung gestellt werden sollten.
B) aa) Wie das BAP zutreffend feststellt, statuiert
Art. 1 Ziff. 1 lit. b RVUS
eine Verpflichtung der Vertragsparteien zur Rückgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten, wenn diese dem ersuchenden Staat oder einem seiner Gliedstaaten gehören und durch strafbare Handlungen erlangt worden sind. Dies bedeutet einerseits, dass die genannte Bestimmung - im Unterschied zu gewissen Verfahren gemäss IRSG, wo die Herausgabe von Vermögenswerten vom Bundesgericht als blosse Möglichkeit ("Kann-Vorschrift" von
Art. 74 Abs. 2 IRSG
, vgl.
BGE 116 Ib 460
) erachtet worden ist - zwingend
BGE 118 Ib 111 S. 126
ist und daher eher mit einer Sachauslieferung (z.B. gemäss
Art. 20 EAÜ
) vergleichbar ist; insoweit sind daher die die IRSG-Regelung betreffenden bundesgerichtlichen Urteile (
BGE 116 Ib 452
ff.,
BGE 115 Ib 517
ff.) für das vorliegende, nach dem RVUS abzuwickelnde Verfahren nur beschränkt anwendbar. Andererseits bedeutet die genannte Bestimmung des RVUS nicht, dass die Schweiz nicht darüber hinaus berechtigt wäre, entsprechende Vermögenswerte gestützt auf das innerstaatliche Recht herauszugeben, sei es zum Zweck der Beweissicherung oder auch zum Zweck der Rückerstattung an den Geschädigten (
Art. 74 Abs. 1 und 2 IRSG
; vgl. nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 7. März 1989 i.S. M. und HANS SCHULTZ, Bemerkungen zu
Art. 74 IRSG
, ZBJV 124bis/1988 S. 433 ff.).
Gemäss dem nach dem Gesagten rechtsgültigen Ersuchen handelt es sich bei Medicaid um ein staatliches Programm und ist entsprechend der Bundesstaat New York um den dem Beschwerdeführer angelasteten Deliktsbetrag von US-Dollar 1,8 Mio. betrogen worden. Man kann sich allerdings fragen, ob auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem es nicht nur um die Erteilung von Auskünften bzw. um die Überweisung von Dokumenten zu Beweiszwecken, sondern zusätzlich um die Herausgabe von in der Schweiz befindlichen Vermögenswerten geht, einzig auf den im Rechtshilfebegehren wiedergegebenen Sachverhalt abzustellen ist (oben E. 5b), oder ob von der ersuchenden Behörde zusätzlich gewisse Beweismittel zur Erhärtung ihrer Tatsachenschilderung zu verlangen sind (wie bei der Rechtshilfe bei Abgabebetrug, s.
BGE 116 Ib 103
E. 4c mit Hinweisen). Jedenfalls bei einem losgelöst von einer amerikanischen Strafuntersuchung gestellten Rechtshilfeersuchen im Sinne von
Art. 1 Ziff. 1 lit. b RVUS
erscheint es angezeigt, dass die Schweiz eine derartige minimale Kontrollmöglichkeit hat. Im vorliegenden Fall ist die auf einer Strafuntersuchung beruhende Sachverhaltsdarstellung im Rechtshilfebegehren jedoch ohne weiteres plausibel, so dass davon abgesehen werden kann, weitere Beweismittel anzufordern. Entsprechend ist davon auszugehen, dass die fraglichen Gelder (im nachfolgend aufzuzeigenden Umfange) dem Bundesstaat New York gehören; daran vermögen die vom Beschwerdeführer eingereichten Privatgutachten nichts zu ändern (vgl. zur Problematik solcher Gutachten im übrigen
BGE 117 Ib 92
mit Hinweisen). Die Bestimmung von
Art. 1 Ziff. 1 lit. b RVUS
ist daher auf den vorliegenden Fall bezogen grundsätzlich anwendbar.
Dabei ist festzustellen, dass von dieser Bestimmung an sich Eigentumsansprüche des ersuchenden Staates erfasst werden, die
BGE 118 Ib 111 S. 127
schon vor Begehung der Straftat bestanden haben und dadurch beeinträchtigt oder gefährdet wurden, "wie die Rückgabe eines Gemäldes, das aus einem staatlichen Museum gestohlen wurde, oder die Rückerstattung von veruntreuten Staatsgeldern" (FREI, a.a.O., S. 11). Dieser letztgenannte Fall, die Rückgabe von veruntreuten Staatsgeldern, ist mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Doch wendet der Beschwerdeführer ein, dadurch, dass die Zahlungen gemäss Ersuchen mit anderen, vor dem 1. Januar 1988 erfolgten Zahlungen auf den fraglichen Konten vermischt worden seien, könne dem ersuchenden Staat kein Eigentums-, sondern nur noch ein Ersatzanspruch zustehen (was durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung bestätigt wird, vgl.
BGE 112 IV 76
f. und SCHULTZ, a.a.O., S. 455), so dass
Art. 1 Ziff. 1 lit. b RVUS
hier nicht zum Tragen kommen könne. Dem ist indes zunächst zu erwidern, dass nach dem bereits Gesagten im Rahmen von
Art. 74 IRSG
ganz allgemein auch Vermögenswerte zum Zweck der Rückerstattung an den Geschädigten herausgegeben werden können. Zudem stellt sich im vorliegenden Fall das Problem der Vermischung gar nicht, wie der Beschwerdeführer selber einräumt. Denn die laut Ersuchen in der Zeit ab 1. Januar 1988 auf die fraglichen Konten gelangten Vermögens- bzw. Geldwerte (Zahlungen), bei denen es sich laut der rechtsgültigen Darstellung der ersuchenden Behörde um vom Beschwerdeführer deliktisch erworbene, dem Bundesstaat New York gehörende Gelder handelt, lassen sich ohne weiteres spezifizieren, haben doch die amerikanischen Behörden die verschiedenen Kontenüberweisungen im einzelnen aufgelistet. Lassen sich die Werte derart auseinanderhalten, so vermag der genannte Einwand des Beschwerdeführers einer Herausgabe nicht entgegenzustehen. Dass es sich bei den Vermögenswerten im Sinne von
Art. 1 Ziff. 1 lit. b RVUS
nicht nur um Wertgegenstände, sondern auch um Geldwerte handeln kann, ist selbstverständlich und bedarf keiner weiteren Erörterungen.
Verhält es sich so, so sind die Voraussetzungen zur verlangten Rechtshilfeleistung auch insoweit erfüllt, was die in der Zeit ab 1. Januar 1988 auf die fraglichen Konten gelangten Gelder anbelangt; gemäss der rechtsgültigen Darstellung im Ersuchen handelt es sich hierbei - wie ausgeführt worden ist - um Gelder, die der Beschwerdeführer durch strafbare Handlungen erlangt hat (
Art. 1 Ziff. 2 RVUS
), die aber dem Bundesstaat New York gehören (
Art. 1 Ziff. 1 lit. b RVUS
). Die Schweiz ist daher auch insoweit vertraglich zur Rechtshilfe verpflichtet (
Art. 1 Ziff. 1 Satz 1 RVUS
).
BGE 118 Ib 111 S. 128
Der Wortlaut von
Art. 1 Ziff. 1 lit. b RVUS
verlangt nicht die sofortige Herausgabe der fraglichen Gegenstände oder Vermögenswerte im Rahmen der noch hängigen Strafuntersuchung; über den Zeitpunkt der Herausgabe ist daher im Einzelfall zu entscheiden. Im vorliegenden Fall fehlen aber Anhaltspunkte dafür, dass die herauszugebenden Gelder nicht im Sinne des Vertragszweckes verwendet werden könnten. Entsprechend sind die betreffenden Gelder der ersuchenden Behörde zu überweisen, ohne dass zunächst ein rechtskräftiges amerikanisches Urteil abgewartet werden müsste (vgl. im übrigen auch
Art. 2 Ziff. 1 lit. b RVUS
). Die zuständige amerikanische Gerichtsbehörde wird einen Entscheid darüber zu fällen haben, welche Vermögenswerte endgültig der Rückgabe an den geschädigten Bundesstaat unterliegen; oder allenfalls wird die Rückgabe mit der Zustimmung des Beschuldigten erfolgen können (eventuell im Rahmen einer Vereinbarung im Sinne des in den USA nicht seltenen "plea bargain"). Ohne solchen Entscheid oder solche Zustimmung wären die Gelder dem Beschwerdeführer zurückzuerstatten, wobei die Rückgabe ohne irgendwelche fiskalische Belastung zu erfolgen hätte.
Eine im Lichte des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes mildere Massnahme als die Herausgabe der fraglichen Gelder, z.B. die vom Beschwerdeführer erwähnte Belassung auf einem schweizerischen Sperrkonto, entfällt nach dem Gesagten.
bb) Hingegen sind die bereits vor dem 1. Januar 1988 auf die fraglichen Bankkonten gelangten Gelder schon deswegen nicht rechtshilfeweise herauszugeben, weil sie vom amerikanischen Begehren gar nicht erfasst werden; denn dieses betrifft - wie aufgezeigt - lediglich seit dem genannten Datum erfolgte Straftaten bzw. Überweisungen deliktischer Gelder. Die Herausgabe von Vermögenswerten, die vor dem 1. Januar 1988 auf die fraglichen Konten gelangten, würde somit gegen das Übermassverbot verstossen (
BGE 115 Ib 375
f.). Ob dem Bundesstaat New York hinsichtlich dieser vor dem erwähnten Stichtag in die Schweiz überwiesenen Gelder ein Ersatzanspruch zustehen soll, wie das BAP unter Hinweis auf
Art. 58 Abs. 4 StGB
in Betracht gezogen hat, braucht daher jedenfalls im vorliegenden Rechtshilfeverfahren nicht weiter erörtert zu werden.
In diesem Sinne ist die Beschwerde gegen den Entscheid der Zentralstelle USA vom 13. Januar 1992 somit teilweise gutzuheissen. Mit Blick auf den vom Beschwerdeführer gestellten Eventualantrag ist allerdings festzustellen, dass zunächst, den staatsvertraglichen
BGE 118 Ib 111 S. 129
Verpflichtungen entsprechend, das Rechtshilfeersuchen im genannten Umfange zu vollziehen ist. Erst hernach ist dem Beschwerdeführer der auf den Konten allenfalls verbleibende Restbetrag freizugeben.
c) Schliesslich ist der Einwand unbegründet, es bestehe die Gefahr, dass die herauszugebende Summe statt zur Rückerstattung an den geschädigten Bundesstaat zur Deckung von "treble damages" verwendet werden könnte, was dem schweizerischen Ordre public widersprechen würde. Mit "treble damages" ist ein dreifacher Schadenersatz gemeint (Strafschadenersatz, s. hiezu SJZ 82/1986, S. 313 f.), zu dem der Beschwerdeführer laut der Darstellung in der Beschwerde gemäss amerikanischem Recht verurteilt werden soll. Wie es sich damit im einzelnen verhält, braucht hier indes nicht geprüft zu werden, auch wenn die Schadenersatzfrage einen Zusammenhang mit dem dem Beschwerdeführer vorgeworfenen deliktischen Verhalten aufweist. Denn das vorliegende Verfahren betrifft einzig die Rechtshilfe in Strafsachen, nicht aber die - nach amerikanischem Recht zu beurteilende - Schadenersatzfrage. Nach dem Gesagten ist die Schweiz verpflichtet, die verlangte Rechtshilfe zu leisten, soweit die Voraussetzungen gemäss den dafür massgebenden Bestimmungen des RVUS erfüllt sind. Ob der Beschwerdeführer neben seiner strafrechtlichen Verurteilung und neben der Rückgabe der fraglichen Gelder an den Geschädigten mit der Verurteilung zu "treble damages" zu rechnen hat, ist dabei unerheblich. Was mit dem vorliegenden Ersuchen verlangt wird, ist im Lichte der staatsvertraglichen Bestimmungen zulässig. Anhaltspunkte dafür, dass das herauszugebende Geld anders als gemäss der Darstellung im Ersuchen verwendet werden könnte, fehlen. Die Frage, unter welchen Umständen bzw. zu welchem Zweck offenbar auch in den USA Vermögenswerte beschlagnahmt worden sind, bildet nicht Gegenstand des Rechtshilfeverfahrens. Demnach wird die Beschwerde gegen den Entscheid der Zentralstelle USA im Sinne der vorstehenden Erwägungen teilweise gutgeheissen und im übrigen abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
371ed85a-0343-4207-a003-e716212cbf45 | Urteilskopf
100 II 224
32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Juli 1974 i.S. Aussenhandels-Finanz AG. gegen Aussenhandel AG. | Regeste
Firmenrecht. Wettbewerbsrecht.
Art. 951 Abs. 2 OR
. Anforderungen an die Unterscheidbarkeit der Firma der Aktiengesellschaft (Verdeutlichung der Rechtsprechung; Erw. 2). Verwechslungsgefahr im konkreten Fall bejaht (Erw. 3).
Art. 944 Abs. 1 und 950 Abs. 1 OR. Sachbezeichnungen, die in die Firma der Aktiengesellschaft aufgenommen werden, sind vom Nachbenützer mit einem unterscheidungskräftigen Zusatz zu versehen (Erw. 4).
Art. 956 Abs. 2 OR
und
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
. Unterlassungsklage. Kumulative Anwendung von Firmen- und Wettbewerbsrecht (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 225
BGE 100 II 224 S. 225
A.-
Die im Jahre 1950 gegründete Aussenhandel A.-G. mit Sitz in Zürich befasst sich mit Import, Export, Transit von und dem Handel mit Waren jeder Art. Die Aussenhandels-Finanz A.-G. wurde im Jahre 1971 gegründet und hat ihren Sitz ebenfalls in Zürich. Sie bezweckt die Durchführung von Finanzierungsgeschäften aller Art, besonders auf dem Gebiet des Aussenhandels, sowie von Transaktionen, die mit dem Hauptzweck im Zusammenhang stehen oder diesen fördern können.
B.-
Nach einem Briefwechsel zwischen den Vertretern der beiden Gesellschaften klagte die Aussenhandel A.-G. gegen die Aussenhandels-Finanz A.-G. Sie beantragte, festzustellen, dass die Verwendung der Firma "Aussenhandels-Finanz AG" durch die Beklagte eine widerrechtliche Verletzung ihrer Firma und deren Gebrauch im Geschäftsverkehr, auf Drucksachen, Anschriften oder sonstwie, unlauteren Wettbewerb darstellt (Rechtsbegehren 1), der Beklagten die Fortsetzung der genannten unerlaubten Handlung unter Androhung von Strafe nach
Art. 292 StGB
zu untersagen (Rechtsbegehren 2) und sie zu verpflichten, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen und ihre im Handelsregister eingetragene Firma abzuändern durch Streichung des Bestandteiles "Aussenhandels", eventuell durch Zufügung eines Zusatzes, wodurch sich ihre Firma deutlich von jener der Klägerin unterscheidet (Rechtsbegehren 3).
Das Handelsgericht des Kantons Zürich schützte am 28. November 1973 die Klage teilweise dahin, dass es der Beklagten unter Strafandrohung verbot, die Firma Aussenhandels-Finanz A.-G. im Geschäftsverkehr, auf Drucksachen und Anschriften weiterhin zu verwenden, und sie verpflichtete, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen und ihre im Handelsregister eingetragene Firma im Sinne der Erwägungen abzuändern.
C.-
Mit Berufung an das Bundesgericht verlangt die Beklagte, es sei die Klage abzuweisen, eventuell die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Klägerin beantragt, den kantonalen Entscheid zu bestätigen.
BGE 100 II 224 S. 226
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.
Die Klägerin stützt ihre Begehren zunächst auf Firmenrecht (
Art. 951 OR
). Das Handelsgericht beurteilt unter diesem Gesichtspunkt die Verwechselbarkeit der Firma der Beklagten nach dem Eindruck, den sie auf das "unvoreingenommene Publikum" bzw. das "Publikum" macht. Dagegen wendet die Beklagte ein, massgebend sei nach der Rechtsprechung (
BGE 94 II 129
,
BGE 92 II 97
) nicht die Anschauung des "breiten Publikums", sondern die übliche Aufmerksamkeit in den Kreisen, mit denen die zu vergleichenden Firmen in Geschäftsbeziehungen stehen. Demnach sei im vorliegenden Fall auf Kaufleute, die im Import- und Exporthandel tätig sind, sowie auf Finanzkreise abzustellen.
Die Firma der A.-G. muss sich von jeder in der Schweiz bereits eingetragenen Firma deutlich unterscheiden (
Art. 951 Abs. 2 OR
), ansonst der Inhaber der älteren Firma auf Unterlassung des Gebrauchs der neueren Firma klagen kann (
Art. 956 Abs. 2 OR
). Da die Aktiengesellschaften ihre Firma frei wählen können, sind an die Unterscheidbarkeit strenge Anforderungen zu stellen (
BGE 97 II 235
). Wie die Beklagte an sich mit Recht einwendet, macht das Bundesgericht die Verwechslungsgefahr zweier Firmen vorab von der Aufmerksamkeit abhängig, die in den Kreisen üblich ist, mit denen die beiden Firmen geschäftlich verkehren (vgl.
BGE 94 II 129
,
BGE 92 II 98
und dort erwähnte Entscheide). Dieses vom Handelsgericht ausdrücklich erwähnte Kriterium schränkt jedoch den Firmenschutz nicht auf wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte ein. Das Gebot deutlicher Unterscheidbarkeit dient nicht der Ordnung des Wettbewerbes, sondern will den Inhaber der älteren Firma um seiner Persönlichkeit und seiner gesamten Geschäftsinteressen willen vor Verletzungen bewahren sowie das Publikum vor Irreführung schützen. Zu diesem Publikum zählen neben den Geschäftskunden auch Dritte, wie Stellensuchende, Behörden und öffentliche Dienste (
BGE 97 II 235
,
BGE 93 II 44
,
BGE 92 II 96
Erw. 1). Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Handelsgericht bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr der beiden Firmen nicht allein das Unterscheidungs- und Erinnerungsvermögen der beteiligten Handels- und Finanzkreise berücksichtigt, wie das die Beklagte verlangt.
3.
Die Beklagte widerspricht der Ansicht des Handelsgerichts,
BGE 100 II 224 S. 227
dass sich ihre Firma durch den Zusatz "Finanz" von der Firma der Klägerin nicht genügend unterscheide.
Dieser Einwand trifft nicht zu. Es kann im Ernste nicht bestritten werden, dass auch in der Firma der Beklagten der Ausdruck "Aussenhandel" prägender Bestandteil ist. Der Zusatz "-Finanz" ist klanglich schwächer und auch begrifflich nicht aussagekräftig genug, um den durch die gemeinsame Bezeichnung "Aussenhandel" am Anfang beider Firmen erweckten Eindruck der Übereinstimmung in der Erinnerung auszulöschen. Auch wenn er auf eine gewisse Beschränkung oder Eigenart der Geschäftstätigkeit hinweist, so bezieht sich diese erklärtermassen auf den Aussenhandel und fällt damit in das angestammte Tätigkeitsgebiet der Klägerin. Das lässt die Vermutung aufkommen, zwischen den Parteien bestehe ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang, was die Klägerin nicht hinzunehmen braucht (
BGE 98 II 65
und dort erwähnte Entscheide). Es verhält sich somit hinsichtlich der Verwechslungsgefahr nicht anders als in den Fällen Ecco International GmbH Zürich c. International Escort and Secretary A.-G. (unveröffentlichtes Urteil vom 8. Mai 1974), Nordfinanz-Bank Zürich (vormals Verwaltungsbank Zürich A.-G.) c. Nordic Verwaltungs- und Finanz A.-G. (unveröffentlichtes Urteil vom 17. Februar 1974), Intershop Holding A.-G. c. Interstop A.-G. (
BGE 97 II 234
), Uhrenfabrik Rolex A.-G. c. Rolax A.-G. Kugellagerfabrik (unveröffentlichtes Urteil vom 4. Mai 1971) oder Pavag A.-G. c. Bavag Bau- und Verwaltungs A.-G. (
BGE 92 II 95
).
4.
Die Beklagte trägt eventualiter vor, dass ihre Firma auch dann unverändert zuzulassen sei, wenn sie mit jener der Klägerin verwechselbar wäre; denn sonst müsste "eine unerwünschte Monopolisierung von Sachbegriffen Platz greifen", welche die "Suche neuer Geschäftsfirmen wohl illusorisch werden liesse". Sie beruft sich für diese Aufassung auf PEDRAZZINI (Bemerkungen zur neueren firmenrechtlichen Praxis, in "Lebendiges Aktienrecht", Festgabe für Wolfhart Friedrich Bürgi, S. 309). Dieser Autor ist der Meinung (a.a.O.), das nach
Art. 944 Abs. 1 OR
zu den allgemeinen Grundsätzen der Firmenbildung gehörende öffentliche Interesse biete die gesetzliche Handhabe, um "Sachbezeichnungen allein", da für diese ein Freihaltebedürfnis bestehe (Art. 944 Abs. 1), in der Firmenbildung auszuschliessen. Die Billigung dieser Argumentation
BGE 100 II 224 S. 228
würde zu einer grundlegenden Änderung der Rechtsprechung führen, was nicht erwünscht (vgl. die Besprechung von
BGE 97 II 234
durch KUMMER in ZBJV 109 S. 146/47) und auch mit der geltenden Ordnung nicht vereinbar wäre.
Nach
Art. 950 Abs. 1 OR
können Aktiengesellschaften unter Wahrung der allgemeinen Grundsätze der Firmenbildung ihre Firma frei wählen. Gemäss
Art. 944 Abs. 1 OR
sodann darf die Firma neben den gesetzlich vorgeschriebenen auch Angaben enthalten, die auf die Natur des Unternehmens hinweisen, vorausgesetzt, dass der Inhalt der Firma der Wahrheit entspricht, keine Täuschungen verursachen kann und dem öffentlichen Interesse nicht zuwiderläuft. Einerseits also sind Sachbezeichnungen in der Firma von Gesetzes wegen erlaubt. Anderseits verbietet es der Grundsatz der Firmenwahlfreiheit, dass Sachbezeichnungen in jedem Fall, auch vom Erstbenützer, mit einem Zusatz zu versehen sind, wie es PEDRAZZINI (a.a.O. s. 308 und 309) alternativ anregt. Diese Anforderung kann und muss kraft des Täuschungsverbotes (
Art. 944 Abs. 1 OR
) und der Ausschliesslichkeits- und Schutzbestimmungen (
Art. 951 Abs. 2 und 956 OR
) nur gegenüber dem Nachbenützer einer Sachbezeichnung durchgesetzt werden. Auch wenn das von Pedrazzini angerufene öffentliche Interesse der Firmenbildung eine gemeingültige Schranke setzt, so ist diese nach Wortlaut und Sinn des
Art. 944 Abs. 1 OR
nur als Korrektiv im Einzelfall zu verstehen, kann also nicht Angaben in der Firma ausschliessen, welche die nämliche Gesetzesbestimmung ausdrücklich als zulässig erklärt. Das Freihaltebedürfnis für Sachangaben mag zwar, wenn auch nur bedingt (vgl. KUMMER, a.a.O.), im privaten, d.h. im wirtschaftlichen Interesse des Unternehmers bestehen. Das öffentliche Interesse deckt es keineswegs, sondern geht gerade mit Rücksicht auf das heutige Wirtschaftsgeschehen (Diversifikation und Konzentration der Unternehmen) auf klare Unterscheidung der Firmen. Dieses Erfordernis ist, wie erwähnt, vom Nachbenützer einer Sachbezeichnung zu beachten. So gebieten es die gesetzliche Ordnung und insbesondere ihr persönlichkeitsrechtlicher Einschlag, den die zu einseitig auf wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte angelegte Argumentation Pedrazzinis weitgehend missachtet.
5.
Die Klägerin stützt ihre Rechtsbegehren auch auf unlauteren
BGE 100 II 224 S. 229
Wettbewerb. Das ist zulässig. Wie das Firmenrecht (
Art. 956 Abs. 2 OR
) verlangt auch das Wettbewerbsrecht (
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
), dass sich eine jüngere von einer älteren Firma eines Mitbewerbers genügend unterscheide (
BGE 98 II 63
). Das Handelsgericht stellt verbindlich fest, dass sich die Tätigkeitsgebiete der Parteien mindestens teilweise überschneiden. Es folgert daraus unter Hinweis auf
BGE 90 II 323
mit Recht, dass zwischen den Parteien ein Wettbewerbsverhältnis besteht. Ist die Verwechslungsgefahr unter firmenrechtlichen Gesichtspunkten zu bejahen, so ist sie es auch nach Wettbewerbsrecht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 28. November 1973 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
372b5497-4ffc-43b2-9ebb-6a2bd51d1ce7 | Urteilskopf
84 II 469
64. Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Juli 1958 i.S. B. gegen B. | Regeste
1. Gerichtsstand des Heimatortes für die Scheidungsklage.
Art. 7 g Abs. 1 NAG
. Diesen Gerichtsstand kann ein im Ausland wohnender schweizerischer Ehegatte in Anspruch nehmen, auch wenn er Doppelbürger ist, und zwar auch bei Wohnsitz in seinem andern Heimatstaat; - insbesondere die gebürtige Schweizerin, die durch Heirat mit einem Ausländer dessen Staatsangehörigkeit erworben und daneben ihr Schweizerbürgerrecht gemäss Art. 9 des Bürgerrechtsgesetzes von 1952 beibehalten hat. Unanwendbarkeit von
Art. 22 Abs. 3 ZGB
(Erw. 1).
2. Einrede des ausschliesslichen einheitlichen Scheidungsgerichtsstandes mit Berufung auf die Klage, die der in der Schweiz beklagte Ehegatte selbst an seinem Wohnsitz im Ausland erhoben hat. Einrede verworfen, weil die in der Schweiz angehobene Klage als erste rechtshängig geworden war (Erw. 2).
3. Einrede der abgeurteilten Sache gestützt auf das inzwischen ergangene Urteil über die im Ausland angehobene Klage. Voraussetzungen dieser Einrede nicht erfüllt (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 470
BGE 84 II 469 S. 470
A.-
Die Parteien liessen sich am 18. Juni 1953 trauen und hatten ihren ehelichen Wohnsitz in Antwerpen. Der Ehemann ist Belgier, die Ehefrau gebürtige Schweizerin (von Mellingen im aargauischen Bezirk Baden). Mit der Heirat erwarb sie das belgische Bürgerrecht des Ehemannes; daneben behielt sie kraft einer dahingehenden Erklärung gemäss Art. 9 des Bürgerrechtsgesetzes vom 29. September 1952 das Schweizerbürgerrecht bei.
Der Ehe ist ein Kind entsprossen, der am 22. Juni 1954 geborene José Bernard.
B.-
Infolge ehelicher Misshelligkeiten stellte der Ehemann am 10. Juni 1955 beim Richter von Antwerpen das Gesuch, das Kind sei in seine Obhut zu geben, und es sei ihm zu gestatten, mit dem Kind eine eigene Wohnung in Antwerpen zu beziehen. Mit Beschluss vom 15. Juni 1955 beliess der Richter das Kind bei der Mutter und gestattete dem Ehemanne bloss den Bezug einer eigenen Wohnung.
C.-
Bald darauf begab sich die Ehefrau - wie sie erklärt, wegen Bedrohung durch den Ehemann - mit dem Kinde nach der Schweiz. Am 24. Juni 1955 verlangte sie beim Gemeindeammann ihres Heimatortes Mellingen die Anordnung einer Sühneverhandlung über das Begehren um Ehescheidung. Diese Verhandlung fand am 13. Juli 1955 in Abwesenheit des Ehemannes statt, der mitgeteilt hatte, er habe seinerseits am 30. Juni 1955 beim zuständigen Gericht in Antwerpen den Antrag auf Ehescheidung gestellt; zur Verhandlung sei Termin auf den 6. Oktober 1955 angesetzt worden. Der Gemeindeammann von Mellingen nahm zur Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht Stellung; er erteilte der Ehefrau den verlangten Weisungsschein, worauf sie am 16. Juli 1955 die Scheidungsklage beim Bezirksgericht Baden einreichte, unter Berufung auf
Art. 7 g Abs. 1 NAG
. Ihre Begehren gingen auf Scheidung der Ehe nach
Art. 142 ZGB
, auf Zusprechung des Kindes
BGE 84 II 469 S. 471
an sie mit entsprechender Unterhaltsverpflichtung des Ehemannes, auf Zuerkennung eines monatlichen Unterhaltsgeldes und einer Genugtuung an sie und auf Feststellung ihres Eigentums an Möbeln und Hausratgegenständen.
D.-
Mit Eingabe vom 24./26. August 1955 erhob der Ehemann eine fristliche Einrede mit dem Antrag, "es sei die vorliegende Klage der Klägerin auf Ehescheidung angebrachtermassen bzw. zur Zeit von der Hand zu weisen und zufolge bereits bestehender Litispendenz das Bezirksgericht Baden als nicht zuständig zu erklären". Während das Bezirksgericht Baden diese Einrede guthiess und den Ehemann "für einmal" von der Pflicht zur Einlassung auf die Klage befreite, wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 29. März 1957 die Einrede ab und hielt das Bezirksgericht an, den Scheidungsprozess fortzusetzen.
In zweiter Instanz hatte sich der Ehemann auf das inzwischen auf seine Scheidungsklage in Belgien gegen die Ehefrau ergangene Kontumazialurteil vom 21. Januar 1957 berufen, lautend auf Scheidung mit Bezeichnung der Ehefrau als schuldiger Teil wegen schwerer Beleidigungen, auf Befreiung des Ehemannes von jeglicher Unterhaltspflicht ihr gegenüber und auf Zusprechung des Kindes an ihn mit bestimmtem Besuchsrecht der Mutter. Er stützte darauf die Einrede der abgeurteilten Sache. Das Obergericht liess diese Einrede in prozessualer Hinsicht zu, erklärte sie aber als unbegründet. In erster Linie fehle es am Nachweis der Rechtskraft; aber auch die gehörige Vorladung der Ehefrau sei nicht nachgewiesen, so dass das belgische Urteil, auch wenn es rechtskräftig wäre, in der Schweiz nicht anerkannt werden könnte. Im übrigen sei "mehr als fraglich", ob der früher begründete schweizerische Gerichtsstand durch die raschere Beendigung des belgischen Prozesses hätte hinfällig werden können. Allerdings bestehe nun die Gefahr zweier einander widersprechender Urteile. Das sei jedoch die unvermeidliche Folge
BGE 84 II 469 S. 472
davon, dass Belgien internationalrechtlich die Einrede der Rechtshängigkeit nicht gelten lasse.
E.-
Gegen das am 29. Juni 1957 zugestellte obergerichtliche Urteil hat der Ehemann binnen gesetzlicher Frist - neben einer staatsrechtlichen Beschwerde - Berufung an das Bundesgericht eingelegt mit dem Hauptantrag auf Aufhebung des angefochtenen und Wiederherstellung des bezirksgerichtlichen Urteils. Er hält an der Unzuständigkeitseinrede aus allen erwähnten Gesichtspunkten fest. Eventuell beantragt er die Rückweisung der Sache an das Obergericht. "mit der Auflage, von Amtes wegen abzuklären, ob das Urteil der II. Kammer des erstinstanzlichen Gerichtes in Antwerpen vom 21. Januar 1957 die Einrede der abgeurteilten Sache begründe."
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Als selbständiger Vorentscheid der letzten kantonalen Instanz in einer (nicht vermögensrechtlichen) Zivilrechtsstreitigkeit über die Frage des Gerichtsstandes unterliegt das angefochtene Urteil der Berufung nach
Art. 49 OG
wegen Verletzung bundesrechtlicher Zuständigkeitsnormen. Mit der in Baden eingereichten Scheidungsklage hat die Ehefrau den Gerichtsstand ihres schweizerischen Heimatortes nach
Art. 7 g Abs. 1 NAG
in Anspruch genommen.
Wird zunächst ihre Klage für sich allein ins Auge gefasst, so ist die Zuständigkeit der aargauischen Gerichte zweifellos gegeben. Einmal stellt das Obergericht das Fehlen eines schweizerischen Wohnsitzes der Ehefrau zur Zeit der Klageanhebung fest (ansonst sie zwar auch in der Schweiz, aber eben nur an ihrem allenfalls vom Heimatort verschiedenen Wohnort, gemäss
Art. 144 ZGB
, hätte klagen können). Diese Feststellung stützt sich auf die eigenen Vorbringen der Ehefrau in der Klage wie auch auf ihre Aussagen im Parteiverhör, wonach sie erst seit dem Frühjahr 1956 in der Schweiz zu bleiben beabsichtigt. Bei diesen Erklärungen hat das Obergericht sie (gegenüber spätern
BGE 84 II 469 S. 473
Vorbringen im Laufe des Prozesses) behaftet, wobei es sein Bewenden haben muss. Sodann steht das schweizerische Bürgerrecht der klagenden Ehefrau fest, und die ihr daneben zustehende ausländische Staatsangehörigkeit hindert nicht die Klage am schweizerischen Heimatort.
Art. 7 g Abs. 1 NAG
macht diesen Gerichtsstand weder davon abhängig, dass der klagende Ehegatte ausschliesslich Schweizerbürger sei, noch davon, dass das in der Schweiz ergehende Urteil Aussicht auf Anerkennung im Ausland habe. Der schweizerische Heimatgerichtsstand wurde denn auch von jeher auch Doppelbürgern zuerkannt (so bereits BGE 8 S. 824 betreffend die damals geltende Gerichtsstandsnorm von Art. 43 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Zivilstand und Ehe vom 24. Dezember 1874).
Freilich wurde in
BGE 27 I 183
mit Hinweis auf das damals geltende Bürgerrechtsgesetz vom 3. Juli 1876, Art. 5, die Frage aufgeworfen, ob sich eine Ausnahme dann rechtfertige, wenn die betreffende Person gerade in dem Staate wohnt, dem sie gleichfalls angehört. Doch hat sich die Rechtslehre überwiegend und mit guten Gründen für die Zuerkennung des schweizerischen Heimatgerichtsstandes für die Scheidungsklage auch in diesem Falle ausgesprochen (vgl. die Zusammenstellung der Lehrmeinungen bei HOOL, Les effets de la double nationalité en droit suisse, 1949, p. 69). Art. 5 des Bürgerrechtsgesetzes von 1876, auf den jene Urteilsstelle anspielt (wie auch Art. 6 des spätern vom 25. Juni 1903, BS I 103), schrieb vor:
"Personen, welche neben dem schweizerischen Bürgerrecht dasjenige eines fremden Staates besitzen, haben diesem Staate gegenüber, so lange sie darin wohnen, keinen Anspruch auf die Rechte und den Schutz eines Schweizerbürgers."
Diese Vorschrift betraf lediglich die Rechtsstellung solcher Doppelbürger gegenüber den Behörden ihres ausländischen Heimat- und zugleich Wohnsitzstaates. Daraus lässt sich nichts herleiten gegen die Möglichkeit, Klagen bestimmter Art vor dem schweizerischen Heimatrichter anzubringen, womit ja nicht der Schutz des Wohnsitzstaates
BGE 84 II 469 S. 474
angerufen wird (so zutreffend BECK, N. 11 zu
Art. 7 g NAG
; ebenso STAUFFER, N. 2 dazu). Mit der vorbehaltlos zugunsten jedes "im Ausland wohnenden schweizerischen Ehegatten" aufgestellten Bestimmung von
Art. 7 g Abs. 1 NAG
wäre eine Ausnahme bei Wohnsitz im andern Heimatstaate schwerlich zu vereinbaren. Vielmehr muss die weite Auslegung dieser Gerichtsstandsnorm durchgreifen angesichts der im internationalen Privatrecht allgemein anerkannten Regel, wonach ein Doppelbürger (gleichgültig wo er wohnt) von jedem Heimatstaat als sein Bürger zu betrachten ist (
BGE 76 I 38
mit zahlreichen Zitaten). Davon wird nicht nur bei Auslegung von Staatsverträgen ausgegangen (vgl.
BGE 33 I 643
,
BGE 43 I 97
). Vielmehr liegt dieser Grundsatz vor allem auch der Rechtsprechung zugrunde, die der durch Heirat Ausländerin gewordenen Schweizerin nach Trennung der Ehe, sofern sie sich gemäss Art. 10 des Bürgerrechtsgesetzes von 1903 wieder in der Schweiz einbürgern liess, die Erhebung einer Scheidungsklage nach schweizerischem Recht (an dem hiefür nach
Art. 144 ZGB
oder nach
Art. 7 g Abs. 1 NAG
gegebenen Gerichtsstand) gestattete, ohne auf die Stellungnahme des andern Heimatstaates Rücksicht zu nehmen (vgl.
BGE 58 II 93
,
BGE 80 I 436
/37). Es würde offensichtlich gegen den Willen des Gesetzgebers verstossen, nun dem nach Art. 9 des neuen Bürgerrechtsgesetzes von 1952 bei der Heirat beibehaltenen Schweizerbürgerrecht der Ehefrau weniger Bedeutung beizumessen. Der Gerichtsstand des
Art. 7 g Abs. 1 NAG
muss ebenso wie der wieder eingebürgerten Schweizerin auch derjenigen Ehefrau eines Ausländers, die nach dem neuen Bürgerrechtsgesetz kraft ihrer Erklärung Schweizerin geblieben ist, zugute kommen (vgl. S. SCHMIDHEINY, Die privatrechtlichen Folgen der selbständigen Staatsangehörigkeit der Ehefrau, 1958, S. 100). Die neuerdings von GULDENER (Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 39/40) unter Hinweis auf die Gefahr der Nichtanerkennung des schweizerischen Urteils im andern
BGE 84 II 469 S. 475
Heimatstaate des klagenden Ehegatten befürwortete Einschränkung des Geltungsbereiches von
Art. 7 g Abs. 1 NAG
verdient gewiss als Postulat einer internationalen Gerichtsstandsordnung beachtet zu werden, findet aber in der geltenden schweizerischen Gesetzgebung keinen Halt. Insbesondere lässt sich dafür nichts aus
Art. 22 Abs. 3 ZGB
herleiten. Diese Vorschrift muss vor der spezielleren des
Art. 7 g Abs. 1 NAG
weichen. Im übrigen will sie überhaupt nicht das Rangverhältnis zwischen dem schweizerischen und einem ausländischen Bürgerrecht bestimmen (vgl.
BGE 76 I 38
unten; STAUFFER, N. 2 zu
Art. 5 NAG
).
2.
Zu entscheiden bleibt, ob der Durchführung des von der Ehefrau in der Schweiz angehobenen Scheidungsprozesses die Klage des Ehemannes entgegenstehe, die er in Antwerpen einreichte mit dem Erfolg, dass am 21. Januar 1957 ein Kontumazialurteil gegen die Ehefrau erging.
In der Tat begründet die zuerst rechtshängig gewordene Scheidungs- oder Trennungsklage eines Ehegatten nach der schweizerischen Rechtsprechung einen ausschliesslichen Gerichtsstand auch für die nachfolgende Scheidungs- oder Trennungsklage des andern Ehegatten, der somit auf Anhebung einer Widerklage bei dem mit der Vorklage befassten Gericht angewiesen ist (
BGE 64 II 183
/84). Diese Wirkung kommt grundsätzlich auch einer im Ausland angehobenen Vorklage zu, so dass die schweizerischen Gerichte eine später bei ihnen rechtshängig gemachte Klage von der Hand zu weisen haben, sofern das ausländische Urteil voraussichtlich in der Schweiz anzuerkennen sein wird (
BGE 80 II 100
/101).
Im vorliegenden Falle scheitert aber die vom Ehemann erhobene Einrede des durch seine eigene Klage in Antwerpen begründeten einheitlichen Scheidungsgerichtsstandes an der Entscheidung des Obergerichts, wonach nicht diese, sondern die Klage der Ehefrau früher rechtshängig geworden ist. Das Obergericht folgt hiebei den gutachtlichen Ausführungen des belgischen Rechtsanwaltes Albert
BGE 84 II 469 S. 476
Nyssens, Brüssel, über den Gang des belgischen Scheidungsverfahrens. Danach hat der Kläger dem Richter ein Ersuchsschreiben betreffend Ehescheidung mit Anführung der sein Begehren begründenden Tatsachen einzureichen. Dieses Schriftstück bleibt der beklagten Partei vorderhand verborgen. Es findet zunächst eine Sühneverhandlung statt (die im vorliegenden Fall auf den 6. Oktober 1955 anberaumt wurde). Kommt es nicht zur Aussöhnung, so läuft noch eine Sperrfrist von normalerweise sechs Monaten, berechnet von der Vorladung zum Sühneversuch an (Art. 240 Abs. 3 des belgischen Code civil in der Fassung vom 7. Februar 1936). Erst nach deren Ablauf darf die beklagte Partei vorgeladen werden, unter Bekanntgabe des Inhaltes des Ersuchsschreibens des Klägers. "C'est donc à ce moment que les faits sont révélés à la partie défenderesse et que le procès est noué" (äussert sich der Gutachter), was nach Ansicht des Obergerichts den Eintritt der Rechtshängigkeit bewirkt. Ist nach dieser vom Bundesgericht nicht nachzuprüfenden Auslegung des ausländischen Rechtes die Klage des Ehemannes erst nach dem 6. Oktober 1955 hängig geworden, während diejenige der Ehefrau nach der ebenfalls für das Bundesgericht verbindlichen Auslegung des kantonalen Rechts durch das Obergericht schon im August 1955, mit der Zustellung an den Ehemann, hängig geworden war, so kann die Ehefrau die zeitliche Priorität für sich in Anspruch nehmen. Zuzugeben ist, dass sie sich die durch das aargauische Prozessrecht gebotene Möglichkeit zunutze machte, die Klage sogleich nach dem fruchtlosen Aussöhnungsversuch einzureichen, und dass der Ehemann seinerseits durch die Sperrfrist des belgischen Rechtes gehindert war, den in Antwerpen eingeleiteten Prozess rasch in Gang zu bringen. Allein von rechtsmissbräuchlichem Vorgehen der Ehefrau kann hiebei nicht gesprochen werden (um so weniger, als sie den ersten Schritt zur Prozesseinleitung, das Gesuch um Anordnung der Sühneverhandlung, schon am 24. Juni 1955, also früher als der Ehemann, unternommen hatte), so dass
BGE 84 II 469 S. 477
es bei den Folgen der von ihr zuerst begründeten Rechtshängigkeit zu bleiben hat.
Ob, da Belgien nach den Ausführungen des Obergerichtes eine Einrede der Rechtshängigkeit oder des unlösbaren Sachzusammenhangs im internationalen Verhältnis überhaupt nicht zulässt, selbst auf eine früher in Belgien hängig gewordene Scheidungsklage des Ehemannes keine Rücksicht zu nehmen wäre, kann bei dieser Sachlage offen bleiben.
Ausser Betracht fällt endlich ein allfälliges Einverständnis der Ehefrau mit dem belgischen Gerichtsstand; denn die Gerichtsstände für Personen- und Familienstandsklagen sind der Parteiautonomie entzogen. Die Vereinbarung der Parteien vor dem Chaim, also dem jüdischen Geistlichen, wonach sich (laut Ziff. 7) die Ehefrau verpflichtete, "den Scheidungsprozess in Belgien nicht zu stören", wurde übrigens nach den Aussagen der Ehefrau im Parteiverhör erst "etwa im Februar 1956" abgeschlossen und darf daher nicht als Verzicht auf ihre eigene, damals längst hängig gewordene Klage verstanden werden. Dies um so weniger, als jene Vereinbarung einen (in der vorliegenden deutschen Übersetzung freilich unklar gefassten) Vorbehalt inbezug auf die Klage der Ehefrau enthält.
3.
Die Einrede der abgeurteilten Sache setzt in erster Linie eine rechtskräftige Erledigung (durch Urteil oder, sofern der Streitgegenstand der Parteiverfügung unterliegt, durch einen mit Urteilswirkung ausgestatteten Vergleich oder Abstand) voraus. Das Obergericht hat die auf das belgische Kontumazialurteil vom 21. Januar 1957 gestützte Einrede vorweg mangels Rechtskraftbescheinigung verworfen. Ob es Sache des die Einrede erhebenden Ehemannes gewesen wäre, eine solche Bescheinigung beizubringen, oder ob das Gericht die Frage der formellen Rechtskraft von Amtes wegen hätte abklären sollen, ist eine Frage des kantonalen Prozessrechts, dessen Verletzung der Ehemann denn auch mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Willkür (
Art. 4 BV
) gerügt hat, jedoch,
BGE 84 II 469 S. 478
wie heute entschieden wurde, ohne zureichende Begründung. Das der Berufungsschrift beigelegte Schreiben des Gerichtsvollziehers Louis van Wassenhove, Antwerpen, kann als neues Beweismittel nicht berücksichtigt werden (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
). Die Berufung auf die bundesrechtlich in
Art. 158 Ziff. 1 ZGB
vorgeschriebene Offizialmaxime geht fehl. Diese Vorschrift bezieht sich auf die materielle Beurteilung von Scheidungs- und Trennungsklagen. Sie betrifft nicht die Frage, ob die zur Begründung einer Gerichtsstandseinrede dienenden Beweismittel von der Partei selbst beizubringen seien. Von der Anwendung jener bundesrechtlichen Norm kann hier um so weniger die Rede sein, als der Ehemann mit der Einrede der abgeurteilten Sache nicht die Scheidung verhindern, sondern eine im Ausland ausgesprochene Scheidung zur Geltung bringen will.
Übrigens vermöchte das belgische Urteil, selbst wenn die formelle Rechtskraft nachgewiesen wäre, den Fortgang des von der Ehefrau in der Schweiz angehobenen Prozesses ebensowenig zu hindern wie die ihm zugrunde liegende Klage, deren Anhebung nach dem in Erw. 2 Ausgeführten vom Standpunkt des schweizerischen Rechtes aus unzulässig war. Ob das belgische Urteil bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen dennoch in der Schweiz anzuerkennen und zu vollziehen sein werde, soweit es dem künftigen Urteil über die Klage der Ehefrau nicht widerspricht, ist hier nicht zu prüfen. Dem Ehemann seinerseits bleibt unbenommen, am schweizerischen Scheidungsprozess mit eigenen Begehren teilzunehmen, soweit dies nach der Lage des Rechtsstreites noch zulässig ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom 29. März 1957 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
372bb106-3ddb-4ec1-b00a-61c531a1d209 | Urteilskopf
134 II 207
25. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause A. contre Administration fiscale cantonale genevoise (recours en matière de droit public)
2C_648/2007 du 15 mai 2008 | Regeste
Art. 13 Abs. 1 und
Art. 14 StHG
; Bewertungsvorschriften im Bereich der Vermögenssteuer natürlicher Personen; Besteuerung einer zum Geschäftsvermögen eines Selbständigerwerbenden gehörenden Liegenschaft; Genfer Gesetzgebung.
Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen die Entscheide gemäss
Art. 73 Abs. 1 StHG
(E. 1). Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 2).
Verhältnis zwischen den Buchhaltungsvorschriften und dem Steuerrecht (E. 3.3). Besteuerung der zum Geschäftsvermögen Selbständigerwerbender gehörenden Liegenschaften zum Verkehrswert/Ertragswert im Sinne von
Art. 14 Abs. 1 StHG
, unter Ausschluss des Buchwertes (E. 3.4 und 3.5); Spielraum der Kantone bei der Bewertung (E. 3.6); Vereinbarkeit der einschlägigen Genfer Gesetzgebung mit dem Bundesrecht (E. 3.7-3.9). | Sachverhalt
ab Seite 208
BGE 134 II 207 S. 208
A. est domicilié dans le canton de Genève où il exerce l'activité de régisseur dans une agence immobilière exploitée en raison individuelle; il est à ce titre astreint à tenir une comptabilité. Dans sa déclaration fiscale 2001, il a notamment fait état d'un immeuble locatif relevant de sa fortune commerciale qu'il a annoncé au fisc à sa valeur comptable au 31 décembre 2001, correspondant à son prix d'acquisition d'un montant de 1'805'700 fr.
Par décision sur réclamation du 16 décembre 2004, l'Administration fiscale cantonale du canton de Genève (ci-après: l'Administration cantonale ou le fisc) a imposé l'immeuble susmentionné sur la fortune du contribuable pour un montant de 1'965'706 fr., soit 160'006 fr. de plus que sa valeur comptable. A. a recouru contre cette décision, en faisant valoir que l'immeuble litigieux devait, comme élément de sa fortune commerciale, être imposé à la valeur figurant au bilan de sa société. La Commission cantonale de recours en matière d'impôts du canton de Genève (ci-après: la Commission de recours) l'a débouté de ses conclusions le 7 mai 2007; en bref, elle a jugé que l'immeuble litigieux devait, selon le droit cantonal applicable, être estimé à la valeur capitalisée de l'état locatif annuel selon un taux déterminé chaque année par le Conseil d'Etat.
Par arrêt du 9 octobre 2007, le Tribunal administratif du canton de Genève (ci-après: le Tribunal administratif) a rejeté le recours formé par le contribuable contre la décision précitée du 7 mai 2007 et a confirmé celle-ci.
BGE 134 II 207 S. 209
A. forme un recours en matière de droit public contre l'arrêt précité. II soutient que la solution consacrée par le Tribunal administratif viole le droit fédéral et cantonal pertinent et porte atteinte au principe de l'égalité entre concurrents directs. Il conclut à l'annulation de l'arrêt attaqué et au renvoi de la cause au fisc pour qu'il émette un nouveau bordereau imposant l'immeuble litigieux à sa valeur comptable.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le présent recours est dirigé contre une décision en matière fiscale rendue en dernière instance cantonale sur la base du droit public fédéral et cantonal; il est dès lors en principe recevable comme recours en matière de droit public au sens des
art. 82 ss LTF
(cf. en particulier les
art. 82 let. a et 86 al. 1 let
. d LTF), aucune des exceptions prévues à l'
art. 83 LTF
n'étant réalisée. La contestation porte sur un objet réglé au titre 2, chapitre 4 de la loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes (LHID; RS 642.14; ci-après: loi fédérale sur l'harmonisation fiscale; cf. infra consid. 3.4), soit l'une des matières visées par l'
art. 73 al. 1 LHID
; le recours est dès lors également recevable comme recours en matière de droit public en vertu de la disposition précitée (sur le rapport entre la loi sur le Tribunal fédéral et l'
art. 73 al. 1 LHID
, cf.
ATF 134 II 186
consid. 1.3).
Le recourant a manifestement qualité pour recourir (cf.
art. 89 al. 1 LTF
et 73 al. 2 LHID). Dans la mesure où il demande le renvoi de la cause au fisc pour nouvelle décision, ses conclusions ont un caractère réformatoire. Le Tribunal fédéral a toutefois jugé que de telles conclusions sont recevables, car l'
art. 73 al. 3 LHID
doit céder le pas devant l'
art. 107 al. 2 LTF
, qui confère au Tribunal fédéral un pouvoir général de réforme quel que soit le recours interjeté devant lui (cf.
ATF 134 II 186
consid. 1.5).
Pour le surplus, formé en temps utile (cf.
art. 100 al. 1 LTF
) et dans les formes requises (cf.
art. 42 LTF
), le recours est recevable.
2.
Sous l'empire de l'ancienne loi d'organisation judiciaire (OJ; RO 3 p. 521), les décisions cantonales de dernière instance portant sur une matière réglée dans les titres 2 à 5 et 6, chap. 1 de la loi fédérale sur l'harmonisation fiscale (soit le droit cantonal harmonisé) pouvaient faire l'objet d'un recours de droit administratif au sens des
art. 97 ss OJ
, en vertu de l'
art. 73 al. 1 LHID
dans sa teneur en vigueur
BGE 134 II 207 S. 210
jusqu'au 31 décembre 2006 (RO 1991 p. 1256; cf.
ATF 134 II 186
consid. 1.3). Dans ce cadre, le Tribunal fédéral pouvait en principe examiner librement si le droit cantonal harmonisé et son application par les instances cantonales étaient conformes aux dispositions de la loi fédérale sur l'harmonisation fiscale. Cependant, si le recours portait sur un point où cette loi laissait une certaine marge de manoeuvre aux cantons, l'interprétation de la loi cantonale n'était examinée que sous l'angle restreint de l'arbitraire, comme en matière de recours de droit public au sens des
art. 90 ss OJ
(cf.
ATF 131 II 710
consid. 1.2 p. 713;
ATF 130 II 202
consid. 3.1 p. 205 ss;
ATF 128 II 56
consid. 2b p. 60).
Les mêmes principes demeurent applicables pour le recours en matière de droit public au sens des
art. 82 ss LTF
. En effet, l'
art. 73 LHID
constitue, aujourd'hui comme hier, une norme spéciale destinée à permettre au Tribunal fédéral non seulement de vérifier avec un plein pouvoir d'examen la conformité de la législation cantonale à la loi fédérale sur l'harmonisation fiscale, comme le permet d'ailleurs l'
art. 95 LTF
, mais encore de revoir librement l'application du droit cantonal dans les domaines harmonisés, de manière à assurer la concordance entre les droits cantonaux et la loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'impôt fédéral direct (LIFD; RS 642.11). Ce n'est que dans les matières que le législateur fédéral a laissées à l'appréciation des cantons que le pouvoir d'examen du Tribunal fédéral se limite à l'arbitraire. Il appartient alors au recourant d'invoquer et de motiver ses griefs conformément à l'
art. 106 al. 2 LTF
, c'est-à-dire d'établir en quoi l'application du droit cantonal viole le droit fédéral, qui comprend également le droit constitutionnel.
3.
3.1
Le litige porte sur l'estimation fiscale, au titre de l'impôt sur la fortune des personnes physiques de l'année 2001, d'un immeuble appartenant à la fortune commerciale du recourant qui exerce l'activité de régisseur dans une agence immobilière exploitée en raison individuelle (sur la notion de fortune commerciale, cf.
art. 8 al. 2 LHID
;
ATF 133 II 420
consid. 3 p. 421 ss et les références citées).
3.2
Le recourant soutient que la valeur comptable de l'immeuble litigieux au 31 décembre 2001 est seule déterminante. Il invoque pêle-mêle toutes sortes de dispositions du droit cantonal et fédéral dont on peine, pour certaines d'entre elles, à cerner la pertinence par rapport à l'objet de la démonstration. En particulier, il est sans importance que la détermination du bénéfice net imposable des
BGE 134 II 207 S. 211
contribuables tenant une comptabilité en bonne et due forme doive s'effectuer, en vertu de l'art. 3 al. 4 de la loi cantonale du 22 septembre 2000 sur l'imposition des personnes physiques-impôt sur le revenu (LIPP- IV; RSG D 3 14), selon les règles applicables aux personnes morales, qui renvoient notamment au compte de pertes et profits et à la notion "
d'usage commercial
" (cf. art. 12 let. a, e et g de la loi cantonale du 23 septembre 1994 sur l'imposition des personnes morales[LIPM; RSG D 3 15]). Ce renvoi à des normes comptables se limiteen effet clairement, à teneur de la lettre de la loi cantonale précitée, à la détermination du bénéfice net imposable des personnes physiques tenant une comptabilité. La taxation des indépendants suppose en effet, selon la loi fédérale sur l'harmonisation fiscale, de distinguer les revenus provenant de la fortune commerciale des revenus provenant de la fortune privée qui suivent des règles d'imposition différentes (cf. art. 7 al. 4 let. b, art. 8 al. 1 et 2,
art. 10 al. 1 let
. c LHID). Mais une telle distinction n'existe pas pour l'imposition de la fortune immobilière des indépendants (sur ce point, cf. infra consid. 3.5). Le recourant ne peut donc rien déduire en sa faveur de l'art. 3 al. 4 LIPP-IV et des autres normes cantonales qui concernent l'imposition du revenu auxquelles il renvoie (cf. art. 3 al. 2 LIPP-IV;
art. 12 let
. j LIPM).
3.3
L'argument principal du recourant se résume ainsi: comme personne physique tenue d'être inscrite au registre du commerce au sens de l'
art. 934 al. 1 CO
, il a l'obligation, en vertu de l'
art. 957 CO
, de tenir correctement sa comptabilité, dont il estime qu'elle lie le fisc. Or, l'
art. 665 CO
lui interdirait d'inscrire au bilan un immeuble pour une valeur supérieure à son prix d'acquisition. Aussi l'immeuble litigieux devrait-il être imposé à sa valeur au bilan au 31 décembre 2001, de 1'805'700 fr., celle-ci correspondant au prix d'acquisition de l'immeuble.
Il est exact qu'en l'absence de lacune matérielle ou d'irrégularité formelle permettant de mettre en doute la force probante d'une comptabilité, celle-ci bénéficie, en principe, d'une présomption d'exactitude à l'égard du fisc selon la jurisprudence (cf.
ATF 106 Ib 311
consid. 3c et 3d p. 315 ss). Cette exigence de conformité aux règles comptables n'est toutefois à elle seule pas suffisante pour lier l'autorité fiscale dans un cas d'espèce. Il faut encore que la loi fiscale renvoie expressément aux valeurs comptables, comme c'est en principe le cas pour estimer le bénéfice imposable des personnes morales (cf.
ATF 119 Ib 111
consid. 2c p. 114 s.; arrêts 2A.458/2002 du
BGE 134 II 207 S. 212
15 octobre 2004, consid. 4.1; 2A.157/2001 du 11 mars 2002, publié in StE 2002 B 72.13.1 n° 3, consid. 2b) et - sous certaines réserves (cf. art. 3 al. 4 in fine LIPP-IV) - des indépendants (cf.
ATF 132 I 175
consid. 2.2 p. 177 s.;
ATF 106 Ib 311
consid. 3c et 3d p. 315 ss). Il convient dès lors d'examiner à la lumière du droit fédéral et cantonal pertinent si un tel renvoi existe aussi en matière d'imposition de la fortune immobilière des indépendants.
3.4
Réglé aux
art. 13 et 14 LHID
(titre 2, chapitre 4 de la loi), l'impôt sur la fortune des personnes physiques a pour objet l'ensemble de la fortune nette (
art. 13 al. 1 LHID
) qui se détermine selon les règles d'évaluation prévues à l'
art. 14 LHID
; cette disposition a la teneur suivante:
1. La fortune est estimée à la valeur vénale. Toutefois, la valeur de rendement peut être prise en considération de façon appropriée.
2. Les immeubles affectés à l'agriculture ou à la sylviculture sont estimés à leur valeur de rendement (...).
3. Les biens immatériels et la fortune mobilière (à l'exception des papiers-valeurs) qui font partie de la fortune commerciale du contribuable sont estimés à la valeur déterminante pour l'impôt sur le revenu.
3.5
Selon la jurisprudence, les exceptions à la règle prévue à l'
art. 14 al. 1 LHID
sont énumérées de manière exhaustive à l'
art. 14 al. 2 et 3 LHID
(cf.
ATF 128 I 240
consid. 3.1.1 p. 248; voir aussi rapport du groupe d'experts Cagianut sur l'harmonisation fiscale, in Publications de la Chambre fiduciaire, Zurich 1994, vol. 128, p. 93). Par conséquent, les immeubles non affectés à l'agriculture ou à la sylviculture doivent impérativement être estimés à leur valeur vénale/de rendement au sens de l'
art. 14 al. 1 LHID
(
art. 14 al. 2 LHID
a contrario; cf. BARBARA SRAMEK, in Marianne Klöti-Weber/Dave Siegrist/Dieter Weber, Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 2
e
éd., Berne 2004, n. 1 ad § 51), même s'ils appartiennent à la fortune commerciale du contribuable (
art. 14 al. 3 LHID
a contrario; cf. RAINER ZIGERLIG/GUIDO JUD, in Martin Zweifel/Peter Athanas, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, vol. I/1, Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG), 2
e
éd., Zurich 2002, n. 3 ad
art. 14 LHID
; SRAMEK, op. cit., n. 2 ad § 48 in fine). Autrement dit, qu'un bien immobilier relève de la fortune privée ou commerciale d'une personne physique est sans importance pour son estimation sous l'angle de l'impôt sur la fortune (cf. FELIX RICHNER/WALTER FREI/STEFAN KAUFMANN/HANS ULRICH MEUTER,
BGE 134 II 207 S. 213
Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz, Zurich 2006, n. 50 ad § 39; implicitement en ce sens, cf. XAVIER OBERSON, Droit fiscal suisse, 3
e
éd., Bâle 2007, n. 15 ss ad § 8; SRAMEK, op. cit., n. 5 ad § 51; HEINZ WEIDMANN/BENNO GROSSMANN/RAINER ZIGERLIG, Wegweiser durch das st. gallische Steuerrecht, 6
e
éd., Berne 1999, p. 214; WALTER RYSER/BERNARD ROLLI, Précis de droit fiscal suisse [impôts directs], 4
e
éd., Berne 2002, p. 405 s.).
Cette conséquence ne procède pas d'un oubli du législateur fédéral; il s'agit au contraire d'un silence qualifié de sa part (cf. ZIGERLIG/JUD, loc. cit.; JEAN-MARC RIVIER, Droit fiscal suisse, L'imposition du revenu et de la fortune, Lausanne 1998, p. 508). Ce point est confirmé par la récente réforme de l'imposition des entreprises approuvée en votation populaire le 24 février 2008: parmi les nouveautés introduites pour alléger la fiscalité des entreprises de personnes, le législateur n'a en effet modifié les règles d'évaluation de la fortune que sur un point particulier portant sur l'
art. 14 al. 3 LHID
; il a ainsi décidé que tous les biens mobiliers faisant partie de la fortune commerciale d'un contribuable, y compris les papiers-valeurs, seraient à l'avenir estimés à la valeur déterminante pour l'impôt sur le revenu, soit à leur valeur comptable, en raison "
de leur lien fonctionnel avec l'activité commerciale de l'entreprise
" (cf. Message du 22 juin 2005 concernant la loi fédérale sur l'amélioration des conditions fiscales applicables aux activités entrepreneuriales et aux investissements [loisur la réforme des entreprises II], in FF 2005 p. 4469, 4585). En revanche, le législateur a écarté l'idée d'étendre une telle règle d'évaluation aux biens immobiliers faisant partie de la fortune commerciale d'un contribuable pour les motifs suivants: "En raison des règles cantonales particulières régissant l'évaluation des immeubles, le maintien de l'application de l'
art. 14 al. 1 LHID
dans le cadre de l'évaluation des immeubles commerciaux se justifie pleinement. Les dispositions cantonales d'évaluation des immeubles commerciaux prennent en compte l'affectation de ces immeubles ainsi que l'ensemble des circonstances influant sur la valeur immobilière" (Message précité, p. 4554).
Il découle de ce qui précède que, nonobstant son appartenance à la fortune commerciale d'un contribuable, un bien immobilier doit être estimé conformément à l'
art. 14 al. 1 LHID
, disposition qui ne comporte aucun renvoi à la valeur comptable. Cette règle d'évaluation fiscale l'emporte donc sur les valeurs déterminées selon les normes comptables reconnues. Contrairement à l'opinion du recourant, l'autorité
BGE 134 II 207 S. 214
fiscale n'est dès lors pas liée par la valeur au bilan de l'immeuble litigieux (cf. supra consid. 3.3). Il reste à examiner si la valeur vénale/de rendement de cet immeuble retenue par l'autorité cantonale est conforme à l'
art. 14 al. 1 LHID
.
3.6
La loi fédérale sur l'harmonisation fiscale ne prescrit pas au législateur cantonal une méthode d'évaluation précise pour déterminer cette valeur. Les cantons disposent donc en la matière d'une marge de manoeuvre importante pour élaborer et appliquer leur réglementation, aussi bien dans le choix de la méthode de calcul applicable que pour déterminer, vu le caractère potestatif de l'art. 14 al. 1, 2
e
phrase LHID, dans quelle mesure le rendement doit être pris en considération dans l'estimation. Il faut cependant préciser qu'à l'exception des immeubles affectés à l'agriculture ou à la sylviculture (cf.
art. 14 al. 2 LHID
), l'évaluation ne saurait se faire à l'aune du seul critère du rendement, sans prise en compte de la valeur vénale du bien considéré (cf.
ATF 128 I 240
consid. 3.1.1 p. 248). Par ailleurs, la valeur de rendement ne peut, le cas échéant, être prise en considération que de manière appropriée; elle ne saurait justifier n'importe quel écart avec la valeur vénale (cf.
ATF 124 I 145
consid. 6b p. 159 s.). Les cantons ne peuvent ainsi pas prévoir des règles d'évaluation tendant de manière générale à une sur- ou sous-estimation des immeubles, par exemple en instituant un abattement automatique de leur valeur vénale pour en déterminer la valeur fiscale, ou en fondant l'imposition sur un pour-cent de la valeur vénale (cf.
ATF 131 I 291
consid. 3.2.2 p. 307 s.;
ATF 128 I 240
consid. 3.2.3 et 3.2.4 p. 249 s.;
ATF 124 I 145
consid. 6b et 6c p. 159 s.).
3.7
Le canton de Genève a concrétisé ces principes dans la loi sur l'imposition des personnes physiques - impôt sur la fortune (LIPP-III; RSG D 3 13). L'art. 4 LIPP-III précise que la fortune mobilière et immobilière, établie au 31 décembre de l'année pour laquelle l'impôt est dû (al. 1), est en règle générale estimée à sa valeur vénale (al. 2), sous réserve - outre les marchandises (al. 4) - des biens immatériels et de la fortune mobilière (à l'exception des papiers-valeurs) qui sont estimés à la valeur déterminante pour l'impôt sur le revenu s'ils font partie de la fortune commerciale du contribuable (al. 3). Les immeubles situés dans le canton sont estimés d'après l'art. 7 LIPP-III qui pose des principes d'évaluation différents selon le type d'immeuble considéré (immeuble locatif [let. a]; immeuble servant exclusivement et directement à l'exploitation d'un commerce [let. b]; immeuble servant à l'exploitation agricole et sylvicole [let. c]; etc.).
BGE 134 II 207 S. 215
Aux termes de l'art. 7 let. a LIPP-III, la valeur des immeubles locatifs est calculée en capitalisant l'état locatif annuel aux taux fixés chaque année par le Conseil d'Etat, sur proposition d'une commission d'experts composée paritairement de représentants de l'administration fiscale et de personnes spécialement qualifiées en matière de propriétés immobilières et désignées par le département. Les taux de capitalisation applicables sont établis sur la base des transactions constatées sur le marché immobilier entre le 1
er
janvier de l'année précédent l'année fiscale et le 30 juin de l'année fiscale (art. 3 al. 1 du règlement d'application du 19 décembre 2001 de la loi sur l'imposition des personnes physiques-impôt sur la fortune [RIPP-III; RSGD 3 13.01), sous réserve d'exceptions ne concernant pas le cas d'espèce (cf. art. 3 al. 2 RIPP-III). Les taux ainsi déterminés sont énoncés à l'art. 4 RIPP-III pour chaque catégorie d'immeubles visée; il est également tenu compte de l'âge des immeubles qui servent de logements (cf. art. 4 let. a et b RIPP-III).
3.8
Il apparaît ainsi que le principe général prévu à l'
art. 14 al. 1 LHID
(estimation de la fortune à la valeur vénale/de rendement) a été transposé à l'art. 4 al. 2 LIPP-III, le droit cantonal réservant en outre, dans la ligne des exceptions énumérées à l'
art. 14 al. 2 et 3 LHID
, des règles fondées sur d'autres principes d'évaluation pour les biens immatériels et la fortune mobilière (à l'exception des papiers-valeurs) relevant de la fortune commerciale (art. 4 al. 3 et 4 LIPP-III) ainsi que pour les immeubles servant à l'exploitation agricole et sylvicole (
art. 7 let
. c LIPP-III).
En revanche, le législateur cantonal n'a pas fait de distinction, à l'art. 7 LIPP-III, entre l'estimation des immeubles selon que ceux-ci relèvent de la fortune commerciale ou privée d'un contribuable. On ne saurait lui en faire grief puisqu'une telle distinction n'est justement pas prévue par la loi fédérale sur l'harmonisation fiscale qui contient un silence qualifié sur ce point (cf. supra consid. 3.4-3.5). Le recourant y voit cependant une violation du principe d'égalité entre concurrents directs déduit de la liberté économique (
art. 27 Cst.
). Il estime en effet qu'une personne exerçant une activité indépendante en raison individuelle, comme lui, est désavantagée en matière d'impôt sur la fortune par rapport à une personne ayant choisi d'exercer la même activité comme salarié au sein d'une société anonyme qui détiendrait les immeubles en son nom et dont elle serait le propriétaire économique. L'argument tombe à faux, la différence de traitement dénoncée étant précisément justifiée par le fait que les
BGE 134 II 207 S. 216
contribuables visés ne se trouvent pas dans la même situation: la forme juridique qui encadre leur activité est différente et emporte, en matière d'imposition, des avantages et des inconvénients propres à chaque situation et difficilement comparables; en particulier, au contraire du recourant, l'actionnaire unique d'une société anonyme fait l'objet d'une double imposition économique (cf. OBERSON, op. cit., n. 26 ss ad § 10). Pour le reste, la règle spécifique prévue par le droit cantonal pour évaluer les immeubles locatifs s'insère dans le cadre défini - largement - par l'
art. 14 al. 1 LHID
: le principe de la capitalisation de l'état locatif inscrit à l'art. 7 let. a LIPP-III renvoie en effet à la valeur de rendement, tandis que la prise en considération, pour déterminer le taux de capitalisation applicable, des transactions constatées sur le marché ou de l'âge des logements (cf. art. 7 let. a LIPP-III en liaison avec l'art. 3 al. 1 et 4 let. a et b RIPP-III) se réfère à des critères qui relèvent plus particulièrement de la valeur vénale.
3.9
En résumé, telle qu'appliquée par les autorités précédentes, la législation cantonale pertinente pour le cas d'espèce est conforme aux exigences posées par la loi fédérale sur l'harmonisation fiscale, au contraire de l'interprétation qu'en propose le recourant, qui ne trouve du reste aucun appui véritable dans le texte de la loi. Pour le surplus, le recourant ne démontre ni même ne prétend que le calcul effectué par le fisc serait entaché d'erreur ou que la valeur fiscale finalement retenue serait objectivement supérieure à la valeur vénale de l'immeuble au sens de l'
art. 14 al. 1 LHID
. | public_law | nan | fr | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
37306071-75a2-4785-b622-6048813a7311 | Urteilskopf
108 V 245
54. Urteil vom 30. Dezember 1982 i.S. Paolucci gegen Schweizerische Krankenkasse Helvetia und Versicherungsgericht des Kantons Aargau | Regeste
Art. 104 lit. a, 105 Abs. 2 und
Art. 132 OG
,
Art. 3 Abs. 3 KUVG
.
- Überprüfungsbefugnis beim Streit um den Ausschluss eines Versicherten aus der Krankenkasse (Erw. 1).
- Der Kassenausschluss setzt ein besonders schweres Verschulden des Versicherten voraus (Erw. 2, 3).
- Berät ein Kassenfunktionär den Aufnahmebewerber oder hilft er ihm bei der Beantwortung der im Gesuchsformular gestellten Fragen, so entbindet dies den Gesuchsteller weder von der Pflicht zu Wahrheit und sachgemässer Sorgfalt noch von seiner Verantwortlichkeit für die unterschriftlich bestätigten Angaben. Ein Abweichen von diesem Grundsatz rechtfertigt sich nur, wenn das Verhalten des Kassenfunktionärs eine Behaftung des Bewerbers bei den unvollständigen oder wahrheitswidrigen Angaben als gegen Treu und Glauben verstossend erscheinen lässt (Erw. 4a).
- Selbständige Abklärungspflicht der Krankenkasse (Erw. 4b)? | Sachverhalt
ab Seite 246
BGE 108 V 245 S. 246
A.-
Ende Juni 1979 beantragte Donato Paolucci den Beitritt zur Schweizerischen Krankenkasse Helvetia (im folgenden Kasse genannt) für Krankenpflege und ein Krankengeld von Fr. 100.-- sowie für ein Spitalgeld von Fr. 24.-- und einen kombinierten Spitalzusatz (Versicherungsabteilung HU 1). Die Kasse nahm ihn auf den 1. Juli 1979 antragsgemäss und ohne Vorbehalt auf.
Mitte Oktober 1979 begab sich Donato Paolucci wegen Rückenschmerzen in ärztliche Behandlung und vom 5. bis 26. Februar 1980 musste er sich in der Rheumaklinik Bad Schinznach hospitalisieren lassen. Die Abklärungen der Kasse ergaben, dass Donato Paolucci bereits im Jahre 1976 und von Februar bis Juli 1979 wegen Rückenbeschwerden ärztlicher Hilfe bedurft hatte. Da im Aufnahmegesuch angegeben worden war, es bestünden zur Zeit keine Krankheiten und es hätte in den letzten 5 Jahren keine ärztliche Behandlung stattgefunden, schloss ihn die Kasse mit Verfügung vom 8. Juli 1980 rückwirkend auf den 1. Juli 1979 aus und behielt sich die Rückforderung der erbrachten Krankenpflege- und Krankengeldleistungen von Fr. 21'027.20 abzüglich der geleisteten Monatsbeiträge vor.
B.-
Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Obergericht (Versicherungsgericht) des Kantons Aargau am 3. Februar 1981 ab.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Donato Paolucci sinngemäss die Aufhebung des Kassenausschlusses.
Die Kasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt, die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
BGE 108 V 245 S. 247
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 104 lit. a OG
kann mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens gerügt werden. Die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig oder unvollständig ist oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen erfolgte (Art. 104 lit. b in Verbindung mit
Art. 105 Abs. 2 OG
).
Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen (einschliesslich deren Rückforderung) erstreckt sich dagegen die Überprüfungsbefugnis des Eidg. Versicherungsgerichts auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (
Art. 132 OG
; erweiterte Kognition).
b) Der Streit um die Mitgliedschaft (Kassenausschluss) unterliegt der Kognition gemäss
Art. 104 lit. a OG
(
BGE 97 V 191
; RSKV 1982 Nr. 496 S. 156, 1970 Nr. 82 S. 215 Erw. 2; nicht veröffentlichte Urteile Cochard vom 4. Februar 1981 und Vacchelli vom 4. April 1978). Häufig ist jedoch im gleichen Beschwerdeverfahren nebst dem Kassenausschluss auch die mit diesem begründete Verweigerung von Kassenleistungen oder die Rückforderung bereits erbrachter Kassenleistungen streitig. Diesfalls muss für beide Streitfragen der gleiche Sachverhalt zugrundegelegt werden, der vom Eidg. Versicherungsgericht mit der erweiterten Kognition überprüft wird (Attraktionsprinzip;
BGE 98 V 276
Erw. 3). Dagegen richtet sich die rechtliche Beurteilung nach der Natur der einzelnen Streitpunkte; für den Leistungsstreit ist das Eidg. Versicherungsgericht nicht an die Parteibegehren gebunden und es kann die Angemessenheit frei prüfen; für den streitigen Kassenausschluss aber gilt die Kognition gemäss
Art. 104 lit. a OG
.
c) Nach Auffassung des Bundesamtes für Sozialversicherung besteht im vorliegenden Fall ein genügend enger Zusammenhang zwischen dem Kassenausschluss und der Rückforderung, um die erweiterte Kognition zum Zuge kommen zu lassen; zwar sei die Rückerstattung noch nicht formell verfügt worden, mit dem Vorbehalt der Rückforderung in der Ausschluss-Verfügung habe die
BGE 108 V 245 S. 248
Kasse jedoch eine Vorentscheidung auch über Versicherungsleistungen getroffen. Dem kann indessen nicht beigepflichtet werden. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist in Übereinstimmung mit der angefochtenen Kassenverfügung einzig die Frage des Mitgliedschaftsverlusts. Dass der Kassenausschluss für den Beschwerdeführer finanzielle Folgen haben kann, ist nicht massgebend. Entscheidend ist, dass prozessual keine Leistungen streitig sind.
2.
a) Nach Art. 21 Abs. 1 lit. a der Statuten der Kasse kann ein Mitglied ausgeschlossen werden, wenn es im Aufnahme- oder Übertrittsgesuch die ihm gestellten Fragen wahrheitswidrig oder unvollständig beantwortet hat. Nach der Rechtsprechung sind Bestimmungen dieser Art nicht bundesrechtswidrig (
BGE 96 V 3
Erw. 2b, EVGE 1967 S. 141 Erw. 2, RSKV 1974 Nr. 196 S. 89, nicht veröffentlichtes Urteil Amacher vom 5. April 1982). Da es sich indessen um eine Sanktion handelt, ist im Einzelfall der allgemeine verwaltungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten, welcher verlangt, dass die Sanktion in einem vernünftigen Verhältnis zu dem von der Kasse verfolgten Zweck und zum Verschulden des Versicherten steht (
BGE 106 V 173
Erw. 2 mit Hinweisen).
Der Kassenausschluss ist die strengste Sanktion und für den Betroffenen meist mit einschneidenden Folgen verbunden. Daher setzt er ein besonders schweres Verschulden des Versicherten bzw. Umstände voraus, welche die fragliche Mitgliedschaft für die Kasse schlechthin als unzumutbar erscheinen lassen (RSKV 1978 Nr. 322 S. 95, nicht veröffentlichtes Urteil Amacher vom 5. April 1982).
b) Schuldhaft verletzt ein Gesuchsteller die Anzeigepflicht, wenn er der Kasse auf deren Frage hin eine bestehende Krankheit oder eine vorher bestandene, zu Rückfällen neigende Krankheit nicht anzeigt, obwohl er darum wusste oder bei der ihm zumutbaren Aufmerksamkeit darum hätte wissen müssen (
BGE 106 V 173
Erw. 2 mit Hinweisen). Der Aufnahmebewerber ist bereits auf dem Beitrittsformular an gut sichtbarer Stelle mit einem ausdrücklichen, von den andern Bestimmungen deutlich abgehobenen Hinweis auf die im Falle einer Anzeigepflichtverletzung möglichen schwersten Sanktionen, den Ausschluss aus der Kasse und den Entzug der Leistungen, aufmerksam zu machen. Vorbehalten bleiben Ausnahmefälle, in denen das zu beanstandende Verhalten eines Versicherten oder Aufnahmebewerbers als so schwerwiegend erscheint, dass nach dem Grundsatz von Treu und Glauben die
BGE 108 V 245 S. 249
fragliche Sanktion auch ohne Einhaltung der genannten Androhung zulässig ist (
BGE 96 V 3
Erw. 2c; EVGE 1968 S. 165; RSKV 1980 Nr. 406 S. 89, 1976 Nr. 242 S. 46, 1974 Nr. 196 S. 89, 1970 Nr. 83 S. 222; nicht veröffentlichtes Urteil Schudel vom 8. September 1981).
3.
a) Der Beschwerdeführer war im Jahre 1976 wegen Rückenschmerzen in Behandlung bei Dr. med. S. Ende 1976 suchte er mehrere Male wegen Prostatitis und Neurasthenie Dr. med. V. auf. Am 23. Februar 1977 begab er sich zu diesem Arzt wegen Rückenbeschwerden, am 23. Januar 1979 erneut wegen des Prostataleidens und im Februar 1979 wegen einer heftigen Lumbalgie. Vom 12. Februar bis 12. März 1979 war er vollständig arbeitsunfähig. Da Injektionen und Medikamente keinen Erfolg brachten, wandte er sich an Dr. med. S., der ihn zur Untersuchung an die Rheumaklinik des Kantonsspitals Aarau überwies. Die Behandlung dauerte bis September 1979. Der Beschwerdeführer gab diese Tatsachen im Aufnahmegesuchsformular nicht an, indem er die Fragen, ob er in den letzten fünf Jahren in ärztlicher Behandlung gestanden habe und ob zurzeit Krankheiten, Krankheitsanlagen oder Gebrechen bestünden, ausdrücklich verneinte. Die Frage, ob er sich vollständig gesund fühle, bejahte er. Es liegt somit eine Anzeigepflichtverletzung vor.
b) Zu prüfen ist, ob das Verschulden des Beschwerdeführers so schwer wiegt, dass sich der Ausschluss aus der Kasse rechtfertigt. Das ist zu bejahen. Es handelt sich bei den verschwiegenen Leiden um erhebliche gesundheitliche Störungen, die intensive ärztliche Behandlung notwendig machten und Rückfälle erwarten liessen. Darüber war oder musste sich der Beschwerdeführer im klaren sein. Die Vorinstanz hat erkannt, dass er sodann die ihm im Gesuchsformular gestellten Fragen verstanden hat und sich sowohl der Bedeutung wie der Unrichtigkeit seiner Antworten bewusst gewesen ist. Hinzu kommt die weitere, für das Eidg. Versicherungsgericht verbindliche Feststellung der Vorinstanz, dass das Beitrittsgesuch als Reaktion auf die von der früheren Kasse (Schweizerische Krankenkasse Zurzach) aus gesundheitlichen Gründen verweigerte Versicherung für Krankengeld und Spitalzusatz erfolgt ist und dass der Beschwerdeführer seine Leiden offensichtlich in der Absicht verschwiegen hat, einen Versicherungsschutz zu erwirken, den ihm die bisherige Kasse nicht hat gewähren wollen. Damit ist ein wesentliches Kennzeichen eines besonders schweren Verschuldens gegeben, nämlich jenes dolose
BGE 108 V 245 S. 250
Erschleichen einer Versicherungsdeckung, welches das gegenseitige Vertrauensverhältnis in einem Masse stört, dass der Kasse die Mitgliedschaft nicht zugemutet werden kann (nicht veröffentlichtes Urteil Amacher vom 5. April 1982). Unter diesen Umständen ist der Kassenausschluss nicht unverhältnismässig.
4.
a) Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, er habe dem Sektionskassier bei der Gesuchstellung alle erforderlichen Auskünfte erteilt und dieser habe ihm dann diktiert, wie das Formular auszufüllen sei; er habe im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Anweisungen gehandelt. Berät ein Kassenfunktionär den Aufnahmebewerber oder hilft er ihm bei der Beantwortung der Fragen im Formular für die Beitrittserklärung, so entbindet das den Gesuchsteller weder von der Pflicht zu Wahrheit und sachgemässer Sorgfalt noch von der Verantwortlichkeit für die unterschriftlich bestätigten Angaben (
BGE 102 V 198
Erw. 4 und
BGE 96 V 9
Erw. 1; nicht veröffentlichtes Urteil Amacher vom 5. April 1982). Ein Abweichen von diesem Grundsatz vermöchte sich nur zu rechtfertigen, wenn das Verhalten des Kassenfunktionärs anlässlich der Beratung oder der Mithilfe eine Behaftung des Aufnahmebewerbers bei den unvollständigen oder wahrheitswidrigen Angaben als gegen Treu und Glauben verstossend erscheinen liesse (vgl. in diesem Zusammenhang
BGE 108 V 28
Erw. 2). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der Sektionskassier den Beschwerdeführer weder durch falsche Auskünfte noch durch anderweitig irreführendes Verhalten zu einer wahrheitswidrigen Gesundheitserklärung veranlasst und dass der Beschwerdeführer den Kassier auf die hier streitigen Leiden nicht aufmerksam gemacht hatte. Diese Feststellung bindet das Eidg. Versicherungsgericht. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer bei seinen Angaben im schriftlichen Aufnahmegesuch nicht behaftet werden dürfte.
b) Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Kasse hätte seine Angaben bei der Krankenkasse Zurzach ohne weiteres überprüfen können und wäre namentlich im Hinblick auf die schweren Folgen bei einer Anzeigepflichtverletzung hiezu auch verpflichtet gewesen. Ob die Krankenkassen zu solchen Abklärungen verhalten werden können und inwieweit im Lichte der Schweigepflicht der Kassen gemäss
Art. 40 KUVG
Auskünfte überhaupt zulässig sind, liesse sich indessen höchstens fragen, wenn der Gesuchsteller die aufnehmende Kasse auf die Leistungen oder Unterlagen der
BGE 108 V 245 S. 251
bisherigen Kasse verwiesen hätte. So hat das Eidg. Versicherungsgericht mit Bezug auf Versicherte, die bei ihrer Kasse eine Höherversicherung beantragen, entschieden, dass die Kassen nicht verpflichtet werden könnten, von sich aus regelmässig in ihren Akten über den Bewerber Nachforschungen über bestandene Krankheiten und früher erbrachte Leistungen anzustellen; um eine solche Abklärungspflicht der Kasse auszulösen, bedürfe es zumindest eines entsprechenden Hinweises seitens des Versicherten (
BGE 96 V 9
Erw. 1; EVGE 1969 S. 7 Erw. 4; RSKV 1980 Nr. 424 S. 211 Erw. 4, 1977 Nr. 305 S. 216 Erw. 2d, 1974 Nr. 194 S. 78, 1971 Nr. 113 S. 236 Erw. 2). Das hat in vermehrtem Masse dann zu gelten, wenn die Erkundigungen bei andern Kassen einzuholen wären. Hinweise irgendwelcher Art auf die fraglichen Leiden und die Leistungen der Krankenkasse Zurzach hatte der Beschwerdeführer nach den vorinstanzlichen Feststellungen nicht gemacht, so dass sein Einwand unbehelflich ist. Im übrigen vermöchte die gerügte Unterlassung der Kasse sein eigenes Verschulden nicht als vermindert oder gemildert erscheinen zu lassen. Ein allfälliges Verschulden der Kasse wäre nur beachtlich, soweit sie in einem Masse gegen ihre Pflichten verstossen hätte, dass der Vorwurf der Verschweigung den Grundsatz von Treu und Glauben verletzen müsste, die Kasse sich mithin noch tadelnswerter verhalten hätte als der Versicherte (RSKV 1979 Nr. 361 S. 73, 1977 Nr. 279 S. 42 Erw. 1). Davon kann hier indessen nicht die Rede sein.
c) Verfehlt ist schliesslich die Geltendmachung eines Zügerrechts. Der Beschwerdeführer erfüllt die hiefür erforderlichen Voraussetzungen des Art. 7 oder Art. 8 Abs. 1 bis 3 KUVG nicht. Die Statuten der Kasse räumen keine weitergehende Freizügigkeit ein.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
37385bb3-a509-4b97-8616-6f02fc33f381 | Urteilskopf
96 V 76
18. Auszug aus dem Urteil vom 21. Mai 1970 i.S. Peyer gegen Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Versicherungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 8 Abs. 1 IVG
: Anspruch auf Eingliederung (Grundsatz).
Unmittelbarkeit im Sinne dieser Bestimmung besteht dann, wenn eine Invalidität in absehbarer Zeit einzutreten droht. | Erwägungen
ab Seite 76
BGE 96 V 76 S. 76
Aus den Erwägungen:
Im vorliegenden Fall vertritt das Bundesamt für Sozialversicherung in seinem Mitbericht die Ansicht, von unmittelbar drohender Invalidität könne nicht die Rede sein. Da es sich hier um die Beurteilung einer grundsätzlichen Rechtsfrage handelt, hat die I. Kammer eine Stellungnahme des Gesamtgerichtes eingeholt. Dieses äusserte sich wie folgt:
Auszugehen ist vom rechtlichen Invaliditätsbegriff des
Art. 4 IVG
, dessen Elemente im wesentlichen wirtschaftlicher Natur sind (der Sonderfall des Art. 5 spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle). Alsdann ist das Zusammenspiel der
Art. 4, 8 und 12 IVG
zu berücksichtigen. In Art. 8 und 12 findet sich der Ausdruck "unmittelbar". Ebenfalls verwendet der italienische Text in beiden Artikeln den gleichen Ausdruck (direttamente). Anders der französische: Er spricht in Art. 8 von "assurés... menacés d'une invalidité imminente" und in Art. 12 von "... mesures médicales qui ... sont directement nécessaires à la réadaptation...". Der erste Ausdruck ist rein zeitlich orientiert, der zweite rein erfolgsmässig. Wird der Begriff der Unmittelbarkeit in
Art. 8 Abs. 1 IVG
rein zeitlich ausgelegt, so führt dies zu einer klaren Begriffsbestimmung: Im Bereiche von Art. 4 hat die Rechtsprechung festgestellt, dass
BGE 96 V 76 S. 77
von bleibender Invalidität dann gesprochen werden kann, wenn sie "während der ... normalen Aktivitätsperiode des Versicherten besteht", von längere Zeit dauernder Erwerbsunfähigkeit, wenn sie längere Zeit (nämlich mindestens 360 Tage: vgl.
Art. 29 Abs. 1 IVG
) bestanden hat (vgl. EVGE 1962 S. 248). Angesichts dieser zeitlichen Elemente in
Art. 4 und
Art. 8 IVG
darf das Vorliegen einer unmittelbar drohenden Invalidität selbst dann nicht bejaht werden, wenn der Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit zwar als gewiss erscheint, der Zeitpunkt dieses Eintrittes aber ungewiss ist. Unmittelbarkeit im Sinne des
Art. 8 Abs. 1 IVG
besteht demnach, wenn eine Invalidität in absehbarer Zeit einzutreten droht. Wann allerdings dieses Merkmal gegeben ist, kann nicht ein für alle Male bestimmt werden: der Ausdruck "unmittelbar" ist notwendigerweise relativ zu verstehen. Seine Tragweite hängt von der Art des Gebrechens ab. Im übrigen wäre der Arzt auch überfordert, wenn er auf Grund eines unklaren Zustandsbildes eine langfristige Prognose stellen müsste... | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
373c19c4-84c7-4435-a4c9-3cd03b29465f | Urteilskopf
104 II 95
17. Sentenza 16 gennaio 1978 della I Corte civile nella causa Comune di Bodio contro ing. Giovanni Nizzola | Regeste
Art. 41 OR
, unerlaubte Handlung (fahrlässige Brandstiftung).
1. Der mittelbar Geschädigte, d. h. der nur durch Reflexwirkungen Getroffene, ist zur Schadenersatzklage nicht legitimiert.
2. Die Kosten, die einer tessinerischen Gemeinde infolge der Erfüllung einer Aufgabe erwachsen, die sie, wie das Löschen eines Brandes, auf Grund des kantonalen Verwaltungsrechtes übernehmen muss, stellen keinen unmittelbaren Schaden dar. | Sachverhalt
ab Seite 95
BGE 104 II 95 S. 95
Il 3 marzo 1973, in località Monte Bodengo, Comune di Bodio, l'ing. Giovanni Nizzola, nell'intento di mettere ordine intorno alla casetta di vacanza che aveva ivi locato, accendeva un fuoco per bruciare rovi e sterpaglie. Le fiamme però, ad un certo punto, si propagarono, tanto da non poter più essere controllate, anche per l'insorgere di un vento impetuoso levatosi improvviso ed imprevisto, investendo la boscaglia tra i monti di Bodio e quelli di Pollegio, con la messa in pericolo degli stabili siti nella zona.
BGE 104 II 95 S. 96
Si rese necessario l'intervento dei vigili del fuoco, i quali, con la collaborazione di un elicottero e dopo ventidue ore di lavoro, riuscirono a circoscrivere l'incendio.
L'opera di spegnimento causo al Comune di Bodio una spesa complessiva di Fr. 27 014.75
All'ing. Nizzola venne inflitta una multa di Fr. 300.- per titolo di incendio colposo.
Il Comune di Bodio ha quindi richiesto all'ing. Nizzola il rimborso delle spese assunte per l'opera di spegnimento e, con petizione del 1o agosto 1974, lo conveniva davanti al Pretore del distretto di Leventina, chiedendo la sua condanna al pagamento della somma di Fr. 27014.75, oltre interessi al 5% dal 1o maggio 1973.
Accolta integralmente dal Pretore, la petizione veniva per contro respinta dalla II Camera civile del Tribunale di appello.
Contro la sentenza dell'istanza cantonale il Comune di Bodio ha formato un ricorso per riforma. Il ricorrente conclude per la riforma della sentenza impugnata nel senso dell'integrale accoglimento della petizione, con protesta di spese e ripetibili di entrambe le sedi cantonali e di quella federale.
Il Tribunale federale ha respinto il ricorso.
Erwägungen
Considerato in diritto:
1.
a) Oggetto della presente causa è unicamente il rimborso delle spese sostenute dal Comune di Bodio per lo spegnimento dell'incendio causato dalla negligenza del convenuto ing. Nizzola.
Il Comune di Bodio non pretende per contro che nell'incendio sarebbero andati distrutti alberi d'una selva di sua proprietà né pretende un risarcimento per questo titolo.
b) Citando pertinentemente IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, vol. I pag. 421 n. I, la Corte cantonale rileva che chi causa un incendio che dà adito all'intervento delle squadre di spegnimento, di un servizio cioè tipicamente connesso all'esercizio del pubblico imperio, risponde delle spese occasionate da tale intervento unicamente in quanto ciò sia espressamente previsto da una speciale norma legale.
La Corte cantonale rileva quindi che i comuni ticinesi (e per essi le rispettive municipalità) sono obbligati, giusta l'art. 44
BGE 104 II 95 S. 97
della legge forestale cantonale di applicazione alla legge forestale federale, a "prendere immediatamente le misure necessarie per spegnere il fuoco, e darne avviso all'ispettore forestale e procedere all'arresto degli autori o presunti autori dell'incendio od a fare le necessarie indagini per scoprirli". Lo spegnimento dell'incendio di boschi causato da Nizzola costituiva così, per il Comune di Bodio, un preciso compito di natura pubblica, impostogli dal diritto amministrativo cantonale in materia di polizia del fuoco e di polizia forestale.
L'istanza cantonale ha altresì accertato che i costi di spegnimento degli incendi di boschi o di pascoli devono essere anticipati dal Comune (art. 3 del decreto esecutivo concernente la creazione di squadre di spegnimento degli incendi di boschi e pascoli) e possono, su domanda di questi, essere parzialmente poste a carico "dei patriziati o dei Privati i cui beni vennero salvati dall'azione di spegnimento" (art. 45 della citata legge forestale ticinese). La legislazione ticinese non conferisce per contro ai comuni, giusta gli accertamenti dell'istanza cantonale, alcun diritto di regresso contro l'autore di un incendio per le relative spese di spegnimento. La Corte cantonale ha cosi dedotto che l'azione intentata dal Comune di Bodio a Nizzola non poteva trovare fondamento nel diritto amministrativo ticinese. È vero, rileva la Corte cantonale, che la nuova legge sulla polizia del fuoco (pubblicata nel FU cantonale n. 100 del 17 dicembre 1976 ma non ancora in vigore) prevede un diritto di regresso contro l'autore di un incendio intenzionale o colposo (art. 20); tale diritto è però previsto non a favore dei comuni, ma del cantone, al quale incombono, secondo il nuovo assetto legislativo, le spese di spegnimento, come pure quelle d'intervento in caso di catastrofe. Come giustamente rilevato dall'istanza cantonale, la nuova legge sulla Polizia del fuoco non è tuttavia applicabile alla fattispecie; d'altro canto, essa non conferirebbe legittimazione attiva al Comune, il diritto di regresso essendo riservato al Cantone.
c) Il ricorso per riforma è ammissibile unicamente in quanto fondato sulla violazione del diritto federale. Questa Corte non può pertanto rivedere l'applicazione del diritto cantonale, quale Operata dalla giurisdizione ticinese. Il Tribunale federale deve per contro esaminare se la sentenza impugnata, nella misura in cui respinge la domanda di risarcimento che il Comune di Bodio fonda sull'art. 41 CO, violi o meno questa disposizione.
BGE 104 II 95 S. 98
2.
a) L'istanza cantonale ritiene a ragione che l'ing. Nizzola ha causato per negligenza un incendio di boschi e che ha con ciò commesso una colpa, la cui intensità è tuttavia irrilevante ai fini della soluzione della presente vertenza. L'atto addebitato al convenuto è anche, e incontestabilmente, illecito, in quanto perfeziona, da un lato, il delitto di incendio colposo represso dall'art. 222 CP e, dall'altro, una contravvenzione all'art. 48 lett. f della legge forestale ticinese, che vieta l'accensione di fuochi nei boschi o nelle loro vicinanze o nei pascoli senza aver preso le precauzioni necessarie per togliere ogni pericolo d'incendio di boschi o pascoli (testo vigente all'epoca dell'incendio causato dall'ing. Nizzola).
Ma il fatto che l'incendio di boschi causato da Nizzola costituisca atto illecito e che sia dovuto a negligenza dell'autore non conferisce di per sé al Comune di Bodio il diritto di chiedergli il rimborso delle spese di spegnimento solute in virtù del diritto amministrativo ticinese.
Fondandosi sui principi sviluppati da dottrina e giurisprudenza, la Corte cantonale considera, a ragione, che di regola solo la vittima diretta può esigere il risarcimento del danno causatole da un atto illecito, mentre la vittima indiretta, cioè, l'eventuale terzo colpito solo di riflesso, non è legittimato all'azione. Danneggiati diretti sono in primo luogo, nel caso che ci occupa, i proprietari dei boschi distrutti o danneggiati dall'incendio. Nella misura in cui debba essere ammesso che le spese sostenute dal comune per l'espletamento di un compito di natura pubblica del diritto amministrativo ticinese, quale lo spegnimento di un incendio, costituiscono un danno, questo non può evidentemente che essere indiretto. Il Comune di Bodio è leso unicamente di riflesso: l'incendio di cui è questione non ha causato direttamente nessuna diminuzione del patrimonio del Comune: le spese qui litigiose sono state causate all'attore dall'intervento delle squadre di spegnimento e dai mezzi tecnici messi in opera per aver ragione delle fiamme e proteggere i beni di terzi, compito che incombe ai comuni, come s'è visto sopra, in virtù del diritto pubblico cantonale.
Trattasi quindi di un danno esclusivamente indiretto: giusta l'art. 41 CO, al Comune di Bodio manca quindi la legittimazione attiva per pretendere un qualsiasi risarcimento per tale titolo dal convenuto ing. Nizzola.
BGE 104 II 95 S. 99
b) Il Comune ricorrente si avvale a torto della sentenza pubblicata in DTF 102 II 85 segg. Questa Corte ha invero deciso (pag. 88 consid. 5):
"... l'acte illicite ne consiste pas nécessairement dans une atteinte
portée à un droit subjectif; l'art. 41 al. 1 CO oblige celui qui, par sa
faute, transgresse une injonction juridique à réparer le dommage qu'il
cause ainsi à autrui, même s'il ne peut être question d'un droit subjectif
de la victime; il suffit que la prescription violée ait pour but de
protéger le lésé dans les droits atteints par l'acte incriminé (RO 30 II
571 41 II 685, 75 II 212 s. consid. 3, 90 II 279 consid. 4 et les arrêts
cités, 94 I 642 s. consid. 5, RO 101 Ib 255 s. consid. 2 c et d). Commet
donc un acte illicite celui qui lèse un intérêt privé protégé implicitement
par une norme pénale édictée dans un but d'intérêt général
(DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilité civile, p. 73 ch. 2 1.2; DESCHENAUX,
Norme et causalité en responsabilité civile, dans Stabilité et dynamisme du
droit dans la jurisprudence du Tribunal Fédéral suisse, p. 418-420)."
Ma i citati art. 222 CP e 48 lett. f della legge forestale ticinese, non perseguono con ogni evidenza, accanto ai rispettivi scopi loro propri, anche quello di proteggere le collettività pubbliche, cui incombe l'onere dello spegnimento degli incendi in virtù del diritto cantonale, contro le diminuzioni patrimoniali risultanti dall'espletamento di questo compito del diritto pubblico. L'azione del ricorrente non può quindi in alcun modo trovare fondamento sui principi enunciati nella citata sentenza. | public_law | nan | it | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
373de053-1bff-404d-9132-4236186d7bfb | Urteilskopf
125 I 335
31. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. Juni 1999 i.S. J. gegen Direktion des Gesundheitswesens, Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 31 BV
; selbständige Berufsausübung als Akupunkteurin.
Das zürcherische Gesundheitsgesetz ist eine genügende gesetzliche Grundlage für das Verbot der selbständigen Berufsausübung als Akupunkteurin (E. 2).
Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Verhältnismässigkeit des Erfordernisses von Fähigkeitsausweisen; Anspruch auf Teilbewilligungen (E. 3).
Die Handels- und Gewerbefreiheit schützt auch die selbständige Ausübung der Akupunktur (E. 4).
Es ist unverhältnismässig, einer Akupunkteurin die selbständige Berufsausübung zu untersagen, wenn sie dafür gleich gut oder besser ausgebildet ist als eine Medizinalperson (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 336
BGE 125 I 335 S. 336
J. besitzt mehrere US-amerikanische Diplome und Lizenzen für Massagetherapie, ein Diplom als «Master of Acupuncture» vom International Institute of Chinese Medicine in Santa Fe (USA) sowie ein Zertifikat der US-amerikanischen National Commission for the Certification of Acupuncturists, welches zum Betreiben einer selbständigen Akupunkturpraxis unter anderem in den USA berechtigt. Ferner absolvierte sie mehrere Ausbildungsgänge in Akupunktur und traditioneller chinesischer Medizin in China. Sie verfügt nicht über ein Arztdiplom. Seit 1994 besitzt sie eine Bewilligung des Kantons Graubünden zur selbständigen Ausübung des Berufes als medizinische Massagetherapeutin mit zusätzlicher Anwendung der Akupunktur und betreibt seither in Davos eine eigene Praxis für Akupunktur und medizinische Massage. Am 1. Juli 1996 stellte sie bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich das Gesuch, ihr die Bewilligung zur selbständigen Ausübung des Akupunkteurberufs im Kanton Zürich zu erteilen. Die Direktion wies das Gesuch am 5. Februar 1997 ab, da nach zürcherischem Recht die selbständige Ausübung der Akupunktur den Ärzten vorbehalten sei.
J. erhob dagegen erfolglos Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich und anschliessend Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Dieses erwog, die Akupunktur sei eine medizinische Verrichtung, deren selbständige Ausübung den Ärzten vorbehalten sei. Diese Regelung sei durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig. Damit bestehe auch ein zulässiges öffentliches Interesse an einer Einschränkung im Sinne von
Art. 3 Abs. 2 lit. a und e des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1995 über den Binnenmarkt (Binnenmarktgesetz, BGBM; SR 943.02)
. Das Verwaltungsgericht wies daher die Beschwerde mit Urteil vom 19. März 1998 in der Hauptsache ab.
BGE 125 I 335 S. 337
J. erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben, soweit ihr damit die selbständige Ausübung des Akupunkteurberufs verweigert worden sei. Sie rügt eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit sowie von Art. 2 ÜbBest. BV in Verbindung mit dem Binnenmarktgesetz.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit (
Art. 31 BV
). Unter dem Schutz dieses Grundrechts steht jede gewerbsmässig ausgeübte, privatwirtschaftliche Tätigkeit, die der Erzielung eines Gewinnes oder Erwerbseinkommens dient (
BGE 119 Ia 378
E. 4b S. 381;
BGE 117 Ia 440
E. 2 S. 445;
BGE 116 Ia 118
E. 3 S. 121), somit auch die gewerbsmässige Ausübung des Berufs einer Akupunkteurin.
Art. 31 BV
behält in Abs. 2 kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerben, namentlich im öffentlichen Interesse begründete polizeiliche Massnahmen, vor. Solche Einschränkungen können dem Schutz der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit, Sittlichkeit und Sicherheit oder von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr dienen (
BGE 118 Ia 175
E. 1 S. 176 f.;
BGE 114 Ia 34
E. 2a S. 36). Unzulässig sind wirtschaftspolitische oder standespolitische Massnahmen, die den freien Wettbewerb behindern, um gewisse Gewerbezweige oder Bewirtschaftungsformen zu sichern oder zu begünstigen. Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit bedürfen im Übrigen einer gesetzlichen Grundlage, müssen durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit sowie der Rechtsgleichheit wahren (
BGE 124 I 310
E. 3a S. 313;
BGE 123 I 12
E. 2a S. 15; mit Hinweisen).
b) Die Beschwerdeführerin rügt zunächst das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage. Eine Bewilligungspflicht bzw. ein Verbot für die Ausübung eines Berufes ist ein schwerer Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit und bedarf einer ausdrücklichen formellgesetzlichen Grundlage. Das schliesst nicht aus, dass das Gesetz die nähere Ausgestaltung einer nachgeordneten Instanz überlässt (
BGE 122 I 130
E. 3b/bb S. 134, mit Hinweisen).
c) Gemäss § 7 Abs. 1 lit. a des zürcherischen Gesundheitsgesetzes vom 4. November 1962 ist eine Bewilligung erforderlich, um gegen Entgelt oder berufsmässig Krankheiten, Verletzungen oder sonstige gesundheitliche Störungen festzustellen und zu behandeln
BGE 125 I 335 S. 338
oder überhaupt medizinische Verrichtungen vorzunehmen. Das Gesetz regelt sodann die Berufe der Gesundheitspflege und nennt im Einzelnen die Zulassungsvoraussetzungen für Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktoren, Zahnprothetiker, Apotheker und Drogisten. § 31a des zürcherischen Gesundheitsgesetzes ermächtigt den Regierungsrat, die Ausbildung und Tätigkeit der anderen Berufe des Gesundheitswesens durch Verordnung zu regeln. Diese Regelung ist enthalten in der Verordnung vom 8. Januar 1992 über die Berufe der Gesundheitspflege (VBG). Nach § 1 dieser Verordnung übt einen Beruf der Gesundheitspflege aus, wer gegen Entgelt oder berufsmässig Krankheiten, Verletzungen oder sonstige gesundheitliche Störungen feststellt oder behandelt, Geburtshilfe ausübt oder medizinische Analysen durchführt. § 3 VBG nennt nicht abschliessend einige Tätigkeiten, die nicht als medizinische Verrichtung gelten. § 8 VBG zählt abschliessend eine Anzahl von Berufen auf, die zur selbständigen Berufsausübung berechtigt sind, wobei die selbständige Ausübung dieser Berufe gemäss § 9 VBG einer Bewilligung bedarf. Der Beruf des Akupunkteurs ist in § 8 VBG nicht genannt.
Die Bewilligungspflicht für die Ausübung sämtlicher Berufe der Gesundheitspflege ergibt sich damit klar aus dem formellen Gesetz. Ebenso klar ist, dass die Akupunktur auf die Behandlung von Krankheiten oder sonstigen gesundheitlichen Störungen ausgerichtet ist und damit - sofern sie gegen Entgelt oder berufsmässig ausgeübt wird - der Bewilligungspflicht unterliegt. Das Gesetz zählt ferner ausdrücklich eine Anzahl von Berufen der Gesundheitspflege auf und ermächtigt den Regierungsrat, «die anderen Berufe» des Gesundheitswesens zu regeln. Daraus ergibt sich entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht, dass die Zürcher Gesetzgebung für die Akupunkteure eine Lücke enthalte. Vielmehr folgt aus der Systematik des Gesetzes, dass nur die im Gesetz oder in der Verordnung des Regierungsrates genannten Berufe überhaupt selbständig ausgeübt werden dürfen. Das Verbot der selbständigen Ausübung der übrigen Berufe entspricht somit der gesetzlichen Regelung und findet darin eine klare Grundlage (vgl.
BGE 116 Ia 118
E. 4b/c S. 122 f.).
d) Unerheblich ist der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die Praxis des bernischen Verwaltungsgerichts, wonach die Akupunktur nicht als eine medizinische Tätigkeit, sondern als eine medizinische Hilfstätigkeit betrachtet wird. Denn im Bereich kantonaler Zuständigkeiten ist es nicht unzulässig, dass verschiedene Kantone unterschiedliche Regelungen kennen oder gleiche Sachverhalte rechtlich unterschiedlich qualifizieren.
BGE 125 I 335 S. 339
3.
a) Die Beschwerdeführerin bestreitet die Verhältnismässigkeit des Verbots einer selbständigen Ausübung der Akupunktur durch Nicht-Mediziner. Die Gesetzgebung gestatte die selbständige Ausübung anderer medizinischer Hilfsberufe mit mindestens ebenso grossen Gesundheitsrisiken. Es sei zudem inkonsequent, die Ausübung der Akupunktur den diplomierten Ärzten zu erlauben, den ausgebildeten Akupunkteuren jedoch zu untersagen, da die Ärzte in aller Regel nur über eine oberflächliche Zusatzausbildung in Akupunktur verfügten. Zudem bestehe auf Bundesebene eine Berufsorganisation, welche ein dreijähriges Ausbildungsprogramm anbiete. Sie selber verfüge über eine langjährige Ausbildung und habe ihren Beruf in den Kantonen Graubünden und Bern klag- und anstandslos ausgeübt. Das Verbot der selbständigen Ausübung der Akupunktur diene rein standespolitischen Interessen der Ärzteschaft.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts können die Kantone die Ausübung gewisser Tätigkeiten vom Besitze eines Fähigkeitsausweises abhängig machen, dies jedoch nur, wenn die fragliche Tätigkeit Gefahren für das Publikum mit sich bringt, die nur durch beruflich besonders befähigte Personen in erheblichem Masse vermindert werden können (
BGE 112 Ia 322
E. 4b S. 325). Diese Überlegungen gelten auch für den Bereich des Gesundheitswesens. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass im Gesundheitswesen nur fähige Personen tätig sind. Das darf jedoch nicht dazu missbraucht werden, aus standespolitischen Überlegungen den Zugang zu den Berufen des Gesundheitswesens stärker einzuschränken, als dies zur Wahrung der berechtigten gewerbepolizeilichen Interessen gerechtfertigt ist (
BGE 117 Ia 440
E. 4a S. 446 f.;
BGE 112 Ia 322
E. 4c S. 326). Ohne weiteres zulässig ist es, die Ausübung von Berufen der Gesundheitspflege bewilligungspflichtig zu erklären und die Erteilung der Bewilligung an den Nachweis fachlicher Fähigkeiten zu knüpfen. Aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip folgt jedoch, dass nicht Anforderungen gestellt werden dürfen, die sachlich zum Schutz von Polizeigütern nicht gerechtfertigt sind. In der Rechtsprechung des Bundesgerichts wurden folgende Anforderungen als unverhältnismässig beurteilt:
- Das Erfordernis einer Meisterprüfung für den selbständigen Betrieb eines Optikergeschäfts (
BGE 112 Ia 322
E. 5);
- das Erfordernis eines ärztlichen Rezepts als Voraussetzung für die Anpassung von Kontaktlinsen auch ohne pathologischen Befund, da dies zum Schutz der Gesundheit nicht erforderlich ist (
BGE 110 Ia 99
E. 5);
- das Verbot der Führung von mehr als zwei Zahnarztpraxen (
BGE 113 Ia 38
E. 4);
BGE 125 I 335 S. 340
- das Erfordernis eines schweizerischen Fähigkeitsausweises für die selbständige Ausübung der Physiotherapie, da die Gleichwertigkeit eines ausländischen Ausweises im Auftrag der Kantone vom Schweizerischen Roten Kreuz überprüft wird (Urteil vom 16. Oktober 1992 i.S. F., publiziert in RDAT 1993 I 27 76, E. 4c; Urteil vom 9. Juni 1995 i.S. Sch., publiziert in SJ 1995 713, E. 3). Als zulässig beurteilt wurden hingegen:
- Das Erfordernis eines Fähigkeitsausweises als Voraussetzung für die Anpassung von Kontaktlinsen (
BGE 103 Ia 272
E. 6b S. 276; nicht publiziertes Urteil vom 16. November 1995 i.S. R., E. 4);
- das Verbot der selbständigen Ausübung der Homöopathie durch nicht medizinisch ausgebildete Personen (nicht publiziertes Urteil vom 12. Mai 1989 i.S. F., E. 2b);
- das Erfordernis eines Psychologiestudiums und eines dreijährigen Berufspraktikums als Voraussetzung für die selbständige Ausübung der Psychotherapie (nicht publiziertes Urteil vom 3. Dezember 1993 i.S. Schweizerischer Psychotherapeuten-Verband, E. 5 und 6), nicht aber, wenn diese Ausbildung nur in bestimmten Institutionen absolviert werden kann (nicht publiziertes Urteil vom 18. März 1988 i.S. Schweizer Psychotherapeuten-Verband, E. 5);
- die Bewilligungspflicht für die Ausübung der Reflexologie (
BGE 109 Ia 180
E. 3 S. 182 f.);
- das Verbot der Wahrsagerei, sofern diese therapeutisch ausgerichtet ist; demgegenüber wurde offen gelassen, ob ein Verbot zulässig wäre, wenn es einzig damit begründet wird, die Ausbeutung der Leichtgläubigkeit zu vermeiden (nicht publiziertes Urteil vom 13. Juli 1990 i.S. W., E. 2c).
c) Im Lichte dieser Rechtsprechung ist es - was die Beschwerdeführerin auch nicht bestreitet - ohne weiteres zulässig, die selb-ständige Tätigkeit von Akupunkteuren an eine Bewilligungspflicht und an den Nachweis fachlicher Befähigung zu knüpfen. Umstritten ist jedoch, ob der Kanton verfassungsrechtlich verpflichtet ist, Bewilligungen für die Ausübung der Akupunktur auch an Personen zu erteilen, die nicht Inhaber des Arztdiploms sind.
d) Aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip hat das Bundesgericht abgeleitet, dass unter Umständen Teilbewilligungen vorzusehen sind, wenn für die Ausübung eines Teilbereichs einer bestimmten Tätigkeit ein eigenes Berufsbild mit entsprechender Ausbildungsstruktur besteht oder wenn in klarer und praktikabler Weise einzelne Bereiche einer beruflichen Tätigkeit bezeichnet werden können, für welche es sich aufdrängt, geringere Anforderungen an die Fachkunde zu stellen (
BGE 117 Ia 440
E. 5b S. 450;
BGE 116 Ia 118
E. 6b S. 125;
BGE 112 Ia 322
E. 4b S. 326). Voraussetzung dafür ist jedoch,
BGE 125 I 335 S. 341
dass der Bewerber für diesen Teilbereich über eine ebenbürtige fachliche Befähigung verfügt. So ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unzulässig, für die selbständige Ausübung des Berufs des medizinischen Masseurs eine Ausbildung als Physiotherapeut zu verlangen, da der Masseur für die von ihm einzig ausgeübte passive Therapie ebenso gut ausgebildet ist wie ein Physiotherapeut (
BGE 117 Ia 440
E. 4b S. 447 f.). Als zulässig beurteilt wurden hingegen:
- Das Verbot der selbständigen Berufsausübung für Dentalhygienikerinnen, da deren Tätigkeit mit gewissen gesundheitlichen Risiken verbunden ist, die ohne umfassende zahnmedizinische Ausbildung nicht richtig beherrscht werden können (
BGE 116 Ia 118
E. 5b S. 123 f.);
- das Verbot der selbständigen Ausübung des Berufs eines Zahnprothetikers, da dieser für die Arbeit am Patienten weniger gut ausgebildet ist als die Zahnärzte (
BGE 125 I 276
S. 280; Urteil vom 8. März 1994 i.S. K., publiziert in ZBl 96/1995 S. 28, E. 4; nicht publiziertes Urteil vom 18. November 1988 i.S. L., E. 4a).
e) Zu prüfen ist somit, ob die Akupunktur als abgrenzbare, eigenständige Tätigkeit im Sinne dieser Rechtsprechung bezeichnet werden kann und ob die Beschwerdeführerin für diesen Teilbereich eine hinreichende fachliche Befähigung besitzt.
4.
a) Die Akupunktur wird seit alters als eine Methode in der chinesischen Medizin praktiziert und gehört heute zu den Pflichtleistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gemäss Art. 24 des Krankenversicherungsgesetzes vom 18. März 1994 (KVG, SR 832.10; vgl. Ziff. 2.1 von Anhang 1 der Verordnung vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, KLV, SR 832.112.31). Das setzt voraus, dass es sich dabei um eine klar definierte Leistung handelt.
b) Das Verwaltungsgericht und die Beschwerdeführerin gehen von unterschiedlichen Konzepten der Akupunktur aus: Die Argumentation des Gerichts basiert auf der klassischen Trennung von Diagnose und Therapie. Die Diagnose sei den ausgebildeten Ärzten vorzubehalten. Daher sei entweder den nichtärztlichen Therapeuten generell die Diagnose zu untersagen oder, soweit Therapie und Diagnose untrennbar miteinander verbunden seien, die selbständige Berufsausübung den Ärzten vorzubehalten. Anschliessend geht das Gericht einerseits davon aus, die Akupunktur sei nicht nur Therapie, sondern auch Diagnosemethode. Andererseits führt es aus, die Akupunktur stelle eine nach westlicher Auffassung wissenschaftlich erklärbare Therapiemethode dar, welche von der klassischen Medizin zunehmend einverleibt und an hiesige Bedürfnisse adaptiert
BGE 125 I 335 S. 342
worden sei. Mediziner warnten allerdings vor einer monomanen Anwendung der Akupunktur und erachteten für deren optimale therapeutische Wirksamkeit die Kombination mit anderen Therapien als notwendig. Insgesamt habe die Akupunktur heute innerhalb der Medizin einen Stellenwert erlangt, der es verbiete, sie aus dem Gesamtsystem der Reflexmedizin herauszulösen und als eigenständigen Beruf von Nichtmedizinern anzuerkennen. Einer Akupunkturbehandlung habe daher eine sowohl unter schulmedizinischen als auch unter den Aspekten der traditionellen chinesischen Medizin einwandfreie Anamnese vorauszugehen. Insofern scheint das Gericht doch anzunehmen, dass die Akupunktur als eine besondere Therapieform von der Diagnose und Anamnese unterschieden werden könne. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, der chinesischen Medizin liege ein vom Diagnose- und Therapiemodell der westlichen Schulmedizin grundsätzlich verschiedenes Konzept zugrunde, welches ausserhalb der westlichen Medizintheorie stehe und nicht mit deren Denkansätzen und Methoden erfassbar sei.
c) Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, medizinische Streitfragen zu entscheiden. Doch ist zu bemerken, dass die Handels- und Gewerbefreiheit nicht nur die Ausübung von Tätigkeiten schützt, die einer bestimmten Kultur oder Denkrichtung, zum Beispiel der «westlichen» Auffassung von Medizin, entsprechen. Vielmehr gewährleistet sie bei der Ausübung eines Medizinalberufs die grundsätzliche Methoden- oder Therapiefreiheit (nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts vom 3. März 1997 i.S. B., E. 4c; MAX KÜNZI, Komplementärmedizin und Gesundheitsrecht, Basel 1996, S. 22 ff.; MICHAEL WICKI, Komplementärmedizin im Rahmen des Rechts, Diss. Bern, 1998, S. 106 ff.). Deshalb sind auch medizinische Methoden, die nicht einer bestimmten Denkschule entsprechen, grundsätzlich zulässig. Der Staat kann freilich gesundheitsgefährdende Methoden untersagen oder nur Personen erlauben, welche über entsprechende Fähigkeiten verfügen, doch dürfen diese Einschränkungen nicht weiter gehen, als zur Sicherstellung ihres Zwecks erforderlich ist.
d) Wird die Akupunktur als Therapiemethode verstanden, ist das Verbot einer selbständigen Ausübung fragwürdig: Selbst wenn es vertretbar sein sollte, die Diagnose einem umfassend ausgebildeten diplomierten Mediziner vorzubehalten, wäre dies noch kein Grund, eine selbständige Ausübung der Akupunktur als Therapie zu untersagen; es gibt auch andere Therapieleistungen, die nur auf ärztliche Diagnose und Verordnung hin zur Anwendung kommen und trotzdem von Angehörigen medizinischer Hilfsberufe selbständig ausgeübt
BGE 125 I 335 S. 343
werden können, so z.B. die Physiotherapie, Ergotherapie, Hauskrankenpflege und Ernährungsberatung (vgl.
Art. 5-10 KLV
sowie § 8, § 18 Abs. 2, § 23, 25 und 34c VBG). Den Gefahren, die allenfalls durch eine unsachgemässe Diagnose entstehen, könnte begegnet werden, indem den selbständigen Therapeuten die Auflage gemacht wird, eine Behandlung nur auf ärztliche Diagnose und Verordnung hin durchzuführen (vgl.
BGE 117 Ia 440
E. 4b S. 448 und E. 5d S. 451). Die Akupunkturbehandlung als Therapie birgt allenfalls spezifische Risiken, die aber von denjenigen anderer medizinischer Therapien klar unterschieden werden können. Die selbständige Ausübung der Akupunktur auch als Therapie nicht zuzulassen, liesse sich nur rechtfertigen, wenn die Akupunkteure nicht genügend ausgebildet sind, um diese spezifischen Gefahren zu vermeiden (vgl.
BGE 116 Ia 118
E. 6c S. 125 f.).
e) Aber selbst wenn davon ausgegangen wird, die Akupunktur sei auch eine diagnostische Methode, kann ihre selbständige Ausübung nicht ohne weiteres verboten werden. Andere medizinische Hilfsberufe dürfen ebenfalls von selbständig Erwerbenden ausgeübt werden, welche gewisse Tätigkeiten ohne ärztliche Verordnung ausführen dürfen und insofern selber eine auf ihren Bereich beschränkte Diagnose zu stellen haben, so (für bestimmte Tätigkeiten) die Hebammen, die Podologen, die Psychotherapeuten und die Augenoptiker (§ 19, 27, 31 und 33 VBG; vgl.
BGE 110 Ia 99
E. 5). Massgebend ist in jedem Fall, ob die Berufsangehörigen für diejenigen Tätigkeiten, die sie ausüben dürfen bzw. ausüben zu dürfen beanspruchen, genügend ausgebildet sind (vgl.
BGE 116 Ia 118
E. 5b S. 123 f. und E. 7 S. 127;
BGE 110 Ia 99
E. 5c). Ein ausgebildeter Akupunkteur kennt die Krankheitsbilder, bei denen Akupunktur erfolgreich sein kann, und auch die entsprechenden Kontraindikationen. Er kann alsdann entscheiden, ob Akupunktur anzuwenden ist oder ob dem Patienten der Besuch eines Arztes zu empfehlen ist. Sodann dürfte den Patienten, die einen nichtmedizinischen Akupunkteur aufsuchen, in aller Regel bewusst und klar sein, dass dieser nicht über eine umfassende medizinische Ausbildung verfügt und daher gewisse Krankheitsbilder möglicherweise nicht erkennen kann. Die neuere Rechtsprechung betont mit Recht das Selbstbestimmungsrecht und die damit verbundene Eigenverantwortung des Patienten: Von diesem wird erwartet, dass er die ärztliche Aufklärung versteht und gestützt darauf selber über einen Eingriff entscheidet (
BGE 117 Ib 197
E. 2;
BGE 113 Ib 420
E. 4-6, mit Hinweisen). Es wäre mit diesem Bild eines mündigen Patienten nicht vereinbar, anzunehmen, der
BGE 125 I 335 S. 344
Patient verwechsle einen Akupunkteur mit einem ausgebildeten Arzt. Allenfalls können die kantonalen Behörden die Akupunkteure mit entsprechenden Auflagen verpflichten, ihre Patienten auf die Grenzen ihres Wissens hinzuweisen.
5.
a) Das Verwaltungsgericht hat mit Recht grossen Wert auf die Ausbildungssituation gelegt. Es hat sich jedoch bei der Überprüfung der Ausbildungssituation einzig auf ein kurzes Gutachten von Dr. med. B. Ausfeld-Hafter abgestützt, wonach die schweizerischen Ärztegesellschaften für Akupunktur und Chinesische Medizin den Ausbildungsstand definieren und Kurse anbieten, jedoch einzig für diplomierte Medizinalpersonen. Gestützt darauf führt das Verwaltungsgericht aus, in der Schweiz fehle es an einem geregelten Ausbildungsgang für nichtärztliche Akupunkteure. Es könne daher bei der Zulassung nichtärztlicher Akupunkteure nur um solche gehen, die ihre Ausbildung im Ausland absolviert hätten. Die Qualitätskontrolle solcher Ausbildungen sei schwierig; diese Kontrollschwierigkeiten seien ein haltbares Motiv dafür, ein in der Schweiz erworbenes Diplom zu verlangen.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist es verfassungsrechtlich zulässig, für die Zulassung als Medizinalperson das eidgenössische Diplom zu verlangen; dieses garantiert eine fundierte Ausbildung; das kann zwar bei ausländischen Diplomen ebenfalls zutreffen, doch sind ausländische Ausweise für die schweizerischen Gesundheitsbehörden schwieriger zu beurteilen; das Erfordernis des eidgenössischen Diploms ist daher nicht unverhältnismässig (Pra 1998 3 19, E. 2b/c; Urteil vom 4. Mai 1999 i.S. R., E. 2c). Anders verhält es sich jedoch bei medizinischen Hilfsberufen wie Physiotherapeuten: Hier hat das Bundesgericht das Erfordernis eines schweizerischen Diploms als unverhältnismässig beurteilt, wenn ein gleichwertiges ausländisches Diplom vorliegt und diese Gleichwertigkeit mit Hilfe einer Überprüfung oder Registrierung durch gesamtschweizerische Institutionen nachgewiesen werden kann (Urteile vom 9. Juni 1995 i.S. Sch., publiziert in SJ 1995 713, E. 3; vom 16. Oktober 1992 i.S. F., publiziert in RDAT 1993 I 27, E. 4).
c) Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass es in der Schweiz eine Berufsorganisation für Traditionelle Chinesische Medizin gebe, welcher sowohl Mediziner als auch Nicht-Mediziner angehörten und welche Schulen auch für Nicht-Mediziner betreibe. Die Beschwerdeführerin macht zwar nicht geltend, sie habe eine dieser schweizerischen Schulen oder entsprechende Prüfungen in der Schweiz absolviert. Sie legt aber ausländische Nachweise vor, welche zumindest
BGE 125 I 335 S. 345
belegen, dass sie eine mehrjährige Ausbildung in Akupunktur absolviert hat und dass dabei nebst Methoden der chinesischen Medizin auch Anatomie, Physiologie, Diagnosestellung sowie westliche Medizinansätze gelehrt und geprüft wurden. Aufgrund der Akten erscheint es jedenfalls als nicht ausgeschlossen, dass die Beschwerdeführerin im Bereich der Akupunktur mindestens so gut bzw. sogar besser ausgebildet ist als ein diplomierter Arzt mit einer Zusatzausbildung in Akupunktur, wovon übrigens auch das Verwaltungsgericht auszugehen scheint. Insofern wirkt es stossend, wenn einem Arzt die Ausübung der Akupunktur erlaubt ist, der Beschwerdeführerin jedoch nicht.
d) Das Verwaltungsgericht bringt dagegen vor, zwar möge es zutreffen, dass die Ausbildung nach den Standards der traditionellen chinesischen Medizin einer solchen eines schweizerischen Arztes gleichwertig oder gar überlegen sei, doch könne ein Qualitätsvergleich in der Schweiz nicht nach fremden Kriterien einer anderen Kultur, sondern nur nach den eigenen erfolgen. Diese Überlegung ist fragwürdig: Die Handels- und Gewerbefreiheit schützt nicht nur Methoden, die der «westlichen» Kultur entsprechen (vorne E. 4c). Der Staat kann sicherstellen, dass diejenigen, welche Akupunktur ausüben, die erforderlichen Fachkenntnisse aufweisen. Wenn jedoch die Beschwerdeführerin - was das Verwaltungsgericht nicht ausschliesst - über eine Ausbildung verfügt, die bezüglich der Akupunktur derjenigen eines schweizerischen Arztes gleichwertig oder gar überlegen ist, dann kann die selbständige Ausübung der Akupunktur nicht schon mit dem Argument untersagt werden, diese Ausbildung entspreche nicht dem westlichen Medizinverständnis.
e) Gesamthaft ergibt sich, dass es ein unverhältnismässiger Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit ist, die selbständige Ausübung der Akupunktur zu verbieten, wenn die Beschwerdeführerin dafür über eine genügende Ausbildung verfügt, und wenn mit geeigneten Auflagen erreicht werden kann, dass sie nur diejenigen Methoden anwendet, für die sie ausgebildet ist. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben. Es ist den kantonalen Behörden unbenommen, von der Beschwerdeführerin einen für die Gesundheitsbehörden nachprüfbaren schweizerischen Ausbildungsnachweis zu verlangen, woraus insbesondere auch hervorgeht, dass sie aufgrund ihrer Ausbildung in der Lage ist, gesundheitliche Risiken, die sich bei der Ausführung der Akupunktur ergeben können, zu erkennen und zu vermeiden. Ein solcher Ausbildungsnachweis kann beispielsweise dadurch erbracht werden, dass anerkannte schweizerische
BGE 125 I 335 S. 346
Ausbildungsinstitutionen ein hinreichendes Ausbildungsniveau definieren und durch solche Institutionen oder anerkannte Berufsverbände die Gleichwertigkeit der von der Beschwerdeführerin vorgelegten ausländischen Abschlüsse überprüft werden kann (vgl.
BGE 117 Ia 440
E. 5b S. 450; RDAT, 1993 I 2776, E. 4c). Ferner kann der Kanton allenfalls mit geeigneten Auflagen sicherstellen, dass die Beschwerdeführerin nur diejenigen Tätigkeiten ausübt, für welche sie ausgebildet ist. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
373ffff2-b40c-4d4c-a7e3-c0f99a9e3cba | Urteilskopf
80 II 53
9. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Februar 1954 i. S. Ammon gegen Royal Dutch Company. | Regeste
Klage des schweizerischen Inhabers gesperrter Royal Dutch-Aktien gegen die Gesellschaft auf Dividendenzahlung und Schadenersatz.
Anforderungen an den Berufungsantrag (Erw. 1).
Massgebendes Recht für das Verhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft (Erw. 2).
Frage der Berücksichtigung ausländischen öffentlichen Rechts (i.c. der holländischen Raubgutgesetzgebung) durch den schweizerischen Richter (Erw. 3).
Frage der Vereinbarkeit der holländischen Raubgutgesetzgebung mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 80 II 53 S. 53
A.-
W. Ammon in Thun besitzt 4 Inhaberaktien der Royal Dutch Company, mit Sitz im Haag; zwei davon (Nr. 5175 und Nr. 62'375) lauten auf je 1000 holl. Gulden, die beiden andern (Nr. 303, 830 F und Nr. 304'490 D) auf je 100 holl. Gulden. Diese Aktien waren im Dezember 1941 aus dem durch die Deutschen besetzten Holland nach Deutschland verkauft worden. Ammon hat die beiden Aktien zu 1000 Gulden durch Vermittlung einer Bank an der Zürcher Effektenbörse am 4./11. Juni 1946 zum Kurs von 210/212 per 100 Gulden erworben. Die beiden Aktien
BGE 80 II 53 S. 54
zu 100 Gulden wurden ebenfalls durch Vermittlung einer Bank an einer Schweizer Börse am 5. Juli 1946 für die Tochter Ammons gekauft, die sie 1947 an ihren Vater weiterveräusserte. Die 4 Aktien sind mit dem Affidavit L 1 versehen, das besagt, dass die Papiere seit dem 1. Juni 1944 sich ununterbrochen in der Schweiz befanden und während dieser Zeit Eigentum von Personen schweizerischer Nationalität waren. Ausser dem hier in Frage stehenden Affidavit L 1 bestehen noch Affidavits A und L 2 für Papiere, die seit dem 2. September 1939 sich in schweizerischem Eigentum bzw. in der Schweiz befunden haben. Die Kurswerte für Royal Dutch Aktien mit Affidavit A oder L 2 waren im Juni/Juli 1946 rund doppelt so hoch wie diejenigen mit Affidavit L 1.
In den Niederlanden sind in den Jahren 1944-48 eine Anzahl von Vorschriften erlassen worden zum Zwecke der Wiedergutmachung der Schäden, die im Zusammenhang mit der deutschen Besetzung den Privaten namentlich durch Wegnahme von Wertsachen, Wertpapieren usw. erwachsen sind. Diese Vorschriften sind zusammengefasst im "Beschluss zur Wiederherstellung des Rechtsverkehrs" vom 17. September 1944/15. Januar 1948 (im folgenden bezeichnet als Rechtsherstellungserlass, RHE).
Durch Art. 41 ff. RHE wird für die von holländischen Körperschaften ausgegebenen Wertpapiere, insbesondere auch Aktien, eine Anmeldung und Hinterlegung bei der Abteilung Effektenregistrierung vorgeschrieben. Ferner sind Tatsachen, die seit dem 10. Mai 1940 (dem Datum des Einfalls der deutschen Truppen in die Niederlande) mit Bezug auf solche Wertpapiere eingetreten oder bekannt geworden sind, insbesondere Anzeigen über den Verlust solcher Papiere bei der Abteilung Effektenregistrierung zu melden. An die Registrierung schliesst sich ein "Verfahren zur Rechtsanerkennung und Rechtsherstellung" zur Abklärung des Eigentums und der Eigentumserwerbsverhältnisse an, das mit der Anerkennung oder Verneinung des Eigentums des Anmelders und wenn möglich mit der
BGE 80 II 53 S. 55
Rückerstattung des Papiers an den früheren Eigentümer endigt (Art. 52 ff. RHE). Das Eigentum des Anmelders wird nur anerkannt, wenn dieser es vor dem 10. Mai 1940 erworben hatte oder bei späterem Erwerb seinen guten Glauben nachzuweisen vermag. Sowohl die Anerkennung des Eigentums des Anmelders wie die Rechtsherstellung (d.h. Rückerstattung an den früheren Eigentümer) können mit der Auflage oder Bedingung verknüpft werden, dass an den durch die Anerkennung, bzw. die Rechtsherstellung Geschädigten oder an den Staat eine Vergütung bezahlt oder eine andere Leistung bewirkt wird. Wo eine Anerkennung nicht ausgesprochen, aber auch der frühere Eigentümer nicht ermittelt werden kann, fallen die Wertpapiere an den Staat.
Gegen die Entscheidungen der Abteilung Effektenregistrierung ist Berufung an die Abteilung Rechtsprechung möglich (Art. 68 f. RHE). Die dieser Abteilung angehörenden Richter werden von der Königin ernannt, sind unabsetzbar und müssen juristisch gebildet sein (Art. 4 Ziff. 7 und Art. 119 RHE). Während der Dauer des Verfahrens vor der Abteilung Effektenregistrierung und der Abteilung Rechtsprechung sind jegliche Rechtshandlungen hinsichtlich der registrierungspflichtigen Wertpapiere, wie insbesondere Zins- oder Dividendenzahlungen durch den Schuldner, Gestattung der Ausübung von Bezugsrechten usw. verboten. Missachtung dieses Verbotes durch den Schuldner oder dessen Organmitglieder ist mit hoher Geldstrafe bedroht (Art. 70 ff. RHE).
Gestützt auf die Vorschriften des RHE verweigerte die Royal Dutch Co. jede Dividendenzahlung oder sonstige vermögensrechtliche Leistung, wie die Ausübung von Bezugsrechten, in Bezug auf die durch Ammon erworbenen Aktien, die teils schon im Zeitpunkt ihres Erwerbes durch diesen registriert waren, teils nachher angemeldet, aber nicht hinterlegt wurden.
B.-
Mit Rücksicht auf diese Einstellung der Royal Dutch Co. liess Ammon auf Guthaben der Gesellschaft bei
BGE 80 II 53 S. 56
der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich Arrest legen für eine Schadenersatzforderung von Fr. 7885.68 "wegen widerrechtlicher Devaluierung von Aktien mit Affidavit L 1", sowie für Dividendenforderungen von Fr. 830.50.
Auf den in der nachfolgenden Betreibung von der Beklagten erhobenen Rechtsvorschlag hin reichte Ammon Arrestprosequierungsklage ein, mit der er gemäss der endgültigen Fassung seiner Begehren vor dem Obergericht beantragte:
1. Die Beklagte sei zu verpflichten, ihm den Wert seiner gesperrten Aktien (samt Nebenrechten) mit Affidavit L 1 in Zürich im Zeitpunkt der Arrestnahme in Schweizerfranken Zug um Zug gegen Übergabe der Aktien bzw. der Coupons Nr. 84 ff. zu bezahlen nebst 5% Verzugszins vom Zeitpunkt der Streithängigkeit an.
2. Die Beklagte sei zu verpflichten, ihm Fr. 830.50 nebst 5% Zins seit 10. Juli 1951 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übergabe der Coupons Nr. 90, 91, 92 und 97 der in Rechtsbegehren 1 genannten Aktien.
Zur Begründung dieser Begehren machte der Kläger im wesentlichen geltend, infolge des nach dem massgebenden schweizerischen Recht unzulässigen Verhaltens der Beklagten seien seine Aktien entwertet und ihm ein Schaden in der Höhe von Fr. 7 885.68 erwachsen, zu dessen Ersatz die Beklagte verpflichtet sei; ferner stehe ihm ein Anspruch auf rückständige Dividenden von Fr. 830.50 zu. Falls grundsätzlich holländisches Recht anwendbar sein sollte, wären die Vorschriften des RHE wegen Unvereinbarkeit mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung nicht zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage, da ihr Verhalten durch die massgeblichen Vorschriften des nicht gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstossenden holländischen Rechts gedeckt sei.
C.-
Das Obergericht Zürich entschied - in wesentlicher Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheides - dass nach den anwendbaren, nicht gegen die schweizerische öffentliche
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Ordnung verstossenden Vorschriften des holländischen RHE die Ansprüche des Klägers nicht begründet seien und wies daher Rechtsbegehren 1 vorbehaltlos, Rechtsbegehren 2 zur Zeit ab.
D.-
Gegen das obergerichtliche Urteil vom 14. April 1953 ergriff der Kläger die Berufung an das Bundesgericht mit den Begehren, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, an den Berufungskläger den Wert seiner gesperrten Aktien mit Affidavit L 1 (samt Nebenrechten) im Zeitpunkt der Arrestnahme in Zürich in Schweizerfranken zu bezahlen. Dies Zug um Zug gegen Übergabe der Aktien, bzw. der Coupons 84-92 und 97, samt 5% Zins vom Zeitpunkt der Streithängigkeit an.
Eventuell sei die Berufung teilweise, namentlich betreffend Zahlung der Dividende und Bezugsrechte gutzuheissen und die Sache betreffend den Aktienwert an die Vorinstanz zur Bestimmung des Preises nach Art. 934 II ZGB zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, auf die Berufung sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beklagte begründet ihren Antrag auf Nichteintreten damit, dass die Berufungsanträge des Klägers in Bezug auf den Streitwert unklar seien, dass das Eventualbegehren neu und möglicherweise auf ein Mehreres gerichtet sei als die vor der Vorinstanz gestellten Begehren, sowie dass die Berufungsbegründung mangelhaft sei.
a) Die Beanstandung der Berufungsbeklagten hinsichtlich des Streitwertes ist unbegründet. Massgebend für die Zulässigkeit der Berufung ist nach
Art. 46 OG
der Streitwert gemäss den Rechtsbegehren, wie sie vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig waren. Dieser Streitwert belief sich nach den Feststellungen in Erw. 1 und 2 des angefochtenen Urteils auf Fr. 7885.68 zuzüglich Fr. 830.50, also zusammen auf Fr. 8716.18, womit die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung erfüllt sind. Da ferner
BGE 80 II 53 S. 58
die Berufung als Streitwert der Berufungsbegehren wiederum den Betrag von Fr. 8716.18 bezeichnet, ist die Sache gemäss
Art. 62 OG
im mündlichen Verfahren zu behandeln.
b) Im übrigen ist der Berufungsbeklagten zwar zugestehen, dass die Fassung der Berufungsbegehren nicht die wünschbare Klarheit aufweist, da sie für sich allein nicht zweifelsfrei erkennen lassen, ob der Kläger neben dem Schadenersatzbegehren gemäss vorinstanzlicher Streitfrage 1 auch die Dividendenforderung gemäss Streitfrage 2 wieder aufnehmen will, und da weder im Haupt- noch im Eventualantrag ein ziffernmässig bestimmter Betrag genannt ist, dessen Bezahlung der Kläger von der Beklagten fordert. Über diese Mängel kann jedoch hinweggesehen werden, da aus den Berufungsbegehren zusammen mit der diesen beigefügten Erklärung, der Streitwert betrage Fr. 8716.18, sowie im Verein mit den Ausführungen der Berufungsbegründung hinreichend deutlich erhellt, dass der Kläger die beiden vor der Vorinstanz erhobenen Forderungsansprüche aufrechterhalten will. Damit ist nach der Rechtsprechung (
BGE 78 II 448
) den gesetzlichen Anforderungen genügt und den weiteren von der Berufungsbeklagten erhobenen Einwendungen der Boden entzogen. Es ist daher auf die Berufung einzutreten.
2.
a) Der Kläger klagt als Aktionär gegen die Beklagte als AG, indem er einerseits einen Anspruch auf Bezahlung bestimmter Dividenden geltend macht und anderseits eine Schadenersatzforderung wegen Beeinträchtigung (völliger Entwertung) "seiner Aktionärrechte selbst" erhebt. Bei der Dividendenforderung handelt es sich somit rechtlich um einen Anspruch aus einem Rechtsverhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft, das auf den Statuten beruht, wobei zwingende oder ergänzende Gesetzesvorschriften eingreifen können. Dieser Anspruch ist als relatives Recht aus einem bestimmten, nicht durch Gesellschaftsvertrag, sondern durch die Statuten geregelten gesellschaftsrechtlichen Verhältnis zu qualifizieren und
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daher artgemäss einem auf Vertrag beruhenden Forderungsverhältnis an die Seite zu stellen. Gleich verhält es sich im Grunde mit der geltend gemachten Schadenersatzforderung, die ebenfalls das gesellschaftsrechtliche Verhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft betrifft, wenn man auch mit der Vorinstanz Zweifel darüber haben kann, ob der Kläger seinen Anspruch als vertraglichen (auf Rechtsgeschäft, vorbestandenem Rechtsverhältnis beruhend) oder als ausservertraglichen qualifizieren will.
Gemäss der dargelegten Rechtsnatur der streitigen Ansprüche beschlägt somit der Prozess das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Mitgliedern. Dieses Rechtsverhältnis untersteht grundsätzlich dem Personalstatut der AG. Als solches ist hier das holländische Recht zu betrachten, sowohl nach der Lehre von der Massgeblichkeit des Rechts am tatsächlichen (Verwaltungs-) Sitz (vgl. hierzu etwa SIEGWART, Kommentar zum Aktienrecht, Einleitung N. 362, 377), als auch nach der neueren Inkorporationstheorie, welche das Recht des Landes entscheiden lässt, dessen Gründungsvorschriften tatsächlich nachgelebt wurde, wozu regelmässig der Handelsregistereintrag gehört (s. GUTZWILLER/NIEDERER, Beiträge zum Haager IPR 1951, S. 109 ff., insbes. S. 116).
Diese Lösung entspricht auch dem Postulat, dass sowohl vom Gesichtspunkt der AG wie von demjenigen der Aktionäre aus für ihr gegenseitiges Verhältnis vernünftigerweise ein- und dasselbe Recht massgebend sein soll. Wer Aktien einer ausländischen AG erwirbt, betrachtet es denn auch erfahrungsgemäss als selbstverständlich, dass er sich damit für diesen Fragenbereich (trotz der Wertpapiernatur der Aktie) dem betreffenden ausländischen Recht unterwirft.
b) Der Kläger bestreitet in der Berufung die Anwendbarkeit des holländischen Rechtes und will die Sache nach schweizerischem Recht beurteilt wissen, u.a. mit der Begründung, es handle sich um Aktien, die an einer schweizerischen Börse (Zürich) erworben wurden, und für diese
BGE 80 II 53 S. 60
gelte das schweizerische Recht als lex rei sitae zur Zeit des Erwerbs. Hieran ist soviel richtig, dass schweizerisches Recht massgebend ist für die Frage, ob der Kläger das Eigentum an den Aktientiteln und die in diesen verurkundeten Rechte erworben hat, und ferner für die heute nicht zur Diskussion stehenden Beziehungen zwischen dem Kläger und seiner Gegenpartei bei dem in Zürich abgeschlossenen Börsenkauf. Das Eigentum des Klägers und der Erwerb der Aktien und der Aktionärrechte durch ihn wird aber von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Sie verweigert lediglich die Erfüllung dieser Rechte des Klägers für solange als seine Aktien gemäss holländischem Gesetz und Befehl des holländischen Staates auf der Sperrliste stehen. Ob sie hiezu befugt ist, entscheidet sich aber grundsätzlich nach holländischem Recht.
c) Diese Betrachtungsweise bedeutet entgegen der Meinung der Berufung weder eine willkürliche Spaltung zwischen Aktienurkunde und verurkundetem Recht, noch eine Missachtung des Wertpapierbegriffs oder des Wertpapierrechts im materiellrechtlichen oder internationalprivatrechlichen Sinne. Es ist zu unterscheiden zwischen wertpapierrechtlichen Fragen und solchen, die das im Wertpapier verurkundete Rechtsverhältnis als solches betreffen; diese beiden Gruppen von Fragen beurteilen sich verschieden (vgl. JÄGGI, Kommentar zum Wertpapierrecht, Einleitung N. 21 und 23). Der vorliegende Streit dreht sich nicht um Bedeutung und Sinn der in der Aktie verurkundeten Erklärung des Ausstellers und um wertpapierrechtliche Fragen, sondern um das Grundverhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft in dem heute gegebenen Sonderfalle, der darin besteht, dass die AG als Ausstellerin der Aktientitel einstweilen (bis der Kläger das Gerichtsverfahren in Holland gemäss RHE mit Erfolg durchgeführt hat) die Erfüllung ihrer Verpflichtungen verweigert, weil ihr der holländische Staat dies durch seine kriegs- und nachkriegsrechtlichen Erlasse untersagt.
d) An der dargelegten Massgeblichkeit des holländischen
BGE 80 II 53 S. 61
Privatrechts ändert auch die Kotierung und der Erwerb der streitigen Aktien an der Zürcher Effektenbörse nichts. Zwar erklären § 4 Ziff. 5 und § 6 Ziff. 4 und 6 des Kotierungsreglementes die Bezeichnung einer offiziellen Zahlstelle in Zürich für Zinsen, Dividenden oder Kapitalzahlungen, wie auch für die Ausübung von Bezugsrechten als Bedingung für die Zulassung eines Papiers zum Börsenverkehr. Es mag dahingestellt bleiben, ob mit dieser Bestimmung nicht eine blosse Zahlstelle geschaffen werden wollte, welche keinen Einfluss hätte auf das für das Rechtsverhältnis als Ganzes massgebende Recht. Denn selbst wenn darin die Vereinbarung eines Erfüllungsortes für die Zahlung von Dividenden usw. zu erblicken wäre, so vermöchte das gleichwohl nicht zu rechtfertigen, das ganze Verhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft dem Rechte des zufälligen, stets wechselnden Rechte des Börsenkaufortes zu unterstellen. Der räumliche Zusammenhang mit dem Ort des Sitzes bzw. des Registereintrags der AG ist viel enger und tritt auch nach aussen viel deutlicher in Erscheinung. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass jedenfalls die Hauptforderung des Klägers, jene auf Schadenersatz, wie sie auch rechtlich zu qualifizieren sein mag, mit dem Orte der Kotierung und des Börsenkaufes überhaupt keinen Zusammenhang aufweist.
3.
Für den Fall der grundsätzlichen Massgeblichkeit des holländischen Rechts vertritt der Kläger die Auffassung, der schweizerische Richter habe den RHE nicht zu berücksichtigen, weil es sich dabei um ausländisches öffentliches Recht handle, das in der Schweiz grundsätzlich nicht anwendbar sei. Die Vorinstanz hat zu diesem Einwand des Klägers nicht Stellung genommen.
a) Das Bundesgericht hat schon wiederholt erklärt, öffentliches Recht eines anderen Staates sei in der Schweiz grundsätzlich nicht anwend- und vollziehbar (
BGE 74 II 229
,
BGE 50 II 58
,
BGE 42 II 183
). Dieser allgemein gehaltene Satz bedarf jedoch wegen der grundsätzlichen Einheit der gesamten Rechtsordnung eines Staates hinsichtlich seiner
BGE 80 II 53 S. 62
Tragweite der Verdeutlichung, und es ist insbesondere nach seiner inneren Begründetheit zu fragen.
Dem Grundsatze nach wird in Rechtsprechung und Lehre allgemein anerkannt, dass fremdes Strafrecht, Prozessrecht, Staatsrecht und Verwaltungsrecht, insbesondere Steuerrecht, im Inlande mindestens nicht als unmittelbare Rechtsquelle anwendbar ist, dass es dagegen gewisse Fälle mittelbarer Anwendung und Beachtung gibt; streitig ist lediglich die Umschreibung und Abgrenzung dieser Fälle (vgl. WOLFF, Private International Law, § 164 a. E./§ 168; NEUMEYER, Internationales Verwaltungsrecht IV S. 223 f., 249 f., 425; MELCHIOR, Grundlagen des deutschen IPR, S. 130, 267; RAAPE, IPR S. 84). Für das schweizerische Recht vertritt MARTI (Der Vorbehalt des eigenen Rechtes im IPR der Schweiz, S. 56 f.), auf NEUMEYER und MELCHIOR fussend, die Auffassung, dass ausländisches öffentliches Recht vom schweizerischen Richter dann berücksichtigt werden kann und soll, wenn es den Zweck des massgeblichen ausländischen Privatrechts unterstützt.
Es kommt also auf den vorwiegenden Zweck einer ausländischen Norm an, die als Sondervorschrift in eine privatrechtliche Regelung eingreift. Solange ein solcher mit öffentlichrechtlichen Mitteln wirkender Eingriff in das Privatrecht oder in privatrechtliche Rechtsverhältnisse nur oder doch vorwiegend den Schutz privater Interessen (im Gegensatz zu unmittelbaren staatlichen Bedürfnissen) bezweckt, besteht kein Grund für den schweizerischen Richter, derartiges fremdes öffentliches Recht bloss wegen seiner Rechtsnatur abzulehnen. Zu prüfen bleibt dann aber immer noch, ob diesem an sich anwendbaren fremden Recht im Einzelfall die Anwendung unter dem Gesichtspunkt der Vorbehaltsklausel versagt werden muss; das ist aber eine rechtlich andere, später zu untersuchende Frage.
Mit diesem Ergebnis steht die schweizerische Lehre und Rechtsprechung im Einklang, wenn sie konfiskatorischen
BGE 80 II 53 S. 63
Gesetzen ausserterritoriale Wirkung versagt, handle es sich dabei um Kriegsmassnahmen oder solche nicht kriegerischer Art, z.B. devisenrechtliche Zahlungsverbote (
BGE 42 II 183
,
BGE 44 II 170
,
BGE 50 II 51
,
BGE 60 II 311
,
BGE 61 II 246
,
BGE 64 II 88
,
BGE 68 II 377
,
BGE 76 II 42
; vgl. ferner SCHINDLER, Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht, 1946, S. 65 ff., insbesondere S. 70, S. 79).
b) Für den vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der RHE - wie das angefochtene Urteil ausführt und später im Zusammenhang mit der Prüfung der Vorbehaltsklausel darzulegen sein wird - den Schutz des Privateigentums bezweckt, indem er die Wiederherstellung der Vermögensrechte aller jener Einwohner Hollands anstrebt, denen während der feindlichen Besetzung Vermögenswerte, insbesondere Wertpapiere, geraubt wurden. Zu diesem Zwecke sind die Sperrlisten und Zahlungsverbote erlassen worden, wie sie dem Grundgedanken nach auch im schweizerischen Recht in der Gestalt des Amortisationsverfahrens zum Schutze der Eigentümer abhanden gekommener Wertpapiere bestehen. Der RHE ist somit keine Massnahme zur Schädigung des Feindes, kein Mittel des Wirtschaftskrieges noch eine Enteignung oder eine ihr ähnliche staatliche Vorkehr, sondern ein Erlass zum Schutz des Privatrechts. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass dieser Erlass sich im Einzelfall zum Schaden eines unschuldigen Wertpapierbesitzers auswirkt; aber das ist - und darauf kommt es an - nicht der Zweck, ja nicht einmal eine notwendige Folge des RHE.
Selbst wenn man den RHE als öffentlich-rechtlichen Erlass betrachtet, so gehört er somit nicht zu jenen Normen des ausländischen öffentlichen Rechts, die wegen ihrer Rechtsnatur von schweizerischen Gerichten nicht angewendet werden dürften. Auf Grund der hergebrachten Interessentheorie aber ist der RHE ohnehin als privatrechtliches Gesetz zu qualifizieren.
c) Dass es sich beim RHE um Ausnahmerecht handelt, steht entgegen der Ansicht der Berufung seiner Anwendung
BGE 80 II 53 S. 64
in der Schweiz nicht im Wege. Ausnahmerecht ist nicht an sich abzulehnen, sondern höchstens wegen seines verwerflichen Inhalts, also auf Grund der Vorbehaltsklausel.
d) Nicht stichhaltig ist sodann auch der Einwand der Berufung, der dem RHE zu Grunde liegende Erlass E 100 sei in London erlassen und in Holland erst nachträglich mit Rückwirkung in Kraft gesetzt worden. Denn Erlasse des während des Krieges in England weilenden holländischen Staatsoberhauptes sind staatsrechtlich holländische Gesetze, und sie galten von Anfang an auch für das von der deutschen Armee besetzte Gebiet, wenn sie dort auch erst mit der Befreiung im Herbst 1944 tatsächlich durchgesetzt werden konnten.
e) Schliesslich behauptet der Kläger, der RHE (Grunderlass vom 17. September 1944) habe schon zeitlich die streitigen Wertpapiere nicht erfassen können, weil diese, wie das Affidavit L 1 beweise, mindestens seit 1. Juni 1944 (also vor dem Erlass des RHE) bereits in der Schweiz gewesen seien. Diese Rechtsauffassung ist jedoch unhaltbar. Es liegt auf der Hand, dass der RHE, wenn er seinen Zweck erfüllen soll (genau wie die schweizerische Raubgutgesetzgebung) grundsätzlich alle seit der Besetzung vorgekommenen Wertpapierentwendungen und -verschiebungen erfassen musste.
4.
Der Kläger glaubt weiter, trotz grundsätzlicher Massgeblichkeit des holländischen Rechts habe der schweizerische Richter die Anwendung des RHE aus dem Gesichtspunkte der Vorbehaltsklausel zu verweigern, weil der genannte Erlass mit den tragenden Grundsätzen des schweizerischen Rechts unvereinbar sei.
a) Mit der Vorinstanz ist zunächst hervorzuheben, dass es sich nicht darum handeln kann, ein- für allemal darüber zu befinden, ob der RHE als solcher mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung schlechthin unvereinbar oder umgekehrt in jedem Anwendungsfalle mit ihr vereinbar sei. Zu prüfen ist vielmehr einzig, wie sich dieser RHE
BGE 80 II 53 S. 65
im streitigen Falle des Klägers auswirkt. Diese Beschränkung der Prüfung auf den Einzelfall und die daraus folgende Beschränkung auch der Tragweite des Urteils entspricht bewährter Rechtsprechung.
b) Nach der Meinung des Klägers beruht die Unvereinbarkeit des Ergebnisses der Anwendung des RHE mit der schweizerischen Rechtsauffassung darin, dass ihm die streitigen Aktien praktisch entschädigungslos enteignet worden seien und dies zudem zum Vorteil des holländischen Staates.
Es ist dem Kläger zuzugeben, dass er sich infolge der Anwendung des RHE praktisch in einer ähnlichen Lage befindet wie ein Enteigneter oder wie ein bösgläubiger Käufer, dem die Sache entwehrt wird und der auf niemand Rückgriff nehmen kann. Rein tatsächlich, wenn auch nicht rechtlich, sind die Aktien des Klägers ertragslos und wohl derart entwertet, dass sie unverkäuflich sind, mindestens für solange, als es dem Kläger nicht gelingt, in dem durch den RHE vorgesehenen Verfahren die Anerkennung seiner Rechte und die Streichung der streitigen Aktien von der holländischen Sperrliste zu erwirken. Ebenso liegt auf der Hand, dass der Kläger ohne Entschädigung ausgeht und dass ihm der ausgelegte Kaufpreis nicht zurückerstattet wird. Das wäre gewiss mit der schweizerischen Rechtsauffassung unvereinbar, falls dies den ganzen Sachverhalt darstellte. Aber dieser Sachverhalt liegt unter mehreren Gesichtspunkten anders.
(1) Diese Lage ist nicht die Folge einer durch Eigennutz oder Hass diktierten Massnahme des ausländischen Staates wie bei Kriegsmassnahmen oder Massnahmen des Wirtschaftskrieges, der Rassen-, Religions- oder Parteiverfolgung. Der RHE bezweckt vielmehr, wie schon ausgeführt, die Wahrnehmung privater Interessen, den Schutz von Personen und Gesellschaften, die im Krieg und während der Besetzung Hollands von der Besetzungsmacht beraubt und ausgeplündert wurden und die rechtlich und moralisch einen Anspruch auf Rückgabe der geraubten Werte oder
BGE 80 II 53 S. 66
auf Wiedergutmachung in anderer Form haben. Es geht also dabei um die Rechte des einzelnen Privaten oder der privaten Unternehmungen, nicht um das Staatsinteresse, wie der Kläger immer wieder behauptet.
(2) Dem Kläger steht an sich der Rechtsweg in Holland offen, wie schon die Vorinstanz dargelegt hat. Dabei handelt es sich um ein normales Verfahren vor einem unabhängigen Gerichtshof unter dem Vorsitz eines obersten Richters. Damit ist eine gewissenhafte, unparteiische Rechtsprechung gegenüber den Entscheiden der Abteilung Effektenregistrierung gewährleistet. Bei einem Eingriff in ein Rechtsverhältnis, wie er hier in Frage steht, ist es aber von ausschlaggebender Bedeutung, ob man ihm gegenüber macht- und rechtlos ist oder ob man sich an einen unabhängigen Richter wenden kann. Wenn der Kläger von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen will, obwohl die streitigen Aktien zum Teil vor, zum Teil nach seinem Erwerb registriert wurden, so hat das seinen Grund darin, dass er, wie er selber ausführt, mit seinem Affidavit L 1, das die Anwesenheit seiner Aktien in der Schweiz erst ab Juni 1944 verbürgt, "eine relativ schlechte Beweislage" hat. Für die grundsätzliche Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen für ein Eingreifen der Vorbehaltsklausel ist das aber ohne Belang.
(3) Dazu kommt, dass gemäss Feststellung der Vorinstanz die streitigen Titel tatsächlich Raubgut sind, das 1941 von den Deutschen aus Holland weggeführt wurde.
(4) Schliesslich kann der Kläger nicht als gutgläubiger Erwerber der streitigen Aktien betrachtet werden. Er nahm zum mindesten das Risiko in Kauf, dass es sich um geraubte Wertpapiere handeln könnte. Dass er wusste, die von ihm im Sommer 1946 erworbenen Titel seien tatsächlich Raubgut, steht zwar nicht fest und wird ihm, entgegen den Ausführungen der Berufung, von der Vorinstanz nicht vorgeworfen, und ebensowenig wird behauptet, der RHE habe ihn nachträglich bösgläubig gemacht. Dagegen wurde nicht bloss, wie der Kläger selber
BGE 80 II 53 S. 67
anerkennt, während des ganzen Krieges über die Rechtsstellung der ausländischen Aktien an Schweizerbörsen diskutiert. Als der Kläger im Sommer 1946 die streitigen Aktien kaufte, waren sie nur mit einem Affidavit L 1 versehen, d.h. mit der Bescheinigung, dass sie seit Juni 1944 in der Schweiz waren. Sie waren weder von Affidavit A noch L 2 begleitet, welche schweizerisches Vorkriegseigentum oder Verbleiben in der Schweiz seit der Zeit vor Kriegsausbruch bestätigt hätten. Warum es Affidavit gab, wusste der Kläger oder musste er doch bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit wissen, da er nicht ein geschäftlich unerfahrener Mann ist. Er konnte im Sommer 1946 nicht schuldlos in Unkenntnis des Risikos sein, das mit einem derartigen Aktienkauf verbunden war. Damals mehr als ein Jahr nach Kriegsende, war in der Schweiz allgemein bekannt, dass in Holland Bilder, Wertsachen und Wertpapiere in Mengen als Raubgut weggeschleppt und im Ausland, insbesondere in der Schweiz, in den Handel gebracht worden waren. Ein halbes Jahr vorher, im Dezember 1945, hatte der Bundesrat den Raubgutbeschluss erlassen, der damals Aufsehen erregte, nach Veranlassung und Inhalt in der Presse erörtert und auch kritisiert wurde. Auch von schweizerischer Seite her, nicht bloss von Seite holländischer Regierungsmassnahmen, drohte also dem Erwerber derartiger ausländischer Titel Gefahr. Dazu kommt, dass auch der Kurs dieser Titel, der nach vorinstanzlicher Feststellung verhältnismässig niedrig war, dem Kläger beim Erwerb Vorsicht nahelegen musste.
Wer, wie der Kläger, bei solcher Sachlage gleichwohl derartig gefährdete Titel kauft, muss es sich gefallen lassen, dass man ihn als nicht gutgläubig behandelt; denn gutgläubig ist nur, wer schuldlos ein solches Risiko nicht kennt. Das kann man aber bei der gegebenen Sachlage dem Kläger nicht einräumen.
(5) Der Kläger wendet sodann ein, die Beklagte habe weder während des Krieges noch nachher ihre Aktien von der Börse zurückgezogen. Er will also offenbar geltend
BGE 80 II 53 S. 68
machen, die Beklagte sei eigentlich schuld daran, dass er diese gefährdeten Titel überhaupt habe kaufen können. Es kann aber doch nicht im Ernste behauptet werden, dass die Beklagte gehalten gewesen wäre, während oder nach dem Kriege den Börsenmarkt (entgegen den Titelbestimmungen) durch Rückzug der Kotierung für alle ihre Aktien, also auch den Handel mit einwandfreien Stücken, zu verhindern. Dazu bestand überdies vom Gesichtspunkt der Beklagten aus kein Anlass; denn die Aktien sind voll einbezahlt und die Beklagte hatte in dieser Beziehung keinen Nachteil zu befürchten. Auch hätte das eine sinnlose Schädigung aller, auch der alten Vorkriegsaktionäre bedeutet und konnte daher weder tatsächlich noch rechtlich in Frage kommen. Bevor es aber möglich war, bestimmte Gruppen oder einzelne Stücke von Aktien vom Handel auszuschliessen, musste zuerst ermittelt werden, welche Stücke überhaupt Raubgut waren. Das liess sich aber erst nach Kriegsende durchführen und fand dann seinen Abschluss in der Ende 1947 veröffentlichten holländischen Sperrliste. Erst von da an konnten diese gesperrten Titel vom Börsenhandel ausgeschlossen werden, wie es z.B. in Zürich geschah.
(6) Der Kläger bezeichnet eine Beachtung der durch den RHE angeordneten Massnahmen auch deswegen als höchst stossend, weil der RHE im Grunde nur die Bereicherung des holländischen Staates bezwecke oder bewirke. Er macht insbesondere geltend, nachdem die schweizerischen Rechtsnormen, die den Beraubten zu helfen vermöchten (ordentliches Zivilrecht und Raubgutrecht) nicht beansprucht worden seien, brauche auf diese Verletzten keine Rücksicht mehr genommen zu werden. Der holländische Staat aber sei nicht verletzt. Das angefochtene Urteil laufe darauf hinaus, in diesem Prozesse in Wirklichkeit das Drittinteresse eines Unbeteiligten, eben des holländischen Staates, auf Kosten des Klägers zu schützen und zwar mit der fadenscheinigen Begründung, vielleicht melde sich in ungewisser Zukunft doch noch einmal ein
BGE 80 II 53 S. 69
Verletzter. Dass ein Dritter, der weder Prozesspartei noch Geschädigter sei, einen wesentlichen Teil dessen, was dem Kläger zukäme, für sich solle nehmen dürfen, verletze aber die schweizerische öffentliche Ordnung.
Dieser Einwand geht indessen fehl. Weder der Zweck, noch die Wirkung des RHE besteht in einer Bereicherung des holländischen Staates. Dieser hat die Zahlungssperre verfügt zur Wahrung der verletzten Interessen der geschädigten Privaten. Die Ermittlung, wem etwas geraubt wurde und was es war, braucht Zeit, schon in normalen Verhältnissen und erst recht dort, wo beraubte Personen in grosser Zahl im Kriege verschwunden sind und unbekannte Erben gesucht werden müssen; zudem ist inzwischen die Möglichkeit, durch ein Vorgehen nach schweizerischem Raubgutrecht wieder zu seiner Sache zu kommen, abgelaufen. Es liess sich daher nicht vermeiden, im RHE vorzusehen, dass einstweilen gewisse Werte treuhänderisch an den Staat übergehen sollten, bis sie den Berechtigten ausgehändigt werden können. Der holländische Staat behält aber grundsätzlich diese Werte nicht für sich, und nur, was schliesslich nicht bestellbar ist, wird anscheinend auf die Provinzen verteilt, oder es ist dafür Verwendung zu besonderen Zwecken vorgesehen (RHE Art. 62-67, 110-113). Eine andere Lösung liess sich aber nicht treffen, wenn man verhindern wollte, dass Dritte, die in Kenntnis der bestehenden Risiken Raubgut zu niedrigem Kurs erwarben, daraus Vorteil ziehen. Gewiss kann man einwenden, Holland solle sich an die "Räuber" halten und nicht an die Dritterwerber von Raubgut. Doch damit bekäme Holland alsdann nur Geld, wobei der Zeitpunkt der Zahlung und die Höhe des Betrages erst noch unbestimmt wären. Die Titel aber würden trotzdem in dritter Hand verbleiben und könnten geltendgemacht werden, und zwar auch von Inhabern, die wie der Kläger nicht gutgläubig solches Raubgut erworben haben.
Es ist somit nicht ersichtlich, dass im vorliegenden
BGE 80 II 53 S. 70
Fall Umstände vorliegen, die zum Ergebnis führen müssten, dass eine Berücksichtigung der Wirkungen des RHE mit schweizerischer Rechtsauffassung schlechthin unvereinbar wäre.
(7) Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass der schweizerische Richter die Beachtung der holländischen Raubgutgesetzgebung im vorliegenden Fall, wo es sich tatsächlich um Raubgut handelt und der Kläger nicht als gutgläubiger Erwerber betrachtet werden kann, auch deshalb nicht unter Berufung auf die schweizerische Vorbehaltsklausel ablehnen darf, weil die Schweiz durch ihre eigene Raubgutgesetzgebung Hand geboten und selber mitgeholfen hat, den Beraubten wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Folgerichtig darf sie bei einem Sachverhalt, wie er hier vorliegt, holländische Massnahmen, wie Sperrlisten und Zahlungsverbote, die dem gleichen Zwecke dienen, nicht als unerträgliche Verletzung schweizerischer Rechtsüberzeugung bezeichnen.
Aus diesem Grunde ist übrigens auch der Einwand des Klägers unbeachtlich, dass Konkurrenz der Klageansprüche (schweizerisches und holländisches Raubgutrecht) ausgeschlossen sein sollte.
5.
Auf Grund der bisherigen Ausführungen erweist sich die Verweigerung der Dividendenzahlung durch die Beklagte gegenüber dem Kläger als nicht widerrechtlich. Die Klage auf Dividendenzahlung ist daher unbegründet. Gleiches gilt für die Klage auf Schadenersatz. Im letzteren Punkte kommt hinzu, dass mit der Vorinstanz auch ein Verschulden der Beklagten zu verneinen wäre, gleichgültig ob die Schadenersatzklage als solche aus Vertrag oder aus unerlaubter Handlung gedacht ist. Soweit übrigens eine unerlaubte Handlung in Frage stehen sollte, läge der Tatort doch wohl in Holland, was zur Anwendung holländischen Rechtes führte; das von der. Vorinstanz an Stelle des ihr unbekannten holländischen Rechts als Ersatzrecht angewendete schweizerische Recht aber wäre nach ständiger Rechtsprechung vom Bundesgericht
BGE 80 II 53 S. 71
nicht überprüfbar (
BGE 78 II 392
und dort erwähnte Entscheide).
Am Schluss ihrer Urteilsbegründung nimmt die Vorinstanz noch Stellung zu der Frage, ob das auf Ersatz des Werts der gesperrten Aktien gerichtete Klagebegehren etwa unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zugesprochen werden könnte. Sie verneint dies mit der Begründung, die Aktien und Coupons der Klägers seien zur Zeit nicht kraftlos erklärt, und falls dies einmal erfolge, geschähe es nicht zu Gunsten der Beklagten, sondern der früheren Eigentümer oder des holländischen Staates.
Diese Frage erledigt sich schon damit, dass das betreffende Klagebegehren gar nicht als Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung, sondern als reine Schadenersatzklage erhoben und durchgeführt worden ist. Abgesehen hievon wäre auf Grund der vorinstanzlichen Feststellung das Vorhandensein einer solchen Bereicherung zu verneinen. Gemäss den in
BGE 78 II 389
ff. aufgestellten Grundsätzen hätte im vorliegenden Fall holländisches Recht zu gelten, was die Überprüfung durch das Bundesgericht ausschlösse.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts Zürich vom 14. April 1953 wird bestätigt. | public_law | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3743fc0e-391e-48bd-9fff-6e3ec1874524 | Urteilskopf
98 V 272
69. Extrait de l'arrêt dn 21 novembre 1972 dans la cause Assurance militaire fédérale contre Cour de Justice de Genève, dans la cause Gervaix | Regeste
Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Streit um Gerichtskosten (
Art. 101 lit. b OG
).
Ausnahmen vom Grundsatz der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne des
Art. 56 MVG
. | Erwägungen
ab Seite 272
BGE 98 V 272 S. 272
Extrait des considérants:
Seule fait l'objet du présent recours la condamnation de l'Assurance militaire à rembourser à l'Etat de Genève la somme de 800 fr. avancée par celui-ci pour les frais d'expertise. Cette question peut, en soi, faire l'objet d'un recours de droit administratif à la Cour de céans. En effet, suivant l'art. 128 OJ, le Tribunal fédéral des assurances connaît en dernière instance des recours de droit administratif dirigés contre des décisions cantonales au sens des art. 97 et 98 lit. b à h, en matière d'assurances sociales.
En ce qui concerne la notion même de "décisions susceptibles d'un recours de droit administratif", l'art. 97 OJ précité renvoie à l'art. 5 LPA. Selon cette dernière disposition, sont considérées comme décisions les mesures prises par les autorités
BGE 98 V 272 S. 273
dans des cas d'espèce, fondées sur le droit fédéral et réalisant des conditions spéciales supplémentaires quant à leur objet (cf. lit. a, b et c de l'art. 5 al. 1er LPA).
Il résulte de l'art. 101 lit. b OJ qu'un recours de droit administratif contre des décisions rendues sur les frais de procédure et les dépens n'est recevable que si le recours est ouvert à titre principal, c'est-à-dire sur le fond.
En l'espèce, le jugement cantonal, qui n'a pas fait l'objet d'un recours à titre principal au sens de l'art. 101 lit. b OJ précité, répond à la notion de décision de l'art. 5 LPA. Il constitue une décision de l'autorité cantonale statuant en dernière instance (art. 98 lit. g OJ). Dès lors, le Tribunal fédéral des assurances est fondé à entrer en matière sur le recours si et dans la mesure où la décision sur les frais et dépens dont est recours se fonde sur le droit public fédéral.
Tel est le cas. En effet si, suivant l'art. 56 al. 1er LAM, les cantons règlent la procédure du recours judiciaire formé en première instance contre les décisions de l'Assurance militaire, cette procédure doit respecter certains principes posés par le droit public fédéral. Ainsi, elle doit être autant que possible analogue à celle du Tribunal fédéral des assurances et, en principe, ne pas comporter de frais pour les parties (art. 56 al. 1er lit. a). Exceptionnellement (art. 56 al. 1er lit. f), les frais de justice peuvent être mis à la charge d'une partie lorsque le procès n'avait manifestement aucune chance de succès pour elle. Le coût d'une expertise judiciaire fait partie des frais de justice au sens de l'art. 56 LAM (ATFA 1951 p. 87; arrêt non publié L'Homme du 1er avril 1952).
La jurisprudence a créé une seconde exception au principe de la gratuité de la procédure: l'Assurance militaire peut devoir assumer les frais d'une mesure judiciaire d'instruction, par exemple d'une expertise, lorsqu'elle a failli à ses obligations en ne prenant pas cette mesure avant de rendre une décision qu'il y a lieu de qualifier d'arbitraire (ATFA 1952 p. 20). Cette jurisprudence mérite d'être maintenue. On pourrait aller plus loin encore, et, sans pour autant rendre l'assurance responsable de toute erreur d'instruction, admettre que la seconde exception au principe de la gratuité de la procédure se justifie dans des cas où, quoique la décision rendue ne puisse être qualifiée d'arbitraire, l'administration, en omettant une mesure d'instruction qu'elle aurait dû prendre et que le juge a ordonnée,
BGE 98 V 272 S. 274
n'a pas effectué le minimum qu'on était en droit d'attendre d'elle dans ce domaine, vu les circonstances (v. p.ex. RO 97 V 233; ATFA 1960 p. 350; 1955 p. 203; v. également ATFA 1955 p. 16; RCC 1971 p. 32). De toute façon, il ne serait pas normal que l'administration fédérale se décharge sur les cantons d'une partie des frais lui incombant en vertu de l'art. 11 LAM, qui lui prescrit d'élucider d'office les faits de la cause. Aussi bien le juge des assurances sociales attribue-t-il aux mesures d'instruction exécutées par les organes de l'assurance une valeur plus grande que le juge civil n'en accorde aux démarches entreprises unilatéralement par une partie pour prouver ses allégations. Quoi qu'il en soit, point n'est besoin de tracer aujourd'hui les limites exactes de l'exception jurisprudentielle au principe de la gratuité de la procédure, vu les circonstances de la présente espèce. | null | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
374ac7af-2918-4fd4-bb47-072b969dbb9d | Urteilskopf
97 I 919
132. Urteil des Kassationshofes vom 12. November 1971 i.S. Buholzer gegen Regierungsrat des Kantons Luzern. | Regeste
1.
Art. 104 lit. a OG
. Berücksichtigung von Gesetzesänderungen.
Anwendung nach Erlass der angefochtenen Verfügung in Kraft getretenen Rechtes, wenn es für den Betroffenen günstiger ist als das alte und nicht in wohlerworbene Rechte Dritter eingegriffen wird (Erw. 2).
2. Widerruf der bedingten Entlassung aus der Arbeitserziehung.
a)
Art. 336 lit. e, 100 ter StGB
. Anwendbarkeit des neuen Rechts (Erw. 1).
b)
Art. 100 ter Ziff. 1 Abs. 2 StGB
. Begriff des leichten Falles (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 919
BGE 97 I 919 S. 919
A.-
Josef Buholzer, geboren 1947, wurde am 10. September
BGE 97 I 919 S. 920
1968 vom Obergericht des Kantons Luzern wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Betrugs zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt. Das Gericht schob die Strafe auf und wies den Verurteilten aufunbestimmte Zeit in eine Arbeitserziehungsanstalt ein.
Am 2. April 1971 wurde Buholzer auf Beschluss des Regierungsrates des Kantons Luzern für zwei Jahre bedingt aus der Anstalt entlassen und unter Schutzaufsicht gestellt. Zudem wurde ihm die Weisung erteilt, den ihm zugewiesenen Arbeitsplatz unverzüglich anzutreten, weder Stelle noch Unterkunft ohne Bewilligung des Schutzaufsichtsamts zu verlassen und sich arbeitsam und klaglos zu verhalten.
Nachdem das Justizdepartement Buholzer wegen arbeitsscheuen Verhaltens am 21. April 1971 erfolglos verwarnt hatte, beschloss der Regierungsrat des Kantons Luzern am 27. Mai 1971 den Widerruf der bedingten Entlassung und die Rückversetzung des Verurteilten in die Arbeitserziehungsanstalt.
B.-
Buholzer ficht diesen Entscheid mit verwaltungsgerichtlicher Beschwerde an. Er bestreitet, liederlich und arbeitsscheu gewesen zu sein. Während der zwei Monate nach seiner Entlassung habe er eineinhalb Monate gearbeitet, wofür er ein Arbeitszeugnis einlege. Im übrigen sei er arbeitsunfähig gewesen; sein Arzt habe ihm erklärt, er solle das Bett hüten, welche Weisung er befolgt habe. Schliesslich macht er geltend, während der 30 Monate, die er in der Arbeitserziehungsanstalt Liestal verbracht habe, hätten sich dort vorwiegend Insassen mit Gefängnis- und Zuchthausstrafen aufgehalten, was sich auf seine "Erziehung" ungünstig ausgewirkt habe.
C.-
Das Justizdepartement des Kantons Luzern hat sich mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde vernehmen lassen.
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement weist in seinen Gegenbemerkungen zur Beschwerde darauf hin, dass seit dem angefochtenen Entscheid das Bundesgesetz vom 18. März 1971 betreffend Änderung des StGB in Kraft getreten ist. Da nach dem neuen
Art. 397 bis Ziff. III 1
in Verbindung mit Art. 336 Buchstabe e die neuen Bestimmungen über die bedingte Entlassung auch auf Verurteilte Anwendung fänden, die vor dem 1. Juli 1971 bestraft worden sind, stelle sich die Frage, ob das Bundesgericht in Anwendung des neuen Art. 100 ter statt des früheren
Art. 43 StGB
zu entscheiden habe, d.h. ob rechtliche Veränderungen, die nach Erlass der angefochtenen Verwaltungsverfügung
BGE 97 I 919 S. 921
eingetreten seien, berücksichtigt werden müssten. Bei Anwendung von Art. 43 Ziff. 5 Abs. 3 sei die Beschwerde abzuweisen, bei Anwendung von Art. 100 ter stelle sich die Frage, ob ein leichter Fall vorliege.
D.-
In seiner Replik beruft sich Buholzer seinerseits auf Art. 100 ter mit dem Antrag, es sei wegen Vorliegens eines leichten Falles von der Rückversetzung Umgang zu nehmen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid ist am 27. Mai 1971 in Anwendung von Art. 43 Ziff. 5 Abs. 3 des 1937 erlassenen und 1950 erstmals revidierten StGB ergangen. Das BG betreffend Änderung des StGB vom 18. März 1971, durch dessen Art. 100 bis und 100 ter jener Art. 43 ersetzt wurde, ist am 1. Juli 1971 in Kraft getreten. Es sieht in
Art. 397 bis Ziff. III 1
vor, dass sich das Verhältnis der neuen Bestimmungen zum bisherigen Recht u.a. nach der Regel des Art. 336 Buchstabe e bestimmt. Nach dieser Vorschrift finden die Bestimmungen des neuen Gesetzes über die bedingte Entlassung auch auf Verurteilte Anwendung, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bestraft worden sind.
Da es sich im vorliegenden Fall um den Widerruf einer bedingten Entlassung aus dem Vollzug einer Arbeitserziehungsmassnahme und nicht aus dem Strafvollzug handelt, stellt sich zunächst die Frage, ob Art. 336 Buchstabe e StGB überhaupt anwendbar sei.
a) Strikte genommen kann nach dem Gesetzeswortlaut, der von den Verurteilten spricht, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes "bestraft worden sind", der zum Vollzug einer sichernden Massnahme in eine Anstalt Eingewiesene nicht jener Vorschrift unterstellt werden. Soweit das StGB den Ausdruck der Bestrafung verwendet, schliesst es ihn durchwegs an die Strafe im eigentlichen Sinne an. Das erhellt nicht nur aus dem Wortlaut der einzelnen Tatbestände des besonderen Teils, sondern ergibt sich auch daraus, dass der französische und der italienische Text in Art. 336 Buchstabe e StGB von den "détenus" bzw. den "detenuti" sprechen, womit Strafgefangene im eigentlichen Sinne gemeint sind (PICCARD/THILO/STEINER, Rechtswörterbuch, I S. 180 und S. 179 zu "détention"); es werden denn auch in den Bestimmungen über die sichernden Massnahmen (
Art. 42-44 StGB
) diese Ausdrücke
BGE 97 I 919 S. 922
nie verwendet. Dazu kommt, dass
Art. 336 StGB
unter dem Randtitel "Vollziehung früherer Strafurteile" steht, was weiter auf den eigentlichen Strafvollzug hinweist, unterscheidet doch das Gesetz an anderer Stelle sehr wohl zwischen dem Strafurteil und der Anordnung sichernder Massnahmen (
Art. 62 StGB
). Entsprechend haben die Buchstabe e vorangehenden Vorschriften des
Art. 336 StGB
allesamt die Vollziehung von Strafen zum Gegenstand. Sodann fällt auf, dass das Schrifttum, soweit es sich zum Art. 336 Buchstabe e StGB äussert, ausschliesslich auf Art. 38, also auf die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug verweist, diejenige aus dem Vollzug sichernder Massnahmen jedoch unerwähnt lässt (HAFTER, Allgemeiner Teil, S. 47; PETRZILKA, Zürcher Erläuterungen, II S. 470 zu Art. 336; THORMANN/v. OVERBECK, Kommentar, N 11 zu Art. 336; schliesslich erwähnt auch GERMANN in seiner Textausgabe die Rückwirkung des Gesetzes nur bei
Art. 38 StGB
(S. 76), nicht jedoch bei den Massnahmen der
Art. 42 ff. StGB
). Angesichts dessen wird man nicht wohl annehmen können, die in Art. 336 Buchstabe e StGB gebrauchte Wendung sei nicht bewusst so gewählt worden, dass sie nur die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug betreffe, zumal eine solche Lösung auch keineswegs eines vernünftigen Sinns entbehrt. Art. 336 Buchstabe e StGB stellt nichts anderes als die Anwendung des Grundsatzes der lex mitior auf den Vollzug von Strafurteile dar (s. HAFTER, op.cit. S. 47; v. OVERBECK, Der zeitliche Geltungsbereich des StGB und die Behandlung der Übergangsfälle, Z 56, S. 354; THORMANN/v. OVERBECK, op.cit. Vorbemerkungen zu Art. 336-339). Dass die früheren kantonalen Rechte nicht notwendigerweise strenger waren als die Bestimmungen des StGB über die bedingte Entlassung schliesst die Bedeutung des Art. 336 Buchstabe e StGB als eines Anwendungsfalles der lex mitior nicht aus. Die für den Verurteilten günstigere Geltung des neuen Rechts dürfte als Regel vorausgesetzt worden sein. Es liegt demnach Art. 336 Buchstabe e StGB der gleiche Gedanke zugrunde wie er in
Art. 2 Abs. 2 StGB
für die Beurteilung gesetzlich verankert wurde. Seine Geltung für sichernde Massnahmen wurde indessen schon in der parlamentarischen Beratung ausdrücklich verneint mit der Begründung, dass bei solchen Sanktionen der Zustand des Täters und die Einwirkung auf seinen Charakter massgebend seien, nicht das grössere oder geringere Bedürfnis nach Milde
BGE 97 I 919 S. 923
(StenBull NatR 1928, S. 73; StR 1931, S. 55; in gleichem Sinne
BGE 68 IV 38
, 66; HAFTER, op.cit. S. 46; LOGOZ, Kommentar N 8 zu Art. 2 S. 10; v. OVERBECK, op.cit. S. 362; derselbe, Gesetzesänderung und Strafvollstreckung, Z 46, S. 234). Was aber für die Anordnung der Massnahme gilt, hat nicht minder Geltung auch für ihren Vollzug. Passt jedoch der genannte Grundsatz des milderen Rechts nicht auf den Massnahmevollzug, so ist es nur folgerichtig, wenn Art. 336 Buchstabe e StGB, der wie ausgeführt, Ausdruck dieses Grundsatzes ist, seinerseits auf jenen nicht Anwendung findet. Damit erklärt sich auch der ausschliessliche Hinweis des obgenannten Schrifttums auf
Art. 38 StGB
. Ist demnach die sich strikte an den Wortlaut haltende Auslegung nicht sinnwidrig, so besteht kein Anlass, über diesen hinauszugehen (
BGE 96 IV 84
).
b) Die Nichtanwendbarkeit des Grundsatzes der lex mitior auf Massnahmen bedeutet indessen nicht, dass insoweit nur das alte Recht zur Anwendung komme. Gegenteils ist das neue als das zweckmässigere Recht mit seiner Inkraftsetzung anzuwenden, ohne dass es dazu einer besonderen, Art. 336 Buchstabe e StGB entsprechenden Vorschrift bedarf. Das ist von Lehre und Rechtsprechung für die Anordnung von Massnahmen unmissverständlich festgehalten worden (s. namentlich HAFTER op.cit. S. 46 und Festgabe für den Juristentag 1928, S. 18; LOGOZ, N 8 in fine zuBGE 68 IV 37), und muss auch für den Vollzug gelten, soweit die neuen Vorschriften sich mit der Natur der vom Richter unter der Herrschaft des alten Rechtes angeordneten Massnahme vereinbaren lassen und diese nicht einfach aushöhlen; denn es wäre mit dem Prinzip der Bindung der Vollzugsbehörden an das richterliche Urteil nicht vereinbar, könnten diese über den Umweg neuen Vollzugsrechtes den richterlichen Entscheid abändern, zumal dann nicht, wenn keine dahingehende gesetzliche Vorschrift besteht. Im vorliegenden Fall ist jedoch eine solche Folge nicht zu befürchten. Die hier in Frage stehende Bestimmung des Art. 100 ter Ziff. 1 Abs. 2 des neuen Gesetzes, die von der Rückversetzung des aus der Arbeitserziehungsanstalt bedingt Entlassenen handelt, bringt in dem vom Beschwerdeführer angerufenen letzten Satz wohl eine bedeutsame Neuerung gegenüber dem vom Richter angewandten
Art. 43 StGB
, indem nunmehr bei Nichtbewährung des Entlassenen nicht notwendig mehr eine Rückversetzung eintreten muss, sondern in leichten Fällen von dieser Umgang
BGE 97 I 919 S. 924
genommen und eine Ersatzmassnahme angeordnet werden kann. Durch diese neue Ordnung wird jedoch der Charakter der vom Richter angeordneten Massnahme nicht berührt, kann sie doch bei erneuter Nichtbewährung des Entlassenen wieder vollzogen werden. Dann aber ist nach dem Gesagten Art. 100 ter Ziff. 1 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 5 als neues Recht, das die Vermutung der grösseren Zweckmässigkeit für sich hat, mit seinem Inkrafttreten anwendbar geworden.
2.
Es stellt sich die weitere Frage, ob das Bundesgericht als Verwaltungsgerichtsbehörde eine nach Erlass des angefochtenen Entscheides eingetretene Gesetzesänderung überhaupt beachten dürfe und müsse. Grundsätzlich steht der Berücksichtigung einer nachträglichen Änderung der Rechtslage das Prinzip der Nichtrückwirkung entgegen. Diesem kommt jedoch keine absolute Bedeutung zu. Es rechtfertigt sich namentlich in Fällen, wo das neue Recht für den Betroffenen günstiger ist als das alte und durch die Anwendung des ersteren nicht in wohlerworbene Rechte Dritter eingegriffen wird, eine Ausnahme von der Regel zu machen, zumal der eine Verwaltungsverfügung anfechtenden Partei mit einer Entscheidung über die ursprüngliche Rechtmässigkeit der Verfügung wenig gedient ist, wenn deren Wirkungen andauern, die Gesetzeslage aber inzwischen geändert hat. Im vorliegenden Falle ist Art. 100 ter Ziff. 1 Abs. 2 rev. StGB für den Beschwerdeführer günstiger als Art. 43 Ziff. 5 Abs. 3 alt StGB, denn er sieht vor, dass in leichten Fällen von der Rückversetzung in die Anstalt Umgang genommen werden kann. Da zudem keinerlei Rechte Dritter in Frage stehen, ist die neue Bestimmung auch im Verfahren vor Bundesgericht anzuwenden.
3.
a) Das StGB verwendete bisher in den Art. 38 Ziff. 4 Abs. 2 und 41 Ziff. 3 Abs. 2 den Begriff des besonders leichten Falles, und die Rechtsprechung hat diesen im Rahmen der letztgenannten Bestimmung sehr zurückhaltend ausgelegt, indem sie zunächst Ersatzmassnahmen stets ausschloss, wenn für die zweite Tat eine Gefängnisstrafe ausgesprochen wurde (
BGE 78 IV 11
). In der Folge hat sie die Zügel etwas gelockert und auch bei Delikten, für die eine Gefängnisstrafe von nicht mehr als einer Woche ausgefällt wurde, bei Vorliegen aussergewöhnlicher Umstände einen besonders leichten Fall in Betracht gezogen (
BGE 88 IV 9
). Indessen wurde weiterhin daran festgehalten, dass die Gewährung des bedingten Strafvollzuges
BGE 97 I 919 S. 925
für die neue Tat, diese noch nicht als besonders leichten Fall erscheinen lasse (
BGE 93 IV 6
/7). Anlässlich der jüngsten Revision des StGB wurde in der Botschaft des Bundesrates wie in der parlamentarischen Beratung auf die Härten der bisherigen Regelung und die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich namentlich ergaben, wenn im neuen Urteil wieder der bedingte Strafvollzug gewährt, die frühere Strafe aber vollzogen wurde. Es wurde deshalb im Gesetz der Begriff des "besonders leichten Falles" durch denjenigen des "leichten Falles" ersetzt, um dem Richter die Möglichkeit einzuräumen, die konkreten Umstände besser zu berücksichtigen (BBl 1965 I 571; StenBull StR 1967 S. 57 Votum Hofmann, und S. 131). Im Nationalrat wurde dabei der Akzent auf die günstige Prognose als Voraussetzung für die Anordnung einer Ersatzmassnahme gesetzt und eine entsprechende Ergänzung des Entwurfes beschlossen (StenBull NatR 1969 S. 108 Votum Schmid, S. 109 Votum Schmitt). Entsprechend wurde in Art. 38 Ziff. 4 Abs. 2 die frühere Fassung gemildert, allerdings ohne dass als Voraussetzung für den Verzicht auf eine Rückversetzung in den Strafvollzug die begründete Aussicht auf Besserung erwähnt wurde. Der neue Art. 100 ter Ziff. 1 Abs. 2 hat eine Art. 38 Ziff. 4 Abs. 2 analoge Ausgestaltung erfahren.
Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich damit, dass der Begriff des (besonders) leichten Falles bewusst erweitert worden ist. Der Verurteilte, der während der bedingten Entlassung ein Delikt verübt, für welches eine Gefängnisstrafe ausgesprochen wird, die jene von der Rechtsprechung zu
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
angenommene Höchstgrenze von einer Woche um einiges überschreitet, wird also nicht notwendig in den Straf- oder Massnahmevollzug zurückversetzt werden müssen. Auch werden Widersetzlichkeiten und andere Täuschungen des Vertrauens, die keine Bagatellen darstellen, aber nach den gesamten Umständen des Falles noch als verhältnismässig leicht erachtet werden können, dem bedingt Entlassenen die Zubilligung einer Ersatzmassnahme nicht zum vorneherein verschliessen.
b) Im vorliegenden Fall ist erstellt, dass dem Beschwerdeführer bei der bedingten Entlassung die Weisung erteilt wurde, den ihm zugewiesenen Arbeitsplatz anzutreten und ohne Bewilligung des Schutzaufsichtsamtes weder Stelle noch Unterkunft zu wechseln. Weiter ist erwiesen, dass Buholzer drei Tage nach seiner Entlassung am 2. April 1971 eine ihm vom Schutzaufsichtsamt
BGE 97 I 919 S. 926
vermittelte Stelle in Kriens hätte antreten sollen, es aber nicht getan hat. Auch hat er seine Unterkunft im Elternhaus verlassen und sich anderwärts herumgetrieben. Am 19. April 1971 polizeilich zugeführt, wurde er vom Justizdepartement des Kantons Luzern eingehend verhört, wobei er zugab, die Stelle in Kriens grundlos nicht angetreten zu haben. Am 21. April 1971 wurde er von der zuständigen Behörde schriftlich verwarnt. Daraufhin meldete er am 22. April dem Schutzaufsichtsamt, er habe auf den 26. April in Winterthur Arbeit gefunden. An jenem Tag liess er sich vom Arbeitgeber das Zimmer zuweisen, trat jedoch die Arbeit nicht an und liess sich nicht wieder blicken. Den an ihn im Elternhaus gerichteten Aufforderungen des Schutzaufsichtsamts, sich zu melden, kam er nicht nach.
In diesem Verhalten liegt eine Täuschung des in die Arbeitswilligkeit des Beschwerdeführers und seine Bereitschaft zur Besserung gesetzten Vertrauens. Damit, dass der Beschwerdeführer schon wenige Tage nach der bedingten Entlassung sich um die ihm erteilten Weisungen und Ermahnungen keinen Deut gekümmert und nach der Verwarnung sich weiter einsichtslos erwiesen hat, hat er eine Einstellung bekundet, die an bösen Willen grenzt. Dieser Eindruck wird durch sein arrogantes Verhalten bei der Einvernahme durch das Justizdepartement des Kantons Luzern bestätigt. Darüber hilft nicht hinweg, was der Beschwerdeführer heute zur Stütze seines Begehrens vorbringt. Der ihm vom Regierungsrat gemachte Vorwurf der erneuten Arbeitsscheu kann mit dem ins Recht gelegten Arbeitszeugnis nicht widerlegt werden. Daraus ergibt sich bloss, dass Buholzer für das Malergeschäft Schmocker in Luzern "einige Arbeiten" ausgeführt hat. Wann diese ausgeführt wurden und wie lange sie gedauert haben, ist daraus nicht ersichtlich. Der Beleg hinterlässt den Eindruck eines blossen Gefälligkeitszeugnisses. Was schliesslich den Einwand der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit anbelangt, wo wird er durch die Erhebungen beim behandelnden Arzt entkräftet, wonach dieser bei Buholzer wohl einen Rachenkatarrh festgestellt, ihn jedoch nicht für arbeitsunfähig befunden hatte. Die Eltern hatten Buholzer denn auch ihrerseits, wie dieser vor dem Justizdepartement zugegeben hat, zur Arbeit angehalten. Im übrigen hätte der Beschwerdeführer seine krankheitsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz dem Schutzaufsichtsamt melden müssen,
BGE 97 I 919 S. 927
was er wohlweislich nicht getan hat. Vielmehr hat er seinem Vater, als dieser ihm ausrichtete, dass er sich beim Schutzaufsichtsamt zu melden habe, erklärt, er werde auch die nächsten 20 Jahre nichts arbeiten. Die Beharrlichkeit, mit der Buholzer sich den behördlichen Weisungen widersetzt und der Schutzaufsicht entzogen hat, ist nach dem Gesagten so offensichtlich, dass von einem leichten Fall nicht mehr die Rede sein kann, dies umso weniger, als der Beschwerdeführer heute 24jährig und damit kein unreifer Junge mehr ist.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
374bd6c5-89ab-4862-bab6-911f8be67195 | Urteilskopf
99 II 393
56. Estratto della sentenza 13 luglio 1973 della II Camera civile nella causa Feras Anstalt e diversi contro Banca Vallugano. | Regeste
Übergang der vom Beauftragten erworbenen Rechte auf den Auftraggeber.
Art. 401 OR
.
1. Der Auftraggeber kann den Forderungsübergang auch dann beanspruchen, wenn seine Beziehungen zum Beauftragten von einem Vertrag beherrscht sind, der die Merkmale des fiduziarischen Rechtsgeschäfts aufweist und als solches bezeichnet wird (Erw. 5/6).
2. Die Regel, gemäss welcher der Auftraggeber die vom Beauftragten schon vor dem Forderungsübergang einkassierten Beträge nicht herausverlangen kann, ist nicht anwendbar, wenn das Geld einem speziellen Konto des Auftraggebers gutgeschrieben wurde und vom Vermögen des Beauftragten getrennt blieb (Erw. 7/8). | Sachverhalt
ab Seite 393
BGE 99 II 393 S. 393
A.-
a) Il 21 marzo 1969 la Feras Anstalt in Vaduz, desi gnata come fiduciante, stipulava con la Banca Vallugano S. A., in Lugano, designata come fiduciaria, un contratto fiduciario, mediante il quale la prima versava su un conto proprio presso
BGE 99 II 393 S. 394
la banca, la somma di 50 000.-- dollari. Tale importo doveva, secondo le clausole contrattuali, essere prestato, a condizioni prestabilite, "al nome della banca, ma per conto e rischio esclusivo del fiduciante" a determinati enti o privati all'estero. Gli interessi, da incassare trimestralmente dalla banca fiduciaria, dovevano essere accreditati sul conto del fiduciante. La banca era tenuta a chiedere istruzioni al fiduciante, nel caso di ritardo nel pagamento degli interessi o nel rimborso del prestito. Alla stessa era riconosciuta una commissione sull'importo del prestito. Lugano era scelta come luogo di esecuzione e foro giudiziario per il contratto fiduciario, ritenuta pure l'applicabilità del diritto svizzero.
Il contratto venne successivamente rinnovato.
Analoghi contratti vennero stipulati fra la banca e diversi altri clienti.
B.-
Con decreto 24 maggio 1971 la Camera civile del Tribunale di appello del cantone Ticino ammetteva la Banca Vallugano S. A. al beneficio di una moratoria a scopo di concordato, per la durata di sei mesi. Quale commisario delcondordato veniva designata la Neutra Treuhand AG a Zurigo.
Il 13 luglio 1971 il Commissario del concordato avvertì la banca debitrice di essere contrario ad escludere i conti fiduciari dalla moratoria concordataria, considerata l'incertezza giuridica sulla natura di tale rapporto contrattuale. La banca comunicò tale decisione ai titolari dei conti, con l'osservazione che, di conseguenza, i conti fiduciari rimanevano bloccati.
La Camera civile del Tribunale di appello respinse il 21 settembre 1971 i reclami interposti contro la decisione del commissario ed il 27 ottobre 1971 la Camera di esecuzione e dei fallimenti del Tribunale federale confermò, su ricorso della stessa Vallugano SA, il punto di vista dell'istanza cantonale, nel senso che il giudizio sulle contestazioni dei terzi relative all'appartenenza alla massa di cose, crediti o diritti, spettava al giudice ordinario.
C.-
Il 20 marzo 1972 la Camera civile del Tribunale di appello omologava il concordato con abbandono dell'attivo proposto dalla Banca Vallugano SA La decisione cresceva in giudicato. I crediti dei titolari dei conti fiduciari venivano collocati in quinta classe.
Successivamente, i titolari di quei conti e la Neutra Fiduciaria SA convenivano di sottoporre direttamente al Tribunale
BGE 99 II 393 S. 395
federale quale unica istanza a'sensi dell'art. 41 lett. c OG, la domanda di rivendicazione dalla massa delle somme consegnate fiduciariamente alla banca.
Nel medesimo tempo, alcuni creditori promuovevano presso la competente istanza cantonale azione di contestazione della graduatoria.
D.-
Con petizioni del 10 maggio 1972, i titolari dei conti hanno chiesto di estromettere i crediti controversi dagli attivi della massa concordataria e di condannare la convenuta a versare agli attori, rispettivamente a restituire loro alla scadenza, previa deduzione della commissione pattuita, l'importo dei crediti stipulati per loro conto, oltre gli interessi maturati e maturandi. Essi invocano l'art. 401 CO e fanno valere che, in virtù delle anzidette convenzioni, la banca ha agito in rapporto di rappresentanza indiretta, per cui ad essi spetterebbero i crediti acquisiti verso i terzi mutuatari.
La massa concordataria convenuta ha proposto di respingere le petizioni. Essa afferma che si é trattato di tipici contratti fiduciari e che, pertanto, i crediti verso i mutuatari all'estero sono stati acquisiti dalla banca; di conseguenza sarebbero passati alla massa concordataria in virtù dell'art. 197 LEF. Gli attori avrebbero un corrispondente credito ordinario nei confronti della massa, da iscrivere nella V classe della graduatoria.
Erwägungen
Considerando in diritto:
5.
A mente dell'art. 197 LEF, i beni di proprietà del debitore al momento della dichiarazione di fallimento cadono nella massa destinata al comune soddisfacimento dei creditori. Trattasi di una norma che istituisce una forma di sequestro o di confisca ("Konkursbeschlag") di diritto pubblico e che è destinata a garantire il riparto, nelle forme e nei limiti stabiliti dalla legge, del ricavo della vendita dei beni appartenenti al debitore (RU 95 II 36 consid. 4). Un'eccezione a tale principio prevista per i titoli al portatore o all'ordine consegnati o girati al fallito per l'incasso o in vista di un pagamento futuro. Chi li ha consegnati o girati può chiederne la restituzione (art. 201 LEF). Un ulteriore temperamento della regola del diritto esecutivo è contenuto nell'art. 401 CO ossia nel diritto materiale. Quest'ultima disposizione figura fra gli oblighi del mandatario e disciplina la sorte dei crediti, e in genere delle
BGE 99 II 393 S. 396
cose mobili, acquistati verso i terzi dal mandatario in nome proprio e per conto del mandante, ossia nell'attività di rappresentante indiretto. Il mandante è legalmente surrogato nei crediti acquistati dal mandatario tosto che abbia, da parte sua, adempiuto tutte le obbligazioni che il rapporto di mandato pone a suo carico. In altri termini: il mandante correttamente adempiente può rivendicare, ope legis, i crediti che il mandatario ha acquistato in esecuzione del mandato, ma a nome proprio. Tale diritto é operante anche nei confronti della massa fallimentare del mandatario (art. 401 cpv. 2 CO), al fallimento essendo da assimilare la liquidazione concordataria. Niente induce a pensare che la disposizione dell'art. 401 CO interessi solo alcune forme di mandato e debba, da questo profilo, essere applicata restrittivamente. L'art. 401 CO è una norma che si applica a qualsiasi forma di mandato.
6.
Alla base dei contratti in esame vi era sicuramente un rapporto giuridico di mandato. Difatti, la banca si impegnava a fornire, mettendo a disposizione la propria organizzazione e le proprie relazioni di affari, determinati servizi bancari, ossia di stipulare con altre banche attive sull'euromercato, a nome proprio ma nell'interesse del cliente, dei contratti di mutuo. Essa operava cioè nell'ambito di un mandato di investimento.
Poco importa che nei contratti in questione accanto al termine di "mandante" figuri anche quello di "ordinante" e "fiduciante", così come non è decisivala qualifica di convenzioni o contratti fiduciari che la pratica dà a tali rapporti giuridici. Anzitutto, ciò che conta, nell'interpretazione di un contratto, è la vera e concorde volontà dei contraenti (art. 18 cpv. 1 CO) ed il modo con cui le dichiarazioni di una parte potevano essere intese, ragionevolmente ed in buona fede, dall'altra parte (principio dell'affidamento; cfr. da ultimo RU 97 II 233) e non le denominazioni inesatte da loro scelte. È poi, anche la prassi giudiziaria, assieme alla dottrina, ha già ravvisato nel pactum fiduciae, ossia nel negozio obbligatorio di base, le caratteristiche del mandato (RU 85 II 99, 91 III 107 consid. 3, 94 II 266 consid. 1; GAUTSCHI N. 13a, 14a, 21a, 58 all'art. 394; 42 all'art. 396; N. 5c, 12a-c, 30b allo art. 401 CO; GUBLER, RDS 1954 p. 255 a; WÄLLI, Das reine fiduziarische Rechtsgeschäft, p. 28, 62, 68). È il contratto fiduciario, il quale spiega tra le parti gli effetti di un mandato, che determina tra l'altro
BGE 99 II 393 S. 397
in che misura il fiduciario, alla stessa stregua di un rappresentante indiretto, sia autorizzato ad agire in modo indipendente o secondo le istruzioni del fiduciante e che impone al primo di fare, dello speciale potere giuridico conferitogli e che eccede lo scopo economico voluto dalle parti, un uso conforme agli interessi del secondo.
Nella specie, pertanto, i contratti devono essere sottoposti alle regole del mandato. L'art. 394 cpv. 1 CO definisce in modo lato e generico il contenuto del mandato. Ne può costituire oggetto anche l'esecuzione di rapporti giuridici (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 3 allo art. 394 CO), segnatamente di atti di rappresentenza diretta o indiretta (cfr. GAUTSCHI, note preliminari all'art. 394 N. 4/7). L'applicabilità delle norme sul mandato è poi ulteriormente estesa dall'art. 394 cpv. 2 CO che sottopone a tali disposizioni i contratti per prestazioni di lavoro non compresi in una particolare specie disciplinata dalla legge (RU 83 II 529, 94 II 169 consid. 2).
Ne discende che, in concreto, l'art. 401 CO trova integrale applicazione, sempre che ne risultino adempiute le premesse. Non esistono decisive ragioni, dogmatiche o di interpretazione, che escludano il diritto del fiduciante di invocare l'art. 401 CO relativo al mandato. Ciò, almeno, per quanto riguarda crediti o cose mobili, poichè una riserva deve essere fatta, in considerazione della buona fede pubblica del registro fondiario, per i fondi iscritti al nome del fiduciario, che nessuna surrogazione legale può ritrasferire al fiduciante (cfr. RU 39 II 814; GAUTSCHI, N. 6b all'art. 401 CO). In particolare, non si vede per quale ragione il testo dell'art. 401 CO si opporrebbe alla surrogazione legale a favore del fiduciante del credito in restituzione del prestito accordato dal fiduciario ad un terzo con i mezzi affidatigli dal fiduciante e per mandato di quest'ultimo (cfr. WÄLLI, op.cit. p. 100 nota 69, p. 102 nota 80 e gli autori ivi citati). Neppure la durata del rapporto giuridico costituisce un criterio idoneo ad escludere l'applicabilità ai rapporti fiduciari dell'art. 401 CO, destinato, giusta la sentenza RU 39 II 814, a privilegiare quelle persone il cui rapporto giuridico col debitore ha unicamente carattere temporaneo. Anche convenzioni fiduciarie possono essere di breve durata. In concreto, se, per taluni degli investimenti, la durata era annuale, per la maggior parte essa non eccedeva tre mesi od un mese. Trattasi, anche secondo la giurisprudenza (cfr. ad es. RU 85
BGE 99 II 393 S. 398
II 97), di termini brevi. La brevità dei termini era del resto imposta dalla rapida variazione delle condizioni di interesse, dipendente dalle modificazioni del mercato finanziario.
Infine, non si oppone all'applicabilità dell'art. 401 CO ai rapporti fiduciari la genesi della disposizione (GAUTSCHI, N. 4a e 12a all'art. 401 CO).
In queste circostanze, torna pure inutile entrare nel merito della tesi proposta dalla convenuta, con riferimento alla dottrina (DROIN, SJZ 1959 p. 137; WÄLLI, op.cit. p. 101), e tendente a distinguere tra patto fiduciario e rappresentanza indiretta, alla quale solo sarebbe applicabile l'art. 401 CO.
7.
In concreto è pacifico che, in occasione delle operazioni effettuate per conto degli attori, la banca ha acquistato a nome proprio, ma per conto degli attori, i crediti oggetto di tali operazioni. D'altra parte, i mandanti hanno anticipato alla banca i fondi necessari all'acquisto dei crediti litigiosi e pertanto adempiuto la loro principale obbligazione (art. 401 CO).
È vero che l'art. 401 CO non trova, di regola, applicazione ad una somma di denaro già incassata dal mandatario, prima che il mandante abbia fatto valere la surrogazione legale (RU 87 III 22/23; GAUTSCHI, N. 8a-8c all'art. 401 CO e Eigentumsverhältnisse am Treuhandvermögen, SJZ 1967 p. 6, colonna di sinistra).
Una differenza deve tuttavia essere fatta quando, come nei casi in esame, il denaro incassato dal mandatario viene accreditato su un conto speciale intestato al mandante e rimane separato dagli altri fondi del mandatario (RU 87 III 23 in alto).
Come si evince dall'esposizione dei fatti, allorchè gli attori rivendicarono la consegna dei fondi rimessi alla banca, le operazioni di mutuo erano, per la maggior parte, ancora in corso e le somme mutuate si trovavano (e si trovano tuttora) presso i terzi debitori, in forza di successivi rinnovi. Nel caso A invece la rivendicazione intervenne il 23 giugno 1971, dopo che il mutuo era scaduto il 21 giugno 1971, mentre nel caso B il mutuo fu rinnovato solo fino al 26 maggio 1971. La moratoria era stata decretata due giorni prima, il 24 maggio 1971. Per i conti C (pure oggetto di rimborso) i rinnovi durarono fino al 24 maggio 1972, quindi ad una data posteriore alla rivendicazione. Ove alcuni mandanti abbiano notificato la loro pretesa (con comunicazione al mutuatario, terzo debitore) prima del rimborso del mutuo, essi hanno acquisito, per surrogazione
BGE 99 II 393 S. 399
legale, il credito in restituzione del mutuo ed il mutuatario non poteva pagare con effetto liberatorio che a loro. Negli altri casi, invece, la surrogazione legale esplica i propri effetti, in virtù dell'art. 401 cpv. 3 CO, sul credito costituito della somma di denaro versata sui conti speciali, rispettivamente sulla pretesa in restituzione di ciò che il mandatario ha ricevuto in forza del mandato (art. 400 cpv. 1 CO; GAUTSCHI, N. 10 c allo art. 401 CO).
La sentenza del giudice sull'esistenza o meno di un diritto di surrogazione legale ed il riconoscimento del conseguente diritto di rivendicazione dalla massa a favore del mandante sostituisce la cessione scritta dell'art. 165 CO, qualora il mandatario abbia acquistato il credito a proprio nome, rispettivemente obbliga l'ammnistrazione del fallimento a prestarsi per il trasferimento del credito (somma di denaro) inventariato come appartenente alla massa ma rivendicato con successo dal mandante (GAUTSCHI, N. 25 f all'art. 401 CO).
8.
a) A torto la convenuta teme che il riconoscimento di un diritto di rivendicazione del "fiduciante" possa pregiudicare un eventuale diritto di compensazione del terzo nei confronti della banca "fiduciaria". Il terzo può esercitare il diritto di compensazione verso il proprio contraente (la banca) ed eseguire a quest'ultimo con effetto liberatorio il rimborso del prestito, fintanto almeno che ilvero creditore non si è manifestato (art. 167 CO). Anche nell'ambito della surrogazione legale dell'art. 401 CO rimangono applicabili le norme della cessione di crediti (cfr. 1a perizia MERZ, p. 26), segnatamente quelle relative alle eccezioni del debitore (art. 169 CO). Il mandante acquista il credito in restituzione del mutuo gravato di tutte le eccezioni (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 8 all'art. 401 CO; RU 41 II 573 consid. 2; JOST, Der Übergang von Eigentums- und Forderungsrechten vom Beauftragten an den Auftraggeber, RDS 1953, p. 138).
b) E accertato infine che la banca non ha portato i conti fiduciari a bilancio. È esatto, come sostiene la convenuta, che fino all'emanazione dell'ordinanza di esecuzione del 17 maggio 1972 riguardante la legge federale sulle banche e le casse di risparmio entrata in vigore il 10 luglio. 1972, non esisteva un'unità di opinione sull'esposizione dei conti fiduciari a bilancio (cfr. su questo punto, V. MÜLLER, Zur Frage der Bilanzierung von Treuhandverhältnissen im Aspekte der Rechtsentwicklung,
BGE 99 II 393 S. 400
p. 117 ss). Le istruzioni generali che accompagnano tale ordinanza (Raccolta delle leggi federali 1972, p. 790) prevedono che le operazioni fiduciarie deveno essere contabilizzate ma non esposte a bilancio e che gli interessi percepiti e bonificati al cliente non devono figurare nel conto profitti e perdite.
In concreto, la mancata iscrizione a bilancio non tanto è importante perchè prova che la banca ha considerato, perlomeno economicamente, i fondi ricevuti a titolo fiduciario come fondi altrui, senza un corrispondente debito proprio (e lo ha confermato, chiedendo, con ricorso alla Camera di esecuzione e dei fallimenti del Tribunale federale, di essere autorizzata a liberare i depositi fiduciari nelle mani dei fiducianti), quanto perchè nessun terzo, che ha trattato con la banca, può essere stato ingannato dalla presenza a bilancio di fondi non appartenenti alla stessa, ma indicati come tali. Cade, quindi, un motivo di protezione della buona fede dei terzi, che potrebbe essere di ostacolo alla domanda di rivendicazione degli attori.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Le azioni sono accolte. | public_law | nan | it | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
374df049-56d5-46ae-af7d-a1b2e554f62d | Urteilskopf
110 V 10
3. Urteil vom 22. Februar 1984 i.S. Ausgleichskasse VATI gegen Bürgergemeinde der Stadt Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 47 Abs. 1 AHVG
,
Art. 76 und 78 AHVV
.
- Eine Fürsorgebehörde, die im Hinblick auf erbrachte Vorschussleistungen mit ausdrücklicher Zustimmung des Berechtigten nachzuzahlende Renten entgegennimmt, ist als Drittempfänger im Sinne von
Art. 76 Abs. 1 AHVV
zu betrachten (Erw. 1).
- Rückerstattungspflicht eines solchen Drittempfängers (Erw. 2).
- Zu Unrecht erfolgte Auszahlung von zwei einfachen Kinderrenten anstelle einer Doppelkinderrente: Die Fürsorgebehörde, welcher die mit der nachzuzahlenden Doppelkinderrente zu verrechnende einfache Kinderrente ausbezahlt wurde, ist nicht rückerstattungspflichtig für die der Versicherten (von einer andern Ausgleichskasse) ausgerichtete zweite einfache Kinderrente (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 11
BGE 110 V 10 S. 11
A.-
Irma E. bezog von der Ausgleichskasse VATI ab 1. März 1976 eine halbe und ab 1. März 1981 eine ganze einfache Invalidenrente sowie drei einfache Kinderrenten für die 1965, 1967 und 1968 geborenen Kinder (Verfügungen vom 5. Juli 1976 und 9. Oktober 1981). Ihr geschiedener Mann bezieht seinerseits eine einfache Invalidenrente, welche ihm von der Ausgleichskasse des Kantons Graubünden ausgerichtet wird. Weil er es unterlassen hatte, auf den Rentenbezug der geschiedenen Frau hinzuweisen, wurden dieser mit Wirkung ab 1. April 1980 auch von der Ausgleichskasse des Kantons Graubünden drei ganze einfache Kinderrenten zugesprochen (Verfügung vom 22. Oktober 1981).
Die Bürgergemeinde der Stadt Luzern unterstützte Irma E. und deren Kinder in der Zeit vom 1. April 1980 bis 31. Oktober 1981 durch Unterstützungsbeiträge und Alimentenbevorschussung im Betrage von Fr. 10'317.--. Im September 1981 erfuhr die Bürgergemeinde, dass die Ausgleichskasse des Kantons Graubünden beabsichtigte, der geschiedenen Frau Kinderrenten zuzusprechen. Sie gab der Kasse hierauf bekannt, dass Irma E. ihr die Ansprüche u.a. auf rückwirkend zugesprochene Sozialleistungen abgetreten habe, und verlangte die Überweisung des Betrages von Fr. 10'317.-- zur Deckung ihrer Vorschussleistungen. Die Ausgleichskasse des Kantons Graubünden entsprach diesem Begehren und überwies der Bürgergemeinde von den rückwirkend zugesprochenen Kinderrenten von insgesamt Fr. 14'364.-- den Betrag von Fr. 10'317.-- (Verfügung vom 22. Oktober 1981).
Am 11. Mai 1982 wurde die Ausgleichskasse VATI von der Zentralen Ausgleichsstelle darauf aufmerksam gemacht, dass die Kinderrenten doppelt zur Ausrichtung gelangten. Die Kasse teilte Irma E. in der Folge mit, dass sie in der Zeit vom 1. April 1980 bis 31. Mai 1982 zu Unrecht Kinderrenten im Betrage von Fr. 17'172.-- bezogen habe und dass sie nach Verrechnung der von der Ausgleichskasse des Kantons Graubünden auszurichtenden Doppelkinderrenten einen Betrag von Fr. 12'828.-- zurückzuerstatten habe (Verfügung vom 1. Juni 1982). Als Irma E. ein Erlassgesuch einreichte, verlangte die Ausgleichskasse VATI mit Verfügung vom 21. Juli 1982 von der Bürgergemeinde Luzern die Rückerstattung des von der Ausgleichskasse des Kantons Graubünden überwiesenen Betrages von Fr. 10'317.--.
BGE 110 V 10 S. 12
B.-
Gegen diese Verfügung beschwerte sich die Bürgergemeinde Luzern im wesentlichen mit der Begründung, dass ihr von der Ausgleichskasse VATI keine Rentenzahlungen überwiesen worden seien, weshalb auch keine Rückerstattungspflicht gegenüber dieser Kasse bestehe; eine Rückforderung für doppelt ausgerichtete Kinderrenten sei bei der Rentenempfängerin Irma E. geltend zu machen.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern stellte mit Entscheid vom 30. November 1982 fest, dass Irma E. ihre Rentenansprüche kraft Gesetzes nicht rechtskräftig habe abtreten können, so dass der "Abtretungserklärung" vom 29. August 1980 lediglich die Bedeutung einer Inkassovollmacht beigemessen werden könne. Rückerstattungspflichtig seien auch Drittpersonen und Behörden, welchen die Rente gemäss
Art. 76 Abs. 1 AHVV
ausbezahlt werde, nicht dagegen Inkassostellen. Weil die Bürgergemeinde die Renten als blosse Inkassostelle entgegengenommen habe, sei sie nicht rückerstattungspflichtig, so dass die Verfügung vom 21. Juli 1982 aufzuheben sei.
C.-
Die Ausgleichskasse VATI erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde sinngemäss mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. Sie macht geltend, die Überweisung der Rentennachzahlung an die Bürgergemeinde sei erfolgt, weil diese aufgrund ihrer Unterhaltsleistungen Anspruch auf die Nachzahlung erhoben habe. Von der Funktion her könne eine Fürsorgestelle, welche Unterstützungsbeiträge leiste, nicht mit einer Inkassostelle (z.B. einer Bank) verglichen werden. Als Rentenempfängerin sei die Bürgergemeinde in vollem Umfange rückerstattungspflichtig.
Die Bürgergemeinde stellt demgegenüber fest, sie habe keinen Einfluss auf das Rentenverhältnis gehabt; auch habe Irma E. sie freiwillig mit dem Inkasso rückwirkend eingehender Sozialleistungen beauftragt; es sei ferner nicht so, dass ihr die Renten überwiesen worden seien, weil deren zweckgemässe Verwendung nicht gewährleistet gewesen sei.
Das Bundesamt für Sozialversicherung vertritt die Auffassung, dass die Bürgergemeinde aufgrund ihrer Vorschussleistungen nicht als blosse Inkassostelle zu betrachten und daher als Rentenempfängerin gemäss
Art. 78 AHVV
rückerstattungspflichtig sei.
Die beigeladene Irma E. hat sich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht vernehmen lassen.
BGE 110 V 10 S. 13
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss
Art. 20 AHVG
ist der Rentenanspruch unabtretbar, unverpfändbar und der Zwangsvollstreckung entzogen. Jede Abtretung oder Verpfändung ist nichtig. Vorbehalten bleibt indessen
Art. 45 AHVG
, welcher den Bundesrat befugt, Massnahmen zu treffen, damit die Renten und Hilflosenentschädigungen, soweit notwendig, zum Unterhalt des Berechtigten und der Personen, für die er zu sorgen hat, verwendet werden. Der Bundesrat hat in
Art. 76 AHVV
von dieser Befugnis Gebrauch gemacht. Nach Abs. 1 der Bestimmung kann die Ausgleichskasse die Rente ganz oder teilweise einer geeigneten Drittperson oder Behörde, die dem Rentenberechtigten gegenüber gesetzlich oder sittlich unterstützungspflichtig ist oder ihn dauernd fürsorgerisch betreut, auszahlen, wenn der Rentenberechtigte sie nicht für den Unterhalt seiner selbst und der Personen, für welche er zu sorgen hat, verwendet oder wenn er nachweisbar nicht imstande ist, die Rente hiefür zu verwenden, und wenn er oder die Personen, für die er zu sorgen hat, deswegen ganz oder teilweise der öffentlichen oder privaten Fürsorge zur Last fallen.
Diese Regeln gelten gemäss
Art. 50 IVG
und
Art. 84 IVV
auch in der Invalidenversicherung.
b) Praxisgemäss ist eine Drittauszahlung unter bestimmten Voraussetzungen auch dann zugelassen, wenn die Bedingungen des
Art. 76 Abs. 1 AHVV
nicht erfüllt sind. So können Nachzahlungen von Renten und Hilflosenentschädigungen auf Gesuch hin privaten oder öffentlichen Fürsorgestellen ausbezahlt werden, welche entsprechende Vorschussleistungen erbracht haben (EVGE 1965 S. 138). Nach den Verwaltungsweisungen setzen solche Drittauszahlungen voraus, dass die Vorschussleistungen tatsächlich erbracht worden sind und der Leistungsberechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter der Drittauszahlung schriftlich zugestimmt hat (Rz. 1100.2 der Wegleitung über die Renten (RWL), gültig ab 1. Januar 1980).
Im vorliegenden Fall geht es um Rentennachzahlungen, welche die Ausgleichskasse des Kantons Graubünden der Bürgergemeinde Luzern im Hinblick auf geleistete Unterhaltsbeiträge und Alimentenbevorschussungen ausbezahlt hat. Mit "Auftrag und Vollmacht mit Abtretungserklärung" vom 29. August 1980 hatte die Rentenberechtigte die Bürgergemeinde u.a. zur Verrechnung der Vorschussleistungen mit rückwirkend eingehenden Sozialleistungen
BGE 110 V 10 S. 14
ermächtigt. Als Abtretung der Versicherungsansprüche kann dieser Erklärung keine Rechtswirkungen zukommen (
Art. 20 Abs. 1 AHVG
). Es kann darin jedoch eine rechtserhebliche Willensäusserung der Versicherten erblickt werden, mit welcher sie die Auszahlung der Renten an die Bürgergemeinde als zweckgemässe Verwendung der Renten im Sinne von
Art. 76 AHVV
guthiess. Wohl ging es um eine Nachzahlung, so dass die Renten ihrem eigentlichen Zweck, der Verwendung für den laufenden Unterhalt, nicht mehr unmittelbar dienen konnten. Es lagen aber insofern besondere Umstände vor, als die Fürsorgebehörde bei Auszahlung der Renten ab Beginn des Anspruchs um diesen Betrag entlastet worden wäre. Indem sie Vorschussleistungen erbracht hat, sicherte sie den Unterhalt der Versicherten und ihrer Kinder, womit der Hauptzweck des Gesetzes erreicht wurde (EVGE 1965 S. 141 Erw. c). Die Bürgergemeinde ist somit als Drittempfängerin der Rente im Sinne von
Art. 76 Abs. 1 AHVV
zu betrachten.
2.
a) Nach
Art. 47 Abs. 1 AHVG
sind unrechtmässig bezogene Renten und Hilflosenentschädigungen zurückzuerstatten; bei gutem Glauben und Vorliegen einer grossen Härte kann von der Rückforderung abgesehen werden. Dementsprechend hat die Ausgleichskasse die Rückerstattung des zu Unrecht bezogenen Betrages zu verfügen, wenn sie Kenntnis davon erhält, dass eine Person bzw. ihr gesetzlicher Vertreter für sie eine Rente bezogen hat, auf die ihr ein Anspruch überhaupt nicht oder nur in geringerer Höhe zustand; wurde die Rente gemäss
Art. 76 Abs. 1 AHVV
einer Drittperson oder einer Behörde ausgerichtet, so ist diese rückerstattungspflichtig (
Art. 78 AHVV
).
Art. 47 Abs. 1 AHVG
gilt nach
Art. 49 IVG
auch in der Invalidenversicherung, soweit der zur Wiedererwägung führende Fehler - wie im vorliegenden Fall - einen AHV-analogen und nicht einen spezifisch invalidenversicherungsrechtlichen Gesichtspunkt betrifft (
BGE 107 V 36
,
BGE 105 V 170
und 175).
b)
Art. 78 AHVV
erklärt nur die gemäss
Art. 76 Abs. 1 AHVV
von der Ausgleichskasse bezeichneten Drittempfänger als rückerstattungspflichtig. Der Vorinstanz ist indessen darin beizupflichten, dass eine Rückerstattungspflicht grundsätzlich auch für Personen und Behörden besteht, welche praxisgemäss die Leistungen als Drittempfänger entgegengenommen haben, ohne dass die Voraussetzungen des
Art. 76 AHVV
erfüllt waren. Dies gilt auch für die nach der Verwaltungspraxis (Rz. 1090 ff. RWL) vom (vermeintlich) Berechtigten selber bezeichneten Drittempfänger; diese haben sich
BGE 110 V 10 S. 15
nach Rz. 1092 RWL denn auch schriftlich zu verpflichten, der Ausgleichskasse die erforderlichen Meldungen zu machen und allenfalls zu Unrecht bezogene Renten zurückzuerstatten. Anders verhält es sich bei Dritten (z.B. einer Bank), welche die Leistungen im Auftrag des Berechtigten lediglich als Inkasso- oder Zahlstelle entgegennehmen. Solche Stellen haben keine eigenen Rechte und Pflichten (insbesondere keine Meldepflicht) aus dem Rentenverhältnis, weshalb es sich auch nicht rechtfertigen lässt, sie als rückerstattungspflichtig zu erachten. Insofern bedarf Rz. 1174 RWL, wonach jeder Dritte rückerstattungspflichtig ist, dem eine Rente oder Hilflosenentschädigung ohne Rechtsgrund ausbezahlt worden ist, der Präzisierung.
Die Bürgergemeinde Luzern hat der Versicherten aufgrund des Reglementes über Bevorschussung und Inkasso von Unterhaltsleistungen für unmündige Kinder vom 26. Juni 1979 Vorschussleistungen erbracht und dadurch den mit den nachgezahlten Kinderrenten angestrebten Unterhaltszweck vorläufig sichergestellt. Die Leistungen erfolgten unter dem Vorbehalt der Verrechnung mit rückwirkend zur Ausrichtung gelangenden Sozialleistungen, womit sich die Versicherte ausdrücklich einverstanden erklärt hat. Die Bürgergemeinde kann unter diesen Umständen nicht als blosse Inkasso- oder Zahlstelle betrachtet werden, welche die Rente für die Versicherte in deren Auftrag entgegengenommen hat. Sie ist nach dem Gesagten vielmehr als Drittempfängerin der Rente im Sinne von
Art. 76 AHVV
und der zugehörigen Rechtsprechung zu qualifizieren, weshalb sie für zu Unrecht ausgerichtete Renten grundsätzlich rückerstattungspflichtig ist.
3.
Im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren machte die Bürgergemeinde geltend, sie sei schon deshalb nicht rückerstattungspflichtig, weil ihr von der Ausgleichskasse VATI keine Rentenzahlungen überwiesen worden seien, so dass auch keine Rückerstattungspflicht gegenüber dieser Kasse bestehe. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass die einfachen Kinderrenten beider Ausgleichskassen für die Zeit ab 1. April 1980 zu Unrecht ausgerichtet worden sind. Die Ausgleichskasse des Kantons Graubünden konnte indessen keine Rückforderung geltend machen, sondern hatte eine Nachzahlung für Doppelkinderrenten (unter Verrechnung der einfachen Kinderrenten) zu erbringen. Dagegen hatte die Ausgleichskasse VATI die zu Unrecht ausgerichteten einfachen Kinderrenten zurückzufordern. Empfängerin dieser Renten war aber nicht die Bürgergemeinde, sondern die Versicherte gewesen,
BGE 110 V 10 S. 16
von welcher die Renten auch zurückzufordern sind. Bei den zu Unrecht ausgerichteten Renten handelt es sich zwar um gleichartige Leistungen, welche den gleichen Rentenberechtigten zustanden. Dies allein vermag eine Rückerstattungspflicht der Bürgergemeinde für die von der Ausgleichskasse VATI an Irma E. ausgerichteten Renten jedoch nicht zu begründen. Auch im Hinblick auf die Erlassfrage ist nicht unerheblich, welche Renten der Bürgergemeinde überwiesen wurden. Würde die Bürgergemeinde zur Rückerstattung der von der Ausgleichskasse VATI ausbezahlten Renten verpflichtet, entfiele die Möglichkeit eines Erlasses der Rückforderung, weil sich Behörden nicht auf eine grosse Härte im Sinne von
Art. 47 Abs. 1 AHVG
berufen können (
Art. 79 Abs. 1 AHVV
). Dies würde für die Versicherte bedeuten, dass sie gegenüber der Fürsorgebehörde im Umfange der von dieser mit den Rentenzahlungen der Ausgleichskasse des Kantons Graubünden verrechneten Vorschussleistungen weiterhin rückerstattungspflichtig wäre. Dagegen entfällt die Rückerstattungspflicht gegenüber der Fürsorgebehörde, wenn die Versicherte für die Rentenzahlungen der Ausgleichskasse VATI rückerstattungspflichtig ist; zudem kann sie um Erlass der Rückforderung nachsuchen, was sie auf die Verfügung der Ausgleichskasse VATI vom 1. Juni 1982 denn auch getan hat. Die Versicherte hat demzufolge ein rechtserhebliches Interesse daran, dass sie selber als rückerstattungspflichtig bezeichnet wird, weshalb es auch aus diesem Grunde nicht angeht, die Bürgergemeinde Luzern für die von der Ausgleichskasse VATI ausgerichteten Renten als rückerstattungspflichtig zu erachten. Der vorinstanzliche Entscheid, mit welchem die Verfügung der Ausgleichskasse VATI vom 21. Juli 1982 aufgehoben wird, besteht im Ergebnis somit zu Recht. Es wird nun Sache der Ausgleichskasse VATI sein, über das von der Versicherten auf die Verfügung vom 1. Juni 1982 eingereichte Erlassgesuch zu befinden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
374f9fc8-ac9c-405e-8b51-655c9b9d7035 | Urteilskopf
121 I 326
45. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Dezember 1995 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 22ter und 31 BV
; nebenberufliche Erwerbstätigkeit eines Beamten.
Wird gegen einen kantonalen Entscheid ein Wiedererwägungsgesuch und zugleich staatsrechtliche Beschwerde erhoben und wird das Wiedererwägungsgesuch abgelehnt, so muss der Wiedererwägungsentscheid nicht erneut mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden (E. 1a).
Der Beamte kann sich für die Ausübung einer nebenberuflichen privatwirtschaftlichen Tätigkeit auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen (Präzisierung der Rechtsprechung). Eine Einschränkung derselben ist zulässig, um das Ansehen der Beamten und das öffentliche Vertrauen in ihre Unparteilichkeit sicherzustellen. Es ist nicht verfassungswidrig, einem Bezirksanwalt für Wirtschaftsdelikte die Übernahme eines Verwaltungsratsmandats zu untersagen (E. 2).
Aufgrund der Eigentumsgarantie darf der Beamte sein Vermögen verwalten. Die Ausübung eines Verwaltungsratsmandats geht über die Vermögensverwaltung hinaus (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 327
BGE 121 I 326 S. 327
X. ist ausserordentlicher Bezirksanwalt für Wirtschaftsdelikte bei der Bezirksanwaltschaft für den Kanton Zürich. Mit Eingabe vom 10. Januar 1994 ersuchte er um die Bewilligung, im Nebenamt die Tätigkeit eines Verwaltungsrates bei der Firma F. AG in A. auszuüben. Mit Beschluss vom 1. Juni 1994 wies der Regierungsrat des Kantons Zürich das Gesuch ab.
X. stellte am 11. Juli 1994 ein Wiedererwägungsgesuch an den Regierungsrat. Gleichzeitig erhob er beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde.
Der Regierungsrat des Kantons Zürich wies das Wiedererwägungsgesuch mit Beschluss vom 14. September 1994 ab, soweit er darauf eintrat.
BGE 121 I 326 S. 328
Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
a) Der Beschwerdeführer erhob staatsrechtliche Beschwerde gegen den Regierungsratsbeschluss vom 1. Juni 1994, nicht jedoch gegen den Wiedererwägungsentscheid vom 14. September 1994, so dass sich die Frage stellt, wieweit auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist. Ein Wiedererwägungsgesuch ist kein förmliches Rechtsmittel, da auf seine Behandlung grundsätzlich kein Rechtsanspruch besteht (WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. A. Bern 1994, S. 332; ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, Zürich 1993, S. 116 ff.); es muss daher grundsätzlich auch nicht zur Erschöpfung des Instanzenzuges vor der staatsrechtlichen Beschwerde gestellt werden (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts i.S. Sch. vom 26. Mai 1994, E. 2a;
BGE 106 Ia 52
E. 1b S. 54 f.). Wird es abgewiesen, so tritt in der Regel der Wiedererwägungsentscheid nicht an die Stelle des angefochtenen Entscheides. Wohl löst er eine neue Beschwerdefrist aus (KÄLIN, a.a.O., S. 155, mit Hinweisen), doch ersetzt er den ersten Entscheid nicht und muss deshalb nicht erneut mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden (
BGE 119 Ia 374
, nicht publizierte E. 1). Auf die staatsrechtliche Beschwerde gegen den Regierungsratsbeschluss vom 1. Juni 1994 ist daher einzutreten.
b) Nach ständiger Rechtsprechung ist die staatsrechtliche Beschwerde, von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, kassatorischer Natur (
BGE 120 Ia 220
E. 2b S. 222 f., mit Hinweisen). Auf das Feststellungsbegehren des Beschwerdeführers kann somit nicht eingetreten werden, doch ist sein Eventualbegehren auf Rückweisung an den Regierungsrat sinngemäss als Antrag auf Aufhebung des Beschlusses vom 1. Juni 1994 zu betrachten.
2.
Der Beschwerdeführer rügt in erster Linie eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit.
a) Zunächst stellt sich die Frage, ob sich Beamte überhaupt auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen können, wenn ihnen eine private Berufsausübung untersagt wird. Das Bundesgericht hat diese Frage in früheren Entscheiden verneint (
BGE 113 Ia 97
E. 4b S. 101;
BGE 100 Ia 312
E. 4 S. 318). Dabei ging es jedoch um Tätigkeiten, die in engem Zusammenhang mit der öffentlichrechtlichen Aufgabe der Beamten standen. Diese Praxis kann nicht, wie das in der Lehre zum Teil getan wurde (vgl. PETER BELLWALD, Die
BGE 121 I 326 S. 329
disziplinarische Verantwortlichkeit der Beamten, Diss. Bern 1985, S. 82; PETER HÄNNI, Die Treuepflicht im öffentlichen Dienstrecht, Freiburg 1982, S. 91; BLAISE KNAPP, Précis de droit administratif, 4. A. 1991, S. 634 Rz. 3102), dahingehend verstanden werden, dass den Beamten eine Berufung auf die Handels- und Gewerbefreiheit generell verwehrt wäre. Im Gegenteil gelten die Grundrechte prinzipiell auch im Rahmen von sogenannten besonderen Rechtsverhältnissen (BGE
BGE 119 Ia 178
E. 6b S. 188;
BGE 111 Ia 231
E. 5b S. 236 ff.;
BGE 106 Ia 277
E. 3d S. 282, mit Hinweisen), namentlich auch für Beamte (FELIX HAFNER, Öffentlicher Dienst im Wandel, ZBl 93/1992 S. 481-503, 493 f.; PETER HELBLING, Totalrevision des eidgenössischen Beamtengesetzes - eine rechtliche Auslegeordnung, AJP 6/1993 S. 647-665, 653; ELMAR MARIO JUD, Besonderheiten öffentlichrechtlicher Dienstverhältnisse nach schweizerischem Recht, insbesondere bei deren Beendigung aus nichtdisziplinarischen Gründen, St. Gallen 1975, S. 121; RENÉ RHINOW/BEAT KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 148.B.II S. 470 ff.), und können nur unter den üblichen Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe beschränkt werden. Der Beamte kann sich somit jedenfalls insoweit auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen, als er - wie das vorliegend der Fall ist - beabsichtigt, in seiner Freizeit eine privatwirtschaftliche, mit seiner amtlichen Funktion in keinem Zusammenhang stehende Tätigkeit auszuüben (PASCAL MAHON, Le statut des fonctionnaires fédéraux entre révision partielle et révision totale, in: JEAN-LOUIS DUC (dir.), Le travail et le droit, Fribourg 1994, S. 29-70, 63 f.; PIERRE MOOR, Droit administratif, Vol. III, Bern 1992, S. 213; JÖRG PAUL MÜLLER in der Besprechung von
BGE 113 Ia 97
, ZBJV 125/1989 S. 448 f.; derselbe, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, 2. A. Bern 1991, S. 60; RENÉ RHINOW in Kommentar BV Rz. 97 zu Art. 31).
b) Ein Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit bedarf einer gesetzlichen Grundlage, muss im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und die Grundsätze der Verhältnismässigkeit sowie der Rechtsgleichheit wahren (
BGE 121 I 129
E. 3b S. 131). Die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt der Willkür, wenn - wie vorliegend - kein besonders schwerer Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit in Frage steht; frei prüft das Bundesgericht, ob ein vor dem Willkürverbot standhaltendes Auslegungsergebnis mit dem Grundrecht vereinbar ist (
BGE 116 Ia 345
E. 4b/5a S. 348 f., mit Hinweisen).
BGE 121 I 326 S. 330
c) Der Beschwerdeführer rügt das Fehlen einer genügenden gesetzlichen Grundlage für die Verweigerung der Bewilligung.
aa) Der Regierungsrat stützt seinen Entscheid auf § 15 der Beamtenverordnung vom 15. Mai 1991 (BVO), wonach vollamtlichen Beamten die Ausübung einer bezahlten oder zeitraubenden Nebenbeschäftigung untersagt ist, vorbehältlich von zeitlich begrenzten Ausnahmebewilligungen. Zusätzlich verweist der Regierungsrat auf § 24 der Vollziehungsbestimmungen vom 17. April 1991 zur Beamtenverordnung, wonach Nebenbeschäftigungen bewilligt werden können, sofern sich keine Nachteile für die Amtstätigkeit ergeben (Abs. 1). Die Mitwirkung in der Verwaltung einer juristischen Person mit wirtschaftlichen Interessen bedarf gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung der Bewilligung des Regierungsrates.
Der Beschwerdeführer erachtet § 15 der Beamtenverordnung als gesetzwidrig. § 57 des Gesetzes vom 26. Februar 1899 betreffend die Organisation und Geschäftsordnung des Regierungsrates und seiner Direktionen bestimme lediglich, dass Beamte und Angestellte der kantonalen Verwaltung ohne Bewilligung des Regierungsrates weder eine andere besoldete oder zeitraubende Stelle bekleiden noch einen Nebenberuf betreiben dürften. Damit sei ein Verbot auf Gesetzesstufe nicht vorgesehen, und ein solches wäre auch nicht haltbar, weil es einen unverhältnismässig starken Eingriff bedeuten würde. Eine Bewilligung müsse erteilt werden, wenn sich daraus keine Nachteile für die Amtstätigkeit ergeben. Die Argumentation des Regierungsrates, die gestützt auf § 15 der Beamtenverordnung von einem generellen Verbot von Nebenbeschäftigungen ausgehe und daraus auf die Zulässigkeit einer restriktiven Bewilligungspraxis schliesse, sei deshalb verfehlt. Die gesetzlich statuierte Bewilligungspflicht habe primär den Sinn, dass der Kanton von nebenberuflichen Tätigkeiten der Beamten Kenntnis habe. Einschränkungen solcher Tätigkeiten auf Verordnungsstufe könnten nicht weiter gehen, als das bundesrechtliche Arbeitsvertragsrecht solche vorsehe.
bb) Wenn das Gesetz die Ausübung einer Nebenbeschäftigung bewilligungspflichtig erklärt, ist diese verboten, solange eine entsprechende Bewilligung nicht erteilt ist. Die Behauptung des Beschwerdeführers, das Gesetz sehe kein generelles Verbot vor, geht daher fehl, zumal das Gesetz keinen Rechtsanspruch auf Erteilung der Bewilligung einräumt. Daraus, dass das Gesetz selber keine Kriterien für die Bewilligungserteilung enthält, kann nicht abgeleitet werden, die Bewilligungspflicht diene primär dazu, dem Kanton Kenntnis von
BGE 121 I 326 S. 331
Nebenbeschäftigungen seiner Beamten zu verschaffen. Wäre das der Zweck, so hätte sich der Gesetzgeber mit einer blossen Meldepflicht begnügen können. Vielmehr obliegt es dem Verordnungsgeber, in Konkretisierung der gesetzlichen Bestimmungen die Kriterien für die Handhabung der Bewilligungspraxis festzulegen, wobei er selbstverständlich an Gesetz und Verfassung gebunden ist. Das bedeutet jedoch entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht, dass nur Verweigerungsgründe, die schon nach Obligationenrecht Nebenbeschäftigungen verbieten, verfassungskonform wären. Aufgrund der spezifischen Stellung, die den Beamten zukommt, und mit Rücksicht auf die Erfordernisse des Dienstbetriebs ist es zulässig, das ausserdienstliche Verhältnis und namentlich die wirtschaftlichen Nebenbeschäftigungen von Beamten strenger zu beurteilen, als es im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis möglich wäre. Die Verweigerung einer ausserdienstlichen Erwerbstätigkeit ist nicht nur zulässig, um sicherzustellen, dass der Beamte seine volle Arbeitskraft dem Staate widmet, und um zu verhindern, dass er diesen konkurrenziert, sondern auch um der Gefahr von Interessenkollisionen vorzubeugen und das Ansehen der Beamten und das öffentliche Vertrauen in ihre Unparteilichkeit sicherzustellen (BELLWALD, a.a.O., S. 82 f.; HÄNNI, a.a.O., S. 91; TOBIAS JAAG, Das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis im Bund und im Kanton Zürich - ausgewählte Fragen, ZBl 95/1994 S. 433-473, 453; O.K. KAUFMANN, Grundzüge des schweizerischen Beamtenrechtes, ZBl 73/1972 S. 379-395, 392; PETER KÖFER, Das Recht des Staatspersonals im Kanton Aargau, Diss. Zürich 1980, S. 41; CHRISTOPH MEILI, Das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis, insbesondere dessen Beendigung nach zürcherischem Recht, Diss. Zürich 1958, S. 50; RHINOW, a.a.O., Rz. 97). Das kann rechtfertigen, eine Nebenbeschäftigung nicht erst dann zu untersagen, wenn sie durch erhebliche zeitliche Belastung den Beamten an einer Erfüllung seiner amtlichen Aufgaben hindert, sondern bereits dann, wenn sie das Ansehen des Amtes oder das Vertrauen in die Unabhängigkeit beeinträchtigen kann. Es ist nicht willkürlich, wenn der Regierungsrat
§ 15 BVO
als genügende gesetzliche Grundlage betrachtet, um die nachgesuchte Bewilligung zu verweigern.
d) Der Beschwerdeführer rügt einen Ermessensmissbrauch und damit sinngemäss eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips.
aa) Der Regierungsrat behauptet nicht, dass durch die Annahme des Verwaltungsratsmandats die Arbeitskraft des Beschwerdeführers
BGE 121 I 326 S. 332
beeinträchtigt oder seine Unabhängigkeit konkret gefährdet würde. Er führt jedoch aus, dass infolge der besonderen Funktion, die einem Bezirksanwalt zukomme, nach Möglichkeit auch der Anschein einer Beeinflussbarkeit oder Befangenheit vermieden werden soll und dass allfällige finanzielle Schwierigkeiten oder ein Konkurs des Unternehmens den Beschwerdeführer in seiner Stellung als Untersuchungsbeamten beeinträchtigen würden. Diese Überlegungen vermögen nach dem Gesagten (E. 2c bb) eine Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit zu rechtfertigen. Es braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, ob eine solche Verweigerung für Beamte generell zulässig wäre. Jedenfalls dürfen für Personen mit gerichtlichen Funktionen erhöhte Anforderungen an die Unabhängigkeit gestellt werden. So ist zum Beispiel den Mitgliedern des Bundesgerichts die Übernahme von Verwaltungsratsmandaten absolut verboten (
Art. 3 Abs. 2 OG
). Das Bundesgericht hat es in einem früheren Entscheid auch als zulässig erachtet, einem kantonalen Oberrichter die Übernahme eines Verwaltungsratsmandats nicht zu bewilligen (nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts i.S. N. vom 13. März 1990, E. 6b). Das Anliegen, die Unabhängigkeit gegenüber wirtschaftlichen Interessen sicherzustellen, wiegt insbesondere schwer bei Beamten, die, wie der Beschwerdeführer, Wirtschaftsdelikte zu untersuchen haben. Auch ohne dass die konkrete Gefahr einer Interessenkollision bestünde, kann in der Öffentlichkeit die Unvoreingenommenheit eines Bezirksanwalts, der selber mit wirtschaftlichen Interessen an der Leitung eines Unternehmens beteiligt ist, in Frage gestellt werden. Es besteht somit ein hinreichendes öffentliches Interesse an einer Verweigerung der Bewilligung.
bb) Dagegen vermögen die privaten Interessen des Beschwerdeführers nicht durchzudringen. Es ist zwar verständlich, dass dieser sich dem von seinen Vorfahren gegründeten Unternehmen, welches nach seiner Darstellung mit Nachfolgeproblemen für den Verwaltungsrat konfrontiert ist, verbunden fühlt. Doch sind nach seinen eigenen Angaben nur noch 21 der 100 Aktien im Familienbesitz; er selber besitzt lediglich deren zwei. Er macht auch sonst nicht geltend, ein spezifisches, schutzwürdiges wirtschaftliches Interesse an der Ausübung des Verwaltungsratsmandats zu haben. Es kann somit nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer durch die Verweigerung der Bewilligung in einer erheblichen Komponente seiner wirtschaftlichen Existenz beeinträchtigt würde. Die Verweigerung der Bewilligung kann somit nicht als unverhältnismässig betrachtet werden.
BGE 121 I 326 S. 333
3.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Eigentumsgarantie, indem durch den angefochtenen Beschluss in seine Aktionärsrechte eingegriffen werde. Aufgrund der Eigentumsgarantie ist der Beamte befugt, sein privates Vermögen ordnungsgemäss zu verwalten, wozu auch die Wahrnehmung der mit einer Aktie verbundenen Rechte gehört. Indessen geht die Ausübung eines Verwaltungsratsmandats in einer Erwerbsunternehmung über die blosse Vermögensverwaltung und Wahrnehmung von Aktionärsrechten hinaus und stellt eine wirtschaftliche Tätigkeit dar. Die Beeinträchtigung des aus der Aktionärseigenschaft fliessenden Rechts, als Verwaltungsrat gewählt zu werden, hat deshalb neben der Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit vorliegend keine eigenständige Bedeutung. Die übrigen Aktionärsrechte werden durch den angefochtenen Entscheid nicht berührt. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
375548b8-2484-46b3-bd28-73ba450bed15 | Urteilskopf
108 Ib 281
52. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. März 1982 i.S. Pferdeversicherungsgenossenschaft Zürich gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Versicherungsaufsicht; Ausnahme davon im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 lit. b VAG
.
Eine Versicherungseinrichtung ist dann als von geringer wirtschaftlicher Bedeutung zu werten, wenn deren völlige Insolvenz nicht in dem Sinne eine ernsthafte Notlage zur Folge haben würde, dass die einzelnen Versicherten grössere Schäden selbst zu tragen hätten oder dass ein grosser Teil der Bevölkerung - wenn auch im Einzelfall nicht unbedingt sehr schwerwiegend - getroffen würde. | Sachverhalt
ab Seite 281
BGE 108 Ib 281 S. 281
Die 1874 gegründete Pferdeversicherungsgenossenschaft Zürich (PVGZ) hat zum Zweck, "den Schaden, der den Genossenschaftern bei ihren versicherten Pferden infolge von tödlich verlaufenden Krankheiten, Unfällen, Invalidität, Geburt, Operation und Weidgang entsteht, gegenseitig zu tragen" (§ 1 der Statuten vom 6. März 1976).
Nach einem Briefwechsel mit der PVGZ teilte das Bundesamt
BGE 108 Ib 281 S. 282
für Privatversicherungswesen dieser mit Schreiben vom 2. August 1979 mit, es werde die Frage der Unterstellung unter die Versicherungsaufsicht dem hiefür zuständigen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement unterbreiten. In ihren Vernehmlassungen stellte die PVGZ den Antrag, sie selbst, bzw. alle Rindvieh- und Pferdeversicherungsgenossenschaften, seien gestützt auf Art. 4 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 23. Juni 1978 betreffend die Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen von der Aufsicht durch das Eidg. Versicherungsamt auszunehmen.
Am 22. September 1980 erliess das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement folgende Verfügung:
"1. Die Tätigkeit der Pferdeversicherungsgenossenschaft Zürich mit Sitz in Zürich stellt eine Geschäftstätigkeit im Gebiete des Versicherungswesens im Sinne von Art. 3 des Bundesgesetzes betreffend die Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen vom 23. Juni 1978 (VAG) dar und bedarf einer Bewilligung nach
Art. 7 VAG
.
2. Soweit das Begehren der Pferdeversicherungsgenossenschaft Zürich die Aufsichtspflicht anderer Pferdeversicherungsgenossenschaften betrifft, wird darauf nicht eingetreten.
3. Die Kosten, bestehend aus einer Spruchgebühr von Fr. 300.-- und Schreibgebühren in der Höhe von Fr. 28.--, werden der Pferdeversicherungsgenossenschaft Zürich auferlegt."
Hiegegen hat die PVGZ Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Antrag, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass ihre Tätigkeit nicht der Versicherungsaufsicht durch die eidgenössische Aufsichtsbehörde unterstehe.
Antragsgemäss ist der Beschwerde durch Verfügung des Präsidenten der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. November 1980 aufschiebende Wirkung erteilt worden.
In seiner Vernehmlassung vom 5. Dezember 1980 schliesst das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, dass sie als private Versicherungseinrichtung eine gemäss Art. 3 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG; SR 961.01) grundsätzlich der Aufsicht unterstellte Tätigkeit ausübt. Indessen macht sie geltend, sie sei gestützt auf
Art. 4 Abs. 1 lit. b VAG
davon auszunehmen. Nach dieser Bestimmung sind der Aufsicht nicht unterstellt die Versicherungseinrichtungen von geringer wirtschaftlicher
BGE 108 Ib 281 S. 283
Bedeutung, nämlich solche, die keinen grossen Kreis von Versicherten haben und deren versicherte Leistungen nicht erheblich sind.
2.
ob diese Voraussetzungen in einem bestimmten Fall erfüllt seien, ist eine Frage des Ermessens, die sich nach dem Zweck der Versicherungsaufsicht beurteilt. Gemäss
Art. 1 VAG
übt der Bund die Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen insbesondere zum Schutze der Versicherten aus. Aus der Botschaft des Bundesrates zum VAG (BBl 1976 II S. 873 ff.) ergibt sich, dass der Begriff des Versicherten im weitesten Sinn zu verstehen ist. Durch die Aufsicht sollen geschützt werden: der Versicherungsnehmer, der Versicherte im versicherungsvertraglichen Sinn, der Anspruchsberechtigte und der Geschädigte. Es handelt sich dabei um einen Schutz vor technischer und finanzieller Insuffizienz und Insolvenz der Versicherungseinrichtungen, vor Täuschung durch unklare Einrichtungen, unwahre Kundgebungen sowie falsche Angaben und vor zu hoher Prämienbelastung; ferner soll vor Versicherungsbedingungen, die mit zwingenden Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes in Widerspruch stehen, und vor sachwidriger Gestaltung der Versicherungsbedingungen, deren Tragweite der Versicherte nicht zu überblicken vermag, geschützt werden (BBl a.a.O. S. 892). Der mit der Aufsicht angestrebte Schutz bezieht sich indessen nicht nur auf Individualinteressen, sondern es soll auch die öffentliche Ordnung gewahrt werden (BBl a.a.O. S. 893).
In der Botschaft zum Bundesgesetz vom 25. Juni 1885 betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens hatte der Bundesrat darauf hingewiesen, dass der Zusammenbruch einer Lebensversicherungsgesellschaft geradezu ein Landesunglück wäre (BBl 1885 I S. 117). Weiter wurde festgehalten, dass die Verantwortlichkeit, die der Staat mit der Versicherungsaufsicht auf sich nehme, zwar gross sei, dass aber die Verantwortlichkeit im Falle einer Katastrophe wohl nicht minder schwer wäre. Eine solche Katastrophe könne der Staat zwar nicht vermeiden, jedoch vielleicht mildern, wenn er so viel Aufsicht ausübe, als ihm der Natur der Sache nach möglich sei und ihm vernünftigerweise zugemutet werden könne. Um mehr gehe es nicht (BBl 1885 I S. 119 f.). Letzteres trifft im wesentlichen auch auf das heute geltende Gesetz zu. Dass die für die Befreiung von der Aufsicht in Art. 1 Abs. 2 des früheren Gesetzes enthaltene Voraussetzung der örtlichen Beschränktheit der Geschäftstätigkeit im neuen Recht fallen gelassen wurde, vermag daran nichts zu ändern.
BGE 108 Ib 281 S. 284
Aus dem Gesagten erhellt, dass eine Versicherungseinrichtung dann als von geringer wirtschaftlicher Bedeutung im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 lit. b VAG
zu werten ist, wenn ein allfälliger auf schlechte Geschäftsführung zurückzuführender finanzieller Zusammenbruch derselben nicht zu einer landesweiten Katastrophe führen würde; d.h. wenn eine völlige Insolvenz des Versicherungsunternehmens nicht in dem Sinne eine ernsthafte Notlage zur Folge haben würde, dass die einzelnen Versicherten grössere Schäden selbst zu tragen hätten oder dass ein grosser Teil der Bevölkerung - wenn auch im Einzelfall nicht unbedingt sehr schwerwiegend - getroffen würde. Unter dem Gesichtspunkt der Unterstellung einer Versicherungseinrichtung unter die Aufsicht besteht demnach zwischen der Zahl der durch eine Insolvenz Betroffenen und der Höhe des vom einzelnen zu tragenden Ausfalles in dem Sinne ein Zusammenhang, als auch verhältnismässig kleine Ausfälle an Leistungen in Betracht zu ziehen sind, wenn sie eine grosse Zahl von Versicherten treffen. Von Bedeutung sind in dieser Hinsicht ferner die jeweiligen finanziellen, aber auch die persönlichen Verhältnisse der Versicherten, haben doch nicht ausbezahlte Versicherungsleistungen je nach Lebensbereich, in den die Versicherung fällt, unterschiedliche Auswirkungen. Es ist nicht das gleiche, ob Versicherungsleistungen für den Ersatz von Vermögenswerten bestimmt sind, die der Versicherte bei der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit benötigt, oder für die Wiederanschaffung eines Gegenstandes, den dieser beispielsweise bei einer Freizeitbeschäftigung benützt.
3.
a) Dem von der Beschwerdeführerin eingereichten Jahresbericht 1978/79 ist zu entnehmen, dass bei ihr am 30. September 1979 folgende Tiere versichert waren: 308 Landwirtschaftspferde zu durchschnittlich Fr. 2'791.--, 438 Reitpferde und Ponys zu durchschnittlich Fr. 5'063.--, 47 Reitpferde zu durchschnittlich Fr. 10'000.--, 14 Reitpferde zu durchschnittlich Fr. 11'000.-- bis Fr. 14'000.--, 10 Reitpferde zu durchschnittlich Fr. 15'000.--, 49 Fohlen zu durchschnittlich Fr. 2'557.-- und 3 Esel zu durchschnittlich Fr. 800.--. Pferde können bei der Beschwerdeführerin bis zu einer Schatzungssumme von Fr. 15'000.-- versichert werden, und die Entschädigung kann bis zu 80% der Schatzungssumme betragen. Der höchstmögliche Ausfall, den ein Versicherter bei einer völligen Insolvenz der Beschwerdeführerin pro Schadenfall erleiden könnte, beläuft sich somit auf Fr. 12'000.--.
Werden die für das Geschäftsjahr 1978/79 angeführten Zahlen
BGE 108 Ib 281 S. 285
betrachtet, würden die möglichen Ausfälle nicht ganz Fr. 2'233.-- für ein Landwirtschaftspferd und etwa Fr. 8'000.-- für ein mittleres Reitpferd betragen. Die Beschwerdeführerin bringt mit Recht vor, dass - abgesehen von den Landwirtschaftspferden - die Haltung eines Pferdes in der Regel nicht zur Existenzgrundlage des Halters gehört. Der Ausfall von durchschnittlich Fr. 8'000.-- bis 10'000.-- dürfte für einen solchen Halter etwa das gleiche bedeuten wie der Ausfall von etwa Fr. 2'233.-- für einen Landwirt. Gewiss sind die Folgen schwerwiegender für den Halter mehrerer Tiere, etwa für den Inhaber einer Reitschule. Die Zahl solcher Halter ist jedoch nicht sehr hoch, wenn man bedenkt, dass am 30. September 1979 insgesamt 869 Tiere versichert waren und die Beschwerdeführerin selbst von 560 Pferdebesitzern spricht.
Aus dem Gesagten erhellt, dass ein Ausfall der Versicherungsleistungen zufolge Insolvenz der Beschwerdeführerin für die meisten Versicherten keine allzu schweren Folgen hätte. Der Verlust dürfte in sehr vielen Fällen in der Grössenordnung eines Monatseinkommens liegen. Die versicherten Leistungen erscheinen bei dieser Sachlage als nicht erheblich.
b) Die Zahl der Versicherten beträgt nach den Ausführungen der Beschwerdeführerin 560, wobei von den am 30. September 1978 versicherten 763 Tieren allein 659 im Kanton Zürich standen und die übrigen 104 sich auf die Kantone Aargau, Thurgau, Luzern, Zug und Tessin verteilten. Gemessen an den Bevölkerungen dieser Kantone ist die erwähnte Zahl sehr klein, so dass nicht von einem grossen Kreis von Versicherten gesprochen werden kann.
c) Zusammengefasst ergibt sich, dass im unwahrscheinlichen Fall, dass alle möglichen Schadenfälle gleichzeitig eintreten sollten und dass die Beschwerdeführerin wegen völliger Insolvenz ihre Leistungen nicht erbringen könnte, der grössere Teil von etwa 560 Tierhaltern Verluste erleiden würde, die im Bereiche der jeweiligen Monatseinkommen lägen. Die Beschwerdeführerin ist unter diesen Umständen als Versicherungseinrichtung von geringer wirtschaftlicher Bedeutung im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 lit. b VAG
zu bezeichnen. Daran vermag auch der Hinweis der Vorinstanz auf andere kleinere Versicherungen, die der Aufsicht unterliegen, nichts zu ändern. Mit einer Ausnahme handelt es sich bei den von der Vorinstanz erwähnten Einrichtungen um Rechtsschutzversicherungen. Solche sind aufgrund des Bundesratsbeschlusses über die Rechtsschutzversicherung (SR 961.22) ohnehin in jedem Fall
BGE 108 Ib 281 S. 286
der Aufsicht unterworfen. Was die "Unfallversicherung schweizerischer Schützenvereine" betrifft, so lässt sich diese von vornherein nicht mit der Beschwerdeführerin vergleichen, da sie auch die Haftpflichtversicherung betreibt und nicht nur Sach-, sondern ebenfalls Personenschäden deckt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Beschwerde werden die Dispositiv-Ziffern 1 und 3 der Verfügung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 22. September 1980 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass die Tätigkeit der Beschwerdeführerin nicht der Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen untersteht. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3758eaab-7a61-476c-b0e0-94f39955022e | Urteilskopf
138 III 636
95. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. et B. contre Y. (recours en matière civile)
5A_365/2012 et autres du 17 août 2012 | Regeste
Art. 278 SchKG
,
Art. 254 ZPO
; Verfahren der Einsprache gegen den Arrestbefehl; Beweis.
Zulässiges Beweismittel (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 637
BGE 138 III 636 S. 637
A.
Y. a formé deux requêtes de séquestre contre A., les 17 mars 2011 et 21 avril 2011, et une contre B., le 13 avril 2011. Il a indiqué comme cause de sa créance "Billet à ordre du 16.11.08 et accord de garantie du billet à ordre du 16.11.08".
Par ce billet à ordre et cet accord de garantie, la société C. (Arabie Saoudite), a accepté de verser, sans condition, et sur sa demande, un montant de 1'423'400'000 USD à Y. Ces documents portent, au nom de la société, la signature de D., ainsi qu'un tampon "E.". L'authenticité de la signature et du tampon est litigieuse.
A. et B. sont associées de la société C. Les deux instances cantonales ont considéré comme vraisemblable, sans que la question ne soit encore discutée dans la procédure fédérale, que, selon le droit saoudien, ces associées sont solidairement responsables des dettes de la société.
B.
B.a
Par ordonnances des 18 mars 2011, 15 avril 2011 et 21 avril 2011, la juge suppléante III du district de Sierre a prononcé, à concurrence du montant de 1'309'528'000 fr., avec intérêts à 5 % dès le 15 juillet 2009, le séquestre, dans la première, de quatre parts de copropriété par étages, sises à F., et des biens s'y trouvant, contre A. (séquestre n° a), dans la deuxième, de trois parts de copropriété par étages, sises à F., des biens s'y trouvant et des avoirs auprès de la banque G. SA, de siège social à H. et succursale à I., contre B. (séquestre n° b) et, dans la troisième, des avoirs auprès de la banque J. SA, succursale de K. et son agence à L., contre A. (séquestre n° c).
B.b
Par trois décisions séparées, du 14 juillet 2011, cette magistrate a rejeté les requêtes des deux séquestrées tendant à l'administration d'une expertise privée visant à établir la falsification du billet à ordre et de l'accord de garantie, ainsi que les oppositions aux séquestres.
B.c
Statuant sur recours des séquestrées dans trois arrêts séparés, du 16 avril 2012 et dont la motivation juridique est identique, l'Autorité de recours en matière de séquestre du Tribunal cantonal valaisan a rejeté les requêtes tendant à l'administration de l'expertise privée précitée, ainsi que les recours.
(...)
Par arrêt du 17 août 2012, joignant les causes, le Tribunal fédéral a rejeté les recours que les séquestrées ont interjetés contre ces trois arrêts.
(extrait)
BGE 138 III 636 S. 638
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
(...)
4.3
Saisi d'un recours pour violation des droits constitutionnels, le Tribunal fédéral peut procéder à une substitution de motifs pour autant que la nouvelle motivation, conforme à la Constitution, n'ait pas expressément été écartée par l'autorité cantonale (
ATF 128 III 4
consid. 4c/aa; arrêt 5A_652/2009 du 18 janvier 2010 consid. 1.4).
Dès lors que l'opposition au séquestre est soumise à la procédure sommaire en vertu de l'
art. 251 let. a CPC
(RS 272), il convient d'examiner quels sont les moyens de preuve que les parties peuvent faire administrer dans cette procédure.
4.3.1
Aux termes de l'
art. 254 CPC
, la preuve est rapportée par titres (al. 1). D'autres moyens de preuve sont admissibles dans les cas suivants (al. 2): leur administration ne retarde pas sensiblement la procédure (let. a), le but de la procédure l'exige (let. b), le tribunal établit les faits d'office (let. c).
Le moyen de preuve prévu par l'
art. 254 al. 1 CPC
est la production d'un titre, par quoi il faut entendre, selon l'
art. 177 CPC
, tout document propre à prouver des faits pertinents. En procédure sommaire, on exige en principe cette production de la part des parties, car celle-ci a, par nature, un caractère immédiatement disponible.
En ce qui concerne les moyens de preuve autres que la production de titres, il y a lieu d'examiner si, en vertu de l'
art. 254 al. 2 CPC
, ceux-ci peuvent être exceptionnellement admis dans la procédure d'opposition au séquestre. En effet, l'
art. 254 CPC
est une disposition générale sur les moyens de preuve, qui s'applique à des procédures sommaires de types différents - les cas prévus par la loi, les cas clairs, la mise à ban, les mesures provisionnelles et la juridiction gracieuse (
art. 248 CPC
). La nature de chacune de celles-ci doit être prise en considération lorsqu'il s'agit de déterminer quels autres moyens de preuve sont admissibles.
4.3.2
Selon la jurisprudence, dans les causes soumises à la procédure sommaire au sens propre, à savoir lorsque les faits doivent être rendus simplement vraisemblables, que le juge examine sommairement le bien-fondé juridique de la prétention et qu'il rend une décision provisoire, ne réglant donc pas définitivement la situation juridique des parties et ne revêtant l'autorité de la chose jugée, les moyens de preuve peuvent être limités à ceux qui sont immédiatement disponibles
BGE 138 III 636 S. 639
(
ATF 127 III 474
consid. 2b/bb;
ATF 117 II 554
consid. 2d). Cette limitation est admissible puisque les moyens de preuve qui ne le sont pas pourront tous être administrés ultérieurement dans le procès ordinaire, qui tranchera définitivement la cause après un examen complet en fait et en droit (FABIENNE HOHL, Procédure civile, tome II, 2
e
éd. 2010, n
os
1566 et 1568).
La procédure d'opposition au séquestre (
art. 278 LP
) est une procédure sommaire au sens propre; elle présente les trois caractéristiques précitées (simple vraisemblance des faits, examen sommaire du droit et décision provisoire;
ATF 138 III 232
consid. 4.1.1; arrêts 5A_317/2009 du 20 août 2009 consid. 3.2; 5A_364/2008 du 12 août 2008 consid. 5.2). Elle a en outre un objet et un but particulier: le séquestre, auquel le débiteur s'oppose, est une mesure conservatoire, soit la mise sous main de justice de biens du débiteur, qui permet de garantir une créance pendant la durée de la procédure de validation du séquestre (
art. 279 LP
;
ATF 116 III 111
consid. 3a;
ATF 107 III 33
consid. 2). En tant que procédure spécifique de la LP, la procédure d'opposition au séquestre est aussi une procédure sur pièces (
Aktenprozess; procedura in base agli atti;
art. 256 al. 1 CPC
; dans ce sens, cf. arrêt 5A_836/2010 du 2 février 2011 consid. 4.1.1; en matière de mainlevée provisoire de l'opposition, cf. arrêts 5D_147/2011 du 10 novembre 2011 consid. 3; 5A_83/2011 du 2 septembre 2011 consid. 6.1). C'est au cours de l'action civile en reconnaissance de dette (en validation du séquestre) qui suivra, soumise à une procédure avec un examen complet en fait et en droit, que les parties pourront faire valoir tous leurs moyens de preuve.
En conséquence, seule la production de titres, au sens de l'
art. 254 al. 1 CPC
, doit être admise dans la procédure d'opposition au séquestre.
4.4
En l'espèce, les séquestrées étaient dans l'incapacité de produire immédiatement un titre, au sens de l'
art. 254 al. 1 CPC
; elles se sont contentées, lors de l'audience du 4 juillet 2011, de formuler une requête tendant à pouvoir produire une expertise privée à réaliser dans les cinq jours. Le grief des recourantes, qui reprochent à la cour cantonale d'avoir refusé d'administrer ce moyen de preuve, doit donc être rejeté, par substitution des motifs qui précèdent.
Dans la mesure où la requête tendant à l'administration d'une expertise encore à réaliser n'est pas admissible en vertu de l'
art. 254 al. 1 CPC
, il ne saurait y avoir violation du principe de l'égalité de
BGE 138 III 636 S. 640
traitement garantie par l'
art. 8 Cst.
Par ailleurs, faute de grief, le Tribunal fédéral n'a pas à examiner si les recourantes ont été privées de la possibilité de produire en temps utile une expertise privée en raison du fait que les documents litigieux n'ont été présentés en originaux que 30 minutes avant le début de l'audience (cf. consid. 2 non publié;
art. 106 al. 2 LTF
). | null | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
375d7154-5e74-4583-ab3b-94ec594c6ed9 | Urteilskopf
111 II 94
22. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. April 1985 i.S. Klimova AG gegen Tig-Bicord AG (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 66 Abs. 1 OG
.
Nach Gutheissung einer staatsrechtlichen Beschwerde kann der neue kantonale Entscheid nicht mehr mit Rügen angefochten werden, die vorzubringen schon im früheren Beschwerdeverfahren Anlass bestanden hätte. | Sachverhalt
ab Seite 94
BGE 111 II 94 S. 94
A.-
Durch Vertrag vom 21. Dezember 1972 verpflichtete sich die Klimova AG, in der neuen Werkhalle der Tig-Bicord AG in Hünenberg eine Luftheizungs- und Lüftungsanlage einzurichten. Die Raumtemperatur sollte tagsüber von Montag bis Freitag 22o C, nachts und übers Wochenende dagegen 12o C betragen. Die Tig-Bicord AG zahlte einen Teil des Werklohnes nicht, weil die gelieferte Anlage zu beanstanden sei und ihren Garantieansprüchen nicht genüge.
Die Klage der Klimova AG gegen die Tig-Bicord AG auf Zahlung des restlichen Werklohnes wurde vom Kantonsgericht Zug gutgeheissen, vom Obergericht des Kantons Zug am 30. November 1982 dagegen abgewiesen. Auf staatsrechtliche Beschwerde der Klägerin, die das Urteil des Obergerichts in vier Punkten für willkürlich hielt, hob das Bundesgericht dieses Urteil am 27. September 1983 auf. Es fand, die Rüge der Beschwerdeführerin sei in zwei Punkten begründet, insbesondere weil das Obergericht seinem Entscheid die dritte Temperaturmessung vom 26. Januar 1982
BGE 111 II 94 S. 95
zugrunde gelegt habe, ohne sich zu den entsprechenden Vorbehalten des Experten zu äussern.
Am 17. Januar 1984 entschied das Obergericht erneut, dass die Klage abzuweisen sei.
B.-
Die Klägerin hat gegen den neuen Entscheid des Obergerichts wiederum staatsrechtliche Beschwerde eingereicht, die vom Bundesgericht abgewiesen wird, soweit auf sie eingetreten werden kann.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 66 Abs. 1 OG
hat die kantonale Instanz, an die eine Sache zurückgewiesen wird, der neuen Entscheidung die rechtliche Beurteilung zugrunde zu legen, mit der die Rückweisung begründet worden ist. Diese Beurteilung bindet auch das Bundesgericht, gleichviel ob es durch eine Berufung, eine staatsrechtliche Beschwerde oder ein anderes Rechtsmittel veranlasst worden sei, die Sache an die kantonale Instanz zurückzuweisen (
Art. 38 OG
;
BGE 104 Ia 63
,
BGE 101 Ia 30
,
BGE 101 II 145
, je mit weiteren Hinweisen). Wegen dieser Bindung der Gerichte ist es auch den Parteien verwehrt, im Fall einer erneuten Anrufung des Bundesgerichts der Beurteilung des Rechtsstreites einen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen oder die Sache unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im Rückweisungsentscheid ausdrücklich abgelehnt oder gar nicht in Erwägung gezogen worden sind (
BGE 101 II 145
E. 3 und
BGE 90 II 308
E. 2a). Wird eine Sache zurückgewiesen, damit die kantonale Instanz Versäumtes nachhole, insbesondere den Sachverhalt ergänze und je nach dem Ergebnis neu entscheide, so kann mit dem Rechtsmittel gegen ihren neuen Entscheid nur geltend gemacht werden, sie habe bei der Klärung oder Beurteilung offen gebliebener Punkte Weisungen des Bundesgerichts nicht befolgt.
Die Beschwerdeführerin macht mit Recht nicht geltend, dass das Obergericht den in
Art. 66 Abs. 1 OG
enthaltenen Grundsatz missachtet habe. Sie setzt sich vielmehr selbst über die Sach- und Rechtslage hinweg, welche nach dem Rückweisungsentscheid auch für die Beurteilung ihrer neuen Beschwerde massgebend sein muss. Sie wirft dem Obergericht Willkür vor, weil es mit keinem Wort berücksichtige, was der Experte ständig betone, nämlich dass die Messungen wegen nachträglicher Umbauten nur als Versuch verstanden werden könnten, aus den heutigen Zahlen auf die Temperaturen
BGE 111 II 94 S. 96
zu schliessen, welche gemäss Vertrag für die projektierte Halle garantiert worden seien. Nach den Plänen von 1972 habe es sich um eine offene Lager- und Fabrikationshalle gehandelt, die aber nachträglich durch viele Zwischenwände unterteilt worden sei, so dass eine gleichmässige Luftverteilung nicht mehr möglich gewesen sei; dies habe zu starken Temperaturunterschieden geführt.
Damit versucht die Beschwerdeführerin ihre Kritik an der Würdigung des Gutachtens durch das Obergericht auf Fragen auszudehnen, die sie mit der ersten Beschwerde nicht aufgeworfen hat. Das ist unzulässig. Sie hätte die neuen Rügen schon im früheren Beschwerdeverfahren vorbringen können und nach Treu und Glauben auch vorbringen müssen, wenn sie die Temperaturunterschiede, welche das Obergericht dem Gutachten Kannewischer entnommen hatte, auch wegen der nachträglich eingebauten Zwischenwände für willkürlich hielt. Das ergibt sich schon aus der Beschwerdefrist und entspricht auch dem Sinn und Zweck von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
. Nach dieser Bestimmung hat das Bundesgericht einen Entscheid, der wegen Verletzung von
Art. 4 BV
angefochten wird, nicht umfassend auf allfällige Mängel zu untersuchen, sondern lediglich den vom Beschwerdeführer konkret gerügten Verfassungswidrigkeiten nachzuforschen (
BGE 101 Ia 454
, 99 Ia 692). Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, dass das Obergericht sich im neuen Entscheid nicht gefragt hat, ob die tatsächlich gebaute Werkhalle dem Projekt entsprochen habe, das angeblich zur Zeit des Vertragsschlusses bestanden hat; mangels rechtzeitiger Rügen hatte es vielmehr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht davon auszugehen, dass dies der Fall war. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
37666cdd-6b65-49ee-bbcf-a6e9ad14562e | Urteilskopf
117 IV 437
75. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Dezember 1991 i.S. H. gegen Generalprokurator des Kantons Bern, Einwohnergemeinde der Stadt Bern und Groupe Sangliers (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 28 und 145 Abs. 1 und 2 StGB
; Sachbeschädigung, Strafantrag.
Das Recht, Strafantrag zu stellen, steht neben dem Eigentümer jedem Berechtigten zu, der die Sache nicht mehr gebrauchen kann (E. 1b).
Strafantragsberechtigung des Präsidenten eines Vereins und eines einfachen Gesellschafters (E. 1c).
Das Tatbestandsmerkmal der gemeinen Gesinnung (
Art. 145 Abs. 2 StGB
) ist eng auszulegen (E. 2b/aa). Wer ein einmaliges, historisch äusserst wertvolles Denkmal mit grossem symbolischem Wert zerstört, handelt aus gemeiner Gesinnung (E. 2b/bb). | Sachverhalt
ab Seite 438
BGE 117 IV 437 S. 438
In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November 1986 sägte H. gemeinsam mit einer weiteren Person in Reconvilier einen Fahnenmast um und nahm die daran gehisste Bernerflagge mit. Die Flagge verbrannte er später. In der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober 1986 zerstörte eine Täterschaft von mindestens vier Personen die "Justitia" auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in Bern. H. wird vorgeworfen, einer der Täter zu sein.
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte H. am 2. Juli 1990 wegen einfacher und qualifizierter Sachbeschädigung zu 22 Monaten Zuchthaus sowie zur Bezahlung von Fr. 199'963.-- zuzüglich Zins von 5% seit 13. Oktober 1986 an die Einwohnergemeinde Bern.
H. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Der Generalprokurator des Kantons Bern und die Einwohnergemeinde der Stadt Bern beantragen Abweisung der Beschwerde. Der Groupe Sangliers hat keine Vernehmlassung eingereicht.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 28 StGB
. Das Recht zum Strafantrag sei persönlich und unübertragbar. Sei der Verletzte eine juristische Person, so sei die interne Organisation massgeblich für die Strafantragsberechtigung. Die Vorinstanz verletze
Art. 28 StGB
, wenn sie annehme, es spiele keine Rolle, ob der Verletzte ein Verein oder eine einfache Gesellschaft sei. Denn entgegen der Auffassung der Vorinstanz hänge gerade davon ab, wer gültig Antrag stellen könne.
b) Einfache Sachbeschädigung gemäss
Art. 145 Abs. 1 StGB
wird nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt ist nach einer Auffassung nur der Eigentümer der beschädigten Sache, da
BGE 117 IV 437 S. 439
Art. 145 ausschliesslich das Eigentum schütze und nur der Eigentümer als der Träger des unmittelbar geschützten Rechtsgutes anzusehen sei (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 3. Aufl., S. 222 f. N 13; REHBERG, Strafrecht III, 5. Aufl., S. 113). Das Bundesgericht hat angenommen, antragsberechtigt sei überdies der Mieter respektive jeder Berechtigte, der die Sache nicht mehr gebrauchen kann (
BGE 74 IV 6
; zustimmend SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, N 555; LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse,
Art. 145 N 3
a; NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, S. 166; SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht,
Art. 145 N 34
).
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Denn der Eigentümer ist häufig durch die Sachbeschädigung nicht oder weniger betroffen, wenn ihm der Sachwert gegebenenfalls von einer Versicherung ersetzt wird und wenn er selbst am unmittelbaren Gebrauchswert kein Interesse hat. Demgegenüber können der Mieter und andere Berechtigte unmittelbar auf den Gebrauchswert der Sache angewiesen und deshalb von deren Ausfall stärker betroffen sein, als wenn sie nur den entsprechenden Sachwert verloren hätten (SCHUBARTH, a.a.O.). Überdies entspricht es den Reformbestrebungen, Sachbeschädigung und damit eine entsprechende Antragsberechtigung schon dann anzunehmen, wenn an der Sache ein fremdes Gebrauchs- oder Nutzungsrecht besteht (vgl. Botschaft über die Änderung des Strafgesetzbuches vom 24. April 1991, BBl 1991 II 1013 sowie Art. 144 Abs. 1 des Entwurfes, a.a.O. 1122).
c) Der Groupe Sangliers war nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) Inhaber der Verfügungsgewalt über Fahnenmast und Flagge. Damit war er Berechtigter im oben umschriebenen Sinne und deshalb strafantragsberechtigt. Ob er ein Verein oder eine einfache Gesellschaft sei, durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht offenlassen. Aufgrund der obergerichtlichen Annahme war V. Präsident des Groupe Sangliers. Als Vereinspräsident stand ihm die Vertretungsmacht und damit das Strafantragsrecht zu, da weder ein entgegenstehender Handelsregistereintrag noch eine derartige individuelle Mitteilung aktenkundig ist (RIEMER, Berner Kommentar, N 67 ff. zu
Art. 69 ZGB
). Als einfacher Gesellschafter konnte er als Verletzter Strafantrag stellen (REHBERG, Der Strafantrag, ZStR 85/1969 S. 259). Der Hinweis des Beschwerdeführers auf
BGE 99 IV 1
geht an der Sache vorbei, weil dort die Strafantragsberechtigung eines Handlungsbevollmächtigten eines kaufmännischen
BGE 117 IV 437 S. 440
Unternehmens in einer Ehrverletzungssache und somit ein nicht vergleichbarer Fall zu beurteilen war. Deshalb bedurfte es vorliegend auch keiner nachträglichen Bestätigung des Strafantrags durch den Groupe Sangliers.
2.
Die einfache Sachbeschädigung gemäss
Art. 145 Abs. 1 StGB
ist mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder Busse bedroht, qualifizierte Sachbeschädigung gemäss Abs. 2 demgegenüber mit Zuchthaus von einem bis zu fünf Jahren. Die Qualifikation ist gegeben, wenn der Täter aus gemeiner Gesinnung einen grossen Schaden verursacht hat.
a) Das Tatbestandsmerkmal des grossen Schadens ist vorliegend unstrittig erfüllt. Die Vorinstanz geht von einem Schaden von rund Fr. 200'000.-- aus; auch der Beschwerdeführer anerkennt einen Schaden von mindestens Fr. 82'000.--. Die Qualifikation ist somit in objektiver Hinsicht zu bejahen.
b) aa) Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der gemeinen Gesinnung ist der Rechtsfolge Rechnung zu tragen (
BGE 106 IV 25
), weshalb das Merkmal eng auszulegen ist (
BGE 104 IV 247
). Das Bundesgericht hat gerade in seiner jüngeren Rechtsprechung betont, dass Qualifikationen restriktiv auszulegen sind, wenn sie zu einer erhöhten Mindeststrafe führen (
BGE 116 IV 316
E. aa, 329 E. 3a, 337 E. 3b;
BGE 117 IV 22
; vgl. auch
BGE 117 IV 161
E. a). Dabei ist zu beachten, dass vorliegend für den Grundtatbestand nur Gefängnis bis zu drei Jahren ausgesprochen werden kann; die Qualifikation ist also schärfer als etwa diejenige des gewerbsmässigen Betrugs.
Die Rechtsprechung hat eine gemeine Gesinnung verneint bei der Zerstörung einer Radaranlage zur Verhinderung von Bestrafung und Führerausweisentzug (
BGE 106 IV 24
), dagegen bejaht bei terroristischen Anschlägen (
BGE 104 IV 238
; kritisch dazu STRATENWERTH, a.a.O., S. 223 N 15). In
BGE 104 IV 248
wurde die gemeine Gesinnung angenommen mit der Begründung, der Täter habe die unkontrollierbare und unberechenbare Wirkung der Sprengstoffexplosion gekannt und daher einen sehr grossen Schaden und die Gefahr für Leib und Leben unbeteiligter arg- und wehrloser Menschen in Kauf genommen. Er habe sich bei diesem heimtückischen und hinterhältigen Vorgehen gegen die abgelehnte Gesellschaft offenkundig letztlich von Hass- und Rachegefühlen leiten lassen. Diese seien nach den Umständen nicht entschuldbar gewesen und daher besonders verwerflich oder gemein im Sinne des Gesetzes. Die Gefühle hätten nicht bloss der momentanen
BGE 117 IV 437 S. 441
Stimmungslage, sondern einer dauernden Einstellung entsprochen, welche die Täter immer wieder zu neuen Attentaten getrieben habe.
bb) Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, bei der Zerstörung der "Justitia" handle es sich um einen skrupellosen Vandalenakt. Zwar wurden dabei - im Gegensatz zum Geschehen in
BGE 104 IV 238
- keine unbeteiligten Personen gefährdet.
Art. 145 StGB
zählt aber zu den strafbaren Handlungen gegen das Vermögen. Deshalb kann das Tatbestandsmerkmal der gemeinen Gesinnung nicht allein mit dem Argument verneint werden, Menschen seien nicht in Gefahr gewesen. Vorliegend ist von Bedeutung, dass es sich beim Gerechtigkeitsbrunnen von Bern nicht bloss um ein Denkmal mit grossem symbolischem Wert, sondern auch um ein einmaliges, historisch äusserst wertvolles Kunstwerk handelt. Wer aber ohne Rücksicht auf kulturelle Werte und die Wertschätzung in der Bevölkerung gezielt ein derartiges Kunstwerk zerstört, der handelt aus gemeiner Gesinnung im Sinne von
Art. 145 Abs. 2 StGB
. Deshalb verletzt die vorinstanzliche Annahme der qualifizierten Sachbeschädigung Bundesrecht nicht. Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich insoweit als unbegründet. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
37668e83-d9ac-4494-a57a-75e54bb86e9a | Urteilskopf
126 IV 192
30. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. August 2000 i. S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 35 Abs. 1,
Art. 44 Abs. 1 und
Art. 90 Ziff. 2 SVG
;
Art. 8 Abs. 3 und
Art. 36 Abs. 5 lit. a VRV
; Rechtsüberholen auf der Autobahn; grobe Verletzung von Verkehrsregeln.
Der Tatbestand des Rechtsüberholens kann auch eventual-vorsätzlich erfüllt werden (E. 2c).
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln bejaht bei einem Lenker, der bei dichtem Feierabendverkehr zwei Fahrzeuge rechts überholt hat (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 193
BGE 126 IV 192 S. 193
S. fuhr am 2. Juni 1999 um 16.30 Uhr auf der Autobahn A 1, Fahrtrichtung Bern, mit seinem Personenwagen "Porsche 911" zunächst auf dem Überholstreifen, schloss auf der Höhe Neuenhof auf einen schwarzen "Alfa" auf, bog dann rechts auf den Normalstreifen aus, fuhr an insgesamt zwei Fahrzeugen vorbei und schwenkte anschliessend wieder auf die Überholspur zurück.
Das Bezirksamt Baden verurteilte S. mit Strafbefehl vom 21. Juli 1999 wegen Rechtsüberholens auf der Autobahn durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG; SR 741.01) zu einer Busse von Fr. 400.-.
Auf Einsprache der Staatsanwaltschaft hin erliess das Bezirksamt Baden am 9. August 1999 gestützt auf denselben Sachverhalt, neu aber in Anwendung von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
einen neuen Strafbefehl, wiederum mit einer Busse von Fr. 400.-.
Auf Einsprache von S. hin verurteilte ihn das Bezirksgericht Baden am 11. November 1999 wegen unerlaubten Rechtsüberholens auf der Autobahn in Anwendung von
Art. 90 Ziff. 1 SVG
zu einer Busse von Fr. 300.-.
Gegen dieses Urteil erhoben sowohl die Staatsanwaltschaft wie auch S. Berufung. Das Obergericht des Kantons Aargau wies mit Urteil vom 5. Juni 2000 die Berufung von S. ab und hiess die Berufung der Staatsanwaltschaft gut. S. wurde wegen unerlaubten Rechtsüberholens auf der Autobahn in Anwendung von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
schuldig gesprochen und mit einer Busse von Fr. 400.- bestraft.
S. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, beim Fahren in parallelen Kolonnen sei das Ausschwenken von der linken Fahrspur (Überholspur) auf die rechte Fahrspur (Normalspur) und das Einbiegen von der rechten Fahrspur auf die linke Fahrspur für sich allein ebenso zulässig, wie es erlaubt sei, auf der rechten Fahrspur
BGE 126 IV 192 S. 194
an Fahrzeugen vorbeizufahren, welche sich auf der linken Fahrspur befinden. Für die Konstellation des Fahrens in parallelen Kolonnen hätte man ein Kriterium finden müssen, um zu unterscheiden zwischen der Kombination von erlaubtem Spurwechsel mit erlaubtem Rechtsvorbeifahren einerseits und unerlaubtem Rechtsüberholen andererseits. In
BGE 115 IV 244
E. 3b sei diese Frage ausführlich erörtert und festgehalten, unerlaubtes Rechtsüberholen liege dann vor, wenn das Ausschwenken, Vorbeifahren an einem oder wenigen Fahrzeugen und das anschliessende Wiedereinbiegen in einem Zuge erfolge; dies treffe vor allem dort zu, wo ein Fahrzeuglenker die Lücken in den parallelen Kolonnen so ausnütze, dass er nur um zu überholen kurz auf der rechten Fahrbahn fahre und gleich wieder nach links einbiege. Das Ausschwenken, Vorbeifahren an einem oder wenigen Fahrzeugen und das anschliessende Wiedereinbiegen in einem Zuge und das Ausnützen der Lücken in den parallelen Kolonnen in dem Sinne, dass der Fahrzeuglenker nur um zu überholen kurz auf der rechten Fahrbahn fahre und gleich wieder nach links einbiege, setze direkten Vorsatz voraus. Begrifflich sei insbesondere ausgeschlossen, dass ein Fahrzeuglenker eventualvorsätzlich nur um zu überholen in einem Zuge ausschwenkt, rechts an anderen Fahrzeugen vorbeifährt und wieder einschwenkt. Das angefochtene Urteil gehe - mit dem erstinstanzlichen Urteil - davon aus, der Beschwerdeführer habe eventualvorsätzlich gehandelt. Da dies nach dem Gesagten für die Erfüllung des Tatbestandes des Rechtsüberholens in parallelen Kolonnen nicht genüge, habe die Vorinstanz mit ihrer Verurteilung Bundesrecht verletzt.
Für den Fall, dass seine Beschwerde in diesem Punkt nicht begründet sei, macht der Beschwerdeführer geltend, die Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 statt von
Art. 90 Ziff. 1 SVG
auf den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt verletze Bundesrecht.
2.
a) Nach
Art. 35 Abs. 1 SVG
ist links zu überholen, woraus ein Verbot des Rechtsüberholens folgt. Ein Überholen liegt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vor, wenn ein schnelleres Fahrzeug ein in gleicher Richtung langsamer vorausfahrendes einholt, an ihm vorbeifährt und vor ihm die Fahrt fortsetzt, wobei weder das Ausschwenken noch das Wiedereinbiegen eine notwendige Voraussetzung des Überholens bildet (
BGE 115 IV 244
E. 2,
BGE 114 IV 55
E. 1 mit Hinweisen).
Eine Ausnahme vom Verbot des Rechtsüberholens sieht Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11) allgemein und
Art. 36 Abs. 5 lit. a VRV
BGE 126 IV 192 S. 195
besonders auf Autobahnen "beim Fahren in parallelen Kolonnen" vor, jedoch lediglich in der Weise, dass bloss das Rechtsvorbeifahren an anderen Fahrzeugen gestattet ist. Das Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen ist gemäss
Art. 8 Abs. 3 Satz 2 VRV
ausdrücklich untersagt. Ein Ausschwenken für sich allein oder ein Einbiegen für sich allein sind hingegen gemäss
Art. 44 Abs. 1 SVG
wiederum gestattet; danach darf der Führer auf Strassen, die für den Verkehr in gleicher Richtung in mehrere Fahrstreifen unterteilt sind, seinen Streifen verlassen, allerdings nur, wenn er dadurch den übrigen Verkehr nicht gefährdet (
BGE 115 IV 244
E. 2). Beim Fahren in parallelen Kolonnen auf Autobahnen darf deshalb in keinem Falle durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen rechts überholt werden. Blosses Rechtsvorbeifahren an anderen Fahrzeugen unter Wechsel des Fahrstreifens, wenn dies ohne Behinderung des übrigen Verkehrs möglich ist, ist hingegen gestattet (
BGE 115 IV 244
E. 3).
Nicht blosses Vorbeifahren, sondern ein Überholen durch Ausschwenken nach rechts und Wiedereinbiegen nach links liegt jedenfalls dann vor, wenn das Ausschwenken, das Vorbeifahren an einem oder bloss wenigen Fahrzeugen und das anschliessende Wiedereinbiegen in einem Zuge erfolgten; also etwa dann, wenn ein Fahrzeuglenker die Lücken in den parallelen Kolonnen so ausnützt, dass er nur um zu überholen kurz auf der rechten Fahrbahn fährt und gleich wieder nach links einbiegt (
BGE 115 IV 244
E. 3b).
b) Der Beschwerdeführer fuhr auf dem Überholstreifen, schloss auf ein anderes Auto auf, bog rechts auf den Normalstreifen aus, fuhr an insgesamt zwei Fahrzeugen vorbei und schwenkte anschliessend auf die Überholspur zurück. Objektiv sind damit die Voraussetzungen des verbotenen Rechtsüberholens auf der Autobahn offensichtlich gegeben, was im Übrigen auch der Beschwerdeführer nicht in Abrede stellt.
c) Neu und vom Bundesgericht bisher nicht entschieden ist die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob die Durchführung des verbotenen Manövers "in einem Zuge" nur mit direktem Vorsatz begangen werden kann.
Der Straftatbestand der qualifizierten Verkehrsregelverletzung gemäss
Art. 90 Ziff. 2 SVG
kann grundsätzlich auch fahrlässig begangen werden (BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, Kommentar, 3. Aufl., Lausanne 1996, Art. 90 N. 4.3 mit Hinweisen). Schon deshalb kommt für die Anwendung von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
grundsätzlich auch dolus eventualis in Betracht.
BGE 126 IV 192 S. 196
Es besteht kein Anlass, von diesen Regeln abzuweichen beim hier in Frage stehenden verbotenen Rechtsüberholen und insbesondere für die Frage, ob ein Fahrzeuglenker das verbotene Ausschwenken, Vorbeifahren und anschliessende Wiedereinbiegen in einem Zuge vorgenommen hat. Ob ein derartiges Manöver in einem Zuge geschehen ist, beurteilt sich nach objektiven Kriterien. Das Bezirksgericht hat gestützt auf die Zeugenaussagen des Polizeibeamten festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Vorfeld des umstrittenen Manövers auffällig die Fahrspuren gewechselt habe. Der "Porsche" sei "pressant unterwegs" gewesen. Im Ermittlungsverfahren habe der Zeuge angegeben, dass es "den Anschein machte, als würde der Angeklagte verschiedene Fahrzeuge rechts überholen". Das Bezirksgericht kommt einerseits auf Grund der vorangegangenen Fahrweise und andererseits zufolge des Manövers, welches zur Verurteilung des Lenkers führte (in einem Zug ausscheren, vorbeiziehen und wieder einschwenken), zum Schluss, der Beschwerdeführer habe verbotenes Rechtsüberholen jedenfalls in Kauf genommen. Sowohl der Schluss des Bezirksgerichtes, dass gestützt auf diese Vorsatz-Indizien auf dolus eventualis geschlossen werden kann, wie auch die Auffassung, dass dolus eventualis unter solchen Umständen für die Erfüllung des Tatbestandes genügt, verletzt kein Bundesrecht. Dasselbe gilt für das Urteil der Vorinstanz, die insoweit teilweise implizit dem Bezirksgericht folgt.
3.
Es bleibt zu prüfen, ob die Vorinstanz durch die Anwendung von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
Bundesrecht verletzt hat. Die einfache Verkehrsregelverletzung nach
Art. 90 Ziff. 1 SVG
wird mit Haft oder Busse bestraft. Demgegenüber wird, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt, nach
Art. 90 Ziff. 2 SVG
mit Gefängnis oder mit Busse bestraft. Die grobe Verkehrsregelverletzung ist also ein Vergehen und führt auch zu einem Führerausweisentzug (
BGE 120 Ib 285
).
Art. 90 Ziff. 2 SVG
ist objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit abstrakt oder konkret gefährdet. Subjektiv erfordert der Tatbestand, dass dem Täter aufgrund eines rücksichtslosen oder sonst wie schwerwiegend regelwidrigen Verhaltens zumindest eine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (
BGE 118 IV 84
E. 2a mit Hinweisen).
Das Verbot des Rechtsüberholens ist eine für die Verkehrssicherheit objektiv wichtige Vorschrift, deren Missachtung eine erhebliche Gefährdung der Verkehrssicherheit mit beträchtlicher
BGE 126 IV 192 S. 197
Unfallgefahr nach sich zieht und daher objektiv schwer wiegt (vgl.
BGE 95 IV 84
E. 3). Wer auf der Autobahn fährt, muss sich darauf verlassen können, dass er nicht plötzlich rechts überholt wird. Das Rechtsüberholen auf der Autobahn, wo hohe Geschwindigkeiten gefahren werden, stellt eine erhöht abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer dar.
Für den vorliegenden Fall hat die Vorinstanz Folgendes festgestellt: Zur fraglichen Zeit herrschte Kolonnenverkehr; die Fahrzeuge fuhren mit reduzierter Geschwindigkeit. Ein eigentlicher Stau habe sich nicht gebildet; es habe sich um den üblichen Baregg-Verkehr gegen Feierabend gehandelt. Die Vorinstanz kommt zum Schluss, der Beschwerdeführer habe durch seine Fahrweise eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer geschaffen. Zwar sei nicht mit den hohen Geschwindigkeiten gefahren worden, welche auf Autobahnen sonst üblich seien. Die verminderte Geschwindigkeit sei aber nicht auf eine entsprechende Signalisation zurückzuführen gewesen, sondern auf ein erhöhtes Fahraufkommen. Eine solche Situation erfordere von allen Verkehrsteilnehmern eine erhöhte Disziplin, vermehrte Aufmerksamkeit sowie Rücksichtnahme. Es sei allgemein bekannt, dass es sich bei den Automobilisten, die sich gegen Abend auf der Strasse befinden, in der Regel um solche handle, welche auf dem Heimweg seien, bereits einen Arbeitstag hinter sich hätten und entsprechend in ihrer Konzentration eingeschränkt seien. Das Überholmanöver des Beschwerdeführers sei unter solchen Umständen speziell geeignet gewesen, andere Verkehrsteilnehmer zu gefährlichen Fehlreaktionen zu veranlassen (etwa brüskes Bremsen, wenn sie überraschend rechts überholt würden; oder unvermitteltes Ausweichen, wenn sie selber gerade dazu ansetzen wollten, auf die rechte Spur zu wechseln). Dadurch hätte eine ganze Gefahrenkette ausgelöst werden können.
Derartige Gesichtspunkte haben das Bundesgericht in
BGE 123 IV 88
E. 3b veranlasst, eine grobe Verkehrsregelverletzung nach
Art. 90 Ziff. 2 SVG
anzunehmen. Zutreffend bemerkt die Vorinstanz, dass bei dichtem Feierabendverkehr ein Rechtsüberholmanöver leicht zu einer Massenkollision mit unabsehbaren Folgen führen kann.
Die Annahme einer qualifizierten Verkehrsregelverletzung nach
Art. 90 Ziff. 2 SVG
verletzt damit kein Bundesrecht. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
37686d1e-9b62-4729-bfac-1d3a208d2eef | Urteilskopf
121 III 176
37. Extrait de l'arrêt de la Ière Cour civile du 21 mars 1995 dans la cause S. contre Caves Mövenpick S.A. (recours en réforme) | Regeste
Aktiengesellschaft - Haftung für die unerlaubte Handlung eines Organs (Art. 718 Abs. 3 aOR =
Art. 722 OR
).
Organ einer im Weinhandel tätigen Aktiengesellschaft, das zum Zwecke der Geldbeschaffung mit einem Investor im Namen der juristischen Person Verträge abschliesst, durch die es vorspiegelt, für den Vertragspartner Wein gegen Vorauszahlung einzukaufen und später mit erheblichem Gewinn weiterzuverkaufen. Unerlaubte Handlung, für welche die Aktiengesellschaft haftet (E. 4a-c).
Mitverschulden des Vertragspartners, der beim Abschluss der Verträge die nach den Umständen gebotene Aufmerksamkeit im Sinne von
Art. 3 Abs. 2 ZGB
unterliess, ohne dass seine Bösgläubigkeit feststünde. Keine Kompensation durch ein "zusätzliches Verschulden" der Aktiengesellschaft, die das fehlbare Organ nicht genügend beaufsichtigt hätte (E. 4d).
Berechnung des Schadenersatzes (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 177
BGE 121 III 176 S. 177
A.-
Caves Mövenpick S.A. (ci-après: Mövenpick) a engagé X. en 1975. Nommé fondé de procuration avec signature collective à deux en 1982, X. a été promu directeur-adjoint, toujours avec signature collective à deux, en janvier 1984.
Dès 1978, X. a créé, à l'insu de Mövenpick, un immense marché parallèle de vins. Il vendait à des grossistes et à des particuliers d'énormes quantités de vins à des prix bien inférieurs aux prix officiels de Mövenpick. X. dissimulait ces actes grâce à un système de double facturation. Pour combler les déficits, X. s'est mis à offrir des vins de Bordeaux en souscription à des prix défiant toute concurrence. Les souscripteurs payaient immédiatement, mais n'étaient censés recevoir le vin que deux ans plus tard, après maturation et mise en bouteille, ce qui permettait à X. de se procurer rapidement de l'argent liquide. A terme, il fallait bien livrer le vin, ce qui entraînait de nouveaux déficits. X. a alors imaginé, dès
BGE 121 III 176 S. 178
1983, d'offrir aux souscripteurs de revendre le vin à l'échéance pour leur compte, avec un bénéfice minimal garanti de 40%. Il a demandé à B., un client qu'il connaissait bien, de lui présenter des investisseurs susceptibles d'être intéressés par cette proposition. C'est ainsi que B. a contacté, entre autres, un administrateur de F. S.A., qui a lui-même informé son père, S.
Par convention du 11 avril 1983, S. a acheté à Mövenpick, représentée par X. et Y., près de 4'500 bouteilles de grands vins de Bordeaux pour un montant total de 150'025 fr. La marchandise devait être déposée gratuitement dans les caves de Mövenpick, qui s'engageait pour sa part à la revendre, jusqu'au 30 avril 1985, à un prix garanti de 150'025 fr. plus 40%; si elle pouvait obtenir un prix supérieur, Mövenpick avait droit à une commission de 5% sur le profit supplémentaire réalisé par S. Le montant de 150'025 fr. a été payé par un chèque établi à l'ordre de Mövenpick, que S. a fait parvenir à X.
Quelques mois plus tard, X. a proposé à F. S.A. un autre type de transaction: l'achat et la revente, avec un bénéfice important, de caves de restaurant. Agissant à titre fiduciaire pour un certain nombre d'investisseurs, dont S., F. S.A. a, par convention du 20 février 1984, chargé Mövenpick, toujours représentée par X. et Y., d'acheter en son nom le stock de vins du restaurant G. pour le montant de 778'775 fr., puis de le revendre jusqu'au 21 mai 1984 au prix garanti de 778'775 fr. majoré de 10,5%. Comme dans la souscription de Bordeaux primeur, Mövenpick avait droit à une commission de 5% sur le bénéfice supplémentaire réalisé par F. S.A. La participation de S. dans cette transaction s'élevait à 200'000 fr. Le 5 mars 1984, F. S.A. et Mövenpick ont passé une seconde convention, similaire à celle du 20 février 1984, qui portait sur le rachat de la cave de la société V. pour le prix de 973'561 fr. 60. F. S.A. agissait toujours à titre fiduciaire, notamment pour S., qui a investi 400'000 fr. Les montants de 778'775 fr. et 973'561 fr. 60 ont été réglés par chèques bancaires libellés à l'ordre de Mövenpick et remis en mains de X.
Tant la souscription d'avril 1983 que les rachats de caves de l'hiver 1984 étaient fictifs en ce sens que Mövenpick n'a jamais disposé des vins à l'intention des investisseurs. En réalité, il ne s'agissait que d'un moyen pour X. de se procurer de l'argent, pour ses besoins propres ou pour combler les déficits creusés dans les caisses de la société. Mövenpick a eu connaissance des malversations commises par le directeur-adjoint dans le courant de mars 1984. Les pouvoirs conférés à celui-ci ont été radiés du registre du commerce le 21 mars 1984. En décembre 1984, F. S.A. a cédé à
BGE 121 III 176 S. 179
S., à concurrence de 600'000 fr., les droits qu'elle possédait en vertu des conventions des 20 février et 5 mars 1984.
B.-
Par demande du 14 février 1985, S. a ouvert action contre Mövenpick en paiement de 900'035 fr., plus intérêts à 6%. Le 11 février 1993, le Tribunal de première instance du canton de Genève a jugé que la responsabilité délictuelle de la défenderesse était engagée et a admis la demande à concurrence de 750'025 fr., plus intérêts à 5%. Statuant le 15 avril 1994 sur appel de Mövenpick et appel incident de S., la Cour de justice civile a mis à néant le jugement attaqué et débouté le demandeur de toutes ses conclusions.
C.-
S. interjette un recours en réforme; il reprend les conclusions en paiement formulées en première instance.
Le Tribunal fédéral a admis partiellement le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
[X. a abusé de son pouvoir de représentation. Or, ni le demandeur, ni les organes de F. S.A. n'ont fait preuve, lors de la conclusion des contrats, de l'attention commandée par les circonstances, ce qui leur aurait permis de déjouer les agissements de X. (cf., sur cette question, le cas analogue publié aux
ATF 119 II 23
). Conformément à l'
art. 3 al. 2 CC
, le demandeur ne peut se prévaloir de sa bonne foi et la défenderesse n'est pas liée par les conventions.]
4.
En deuxième lieu, il convient d'examiner si la cour cantonale a rejeté à bon droit toute prétention du demandeur fondée sur la responsabilité délictuelle de la défenderesse.
a) Aux termes de l'art. 718 al. 3 aCO (
art. 722 CO
), la société anonyme répond des actes illicites commis par une personne autorisée à la gérer ou à la représenter dans la gestion des affaires sociales. Il s'agit là d'un cas d'application de l'
art. 55 al. 2 CC
, qui institue le principe de la responsabilité de la personne morale pour les actes illicites de ses organes (
ATF 105 II 289
consid. 5,
ATF 89 II 239
consid. 8 p. 250).
Les personnes dont les actes peuvent engager la responsabilité délictuelle de la société anonyme sont non seulement les organes au sens formel - membres du conseil d'administration, directeurs - mais également les organes au sens matériel, c'est-à-dire les personnes qui ont la compétence de prendre des décisions indépendantes et qui participent ainsi effectivement à la gestion des affaires sociales (
ATF 101 Ib 422
consid. 5a
BGE 121 III 176 S. 180
p. 436,
ATF 87 II 184
consid. 2 p. 187/188; WATTER, Commentaire bâlois (ci-après: commentaire), n. 7 ad
art. 722 CO
; BÜRGI, Commentaire zurichois, n. 20 ad art. 718 aCO). Pour que la responsabilité de la société soit engagée, il n'est pas nécessaire que l'organe en cause ait le pouvoir de la représenter; il suffit que l'acte entre, par un rapport fonctionnel, dans le cadre général des attributions de l'organe. La personne morale ne répond donc pas de l'acte commis par un organe à titre privé, même s'il a eu lieu à l'occasion de la gestion des affaires sociales (
ATF 105 II 289
consid. 5a et b,
ATF 101 Ib 422
consid. 5b p. 436/437; WATTER, commentaire, n. 9 ad
art. 722 CO
). En revanche, il importe peu que l'organe ait agi dans son intérêt personnel, et non dans celui de la société (
ATF 105 II 289
consid. 7,
ATF 89 II 239
consid. 9).
Pour le reste, la prétention fondée sur l'art. 718 al. 3 aCO est soumise aux conditions habituelles de la responsabilité aquilienne, soit un dommage, un acte illicite, une faute et un lien de causalité adéquate entre l'acte incriminé et le préjudice (WATTER, commentaire, n. 4 ad
art. 722 CO
).
b) Directeur-adjoint de la défenderesse, X. avait manifestement la qualité d'organe lorsqu'il a signé les conventions de février/mars 1984. En revanche, il convient d'examiner si cette qualité doit également lui être reconnue pour la signature de la convention du 11 avril 1983, à une époque où il était fondé de procuration.
Selon les constatations de l'autorité cantonale, la promotion de X. en tant que fondé de procuration s'est accompagnée du titre de "directeur de vente de la Suisse romande". X. jouissait de fait d'une très grande autonomie dans la gestion du cellier de Bursins. Ainsi, alors que les ventes s'effectuaient en principe au comptant ou à trente jours, le directeur de vente était autorisé à accorder des délais de paiement plus longs et à conclure des contrats écrits d'un montant supérieur à 20'000 fr. C'est du reste à X. que la direction de la défenderesse attribuait le mérite d'avoir décuplé le chiffre d'affaires en cinq ans. Il ressort ainsi clairement des constatations cantonales que X., déjà lorsqu'il était fondé de procuration, participait effectivement à la gestion des affaires de la défenderesse. Ses actes illicites éventuels sont donc propres à engager la responsabilité de la société anonyme.
En outre, la conclusion des trois contrats entrait dans le cadre général des compétences de X., qui n'a pas agi à titre privé bien qu'il poursuivît un intérêt personnel.
Quant à Y., il a, selon les constatations cantonales, signé les documents présentés par son supérieur sans en prendre connaissance; le rôle exact
BGE 121 III 176 S. 181
joué par le fondé de procuration est toutefois sans importance en l'espèce. En effet, X. était indéniablement l'instigateur, la "cheville ouvrière" des conventions litigieuses; or, le fait qu'il ne disposait que de la signature collective n'empêche pas que ses actes soient imputés à la société (
ATF 105 II 289
consid. 5b, 89 II 239 consid. 8).
c) Par des contrats factices, X. a amené le demandeur et F. S.A. à lui remettre des chèques qui ont soit disparu, soit servi à combler des déficits causés par des malversations antérieures. Ce faisant, il a manifestement agi de manière illicite; l'intention délictueuse n'est au surplus pas contestable. Quant aux cocontractants, ils se sont trouvés délestés de 150'025 fr., respectivement 1'752'336 fr. 60 sans contrepartie; ils ont donc subi un dommage qui est en lien de causalité adéquate avec les agissements de X. Les conditions de la responsabilité délictuelle de la défenderesse sont bel et bien réalisées.
d) A ce stade du raisonnement, il convient de s'interroger sur l'éventuelle incidence, en matière délictuelle, du défaut de diligence au sens de l'
art. 3 al. 2 CC
reproché au demandeur et à F. S.A.
L'
art. 3 CC
se réfère aux hypothèses où la loi fait dépendre de la bonne foi "la naissance ou les effets d'un droit". Plus précisément, dans certaines circonstances données, la loi protège la bonne foi d'une personne en supprimant ou en atténuant les conséquences défavorables pour elle d'un vice juridique (DESCHENAUX, Le Titre préliminaire du Code civil, in Traité de droit privé suisse, vol. II, 1, p. 204/205). Ainsi, en vertu des
art. 459 al. 1 CO
et 718 al. 1 et 2 aCO, la bonne foi du tiers remédie au dépassement ou à l'abus du pouvoir de représentation du fondé de procuration ou de l'organe: l'acte engage la société malgré le vice.
Dans le cas présent, l'examen de la bonne foi du demandeur et de F. S.A. avait un sens pour déterminer si les conventions du 11 avril 1983, du 20 février 1984 et du 5 mars 1984 liaient ou non la défenderesse. En revanche, la bonne foi du lésé n'est pas une condition de la responsabilité délictuelle de la personne morale. C'est pourquoi, même lorsque le tiers ne peut pas invoquer sa bonne foi, la société anonyme peut être amenée à réparer le dommage causé par l'acte illicite de son organe (ZOBL, Probleme der organschaftlichen Vertretungsmacht, in ZBJV/RJB 125/1989, p. 300/301; WATTER, Die Verpflichtung der AG durch rechtsgeschäftliches Handeln ihrer Stellvertreter, Prokuristen und Organe speziell bei sog. "Missbrauch der Vertretungsmacht", thèse Zurich 1985 [ci-après: thèse], p. 187 ss).
BGE 121 III 176 S. 182
A titre de faute concomitante, la négligence du tiers sera néanmoins un facteur qui influera sur le calcul des dommages-intérêts; si le tiers est véritablement de mauvaise foi, par exemple en cas de collusion avec l'organe de la société anonyme, il y aura même rupture du lien de causalité adéquate, supprimant toute prétention en dommages-intérêts (WATTER, commentaire, n. 10 ad
art. 722 CO
; le même, thèse, n. 245 et 246, p. 193/194; ZOBL, op.cit., p. 301).
En revanche, contrairement à l'opinion défendue par WATTER (thèse, n. 247, p. 194), une éventuelle "faute additionnelle" de la personne morale - en particulier un défaut de surveillance de l'organe - n'a pas à être prise en compte dans la détermination des dommages-intérêts et ne peut donc pas compenser, même partiellement, la faute concomitante du lésé. En effet, si elle dispose bien de la capacité délictuelle, la personne morale, en tant que création du droit, agit exclusivement par l'intermédiaire de personnes physiques, ses organes; ces derniers sont des parties de la personne morale, et non des tiers dont elle répond civilement (
ATF 111 II 429
consid. 2d p. 439/440 et les références). Dans le système de l'art. 718 al. 3 aCO, la société anonyme répond du comportement délictuel de son organe comme s'il était le sien. Il s'agit d'une responsabilité légale pour un comportement imputé à la personne morale par une fiction, et non d'une responsabilité causale pour l'acte d'autrui (cf.
art. 55 CO
par exemple; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, II/1, p. 277, note 18). L'art. 718 al. 3 aCO n'est dès lors pas une norme de responsabilité civile, mais une norme d'imputation, en ce sens que le comportement d'une partie - l'organe - est imputé directement au tout, la société anonyme (cf. KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, 5e éd., tome I, p. 119). Cette construction juridique exclut que la société anonyme réponde, de par la loi, du comportement fautif d'un organe et que, de surcroît, sa responsabilité soit aggravée, en cas de faute concomitante du lésé, parce qu'elle n'a pas empêché l'acte délictueux en question.
5.
La responsabilité délictuelle de la défenderesse étant engagée en l'espèce, il convient de déterminer le dommage subi par le demandeur.
a) Le préjudice correspond en tout cas au montant investi directement par le demandeur en exécution de la convention du 11 avril 1983 (150'025 fr.), ainsi qu'à la part des investissements de F. S.A. cédée au demandeur (600'000 fr.), soit 750'025 fr. au total. Comme il a été privé de la jouissance d'un capital, le demandeur a droit au surplus à la réparation du préjudice en résultant. A cet égard, il ne justifie d'aucune manière le
BGE 121 III 176 S. 183
taux d'intérêt de 6% auquel il prétend. Dans ces conditions, il y a lieu de se fonder sur le taux annuel de 5% fixé par l'
art. 73 al. 1 CO
pour l'intérêt compensatoire (DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilité civile, 2e éd., n. 38 ss, p. 222). Les intérêts sont dus, respectivement, dès le 11 avril 1983, le 20 février 1984 et le 5 mars 1984, dates de la remise des chèques à X.
b) Il a été relevé au considérant 3 ci-dessus que ni le demandeur, ni les organes de F. S.A. - dont le comportement est imputable au demandeur - n'avaient fait preuve de l'attention commandée par les circonstances. Ils ont commis une négligence qui, sans être grave, ne saurait être qualifiée de légère. Dans ces circonstances, il se justifie de réduire d'un quart le montant des dommages-intérêts dus au demandeur. Sa prétention se décompose dès lors de la manière suivante:
- 112'518 fr. 75, plus intérêts à 5% dès le 11 avril 1983;
- 150'000 fr., plus intérêts à 5% dès le 20 février 1984;
- 300'000 fr., plus intérêts à 5% dès le 5 mars 1984. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
376975e9-1111-4ea5-aa17-c5535c869bcb | Urteilskopf
99 V 43
14. Auszug aus dem Urteil vom 24. Jannar 1973 i.S. Rossi gegen Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Für die Bemessung der Invalidität von Personen, welche vorwiegend erwerbstätig waren, bevor sie invalid wurden, ist die Behinderung in einem nichterwerblichen Aufgabenbereich unerheblich (Ausschluss kumulativer Anwendung von
Art. 28 und 5 Abs. 1 IVG
). | Erwägungen
ab Seite 43
BGE 99 V 43 S. 43
Aus den Erwägungen:
Nach der neuesten Rechtsprechung muss die Erwerbstätigkeit, die eine hauptsächlich im eigenen Haushalt und mit der Kindererziehung beschäftigte Versicherte für Drittpersonen ausübt, bei der Invaliditätsschätzung nach der spezifischen Methode des
Art. 27 IVV
angemessen berücksichtigt werden, sofern die erwerbliche Betätigung zum Aufgabenbereich der betreffenden Hausfrau gehört. Dies trifft dann zu, wenn das Erwerbseinkommen, welches die Versicherte ohne Invalidität wahrscheinlich erzielen würde, einen wesentlichen Teil des
BGE 99 V 43 S. 44
gesamten Familieneinkommens bildet (Urteil vom 25. Oktober 1972 i.S. Schönauer [
BGE 98 V 259
]).
Heute vertritt das Bundesamt die Auffassung, dass bei einer bis zur Invalidierung vorwiegend erwerbstätig gewesenen Hausfrau, deren Rentenanspruch nach
Art. 28 IVG
beurteilt werden muss, die Behinderung in der Besorgung des Haushalts bei der Invaliditätsschätzung angemessen zu berücksichtigen sei. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Während es im Urteil Schönauer lediglich darum ging, den Aufgabenbereich der Hausfrau im Sinn des
Art. 27 Abs. 1 IVV
genauer zu umschreiben, bedeutet das vom Bundesamt verfochtene neue Postulat einen Eingriff in die Praxis, wonach ein Versicherter nicht gleichzeitig als Erwerbstätiger und als Nichterwerbstätiger behandelt werden darf. Die angemessene Mitberücksichtigung nichterwerblicher Nebenaufgaben lässt sich bei der Invaliditätsschätzung nach
Art. 28 IVG
mit der geltenden Regelung des - gesetzmässigen -
Art. 27 IVV
nicht vereinbaren, jedenfalls solange der Bundesrat auf Grund von
Art. 28 Abs. 3 IVG
nichts anderes vorschreibt. Demzufolge ist an der geltenden Praxis festzuhalten. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
376c3b83-7e7d-442b-8452-43a5f726387d | Urteilskopf
114 Ia 259
40. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. November 1988 i.S. B. und R. gegen Meliorationsgenossenschaft Masein und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Güterzusammenlegung; Entschädigung für Minderzuteilung.
Möglichkeit der nachträglichen Anfechtung der Bemessungsgrundsätze für den sog. Geldausgleich (E. 1). Auf welchen Stichtag ist bei der Bestimmung der Verkehrswert-Entschädigung für Minderzuteilungen abzustellen? Frage offengelassen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 259
BGE 114 Ia 259 S. 259
In der Gesamtmelioration von Masein, die im Jahre 1960 beschlossen worden war, lagen die Neuzuteilungspläne im Sommer 1971 öffentlich auf. Nach diesen wurden unter anderem dem Grundeigentümer B. drei Parzellen mit einer Gesamtfläche von 7731 m2 und A. die Parzelle Nr. 18 (später Nr. 38) mit einer Fläche von 1824 m2 zugewiesen. Auf den Güterzetteln des neuen Besitzstandes war allerdings vermerkt, dass die Flächen erst durch die eidgenössische Grundbuchvermessung genau ermittelt würden. Im Juli 1975 verfügte die Regierung des Kantons Graubünden den Eigentumserwerb an den neu zugeteilten Grundstücken. Drei Jahre später, im August 1978, erfolgte die Auflage des Kostenverteilers, der einen Abzug für allgemeine Anlagen von 3% vorsah und den bei Differenzen auszugleichenden Verkehrswert auf das Dreifache des Bonitierungswertes festlegte. Dieser Kostenverteiler wies für B. eine Minderzuteilung von Fr. 7.90 und für A. eine
BGE 114 Ia 259 S. 260
Mehrzuteilung von Fr. 0.05 aus. Der neue Bestand wurde 1979 vermarkt.
Anlässlich der Auflage der Ergebnisse der Grundbuchvermessung im Jahre 1982 stellten B. und A. fest, dass ihre Parzellen kleiner waren als bei der Neuzuteilung angegeben. Beide Eigentümer gelangten hierauf an das kantonale Departement des Innern und der Volkswirtschaft, das die Einsprecher - unterdessen hatte A. das Grundstück Nr. 38 an R. verkauft - jedoch auf den ordentlichen Güterzusammenlegungsweg verwies.
In der Folge liess die Meliorationsgenossenschaft durch das kantonale Meliorationsamt die wertmässigen Zuteilungen auf der Basis der vermessenen Flächen neu berechnen und erhöhte in Absprache mit der Amtsstelle den allgemeinen Abzug von 3% auf 4%. Die korrigierten Mehr- und Minderzuteilungsberechnungen wurden vom 24. Mai bis 10. Juni 1986 öffentlich aufgelegt. Nach dem abgeänderten Kostenverteiler ergab sich für B. eine Minderzuteilung von 101.59 Punkten bzw. Fr. 296.90 und für R. eine solche von 50.25 Punkten bzw. Fr. 150.75. Gegen diese Wertausgleichsberechnung erhoben die Grundeigentümer Einsprache und hierauf Rekurs beim kantonalen Verwaltungsgericht und verlangten, dass ihnen für die Minderzuteilung eine Verkehrswert-Entschädigung ausgerichtet werde, die für Bauland auf Fr. 95.--/m2 festzusetzen sei. Das Verwaltungsgericht trat am 11. November 1986 auf die Rekurse nicht ein. Diesen Entscheid hob das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde hin auf.
Nach Durchführung eines weiteren Schriftenwechsels wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden die Rekurse im wesentlichen ab, weil die Rekurrenten schon den Kostenverteiler von 1978 hätten anfechten können und sollen, falls sie der Meinung waren, die Festsetzung des auszugleichenden Verkehrswertes auf das Dreifache des Bonitätswertes sei verfassungswidrig. Gegen diesen Entscheid haben B. und R. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 und 22ter BV
eingereicht.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Verwaltungsgericht räumt im angefochtenen Entscheid ein, dass die in ein Landumlegungsverfahren einbezogenen Grundeigentümer Anspruch auf Realersatz haben und ihnen für Minderzuteilungen, die nicht vermieden werden können, ein Geldausgleich in Höhe des Verkehrswertes geschuldet ist. Es anerkennt
BGE 114 Ia 259 S. 261
auch mit Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (
BGE 105 Ia 329
), dass sich der Betroffene auch nach Abschluss des Bonitierungs- oder Neuzuteilungsverfahrens unter Umständen noch bei der Bemessung des Wertausgleiches auf die wahren Wertverhältnisse berufen und eine volle Entschädigung im Sinne von
Art. 22ter BV
verlangen kann. Hingegen schliesst das Gericht im vorliegenden Fall ein Zurückkommen auf die Bewertungsmassstäbe aus, weil sich die Beschwerdeführer bzw. ihre Rechtsvorgänger schon bei der Auflage des ersten Kostenverteilers im Jahre 1978 dagegen hätten zur Wehr setzen können und müssen, dass der zu ersetzende "Verkehrswert" bloss das Dreifache des Bonitätswertes betragen solle. Dieser Meinung ist indessen nicht zu folgen. Die Beschwerdeführer hatten im Jahre 1978 angesichts der damals als ausgeglichen erscheinenden Neuzuteilung keinerlei Anlass, die Bewertungen anzufechten. Dies gilt insbesondere für A., für welchen eine Mehrzuteilung von Fr. 0.05 berechnet und der durch eine zu niedrige Ansetzung des Verkehrswertes nicht beschwert wurde, aber auch für B., war doch die für ihn ermittelte Minderzuteilung von Fr. 7.90 äusserst gering. Zwar trifft zu, dass die Eigentümer darauf hingewiesen worden waren, dass die neu zugeteilten Flächen erst durch die Grundbuchvermessung genau ermittelt würden, doch mussten sie deshalb keine grossen Abweichungen erwarten; im übrigen ist ohnehin fraglich, ob auf eine vorsorgliche Einsprache, die im Hinblick auf ein möglicherweise ungünstiges Resultat der Grundbuchvermessung erhoben worden wäre, überhaupt eingetreten worden wäre. Erst als sich herausstellte, dass die den beiden Eigentümern zugewiesenen Flächen erheblich kleiner waren, als es dem Anspruchswert entsprochen hätte, hatten sie objektiverweise Anlass für die Bestreitung der Geldausgleichsberechnung. Die Beschwerdeführer unternahmen denn auch in jenem Zeitpunkt sofort rechtliche Schritte und verlangten für die Minderzuteilung eine Entschädigung in Höhe des wahren Verkehrswertes. Das Verwaltungsgericht hat ihnen daher zu Unrecht vorgeworfen, erst verspätet gehandelt zu haben, und ist in dieser Hinsicht in eine allzu formalistische und damit willkürliche Betrachtungsweise verfallen. Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und die Sache zu neuer Beurteilung bzw. zur Festsetzung der Verkehrswert-Entschädigung für die Minderzuteilungen an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
2.
Im Rahmen der nunmehr noch vorzunehmenden Festsetzung des Geldausgleiches wird sich die im kantonalen Verfahren
BGE 114 Ia 259 S. 262
bereits aufgeworfene Frage stellen, welcher Bewertungs-Stichtag der Bestimmung des Verkehrswertes zugrunde zu legen sei. Diese Frage ist besonders heikel, wenn wie hier der Zeitpunkt der Neuzuteilung und der Moment, in dem der Betroffene seine Entschädigungsansprüche frühestens geltend machen konnte, weit auseinanderliegen und in der Zwischenzeit die Verkehrswerte angestiegen sind. In analoger Anwendung der für die formelle Enteignung geltenden Grundsätze wäre auf ein dem Entschädigungsentscheid nahes Datum abzustellen, da der Enteignete zumindest theoretisch in die Lage versetzt werden sollte, sich ein Ersatzgrundstück zu verschaffen (s. etwa
BGE 92 I 247
f.). Werden dagegen die für die materielle Enteignung geltenden Regeln beigezogen, so ist die Bewertung auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung, das heisst hier der Neuzuteilung, vorzunehmen, auch wenn die Entschädigungsforderung erst später angemeldet werden konnte (vgl.
BGE 111 Ib 81
ff.). Tatsächlich fragt sich, ob das Güterzusammenlegungsunternehmen für die seit der Neuzuteilung eingetretene Preisentwicklung voll einzustehen habe, selbst wenn ihm die lange Dauer des Verfahrens nicht angelastet werden kann und wenn es allenfalls nicht mehr die Möglichkeit hat, ein Korrekturverfahren auch für Mehrzuteilungen durchzuführen und von den bereicherten Eigentümern Beiträge zurückzuverlangen. In dieser Situation einen gerechten Ausgleich zu finden, ist nicht einfach. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass sich - wie jedenfalls die Beschwerdegegnerin geltend macht - Teile des Altbestandes der Beschwerdeführer möglicherweise ausserhalb des nunmehr eingezonten Gebietes befanden. Träfe dies zu, so wäre diesem Umstand im Geldausgleichsverfahren ebenfalls Rechnung zu tragen, dient dieses doch dazu, die Differenz zwischen dem wahren Wert des Altbestandes und dem wahren Wert des neu zugeteilten Bodens zu beheben. Auch in dieser Hinsicht wird das Verwaltungsgericht noch Abklärungen zu treffen haben. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
376d7c18-485c-4d4f-988e-608f107c1379 | Urteilskopf
119 II 443
89. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 5 août 1993 dans la cause A. S.A. c. S. (recours en réforme) | Regeste
Verantwortlichkeit des Mieters eines Personenwagens; Kaskoversicherung.
1. Einfluss der Ungewöhnlichkeitsregel (E. 1a) und der Lesbarkeit (E. 1b) auf die Gültigkeit von vorformulierten allgemeinen Geschäftsbedingungen.
2. Eine Klausel über die Haftung des Mieters in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Autovermieters, die erheblich von den üblichen Regeln der Kaskoversicherung abweicht, ist nach
Art. 8 lit. a UWG
unlauter (E. 1c).
3. Schweres Verschulden im Sinne von
Art. 14 Abs. 2 VVG
(E. 2a); Verantwortlichkeit des Mieters (E. 2b). | Sachverhalt
ab Seite 444
BGE 119 II 443 S. 444
A.-
a) Par contrat du 27 avril 1990, A. S.A. a remis à bail à S. pour la période du 27 avril au 30 avril 1990 une automobile de marque BMW 735 I, dont la valeur à neuf était de 80'930 francs. Le loyer se montait à 218 francs par jour, plus 31 francs par jour à titre de "CDW". Le contrat stipulait que le locataire reconnaissait avoir pris connaissance des "conditions de location" et s'engageait à les respecter sans restriction. L'art. 10 al. 1 de ces conditions générales, sous l'intitulé "Responsabilité pour dommages", a la teneur suivante:
"Le locataire est responsable pour tous les dommages causés au véhicule loué pour le montant de la franchise stipulé dans le tarif de location en vigueur au moment de la location et ceci par sinistre. Si, pour obtenir la suppression de cette franchise, le locataire a accepté par ses initiales dans la case correspondante de la clause au verso "Suppression de franchise", et qu'il a payé le supplément mentionné dans le tarif officiel et qu'il justifie une longue expérience de conduite sans accident, A. S.A. est d'accord de dégager le locataire de toute responsabilité pour des dommages de collision mentionnés ci-dessus. Toutefois, en cas de négligence ou de violation des conditions du présent contrat ou des lois et règlements sur la circulation routière, le locataire demeure entièrement responsable de la totalité des dommages causés au véhicule."
b) Le 28 avril 1990, alors qu'il circulait avec l'automobile louée à Longvic (France), S. a perdu la maîtrise du véhicule, allant percuter sur sa droite la barrière de sécurité métallique qu'il a endommagée sur une longueur de vingt mètres. Sentant l'alcool et titubant légèrement, S. a été soumis au test de l'éthylomètre, qui a révélé un taux d'alcoolémie de 0,72-0,73g%o. La voiture a été entièrement détruite. Selon une expertise, dont le coût s'est élevé à 168 francs, la valeur du véhicule avant l'accident se montait à 44'000 francs et celle de l'épave à 8'000 francs.
c) Le 17 juillet 1990, A. S.A. a adressé à S. une facture d'un montant de 36'168 francs (valeur de la voiture avant l'accident, sous déduction de la valeur de l'épave, plus les frais d'expertise). S., après de vains rappels, a refusé de régler cette somme.
B.-
Par demande du 28 février 1991, A. S.A. a conclu à ce que S. soit condamné à lui payer 36'168 francs plus intérêts à 5% dès le 28 avril 1990.
Par jugement du 21 mai 1992, le Tribunal de première instance de Genève a rejeté entièrement les conclusions de la demande.
Statuant le 20 novembre 1992 sur appel de la demanderesse, la Cour de justice du canton de Genève a annulé ce jugement et condamné
BGE 119 II 443 S. 445
S. à verser à A. S.A. la somme de 7'500 francs plus intérêts à 5% dès le 28 avril 1990. L'autorité cantonale a considéré en substance que l'art. 10 des conditions générales de la demanderesse ne devait pas produire d'effet, car il rendait le défendeur responsable de l'intégralité du dommage causé au véhicule par la violation d'une règle sur la circulation routière, cela sans qu'il soit tenu compte de l'importance de sa faute. Le défendeur était fondé à croire, après avoir accepté la clause "CDW" du contrat du 27 avril 1990, qu'il avait conclu une assurance-casco ordinaire, laquelle couvrait le risque d'un dommage causé au véhicule par la faute légère du locataire. La faute commise par S. devant toutefois être qualifiée de grave, il se justifie, affirment les juges cantonaux, d'admettre les conclusions de la demanderesse à concurrence de 7'500 francs.
C.-
A. S.A. exerce un recours en réforme au Tribunal fédéral contre l'arrêt cantonal, dont elle demande l'annulation. Elle conclut à ce que S. soit condamné à lui verser 36'168 francs plus intérêts à 5% dès le 28 avril 1990.
S. propose le rejet du recours. Il forme également un recours joint, concluant à l'annulation de l'arrêt cantonal et à la confirmation du jugement du Tribunal de première instance.
La demanderesse conclut au rejet du recours joint.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
L'autorité cantonale a retenu, en se fondant notamment sur le témoignage de l'administrateur de la demanderesse, que les parties, lors de la signature du contrat du 27 avril 1990, ont entendu conclure une assurance-casco complète, comme l'atteste le fait que le défendeur a accepté la clause "CDW" dudit contrat, laquelle est l'abréviation de l'expression anglaise "collision damage waiver". Cette constatation lie le Tribunal fédéral en instance de réforme (
art. 63 al. 2 OJ
). Invoquant l'art. 10 de ses conditions générales, la demanderesse reproche toutefois à la cour cantonale d'avoir violé l'
art. 18 CO
en donnant à la clause "CDW" en cause une signification contraire au sens objectif que devait lui donner raisonnablement et de bonne foi le défendeur.
a) Il est de jurisprudence que celui qui signe un texte comportant une référence expresse à des conditions générales est lié au même titre que celui qui appose sa signature sur le texte même des conditions générales. Il importe peu à cet égard qu'il ait réellement lu les conditions générales en question (
ATF 109 II 456
consid. 4, 108 II
BGE 119 II 443 S. 446
418 consid. 1b). La validité des conditions générales d'affaires préformées doit être limitée par la règle dite de l'inhabituel, ou de l'insolite (Ungewöhnlichkeitsregel). En vertu de cette règle sont soustraites de l'adhésion censée donnée globalement à des conditions générales toutes les clauses inhabituelles, sur l'existence desquelles l'attention de la partie la plus faible ou la moins expérimentée en affaires n'a pas été spécialement attirée. La partie, qui incorpore des conditions générales dans le contrat, doit s'attendre, d'après le principe de la confiance, à ce que son partenaire contractuel inexpérimenté n'adhère pas à certaines clauses insolites (
ATF 109 II 456
consid. 4; KRAMER, n. 201 ss ad
art. 1 CO
; OR-BUCHER, n. 60 ad
art. 1 CO
; DESSEMONTET, Le contrôle judiciaire des conditions générales, in La nouvelle loi fédérale contre la concurrence déloyale, Cedidac 1988, p. 60 ss). Pour déterminer si une clause est insolite, il faut se placer du point de vue de celui qui y consent, au moment de la conclusion du contrat. La réponse est individuelle, une clause usuelle dans une branche de l'économie pouvant être insolite pour qui n'est pas de la branche. Eu égard au principe de la confiance, on se fondera sur les conceptions personnelles du contractant dans la mesure où elles sont reconnaissables pour l'autre partie. Il ne suffit pas que le contractant soit inexpérimenté dans la branche économique en question. Il faut en plus de ce critère subjectif que, par son objet, la clause considérée soit étrangère à l'affaire, c'est-à-dire qu'elle en modifie de manière essentielle la nature ou sorte notablement du cadre légal d'un type de contrat (
ATF 109 II 458
consid. 5b et les références). Plus une clause porte atteinte aux intérêts juridiques du contractant, plus il se justifie de la considérer comme insolite (
ATF 109 II 457
consid. 4 in fine).
b) En l'espèce, le défendeur a apposé sa signature sur un contrat qui renvoyait expressément aux "conditions de location" de la demanderesse. L'art. 10 de ces conditions générales n'était pourtant nullement mis en évidence; au contraire, il était rédigé en petits caractères (cf. au sujet de l'exigence de lisibilité des conditions générales KRAMER, n. 207 ad
art. 1 CO
, et MERZ, Le contrôle judiciaire des conditions générales du contrat en droit suisse, SJ 1975 p. 193 ss, spéc. p. 199). L'autorité cantonale a retenu sans être critiquée que l'attention de S. n'avait pas été spécialement attirée sur l'existence de l'art. 10 en cause, dont la lecture, à supposer que le défendeur ait pris connaissance des conditions générales avant de signer le contrat du 27 avril 1990, était au surplus rendue difficile en raison de la typographie utilisée. Cette disposition ne lui est donc opposable en vertu
BGE 119 II 443 S. 447
de la règle de l'insolite que dans la mesure où elle ne modifie pas essentiellement la nature du contrat. Les juges cantonaux ont qualifié à bon droit d'inhabituel l'art. 10 précité. En effet, en acceptant la clause "CDW", S. avait conclu une assurance-casco complète. Il pouvait donc partir de l'idée que s'il devait un jour commettre une violation simple des règles de la circulation routière, sa responsabilité ne serait pas engagée à l'égard de la bailleresse pour le dommage causé au véhicule loué. Il n'avait pas à prendre en compte le fait que cette clause, en s'écartant des règles usuelles en matière d'assurance-casco, affaiblissait considérablement sa situation juridique. Quant à la demanderesse, faute d'avoir sollicité l'attention du défendeur à cet égard, elle aurait dû savoir, en vertu du principe de la confiance, que S. ne voulait pas d'une assurance étendant de manière inhabituelle sa responsabilité pour les dommages survenant au véhicule loué en raison d'une collision. Il suit de là que l'art. 10 des conditions générales de la demanderesse n'est pas opposable au défendeur.
c) Quand bien même la demanderesse aurait signalé au défendeur l'existence de l'art. 10 de ses conditions générales, elle ne pourrait se retrancher derrière cette disposition pour rendre S. responsable de l'entier du dommage. L'art. 8 de la loi fédérale contre la concurrence déloyale (LCD, RS 241) prescrit qu'agit de façon déloyale celui qui, notamment, utilise des conditions générales préalablement formulées, qui sont de nature à provoquer une erreur au détriment d'une partie contractante et qui dérogent notablement au régime légal (let. a) ou prévoient une répartition des droits et des obligations s'écartant notablement de celle qui découle de la nature du contrat (let. b). Or, précisément, le libellé de l'art. 10 des conditions générales en cause est ambigu, comme le Tribunal fédéral avait déjà eu l'occasion de le préciser à la demanderesse dans une cause où elle était partie (consid. 1 non publié de l'
ATF 114 II 342
). Lisant les deux premières phrases de cette disposition, le lecteur candide peut se persuader qu'il a passé une assurance-casco complète; on peine sinon à comprendre le sens de la réglementation relative à la suppression de la franchise, qui a pour effet de "dégager le locataire de toute responsabilité pour des dommages de collision". C'est pourquoi la troisième phrase de l'art. 10 jette la confusion en affirmant la responsabilité du locataire pour toute faute, si légère soit-elle. Dans ces conditions, il y a lieu d'admettre que la limitation de la couverture d'assurance instaurée par l'art. 10 au détriment du défendeur s'écarte par trop des règles usuelles de l'assurance-casco, voire de la réglementation de l'art. 14 de la loi fédérale sur le contrat d'assurance (LCA, RS 221.229.1),
BGE 119 II 443 S. 448
de sorte que les prévisions de l'
art. 8 let. a LCD
devraient être réalisées (cf.
ATF 117 II 333
consid. 5; DESSEMONTET, op.cit., p. 65 ss). On peut se dispenser d'examiner si cette disposition pourrait être appliquée d'office en l'espèce ou s'il conviendrait qu'elle fasse l'objet d'un chef de conclusions spécial du défendeur (cf. GAUCH, Die Verwendung "missbräuchlicher Geschäftsbedingungen", Droit de la construction 1987, p. 57/58), dans la mesure où l'art. 10 des conditions d'affaires d'A. S.A. ne doit déployer aucun effet juridique conformément à la règle de l'insolite. De même peut rester indécis le point de savoir si, à considérer la formulation équivoque de l'art. 10 en cause, la demanderesse ne devrait pas déjà accepter que la responsabilité du défendeur à son égard soit réduite, en application de la règle dite de l'interprétation des clauses ambiguës (Unklarheitsregel) (
ATF 117 II 621
consid. 6c,
ATF 115 II 268
consid. 5a).
2.
L'autorité cantonale a admis à juste titre que le défendeur devait être placé dans la situation qui aurait été la sienne s'il avait loué un véhicule assuré en casco aux conditions habituelles de cette assurance. Faisant appel aux règles posées par la loi sur le contrat d'assurance, les juges cantonaux ont considéré que le défendeur avait endommagé le véhicule loué en commettant une faute grave au sens de l'
art. 14 al. 2 LCA
. A leurs yeux, la perte de maîtrise du véhicule, qui en a entraîné la destruction complète, est due au fait que S. était pris de boisson, ce qui constitue une faute grave de sa part, même si son taux d'alcoolémie, avec 0,72-0,73g%o, n'atteignait pas tout à fait la limite légale de 0,8g%o.
a) L'
art. 14 al. 4 LCA
dispose que si le sinistre est dû à une faute légère de l'ayant droit, la responsabilité de l'assureur demeure entière. En revanche, l'assureur n'est pas lié si le sinistre a été causé intentionnellement par l'ayant droit (
art. 14 al. 1 LCA
). Enfin, si l'ayant droit a causé l'événement assuré par une faute grave, l'assureur est autorisé à réduire sa prestation dans la mesure répondant au degré de la faute (
art. 14 al. 2 LCA
). Commet une faute grave celui qui viole un devoir élémentaire de prudence dont le respect s'impose à toute personne raisonnable placée dans la même situation (
ATF 95 II 340
consid. 6a,
ATF 93 II 352
consid. 5,
ATF 92 II 253
consid. 2; arrêt du Tribunal fédéral du 29 septembre 1988, consid. 3a, publié in SJ 1989, p. 105).
b) Dans son recours joint, le défendeur ne conteste pas que le dommage survenu au véhicule loué est dû à son comportement gravement fautif. Il prétend toutefois que l'autorité cantonale a violé le droit fédéral en le condamnant à verser 7'500 francs à la demanderesse.
BGE 119 II 443 S. 449
Seul l'assureur-casco, affirme-t-il, était en droit de lui réclamer une participation au dommage dépassant le montant de la franchise contractuelle, mais non le bailleur.
Le défendeur semble oublier qu'il répond du dommage causé à la chose louée en vertu de l'art. 271 aCO; il est donc tenu envers la demanderesse de réparer le préjudice qu'elle a subi, tant que celle-ci n'a pas été désintéressée par une assurance. La responsabilité du locataire ne peut être diminuée qu'au point de vue des rapports internes, en ce sens qu'après avoir indemnisé le bailleur, le premier est à même, suivant les circonstances, d'exercer un droit de recours contre l'assureur-casco du second (
ATF 114 II 342
et les arrêts cités). Le recours joint du défendeur doit ainsi être rejeté. | public_law | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3771929f-5e3e-4653-97e7-beb3bbfde8a3 | Urteilskopf
113 II 264
48. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. April 1987 i.S. Arbeitsgemeinschaft K.-S. gegen Firma X. (Berufung) | Regeste
Schaden durch Einsturz eines Lehrgerüstes. Verjährung.
1. Die Vereinbarung über die Erstellung eines Lehrgerüstes, das für den Bau einer Betonbrücke benötigt wird, untersteht dem Werkvertragsrecht (E. 2a).
2.
Art. 210 und 371 OR
. Verjährung im Werkvertragsrecht (E. 2b). Ein Lehrgerüst ist kein unbewegliches Bauwerk im Sinne von
Art. 371 Abs. 2 OR
; Gewährleistungsansprüche des Bestellers verjähren daher in der Regel mit Ablauf eines Jahres seit Ablieferung des Gerüstes (E. 2c).
3.
Art. 137 Abs. 2 OR
setzt voraus, dass die Forderung der Höhe nach anerkannt wird (E. 2d). Blosse Verhandlungen oder Vergleichsofferten nach Ablauf der Verjährungsfrist stellen weder eine nachträgliche Schuldanerkennung dar, die als Verzicht auf die eingetretene Verjährung betrachtet werden kann, noch lassen sie die Berufung auf die Verjährung als rechtsmissbräuchlich erscheinen (E. 2e). | Sachverhalt
ab Seite 265
BGE 113 II 264 S. 265
A.-
Der Bau der N3 erforderte beim Anschluss Weesen eine Dienstbrücke über den Escherkanal, die von der Arbeitsgemeinschaft K.-S. zu erstellen war. Im Mai 1977 vergab die Gemeinschaft den Bau des Lehrgerüstes für das Mittelfeld der Brücke an die Firma X. Verschiedene Arbeiten, die mit dem Bau des Gerüstes zusammenhingen, blieben Sache der Gemeinschaft.
Am 4. Juli 1977 wurde das Lehrgerüst von den Parteien besichtigt. Anwesend war auch ein Vertreter der Bauleitung, der in einem Protokoll vom 7. Juli festhielt, dass er die Parteien auf verschiedene Mängel aufmerksam gemacht habe, die bei der Fertigstellung des Gerüstes zu beachten seien.
Am 29. Juli 1977 begann die Arbeitsgemeinschaft mit dem Betonieren. Als die voraussichtliche Menge Beton zu etwa zwei Dritteln eingebracht war, stürzte das Lehrgerüst ein. Es entstand beträchtlicher Sachschaden.
B.-
Im November 1982 klagte die Arbeitsgemeinschaft K.-S. gegen die Firma X. auf Zahlung von Schadenersatz nebst Zins.
Das Bezirksgericht Steckborn wies die Klage am 3. November 1983 wegen Verjährung ab. Auf Appellation hin entschied das Obergericht des Kantons Thurgau am 6. September 1984 und am 2. Oktober 1986, dass die Klage nicht bloss wegen Verjährung, sondern auch materiell abzuweisen sei, weil die Klägerinnen für den Einsturz der Brücke allein verantwortlich seien.
C.-
Die Klägerinnen haben gegen die Entscheide des Obergerichts Berufung eingelegt, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(Ausführungen darüber, dass die Auffassung des Obergerichts, die Klägerinnen seien für den Einsturz des Gerüstes und für
BGE 113 II 264 S. 266
die Folgen davon allein verantwortlich, bundesrechtlich nicht zu beanstanden ist.)
2.
Bei diesem Ergebnis könnte an sich offenbleiben, ob das Obergericht die Klage auch wegen Verjährung der Schadenersatzforderung abweisen durfte. Die Bedeutung dieser Frage ist in Fällen wie dem vorliegenden indes nicht zu übersehen, zumal selbst verjährte Forderungen zur Verrechnung gestellt werden können und die Klägerinnen behaupten, der Versicherer der Beklagten habe die Deckung des Schadens, zumindest die Kosten für die Bergung und die Ermittlung der Schadensursache, zugesagt und mit ihnen während Jahren darüber verhandelt; die Klägerinnen stellen die Verjährungsfrage denn auch in den Vordergrund. Unter diesen Umständen rechtfertigt sich ausnahmsweise auch eine Stellungnahme zur zweiten Begründung des Obergerichts.
a) Dabei ist entgegen der Annahme der Klägerinnen aber nicht von Auftragsrecht, sondern von den Bestimmungen über den Werkvertrag auszugehen. Die Beklagte hatte laut "Auftragsbestätigung" vom 9. Mai 1977 das Lehrgerüst für das Mittelfeld der Dienstbrücke zu erstellen; ihre Verpflichtung bestand daher im Bau und in der Ablieferung eines Werkes im Sinne von
Art. 363 OR
, nicht in blossen Dienstleistungen. Dass das Lehrgerüst nicht das eigentliche Bauwerk darstellte, sondern bloss dessen Errichtung diente, ändert daran nichts. Auch Hilfsbauten gelten als Werke im Sinne des Gesetzes, gleichviel ob sie nur vorübergehend benötigt oder für eine längere Benützung erstellt werden. Diese Auffassung liegt unter anderem
BGE 111 II 171
zugrunde, wo es um die mangelhafte Montage einer Krananlage ging.
Dass das Lehrgerüst Pläne und statische Berechnungen erforderte, machte den Vertrag nicht zu einem Auftrag, selbst wenn zwischen den Parteien von einem solchen Vertragsverhältnis die Rede war. Das ergibt sich auch nicht aus
BGE 111 II 172
, wie die Klägerinnen anzunehmen scheinen, oder gar aus der neuesten Rechtsprechung, wonach auch geistige Arbeitserfolge - wiederum - dem Werkvertragsrecht unterstehen, wenn sie verkörpert und damit wahrnehmbar festgehalten werden (
BGE 109 II 37
/38 und 464/65; GAUCH, Der Werkvertrag, Rz. 42); dies trifft für ein Lehrgerüst augenfällig zu. Das gilt auch für den Generalunternehmer, der ein Werk zu projektieren und herzustellen hat (
BGE 97 II 68
E. 1 und
BGE 94 II 162
). Werkvertragsrecht wird daher nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Herstellung des Werkes besondere
BGE 113 II 264 S. 267
geistige Fähigkeiten und einen entsprechenden Arbeitseinsatz verlangt.
b) Ansprüche des Bestellers aus Mängeln des abgenommenen Werkes verjähren in einem oder fünf Jahren (
Art. 371 OR
), solche aus Pflichtverletzungen des Unternehmers vor Ablieferung des Werkes mit Ablauf von zehn Jahren (
Art. 127 OR
;
BGE 111 II 171
/72). Die massgebende Verjährungsfrist hängt damit in Fällen wie hier unter anderem davon ab, ob das Werk im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses abgenommen oder noch unvollendet war. Vollendet ist das Werk, wenn der Unternehmer alle vereinbarten Arbeiten ausgeführt hat (
BGE 94 II 164
E. 2c), was aber nicht heisst, dass es auch mängelfrei sein müsse (
BGE 107 II 52
/53; GAUCH, Rz. 96). Abgeliefert wird das Werk sodann durch Übergabe oder durch die Mitteilung des Unternehmers, das Werk sei vollendet (
BGE 97 II 353
E. 2c; GAUCH, Rz. 82 ff.).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts hatte die Beklagte am 4. Juli 1977, als die Parteien zusammen mit dem Vertreter der Bauleitung das Lehrgerüst besichtigten, ihre Arbeiten beendet. Die zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen, die damals besprochen, von der Arbeitsgemeinschaft vorgeschlagen und von der Bauleitung angeordnet wurden, waren von den Klägerinnen zu treffen. Ob das Lehrgerüst am 4. Juli auch im Sinne von
Art. 371 Abs. 2 OR
abgenommen worden sei, kann offenbleiben; eine solche Abnahme ist jedenfalls darin zu erblicken, dass die Klägerinnen am 29. Juli 1977 mit dem Betonieren der Brücke begannen, das Lehrgerüst also selber für fertig und zum Gebrauch bereit hielten. Ihre Ansprüche aus dem Einsturz des Gerüstes, das daraufhin versagte, erweisen sich damit als gewährleistungsrechtliche und unterstehen den Verjährungsfristen des
Art. 371 OR
, die spätestens am 29. Juli 1977 zu laufen begannen (GAUCH, Rz. 1622 f.).
c) Die Ansprüche des Bestellers wegen Mängeln des Werkes verjähren in der Regel mit Ablauf eines Jahres seit der Ablieferung (Art. 371 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 210 OR
), fünf Jahre nach Abnahme hingegen, wenn es sich um Mängel eines unbeweglichen Bauwerkes handelt (
Art. 371 Abs. 2 OR
). Diese Fristen gelten auch für Schadenersatzansprüche aus Werkmängeln (
BGE 77 II 249
).
Das streitige Lehrgerüst wurde nur für den Bau der Brücke benötigt, die voraussichtliche Dauer seiner Benützung daher auf drei Monate festgesetzt. Schon das spricht gegen die Annahme eines unbeweglichen Bauwerkes und damit gegen die Anwendbarkeit der längeren
BGE 113 II 264 S. 268
Verjährungsfrist.
Art. 371 Abs. 1 OR
beschränkt die Gewährleistungspflicht des Unternehmers auf ein Jahr, um zu verhüten, dass der Besteller seine Ansprüche erst in einem Zeitpunkt geltend mache, in dem der Unternehmer nicht mehr auf seine Gewährsleute, besonders auf die Materiallieferanten zurückgreifen kann.
Art. 371 Abs. 2 OR
will dagegen vermeiden, dass Ansprüche des Bestellers früher verjähren, als es die Natur des Werkes und der Mängel, die es aufweisen kann, rechtfertigt, weil oft erst nach längerer Zeit erkennbar wird, ob das Werk den Anforderungen der Festigkeit oder den geologischen und atmosphärischen Verhältnissen standhält. Es geht daher nicht an, jeden Arbeitserfolg, der mit einem unbeweglichen Bauwerk zusammenhängt, deswegen einem solchen Werk gleichzusetzen. Eine Leistung gilt vielmehr nur dann als unbewegliches Bauwerk, wenn der Gegenstand des Vertrages, durch den sie versprochen wird, nach seiner Natur selber als Bauwerk angesprochen werden kann (
BGE 93 II 245
/46). Das lässt sich von einer blossen Hilfsbaute zur Erstellung eines Werkes nicht sagen.
d) Die Ansprüche der Klägerinnen unterstehen deshalb der einjährigen Frist, die spätestens am 29. Juli 1977 zu laufen begann, durch das Sühnebegehren vom 1. November 1982 aber nur unterbrochen werden konnte, wenn sie vorher gehemmt oder bereits mit besonderer Wirkung unterbrochen worden war. Für Hinderungs- oder Stillstandsgründe gemäss
Art. 134 OR
liegt nichts vor. Die Klägerinnen berufen sich vielmehr auf eine Unterbrechung im Sinne von
Art. 137 Abs. 2 OR
, da die Beklagte bzw. deren Haftpflichtversicherung in der Vereinbarung der Parteien vom 30. Juli 1977 "die Schadensdeckung zugesagt", den Schaden also anerkannt habe; es gelte deshalb die zehnjährige Verjährungsfrist.
Eine Schuldanerkennung im Sinne dieser Bestimmung setzt indes voraus, dass die Forderung in der Urkunde nicht bloss grundsätzlich, sondern ihrer Höhe nach anerkannt wird; sie muss darin wie im Falle eines Urteils beziffert werden (
BGE 75 II 232
E. 3b und 61 II 336 E. 3; BECKER, N. 2 zu
Art. 137 OR
; VON BÜREN, OR Allg. Teil S. 437). Diesen Anforderungen genügt die Deckungszusage in der Vereinbarung vom 30. Juli 1977 nicht; wenn ihr überhaupt die Bedeutung einer Schuldanerkennung zukommt, vermochte sie höchstens eine neue einjährige Frist in Gang zu setzen (
Art. 137 Abs. 1 OR
), die am 30. Juli 1978 endete, sofern die Verjährung nicht vorher erneut unterbrochen wurde.
BGE 113 II 264 S. 269
Dass dies der Fall gewesen sei, machen die Klägerinnen nicht geltend; ihre Ansprüche sind daher spätestens am 30. Juli 1978 verjährt.
e) Die Klägerinnen wollen freilich durch wiederholt bekundete Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft der Haftpflichtversicherung davon abgehalten worden sein, die Verjährung rechtzeitig zu unterbrechen, insbesondere durch Klage; die Verjährungseinrede der Beklagten erweise sich deshalb als rechtsmissbräuchlich. Es ist richtig, dass diese Einrede einen Rechtsmissbrauch im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 ZGB
darstellt und daher nicht zu schützen ist, wenn sie gegen erwecktes Vertrauen verstösst, der Schuldner insbesondere ein Verhalten gezeigt hat, das den Gläubiger bewogen hat, rechtliche Schritte während der Verjährungsfrist zu unterlassen, und das seine Säumnis auch bei objektiver Betrachtungsweise als verständlich erscheinen lässt (
BGE 108 II 287
E. 5c;
BGE 89 II 262
E. 4; MERZ, N. 410 ff. zu
Art. 2 ZGB
). Der Schuldner muss den Gläubiger indes während offener Verjährungsfrist veranlasst haben zuzuwarten; ein vertrauensbildendes Verhalten nach Eintritt der Verjährung nützt dem Gläubiger nichts. Diesfalls wird die unklagbar gewordene Obligation nur dann wieder zu einer klagbaren, wenn der Schuldner auf die Verjährungseinrede verzichtet und die Forderung wenigstens teilweise vorbehaltlos anerkennt (SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I S. 248).
Für ein solches Verhalten der Beklagten oder ihrer Haftpflichtversicherung nach dem 30. Juli 1978 liegt hier nichts vor; aus der Berufung erhellt vielmehr, dass die Versicherung ihre Haftpflicht am 28. November 1978 abgelehnt hat. Blosse Vergleichsofferten und -verhandlungen reichen für die Annahme einer Schuldanerkennung nicht aus, wenn sie nicht zu einer Einigung führen. Es nützt den Klägerinnen daher nichts, dass die Versicherung angeblich noch 1981/82 bereit war, einen Drittel oder Viertel des Schadens zu übernehmen, behaupten sie doch nicht, sie hätten eine Offerte angenommen oder die Versicherung dabei behaftet; nach der Berufung erachteten sie das im Gegenteil "als zu wenig". Die Vergleichsangebote der Beklagten bzw. deren Versicherung lassen sich daher nicht als Schuldanerkennungen ausgeben, welche die Verjährungsfrist nach dem 30. Juli 1978 noch unterbrochen hätten, wie die Klägerinnen glauben machen wollen. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3776a0c8-410e-4171-a083-c4da1cd9d7fb | Urteilskopf
113 IV 32
10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Januar 1987 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen X. und Kons. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
. Schwerer Fall.
1. Bei Betäubungsmitteln, die auf unterschiedliche Art konsumiert werden können und bei denen entsprechend der Applikationsart verschieden grosse Mengen nötig sind, um die Gesundheit vieler Menschen zu gefährden, ist von der geringsten Stoffmenge auszugehen, die jene Gefahr bewirken kann (Präzisierung der Rechtsprechung).
2. Die Menge von 36 g Amphetamin kann die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen. | Erwägungen
ab Seite 33
BGE 113 IV 32 S. 33
Auszug aus den Erwägungen:
2.
Dem Beschwerdegegner H. wurde zur Last gelegt, er habe rund 300 g Amphetamin zwecks Weitergabe an Drittpersonen produziert. Die erste Instanz sah darin einen schweren Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
. Das Appellationsgericht verneinte dagegen das Vorliegen eines schweren Falles im Sinne dieser Bestimmung, nahm aber Gewerbsmässigkeit nach
Art. 19 Ziff. 2 lit. c BetmG
an.
Gestützt auf ein Gutachten, wonach Amphetamin bei oraler Einnahme und einer Tagesdosis von 40-80 mg nach rund 180 Tagen bzw. bei intravenöser Applikation und einer Tagesdosis von 500 mg nach rund 42 Tagen eine psychische Abhängigkeit bewirke, nahm das Appellationsgericht an, die "qualifizierende Menge" liege bei der ersten Anwendungsart bei ca. 144-288 g und bei der zweiten bei rund 420 g; da die Gefährlichkeit einer Droge aber nicht ausschliesslich von der Menge, sondern von weiteren Umständen, wie etwa der Anwendungsart, der zur Abhängigkeit führenden Zeitspanne usw., abhänge und nach ständiger und allgemein verbreiteter Erfahrung das Fixen die wirkungsvollere und deshalb weitaus gefährlichere Applikationsart als das Rauchen, das Schnupfen oder die orale Einnahme sei, sei für die Annahme eines qualifizierten Falles im Sinne des
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
die für die intravenöse Applikation massgebende Menge von 420 g zugrunde zu legen. Das Appellationsgericht verwarf damit die von der ersten Instanz unter Hinweis auf
BGE 106 IV 232
vertretene Auffassung, wonach von der Applikationsart auszugehen sei, bei der die kleinere Menge zu Abhängigkeit führe und die aus diesem Grunde die gefährlichere sei.
3.
Nach
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
liegt ein schwerer Fall vor, wenn der Täter "weiss oder annehmen muss, dass sich die Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln bezieht, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann". Mit dieser Umschreibung des die Qualifikation begründenden Gefährdungspotentials wird nicht die konkrete Verteilung und Verwendung des Stoffes erfasst, sondern das aus der Stoffmenge sich ergebende abstrakte Risiko (
BGE 111 IV 102
E. 2b). Von der Applikationsart, der betroffenen Personengruppe und dergleichen abhängige Risikofaktoren fallen daher ausser Betracht, zumal sich der Händler in aller Regel nicht darum kümmert noch wissen kann, von wem, wie und in welcher
BGE 113 IV 32 S. 34
Dosis die Droge schliesslich konsumiert werden wird (s.
BGE 107 IV 151
, 106 IV 232). Bei abhängigkeitserzeugenden Betäubungsmitteln, die auf unterschiedliche Art konsumiert werden können und bei denen entsprechend der Applikationsart verschieden grosse Mengen nötig sind, um die Gesundheit vieler Menschen zu gefährden, ist daher - soll der vom Gesetz bezweckte Schutz erreicht werden - von der geringsten Stoffmenge auszugehen, die jene Gefahr bewirken kann. Etwas anderes wollte auch in
BGE 107 IV 152
mit dem Hinweis auf die intravenöse Applikation als die gefährlichere Konsumart nicht gesagt werden, zumal bei Kokain, das in diesem Entscheid zur Diskussion stand, bei jener Anwendungsart tatsächlich geringere Stoffmengen die vom Gesetz verpönte Wirkung entfalten können als bei nasalem Genuss. Soweit deshalb unter Zitierung dieses Entscheides in
BGE 108 IV 66
E. 3 für die Bemessung der nach
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
erheblichen Menge von der gefährlicheren Konsumart und der bei dieser üblichen Rauschgiftdosis ausgegangen wurde, geschah dies weiterhin für Kokain, und es kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, es sei auch dann auf die intravenöse Applikation als die "gefährlichere Konsumart" abzustellen, wenn dabei - wie dies gemäss dem vorliegenden Gutachten bei Amphetamin der Fall zu sein scheint - für die Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen eine grössere Stoffmenge nötig ist als bei einer "weniger gefährlichen" Applikationsart, wie etwa bei der oralen Einnahme. Die Art der Applikation ist entgegen den insoweit missverständlichen Andeutungen in
BGE 109 IV 144
, 108 IV 66 und
BGE 107 IV 152
kein selbständiges Kriterium neben der Stoffmenge, sondern sie ist lediglich für die Bemessung der kleinsten Menge, welche die Gesundheit vieler Menschen gefährden kann, von Bedeutung. Bei Kokain ist dies die intravenöse Applikation (
BGE 108 IV 67
oben), bei einem andern Betäubungsmittel kann es eine andere Anwendungsart sein.
4.
a) Das Bundesgericht hat sich bis anhin noch nicht mit der Frage befassen müssen, welche Menge Amphetamin im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Anlässlich eines vom Kassationshof im Jahre 1983 mit einem Expertenkollegium durchgeführten Kolloquiums (s.
BGE 109 IV 144
) äusserten die Fachleute die Meinung, dass die Angabe von vertretbaren Grenzwerten für Amphetamin und ähnliche Substanzen nicht möglich sei; es wurde indessen
BGE 113 IV 32 S. 35
angedeutet, dass die Daten für Stimulantien vom Wirkungstyp des Amphetamins ungefähr jenen für Kokain entsprechen könnten. Für Kokain aber wurden 18 g als für die Gesundheit vieler Menschen gefährliche Menge angesehen. Zwischen diesem Wert und den im angefochtenen Urteil gestützt auf ein Gutachten angegebenen Amphetaminmengen von 144-288 g bzw. 420 g besteht eine so erhebliche Diskrepanz, dass sich der Kassationshof veranlasst sah, verschiedene Experten, die am Kolloquium vom Mai 1983 in Basel teilgenommen hatten, zur Frage der Gefährlichkeit des Amphetamins zu konsultieren. Dazu bestand unter den gegebenen Umständen auch deswegen Grund, weil nach der deutschen Rechtsprechung, auf die der Kassationshof in seinem Rundschreiben die angefragten Experten aufmerksam machte, 1,5 g Heroinhydrochlorid, 5 g Kokainhydrochlorid und 10 g Amphetaminbase eine "nicht geringe Menge" im Sinne von § 29 Abs. 3 Ziff. 4 und § 30 Abs. 1 Ziff. 4 dt.BtMG darstellen (s. NStZ 1986 S. 33 mit Hinweis auf die Ergebnisse des 6. Symposiums der toxikologischen Sachverständigen der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes vom 21./22. Mai 1986 in Berlin, s. dazu NStZ 1985 S. 163 f.), und demnach zwischen Kokain und Amphetamin ein Verhältnis von 1:2 angenommen wird.
Die Meinungen der Fachleute, welche auf das Rundschreiben des Kassationshofes antworteten, gehen auseinander. Mehrere Experten betonen, dass Angaben über die im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
gefährlichen Mengen bei Drogen allgemein und beim Amphetamin im besonderen schwierig sind. Ein Fachmann hält die relevante Menge für prinzipiell nicht bestimmbar. Nach der Auffassung einiger Experten ist aufgrund der heutigen Kenntnisse die Annahme eines Verhältnisses von 1:2 zwischen Kokain und Amphetamin vertretbar und kann somit die Menge von 36 g Amphetamin im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen. Andere Fachleute nehmen eine kleinere oder eine grössere (1:5) Verhältniszahl an.
b) Unter Berücksichtigung dieser Stellungnahmen sowie der Tatsache, dass
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
einzig die Betäubungsmittelmenge, durch welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr gebracht werden kann, zum qualifizierenden Moment erhebt, hält der Kassationshof in Übereinstimmung mit der zitierten bundesdeutschen Rechtsprechung die Annahme eines Verhältnisses von 1:2 zwischen Kokain und Amphetamin für begründet. Das bedeutet, dass die Menge von 36 g Amphetamin im Sinne von
BGE 113 IV 32 S. 36
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Die Sache ist daher in Gutheissung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
377ad85b-ac01-473c-a1e8-a855d7e4bfc5 | Urteilskopf
113 Ib 363
57. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. Dezember 1987 i.S. Zentralverband Schweizerischer Milchproduzenten gegen Mifa AG und Eidgenössisches Departement des Innern und i.S. Butyra gegen Mifa AG und Eidgenössisches Departement des Innern (Verwaltungsgerichtsbeschwerden) | Regeste
Lebensmittelverordnung; Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde (
Art. 103 lit. a OG
).
Legitimation des Dritten zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die lebensmittelpolizeiliche Zulassung eines Produktes (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 363
BGE 113 Ib 363 S. 363
Die Mifa AG, Frenkendorf, eine Tochtergesellschaft des Migros-Genossenschaftsbundes, hat ein Verfahren entwickelt, um aus einem Gemisch von Wasser (60%), eingesottener Butter (35,9%) und Sonnenblumenöl (3%) eine Wasserbutterfett-Emulsion herzustellen, die sich insbesondere als Brotaufstrich eignet, aber im Vergleich zu Butter und Margarine weniger als die Hälfte an Kalorien enthält. Insofern entspricht sie nach Herstellungsart (Emulgieren) und Kalorienarmut der Minarine (Art. 104 der Verordnung über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände vom 26. Mai 1936, Lebensmittelverordnung; SR 817.02), die eine im Fettstoff reduzierte Margarine (Art. 102 Lebensmittelverordnung) darstellt, herkömmlicherweise aber nicht im überwiegenden Fettanteil aus Butterfett gewonnen wird.
BGE 113 Ib 363 S. 364
Am 7. Juni 1985 verfügte das Bundesamt für Gesundheitswesen, dass das neu angemeldete Produkt "Valflora Minarine" weder unter dieser noch unter den Bezeichnungen "Valflora minical" oder "Brotaufstrich auf Butterbasis" bzw. "Brotaufstrich auf Milchfettbasis" zum Verkehr zugelassen werde.
Eine Verwaltungsbeschwerde der Mifa AG hiess das Eidgenössische Departement des Innern mit Entscheid vom 23. Oktober 1986 gut, hob die angefochtene Verfügung auf und wies die Sache an das Bundesamt für Gesundheitswesen zurück zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen.
Das Departement führte aus, über die Zulassung und die Sachbezeichnung neuartiger, in der Lebensmittelverordnung nicht vorgesehener Produkte sei nach den Kriterien der Gesundheitsgefährdung und der Täuschungsgefahr zu entscheiden. Eine Gesundheitsgefährdung stehe vorliegend ausser Diskussion und unter dem Aspekt der Täuschungsgefahr erscheine die Bezeichnung "Valflora minical; Brotaufstrich aus eingesottener Butter mit 3 Prozent Sonnenblumenöl, Fettgehalt 40 Prozent" als zulässig. Allfällige weitere Einzelheiten der Bewilligung (wie Verpackungsgestaltung) seien Sache des Bundesamtes für Gesundheitswesen.
Gegen diesen Entscheid erheben unabhängig voneinander der Zentralverband Schweizerischer Milchproduzenten und die Butyra Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Zentralverband Schweizerischer Milchproduzenten begründet seine Legitimation vorerst mit seiner ihm durch Art. 1 Abs. 2 lit. c des Milchwirtschaftsbeschlusses vom 7. Oktober 1977 (MWB 1977; SR 916.350.1) übertragenen öffentlichen Aufgabe zur Förderung des Absatzes und der Qualität der Verkehrsmilch und der Milchprodukte. Daraus allein kann die Legitimation indessen nicht abgeleitet werden. Die Beschwerdebefugnis von Trägern öffentlicher Verwaltung in dieser Eigenschaft richtet sich abschliessend nach
Art. 103 lit. b und c OG
. Diese Bestimmungen sehen weder die Legitimation des Zentralverbandes Schweizerischer Milchproduzenten noch der Butyra vor. Für ihre Legitimation genügt daher das allgemeine öffentliche Interesse an der richtigen Durchsetzung und einheitlichen Anwendung des Bundesrechts nicht (
BGE 110 Ib 153
/4 E. 1c,
BGE 107 Ib 173
/4 E. 2a,
BGE 105 Ib 359
E. 5a).
BGE 113 Ib 363 S. 365
2.
a) Gemäss
Art. 103 lit. a OG
ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Dieses allgemeine Beschwerderecht ist grundsätzlich auf Privatpersonen zugeschnitten. Gemeinwesen und mit öffentlichen Aufgaben betrauten Organisationen steht das Beschwerderecht ebenfalls zu, wenn sie durch die angefochtene Verfügung gleich oder ähnlich wie Private betroffen werden (
BGE 112 Ib 130
mit Hinweisen). Ein Verband kann sodann unter Umständen neben den eigenen Interessen die Interessen seiner Mitglieder vertreten. Diesbezüglich ist er zur Beschwerde berechtigt, wenn es sich um Interessen handelt, die er nach seinen Statuten zu wahren hat, die der Mehrheit oder doch einer grossen Anzahl seiner Mitglieder gemeinsam sind und zu deren Geltendmachung durch Beschwerde jedes dieser Mitglieder befugt wäre (
BGE 104 Ib 384
mit Hinweisen).
b) Die Butyra ist als "Schweizerische Zentralstelle für Butterversorgung" eine Genossenschaft des öffentlichen Rechts, die aus den Organisationen und Firmen gebildet wird, zu deren dauerndem Geschäftszweck der Buttergrosshandel gehört (Art. 15 Abs. 2 des Beschlusses der Bundesversammlung über Milch, Milchprodukte und Speisefette (Milchbeschluss) vom 29. September 1953; SR 916.350). Sie macht geltend, in ihrer - vom öffentlichen Recht geregelten - Tätigkeit durch die lebensmittelpolizeiliche Zulassung des streitigen Produktes wie ein Privater in ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen berührt zu sein. Sie hat nicht den Zweck, die wirtschaftlichen Interessen ihrer Grossistenmitglieder zu vertreten, sondern die öffentliche Aufgabe, Butter einzuführen und ihren Mitgliedern abzugeben bzw. die nichtverkäufliche Inland-Butter zu übernehmen und zu verwerten (Art. 16 Abs. 1 Milchbeschluss). Daraus darf sie keinen Gewinn erzielen. Vielmehr muss sie ihre Einnahmen dem Bund abliefern (Art. 9 Abs. 1 der Verordnung über die Butyra, Schweizerische Zentralstelle für Butterversorgung, vom 25. Oktober 1960; SR 916.357.1). Schon von daher erscheint fraglich, inwiefern sie wie ein Privater von einer allfälligen Umsatzeinbusse bei Butter betroffen sein kann. Die Frage braucht allerdings nicht weiter erörtert zu werden, wenn sich erweist, dass ein schutzwürdiges Interesse von Konkurrenten aus einer möglichen Konkurrenzsituation zwischen Butter und "Valflora minical" nicht besteht.
Aus einer möglichen Umsatzeinbusse von Butter durch die Zulassung des Produktes "Valflora minical" leitet neben der Butyra
BGE 113 Ib 363 S. 366
auch der privatrechtlich organisierte Zentralverband Schweizerischer Milchproduzenten seine Legitimation zur Verbandsbeschwerde her, stelle doch die überwiegende Mehrzahl seiner Mitglieder Butter her und wären daher als Konkurrenten selbständig beschwerdelegitimiert.
3.
a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann das für die Legitimation nach
Art. 103 lit. a OG
erforderliche Interesse rechtlicher oder auch bloss tatsächlicher Natur sein und braucht mit der Schutzrichtung der als verletzt gerügten Norm nicht übereinzustimmen (grundlegend
BGE 104 Ib 245
ff.). Doch wird verlangt, dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung stärker als jedermann betroffen sei und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehe. Diese Anforderungen sollen die Popularbeschwerde ausschliessen (
BGE 112 Ib 41
E. 1a, 158; je mit Hinweisen).
b) In
BGE 100 Ib 337
/8 wurde anlässlich einer Verbandsbeschwerde des Zentralverbandes Schweizerischer Milchproduzenten gegen die gesundheitspolizeiliche Zulassung eines Pulvers zur Herstellung von Schlagrahmersatz festgestellt, dass den Milchproduzenten - obwohl an sich Konkurrenten - die erforderliche Beziehungsnähe zum Streitgegenstand fehlt. Dieser Entscheid wurde von einem Teil der Lehre kritisiert (FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 158/9; FRITZ GYGI, Vom Beschwerderecht in der Bundesverwaltungsrechtspflege, in recht 1986, S. 12, Anm. 44; JACQUES MEYLAN, La jurisprudence administrative du Tribunal fédéral en 1974, in RDAF 32/1976, S. 21/22; ANDREAS JOST, Zum Rechtsschutz in Wirtschaftsverwaltungssachen, in ZSR 101/1982 II S. 546; zustimmend demgegenüber AUGUSTIN MACHERET, La qualité pour recourir, in ZSR 94/1975 II S. 172; GEROLD STEINMANN, Fragen der Beschwerdebefugnis im Bereiche der Preisüberwachung - Konsumenten-Beschwerde?, in ZBl 80/1979 S. 294/5). Insbesondere JOST weist mit ausführlicher Begründung darauf hin, dass zwischen einem natürlichen Erzeugnis und seinem direkten künstlichen Ersatzgut auf dem Markt eine so enge Beziehung bestehe, dass der Hersteller des natürlichen Produktes ein schutzwürdiges Interesse daran habe, durch die Rechtsmittelinstanz überprüfen zu lassen, ob nicht sein Konkurrent einen Wettbewerbsvorteil dadurch erlange, dass die Behörde ihm gegenüber die Lebensmittelverordnung unrichtig anwendet.
c) Die Anforderungen des Bundesgerichts an die Beziehungsnähe des Beschwerdeführers zum Streitgegenstand haben zum
BGE 113 Ib 363 S. 367
Zweck, die Popularbeschwerde auszuschliessen und eine kaum mehr zu begrenzende Öffnung des Beschwerderechts zu vermeiden. Eine rechtslogisch stringente, begrifflich fassbare Eingrenzung gibt es nicht, sondern nur eine praktisch vernünftige Begrenzung (GYGI, Vom Beschwerderecht in der Bundesverwaltungsrechtspflege, a.a.O., S. 11). Wo diese Grenze verläuft, ist für jedes Rechtsgebiet gesondert zu beurteilen. Bei der gesundheitspolizeilichen Zulassung von Produkten ist nicht zu übersehen, dass zahlreichen Produzenten und Händlern ähnlicher Produkte und auch Konsumenten ein gewisses faktisches Interesse nicht abgesprochen werden kann. Soll die Popularbeschwerde ausgeschlossen werden, sind an die Beziehungsnähe daher besonders hohe Anforderungen zu stellen, damit der Kreis der Beschwerdeberechtigten nicht überzogen wird.
Entsprechend ist daran festzuhalten, dass nicht schon beschwerdelegitimiert ist, wer ein Produkt herstellt oder verbreitet, das von einem neu zugelassenen Produkt konkurrenziert werden könnte. Produktekonkurrenz allein genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr eine Beziehung zur Streitsache, die sich von jener der zahlreichen Produzenten und Händler ähnlicher Produkte, die dasselbe oder ähnliche Bedürfnisse befriedigen, abhebt. Eine solche aber fehlt den Milchproduzenten bzw. der für den Buttermarkt zuständigen Organisation. Wohl haben sie ein Interesse, möglichst viel Butter abzusetzen. Diese Interessenlage besteht indessen bei jedem Hersteller irgendeines Produktes, weshalb daraus allein die Beschwerdelegitimation im Hinblick auf die gesundheitspolizeiliche Zulassung des Konkurrenzproduktes "Valflora minical" nicht abgeleitet werden kann.
d) Im Grunde vertreten die Beschwerdeführer allgemeine Interessen landwirtschaftspolitischer Natur. Dies wird dadurch bestätigt, dass der einzelne Milchproduzent an der Zulassung des Produktes "Valflora minical" wirtschaftlich interessiert ist, wenn zu dessen Herstellung seine Butter verwendet wird. Beschwerdeführer und Beschwerdegegnerin stehen nämlich nicht in einem direkten Konkurrenzverhältnis. "Valflora minical" besteht zu einem erheblichen Teil (35,9%) aus Butter selbst. Die Mifa AG ist also in erster Linie Käuferin von Butter, die sie von den Beschwerdeführern beziehen muss. Damit liegt ein Verhältnis zwischen Anbietern und Abnehmern und nicht zwischen Konkurrenten vor.
Schliesslich erscheint gar fraglich, ob die Butterproduzenten insgesamt auf der Detailhandelsstufe (welcher Interessengegensatz
BGE 113 Ib 363 S. 368
nach dem Gesagten ohnehin keine für die Beschwerdelegitimation genügende, enge Beziehung zum Streitgegenstand begründen könnte) eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Position erleiden. Es steht nämlich nicht zum vorneherein fest, ob das neue Produkt der Butter oder eher der Margarine bzw. Minarine den Markt streitig macht. Das zweite läge gerade im Interesse der Butterproduzenten insgesamt, die davon massgeblich profitieren könnten.
Stehen damit die Beschwerdeführer nicht in einer besonderen, beachtenswerten und nahen Beziehung zur Streitsache, ist ihre Legitimation zu verneinen, und auf die Beschwerden nicht einzutreten. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
377d2847-c098-48b3-a08c-185667c79de6 | Urteilskopf
125 V 8
2. Auszug aus dem Urteil vom 14. Januar 1999 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen KUKO Krankenkasse und Verwaltungsgericht des Kantons Bern, betreffend G. | Regeste
Art. 2 Abs. 3,
Art. 25 und 29 KVG
;
Art. 12-16 KLV
: Versicherungsleistungen an die Kosten für Pflege und Spitalaufenthalt des gesunden Neugeborenen.
Die Kosten für Pflege und Spitalaufenthalt des gesunden Neugeborenen können grundsätzlich nicht aus der Versicherung des Kindes entschädigt werden, weil in seiner Person keines der in
Art. 1 Abs. 2 KVG
genannten versicherten Risiken erfüllt ist.
Dass diese Kosten andererseits in den besonderen Leistungen bei Mutterschaft nicht vorgesehen sind, stellt eine planwidrige Unvollständigkeit in Form einer echten Lücke bei der Umschreibung der Leistungen in
Art. 29 Abs. 2 KVG
dar.
Da die Leistungen für das gesunde Kind unmittelbar nach der Geburt noch in engem Zusammenhang mit der Geburt selber stehen und als integrierender Bestandteil der Betreuung der Mutter betrachtet werden können, erscheint es vom System her logischer, diese - wie bereits unter Geltung des KUVG - durch die Versicherung der Mutter erbringen zu lassen. | Sachverhalt
ab Seite 9
BGE 125 V 8 S. 9
A.-
G. brachte am 26. Mai 1997 im Spital X eine gesunde Tochter zur Welt.
Das Spital X stellte am 28. Juli 1997 für die Kosten der Mutterschaft Rechnung und zwar für die Mutter im Betrag von Fr. 4'757.75 und für den Säugling im Betrag von Fr. 1'846.30. (...).
Die Personalkrankenkasse Z. (nachfolgend: PKK) als Versichererin der Tochter L. lehnte die Übernahme der für den Säugling in Rechnung gestellten Kosten unter Berufung auf ein Schreiben des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) ab. In der Folge weigerte sich mit Verfügung vom 2. Oktober 1997 auch die KUKO Krankenkasse (nachfolgend: KUKO) als Versichererin der Mutter, diese Kosten zu übernehmen. Mit Einspracheentscheid vom 23. Oktober 1997 hielt sie an dieser Haltung fest.
B.-
Beschwerdeweise beantragte G., die vom Spital X für die Tochter L. in Rechnung gestellten Kosten seien von der KUKO zum Kassentarif zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die Beschwerde mit Entscheid vom 14. Januar 1998 ab.
C.-
Das BSV führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die KUKO sei zur Übernahme der Kosten für Aufenthalt und Pflege von L. im Spital X aus der obligatorischen Krankenversicherung zu verpflichten.
Die KUKO schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Demgegenüber beantragen die als Mitinteressierte beigeladenen G. und PKK sinngemäss deren Gutheissung.
D.-
Am 14. Januar 1999 hat das Eidg. Versicherungsgericht eine parteiöffentliche Beratung durchgeführt.
BGE 125 V 8 S. 10
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig und zu prüfen ist, ob und bejahendenfalls in welchem Ausmass die KUKO als Versichererin der Mutter die vom Spital X in Rechnung gestellten Kosten für die Zeit vom 26. Mai bis 2. Juni 1997 betreffend Pflege und Aufenthalt der neugeborenen Tochter zu übernehmen hat. Unbestritten ist dabei, dass der Säugling gesund war.
2.
a) Das BSV erliess am 21. März 1997 eine Weisung an die anerkannten Krankenversicherer und Empfehlung an die Spitäler betreffend Übernahme der Pflegekosten für Neugeborene. Es führte darin aus, dass diesbezügliche rechtliche Unklarheiten nicht auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen werden sollten, und hielt aus diesem Grunde dafür, dass die Kosten für den Aufenthalt und die Pflege von gesunden Säuglingen während der Erholungszeit der Mutter nach der Geburt durch den Krankenversicherer der Mutter zu übernehmen seien.
b) Die KUKO als Versichererin der Mutter weigerte sich demgegenüber mit Verfügung vom 2. Oktober 1997 und Einspracheentscheid vom 23. Oktober 1997, die vom Spital in Rechnung gestellten Kosten für Pflege und Aufenthalt des Säuglings zu übernehmen. Zur Begründung führte sie aus, die Empfehlung des BSV sei bei verschiedenen Krankenversicherern auf erhebliche Kritik gestossen. Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) gehe vom Grundsatz aus, dass die Kosten jeweils bei der Versicherung derjenigen Person anfallen würden, welche die Leistungen konkret in Anspruch nehme. Mit der Einführung des Versicherungsobligatoriums geniesse das neugeborene Kind von Anfang an Versicherungsschutz, so dass sich keine Deckungslücken ergeben könnten. Demnach habe die Versicherung des Kindes für die Kosten aufzukommen. Hätte der Gesetzgeber eine Leistungspflicht der Versicherung der Mutter vorsehen wollen, hätte er im Rahmen der relativ neuen Gesetzgebung Gelegenheit dazu gehabt.
c) Die von der Mutter beschwerdeweise beantragte Kostenübernahme durch die KUKO wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern im Wesentlichen mit der Begründung ab, dem Wortlaut nach lasse sich weder aus der allgemeinen Leistungsumschreibung des Krankenversicherungsgesetzes noch aus
Art. 26 KVG
über die medizinische Prävention, noch aus
Art. 29 KVG
in Verbindung mit
Art. 2 Abs. 3 KVG
über die Mutterschaft und der gestützt darauf erlassenen Bestimmungen in der
BGE 125 V 8 S. 11
Krankenpflege-Leistungsverordnung (
Art. 12-16 KLV
) eine Verpflichtung des Versicherers der Mutter zur Leistungserbringung an das (nicht bei ihm versicherte) Kind ableiten. Gerade aus dem Wortlaut der Regelung der Mutterschaftsleistungen ergebe sich, dass diese ausschliesslich Leistungen für die Mutter, nicht aber für das Neugeborene umfassen. Dieser sei eindeutig und klar und lasse keine Auslegung zu. Bei Berücksichtigung weiterer Auslegungselemente wie Sinn und Zweck einer Regelung ergebe sich kein anderes Ergebnis. Es liege auch keine (echte) Gesetzeslücke vor. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die streitige Frage mit Blick auf das neue Versicherungsobligatorium bewusst so geregelt habe, dass jedenfalls nicht der Versicherer der Mutter für die Betreuung des Kindes aufzukommen habe.
d) Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragte Kostenübernahme durch die KUKO begründet das BSV schliesslich damit, dass eine Gesetzeslücke vorliege. Es gebe keine Hinweise dafür, dass der Gesetzgeber des neuen Krankenversicherungsgesetzes die Kosten für den Aufenthalt und die Pflege von gesunden Neugeborenen während der Erholungszeit der Mutter aus dem Leistungskatalog der nunmehr obligatorischen Krankenversicherung habe herauslösen wollen. Die Logik spreche für die Übernahme dieser Kosten durch die Versicherung der Mutter.
3.
Eine Lücke des Gesetzes, wie sie das BSV geltend macht, liegt vor, wenn sich eine gesetzliche Regelung als unvollständig erweist, weil sie auf eine bestimmte Frage keine (befriedigende) Antwort gibt. Bevor eine ausfüllungsbedürftige Lücke angenommen werden darf, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob das Fehlen einer ausdrücklichen Anordnung nicht eine bewusst negative Antwort des Gesetzgebers, ein sog. qualifiziertes Schweigen darstellt. Ist dies zu verneinen, bleibt zu prüfen, ob sich mit Hilfe der Auslegungsregeln dem Gesetz eine stillschweigende Anordnung entnehmen lässt. Erst nach Verneinung dieser Frage kann von einer Lücke gesprochen werden (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., S. 46 Rz. 192 ff.). Herrschende Lehre und bundesgerichtliche Rechtsprechung unterscheiden echte und unechte Lücken (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 46 Rz. 195 ff.; KNAPP, Précis de droit administratif, 4. Aufl., S. 93 Nr. 441; HÄFELIN, Zur Lückenfüllung im öffentlichen Recht, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans Nef, S. 91 ff., alle mit Hinweisen). Während bei einer echten Lücke eine sich unvermeidlich stellende Rechtsfrage nicht beantwortet wird und der Richter diese unter Rückgriff auf die
BGE 125 V 8 S. 12
ratio legis zu schliessen hat (
BGE 124 V 307
Erw. 4c,
BGE 119 V 255
Erw. 3b, 118 V 298 Erw. 2e, je mit Hinweisen), liegt bei einer unechten Lücke eine sachlich unbefriedigende Antwort vor, deren Korrektur den rechtsanwendenden Organen grundsätzlich nicht bzw. nur unter strengen Voraussetzungen erlaubt ist (
BGE 124 V 164
f. Erw. 4c und 275 Erw. 2a,
BGE 122 V 98
Erw. 5c und 329 Erw. 4 in fine,
BGE 121 V 176
Erw. 4d, je mit Hinweisen).
4.
Zu prüfen ist demzufolge zunächst, ob eine gesetzliche Regelung bezüglich der Übernahme der Kosten für Pflege und Spitalaufenthalt des gesunden Neugeborenen besteht.
a)
Art. 2 KVG
erläutert Begriffe, die im Gesetz Verwendung finden, so u.a. in Abs. 3 den Begriff der Mutterschaft:
3 Mutterschaft umfasst Schwangerschaft und Niederkunft sowie die nachfolgende Erholungszeit der Mutter.
Unter der Sachüberschrift "Mutterschaft" sieht
Art. 29 KVG
folgende Leistungen vor:
Art. 29 Mutterschaft
1 Die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt neben den Kosten für die gleichen Leistungen wie bei Krankheit die Kosten der besonderen Leistungen bei Mutterschaft.
2 Diese Leistungen umfassen:
a. die von Ärzten und Ärztinnen oder von Hebammen durchgeführten oder ärztlich angeordneten Kontrolluntersuchungen während und nach der Schwangerschaft;
b. die Entbindung zu Hause, in einem Spital oder einer Einrichtung der teilstationären Krankenpflege sowie die Geburtshilfe durch Ärzte und Ärztinnen oder Hebammen;
c. die notwendige Stillberatung.
In den Artikeln 13-16 der Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (KLV) hat das Departement die in Art. 29 Abs. 2 lit. a und c vorgesehenen Leistungen näher umschrieben, so in
Art. 13 KLV
die Kontrolluntersuchungen während der Schwangerschaft, in
Art. 14 KLV
den Beitrag an Kurse für die Geburtsvorbereitung, in
Art. 15 KLV
die Stillberatung und in
Art. 16 KLV
die Leistungen der Hebammen. Zudem übernimmt die Krankenversicherung gemäss
Art. 12 KLV
neben den Kosten für die Diagnose und die Behandlung auch die Kosten diverser in einer Liste aufgezählten Massnahmen der Prävention gemäss
Art. 26 KVG
, so unter anderem die Untersuchung des Gesundheitszustandes und der normalen kindlichen Entwicklung bei Kindern im Vorschulalter,
BGE 125 V 8 S. 13
Untersuchungen auf bestimmte Syndrome oder Mangelerscheinungen sowie Tests, Impfungen und Prophylaxe bei Neugeborenen.
b) Mutterschaft als Oberbegriff umfasst gemäss
Art. 2 Abs. 3 KVG
die Begriffe Schwangerschaft, Niederkunft und die nachfolgende Erholungszeit der Mutter. In dieser Begriffsumschreibung werden sowohl die Schwangerschaft wie auch die Niederkunft ohne Bezug zu Mutter oder Kind genannt. Erst die Erholungszeit, abgetrennt von Schwangerschaft und Niederkunft durch das Wort "sowie", wird der Mutter zugeordnet. Dabei handelt es sich nicht etwa um die wenigen Tage, während welchen sich die Mutter (und das Kind) nach der Geburt im Spital aufhalten, sondern um die "nachfolgende" Erholungszeit der Mutter, die wesentlich länger dauert und vom Begriff her die Grundlage für das Taggeld bei der Mutterschaft bildet (
Art. 74 KVG
). Versicherungsleistungen während der Schwangerschaft sind klarerweise für die Mutter bestimmt. Dazu gehört beispielsweise auch der Eingriff am Nasciturus. An der Niederkunft indessen ist das Kind weit stärker als zuvor (während der Schwangerschaft) mitbeteiligt. Sorge und Bemühungen der Ärzte, Ärztinnen und Hebammen gelten gleichermassen Mutter und Kind. Vom Wortlaut wie auch von Sinn und Zweck der Bestimmung her ist demzufolge - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - im Begriff "Mutterschaft" in
Art. 2 Abs. 3 KVG
sicher auch das Kind enthalten.
Die Umschreibung der Leistungen der Mutterschaft in
Art. 29 KVG
erfolgt mittels eines Verweises auf die Leistungen wie bei Krankheit (Abs. 1) und einer abschliessenden Aufzählung der besonderen Leistungen bei Mutterschaft (Abs. 2). Pflege und Spitalaufenthalt des gesunden Neugeborenen sind in dieser Bestimmung und auch in den dazu erlassenen Verordnungsbestimmungen nicht enthalten, dies im Gegensatz zur Regelung unter altem Recht, wo in
Art. 14 Abs. 2 KUVG
unter den Leistungen bei Mutterschaft ein vom Bundesrat festzusetzender Beitrag an die Kosten der Pflege des Kindes, solange es sich mit der Mutter in der Heilanstalt aufhält, bzw. an die Kosten der Pflege und Behandlung des Kindes, solange es innerhalb von zehn Wochen nach der Geburt der Behandlung in der Heilanstalt bedarf, figurierte. Diese Änderung begründete der Bundesrat in der Botschaft über die Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991 wie folgt: "Da die Versicherung nun obligatorisch wird, besteht keine Notwendigkeit mehr, unter den Leistungen bei Mutterschaft auch spezielle Leistungen für das Kind vorzusehen (Beitrag an Pflegekosten bzw.
BGE 125 V 8 S. 14
Pflege- und Behandlungskosten gemäss
Art. 14 Abs. 2 Ziff. 3 KUVG
)" (vgl. BBl 1992 I 156 zu Art. 23 Abs. 2). Zudem erwähnte er im Zusammenhang mit der Ersetzung des Stillgeldes durch die Deckung der Kosten für eine allfällige Stillberatung, dass dies im Sinne einer vollständigeren Pflegeversicherung auch bei Mutterschaft sei (BBl 1992 I 157 zu Art. 23 Abs. 2 Buchstabe c). Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber die bisher gedeckten Leistungen für das Neugeborene ungeschmälert auch unter dem neuen Recht in der obligatorischen Krankenversicherung belassen wollte. Mit Blick auf das Versicherungsobligatorium hat er jedoch offensichtlich die Tatsache übersehen, dass damit die Versicherung nur für Krankheit des Kindes geregelt ist und nicht für Pflege und Unterhalt des gesunden Neugeborenen. Der Vollständigkeit halber kann darauf hingewiesen werden, dass dieses Versehen anlässlich der Teilrevision des KVG durch Ergänzung einer Litera d im spezifischen Leistungskatalog von Art. 29 Abs. 2 behoben werden soll (vgl. BBl 1999 838 zu Art. 29 Abs. 2 Buchstabe d).
c) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Kosten für Pflege und Aufenthalt des gesunden Neugeborenen im Spital grundsätzlich nicht aus der Versicherung des Kindes entschädigt werden können, weil in seiner Person keines der in
Art. 1 Abs. 2 KVG
genannten versicherten Risiken erfüllt ist. Die Hilflosigkeit des Kleinkindes ist keine Krankheit. Die Kosten sind andererseits in den besonderen Leistungen bei Mutterschaft (
Art. 29 Abs. 2 KVG
) nicht vorgesehen (EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz. 171 S. 85). Das Fehlen einer Regelung bezüglich der Kosten für Pflege und Spitalaufenthalt des gesunden Neugeborenen ist - wie aus der vorherigen Erwägung hervorgeht - kein qualifiziertes Schweigen, sondern eine planwidrige Unvollständigkeit. Mangels Beantwortung einer sich unvermeidlich stellenden Frage liegt - wie auch das BSV einräumt - eine echte Lücke bei der Umschreibung der Leistungen in
Art. 29 Abs. 2 KVG
vor. Diese hat das Gericht nach jener Regel zu schliessen, die es als Gesetzgeber aufstellen würde (
BGE 124 V 307
Erw. 4c in fine,
BGE 119 V 255
Erw. 3b).
5.
Bei der zu beantwortenden Frage, welche Versicherung für die Kosten von Pflege und Spitalaufenthalt des gesunden Neugeborenen aufkommen soll, hat sich das Gericht vom im KVG verankerten Konzept einer Mutterschaftsversicherung für medizinische Leistungen leiten zu lassen. Angesichts der sozialversicherten Eventualität der Mutterschaft, welche begrifflich Schwangerschaft,
BGE 125 V 8 S. 15
Niederkunft und nachfolgende Erholungszeit der Mutter umfasst, liegt es - trotz der individuellen Rechtsfähigkeit des Neugeborenen und des Versicherungsobligatoriums - nahe, die Symbiose "Mutter und Kind" versicherungstechnisch für eine beschränkte Zeit nach der Geburt aufrechtzuerhalten. Das KVG stellt die Mutterschaft, nicht jedoch die Kindschaft dem versicherten Risiko einer Krankheit gleich. Die Leistungen für das gesunde Kind unmittelbar nach der Geburt wie übliche Pflege und Aufenthalt, stehen noch in engem Zusammenhang mit der Geburt selber und können als integrierender Bestandteil der Betreuung der Mutter betrachtet werden, weshalb es vom System her logischer erscheint, diese - wie bereits unter Geltung des KUVG - durch die Versicherung der Mutter erbringen zu lassen. Diese Regelung rechtfertigt sich auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Leistungserbringer vorübergehend Aufgaben der Mutter wahrnimmt. Die Behandlung und Pflege des kranken Kleinkindes wie auch Massnahmen der medizinischen Prävention (
Art. 26 KVG
;
Art. 12 KLV
) hingegen gehen zu Lasten der Versicherung des Kindes (vgl. auch EUGSTER, a.a.O., Rz. 171 S. 85). Durchführungstechnische Gesichtspunkte wie allfällige Abgrenzungsprobleme vermögen keine andere Lösung zu rechtfertigen. Der Entwurf zur Teilrevision des KVG beinhaltet denn auch eine neue Litera d in Art. 29 Abs. 2, wonach die Kosten der Pflege und des Aufenthaltes des gesunden Neugeborenen, solange es sich mit der Mutter im Spital aufhält, zu Lasten der Versicherung der Mutter gehen sollen (vgl. BBl 1999 I 859).
6.
Wie aus den bisherigen Erwägungen hervorgeht, hat demzufolge die KUKO als Versichererin der Mutter die Kosten für Aufenthalt und Pflege der neugeborenen Tochter im Spital X vom 26. Mai bis 2. Juni 1997 grundsätzlich zu übernehmen. Die Sache ist daher an sie zurückzuweisen, damit sie in masslicher Hinsicht über den vom Spital in Rechnung gestellten Betrag befinden und über den Leistungsanspruch der Mutter neu verfügen kann. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3782d728-1636-4a81-8b5b-db3bde2b8337 | Urteilskopf
119 V 448
65. Arrêt du 26 novembre 1993 dans la cause X contre Caisse-maladie SVRSM; Caisse-maladie Helvetia; Société Suisse Grutli; Chrétienne-sociale suisse; Caisse-maladie Intras; CMB et Tribunal arbitral 25 LAMA, Neuchâtel. | Regeste
Art. 23 KUVG
: "Polypragmasie".
- Zusammenfassung der Rechtsprechung: Bedeutung der statistischen Methode und der Berechnungsgrundlagen, in casu der während dreier Monate gültige Krankenschein im Sinne von alt Vo V, Art. 26 (E. 4c).
- Die kombinierte Anwendung der statistischen und der analytischen Methode ist zulässig, nicht aber obligatorisch (E. 4d).
- In einem Streit über "Polypragmasie" haben die obsiegenden Krankenkassen, die durch einen von ihnen unabhängigen Rechtsanwalt vertreten sind, grundsätzlich Anspruch auf eine Parteientschädigung (E. 6b). | Sachverhalt
ab Seite 448
BGE 119 V 448 S. 448
A.-
Le docteur X exploite depuis l'année 1974 un cabinet de médecine générale avec une installation de radiologie.
Invoquant un cas de polypragmasie, six caisses-maladie (SVRSM, Helvetia, Grutli, Chrétienne-sociale suisse, Intras et Fraternelle de prévoyance [reprise plus tard par la CMB]) ont saisi, en 1982 et en 1983, la commission paritaire instituée par la Société neuchâteloise de médecine (SNM) et la Fédération cantonale neuchâteloise des sociétés de secours mutuels (FCNM) d'une requête en
BGE 119 V 448 S. 449
restitution d'honoraires facturés par le médecin prénommé en 1980 et en 1981.
B.-
La procédure conciliatoire ayant échoué, les six caisses-maladie ont ouvert action devant le Tribunal arbitral de l'assurance-maladie du canton de Neuchâtel, par exploit du 15 décembre 1983, en concluant à ce que le docteur X fût condamné à leur rembourser, avec intérêts, une somme totale de 75'348 fr. 40.
Par jugement du 6 octobre 1992, les juges arbitres ont admis partiellement la demande et condamné le docteur X à rembourser aux caisses demanderesses un montant de 41'499 francs, et à supporter trois quarts des frais de la procédure.
C.-
X interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont il demande l'annulation, en concluant au rejet de la demande, avec suite de dépens.
Les caisses-maladie intimées concluent au rejet du recours, avec suite de dépens. Quant à l'Office fédéral des assurances sociales, il renonce à prendre position.
Les moyens des parties seront exposés ci-après en tant que de besoin.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La procédure qui, en première instance, oppose devant le tribunal arbitral prévu par l'
art. 25 LAMA
un médecin à une caisse-maladie, et qui porte sur le remboursement d'honoraires du médecin, ne concerne pas l'octroi ou le refus de prestations d'assurance au sens de l'
art. 132 OJ
(cf.
ATF 103 V 149
consid. 1). Il s'ensuit que le Tribunal fédéral des assurances doit se borner à examiner si les premiers juges ont violé le droit fédéral, y compris par l'excès ou par l'abus de leur pouvoir d'appréciation, ou si les faits pertinents ont été constatés d'une manière manifestement inexacte ou incomplète, ou s'ils ont été établis au mépris de règles essentielles de procédure (art. 132 en corrélation avec les
art. 104 let. a et b et 105 OJ
; RAMA 1984 no K 573 p. 76 consid. 3).
2.
a) Devant le tribunal arbitral, les caisses-maladie demanderesses ont rappelé - en se référant à l'arrêt paru dans la RJAM 1982 no 489 p. 131 consid. 3b - que le Tribunal fédéral des assurances avait expressément reconnu la valeur et la prise en compte des statistiques du Concordat des caisses-maladie (le Concordat) comme moyen de preuve de l'existence d'une polypragmasie.
BGE 119 V 448 S. 450
Analysant le coût moyen par cas du défendeur selon la méthode statistique, les demanderesses ont estimé que la moyenne des honoraires par cas de maladie facturés en 1980 et en 1981 par le docteur X avait largement dépassé le coût moyen des traitements dispensés par le groupe des praticiens neuchâtelois exerçant dans la même spécialité. Ce coût moyen s'est élevé à 202 fr. 90 en 1980, alors que la moyenne cantonale de la même catégorie professionnelle était de 131 fr. 21 (ce qui correspond à un dépassement de 54,6%). En 1981, ce coût moyen était de 216 fr. 67 par cas, alors que la moyenne cantonale se montait à 132 fr. 15 (ce qui représente un excédent de 63,9%). Les demanderesses ont également produit une liste de cas dans lesquels elles estimaient que le défendeur avait contrevenu au précepte de l'économie du traitement.
b) Le docteur X a contesté avoir prodigué des traitements non économiques. II a notamment allégué que sa clientèle n'était pas comparable à celle de ses confrères neuchâtelois, qu'il était confronté à des cas difficiles présentant plusieurs affections simultanées, et que ses patients (issus de la campagne) rechignaient à se faire hospitaliser, ce qui augmentait d'autant le coût du traitement ambulatoire.
Par ailleurs, le défendeur a soutenu que les statistiques du Concordat étaient entachées de défauts qui leur enlevaient toute valeur probante et toute fiabilité, et qu'elles ne représentaient pas une base de comparaison suffisante, que ce soit d'une manière générale, ou dans le cas d'espèce. En particulier, il a contesté la validité de l'unité de comparaison prise en compte dans ces statistiques, à savoir le "cas de maladie" trimestriel (cf. l'ancien art. 26 Ord. V).
c) Plusieurs experts ont exprimé leur avis en procédure cantonale.
Dans un rapport établi le 31 janvier 1986 à la demande du tribunal arbitral, le professeur G., de l'Institut universitaire de médecine sociale et préventive à Lausanne, a mis en doute la validité de la méthode statistique utilisée par le Concordat, celle-ci n'étant pas suffisamment fondée du point de vue de l'inférence statistique. A ses yeux, les statistiques du Concordat ne représentent pas une base de comparaison suffisante, tant d'une manière générale que dans le cas particulier.
En revanche, le professeur S., qui enseigne notamment les statistiques et les mathématiques en matière d'assurances privées et sociales à l'Université de Berne, mandaté par les caisses-maladie demanderesses, a estimé que la méthode statistique permet de mettre en évidence les médecins dont les coûts de traitement s'écartent fortement des valeurs moyennes. D'après lui, ces statistiques constituent
BGE 119 V 448 S. 451
une première base de comparaison, qu'il convient ensuite de compléter par l'examen des feuilles-maladie, lesquelles doivent être évaluées par sondages.
Ayant renoncé - en raison du coût disproportionné - à mettre en oeuvre une expertise analytique, les premiers juges ont autorisé les caisses-maladie demanderesses à produire une liste de cas susceptibles de révéler une polypragmasie. Ces dernières ont alors produit une liste de 241 cas, avant de demander que l'examen fût restreint à 27 dossiers médicaux. Les docteurs D. et Si. (médecins-conseils de la FCNM/SNM), et De. (médecin-conseil de l'Helvetia et de la Chrétienne-sociale suisse) ont procédé à cette étude (rapport du 10 novembre 1989). Ils ont relevé que le défendeur utilisait, dans la majorité des 27 cas qui leur ont été soumis, une batterie standard de tests qui couvrait en même temps l'hématologie, la chimie des affections de tous les systèmes anatomiques - cardio-vasculaire, respiratoire, digestif, hépatique, urinaire - et l'analyse de toutes les enzymes disponibles. Ils ont remarqué que cette méthode de travail, au demeurant parfaitement honorable, était rare dans la pratique en raison de son coût (environ 350 francs par test en 1979), et ont affirmé qu'elle ne correspondait pas au précepte de l'économie du traitement prévu par la LAMA, d'autant moins que certaines analyses et radiographies étaient répétées après un intervalle de quelques jours.
Un second expert judiciaire, le professeur Do., du Groupe de statistique de l'Université de Neuchâtel, a estimé que les dépassements des valeurs moyennes reprochés au défendeur étaient dus au fait que ce dernier présentait un certain nombre de cas avec des coûts particulièrement élevés et qu'une telle situation ne se retrouvait pas chez ses confrères, bien qu'il ait une clientèle apparemment comparable aux autres médecins de son groupe. En particulier, le professeur Do. a constaté que si la situation du défendeur était identique à celles des autres praticiens pour la grande majorité des cas qui se situaient entre 0 et 300 francs, il avait beaucoup plus de cas de maladie que ses confrères, lorsque le coût du traitement s'élevait entre 300 et 600 francs, que ce phénomène s'accentuait encore entre 600 et 900 francs, et qu'il était le seul à présenter des cas dépassant 900 francs (rapport du 23 mars 1992).
d) Se fondant sur ces avis et expertises, le tribunal arbitral a considéré que les statistiques établies par le Concordat des caisses-maladie et la Fraternelle de prévoyance n'ont pas de valeur scientifique et qu'elles ne permettent pas à elles seules d'établir avec certitude des comparaisons fiables des coûts de maladie, en général et
BGE 119 V 448 S. 452
en particulier. En revanche, prises en tant que simples moyennes arithmétiques, ces statistiques peuvent constituer un indice de polypragmasie, à condition que celui-ci soit confirmé par d'autres éléments de preuve.
Finalement, les juges arbitres ont conclu qu'en l'espèce les caisses-maladie avaient apporté ladite preuve à satisfaction, du moment que 24 des 27 échantillons analysés ont précisément permis de confirmer les indices de polypragmasie que la méthode statistique avait déjà décelés.
3.
a) Dans son recours de droit administratif, le recourant reprend les arguments qu'il avait développés devant le tribunal arbitral, et formule à nouveau diverses critiques à l'encontre de la méthode statistique et de son application au cas d'espèce, en se fondant sur les expertises des professeurs G. et Do. Il allègue que cette méthode est inadaptée s'agissant des médecins généralistes, des internistes ou des psychiatres. En particulier, il reproche aux premiers juges d'avoir admis que les statistiques produites par les intimées permettaient d'établir à satisfaction de droit l'existence d'un cas de polypragmasie, alors qu'ils avaient pourtant dénié toute valeur scientifique à ces données.
Par ailleurs, le recourant conteste la validité de l'échantillon restreint à 27 cas (sur plusieurs milliers de feuilles-maladie produites au dossier), choisi à dessein par les intimées, sur la base duquel les docteurs D., Si. et De. ont estimé que dans 24 de ces cas leur confrère n'avait pas respecté le principe de l'économie du traitement. Il arguë du fait que dans la plupart de ces cas, une hospitalisation des patients dont le coût aurait été nettement plus important avait pu être évitée.
b) Dans leur réponse au recours, les intimées formulent diverses remarques relatives à ces griefs.
Elles relèvent tout d'abord que la jurisprudence constante du Tribunal fédéral des assurances admet le recours à la méthode statistique - incriminée en l'espèce - pour établir l'existence d'une polypragmasie, en tenant compte d'une marge de tolérance ou de sécurité. Par ailleurs, les intimées allèguent que le jugement attaqué échappe d'autant plus au grief d'arbitraire que le dossier contient une preuve complémentaire de la polypragmasie par la méthode analytique, moyen qu'il n'était - selon elles - pas nécessaire de mettre en oeuvre.
En outre, les caisses intimées soutiennent que le recourant n'a pas établi que sa clientèle était différente de celle de ses confrères; par
BGE 119 V 448 S. 453
conséquent, le matériel de comparaison dont les premiers juges disposaient répondait aux exigences posées par la jurisprudence. Les intimées remarquent aussi que la moyenne du coût par cas de maladie chez le recourant n'est pas seulement largement plus élevée que celle des médecins neuchâtelois de son groupe, mais également supérieure à celle des médecins suisses de cette spécialité. Enfin, les intimées rappellent que l'expertise du professeur Do. a permis de démontrer que selon l'analyse de variance (écart par rapport à la moyenne), les valeurs du recourant étaient les plus élevées de son groupe.
4.
a) D'après l'
art. 23 LAMA
, lorsqu'ils traitent des assurés, leur prescrivent ou fournissent des médicaments, prescrivent ou appliquent des traitements scientifiquement reconnus ou font des analyses, les médecins, les pharmaciens, les chiropraticiens, les sages-femmes, le personnel paramédical, les laboratoires et les établissements hospitaliers doivent se limiter à ce qui est exigé par l'intérêt de l'assuré et par le but du traitement.
b) Pour établir si le médecin a contrevenu au précepte de l'économie des moyens et dans quelle mesure, il n'est pas nécessaire d'analyser toutes les rubriques de toutes ses notes d'honoraires. On peut se borner à comparer la statistique des frais moyens de traitement auprès du médecin en cause avec celle qui concerne les traitements auprès d'autres médecins qui travaillent dans des conditions semblables, pourvu que la comparaison s'étende sur une période assez longue et que les éléments statistiques soient rassemblés d'une manière analogue. II y a "polypragmasie" ("Überarztung") lorsqu'un nombre considérable de notes d'honoraires remises par un médecin à une caisse-maladie sont en moyenne sensiblement plus élevées que celles d'autres médecins pratiquant dans une région et avec une clientèle semblables, alors qu'aucune circonstance particulière ne justifie la différence de coût (
ATF 103 V 154
consid. 5,
ATF 99 V 196
consid. 1b,
ATF 98 V 162
consid. 3; RJAM 1982 no 489 p. 131 consid. 3a et no 505 p. 215 consid. 5a; DESCHENAUX, Le précepte de l'économie du traitement dans l'assurance-maladie sociale, en particulier en ce qui concerne le médecin, in Mélanges pour le 75e anniversaire du TFA, pp. 539-543; MAURER, Bundessozialversicherungsrecht, 1993, pp. 310 ss, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, p. 295; FRÉSARD, Le précepte de l'économie du traitement [
art. 23 LAMA
], in Le médecin et son patient, 7/1993; DUC, L'article 23 LAMA relatif aux traitements économiques, ibid., 11/1993; AMSTUTZ, Contrôle de l'économicité dans le canton de Berne, Journal des caisses-maladie suisses,
BGE 119 V 448 S. 454
1993 p. 64; DÜRRENBERGER, Contrôle de l'économicité du traitement médical dans le canton de Bâle-Ville, ibid., p. 67; BRUSA, Pauschalbeanstandung - Gesetzwidrigkeit des Zürcher Vertrages, in Bulletin des médecins suisses 1993 p. 901; RECK, Pauschalbeanstandungsverfahren im Kanton Zürich, ibid., p. 1082; SCHÄREN, Die Stellung des Arztes in der sozialen Krankenversicherung, thèse Zurich 1973, pp. 111 ss; REICH, Durchschnittliche Behandlungskosten als Beweismethode?, SZS 1972 pp. 120-123).
c) Le Tribunal fédéral des assurances a rappelé récemment qu'il n'entendait pas s'écarter de cette jurisprudence, malgré les critiques auxquelles elle a donné lieu (arrêt non publié S. du 29 octobre 1993). Aussi n'aurait-il pas été nécessaire, en première instance, de s'interroger sur la valeur de la méthode statistique et de mandater un expert à ce sujet, le procédé en cause étant adapté à la solution de tels litiges (
ATF 103 V 154
-155 consid. 5 et les références; RAMA 1988 no K 761 p. 93 consid. 4a [résumé], 1986 no K 654 p. 5 consid. 4d et les références).
S'agissant par ailleurs de l'unité de mesure utilisée en l'espèce (la feuille-maladie délivrée tous les trois mois pour chaque cas de maladie au sens de l'art. 26 Ord. V, dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 1990 [cf. RO 1990, p. 2039]), la Cour de céans a également rappelé dans l'arrêt S. précité que son usage était parfaitement admissible à cette fin. En effet, les erreurs et les inconvénients inhérents à cette méthode sont atténués, car la statistique est établie sur la base de toutes les feuilles-maladie remplies par le médecin, et non seulement en fonction de quelques cas tirés au sort. De plus, on tient systématiquement compte d'une marge de tolérance ou de sécurité, dont les premiers juges n'ont en l'occurrence pas fait un usage disproportionné, au regard des circonstances. Quant à la période de référence, la jurisprudence admet aussi qu'elle puisse ne pas dépasser deux ans, comme cela est le cas en l'espèce (RJAM 1978 no 315 pp. 50-51 consid. 6b).
d) Enfin, si la Cour de céans continue, notamment pour des raisons pratiques et par économie de procédure, à donner la préférence à la méthode statistique, il n'en demeure pas moins que l'emploi de la méthode analytique - laquelle consiste à examiner concrètement toutes les rubriques d'une note d'honoraires en vue de constater si les mesures diagnostiques et thérapeutiques entreprises sont justifiées - reste également licite, s'agissant d'établir l'existence d'un cas de polypragmasie (RAMA 1987 no K 749 pp. 349-351). En outre, une combinaison de ces deux méthodes est aussi envisageable, car
BGE 119 V 448 S. 455
elle est de nature à renforcer les conclusions obtenues grâce à la méthode statistique (DESCHENAUX, op.cit., p. 541).
5.
a) Cela étant, on doit écarter les griefs que le recourant soulève à l'encontre de la méthode statistique et de son application au cas d'espèce. En particulier, on ne saurait renoncer à comparer sa propre moyenne des coûts de maladie par cas avec celles de ses confrères, comme il le voudrait, car il ne ressort nullement du dossier que sa clientèle est différente de celle des autres médecins du groupe de comparaison.
Quant à l'allégué selon lequel les soins prodigués de manière ambulatoire ont permis d'éviter certaines hospitalisations, il n'est pas prouvé (voir les observations du recourant du 15 mars 1990, relatives à l'expertise des docteurs D., Si. et De.). Et même si ce fait était établi, cela ne dispensait pas le recourant de s'en tenir à ce qui était exigé par l'intérêt de l'assuré et par le but du traitement, ainsi que l'
art. 23 LAMA
le prescrit.
b) Il incombait aux caisses intimées, conformément à la jurisprudence exposée ci-dessus, de démontrer qu'un nombre considérable de notes d'honoraires établies par le recourant étaient en moyenne sensiblement plus élevées que celles d'autres médecins pratiquant dans la même région et avec une clientèle semblable, alors qu'aucune circonstance particulière ne justifiait cette différence de coût.
En l'espèce, cette preuve n'a pas été apportée, s'agissant des traitements dont le coût n'excède pas 300 francs. Il en va différemment pour les traitements dont le coût est plus élevé (à partir de 300 francs, et surtout de 900 francs), ainsi que le professeur Do. le relève dans son expertise. En effet, selon la jurisprudence (RAMA 1986 no K 654 pp. 4-5 consid. 4c) seule la moyenne arithmétique doit être prise en considération lors de la comparaison statistique du coût des traitements, ce qui a précisément été le cas en l'occurrence. En conséquence, on doit admettre, sur le vu des moyennes indiquées au consid. 2a ci-dessus, que le recourant a contrevenu au précepte de l'économie du traitement consacré par l'
art. 23 LAMA
.
Il s'ensuit que le jugement attaqué n'est pas entaché d'erreur de droit ni d'arbitraire. Le recours est mal fondé.
6.
a) La procédure n'est en l'occurrence pas gratuite (
art. 134 OJ
a contrario) et l'émolument judiciaire doit être calculé en fonction de la valeur litigieuse (
art. 153a OJ
), in casu 41'499 francs. Le recourant, qui succombe, supportera les frais de justice (
art. 156 al. 1 OJ
).
BGE 119 V 448 S. 456
b) Aux termes de l'
art. 159 al. 2 OJ
in fine, aucune indemnité pour les frais de procès n'est allouée, en règle générale, aux organismes chargés de tâches de droit public (
ATF 118 V 169
consid. 7).
En l'espèce, il serait cependant inéquitable que les caisses intimées assument les frais du mandataire indépendant auquel elles ont confié la défense de leurs intérêts devant l'instance fédérale. Aussi ont-elles droit à une indemnité de dépens, à charge du recourant, conformément à la jurisprudence (RAMA 1984 no K 573 p. 83 consid. 7; RJAM 1982 no 505 p. 217 consid. 6).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
I. Le recours est rejeté.
II. Les frais de justice, d'un montant total de 3'000 francs, sont mis à la charge du recourant et sont compensés avec l'avance de frais qu'il a effectuée.
III. Le recourant versera aux intimées la somme de 2'000 francs à titre de dépens pour l'instance fédérale. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
37854a8a-7141-416c-9111-7ef097a1ccfc | Urteilskopf
81 IV 270
58. Urteil des Kassationshofes vom 15. Oktober 1955 i. S. Wallach gegen Papavramidès. | Regeste
Art. 271 Abs. 2 BStP
.
Wenn die Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt zurückgezogen ist und der Streitwert der Zivilforderung weniger als Fr. 4000.-- beträgt, kann auf die von der Gegenpartei im Zivilpunkt erklärte Beschwerde nicht eingetreten werden. | Erwägungen
ab Seite 270
BGE 81 IV 270 S. 270
Erwägungen:
1.
Auf Begehren des Eduard Wallach verurteilte das Bezirksgericht Zürich am 28. Januar 1955 Démètre
BGE 81 IV 270 S. 271
Papavramidès wegen übler Nachrede zu Fr. 300.-- Busse und wegen Verletzung in den persönlichen Verhältnissen zu Fr. 500.-- Genugtuung an den Ankläger. Der Angeklagte appellierte im Straf- wie im Zivilpunkt, während der Ankläger der Appellationsinstanz Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils beantragte. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 16. Juni 1955 die Busse, wies dagegen die Genugtuungsforderung des Anklägers ab.
2.
Gegen dieses Urteil erklärten beide Parteien Nichtigkeitsbeschwerde. Nach Empfang der schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Urteils zog der Angeklagte die Beschwerde zurück, worauf der Präsident des Kassationshofes sie am 27. September 1955 am Geschäftsverzeichnis abschrieb. Der Ankläger begründete seine Beschwerde rechtzeitig. Er beantragt, der Angeklagte sei zu verpflichten, ihm Fr. 500.-- als Genugtuung zu entrichten.
3.
Der Streitwert der vom Ankläger geltend gemachten Zivilforderung betrug schon nach Massgabe der vor der letzten kantonalen Instanz gestellten Rechtsbegehren weniger als Fr. 4000.--. Gemäss
Art. 271 Abs. 2 BStP
in Verbindung mit
Art. 46 OG
wäre daher die Nichtigkeitsbeschwerde im Zivilpunkt nur zulässig, wenn der Kassationshof auch mit dem Strafpunkt befasst wäre. Das trifft nicht zu, da der Angeklagte seine Beschwerde zurückgezogen hat und der Ankläger im Strafpunkt nicht Beschwerde führt. Ob die Nichtigkeitsbeschwerde des Anklägers im Zivilpunkt zulässig gewesen wäre, wenn der Angeklagte die seine im Strafpunkt aufrecht gehalten hätte, kann dahingestellt bleiben. Von selbst versteht sich das nicht, da im Falle des
Art. 271 Abs. 2 BStP
der Kassationshof auf die Beschwerde im Zivilpunkt nur einzutreten hat, wenn er die Beschwerde im Strafpunkt gutheisst und dessen abweichende Beurteilung auch für die Entscheidung im Zivilpunkt Bedeutung haben kann (
Art. 277quater Abs. 2 BStP
). Inwiefern letztere Voraussetzung hätte zutreffen können, ist nicht zu ersehen, kam doch im Strafpunkt
BGE 81 IV 270 S. 272
nur noch eine Abänderung des angefochtenen Urteils zu Gunsten des Angeklagten, nicht auch zu seinen Ungunsten, in Frage.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Eduard Wallach wird nicht eingetreten. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
37874532-0599-4e35-9b64-e95b68b08b40 | Urteilskopf
107 III 122
29. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 31. Juli 1981 i.S. Burgäzzi (Rekurs) | Regeste
Betreibung auf Grundpfandverwertung, Einstellung der Verwertung bis zur Erledigung eines Lastenbereinigungsprozesses, der sich auf die Festsetzung des Zuschlagspreises auswirkt (Art. 41 Abs. 1 und 53 Abs. 1 VZG)
1. Hat ein Pfandgläubiger die Betreibung nur für einen Teil seiner Kapitalforderung angehoben, so darf nur zugeschlagen werden, wenn der nicht in Betreibung gesetzte Teil der Forderung überboten ist (E. 1).
2. Hängt der Mindestzuschlagspreis vom Ergebnis eines Lastenbereinigungsprozesses ab, so ist die Verwertung bis zur Erledigung des Prozesses einzustellen (E. 1).
3. Verhältnis von
Art. 41 Abs. 1 VZG
zu
Art. 53 Abs. 1 VZG
(E. 2).
4. Im Pfändungs- und Pfandverwertungsverfahren ist eine vorzeitige Verwertung von Grundstücken wegen drohender Wertverminderung nicht zulässig (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 123
BGE 107 III 122 S. 123
A.-
Die Hypothekar- und Handelsbank Winterthur ist Inhaberin eines Schuldbriefes über Fr. 3'300'000.--, lastend im I. Rang auf den Grundstücken Kat. Nrn. 2454-2461 und 2464 (8 noch nicht fertig ausgebaute Reiheneinfamilienhäuser und eine Parkgarage) in Uitikon. Sie betreibt den Schuldner und Pfandeigentümer Jakob Fries für den Teilbetrag von Fr. 1'116'072.-- auf Grundpfandverwertung (Grundpfandbetreibung Nr. 12 des Betreibungsamtes Uitikon). Ruza T. Burgäzzi ist Grundpfandgläubigerin im III. Rang mit einer Forderung von Fr. 500'000.-- nebst Zins. Sie hat das in der erwähnten Betreibung erstellte Lastenverzeichnis mit einer Klage angefochten, mit welcher sie die Wegweisung der Forderung der Hypothekar- und Handelsbank im I. Rang beantragt. Der Prozess ist noch anhängig.
B.-
Mit Eingaben vom 10. und 19. September 1980 ersuchte die Hypothekar- und Handelsbank das Betreibungsamt Uitikon um sofortige Verwertung der Grundstücke. Sie wies darauf hin, dass mit einer längeren Dauer des Lastenbereinigungsprozesses zu rechnen sei und dass anderseits die noch nicht fertig erstellten Bauten einem konstanten, witterungsbedingten Zerfall mit entsprechender Entwertung ausgesetzt seien. Mit Verfügung vom 26. September 1980 wies das Betreibungsamt das Gesuch ab. Gegen diese
BGE 107 III 122 S. 124
Verfügung beschwerte sich die Hypothekar- und Handelsbank beim Bezirksgericht Zürich als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs mit dem Antrag, die verlangte Verwertung sei ohne Verzug vorzunehmen. Mit Beschluss vom 14. Januar 1981 hiess das Bezirksgericht die Beschwerde gut und ordnete die sofortige Verwertung der Grundstücke an. Ein von Ruza T. Burgäzzi gegen diesen Beschluss erhobener Rekurs wurde vom Obergericht des Kantons Zürich als oberer kantonaler Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 16. Juni 1981 abgewiesen.
C.-
Mit dem vorliegenden Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt Ruza T. Burgäzzi, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und das von der Hypothekar- und Handelsbank gestellte Begehren um sofortige Verwertung der Grundpfänder abzuweisen. Ihrem Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Verfügung vom 20. Juli 1981 in dem Sinne entsprochen, dass die Verwertung bis zum Entscheid über den Rekurs aufgeschoben wurde.
Die Hypothekar- und Handelsbank beantragt die Abweisung des Rekurses, während sich das Betreibungsamt nicht vernehmen liess.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 41 Abs. 1 VZG
, der nach
Art. 102 VZG
auch in der Betreibung auf Grundpfandverwertung gilt, ist die Versteigerung bis zur Erledigung eines Lastenbereinigungsprozesses einzustellen, sofern der Streit die Festsetzung des Zuschlagspreises beeinflusst oder durch eine vorherige Steigerung sonst berechtigte Interessen verletzt würden. Massgebend für die Festsetzung des Mindestzuschlagspreises ist das Deckungsprinzip (Art. 156 in Verbindung mit
Art. 126 und 141 SchKG
). Danach muss das Angebot, damit zugeschlagen werden kann, den Betrag der dem betreibenden Gläubiger im Range vorgehenden pfandversicherten Forderungen übersteigen. Für die in Betreibung gesetzte Forderung gilt das Deckungsprinzip demnach grundsätzlich nicht. Hat jedoch ein Pfandgläubiger nur für Zinsen oder nur für einen Teil der Kapitalforderung auf Pfändung betrieben, so darf nach
Art. 54 Abs. 2 VZG
nur zugeschlagen werden, wenn der nicht in Betreibung gesetzte Teil der Forderung überboten ist. Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung auch dann anwendbar, wenn der Gläubiger auf Pfandverwertung betrieben hat (
BGE 58 III 16
ff. E. 2).
BGE 107 III 122 S. 125
Im vorliegenden Fall hat die Grundpfandgläubigerin im I. Rang von ihrer gesamten im Lastenverzeichnis anerkannten Forderung im Betrag von Fr. 3'768'990.-- (Kapital Fr. 3'300'000.--, rückständige Zinsen Fr. 468'830.--, Betreibungskosten Fr. 160.--) nur den Teilbetrag von Fr. 1'116'072.-- in Betreibung gesetzt. Der Mindestzuschlagspreis beträgt somit Fr. 2'652'918.-- zuzüglich die den vertraglichen Grundpfandrechten im Range vorgehenden gesetzlichen Grundpfandrechte, die sich für alle Liegenschaften zusammen offenbar auf rund Fr. 58'000.-- belaufen. Wird nun aber die Klage der Rekurrentin gegen die Hypotheken- und Handelsbank gutgeheissen, so fällt deren Forderung ausser Betracht und der Mindestzuschlagspreis erreicht lediglich noch den Wert der gesetzlichen Grundpfandrechte, d.h. rund Fr. 58'000.--. Der Zuschlagspreis hängt somit vom Ergebnis des Lastenbereinigungsprozesses ab, so dass die erste Voraussetzung des
Art. 41 Abs. 1 VZG
für den Aufschub der Verwertung erfüllt ist.
2.
Nach
Art. 53 Abs. 1 VZG
, auf den sich die Vorinstanz stützt, sind bei der Festsetzung des Zuschlagspreises freilich auch die "eventuell noch beim Richter anhängigen" Pfandforderungen zu berücksichtigen. Würde man darauf abstellen, so käme es bei der Festsetzung des Zuschlagspreises in der Tat nicht auf den hängigen Lastenbereinigungsprozess an, und es bestünde kein Grund, mit der Verwertung zuzuwarten. Die Bestimmung ist indessen im Hinblick auf jene von
Art. 41 Abs. 1 VZG
kaum verständlich; ja, sie steht zu ihr im Widerspruch. Wenn
Art. 41 Abs. 1 VZG
vorschreibt, im Falle eines Prozesses über eine Forderung, die den Mindestzuschlagspreis beeinflusst, den Austrag des Prozesses abzuwarten, so setzt dies voraus, dass bei der Festsetzung des Zuschlagspreises auf das Ergebnis eines allfälligen Lastenbereinigungsprozesses, der eine dem betreibenden Gläubiger vorgehende Pfandforderung betrifft, abzustellen ist. Demgegenüber geht
Art. 53 Abs. 1 VZG
davon aus, dass eine im Streit liegende vorgehende Pfandforderung bei der Festsetzung des Zuschlagspreises stets zu berücksichtigen ist, unabhängig vom Ergebnis des Prozesses. Wäre der Zuschlagspreis so zu berechnen, könnte der in
Art. 41 Abs. 1 VZG
geregelte Tatbestand gar nie eintreten.
Der Widerspruch lässt sich aus der Entstehungsgeschichte der VZG erklären. Der Vorentwurf LEEMANN enthielt folgenden Art. 38 Abs. 1:
"Wenn über einen in das Lastenverzeichnis aufgenommenen Anspruch Streit entsteht oder zur Zeit der Aufstellung des Lastenverzeichnisses
BGE 107 III 122 S. 126
bereits Prozess besteht, so ist die Versteigerung bis zum Austrag der Sache zu sistieren. Der Richter kann jedoch ausnahmsweise von der Einstellung der Verwertung (
Art. 107 Abs. 2 SchKG
) absehen und die Versteigerung der Liegenschaft bewilligen, wenn nur eine bar zu bezahlende Pfandforderung streitig ist."
Art. 49 Abs. 1 dieses Entwurfes lautete im wesentlichen bereits gleich wie der geltende
Art. 53 Abs. 1 VZG
. Bei dieser Situation hatte die in der zweitgenannten Bestimmung enthaltene Formulierung (eventuell noch beim Richter anhängige Forderungen) einen Sinn; sie konnte Fälle betreffen, in welchen der Richter nach Art. 38 Abs. 1 eine Verwertung trotz eines anhängigen Prozesses über eine Forderung bewilligt hatte.
Im Laufe der Beratungen wurde Art. 38 Abs. 1 vorerst dahin modifiziert, dass nicht der Richter, sondern das Betreibungsamt bzw. die Aufsichtsbehörde von der Einstellung der Verwertung absehen konnte. Der entsprechende Art. 40 Abs. 1 des Entwurfes der Expertenkommission lautete sodann folgendermassen:
"Wenn über einen..., so ist die Versteigerung bis zum Austrag der Sache zu sistieren. Sie kann jedoch ausnahmsweise vorgenommen werden, wenn nur eine bar zu bezahlende Forderung streitig ist oder wenn im übrigen berechtigte Interessen nicht verletzt werden."
Eine Versteigerung konnte somit auch angeordnet werden, wenn zwar keine nicht bar zu bezahlende Pfandforderung streitig war, jedoch "im übrigen berechtigte Interessen nicht verletzt" wurden. Auch in einem solchen Fall war die Fassung des heutigen
Art. 53 Abs. 1 VZG
sinnvoll: Die streitige Pfandforderung musste in den Mindestzuschlagspreis eingerechnet werden, d.h. es durfte nur zugeschlagen werden, wenn das Angebot auch für diese Pfandforderung Deckung ergab.
Der Entwurf der Expertenkommission wurde in der Folge von einer Redaktionskommission überarbeitet und hierauf dem Gesamtbundesgericht vorgelegt. Dieses setzte zur Prüfung des Entwurfes seinerseits eine Kommission ein, welche vorschlug, den heutigen
Art. 41 Abs. 1 VZG
allgemeiner zu fassen. Insbesondere sollte der Fall der bar zu bezahlenden Forderungen nicht ausdrücklich angeführt werden, sondern es sollte darauf abgestellt werden, ob der Ausgang des Streites die Festsetzung des Zuschlagspreises beeinflusse. Diesem Vorschlag wurde bei der endgültigen Redaktion Rechnung getragen, wobei die Voraussetzungen für eine vorzeitige Verwertung aus nicht ersichtlichen Gründen nicht mehr positiv, sondern negativ umschrieben wurden.
BGE 107 III 122 S. 127
Damit hatte sich aber materiell etwas geändert. Die geltende Fassung von
Art. 41 Abs. 1 VZG
lässt nämlich eine Versteigerung vor Austrag der Sache nur zu, wenn der Streit die Festsetzung des Mindestzuschlagspreises nicht beeinflusst, und auch dann nur, wenn sonst keine berechtigten Interessen verletzt werden. Demgegenüber hatte die Formulierung in den Entwürfen eine vorzeitige Verwertung zugelassen, wenn entweder keine Beeinflussung des Zuschlagspreises (bzw. nur eine bar zu bezahlende Forderung) oder keine sonstige Verletzung berechtigter Interessen vorlag. Der heutige Wortlaut von
Art. 41 Abs. 1 VZG
lässt somit bei der Festsetzung des Mindestzuschlagspreises keinen Raum mehr für die Berücksichtigung "eventuell noch beim Richter anhängiger" Pfandforderungen.
Es wurde indessen - offensichtlich aus Versehen - unterlassen,
Art. 53 Abs. 1 VZG
an diese Änderung anzupassen. Der Bestimmung, es müssten bei der Festsetzung des Mindestzuschlagspreises auch vorgehende Pfandforderungen, die im Streite liegen, berücksichtigt werden, kann deshalb im Verhältnis zu
Art. 41 Abs. 1 VZG
keine Bedeutung zukommen. Eine vorzeitige Verwertung zuzulassen, obwohl noch ein Streit über eine Last hängig ist, dessen Ausgang den Mindestzuschlagspreis beeinflusst, könnte höchstens dann in Frage kommen, wenn entweder alle Beteiligten damit einverstanden sind oder wenn eine im Verhältnis zum Schätzungswert nur ganz untergeordnete Differenz bleibt. Davon kann im vorliegenden Fall jedoch keine Rede sein, nachdem der Mindestzuschlagspreis bei einem Schätzungswert von 4,4 Millionen Franken je nach dem Ergebnis des Lastenbereinigungsprozesses um nicht weniger als rund 2,6 Millionen Franken variiert. Die Verwertung muss daher bis zur rechtskräftigen Bereinigung des Lastenverzeichnisses aufgeschoben werden, ohne dass geprüft werden müsste, ob durch eine vorherige Versteigerung "sonst berechtigte Interessen verletzt würden".
3.
Der Umstand, dass die Pfandobjekte nach den Behauptungen der betreibenden Pfandgläubigerin einer Wertverminderung ausgesetzt sind, vermag keine andere Lösung zu rechtfertigen. Im Unterschied zum Konkursverfahren ist im Pfändungs- und Pfandverwertungsverfahren eine vorzeitige Verwertung von Grundstücken wegen drohender Wertverminderung nicht möglich. Im Pfändungsverfahren ist ein vorzeitiger Verkauf zwar bei der Verwertung von Fahrnis (
Art. 124 SchKG
) vorgesehen, nicht aber bei der Verwertung von Grundstücken (
Art. 133 ff. SchKG
).
BGE 107 III 122 S. 128
Die gleiche Regelung gilt für die Betreibung auf Grundpfandverwertung (
Art. 156 SchKG
). Demgegenüber wird in
Art. 128 Abs. 2 VZG
im Konkurs eine Verwertung von Grundstücken vor erfolgter Lastenbereinigung bei sogenannter "Überdringlichkeit" (vgl. hiezu
BGE 96 III 83
ff.) ausnahmsweise als zulässig erklärt.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich als oberer kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs vom 16. Juni 1981 aufgehoben und das Betreibungsamt Uitikon angewiesen, die Verwertung in der Grundpfandbetreibung Nr. 12 bis zur rechtskräftigen Bereinigung des Lastenverzeichnisses aufzuschieben. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
378fc9dd-ce2d-4edc-88de-4eb08f2ff467 | Urteilskopf
91 IV 225
60. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Dezember 1965 i.S. X. gegen Gemeinderat von H. und Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 217 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
. Vernachlässigung der Unterstützungspflicht durch den Vater des ausserehelichen Kindes.
1. Wer keinen Grund hat, an seiner Vaterschaft zu zweifeln und nichts leistet, obschon er dazu aufgefordert wird und leisten könnte, macht sich nach dieser Bestimmung auch strafbar, wenn die Leistungspflicht nicht durch Vereinbarung oder durch den Zivilrichter festgestellt worden ist.
2. Das gleiche gilt für den, der das Urteil des Zivilrichters gegen besseres Wissen weiterzieht, nur um der Leistungspflicht zu entgehen. | Sachverhalt
ab Seite 225
BGE 91 IV 225 S. 225
Aus dem Tatbestand:
X. wurde am 17. Juli 1962 vom Amtsgericht Entlebuch als Vater des von Agatha Y. am 27. März 1960 ausserehelich geborenen Kindes Z. zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von Fr. 80.- verpflichtet.
BGE 91 IV 225 S. 226
Das Obergericht des Kantons Luzern wies am 27. November 1962 seine Appellation und das Bundesgericht am 25. Februar 1963 seine Berufung ab.
Da X. nicht die geringste Unterhaltsleistung erbrachte, erhob der Gemeinderat von H. als Vormundschaftsbehörde anfangs November 1964 gegen ihn Strafklage. Bis zu diesem Zeitpunkte standen 56 Monatsraten im Gesamtbetrage von Fr. 4480.-- aus.
Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte X. am 13. Juli 1965 wegen böswilliger Vernachlässigung von Unterstützungspflichten (
Art. 217 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
) zu sechs Monaten Gefängnis.
Die Nichtigkeitsbeschwerde, die X. gegen dieses Urteil einreichte, wurde vom Bundesgericht abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Obergericht hat X. wegen Nichtbezahlung der von der Geburt des Kindes bis zur Einreichung der Strafklage verfallenen Monatsraten bestraft. Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, dass er erst durch das bundesgerichtliche Urteil vom 25. Februar 1963 als Vater des Kindes zu den Unterhaltsbeiträgen verurteilt worden sei und dass auf die vorausgehende Zeit
Art. 217 StGB
nicht Anwendung finden könne; er habe bis dahin nicht gewusst, wer rechtlich Vater sei und könne infolgedessen nicht wegen böswilliger Nichterfüllung der Unterhaltspflicht bestraft werden.
a) Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes kann der in Scheidung begriffene Ehegatte nach
Art. 217 StGB
nur bestraft werden, wenn die Leistungspflicht von den Eheleuten vereinbart oder durch den Zivilrichter festgestellt worden ist (
BGE 74 IV 52
und dort angeführte Urteile). Die Erwägung, dass vorher die Leistungspflicht noch unbestimmt sei, trifft auch für den Vater des ausserehelichen Kindes zu, dies jedenfalls bezüglich der Höhe der Forderungen und, wenn die Vaterschaft ungewiss ist, auch hinsichtlich ihres Bestandes.
Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass die Unterhaltspflicht nicht erst mit der Vereinbarung oder dem gerichtlichen Urteil entsteht. Sie besteht von Gesetzes wegen (
Art. 307 ff. ZGB
), kraft der natürlichen Verwandtschaft, und wird durch die Vereinbarung oder das Urteil des Zivilrichters nur festgestellt und der Höhe nach bestimmt (vgl.
BGE 89 IV 22
). Wer keinen Grund hat, an seiner Vaterschaft zu zweifeln und nichts leistet,
BGE 91 IV 225 S. 227
obschon er dazu aufgefordert wird und leisten könnte, macht sich daher auch ohne Vereinbarung oder Urteil der böswilligen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht im Sinne von
Art. 217 StGB
schuldig. Das gilt erst recht vom erstinstanzlichen Urteil an, durch das dem Beklagten seine Unterhaltspflicht vollends zum Bewusstsein gebracht und auch der Höhe nach bestimmt wird. Zieht er das Urteil des Zivilrichters gegen besseres Wissen weiter, nur um der Leistungspflicht zu entgehen, so handelt er mit der Nichterfüllung böswillig. Diesem Vorwurf entgeht er nur in dem Masse, als er nicht den vollen Betrag leistet, weil er ihn in guten Treuen für übersetzt hält.
b) Der Beschwerdeführer, der verheiratet ist und Kinder hat, lernte Agatha Y. bei einem Tanzanlasse kennen. Er veranlasste sie schon bald zum Geschlechtsverkehr und verstand es, die leicht beeinflussbare und nicht sehr gescheite Tochter so für sich einzunehmen, dass sie als Dienstmagd bei ihm eintrat und ihm völlig hörig wurde. Im Vaterschaftsprozess versuchte er in mutwilliger Weise, den Geschlechtsverkehr in der kritischen Zeit zu bestreiten und die Kindsmutter des Mehrverkehrs und des unzüchtigen Lebenswandels zu bezichtigen. Agatha Y. wagte es nicht, in seiner Gegenwart als Zeugin die Wahrheit zu sagen, und brachte es auch nicht fertig, die schlecht bezahlte Stelle beim Beschwerdeführer aufzugeben und eine ihr angebotene besser entlöhnte Arbeit aufzunehmen, als sie wegen Nichterfüllung ihrer Unterhaltspflicht gegenüber dem Kinde verurteilt wurde.
Bei dieser Sachlage war es trölerisch, das erstinstanzliche Vaterschaftsurteil ans Obergericht und dessen Entscheid an das Bundesgericht weiterzuziehen. Der Beschwerdeführer durfte schlechterdings nicht damit rechnen, dass das angefochtene Urteil zu seinen Gunsten abgeändert würde. Appellation und Berufung des X. wurden denn auch beide als völlig unbegründet abgewiesen. Handelte der Beschwerdeführer mit diesen Rechtsmitteln aber bösgläubig, so kann er sich im Strafverfahren nicht darauf berufen, dass seine Verurteilung zu den Unterhaltsbeiträgen erst mit dem bundesgerichtlichen Urteil vom 25. Februar 1963 rechtskräftig und vollstreckbar geworden sei.
Art. 217 StGB
kann nicht den Sinn haben, dass der Pflichtige sich durch trölerische Rechtsmittelerklärungen der Strafe ganz oder teilweise soll entziehen können. | null | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
3790c1be-d171-45c4-96ec-d88654cbb369 | Urteilskopf
108 Ib 305
56. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Dezember 1982 i.S. Müller gegen Eidgenössisches Finanz- und Zolldepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Eidgenössische Versicherungskasse: Aufnahme mit Vorbehalt.
1. Die Verfügung über eine Aufnahme in die EVK mit Vorbehalt ist nicht vermögensrechtlicher Natur. Sie ist mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar (E. 1).
2. Die EVK-Statuten stehen einer vorbehaltslosen Aufnahme eines Zügers nicht entgegen. Mangels ausdrücklicher gegenteiliger Regelung in der Freizügigkeitsvereinbarung ist ein Züger rechtlich und finanziell gleich zu stellen, wie er es in der alten Kasse war (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 306
BGE 108 Ib 305 S. 306
Dr. Pierre Müller stand seit 1973 als Archäologe im Dienste des Kantons Zürich. Mit Verfügung vom 11. Mai 1979 wurde er rückwirkend auf den 1. Juli 1977 ohne Vorbehalt in die kantonale Beamtenversicherungskasse (kurz Zürcher Kasse) aufgenommen. Seit dem 1. September 1980 ist Dr. Müller für ein Forschungsprojekt tätig und wird vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (kurz Nationalfonds) besoldet. Dr. Müller ist stark kurzsichtig. Überdies wurde bei ihm eine retinale Degeneration links festgestellt. Dieses Gebrechen wurde bei der Aufnahme in die Zürcher Kasse gemeldet, vom Amtsarzt festgestellt und als wenig bedeutungsvoll eingestuft, da bei einer Verschlimmerung des Zustandes durch eine Lasercoagulation eine Invalidität verhindert werden könne. Die Zürcher Kasse verzichtete deshalb auf die Anbringung eines Vorbehalts. Nachdem der Projektleiter beim Nationalfonds Dr. Müller zur Aufnahme als Mitglied der Eidg. Versicherungskasse (EVK) angemeldet hatte, musste dieser sich der vertrauensärztlichen Aufnahmeuntersuchung unterziehen. Der Ärztliche Dienst der allgemeinen Bundesverwaltung (AeD) kam aufgrund dieser Untersuchung zum Schluss, Dr. Müller könne wegen seiner Kurzsichtigkeit nur mit Vorbehalt in die EVK aufgenommen werden. Nach Ansicht des AeD hätte sich bereits bei der Aufnahme in die Zürcher Kasse ein solcher Vorbehalt gerechtfertigt.
Mit Verfügung vom 10./29. April 1981 wurde Dr. Müller eröffnet, er werde gestützt auf Art. 12 der Statuten der Eidgenössischen Versicherungskasse vom 29. September 1950 (SR 172.222.1, EVK-Statuten) als mit Vorbehalt versichertes Mitglied in die EVK aufgenommen. Als Ursache für den Vorbehalt gab die EVK an: "Myopie und Folgen." Eine von Dr. Müller gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wurde vom Eidg. Finanz- und Zolldepartement (EFZD) mit Entscheid vom 31. August 1981 abgewiesen.
Dr. Müller erhebt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er rügt unter anderem die unzutreffende Auslegung der EVK-Statuten.
Das EFZD schliesst in seiner Vernehmlassung vom 22. Oktober 1981 auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde.
BGE 108 Ib 305 S. 307
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Entscheid der Kassenverwaltung über die Aufnahme in die EVK ist eine Verfügung im Sinne von
Art. 5 VwVG
. Die Verfügung über eine Aufnahme mit Vorbehalt hat keinen eigentlichen vermögensrechtlichen Anspruch zum Gegenstand, sondern eine Aufnahmebedingung. Eine Geltendmachung des Anspruchs, ohne Vorbehalt in die EVK aufgenommen zu werden, auf dem Wege der verwaltungsrechtlichen Klage im Sinne von Art. 11 Abs. 1 der EVK-Statuten i.V.m.
Art. 116 lit. a OG
fällt deshalb zum vornherein ausser Betracht. Verfügungen nicht vermögensrechtlicher Natur der Kassenverwaltung sind vielmehr nach Art. 11 Abs. 3 der EVK-Statuten mit Verwaltungsbeschwerde anzufechten. Das EFZD ist demnach auf die von Dr. Müller mangels Rechtsmittelbelehrung bei der EVK eingelegte Beschwerde zu Recht eingetreten. Gegen seinen Beschwerdeentscheid ist gemäss den
Art. 97 und 98 lit. b OG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig.
2.
a) Die anwendbare Vereinbarung vom 1. Januar 1970 über die Freizügigkeit zwischen den Pensionskassen des Bundes, der Kantone und Gemeinden sowie anderer Institutionen des öffentlichen Dienstes (Freizügigkeitsvereinbarung) bestimmt in Ziffer 3:
"Die Kasse, in welche der Übertritt erfolgt, verpflichtet sich im Rahmen ihrer gesetzlichen, reglementarischen oder statutarischen Möglichkeiten,
a) das ohne Vorbehalt versicherte Mitglied ohne Vorbehalt aufzunehmen und einen allfälligen Vorbehalt nicht zu erweitern.
b) ..."
Demnach musste die EVK den Beschwerdeführer als Züger grundsätzlich ohne Vorbehalt aufnehmen. Es ist zu prüfen, ob sie nach Gesetz und ihren Statuten auch dazu befugt war. Die EVK verneint diese Möglichkeit, weil die EVK-Statuten in Art. 20 ausdrücklich den Vorbehalt bei Invalidität für die Freizügigkeitsvereinbarung vorbehalte und weil sich gemäss
Art. 12 Abs. 2 EVK-Statuten
die Kassenverwaltung auf die Feststellungen des verwaltungsärztlichen Dienstes (AeD) zu stützen habe. Der Beschwerdeführer rügt die falsche Anwendung der EVK-Statuten.
Art. 20 EVK-Statuten
, welcher erst seit dem 1. Januar 1973 in Kraft ist (AS 1973 33 bzw. 35 ff.; BBl 1972 II 617) lautet:
"Freizügigkeit
Die Kassenverwaltung kann mit andern Personalfürsorgeeinrichtungen
BGE 108 Ib 305 S. 308
Vereinbarungen über die Freizügigkeit bei Übertritt abschliessen. Darin bleiben besondere, für die Mitglieder verbindliche Bestimmungen über die anzurechnenden Beitrags- und Versicherungsjahre, über den Vorbehalt bei Invalidität sowie über die zu überweisenden Beträge vorbehalten."
Da Sinn und Tragweite dieser Bestimmung umstritten sind, ist es nützlich, sich bei der Auslegung auf alle drei amtlichen Texte zu stützen. Die entsprechenden französischen und italienischen Texte lauten:
"Libre passage
L'administration de la caisse peut conclure, avec d'autres institutions de prévoyance du personnel, des conventions de libre passage en cas de transfert de membres. Ces conventions peuvent contenir des dispositions spéciales ayant caractère obligatoire pour les membres, relativement aux années de cotisation et d'assurance, à la restriction en cas d'invalidité ainsi qu'aux montants à transférer.
Libero passaggio
L'amministrazione della Cassa può conchiudere con altri istituti di previdenza del personale convenzioni di libero passaggio in caso di trasferimento dei membri. Queste convenzioni possono prevedere disposizioni speciali, vincolanti per i membri, circa gli anni di contribuzione e d'assicurazione, le limitazioni in caso di invalidità e le somme da trasferire."
b) Der französische und der italienische Text zeigen Sinn und Tragweite dieser Bestimmung besser auf als der schwerfällig formulierte und unklare deutsche Text (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil vom 20. Oktober 1982 i.S. M. c. Schweizerische Eidgenossenschaft, E. 3c). Zudem lässt der Vergleich des deutschen Textes mit den Texten der beiden romanischen Amtssprachen einen inhaltlichen Unterschied erscheinen. Während nämlich der zweite Satz im deutschen Text scheinbar imperativ vorschreibt, dass in diesen Freizügigkeitsvereinbarungen besondere Bestimmungen bezüglich der Beitragsjahre, den Vorbehalt bei Invalidität und die zu überweisenden Beiträge vorbehalten bleiben, enthalten die romanischen Texte nur eine Kann-Vorschrift, wonach die Freizügigkeitsvereinbarungen solche besondere Bestimmungen enthalten können. Es kann jedoch offen bleiben, welche genaue Tragweite diese Bestimmung hat, denn jedenfalls steht fest, dass unter den in
Art. 20 EVK-Statuten
vorbehaltenen Bestimmungen, Sonderbestimmungen in den Freizügigkeitsvereinbarungen zu verstehen sind; mit anderen Worten,
Art. 20 EVK-Statuten
behält vor, dass in den Freizügigkeitsvereinbarungen Sonderbestimmungen, auch über Vorbehalte bei Invalidität gemacht werden können. Die zur Frage stehende Freizügigkeitsvereinbarung enthält aber keinen solchen Vorbehalt. Die einzige in Betracht fallende Bestimmung
BGE 108 Ib 305 S. 309
dieser Freizügigkeitsvereinbarung, die zitierte Ziffer 3, enthält nur eine Rückverweisung auf die jeweiligen gesetzlichen, reglementarischen oder statutarischen Möglichkeiten.
c) Es fragt sich, ob die Kassenstatuten überhaupt der vorbehaltlosen Aufnahme eines Zügers aufgrund von Ziff. 3 der Freizügigkeitsvereinbarung entgegenstehen können. Der Sinn der Freizügigkeit besteht nämlich darin, den Züger in der neuen Kasse finanziell und rechtlich möglichst gleich zu stellen, wie er es in der alten war. Mit dem Abschluss der Freizügigkeitsvereinbarung nimmt es eine Kasse in Kauf, dass sie Züger unter Bedingungen aufnehmen muss, die in ihren Statuten und Versicherungsbedingungen für ihre Mitglieder vorgesehen sind, unter denen aber ein Neueintretender ohne Freizügigkeitsanspruch nicht aufgenommen würde. Mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen Regelung in der Freizügigkeitsvereinbarung folgt daraus, dass ein Züger, welcher ohne Vorbehalt gegen das Risiko Invalidität versichert war, selbst dann ohne Vorbehalt in die neue Kasse aufzunehmen ist, wenn eine vorbehaltlose Aufnahme nach den Kassenstatuten nicht möglich wäre. Dabei ist allerdings vorauszusetzen, dass die neue Kasse das Risiko Invalidität überhaupt versichert.
Dieses Problem stellt sich indessen im vorliegenden Fall nicht, weil feststeht, dass
Art. 20 EVK-Statuten
kein Hindernis für die vorbehaltlose Aufnahme des Beschwerdeführers darstellt. Auch andere statutarische Hindernisse stehen nicht im Wege, namentlich nicht
Art. 12 EVK-Statuten
. Gemäss Absatz 2 dieser Bestimmung stellt der AeD fest, ob die Versicherung gegen Invalidität ohne oder mit Vorbehalt möglich ist. Aus dieser Bestimmung, welche 1957 in die EVK-Statuten aufgenommen wurde (AS 1957 218 bzw. 216; BBl 1957 I 325) und deshalb
Art. 20 EVK-Statuten
als lex posterior et specialis nachgeht, kann nicht geschlossen werden, dass der ärztliche Dienst entscheidet, ob und bejahendenfalls für welche Risiken und wie lange ein Vorbehalt anzubringen ist. Dieser Entscheid obliegt vielmehr den zuständigen Kassenorganen. Der AeD gibt lediglich ein Gutachten über die medizinischen Befunde. Zwar ist der medizinische Aspekt der wichtigste für den Entscheid über einen Vorbehalt, aber er ist nicht der einzige. Macht der AeD den Vorschlag, einen Vorbehalt anzubringen, so hat das zuständige Kassenorgan zu prüfen, ob ein solcher Vorbehalt auch juristisch möglich ist. Im Falle des Beschwerdeführers war die Anbringung eines solchen Vorbehaltes nicht möglich, ohne die mit der Zürcher Kasse getroffene Freizügigkeitsvereinbarung
BGE 108 Ib 305 S. 310
zu verletzen. Bei dieser Sachlage ist die Beschwerde gutzuheissen und die EVK anzuweisen, den Beschwerdeführer ohne Vorbehalt aufzunehmen. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3790cc84-bf9a-4be5-8a84-885a1aef55b8 | Urteilskopf
118 IV 27
7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 13. März 1992 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 140 StGB
. Veruntreuung; Absicht unrechtmässiger Bereicherung, Ersatzfähigkeit.
Die Fähigkeit zum Ersatz veruntreuten Gutes, die nur dank Leistungen Dritter - hier eines Hypothekarkredits - zustande kommt, auf die der Täter keinen Anspruch hat, schliesst die Absicht unrechtmässiger Bereicherung nicht aus. | Sachverhalt
ab Seite 28
BGE 118 IV 27 S. 28
S. war seit 1962 als Betreibungsbeamter von R. tätig. Am 12. September 1984 führte der Amtsgerichtspräsident I von Hochdorf als untere kantonale Aufsichtsbehörde in Betreibungssachen eine ausserordentliche Kontrolle beim Betreibungsamt R. durch, da ein Verdacht auf Unregelmässigkeiten bestand.
Das Obergericht des Kantons Luzern sprach S. auf dessen Appellation mit Urteil vom 8. März 1991 schuldig des fortgesetzten Betruges, der fortgesetzten Gebührenüberforderung sowie der wiederholt fortgesetzten Falschbeurkundung im Amt und verurteilte ihn zu fünf Monaten Gefängnis, teilweise als Zusatzstrafe, mit bedingtem Strafvollzug (Probezeit zwei Jahre). Es sprach ihn von verschiedenen Anklagepunkten frei, insbesondere von der Anklage der wiederholt fortgesetzten Veruntreuung. Bei der Strafzumessung wandte es
Art. 64 Abs. 8 StGB
an.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes insoweit aufzuheben, als es S. von der wiederholt fortgesetzten Veruntreuung freigesprochen und soweit es
Art. 64 Abs. 8 StGB
angewandt hat, und die Sache insoweit zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
S. beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Gemäss den Ausführungen im angefochtenen Urteil hat der Betreibungsbeamte die Zahlungen der Schuldner an das Betreibungsamt auf Rechnung der Gläubiger entgegenzunehmen und - nach Abzug der eigenen Kosten des Betreibungsamtes - im Verteilungsverfahren an die Gläubiger etc. weiterzuleiten. Die Weiterleitung der Zahlungen habe "jeweils innert Kürze" zu erfolgen; mehr, d.h. eine sofortige Leistung, könne aus rein praktischen Gründen der Arbeitsorganisation und der für die Abrechnung und Überweisung einzusetzenden Zeit vom Betreibungsbeamten nicht verlangt werden. Die Vorinstanz verweist in diesem Zusammenhang auf zwei
BGE 118 IV 27 S. 29
Autoren. Nach einer Bemerkung von ROBERT JOOS (Handbuch für die Betreibungsbeamten der Schweiz, 1964, S. 186) soll die Überweisung an den Gläubiger "nach Möglichkeit am Tage nach der Zahlung des Schuldners erfolgen". Gemäss JAEGER (Schuldbetreibung und Konkurs, 3. Aufl. 1911,
Art. 9 SchKG
N. 3) soll die Aushändigung der eingegangenen Gelder binnen drei Tagen stattfinden. Die Vorinstanz hält sodann fest, der Beschwerdegegner sei zur relevanten Zeit Eigentümer einer Liegenschaft und einer Eigentumswohnung gewesen und habe im übrigen über Wertschriften, eine Lebensversicherung, einen nicht ausgeschöpften Kredit und über Barmittel verfügt. Zwar hätten die vorhandenen Barmittel und der nicht ausgeschöpfte Kredit für den Ersatz der fehlenden betreibungsamtlichen Gelder nicht ausgereicht; doch sei als erstellt zu betrachten, dass der Beschwerdegegner dank seiner Liegenschaften jederzeit innert der verlangten Kürze aus seinen eigenen Mitteln hätte Ersatz leisten können. Die beiden Liegenschaften seien im Vergleich zu den fraglichen Fehlbeträgen nur in geringem Masse hypothekarisch belastet gewesen, so dass der Beschwerdegegner jederzeit innert Kürze (und damit zeitgerecht) einen entsprechenden hypothekarisch sicherzustellenden Kredit hätte erhalten können, womit er lediglich seine eigenen Mittel liquid gemacht hätte. Ersatzfähigkeit sei gegeben, wenn der Täter genügend eigene Mittel habe, um fristgerecht Ersatz zu leisten, auch wenn er dazu beispielsweise seine Wertschriften oder Grundstücke liquidieren, z.B. eine in geringem Umfang belastete Liegenschaft hypothekarisch belasten müsse. Wer dergestalt Ersatz leisten könne, sei nicht im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf Leistungen Dritter angewiesen und müsse nicht auf fremdes Vermögen greifen, sondern setze seine eigenen Mittel für den Ersatz ein.
Die Vorinstanz hält sodann fest, dass der Beschwerdegegner auch ersatzwillig gewesen sei. Damit sei aber die erforderliche Absicht unrechtmässiger Bereicherung nicht gegeben und der Beschwerdegegner daher vom Vorwurf der Veruntreuung freizusprechen.
b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, Ersatzfähigkeit sei nur gegeben, wenn der Täter das Geld griffbereit habe, nicht aber dann, wenn er es erst noch bei Dritten, die ihm gegenüber zu keiner Leistung verpflichtet seien, beschaffen müsse. Der Beschwerdegegner habe keinen Anspruch auf einen Hypothekarkredit gehabt.
3.
a) Wer anvertrautes Gut dem Berechtigten jederzeit zur Verfügung zu halten hat, bereichert sich unrechtmässig, wenn er es in seinem Nutzen verwendet, ohne fähig und gewillt zu sein, es jederzeit
BGE 118 IV 27 S. 30
sofort zu ersetzen. Ist der Täter in einem solchen Fall fähig und gewillt, das Gut zu einem späteren Zeitpunkt zu ersetzen, dann beabsichtigt er eine vorübergehende Bereicherung, was zur Bestrafung genügt. Wer aber ihm anvertrautes Gut nicht jederzeit zur Verfügung des Berechtigten zu halten, sondern erst nach Ablauf einer bestimmten Frist bzw. zu einem bestimmten Zeitpunkt an den Berechtigten weiterzuleiten bzw. zurückzugeben hat, muss auf diesen Zeitpunkt hin und nicht auch schon in der Zwischenzeit ersatzfähig und ersatzwillig sein (
BGE 77 IV 12
E. 1,
BGE 91 IV 133
; STRATENWERTH, Strafrecht Bes. Teil I, § 8 N. 46; GERMANN, Verbrechen, S. 266). An dieser Rechtsprechung, die sich auf die Veruntreuung im Sinne von
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
bezieht, ist festzuhalten.
War der Beschwerdegegner nach Meinung der Vorinstanz in seiner Stellung als Betreibungsbeamter verpflichtet, die Zahlungen der Schuldner bloss jeweils innert Kürze weiterzuleiten, dann musste er auch nur jeweils innert Kürze ersatzfähig sein, zumal nach den Feststellungen im angefochtenen Entscheid dem Beschwerdegegner bzw. seinem (vormals ebenfalls als Betreibungsbeamter tätigen) Vater von der Aufsichtsbehörde erlaubt worden war, für betreibungsamtliche und private Zahlungen dasselbe Postcheckkonto zu benutzen und damit betreibungsamtliche und private Gelder miteinander zu vermischen.
b) Ersatzfähigkeit darf nur dann bejaht werden, wenn das Geld für den Täter griffbereit ist, nicht aber dann, wenn er es erst noch bei Dritten, die ihm gegenüber zu keiner Leistung verpflichtet sind, beschaffen muss (
BGE 91 IV 134
). Der Kassationshof brachte damit zum Ausdruck, dass eine Fähigkeit des Täters zur Zahlung, die nur dank Leistungen Dritter zustande kommt, auf die der Täter keinen Anspruch hat, keine die Absicht unrechtmässiger Bereicherung ausschliessende Ersatzfähigkeit darstellt. Ersatzfähigkeit setzt voraus, dass der Täter aus eigenen Mitteln leisten kann; sie fehlt, wenn der Dritte zur Leistung nicht verpflichtet ist (TRECHSEL, Kurzkommentar,
Art. 140 StGB
N. 17). Blosse Aussichten, das für den Ersatz benötigte Geld von Dritten zu erhalten, reichen nicht aus (REHBERG, Strafrecht III, 5. Aufl., S. 92 unten). Der Beschwerdegegner hatte keinen Anspruch darauf, dass ein Kreditinstitut mit ihm einen Darlehensvertrag abschloss. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdegegner als Sicherheit ein Grundpfand anbieten konnte. Auch die Gelder, die dem Täter in Form eines Hypothekarkredits zufliessen, sind entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht eigene, sondern fremde Mittel und vermögen, da ein Anspruch auf Abschluss
BGE 118 IV 27 S. 31
eines Hypothekarkreditvertrages nicht besteht, nicht eine die Absicht unrechtmässiger Bereicherung ausschliessende Ersatzfähigkeit zu begründen. Wollte man anders entscheiden, dann könnte gegen den Vorwurf der Veruntreuung stets eingewendet werden, der Täter hätte jederzeit zeitgerecht durch Verpfändung dieses oder jenes Aktivums einen Kredit erhalten und damit ersatzfähig werden können. Mehr noch, die Ersatzfähigkeit müsste dann konsequenterweise immer bejaht werden, wenn der Täter darlegen kann, dass er auch ohne Anbieten von Sicherheiten jederzeit zeitgerecht einen Kredit erhalten hätte.
Die Fähigkeit zum zeitgerechten Ersatz der fehlenden Gelder lässt sich somit nicht damit begründen, dass der Beschwerdegegner zeitgerecht einen Hypothekarkredit beschaffen konnte.
c) Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdegegner in seiner Eigenschaft als Betreibungsbeamter entsprechend der Ansicht der Vorinstanz die von den Schuldnern einbezahlten Gelder tatsächlich bloss "jeweils innert Kürze" - was immer die Vorinstanz darunter verstehen mag - weiterleiten musste. Immerhin sei auf folgendes hingewiesen: Auch wenn es hinzunehmen ist, dass der Betreibungsbeamte die auf dem Amt eingehenden Zahlungen aus organisatorischen/technischen Gründen jeweils nur innert Kürze an die Gläubiger weiterleitet, so ändert dieser Umstand an sich nichts daran, dass der Betreibungsbeamte die Gelder den Berechtigten jederzeit zur Verfügung halten muss. Ob sich allenfalls etwas anderes daraus ergibt, dass dem Beschwerdegegner von der Aufsichtsbehörde die Benutzung desselben Postcheckkontos für betreibungsamtliche und für private Zahlungen erlaubt worden war, kann hier dahingestellt bleiben.
Die Sache ist daher in Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Punkt zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird sich erneut mit der Frage befassen müssen, ob der Beschwerdegegner durch die Verwendung von betreibungsamtlichen Geldern den Tatbestand der Veruntreuung erfüllt habe. | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
37938f46-4e93-4eb6-8f0d-8d225beecdbd | Urteilskopf
108 II 372
71. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. September 1982 i.S. X. gegen Y. (Berufung) | Regeste
Regelung des Kinderbesuchsrechtes bei der Ehescheidung; Erziehungsbeistandschaft (
Art. 156, 308 ZGB
).
Voraussetzung für die Anordnung einer Erziehungsbeistandschaft im Sinne von
Art. 308 Abs. 2 ZGB
zur Überwachung des Besuchsrechtes ist das Vorhandensein einer erheblichen Gefährdung des Kindeswohls; eine solche ist gegeben, wenn eine erhebliche Gefahr besteht, dass es im Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechtes durch den von der elterlichen Gewalt ausgeschlossenen Elternteil zu ernsthaften Auseinandersetzungen kommt, und wenn das Kind gebrechlich oder besonders sensibel ist. | Erwägungen
ab Seite 372
BGE 108 II 372 S. 372
Aus den Erwägungen:
1.
Zur Begründung des Begehrens um Anordnung einer vormundschaftlichen Erziehungsaufsicht im Sinne von
Art. 308 Abs. 2 ZGB
wird im wesentlichen ausgeführt, die Ausübung des Besuchsrechtes sei mit Schwierigkeiten verbunden, weil die Klägerin die Kinder gegen den Beklagten beeinflusse. Die geforderte Erziehungsaufsicht könne dazu beitragen, eine gesunde Beziehung
BGE 108 II 372 S. 373
der Kinder zum Vater zu ermöglichen, da sie eine allfällige negative Beeinflussung der Kinder neutralisieren helfe.
Soweit die Schwierigkeiten bei der Ausübung des Besuchsrechtes mit der angeblich negativen Beeinflussung der Kinder durch die Klägerin begründet werden, verkennt der Beklagte, dass das Bundesgericht seinem Entscheid den Sachverhalt zugrunde zu legen hat, der von der letzten kantonalen Instanz festgestellt worden ist. Das angefochtene Urteil enthält nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin die Kinder gegen den Vater beeinflusst hätte. Den Feststellungen der Vorinstanz kann lediglich entnommen werden, dass gelegentlich Schwierigkeiten mit dem Besuchsrecht auftauchten. Worin diese bestanden und worauf sie zurückzuführen waren, wird nicht näher dargelegt. Die Vorinstanz hat die Anordnung einer Erziehungsaufsicht mit der Begründung abgelehnt, der Umstand allein, dass sich bei der Ausübung des Besuchsrechtes Schwierigkeiten ergeben könnten, rechtfertige die Anordnung einer Erziehungsaufsicht nicht. Eine Minderheit des Obergerichts hätte den Kindern der Parteien einen Erziehungsbeistand im Sinne von
Art. 308 Abs. 2 ZGB
beigeben wollen, in der Meinung, dass durch diese Massnahme die Ausübung des Besuchsrechtes, das mit Problemen und Auseinandersetzungen zwischen den Parteien verbunden sei, wirksam gewährleistet wäre.
In der Berufungsantwort wird nicht bestritten, dass sich bei der Ausübung des Besuchsrechtes Schwierigkeiten ergeben hätten. Es wird anerkannt, dass insbesondere die beiden älteren Söhne eine gewisse Abneigung gegen den Vater an den Tag legten. Diese Erscheinung wird jedoch auf das eigene Verhalten des Beklagten zurückgeführt. Im übrigen wird erklärt, dass sich die Klägerin zur allfälligen Errichtung einer Erziehungsbeistandschaft zwecks Überwachung des Rechts auf persönlichen Verkehr nicht negativ einstellen würde.
Bei der Erziehungsbeistandschaft im Sinne von
Art. 308 ZGB
handelt es sich um eine neue Massnahme, die anlässlich der Revision des Kindesrechts eingeführt wurde. Sie geht über die Erziehungsaufsicht, für die heute in
Art. 307 Abs. 3 ZGB
eine gesetzliche Grundlage besteht, insofern hinaus, als der Erziehungsbeistand nicht bloss eine Aufsicht ausübt, sondern selber eine aktive Rolle zu übernehmen hat. Voraussetzung für ihre Anordnung ist eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls (vgl. BÜHLER/SPÜHLER, N. 177/178 zu
Art. 156 ZGB
).
Eine wichtige Befugnis, die dem Erziehungsbeistand übertragen
BGE 108 II 372 S. 374
werden kann, bildet die Überwachung des persönlichen Verkehrs.
Art. 308 Abs. 2 ZGB
erwähnt diese Möglichkeit ausdrücklich. Sie kann besonders im Falle der Scheidung oder Trennung einer Ehe angezeigt sein, weil dabei ein Elternteil zwangsläufig der elterlichen Gewalt über die Kinder verlustig geht und häufig eine Konfliktsituation mit dem andern Elternteil weiterbesteht. Eine Erziehungsbeistandschaft zur Überwachung des Besuchsrechtes sollte immer dann angeordnet werden, wenn eine erhebliche Gefahr besteht, dass sich bei der Ausübung dieses Rechts durch den von der elterlichen Gewalt ausgeschlossenen Elternteil Schwierigkeiten ergeben. Solche Schwierigkeiten sind in aller Regel als Gefährdung des Kindeswohls zu betrachten, die eine Erziehungsbeistandschaft rechtfertigen. Anlass zur Anordnung dieser Massnahme besteht vor allem dann, wenn sich derartige Schwierigkeiten bereits während des Scheidungsprozesses gezeigt haben (vgl. BÜHLER/SPÜHLER, N. 179 zu
Art. 156 ZGB
).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil nur, dass schon während des Scheidungsprozesses Schwierigkeiten mit dem Besuchsrecht auftraten. Diese Tatsache wird auch in der Berufungsantwort ausdrücklich anerkannt. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Sache zur Vervollständigung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen sei, damit nähere Feststellungen über die Art und das Ausmass der erwähnten Schwierigkeiten getroffen würden. Eine solche Rückweisung erscheint jedoch als wenig sinnvoll, da sich die Feststellung der Vorinstanz auf Grund der Akten leicht ergänzen lässt.
Aus einem Schreiben des Leiters der Beratungsstelle der Pro Infirmis an den Anwalt der Klägerin vom 12. November 1981 ergibt sich, dass sich am 18. Oktober 1981, der zwischen den Parteien als Besuchstag vereinbart worden war, alle drei Kinder weigerten, mit dem Beklagten fortzugehen und den Sonntag mit ihm zu verbringen; ... der älteste Sohn weigere sich überdies schon seit langer Zeit, den Vater zu besuchen, und müsse jedesmal von neuem überzeugt werden, dass er dies mit den beiden Brüdern zusammen tun müsse. Dem obergerichtlichen Protokoll über die Parteibefragung vom 13. November 1981 lässt sich sodann entnehmen, dass der Beklagte nach übereinstimmenden Aussagen beider Parteien das Besuchsrecht im Jahre 1981 bis zu jenem Zeitpunkt erst zweimal hatte ausüben können. Die Klägerin erklärte überdies, sie glaube nicht, dass das Besuchsrecht wieder einmal richtig funktionieren werde. Auf Grund dieser Aktenstellen muss davon
BGE 108 II 372 S. 375
ausgegangen werden, dass die während des Scheidungsprozesses aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Besuchsrechtsausübung ernsthafter Natur waren und dass sich für die Zukunft eine schlechte Prognose aufdrängt. Die Vorinstanz unterschätzte die sich daraus ergebende erhebliche Gefährdung des Kindeswohls, wenn sie unter den gegebenen Umständen von der Anordnung einer Erziehungsbeistandschaft glaubte absehen zu können. Eine solche Massnahme ist in einem Fall wie dem vorliegenden angezeigt. Dafür spricht auch, dass zwei der drei Kinder der Parteien geschädigt sind. Wie dem angefochtenen Urteil entnommen werden kann, leidet der 1970 geborene Sohn an motorischen Störungen und bedarf besonderer Therapie. Der 1973 geborene Sohn ist in verschiedener Hinsicht zurückgeblieben und besucht den Sonderschul-Kindergarten im Zentrum für körperbehinderte Kinder ... Eine Gefährdung des Kindeswohls durch Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechtes ist um so eher anzunehmen, je sensibler und gebrechlicher ein Kind ist. Ein Erziehungsbeistand kann in erheblichem Masse dazu beitragen, durch entsprechende Kontakte mit den Eltern und den Kindern die Situation zu entschärfen und durch entsprechende Festlegung der Einzelheiten für eine möglichst reibungslose Abwicklung des Besuchsrechtes zu sorgen. Eine solche Massnahme liegt nicht zuletzt auch im Interesse beider Parteien.
Einer Gutheissung der Berufung in diesem Punkt steht nicht etwa entgegen, dass der Beklagte mit seiner Appellation an die Vorinstanz lediglich die Anordnung einer Erziehungsaufsicht beantragt hatte. Es ist unabhängig von den Parteianträgen von Amtes wegen zu prüfen, welche Kindesschutzmassnahme angezeigt ist. Im vorliegenden Fall ist dies eindeutig eine Erziehungsbeistandschaft, und nicht eine Erziehungsaufsicht. Der vom Beklagten erst vor Bundesgericht entsprechend präzisierte Antrag war daher zulässig... | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3793e7ea-8562-4711-a98c-960475a39a45 | Urteilskopf
121 V 35
7. Arrêt du 23 janvier 1995 dans la cause R. contre La Bâloise Assurances et Tribunal administratif, Genève | Regeste
Art. 9 Abs. 1 UVV
: Unfallbegriff.
Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors bei medizinischen Eingriffen.
In casu Schädigung von Nerven an der Hand anlässlich einer äusserst schwierigen und heiklen Operation an einem Narbengewebe, hervorgerufen durch verschiedene vorgängige Operationen.
Kein ungewöhnlicher äusserer Faktor. | Sachverhalt
ab Seite 36
BGE 121 V 35 S. 36
A.-
a) R. travaille comme secrétaire. A la suite d'une opération pratiquée en 1970 à la main gauche par le docteur C., elle a développé une hyperpathie postopératoire, c'est-à-dire une hypersensibilité dans la région de la cicatrice. Il est apparu plus tard un syndrome du tunnel carpien (syndrome d'étranglement du nerf médian dans la région du poignet).
En 1974, R. a consulté le professeur X, spécialiste FMH en chirurgie et en chirurgie de la main. Ce médecin l'a opérée le 8 juillet 1974, en procédant à une correction de la cicatrice et à une libération du nerf médian. Peu de temps après, la cicatrice de l'intervention devint hypersensible. Des troubles apparurent sous la forme de ténosynovite de Quervain, de pouce à ressaut et d'une récidive de syndrome de tunnel carpien. La patiente fut à nouveau opérée par le professeur X, le 8 juillet 1976. Comme une fermeture directe n'était pas possible, après excision de la cicatrice, un lambeau inguinal fut mis en place au talon de la main. Cette opération fut suivie de trois interventions pour "autonomiser" le lambeau et fermer les divers "défects" cutanés.
Les suites postopératoires furent difficiles. En particulier, le pourtour du lambeau de peau greffé est devenu hypersethésique et dysesthésique, au point de rendre tout attouchement à nouveau impossible. Divers traitements conservateurs n'apportèrent pas d'amélioration.
Ultérieurement, le professeur X pratiqua deux nouvelles opérations, à la main droite cette fois, en 1984 et 1988.
b) Le 30 mars 1992, le professeur X revit sa patiente pour une aggravation des symptômes. Dans l'intervalle, ce dernier avait mis au point une nouvelle application pour l'expansion cutanée, servant à traiter les zones de peau dénervée et douloureuse. Il s'agissait de dilater progressivement la peau saine proche de celle qui était malade au moyen de ballons gonflables appelés "expanders". Lorsque l'expansion de la peau saine est suffisante, les "expanders" sont enlevés. La peau malade est alors excisée et remplacée par la peau excédentaire. Il fut décidé d'appliquer ce traitement à la patiente.
L'intervention d'excision du lambeau eut lieu le 9 septembre 1992. Lors de la dissection du tissu cicatriciel, il se produisit une section d'un rameau du nerf cubital, puis une hémisection du nerf médian, qui étaient tout deux enclavés dans la cicatrice. Constatant immédiatement l'incident, le professeur X tenta de réparer au mieux les lésions nerveuses qu'il avait provoquées. Cependant, en raison de ces lésions, la patiente a perdu complètement la sensibilité tactile du pouce, de l'index, du majeur et de
BGE 121 V 35 S. 37
la moitié de l'auriculaire de la main gauche.
c) Le 17 septembre 1992, le professeur X a écrit à la Zurich Assurances, qui l'assurait en responsabilité civile, pour l'informer de ces faits. Il estimait avoir commis une erreur de jugement et une maladresse engageant sa responsabilité de chirurgien.
B.-
Par l'entremise de son employeur, R. a, le 10 décembre 1992, annoncé le cas à la Compagnie d'Assurances La Bâloise, auprès de laquelle elle était obligatoirement assurée contre les accidents.
Par décision du 15 mars 1993, La Bâloise a refusé d'allouer des prestations à son assurée, motif pris que les lésions subies par celle-ci au cours de l'opération du 9 septembre 1992 ne résultaient pas d'un accident.
Saisie d'une opposition de l'assurée, La Bâloise l'a rejetée, par une nouvelle décision, du 21 avril 1993. Elle a considéré, sur la base d'un rapport du 2 mars précédent, établi par le docteur M., spécialiste en chirurgie de la main, que la section des deux nerfs en question faisait partie des risques inhérents de l'intervention, rendue difficile en raison du tissu cicatriciel modifié par de nombreuses opérations antérieures. Dans de telles conditions, l'existence d'un accident devait être niée, faute de toute cause extérieure extraordinaire.
C.-
Par jugement du 7 décembre 1993, le Tribunal administratif du canton de Genève a rejeté le recours formé contre cette décision par R.
D.-
R. interjette un recours de droit administratif dans lequel elle conclut à l'annulation du jugement cantonal et demande au Tribunal fédéral des assurances de reconnaître comme un accident l'événement du 9 septembre 1992.
La Bâloise conclut au rejet du recours.
E.-
Le 25 juillet 1994, la recourante a déposé un rapport établi le 17 mars 1994, à la demande du bureau d'expertise extrajudiciaire de la Fédération des médecins suisses (FMH), par le professeur B.
L'intimée a pris connaissance de ce rapport et s'est déterminée à son sujet par écriture du 27 juillet 1994.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Selon l'
art. 9 al. 1 OLAA
, on entend par accident toute atteinte dommageable, soudaine et involontaire, portée au corps humain par une cause extérieure extraordinaire. Cette définition correspond à celle que la
BGE 121 V 35 S. 38
jurisprudence constante avait donnée de l'accident, sous réserve d'une modification d'ordre purement rédactionnel (
ATF 118 V 61
consid. 2a, 283 consid. 2a et les références).
Avec l'adoption par le peuple de la loi fédérale sur l'assurance-maladie (LAMal) du 18 mars 1994, il existe désormais - et pour la première fois - une définition légale de l'accident, qui figure à l'art. 2 al. 2 de cette loi. Cette définition, qui reprend celle de l'
art. 9 al. 1 OLAA
, avec une précision relativement aux effets de l'atteinte corporelle, est la suivante: "Par accident, on entend toute atteinte dommageable, soudaine et involontaire, portée au corps humain par une cause extérieure extraordinaire qui compromet la santé physique ou mentale." Cette dernière phrase constitue quant à elle une version simplifiée du texte adopté par le Conseil des Etats à l'art. 4 al. 1 de la loi fédérale sur la partie générale du droit des assurances sociales ("... qui compromet temporairement ou de manière permanente la santé physique ou mentale ou qui entraîne la mort" [FF 1991 II 183]).
Il résulte de la définition même de l'accident (au sens de l'
art. 9 al. 1 OLAA
comme au sens de l'
art. 2 al. 2 LAMal
) que le caractère extraordinaire de l'atteinte ne concerne pas les effets du facteur extérieur, mais seulement ce facteur lui-même. Dès lors il importe peu que le facteur extérieur ait entraîné, le cas échéant, des conséquences graves ou inattendues. Le facteur extérieur est considéré comme extraordinaire lorsqu'il excède, dans le cas particulier, le cadre des événements et des situations que l'on peut, objectivement, qualifier de quotidiens ou d'habituels (
ATF 118 V 61
consid. 2b, 283 consid. 2a ainsi que les références).
b) Le point de savoir si un acte médical est comme tel un facteur extérieur extraordinaire au sens de l'
art. 9 al. 1 OLAA
doit être tranché sur la base de critères médicaux objectifs. Selon la jurisprudence, le caractère extraordinaire d'une telle mesure est une exigence dont la réalisation ne saurait être admise que de manière sévère. Il faut que, compte tenu des circonstances du cas concret, l'acte médical s'écarte considérablement de la pratique courante en médecine et qu'il implique de ce fait objectivement de gros risques (
ATF 118 V 61
consid. 2b). Le traitement d'une maladie en soi ne donne pas droit au versement de prestations de l'assureur-accidents, mais une erreur de traitement peut, à titre exceptionnel, être constitutive d'un accident, dès lors qu'il s'agit de confusions ou de maladresses grossières et extraordinaires, voire d'un préjudice intentionnel, avec lesquels personne ne comptait ni ne devait compter (MAURER, Schweizerisches
BGE 121 V 35 S. 39
Unfallversicherungsrecht, p. 181 et note 369). Quant à l'indication d'une intervention chirurgicale, elle n'est pas un critère juridiquement pertinent pour juger si un acte médical répond à la définition légale de l'accident (
ATF 118 V 283
).
La question de l'existence d'un accident, au sens du droit de l'assurance-accidents obligatoire, sera tranchée indépendamment du point de savoir si l'infraction aux règles de l'art dont répond le médecin entraîne une responsabilité (civile ou de droit public). Il en va de même à l'égard d'un jugement pénal éventuel sanctionnant le comportement du médecin (RAMA 1993 no U 159 p. 33 consid. 2b et les références).
c) Conformément à ces principes, la jurisprudence admet par exemple l'existence d'un accident, imputable à une cause extérieure extraordinaire, dans le cas d'une confusion en matière de groupes sanguins ou en matière d'agents anesthésiques (ATFA 1961 p. 206 consid. 2a et les références) ou dans le cas d'une accumulation d'erreurs à l'occasion d'une angiographie (considérants 4 et 5 non publiés au RO de l'arrêt
ATF 118 V 283
, mais partiellement reproduits dans le Courrier suisse des assurances, 1994, 1 p. 32) ou lors d'une anesthésie (RAMA 1993 no U 176 p. 204). Elle l'a niée, en revanche, à propos d'une perforation par erreur de la sclérotique, à l'occasion d'une injection subcorticale parabulbaire au Celeston (Extr. CNA 1990 no 1) ou s'agissant du choix, hautement discutable, d'une technique opératoire (RAMA 1988 no U 36 p. 42).
2.
a) En l'espèce, on ne peut pas dire que l'intervention pratiquée le 9 septembre 1992 s'écartait considérablement de la pratique courante. Selon une lettre de l'Hôpital cantonal universitaire au mandataire de la recourante, du 30 avril 1993, l'intervention consistant à provoquer l'extension de la peau saine pour remplacer une peau cicatricielle est certes une technique relativement récente dans le domaine de la chirurgie de la main (elle est en revanche couramment appliquée dans le domaine de la chirurgie esthétique). Mais la lésion de deux nerfs s'est produite, en l'espèce, au cours d'un acte chirurgical qui n'avait en soi rien d'exceptionnel, savoir l'excision de la peau cicatricielle. Au demeurant, la chirurgie est un domaine qui comporte de constants développements et l'on ne saurait qualifier d'accident toute erreur ou maladresse commise dans l'application d'une nouvelle technique opératoire.
b) En fait, comme cela ressort du rapport d'expertise du professeur B., le professeur X a omis de prendre toutes les précautions nécessaires lors de la préparation du nerf médian, alors qu'il savait, pour avoir déjà opéré
BGE 121 V 35 S. 40
plusieurs fois la patiente, qu'il pouvait y avoir "d'importants remaniements adhérentiels et un déplacement possible du nerf". L'expert ajoute que le professeur X, expérimenté dans la chirurgie du système nerveux périphérique et habitué à pratiquer des neurolyses cicatricielles (soit la libération chirurgicale d'un nerf comprimé par des lésions), devait savoir que, dans de telles circonstances, le nerf doit être repéré au niveau du tissu sain et être préparé en direction de la zone cicatricielle, de manière à éviter une lésion importante. Ces conclusions rejoignent celles du docteur M., pour lequel la section des deux nerfs en cause devait être envisagée eu égard à la complexité de la situation locale qui existait depuis des années et qui était connue de l'opérateur.
Que l'atteinte à la santé subie par la recourante soit attribuable à une absence de précautions qui s'imposaient à un opérateur chevronné, connaissant parfaitement bien, de surcroît, le passé médical de la patiente, est indéniable sur le vu de ces avis médicaux. Pour autant, ce manque de précautions ne saurait être considéré comme résultant d'une confusion ou d'une méprise grossière et extraordinaire. Pareille conclusion ne peut pas être déduite des deux rapports susmentionnés. La lésion d'un nerf, lors d'actes opératoires, est un risque, certes minime au dire du professeur B., mais qui peut se réaliser, fortuitement ou à la suite d'un geste simplement maladroit. L'intervention sur la cicatrice, si elle n'était pas d'une rare difficulté, n'en était pas moins délicate. Selon les termes du docteur M., la section des deux nerfs constitue, en l'occurrence, une complication d'une opération spécialement difficile et délicate, sur un terrain cicatriciel dont l'anatomie était modifiée par de multiples opérations antérieures. Une complication de ce genre, dans des circonstances aussi particulières, ne représente pas un événement répondant à la notion juridique de l'accident.
c) Le recours de droit administratif est dès lors mal fondé. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3795769b-b526-41df-bb5b-073cfd99223d | Urteilskopf
117 V 287
39. Arrêt du 25 novembre 1991 dans la cause O. contre Caisse cantonale valaisanne de compensation et Tribunal cantonal valaisan des assurances | Regeste
Art. 3 Abs. 1 lit. f und Abs. 5 ELG
,
Art. 163 ZGB
: Anrechenbares Einkommen eines Invaliden, dessen Ehefrau keinen Beruf ausübt.
Im Falle der Invalidität des Ehemannes und in Übereinstimmung mit dem neuen
Art. 163 ZGB
kann die Ehefrau, welche bisher überhaupt nicht oder nur in beschränktem Masse einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, sich unter Umständen gezwungen sehen, eine solche Tätigkeit aufzunehmen oder diese auszuweiten (
BGE 114 II 301
); sieht sie von der Verwertung ihrer Erwerbsfähigkeit ab, so bestimmt die Verwaltung oder der Richter das hypothetische Erwerbseinkommen, das gemäss
Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG
bei der Ermittlung des anrechenbaren Einkommens zu berücksichtigen ist. | Sachverhalt
ab Seite 287
BGE 117 V 287 S. 287
A.-
A. O., né en 1965, de nationalité turque, vit en Suisse depuis 1974. Il est domicilié à M. Il a épousé, le 21 juillet 1987,
BGE 117 V 287 S. 288
H.A., née en 1967, également de nationalité turque, qui est venue s'établir en Suisse en septembre 1987.
A. O. bénéficie, depuis le 1er juin 1989, d'une demi-rente d'invalidité. Il avait auparavant touché des indemnités journalières de cette même assurance pendant deux années environ. Son épouse, quant à elle, n'exerce pas d'activité professionnelle.
Le 20 mars 1989, A. O. a présenté une demande de prestations complémentaires. A cette époque, les époux n'avaient pas d'enfant. La Caisse cantonale valaisanne de compensation a, de ce fait, considéré que l'épouse du requérant serait apte à exercer une activité lucrative. Dans la fixation du revenu déterminant, elle a tenu compte d'un montant de 17'067 francs au titre de revenu que l'intéressée aurait pu réaliser si elle exerçait une telle activité. La caisse a ainsi rejeté la demande par décision du 2 juin 1989, au motif que les gains (réels ou hypothétiques) des époux dépassaient le montant nécessaire à la couverture de leurs besoins.
B.-
Par jugement du 15 décembre 1989, le Tribunal des assurances du canton du Valais a rejeté le recours formé contre cette décision par A. O.
C.-
Contre ce jugement, A. O. interjette un recours de droit administratif en faisant valoir que son épouse n'est pas en mesure, pour raison de santé, d'exercer une activité lucrative. Il allègue, par ailleurs, qu'elle est enceinte et se prévaut d'un changement des circonstances. Il conclut au versement par la caisse de compensation d'une prestation complémentaire.
La caisse intimée conclut au rejet du recours, ce que propose aussi l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS).
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'
art. 2 al. 1 LPC
, les ressortissants suisses domiciliés en Suisse qui peuvent prétendre une rente de l'assurance-vieillesse et survivants, une rente ou une allocation pour impotent de l'assurance-invalidité, doivent bénéficier de prestations complémentaires si leur revenu annuel déterminant n'atteint pas un montant à fixer par les cantons dans certaines limites. Les assurés qui reçoivent une indemnité journalière de l'assurance-invalidité sans interruption pendant six mois au moins ont également droit aux prestations complémentaires (
art. 2 al. 1quater LPC
).
Les étrangers domiciliés en Suisse sont assimilés aux ressortissants suisses s'ils ont habité en Suisse d'une manière ininterrompue
BGE 117 V 287 S. 289
pendant les quinze années précédant immédiatement la date à partir de laquelle ils demandent la prestation complémentaire (
art. 2 al. 2 LPC
).
2.
a) En principe, seuls la fortune et les revenus effectifs sont pris en compte pour le calcul de la prestation complémentaire. Cependant, en vertu de l'
art. 3 al. 1 let
. f LPC (dans sa version en vigueur depuis le 1er janvier 1987), le revenu déterminant comprend aussi les ressources et parts de fortune dont l'ayant droit s'est dessaisi. Dans une jurisprudence constante, le Tribunal fédéral des assurances a admis que cette disposition est notamment applicable lorsqu'un assuré partiellement invalide renonce à mettre en valeur sa capacité de gain, alors que l'on pourrait exiger de lui qu'il exerce une activité lucrative, à tout le moins réduite (voir p.ex. RCC 1989 p. 606 consid. 2d, 1984 p. 101, 1982 p. 131).
A l'occasion de la deuxième révision de l'assurance-invalidité, le législateur a modifié l'
art. 3 al. 6 LPC
en ce sens qu'il a donné au Conseil fédéral la compétence d'adopter des prescriptions sur la prise en compte du revenu de l'activité qu'on peut exiger de la part d'invalides partiels et de veuves sans enfants mineurs. Se fondant sur cette disposition, l'autorité exécutive a, dans une ordonnance du 7 décembre 1987, en vigueur depuis le 1er janvier 1988, édicté les
art. 14a et 14b OPC-AVS/AI
, qui fixent un revenu minimum de l'activité à prendre en considération en fonction du degré d'invalidité et/ou de l'âge du bénéficiaire de rente. Ainsi, pour les veuves non invalides qui n'ont pas d'enfants mineurs, le revenu de l'activité lucrative à prendre en compte correspond au moins au double du montant de la limite de revenu pour personnes seules, jusqu'à 40 ans révolus (
art. 14b let. a OPC-AVS/AI
). En 1989, la limite de revenu pour une personne seule s'élevait à 12'800 francs au plus (
art. 2 al. 1 LPC
en corrélation avec l'art. 1er de l'Ordonnance 88).
Selon la jurisprudence (
ATF 115 V 88
, RCC 1989 p. 604), les solutions schématiques consacrées par cette nouvelle réglementation ne sont applicables qu'à l'invalide partiel ou à la veuve qui est en mesure, effectivement, de tirer parti de sa capacité de gain, ce qu'il y a lieu de présumer. Mais cette présomption peut être renversée par l'ayant droit, qui a la possibilité de démontrer que, bien que désireux de travailler, il ne peut le faire, pour des raisons valables dûment établies (âge, état de santé, formation professionnelle, etc.).
BGE 117 V 287 S. 290
b) Se référant au nouvel
art. 163 CC
, la caisse de compensation considère que l'épouse du recourant est tenue d'apporter sa contribution à l'entretien de la famille par des prestations en argent. Comme elle est jeune et sans enfants, on peut attendre d'elle qu'elle exerce une activité lucrative. S'appuyant sur l'
art. 3 al. 1 let
. f LPC et appliquant par analogie l'
art. 14b let. a OPC-AVS/AI
, la caisse a fixé à 17'067 francs le montant du revenu (hypothétique) qu'elle pourrait retirer d'une telle activité. Au lieu de prendre en considération le double du montant de la limite de revenu pour personnes seules, elle a retenu la somme de 12'800 francs, augmentée d'un tiers seulement, pour tenir compte, a-t-elle précisé, "d'une période d'adaptation en Suisse".
La juridiction cantonale fait sienne cette argumentation, à laquelle l'OFAS se rallie sans réserve.
3.
a) Il est exact que le nouveau droit matrimonial a apporté d'importantes modifications par rapport à l'ancien droit. En particulier, la loi ne prévoit plus une répartition déterminée des tâches entre époux, mais elle leur laisse le soin de convenir de la répartition des rôles, ainsi que du mode et du contenu de la contribution de chacun d'eux (
art. 163 al. 2 CC
). L'épouse n'a dès lors plus de prétention légale à apporter sa contribution par les soins du ménage exclusivement et à être en principe dispensée d'une activité lucrative. Ainsi, lorsque le mari n'est plus en mesure d'exercer une activité lucrative, p.ex. à la suite d'une maladie grave ou bien parce qu'il a perdu son emploi, l'épouse qui, jusque-là, n'avait pas - ou seulement dans une mesure restreinte - exercé d'activité lucrative pourra alors, selon les circonstances, se voir contrainte de le faire ou d'étendre son activité. Avant d'envisager une semblable modification de la répartition des tâches, il faut cependant examiner dans chaque cas si et dans quelle mesure on pourra exiger de l'épouse qu'elle exerce dorénavant une activité, compte tenu notamment de son âge, de son état de santé, de sa formation et, le cas échéant, du temps plus ou moins long pendant lequel elle aura été éloignée de la vie professionnelle (
ATF 114 II 302
consid. 3a et les références citées; voir, en ce qui concerne la prise en considération du revenu hypothétique du débiteur de la contribution d'entretien en cas de suspension de la vie commune:
ATF 117 II 16
; cf. aussi, à propos du revenu du conjoint de l'assuré tenu à restituer des prestations indûment touchées:
ATF 116 V 295
consid. 3b).
b) Le problème se pose toutefois de savoir si le revenu hypothétique du conjoint peut être pris en compte dans la fixation
BGE 117 V 287 S. 291
du revenu déterminant en vertu de l'
art. 3 al. 1 let
. f LPC. La version française de cette disposition paraît l'exclure, car elle ne vise que les ressources et parts de fortune dont l'ayant droit s'est dessaisi. Le texte italien s'exprime dans le même sens ("le entrate e le parti di sostanza a cui l'assicurato ha rinunciato"). En revanche, le texte allemand use d'une formule plus large, puisqu'il fait uniquement référence à l'objet du dessaisissement ("Einkünfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist").
Les textes légaux sont d'égale valeur dans les trois langues officielles. Lorsqu'ils présentent entre eux des divergences, il convient de déterminer celui qui, d'après les méthodes usuelles d'interprétation, rend le plus exactement le sens de la règle et peut être considéré comme juste (
ATF 115 V 448
consid. 1a, 114 IV 177; GRISEL, Traité de droit administratif, p. 126). En l'occurrence, le texte allemand, qui peut être rendu en français par "les revenus et parts de fortune auquels on a renoncé", correspond le mieux à la systématique et au but de la loi. En effet, le revenu déterminant des époux doit être additionné (
art. 3 al. 5 LPC
). Pour savoir ce qui entre dans le revenu déterminant, il faut se reporter à l'énumération figurant à l'
art. 3 al. 1 LPC
et donc, aussi, à la lettre f de cette même disposition. Il s'ensuit, logiquement, que les ressources et parts de fortune dont le conjoint de l'ayant droit (ou de l'assuré) se dessaisit constituent aussi un tel revenu, qui doit être pris en considération. Au demeurant, le but des prestations complémentaires est d'assurer un revenu minimum aux bénéficiaires de rentes de l'AVS ou de l'AI et qui se trouvent dans le besoin (message concernant un projet de loi fédérale sur les prestations complémentaires à l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité du 21 septembre 1964, FF 1964 II 709, 714; RCC 1989 p. 606 consid. 2a). Or, la situation économique du conjoint peut influer sensiblement sur les conditions de vie de l'ayant droit (raison pour laquelle l'
art. 3 al. 5 LPC
prévoit d'additionner le revenu déterminant des époux). De toute évidence, il serait contraire au but de la loi de faire abstraction des ressources auxquelles ce même conjoint renonce, sans obligation juridique et sans contre-prestation adéquate, voire dans la seule intention d'éluder la loi sur les prestations complémentaires.
On doit ainsi admettre, malgré les textes français et italien de l'
art. 3 al. 1 let
. f LPC, mais comme le permet la version allemande, que cette disposition est directement applicable lorsque l'épouse d'un assuré s'abstient de mettre en valeur sa capacité de gain, alors
BGE 117 V 287 S. 292
qu'elle pourrait se voir obligée d'exercer une activité lucrative en vertu de l'
art. 163 CC
. Le Tribunal fédéral des assurances a du reste déjà adopté - sans autres commentaires il est vrai - la même solution dans la situation inverse, savoir dans l'hypothèse où le mari de l'assurée renonce à un revenu (RCC 1983 p. 160). Dans cette affaire, le mari avait pris une retraite prématurée et volontaire, après que son épouse eut été mise au bénéfice d'une rente de vieillesse.
c) Pour calculer le revenu hypothétique de l'épouse, il ne se justifie pas, contrairement à l'opinion de l'administration et des premiers juges, de faire appel, même par analogie, aux normes schématiques de l'
art. 14b OPC-AVS/AI
: cette disposition vise la situation bien particulière des veuves sans enfants et son application ne saurait être étendue à d'autres cas non expressément envisagés par le Conseil fédéral. Il appartient bien plutôt à l'administration ou, en cas de recours, au juge des assurances sociales d'examiner si l'on peut exiger de l'intéressée qu'elle exerce une activité lucrative et, le cas échéant, de fixer le salaire qu'elle pourrait en retirer en faisant preuve de bonne volonté.
L'administration et le juge appliqueront ainsi à titre préalable les principes du droit de la famille, à l'instar, p.ex., du juge pénal qui fixe le montant de l'amende infligée à l'époux qui voue ses soins au ménage (
ATF 116 IV 4
) ou du juge des poursuites qui fixe la quotité saisissable (
ATF 115 III 103
,
ATF 114 III 15
consid. 3). Le revenu de l'activité lucrative potentielle devra alors être pris en considération dans la fixation du revenu déterminant au même titre qu'un gain effectivement réalisé; en particulier, il devra, conformément à l'art. 3 al. 2 in fine LPC, être pris en compte à raison des deux tiers seulement, comme le sont d'ailleurs les revenus hypothétiques visés par les
art. 14a et 14b OPC-AVS/AI
(cf. RCC 1987 p. 583 ss).
d) L'épouse du recourant réside en Suisse depuis septembre 1987. Selon le dossier, elle n'a aucune formation professionnelle et ne parle pas le français. Elle présente, d'autre part, une symptomatologie dépressivo-anxieuse réactionnelle à une inadaptation en Suisse. Cependant, au dire de médecins, elle serait apte à exercer une activité salariée, notamment comme femme de ménage, aide dans un magasin ou ouvrière de fabrique. Compte tenu de son âge (22 ans au moment où la décision litigieuse a été rendue) et du fait que les époux n'avaient à cette époque pas d'enfant, elle aurait certainement pu s'acquitter de son obligation
BGE 117 V 287 S. 293
de contribuer aux charges du ménage par une prestation pécuniaire; une occupation à temps partiel ou une activité saisonnière (notamment dans l'agriculture ou l'hôtellerie) aurait pu, à tout le moins, être envisagée. L'épouse eût été, dans ce cas, libérée de l'essentiel de ses tâches ménagères, car rien n'indique que son mari, bien qu'étant partiellement invalide, ne fût pas en mesure de les assumer à sa place.
On ne dispose toutefois pas de données suffisantes pour dire quel genre d'activité entrait, plus précisément, en considération dans le cas concret, eu égard notamment aux possibilités qu'offre le marché du travail dans la région de M. Dans sa réponse au recours, la caisse de compensation fournit à ce sujet quelques indications, qui méritent toutefois d'être vérifiées. On ignore également le salaire que l'intéressée eût été en mesure d'obtenir dans l'une ou l'autre des activités précitées.
Il convient, en conséquence, de renvoyer la cause aux premiers juges, pour qu'ils fixent, après une instruction complémentaire, le montant du revenu hypothétique et, sur cette base, statuent à nouveau sur le droit éventuel du recourant à une prestation complémentaire.
4.
Le fait que l'épouse du recourant était enceinte à l'époque où le recours de droit administratif a été formé (selon les indications du recourant, elle aurait dû accoucher en juin 1990) n'est pas décisif pour statuer sur la demande de l'assuré, déposée en mars 1989. Une modification de l'état de fait, postérieure à la décision litigieuse, ne peut en principe être examinée que dans le cadre d'une nouvelle procédure (
ATF 116 V 248
consid. 1a et les arrêts cités). C'est pourquoi les premiers juges tableront sur les faits, déterminants en l'espèce, qui existaient au moment où la décision de l'administration a été rendue.
Pour la période postérieure au fait nouveau allégué, ils inviteront l'administration à revoir le cas.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est partiellement admis et le jugement du Tribunal des assurances du canton du Valais du 15 décembre 1989 est annulé. La cause est renvoyée à ce même tribunal pour instruction complémentaire et nouveau jugement au sens des motifs. | null | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
37971375-f768-4638-ad65-e06567da4d88 | Urteilskopf
112 II 398
66. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 29 mai 1986 dans la cause Etat de Vaud contre dame X. (recours en réforme) | Regeste
Haftbarkeit der Ehefrau für die Schulden des Ehemannes (
Art. 243 Abs. 3 ZGB
).
1. Die subsidiäre Haftbarkeit der Ehefrau kann sich auf Schulden erstrecken, die vom Ehemann zwar für den Haushalt, aber nicht für die laufenden Bedürfnisse eingegangen worden sind (E. 4).
2. Der Umfang der Schulden für den gemeinsamen Haushalt im Sinne von
Art. 243 Abs. 3 ZGB
richtet sich nach Sitte und Brauch. Ihn zu bestimmen, obliegt dem Richter, wobei auf die Lebenserfahrung und darauf, was in der Bevölkerung üblich ist, abzustellen ist. Ausserdem sind in jedem Einzelfall die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Ehegatten und ihr bisheriger Lebensstandard zu berücksichtigen (E. 5).
3. Die beträchtlichen Kosten, welche eine langdauernde Behandlung der Spitzenmedizin mit sich bringen kann, befinden sich ausserhalb des vorsichtigsten Budgets eines Haushaltes und gehören daher nicht zu den Schulden, die im Sinne von
Art. 243 Abs. 3 ZGB
für den gemeinsamen Haushalt eingegangen werden (E. 6).
4. Die subsidiäre Haftbarkeit der Ehefrau nach
Art. 243 Abs. 3 ZGB
tritt erst im Moment der Zahlungsunfähigkeit des Ehemannes ein. Die Verjährungsfrist für entsprechende Forderungen gegenüber der Ehefrau beginnt daher erst in diesem Zeitpunkt zu laufen (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 399
BGE 112 II 398 S. 399
A.-
Les époux X. se sont mariés le 5 novembre 1964. Ils ont passé un contrat de séparation de biens qui a été approuvé par l'autorité tutélaire le 4 mai 1972 et inscrit au registre des régimes matrimoniaux le 12 mai suivant.
Dès 1971, X. a présenté des troubles graves de la fonction rénale provoqués par une hypertension artérielle. Il a dû renoncer à exercer sa profession de chauffeur de camions pour prendre une occupation sédentaire le 4 octobre 1971. A partir de septembre 1972, X. a dû subir des dialyses au rythme de deux ou trois par semaines pour survivre. Deux tentatives de greffe de l'un et l'autre reins ont échoué le 11 avril 1973 et le 3 avril 1975. Il fallut dès lors reprendre les hémodialyses au rythme de trois par semaine dès 1976. Tous ces traitements ont été administrés au Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), à Lausanne. X. est décédé le 8 février 1984 et sa succession a été répudiée.
Les traitements auxquels X. a été soumis ont entraîné des frais importants. La couverture des frais médicaux par la caisse-maladie à laquelle le patient était affilié a pris fin le 31 juillet 1974 et l'assurance-maladie des personnes âgées n'est intervenue que dès le 1er mars 1983. Pour le reste, le CHUV a régulièrement envoyé des factures à X. Le montant total de ces factures s'élevait au 31 décembre 1982 à 396'371 fr. 35, déduction faite de divers paiements effectués.
L'Etat de Vaud a entrepris des poursuites contre X., au cours desquelles un immeuble du poursuivi a été saisi et réalisé; après
BGE 112 II 398 S. 400
déduction des dettes hypothécaires et des frais, c'est un montant de 66'740 fr. 45 qui a été distribué à l'Etat de Vaud. Le 11 novembre 1980, un acte de défaut de biens a été délivré au créancier poursuivant. Ce titre atteste pour la première fois l'insolvabilité de X.
Dame X. est propriétaire d'immeubles sis dans la périphérie de l'agglomération lausannoise et de titres. Elle est imposée sur une fortune de 1'206'000 fr., mais ses immeubles prennent de la valeur. Par lettres des 23 novembre 1982, 16 février et 28 mars 1983, l'Etat de Vaud a mis dame X. en demeure de payer les dettes contractées par son mari du fait des traitements médicaux subis. Le 16 avril 1983, il lui a fait notifier un commandement de payer portant sur la somme de 396'371 fr. 35, avec intérêts à 5% dès le 31 décembre 1977. Cette poursuite a été frappée d'opposition totale et le poursuivant a ouvert action en reconnaissance de dette pour ce montant, par demande déposée le 12 octobre 1983 devant la Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud.
B.-
Par jugement du 24 avril 1985, la cour cantonale a rejeté la demande et admis, avec suite de frais et dépens, les conclusions libératoires de dame X.
Elle a considéré que les conditions de la responsabilité de l'épouse en cas d'insolvabilité du mari (
art. 243 al. 3 CC
) n'étaient pas réunies, dès l'instant que les dépenses faites pour maintenir X. en vie après l'échec de la seconde tentative de greffe du rein, le 3 avril 1975, n'avaient pas pour but l'entretien du ménage commun; qu'il en allait de même pour les dépenses entraînées par l'administration des soins antérieurs au 3 avril 1975 et que, même si ces dépenses pouvaient tomber sous le coup de l'
art. 243 al. 3 CC
, les prétentions de l'Etat de Vaud seraient prescrites, car elles se fondent sur le droit public cantonal qui prévoit un délai de prescription de cinq ans contre le débiteur principal, X., et contre la défenderesse, son épouse. La cour cantonale a retenu à ce sujet que le point de départ du délai de prescription doit être fixé à la date d'envoi de chacune des factures déterminant le montant exigible de la part du patient et que le premier acte interrompant la prescription à l'encontre de la défenderesse est le commandement de payer notifié dans la poursuite requise contre elle le 14 avril 1983; en conséquence, les créances invoquées dans des factures antérieures de cinq ans à cette date sont prescrites, de sorte que l'Etat de Vaud ne peut rien réclamer à dame X., même pour les soins prodigués à son mari avant le 3 avril 1975, dans la mesure
BGE 112 II 398 S. 401
où les actes interruptifs de la prescription contre X. ne sont pas opposables à la défenderesse.
C.-
L'Etat de Vaud exerce en temps utile un recours en réforme au Tribunal fédéral. Il conclut à ce que dame X. soit condamnée à lui verser la somme de 396'371 fr. 35, avec intérêts à 5% dès le 31 décembre 1977, l'opposition faite à sa poursuite étant définitivement levée et la cause renvoyée à l'autorité cantonale pour nouvelle décision sur les frais et dépens de première instance.
L'intimée conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
La cour cantonale a écarté l'application de l'
art. 243 al. 3 CC
en estimant d'une part que les soins prodigués à X. depuis l'échec de la seconde tentative de greffe, le 3 avril 1975, ne servaient qu'à conserver la vie du patient, désormais incurable, et non à rétablir sa santé pour lui permettre de contribuer par son travail aux charges du ménage, de sorte que le coût de ces traitements n'entrait pas dans les besoins du ménage. D'autre part, avant cette date, même si le succès des traitements entrepris pouvait permettre à X. d'espérer mener à nouveau une vie normale et reprendre une activité lucrative, ces traitements avaient entraîné des dépenses inusuelles qui dépassent largement les ressources d'un ménage et qui, dès lors, ne peuvent rentrer dans le cadre de l'
art. 243 al. 3 CC
.
Le recourant reproche aux premiers juges d'avoir adopté des critères vagues en englobant dans les dettes contractées pour l'entretien du ménage commun les frais de santé passagers, et en en excluant les frais plus importants dont dépend la survie de l'époux, donc fondamentalement nécessaires au ménage commun, la vie de chacun des conjoints étant la condition essentielle de l'existence du ménage. Il relève que le devoir d'assistance de l'épouse s'étend aux frais médicaux que le mari ne peut assumer au moyen des revenus de sa fortune (
ATF 73 II 98
), et que le devoir d'assistance tant à l'égard du mari (
art. 159 al. 2 CC
) que des enfants (
art. 276 CC
) entraîne la responsabilité de la femme.
3.
Comme l'intimée le relève à bon droit, les conditions du devoir d'assistance de l'épouse ne fournissent aucun élément pour l'interprétation de l'
art. 243 al. 3 CC
. Le devoir d'assistance fait en effet naître une créance en faveur de l'assisté et non d'un tiers. Que l'un des époux se soit acquitté de son obligation d'assistance
BGE 112 II 398 S. 402
à l'égard de l'autre ne prive pas le créancier du mari de la possibilité de rechercher l'épouse sur la base de l'
art. 243 al. 3 CC
(respectivement des art. 207 al. 2 et 220 al. 2 CC sous les autres régimes matrimoniaux) lorsque le mari est insolvable (LEMP, n. 12 ad
art. 243 CC
).
4.
La responsabilité subsidiaire de la femme pour les dettes du mari insolvable est prévue dans les trois régimes matrimoniaux réglementés par la loi (art. 207 al. 2, 220 al. 2 et 243 al. 3 CC). Introduite au cours des débats parlementaires (EGGER, n. 14 ad
art. 207 CC
; TOBLER, Zur Vertretung der ehelichen Gemeinschaft durch die Ehefrau, SJZ 1922 p. 161 ss, 164), cette institution constitue une exception au principe de la responsabilité exclusive du mari pour les dettes contractées dans l'intérêt du ménage commun. Cela ne signifie toutefois pas que cette responsabilité doive être retenue de manière restrictive. TOBLER (loc.cit.) l'interprétait en ce sens que la femme ne peut être tenue pour responsable subsidiaire, en cas d'insolvabilité de son conjoint, que si le mari a agi à sa place, pour les besoins courants du ménage, au sens de l'
art. 163 al. 1 CC
. Cette opinion n'a cependant pas prévalu. Ni les art. 207 al. 2 et 220 al. 2, ni l'
art. 243 al. 3 CC
ne parlent des dettes contractées par le mari ou par la femme pour l'entretien courant du ménage commun. La doctrine actuelle admet que la responsabilité subsidiaire de l'épouse peut s'étendre aux dettes contractées par le mari pour les besoins du ménage qui ne sont pas courants, de sorte qu'elle est plus large que celle qui découle de l'
art. 163 al. 1 CC
(LEMP, n. 7 ad art. 163; n. 81 ad art. 207; n. 15 ad art. 243).
5.
La notion de ménage commun n'est pas un concept clairement défini. On la retrouve notamment aux art. 161 al. 3, 163 al. 1, 331 ss, 474 al. 2, 606 CC. Elle se caractérise par la communauté de vie entraînant, du point de vue économique, des dépenses de logement, de nourriture, d'entretien, voire d'éducation et d'instruction en ce qui concerne les enfants. Le ménage fondé sur le mariage est en relation avec la notion d'union conjugale au sens des
art. 159 ss CC
(
ATF 49 II 451
/452 consid. 3).
Les dépenses qu'entraîne le ménage varient selon la situation financière, selon le train de vie adopté, et selon ce qui correspond aux moeurs, aux habitudes de la population. Les moeurs évoluent avec le temps. Des dépenses qui ne paraissaient pas entrer autrefois dans les besoins du ménage sont aujourd'hui admises comme telles. C'est ainsi qu'EGGER niait que les primes d'assurance-vie
BGE 112 II 398 S. 403
fissent partie de l'entretien du ménage (n. 16 ad
art. 207 CC
), alors que KNAPP (Le régime matrimonial de l'union des biens, p. 200 No 625) a pu soutenir plus tard l'opinion contraire. La même évolution se manifeste entre ces deux auteurs à propos des équipements sportifs (EGGER, loc.cit.; KNAPP, loc.cit., No 626). Le juge est dès lors amené à déterminer ce qui, à l'époque des faits qui lui sont soumis, constitue selon les moeurs et les habitudes de la population, l'entretien du ménage commun.
a) Pour guider cette recherche, il y a lieu d'examiner tout d'abord la ratio legis des art. 207 al. 2, 220 al. 2 et 243 al. 3 CC.
L'
ATF 49 II 450
consid. 2 s'y est attaché. Selon cet arrêt, la responsabilité subsidiaire de l'épouse a été instituée pour deux raisons; d'une part, elle permet à la femme de jouir d'un certain crédit lorsqu'elle agit pour les besoins du ménage et qu'elle est solvable, alors que son mari ne l'est pas; d'autre part, il s'agit d'assurer une protection aux créanciers qui, en vertu des moeurs qui régissent la vie des affaires et la concurrence, sont contraints de livrer à crédit. Si la femme ne peut engager le mari que pour les besoins courants du ménage (
art. 163 CC
), elle peut être tenue, à titre subsidiaire, de contribuer aux besoins extraordinaires du ménage (
ATF 49 II 452
). Selon cet arrêt, le critère permettant de distinguer les dettes dont la femme est tenue subsidiairement de celles dont répond uniquement le mari réside dans la possibilité pour les créanciers de discerner si le mari a contracté des dettes pour les besoins, même extraordinaires, du ménage.
Les dépenses - courantes ou extraordinaires - contractées pour l'entretien du ménage commun sont caractérisées par le fait que la contre-prestation du créancier est affectée directement au ménage (KNAPP, op.cit., p. 199 No 620; EGGER, n. 5 ad
art. 162 CC
; n. 15 ad
art. 207 CC
; LEMP, n. 15 ad
art. 243 CC
). Ce qui justifie la responsabilité subsidiaire de l'épouse, c'est qu'elle a profité elle-même de la prestation du créancier, en tant que membre du ménage ou de l'union conjugale (KNAPP, op. cit., p. 198 No 613; EGGER, n. 14 ad
art. 207 CC
).
b) Ces éléments permettent de déterminer positivement quels sont les besoins du ménage visés par les dispositions légales relatives à la responsabilité subsidiaire de la femme. A l'inverse, on peut préciser cette notion en définissant les engagements du mari qui ne concernent pas les besoins du ménage, partant qui n'entraînent pas la responsabilité subsidiaire de l'épouse: il s'agit des dépenses consenties pour le commerce ou l'industrie de l'un ou
BGE 112 II 398 S. 404
l'autre des époux, pour les frais d'établissement des enfants, pour leur entretien hors de la maison, pour les placements de capitaux, pour l'achat d'une villa (LEMP, n. 83 ad
art. 207 CC
; n. 15 ad
art. 243 CC
), pour les frais concernant uniquement l'un des membres du ménage, le maintien de son patrimoine, la satisfaction de ses goûts personnels de luxe, ses hobbies (EGGER, n. 16 ad
art. 207 CC
), l'acquisition d'objets d'art ou de collections (KNAPP, op.cit., p. 200 No 626).
c) Quant aux frais médicaux, la doctrine et la jurisprudence admettent qu'ils font partie des besoins du ménage s'ils sont passagers (LEMP n. 82 ad
art. 207 CC
; SJ 1934 p. 490; 1940 p. 55, où la référence au devoir d'assistance est toutefois dépourvue de pertinence, cf. consid. 3 ci-dessus).
6.
Le recourant fait valoir que les frais médicaux qui ne sont pas passagers, mais qui sont nécessaires à la survie du patient, sont éminemment nécessaires au ménage commun, car la vie de chacun des époux est la condition essentielle de l'existence même d'un ménage.
Ce n'est toutefois pas cela qui est déterminant. Comme on l'a vu sous consid. 5 principio, ce sont les moeurs qui déterminent l'extension de la notion d'entretien du ménage commun, et il appartient au juge de la définir, compte tenu de son expérience de la vie, de ce qui se pratique généralement dans la population, sans négliger, dans chaque cas d'espèce, les facultés économiques des époux et le train de vie qu'ils ont adopté.
Tout ménage est exposé à devoir supporter des frais médicaux pour ses membres. Les assurances qui sont contractées à ce sujet, avec les franchises éventuelles, rentrent dans les prévisions budgétaires de la majorité des familles, dans la mesure où le législateur lui-même n'impose pas l'assurance dans des domaines de plus en plus étendus. Les frais entraînés par les maladies courantes, les soins dentaires, des contrôles de plus en plus fréquents avec l'avancement de l'âge, les opérations auxquelles chacun peut s'attendre, les suites d'un accident que peut entraîner la pratique d'un sport auquel les membres de la famille se vouent d'un commun accord rentrent dans les prévisions générales et peuvent se qualifier de dépenses d'entretien du ménage commun, alors même qu'elles ne sont pas courantes.
On est tout à fait en dehors de ces prévisions en l'espèce.
Les frais médicaux qui ont entraîné les dettes du mari dont le créancier poursuit le recouvrement auprès de l'épouse sont la
BGE 112 II 398 S. 405
conséquence de traitements complexes administrés durant une très longue période. Le coût très élevé des soins prodigués à X. est le corollaire du développement récent de la médecine de pointe. D'une manière générale, on s'estime suffisamment à l'abri de tels risques par la conclusion d'assurances dont les primes, voire les franchises, peuvent être qualifiées de besoins du ménage. Dans la mesure où les prestations de l'assurance ne suffisent de loin pas, ou cessent (après deux ans de traitement hospitalier dans le cadre de l'
art. 12 al. 4 LAMA
) et où des rentes d'invalidité ne suffisent à couvrir ni le gain perdu ni les dépenses de traitement, les frais médicaux peuvent entraîner la ruine économique du patient, comme cela fut le cas pour X. De tels traitements sont tout à fait en dehors des prévisions budgétaires les plus prudentes d'un ménage et ne correspondent dès lors pas à l'entretien du ménage commun au sens de l'
art. 243 al. 3 CC
, comme l'autorité cantonale l'a retenu à bon droit à titre principal.
7.
L'action introduite par le demandeur n'étant pas fondée, la question de sa prescription ne se pose pas. C'est toutefois le lieu de relever que, vu son caractère subsidiaire, la responsabilité de l'épouse instituée par l'
art. 243 al. 3 CC
ne prend naissance qu'au moment où le mari devient insolvable; le délai de prescription des prétentions émises à l'encontre de la femme ne commence donc à courir que dès cette date (cf. LEMP, n. 88 et 89 ad
art. 207 CC
). | public_law | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
3797665b-ac56-42f3-872f-998bba1a0407 | Urteilskopf
82 IV 190
41. Urteil des Kassationshofes vom 12. Oktober 1956 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. | Regeste
Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 2 StGB.
Begriff des Pfiegekinds. | Sachverhalt
ab Seite 190
BGE 82 IV 190 S. 190
A.-
Der 1907 geborene K. bildete sich als Krankenpfleger aus; er heiratete eine Krankenpflegerin. Von 1930
BGE 82 IV 190 S. 191
bis 1954 bewirtschaftete er ein Heimwesen. Seither arbeitet er in einer Fabrik.
Von 1942 an liessen sich die Eheleute K., die schon früher Ferienkinder bei sich aufgenommen hatten, von Fürsorgestellen regelmässig für kürzere oder längere Zeit Kinder zuweisen. 1942 bis 1948 betreuten sie ein Mädchen, dem unter anderem zwei Auslandschweizerknaben folgten. 1950/51 wurde die 1941 geborene Sylvia H., deren Mutter gestorben war, mit zwei Geschwistern bei den Eheleuten K. untergebracht. Die Kinder blieben rund anderthalb Jahre, bis sie der Vater nach seiner Wiederverheiratung zu sich nahm. 1955 verbrachte Sylvia die Sommerferien bei den Eheleuten K.
1952 und 1953 wies ihnen das Fürsorgeamt der Stadt Zürich die 1944 geborene Annamarie H. für die Sommerferien zu; 1954 nahmen sie das Kind auf Bitte der Mutter zu sich in die Sommerferien. Auf Empfehlung von "Pro Juventute" brachte der "Schweizerbund" die 1942 geborene Annamarie S. von Mitte Mai bis 8. Juli 1954 zur Erholung bei den Eheleuten K. unter, die während dieser Jahre ausserdem eine Reihe weiterer Kinder betreuten.
B.-
K. verging sich im Mai 1951 sowie im Sommer 1953, 1954 und 1955 an den drei Mädchen, indem er ihre Brüste und ihren Geschlechtsteil betastete. Annamarie H. entkleidete er überdies wiederholt den Unterkörper, um sein Glied zwischen die Oberschenkel und gegen den Geschlechtsteil des Mädchens zu stossen.
Das Kriminalgericht des Kantons Aargau verurteilte K. am 2. Mai 1956 wegen wiederholter unzüchtiger Handlungen mit Pflegekindern im Sinne des
Art. 191 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
und wiederholter beischlafsähnlicher Handlungen mit Pflegekindern im Sinne des
Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
zu zwei Jahren und vier Monaten Zuchthaus, stellte ihn für vier Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein und sprach Annamarie H. Fr. 400.-- als Genugtuung zu.
C.-
K. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Anwendung
BGE 82 IV 190 S. 192
von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 Abs. 1 StGB an das Kriminalgericht zurückzuweisen. Er bestreitet, dass die drei Mädchen seine Pflegekinder gewesen seien.
D.-
Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Wer sich der Unzucht mit einem Kind unter sechzehn Jahren schuldig macht, wird gemäss Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 2 StGB schärfer bestraft, wenn das Kind der Schüler, Zögling, Lehrling, Dienstbote oder das Kind, Grosskind, Adoptivkind, Stiefkind, Mündel oder Pflegekind des Täters ist.
Der französische und der italienische Text verwenden im zweiten Absatz der Ziff. 1 und 2 des
Art. 191 StGB
für Pflegekind allgemein gehaltene Umschreibungen: un enfant confié à ses soins, un fanciullo affidato alle cure di questo (des Täters). Darunter könnte jedes Kind verstanden werden, das auch nur ganz vorübergehend der Obhut einer Person anvertraut ist. Dass dies nicht der wahre Sinn der Bestimmung sein kann, ergibt sich jedoch nicht nur aus den hohen Mindeststrafen von zwei Jahren Zuchthaus (Ziff. 1 Abs. 2) bezw. drei Monaten Gefängnis (Ziff. 2 Abs. 2), sondern auch daraus, dass das Pflegekind zusammen mit dem Kind, Grosskind, Adoptivkind, Stiefkind und Mündel genannt wird. Damit wird offenbar eine ähnliche enge Bindung vorausgesetzt. Das heisst anderseits nicht, dass nur die Pflegekindschaft im engeren Sinn darunter falle, d.h. nur das Verhältnis, in dem der Besorger am Kinde dauernd Vater- oder Mutterstelle vertritt. Gegen eine solche Einengung des Begriffs spricht schon die Einbeziehung der Schüler, Zöglinge, Lehrlinge und Dienstboten in den Kreis der besonders geschützten Kinder. Wie das Dienstbotenverhältnis (vgl.
BGE 71 IV 192
Erw. 4;
BGE 78 IV 158
;
BGE 80 IV 64
) wird die Pflegekindschaft im Sinn des zweiten Absatzes der Ziff. 1 und 2 des
Art. 191 StGB
vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass das Kind
BGE 82 IV 190 S. 193
dem Täter in einer Weise zur Betreuung anvertraut sein muss, dass auf der einen Seite eine besondere Autorität, auf der anderen eine entsprechende Abhängigkeit begründet wird. Dem Missbrauch dieser Autorität und Abhängigkeit wollen die verschärften Strafandrohungen entgegentreten.
Pflegekind im genannten Sinn war jedenfalls Sylvia H., als sie 1950/51 mit ihren beiden Brüdern nach dem Tod der Mutter rund anderthalb Jahre bei den Eheleuten K. untergebracht war. Wenn auch in Aussicht genommen war, dass der Vater die Kinder bei einer Wiederverheiratung zu sich nehmen werde, so sollten sie doch nach den verbindlichen (
Art. 277 bis Abs. 1 BStP
) Feststellungen der Vorinstanz bis dahin bei den Eheleuten K. ein Heim finden und von ihnen während dieser Zeit, deren Dauer nicht von vornherein feststand, wie von den eigenen Eltern betreut werden.
Weniger klar ist die Rechtslage mit Bezug auf den Ferienaufenthalt der Sylvia H. im Sommer 1955 sowie die Ferienaufenthalte der Annamarie H. in den Jahren 1953 und 1954 (1952 kam es zu keinen unzüchtigen Handlungen) und den Erholungsaufenthalt der Annamarie S. Wären sie als gewöhnliche Feriengäste in einer verwandten oder bekannten Familie aufgenommen worden, so wäre nach dem, was in
BGE 71 IV 192
Erw. 4 ausgeführt worden ist, zweifelhaft, ob von Pflegeverhältnissen gesprochen werden könnte, obwohl nicht übersehen werden darf, dass auch so untergebrachte Kinder der Hausgewalt ihrer Gastgeber unterstehen, deren Autorität sich oft stärker auswirkt als die der Eltern. Die Stellung der Eheleute K. unterschied sich jedoch wesentlich von der einfacher Gastgeber. Seit Jahren liessen sie sich, namentlich von Fürsorgestellen, fortwährend Kinder zu längerem oder kürzerem Aufenthalt zuweisen, wobei sie gelegentlich deren mehrere gleichzeitig betreuten. Diese Zuteilungen beruhten auf einem besonderen Vertrauensverhältnis; sie war z.B. seitens des Fürsorgeamts der Stadt Zürich mit bestimmten
BGE 82 IV 190 S. 194
Weisungen für die Unterbringung und Betreuung der Kinder verbunden. Dieses Vertrauensverhältnis und der Rückhalt, den die Eheleute K. in der Zusammenarbeit mit den Fürsorgestellen fanden, schufen auf Seite der Kinder eine Abhängigkeit und auf Seite des Besorgers eine Autorität, die sich der eines Lehrers, Heim- oder Anstaltsleiters, Lehrmeisters oder Dienstherrn ohne weiteres vergleichen lässt. Auch während der genannten Ferien- und Erholungsaufenthalte lag daher ein Pflegeverhältnis im Sinn des zweiten Absatzes der Ziff. 1 und 2 des
Art. 191 StGB
vor.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
37a0cc1c-7ac2-43e5-8fe4-b21714041149 | Urteilskopf
104 Ia 381
58. Sentenza 1o novembre 1978 nella causa Comune e Patriziato di Airolo contro Comune e Patriziato di Fusio e Consiglio di Stato del Cantone Ticino. | Regeste
Staatsrechtliche Beschwerde der Gemeinde zur Wahrung ihrer Existenz oder des Bestandes ihres Gebietes.
1. Im Rahmen einer solchen Beschwerde kann die Gemeinde die Willkürrüge nur erheben, wenn diese mit der Rüge wegen Verletzung der Existenz- oder Bestandesgarantie eng zusammenhängt (E. 1).
2. Die Gemeinde ist auch dann zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert, wenn der angefochtene Entscheid sich darauf beschränkt, einer anderen Gemeinde ein bisher umstrittenes Gebiet zuzusprechen (Änderung der Rechtsprechung) (E. 3).
3. Auch bei Beschwerden der Gemeinden bezüglich ihrer Existenz oder des Bestandes ihres Gebietes prüft das Bundesgericht alle Fragen, die nicht die Auslegung und Anwendung besonderer Normen der Verfassungsstufe betreffen, bloss auf Willkür (E. 6b).
Gebietshoheit über die Alp von Campo la Torba im Sambuco-Tal, Gegenstand eines jahrhundertealten Streites zwischen den Gemeinden Fusio im Maggiatal und Airolo im Livinental.
Prüfung des Entscheides des Regierungsrates, der die Alp zum integrierenden Bestandteil des Gebietes von Fusio erklärt, im Lichte rechtsgeschichtlicher Gutachten, historischer Dokumente - insbesondere der Abschiede der Tagsatzung - und der geographischen Lage (E. 7 bis E. 9). | Sachverhalt
ab Seite 382
BGE 104 Ia 381 S. 382
A.-
L'alpe di Campo la Torba in Val Sambuco è oggetto di una plurisecolare vertenza fra Fusio in Valmaggia ed Airolo in Val Leventina. L'ultimo atto di tale conflitto - che, per quanto qui interessa, ha per oggetto la giurisdizione sull'alpe - ha avuto inizio nel 1925 e si è concluso con una decisione di data 1o febbraio 1974 del Consiglio di Stato della Repubblica e Cantone del Ticino. Il Governo ha riconosciuto che l'alpe contestato fa parte integrante del territorio giurisdizionale di Fusio. Nell'ampia motivazione, l'autorità si è criticamente riferita a perizie storico-giuridiche, allestite, per Airolo, dai Prof.
Liver e Caroni, e per Fusio, dal Prof. Broggini. Inoltre, essa si e appoggiata con larghezza di commento a documenti storici, tra cui primeggiano gli atti della Dieta federale. La diffusa motivazione può esser cosi riassunta:
BGE 104 Ia 381 S. 383
Né il presunto esercizio di atti di sovranità fiscale (consid. 1), né il fatto che il Patriziato di Airolo sia o meno proprietario dell'alpe (consid. 2), consentono di trarre conclusioni concrete circa la giurisdizione. Per giudicare a tal proposito, occorre fondarsi sulla situazione di fatto. L'alpe di Campo la Torba e situato geograficamente in Valmaggia ed è separato dalla Leventina da una catena di montagne superabili solo attraverso quattro valichi, di cui soltanto due (Naret e Sassello) agibili col bestiame. In linea di principio, vale in tal caso la regola per cui il confine giurisdizionale coincide con lo spartiacque, con il rilievo tuttavia che, anteriormente al XIX secolo, tale norma non era assoluta. In base a codesta norma, l'alpe è in territorio di Fusio, e lo spartiacque costituisce non soltanto il confine tra i comuni, ma anche quello tra i due Distretti di Leventina, Circolo d'Airolo, da un lato, e quello di Vallemaggia, Circolo della Lavizzara, dall'altro. Sulla scorta di tali risultanze, spetta ad Airolo di recare la prova stretta del contrario, cosi come e ammesso esplicitamente dal Prof. Liver ed implicitamente dal Prof. Caroni, sia pure con la pretesa di esser in parte liberato da tal onere probatorio, per l'impossibilità di farvi fronte compiutamente (consid. 3). I fatti storici anteriori alla pace di Lucerna (29 settembre 1479; 3/5 marzo 1480), se consentono di concludere che gli airolesi avevano acquistato diritto o proprietà su detto alpe, e che questi acquisti, mal veduti dai duchi di Milano, furono o la causa principale, o une delle cause della guerra di Giornico, sono ininfluenti per il litigio: infatti, e pacifico che il Trattato di Lucerna lascio Campo la Torba in territorio milanese, ancorché garantisse ai leventinesi l'accesso all'alpe attraverso il territorio ducale, incerta essendo tuttavia l'esatta natura dei diritti airolesi su Campo la Torba (consid. 4). Nell'epoca dei baliaggi, fino alle trattative avanti la Dieta federale (1570/72), la Leventina costituiva possedimento esclusivo di Uri, la Vallemaggia, invece, era uno dei quattro baliaggi comuni dei dodici cantoni (Zurigo, Uri, Zugo, Friborgo, Berna, Svitto, Glarona, Soletta, Lucerna, Unterwalden, Basilea, Sciaffusa), che la governavano per turni biennali nell'ordine testé riferito. Da codeste circostanze, Airolo vuol dedurre che, cessato per Uri il pericolo costituito dal Ducato di Milano, il conflitto giurisdizionale si fosse ridotto al livello delle comunità viciniali. Fusio invece ribadisce come fosse sempre Uri a tentare di far stabilire la sua esclusiva giurisdizione
BGE 104 Ia 381 S. 384
su Campo la Torba con interventi presso la Dieta. Da una lettera dell'8 settembre 1569 spedita dalle autorità urane a quelle zurighesi, e prodotta in causa da Airolo soltanto con le conclusioni del 13 settembre 1972, non si possono trarre conclusione circa i vantati diritti urani, ma al massimo dedurre che i fusiesi erano lontani dal riconoscerli. Neppure da questo periodo storico possono quindi trarsi elementi risolutivi per la controversia (consid. 5).
Negli anni 1569/1572 ebbero luogo le trattative considerate dalle parti decisive per la controversia. Alla Dieta di Baden del 4 giugno 1570, Uri chiede il riconoscimento della sua sovranità territoriale sull'alpe di Campo la Torba. Nella successiva seduta del 9 settembre 1570, gli undici cantoni nominano tre rappresentanti (Pfyffer di Lucerna, Lussi di Nidwaldo e Abyberg di Svitto) per tentare un accomodamento, vietando nel contempo ai fusiesi di sfruttare l'alpe durante il procedimento. Il Collegio arbitrale si riunisce il 15 marzo 1572 ad Altdorf; a quella seduta è formulata una proposta di transazione. Il protocollo originale dell'udienza non è stato rintracciato. Il documento prodotto da Airolo è stato allestito nel 1745, per di più sulla scorta d'una traduzione in italiano di un preteso originale in tedesco. Per conoscere il contenuto della transazione occorre pertanto basarsi sulla relazione fornita dai Delegati alla Dieta federale di Baden del 15 giugno 1572, riprodotta nei recessi federali, nonché sull'approvazione data dalla Dieta nella seduta tenutasi ancora a Baden il 7 dicembre 1572. Tali atti, per il loro tenore e per l'organizzazione e le competenze della Dieta federale, non segnano il definitivo componimento della vertenza, con relativo riconoscimento della giurisdizione urana, e pertanto airolese, sul territorio contestato, ma costituiscono semplicemente l'esaurimento della funzione mediatrice della Dieta. Questa lasciava l'ulteriore completazione e la definitiva attuazione ad Uri, Airolo e Fusio, ciò che, in particolare, implicava l'effettivo pagamento di 400 corone - previsto nella ratificata proposta - da parte degli airolesi a quelli di Fusio ed il consenso di quest'ultimi (consid. 6a c). L'unico documento su cui Airolo si appoggia per dimostrare il pagamento è la traduzione italiana di un preteso atto del gennaio 1573, costituito della copia di una traduzione in italiano dell'originale, che sarebbe stato redatto in tedesco da Nicolaus Muheim, scrivano d'Uri. Come l'analisi dimostra, simile documento manca di
BGE 104 Ia 381 S. 385
valore probatorio (consid. 6d e), ed a questa inefficienza fondamentale non può supplire il libero apprezzamento delle prove di cui fruisce il giudice: onere della prova ed apprezzamento della prova sono problemi distinti (consid. 6f).
Fallita la prova documentale, la conferma dell'effettiva attuazione della transazione non può nemmeno esser dedotta dagli avvenimenti successivi alle trattative del 1570/72, segnatamente da una posa di termini avvenuta nel 1654. Tali avvenimenti, da cui non risulta la minima menzione del preteso accordo del 1572, costituiscono semmai un indizio per la tesi contraria (consid. 7). Altro indizio importante nel senso che la transazione non venne attuata si deduce dalla relazione di Franz Ziegler, presidente, negli anni 1789/91, del Sindacato dei baliaggi ticinesi, relativa ad un viaggio ufficiale compiuto in Vallemaggia nel 1790 (consid. 8). Il contrario non si desume nemmeno dalle ulteriori pubblicazioni dell'epoca, in particolare quelle corografiche, segnatamente dall'opera del Fäsi (1766/68), del Füesslin (1770/78), di Stefano Franscini, di Lutz-Leresche (1836), dello Schinz (1783), contraddetto, è vero, quest'ultimo, ma in forma dubitativa, dal parroco di Airolo don Albertini. Da tutte queste opere si trae anzi indizio nel senso che la transazione non fu mai attuata. Tutte le carte del XVIII secolo, con un,unica eccezione (la carta Meyer del 1784, compilata però su uno schizzo del parroco Albertini di Airolo), attribuiscono Campo la Torba alla Lavizzara; altrettanto le carte del XIX secolo (consid. 9). Per quanto attiene all'uso privatistico dell'alpe durante il XX secolo, risulta dalle testimonianze assunte in via provvisionale ed a perpetua memoria dalla Pretura di Bellinzona nel 1888, nonché da quelle raccolte nella presente procedura nel 1934 e nel 1936 che, prima e dopo il carico da parte degli airolesi, i fusiesi godevano l'alpe, pascolandovi bestiame, facendovi fieno e legna (consid. 10a). Per quanto poi attiene all'esercizio della sovranità territoriale, non e provato che Airolo l'abbia mai praticata in modo permanente e durevole, se si fa astrazione da qualche episodio sporadico e di dubbia concludenza. Fusio ha invece dimostrato di aver compiuto numerosi atti (rilascio di atti di morte, sepoltura a Fusio di morti a Campo la Torba, contravvenzioni municipali, ecc.), i quali confermano l'esercizio effettivo - ed almeno chiaramente preponderante, se non esclusivo - della sovranità territoriale (consid. 10b). Neppure le procedure giudiziarie del
BGE 104 Ia 381 S. 386
secolo scorso, sia quelle dipendenti da una grida fatta pubblicare nel 1843 dal Patriziato di Airolo, cui Comune e Patriziato di Fusio fecero opposizione, sia quelle promosse da parte di Airolo, rispettivamente dal Comune e dal Patriziato di Fusio, consentono di ricavare elementi circa la giurisdizione a favore dell'una o dell'altra parte (consid. 11). Non è neppure lecito trarre in via analogica conclusioni per la vertenza dal caso particolare di Prugiasco, Comune sito in Val Blenio e tuttavia sottoposto, insieme con la Leventina, al solo dominio urano in virtù della pace di Lucerna, mentre il resto della Valle di Blenio sottostava ai tre Cantoni primitivi. Nessun elemento, infine, può esser ricavato, per giudicare circa la giurisdizione politica, dalla giurisdizione ecclesiastica su Campo la Torba, poiché le due giurisdizioni non necessariamente coincidono (consid. 12). Tirando le somme, si deve concludere che numerosi fatti invocati dalle parti sono equivoci o hanno un valore meramente negativo, e pertanto non assurgono ad indizi concludenti. Altri, invece, consentono conclusioni: la circostanza che in quasi trecent'anni di storia non si sia rintracciato riferimento veruno alla transazione del 1572, neppure in quei momenti (terminazioni del 1580 e del 1654) in cui sarebbe stato logico riferirvisi; il silenzio degli storici a proposito di tale convenzione; l'opinione degli autori che, essendo a conoscenza del conflitto, ritennero ch'esso sia rimasto irrisolto; il fatto che Airolo non sia riuscito a render credibile il perfezionamento della transazione del 15 giugno 1572, mentre gli indizi raccolti confermano piuttosto la tesi contraria; la circostanza che Fusio ha esercitato la sovranità effettiva durante il XX e il XIX secolo e - da quanto risulta - anche per buona parte del XVIII, seppur non in modo totalmente incontestato ed esclusivo, almeno in modo preponderante, mentre Airolo, che ha contro di sé la situazione geografica e la difficoltà pratica dell'esercizio di competenze amministrative e giurisdizionali, avrebbe dovuto provare e non soltanto affermare un lungo ed esclusivo esercizio. Da codesti elementi si deve concludere che la tesi airolese, a parte qualche indizio minore ed insufficiente, non è comprovata, mentre l'apprezzamento degli indizi conforta e rafforza la presunzione esistente a favore di Fusio. L'appartenenza di Campo la Torba alla giurisdizione di Fusio deve ritenersi provata, in ogni caso, sin dalla seconda metà del XVIII secolo (consid. 13 e 14). Dato questo accertamento, i mutamenti politici determinati dalla
BGE 104 Ia 381 S. 387
creazione della Repubblica Elvetica (1798/1803) e dalla costituzione del Cantone con l'atto di mediazione (19 febbraio 1803), e quelli intervenuti successivamente non influiscono sul risultato. Si può tutt'al più osservare in proposito che nessun testo, nessuna decisione o relazione statale di queste epoche prevede espressamente l'inserzione dell'alpe contestato nel distretto di Valle Maggia o in quello di Leventina, o nei relativi Circoli o Comuni, mentre d'altra parte non v'è ragione di ritenere che una nuova organizzazione statuale debba necessariamente risolvere tutti i conflitti preesistenti (consid. 15). La questione della proprietà dell'alpe non deve esser risolta in questa sede, anche se è opportuno rilevare che i diritti esercitati da Patriziato e Vicinanza d'Airolo assorbono l'essenza dell'alpe, mentre quelli dei fusiesi prima e dopo lo scarico appaiono piuttosto secondari (consid. 16).
B.-
Con tempestivo ricorso di diritto pubblico, fondato sulla violazione dell'
art. 4 Cost.
(arbitrio), il Comune ed il Patriziato d'Airolo insorgono contro la decisione del Consiglio di Stato, chiedendo al Tribunale federale di annullarla. Dei motivi del ricorso si dirà nei considerandi di diritto.
Il Comune ed il Patriziato di Fusio postulano la reiezione del gravame e la conferma della risoluzione impugnata. Identica conclusione formula il Governo.
Erwägungen
Considerato in diritto:
I. Questioni d'ordine
1.
Secondo la giurisprudenza, un Comune ha qualità per interporre ricorso di diritto pubblico contro decreti o decisioni che lo toccano, quale titolare di pubblico potere, nella sua autonomia (
DTF 103 Ia 472
consid. 1;
DTF 100 Ia 83
consid. 1, 90 consid. Ia, 202 consid. 1, 282 consid. 3 e riferimenti) o nella sua esistenza o consistenza territoriale (
DTF 93 I 66
consid. 2, 445 consid. 7c;
DTF 94 I 354
consid. 2, 543 consid. 1;
DTF 96 I 467
consid. 2;
DTF 99 Ia 110
consid. 1). Il Comune ha ugualmente veste per impugnare decreti o decisioni che lo colpiscono alla stregua di un privato, segnatamente quale proprietario di beni del patrimonio fiscale, ovvero finanziaro (
DTF 96 I 468
consid. 2a;
DTF 97 I 641
consid. 2b), o del patrimonio amministrativo (
DTF 95 I 46
;
DTF 97 I 640
641 consid. 2b;
DTF 99 Ia 110
111, consid. 1; circa i beni d'uso comune, cfr.
DTF 96 I 467
consid. 2;
DTF 97 I 641
consid. 2 e
DTF 96 I 329
consid. 1).
BGE 104 Ia 381 S. 388
Nella sua qualità di detentore del potere pubblico, il Comune può far valer la censura d'arbitrio non a titolo indipendente, ma solo in connessione con quella di lesione della sua autonomia (
DTF 103 Ia 478
479;
DTF 100 Ia 90
consid. 1b;
DTF 98 Ia 431
consid. 2 e 3;
DTF 96 I 327
consid. 2;
DTF 94 I 455
consid. 1b. Ancorché ciò non sia mai stato detto esplicitamente, uguale connessione va logicamente richiesta anche quando il Comune si duole non di una lesione dell'autonomia, ma di quella della sua esistenza o integrità territoriale.
2.
a) Il patriziato ticinese è garantito dalla Costituzione cantonale (art. 9), la quale prevede che la legge lo disciplina. La legge organica patriziale del 29 gennaio 1962 (LOP) lo definisce una corporazione di diritto pubblico, autonoma nei limiti stabiliti dalla legge, il cui scopo consiste nella conservazione dello spirito viciniale, nel buon governo dei beni di cui è proprietaria e nel loro impiego a favore della comunità (art. 1). L'
art. 86 cpv. 1 LOP
specifica che i beni patriziali si distinguono in beni amministrativi, direttamente connessi all'adempimento di compiti di diritto pubblico, e in beni patrimoniali. È pacifico, e si desume peraltro e contrario dall'
art. 90 bis LOP
, che i beni patriziali possono situarsi nella giurisdizione di Comuni politici diversi. D'altra parte, statuendo in materia di elezioni e votazioni, il Tribunale federale ha già riconosciuto il carattere politico della corporazione autonoma patriziale (sentenza inedita 11 novembre 1970 in re L. c. Amministrazione patriziale di Robasacco consid. 1; sentenza 16 febbraio 1972 in re F. c. Amministrazione patriziale di Dalpe, apparsa in BORGHI, Giurisprudenza amministrativa ticinese, 1975, n. 262, consid. 1a). Si deve quindi ammettere che, sotto il profilo della tutela dell'autonomia e dell'esistenza, il patriziato può avvalersi del ricorso di diritto pubblico alla stessa stregua di un comune politico.
b) La decisione impugnata si limita a stabilire che l'alpe di Campo la Torba è situato nella giurisdizione del Comune politico di Fusio, nel distretto di Vallemaggia, Circolo della Lavizzara. Essa lascia invece assolutamente impregiudicata la proprietà dell'alpe, rivendicata dal Patriziato d'Airolo. Questo non e quindi toccato nella sua qualità di proprietario di beni patriziali, poco importa se amministrativi, patrimoniali o d'uso comune. Il Patriziato d'Airolo non afferma nemmeno d'esser colpito dalla decisione impugnata nella sua facoltà di amministrare
BGE 104 Ia 381 S. 389
autonomamente tali beni, né si scorge invero come potrebbe esserlo. La risoluzione del Consiglio di Stato non concerne quindi il Patriziato d'Airolo nella sua qualità di detentore di poteri pubblici di natura autonoma, né nella sua qualità di proprietario. Per carenza di legittimazione, il suo ricorso di diritto pubblico è dunque irricevibile (
art. 88 OG
).
3.
Invece, la decisione impugnata concerne indubbiamente la consistenza territoriale del Comune politico di Airolo.
a) In
DTF 89 I 206
208 (Comune di Flüelen) il Tribunale federale ha riconosciuto che un comune ha veste per insorgere con ricorso di diritto pubblico non solo contro decreti o decisioni che lo smembrino in più comuni o lo costringano a fondersi con altri, ma anche contro provvedimenti intesi a staccare dal comune una parte essenziale del territorio o della popolazione per attribuirla ad un altro. Quest'ultima regola soffre tuttavia eccezione in due casi. Il comune non può insorgere contro quelle modificazioni che, come la rettifica dei confini giurisdizionali con o senza compenso reciproco, concernono porzioni limitate di territorio e perseguono il fine di semplificare o migliorare il tracciato del confine. In secondo luogo, la veste per proporre ricorso di diritto pubblico è negata al comune allorquando la decisione impugnata si limita a riconoscere ad un altro comune un territorio sinora in contestazione, e ciò indipendentemente dall'importanza dell'oggetto del litigio. Il Tribunale federale, per negare la legittimazione, ha rilevato che in simili casi non è lecito parlare di modifiche suscettibili di intaccare la consistenza territoriale del comune, poiché tale conseguenza può configurarsi solo se dal comune sia staccata una porzione di territorio che indubbiamente gli appartiene, non invece quando si accerti soltanto il confine in un territorio controverso. Secondo questa giurisprudenza, al Comune d'Airolo dovrebbe esser negata la legittimazione. La decisione impugnata, infatti, si limita ad accertare l'appartenenza giurisdizionale di un territorio litigioso.
b) Criticata in dottrina (H.P. MATTER, Die Legitimation der Gemeinde zur staatsrechtlichen Beschwerde, tesi, Berna 1965, pagg. 70/71), questa giurisprudenza merita riesame, se non per la questione minore delle semplici rettifiche (che qui non interessa e può rimanere aperta), almeno per l'eccezione concernente i giudizi di accertamento in controversie di giurisdizione territoriale tra due comuni.
BGE 104 Ia 381 S. 390
La citata sentenza Flüelen (
DTF 89 I 207
208) richiama il precedente dei Comuni di Mels e Sargans (
DTF 87 I 214
215) e adduce inoltre tanto la sentenza inedita del 6 febbraio 1947 in re Comune di Tägerwilen, quanto la sentenza del 14 luglio 1949 concernente il Comune turgoviese di Sirnach (riassunta in ZBl 50/1949, pag. 440 segg.). Ora, in quest'ultima sentenza, il Tribunale federale aveva ripudiato l'argomentazione addotta nel caso di Tägerwilen. In particolare, nel considerando 2 della sentenza di Sirnach, il Tribunale federale aveva espressamente sottolineato che l'argomento per cui, quando v'e controversia sul territorio, si tratterebbe soltanto di delimitare reciprocamente due enti pubblici coordinati, non ha rilevanza, almeno quando sono in gioco porzioni importanti di territorio. Mal si comprende infatti, aveva aggiunto, come si possa riconoscere al comune il diritto di difendersi contro lesioni della sua autonomia, ma negargli invece la possibilità di adire il Tribunale federale per lamentare violazioni della Costituzione in forza delle quali gli vien sottratto quel territorio che costituisce la premessa ed il substrato stesso dell'autonomia.
In realtà, non si vede motivo per trattare in modo diverso, sotto il profilo della legittimazione, il caso in cui un comune sia costretto a cedere territorio in (pretesa) disapplicazione di norme del diritto cantonale che reggono la materia, dal caso in cui l'autorità cantonale proceda, in modo che si pretende incostituzionale, all'accertamento dell'appartenenza giurisdizionale di un territorio controverso ad un determinato comune. La distinzione fatta dalla giurisprudenza ha tanto meno ragion d'esser mantenuta da quando il Tribunale federale ha riconosciuto - in materia d'autonomia - che per fondare la legittimazione occorre, ma basta anche, che il provvedimento impugnato colpisca il comune nella sua qualità di titolare del pubblico potere, la questione dell'esistenza di autonomia tutelabile e della lesione di questa attenendo al merito (
DTF 93 I 431
consid. 1;
DTF 100 Ia 203
consid. 1;
DTF 103 Ia 472
consid. 1). Le ragioni che hanno indotto il Tribunale federale a permettere al comune di avvalersi eccezionalmente di un rimedio normalmente riservato ai privati cittadini per difendersi contro gli abusi del potere statuale, sono d'altronde di natura giuridico-politica e risiedono, da un lato, nel riconoscimento della funzione attribuita al comune nell'edificio dello Stato democratico e, dall'altro, nella necessità di impedirne il decadimento (
DTF 103 Ia 474
BGE 104 Ia 381 S. 391
consid. 4 e riferimenti): applicata in tema di difesa del territorio, questa motivazione fa apparire artificiosa la sottile distinzione della cennata giurisprudenza.
c) La legittimazione del Comune di Airolo deve quindi essere riconosciuta. Non è necessario esaminare, a tal proposito, se debba esser mantenuta la restrizione quantitativa ritenuta nella già citata sentenza di Flüelen. Non è infatti contestato che il territorio controverso ha un'importanza rilevante tanto per la sua estensione quanto per la sua funzione economica. Neppure, sia rilevato di transenna, va qui esaminata la questione di sapere se un comune possa censurare col ricorso di diritto pubblico unicamente lesioni del suo statuto giuridico (così la sentenza 23 dicembre 1970 nella causa Comune di Höri, pubblicata in ZBl 72/1971, pagg. 428/429, consid. 3) oppure lamentare anche lesioni di fatto che si ripercuotono sulla sua esistenza o integrità.
d) Per ragioni di completezza, giova infine rilevare che la legittimazione non può esser negata al comune di Airolo con l'argomento che nel testo del gravame è espressamente invocato solo l'
art. 4 Cost.
Certo, il comune non ha veste per proporre un ricorso per arbitrio a titolo indipendente (supra, consid. 1), ma, nel caso in esame, l'arbitrio lamentato dal Comune e in connessione immediata con la lesione dell'integrità territoriale.
4.
Le osservazioni del Governo ticinese sono state inoltrate trascorso il termine assegnato e non possono quindi esser prese in considerazione. Per contro, debbono esser ritenute tempestive quelle del Comune e del Patriziato di Fusio, presentate dagli intimati tempestivamente all'autorità cantonale incaricata di raccoglierle, ancorché da questa tardivamente ritrasmesse al Tribunale federale.
II. Questioni di merito
5.
Il Comune ricorrente sostiene che, nonostante le apparenze, la decisione impugnata non si fonda su molteplici motivazioni indipendenti, ma su un argomento essenziale, sviluppato nel considerando 6 (pagg. 25 a 40). Contro questa motivazione esso dichiara pertanto di appuntare la critica ricorsuale; le ulteriori censure non fanno che completarla.
Secondo il ricorrente, l'autorità cantonale è caduta in arbitrio su un punto decisivo, ossia nel ritenere che la transazione
BGE 104 Ia 381 S. 392
di Altdorf del 15 marzo 1572, il cui tenore è riprodotto nel recesso della Dieta del 15 giugno 1572 e che la Dieta approvo incontestatamente nella seduta di Baden del 7 dicembre 1572, non fosse perfetta e definitiva, ma sottoposta alla condizione sospensiva del pagamento della somma pattuita da parte di quelli d'Airolo a quelli di Fusio. Da codesta errata ed arbitraria interpretazione è stata dedotta, secondo il ricorrente, l'esigenza che Airolo provasse in causa l'avvenuto pagamento.
A mente del Comune d'Airolo, tale prova è stata comunque considerata fallita a torto ed arbitrariamente. Come l'esistenza dell'istituto della prescrizione decennale nel diritto odierno dimostra, non si può esigere dopo quattro secoli la prova documentale perfetta, ed è arbitrario considerare apocrifo il documento del (primo?) gennaio 1573, che prova l'avvenuto pagamento immediato: in effetti, un atto del genere non s'inventa. Che per tre secoli, dopo le dispute degli anni 1569/72, non siasi più parlato della giurisdizione di Campo la Torba, depone a favore della tesi che il litigio sia stato tolto per transazione, non di quella ch'esso si sia esaurito per la spossatezza degli antagonisti. Nel seguito del ricorso si espongono critiche su punti specifici della motivazione del Consiglio di Stato a proposito della data dell'atto del gennaio 1573, della terminazione del 1654, della relazione dello Ziegler, dei reperti corografici e cartografici e della proprietà dell'alpe ai sensi del diritto civile. Tali critiche, ove occorra, saranno riprese in seguito.
6.
a) Allorquando una decisione è fondata su più motivazioni indipendenti fra di loro, il ricorrente deve impugnarle tutte, e dimostrare che ognuna di esse è incostituzionale, sotto pena di vedersi dichiarato irricevibile il ricorso in applicazione dell'
art. 90 OG
, oppure di vederselo respinto nel merito, se avendo egli ossequiato all'obbligo processuale, anche una sola delle motivazioni impugnate resistesse alla censura d'anticostituzionalità. Il Comune ricorrente sostiene però a ragione che questa situazione non si verifica in casu. Effettivamente, come emerge dal riassunto dei motivi della decisione governativa, l'autorità cantonale ha ritenuto che l'approvazione data dalla Dieta federale di Baden del 7 dicembre 1572 non costituisse il componimento definitivo della vertenza giurisdizionale tra Uri, signore esclusivo della Leventina, rispettivamente la vicinanza d'Airolo, da un lato, e gli undici altri cantoni condomini con Uri della Vallemaggia, rispettivamente la vicinanza di Fusio,
BGE 104 Ia 381 S. 393
dall'altro, ma che a tale approvazione della Dieta ancora dovesse far seguito l'approvazione e l'attuazione definitiva dell'accordo transattivo tra i due più diretti interessati, cioè le vicinanze di Airolo e di Fusio.
Partendo da questa interpretazione degli atti della Dieta, l'autorità cantonale ha poi ricercato se la prova della transazione definitiva risultasse direttamente da documenti, oppure dovesse desumersi indirettamente da circostanze ed eventi storici successivi alle Diete federali del 15 giugno, rispettivamente del 7 dicembre 1572.
È quindi chiaro che, ove l'interpretazione della portata degli atti della Dieta fornita dall'autorità cantonale fosse costituzionalmente inaccettabile, come sostiene Airolo, l'intero edificio della decisione governativa rovinerebbe. Sotto l'accennato profilo il ricorso è quindi ricevibile, e lo sarebbe anche se Airolo si fosse limitato a sollevare la sua censura principale.
b) Come lo stesso Comune ricorrente ammette, le sue censure possono essere esaminate dal Tribunale federale soltanto sotto il profilo dell'arbitrio. Tanto nelle contestazioni riguardanti l'autonomia, quanto in quelle concernenti l'esistenza e la consistenza territoriale di un comune, il Tribunale federale giudica infatti con cognizione ristretta all'arbitrio tutte le questioni che non concernono l'interpretazione e l'applicazione di norme del livello costituzionale, liberamente invece quest'ultime (cfr.
DTF 101 Ia 395
consid. 2a;
DTF 102 Ia 71
;
DTF 104 Ia 127
consid. 2b ove è stata espressamente abbandonata la precedente giurisprudenza di
DTF 96 I 383
segg., consid. 3).
7.
Il ricorrente assevera in sostanza che la Dieta federale, nella seduta del 7 dicembre 1572 tenutasi a Baden, ratificò a titolo definitivo una transazione già perfezionata a livello delle comunità locali di Airolo e di Fusio; che cioè la deliberazione della Dieta suggellò definitivamente l'accordo con l'adesione di Uri, signore esclusivo della Leventina, e degli 11 altri cantoni, condomini con Uri della Vallemaggia, senza che più fosse richiesta un'ulteriore adesione delle comunità locali. Essa qualifica d'arbitraria l'opposta opinione del Consiglio di Stato con argomenti tratti dal testo dei recessi federali, e sostiene che pertanto l'autorità cantonale ha richiesto a torto da Airolo la prova del definitivo perfezionamento della transazione, in particolare quella dell'intervenuto versamento della somma pattuita.
L'argomento essenziale della ricorrente si esaurisce in
BGE 104 Ia 381 S. 394
pratica nel sostenere che il consenso di Fusio deve ritenersi intervenuto prima del 7 dicembre 1572, ossia prima della Dieta di Baden che approvo definitivamente il testo della transazione.
L'interpretazione data dal Consiglio di Stato resiste alla censura d'arbitrio.
a) Essa collima con l'opinione espressa nella prima perizia del 15 agosto 1953 dell'esperto di Airolo Prof. Liver. Al momento in cui quel referto fu steso, il recesso della Dieta federale di Baden del 15 giugno 1572, alla quale i tre delegati della Dieta Pfyffer, Abyberg e Lussi riferirono all'Assemblea sull'esito del loro mandato, era noto al perito d'Airolo non solo attraverso la copia esistente a quel momento negli atti, ma attraverso l'originale esistente nell'archivio di Stato di Berna, col quale il Prof. Liver dichiara (referto 15 agosto 1953, originale in tedesco, cifra 3, pag. 16) di averla personalmente collazionata. Non noto al perito (né, sembra, alle stesse parti) era per contro a quel momento il recesso della Dieta del 7 dicembre 1572 nel suo testo originale, se non per la menzione che di quella deliberazione della Dieta è fatta nel tanto discusso documento di data gennaio 1573 (perizia Liver, pag. 23 segg.). Ora, per lo stesso perito d'Airolo è essenziale dimostrare non solo che la transazione fu accettata da Uri e dagli 11 cantoni, ma che essa fu accettata da Fusio (perizia, pag. 33). Il Prof. Liver, cui non era ancora noto a quel momento il recesso della Dieta del 7 dicembre 1572, dichiara che è verosimile ("darf wohl angenommen werden") che gli 11 cantoni abbiano accettato la transazione, ma subito soggiunge che decisiva è la questione di sapere se anche Fusio l'abbia accettata ("entscheidend ist die Frage, ob Fusio ihn (den Vergleich) angenommen hat"). Ed il Prof. Liver constata che l'adesione di Fusio mancava al momento in cui i tre arbitri riferirono alla Dieta tenuta a Baden il 15 giugno 1572 circa la riunione di Altdorf del 17 marzo 1572, e la proposta di transazione fu inserita nel recesso della Dieta del 15 giugno 1572. Ciò risulta, secondo lo stesso perito d'Airolo, dal passo del recesso in cui è detto che i tre arbitri fanno la proposta che ognuno degli 11 cantoni voglia donare a quelli di Fusio 50 corone "damit söllicher vertrag vff vnnd angenommen würde". Così testualmente commenta Liver: "Durch diese Gabe sollen die Leute von Fusio bewogen werden, den Vergleich anzunehmen. Das ist zweifellos der Sinn dieser Stelle
BGE 104 Ia 381 S. 395
des Abschiedes", per poi trarne la conclusione che - se il consenso di Fusio fu acquisito - esso lo fu più tardi, cioè posteriormente al 15 giugno 1572.
La stessa perizia del Prof. Liver interpreta pertanto la dibattuta frase "damit söllicher vertrag vff vnnd angenommen würde" nello stesso senso che le è stato attribuito dal Consiglio di Stato nella decisione impugnata. Il Comune d'Airolo è manifestamente mal venuto a rimproverare all'esecutivo cantonale mancanza di esame critico, per non aver avallato l'altra traduzione (eseguita nel 1851 da Geremia Steiner, segretario traduttore presso il Consiglio di Stato), secondo cui la controversa frase significherebbe "perché ciò venne accettato" e non "affinché il contratto venga accettato". Nella misura in cui Airolo vuol dedurre l'intervenuta adesione di Fusio dal testo del recesso della Dieta del 15 giugno 1572, la censura d'arbitrio mossa al Consiglio di Stato, che ha seguito su tal punto l'opinione autorevole dello stesso perito del ricorrente Prof. Liver, e quindi infondata.
b) Ma, argomenta Airolo nel gravame, il consenso di Fusio deve necessariamente esser intervenuto prima del 7 dicembre 1572, ossia prima della Dieta di Baden che approvo definitivamente il testo sottoposto dai tre arbitri ai cantoni sovrani nella precedente seduta del 15 giugno 1572.
Tale sottile conclusione si imporrebbe soltanto se fosse consentito affermare con certezza che l'accettazione dell'accordo da parte degli 11 cantoni sarrebbe stata priva di senso, e quindi non sarebbe intervenuta, se nel frattempo Fusio non avesse già aderito da parte sua alla convenzione. Tuttavia, e contrariamente alla tesi del ricorrente, una simile conclusione non s'impone affatto.
Se, per muovere quelli di Fusio ad accettare, i tre delegati della Dieta ritennero opportuno (Dieta del 15 giugno 1572) proporre che ognuno degli 11 cantoni versasse volontariamente alla vicinanza di Fusio cinquanta corone supplementari, non e affatto arbitrario sostenere - in assenza di contraria risultanza - che Fusio non abbia dato la propria adesione all'accordo prima che il previsto dono fosse consacrato in un impegno formale assunto dai cantoni sovrani. Ora, tale promessa fu data non già alla Dieta del 15 giugno 1572, alla quale la proposta degli arbitri fu dai rappresentanti dei cantoni sovrani
BGE 104 Ia 381 S. 396
semplicemente registrata "ad referendum", ma soltanto alla Dieta del 7 dicembre 1572, in cui la proposta degli arbitri si concreto in un impegno di tutti i cantoni interessati.
Che tale fosse il normale iter del procedimento è stato del resto ammesso - ancora una volta - dallo stesso perito d'Airolo, Prof. Liver, ancor prima che fosse rintracciato il recesso della Dieta del 7 dicembre 1572. Commentando il documento del gennaio 1573 (di cui si dirà in seguito), Liver scrive che tale atto espone "in richtiger Folge" che le 400 corone dovute da Airolo a Fusio furono pagate dopo che l'accordo era stato accettato alla Dieta del 7 dicembre 1572 dagli 11 cantoni e dopo che anche Uri aveva dato la propria adesione (perizia citata, pag. 33 in fine). Ora, il pagamento è considerato dall'esperto non tanto come la prova dell'esecuzione dell'impegno da parte degli airolesi, quanto come la prova della conclusione dell'accordo stesso, cioè dell'intervenuto consenso da parte di quelli di Fusio. ("Ohne diese Zustimmung wären den Leuten von Fusio sicher auch die 400 Kronen nicht bezahlt worden").
Né, d'altro canto, Liver sostiene che la prova (al momento della sua perizia ancora mancante) dell'accettazione della proposta arbitrale da parte degli 11 cantoni implicasse automaticamente anche quella dell'intervenuto consenso di Fusio: dall'eventuale conferma documentale della decisione della Dieta del 7 dicembre 1572, Liver trae infatti, e giustamente, solo una conclusione negativa: che cioè sino a quella data Fusio non aveva rifiutato di aderire all'accordo ("entscheidend ist die Frage, ob Fusio ihn (den Vergleich) angenommen hat. Hat Fusio sich dessen geweigert, erübrigte sich die Abstimmung an der Tagsatzung").
c) Ne viene cosi che, contrariamente all'assunto del ricorrente, non può rimproverarsi al Consiglio di Stato arbitrio per essersi rifiutato di inferire dai testi dei recessi della Dieta del 15 giugno 1572, rispettivamente del 7 dicembre 1572 che Fusio avesse già dato la propria adesione alla proposta arbitrale, e che pertanto il recesso del 7 dicembre costituisse l'atto finale posto a suggellò della transazione.
L'opinione del Consiglio di Stato circa il peso determinante da attribuirsi all'adesione di Fusio alla transazione (ed alla prova di tale adesione) si giustifica d'altronde proprio in base alla tesi sostenuta da Airolo, cioè che, caduto il dominio ducale milanese sulla Vallemaggia e scomparso od attenuato il pericolo
BGE 104 Ia 381 S. 397
che tale dominio costituiva per Uri, la vertenza giurisdizionale di Campo la Torba si fosse praticamente ridotta al livello di un conflitto fra comunità locali, la cui soluzione presupponeva si il consenso dei cantoni interessati, ma anche l'accordo delle comunità locali, alle quali mal poteva esser imposta dall'alto.
A torto, d'altronde, il Comune ricorrente rimprovera al Consiglio di Stato di aver esatto da Airolo la prova dell'intervenuto pagamento delle 400 corone previste dalla transazione, rifiutandosi di far capo su tal punto ai principi della prescrizione. Il Consiglio di Stato, infatti, non doveva decidere su una pretesa di Fusio volta al pagamento della somma dovuta da Airolo, caso nel quale sarebbe stato lecito ad Airolo sollevare l'eccezione di prescrizione. L'autorità cantonale era invece chiamata ad accertare se un accordo transattivo si fosse perfezionato - oltre che fra Uri e gli 11 cantoni - anche fra le due comunità di Airolo e Fusio; in tal ambito, la prova documentale dell'intervenuto pagamento avrebbe nel contempo certificato l'adesione di Fusio alla transazione, per il logico motivo cui accenna il Prof. Liver. Da Airolo non è stata quindi tanto richiesta la prova dell'esecuzione da parte sua di una convenzione stipulata, quanto, attraverso la prova dell'esecuzione, quella della stipulazione della convenzione stessa, preratificata dai cantoni sovrani con la promessa di un'elargizione a Fusio per il caso della sua accettazione.
d) Tale risultato non muta neppure se si prendono in considerazione gli argomenti suppletori di Airolo, in particolare quelli tratti dal tenore del recesso della Dieta del 7 dicembre 1572. Le critiche ricorsuali alla versione in tedesco moderno, prima, ed alla traduzione in italiano, poi, di tale recesso sono infondate: basti dire che, nella decisione impugnata, il Consiglio di Stato si è fondato sui documenti prodotti dal ricorrente medesimo, tra l'altro sulla versione in tedesco moderno allestita dall'archivio di Stato di Argovia e sulla versione in italiano dello stesso recesso certificata conforme dal dott. Carlo Marti, già segretario comunale di Airolo.
In ogni caso, l'interpretazione del Consiglio di Stato sfugge al rimprovero d'arbitrio nella misura in cui - come già rilevato - rifiuta di inferire dal testo del recesso del 7 dicembre 1572 che Fusio già avesse dato il proprio consenso alla transazione: anzi, da quel testo non è arbitrario inferire che, a quel
BGE 104 Ia 381 S. 398
momento, neppure constasse l'adesione della stessa gente d'Airolo, che i cari confederati d'Uri dovevano "dahin wyssen unnd halten", "anhalten und anweisen" (versione dell'archivio di Stato d'Argovia), "istruire e obbligare" "a pagare e dare ai prefati nominati di Fusio le 400 corone, cosi come previsto nella transazione" (traduzione italiana del dott. Carlo Marti).
Sia rilevato, infine, che il Consiglio di Stato nell'impugnata decisione non si è limitato a fondarsi sui testi dei recessi per asseverare che con l'approvazione della Dieta del 7 dicembre 1572 la transazione ancora non era perfetta, ma ha inquadrato tale interpretazione dei testi con riferimento all'organizzazione, alle competenze ed alla prassi seguita dalla Dieta federale (consid. 6c) Nessuna critica è mossa nel ricorso a tale argomentazione. Ne viene così che la censura fondamentale di Airolo s'avvera infondata.
8.
A torto, secondo il ricorrente, il Consiglio di Stato avrebbe negato valore probatorio al documento datato gennaio 1573, dal quale si dedurrebbe l'avvenuto pagamento di Airolo a Fusio. La motivazione principale del ricorrente risiede nell'invocare in via analogica l'applicazione dei principi della prescrizione: già si è rilevato sopra (consid. 7c) come tale argomentazione non sia pertinente, poiché da Airolo non è stata richiesta tanto la prova del pagamento in sé, quanto la prova, dedotta da quella del pagamento, dell'adesione di Fusio all'accordo. A parte ciò, il ricorrente si limita ad apoditticamente dichiarare che il documento del gennaio 1573 (a mente sua, del 1o gennaio) non può essere apocrifo.
Ciò non basta manifestamente a sostanziare una censura d'arbitrio. Nella sua decisione, il Consiglio di Stato ha diffusamente esposto perché a quel documento - d'altronde neppure prodotto in atti dal ricorrente, ma deducibile solo dalla trascrizione nella perizia Liver - non può esser riconosciuto valore probatorio. Sull'esauriente e circostanziata argomentazione della pronunzia impugnata il ricorrente non spende una parola, per cui il ricorso è su tal punto irricevibile per carenza di motivazione (
art. 90 OG
).
D'altronde, si volesse prescindere da codesto difetto formale, la censura ricorsuale dovrebbe esser dichiarata infondata: per negare senza arbitrio valore probatorio all'atto, basta il rilievo del Consiglio di Stato per cui la cennata copia-traduzione, anche a non volerla considerare apocrifa, potrebbe riferirsi
BGE 104 Ia 381 S. 399
semplicemente ad un progetto rimasto inattuato. D'altronde, lo stesso perito d'Airolo, Prof. Liver, sottolinea nel suo referto del 15 agosto 1953 che, in assenza dell'originale, la prova può esser recata soltanto attraverso una copia autentica del documento originale.
L'irricevibilità, rispettivamente l'infondatezza delle censure ricorsuali nella loro impostazione di principio, risparmiano quindi al Tribunale federale l'esame delle critiche di dettaglio sollevate nel ricorso in merito alla data del controverso documento.
9.
Le altre critiche mosse nel gravame alla decisione impugnata (v. supra, consid. 5) hanno carattere meramente appellatorio, non sostanziano minimamente la censura d'arbitrio e sono pertanto irricevibili in applicazione dell'
art. 90 OG
(
DTF 99 Ia 148
consid. 3, 354 consid. 2b;
DTF 100 Ib 126
).
Comunque, tanto nella valutazione delle prove, quanto in quella degli indizi probatori, le autorità cantonali fruiscono di una larga libertà, che autorizza quindi il Tribunale federale ad intervenire soltanto in caso d'abuso o d'eccesso di potere (
DTF 83 I 9
;
DTF 96 I 433
;
DTF 100 Ia 17
d). Una tale violazione dell'
art. 4 Cost.
non è in casu minimamente dimostrata. Il Consiglio di Stato doveva accertare se la transazione approvata dalla Dieta federale del 7 dicembre 1572 si era o meno perfezionata con l'adesione definitiva delle comunità locali ed era stata attuata. Esso ha minuziosamente esaminato gli indizi a disposizione, giungendo alla conclusione che essi non consentono di dedurre il perfezionamento di quell'accordo, e che anzi gli indizi significativi confermano la presunzione derivante a favore di Fusio dalla chiara situazione geografica. Tra gli argomenti determinanti dell'autorità cantonale due fanno particolarmente spicco: quello per cui alla controversa transazione non siasi fatto da nessuno riferimento per circa tre secoli, nemmeno in quei momenti in cui sarebbe stato naturale riferirvisi, e quello per cui non v'è traccia di un lungo ed esclusivo esercizio di poteri giurisdizionali da parte di Airolo sull'alpe di Campo la Torba. Bastano questi due argomenti, che la critica ricorsuale non scalfisce, a sottrarre l'impugnata decisione al rimprovero d'arbitrio.
Nella misura in cui è ricevibile, il ricorso del Comune di Airolo deve quindi essere respinto.
BGE 104 Ia 381 S. 400
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
1. Il ricorso del Patriziato di Airolo è irricevibile.
2. Il ricorso del Comune di Airolo è respinto nella misura in cui è ricevibile. | public_law | nan | it | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
37ad57c2-d35d-4d09-83ba-f1282f9c4f20 | Urteilskopf
97 V 233
56. Arrêt du 5 novembre 1971 dans la cause Bobillier contre Caisse cantonale neuchâteloise de compensation et Commission cantonale neuchâteloise de recours pour l'assurance-vieillesse et survivants | Regeste
Art. 78 Abs. 3 IVV
.
Die Invalidenversicherung muss die nicht von ihr angeordneten Abklärungsvorkehren nicht übernehmen, wenn diese zu keinen Versicherungsleistungen geführt haben noch integrierender Teil nachträglich zugesprochener Eingliederungsmassnahmen waren. Immerhin soll dem Versicherten, der sich rechtzeitig angemeldet hat, kein Nachteil aus dem Verhalten der Verwaltung erwachsen, die eine Verfügung verzögert. | Sachverhalt
ab Seite 233
BGE 97 V 233 S. 233
A.-
Jean-Claude Bobillier, né en 1958, a été annoncé à l'assurance-invalidité le 19 juin 1970 par son père. Dans la "feuille intercalaire" de la demande de prestations, il était indiqué que l'intéressé souffrait de troubles du comportement depuis une année et qu'il fréquenterait l'institution Le Bercail dès septembre 1970. Le requérant réclamait expressément "les
BGE 97 V 233 S. 234
mesures médicales pour une période d'observation de 3 mois" dans cet établissement ainsi que "la formation scolaire par la suite". Invité à fournir son livret de famille le 29 juin 1970, le père obtempéra immédiatement. Dans une lettre reçue le 1er juillet 1970 par la commission cantonale de l'assuranceinvalidité, il écrivait: "nous vous serions reconnaissants de nous donner une réponse le plus vite possible, afin de pouvoir donner réponse au Bercail rapidement, les places étantlimitées". Dans un rapport du 8 juillet 1970, le Dr H. K., à Bienne, diagnostiquait des "troubles graves du comportement", des "difficultés scolaires à cause de syndrome psychopathologique très compliqué" ("mehrfaches psychisches Gebrechen"), un "trouble cérébral organique de genèse inconnue avec névrose dépressive et obsessionnelle" ainsi que des "crises affectives graves". Ce médecin estimait être probablement en présence d'une infirmité congénitale (No 496, lésions périnatales) nécessitant un traitement de longue durée, depuis mai 1970, au Bercail. Il tenait une observation approfondie pour nécessaire et proposait à l'assurance-invalidité d'assumer les frais des trois premiers mois de séjour dansl'établissement sus-mentionné.
Le 9 septembre 1970, la Commission cantonale neuchâteloise de l'assurance-invalidité rendit, sans avoir procédé à d'autre mesure d'instruction, le prononcé suivant:
"Un séjour en institution qui doit permettre d'établir un plan thérapeutique et de déterminer la formation scolaire adéquate n'est pas une mesure de réadaptation. Il y a donc lieu d'examiner s'il a le caractère d'une mesure d'instruction (art. 60 LAI et 78 al. 3 RAI). A cet égard, on constate ce qui suit:
a) Le traitement dont pourraient relever les troubles du comportement et les troubles affectifs de l'enfant n'étant pas du ressort de l'assurance-invalidité (art. 12 et 13 LAI), il ne se justifie pas pour cette assurance de prendre en charge les frais d'un séjour d'observation dans la mesure où celui-ci sert à établir un plan thérapeutique.
b) Il n'incombe pas non plus à l'assurance-invalidité de déterminer le genre de formation scolaire adéquate dans le cas particulier, cette tâche étant celle des autorités cantonales compétentes."
Cette décision fut communiquée aux parents de l'assuré le 28 septembre 1970 par les soins de la Caisse cantonale neuchâteloise de compensation.
B.-
La mère de l'enfant recourut contre cet acte administratif en concluant à la prise en charge par l'assurance-invalidité des frais de séjour au Bercail depuis le 21 août 1970, date
BGE 97 V 233 S. 235
d'entrée de l'enfant dans cet établissement. Elle suggérait de réclamer un rapport à la direction de ladite institution, dont le médecin-chef, le Dr J. B., adressa une lettre à la commission de recours le 26 janvier 1971. Il ressort de ce document que l'assuré souffre d'"évolution névrotique, avec de nombreux éléments psychosomatiques dans le passé et une structure actuellement phobo-obsessionnelle"; qu'il ne s'agit pas là d'une affection congénitale; qu'un séjour d'une année au Bercail était nécessaire. Selon ce médecin, à défaut de mesures médicales, l'assurance-invalidité devait accorder à l'intéressé des mesures de formation scolaire spéciale.
Par jugement du 5 février 1971, la Commission cantonale neuchâteloise de recours pour l'assurance-vieillesse et survivants rejeta le recours. Les premiers juges ont retenu en bref que l'on n'était en présence ni de mesures médicales de réadaptation, ni de mesures d'instruction à la charge de l'assurance, en application des règles légales.
C.-
Les parents ont déféré ce jugement au Tribunal fédéral des assurances. Ils allèguent en particulier avoir profité d'une occasion qui s'était présentée en août 1970, soit environ deux mois après le dépôt de la demande de prestations, de placer leur fils en observation au Bercail aux fins de poser un diagnostic précis. Ils demandent la prise en charge par l'assuranceinvalidité de toute la période d'observation, qui s'est étendue jusqu'à fin 1970.
La caisse intimée n'a pas pris de conclusions. Elle signale que la commission cantonale de l'assurance-invalidité a renoncé à se déterminer.
Dans son préavis, l'Office fédéral des assurances sociales propose d'admettre le recours, vu les particularités du cas d'espèce.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux termes de l'art. 78 al. 3 RAI, dans sa teneur en vigueur depuis le 1er janvier 1968, les mesures d'instruction sont prises en charge par l'assurance quand elles ont été ordonnées par la commission ou, à défaut, en tant qu'elles étaient indispensables à l'octroi de prestations ou faisaient partie intégrante de mesures de réadaptation octroyées après coup.
C'est cette disposition qu'il y a lieu d'appliquer en l'occurrence: il ne saurait faire de doute que la première partie du
BGE 97 V 233 S. 236
séjour au Bercail avait pour but de permettre une observation nécessaire à l'établissement du diagnostic, et que cet aspect du placement l'emportait sur le but thérapeutique simultanément poursuivi. Aucune pièce du dossier ne permettait de poser un diagnostic précis et, comme le relève l'Office fédéral des assurances sociales dans son préavis, des investigations complémentaires s'imposaient, car il n'était pas exclu que l'assuré présentât une, voire plusieurs infirmités congénitales. Il ne s'agissait donc pas non plus de mesures destinées au premier chef à vérifier si l'enfant était apte ou non à fréquenter l'école publique, mesures qui n'auraient alors pas été à la charge de l'assurance-invalidité (ATFA 1968 p. 206).
Il faut par conséquent examiner la portée de la disposition sus-mentionnée, en tant qu'elle vise les mesures d'instruction qui n'ont pas été ordonnées par l'administration. Cette question a été soumise, vu son importance, à la Cour plénière, qui a décidé qu'il fallait appliquer l'art. 78 al. 3 RAI à la lettre, dans ce domaine. Cela signifie que l'assurance-invalidité ne doit pas assumer, en principe, les mesures d'instruction non ordonnées par elle qui n'ont ni conduit à l'octroi de prestations ni ne faisaient partie intégrante de mesures de réadaptation octroyées après coup.
Toutefois, l'assuré qui s'est annoncé à temps à l'assuranceinvalidité doit en tout cas pouvoir compter être fixé à temps également sur ses droits vis-à-vis de l'assurance; la carence de l'administration ne saurait lui porter préjudice (v. p.ex. sous l'empire de l'art. 78 al. 2 ancien RAI, RCC 1968 p. 57; v. également ATFA 1965 p. 207; RCC 1966 p. 490).
2.
(résumé) Frais du séjour au Bercail mis à la charge de l'assurance-invalidité (jusqu'à la fin de 1970) parce que la commission de l'assurance-invalidité aurait dû et pu ordonner un séjour d'observation à titre de mesure d'instruction avant le début de l'hospitalisation. Un éventuel refus, notifié en temps utile, aurait pu être attaqué avec succès devant le juge des assurances. Il ne serait pas juste, dans ces conditions, de priver l'assuré des prestations litigieuses seulement parce que l'administration a tardé à se prononcer.
3.
Reste expressément réservée la situation de droit pour la période postérieure au 31 décembre 1970, aussi bien du point de vue de l'octroi de mesures médicales de réadaptation que de celui de la formation scolaire spéciale, notamment.
BGE 97 V 233 S. 237
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce: I. Le recours est admis, dans ce sens que l'assurance-invalidité doit assumer les frais du séjour d'observation au Bercail jusqu'à fin 1970, conformément aux considérants.
II. Le jugement attaqué et la décision litigieuse sont annulés et la cause, renvoyée à l'administration pour nouvelle décision, fixant la quotité des prestations dues à titre d'observation. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
37b1e404-da08-4261-99a6-2b6967f60d1f | Urteilskopf
116 V 136
25. Arrêt du 30 mai 1990 dans la cause SUPRA, Caisse-maladie et accidents pour la Suisse contre Vaudoise Assurances et Tribunal des assurances du canton de Vaud concernant R. | Regeste
Art. 9 Abs. 1 UVV
: Unfallbegriff. Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit beim Heben oder Verschieben einer Last (Erw. 3).
Art. 6 Abs. 2 UVG
und
Art. 9 Abs. 2 UVV
: Unfallähnlicher Körperschaden. Nachweis einer solchen Schädigung im vorliegenden Fall nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erstellt (Erw. 4).
Art. 9 Abs. 2 UVG
: Berufskrankheit gemäss Generalklausel. Berufskrankheit verneint im Falle eines Hilfspflegers, der beim Umlagern eines Patienten vom Operationstisch in ein Bett im Rücken einen heftigen Schmerz verspürt hat (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 136
BGE 116 V 136 S. 136
A.-
Amandio R., né en 1951, travaillait depuis le 1er décembre 1985 comme aide en salle opératoire à la Clinique S. Il était obligatoirement assuré contre les accidents auprès de la Vaudoise Assurances, Société d'assurance mutuelle. Il était d'autre part
BGE 116 V 136 S. 137
affilié à la SUPRA, Caisse-maladie et accidents pour la Suisse, pour la couverture des frais médicaux et pharmaceutiques en cas de maladie.
Le 14 septembre 1987, Amandio R. était occupé à déplacer de la table d'opération à un lit un malade encore partiellement endormi et pesant entre 100 et 120 kilos. Il a soudain ressenti une vive douleur au dos. Ce jour-là, il était seul pour effectuer le transfert alors qu'habituellement il est aidé par un collègue de travail.
En raison de la persistance de ses douleurs, Amandio R. a consulté le docteur G. le 16 septembre 1987. Ce médecin a posé le diagnostic de syndrome vertébral dorsal; il a prescrit un traitement de physiothérapie et un arrêt de travail jusqu'au 21 septembre 1987. Après une dizaine de jours, les douleurs du patient ont entièrement disparu.
Par l'intermédiaire de son employeur, Amandio R. annonça le cas à la Vaudoise Assurances. Par décision du 15 octobre 1987, celle-ci a refusé toute prestation, au motif que les troubles ressentis ne pouvaient pas être considérés comme la conséquence d'un accident. Elle a renvoyé l'intéressé à faire valoir ses droits envers l'assureur en cas de maladie.
L'assuré et la SUPRA ont formé opposition. Par une nouvelle décision, du 17 mars 1988, la Vaudoise Assurances a rejeté l'opposition de l'assuré et elle a déclaré irrecevable celle de la caisse, estimant que cette dernière n'avait pas qualité pour agir.
B.-
Tant Amandio R. que la SUPRA ont recouru devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud, qui a confié une expertise médicale au docteur G.
Par jugement du 22 janvier 1989, le tribunal a rejeté les recours portés devant lui.
C.-
Contre ce jugement, la SUPRA interjette un recours de droit administratif en concluant à la prise en charge par la Vaudoise Assurances des conséquences de l'événement du 14 septembre 1987.
La Vaudoise Assurances conclut au rejet du recours. Quant à l'Office fédéral des assurances sociales, il renonce à présenter une proposition.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Recevabilité; cf.
ATF 115 V 425
consid. 1)
BGE 116 V 136 S. 138
2.
Les premiers juges ont estimé que l'événement du 14 septembre 1987 ne répondait pas à la définition de l'accident et que, au surplus, ses conséquences ne pouvaient être considérées ni comme des lésions assimilées à un accident en vertu de l'
art. 9 al. 2 OLAA
ni comme une maladie professionnelle au sens de l'
art. 9 al. 2 LAA
.
Sur un plan général, la recourante reproche à la juridiction cantonale d'avoir méconnu l'un des buts essentiels de la LAA, qui est "de mieux régler un certain nombre de situations que les assurés avaient peine à comprendre sous l'empire de la LAMA". Dans ce contexte, la solution adoptée par les premiers juges conduirait à refuser la protection de l'assurance-accidents (plus étendue que celle de l'assurance-maladie) à ceux des travailleurs qui, précisément, en auraient le plus besoin, parce qu'ils sont particulièrement exposés à certains risques ou efforts.
3.
Selon l'
art. 9 al. 1 OLAA
, on entend par accident toute atteinte dommageable, soudaine et involontaire, portée au corps humain par une cause extérieure extraordinaire.
a) La recourante est de l'avis que cette définition est plus restrictive que celle adoptée par la jurisprudence antérieure à l'entrée en vigueur de la LAA (et de l'OLAA) et qui exigeait la présence d'une cause extérieure "plus ou moins" exceptionnelle (
ATF 103 V 175
consid. a,
ATF 102 V 132
consid. a,
ATF 100 V 78
consid. 1a). Elle se demande donc si le Conseil fédéral n'a pas, sur ce point, outrepassé ses compétences. Ce grief n'est pas fondé. La suppression des mots "plus ou moins" constitue une modification d'ordre purement rédactionnel, sans aucune portée quant au fond (
ATF 112 V 202
consid. 1; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, pp. 164 et 168, vol. complémentaire, p. 14). Pour les auteurs du projet d'ordonnance, cette modification visait, non pas à limiter la notion de l'accident, mais uniquement à abandonner un critère de distinction dont l'utilité pratique apparaissait douteuse (procès-verbal des séances des 29 et 30 mars 1982, p. 15).
b) Il résulte de la définition même de l'accident que le caractère extraordinaire de l'atteinte ne concerne pas les effets du facteur extérieur, mais seulement ce facteur lui-même. Dès lors il importe peu que le facteur extérieur ait entraîné, le cas échéant, des conséquences graves ou inattendues. Le facteur extérieur est considéré comme extraordinaire lorsqu'il excède, dans le cas particulier, le cadre des événements et des situations que l'on peut,
BGE 116 V 136 S. 139
objectivement, qualifier de quotidiens ou d'habituels (
ATF 112 V 202
consid. 1, ainsi que les références).
Ainsi, la jurisprudence a admis l'existence d'un facteur exceptionnel lorsque, en soulevant ou en poussant une charge, une lésion se produit à cause d'un effort extraordinaire, c'est-à-dire manifestement excessif. Mais il faut examiner de cas en cas si l'effort doit être considéré comme extraordinaire, en tenant compte de la constitution physique et des habitudes, professionnelles ou autres, de l'intéressé (ATFA 1943 p. 69 s.; MAURER, op.cit., p. 178). Il n'y a pas d'accident, au sens de ce qui précède, lorsque l'effort en question ne peut entraîner une lésion qu'en raison de facteurs maladifs préexistants, car c'est alors une cause interne qui agit, tandis que la cause extérieure - souvent anodine - ne fait que déclencher la manifestation du facteur pathologique (arrêts non publiés C. du 16 août 1984, B. du 30 décembre 1982, H. du 20 novembre 1981).
c) En l'espèce, il n'apparaît pas qu'un quelconque facteur extraordinaire ait marqué l'incident du 14 septembre 1987. Le transfert d'un patient d'une table d'opération à un lit fait partie du travail quotidien d'un aide-infirmier. Malgré le poids du malade et en dépit du fait que l'assuré s'est occupé seul du déplacement, l'on ne saurait parler d'un effort manifestement excessif pour un homme adulte d'âge moyen qui, selon toute apparence, jouit d'une bonne constitution physique. Du reste, il ne faut pas perdre de vue que l'assuré n'a pas, à proprement parler, soulevé le patient, comme on pourrait le croire à la lecture de certaines pièces du dossier. En effet, dans son rapport du 18 octobre 1988, l'expert décrit en ces termes les circonstances de l'incident: "Penché en avant, il (l'assuré) tire sur les alèses pour transborder le patient de la table d'opération dans son lit et ressent subitement des dorsalgies hautes localisées à gauche." Si tant est qu'elle fût possible dans la position inclinée de l'assuré, une élévation du malade eût exigé un effort sensiblement plus important.
Cela étant, le caractère accidentel de l'événement doit être nié.
4.
a) Aux termes de l'
art. 6 al. 2 LAA
, le Conseil fédéral peut inclure dans l'assurance des lésions corporelles qui sont semblables aux conséquences d'un accident. En vertu de cette délégation de compétence, le Conseil fédéral a édicté l'
art. 9 al. 2 OLAA
, qui prévoit que les lésions suivantes sont assimilées à un accident, même si elles ne sont pas causées par un facteur extérieur de caractère extraordinaire:
BGE 116 V 136 S. 140
a. Les fractures, dans la mesure où elles ne sont pas manifestement causées par une maladie;
b. Les déboîtements d'articulations;
c. Les déchirures du ménisque;
d. Les déchirures de muscles;
e. Les froissements de muscles;
f. Les déchirures de tendons;
g. Les lésions de ligaments;
h. Les lésions du tympan.
Cette liste des lésions assimilées à un accident est exhaustive (
ATF 114 V 302
consid. 3d; RAMA 1988 No U 57 p. 372 et No U 58 p. 375; MAURER, op.cit., p. 202). La responsabilité de l'assureur-accidents suppose, par ailleurs, que soient réunis tous les éléments caractéristiques d'un accident, à l'exception du facteur extérieur de caractère extraordinaire. A cette condition, les atteintes à la santé mentionnées à l'art. 9 al. 2 let. b à h OLAA doivent être considérées comme des atteintes assimilées à un accident même si elles sont imputables, en tout ou partie, à une maladie ou à des phénomènes dégénératifs (
ATF 114 V 300
s.).
b) La recourante se prévaut alternativement de l'
art. 9 al. 2 let
. d OLAA (déchirure de muscles) et let. e (froissement de muscles) de l'ordonnance.
Dans son rapport d'expertise, le docteur G. indique que l'assuré a ressenti pendant quelques jours des dorsalgies hautes localisées à gauche. Le diagnostic de syndrome vertébral dorsal n'évoque cependant qu'une constatation clinique. L'étiologie de ce syndrome pourrait être une contracture musculaire, voire une déchirure musculaire ou un froissement de muscle, ou encore un "dérangement intervertébral mineur" selon Maigne. En l'occurrence, poursuit l'expert, il pourrait s'agir d'une lésion musculaire ou musculo-tendineuse avec atteinte du muscle angulaire de l'omoplate et/ou des fibres supérieures du muscle trapèze. Dans de tels cas, un syndrome vertébral dorsal est une manifestation secondaire de défense, d'où la possibilité, envisagée en conclusion par l'expert, d'une affection visée par l'
art. 9 al. 2 let
. d ou e OLAA.
D'après la jurisprudence, il appartient à l'assuré de rendre plausible que les éléments d'un accident, tel qu'il est défini, sont réunis en l'occurrence. Lorsque l'instruction ne permet pas de tenir ces éléments pour établis ou du moins pour vraisemblables - la simple possibilité ne suffit pas -, le juge constatera l'absence de preuves ou d'indices et, par conséquent, l'inexistence juridique
BGE 116 V 136 S. 141
d'un accident (
ATF 114 V 305
consid. 5b). Les mêmes principes sont applicables, logiquement, en ce qui concerne la preuve d'une lésion assimilée à un accident (
ATF 114 V 306
consid. 5b).
En l'espèce, la preuve d'une lésion de ce genre n'a pas été rapportée avec une vraisemblance suffisante pour emporter la conviction. L'expert hésite quant à un diagnostic précis et, telles que formulées, ses conclusions ne sont que des supputations. L'expert a eu, d'autre part, connaissance de l'ensemble du dossier et il a examiné longuement l'assuré. Des investigations supplémentaires n'apporteraient sans doute aucun élément décisif en faveur de la thèse de la recourante, qui ne requiert du reste pas de semblables mesures. Dans ces conditions, et dès l'instant où l'on en est réduit aux hypothèses, la recourante doit supporter les conséquences de l'absence de preuve (voir aussi
ATF 115 V 113
consid. 3d/bb,
ATF 113 V 247
consid. 4d).
5.
Il faut enfin examiner si, comme le soutient la recourante à titre subsidiaire, l'on est en présence d'une maladie professionnelle.
a) L'éventualité d'une maladie professionnelle selon la liste des substances nocives et des affections dues au travail, dressée par le Conseil fédéral à l'annexe 1 de l'OLAA en vertu des
art. 9 al. 1 LAA
et 14 OLAA, n'entre pas en discussion.
La recourante invoque la clause générale de l'
art. 9 al. 2 LAA
. Selon cette disposition, sont aussi réputées maladies professionnelles les "autres maladies" dont il est prouvé qu'elles ont été causées exclusivement ou de manière nettement prépondérante par l'exercice d'une activité professionnelle.
Cette clause générale répond au besoin de combler d'éventuelles lacunes qui subsisteraient dans la liste établie par le Conseil fédéral (
ATF 114 V 110
consid. 2b; SEILER, Der Entwurf zu einem neuen Unfallversicherungsgesetz, SZS 1977 p. 12; MAURER, op.cit., p. 221). Elle correspond, d'ailleurs, à la Recommandation No 121 de l'Organisation internationale du Travail, du 8 juillet 1964, dont le chiffre 7 a la teneur suivante: "Lorsque la législation nationale contient une liste établissant une présomption d'origine professionnelle pour certaines maladies, il devrait être permis de prouver que d'autres maladies ou des maladies qui, figurant dans la liste, ne se manifesteraient pas dans les conditions sur lesquelles la présomption de leur origine professionnelle est fondée sont d'origine professionnelle" (voir aussi VALTICOS, Droit international du travail, 2e éd., p. 374 s.).
BGE 116 V 136 S. 142
Selon la jurisprudence, l'exigence d'une relation exclusive ou nettement prépondérante est réalisée lorsque la maladie professionnelle a été causée à 75 pour cent au moins par l'exercice de l'activité professionnelle (
ATF 114 V 109
). Ici également, il incombe à l'assuré de rendre vraisemblable, avec un degré de présomption suffisant, que son affection est due, dans la proportion requise, à son activité professionnelle (Message à l'appui d'un projet de loi fédérale sur l'assurance-accidents du 18 août 1976, FF 1976 III 168; cf. BERETTA, Le malattie professionali nel diritto svizzero, Rivista di diritto amministrativo ticinese, 1989, p. 266).
b) Les premiers juges ont en l'espèce nié l'existence d'une maladie professionnelle après avoir constaté que les troubles ressentis par l'assuré ne s'étaient manifestés qu'une seule fois et pour la même cause. Or, la responsabilité de l'assureur-accidents eût impliqué, selon eux, une certaine fréquence des troubles, ainsi qu'une "connexité relativement importante" entre le travail fourni et l'affection.
De son côté, la recourante insiste sur le fait que l'effort accompli par l'assuré s'inscrivait dans le cadre de son travail habituel. A son avis, l'
art. 9 al. 2 LAA
n'exige pas des troubles répétés, car cela exclurait d'emblée la responsabilité de l'assureur pour des affections qui se révéleraient, par la suite seulement, être en relation avec une maladie professionnelle.
c) Dans un arrêt en la cause S. du 26 juin 1987 (RAMA 1987 No U 28 p. 397), le Tribunal fédéral des assurances a jugé qu'une lombosciatalgie, apparue chez un manoeuvre de chantier alors qu'il soulevait une charge, ne pouvait pas être considérée comme une maladie professionnelle au sens de l'
art. 9 al. 2 LAA
. Car il s'agissait d'un phénomène de dégénérescence consécutif à une maladie préexistante de la colonne vertébrale, qui n'avait fait que s'exacerber dans l'exercice de l'activité professionnelle, en raison de l'effort de l'intéressé: l'activité professionnelle n'était pas la cause (nettement) prépondérante de l'affection, mais une simple circonstance occasionnelle. Du reste, l'hypothèse d'une origine professionnelle pouvait déjà être écartée par le seul fait que l'assuré ne travaillait que depuis dix mois environ dans un emploi de manoeuvre de chantier. Sur un plan plus général, le tribunal a aussi souligné qu'une interprétation par trop extensive de l'
art. 9 al. 2 LAA
conduirait à reconnaître comme maladie professionnelle toute affection qui se manifesterait pour la première fois au travail,
BGE 116 V 136 S. 143
même si elle n'est pas typique du risque professionnel encouru par l'intéressé.
Dans l'
ATF 114 V 109
, déjà cité, il s'agissait d'un assuré qui avait ressenti une douleur aiguë au dos, déclenchée par un effort de soulèvement effectué avec un collègue de travail, d'une plaque en métal d'un poids de 80 kilos. Les médecins avaient posé le diagnostic de discopathie L3/L4; l'assuré avait fait valoir que, pendant deux ans et demi environ, il avait été soumis à d'innombrables sollicitations dorsales. Sur le vu de ces circonstances, le tribunal a renvoyé la cause à la juridiction cantonale pour instruction complémentaire sur le plan médical.
Différents auteurs se sont exprimés à ce même sujet. Selon SCHLEGEL/GILG, la clause générale ne signifie pas que l'assureur-accidents soit tenu de verser des prestations pour toute affection qui s'est manifestée au cours du travail. Ainsi, les douleurs dorsales que ressent un assuré à la suite d'un mouvement brusque ne relèvent pas de cette clause (Questions de causalité soulevées lors de l'examen des cas d'accident et de maladie professionnelle, Informations de la division médicale de la CNA, 57/1984, p. 11 ss). MORGER précise à ce propos que la prise en charge par l'assurance-accidents d'une maladie professionnelle en vertu de l'
art. 9 al. 2 LAA
suppose, outre une relation exclusive ou nettement prépondérante (75 pour cent), la survenance d'une affection typique de la profession considérée (Berufskrankheiten, Courrier suisse des assurances, 1988, p. 118 ss).
Enfin, selon les conclusions d'une étude du docteur DEBRUNNER, de la division médicale de la CNA (Rückenleiden als Berufskrankheit?, Revue de traumatologie, d'assicurologie et des maladies professionnelles, vol. 81/1988, p. 277 ss), l'influence d'un travail physiquement éprouvant sur des troubles dégénératifs de la colonne vertébrale est pratiquement insignifiante lorsque la durée d'exposition est inférieure à cinq ans; à partir de dix années et plus, la maladie peut être due pour 35 pour cent à la profession. Mais les statistiques épidémiologiques et les expériences cliniques ne démontrent pas qu'un taux de 75 pour cent puisse être atteint (ou, en d'autres termes, que les cas de lésions pour un groupe professionnel déterminé soient quatre fois plus nombreux que ceux enregistrés dans la population en général). La plupart du temps, l'existence d'une maladie professionnelle devrait donc être niée en présence d'affections dorsales, même pour des professions particulièrement exposées (le rapport serait de deux contre un pour
BGE 116 V 136 S. 144
les professions du bâtiment et de trois contre un pour la catégorie des maçons). Dans un contexte plus large, MAURER relève aussi que les conditions d'application de l'
art. 9 al. 2 LAA
ne sont susceptibles d'être remplies que dans de rares situations, compte tenu des exigences posées (op.cit., p. 222).
d) Il n'est point besoin de prendre position, de manière générale et théorique, au sujet de cette dernière étude.
Il ressort de l'exposé de jurisprudence et de doctrine qui précède que l'application de l'
art. 9 al. 2 LAA
suppose en tout cas que la maladie résulte de l'exposition d'une certaine durée à un risque professionnel typique ou inhérent. Par essence, la responsabilité de l'assureur-accidents ne saurait découler ici d'un événement unique et, à lui seul, un simple rapport de simultanéité avec l'activité professionnelle n'est pas suffisant. Autrement dit, pour qu'un tel événement isolé relève de l'assurance-accidents, il faut qu'il présente toutes les caractéristiques d'un accident (
art. 9 al. 1 OLAA
) ou que les lésions qu'il a provoquées soient assimilées à un accident (
art. 9 al. 2 OLAA
).
Sur le vu de ces critères, l'éventualité d'une maladie professionnelle doit en l'espèce être écartée d'emblée. L'incident du 14 septembre 1987 ne s'est produit qu'une seule fois. En soi, le métier d'infirmier ou d'aide-infirmier n'est pas spécialement exposé au risque de syndromes vertébraux. Du reste, selon l'expert, s'il devait y avoir une prépondérance de manifestations cliniques chez les infirmiers, aides-infirmiers et autre personnel paramédical, il s'agirait plutôt de lombalgies et non de dorsalgies (pour ce qui est de l'assuré, il s'agissait de dorsalgies). L'expert relève, par ailleurs, que des syndromes vertébraux, dorsaux ou lombaires, sont moins fréquents dans le cas d'infirmiers, bien préparés à soulever ou à déplacer des patients, que dans d'autres professions impliquant aussi le soulèvement de charges. Enfin, on notera que, au moment des faits, l'assuré travaillait depuis trois ans comme aide en salle opératoire (il était auparavant employé dans l'hôtellerie). Pour cette raison également, il est pratiquement exclu que les douleurs apparues le 14 septembre 1987, qui ont provoqué une incapacité de travail d'une semaine, avant de disparaître complètement, soient imputables à une maladie professionnelle au sens de la loi.
6.
En conclusion, c'est à bon droit que la Vaudoise Assurances a décliné sa responsabilité. Le recours de droit administratif se révèle en tous points mal fondé. | null | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
37b52129-7e50-4413-b730-8ca11c2b8b5b | Urteilskopf
120 V 277
37. Urteil vom 30. März 1994 i.S. L. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 13 IVG
,
Art. 12 Abs. 1 und
Art. 21 Abs. 1 Satz 2 IVG
. Ein Anspruch auf Übernahme der Behandlung von Geburtsgebrechen über das vollendete 20.
Altersjahr hinaus kann auch nicht gestützt auf die Rechtsfigur der Austauschbefugnis begründet werden. | Sachverhalt
ab Seite 277
BGE 120 V 277 S. 277
A.-
L., geboren am 20. Januar 1972, weist eine Anodontia partialis congenita auf, indem ihm sechs bleibende Zähne fehlen. Sein Vater meldete ihn am 12. Dezember 1981 bei der Invalidenversicherung zum Bezug von Leistungen für Minderjährige an. Gestützt auf einen Bericht des Dr. med. dent. B., Zürich, vom 31. Januar 1982, sprach ihm die Ausgleichskasse des Kantons Zürich mit Verfügung vom 22. Februar 1982 die zur Behandlung des Geburtsgebrechens Ziffer 206 GgV notwendigen medizinischen Massnahmen kieferorthopädischer und kieferchirurgischer Fachrichtung, einschliesslich ambulanter Kontrollen, "bis 31.1.1992 (Volljährigkeit)" zu.
Am 9. Dezember 1991 teilte der den Versicherten nunmehr behandelnde Zahnarzt Dr. med. dent. N., Zürich, der Invalidenversicherungs-Kommission mit, es sei die Versorgung der Lücken mit Implantaten nach orthodontischer Vorbehandlung geplant gewesen. Da Implantate erst nach Abschluss des Wachstums eingesetzt werden könnten, sei mit der Vorbehandlung erst vor knapp einem Jahr begonnen worden. Durch die orthodontische Lückenöffnung
BGE 120 V 277 S. 278
hätten sich die Knochenverhältnisse im Implantatbereich derart verändert, dass nunmehr zuerst ein Kammaufbau durchgeführt werden müsse, was eine Verzögerung von etwa neun Monaten zur Folge habe. Auch für andere Sanierungsvarianten sei, wenn seriös durchgeführt, ein Kammaufbau notwendig. Der Präsident der Invalidenversicherungs-Kommission gelangte am 13. Dezember 1991 zum Schluss, dass das als Leistungsgesuch betrachtete Begehren des Zahnarztes abzuweisen sei, da eine Verlängerung der Kostengutsprache über das 20. Altersjahr hinaus nicht möglich und die Anspruchsvoraussetzungen für die Übernahme der Behandlung nach
Art. 12 IVG
nicht erfüllt seien. Dies eröffnete die Ausgleichskasse dem Vater des Versicherten mit Verfügung vom 10. Januar 1992.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die AHV-Rekurskommission mit Entscheid vom 8. Dezember 1992 ab.
C.-
Der Vater von L. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Übernahme der Hälfte der Kosten für die "Instandstellung (Einbau eines Kiefer-Implantats)" oder für diejenigen Kosten, die durch die Versorgung mit zwei Brücken entstanden wären.
Die Ausgleichskasse verweist auf eine ablehnende Stellungnahme der Invalidenversicherungs-Kommission, wogegen das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) Rückweisung der Sache an die Verwaltung beantragt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Kognition)
2.
Nach
Art. 13 IVG
haben minderjährige Versicherte Anspruch auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen notwendigen medizinischen Massnahmen (Abs. 1). Der Bundesrat bezeichnet die Gebrechen, für welche diese Massnahmen gewährt werden; er kann die Leistungen ausschliessen, wenn das Gebrechen von geringfügiger Bedeutung ist (Abs. 2).
Gestützt auf die Delegationskompetenz von
Art. 13 Abs. 2 IVG
hat der Bundesrat die Verordnung über Geburtsgebrechen (GgV) erlassen. Gemäss
Art. 3 GgV
erlischt der Anspruch auf Behandlung eines Geburtsgebrechens am Ende des Monats, in dem der Versicherte das 20. Altersjahr zurückgelegt hat, selbst wenn eine vor diesem Zeitpunkt begonnene Massnahme fortgeführt wird. Das Eidg. Versicherungsgericht ist in seiner Rechtsprechung stets
BGE 120 V 277 S. 279
ausdrücklich von der Gesetzmässigkeit der absoluten Begrenzung des Anspruchs auf den Zeitpunkt der Volljährigkeit ausgegangen (ZAK 1990 S. 476 mit Hinweisen). Im erwähnten Urteil hat es sodann erwogen, dass keine unechte Gesetzeslücke vorliege, welche ausnahmsweise richterlich zu schliessen wäre. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Sowohl bei der Privilegierung der Geburtsinvaliden im Sinne der Gewährung von Leistungen unabhängig von der Möglichkeit einer Eingliederung in das Erwerbsleben (
Art. 8 Abs. 2 IVG
;
BGE 98 V 37
Erw. 2a) als auch bei der Begrenzung dieser bevorzugten Rechtsstellung auf Minderjährige handelt es sich um gesetzgeberische Grundentscheidungen, welche seitens des Richters hinzunehmen sind. Der Beschwerdeführer kann demzufolge über den 31. Januar 1992 hinaus keine medizinische Massnahmen gestützt auf
Art. 13 IVG
beanspruchen.
3.
a) Zu prüfen ist weiter, ob die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme unter dem Gesichtspunkt von
Art. 12 IVG
erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung hat ein Versicherter Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Um Behandlung des Leidens an sich geht es in der Regel bei der Heilung oder Linderung pathologischen Geschehens. Die Invalidenversicherung übernimmt in der Regel nur solche medizinische Vorkehren, die unmittelbar auf die Beseitigung oder Korrektur stabiler oder wenigstens relativ stabilisierter Defektzustände oder Funktionsausfälle hinzielen und welche die Wesentlichkeit und Beständigkeit des angestrebten Erfolges gemäss
Art. 12 Abs. 1 IVG
voraussehen lassen (
BGE 115 V 194
f. Erw. 3,
BGE 112 V 349
Erw. 2,
BGE 105 V 19
und 149 Erw. 2a,
BGE 104 V 82
Erw. 1).
b) Vorliegend fehlt es an der erforderlichen qualifizierten Eingliederungswirksamkeit im Sinne von
Art. 12 IVG
der in Frage stehenden Vorkehr. Die Anomalie des Beschwerdeführers ist nicht derart ausgeprägt, dass sie prognostisch gesehen eine rechtserhebliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit - welche am allgemeinen Arbeitsmarkt zu messen ist (ZAK 1983 S. 446 Erw. 1b) - zu bewirken vermöchte. So enthalten denn auch weder die Parteivorbringen noch die Akten abklärungsbedürftige Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer wegen des Fehlens von sechs bleibenden hinteren Zähnen (5 4 + 4 5 und 5 - 5) erwerblich wesentlich beeinträchtigt bzw. bei
BGE 120 V 277 S. 280
der Stellensuche benachteiligt wäre. Daraus folgt, dass ein Anspruch gestützt auf
Art. 12 IVG
ebenfalls ausscheidet.
4.
Aufgrund der Angaben im Bericht des Dr. N. vom 9. Dezember 1991 stellt sich indes die auch vom BSV aufgeworfene Frage, ob die anbegehrten Leistungen gestützt auf die von Rechtsprechung und Lehre anerkannte Rechtsfigur der Austauschbefugnis (
BGE 111 V 215
und 213 Erw. 2b; ZAK 1986 S. 527 Erw. 3a; nicht publizierte Urteile K. vom 5. August 1993 und S. vom 22. März 1989; MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 87 ff.; vgl. auch
Art. 2 Abs. 5 HVI
) zuzusprechen sind. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil der Beschwerdeführer nach dem vollendeten 20. Altersjahr keinerlei Anspruch auf medizinische Massnahmen aus Geburtsgebrechen mehr hat (Erw. 2), so dass es an einem substitutionsfähigen Rechtsanspruch im Sinne der vom BSV erwähnten Rechtspraxis fehlt. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
37be03e8-631b-43b5-b78c-de343484a3e0 | Urteilskopf
108 III 119
33. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 11. August 1982 i.S. Palm Shipping Inc. (Rekurs) | Regeste
Arrestvollzug;
Art. 2 ZGB
.
Aus einem wegen Rechtsmissbrauch aufgehobenen Arrest darf auch ein Drittgläubiger keinen Nutzen ziehen. Hat er vom Rechtsmissbrauch Kenntnis, darf er nicht die aus dem aufgehobenen Arrest stammenden und noch beim Betreibungsamt liegenden Vermögenswerte des Schuldners zu seinen Gunsten verarrestieren lassen. | Sachverhalt
ab Seite 119
BGE 108 III 119 S. 119
A.-
Das Bezirksgericht Zürich als untere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs hob am 17. Juni 1981 den von der Schweizerischen Kreditanstalt gegen David C. Thieme erwirkten Taschenarrest Nr. 68/1981 auf. Dieser Entscheid wurde vom Obergericht des Kantons Zürich als oberer kantonaler Aufsichtsbehörde am 8. Dezember 1981 bestätigt. Am 4. Januar 1982 erwirkte die Palm Shipping Inc. beim Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichts Zürich gegen David C. Thieme einen Arrestbefehl, der sich auf Barschaft und Wertsachen bezog, die aus dem aufgehobenen Arrest Nr. 68/1981 stammten und sich noch beim Betreibungsamt Zürich 1 befanden. Der Arrest wurde vom Betreibungsamt am gleichen Tag vollzogen.
B.-
Der Schuldner Thieme erhob beim Bezirksgericht Zürich als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde Beschwerde und beantragte die Aufhebung des Arrestes. Das Bezirksgericht wies die Beschwerde am 26. Februar 1982 ab. Der Schuldner zog diesen Entscheid an das Zürcher Obergericht als obere Aufsichtsbehörde weiter, welches den Rekurs mit Beschluss vom 18. Juni 1982 guthiess und den angefochtenen Arrest Nr. 2/1982 des Betreibungsamtes Zürich 1 aufhob.
BGE 108 III 119 S. 120
C.-
Die Gläubigerin Palm Shipping Inc. reichte daraufhin bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts Rekurs ein mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichts vom 18. Juni 1982 aufzuheben und den Arrest Nr. 2/1982 des Betreibungsamtes Zürich 1 zu bestätigen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach der neuern Rechtsprechung ist der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben, den das ZGB in Art. 2 festgehalten hat, auch im Zwangsvollstreckungsverfahren zu beachten (
BGE 105 III 19
mit Hinweisen). Die Auffassung der Rekurrentin, das Bundesgericht wende den Grundsatz von Treu und Glauben im Betreibungs- und Konkursrecht nur mit Zurückhaltung an, ist daher unzutreffend. Vielmehr verdient die Partei, welche die sich aus
Art. 2 ZGB
ergebenden Regeln verletzt, ohne Rücksicht auf die Interessenlage zwischen Gläubiger und Schuldner keinen Rechtsschutz.
Die untere Aufsichtsbehörde hat in ihrem Entscheid den Grundsatz des Handelns nach Treu und Glauben relativ eng ausgelegt. Sie betrachtete einen Verstoss gegen diesen Grundsatz nur dann als gegeben, wenn die Rekurrentin wegen ihrer Beziehungen zur Schweizerischen Kreditanstalt vom Taschenarrest und dessen Rechtswidrigkeit erfahren und nun ihrerseits versucht hätte, daraus für sich einen Vorteil zu ziehen. Rechtsmissbräuchlich wäre der angefochtene Arrest danach nur, wenn er durch ein Zusammenwirken der Schweizerischen Kreditanstalt mit der Rekurrentin ermöglicht worden wäre. Konnte die Rekurrentin indessen aufgrund eigener Recherchen ermitteln, dass sich aus dem aufgehobenen Arrest noch Werte des Arrestschuldners beim Betreibungsamt befinden mussten, so steht nach Auffassung der unteren Aufsichtsbehörde der Verarrestierung dieser Werte auch durch Gläubiger, die um die Rechtswidrigkeit wussten, nichts entgegen.
Die Vorinstanz stellt demgegenüber höhere Anforderungen an das Handeln nach Treu und Glauben. Sie ist der Auffassung, dass sich ein Gläubiger, der Werte verarrestieren lässt, die aus einem wegen Rechtsmissbrauch aufgehobenen Arrest stammen und sich noch beim Betreibungsamt befinden, weil sie dem Arrestschuldner noch nicht zurückgegeben werden konnten, in gleicher Weise dem
BGE 108 III 119 S. 121
Vorwurf des Rechtsmissbrauchs aussetze wie der frühere Arrestnehmer. Entscheidend sei, dass er von der Aufhebung des früheren Arrestes wegen Rechtsmissbrauchs Kenntnis habe. Damit versuche er nämlich den von einem Dritten geschaffenen rechtswidrigen Zustand auszunützen und verdiene deshalb keinen Rechtsschutz.
3.
Die Rekurrentin stellt sich auf den Standpunkt, ein rechtswidriger Zustand habe nur bis zum Zeitpunkt ihres Zugriffs auf das Arrestsubstrat bestanden. Diese Auffassung ist jedoch unhaltbar. Da die Rekurrentin in Kenntnis des rechtswidrigen Zustandes gehandelt hat, ist dieser durch den neuen Arrest nicht beseitigt worden. Daran ändert nichts, dass die Rekurrentin völlig unabhängig von der Schweizerischen Kreditanstalt vorgegangen ist. Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs genügt, dass der Rekurrentin bekannt war, dass ein unrechtmässiger Zustand bestehe, und sie aufgrund dieser Kenntnis versucht hat, für sich einen Vorteil zu erlangen. Dabei braucht nicht auf das Immobiliarsachenrecht, namentlich das Prinzip des bösen Glaubens bei abhanden gekommenen Sachen zurückgegriffen zu werden, oder höchstens insoweit, als sich auch daraus die umfassende Bedeutung des Gebots, nach Treu und Glauben zu handeln, ergibt. Im Grunde genommen anerkennt auch die Rekurrentin diesen Grundsatz, sagt sie in der Rekursschrift doch selbst, dass sie auf die Arrestnahme verzichtet hätte, wenn die fraglichen Vermögenswerte sich bereits beim Anwalt des Schuldners befunden hätten. Schliesslich vermag auch der Hinweis auf die Güterabwägung zwischen den Interessen des Gläubigers an der Eintreibung seiner Forderungen und den Absichten des Schuldners, seine Vermögenswerte dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen, was im übrigen eine blosse Behauptung darstellt, zu keinem andern Ergebnis zu führen.
Die von der Rekurrentin vorgebrachten Einwendungen gegen die Auffassung der Vorinstanz vermögen nach dem Ausgeführten nicht zu überzeugen. Die Vorinstanz hat kein Bundesrecht und insbesondere nicht
Art. 2 ZGB
verletzt, wenn sie das Verhalten nach Treu und Glauben nach strengeren Kriterien beurteilt hat, als die untere Aufsichtsbehörde dies getan hat. Der angefochtene Entscheid ist daher zu bestätigen. | null | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
37be6e7d-84db-4843-b343-34edfd91df7a | Urteilskopf
101 IV 396
92. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Dezember 1975 i.S. X. und Y. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. | Regeste
Art. 125 Abs. 2 StGB
; Verkehrssicherungspflicht für Skipisten.
1. Der räumliche Bereich der Verkehrssicherungspflicht einer Bergbahn für die ihrem Publikum zur Verfügung gestellten Skipisten kann ausser der präparierten Verkehrsfläche auch unmittelbar anstossende Nebenflächen umfassen (Erw. 2).
2. Die Markierung einer gefährlichen Stelle mit an einer Schnur angehängten Fähnchen ist eine zumutbare Sicherungsmassnahme (Erw. 3a).
3. Das Befahren einer als harmloser Buckel erscheinenden, in der natürlichen Fortsetzung der Piste liegenden, jedoch talwärts steil abfallenden Kuppe durch einen geübten Skifahrer ist kein so aussergewöhnliches Verhalten, dass damit nicht gerechnet werden müsste (Erw. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 396
BGE 101 IV 396 S. 396
A.-
1.- Am Nachmittag des 1. März 1974 fuhr die geübte Skiläuferin B. M. zusammen mit einer Freundin auf
BGE 101 IV 396 S. 397
der Graubergpiste über Startgels hinunter in Richtung Flims. Es herrschten zur fraglichen Zeit gute, wenn auch nicht ideale Sichtverhältnisse. Kurz vor 15 Uhr näherten sich die beiden Skifahrerinnen der Gondelbahnstation Startgels. Die Graubergpiste wird dort bei leichtem Gefälle schmäler, führt über eine Brücke und vereinigt sich noch vor dieser mit der Startgelspiste. Etwas oberhalb der Brücke führt die Piste in einer Rechtsbiegung vor einer Kuppe durch, die ihrerseits auf der der Piste abgewandten Talseite über mehrere Meter steil gegen die darunter durchführende Startgelspiste abfällt. An jenem Tag war der linke Rand der Graubergpiste wohl oberhalb der Kuppe mit den üblichen an einer Schnur befestigten Fähnchen markiert. Bei der Kuppe selbst war die Abschrankung jedoch auf mehrere Meter unterbrochen. Als B. M. sich dieser Stelle näherte und feststellte, dass eine Skispur geradeaus durch den Tiefschnee auf die Kuppe führte, liess sie sich verlocken, diese ihrerseits zu überfahren. Sie sprang über die wie eine Schanze wirkende Kuppe hinaus, kam nach einigen Metern zu Fall und stürzte - sich mehrmals überschlagend - den Steilhang hinunter, bis sie in einer Mulde liegen blieb. Beim Sturz zog sie sich eine schwere Luxationsfraktur des ersten Lendenwirbels mit Verletzung des Rückenmarks zu, was u.a. zu einer vollständigen und bleibenden Lähmung der Beine führte.
2.-
X. ist Vizedirektor und technischer Leiter der Bergbahnen Flims AG, Y. ist Pistenchef. Nach seinem Pflichtenheft ist der erste für die Instandhaltung der Skipisten und während der schneefreien Zeit für ihre Vorbereitung verantwortlich; Einsatz und Unterhalt der Pistenfahrzeuge sind seine Sache. Dem zweiten obliegt die volle Verantwortung für den Unterhalt der gesamten Skipisten. Die Markierungen der Pisten hat er in Zusammenarbeit mit dem technischen Leiter zu bestimmen und dann auszuführen: "der gesamte Pistensicherungsdienst" ist ihm unterstellt.
B.-
Der Kreisgerichtsausschuss Trins sprach X. und Y. am 12. Februar 1975 von der Anklage der fahrlässigen Körperverletzung frei.
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft sprach der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden am 16. Juni 1975 X. und Y. der fahrlässigen Körperverletzung nach
Art. 125 Abs. 2 StGB
schuldig und büsste den ersten mit Fr. 300.--, den zweiten mit Fr. 150.--.
BGE 101 IV 396 S. 398
C.-
X. und Y. führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft von Graubünden beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht verzichtet auf Gegenbemerkungen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführer anerkennen die grundsätzliche Pflicht der Bergbahnen Flims AG, die für die Sicherheit der Pistenbenützer notwendigen Vorkehren zu treffen, sowie ihre eigene Garantenstellung, für Unterlassungen in diesem Bereich einzustehen. Zur Entscheidung gestellt ist jedoch die Frage nach dem räumlichen Geltungsbereich ihrer Verkehrssicherungspflicht, der ihnen zur Last gelegten Fahrlässigkeit und dem rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen dieser und dem Unfall.
2.
Die Beschwerdeführer machen geltend, die Auffassung der Vorinstanz, wonach zu der zu sichernden Piste nicht nur der eigentliche präparierte Teil, sondern auch ein gewisser Grenzbereich gehöre, sei verfehlt, soweit damit gesagt werden Wolle, auch der jenseits der fraglichen Kuppe gelegene Steilabfall gehöre noch zu diesem Bereich. Die Bestimmung des Pistenrandes sei nicht immer so einfach wie bei Strassen. Nach Meinung des einschlägigen Schrifttums werde der Pistenrand durch Absperrung, Befahrung oder die natürlichen Gegebenheiten, insbesondere durch die Geländeverhältnisse bestimmt, Im vorliegenden Fall sei für die verunglückte Skifahrerin aus den Geländeverhältnissen klar erkennbar gewesen, dass die Graubergpiste zur Brücke führe und links und rechts durch die angeschnittene Geländerippe begrenzt werde. Die Kuppe links habe den Pistenrand gebildet und die Skifahrerin auch optisch klar erkennbar in Richtung Brücke gewiesen. Der Pistenrand sei hier somit durch die Geländeverhältnisse eindeutig gegeben gewesen. Im übrigen gehöre zur ordnungsgemässen Pistensicherung nur die Vorsorge, dass ein Skifahrer auf der Piste nicht durch versteckte oder schlecht sichtbare
BGE 101 IV 396 S. 399
Hindernisse oder Gefahren zu Schaden komme. Dazu gehöre auch, dass ein Skifahrer, der bei korrekter Pistenbenützung stürze, nicht in den Gefahrenbereich rutsche oder falle. Das sei jedoch hier nicht möglich gewesen. Der Gefahrenbereich sei nur durch Überfahren des eindeutig erkennbaren Pistenrandes zu erreichen gewesen. Die Vorinstanz habe jenen zu Unrecht zu dem zu sichernden Grenzbereich gerechnet.
a) Nach dem angefochtenen Urteil steht fest, dass im Zeitpunkt des Unglücks die Kuppe nicht mehr als eigentliche Pistenbegrenzung erschienen ist, sondern die Geländeverhältnisse durch Schneeverfrachtungen so verändert worden waren, dass die Kuppe nur noch eine kleine Erhebung, einen harmlosen Buckel darstellte, der ohne weiteres befahren und gewissermassen als Teil der Piste angesehen werden konnte. Das sind tatsächliche Annahmen, die den Kassationshof binden und mit der Nichtigkeitsbeschwerde weder bestritten noch bemängelt werden können (
Art. 273 Abs. 1 lit. b und
Art. 277bis Abs. 1 BStP
). Die Behauptung der Beschwerdeführer, die Piste sei durch die Kuppe links optisch klar abgegrenzt worden, die Geländeverhältnisse hätten eine eindeutige Begrenzung der Piste dargestellt, widerspricht jenen Feststellungen der Vorinstanz und ist deshalb nicht zu hören.
b) Wieweit der räumliche Bereich der Verkehrssicherungspflicht für Skipisten geht, hängt von den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Ohne zur kontroversen Frage endgültig Stellung nehmen zu müssen, wann letztlich noch eine Skispur anzunehmen bzw. wie dieser Begriff in seinen äussersten, rechtlich noch vertretbaren Grenzen zu umschreiben sei, kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass jedenfalls die von einer Bergbahn ihrem Publikum für Skiabfahrten zur Verfügung gestellten markierten, präparierten und kontrollierten Verkehrsflächen nach der Meinung des Schrifttums Skipisten sind (DALLÈVES, La responsabilité civile du skieur et des personnes chargées de l'entretien des pistes de ski, JdT 1967 S. 331/2; DANNEGGER, Haftungsfragen im Recht des Skifahrens, Festgabe Wilhelm Schönenberger, S. 232; HASLER, Strafrechtliche Haftung für mangelhafte Sportanlagen, insbesondere Skipisten, Diss. Zürich 1971, S. 17; PADRUTT, Verkehrssicherungspflicht für Skipisten, ZStrR 1971, S. 69 f.; PADRUTT, Sport und Recht, S. 110; WANNER, La responsabilité civile à raison des pistes de ski, Diss.
BGE 101 IV 396 S. 400
Lausanne 1970, S. 21 ff.). Das will indessen nicht heissen, dass bei Pisten dieser Art sich die Verkehrssicherungspflicht des verantwortlichen Unternehmens strikte auf die präparierte Verkehrsfläche beschränkt. Vielmehr kann je nach den Verhältnissen in jene Pflicht auch die Sicherung von unmittelbar an die präparierte Bahn anstossenden Nebenflächen einbezogen sein, dies beispielsweise dort, wo die Markierung des Pistenrandes unterbrochen ist und die Piste auch nicht durch Sperren oder durch das Gelände klar abgegrenzt wird. Es ist nämlich eine Erfahrungstatsache, dass an solchen Stellen die ursprünglich präparierte Bahn durch häufiges Befahren eine seitliche Veränderung erfahren kann. Wo nach den örtlichen Gegebenheiten eine solche Möglichkeit naheliegt, da erstreckt sich die Verkehrssicherungspflicht des verantwortlichen Unternehmens auch auf diese unmittelbar angrenzenden Nebenflächen mit der Folge, dass dort bestehende, für den Skifahrer nicht ohne weiteres erkennbare atypische Gefahren kenntlich gemacht und wenn nötig durch Sperren und dergleichen entschärft werden müssen (s. hiezu insbesondere PADRUTT, Verkehrssicherungspflicht, S. 70; WANNER, op.cit. S. 24/25). Dass das Gesagte vor allem dort gelten muss, wo eine solche Nebenfläche nach den Geländeverhältnissen in der natürlichen Fortsetzung des ihr vorgelagerten Pistenteils liegt und deshalb namentlich für sichere Skifahrer die Versuchung besteht, die Fahrt statt in einem Bogen geradeaus fortzusetzen, liegt auf der Hand.
c) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist die fragliche Kuppe als eine solche Stelle anzusehen. Nicht nur lag sie im unmittelbaren Grenzbereich der ursprünglich präparierten Bahn, sondern auch in ihrer natürlichen Fortsetzung, indem diese vor ihr eine Rechtsbiegung beschrieb. Zum anderen hörte die Markierung mit an einer Schnur aufgehängten Fähnchen einige Meter vor jener Stelle auf und war die ursprünglich als natürliche Schranke wirkende Vertiefung zwischen der Kuppe und der Piste durch Schneeverfrachtungen derart aufgefüllt worden, dass die Kuppe nurmehr als eine kleine, leicht befahrbare Erhebung erschien. Da sie jedoch talwärts steil abfiel, was der von oben kommende Skifahrer nicht erkennen konnte und womit er nach dem äusseren Erscheinungsbild der Kuppe als eines harmlosen Buckels auch nicht rechnen musste, wurde sie von der Vorinstanz mit Recht
BGE 101 IV 396 S. 401
zu jenem Grenzbereich der Piste gezählt, für dessen Sicherung die Beschwerdeführer hätten sorgen müssen.
3.
Die Beschwerdeführer versuchen unter Berufung auf die für Strassen gültigen Grundsätze der Verkehrssicherung die Unzumutbarkeit weitergehender Massnahmen als der von ihnen getroffenen darzutun und überdies den rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen ihrer Unterlassung und dem Unfall zu bestreiten.
a) Gegenüber einer vorbehaltlosen Übertragung der für Strassen gültigen Überlegungen auf Skipisten wurde im Schrifttum (PICHLER, Besteht eine Rechtspflicht zur Sicherung von Skipisten? in SJZ 1968, S. 281 ff.) bereits überzeugend festgehalten, dass Bewegungsart und Bewegungstechnik beim Skilauf und beim Motorfahrzeugverkehr voneinander verschieden sind und deshalb von der fehlenden Notwendigkeit einer bestimmten Sicherungsvorkehr im Strassenverkehr nicht auf die fehlende Notwendigkeit einer Sicherungsvorkehr im Pistenskilauf geschlossen werden dürfe (insbes. S. 284). Wenn deshalb die Beschwerdeführer einerseits geltend machen, Strassenbau und Strassenunterhalt seien sehr kostspielig und kleinste Änderungen erforderten, sofern sie durchgehend ausgeführt würden, sehr hohe Aufwendungen, und anderseits daraus den Schluss ziehen, dass eine durchgehende Einzäunung der Pisten links und rechts höchst aufwendig und dem Sicherungspflichtigen nicht zumutbar sei, so gehen sie an der Sache vorbei. Im vorliegenden Fall hätte es vollauf ausgereicht, die ohnehin schon bis unmittelbar vor die Kuppe gezogene Schnur mit daran angehängten Fähnchen einige Meter weiterzuziehen und damit die Piste in einer für jeden Skifahrer erkennbaren Weise auch im Bereich der Kuppe abzugrenzen. Das hätte ohne grossen finanziellen und arbeitsmässigen Aufwand geschehen können und wäre zumutbar gewesen.
b) Was aber den Hinweis auf die den Strassenbenützer wie den Skifahrer treffende Pflicht zu vernünftiger und vorsichtiger Fahrweise anbelangt, derzufolge der eine wie der andere diese seinem Können sowie den Witterungs- und Geländeverhältnissen anzupassen hat, so ist schlechterdings nicht ersichtlich, inwiefern die Beschwerdeführer hieraus etwas zur Stütze ihrer Behauptung ableiten könnten, wonach es am rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen ihrer Unterlassung und dem Unfall fehle. B. M. ist nicht in einer ihrem Können
BGE 101 IV 396 S. 402
und den konkreten Verhältnissen völlig unangepassten Art gefahren, wenn man den im angefochtenen Urteil verbindlich festgestellten Sachverhalt zugrundelegt. Dass sie über die als harmloser Buckel erscheinende, in der natürlichen Fortsetzung der Piste liegende Kuppe fuhr, war entgegen der in der Beschwerde erneut unzulässigerweise vorgetragenen Behauptung, dass der Pistenrand im Bereich der Kuppe klar erkennbar gewesen sei, keineswegs so unvernünftig, dass gesagt werden könnte, es habe mit einem solchen Verhalten eines Skifahrers unter den gegebenen Umständen schlechterdings nicht gerechnet werden müssen. Durch die Unterbrechung der Markierung an der kritischen Stelle haben die Beschwerdeführer vielmehr selber beim unvoreingenommenen Skifahrer den irreführenden Eindruck der Gefahrlosigkeit erweckt und jenen damit erst recht zum Befahren der Kuppe verführt. Hätten sie die Markierung einige Meter weitergezogen und damit den Pistenrand auch im Bereich der talseits gefährlichen Kuppe klar abgesteckt, hätte sich nach der allgemeinen Erfahrung des Lebens der Unfall nicht ereignet.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
37c4be30-eddf-4ebf-ae2b-27d7b729a29e | Urteilskopf
121 III 408
80. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 6 décembre 1995 dans la cause J. contre A. (recours en réforme) | Regeste
Übertragung einer Geschäftsmiete von bestimmter Dauer - Haftung des bisherigen Mieters (
Art. 263 Abs. 4 OR
).
Wird einem den Vertrag übernehmenden Mieter wegen Verzugs vorzeitig gekündigt und verlässt er die gemieteten Räumlichkeiten nicht, so haftet der bisherige Mieter solidarisch für die Entschädigung während der unerlaubten Weiternutzung, und zwar bis zum Ablauf des Mietvertrags oder bis zu zwei Jahren seit der Übertragung, falls die Vertragsdauer darüber hinausgeht (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 409
BGE 121 III 408 S. 409
A.-
Par contrat du 16 juin 1988, A. a remis à bail à J. des locaux à l'usage d'un café-restaurant, à Yverdon-les-Bains. Le bail était conclu pour dix ans, du 1er septembre 1988 au 30 septembre 1998, puis se renouvelait de cinq ans en cinq ans.
Durant l'été 1990, J. a cherché à remettre le café-restaurant. Il a trouvé un amateur en la personne de M., avec lequel il a signé une convention de remise de commerce. Les pourparlers ont eu lieu en présence de A., qui n'a jamais déclaré s'opposer à la reprise du bail par le nouveau tenancier. Ce dernier a pris possession des lieux le 1er novembre 1990. Pendant une année, il s'est acquitté régulièrement du loyer, avant de cesser tout paiement à partir de novembre 1991.
Entre-temps, un litige était né entre J. et A.; ce dernier contestait, en particulier, avoir jamais donné son accord au transfert du bail. Le 18 janvier 1991, J. a saisi la Commission de conciliation afin qu'il soit constaté, notamment, que le bail à loyer avait été valablement transféré à M. et que le locataire était libéré de toute obligation envers le bailleur sous réserve de l'
art. 263 al. 4 CO
.
B.-
a) Le 11 février 1992, A. a fait notifier à J. un commandement de payer les sommes de 5'055 fr., plus intérêts à 5% dès le 1er novembre 1991 et 5'055 fr., plus intérêts à 5% dès le 1er décembre 1991, à titre de loyers de novembre et décembre 1991. Le Président du Tribunal civil du district d'Yverdon a prononcé la mainlevée provisoire de l'opposition formée par J.
Par requête du 21 avril 1992, celui-ci a ouvert action en libération de dette devant le Tribunal des baux du canton de Vaud. Dans une seconde requête du même jour, également dirigée contre A., il a conclu à ce qu'il soit constaté qu'il a valablement transféré le bail à M. et qu'il est libéré de toute obligation envers le bailleur.
b) Peu auparavant, dans une lettre du 3 mars 1992 envoyée sous deux plis séparés, A. avait mis en demeure J. et M. de payer dans les trente jours la somme de 25'920 fr. 10 - représentant les loyers impayés de novembre 1991 à
BGE 121 III 408 S. 410
mars 1992 plus divers frais -, sous peine de résiliation du bail selon l'
art. 257d CO
. Aucun des destinataires n'a réagi à cette sommation.
Le 13 avril 1992, le bailleur a résilié le contrat pour le 31 mai 1992; il a adressé la lettre de congé à la fois à J. et à M.
Comme les locaux étaient toujours occupés malgré la résiliation du bail, A. a engagé une procédure d'expulsion. Dans ce cadre, la Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud a ratifié une transaction selon laquelle M. s'engageait irrévocablement à quitter les lieux le 30 avril 1993 au plus tard, ce qu'il a fait à cette date.
c) Dans l'intervalle, A. avait introduit une seconde poursuite contre J. en paiement de 86'080 fr. plus intérêts, correspondant aux loyers de mars 1992 à juin 1993. La mainlevée provisoire de l'opposition formée par J. a été prononcée à concurrence de 40'440 fr.
Par requête du 11 juin 1993, J. a ouvert action en libération de dette devant le Tribunal des baux.
d) Après jonction des différentes procédures introduites dans cette affaire, le tribunal a rendu son jugement le 28 janvier 1994. D'une part, il a reconnu la validité du transfert du bail à M., avec effet au 1er novembre 1990. D'autre part, il a condamné J. à payer à A. deux fois le montant de 5'055 fr. avec intérêts, ainsi que la somme de 40'440 fr. avec intérêts, les oppositions étant définitivement levées à due concurrence.
Statuant le 1er novembre 1994 sur un recours en réforme et un recours en nullité de J., la Chambre des recours du Tribunal cantonal a confirmé le jugement de première instance. Les considérants de cet arrêt ont été notifiés aux parties le 22 mars 1995.
C.-
J. a interjeté un recours en réforme au Tribunal fédéral. Il concluait à la réforme de l'arrêt attaqué dans le sens qu'il ne devait pas à A. le montant de 25'275 fr. avec intérêts à 5% dès le 15 juin 1992, représentant l'indemnité pour occupation illicite des locaux pour les mois de juin à octobre 1992; il demandait également le maintien de l'opposition à la seconde poursuite à concurrence de ce montant.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours et confirmé le jugement attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
En cas de transfert d'un bail portant sur un local commercial, le locataire sortant est, en principe, libéré de ses obligations envers le
BGE 121 III 408 S. 411
bailleur; il reste toutefois solidairement responsable avec le tiers jusqu'à l'expiration de la durée du bail ou la résiliation de celui-ci selon le contrat ou la loi, mais dans tous les cas, pendant deux ans au plus (
art. 263 al. 4 CO
).
a) Selon la cour cantonale, le locataire cédant répond de l'indemnité pour occupation illicite des locaux due par le locataire cessionnaire dont le bail a été résilié pour cause de demeure et qui n'a pas déguerpi, pour autant bien sûr que le délai de deux ans ne soit pas échu. A l'appui de sa thèse, la Chambre des recours invoque l'arrêt publié aux
ATF 116 II 512
ainsi que les avis de doctrine, selon lesquels la responsabilité solidaire du locataire sortant s'étend non seulement à l'obligation de payer le loyer, mais encore à d'autres obligations, comme celle de remise en état de la chose louée à la suite de dégâts causés par le cessionnaire.
b) Pour sa part, le demandeur conteste qu'une dette ne dérivant pas du bail, comme l'indemnité pour occupation illicite, puisse être mise à sa charge au titre de la responsabilité solidaire de l'
art. 263 al. 4 CO
.
(...)
4.
a) L'
art. 263 CO
a été introduit lors de la révision de 1990. L'alinéa 4 de cette disposition n'est pas des plus clairs, particulièrement dans sa version française. Il faut ainsi se référer aux textes allemand et italien pour comprendre qu'en cas de bail de durée indéterminée, le locataire sortant répond solidairement avec le tiers jusqu'au prochain terme contractuel ou légal pour lequel il pouvait dénoncer le contrat (Message du 27 mars 1985 concernant la révision du droit du bail, in FF 1985 I, p. 1425; BARBEY, Le transfert du bail commercial (
art. 263 CO
), in SJ 1992 p. 45; LACHAT/MICHELI, Le nouveau droit du bail, 2e éd., p. 274; USPI, Commentaire du bail à loyer, n. 34, p. 327; ZIHLMANN, Das neue Mietrecht, p. 87).
L'
art. 263 al. 4 CO
ne précise pas non plus l'étendue de la responsabilité solidaire du locataire transférant. Selon la majeure partie des auteurs, il est débiteur de toutes les obligations contractuelles dérivant du bail tel qu'il existait au moment du transfert, qu'elles soient nées avant ou après cette date (HIGI, Commentaire zurichois, n. 57 ad
art. 263 CO
; JACQUEMOUD-ROSSARI, Le transfert du bail commercial, in 8e Séminaire sur le droit du bail, Neuchâtel 1994, p. 18; contra: BARBEY, op.cit., p. 45 à 47); cela signifie en particulier que le preneur sortant peut être solidairement redevable envers le bailleur non seulement du loyer, mais également, par exemple, des dommages-intérêts dus par le nouveau locataire à la suite de dégâts que celui-ci a causés dans les locaux loués (LACHAT/MICHELI, op.cit.,
BGE 121 III 408 S. 412
p. 274; USPI, op.cit., n. 35, p. 327; WESSNER, Le nouveau droit du bail à loyer - Les dispositions générales, in 6e Séminaire sur le droit du bail, Neuchâtel 1990, p. 19).
La doctrine ne paraît pas s'être penchée sur la question de l'éventuelle responsabilité de l'ancien locataire pour l'indemnité pour occupation illicite due par le cessionnaire qui reste indûment dans les locaux alors que le bail a été résilié. Higi observe néanmoins que si un congé extraordinaire intervient dans les délais prévus à l'
art. 263 al. 4 CO
, la responsabilité solidaire du locataire sortant subsiste seulement dans la mesure où le tiers reste engagé vis-à-vis du bailleur (op.cit., n. 55 ad
art. 263 CO
). De même, BARBEY est d'avis que, dans le cas d'un contrat de durée déterminée, le transférant reste débiteur jusqu'à l'échéance ordinaire du bail, dans les limites du délai de deux ans (op.cit., p. 45), ce qui sous-entend que la responsabilité du locataire sortant ne prend pas fin en cas de résiliation extraordinaire. Cette conclusion, également adoptée en l'occurrence par la cour cantonale, est-elle conforme au droit fédéral? Il convient pour ce faire d'interpréter l'
art. 263 al. 4 CO
.
b) La loi s'interprète en premier lieu d'après sa lettre (interprétation littérale). Si le texte légal n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, le juge recherchera la véritable portée de la norme, en la dégageant de sa relation avec d'autres dispositions légales, de son contexte (interprétation systématique), du but poursuivi, singulièrement de l'intérêt protégé, (interprétation téléologique) ainsi que de la volonté du législateur telle qu'elle ressort notamment des travaux préparatoires (interprétation historique) (
ATF 121 V 58
consid. 3b p. 60, 119 II 353 consid. 5 p. 355,
ATF 119 Ia 241
consid. 7a p. 248,
ATF 118 Ib 448
consid. 3c p. 452,
ATF 117 Ia 328
consid. 3a p. 331 et les arrêts cités).
c) Aux termes de l'
art. 263 al. 4 CO
, l'une des limites à la responsabilité du locataire sortant est "la résiliation [du bail] selon le contrat ou la loi". A s'en tenir strictement aux mots, le texte de la norme ne distingue pas entre résiliations légales ordinaire (
art. 266a et 266d CO
) et extraordinaire (art. 257d, 257f, 266g à 266i CO). On pourrait donc soutenir que n'importe quelle résiliation selon la loi - y compris celle qui, comme en l'espèce, fait suite à la demeure du locataire (
art. 257d CO
) - met un terme à la responsabilité du locataire transférant. Mais l'absence de précision à ce sujet peut signifier tout aussi bien que seul le congé ordinaire est déterminant pour faire cesser la responsabilité du locataire précédent avant l'échéance du délai de deux ans. L'interprétation littérale
BGE 121 III 408 S. 413
ne permet ainsi pas de dégager le sens véritable de l'
art. 263 al. 4 CO
.
Les Chambres fédérales ont adopté l'
art. 263 al. 4 CO
tel que proposé par le Conseil fédéral. Le Message précité ne fournit aucune réponse à la question posée en l'espèce. En revanche, il ressort dudit Message que la responsabilité solidaire du locataire sortant est la contrepartie du fait que, dans le nouveau droit, le bailleur n'est pas totalement libre de s'opposer au transfert du contrat (in FF 1985 I, p. 1425). Le but visé par l'
art. 263 al. 4 CO
est donc d'offrir une garantie au bailleur obligé, sauf justes motifs, de consentir au changement de cocontractant (
art. 263 al. 1 et 2 CO
). Or, l'un des risques encourus par le bailleur lors d'un transfert de bail est précisément que le nouveau locataire ne respecte pas l'obligation de payer le loyer.
En pareil cas, si le locataire sortant n'exécute pas non plus son obligation solidaire et que le bailleur choisit de résilier le contrat en application de l'
art. 257d CO
, il apparaît conforme à l'objectif de l'
art. 263 al. 4 CO
que le locataire transférant continue de répondre de la dette du nouveau preneur qui reste indûment dans les locaux après que le congé est devenu effectif. Au surplus, la nature juridique de l'indemnité pour occupation illicite n'y fait nullement obstacle puisque, selon la jurisprudence, le locataire qui reste dans les lieux loués nonobstant l'expiration du bail commet une faute contractuelle (
ATF 117 II 65
consid. 2b p. 68).
Comme le défendeur le fait observer pertinemment dans sa réponse au recours, toute autre solution contraindrait pratiquement le bailleur, en cas de contrat à durée déterminée dont l'échéance tombe au-delà de deux ans, à attendre la fin de ce délai-ci avant de résilier le bail pour cause de demeure du locataire, s'il entend bénéficier de l'avantage accordé par l'
art. 263 al. 4 CO
. Or l'intérêt du bailleur, protégé par cette disposition, ne commande pas que celui-ci se trouve placé devant deux partis incompatibles - la résiliation pour cause de demeure ou la responsabilité solidaire du locataire sortant - mais bien qu'il puisse invoquer et l'une et l'autre de ces possibilités.
Il résulte ainsi de l'interprétation téléologique - la seule propre en l'espèce à apporter une réponse au problème posé - que la solution adoptée dans l'arrêt déféré est conforme au droit fédéral. Il convient cependant de noter au passage qu'elle ne saurait se fonder sur la jurisprudence consacrée à l'arrêt publié aux
ATF 116 II 512
consid. 3, contrairement à ce que la cour cantonale affirme. Dans cet arrêt, rendu sous l'ancien droit, le Tribunal fédéral a logiquement dénié au locataire sortant le droit de se
BGE 121 III 408 S. 414
départir du contrat après la cession ou le transfert du bail; il ne s'est en revanche pas prononcé sur l'étendue de la responsabilité du cédant. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
37c74bb7-f1fa-4c3f-b177-86109d789874 | Urteilskopf
80 IV 159
33. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. September 1954 i.S. Bratschi gegen Eibel. | Regeste
1.
Art. 340 Ziff. 2 StGB
, Art. 8 BG vom 26. März 1934 über die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft. Umfang der Bundesgerichtsbarkeit für Vergehen gegen die Ehre von Mitgliedern der Bundesversammlung.
2.
Art. 173 ff. StGB
. Liegt in der Beanstandung der politischen Haltung, insbesondere in den Vorwürfen an ein Mitglied der Bundesversammlung, es habe die Verfassung zu brechen versucht und in einer bestimmten Sache eine volksdemokratische Methode verfochten, ein Angriff auf die Ehre? | Sachverhalt
ab Seite 159
BGE 80 IV 159 S. 159
A.-
Am 2. November 1951 erschien im St. Galler Tagblatt folgendes von Dr. Robert Eibel verfasstes Inserat der Aktion für freie Meinungsbildung "Trumpf Buur":
"Es fehlt an freien Männern.
Kurz vor den Wahlen erlebte man im Nationalrat ein Trauerspiel. Nur einer von 73 Teilnehmern einer Sitzung hatte den Mut, gegen den Versuch eines schweren Verfassungsbruches aufzutreten. Es ging um ein Postulat, welches forderte, die Teurungszulagen an das Bundespersonal seien auszuzahlen, ohne den Ablauf der Referendumsfrist abzuwarten.
Der mutige Volksvertreter, der es wagte, diesem Manöver die Stirne zu bieten, ist unbekannt geblieben. Schade, denn es wäre interessant gewesen zu erfahren, ob er nicht zum vorneherein auf eine Wiederwahl verzichtet hatte!! Neben den 73, die sich bereit fanden, im höheren Interesse ihrer glücklichen Wiederwahl Gesetz und Recht in die Ecke zu drücken, sollen aber auch die 120 Ratsherren erwähnt werden, die überall zu finden waren, nur nicht
BGE 80 IV 159 S. 160
dort, wo sie ihre Pflicht als Volksvertreter eigentlich hinwies, nämlich in den Ratssaal.
Die letzten Sonntag frisch gewählten Herren Nationalräte täten gut, sich zu diesem Trauerspiel ihre Gedanken zu machen. Sie legen schliesslich ein feierliches Gelübde auf die Verfassung ab. Wenn trotz diesem feierlichen Versprechen Dinge wie die erwähnten möglich sind, so liegt es daran, dass sich die Volksvertreter nicht mehr als freie Verfechter des allgemeinen Wohls vorkommen, sondern als Gefangene von Verbänden, mächtigen Gruppen und Interessenten, in deren offenen oder geheimen Auftrag sie (gern oder ungern) handeln.
Von der historischen Aufgabe des Parlamentes, das Volk vor den Übergriffen des Fiskus und der Bürokratie zu schützen, ist leider nicht mehr viel übrig geblieben.
Nach dem Willen von über 40 Nationalräten wären die Teurungszulagen für das Bundespersonal (sie kosten die Bagatelle von 27 Millionen Franken) in völlig rechtswidriger Weise überhaupt dem Referendum entzogen worden. Ein Hauptverfechter dieser volksdemokratischen Methode war wieder einmal mehr Herr Robert Bratschi, wahrhaftig ein Demokrat von beängstigenden Ausmassen.
Es geht nicht darum, dem Personal diese Zulagen zu missgönnen, es geht darum, ob Recht noch Recht ist, und ob der Bürger sich auf ein Wort des Bundesrates, auf die Worte seiner National- und Ständeräte noch verlassen kann.
Vor und während der Abstimmungskampagne um das neue Beamtengesetz, Ende 1949, hat man dem Volk versichert, dass es bei den geschätzten Mehrkosten in der Höhe von schliesslich 44 Millionen Franken jährlich bleiben werde. Präzis und deutlich wurde im Bundesrat und im Parlament erklärt, dass die bevorstehende Anpassung der Ämtereinreihung keine namhaften zusätzlichen Kosten verursachen werde.
Die Druckerschwärze der Abstimmungskommentare war kaum trocken und die 44 Millionen Franken Lohnaufbesserungen für das Bundespersonal vom Volke beschlossen, als der Demokrat Bratschi seine Forderungen auf Änderung der Ämtereinreihung bekannt gab. Diese bedingen für das gesamte Bundespersonal weitere Mehrausgaben von mindestens 40 Millionen Franken jährlich, zu den bereits bewilligten 44 Millionen hinzu.
Nimmt es einen da noch wunder, dass immer lauter von notwendigen Erhöhungen der Eisenbahn- und Posttarife die Rede ist? Vor der Abstimmung über das Beamtengesetz versicherten Bundesrat, SBB und PTT hoch und heilig, es würden keine Taxerhöhungen notwendig werden. Kaum war die Abstimmung vorbei, wurden die Projekte für Taxerhöhungen aus der Schublade gezogen. Begründung: Vermehrte Personalkosten!
So wird das Vertrauen des Volkes in die Demokratie und in die Treue der Behörden langsam aber sicher untergraben. Wo sind in der neuen Bundesversammlung die freien Männer, welche Recht, Verfassung und pegebenes Wort konsequent über die Wünsche und Befehle der mächtigen Verbände und Interessengruppen stellen?"
B.-
Nationalrat Robert Bratschi fühlt sich durch dieses Inserat in seiner Ehre verletzt. Er reichte am
BGE 80 IV 159 S. 161
31. Januar 1952 beim Bezirksgericht St. Gallen gegen Eibel Strafklage wegen Verleumdung, eventuell übler Nachrede, eventuell Beschimpfung ein, verband damit das Begehren um Verurteilung des Beklagten zu Fr. 1000.-- Entschädigung und Genugtuung und verlangte Veröffentlichung des Urteils im St. Galler Tagblatt, in der Volksstimme, in der Ostschweiz, im Mitteilungsblatt der Aktion für freie Meinungsbildung, im Tagblatt der Stadt Zürich und im Anzeiger der Stadt Bern.
Das Bezirksgericht sprach den Beklagten am 27. Februar 1953 wegen der Anschuldigung, ein Hauptverfechter volksdemokratischer Methoden zu sein und durch sein Verhalten zur Untergrabung des Vertrauens in die Demokratie und in die Treue der Behörden beizutragen, der üblen Nachrede schuldig, verurteilte ihn zu Fr. 400.-- Busse und gegenüber dem Kläger zu Fr. 100.-- Genugtuung und verfügte, dass das Urteil auf Kosten des Beklagten im St. Galler Tagblatt zu veröffentlichen sei.
Der Beklagte erklärte die Berufung an das Kantonsgericht von St. Gallen mit dem Antrag auf Freisprechung in allen Punkten. Der Kläger schloss sich der Berufung an und beantragte Gutheissung der Klage in vollem Umfange, mit der Ausnahme, dass er die Veröffentlichung des Urteils im Tagblatt der Stadt Zürich und im Anzeiger der Stadt Bern nicht mehr verlangte.
Das Kantonsgericht wies die Klage am 5. Januar 1954 ab. Es führte aus, dass sie sich auf den ganzen Inhalt des Inserates, nicht nur, wie das Bezirksgericht angenommen habe, auf zwei besonders hervorgehobene Stellen beziehe. Es kam zum Schluss, dass das Inserat am Kläger ausschliesslich Kritik politischer Art übe und nirgends seine persönliche Ehre berühre, somit weder als Ganzes noch zum Teil einen strafbaren Ehrverletzungstatbestand erfülle, und dass eine Genugtuung nicht zuzusprechen sei, weil eine Verletzung in den persönlichen Verhältnissen im Sinne des
Art. 49 Abs. 2 OR
fehle.
C.-
Bratschi führt gegen das oberinstanzliche Urteil
BGE 80 IV 159 S. 162
Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, es sei im Straf- und im Zivilpunkt aufzuheben und die vor Kantonsgericht gestellten Begehren des Klägers seien zu schützen, eventuell sei die Sache zu diesem Zwecke an das Kantonsgericht zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Er macht geltend, das angefochtene Urteil beschränke den strafrechtlichen Ehrenschutz in unzulässiger Weise und berücksichtige die persönliche Stellung und den Lebenskreis des Klägers nicht; das Inserat verunglimpfe ihn nicht nur politisch, sondern auch persönlich schwer.
D.-
Eibel beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Beschwerdeführers.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 4 des BG vom 23. Dezember 1851 über die politischen und polizeilichen Garantien zu Gunsten der Eidgenossenschaft waren strafbare Handlungen gegen Mitglieder der Bundesversammlung vom Bundesgericht zu beurteilen, wenn sie begangen wurden, während diese Personen sich "im wirklichen Dienste des Bundes" befanden. Das BG vom 4. Februar 1853 über das Bundesstrafrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BStrR) erweiterte die Bundesgerichtsbarkeit, da sein Art. 59 die "öffentliche Beschimpfung oder Verleumdung" eines Mitgliedes der Bundesversammlung mit Strafe bedrohte, wenn "die beleidigende Äusserung bei Gelegenheit der Ausübung der amtlichen Verrichtungen oder mit Beziehung auf dieselben" stattgefunden hatte, und da sein Art. 74 den Bundesrat ermächtigte, alle in diesem Gesetze mit Strafe bedrohten Handlungen, soweit sie nicht gemäss Art. 73 schon von Gesetzes wegen in die Zuständigkeit der Bundesassisen fielen, nach eidgenössischem Prozessverfahren untersuchen und durch dieses Gericht beurteilen zu lassen. Das BG vom 22. März 1893 über die Organisation
BGE 80 IV 159 S. 163
der Bundesrechtspflege, das den Art. 74 BStrR aufhob, brachte keine Änderung, da sein Art. 146 die kantonale Gerichtsbarkeit in den nach eidgenössischen Gesetzen zu entscheidenden Strafsachen nur vorsah für den Fall, dass die Sache durch ein Bundesgesetz oder durch Beschluss des Bundesrates den kantonalen Gerichten zur Beurteilung zugewiesen werde. Das BG vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege, das diese Bestimmung aufhob, änderte im Ergebnis nichts, da auch es die Zuständigkeit der kantonalen Behörden in Bundesstrafsachen nur kennt, wenn sie kraft eines Bundesgesetzes oder eines Delegationsbeschlusses des Bundesrates besteht (Art. 247). Auch Art. 8 des BG vom 26. März 1934 über die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft schränkte die Bundesgerichtsbarkeit zur Ahndung der in Art. 59 BStrR umschriebenen Ehrverletzungen nicht ein. Indessen hat die Lage sich durch das Inkrafttreten des schweizerischen Strafgesetzbuches geändert. Weil es Art. 59 BStrR aufgehoben hat und Ehrverletzungen gegen Mitglieder der Bundesversammlung wie alle Vergehen gegen die Ehre den
Art. 173 ff. StGB
unterstellt, sind sie nunmehr gemäss
Art. 343 StGB
von den kantonalen Behörden zu verfolgen und zu beurteilen, soweit sie nicht kraft einer anderen Bestimmung der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen. Da das Strafgesetzbuch selber (vgl. Art. 340) sie dieser Gerichtsbarkeit in keinem Falle unterstellt, werden sie von ihr nur noch in dem in Art. 8 des Garantiegesetzes umschriebenen Umfange erfasst. Diese Bestimmung sieht die Bundesgerichtsbarkeit für Vergehen gegen die Ehre von Mitgliedern der Bundesversammlung nur vor, wenn sie verübt werden, während diese Personen "sich im wirklichen Dienste des Bundes befinden"; denn unter den Straftaten, auf die Abs. 2 verweist, sind nicht nur die in Abs. 1 erwähnten Verbrechen gegen Leib, Leben und Freiheit, sondern auch die daselbst genannten Vergehen gegen die Ehre zu verstehen, wobei für heute dahingestellt bleiben kann, ob alle oder wie im Falle des
BGE 80 IV 159 S. 164
Abs. 1 nur jene, die sich auf die Amtsführung beziehen. Diese Ordnung entspricht der Absicht der gesetzgebenden Behörden; denn sie waren sich bewusst, dass Art. 8 des Garantiegesetzes nach dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches die einzige Bestimmung sein werde, aus der die Bundesgerichtsbarkeit zur Verfolgung von Ehrverletzungen gegen Mitglieder der Bundesversammlung werde abgeleitet werden können (Botschaft des Bundesrates vom 9. Oktober 1933, BBl 1933 II 506).
Das Inserat, das Gegenstand der Klage bildet, ist nicht während einer Session der Bundesversammlung erschienen. Auch wird von keiner Seite behauptet, der Beschwerdeführer habe am 2. November 1951 an der Tagung einer Kommission der Bundesversammlung teilgenommen. Ob die Mitglieder der Bundesversammlung während einer solchen Tagung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 des Garantiegesetzes "sich im wirklichen Dienste des Bundes befinden", kann deshalb dahingestellt bleiben. Der Beschwerdegegner untersteht für das Vergehen, das der Beschwerdeführer ihm vorwirft, der kantonalen Gerichtsbarkeit.
2.
Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes schützen die
Art. 173 ff. StGB
nur den Ruf und das Gefühl des Betroffenen, ein ehrbarer Mensch zu sein, d.h. sich so zu benehmen, wie nach allgemeinen Anschauungen ein charakterlich anständiger Mensch sich zu verhalten pflegt. Äusserungen, die sich eignen, jemanden in anderer Hinsicht in der gesellschaftlichen Geltung herabzusetzen oder in seinem Selbstbewusstsein zu verletzen, sind nicht ehrverletzend im Sinne der erwähnten Bestimmungen. Das wurde z.B. entschieden in bezug auf Worte, die jemanden als Künstler, Berufs- oder Geschäftsmann heruntermachten oder ihn als nervenkrank hinstellten (
BGE 71 IV 230
,
BGE 72 IV 172
,
BGE 76 IV 28
,
BGE 77 IV 98
), muss aber auch gelten für Vorwürfe, welche die politische Anschauung und Haltung eines Menschen beanstanden. Voraussetzung ist aber hier wie immer, dass die Kritik an den strafrechtlich nicht geschützten Seiten des Ansehens und Empfindens
BGE 80 IV 159 S. 165
des Betroffenen keine Schatten auf seine Geltung als ehrbarer Mensch werfe und sein Gefühl, ein solcher zu sein, vollständig unberührt lasse. Durch Beanstandung der politischen Haltung eines Menschen darf nicht der Eindruck oder auch bloss der Verdacht erweckt werden, es fehlten ihm von jenen Charaktereigenschaften, die nach allgemeiner Anschauung ein ehrbarer Mensch haben muss. Das gilt auch für Äusserungen in der Presse, sogar wenn sie der Bildung einer politischen Meinung dienen; die Aufgabe, welche die Presse auf diesem Gebiete hat, gibt ihr nicht das Recht, die Grenzen, die das Strafgesetzbuch zum Schutze der persönlichen Ehre zieht, zu überschreiten (
BGE 70 IV 24
, 151,
BGE 73 IV 16
,
BGE 77 IV 99
).
3.
In den ersten fünf Absätzen des Inserates hat der Beschwerdegegner vom Versuch eines Verfassungs- und Rechtsbruches geschrieben. Dieser Vorwurf an sich setzt die Personen, die er angeht, in ihrem Ehrgefühl und ihrer Geltung als ehrbare Menschen nicht herab. Wie sehr auch ein in einer Behörde verfochtener Antrag gegen Gesetz oder Verfassung verstossen mag, ist der, der ihn im guten Glauben der Rechtmässigkeit stellt oder unterstützt, nicht ein ehrloser Mensch; denn die gutgläubig unrichtige Beantwortung einer Rechtsfrage verrät keinen Charakterfehler. Anders ist es sogar dann nicht, wenn der Vorwurf mit scharfen Worten erhoben wird. Immerhin dürfen sie nicht beschimpfend sein. Das sind jedoch die vom Beschwerdegegner gebrauchten Wendungen "schwerer Verfassungsbruch" und "in völlig rechtswidriger Weise" nicht.
4.
Der Vorwurf, das Mitglied einer gesetzgebenden Behörde habe einen gesetz- oder verfassungswidrigen Antrag gestellt oder unterstützt, eignet sich dagegen dann, seinen Ruf als Mensch zu schädigen, wenn damit die Beschuldigung oder Verdächtigung verbunden wird, es habe mit dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit gehandelt. Ein Volksvertreter, der das tut, erniedrigt sich nicht nur politisch, sondern auch allgemein menschlich, jedenfalls
BGE 80 IV 159 S. 166
dann, wenn er nicht aus sittlich achtenswerten Beweggründen handelt.
Ehrverletzend ist demgemäss die Stelle im zweiten Absatz des Inserates, wo der Beschwerdegegner von 73 Mitgliedern des Nationalrates, welche die sofortige Auszahlung der Teurungszulage befürworteten, gesagt hat, sie hätten sich bereit gefunden, im Interesse ihrer glücklichen Wiederwahl Gesetz und Recht in die Ecke zu drücken. Diese Behauptung kann nicht anders verstanden werden, als dass die 73 Ratsmitglieder die Referendumsvorschrift bewusst missachtet hätten, um für die bevorstehende Erneuerung ihres Mandates sich die Gunst der Wähler zu sichern. Gesetz und Recht zu einem persönlichen, eigennützigen Zwecke in die Ecke drücken, heisst, sie absichtlich und gewaltsam verdrängen, ausschalten. Dass dem Satze der Vorwurf bewusst rechtswidrigen Verhaltens entnommen werden muss, bestätigt auch der Hinweis des nächsten Absatzes auf das von den neuen Ratsmitgliedern abzulegende feierliche Gelübde.
Vom Vorwurf betroffen wird der Beschwerdeführer indessen nicht schon wegen seiner Zugehörigkeit zum Nationalrat. Das ehrenrührige Verhalten wird nur jenen Ratsmitgliedern vorgehalten, die für die sofortige Auszahlung der Teurungszulage stimmten. Die Ehre dieser 73 aber wird damit verletzt. Dass das Inserat sie nicht mit Namen nennt, ändert nichts; denn jedenfalls die Mitglieder des Nationalrates, die es zu Gesicht bekamen, konnten wissen, welche ihrer Kollegen gemeint waren. Wenn der Beschwerdeführer zu den 73 gehört, ist er daher in seiner Ehre verletzt und damit auch berechtigt, Strafantrag zu stellen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben. Das Kantonsgericht hat festzustellen, ob der Beschwerdeführer für die sofortige Auszahlung der Teurungszulagen gestimmt hat. Wenn er bei der Abstimmung im Rate anwesend war, mag angesichts seiner Einstellung und der Haltung, die er in der ganzen Sache eingenommen hat, der Schluss nahe liegen, dass es der Fall gewesen sei. Allein
BGE 80 IV 159 S. 167
ob er überhaupt anwesend war, kann dem angefochtenen Urteil ebenfalls nicht entnommen werden. Ob der Beschwerdegegner die Teilnahme des Beschwerdeführers an der betreffenden Sitzung im Prozesse nicht bestritten hat, wie der Beschwerdeführer geltend macht, ist vom Kassationshof nicht selber nachzuprüfen, abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer in der Klage seine Anwesenheit nicht behauptet hatte und daher für den Beschwerdegegner zunächst auch gar kein Anlass bestand, sie zu bestreiten.
5.
.........
6.
Nicht zu teilen ist die Auffassung des Bezirksgerichts, auch der erste Satz des fünften Absatzes des Inserates enthalte den Vorwurf bewusst rechtswidrigen Verhaltens. Die Worte: "Nach dem Willen von über 40 Nationalräten wären die Teurungszulagen... in völlig rechtswidriger Weise überhaupt dem Referendum entzogen worden", haben bloss den Sinn, dass, wenn es nach dem Willen dieser Nationalräte gegangen wäre, die Teurungszulagen dem Referendum in völlig rechtswidriger Weise entzogen worden wären, d.h., was die vierzig gewollt hätten, sei völlig rechtswidrig gewesen. Dass ihr Wille sich auch auf die "völlige Rechtswidrigkeit" bezogen habe, kann der unbefangene Leser dem Satze nicht entnehmen.
7.
Durch den zweiten Satz des fünften Absatzes des Inserates sieht der Beschwerdeführer sich in seiner Ehre verletzt, weil der Ausdruck "volksdemokratische Methode" den Leser unwillkürlich an Diktatur, Terror, Aufhebung aller persönlichen Rechte, Unterdrückung der Freiheit, Aufhebung des normalen Rechtsverfahrens usw. denken lasse, und weil die ironische Bemerkung, der Beschwerdeführer sei ein "Demokrat von beängstigenden Ausmassen", den Beschwerdeführer als undemokratischen, unter dem Deckmantel der Demokratie auftretenden Menschen hinstelle.
Der Beschwerdeführer verkennt, dass das Inserat ihn nicht allgemein volksdemokratischer Methoden zeiht,
BGE 80 IV 159 S. 168
sondern nur den Versuch, die Teurungszulagen dem Referendum zu entziehen, als solche Methode hinstellt. Volksdemokratisch steht hier für undemokratisch, autoritär, diktatorisch. Damit bleibt die Kritik im politischen Bereich. Auch im demokratischen Staat kann ein Politiker autoritäre Anschauungen und Methoden vertreten, ohne an seiner persönlichen Ehre Schaden zu leiden. Wenn seine Haltung dann in der politischen Diskussion als diktatorisch, faszistisch oder volksdemokratisch kritisiert wird, ist das eine jener üblichen Übertreibungen, die vom Leser entsprechend abgewertet werden und daher nicht den Eindruck hinterlassen, der Betroffene sei kein achtbarer Mensch. An die persönliche Ehre gehen solche Angriffe erst, wenn sie - was hier nicht zutrifft - den Vorwurf bewusster Verletzung der in Verfassung und Gesetz verankerten Volksrechte enthalten.
Auch die bloss ironische Bezeichnung des Beschwerdeführers als "Demokrat von beängstigenden Ausmassen" setzt ihn nur als Politiker, nicht als Mensch herab. Sie prangert ihn lediglich als schlechten Demokraten an. Auch nach schweizerischer Auffassung aber kann ein lauer Demokrat, ja sogar ein Gegner der Demokratie, ein charakterlich einwandfreier, achtbarer Mensch sein. 8. - In den Absätzen 6-10 behauptet das Inserat einen Widerspruch zwischen den im Bundesrat und in der Bundesversammlung vor der Abstimmung über das Beamtengesetz abgegebenen Erklärungen und den vom Beschwerdeführer nach der Abstimmung begehrten Änderungen der Ämtereinreihung sowie den Projekten betreffend Erhöhung der Eisenbahn- und Posttaxen. Es rügt diesen Widerspruch als eine Erscheinung, die das Vertrauen des Volkes in die Demokratie und in die Treue der Behörden langsam untergrabe.
Auch diese Ausführungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seiner Ehre. Der Vorwurf widerspruchsvollen Verhaltens berührt ihn nicht. Der Beschwerdeführer betont selber, dass er nie behauptet habe, die Besoldungsvorlage
BGE 80 IV 159 S. 169
werde ohne Mehrbelastung auskommen, sondern dass er und seine Gesinnungsfreunde ausdrücklich auf die Notwendigkeit der neuen Ämtereinreihung hingewiesen hätten und die von ihm bei der Ämtereinreihung angemeldeten Forderungen zu einer Mehrbelastung von jährlich 16 Millionen Franken geführt hätten. Ein gegenteiliger Eindruck wird vom Inserat nicht zu erwecken versucht. An Erklärungen aber, die vor der Abstimmung über das Beamtengesetz vom Bundesrate oder von anderer Seite in der Bundesversammlung abgegeben wurden, war der Beschwerdeführer nicht gebunden. Er konnte die von ihm und seinen Gesinnungsfreunden begehrten Änderun- gen in der Ämtereinreihung beantragen, ohne dadurch einen Wortbruch zu begehen und sich unehrenhaft zu verhalten. Der Bundesversammlung und ihrer Mehrheit blieb es überlassen, ob sie trotz der genannten Erklärungen den Anträgen folgen wollten oder nicht.
9.
Die Beschwerde im Strafpunkt ist demnach nur insoweit gutzuheissen, als sie sich auf die Behauptung des Inserates bezieht, der Versuch von 73 Ratsmitgliedern, die Teurungszulagen sofort auszahlen zu lassen, habe bewusst gegen die Referendumsvorschriften verstossen. In diesem Punkte hat das Kantonsgericht, wie oben unter Ziffer 4 ausgeführt ist, festzustellen, ob der Beschwerdeführer überhaupt unter den erwähnten 73 Ratsmitgliedern war. Trifft das zu, so hat es zu prüfen, ob der Beschwerdegegner bewiesen hat, dass der Vorwurf begründet war oder dass er ernsthafte Gründe hatte, ihn für begründet zu halten (
Art. 173 Ziff. 2 StGB
). Falls beides verneint wird, stellt sich die weitere Frage, ob der Beschwerdegegner den Vorwurf wider besseres Wissen erhoben hat (
Art. 174 StGB
).
...
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts von St. Gallen vom 5.
BGE 80 IV 159 S. 170
Januar 1954 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
37c7ccb4-6277-415a-af16-501532f650d5 | Urteilskopf
134 IV 210
21. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Beschwerde in Strafsachen)
6B_4/2008 vom 13. Juni 2008 | Regeste
Erfordernis der Stoffgleichheit beim Betrug; Leasingvertrag.
Beim Betrugstatbestand hat der Schaden als Vermögensnachteil der Bereicherung als Vermögensvorteil zu entsprechen (Prinzip der Stoffgleichheit; E. 5.3). Der Leasingnehmer, welcher das Leasingfahrzeug der Versicherungsgesellschaft, bei der er eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen hat, fälschlicherweise als gestohlen meldet, um sich hierdurch gegenüber dem Leasinggeber von seiner Verpflichtung zur Bezahlung der Leasingraten zu befreien, macht sich nicht des Betrugs gemäss
Art. 146 StGB
, sondern - allenfalls - der arglistigen Vermögensschädigung gemäss
Art. 151 StGB
schuldig (E. 5.4). | Sachverhalt
ab Seite 211
BGE 134 IV 210 S. 211
A.
Das Obergericht des Kantons Thurgau befand X. am 15. November 2007 in Bestätigung des Urteils des Bezirksgerichts Kreuzlingen vom 13. Juni 2007 des Betrugsversuchs und der Irreführung der Rechtspflege für schuldig und verurteilte ihn zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten.
B.
X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, die Urteile des Bezirksgerichts Kreuzlingen vom 13. Juni 2007 und des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 15. November 2007 seien aufzuheben, und er sei freizusprechen.
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Thurgau beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Verurteilung des Beschwerdeführers liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beschwerdeführer behauptet, in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 2005 mit seinem geleasten Personenwagen von Kreuzlingen nach Zürich gefahren zu sein, sein Fahrzeug an der Limmatstrasse abgestellt und sich anschliessend mit Kollegen getroffen zu haben.
BGE 134 IV 210 S. 212
Am 17. Juli 2005 um 02.00 Uhr erstattete der Beschwerdeführer Anzeige bei der Polizei, sein Auto sei entwendet worden, und übergab dieser einen Fahrzeugschlüssel (Schlüssel Nr. 1). Eine Woche später meldete er den Schaden der Versicherungsgesellschaft V., bei welcher er eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen hatte. Er übergab der Versicherung einen zweiten Fahrzeugschlüssel (Schlüssel Nr. 2). Diese liess in der Folge den Schlüssel Nr. 1, welchen sie von der Polizei überreicht erhalten hatte, wie auch den Schlüssel Nr. 2 vom kriminaltechnischen Prüflabor P. GmbH untersuchen. Dieses kam zum Ergebnis, der Schlüssel Nr. 1 passe im Gegensatz zum Schlüssel Nr. 2 nicht zu dem als gestohlen gemeldeten Wagen. Die Versicherungsgesellschaft V. erstattete am 21. Dezember 2005 Anzeige gegen den Beschwerdeführer wegen Verdachts auf Versicherungsbetrug.
Nach durchgeführter Beweiswürdigung zog die Vorinstanz die Schlussfolgerung, der Beschwerdeführer habe den Diebstahl seines Fahrzeugs inszeniert. Er habe das Auto verschwinden lassen und es anschliessend als gestohlen gemeldet, um von der Versicherung eine Entschädigung ausgerichtet zu erhalten respektive um sich der Bezahlung der geschuldeten Leasingraten zu entledigen.
(...)
5.
5.1
Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, es mangle an der für die Erfüllung des Betrugstatbestands gemäss
Art. 146 StGB
notwendigen Bereicherung, denn die Versicherungsgesellschaft V. hätte ihre allfälligen Versicherungsleistungen an den Leasinggeber und nicht an ihn ausbezahlt. Sein einziger Vorteil habe darin bestanden, dass er keine Leasingraten mehr geschuldet habe. Insoweit fehle es jedoch an der Identität der Vermögensmassen. Zur Anwendung gelange daher das Antragsdelikt der arglistigen Vermögensschädigung gemäss
Art. 151 StGB
. Da ein Strafantrag nicht innert Frist gestellt worden sei, habe im Ergebnis ein Freispruch zu erfolgen.
5.2
Die Vorinstanz hat erwogen, die Versicherungsgesellschaft V. hätte zwar bei einem Diebstahl ihre Versicherungsleistungen in der Tat dem Leasinggeber ausgerichtet. Der Beschwerdeführer hätte sich jedoch bei vollendetem Betrug dadurch bereichert, dass er sich gegenüber dem Leasinggeber seiner Verpflichtung zur Bezahlung der Leasingraten hätte entledigen können. Ferner übersehe der
BGE 134 IV 210 S. 213
Beschwerdeführer, dass er der Versicherungsgesellschaft V. auch sich angeblich im Fahrzeug befindliche Effekten im Wert von Fr. 660.- als gestohlen gemeldet habe.
5.3
Gemäss
Art. 146 Abs. 1 StGB
macht sich des Betrugs namentlich schuldig, wer in der Absicht, sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen anderen am Vermögen schädigt.
Vorausgesetzt ist somit ein Handeln in Bereicherungsabsicht. Nach der herrschenden Lehre hat der Schaden als Vermögensnachteil der Bereicherung als Vermögensvorteil zu entsprechen. Zwischen Schaden und Bereicherung muss mithin ein innerer Zusammenhang bestehen, d.h. die Bereicherung muss sich als Kehrseite des Schadens darstellen. Dieses Erfordernis wird als Prinzip der Stoffgleichheit bezeichnet (ERNST HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, Erste Hälfte, 1937, S. 273; GUNTHER ARZT, Basler Kommentar II, 2. Aufl. 2007,
Art. 146 StGB
N. 119; GÜNTER STRATENWERTH/GUIDO JENNY, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Straftaten gegen Individualinteressen, 6. Aufl. 2003, § 15 N. 60; ANDREAS DONATSCH, Strafrecht III, Delikte gegen den Einzelnen, 9. Aufl. 2008, S. 218; MARTIN SCHUBARTH/PETER ALBRECHT, Delikte gegen das Vermögen:
Art. 137- 172 StGB
, 1990,
Art. 148 StGB
N. 102 ff.; STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, vor
Art. 137 StGB
N. 12; GÜNTER STRATENWERTH/WOLFGANG WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 2007,
Art. 146 StGB
N. 17; ablehnend hingegen ALEXANDER I. DE BEER, Börsenmanipulation und Betrug, ZStrR 109/1992 S. 278 ff.).
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hierzu ist nicht einheitlich. Während der Kassationshof in
BGE 119 IV 210
E. 4b das Prinzip der Stoffgleichheit anerkannt hat, indem er festhielt, "die Bereicherung beim Betrug ist die Kehrseite des beim Opfer eingetretenen Schadens", hat die I. öffentlich-rechtliche Abteilung in einem Rechtshilfeverfahren (
BGE 122 II 422
E. 3b) das Erfordernis der Stoffgleichheit ausdrücklich abgelehnt, da sich ein solches nicht aus dem Gesetzestext ergebe und deshalb einfache Kausalität zwischen Schaden und Bereicherung genügen müsse.
Die Strafrechtliche Abteilung hält an der Rechtsprechung des Kassationshofs fest. So wie es bei den Aneignungsdelikten um eine
BGE 134 IV 210 S. 214
Eigentumsverschiebung geht, geht es beim Betrug um eine (beabsichtigte) Vermögens
verschiebung
. Aus dem Tatbestandsmerkmal der Bereicherungsabsicht ist daher zu schliessen, dass der Täter die Absicht verfolgen muss, sich oder einen Dritten gerade um denjenigen Vermögensbestandteil zu bereichern, welcher dem Getäuschten entzogen wird. Entscheidend ist mithin, dass die Bereicherung nicht aus einem andern als dem Opfervermögen erfolgt.
Wird die Bereicherungsabsicht mangels Stoffgleichheit verneint, so findet statt des Tatbestands des Betrugs gemäss
Art. 146 StGB
jener der arglistigen Vermögensschädigung nach
Art. 151 StGB
Anwendung. Nach dieser Bestimmung wird - auf Antrag - mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer jemanden ohne Bereicherungsabsicht durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt.
5.4
Vorliegend ist der Einwand des Beschwerdeführers, es fehle an der Stoffgleichheit, berechtigt.
Mit Abschluss des Leasingvertrags verpflichtete sich der Beschwerdeführer, eine Vollkaskoversicherung abzuschliessen und die Rechte und Leistungen aus dieser Versicherung an den Leasinggeber abzutreten. Gleichzeitig wurde im Leasingvertrag vereinbart, dass der Vertrag bei Diebstahl aufgehoben wird, wenn das gestohlene Leasingfahrzeug nicht mehr beigebracht werden kann und die Versicherung deshalb ihre Kaskoleistung erbringt.
Hätte die Versicherungsgesellschaft V. gestützt auf die Meldung des Beschwerdeführers, das geleaste Fahrzeug sei entwendet worden, dem Leasinggeber die Versicherungsleistung ausgerichtet, so wäre folglich der Leasingvertrag aufgehoben worden - mit der Konsequenz, dass sich der Beschwerdeführer von der Entrichtung der geschuldeten Leasingraten hätte befreien können. Der Schaden der Versicherungsgesellschaft V. hätte daher in der dem Leasinggeber ausbezahlten Versicherungssumme bestanden, während die Bereicherung beim Beschwerdeführer bloss als Reflex in Form der Aufhebung seiner Verpflichtung, die Leasingraten zu zahlen, eingetreten wäre. Er hätte mithin bloss einen mittelbaren - weil aus dem Vermögen des Leasinggebers stammenden - Vorteil erlangt.
Damit aber mangelt es an der für die Bejahung des subjektiven Tatbestands des Betrugs notwendigen Stoffgleichheit. Der
BGE 134 IV 210 S. 215
Beschwerdeführer handelte nicht in der Absicht, sich oder den Leasinggeber zu bereichern. Der Sachverhalt ist folglich nicht unter den Tatbestand des Betrugs (zum Nachteil der Versicherungsgesellschaft V.), sondern - wenn schon - unter jenen der arglistigen Vermögensschädigung gemäss
Art. 151 StGB
zu subsumieren. Voraussetzung für einen diesbezüglichen Schuldspruch ist jedoch das Vorliegen eines rechtzeitig gestellten Strafantrags.
5.5
Im Ergebnis hat die Vorinstanz demnach den Beschwerdeführer, soweit den vorgetäuschten Diebstahl des Leasingfahrzeugs betreffend, zu Unrecht des Betrugsversuchs zum Nachteil der Versicherungsgesellschaft V. schuldig gesprochen. Hingegen ist er insofern zutreffend des Betrugsversuchs für schuldig befunden worden, als dass er der Versicherungsgesellschaft sich angeblich im entwendeten Leasingfahrzeug befindliche Effekten fälschlicherweise als gestohlen meldete. Da diese Versicherungsleistungen ihm persönlich ausgerichtet worden wären, ist der Grundsatz der Stoffgleichheit gewahrt.
Die Beschwerde ist deshalb in diesem Punkt teilweise gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei ihrer Neubeurteilung wird die Vorinstanz - soweit prozessual zulässig - einerseits zu klären haben, ob eine Verurteilung wegen arglistiger Vermögensschädigung in Betracht kommt, respektive andererseits zu prüfen haben, ob sich der Beschwerdeführer des Betrugsversuchs zwar nicht zum Nachteil der Versicherungsgesellschaft, aber zu jenem des Leasinggebers schuldig gemacht hat. Dies wäre der Fall, wenn der Beschwerdeführer versucht hätte, den Leasinggeber durch Vorspiegelung von Tatsachen - in casu des fingierten Diebstahls des Leasingfahrzeugs - arglistig irrezuführen und ihn dazu zu bestimmen, auf die geschuldeten Leasingraten zu verzichten. In diesem Verzicht auf die Ratenzahlungen müssten zugleich die Vermögensverfügung und der Vermögensschaden des Leasinggebers wie auch der angestrebte Vermögensvorteil des Beschwerdeführers begründet liegen. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
37d03992-5db6-4831-abca-2b70cb34c67c | Urteilskopf
80 II 185
29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Juli 1954 i.S. Eheleute Wehrle. | Regeste
Die Ehescheidung wegen Geisteskrankheit (
Art. 141 ZGB
) hat zur Voraussetzung, dass der Krankheitszustand, der die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft als unzumutbar erscheinen lässt, schon bei Einleitung der Klage drei Jahre gedauert hat.
Es genügt nicht, dass diese Frist im Zeitpunkte abgelaufen ist, da der Kläger im Prozess erstmals
Art. 141 ZGB
anruft. | Erwägungen
ab Seite 185
BGE 80 II 185 S. 185
Der Scheidungsgrund der Geisteskrankheit ist nach
Art. 141 ZGB
gegeben, wenn ein Gatte in einen solchen Zustand von Geisteskrankheit verfallen ist, dass dem andern die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden darf, und wenn die Krankheit nach dreijähriger Dauer von Sachverständigen für unheilbar erklärt wird. In diesem Falle kann der andere Gatte jederzeit auf Scheidung klagen. Das Erfordernis der dreijährigen Dauer ist nach der Rechtsprechung dahin zu verstehen, dass vom Eintritt des Krankheitszustandes, der die Fortsetzung der Ehe als unzumutbar erscheinen lässt, bis zur Einleitung der Klage drei Jahre vergangen sein müssen (
BGE 52 II 186
,
BGE 63 II 1
,
BGE 66 II 86
). An dieser Praxis ist festzuhalten. Sie wird vor allem durch die Erwägung
BGE 80 II 185 S. 186
gerechtfertigt, dass das Gesetz mit dem erwähnten Erfordernis Fehldiagnosen vorbeugen und insbesondere eine voreilige Feststellung der Unheilbarkeit und eine Beeinträchtigung allfälliger Aussichten auf eine (sei es auch nur "soziale") Heilung durch verfrühte Prozessführung verhindern will.
Im vorliegenden Falle braucht nicht näher geprüft zu werden, ob die Krankheit der Beklagten heute die in
Art. 141 ZGB
vorausgesetzte Schwere aufweise und als unheilbar anzusehen sei. Auch wenn man diese Fragen bejahen will, muss nämlich die Klage auf jeden Fall deswegen abgewiesen werden, weil nicht angenommen werden kann, dass die Krankheit schon drei Jahre vor Einleitung der Klage, d.h. schon im Mai 1949, in jener Schwere bestanden habe.
Es mag zwar zutreffen, dass bereits die im Jahre 1949 geäusserten Eifersuchtsideen für den Kläger sehr unangenehm waren und die Ehe empfindlich störten. Deswegen war aber damals die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft für den Kläger noch nicht unzumutbar. In ihrer heutigen vollen Schwere besteht die Geisteskrankheit der Beklagten (wahnhafte Schizophrenie) nach den Gutachten, auf welche die Vorinstanz abstellt, erst seit dem Jahre 1950. Der Zustand, der allein als Scheidungsgrund in Frage kommen kann, bestand also bei der Klageeinleitung erst seit etwa zwei Jahren.
Wenn die Vorinstanz das Erfordernis der dreijährigen Dauer gleichwohl als erfüllt betrachtete, so deswegen, weil sie die Klageeinleitung darin erblickte, dass der Kläger vor Obergericht sein Scheidungsbegehren unter Berufung auf
Art. 141 ZGB
erneuerte, und überdies annahm'die Krankheit müsse nicht schon bei der Klageeinleitung, sondern erst bei der Urteilsfällung drei Jahre gedauert haben. Diese letzte Annahme widerspricht jedoch der Rechtsprechung, bei der es nach dem Gesagten bleiben muss. Mit dem Sinne dieser Praxis ist es aber auch nicht verträglich, auf den Zeitpunkt abzustellen, da der Kläger
BGE 80 II 185 S. 187
sein Scheidungsbegehren vor Obergericht wieder aufgenommen und erstmals
Art. 141 ZGB
angerufen hat. Diese prozessuale Stellungnahme des Klägers kann nichts daran ändern, dass er die Klage schon im Mai 1952 und mithin zu früh eingeleitet hat. | public_law | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
37d3a736-1a43-4a78-b457-0bb8e908b463 | Urteilskopf
112 Ib 99
16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Januar 1986 i.S. M. und Mitb. gegen Stiftung "Puureheimet Brotchorb", Gemeinde Stallikon, Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 24 RPG
; Ausnahmebewilligung.
Bejahung der (sog. "positiven") Standortgebundenheit im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
für einen Landwirtschaftsbetrieb mit sozialtherapeutischer Zielsetzung. Dass mit dem Betrieb in erster Linie die Heilung von Personen bezweckt wird, steht der Annahme der Standortgebundenheit nicht entgegen, da die landwirtschaftliche Nutzung in den Dienst des Heilungsprozesses gestellt wird. Entscheidend ist, dass Landwirtschaft, wenn auch nicht rationell und auch nicht gewinnstrebig, so doch ernsthaft betrieben werden wird (E. 4a).
Dem hier vorgesehenen Betrieb stehen keine überwiegenden Interessen im Sinne von
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
entgegen (E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 99
BGE 112 Ib 99 S. 99
Die Bau- und Planungskommission Stallikon erteilte der Stiftung "Puureheimet Brotchorb" am 28. Juni 1983 die baurechtliche
BGE 112 Ib 99 S. 100
Bewilligung für die Erstellung einer landwirtschaftlichen Siedlung auf dem Grundstück Kat. Nr. 5010 und für den Umbau und die Renovation des Wohnhauses Assek. Nr. 573 auf dem Grundstück Kat. Nr. 5123 am Bodenackerweg, Hinterbuchenegg, Stallikon. Die Siedlung soll anstelle einer 1974 abgebrannten Scheune errichtet werden. Der Hausteil der Siedlung umfasst gemäss der kommunalen Baubewilligung im Erdgeschoss eine Wohnung für den Betriebsleiter und dessen Familie mit einem Wohn- sowie einem Esszimmer, und überdies vier Schlafräume, Küche und Bad. Ausserhalb dieser Wohnung sind ein grösserer Raum mit Dusche, WC und Waschgelegenheiten sowie ein Angestelltenzimmer mit Dusche/WC vorgesehen. Von der Wohnung des Betriebsleiters führt eine Treppe ins Obergeschoss, wo rund um Vorplatz und Aufenthaltsraum fünf weitere Schlafräume sowie ein Waschraum mit WC und ein Raum mit Dusche/WC geplant sind. Der Ökonomieteil enthält nebst Ställen und verschiedenen Räumen im Keller eine Käserei mit Käsekeller (Fläche 25,1 und 14,3 m2) sowie im Erdgeschoss einen Raum für die Holzbearbeitung (Fläche 47,1 m2). Ställe sind für Kühe, Rinder, Kälber, Pferde, Ziegen und Schafe vorgesehen. In der bestehenden Wohnbaute Assek. Nr. 573 bewilligte die Gemeinde im Erdgeschoss einen Konferenz- und einen Wohnraum sowie eine Küche, im Obergeschoss zwei Wohnzimmer und ein Bad. Beide Bauparzellen liegen gemäss Zonenplan zur Bauordnung der Gemeinde Stallikon im übrigen Gemeindegebiet. Insgesamt umfasst der landwirtschaftliche Betrieb rund 17 ha Land.
Die im Handelsregister eingetragene Stiftung "Puureheimet Brotchorb", deren Stifter und Stiftungsratspräsident der Zürcher Pfarrer Ernst Sieber ist, hat nach Ziffer 2 der Stiftungsstatuten folgenden Zweck:
"Zweck der Stiftung ist der Erwerb und Betrieb eines Bauernhofes als
Heimwesen für obdachlose, einsame, aber noch arbeitsfähige Menschen. Sie
sollen dort, im Rahmen einer christlichen Grossfamilie und unter Leitung
eines ausgewiesenen Landwirtes, Existenz und Heimat finden. Sie sollen
wieder eine Bodenverbundenheit erleben dürfen, die ihnen die Möglichkeit
gibt, zu sich selber zu kommen und an sich selbst eine Erneuerung zu
erfahren."
Gemäss Schreiben des Stifters und Stiftungsratspräsidenten vom 22. April 1983 an das Bundesamt für Sozialversicherung wurde der Stiftungszweck wie folgt abgeändert:
BGE 112 Ib 99 S. 101
"Zweck der Stiftung ist der Erwerb und Betrieb eines Bauernhofes als
Heimwesen für, im weitesten Sinne, invalide und obdachlose jüngere und
ältere Menschen. Sie sollen dort, im Rahmen einer christlichen
Grossfamilie und unter Leitung eines ausgewiesenen Landwirtes, Existenz
und Heimat finden. Sie sollen wieder eine Bodenverbundenheit erleben
dürfen, die ihnen die Möglichkeit gibt, zu sich selber zu kommen und an
sich selbst eine Erneuerung zu erfahren."
Ob diese Zweckänderung im Handelsregister eingetragen worden ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen.
Entsprechend dem Stiftungszweck ist vorgesehen, im geplanten Landwirtschaftsbetrieb (Siedlung und bestehendes Wohngebäude) obdachlose Menschen zur Rehabilitierung und Resozialisierung unterzubringen, Menschen, die - wie es der Stifter formuliert - "durch irgendein Schicksal verkürzt sind". Dem Betrieb soll eine Meisterfamilie mit ausgebildetem Landwirt vorstehen. Die Obdachlosen sollen entsprechend ihren Möglichkeiten als Arbeitskräfte eingesetzt werden, wobei das Raumprogramm von einer fünfzigprozentigen Arbeitsfähigkeit ausgeht.
Gegen das Bauvorhaben wandten sich zahlreiche, in der nächsten und näheren Umgebung wohnhafte Nachbarn. Sie gelangten mit Rekursschriften vom 8. August 1983 an die Baurekurskommission II und beantragten Aufhebung der Baubewilligung. Sie machten vor allem geltend, das vorgesehene Bauvorhaben sei als Resozialisierungs- und Rehabilitierungsheim für Obdachlose nicht standortgebunden und daher zonenwidrig. Der projektierte Landwirtschaftsbetrieb sei in der vorgesehenen Art weder existenzsichernd noch rentabel. Ferner rügten die Rekurrenten die Zufahrt als unzureichend.
Mit Entscheid vom 9. Mai 1984 hiess die Baurekurskommission II die Rekurse teilweise gut, indem sie die Bewilligung für den Umbau und die Renovation des Wohnhauses Assek. Nr. 573 aufhob. Im übrigen wies sie die Rekurse ab. Sie stützte sich auf
Art. 24 Abs. 1 RPG
und erwog im wesentlichen, das Projekt sei zwar als Unterkunft für Obdachlose nicht auf einen Standort ausserhalb der Bauzone angewiesen (d.h. nicht "negativ standortgebunden"), wohl aber bei Reduktion auf das betriebswirtschaftlich notwendige Ausmass als Landwirtschaftsbetrieb ("positiv") standortgebunden. Die Bewilligung eines landwirtschaftlichen Anwesens mit nicht voll arbeitsfähigen oder hiezu nicht ausgebildeten Personen hebe die Standortgebundenheit nicht auf.
Während die Stiftung diesen Entscheid nicht anfocht, erhoben 13 Nachbarn Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons
BGE 112 Ib 99 S. 102
Zürich, welche mit Urteil vom 6. Februar 1985 abgewiesen wurde.
Gegen dieses Urteil führen 12 Nachbarn Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragen, soweit hier wesentlich, der angefochtene Entscheid und damit die von der Bau- und Planungskommission Stallikon am 28. Juni 1983 erteilte Baubewilligung sei zu verweigern. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 Abs. 1 RPG
kann erteilt werden, wenn der Zweck der Baute einen Standort ausserhalb der Bauzone erfordert (lit. a) und wenn dem Vorhaben keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (lit. b). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (
BGE 108 Ib 363
E. 4d, 366 f. E. 6).
a) Wie dargelegt worden ist, genügt der Nachweis, dass sich der Zweck des Bauwerks seiner Art nach nur innerhalb eines verhältnismässig kleinen örtlichen Umkreises umsetzen lässt - sei es aus technischen, betrieblichen oder Gründen der Bodenbeschaffenheit (
BGE 102 Ib 79
E. 4a; vgl. EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 15 zu Art. 24).
Diesen Nachweis hat die Beschwerdegegnerin erbracht. Zwar rechtfertigt das an Rehabilitationsstätten für sozial geschädigte Personen bestehende öffentliche Interesse für sich allein eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
noch nicht. Die Beschwerdegegnerin will aber nicht einfach ein - im übrigen Gemeindegebiet klarerweise zonenwidriges - Obdachlosenasyl schaffen (vgl. den ein Pflegeheim betreffenden BGE vom 13. April 1983 in ZBl 84/1983 S. 453 ff., ferner das nicht veröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 19. April 1984 i.S. Associazione Centri di Vacanze "Leone XIII"/TI). Vielmehr liegt ihrem Vorhaben ein durchdachtes geschlossenes Konzept zugrunde, das entwurzelten Menschen Geborgenheit einer überschaubaren Wohn-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, einer Art Grossfamilie verschaffen und sie durch hergebrachte Bodenbearbeitung und Tierhaltung Bodenverbundenheit erleben lassen will. Die Beschwerdegegnerin will also einen Landwirtschaftsbetrieb mit sozialtherapeutischer Zielsetzung führen. Somit ist die landwirtschaftliche Nutzung klar ausgewiesen. Dass im vorliegenden
BGE 112 Ib 99 S. 103
Fall in erster Linie die Heilung von Personen bezweckt wird, schliesst die ("positive") Standortgebundenheit nicht aus, wird doch die landwirtschaftliche Nutzung - wie aufgezeigt - in den Dienst des Heilungsprozesses gestellt. Entscheidend ist, dass Landwirtschaft, wenn auch nicht rationell und auch nicht gewinnstrebig, so doch ernsthaft betrieben werden wird. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall klar von den beiden erwähnten, ein Pflege- und ein Ferienheim betreffenden Fällen, in welchen eine landwirtschaftliche Nutzung nicht zur Diskussion stand.
Zweckentfremdung oder Missbräuche sind nicht zu befürchten. Stiftungen sind, wenn sie einmal errichtet sind, auf Dauer angelegt. Zweckänderungen sind nur in sehr beschränktem Masse möglich (
Art. 86 ZGB
). Zudem ist bereits in der kommunalen Baubewilligung ein im Grundbuch anzumerkender Revers vorgesehen, wonach die bewilligten Wohnungen ohne entsprechende Baubewilligung nicht zweckentfremdet und insbesondere nicht in ein Heim für betriebsfremde Personen umgewandelt werden dürfen (Baubewilligung Ziff. 1.3.2).
Ist nach dem Gesagten der von der Beschwerdegegnerin beabsichtigte Betrieb somit als ("positiv") standortgebunden zu erachten (
BGE 108 Ib 133
mit Hinweisen; EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 15/16 zu Art. 24), so erübrigen sich weitere Ausführungen zum betrieblich notwendigen Raumbedarf, wie sie das Verwaltungsgericht angestellt hat. Es genügt, dass das auf dem Betriebe lebende Personal im Verhältnis zur beworbenen Fläche nicht übermässig zahlreich ist. Im übrigen wird sich der Raumbedarf für das sozialtherapeutische Unternehmen nach den Anforderungen des Betriebskonzepts auszurichten haben. Entsprechend liegt darin, dass das Verwaltungsgericht den im alten Wohnhaus vorhandenen Wohnraum ausser acht liess und lediglich feststellte, dass zur Zeit keine Bewilligung für bauliche Massnahmen an diesem Haus bestehe, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer keine Bundesrechtsverletzung; eine allfällige Bewilligung wird allerdings ihrerseits nur wieder gestützt auf
Art. 24 RPG
ergehen können.
Ob der beabsichtigte Betrieb auch "negativ" standortgebunden sei (vgl. EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 17/18 zu Art. 24;
BGE 111 Ib 217
E. 3b, sowie
BGE 108 Ib 367
E. 6a), kann ebenfalls offenbleiben, da - wie ausgeführt - jedenfalls "positive" Standortgebundenheit gegeben ist.
BGE 112 Ib 99 S. 104
b) Damit eine Ausnahmebewilligung erteilt werden kann, dürfen der fraglichen Baute keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
).
Durch die Bewilligung einer Ausnahme soll das Gleichgewicht der Ortsplanung nicht gestört werden (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 26 Abs. 1 zu Art. 24). Dieser Grundsatz deckt sich im wesentlichen mit der von der Zürcher Praxis aufgestellten Forderung, dass das Bauvorhaben mit den für den konkreten Standort massgebenden planerischen Vorstellungen im Einklang steht (ZBl 86/1985 S. 268 f. E. 5b). Das Projekt der Beschwerdegegnerin hält diesen Kriterien stand, indem es - wie aus den vom landwirtschaftlichen Architekturbüro des Bauernverbandes ausgearbeiteten Plänen hervorgeht - dem Charakter eines Landwirtschaftsbetriebes auch äusserlich nicht widerspricht.
Solange das Heim das bewilligte Ausmass einhält, werden sich ebenfalls die Auswirkungen auf die Struktur der Einwohnerschaft des Weilers Hinterbuchenegg in Schranken halten, zumal dieser Weiler offenbar schon heute durchaus nicht nur von Personen bewohnt ist, die Landwirtschaft treiben. Im übrigen hat das Verwaltungsgericht zu Recht erwogen, dass diese Sorge der Beschwerdeführer gegen den schutzwürdigen Zweck des Heimes nicht aufzukommen vermag.
Es ist auch nicht zu befürchten, dass die Gewährung einer Ausnahmebewilligung im vorliegenden Fall ein gefährliches Präjudiz schaffen wird, kann doch eine Standortgebundenheit - wie ausgeführt - nicht schon allein durch einen an sich schutzwürdigen Zweck begründet werden. Jedenfalls wird jedes weitere Vorhaben wieder streng auf seinen Zweck und auf die Gewähr hin, die es für dessen Erfüllung bietet, zu prüfen sein.
Die vorstehende Interessenabwägung hat zur Voraussetzung, dass der Zweckartikel der Stiftung "Puureheimet Brotchorb" im Sinne der Ausführungen in ihren Vernehmlassungen an das Verwaltungsgericht und an die Baurekurskommission sowie im Lichte der ursprünglichen Fassung der Stiftungsurkunde interpretiert wird. Entsprechend wird davon ausgegangen, dass die Stiftung auf Menschen ausgerichtet ist, die grundsätzlich arbeitsfähig und durch die vorgesehene manuelle landwirtschaftliche Arbeit eine wirkliche Chance zur Rehabilitierung und Resozialisierung haben, und dass nicht Personen aufgenommen werden, die wegen Drogensucht oder aus andern Gründen derart gravierend geschädigt sind, dass sie intensiver oder fachkundiger
BGE 112 Ib 99 S. 105
Pflege bedürfen oder für die Umgebung eine Gefahr bilden. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
37d522c2-7ad3-4910-8c51-768d1ed6fb3e | Urteilskopf
101 V 134
26. Arrêt du 17 octobre 1975 dans la cause Aymon contre Mutuelle valaisanne d'assurance en cas de maladie et d'accidents et Tribunal cantonal valaisan des assurances | Regeste
Art. 5 Abs. 3 KUVG
, Art. 2 Abs. 2 Vo III.
Der bei Eintritt in die Kasse angebrachte Vorbehalt erstreckt sich grundsätzlich auf eine während der Geltungsdauer dieses Vorbehaltes erfolgte Höherversicherung. | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 101 V 134 S. 134
A.-
Francis Aymon, assuré auprès de la Mutuelle valaisanne dès le 1er avril 1967 pour une indemnité journalière différée de 25 fr., payable dès le 15e jour d'incapacité de travail, avec réserve pour "affections des voies respiratoires", a demandé et obtenu que les prestations susmentionnées fussent portées à 60 fr. depuis le 1er mai 1971. La caisse précitée ne fit aucune mention à cette occasion d'une réserve portant sur le supplément d'assurance. Informé de ce que la modification prendrait effet à partir de la date de paiement des cotisations
BGE 101 V 134 S. 135
correspondantes, le prénommé acquitta celles-ci le 19 mai 1971. Il consulta un médecin le même jour et fut déclaré totalement incapable de travailler dès le lendemain, en raison d'hypotonie, de névrose, de sinusite chronique et de séquelles de tuberculose pulmonaire, voire de bronchite suspecte de silicose. L'incapacité totale de travail dura jusqu'au 5 juillet 1971; elle fut suivie d'une incapacité partielle (50%) jusqu'au 30 septembre 1971. L'intéressé requit en conséquence le versement des nouvelles prestations convenues. La Mutuelle valaisanne refusa cependant d'accéder à cette demande, en alléguant que "le montant de 35 fr. représentant l'augmentation fai(sai)t l'objet d'une réserve pour la maladie en cours au moment de (l')admission". Elle accepta en revanche de verser l'indemnité initiale, de 25 fr. par jour. Francis Aymon, qui déclarait qu'il se portait très bien au moment où il avait demandé la modification d'assurance, protesta contre ce refus. Ce n'est pourtant qu'en date du 3 mai 1973 que la caisse précitée rendit une décision formelle, dans le sens ci-dessus.
B.-
Francis Aymon recourut. Il contestait qu'une maladie fût en cours lors de l'augmentation de l'indemnité; faisait valoir que, de toute manière, la Mutuelle valaisanne connaissait ou devait connaître son état de santé au printemps 1971; réclamait versement intégral de l'indemnité assurée.
Par jugement du 11 octobre 1974, le Tribunal cantonal valaisan des assurances rejeta le recours. Les premiers juges ont retenu en bref que le recourant n'avait pas commis de réticence; que, s'agissant d'une "assurance complémentaire", on ne pouvait admettre que la Mutuelle valaisanne avait renoncé à grever l'augmentation d'assurance d'une réserve; que celle prévue initialement devait au contraire être étendue - jusqu'à expiration de sa validité - aux nouvelles prestations. L'autorité cantonale a toutefois donné acte au recourant que l'intimée admettait devoir l'indemnité antérieurement assurée.
C.-
Francis Aymon interjette recours de droit administratif. Il fait valoir en substance qu'on ne saurait étendre la réserve initiale aux prestations augmentées dès le 1er mai 1971. Il conclut avec dépens au versement intégral de l'indemnité augmentée.
La caisse intimée n'a pas répondu au recours, dont l'Office fédéral des assurances sociales propose le rejet.
BGE 101 V 134 S. 136
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 5 al. 3 LAMA dispose que, si l'admission ne peut être refusée pour raisons de santé, les caisses peuvent cependant excepter de l'assurance, en en faisant l'objet d'une réserve, les maladies existant au moment de l'admission; il en va de même pour les maladies antérieures si, selon l'expérience, une rechute est possible. Les réserves sont caduques après cinq ans au plus.
Lorsque l'assuré, en cours de sociétariat, s'assure pour des prestations plus étendues, la caisse peut introduire des réserves en ce qui concerne les prestations supérieures à celles qui étaient assurées jusqu'alors, dans les mêmes conditions que lors d'une admission. Ces réserves sont elles aussi caduques après cinq ans au plus (art. 2 al. 2 Ord. III).
Si, dans l'un et l'autre cas, la caisse n'a pas formulé de réserve, elle ne peut le faire après coup qu'en cas de réticence. Dans cette hypothèse, elle peut, dans le délai d'une année à compter du jour où elle a eu ou aurait dû avoir connaissance de l'attitude répréhensible de l'assuré et, au plus tard, cinq ans depuis ledit comportement de l'assuré, introduire une réserve ayant effet rétroactif. La jurisprudence qualifie de réticence le fait de ne pas annoncer à la caisse, en la passant sous silence de façon dolosive, une maladie existante ou une maladie antérieure sujette à rechute, que l'assuré connaissait ou aurait dû connaître en faisant preuve de l'attention que l'on pouvait exiger de lui (voir p.ex. RO 98 V 65, 129 et 135;
96 V 7
; ATFA 1969 pp. 5 et 183; 1968 p. 5; 1967 p. 123).
2.
En l'espèce, il est constant que, lors de l'admission de Francis Aymon dans l'assurance le 1er avril 1967, la Mutuelle valaisanne a formulé une réserve pour "affections des voies respiratoires".
Il est tout aussi constant que, lors de l'augmentation du montant de l'indemnité journalière le 1er mai 1971, la caisse précitée n'a introduit aucune nouvelle réserve. Comme elle n'a pas posé de question quelconque relative à l'état de santé, l'assuré n'a pas commis et ne pouvait d'ailleurs commettre de réticence, en taisant des maladies existantes ou antérieures. L'administration n'est donc pas en droit d'apporter après coup une réserve rétroactive pour ce qui concerne les prestations
BGE 101 V 134 S. 137
augmentées; elle l'est d'autant moins qu'elle-même connaissait ou devait connaître l'état de santé du requérant (cf. ATFA 1969, p. 5). On avait ainsi, durant la période de fin mai à fin septembre 1971 litigieuse dans la présente procédure, une réserve en vigueur dès le 1er avril 1967 et appelée à devenir caduque le 31 mars 1972. Quelle portée, dans ces conditions, faut-il conférer au fait qu'aucune réserve n'a été formulée expressément lors de l'augmentation accordée à partir du 1er mai 1971?
3.
Jusqu'à ce jour, le Tribunal fédéral des assurances n'a jamais eu à examiner l'éventualité où, après avoir formulé une réserve au moment de l'admission, la caisse accepte moins de cinq ans plus tard une extension des prestations assurées sans introduire expressément de nouvelle réserve à ce moment - réserve qui serait licite, on l'a vu, et pourrait au maximum avoir une durée de cinq ans, indépendante de celle de la réserve initiale.
Lorsque, comme en l'occurrence, l'augmentation des prestations assurées représente une simple adaptation quantitative d'une assurance déjà souscrite, la logique commande en tout cas de considérer que la restriction grevant l'assurance initiale s'étend en principe automatiquement à l'augmentation. A moins qu'il ne ressorte de l'attitude de la caisse que cette dernière entendait annuler la réserve faite au départ ou qu'elle renonçait à l'étendre aux prestations nouvelles, ou à moins encore que la bonne foi de l'assuré n'ait été surprise. Aucune de ces hypothèses n'est réalisée dans la présente affaire: le recourant n'a jamais requis la suppression de la réserve, et la caisse n'a jamais manifesté l'intention de renoncer à celle formulée en 1967. On ne voit du reste pas pour quels motifs elle l'aurait fait. L'augmentation de 1971 ne consistait d'autre part pas en une assurance complémentaire et indépendante de celle souscrite antérieurement; il s'agissait, comme il a été dit plus haut, d'une simple adaptation quantitative de l'indemnité journalière dont l'assuré n'avait pas de raison de croire qu'elle ne tomberait pas sous le coup de la restriction initiale. A tout le moins aurait-il dû, dans le doute, se renseigner auprès de la caisse. Force est donc d'admettre avec les premiers juges qu'il n'a pas été surpris dans sa bonne foi. Il n'est dès lors pas nécessaire d'examiner aujourd'hui ce qu'il adviendrait dans d'autres circonstances.
BGE 101 V 134 S. 138
4.
Vu ce qui précède, la réserve faite en 1967 s'étendait en l'occurrence, jusqu'à son terme fixé au 31 mars 1972, à l'ensemble des prestations assurées par la Mutuelle valaisanne. Or les renseignements médicaux que fournit le dossier permettent de penser que l'incapacité de travail en cause est imputable à des affections des voies respiratoires qui tombent sous le coup de cette restriction. La caisse intimée aurait été en droit de refuser purement et simplement ses prestations. Elle a cependant accepté de verser l'indemnité initiale, nonobstant la réserve. Elle ne s'en est pas expliquée, n'ayant pas répondu au recours. Dans ces conditions, la Cour de céans n'a pas de motif impérieux de vérifier d'office le fondement de la décision attaquée, sur ce point. A l'instar des premiers juges, elle rejettera donc le recours, en donnant acte à l'assuré du versement susmentionné.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
37d77f14-5fc3-4139-97c0-1c8e76c13b9a | Urteilskopf
102 Ia 7
2. Auszug aus dem Urteil vom 4. Februar 1976 i.S. Bregy gegen Gemeinde Freiburg und Rekurskommission in Steuersachen des Kantons Freiburg. | Regeste
Art. 4 BV
; Feuerwehrabgabe.
1. Delegation rechtsetzender Befugnisse vom kantonalen an den kommunalen Gesetzgeber; Voraussetzungen (E. 3b).
2. Willkürlich breite Festsetzung der abgabepflichtigen Altersklassen in einem Fall, wo das Feuerwehrkorps aus einer beschränkten Zahl besonders ausgebildeter Freiwilligen besteht? (E. 5)
3. Bemessung der Ersatzabgabe; Verhältnismässigkeitsprinzip (E. 6b). | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 102 Ia 7 S. 8
Das freiburgische Gesetz vom 12. November 1964 betreffend die Feuerpolizei und den Schutz gegen Elementarschäden (kurz: FPG) bestimmt über die Dienstpflicht und die Ersatzabgabepflicht folgendes:
"Art. 43. Dienstpflicht
In der Gemeinde können die dort ansässigen Männer, gleich welcher Nationalität, verpflichtet werden, Feuerwehrdienst zu leisten durch Einteilung in das Feuerwehrkorps.
Diese Verpflichtung kann alle Männer treffen, welche das 20. Altersjahr vollendet und das 50. noch nicht erreicht haben. Im Bedarfsfall kann die Altersgrenze auf 60 Jahre hinaufgesetzt werden. Jugendliche können ab 18 Jahren zum Feuerwehrdienst verpflichtet werden.
Art. 44. Altersklassen
Die Gemeinden setzen nach ihren Bedürfnissen die Altersklassen fest, die zum Feuerwehrdienst eingezogen werden können, beziehungsweise zur Entrichtung der Feuerwehrersatzsteuer verpflichtet sind. Zur Erhaltung des notwendigen Mannschaftsbestandes sind dem Korps regelmässig genügend Männer einzugliedern.
Art. 45. Feuerwehr-Ersatzsteuer
Die Männer, die nicht zum Feuerwehrdienst eingeteilt sind, aber sich im dienstpflichtigen Alter befinden, haben eine jährliche Feuerwehr-Ersatzsteuer zu entrichten.
Der Steuersatz wird durch die Gemeindeversammlung unter Vorbehalt der Genehmigung durch den Staatsrat festgesetzt.
Die Bestimmungen des Gesetzes über die Gemeindesteuern sind anwendbar."
Gestützt auf dieses Gesetz hat die Stadtgemeinde Freiburg am 20. Februar/15. März 1968 ein "Règlement de perception de la taxe d'exemption du service dans le bataillon des sapeurs-pompiers" (Feuerwehr-Ersatzabgabe-Reglement, kurz FERegl) erlassen, das vom Staatsrat am 17. November 1969 genehmigt worden ist. In diesem Reglement bestimmt Art. 1:
"Tout homme, quelle que soit sa nationalité, habitant la Commune de Fribourg, et non incorporé dans le bataillon des sapeurs-pompiers, est astreint au paiement d'une taxe annuelle d'exemption à partir du 1er janvier de l'année dans laquelle il atteint l'âge de 20 ans jusqu'au 31 décembre de celle dans laquelle il aura atteint l'âge de 50 ans."
BGE 102 Ia 7 S. 9
und Art. 5 Abs. 1 lautet:
"La Taxe d'exemption s'élève au 7% de la cote d'impôt communal; le minimum de la taxe est fixé à Fr. 10.--, quelle que soit la durée de l'assujettissement pendant l'année et le maximum à Fr. 80.-- par année."
Oswald Bregy wehrte sich gegen die Rechnung vom 16. Mai 1974, mit der von ihm die Feuerwehrabgabe der Stadt Freiburg für 1973 und 1974 erhoben wurde. Seine Einsprache wurde jedoch nicht geschützt, und einen Rekurs wies die Kantonale Rekurskommission in Steuersachen (KRK) mit Entscheid vom 11. Oktober 1974 ab. Mit staatsrechtlicher Beschwerde gestützt auf die
Art. 4 und 22ter BV
verlangt Bregy die Aufhebung des letztgenannten Entscheids.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Eigentumsgarantie, indem er bestreitet, dass die in Art. 45 Abs. 2 FPG enthaltene Ermächtigung an die Gemeindeversammlung zur Festsetzung des Ersatzabgabesatzes den geltenden Grundsätzen über die Gesetzesdelegation genüge, da weder vom Ziel der Abgabe noch von ihrer Begrenzung die Rede sei; es fehle somit an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage.
a) Der Beschwerdeführer gibt selber zu, dass er diesen Einwand im kantonalen Verfahren nicht erhoben hat, sondern erst vor Bundesgericht vorbringt. Bei Willkürbeschwerden und bei Beschwerden, wo die Rüge, eine andere Verfassungsbestimmung sei verletzt, mit jener der Willkür zusammenfällt, sind jedoch nach der Rechtsprechung zu
Art. 87 OG
neue rechtliche oder tatsächliche Vorbringen im bundesgerichtlichen Verfahren grundsätzlich ausgeschlossen, und zwar selbst dann, wenn die letzte kantonale Instanz freie Kognition besass und das Recht von Amtes wegen anzuwenden hatte (
BGE 99 Ia 122
E. 4a und
BGE 98 Ia 52
E. 1, mit Hinweisen). Nun ruft der Beschwerdeführer
Art. 22ter BV
zu Unrecht an. Bei öffentlichen Abgaben käme die Anrufung der Eigentumsgarantie zum vornherein nur bei einer geradezu konfiskatorischen Besteuerung in Frage (
BGE 99 Ia 648
E. 7 und
BGE 94 I 116
E. 4a, mit Hinweisen); davon und auch von einem schwerwiegenden Eingriff kann vorliegend bei einer Abgabe von höchstens Fr. 80.-- jährlich (Art. 5 FERegl.) offensichtlich nicht die
BGE 102 Ia 7 S. 10
Rede sein. Die Rüge des Beschwerdeführers ist somit unter dem Gesichtswinkel des aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Grundsatzes der Gesetzmässigkeit der Abgaben - d.h. bloss auf Willkür - zu prüfen. Da also lediglich eine Willkürbeschwerde vorliegt, sind neue Vorbringen ausgeschlossen. Es geht hier auch nicht um solche, zu deren Geltendmachung erst die Begründung des angefochtenen Hoheitsaktes Anlass gegeben hat, oder um einen Gesichtspunkt, der sich aufdrängt und von der KRK von Amtes wegen hätte berücksichtigt werden müssen (vgl.
BGE 99 Ia 122
E. 4a, mit Hinweisen). Auf den Einwand des Beschwerdeführers, es fehle mangels gültiger Delegation an der gesetzlichen Grundlage der Abgabe, ist daher nicht einzutreten.
b) Der Einwand erwiese sich ohnehin als unbegründet. Nach anerkannter Praxis des Bundesgerichts müssen bei Abgaben ihre Voraussetzungen, das Mass der Belastung und der Kreis der Abgabepflichtigen in einem formellen Gesetz festgelegt werden (
BGE 100 Ia 139
, mit Hinweisen). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch auf die Delegation rechtsetzender Befugnisse vom kantonalen Gesetzgeber an andere kantonale Behörden - in der Regel die Exekutive -, und es wurde ausdrücklich offen gelassen, ob die für diese Art der Delegation entwickelten Grundsätze in gleicher Weise gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - der kantonale Gesetzgeber gewisse Kompetenzen an den Gemeindegesetzgeber abtritt (
BGE 97 I 804
E. 7). Diese Delegation braucht nicht so eng begrenzt zu sein, wie jene an die kantonale oder kommunale Exekutive. Voraussetzung ist indessen, dass die kantonale Verfassung die vorgesehene Kompetenzaufteilung zulässt.
Nach Art. 76 KV hat das Gesetz alles anzuordnen, was auf die politische Einrichtung und die Verwaltung der Gemeinden Bezug hat. Die Kantonsverfassung schliesst aber die Delegation gewisser Gegenstände an den Gemeindegesetzgeber (die Gemeindeversammlung) nicht aus. Das Gemeindegesetz vom 19. Mai 1894 bestimmt in Art. 72c, dass die Gemeindeversammlungen die "direkten oder indirekten Auflagen" beschliessen, deren Höhe gemäss Art. 73 vom Staatsrat zu genehmigen ist. Die Kantonsverfassung verlangt aber nicht, dass die von der Gemeinde erhobenen Abgaben ihrem Masse nach in einem formellen kantonalen Gesetz verankert sein müssen. Es scheint auch zweckmässig, dass nicht der kantonale,
BGE 102 Ia 7 S. 11
sondern der mit den örtlichen Verhältnissen besser vertraute kommunale Gesetzgeber den Satz der Feuerwehrabgabe festsetzt (vgl.
BGE 97 I 806
E. 7 und
BGE 92 I 44
f). Die in den Art. 43 bis 45 FPG enthaltene Regelung lässt im übrigen die Voraussetzungen, unter denen die Abgabe geschuldet ist, und den Kreis der Abgabepflichtigen erkennen. Abgabeschuldner ist der männliche Ortsansässige, der nach seinem Alter an sich dienstpflichtig ist, aber nicht zum Feuerwehrdienst eingeteilt ist. Aufgrund des Verweises in Art. 45 Abs. 3 FPG ist sodann die Abgabe nach den Steuerfaktoren zu bemessen, die auch für die Gemeindesteuer gelten; damit ist mittelbar auch der Gegenstand der Abgabe - nämlich Einkommen und Vermögen - bezeichnet. Die einschlägigen Bestimmungen des FPG bilden somit eine ausreichende Gesetzesgrundlage für die geforderte Abgabe.
Das in Art. 5 FERegl festgelegte Abgabenmass - nämlich 7% des Gemeindesteuersatzes, mit einem Minimum von Fr. 10.-- und einem Maximum von Fr. 80.-- pro Jahr - ist im übrigen nach den vom Beschwerdeführer unbestrittenen Erklärungen des Gemeinderates regelmässig von der Steuerpflichtigenversammlung (Art. 5, 6 und 8 des Gemeindegesetzes) beschlossen worden, was die KRK in ihrem Entscheid übersehen hat. Die Bezeichnung "Gemeindeversammlung" in Art. 45 Abs. 2 FPG ist allerdings etwas ungenau, enthält aber keine vom Gemeindegesetz abweichende Kompetenzbestimmung. Die Grundsätze der Gewaltentrennung und der Referendumsdemokratie sind also sowohl in der kantonalen gesetzlichen Regelung wie in der Praxis der Gemeindebehörden beachtet worden.
5.
Der Beschwerdeführer beanstandet ferner, die Stadtgemeinde Freiburg habe in Art. 1 FERegl die Altersklassen nicht gemäss Art. 43f FPG nach ihrem Bedarf festgesetzt. Das Feuerwehrkorps der Stadt Freiburg bestehe aus Freiwilligen, und der dienstpflichtige Bürger habe gar keine Möglichkeit, seine Feuerwehrdienstpflicht persönlich abzugelten. Eine solche Altersklassenabgrenzung sei sinnlos. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, Art. 1 FERegl sei willkürlich ausgelegt und angewendet worden, sondern will offenbar geltend machen, die Regelung des Art. 1 FERegl entspreche nicht jener von Art. 43/44 FPG, sei willkürlich und somit nicht anwendbar.
BGE 102 Ia 7 S. 12
Nach der bundesgerichtlichen Praxis verstösst gegen
Art. 4 BV
ein gesetzgeberischer Erlass, wenn er sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützt, sinn- oder nutzlos ist oder Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht ersichtlich ist. In diesen Grenzen steht dem kantonalen und kommunalen Gesetzgeber ein weites Feld der Gestaltungsfreiheit offen. Der Verfassungsrichter schreitet nur ein, wo dieses Ermessen überschritten oder missbraucht wird (
BGE 100 Ia 212
E. 2b, mit Hinweisen).
KRK und Stadtrat Freiburg bestätigen, dass das Feuerwehrkorps der Stadt Freiburg aus Freiwilligen besteht und dass ein Feuerwehrdienst mit allgemeiner Dienstpflicht nicht mehr durchführbar wäre. Nach ihrer Meinung ist jedoch die Ersatzabgabe aufgrund der allgemeinen Dienstpflicht dennoch sinnvoll. Der Gesetzgeber habe mit dem FPG den Willen bekundet, dass weder die Gesamtheit der Steuerzahler noch ein kleiner Kreis, sondern eine möglichst grosse Zahl grundsätzlich Dienstpflichtiger die Kosten der Brandbekämpfung tragen sollte.
a) Der Feuerwehrdienst der Stadtgemeinde Freiburg ist nicht - wie in den meisten übrigen Gemeinden des Kantons - auf dem Milizsystem aufgebaut. Das Feuerwehrkorps besteht vielmehr aus etwa 300 Freiwilligen, die besonders geschult und trainiert werden, also in gewissem Sinne aus Berufsleuten. Es trifft ferner zu, dass der einzelne Angehörige der dienstpflichtigen Altersklassen keine Möglichkeit hat, den Dienst durch persönliche Leistung zu erbringen. Die Bestimmung der Altersklassen hat nur noch abgabenrechtliche Bedeutung, nämlich den Zweck, den Kreis der Ersatzabgabepflichtigen zu umschreiben. Man kann sich in der Tat fragen, ob eine solche Regelung, die lediglich auf der Fiktion eines Milizsystems beruht, sinnvoll ist. Naheliegender wäre wohl, die für die Brandbekämpfung nötigen Mittel auf anderem Wege als durch eine Abgabe zu beschaffen, die eine nicht erbringbare und somit fingierte persönliche Dienstleistung ersetzen soll. In Betracht fiele namentlich die Finanzierung aus dem Ertrag von Gemeindesteuern.
Das Bundesgericht hat jedoch lediglich zu prüfen, ob der kommunale Gesetzgeber den Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat. Dabei fällt zunächst in Betracht, ob er
BGE 102 Ia 7 S. 13
sich an das Gesetz gehalten hat. Die KRK geht davon aus, dass die Art. 43/45 FPG auf dem Gedanken der allgemeinen Feuerwehrdienstpflicht aufgebaut sind und dass dieses Prinzip heute noch in den meisten Gemeinden Geltung hat. Zu prüfen ist, ob diese Regelung des kantonalen Gesetzgebers der Gemeinde Freiburg die Freiheit lässt, für die Ersatzabgabe Altersklassen auszuscheiden, die sie für den persönlichen Dienst gar nicht benötigt. Art. 43 FPG sagt im Blick auf den Feuerwehrdienst, die männlichen Ortsansässigen "können verpflichtet werden", oder "die Verpflichtung kann treffen", nicht: sie sind verpflichtet. Die Verpflichtung erfolgt erst durch Einreihung in das Korps. Art. 44 FPG sodann lässt die Gemeinden die Altersklassen "nach ihren Bedürfnissen" festsetzen. Ob damit Bedürfnisse an Mannschaft oder an Geld oder an beidem gemeint ist, wird nicht ausdrücklich gesagt. Jedoch umschreibt Art. 44 FPG den Zweck der Altersklassenfestsetzung in der Weise, dass die festzusetzenden Altersklassen "zum Feuerwehrdienst eingezogen werden können", "beziehungsweise zur Errichtung der Feuerwehrersatzsteuer verpflichtet sind". Die beiden Alternativen werden vom kantonalen Gesetzgeber offenbar als gleichwertig betrachtet. Unterscheidungskriterium ist, ob ein Pflichtiger "zum Feuerwehrdienst eingezogen wird" (Art. 44) oder "zum Feuerwehrdienst eingeteilt ist" (Art. 43 und 45). Aus dieser Regelung lässt sich kein Recht des Bürgers ableiten, zu wählen, ob er den Dienst persönlich oder durch Leistung der Ersatzabgabe erbringen will. Vielmehr liegt es an den Behörden, ob sie einen Bürger zum persönlichen Dienst einteilen wollen oder nicht.
Diese Regelung traf der kantonale Gesetzgeber am 10. Mai 1963, also in einem Zeitpunkt, als die Stadtgemeinde Freiburg das Milizsystem bereits aufgegeben hatte. Aufgrund der Materialien (Amtl. Tagblatt der Sitzungen des Grossen Rates des Kantons Freiburg, Bd. 116/1964: Botschaft des Staatsrates S. 219, Berichterstattung S. 329 ff., Beratung S. 347 f.) ist anzunehmen, dass der kantonale Gesetzgeber an der Regelung der Gemeinde Freiburg, der Institution des berufsmässig ausgebildeten Freiwilligenkorps, nichts ändern, sondern auch für diese die gesetzliche Grundlage liefern wollte. Es konnte also ohne Willkür angenommen werden, das FERegl liege innerhalb des gesetzlichen Rahmens.
b) Es bleibt die Frage, ob FERegl und FPG mit der Altersklassenfestsetzung
BGE 102 Ia 7 S. 14
(20-50) in einer Gemeinde, in der das Milizsystem aufgegeben wurde, eine derart sinnlose Regelung getroffen haben, dass sie vor der Verfassung dahinfallen muss. Diese Frage ist zu verneinen. Die Regelung ist historisch verwurzelt und soll dem Bürger zum Bewusstsein bringen, dass im Grunde genommen jeder gesunde männliche Ortsansässige zum Schutz der Allgemeinheit gegen die Naturgewalten persönlich dienstpflichtig wäre. In Not- und Katastrophenfällen kann auch die Gemeinde Freiburg zur Ergänzung des ständigen Korps auf das Milizsystem zurückgreifen, denn der Oberamtmann kann dies anordnen (vgl. z.B. den Wachtdienst gemäss Art. 39 FPG). Es ist nicht ganz abwegig, die Feuerwehrdiensttauglichkeit an sich als jene persönliche Beziehung des Bürgers zum Gemeinwesen zu betrachten, aus der die Bereitschaftspflicht zur persönlichen Dienstleistung und im Nichtbeanspruchungsfalle die Ersatzabgabepflicht erwächst.
Ob es sinnvoller wäre, die Abgabe - wie der Beschwerdeführer vorschlägt - von jenen zu erheben, die aus der Einrichtung einen besonderen Nutzen ziehen (z.B. die Hauseigentümer) kann dahingestellt bleiben, da es in der Freiheit des kommunalen Gesetzgebers liegt, eine andere Lösung zu wählen. Aus
Art. 4 BV
lässt sich nicht eine bestimmte Methode der Besteuerung ableiten (
BGE 96 I 66
E. 2, 567 E. 3a). Immerhin ist zu bemerken, dass auch die vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Lösung ihre unbefriedigenden Seiten hat, da nicht nur die Hauseigentümer, sondern auch die übrigen Einwohner als Mieter oder etwa Autohalter einen direkten Nutzen von der Feuerwehr haben.
Ist aber die angefochtene Regelung nicht als sinnlos zu betrachten, so hat sie vor
Art. 4 BV
Bestand und muss angewandt werden.
6.
Der Beschwerdeführer rügt schliesslich, die Erhebung der Feuerwehrersatzabgabe sei willkürlich, weil die Gemeinde damit mehr einnehme, als die Kosten der Brandbekämpfung tatsächlich ausmachten; damit werde das Kostendeckungsprinzip verletzt.
Die Rechtsnatur der zu beurteilenden Abgabe scheint fraglich. Art. 45 FPG spricht von einer "Feuerwehr-Ersatzsteuer", was eher auf eine (Feuerwehr-)Sondersteuer hinweist, wie sie z.B. in den Kantonen Zürich (Kommentar REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Bd. IV N. 16 und 24 zu
§
§ 135-184 StG
)
BGE 102 Ia 7 S. 15
und Basel-Stadt (§§ 5 und 6 des Gesetzes vom 25.4.1935 über die Organisation der Feuerwehr und die Verordnung vom 28.12.1935 betreffend den Bezug der Feuerwehrsteuer) besteht. Die KRK und der Grosse Rat des Kantons Freiburg (vgl. Amtl. Tagblatt, a.a.O. S. 219 und v.a. 348) haben die Abgabe jedoch stets als Ersatzabgabe betrachtet; der Beschwerdeführer ist ebenfalls dieser Auffassung. Die Frage, um welche Art von Abgabe es sich hier handelt (zur Abgrenzung vgl.
BGE 97 I 803
E. 6c,
BGE 92 I 365
E. 3 und
BGE 86 I 99
E. 2), kann indessen offen bleiben, da die fragliche Abgabe als Steuer grundsätzlich beliebig festsetzbar wäre, sie aber auch die für eine Ersatzabgabe geltenden Grundsätze nicht verletzt.
a) Der Beschwerdeführer, die KRK und das kantonale Parlament (vgl. Amtl. Tagblatt, a.a.O. S. 219) sind der Auffassung, die Feuerwehrabgabe unterstehe als Kausalabgabe vor allem dem Kostendeckungsprinzip. Das Bundesgericht hat aber die Geltung dieses Grundsatzes bisher nur für Gebühren und Vorzugslasten angenommen (vgl.
BGE 99 Ia 539
und III 78b,
BGE 97 I 204
, mit Hinweisen). Bei Ersatzabgaben verlangte es einzig die Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips (
BGE 97 I 806
). Denn mit der Ersatzabgabe, die an keine direkte Gegenleistung des Gemeinwesens geknüpft ist, soll lediglich eine Rechtsgleichheit zwischen persönlich Dienstpflichtigen (d.h. hier: im Freiwilligenkorps Eingeteilten) und nicht Dienstpflichtigen hergestellt werden, weshalb die Ersatzabgabe für den Einzelnen nicht höher sein darf, als zur Herbeiführung dieses Ausgleichs erforderlich ist. Die Kosten, die dem Gemeinwesen durch die ausfallende persönliche Dienstleistung entstehen, könnten bloss als Richtschnur für die Bemessung der Abgabe dienen. Richtiger scheint jedoch, den Vorteil, der dem an sich Dienstpflichtigen aus der Befreiung von der persönlichen Leistung erwächst, zum Ausgangspunkt zu nehmen (
BGE 97 I 806
E. 8). Die Ersatzabgabe muss also in einem vernünftigen Verhältnis stehen zu dem, was ein einzelner Pflichtiger überhaupt leisten könnte; in diesem Sinne besteht auch hier ein Äquivalenzprinzip wie bei den andern Kausalabgaben. Im vorliegenden Fall ist offensichtlich, dass der vom Einzelnen erhobene Maximalbetrag von Fr. 80.-- keinesfalls den ungefähren Wert der wegfallenden Dienstpflicht übersteigt. Von einer Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes kann keine Rede sein.
BGE 102 Ia 7 S. 16
b) Ob neben dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz das Kostendeckungsprinzip eine weitere obere Schranke der Belastung mit Ersatzabgaben bilden kann, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, da die fragliche Abgabe auch diesen Grundsatz nicht verletzt. Die KRK und der Stadtrat von Freiburg weisen mit den entsprechenden Zahlenunterlagen nach, dass 1973 die Einnahmen (insgesamt Fr. 425'000.--, wovon Fr. 308'000.-- aus der Abgabe) die Ausgaben für die Feuerwehr (Fr. 400'000.-- zuzüglich Abschreibungen auf dem Wagenpark) nicht erreicht haben. Die Zahlen früherer Jahre (insbesondere 1963) lassen zwar bezweifeln, ob das Kostendeckungsprinzip durchwegs eingehalten worden ist, doch ist entscheidend, dass jedenfalls die Zahlen der Jahre 1972 und 1973 den Grundsatz nicht verletzen. Die KRK konnte daher ohne Willkür den Einwand, die Feuerwehrabgabe sei zu einer einträglichen Steuer für anderweitige Zwecke umgewandelt worden, verwerfen. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
37d7ba87-1a71-4261-a352-1bb7316d511c | Urteilskopf
105 V 180
42. Urteil vom 11. Juni 1979 i.S. H. gegen Schweizerische Grütli-Krankenkasse und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 12 KUVG
, Art. 14 Abs. 1 Vo III. Begriff der Krankheit (Zusammenfassung der Rechtsprechung). Beurteilung des Transsexualismus. (Erw. 1.)
Art. 12 Abs. 2 und 5 KUVG
, Art. 21 Abs. 1 Vo III.
- Zulässigkeit der Subdelegation der bundesrätlichen Befugnis zur Bezeichnung der Pflichtleistungen an das Eidgenössische Departement des Innern, soweit wissenschaftlich umstrittene diagnostische oder therapeutische Massnahmen in Frage stehen (Erw. 2b).
- Überprüfbarkeit der Departementsverfügung durch den Sozialversicherungsrichter (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2c).
- Die operative Geschlechtsumwandlung gehört nicht zu den Pflichtleistungen der Krankenkassen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 180
BGE 105 V 180 S. 180
A.-
Die Versicherte war im Jahre 1941 als Knabe geboren und ins Zivilstandsregister eingetragen worden. Obwohl der Heranwachsende sich in stets zunehmendem Masse als Frau und sexuell zu den Männern hingezogen fühlte, verheiratete er sich. Die Ehe scheiterte und wurde geschieden. Die in den Jahren
BGE 105 V 180 S. 181
1974/75 in der Psychiatrischen Universitäts-Poliklinik des Kantonsspitals Zürich durchgeführten Untersuchungen bestätigten das Vorliegen von Transsexualismus. In der Folge wurde an der Universitäts-Frauenklinik Zürich eine Hormonbehandlung eingeleitet und am 10. Februar 1976 an der Urologischen Klinik und Poliklinik der Universität Bern die operative Geschlechtsumwandlung durchgeführt. Mit Entscheid vom 29. April 1976 bewilligte das Richteramt O. eine Änderung des Personenstatuts im Zivilstandsregister mit Eintrag des Namens C... Bereits im Oktober 1975 hatte die bei der "Schweizerischen Grütli" Versicherte die Kasse um die Übernahme der Kosten der bevorstehenden Geschlechtsumwandlungsoperation ersucht. Die Kasse unterbreitete die Frage ihrer Leistungspflicht in der Folge dem Bundesamt für Sozialversicherung, welches seinerseits an die Eidgenössische Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung gelangte. Diese vertrat an ihrer Sitzung vom 13. Mai 1976 die Auffassung, dass die operative Geschlechtsumwandlung keine Pflichtleistungen der Krankenkassen begründe. Diesem Standpunkt schloss sich das Eidgenössische Departement des Innern mit Verfügung vom 24. November 1976 an. Dagegen liess die Versicherte durch ihren Rechtsvertreter beim Bundesrat Verwaltungsbeschwerde führen, verzichtete aber auf die Fortsetzung des Verfahrens, nachdem sie von der Eidgenössischen Justizabteilung darauf hingewiesen worden war, dass der Entscheid des Eidgenössischen Departements des Innern keine beschwerdefähige Verfügung darstelle und somit auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werden könnte.
Mit Verfügung vom 4. Januar 1977 lehnte die "Schweizerische Grütli" die Übernahme der Operationskosten für die Geschlechtsumwandlung unter Hinweis auf die Verfügung des Eidgenössischen Departements des Innern ab.
B.-
Beschwerdeweise liess die Versicherte die Aufhebung der Kassenverfügung und die Übernahme der Operationskosten als Pflichtleistung beantragen. Sie machte durch ihren Rechtsvertreter u.a. geltend, ein medizinischer Eingriff müsse als solcher immer und vorbehaltlos als medizinisch anerkannte Heilmassnahme gelten und es bestehe insoweit für den Entscheid der Fachkommission bzw. des Eidgenössischen Departements des Innern kein Raum. Bei der Verfügung des Eidgenössischen Departements des Innern handle es sich lediglich
BGE 105 V 180 S. 182
um eine Verwaltungsanweisung, welche den Sozialversicherungsrichter nicht zu binden vermöge.
Mit Entscheid vom 19. Januar 1978 wies das Versicherungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde ab. Es ging davon aus, dass die Leistungspflicht der Kasse schon deshalb entfalle, weil die Transsexualität keine Krankheit im Rechtssinne darstelle. Abgesehen davon erscheine die mit der Operation vorgenommene körperliche Veränderung nicht als zweckmässige Behandlung der vorhandenen psychischen Abwegigkeit.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Versicherte C. H. ihr Begehren erneuern. Es wird daran festgehalten, dass der Verfügung des Eidgenössischen Departements des Innern vom 24. November 1976 keine verbindliche Wirkung zukomme, zumal sie auf einer unzulässigen Subdelegation beruhe. Im Hinblick auf die vorangegangene längere psychiatrische Behandlung könne der Krankheitscharakter nicht verneint werden. Über die Zweckmässigkeit habe der Chirurg und nicht der Richter zu entscheiden; es komme auch nicht darauf an, ob der Eingriff zu einem Erfolg führe. Das Bestehen ernsthafter Erfolgschancen genüge.
Die Kasse und das Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Nach Auffassung des Bundesamtes besteht kein Anlass, vom Entscheid des Eidgenössischen Departements des Innern, der sich im gesetzlichen Rahmen halte, abzugehen. In materieller Hinsicht könne nicht in Abrede gestellt werden, dass dem Leiden Krankheitswert zukomme. Die fragliche Operation stelle jedoch einen schwerwiegenden Eingriff in die körperliche Integrität dar, dem ein auf längere Sicht zumindest als problematisch zu bezeichnender therapeutischer Erfolg gegenüberstehe.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist die Leistungspflicht der Krankenkasse für die am 10. Februar 1976 durchgeführte operative Geschlechtsumwandlung inkl. Nachbehandlungskosten. Nach Auffassung der Vorinstanz entfällt der Anspruch auf Kassenleistungen schon deshalb, weil das Leiden, auf das der umstrittene Eingriff gerichtet war, der sogenannte Transsexualismus, keine Krankheit im Rechtssinne darstelle.
a) Das KUVG setzt den Begriff der Krankheit voraus, ohne ihn zu umschreiben. Auch Art. 14 Abs. 1 Vo III hält lediglich fest, dass die Pflichtleistungen "im Falle der Krankheit" gewährt
BGE 105 V 180 S. 183
werden müssten. Angesichts der vielfältigen Erscheinungsformen krankhafter Zustände und Prozesse entzieht sich denn auch der Krankheitsbegriff einer strengen juristischen Definition (
BGE 101 V 71
). Immerhin wird man von Krankheit im Rechtssinne nur sprechen können, wenn Störungen vorliegen, die durch pathologische Vorgänge verursacht worden sind (
BGE 101 V 71
, EVGE 1968, S. 235). Im Bestreben, einen lückenlosen Versicherungsschutz in der sozialen Unfall- und Krankenversicherung zu gewährleisten, verwendet das Eidg. Versicherungsgericht in seiner neueren Praxis eine vom Unfallbegriff her gewonnene, negative Umschreibung des Krankheitsbegriffs: als Krankheit gilt danach eine Schädigung der physischen oder psychischen Gesundheit, die nicht auf einen Unfall oder dessen direkte Folgen zurückzuführen ist (
BGE 102 V 132
f. mit Hinweisen).
b) Transsexualismus wird umschrieben als Drang, durch eine - meist chirurgische - Geschlechtsumwandlung dem anderen Geschlecht angehören zu können (UWE HENRIK PETERS, Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie, 2. Aufl., S. 532). Diese Grundveranlagung kann, wie der im unveröffentlichten Urteil i.S. A. vom 3. September 1976 wiedergegebenen gutachtlichen Stellungnahme des Psychiaters Dr. med. K. zu entnehmen ist, sekundär zu neurotischen Fehlentwicklungen oder schweren, beispielsweise psychopathischen, den gesamten Charakter prägenden Anomalien führen. Dass bei der Beschwerdeführerin eine ernstzunehmende psychische Konfliktsituation bestand, ist nicht von der Hand zu weisen und wird u.a. dadurch bestätigt, dass seit 1974 eine psychiatrische Behandlung notwendig war. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist deshalb im vorliegenden Fall der transsexuellen Veranlagung, welche zum umstrittenen Eingriff geführt hat, Krankheitswert beizumessen. Dementsprechend war die Kasse grundsätzlich verpflichtet, im Rahmen ihrer gesetzlichen und statutarischen Leistungspflicht für die Behandlung des Leidens aufzukommen.
2.
a) Gemäss
Art. 12 Abs. 2 KUVG
haben die Krankenkassen sowohl bei ambulanter Behandlung (Ziff. 1) als auch bei einem Aufenthalt in einer Heilanstalt (Ziff. 2) u.a. für die ärztliche Behandlung und die wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen aufzukommen. Abs. 5 dieses Artikels ermächtigt den Bundesrat, nach Anhören einer von ihm bestellten Fachkommission (Art. 26 Vo III) die gemäss den vorgenannten Bestimmungen
BGE 105 V 180 S. 184
als ärztliche Behandlung und wissenschaftlich anerkannte Heilanwendungen zu übernehmenden Leistungen zu bezeichnen. Nach Art. 21 Abs. 1 Vo III umfasst die zur gesetzlichen Pflichtleistung gehörende ärztliche Behandlung die vom Arzt vorgenommenen wissenschaftlich anerkannten diagnostischen und therapeutischen Massnahmen. Soweit es sich um wissenschaftlich umstrittene Massnahmen handelt, hat der Bundesrat den Entscheid, ob diese als Pflichtleistungen zu übernehmen sind, an das Eidgenössische Departement des Innern delegiert (2. Satz).
Gestützt darauf und nach Einsichtnahme in den Entscheid der Eidgenössischen Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung vom 13. Mai 1976 hat das Eidgenössische Departement des Innern am 24. November 1976 verfügt, dass die operative Geschlechtsumwandlung keine Pflichtleistungen der vom Bunde anerkannten Krankenkassen begründe (vgl. RSKV 1976, S. 217 f.). Es fragt sich, ob und inwieweit diese Verfügung den Sozialversicherungsrichter bei der Beurteilung der vorliegenden Streitfrage bindet.
b) Die Beschwerdeführerin vertritt den Standpunkt, die Verbindlichkeit des Departementsentscheids müsse schon deshalb in Frage gestellt werden, weil er auf einer unzulässigen Subdelegation beruhe. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Wie die Eidgenössische Justizabteilung in ihrem Schreiben vom 18. April 1977 zutreffend festgehalten hat, stellt der fragliche Erlass des Eidgenössischen Departements des Innern, obwohl als "Verfügung" bezeichnet, eine generell-abstrakte Norm, einen Rechtssatz dar. Gemäss Rechtsprechung ist die Subdelegation von Rechtssetzungsbefugnissen an ein Departement zulässig, wenn sie sich auf Vorschriften vorwiegend technischer Natur bezieht und kein Rechtsgrundsatz - namentlich des Verfassungsrechts - in Frage steht (
BGE 101 Ib 74
f. mit Hinweisen;
105 V 23
). Unter diesem Gesichtswinkel ist es nicht zu beanstanden, wenn der Bundesrat in Art. 21 Abs. 1 Vo III die ihm übertragene Kompetenz zur Bezeichnung der Pflichtleistungen, soweit es sich um wissenschaftlich umstrittene diagnostische und therapeutische Massnahmen handelt, an das Eidgenössische Departement des Innern subdelegiert hat.
c) Bei den auf Grund der erwähnten Subdelegation erlassenen Verfügungen des Eidgenössischen Departements des Innern betreffend Pflichtleistungen nach
Art. 12 Abs. 5 KUVG
BGE 105 V 180 S. 185
handelt es sich demnach um Rechtsverordnungen, die als solche für den Richter verbindlich sind, ausser sie würden sich als nicht gesetzeskonform erweisen. Dabei muss dem Eidgenössischen Departement des Innern, das sich seinerseits durch eine Fachkommission beraten lässt, in der Frage, ob bestimmte ärztliche Behandlungen oder Heilanwendungen als wissenschaftlich anerkannt zu gelten haben, ein gewisser Beurteilungsspielraum zuerkannt werden. Der Sozialversicherungsrichter wird deshalb eine solche Verfügung nur dann als gesetzwidrig bezeichnen und ihr die Anwendung versagen, wenn sie auf einer klaren Fehlbeurteilung beruht, d.h. insbesondere im Falle einer willkürlichen Beurteilung der Frage der wissenschaftlichen Anerkennung einer Massnahme (vgl. das in RSKV 1970 Nr. 59 veröffentlichte Urteil Agnolini vom 29. Dezember 1969).
3.
Nach der Rechtsprechung gilt eine Behandlungsart dann als bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft entsprechend, wenn sie von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Das Schwergewicht liegt auf der Erfahrung und dem Erfolg im Bereich einer bestimmten Therapie (EVGE 1962, S. 116, unveröffentlichtes Urteil vom 26. April 1974 in Sachen Flückiger, vgl. auch
BGE 102 V 76
). Obwohl mit einer operativen Geschlechtsumwandlung physische Änderungen vorgenommen werden, zielt dieser Eingriff ausschliesslich auf die Behandlung eines psychischen Leidens. Was die längerfristigen Erfolgsaussichten betrifft, finden sich indes in der einschlägigen Fachliteratur skeptische Stimmen (vgl. z.B. BLEULER, Lehrbuch der Psychiatrie, 12. Aufl., S. 570), weshalb das Eidgenössische Departement des Innern weder den Rahmen der Kompetenzdelegation nach
Art. 12 Abs. 5 KUVG
gesprengt noch von seiner Kompetenz willkürlichen Gebrauch gemacht hat, wenn es aus den in RSKV 1976, S. 217 f. dargelegten Gründen die operative Geschlechtsumwandlung von den Pflichtleistungen ausgenommen hat. Das Eidg. Versicherungsgericht hat deshalb keinen Anlass, die Verfügung als gesetzwidrig zu erklären und sie deswegen nicht anzuwenden.
4.
Die statutarische Leistungspflicht der Kasse geht im vorliegenden Fall nicht über das gesetzlich gebotene Mass hinaus, so dass auch aus dieser Sicht kein Anspruch auf Übernahme der Kosten der durchgeführten Geschlechtsumwandlungsoperation
BGE 105 V 180 S. 186
besteht (Art. 6 Ziff. 1 lit. b des Leistungsreglements).
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
37d98471-fdee-4fcb-9e2a-1bfe9026fc69 | Urteilskopf
95 II 411
58. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 23 mai 1969 dans la cause Faucherre contre Compagnie vaudoise d'électricité. | Regeste
Versorgerschaden (
Art. 45 Abs. 3 OR
). Anrechnung der erbrechtlichen Vorteile. Aussichten der Witwe auf Wiederverheiratung.
1. Wenn eine Frau ihren Ehemann verliert, so ist vom jährlichenBruttoschaden aus dem Verlust des Versorgers das Einkommen aus ihrem Anteil am Nachlass des Verstorbenen abzuziehen, soweit dieses Einkommen der Witwe erlaubt, unter Beibehaltung einer standesgemässen Lebensführung für ihren Unterhalt aufzukommen (Erw. 1).
2. Die Entschädigung für Versorgerschaden ist nach Massgabe der auf den Todestag des Ehemannes geschätzten Aussichten der Witwe auf Wiederverheiratung zu ermässigen (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 412
BGE 95 II 411 S. 412
Résumé des faits:
A.-
Henri Faucherre, né en 1920, associé de la société en nom collectif A. Faucherre et fils, entreprise de transports, à Moudon, a été victime d'un accident mortel le 3 décembre 1962 sur le chantier de la route cantonale no 601 Lausanne-Berne, déviation de Bressonnaz à Moudon. Il effectuait des transports de terre au remblai de cette nouvelle route. Alors qu'il avait fait une vingtaine de transports ce jour-là, il en fit un dernier vers 17 heures. Ayant déchargé son véhicule en marche arrière à l'extrémité du remblai, à environ 35 m de la ligne électrique à haute tension de la Compagnie vaudoise d'électricité (CVE), il roula en avant, le pont de son camion restant levé verticalement; il parcourut ainsi 35 m environ jusque sous la ligne à haute tension dont il accrocha le fil inférieur, sans s'en rendre compte, avec l'anneau métallique de la partie extrême supérieure du bouclier du pont levé; il s'arrêta dans cette position sous la ligne, son véhicule restant en contact avec celle-ci; il descendit de son camion en se tenant d'une main à la portière droite; au moment où il toucha le sol, il fut électrocuté.
B.-
Dame Yvonne Faucherre, veuve de la victime, a intenté à la CVE une action en dommages-intérêts pour perte de soutien.
BGE 95 II 411 S. 413
Par jugement du 23 avril 1968, la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois a admis la responsabilité de la CVE, en vertu des art. 27 et 34 LIE. Elle a alloué à la demanderesse une indemnité de 113 505 francs, fondée sur les art. 36 LIE et 45 al. 3 CO.
Selon la juridiction cantonale, même si dame Faucherre n'est pas privée de tout moyen de subsistance par le décès de son mari, elle peut prétendre au maintien d'un niveau de vie conforme à son état ou à sa condition antérieure. La qualité d'héritière de son mari défunt ne la prive pas en elle-même du droit à une indemnité pour perte de soutien. Mais il faut tenir compte équitablement de l'avantage financier que lui procure la succession.
Se fondant sur les indications données par l'expert qu'elle avait commis, la juridiction cantonale a arrêté le gain d'Henri Faucherre à 32 000 francs par an, y compris la part du défunt aux réserves latentes des sociétés en nom collectif A. Faucherre et fils et M. Faucherre et Cie (cf. art. 559 CO). Tenant compte non seulement des dépenses effectives d'Henri Faucherre, qui consacrait environ 12 000 francs par an à son ménage de quatre personnes, mais aussi de ses investissements dans les deux sociétés dont il était membre, la Cour civile vaudoise a estimé à 40% de ce montant, soit 12 800 francs par an, la perte de soutien résultant pour dame Faucherre du décès de son mari. De ce chiffre, les juges cantonaux ont déduit le revenu dont l'épouse jouit comme usufruitière de la moitié de la succession. La fortune grevée d'usufruit consiste dans la moitié de la valeur réelle des parts du défunt dans les sociétés susmentionnées, arrêtée sur le vu de l'expertise à 79 380 francs. Calculé au taux de 5%, qui correspond aux conditions actuelles du marché de l'argent, le revenu en question s'élève à 1984 francs 50 (79 380 francs:2 = 39 690 francs x 5% = 1984 francs 50). C'est donc le montant de 12 800 francs - 1984 francs 50 = 10 815 francs 50, arrondi à 10 800 francs, qui doit être capitalisé au jour du décès pour fixer le dommage au titre de perte de soutien. Selon les tables de STAUFFER ET SCHAETZLE (Barwerttafeln, 2e éd., 1958, p. 35, table no 4, âge du soutien 42 ans, âge de la personne privée de soutien 39 ans, coefficient 1557), la valeur capitalisée de la rente s'élève à 168 156 francs.
Tenant compte des chances de remariage de dame Faucherre, qui est bien de sa personne, dont le caractère est charmant et
BGE 95 II 411 S. 414
dont les enfants sont ou seront à bref délai indépendants, la juridiction cantonale a réduit le montant du dommage pour perte de soutien de 10%, taux indiqué par les tables de STAUFFER ET SCHAETZLE pour une veuve âgée de 39 ans (op. cit., p. 14), soit 168 156 francs - 16 816 francs = 151 340 francs.
Enfin, la cour cantonale a réduit l'indemnité de 25%, selon l'art. 44 al. 1 CO, en raison de la faute concurrente commise par la victime.
C.-
Dame Faucherre a interjeté un recours en réforme au Tribunal fédéral. Elle critiquait l'imputation des avantages successoraux sur le dommage résultant de la perte de soutien et la réduction de l'indemnité en raison de ses chances de remariage.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La cour cantonale a imputé sur le dommage résultant de la perte de soutien le revenu de la part de dame Faucherre dans la succession de son mari. La recourante critique cette imputation dans son principe et dans son étendue.
a) Dans l'arrêt Huber c. Tartaglia, du 22 février 1927 (RO 53 II 53 consid. 4), le Tribunal fédéral a jugé que la cour cantonale avait déduit avec raison de la somme de 1500 francs représentant le dommage annuel brut subi par la demanderesse à la suite du décès de son frère, qui était son soutien, l'intérêt de la part d'héritage qui lui était dévolue.
Sans faire allusion à cet arrêt Huber, le Tribunal fédéral a dit, dans l'arrêt Portenier c. Oberli, du 4 février 1936 (RO 62 II 58 no 17): "Conformément à la jurisprudence ... (arrêts non publiés Rossini c. dame Rouph-Masson, du 8 juillet 1931 et Seiler c. Haberer-Authenried, du 27 juin 1927), le droit à la réparation du dommage causé par la perte de soutien est indépendant des avantages successoraux que cette perte peut avoir procurés au lésé. Il n'y a pas de motif de modifier cette jurisprudence. Que si, en effet, il est contraire au sentiment du droit de faire bénéficier le responsable de la prévoyance du défunt qui a contracté une assurance (art. 96 LCA) et payé des primes, il est tout à fait aussi injuste de le faire bénéficier de la prévoyance du défunt qui a mis de l'argent de côté. Une exception ne se justifierait guère que dans le cas où le défunt subvenait aux besoins du demandeur au moyen précisément des capitaux dont celui-ci a hérité...".
BGE 95 II 411 S. 415
La jurisprudence de l'arrêt Portenier a été modifiée par deux décisions ultérieures.
Dans l'arrêt La Zurich c. Caisse nationale, du 22 novembre 1938 (RO 64 II 424), le Tribunal fédéral a jugé: Contrairement à l'opinion exprimée dans l'arrêt publié au RO 62 II 58 et les décisions qui y sont citées, le besoin d'être soutenu n'existe pas dans la mesure où la mort du soutien a mis la personne qu'il soutenait, par suite de l'héritage dont elle bénéficie, en jouissance d'une fortune dont elle peut utiliser les revenus pour subvenir à son entretien (v. TUHR, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, tome I, p. 344; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 14 à l'art. 45 CO; STREBEL, n. 39 à l'art. 41 LA; RO 53 II 53, 59 II 364; arrêt du 18 mai 1938, en la cause Ehrlich c. Grand Hôtel et Kurhaus Seelisberg AG, consid. 4, non publié au RO 64 II 198, mais traduit au JdT 1939 I 56 s.). Le produit de la fortune héritée, ainsi que les autres revenus de la personne soutenue, ne doivent cependant pas être purement et simplement déduits du dommage total résultant de la perte de soutien, dans le sens d'une imputation d'avantages; cette déduction doit se faire selon une appréciation équitable, en tenant compte de la possibilité d'une diminution des revenus.
Dans l'arrêt Grob. c. Osterwalder, du 7 décembre 1938 (RO 64 II 429), le Tribunal fédéral a dit de même: Contrairement à l'opinion exprimée dans l'arrêt publié au RO 62 II 58 et dans les arrêts qui y sont cités, il faut tenir compte équitablement des revenus de la fortune qui échoit par héritage à la personne que le décès prive de son soutien, mais en prenant en considération le fait que la personne en question a droit au maintien de son train de vie.
La règle selon laquelle il faut tenir compte de l'héritage dont bénéficie la personne que le décès prive de son soutien, dans la mesure où cet héritage lui permet de subvenir à ses besoins, se retrouve dans l'arrêt Richter-Steinert et consorts c. Lienhard-Meier et consorts, du 25 novembre 1948 (RO 74 II 210).
b) La jurisprudence des arrêts Huber, La Zurich, Grob et Richter-Steinert a suscité des réserves, voire des critiques (cf. THILO, JdT 1939 I 114 s., 1958 I 252 s.). En particulier, le professeur OFTINGER (Schweizerisches Haftpflichtrecht, 2e éd., Zurich 1958, tome I, p. 221) objecte que l'avantage résultant de la succession anticipée sera le plus souvent largement compensé par l'inconvénient dû au fait que le décès a empêché le défunt d'accroître sa fortune. Mais il admet (op. cit., pp. 162
BGE 95 II 411 S. 416
et 211) que si la fortune échue par succession à la personne privée de son soutien par suite du décès est suffisamment grande, cette personne n'aura plus besoin d'un soutien et ne saurait dès lors réclamer une indemnité pour perte de soutien.
La question doit être résolue conformément au principe suivant lequel celui qui est responsable du fait dommageable doit réparer le dommage concret qui résulte de la perte de soutien (cf. RO 89 II 399, consid. 2). Or la personne qui, avant le décès, était assistée par le défunt peut prétendre au maintien d'un genre de vie conforme à son état (RO 59 II 463; cf. aussi RO 64 II 424). Elle ne saurait réclamer davantage. Dans la mesure où les revenus de la fortune qu'elle hérite lui permettent de subvenir en tout ou en partie à son entretien, soit de maintenir un train de vie conforme à son état, elle n'a pas besoin d'un soutien, et partant ne subit aucun dommage résultant de la perte de soutien. Cette opinion est partagée, parfois avec quelques nuances, par la majorité des auteurs (OSER/SCHÖNENBERGER, n. 14 à l'art. 45 CO; BECKER, n. 10 à l'art. 45 CO; v. TUHR, op.cit., p. 344 ou v. TUHR/SIEGWART, p. 371; HANS MOSER, Der Versorgerschaden, thèse Berne 1939, p. 53 s.; PIERRE MAYR, L'indemnisation de la perte de soutien, thèse Lausanne 1941, p.58 ss.; HANS MARTI, Der Versorgerschaden, 1942, p. 57 ss.; KONRAD FEHR, Der Versorgerschaden, 1942, p. 97 ss.).
On ne saurait objecter qu'il est injuste et choquant que le responsable puisse tirer profit du fait que le défunt laisse un héritage à la personne soutenue. Le responsable n'est en effet obligé de réparer que le dommage concret résultant de la perte de soutien. Ses obligations ne vont pas au-delà. Or, dans la mesure où les revenus de l'héritage couvrent les frais d'entretien de la personne soutenue, celle-ci ne subit aucun dommage.
Certes, en matière d'assurance de personnes, le lésé peut exercer cumulativement ses actions contre l'auteur du dommage et contre l'assureur (cf. RO 83 II 443 et les arrêts cités, 94 II 186 ss., consid. 8 litt. b). Et les indemnités d'assurance payées aux survivants en vertu de contrats d'assurances sur la vie ou contre les accidents ne sont pas imputées sur le dommage en cas de perte de soutien (RO 64 II 424). Mais cette jurisprudence est fondée sur la disposition spéciale de l'art. 96 LCA, selon laquelle, dans l'assurance des personnes, les prétentions que l'ayant droit aurait contre des tiers en raison du sinistre ne passent pas
BGE 95 II 411 S. 417
à l'assureur. Et la jurisprudence qui refuse d'imputer sur le dommage les prestations des caisses de pensions publiques ou des caisses de prévoyance privées (cf. RO 64 II 429 s., 83 II 444) repose sur des considérations analogues. On ne peut donc tirer de la solution adoptée en matière d'assurances de personnes et de caisses de pension aucun argument contre la règle posée par la jurisprudence au sujet des revenus de la fortune héritée par la personne soutenue ensuite du décès du soutien, jurisprudence qui doit être confirmée.
c) C'est dès lors avec raison que la cour cantonale a tenu compte, dans la détermination du dommage résultant de la perte de soutien, des revenus dont la recourante jouit comme usufruitière de la moitié de la succession de son mari. Quant à la mesure de cet avantage, elle doit être fixée en considération du droit que la jurisprudence reconnaît à la personne soutenue de maintenir un train de vie conforme à son état (cf. RO 64 II 429).
En l'espèce, la juridiction vaudoise relève que, selon l'expert, Henri Faucherre ne consacrait que 12 000 francs par an environ à l'entretien de son ménage de quatre personnes; tenant compte du fait qu'il investissait son argent dans les sociétés à la direction desquelles il participait et que la recourante pouvait légitimement espérer profiter de l'enrichissement qui allait en résulter dans la mesure normale, c'est-à-dire dans une proportion de 40%, la cour cantonale admet que le défuntjouissait d'un revenu de 32 000 francs par an et fixe dès lors à 12 800 francs la perte de soutien subie annuellement par dame Faucherre à la suite du décès de son mari. La juridiction cantonale a calculé ainsi largement le dommage résultant de la perte de soutien. Elle était dès lors fondée à déduire du montant de 12 800 francs, qu'elle avait fixé d'une manière généreuse, la totalité des revenus produits par l'héritage échu à la recourante, soit 2000 francs en chiffre rond, et à admettre que celle-ci pouvait maintenir un train de vie conforme à son état au moyen desdits revenus et de l'indemnité pour perte de soutien constituée par la capitalisation, au taux usuel de 3 1/2%, d'une rente annuelle de 10 800 francs.
La recourante tient cependant pour illogique d'imputer sur le dommage résultant de la perte de soutien l'intérêt à 5% l'an de tout le capital hérité. Rien ne permet de supposer, affirme-telle, qu'elle continuera à percevoir, sa vie durant, un intérêt de 5%, ni que le capital subsistera intégralement. Elle estime que
BGE 95 II 411 S. 418
l'avantage effectif et concret est d'ailleurs insignifiant, surtout si l'on tient compte des impôts.
Le taux de 5% appliqué par la cour cantonale correspond aux conditions actuelles du marché de l'argent. Dame Faucherre n'a pas prétendu qu'elle toucherait un intérêt inférieur sur les parts de son mari dans les sociétés A. Faucherre et fils et M. Faucherre et Cie. Du reste, ce taux de 5% avait été proposé par le Conseil des Etats pour l'intérêt de la part des associés en nom collectif (Bull. stén. CE 1931 p. 154). Il est vrai que le législateur s'en est finalement tenu au taux de 4% (art. 558 al. 2 CO). Mais il a réservé l'autonomie de la volonté: le contrat peut en disposer autrement (loc. cit.).
2.
La recourante critique en second lieu le jugement cantonal en tant qu'il opère une déduction de 10% sur le montant capitalisé de la perte de soutien pour tenir compte de ses chances de remariage. Elle relève que, durant les six ans qui se sont écoulés entre le décès de son mari et le jugement cantonal, elle ne s'est pas mariée. A son avis, le tribunal devrait tenir compte de ce fait concret.
a) Contrairement à l'opinion de la recourante, il faut se placer au moment déterminant pour le calcul du dommage résultant de la perte de soutien, soit au jour du décès du soutien (RO 84 II 302, 90 II 84), pour évaluer la déduction à opérer, le cas échéant, en raison de la possibilité qu'a la personne soutenue de se remarier. Il serait contradictoire de partir du jour du décès pour le calcul de l'indemnité due en raison de la perte de soutien et du jour du jugement pour apprécier les chances de remariage de la personne assistée; il peut en effet s'écouler des années, comme enl'espèce, entre ces deux moments. La détermination de tous les facteurs qui entrent en ligne de compte pour fixer l'indemnité pour perte de soutien doit se faire au même moment, sous peine d'opérer avec des éléments d'évaluation qui ne concordent pas.
b) La réduction de l'indemnité pour perte de soutien à l'effet de tenir compte d'un remariage éventuel doit se fonder sur la possibilité réelle de convoler; elle se justifie au surplus dans la mesure seulement où le nouveau mariage améliorerait sensiblement la situation de la veuve. L'appréciation de la possibilité d'un remariage dépend surtout des circonstances particulières, notamment l'âge, le caractère, la condition sociale, le milieu local, les attaches familiales, la santé, l'attrait physique et la
BGE 95 II 411 S. 419
situation économique de la femme en cause, et de sa volonté de se remarier. Les éléments à considérer sont constatés par le juge du fait. Saisi d'un recours en réforme, le Tribunal fédéral ne modifie la décision attaquée que si elle repose sur des prémisses erronées ou si elle apparaît contraire à l'expérience de la vie (RO 91 II 224, 89 II 399 s., consid. 2).
La cour cantonale a pris en considération le fait que dame Faucherre est bien de sa personne, que son caractère est charmant, que ses enfants sont ou vont être à bref délai indépendants et que sa situation financière est bonne. Elle a estimé d'autre part qu'il n'y avait pas de raison de s'écarter du taux de 10% proposé pour une veuve de 39 ans par les tables de STAUFFER ET SCHAETZLE (Barwerttafeln, 2e éd., 1958, p. 14), qui sont fondées sur les statistiques de la Caisse nationale; ce taux, dit-elle, est relativement bas du fait que les femmes sur lesquelles portent ces statistiques hésitent à se remarier parce que, dans cette éventualité, leur droit à la rente s'éteint. Par là, la cour cantonale n'est nullement partie de prémisses erronées ni n'a méconnu l'expérience de la vie. Son jugement ne viole dès lors pas le droit fédéral, savoir les art. 27 et 36 LIE, ni l'art. 45 CO. | public_law | nan | fr | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
37da0c9b-ecb9-49bb-8df4-c8a592927870 | Urteilskopf
111 Ib 242
47. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. November 1985 i.S. X. und Mitbeteiligte gegen den zuständigen Gerichtspräsidenten des Kantons Y. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Begriff des Abgabebetruges; vorläufige Massnahmen.
Art. 3 Abs. 3 IRSG
: Der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff des Abgabebetruges deckt sich mit demjenigen, der in
Art. 14 VStrR
umschrieben ist. Für die Auslegung von
Art. 3 Abs. 3 IRSG
und
Art. 14 VStrR
ist die Umschreibung des Betrugsbegriffs in
Art. 148 StGB
und die dazu bestehende bundesgerichtliche Rechtsprechung massgebend (E. 4 und 5).
Art. 3 Abs. 3 letzter Satz IRSG: Liegen die Voraussetzungen eines Abgabebetruges vor, so kann es nicht mehr dem Ermessen der schweizerischen Behörden überlassen sein, ob Rechtshilfe zu gewähren sei oder nicht (E. 4c).
Art. 28 IRSG
: Von den ersuchenden Behörden wird nicht ein strikter Beweis des Gegenstand des Ersuchens bildenden Tatbestandes verlangt, doch haben sie hinreichende Verdachtsmomente für das Vorliegen der behaupteten Straftat, hier eines Abgabebetruges, darzulegen, damit ihrem Gesuch entsprochen werden kann (E. 5).
Zurückbehaltung beschlagnahmter Akten. Wird ein Rechtshilfegesuch abgewiesen, sind aber die Verhältnisse wenig klar und erscheint ein neues, verbessertes Begehren als nicht unwahrscheinlich, so kann in Analogie zu einer vorläufigen Massnahme (
Art. 45 IRSG
) angeordnet werden, dass die beschlagnahmten Akten erst nach einer bestimmten Frist zurückzugeben sind (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 243
BGE 111 Ib 242 S. 243
Am 21. November 1983 ersuchte der leitende Oberstaatsanwalt des deutschen Bundeslandes Rheinland-Pfalz in Koblenz das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) um Rechtshilfe in einem Fall betreffend Steuerhinterziehung, wobei er geltend machte, nach schweizerischem Recht wäre die Verfehlung als Steuerbetrug zu qualifizieren. Der Sachverhalt wird wie folgt dargestellt:
Frau A. und ihre Tochter B. seien alleinige Gesellschafter der Firma C. GmbH, die druckhydraulische Kippvorrichtungen für Maschinen der Abfallbeseitigung herstelle. Geschäftsführerin sei Frau D. Die drei genannten Personen seien verdächtig, für die Jahre 1970-1978 falsche Körperschaftssteuer-, Gewerbesteuer- und Einkommenssteuererklärungen abgegeben zu haben, indem die Gewinne aus dem Geschäftsbetrieb um insgesamt rund 3,7 Millionen DM zu niedrig angegeben worden seien. Dadurch seien die drei genannten Steuern um insgesamt zwei Millionen DM
BGE 111 Ib 242 S. 244
zu tief festgesetzt worden. Dies sei ermöglicht worden durch inhaltlich falsche Rechnungen der Firma X. mit Sitz in der Schweiz. Diese Firma habe Rechnungen über von ihr nicht getätigte Maschinenteile-Lieferungen erstellt, die in den Geschäftsbüchern der C. GmbH als Betriebsausgaben gebucht worden seien. Die Firma C. GmbH lasse seit 1969 bis heute Teile für ihre Produktion durch die Firma E. in Spanien fertigen. Diese Teile seien unmittelbar von der Lieferfirma an die Firma C. GmbH versandt worden. Die Rechnungen für diese Lieferungen habe aber von 1970 bis August 1978 die Firma X. ausgestellt, und an sie sei auch der Lieferpreis bezahlt worden. Insgesamt habe die Firma X. 75 falsche Rechnungen im Gesamtwert von rund 7,4 Millionen DM erstellt. Ab 1979 habe die Firma E. in Spanien ihre Rechnungen selbst erstellt und auch die Lieferpreise direkt erhalten. Ein Preisvergleich zeige, dass die von der Firma E. in Rechnung gestellten Preise mindestens rund 50 von Hundert unter den Preisen der Firma X. lägen, wodurch Betriebsausgaben von rund 3,7 Millionen DM fingiert worden seien. Da die Firma X. als Domizilgesellschaft keinen eigenen Geschäftsbetrieb unterhalte, somit am wirtschaftlichen Verkehr nicht teilnehme, könne sie die von ihr in Rechnung gestellten Lieferungen auch nicht ausgeführt haben. Aus diesen Umständen folge der dringende Verdacht, dass die angeführten Rechnungen inhaltlich falsch seien und somit Gefälligkeitsrechnungen darstellten. Nach schweizerischem Recht dürfte es sich um einen Abgabebetrug im Sinne von Art. 3 Abs. 3 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG) handeln. Die Verantwortlichen der Firma X. seien demnach verdächtig, Gefälligkeitsrechnungen zum Zweck der Steuerhinterziehung in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt zu haben, und zwar auf Anstiftung der eingangs genannten Verantwortlichen der Firma C. GmbH.
Gestützt auf diese Darstellung des Sachverhaltes ersuchte die Staatsanwaltschaft Koblenz um eine Durchsuchung der Geschäftsräume der Firma X. in der Schweiz und um Beschlagnahme und Herausgabe aller dabei vorgefundenen Beweismittel über die Geschäftsbeziehungen der genannten Firma mit der C. GmbH. Ferner seien die verantwortlichen Personen der Firma X., namentlich der Verwaltungsrat V., als Zeugen zu vernehmen.
Nach Vorprüfung des Ersuchens im Sinne von
Art. 78 IRSG
leitete das BAP das Gesuch an das Verhöramt des zuständigen Kantons weiter. Dieses erliess am 19. Dezember 1983 zwei Verfügungen,
BGE 111 Ib 242 S. 245
mit denen einerseits die Durchsuchung der Geschäftsräume der Firma X. und die Beschlagnahme der Unterlagen über die Geschäftsverbindung zwischen dieser Firma und der C. GmbH und anderseits die Vernehmung des Verwaltungsrates V. der genannten schweizerischen Firma als Zeuge angeordnet wurde. Am 4. Januar 1984 wurde auf ein entsprechendes deutsches Gesuch hin zusätzlich auch die Befragung des früheren Verwaltungsrates W. der Firma X. als Zeuge verfügt. Dem zuständigen deutschen Staatsanwalt, den Beschuldigten und ihrem Verteidiger wurde die Teilnahme an der Zeugenbefragung bewilligt.
Gegen die Verfügungen des Verhöramtes vom 19. Dezember 1983/4. Januar 1984 führten die Firma X. sowie V. und W. Verwaltungsbeschwerde bzw. Rekurs. Mit Entscheid vom 12. April 1985 wies der zuständige kantonale Gerichtspräsident sowohl Rekurs als auch Verwaltungsbeschwerde ab; er bezeichnete die Verfügungen des Verhöramtes, mit welchen den Rechtshilfegesuchen der Staatsanwaltschaft Koblenz entsprochen wurde, sowie die in diesem Zusammenhang erlassene Beschlagnahmeverfügung des Verhöramtes als rechtmässig, und er gestattete den Untersuchungsorganen, die gemäss dieser Verfügung beschlagnahmten und versiegelten Akten der Firma X. zu durchsuchen.
Die Firma X. sowie V. und W. erhoben am 29. Juli 1985 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragen, die Verfügungen des Verhöramtes vom 19. Dezember 1983/4. Januar 1984 seien aufzuheben und die Rechtshilfegesuche der Staatsanwaltschaft Koblenz abzuweisen, und die beschlagnahmten Akten seien vollständig und unbeschwert der Firma X. zurückzugeben; eventuell sei die Beschwerde gutzuheissen und die Sache zur Neuentscheidung an den Gerichtspräsidenten zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
a) In früheren Jahrzehnten lehnte die Schweiz die Gewährung von Rechtshilfe für Fiskaldelikte grundsätzlich ab, ebenso wie diejenigen für politische und militärische Delikte. Das EÜR, dem die Schweiz mit Wirkung ab 20. März 1967 beigetreten ist, schliesst Rechtshilfe für derartige Tatbestände an sich nicht aus, lässt aber für einschränkende Auffassungen einzelner Mitgliedstaaten Raum. Art. 2 Abs. 1 lit. a lautet:
BGE 111 Ib 242 S. 246
"Die Rechtshilfe kann verweigert werden:
a. wenn sich das Ersuchen auf strafbare Handlungen bezieht, die vom ersuchten Staat als politische, als mit solchen zusammenhängende oder als fiskalische strafbare Handlungen angesehen werden."
Die eine Rechtshilfe auf fiskalischem Gebiet rundweg ausschliessende Haltung der Schweiz konnte indessen mit Rücksicht auf die Überhandnahme der internationalen Kriminalität und auf die Entwicklung in den übrigen Staaten mit einem dem schweizerischen einigermassen vergleichbaren Rechtssystem nicht uneingeschränkt aufrechterhalten werden. So lässt der Staatsvertrag zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (RVUS) Rechtshilfe in Fiskalsachen ausnahmsweise dann zu, wenn es sich um den Kampf gegen das organisierte Verbrechertum handelt (
Art. 7 Ziff. 1 RVUS
). In
Art. 3 Abs. 3 IRSG
wurde sodann die Frage wie folgt geregelt:
"Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahmen verletzt. Jedoch kann einem Ersuchen um Rechtshilfe nach dem dritten Teil des Gesetzes entsprochen werden, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Abgabebetrug ist."
Die Bestimmung wurde erst nach langen Diskussionen im National- und Ständerat sowie nach einem Differenzenbereinigungsverfahren in dieser Form genehmigt, wobei in beiden Räten starke Minderheiten entweder die Rechtshilfe in Fiskalfällen weiterhin völlig ausschliessen oder aber sie auch bei Abgabebetrug nur ausnahmsweise, bei Verletzung wichtiger Landesinteressen, gewähren wollten (vgl. Amtl.Bull. SR 1977 S. 612 ff. und 1980, S. 209 ff.; NR 1979 S. 647 ff. und 1980 S. 1339). Aus dem Wortlaut der neuen Bestimmung sowie aus den parlamentarischen Beratungen geht eindeutig hervor, dass eine Auslieferung wegen Abgabebetruges ausgeschlossen werden sollte, weshalb ausdrücklich auf den dritten Teil des IRSG - andere Rechtshilfe - verwiesen wurde. Was den Begriff des Abgabebetruges betrifft, so sollte dieser demjenigen von
Art. 14 VStrR
entsprechen; im übrigen wurde auf die bestehende Rechtsprechung des Bundesgerichtes zum Betrugstatbestand verwiesen.
Zu bemerken ist ferner, dass der Bundesrat mit seiner Botschaft vom 31. August 1983 den Eidgenössischen Räten die Genehmigung von vier Zusatzprotokollen des Europarates auf dem Gebiet der Auslieferung, der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen
BGE 111 Ib 242 S. 247
und betreffend Auskünfte über ausländisches Recht zur Genehmigung unterbreitete (BBl 1983 IV S. 121 ff.). Das Zusatzprotokoll Nr. 99 sieht in Art. 1 vor, die Rechtshilfe dürfe nicht allein aus dem Grunde verweigert werden, weil das Ersuchen eine strafbare Handlung betreffe, welche die ersuchte Vertragspartei als eine fiskalische Handlung ansehe. Die Genehmigung dieses Teiles des Zusatzprotokolls Nr. 99 wurde jedoch vom Nationalrat wie auch vom Ständerat entgegen den Anträgen des Bundesrates abgelehnt (Amtl.Bull. NR 1984 I S. 591 ff.; SR 1985 S. 500 ff.). Aus dem Protokoll der Beratungen der Eidgenössischen Räte geht hervor, dass deren Mehrheit eine Ausdehnung der Rechtshilfe in Fiskalsachen trotz der entsprechenden Entwicklung in verschiedenen Nachbarstaaten der Schweiz nicht wünschte. Im übrigen betonten mehrere Votanten, es sei nun Sache des Bundesgerichtes, den Begriff des Abgabebetruges - für den nach dem Gesagten die Rechtshilfe zulässig ist - durch seine Praxis zu umschreiben (Nationalrat: Kommissionspräsident Widmer, Amtl.Bull. 1984 S. 592, Nationalräte Pini, S. 594, Braunschweig, S. 596, Eggly, S. 597, Leo Weber, S. 598, und Schmid, S. 600; Ständeräte Meylan, Amtl.Bull. 1985 S. 502, und Masoni, S. 503).
b) Aus der vorstehend zitierten parlamentarischen Beratung und aus der Literatur ergibt sich, dass sich der in
Art. 3 Abs. 3 IRSG
enthaltene Begriff des "Abgabebetruges" mit demjenigen deckt, der in
Art. 14 VStrR
umschrieben ist (vgl. dazu PAOLO BERNASCONI, Das Schweizer Bankgeheimnis und das neue Rechtshilfegesetz in Strafsachen, in: Der Schweizer Treuhänder 1983, S. 13/14; LIONEL FREI, Zwei Jahre Rechtshilfe bei Abgabebetrug, in: Steuer-Revue 1985, Heft 4, S. 191; HANS SCHULTZ, Bankgeheimnis und internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Bankverein-Heft Nr. 22 S. 26; FERDINAND ZUPPINGER, Internationale Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, in: Archiv für schweizerisches Abgaberecht, Band 50, S. 27). Es wurde auch nie bestritten, dass für die Auslegung von
Art. 3 Abs. 3 IRSG
ebenso wie für diejenige von
Art. 14 VStrR
die Umschreibung des Betrugsbegriffs in
Art. 148 StGB
und die dazu bestehende bundesgerichtliche Rechtsprechung massgebend ist. Der Kassationshof des Bundesgerichts hat als Steuerbetrug entsprechend der steuerrechtlichen Lehre ein Verhalten des Steuerpflichtigen bezeichnet, der die Steuerbehörden aufgrund von falschen, gefälschten oder inhaltlich unwahren Urkunden über die für die Quantifizierung des Steueranspruchs erheblichen Tatsachen täuscht, um auf diese Weise eine
BGE 111 Ib 242 S. 248
unrichtige, für ihn günstige Einschätzung zu erreichen (
BGE 110 IV 28
mit Hinweis). Dieser Entscheid, der sich nicht auf Rechtshilfeverfahren bezog, ist in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre dahin zu ergänzen, dass der Steuerbetrug nicht notwendigerweise die Verwendung falscher oder gefälschter Urkunden voraussetzt, sondern dass auch andere Fälle arglistiger Täuschung der Steuerbehörden denkbar sind, z.B. durch ein für diese Behörden nicht durchschaubares Zusammenwirken des Steuerpflichtigen mit Dritten (BERNASCONI, a.a.O. S. 14; SCHULTZ, a.a.O. S. 26; ZUPPINGER, a.a.O. S. 27). Jedenfalls aber sind besondere Machenschaften, Kniffe oder ein ganzes Lügengebäude Voraussetzung dafür, dass arglistige Täuschung anzunehmen ist. Unter bestimmten Umständen kann allerdings auch blosses Schweigen arglistig sein, dann nämlich, wenn der Täuschende den Getäuschten von einer möglichen Überprüfung abhält oder voraussieht, dass dieser mit Rücksicht auf ein besonderes Vertrauensverhältnis von einer Überprüfung absehen wird (
BGE 107 IV 170
ff.; ferner
BGE 108 Ib 298
und
BGE 110 IV 23
).
c) Liegen die genannten Voraussetzungen eines Steuerbetruges vor, so kann es nicht mehr dem Ermessen der schweizerischen Behörden überlassen sein, ob Rechtshilfe zu gewähren sei oder nicht. Der in Art. 3 Abs. 3 letzter Satz IRSG enthaltene Ausdruck "kann" ist nicht in diesem Sinne auszulegen, da sonst eine der Willkür nahekommende Rechtsunsicherheit die Folge wäre. Dies ist denn auch die Praxis des BAP (vgl. "Wegleitung" dieses Amtes vom 15. Oktober 1982, S. 15). Ihre Richtigkeit wurde auch anlässlich der letzten, vorstehend erwähnten parlamentarischen Beratung der Zusatzprotokolle praktisch nicht bestritten (Voten von Bundesrat Friedrich, Amtl.Bull. NR 1984 S. 602, sowie der Nationalräte Sager, a.a.O. S. 595, und Braunschweig, a.a.O. S. 596; kritisch, jedoch hinsichtlich der Auslegung des geltenden Rechts nicht ablehnend Ständerat Masoni, Amtl.Bull. SR 1985, S. 503).
5.
a) Von der vorstehend dargelegten Rechtslage ausgehend ist zu prüfen, ob Gegenstand des Rechtshilfebegehrens der BRD ein Abgabebetrug (und nicht eine zwar sowohl nach deutschem als nach schweizerischem Recht ebenfalls strafbare, jedoch nicht zu Rechtshilfe berechtigende Steuerhinterziehung oder gar eine blosse Steuervermeidung) darstelle. Das sorgfältig begründete Urteil des zuständigen kantonalen Gerichtspräsidenten gelangt dazu, die Frage, ob die Behörden der BRD einen Abgabebetrug hinlänglich geltend gemacht hätten, zu bejahen. Die Auffassung des
BGE 111 Ib 242 S. 249
Landgerichtspräsidiums bedarf indessen einer Überprüfung im Lichte neuer Tatsachen, nämlich der einer ausdehnenden Interpretation des Begriffs des Abgabebetruges kritisch gegenüberstehenden Auffassung der Mehrheit des eidgenössischen Parlamentes, wie sie bei der erwähnten Debatte über das Zusatzprotokoll Nr. 99 zutage getreten ist, und einzelner in jüngster Zeit bekannt gewordener Entscheide des BAP.
b) Im Rechtshilfe-Ersuchen der Staatsanwaltschaft Koblenz vom 21. November 1983 wird der C. GmbH zusammenfassend zur Last gelegt, sie habe zwischen 1970 und 1978 von der spanischen Firma E. Bestandteile für ihre Erzeugnisse bezogen, für die aber die Rechnungen von der Firma X. ausgestellt worden seien; auch der Preis für diese Bestandteile sei an die Firma X. bezahlt worden. Später habe die Firma E. ihre Rechnungen direkt an die C. GmbH gestellt, wobei die Preise nur noch etwa halb so hoch gewesen seien. Da es sich zudem bei der Firma X. um eine Domizilgesellschaft ohne eigenen Geschäftsbetrieb handle, könne sie auch die Lieferungen zwischen 1970 und 1978 nicht getätigt haben. Hieraus ergebe sich der dringende Verdacht, dass ihre Rechnungen inhaltlich falsch seien und blosse Gefälligkeitsrechnungen darstellten, dazu bestimmt, die buchmässigen Ausgaben der C. GmbH zu erhöhen und demgemäss ihre für die Steuerveranlagung massgebenden Gewinne zu reduzieren.
Wenn die Firma X. der C. GmbH vereinbarungsgemäss für Fabrikate einer Drittfirma wesentlich überhöhte Rechnungen gestellt haben sollte, so läge darin zweifellos ein Steuerbetrug im Sinne des schweizerischen Rechtes, falls die Differenz zwischen dem Fakturabetrag und dem wahren Handelswert in der Folge in der einen oder anderen Form an die C. GmbH zurückgeflossen sein sollte. Es würde sich dann um eine künstliche Verminderung des Geschäftsgewinnes der C. GmbH zum Nachteil des deutschen Fiskus handeln, die unter Verwendung inhaltlich falscher Rechnungen herbeigeführt worden wäre und somit klarerweise als arglistig erschiene. Allein dieser Sachverhalt lässt sich dem Rechtshilfe-Ersuchen nicht entnehmen. Es fehlt das Bindeglied zwischen den auch nach der Darstellung der deutschen Behörden effektiv an die Firma X. bezahlten, über dem wirklichen Marktwert liegenden Warenpreisen und dem Gewinn der C. GmbH. Das Zahlen überhöhter Rechnungen ist an sich kein Steuerbetrug, sofern sich der Firmengewinn tatsächlich entsprechend reduziert. Auch ist nicht ersichtlich, weshalb eine deutsche Firma spanische Erzeugnisse
BGE 111 Ib 242 S. 250
nicht von einer schweizerischen Firma sollte erwerben dürfen, selbst wenn diese nicht über Geschäftslokale verfügt und die Ware unmittelbar vom Fabrikanten an den deutschen Abnehmer liefern lässt. Werden lediglich die genannten, im Rechtshilfe-Ersuchen enthaltenen Tatsachen berücksichtigt (und eine Ergänzung von Amtes wegen ist, wie bereits erwähnt, nicht zulässig), so kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die C. GmbH entweder in den Jahren 1970 bis 1978 tatsächlich sehr ungünstig eingekauft oder dass sie durch die überhöhten Zahlungen an die Firma X. andere Verpflichtungen abgedeckt hat. Damit reichen diese im Gesuch enthaltenen Tatsachen nicht aus, um darzutun, dass das Verhalten der Organe der C. GmbH, wenn es sich in der Schweiz abgespielt hätte, als Steuerbetrug zu qualifizieren gewesen wäre. Es fehlt das entscheidende Merkmal des unmittelbaren oder mittelbaren Kapitalrückflusses.
c) In der vorstehend zitierten neuesten Arbeit von LIONEL FREI über Rechtshilfe bei Abgabebetrug werden zwei Fälle dargestellt, die sich mit dem vorliegenden weitgehend vergleichen lassen. In beiden Fällen wurde die Rechtshilfe vom BAP verweigert, weil es sich um Fälle blosser Steuerumgehung gehandelt habe (vgl. LIONEL FREI, in: Steuer-Revue 1985, Heft 4, S. 189/190). In der Vernehmlassung des BAP wird allerdings hierzu bemerkt, im vorliegenden Falle hätten die Rechnungen der Firma X. zu Unrecht festgehalten, dass diese Firma - und nicht die Firma E. - die Maschinenteile geliefert habe. Indessen geht es nicht an, hierin einen entscheidenden Unterschied zu sehen. Es erscheint als selbstverständlich, dass diejenige Firma, welche als Verkäuferin auftritt und Rechnung stellt, die Ware als von ihr geliefert bezeichnet, selbst wenn sie diese anderswo bezieht und sie direkt an die Verbraucherfirma liefern lässt, so dass sie blosse Zwischenhändlerin ist. Inhaltlich unwahre und damit zur Erfüllung des Tatbestandes des Steuerbetruges geeignete Urkunden würden die Rechnungen nur darstellen, wenn sie bloss pro forma gestellt worden wären, d.h. wenn die Zahlungen ganz oder zu einem wesentlichen Teil von der C. GmbH direkt an die spanische Firma E. geleistet worden oder an die C. GmbH zurückgeflossen wären. Dies trifft indessen nach dem Rechtshilfe-Ersuchen nicht zu. Vielmehr wird dort ausdrücklich bemerkt, der in Rechnung gestellte Lieferpreis sei tatsächlich auch an die Firma X. bezahlt worden. Die Rechnungen erscheinen somit nicht als inhaltlich falsch. Bei dieser Sachlage reicht das Ersuchen nicht aus, um einen Abgabebetrug im Sinne des schweizerischen
BGE 111 Ib 242 S. 251
Rechtes darzutun. Dabei wird von den deutschen Behörden nicht ein strikter Beweis dieses Tatbestandes verlangt, doch müssten sie hinreichende Verdachtsmomente für das Vorliegen eines Steuerbetruges darlegen, damit ihrem Gesuch entsprochen werden könnte.
6.
Die Beschwerdeführerin beantragt nicht nur, es sei dem Rechtshilfe-Ersuchen keine Folge zu geben, sondern sie verlangt zusätzlich, dass die Beschlagnahmeverfügung des Verhöramtes des Kantons Y. aufgehoben werde und ihr "sämtliche beschlagnahmten Akten vollständig und unbeschwert zurückzugeben" seien. Indessen folgt die Berechtigung dieses Begehrens keineswegs automatisch aus der Tatsache, dass dem Rechtshilfebegehren, so, wie es abgefasst ist, nicht entsprochen werden kann. Urteilen, mit denen einem Rechtshilfebegehren nicht stattgegeben wird, kommt nur in sehr eingeschränktem Masse materielle Rechtskraft zu. Das Gesuch kann vielmehr erneuert werden, wenn zu denjenigen Tatsachen, die im Urteil behandelt worden sind, weitere Umstände von einer gewissen Bedeutung hinzutreten (
BGE 110 Ib 179
E. 4c;
BGE 109 Ib 157
E. 1b, 161/162 E. 2b mit Hinweisen). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten, obschon die in
BGE 109 Ib 157
gewählte Formulierung wohl etwas zu weit geht. Im vorliegenden Fall fällt auf, dass die Beschwerdeführer sich ausschliesslich auf Bestreitungen beschränkt haben, und zwar vorwiegend auf solche formeller Art. Sie haben es unterlassen, die rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Firma X. und der C. GmbH aus ihrer Sicht in grossen Zügen darzulegen, wie dies - namentlich gegenüber den schweizerischen Behörden - ohne erkennbares Risiko möglich gewesen wäre, wenn, wie in allgemeiner Form geltend gemacht wird, keine unlauteren Geschäftsvorgänge gegeben sind. Bei dieser Sachlage ist es keineswegs ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft Koblenz in der Lage ist, in einem neuen Rechtshilfe-Ersuchen eine ergänzte Tatbestandsdarstellung zu geben. Mit dieser Möglichkeit ist um so mehr zu rechnen, als seit der Gesuchstellung nun mehr als zwei Jahre verstrichen sind. Die Erhebungen innerhalb der BRD können in dieser Zeit durchaus weiter gediehen sein. Bei dieser Sachlage erscheint es als gegeben, dem zweiten Begehren der Beschwerdeführer nicht zu entsprechen und das Verhöramt des Kantons Y. zu ermächtigen, die beschlagnahmten und versiegelten Akten analog zu einer vorläufigen Massnahme (
Art. 45 IRSG
) während einer Frist von sechs Monaten, von der Zustellung des begründeten Urteils an das Gerichtspräsidium an gerechnet,
BGE 111 Ib 242 S. 252
zurückzubehalten. Im gleichen Sinne hat das Bundesgericht schon in verschiedenen früheren Fällen entschieden (
BGE 103 Ia 216
; nicht publizierte Erw. 3c zu
BGE 106 Ib 260
; nicht publiziertes Urteil vom 3. August 1982 i.S. I. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt). Geht innert dieser Frist kein neues, inhaltlich ausreichendes Rechtshilfebegehren ein, so werden die Akten unbeschwert an die Firma X. zurückzuerstatten sein.
Demgemäss ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit darauf eingetreten werden kann, im Sinne der Erwägungen teilweise gutzuheissen, und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben, soweit er über die Bestätigung der Beschlagnahmeverfügung des Verhöramtes des Kantons Y. vom 19. Dezember 1983 hinausgeht. Im übrigen ist die Beschwerde unbegründet und daher abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
37df4623-778b-4142-aa41-91839b7b5080 | Urteilskopf
87 I 505
79. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung als Staatsgerichtshofs vom 12. Dezember 1961 i.S. Grollimund gegen Basel-Stadt, Appellationsgericht. | Regeste
Anfechtung der Ehelichkeit, Blutuntersuchung; kantonales Prozessrecht.
Hat der Kläger rechtzeitig die Durchführung der Blutuntersuchung nach allen bekannten Methoden beantragt, so darf das erst vor oberer kantonaler Instanz gestellte Begehren, die Untersuchung sei auf eine inzwischen neu bekannt gewordene Bluteigenschaft auszudehnen, nicht als unzulässiges Novum zurückgewiesen werden.
Ausschluss der Vaterschaft auf Grund der Bestimmung der Haptoglobineigenschaften Hp1 und Hp2. | Erwägungen
ab Seite 505
BGE 87 I 505 S. 505
Bei Prüfung der Frage, ob das Appellationsgericht
Art. 4 BV
verletzt habe, indem es den in der Appellationsverhandlung
BGE 87 I 505 S. 506
gestellten Antrag auf Anordnung einer Untersuchung der Haptoglobineigenschaften als verspätet zurückwies, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer schon in seiner Klage die Blutuntersuchung nach allen bekannten Methoden beantragt hatte. Wenn er anschliessend eine Reihe von zu bestimmenden Bluteigenschaften anführte, so hatte dies unzweifelhaft nicht den Sinn einer abschliessenden Aufzählung. Alle Blutmerkmale, deren Bestimmung unter Umständen die streitige Vaterschaft auszuschliessen vermag, im einzelnen zu nennen, kann nicht Sache einer Prozesspartei sein. Die Entwicklung ist in diesem Forschungsbereich im Fluss. Nur ein Sachkundiger kann wissen, welche Ausschlussmethoden in einem gewissen Zeitpunkt zu Gebote stehen. Der in der Klage gestellte Antrag schloss also den Antrag in sich, neben den dort ausdrücklich genannten gegebenenfalls auch weitere forensisch verwertbare Blutmerkmale zu bestimmen. Zu diesen weitern Merkmalen gehören die Haptoglobineigenschaften Hp1 und Hp2, da nach den überzeugenden Ausführungen von A. HÄSSIG und R. BÜTLER in der Schweiz. Juristenzeitung (1961 S. 58) ein auf der Bestimmung dieser Blutserumeigenschaften beruhender Vaterschaftsausschluss unter der Voraussetzung einer kunstgerecht durchgeführten Untersuchung das Prädikat der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit verdient. Indem der Beschwerdeführer in der Appellationsverhandlung unter Hinweis auf diese Ausführungen die Bestimmung der genannten Bluteigenschaften verlangte, hat er also in Wirklichkeit nur einen schon in der Klage gestellten Antrag gestützt auf eine neue wissenschaftliche Veröffentlichung noch näher konkretisiert. Hierauf die einschränkenden Bestimmungen der Basler ZPO über das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel (§§ 237, 81) direkt oder analog anzuwenden, wird der Sachlage in keiner Weise gerecht. Einen schon früher gestellten Antrag der fraglichen Art in dieser Weise zu verdeutlichen, muss bis zum Schluss des kantonalen Verfahrens möglich sein. Das Interesse
BGE 87 I 505 S. 507
des Klägers an der Ausschöpfung aller Ausschlusschancen, welche die von ihm in allgemeiner Form beantragte Blutuntersuchung nach dem während des kantonalen Verfahrens erreichten Stande der Wissenschaft bietet, geht dem vom Appellationsgericht geltend gemachten Interesse an einer beförderlichen Erledigung des Prozesses offensichtlich vor. Dass der Vertreter des Beschwerdeführers, wie er glaubwürdig versichert, auf die erwähnte Veröffentlichung erst am Tage vor der Appellationsverhandlung aufmerksam wurde, ist ihm nicht zu verdenken. Unter diesen Umständen ist es sachlich nicht haltbar, dass das Begehren auf Einbezug der Haptoglobineigenschaften Hp1 und Hp2 in die Blutuntersuchung als verspätet zurückgewiesen wurde, so dass der angefochtene Entscheid wegen Verletzung von
Art. 4 BV
aufgehoben werden muss. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
37e4c1e6-d77e-4b02-b7c6-5b83f383e50d | Urteilskopf
92 I 331
59. Urteil vom 22. September 1966 i.S. Marti und Singeisen gegen Rekurskommission des Kantons Basel-Landschaft für die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen. | Regeste
Sperrfrist für die Weiterveräusserung landwirtschaftlicher Grundstücke; Ausnahmen (
Art. 218, 218 bis OR
).
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1).
2. Besetzung der kantonalen Rekurskommission: Die Auffassung, dass die Beschwerdeführer rechtsgültig auf die Mitwirkung eines von fünf Kommissionsmitgliedern verzichten konnten, ist nicht willkürlich (Erw. 2).
3. Unter die Sperrfrist fällt auch die Ausübung eines Kaufsrechts (Erw. 3).
4. Begriff des Baulandes (
Art. 218 Abs. 2 OR
): Massgebend ist, ob das Grundstück nach den objektiven Verhältnissen sofort überbaut werden kann. Auf Verlangen der Beteiligten hat die für die Erteilung von Baubewilligungen zuständige kantonale Behörde einen förmlichen, weiterziehbaren Vorentscheid über diese Frage zu treffen (Erw. 4, 5).
5. Wichtige Gründe für eine Ausnahme von der Sperre (
Art. 218 bis OR
) können sich auch aus den persönlichen Verhältnissen der Vertragspartner ergeben, insbesondere aus finanziellen Schwierigkeiten des Veräusserers (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 332
BGE 92 I 331 S. 332
A.-
Fritz Singeisen, Kaufmann in Liestal, ist Eigentümer der 4738 m2 messenden Parzelle Nr. 1615 und der 5070 m2 umfassenden Parzelle Nr. 2533 des Grundbuches Gelterkinden, welche ausserhalb der Bauzone, jedoch innerhalb des Perimeters des generellen Kanalisationsprojektes dieser Gemeinde liegen. Er hatte die Parzelle Nr. 1615 am 1. Dezember 1960 und die Parzelle Nr. 2533 am 26. August 1961 gekauft, wobei er insgesamt einen Preis von Fr. 227'908.-- erlegt hatte. Durch Vertrag vom 2. Juli 1965 räumte er dem Arzt Dr. Walter Marti in Muttenz ein Kaufsrecht an diesen Grundstücken ein. Der Kaufpreis wurde auf Fr. 343'280.-- festgesetzt.
B.-
Am 5. Juli 1965 ersuchten F. Singeisen und W. Marti die Landwirtschaftsdirektion des Kantons Basel-Landschaft, die Veräusserung der beiden Grundstücke vor Ablauf der zehnjährigen Sperrfrist des
Art. 218 OR
zu gestatten. Sie machten geltend, hiefür beständen wichtige Gründe im Sinne des
Art. 218 bis OR
. F. Singeisen müsse befürchten, in Konkurs zu fallen, wenn dem Begehren nicht stattgegeben werde. Er habe die beiden Parzellen treuhänderisch für W. Marti erworben; es handle sich demnach nicht um einen kurzfristigen Spekulationsbesitz. Das gestellte Begehren sei umsomehr begründet, als die zwei Grundstücke heute nicht mehr zum landwirtschaftlichen Boden gezählt werden könnten, da sie im Einzugsgebiet des generellen Kanalisationsprojektes lägen.
Die Landwirtschaftsdirektion lehnte das Gesuch ab. Auf Rekurs der Gesuchsteller hin bestätigte die kantonale Rekurskommission für die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen diesen Entscheid am 4. September 1965. Sie führte
BGE 92 I 331 S. 333
aus, nach Art. 3 BG über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG) bestimmten die Kantone, was als Bauland im Sinne des
Art. 218 OR
zu gelten habe. Der Kanton Baselland habe in Art. 1 seines Einführungsgesetzes zum EGG die Zonenpläne der Gemeinden als massgeblich erklärt. Da die streitigen Parzellen ausserhalb der von der Gemeinde Gelterkinden ausgeschiedenen Bauzone lägen, seien sie landwirtschaftliche Grundstücke im Sinne des
Art. 218 OR
und fielen daher unter die Sperrfrist. Wichtige Gründe gemäss
Art. 218 bis OR
beständen nicht. F. Singeisen sei ein gewiegter Liegenschaftshändler und besitze zahlreiche Grundstücke, die zum Teil der Sperrfrist nicht unterständen. Wenn er sich in einem finanziellen Engpass befinde, sei dies kein Grund, gerade solche Liegenschaften zu verkaufen, die unter die Sperrfrist fallen. Sofern ihm W. Marti seinerzeit Mittel für den Kauf der streitigen Grundstücke zur Verfügung gestellt habe, liege auch darin kein wichtiger Grund.
C.-
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen F. Singeisen und W. Marti, der Entscheid der kantonalen Rekurskommission sei aufzuheben, und es sei ihnen die Bewilligung zum Verkauf der Parzellen Nr. 1615 und 2533 zu erteilen; eventuell sei die Sache an die Rekurskommission zur neuen Beurteilung zurückzuweisen.
Es wird geltend gemacht, die Rekurskommission sei bei der Fällung des angefochtenen Entscheides entgegen § 1 Abs. 2 der kantonalen Vollziehungsverordnung vom 28. April 1947 zum BG über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen nur mit 4 statt mit 5 Mitgliedern besetzt gewesen. Darin liege eine gegen
Art. 4 BV
verstossende Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Daran ändere es nichts, dass die Beschwerdeführer ihre Zustimmung zu der ungenügenden Besetzung gegeben haben; denn sie hätten dies nur "unter dem Zwang der Situation" getan.
"Bauland" im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
sei ein bundesrechtlicher Begriff. Die Rekurskommission habe zu Unrecht kantonales statt eidgenössisches Recht angewendet. Das kantonale EG zum EGG beziehe sich gar nicht auf die Handhabung der Sperrfrist. Jener Begriff werde aber zu eng gefasst, wenn darauf abgestellt werde, ob ein Grundstück zu dem von der Gemeinde in einem Zonenplan ausgeschiedenen Baugebiet
BGE 92 I 331 S. 334
gehöre und ob ein konkretes Bauprojekt bestehe. Es genüge, dass auf dem Grundstück tatsächlich gebaut werden könne. Das sei im vorliegenden Fall möglich; denn die beiden streitigen Parzellen befänden sich "in der schönsten Wohnlage der Gemeinde Gelterkinden innerhalb des generellen Kanalisationsprojektes, unmittelbar an die Bauzone anschliessend". Es werde der Beweis dafür angetragen, dass die Gemeinde ein allfälliges Baugesuch bewilligen würde. Es sei daher festzustellen, dass die beiden Grundstücke überhaupt nicht unter die Sperrfrist fallen.
Würde anders entschieden, so wäre die erbetene Bewilligung aus wichtigen Gründen gemäss
Art. 218 bis OR
zu erteilen. Die Rekurskommission habe die Beweise nicht abgenommen, mit denen die Beschwerdeführer hätten dartun wollen, dass F. Singeisen zur Überwindung seiner derzeitigen Illiquidität dringend auf den Verkauf der streitigen Parzellen angewiesen sei. Diese Illiquidität habe sich seither noch verschärft.
D.-
Die kantonale Landwirtschaftsdirektion, die kantonale Rekurskommission und das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
E.-
Das Gericht hat den Becshwerdeführern aufgegeben, durch Einreichung von Bescheinigungen der kantonalen Baudirektion und des Gemeinderates von Gelterkinden darzutun, dass die Errichtung einer den baupolizeilichen Vorschriften entsprechenden nichtlandwirtschaftlichen Wohnbaute auf den Parzellen Nr. 1615 und 2533 jederzeit bewilligt würde.
Darauf haben die Beschwerdeführer ein Schreiben der kantonalen Baudirektion vorgelegt, worin diese - auch im Namen des Gemeinderates - erklärt, dass eine solche Bewilligung nicht jederzeit gegeben würde, mit der Begründung: Zwar könnten die streitigen Parzellen nach dem kantonalen Baugesetz grundsätzlich überbaut werden. Sie könnten "zur Not" auch mit einer Privatstrasse erschlossen werden. Die Gemeinde könne jedoch diese Lösung nicht verantworten, weil dadurch die Erschliessung des umliegenden Landes, das sich ebenfalls innerhalb des Perimeters des generellen Kanalisationsprojektes befinde, zum mindesten erschwert würde. Privatstrassen würden in der Regel nur minimal ausgebaut und genügten daher den späteren Verkehrsanforderungen nicht. Wenn aber die Gemeinde
BGE 92 I 331 S. 335
die Erschliessung und die damit verbundene Baulandumlegung an die Hand nehmen müsse, vergingen einige Jahre, bis gebaut werden könne. Zudem sei im Gebiet der "Allersegg", in dem die Parzellen Nr. 1615 und 2533 liegen, eine Zurücknahme des Perimeters des generellen Kanalisationsprojektes geplant. Nach dem Entwurf käme der grösste Teil der Parzelle Nr. 2533 ausserhalb des Perimeters zu liegen, so dass er nicht mehr überbaut werden könnte. Mit Rücksicht auf die in Aussicht stehende Änderung des Perimeters und wegen der ebenfalls noch offenen Frage der Erschliessung "dürfte der Gemeinderat gezwungen sein", bei Einreichung eines konkreten Baugesuches eine Bausperre gemäss § 68 des kantonalen Baugesetzes zu verhängen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 218 Abs. 1 OR
dürfen landwirtschaftliche Grundstücke während einer Frist von zehn Jahren, vom Eigentumserwerb an gerechnet, weder als Ganzes noch in Stücken veräussert werden. Diese Bestimmung ist gemäss Abs. 2 daselbst nicht anwendbar auf Bauland und auf Grundstücke, die sich in vormundschaftlicher Verwaltung befinden oder im Betreibungs- und Konkursverfahren verwertet werden.
Art. 218 bis OR
sieht eine weitere Ausnahme vor: Die vom Kanton der gelegenen Sache als zuständig erklärte Behörde kann aus wichtigen Gründen eine Veräusserung vor Ablauf der zehnjährigen Frist gestatten, wie namentlich zum Zwecke einer erbrechtlichen Auseinandersetzung, der Abrundung landwirtschaftlicher Betriebe sowie zur Verhinderung einer Zwangsverwertung.
Art. 218 bis OR
bestimmte ursprünglich in einem zweiten Satz, dass die kantonale Behörde endgültig entscheidet. Danach konnte der Entscheid der einzigen oder letzten kantonalen Instanz nicht mit einem ordentlichen eidgenössischen Rechtsmittel, sondern nur mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte angefochten werden. Durch das Bundesgesetz vom 19. März 1965 über die Änderung der Vorschriften des ZGB und des OR betreffend das Baurecht und den Grundstückverkehr ist der zweite Satz des
Art. 218 bis OR
aufgehoben und ein neuer Art. 218 quater in das OR eingefügt worden, welcher gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide über die Anwendung der Art. 218, 218 bis und
Art. 218 ter OR
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
BGE 92 I 331 S. 336
zulässt. Nach dieser neuen Ordnung, die am 1. Juli 1965 in Kraft getreten ist, unterliegt der hier angefochtene Entscheid der letzten kantonalen Instanz vom 4. September 1965 der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
2.
§ 1 Abs. 2 der basellandschaftlichen Vollziehungsverordnung zum BG über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen setzt eine vom Regierungsrat zu ernennende "fünfgliedrige" Rekurskommission ein. Im vorliegenden Fall war jedoch die Rekurskommission nur mit 4 Mitgliedern besetzt. Die Beschwerdeführer erblicken darin eine gegen
Art. 4 BV
verstossende Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Auf diese Rüge ist einzutreten; denn mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann auch geltend gemacht werden, dass die letzte kantonale Instanz im angefochtenen Entscheid bei der Anwendung kantonalen Rechts die Bundesverfassung verletzt habe (
BGE 85 I 196
f.,
BGE 86 I 192
f.).
Die Rekurskommission führt in der Vernehmlassung zur Beschwerde aus, es habe sich erst kurz vor ihrer Sitzung vom 4. September 1965 herausgestellt, dass ein Mitglied nicht erscheinen könne. Da ein Ersatzmitglied für diese Sitzung nicht mehr habe aufgeboten werden können, sei nur die Alternative geblieben, das Verfahren auszustellen oder den Entscheid sofort durch die anwesenden 4 Mitglieder fällen zu lassen. Auf Anfrage hätten die Beschwerdeführer sich mit der zweiten Lösung einverstanden erklärt. Es sei nirgends vorgeschrieben, dass die Kommission vollzählig sein müsse, um beschlussfähig zu sein. Sie erachte sich in ständiger Praxis als beschlussfähig, wenn wenigstens 4 Mitglieder anwesend seien und die Parteien sich mit dieser reduzierten Besetzung einverstanden erklärt haben.
Allerdings hat das Bundesgericht in
BGE 85 I 274
eine formelle Rechtsverweigerung darin gesehen, dass eine kantonale Steuerrekurskommission, die laut Gesetz 5 Mitglieder und 2 Ersatzmitglieder zählt, einen Entscheid in Anwesenheit von nur 4 Mitgliedern gefällt hatte; es hat festgehalten, dass eine vollzählige Besetzung der Behörde erforderlich ist, wenn das Gesetz ein Quorum nicht vorsieht. Indessen unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem damals beurteilten darin, dass die Beschwerdeführer vor Beginn der Verhandlung auf Anfrage des Kommissionspräsidenten ausdrücklich ihr Einverständnis mit
BGE 92 I 331 S. 337
einer auf 4 Mitglieder reduzierten Besetzung der Kommission erklärt hatten. Zwar wenden sie ein, sie hätten die Zustimmung nur "unter dem Zwang der Situation" gegeben. Sie machen aber nicht geltend, dass ihre Zustimmungserklärung an irgendeinem Willensmangel gelitten habe; sie behaupten auch nicht etwa, dass sie nicht in der Lage gewesen wären, eine Verschiebung der Verhandlung zu erwirken. Es kann sich lediglich fragen, ob sie einen unverzichtbaren Anspruch darauf hatten, dass die Kommission in vollständiger Besetzung entscheide. Da diese Frage die Anwendung kantonalen Rechts betrifft, kann sie vom Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtspunkt der Willkür überprüft werden.
Die Rekurskommission ist der Meinung, dass ihre Vollzähligkeit nur dann Voraussetzung ihrer Beschlussfähigkeit wäre, wenn die kantonale Gesetzgebung dies ausdrücklich vorschriebe, was nicht der Fall sei. Sie verweist auf § 24 lit. b des kantonalen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, wo ausdrücklich bestimmt ist, dass das kantonale Verwaltungsgericht bei der Beratung immer vollzählig sein muss. Anderseits macht sie auf § 39 Abs. 1 des kantonalen Gerichtsverfassungsgesetzes aufmerksam, wonach in Zivilsachen ein kantonales Gericht mit Einwilligung beider Parteien ein rechtsgültiges Urteil auch dann erlassen kann, wenn wenigstens 5 statt 7 Richter anwesend sind. Angesichts dieser Bestimmungen lässt sich jedenfalls ohne Willkür die Auffassung vertreten, dass die Beschwerdeführer mangels einer gesetzlichen Vorschrift, welche für das Verfahren vor der Rekurskommission ausdrücklich etwas anderes anordnen würde, rechtsgültig auf die Mitwirkung eines von 5 Kommissionsmitgliedern verzichten konnten.
Die von den Beschwerdeführern erhobene Rüge der formellen Rechtsverweigerung erweist sich daher als unbegründet.
3.
Art. 218 OR
unterstellt der Sperrfrist nicht nur den Verkauf, sondern allgemein die Veräusserung landwirtschaftlicher Grundstücke. Die Vorinstanzen haben mit Recht angenommen, dass das hier streitige Geschäft eine Veräusserung zum Gegenstand hat. Die Beschwerdeführer haben miteinander einen Vertrag über die Begründung eines Kaufrechts abgeschlossen, welches der Berechtigte vom Vertragsschluss an unbeschränkt jederzeit geltend machen kann. Der Berechtigte hat zu erkennen gegeben, dass er von der ihm durch diesen
BGE 92 I 331 S. 338
Vertrag eingeräumten Befugnis, durch einseitige Erklärung die in Frage stehenden Grundstücke zu erwerben, unverzüglich Gebrauch machen will. Das abgeschlossene Geschäft hat ähnliche Wirkungen wie ein Kaufvertrag und ist einem solchen unter dem Gesichtspunkte des
Art. 218 OR
gleichzustellen. Andernfalls könnte diese Bestimmung ohne weiteres umgangen werden, so dass ihr Zweck, den bäuerlichen Grundbesitz zu schützen und die Spekulation mit ihm zu beschränken, in vielen Fällen nicht erreicht würde.
4.
Wie die Beschwerdeführer zutreffend bemerken, ist "Bauland" im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
ein Begriff des Bundesrechts. Indessen ist dieser Begriff in der Bundesgesetzgebung über das ländliche Bodenrecht nicht definiert, und es ist daher Sache der mit der Anwendung des Gesetzes betrauten Behörden, ihn näher zu bestimmen.
Das Bundesgericht hatte bisher die Auslegung des Baulandbegriffs durch die kantonalen Behörden nur unter dem Gesichtspunkte der Willkür zu überprüfen. Es hat entschieden, dass es nicht willkürlich sei, das Kriterium des Baulandcharakters in der baulichen Erschliessung zu erblicken, und dass auch ohne Willkür angenommen werden könne, die blosse Absicht der Erschliessung oder der Überbauung würde höchstens dann genügen, wenn konkrete Projekte vorliegen, deren baldige Ausführung als gesichert erscheint. Sodann hat das Gericht keine Willkür darin gesehen, dass die neuere Praxis gewisser Kantone den Begriff des Baulandes enger fasst, indem sie ausser der baulichen Erschliessung fordert, dass die Überbauung des Landes in nächster Zeit zu erwarten sei. Ferner hat das Gericht nicht als willkürlich erachtet, dass einem Grundstück der Baulandcharakter auch deshalb abgesprochen wird, weil es nicht im Perimeter eines rechtskräftigen Überbauungs- oder Zonenplans liegt (
BGE 84 I 4
,
BGE 88 I 4
ff.; ZBGR 1959 S. 253 f.; ZBl 1964 S. 192 f.).
Bei freier Prüfung, die nun dem Bundesgericht als Verwaltungsgericht (
Art. 218 quater OR
) zusteht, erweisen sich jedoch die Absichten des Eigentümers oder Erwerbers nicht als taugliches Kriterium für die Bestimmung des Baulandbegriffs des
Art. 218 Abs. 2 OR
. Ohne weiteres klar ist, dass sie nicht allein massgebend sein könnten; denn sonst hätte es jeder Kaufsinteressent in der Hand, mit der blossen Erklärung, er
BGE 92 I 331 S. 339
wolle auf dem Grundstück bauen oder es für die Überbauung erschliessen, die Sperrfrist zu umgehen, was offensichtlich nicht der Sinn des Gesetzes sein kann. Auf die Absichten der Beteiligten kann es aber überhaupt nicht ankommen. Einmal sind sie vielfach unsicher, und sodann ist zu beachten, dass der Begriff "Bauland" sich auf die Eigenschaften des Grundstücks bezieht. Die Absicht ist aber Attribut einer Person, nicht Eigenschaft einer Sache (ZBl 1964 S. 192/3). Massgebend ist vielmehr einzig, ob das Grundstück nach den objektiven Verhältnissen sofort überbaut werdenn kann (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines BG über die Änderung der Vorschriften des ZGB und des OR betreffend das Baurecht und den Grundstückverkehr, BBl 1963 I S. 1000).
Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die für die Erteilung von Baubewilligungen zuständige Behörde feststellt, dass der sofortigen Überbauung des Grundstücks nichts im Wege steht. Auf Grund einer solchen Feststellung muss nach Bundesrecht das Grundstück als Bauland von der Sperrfrist ausgenommen werden, selbst wenn es nicht in einer Bauzone liegt, für welche der Kanton gestützt auf
Art. 3 EGG
die Anwendung dieses Gesetzes - in dessen Art. 50 die
Art. 218 und 218 bis OR
zum Teil neu gefasst worden sind - ausgeschlossen hat. Die abweichende Auffassung der Vorinstanz ist mit dem Bundesrecht nicht vereinbar.
5.
Das Gericht hat den Beschwerdeführern Gelegenheit gegeben, den von ihnen angetragenen Beweis für ihre Behauptung, dass die Errichtung einer den baupolizeilichen Vorschriften entsprechenden nichtlandwirtschaftlichen Wohnbaute auf den streitigen Parzellen jederzeit bewilligt würde, durch Bescheinigungen der zuständigen kantonalen Behörden zu erbringen. Die kantonale Baudirektion hat den Beschwerdeführern - auch im Namen des Gemeinderates von Gelterkinden - den Bescheid erteilt, dass eine solche Bewilligung nicht jederzeit erhältlich sei, weil der Gemeinderat mit Rücksicht auf die in Aussicht genommene Änderung des Perimeters des generellen Kanalisationsprojektes und wegen der ebenfalls noch offenen Frage der Zufahrtsmöglichkeit "gezwungen sein dürfte", bei Einreichung eines Baugesuches eine Bausperre gemäss § 68 des kantonalen Baugesetzes zu verhängen. Ob diese Auffassung der Baudirektion richtig oder zum mindesten nicht willkürlich ist,
BGE 92 I 331 S. 340
hat das Bundesgericht im gegenwärtigen Verfahren nicht zu prüfen. In dieser Beziehung fehlt es zur Zeit an einem mit Beschwerde beim Bundesgericht anfechtbaren kantonalen Entscheid. Im vorliegenden Verfahren ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer vorläufig den Beweis, dass die streitigen Grundstücke jederzeit überbaubar und somit Bauland im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
sind, nicht erbringen konnten.
Immerhin haben die Beschwerdeführer nach dem in Erw. 4 hiervor Ausgeführten kraft Bundesrechts einen Anspruch darauf, dass auf ihr Verlangen die für die Erteilung von Baubewilligungen zuständige kantonale Behörde einen förmlichen, weiterziehbaren Entscheid darüber trifft, ob die in Frage stehenden Grundstücke jederzeit überbaut werden können oder nicht. Sie können sich einstweilen mit dem Begehren begnügen, dass ein die Rechtslage feststellender Vorentscheid zu erlassen sei. Sie brauchen der Behörde nicht schon ein in allen Einzelheiten ausgearbeitetes Bauprojekt einzureichen. Dem Bürger kann nicht wohl zugemutet werden, ein solches Projekt erstellen zu lassen, bevor er weiss, ob eine Überbauung in nächster Zukunft überhaupt möglich ist. Es genügt, wenn die Beschwerdeführer der Behörde, von welcher sie einen grundsätzlichen Vorentscheid verlangen, das Bauvorhaben in den grossen Zügen bekanntgeben. Sollte sich in dem darauf durchzuführenden Verfahren ergeben, dass der oben erwähnte Bescheid der kantonalen Baudirektion der Überprüfung nicht standhält, so wäre damit festgestellt, dass es sich um Bauland im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
handelt, und könnte sich daher der Beschwerdeführer Marti auf Grund des abgeschlossenen Kaufrechtsvertrages ohne weiteres sofort als Eigentümer der Gegenstand des Kaufsrechts bildenden Grundstücke im Grundbuch eintragen lassen.
Zur Zeit steht ihm jedoch diese Befugnis nicht zu - es wäre denn, dass ein wichtiger Grund im Sinne des
Art. 218 bis OR
vorläge.
6.
Wichtige Gründe, welche nach
Art. 218 bis OR
eine Ausnahme von der Sperre rechtfertigen, können sich nicht nur aus den Eigenschaften des Grundbesitzes ergeben, sondern auch aus den persönlichen Verhältnissen der Vertragsparteien, namentlich des Veräusserers, der durch die Sperre in erster Linie betroffen wird; erwähnt doch das Gesetz als Beispiel eines wichtigen Grundes die Verhinderung einer Zwangsverwertung.
BGE 92 I 331 S. 341
Art. 218 bis OR
ermöglicht es, Härten zu mildern, welche die an sich nach
Art. 218 OR
gerechtfertigte Sperre für die Beteiligten persönlich mit sich bringen kann. Das Interesse der Vertragsparteien an der sofortigen Veräusserung des Grundstücks ist gegen die öffentlichen Interessen, die mit der Sperre verfolgt werden, abzuwägen. Indessen dürfen wichtige Gründe nicht leichthin angenommen werden, wie die in
Art. 218 bis OR
erwähnten Beispiele zeigen. Die persönlichen Interessen der Beteiligten können nur dann den Ausschlag geben, wenn sie als so gewichtig erscheinen, dass sich eine Ausnahme von der Sperre nach Recht und Billigkeit aufdrängt (
BGE 92 I 63
ff., Erw. 4 und 5; s. auch
BGE 92 I 313
betreffend
Art. 19 EGG
).
Im vorliegenden Fall wird vor allem geltend gemacht, dass die finanziellen Schwierigkeiten des Beschwerdeführers Singeisen einen wichtigen Grund darstellen. Es steht jedoch fest, dass Singeisen über einen ausgedehnten Grundbesitz verfügt, zu dem auch Liegenschaften gehören, die der Sperrfrist nicht unterstehen. Die Vorinstanz konnte ohne weiteres annehmen, dass Singeisen seine behauptete Liquiditätskrise durch Verkauf solcher Liegenschaften überbrücken könnte. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gegen diesen Standpunkt nichts Triftiges vorgebracht. Die angebliche finanzielle Bedrängnis Singeisens kann daher nicht als wichtiger Grund anerkannt werden.
Sodann weisen die Beschwerdeführer darauf hin, dass Singeisen seinerzeit die streitigen Parzellen als Treuhänder für Marti erworben habe. Träfe dies zu, so könnte auch darin kein wichtiger Grund gesehen werden. Wenn das behauptete fiduziarische Rechtsverhältnis wirklich besteht, wussten die Beschwerdeführer schon beim Abschluss der Kaufverträge vom 1. Dezember 1960 und 26. August 1961, dass der Treuhänder als zivilrechtlicher Eigentümer die Liegenschaften während 10 Jahren nicht werde weiterverkaufen können. Gerade das Einschalten einer Mittelsperson zwischen dem ursprünglichen Verkäufer und dem endgültigen Käufer ist ein Merkmal der Spekulation, d.h. eines Kaufs zum Zwecke des Weiterverkaufs mit Gewinn. Die Mittelsperson lässt sich ja nur um ihres Gewinnes willen zum Geschäft herbei, und sie wird eingeschaltet, weil der Geldgeber und endgültige Käufer aus irgendwelchen Gründen
BGE 92 I 331 S. 342
gegenüber dem ursprünglichen Verkäufer nicht in Erscheinung treten will. Wenn wirklich ein Treuhandverhältnis vorliegt, ist zudem anzunehmen, dass dem Fiduziar bei der Veräusserung an den Fiduzianten keine liquiden Mittel zufliessen, da seine Kaufpreisforderung mit seiner Schuld gegenüber dem Fiduzianten verrechnet wird. Die Rekurskommission bemerkt mit Recht, es sei nicht dargetan, dass die behauptete Liquiditätskrise des Veräusserers durch die erbetene Bewilligung wirklich beseitigt würde.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
37e5ca65-238f-422b-8aa4-b9c8dccbb746 | Urteilskopf
88 II 48
7. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Januar 1962 i.S. The Roy Export Company Establishment und Chaplin gegen Kaufmann. | Regeste
Zerstörung urheberrechtsverletzender Werkexemplare,
Art. 54 Abs. 1 lit. a URG
.
Der Kinoinhaber, der blosser Mieter des von ihm vorgeführten, unter Verletzung des Urheberrechts hergestellten Films ist, ist für das Zerstörungsbegehren passiv legitimiert (Erw. 3).
Zerstörung nur des Films oder auch des Reklamematerials für diesen? (Erw. 4, 5). | Sachverhalt
ab Seite 48
BGE 88 II 48 S. 48
Aus dem Tatbestand:
Der Kinoinhaber Kaufmann in Zürich führte einen Chaplin-Film vor, den er vom Verleiher Marzocchi in Lugano erhalten hatte. Dieser Film war (was Kaufmann
BGE 88 II 48 S. 49
nicht wusste) ohne Zustimmung des Urhebers Chaplin und der Inhaberin der Verwertungsrechte, der Roy Export Company Establishment, durch Kopierung verschiedener Originalfilme zusammengestellt und durch Beifügung von Begleitmusik und eines gesprochenen Begleittextes vom Stummfilm zum Tonfilm umgestaltet worden.
Auf Begehren der Kläger verfügte der Einzelrichter die vorsorgliche Beschlagnahme des vom Beklagten vorgeführten Films nebst zugehörigem Reklamematerial (Standbilder usw.). Das Obergericht Zürich schützte das von den Klägern gestellte Begehren um Feststellung der vom Beklagten begangenen Urheberrechtsverletzung; den Antrag auf Zerstörung des Films und des Reklamematerials wies es dagegen ab und verfügte lediglich die definitive Beschlagnahme.
Das von den Klägern aufrecht erhaltene Zerstörungsbegehren wird vom Bundesgericht in Bezug auf den Film geschützt, für das Reklamematerial hingegen abgewiesen, auf Grund der folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
3.
Der Beklagte bestreitet seine Passivlegitimation hinsichtlich des Begehrens um Zerstörung des beschlagnahmten Films mit der Begründung, dieser stehe im Eigentum des Verleihers Marzocchi; passiv legitimiert könne aber nur der Eigentümer des Films sein.
Dieser Einwand ist unbegründet. Es steht fest, dass der Beklagte den streitigen Film in seinem Kino öffentlich vorgeführt und damit die Urheberrechte der Kläger verletzt hat. Er war daher für die Verletzungsklage passiv legitimiert. Ebenso steht ausser Zweifel, dass das Begehren um vorsorgliche Beschlagnahme gemäss
Art. 52 URG
gegen den Beklagten gerichtet werden konnte, da er auf Grund des Filmmietvertrages den Film in seinem Besitz hatte. Denn
Art. 52 URG
bezweckt, weiteren Verletzungshandlungen vorzubeugen, und zu diesem Zweck muss der Film dort beschlagnahmt werden können, wo man seiner habhaft
BGE 88 II 48 S. 50
wird, d.h. bei dem Kinoinhaber, der ihn vorgeführt hat. Unter diesen Umständen ist es schon aus Gründen der Zweckmässigkeit geboten, auch den Entscheid über das endgültige Schicksal der urheberrechtsverletzenden Werkexemplare dem Verfahren zuzuweisen, in welchem die Feststellung der Urheberrechtsverletzung erfolgt. Auch die endgültige Einziehung, Zerstörung oder Unbrauchbarmachung im Sinne von
Art. 54 Abs. 1 URG
dient dem Ziel, weitere Urheberrechtsverletzungen mit den in Frage stehenden Werkexemplaren ein für allemal zu verunmöglichen. Das lässt sich aber am einfachsten und sichersten erreichen, wenn diese Massnahmen im Verletzungsprozess gegen den Besitzer angeordnet werden können. Andernfalls könnte die Bestimmung unter Umständen überhaupt nicht durchgesetzt werden, so z.B. wenn der Eigentümer der rechtsverletzenden Werkexemplare im Auslande wohnt. Es verhält sich in diesem Punkte gleich wie bei der im Strafrecht (
Art. 58 StGB
) vorgesehenen Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer strafbaren Handlung gedient haben. Auch diese Einziehung setzt nicht voraus, dass die betreffenden Gegenstände Eigentum des Täters sind, sondern es kann z.B. auch die Einziehung der Mordwaffe angeordnet werden, die einem Dritten gehört, da die Massnahme nicht Strafcharakter hat, sondern nur verhindern soll, dass die Gegenstände zur Begehung weiterer Verbrechen verwendet werden können (THORMANN/v. OVERBECK, StGB Art. 58 N. 2; LOGOZ, StGB Art. 58 Ziff. 4 b Abs. 2).
Der Einwand des Beklagten, es gehe nicht an, über das Eigentum des am Verfahren nicht beteiligten Filmverleihers Marzocchi zu verfügen, ist übrigens um so weniger stichhaltig, als dieser auf Grund der an ihn ergangenen Streitverkündung sich am Prozess hätte beteiligen können, von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch gemacht hat.
Aus Überlegungen der oben dargelegten Art wurde offenbar bei
Art. 54 URG
davon abgesehen, die Eigentumsverhältnisse an den verletzenden Werkexemplaren überhaupt
BGE 88 II 48 S. 51
zu erwähnen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich
Art. 54 URG
von den entsprechenden Bestimmungen des deutschen Rechts, nämlich von § 42 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und Tonkunst (LUG) und § 37 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KUG); diese Vorschriften bezeichnen als Gegenstand der Vernichtung die Exemplare, "welche sich im Eigentum der an der Herstellung oder Verbreitung Beteiligten ... befinden"; weiter wird bestimmt, die Vernichtung habe zu erfolgen, "nachdem dem Eigentümer gegenüber rechtskräftig darauf erkannt" sei. Wegen dieser Verschiedenheit des Wortlauts lässt daher
Art. 54 URG
keinen Raum für den im deutschen Schrifttum bestehenden Meinungsstreit, ob nur der Eigentümer für ein Vernichtungsbegehren passiv legitimiert sein könne (so MARWITZ-MÖHRING, Urheberrecht, 1929, S. 290; ALLFELD, Urheberrecht, 2. Aufl. 1928, S. 346 f.), oder ob ein solches Begehren auch gegen den blossen Besitzer gerichtet werden könne, der mit der Verwendung der betreffenden Werkexemplare eine Urheberrechtsverletzung begangen hat (so GOLDBAUM, Urheberrecht und Urhebervertragsrecht, 3. Aufl. 1961, S. 198, Anm. 3 zu § 42 LUG; ULMER, Urheber- und Verlagsrecht, 2. Aufl. 1960, S. 397 Ziff. 2; BERTHOLD-HARTLIEB, Filmrecht, 1957, S. 131).
Unbehelflich ist sodann auch der Hinweis des Beklagten darauf, dass sein mietweiser Besitz mit Ablauf des Filmmietvertrages am 27. Juli 1959, d.h. am Abend des Beschlagnahmetages, untergegangen sei und somit im Zeitpunkt der Klageeinreichung vom 18. September 1959 längst nicht mehr bestanden habe. Massgebend ist allein, dass er im Zeitpunkt der vorsorglichen Beschlagnahme unstreitig am Film ein Besitzrecht hatte.
Der Beklagte wendet schliesslich ein, er sei hinsichtlich des Zerstörungsbegehrens so wenig passiv legitimiert, wie es die SBB wären, welche den Film von Lugano nach Zürich beförderten und somit ebenfalls einmal vorübergehend
BGE 88 II 48 S. 52
derivativen Besitz daran gehabt hätten. Dieser Einwand geht am Kern der Sache vorbei. Der Beklagte ist für das Zerstörungsbegehren nicht darum passiv legitimiert, weil er den Film in seinem Besitz hatte, sondern weil er den in seinem Besitz befindlichen, die Urheberrechte der Kläger verletzenden Film in seinem Kino öffentlich vorführte; diese massgebende Voraussetzung trifft aber auf die SBB nicht zu.
Die Passivlegitimation des Beklagten ist daher gegeben.
4.
Gemäss
Art. 54 URG
kann der Richter die Zerstörung von Werkexemplaren anordnen, welche das Urheberrecht des Klägers verletzen. Das Gesetz stellt diese Massnahme somit dem Ermessen des Richters anheim.
Wie nicht mehr streitig ist, handelt es sich bei dem vom Beklagten vorgeführten Film um eine widerrechtlich hergestellte Verarbeitung mehrerer Originalfilme Chaplins zu einem einzigen Film. Kopien dieses Films waren schon im Februar 1957 in Italien beschlagnahmt worden. Trotzdem kam er im Mai 1957 im Kino Etoile in Zürich wieder zur Vorführung (die dann allerdings auf Begehren der Kläger eingestellt wurde), und im Juli 1959 wurde er (auf Grund eines Filmmietvertrages vom 27. Januar 1957) neuerdings im Kino des Beklagten gezeigt. Diese unrechtmässig hergestellten Filmstreifen tauchten also trotz allen Massnahmen immer wieder im Verkehr auf. Das rechtfertigt die Anordnung der von den Klägern begehrten Zerstörung des beschlagnahmten Films; denn nur so kann mit Sicherheit seine weitere Verleihung durch den Eigentümer Marzocchi verhindert werden.
5.
Die Kläger halten an ihrem Begehren fest, dass auch das zum Film gehörige Reklamematerial zu zerstören sei. Sie sind der Meinung, dieser Anspruch lasse sich ebenfalls aus
Art. 54 URG
ableiten. Das ist jedoch nicht der Fall. Die genannte Bestimmung sieht die Zerstörung lediglich vor für die Exemplare eines Werkes, die unter Verletzung des Urheberrechts hergestellt oder in Verkehr gebracht worden sind, sowie für die Gegenstände, die ausschliesslich
BGE 88 II 48 S. 53
zur rechtswidrigen Herstellung solcher Werkexemplare dienen. Eine Zerstörung des Reklamematerials könnte auf Grund von
Art. 54 URG
somit nur angeordnet werden, wenn die Klägerin 1 durch die der Reklame für den Film dienenden Gegenstände, wie Photos, Wiedergabe von Einzelbildern der Chaplin-Filme usw., in den ihr zustehenden Werknutzungsrechten verletzt würde. Das haben die Kläger aber im kantonalen Verfahren nicht geltend gemacht. Nach ihrer Darstellung hat der Beklagte einzig durch die Vorführung von Ausschnitten aus den verschiedenen Chaplin-Originalfilmen die ausschliesslichen Werknutzungsrechte der Klägerin 1 verletzt.
Man könnte sich fragen, ob allenfalls der Kläger 2 einen Anspruch auf Zerstörung des Reklamematerials aus den Bestimmungen über den Schutz der Persönlichkeit (
Art. 28 ZGB
), die in
Art. 44 URG
ausdrücklich vorbehalten werden, ableiten könnte. Diese Frage kann jedoch offen bleiben, weil ein solches Begehren hier auf jeden Fall wegen Fehlens eines rechtlichen Interesses des Klägers 2 abgewiesen werden müsste. Denn ein solches wäre nur gegeben, wenn die Gefahr weiterer Verletzungshandlungen bestünde. Solche sind aber nicht zu befürchten, weil eine weitere Verwendung des Reklamematerials nicht mehr in Betracht kommt, wenn der Film, auf den es sich bezieht, selber zerstört wird und somit seine weitere Aufführung nicht mehr möglich ist.
Aber selbst wenn man berücksichtigt, dass das Reklamematerial in der Regel vom Kinoinhaber mit dem Film an den Verleiher zurückgeht, so wäre im vorliegenden Falle seine weitere Verwendung durch den Filmverleiher für die Anspreisung allenfalls noch vorhandener weiterer Filmkopien ausgeschlossen; denn das in Frage stehende Reklamematerial ist bereits beschlagnahmt; diese Beschlagnahme bleibt gemäss Dispositiv 1 des vorinstanzlichen Urteils trotz der Abweisung des Zerstörungsbegehrens der Berufung aufrecht. | public_law | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
37e75519-5825-4aef-82b4-de7e3e8aa53d | Urteilskopf
96 I 110
21. Urteil vom 3. Juni 1970 i.S. Hummel gegen Statthalteramt des Bezirkes Uster und Obergericht des Kantons Zürich | Regeste
Kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, Anforderungen an die Begründung.
Art. 4 BV
.
Die Anforderungen an die Begründung einer kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde werden, gleich wie bei übertriebener Formenstrenge, in einer gegen
Art. 4 BV
verstossenden Weise überspannt, wenn auf eine Beschwerde nicht eingetreten wird, die, wenn auch in ungeschickter Formulierung und unzusammenhängender Darstellung, so doch nach Wortlaut und Sinn offenkundig eine Rüge enthält, wie sie zur Begründung der Nichtigkeitsbeschwerde vorgebracht werden kann. | Sachverhalt
ab Seite 111
BGE 96 I 110 S. 111
A.-
Mit Beschluss der II. Zivilkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 24. April 1968 wurde der Meliorationsgenossenschaft Maur, vertreten durch ihren Präsidenten Hermann Hummel, verboten, nach Ablauf von zehn Tagen von der Zustellung des Entscheides an gerechnet
"Wasser aus der Liegenschaft des Hoteliers Manz, Forchstrasse 775, Scheuren-Forch, in ihre entlang des Genossenschaftsweges unterhalb der Liegenschaft Manz verlaufende Drainage, die schliesslich unter dem Flurweg durch in das Grundstück des Klägers (Forchstrasse 745) und in dessen Sickerleitung führt, aufzunehmen, solange nicht für eine direkte Ableitung des betreffenden Wassers in die Kanalisation gesorgt ist. "
Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot wurde die Überweisung der verantwortlichen Organe der Meliorationsgenossenschaft an den Strafrichter zur Bestrafung mit Haft oder Busse wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung (
Art. 292 StGB
) angedroht.
Am 5. Juni 1969 bestrafte das Statthalteramt Uster Hermann Hummel wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung im Sinne von
Art. 292 StGB
mit einer Busse von Fr. 50.-. Es ging davon aus, die Meliorationsgenossenschaft habe das ihr auferlegte Verbot nicht befolgt, was Hummel als deren Präsident zu verantworten habe. Hummel verlangte gerichtliche Beurteilung, worauf der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Uster mit Urteil vom 17. Dezember 1969 die Bussenverfügung des Statthalteramtes im Schuld- und Strafpunkt bestätigte.
BGE 96 I 110 S. 112
B.-
Gegen dieses Urteil erhob Hummel beim Obergericht des Kantons Zürich gestützt auf § 430 Abs. 1 Ziff. 6 der zürcherischen Strafprozessordnung (StPO) Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung materieller Gesetzesvorschriften. Die I. Strafkammer des Obergerichtes trat mit Entscheid vom 23. Februar 1970 nicht auf die Beschwerde ein, im wesentlichen mit folgender Begründung: Unter "Gesetzesvorschriften" im Sinne des
§ 430 Abs. 1 Ziff. 6 StPO
seien alle allgemein verbindlichen Rechtssätze zu verstehen. Keine Rechtsnorm dieser Art sei jedoch eine für den einzelnen Fall getroffene Anordnung, da es sich bei einer solchen nicht um einen generell-abstrakten Rechtssatz handle. Auf die Beschwerde könnte daher nur eingetreten werden, wenn z.B. gerügt würde, der Einzelrichter habe
Art. 292 StGB
unrichtig ausgelegt oder ihn aufeinen Tatbestand angewendet, aufwelchen er nicht anwendbar sei. Das behaupte der Beschwerdeführer nicht. Er rüge vielmehr bloss, der Einzelrichter habe die von der II. Zivilkammer des Obergerichtes erlassene Verbotsnorm falsch ausgelegt. Da es sich bei dieser um eine Rechtsverfügung individuell-konkreter Art handle, könne nach dem Gesagten nicht auf die Nichtigkeitsbeschwerde eingetreten werden.
C.-
Gegen den Entscheid der I. Strafkammer des Obergerichtes hat Hummel gestützt auf
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.
D.-
Die I. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde; das Statthalteramt Uster hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgesicht zieht in Erwägung:
1.
(Eintretensfrage).
2.
Nach
Art. 292 StGB
wird mit Haft oder Busse bestraft, wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet. Wie in den Erwägungen des angefochtenen Entscheides ausgeführt wird, ist auf eine Nichtigkeitsbeschwerde einzutreten, welche sich auf
§ 430 Abs. 1 Ziff. 6 StPO
stützt, wenn geltend gemacht wird, der Einzelrichter habe eine Strafnorm unrichtig ausgelegt oder sie auf einen Sachverhalt angewendet, auf welchen sie nicht anwendbar ist. Wie das Obergericht in seiner Beschwerdeantwort weiter
BGE 96 I 110 S. 113
ausführt, muss der Beschwerdeführer zudem angeben, inwiefern und weshalb die Gesetzesvorschrift verletzt sein soll.
Der Beschwerdeführer stützte seine Nichtigkeitsbeschwerde auf
§ 430 Abs. 1 Ziff. 6 StPO
und machte ausdrücklich geltend, das angefochtene Urteil verletze materielle Gesetzesvorschriften. Er brachte unter anderem folgendes vor:
"Die Meliorationsgenossenschaft Maur ist somit dem obergerichtlichen Befehl nachgekommen. Sie hat nichts versäumt, was ihr rechtens befohlen wurde. Es gebricht somit am objektiven Tatbestand des Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung. Zudem liegt kein rechtlich relevantes Verschulden des Beschwerdeführers und der übrigen Organe der Meliorationsgenossenschaft vor, da sie ja das diffuse Eindringen von Wasser in die Leitung nicht zu verhindern vermochten, es sei denn durch eine Massnahme, welche eindeutig ausserhalb des obergerichtlichen Befehls lag. Auf jeden Fall aber durften die Organe der Meliorationsgenossenschaft nach den Umständen ohne Verschulden den obergerichtlichen Befehl in dem oben dargelegten Sinne verstehen. Der Beschwerdeführer beruft sich daher eventualiter auf Rechtsirrtum im Sinne von
Art. 20 StGB
, indem er für sich in Anspruch nimmt, er habe jedenfalls aus zureichenden Gründen angenommen, mit der Unterbrechung des Anschlusses von der Liegenschaft Manz her dem obergerichtlichen Befehl in allen Teilen nachgekommen zu sein. Für diesen Fall beantrage ich, von einer Bestrafung Umgang zu nehmen."
Damit hat der Beschwerdeführer klar gesagt, der Einzelrichter habe
Art. 292 StGB
zu Unrecht angewendet, da der objektive Tatbestand dieser Strafnorm nicht erfüllt sei. Er hat die Rüge auch begründet, indem er ausführte, die Meliorationsgenossenschaft sei dem obergerichtlichen Befehl nachgekommen, sie habe nichts versäumt, was ihr rechtens befohlen worden sei.
Das Obergericht führt in seiner Beschwerdeantwort aus, mit der Behauptung, der objektive Tatbestand des
Art. 292 StGB
sei nicht erfüllt, sei im Grunde nur gerügt worden, der Einzelrichter in Strafsachen habe das vom Obergericht erlassene Verbot unrichtig ausgelegt. Auf die Rüge unrichtiger Auslegung des Verbotes habe das Obergericht nicht eintreten können, weshalb die weiteren darauf Bezug nehmenden Vorbringen hinfällig geworden seien.
Das Obergericht stellt sich damit auf den Standpunkt, der Beschwerdeführer habe zwar der Form nach eine unrichtige Anwendung des
Art. 292 StGB
behauptet, der Sache nach aber bloss die Auslegung des von der II. Zivilkammer des Obergerichtes erlassenen Verbotes durch den Einzelrichter in Strafsachen
BGE 96 I 110 S. 114
angegriffen. Ob diese Auffassung unhaltbar und somit der daraus gezogene Schluss, angesichts der Unmöglichkeit einer Überprüfung der Auslegung des Verbotes durch den Einzelrichter könne das Gericht auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eintreten, willkürlich ist, kann offen bleiben, da der angefochtene Entscheid aus einem andern Grund vor
Art. 4 BV
nicht standhält.
Der Beschwerdeführer hat nämlich in seiner Nichtigkeitsbeschwerde weiterhin geltend gemacht, der Einzelrichter habe ihn bestraft, obschon kein rechtlich relevantes Verschulden vorliege. Er begründete diese Rüge, indem er an anderer Stelle der Rechtsschrift vorbrachte, das von der Liegenschaft Manz abfliessende Wasser sei nach Erlass des obergerichtlichen Verbotes nicht "wissentlich und willentlich" weiterhin in die Leitung der Meliorationsgenossenschaft aufgenommen worden. Dies kann einen doppelten Sinn haben. Der Beschwerdeführer kann damit behaupten wollen, der Strafrichter habe bei der Beweiswürdigung zu Unrecht Vorsatz angenommen. Die Rüge kann sich aber auch auf die Anwendung des materiellen Rechts beziehen, indem geltend gemacht werden will, der Richter habe verkannt, dass nur die vorsätzliche Tat mit Strafe bedroht ist, oder er habe den Begriff des Vorsatzes falsch ausgelegt.
Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid ohne nähere Begründung angenommen, der Beschwerdeführer habe mit der genannten Rüge nicht die Verletzung materieller Gesetzesvorschriften behauptet. Darin liegt eine übertriebene prozessuale Strenge. Obschon der Beschwerdeführer vor dem Einzelrichter in Strafsachen bestritten hatte, das obergerichtliche Verbot mit Wissen und Willen übertreten zu haben, enthält das einzelrichterliche Urteil keine die Schuldform betreffenden tatsächlichen Feststellungen. Es lässt sich schon aus diesem Grunde kaum annehmen, der Beschwerdeführer habe mit der in der Nichtigkeitsbeschwerde vorgebrachten Rüge, er sei trotz Fehlen eines rechtlich erheblichen Verschuldens bestraft worden, in Wirklichkeit bloss eine tatsächliche Feststellung des Strafrichters angreifen, aber nicht die Verletzung materiellen Rechts geltend machen wollen. Es kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer in der Einleitung seiner Rechtsschrift ausdrücklich behauptete, das angefochtene Urteilverletze materielle Gesetzesvorschriften, und in der Begründung geltend machte, es liege kein rechtlich relevantes Verschulden vor, da ihm keine wissentliche und willentliche
BGE 96 I 110 S. 115
Tätigkeit vorgeworfen werden könne. Da Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen ein Vorsatzdelikt ist, musste bei dieser Sachlage angenommen werden, der Beschwerdeführer habe - zumindest auch - die Verletzung materieller Gesetzesvorschriften, nämlich des Art. 292 in Verbindung mit
Art. 18 StGB
gerügt, und er habe zudem die erforderliche Begründung dafür vorgebracht, indem er erklärte, er sei trotz Fehlen des Vorsatzes einer Straftat schuldig erklärt worden, die nur bei vorsätzlicher Begehung mit Strafe bedroht ist. Der in der Beschwerdeantwort vorgebrachte Einwand des Obergerichts, der Beschwerdeführer habe in Wirklichkeit bloss die Auslegung des obergerichtlichen Befehls durch den Einzelrichter kritisiert, trifft jedenfalls auf die die gesetzliche Schuldform betreffende Rüge nicht zu, da der Beschwerdeführer in der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde erklärt hatte, selbst wenn man sich nur auf den Wortlaut des obergerichtlichen Befehls stütze, fehle es an einer wissentlichen und willentlichen Zuwiderhandlung. In diesem Zusammenhang beanstandete er nicht die Interpretation des Verbotes.
Es ist einzuräumen, dass die Nichtigkeitsbeschwerde wenig glücklich abgefasst war. Die Anforderungen an die Begründung werden aber, gleich wie bei übertriebener Formstrenge, in einer gegen
Art. 4 BV
verstossenden Weise überspannt, wenn auf eine Beschwerde nicht eingetreten wird, die, wenn auch nicht in geschickter Formulierung und zusammenhängender Darstellung, so doch nach Wortlaut und Sinn offenkundig eine Rüge enthält, wie sie zur Begründung einer Nichtigkeitsbeschwerde vorgebracht werden kann. Die staatsrechtliche Beschwerde ist deshalb gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
37e84240-764b-4747-b874-8f32528a8b9e | Urteilskopf
124 V 12
3. Arrêt du 16 janvier 1998 dans la cause C. contre Office de l'AI pour le canton de Vaud et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 21 Abs. 3 und 4 IVG
;
Art. 14 IVV
;
Art. 7 Abs. 3 HVI
: Kostenübernahme für Betrieb und Unterhalt von Hörgeräten durch die Invalidenversicherung.
-
Art. 7 Abs. 3 HVI
(in der seit 1. Januar 1997 geltenden Fassung), welcher im letzten Satz vorsieht, dass die Invalidenversicherung die Kosten für Betrieb und Unterhalt von Hörgeräten nicht übernimmt, hält sich insofern in dem durch
Art. 21 IVG
bestimmten gesetzlichen Rahmen.
- Hingegen stellt das Fehlen der Übernahme von Betriebs- und Unterhaltskosten von Hörgeräten angesichts der Tatsache, dass die Invalidenversicherung solche Kosten für die andern Hilfsmittel übernimmt, eine mit ernsthaften und sachlichen Gründen nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung dar. | Sachverhalt
ab Seite 13
BGE 124 V 12 S. 13
A.-
C., née en 1992, souffre de surdité bilatérale congénitale. Elle a ainsi bénéficié de prestations de l'assurance-invalidité, notamment la fourniture d'un appareil acoustique et la prise en charge des frais d'entretien et d'utilisation relatifs à celui-ci, au titre de l'octroi de moyens auxiliaires (communication du 20 juin 1996).
Par décision du 14 mars 1997, l'Office de l'assurance-invalidité pour le canton de Vaud (ci-après: l'office) a cessé d'accorder des prestations pour l'entretien et l'utilisation de cet appareil à compter du 1er janvier 1997, en se fondant sur une nouvelle disposition réglementaire.
B.-
Le recours de C. auprès du Tribunal des assurances du canton de Vaud a été rejeté par jugement du 16 mai 1997.
C.-
C. interjette un recours de droit administratif contre ce jugement dont elle demande l'annulation. Elle conclut à ce que les frais d'utilisation et d'entretien de l'appareil acoustique soient pris en charge par l'assurance-invalidité.
L'office conclut au rejet du recours. L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) préavise dans le même sens.
BGE 124 V 12 S. 14
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux termes de l'
art. 21 al. 1 LAI
, l'assuré a droit, d'après une liste que dressera le Conseil fédéral, aux moyens auxiliaires dont il a besoin pour exercer une activité lucrative ou accomplir ses travaux habituels, pour étudier ou apprendre un métier ou à des fins d'accoutumance fonctionnelle. L'al. 2 de cette disposition stipule que l'assuré qui, par suite de son invalidité, a besoin d'appareils coûteux pour se déplacer, établir des contacts avec son entourage ou développer son autonomie personnelle, a droit, sans égard à sa capacité de gain, à de tels moyens auxiliaires conformément à une liste qu'établira le Conseil fédéral.
A l'
art. 14 RAI
, le Conseil fédéral a délégué au Département fédéral de l'intérieur la compétence de dresser la liste des moyens auxiliaires et d'édicter des prescriptions complémentaires au sens de l'
art. 21 al. 4 LAI
. Ce département a édicté le 29 novembre 1976 l'ordonnance concernant la remise des moyens auxiliaires par l'assurance-invalidité (OMAI) avec, en annexe, la liste des moyens auxiliaires. Celle-ci est exhaustive dans la mesure où elle énumère les catégories de moyens auxiliaires entrant en ligne de compte.
La question de la réparation et de l'entretien des moyens auxiliaires est traitée à l'
art. 7 OMAI
. Selon l'al. 2 de cette disposition, les frais de réparation, d'adaptation ou de remplacement partiel nécessaires sont assumés par l'assurance, à défaut de tiers responsable. Le montant de cette prise en charge est cependant limité dans le cas des véhicules à moteur. Pour les frais d'entretien et d'utilisation des moyens auxiliaires, l'assurance accorde une contribution annuelle. Celle-ci est au maximum de 485 francs (ch. 6.3 annexe 1 OMAI). Les frais d'entretien et d'utilisation d'appareils acoustiques et de véhicules à moteur ne sont pas pris en charge par l'assurance (
art. 7 al. 3 OMAI
).
Dans sa teneur initiale, l'
art. 7 al. 3 OMAI
prévoyait que les frais d'entretien de moyens auxiliaires, en particulier de véhicules à moteur, de fauteuils roulants à moteur et d'appareils acoustiques n'étaient pas pris en charge par l'assurance-invalidité, sauf dans les cas pénibles. Par suite d'une modification de la disposition réglementaire, intervenue le 9 octobre 1992, l'assurance-invalidité a alloué une contribution annuelle aux frais d'entretien et d'utilisation des moyens auxiliaires, contribution qui pouvait aller jusqu'à la moitié du montant minimal de la rente ordinaire simple de vieillesse. Avec la nouvelle modification du 19 décembre 1996, entrée en vigueur le 1er janvier 1997, les frais d'entretien et d'utilisation des appareils acoustiques ne sont plus pris en charge par
BGE 124 V 12 S. 15
l'assurance-invalidité, comme c'était déjà le cas depuis 1993 de ceux relatifs aux véhicules à moteur.
2.
La recourante fait valoir que la disposition de l'
art. 7 al. 3 OMAI
, dans sa teneur en vigueur au 1er janvier 1997, n'est pas conforme à la loi et viole le principe de l'égalité de traitement.
a) Le Tribunal fédéral des assurances examine en principe librement la légalité des dispositions d'application prises par le Conseil fédéral. En particulier, il exerce son contrôle sur les ordonnances (dépendantes) qui reposent sur une délégation législative. Lorsque celle-ci est relativement imprécise et que, par la force des choses, elle donne au Conseil fédéral un large pouvoir d'appréciation, le tribunal doit se borner à examiner si les dispositions incriminées sortent manifestement du cadre de la délégation de compétence donnée par le législateur à l'autorité exécutive ou si, pour d'autres motifs, elles sont contraires à la loi ou à la Constitution. Dans l'examen auquel il procède à cette occasion, le juge ne doit toutefois pas substituer sa propre appréciation à celle de l'autorité dont émane la réglementation en cause. Il doit au contraire se borner à vérifier si la disposition litigieuse est propre à réaliser objectivement le but visé par la loi, sans se soucier, en particulier, de savoir si elle constitue le moyen le mieux approprié pour atteindre ce but (
ATF 123 II 44
consid. 2b,
ATF 122 V 93
consid. 5a/bb, 118 consid. 3a/bb, 303 consid. 4a, 311 consid. 5c/aa, 408 consid. 3a,
ATF 120 V 49
consid. 3a, 457 consid. 2b et les références).
Selon la jurisprudence constante, une norme générale et abstraite viole le principe de l'égalité de traitement consacré à l'
art. 4 al. 1 Cst.
lorsqu'elle n'est pas fondée sur des motifs sérieux et objectifs, qu'elle est dépourvue de sens et d'utilité, qu'elle opère des distinctions juridiques que ne justifient pas les faits à réglementer ou qu'elle omet, au contraire, des distinctions juridiques que la diversité des circonstances en présence rend indispensables (
ATF 123 I 7
consid. 6a, 23 consid. 3b et 141 consid. 10b,
ATF 123 II 11
consid. 3a et 26 consid. 6a,
ATF 122 I 25
consid. 2b/cc, 67 consid. 3a, 313 consid. 6a et 349 consid. 4b,
ATF 121 I 104
consid. 4a et 134 consid. 3d). En d'autres termes, le droit à l'égalité de traitement postule que les situations de fait semblables soient assujetties à des règles de droit semblables, et les situations de fait dissemblables à des règles de droit dissemblables (GRISEL, Traité de droit administratif, p. 359).
b) L'ordonnance incriminée a pour base légale l'
art. 21 LAI
qui postule simplement le droit à la remise de moyens auxiliaires aux assurés invalides qui en remplissent les conditions. Dans la mesure où l'OMAI règle les
BGE 124 V 12 S. 16
questions de détail relatives à la remise de ces moyens, elle entre, d'une manière générale, dans le cadre de la délégation législative donnée au Conseil fédéral (
art. 21 al. 4 LAI
). Corollaire de la remise, la réparation des moyens auxiliaires, prise en charge par l'assurance-invalidité (
art. 7 al. 2 OMAI
), en est le complément nécessaire, la remise de moyens auxiliaires pouvant et devant être comprise comme celle de moyens effectivement aptes à procurer l'aide envisagée. A cet égard, on peut observer que l'assurance-invalidité a pour obligation d'assumer les frais de réparation de tous les moyens auxiliaires quels qu'ils soient, pour autant qu'ils figurent sur la liste annexée à l'OMAI. Seule exception, la prise en charge limitée des frais de réparation des véhicules à moteur demeure manifestement dans le cadre de la loi, l'usage privé ou à d'autres fins que celles visées à l'
art. 21 LAI
ne pouvant être mis à la charge de l'assurance (
ATF 109 V 22
consid. 4b; MEYER-BLASER, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG), Zürich 1997, collection "Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht", ad
art. 21 LAI
, ch. 3, p. 165).
Par une interprétation relativement large ou généreuse de la délégation législative, le Conseil fédéral a ordonné la prise en charge des frais d'entretien et d'utilisation des moyens auxiliaires (
art. 7 al. 3 OMAI
première phrase). Mais dans la mesure où, avec la remise des moyens auxiliaires et la prise en charge des frais de réparation, il avait pleinement rempli les buts assignés par le législateur, ni cette prise en charge ni, dans le cas contraire, l'absence de prise en charge n'apparaissent comme sortant du cadre législatif.
Dès lors et dans la mesure où le recourant se plaint d'une violation du principe de la légalité, son argumentation doit être rejetée.
c) Toute autre est la question de l'égalité de traitement dont l'examen ne peut se limiter, comme l'ont fait les juges cantonaux, à ne considérer que l'égalité de traitement entre sourds ou malentendants, cette exigence étant au demeurant manifestement réalisée.
Jusqu'en 1993, la question des frais d'entretien et d'utilisation recevait une réponse identique pour tous les moyens auxiliaires, quel que soit leur genre et quelle que soit la nature de l'invalidité. Dès cette date, ont été exclus de la prise en charge les frais d'entretien des véhicules automobiles, puis, dès le 1er janvier 1997, ceux liés à l'utilisation des appareils acoustiques. On doit ainsi constater que cette disposition réglementaire consacre, dans son résultat, une inégalité de traitement entre invalides bénéficiant de moyens auxiliaires suivant le genre de moyens nécessités par leur état. Cette constatation n'entraîne cependant
BGE 124 V 12 S. 17
pas à elle seule la conclusion que la disposition de l'ordonnance serait contraire à la Constitution. Il reste à examiner s'il existe des motifs sérieux et objectifs qui justifient cette différence de traitement.
Dans le cadre de l'utilisation de véhicules à moteur, cette différence de traitement est incontestablement justifiée par l'usage possible pour des buts étrangers à ceux poursuivis par l'assurance-invalidité. Pour les appareils acoustiques, celle-ci serait notamment justifiée, selon l'OFAS, par un travail administratif disproportionné par rapport aux montants en jeu. Les tâches de collecte, de contrôle, de paiement de ces frais et d'archivage de ces nombreuses pièces occasionneraient des dépenses administratives sans relation avec les frais réellement encourus pour l'utilisation d'un appareil acoustique, frais qui sont de l'ordre de 120 francs par année (essentiellement l'achat de batteries ou de piles).
Ces motifs d'ordre administratif sont insuffisants pour justifier la différence de traitement, entre invalides, pour la prise en charge des frais d'utilisation de leurs moyens auxiliaires nécessaires. Il n'apparaît en effet nullement impossible d'imaginer la mise sur pied d'un système - au besoin sur la base d'un forfait - qui n'entraîne pas une activité administrative disproportionnée. Seule pourrait dès lors entrer en ligne de compte, comme motif autorisant une différence de traitement, la constatation que les frais annuels d'entretien des appareils acoustiques et ceux des autres moyens auxiliaires présenteraient des différences de coût sensibles, les premiers étant faibles alors que les seconds seraient plus élevés. Supposé en effet cette situation réalisée, un traitement différencié pourrait alors se justifier précisément par la constatation de situations de fait dissemblables.
On a déjà vu que le montant forfaitaire maximum de la prise en charge annuelle est de 485 francs (chiffre 6.3 annexe 1 OMAI). Comme il n'existe pas d'indice que ces frais d'entretien dépasseraient en réalité dans tous les cas cette limite - ce qui serait au demeurant peu vraisemblable -, on ne voit pas qu'il existe des raisons de traiter différemment la prise en charge des frais pour les appareils acoustiques et ceux pour d'autres moyens auxiliaires, s'agissant de frais de même importance. La comparaison effectuée par l'OFAS avec la réglementation particulière concernant les véhicules à moteur n'est, dans ces circonstances, d'aucun secours à l'intimée dès lors que, comme on l'a retenu plus haut, les situations de faits diffèrent sensiblement.
BGE 124 V 12 S. 18
Parce qu'il introduit une discrimination insoutenable, l'
art. 7 al. 3 OMAI
dernière phrase, dans sa version en vigueur au 1er janvier 1997, n'est pas compatible avec le principe d'égalité de traitement de l'
art. 4 al. 1 Cst.
Il en résulte qu'il ne peut dès lors faire obstacle à la prise en charge des frais d'entretien et d'utilisation d'appareils acoustiques par l'assurance-invalidité.
Le recours est ainsi bien fondé, de sorte que la communication du 20 juin 1996 continue à déployer ses effets juridiques dans le temps. | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
37ea1981-4099-419d-a12e-dcff02381112 | Urteilskopf
116 Ib 256
34. Urteil des Kassationshofes vom 1. Juni 1990 i.S. G. gegen Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 25 Abs. 3 lit. e SVG
und Art. 40 f. VZV; Anordnung von Verkehrsunterricht.
Die Anordnung von Verkehrsunterricht setzt voraus, dass der Betroffene innert kurzer Zeit mindestens zweimal oder immer wieder Verkehrsregeln übertreten hat und anzunehmen ist, durch eine Verbesserung seiner Kenntnisse der Verkehrsvorschriften oder durch den Hinweis auf die Gefahren regelwidrigen Verhaltens im Strassenverkehr könne er von künftigen Verstössen gegen die Strassenverkehrsregeln abgehalten werden. | Sachverhalt
ab Seite 256
BGE 116 Ib 256 S. 256
G., der wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung bereits am 16. Juni 1986 administrativ verwarnt werden musste, verursachte am 3. Februar 1989, um ca. 19.30 Uhr, auf der Autobahn N 1 im Bereich der Baustelle bei Mattstetten einen Verkehrsunfall. Es
BGE 116 Ib 256 S. 257
wird ihm vorgeworfen, einen unkontrollierten Schwenker gemacht und damit seinen Personenwagen nicht beherrscht zu haben.
Am 12. April 1989 verpflichtete das Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt des Kantons Bern G. in Anwendung von
Art. 25 Abs. 3 lit. e SVG
und Art. 40 f. VZV zum Besuch eines eintägigen Verkehrsunterrichts. Die dagegen gerichtete Einsprache wurde von derselben Behörde am 11. Oktober 1989 abgewiesen. Am 17. Januar 1990 wies die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern eine in derselben Angelegenheit eingereichte Beschwerde ebenfalls ab.
G. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, der Entscheid der Rekurskommission vom 17. Januar 1990 sei aufzuheben; in Gutheissung der Beschwerde sei auf die Anordnung des Verkehrsunterrichts zu verzichten und die administrative Massnahme auf eine Verwarnung zu beschränken.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 25 Abs. 3 lit. e SVG
stellt der Bundesrat Vorschriften auf über den Verkehrsunterricht für Motorfahrzeugführer und Radfahrer, die wiederholt Verkehrsregeln übertreten haben. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Bundesrat in den Artikeln 40 und 41 VZV Bestimmungen über den Verkehrsunterricht erlassen. Danach hat der Unterricht den Teilnehmern die Kenntnis der für sie wichtigen Verkehrsvorschriften zu erneuern oder zu erweitern und sie unter Hinweis auf die Gefahren des Verkehrs zu korrektem Verhalten im Strassenverkehr zu veranlassen (
Art. 40 Abs. 2 VZV
). Zum Verkehrsunterricht können u.a. Motorfahrzeugführer aufgeboten werden, die wiederholt in verkehrsgefährdender Weise gegen Verkehrsregeln verstossen haben (
Art. 40 Abs. 3 VZV
); Voraussetzung ist, dass die Verkehrsteilnehmer aufgrund der begangenen Widerhandlungen und einer Aussprache als erziehungsfähig erscheinen (
Art. 40 Abs. 4 Satz 2 VZV
).
Eine wiederholte Verkehrsregelübertretung im Sinne von
Art. 25 Abs. 3 lit. e SVG
liegt schon dann vor, wenn der Betroffene in den letzten Jahren zweimal Verkehrsregeln übertreten hat (ebenso Interkantonale Kommission für den Strassenverkehr, Richtlinien über die Administrativmassnahmen im Strassenverkehr, 1981, Ziff. 3.3.5.1). Ob es sich jeweils um die gleiche oder um verschiedene Regeln handelt, ist unerheblich. Die Massnahme des
BGE 116 Ib 256 S. 258
Verkehrsunterrichts bezweckt einerseits, die Kenntnis der Verkehrsregeln zu erneuern und zu vertiefen; sie soll andererseits aber auch die Einstellung der Teilnehmer des Unterrichts zum Verkehrsgeschehen ganz allgemein beeinflussen, indem sie diese auf die Gefahren regelwidrigen Verhaltens im Strassenverkehr aufmerksam macht und dadurch fehlbare Motorfahrzeuglenker von künftigen Widerhandlungen abhält. Die Massnahme setzt somit voraus, dass der Betroffene innert kurzer Zeit mindestens zweimal oder immer wieder Verkehrsregeln übertreten hat und anzunehmen ist, durch eine Verbesserung seiner Kenntnisse der Verkehrsvorschriften bzw. durch den Hinweis auf die Gefahren regelwidrigen Verhaltens im Strassenverkehr könne er von künftigen Verstössen gegen die Strassenverkehrsregeln abgehalten werden. Ob dies der Fall ist, muss aufgrund der Umstände im Einzelfall entschieden werden. Die Anordnung des Verkehrsunterrichts erweist sich nicht nur dann als sinnvoll, wenn der fehlbare Fahrzeugführer im Laufe seiner Fahrpraxis immer wieder Verkehrsregeln übertreten hat und aufgrund verschiedenartigen Fehlverhaltens anzunehmen ist, seine Kenntnis der Verkehrsregeln sei ungenügend. Der Besuch des Verkehrsunterrichts ist schon dann gerechtfertigt, wenn aus den Umständen geschlossen werden muss, dass dem Betroffenen der Zweck einzelner Verkehrsvorschriften nicht einsichtig ist und dass er sich deswegen der Gefahren nicht bewusst ist, die er durch deren Übertretung für andere Verkehrsteilnehmer schafft.
2.
Dem Beschwerdeführer wird im vorliegenden Administrativverfahren vorgeworfen, innert nicht ganz dreier Jahre einmal am 6. März 1986 die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 22 km/h überschritten und einmal am 3. Februar 1989 sein Fahrzeug nicht beherrscht zu haben. Damit hat er im Sinne von
Art. 25 Abs. 3 lit. e SVG
innert weniger Jahre wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstossen.
Wie aus den Akten hervorgeht, ist er aber bereits am 11. Juni 1985 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgefallen; er fuhr damals auf der Autobahn um 17 km/h zu schnell, wofür er durch das Bezirksamt Rheinfelden am 24. Juni 1985 mit Fr. 100.-- gebüsst wurde. Eine weitere Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit trug ihm schliesslich am 26. Juni 1987 eine durch die Kantonspolizei Zürich ausgefällte Busse von Fr. 100.-- ein. Bei dieser Sachlage muss geschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer die Bedeutung der Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht ganz einsichtig ist und er sich damit der Gefahren nicht bewusst
BGE 116 Ib 256 S. 259
ist, die er durch Nichtbeachten der entsprechenden Vorschriften für andere Verkehrsteilnehmer schafft.
Aber auch die neue Verfehlung darf - wie die erste Instanz zu Recht ausführt - nicht bagatellisiert werden, da sich der Beschwerdeführer trotz der mehrfachen Signalisation und der deutlich erkennbaren Fahrbahnverengung durch die fragliche Stelle hat überraschen lassen. Bei genügend vorausschauender Fahrweise hätte der unkontrollierte Schwenker und dadurch der Unfall durchaus vermieden werden können. Dass der andere Unfallbeteiligte mit übersetzter Geschwindigkeit fuhr, ändert an dieser Schlussfolgerung nichts und vermag im übrigen das Verschulden des Beschwerdeführers nicht als geringfügiger erscheinen zu lassen.
Dem den Akten beiliegenden Programm des Kurses "Verkehrsunterricht I" ist zu entnehmen, dass einer der Themenkreise "Vorausschauende Teilnahme am Verkehr und defensive Fahrweise" lautet; gerade dieser Teil des Kurses ist auf den Beschwerdeführer zugeschnitten. Es ist anzunehmen, dass auch ein durch reichhaltige Fahrpraxis erfahrener Fahrzeuglenker wie der Beschwerdeführer durch den Hinweis auf den Sinn der Verkehrsvorschriften sowie auf die Gefahren entsprechender Übertretungen zur künftigen Beachtung der Regeln im Strassenverkehr angehalten werden kann.
3.
Gesamthaft gesehen, hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, insbesondere ihr Ermessen nicht überschritten, indem sie die Voraussetzungen des Verkehrsunterrichts für den Beschwerdeführer als gegeben erachtete. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
37f8df80-1abf-4c3f-8c1d-6701ad9b1691 | Urteilskopf
111 III 33
7. Sentenza 10 aprile 1985 della Camera delle esecuzioni e dei fallimenti nella causa società anonima Y contro coniugi X (ricorso) | Regeste
Wechselbetreibung: Voraussetzungen, Gültigkeit des Titels, Erfordernis des Wechselprotestes (
Art. 177 und 178 Abs. 1 SchKG
).
1. Elemente, die der Betreibungsbeamte zu prüfen hat, bevor er einem Begehren um Wechselbetreibung stattgibt; enthält der vorgelegte Titel die vom Gesetz geforderten Angaben (
Art. 991, 1096 und 1100 OR
) offensichtlich nicht, muss der Betreibungsbeamte die Wechselbetreibung verweigern (Erw. 1).
2. Die Vorlegung des Protestes (
Art. 1034, 1098 und 1129 OR
) ist notwendig, falls die wechselrechtlichen Wirkungen, auf die sich der Gläubiger beruft, davon abhängen: Titel und Protest bilden ein Ganzes, das der Betreibungsbeamte in seiner Gesamtheit zu prüfen hat, wenn es um die Feststellung geht, ob der Titel bei erster Betrachtung eine Wechselbetreibung zulasse (Erw. 2a).
3. Ein Wechsel, der den Namen des Bezogenen nicht enthält (
Art. 991 Ziff. 3 OR
), gilt nicht als Wertpapier (
Art. 992 Abs. 1 OR
) und kann, da das Zahlungsversprechen fehlt (
Art. 1096 Ziff. 2 und 1097 Abs. 1 OR
), auch nicht als Eigenwechsel betrachtet werden (Erw. 2b und 3). | Sachverhalt
ab Seite 34
BGE 111 III 33 S. 34
A.-
I coniugi X hanno ottenuto il 12 agosto 1983 dall'Ufficio esecuzioni e fallimenti di Bellinzona la notifica alla ditta Y S.A. di un precetto esecutivo in via cambiaria die Fr. 200'000.-- più interessi e spese. La domanda era corredata del seguente titolo:
Lausanne, le 7 mai 1982 B.P. Fr. 200'000.--
Au 31 juillet 1983 veuillez payer cette lettre de change à l'ordre de M. et Mme X à Sementina/TI la somme de deux cent mille francs.
Valeur en compte que passerez selon avis au Crédit Suisse Morges
(firmato) Z.
Il documento reca l'avallo della ditta Y S.A. Alla cambiale è allegato un protesto per mancato pagamento.
B.-
Il 22 agosto 1983 la ditta escussa ha fatto opposizione e il giorno medesimo è insorta alla Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello, autorità di vigilanza, obiettando la nullità della cartavalore e la mancata legittimazione a procedere dei coniugi X. La corte ha respinto il reclamo il 22 febbraio 1985; ha rilevato che il titolo appare provvisto di tutti i requisiti essenziali e che una maggior disamina delle censure sarebbe spettata al giudice competente a statuire sull'opposizione.
BGE 111 III 33 S. 35
C.-
Adito il Tribunale federale l'11 marzo 1985, la ditta Y S.A. postula l'annullamento della sentenza impugnata e del precetto esecutivo in via cambiaria. Con decreto del 18 marzo 1985 il Presidente della Camera delle esecuzioni e dei fallimenti, accordato al ricorso effetto sospensivo, ha conferito facoltà di risposta ai creditori e all'Ufficio esecuzioni e fallimenti di Bellinzona. Quest'ultimo si riconferma nel proprio operato, rimettendosi in ogni modo al giudizio del Tribunale federale. I coniugi X propongono invece di respingere il ricorso.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Le pretese derivanti da cambiale, vaglia cambiario (pagherò) o assegno bancario (chèque), anche se garantite da pegno, sono suscettibili - qualora il creditore lo richieda - di esecuzione cambiaria, sempreché il debitore sia soggetto alla procedura di fallimento (art. 177 cpv. 1 LEF). Prima di dar seguito a una domanda siffatta l'ufficiale deve verificare gli estremi dell'esecuzione cambiaria (art. 178 cpv. 1 LEF), e cioè:
a) che il debitore soggiaccia alla procedura di fallimento (
art. 39 e 40
LEF);
b) che il titolo esibito possegga tutti i requisiti essenziali di una cambiale, di un vaglia cambiario o di un assegno bancario (
art. 991, 1096 e 1100
CO);
c) che il titolo costituisca un'obbligazione cambiaria del debitore; ciò si riscontra - in genere - quando il debitore ha sottoscritto la cambiale come traente, accettante (trattario), girante o avallante (art. 1044, 1099, 1143 n. 12 CO). Il trattario (art. 991 n. 3 CO) che non ha accettato la cambiale a norma dell'art. 1015 CO non ha contratto alcuna obbligazione di cambio e non può in nessun caso essere escusso in via cambiaria.
(Si veda la circolare n. 23 del Dipartimento federale di giustizia e polizia, del 3 settembre 1895, pubblicata in: HUGUENIN/BERTA, Raccolta delle prescrizioni federali in tema di esecuzione e fallimento, Zurigo 1912, pag. 227; edizione francese in: JÄGER/KRAUSKOPF-PENEVEYRE, La poursuite pour dettes et la faillite, 12a edizione, pag. 90 seg. e FF 1911 IV 43 seg.; edizione tedesca in: WALDER-BOHNER, Schuldbetreibung und Konkurs, 11a edizione, pag. 447 segg. e BBl 1911 IV 41 seg.).
Non incombe all'Ufficio d'esecuzione vagliare la fondatezza sostanziale del titolo prodotto; se tuttavia il documento difetta, già
BGE 111 III 33 S. 36
manifestamente, di esigenze formali, l'Ufficio deve rifiutare la notifica del precetto esecutivo in via cambiaria (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 3a edizione, nota 12 al § 37; FAVRE, Droit des poursuites, 3a edizione, pag. 278 n. 3; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2a edizione, vol. II, pag. 20 seg.; JÄGER, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, vol. II, nota 1 ad art. 178 LEF; DTF 67 III 152).
2.
Nel caso specifico il titolo presentato dai creditori è designato espressamente come cambiale (lettre de change); deve adempiere quindi i requisiti dell'art. 991 CO. Ora, secondo la ditta escussa, il documento non contiene l'indicazione del trattario (art. 991 n. 3 CO), il Credito Svizzero di Morges essendo solo luogo del pagamento (art. 991 n. 5 CO). L'autorità cantonale e i creditori affermano invece che l'ente chiamato a pagare è proprio tale istituto.
a) Il testo della cartavalore è equivoco. La menzione relativa al Credito Svizzero si trova bensì nello spazio riservato ordinariamente al nome del trattario, ma la locuzione au "Crédit Suisse" può anche far parte della frase "Valeur en compte que passerez selon avis". D'altro lato la denominazione del trattario costituisce, nell'uso comune, un periodo a sé stante che inizia di solito con una maiuscola; inoltre la preposizione "à" riesce desueta nel francese corrente per indicare il destinatario di una missiva. Sia come sia, il problema non può essere deciso sulla sola scorta della cambiale. Questa, invero, è accompagnata dal protesto, atto senza dubbio idoneo a precisarne il senso. Certo, la consegna del protesto non è contemplata dall'art. 177 cpv. 2 LEF, nondimeno essa appare indispensabile ove il protesto rappresenti la premessa degli effetti cambiari invocati dal creditore (FRITZSCHE, op.cit., vol. II, pag. 19 n. 2 con richiamo alla tesi di Isidor RIEMER, Die Wechselbetreibung, Zurigo 1923, pag. 39; JOOS, Handbuch für die Betreibungsbeamten der Schweiz, Wädenswil 1964, pag. 285). È quanto avviene in concreto, l'esecuzione litigiosa fondandosi sull'avallo prestato dalla ricorrente (art. 1034 in relazione con gli art. 1020 segg. e 1044 CO). La cambiale e il protesto formano così un insieme che dev'essere esaminato nel suo complesso per appurare se, a prima vista, il titolo permetta un'esecuzione cambiaria.
b) Nella specie il protesto fuga chiaramente l'ambiguità della cambiale. Dallo stesso emerge che trattario e traente sono le
BGE 111 III 33 S. 37
identiche persone, mentre il Credito Svizzero di Morges è semplice luogo del pagamento. Dati simili presupposti l'ufficiale e l'autorità di vigilanza non erano abilitati a scostarsi dal tenore dei documenti acclusi alla domanda d'esecuzione, né potevano giudicare i medesimi in base alla congettura che il protesto contenesse un errore, tale ipotesi non trovando alcuna conferma evidente e indiscutibile. Anzi, come si è illustrato, il protesto si dimostra un rimedio interpretativo di assoluta validità, quanto meno dal profilo formale. La cartavalore in questione risulta pertanto una cambiale tratta sul traente, circostanza lecita in virtù dell'art. 993 cpv. 2 CO. Se non che, il trattario non figura per nulla sul titolo, ove le persone traenti sono nominate una sola volta, appunto in codesta loro qualità. Ne discende che il documento non può raffigurare una cambiale (art. 992 cpv. 1 CO).
3.
I creditori eccepiscono che, quand'anche non fosse una cambiale, il titolo sarebbe in ogni modo un vaglia cambiario. La tesi non ha consistenza. Intanto il documento non porta la designazione del titolo (art. 1096 n. 1 CO), che è requisito essenziale (art. 1097 cpv. 1 CO); in secondo luogo, pur supponendo che l'uso del termine "lettre de change" invece di "billet à ordre" sia dovuto a palese svista (cfr. GUHL/MERZ/KUMMER, Das schweizerische Obligationenrecht, 7a edizione, pag. 834 n. 2b; DE SEMO, Trattato di diritto cambiario, 3a edizione, pag. 266 n. 293), giova aggiungere che il documento manca altresì della promessa incondizionata di pagare (art. 1096 n. 2 CO), la quale è a suo turno elemento di validità (art. 1097 cpv. 1 CO). Un vaglia cambiario che reca l'espressione 2veuillez payer" invece di "je payerai" senza designazione di un trattario è, per vero, radicalmente nullo: esso non vale come vaglia cambiario poiché è sfornito della promessa di pagare e non vale come cambiale poiché non indica chi è chiamato al pagamento (ARMINJON/CARRY, La lettre de change et le billet à ordre, Parigi 1938, pag. 404). Non fondandosi su un titolo conforme all'art. 177 cpv. 1 LEF, la richiesta dei creditori non poteva quindi dar luogo a esecuzione cambiaria.
Dispositiv
Per questi motivi, la Camera delle esecuzioni e dei fallimenti pronuncia:
Il ricorso è accolto e la sentenza impugnata è riformata nel senso che il precetto esecutivo in via cambiaria emesso il 12 agosto 1983 dall'Ufficio esecuzioni e fallimenti di Bellinzona è annullato. | null | nan | it | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
37fbed38-0847-4733-b5c2-965019428d65 | Urteilskopf
88 I 141
23. Auszug aus dem Urteil vom 24. Oktober 1962 i.S. Oscar Weber AG gegen Mahler und Mitbeteiligte sowie Direktion der Justiz des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 4 BV
;
Art. 35 lit. c VMK
.
Die Kündigung einer für einen Arbeitnehmer benötigten Wohnung ist gerechtfertigt, wenn die Betriebsführung erheblich erschwert würde, falls der Arbeitnehmer nicht in der betreffenden Wohnung untergebracht werden könnte. | Sachverhalt
ab Seite 141
BGE 88 I 141 S. 141
Aus dem Tatbestand:
Die Oscar Weber AG kaufte ein Dreifamilienhaus, um darin Angestellte ihres Warenhausbetriebes unterzubringen. Sie kündigte die bestehenden Mietverträge wegen Eigenbedarfs für Arbeitnehmer. Auf die Einsprachen der Mieter hin erklärte das Mietamt der Stadt Zürich die Kündigungen unzulässig.
Die Direktion der Justiz des Kantons Zürich hat diese Verfügung bestätigt. Sie hat dazu ausgeführt, Art. 35
BGE 88 I 141 S. 142
lit. c VKW greife nur im Falle der Betriebsnotwendigkeit Platz, das heisst wenn nachgewiesen sei, dass die ordnungsgemässe Führung des dem Vermieter gehörenden Betriebes ohne Einmietung des Arbeitnehmers in die gekündigte Wohnung nicht möglich oder doch erheblich erschwert sei. Diese Voraussetzung liege hier nicht vor. Die Angestellten eines Warenhauses könnten, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, ihre Aufgabe auch dann erfüllen, wenn sie nicht an einem bestimmten Orte wohnten.
Die Oscar Weber AG erhob dagegen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
. Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Gemäss
Art. 35 lit. c VMK
ist die Kündigung gerechtfertigt, wenn der Eigentümer nachweist, dass er, ohne den Bedarf selbst spekulativ verursacht zu haben, in seinem Hause für sich oder nächste Verwandte oder für einen seiner Arbeitnehmer eine Wohnung benötigt. Die Justizdirektion erachtet diesen Rechtfertigungsgrund als gegeben, wenn die Unterbringung eines Arbeitnehmers in der gekündigten Wohnung eine "Betriebsnotwendigkeit" darstellt. Das Bundesgericht hat seinerseits wiederholt erkannt, dass die Mieterschutzbehörden, um dem Vorwurf der Willkür zu entgehen, eine Kündigung zu schützen haben, wenn auch nur ein "betriebsbedingtes Interesse" nachgewiesen ist (vgl. Urteil vom 18. Januar 1956 i.S. Ziegler zu
Art. 31 lit. b VMK
in der Fassung vom 30. Dezember 1953;
BGE 88 I 139
). Trotz der verschiedenen Ausdrucksweise stimmt die Stellungnahme der Zürcher Justizdirektion im Ergebnis zur Hauptsache mit derjenigen des Bundesgerichts überein. Die kantonale Instanz anerkennt, dass eine Kündigung nicht nur gerechtfertigt ist, wenn es nicht möglich ist, den Betrieb ordnungsgemäss zu führen, ohne dass dem Arbeitnehmer die einem Dritten gekündigte Wohnung zur Verfügung gestellt wird, sondern dass
BGE 88 I 141 S. 143
es genügt, dass der Ausfall der betreffenden Wohnung die Betriebsführung "erheblich erschweren" würde. Wenn der Staatsgerichtshof von einem "betriebsbedingten Interesse" spricht, hat er gerade den letztgenannten Fall im Auge. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass die Mieterschutzbehörden schlechthin jeden Zusammenhang zwischen dem Wohnungsbedarf des Arbeitnehmers und dem Geschäftsbetrieb des Vermieters als Rechtfertigungsgrund für die Kündigung hinzunehmen hätten. Einer solchen Betrachtungsweise stände schon die Gleichsetzung des Eigenbedarfs für Arbeitnehmer mit demjenigen für "nächste" Verwandte entgegen, die einer einschränkenden Handhabung des
Art. 35 lit. c VKM
ruft.
In der Beschwerde wird geltend gemacht, vielfach hätten Bewerber eine Anstellung bei der Beschwerdeführerin ausgeschlagen, weil sie in Zürich keine Wohnung gefunden hätten; die Beschwerdeführerin habe sich deswegen und um der Wohlfahrt des Personals willen entschlossen, sich mit eigenen Mitteln für die Unterkunft der Belegschaft einzusetzen. Die Ernsthaftigkeit dieser Beweggründe steht nicht in Frage, doch ist nicht dargetan, dass der Umstand, dass die Beschwerdeführerin die gekündigten Wohnungen nicht ihren eigenen Angestellten vermieten kann, den Betrieb des Warenhauses so erheblich erschweren wird, dass die Kündigungen im Sinne des
Art. 35 lit. c VMK
gerechtfertigt wären. Dass ein Unternehmen seine Stellung auf dem Arbeitsmarkt durch das Angebot günstiger Wohngelegenheiten zu verbessern trachtet, ist verständlich, und die betriebliche Wohnungsfürsorge ist an sich zu begrüssen, solange sie nicht auf Kosten jener Personen geht, welche die VKM schützen will. Würde dem Arbeitgeber zugestanden, dass er aus den erwähnten Beweggründen Dritten die Wohnung kündigen dürfe, so würde der öffentlichrechtliche Kündigungsschutz weitgehend um seine Wirkung gebracht, befinden sich doch viele Altliegenschaften in der Hand von Unternehmen, die zahlreiches Personal beschäftigen und einen entsprechend grossen Eigenbedarf
BGE 88 I 141 S. 144
an Wohnungen anmelden könnten. Die Mieterschutzbehörden können demnach ohne Willkür folgern, dass die Kündigung in derartigen Fällen nicht
Art. 35 lit. c VKM
für sich hat. Besonders gelagerten Verhältnissen aber kann bei der Interessenabwägung im Rahmen der
Art. 34 Abs. 1 und 35 lit. f VMK
Rechnung getragen werden (vgl. Urteile vom 15. Januar 1945 i.S. Munari und vom 18. Januar 1956 i.S. Ziegler; BIRCHMEIER, Die Mietnotrechtserlasse des Bundes, S. 30/31). | public_law | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
37fffd17-3417-48d1-8b07-89572d220f18 | Urteilskopf
114 IV 138
39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Juli 1988 i.S. H. gegen Generalprokurator des Kantons Bern | Regeste
Art. 397 StGB
;
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
; Art. 2, 4 und 6 der Verordnung über das Strafregister; Verjährung, Strafregistereintrag bei erneuter Verurteilung im wiederaufgenommenen Verfahren.
In dem zugunsten des Verurteilten wiederaufgenommenen Verfahren lebt die Verfolgungsverjährung nicht auf, sondern läuft die Vollstreckungsverjährung weiter (E. 2a; Bestätigung der Rechtsprechung). Eine erneute Verurteilung unter gleichzeitiger Feststellung, die Strafe sei zufolge Verjährung nicht mehr vollstreckbar, verstösst nicht gegen die Unschuldsvermutung (E. 2b).
Im wiederaufgenommenen Verfahren gilt aufgrund von
Art. 397 StGB
das Verbot der reformatio in peius (E. 3a), und zwar auch hinsichtlich der Eintragung des Urteils in das Strafregister (E. 3b). Es ist Sache des Richters, im neuen verurteilenden Erkenntnis zum Ausdruck zu bringen, dass dieses registerrechtlich so zu behandeln ist, wie wenn es im Zeitpunkt des aufgehobenen gefällt worden wäre (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 139
BGE 114 IV 138 S. 139
H. wurde am 21. Januar 1977 vom Gerichtspräsidenten I von Interlaken wegen vorsätzlicher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, begangen am 26. oder 27. Oktober 1973, rechtskräftig verurteilt. Am 30. April 1984 hiess der Kassationshof des Kantons Bern ein Wiederaufnahmegesuch von H. gut. Daraufhin verurteilte ihn der Gerichtspräsident II von Thun am 3. Dezember 1984 erneut, und zwar zu 1 1/2 Monaten Gefängnis bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die ausgesprochene Strafe zufolge eingetretener Verjährung nicht mehr vollstreckbar sei. Auf Appellation von H. bestätigte das Obergericht des Kantons Bern dieses Urteil am 15. Dezember 1987.
H. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Obergericht begründet sein Urteil im wesentlichen wie folgt: An sich wäre der dem Verfahren zugrundeliegende Sachverhalt heute absolut verjährt. Im Anschluss an
BGE 85 IV 169
lebe jedoch bei Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten die Verfolgungsverjährung nicht wieder auf. Der Eintritt der Vollstreckungsverjährung stehe einer neuen Verurteilung nicht entgegen. Eine Löschung des Eintrages im Strafregister falle in die Kompetenz der zuständigen Verwaltungsbehörde.
2.
a) Das Bundesgericht hat in
BGE 85 IV 169
angenommen, das Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten verfolge den Zweck, das frühere Urteil, sofern ihm ein Justizirrtum zugrunde liegt, rückwirkend zu beseitigen und den zu Unrecht Verurteilten freizusprechen oder milder zu bestrafen. Würde die Verfolgungsverjährung im Revisionsverfahren wieder aufleben, so
BGE 114 IV 138 S. 140
wären jedesmal, wenn nach Aufhebung des Sachurteils während des wiederaufgenommenen Verfahrens die Verjährung einträte, die Berichtigung des objektiven und subjektiven Tatbestandes, auf dem die Verurteilung beruht, und die Ausfällung eines neuen Sachurteils ausgeschlossen. Es bliebe somit dem zu Unrecht Verurteilten die Verwirklichung des gesetzlichen Anspruches auf Wiedergutmachung gemäss
Art. 397 StGB
für immer verwehrt oder jedenfalls nicht mehr von Bundesrechts wegen gewährleistet. Denn die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung böte ihm hiefür keinen gleichwertigen Ersatz. Demgemäss setze die Revision zugunsten des Verurteilten voraus, dass das wiederaufgenommene Verfahren ohne Rücksicht auf den Zeitablauf zu Ende geführt werden könne. Es wäre auch ein Widerspruch, wenn die Verjährungsbestimmung, die gerade im Interesse des Angeklagten bestehe, im Revisionsverfahren sich zu seinen Ungunsten auswirken könnte. Es sei überdies nicht unbillig, dass die Verjährung auch dann nicht eintreten könne, wenn das wiederaufgenommene Verfahren erneut zu einer Verurteilung führe. Denn das Rechtsmittel der Revision gebe dem Verurteilten nur Anspruch auf Feststellung, ob das verurteilende Erkenntnis materiell unrichtig sei, und zutreffendenfalls auf Ausfällung eines Urteils, dem der berichtigte oder ergänzte Sachverhalt zugrunde liege, nicht aber darauf, dass ein neues Sachurteil wegen Zeitablaufes unterbleibe. Die Vollstreckungsverjährung laufe jedoch weiter. Ihr Eintritt hindere die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht, weshalb der Revisionsrichter im neuen Urteil allenfalls festzustellen habe, ob die an Stelle der früheren getretene neue Strafe wegen Verjährung nicht mehr vollstreckbar sei.
Das Bundesgericht folgte mit diesem Entscheid der in der Literatur herrschenden Auffassung (CLERC, ZStR 61/1946, S. 245; PFENNINGER, ZStR 70/1955, S. 59; WAIBLINGER, ZStR 75/1960, S. 393), welche auch später nicht in Frage gestellt worden ist (vgl. SCHULTZ, ZBJV 97/1961, S. 172 f.; ADAM-CLAUS ECKERT, Die Wiederaufnahme des Verfahrens im schweizerischen Strafprozessrecht, Berlin 1974, S. 104; PIQUEREZ, Traité de procédure pénale bernoise et jurassienne II, N 1021). Sie entspricht auch der in der deutschen Doktrin vertretenen Meinung, dass bei Wiederaufnahme zugunsten eines Verurteilten die Zeit zwischen Verurteilung und Wiederaufnahmebeschluss in die Verjährungsfrist nicht einbezogen wird (SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE, 23. Aufl.,
§ 78a N 15
; LÖWE/ROSENBERG/GÖSSEL, 24. Aufl.,
§ 370 N 35
ff.).
BGE 114 IV 138 S. 141
b) An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Sie ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch mit der Unschuldsvermutung zu vereinbaren. Diese verbietet, den Angeschuldigten ohne rechtskräftiges Strafurteil als schuldig anzusehen. Vorliegend ist der Beschwerdeführer in einem Strafverfahren rechtskräftig beurteilt und schuldig gesprochen worden, so dass eine Verletzung der Unschuldsvermutung nicht ersichtlich ist. Dass gleichzeitig mit der Schuldigerklärung und der Strafaussprechung festgestellt wird, eine Vollstreckung des Urteils komme nicht mehr in Betracht, ändert daran nichts. Im angerufenen Fall Minelli (EuGRZ 10/1983, S. 475 ff.) ging es um eine Verfahrenseinstellung wegen Verfolgungsverjährung, also nicht wie hier um eine Frage der Vollstreckungsverjährung. Die Unschuldsvermutung erfordert entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine vollstreckbare Strafe. So ist etwa eine Schuldigerklärung des Angeklagten unter Absehen von Strafe (
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
) oder, soweit gesetzlich vorgesehen, eine blosse Verwarnung mit der Unschuldsvermutung vereinbar. Bei der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt erfolgt ebenfalls Schuldigerklärung ohne Strafausspruch (
Art. 100bis Ziff. 1 StGB
). Ob im Falle des Todes des Angeschuldigten zwischen der Kassation des ersten Urteils und dem neuen Urteil eine Einstellung zu erfolgen hätte, kann offenbleiben. Die Pflicht zur Verfahrenseinstellung ergäbe sich nämlich allenfalls daraus, dass gegen einen Verstorbenen rechtsgültig nicht mehr verhandelt werden kann, weshalb auch die Aussprechung eines Urteils gegen ihn nicht mehr in Betracht kommt. Immerhin spricht die Möglichkeit, dass die Angehörigen auch nach dem Tode des Verurteilten eine Revision verlangen können (WAIBLINGER, a.a.O., S. 402; PIQUEREZ, a.a.O., N 1005) gegen die Pflicht zur Verfahrenseinstellung, wenn der Beschuldigte erst nach dem Wiederaufnahmeentscheid stirbt.
Das Argument, bei Verjährungseintritt während des Rechtsmittelverfahrens erfolge ebenfalls Einstellung, verfängt nicht. Zum einen gilt dies ohnehin nur bei ordentlichen Rechtsmitteln (
BGE 92 IV 172
E. b,
BGE 111 IV 91
E. b); die Wiederaufnahme steht aber einem ausserordentlichen Rechtsmittel näher. Zum andern besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten und einem ordentlichen Rechtsmittelverfahren. Im ersteren geht es, wie in E. 2a dargelegt, darum, ob die frühere rechtskräftige Verurteilung zu
BGE 114 IV 138 S. 142
Recht erfolgte. Im zweiten ist dagegen ein noch nicht rechtskräftiges Erkenntnis der ersten Instanz zu überprüfen.
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass auch die Strafregistereinträge nicht erfolgen dürften. Das Obergericht ist der Ansicht, die Frage des Zeitpunktes der Löschung des Eintrages im Strafregister sei nicht von den Gerichten, sondern den zuständigen Verwaltungsbehörden zu entscheiden.
a)
Art. 397 StGB
enthält für die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten einen bundesrechtlichen Revisionsgrund im Sinne einer Minimalvorschrift an die Kantone, denen im übrigen die Ordnung dieses Rechtsmittels obliegt (
BGE 69 IV 137
). Das Gesetz spricht sich nicht ausdrücklich darüber aus, ob für das wiederaufgenommene Verfahren das Verbot der reformatio in peius gilt. Die Frage ist jedoch aufgrund des Zweckes von Art. 397 zu bejahen: Sieht das Bundesrecht eine Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten vor, so wäre es ein Widerspruch in sich selbst, wenn das im wiederaufgenommenen Verfahren ergangene Urteil für den Betroffenen schlechter ausfallen könnte als das aufgehobene. Daraus folgt, dass das Verbot der reformatio in peius im Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten von Bundesrechts wegen aufgrund von
Art. 397 StGB
gegeben ist (CLERC, a.a.O., S. 246; im Ergebnis ebenso WAIBLINGER, a.a.O., S. 406 FN 71; SCHULTZ, ZBJV 97/1961, S. 173; vgl. auch NICOLAUS BERNOULLI, Das Verbot der reformatio in peius im schweizerischen Strafprozessrecht, Diss. Zürich 1953, S. 26; PIQUEREZ, a.a.O., N 1020; ECKERT, a.a.O., S. 108 f.).
Dem könnte
BGE 86 IV 77
entgegenstehen. Hier wurde angenommen, es sei nicht bundesrechtswidrig, dass der Revisionsrichter bei der Würdigung des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse des Täters auch Umstände berücksichtige, die erst nach dem früheren Urteil eingetreten seien. Das Bundesgericht hat jedoch in jenem Fall zur Frage der reformatio in peius nicht ausdrücklich Stellung genommen. Vielmehr ist es davon ausgegangen, dass es unzweckmässig wäre, in Fällen wie dem damals beurteilten, wo die früher ausgesprochene Strafe bedingt aufgeschoben wurde, später aber vollziehbar erklärt werden musste, im Revisionsverfahren nur auf den zur Zeit des früheren Urteils bekannten Sachverhalt abzustellen und nachträglich im Widerrufsverfahren die Gewährung des bedingten Strafvollzuges wieder rückgängig zu machen, anstatt ihn schon bei der Ausfällung des neuen Urteils zu verweigern. In der Doktrin ist wohl zu Recht darauf hingewiesen
BGE 114 IV 138 S. 143
worden, dass der zitierte Entscheid eine ausgesprochene Ausnahmesituation betraf und dass die Ansicht, die neue Verurteilung dürfe nie schwerer ausfallen als die ursprüngliche, einen besseren Ausgangspunkt zur Beurteilung der Problematik biete (SCHULTZ, ZBJV 98/1962, S. 133; vgl. auch BONNARD, JdT 1960 IV 121 ff.).
b) Ohne das Wiederaufnahmeverfahren wäre es beim Eintrag des Urteils vom 21. Januar 1977 geblieben. Die Löschungsfrist wäre ab diesem Datum zu berechnen gewesen. Wird dagegen das im wiederaufgenommenen Verfahren ergangene Urteil vom 15. Dezember 1987 eingetragen, so würde sich der Beginn der Löschungsfrist um rund zehn Jahre verschieben. Dies ist mit dem Verbot der reformatio in peius nicht zu vereinbaren. Vielmehr ist das am 15. Dezember 1987 ausgesprochene Urteil registerrechtlich so zu behandeln, wie wenn es bereits im Zeitpunkt des aufgehobenen Urteils (21. Januar 1977) ausgesprochen worden wäre. Dafür spricht auch, dass mit dem wiederaufgenommenen Verfahren der status quo ante wiederhergestellt werden soll (WAIBLINGER, a.a.O., S. 407). Es wäre in der Tat unhaltbar, dass derjenige, der unter Umständen nach vielen Jahren im Wiederaufnahmeverfahren erneut, wenn auch gegebenenfalls milder bestraft wird, mit einem neuen Strafregistereintrag belastet würde.
c) Bleibt zu prüfen, wie diesem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen ist. Das Obergericht vertritt die Ansicht, die Kompetenz zur Löschung eines Eintrages liege bei der zuständigen Verwaltungsbehörde.
Gemäss
Art. 2 der Verordnung über das Strafregister (SR 331)
sind alle ausgesprochenen eintragungspflichtigen Urteile der Strafregisterbehörde mitzuteilen, ebenso die Tatsachen, die eine Änderung der Eintragungen herbeiführen oder den Vollzug der Strafen oder Massnahmen betreffen. Die kantonale Amtsstelle trägt die eintragungspflichtigen Tatsachen in das kantonale Strafregister ein und leitet die Meldung unverzüglich an das schweizerische Zentralpolizeibüro weiter, welches die ihm gemeldeten Tatsachen in das Zentralstrafregister einträgt (Art. 4). Gemäss Art. 6 prüft der Registerbeamte die eingehenden Urteilsmeldungen auf die Vollständigkeit der Angaben.
Daraus folgt, dass der Registerführer im Prinzip an die Urteilsmitteilung durch das kantonale Gericht gebunden ist. Es ist deshalb Sache des Richters, der im wiederaufgenommenen Verfahren ein neues verurteilendes Erkenntnis spricht, dafür besorgt zu sein, dass das Verbot der reformatio in peius auch in bezug auf den
BGE 114 IV 138 S. 144
Strafregistereintrag befolgt wird. Die Vorinstanz hat deshalb im vorliegenden Fall in ihrem Urteil zum Ausdruck zu bringen, dass das Urteil registerrechtlich zu behandeln ist, wie wenn es am 21. Januar 1977 gefällt worden wäre. Eine allfällige Löschung des Eintrages ergibt sich dann gemäss den Regeln von Art. 80 und wie hier von
Art. 41 Ziff. 4 StGB
. Das heisst, es ist dann Sache der jeweils zuständigen Behörde des Urteilskantons, im Falle der Bewährung die Löschung des Urteils nach Ablauf der Probezeit vorzunehmen.
Da sich das Obergericht zu dieser Frage nicht abschliessend geäussert hat, ist sein Entscheid in diesem Sinne zu präzisieren. Das Bundesrecht verlangt jedoch nicht, dass diese Erwägung im Dispositiv seinen Niederschlag finden müsse. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist deshalb in diesem Punkt im Sinne der Erwägungen abzuweisen. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
380326ec-7167-46be-b6af-3a0cb3544dfd | Urteilskopf
136 V 395
47. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Publisana Krankenversicherung gegen F. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_334/2010 vom 23. November 2010 | Regeste
Art. 32 und 52 Abs. 1 lit. b KVG
;
Art. 34 und 64 ff. KVV
;
Art. 9 Abs. 4 und
Art. 14 Abs. 1 lit. f HMG
; Orphan Drug (Myozyme bei Morbus Pompe); Kostenübernahme ausserhalb der Spezialitätenliste; Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Dass arzneimittelrechtlich die Orphan-Drug-Zulassung für ein Medikament (hier: Myozyme) erfolgt ist, bedeutet nicht automatisch, dass dessen Einsatz einen hohen therapeutischen Nutzen darstellt, weil die Zulassung nach
Art. 14 Abs. 1 lit. f HMG
einen solchen nicht voraussetzt (E. 5.3).
Die Frage, ob ein hoher therapeutischer Nutzen - als Voraussetzung für die Kostenübernahme ausserhalb der Spezialitätenliste (E. 5.1 und 5.2) - vorliegt, ist sowohl in allgemeiner Weise als auch bezogen auf den konkreten Einzelfall zu beurteilen (E. 6.4 und 6.5); in casu mangels Nachweises mittels klinischer Studien und im konkreten Einzelfall verneint (E. 6.6-6.10).
Selbst wenn ein hoher therapeutischer Nutzen erwiesen wäre, müsste eine Leistungspflicht aus Wirtschaftlichkeitsgründen, d.h. mangels eines angemessenen Kosten-/Nutzen-Verhältnisses verneint werden (E. 7). Für die Beurteilung dieses Verhältnisses anwendbare Kriterien (E. 7.6), Notwendigkeit der Verallgemeinerungsfähigkeit derselben (E. 7.7), Anwendbarkeit auch auf Orphan-Disease-Fälle (E. 7.8). | Sachverhalt
ab Seite 397
BGE 136 V 395 S. 397
A.
Die 1940 geborene F. ist bei der Publisana obligatorisch krankenpflegeversichert. Mitte 2007 wurde bei ihr Morbus Pompe diagnostiziert. Die Publisana erteilte im Oktober 2007 Kostengutsprache für eine sechsmonatige Behandlung mit dem Medikament Myozyme. Diese Behandlung wurde in der Folge bis Mai 2008 durchgeführt. Nachdem das Spital X. am 11. Juni 2008 um Fortführung der Kostengutsprache nachgesucht hatte, lehnte die Publisana mit Verfügung vom 22. Oktober 2008 und Einspracheentscheid vom 18. März 2009 die Kostenübernahme für die Therapie ab.
B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess mit Entscheid vom 23. Februar 2010 eine von F. erhobene Beschwerde gut und verpflichtete die Publisana, die Kosten der Behandlung vorerst für die Dauer von zwei Jahren zu übernehmen.
C.
Die Publisana erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sei, die Kosten für das Arzneimittel Myozyme zu übernehmen.
F. lässt Abweisung der Beschwerde beantragen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichtet in seiner Vernehmlassung auf einen förmlichen Antrag.
In einer weiteren Eingabe äussert sich F. zur Stellungnahme des BAG.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(...)
1.6
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur die Fortführung der Therapie über das erste halbe Jahr hinaus für weitere eineinhalb Jahre, nicht aber die bereits durchgeführte und bezahlte Therapie für das erste halbe Jahr.
(...)
3.
Unbestritten ist, dass die Beschwerdegegnerin an Morbus Pompe leidet, dass es sich dabei um eine seltene Krankheit (Orphan Disease) handelt, dass das streitige Medikament Myozyme nicht auf der Spezialitätenliste steht und dass es kein alternatives Arzneimittel zur Behandlung der Krankheit gibt.
4.
4.1
Nach den Feststellungen der Vorinstanz ist das Arzneimittel Myozyme durch Swissmedic zugelassen. Die Beschwerdeführerin
BGE 136 V 395 S. 398
bestreitet dies nicht grundsätzlich, bringt allerdings vor, diese Zulassung gelte nicht für die hier vorliegende adulte Form des Morbus Pompe.
4.2
Myozyme ist im vereinfachten Verfahren zugelassen als wichtiges Arzneimittel für seltene Krankheiten im Sinne von Art. 14 Abs. 1 lit. f des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. a der Verordnung des Schweizerischen Heilmittelinstituts vom 22. Juni 2006 über die vereinfachte Zulassung von Arzneimitteln und die Zulassung von Arzneimitteln im Meldeverfahren (VAZV; SR 812.212.23; sog. Orphan Drug; vgl. SCHMID/UHLMANN, in: Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, 2000, N. 13 ff. zu
Art. 14 HMG
). Gemäss der Homepage von Swissmedic (
http://www.swissmedic.ch/zulassungen/00171/00181/00182/index.html
; besucht am 23. November 2010) wurde das Präparat Myozyme
TM
mit dem Wirkstoff Alglucosidase alfa am 22. Mai 2008 für folgende Indikation zugelassen: "Myozyme
TM
ist für die langfristige Enzymersatztherapie bei Patienten mit gesichertem Morbus Pompe (Mangel an saurer ?-Glucosidase) indiziert. Für die positive Wirkung von Myozyme
TM
bei Patienten mit Morbus Pompe in später Verlaufsform ist bisher eine klinische Wirksamkeit nicht nachgewiesen (siehe Pharmakodynamik, Klinische Wirksamkeit)." Eine ausdrückliche Beschränkung der Zulassung auf die infantile oder juvenile Form der Krankheit ist in dieser Aussage nicht enthalten. So oder so ist aber die arzneimittelrechtliche Zulassung für die Kassenpflichtigkeit nicht ausschlaggebend (PASCAL LACHENMEIER, Die Anwendung "nicht zugelassener" Arzneimittel in der Krebstherapie nach schweizerischem Recht ["off-label-use"], Jusletter vom 11. Mai 2009, Rz. 56).
5.
5.1
Die gesetzliche Ordnung (
Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG
;
Art. 34 und 64 ff. KVV
[SR 832.102];
Art. 30 ff. der Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung [Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV; SR 832.112.31]
) schliesst die Übernahme der Kosten von nicht auf der - abschliessenden und verbindlichen - Spezialitätenliste aufgeführten Arzneimitteln durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung grundsätzlich aus (
BGE 134 V 83
E. 4.1 S. 85 ff.;
131 V 349
E. 2.2 S. 351 mit Hinweis). Die Kosten für ein in der Spezialitätenliste enthaltenes Medikament werden nur übernommen, wenn
BGE 136 V 395 S. 399
das Arzneimittel für von Swissmedic gemäss
Art. 9 ff. HMG
zugelassene medizinische Indikationen verschrieben wird (
BGE 130 V 532
E. 3.2.2 S. 538 und E. 3.4 S. 540). Diese Regelung bezweckt einerseits, dass nur Arzneimittel über die obligatorische Krankenpflegeversicherung abgerechnet werden, welche nach heilmittelrechtlichen Grundsätzen sicher und wirksam sind. Andererseits wird damit im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots (
Art. 32 KVG
) eine Kostenbegrenzung erreicht, indem die auf der Spezialitätenliste enthaltenen Arzneimittel höchstens nach den darin festgelegten Preisen verrechnet werden dürfen (
Art. 52 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 KVG
;
Art. 67 KVV
;
Art. 34 ff. KLV
; GEBHARD EUGSTER, Bundesgesetz über die Krankenversicherung [KVG], 2010, N. 7 zu
Art. 52 KVG
; UELI KIESER, Die Zulassung von Arzneimitteln im Gesundheits- und im Sozialversicherungsrecht, AJP 2007 S. 1042 ff., 1049). Diese Preiskontrolle geht über eine reine Missbrauchskontrolle hinaus und bezweckt die Sicherstellung eines angemessenen Preis-/Nutzen-Verhältnisses (
BGE 109 V 207
E. 4 S. 212 ff.;
BGE 127 V 275
E. 2 S. 277 ff.; BRIGITTE PFIFFNER RAUBER, Das Recht auf Krankheitsbehandlung und Pflege, 2003, S. 162 f.).
5.2
Nach der Rechtsprechung sind ausnahmsweise die Kosten für ein Arzneimittel auch zu übernehmen, wenn es für eine Indikation abgegeben wird, für welche es keine Zulassung besitzt (sog. Off-Label-Use); Voraussetzung ist, dass ein sogenannter Behandlungskomplex vorliegt oder dass für eine Krankheit, die für die versicherte Person tödlich verlaufen oder schwere und chronische gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann, wegen fehlender therapeutischer Alternativen keine andere wirksame Behandlungsmethode verfügbar ist; diesfalls muss das Arzneimittel einen hohen therapeutischen (kurativen oder palliativen) Nutzen haben (
BGE 131 V 349
E. 2.3 S. 351;
BGE 130 V 532
E. 6.1 S. 544 f.). Ein wichtiger Anwendungsbereich für Ausnahmen von der Listenpflicht sind Medikamente gegen Krankheiten, die so selten sind, dass sich für die Hersteller das Zulassungsverfahren nicht lohnt (sog. Orphan Use bzw. Orphan Diseases; vgl. ARIANE AYER, Prise en charge des médicaments "hors étiquette", SZG 2005 Nr. 7 S. 7 ff.; LACHENMEIER, a.a.O., Rz. 51; FRANK TH. PETERMANN, Rechtliche Betrachtungen zum Off-Label-Use von Pharmazeutika, in: Health Insurance Liability Law [Hill], 2007, Fachartikel Nr. 2, Rz. 14). Für die Zulassung eines Off-Label-Use kann aber nicht jeglicher therapeutische Nutzen genügen, könnte doch sonst in jedem Einzelfall die Beurteilung des
BGE 136 V 395 S. 400
Nutzens an die Stelle des gesetzlichen Listensystems treten und dieses unterwandern (RKUV 2003 S. 299, K 63/02 E. 4.2.1; vgl. Urteil 2A.469/2003 vom 6. September 2004 E. 3.3). Da das gesetzliche System auch der Wirtschaftlichkeit dient, muss insbesondere vermieden werden, dass durch eine extensive Praxis der ordentliche Weg der Listenaufnahme durch Einzelfallbeurteilungen ersetzt und dadurch die mit der Spezialitätenliste verbundene Wirtschaftlichkeitskontrolle umgangen wird (SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 E. 2.3; Urteil 9C_305/2008 vom 5. November 2008 E. 1.3; vgl. zu dieser Befürchtung PETER BRAUNHOFER, Arzneimittel im Spannungsfeld zwischen HMG und KVG aus der Sicht des Krankenversicherers, in: Das neue Heilmittelgesetz, Eichenberger/Poledna [Hrsg.], 2004, S. 103 ff., 110 f.; PETERMANN, a.a.O., Rz. 59).
5.3
Anders als bei den befristeten Zulassungen nach
Art. 9 Abs. 4 HMG
wird für die vereinfachte Zulassung für Orphan Drugs nach
Art. 14 Abs. 1 lit. f HMG
kein hoher therapeutischer Nutzen verlangt. Der Umstand, dass arzneimittelrechtlich die Orphan-Drug-Zulassung für Myozyme erfolgt ist (E. 4.2), bedeutet daher entgegen der offenbaren Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht automatisch, dass der Einsatz dieser Medikamente einen hohen therapeutischen Nutzen im Sinne der dargelegten krankenversicherungsrechtlichen Rechtsprechung darstellt.
6.
Umstritten und zu prüfen ist zunächst, ob ein hoher therapeutischer Nutzen im Sinne der dargelegten Rechtslage vorliegt.
6.1
Die Vorinstanz hat erwogen, die Krankheit verlaufe tödlich und es gebe bis anhin neben Myozyme kein alternatives Arzneimittel zur Behandlung der Krankheit. Ein hoher therapeutischer Nutzen sei nicht erst dann anzunehmen, wenn dieser über Jahre hinweg bestehe oder gar zunehme. Durch die Behandlung sei eine Stabilisierung der Befunde eingetreten und eine massgebliche Steigerung der Lebensqualität erreicht worden. Nach Absetzen der Behandlung habe sich der Gesundheitszustand verschlechtert, so dass eine nächtliche Beatmung nötig geworden sei. Zudem habe die Patientin die Behandlung ohne wesentliche Nebenwirkungen vertragen. Gemäss der sog. LOTS-Studie (ANS T. VAN DER PLOEG UND ANDERE, A Randomized Study of Alglucosidase Alfa in Late-Onset Pompe's Disease, New England Journal of Medicine, 15. April 2010, S. 1396 ff.) habe sich unter Myozyme-Behandlung eine signifikante Verbesserung beim 6-Minuten-Gehtest (Steigerung der Gehstrecke um rund 30 Meter) und der pulmonalen Vitalkapazität (Verbesserung der
BGE 136 V 395 S. 401
Atmung, Verzicht auf künstliche Beatmung) ergeben. Dies sei als nicht geringer therapeutischer Effekt einzustufen. Unter Gesamtwürdigung der konkreten Umstände wie auch der allgemein beschriebenen Wirkungen sei im vorliegenden Fall von einem hohen therapeutischen Nutzen auszugehen.
6.2
Die Beschwerdeführerin bestreitet die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen als solche nicht. Sie stellt auch die medizinische Indikation für den Einsatz von Myozyme nicht in Abrede und bestreitet nicht einen therapeutischen Nutzen, ist jedoch der Ansicht, die Wirksamkeit erreiche nicht nachweislich den Grad eines hohen therapeutischen Nutzens, weder in allgemeiner, grundsätzlicher Hinsicht noch im konkreten Behandlungsfall.
6.3
Ob ein therapeutischer Nutzen vorliegt, ist Tatfrage. Insoweit sind die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (
Art. 97 und 105 BGG
). Ob ein bestimmter Nutzen als "hoch" im Sinne der Rechtslage (E. 5.2) zu bezeichnen ist, ist hingegen Rechtsfrage.
6.4
Zwischen den Parteien ist umstritten, ob das Erfordernis der hohen therapeutischen Wirksamkeit nur bezogen auf den konkreten Einzelfall zu beurteilen ist oder sowohl in allgemeiner Weise als auch im konkreten Einzelfall. Die Vorinstanz hat erwogen, es sei allein auf den konkreten Einzelfall abzustellen, und sich dazu e contrario auf die Aussage in SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 E. 2.3 gestützt, wonach es nicht angehen könne, bei nicht seltenen Krankheiten im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung Medikamente zu vergüten, welche aus ganz bestimmten Gründen nicht in die Spezialitätenliste aufgenommen worden sind. Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Auffassung, Voraussetzung der Kostenübernahme sei auch bei Orphan Diseases, dass das Arzneimittel nicht nur im konkreten Einzelfall, sondern auch in allgemeiner Weise wirksam und zweckmässig sei. Eine reine Einzelfallbeurteilung sei nicht statthaft.
6.5
Die Auffassung der Vorinstanz trifft in dem Sinne zu, als es bei einem Off-Label-Use gerade nicht um die Beurteilung gehen kann, ob das Medikament generell in die Spezialitätenliste aufzunehmen ist, sondern darum, ob in einem Einzelfall vom Listenerfordernis abzuweichen sei. Hingegen gelten auch für Orphan Drugs die allgemeinen Anforderungen der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit, wobei die Wirksamkeit nach wissenschaftlichen
BGE 136 V 395 S. 402
Methoden nachgewiesen sein muss (
Art. 32 KVG
), was eine ausschliesslich einzelfallbezogene Beurteilung ausschliesst (
BGE 133 V 115
E. 3.2.1 S. 118; RKUV 2000 S. 279, K 151/99 E. 2b; EUGSTER, KVG, a.a.O., N. 4 zu
Art. 32 KVG
). Das ergibt sich auch aus dem Zusammenhang mit dem Arzneimittelrecht: Der Begriff des hohen therapeutischen Nutzens (als Voraussetzung für die Kostenübernahme ausserhalb der Spezialitätenliste) orientiert sich an der gleichlautenden Voraussetzung für eine befristete Bewilligung nicht zugelassener Arzneimittel im Sinne von
Art. 9 Abs. 4 HMG
(
BGE 130 V 532
E. 6.1 S. 544 f.; SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 E. 2.3). Für eine solche Zulassung ist vorausgesetzt, dass Zwischenergebnisse von klinischen Studien vorliegen, die darauf hinweisen, dass von der Anwendung ein grosser therapeutischer Nutzen zu erwarten ist (
Art. 19 Abs. 1 lit. c VAZV
). Der Beschwerdegegnerin ist darin zuzustimmen, dass bei Orphan Drugs infolge der Seltenheit der entsprechenden Krankheiten und des fehlenden ordentlichen Zulassungsverfahrens vielfach nicht gleich viele wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen wie für andere Medikamente. An den Nachweis der generellen Wirksamkeit können daher nicht die gleich strengen Anforderungen gestellt werden wie im Rahmen einer Aufnahme in die Spezialitätenliste (vgl. auch
Art. 26 Abs. 1 VAZV
). Liegen aber keine klinischen Studien vor, die eine therapeutische Wirksamkeit nachweisen, so kann eine solche nicht bejaht werden mit dem blossen Hinweis darauf, dass im Einzelfall eine Wirkung eingetreten sei. Dies würde auf die blosse Formel "post hoc propter hoc" hinauslaufen, was nicht angeht; denn eine Besserung kann auch spontan bzw. aus anderen Gründen eintreten (
BGE 130 V 299
E. 5.2 S. 303). In diesem Sinne ist die vorinstanzliche Aussage, bei der Beurteilung der Wirksamkeit sei
allein
auf den konkreten Einzelfall abzustellen, möglicherweise missverständlich. In Wirklichkeit hat aber die Vorinstanz mit Recht eine Gesamtbeurteilung vorgenommen und dabei neben den konkreten Umständen auch die allgemein beschriebenen Wirkungen des Arzneimittels berücksichtigt
.
6.6
Die Vorinstanz hat jedoch nicht näher ausgeführt, inwiefern der Nutzen auf die hier nicht streitige (E. 1.6), bereits durchgeführte Therapie des ersten halben Jahres zurückzuführen ist und inwiefern auf die hier zur Diskussion stehende weiterführende Therapie. Insoweit ist der Sachverhalt unvollständig festgestellt, so dass er durch das Bundesgericht zu vervollständigen ist (
Art. 105 Abs. 2 BGG
).
BGE 136 V 395 S. 403
6.7
Die inzwischen veröffentlichte LOTS-Studie, die in den wesentlichen Aussagen auch der Vorinstanz in nicht publizierter Form bereits vorlag, weist unter der Myozyme-Therapie folgenden therapeutischen Nutzen aus: Die 6-Minuten-Gehstrecke verbesserte sich bei der behandelten Gruppe innert 78 Wochen von 332,2 auf 357,9 Meter, bei der Placebo-Gruppe verschlechterte sie sich von 317,9 auf 313,1 Meter (S. 1401). Der therapiebedingte Unterschied beträgt rund 28 Meter. Zudem geht aus der Studie hervor, dass dieser Effekt praktisch vollständig in den ersten 26 Wochen eintritt und sich danach kaum mehr verändert. In Bezug auf die FVC (Forced Vital Capacity) der Lunge beträgt der Unterschied zwischen der Therapie-Gruppe und der Placebo-Gruppe 3,4 %, wobei der Effekt hauptsächlich in den ersten 38 Wochen eintrat (S. 1402). Diese Besserung ist statistisch signifikant, aber doch relativ bescheiden. Als Fazit wird denn in der Studie auch festgehalten, dass die Behandlung "a positive, if modest, effect on walking distance and pulmonary function" habe (S. 1405), und weiter festgestellt, dass die grösste Verbesserung in den ersten 26 Behandlungswochen eintrat (S. 1403), also während derjenigen Behandlungszeit, die vorliegend nicht Streitgegenstand des Verfahrens ist (teilweise publ. E. 1).
6.8
Im konkreten Fall hat sich gemäss der Stellungnahme der Schweizerischen Arbeitsgruppe für lysosomale Speicherkrankheiten vom 4. Dezember 2008 der Zustand der Patientin nach Absetzen der Therapie massiv verschlechtert, so dass sie aktuell eine nächtliche CPAP-Beatmung benötige. Gemäss der Stellungnahme des Spitals X. vom 18. November 2008 ist anamnestisch hervorzuheben eine deutliche Verschlechterung der Lungenfunktion mit nächtlichen Orthopnoen und Luftnotanfällen, die im August 2008 im Rahmen einer Bronchitis deutlich exazerbiert ist und in der Notwendigkeit einer nächtlichen CPAP-Beatmung (Continuous Positive Airway Pressure) seit dem 29. August 2008 mündete. Die Patientin berichte über ein- bis zweimal pro Jahr auftretende Bronchitiden, die jeweils unter langdauernder Antibiotikatherapie deutlich besser würden. Der Nachtschlaf sei unter der eingeleiteten Beatmung deutlich besser. Gleichwohl sei es im Verlauf des letzten Jahres zu einer deutlichen Verschlechterung der motorischen Funktion gekommen. Die freie Gehstrecke betrage nur 200 Meter, darüber hinaus müsse die Patientin mit Gehstöcken gehen. Sie könne den Oberkörper nicht halten und müsse vornübergebeugt laufen (Kamptokormie). Nach mehr als 200 bis 400 Meter Gehen komme es zu einer deutlichen
BGE 136 V 395 S. 404
Schwäche und Schmerzen der autochthonen Rückenmuskulatur. Ferner müsse sie sich auch schon bei geringen Tätigkeiten im Haushalt abstützen. Die maximale Gehstrecke betrage ein Kilometer. Retrospektiv bemerke die Patientin eine Besserung nach der Enzymersatztherapie, insbesondere bezüglich der motorischen Funktionen, des geringeren Auftretens der Kamptokormie sowie des freien Sitzens und des Abstützens der Hände. Als Lungenfunktion wird ein Messwert FVC im Liegen von 42 % des Solls und im Sitzen von 78 % des Solls angegeben. Zusammenfassend habe sich ein halbes Jahr nach Absetzen der Therapie ein deutliches Voranschreiten der metabolischen Myopathie gezeigt, insbesondere hinsichtlich der pulmonalen Funktion. Die Patientin sei, wie befürchtet, nach einem pulmonalen Infekt in die nächtliche Beatmungspflicht gerutscht. Ferner komme es zu einer Verminderung der freien Gehstrecke und zunehmenden Beschwerden durch Kamptokormie durch eine Parese der autochthonen Rückenmuskulatur. Dieses rasche Voranschreiten der Symptomatik sei sicherlich sehr bedenklich und ein deutliches Zeichen für die zunehmende Erschöpfung und Reservekapazität der noch vorhandenen gesunden Muskulatur. Die zunehmende Glukogenspeicherung in der Muskulatur führe zu einem raschen Abfall der Muskelfunktion. Die Erkrankung verlaufe sicherlich schneller, nachdem die Myozyme-Ersatztherapie abgesetzt worden sei. Es sei zu befürchten, dass die Patientin kurz- bis mittelfristig einen Rollstuhl in Anspruch nehmen müsse. Zudem bestehe die Gefahr einer zunehmenden vitalen Bedrohung durch die sich verschlechternde Lungenfunktion (Abnahme der FVC im Sitzen um 200 ml und im Liegen um 400 ml im Verlauf eines Jahres). Ähnlich wird im Wiedererwägungsgesuch des Spitals X. vom 17. Dezember 2008 ausgeführt, gemäss der klinisch-neurologischen und spirometrischen Untersuchung habe sich der Gesundheitszustand der Patientin deutlich verschlechtert. Aufgrund eines interkurrenten broncho-pulmonalen Infekts im August 2008 sei es zur Exazerbation der nächtlichen Dyspnoe-Attacken gekommen, so dass sie seit dem 29. August 2008 nächtlich mit einer CPAP-Beatmung behandelt werden müsse. Selbstverständlich könne nicht zweifelsfrei belegt werden, dass der Abbruch der Therapie zu diesem Zustand geführt habe, doch könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass die pulmonale Verschlechterung als Zeichen der Krankheitsprogression nicht durch eine Fortführung der Therapie hätte aufgehalten werden können. Ferner bestehe bei der Patientin eine ausgeprägte Kamptokormie und eine
BGE 136 V 395 S. 405
deutliche Reduktion der freien Gehstrecke; sie sei nicht mehr in der Lage, wesentliche Strecken ohne Gehstöcke zurückzulegen, da es zu einem Abknicken des Oberkörpers komme. Auch im Sitzen würde sie ohne fehlende Unterstützung der Arme immer wieder nach vorne sinken. Im Haushalt könne sie eine Bratpfanne oder einen Topf nur mit starker Unterstützung der freien Hand tragen, ansonsten würde sie nach vornüber kippen. Es drohe kurz- bis mittelfristig eine Rollstuhlpflichtigkeit. Im Schreiben vom 17. Dezember 2009 an die Vorinstanz beschreibt die Beschwerdegegnerin, nach der vierten Infusion habe sie eine eindeutige Besserung ihres Zustands festgestellt, sie habe besser und länger gehen und die Treppen hinaufsteigen und freier atmen können. Nach dem Absetzen der Therapie müsse sie mit langsamen Rückschritten des Gesundheitszustands fertig werden.
6.9
Insgesamt steht fest, dass rund drei Monate nach Absetzen der Therapie eine nächtliche CPAP-Beatmung durchgeführt werden musste. Allerdings hatte das Spital X. bereits im Kostengutsprachegesuch vom 11. Juni 2008 ausgeführt, es sei unter der Therapie gemäss den Lebensqualitätsfragebögen zu einer Besserung der Lebensqualität gekommen. Insbesondere die nächtlichen Dyspnoephasen hätten sich subjektiv unter der Therapie leicht verbessert, ferner hätten sich die Alltagsaktivitäten stabilisiert. Trotzdem soll die Patientin in Kürze einer nächtlichen CPAP-Beatmung zugeführt werden. War somit die CPAP-Beatmung auch bei Weiterführung der Therapie vorgesehen, erscheint als fraglich, ob das Absetzen der Therapie kausal war für die Notwendigkeit der Beatmung bzw. ob sich diese mit einer Weiterführung der Therapie hätte vermeiden lassen. Analoges gilt für die als solche unbestrittene Verschlechterung der Lungenfunktion und der Gehstrecke sowie die Zunahme der Kamptokormie: Es handelt sich dabei um die typischen Symptome von Morbus Pompe, deren Verlauf individuell unterschiedlich ausgeprägt sein kann
.
Es steht nicht fest, in welchem Ausmass die Weiterführung der Therapie diese Verschlechterung tatsächlich vermieden hätte. Die zu berücksichtigenden (nicht publ. E. 2.3; E. 6.5) Ergebnisse aus der LOTS-Studie (E. 6.7) lassen den Schluss zu, dass die Weiterführung der Therapie eine gewisse, wenn auch relativ bescheidene positive Wirkung gehabt hätte. Als mögliche Folge des Absetzens der Therapie wird zudem eine künftige Rollstuhlabhängigkeit bezeichnet, die indessen nach Lage der Akten bisher nicht eingetreten ist
.
Der Umstand, dass keine Nebenwirkungen
BGE 136 V 395 S. 406
aufgetaucht sind, stellt für sich allein keinen therapeutischen Nutzen dar. Eine lebensverlängernde Wirkung der Therapie ist weder in allgemeiner Weise noch im konkreten Fall dokumentiert. Die Beschwerdegegnerin kann mit Hilfe anderer Massnahmen (Beatmung, Gehstöcke) - wenn auch eingeschränkt - ihr Leben weiterführen. Im Übrigen könnte gemäss den Feststellungen der Vorinstanz die konkrete längerfristige Wirksamkeit erst nach einer zweijährigen Therapiedauer beurteilt werden, wobei die Dokumentation einer noch umstrittenen Wirksamkeit - wie das BAG mit Recht vorbringt - Aufgabe des Medikamentenherstellers und nicht der Krankenversicherung ist, würde doch diese sonst Forschung finanzieren.
6.10
Zusammenfassend hätte die streitige Therapie möglicherweise die weitere Reduktion der Lungenleistung und die nächtliche Beatmung sowie eine (nicht näher quantifizierte) Reduktion der Gehstrecke und zunehmende Kamptokormie verhindert oder verlangsamt, doch ist das Ausmass dieser Verbesserungen ungewiss und weder mit allgemeinen klinischen Studien noch im konkreten Fall verlässlich nachgewiesen. Ist mithin zwar ein therapeutischer Nutzen anzunehmen, aber der für die Kostenübernahme ausserhalb der Spezialitätenliste erforderliche
hohe
therapeutische Nutzen zu verneinen, besteht keine Leistungspflicht der Beschwerdeführerin.
7.
Die Beschwerdeführerin rügt weiter, die Kosten der Therapie seien unverhältnismässig hoch im Vergleich zum therapeutischen Nutzen. Die Beschwerdegegnerin macht geltend, die Frage der Wirtschaftlichkeit sei von der Vorinstanz nicht zu prüfen gewesen und auch die heutige Beschwerdeführerin habe sich im vorinstanzlichen Verfahren nicht dazu geäussert. Diese Frage sei daher auch im bundesgerichtlichen Verfahren nicht zu prüfen.
7.1
Die Wirtschaftlichkeit der Behandlung ist gesetzliche Voraussetzung für die Kostenübernahme (
Art. 32 Abs. 1 KVG
). Bei den Listenmedikamenten wird sie in genereller Weise im Rahmen der Aufnahme in die Spezialitätenliste geprüft (
Art. 65-66a KVV
und
Art. 34 ff. KLV
, je in den bis 30. September 2009 gültig gewesenen Fassungen) und durch die Preisfestsetzung (
Art. 67 KVV
) sichergestellt (vorne E. 5.1). Bei Medikamenten, die nicht auf der Liste stehen, entfällt diese generelle Prüfung. Die Wirtschaftlichkeit ist daher im Rahmen der Beurteilung, ob ein nicht auf der Liste befindliches Medikament ausnahmsweise vergütet werden kann, im Einzelfall zu prüfen (SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 E. 2.3 i.f.);
BGE 136 V 395 S. 407
denn sonst würde eine Wirtschaftlichkeitsprüfung überhaupt nie stattfinden, was
Art. 32 Abs. 1 KVG
widerspräche.
7.2
Die Gerichte haben das Recht von Amtes wegen anzuwenden (für die kantonalen Gerichte:
Art. 110 BGG
; für das Bundesgericht:
Art. 106 Abs. 1 BGG
) und daher auch von Amtes wegen die Wirtschaftlichkeit zu prüfen, zumindest wenn in den Akten und Rechtsschriften Anhaltspunkte dafür vorliegen. Die Beschwerdeführerin hat bereits in ihrer Verfügung vom 22. Oktober 2008 dargelegt, dass sie weitergehende Abklärungen deshalb getroffen hatte, weil die Therapiekosten pro Halbjahr entgegen ihrer Annahme nicht maximal Fr. 60'000.-, sondern rund Fr. 300'000.- betrugen. Sodann hatte sie in ihrer vorinstanzlichen Beschwerdeantwort vom 27. Mai 2009 sowie in den Eingaben vom 28. September und 3. Dezember 2009 die hohen Therapiekosten - wenn auch kurz - thematisiert; ebenso hatte der Vertrauensarzt, auf dessen Beurteilung sich die Beschwerdeführerin wesentlich abstützte, die hohen Kosten und ihr Verhältnis zum Nutzen in seinen der Vorinstanz vorliegenden Eingaben vom 20. Juni 2008 und vom 12. Januar 2009 an das BAG kritisiert.
7.3
Die Vorinstanz hat somit zu Unrecht die Wirtschaftlichkeit der Therapie nicht geprüft. Immerhin hat sie sachverhaltliche Grundlagen für diese Beurteilung insofern festgestellt, als die Arzneimittelkosten rund Fr. 500'000.- pro Jahr und Patient betragen. Im Übrigen sind die Kosten der ersten halbjährigen Therapie (rund Fr. 300'000.-) aktenkundig. Diese Angaben erlauben dem Bundesgericht, selber die Wirtschaftlichkeit zu beurteilen (
Art. 105 Abs. 2 BGG
), auch ohne auf die von der Beschwerdegegnerin bestrittenen Angaben der Beschwerdeführerin abzustellen, wonach die Therapiekosten Fr. 700'000.- pro Jahr betragen.
7.4
Das Wirtschaftlichkeitserfordernis im Sinne von
Art. 32 Abs. 1 KVG
bezieht sich nach der Rechtsprechung auf die Wahl unter mehreren zweckmässigen Behandlungsalternativen: Bei vergleichbarem medizinischem Nutzen ist die kostengünstigste Variante bzw. diejenige mit dem besten Kosten-/Nutzen-Verhältnis zu wählen (
BGE 130 V 532
E. 2.2 S. 535 f.;
BGE 127 V 43
E. 2b S. 46 f.;
BGE 124 V 196
E. 3 S. 200 f.;
BGE 121 V 216
E. 2a/bb S. 220 f.). Das bedeutet aber nicht, dass dort, wo es nur eine einzige Behandlungsmöglichkeit gibt, diese ungeachtet der Kosten in jedem Fall als wirtschaftlich zu betrachten wäre. Unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der
BGE 136 V 395 S. 408
Verhältnismässigkeit, die für das gesamte Staatshandeln gilt (
Art. 5 Abs. 2 BV
), ist eine Leistung zu verweigern, wenn zwischen Aufwand und Heilerfolg ein grobes Missverhältnis besteht (
BGE 109 V 41
E. 3 S. 44 f.;
BGE 118 V 107
E. 7b S. 115;
BGE 120 V 121
E. 4b S. 125; RKUV 2004 S. 109, K 156/01 E. 3.1.2; RKUV 2000 S. 279, K 151/99 E. 2d; ULRICH MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, 1985, S. 77; SIBYLLE SCHÜRCH, Rationierung in der Medizin als Straftat, 2000, S. 199), was eine Beurteilung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen voraussetzt (EUGSTER, KVG, a.a.O., N. 12 zu
Art. 32 KVG
; GABRIELLE STEFFEN, Droit aux soins et rationnement, 2002, S. 156). Es können somit weder die hohe therapeutische Wirksamkeit noch die Wirtschaftlichkeit je getrennt voneinander betrachtet werden in dem Sinne, dass die Frage nach dem hohen therapeutischen Nutzen mit einem kategorialen Ja oder Nein beantwortet werden könnte und bejahendenfalls die Kosten in beliebiger Höhe zu übernehmen wären. Vielmehr ist die Frage nach dem hohen therapeutischen Nutzen graduell und in Relation zu den Behandlungskosten zu beurteilen: Je höher der Nutzen ist, desto höhere Kosten sind gerechtfertigt. Das Verhältnis von Preis und Nutzen ist auch zu beachten für den Entscheid über die Listenaufnahme von Medikamenten (
Art. 34 Abs. 1 KLV
[in Kraft bis 30. September 2009];
BGE 127 V 275
E. 2b S. 279;
BGE 109 V 207
E. 4c S. 214 f.; SVR 2007 KV Nr. 13 S. 50, K 148/06 E. 6.1; RKUV 2001 S. 155, K 43/99 E. 2c und 5; PFIFFNER RAUBER, a.a.O., S. 162 f.). Es kann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn der ausnahmsweise Einsatz von Medikamenten, die nicht auf der Liste aufgeführt sind, stattdessen einzelfallweise beurteilt wird (vorne E. 5.2; SVR 2010 KV Nr. 3 S. 9, 9C_397/2009 E. 4.3).
7.5
Die Kostenfrage kann auch nicht auf die Seite geschoben werden mit der blossen Behauptung, es sei ethisch oder rechtlich unzulässig, Kostenüberlegungen anzustellen, wenn es um die menschliche Gesundheit gehe. Die finanziellen Mittel, die einer Gesellschaft zur Erfüllung gesellschaftlich erwünschter Aufgaben zur Verfügung stehen, sind nicht unendlich. Die Mittel, die für eine bestimmte Aufgabe verwendet werden, stehen nicht für andere ebenfalls erwünschte Aufgaben zur Verfügung. Deshalb kann kein Ziel ohne Rücksicht auf den finanziellen Aufwand angestrebt werden, sondern es ist das Kosten-/Nutzen- oder das Kosten-/Wirksamkeitsverhältnis zu bemessen. Das gilt auch für die Gesundheitsversorgung und die obligatorische Krankenpflegeversicherung, sowohl im Verhältnis zu
BGE 136 V 395 S. 409
anderen gesellschaftlichen Aufgaben als auch im Verhältnis zwischen verschiedenen medizinischen Massnahmen (RETO AUER UND ANDERE, Etudes coût-efficacité: ce que devraient retenir les médecins, Revue Médicale Suisse [RMS] 2009 S. 2402 ff., 2404; GEBHARD EUGSTER, Wirtschaftlichkeitskontrolle ambulanter ärztlicher Leistungen mit statistischen Methoden, 2003, S. 39; HANSPETER KUHN, Das Bundesgericht und die Illusion der absoluten Sicherheit in der Medizin, in: Rationierung und Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, Zimmermann-Acklin/Halter [Hrsg.], 2007, S. 132 ff. [nachfolgend: Rationierung und Gerechtigkeit]; PFIFFNER RAUBER, a.a.O., S. 144; SCHÜRCH, a.a.O., S. 24; STEFFEN, a.a.O., S. 8 ff., 153; Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften [Hrsg.], Rationierung im Schweizer Gesundheitswesen: Einschätzung und Empfehlungen, Bericht der Arbeitsgruppe "Rationierung" im Auftrag der Steuerungsgruppe des Projekts "Zukunft Medizin Schweiz", 2007, S. 16, 20, 97 [Kurzfassung: Schweizerische Ärztezeitung (SÄZ) 2007 S. 1431 ff., 1436]). Die obligatorische Krankenpflegeversicherung hat zum Ziel, eine zeitgemässe und umfassende medizinische Grundversorgung zu möglichst günstigen Kosten sicherzustellen (EUGSTER, Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 402 f.). Dementsprechend übernimmt sie nicht sämtliche Behandlungsmassnahmen, die aus medizinischer Sicht möglich wären. Vielmehr enthält das geltende Recht vielfach Regelungen, welche den finanziellen Aufwand für das Gesundheitswesen begrenzen oder bestimmte Behandlungsmassnahmen, welche medizinisch möglich wären, von der Vergütung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung ausschliessen (
Art. 25 ff. und 54 ff. KVG
; PFIFFNER RAUBER, a.a.O., S. 145 ff.). Insbesondere gehen
Art. 56 KVG
und die dazu ergangene Rechtsprechung davon aus, dass zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht alle denkbaren Behandlungen durchgeführt werden, sondern nur diejenigen, die sich innerhalb eines gewissen Rahmens bewegen. Auch die Positivlisten (
Art. 52 KVG
), namentlich das gesetzliche System der Spezialitätenliste (E. 5.1), beruhen auf einer Entscheidung, bestimmte Leistungen, die medizinisch möglich wären, nicht zu Lasten der Krankenversicherung zu übernehmen. Sodann ist allgemein- und gerichtsnotorisch, dass in der alltäglichen medizinischen Praxis die Kostenfrage eine erhebliche Rolle spielt und verbreitet eine Art implizite oder verdeckte Rationierung stattfindet (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, a.a.O., S. 67-84, mit Hinweisen auf
BGE 136 V 395 S. 410
verschiedene durchgeführte Studien; B. BRÜHWILER, Verdeckte Rationierung im klinischen Alltag, SÄZ 1999 S. 2645 ff.; SAMIA HURST UND ANDERE, Die Realität der ärztlichen Rationierung am Krankenbett am Beispiel von vier europäischen Ländern, in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 67 ff.; GERHARD KOCHER, Zehn Jahre Rationierungsdebatten in der Schweiz, in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 45 ff., 53 f.; J. POK LUNDQUIST, Verdeckte Rationierung im Spital?, SÄZ 1999 S. 2647 ff.; vgl. auch JÜRG H. SOMMER, Die implizite Rationierung bleibt notwendig, in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 279 ff.). Zugleich fehlen aber allgemein anerkannte Kriterien für diese Beurteilung. Diese Situation ist unbefriedigend, weil sie für alle Beteiligten grosse Rechtsunsicherheit und zugleich Rechtsungleichheit schafft, indem bestimmte Behandlungen je nach dem Entscheid einzelner Ärzte oder Krankenkassen vorgenommen bzw. vergütet werden oder nicht (M. BAUMANN, Rationierung im Gesundheitswesen, Anmerkungen aus juristischer Sicht, SÄZ 1999 S. 2649 f.; MARKUS DÜRR, Die Medizin im Spannungsfeld zwischen Machbarkeit, Finanzierbarkeit und Ethik, in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 303 ff., 305).
7.6
Die Rechtsprechung hat ansatzweise versucht, anstelle der bisher auf politischer Ebene nicht festgelegten Kriterien die Kosten-/Nutzen-Beziehung zu beurteilen.
7.6.1
So wurden in der mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot insgesamt eher zurückhaltend umgehenden Rechtsprechung (Hinweise in: Rechtsfragen zum Krankheitsbegriff, Gächter/Schwendener [Hrsg.], 2009, S. 14 f.) als verhältnismässig oder jedenfalls nicht als grobes Missverhältnis betrachtet:
- Behandlungskosten von Fr. 8'000.- bis Fr. 30'000.- für eine Daumenrekonstruktion bei einem 24-jährigen Bauführer, wodurch die Funktionstüchtigkeit der Hand im gesamten Lebensbereich verbessert wurde, wenn auch voraussichtlich in geringem Ausmass (
BGE 109 V 41
).
- Kosten von Fr. 532.70 für eine rund dreimonatige Methadontherapie (
BGE 118 V 107
E. 7b S. 115 f.).
- Kosten von Fr. 6'000.- für eine Physiotherapie nach Bobath, mit welcher die Auswirkungen eines Down-Snydroms gelindert werden konnten (
BGE 119 V 446
).
- Kosten von Fr. 15'300.- für eine Geschlechtsumwandlungsoperation (
BGE 114 V 153
E. 4b S. 160).
BGE 136 V 395 S. 411
- Kosten von Fr. 60'000.- bis Fr. 80'000.- für eine Herztransplantation bei einem 46-Jährigen (
BGE 114 V 258
E. 4c/cc S. 264 f.).
- Im Entscheid
BGE 130 V 532
, wo die streitige Therapie das Leben um rund ein Jahr verlängerte, geht zwar nicht aus dem bundesgerichtlichen Urteil, aber aus dem damals angefochtenen Entscheid hervor, dass die Kosten ca. Fr. 26'000.- betrugen, was implizit als verhältnismässig beurteilt wurde.
- Kosten von rund Fr. 39'000.- für eine computergesteuerte Kniegelenksprothese als Hilfsmittelversorgung (
BGE 132 V 215
).
7.6.2
Demgegenüber hat das Eidg. Versicherungsgericht in einem nicht publ. (unfallversicherungsrechtlichen) Urteil U 77/81 vom 16. Dezember 1982 erkannt, eine an sich geeignete und zur Verbesserung des Zustands notwendige, aber komplizierte, kostspielige und riskante Handoperation sei angesichts des geringfügigen Defektzustands unwirtschaftlich und deshalb unverhältnismässig (zustimmend zitiert bei MEYER-BLASER, a.a.O., S. 77 ff.). Im Bereich der Pflegefinanzierung für Spitex-Leistungen wird als obere Grenze der Verhältnismässigkeit ein Aufwand bezeichnet, der ca. 3,5 mal höher liegt als der Aufwand in einem Pflegeheim und in absoluten Zahlen gegen Fr. 100'000.- pro Jahr beträgt (
BGE 126 V 334
E. 3b S. 342). Unverhältnismässig bzw. unwirtschaftlich sind Kosten, die vier- bis fünfmal höher sind als diejenigen im Pflegeheim und absolut über Fr. 100'000.- pro Jahr betragen (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 95/03 vom 11. Mai 2004 E. 3.2). In SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 ging es um eine Therapie, die im Einzelfall Fr. 50'000.- bis Fr. 70'000.- kostete; unter Berücksichtigung der Behandlungswirksamkeit (Number Needed to Treat [NNT]) errechnete das Bundesgericht, dass zwischen 1,85 und 3,85 Mio. Franken ausgegeben werden müssten, um ein Menschenleben zu retten, was als schlechtes Kosten-/Wirksamkeitsverhältnis betrachtet wurde (E. 3.8). Selbst bei besserem Kosten-/Nutzen-Verhältnis scheine die Bejahung eines hohen therapeutischen Nutzens fraglich (E. 3.10).
7.6.3
Diese Betrachtungsweise stimmt überein mit in anderen Ländern verwendeten Kosten-Nutzen-Betrachtungen, wobei die Verhältnismässigkeit anhand des Aufwands pro gerettetes Menschenlebensjahr, allenfalls qualitätskorrigiert (QALYs [quality adjusted life years] oder ähnliche Konzepte), beurteilt wird (AUER UND ANDERE, a.a.O., S. 2404 f.; RUTH BAUMANN-HÖLZLE, Das "Manifest für eine faire Mittelverwendung im Gesundheitswesen", in: Rationierung
BGE 136 V 395 S. 412
und Gerechtigkeit, S. 34 ff., 37; SCHÜRCH, a.a.O., S. 31, 96; JÜRG H. SOMMER, Muddling Through Elegantly: Rationierung im Gesundheitswesen, 2001, S. 65 ff.; STEFFEN, a.a.O., S. 280 f.; SCHÖFFSKI/GREINER, Das QALY-Konzept als prominentester Vertreter der Kosten-Nutzwert-Analyse, Gesundheitsökonomische Evaluationen, 2007, passim; SCHÖFFSKI/SCHULENBURG, Gesundheitsökonomische Evaluationen, 2008, S. 95 ff.). In verschiedenen gesundheitsökonomischen Ansätzen werden Beträge in der Grössenordnung von maximal ca. Fr. 100'000.- pro gerettetes Menschenlebensjahr noch als angemessen betrachtet (SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 E. 3.8 mit Hinweis; GEORG MARCKMANN, Kosteneffektivität als Allokationskriterium aus gesundheitsethischer Sicht, in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 213 ff., 220 ff.; THOMAS D. SZUCS, Gesundheitsökonomische Aspekte der chronischen Herzinsuffizienz, SÄZ 2003 S. 2431 ff., 2434). Das stimmt in der Grössenordnung überein mit den für Therapien in der Schweiz üblicherweise maximal aufgewendeten Kosten. So betragen die in der Schweiz maximal zugelassenen Therapiekosten in der Onkologie Fr. 7'000.- pro Monat bzw. Fr. 84'000.- pro Jahr (JÜRG NADIG, Verdeckte Rationierung dank Wirtschaftlichkeitsverfahren?, SÄZ 2008 S. 855 ff., 859 f.). Die Kosten der Osteoporosetherapie liegen in der Grössenordnung von etwa Fr. 60'000.- bis Fr. 70'000.-/QALY (LAMY/KRIEG, De la nécessité des études coût-efficacité en ostéoporose, RMS 2007 S. 1521 ff., 1524). Diese Grössenordnung ist auch im Vergleich mit anderen Bereichen stimmig, in denen es darum geht, bestimmte Aufwendungen zu treffen, um Menschenleben zu retten, z.B. im Bereich der Unfall-und Krankheitsprävention; soweit dafür in der Schweiz bisher explizite Kosten-/Wirksamkeitsüberlegungen angestellt wurden, werden Grenzkostenwerte zwischen 1 und maximal 20 Mio. Franken pro gerettetes Menschenleben bzw. zwischen Fr. 25'000.- und Fr. 500'000.- pro gerettetes Menschenlebensjahr als haltbar erachtet (HANSJÖRG SEILER, Risikobasiertes Recht, Wieviel Sicherheit wollen wir?, 2000, S. 153 f.). Dabei handelt es sich bei den höheren Werten um Bereiche, in denen es um die Prävention gegen Gefahrenquellen geht, welche von Menschen verursacht werden und völlig unbeteiligte andere Menschen bedrohen; aufgrund des generellen Verbots, andere an Leib und Leben zu schädigen, dürfte es sich rechtfertigen, in dieser Hinsicht höhere Aufwendungen zu Lasten des Verursachers zu fordern als im Bereich der von der Sozialversicherung bezahlten Behandlung gegen Krankheiten, die von niemandem verschuldet wurden.
BGE 136 V 395 S. 413
7.7
Eine Beurteilung der Verhältnismässigkeit bzw. Kosten-Wirksamkeit anhand verallgemeinerungsfähiger Kriterien drängt sich insbesondere aus Gründen der Rechtsgleichheit auf (
Art. 8 Abs. 1 BV
): Wie für die Beschaffung staatlicher Mittel (vgl. dazu
BGE 133 I 206
E. 7.4 S. 220 f.) stellt sich auch für die Erbringung staatlicher Leistungen die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit. Wo staatlich administrierte Güter nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, ist eine möglichst rechtsgleiche Verteilung anzustreben; es soll vermieden werden, dass die einen alles oder sehr viel und die anderen nichts oder fast nichts erhalten (
BGE 130 I 26
E. 6.3.3.2 S. 53; vgl. in Bezug auf den gesteigerten Gemeingebrauch öffentlicher Sachen
BGE 132 I 97
E. 2 S. 99 ff.;
BGE 121 I 279
E. 4 S. 284 f. und E. 6 S. 286 ff.; VINCENT MARTENET, Géométrie de l'égalité, 2003, S. 348 f.). Rechtsgleichheit setzt Verallgemeinerungsfähigkeit voraus. Verallgemeinerungsfähig ist nur, was allen, die sich in einer gleichen Situation befinden, in gleicher Weise angeboten werden kann (vgl. zur Gemeinverträglichkeit als Kriterium für die Abgrenzung zwischen Gemeingebrauch und gesteigertem Gemeingebrauch
BGE 135 I 302
E. 3.3 und 3.4 S. 309 f.;
BGE 126 I 133
E. 4c S. 139;
BGE 122 I 279
E. 2e/cc S. 286 f.; ZBl 107/2006 S. 254, 2P.191/2004 E. 2.4.1). Das muss insbesondere auch für staatliche Sozialleistungen und Leistungen der Sozialversicherungen gelten: Die Ressourcen müssen fair verteilt werden (BAUMANN-HÖLZLE, a.a.O., S. 37, 44). Ohne besondere Rechtfertigung wäre es mit der Rechtsgleichheit und der Gleichwertigkeit aller Menschen nicht vereinbar, einzelnen Versicherten Leistungen zu erbringen, die anderen Versicherten in gleicher Lage nicht erbracht würden (
BGE 122 I 343
E. 4d S. 350;
BGE 114 Ia 1
E. 8 S. 4 ff.; KATHRIN AMSTUTZ, Das Grundrecht auf Existenzsicherung, 2002, S. 104 ff.; MARTENET, a.a.O., S. 551 f.; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 668 f.). Umgekehrt formuliert folgt daraus, dass in rechtsgleicher Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips für einzelne Versicherte nur so hohe Leistungen erbracht werden dürfen, wie sie in verallgemeinerungsfähiger Weise für alle anderen Personen in vergleichbarer Situation auch erbracht werden könnten. Leistungen zu erbringen, die nicht verallgemeinert werden können, verletzt die Rechtsgleichheit.
7.8
Im Lichte dieser Grundsätze müsste im zu beurteilenden Fall, selbst wenn ein hoher therapeutischer Nutzen erwiesen wäre, eine Leistungspflicht aus Wirtschaftlichkeitsgründen, d.h. mangels eines angemessenen Verhältnisses zwischen den Kosten - hier insgesamt
BGE 136 V 395 S. 414
rund Fr. 750'000.- bis Fr. 900'000.- (für die streitigen eineinhalb Jahre) - und dem Nutzen verneint werden. Die Beurteilung des Kosten-/Nutzen-Verhältnisses kann entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin auch nicht mit dem Argument umgangen werden, dass es sich um eine Einzelfallbeurteilung in einem Orphan-Disease-Fall handle. Denn es gibt zahlreiche Personen, die zwar nicht an Morbus Pompe, aber an anderen Krankheiten leiden, welche vergleichbare Einschränkungen der Lebensqualität zur Folge haben (z.B. chronisch-obstruktive Lungenkrankheit [COPD]). Statistisch sind beispielsweise 2,8 % der schweizerischen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren in ihrem Gehvermögen auf weniger als 200 m beschränkt (Stand 2007; Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2010, S. 323), was rund 180'000 Personen entspricht
,
die mit einer ähnlich eingeschränkten Lebensqualität wie die Beschwerdegegnerin leben müssen. Mit einem Aufwand von rund Fr. 500'000.- pro Jahr liesse sich möglicherweise bei den meisten dieser Menschen die Lebensqualität in vergleichbarem Ausmass wie bei der Beschwerdegegnerin verbessern, sei dies z.B. durch operative Massnahmen, die bisher aus Kostengründen nicht durchgeführt werden, durch gegenüber der bisherigen Rechtsprechung (E. 7.6.2) grosszügigere Gewährung von Pflegeleistungen oder schliesslich dadurch, dass - analog zum Off-Label-Use von Medikamenten - auch Mittel und Gegenstände abgegeben werden, die nicht in der grundsätzlich abschliessenden Mittel- und Gegenständeliste (
Art. 20 ff. KLV
;
BGE 136 V 84
E. 2.2 S. 86;
BGE 134 V 83
E. 4.1 S. 85 ff.) aufgeführt sind, aber doch die Lebensqualität signifikant erhöhen würden. Würde bei der Beschwerdegegnerin ein solcher Aufwand betrieben, wäre im Lichte der Rechtsgleichheit (vorne E. 7.7) kein Grund ersichtlich, allen anderen Patienten in vergleichbarer Lage einen gleichen Aufwand zu verweigern. Dadurch entstünden jährliche Kosten von rund 90 Mrd. Franken. Das ist rund das 1,6-Fache der gesamten Kosten des Gesundheitswesens (Stand 2007: rund 55,2 Mrd. Franken; Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2010, S. 340) oder etwas mehr als 17 % des gesamten Bruttoinlandprodukts der Schweiz (Stand 2007: rund 521 Mrd. Franken; Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2010, S. 124). Die obligatorische Krankenpflegeversicherung ist offensichtlich nicht in der Lage, für die Linderung eines einzigen Beschwerdebildes einen derartigen Aufwand zu bezahlen. Ist der Aufwand nicht verallgemeinerungsfähig, so kann er aus Gründen der Rechtsgleichheit auch im Einzelfall nicht erbracht werden. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
3807b256-8b3c-4f96-87b5-808aa157fc15 | Urteilskopf
111 Ib 56
13. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. März 1985 i.S. Sozialdemokratische Partei der Schweiz und Dr. Peter Vollmer gegen Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft und Eidgenössisches Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Verwaltungsgerichtsbeschwerde; Wegfall des aktuellen praktischen Interesses.
1. Auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses an der Beschwerdeführung kann nur verzichtet werden, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können (E. 2b).
2. Die Abgrenzung zwischen erlaubter Wirtschaftswerbung und verbotener politischer Propaganda in TV-Spots kann nur aufgrund einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles erfolgen (E. 3).
3. Nichteintreten auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die diese Frage zum Gegenstand hat, nach Wegfall des aktuellen praktischen Interesses (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 56
BGE 111 Ib 56 S. 56
Am 8. Oktober 1979 wurde von der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS) die Volksinitiative "gegen den Missbrauch
BGE 111 Ib 56 S. 57
des Bankgeheimnisses und der Bankenmacht" (Bankeninitiative) eingereicht. Die Bundesversammlung beschloss am 24. Juni 1983, die Initiative Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten. Am 19. Dezember 1983 setzte der Bundesrat den Abstimmungstermin auf den 20. Mai 1984 fest. An diesem Tag wurde die Initiative von Volk und Ständen verworfen.
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) strahlte am 5. und am 20. Dezember 1983 auf dem Fernsehkanal DRS einen Werbespot der Schweizerischen Bankiervereinigung mit dem folgenden Wortlaut aus:
"Auch in der Schweiz ist heute Arbeit für alle nicht mehr
selbstverständlich. Damit die Wirtschaft nicht stagniert, müssen vermehrt
Investitionen getätigt, neue Märkte erschlossen und neue Produkte
entwickelt werden. Dazu braucht es Geld.
Deshalb stellen die Banken das ihnen anvertraute Geld der Wirtschaft
zur Verfügung. So helfen sie mit, Arbeitsplätze zu schaffen und zu
sichern.
Mit Geld kann produziert, können Rohstoffe beschafft und Maschinen
gekauft werden. So tragen die Banken dazu bei, unsere Wirtschaft in Gang
zu halten.
Die Schweizer Banken, ein Teil unserer Wirtschaft."
BGE 111 Ib 56 S. 507
Am 9. Dezember 1983 wurde ein Werbespot der Schweizerischen Bankiervereinigung mit dem folgenden Wortlaut verbreitet:
"Private Dinge sind vertraulich. Auch Geldangelegenheiten sind
privat. Deshalb gibt es das Bankgeheimnis.
Es ist eigentlich ein Bankkundengeheimnis und schützt die
Privatsphäre der Kunden. Kriminellen bietet das Bankgeheimnis jedoch
keinen Schutz.
Das Bankgeheimnis ist wichtig für das Vertrauen in unsere Banken.
Die Schweizer Banken, ein Teil unserer Wirtschaft."
Die SPS reichte am 6. Januar 1984 beim Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) ein "Gesuch um Erlass einer Feststellungsverfügung gemäss Art. 25 Vw(V)G und um Anordnung vorsorglicher Massnahmen gemäss Art. 56 Vw(V)G und Aufsichtsbeschwerde gemäss Art. 71 Vw(V)G betreffend TV-Werbespots der Schweizerischen Bankiervereinigung vom 5. Dezember 1983, 9. Dezember 1983 und 20. Dezember 1983, evtl. weitere, ausgestrahlt durch die SRG, Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft" ein. Die SPS verlangte unter anderem, es sei festzustellen, dass es sich bei den betreffenden TV-Werbespots um unzulässige politische Propaganda, evtl. um unzulässige unwahre und irreführende Reklame im Sinne von Ziff. 3 lit. c evtl. f der Weisungen des Bundesrates über die Fernsehreklame vom 24. April 1964 handle; die SRG sei anzuweisen, diese oder ähnliche
BGE 111 Ib 56 S. 58
TV-Spots, die nicht eindeutig als Wirtschaftswerbung zu qualifizieren sind, nicht mehr auszustrahlen. Die SPS machte geltend, die Werbespots der Schweizerischen Bankiervereinigung würden keine erlaubte Wirtschaftswerbung gemäss Ziff. 3 lit. a der Weisungen des Bundesrates darstellen.
Bereits am 4. Januar 1984 hatte Dr. Vollmer eine praktisch gleichlautende Eingabe in eigenem Namen eingereicht.
Am 8. März 1984 erliess das EVED gegenüber der SPS eine förmliche Verfügung, in der es unter anderem feststellte, dass die von der SRG ausgestrahlten TV-Werbespots der Schweizerischen Bankiervereinigung die Weisungen des Bundesrates über die Fernsehreklame und die Konzession nicht verletzen würden. Die Eingabe von Dr. Vollmer wurde als blosse Aufsichtsbeschwerde entgegengenommen; ihr wurde keine Folge gegeben.
Gegen die Verfügung des EVED vom 8. März 1984 führen die SPS und Dr. Vollmer rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen:
"1. Der Entscheid des Eidgenössischen Verkehrs- und
Energiewirtschaftsdepartementes vom 8. März 1984 sei aufzuheben.
2. Es sei festzustellen, dass die Ausstrahlung der TV-Spots der
Schweizerischen Bankiervereinigung am 5., 9. und 20. Dezember 1983 gegen
Art. 14 Abs. 2 SRG-Konzession i. Verb. m. Ziff. 3 und 4 der Weisungen des
Bundesrates über die Fernsehreklame vom 24. April 1964 verstiess.
3. Das EVED als Aufsichtsbehörde der SRG sei anzuweisen, die SRG im
Sinne von Art. 27 Abs. 1 SRG-Konzession zur Behebung des Rechtsmangels
aufzufordern.
unter Kosten- und Entschädigungsfolge"
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein aus den folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Die vorliegende Beschwerde wurde zwar vor der Abstimmung über die Bankeninitiative eingereicht. In der Zwischenzeit hat indessen die Abstimmung über dieses Volksbegehren stattgefunden. Es stellt sich daher die Frage, ob im heutigen Zeitpunkt noch auf die Beschwerde eingetreten werden kann.
2.
a) Gemäss
Art. 103 lit. a OG
ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Im allgemeinen ist ein Interesse im Sinne dieser Bestimmung nur schutzwürdig, wenn der Beschwerdeführer
BGE 111 Ib 56 S. 59
nicht bloss beim Einreichen der Beschwerde, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Verfügung hat (
BGE 107 Ib 275
E. 1c;
BGE 106 Ib 112
E. 1b;
BGE 100 Ib 327
E. 2;
BGE 98 Ib 57
/58, z.T. mit weiteren Nachweisen; GRISEL, Traité de droit administratif, Band II, S. 900; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. A., S. 154/155; SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, S. 184). Dieses nicht nur bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sondern auch bei der staatsrechtlichen Beschwerde vorausgesetzte Erfordernis (
BGE 109 Ia 170
E. 3b;
BGE 108 Ib 124
E. 1a) soll sicherstellen, dass das Bundesgericht konkrete und nicht bloss theoretische Fragen entscheidet (
BGE 110 Ia 141
E. 2a, mit weiteren Nachweisen; KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, S. 244).
b) Das Bundesgericht verzichtet sowohl bei Verwaltungsgerichtsbeschwerden als auch bei staatsrechtlichen Beschwerden ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich eine gerügte Rechtsverletzung jederzeit wiederholen könnte und eine rechtzeitige gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (
BGE 110 Ia 143
E. 2b;
BGE 109 Ia 170
E. 3b;
107 Ib 275
/276 E. 1c, 392 E. 1;
BGE 106 Ib 112
E. 1b;
BGE 104 Ib 319
E. 3c, je mit weiteren Nachweisen). Allerdings prüft es eine Beschwerde trotz Wegfalls des aktuellen praktischen Interesses nur, wenn sich die aufgeworfenen Fragen jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen können (
BGE 110 Ia 143
E. 2b;
BGE 108 Ia 42
/43 E. 1a;
BGE 104 Ib 319
E. 3c; GRISEL, a.a.O., S. 900) und wenn an deren Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht (
BGE 110 Ia 143
E. 2b;
BGE 104 Ia 230
E. 1b).
3.
Die Beschwerdeführer werfen der SRG im wesentlichen vor, mit der Ausstrahlung der Werbespots der Schweizerischen Bankiervereinigung die vom Bundesrat erteilte Konzession sowie die Weisungen über die Fernsehreklame verletzt zu haben. Sie machen geltend, bei den Werbespots der Bankiervereinigung handle es sich nicht um erlaubte Wirtschaftswerbung, sondern um verbotene politische Propaganda im Sinne von Ziff. 3 lit. c der bundesrätlichen Weisungen vom 24. April 1964.
a) Auf den 1. März 1984 hin hat der Bundesrat seine Weisungen über die Fernsehreklame vom 24. April 1964 aufgehoben und durch die neuen Weisungen über die Fernsehwerbung vom 15. Februar 1984 ersetzt (BBl 1984 I 364 ff.). Nach diesen neuen
BGE 111 Ib 56 S. 60
Weisungen ist ebenso wie nach den Weisungen vom 24. April 1964 nur die Wirtschaftswerbung und neu die Werbung für gemeinnützige Aktionen zulässig (Art. 8), während unter anderem - wie schon unter dem alten Recht - politische Propaganda verboten ist (Art. 9 lit. b).
b) Die Abgrenzung zwischen erlaubter Wirtschaftswerbung und unzulässiger politischer Propaganda ist mitunter recht schwierig. Die Weisungen vom 15. Februar 1984 enthalten im Gegensatz zu den Weisungen vom 24. April 1964 auch keine Definition der Wirtschaftswerbung mehr.
aa) Da erst seit der Volksabstimmung vom 2. Dezember 1984 im neuen
Art. 55bis BV
eine klare verfassungsmässige Grundlage für die Gesetzgebung über Radio und Fernsehen besteht und es der Gesetzgeber bisher unterlassen hat, im Bereiche der Monopolmedien eine angemessene Ordnung aufzustellen, beruhen die der SRG erteilte Konzession und die Weisungen über die Fernsehwerbung nicht auf einer besonderen gesetzlichen Grundlage. Solange solche Regeln fehlen, haben sich die Bestimmungen in der Konzession und in den Weisungen auf die Wahrung des öffentlichen Interesses im Rahmen der verfassungsmässigen Rechte zu beschränken (vgl. dazu Urteil vom 17. Oktober 1980 in ZBl 83 (1982) S. 219 ff., speziell S. 221 ff. E. 2c und d). Dabei kommt den verfassungsmässigen Rechten in doppelter Hinsicht Bedeutung zu: Einerseits ist ihre Wahrung selbst eine Aufgabe, die im Rahmen einer Monopolkonzession wahrgenommen werden muss; andererseits sind die gerade zu diesem Zweck verfügten Einschränkungen derselben verfassungsmässigen Rechte nur zulässig, soweit sie sich aus der verfassungsmässigen Ordnung selbst ergeben. Im Zusammenhang mit der Fernsehwerbung fallen - sowohl als Schutz- als auch als Einschränkungsobjekt - die Meinungsäusserungsfreiheit, die Handels- und Gewerbefreiheit sowie das politische Stimmrecht in seiner Ausrichtung auf die demokratische Willensbildung in Betracht.
bb) Diese Grundsätze haben nicht nur für die der SRG erteilte Konzession und für die bundesrätlichen Weisungen, sondern auch für deren Auslegung im konkreten Einzelfall zu gelten. Das Bundesgericht müsste somit der Abgrenzung zwischen der in den bundesrätlichen Weisungen nicht näher umschriebenen erlaubten Wirtschaftswerbung einerseits und der unzulässigen politischen Propaganda andererseits eine Interessenabwägung zwischen den verschiedenen, miteinander möglicherweise in Konflikt geratenden verfassungsmässigen Rechten zugrunde legen.
BGE 111 Ib 56 S. 61
c) Eine solche Interessenabwägung könnte nicht losgelöst vom konkreten Fall vorgenommen werden. Das Bundesgericht müsste vor allem den Wortlaut der strittigen TV-Werbesendungen einer einlässlichen Analyse unterziehen. Ausserdem müssten die TV-Spots einerseits in ihrer Relevanz als - unter Umständen schon lange praktizierte - Wirtschaftswerbung gewürdigt und anderseits in bezug zu einer allenfalls durchgeführten Abstimmungskampagne in der Presse und in weiteren Medien gesetzt werden. Auch die Nähe des Ausstrahlungszeitpunktes zum Abstimmungstermin würde bei der Beurteilung wohl eine Rolle spielen. Das Bundesgericht hätte somit seinen Entscheid ausschliesslich aufgrund einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zu fällen.
Es ist praktisch ausgeschlossen, dass sich die Frage der Abgrenzung zwischen erlaubter Wirtschaftswerbung und unzulässiger politischer Propaganda unter den gleichen oder ähnlichen Umständen bei späteren Fällen wieder stellen könnte. Wohl ist anzunehmen, dass bei weiteren Volksbegehren und anderen Abstimmungsvorlagen TV-Werbespots allfällig interessierter und betroffener Wirtschaftskreise zur Ausstrahlung gelangen werden, deren Zulässigkeit im Sinne der bundesrätlichen Weisungen vom 15. Februar 1984 zu prüfen sein könnte. Die konkreten Umstände solcher Fälle werden sich aber von den Umständen des vorliegenden Falles in verschiedenster Hinsicht wesentlich unterscheiden.
Die hier zu prüfende Frage liegt anders als etwa in dem in
BGE 97 I 731
ff. wiedergegebenen Fall. Die vorliegende Situation ist vergleichbar mit derjenigen bei einer Mehrzahl von staatsrechtlichen Beschwerden, mit denen die Verfassungs- und Konventionswidrigkeit der Anordnung oder Erstreckung einer inzwischen dahingefallenen Untersuchungshaft gerügt wird und auf die das Bundesgericht nach neuerer Rechtsprechung im allgemeinen nicht mehr eintritt (vgl. dazu eingehend
BGE 110 Ia 140
ff.). Das Bundesgericht hat daher ebenfalls keinen Anlass, auf die vorliegende Beschwerde nach dem Wegfall des aktuellen praktischen Interesses noch einzutreten. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
3807e61c-e471-45fa-bade-6b005502c058 | Urteilskopf
108 Ib 499
85. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 15 décembre 1982 dans la cause Philipp c. Etat de Vaud et Commission fédérale d'estimation du 1er arrondissement (recours de droit administratif) | Regeste
Enteignung. Nachbarrechte. Autobahn-Lärm. Schutz des guten Glaubens.
1. Die Eidgenössischen Schätzungskommissionen sind nicht zuständig zum Entscheid über eine Entschädigungsforderung, die der Grundeigentümer wegen unrichtiger Auskünfte über die Linienführung einer zukünftigen Nationalstrasse erhebt (E. 1b).
2. Der Grundeigentümer, der beim Kauf seines Grundstücks und beim Bau seines Hauses auf ein in einem provisorischen Projekt vorgesehenes Autobahn-Trasse abgestellt hat, welches jedoch später geändert wird und nun in der Nähe seines Hauses verläuft, kann nicht allein deshalb vom Staat eine Entschädigung beanspruchen (E. 1c). | Sachverhalt
ab Seite 499
BGE 108 Ib 499 S. 499
Les époux Philipp ont acquis, en 1960, un terrain de 6534 m2 situé à "Champs Maffrey" (commune de Lutry), sur lequel ils ont
BGE 108 Ib 499 S. 500
construit la villa qu'ils habitent actuellement. La route nationale No 9 (autoroute du Léman) a été construite en amont de cette propriété, à une distance d'environ 15 m de la façade arrière de la villa. En raison des émissions de bruit auxquelles on pouvait s'attendre, ils sont intervenus dans la procédure d'expropriation pour demander une indemnité correspondant à la moitié de la valeur de l'immeuble, ainsi qu'une indemnité pour le préjudice temporaire causé par les travaux de construction et l'aménagement d'ouvrages de protection.
Ils avaient acquis précédemment, dans la même commune, une parcelle sise au "Crêt des Pierres", qu'ils avaient revendue à l'Etat de Vaud lorsqu'ils eurent appris qu'un avant-projet de tracé faisait passer la future route nationale à travers cette parcelle.
La Commission fédérale d'estimation du 1er arrondissement a rejeté leur demande. Saisi d'un recours de droit administratif, le Tribunal fédéral l'a rejeté, notamment pour le motif suivant:
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le premier argument des recourants consiste à dire qu'ils doivent être indemnisés pour les inconvénients découlant de la proximité de l'autoroute parce que, au moment où ils ont acquis leur terrain en décembre 1960 pour y construire leur villa, ils pouvaient légitimement admettre, sur la base des tractations qu'ils avaient eues avec les organes de l'Etat de Vaud et des assurances qu'ils en avaient reçues, que l'autoroute ne passerait pas dans le voisinage.
a) Dans l'arrêt Werren (
ATF 94 I 299
ss consid. 8a et b), le Tribunal fédéral a déclaré qu'en principe les voisins d'une route ne sauraient prétendre être indemnisés en raison des inconvénients qui en résultent; il a cependant admis que ce principe souffrait deux exceptions: la première en faveur de celui qui s'est fié de bonne foi aux assurances d'une autorité pour acheter un immeuble ou construire un bâtiment (référence aux
ATF 88 I 148
et
ATF 91 I 136
); la seconde dans les cas où le dommage est à la fois imprévisible, spécial et grave.
b) Il n'est pas douteux que la Commission fédérale d'estimation est compétente pour se prononcer sur l'existence des droits découlant des rapports de voisinage (
art. 684 CC
) et sur la lésion de ces droits (cf.
ATF 94 I 298
s. consid. 7); il n'est en revanche pas évident qu'elle le soit aussi pour trancher le point de savoir si une
BGE 108 Ib 499 S. 501
indemnité éventuelle est due par l'Etat en raison des informations inexactes données par ses organes. Dans l'arrêt Werren, le Tribunal fédéral n'a ni soulevé, ni résolu cette question. Le dommage que les recourants allèguent ici n'est pas la conséquence de l'expropriation d'un des droits énumérés à l'
art. 5 LEx
, mais la conséquence d'actes ou d'omissions qui sont le fait d'organes de l'Etat et qui n'ont pas de rapport avec l'expropriation. Il est vrai que l'énumération des attributions de la Commission fédérale d'estimation contenue à l'
art. 64 al. 1 LEx
n'est pas exhaustive; mais il ne fait pas de doute que cette commission spéciale a été instituée par le législateur fédéral pour trancher les litiges relatifs aux indemnités d'expropriation et non pas pour juger - comme le ferait un tribunal administratif - de toute action fondée sur la responsabilité des organes de l'Etat. Aussi la Commission fédérale d'estimation aurait-elle dû se déclarer incompétente pour statuer sur les prétentions que les recourants déduisent des assurances qui leur auraient été données au moment de l'acquisition de leur propriété.
Sur ce point, le recours doit être rejeté pour ce motif déjà, sans qu'il soit nécessaire d'examiner le fond de la décision attaquée.
c) Mais même si, sur ce point, on examinait au fond la décision litigieuse, on ne pourrait que la confirmer. Comme l'a relevé avec raison la Commission fédérale d'estimation, la conviction des recourants fondée sur le projet provisoire selon lequel l'autoroute traversait la parcelle du "Crêt des Pierres", conviction qui les a amenés à insister auprès de l'Etat pour qu'il acquière cette parcelle, prouve tout au plus leur ferme volonté de fuir l'autoroute. Mais ils ne pouvaient pas, selon les règles de la bonne foi, tirer de ce projet provisoire la certitude que l'autoroute serait effectivement construite dans cette région, ni - et c'est ce qui est déterminant - la certitude que cette autoroute ne passerait pas par la région de "Champs Maffrey", dans laquelle ils se sont décidés à acquérir du terrain et à construire leur villa. Les recourants ne prétendent d'ailleurs pas que des assurances leur auraient été données sur ce point. Il est possible que les autorités vaudoises ou certains fonctionnaires aient été convaincus à ce moment-là que le projet provisoire passant par le "Crêt des Pierres" serait exécuté; mais cela n'est d'aucun secours pour les recourants, qui auraient dû se rendre compte que l'éventualité du remplacement de ce projet par un autre ne pouvait pas être exclue.
Le grief tiré de la violation du principe de la bonne foi se révèle donc mal fondé. | public_law | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
380cf828-06b4-47bd-90ca-4b53ec9dbab6 | Urteilskopf
126 V 64
13. Extrait de l'arrêt du 12 avril 2000 dans la cause L. contre Office de l'assurance-invalidité pour le canton de Vaud et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 14 Abs. 3 IVG
;
Art. 4 Abs. 3 IVV
: Beiträge an die Kosten der Hauspflege. Die nach Massgabe der täglichen Dauer des im Einzelfall notwendigen Betreuungsaufwandes abgestufte Höchstgrenze der Vergütung zusätzlicher Kosten richtet sich nach der Intensität der Hauspflege. Rz 14 der vom Bundesamt für Sozialversicherung herausgegebenen Weisungen zur Hauspflege (Anhang 3 des Kreisschreibens über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung), welche für Versicherte, die gleichzeitig Sonderschulbeiträge (
Art. 19 IVG
) erhalten, unabhängig vom Ausmass des Betreuungsaufwandes eine arithmetisch lineare Herabsetzung der Entschädigung festlegt, ist gesetzwidrig.
Art. 41 EMRK
: Gerechte Entschädigung. Mangels sachlicher Zuständigkeit kann das Eidg. Versicherungsgericht nicht über eine wegen der Verfahrensdauer erhobene, vor ihm erstmals geltend gemachte Forderung nach einer gerechten Entschädigung befinden. | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 126 V 64 S. 65
A.-
Né en 1982, L. a bénéficié dès sa naissance de diverses prestations de l'assurance-invalidité, en particulier des contributions aux frais de soins à domicile.
Par décision du 23 mai 1997, l'Office de l'assurance-invalidité pour le canton de Vaud (OAI) a accordé à l'assuré une contribution aux frais d'école en externat pour la période allant du 1er janvier 1988 au 31 juillet 1997. En raison de l'octroi de ces subsides, il a, dans la même décision, réduit de moitié la contribution aux frais de soins à domicile.
B.-
L. a recouru contre cette décision devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud. Par jugement du 12 février 1999, la juridiction cantonale a rejeté le recours.
C.-
L. interjette recours de droit administratif contre ce jugement dont il demande la réforme et conclut à l'octroi de contributions aux frais de soins à domicile, sans réduction. Se prévalant en outre d'une violation du principe de célérité, il invite le Tribunal fédéral des assurances à transmettre le dossier à l'Etat de Vaud d'une part et à la Confédération d'autre part, afin qu'ils lui allouent une indemnité équitable pour retard injustifié.
L'OAI conclut au rejet du recours, ce que propose également l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS).
Erwägungen
Extrait des considérants :
1.
Comme en instance cantonale, le litige porte en premier lieu sur la légalité de la réduction de la contribution aux frais de soins à domicile.
BGE 126 V 64 S. 66
2.
a) L'assurance-invalidité peut prendre en charge, en tout ou en partie, les frais supplémentaires occasionnés par le traitement à domicile (art. 14 al. 3 deuxième phrase LAI).
Edicté sur la base de l'
art. 14 al. 3 LAI
, l'
art. 4 RAI
, dans sa teneur en vigueur depuis le 1er juillet 1991 applicable au cas d'espèce (la réduction opérée ne portant pas sur la période antérieure), dispose que lorsque les soins à domicile dus à l'invalidité excèdent en intensité et en temps, durant plus de trois mois, ce que l'on peut raisonnablement exiger, l'assurance rembourse les frais occasionnés par l'engagement de personnel d'assistance supplémentaire jusqu'à concurrence d'une limite à déterminer dans le cas d'espèce (al. 1). Si les soins dus à l'invalidité excèdent deux heures par jour en moyenne, ou si une surveillance constante est nécessaire, on admettra que l'assistance raisonnablement exigible est dépassée (al. 2). La limite du remboursement est déterminée en fonction de la durée quotidienne des soins nécessaires dans le cas d'espèce (al. 3 première phrase). L'assistance est considérée comme peu intense, lorsque des soins intensifs d'une durée moyenne de deux heures au moins ou une surveillance constante sont quotidiennement nécessaires (al. 4 let. d); elle est considérée d'intensité moyenne, lorsque des soins intensifs d'une durée moyenne de quatre heures au moins sont quotidiennement nécessaires (al. 4 let. c).
Selon la jurisprudence, sont considérés comme soins à domicile (traitement et soins de base) ceux prodigués dans le cadre des mesures des
art. 12 ou 13 LAI
(
ATF 120 V 284
consid. 3a).
Seuls les frais effectifs peuvent être remboursés, ce qui découle de l'
art. 14 al. 3 LAI
("frais supplémentaires") et de la lettre de l'
art. 4 al. 1 RAI
("frais occasionnés par l'engagement de personnel d'assistance supplémentaire"). Il en résulte que ces frais ne sont remboursés, en principe, à hauteur du degré d'assistance reconnu, que sur la base de justificatifs relatifs au personnel supplémentaire rétribué (Directives de l'OFAS sur les soins à domicile [
art. 4 RAI
], du mois de juillet 1992, n. 2.1, 2.4 et 4.3). Toutefois, selon la jurisprudence, le droit à la substitution de la prestation trouve application dans le cas de parents ayant prodigué des soins au sens de l'
art. 4 RAI
, en lieu et place de tiers, pour autant que toutes les conditions de ce droit soient remplies (
ATF 120 V 285
sv. consid. 4a; VSI 1997 p. 256 sv. consid. 3).
3.
a) Selon l'
art. 19 al. 1 LAI
(dans sa version en vigueur depuis le 1er janvier 1996), des subsides sont alloués pour la formation scolaire spéciale des assurés éducables qui n'ont pas atteint l'âge de 20 ans révolus mais qui, par suite d'invalidité, ne peuvent suivre
BGE 126 V 64 S. 67
l'école publique ou dont on ne peut attendre qu'ils la suivent. La formation scolaire spéciale comprend la scolarisation proprement dite ainsi que, pour les mineurs incapables ou peu capables d'assimiler des disciplines élémentaires, des mesures destinées à développer soit leur habileté manuelle, soit leur aptitude à accomplir les actes ordinaires de la vie ou à établir des contacts avec leur entourage.
Par ailleurs, selon la jurisprudence la plus récente, il existe également un droit à des prestations de l'assurance-invalidité lorsque la formation scolaire spéciale est assumée par le père ou la mère de l'assuré et que les conditions matérielles et formelles (conditions de reconnaissance) sont réalisées (
ATF 124 V 317
).
b) En l'espèce où la formation spéciale de l'assuré a été assumée par sa mère, le droit à des subsides a été finalement reconnu par l'OAI, toutes conditions matérielles et formelles étant considérées comme réunies.
Dans sa décision du 23 mai 1997 portant sur la contribution aux frais d'école en externat (
art. 19 LAI
) pour la période allant du 1er janvier 1988 au 31 juillet 1997, l'intimé a déduit du montant total de ces contributions, une partie des sommes déjà versées pour les soins à domicile à partir du 1er juillet 1991.
Il fondait son calcul sur les Directives sur les soins à domicile de l'OFAS (Annexe 3 à la circulaire concernant les mesures médicales de réadaptation de l'assurance-invalidité [CMRM], valable dès le 1er janvier 1995). Selon le ch. m. 13, si la personne requérant les soins séjourne durablement à la maison (par ex. : enfants en âge préscolaire; handicapés ne fréquentant pas une école spéciale), les limites maximales du remboursement selon l'
art. 4 al. 3 RAI
sont applicables. En revanche, selon le ch. m. 14, lorsque la personne requérant les soins ne séjourne pas durablement à la maison, on applique seulement une quote-part des limites citées sous ch. m. 13. Cette quote-part équivaut au nombre de jours du mois pris en compte. Les jours entamés (fréquentation d'une école spéciale en qualité d'externe, jours de trajets aller et retour entre l'école et la maison) comptent comme demi-jour.
Il en résultait qu'au regard des 234 jours de scolarité à prendre en compte par année, la contribution aux frais de soins était réduite de moitié pour ces jours-là.
4.
a) Après un examen minutieux, les premiers juges ont considéré que le ch. m. 14 de la directive précitée était conforme à l'esprit de la loi et à son but. Dès lors que l'assuré était scolarisé pendant une partie de la journée, il ne se justifiait pas, pour la période correspondante, de lui accorder une contribution aux frais de soins.
BGE 126 V 64 S. 68
En instance fédérale, le recourant soutient que cette disposition de la directive est contraire à la loi.
b) Le juge des assurances sociales n'est pas lié par les ordonnances administratives. Il ne doit en tenir compte que dans la mesure où elles permettent une application correcte des dispositions légales dans un cas d'espèce. Il doit en revanche s'en écarter lorsqu'elles établissent des normes qui ne sont pas conformes aux règles légales applicables (
ATF 123 V 72
consid. 4a,
ATF 122 V 253
consid. 3d, 363 consid. 3c et les références).
c) La LAI et son ordonnance prévoient notamment la possibilité d'octroyer des contributions pour les frais supplémentaires des soins à domicile (aux conditions de l'
art. 4 RAI
) et des subsides pour la formation scolaire spéciale, prestations qui ne visent pas les mêmes situations et qui ne sont pas destinées à couvrir les mêmes besoins. Ainsi que le relève le jugement attaqué, ni la loi, ni l'ordonnance ne prévoient la possibilité de procéder à une réduction des contributions aux soins à domicile lorsque l'assuré bénéficie de subsides pour la formation scolaire.
Le ch. m. 14 de la directive précitée de l'OFAS vise, en réalité, à éviter une forme de surindemnisation ou de cumul de prestations dès lors que l'assuré percevrait des subsides pour la formation scolaire spéciale donnée pendant la même période où, à raison des soins à domicile, il bénéficierait de ces contributions spéciales.
Selon la jurisprudence toutefois, il n'existe pas un principe général du droit des assurances sociales qui interdit la surindemnisation ou le cumul de prestations de même nature. L'existence d'une base légale empêchant la surindemnisation pour les prestations de même nature, soit d'une manière générale, soit entre des branches particulières de l'assurance sociale est ainsi nécessaire (
ATF 113 V 148
consid. 7c).
Dès lors que la disposition réglementaire litigieuse, qui fixe une réduction arithmétique et linéaire - 50 % par jour d'école quelle que soit l'intensité de l'assistance à domicile -, ne repose ni sur un principe général du droit ni sur une base légale, elle doit être considérée comme contraire à la loi.
d) Il ne s'ensuit pas pour autant que la scolarisation spéciale, même à domicile, demeure sans influence sur le montant de la contribution pour soins. Comme le prescrit l'
art. 4 al. 3 RAI
, il y a lieu d'examiner, concrètement, la durée quotidienne des soins encore nécessaires, après avoir tenu compte de celle de la fréquentation scolaire.
(...).
BGE 126 V 64 S. 69
5.
a) Le litige porte ensuite sur la prétention à une indemnité équitable, en raison de la durée de la procédure, le recourant fondant sa demande sur l'ancien
art. 50 CEDH
.
b) A la suite de l'arrêt rendu le 7 novembre 1995 par le Tribunal fédéral des assurances, la cause a été renvoyée à l'administration pour instruction complémentaire et nouvelle décision. L'instruction achevée, l'intimé a rendu la nouvelle décision le 23 mai 1997. Le recourant ayant entrepris cette décision devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud, la juridiction cantonale a statué le 12 février 1999, le jugement étant notifié le 23 novembre 1999 aux parties.
La question de savoir si, dans ces conditions, un retard inadmissible doit être reproché à l'administration et/ou aux premiers juges peut toutefois demeurer indécise, dès lors que pour d'autres motifs la prétention à une indemnité, formée pour la première fois devant le Tribunal fédéral des assurances, doit être déclarée irrecevable.
Selon la CEDH, si la Cour déclare qu'il y a eu violation de la Convention ou de ses protocoles, et si le droit interne de la Haute partie contractante ne permet d'effacer qu'imparfaitement les conséquences de cette violation, la Cour accorde à la partie lésée, s'il y a lieu, une satisfaction équitable (
art. 41 CEDH
, entré en vigueur pour la Suisse le 1er novembre 1998, disposition qui a remplacé l'ancien
art. 50 CEDH
).
Cette disposition fixe en premier lieu une règle de compétence. L'indemnité équitable, consistant en une compensation pécuniaire à titre d'indemnité satisfactoire ou destinée à réparer un dommage matériel est due au recourant personnellement. La prétention est dirigée contre l'Etat en tant que sujet de droit public. C'est ainsi au titre du droit public que l'Etat sera, cas échéant, obligé d'indemniser. Pour ce motif, selon la jurisprudence de la Cour européenne, le recourant n'est pas obligé d'épuiser les instances de recours internes. Pour le même motif, le requérant ne pourra faire valoir contre l'Etat sa prétention fondée sur l'
art. 41 CEDH
devant les tribunaux nationaux (VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2e éd., Zürich 1999, no 237 et les références.)
Il n'appartient dès lors pas au Tribunal fédéral des assurances, devant lequel la prétention est formée pour la première fois, de statuer sur une telle demande d'indemnité, faute de compétence ratione materiae. Au surplus, et conformément à la jurisprudence, les prétentions éventuelles à des dommages-intérêts fondées sur le droit interne doivent faire l'objet, suivant la procédure applicable aux actions en responsabilité, de demandes devant les tribunaux compétents (consid. 6a/dd non publié de l'arrêt
ATF 120 V 150
). | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
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